Lackeigenschaften messen und steuern 9783748600190

Beschichtungen und Beschichtungsstoffe wie Lacke, Druckfarben, Anstrichstoffe, etc. sind meist komplexe Mehrstoffsysteme

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Lackeigenschaften messen und steuern
 9783748600190

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Auf ein Wort
Inhaltsverzeichnis
1. Lackeigenschaften messen und steuern
2. Zwischenmolekulare Wechselwirkungen, Löslichkeit und Verträglichkeit
3. Rheologie
4. Rheometrie
5. Grenzflächen
6. Benetzung, Verlauf, Adhäsion
7. Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen
Symbolverzeichnis
Autoren
Index

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Georg Meichsner | Thomas G. Mezger | Jörg Schröder

Lackeigenschaften messen und steuern Rheologie – Grenzflächen – Kolloide

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Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek ie Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Georg Meichsner, Thomas G. Mezger, Jörg Schröder Lackeigenschaften messen und steuern Hannover: Vincentz Network, 2016 Farbe und Lack // Bibliothek ISBN 978-3-74860-019-0 © 2016 Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover Vincentz Network, P.O. Box 6247, 30062 Hannover, Germany Das Werk einschließlich seiner Einzelbeiträge aus Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchtnamen, Warenzeichen und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um geschützte, eingetragene Warenzeichen. Das Verlagsverzeichnis schickt Ihnen gern: Vincentz Network, Plathnerstr. 4c, 30175 Hannover, Germany Tel. +49 511 9910-033, Fax +49 511 9910-029 E-mail: [email protected], www.farbeundlack.de

Satz: Vincentz Network, Hannover, Germany ISBN 978-3-74860-019-0

Farbe und Lack // Bibliothek

Georg Meichsner | Thomas G. Mezger | Jörg Schröder

Lackeigenschaften messen und steuern Rheologie – Grenzflächen – Kolloide

Auf ein Wort Seit 13 Jahren dient das vorliegende Buch als Grundlage für die Ausbildung von Lackingenieuren in den Lehrveranstaltungen „Grenzflächen und Kolloide“ und „Werkstoffprüfung Lacke“ des Studienganges Chemieingenieurwesen/Farbe und Lack der Hochschule Esslingen. In der überarbeiteten 2. Auflage wurden Ergänzungen im behandelten Stoff vorgenommen und der Text wurde überarbeitet, wobei besonderer Wert auf die Verständlichkeit des Textes gelegt wurde. Beschichtungen (Coatings) und Beschichtungsstoffe wie Lacke, Druckfarben, Anstrichstoffe etc. sind meistens komplexe Mehrstoffsysteme, deren Physik und physikalische Chemie nicht ohne weiteres zu verstehen ist. Zur Chemie und Anwendungstechnik dieser Systeme steht interessante und lehrreiche Literatur zur Verfügung. Die physikalischen und physikalisch-chemischen Aspekte werden nur in wenigen Werken ausführlich behandelt. Bereits heute – und künftig verstärkt – spielen Beschichtungsstoffe und Beschichtungen mit speziellen Funktionen eine entscheidende Rolle in „intelligenten“ Produkten und Prozessen, wie bei Photoresisten, selbstreinigenden Oberflächen, bei der Datenspeicherung etc. Das hier vorliegende Buch soll einen Beitrag zum Verständnis der physikalisch-chemischen Grundlagen von Beschichtungssystemen liefern. Es ist entstanden aus dem Manuskript zur Vorlesung „Physikalische Chemie der Lacke“, die von Georg Meichsner im Studiengang Chemieingenieurwesen/Farbe-Lack-Umwelt an der Hochschule Esslingen gelesen wird. Dementsprechend wendet sich dieses Buch in erster Linie an Lackingenieure, aber auch an Chemiker und Techniker und all jene, die ein ganzheitliches Verständnis der Beschichtungssysteme anstreben. Ziel des Buches ist, das Basiswissen in den Gebieten Rheologie, Grenzflächen und Kolloide verständlich darzustellen und den Bogen von der Theorie bis hin zu wichtigen anwendungstechnischen Verhaltensweisen zu schlagen. Jede Prozessund Produktoptimierung steht und fällt mit dem Verständnis der physikalisch-chemischen Zusammenhänge und der verwendeten Analysenmethode. Bereits beim Entstehungsprozess versuchten die Autoren in intensiver Diskussion die einzelnen Gebiete dieses Lehrbuchs zu optimieren. Letztendlich ist jedoch in dieser Welt nichts vollkommen, weshalb uns Anregungen und Verbesserungsvorschläge stets willkommen sind und auf fruchtbaren Boden fallen werden. Am 10. Mai 2014 ist unser Kollege Dr. Jörg Schröder nach langer Krankheit verstorben. Mit ihm ging uns ein klarer Denker und interessanter Diskussionspartner verloren. Seine präzise Art der Formulierung hat unser gemeinsames Buch geprägt – wir bedauern diesen Verlust sehr. Das Kapitel 7 wurde in seinem Sinn überarbeitet. Esslingen, im Mai 2016 Georg Meichsner

FARBEUNDLACK // BIBLIOTHEK

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2011 // 136 Seiten // gebunden // 139,- € Bestell-Nr.: 588 // eBook: 588_PDF

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Inhaltsverzeichnis 1 Lackeigenschaften messen und steuern.............................................11 1.1 Bestandteile von Lacken und Beschichtungsstoffen......................................... 12 Benetzung und Verlauf ........................................................................................... 12 1.2 2 Zwischenmolekulare Wechsel­wirkungen, Löslichkeit und Verträglichkeit.....................................................................................15 Van der Waals-Wechselwirkungen....................................................................... 15 2.1 Löslichkeit und Verträglichkeit............................................................................. 17 2.2 Dreidimensionale Löslichkeitsparameter............................................................ 19 2.3 2.4 Literatur...................................................................................................................... 21 3 Rheologie..............................................................................................23 Viskosität und Elastizität ....................................................................................... 23 3.1 Rheologische Grundbegriffe ................................................................................. 24 3.2 3.2.1 Deformation................................................................................................................ 24 3.2.2 Elastizität.................................................................................................................... 24 Zugversuch (Zugspannung)................................................................................... 25 3.2.3 3.2.4 Poisson-Zahl............................................................................................................... 26 Rheologische Zustandsbereiche von Polymeren................................................ 27 3.2.5 Schubspannung und Viskosität ............................................................................ 28 3.2.6 3.2.7 Scherrate..................................................................................................................... 31 Scherraten in der Anwendungstechnik............................................................... 31 3.2.7.1 3.2.7.2 Beispiel – Applikation eines Lackes durch Streichen ...................................... 32 3.2.7.3 Beispiel – Strömungen in Rohrleitungen oder Kapillaren............................... 32 Beispiel – Sedimentation in Suspensionen......................................................... 32 3.2.7.4 Abweichung vom newtonschen Fließverhalten................................................. 33 3.3 3.3.1 Fließgrenze................................................................................................................. 34 Scherverdünnendes Fließverhalten 3.3.2 (Strukturviskosität und Thixotropie)................................................................... 38 3.3.2.1 Strukturviskosität bei Polymerlösungen............................................................ 39 3.3.2.2 Thixotropie................................................................................................................. 40 3.3.2.3 Verlauf und Ablaufneigung ................................................................................... 41 3.3.2.4 Beispiel – Auswirkung der Rheologie auf die Applizierbarkeit von Malerlacken................................................................................................................ 41 Scherverdickendes Fließverhalten 3.3.3 (Dilatanz und Rheopexie)........................................................................................ 41 Temperaturabhängigkeit der Viskosität.............................................................. 42 3.4 Viskosität von Lösungen und Dispersionen........................................................ 46 3.5 Viskosität von Polymerlösungen........................................................................... 47 3.5.1 Viskosität von Dispersionen................................................................................... 49 3.5.2 3.6 Literatur ..................................................................................................................... 52

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Inhaltsverzeichnis

4 Rheometrie ..........................................................................................55 Randbedingungen für die rheologische Messung............................................ 55 4.1 4.2 Messgeräte.................................................................................................................. 56 4.2.1 Fließfelder................................................................................................................... 56 Kugelfall- und Blasenviskosimeter....................................................................... 56 4.2.2 Kapillarviskosimeter und Auslaufbecher............................................................ 59 4.2.3 Hagen-Poiseuillesches Gesetz............................................................................... 59 4.2.3.1 4.2.3.2 Kapillarviskosimeter................................................................................................ 60 4.2.3.3 Auslaufbecher............................................................................................................ 60 Relativ-Viskosimeter mit Drehkörper................................................................... 62 4.2.4 Rotations- und Oszillationsrheometer.................................................................. 65 4.2.5 Koxiales Zylinder-Messsystem.............................................................................. 65 4.2.5.1 4.2.5.3 Kegel-Platte-Messsystem........................................................................................ 66 4.2.5.3 Platte-Platte-System................................................................................................. 68 Rheologische Untersuchungsmethoden.............................................................. 69 4.3 4.3.1 Rampenversuch ........................................................................................................ 69 Scherverdünnendes und scherverdickendes Verhalten................................... 70 4.3.1.1 4.3.1.2 Thixotropie................................................................................................................. 71 Bestimmung von Fließgrenzen.............................................................................. 72 4.3.1.3 4.3.2 Scherratensprung..................................................................................................... 74 4.3.3 Kriech- und Kriecherholungs-Versuch – viskoelastisches Verhalten........... 76 Oszillationsversuch – Schwingungsrheometrie ............................................... 80 4.3.4 Viskoelastischer Festkörper im Oszillationsversuch........................................ 82 4.3.4.1 4.3.4.2 Amplitudentest.......................................................................................................... 84 4.3.4.3 Zeitabhängige Gelbildung oder Aushärtung...................................................... 85 4.3.4.4 Frequenztest.............................................................................................................. 87 4.4 Literatur ..................................................................................................................... 87 5 Grenzflächen........................................................................................89 5.1 Oberflächenenergie und Oberflächenspannung................................................ 90 Kapillardruck – Gleichung von Young und Laplace.......................................... 93 5.1.1 5.1.2 Dampfdruck kleiner Tröpfchen – kelvinsche Gleichung und Löslichkeit von Kristallen – ostwaldsche Gleichung........................................ 96 Adsorption an Grenzflächen................................................................................... 98 5.2 Gibbssche Adsorptionsisotherme.......................................................................... 99 5.2.1 5.2.2 Adsorptionsisothermen........................................................................................... 102 Bestimmung der spezifischen Oberfläche (BET-Methode).............................. 103 5.2.3 5.3 Messung der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten................................... 105 5.3.1 Ringmethode.............................................................................................................. 106 5.3.2 Plattenmethode ......................................................................................................... 107 5.3.3 Methode des hängenden Tropfens........................................................................ 108 5.3.4 Kapillarmethode........................................................................................................ 109 5.3.5 Dynamische Oberflächenspannung..................................................................... 110 5.3.5.1 Blasendrucktensiometer.......................................................................................... 110 5.4 Temperaturabhängigkeit der Oberflächenspannung........................................ 112 5.5 Benetzung von Festkörpern................................................................................... 112 5.5.1 Kontaktwinkel θ – youngsche Gleichung............................................................ 113 5.5.2 Spreitungskoeffizient............................................................................................... 115 Kritische Oberflächenspannung – Zisman-Methode........................................ 117 5.5.3

Inhaltsverzeichnis

5.5.4 Oberflächenenergie niederenergetischer Festkörper....................................... 118 5.6 Literatur...................................................................................................................... 120 6

Benetzung, Verlauf, Adhäsion.............................................................123

6.1 Lackieren und Bedrucken unterschiedlicher Substrate................................... 123 6.2 Benetzungsstörungen.............................................................................................. 124 Entnetzung, Krater, Fischaugen............................................................................ 124 6.2.1 Bénard-Zellen, Orangenhaut.................................................................................. 125 6.2.2 6.3 Verlaufsmodell........................................................................................................... 126 6.4 Oberflächenrauheit................................................................................................... 128 Benetzung fester Körper......................................................................................... 130 6.5 Benetzung von Pigmenten...................................................................................... 130 6.5.1 Benetzung niederenergetischer Oberflächen..................................................... 132 6.5.2 6.6 Oberflächenaktive Substanzen im Lack................................................................... 132 6.7 Methoden zur Vorbehandlung von Kunststoffen................................................... 134 Vorbehandlung durch aktivierten Sauerstoff..................................................... 134 6.7.1 6.7.2 Gasphasenfluorierung............................................................................................. 139 6.8 Adhäsion..................................................................................................................... 140 6.8.1 Adhäsionstheorien.................................................................................................... 140 6.8.2 Entwicklung der Adhäsion bei der Filmbildung................................................ 143 Innere Spannungen.................................................................................................. 144 6.8.3 Weak Boundary Layer-Theorie.............................................................................. 148 6.8.4 Methoden zur Messung der Haftfestigkeit......................................................... 148 6.8.5 6.9 Literatur...................................................................................................................... 155 7 Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen.........157 Kolloidale Systeme.................................................................................................... 157 7.1 7.1.1 Klassifizierung und Strukturen............................................................................ 157 7.1.2 Größenordnungen kolloidaler Systeme................................................................ 158 7.2 Messung von Teilchengrößen und Teilchengrößenverteilungen................... 164 Darstellung von Teilchengrößenverteilungen.................................................... 165 7.2.1 Volumen-, Oberflächen-, Längen- und Anzahlverteilung................................ 167 7.2.1.1 7.2.1.2 Verteilungsfunktionen............................................................................................. 169 Primärteilchen und Aggregate.............................................................................. 169 7.2.2 7.2.3 Sedimentation im Schwerefeld.............................................................................. 170 7.2.3.1 Methodische Varianten............................................................................................ 171 7.2.3.2 Sedimentationswaage.............................................................................................. 173 7.2.3.3 Berechnungsverfahren............................................................................................ 174 7.2.3.4 Zentrifugalkraftsysteme......................................................................................... 175 7.2.3.5 Scheibenzentrifuge................................................................................................... 176 Messung der Teilchengröße durch Lichtstreuung............................................. 177 7.2.4 7.2.4.1 Laserdiffraktometrie................................................................................................ 178 7.2.4.2 Photonenkorrelationsspektroskopie..................................................................... 179 Elektrostatische Stabilisierung von Kolloiden.................................................... 182 7.3.1 7.3.2 Wechselwirkung zwischen Molekülen................................................................ 184 7.3.3 Wechselwirkung zwischen den Dispersionsteilchen ...................................... 185 Anziehende Wechselwirkung................................................................................ 186 7.3.3.1 Elektrostatische Abstoßungskräfte...................................................................... 187 7.3.3.2 Grenzflächenladung und Zetapotenzial............................................................... 192 7.3.3.3

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Inhaltsverzeichnis

7.3.4 Elektrophoretische Beweglichkeit und Messung des Zetapotenzials........... 196 Messung des Zetapotenzials.................................................................................. 197 7.3.4.1 7.3.4.2 Laser-Doppler-Elektrophorese............................................................................... 197 7.3.4.3 Moving-Boundary-Methode.................................................................................... 199 Elektrokinetische Schallamplitude ESA ............................................................. 199 7.3.4.4 Stabilisierung durch Polymere und Ladungen.................................................. 207 7.3.6 7.4 Pigmentteilchen im Lack......................................................................................... 210 Pigmente in Lieferform............................................................................................ 210 7.4.1 7.4.2 Dispergieren .............................................................................................................. 211 7.4.3 Dispergiermaschinen............................................................................................... 215 Rheologie von Pigmentdispersionen.................................................................... 217 7.4.4 7.4.5 Schockerscheinungen.............................................................................................. 218 Testmethoden zur Pigmentauswahl..................................................................... 219 7.4.6 7.4.7 Anwendungstechnische Eigenschaften von Beschichtungsstoffen ............. 223 Kritische Pigment-Volumen-Konzentration und Packungsdichte................. 225 7.4.7.1 Dichte Kugelpackungen........................................................................................... 225 7.4.7.2 Anwendungstechnische Eigenschaften und PVK............................................. 226 7.4.7.3 Berechnung der KPVK aus der Ölzahl................................................................. 227 7.4.7.4 Visuelles Erscheinungsbild und Coloristik......................................................... 227 7.4.8 7.5 Literatur...................................................................................................................... 235 Symbolverzeichnis...............................................................................................236 Autoren ..............................................................................................................239 Index

..............................................................................................................240

Lackeigenschaften messen und steuern

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1 Lackeigenschaften messen und steuern Wesentliche Aufgaben von Beschichtungen sind die Gestaltung und der Schutz von Oberflächen sowie gegebenenfalls die Erfüllung spezieller Funktionen. Für die Gestaltung ist das Erscheinungsbild der Beschichtung (engl. appearance) entscheidend, also die Farbe, der Glanz, die Abbildungsschärfe eines gespiegelten Objekts und die Textur der Oberfläche. Für den Schutz der Oberfläche spielen Eigenschaften wie Härte und Flexibilität, Rauheit, Porigkeit sowie Beständigkeit gegen Chemikalien, Umweltchemikalien und die Wetterbeständigkeit eine wichtige Rolle. Beschichtungen wie etwa Antihaftbeschichtungen, Gleitschichten, Anti-Radar-Beschichtungen, Magnetbandbeschichtungen oder Druckfarben müssen zusätzlich spezifische Eigenschaften besitzen.

Abbildung 1.1: Lebensabschnitte einer Beschichtung

Während der einzelnen Phasen seiner Nutzungsdauer muss das Material unterschiedlichen Anforderungen genügen (Abbildung 1.1). Bei der Lackherstellung müssen die eingesetzten Rohstoffe sowie die daraus hergestellten Zwischen- und Endprodukte mischbar, rührbar, förderbar (pumpbar) und dispergierbar sein. Der fertige Lack soll den Transport und die Lagerung überstehen, d.h. Phasen, in denen hohe Temperaturschwankungen auftreten können. Pigmente und Füllstoffe sollen fein verteilt sein und nicht sedimentieren, Bodensatz soll wieder aufrührbar sein. Während der Lagerung soll der Beschichtungsstoff

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Lackeigenschaften messen und steuern

homogen bleiben. Er muss in seinen Eigenschaften dem Applikationsprozess angepasst sein, namentlich in Bezug auf Rheologie, Topfzeit (Verarbeitungszeit) und Verdunstungsgeschwindigkeit des Mediums. Letztendlich müssen Lackreste und verbrauchte Lackierungen problemlos wieder verwertet oder entsorgt werden können. Die Eigenschaften einer Beschichtung hängen von der Zusammensetzung des Beschichtungsstoffes, von seiner kolloidalen Struktur und seinem Fließverhalten ab. Daneben spielt die Substratoberfläche sowie die Wechselwirkung des flüssigen bzw. gehärteten Beschichtungsstoffes zum Substrat bzw. zur Luft eine wichtige Rolle. Für das Verständnis der komplexen Zusammenhänge des Beschichtungsprozesses ist die Kenntnis der Grenzflächen- und Kolloidchemie sowie der Rheologie wichtig. Das vorliegende Lehrbuch soll hierzu einen Beitrag leisten.

1.1 Bestandteile von Lacken und Beschichtungsstoffen Ein Beschichtungsstoff (Lack, Coating, Druckfarbe, Anstrichstoff etc.) enthält als Hauptbestandteil das Bindemittel, das als Filmbildner fungiert, d.h. für das Zustandekommen des geschlossenen Beschichtungsfilmes sorgt. In den meisten Fällen ist das Bindemittel in einem Lösemittel oder in Wasser gelöst bzw. dispergiert, damit es appliziert werden und verlaufen kann. Als Bindemittel bezeichnet man den nicht flüchtigen Anteil des Beschichtungsstoffes, ohne Pigmente und Füllstoffe, aber einschließlich Weichmachern, Trockenstoffen und nicht flüchtigen Additiven. Zur Farbgebung werden Pigmente eingesetzt, das sind pulver- oder plättchenförmige Farbmittel, die im Medium unlöslich sind. Füllstoffe nennt man pulverförmige Substanzen, die in der Beschichtung unterschiedliche Aufgaben haben können, z.B. Erhöhung des Deckvermögens, Verbilligung, Verminderung des Schrumpfes, Sperrwirkung für Wasserdampf etc. Additive werden fast allen Lacken, anderen Beschichtungsstoffen und Druckfarben in geringen Mengen zugesetzt, um spezifische Eigenschaften zu erzielen. Mit Ausnahme von bestimmten Klarlacken sind Lacke und Beschichtungsstoffe mehrphasige Systeme, bei denen die Pigmente und Füllstoffe oder auch, falls nicht gelöst, das Bindemittel dispergiert in einem Medium (Lösemittel oder Wasser) vorliegen. Wegen der Dichteunterschiede von Medium und Partikelphase können die Partikel sedimentieren oder aufrahmen. Vor allem feinteilige Partikel neigen außerdem zur Bildung von Flockulaten. Dies beeinflusst zum einen die Lagerstabilität und die Fließeigenschaften des flüssigen Lackes, zum anderen Farbe und Glanz im gehärteten Film (s. Kapitel 7). Die Messung der Teilchengrößen sowie die Kontrolle der Sedimentation oder der Stabilität von Dispersionen helfen sowohl bei der Interpretation der Entwicklungsergebnisse von Beschichtungsstoffen, als auch bei der Qualitätskontrolle und bei der Fehlersuche (s. Kapitel 7).

1.2 Benetzung und Verlauf Um eine Oberfläche zu beschichten, muss ein flüssiger Beschichtungsstoff aufgetragen werden, der sich nach der Applikation einebnet, einen zusammenhängenden, geschlossenen Film – eine quasi-homogene Schicht auf der Oberfläche – bildet und dann aushärtet. Dies gilt auch für Pulverlacke, die zur Filmbildung geschmolzen werden müssen (Abbildung 1.2). Die Benetzung des Substrates und die Fließeigenschaften des Beschichtungsstoffes sind dabei die entscheidenden Größen.

Bestandteile von Lacken und Beschichtungsstoffen

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Abbildung 1.2: Bildung einer Beschichtung

Für optimalen Verlauf, d.h. für die Bildung eines möglichst ebenen Filmes darf die Viskosität nicht zu hoch sein. Andererseits kann eine zu geringe Viskosität zum Ablaufen der Lackschicht von senkrechten Flächen führen. Ebenso muss die Viskosität auf das Applikationsverfahren abgestimmt sein. Der Messung von rheologischen Eigenschaften kommt besondere Bedeutung zu, weil die Beschichtungsstoffe viskos und gleichzeitig elastisch sein können, also Flüssigkeits- neben Festkörpereigenschaften besitzen können (Viskoelastizität). Heute stehen zur Messung dieser Eigenschaften zahlreiche unterschiedliche Methoden zur Verfügung (s. Kapitel 4). Die Benetzung des Untergrundes durch einen flüssigen Beschichtungsstoff hängt ab von der Rauheit und der Oberflächenenergie des Substrats, von der Oberflächenspannung des flüssigen Beschichtungsstoffes und von den Energieverhältnissen in der Grenzfläche zwischen Substrat und flüssigem Beschichtungsstoff. Diese einzelnen Größen können abgeschätzt, aber auch direkt gemessen werden (s. Kapitel 5). Ursachen sowohl der Grenzflächenspannung als auch der Viskosität sind die „van der Waals-Kräfte“, wie man die insgesamt für anziehende und abstoßende zwischenmolekulare Wechselwirkungen maßgebenden Kräfte bezeichnet (s. Kapitel 2).

Van der Waals-Wechselwirkungen

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2 Zwischenmolekulare Wechsel­wirkungen, Löslichkeit und Verträglichkeit Zwischenmolekulare Wechselwirkungen sind die Ursache für die Existenz kondensierter Phasen, also von Flüssigkeiten und amorphen Festkörpern. Sie bewirken den Zusammenhalt der Moleküle untereinander. Vergleicht man beispielsweise bei p = 1000 hPa (= 1 bar) und T = 25 °C das Molvolumen eines idealen Gases mit dem Molvolumen von flüssigem Wasser, so unterscheiden sich deren Volumina um drei Zehnerpotenzen (V ideales Gas = 24,789 dm3/mol; VWasser = 18,069 cm3/mol). Als Kohäsionsenergie definiert ist die Arbeit, die man aufwenden muss, um die Teilchen der kondensierten Phase zu separieren und dabei die zwischenmolekularen Wechselwirkungen zu überwinden. Zwischenmolekulare Wechselwirkungen sind auch die Ursache für zahlreiche Phänomene bei Lacken und Beschichtungsstoffen, wie der Grenz- und Oberflächenspannung, der Viskosität, der Löslichkeit und der Verträglichkeit.

2.1

Van der Waals-Wechselwirkungen

Zwischen Atomen, Ionen und Molekülen können Anziehungs- und Abstoßungskräfte auftreten, die alle elektrostatischer oder elektronischer Natur sind. Van der Waals-Kräfte ist der Oberbegriff für diese zwischenmolekularen Kräfte, im Einzelnen sind es die Keesom-, Debye- und London-Kräfte [1, 2]. Sie werden vom permanenten Dipolmoment µ bzw. von der Polarisierbarkeit α der Elektronenhülle der Moleküle verursacht (s. Tabelle 2.1, Abbildungen 2.1, 2.2 und 2.3). Im Potenzialgesetz (Gleichung 2.1) ist die Kraft der Wechselwirkung Fr der Gradient der potenziellen Energie φ mit dem Abstand r. Gleichung 2.1:



Ionische Wechselwirkung tritt zwischen geladenen Molekülen bzw. Teilchen auf. Das dafür geltende Potenzialgesetz leitet sich aus dem Coulombschen Gesetz ab. Keesom-Kräfte sind Dipol-Dipol-Wechselwirkungen zwischen Molekülen mit permanentem Dipolmoment. Debye-Kräfte sind Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen. Dipolmomente werden besonders leicht bei Molekülen induziert, die eine deformierbare, d.h. polarisierbare Elektronenhülle besitzen (z.B. Doppelbindungen, delokalisierte Elektronen-Systeme, Elemente der 3. Periode des Periodensystems, wie Schwefel, Phosphor oder Chlor). Im Potenzialgesetz steht hier die Polarisierbarkeit α.

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Zwischenmolekulare Wechsel­wirkungen, Löslichkeit und Verträglichkeit

Abbildung 2.1: Beispiele für Substanzen mit permanentem Dipol, der Ursache der Keesom-Kräfte

Unter London-Kräften bzw. Dispersionskräften versteht man Anziehungskräfte, die zwischen unpolaren Verbindungen wirken. Elektronenhüllen von Molekülen sind keine statischen Gebilde. Die Elektronendichte in den einzelnen Bereichen schwankt ständig; so entstehen temporär dipolare Teilchen, die in den ebenfalls fluktuierenden Elektronenhüllen der Nachbarmoleküle Dipole induzieren können. Im zeitlichen Mittel kommt es so zu anziehenden Wechselwirkungen. Zu Adhäsion und Benetzung leisten sie vor allem deshalb einen wichtigen Beitrag, weil die an sich geringe Wechselwirkungsenergie durch eine große Zahl von „Bindungsstellen“ überkompensiert wird. Eine Wasserstoffbrücke ist eine Bindung, die von einem H-Atom gebildet wird, das sich zwischen zwei elektronegativen Atomen (N, O, F) befindet. Ursache ist die stark polare Element-Wasserstoff-Bindung bei Stickstoff, Sauerstoff und Fluor. Die positive Partialladung am Wasserstoff zieht ein Elektronenpaar vom benachbarten Molekül an [2].

Abbildung 2.2: Debye-Kräfte

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Löslichkeit und Verträglichkeit

Tabelle 2.1: Intermolekulare Wechselwirkungen (r = Abstand, q = Ladung, µ = Dipolmoment, α = Polarisierbarkeit) [1, 2]. Wechselwirkung Ion – Ion

Potenzial Φ1

Wechselwirkungs­ wechselwirkende energie2 [kJ/mol] Teilchen 250 Ionen und polare Moleküle

permanenter Dipol – permanenter Dipol, Keesom-Kräfte

2

polare Moleküle

induzierter Dipol – permanenter Dipol, Debye-Kräfte

2

polare und alle anderen Moleküle

Dispersionswechselwirkungen, London-Kräfte

2

alle Arten von Molekülen

Wasserstoffbrücken

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z.B. N, O, F; „Brücke“ ist ein H-Atom

Potenzial Φ zwischen zwei Teilchen A und B ist proportional zur angegebenen Formel. Wechselwirkungsenergien beziehen sich auf einen Abstand von r = 500 pm.

1 2

Abbildung 2.3: London-Kräfte – Dispersionswechselwirkung zwischen unpolaren ungeladenen Molekülen. Fluktuierende Elektronen erzeugen temporäre Dipole, diese induzieren wiederum Dipole in benachbarten Molekülen. Die Folge sind anziehende zwischenmolekulare Wechselwirkungskräfte.

2.2

Löslichkeit und Verträglichkeit

Die Löslichkeit von Lackkomponenten kann – ebenso wie die Mischbarkeit von Lösemitteln und Bindemitteln – durch Löslichkeitsparameter beschrieben werden [3–7]. Ob sich eine Substanz in einem Lösemittel spontan löst oder ob Polymere spontan einphasige Mischungen ergeben, ist abhängig davon, dass die freie Mischungsenthalpie DG mix negativ ist. Dafür gilt nach Gibbs die Gleichung 2.2: Gleichung 2.2:

Dabei ist DHmix die Mischungsenthalpie, T die absolute Temperatur und ∆Smix die Mischungsentropie. Da das Lösen von Polymeren in der Regel mit einer Zunahme der Entropie verbunden ist, sind Größe und Vorzeichen von DH mix entscheidend für den Prozess der Lösung.

18

Zwischenmolekulare Wechsel­wirkungen, Löslichkeit und Verträglichkeit

Hildebrand und Scott schlugen vor, die Mischungsenthalpie DH mix aus den Verdampfungsenthalpien DHverd der Einzelkomponenten zu berechnen [4, 6]. Die Verdampfungsenthalpie ist die unter konstantem Druck p beim Verdampfen aufgenommene Wärmemenge. Sie wird benötigt, um alle zwischenmolekularen Wechselwirkungen zu brechen und um bei der verdampfungsbedingten Volumenzunahme ∆V die Arbeit (W = p·∆V ≈ R·T) gegen den Außendruck zu leisten. Die Energie, die bei der isothermen Verdampfung einer Flüssigkeit zum idealen Gas für die Aufhebung zwischenmolekularer Wechselwirkungen benötigt wird, ist die Kohäsionsenergie DEv (Gleichung 2.3); dabei ist R die Gaskonstante und T die absolute Temperatur. Gleichung 2.3:

Die Mischungsenthalpie lässt sich aus dem Volumen V der Mischung, den Kohäsionsenergien DEv der Komponenten A bzw. B, deren Molvolumina VmA und VmB und deren Volumenbruchteilen FA und FB unter Anwendung der „mean value rule1“ berechnen (Gleichung 2.4).

Gleichung 2.4:



Dieses Konzept führt die Löslichkeitsparameter δ ein (auch Kohäsionsparameter genannt). Als Kohäsionsenergiedichte bezeichnet man zunächst den Quotienten DEv/Vm, er gibt die Energie der zwischenmolekularen Wechselwirkungen pro Volumeneinheit an. Die Quadratwurzel (DEv/Vm)½ wird dann Löslichkeitsparameter δ genannt (Gleichung 2.5). Gleichung 2.5:



Dimension:



Tabelliert sind Löslichkeitsparameter in (MPa)½, in der älteren Literatur in (cal/cm3)½ (Umrechnungsfaktor: 1 (cal/cm3)½  = 2,0455 (MPa)½). Mit Gleichung 2.5 kann Gleichung 2.4 zu Gleichung 2.6 umgeformt werden, durch die sich die Verdampfungsenthalpie als Funktion der Löslichkeitsparameter errechnen lässt. Gleichung 2.6:

Zwei Substanzen (A und B) sind demnach löslich oder mischbar, wenn DHmix möglichst klein ist, also wenn ihre Löslichkeitsparameter δA und δB gleich oder von ähnlicher Größe sind. Der Löslichkeitsparameter dblend einer Mischung wird nach Gleichung 2.7 berechnet. Gleichung 2.7: In der Physikalischen Chemie werden Eigenschaften, die von mehreren Komponenten verursacht werden, häufig durch die arithmetischen, geometrischen oder harmonischen Mittelwerte aus den einzelnen Komponenten beschrieben (mean value rule); im vorliegenden Fall durch den geometrischen Mittelwert.

1

19

Dreidimensionale Löslichkeitsparameter

2.3

Dreidimensionale Löslichkeitsparameter

Das Konzept der eindimensionalen Löslichkeitsparameter (so wie im vorstehenden Abschnitt eingeführt) lässt sich gut auf unpolare Lösemittel anwenden, es versagt jedoch, wenn polare Moleküle vorliegen oder Moleküle, die H-Brücken bilden [6]. Denn Dipolmomente und H-Brücken beeinflussen merklich die Enthalpie und die Entropie derartiger Mischungen. Einen Ausweg aus dieser Problematik zeigte Hansen, indem er die Löslichkeitsparameter in drei Beiträge zerlegte: einen dispersen Anteil δD, der aus den Londonschen Wechselwirkungen resultiert, einen Anteil dP, der aus dipolaren Wechselwirkungen stammt und einen Anteil δH für die H-Brücken (s. Abbildung 2.4, Tabelle 2.2 und Gleichung 2.8) [7–9]. Gleichung 2.8:



Gleichung 2.8 bringt zum Ausdruck, dass diese wechselwirkungsspezifischen Löslichkeitsparameter einen dreidimensionalen Raum aufspannen, in dem der Löslichkeitsparameter einer Substanz ein Vektor mit dem Zahlentripel (δD, dP, δH) ist. Anders als bei niedermolekularen Stoffen, wie Lösemitteln, können bei Polymeren die Löslichkeitsparameter nicht aus den Verdampfungsenthalpien berechnet werden. Abbildung 2.4: Vektorielle Darstellung der Man bestimmt sie deshalb empirisch aus Hansen-Löslichkeitsparameter. Löseversuchen mit unterschiedlichen Lösemitteln. Der Löslichkeitsparameter eines Lösemittels, das in der Lage ist, ein Polymer zu lösen, liegt im Löslichkeitsparameterraum innerhalb eines kugelförmigen Volumens, wobei – aus „optischen“ Gründen – eine Einheit auf der δD -Achse doppelt so lang skaliert wird, wie auf den anderen Achsen (s. Abbildung 2.5). Der Radius dieser Kugel (streng genommen: Löslichkeits- oder Verträglichkeitsellipsoid) ist R0. Tabelle 2.2: Hansen-Löslichkeitsparameter von Lösemitteln (δ in (MPa)½) [7]. Substanz n-Heptan n-Hexan Cyclohexan MIBK MEK Aceton Cyclohexanon Ethylacetat n-Butylacetat Tetrahydrofuran Diethylether Benzol Toluol o-Xylol Styrol

δD 15,3 14,9 16,8 15,3 16,0 15,5 17,8 15,8 15,8 16,8 14,5 18,4 18,0 17,8 18,6

δP 0 0,0 0,0 6,1 9,0 10,4 6,3 5,3 3,7 5,7 2,9 0,0 1,4 1,0 1,0

δH 0 0,0 0,2 4,1 5,1 7,0 5,1 7,2 6,3 8,0 5,1 2,0 2,0 3,1 4,1

Substanz Dichlormethan Chloroform Nitromethan NMP DMF Methanol Ethanol 2-Propanol 1-Butanol Ethylenglykol Glycerin Butylglykol Butyldiglykol Wasser

δD 18,2 17,8 15,8 18,0 17,4 15,1 15,8 15,8 16,0 17,0 17,4 16,0 16,0 15,5

δP 6,3 3,1 18,8 12,3 13,7 12,3 8,8 6,1 5,7 11,0 12,1 5,1 7,0 16,0

δH 6,1 5,7 5,1 7,2 11,3 22,3 19,4 16,4 15,8 26,0 29,3 12,3 10,6 42,3

20

Zwischenmolekulare Wechsel­wirkungen, Löslichkeit und Verträglichkeit

Tabelle 2.3: Hansen-Löslichkeitsparameter von Lackharzen (δ in (MPa)½) [9]. Substanz PMMA Alkyd 66 % Öllänge Alkyd 34 % Öllänge Cellulosenitrat Epoxidharz HMMM Harnstoffharz Phenolharz Polyester PVC

δD 18,6 20,4 18,5 15,4 21,3 20,4 20,8 23,3 21,5 18,2

Type Perspex (ICI) Plexal P 65 (Polyplex) Plexal C 34 (Polyplex) H-23, ½ sec. (Aqualon) Epon 828 (Shell) Cymel 300 (Cytec Solvay) Plastopal H (BASF) Super Beckacite (Reichhold) Desmophen 850 (Covestro) Vipla KR (Montecatini)

δP 10,5 3,4 9,2 14,7 14,2 8,5 8,3 6,6 14,9 7,5

δH 7,5 4,6 4,9 8,8 6,1 10,6 12,7 8,3 12,3 8,3

R0 8,6 13,7 10,6 11,5 17,7 14,7 12,7 19,8 16,7 3,5

Die Distanz R AB zweier Löslichkeitsparameter (δA und δB) ist die skalare Länge des Differenzvektors zwischen den Vektoren (δDA, δPA, δH A) und (δDB, δPB, δHB); sie kann durch Gleichung 2.9 berechnet werden, wobei die Differenz im Dispersionsanteil (δD) doppelt gewichtet ist. Beispiele lassen sich mit Hilfe von Tabelle 2.3 berechnen. Gleichung 2.9:

Löslichkeit ist gegeben, wenn gilt: R AB  c*, durchdringen sich die Polymerknäuel gegenseitig. Die Abhängigkeit der Viskosität von der Konzentration gehorcht in den beiden Bereichen unterschiedlichen Gesetzen (vgl. Abbildung 3.31). Alle diese Viskositätsangaben beziehen sich auf die Nullviskosität h0 (im „low-shear-Bereich“; s. Abschnitt 3.3.2 mit Abbildung 3.19). Gleichung 3.43:

Aus Gleichung 3.43 leitete Huggins die Gleichung 3.44 für verdünnte Polymerlösungen ab, für diese Gleichung sind die intrinsischen Viskositäten [η] (auch Staudinger-Indices Jg) und Huggins-Parameter k H tabelliert [27]. Gleichung 3.44:

Untersuchungen an verdünnten Polymerlösungen dienen in der Regel zur Charakterisierung von Polymeren [8, 28]. In stark verdünnten Polymerlösungen sind die intermolekularen Wechselwirkungen, Verhakungen und Verschlaufungen aufgehoben. Es liegen lediglich Polymer-Solvens-Wechselwirkungen vor. Die intrinsische Viskosität [η] (auch Staudinger-Index Jg genannt) ist nach der MarkHouwink-Gleichung (Gleichung 3.45) proportional zur Molmasse eines gelösten Polymers in einem Theta-Lösemittel bei der Theta-Temperatur (das Polymer liegt dann als solvatisiertes Molekül so vor, als sei es absolut ungestört – Theta-Zustand). [η] wird zur Bestimmung des Viskositätsmittels der Molmasse benutzt (s. Abbildung 3.32).

Viskosität von Lösungen und Dispersionen

49

Abbildung 3.32: Auftragung der reduzierten Viskositäten (ηsp/c) unterschiedlich konzentrierter Lösungen von drei Polymeren mit unterschiedlichen Molmassen M1, M2 und M3 (links) zur Ermittlung der zugehörigen intrinsischen Viskositäten (gemäß Gleichung 3.43) und Auftragung der intrinsischen Viskositäten über den Molmassen zur Ermittlung der Parameter K und a nach Gleichung 3.45 (rechts).

Gleichung 3.45:

Die Konstanten K und a sind für zahlreiche Polymere in unterschiedlichen Lösemitteln tabelliert [29]. Die Viskosität konzentrierter Polymerlösungen, also in einem Konzentrationsbereich, in dem Überlappungen, Verschlaufungen von Polymermolekülen vorliegen, kann durch die Martin-Gleichung (Gleichung 3.46) recht gut beschrieben werden [2], wenn auch reale Bindemittellösungen oft von der Geradenform abweichen, die bei einer Auftragung von ln ηred gegen die Konzentration c normalerweise erwartet wird [4]. Gleichung 3.46:

3.5.2 Viskosität von Dispersionen Die Viskosität von Dispersionen h ist in der Regel höher als die Viskosität des Mediums. Setzt man beispielsweise in der Fertigung von Beschichtungsstoffen Halbfabrikate, z.B. Pigment- oder Füllstoffpräparationen ein, so strebt man bei diesen hohe Pigmentoder Füllstoffkonzentrationen, bei gleichzeitig niedriger Viskosität an. Optimal ist dabei newtonsches oder strukturviskoses Fließverhalten – ohne Fließgrenze, da dies ein präzises Dosieren und Pumpen erlaubt und die Gefahr gering ist, dass Pigmente an Ventilen und Biegungen der Leitungen abgelagert werden. Je höher der Pigment- oder Füllstoffgehalt ist – dieser wird durch seinen Volumenbruch-

Abbildung 3.33: Viskosität h von Dispersionen als Funktion des Volumenbruchteils f der Partikelphase.

50

Rheologie

Tabelle 3.6: Viskositätsgesetze zur Beschreibung von Dispersionen (η = Viskosität der Dispersion, ηM = Viskosität der Bindemittellösung, f = Volumenbruchteil der Partikel, z.B. Pigmente im Lack, φm = Volumenbruchteil einer dicht gepackten Pigmentmischung, bei der die Zwischenräume alle durch Bindemittellösung ausgefüllt sind, k und s sind Konstanten). Formel Einstein

Gleichungs-Nr.

Lit.

3.47

[2]

3.48

[3]

3.49

[3]

3.50

[28]

3.51

[20]

Mooney

Eilers

Krieger und Dougherty

teil f angegeben – umso höher ist die Viskosität. Trägt man die Viskosität über dem Volumenbruchteil auf, so erwartet man bei kleinen Volumenbruchteilen eine Viskosität ähnlich der Mediumsviskosität hM, bei Annäherung an den maximalen Packungsfaktor φm strebt die Viskosität gegen Unendlich bzw. zu sehr hohen Werten (s. Abbildung 3.33). Näherungsweise kann man hier einen sehr hohen Viskositätswert, z.B. 1012 Pa s verwenden. In der Literatur findet man zahlreiche Formeln, mit denen die Viskosität von Dispersionen beschrieben werden kann (in Lit. [3] ist zu lesen: „man findet fast so viele Formeln wie Veröffentlichungen“). Ein grundlegender Zusammenhang wurde von Einstein bereits in den Jahren 1906 und 1910 beschrieben [2]. Ähnlich wie bei verdünnten Polymerlösungen ist die Viskosität vom Volumenbruchteil φ der dispersen Partikel abhängig (Gleichung 3.47, Tabelle 3.6). Gleichung 3.47 gilt nur für starre, sphärische Partikel in einem newtonschen, inkompressiblen Fluid unter der Annahme, dass die Teilchen laminar umströmt werden, nur lokale Änderungen des Strömungsprofils auftreten, die Dichten von Partikel und Medium identisch sind, Sedimentation, Teilchenwanderung, Reibung zwischen Partikel

Abbildung 3.34: Viskosität einer Offsetdruckfarbe in Abhängigkeit vom Volumenbruchteil des Pigments f. Es sind die Messpunkte, die Auswertung nach Einstein (Gleichung 3.47), nach Mooney (Gleichung 3.48) und nach Eilers (Gleichung 3.49) und nach Gleichung 3.51 eingezeichnet.

Viskosität von Lösungen und Dispersionen

51

und Medium, Wechselwirkung zwischen den Partikeln und Wandeffekte ausgeschlossen sind. Reale Dispersionen weichen deshalb deutlich vom einsteinschen Verhalten ab. Einsteins Gesetz ist deshalb nur bei Volumenbruchteilen f < 0,05 gültig. Abbildung 3.34 zeigt die Viskositätsabhängigkeit einer pigmentierten Offsetdruckfarbe als Funktion des Pigment-Volumenbruchteils ϕ. Abschätzung der Viskosität pigmentierter Lacke Behandelt man, in Anlehnung an Lit. [3, 30, 31], den Volumenbruchteil des Pigmentes als zusammenhängendes Volumen (s. Abbildung 3.35), so ist dadurch die Höhe des Scherspaltes auf die effektive Scherspalthöhe heff reduziert. Die Schubspannung, die beim reinen Medium der Gleichung 3.52 gehorcht, erhöht sich bei einer Dispersion, weil dem Anteil des Mediums lediglich die effektive Scherspalthöhe heff zur Verfügung steht (s. Gleichung 3.53 und Abbildung 3.35). Gleichung 3.52:

Gleichung 3.53:

Aus der sich daraus ergebenden effektiven Schubspannung τeff (Gleichung 3.54) lässt sich die Viskosität mit der aus der durch die Geometrie vorgegebenen Scherrate errechnen, wenn die Dispersion im Scherspalt als Kontinuum betrachtet wird (Gleichung 3.55). Gleichung 3.54:

Gleichung 3.55:

Abbildung 3.35: Der Übergang vom reinen Medium (f = 0) bis zur Dispersion mit dem maximalen Packungsfaktor φm verengt den Scherspalt, wenn man als hydrodynamisch wirksames Volumen das um das dicht gepackte Volumen an Pigment reduzierte Volumen annimmt (linke Seite, untere Reihe). Die Schubspannung wird aus dem Plattenmodell mit der effektiven Scherspalthöhe heff errechnet (Gleichung 3.53 und Gleichung 3.54).

52

Rheologie

Abbildung 3.36: Titandioxid-Dispersionen in einer wässrigen 10 %igen Polyvinylalkohol-Lösung mit dem Gesetz von Krieger und Dougherty (gestrichelte Linie, Gleichung 3.50) und gefittet nach Gleichung 3.56 (links) sowie mit einem exponentiellen Fit der Viskosität bei 100 s -1 an die Messpunkte (rechts).

Gleichung 3.56:

In der Regel lässt sich das Gesetz von Krieger und Dougherty nicht an die Viskositäten von Pigmentdispersionen anpassen (s. Abbildung 3.36, links). Lässt man jedoch variable Exponenten zu (Gleichung 3.56), so lassen sich die Viskositäten von Pigmentdispersionen damit mit einem hohem Bestimmtheitsmaß anpassen (s. Abbildung 3.36, links). In der Praxis genügt jedoch zur Abschätzung der Viskosität als Funktion der Pigmentbeladung häufig die Anpassung über einen exponentiellen Zusammenhang, auch dies gelingt meist mit erstaunlich hohen Bestimmtheitsmaß, d.h. η≈exp(f) (Abbildung 3.36, rechts). 3.6 Literatur [1] T. G. Mezger, Das Rheologie Handbuch: Für Anwender von Rotations- und Oszillations-Rheometern, Vincentz Network, Hannover, 2012 [2] C. W. Macosko, Rheology, Principles, Measurements, and Applications, Wiley-VCH, New York, 1994 [3] M. Pahl, W. Gleißle, H.-M. Laun, Praktische Rheologie Der Kunststoffe Und Elastomere, VDI-Verlag, Düsseldorf, 1991 [4] T. Brock, M. Groteklaes, P. Mischke, Lehrbuch der Lacktechnologie, Vincentz Network, Hannover, 2012 [5] DIN 1342-2: Viskosität, Teil 2: Newtonische Flüssigleiten, 2003 [6] F. R. Schwarzl, Polymermechanik: Struktur und mechanisches Verhalten von Polymeren, Springer, Berlin Heidelberg, 2011 [7] A. Zosel, Lack- und Polymerfilme, Vincentz, Hannover, 1996 [8] H.-G. Elias, Makromoleküle: Physikalische Struktur & Eigenschaften, John Wiley & Sons, 2009 [9] G. W. Ehrenstein, Polymer-Werkstoffe, Carl Hanser, München, 2011 [10] J. Rösler, H. Harders, M. Bäker, Mechanisches Verhalten der Werkstoffe, Springer Vieweg, Wiesbaden, 2012 [11] H. Czichos, in Springer Handb. Mater. Meas. Methods (Eds.: H.C. Prof, T. Saito, L. Smith), Springer Berlin Heidelberg, 2006, pp. 95–102 [12] S. Wiederhorn, R. Fields, S. Low, G.-W. Bahng, A. Wehrstedt, J. Hahn, Y. Tomota, T. Miyata, H. Lin, B. Freeman, et al., in Springer Handb. Mater. Meas. Methods (Eds.: H.C. Prof, T. Saito, L. Smith), Springer Berlin Heidelberg, 2006, pp. 283–397 [13] G. Schramm, Einführung in Rheologie und Rheometrie, Thermo Electron, 2004 [14] H. Giesekus, Phänomenologische Rheologie: Eine Einführung, Springer Berlin Heidelberg, 2012 [15] H. A. Barnes, K. Walters, Rheol. Acta 1985, 24, 323–326 [16] H. A. Barnes, J. Non-Newton. Fluid Mech. 1999, 81, 133–178 [17] J. P. Hartnett, R. Y. Hu, J. Rheol. 1978-Present 1989, 33, 671–679

Literatur

53

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Randbedingungen für die rheologische Messung

55

4 Rheometrie Die Rheometrie ist die Lehre von der Messung des Fließverhaltens (Rheologie, s. Kapitel 3) [1–5] – in erster Linie wird hier die Messung der Viskosität betrachtet und darüber hinaus, die gerade bei Lacken wichtigen Abweichungen vom newtonschen Verhalten sowie das ebenfalls für Lacke charakteristische viskoelastische Verhalten. Im vorliegenden Kapitel werden – neben den Randbedingungen für die Messung – rheologische Untersuchungsmethoden behandelt, die mit modernen Messgeräten möglich sind.

4.1 Randbedingungen für die rheologische Messung Die Viskosität ist generell von der Temperatur und vom Druck abhängig. Bei Substanzen, die vom newtonschen Viskositätsverhalten abweichen, kann die Viskosität außerdem von der Schubspannung, der Scherrate und der Zeit abhängen. Bei der Messung müssen folgende Randbedingungen eingehalten werden: Laminares Fließen: Die Scherung darf nur zu einer laminaren Schichtenströmung führen, d.h. die Schichten der Flüssigkeit müssen ohne Verwirbelung aneinander abgleiten. Anders wäre die Situation bei turbulenten Strömungen. Die dabei auftretende Wirbelbildung benötigt Energie, wodurch falsche Viskositätswerte gemessen würden. Voraussetzung für laminares Strömen ist eine homogene bzw. quasi-homogene Flüssigkeit, wie dies bei den meisten Lacken der Fall ist. Stationärer Strömungszustand: Die Schubspannung darf nur zur Aufrechterhaltung eines Fließvorganges mit konstanter Geschwindigkeit aufgewendet werden. Mit anderen Worten, die Flüssigkeit darf nicht beschleunigt werden. Haftung an der Wand: Zwischen Flüssigkeit und Messkörper darf kein Gleiten auftreten, da dies das Messergebnis verfälschen würde. Eine dünne Schicht der Flüssigkeit muss deshalb fest an den Wänden des Messsystems haften. Temperatur T: Die Viskosität ist temperaturabhängig. Je wärmer eine Flüssigkeit ist, umso niedriger ist ihre Viskosität (s. Kapitel 3.4). Da es im Scherspalt von Viskosimetern zu Schererwärmung kommen kann (durch die innere Reibung beim Schervorgang wird Energie in Wärme umgewandelt), muss auf gute Thermostatisierung bzw. Temperaturkonstanz geachtet werden. Eine Temperaturänderung um 1 K kann bei vielen Substanzen zu einer Viskositätsänderung von 10 % führen. Druck p: Unter Druck von mehr als 10 MPa (=100 bar) stellt man eine deutliche Zunahme der Viskosität von Flüssigkeiten fest. Technisch relevant ist dies bei Tiefbohrungen, z.B. bei der Erdölförderung, wo Drücke von ca. 100 MPa (=1000 bar) auftreten können. Bei Bohrschlamm kann die Viskosität dabei um 30 bis 100 % steigen. Scherrate γ· bzw. Schubspannung τ: Bei Substanzen, die vom newtonschen Verhalten abweichen, kann die Viskosität – teilweise beträchtlich – von der Schubspannung bzw. von der Scherrate abhängen. Zeit t: Bestimmte Flüssigkeiten können zeitabhängiges Viskositätsverhalten zeigen. Die Viskosität hängt dann von der Scherzeit oder auch von der Ruhezeit ab. Meichsner, Mezger, Schröder: Lackeigenschaften messen und steuern, 2. Auflage © Copyright 2016 by Vincentz Network, Hannover, Germany

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Rheometrie

Ausschluss chemischer Reaktionen: Bei chemischen Reaktionen wird die Substanz selbst verändert, was zu Viskositätsänderungen führen kann. Diese Tatsache lässt sich jedoch auch ausnutzen, um das Fortschreiten einer chemischen Reaktion im Viskosimeter zu beobachten.

4.2 Messgeräte Dass die Viskosität von Lackrohstoffen, Lacken und Beschichtungsstoffen eine wichtige anwendungstechnische Größe ist, erkannte man bereits in einer Zeit, als die Messtechnik noch nicht so ausgereift war wie heute. Doch sind Geräte für einfache, schnell durchzuführende Messungen aus dieser Zeit immer noch im Einsatz. Hierzu gehören Auslaufbecher, Kugelfall- und Blasenviskosimeter, Stormer-Paddle-Viskosimeter, Scheibenspindel-Viskosimeter, Fallstabviskosimeter etc. Es sind durchweg Relativ-Messsysteme, bei denen die Messergebnisse auch von der jeweils angewandten Methode abhängen. In der Praxis setzt man Messsysteme moderner Rheometer ein, diese sind genormt, und mit ihnen ermittelte Rohdaten können in Absolutwerte für Scherrate, Schubspannung und Viskosität umgerechnet werden [6].

4.2.1 Fließfelder Die für Anwendungstechniker wichtigsten Fließfelder lassen sich auf verschiedene Weise erzeugen. Sie ergeben sich bei der Scherung zwischen planparallelen Platten (dies ist vor allem von theoretischem Interesse), bei der Strömung in Rohren und Kapillaren sowie bei Rotations- bzw. Oszillationsbewegungen zwischen koaxialen Zylindern, zwischen Kegel und Platte oder zwischen zwei koaxial rotierenden Platten (s. Abbildung 4.1).

4.2.2 Kugelfall- und Blasenviskosimeter Dem Kugelfallviskosimeter [7, 8] und dem Blasenviskosimeter [9] liegen ähnliche physikalische Prinzipien zu Grunde. Man bestimmt die Zeit t, die eine fallende Kugel bzw. eine aufsteigende Blase in der zu untersuchenden Flüssigkeit benötigt, um eine bestimmte Strecke zurückzulegen. Eine in einer Flüssigkeit frei fallende Kugel fällt mit konstanter Geschwindigkeit, wenn sich ein Kräftegleichgewicht zwischen der stokesschen Reibungskraft FStokes (Gleichung 4.1) und der Gewichtskraft FG (Gleichung 4.2) eingestellt hat. Aus der Zeit t, in der die Kugel (mit dem Radius r und der Dichte ρK) eine bestimmte Strecke s in der zu prüfenden Flüssigkeit (mit der Dichte ρFl) zurücklegt, lässt sich die Viskosität η der Flüssigkeit berechnen (Gleichung 4.3). Gleichung 4.1:

Gleichung 4.2:

Gleichung 4.3:

Von praktischer Bedeutung ist, dass sich das Modell der frei fallenden Kugel ohne weiteres auf die Sedimentation von Pigmenten anwenden lässt. Es lässt sich aber nicht auf die kom-

Messgeräte

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plexen Vorgänge beim Fallen einer Kugel in einem geneigten Fallrohr des Kugelfallviskosimeters übertragen. Beim Kugelfallviskosimeter lässt man eine Kugel durch ein geneigtes Fallrohr sinken, das die zu prüfende Flüssigkeit enthält. Aus der Zeit t, die die Kugel für die Strecke zwischen zwei Markierungen am Fallrohr benötigt, kann die Viskosität nach Gleichung 4.4 bestimmt

Strömung zwischen zwei großflächigen, planparallelen Platten mit der Geschwindigkeit v = v(y) (als Schichtenströmung), mit vmax an der bewegten Platte (bei y = ymax) und v = 0 an der ruhenden Platte (s.a. Abbildung 3.8). Der Geschwindigkeitsgradient (Scherrate) ist linear.

Rohr- oder Kapillarströmung mit v = v(r) („Teleskopströmung“), mit vmax in der Rohrmitte (bei r = 0) und v = 0 an den Rohrwänden (bei r = rmax). Die Geschwindigkeitsverteilung ist ein Paraboloid.

Strömung im Ringspalt zwischen langen konzentrischen Zylindern mit v = v(r), vmax an der Wand des rotierenden Zylinders (hier: wenn r = Ri, Innenzylinder als Rotor) und v = 0 an der Wand des stationären Zylinders (hier: wenn r = Ra, Außenzylinder als Stator); Ri = Radius des Innenzylinders, Ra = Radius des Außenzylinders, ω ist die Winkelgeschwindigkeit. Der Geschwindigkeitsgradient ist im engen Scherspalt nahezu konstant.

Strömung zwischen einer rotierenden und einer ruhenden Platte. Umfangsgeschwindigkeit v = v(r), mit vmax am Plattenrand der rotierenden Platte (bei r = rmax) und v = 0 in der Mitte (bei r = 0) sowie mit vmax am Rand der rotierenden Platte (bei y = ymax). Dies gilt prinzipiell für das Platte/Platte- und Kegel/ PlatteMesssystem. α ist der Öffnungswinkel beim Kegel/PlatteMesssystem. Die Scherrate ist im Kegel/Platte-Spalt an jeder Position gleich groß, im Platte/Platte-Spalt nicht.

Abbildung 4.1: Typen von Fließfeldern.

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Rheometrie

werden. Dabei ist die Differenz der Dichten ρ von Kugel und Flüssigkeit sowie die (separat zu bestimmende) Kugelkonstante K zu berücksichtigen. Gleichung 4.4:



Beim Höppler-Kugelfallviskosimeter (Abbildung 4.2) beträgt die Fallrohrneigung 10° zur Senkrechten und der Durchmesser des Fallrohres 15,94 mm. Bei einem Kugeldurchmesser von 15 mm gleitet die Kugel. Die Kugelkonstante K wird nach der Gleichung 4.4 mit Hilfe von Eichölen bekannter Viskosität ermittelt [7]. Anders als Gleichung 4.3 erwarten lässt, nimmt der Wert der Kugelkonstanten beim Kugelfallviskosimeter mit steigendem Radius der Kugel ab. Im Scherspalt des Kugelfallviskosimeters liegen komplexe Strömungsverhältnisse vor, so dass die Kugel sowohl gleiten, als auch sich vorwärts oder rückwärts drehen kann [2]. Dementsprechend eignet sich das Kugelfallviskosimeter nur zur Prüfung newtonscher Flüssigkeiten. In der Lackindustrie wird es gelegentlich zur Eingangskontrolle von Lackrohstoffen eingesetzt. Eine Variante des Höppler-Kugelfallviskosimeters ist das Mikrokugelfallviskosimeter, das mit geringen Probenmengen auskommt [10].

Abbildung 4.2: Höppler-Kugelfallviskosimeter [7, 8].

Abbildung 4.3: Blasenviskosimeter [11, 12].

Das Blasen-Viskosimeter (Abbildung 4.3) stammt aus der Frühzeit der Viskositätsmessung. Es besteht aus einem kalibrierten Glasröhrchen, in das die zu messende Substanz bis zu einer Markierung eingefüllt und mit einem Korken definierter Größe verschlossen wird. Mit eingeschlossen wird dabei eine bestimmte Luftmenge, die beim Drehen des Röhrchens um 180° als Blase aufsteigt. Die Viskosität lässt sich durch Bestimmen der Zeit für das Aufsteigen der Blase ermitteln, und zwar unter Vergleich mit Kalibrierröhrchen, die mit Flüssigkeiten unterschiedlicher Viskosität gefüllt und mit den Buchstaben von A bis W bezeichnet sind. Anstelle der Viskosität wird der entsprechende Buchstabe angegeben.

Messgeräte

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Das Verfahren, das vermutlich nur noch in den USA eingesetzt wird, sollte man eigentlich nicht mehr anwenden angesichts der schnell und einfach durchzuführenden Absolutmessungen der Viskosität, die heute möglich sind. Für eine Umrechnung in Absolutwerte der Viskosität siehe [11].

4.2.3 Kapillarviskosimeter und Auslaufbecher Fließt eine Flüssigkeit mit von außen aufgegebenem Druck in laminarer Strömung durch ein Rohr, eine Düse oder eine Kapillare, so entsteht ein Fließfeld mit der höchsten Fließgeschwindigkeit vmax im Zentrum der Kapillare. An der Wandung haftet ein dünner Film der Flüssigkeit, dort ist die Fließgeschwindigkeit v = 0. Mit anderen Worten, es bildet sich ein Geschwindigkeitsprofil aus ineinander steckenden Flüssigkeitsschichten in Form konzentrischer Zylindermäntel aus und wird auch „Teleskopströmung“ genannt, siehe Abbildung 4.1. Dieses typische Fließfeld liegt in Kapillarviskosimetern und Auslaufbechern vor. 4.2.3.1

Hagen-Poiseuillesches Gesetz

Das Flüssigkeitsvolumen, das in einer bestimmten Zeit durch eine Kapillare fließt, ist proportional zur Viskosität. Dies lässt sich in folgender Weise veranschaulichen: Beim stationären Fließen durch eine Kapillare (mit dem Radius R und der Länge l) ist die Fließwiderstandskraft Fη, die die Schubspannung τ hervorruft (Gleichung 4.5), gleich der Kraft Fp, die den Druck bewirkt (Gleichung 4.6), d.h. es gilt Fp = Fη. Dabei ist Az die zylindrische Fläche innerhalb der Kapillare und Aq die Querschnittsfläche der Kapillare. Man geht also aus von den Beziehungen: Gleichung 4.5:

Gleichung 4.6:



und daraus mit Fp = Fh abgeleitet:

Gleichung 4.7:

Das Volumen dV, das in der Zeit dt durch die Kapillare fließt, ist proportional zur Summe aller Volumina der konzentrischen Flüssigkeitsschichten, die in der Zeit dt den Kapillarquerschnitt Aq = p · r2 passieren (Gleichung 4.8). Die einzelnen Volumina hängen von der jeweiligen Fließgeschwindigkeit v der Schicht ab. Insgesamt ergibt sich also:

Gleichung 4.8:

Formt man Gleichung 4.7 nach dv um und setzt den dabei erhaltenen Ausdruck für dv in die Gleichung 4.8 ein, erhält man nach Integration das Hagen-Poiseuillesche Gesetz (Gleichung 4.9).

Gleichung 4.9:

Danach kann die Viskosität einer newtonschen Flüssigkeit aus dem Volumen DV ermittelt werden, das in einer bestimmten Zeit Dt durch eine Kapillare fließt.

60

Rheometrie

Abbildung 4.4: Niederdruck-Kapillarviskosimeter [1].

Das Hagen-Poiseuillesche Gesetz wird auch herangezogen, um die Benetzungsgeschwindigkeit beim Eindringen einer Bindemittellösung in Pigmentpulver abzuschätzen. Hierfür wird unter der Annahme runder Kapillarquerschnitte in einem solchen Partikelhaufwerk die Washburn-Gleichung abgeleitet, nach der dann die Benetzungszeit direkt proportional zur Viskosität ist (s. Kapitel 6.5.1) [13–15]. 4.2.3.2 Kapillarviskosimeter Es gibt zwei Grundtypen von Kapillarviskosimetern, einmal die Niederdruck-Kapillarviskosimeter, z.B. als Ubbelohde- oder als Ostwald-Viskosimeter (Abbildung 4.4), zum anderen die Hochdruck-Kapillarrheometer, wie man sie zur Untersuchung von Polymerschmelzen einsetzt. Eines der Hauptanwendungsgebiete der Niederdruck-Kapillarviskosimeter ist die viskosimetrische Molmassenbestimmung [16]. 4.2.3.3 Auslaufbecher Mit Auslaufbechern misst man die Auslaufzeit. Das ist die Zeit, in der ein bestimmtes Volumen der zu prüfenden Flüssigkeit durch eine Düse am Boden eines Auslaufbechers läuft (Abbildung 4.5). Je höher die Viskosität, umso länger ist die Auslaufzeit. Aufgrund ihrer einfachen Handhabung sind Auslaufbecher weit verbreitet. Zu den heute gebräuchlichen Auslaufbechern gehören unter anderem der DIN-Becher (DIN 53 211), der

Abbildung 4.5: Befüllen und Messung mit einem Auslaufbecher, nach [12].

Messgeräte

61

Tabelle 4.1: Geometrie und Messbereiche von Auslaufbechern. Norm Volumen Düsendurchmesser [mm] Becherhöhe [mm] 1 Düsenlänge [mm] Messbereich für die Auslaufzeit t [s] Messbereich für die kinematische Viskosität [mm2/s] a 2 b 2 1

DIN-Becher ISO-Becher Ford-Becher DIN 53211 DIN EN ISO 2341 ASTM D 1200 100 ml 100 ml 100 ml 4 3 4 6 2,53 3,40 4,10 68 63 62,7 62,1 4 20 25–100 30–100 30–100 30–100 20–100 100–500 8–43 30–135 135– 20–80 40–220 70–300 700 4,57 0,443 1,37 6,90 452 200 200 570

ohne Düse, 2 Konstanten zur Berechnung der kinematischen Viskosität nach Gleichung 4.10.

ISO-Becher (ISO 2431, früher DIN 53 224) und der Ford-Becher (ASTM D 1200-94) (s. Abbildung 4.6 und Tabelle 4.1). Auslaufbecher sind nur zur Untersuchung newtonscher Flüssigkeiten geeignet, und die Auslaufzeit muss innerhalb des in der Norm genannten Messbereichs liegen (Tabelle 4.1). Da die meisten Beschichtungsstoffe strukturviskos oder thixotrop sind, wird bei Auslaufzeitmessungen an solchen Materialien von der Norm abgewichen – was aber in der Praxis gang und gäbe ist (häufig eingesetzt werden Auslaufbecher vom Lackierer, wenn Lacke durch Verdünnen auf Spritzviskosität eingestellt werden). Misst man zudem außerhalb des Messbereichs, z.B. bei kürzeren Auslaufzeiten als in der Norm angegeben, so können in der Auslaufdüse nicht definierte Fließfelder oder turbulente Strömungen auftreten, was zu irreführenden und falschen Ergebnissen führt [17]. Aus der Auslaufzeit t (in Sekunden) lässt sich die kinematische Viskosität ν (in mm2/s; früher auch in cSt, Centistokes, 1 cSt = 1 mm2/s) nach Gleichung 4.10 berechnen (s.a. Tabelle 4.1). Gleichung 4.10:

Beispiel – Auslaufzeiten von Butanol-veretherten Melamin-Formaldehydharzen Verdünnt man Lacke auf Spritzviskosität, so kontrolliert man diese wegen der einfachen Handhabung häufig durch Messung der Auslaufzeit. Auch bei Lackrohstoffen werden

Abbildung 4.6: Geometrien verschiedener Auslaufbecher [1].

62

Rheometrie

Abbildung 4.7: Molmassenverteilung (GPC) und Viskositäten als Funktion der nicht-flüchtigen Anteile eines konventionellen und eines medium-solid Melamin-Formaldehyd-Harzes.

gelegentlich Auslaufzeiten anstelle von Viskositäten angegeben. Abbildung 4.7 zeigt die Molmassenverteilung eines konventionellen und eines medium-solid Melamin-Formaldehydharzes sowie die Auslaufzeiten bei unterschiedlichen Festkörpergehalten der Harze in Butanol (aufgrund der Reaktivität der MF-Harze gibt man die nicht-flüchtigen Anteile an, die unter definierten Bedingungen ermittelt werden [18]). Das konventionelle Harz besitzt mehr hochmolekulare Bestandteile und hat damit – bei identischem Festkörpergehalt – eine höhere Viskosität als das medium-solid Harz. Beispiel – Berechnung der Scherrate im ISO-Auslaufbecher: Zur Berechnung des Scherratenbereiches, der in einem 6 mm-ISO-Becher bei der Messung eines Malerlackes auftritt, geht man von Gleichung 4.7 aus. Der Malerlack habe eine Dichte von ρ = 1,0 g/cm3 = 1000 kg/m3 und eine Viskosität von η = 0,15 Pa·s bei mittleren Scherraten und annähernd newtonschem Verhalten oberhalb von γ· = 5 s-1. Dazu stellt man Gleichung 4.7 nach der Scherrate dv/dr um, den Druck berechnet man nach p = r·g·h aus der maximalen Füllhöhe h = 62,1 mm bzw. der sich kurz vor Versuchsende einstellenden Füllhöhe h = 10 mm. Die Erdbeschleunigung ist g = 9,81 m/s2 (s. Tabelle 4.2).

Die Scherrate ist also während der Auslaufzeit nicht konstant, sondern nimmt mit der Füllhöhe im Auslaufbecher ab. Vergleicht man das Ergebnis dieses Beispiels mit dem Beispiel in Abbildung 3.21 aus Kapitel 3.3.2.4, erkennt man sehr schnell, dass in der Praxis Probleme auftreten können, wenn Lacke mit Hilfe von Auslaufbechern auf Applikationsviskosität eingestellt werden. Besonders solche Lacke, deren rheologisches Verhalten durch Zusatz von Additiven strukturviskos oder thixotrop wurde, verhalten sich dann bei der Applikation anders als erwartet.

4.2.4 Relativ-Viskosimeter mit Drehkörper Das Stormer-Paddle-Viskosimeter (Abbildung 4.8) gehört zu den einfachen Messgeräten, die Orientierungswerte für die Viskosität liefern. Ausgestattet ist es mit einem zweiflügeligen Rührer, dem sogenannten „Paddle“, welcher in die zu untersuchende Flüs-

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Messgeräte

sigkeit in einem zylindrischen Becher taucht. Mittels Schnurzug, angetrieben durch fallende Gewichte, wird das „Paddle“ in Rotation versetzt. Mit einem Drehzahlmesser misst man die Umdrehungen pro Minute. Man ermittelt das Gewicht, welches notwendig ist, um eine definierte Drehzahl zu erreichen. Dieses Gewicht ist in grober Näherung proportional zur Viskosität der Messflüssigkeit.

Tabelle 4.2: Scherraten für maximale Füllhöhen und Füllhöhe 10 mm, bei einem Malerlack mit ρ = 1000 kg/m3 und einer Viskosität von 0,15 Pa·s in ISO-Auslaufbechern. Düsendurchmesser [mm] Füllhöhe [mm] · max. Scherrate γ max [s-1] 2 · min. Scherrate γ min [s-1] 3

ISO-Becher 4 6 31 63,0 62,7 62,1 155 205 305 25 33 49

Messung außerhalb des Viskositätsmessbereichs, vgl. Tabelle 4.1, 2 für gefüllten Becher, 3 für Füllhöhe 10 mm.

1

Die Konsistenz des Materials wird direkt in Gramm aufgelegtes Gewicht angegeben oder in Krebs-Einheiten (Krebs Units, KU), die einer Tabelle entnommen werden können, deren Einteilung allerdings recht willkürlich ist. Trotz seiner Unzulänglichkeiten wird das Stormer-Paddle-Viskosimeter immer noch eingesetzt, besonders in angelsächsischen Ländern. Für eine Umrechnung in die Viskosität siehe [11]. Einige Viskosimeter sind mit scheiben- oder stiftförmigen Spindeln ausgestattet, die in eine zu untersuchende Flüssigkeit eingetauchten und in Rotation versetzt werden. Die Spindeln haben für unterschiedliche Viskositätsbereiche unterschiedliche Geometrien (Abbildung 4.9). Der Scherspalt wird bei der Messung als unendlich groß angenommen. Es ist deshalb nicht gewährleistet, dass die Probe im gesamten Scherspalt homogen durchgeschert wird, und man

Abbildung 4.8: Stormer-Paddle-Viskosimeter [19].

Abbildung 4.9: Spindeln für niederviskose Flüssigkeiten (z.B. die erste und fünfte von links), für mittlere bzw. hohe Viskositäten RV, HA und HB sowie der T-Stab für nicht fließfähige Substanzen.

64

Rheometrie

Abbildung 4.10: Messsysteme von Rheometern: koaxiale Zylinder, Kegel-Platte und Platte-Platte (von links).

Abbildung 4.11: Aufbau von Rheometern (mit Antrieb A, Lagerung L, Positionssensor PS, Messsystem MS – hier: Kegel/Platte, Regelung R, Auslenkwinkel ϕ, Drehzahl n, Drehmoment M). Links: Winkelbzw. Drehzahlvorgabe (Regelung über den mit dem Messkörper verbundenen Antrieb und Positionssensor), und Drehmomentmessung z.B. über ein Torsionselement; Mitte: Drehmomentvorgabe direkt über den Antrieb, und Winkel- bzw. Drehzahlmessung über den Positionssensor; rechts: Winkel- bzw. Drehzahlvorgabe (Regelung über den vom Messkörper getrennten Antrieb und Positionssensor), und Drehmomentmessung z.B. über ein Torsionselement.

sollte deshalb das Messergebnis lediglich als Relativ-Viskosität angeben. Messergebnisse lassen sich aber durchaus mit den Ergebnissen von Absolut-Rheometern vergleichen [20–22]. Spindel-Viskosimeter sind gut geeignet zur schnellen Messung bei der Eingangskontrolle von Rohstoffen oder zur einfach durchzuführenden Messung im Produktionsbetrieb, manche Ausführungen erlauben auch die Messung absoluter Viskositätswerte.

Messgeräte

65

4.2.5 Rotations- und Oszillationsrheometer Bei modernen Rheometern sind drei Typen von Messsystemen gebräuchlich: koaxiale Zylinder, Kegel-Platte und Platte-Platte (Abbildung 4.10). Die Messung des Fließverhaltens geschieht mit solchen Geräten entweder unter Vorgabe der Scherrate – CSR-Methode (controlled shear rate, auch CR) oder unter Vorgabe der Schubspannung – CSS-Methode (controlled shear stress, auch CS). Es wird jeweils der vorgegebene Parameter vom Messgerät geregelt und der andere gemessen. Die Schubspannung lässt sich entweder aus der Stromaufnahme des Antriebsmotors errechnen oder über die Verdrillung eines Torsionselementes messen. Die Scherrate bzw. die Deformation (Auslenkung des Messkörpers) wird bei modernen Rheometern mit Hilfe einer Inkrementscheibe ermittelt, die durch eine große Anzahl von Schlitzen oder Spiegeln unterteilt ist und an der durch Abtasten mit Hilfe eines Laserstrahls extrem kleine Auslenkungen erfasst werden können (Positionssensor in Abbildung 4.11). Die Antriebe dieser Rheometer sind so ausgelegt, dass die Torsion bzw. das Fließen sowohl bei Rotation als auch bei Oszillation gemessen werden kann (vgl. Abbildung 4.11). Die Regelung des Antriebs und die Kompensation von Antriebs- und Anlaufmomenten bestimmen das Auflösungsvermögen und die Messgenauigkeit eines Rheometers. 4.2.5.1

Koxiales Zylinder-Messsystem

Bei Zylinder-Geometrien befindet sich der Scherspalt zwischen dem Innenzylinder und dem dazu koaxialen Becher (Abbildung 4.10 und Abbildung 4.14). Einer der beiden Zylinder rotiert (Rotor), der andere ist fixiert (Stator). Dabei unterscheidet man die in der Abbildung 4.12 dargestellten Systeme. In der Regel ist der Innenzylinder als Rotor ausgeführt und der Becher als Stator (Searle-System). In dieser Betriebsart können besonders bei niedrigviskosen Flüssigkeiten Taylorwirbel auftreten. Diese entstehen, weil die Flüssigkeitsschicht mit der höchsten Fließgeschwindigkeit (also die am Rotor) durch die Zentrifugalkraft nach außen gedrückt wird. Neben den Taylorwirbeln bilden sich auch Stirnflächenwirbel (Abbildung 4.13). Beim Couette-System ist der Becher als Rotor und der Innenzylinder als Stator ausgeführt. Bei dieser Betriebsart können keine Taylorwirbel auftreten, denn die äußere Flüssigkeitsschicht erfährt die größte Zentrifugalkraft. Jedoch kann beim Couette-System das Abdichten des mit dem Rotor rotierenden Temperiermantels problematisch sein. Bei Zylinder-Messsystemen gibt es kritische Obergrenzen (abhängig von der Dichte und Viskosität der Flüssigkeit sowie von der Drehzahl des Rotors) für das Auftreten von Stirnflächenwirbeln bzw. Taylorwirbeln im Messspalt (siehe DIN 53018, Teil 2) [2, 4–6]. Bei konzentrischen Zylindern ist die Scherrate im Scherspalt nicht konstant. Besonders bei großen Spaltweiten nimmt die

Abbildung 4.12: Searle- und Couette-System, jeweils mit dem Geschwindigkeitsprofil der strömenden Flüssigkeitsschichten im Scherspalt. A = Antrieb, R = Rotor, S = Stator.

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Rheometrie

Abbildung 4.13: Taylor- und Stirnflächenwirbel beim Searle-System.

Fließgeschwindigkeit nicht linear mit dem Abstand vom Rotor ab. Um eine annähernd konstante Scherrate zu bekommen, verwendet man kleine Spaltweiten. Die Probe wird jedoch nicht nur am Zylindermantel, sondern auch an den Stirnflächen geschert, so dass ein komplexes, mathematisch nicht einfach zu beschreibendes Fließfeld vorliegt. Wegen dieses Stirnflächeneinflusses wurden unterschiedliche Zylinderformen vorgeschlagen. Am häufigsten setzt man das DIN- oder ISO-Zylinder-Messsystem ein (Abbildung 4.14). Man kann nahezu alle Messungen an Lacken und Beschichtungsstoffen auch mit Kegel/ Platte-Messsystemen durchführen. Koaxiale Zylinder-Messsysteme eignen sich aber besonders für niedrigviskose Flüssigkeiten, bei deren Messung es im Kegel/Platte-Messsystem zu Spaltentleerung kommen kann. Die Vorteile von koaxialen Zylinder-Messsystemen sind: • E  s können niedrigviskose Substanzen gemessen werden, ohne dass sich der Scherspalt entleert. • Die Probe lässt sich gut temperieren. Von Nachteil sind: • E  s sind relativ große Probenmengen erforderlich. • Es können in der Probe unbemerkt Luftblasen eingeschlossen sein. 4.2.5.3 Kegel-Platte-Messsystem

Abbildung 4.14: DIN- bzw. ISO-ZylinderMesssystem (maßstabsgetreue Spaltweite). R i = Messkörperradius, R a = Messbecherradius, α = Stirnflächenwinkel (Messkörperspitze).

Aufgrund der einfachen mathematischen Beschreibung soll hier das Kegel-PlatteMesssystem näher besprochen werden. Es besteht aus einer ebenen Grundplatte und einem flachen Kegel, dessen Spitze koaxial auf dem Mittelpunkt der Grundplatte

67

Messgeräte

steht (Abbildung 4.15). Um die Reibung zwischen Kegelspitze und Grundplatte auszuschließen, werden Kegel mit abgenommener Kegelspitze eingesetzt und so positioniert, dass die virtuelle Spitze auf der Grundplatte sitzt. Diese Geometrie des Scherspalts bietet wesentliche Vorteile: eine homogene Scherratenverteilung im gesamten Scherspalt, die benötigten Probenmengen sind klein, das Messsystem kann einfach und luftblasenfrei befüllt werden, es erlaubt hohe Scherraten und die Durchführung fast aller rheologischen Versuche. Abbildung 4.15: Geometrie des Kegel-Platte-MessDie Scherrate im Spalt erhält man aus der systems. -1 Drehzahl n ([n] = min ) bzw. der Kreisfre-1 -1 quenz ω = 2·π·n/60 s·min (mit [w] = s ) und dem Öffnungswinkel α. Die Umfangsgeschwindigkeit v(r) (Gleichung 4.11) nimmt mit dem Radius zu, ebenso die Spalthöhe h(r) (Gleichung 4.12).

Gleichung 4.11:

Gleichung 4.12:

Da v(r) und h(r) direkt proportional zum Radius sind, ist die Scherrate unabhängig vom Radius (Gleichung 4.13). Das bedeutet, dass im Scherspalt an allen Stellen derselbe Wert der Scherrate vorliegt. Für kleine Winkel α ist die Bogenlänge (α in rad) nahezu gleich mit tanα (Tabelle 4.3).

Gleichung 4.13:

Die Schubspannung τ lässt sich aus der Antriebskraft bzw. aus dem Drehmoment M errechnen, das wiederum proportional zur Stromaufnahme des Antriebsmotors ist oder mit einem Torsionselement bestimmt wird. Mit M = F · r und F = τ · A folgt demnach:

Tabelle 4.3: Öffnungswinkel α, tan α und Verhältnis von Kegelmantelfläche (A Kegel) und Plattenfläche (A Platte) bei einem Kegel-Platte-Messsystem. α [°] 0,1 0,5 1 2 4 6 10

Gleichung 4.14:

Ersetzt man dA in Gleichung 4.14 durch 2·p·r·dr, das man durch Differenzieren der Kreisfläche A nach dr erhält (Gleichung

α [rad] 0,0017 0,0087 0,0175 0,0349 0,0698 0,1047 0,1745

tan α 1 0,0017 0,0087 0,0175 0,0349 0,0699 0,1051 0,1763

A Kegel /A Platte 1,0000 1,0000 0,9998 0,9994 0,9976 0,9945 0,9848

in Gleichung 4.13 kann tanα durch α ersetzt werden, wenn die Differenz zwischen beiden Größen gering ist (deshalb schließt ISO 3219 α > 4° aus).

1

68

Rheometrie

4.15), so folgt nach Integration über den gesamten Radius die Gleichung für das Drehmoment (Gleichung 4.16), was nach Umformung Gleichung 4.17 zur Berechnung der Schubspannung τ liefert. Gleichung 4.15:

Gleichung 4.16:





Gleichung 4.17:

Dabei gilt die Annahme, dass Kegelmantel und Grundplatte annähernd gleiche Fläche haben (s. Tabelle 4.3). Die Viskosität (Gleichung 4.18) im Kegel-Platte-Scherspalt errechnet man aus Schubspannung (Gleichung 4.17) und Scherrate (Gleichung 4.13).

Gleichung 4.18:



Misst man Dispersionen oder Suspensionen mit dem Kegel/Platte-Messsystem, dann sollte der Abstand zwischen der Oberfläche des Kegelstumpfes und der Grundplatte mindestens fünfmal so groß sein, wie die größten in der Probe vorkommenden Partikel, da sonst kein reibungsfreies Fließ- und Deformationsverhalten vorliegt. Bei Kegeln mit einem Öffnungswinkel zwischen 1° und 2° ist der Abstand üblicherweise 50 µm, die maximale Partikelgröße sollte dementsprechend maximal 10 µm sein [1]. Ein einfaches Kegel/Platte-Messsystem für hohe Scherraten ist das ICI-Kegel/Platte-Viskosimeter („einarmiger Bandit“, gelegentlich als „High-Shear-Viscosimeter“ bezeichnet). Bei der konstanten Drehzahl n = 750 min-1 und mit dem 0,45°-Kegel ist die Scherrate 10000 s-1, mit dem 1,8°-Kegel 2500 s-1. Da Kegel ohne abgenommene Spitzen eingesetzt werden, sind die Messergebnisse oft nur bedingt brauchbar. 4.2.5.3 Platte-Platte-System Bei der Platte-Platte-Geometrie befindet sich der Scherspalt zwischen zwei planparallelen, kreisrunden Platten. Die Scherrate im Scherspalt ist vom Radius und vom Plattenabstand abhängig. Im Zentrum der Platten ist sie null, am Rand der Platten maximal. Im Allgemeinen wird die Scherrate am Rand der Platte angegeben. Der Plattenabstand soll mindestens fünfmal so groß sein wie die Durchmesser der größten Partikel in der Probe. Zur mathematischen Behandlung der Messgrößen sei auf Lehrbücher der Rheologie verwiesen [1, 2, 4]. Vorteile des Platte/Platte-Messsystems sind: • Es können Dispersionen mit groben Teilchen, weiche Festkörper und ausgehärtete Substanzen gemessen werden. • Der Scherspalt ist einfach zu befüllen und zu reinigen. • Wandgleiten kann durch Verwendung von aufgerauten oder profilierten Oberflächen minimiert oder verhindert werden.

Rheologische Untersuchungsmethoden

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• Nachteile sind: • Keine homogene Scherung im Scherspalt: Die Scherratenverteilung erstreckt sich über einen sehr weiten Bereich. • Am Rand der Platten können Inhomogenitäten auftreten, auch kann es dort zur Spaltentleerung kommen. • Bei großem Plattenabstand kann, wenn nur eine der beiden Platten temperiert wird, ein deutlicher Temperaturgradient auftreten.

4.3

Rheologische Untersuchungsmethoden

Um das rheologische Verhalten eines Lackmaterials zu ergründen, können unterschiedliche Versuche angewendet werden. Hier werden der Rampenversuch, der Kriechversuch und Oszillationsversuche näher beschrieben.

4.3.1 Rampenversuch Beim Rampenversuch wird entweder die Schubspannung (bei CSS, Gleichung 4.19) oder die Scherrate (bei CSR, Gleichung 4.20) innerhalb eines Zeitintervalls ∆t von einem Minimalwert auf einen Maximalwert erhöht. Der Versuch kann fortgeführt werden, indem die Maximalbelastung eine gewisse Zeit aufrechterhalten wird und/oder gegebenenfalls innerhalb der Zeit ∆t wieder eine Minimalbelastung angefahren wird (Abbildung 4.16). Gleichung 4.19:

Gleichung 4.20:

Das Messergebnis lässt sich darstellen als Fließkurve t(γ·) bzw. γ· (t) und als Viskositätskurve η(γ·) bzw. η(t). Für jedes Punktepaar (γ·, t) der Fließkurve liefert der Quotient aus Schubspannung und Scherrate den Betrag der Scherviskosität η. Üblicherweise werden die Scherrate γ· auf der Abszisse und t bzw. η auf der Ordinate aufgetragen, selten umgekehrt (unabhängig davon was vorgegeben wird, Scherrate – CSR oder Schubspannung – CSS). Man hat darauf zu achten, dass die Messpunktdauer lange genug ist. Sonst kommt es – besonders bei hoch-

Abbildung 4.16: Belastung beim einfachen Rampenversuch: Die Schubspannung oder Scherrate wird bis zur Zeit t1 auf den Maximalwert erhöht (links). Ein erweiterter Rampenversuch setzt sich zusammen aus Erhöhung der Belastung, konstanter Maximalbelastung und Verringerung der Belastung (rechts).

70

Rheometrie

viskosen Messproben und niedrigen Scherraten bzw. Schubspannungen – zu Anlauf- oder Übergangseffekten und man misst nicht die erwünschte stationäre Gleichgewichtsviskosität, sondern die transiente Viskosität η+(γ·, t) bzw. η+(t, t) [1, 2, 23]. Diese hängt sowohl von der Scherbelastung als auch von der Zeit ab. Im Falle γ· > 1 s -1 spielen transiente Effekte nur bei Substanzen mit starken viskoelastischen Eigenschaften eine Rolle, so dass bei Tests von Flüssigkeiten mit niederer oder mittlerer Viskosität eine Messpunktdauer von t = 5 s meistens ausreicht. Bei niedrigen Scherraten γ· < 1 s -1 sollte jedoch bei polymeren Substanzen, wie eben auch Lacken, mit Anlaufeffekten gerechnet werden. Hier hat sich die Faustregel bewährt, dass als Messpunktdauer mindestens der Betrag der reziproken Scherrate (1/ γ·) genommen werden sollte. Beispielsweise müsste dann bei γ· = 0,1 s -1 die Messpunktdauer t ≥ 10 s betragen und bei γ· = 0,01 s -1 jedoch t ≥ 100 s (manchmal sind noch längere Zeiten nötig oder kürzere schon ausreichend). Stellt man die Schubspannung als Funktion der Scherrate dar, so erhält man bei newtonschen Flüssigkeiten eine Gerade, deren Steigung die Viskosität ist. Zur Bestimmung der Viskosität bei diesen Substanzen genügt deshalb die Messung bei einer Scherrate, da hier die Viskosität von der Scherrate (und der Schubspannung) unabhängig ist (Abbildung 3.9). 4.3.1.1

Scherverdünnendes und scherverdickendes Verhalten

Bei nicht-newtonschem Verhalten weicht die Form der Fließkurve von der Geraden ab. Die Viskosität ist dann von der Belastung, also von der Scherrate oder von der Schubspannung abhängig. Bei Abweichungen vom newtonschen Fließverhalten misst man grundsätzlich die sogenannte scheinbare Viskosität, da im Scherspalt ein nichtlineares Geschwindigkeitsgefälle vorliegt (Abbildung 4.17). Der jeweilige Viskositätswert ist deshalb in jedem Messpunkt aus der dort vorliegenden Schubspannung und Scherrate nach dem newtonschen Gesetz zu errechnen, wie dies Abbildung 4.18 (unter Benutzung von Gleichung 4.21) veranschaulicht. Gleichung 4.21:



(s. Abbildung 4.18)

Zur Beschreibung des Fließverhaltens erweisen sich außerdem weitere Begriffe als nützlich. So die Nullviskosität h0, sie ist der Grenzwert der Viskositätsfunktion für „unendlich niedrige“ Scherraten.

Abbildung 4.17: Geschwindigkeitsprofil im Scherspalt zwischen zwei parallelen Platten bei newtonschen (links), dilatanten (Mitte) oder strukturviskosen Flüssigkeiten (rechts).

Rheologische Untersuchungsmethoden

71

Abbildung 4.18: Berechnung der scheinbaren Viskosität in zwei Kurvenpunkten der Fließkurve (nach Gleichung 4.21).

Gleichung 4.22:

In der Polymerindustrie generell, so auch bei der Lackharzherstellung, ist dies ein bedeutender Parameter, denn h0 ist proportional zur Molmasse Mw [2, 16, 24]. Strukturviskose (pseudoplastische) Substanzen haben in der Viskositätskurve einen Plateauwert für die Nullviskosität, Substanzen mit Fließgrenze zeigen dies nicht, deren Viskosität läge bei einer Scherrate von null im Unendlichen (s. Kapitel 3.3.1). Der Grenzwert der Viskositätsfunktion für „unendlich hohe“ Scherraten ist die Grenzviskosität η∞ (Gleichung 4.23) 1. Gleichung 4.23:

4.3.1.2 Thixotropie Liegt eine zeitabhängige Abweichung vom newtonschen Verhalten vor, so sind die Fließkurven bei Erhöhung und bei Verringerung der Belastung unterschiedlich, man erhält eine Hysterese. Thixotrope Substanzen zeigen beim Scheren eine zeitabhängige Scherverdünnung. Dieses reversible Verhalten ist auf den Abbau einer inneren Struktur zurückzuführen, deren Regeneration nach einer bestimmten Ruhezeit vollständig ist. Ausgehend vom Ruhezustand (t0) wird gemäß Abbildung 4.19 die Strukturstärke bei einer ansteigenden Belastungsrampe verringert (bis t1), die erhaltene Fließkurve nennt man Gelkurve. Die Kurve, die man bei abfallender Belastungsrampe misst (t2 bis t3), nennt man Solkurve. Die Höhe der Belastung sollte so gewählt werden, dass ein vollständiger Strukturabbau und damit ein über die Zeit konstanter Viskositätswert beim Maximum der Scherbelastung erreicht wird. Das Ausmaß der Thixotropie lässt sich durch die von der Sol- und der Gelkurve eingeschlossenen Fläche, der sog. Hysteresefläche abschätzen. Da die Größe dieser Fläche von der Belastungsdauer abhängt, sollte man diese Fläche mit einer Rampe ermitteln, bei der der 1

Die Grenzviskosität wird in DIN 1342-3 (2003) auch Endviskosität genannt.

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Rheometrie

Abbildung 4.19: Scherratenvorgabe mit den drei Testabschnitten: Aufwärtsrampe, Haltezeit und Abwärtsrampe (links). Fließkurven mit Hysteresefläche zur Thixotropiebestimmung, mit Abnahme der Strukturstärke bei Scherbelastung (rechts).

maximale Wert für die Hysteresefläche erhalten wird. Man misst in Industrielabors auch noch mit einer definierten Scherratenrampe (dies ist die Voraussetzung für die Vergleichbarkeit von Ergebnissen aus verschiedenen Tests) [25]. Durch die Thixotropiefläche wird jedoch nur das Verhalten bei relativ hoher Scherbelastung erfasst. Über die Regeneration der Struktur in Ruhe kann nichts ausgesagt werden, denn Ruhebedingungen treten bei dieser Testmethode nicht auf. Deshalb lässt sich die Strukturregeneration besser durch ein anderes Verfahren ermitteln, bei dem während der Regenerationsphase unter sehr geringen Belastungen gemessen wird (Scherratensprung nach Kapitel 4.3.2). Zu beachten ist, dass zur vollständigen Beschreibung der Thixotropie beides erforderlich ist, sowohl die Messung des Strukturabbaus als auch des Strukturaufbaus. 4.3.1.3

Bestimmung von Fließgrenzen

Eine Substanz – wie etwa ein Beschichtungsstoff – mit Fließgrenze, beginnt erst dann zu fließen, wenn die von außen angelegte Scherkraft größer ist als die in der Substanz wirkenden Kräfte, also jene, die die innere Struktur stabilisieren. Solche Strukturkräfte verleihen dem Material einen gewissen Anteil von Festkörpereigenschaften. Unterhalb der Fließgrenze zeigt sich – in einem sehr engen Deformationsbereich – elastisches Verhalten, Tabelle 4.4: Anpassungsmodelle für Fließkurven Gesetz Newton

Formel

Bemerkungen idealviskoses Fließverhalten

Bingham

p < 1 Scherverdünnung p > 1 Scherverdickung p = 1 newtonsches Fließverhalten binghamsches Fließverhalten

Casson

Scherverdünnung mit Fließgrenze

Herschel-Bulkley

p < 1 Scherverdünnung p > 1 Scherverdickung p = 1 binghamsches Fließverhalten

Ostwald-de Waele (Potenzgesetz)

Polynom k = Konsistenzindex, Cn = Fließkoeffizient n-ter Ordnung, τ 0 = Fließgrenze, η B = Grenzviskosität nach Bingham, η C = Grenzviskosität nach Casson.

Rheologische Untersuchungsmethoden

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d.h. mit einer reversiblen Deformation. Fließgrenzen lassen sich auf verschiedene Weise bestimmen, so durch Extrapolation der Fließkurve auf eine unendlich niedrige Scherrate, mit Hilfe von der Tangentenschnittpunkt-Methode, durch Kriechversuche oder mit dem Amplitudensweep im Oszillationsversuch. Fließgrenze über Anpassungsfunktionen (Fließkurven mit Scherraten-Vorgabe, CSR) Wenn mit rampenförmiger Scherratenvorgabe gearbeitet wird, lässt sich die Fließgrenze nicht direkt ermitteln, sondern nur durch Auswertung der Fließkurvenfunktion mit Hilfe von Anpassungsfunktionen, z.B. nach Bingham, Casson, Herschel-Bulkley oder mit dem Polynommodell (s. Tabelle 4.4 und Kapitel 3.3.1). Diese Fließgrenzenwerte werden nicht direkt gemessen, sondern sind lediglich extrapolierte Werte. Das allgemeine Potenzgesetz (Ostwald-DeWale) ist ein Fließkurvenmodell ohne Fließgrenze. Fließgrenze als Schubspannungsmaximum vor dem Fließen (Fließkurven mit Schubspannungs-Vorgabe, CSS) Arbeitet man mit rampenförmiger Schubspannungsvorgabe, dann wird als Fließgrenze der höchste t-Wert bezeichnet, bei dem das Messgerät noch keine Bewegung erfassen kann. Angegeben wird der letzte Messpunkt, bei dem die Drehzahl n = 0 und somit die Scherrate γ· = 0 angezeigt wird. An anderer Stelle (Abbildung 3.13 und 3.14) sind Fließkurven mit Fließgrenze dargestellt, diese wird jeweils als Achsenabschnitt auf der t-Achse sichtbar. Da bei verschiedenen Rheometern die Drehzahlauflösung unterschiedlich ist, erhält man Fließgrenzen, die sich je nach verwendetem Rheometertyp unterscheiden können. Ein Messgerät, das sehr kleine Drehzahlen (z.B. nmin ≤ 0,01 min-1) noch detektieren kann, würde kleinere Fließgrenzen erfassen als eines, das so kleine Mindestdrehzahlen nicht mehr auflösen kann (z.B. mit n min = 0,5 min-1). Fließgrenze als Grenze des elastischen Deformationsbereichs – Tangentenschnittpunkt-Methode Genau betrachtet gilt als Fließgrenze jener Grenzwert der Belastung, unterhalb dessen elastische Deformationen eintreten und oberhalb dessen das Material fließt (viskoses Verhalten). An diesem Grenzwert sollte also eine signifikante Änderung der Deformation bei Erhöhung der Belastung sichtbar sein. Im Bereich niedriger Schubspannungen bzw. Deformationen besitzt die Messkurve [lgγ = f(lgτ)] in der Regel eine konstante Steigung (Abbildung 4.20). Bei stabiler Probenstruktur zeigt sich in diesem ersten Kurvenabschnitt das Verhalten eines Festkörpers, die Probe wird elastisch deformiert, es gilt das hookesche Gesetz (Gleichung 3.5), die Werte von t und g sind zueinander proportional. Überschreitet die Schubspannung die Fließgrenze (Übergang zum Kurvenabschnitt mit den hohen t- bzw. g-Werten), dann steigt die Deformationskurve deutlich an, das Material zeigt nun viskoelastisches oder viskoses Fließen. Die Fließgrenze τ0 lässt sich dann aus dem Schnittpunkt der Tangenten an die beiden Kurvenäste ermitteln. Bei Substanzen, die nur einen ganz allmählichen Übergang zwischen den beiden Kurvenästen aufweisen, oder wenn die Kurve im zweiten Abschnitt nicht linear verläuft, ist es nicht einfach, dort eine zweite Tangente anzulegen (z.B. bei scherverdünnendem Verhalten). Deshalb wird in diesem Fall empfohlen, für die Fließgrenze jenen Betrag der Schubspannung anzugeben, bei dem der linear-elastische Deformationsbereich verlassen wird. Dies ist die Grenze, an der der Bereich der reversiblen elastischen Deformation endet und jener der irreversiblen Deformation mit dem viskoelastischen Fließen beginnt. Konkret ermittelt wird dann die Schubspannung, bei der die Messkurve signifikant vom Verlauf

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Abbildung 4.20: Fließgrenze τ0 mit der Tangentenschnittpunkt-Methode

der im unteren Messkurvenbereich angelegten Tangente abweicht bzw. bei der sie die vom Anwender vorgegebene Bandbreite verlässt (z.B. per Augenschein oder mit Hilfe einer Auswertungs-Software). Messtechnisch ist zu berücksichtigen, dass die nur sehr geringe Auslenkung des Messkörpers im Bereich unterhalb der Fließgrenze nur von einem empfindlichen Messgerät – mit hohem Auflösungsvermögen für sehr kleine Drehwinkel – registriert wird. In aller Regel ist dafür ein Rheometer mit Luftlager erforderlich. Zeitabhängigkeit der Fließgrenze Mit zeitabhängig reagierenden Substanzen – und das sind fast alle polymeren Lackharze und Dispersionen – ergeben sich bei verschieden langen Messzeiten, selbst bei einem sonst gleichen Vorgabemessprofil, oft unterschiedliche Werte, sowohl für die extrapolierte Fließgrenze als auch für die Fließgrenze, die als Grenze des elastischen Bereichs bestimmt wird, denn beide sind keine Stoffkonstanten. Das Resultat hängt ab von der Vorbehandlung der Messprobe sowie von der Belastungsdauer, d.h. von den zeitlichen Testbedingungen.

4.3.2 Scherratensprung Moderne Rheometer erlauben die Durchführung eines Scherratensprunges, der besonders geeignet ist zur Untersuchung von Materialien, die Thixotropie (zeitabhängige Scherverdünnnung) oder Rheopexie (zeitabhängige Scherverdickung) zeigen. Hier wird nur das Beispiel der Thixotropie besprochen. Vorgegeben wird das Scherratenprofil (t) mit drei Messabschnitten (Abbildung 4.21): (1) Die Ruhephase mit niedriger Scherbelastung (t0 bis t1). (2) Die Belastungsphase mit hoher Scherbelastung (t1 bis t2), dabei soll die Struktur in der Substanz abgebaut werden. (3) Die Entlastungsphase mit niedriger Scherbelastung (t2 bis t3) mit den gleichen Scherbedingungen wie in der Ruhephase, zum Wiederaufbau der Struktur. Als Messergebnis erhält man die Viskosität η in Abhängigkeit von der Zeit t (Abbildung 4.21). Bei einer Variante dieses Tests misst man in den Phasen 1 und 3 unter Oszillation, in der Phase 2 meistens nur unter Rotation. Hier wertet man die komplexe Viskosität als Funktion der Zeit aus. Bei der Analyse des Speicher- und Verlustmoduls ergeben sich jedoch

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Abbildung 4.21: Scherratenvorgabe mit drei Abschnitten als Sprungfunktion (links) und Viskositätsverlauf (rechts) für eine Substanz im Ruhezustand (1), beim Abbau (2) und beim Wiederaufbau (3) der Struktur.

zusätzliche Informationen über den Charakter der abgebauten und regenerierten inneren Struktur (s. dazu Kapitel 4.3.4). Wenn die Sprungfunktion mit der CSS-Methode ausgeführt wird, läuft der Test an sich ähnlich ab wie bei der CSR-Methode (Abbildung 4.21). Es wird aber empfohlen, die Scherraten-Vorgabe der Schubspannungs-Vorgabe vorzuziehen, da sowohl Abbau als auch Wiederaufbau der Struktur vom Deformationszustand der Messprobe abhängt. Dieser wird zwar durch die Scherkraft verursacht, eine Änderung der Strukturstärke tritt aber nur dann ein, wenn eine entsprechende Deformation auch wirklich vorliegt. Eine Folge davon ist, dass Messergebnisse mit der Scherraten-Vorgabe reproduzierbarer sind. Messtechnisch von Bedeutung ist, dass man im ersten Abschnitt der Messung einen Referenzwert für die Viskosität der Ruhestruktur erfasst. Dies ist erforderlich, um prüfen zu können, ob sich die Struktur nach dem Abbau auch wieder vollständig zurückbildet – nur dann wird die ursprüngliche Viskosität wieder erreicht. Deshalb sollte die Viskosität in der Zeitspanne von t0 bis t1 einen möglichst konstanten Betrag aufweisen. Ist dies nicht der Fall, führen folgende Maßnahmen zum Ziel: Nähert sich die η(t)-Kurve erst nach einer gewissen Zeit von höheren Werten her einem konstanten Wert, dann ist die vorgegebene Scherrate als Ruhebelastung für die Messprobe zu hoch. Es findet bereits ein Strukturabbau statt und folglich ist dann eine niedrigere Scherrate vorzugeben. Steigt andererseits die η(t)-Kurve erst nach gewisser Zeit auf einen konstanten Wert an, dann misst man transientes Verhalten. Die transiente Scherviskosität η+ ist dabei eine Funktion sowohl der Scherrate als auch der Messzeit, d.h. η++ = h(γ·, t). Die Zeit reicht nicht aus, dass sich die Messprobe im gesamten Messspalt gleichmäßig auf die herrschende niedrige Scherbelastung einstellen kann. Um dies zu vermeiden, muss die Zeitdauer t MP pro Messpunkt verlängert werden (als Faustregel gilt: t MP ≥1/γ·; manchmal reicht jedoch eine kürzere Zeit aus) [1]. Für die Auswertung des thixotropen Verhaltens beim Strukturaufbau gibt es verschiedene Möglichkeiten: Man kann einmal den Betrag der Thixotropie als Änderung der Scherviskosität ∆η angeben, die als Differenz zwischen der maximalen Viskosität nach dem Strukturwiederaufbau und

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Rheometrie

Tabelle 4.5: Regeneration von zwei Lacken nach einer hohen Scherbelastung.

Referenzwert am Ende des 1. Abschnitts (Ruhezustand) am Ende des 2. Abschnitts (hohe Scherbelastung) nach t = 30 s nach t = 60 s nach t = 120 s

Lack 1 η Reg. [Pas] [%] 15 100 0,5 3 13 87 14 93 15 100

Lack 2 η Reg. [Pas] [%] 30 100 1,0 3 4 13 10 33 15 50

der minimalen am Ende des Strukturabbaus berechnet wird. Es gilt: ∆η = ηmax – ηmin, mit ηmin zum Zeitpunkt t2 und ηmax zum Zeitpunkt t3 (Abbildung 4.21). Unter der Gesamt-Thixotropiezeit versteht man außderdem die Zeitdifferenz zwischen den Zeitpunkten beim Minimalwert der Viskosität ηmin (am Ende des Strukturabbaus) und beim Maximalwert ηmax (nach dem Strukturwiederaufbau). Dabei wird die GesamtThixotropiezeit als die Zeitdauer bis zur vollständigen Regeneration der Probenstruktur im dritten Versuchsabschnitt ausgewertet. Der vollständige Strukturaufbau muss dann im Zeitabschnitt (t3 – t2) abgeschlossen sein. Oft ist allerdings die Dauer der Gesamt-Thixotropiezeit für diese Art der Auswertung zu lang. Dann bestimmt man die Zeitdauer, in der der Betrag der Viskosität nach Beginn der Entlastungsphase auf z.B. 75 oder 90 % des konstanten η-Wertes aus dem ersten Versuchsabschnitt angestiegen ist. Zur Ermittlung der prozentualen Regeneration während einer festgelegten Zeitspanne wird die Viskosität beim Strukturaufbau mit dem Wert der Viskosität aus dem ersten Versuchsabschnitt verglichen. Beispiel – Verhalten von zwei Malerlacken beim Wiederaufbau der Struktur Zwei Malerlacke Lack 1 und Lack 2 wurden rheometrisch mit einem Sprungversuch sowie nach anwendungstechnischen Kriterien untersucht (Tabelle 4.5). Lack 1 zeigt in 120 s einen vollständigen Wiederaufbau der Struktur. Damit lässt sich eine gute Schichtdicke erzielen. Schon nach 30 s ist mit 87 % Regeneration fast die Endstrukturstärke erreicht. Lack 2 weist eine langsamere Strukturregeneration auf. Er zeigt zwar einen schönen, weil lange andauernden Oberflächenverlauf, aber auch ein stark ausgeprägtes Ablaufverhalten an senkrechten Flächen. Die gewünschte Schichtdicke ist deshalb nicht in einem Arbeitsgang zu erhalten. Entscheidend für die Beurteilung ist das Verhalten des jeweiligen Lackes in der praxisrelevanten Zeit. Sie hat der Anwendungstechniker vor dem Test - den Anforderungen entsprechend - festzulegen.

4.3.3 Kriech- und Kriecherholungs-Versuch – viskoelastisches Verhalten Idealelastisches Verhalten entsprechend dem hookeschen Gesetz sowie idealviskoses Verhalten entsprechend dem newtonschen Gesetz sind Grenzfälle des rheologischen Verhaltens. Besonders polymere Materialien und Kolloide zeigen häufig ein Verhalten, das teils als elastisch und teils als viskos bezeichnet werden kann. Ein solches viskoelastisches Verhalten kann sowohl bei Flüssigkeiten als auch bei Festkörpern auftreten, also auch bei flüssigen Beschichtungsstoffen und bei ausgehärteten Beschichtungsfilmen.

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Abbildung 4.22: Rheologische Modelle für viskoelastisches Verhalten.

Konkretisieren lassen sich diese Zusammenhänge in folgender Weise: Festkörper und Flüssigkeiten unterscheiden sich in ihrem Verhalten bei Belastung. Ein idealer Festkörper verformt sich unter Belastung ohne zeitliche Verzögerung, wobei im Inneren eine Spannung aufgebaut wird. Die Verformung entspricht dem Gleichgewicht zwischen innerer Spannung und einwirkender Kraft. Nach der Entlastung geht bei idealelastischem Verhalten die Verformung auf der Stelle und wieder vollständig zurück. Belastet man hingegen eine Flüssigkeit, so hängt die dann auftretende Deformationsgeschwindigkeit (Scherrate) von der Viskosität ab. Nach der Entlastung bleibt die Deformation bei idealviskosem Verhalten vollständig erhalten. Anstatt nur eine dieser beiden Eigenschaften – Elastizität oder Viskosität – zu zeigen, kann ein Material auch beide in sich vereinen; man bezeichnet es dann als „viskoelastisch“. Viskoelastisches Verhalten kann durch rheologische Modelle beschrieben werden (Abbildung 4.22), bei denen Feder und Dämpfungstopf parallel oder in Reihe geschaltet sind. Visko­ elastische Flüssigkeiten können durch das Maxwell- bzw. das Voigt-Maxwell- und viskoelastische Festkörper durch das Voigt-Modell1 beschrieben werden (s. Abbildung 4.23) [2]. Durch einen Kriechversuch können Fließgrenze und Nullviskosität h0 eines Materials ermittelt werden, darüber hinaus erhält man Aussagen über sein viskoelastisches Verhalten [24]. Beim Kriechversuch (Abbildung 4.23) wird das Material plötzlich einer konstanten Schubspannung ausgesetzt und nach einer gewissen Zeit ebenso sprungartig wieder entlastet. Gleichzeitig wird die Deformation des Materials gemessen. Liegt ein idealelastisches Material vor, so erfolgt die Deformation zeitgleich mit dem Schubspannungssprung, unter Last bleibt die Deformation konstant und mit der Entlastung geht sie zeitgleich wieder auf Null zurück. Eine idealviskose Flüssigkeit wird unter Last mit konstanter Deformationsgeschwindigkeit (Scherrate) stetig weiter deformiert. Nach der Entlastung bleibt die Deformation vollständig erhalten. Bei einem viskoelastischen Festkörper, wie er durch das Voigt-Modell beschrieben wird, erfolgt die Deformation zeitverzögert (Retardierung). Nach der Entlastung regeneriert sich das Material zwar vollständig, aber ebenfalls erst zeitverzögert innerhalb einer gewissen Retardationszeit. Bei einer viskoelastischen Flüssigkeit (Voigt-Maxwell-Modell, s.a. Abbil1 Das Voigt-Modell wird international meist als Kelvin-Voigt-Modell bezeichnet. Kriechtests an Polymerproben werden häufig anhand des Burgers-Modells (Hintereinanderschaltung von Voigt- und Maxwell-Modell) ausgewertet [1].

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Rheometrie

Abbildung 4.23: Schubspannungsvorgabe und sich ergebende zeitabhängige Deformation im Kriechversuch bei unterschiedlichen rheologischen Modellen.

dung 4.24) läuft die Deformation unter Last – nach einer gewissen Zeit – mit konstanter Geschwindigkeit ab (γ· = const.) . Nach Entlastung geht die Deformation lediglich teilweise wieder zurück. Beim Voigt-Maxwell-Fluid (wie man Materialien nennt, die durch das gleichnamige Modell beschrieben werden können) setzt sich die Deformation γ aus der Deformation des Dämpfungstopfes g1 und des in Reihe geschalteten Voigt-Modells g2 zusammen (Abbildung 4.24). Gleichung 4.24:

Die Anfangssteigung der Kriechkurve ist die Scherrate . Gleichung 4.25:

Die reversible Scherung grev kann durch Extrapolation der Kriechkurve auf der Ordinate abgelesen werden. Aus ihr kann der dem Schubmodul G2 des Modells zugeordnete Wert nach dem hookeschen Gesetz berechnet werden (Gleichung 4.26). Gleichung 4.26:

Darüber hinaus erhält man η1 aus der Tangente an den linearen Teil der Kriechkurve (Gleichung 4.27). Gleichung 4.27:

Rheologische Untersuchungsmethoden

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Abbildung 4.24: Die Kriech- und Kriecherholungskurve des Voigt-Maxwell-Modells (schwarze Kurve) setzt sich additiv aus dem Verhalten des Voigt-Modells (graue Kurve 2, G2 und h2) und dem des Dämpfungstopfes h1 (graue Kurve 1) zusammen.

Dort ist Teil 2 des Maxwell-Voigt-Modells vollständig ausgelenkt (grev ist erreicht), die Steigung der Kriechkurve ist dann die dem Dämpfungstopf h1 zugeordnete Scherrate γ·1. Diese Viskosität h1 ist identisch mit der Nullviskosität h0. Das allein diesem Dämpfungstopf zugeordnete Verhalten ist in Abbildung 4.24 gestrichelt dargestellt, ebenso das Verhalten des alleinigen Voigt-Modells (als Messergebnis erhält man natürlich nur die durchgezogenen Kriech- und Kriecherholungskurven). Die Tangente an die Kriechkurve, die durch den Koordinatenursprung geht, hat die Steigung γ·t=0. Da zu diesem Zeitpunkt das Federmodell überhaupt noch nicht ausgelenkt ist und deshalb keine der äußeren Kraft entgegenwirkende Spannung aufgebaut hat, wirkt die angelegte Schubspannung tv vollständig auf die beiden Dämpfungstöpfe. In diesem Zeitpunkt setzt sich die Gesamtviskosität aus den Beiträgen der beiden Dämpfungstöpfe zusammen (Gleichung 4.28 und Gleichung 4.29)

Gleichung 4.28: Gleichung 4.29:

Beispiel – Überprüfung von Fließgrenzen. Entsprechend der Definition für die Fließgrenze resultieren aus einer Belastung mit Schubspannungen, die kleiner als die Fließgrenze sind (tv  G’ und im Gel G’ > G’’. 4.3.4.4 Frequenztest Führt man einen Oszillationsversuch unter Variation der Kreisfrequenz ω durch, so erhält man den frequenzabhängigen Betrag der komplexen Viskosität |η*|, der Speichermodul G’ und der Verlustmodul G’’. Aus der Kurvenform kann man auf den Charakter und die Struktur des Materials schließen (Abbildung 4.32). Beispiel – teilvernetzter Polyester Ein stark verzweigter Polyester, der bei weiterer Reaktion vernetzen und in ein unlösliches, nicht mehr fließfähiges Material übergehen kann, zeigt kurz vor Erreichen des Gelpunkts ein typisches Verhalten wie in Abbildung 4.33 oben. Das Material ist in gerade noch fließfähigem Zustand und muss aus dem Reaktionskessel ausgetragen werden. Nach weiterer Kondensation geht der Polyester in einen nicht mehr fließfähiges Harz über, das nicht mehr ohne weiteres aus dem Reaktionskessel ausgetragen werden kann. Es zeigt dann ein rheologisches Verhalten wie in Abbildung 4.33 unten. Anhand des Frequenztest kann der Fortgang einer solchen Reaktion verfolgt werden. 4.4 Literatur [1] T. G. Mezger, Das Rheologie Handbuch: Für Anwender von Rotations- und Oszillations-Rheometern, 4. Aufl., Vincentz Network, Hannover, 2012 [2] M. Pahl, W. Gleißle, H.-M. Laun, Praktische Rheologie der Kunststoffe und Elastomere, VDI-Verlag, Düsseldorf, 1991 [3] C. K. Schoff, P. Kamarchik, Rheological measurements, in: J. I. Kroschwitz, M. Howe-Grant (Hrsg.), Kirk-Othmer Encycl. Chem. Technol., 1997 [4] C. W. Macosko, Rheology, principles, measurements, and applications, Wiley-VCH, New York, 1994 [5] W.-M. Kulicke, Fließverhalten von Stoffen und Stoffgemischen, Hüthig & Wepf, Basel; New York, 1986 [6] DIN 53019-1: Viskosimetrie – Messung von Viskositäten und Fließkurven mit Rotationsviskosimetern, Teil 1: Grundlagen und Messgeometrie, (2008) [7] DIN 53015: Viskosimetrie, Messung der Viskosität mit dem Kugelfallviskosimeter nach Höppler, (2001) [8] DIN EN ISO 12058-1: Bestimmung der Viskosität mit einem Kugelfallviskosimeter Teil 1: Verfahren nach Höppler, (2002) [9] ASTM D1545-13: Standard Test Method for Viscosity of Transparent Liquids by Bubble Time Method, (2013) [10] C. Küchenmeister, Messung der Viskosität von Stammwürzen mit einem Mikrokugelfallviskosimeter, GIT Labor-Fachz. (2000) 1178–1180 [11] T. C. Patton, Paint flow and pigment dispersion: a rheological approach to coating and ink technology, 2nd ed., Wiley, New York, 1979 [12] Byk-Gardner, Prüfgeräte Katalog, (1993) [13] E. W. Washburn, The dynamics of capillary flow, Phys Rev. 17 (1921) 273–283 [14] M. O’Loughlin, K. Wilk, C. Priest, J. Ralston, M. N. Popescu, Capillary rise dynamics of aqueous glycerol solutions in glass capillaries: A critical examination of the Washburn equation, J. Colloid Interface Sci. 411 (2013) 257–264. doi:10.1016/j.jcis.2013.05.077 [15] V. Buttignol, H.L. Gerhart, Polymer Coatings-Pigment Dispersion, Ind. Eng. Chem. 60 (1968) 68–79. doi:10.1021/ie50704a012 [16] H.-G. Elias, Makromoleküle: Physikalische Struktur & Eigenschaften, 6. Aufl., John Wiley & Sons, 2009 [17] A. N. McKelvie, The measurement of paint consistency by flow cups, Prog. Org. Coat. 6 (1978) 49–64. doi:10.1016/0300-9440(78)80003-4 [18] G. Meichsner, in: K.-D. Ledwoch (Hrsg.), H. Kittel Lehrb. Lacke Beschichtungen Vol. 3, 2. Aufl., Hirzel, Stuttgart, 2001

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Rheometrie

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Grenzflächen

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5 Grenzflächen Mischen sich Stoffe nicht vollständig, so treten mehrphasige Systeme auf. Diese besitzen naturgemäß Phasengrenzen, die die Grenzregion zwischen zwei makroskopisch unterschiedlichen Phasen mit unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften darstellen. Die Phasengrenze zwischen Flüssigkeit und Vakuum bzw. Gasphase oder zwischen Festkörper und Vakuum bzw. Gasphase bezeichnet man als Oberfläche. Die Phasengrenze zwischen zwei Flüssigkeiten oder zwischen Festkörper und Flüssigkeit nennt man Grenzfläche (Tabelle 5.1). Die Physik und physikalische Chemie der Grenzflächen ist in der Literatur eingehend beschrieben [1–7]. Bei Lacken und Beschichtungen liegen Ober- bzw. Grenzflächen zwischen Substrat und Luft, Beschichtungsstoff und Luft sowie Substrat und Beschichtungsstoff vor. Ihre Eigenschaften bestimmen die Benetzung des Untergrundes und damit indirekt auch das Ausmaß des Haftvermögens der Beschichtung auf dem Substrat. Lacke und Beschichtungsstoffe sind aber auch häufig selbst mehrphasige Systeme. Pigmente und Füllstoffe liegen als kleinste Feststoffpartikel fein verteilt vor. Eine zweite flüssige Phase (Additiv, Cobindemittel oder Vernetzerharz) kann im flüssigen Medium ebenfalls fein verteilt vorliegen. Die Phasengrenzflächen haben bei solchen kolloidalen Systemen eine beträchtliche Größe und tragen deshalb wesentlich zum Verhalten des Materials bei. Feinheit und Stabilität der Dispersion, Vorliegen von Agglomeraten und Flockulaten werden vom Energieinhalt der Phasengrenzfläche beeinflusst. Beispiel – Grenzfläche zwischen Pigmenten und Medium in einem Lack Die Grenzfläche zwischen Pigmenten und dem Medium (Bindemittellösung) in 1 kg Lack, pigmentiert mit 20 % Titandioxid (typisch ist z.B. spezifische Oberfläche 17 m2/g, zur spez. Oberfläche siehe Kapitel 5.2.3), beträgt bei optimaler Dispergierung 3400 m2. Die Grenzfläche ist etwa so groß wie ein halbes Fußballfeld. Beispiel – Spreiten eines Wassertropfens auf einer Festkörperoberfläche Ein kugelförmiger Wassertropfen mit dem Radius r = 2 mm hat ein Volumen von V = 3,351 · 10 -8 m3. Nimmt man an, dass der Tropfen einen 10 µm dicken Wasserfilm auf einer Oberfläche bildet, so nimmt dieser eine Fläche von 3,351 · 10 -3 m2 = 33,5 cm2 ein. Berechnet man den Radius eines Wassermoleküls aus dem Molvolumen des Wassers Vm = 1,802 · 10 -5 m3/ mol und der Avogadrokonstanten NA = 6,022 · 1023 Teilchen/mol, so erhält man r(H2O) = 1,93 · 10 -10 m = 193 pm. Nimmt man an, dass eine Monolage dem Durchmesser des Wassermoleküls entspricht, so lässt sich für den Wasserfilm abschätzen, dass etwa 3,85 · 10 -3 % der Teilchen in der Grenzfläche zwischen dem Tropfen und dem Substrat sitzen. Das ist nicht sehr viel, betrachtet man jedoch die Reichweite zwischenmolekularer Wechselwirkungen, so wird die Zahl der Moleküle, die das Substrat „spüren“, sehr viel größer. Bei einem 10 µm dicken Lackfilm und einer Reichweite von 300 nm für die zwischenmolekularen Wechselwirkungen sind dies 3 % der Moleküle.

Meichsner, Mezger, Schröder: Lackeigenschaften messen und steuern, 2. Auflage © Copyright 2016 by Vincentz Network, Hannover, Germany

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Grenzflächen

Abbildung 5.1: Beispiele für Grenzschichten: eine Tensidschicht, die eine wässrige und eine organische Phase trennt (links) und die Grenzschicht zweier nicht mischbarer Polymerschmelzen (rechts).

Das obige Beispiel zeigt, dass man eigentlich besser von einer Grenzschicht, als von einer Grenzfläche sprechen sollte. Die Dicke d einer solchen Schicht hängt ab: von der Zusammensetzung der Grenzschicht und von der Reichweite der Wechselwirkungskräfte. Bei aneinandergrenzenden Polymerphasen beträgt die Dicke d der Grenzschicht 1 bis 50 nm, das sind etwa 5 bis 15 Struktureinheiten des Polymers (Abbildung 5.1).

5.1 Oberflächenenergie und Oberflächenspannung Kondensierte Phasen entstehen aufgrund anziehender zwischenmolekularer Wechselwirkungen. Solche Phasen bilden Oberflächen aus: zur Luft, zu ihrem eigenen Dampf und zum Vakuum bzw. Grenzflächen zu Festkörpern oder zu anderen Flüssigkeiten, mit denen sie nicht vollständig mischbar sind. Anziehende zwischenmolekulare Wechselwirkungen (van der Waalssche-Wechselwirkungen) sind auch die Ursache für die Grenz- bzw. Oberflächenspannung γ (auch σ ist zulässig [8]). Ist eine der beteiligten Phasen ein Festkörper, so spricht man auch von einer Oberflächen- bzw. Grenzflächenenergie (Tabelle 5.1). Moleküle im Inneren einer kondensierten Phase werden von allen umgebenden Molekülen angezogen; im zeitlichen Mittel kompensieren sich die anziehenden Kräfte und diese Volumenmoleküle liegen kräftefrei vor (Abbildung 5.2). Auf die Moleküle in der Oberfläche einer Flüssigkeit wirken anziehende zwischenmolekulare Kräfte, die versuchen, das Molekül in das Phaseninnere hineinzuziehen. Diese Kraft äußert sich in einer Spannung tangential zur Oberfläche, der Oberflächenspannung γ. Tabelle 5.1: Nomenklatur der Grenzflächenspannungen und -energien (Indices: g = gas, l = liquid, s = solid). Phasengrenze Symbol1 Bezeichnung σ lg 2 Oberflächenspannung flüssig/gasförmig γ lg 2 σ sg Oberflächenenergie γsg fest/gasförmig σ ll Grenzflächenspannung γll flüssig/flüssig σ sl Grenzflächenenergie γsl fest/flüssig 1 Als Symbol kann γ oder σ verwendet werden. 2 Bei Oberflächenspannungen von Flüssigkeiten wird häufig der Index weggelassen, also γ statt γ lg bzw. σ statt σ lg.

Messtechnik für die Grenzflächenchemie Oberflächenenergie und Oberflächenspannung

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Wo für andere Grenzflächen ein Phänomen bleiben, helfen wir sie zu verstehen

Kontaktwinkelmessgeräte

Tensiometer

• optische Messung von Kontaktwinkeln, Grenzund Oberflächenspannungen • Hochtemp.-Systeme bis 1800 °C • Hochdrucksystem bis 750 bar

• kraftbasierte Messung von Grenz- und Oberflächenspannungen sowie dyn. Kontaktwinkeln • automatisierte CMCBestimmung

Spinning Drop Tensiometer

Stabilitätsanalysesysteme

• Messung extrem niedriger Grenzflächenspannungen

• optische Stabilitäts- und Alterungsanalyse mehrphasiger Systeme (Suspensionen, Emulsionen)

Feuchtegeneratoren

Applikations- und Schulungszentrum

• automatische Regulierung der relativen Luftfeuchtigkeit im Probenraum

• Probenmessungen für und mit Kunden • Seminare mit Theorie und Praxis

Understanding Interfaces DataPhysics Instruments GmbH • Raiffeisenstraße 34 • 70794 Filderstadt tel +49 (0)711 770556-0 • fax +49 (0)711 770556-99 [email protected] • www.dataphysics.de

© Copyright by DataPhysics Instruments GmbH, Filderstadt. ist ein eingetragenes Warenzeichen der DataPhysics Instruments GmbH Photos: Norbert Heil, Daniel Maier, Institute of Chemistry Chinese Academy of Sciences, Dreamstime. Visuelle Konzeption/Gestaltung: Daniel Maier

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Grenzflächen

Abbildung 5.2: Kräfte auf Volumen- und auf Oberflächenmoleküle

Die Oberflächenspannung bewirkt, dass Flüssigkeiten versuchen, ihre Oberfläche zu verkleinern. Wassertropfen, auf die keine äußeren Kräfte wirken, nehmen Kugelgestalt an (Nebeltröpfchen), weil die Kugel von allen Körpern das geringste Verhältnis von Oberfläche zu Volumen besitzt. Um eine Oberfläche zu vergrößern, muss Arbeit aufgewendet werden. Diese reversible Arbeit dW ist (bei p, T = const.) gleich der gibbs­ schen freien Enthalpie dG und proportional zum Produkt aus Oberflächenspannung (Grenzflächenspannung) γ und der neu gebildeten Oberfläche dA (Gleichung 5.1). Gleichung 5.1:

Zur Berechnung der Kraft, die man aufwenden muss, um eine Oberfläche zu vergrößern, betrachten wir im Folgenden eine Seifenlamelle in einem Drahtbügel, die durch Verschieben eines zweiten beweglichen Bügels vergrößert werden kann (Abbildung 5.3).

Abbildung 5.3: Seifenlamelle in einem Drahtbügel der Länge l und der Höhe x, mit beweglichem Drahtbügel an einer Seite, der um die Strecke dx verschoben wird.

Gleichung 5.2:

Vergrößert man die Oberfläche der Seifenlamelle (Vorder- und Rückseite) um dA = 2·l·dx, so ist die dabei zu leistende Arbeit dW identisch mit dem Produkt aus der angreifenden Kraft F und der Weglänge dx (Gleichung 5.2).

dW = F · dx = γ · dA = γ · 2 · l ·dx

Die benetzte Länge L ist die Grenzlinie der Flüssigkeit zum Drahtbügel, und es gilt für die Seifenlamelle: Gleichung 5.3:

L=2·l

und für die Kraft folgt Gleichung 5.4:

F=γ·L

Gleichung 5.4 wird zur Berechnung der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten benutzt, wenn man die Kraft bei der Verformung der Oberfläche misst (s. Kapitel 5.3). Wie bereits in Gleichung 5.1 zum Ausdruck kommt, ist die Grenz- bzw. Oberflächenspannung γ der flächenspezifische Energieinhalt einer Grenz- bzw. Oberfläche und damit iden-

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Oberflächenenergie und Oberflächenspannung

Tabelle 5.2: Oberflächenspannung von Flüssigkeiten (bei verschiedenen absoluten Temperaturen T). Substanz Hexan Hexan Benzol Methanol Ethanol Hexanol Wasser Quecksilber 1 Silber 1 1

T [K] 293 295 293 293 293 295 293 293 1273

γ [mN/m] 18,4 19,5 28,9 22,6 22,8 264 72,75 472 922

Lit. [7] [2] [7] [7] [7] [2] [7] [7] [2]

Substanz CCl3F CCl2F2 CClF3 CBrF3 CF4 Glykol Glycerin Platin 1 Zink 1

T [K] 293 293 200 293 200 295 295 2273 873

γ [mN/m] 18 9 14 4 14 47,6 66,4 1800 768

Lit. [9] [9] [9] [9] [9] [2] [2] [2] [2]

Metallschmelze.

tisch mit dem zur Flächenvergrößerung um eine Flächeneinheit aufzuwendenden Betrag der Arbeit (Gleichung 5.5). Gleichung 5.5:

Man gibt die Ober- bzw. Grenzflächenspannung (Tabelle 5.2) in Millinewton pro Meter an. In der älteren und der angelsächsischen Literatur wird auch noch dyn/cm verwendet (1mN/m = 1dyn/cm). Tabelle 5.2 gibt Oberflächenspannungswerte einiger typischer Flüssigkeiten bzw. Schmelzen wieder. In einem geschlossenen System (ohne Stoffaustausch mit der Umgebung, der Austausch von Energie mit der Umgebung ist jedoch erlaubt) ist die freie Enthalpie G der Vorrat an Arbeit, den das System leisten kann. Die freie Enthalpie G ist von der Temperatur T, dem Druck p, der Stoffmenge (Molzahl) n und der Grenzfläche A abhängig und somit eine Funktion mehrerer Variabler (Gleichung 5.6). Dabei sind V das Volumen, S die Entropie, µ i die chemischen Potenziale und γ die Grenzflächenspannung. Die differenzielle Änderung der freien Enthalpie eines Systems ergibt sich aus der Summe der differenziellen Änderungen der einzelnen Variablen und wird durch ein totales Differenzial beschrieben, dessen Terme jeweils einen spezifischen differenziellen Energiebeitrag ausdrücken [7]. Gleichung 5.6:

Die Größe der Änderung der freien Enthalpie ist ein Stabilitätskriterium: Bei T, p, n = const. versucht jedes System seine Oberfläche zu verkleinern, weil dabei die Änderung der freien Enthalpie des Systems negativ ist. Andererseits wird bei T, p, A = const. im System immer dann ein Stoffmengenübergang stattfinden, wenn ∆G dabei negativ ist, was z.B. durch Adsorption eines grenzflächenaktiven Stoffes in der Grenzfläche erfolgen kann (s.a. Kapitel 5.2).

5.1.1 Kapillardruck – Gleichung von Young und Laplace Die Oberflächenspannung hat zur Folge, dass auf Moleküle in der Oberfläche, etwa eines Tropfens, eine in das Innere der Flüssigkeit gerichtete Kraft wirkt. Befindet sich ein Tropfen

94

Grenzflächen

Abbildung 5.4: Der Innendruck pi eines Tropfens im Gleichgewicht mit der Umgebung ist bestimmt durch den Außendruck pa und einen Beitrag ∆p zum Druck, der von der Kompression durch die Oberflächenspannung herrührt.

im Gleichgewichtszustand, so ist der Innendruck genauso groß, wie der von außen wirkende Druck (Abbildung 5.4). Die Arbeit dWγ, die man aufwenden muss, um die Oberfläche des Tropfens zu vergrößern, ist gleich der Volumenarbeit dWVol (Gleichung 5.7 bzw. anders ausgedrückt Gleichung 5.8). Gleichung 5.7: Gleichung 5.8:

Setzt man Gleichung 5.11, die man aus der ersten Ableitung (Gleichung 5.10) der Kugeloberfläche A (Gleichung 5.9) nach dem Radius r erhält und Gleichung 5.14, die man aus der ersten Ableitung (Gleichung 5.13) des Kugelvolumens V (Gleichung 5.12) nach dem Radius r erhält, in Gleichung 5.8 ein, so folgt die Gleichung von Young und Laplace (Gleichung 5.15). Sie ist von Bedeutung für die Messung der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten, z.B. durch die Blasendruckmethode.

Gleichung 5.9: Gleichung 5.10: Gleichung 5.11: Gleichung 5.12: Gleichung 5.13: Gleichung 5.14:

Oberflächenenergie und Oberflächenspannung

95

Abbildung 5.5: Verbindet man zwei Seifenblasen mit einem Rohr, so schrumpft die kleine Blase, die große Blase hingegen wächst.

Gleichung 5.15:

Beispiel – „Asoziales Verhalten von Seifenblasen“ In Seifenblasen ist generell der Innendruck größer als der Außendruck. Verbindet man zwei Seifenblasen unterschiedlicher Größe über eine Röhre, in der sich ein Absperrhahn befindet, so kann man beim Öffnen des Hahns das „asoziale Verhalten der Seifenblasen“ beobachten, denn die große Seifenblase vergrößert sich auf Kosten der kleineren (Abbildung 5.5). Beispiel – Kantenflucht Lacke, die über eine Kante appliziert werden, zeigen häufig das Phänomen der Kantenflucht (Abbildung 5.6). Dabei migriert der Lack von der Kante weg. So kommt es zu einer Ausdünnung der Lackschicht direkt über der Kante und zu einer Anreicherung in den Bereichen unmittelbar neben der Kante. Ursache ist der höhere Druck unter der gekrümmten Oberfläche. Abhilfe schafft hier allerdings nicht die Veränderung der Oberflächenspannung, sondern die Erhöhung der Viskosität oder das Aufbringen eines zusätzlichen Kantenschutzes.

Abbildung 5.6: Kantenflucht, verursacht durch den höheren Druck p + Δp unter der gekrümmten Oberfläche.

96

Grenzflächen

Abbildung 5.7: Krümmt man eine zunächst ebene Oberfläche, so nimmt die Zahl der Nachbarmoleküle eines Oberflächenmoleküls ab und zwar umso mehr, je stärker die Krümmung ist.

5.1.2 Dampfdruck kleiner Tröpfchen – kelvinsche Gleichung und Löslichkeit von Kristallen – ostwaldsche Gleichung Flüssigkeiten stehen mit ihrem Dampf im Gleichgewicht. Über einer Flüssigkeitsoberfläche stellt sich ein dynamisches Gleichgewicht ein, dadurch gekennzeichnet, dass sich die Verdampfung von Molekülen aus der Oberfläche und die Kondensation in die Oberfläche der Flüssigkeit die Waage halten. Den Partialdruck einer Flüssigkeit im Dampfraum bezeichnet man als den Dampfdruck der Flüssigkeit. Seine Höhe hängt ab von der Wechselwirkungsenergie zwischen den Molekülen in der Oberfläche und den Molekülen im Volumen der Flüssigkeit. Dabei wirkt der Tendenz von Molekülen, in den Dampfraum zu entweichen, die in das Flüssigkeitsinnere gerichtete Kraft auf die Oberflächenmoleküle entgegen. Deren Ursache sind, wie bereits erwähnt, die zwischenmolekularen Wechselwirkungen. Mit zunehmender konvexer Krümmung einer Oberfläche nimmt die Summe der anziehenden Wechselwirkungen ab – der Dampfdruck über einer konvex gekrümmten Oberfläche ist größer als der Dampfdruck über einer ebenen Oberfläche (Abbildung 5.7). In einer Kapillare, die durch eine Flüssigkeit benetzt wird (also Kapillaraszension zeigt), bildet sich eine konkav gekrümmte Oberfläche, über der der Dampfdruck entsprechend niedriger ist als der Sättigungsdampfdruck über der ebenen Oberfläche. In einem solchen Fall kondensiert die Flüssigkeit in der Kapillare, und man spricht von Kapillarkondensation. Dieses Phänomen ist vor allem bei porigen, mineralischen Baustoffen von Bedeutung. Beschrieben wird der Dampfdruck über gekrümmten Oberflächen durch die kelvinsche Gleichung1, die folgendermaßen abgeleitet wird: Stehen Flüssigkeit und Dampf im Gleichgewicht, so sind die chemischen Potenziale in den beiden Phasen identisch. Sind die Temperatur T und die Oberfläche A konstant, dann folgt aus Gleichung 5.6 die Gleichung 5.16 für das chemische Potenzial mi in der Phase i. Dabei ist Vm das Molvolumen (der hochgestellte Index m bezeichnet molare Größen). Gleichung 5.16:

Daraus folgt mit der Zustandsgleichung für ein Mol eines idealen Gases p·Vm = n·R·T die Gleichung 5.17. Integriert man in deren linker Seite, die für den Dampfraum steht, den 1

benannt nach Sir William Thomson (1824 bis 1907), dem späteren Lord Kelvin of Largs.

Oberflächenenergie und Oberflächenspannung

97

Dampfdruck, ausgehend von der Bezugsgröße p0 (über der ebenen Oberfläche), bis zum Dampfdruck p über der gekrümmten Oberfläche sowie in deren rechter Seite, die für den Innendruck der Flüssigkeit steht (Index l = liquid), den Dampfdruck ausgehend vom Druck p0 unter der ebenen Oberfläche bis zum Druck p0 + Δp unter der gekrümmten Oberfläche, so erhält man mit der Gleichung von Young und Laplace (Gleichung 5.15) für ∆p die kelvinsche Gleichung (Gleichung 5.18) [7]. Gleichung 5.17:

Gleichung 5.18:



Beispiel – Dampfdruck über kleinen Wassertröpfchen Der Dampfdruck von Wasser bei 20 °C beträgt 0,023 bar. Mit der kelvinschen Gleichung lässt sich der Dampfdruck über kleinen Tröpfchen berechnen (Abbildung 5.8). Ganz ähnlich wie der Dampfdruck über kleinen Tröpfchen verhält sich auch die Löslichkeit von Feststoffpartikeln. Nach Ostwald nimmt die Löslichkeit kristalliner Substanzen zu, je kleiner die Partikel sind (Gleichung 5.19). Gleichung 5.19:

Dabei ist c die Löslichkeit von (idealisiert als kugelförmig angenommenen) Kristallen mit dem Radius r und c ∞ die Löslichkeit sehr großer Kristalle, Vsm das Molvolumen des Festkörpers, γ die Grenzflächenenergie des Festkörpers zum Medium, T die absolute Temperatur und R die allgemeine Gaskonstante. Die Löslichkeit c ∞ hängt zunächst von der Differenz der Löslichkeitsparameter ab (s. Kapitel 2). Bei Teilchen bis herab zu einem Radius von 300 nm ist die Löslichkeit weitgehend unabhängig vom Teilchenradius, bei kleineren Teilchen steigt die Löslichkeit stark an. Bei Pigmenten ist demnach die Lösemittelechtheit, die u.a. von der Löslichkeit der Pigmente abhängt, umso geringer, je feiner die Pigmente sind [10]. Auch das Ausmaß der Rekristallisation (Ostwald Reifung), nämlich das Auflösen kleiner und das Anwachsen grober Pigmentpartikel, was beides optische Änderungen, wie Zunahme des Deckvermögens bzw. Abnahme der Transparenz, oder auch koloristische, wie eine Verschiebung des Farbortes zur Folge hat, kann durch Gleichung 5.19 erklärt werden. Die Migration, d.h. der Übergang eines Farbmittels aus einem damit gefärbtem Medium an dessen Oberfläche (Ausblühen) oder gar

Abbildung 5.8: Dampfdruck kleiner Wassertröpfchen bei 20 °C als Funktion des Tröpfchenradius.

98

Grenzflächen

Abbildung 5.9: Nomenklatur beim Adsorptionsgleichgewicht.

in ein anderes, damit in Kontakt stehendes Medium (Ausbluten), hängt von der Löslichkeit des Farbmittels im eingefärbten Medium und gegebenenfalls im benachbarten Medium ab. Die Löslichkeit von Pigmenten kann geprüft werden, indem man eine bestimmte Menge Pigment in einem Faltenfilter verschließt, eine bestimmte Zeit (z.B. 24 h) in organischem Lösemittel lagert und anschließend die Anfärbung des Lösemittels beurteilt. Die Überlackierechtheit von Lacken wird geprüft, indem über eine Volltonlackierung des Pigments ein Weißlack, i.d.R. mit gleicher Bindemittelbasis, in definierter Schichtdicke appliziert und unter definierten Bedingungen (z.B. 30 min, 140 °C) ausgehärtet wird. Das Ausmaß des Ausblutens kann visuell, durch Vergleich mit einem Graumaßstab oder farbmetrisch beurteilt werden.

5.2

Adsorption an Grenzflächen

Adsorption1 an Grenzflächen nennt man die Anreicherung eines flüssigen oder gasförmigen Stoffes in einer Grenzfläche [2, 4]. Die Ursache der Adsorption sind nicht ausgeglichene Wechselwirkungskräfte von Teilchen in der Phasengrenze, die für Teilchen aus der benachbarten Phase verfügbar sind. Die Adsorption grenzflächenaktiver Stoffe nutzt man bei Beschichtungen aus, z.B. beim Einsatz von Benetzungs- und Dispergieradditiven, die sich in der Grenzfläche zwischen Substrat und Beschichtungsstoff, Beschichtungsstoff und Luft bzw. Pigment und Medium anreichern und dort ihre spezifischen Aufgaben erfüllen. Dispergierhilfsmittel und Dispersionsstabilisatoren werden durch Adsorption auf der Pigmentoberfläche verankert. Bei der Bestimmung der spezifischen Oberfläche von Pigmenten und Füllstoffen nutzt man die Adsorption von Stickstoff auf deren Oberfläche aus. Bei der Adsorption nennt man die stoffabgebende Phase Adsorptiv, die stoffaufnehmende Adsorbens oder Adsorptionsmittel. Das Adsorpt ist der Anteil der stoffabgebenden Phase, der vom Adsorbens aufgenommen wird. Dabei bildet sich das Adsorbat, die beladene Grenzfläche. Die Umkehrung der Adsorption, also den Übergang der adsorbierten Substanz in die benachbarte Phase, nennt man Desorption (Abbildung 5.9). Bei der Adsorption nimmt die Grenzflächenenergie ab, es handelt sich also um einen exo­ energetischen Prozess. Bei isotherm-isobarer Prozessführung kann die Adsorptionsenthalpie bestimmt werden. Wird ein Adsorbat ausschließlich durch zwischenmolekulare Kräfte festgehalten, so spricht man von Physisorption, werden chemische Bindungen zwischen Adsorbat und Adsorbens geknüpft, so spricht man von Chemisorption. Die Adsorptionsenthalpie beträgt bei der Physisorption etwa 50 kJ·mol-1, bei der Chemisorption bis zu 500 kJ·mol-1. Bei Die Adsorption ist ein Sonderfall der Sorption. Diese ist die Stoffaufnahme aus einer benachbarten Phase, sie schließt auch die Absorption mit ein, das ist die Stoffaufnahme in die Volumenphase.

1

Adsorption an Grenzflächen

99

der Chemisorption wird eine monomolekulare Schicht auf der Oberfläche ausgebildet, bei der Physisorption dagegen erhält man eine Schicht aus mehreren Moleküllagen (s.a. Abbildung 5.14). Schon bei einfachen Wasser/AlkoholMischungen beobachtet man eine Anreicherung des Alkohols an der Oberfläche und zwar umso stärker, je größer der hydrophobe Alkylrest am Alkohol ist. Zu erkennen ist dies an der überproportionalen Abnahme der Oberflächenspannung bereits bei kleinen Alkoholgehalten in Wasser (Abbildung 5.10). Abbildung 5.10: Oberflächenspannungs-KonzenTenside reichern sich bereits bei gerintrations-Isothermen von Wasser/Alkoholger Konzentration in der Oberfläche des Mischungen [4, 11]. Wassers an und reduzieren die Oberflächenspannung. Ist die Oberfläche mit Tensidmolekülen abgesättigt, so bleibt die Oberflächenspannung konstant, und es können Mizellen gebildet werden. Die Konzentration, bei der erstmals Mizellen auftreten, nennt man kritische Mizellbildungskonzentration c.m.c. Sie liegt am Knickpunkt der Grenzflächenspannungs-Konzentrations-Isotherme (Abbildung 5.11) [4, 12].

5.2.1 Gibbssche Adsorptionsisotherme Die Gleichung der gibbsschen Adsorptionsisotherme liefert die Änderung der Oberflächenenergie des Adsorbats bei Änderung der Konzentration cB eines oberflächenaktiven Stoffes B im Lösemittel A (Phase 1) über dem Adsorbens (Gleichung 5.20, Abbildung 5.12).

Gleichung 5.20:

Dabei ist Γ1B die auf die Fläche bezogene Überschusskonzentration der Komponente B, cB die Konzentration von B in der Lösung, R die allgemeine Gaskonstante und T die absolute

Abbildung 5.11: γ-c-Isothermen homologer Alkylsulfate in Wasser, nach [4].

100

Grenzflächen

Abbildung 5.12: Adsorptionsgleichgewicht zwischen dem Volumen der Grenzschicht V2 und dem gleich großem Volumen V1 in der Phase 1.

Temperatur. Ist B ein grenzflächenaktiver Stoff, dann ist ΓB > 0, reichert sich B hingegen in der Volumenphase an, dann ist ΓB < 0. Die Überschusskonzentration ΓB erhält man durch Gleichung 5.21 aus der Differenz der Stoffmenge von B in der Grenzschicht V2 (n B2) und in der Volumenphase V1 (n B1), dividiert durch die Oberfläche A.

Gleichung 5.21:

Vergleicht man die gleich großen Volumina V1 in der Lösung und V2 in der Phasengrenzschicht, dann gelten für die Änderungen der freien Enthalpie dG2 in der Grenzschicht bzw. dG1 in der Lösung Gleichung 5.22 und Gleichung 5.23. Gleichung 5.22: Gleichung 5.23:

Die Änderung der freien Enthalpie ist abhängig vom Druck p, von der Temperatur T, den Stoffmengen n A und n B und in der Grenzschicht zusätzlich von der Oberfläche A. Gemäß der Voraussetzung gilt V1 = V2 und, wenn sich das System im thermodynamischen Gleichgewicht befindet: μ A1 = μ A2, μ B1 = μ B2 und dG = 0. Mit der Gleichung 5.6 ergibt sich dann aus dG = dG2 – dG1 = 0 und der gibbs-duhemschen Gleichung (Gleichung 5.24) [7, 13] die Gleichung 5.25. Gleichung 5.24: Gleichung 5.25:

1

Γ = griechischer Großbuchstabe Gamma, Überschusskonzentration

Adsorption an Grenzflächen

101

Bei konstanter Temperatur (dT = 0) und – da V1 = V2 angenommen wurde – vereinfacht sich die Gleichung 5.25 (mit Gleichung 5.21) zu Gleichung 5.26 und nach Division durch die Fläche A zu Gleichung 5.27. Gleichung 5.26: Gleichung 5.27:

Bei konstanter spezifischer Grenzflächenenergie ist dγ = 0, und es folgt aus Gleichung 5.24 die Gleichung 5.28 (bei T und p = const.), und für das betrachtete System gilt dann Gleichung 5.29. Gleichung 5.28:

Gleichung 5.29:

Das chemische Potenzial μ B eines gelösten Stoffes ist von seiner Aktivität a B abhängig [7] gemäß folgender Beziehung: Gleichung 5.30:

Setzt man Gleichung 5.29 und Gleichung 5.30 in die Gleichung 5.27 ein, so erhält man Gleichung 5.31:

Für verdünnte Lösungen ist ∆n A sehr viel größer als ∆n B, so dass sich die Gleichung 5.31 zur gibbsschen Adsorptionsisothermen (Gleichung 5.20) vereinfacht. Dabei kann die Aktivität a B durch die Konzentration cB ersetzt werden, wenn eine ideale Lösung vorliegt.

Abbildung 5.13: Unterschiedliche Bedeckungsgrade Θ bei einer Oberfläche.

102

Grenzflächen

Abbildung 5.14: Typische Adsorptionsisothermen bei Physisorption und bei Chemisorption.

5.2.2 Adsorptionsisothermen Die Gleichungen von Adsorptionsisothermen beschreiben einen mathematischen Zusammenhang zwischen der Konzentration der adsorbierten Substanz in der Grenzfläche und in der Volumenphase bei konstanter Temperatur und unter sonst idealen Bedingungen. Die allgemeine Form einer Adsorptionsisotherme gibt Gleichung 5.32, mit den Konzentrationen cv in der Volumenphase, ca auf der Oberfläche, und dem Adsorptionskoeffizienten b. Gleichung 5.32:

Die Volumenkonzentration wird angegeben in g/l oder in mol/l bzw. bei Gasen als Partialdruck bzw. als Verhältnis p/p0 von Partialdruck p und dem Sättigungsdampfdruck p 0 über der Flüssigkeit. Als Konzentration in der Grenzfläche gibt man die Überschusskonzentration Gi (Gleichung 5.21) oder den Bedeckungsgrad Q1 an, der aus der Überschusskonzentration Gi und der Sättigungskonzentration Γ∞ errechnet werden kann (Gleichung 5.33). Der Bedeckungsgrad gibt den Bruchteil der vom Adsorpt bedeckten Oberfläche des Adsorbats 1

Θ = griechischer Großbuchstabe Theta, Bedeckungsgrad

Tabelle 5.3: Beispiele für Adsorptionsisothermen. Name Langmuir

Freundlich

Brunauer, Emmett, Teller

1

b = konst. 2 b, β =konst. 3 K = konst.

Gleichung

Lit. [2]

1

[2]

2

3

[2, 14]

Adsorption an Grenzflächen

103

an (Abbildung 5.13). Gemessen wird Θ meist gravimetrisch, durch Wägung des Adsorbats oder volumetrisch durch Messung der verbrauchten Gasmenge (Abbildung 5.13).

Gleichung 5.33:

Die Auftragung des Bedeckungsgrades Θ gegen den Druck p, den Quotienten p/p 0 oder die Konzentration c nennt man Adsorptionsisotherme. Ihre Form ist unterschiedlich für Chemisorption, bei der man von der Ausbildung einer Monoschicht ausgeht, und für Physisorption, bei der mehrere Moleküllagen aufgebaut werden können (Abbildung 5.14). In der Literatur sind zahlreiche Konzepte für Adsorptionsisothermen bekannt, die thermodynamisch oder kinetisch begründet sind oder empirisch ermittelt wurden (Tabelle 5.3) [2]. Adsorptionsisothermen werden hauptsächlich zur Ermittlung der spezifischen Oberfläche von Festkörpern bestimmt. Aus dem Platzbedarf eines Moleküls und der Sättigungskonzentration Γ∞ an der Oberfläche lässt sich die spezifische Oberfläche ermitteln.

5.2.3 Bestimmung der spezifischen Oberfläche (BET-Methode) Brunauer, Emmett und Teller entwickelten die langmuirsche Theorie weiter, die das Adsorptions-Desorptionsgleichgewicht für eine Monolage von Molekülen beschreibt, wobei die Annahmen für die erste adsorbierte Schicht beibehalten werden und zusätzlich die Adsorption von weiteren Moleküllagen berücksichtigt wird. Aus der BET-Adsorptionsisotherme kann die Monoschichtkapazität Γ∞ bestimmt und aus dieser die spezifische Oberfläche berechnet werden. Die spezifische Oberfläche von Pigmenten und Füllstoffen gibt an, welche Oberfläche eine bestimmte Masse des Materials besitzt. Sie wird in m2/g angegeben, und sie ist auch ein Maß für den mittleren Teilchendurchmesser [14]. Die Anzahl der Teilchen N im spezifischen Volumen Vsp (das ist der Kehrwert der Dichte) ist der Quotient aus Vsp und dem Partikelvolumen VP. Unter der Annahme kugelförmiger Teilchen (mit VP = (π · d3)/6) liegen in einem Gramm Material (der Dichte ρ) N Teilchen mit dem Durchmesser d vor.

Abbildung 5.15: Linearisierte BET-Adsorptionsisotherme zur Bestimmung der Sättigungskonzentration Γ∞.

104

Grenzflächen

Abbildung 5.16: Prinzip der Stickstoffgasadsorption (hier 1-Punktmethode) nach DIN ISO 9277 zur Bestimmung der BET-Oberfläche feinteiliger Feststoffpulver [14].

Gleichung 5.34:

Mit der Oberfläche eines Partikels (A P = p·d2) folgt für die spezifische Oberfläche (S = N·A P): Gleichung 5.35:

und für den Durchmesser Gleichung 5.36:

Messung der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten

105

Die spezifische Oberfläche lässt sich aus der Sättigungskonzentration Γ∞ von Stickstoff auf der Partikeloberfläche experimentell bestimmen. Der Flächenbedarf eines Stickstoffmoleküls beträgt (bei 77 K) auf einer Oberfläche 0,162 nm2 [14]. Der typische S-förmige Kurvenverlauf der Isothermen, wie er bei mehrschichtiger Physisorption von Stickstoff auf der Oberfläche beobachtet wird, kann durch Auftragung von p/GN2(p0 – p) gegen p/p0 linearisiert werden. Aus der Steigung der erhaltenen Geraden und dem Achsenabschnitt werden Γ∞ und die Konstante K berechnet (Abbildung 5.15). Die auf die Probenmasse bezogene spezifische Oberfläche S lässt sich aus der Monoschichtkapazität (Γ∞) unter Verwendung der Fläche A N2 berechnen, die ein adsorbiertes Stickstoffmolekül in einer vollständigen Monoschicht einnimmt (Gleichung 5.37). Gleichung 5.37:

Zur Bestimmung der spezifischen Oberfläche von Pulvern, beispielsweise Pigmenten oder Füllstoffen, durch Adsorption von Stickstoff auf der Pulveroberfläche, unterscheidet man prinzipiell die gravimetrische und die volumetrische Methode (s. Abbildung 5.16). Bei der gravimetrischen Methode misst man die Gewichtszunahme der Probe durch die Adsorption von Stickstoff, und bei der volumetrischen Methode misst man das Volumen des durch Adsorption auf der Probe verbrauchten Stickstoffs. Da Stickstoff auch in den Hohlräumen von Agglomeraten adsorbiert wird, erhält man die Teilchengröße der Primärteilchen (s. Kapitel 7.2.1).

5.3 Messung der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten Aufgrund der Deformierbarkeit einer Flüssigkeit kann deren Oberflächenspannung auf einfache Weise bestimmt werden. Bei Messmethoden zur Bestimmung der sogenannten

Abbildung 5.17: Ringmethode zur Messung der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten.

106

Grenzflächen

Abbildung 5.18: Kraftverlauf in Abhängigkeit von der Weglänge beim Herausziehen des Drahtringes aus der Flüssigkeit. Es sind jeweils der Drahtquerschnitt und die Richtung der am Kontaktpunkt angreifenden Oberflächenspannung gezeigt.

statischen Oberflächenspannung (mit dem Tensiometer) wird im Kräftegleichgewicht zwischen der Oberflächenspannung und einer äußeren Kraft gemessen (Kapitel 5.3.1 bis 5.3.4; vgl. dazu die dynamische Oberflächenspannung, Kapitel 5.3.5).

5.3.1 Ringmethode Beim Ring-Tensiometer misst man die maximale Kraft, die beim Herausziehen eines Platinringes aus der Phasengrenze der Flüssigkeit am Umfang des Ringes angreift. Da am Ring zwei Flüssigkeitsoberflächen angrenzen, müssen bei der Kraft beide berücksichtigt werden (Abbildung 5.17). Die maximal aufzuwendende Kraft Fmax ist bei der Ausbildung eines Kontaktwinkels θ zwischen Flüssigkeit und Platinring gegeben durch Gleichung 5.38 (Abbildung 5.18). Von der Oberflächenspannung wirkt jeweils der zur Zugrichtung antiparallel verlaufende Anteil glg · cos θ. Dabei ist L die benetzte Länge, das ist die Grenzlinie der Flüssigkeit zum Messkörper. Gleichung 5.38:

Mit dem mittleren Umfang l des Ringes (l = 2 · π · r) und der Berücksichtigung der beiden Oberflächen der Lamelle erhält man nach Umstellung Gleichung 5.39. Bei der Bestimmung der Oberflächenspannung wird ein Korrekturfaktor f eingeführt, der durch Kalibrierung des Gerätes mit Flüssigkeiten bekannter Oberflächenspannung ermittelt werden kann. Durch diesen Korrekturfaktor lässt sich das Gewicht von am Ring anhaftender Flüssigkeit und der Fehler berücksichtigen, der durch das Gewicht einer eventuell aus der Flüssigkeitsoberfläche herausgezogenen Flüssigkeitslamelle. Gleichung 5.39:



Bei Flüssigkeiten, die auf Platin spreiten, ist der Kontaktwinkel θ gleich null. Dann lautet die Formel für die Oberflächenspannung:

Messung der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten

Gleichung 5.40:

107



Bei Methoden wie der Ringmethode misst man im Kräftegleichgewicht. Während der Messung werden neue Oberflächen geschaffen, weshalb man jeweils warten muss, bis eventuell vorhandene oberflächenaktive Substanzen an die neue Oberfläche migriert sind und sich das Gleichgewicht eingestellt hat (s.a. Messung der dynamischen Oberflächenspannung, Kapitel 5.3.5). Zur Messung verwendet man Tensiometer. Das sind präzise Waagen, die das Gewicht als Funktion der Zeit oder Position aufzeichnen und neben der Messung nach der Ringmethode auch die Messung nach der Plattenmethode sowie die Anwendung anderer Methoden erlauben (s. Abbildung 5.20).

5.3.2 Plattenmethode Bei der Plattenmethode nach Wilhelmy wird die Oberflächenspannung bestimmt, indem man die Kraft misst, mit der eine aufgeraute Platin- oder Glasplatte in die Flüssigkeit hineingezogen wird (Abbildung 5.19). Die Aufrauhung der Oberfläche der Platte soll bewirken, dass der Kontaktwinkel θ gegen null geht. Die Plattenmethode besitzt den Vorteil, dass die Platte wesentlich unempfindlicher gegen Deformationen ist als ein Platinring. Zur Messung wird die Platte so positioniert, dass ihre Unterkante exakt mit der Flüssigkeitsoberfläche übereinstimmt. Für die um das Gewicht des Messkörpers bereinigte Kraft gilt Gleichung 5.41, die nach Umstellung die Gleichung 5.42 ergibt. Die benetzte Länge L ist dabei identisch mit dem Umfang der Platte. Gleichung 5.41: Gleichung 5.42:

Mit der Plattenmethode kann die Kraft auch in Abhängigkeit von der Weglänge beim Eintauchen und wieder Herausziehen der Platte aus der Flüssigkeit gemessen werden. Bei bekannter Oberflächenspannung der Flüssigkeit lässt sich dann der Kontaktwinkel beim

Abbildung 5.19: Messprinzip der Wilhelmy-Platte: Platte mit der Unterkante auf der Flüssigkeitsoberfläche, angreifende Oberflächenspannung im Kontaktwinkel θ und antiparallel zur Kraft wirkender Anteil der Oberflächenspannung.

108

Grenzflächen

Abbildung 5.20: Tensiometer K100 (Fa. Krüss GmbH, Hamburg) bei der Messung des Fortschreitwinkels und des Rückzugswinkels an einer Kunststofffolie.

Eintauchen (Fortschreitwinkel, nicht vorbenetzter Festkörper) und beim Herausziehen (Rückzugswinkel, vorbenetzter Festkörper) bestimmen [2, 15, 16] (s.a. Kapitel 5.5.1). In Anlehnung an die Messung der Oberflächenspannung mit einer Wilhelmy-Platte kann auch ein anders geformter Messkörper eingesetzt werden. So wurde beim Aushärten von Pulverlacken die Oberflächenspannung mit einem Platindraht als Messkörper bei unterschiedlichen Temperaturen gemessen, was Aussagen über die Wirkungsweise von Verlaufsadditiven zulässt [17, 18].

5.3.3 Methode des hängenden Tropfens Hängt ein Tropfen an einer Kapillare, dann besteht ein Kräftegleichgewicht, und die am Tropfenumfang angreifende Gewichtskraft ist gleich der Kraft aus der Oberflächenspannung, die versucht, die Tropfenoberfläche zu verkleinern (Abbildung 5.21) [2, 19]. Die Kraft FOberfl, die am Umfang des hängenden Tropfens angreift, ist gegeben durch den Tropfenradius r und die Oberflächenspannung glg (Gleichung 5.43). Die Gewichtskraft errechnet man aus der Tropfenmasse mTr und der Erdbeschleunigung g (Gleichung 5.44). Im Kräftegleichgewicht gilt dann Gleichung 5.45 für die Oberflächenspannung. Gleichung 5.43: Gleichung 5.44: Abbildung 5.21: Tropfengewichtsmethode zur Bestimmung der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten.

Gleichung 5.45:

Messung der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten

109

Abbildung 5.22: Oberflächenspannungsmessung mit der Kapillarmethode

Bei modernen Messgeräten wird das Tropfenbild von einer Kamera aufgenommen und ausgewertet (Tropfenkonturanalyse). Aus dem Tropfenvolumen kann bei Kenntnis der Dichte ρ die Masse mTr des Tropfens berechnet werden.

5.3.4 Kapillarmethode Flüssigkeiten, die auf Glas spreiten, steigen in senkrechten Glaskapillaren nach oben (z.B. Wasser) – man nennt dieses Phänomen Kapillaraszension (Abbildung 5.22). Flüssigkeiten, die auf Glas nicht spreiten, werden aus Glaskapillaren herausgedrückt (z.B. Quecksilber) – man nennt dieses Phänomen Kapillardepression. Die unterschiedliche Form des Meniskus im Quecksilberthermometer oder des Wassers in einer Glasröhre ist auf diese beiden Phänomene zurückzuführen. Die Kapillaraszension lässt sich zur Messung der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten ausnutzen. Die Flüssigkeitssäule in einer Kapillare steigt solange, bis die Gewichtskraft und die Kraft, die die Flüssigkeitsoberfläche zu verkleinern sucht, im Gleichgewicht stehen (Gleichung 5.46). Bei spreitenden Flüssigkeiten ist der Kontaktwinkel θ annähernd gleich null und cosθ damit gleich eins. Ist der Kontaktwinkel θ > 0, dann muss die antiparallel zur Gewichtskraft wirkende Kraft aus der Oberflächenspannung verwendet werden, nämlich F = L · γ · cosθ (Gleichung 5.46, Abbildung 5.22). Gleichung 5.46:

Einsetzen des Produktes aus Dichte ρ und Volumen V = π · r2 · h sowie der benetzten Länge L = 2 · π · r liefert nach Umstellung Gleichung 5.47. Gleichung 5.47:

mit cosθ = 1 gilt: Gleichung 5.48:



110

Grenzflächen

Abbildung 5.23: Einstellung des Adsorptionsgleichgewichts oberflächenaktiver Substanzen in einer Flüssigkeit nach einer Vergrößerung der Oberfläche. Außerhalb des Gleichgewichts misst man die dynamische, im Gleichgewicht die statische Oberflächenspannung.

Bei der Berechnung der Oberflächenspannung kann auch das Gewicht der Flüssigkeit im Meniskus berücksichtigt werden, indem Korrekturfaktoren eingeführt werden. Die Methode ist relativ einfach im Labor zu realisieren und zum Eigenbau geeignet [3].

5.3.5 Dynamische Oberflächenspannung Liegen in der Flüssigkeit oberflächenaktive Substanzen vor, so stellt sich ein Gleichgewicht zwischen der Konzentration an der Oberfläche und der Konzentration im Volumen ein. Die statische Oberflächenspannung ist die Oberflächenspannung eines Systems, das sich im Gleichgewicht befindet. Wird die Oberfläche z.B. bei der Applikation eines Lackes, einer Druckfarbe oder durch die Messung plötzlich vergrößert, so benötigt die Gleichgewichtseinstellung eine gewisse Zeit. Die außerhalb des Gleichgewichts gemessene Oberflächenspannung nennt man dynamische Oberflächenspannung (Abbildung 5.23). 5.3.5.1 Blasendrucktensiometer Beim Blasendrucktensiometer werden Luftblasen durch eine Kapillare bekannten Durchmessers in eine Flüssigkeit gedrückt (Abbildung 5.24). Der Druck (phydr + ∆p) steigt dabei an, erreicht ein Maximum, wenn die Blase an der Kapillare halbkugelförmig ist. Er fällt wieder ab, wenn die Blase größer wird und sich schließlich von der Kapillare löst (Abbildung 5.25). Der maximale Druck tritt auf, wenn die Blase den gleichen Radius hat wie die Kapillare, da dann der Radius minimal und ∆p deshalb maximal ist. Im Kräftegleichgewicht gilt: Abbildung 5.24: Prinzip des Blasendrucktensiometers.

Gleichung 5.49:

Messung der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten

111

Abbildung 5.25: Druckverlauf bei der Erzeugung einer Blase im Blasendrucktensiometer.

Gleichung 5.50: Gleichung 5.51:

pmax = Maximaldruck, ρ = Dichte der Flüssigkeit, h = Eintauchtiefe, r = Radius der Kapillare, g = 9,81 m/s2 Wird die Luftblase langsam erzeugt, weniger als eine Blase pro Sekunde, dann wird in der Regel die statische Oberflächenspannung gemessen, bei der sich das System im Gleichgewicht befindet. Erzeugt man die Luftblasen mit höherer Geschwindigkeit (man spricht von hoher Blasenfrequenz bei bis zu 10 Blasen pro Sekunde), dann misst man die Oberflächenspannung in einer Situation, bei der innerhalb kurzer Zeit viel neue Oberfläche erzeugt

Abbildung 5.26: Dynamische Oberflächenspannung eines Polydimethylsiloxan-Polyether-Copolymers in Wasser, in unterschiedlichen Konzentrationen.

112

Grenzflächen

wird. Oberflächenaktive Substanzen diffundieren in die neugeschaffene Oberfläche und adsorbieren dort. Läuft die Einstellung des Gleichgewichts zwischen den oberflächenaktiven Substanzen in der Volumenphase und an der Oberfläche relativ langsam ab, so wird die gemessene Oberflächenspannung höher als die statische Oberflächenspannung sein. Die Größe der dynamischen Oberflächenspannung – im Vergleich zur Größe der statischen Oberflächenspannung – ist ein Maß für die Geschwindigkeit, mit der oberflächenaktive Substanzen in neugeschaffene Oberflächen diffundieren; es kann zur Beurteilung der Wirksamkeit dieser Substanzen, beispielsweise im Beschichtungsprozess, herangezogen werden. Das Beispiel in Abbildung 5.26 zeigt, zum einen eine sehr ähnliche statische Oberflächenspannung der Proben bei niedriger Blasenfrequenz, zum anderen, dass die dynamische Oberflächenspannung (hohe Blasenfrequenz) bei geringer Konzentration des Additivs in Wasser deutlich höher ist als bei höheren Konzentrationen. Bei einem dynamischen Prozess, in dem eine hohe Oberfläche in kurzer Zeit erzeugt wird, benötigt man in diesem Fall also eine entsprechend hohe Additivkonzentration. Neben der Konzentration eines Additivs hat auch seine chemische Konstitution einen wichtigen Einfluss auf die Geschwindigkeit, mit der das Additiv in die Grenzfläche gelangt und damit auf die dynamische Oberflächenspannung der Additivlösung.

5.4 Temperaturabhängigkeit der Oberflächenspannung Da die Oberflächenspannung im Filmbildungsprozess eine Rolle spielt (s. Kapitel 6.3.) und viele Beschichtungen bei erhöhter Temperatur gehärtet werden, wird auf die Temperaturabhängigkeit der dabei eine Rolle spielenden Größen näher eingegangen. Bei Polymeren nimmt die Oberflächenspannung bis zu Temperaturen von 200 °C linear mit der Temperatur ab (Abbildung 5.27). Auf die meisten Polymeren lässt sich die MacLeodGleichung (Gleichung 5.52) anwenden. Gleichung 5.52:

Dabei ist γ die Oberflächenspannung, ρ die Dichte, g0 und n sind Konstanten. g0 ist von der Molmasse abhängig, n liegt für nicht assoziierte niedermolekulare Flüssigkeiten bei n = 4,0 und bei Polymeren zwischen 3, 0 und 4,4 [5, 6].

5.5 Benetzung von Festkörpern Abbildung 5.27: Änderung der Oberflächenspannung mit der Temperatur (nach [5], PCP = Polychloropren, PMMA = Polymethylmethacrylat, PVA = Polyvinylacetat, PIB = Polyisobutylen, PnBMA = Poly-n-Butylmethacrylat, PP = Polypropylen, PDMS = Polydimethylsiloxan).

Ob eine Flüssigkeit spreitet, also die Festkörperoberfläche vollständig benetzt, hängt von verschiedenen Faktoren ab (Tabelle 5.4). Zur Beschreibung der Benetzung von Oberflächen, beispielsweise von Kunststoff, dient der Kontaktwinkel θ, den ein Wassertropfen oder eine andere Flüs-

Temperaturabhängigkeit der Oberflächenspannung

113

Tabelle 5.4: Einflussfaktoren auf die Benetzung. Substrat Oberflächenenergie des Festkörpers γ sg Rauheit Quellbarkeit Porigkeit (Penetration)

Beschichtungsstoff Oberflächenspannung der Flüssigkeit γ lg Viskosität η

sigkeit mit der Kunststoffoberfläche bildet. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die Abschätzung der kritischen Oberflächenspannung der Kunststoffoberfläche nach der Zismann-Methode oder mit Testtinten. Außerdem werden im Folgenden der Spreitungskoeffizient und die in diesem Zusammenhang wichtige Bestimmung der Oberflächenenergien von Kunststoffoberflächen behandelt.

5.5.1 Kontaktwinkel θ – youngsche Gleichung Flüssigkeiten können auf Festkörperoberflächen spreiten oder dort als Tropfen liegen bleiben. Der Kontaktwinkel θ ist definiert als der Winkel, den die Flüssigkeitsoberfläche zur Grenzfläche mit dem Festkörper ausbildet (Abbildung 5.28). Aus der vektoriellen Betrachtung der Kräfte, die am Umfang eines auf einer Festkörperoberfläche liegenden Flüssigkeitstropfens angreifen, erhält man die youngsche Gleichung (Abbildung 5.29, Gleichung 5.53) [20]. Im Kräftegleichgewicht gilt: Gleichung 5.53:

In der youngschen Gleichung (Gleichung 5.53), und in den später diskutierten Methoden zur Ermittlung von Oberflächenenergien von Festkörpern (s. Kapitel 5.5.4), werden die gemessenen Kontaktwinkel unter bestimmten Annahmen verwendet: • Die Testflüssigkeit ist niederviskos, verdampft nicht und nimmt keinen Schmutz aus der Umgebung auf. • Die Festkörperoberfläche ist homogen, sauber und glatt, ihre Rauheit geht gegen Null. (Kontaktwinkel auf rauen Oberflächen sind i.A. größer, d.h. qraue Oberfl. > qglatte Oberfl. (s.a. Untersuchungen zum Lotus-Effekt [21–23]).

Abbildung 5.28: Ausbildung eines Kontaktwinkels bei negativem Spreitungskoeffizienten (S < 0), und Spreitung (θ = 0°) der Flüssigkeit auf dem Festkörper bei positivem Spreitungskoeffizienten (S ≥ 0).

114

Grenzflächen

Abbildung 5.29: Am Rand eines Tropfens angreifende Kräfte.

• Der Festkörper wird während der Messung nicht von der Testflüssigkeit angequollen. • Die Festkörperoberfläche ist homogen. Kontaktwinkel können an liegenden Tropfen direkt gemessen oder indirekt durch die Plattenmethode ermittelt werden [1, 2, 4, 24, 25]. Zur Messung der Kontaktwinkel stehen heute automatisierte Geräte zur Verfügung, bei denen die Probe auf einen Positioniertisch gelagert wird und sich die Tropfen der Prüfflüssigkeiten aus Spritzen exakt dosierten lassen (Abbildung 5.30). Das mit einer Kamera aufgenommene Bild lässt sich entweder durch eine Tropfenkonturanalyse oder wahlweise durch eine automatisierte oder manuelle Bestimmung der Kontaktwinkel auswerten. Häufig ist auch die Aufnahme von Filmen möglich, was dann wichtig ist, wenn dynamische Effekte, wie die Benetzung oder das Abrollen von Tropfen, von einer schrägen Oberfläche untersucht werden sollen, oder wenn die Flüssigkeit die Probe penetriert [26]. Unter Verwendung eines kippbaren Probentisches lassen sich dynamische Phänomene wie das Abrollen von Tropfen etc. untersuchen. Außerdem lässt sich das Tropfenvolumen durch die automatische Dosierung mit der Spritze verändern. Durch Verfahren des Tisches lässt sich ein Tropfen, der an der Spritzenkanüle hängt, auf der Oberfläche bewegen.

Abbildung 5.30: Automatisches Kontaktwinkelmessgerät (DSA100S, Krüss GmbH, Hamburg).

Ein Kontaktwinkel, der bei fortschreitender Flüssigkeitsfront gemessen wird (engl.: advancing contact angle qa), ist in der Regel nicht identisch mit einem Kontaktwinkel, der an einer sich zurückziehenden Flüssigkeitsfront gemessen wird (engl.: receding contact angle qr). Zur Betrachtung der Benetzung verwendet man den Fortschreitwinkel qa. Frisch abgesetzte Tropfen haben gelegentlich Kontaktwinkel, die zwischen qa und qr liegen. Erst wenn der Tropfen wächst, stellt sich ein konstanter Wert ein, der auch bei weiterem Tropfenwachstum konstant bleibt und zur Auswertung herangezogen werden kann. Indirekt kann man aus dem Vergleich von qa und qr Aussagen zur Homogenität von Oberflä-

Temperaturabhängigkeit der Oberflächenspannung

115

Abbildung 5.31: Substrat der Fläche A mit flüssigem Beschichtungsstoff vor und nach der Benetzung.

chen ableiten.Fortschreit- und Rückzugswinkel können auch aus Messungen mit der Wilhelmy-Platte ermittelt werden, wenn man eine Flüssigkeit bekannter Oberflächenspannung verwendet (s. Kapitel 5.3.2).

5.5.2 Spreitungskoeffizient Der Spreitungskoeffizient S gibt an, ob eine Flüssigkeit auf einer Substratoberfläche spreitet oder nicht (Abbildung 5.31) 1. Ist S positiv, so spreitet die Flüssigkeit in jedem Fall, bei negativem S spreitet sie zumindest nicht freiwillig auf der Substratoberfläche. Aus der Thermodynamik weiß man, dass Prozesse in der Natur immer dann freiwillig ablaufen, wenn dabei die Änderung der gibbsschen freien Enthalpie ∆G negativ ist [7]. Wird ein Beschichtungsstoff auf eine Festkörperoberfläche aufgetragen, so geht einerseits die Oberfläche Festkörper/Luft – mit der freien Enthalpie G1 (Gleichung 5.54) – verloren, andererseits werden zwei neue Grenzflächen, nämlich Beschichtungsstoff/Luft und Festkörper/Beschichtungsstoff – mit der freien Enthalpie G2 (Gleichung 5.55) – gebildet. Ist die Änderung der freien Enthalpie DG (Gleichung 5.56) beim Ausbreiten der Flüssigkeit auf der Festkörperoberfläche negativ, so spreitet die Flüssigkeit freiwillig auf dieser. Der Spreitungskoeffizient S (Gleichung 5.57) ist definiert als die auf die Flächeneinheit bezogene negative freie Enthalpie G. Er entspricht der Arbeit beim Spreiten auf einer völlig glatten Oberfläche, mit vollständigem Kontakt zur Flüssigkeit. Eine Flüssigkeit spreitet spontan, wenn die freie Oberflächenenthalpie bei diesem Ausbreitungsvorgang geringer wird (also gilt allgemein: wenn DG > 0 ⇒ S < 0 – die Flüssigkeit spreitet nicht auf dem Festkörper; wenn ∆G < 0 ⇒ S > 0 – die Flüssigkeit spreitet spontan auf dem Festkörper). Im Einzelnen hat man bei diesen Betrachtungen also von folgenden Relationen auszugehen: Gleichung 5.54: Gleichung 5.55:

1

Der Spreitungskoeffizient S darf nicht zu verwechselt werden mit der Entropie die ebenfalls das Symbol S hat.

116

Grenzflächen

Abbildung 5.32: Trennung einer Beschichtung von einem Substrat als Modell für die Adhäsion (links), und Trennung einer Flüssigkeitssäule in zwei Teile als Modell für die Kohäsion (rechts), jeweils mit der Einheitsfläche A.

Gleichung 5.56: Gleichung 5.57:



Energetisch betrachtet ist der Spreitungskoeffizient die Differenz von Adhäsionsarbeit WA und Kohäsionsarbeit WK pro Flächeneinheit [3, 27]. Die Adhäsionsarbeit ist die Arbeit, die man leisten muss, um eine Flüssigkeit von der Festkörperoberfläche zu entfernen. Die Kohäsionsarbeit ist die Arbeit, die man aufwenden muss, um eine Flüssigkeit in zwei Schichten zu trennen (Abbildung 5.32). Deshalb erscheint es auch zweckmäßig, als Spreitungskoeffizient S die Differenz aus Adhäsionsarbeit und Kohäsionsarbeit festzusetzen. Maßgebend für die oben erwähnten Zusammenhänge bei der Spreitung sind folgende Beziehungen: Gleichung 5.58: Gleichung 5.59: Gleichung 5.60: Gleichung 5.61:

Eine Verbesserung der Substratbenetzung kann auf unterschiedliche Weise erreicht werden: Durch eine Vorbehandlung des Substrats, bei der dessen Oberflächenenergie erhöht wird. Oder sie kann verbessert werden durch oberflächenaktive Substanzen im Beschichtungsstoff, die seine Oberflächenspannung reduzieren. Beide Maßnahmen – Vorbehandlung des Substrats bzw. oberflächenaktive Substanzen im Beschichtungsstoff – erhöhen den Spreitungskoeffizienten S und verbessern die Benetzbarkeit des Substrats (s. Kapitel 6.6 und 6.7).

117

Temperaturabhängigkeit der Oberflächenspannung

Abbildung 5.33: Benetzung von PTFE durch n-Alkane, Extrapolation der kritischen Oberflächenspannung nach Zisman [30].

5.5.3 Kritische Oberflächenspannung – Zisman-Methode Die minimale Oberflächenspannung, die eine Flüssigkeit besitzen muss, um die Festkörperoberfläche vollständig zu benetzen, nennt man kritische Oberflächenspannung gc. Nach Zisman bestimmt man sie über die Messung von Kontaktwinkeln unterschiedlicher Flüssigkeiten auf der Substratoberfläche. Dabei trägt man cos θ gegen glg auf (Abbildung 5.33). Durch Extrapolation auf cos θ = 1 erhält man gc [27]. Die Werte der kritischen Oberflächenspannung können jedoch von den gewählten Testflüssigkeiten abhängen [27–29]. Tabelle 5.5: Kritische Oberflächenspannung von Ermittelt man gc mit Hilfe wässriger Lösungen, bei denen die Oberflächenspannung durch das Mischungsverhältnis mit einem organischen Lösemittel eingestellt wurde, so erhält man für unterschiedliche organische Substanzen auch mehr oder weniger unterschiedliche Werte für gc auf derselben Festkörperoberfläche [27–29, 31] (Tabelle 5.5). Orientierungswerte für kritische Oberflächenspannungen zeigt Tabelle 5.6. Das Zisman-Verfahren kann u.a. verwendet werden, um die Zugabemenge von Additiven für einen Lack zu ermitteln. Die Werte für die kritische Oberflächenspannung hän-

Polyethylen und Polytetrafluorethylen, bestimmt mit wässrigen Lösungen unterschiedlicher organischer Lösemittel, bei variierender Konzentration [27–29]. γ 1 [mNm -1] Ethanol 21,4 1-Butanol 23,7 2-Butanon 24,4 THF 27,4 Diacetonalkohol 30,2 1,4-Dioxan 32,4 Dipropylenglykol 33,1 Propylencarbonat 40,1 Substanz

1

γ c PE [mNm -1] 27,5 27,5 27,5 29,5 29,0 31,5 30,0 29,5

γ c PTFE [mNm -1] 18,5 18,5 – – 17,0 22,5 18,0 19,5

Oberflächenspannung der Reinsubstanz

Tabelle 5.6: Kritische Oberflächenspannung von Polymeren [27, 31]. Polymer Polyethylen Polystyrol Polymethylmethacrylat Polyethylenterephthalat Polyvinylalkohol

γ c [mN/m] 31 33 39 43 37

Polymer Polytrifluorethylen Polytetrafluorethylen Polyvinylfluorid Polyvinylidenfluorid Polyvinylchlorid Polyvinylidenchlorid

γ c [mN/m] 22 18 28 25 39 40

118

Grenzflächen

gen aber gegebenenfalls von den Testflüssigkeiten ab, die zur Kontaktwinkelmessung verwendet werden. Bei Prüfung der Benetzbarkeit mit Testflüssigkeiten (Prüftinten) [32, 33] muss der Flüssigkeitsfilm, den man mit einem Pinsel auf die zu überprüfende Oberfläche aufträgt, mindestens zwei Sekunden beständig sein. Zieht er sich zusammen, so ist eine Testflüssigkeit mit niedrigerer Oberflächenspannung zu verwenden. Als Testflüssigkeiten verwendet man beispielsweise Mischungen aus Formamid und Ethylenglykolmonomethylether.

5.5.4 Oberflächenenergie niederenergetischer Festkörper Kunststoffoberflächen besitzen in aller Regel niedrige Oberflächenenergien und sind deshalb nicht ohne weiteres benetzbar. Dies geht auch aus der Definition des Spreitungskoeffizienten (Gleichung 5.57) hervor. Die Bestimmung der Oberflächenenergie von Kunststoffen oder anderen Festkörperoberflächen ist beispielsweise die Voraussetzung zur Überprüfung des Erfolgs von Vorbehandlungsmaßnahmen. Die Oberflächenenergie von Festkörpern lässt sich nicht, wie bei Flüssigkeiten, aus der Kraft bestimmen, die zur Deformation der Oberfläche notwendig ist. Die am häufigsten angewandte Methode zur Ermittlung von Oberflächenenergien von Festkörpern beruht auf der Messung von Kontaktwinkeln unterschiedlicher Flüssigkeiten auf der Festkörperoberfläche [5, 16, 34, 35]. Für den Zusammenhang zwischen dem Kontaktwinkel θ und der Oberflächenenergie des Festkörpers wurden verschiedene empirische und halbempirische Beziehungen vorgeschlagen, deren Anwendbarkeit in der Literatur (z.B. [16, 36, 37]) kontrovers diskutiert wird. Um die Grenzflächenenergie in einem System Flüssigkeit/Festkörper abzuschätzen, ging man zunächst von der Grenzflächenspannung zwischen zwei fluiden Phasen aus. Hierzu wurden unterschiedliche Vorschläge gemacht [27, 34]: Antonow schlug beispielsweise vor, den Betrag der Differenz der Oberflächenspannungen zu benutzen (Gleichung 5.62). Gültig ist dies jedoch nur für Grenzflächen zwischen niedermolekularen, unpolaren Flüssigkeiten. Ein besserer Ansatz ist, die Summe der Oberflächenspannung beider Phasen, abzüglich der Adhäsionsarbeit für eine Flächeneinheit WA /A, zu verwenden (Gleichung 5.63). Die Adhäsionsarbeit entspricht der Differenz der freien Enthalpie für die Bildung der Grenzfläche aus den Oberflächen der reinen Phasen, sie steigt mit den intermolekularen Wechselwirkungen (s.a. Kapitel 5.5.2). Gleichung 5.62: Gleichung 5.63:

Sind beide Phasen identisch, ist γ12 = 0, und die aufzuwendende Arbeit ist die Kohäsionsarbeit WK, für diese gilt: Gleichung 5.64:

Good und Girifalco berechneten die Grenzflächenspannung aus dem molekularen Wechselwirkungsparameter F (Gleichung 5.65). F ist von molekularen Parametern abhängig, wie Dipolmoment, Polarisierbarkeit, Ionisierungspotenzial und Molvolumen.

119

Temperaturabhängigkeit der Oberflächenspannung

Abbildung 5.34: Graphische Bestimmung von polarem und dispersem Anteil der Oberflächenenergie eines Festkörpers nach Owens, Wendt, Rabel und Kalble (OWRK-Methode). Gleichung 5.65:

Da intermolekulare Wechselwirkungen additiv sind, kann man die Adhäsionsarbeit (und auch die Oberflächenspannung) in zwei Anteile zerlegen, nämlich in den Anteil WAp, der aus den polaren Wechselwirkungen stammt, und einen Anteil WAd, der aus Dispersionswechselwirkungen stammt (s. Gleichung 5.66). Gleichung 5.66:

Ausgehend von Gleichung 5.65, erhält man, unter Verwendung der polaren und dispersen Anteile der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten (Gleichung 5.67) bzw. der Oberflächenenergie von Festkörpern (Gleichung 5.68), die Gleichung 5.69. Der Fehler durch die Verwendung eines konstanten Wechselwirkungsparameters von F=1 ist vernachlässigbar. Gleichung 5.69 kann nach Umformung zur Bestimmung von polaren und dispersen Anteilen der Oberflächenenergie niedrigenergetischer Festkörper und der Grenzflä- Tabelle 5.7: Polarer und disperser Anteil von chenenergie zu Flüssigkeiten herangezogen Oberflächenspannungen bei 20 °C. p d werden. Dabei wird im Einzelnen von folγ lg [mN/m] γ  lg [mN/m] γ lg [mN/m] genden Beziehungen Gebrauch gemacht: Wasser 72,1 19,9 52,2 Gleichung 5.67: Gleichung 5.68: Gleichung 5.69:



Bishydroxy­ ethylsulfid Diiodmethan Ethylenglykol Dimethyl­ sulfoxid Toluol Ethanol n-Octan n-Hexan Cyclohexan

54,0

39,2

14,8

50,0 48,0 44,0

47,4 29,0 36,0

2,6 19,0 8,0

28,5 22,1 21,6 18,4 24,9

27,2 17,5 21,6 18,4 24,9

1,3 4,6 0,0 0,0 0,0

120

Grenzflächen

Tabelle 5.8: Theorien zur Abschätzung der Grenzflächenenergie zwischen Festkörper (s) und Flüssigkeit (l). Theorie Owens, Wendt, Rabel und Kaelble geometrischer Mittelwert Wu harmonischer Mittelwert

Gleichungs-Nr.

Gleichung

Lit.

5.70

[5, 34]

5.72

[5, 34]

Mit der youngschen Gleichung (Geichung 5.53) lässt sich die Oberflächenenergie des Festkörpers (gsg) und die Grenzflächenenergie (gsl) aus der Gleichung 5.69 eliminieren, was zu Gleichung 5.70 führt. Gleichung 5.70:

In dieser Gleichung stehen neben dem polaren und dem dispersen Anteil der Oberflächenenergie des Festkörpers nur noch bekannte bzw. messbare Größen. Von zahlreichen Flüssigkeiten ist der polare und der disperse Anteil der Oberflächenspannung bekannt. Zur Auswertung benutzt man ca. fünf Flüssigkeiten unterschiedlicher Polarität (Tabelle 5.7). Den Kontaktwinkel, den diese Flüssigkeiten auf der Festkörperoberfläche ausbilden, kann man messen, heute meistens automatisiert durch Bildanalyse. Um mit linearer Regression auswerten zu können, auswerten zu können, . Man erhält eine Gerade mit der multipliziert man die Gleichung mit Gleichung 5.71, aus deren Steigung der polare Anteil und aus deren Achsenabschnitt der disperse Anteil der Oberflächenenergie des Festkörpers ermittelt werden können (Abbildung 5.34). Gleichung 5.71:



Zur Abschätzung der Grenzflächenenergie wurde, neben der Bildung des geometrischen Mittelwerts (Gleichung 5.70), auch die Bildung des harmonischen Mittelwerts vorgeschlagen (Gleichung 5.72) [5, 6, 34] (Tabelle 5.8). Erwähnt sei noch die Säure-Base-Theorie, sie ist auf hochenergetische Oberflächen, wie Metallen und Metalloxiden, anwendbar [35]. 5.6 Literatur [1] G. Brezesinski, H.-J. Mögel, Grenzflächen und Kolloide: physikalisch-chemische Grundlagen, Spektrum Akad. Verl, Heidelberg, 1993 [2] H.-D. Dörfler, Grenzflächen- und Kolloidchemie, VCH Verlagsgesellschaft, 1994 [3] T. C. Patton, Paint Flow and Pigment Dispersion, 2nd ed., John Wiley & Sons, New York, 1978 [4] H. Sonntag, Lehrbuch der Kolloidwissenschaft, 1. Aufl., VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin, 1977 [5] S. Wu, Interfacial Energy, Structure, and Adhesion between Polymers, in: D. R. Paul, S. Newman (Eds.), Polym. Blends, Elsevier, 1978 [6] S. Wu, Surface and Interfacial Tensions of Polymers, Oligomers, Plasticizers, and Organic Pigments, in: J. Brandrup, E. H. Immergut, Eric A. Grulke (Eds.), Polym. Handb., 4th ed, Wiley, New York ; Chichester, 2004

Literatur

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Lackieren und Bedrucken unterschiedlicher Substrate

6

123

Benetzung, Verlauf, Adhäsion

Damit eine Beschichtung einem Substrat den erforderlichen Schutz bietet, muss die Substratfläche gleichmäßig mit einem störungsfreien, zusammenhängenden Beschichtungsfilm überzogen werden, der eine in gewissen Grenzen gleichmäßige Schichtdicke hat. Deshalb ist die Benetzung der Oberfläche essenzielle Voraussetzung beim Lackieren, Bedrucken oder Beschichten. Ist sie nicht ausreichend, so wird der Beschichtungsfilm nur eine mangelhafte Adhäsion auf dem Substrat zeigen. Die Oberflächenenergie und die Rauheit des Substrats sowie die Oberflächenspannung und die Viskosität des flüssigen Beschichtungsmaterials spielen hier die entscheidende Rolle. Sie beeinflussen auch den Verlauf, also die Einebnung des Beschichtungsstoffes, damit ein Beschichtungsfilm mit ansprechendem Aussehen und homogener Oberfläche entsteht.

6.1 Lackieren und Bedrucken unterschiedlicher Substrate Die Wechselwirkung zwischen dem Substrat und der Beschichtung bzw. dem flüssigen Beschichtungsstoff – und damit auch die Gebrauchseigenschaften des beschichteten Endprodukts – sind von spezifischen Eigenschaften des Substrats abhängig. Mineralische und metallische Substrate, Kunststoffe, Holz und Holzwerkstoffe sowie Papier und Karton besitzen ganz unterschiedliche Oberflächenstruktur, Rauheit, Porigkeit und Saugfähigkeit. Besonders problematisch ist beispielsweise – wegen der niedrigen Oberflächenenergie gsg – die Benetzung von Kunststoffoberflächen. Im vorliegenden Kapitel soll darauf eingegangen werden. Farbige Kunststoffoberflächen wurden bis in die 1970er Jahre durch Einfärbung der Kunststoffe erhalten und nur selten durch Lackierung. Mit vierfarbigen Bildern bedruckte Verpackungsfolien waren – aufgrund der damals noch minderwertigen Qualität des Flexodrucks – weit entfernt von heutigen Qualitätsanforderungen. Ästhetische Maßstäbe sowie die Anforderungen an Gebrauchseigenschaften von Kunststoffen haben sich seitdem grundlegend verändert. Lackiert werden KFZ-Teile aus Kunststoffen, Kunststoffgehäuse, z.B. für Elektrogeräte und Unterhaltungselektronik, Kunststoffgläser zur Kratzfestausrüstung, CDs, Kreditkarten, Folien, Bodenbeläge, Kunststoffteile für Möbel und am Bau, z.B. Türen und Kunststofffenster. Kaum zu überblicken ist die Vielzahl der bedruckten Kunststoffe, z.B. Lebensmittelverpackungen, Werbeartikel, Schilder, Tachometerscheiben etc. Im Automobil werden heute nahezu alle sichtbaren Kunststoffbauteile (ca. 10 % am Gesamtgewicht eines PKW) lackiert [1, 2]. Von den Lacken für Kunststoffoberflächen erwartet man Glanz und Glanzhaltung, Glättung des Untergrundes, z.B. bei faserverstärkten Kunststoffen, Farbkonstanz, eine bestimmte Haptik, Schutz des Untergrundes gegen Chemikalien, Feuchtigkeit und UV-Strahlung, in manchen Fällen eine bestimmte Funktionalität, wie Leitfähigkeit oder Resistenz gegen Anschmutzung. Durch Lackieren können die Eigenschaften der Kunststoffe deutlich verbessert werden.

Meichsner, Mezger, Schröder: Lackeigenschaften messen und steuern, 2. Auflage © Copyright 2016 by Vincentz Network, Hannover, Germany

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Benetzung, Verlauf, Adhäsion

6.2 Benetzungsstörungen Zur Bildung eines geschlossenen Beschichtungsfilms muss der Beschichtungsstoff auf der Substratoberfläche spreiten, d.h. er muss sie vollständig bedecken. Kunststoffoberflächen werden besonders von wässrigen Lacken ohne Benetzungsadditive nur schwer benetzt, der flüssige Beschichtungsfilm läuft im schlimmsten Fall wieder zusammen. Dies liegt unter anderem an der geringen Oberflächenenergie der Kunststoffe selbst, kann aber auch durch Verunreinigungen der Oberfläche – mit Substanzen niedriger Oberflächenspannung – verursacht sein, wie z.B. durch Gleitmittel, Wachse oder andere Additive. Benetzungsstörungen, die durch Grenzflächenphänomene verursacht werden, sind Entnetzung des Substrats, Krater, Fischaugen und Kantenflucht [3, 4]. Lacke zeigen außerdem auf niederenergetischen Kunststoffoberflächen oft schlechte Adhäsion.

6.2.1 Entnetzung, Krater, Fischaugen Wenn sich ein Substrat nicht benetzen lässt, so kommt es nach Verteilung des Beschichtungsstoffes auf der Oberfläche häufig zur Entnetzung. Dabei läuft der zunächst gleichmäßig verteilte Beschichtungsstoff wieder zusammen. Die Entnetzung kann großflächig oder auch nur in kleinen Bereichen stattfinden (Abbildung 6.1). Krater sind Lackierfehler, die aufgrund von Verunreinigungen durch Silicon-, Fett- oder Ölpartikel, gelegentlich auch durch Oberflächenadditive auf der Substratoberfläche entstehen. Den Vorgang der Kraterbildung zeigt Abbildung 6.2. Der flüssige Beschichtungsstoff migriert weg von dem Schmutzpartikel, das eine niedrige Oberflächenspannung besitzt. Es entsteht ein kleiner Krater, in dessen Zentrum das Schmutzpartikel zu finden ist, wenn es sich nicht im Beschichtungsstoff aufgelöst hat oder auf andere Art und Weise verschwunden ist. Die Quellen für Krater bildende Verschmutzungen sind vielfältig. Treten Krater in Lackieranlagen auf, setzt häufig eine fieberhafte Suche nach der Ursache ein. Am Beginn der Suche nach der Ursache steht häufig die Mikroskopie und Fotografie der Krater und Fischaugen. Hat man Glück, so findet man im Zentrum des Kraters noch Spuren der Schmutzpartikel, die sich dann weiter analysieren lassen. Manchmal hört die Kraterbildung nach einiger Zeit wieder auf, ohne dass die Ursache ermittelt ist. Mögliche Ursachen der Krater sind silicon-

Abbildung 6.1: Entnetzung nach der Lackapplikation über Öl- bzw. Fettschmutz (crawling, links) und an einem Schmutzpartikel (rechts).

Benetzungsstörungen

125

Abbildung 6.2: Schematische Darstellung der Kraterbildung (links), Aufsicht eines Krater mit Schmutz im Zentrum (rechts, die Beleuchtungsrichtung ist eingezeichnet).

haltige Materialien in der Lackieranlage (z.B. aus siliconhaltigem Shampoo der Mitarbeiter), Weichmacher in Transportbändern, Silicon-Dichtungsmassen von Fenstern, Fettschmutz, eingeschleppt durch Pausenbrot, Hautcreme, Haarschuppen etc. [3].

6.2.2 Bénard-Zellen, Orangenhaut Beim Verdunsten des Lösemittels im Lack entstehen lokale Gradienten von Temperatur, Dichte, Viskosität und Oberflächenspannung. Dadurch entsteht, wie Abbildung 6.3 zeigt, eine Strömung in hexagonalen Zellen, es bildet sich dadurch eine wabenartige Struktur. Die Zellen können mehrere Millimeter groß sein. Übrigens lassen sich auch beim Erhitzen von Öl in einer Pfanne derartige Zellen beobachten, die durch die Konvektion entstehen. Bei der Trocknung erhöhen sich an der Oberfläche die Oberflächenspannung und die Dichte des Lackes, wegen der Verdunstung des Lösemittels und der damit verbundenen Temperaturerniedrigung. Im Zentrum der Zelle steigt dann Lackmaterial mit geringerer Dichte und niedrigerer Oberflächenspannung an die Oberfläche. Aufgrund der Form der Strömung ist an dieser Stelle in der getrockneten Lackschicht eine kleine Vertiefung zu sehen – der Quellpunkt. Das Schichtmaterial mit höherer Dichte und höherer Oberflächenspannung sinkt an den Rändern der Zellen nach unten [5–7]. Liegen Pigmente mit unterschiedlicher Beweglichkeit (verschieden große Teilchen, Flockulate, Unterschiede im Zetapotenzial etc.) im Lack vor, so kann das Aus- bzw. Aufschwimmen

Abbildung 6.3: Strömungsprofil in Bénard-Zellen.

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Benetzung, Verlauf, Adhäsion

der Pigmente diesen Bénard-Zellen-Effekt zusätzlich sichtbar machen. Es kommt dann zur Pigmentseparation und zur Anreicherung der Partikel mit geringer Mobilität an den Zellgrenzen. Auf senkrechten Flächen kann anstelle der Wabenstruktur oft auch eine gestreifte Struktur beobachtet werden. Die Beweglichkeit von Teilchen lässt sich aus ihrer Sedimentationsgeschwindigkeit v nach Gleichung 3.21 abschätzen, die man durch Gleichsetzen des stokesschen Gesetzes (Gleichung 3.20) mit der Gewichtskraft (Gleichung 3.19) erhält. Das stokessche Gesetz gilt im trocknenden Lack jedoch nur näherungsweise, und die Geschwindigkeit v, mit der sich ein Teilchen bewegt, schätzt man ab mit der Näherungsformel: Gleichung 6.1:

Demnach ist v von der Differenz der Dichte der Teilchen rT und der Dichte des Mediums ρM und dem Quadrat des Teilchenradius r T abhängig. Für das Verhältnis der Sedimentationsgeschwindigkeiten von Titandioxid (TiO2) mit einem Teilchenradius r T = 250 nm und der Dichte rT = 4,1 g/cm3 und Eisenoxid (Fe2O3) mit dem Teilchenradius r T = 50 nm und der Dichte rT = 5,0 g/cm3 erhält man in einem Medium der Dichte 1,0 g/cm3 eine, verglichen mit den Eisenoxidteilchen, zwanzigmal höhere Sinkgeschwindigkeit – und damit Beweglichkeit – der Titandioxidteilchen.

Bei den Bénard-Zellen wirkt die Sinkgeschwindigkeit der Aufwärtsbewegung des Quellstromes entgegen, das Eisenoxid reichert sich an der Oberfläche an, und es entsteht am Quellpunkt ein dunklerer Farbton [5]. Dass sich Pigmentkombinationen in Bénard-Zellen (und auch durch Ausflocken oder Ausschwimmen) entmischen, lässt sich verstehen, wenn man die von der Teilchengröße und vom Dichteunterschied abhängigen relativen Beweglichkeiten von Pigmenten vergleicht. So verhalten sich die relativen Beweglichkeiten von Titandioxid, Eisenoxidgelb und Gasruß wie 1 bis 5 : 12 : 50.000 [5].

6.3 Verlaufsmodell Verlauf nennt man die Eigenschaft von Lacken, im Nasszustand so zu zerfließen, dass Unregelmäßigkeiten der Oberfläche, wie Orangenhaut, Pinselfurchen etc., ausgeglichen werden. Der Verlauf hängt von der Viskosität (und zwar bei geringen Scherraten) ab und wird begünstigt, wenn keine oder nur eine geringe Fließgrenze vorliegt. Bei thixotropen Materialien ist der Verlauf umso besser, je langsamer sich die thixotrope Struktur wieder zurückbildet. Entscheidend für den Verlauf ist neben der Viskosität auch die Oberflächenspannung des flüssigen Beschichtungsstoffes (die Schwerkraft kann beim Verlauf vernachlässigt werden). Die Bedeutung dieser und der geometrischen Einflussgrößen geht aus Abbildung 6.4 hervor. Unter der Annahme, dass zu Verlaufsbeginn eine Oberfläche mit Pinselfurchen sinusförmig strukturiert sei, gilt für ihre Einebnung Gleichung 6.2, mit a0 = Amplitude zu Beginn, at = Amplitude nach der Zeit t, λ = Wellenlänge der Oberflächenstruktur, γ = Oberflächenspannung, η = Viskosität, t = Zeitdauer, x = mittlere Dicke der Beschichtung.

Verlaufsmodell

127

Abbildung 6.4: Verlaufsmodell [8–10].

Gleichung 6.2:

Qualitativ ist der Einfluss von Viskosität und Oberflächenspannung auf die Verlaufsgüte in Abbildung 6.5 dargestellt. Die Wellenlänge λ, d.h. der Abstand der Pinselfurchen, geht in die Gleichung mit der vierten Potenz ein. Bei Verdoppelung des Abstands der Pinselfurchen wird also die Verlaufszeit sechzehnmal so groß. Bei Halbierung der Schichtdicke x (sie geht mit der dritten Potenz in die Gleichung ein) verlängert sich die Verlaufszeit um das Achtfache. Nach einer Umstellung der Gleichung 6.2 (mit Auflösung nach t) erhält man, mit at = 0,5·a0 die Halbwertszeit t½, das ist die Zeit, die benötigt wird, um die Amplitude auf die Hälfte zu reduzieren. Gleichung 6.3:

Zweckmäßigerweise bezeichnet man generell mit t die Zeitspanne, in der die Pinselfurchenamplitude vom Anfangswert a0 auf den Wert at zurückgegangen ist.

Abbildung 6.5: Gebiet mit akzeptablem Aussehen einer Lackoberfläche, gebildet durch einen Kompromiss von Oberflächenspannung und Viskosität [11].

128

Benetzung, Verlauf, Adhäsion

Tabelle 6.1: Beispiele für Verlaufszeiten bei gegebener Viskosität. η [Pa · s] t [s]

0,1 0,028

1 0,28

10 2,8

100 28

Gleichung 6.4:

Beispiel: Ein Lack habe folgende Parameter: a0 = 80 µm, at = 0,5 µm, x = 100 µm, λ = 0,001 m (10 Pinselfurchen pro cm), γ = 35 mN/m. Setzt man diese Werte in die Gleichung 6.4 ein, so erhält man:



Berechnet man die Verlaufszeit für die Abnahme der Pinselfurchentiefe von 80 µm auf 0,5 µm für Lacke mit unterschiedlicher Viskosität, so erhält man: t = 0,028 · η Ein Lack, der gespritzt wird, kommt nicht mit der Spritzviskosität, die bei ca. 150 mPas liegt, auf der Oberfläche an. Vielmehr besitzt er, wegen des Lösemittelverlustes, bereits eine sehr viel höhere Viskosität. Durch den Einsatz „langer Lösemittel“, das sind Lösemittel, die sehr langsam verdunsten, kann die Viskosität im ersten Stadium des Filmbildeprozesses niedrig gehalten und so eine Einebnung des Filmes garantiert werden. Das Auftreten von Bénard-Zellen läuft der Einebnung allerdings entgegen und kann zur Bildung von Orangenhaut führen. Das ist nicht in jedem Fall unerwünscht, da durch sie gegebenenfalls die Unebenheiten eines Substrats verschleiert werden können. Die Unebenheiten würde man sonst (nach der Trocknung) bei spiegelglatten und glänzenden Oberflächen erkennen, z.B. wenn man das Spiegelbild eines Fensterkreuzes, einer Neonröhre oder einer anderen geraden Kante in der Oberfläche betrachtet.

6.4 Oberflächenrauheit Die Rauheit von Lackoberflächen ist in der Regel keine Größe, die ein Lackentwickler zu untersuchen pflegt, es sei denn bei Gleitschichten oder Soft-Feel-Lacken. Bei der Rauheit des Substrats ist dies anders, denn sie beeinflusst die Adhäsion der Lackschicht. Eine Lackierung haftet nämlich auf einer polierten Stahloberfläche schlechter als auf einer gestrahlten. Bei dieser ist die wirkliche Oberfläche und damit die Kontaktfläche Stahl/Lack – aufgrund der größeren Rauheit – sehr viel größer als bei einer polierten Oberfläche. Die wirkliche Oberfläche ist die Fläche, die einen Körper von seiner Umgebung trennt [12]. Insbesondere bei der Optimierung der KFZ-Lackierung werden Untersuchungen durchgeführt, um das Erscheinungsbild (Appearance) der Oberflächen zu optimieren und den Einfluss der Rauheit und Oberflächenstruktur (ausgedrückt durch den Spitzenzählparameter RPc [12, 13]) der Substrate (Metalloberfläche, Elektrotauchlackierung, Fülleroberfläche) auf Glanz, DOI (Distinctness of Image) und Welligkeit der Lackoberfläche zu quantifizieren  [14, 15]. 1 Nach DIN EN ISO 4287 und 4288 werden alle Längen-, Höhen- und Rauheitswerte nicht mehr mit tiefgestellten Indizes versehen, wie es hier wegen der besseren Lesbarkeit noch der Fall ist.

Oberflächenrauheit

129

Abbildung 6.6: Primärprofil, Welligkeitsprofil und Rauheitsprofil innerhalb der ertasteten Messlänge ln . Bei der grafischen Darstellung ist die Ordinate gegenüber der Abszisse stark gedehnt, in der Regel zehnfach.

Gebräuchliche Maße1 für die Rauheit einer Oberfläche sind die gemittelte Rautiefe R z, die maximale Rautiefe R max, der Mittenrauwert R a, der quadratische Mittenrauwert Rq und die Glättungstiefe Rp [12]. Alle diese Rauheitsparameter sind am messtechnisch erfassbaren Profil definiert, dem IstProfil der Oberfläche. Man kann es sich als Vertikalschnitt durch die Oberfläche vorstellen. Unterschieden werden dabei (gemäß Abbildung 6.6) Primärprofil (P-Profil), Rauheitsprofil (R-Profil) und Welligkeitsprofil (W-Profil). Als P-Profil gilt das innerhalb einer Messstrecke ertastete Profil. Bei gekrümmten Oberflächen ist es die Abweichung von der gekrümmten Nennform. Durch Profilfilter lässt sich dieses P-Profil in langwellige und kurzwellige Anteile zerlegen. Dabei definiert das so genannte lc -Profilfilter den Übergang von der Rauheit zur Welligkeit. Bei Werten der mittleren Rautiefe Rz im Bereich von 0,5 bis 10 µm wählt man üblicherweise lc zu 0,8 mm, für den Bereich Rz = 10 bis 50 µm dementsprechend lc = 2,5 mm.

Abbildung 6.7: Zur Definition der mittleren Rautiefe R z und der maximalen Rautiefe R max wird die Messlänge ln in fünf gleich große Einzelmessstrecken lr zerlegt, in denen jeweils die Einzelrautiefen R zi ermittelt werden.

130

Benetzung, Verlauf, Adhäsion

Unter Profiltiefe Pt versteht man den Höhenunterschied zwischen dem höchsten und dem tiefsten Punkt der Messlänge ln eines Primärprofils. Zur Definition der mittleren Rautiefe R z und der maximalen Rautiefe R max wird die Messlänge ln in fünf gleich große Einzelmesslängen lr zerlegt, in denen jeweils die Einzelrautiefen R zi ermittelt werden (Abbildung 6.7). Die Einzelrautiefe ist der Abstand zwischen dem höchsten Peak und dem tiefsten Tal innerhalb einer Einzelmesslänge lr. Die maximale Rautiefe R max ist demnach die größte Einzelrautiefe innerhalb der Messlänge lr. Die mittlere Rautiefe R z ergibt sich somit als der arithmetische Mittelwert der Einzelrautiefen aufeinanderfolgender Einzelrautiefen R zi (Gleichung 6.5). Gleichung 6.5:



Der Mittenrauwert R a ist der arithmetische Mittelwert der Beträge aller Profilwerte des Rauheitsprofils.

Gleichung 6.6:



In ähnlicher Weise erhält man den quadratischen Mittenrauwert Rq als Mittelwert der Quadrate aller Profilwerte des Rauheitsprofils. Gleichung 6.7:

Die Oberflächenrauheit lässt sich mechanisch durch sogenannte Tastschnittgeräte (Tiefentaster) messen. Dabei wird eine feine Nadel mit kugelförmiger Spitze über die Oberfläche gezogen und die Auslenkung der Nadel gemessen, entweder induktiv oder mit einem Laser-Interferometer. Man erreicht heute Auflösungen von wenigen Nanometern. Daneben gibt es ähnlich leistungsfähige Messverfahren wie die akustische Rastermikroskopie, die Laser-Streulichtanalyse oder die Raster-Kraft-Mikroskopie. Auch aus Weißlicht- bzw. elektronenmikroskopischen Aufnahmen der Oberfläche unter verschiedenen Winkeln kann ein Oberflächenprofil berechnet werden.

6.5

Benetzung fester Körper

Die Benetzbarkeit der Festkörperoberfläche durch eine Flüssigkeit ist nicht nur bei der Beschichtung einer Oberfläche, sondern auch bei der Einarbeitung von Pigment- oder Füllstoffpulver in den Beschichtungsstoff oder bei der Durchfeuchtung poröser Materialien eine wichtige Voraussetzung. Im Folgenden werden deshalb zunächst die Washburn-Gleichung und danach die besonders bei der Kunststofflackierung wichtige Benetzung niederenergetischer Oberflächen diskutiert.

6.5.1

Benetzung von Pigmenten

Das Eindringen eines Lackmediums in die Poren von Pigmentpulver, d.h. dessen Durchfeuchtung und das Ausbreiten eines flüssigen Lackmediums auf der Festkörperoberfläche von Pigmentpulver, lässt sich wie die Durchfeuchtung poröser Materialien mit der Washburn-Methode untersuchen [16, 17]. Bei der in Abbildung 6.8 dargestellten Messmethode

Benetzung fester Körper

131

füllt man das zu untersuchende Pulver unter definierten Bedingungen und kompakt in ein Röhrchen mit porösem Boden, das an einer Waage hängt und mit der Unterseite auf die Flüssigkeit aufgesetzt wird [16, 18–20]. Durch die Penetration der Flüssigkeit in die Poren nimmt die Masse dieser Pulverprobe zeitabhängig zu. Aus der Massenzunahme pro Zeiteinheit lässt sich der Kontaktwinkel der Flüssigkeit auf der Festkörperoberfläche berechnen. Bei Verwendung entsprechender unterschiedlicher Flüssigkeiten kann dann auch die Oberflächenenergie des Pulvers berechnet werden (s. Kapitel 5.5.4). Die Washburn-Gleichung (Gleichung 6.9) beschreibt die Kinetik des Eindringens einer Flüssigkeit in poröse Medien [18, 21–23]. Man erhält sie, wenn man im Hagen-Poiseuille-Gesetz (Gleichung 4.9) den Druck p als Kapillardruck durch die Gleichung von Young und Laplace unter Berücksichtigung des Kontaktwinkels beschreibt (Gleichung 5.15 wird zu Gleichung 6.8 erweitert). Gleichung 6.8:

Setzt man Gleichung 6.8 in Gleichung 4.9 ein, erhält man die Washburn-Gleichung (Gleichung 6.9). In diesem einfachen Modell ist das poröse Medium ein Bündel paralleler Kapillaren mit dem Radius r und der Länge l. Die Zeit t, die zur Benetzung des Pulvers benötigt wird, hängt ab vom Volumen der eingedrungenen Flüssigkeit, ihrer Viskosität η und Oberflächenspannung und g lg und dem Kontaktwinkel θ, den die Flüssigkeit mit der Festkörperoberfläche bildet. Gleichung 6.9:

Trägt man m2, das Quadrat der Masse m der eindringenden Flüssigkeit, gegen die Zeit t auf, dann erhält man eine Gerade mit konstanter Steigung A. (Abbildung 6.8). In Gleichung 6.9 ist ρ die Dichte der verwendeten Flüssigkeit (die kann z.B. auch das Lackmedium sein) und A eine Konstante, die auch die Kapillargeometrie berücksichtigt. Aus der Steigung A

Abbildung 6.8: Zunahme des Quadrats der Masse der Flüssigkeit mit der Zeit, beim Eindringen in die Poren der Pulverprobe, bestimmt nach der Kapillarmethode [16].

132

Benetzung, Verlauf, Adhäsion

lässt sich der der Kontaktwinkel θ der Flüssigkeit auf dem Pulver ermitteln, wenn man in einem Vorversuch mit einer Flüssigkeit, die mit dem Festkörper den Kontaktwinkel θ = 0 ausbildet (z.B. mit n-Hexan, wegen dessen niedriger Oberflächenspannung, γ = 18,4 mN/m), den Kapillarradius ermittelt hat [16].

6.5.2 Benetzung niederenergetischer Oberflächen Flüssigkeiten, die nicht auf Festkörperoberflächen spreiten, bleiben entweder als Tropfen liegen oder laufen wieder zusammen, wenn sie zuvor als Film auf der Festkörperoberfläche verteilt wurden. Das Zusammenlaufen der Flüssigkeit wird auch als Entnetzung bezeichnet. So äußern sich Benetzungsstörungen bei Flüssigkeitsfilmen oft in einer Entnetzung, und zwar unter Bildung von Löchern, wenn der Film unterhalb einer kritischen Dicke liegt [24]. Diese kritische Dicke liegt meist oberhalb von 100 µm, was bedeutet, dass bei Lacken und Beschichtungsstoffen sowie bei Klebstoffen immer wieder mit dem Auftreten von Entnetzung zu rechnen ist. Bei der Diskussion von Benetzungsvorgängen ist der Spreitungskoeffizient S von zentraler Bedeutung (Gleichung 6.10, s.a. Kapitel 5.5.2). Ist S positiv, so spreitet eine Flüssigkeit freiwillig auf der Festkörperoberfläche, ist S negativ, so bildet sich freiwillig kein zusammenhängender Film aus. Gleichung 6.10:

In der Regel ist beim untersuchten Lacksystem die Grenzflächenspannung gsl zum Substrat unbekannt. Man kann aber davon ausgehen, dass sie kleiner als die Oberflächenenergie gsg des Festkörpers ist. Damit eine Flüssigkeit spreitet, muss, wie gesagt, S positiv und zudem möglichst groß sein. Dies lässt sich auf zwei Wegen erreichen. Entweder wird die Oberflächenenergie des Festkörpers gsg erhöht oder die Oberflächenspannung glg des flüssigen Beschichtungsstoffes reduziert. Dies kann durch Vorbehandlung der Festkörperoberfläche bzw. durch oberflächenaktive Substanzen im flüssigen Beschichtungsstoff geschehen. Die beiden Möglichkeiten werden im Folgenden diskutiert.

6.6 Oberflächenaktive Substanzen im Lack Oberflächenaktive Substanzen im Lack reduzieren seine Oberflächenspannung. Wichtig ist dies besonders bei den wasserverdünnbaren Lacken und Druckfarben, da Wasser mit 72,5 mN/m eine recht hohe Oberflächenspannung besitzt. Oberflächenaktive Substanzen verhindern aber auch bei lösemittelhaltigen Lacken Entnetzungserscheinungen und Kraterbildung. Moderne Lacke für die do-it-yourself-Anwendung sind oft durch Additive so gut eingestellt, dass selbst Verschmutzung der Substratoberfläche durch Siliconöl nicht zur Kraterbildung führt. Im Folgenden soll beispielhaft auf die wasserverdünnbaren Systeme eingegangen werden. Die Oberflächenspannung wässriger Lacke und Druckfarben kann herabgesetzt werden durch den Einsatz von • Colösern (wasserlösliche, niedermolekulare, organische Substanzen), • oberflächenaktiven Substanzen (Verlaufshilfsmittel, Anti-Schaummittel etc.) oder • gelösten Makromolekülen (Dispergierharze, Polyacrylatsalze etc.). Wässrige Lacke sind nur in seltenen Fällen wirklich lösemittelfrei. Beispielsweise setzt man ca. 10 % organisches Lösemittel ein, bezogen auf den Festkörper, um einen guten Verlauf

Oberflächenaktive Substanzen im Lack

133

und Lackstand (Appearance) zu bekommen. Solche Colöser sind Butylglykol, Butyldiglykol etc. Die Oberflächenspannung wässriger Lacke und Druckfarben wird, wie Abbildung 6.9 am Beispiel Butylglykol zeigt, durch Zugabe von Colösern erniedrigt. Additive setzt man zur Verbesserung des Verlaufs, der Untergrundbenetzung (Spreiten), der Pigmentbenetzung, der Haftung auf dem Substrat sowie zur Verhinderung von Schaum ein. Verwendet werden hierfür Polydimethylsiloxan-Derivate, Acetylendiole, Sulfosuccinate, Alkylphenolethoxylate, Fluortenside, Fettalkoholethoxylate, Blockcopolymere etc., siehe Abbildung 6.10.

Abbildung 6.9: Oberflächenspannung wässriger

Eine wesentliche Rolle bei der EntwickLösungen von Butylglykol. lung und bei der Auswahl von Benetzungsadditiven kommt der Messung der dynamischen Oberflächenspannung zu (s. Kapitel 5.3.5). Entscheidend ist die Frage, wie schnell der Beschichtungsprozess abläuft und ob das Additiv in der Lage ist, in entsprechend kurzer Zeit an die Oberfläche zu gelangen.

Abbildung 6.10: Beispiele für Additive zur Verbesserung des Verlaufs und der Substratbenetzung (Spreiten).

134

Benetzung, Verlauf, Adhäsion

Abbildung 6.11: Kontaktwinkel von Wasser auf unterschiedlich vorbehandelten PP/EPDM-Probetafeln (je 100 Messpunkte). O2 -Plasmabehandlung: 220 W, 180 s, 80 Pa. Beflammen mit Luft 60 l/min und Propangas 2,2 l/min; 8,6 m/min Bandgeschwindigkeit [30].

So zeigt das Polydimethylsiloxanderivat (in Abbildung 5.26) in unterschiedlichen Konzentrationen nahezu die identische statische Oberflächenspannung, jedoch deutliche Unterschiede bei der dynamischen Oberflächenspannung. In Prozessen, in denen neue Oberflächen schnell erzeugt werden, wie dies beim Drucken oder beim Spritzlackieren der Fall ist, können dann wegen der deutlich unterschiedlichen dynamischen Oberflächenspannungen auch beträchtliche Unterschiede im Benetzungsverhalten auftreten.

6.7 Methoden zur Vorbehandlung von Kunststoffen Kunststoffe sind niederenergetische Festkörper (s. Kapitel 5.5). Deshalb ist es ohne Vorbehandlung meistens nicht möglich, Benetzung und ausreichendes Haftvermögen von Beschichtungen auf Kunststoff zu erzeugen. Die Oberflächenenergie von Kunststoffen kann durch Vorbehandlung erhöht werden. Gängige Methoden sind die Behandlung mit einem Plasma, mit einer Korona, durch Beflammen oder durch Fluorgasbehandlung. Andere Methoden, wie beispielsweise die Ozonbehandlung oder auch die diversen nasschemischen Vorbehandlungsmethoden spielen heute praktisch kaum noch eine Rolle. Grundsätzlich geht es darum, mit den Methoden zur Vorbehandlung von Kunststoffen polare funktionelle Gruppen in der Oberfläche zu erzeugen, die den polaren Anteil der Oberflächenspannung erhöhen und damit das Spreiten der Beschichtung sowie ihre Adhäsion auf dem Substrat ermöglichen.

6.7.1

Vorbehandlung durch aktivierten Sauerstoff

Beim Beflammen und bei der Koronabehandlung sowie im Sauerstoffplasma entstehen reaktive Spezies, wie O2 -Radikalkationen, OH-Radikale, Hydroperoxy-Radikale, atomarer Sauerstoff, Elektronen, Photonen etc., die mit der Oberfläche reagieren. Mit einschlägigen Analyseverfahren, wie XPS (X-Ray Photoelectron Spectroscopy) und ESCA (Electron Spectroscopy for Chemical Analysis) lässt sich der Sauerstoffgehalt in einer Oberfläche bestimmen und danach häufig auch die Eindringtiefe der Vorbehandlung. Sie beträgt meistens nur wenige Nanometer [25, 26]. In den behandelten Oberflächen lassen sich eingebaute OHGruppen, Hydroperoxy-Gruppen, Aldehyd-Gruppen, Keto-Gruppen und Carboxyl-Gruppen nachweisen, beim Beflammen und bei der Koronabehandlung an Luft auch etwas, meistens als –NO2 eingebauter Stickstoff.

Methoden zur Vorbehandlung von Kunststoffen

Abbildung 6.12: Beflammen von PP/EPDM-Stoßfängern durch Roboter bei Peguform Bohemia in Liberec für Skoda (Foto: Fa. Eisenmann, Böblingen) [27].

135

Abbildung 6.13: Oberflächenenergie gsg und deren polarer Anteil gsgp nach ein- bis viermaligem Beflammen (unbehandeltes PP/EPDM: gsg = 23 mN/m, gsgp = 3 bis 4 mN/m, gsgd = 19 bis 20 mN/m) [31, 32].

Beflammen Im Automobilbau ist Beflammen von Kunststoffbauteilen die am häufigsten angewandte Vorbehandlungsmethode. In Anlagen zur Lackierung solcher Teile, wie etwa PP/EPDMStoßfänger, wird nach dem Entfetten, dem anschließenden Spülen und dem Trockenblasen (Haftwassertrocknung ca. 20 min bei 120 °C) vollautomatisch mit Robotern beflammt (Abbildung 6.12). Nach Abblasen mit ionisierter Luft erfolgt meistens ein Primer-Auftrag mit anschließender Zwischentrocknung, bevor der restliche Lackaufbau appliziert wird [1, 27–29]. Vorbehandlungsbrenner haben Oxidationszonen unterschiedlicher Länge. Zur Folienbehandlung genügen 8 bis 30 mm; für kleinflächige Formteile geeignet sind 15 bis 100 mm bei einreihigen Brennern und zum Beflammen großflächiger Formteile dreireihige Brenner mit 40 bis 300 mm langen Oxidationszonen. Die dreireihigen Brenner haben neben

Abbildung 6.14: Aufbau einer Anlage zur Niederdruck-Plasmabehandlung.

136

Benetzung, Verlauf, Adhäsion

Abbildung 6.15: Plasmabehandlungsanlage bei BMW in Landshut (Foto: Fa. Eisenmann, Böblingen).

der Hauptflamme zur Stabilisierung zwei Stützflammen, was hohe Strömungs- und Arbeitsgeschwindigkeiten ermöglicht. Die Gasflammen erzeugt man mit Propan- oder Butangas und Luft [30]. Durch das Beflammen steigt die Oberflächenenergie, was an den geringeren Kontaktwinkeln von Wasser auf der Oberfläche deutlich wird (Abbildung 6.11) [30]. Diese Zunahme ist auf den Einbau polarer Gruppen in die Oberfläche zurückzuführen, die den polaren Anteil der Oberflächenenergie steigern (Abbildung 6.13) [31–34]. Plasmabehandlung Plasmabehandlung kann zur Feinstreinigung, zur Aktivierung oder zur Beschichtung (Plasmapolymerisation, Plasmapfropfung) eingesetzt werden. Die Vorbehandlung von Kunststoffen führt man mit Niederdruck-Sauerstoffplasmen oder mit Atmosphärendruck-Plasmen durch [25, 35, 36].

Abbildung 6.16: REM-Aufnahmen von PTFEOberflächen vor (oben) und nach (unten) der Behandlung im Sauerstoff-Plasma [38].

Das Anlagenschema ist in Abbildung 6.14 gezeigt. In einer Vakuumkammer lässt sich das Prozessgas bei einem Gasdruck von 10 bis 100 Pa mit Hilfe einer Elektrode, an die eine Gleich- oder Wechselspannung (mit den freigegebenen Frequenzen, d.h. 50 bis 450 kHz; 13,56 MHz oder 2,45 GHz) angelegt wird, durch die unter diesen Bedingungen auftretende elektrische Entladung ionisieren. Im vorliegenden Plasma sind Elektronen, Ionen, Neutralteilchen, Radikale und Photonen enthalten, was entsprechend viele Reaktionsmöglichkeiten nach sich zieht. Wenn die Energiezufuhr ausbleibt, bricht das Plasma zusammen, d.h. das Gas geht in seinen Ausgangszustand zurück.

Beim Niederdruckplasma beträgt die Temperatur der Elektronen zwar 104 bis 105 K, die Temperatur der Ionen und Neutralteilchen aber nur 100 bis 1000 K, was relativ niedrig ist. Die Energie wird vorwiegend von den Elektronen aufgenommen, deren Teilchentemperatur dadurch steigt. Die Gesamttemperatur des Gases bleibt bei verfahrenstechnisch gut handhabbaren 30 bis 50 °C. Als Prozessgase werden verwendet: O2 zum Reinigen (Oxidation organischer Substanzen), O2/CF4 zum Abtragen dünner Kunststoffschichten, H2/ Ar zur Reduktion dünner Oxidschichten, O2/Ar zur Aktivierung von Kunststoffoberflächen. Aufgrund der niedrigen Drücke betreibt man die Anlagen diskontinuierlich. In der Automobilindustrie wurden zeitweise in-line-Plasmaanlagen eingesetzt (Abbildung 6.15) [37]. Vorteilhaft bei

Methoden zur Vorbehandlung von Kunststoffen

137

Abbildung 6.17: Formen elektrischer Entladungen bei Atmosphärendruck (nach [39, 40]).

der Plasmabehandlung ist die Möglichkeit zur Behandlung dreidimensionaler Formkörper und von Stückgut, auch Hinterschneidungen und Sacklöcher erreicht das Plasma. Nachteilig sind die hohen Investitionskosten durch die notwendige Vakuumtechnik. Durch die Plasmabehandlung werden die Oberflächenenergie und die Mikrorauheit des Substrats erhöht (Abbildung 6.16). Koronabehandlung In normaler Atmosphäre kennt man (gemäß Abbildung 6.17) drei Arten elektrischer Entladung, den Lichtbogen, die klassische Korona und die Barriereentladung. Letztere verwendet man zur Vorbehandlung von Kunststoffoberflächen. Stromstarke Entladungen in normaler Atmosphäre stabilisieren sich als Lichtbogen. Die sehr hohen Temperaturen des dort vorhandenen thermischen Plasmas nutzt man beim Plasmaspritzen und beim Lichtbogenschweißen. Eine Korona, wie sie in Fotokopiergeräten eingesetzt wird, arbeitet bei sehr geringen Leistungsdichten, es treten keine elektrischen Durchschläge auf. Die Korona besteht aus einem „Ionenwind“, mit dem elektrische Aufladungen erzeugt oder beseitigt werden können [39, 40]. Bei der Barriereentladung befindet sich zwischen den Elektroden ein Isolator, der die Energiedichte der Entladung begrenzt. Die Funken können sich so nicht zu Lichtbögen stabilisieren, vielmehr bildet sich auch in diesem Fall eine Korona. Deren einzelne Entladungskanäle werden von einem nicht-thermischen Plasma gebildet, d.h. dessen angeregte Gasatmosphäre ist nicht wesentlich erwärmt (Abbildung 6.18) [39, 40].

Abbildung 6.18: Barriereentladung zwischen zwei Elektroden. Die Entladungskanäle sind sichtbar (Foto: DaimlerChrysler, Ulm).

138

Benetzung, Verlauf, Adhäsion

Abbildung 6.19: Direkte und indirekte Koronabehandlung.

Die Wirkungsprinzipien der Koronabehandlung sind in Abbildung 6.19 dargestellt. Haupteinsatzgebiet ist die direkte Koronabehandlung und zwar bei der Vorbehandlung von Folienbahnen vor dem Bedrucken oder Verkleben. Dabei ist die Transportwalze als Gegenelektrode ausgelegt. Von einer Elektrode, die gegenüber der Gegenelektrode eine Spannung von > 10 kV aufweist, geht eine kalte elektrische Entladung aus. Die dadurch in der Luft entstehenden reaktiven Teilchen werden in die Oberfläche eingebaut und modifizieren diese. Nach dem Prinzip der indirekten Koronabehandlung lassen sich vor allem Formteile behandeln. Dabei wird durch die Korona ein Luftstrom geleitet, der auf das Werkstück gerichtet ist. Die Intensität der Vorbehandlung kann über die Leistung der Korona gesteuert werden [41]. Bei der Koronabehandlung lässt sich (gemäß Abbildung 6.20) ein mit steigender Koronadosis zunehmender Einbau von Sauerstoff in die Oberfläche und damit parallel laufend eine Zunahme der Oberflächenenergie beobachten. Die Dosis kann jedoch nicht beliebig gesteigert werden; die Oberflächenenergie erreicht ab einer bestimmten Dosis einen maximalen Wert, bei zu hohen Dosen wird die Kunststoffoberfläche geschädigt. Unter arbeitshygienischen Aspekten hat man zu beachten, dass Abluft der Koronabehandlung ozonhaltig ist und folglich abgesaugt werden muss. Vorteilhaft ist die Koronabehandlung bei Bahnenware, z.B. Folien, sie ist gut steuerbar und ein in-line-Verfahren. Nachteilig ist, wie erwähnt, die notwendige Ozonabsaugung bzw. Luftfilterung, zudem gibt es Einschränkungen bei der Vorbehandlung von Formkörpern.

Abbildung 6.20: Sauerstoffgehalt der Oberfläche bei Koronabehandlung von Polypropylen [40].

139

Methoden zur Vorbehandlung von Kunststoffen

Abbildung 6.21: Mit XPS bestimmter Sauerstoffgehalt in PP-Oberflächen [42].

Stabilität der Vorbehandlung Die Oberflächenenergie von Kunststoffen, die mit aktiviertem Sauerstoff vorbehandelt wurden, ist leider nicht langzeitstabil. Im Einzelnen hängt die Haltbarkeit der Aktivierung stark vom verwendeten Kunststoff ab und kann auch chargenabhängig sein. Vorbehandelte Substrate sollten deshalb innerhalb weniger Tage bedruckt bzw. lackiert werden. Eindrucksvoll ließ sich die Haltbarkeit der Vorbehandlung durch eine Untersuchung zeigen, bei der vorbehandelte PP-Oberflächen mit einem Tuch abgewischt wurden. Der Sauerstoffgehalt in der Oberfläche nahm dabei ab (Abbildung 6.21).

6.7.2 Gasphasenfluorierung Elementares Fluor reagiert in einer stark exothermen Reaktion, meist explosionsartig, mit Kohlenwasserstoffen unter Substitution von Wasserstoffatomen:



Bei der industriell angewandten Gasphasenfluorierung [1, 43–47] verwendet man F2/ N2 -Mischungen mit einem F2 -Gehalt von 0,1 bis 10 Vol-%, so dass die Reaktion kontrolliert ablaufen kann. Die Fluorierungsdauer liegt zwischen 10 s und 10 min. Da die monofluorierten C-Atome reaktionsträge sind, tritt keine Überfluorierung auf. Die durch die MonofluorieTabelle 6.2: Änderung der Oberflächenenergie durch Gasphasenfluorierung nach [45].  Material Polyethylen Polypropylen Polyoxymethylen Polyethylenterephthalat Polybutylenterephthalat Polycarbonat Polyphenylensulfid Polysiloxan-Elastomer

Kurzbezeichnung LDPE PP POM PET PBT PC PPS SI

γ s vorher [mN/m] 30 28 40 32 30 35 35 32

γ s nachher [mN/m] 54 66 72 72 72 58 60 58

140

Benetzung, Verlauf, Adhäsion

rung stark polaren Verbindungen führen zu einer gegenüber unbehandelten Oberflächen deutlich erhöhten, langzeitstabilen Oberflächenenergie (Tabelle 6.2). Im Gegensatz zu perfluorierten Polymeren, die niedrige Oberflächenenergien aufweisen und schwer benetzbar sind, können gasphasenfluorierte Kunststoffe wegen ihrer hohen Oberflächenenergien gut benetzt werden. Die Dicken der fluorierten Schichten liegen im Nanometerbereich (5 bis 35 nm) und sind vom Kunststofftyp und von der Behandlungsdauer abhängig [45, 46]. Das Fluorierungsergebnis wird beeinflusst durch die bei der Reaktion vorhandene Restfeuchte, die Temperatur und das niedrigste vor der Fluorierung vorhandene Vakuum. Kontinuierlich betriebene Anlagen zur Fluorierung von Folien, Schäumen oder technischen Textilien arbeiten bei ca. 700 mbar. In diskontinuierlich arbeitenden Reaktoren werden Betriebsdrücke von ca. 2 mbar eingehalten. Der gebildete Fluorwasserstoff und restliches Fluor werden in Absorbern, meistens mit CaCO3, aufgefangen. Die Reaktoren können nach dem Spülen geöffnet werden, sofern man dabei die MAK-Werte einhält.

6.8 Adhäsion Adhäsion ist die Bezeichnung für die Haftung zweier, in einer Grenzschicht aneinander grenzender Phasen. Ausreichende Festigkeit der Haftung ist die Voraussetzung für die Schutzwirkung einer Beschichtung. Bei Mehrschichtlackierungen bezeichnet man die Adhäsion zwischen zwei Lackschichten als Zwischenschichthaftung. Damit eine ausreichende Haftung zustande kommt, muss das Substrat zunächst gut benetzt werden. Neben dessen Oberflächenenergie sind dabei auch seine Rauheit sowie die Viskosität des Beschichtungsstoffes wichtig. Modellvorstellungen zur Beschreibung der Adhäsion sind die Interdiffusionstheorie, die elektrostatische Anziehung, die mechanische Verankerung und die Bildung chemischer Bindungen in der Grenzschicht. Für die Haftfestigkeit ist auch die Entwicklung der Haftung bei der Filmbildung wichtig. Während des Filmbildungsprozesses und über die Lebensdauer der Beschichtung hinweg können in der Beschichtung auch innere Spannungen entstehen, die adhäsives Versagen zu Folge haben können. Die Prüfung der Haftfestigkeit muss wegen der Vielschichtigkeit des Phänomens immer auf den jeweiligen Fall in der Praxis abgestimmt sein. Zur Prüfung der Haftfestigkeit kennt man die Abreißmethoden, die Abschäl-Messverfahren, die Ritz-, Schneide- und Stoßbelastung der Beschichtung sowie die Untersuchung der Grenzschicht durch die Ultraschallecho-Methode [48–50].

6.8.1 Adhäsionstheorien Die Mechanismen zur Beschreibung der Adhäsion [51–54] sind • • • •

Interdiffusion, elektrostatische Anziehung, Benetzung, Adsorption und Reaktion an der Oberfläche sowie mechanische Verankerung.

Interdiffusion tritt auf, wenn sich die beiden Verbindungspartner ineinander lösen, von ihrer Affinität hängt das Ausmaß der Interdiffusion ab. Die Dicke der gebildeten Grenzphase liegt bei Polymermaterialien in der Regel bei 0,5 bis 10 nm, bei sehr guter Kompatibilität kann sie sogar wenige µm betragen (< 10 µm). Durch die Interdiffusion entsteht eine Verankerung auf molekularer Ebene.

Adhäsion

141

Abbildung 6.22: Haftfestigkeit verschiedener Lacke als Funktion der Oberflächenspannung der Kunststoffe. Die Oberflächenspannungen der Lacke sind als Pfeile senkrecht zur Abszisse eingezeichnet, nach [55].

Mit elektrostatischer Anziehung ist zu rechnen, wenn Materialien mit unterschiedlichen elektronischen Band-Strukturen in Kontakt kommen und es einen Elektronen-Transfer über die Phasengrenzfläche hinweg gibt. Elektronen treten in ein organisches Polymer über, wenn es mit einem Metall in Kontakt kommt. Allerdings ist das Ausmaß derartiger Wechselwirkungen umstritten. Die Theorie der Benetzung, der Adsorption und der Reaktionen an der Oberfläche basiert auf der Betrachtung intermolekularer Wechselwirkungen und ihrem Einfluss auf die Grenzflächenenergie. Zwischenmolekulare Wechselwirkungen sind über eine Distanz von ca. 1 nm wirksam (selbst polierte Metalloberflächen besitzen jedoch noch eine Rauheit von 0,02 bis 0,25 µm). Damit die Adhäsion einen messbaren Wert erreicht, muss ein sehr enger Kontakt vorhanden sein. Einer der Verbindungspartner (Lack oder Klebstoff) muss also als Flüssigkeit oder als Schmelze (erweicht) vorliegen, um dies zu gewährleisten. Die

Abbildung 6.23: Schälfestigkeit (s. Abbildung 6.37) unterschiedlicher Klebstoffe im Verbund von PET-Filmen, nach [56].

142

Benetzung, Verlauf, Adhäsion

Adhäsion entsteht durch die Physisorption (Adsorption) an der Oberfläche und gegebenenfalls durch Reaktion von Oberflächengruppen mit der Beschichtung (Chemisorption). Ursache der Physisorption sind van der waalssche Wechselwirkungen, Ursache der Chemisorption chemische Bindungen. Mechanische Verankerung liegt vor, wenn die flüssige Beschichtung auf einem rauen oder porigen Substrat spreitet, in Löcher, Poren und Hinterschneidungen eindringt und dann aushärtet. Es treten hohe Bindungsstärken auch bei schwacher Wechselwirkung auf. Mechanische Verankerung spielt eine wichtige Rolle beim Beschichten von Holz, Papier und Textilien. Die Adhäsionsarbeit WA ist gegeben durch die Dupré-Gleichung (Gleichung 6.11). Dabei betrachtet man die Arbeit zur Trennung einer Schicht von einem Substrat (s. Kapitel 5.5.2).

Gleichung 6.11:



Setzt man in Gleichung 6.11 die youngsche Gleichung (Gleichung 5.53) ein, so erhält man die Young-Dupré-Gleichung (Gleichung 6.12).

Gleichung 6.12:

Danach ist die Adhäsionsenergie WA maximal, wenn der Kontaktwinkel θ = 0 ist. Beim physikalisch nicht beobachtbaren Fall θ < 0 wäre WA wieder geringer. Erhöht man die Oberflächenenergie des Substrats, so beobachtet man auch eine Zunahme der Haftfestigkeit einer Schicht auf dem Substrat. Werden Oberflächenenergie des Substrats und der Beschichtung immer ähnlicher, so geht das Adhäsionsversagen meistens in ein Kohäsionsversagen über. Weitere Erhöhung der Oberflächenenergie führt wieder zu einer Abnahme der Haftfestigkeit. Dyckerhoff und Sell [55] zeigten, dass man die maximale Haftfestigkeit einer Beschichtung erhält, wenn die Oberflächenenergie des Substrats und die der Beschichtung gleich sind (Abbildung 6.22). In ähnlicher Weise zeigten Iyengar und Erickson [56], dass die Verbundfestigkeit zwischen Polyethylenterephthalat und einem anderen Polymer dann maximal ist, wenn beide ähn-

Abbildung 6.24: Gute Benetzung der strukturierten Oberfläche führt zu mechanischer Verankerung der Beschichtung; Lufteinschlüsse in Poren und auf einer strukturierten Oberfläche wirken als Fehlstellen, die Haftungsverlust durch Korrosion und Unterwanderung zur Folge haben können.

Adhäsion

143

liche Kohäsionsparameter besitzen (Abbildung 6.23). Bei ähnlichen Kohäsionsparametern ist auch die Interdiffusion der Polymerketten von Beschichtung und Substrat möglich, was zu einer festen Verankerung der Schichten führt.

6.8.2 Entwicklung der Adhäsion bei der Filmbildung Die Adhäsion einer Beschichtung auf einem Substrat entwickelt sich langsam bei der Filmbildung. Damit sich ein zusammenhängender Film bildet, der das Substrat quasi als Haut überzieht, muss der flüssige Beschichtungsstoff zunächst das Substrat benetzen. Wie vorab beschrieben, sind hierbei die Oberflächenspannung des flüssigen Beschichtungsstoffes, die Oberflächenenergie des Substrates und die Grenzflächenenergie zwischen Beschichtungsstoff und Substrat sowie die Oberflächenrauheit des Substrats entscheidend. Für eine gute Adhäsion muss der Beschichtungsstoff die Oberfläche komplett benetzen. Lufteinschlüsse und schlechte Penetration in Poren und in Hohlräume auf der Oberfläche führen zu Fehlstellen, die Ausgangspunkt für Korrosionsvorgänge oder zur Unterwanderung des Beschichtungsfilms durch Feuchtigkeit sein können. Je niedriger die Viskosität eines Beschichtungsstoffes bei der Filmbildung ist, umso besser wird die Penetration der strukturierten Oberfläche sein. Schematisch sind diese Zusammenhänge in Abbildung 6.24 gezeigt, eine Vorstellung von in der Praxis anzutreffenden Strukturen von Substratoberflächen vermittelt, siehe auch Abbildung 6.2.5. Sind die Löslichkeitsparameter von Beschichtungsstoff und Substrat ähnlich (vgl. Kapitel 2.2 und 2.3), so kann es z.B. bei Kunststoffsubstraten oder beim Überlackieren von Lack-

Abbildung 6.25: REM-Aufnahmen einer zinkphosphatierten (links) und einer gewalzten Stahloberfläche (rechts).

144

Benetzung, Verlauf, Adhäsion

Abbildung 6.26: Verformung durch Volumenexpansion bzw. Volumenkontraktion einer Beschichtung auf einem flexiblen Substrat.

schichten zu einer Anlösung oder Quellung der obersten Zone der Schicht kommen. Polymermoleküle des Beschichtungsstoffes können in das Substrat eindringen bzw. Moleküle des Substrats in den Beschichtungsstoff diffundieren; somit kann es zu Verhakungen und Verschlaufungen und damit zu einer Erhöhung der Verbundfestigkeit auf molekularer Ebene kommen. Bei Substraten, die schlecht anquellbar sind, wie etwa hochvernetzte Lackierungen (z.B. überbrannte MF-Harz Einbrennlacke) ist die Zwischenschichthaftung zu einer überlackierten Schicht meistens schlecht, was an der Behinderung der Interdiffusion durch das hochvernetzte Material liegt [57].

6.8.3 Innere Spannungen Bei der Härtung können neben der Adhäsion aber auch innere Spannungen ausgebildet werden [58–65]. Deren Ursache kann thermischer Natur sein. Weitere Ursachen für innere Spannungen sind bedingt durch das Fortschreiten der Vernetzungsreaktion in einem immer inflexibler werdenden Zustand der Beschichtung (im Gel bis zur Verglasung) oder durch Phänomene wie Quellung bzw. Verlust von Feuchtigkeit, Weichmachern oder Lösemittel

Abbildung 6.27: Volumenänderungen in Lackfilmen als Ursachen innerer Spannungen.

145

Adhäsion

aus der Beschichtung. Volumenänderungen in der Beschichtung führen auf einem flexiblen Substrat zu einer Verformung des Verbundes, z.B. zum „Schüsseln“ (Abbildung 6.26). Zieht sich eine fest haftende Beschichtung auf einem starren Substrat zusammen, so werden gemäß Abbildung 6.27 in der Beschichtung Zugspannungen σ parallel zur Oberfläche aufgebaut. Unter Spannung stehende Beschichtungsfilme verlieren bei mechanischer Belastung leicht ihre Haftung, es kann zu Rissen oder zum Abplatzen der Beschichtung kommen. Messung von inneren Spannungen in Beschichtungen Die Messung der inneren Spannung si in einem Lackfilm erfolgt durch optische Methoden, über eine direkte Spannungsmessung oder, wie überwiegend in der Literatur beschrieben, durch die Cantilever-Beam-Methode [58, 62]. Bei der Cantilever-Beam-Methode verwendet man dünne (ca.100 µm) Stahlstreifen oder Folien, auf denen die Beschichtung aufgetragen ist. Diese Probekörper werden vertikal aufgehängt oder horizontal auf zwei Schneiden gelagert (s. Abbildung 6.28). Die innere Spannung kann nach Corcoran aus der von den Volumenänderungen verursachten Verbiegung (Auslenkung x) der Probekörper berechnet werden (Gleichung 6.13) [66]. Dabei sind ES bzw. EC der Elastizitätsmodul von Substrat bzw. Beschichtung (Index: S = Substrat, C = Coating), d die Dicke und l die Länge des Substrats, c die Schichtdicke der Lackierung und mS bzw. µC die Poissonzahl von Substrat bzw. Beschichtung. Die Verbiegung kann auf mechanischem, induktivem oder optischem Wege gemessen werden [58, 62]. Gleichung 6.13:



Thermische Spannungen Wird ein Beschichtungsstoff bei erhöhter Temperatur gehärtet (z.B. ein Einbrennlack), dann steigt mit der Vernetzung die Glasübergangstemperatur des Beschichtungsfilms an [67]. Nach Di Benedetto hängt die Glasübergangstemperatur Tg vernetzter Systeme von der Glasübergangstemperatur des entsprechenden unendlich großen linearen Moleküls Tg∞ und vom Vernetzungsgrad X gemäß Gleichung 6.14 ab; der Vernetzungsgrad steigt mit dem Umsatz an (0 ≤ X ≤ 1) .

Abbildung 6.28: Cantilever-Beam-Methode (links) und Prinzip des CoRJ-Stressmeters (rechts) zur Messung der inneren Spannung von Lacken auf 100 µm dicken Stahlfolien mit Beschichtung.

146

Benetzung, Verlauf, Adhäsion

Abbildung 6.29: Abhängigkeit von bei Raumtemperatur gemessenen inneren Spannungen von Beschichtungen mit ihren Glasübergangstemperaturen (nach Zosel, in [73]).

Abbildung 6.30: Innere Spannungen in einem Polystyrol- und einem Polyacrylatfilm in Abhängigkeit vom Abstand der Messtemperatur von der Glasübergangstemperatur [68].

Gleichung 6.14:

Überschreitet die Glasübergangstemperatur mit fortschreitendem Umsatz die bei der Härtung vorhandene Temperatur (um ca. 20 °C), so „verglast“ der Beschichtungsstoff. Dabei verliert er weit gehend seine Fließfähigkeit und Flexibilität. Bei Abkühlung im Glaszustand entstehen Spannungen, wenn Beschichtung und Substrat unterschiedliche Ausdehnungskoeffizienten besitzen (Tabelle 6.3) [68–70]. Sie führen beispielsweise zum Schüsseln, zum Abplatzen der Beschichtung oder bereits bei geringen Verletzungen zum Reißen der Schicht (s.a. [58, 61, 62]). Die thermischen Spannungen sind umso ausgeprägter, je höher die Glasübergangstemperatur über der Raumtemperatur liegt (Abbildung 6.29 bis Abbildung 6.31), durch Temperaturerhöhung lassen sie sich wieder abbauen. Abbildung 6.29 zeigt die bei Raumtemperatur gemessenen inneren Spannungen von Beschichtungen mit unterschiedlichen Glasübergangstemperaturen. Diese Lackfilme verglasen bei der Härtung bei erhöhter Temperatur und werden dann im Glaszustand mit unterschiedlichen Temperaturdifferenzen zur Tabelle 6.3: Glasübergangstemperatur auf RaumtemThermische Ausdehnungskoeffizienten α. peratur abgekühlt. Je größer die TemperaMaterial α, linear Temperatur Lit. turdifferenz zwischen der Raumtemperatur 10 -3 mm/(m∙K) °C und der Glasübergangstemperatur ist, umso PMMA 70 0–50 [71] größer ist dementsprechend die innere [71] Polyethylen 100 T < Tg Spannung, die in diesem Fall thermischen [71] Polystyrol 60–80 T < Tg Ursprungs ist (Abbildung 6.30). Stahl, ferritisch Stahl, austenitisch Aluminium Quarz

10–10,5

0–100

[71]

16–16,5

0–100

[71]

23 1

25 25

[72] [72]

Polymerisationsschrumpf Bei der Vernetzung gehen van der waalssche Bindungsabstände in die sehr viel kürzeren kovalenten Bindungsabstände über, was zu

Adhäsion

147

Abbildung 6.31: Temperaturabhängigkeit innerer Spannungen von Lacken auf der Basis von HDDA/ TMPFMA mit unterschiedlichen Gehalten von HDDA (in %), nach der Cantilever-Beam-Methode [73].

einer Volumenkontraktion führt. Der Anteil des Polymerisationsschwundes, auftretend in einem Stadium der Reaktion, in dem das System nicht mehr in der Lage ist zu relaxieren (in einem fortgeschrittenen Stadium der Polymerisation im Gel), trägt zu inneren Spannungen bei [69, 70, 73]. Ein Beispiel mit UV-härtbaren Lacken zeigt Abbildung 6.31. In diesem Beispiel werden bei den hochvernetzten Lackfilmen oberhalb der Glasübergangstemperatur noch Spannungen gemessen, deren Ursache der Polymerisationsschrumpf ist. Extraktion und Verdunstung bzw. Quellung Volumenänderungen in Beschichtungsfilmen treten bereits bei der Filmbildung durch Abgabe des Lösemittels oder durch Verlust von Weichmachern auf. Beschichtungsfilme nehmen aber auch Lösemittel oder Feuchtigkeit aus ihrer Umgebung auf [58, 62], z.B. bei Innenbeschichtungen von Tanks [74], bei Beschichtungen unter Wasser etc. In Abbildung 6.32 ist gezeigt, wie Beschichtungsfilme beim Eintauchen in Wasser (Immersion) expandieren und bei der Trocknung wieder kontrahieren. Die bei der Immersion und bei der Trocknung sprunghaft erhöhte innere Spannung nimmt im Lauf der Zeit wieder ab. Diese Spannungsrelaxation wird der Neuverteilung von adhä-

Abbildung 6.32: Innere Spannungen in einer Epoxidharzbeschichtung bei Immersion in Wasser und bei der Trocknung [61].

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Benetzung, Verlauf, Adhäsion

siven Bindungen auf der Oberfläche zugeschrieben. Danach soll speziell bei der Immersion das eindiffundierende Wasser den Beschichtungsfilm flexibilisieren und die erwähnte Neuverteilung der adhäsiven Bindungen erleichtern [61].

6.8.4 Weak Boundary Layer-Theorie Von Bikerman [75] wurde die Auffassung vertreten, dass beim Zerreißen einer Haftverbindung praktisch nie ein echter Grenzflächenbruch eintritt, sondern eine Trennung in einer Schicht nahe der Grenzfläche, nämlich in einer der beiden Phasen (Kohäsionsbruch, s. Abbildung 6.34). Solch „schwache“ Grenzschichten (weak boundaries) können auf unterschiedliche Art und Weise zustande kommen, z.B. durch Verunreinigungen, die während der Filmbildung an die Grenzfläche wandern oder die bereits vor der Beschichtung dort vorhanden waren. Bei diesen Verunreinigungen kann es sich um hygroskopische Substanzen handeln, die die Luftfeuchtigkeit anziehen und den Beschichtungsstoff erweichen oder dünne Wasserschichten bilden, von denen die Beschichtung unterwandert wird. Öl- und Fettschmutz kann sich in der Beschichtung auflösen und diese weich machen. In Beschichtungsstoffen entsteht während der Filmbildung in der Regel ein inhomogener Schichtaufbau entlang der Senkrechten. Je nach Affinität (Löslichkeitsparameter oder Oberflächenspannung – beides sind Maßzahlen für zwischenmolekulare Wechselwirkungen) reichern sich die Inhaltsstoffe eines Beschichtungsstoffes eher an der Substratoberfläche oder an der Beschichtungsoberfläche an. In manchen Fällen ist dies auch erwünscht, z.B. bei Verlaufsadditiven oder Netzmitteln. Die Anreicherung von weich machenden Substanzen in der Grenzschicht kann – wie bereits erwähnt – zum Haftungsverlust bei Beanspruchung führen.

6.8.5 Methoden zur Messung der Haftfestigkeit Wird der Verbund aus Beschichtung und Substrat mechanisch belastet, dann kann es zum Verlust der Haftung, zur Delamination kommen. Belastungen können durch Krafteinwirkung von außen (Kratzen, Schleifen, Ritzen, Schlagen, Stoßen, Druck) oder durch innere Spannungen verursacht sein. Von Interesse ist nicht nur die Kraft, die man aufwenden muss, um den Verbund zu trennen, sondern auch die Stelle, an der das Versagen des Verbundes eintritt. Die Kraft, die aufzuwenden ist, um eine Beschichtung vom Substrat zu trennen, gilt als Maß für die Haftfestigkeit. Dabei kann die ausgeübte Kraft als Zugspannung, also senkrecht zur Oberfläche wirken oder als Scherspannung, somit tangential zur Oberfläche (Abbildung 6.33). Weist bei einem Verbund aus Beschichtung und Substrat, wie in Abbildung 6.34 gezeigt, die Grenzschicht die geringste Festigkeit auf, so kommt es bei entsprechend hoher Bela-

Abbildung 6.33: Zug- bzw. Scherspannungen in Beschichtungsfilmen bei Zug- bzw. Scherbelastung.

Adhäsion

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Abbildung 6.34: Adhäsions- bzw. Kohäsionsversagen eines Verbundes aus Beschichtung und Substrat.

stung zum Adhäsionsversagen, d.h. die Beschichtung löst sich vom Substrat. Ist jedoch die Festigkeit der Beschichtungsphase geringer als die Haftfestigkeit, so kommt es zum Bruch innerhalb der Beschichtung, und man spricht dann vom Kohäsionsversagen der Schicht. Kohäsionsversagen kann aber auch im Substrat auftreten, wenn es die geringste Festigkeit der beteiligten Verbundpartner besitzt. Die in der Praxis angewandten Methoden zur Ermittlung der Haftfestigkeit sind [48, 76]: • Abreißmethoden (Stirnabzugtest, Twistometer) • Abschälmethoden (Keilvorschub-Verfahren, Peeling-Test) • Prüfungen durch lokale Belastung (Ritz, Schnitt, Stoß) Abreißmethoden Beim Abreißversuch wird ein definierter Prüfstempel auf die Oberfläche der Beschichtung geklebt und die maximale Kraft gemessen, die notwendig ist, um diesen zusammen mit der Schicht wieder abzuziehen. Zum Aufkleben des Prüfstempels verwendet man meist 2 K-Reaktionsklebstoffe. Beim Stirnabzug wird der Prüfstempel senkrecht nach oben mit einer Zugprüfmaschine abgerissen und die dabei auftretende maximale Kraft F gemessen. Als Haftfestigkeit gibt man die maximal auftretende Zugspannung σ an, die durch Normierung der Kraft F auf die Grundfläche A des Prüfstempels berechnet wird (Gleichung 6.15, Abbildung 6.35). Gleichung 6.15:



Beim Abscherversuch wird der Prüfstempel gedreht und man misst das maximale Drehmoment, das notwendig ist, um den Prüfstempel von der Oberfläche abzutrennen. Als Haftfestigkeit gibt man die maximale Schubspannung τ an, die aus dem Drehmoment M und der Grundfläche A des Prüfstempels berechnet wird (Gleichung 6.16, Abbildung 6.35). Gleichung 6.16:



Probleme bei den Abreißmethoden sind die mögliche Beeinflussung der Grenzschicht Substrat/Beschichtung durch den Klebstoff und die Möglichkeit, dass das Versagen des Ver-

150

Benetzung, Verlauf, Adhäsion

Abbildung 6.35: Abreißmethoden zur Bestimmung der Haftfestigkeit, Stirnabzugtest (links) und Abscherversuch (rechts) [48].

bundes auch in der Klebstoffschicht auftreten kann. In diesem Fall kann man nur angeben, dass die Haftfestigkeit offenbar größer als die Festigkeit der Klebstoffschicht ist. Beim Drei-Punkt-Biegetest wird ein Metallblock auf die Beschichtung geklebt und dieser Verbund in einer Zugprüfmaschine mit Druckbeanspruchung durch eine punktförmige Kraft gegen ein Widerlager aus zwei Punkten gedrückt. Beim Überschreiten einer kritischen Kraft beginnt sich der Lackfilm an den Seiten des starren Blockes vom Substrat zu lösen, und es breitet sich ein Riss zwischen Substrat und Beschichtung aus, so dass die Biegesteifigkeit wegen der Zunahme der gebogenen Strecke abnimmt. Aus der kritischen Kraft bei Beginn der Delamination und der freien Länge der Probe lässt sich die Rissausbreitungsenergie bei Rissbeginn berechnen (Abbildung 6.36) [68]. Abschälmethoden Zu den Abschälmethoden (Abbildung 6.37) gehören das Keilvorschubverfahren und der Peeling-Test. Bei beiden Methoden wird ein Streifen der Beschichtung in definierter Breite b vom Substrat abgehoben. Die Kraft F, die dabei aufgewandt werden muss, wird auf die Breite b bezogen. Formal entspricht der so erhaltene Wert einer Abschälarbeit pro Flächeneinheit. Diese ist mindestens so groß wie die Adhäsionsenergie. Der Peeling-Test wird vor allem zur Prüfung von Klebstoffen angewandt, z.B. bei der Prüfung von Klebebändern. Er kann in einer Zugprüfmaschine durchgeführt werden. Beim Keilvorschubverfahren wird ein Keil zwischen Beschichtung und Substrat getrieben und so der Verbund getrennt. Die Kraft, die zum Vorschub des Keils notwendig ist, wird gegen die Zeit registriert. Je nach Materialeigenschaften des Beschichtungsfilms trennt sich dieser in Schuppen ab, wenn das Material spröde ist, oder er wird als Span abgehoben,

Abbildung 6.36: Drei-Punkt-Biegetest an einem Substrat mit Beschichtungsfilm.

Adhäsion

151

Abbildung 6.37: Abschälmethoden zur Bestimmung der Abtrennarbeit – Keilvorschubverfahren (links) und Peeling-Test (rechts) [48].

wenn das Material flexibel ist. Bei geringer Adhäsion löst sich die Beschichtung bereits in einem gewissen Abstand vor dem Keil (Abbildung 6.38). Prüfungen durch lokale Belastung In der Praxis kommt es häufig aufgrund einer hohen lokalen Belastung zur Abtrennung der Beschichtung vom Substrat. Derartige Belastungen sind beispielsweise Verkratzung, Steinschlag oder Stoß. Steht die Beschichtung unter Spannung oder liegen Fehlstellen in der Beschichtung vor, so verstärkt dies zusätzlich die Wirkung der Beschädigung. Es gibt zahlreiche Prüfmethoden, die die Haftung unter einer lokal eng begrenzten, starken Belastung messen. Die am weitesten verbreitete Prüfung zur Bewertung der Haftfestigkeit ist die Gitterschnittprüfung [77]. Dabei werden (gemäß Abbildung 6.39) jeweils sechs parallele Schnitte rechtwinklig zueinander und im Abstand von ein bis zwei mm, je nach Dicke der Beschichtung, bis auf das Substrat durchgehend angebracht. Der so erhaltene Gitterschnitt wird entweder mit einer Bürste abgerieben, oder man klebt ein Klebeband über den Gitterschnitt und reißt es wieder ab. Ausgewertet wird nach der Anzahl der aus der Gitterschnittfläche heraus gebrochenen Teile, nach einer Benotungsskala von Gt 0 (keine Ablösung) bis Gt 5 (massive Ablösung).

Abbildung 6.38: Formen des Abtrennens beim Keilvorschubverfahren [48].

152

Benetzung, Verlauf, Adhäsion

Abbildung 6.39: Schneidwerkzeug und Bewertungsskala für die Gitterschnittprüfung.

Nach ASTM D 3359 wird der Anteil der abgelösten Quadrate in Prozent angegeben (mehr als 65 % abgelöster Fläche entspricht Gt 5). Zur Prüfung der Haftung einer Beschichtung durch Schlagbeanspruchung gibt es zahlreiche Methoden. Zu erwähnen sind beispielsweise die Steinschlagtests (von denen mindestens so viele Varianten bekannt sind, wie es Automobilfirmen gibt, die diese anwenden). Darüber hinaus können auch Beschussversuche, Ritzversuche, Tiefungsprüfungen (wie die Schlagtiefung oder die Erichsentiefung) sowie die Biegung am konischen oder am zylindrischen Dorn Auskunft über die Haftung einer Beschichtung geben.

6.8.6 Haftvermittler und Primer Haftvermittler sind Substanzen, die mit funktionellen Gruppen auf der Oberfläche des Substrats reagieren oder die starke Wechselwirkungen mit solchen Oberflächengruppen eingehen. Häufig sind Haftvermittler Substanzen, die entweder in Lösung oder in Substanz eine niedrige Viskosität haben und die deshalb die Oberfläche effektiv benetzen und in sie penetrieren können. Primer sind Beschichtungsstoffe, die in dünner Schicht auf das Substrat aufgebracht werden, z.B. als Grundierung. Sie übernehmen gegebenenfalls auch spezielle Funktionen, wie etwa die Verbesserung der Haftung folgender Schichten. Polare Gruppen, beispielsweise Carboxyl-, Hydroxyl- oder Carboxylamid-Gruppen, im Bindemittel des Beschichtungsstoffes verbessern die Haftung auf Metalloberflächen. Metalle tragen auf ihrer Oberfläche meistens Oxidschichten, mit Oxid- und Hydroxid-Gruppen, die als H-Brücken-Akzeptor bzw. H-Brücken-Donor fungieren können. Hydroxid-Gruppen auf der Metalloberfläche können mit geeigneten Haftvermittlern chemische Reaktionen eingehen.

Literatur

153

Abbildung 6.40: Beispiele für Alkoxysilane, die als Haftvermittler zum Einsatz kommen.

Kommerziell hierfür verfügbar sind Alkoxysilane, die mit den Hydroxid-Gruppen der Oberfläche reagieren können und die außerdem einen funktionalisierten Rest tragen, der mit dem Bindemittel reagieren kann, siehe Abbildung 6.40. Ähnlich wie die Silane reagieren kommerziell verfügbare Titanate und Zirkonate [6]. Wie die Silane werden sie auf Metallen, aber auch auf Kunststoffen eingesetzt. Chlorierte Polyolefine lassen sich als Haftprimer auf Polyolefinoberflächen verwenden. Sie werden in geringer Schichtdicke appliziert (ca. 5 µm), auf eine Vorbehandlung kann jedoch meist trotzdem nicht verzichtet werden [6]. 6.9 Literatur [1] [2] [3] [4] [5]

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157

Kolloidale Systeme

7 Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen Die Kolloidwissenschaft [1–11] befasst sich mit dispersen Systemen, den Kolloiden. Deren Verhalten liegt zwischen dem von Molekülen und dem von makroskopischen Systemen. Der Name Kolloid ist aus dem Griechischen abgeleitet, von kolla – der Leim. Graham schlug den Begriff 1861 zur Bezeichnung leimartiger Stoffe vor, die – wie in Wasser gelöste Salze – durch makroskopische Filter hindurch laufen [12].

7.1

Kolloidale Systeme

Bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen findet man häufig mehrphasige Systeme, bei denen eine der Phasen in einer anderen, der kontinuierlichen Phase (Medium, Dispersionsmittel) fein verteilt ist. Man spricht in diesem Fall von dispers oder dispergiert. Bei Beschichtungsstoffen kommen unterschiedliche kolloidale Systeme vor. So liegen beispielsweise Pigmente und Füllstoffe in Lösemitteln oder in Wasser sowie später im festen Beschichtungsfilm dispers vor – als Pigment- oder Füllstoffdispersion. In Wasserlacken werden beispielsweise Polymerlatices, das sind Dispersionen aus Polymerteilchen, oder Alkydharzemulsionen als Bindemittel mit Wasser als Medium eingesetzt.

7.1.1

Klassifizierung und Strukturen

Grundsätzlich können kolloidale System über den Aggregatszustand von kontinuierlicher und disperser Phase klassifiziert werden (Tabelle 7.1). Mit gasförmiger kontinuierlicher Phase kennt man Nebel, Aerosol, Rauch und Feinstaub, mit flüssiger kontinuierlicher Phase Schäume, Emulsionen, Dispersionen und Suspensionen, mit kontinuierlicher fester Phase gibt es die festen Schäume und die festen Dispersionen, wie beispielsweise auch pigmentierte Lackfilme. Der Begriff Dispersion ist eigentlich der Oberbegriff für Systeme mit partikelförmiger flüssiger oder fester disperser Phase, wird aber auch speziell für Dispersionen mit fester Partikelphase benutzt, nämlich den Polymerlatices, bei denen die Glasübergangstemperatur des Polymers über der Raumtemperatur liegt. Die Abgrenzung zwischen Dispersion und Suspension ist willkürlich – als Suspensionen bezeichnet man Dispersionen großer Partikel.

Tabelle 7.1: Einteilung kolloidaler Systeme nach Medium und disperser Phase disperse Phase gasförmig flüssig fest

gasförmig Aerosol, Nebel Rauch, Staub

Medium flüssig flüssiger Schaum Emulsion Dispersion, Suspension

Meichsner, Mezger, Schröder: Lackeigenschaften messen und steuern, 2. Auflage © Copyright 2016 by Vincentz Network, Hannover, Germany

fest fester Schaumstoff feste Dispersion feste Dispersion

158

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Abbildung 7.1: Strukturen kolloidaler Systeme (links) sowie Kristallformen bei klassischen Pigmenten und Füllstoffen nach DIN 53 206 (rechts) [13].

Kolloidale Teilchen sind submikroskopisch klein, ihre Größen liegen bei 1 nm bis 1000 nm. Dabei muss mindestens eine der drei Raumrichtungen kolloidale Dimension besitzen, d.h. kleiner als 1 µm sein. Die disperse Phase kolloidaler Systeme kann deshalb unterschiedlicher Gestalt sein (Abbildung 7.1), nämlich korpuskular, z.B. kugelförmig oder sphärisch, wie meistens bei Polymerlatices oder Emulsionströpfchen, ferner lamellar, wie etwa bei plättchenförmigen Pigmenten oder beim Schaum, oder fibrillar, wie bei Fasern oder Nadeln.

7.1.2

Größenordnungen kolloidaler Systeme

In diesem Abschnitt wird erklärt, welche Größenordnungen den kolloidalen Charakter eines Systems prägen. Im Einzelnen sind dies Radius bzw. Durchmesser, Oberfläche und Volumen der Teilchen, aber auch die Ladung und gegebenenfalls adsorbierte Schichten auf der Teilchenoberfläche spielen eine wichtige Rolle. Mit ihrer typischen Größe (1–1000 nm) liegen kolloidale Strukturen zwischen molekularen und makroskopischen Strukturen. Dieser Bereich umfasst auch die Nanoobjekte, die nach DIN SPEC 1121 mindestens ein, zwei oder drei Außenmaße im Nanomaßstab, d.h. mit einer Dimension von 1 bis 100 nm besitzen [14, 15]. Die Kolloidchemie befasst sich also mit Teilchen, seien es Feststoffe oder Tröpfchen, einer Kleinheit, die unseren Sinnen nicht zugänglich ist – Strukturen kleiner als 0,5 µm löst das Lichtmikroskop nicht mehr auf. Ebenso lassen sich die Phasen von Emulsionen makroskopisch nicht unterscheiden. Aufgrund der Lichtstreuung an den meist kugelförmigen Emulsionspartikeln erscheinen Emulsionen als milchige, quasi-homogene Flüssigkeiten.

Abbildung 7.2: Teilchensorten in einer realen Dispersion, nach DIN 53 206 [13].

Kolloidale Systeme

159

In realen Dispersionen von Pigmenten liegen neben den Primärteilchen, das sind die Kristalle und die sogenannten Aggregate, das sind flächig miteinander verbundene Kristalle, auch Agglomerate und Flockulate vor. Agglomerate sind locker, über Kanten miteinander verbundene Primärteilchen, Flockulate sind sehr lockere, meist durch einfaches Rühren wieder zerteilbare Zusammenlagerungen bereits benetzter Teilchen (Abbildung 7.2). In der Realität besitzen die Primärteilchen meist keine ideale Geometrie, d.h. sie weichen von der Idealgestalt, z.B. Kugel oder Würfel, ab (Abbildung 7.1). Abbildung 7.3: Teilchen mit der äquivalenten Als Teilchengröße gibt man in der Regel Kugel mit gleichen physikalischen Eigenschaften, den Durchmesser d an, da er im Mikroskop z.B. gleiches Volumen. leichter abzuschätzen ist als der Radius r. Bestimmt man den Durchmesser jedoch nicht direkt, sondern berechnet ihn aus anderen Messgrößen, beispielsweise unter der Annahme kugelförmiger Teilchen, so nennt man ihn Äquivalentdurchmesser (Abbildung 7.3). Das ist der Durchmesser eines kugelförmigen Teilchens, das ein entsprechendes Mess­ ergebnis liefern würde, z.B. den Äquivalentdurchmesser einer Kugel gleicher Projektionsfläche d P, gleicher Oberfläche dS, gleichen Volumens dV oder gleicher Sinkgeschwindigkeit nach dem stokesschen Gesetz dSt. Die Angabe des Äquivalentdurchmessers ist sinnvoll, weil bei vielen Teilchengrößen-Bestimmungsmethoden die Teilchenform nicht bekannt ist und weil in realen Dispersionen unterschiedliche Teilchensorten (s. Abbildung 7.2) vorkommen.

Beispielsweise kann aus der Sedimentationsgeschwindigkeit eines Partikels, durch Annahme der Kugelform, auf den Durchmesser geschlossen werden, den ein kugelförmiges Teilchen gleicher Sinkgeschwindigkeit vS, wie das betrachtete Teilchen hätte. Dabei bedient man sich des stokesschen Gesetzes (Gleichung 3.20) und spricht vom Durchmesser der äquivalenten Kugel dSt (Gleichung 7.1, mit der Viskosität des Mediums ηM, der Dichte des Teilchens rT und der Dichte des Mediums ρM). Gleichung 7.1:

Je feiner die betrachteten Teilchen sind, umso größer ist ihre spezifische Oberfläche S (s.a. Kapitel 5.2.3.), das ist die auf die Masse bezogene Oberfläche in m2/g. Feine Teilchen kolloidaler Größenordnung haben eine beachtliche spezifische Oberfläche von ungefähr S = 0,1 bis 1000 m2/g (s.a. Tabelle 7.3). Geht man von kugelförmigen Teilchen aus, so kann man für die spezifische Oberfläche Gleichung 7.2 bis Gleichung 7.5 ableiten. Dabei ist VK das Kugelvolumen (Gleichung 7.2), r der Radius, d der Durchmesser, A K die Kugeloberfläche (Gleichung 7.3), ρ die Dichte und m die Masse. Für diese Größen gilt also im Einzelnen: Gleichung 7.2:

160

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Gleichung 7.3: Gleichung 7.4:

Gleichung 7.5:



Beispiel – Berechnung der spezifischen Oberfläche von Hämatit und von Kupferphthalocyanin für die Teilchendurchmesser d = 1 µm , 200 nm und 50 nm. Die Dichte von Hämatit beträgt ρ(α-Fe2O3) = ca. 5,24 g/cm3, die von Kupferphthalocyanin ρ(CuPc) = ca. 1,61 g/cm3. Die für die spezifische Oberfläche S berechneten Werte sind in Tabelle 7.2 aufgeführt. Um von der spezifischen Oberfläche S (beispielsweise der BET-Oberfläche) zurück auf den Durchmesser d zu schließen, muss der Wert der Dichte ρ berücksichtigt werden. Es ist ein großer Unterschied, ob beispielsweise ein Pigment mit einer spezifischen Oberfläche von 50 m2/g aus einem organischen oder aus einem anorganischen Material besteht: Hämatit:

Kupferphthalocyanin:

Anhand des Beispiels erkennt man auch, dass die spezifische Oberfläche umso größer ist, je kleiner die Teilchen sind. Wie die spezifische Oberfläche bei der Zerkleinerung von Teilchen zunimmt, kann man beim Zerteilen eines Würfels betrachten (Abbildung 7.4). Bereits durch Halbieren der Kanten von würfelförmigen Teilchen, jeweils in den drei Raumrichtungen, ergeben sich eine Verachtfachung der Anzahl der Würfel und eine Verdoppelung der Oberfläche. Beispiel – Zerteilung eines Würfels: Zerteilt man einen Würfel lamellar, fibrillar und dann korpuskular in N Teilchen, so sitzen entlang einer Kante des ursprünglichen Würfels N1/3 Teilchen. Entfernt man bei dem Würfel aus N Teilchen die äußere Schicht der Teilchen, so erhält man einen Würfel, bei dem in einer Kante (N1/3–2) Teilchen sitzen und der folglich aus (N1/3–2)3 Teilchen besteht, die sich zuvor im Volumen des Würfels befanden. In der Oberfläche des ursprünglichen Würfels sitzen dann N – (N1/3–2)3 Teilchen. Der Bruchteil der Teilchen in der Oberfläche X, lässt sich Tabelle 7.2: Spezifische Oberfläche S von Kugeln durch Gleichung 7.6 berechnen. Je gerinunterschiedlicher Durchmesser aus Hämatit bzw. ger die Zahl der Teilchen im Würfel ist, Kupferphthalocyanin. umso höher ist der Bruchteil der Teilchen 2 Durch­ S [m /g] in der Oberfläche (bei 1 mol, also 6,022·1023 messer [nm] Hämatit Kupferphthalocyanin Teilchen, befinden sich X = 7,1·10 -8, also 50 22,90 74,53 7,1·10 -6 % (das sind 7,1·10 -2 ppm) der Teilchen 200 5,73 18,63 in der Oberfläche, bei 1000 Teilchen sitzen 1000 1,15 3,73 488, also ca. die Hälfte, in der Oberfläche).

161

Kolloidale Systeme

Abbildung 7.4: Lamellare, fibrillare und korpuskulare Zerteilung eines Würfels (links). Bruchteil X der Teilchen in der Oberfläche eines Würfels aus N Teilchen (rechts).

Gleichung 7.6:



Einige ausgewählte Teilchengrößen und spezifische Oberflächen von Pigmenten und Füllstoffen zeigt Tabelle 7.3. Berechnet man für die Beispiele in Tabelle 7.3 die spezifischen Oberflächen aus dem Teilchendurchmesser oder umgekehrt, so stellt man deutliche Unterschiede zu den gemessenen Werten fest. Das kann verschiedene Ursachen haben. Zum einen hängt der aus elektronenmikroskopischen Aufnahmen ermittelte Teilchendurchmesser von der Probenpräparation ab – Teilchen können flockulieren oder reagglomerieren und man misst die aktuelle Teilchengröße, zum anderen kann hier auch die Abweichung von der Idealform eine Rolle spielen. Tabelle 7.3: Teilchengrößen und spezifische Oberflächen von Pigmenten (Herstellerangaben). Name

Hostaperm Yellow H4G1 Hansa Brillant Yellow 4GX 2 Hansa Brillant Yellow 2GX703 Hostaperm Blue B2G3 Hostaperm Green 8G3 Hostaperm Pink E3 Hostaperm Red EG (transp.) 3 Titandioxid (Rutil; Hombitan R 210) 4 Hombitan R 3204 Eisenoxidrot (transparent) Bayferrox Rot 1105 Eisenoxidrot (deckend) Bayferrox Rot 1805 Spezialschwarz 5 (Pigmentruß) 6

Color Index

P. Y. 151 P. Y. 73 P. Y. 74 P. B. 15:3 P. G. 36 P. R. 122 P. R. 209 P. W. 6 P. W. 6 P. R. 101 P. R. 101 P. B.

Dichte ρ spezifische [g/cm3 ] Oberfläche1 S [m2 /g] 1,55 23 1,48 21 1,43 16 1,61 52 2,89 61 1,45 77 1,60 76 4,1 17 4,2 7 5,0 17,9 5,1 4,3 1,8–1,9 240

Teilchengröße2 d [nm] 215 200 340 95 35 90 65

90 700 20

aus BET-Messung, 2 mittlere Größe der Primärpartikel, 3 Clariant GmbH, 4 Sachtleben Chemie GmbH, 5 Lanxess, 6 Evonik Degussa

1

162

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Tabelle 7.4: Steighöhen von Wasser (g = 72,5 mN/m) in Kapillaren, in denen ein Kontaktwinkel nahe 0° auftritt. r [µm] 5000 1000 500 100 50 10 1

h [mm] 3,0 14,8 29,6 147,8 295,6 1478,1 14780,8

Abbildung 7.5: Abhängigkeit der Steighöhe von Wasser (g = 72,5 mN/m) vom Radius von Kapillaren, in denen ein Kontaktwinkel nahe 0° auftritt.

Pigmente und Füllstoffe sind, wie auch Polymerlatices, technische Produkte und fallen bei der Produktion normalerweise nicht mit einer einheitlichen Teilchengröße an. Vielmehr liegen die Teilchen in einem mehr oder weniger breiten Teilchengrößenspektrum vor (s.a. Abbildung 7.8). Neben der Teilchengröße könnte eine andere mögliche Abgrenzung des kolloidalen Bereichs gegen unsere Erfahrungswelt lauten: Dort, wo die Gewichtskraft FG der Teilchen gegenüber den Oberflächenkräften Fγ an Bedeutung verliert, beginnt der kolloidale Bereich. Dies lässt sich eindrucksvoll an den Steighöhen von Wasser in einer hydrophilen Kapillare zeigen. Stellt man die Gleichung 5.47 nach der Steighöhe in einer Kapillare mit dem Radius r um, so erhält man Gleichung 7.7. Unter der Annahme, dass es sich um Wasser handelt, das in der Kapillare einen Kontaktwinkel nahe 0° ausbildet, lassen sich mit Gleichung 7.7 die Steighöhen für unterschiedliche Kapillarradien berechnen (s. Tabelle 7.4 und Abbildung 7.5). Je dünner die Kapillare ist, umso stärker ist der Einfluss der Oberflächenkraft, der sich in der Steighöhe äußert. Bei einem Kapillarradius von 10 µm steigt die Flüssigkeit um ca. 1,5 m an.

Gleichung 7.7:

Neben dem „Kraftkriterium“ gibt es ein Energiekriterium: Die Kolloidchemie beginnt dort, wo die Oberflächenenergie mit der thermischen Energie vergleichbar wird. Dazu übernimmt man aus der kinetischen Gastheorie die kinetische Energie eines Moleküls in einer Raumrichtung (ein Freiheitsgrad, s. Gleichung 7.8) und setzt sie mit der Oberfläche bzw. in einem Medium mit der freien Enthalpie der Grenzfläche G für ein kugelförmiges Teilchen (Gleichung 7.9) gleich. Der Teilchendurchmesser, bei dem die Oberflächenenergie und die kinetische (thermische) Energie gleich sind, ergibt sich demnach durch Gleichung 7.10.

Gleichung 7.8: Gleichung 7.9:

Kolloidale Systeme

163

Gleichung 7.10:

Dabei ist m die Masse, M die Molmasse, γ die Oberflächenspannung (oder die Grenzflächenspannung), ρ die Dichte, R = 8,314 J/(K·mol) die Gaskonstante, T die absolute Temperatur in Kelvin. Beispiel – Berechnung des Durchmessers, bei dem kinetische Energie eines Teilchens und seine Oberflächenenergie identisch sind. Ein Makromolekül mit der Molmasse 106 g/mol,

Abbildung 7.6: Zusammenhang zwischen Teilchenradius r isometrischer Partikel und ihrem Verhältnis von Oberflächenenergie zu Gewichtskraft.

Abbildung 7.7: Teilchengrößenbereiche sowie Wellenlängen der unterschiedlichen elektromagnetischen Strahlungstypen.

164

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

der Dichte ρ = 1,2 g/cm3, hat in einem Medium, in dem es die Grenzflächenenergie γ = 0,1 mJ/m2 besitzt, bei 298 K einen Durchmesser von 404 nm.

Geht man davon aus, dass die Oberflächenenergie proportional zu r2 und die Gewichtskraft proportional zu r3 ist, erhält man nach Parfitt die empirische Relation Oberflächenenergie/ Gewichtskraft ~ 6/r in µm [7]. In doppelt logarithmischer Darstellung (s. Abbildung 7.6) lassen sich dann die hier wichtigen Bereiche skizzieren: 0,06 m2/g bis 6000 m2/g und 1 nm bis 100 µm. Abbildung 7.7 zeigt den Bezug dieses Größenbereiches zu den Wellenlängen der elektromagnetischen Wellen und zu anderen Teilchenarten. Wie bereits erwähnt, sind Strukturen im Lichtmikroskop nur dann auflösbar, wenn ihre Größenordnung im Bereich der Lichtwellenlänge liegt, also größer ist als 400 nm (blaues Licht; bei einem Mikroskop mit Ölimmersion sind theoretisch Strukturen ab 200 nm auflösbar) [16]. Dies bedeutet, dass die Primärteilchen vieler Pigmente nicht im Mikroskop als Einzelteilchen erkannt werden können (s.a. Tabelle 7.3).

7.2 Messung von Teilchengrößen und Teilchengrößenverteilungen Der Messung der Teilchengröße sowie der Teilchengrößenverteilung kommt bei Lacken und Beschichtungsstoffen entscheidende Bedeutung zu, weil anwendungsorientierte Größen, wie Farbstärke, Buntton, Fließgrenze, Viskosität, Transparenz und Glanzschleier (haze), von der Teilchengröße abhängen. Die Messung und Darstellung von Teilchengrößen und Teilchengrößenverteilungen ist ein sehr dynamisches Wissensgebiet. An dieser Stelle sei auf die Arbeiten von Leschonski et al. und anderen verwiesen [17–26]. Bei einer Standarddispergierung werden die Primärteilchen und Aggregate normalerweise nicht vollständig freigesetzt. Daher ist es sinnvoll, die aktuelle Teilchengröße zu bestimmen. Hierzu gibt es neben indirekten Methoden, die anwendungsorientierte Größen messen (siehe oben), direkte Methoden (s. Tabelle 7.5). Sie beruhen auf SedimenTabelle 7.5: Messmethoden für die unterschiedlichen Teilchengrößenbereiche und Teilchenbausteine im Zusammenhang mit Pigmenten und ihren Dispersionen, wie Lacke und Druckfarben. Methode Lichtmikroskop Elektronenmikroskop Röntgenbeugung Sieben Sichten Sedimentation (Scheibenzentrifuge) Ultrazentrifuge Laserlichtstreuung und -beugung Diffusion (Photonenkorrelationsspektroskopie)

Baustein große Agglomerate und Flockulate Kristalle und Aggregate Kristallmodifikation, Kristallite Überkorn Überkorn Agglomerate, Flockulate, dispergierte Aggregate dispergierte Aggregate Flockulate Agglomerate, Flockulate, dispergierte Aggregate

Teilchengrößenbereich [µm] 0,5–1000 0,001–5 0,001–0,1 > 50 1–50 0,05–1 0,01–1 0,1– 600 0,005–5

Messung von Teilchengrößen und Teilchengrößenverteilungen

165

tation, Lichtstreuung, Diffusion mit Lichtstreuung, Lichtbeugung und Elektrophorese mit Schallemission. Anwendungstechnisch wichtiger als der Primärteilchendurchmesser ist die aktuelle Teilchengröße und ihre Verteilung, also die Frage, wie die Pigmente im speziellen individuellen Fall in einem Beschichtungsstoff (Lackfarbe, Druckfarbe oder einem Coating) vorliegen. Die Primärteilchengröße ist nur ihr unterer Grenzwert, welcher aber meistens nicht aktuell erreicht wird. Sie kann nach verschiedenen Methoden ermittelt werden, jede davon setzt jedoch eine jeweils speziell auszuarbeitende und zu überprüfende Präparation der Probe voraus, meistens in Form einer gekonnten Verdünnung. Die Teilchenkonzentrationen liegen in der Regel bei 10 -3 bis 10 -6 g/g.

7.2.1

Darstellung von Teilchengrößenverteilungen

Zur Ermittlung von Teilchengrößenverteilungen bestimmt man die Menge der Teilchen innerhalb zuvor festgelegter Feinheitsklassen. Dadurch werden Teilchen in einzelnen Kanälen, mit einer Untergrenze, Obergrenze und mittlerer Teilchengröße (s.a. Gleichung 7.11) zusammengefasst. Als Feinheitsmerkmal wird dabei in der Regel der Äquivalentdurchmesser der Teilchen auf der Abszisse aufgetragen. Ebenfalls als Feinheitsmerkmal geeignet sind Radius, Durchmesser, Volumen, Masse oder spezifische Oberfläche. Auf der Ordinate wird das Mengenmaß dargestellt. Je nach Verteilungsart verwendet man Anzahl, Länge, Fläche oder das Volumen innerhalb einer Feinheitsklasse. Eine Teilchengrößenverteilung (Abbildung 7.8, zur Messung s.a. Kapitel 7.2.3 und 7.2.4) kann als Tabelle, grafisch als Histogramm (bei weniger als 10 Werten) oder auch als Kurve dargestellt werden [27]. Auf der Abszissenachse wird dabei das Maß für die Teilchengröße (Feinheitsmerkmal) x aufgetragen, z.B. Radius, Durchmesser, Volumen, Masse oder spezifische Oberfläche. Verteilungsdichtekurve q(x) nennt man die Darstellung, bei der auf der Ordinatenachse die Anzahl der Teilchen als relative Häufigkeit aufgetragen wird. Die Verteilungsdichtekurve liefert ein anschauliches Bild der Verteilung der Teilchen auf die einzelnen Feinheitsklassen. Die Verteilungssummenkurve Q(x) erhält man, indem man die Summe der Teilchen, die kleiner als das auf der Abszisse zugehörige Feinheitsmerkmal sind, auf der Ordinatenachse aufträgt. An der Verteilungssummenkurve können die Anteile unter- bzw. oberhalb eines

Abbildung 7.8: Verteilungsdichtekurve (links) und Verteilungssummenkurve (rechts).

166

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

bestimmten Feinheitsmerkmals in einfacher Weise abgelesen werden. Entsprechend lassen sich auch die Quantile der jeweiligen Verteilung ablesen, z.B. der Medianwert des Durchmessers x50 (s. Abbildung 7.8, rechts). Wie im folgenden Kapitel diskutiert wird, muss bei der Angabe von Mittelwerten und Quantilen immer darauf geachtet werden, welches Mengenmaß bei der Verteilung verwendet wurde (s. Kapitel 7.2.1.1). Verteilungsdichten und Verteilungssummen können tabellarisch, als Histogramm oder als Kurve dargestellt werden (s. Tabelle 7.6). Welche Darstellungsweise gewählt wird, hängt einerseits von der Messmethode ab, andererseits davon, welche Aussage man treffen möchte. Beispielsweise ist als Feinheitsmerkmal bei Mattierungsmitteln der Teilchendurchmesser von Interesse. Man bevorzugt dabei die Darstellung der Verteilungssumme und gibt dazu den D50 -Wert an. Bei der Beurteilung der Stabilität einer Dispersion hingegen ist die Oberflächenverteilung von Interesse, weil die spezifische Oberfläche proportional zur Grenz- bzw. Oberflächenenergie ist. Schließlich eignet sich für coloristische Fragestellungen besonders die Massen- bzw. Volumenverteilung, weil die Extinktion der Pigmentpartikel von ihrer Konzentration und damit von der Masse abhängt [28].

Tabelle 7.6: Teilchengrößen einer Titandioxid-Pigment-Präparation in Wasser, bestimmt mit einem Laserdiffraktometer, sowie die zur Berechnung der mittleren Teilchengrößen notwendigen Größen. d min [µm] 0,214 0,235 0,258 0,284 0,311 0,342 0,375 0,412 0,452 0,496 0,545 0,598 0,656 0,721 0,791 0,868 0,953 1,047 1,149 1,261 1,385 1,520 1,668 1,832 2,011 2,207 1

d max [µm] 0,235 0,258 0,284 0,311 0,342 0,375 0,412 0,452 0,496 0,545 0,598 0,656 0,721 0,791 0,868 0,953 1,047 1,149 1,261 1,385 1,520 1,668 1,832 2,011 2,207 2,423

d i1 [µm] 0,2­24 0,246 0,271 0,297 0,326 0,358 0,393 0,432 0,473 0,520 0,571 0,626 0,688 0,755 0,829 0,910 0,999 1,097 1,204 1,322 1,451 1,592 1,748 1,919 2,107 2,312 Summe

geometrisches Mittel aus dmax und dmin.

Vi [%] 0,00 0,00 0,04 0,18 0,43 0,76 1,22 1,89 2,78 3,74 4,69 5,64 6,65 7,61 8,35 8,79 9,01 8,95 8,48 7,44 5,89 4,11 2,26 0,91 0,18 0,02 100,02

Vi · d i

Vi /d i

Vi /d i2

Vi /d i3

0,00 0,00 0,01 0,05 0,14 0,27 0,48 0,82 1,32 1,94 2,68 3,53 4,57 5,75 6,92 7,99 9,00 9,82 10,21 9,83 8,55 6,54 3,95 1,75 0,38 0,04 96,54

0,00 0,01 0,15 0,61 1,32 2,12 3,10 4,38 5,87 7,19 8,22 9,00 9,67 10,08 10,08 9,66 9,02 8,16 7,04 5,63 4,06 2,58 1,29 0,47 0,09 0,01 119,82

0,00 0,05 0,55 2,04 4,04 5,93 7,90 10,15 12,40 13,84 14,39 14,38 14,06 13,34 12,16 10,63 9,03 7,44 5,85 4,26 2,80 1,62 0,74 0,25 0,04 0,00 167,88

0,00 0,21 2,02 6,86 12,40 16,55 20,09 23,52 26,19 26,61 25,21 22,95 20,44 17,67 14,68 11,68 9,04 6,78 4,86 3,22 1,93 1,02 0,42 0,13 0,02 0,00 274,50

167

Messung von Teilchengrößen und Teilchengrößenverteilungen

7.2.1.1

Volumen-, Oberflächen-, Längen- und Anzahlverteilung

Bei der Darstellung von Teilchengrößenverteilungen kann als Mengenmaß das Volumen, die Oberfläche, der Durchmesser oder die Anzahl der Teilchen der einzelnen Größenklassen verwendet werden. Da sich die Verteilungskurven unterscheiden, besitzen sie unterschiedliche Mittelwerte (s.a. Tabelle 7.7; Mittelwerte der Durchmesser werden in der Literatur mit unterschiedlichen Formelzeichen und Indizierungen verwendet [13, 29, 30]). Die Teilchen eines engen Größenbereichs werden jeweils in einem Kanal zusammengefasst. Das geometrische Mittel dieses Größenbereichs wird als Teilchengröße des Kanals bezeichnet. Tabelle 7.6 zeigt das Messergebnis für eine Titandioxid-Pigment-Präparation in Wasser, bestimmt durch Laserdiffraktometrie (s. Kapitel 7.2.4.1). Das dabei erhaltene Messergebniss ist eine Volumenverteilung, aus der sich die anderen Verteilungsarten berechnen lassen. Es ist jeweils Obergrenze d max und Untergrenze d min sowie das geometrische Mittel di in jedem Kanal angegeben (Gleichung 7.11).

Gleichung 7.11:

Abbildung 7.9 zeigt die Volumenverteilung der Titandioxid-Pigment-Präparation aus Tabelle 7.6 sowie die daraus berechnete normierte Anzahl-, Längen- und OberflächenverTabelle 7.7: Mittelwerte von Teilchengrößenverteilungen. Die Indices bedeuten: a = arithmetisches Mittel, v = Volumenverteilung, s = Flächenverteilung (surface), l = Längenverteilung, n = Anzahlverteilung (number) oder Anzahl, V = Volumen, S = Oberfläche, d = Durchmesser. Benennung

Formelzeichen

Formel zur Berechnung des Mittelwerts1

GleichungsNr.

mittlerer Durchmesser einer DIN 53206 DIN 66161 Volumenverteilung

7.12

Oberflächenverteilung

7.13

Längenverteilung

7.14

Anzahlverteilung

7.15

1

Bei Berechnung aus einer gemessenen Volumenverteilung.

168

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Abbildung 7.9: Aus der Volumenverteilung (siehe Tabelle 7.6) berechnete Anzahl-, Längen-, Oberflächenverteilung einer Titandioxid-Pigment-Präparation.

teilung. Die Verteilungsfunktionen unterscheiden sich in ihrer Lage und Form und führen dementsprechend zu unterschiedlichen Mittelwerten (Tabelle 7.7). Das Beispiel in Tabelle 7.6 liefert für die Volumenverteilung eine mittlere Teilchengröße von , für die Oberflächenverteilung , für die Längenverteilung und für die . Anzahlverteilung Der Median (auch X50)– der Wert, bei dem die Summenkurve den Wert von 50 % annimmt – ist nicht identisch mit der mittleren Teilchengröße . Der Median ist ein gegenüber Ausreißern robustes Maß für den Zentralwert einer Verteilung. Bei symmetrischen Verteilungen sind Median und arithmetischer Mittelwert identisch. Ist die Verteilung nicht symmetrisch, unterscheiden sich Median und Mittelwert. Im Beispiel der Tabelle 7.6 beträgt der Median der Volumenverteilung 0,93 µm, die mittlere Teilchengröße 0,97 µm. Dies liegt daran, dass für die Mittelwertbildung die gesamte Teilchengrößenverteilung herangezogen wird, hingegen nimmt man zur Ermittlung des Medians nur die Teilchen – von kleinen Größen beginnend – bis zu jener Teilchengröße, bei der die Hälfte des Volumens erreicht ist.

Tabelle 7.8: Verteilungsfunktionen, die bei der Darstellung von Teilchengrößenverteilungen gebräuchlich sind (σ = Standardabweichung, x = Feinheitsmerkmal). Name Formel Gaußsche Normalverteilung

Gleichungs-Nr. 7.16

logarithmische Normalverteilung

7.17

RRSB-Verteilung

7.18

Messung von Teilchengrößen und Teilchengrößenverteilungen

169

Abbildung 7.10: Formfaktoren für unterschiedliche Geometrien.

7.2.1.2 Verteilungsfunktionen Oft lassen sich die Messwerte der Verteilungsdichte durch eine Gaußsche Normalverteilungsfunktion annähern, insbesondere wenn diese durch Verwendung von Schiefe und Kurtosis an die Messwerte angepasst ist. In der Regel sind aber Teilchengrößenverteilungen nicht so symmetrisch wie die Gaußsche Normalverteilungsfunktion (Gleichung 7.16). Wäre dies der Fall, so ließe sich bei einer mittleren Teilchengröße von 1 µm aus der Tatsache, dass 3 µm große Teilchen vorhanden sind, auf Teilchen mit negativem Durchmesser schließen. Viele Teilchengrößenverteilungen ergeben aber bei logarithmischer Skalierung der Abszissenachse eine logarithische Normalverteilung (Gleichung 7.17) eine mit entsprechendem Feinheitsmerkmal, z.B. der Teilchengröße, bei exponentieller Skalierung oder auch bei einer Skalierung nach Rosin, Rammler, Sperling und Bennett (RRSB, Gleichung 7.18) eine symmetrische Verteilungsfunktion (Tabelle 7.8). Bei der Darstellung in einem Potenznetz [31], einem logarithmischen Normalverteilungsnetz [32]oder einem RRSB-Netz [33] erhält man dann Verteilungssummenkurven in Form von Geraden.

7.2.2

Primärteilchen und Aggregate

Die Größe der beim Dispergieren freigesetzten Teilchen, das sind die Primärteilchen und die Aggregate (vgl. Abbildung 7.2), kann aus elektronenmikroskopischen Aufnahmen der Pigmentpulver oder über die Stickstoffadsorption (BET-Methode, DIN ISO 9277) [34] als Mittelwert abgeschätzt werden. Aus der Monoschichtkapazität der N2 -Adsorption und dem Platzbedarf des N2 -Moleküls berechnet man zunächst die spezifische Oberfläche und daraus die mittlere Primärteilchengröße d gemäß Gleichung 7.19. Gleichung 7.19:

Da man beim Berechnen der Teilchengröße aus dem Messwert in der Regel ein Ensemble kugelförmiger Teilchen annimmt, kann der so erhaltene Teilchendurchmesser von der tatsächlichen mittleren Dimension der Teilchen abweichen, wenn diese nadelförmig oder plättchenförmig sind. Zur Berücksichtigung der Dimension verwendet man den Formfaktor f (Abbildung 7.10). Sein Wert beträgt 6 für Kugeln und Würfel (d.h. für isometrische Teilchen), 4 für Nadeln und Stangen (d.h. für stark elongierte Teilchen), 2 für Blättchen1. Dabei isch relevante Dimension der Teilchen in drei, zwei oder nur in einer Raumrichtung.

Steht in Gleichung 7.19 S in m2/kg, ρ in kg/m3 und d in m, dann beträgt der Formfaktor f jeweils 2, 4, und 6. Verwendet man jedoch S in m2/g, ρ in g/cm3 und d in nm, so beträgt der Formfaktor f jeweils 2000, 4000 und 6000.

1

170

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Wie sich durch Berechnung der mittleren Teilchengröße aus der spezifischen Oberfläche der Beispiele aus der Tabelle 7.3 zeigen lässt, weichen die so ermittelten Teilchengrößen von denen ab, die durch andere Methoden ermittelt wurden. Dies liegt daran, dass bei der Messung die Teilchen jeweils in einem bestimmten Dispergierzustand, in einem spezifischen Medium und bei einer bestimmten Konzentration erfasst werden. Da dann neben den Primärteilchen noch andere Teilchenarten vorliegen können, unterscheiden sich die beiden Werte.

7.2.3

Sedimentation im Schwerefeld

Zur Ermittlung von Teilchengrößen und Teilchengrößenverteilungen anhand ihrer Sedimentation setzt man heute analytische Zentrifugen ein, wie beispielsweise die Scheibenzentrifuge oder die analytische Ultrazentrifuge. Das Absetzen einer dispergierten Phase in einem Medium unter Einwirkung der Schwerkraft nennt man Sedimentation. Bei Lacken kann sich durch Sedimentation ein Bodensatz ausbilden, der je nach Konsistenz das Material unbrauchbar werden lässt. Im Schwerefeld der Erde (g = 9,81 m/s2) sedimentieren Teilchen in Flüssigkeiten, wenn ihr Durchmesser größer als 300 nm ist. Kleinere Teilchen zeigen wegen der thermischen Bewegung (brownsche Molekularbewegung) keine, innerhalb eines angemessenen Zeitraumes, makroskopisch beobachtbare Sedimentation (s.a. die Beispiele in Tabelle 7.9. Die sehr geringen Sinkgeschwindigkeiten der feinteiligen Pigmente, beispielsweise mit d ≤ 100 nm können durch die thermische Bewegung kompensiert werden, so dass hier tatsächlich keine Sedimentation beobachtet wird). In Zentrifugen, wo ein Vielfaches der Erdbeschleunigung wirkt (z.B. in der Ultrazentrifuge 350000 g) sedimentieren auch sehr viel kleinere Teilchen. Beim Sedimentieren wird ein Teilchen durch die Schwerkraft so lange beschleunigt, bis sich ein stationärer Zustand zwischen stokesscher Reibung (Strömungswiderstandskraft) und Gewichtskraft einstellt. Ein Teilchen mit Radius r T und Dichte rT sedimentiert dann in einem Medium der Dichte ρM mit der konstanten Geschwindigkeit vs (Abbildung 7.15, s.a. Kapitel 3.2.7.4, Gleichung 3.19 bis Gleichung 3.21), für die gilt:

Gleichung 7.20:



Da die Sedimentationsgeschwindigkeit vs proportional zum Quadrat des Teichenradius ist, werden große Teilchen schneller sedimentieren als kleine. Bei einer monodispersen Teilchendispersion (alle Teilchen sind gleichgroß) sedimentieren alle Teilchen gleich schnell (Abbildung 7.11). Innerhalb des Zeitraumes ∆t bewegt sich die Teilchenfront um die Strecke Δx nach unten und man erhält teilchenfreies Medium als überstehende Flüssigkeit. Die Sedimentationsgeschwindigkeit ist dann identisch mit der Geschwindigkeit der Teilchenfront (Gleichung 7.21).

Tabelle 7.9: Sinkgeschwindigkeiten in Meter pro Stunde für deckende und transparente Pigmente in einem Medium der Viskosität η = 150 mPas und der Dichte ρ = 1,1 g/cm3. Durchmesser d [nm]

500 nm 100 nm

Sinkgeschwindigkeit vs [m/h] Kupferphthalocyanin ρ = 1,61 g/cm3 1,67 · 10 -6 6,67 · 10 -8

Eisenoxidrot ρ = 5,10 g/cm3 1,31 · 10 -5 5,23 · 10 -7

Messung von Teilchengrößen und Teilchengrößenverteilungen

171

Gleichung 7.21:

Beispiel – Berechnung der Sink­ geschwindigkeit von Pigmenten Für die vorab genannten beiden Pigmentklassen, Kupferphthalocyanin und Eisenoxidrot, soll die Sinkgeschwindigkeit nach Gleichung 7.20 berechnet werden. Das Medium besitzt die Viskosität η = 150 mPas und die Dichte ρ = 1,1 g/cm3. Es werden transparente und deckende UniLacke berücksichtigt, also mit den Pigmentdurchmessern von d = 100 nm bzw. 500 nm (Tabelle 7.9) gerechnet.

Abbildung 7.11: Flüssigkeitssäule mit einer monodispersen Teilchendispersion zu Beginn der Sedimentation (links). Zum Zeitpunkt t hat sich am Boden des Behälters ein Bodensatz gebildet und über der Dispersion steht Medium der Höhe Δx, frei von Teilchen.

Am schnellsten sedimentieren die großen Eisenoxidrot-Pigmente, und zwar um ca. 13 µm/h. Die kleinen Kupferphthalocyaninpartikel sedimentieren dagegen nur mit ca. 0,7 µm/h. 7.2.3.1

Methodische Varianten

Die Sedimentationsgeschwindigkeit monodisperser und nicht zu feinteiliger Dispersionen lässt sich durch Wägung des abgesetzten Sediments mit einer Sedimentationswaage, durch Ermittlung der noch nicht abgesetzten Menge der Teilchen in einem Teilvolumen (Pipettenmethode) oder nach der Aräometermethode (Abbildung 7.12) bestimmen. Bei letzterer Methode beobachtet man das Verhalten eines Aräometers in der Dispersion, wenn es zusammen mit der Teilchenfront seine Position verändert. Ursache dieses Vor-

Abbildung 7.12: Entnahme einer Probe aus einem Teilvolumen (links), Aräometermethode (Mitte) und Sedimentationswaage (rechts).

172

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Abbildung 7.13: Sedimentationsanalyse mit Hilfe der Transmission und Rückstreuung von Laserlicht (nach [35]).

ganges ist der Dichteunterschied zwischen Dispersion und überstehendem Medium. Der Senkkörper sollte dabei eine Dichte besitzen, die zwischen der Dichte des Mediums und der Dichte der Dispersion liegt. Im vorher genannten Verfahren lassen sich mit einer Pipette aus einem Sedimentationszylinder in unterschiedlichen Höhen kleine Probenvolumina entnehmen. In diesen Proben lässt sich dann die Menge der Teilchen z.B. gravimetrisch nach Entfernung des Mediums ermitteln. Einige Geräte messen die Sedimentationsgeschwindigkeit durch Beobachtung von Transmission und Rückstreuung, meist von Laserlicht, in unterschiedlichen Höhen des Sedimentationszylinders, in Abhängigkeit von der Zeit. Wie im Beispiel aus Abbildung 7.13 gezeigt, werden die Lichtquelle und die Detektoren für rückgestreutes und transmittiertes

Abbildung 7.14: Dispersionstechnik (links), bei der zu Beginn der Analyse die Dispersion gleichmäßig im Volumen verteilt wird und Überschichtungstechnik (rechts), bei der zu Beginn der Analyse das partikelfreie Dispersionsmedium mit einer dünnen Schicht der Dispersion überschichtet wird.

Messung von Teilchengrößen und Teilchengrößenverteilungen

173

Licht am Sedimentationszylinder entlang bewegt. Derartige Messprinzipien findet man auch in Verbindung mit der Zentrifugation, also der gleichzeitigen Einwirkung eines starken Gravitationsfeldes (z.B. [35–37]). Bei Sedimentationsanalysen mit normaler Schwerkraft sowie im Gravitationsfeld einer Zentrifuge gibt es zwei Methoden: die Dispersionstechnik (Abbildung 7.14, links), bei der zu Beginn der Analyse die Dispersion gleichmäßig im Volumen verteilt wird und die Überschichtungstechnik Abbildung 7.15: Masse (m) des Sediments auf (Abbildung 7.14, rechts), bei der zu Beginn dem Wägeteller während einer Sedimentation der Analyse das partikelfreie Dispersimonodisperser Teilchen. onsmedium mit einer dünnen Schicht der Dispersion überschichtet wird. Die Überschichtungstechnik wendet man meistens in Kombination mit einem Dichtegradienten an, um zu verhindern, dass Proben als Individuen sedimentieren. Dichtegradienten für wässrige Medien lassen sich aus Zuckerlösungen unterschiedlichen Gehalts durch Überschichten bei niedriger Temperatur herstellen. Bei lösemittelhaltigen Systemen kommen Mischungen unterschiedlicher Alkohole zum Einsatz. Die Zentrifugationsmethoden haben den Vorteil, dass sich polymodale Verteilungen korrekt auflösen lassen. Ihre Nachteile sind die langsame Sedimentation der Partikel, was zu langen Messzeiten, besonders bei kleinen Partikeln führt sowie eine Ungenauigkeit aufgrund der brownschen Molekularbewegung der Partikel, deren Größe unter 100 nm liegt. 7.2.3.2 Sedimentationswaage Bei der Sedimentationswaage wird Sediment auf einem Wägeteller aufgefangen, der in die Dispersion eintaucht. Registriert wird die so abgelagerte Masse in Abhängigkeit von der Zeit. Bei dieser Methode (wie auch bei der Scheiben- und der Ultrazentrifuge) kennt man zwei unterschiedliche Prinzipien. Zum einen kann die Sedimentation in der Dispersion

Abbildung 7.16: Masse (m) des Sediments während einer Sedimentation einer Dispersion aus großen und kleinen Teilchen.

174

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Abbildung 7.17: Sedimentationskurve bei einer Teilchengrößenverteilung. Der Massenanteil in einem Kanal wird aus der Steigung der Tangenten an die Sedimentationskurve ermittelt.

selbst beobachtet werden, wobei man zu berücksichtigen hat, dass man in konzentrierten Dispersionen zwar anwendungstechnisch relevante Aussagen erhält, aber zur Bestimmung von Teilchengrößen eigentlich Dispersionen mit geringer Konzentration verwenden sollte (ca. 1 % Festkörpergehalt). Zum anderen kann man ein Medium mit der Dispersion überschichten und die Zeit ermitteln, in der die Teilchenfront durch das Medium wandert. Liegt nur eine Teilchensorte monodisperser Teilchen vor, dann nimmt bei der Sedimentation einer Dispersion die vom Wägeteller erfasste Masse linear mit der Zeit zu (Abbildung 7.15). Liegen zwei Teilchensorten mit identischer Dichte, aber mit unterschiedlichem Radius vor, so sedimentieren die großen Teilchen schneller als die kleinen. Sind dann alle großen Teilchen – zusammen mit kleinen – sedimentiert, wird die Rate der Massenzunahme geringer, da nun nur noch die kleinen (langsameren) Teilchen sedimentieren (Abbildung 7.16). Bei einer polydispersen Teilchenpopulation gehorcht die sedimentierte Masse in Abhängigkeit von der Zeit einer Angleichfunktion, aus der sich die Funktion der Teilchengrößenverteilung berechnen lässt (Abbildung 7.17). 7.2.3.3 Berechnungsverfahren Wird die Masse im Lauf der Zeit registriert, so erhält man die Sedimentationsgeschwindigkeit nach Gleichung 7.23. Dabei nimmt man an, dass im Volumen der Höhe h über dem Wägeteller der Sedimentationswaage die gesamte Masse der Teilchen dispergiert ist. Dann ist die Masse pro Längeneinheit mges/h. Bei monodispersen Verteilungen sinken die Teilchen alle mit gleicher Geschwindigkeit zu Boden. Für die nach der Zeit ∆t am Boden abgesetzte Masse ∆m gilt Gleichung 7.22:

Daraus folgt nach Umstellung für die Sedimentationsgeschwindigkeit Gleichung 7.23:

Setzt man Gleichung 7.23 mit Gleichung 7.20 gleich, dann folgt für den Teilchenradius

Messung von Teilchengrößen und Teilchengrößenverteilungen

175

Gleichung 7.24:

7.2.3.4 Zentrifugalkraftsysteme Führt man die Sedimentationsanalyse in einem Zentrifugalfeld, also in einer Zentrifuge mit der Winkelgeschwindigkeit ω durch, so ist in Gleichung 7.20 die Erdbeschleunigung durch die Zentrifugalbeschleunigung w2·x zu ersetzen (dabei ist ω die Winkelgeschwindigkeit und x der Abstand von der Zentrifugenachse). Für die Sedimentationsgeschwindigkeit erhält man dann Gleichung 7.25:

Demnach ist die Sedimentationsgeschwindigkeit der Teilchenfront von ihrem Abstand zur Zentrifugenachse abhängig. Zur Ermittlung der Teilchengröße mit der Zentrifuge misst man jeweils die Abstände x1 der Teilchenfront zu Beginn der Untersuchung und x2 nach der Zeit t. Durch Integration (Gleichung 7.26) der Differenzialgleichung (Gleichung 7.25) erhält man dann Gleichung 7.27, die den Radius des äquivalenten kugelförmigen Teilchens liefert. Gleichung 7.26:

Gleichung 7.27:

Bei der Sedimentation im Gravitationsfeld (Sedimentationswaage) oder im Zentrifugalfeld, z.B. in der nachstehend beschriebenen Scheibenzentrifuge (s. Abbildung 7.18), wie auch nach den anderen Prinzipien, steht und fällt die Qualität der hier besprochenen Methoden mit der Probenpräparation. In jedem Einzelfall muss die meist notwendige Probenverdünnung auch daraufhin untersucht werden, ob durch die Probenvorbereitung die Teilchenverteilung überhaupt erhalten bleibt. Hierzu sind oft weitere Versuche mit anderen Methoden notwendig.

Abbildung 7.18: Prinzip der Scheibenzentrifuge.

176

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Abbildung 7.19: Synthetisches Gemisch unterschiedlicher Partikelgrößenstandards, mit der Scheibenzentrifunge gemessen.

7.2.3.5 Scheibenzentrifuge In Abbildung 7.18 ist das Prinzip der Scheibenzentrifuge gezeigt. In dieser wird in eine mit ca. 15.000 min-1 rotierende Hohlscheibe (Rotor) ein Sedimentationsmedium gefüllt, das in der Regel einen Dichtegradienten besitzt (s. Kapitel 7.2.3.1). Bei wässrigen Systemen verwendet man dazu Zuckerlösungen unterschiedlicher Konzentration, die nacheinander injiziert werden. Nachdem der Dichtegradient stabil ist, wird die Probe auf die Scheibenmitte injiziert. Durch die Fliehkraft sedimentieren die Partikel zum äußeren Rand der Scheibe – je nach Größe unterschiedlich schnell. In einem bestimmten Abstand vom Mittelpunkt der Scheibe werden die Partikel mit einem Laserstrahl anhand der Schwächung der Licht­ intensität als Funktion der Sedimentationszeit detektiert. Mit der Scheibenzentrifuge lassen sich die Verteilungen von polymodalen Teilchenpopulationen auflösen. Nachteilig sind

Abbildung 7.20: Teilchengrößenverteilungskurven einer Nassmahlreihe von β-Kupferphthalocyanin (β-CuPc) in Wasser, nach verschiedenen Dispergierzeiten, mit der Scheibenzentrifuge ermittelt.

Messung von Teilchengrößen und Teilchengrößenverteilungen

177

die langsame Sedimentation, insbesondere bei kleinen Partikeln sowie die Ungenauigkeit aufgrund der brownschen Molekularbewegung bei Partikelgrößen unter 100 nm. Die Scheibenzentrifuge, lässt sich – so wie andere Teilchengrößenmessgeräte auch – mithilfe monodisperser Partikelgrößenstandards kalibrieren. Dazu misst man ca. sechs Standards unterschiedlicher Partikelgröße und erstellt eine Kalibrierfunktion, mit der sich die Messungen auswerten lassen (s. Abbildung 7.19). Als Beispiel zeigt Abbildung 7.20 Teilchengrößenverteilungen, wie sie mit Hilfe der Scheibenzentrifuge an einer Nassmahlreihe von ß-CuPc in Tensid haltiger Dispersion mit fortschreitender Mahldauer gemessen wurden.

7.2.4

Messung der Teilchengröße durch Lichtstreuung

Eine der am häufigsten angewandten Methoden zur Bestimmung von Teilchengrößen und Teilchengrößenverteilungen ist die Streulichtanalyse, insbesondere mit Laserlicht [17–26, 30]. Reflexion, Brechung und Beugung von Licht fasst man unter dem Oberbegriff Lichtstreuung zusammen. Dabei lassen sich Reflexion und Brechung von Licht durch die geometrische Optik, Beugung und Interferenz hingegen nur über den Wellencharakter des Lichts beschreiben. Bei allen Lichtstreumethoden durchstrahlt man eine verdünnte Probe der Dispersion mit Licht und misst die Intensität des Streulichts. Diese hängt ab von der Teilchengröße und -form, von der verwendeten Wellenlänge, vom Brechungsindex des Teilchens und des Mediums sowie vom Beobachtungswinkel. Dass Licht wellenlängenabhängig gestreut wird, beobachtet man an der Blaufärbung des Himmels und der Rotfärbung der untergehenden Sonne. Das Blau des Himmels entsteht durch Streuung des Sonnenlichts an Streuzentren in der Atmosphäre – kurzwelliges Licht (blau) wird stärker gestreut als langwelliges (rot; Rayleigh-Streuung, s.a. Abbildung 7.21). Die Sonne erscheint im Zenit weiß, das Licht legt dabei lediglich ca. 12 km durch die Troposphäre zurück. Beobachtet man die untergehende Sonne, so legt das Licht dabei ca. 300 km in der Troposphäre zurück, und deshalb vermindert sich besonders die Intensität des blauen Lichts, da es viel stärker gestreut wird. Folglich erscheint das beobachtete Licht rot. Ein

Abbildung 7.21: Polardiagramm für die Strahlungsverteilung streuender Kugeln im Gültigkeitsbereich der Theorien nach Rayleigh (links) und nach Mie (rechts).

178

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Abbildung 7.22: Fraunhofer-Lichtbeugung für Teilchen größer als 1 µm; diese Methode wird häufig in Verbindung mit einer sub-µm-Methode in Kombinationsgeräten verwendet.

ähnlicher Effekt lässt sich beobachten, wenn man eine Emulsion im Durchlicht (gelb – rot) und im Auflicht (bläuliches Schimmern) betrachtet. Abhängig von der Teilchengröße unterscheidet man zwischen dem Gültigkeitsbereich der Theorie von Rayleigh und jenem der Theorie von Mie (Abbildung 7.21). Beide Theorien wurden für kugelförmige Teilchen abgeleitet. Die Rayleigh-Theorie, bei der Vorwärtsund Rückwärtsstreuung gleich groß sind, gilt für Teilchen, die kleiner als ein Zwanzigstel der Lichtwellenlänge sind. Die Streulichtintensität hängt dort von der sechsten Potenz des Teilchendurchmessers ab. Interferenz kann in diesem Bereich nicht auftreten. Die Mie-Theorie gilt für Teilchen, die größer als ein Sechstel der Lichtwellenlänge, also bei blauem Licht größer als ca. 65 nm sind. Dort hängt die Streulichtintensität vom Quadrat des Teilchendurchmessers ab, und man beobachtet aufgrund von Interferenz eine starke Winkelabhängigkeit (s. Abbildung 7.21, rechts). Zwischen den beiden Bereichen gibt es einen nicht-monotonen Übergang, der allerdings messtechnisch schwer zugänglich ist [25]. 7.2.4.1 Laserdiffraktometrie Die Größe von Teilchen mit einem Durchmesser von mehr als einem Sechstel der Lichtwellenlänge (d > λ/6) lässt sich durch die Laserdiffraktometrie, nämlich auf der Basis der klassischen Lichtstreuung (Mie-Theorie) oder durch die Fraunhofer-Lichtbeugung ermitteln. Im Gegensatz zur nachfolgend besprochenen dynamischen Lichtstreuung handelt es sich hier, wie auch bei der Rayleigh-Theorie, um statische Methoden.

Abbildung 7.23: Funktionsweise der Fourier-Linse.

Messung von Teilchengrößen und Teilchengrößenverteilungen

179

Abbildung 7.24: Laserdiffraktometer mit mehreren Strahlengängen.

Für Teilchen größer als 1 µm hat sich als Messprinzip die Fraunhofer-Lichtbeugung bewährt (Abbildung 7.22). Dabei gilt in der gerührten Suspension jedes Teilchen als Ausgangspunkt eines Lichtbeugungskegels (Interferenz 1. Ordnung), dessen Apertur invers zur Teilchengröße ist. Die Beugungskegel gleicher Öffnung, also von Teilchen gleicher Größe, werden durch eine Fourier-Linse auf einen gemeinsamen Kreis projiziert (Abbildung 7.23). Der Beugungswinkel ist dabei umgekehrt proportional zur Teilchengröße. Aus der Intensität und dem Radius der ringförmigen Beugungsbilder lässt sich eine Teilchengrößen-Verteilungskurve berechnen. Streng genommen ergeben allerdings nur kugelförmige Teilchen ringförmige Beugungsbilder, und da die verfügbaren Messgeräte radialsymmetrisch angeordnete Ringsegmente als Detektoren besitzen, kann eine Beugungsbildauswertung auch nur unter der Annahme kugelförmiger Teilchen erfolgen. Liegen Teilchen kleiner als 1 µm vor, dann ist eine Messung des Streulichts unter verschiedenen Beobachtungswinkeln sinnvoll (Abbildung 7.24), verbunden mit der Auswertung nach der Mie-Theorie. Dabei müssen allerdings sowohl der Brechungsindex der Teilchen, als auch ihr Absorptionswert (oft als imaginärer Brechungsindex bezeichnet) bekannt sein. Laserdiffraktometer mit mehreren Strahlengängen erlauben die Auswertung des Streulichts unter einem großen Winkelbereich (Abbildung 7.24). In Kombinationsgeräten misst man sowohl das Beugungsmuster als auch das Streulicht, so dass sich auf diesem Wege ein Gesamtspektrum der Teilchengrößenverteilung von 0,1 bis zu 900 µm ermitteln lässt. 7.2.4.2 Photonenkorrelationsspektroskopie Die Photonenkorrelationsspektroskopie (photon correlation spectroscopy PCS) nutzt die sogenannte dynamische Lichtstreuung zur Messung von Teilchengrößen im Bereich 5 nm bis 5 µm. Neben dem mittleren Teilchendurchmesser lassen sich auch der Polydispersitätsindex (Maß für die Breite einer Verteilung) und die Teilchengrößenverteilung aus dem Messergebnis berechnen. Bei der Photonenkorrelationsspektroskopie durchstrahlt man eine verdünnte Probe der Dispersion mit Laserlicht und misst die Streulichtintensität unter dem Winkel δ (meist 90°, es sind auch Mehrwinkelgeräte verfügbar). Bei der PCS ist heute die Messung unter einem festen Beobachtungswinkel δ, meist 90°, Stand der Technik. Daneben kennt man aber auch andere Methoden, z.B. die Messung unter mehreren Winkeln oder die Nutzung des Dopplereffekts der durch die brownsche Molekularbewegung bewegten Teilchen (QUELS).

180

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Abbildung 7.25: Zeitabhängigkeit der Streulichtintensität I(t) und daraus berechnete Autokorrelationsfunktion g(τ) bei kleinen und großen Teilchen (nach [25]).

Wegen der brownschen Molekularbewegung der Pigmentteilchen erhält man bei der Photonenkorrelationsspektroskopie eine mit der Zeit t schwankende Streulichtintensität. Das Ausmaß der Schwankung hängt ab von der Geschwindigkeit, mit der sich die Teilchen bewegen und deshalb letztlich von derem Diffusionskoeffizienten D (Gleichung 7.30). Durch ein mathematisches Verfahren, eine sogenannte Autokorrelation, wird das Messsignal in die Korrelationsfunktion (Gleichung 7.28) umgewandelt. Dabei ist die Verzögerungszeit τ durch die Messbedingungen (Anzahl der Kanäle und Zeitabstand zwischen zwei Messwerten) vorgegeben, der Betrag des Streulichtvektors K resultiert nach Gleichung 7.29 aus der verwendeten Wellenlänge λ, dem Brechungsindex des Mediums n und dem Beobachtungswinkel δ. Gleichung 7.28:

Gleichung 7.29:

Aus der Korrelationsfunktion lässt sich eine Verteilung der Diffusionskoeffizienten und – mit Gleichung 7.30 – eine Teilchengrößenverteilung berechnen (Abbildung 7.25). Nach Stokes und Einstein (Gleichung 7.30) hängt der Diffusionskoeffizient D nämlich vom Teil-

Abbildung 7.26: Photonenkorrelationsspektroskopie für sub-µm-Teilchen, bevorzugt für Polymerdispersionen und Emulsionen.

181

Stabilisierung von Kolloiden

Tabelle 7.10: Vergleich von mittleren Teilchengrößen (d) und Verteilungsbreiten von ß-CuPc-Pigmentdispersionen unterschiedlicher Anreibezeit, gemessen mit Scheibenzentrifuge und der Photonenkorrelationsspektroskopie. Dispergierzeit [h] 0,5 2,0 4,0 1

Scheibenzentrifuge d [µm] Breite [%] a) 0,29 48 0,27 44 0,26 42

PCS d [µm] 0,34 0,30 0,28

Breite [%]1 44 46 43

Breite in % der mittleren Teilchengröße

chenradius r ab, dabei ist k die Boltzmann-Konstante, T die absolute Temperatur und η die Viskosität des Mediums. Gleichung 7.30:

Bei der Photonenkorrelationsspektroskopie ist darauf zu achten, dass in verdünnter Dispersion gemessen und dabei der Grobanteil gering gehalten wird, da es sonst zur Überstrahlung des Messsignals kommt. Beispiel – Vergleich der Teilchengrößenverteilungen von ß-CuPc-Pigmentdispersionen unterschiedlicher Anreibezeit, gemessen mit Scheibenzentrifuge und mit PCS Mit unterschiedlichen Methoden gemessene, an sich gleiche Teilchengrößenverteilungen können sich durchaus unterscheiden, was hier am Beispiel einer Anreibung von Kupferphthalocyanin gezeigt werden soll. So zeigt Abbildung 7.20 die mit einer Scheibenzentrifuge bestimmten Teilchengrößenverteilungen nach unterschiedlichen Dispergierzeiten, analog dazu Tabelle 7.10 mittlere Teilchengrößen und Relativwerte für die Breite der Teilchengrößenverteilungen (Standardabweichung der Verteilungsfunktion in Prozent der Teilchengröße).

7.3 Stabilisierung von Kolloiden Lacke, Beschichtungsstoffe, Druckfarben etc. sind meistens mehrphasige Systeme, bei denen eine der Phasen fein dispers vorliegt. Derartige Dispersionen neigen zur Instabilität. Pigmente oder Latexteilchen können flockulieren, sedimentieren und koagulieren, weshalb das Verständnis der Stabilisierung kolloidaler Systeme eine wichtige Basis bei der Optimierung von Lackeigenschaften ist. Die Theorien zur Stabilität von Kolloiden sind in Lehrbüchern beschrieben [1, 3, 4, 38–40]. Bei den Kolloiden unterscheidet man die thermodynamisch stabilen und die metastabilen Systeme. Thermodynamisch stabil sind die Molekülkolloide, wie etwa die Polymerlösungen, und die Assoziationskolloide, z.B. die Mizellen und die Mikroemulsionen. Sie alle bilden sich spontan, wenn die Komponenten gemischt werden. Pigmentdispersionen, Emulsionen, wie etwa die Alkydharzemulsionen, und Bindemitteldispersionen (Polymerlatices) gehören in aller Regel zu den metastabilen Kolloiden, d.h. sie befinden sich zwar in einem stabilisierten Zustand, jedoch nicht im absoluten Minimum der Freien Enthalpie. Der thermodynamisch stabile Zustand solcher Systeme ist der entmischte Zustand, bei der makroskopisch getrennte Phasen nebeneinander vorliegen. Die Stabilität von metastabilen Systemen wird beeinträchtigt durch die Sedimentationsneigung der Dispersionsteilchen, z.B. der Pigmente (s. Kapitel 7.2.3 und Tabelle 7.9) bzw. durch

182

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

die Tendenz von Emulsionen aufzurahmen (letzteres tritt ein, wenn die disperse Phase eine geringere Dichte als das Medium besitzt). Beim Zusammenprall von dispergierten Teilchen aufgrund der brownschen Molekularbewegung besteht die Möglichkeit der Koagulation und der Flockung. Koagulation ist dabei die irreversible Zusammenlagerung von Dispersionsteilchen. Flockung (auch Flockulation genannt) ist die Zusammenlagerung benetzter Teilchen in der Dispersion. Dies ist ein reversibler Prozess, in den meisten Fällen können Flockulate durch einfaches Rühren wieder zerteilt werden. Ein Beispiel hierfür ist die Flockulation von Partikeln pyrogener Kieselsäure (z.B. „Aerosil“), die sich in einem Lack in Ruhe zu größeren Verbänden zusammenlagern und bei Scherung (Rühren) wieder zerfallen. Dies äußert sich rheologisch als Thixotropie. Ursache für die Tendenz der Dispersionsteilchen sich zusammen zu lagern, sind die in ihrer Oberfläche wirksamen nicht abgesättigten van der Waals-Kräfte und dadurch letztendlich die Verringerung des Verhältnisses von Oberfläche zu Volumen. Bei der Stabilisierung von Dispersionen muss deshalb einerseits versucht werden, die Grenzflächenenergie zwischen Dispersionsteilchen und Medium zu reduzieren (bei Assoziationskolloiden geht diese gegen Null – 10 -3 bis 10 -6 mN/m), andererseits versucht man die Teilchen untereinander durch abstoßende elektrostatische (s. Kapitel 7.3.1 bis 7.3.3.3) oder sterische Wechselwirkungskräfte (s. Kapitel 7.3.5) auf Distanz zu halten.

7.3.1

Elektrostatische Stabilisierung von Kolloiden

Stabilität gegen Flockung oder Koagulation wird z.B. durch elektrische Grenzflächenladungen erreicht, etwa durch angelagerte oder abdissoziierte Ionen oder durch adsorbierte Polyelektrolyte. Dabei nennt man Ionen potenzialbestimmende Ionen, wenn sie durch Adsorption das Oberflächenpotenzial verändern. Ionen, die im Elektrolyten vorliegen, aber das Oberflächenpotenzial nicht beeinflussen, nennt man indifferente Ionen. Die zur Oberflächenladung gegensinnig geladenen Ionen nennt man Gegenionen. Die Ursache der Grenzflächenladung kann im Einzelnen sein: • differentielle Löslichkeit schwerlöslicher ionischer Verbindungen, • spezifische Adsorption von Ionen aus dem Medium,

Abbildung 7.27: Differentielle Löslichkeit am Beispiel von Silberiodid. Iodid löst sich schlechter als das Silberion. Der AgI-Kristall ist deshalb in Wasser negativ geladen.

Stabilisierung von Kolloiden

183

Abbildung 7.28: Spezifische Ionenadsorption am Beispiel der Adsorption eines anionischen Tensids an einem Teilchen.

• Dissoziation funktioneller Gruppen auf der Teilchenoberfläche, z.B. COOH- oder OHGruppen, • isomorphe Substitution von Ionen in der Kristalloberfläche durch anderswertige Ionen. So bilden beispielsweise Silberiodidkristalle kolloidale Dispersionen, weil sie durch die unterschiedliche Löslichkeit von Silber- und Iodidionen in Wasser eine Oberflächenladung tragen, man spricht von differentieller Löslichkeit. Aus der Oberfläche des schwerlöslichen Silberiodidkristalls lösen sich Silberionen und Iodidionen zwar entsprechend ihrem Löslichkeitsprodukt (L p = 1,5 · 10 -16 mol2/l2), jedoch in unterschiedlicher Konzentration, nämlich mehr Silberionen als Iodidionen (Abbildung 7.27). Setzt man Silbernitrat zu (Nitrat ist dabei ein indifferentes Ion, das Silberion ist potenzialbestimmend), so wird die bestehende Oberflächenladung des Kristalls durch Adsorption von Silberionen an der Oberfläche mehr und mehr kompensiert. Bei einer Silberionenkonzentration von 10 -5,5 mol/l (pAg = 5,5) sind so viele Silberionen adsorbiert, dass die Oberfläche die Gesamtladung 0 trägt. Diesen Punkt nennt man Ladungsnullpunkt (p.z.c. – point of zero charge). Die spezifische Adsorption eines ionischen Tensids auf der Teilchenoberfläche, z.B. von anionischen Tensiden (diese sind potenzialbestimmende Ionen), beeinflusst das Potenzial (Abbildung 7.28). Die spezifische Adsorption beruht bei Tensiden auf van der Waals-Wechselwirkungen der hydrophoben Reste mit der Teilchenoberfläche. Die Teilchenoberfläche

Abbildung 7.29: Ionisierung von Oberflächengruppen am Beispiel von carboxylgruppenhaltigen Dispersionsteilchen, z.B. Polyurethandispersionen.

184

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Abbildung 7.30: Isomorphe Substitution am Beispiel von Schichtsilikaten

wird mit ionischen Tensiden belegt, diese sind zusätzlich in der Lage ein elektrisches Feld auszubilden. Wässrige Bindemittel, wie etwa wässrige Polyesterharze oder auch Polyurethandispersionen, sind häufig als Dispersion durch die Dissoziation von Oberflächengruppen stabilisiert. So lassen sich Carboxylgruppen, die in das Harz eingebaut sind, beispielsweise bei Polyurethandispersionen, durch Neutralisation mit Aminen in Carboxylat-, also Salzgruppen überführen (Abbildung 7.29). Diese stabilisieren die Dispersion. In ähnlicher Weise werden Metalloxid-Pigmente in Wasser stabilisiert. Sie tragen auf der Oberfläche Hydroxid-Gruppen (M-OH) und Oxid-Gruppen (M-O-M), die in Wasser dissoziieren bzw. protoniert werden können.

Pigmentpartikel von Titandioxid (i.e.p. = 7) oder Eisenoxid (i.e.p. = 9) tragen deshalb in Wasser je nach pH-Wert eine negative bzw. positive Oberflächenladung. Ähnliche Verhältnisse zeigen auch andere Metalloxid-Pigmente in Wasser. Auf den Flächen von Schichtsilikaten können einzelne Silicium-Atome durch andere, niederwertigere Atome wie etwa Aluminium ersetzt sein (Fehlstellen), ohne dass sich dabei die Struktur ändert. Diese isomorphe Substitution bewirkt, dass die Flächen der Schichtsilikate (Smektite) in Wasser negativ geladen sind (s. Abbildung 7.30).

7.3.2 Wechselwirkung zwischen Molekülen Um die Wechselwirkung zwischen Dispersionsteilchen verstehen zu können, muss zunächst die Wechselwirkung zwischen Molekülen betrachtet werden. Bei Molekülen und bei Kolloidteilchen ist der elektrostatischen bzw. sterischen Abstoßung die allgegenwärtige van

Stabilisierung von Kolloiden

185

der Waals-Anziehung überlagert. Letzteres ist ein Sammelbegriff für Dispersions- oder London-Kräfte, Debye- oder Dipol-Kräfte, Induktions- oder Keesom-Kräfte sowie die Wasserstoffbrücken und die Säure-BaseWechselwirkungen. Die Basis für die Beschreibung der Wechselwirkungsenergien bildet das Wechselwirkungspotenzial zwischen Molekülen, das Lenard-Jones-Potenzial DG. Man erhält es durch Summation der abstoßenden Wechselwirkungen (DGrep) und des anziehenden van der Waals-Wechselwirkungspotenzials (DGatt), z.B. repräsentiert durch das londonsche Anziehungspotenzial (Gleichung 7.31). Zwischen Molekülen wirken abstoßende Kräfte, weil sich die Elektronenhüllen bei Annäherung gegenseitig abstoßen. Gleichung 7.31:

Abbildung 7.31: Wechselwirkungsenergie ΔG zwischen zwei Molekülen als Funktion des Abstandes d (nach Gleichung 7.31).

Dabei ist das Vorzeichen des Anziehungspotenzials per Definition negativ und das Vorzeichen für abstoßende Wechselwirkung positiv. Da anziehendes und abstoßendes Potenzial unterschiedliche Reichweiten haben, durchläuft das resultierende Potenzial ein Minimum beim bevorzugten Abstand der Moleküle (s. Abbildung 7.31).

7.3.3 Wechselwirkung zwischen den Dispersionsteilchen Um das Wechselwirkungspotenzial zwischen Partikeln zu ermitteln, gibt es einen molekularen Ansatz, mit Summation über alle kombinatorisch möglichen Atom- oder Molekülpaare in den beiden Teilchen. Van der Waals beschrieb ursprünglich die Wechselwirkung zwischen Molekülen, z.B. in realen Gasen oder kondensierten Phasen. Zur Beschreibung der Wechselwirkung zwischen Partikeln muss das Wechselwirkungspotenzial eines jeden Volumenelements (Moleküls) in dem einen Partikel zu jedem Volumenelement des anderen Partikels aufsummiert werden, um das gesamte Wechselwirkungspotenzial zwischen den Partikeln zu erhalten, so wie dies in der DLVO-Theorie geschieht (benannt nach Deryagin, Landau, Verwey und Overbeek). Alternativ kennt man aber auch den sogenannten Kontinuumsansatz nach Lifshitz et al. (russische Schule) unter Verwendung der komplexen Dielektrizitätskonstanten ε über das gesamte Spektrum elektromagnetischer Interaktion. Dieses an sich elegantere Verfahren scheitert meist an der ungenügenden Kenntnis des Frequenzgangs der komplexen Dielektrizitätskonstanten. Das gesamte Repertoire der Grenz- und Oberflächenspannungen mit Randwinkel, youngscher- und Young-Dupré-Gleichung, mit Filmdruck, Spreitungsdruck und Spreitungskoeffizient, mit Benetzungsspannung und Taucharbeit, Zerlegung in polare und unpolare Anteile usw. lässt sich im Prinzip auch auf Pigmentdispersionen anwenden [41–44]. Seine Anwendung scheitert jedoch oft daran, dass an den mikroskopischen Pigmentteilchen die Definition, Ausbildung und Messung eines Randwinkels oft fragwürdig ist, bzw. dieser nur in wenigen Fällen indirekt gemessen werden kann (s.a. Kapitel 6.5.1).

186

7.3.3.1

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Anziehende Wechselwirkung

Anziehende Kräfte, die zwischen kolloidalen Teilchen wirken, sind die allgegenwärtigen van der Waals-Kräfte (siehe Kapitel 2), sie haben nur eine kurze Reichweite von bis zu 5 nm. Anziehend sind aber auch ungleichnamige elektrische Ladungen auf verschiedenen Teilchen oder als heteroverteilte Ladungen auf ein und demselben Teilchen selbst. Im einfachsten Fall, bei nicht stabilisierten Dispersionen, gibt es nur die anziehenden van der Waals-Kräfte, deren Reichweitenabhängigkeit auf molekularem Niveau zwar mit r -7 abnimmt (das Potenzial dementsprechend mit r -6), für kolloide Teilchen – jedoch durch Summationseffekte bedingt – deutlich moderater ausfällt. So nimmt die Wechselwirkungsenergie zwischen zwei unendlich großen Platten mit dem Abstand H proportional zu H-2, bei größeren Abständen (> ca. 10 nm) mit H-3 ab1. Wegen fehlender rücktreibender Kräfte koaguliert ein derartiges System sofort (s.a. A in Abbildung 7.35). Wie von Hamaker für zwei Quader im Abstand H gezeigt, nimmt die Wechselwirkungsenergie DGatt mit dem Quadrat des Abstandes ab (Gleichung 7.32).

Gleichung 7.32:

Dabei ist A H die sogenannte Hamaker-Konstante, die gegeben ist durch Gleichung 7.33:



mit dem Planckschen Wirkungsquantum h = 6,6256 · 10 -34  J·s, der Polarisierbarkeit der Oberflächenmoleküle α, der Zahl der Moleküle pro Volumeneinheit q. Die Frequenz ν entspricht dabei dem Energie-Niveau des ersten Ionisierungspotenzials. Eine ganz ähnliche Beziehung erhält man auch für kugelförmige Partikel [10]. Die Zahlenwerte für A H liegen bei 1 bis 30 · 10–20 J, entsprechend 1 bis 50 k·T bei Raumtemperatur. A H ist unabhängig vom Salzgehalt und vom pH-Wert. Der Abstandsterm beträgt je nach Geometrie 1/H (für gleichgroße Kugeln) bis 1/H2 (Platten, weitere Geometrien siehe [3, 4]). Streng genommen gilt die Hamaker-Konstante nur im Vakuum. In einem Medium sind die Teilchen schwächeren Anziehungskräften ausgesetzt, da ihre Oberflächenmoleküle mit den Molekülen des Mediums wechselwirken können. Nach Hamaker steht A H in Beziehung zur Kohäsion und damit (im Falle zweier Phasen) auch zur Adhäsion. Nach der Regel des geometrischen Mittelwerts (mean value rule) ist die Adhäsion zweier Stoffe gleich dem geometrischen Mittelwert der Kohäsion der einzelnen Stoffe. Diese „mean value rule“ ist in zahlreichen Ansätzen zu finden (z.B. im Bereich der Grenzflächenspannung, der Löslichkeitsparameter und des Ionisierungspotenzials), sie lässt sich auch im Zusammenhang mit der Hamaker-Konstanten anwenden. Für eine Dispersion von Teilchen in einem Medium gilt zunächst einmal folgende Beziehung: Gleichung 7.34:

In der Literatur findet man keine einheitlichen Bezeichnungen für die Abstände. Abstände zwischen planparallelen Platten werden hier mit H bezeichnet, der kürzeste Abstand zwischen zwei Kugeln mit d, der Abstand von einer Oberfläche mit x oder r (bei Kugelgeometrie) und der Abstand zweier Volumenelemente mit r.

1

Stabilisierung von Kolloiden

187

Dabei ist A i die Hamaker-Konstante des Stoffes i, mit i = M für das Medium und i = T für das Teilchen. Die „mean-value-rule“ wird nun zur Berechnung der Hamaker-Konstanten der Wechselwirkung zwischen den Molekülen der Teilchen und denen des Mediums herangezogen, demnach ergibt sich hierfür (näherungsweise) ATM=(AT·A M)0,5. Damit vereinfacht sich die Gleichung 7.34 zu Gleichung 7.35:

Je ähnlicher sich Dispersionsteilchen und Medium sind, umso ähnlicher sind auch ihre beiden Hamaker-Konstanten, folglich wird die anziehende Wechselwirkung zwischen den Teilchen geringer (s.a. Gleichung 7.32). 7.3.3.2

Elektrostatische Abstoßungskräfte

Bei Dispersionsteilchen mit Ladungen auf der Oberfläche, gibt es neben den anziehenden van der Waals-Wechselwirkungen ein ladungsbedingt abstoßendes, elektrisches Potenzial. Die aus diesem Potenzial resultierende Coulomb-Kraft, die zwischen Punktladungen wirksam ist, besitzt eine höhere Reichweite als die van der Waals-Wechselwirkungen. Sie fällt mit r-2 ab und dementsprechend ist ihr Potenzial indirekt proportional zum Abstand (r -1). Um generell die potentielle Energie, die zwischen Partikeln besteht, zu beschreiben, ist es wichtig, den Verlauf des elektrischen Potenzials als Funktion des Abstandes von der Teilchenoberfläche zu kennen. Modellvorstellungen für den Potenzialverlauf kommt daher besondere Bedeutung zu. Wie in der Debye-Hückel-Theorie beschrieben – sie gilt für die Verteilung von Punktladungen (solvatisierte Ionen) in einer Elektrolytlösung – halten sich gegensinnig geladene Ionen, sogenannte Gegenionen, in der Nähe einer solchen Punktladung auf. Bei geladenen Partikeln ist dies ähnlich. Dort befinden sich die Gegenionen in der Nähe der Partikeloberfläche, bzw. sind an das Partikel angelagert.

Abbildung 7.32: Struktur einer elektrischen Doppelschicht an der Partikeloberfläche von Dispersionsteilchen, mit beweglicher, diffuser Schicht, fest adsorbierter starrer Schicht (Sternschicht) und den diversen Ionenarten, den potenzialbestimmenden, indifferenten, Co- und Gegen-Ionen. Mit der Darstellung der Reichweite in Form der Debyelänge 1/κ.

188

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Die sich hier bildende Grenzschicht, bestehend aus geladener Oberfläche und den adsorbierten Gegenionen, nennt man elektrische Doppelschicht. Sie lässt sich durch die GouyChapman-Theorie beschreiben. Diese berücksichtigt auch die thermische Bewegung der solvatisierten Gegenionen. Sie werden nicht als fest adsorbiert angesehen, sondern sind in einer diffusen Schicht um das Partikel herum verteilt, entsprechend einer Poisson-Boltzmann-Verteilung. Je nach Elektrolytgehalt (Salzgehalt) des Mediums befinden sich in dieser diffusen Schicht auch gleichsinnig geladene Ionen (Coionen). Außerdem vorhandene Ionen, die aber nicht zum Oberflächenpotenzial beitragen, also keine sogenannten potenzialbestimmenden Ionen sind, zählt man zu den indifferenten Ionen. Nach der Gouy-Chapman-Theorie nimmt das Potenzial mit dem Abstand von der Partikeloberfläche exponentiell ab gemäß: Gleichung 7.36:

gilt für

Dabei ist f0 das Potenzial auf der Partikeloberfläche, κ die reziproke Debye-Länge (siehe Gleichung 7.37), x der Abstand von der Oberfläche, R die Gaskonstante, T die absolute Temperatur und F die Faraday-Konstante (F = NA · e0; NA = Avogadro-Konstante und e0 = Elementarladung). κ wird auch Debye-Parameter genannt, sein Reziprokwert hat die Dimension einer Länge. κ-1 nennt man Debye-Länge und bezeichnet damit die Dicke der elektrischen Doppelschicht. Weiterführende Theorien, wie beispielsweise die Theorie von Stern, vereinigen die Ausbildung einer starren Schicht (Stern-Schicht), die aus fest am Partikel adsorbierten Gegen- und auch Co-Ionen besteht, mit einer diffusen, beweglichen Schicht von Ionen. Das Potenzial ändert sich in der Sternschicht linear, wie in einem Plattenkondensator. Das Potenzial auf der Oberfläche der Stern-Schicht nennt man Stern-Potenzial fS (s. Abbildung 7.32). Die Debye-Länge κ-1 (Gleichung 7.37) ist ein Maß für die Dicke der diffusen elektrischen Doppelschicht. Diese ist so definiert, dass das Potenzial am Ort der Debye-Länge nur noch einen Bruchteil des Oberflächenpotenzials f0 beträgt, nämlich f0/e (mit e = 2,71828).

Abbildung 7.33: Potenzialverlauf in der diffusen Doppelschicht bei unterschiedlichen Konzentrationen (mol/l) eines 1 : 1-Elektrolyten (s. a. Tabelle 7.11).

189

Stabilisierung von Kolloiden

Gleichung 7.37:

Dabei ist ε die Dielektrizitätskonstante des Mediums, e0 die elektrische Feldkonstante, R die Gaskonstante und T die absolute Temperatur. Die Faraday-Konstante F ergibt sich, wie erwähnt, aus dem Produkt der Elementarladung e0 und der Avogadro-Konstanten NA . Die Ionenstärke I errechnet man nach Gleichung 7.38:

mit ci der Ionenkonzentration und zi der Ladungszahl der Ionensorte i außerhalb der diffusen Schicht. Gleichung 7.37 gilt für das Potenzial vor einer Wand, in der Literatur finden sich ähnliche Gleichungen für andere Geometrien. Beispiel – Berechnung der Ionenstärke Bei gleicher Stoffmengenkonzentration von c = 0,001 mol/l berechnen wir die Ionenstärke einer Natriumchloridlösung und einer Natriumsulfatlösung: 1:1-Elektrolyt, z.B. NaCl, c = 0,001 Mol/l:

2:1-Elektrolyt, z.B. Na2SO4, c = 0,001 Mol/l:

Die Konzentration der Natriumionen ist bei Natriumsulfat zweimal so hoch wie die Salzkonzentration, da 1 Mol Salz bei vollständiger Dissoziation 2 Mol Natriumionen bildet, weshalb dessen Ionenstärke dreimal so hoch ist. Je höher die Ladungsdichte im Elektrolyten, desto wirkungsvoller ist die Abschirmung der elektrischen Felder der Oberflächenladungen. Insbesondere höherwertige Ionen im Medium sind in diesem Sinne wirksam, da sie bei gleicher Konzentration eine höhere Ionenstärke besitzen. Wie Gleichung 7.37 und Abbildung 7.33 zeigen, reduziert eine Zugabe von Ionen (Salz) die Debyelänge κ-1, die diffuse Doppelschicht wird komprimiert. Folglich ist auch die Stabilität einer Dispersion umso geringer, je dünner die elektrische Doppelschicht ist, da dann

Tabelle 7.11: Dicke der elektrischen Doppelschicht, ausgedrückt durch die Debyelänge κ-1. Salzkonzentration c [mol/l]

0,001

0,01

0,1

9,61 3,04 0,96 κ -1 [nm] nach Gleichung 7.371 1 ε(H2O) = 78,54,ε 0 = 8,8542 · 10-12 C/(V · m), R = 8,314 J/(K · mol), F = 9,6487 · 10-4 C/mol.

1 0,30

190

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Tabelle 7.12: Reichweite der elektrostatischen Kräfte (Debyelängen) κ-1 als Funktion der ElektrolytKonzentration und der Ionen-Wertigkeit für Wasser bei 25 °C. Symmetrischer und unsymmetrischer Elektrolyt. Konzentration [mol/l] 0,001

0,01

0,1

symmetrischer Elektrolyt z+ : zDebyelänge κ-1 [nm] 1:1 9,61 2:2 4,81 3:3 3,20 1:1 3,04 2:2 1,52 3:3 1,01 1:1 0,96 2:2 0,48 3:3 0,32

unsymmetrischer Elektrolyt z+ : z- bzw. z- : z+ Debyelänge κ-1 [nm] 1:2 5,56 1:3 3,93 2:3 2,49 1:2 1,76 1:3 1,24 2:3 7,87 1:2 0,56 1:3 0,39 2:3 0,25

das Potenzial mit der Entfernung von der Oberfläche steiler abfällt, während die anziehenden Wechselwirkungen durch den Salzgehalt nicht beeinflusst werden (s. a. Abbildung 7.34). Dementsprechend lassen sich elektrostatisch stabilisierte Dispersionen durch die Zugabe von Salzen koagulieren, man spricht hier auch vom Aussalzen. Wie oben gezeigt, ist dabei beispielsweise Calciumchlorid effektiver als Natriumchlorid (s.a. Gleichung 7.37 und Tabelle 7.12). Vergleicht man die Dicken der elektrischen Doppelschichten mit den Dimensionen von Pigmentpartikeln, dann betragen die Debyelängen zirka ein Hundertstel bis ein Zehntel der Partikeldurchmesser. Ein solches Größenverhältnis liegt in etwa bei einer Orange (Pigmentpartikel) mit ihrer Schale (elektrische Doppelschicht) vor. Durch additive Überlagerung der attraktiven van der Waals- und der abstoßenden CoulombKräfte ergeben sich mehrere Möglichkeiten, wie sie schon von Hamaker [46–49] berechnet wurden (Abbildung 7.35). Für die Stabilität einer Dispersion ist die Höhe des Potenzialwalls entscheidend, der überwunden werden muss, bevor das System in das primäre Minimum abstürzt, also koaguliert. Systeme, die ein sekundäres Minimum besitzen, flockulieren.

Abbildung 7.34: Elektrostatische Stabilisierung bei niedriger (links) und hoher Ionenstärke (rechts) mit van der Waals-Anziehung und elektrostatischer Abstoßung sowie ihrer Summe (nach Schofield [45]).

Stabilisierung von Kolloiden

191

Abbildung 7.35: Vier typische Klassen von Potenzialkurven V(H) (hier für parallele Platten): A) nur van der Waals-Kräfte (Absturz ins Koagulat) B) mit elektrostatischer Stabilisierung und C) mit der Sonderform eines zweiten Minimums; als Vergleich D) die sterische Stabilisierung (s. a. Kapitel 7.3.5), nach [5].

Flockulation ist – wie erwähnt – reversibel, da die Teilchen dort im sekundären Minimum vorliegen und nur ein geringer Potenzialwall beim Zerteilen der Teilchen zu überwinden ist (s. C in Abbildung 7.35).

Abbildung 7.36: Typisches Messprotokoll der elektroakustischen Messung ESA, hier an transparenten Eisengelbpigmenten (α-FeOOH; unterschiedliche Typen L1915 und L 1916) in Wasser als Funktion des pH-Werts, mit Startwerten A. Man erkennt die pH-Wert-Abhängigkeit der Grenzflächenladungen und die isoelektrischen Punkte (i.e.p.) im sauren bzw. im basischen Bereich.

192

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Abbildung 7.37: Flockung und Stabilisierung von elektrostatisch stabilisierten Dispersionen durch Salz im Wasser.

7.3.3.3

Grenzflächenladung und Zetapotenzial

Elektrische Grenzflächenladungen treten vor allem in wässrigem Milieu auf. Dort sind sie pH-abhängig und zwar mit der Tendenz von plus über null nach minus bei ansteigendem pH-Wert. Ursache für die Abhängigkeit der Grenzflächenladung vom pH-Wert ist die Adsorption potenzialbestimmender Ionen in einer relativ starren Schicht, die das Teilchen direkt umgibt. Abbildung 7.36 zeigt die als elektroakustische Schallamplitude gemessene Grenzflächenladung an Eisenoxid-Pigmenten in Wasser. Gibt man die Pigmente in Wasser, so stellt sich zunächst ein bestimmter pH-Wert ein und man misst eine positive Grenzflächenladung. Erhöht man nun den pH-Wert, so ändert sich die Grenzflächenladung. Sie ist am isoelektrischen Punkt (i.e.p.) null und wird bei weiterer Erhöhung des pH-Werts negativ. Der elektrische Nullpunkt, der sich pH-wertabhängig einstellt, heißt isoelektrischer Punkt (i.e.p.) Er wird aus elektrokinetischen Messungen ermittelt (s. Kapitel 7.3.4). Man unterscheidet hiervon den oben bereits erwähnten point of zero charge (p.z.c.), der sich durch Titration einer Pigmentdispersion mit Säuren oder Basen bei unterschiedlicher Elektrolytkonzentration ermitteln lässt. Letzterer ist der Ladungsnullpunkt bezogen auf die Feststoffoberfläche, der i.e.p. dagegen ist der Ladungsnullpunkt bezogen auf die Scherebene, das ist die Trennfläche zwischen mitgeführten Ionen und dem fluiden, „ortsfesten“, also nicht mitgeführten Medium. Aufgrund der unterschiedlich adsorbierten und der indifferenten Ionen können sich in der diffusen Doppelschicht unterschiedliche Potenzialverläufe ergeben (s.a. Abbildung 7.38, A: keine Adsorption; B Adsorption; C Ladungsumkehr wegen übergroßer Adsorption aufgrund von Chemisorption oder von starken van der Waals-Kräften zwischen Partikel und

Stabilisierung von Kolloiden

193

Abbildung 7.38: Prinzip der Ladungsverteilung an Feststoffoberflächen in wässriger Dispersion, bestehend aus ortsfesten Feststoffladungen und mehr oder minder fest anhaftenden Gegenionen, bei B und C unter Bildung einer starren Sternschicht (mit dem Sternpotenzial fS) auf ihrer Oberfläche. Charakteristisch ist ferner die hydrodynamische Scherebene, mit dem Zetapotenzial auf ihrer Oberfläche, und die diffuse Wolke der Gegenionen, nach [5]

Adsorpt). Dementsprechend kann es sowohl zu Flockung als auch zu Stabilisierung kommen, und zwar abhängig von der Konzentration der Salze im wässrigen Medium elektrostatisch stabilisierter Dispersionen sowie von ihrer Neigung zur Adsorption (Abbildung 7.37). Ursache von Ladungen, die sich bei der Dispergierung von Teilchen im wässrigen Milieu einstellen, ist die – wegen seines hohen Dipolmoments – hohe dissoziierende Wirkung des Wassermoleküls. Beispielsweise reagieren Eisenoxidpigmente in Wasser amphoter, d.h. je nach pH-Wert können sie sauer oder basisch reagieren (s.a. Abbildung 7.36).

Die aus der Feststoffoberfläche abgespalteten oder an sie adsorbierten Ionen bestimmen die Ladungssumme an der Feststoffkante. Kolloidchemisch interessant für die Stabilisierung ist jedoch die Ladungsverteilung in der hydrodynamischen Scherebene, da das Teilchen den größten Teil der abdissoziierten Ladung bei seiner Bewegung mit sich schleppt. Der Ladungssumme innerhalb der Scherebene entspricht das Zetapotenzial ζ, das in Millivolt (mV) angegeben wird (Abbildung 7.38). Je nach Menge der adsorbierten Ionen kann das Zetapotenzial das gleiche oder das umgekehrte Vorzeichen wie das Oberflächenpotenzial f0 besitzen (siehe B und C in Abbildung 7.38).

194

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Abbildung 7.39: Potenzialkurven der DLVO-Theorie bei unterschiedlichem Oberflächenpotenzial als Funktion des Teilchenabstands, 100 mV entsprechen ca. 0,5 k·T (nach Hiemenz [1]).

Die Ladungen auf den Einzelteilchen sind nicht immer homogen verteilt. Als Folge davon können sich Überstrukturen, wie die von Tonmineralien her bekannten Kartenhausstrukturen aufbauen. Sie können – da das Oberflächenpotenzial pH-wertabhängig ist – durch den pHWert gesteuert zum Zusammensturz gebracht werden, mit dramatischen Auswirkungen auf das Fließverhalten. Solche Substanzen werden deshalb auch als Verdicker in Wasserlacken eingesetzt (Bentonit, Montmorillonit, hydrophobierte und synthetische Tone). Abbildung 7.39 zeigt den Einfluss wachsenden Oberflächenpotenzials und damit wachsenden Zetapotenzials auf die Höhe des primären Maximums der Potenzialkurve. Je höher dieses Maximum ist, umso besser ist die Dispersion gegen Koagulation stabilisiert.

Abbildung 7.40: Potenzialkurven (φ = f(H)) nach der DLVO-Theorie für zwei Kugeln von 100 nm Radius für unterschiedliche Werte von κ sowie für A H = 10 -19 J und für ein Oberflächenpotenzial von 25,7 mV (nach [1]).

Abbildung 7.41: Potenzialkurven der DLVO-Theorie als Funktion der Hamaker-Konstanten A H für parallele Halbebenen im Abstand H in nm, bei einem Oberflächenpotenzial von 103 mV und einer reziproken Reichweite κ von 109 (1/m) bei 4 nm2 Kontaktfläche (nach [1]).

Stabilisierung von Kolloiden

195

Tabelle 7.13: Kritische Flockungskonzentrationen in Klammern als Mol/l (CFC), für negative Kolloide und positive Kolloide mit ein-, zwei-, drei- und vierwertigen Ionen im Elektrolyten. Die Zahlenangaben ohne Klammern sind relative CFC Werte, bezogen auf die CFC-Werte einwertiger Elektrolyte desselben Systems (nach Hiemenz [1]). Ladungszahl des Gegenions 1 2 3 4 potenzialbestimmendes Ion

Negative Kolloide Au AgI As2S 3 (5,5 · 10 -2) (2,4 · 10 -2) (1,42 · 10 -1) 1 1 1 (3,8 · 10 -4) (2,43 · 10 -3 ) (6,9 · 10 -4) 1,6 · 10 -2 1,7 · 10 -2 1,3 · 10 -2 (9,1 · 10 -2) (6,0 · 10 -6 ) (6,8 · 10 -5) 0,3 · 10 -3 0,5 · 10 -3 1,7 · 10 -3 (9,0 · 10 -2) (9,0 · 10 -7) (1,3 · 10 -5) 0,4 · 10 -4 1 · 10 -4 1,7 · 10 -3 S2ClI-

Positive Kolloide Fe 2O3 Al2O3 (1,18 · 10 -2) (5,2 · 10 -2) 1 1 (2,1 · 10 -4) (6,3 · 10 -4) 1,8 · 10 -2 1,2 · 10 -2 (8 · 10 -5) 1,5 · 10 -3 (5,3 · 10 -5) 1,0 · 10 -3 H+ H+

Der Elektrolytgehalt wirkt sich über die Ionenstärke auf die reziproke Debyelänge und damit auf die Dispersionsstabilität aus. Abbildung 7.40 zeigt Potenzialkurven nach der DLVO-Theorie für zwei Kugeln von 100 nm Radius für unterschiedliche Debyelängen bei einer festen Hamaker-Konstanten und festem Zetapotenzial (nach Hiemenz [1]). Da die Dicke der diffusen Doppelschicht der Debyelänge κ-1 proportional ist, ist die Stabilität umso höher, je höher der Wert der Debyelänge ist. Wie Abbildung 7.40 zeigt, ist das primäre Maximum umso höher je größer die Debyelänge κ-1 bzw. je kleiner die reziproke Debyelänge κ ist. Die Höhe des Maximums einer Potenzialkurve wird sowohl von den abstoßenden ΔGrep, als auch von den anziehenden Wechselwirkungen ΔGatt beeinflusst (Gleichung 7.31). Die Hamaker-Konstante beschreibt den Einfluss des Mediums auf die anziehenden Wechselwirkungen zwischen den Teilchen. Je ähnlicher sich Medium und Teilchen sind, umso kleiner ist die Hamaker-Konstante, umso besser werden die van der Waals-Wechselwirkungen auf der Teilchenoberfläche abgesättigt, umso höher wird demnach das primäre Maximum der Potenzialkurve und umso stabiler ist letztendlich die Dispersion. Abbildung 7.41 zeigt den Einfluss der Hamaker-Konstanten A H in Gegenwart von abstoßenden Ladungen, bei konstantem Zetapotenzial ζ. Dispersionen, deren Potenzialkurven ein flaches sekundäres Minimum aufweisen, können flockulieren (C in Abbildung 7.35). Der interessanteste Fall für Dispersionen bei Lacken und Druckfarben ist der mit einem genügend hohen Potenzialwall, angegeben in Einheiten der thermischen Energie k · T oder in Zetapotenzial-Einheiten [mV], mit den Schwellenwerten 5 · k ·T (bzw. 25 mV) und einem solchen sekundären Minimum (vgl. Hamaker [50]). Derartige Systeme sind koagulationsstabil. Die schwache Flockung ist leicht redispergierbar. Flockulation bzw. Koagulation setzt auch ein, wenn die Ionenkonzentration im Elektrolyten so hoch ist, dass die Dicke der elektrischen Doppelschicht geringer wird als die Reichweite der van der Waals-Kräfte. Hierzu sei daran erinnert, dass die Debyelänge, die ja ein Maß für die Dicke der elektrischen Doppelschicht ist, nach Gleichung 7.37 von der Ionenstärke abhängig ist. Der Potenzialwall, der das System vor Koagulation schützt, wird bei Erhöhung der Elektrolytkonzentration so niedrig, dass die thermische Energie zu seiner Überwindung ausreicht. Experimentell lässt sich diese kritische Flockulationskonzentration (CFC) durch Zugabe von Salzen zu den Kolloiden bestimmen, so wie dies für fünf unterschiedliche Systeme – negative und positive Kolloide – in Tabelle 7.13 gezeigt ist. Die aus CFC-Werten abgeleitete

196

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

empirische Schulze-Hardy-Regel besagt, dass die Flockungstendenz vom zum Kolloid gegensinnig geladenen Ion beeinflusst wird, und zwar so, dass sie von einwertigen zu mehrwertigen Ionen zunimmt. In Tabelle 7.13 sind kritische Ionenkonzentrationen angegeben, welche die Flockung einleiten.

7.3.4 Elektrophoretische Beweglichkeit und Messung des Zetapotenzials Das Potenzial f0 auf der Teilchenoberfläche sowie die Debyelänge κ-1 haben wir zur Diskussion der Stabilität von Dispersionen genutzt. Erwähnt wurde ferner, als messbare Größe, die auch anwendungstechnisch interessant ist, das Zetapotenzial. Es wird aus der elektrophoretischen Wanderungsgeschwindigkeit u großer, elektrisch geladener Teilchen ermittelt. Deren Wanderung in einem elektrischen Feld bezeichnet man als Elektrophorese. Nach diesem Prinzip wandern auch Dispersionsteilchen, und zwar in Richtung einer gegensinnig geladenen Elektrode. Die Ionenwolke, die ein solches Teilchen umgibt, wird dabei deformiert, da sie in erster Linie Gegenionen enthält. Deshalb werden auch das Teilchen und seine Ionenwolke von unterschiedlichen Elektroden angezogen (Abbildung 7.42). Genauer gesagt, zum Teil wandert die Ionenwolke mit dem Teilchen und zum anderen Teil verliert die Ionenwolke die in ihr enthaltenen Ionen und nimmt dafür andere aus dem Medium auf. Direkt um das Dispersionsteilchen wandert ein Teil der diffusen elektrischen Doppelschicht unverändert zusammen mit dem Teilchen, die Hülle dieser Schicht nennt man in Analogie zu dem Schema von Abbildung 7.38 Scherebene. Das Potenzial auf dieser Scherebene ist eben das bereits erörterte Zetapotenzial ζ, das sich aus der Wanderungsgeschwindigkeit u des Teilchens im elektrischen Feld bestimmen lässt. Oft gibt man auch die elektrophoretische Beweglichkeit Be an, das ist die Wanderungsgeschwindigkeit u bezogen auf die elektrische Feldstärke E (Gleichung 7.39). Gleichung 7.39

Abbildung 7.42: Wanderndes Teilchen im elektrischen Feld, mit deformierter diffuser Doppelschicht. Der Bereich der diffusen Doppelschicht innerhalb der Scherebene wandert unverändert mit dem Teilchen.

Stabilisierung von Kolloiden

197

Abbildung 7.43: Messanordnung nach McInnes (nach [11]).

Ein geladenes Dispersionsteilchen wird in einem elektrischen Feld (der Feldstärke E), in Richtung der gegensinnig geladenen Elektrode beschleunigt. Es wird aber auch gebremst durch die von der anderen Elektrode angezogene diffuse Doppelschicht, sowie durch die Viskosität, als Folge der bei der Wanderung zwangsläufig auftretenden Scherung. Für große Teilchen gilt nach Helmholtz und Smoluchowski als Wanderungsgeschwindigkeit u HS näherungsweise die Gleichung 7.40, mit der elektrischen Feldkonstante e0, der Dielektrizitätskonstante ε, der elektrischen Feldstärke E, dem Zetapotenzial ζ und der Viskosität η. Große Teilchen sind in diesem Zusammenhang Teilchen mit einem Radius r T größer als ihre Debyelänge κ-1 (d.h. k·r T > 1). Die Debye-Hückel-Näherung (Gleichung 7.41) für die Wanderungsgeschwindigkeit u DH bzw. für das Zetapotenzial ζ gilt entsprechend für Teilchen, deren Debyelänge größer als der Teilchenradius ist. Gleichung 7.40: Gleichung 7.41:

7.3.4.1



Messung des Zetapotenzials

Auf einfache Weise lässt sich das Zetapotenzial von Dispersionen durch Verfolgen der Wanderung der Teilchenfront in einer mit dem Medium überschichteten Dispersion messen. Das geschieht in einem gleichschenkligen U-Rohr mit zwei Elektroden, an die eine Gleichspannung angelegt wird (Abbildung 7.43). Unter dieser Spannung wandert die Front der Teilchen in Richtung der gegensinnig geladenen Elektrode. 7.3.4.2 Laser-Doppler-Elektrophorese Durch die Laser-Doppler-Elektrophorese lässt sich die Wanderungsgeschwindigkeit von Dispersionsteilchen im elektrischen Feld aus der Frequenzverschiebung des Streulichts relativ

198

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Abbildung 7.44: Prinzip des Doppler-Effekts.

Abbildung 7.45: Prinzip der Laser-Doppler-Elektrophorese, nach [51].

zum eingestrahlten Licht bestimmen. Dispersionsteilchen, die mit Laserlicht bestrahlt werden, lassen sich als Sender für das Streulicht auffassen (Abbildung 7.44). Ein Sender in Ruhe sendet in alle Raumrichtungen Licht der gleichen Frequenz aus. Bewegt sich jedoch dieser Sender, z.B. ein im elektrischen Feld wanderndes Teilchen, so ist die Wellenlänge des Streulichts in Bewegungsrichtung des Teilchens gegenüber der eingestrahlten Lichtwellenlänge verkürzt und die Frequenz entsprechend um Δν verschoben (Doppler-Effekt). Die Größe der Frequenzverschiebung wird vom Verhältnis der Wanderungsgeschwindigkeit u zur Lichtgeschwindigkeit c bestimmt. Da diese Verschiebung nur wenige Hertz beträgt – im Vergleich zur Lichtfrequenz von 1014 Hz – lässt sie sich nur durch Überlagerung des Streulichts mit dem Originallicht messen, d.h. aus dem dabei entstehenden Interferenzmuster (Interferometrie). Bei der Messung (Abbildung 7.45) strahlt man Laserlicht durch die Messzelle, deren Wände aus transparenten Elektroden bestehen. Die geladenen Dispersionsteilchen bewegen sich dann in Richtung der gegensinnig geladenen Elektrode. Man detektiert die Schwebungsfrequenz, aus der die elektrophoretische Wanderungsgeschwindigkeit und damit das Zetapotenzial ermittelt werden kann.

Stabilisierung von Kolloiden

199

Abbildung 7.46: Messzelle bei der Moving-Boundary-Methode (nach [52]).

7.3.4.3 Moving-Boundary-Methode Bei der Moving-Boundary-Methode – zur Erfassung der Wanderungsgeschwindigkeit von Dispersionspartikeln – verwendet man eine Messzelle mit zwei Elektroden, von denen eine transparent ist, z.B. ein äußerst dünn mit Metall bedampftes Glas (s. Abbildung 7.46) [52]. Beim Anlegen einer Gleichspannung sedimentieren die Dispersionspartikel in Richtung der gegensinnig geladenen Elektrode, auf der dann eine Sedimentschicht aufwächst. Die Geschwindigkeit, mit der die Dicke der Sedimentschicht zunimmt, lässt sich interferometrisch messen, sie ist proportional zur Wanderungsgeschwindigkeit der Teilchen. 7.3.4.4

Elektrokinetische Schallamplitude ESA

Setzt man Pigmentdispersionen einem oszillierenden elektrischen Wechselfeld E(t) (Gleichung 7.42 und Abbildung 7.47 oben) mit fester oder variabler Frequenz ω aus, so werden die

Abbildung 7.47: Akustisches Signal mit maximaler Amplitude xmax (oben) und xmax als Funktion der Frequenz ω (unten).

200

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Abbildung 7.48: Prinzip der Ultraschalldetektion von Grenzflächenladungen in Feststoffdispersionen mit der elektrokinetischen Schallmethode ESA (nach [53–55]).

Teilchen zur Oszillation und zur Emission von Schallwellen angeregt, charakterisiert durch das Colloid-Vibration-Potenzial (cvp) und durch die elektrokinetische Schallamplitude (ESA). Gleichung 7.42:

Steigt die Erregerfrequenz vom MHz- bis zum GHz-Bereich an, so fallen die größeren Teilchen schließlich aus dem Takt, d.h. ihre Amplitude wird immer kleiner, weil sie dem oszillierenden elektrischen Wechselfeld nicht mehr folgen können (s.a. Abbildung 7.47 unten). Das durch die Teilchenoszillation erzeugte mechanische Wechselfeld lässt sich mit akustischen Sensoren erfassen. Der Schalldruck pak am akustischen Sensor (Schall-Spannungs-Wandler, Mikrophon) ist abhängig von der elektrophoretischen Beweglichkeit der Teilchen Be(ω), vom Volumen-

Abbildung 7.49: Messung der Änderung der Grenzflächenladung bei Adsorption eines kationischen Additivs (quaternäres Ammoniumsalz, Aliquat) an der Oberfläche des Pigments „Paliogen“ Rot L 3880 (1 Vol-% in 20 proz. wässrigem Ethanol). An der Kurve ist jeweils die Masse an Tensid, bezogen auf die Pigmentoberfläche, angegeben.

Stabilisierung von Kolloiden

201

bruchteil der dispersen Phase Fd, vom Dichteunterschied zwischen disperser Phase und Medium Dρ, von der Schallgeschwindigkeit vak in der Dispersion, von der Amplitude des elektrischen Wechselfelds E0 und von einem Faktor fG, der von der Messgeometrie abhängt, d.h. es gilt: Gleichung 7.43:

Aus der elektrophoretischen Beweglichkeit Be lässt sich nun das Zetapotenzial ζ berechnen. Ein besonderer Vorteil der Methode (Abbildung 7.48) besteht darin, dass sie bis zu Konzentrationen von ca. 10 Vol-% linear arbeitet. Ein anderes Verfahren zur Messung von Teilchengrößenverteilungen beruht ebenfalls auf dem ESA-Prinzip. Dabei misst man die elektrophoretische Beweglichkeit als Funktion der Erregerfrequenz für die Teilchenoszillation. Mit wachsender Frequenz (MHz- bis GHzBereich) bleiben mehr und mehr der gröberen Teilchen zurück und man kommt auf diese Weise zu einer Teilchengrößenverteilungskurve, wobei im Einzelnen noch die Frequenz auf Teilchengröße umzurechnen ist. Beispiel – Messung der Grenzflächenladung mittels ESA Das Pigment „Paliogenrot“ L 3880 zeigt in Wasser ein negatives Zeta- bzw. Oberflächenpotenzial. Bei Zugabe eines quartären Ammoniumsalzes (es handelt sich im vorliegenden Beispiel um ein kationisches Tensid) steigt das ESA-Signal (Abbildung 7.49). Bietet man dem Pigment 0,075 mg Tensid pro Quadratmeter der Pigmentoberfläche an, so wird die Grenzflächenladung (Ladung auf der Scherebene) und damit das Zetapotenzial annähernd Null (i.e.p.). Bei weiterer Zugabe von Tensid wird die Grenzflächenladung positiv und ist bei 0,175 mg/m2 maximal. Weitere Tensidzugabe ändert dann die Grenzflächenladung nicht mehr. In der Nähe des isoelektrischen Punktes ist die Dispersion instabil.

7.3.5 Sterische Stabilisierung von Kolloiden Die Zusammenlagerung von Kolloidteilchen kann außer durch elektrostatische Abstoßung auch durch sterische Wechselwirkung verhindert werden, z.B. durch adsorbierte, aber auch – auf den ersten Blick überraschend – durch nichtadsorbierte ungeladene Polymere [40]. Teilchen mit auf ihrer Oberfläche adsorbierten Polymeren verhalten sich wie Makromoleküle von extrem hoher Molmasse. Von entscheidender Bedeutung für die Kolloidstabilität sind dabei die Löslichkeitsparameter und die Theta-Bedingungen der adsorbierten Polymeren. Durch sie wird die Geometrie der adsorbierten Polymeren bestimmt. Der Gyrationsradius, also die Dimension des Polymers im Medium, hängt davon ab, ob das Polymer bevorzugt Wechselwirkungen mit dem Solvens eingeht oder intermolekulare Wechselwirkungen bevorzugt. Bei der Theta-Temperatur sind intermolekulare Wechselwirkungen und die Wechselwirkung des Polymers mit dem Solvens gleich groß. Das Polymer liegt dann so vor, als sei es „ungestört“. Oberhalb der Theta-Temperatur geht das Polymer bevorzugt Wechselwirkungen mit dem Solvens ein, es quillt sozusagen auf, und ein adsorbiertes Polymer ragt dann weit in das Solvens hinein, die sterische Stabilisierung ist wirksam. Für viele Systeme wurde ausnahmslos gezeigt, dass sie flockulieren (ähnlich wie hochmolekulare gelöste Polymere), wenn man die Theta-Temperatur durch Abkühlen erreicht. Dabei wird die sterisch schützende Hülle sehr kompakt, weil die intermolekularen Wechselwirkungen dominieren [56].

202

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Abbildung 7.50: Sterische Stabilisierung durch adsorbierte nichtionische Oligomere bzw. Polymere. Bei Teilchen auf Abstand stellt sich die thermodynamisch günstige Anordnung der lyophilen, im Medium gelösten und adsorbierten Polymerketten ein (oben). Durch Annäherung der Teilchen werden die lyophilen Bereiche der Polymerketten – inklusive ihrer Solvathülle – deformiert und in eine thermodynamisch ungünstigere Anordnung mit geringerer Entropie gezwungen.

Bei der sterischen Stabilisierung wirken zwei Arten von Kräften zwischen den Teilchen, die entropischen und die osmotischen. Entropisch stabilisierte Teilchen tragen auf ihrer Oberfläche Polymermoleküle, die teilweise im Medium gelöst sind. Teile der Polymerketten ragen quasi wie Tentakeln einer Seeanemone zunächst frei beweglich in das Medium hinein. Bei gegenseitiger Annäherung der Teilchen sinkt jedoch die Beweglichkeit der Polymerketten, da diese sich gegenseitig behindern. Die Entropie steigt dabei an, weil die Anzahl der möglichen Konfigurationen der Polymerketten eingeschränkt wird (s.a. Abbildung 7.50). Daneben kommt es bei Annäherung der Teilchen auch zu einer Verdichtung der Polymersegmente zwischen den Teilchen. Möglich ist die gegenseitige Durchdringung (Interpe-

Abbildung 7.51: Potenzialkurven sterisch stabilisierter Dispersionen mit guter Solvatation der gelösten Polymersegmente (links) sowie mit geringer Solvatation (rechts), nach [45].

Stabilisierung von Kolloiden

Abbildung 7.52: Adsorption einer Homopolymerkette an einer Feststoffoberfläche mit der Ausbildung von Zügen (Train), Schlaufen (Loop) und Schwänzen (Tail) [40].

203

Abbildung 7.53: Segment-Dichteprofil nach Scheutjens und Fleer mit den zur Stabilisierung wichtigen losen Enden. Auf der Abszisse ist der Abstand von der Teilchenoberfläche als Anzahl der Schichten aufgetragen, deren Dicke einer Segmentlänge des Polymers entspricht (nach [5]).

netration) der gelösten Polymersegmente oder eine Komprimierung (Denting). Getrieben durch den Anstieg der Polymerkonzentration im Zwischenraum der Teilchen, und durch die dadurch einsetzenden osmotischen Kräfte, drängt Lösemittel in diesen Raum nach, wodurch die Teilchen auf Distanz gehalten werden. Wesentlich ist dabei die Löslichkeit der Makromoleküle. Bei guter Löslichkeit überwiegen die osmotischen Kräfte. In schlechten Lösemitteln und unter Theta-Bedingungen überwiegt die entropische Stabilisierung. Theta-Bedingungen liegen vor, in einem engen Temperaturbereich – bei der Theta-Temperatur, wenn die Wechselwirkungen zwischen Lösemittel und Makromolekül genauso groß sind wie die intramolekularen Wechselwirkungen im Makromolekül. Oberhalb der Theta-Temperatur geht das Polymer bevorzugt Wechselwirkungen mit dem Solvens ein, darunter Polymer-Polymer Wechselwirkungen. Nach Napper hat die van der Waals-Anziehung bei sterisch stabilisierten Systemen einen geringen Einfluss, da das sterische Abstoßungspotenzial sehr viel stärker ansteigt – es kommt nicht zur Ausbildung eines primären Minimums. Bei Theta-Lösungen und bei schlechter Löslichkeit der Polymersegmente (also meist in einem engen Temperaturbereich) kann es zur Ausbildung eines relativ flachen sekundären Minimums und damit zur Flockulation kommen (Abbildung 7.51). Geflockte, sterisch stabilisierte Dispersionen redispergieren jedoch spontan bei Verbesserung der Löslichkeit der adsorbierten Polymeren. Makromoleküle können auf der Oberfläche der Teilchen in unterschiedlicher Konformation (nicht Konfiguration) adsorbiert sein. Abbildung 7.52 gibt schematisch die Möglichkeiten der Konformation adsorbierter Homopolymerketten wieder, als Trains – auf der Teilchenoberfläche haftende Polymersegmente, Loops – schleifenförmig in das Medium ragende Polymersegmente zwischen zwei Trains und Tails – Schwänze mit den Kettenenden der Makromoleküle, die weit in das Lösemittel hineinragen. Nach der Theorie von Scheutjens und Fleer [57–59] bewirken diese weit in die Bindemittellösung hineinragenden Tails den Haupteffekt bei der Stabilisierung: nach Abbildung 7.53 dominieren die Tails die Segment-

204

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Abbildung 7.54: Osmotische Anziehung durch Ausbildung eines Volumens reinen Lösemittels (ausgeschlossenes Volumen) im Zwischenraum der Teilchen.

dichteprofile im stabilitätsentscheidenden äußeren Reichweitenbereich der adsorbierten Polymeren. Der Volumenbruchteil des Polymers auf der Teilchenoberfläche ist um vier Zehnerpotenzen höher als im Medium. Trains spielen nur im Bereich direkt auf der Teilchenoberfläche eine Rolle. Sie besitzen eine Dicke von nur wenigen Segmentlängen. Osmotische Kräfte können aber auch zur Anziehung der Teilchen führen – man nennt dies osmotische Anziehung (Abbildung 7.54). Ist die Affinität des Lösemittels zu den Teilchen größer als seine Affinität zu den gelösten Makromolekülen, dann verarmt eine Schicht um das Teilchen an Makromolekülen, man spricht von „depletion layer“ (depletion – engl.:

Abbildung 7.55: Stabilisierung von Teilchen durch chemisch verankerte Copolymere, adsorbierende Homopolymere und nicht-adsorbierende Polymerketten (nach [5]).

Stabilisierung von Kolloiden

205

Abbildung 7.56: Übersicht von Kolloiden und Polymeren und ihre Interaktion bezüglich der kolloidalen Stabilität (in Anlehnung an [40]).

Verarmung). Nähern sich in einem solchen System zwei Teilchen soweit, dass ihr Abstand geringer wird als der Durchmesser eines Makromoleküls, dann bildet sich im Zwischenraum der Teilchen eine Phase aus reinem Lösemittel (ausgeschlossenes Volumen). Das Lösemittel drängt aber – durch osmotische Kräfte getrieben – in das Medium (Polymerlösung), die Teilchen ziehen sich dadurch an. Bei Systemen, die durch gelöste Makromoleküle stabilisiert werden, lässt sich bei Erhöhung der Polymerkonzentration auch eine erneute Stabilisierung erreichen, man spricht dann von der „depletion Stabilization“, ein auf den ersten Blick erstaunlicher Befund. Bei hoher Konzentration von Polymeren im Medium betrachtet man das gesamte ausgeschlossene Volumen, das sich bei Annäherung der Teilchen bildet. Dieses entsteht, wenn sich Teilchen so nahe kommen, dass Polymermoleküle keinen Platz mehr im Zwischenraum der Teilchen finden. Mit dem Anstieg des ausgeschlossenen Volumens entsteht ein Ordnungszustand und die Entropie des Gesamtsystems reduziert sich, es handelt sich also nicht um einen entropiebegünstigten Prozess. Je größer der Konzentrationsunterschied zwischen dem ausgeschlossenen Volumen und dem Medium ist, umso stärker werden die Makromoleküle versuchen ins ausgeschlossene Volumen (mit reinem Lösemittel) zu diffundieren. In Abbildung 7.55 sind einige wichtige Fälle gegenübergestellt. Bei der Stabilisierung durch Copolymere haftet eine im Medium schwerlösliche Ankergruppe auf der Teilchenoberfläche und „Buoys“ (engl.: Bojen) ragen in das Medium. Die Löslichkeit dieser Polymersegmente

206

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

(Buoys) entscheidet über die Stabilisierung. In für diese Segmente guten Lösemitteln erhält man Stabilisierung der Dispersion, in für die Buoys schlechten Lösemitteln Flockung und Koagulation. Polymerisationsgrad und Anzahl der Copolymermoleküle pro Oberflächeneinheit der Dispersionsteilchen bestimmen die Struktur des Polymers auf der Oberfläche und tragen zur Stabilität bei. Die Dimension eines Makromoleküls in Lösung wird durch den Gyrationsradius RG ausgedrückt. Dieser hängt ab vom Polymerisationsgrad und der Solvatation. In guten Lösemitteln ist er größer als in schlechten oder Theta-Lösemitteln. Letztendlich bestimmt der Gyrationsradius die gesamte Struktur der adsorbierten Schicht, ihre Dicke, die Belegungsdichte und auch die Größe des ausgeschlossenen Volumens. Bei adsorbierenden Homopolymeren spielt die Konzentration des Polymeren eine wichtige Rolle – je nachdem können adsorbierende Homopolymere Dispersionen stabilisieren oder destabilisieren (s.a. Abbildung 7.56). Bei nicht-adsorbierenden Polymeren tritt besonders in guten und in Theta-Lösemitteln die Verarmungsflockulation auf. Die Stabilität hängt vom Radius der Polymerknäuel und damit von der Zahl der Polymersegmente pro Volumeneinheit ab, die das ausgeschlossene Volumen bestimmen. Abbildung 7.56 zeigt schematisch die vielen Möglichkeiten der Wechselwirkung zwischen Pigmentteilchen und Polymeren (vgl. [60–63]). Gibt man Polymere zu einer Dispersion, so tritt bei sehr geringen Konzentrationen zunächst Überbrückungsflockulation auf, die aber bei weiterer Zugabe von Polymer wieder verschwindet, es entsteht dann eine sterisch stabilisierte Dispersion. Ausgehend von einer solchen sterisch stabilisierten Dispersion gibt es verschiedene Verhaltensweisen bei Zugabe von Lösemittel bzw. Polymer (A bis D in Abbildung 7.56). Setzt man ein für die adsorbierten Polymeren im thermodynamischen Sinne schlechtes Lösemittel zu (A in Abbildung 7.56), wird die stabilisierende Hülle komprimiert und es tritt zunächst Flockulation und bei weiterer Zugabe eines schlechten Lösemittels schwache Koagulation ein. Diese ist bei Zugabe eines „Lösers“ wieder reversibel. Dazu ein praktisches Beispiel: Mit Dispergierharzen belegte Druckfarbenpigmente verhalten sich wie schwach koagulierte Dispersionen (d.h., sie sind dispergierweich; s.a. Kapitel 7.4.2). Zugabe eines guten Lösemittels unterstützt die Dispergierung im Druckfarbenfirnis, da das Pigment gleichsam angequollen wird und das Koagulat sprengt. Für viele Druckfarbenpigmente kann übrigens der Prozess der Verlackung mit dem Prozess der Harzkoagulation im Eintopfverfahren erfolgen. Beim Verdünnen von sterisch stabilisierten Dispersionen mit Lösemittel (B in Abbildung 7.56) kann, besonders bei mangelhafter Vermischung, Verdrängungskoagulation (displacement coagulation) auftreten, wie dies beim Lösemittelschock [64] der Fall ist. Dabei diffundiert Polymer aus der Dispersion in das Lösemittel hinein, es kommt im Grenzbereich zu einer Verarmung an Polymer und zur Verdrängung des Polymers von der Oberfläche der Dispersionsteilchen, so dass diese nicht mehr ausreichend stabilisiert sind. Überbrückungs-Heteroflockulation sterisch stabilisierter Dispersionen erhält man bei zu hoher Konzentration von Dispegieradditiv oder durch Zugabe von Flockungsmittel (C in Abbildung 7.56).

1

Die Bezeichnung Polyelektrolyt wird hier verwendet für geladene Polymere

Stabilisierung von Kolloiden

207

Sterisch stabilisierte Dispersionen können auch flockulieren, wenn die Löslichkeit der Polymeren durch Zugabe guter Lösemittel erhöht wird (D in Abbildung 7.56). Dadurch kann es zur Ablösung der Polymeren von der Teilchenoberfläche und zu der bereits oben beschriebenen Verarmungsschicht (depletion layer) um die Dispersionsteilchen und zur Anziehung der Teilchen durch osmotische Kräfte kommen. Bei Erhöhung der Polymerkonzentration kann dann aber wiederum Stabilisierung erreicht werden. So gibt es neben der Stabilisierung durch adsorbierte Polymerketten auch die Flockung durch eben diese. Für Coatings, also Lacke und andere Beschichtungsstoffe, steht die sterische Stabilisierung im Mittelpunkt des Interesses (anders wäre es, wenn man es mit der Reinigung von Trinkwässern, z.B. von Huminsäuren, oder der Klärung von Abwässern mittels Flockung der feindispersen Schwebeteilchen in Absetzbecken zu tun hätte).

7.3.6

Stabilisierung durch Polymere und Ladungen

Schließlich können Dispersionen auch durch Adsorption von Polyelektrolyten stabilisiert werden. Man erkennt leicht (Abbildung 7.58), dass das freie, geladene Polyelektrolytknäuel aufgrund der elektrostatischen Abstoßung der Ladungen entlang der Polymerkette expandiert und auch im adsorbierten Zustand eine vom ungeladenen Polymer deutlich verschiedene Konformation annimmt. Zumindest solange dieser Ladungseffekt nicht abgeschirmt wird, z.B. durch erhöhten Salzgehalt im Elektrolyten. Als Beispiel eines solchen Falls zeigt Abbildung 7.57 die Dimension von Polymethacrylsäure in Wasser als Funktion des Dissoziationsgrades. Man erkennt, je höher die Ladung entlang der Polymerkette ist, umso stärker ist das Knäuel aufgeweitet, dargestellt in Abbildung 7.58. In wässrigen Dispersionen mit geringem Elektrolytgehalt haben die Ladungskräfte eine große Reichweite, die Polyelektrolytmoleküle strecken sich weit aus, um die Abstoßung in sich selbst zu minimieren, folglich adsorbieren sie auch in flacher Konformation auf den Pigmenten. Ganz anders im Fall hohen Elektrolytgehalts, hier werden die Ladungen abgeschirmt und die so „entschärften“ Polyelektrolyte verhalten sich wie gewöhnliche Polymere. Pro Oberflächeneinheit adsorbieren sie deutlich mehr als nicht abgeschirmt. Bei hoher Ionenkonzentration sind im Medium freie Polyelektrolytmoleküle ebenso wie ungeladene Polymere geknäuelt, an der Oberfläche adsorbierte Polyelektrolyte bilden die typischen in das Medium ragenden Loops und Tails aus. Analoges gilt für den Einfluss der Molmasse: bei Polyelektrolyten ist die adsorbierte Menge unabhängig von der Molmasse

Abbildung 7.57: Gyrationsradius RG von Polymethacrylsäure in Wasser als Funktion des Dissoziationsgrades, nach [56].

208

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

(„full is full“). Der oberflächenspezifische Mengenbedarf von ionischen Belegmitteln ist geringer als bei ungeladenen Polymeren. Als Zwischenbilanz kann man sagen, dass durch Ladungen auf den Pigmenten bzw. den Polymeren die Lage noch komplizierter wird als ohne Ladungen. Am Beispiel negativ geladener Dispersionsteilchen wird Flockung und Stabilisierung in Abbildung 7.59 und 7.60 beschrieben. Flockulation tritt auf in Form der Überbrückungsflockulation, und zwar bei hochmolekularen Polykationen mit geringer Ladungsdichte, sowie durch Mosaikhaftung bei niedermolekularen Polykationen hoher Ladungsdichte. Bei der Mosaikhaftung bilden sich gegensinnig geladene Domänen auf der Teilchenoberfläche aus und es kommt zur Agglomeration. Bei Bedeckungsgraden von Θ = 1 (vollständige Bedeckung der Oberfläche; s.a. Gleichung 5.33) restabilisiert sich das System wieder. Polyanionen können über mehrwertige Kationen auf der anionischen Partikeloberfläche verankert

Abbildung 7.58: Nichtionische Makromoleküle (links) und solche mit Ladungen – Polyelektrolyte (rechts), nach [5].

Abbildung 7.59: Flockung und Stabilisierung von negativ geladenen Dispersionsteilchen durch kationische Polyelektrolyte in Wasser.

Stabilisierung von Kolloiden

209

werden. Auch hier tragen die niedermolekularen Polyanionen zur Dispersionsstabilisierung bei, die hochmolekularen neigen zur Überbrückungsflockulation. In Abbildung 7.61 ist das Adsorptionsverhalten eines kationischen Polyelektrolyten (Aminosäure Polylysin) auf einem anionischen Polystyrol-Latex dargestellt. Man erkennt die abnehmende maximale Beladung mit abnehmendem Salzgehalt. Der Polyelektrolytcharakter kommt immer mehr zum Tragen, je weniger die Ladungen voneinander abgeschirmt sind. Bei hohem Salzgehalt sind die Ladungen im Polylysin voneinander durch den Elektrolyten abgeschirmt und das Polylysin verhält sich mehr und mehr wie ein ungeladenes Polymer.

Abbildung 7.60: Flockung und Stabilisierung von negativ geladenen Dispersionsteilchen durch anionische Polyelektrolyte in Wasser.

Abbildung 7.61: Adsorption des kationischen Proteins Polylysin mit unterschiedlichen Polymerisationsgraden DP an die Oberfläche eines anionischen Polystyrol-Latex (links) und an negativ geladenen Silberjodid-Teilchen (AgI), ausgedrückt durch die maximale Überschusskonzentration Gmax als Funktion des Salzgehalts im Medium (nach [65, 66]).

210

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Beim Silberiodid-Kolloid ist dies noch ausgeprägter als beim Polystyrol-Latex. Je mehr Salz im System ist, desto stärker wirkt sich dementsprechend die Molmasse aus (hier durch den Polymerisationsgrad DP charakterisiert). Abbildung 7.62 zeigt den pH-Einfluss auf die maximal adsorbierte Menge, normiert auf die spezifische Oberfläche. Bei pH = 6 ist der Polystyrol-Latex ungeladen (am i.e.p.) und folglich bei pH 10,7 negativ, das Polylysin selbst ist kationisch.

7.4 Pigmentteilchen im Lack Der hier folgende Abschnitt befasst sich mit der Pigmentauswahl, der Dispergierung, der Rheologie der Pigmentdispersionen, sowie mit den anwendungstechnischen Abbildung 7.62: Adsorptionsisothermen (ÜberEigenschaften der Beschichtungsfilme, schusskonzentration Γ an der Latexoberfläche einschließlich ihrer Coloristik, die von der als Funktion der Polylysinkonzentration cPolylysin Feinverteilung der Pigmente abhängig sind. im Medium) von Polylysin mit einem Polymerisationsgrad von DP = 340, an einen anionischen Damit Pigmente ihre eigentliche Funktion die Polystyrollatex bei pH = 6 und pH = 11 (nach [65]). Einfärbung der Beschichtung entfalten können, müssen sie fein verteilt vorliegen. Dazu müssen sie bereits im flüssigen Zustand des Beschichtungsstoffes dispergiert werden, und die erhaltene Dispersion muss stabil sein. Beim Dispergieren können durch die fortschreitende Verteilung und abhängig vom Pigmentgehalt mehr oder weniger ausgeprägte Abweichungen vom newtonschen Fließverhalten auftreten, was sich auf die Verarbeitbarkeit der Beschichtungsstoffe auswirkt. Pigmentierungshöhe, Teilchengrößen und ihre Geometrie sowie die Verteilung der Pigmente im Beschichtungsstoff beeinflussen die Coloristik und andere anwendungstechnische Eigenschaften der Beschichtungen, seien es Lacke, Anstrichstoffe, Druckfarben oder Künstlerfarben.

7.4.1

Pigmente in Lieferform

Klassische Pigmente, wie sie in Lacken, anderen Beschichtungsstoffen und Druckfarben eingesetzt werden, haben im Gegensatz zu den Effektpigmenten alle Abmessungen im sub-µm-Bereich (s.a. Tabelle 7.3). Pigmentpulver bestehen in Lieferform hauptsächlich aus Agglomeraten. Das sind die unregelmäßig aufgebauten, über Ecken und Kanten verwachsenen Teilchen mit einem deutlichen Hohlraumvolumen (s. a. Abbildung 7.2). Agglomerate entstehen bereits bei der Pigmentherstellung, sie müssen im Dispergierprozess zerteilt werden. Primärteilchen oder Einzelteilchen, das sind die kompakten, poren- und zwickelfreien massiven Teilchen wie Kristalle und aus Kristalliten (kohärent streuend) aufgebaute Partikel und die Aggregate, die über Flächen miteinander verwachsenen Primärteilchen, werden beim Dispergieren normalerweise nicht zerteilt. Die Flockulate sind – wie bereits erwähnt – redispergierbare Zusammenlagerungen bereits benetzter Teilchen in einer Dispersion. Koagulat ist eine feste, quasi irreversible Zusammenlagerung der Teilchen. Die Agglomerate entstehen unausweichlich bei der Trocknung von Filterkuchen, einer Trennphase, welche nahezu jedes klassische Pigment durchlaufen muss. Möchte man diese

Pigmentteilchen im Lack

211

zu einer Erhöhung der Farbstärkezunahme IS führende Erscheinung vermeiden, greift man insbesondere bei Druckfarbenpigmenten zur Belegung, zur Gefriertrocknung (z.B. bei „Heliogen“ Grün) oder zum Flush. Früher nannte man diese „Trennungsarbeit“ auch Dispergierhärte DH; das ist ein Maß für die Arbeit, die man aufwenden muss, um ein Pigment in einem Medium zu dispergieren (s.a. Gleichung 7.45). Belegung ist klassischerweise ein Ausfällen von aufbereiteten anionischen Baumharzen (z.B. Abietinsäurederivate, phenolmodifizierte Colophoniumharze) durch negative pH-Verschiebung und Zugabe sogenannter „verlackender“, mehrwertiger Metall-Kationen (Ca2+, Ba2+), in wässriger Suspension, noch vor der Filtration auf (und neben) das Pigment. Ein Flush (auch Flushpaste) entsteht durch Kneten des pastösen, wässrigen Filterkuchens mit einer Harzemulsion und mit oberflächenaktiven Substanzen; dies bewirkt die Verdrängung des Wassers von der Pigmentoberfläche und ihre Umbenetzung mit dem Harz, welches dann allerdings mit dem vorgesehenen Anwendungsmedium (z.B. Auflackmedium) verträglich sein muss. In welcher Form auch immer der Lack- oder Druckfarbenhersteller Pigmente verarbeitet, er muss sie mehr oder minder aufwendig dispergieren, um dem Ziel der idealen Dispersion nahe zu kommen. In ihr sind alle Primärteilchen freigesetzt und stabilisiert und sie haben die vom Hersteller vorgesehene Teilchengröße für den jeweils vorgesehenen Einsatzbereich, z.B. entsprechend große Teilchen für den deckenden Lack, kleine Teilchen (< 100 nm) für den transparenten Lack und die Druckfarbe.

7.4.2 Dispergieren Das Dispergieren [28] umfasst mehrere, teilweise gleichzeitig, teilweise nacheinander ablaufende Vorgänge. Diese sind im Einzelnen: • • • •

das Benetzen der Pigmentoberfläche, das Zerteilen der Sekundärteilchen, das homogene Verteilen der Teilchen im Medium und die Stabilisierung der entstandenen Dispersion.

Für den Lack- und Druckfarbenhersteller kann das Dispergieren einerseits ein komplexer, vielstufiger Prozess sein oder andererseits ein bloßes Einrühren vorbereiteter, d.h. vordispergierter oder extrem dispergierweicher Farbmittelkonzentrate (zum Begriff der Farbstärkezunahme/Dispergierhärte s.a. Gleichung 7.45), Slurries oder Pasten in ein Bindemittel. In Lieferform sind pulverförmige Pigmente mehr oder weniger stark agglomeriert. Beim Dispergieren werden die Agglomerate zerteilt, wobei die Farbstärke zunimmt, da die Teilchen immer feiner im Medium verteilt werden, solange, bis sich ein Gleichgewichtszustand zwischen Zerteilung und Neubildung der Agglomerate einstellt. Der Fortschritt der Dispergierung kann indirekt über die relative Farbstärke F beobachtet werden. Diese ist ein Maß für die Fähigkeit eines Farbmittels auf Grund seines Absorptionsvermögens farbgebend auf andere Stoffe zu wirken. Die Absorption eines Mediums ist gegenüber der Absorption von Pigmenten normalerweise vernachlässigbar. Bei sonst gleichen coloristischen Eigenschaften zweier Lackierungen enthält diejenige das farbstärkere Pigment, bei der eine geringere Pigment-Volumen-Konzentration notwendig ist (beispielsweise um die gleiche Farbtiefe zu erreichen – s.a. DIN 55 986 [67]). Betrachtet man gleiche Pigmente mit lediglich unterschiedlichen Teilchengrößen, dann ist das feinteilige das farbstärkere. Die relative Farbstärke F ist direkt proportional zum Kubelka-Munk-Faktor FKM . Nach der Kubelka-Munk-Theorie kann FKM als Quotient aus dem Absorptionskoeffizient K und dem Streukoeffizient S nach folgender Gleichung berechnet werden:

212

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Abbildung 7.63: Farbstärkeentwicklung F am Beispiel eines Kupferphthalocyaninblau-Pigments in einem wässrigen Lack, mit zwei unterschiedlichen Dispergieraggregaten, als Funktion der Zeit (links) und reziproke Farbstärke 1/F als Funktion der reziproken Zeit 1/t (rechts).

Gleichung 7.44

Dabei ist der Reflexionsgrad der deckenden Farbschicht im Absorptionsmaximum, dieses entspricht dem Minimum der Reflexionskurve. Bei der Ermittlung der Farbstärkeentwicklung nach DIN EN ISO 8781-1 [68] entnimmt man dem Mahlgut nach festgelegten Zeiten Proben (z.B. nach 1, 2, 4, 8, 16, 32 und 64 Minuten), mischt diese mit einer standardisierten Weißpaste und zieht diese Weißaufhellungen auf Kontrastkarton in deckender Schicht auf. Die Endfarbstärke F∞, das ist die maximal erreichbare Farbstärke, wird ermittelt, indem man die reziproke Farbstärke 1/F über der reziproken Zeit 1/t aufträgt (Abbildung 7.63). Der Ordinatenabschnitt der erhaltenen Geraden ist die reziproke Endfarbstärke 1/ F∞,. Die Steigung der Geraden ist ein Maß für die mittlere Dispergiergeschwindigkeit. Die Farbstärkezunahme IS ist eine Kennzahl für den Aufwand, der zur Farbstärkeentwicklung eines Pigments beim Dispergieren erforderlich ist [68]. Allerdings hängt sowohl die absolute Größe, als auch in manchen Fällen die Relation von Dispergierhärten unterschiedlicher Pigmente, vom Dispergieraggregat, vom Dispergierverfahren und vom Medium ab. Berechnet wird die Farbstärkezunahme IS aus zwei Farbstärken, (K/S)1 und (K/S)2, die zu vereinbarten Dispergierzeiten bestimmt werden. Meist verwendet man für F1 die Farbstärke zu Beginn der Dispergierung und für F2 die Farbstärke bei einer Dispergierzeit, bei der ein Referenzpigment eine bestimmte Farbstärke erreicht, z.B. 90 % seiner Endfarbstärke F∞ .

Gleichung 7.45

Diese Definition ist nicht unproblematisch, da man nicht im Voraus weiß, wie schnell sich die Farbstärke entwickelt und ob die gewählten Zeiten (t1, t2) wirklich geschickt gewählt sind. Hier ist also ein gewisses Probieren notwendig, zumal beim Vergleich verschiedener Proben der jeweilige Kurvenzug sich auch ganz unterschiedlich entwickeln kann (1/F kann als Funktion von 1/t von der Form der Geraden abweichen).

Pigmentteilchen im Lack

213

Abbildung 7.64: Grindometer (oben) und Kornfeinheitsmesser nach Garmsen (Garmsenkeil; unten).

In der Praxis wird der Dispergierfortschritt häufig indirekt anhand der Körnigkeit, auch als Mahlfeinheit bezeichnet, bestimmt. Diese ist identisch mit der Schichtdicke eines Lackfilms, ab der einzelne Pigment- oder Füllstoffteilchen als Stippen erkennbar sind. Man beurteilt den Dispergierfortschritt anhand der Abnahme des Überkorns, was als alleiniges Kriterium eigentlich unzureichend ist, es sei denn, man kennt den Dispergierprozess und seine Reproduzierbarkeit. Bestimmen lässt sich die Körnigkeit mit dem Grindometer (Abbildung 7.64). Das ist ein gehärteter Stahlblock, auf dessen Oberseite sich eine keilförmige Rinne befindet. An der tiefsten Stelle dieser Rinne wird der zu prüfende Beschichtungsstoff aufgegeben und mit einem Stahlrakel in Richtung der flacher werdenden Rinne ausgestrichen. Als Körnigkeit oder Mahlfeinheit wird die Rinnentiefe angegeben, ab der eine größere Zahl von Stippen (als Striche oder Streifen) erkennbar ist. Für Wasserlacke oft besser geeignet ist der Garmsenkeil (Abbildung 7.64). Dieser Kornfeinheitsmesser (nach Garmsen) besteht aus zwei plan geschliffenen Glasplatten, einer Abstandslehre und zwei Klammern. Der Lack wird auf die Glasplatte mit der Abstandslehre aufgetragen, die zweite Platte darüber gedeckt und auf gegenüberliegenden Seiten mit Klammern fixiert. Nach ca. 10 Minuten nimmt man die Klammern ab und schiebt die Platten seitlich auseinander. Sofort nach der Trennung der Platten bestimmt man, ab welcher Nassschichtdicke der keilförmigen Lackschicht Stippen in größerer Anzahl auftreten. Die Körnigkeit ist ein Maß für den Grobanteil im Mahlgut. Beim Dispergieren wird der Grobanteil des Pigments geringer. Je nach Anwendungsfall der Beschichtung versucht man in der Praxis eine bestimmte Mahlfeinheit zu erreichen. Bei Lacken für die allgemeine Industrie oder bei Bautenlacken wird meistens eine Mahlfeinheit von 5 bis 10 µm eingestellt. Ist ein hoher, schleierfreier Glanz erforderlich, dann sind kleinere Mahlfeinheiten notwendig. Hier ist eine Endkontrolle mit dem Grindometer oder dem Garmsenkeil nicht ausreichend. In diesem Fall sollte die Untersuchung durch Mikroskopie oder die Messung der Teilchengrößenverteilung erfolgen.

214

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Abbildung 7.65: Primärteilchen, belegt mit Dispergierharz mit Mehrfachankergruppe und serumaffiner Seitenkette.

Zum leichteren Benetzen der Pigmentagglomerate durch Lösemittel, unter Verdrängen von gegebenenfalls Wasser und der Luft in den Agglomeraten [7, 69, 70], werden häufig Additive und Dispergierharze zugegeben (vgl. Abbildung 7.65). Deren pigmentaffine, funktionelle Gruppen adsorbieren direkt auf der Pigmentoberfläche, ihre lyophilen Polymersegmente ragen in das Solvens hinein. Dispergierharze auf der Oberfläche der Agglomeratpartikel erleichtern die Benetzung, weil sie eine größere Affinität zum Solvens haben als das Pigment selbst. Sie dienen außerdem der Verankerung von Dispergieradditiven. Wichtig ist ferner die Solvatation der polymeren Bindemittel und die Adsorption derselben an die benetzte Pigmentoberfläche, denn dies trägt zur sterischen Stabilisierung bei. Die Polymermoleküle des Bindemittels, die Lösemittelmoleküle und die Additive konkurrieren dabei um die Adsorptionsplätze auf den durch Energieeintrag mehr und mehr zerteilten Agglomeraten und damit freigesetzten Primärteilchen, deren Verteilung in der Dispersion bei gleichzeitiger Stabilisierung durch die adsorbierten Additive bzw. Bindemittelmoleküle erreicht werden soll. Da die Viskosität und die Fließgrenze mit der Zerteilung der Agglomerate in der Regel zunehmen, ist auch die Abstimmung der Viskosität des jeweiligen Mahlgutansatzes auf das Dispergieraggregat wichtig [6, 71] (s.a. Kapitel 7.4.3). Bei den Pigmentdispersionen sind folgende Stabilitätsbegriffe zu unterscheiden: 1.) solche durch hohe Viskosität bzw. durch hohe Fließgrenze – hierbei sind die Teilchen schlicht „einzementiert“ und sedimentieren praktisch nicht mehr, bzw. sie werden wegen der mangelnden Beweglichkeit auch nicht koagulieren können (vgl. „sweep flocculation“ in Abbildung 7.37). Zu beachten ist dabei, dass die Ursache einer Fließgrenze auch die Flockung von Pigmenten sein kann. 2.) solche Dispersionen, die sich zwar absetzen, deren Primärteilchen aber nicht flocken, und 3.) die nicht absetzenden, durch elektrische Ladungen auf Abstand und in der Schwebe gehaltenen und nicht flockenden Teilchen. Wie bereits erwähnt, ist Flockung das Zusammenlagern bereits benetzter Pigmentteilchen in der Dispersion. Das Flockulat setzt sich rasch ab und bildet ein hohes Sedimentvolumen. Im gehärteten Lackfilm führt Flockulat zur Farbtonverschiebung und gegebenenfalls zu einer Verminderung des Glanzes.

Pigmentteilchen im Lack

215

7.4.3 Dispergiermaschinen Ziel der Dispergierung ist es, eine ideale Dispersion aus den in die Primärteilchen aufgeteilten Agglomeraten in angemessener Zeit zu erreichen. Als Dispergieraggregate zur Pigmentierung von Lacken, Druckfarben und Beschichtungsstoffen werden heutzutage meistens sogenannte „Media Mills“ eingesetzt, das sind Rührwerkskugelmühlen mit horizontaler Rührwelle und geeigneten Dispergierkörpern, die von rotierenden Scheiben scherend angetrieben werden. Besonders bei Laborgeräten kommen aber auch Ausführungen mit vertikaler Rührwelle zum Einsatz (Abbildung 7.66). Die Welle mit den Scheiben dreht sich und setzt durch Reibung die Mahlkörper in Bewegung. Bei diesen handelt es sich meist um Kugeln aus Stahl, Glas, SAZ (Mischoxid von Silicium, Aluminium und Zirkonium) oder Zirkonoxid (meist dotiert), mit Durchmessern unterhalb von 2 mm. Die einfacheren und billigeren Kugelmühlen finden, z.B. wegen geringerer Ausbeute, schwierigerer Mahlgutführung, ungleichmäßigerer Produktverweilzeit und schwierigerer Reinigung immer weniger Anwendung. In den darin enthaltenen Kugelmischungen kommen Durchmesser von wenigen Millimetern bis hin zu einigen Zentimetern vor.

Abbildung 7.66: Rührwerkskugelmühle mit vertikaler Rührwelle, Scheiben und Mahlkörpern (in ähnlicher Ausführung auch mit horizontaler Achse verfügbar).

Abbildung 7.67: Für schonende Dispergierung, der Dissolver mit dem Doughnut-Effekt (links).

216

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Pigmentpräparationen, Pigment-Flush-Pasten oder leicht dispergiere Pigmente (InstantPigmente) können in der Regel mit dem Dissolver eingearbeitet werden (vgl. Abbildung 7.67). Ein Dissolver ist ein schnelllaufendes Rührgerät mit einer gezahnten Rührscheibe. Seine Dispergierwirkung beruht auf den starken Scherkräften, die an den Zähnen der Rührscheibe auftreten. Beim Rühren bildet sich bei ausreichend hoher Rührgeschwindigkeit ein Toroid aus (Doughnut-Effekt). Da Rührscheiben mit unterschiedlichen Durchmessern im Einsatz sind, gibt man die Umfangsgeschwindigkeit der Rührscheibe an, um vergleichbare

Abbildung 7.68: Prinzip des Dreiwalzenstuhls für hochviskose Medien. Die unterschiedliche Umfangsgeschwindigkeit der Walzen (v1 > v2) führt zu einem Geschwindigkeitsgradienten im Scherspalt.

Abbildung 7.69: Fließgrenze t0 (oben) und elektrophoretische Beweglichkeit Be (unten) eines anionischen PMMA-Latex. Adsorption der Ammoniumverbindung Dodecyl-trimethyl-ammoniumbromid (C12TAB) kompensiert die Grenzflächenladung des Latex; die Fließgrenze – ein Maß für die Flockung – wächst an und verschwindet dann aber wieder, nach der Umladung und der Restabilisierung der PMMA-Dispersion.

Pigmentteilchen im Lack

217

Dispergierbedingungen einstellen zu können. In der Regel liegt die Umfangsgeschwindigkeit bei 15 bis 25 m/s; bei Pigmenten, die schonend eingearbeitet werden müssen, etwa Metallicpigmente, plättchenförmige Effektpigmente, Mattierungsmittel etc., sind entsprechend niedrigere Umfangsgeschwindigkeiten (engl.: tip speed) zu wählen (z.B. 5 bis 10 m/s). Bei der Dispergierung mit dem Dissolver erhält man in der Regel Mahlfeinheiten von weniger als 10 µm, was ausreichend für allgemeine Industrie- oder Bautenlacke ist. Für hochglänzende Lacke ist hingegen die Dispergierung auf einer Sand- oder Perlmühle angebracht. Für hochviskose Medien mit geringer Verdunstung findet nach wie vor die Zwei- oder die Dreiwalze Anwendung (Abbildung 7.68), zumal zum Entlüften hochviskoser Offsetfarben. Dort werden die Agglomerate im Geschwindigkeitsgradienten zerschert, die im Spalt zwischen den Walzen entstehen, wenn sich diese mit unterschiedlicher Umfangsgeschwindigkeit drehen. Für vergleichende Untersuchungen im Labor hat sich die Dispergierung des Mahlguts bewährt, das bestehend aus Medium, Pigment und Glasperlen in einer Flasche auf einer Schüttelmaschine (engl.: bottle shaking) [72] bewegt wird. Der Vorteil dabei ist, dass sich in kurzer Zeit eine große Anzahl von Proben, bei nur geringem Reinigungsaufwand herstellen lassen.

7.4.4

Rheologie von Pigmentdispersionen

Die bei der Dispergierung freigesetzten Primärteilchen sind in der Regel gegen Flockung ungenügend stabilisiert. Nach und auch schon während des soeben genannten Pigmentdispergierprozesses bildet ein System aus Teilchen ungenügender Stabilisierung durch Flockung leicht Überstrukturen, was zu einem entsprechend hohen Wert der Fließgrenze und zu viskoelastischem Verhalten führt. Abbildung 7.69 zeigt dies am Beispiel des Fließgrenzenwertes einer Latexdispersion, der durch Abtitrieren der negativen Ladung der

Abbildung 7.70: Zusammenhang zwischen der (vom Potenzial der Teilchen abhängigen) freien Energie ΔF/RT als Funktion des Abstandes r zweier Partikel und dem Speichermodul des flockulierten Systems im sekundären Minimum (beim Teilchenabstand R 0). Dort ist die Steigung m der partiellen Ableitung der Potenzialkurve gleich dem Speichermodul (und damit der Strukturstärke) des flockulierten Systems. Die Wendepunkte WP der Potenzialkurve entsprechen Minima der Kraftkurve; r0 ist der Teilchenabstand im Koagulat.

218

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Abbildung 7.71: Viskositätskurve einer Lackfarbe. Bei geringer Scherrate (Ablauf, Verlauf, Lagerung) spielt die Kolloidchemie die „erste Geige“, bei hohen dagegen geht es nur noch um das Volumen der dispergierten Teilchen und den Energieeintrag (nach Patton [71]).

Latexteilchen bei Zugabe eines kationischen Additivs immer größer wird, um dann nach Ladungsumkehr des PMMA wieder abzufallen. Zwischen der Potenzialkurve mit einem sekundären Minimum, wie es bei flockulierenden Dispersionen auftritt und der Fließgrenze besteht folgender Zusammenhang: Die Kraft, die man zur Trennung des Flockulats aufwenden muss, ist proportional zu seinem Speichermodul G’ (Abbildung 7.70). Dieses erhält man aus der Steigung der ersten Ableitung der freien Energie ΔF1 nach der Teilchendistanz r (Kraft F = dW/dr), am Ort des sekundären Minimums R0. Der Modul G’, der bei sehr kleinen Scherraten proportional zur Fließgrenze ist, entspricht also der Steigung der Kraftkurve im sekundären Minimum, er ist ein Maß für die Festigkeit der inneren Struktur des flockulierten Systems. Der kolloidale Zustand eines Lackes beeinflusst sein rheologisches Verhalten bei niedrigen Deformationen bzw. Scherraten und damit die Lagerstabilität, das Ablauf- und das Verlaufsverhalten ganz enorm. Die Viskosität bei hohen Scherraten ist dagegen vom kolloidalen Zustand nur geringfügig abhängig. Bei hoher Scherrate, z.B. während des Spritzvorgangs, zählt nur das eingebrachte Volumen und die eingebrachte Energie (vgl. Abbildung 7.71).

7.4.5 Schockerscheinungen In der Regel hat das Mahlgut nicht die gleiche Zusammensetzung wie der fertige Lack. Gründe dafür können vielfältig sein, z.B. wenn Farbpasten für Mischlacksysteme hergestellt werden, die Mahlgutviskosität und die Viskosität im Lack sich unterscheiden müssen oder wenn etwa reaktive Komponenten wie Vernetzer scherempfindlich sind und deshalb dem Mahlgut nicht zugesetzt werden können. Das Mahlgut muss dann nach der Herstellung aufgelackt, d.h. mit einer Bindemittellösung versetzt oder verdünnt werden. Beim Auflacken von Mahlgut und beim Verdünnen von Lacken können Schockeffekte auftreten, Achtung: Die freie Energie hat ebenso wie die Kraft das Symbol F. Hier wird grundsätzlich die Änderung der freien Energie ΔF verwandt. Die freie Energie ist identisch mit dem reversiblen, also wieder gewinnbaren Anteil der Arbeit ΔW, die einem System als Energie zugeführt wurde.

1 

Pigmentteilchen im Lack

219

was zur Reagglomeration von Pigment und zu Stippen in der Beschichtung führt. Man kennt drei Arten von Schockeffekten, den Pigmentschock, den Lösemittelschock und den Bindemittelschock [64]. Pigmentschock tritt auf, wenn eine Anreibung mit einer Bindemittellösung von höherer Bindemittelkonzentration aufgelackt wird. Beim Auflacken, besonders bei geringer Leistung des Rühraggregats, kommt es dann zu Konzentrationsgradienten in der Mischung. Lösemittel diffundiert aus den bindemittelarmen Bereichen (mit hoher Pigmentkonzentration) in die höherkonzentrierte Bindemittellösung hinein. Es kommt zu einer Lösemittelverarmung in den pigmentreichen Grenzbereichen, wodurch die Regglomeration ausgelöst wird. Der Pigmentschock kann bereits kurze Zeit (Minuten) nach dem Zudosieren der Bindemittellösung einsetzen. Verhindern lässt er sich, indem man den Konzentrationsunterschied in Anreibung und Auflackmischung so gering wie möglich hält und beim Zudosieren intensiv rührt. Ein Lösemittelschock tritt beim Verdünnen von Lacken mit Lösemittel auf. Dabei diffundiert Bindemittel aus dem Lack in das Lösemittel hinein, es kommt im Grenzbereich zu einer Verarmung an Bindemittel, das eigentlich zur sterischen Stabilisierung der Pigmente beitragen soll. Mit anderen Worten, das Lösemittel extrahiert das Bindemittel – auch von der Pigmentoberfläche – und destabilisiert die Dispersion. Feinteilige Pigmente, mit großer spezifscher Oberfläche (z.B. Ruß), sind dabei empfindlicher als grobteilige, ebenso Systeme mit Bindemitteln einer geringen Pigmentaffinität (z.B. mit Cellulosenitrat oder Vinylharz sind die Systeme empfindlicher als mit Alkyd- oder Styrolacrylatharz). Vermeiden lässt sich ein Lösemittelschock durch intensives Rühren und indem man kein reines Lösemittel, sondern eine Bindemittellösung zudosiert. Ein Bindemittelschock tritt beim Verdünnen von Lacken auf, wenn die Lackbestandteile nicht in allen Konzentrationen miteinander mischbar und verträglich sind. So kann es zu Trübungen oder zu Ausfällungen von Bindemittel kommen. Besonders wenn große Volumina von in bestimmten Konzentrationsbereichen instabilen Systemen miteinander vermischt werden, können sich in den dabei auftretenden Konzentrationsgradienten dann Agglomerat- oder Koagulatpartikel bilden, die natürlich auch Pigmentteilchen enthalten, und die dann in der Beschichtung zu Stippen führen. Vermeiden lässt sich ein Bindemittelschock, wenn zum Verdünnen nur gute Lösemittel („echte Löser“) bzw. Bindemittellösungen mit guten Lösemitteln eingesetzt werden (s. a. Kapitel 2).

7.4.6

Testmethoden zur Pigmentauswahl

Zur Rohstoffauswahl bei der Formulierung von Lacken führt man normalerweise zunächst Vorprüfungen an den Rohstoffen durch. Dazu gehört beispielsweise die Verträglichkeitsprüfung von Bindemitteln und Lösemitteln, die in der Formulierung eingesetzt werden sollen. Die Auswahl von Pigmenten für einen Beschichtungsstoff kann durch eine Reihe von Vorprüfungen geschehen. Zunächst stellt man Dispersionen der in Frage kommenden Pigmente her. Für das „Screening“ geschieht dies zweckmäßigerweise auf einer Schüttelmaschine (die Methode richtet man nach der Fragestellung aus: z.B. Interferenzpigmente schonend von Hand dispergieren, dagegen kornhärtere Substanzen wie transparentes Eisenoxid mit Glaskugeln auf der Schüttelmaschine eine Stunde lang). Außerdem muss zwischen nicht-wässrigen und wässrigen Systemen unterschieden werden. Zur Pigmentauswahl für nicht-wässrige Systeme (Tabelle 7.14) stellt man Dispersionen gegebenenfalls mit unterschiedlichen Dispergatoren her und beurteilt dann das Sedimentationsverhalten in Standzylindern (Reagenzglas) anhand der Sedimentationsgeschwindigkeit und der Sedimenthöhe nach einer festgelegten Zeit. Alternativ dazu kann die Sedimentation auch beschleunigt in einer Zentrifuge erfolgen (s.a. Kapitel 7.2.3.1). Je schneller die Sedimen-

220

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Tabelle 7.14: Prüfmethoden zur Pigmentauswahl für nicht-wässrige Systeme [73]. Probenvorbereitung Dispergieren der zur Auswahl stehenden Pigmente im Medium (Bindemittellösung), ggf. mit Dispergator, ggf. verdünnt

Prüfmethode Sedimentation im Standzylinder

Indikator/Beurteilung Sedimentationsgeschwindigkeit Sedimentvolumen

Applikation auf einen Objektträger Viskosimetrie bei niedrigen Scherraten, 0,1 bis 10 s-1 Rheologie: Oszillationstest Zusatz von Verdrängermolekülen Sedimentation im Standzylinder (z. B. Methanol) zur Pigmentdispersion Applikation auf einen Objektträger Pigmentdispersion auf Glanz- und Hazemessung Probetafel applizieren

Mikroskopie: Bestimmung der Dispergierstufe low-shear-Viskosität Fließgrenze

Applikation nach Temperaturbelastung

Farbort messen

G’ und G“ Sedimentationsgeschwindigkeit Sedimentvolumen Mikroskopie: Bestimmung der Dispergierstufe hoher Glanz und geringer Hazewert – feinteilige Dispersion niedriger Glanz, hoher Hazewert – grobteilige Dispersion, Flockulation Farbort ist von der Teilchengröße abhängig; Farbtonverschiebung durch Flockulation

Tabelle 7.15: Adsorption eines Modell-Polyesters aus Chloroform an Siliciumdioxidpartikeln (Aerosil 200, Evonik-Degussa und Desorption durch Zugabe konkurrierender Lösemittel [74]. konkurrierendes Lösemittel

Abnahme der adsorbierten Menge an Polyester [%]

Chloroform Nitrobenzol Deuteriumoxid Acetonitril Tetrahydrofuran Phenol Dimethylformamid n-Butanol Pyridin

0 0 4 15 19 33 62 92 96

H-Brücken Δν (OH) [cm-1]1 H-Brückenbindungsparameter 45 1,8 140 3,6 330 308 7,0 478 11,5 10,0 436 20,0 765, 767 -

IR-spektroskopisch bestimmte Verschiebung der OH-Valenzschwingung des Siliziumoxid-Teilchens durch das jeweilige Lösemittel.

1

tation abläuft und je kompakter das Sediment ist, umso schlechter ist das Pigment stabilisiert. Die Versuche können zur Lösemittelauswahl auch in unterschiedlichen Lösemitteln, z.B. Xylol, Butylacetat, Diacetonalkohol, Butanol etc. durchgeführt werden. Die Zugabe von Verdrängermolekülen, z.B. 10 % Methanol im Lösemittelgemisch, zeigt, wie gut das Bindemittel bzw. die dispergieraktiven Gruppen des Dispergators auf dem Pigment adsorbiert sind. Der Zusatz von niedermolekularen Verdrängermolekülen, sogenannte „displacers“, soll die Stabilitätsbreite der Formulierung testen. Wie von Dietz und Hamann am Beispiel der Adsorption eines Modell-Polyesters an Siliciumdioxidpartikeln (Aerosil 200, Evonik-Degussa) gezeigt, konkurrieren polare Lösemittel mit dem Polyester um die Adsorptionsplätze auf dem Dispersionsteilchen [74] (s. Tabelle 7.15).

Pigmentteilchen im Lack

221

Tabelle 7.16: Prüfmethoden zur Pigmentauswahl für wässrige Systeme, nach Jakubauskas [76]. Probenvorbereitung Pigmentsuspension in Wasser

Prüfmethode Elektrophorese

Indikator/Beurteilung Vorzeichen des Zetapotenzials aus der Wanderungsrichtung pH-Wertabhängigkeit des Zetapotenzials Sedimentationsgeschwindigkeit

Elektrophorese mit Titration Dispergieren der zur Sedimentation im Standzylinder Auswahl stehenden Pigmente mit nichtSedimentvolumen ionischen Dispergatoren, ggf. verdünnt Applikation auf einen Objektträger Mikroskopie: Bestimmung der Dispergierstufe Sedimentation im Standzylinder Sedimentationsgeschwindigkeit Dispergieren der zur Auswahl stehenden Sedimentvolumen Pigmente mit ionischen Dispergatoren, ggf. verdünnt Applikation auf einen Objektträger Mikroskopie: Bestimmung der Dispergierstufe Aussalzen der Sedimentation im Standzylinder Sedimentationsgeschwindigkeit Dispersion mit ionischen Sedimentvolumen Dispergatoren durch Zugabe stabile Dispersion – sterische Stabilisierung einer 0,25 bis 0,35 M Salzlösung (KNO3) instabile Dispersion – nur elektrostatische Stabilisierung Mikroskopie: Applikation auf einen Objektträger Bestimmung der Dispergierstufe

Ein Vergleich der low-shear-Viskositäten (0,1 bis 10 s-1) bzw. die Auswertung der Fließgrenzen oder Speichermoduln der Pigmentdispersionen lässt Aussagen über die Neigung zur Flockulation zu. Je höher die Viskosität bei niedrigen Scherraten oder die Fließgrenze bzw. der Speichermodul ist, umso stärker flockuliert ist das System. Applikation der Pigmentdispersion auf einen Objektträger und mikroskopische Bewertung lässt Schlüsse darüber zu, wie gut das Pigment beim Dispergieren mit dem jeweiligen Medium wechselwirkt. Bei der Formulierung von Wasserlacken ist es unumgänglich, sich einen Überblick über die Ladungen der Lackkomponenten zu verschaffen. Zur Vorauswahl der Pigmente für wässrige Systeme (Tabelle 7.16) ist es sinnvoll, zunächst das Vorzeichen des Zetapotenzials oder besser noch, seine Abhängigkeit vom pH-Wert, sowie die Lage des isoelektrischen Punktes zu bestimmen. Hierzu kann man sich einer der unter Kapitel 7.3.4 beschriebenen Methoden bedienen. Über eine Herstellung von Pigmentdispersionen mit nicht-ionischen bzw. mit ionischen Dispergatoren, sowie durch Prüfung ihrer Dispersionsstabilität beim Zusatz einer Salzlösung, kann entschieden werden, ob die Dispersion ladungsstabilisiert oder sterisch stabilisiert ist oder beides. Neben einer Beurteilung der bekannten Effekte bei Salzzugabe ist auch die Beurteilung der Feinverteilung der Pigmente sinnvoll, so unter dem Lichtmikroskop in einer auf einen Objektträger applizierten Schicht, gegebenenfalls nach zyklischem Erwärmen und Abkühlen. Eine recht einfache Methode, mit der man das Vorzeichen des Zetapotenzials der Pigmentteilchen ermitteln kann, ist bei Orr beschrieben [73]. Auf einen Objektträger mit dünnen Kupferstreifen als Elektroden (gedruckt oder aufgeklebt, Abstand ca. 0,7 bis 1 mm, Länge ca. 25 mm, Breite ca. 6 mm), die mit einer Stromquelle verbunden sind, tropft man die Dispersion, legt eine Spannung von 35 bis 70 V (bei einer Stromstärke von weniger als 1 A) an und beobachtet die Wanderung der Teilchen unter dem Mikroskop. Aus der Wanderungsrichtung erhält man Informationen zum Vorzeichen des Zetapotenzials (s.a. [73, 75]).

222

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Abbildung 7.72: Erweitertes Nelson-Diagramm zur Ermittlung des günstigsten pH-Bereiches für die Adsorption ionischer Additive auf geladenen Pigmentoberflächen (frei nach [69]). Die obere Kurve zeigt die pH-Wert-Abhängigkeit des Zetapotenzials eines Pigments (Eisenoxidrot), die untere Kurve die aus der potenziometrischen Titrationskurve eines anionischen Additivs (Polyacrylsäure-Copolymer) erhaltene pH-Abhängigkeit des Dissoziationsgrades α. Grau unterlegt ist pH-Intervall (pKa -1) bis pHiep , in dem die Adsorption des ionischen Adsorptivs auf der entgegengesetzt geladenen Oxidoberfläche optimal ist.

Die Bestimmung des Zetapotenzials während der Titration mit Säure bzw. Base liefert eine Zetapotenzial-Kurve, auf der der isoelektrische Punkt bei ζ = 0 mV liegt. Abbildung 7.36 zeigt deutlich, dass gleiche Bulk-Chemie noch lange nicht gleiche Oberflächenchemie bedeuten muss. Je nach dem ionischen Charakter der Verunreinigungen der Edukte reagiert z.B. das „Sicotrans“ Gelb unterschiedlich. Ferner kann mit der ESA-Methode die Anlagerung ionischer Spezies an Pigmente verfolgt werden. In Abbildung 7.49 ist für „Paliogen Rot“ L 3880 (P.R.178) die Entladung, die Umladung, die Restabilisierung sowie die Sättigungsbelegung mit einem kationischen Tensid („Aliquat“) zu erkennen. Die pK S - bzw. pK B -Werte erhält man für ionische Lackadditive aus ihrer Titrationskurve. Aus der ESA-Kurve für das Pigment und der Kenntnis der pKS - und der pK B -Werte der ionischen Lackadditive (z.B. Dispergatoren) lässt sich deren Auswirkung auf die Dispersionsstabilität direkt beobachten. Im weiterentwickelten Nelson-Diagramm (Abbildung 7.72) [69] kann man ablesen, in welchem pH-Intervall die Sorption ionischer Verbindungen auf den entgegengesetzt geladenen Pigmentpartikeln optimal von elektrischen Kräften unterstützt wird. Bei pH-Werten im Intervall pHiep ± 1 ist die Dispersion instabil, wegen des Verlustes an elektrostatischer Stabilisierung. Bei einem pH-Wert, der kleiner ist als pKS -1 des ionischen Additivs, liegt dieses nahezu ungeladen vor Tabelle 7.17: Typische Bereiche für die Pigmentund wird kaum mehr (aufgrund elektrostaVolumen-Konzentration tischer Wechselwirkung) adsorbiert. Ein Dispergator wäre dann praktisch unwirksam PVK (entsprechendes gilt für die gegensinnig glänzende Decklacke 10–20 % matte Dispersionsfarben 40–85 % geladenen Kombinationen von Pigment und Lasuren < 10 % ionischem Additiv).

223

Pigmentteilchen im Lack

7.4.7 Anwendungstechnische Eigenschaften von Beschichtungsstoffen Die umfassende Diskussion anwendungstechnischer Eigenschaften von Beschichtungsstoffen und Beschichtungen würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Hier sollen deshalb nur einige, vom kolloidalen Zustand und vom Pigmentgehalt der Lacke abhängige Eigenschaften diskutiert werden. Eine für das Erscheinungsbild, die Schutzfunktion und für sonstige anwendungstechnische Eigenschaften wichtige Größe ist die Pigment-Volumen-Konzentration PVK. Das ist der Anteil des Pigmentvolumens VPigment am Gesamtvolumen Vges des festen, gehärteten Beschichtungsfilms (s. Gleichung 7.46). Dabei ist für das Volumen VPigment die Summe der Volumina Vi aller Pigmente und Füllstoffe einzusetzen. Füllstoffe werden dabei wie Pigmente behandelt und eingeschlossene Luft zählt nicht zum Gesamtvolumen Vges der Beschichtung. Orientierungswerte zur PVK enthält Tabelle 7.17. Gleichung 7.46:



Das Pigment-Bindemittel-Verhältnis (PBV, Gleichung 7.47), der Quotient aus den Massen von Pigment und Bindemittel, wird ebenfalls häufig angegeben. Die Dichten von Pigmenten können jedoch stark unterschiedlich sein (Cu-Phthalocyanin ρ = 1,6 g/cm3, α-Fe2O3 = 5,0 g/cm3), deshalb ist die Angabe des Volumenanteils bei der Diskussion von Lackeigenschaften sinnvoller. Gleichung 7.47:



Beispiel: weiß-pigmentierter MF-Harz-Einbrennlack Anhand von Tabelle 7.18 wird ein Fall aus der Praxis der Lackformulierung diskutiert. Das Pigment-Bindemittel-Verhältnis des Lackes ist PBV = 0,5; das Bindemittel-VernetzerVerhältnis für das System Alkydharz : MF-Harz beträgt 70 : 30, die Pigment-VolumenKonzentration liegt bei PVK = 13,3 %. Die Dichte von getrockneten Lackbindemitteln kann an freien Filmen nach dem Auftriebsverfahren bestimmt werden (sie stimmt nicht mit der Dichte der gelösten Bindemittel überTabelle 7.18: Rezeptur eines weiß-pigmentierten Einbrennlackes, mit Angabe der nicht flüchtigen Anteile der Rohstoffe (n.f.A.; nach DIN 53 216) und der Zusammensetzung des Festkörpers FK.

Ricinenalkyd2 Melaminharz3 Titandioxid (Rutil) Lösemittel Summen

n.f.A. [%] 60,0 70,5 100,0 0,0

Einwaage [g] [%] 35,0 53,6 12,8 19,6 15,0 23,0 2,5 3,8 65,3 100,0

Dichte im gehärteten Lack: s. a. Tabelle 7.19. 2 Ricinenalkyd (40 % Ölgehalt) 60 % in Xylol. 3 Methanolverethertes Melamin-Formaldehyd-Harz. 1

Festkörper [Tl.] [g] 21,0 46,7 9,0 20,0 15,0 33,3 0,0 0,0 45,0 100,0

ρ1 [g/cm3 ] 1,2 1,5 4,1

Festkörper-Vol. [Vol-%] 64,4 22,1 13,5 100,0

224

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Tabelle 7.19: Dichte von gehärteten Lackbindemitteln [77]. Bindemittel Styrolacrylate Polyester, Alkydharze, Epoxidharze, Celluloseacetobutyrat, Phenolharze, Acrylesterharze, Polyurethane, Polyvinylacetat, Cellulosenitrat Harnstoffharze, Melaminharze Chlorkautschuk

Dichte [g/cm3 ] 1,1 1,2

Abbildung 7.73: Morphologie pigmentierter Lackfilme

Abbildung 7.74: Struktur und Packungsdichte dichter Packungen monodisperser Kugeln.

1,5 1,6

Pigmentteilchen im Lack

225

ein!), und zwar indem man sie für einen Lackfilm in Luft und in einer Flüssigkeit bekannter Dichte misst, z.B. in Methanol oder in Wasser. Die Dichte von Pigmenten findet man in technischen Datenblättern der Lieferanten oder in Tabellenwerken angegeben. 7.4.7.1

Kritische Pigment-Volumen-Konzentration und Packungsdichte

Die Pigment-Volumen-Konzentration PVK gibt, wie gesagt, den Volumenanteil von Pigmenten und Füllstoffen am Gesamtvolumen des getrockneten Beschichtungsfilms an. Die maximale Packungsdichte eines Pigments oder einer Pigmentmischung wird durch ihre Geometrie und durch die Teilchengrößenverteilung bestimmt. Trockenes Pigmentpulver oder Füllstoffpulver bildet ein Haufwerk, das mehr oder weniger dicht gepackt ist. Die sogenannte kritische Pigment-Volumen-Konzentration KPVK ist diejenige PVK, bei der in einem Beschichtungsfilm mit dichtgepacktem Pigment die Zwischenräume vollständig durch Bindemittel ausgefüllt sind (vgl. Abbildung 7.73). 7.4.7.2

Dichte Kugelpackungen

Betrachtet man homodisperse, kugelförmige Partikel (Partikel mit gleicher Teilchengröße; Abbildung 7.74), so können diese dicht gepackt, als kubisch dichteste Kugelpackung mit einer Packungsdichte von 74 % oder als kubisch primitive Kugelpackung mit einer Packungsdichte von 52 % vorliegen. Zufällig entstandene Haufwerke kugelförmiger monodisperser Partikel bilden Packungsdichten von 63 % aus [71, 78].

Abbildung 7.75: Packung aus Teilchen unterschiedlicher Größe.

Abbildung 7.76: Filmdichte von Lackfilmen als Funktion der PVK.

Abbildung 7.77: Zugfestigkeit von Lackfilmen in Abhängigkeit von der PVK, nach [71].

226

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Pigmente und Füllstoffe sind jedoch nicht monodispers, d.h. die Teilchen haben unterschiedliche Teilchengrößen. Außerdem können bei der Kombination von verschiedenen Pigmenten oder von Pigmenten mit Füllstoffen Teilchenspektren mit deutlich unterschiedlichen mittleren Durchmessern und Teilchenformen vorliegen. Die KPVK ist die PVK, bei der die Zwischenräume der sich fast berührenden Feststoffteilchen gerade noch mit Bindemittel gefüllt sind. Je weiter sich ein System unterhalb der KPVK befindet, umso mehr Bindemittel enthält es, je weiter die PVK über der KPVK liegt, umso mehr wird das Bindemittel durch Lufteinschlüsse ersetzt (Abbildung 7.73). Die KPVK ist abhängig von Kornform und Korngröße. Tatsächlich kann die KPVK Werte annehmen, die höher sind als 74 %, wenn unterschiedliche Teilchengrößen vorliegen und die kleinen Teilchen die Zwickelvolumina der großen Teilchen ausfüllen (Abbildung 7.75). So kann die KPVK beispielsweise bei einem Zinkstaub-haltigen Korrosionsschutz-Grundanstrich auf Epoxidharzbasis bei 80 % liegen. Die Reduzierung der PVK, beispielsweise auf 60 %, würde die Effektivität des Korrosionsschutzes deutlich reduzieren, da die Abstände zwischen den Zinkpartikeln zu groß würden. Dispersionsfarben haben eine KPVK, die bei ca. 60 % liegt. Die PVK solcher Anstrichstoffe liegt oberhalb der KPVK, da hier matte, luftdurchlässige Schichten mit gutem Deckvermögen gewünscht sind, die sich durch so hohe Pigmentierung und die dadurch verursachten Lufteinschlüsse erreichen lassen (im Englischen spricht man dabei auch vom „dry hiding“). 7.4.7.3

Anwendungstechnische Eigenschaften und PVK

Zahlreiche anwendungstechnische Eigenschaften hängen von der PVK bzw. von ihrer Lage relativ zur KPVK ab. Bei der KPVK ändern sich diverse Lackeigenschaften, z.B. die Filmdichte, mechanische Eigenschaften wie die Zugfestigkeit oder die Haftung, die Porosität und von der Porosität abhängige Eigenschaften, wie die Beständigkeit bei der Bewitterung, gemessen als Rostgrad oder Blasengrad, oder schließlich Echtheiten bei Chemikalienbelastung. Daneben tritt an der KPVK auch eine Änderung der optischen Eigenschaften ein, wie bei der Lichtstreuung, beim Deckvermögen und beim Glanz (siehe dazu Abschnitt Kapitel 7.4.8) Die Dichte eines Lackfilms nimmt mit steigender PVK zu (Abbildung 7.76), weil die Dichte bei Pigmenten und Füllstoffen normalerweise höher ist als bei Bindemitteln. Die Dichte ist dabei die auf das geometrische Volumen des Lackfilms bezogen, also einschließlich der eingeschlossenen Luft. Bei PVK = 0 ist die Dichte des Lackfilms identisch mit der Dichte des Bindemittels. Bei der KPVK ist die Filmdichte maximal, und oberhalb der KPVK nimmt die Anzahl von luftgefüllten Hohlräumen im Lackfilm zu, deshalb fällt hier die Dichte mit zunehmender PVK. Die Zugfestigkeit nimmt unterhalb der KPVK mit steigender PVK zu. Füllstoffe und Pigmente wirken festigkeitsverstärkend, ähnlich wie bei einem Verbundwerkstoff. Oberhalb der KPVK hingegen nimmt die Zugfestigkeit ab, weil die im Film eingeschlossenen Hohlräume nicht zu seiner Festigkeit beitragen (vgl. Abbildung 7.77). Bei Haftungsprüfungen beobachtet man oberhalb der KPVK mit steigender PVK schlechter werdende Haftung. Die Porosität nimmt erwartungsgemäß mit dem Auftreten von Hohlräumen oberhalb der KPVK zu. Von der Porosität hängen zahlreiche Eigenschaften der Beschichtung ab, wie sich beispielsweise an Korrosionsschutzanstrichen auf Stahl besonders gut beobachten lässt. So nimmt der Rostgrad bei PVK-Werten oberhalb der KPVK zu, weil Wasserdampf und Sauerstoff leichter zum Untergrund vordringen können. Der Blasengrad hingegen nimmt oberhalb der KPVK mit steigender PVK ab, weil gasförmige Substanzen (Lösemittel, Wasserdampf) leichter aus der Schicht entweichen können, wenn diese porig ist. Ebenso fällt ganz allgemein die Nass-Abriebbeständigkeit einer Beschichtung mit steigender PVK ab,

Pigmentteilchen im Lack

227

weil Wasser durch die Poren tief in den Film eindringen kann und diesen aufweicht. Die Echtheiten gegen Chemikalien (z.B. flüssige, gefärbte Substanzen etc.) fallen mit steigender Porosität und der Gewundenheit der Poren ab, weil die Substanzen leichter in den Film eindringen und dort festgehalten werden können. 7.4.7.4

Berechnung der KPVK aus der Ölzahl

Die Ölzahl ist die Menge an Lackleinöl in g, die von 100 g Pigment bis zum Erreichen einer kittartig festen Konsistenz beim Kneten auf einer Glasplatte absorbiert werden. Ölzahl und KPVK sind nahezu unabhängig vom verwendeten Bindemittel. Aus der Ölzahl kann die KPVK berechnet werden (Gleichung 7.48). Dabei geht man davon aus, dass beim Erreichen des Schmierpunktes eine dichteste Packung von Partikeln vorliegt, deren Zwickelvolumen gerade durch Leinöl gefüllt ist (Die Dichte von Leinöl beträgt ρLeinöl = 0,935 g/cm3). Gleichung 7.48:

Die Ölzahl hängt aber neben der Packungsdichte auch von anderen Faktoren ab, nämlich von der zugänglichen Oberfläche (abhängig vom Dispergiergrad) und vom Fließverhalten der entstehenden Paste, und damit von der Wechselwirkung zwischen Pigmentoberfläche und Medium. Bei der kritischen Pigment-Volumen-Konzentration KPVK sind im gehärteten Beschichtungsfilm, bei dichter Packung der Pigmentteilchen (d.h., dass sich die Teilchen gegenseitig berühren), alle Zwischenräume durch Bindemittel ausgefüllt.

7.4.8

Visuelles Erscheinungsbild und Coloristik

Zum visuellen Erscheinungsbild einer Oberfläche gehören neben der Farbe auch der Glanz und die Abbildungsschärfe eines in der Oberfläche gespiegelten Objekts. Die mit der Farbe zusammenhängenden Eigenschaften fasst man auch unter dem Begriff Coloristik zusammen. Dazu gehören Buntton (Hue), Buntheit (Chroma), Helligkeit (Lightness), Farbstärke, Transparenz und Deckvermögen. Alle diese Eigenschaften hängen von der aktuellen Teilchengröße der Pigmente im Lack und von der Pigment-Volumen-Konzentration ab.

Abbildung 7.78: Reflektometerwerte (20°-Glanz) von Alkyd-Melaminharz-Einbrennlacken, mit Titandioxid in unterschiedlicher Pigmentierungshöhe.

Abbildung 7.79: Reflexionsindikatrices (für einen Glanzwinkel von 20°) eines Lackes nach unterschiedlicher Dispergierdauer, nach [79].

228

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Der Glanz fällt bei Erhöhung der PVK und wird minimal bei der KPVK. Klarlacke und Lacke mit geringer PVK haben in der Regel einen hohen Glanz. Je mehr Pigment im Beschichtungsfilm vorhanden ist, umso größer wird die Rauheit der Oberfläche, wegen der aus der Oberfläche ragenden Erhebungen über den Pigmentteilchen (s. Abbildung 7.78). Je größer die Rauheit ist, umso größer ist der Anteil des diffus reflektierten Lichts. Bei der Alterung von Lacken, beim Überbrennen, bei andauernder Wärmebelastung oder bei Bewitterung nimmt der Glanz weiter ab, wegen des mit diesen Prozessen verbundenen Filmschrumpfes. Bei der KPVK ist der Glanz am geringsten. Je größer die Teilchen im Lack sind, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie in der Oberfläche Erhebungen bilden. Der Glanz nimmt deshalb während der Dispergierung zu, in dem Maße wie die Teilchengröße abnimmt bzw. die Mahlfeinheit zunimmt. Unter Glanz versteht man im Allgemeinen den Reflektometerwert, wie er nach DIN 67 530 [79] definiert ist. Diffus reflektiertes Licht lässt sich mit einem Goniophotometer erfassen. Dabei misst man die relative Reflexionsintensität bei festem Beleuchtungswinkel und bei unterschiedlichen Beobachtungswinkeln. Man erhält eine Reflexionsindikatrix, das ist die Einhüllende der Reflexionsvektoren, deren skalare Länge der relativen Reflexionsintensität entspricht. Mit dem Dispergierfortschritt wird die Reflexionsindikatrix immer schmaler, die relative Reflexionsintensität im Glanzwinkel steigt an, der Anteil diffus reflektierten Lichts fällt, wie beispielhaft beim Dispergieren eines anorganischen Pigments gezeigt wurde (Abbildung 7.79). Je schmaler die Reflexionsindikatrix ist, umso schwächer ist auch der Glanzschleier. Bei diesem handelt es sich um einen Lichthof, der neben gespiegelten Kanten einer Lichtquelle in der Oberfläche sichtbar wird. Messtechnisch kann dieses Phänomen als Hazewert durch ein Hazemeter erfasst werden. Generell gilt, dass der Glanzschleier umso schwächer ist, je weniger Agglomerate und Flockulate im Lack vorliegen. Die theoretische Basis zur Erklärung der Farbstärke und des Deckvermögens liefert die Kubelka-Munk-Theorie. Dabei werden nur die Strahlungsleistung des einfallenden Lichts und die Reflexion betrachtet, ohne die Streuvorgänge zu berücksichtigen, die sich im Inneren der Schicht abspielen. Die relative Farbstärke, also die Fähigkeit eines Farbmittels, das es umgebende Medium einzufärben, ist proportional zum Quotienten aus Absorptionskoeffizient K und Streukoeffizient S (FKM = K/S). Die relative Farbstärke F lässt sich aus dem Reflexionsfaktor im Absorptionsmaximum einer unendlich dicken (deckenden) Beschichtung bestimmen (Gleichung 7.44). Demnach ist ein Pigment umso farbstärker, je geringer sein Streukoeffizient S und je größer sein Absorptionskoeffizient K ist. Sehr feinteilige Pigmente, mit einer Teilchengröße (< 100 nm), die erheblich geringer als die Lichtwellenlänge ist, sind durchstrahlbar und haben deshalb einen geringen Streukoeffizienten. Solche Pigmente sind dann umso farbstärker, je stärker sie das Licht absorbieren.

Abbildung 7.80: Streukoeffizient von feinteiligem und grobteiligem Titandioxid in einer Alkydharzfarbe in Abhängigkeit von der PVK.

Das Deckvermögen einer Beschichtung, also ihre Fähigkeit die Farbe oder die Farbunterschiede des Untergrundes zu verdecken, hängt ab von der Lichtstreuung und

229

Pigmentteilchen im Lack

Tabelle 7.20: Brechungsindices einiger Weißpigmente sowie Teilchengröße für maximale Lichtstreuung mit nB = 1,55 (Alkydharze, Melaminharze). Pigment Rutil Anatas Zirkonoxid Zinkoxid Bleicarbonat Zinksulfid Bariumsulfat

n P bei 550 nm 2,80 2,55 2,17 2,01 2,01 2,37 1,64

nP - nB 1,25 1,00 0,62 0,46 0,46 0,82 0,09

Dopt [nm] 210 262 422 569 569 319 2910

von der Absorption in der Lackschicht. Streuung tritt immer an Phasengrenzen auf, wenn der Unterschied der Brechungsindices der einzelnen Phasen genügend groß ist. Der Streukoeffizient S ist abhängig von der Teilchengröße und von der PVK (vgl. auch Abbildung 7.80). Auf Basis der von Mie entwickelten Theorie der Lichtstreuung an kugelförmigen Teilchen lässt sich der optimale Teilchendurchmesser für maximale Streuwirkung Dopt durch einen empirischen Zusammenhang nach Weber [80] berechnen (Gleichung 7.49), mit dem Brechungsindex des Pigments n P bzw. des Bindemittels n B und der Wellenlänge λ.

Gleichung 7.49:



Das Streumaximum liegt für Titandioxid (für λ = 550 nm) bei Dopt = 0,22 µm. Die Lage des Streumaximums verschiebt sich parallel zur Teilchengröße. Unterhalb von Dmax sinkt der Streukoeffizient, weil die Teilchen mehr und mehr durchstrahlbar werden, oberhalb von Dopt sinkt der Streukoeffizient mit steigender Teilchengröße, weil die Zahl der reflektierenden Oberflächen relativ zum Volumen geringer wird. In Beschichtungen nimmt der Streukoeffizient S mit steigender PVK zu, erreicht ein Maximum und sinkt bei Annäherung an die KPVK wieder ab (Abbildung 7.80). Das Maximum liegt bei einer PVK von ca. 30 %. Bei einer höheren PVK wird der mittlere Abstand der Teilchen kleiner als die halbe Lichtwellenlänge, so dass die Teilchen nicht mehr als isolierte Streuzentren wirken. Der Streukoeffizient S nimmt oberhalb der KPVK deutlich zu, weil zusätzliche Phasengrenzen (Bindemittel/Luft und Pigment/Luft) auftreten. Beispiel: optimale Teilchengröße von Weißpigmenten für maximale Lichtstreuung Je größer die Differenz der Brechungsindices von Pigment n P und Bindemittel n B ist, umso größer ist das Streuvermögen. Tabelle 7.20 zeigt beispielhaft die Brechungsindices einiger Weißpigmente sowie die Teilchengröße für maximale Lichtstreuung. Brechungsindices von Bindemitteln liegen bei n B = 1,1 bis 1,6. Bei Titandioxid liegt Dopt wegen des hohen Brechungsindex von n P = 2,55 bzw. 2,80 am niedrigsten. Es lassen sich deshalb weiße, gut deckende und gleichzeitig hochglänzende Lacke damit formulieren. Bei Buntpigmenten, die in der Regel Brechungsindices zwischen 1,5 und 2,0 haben, liegt Dopt deshalb – ähnlich wie beim Bariumsulfat – bei hohen Teilchengrößen. Dort ist dann allerdings der Absorptionskoeffizient geringer, der bei Buntpigmenten wichtiger ist als der

230

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Abbildung 7.81: Abhängigkeit der Absorption und Streuung von Licht von der aktuellen Teilchengröße. Eng damit verbunden sind die Farbstärke und das Deckvermögen.

Streukoeffizient. Buntpigmente werden mit Teilchengrößen deutlich unterhalb Dopt hergestellt. Bunte Volltonlacke besitzen deshalb ein geringes Deckvermögen. Das Deckvermögen ist hauptsächlich vom Streuvermögen abhängig. Es gibt an, welche Fläche mit einer bestimmten Menge des Beschichtungsstoffes deckend beschichtet werden kann. Als Kriterium kann beispielsweise der farbmetrisch bestimmte Helligkeitsunter-

Abbildung 7.82: Farbtonverschiebung mit der Teilchengröße aufgrund der im Text beschriebenen Abhängigkeit der Lage des Streumaximums von der aktuellen Teilchengröße und der Wellenlänge.

Pigmentteilchen im Lack

231

schied ΔL* der Lackschicht auf der weißen und der schwarzen Fläche eines Kontrastkartons herangezogen werden. Beim Zerteilen der Agglomerate bis zu den Primärteilchen entwickelt ein Lack seine Farbstärke. Je weiter der Dispergierfortschritt ist, umso enger ist die Annäherung an die Endfarbstärke. Das Deckvermögen ist maximal, wenn auch die Lichtstreuung maximal ist. Wie aus Abbildung 7.81 hervorgeht, hängen die fundamentalen Kenngrößen jeder Körperfarbe (Absorption und Streuung) nicht allein von den optischen Materialkonstanten, sondern auch von der aktuellen Teilchengröße ab. Die Absorption nimmt mit fallender Teilchengröße zu, das Lichtstreuvermögen besitzt ein Maximum bei einer bestimmten Teilchengröße. Sobald die Teilchen voll durchstrahlbar sind, bringt die Verringerung ihrer Größe keine zusätzliche Farbstärke mehr. Ihre Lichtstreuung nimmt aber immer noch ab und höchste Transparenz ist nur gleichzeitig mit höchster Absorption erreichbar. Die Höhe des Maximums der Lichtstreuung wird durch die Differenz der Brechungsindices von Medium und Pigment bestimmt. Je höher der Brechungsindex des Pigments ist, umso stärker ist die Lichtstreuung. Laut der Kramers-Kronig-Relation ist die Lichtstreuung und damit das Deckvermögen dort am stärksten, d.h. sie gehen beide durch ein Maximum, wo die Lichtabsorption einen fallenden Wendepunkt hat. Daraus wird klar, dass mit wachsender (fallender) aktueller Teilchengröße sich das Streumaximum zu längeren (kürzeren) Wellenlängen also bathochrom (bzw. hypsochrom) verschiebt, vgl. Abbildung 7.82. Diese Relationen gelten für Isoindoline, Isoindolinone, perchloriertes Kupferphthalocyanin, Bismutvanadat, Eisenoxid, Perylene, sowie die historischen Goldsole von Faraday und das Lebensmittel-Farbmittel ß-Carotin (Provitamin A). Bei CuPc ist zusätzlich der FrequenzPleochroismus zu beachten. Damit ist im Prinzip der Farbton ein Maß für die aktuelle Teilchengröße. In Abbildung 7.83 ver-

Abbildung 7.83: a*-b*-Ebene des CIELAB-Farbenraumes. In der a*b*-Ebene ist die Richtung der Farbtonverschiebung bei Vergrößerung der Pigmentteilchen eingezeichnet.

Abbildung 7.84: Folge der Verschiebung des Streumaximums für TiO2 in den NIR-Bereich: 2500 nm = 220 nm · 11. Die signalgebenden TiO2 -Flockulate haben demnach den 11-fachen Durchmesser der Primärteilchen. Das sichtbare Spektrum ist grau unterlegt, zu höheren Wellenlängen schließt der NIR-Bereich an [81].

232

Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

Abbildung 7.85: Aufhellverhältnis AV (oben), Sättigung S (das alte Maß für Chroma, Mitte) und T (altes Maß für den Buntton, Hue; unten) pigmentierter Lacke als Funktion der Teilchengröße für α-Cl15/16CuPc. Die Farbstärke ist als Aufhellverhältnis AV angegeben, das ist die Menge Weißpigment (TiO2), die zu einer Menge Buntpigment hinzugegeben werden muss, um 1/9 Standardfarbtiefe [83] zu erreichen [81].

schiebt sich der Buntton im CIELAB System im Uhrzeigersinn (in der a*b*-Ebene) bei zunehmender aktueller Teilchengröße. Dies gilt nicht nur für Buntpigmente, sondern auch für hochstreuende oder hochabsorbierende unbunte Pigmente wie Ruß oder Titandioxid. Bei Titandioxid ist, die ideale Teilchengröße D = 0,22 µm, was die Lichtstreuung bei 550 nm, d.h. in der Mitte des sichtbaren Spektrums angeht. Tritt Flockung ein, so verändert sich das Reflexionsspektrum vor allem im Bereich des nahen Infrarot (NIR), und es kann dann mit dem Flockungsgradienten, das ist die Streuung im NIR pro Filmschichtdicke, erfasst werden (vgl. Abbildung 7.84). Auch bei Ruß macht sich die geringe Reststreuung in einem bläulichen (bei aktueller Feinteiligkeit) bzw. bräunlich roten Farbton (bei aktueller Grobteiligkeit) bemerkbar. Wir haben also für hochstreuende und für hochabsorbierende Pigmente dieselben Gesetzmäßigkeiten (wie sollte es auch anders sein). Bei Rußen kommt es gelegentlich zu fruchtlosen Diskussionen, weil viele Praktiker behaupten, sie erreichten mit den feinstteiligen Rußen nur bräunlich rote Farbtöne und nicht, wie erwartet, bläuliche Farbtöne. Das stimmt, denn der Praktiker hat immer recht, nur hier verwechselt er Primärteilchengröße mit aktueller Teilchengröße, und letztere ist bei ungenügender Dispergierung, wie sie für feinstteilige Ruße leicht auftritt, größer als für grobteiligere Ruße. Deshalb sollte bei Rußen immer das Produkt mit dem größtmöglichen Primärkorn Verwendung finden, das die Aufgabenstel-

Literatur

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lung zulässt; so spart man Kosten, Dispergierzeit und vermeidet falsche Interpretationen. Deshalb muss der Dispersitätsgrad der Pigmente, wie er mit Dispergieraggregaten mechanisch erzwungen wird, durch die hier beschriebenen physikalisch-chemischen Methoden konserviert werden. Dies äußert sich wiederum sowohl rheologisch (vgl. Abbildung 7.69) als auch coloristisch im jeweiligen Lack oder Beschichtungsstoff. Wir messen natürlich zuerst das, was wir mit dem Lack verkaufen wollen, einen optischen Reiz. Der Mensch ist schließlich nicht zuletzt ein „Augentier“. Insbesondere bei Lacken handelt es sich meist um sogenannte Körperfarben der lackierten Gegenstände, welche durch Lichtabsorption und -streuung in allen Raumrichtungen, aus allen Beobachtungsrichtungen und aus allen Beleuchtungsrichtungen zunächst einmal identisch sind. Dieser Farbeindruck wird über die Reflexionsspektren messtechnisch erfasst. Er hängt außer von den Materialeigenschaften der Pigmentkristalle (Brechungsindex und Absorptionskoeffizient) von der aktuellen Teilchengröße im jeweiligen Dispergierzustand ab, und wird nach anerkannten Regeln, welche unserem Farbempfinden angepasst sind, in Zahlenwerte und Diagramme (z.B. CIELAB) umgerechnet (vgl. z.B. [82]). Die Kenntnis der aktuellen Teilchengrößenverteilung erlaubt auch die Vorausberechnung der coloristischen Daten im CIELAB-System. Lackrezepte können für bestimmte Werte von Hue, Lightness und Chroma berechnet werden. Die Steigung der Kurven in Abbildung 7.85 zeigt, welche Variation für die Coloristik zu erwarten ist, wenn die Teilchengröße zu- oder abnimmt. Die Ursache ist das Streumaximum bezüglich Teilchengröße und Wellenlänge. Verändert sich die Teilchengrößenverteilung, verlagert sich die häufigste Teilchengröße und damit ändert sich die Wellenlänge des Streumaximuns und damit der Buntton. Außerdem spielt die Teilchengrößenabhängigkeit der Absorption noch eine Rolle. Darüber hinaus gibt es aber weitere wichtige Charakteristika der Lacke und Beschichtungsstoffe, die sich insbesondere auf die oberste Zone der Lackschicht beziehen: Glanz, DOI (distinctness of image), Haze (Trübung, Schleier). Ferner kommt ein ganzes Bündel anwendungstechnischer Forderungen auf den Lack zu: Licht- und Wetterechtheit, Lösemittel- und Ausblutechtheit, Kratzfestigkeit sowie Berücksichtigung von Ökologie, Toxikologie und der aktuellen Gesetzgebung sowie der Richtlinien für Verpackung und Kennzeichnung. 7.5 Literatur [1] P. C. Hiemenz, R. Rajagopalan, Principles of Colloid and Surface Chemistry, 3rd ed., Revised and Expanded, CRC Press, 1997 [2] R. J. Hunter, Foundations of colloid science, 2nd ed., Oxford University Press, Oxford ; New York, 2001 [3] J. Lyklema, Fundamentals, Reprint, Acad. Press, London, 1991 [4] J. Lyklema, Fundamentals, Reprint, Acad. Press, London, 1995 [5] J. Lyklema, Fundamentals, Reprint, Acad. Press, London, 2000 [6] W. B. Russel, D. A. Saville, W. R. Schowalter, Colloidal dispersions, 1st paperback ed., reprinted, transferred to digital printing, Cambridge Univ. Press, Cambridge, 2001 [7] S. G. Lawrence, Fundamental aspects of dispersion, in: G. D. Parfitt (Ed.), Dispers. Powder Liq. 2nd ed. Wiley Sons N. Y., Applied Science Publishers, London, 1981 [8] G. Lagaly, O. Schulz, R. Zimehl, Dispersionen und Emulsionen: eine Einführung in die Kolloidik feinverteilter Stoffe einschließlich der Tonminerale, Steinkopff, Darmstadt, 1997 [9] H.-D. Dörfler, Grenzflächen- und Kolloidchemie, VCH Verlagsgesellschaft, 1994 [10] D. H. Everett, Grundzüge der Kolloidwissenschaft, Steinkopff, Darmstadt, 1992 [11] H. Sonntag, Lehrbuch der Kolloidwissenschaft, 1. Aufl., VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin, 1977 [12] G. Brezesinski, H.-J. Mögel, Grenzflächen und Kolloide: physikalisch-chemische Grundlagen, Spektrum Akad. Verl, Heidelberg, 1993 [13] DIN 53206: Prüfung von Pigmenten, Teilchengrößenanalyse, Grundbegriffe, 1972

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Kolloidchemie bei Lacken und anderen Beschichtungsstoffen

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Symbolverzeichnis

Symbolverzeichnis Symbole a Aktivität, Amplitude a* Grün-Rot-Achse (CIELAB) b Adsorptionskoeffizient b* Blau-Gelb-Achse (CIELAB) Konstante, Konzentration, c Lichtgeschwindigkeit Durchmesser, Abstand, d Schichtdicke dSt Stokesscher Äquivalent durchmesser e0 Elementarladung, Formfaktor, Korrekturfaktor f fG Geometriefaktor Erdbeschleunigung 9,81 m/s2 g Höhe, Plancksches Wirkungsh quantum, h = 6,6256 · 10–34 J · s – √ –1 i j Benetzungsspannung

 Polarisierbarkeit, Öffnungswinkel, Ausdehnungskoeffizient, Dissoziationsgrad  Oberflächenspannung Grenzflächenspannung Deformation rev reversible Deformation A Deformationsamplitude c kritische Oberflächenspannung p polarer Anteil der Oberflächenspannung d disperser Anteil der Oberflächenspannung * komplexe Deformation γ· Scherrate  Löslichkeitsparameter, Kohäsions- parameter, Partialladung, Phasenverschiebungswinkel ε axiale Dehnung, Dielektrizitätskonstante ε0 elektrische Feldkonstante  Zetapotenzial  Viskosität M Viskosität des Mediums

k Boltzmannkonstante, k = 1,3805 · 10–23 J/K l Länge m Masse Drehzahl, Stoffmenge, Brechzahl n p Druck, Partialdruck pak Schalldruck Verteilungsdichte, Anzahl der q Moleküle pro Volumeneinheit Radius, Abstandsradius r r T Teilchenradius s Strecke t Zeit u Wanderungsgeschwindigkeit v Geschwindigkeit vS Sedimentationsgeschwindigkeit Strecke, mittlere Schichtdicke x y Strecke Feinheitsmerkmal, Ladungszahl z

B Binghamsche Grenzviskosität C Cassonsche Grenzviskosität 0 Nullviskosität r relative Viskosität * komplexe Viskosität θ Kontaktwinkel  Debye-Parameter -1 Debyelänge  Wellenlänge  chemisches Potenzial, Dipolmoment. Poisson-Zahl  kinematische Viskosität, Frequenz  Dichte  Zugspannung, Oberflächen spannung, Standardabweichung  Schubspannung, Verzögerungszeit * komplexe Schubspannung 0 Fließgrenze v Schubspannungsvorgabe W Wandschubspannung Fluidität, Auslenkwinkel ϕ ψ Potenzial ω Kreisfrequenz

Symbolverzeichnis

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 Überschusskonzentration  Bedeckungsgrad  Volumenbruchteil, Wechselwirkungsparameter

m Volumenbruchteil einer dicht gepackten Pigmentmischung  Potenzial S Sternpotenzial

A Fläche A H Hamakerkonstante A K Kugeloberfläche AV Aufhellverhältnis elektrophoretische Beweglichkeit Be D Durchmesser, Diffusionskoeffizient D50 Durchgang, 50 % DP Polymerisationsgrad (degree of polymerization) DH Dispergierhärte E Elastizitätsmodul, elektrische Feldstärke EA Aktivierungsenergie kinetische Energie Ekin ∆Ev Kohäsionsenergie Kraft, Faradaykonstante, F Farbstärke, freie Energie (Helmholtzenergie) FG Gewichtskraft FW Strömungswiderstandskraft F Oberflächenkraft F∞ Endfarbstärke freie Enthalpie, Schubmodul G ∆G freie Mischungsenthalpie komplexer Schubmodul G* G’ Speichermodul G“ Verlustmodul Enthalpie, Abstand (Platten) H ∆Hmix Mischungsenthalpie ∆Hverd Verdampfungsenthalpie I Intensität Jv Staudingerfunktion Jg Staudinger-Index Kugelkonstante, Streulichtvektor, K Absorptionskoeffizient Länge, benetzte Länge L

L p Löslichkeitsprodukt Helligkeitswert (CIELAB) L* Drehmoment, Molmasse M Anzahl von Teilchen/Molekülen N NA Avogadrokonstante, NA = 6,022 · 1023 Teilchen/mol Pt Profiltiefe Q Verteilungssumme R Radius, Gaskonstante R = 8,314 J/(K•mol) R z gemittelte Rautiefe maximale Rautiefe R max R a Mittenrauwert RG Gyrationsradius quadratischer Mittenrauwert Rq Rp Glättungstiefe Reflexionsgrad einer deckenden R∞ Schicht Entropie, spezifische Oberfläche, S Spreitungskoeffizient, Streukoeffizient, Sättigung spez. Oberfläche aus SBET BET-Bestimmung ∆Smix Mischungsentropie absolute Temperatur, T Buntton (altes Maß) Tg Glasübergangstemperatur Volumen, Potenzial V VK Kugelvolumen Vm Molvolumen spezifisches Volumen Vsp V· Durchflussrate W Arbeit WA Adhäsionsarbeit WK Kohäsionsarbeit Bruchteil von Teilchen/Molekülen, X Vernetzungsgrad

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Symbolverzeichnis

Indices att attraction (Anziehung) B Bindemittel d dispers DH Debye-Hückel Fl Flüssigkeit g gaseous hydr hydrostatisch H hookesch HS Helmholtz-Smoluchowski K Kugel l liquid m molar max maximal min minimal

M Medium, Monoschicht N newtonsch opt optimal P Partikel, Pigment q Querschnitt rep repulsion (Abstoßung) rev reversibel s solid sp spezifisch tot total T Teilchen Tr Tropfen v Vorgabe z Zylinder

Abkürzungen Controlled Shear Rate CSR Controlled Shear Stress CSS CuPc Kupferphthalocyanin EPDM Ethylen-Propylen-Dien Mischpolymer ESA Electroacoustic Sound Amplitude ESCA Electron Spectroscopy for Chemical Analysis i. e. p. isoelektrischer Punkt KPVK kritische Pigment-Volumen Konzentration LDPE Polyethylen MAK maximale Arbeitsplatz Konzentration n.f.A. nicht-flüchtiger Anteil

PBT Polybutylenterephthalat PBV Pigment-Bindemittel-Verhältnis PC Polycarbonat PCS Photonen-Korrelations Spektroskopie PDMS Polydimethylsiloxan PET Polyethylenterephthalat POM Polyoxymethylen PP Polypropylen PPS Polyphenylensulfid PTFE Polytetrafluorethylen PVK Pigment-Volumen-Konzentration p. z. c. point of zero charge QUELS quasi-elastische Lichtstreuung X-Ray Photoelectron Spectroscopy XPS

Gleichungen In den Gleichungen stehen – bis auf einige traditionell bedingte Ausnahmen – die entsprechenden Größen in den Grundeinheiten des SI-Systems, d. h. Längen in Meter, Flächen in Quadratmeter, Volumina in Kubikmeter, Massen in Kilogramm, Stoffmengen in Mol, Temperaturen in Kelvin, Energien in Joule. Warenbezeichnungen und Handelsnamen Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen oder sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige gesetzlich geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche markiert sind. Hinweise zu Literaturangaben Bei Fachzeitschriften ist nacheinander genannt: Band-Nr., (Jahreszahl), Seitenzahl.

Autoren

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Autoren Prof. G. Meichsner, trat nach Chemiestudium und Promotion in Würzburg 1987 in die Zentrale Forschung der BASF AG ein. In diesem Unternehmen war er für die Entwicklung von Lack- und Druckfarbenbindemitteln und anschließend im Marketing Dispersionen für Aminoharze zuständig. Seite 1993 lehrt er als Professor für Physikalische Chemie der Lacke an der Hochschule Esslingen. Thomas G. Mezger, geboren 1954, schloss sein Studium an der Universität Stuttgart als Diplom-Ingenieur Verfahrenstechnik ab. Im Beruf erwarb er auf dem Gebiet der praktisch angewandten Rheologie reichhaltige Erfahrungen bei seinen Tätigkeiten in den Abteilungen Vertrieb (Viskosimeter, Rheometer), Anwendungstechnik (Rheologie, Rheometrie) sowie Product Management und Product Support (Beratung, Ausbildung). Dies erfolgte bei den Rheometerherstellern Contraves (1984 bis 1988) und anschließend bei der Physica Messtechnik in Stuttgart (bzw. Ostfildern), die seit 1996 zur Anton Paar Gruppe gehört. Seit 1990 führt er international Seminare für Mitarbeiter/innen von Firmen aus vielen Industriebranchen und Instituten, die sich mit rheologischen Fragen befassen, durch. Diese Seminare enthalten das Basiswissen über Rheologie sowie die praktische Nutzung in der Industrie. Dr. Jörg Schröder, 1947 bis 2014, studierte Physik an der Universität Heidelberg und trat 1975 in die Zentrale Forschung der BASF SE in Ludwigshafen ein. In den folgenden Jahren arbeitete er an der Kolloid- und Grenzflächenchemie organischer, anorganischer und magnetischer Pigmente und ihrer Dispersionen und von Emulsionen sowie der Charakterisierung von Katalysatoren.

Danksagung Der Dank von Jörg Schröder gilt Prof. Dr. J. Lyklema (ehemals Universität Wageningen, NL), Dr. H. Jakubauskas (ehemals Dupont, Marshall Labs, Philadelphia, USA), Webster Edwards (ehemals Dupont, USA, jetzt Premier Mill Corp. USA) und late Prof. Dr. A. Patsis (Institute of Materials Science, SUNY New Paltz, NY, USA), denen er für jahrelange Beziehungen und ihr stets freundschaftliches, offenes Wesen zu großem Dank verpflichtet ist. Bedanken möchte sich Thomas Mezger bei den Kollegen der Firmen Physica Messtechnik GmbH in Stuttgart und Anton Paar GmbH in Graz für die angenehme Arbeitsatmosphäre in einem Team von stets kompetenten Ansprechpartnern. Georg Meichsner dankt den zahlreichen Studierenden, die mit kritischen Fragen und Bemerkungen die Vorlesung begleiteten und so auch zum Gelingen dieses Buches beigetragen haben.

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Index

Index A Abbildungsschärfe 11 Abfüllen einer Farbe 32 Abietinsäurederivate 211 Ablauf 41 Ablaufen 37, 42 Beispiel 37 Ablaufgeschwindigkeit 37 Ablaufneigung 41 Abreißmethode 140, 149 Abschäl-Messverfahren 140 Abschälmethode 149, 150 Abscherversuch 149 Absorption 211, 231 Absorptionskoeffizient 211, 228 Absorptionsmaximum 212 Abstoßungspotenzial 203 Acetylendiole 133 Additiv 12 Adhäsion 16, 123, 140, 141, 143 Adhäsionsarbeit 116 Adhäsionsenergie 142 Adhäsionsversagen 142 Adsorbens 98 Adsorption 98, 140 Adsorptionsenthalpie 98 Adsorptionsisotherme 102 BET 103 langmuirsche 103 Adsorptionskoeffizient 102 Adsorptionsmittel 98 Adsorption von Polyelektrolyten 207 Adsorptiv 98 advancing contact angle 114 Aerosol 157 Agglomerate 159, 210, 211, 214, 217, 228, 231 Aggregate 159, 164, 169, 210 AgI-Kristall 182 Aktivierung Haltbarkeit 139 Kunststoff 136 Aktivierungsenergie 44 Alkoxysilane 153 Alkydharzemulsionen 157, 181 Alkylphenolethoxylate 133 Amplitudensweep 73 Amplitudentest 84 Andrade und Eyring 43 Anforderungen 11

Anlösung 144 Antihaftbeschichtungen 11 Anti-Radar-Beschichtungen 11 Anti-Schaummittel 132 Antonow 118 anwendungstechnische Eigenschaften 223, 226 Anzahlverteilung 168 anziehende Kräfte 186 Anziehung elektrostatische 140, 141 Appearance 128 Applikation 41 Applikationsprozess 12 Äquivalentdurchmesser 159, 165 Aräometermethode 171 Arrhenius-Eyring-Modell 44 Arrhenius-Gleichung 43 Assoziat 39 Assoziationskolloide 181, 182 Atmosphärendruck-Plasma 136 Aufbau von Rheometern 64 Aufgaben von Beschichtungen 11 Auflackmedium 211 Auflackmischung 219 Aufrahmen 12 Aufschwimmen 125 Ausblühen 97 Ausbluten 98 ausgeschlossenes Volumen 205 Auslaufbecher 59, 60 Auslaufzeit 60 Auslenkung 25 Aussalzen 190 Ausschwimmen 125 Autokorrelation 180 Automobillack 42 axiale Dehnung 26

B Bariumsulfat 229 Barriereentladung 137 Bedeckungsgrad 102 Beflammen 134, 135 Belastungsphase 74 Belegung 211 Belegungsdichte 206 Bénard-Zellen 125, 126, 128 Benetzbarkeit 130

Index Benetzung 12, 13, 16, 38, 89, 123, 140, 211, 214 von Festkörpern 112 Benetzungsadditive 124 Benetzungsgeschwindigkeit 60 Benetzungsstörungen 124 Bentonit 194 Beschichtungsfilm 12 Beschichtungsprozess 12, 133 Beschichtungsstoff 98 Rheologie 31 Beständigkeit 11 BET-Methode 169 BET-Oberfläche 160 Beugungsmuster 179 Bewitterung 226, 228 Biegung 24 Bindemittel 12 Bindemitteldispersionen 181 Bindemittellösung 219 Bindemittelschock 219 Bingham 73 Bingham-Fluid 34 Bingham-Modell 34, 36 binghamsche Grenzviskosität 34 Blasendruckmethode 94 Blasendrucktensiometer 110 Blasenfrequenz 111 Blasengrad 226 Blasenviskosimeter 56, 58 Blau des Himmels 177 Blockcopolymere 133 Bodensatz 11 Boltzmann-Faktor 44 boltzmannscher Energieverteilungssatz 44 Brechungsindex 229 brownsche Molekularbewegung 39, 170, 182 Bruchdehnung 26 Bruchteil der Teilchen in der Oberfläche 160 Brunauer, Emmett und Teller 103 Buntheit 227 Buntpigment 232 Buntton 164, 227 Buoys 205 Burgers-Modell 77

C Cantilever-Beam-Methode 145 Casson 73 Casson-Grenzviskosität 34 Casson-Modell 34 Centipoise 30 Centistokes 30, 61 Chemikalienbelastung 226 Chemisorption 98, 103, 142

chlorierte Polyolefine 153 Chroma 227 Coionen 188 Colloid-Vibration-Potenzial 200 Colophoniumharze 211 Coloristik 210, 227 coloristische Eigenschaften 211 Colöser 132 controlled shear rate 65 controlled shear stress 65 CoRI-Stressmeter 145 Couette-System 65 Coulomb-Kräfte 190 coulombsches Gesetz 15 Cox-Merz-Regel 84 CSR-Methode 65, 69, 75 CSS-Methode 65, 69, 75

D Dampfdruck gekrümmte Oberfläche 97 Dämpfungselement 34 Dämpfungstopf 77 Debye-Hückel-Theorie 187 Debye-Kräfte 15, 16 Debye-Länge 188, 189, 195, 197 Deckvermögen 97, 227, 228, 230 Deformation 65 elastische 34 oszillierende 81 reversible 23 zerstörungsfreie 23 Deformationsverhalten 23 Dehnbarkeit 25 Dehnung 24 Delamination 148, 150 Denting 203 depletion layer 204, 207 depletion stabilization 205 Desagglomeration 39 Desorption 98 Di Benedetto-Gleichung 145 Dichte 30 getrockneter Lackbindemittel 223 Lackfilms 226 Dichtegradient 173, 176 Dichtmasse 34 Dielektrizitätskonstante 188, 197 differentielle Löslichkeit 182 Differenzial, totales 93 diffuse Doppelschicht 189 Diffusion 165 Diffusionskoeffizient 180 Dilatanz 33, 41

241

242 DIN-Becher 60 Dipole, induziert 15 Dipol-Kräfte 185 Dipolmoment 15 Dispergieraggregat 212, 214, 215 Dispergierbedingungen 216, 217 Dispergieren 211, 217 Dispergiergeschwindigkeit 212 Dispergierhärten 212 Dispergierharz 132, 206 Dispergiermaschinen 215, 216 Dispergierprozess 210 Dispergierverfahren 212 dispergierweich 206, 211 dispers 157 Dispersion 157 hochkonzentrierte 42 konzentrierte 34 Stabilisierung 182, 222 Dispersionsanteil 20 Dispersionsfarbe 34 Dispersionskräfte 16 Dispersionsmittel 157 Dispersionsviskosität 46 Dispersionswechselwirkung 17 Dispersitätsgrad 233 displacement coagulation 206 Dissolver 215 Dissoziation 183 Dissoziationsgrad 207 Dissoziation von Oberflächengruppen 184 distinctness of image 128, 233 DLVO-Theorie 185, 195 DOI 128 doppelt-logarithmische Darstellung 35 Doppler-Effekt 179, 198 Dornbiegeversuch 152 Doughnut-Effekt 215, 216 Drahtbügel 92 Drehmoment 67, 149 Drei-Punkt-Biegetest 150 Dreiwalze 216 Druck 55 Druckfarben 11 Druckfarbenpigmente 206, 211 Dupré-Gleichung 142 Durchflussrate 32 Duromer 27 dynamische Lichtstreuung 178, 179

E Echtheiten 226, 227 Eichöl 58 Einbrennlack 42, 223

Index eindimensionale Löslichkeitsparameter 19 Einebnung 123 Eingangskontrolle 64 einsteinsches Viskositätsgesetz 46, 50 Elastizität 23, 24, 25 Elastizitätsmodul 25, 26, 27 Elastomer 27 thermoplastisches 27 Electron Spectroscopy for Chemical Analysis 134 elektrische Doppelschicht 188, 189, 195, 196 Dicke 188 elektrische Feldstärke 196, 197 elektroakustische Schallamplitude 192 elektrokinetische Schallamplitude 199, 200 Elektrolytgehalt 188, 195 Elektronen 134 Elektrophorese 165, 196 elektrophoretische Beweglichkeit 200 elektrophoretische Wanderungsgeschwindigkeit 196, 198 elektrostatische Anziehung 140 Emulsionen 157, 181 Endfarbstärke 212 Endviskosität 71 Energieinhalt, flächenspezifischer 92 Enthalpie, freie 92, 93 Entlastungsphase 74 Entnetzung 124 Entnetzungserscheinungen 132 Entropie 93 entropisch stabilisierte Teilchen 202 Entschlaufung 39 Erdbeschleunigung 170 Ersatzschaltbild 25 Erscheinungsbild 11 ESA 199, 201 ESA-Methode 222 ESCA 134 Extrapolation 35

F Fabstärkezunahme 212 Farbe 11 Farbmittelkonzentrate 211 Farbort 97 Farbstärke 164, 211, 212, 227 Farbstärkeentwicklung 212 Farbstärkezunahme 211 Farbtiefe 211 Farbtonverschiebung 214, 231 Feder 77 Federkonstante 25 Feinheitsmerkmal 165, 166 Feinstaub 157

Index Feinstreinigung 136 Feldkonstante 197 Festigkeit 28 Festkörper 23 idealer 77 niederenergetischer 134 Verformung 23 Festkörpereigenschaften 72 Festkörpergehalt 62 Festkörperoberfläche 118 Fettalkoholethoxylate 133 Filmbildner 12 Filmbildung 143, 148 Filmbildungsprozess 140 Filmschrumpf 228 Filterkuchen 211 Fischaugen 124 Flexibilität 11, 26 Flexodruck 123 Fließeigenschaften 12 Fließen 24 Fließfelder 56 Fließgeschwindigkeit 29 Fließgrenze 33, 34, 41, 49, 72, 77, 221 Existenz 36 extrapolierte 74 Kriechversuch 79 Zeitabhängigkeit 74 Fließkurve 30, 34 Fließverhalten 12, 23, 55 scherverdickendes 33 scherverdünnendes 33, 38 strukturviskoses 49 Fließwiderstand 39 Flockulat 12, 159, 210, 228 Flockulation 182, 191, 195 Flockung 182, 206, 214, 216, 217, 232 Fluid 23 Fluidität 44 fluktuierende Elektronen 17 fluktuierende Elektronenhülle 16 Fluorgasbehandlung 134 Fluorierung 140 Fluortenside 133 Flushpaste 211 Flüssigkeit 28 forcierte Trocknung 42 Ford-Becher 61 Formfaktor 169 Fortschreitwinkel 108, 114 Fotokopiergerät 137 Fourier-Linse 179 Fraunhofer-Lichtbeugung 179 freie Mischungsenthalpie 17 freie Oberflächenenthalpie 115 freies Volumen 44 frei fallende Kugel 56

Frequenztest 87 Frequenzverschiebung 197 Füllstoffdispersion 157 Füllstoffe 11

G Garmsenkeil 213 Gasphase 43 Gasphasenfluorierung 139 gaußsche Normalverteilung 169 Gebrauchstemperatur 27 Gefriertrocknung 211 Gegenionen 182, 187 Gel 34 Gelbildung 85 Gelkurve 71 Gelpunkt 85, 86 Gel-Sol-Transformation 40 Gelzeit 85 geometrisches Mittel 167 Geschwindigkeitsgefälle 29, 31 nichtlineares 70 Geschwindigkeitsgradient 216, 217 Gestaltung 11 Gewichtskraft 164 Gibbs 17 gibbssche Adsorptionsisotherme 99 Gittermodell von Flüssigkeiten 44 Gitterschnitt, Klebeband 151 Gitterschnittprüfung 151 Glanz 11, 128, 226 Verminderung 214 Glanzschleier 164, 228 Glanzwinkel 228 Glas 215, 217 Glasübergang 28 Glasübergangstemperatur 26, 46, 145 Glaszustand 28, 146 Glättungstiefe 129 Gleichung Gibbs-Duhemsche 100 kelvinsche 96 Young und Laplace 93, 97 Gleiten 55 Gleitschichten 11 Goniophotometer 228 Gouy-Chapman-Theorie 188 Grenzfläche 13, 89 Grenzflächenenergie 90 Grenzflächenladungen 182, 192 Grenzflächenspannung 92 Grenzlinie 92 Grenzschicht 90 Grenzviskosität 71

243

244 Grindometer 213 Grobanteil 213 Gummibärchen 82 gummielastisches Verhalten 26 Gyrationsradius 201, 206

H Haftfestigkeit 140 Messmethoden 148 Haftung 226 Haftvermittler 152 Haftvermögen 89, 134 Hagen-Poiseuille-Gesetz 32, 59, 131 Hamaker 186 Hamaker-Konstante 186, 195 Hämatit 160 hängender Tropfen 108 Hansen-Löslichkeitsparameter 19, 20 Härte 11, 28 Härtungsreaktion 85 Harz, medium-solid 62 Haze 233 Hazewert 228 Helligkeit 227 Helmholtz und Smoluchowski 197 Herschel-Bulkley 36, 73 high-shear-Bereich 39 Histogramm 166 Hochdruck-Kapillarrheometer 60 hochmolekulare Polykationen 208 hookesches Gesetz 23, 73, 76, 80 Höppler-Kugelfallviskosimeter 58 Hue 227 Huggins Gleichung 48 Hydroperoxy-Radikale 134 Hysterese 71 Hysteresefläche 71

I ICI-Kegel/Platte-Viskosimeter 68 idealelastisch 24 idealelastischer Körper 25 ideales Gas 15 idealviskoses Verhalten 76 i.e.p. 192 Inkrementscheibe 65 Innendruck 94 Innenzylinder 65 innere Spannungen 140, 144, 145 innere Struktur 72 Instant-Pigmente 216 Interdiffusion 140 Interdiffusionstheorie 140 Interferenzpigmente 219

Index Interferometrie 199 Interpenetration 203 intrinsische Viskosität 48 Ionen indifferente 182, 192 indifferenten 188 potenzialbestimmende 182, 188 Ionenkonzentration 188, 195, 207 Ionenstärke 188 Ionisierungspotenzial 186 ISO-Auslaufbecher 62 ISO-Becher 61 isoelektrischer Punkt 192, 222 isomorphe Substitution 183, 184 ISO-Zylinder-Messsystem 66

K Kalibrierfunktion 177 Kantenflucht 95, 124 Kantenschutz 95 Kapillaraszension 96, 109 Kapillardepression 109 Kapillardruck 93 Kapillare 32 Kapillargeometrie 131 Kapillarkondensation 96 Kapillarmethode 109 Kapillarradius 162 Kapillarviskosimeter 30, 59, 60 Keesom-Kräfte 15, 16 Kegelmantelfläche 67 Kegel-Platte-Messsystem 65, 66 Keilvorschub-Verfahren 149, 150 Kelvin-Voigt-Modell 77 kinematische Viskosität 61 kinetische Energie eines Teilchens 163 Klarlack 12 Koagulat 210 Koagulation 182, 195, 206 schwache 206 Koagulatpartikel 219 koaxiale Zylinder 65 koaxiales Zylinder-Messsystem 65, 66 Kohäsionsarbeit 116 Kohäsionsbruch 148 Kohäsionsenergie 15, 18 Kohäsionsenergiedichte 18 Kohäsionsparameter 18 Kohäsionsversagen 142, 149 Kolloid 157 elektrostatische Stabilisierung 182 kolloidale Teilchen 158 Gestalt 158 Größenordnungen 158 Kolloidchemie 12, 158 Kolloide

Index metastabile 181 Stabilisierung 181, 201 komplexes Schubmodul 83 komplexe Viskosität 80 Kompression 24 Kondensationsenthalpie 44 Konformation adsorbierter Homopolymerketten 203 Kontaktwinkel 107, 113, 114 kontinuierliche Phase 157 Kontrastkarton 212, 231 Konzentration, kritische 48 Konzentrationsgradient 219 Körnigkeit 213 Korona 137 Koronabehandlung 134, 137, 138 direkte 138 indirekten 138 Korrosionsschutz 226 Korrosionsschutzanstriche 226 KPVK 225, 226 Kräftenetzwerk 28, 34 Kraftkurve 217, 218 Krater 124 Kraterbildung 124, 132 Krebs Units 63 Kreisfrequenz 67 Kriechen 36 Kriecherholungs-Kurve 79 Kriecherholungs-Versuch 76 Kriechkurve 78 Kriechversuch 73, 76, 77 Krieger und Dougherty 52 Kristalle 159 kritische Dicke 132 kritische Flockulationskonzentration 195 kritische Pigment-Volumen-Konzentration (KPVK) 225, 227 Kubelka-Munk-Theorie 211, 228 kubisch dichteste Kugelpackung 225 kubisch primitive Kugelpackung 225 Kugelfallviskosimeter 56, 57 Kugelkonstante 58 Kugelmühlen 215 Kugeloberfläche 94 Kugelpackungen 225 Kugelvolumen 94 Kunststoffbauteile 123, 135 Kunststoffoberfläche 118, 123 Kupferphthalocyanin 160, 181

L Lack konventioneller 40 thixotroper 40

Lackeigenschaften 226 Lackherstellung 11 Lackoberfläche 41 Lackreste 12 Ladungsdichte im Elektrolyten 189 Ladungsnullpunkt 183, 192 Ladungsumkehr 218 laminare Schichtenströmung 55 Längenverteilung 168 Laserdiffraktometrie 167, 178 Laser-Doppler-Elektrophorese 197 Latexdispersion 217 Läufer 40 Läuferbildung 37 Lebensabschnitte 11 Lenard-Jones-Potenzial 185 Lichtbeugung 165 Lichtbogenschweißen 137 Lichtmikroskop 158, 164, 221 Lichtstreumethoden 177 Lichtstreuung 165, 177, 226, 229, 231 Lieferform 210, 211 Lightness 227 linearelastisch 24 linear-elastischer Deformationsbereich 73 linear-viskoelastischer Bereich 84 logarithischen Normalverteilung 169 London-Kräfte 15, 16, 17 londonsches Anziehungspotenzial 185 Loops 203, 207 Lösemittel 12, 128 gutes 219 schlechtes 206 Lösemittelechtheit 97 Lösemittelschock 219 Löseversuch 19 Löslichkeit 15, 17 Feststoffpartikel 97 Pigmente 98 Löslichkeitsellipsoid 19 Löslichkeitsparameter 17, 18, 97, 143, 148 Löslichkeitsparameterkonzept 20 Löslichkeitsparameterraum 19 Löslichkeitsprodukt 183 Lösung verdünnte 101 low-shear-Bereich 39, 48 Luftlager 74

M Magnetbandbeschichtungen 11 Mahlfeinheit 213, 228 Mahlgut 212 Mahlgutansatz 214

245

246 Makromoleküle 203 Malerlack, Rheologie 41 Mark-Houwink-Gleichung 48 Martin-Gleichung 48 Mattierungsmittel 166 maximale Partikelgröße 68 Maxwell-Modell 77 Maxwell-Voigt-Modell 79 mean value rule 18 mechanische Verankerung 140 media mills 215 Median 166, 168 Medium 157 mehrphasige Systeme 157 Melamin-Formaldehydharz 62 Mengenmaß 167 Messgenauigkeit 65 Metalloxid-Pigmente 184 Mie-Theorie 178 Mikroemulsionen 181 Mikrokugelfallviskosimeter 58 Mikroskop 124, 221 Millinewton pro Meter 93 Millipascalsekunde 30 Mischbarkeit 17 Mischungsenthalpie 17 Mischungsentropie 17 Mittenrauwert 129, 130 Mizellbildungskonzentration, kritische 99 Mizellen 181 Molekülkolloide 181 Molvolumen 15, 96 Monolage 89 Monoschichtkapazität 105 Montmorillonit 194 Moving-Boundary-Methode 199

N Nachgeben 36 Nanoobjekte 158 Nass-Abriebbeständigkeit 226 Nassmahlreihe Kupferphthalocyanin 177 Nassschichtdicke 32 Nebel 157 Nelson-Diagramm 222 Netzbogen 28 Netzwerk 27 newtonsches Gesetz 29, 76, 81 Abweichungen 33 newtonsches Plattenmodell 29, 31 newtonsches Verhalten 55 newtonsches Viskositätsgesetz 23, 28 nicht flüchtiger Anteil 12

Index Niederdruck-Kapillarviskosimeter 60 Niederdruckplasma 136 Niederdruck-Sauerstoffplasma 136 Normalverteilungsfunktion 169 Nullpunkt, elektrischer 192 Nullviskosität 39, 48, 70, 77 Nutzungsdauer 11

O O2-Radikalkationen 134 Oberfläche 89 Krümmung 96 oberflächenaktive Substanzen 112, 132 Oberflächenenergie 13, 136 Kunststoffoberflächen 113 langzeitstabile 140 niederenergetischer Festkörper 118 Oberflächenpotenzial 182, 193 Oberflächenspannung 13, 38, 41, 90, 92 disperser Anteil 120 dynamische 106, 110, 133 Flüssigkeiten 105 polarer Anteil 120 statische 106, 110, 134 Temperaturabhängigkeit 112 Oberflächenverteilung 166, 168 Objektträger 221 Öffnungswinkel 67 Offsetfarben 217 OH-Radikale 134 Ölimmersion 164 Ölzahl 227 Orangenhaut 41, 126 osmotische Anziehung 204 osmotische Kräfte 203 Ostwald 97 Ostwald-DeWale 73 Ostwald Reifung 97 Ostwald-Viskosimeter 60 Oszillationsrheometer 65 Oszillationsversuch 80 oszillierender Scherung 80 Owens, Wendt, Rabel und Kaelble 119 Oxidationszonen 135 Ozonbehandlung 134

P Packungsdichte 225, 227 Paliogenrot 201 Partialdruck 102 Partikelgrößenstandard 177 Partikelphase 12

Index Pascal 25 Pascalsekunde 30 PBV 223 PCS 179 Peeling-Test 149, 150 Perlmühle 217 Phase, kondensierte 15, 43, 90 Phasengrenze 89 Phasengrenzfläche 89 Phasenverschiebungswinkel 82 Photonen 134 Photonenkorrelationsspektroskopie 179 pH-Wert 221 Physisorption 98, 103, 105, 142 Pigment 157 Absetzen 40 pigmentaffine Gruppen 214 Pigmentagglomerate 214 Pigmentauswahl 210, 219 Pigment-Bindemittel-Verhältnis 223 Pigmentdispersion 33, 52, 181, 210 Pigmente 11, 12 Pigment-Flush-Pasten 216 Pigmentherstellung 210 Pigmentoberfläche 20, 98 Pigmentpaste 42 Pigmentpräparation 49, 216 Pigmentschock 219 Pigment-Volumenbruchteil 42 Pigment-Volumen-Konzentration PVK 211, 223, 225 Pinsel 40 Pinselfurchen 41, 126, 127 Pipettenmethode 171 Plasma 134 Plasmaanlagen 136 Plasmabehandlung 136 Plasmapolymerisation 136 Plasmaspritzen 137 Plastisolpaste 34 Plastizität 33 Plattenfläche 67 Plattenmethode 107 Platte-Platte-System 65, 68 Platzwechsel 28, 44, 45 PMMA 216, 218 point of zero charge 183, 192 Poisson-Zahl 26, 145 Polarisierbarkeit 15 Polydimethylsiloxan-Derivate 133 Polydispersitätsindex 179 Polyelektrolytmoleküle 207 Polyester teilvernetzter 87 verzweigter 87 Polylysin 209 Polymer, gefülltes 34

Polymerisationsschrumpf 146, 147 Polymerknäuel 48 Polymerkonzentration 47 Polymerlatices 157, 181 Polymerlösung Strukturviskosität 39 verdünnte 48 Polymerlösungen 181 Polymermolekül, Verschlaufung 38 Polymerschmelze 60 Polymersegmente 202 Polystyrol-Latex 209 Poren 227 Porigkeit 11 Porosität 226 Potenzial chemisches 93 Partikeloberfläche 188 Potenzialkurve 195, 217, 218 Potenzialwall 191 potenzielle Energie 15 PP/EPDM 135 P-Profil 129 primäres Minimum 203 Primärprofil 129 Primärteilchen 159, 164, 169, 210, 231 Primärteilchendurchmesser 165, 169 Primer 152 Profilfilter 129 Profiltiefe 130 Prozess, exoenergetischer 98 Prüfstempel 149 Prüftinten 118 Pseudoplastizität 34, 38 Pulverlacke 12 PVK 223, 225, 226 p.z.c. (point of zero charge) 183, 192

Q Qualitätskontrolle 12 Quantile 166 Quellung 144 QUELS 179 Querkontraktion, relative 26

R Rampenversuch 69 Randbedingungen 55 Rauch 157 Rauheit 11, 13, 113, 123, 128 Rauheitsprofil 129 Rautiefe 129 Rayleigh-Theorie 178 receding contact angle 114

247

248 Reflektometerwert 228 Reflexion 177 Reflexionsgrad 212 Reflexionsindikatrix 228 Reflexionsintensität 228 Reflexionsspektrum 233 Reflexionsvektoren 228 Regeneration der Struktur 72 Reibung, innere 28 Reibungselement 34 Reichweite 89 Rekristallisation 97 relative Farbstärke 211, 228 Relativ-Viskosimeter 62 Retardierung 77 reversible Scherung 78 Rheologie 23 Pigmentdispersionen 217 Rheologieadditiv 40 rheologische Grundbegriffe 24 rheologische Grundeigenschaften 23 rheologische Modelle 77 rheologische Untersuchungsmethoden 69 Rheometrie 55 Rheopexie 33, 41, 74 Ringmethode 106 Rissausbreitungsenergie 150 Rohstoffauswahl 219 Rostgrad 226 Rotationsrheometer 65 Rotor 65 R-Profil 129 RRSB 169 Rückfederung 25 Rückstreuung 172 Rückzugswinkel 108, 115 Ruhephase 74 Ruhestruktur 75 Ruhezeit 55, 71 Rührwerkskugelmühle 42, 215 Ruß, feinteiliger 232

S Salzgehalt 188, 207 Sättigungsdampfdruck 102 Sauerstoff, atomarer 134 Sauerstoff-Gehalt 134 Sauerstoffplasma 134 Säure-Base-Wechselwirkungen 185 SAZ 215 Schalldruck 200 Schäume 157 Scheibenzentrifuge 170, 176 scheinbare Viskosität 70

Index Scherdeformation 24, 25 Scherebene 193, 196 Schererwärmung 55 Schergeschwindigkeit 29 Scherrate 29, 31, 55, 65 Scherratenbereich, Abschätzung 32 Scherratensprung 74 Scherratenverteilung 67 Scherspalt 58, 63, 67 Scherspalthöhe, effektive 51 Scherspannung 148 Scherung oszillierende 80 tangentiale 24 Scherverdickung, zeitabhängige 74 Scherverdünnung, zeitabhängige 71, 74 Scher-Viskosität 28 Scherzeit 55 Scheutjens und Fleer 203 Schichtsilikate 184 Schleier 233 Schmelze 28 Schmutzpartikel 124 Schockerscheinungen 218 Schubmodul 25, 27 Schubspannung 25, 29, 30, 55 niedrige 73 pasenverschobene 81 Schubspannungs-Vorgabe 73 Schulze-Hardy-Regel 196 Schüsseln 145 Schutz 11 schwache Flockung 195 Schwingungsrheometrie 80 Screening 219 Searle-System 65 Sedimentation 11, 12, 23, 31, 37, 56 Füllstoffe 32 Pigmente 32 Suspensionen 32 Sedimentationsanalyse 173, 175 Sedimentationsgeschwindigkeit 126, 170, 171, 219 Sedimentationsmedium 176 Sedimentationsneigung 181 Sedimentationswaage 171, 173 Sedimentationszylinder 172 Sedimenthöhe 219 Segmentdichteprofile 204 Seifenblasen 95 Seifenlamelle 92 sekundäres Minimum 190, 195, 218 Senkkörper 172 Silberiodid-Kolloid 183, 210 Silberionen 183 Sinkgeschwindigkeit 33, 159, 170 Solkurve 71

Index Solvatation 214 Sonnenlicht 177 Spachtelmasse 34 Spaltentleerung 66 Spannungsrelaxation 147 Speichermodul 80, 83, 221 spezielle Funktionen 11 spezifische Adsorption 182, 183 spezifische Oberfläche 159, 160, 161 Spiegelbild 128 Spindeln 63 Spindel-Viskosimeter 64 Spitzenzählparameter 128 Spreiten 89, 116 Spreitungskoeffizient 113, 115 Spritzviskosität 61 Spritzvorgang 218 Sprödbruch 26 Stabilisierung 211, 214, 216, 217 Stahlfeder 25 statische Lichtstreung 178 Stator 65 Stauchung 24 Staudinger-Index 48 Steighöhen von Wasser 162 sterische Stabilisierung 201 Sternschicht 188 Stickstoffmolekül, Flächenbedarf 105 Stirnabzugtest 149 Stirnflächeneinfluss 66 Stirnflächenwirbel 65 Stoff, grenzflächenaktiver 98 stokessche Reibung 30, 58, 170 stokessches Gesetz 23 Stormer-Paddle-Viskosimeter 62 Stoßquerschnitt 39 Streichen 32, 40 Streukoeffizient 211, 228, 229 Streulicht 179 Streumaximum 229 Streuung 231 Streuvermögen 229 Streuzentren 177, 229 Strömung laminare 32 Rohrleitung 32 Struktur gelartige 40 Strukturabbau 76 Strukturregeneration 38 Strukturstärke 72 Strukturviskosität 33, 38, 47, 71 Polymerlösung 39 Strukturwiederaufbau 75 Substratbenetzung 116

Substratoberfläche 12, 115 Sulfosuccinate 133 Suspensionen 157

T Tails 203, 207 Tangentenschnittpunkt-Methode 73 Tastschnittgerät 130 Tauchen 31 Taylorwirbel 65 Teilchenfront 170 Teilchengröße 12, 159, 164, 227, 231 aktuelle 164 mittlere 165 Teilchengrößenspektrum 162 Teilchengrößenverteilung 164, 165, 225 Teilchenkonzentrationen 165 Teilchenoberfläche 158 Teilchenoszillation 200 Teilchenpopulation, polydisperse 174 Teilchensorten 158, 174 Teleskopströmung 59 Temperaturkonstanz 55 temporäre Dipole 17 Tensidschicht 90 Tensiometer 106, 107 Testflüssigkeit 113, 117 Textur 11 thermische Bewegung 170 thermische Spannung 146 Thermoplast 27 Thermostatisierung 55 Theta-Bedingungen 201, 203 Theta-Lösemittel 48, 206 Theta-Lösungen 203 Theta-Temperatur 48, 201 thixotrope Bindemittel 40 thixotrope Lacke 40 thixotrope Struktur 126 Thixotropie 33, 37, 38, 40, 41, 71, 74 Thixotropiermittel 40 Thixotropiezeit 76 Tiefentaster 130 Tiefungsprüfung 152 Titanate 153 Titandioxid, Brechungsindex 229 Titandioxid-Dipersionen 52 Titandioxid-Pigment-Präparation 167 Titration 222 Toroid 216 Torsion 24 Torsionselement 67 Trains 203 transiente Effekte 70

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250 transiente Scherviskosität 75 Transmission 172 Transparenz 97, 227, 228 Trockenstoff 12 Tropfen, liegender 114 Tropfenkonturanalyse 114 Trübung 233 turbulente Strömungen 55, 61 Twistometer 149

U Ubbelohde-Viskosimeter 60 Überbrennen 228 Überbrückungsflockulation 206, 209 Überbrückungs-Heteroflockulation 206 Überlackierechtheit 98 Überschusskonzentration 99 Ultrazentrifuge, analytische 170 Umfangsgeschwindigkeit 67, 216, 217 Umweltchemikalien 11

V van der Waals-Anziehung 185 van der Waals-Kräfte 13, 15, 34 Verankerung, mechanische 140 Verarmung 205, 219 Verarmungsflockulation 206 Verarmungsschicht 207 Verbundwerkstoffe 27 Verdampfungsenthalpie 18 Verdicker 194 Verdrängermolekül 220 Verdrängungskoagulation 206 Verdünnen 206, 219 Verdunstung des Lösemittels 42 Verfilmungsprozess 23 Verformung, bleibende 24 Verhakungen 144 Verhalten elastisches 25 gummielastisches 28 idealelastisches 76 idealviskoses 76 newtonsches 30 thixotropes 40 Verlauf 12, 41, 42, 126 Verlaufshilfsmittel 132 Verlustmodul 80, 83 Vernetzungsdichte 28 Vernetzungsgrad 145 Vernetzungspunkt 27 Verpackungsfolien 123

Index Verschlaufung 27, 39, 48, 144 Verteilung 211, 214 Verteilungsart 165 Verteilungsdichtekurve 165 Verteilungsdichten 166 Verteilungsfunktionen 168 Verteilungssummen 166 Verteilungssummenkurve 165 Verträglichkeit 15 Verträglichkeitsellipsoid 19, 20 Verunreinigungen 124 Verwirbelung 55 viskoelastisches Verhalten 55, 70, 76 Viskoelastizität 13, 24 viskosimetrische Molmassenbestimmung 60 Viskosität 13, 23, 28 intrinsische 47, 48 kinematische 30 komplexe 84 Lösung 42 Medium 46 pigmentierter Lack 51 relative 46 scheinbare 71 Temperaturabhängigkeit 42 transiente 70 von Dispersionen 49, 50 von Lösungen und Dispersionen 46 von Polymerlösungen 47 von Schmelzen 42 Viskositätskurve 30 visuelles Erscheinungsbild 227 Voigt-Maxwell-Fluid 78 Voigt-Maxwell-Modell 77 Voigt-Modell 77, 82, 83 Volumen ausgeschlossenes 206 spezifisches 46 Volumenbruchteil 50 Volumenverteilung 168 Vorbehandlung 118, 132 Eindringtiefe 134 Stabilität 139 Vorbehandlungsbrenner 135 Vorhänge 40 Vorprüfungen 219

W Wanderungsgeschwindigkeit 197, 199 Wanderungsrichtung 221 Wandrauheit 38 Wandschubspannung 38 Wärmebelastung 228 Washburn-Gleichung 60, 130, 131

Index Wasser 12 Wasserstoffbrücken 16 Wassertropfen 92 weak boundaries 148 Weak Boundary Layer Theorie 148 Weber 229 Wechselwirkungen ionisch 15 zwischenmolekulare 148 Wechselwirkungen, zwischenmolekular 15 Wechselwirkungsenergie 16 Wechselwirkungskräfte 182 Wechselwirkungsparameter 118 Weichmacher 12 Weißaufhellungen 212 Weißpigment 232 Welligkeit 128 Welligkeitsprofil 129 Wetterbeständigkeit 11 Wiederaufbau der Struktur 74 Wilhelmy-Platte 107, 108, 115 Williams-Landel-Ferry-Gleichung 43 Wirbelbildung 55 WLF-Gleichung 43, 45 W-Profil 129

X XPS 134 X-Ray Photoelectron Spectroscopy 134

Y Young-Dupré-Gleichung 142 youngsche Gleichung 113, 142 Young und Laplace-Gleichung 94

Z zeitabhängiges Viskositätsverhalten 55 Zentrifugalbeschleunigung 175 Zentrifugationsmethoden 173 Zentrifuge 175 Zerteilen 211 Zerteilung eines Würfels 160 Zetapotenzial 193, 195, 196, 197, 222 Vorzeichen 221 Zirkonate 153 Zirkonoxid 215 Zisman-Methode 113, 117 Zug-Dehnungs-Diagramm 25 Zugfestigkeit 226 Zugprüfmaschine 25 Zugspannung 25, 148 Zugversuch 25 Zustandsbereiche, rheologische 27, 28 zwischenmolekulare Kräfte 28 Zwischenschichthaftung 140

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