Kultur produzieren: Künstlerische Praktiken und kritische kulturelle Produktion 9783839447376

The volume collects key concepts in the context of intervening and participatory artistic practices and provides insight

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Kultur produzieren: Künstlerische Praktiken und kritische kulturelle Produktion
 9783839447376

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Kultur produzieren: Zugänge, Öffentlichkeiten, Praxisfelder
Zugänge
Kritische kulturelle Produktion im Kontext von Cultural Studies und Cultural Citizenship
Theoretische Grundlagen kritischer kultureller Produktion
Kritische kulturelle Teilhabe: Theoretische Ansätze und aktuelle Fragen
Partizipation in der zeitgenössischen Kunst: Von der postmodernen Condition d’Être hin zu einer Destabilisierung der Kunstwelt
Partizipative Kulturen im Kontext von DIY und als informelle Lernorte
Öffentlichkeiten
Die Bedeutung von Kunst und Kultur in Gegenöffentlichkeiten: Das Drei-Ebenen- Modell von Öffentlichkeit und die Gezi- Park-Proteste als ,testing ground‘
Kulturarbeit in der ,Migrationsgesellschaft‘: Ungleichheiten im Kulturbetrieb und Ansatzpunkte für eine kritische Neuausrichtung
Zur Konstruktion von Identitätsräumen: Flucht in medialen und künstlerischen Bildproduktionen
Praxisfelder
Künstlerische Interventionen als emanzipatorische Praktiken: Über Verschränkungen von Kunst, sozialen Bewegungen und Bildungsprozessen
Kulturvermittlung als kritische Praxis: Prozesse des Queerings und des Empowerments in der Arbeit mit Jugendlichen
Kritisches Diversity und Kulturarbeit: Wenn Aktivismus und Erfahrungswissen in den Mittelpunkt gerückt werden
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Elke Zobl, Elisabeth Klaus, Anita Moser, Persson Perry Baumgartinger Kultur produzieren

Edition Kulturwissenschaft  | Band 200

Elke Zobl (Dr. phil.) ist assoz. Professorin am Fachbereich Kommunikationswissenschaft und Leiterin des Programmbereichs für Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion am Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst an der Paris Lodron Universität Salzburg und der Universität Mozarteum Salzburg. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte umfassen partizipative Kulturproduktion, Cultural Studies und Gender Studies. Elisabeth Klaus (Dr. phil.) ist Professorin für Kommunikationswissenschaft und Co-Leiterin des Programmbereichs Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion am Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst an der Paris Lodron Universität Salzburg und der Universität Mozarteum Salzburg. Ihre Forschung konzentriert sich auf Öffentlichkeitstheorien, feministische Medienwissenschaft und Populärkultur. Anita Moser (Dr. phil.) ist Senior Scientist am Programmbereich Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion am Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst an der Paris Lodron Universität Salzburg und der Universität Mozarteum Salzburg. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte umfassen Gegenwartskunst in der Migrationsgesellschaft, Kulturmanagement, Freie Kulturarbeit und Gender Studies. Persson Perry Baumgartinger (Dr. phil.) ist Wissenschaftler, Lektor, Trainer und Coach. Seine Forschungsschwerpunkte sind Trans-Arts and Cultural Production, Diversity in Kunst und Kultur, Kommunikation im Kulturmanagement, Kritische Diskurs- und Dispositivanalyse.

Elke Zobl, Elisabeth Klaus, Anita Moser, Persson Perry Baumgartinger

Kultur produzieren Künstlerische Praktiken und kritische kulturelle Produktion Mit Beiträgen von Marcel Bleuler, Ricarda Drüeke, Vlatka Frketić und Elke Smodics

Die Publikation wurde gefördert durch die Paris Lodron Universität Salzburg, die Stiftungs- und Förderungsgesellschaft der Universität Salzburg, den Kooperationsschwerpunkt Wissenschaft und Kunst (Paris Lodron Universität Salzburg und Universität Mozarteum Salzburg) sowie vom Land Salzburg, Abteilung Kultur, Bildung und Gesellschaft (im Kontext des Projektes »Kulturelle Teilhabe in Salzburg«).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Lektorat und Korrektorat: Roswitha Gabriel unter Mitarbeit von Claudia Simair, Salzburg Satz: Brigitte Geiger, Wien Collagen: Timna Pachner, Salzburg Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4737-2 PDF-ISBN 978-3-8394-4737-6 https://doi.org/10.14361/9783839447376 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort | 7 Kultur produzieren: Zugänge, Öffentlichkeiten, Praxisfelder

Elke Zobl, Elisabeth Klaus, Anita Moser, Persson Perry Baumgartinger | 9

ZUGÄNGE Kritische kulturelle Produktion im Kontext von Cultural Studies und Cultural Citizenship

Elisabeth Klaus, Elke Zobl | 19 Theoretische Grundlagen kritischer kultureller Produktion

Ricarda Drüeke, Elisabeth Klaus | 33 Kritische kulturelle Teilhabe: Theoretische Ansätze und aktuelle Fragen

Elke Zobl | 47 Partizipation in der zeitgenössischen Kunst: Von der postmodernen Condition d’Être hin zu einer Destabilisierung der Kunstwelt

Marcel Bleuler | 61 Partizipative Kulturen im Kontext von DIY und als informelle Lernorte

Elke Zobl | 77

ÖFFENTLICHKEITEN Die Bedeutung von Kunst und Kultur in Gegenöffentlichkeiten: Das Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit und die Gezi-Park-Proteste als ,testing ground‘

Elisabeth Klaus | 97

Kulturarbeit in der ,Migrationsgesellschaft‘: Ungleichheiten im Kulturbetrieb und Ansatzpunkte für eine kritische Neuausrichtung

Anita Moser | 117 Zur Konstruktion von Identitätsräumen: Flucht in medialen und künstlerischen Bildproduktionen

Ricarda Drüeke, Elisabeth Klaus, Anita Moser | 135

PRAXISFELDER Künstlerische Interventionen als emanzipatorische Praktiken: Über Verschränkungen von Kunst, sozialen Bewegungen und Bildungsprozessen

Elke Smodics, Elke Zobl | 161 Kulturvermittlung als kritische Praxis: Prozesse des Queerings und des Empowerments in der Arbeit mit Jugendlichen

Elke Zobl, Ricarda Drüeke | 177 Kritisches Diversity und Kulturarbeit: Wenn Aktivismus und Erfahrungswissen in den Mittelpunkt gerückt werden

Persson Perry Baumgartinger, Vlatka Frketić | 195 Bibliografie | 217 Websites | 257 Angaben zu den Autor_innen | 261

Vor­wort

Vor­wort

Viele Men­schen wa­ren an der vor­lie­gen­den Pu­bli­ka­tion be­tei­ligt, die die Arbeit des Pro­gramm­be­reichs Zeit­ge­nös­si­sche Kunst und Kul­tur­pro­duk­tion am Ko­ope­ ra­tions­schwer­punkt Wis­sen­schaft und Kunst (Pa­ris Lo­dron Uni­ver­si­tät Salz­burg und Mo­zar­teum Salz­burg) re­flek­tiert. Erste Ideen und Vor­ver­sio­nen wur­den ge­mein­sam mit Sig­linde Lang und Laila Hu­ber ent­wi­ckelt, die da­mit zur Kon­zep­tion und Ver­wirk­li­chung des Ban­des we­ sent­lich bei­ge­tra­gen ha­ben. Ein gro­ßer Dank geht auch an die Mit­au­tor_in­nen Mar­cel Bleu­ler, Ri­carda Drüe­ke, Vlatka Frke­tić und Elke Smo­dics für ihre Tex­ te und für span­nende Dis­kus­sio­nen. Sig­linde Lang, Mar­cel Bleu­ler und Ri­carda Drüeke dan­ken wir au­ßer­dem für ihre klu­gen und kon­struk­ti­ven Kom­men­tare zu den Buch­bei­trä­gen, Ros­wi­tha Ga­briel für das ge­naue Lek­to­rat, Gitti Gei­ger für den Satz, Clau­dia Si­mair für die Re­cher­chen und die Kon­trolle der Bibliogra­ fie, Timna Pach­ner für die grafische Ge­stal­tung der Zwi­schen­sei­ten so­wie Anne Sauer­land vom Ver­lag tran­script für die Be­treu­ung des Buch­pro­jek­tes. Mit ihrem En­ga­ge­ment ha­ben die ak­tu­el­len und ehe­ma­li­gen Mit­arbei­ter_in­ nen und Pro­jekt­be­tei­lig­ten des Pro­gramm­be­reichs Zeit­ge­nös­si­sche Kunst und Kul­tur­pro­duk­tion zur Ent­wick­lung unse­rer Ideen wich­tige Im­pulse ge­lie­fert. Ger­ bert Schwaig­hofer und Ute Brand­hu­ber-Schmel­zin­ger ha­ben uns von Sei­ten des Schwer­punk­tes Wis­sen­schaft und Kunst groß­zü­gig unter­stützt. Ein­zelne Texte ent­stan­den im Rah­men des Pro­jek­tes Kul­tu­relle Teil­habe in Salz­ burg. Grund­la­gen, Mög­lich­kei­ten, Her­aus­for­de­run­gen und Stra­te­gien, das vom Land Salz­burg ge­för­dert wird. Ohne die fi­nan­zielle Unter­stüt­zung auch der Pa­ris Lo­dron Uni­ver­si­tät Salz­burg, der Stif­tungs- und För­de­rungs­ge­sell­schaft der Uni­ ver­si­tät Salz­burg so­wie des Ko­ope­ra­tions­schwer­punkts Wis­sen­schaft und Kunst hätte die­ses Buch nicht in Druck ge­hen kön­nen. Viele Künst­ler_in­nen, Kul­tur­arbei­ten­de, Ko­ope­ra­tions­part­ner_in­nen, Work­ shop­lei­ter_in­nen und Vor­tra­gende ha­ben in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ihre Er­fah­ run­gen und ihr Wis­sen mit uns ge­teilt und uns dazu mo­ti­viert, wei­ter und quer zu den­ken. Das In­ter­esse und das en­ga­gierte Mit­tun und Mit­den­ken der Stu­die­ren­

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Kultur produzieren

den, an Pro­jek­ten be­tei­lig­ten Schü­ler_in­nen und an­de­rer Teil­neh­mer_in­nen an den An­ge­bo­ten des Pro­gramm­be­reichs ist eine Quelle der In­spi­ra­tion und Mo­ti­va­tion. Ih­nen und euch al­len herz­li­chen Dank für die In­puts, Bei­trä­ge, Re­fle­xio­nen und Ex­per­ti­se. Wir freuen uns auf die wei­tere Zu­sam­men­arbeit! Salz­burg, im Fe­bruar 2019 Elke Zobl, Eli­sa­beth Klaus, Anita Mo­ser und Pers­son Perry Baum­gar­tin­ger

Kul­tur pro­du­zie­ren: Zu­gän­ge, Öf­fent­lich­kei­ten, Pra­xis­fel­der

Kul­tur pro­du­zie­ren: Zu­gän­ge, Öf­fent­lich­kei­ten, Pra­xis­fel­der Elke Zobl, Eli­sa­beth Klaus, Anita Mo­ser, Pers­son Perry Baum­gar­tin­ger

Was be­deu­tet Kul­tur pro­du­zie­ren? In­wie­fern spie­len künst­le­ri­sche Prak­ti­ken in der kul­tu­rel­len Be­deu­tungs­pro­duk­tion eine Rol­le? Wie ge­stal­ten ver­schie­dene Teil­öf­fent­lich­kei­ten Pro­zesse kul­tu­rel­ler Pro­duk­tion ak­tiv mit? Wie kön­nen kul­ tu­relle Ver­än­de­run­gen er­mög­licht wer­den, in denen ge­sell­schaft­li­che Mit­be­stim­ mung eine zen­trale Rolle ein­nimmt? Wel­che künst­le­ri­schen und kul­tu­rel­len Inter­ ven­tio­nen, Stra­te­gien und Tak­ti­ken wer­den ein­ge­setzt? Diese Fra­gen ste­hen im Zen­trum des seit Früh­jahr 2010 be­ste­hen­den Pro­ gramm­be­reichs Zeit­ge­nös­si­sche Kunst und Kul­tur­pro­duk­tion des Ko­ope­ra­tions­ schwer­punkts Wis­sen­schaft und Kunst der Pa­ris Lo­dron Uni­ver­si­tät Salz­burg und der Uni­ver­si­tät Mo­zar­teum Salz­burg, in des­sen Rah­men die­ses Buch ent­stan­den ist. Wir stel­len darin die theo­re­ti­schen Grund­la­gen unse­rer Arbeit vor, zei­gen bei­ spiel­haft, mit wel­chen An­sät­zen wir arbei­ten, und re­flek­tie­ren das Ver­hält­nis von Theo­rie und Pra­xis, von Wol­len und Wir­ken. Kern­auf­gabe des Pro­gramm­be­reichs ist die inter­dis­zi­pli­näre Aus­ein­an­der­set­ zung mit ak­tu­el­len künst­le­ri­schen und kul­tu­rel­len Prak­ti­ken, die an po­li­ti­sche und so­ziale The­men an­knüp­fen und ver­schie­de­nen Teil­öf­fent­lich­kei­ten Mög­lich­kei­ ten der Par­ti­zi­pa­tion und der Inter­ven­tion er­öff­nen. Der Aus­gangs­punkt unse­rer Arbeit liegt in ei­nem of­fe­nen Kulturverständnis, das sich im Sinne der Cul­tu­ral Studies der Hoch­kul­tur/Sub­kul­tur-Unter­schei­dung entzieht und Kultur als verhan­ delbaren, offenen und widersprüchlichen Prozess ansieht. Von die­sem Ver­ständ­nis aus­ge­hend stellt der Pro­gramm­be­reich die grund­sätz­ li­che Frage nach den Mög­lich­kei­ten, aber auch Her­aus­for­de­run­gen, ge­sell­schaft­ li­che Teil­habe ein­zu­for­dern und mit­tels kul­tu­rel­ler Pro­duk­tion und künst­le­ri­scher Stra­te­gien Ver­än­de­rungs­pro­zesse mit­zu­ge­stal­ten. Diese Frage mün­det in ei­ner kri­ti­schen Auf­merk­sam­keit für Kon­stel­la­tio­nen von Pri­vi­le­gie­rung und Aus­gren­ zung, von In­ter­sekt­io­na­li­tät und so­zia­len Un­gleich­hei­ten. Da­mit rü­cken Prak­ti­ken ei­ner kri­ti­schen Kunst- und Kul­tur­ver­mitt­lung so­wie Kul­tur­arbeit in unse­ren Fo­kus, die die Schaf­fung von de­mo­kra­ti­schen Öf­fent­lich­

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Elke Zobl, Eli­sa­beth Klaus, Anita Mo­ser, Pers­son Perry Baum­gar­tin­ger

kei­ten all­ge­mein und von ,an­de­ren‘, neuen Mög­lich­keits­räu­men ins­be­son­dere mit Fo­kus auf zi­vil­ge­sell­schaft­li­che Teil­habe an­stre­ben. Der Blick wird da­bei auf Ver­ bin­dungs­li­nien und Über­schnei­dun­gen zwi­schen kri­ti­schen inter­ve­nie­ren­den kul­ tu­rel­len und künst­le­ri­schen Prak­ti­ken und der Le­bens­welt der Men­schen ge­rich­ tet – und hier vor al­lem auf die freien Sze­nen, auf Pro­jekte mit so­zio­kul­tu­rel­lem En­ga­ge­ment und auf künst­le­risch-kul­tu­relle Pro­jekt­ent­wick­lung im Kon­text von Or­ga­ni­sa­tions- und Ver­mitt­lungs­pro­zes­sen. In der ers­ten Phase des Pro­gramm­be­reichs (2010–2014) stan­den künst­le­ri­sche und kul­tu­relle Prak­ti­ken und ihre öf­fent­li­che Wir­kung in Be­zug auf Trans­fer­leis­ tun­gen, Fra­gen der Par­ti­zi­pa­tion und des kul­tu­rel­len Wan­dels im Fo­kus; diese wur­den in unter­schied­li­chen For­schungs­pro­jek­ten1 ana­ly­siert. Ziel der zwei­ten Phase (2014–2019) war, in For­schungs­teil­be­rei­chen und -pro­jek­ten2 zen­trale Kon­ zepte und Be­griffe kul­tu­rel­ler Be­deu­tungs­pro­duk­tion in ihrer Viel­schich­tig­keit und Wi­der­sprüch­lich­keit zu be­stim­men und im Span­nungs­feld künst­le­ri­scher und wis­sen­schaft­li­cher An­nä­he­run­gen zu fas­sen: Öf­fent­lich­keit, Raum, Kol­la­bo­ra­tion, Edu­ka­tion, Par­ti­zi­pa­tion, Inter­ven­tion – und gegen Ende der zwei­ten Pro­gramm­ be­reichs­pe­riode neu dazu ge­kom­men – Mi­gra­tions­ge­sell­schaft und Di­ver­sity so­ wie Trans—ing. Die Arbeits­weise am Pro­gramm­be­reich Zeit­ge­nös­si­sche Kunst und Kul­tur­pro­ duk­tion zeich­net sich durch eine Ver­bin­dung von Theo­rie mit de­zi­dier­ter Pra­xis­ orien­tie­rung aus, die unter an­de­rem mit und von Stu­die­ren­den um­ge­setzte Er­pro­ bun­gen inter­ven­tio­nis­ti­scher Stra­te­gien im öf­fent­li­chen Raum be­in­hal­tet. Dar­über hin­aus ist die Ver­schrän­kung von For­schung, Lehre und Ver­mitt­lung (in Aus­stel­ lun­gen, Work­shops, Ge­sprächs­rei­hen etc.) we­sent­lich. Die vor­lie­gende Pu­bli­ka­tion stellt eine Zu­sam­men­schau der am Pro­gramm­be­reich er­arbei­te­ten theo­re­ti­schen Über­le­gun­gen so­wie kon­kre­ter künst­le­risch-kul­tu­rel­ler Um­set­zun­gen und Ana­ly­sen dar. Die Ver­bin­dung die­ser bei­den Ebe­nen spie­gelt sich in der grafischen Ge­stal­tung des Bu­ches wi­der: Neben den Tex­ten fin­den sich in Pro­jek­ten ent­wi­ckelte Ma­te­ria­lien, Bil­der aus Work­shops und Ver­an­stal­tun­gen so­wie Zi­ta­te, die unser Her­an­ge­hen zei­gen. Die Autor_in­nen sind – in unter­schied­ li­chen Funk­tio­nen und mit unter­schied­li­cher Dauer – am Pro­gramm­be­reich tä­tig, was sich in den ver­schie­de­nen Her­an­ge­hens­wei­sen der Bei­träge zeigt. Ins­ge­samt ver­deut­licht die Pu­bli­ka­tion, dass am Pro­gramm­be­reich grund­le­gende Fra­ge­stel­ lun­gen zu kul­tu­rel­ler Pro­duk­tion und ge­sell­schaft­li­cher Teil­habe unter ähn­li­chen

1 Eine Über­sicht über die durch­ge­führ­ten Dritt­mit­tel­pro­jekte fin­det sich hier: https:// www.w-k.sbg.ac.at/de/zeitgenoessische-kunst-und-kulturproduktion/forschung/dritt mittelprojekte.html (1. 2. 2019). 2 Vgl. https://www.w-k.sbg.ac.at/de/zeitgenoessische-kunst-und-kulturproduktion/forschung/ forschungssaeulen.html (1. 2. 2019).

Kul­tur pro­du­zie­ren: Zu­gän­ge, Öf­fent­lich­kei­ten, Pra­xis­fel­der

theo­re­ti­schen Be­zug­nah­men, je­doch aus je­weils unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven be­arbei­tet wer­den. Da­durch er­ge­ben sich Schnitt­men­gen und manch­mal auch Wie­der­ho­lun­gen in den Tex­ten. Wir ha­ben das in Kauf ge­nom­men, da­mit ein­zelne Bei­trä­ge, wel­che die Le­ser_in­nen be­son­ders in­ter­es­sie­ren, auch ver­ständ­lich sind, ohne den Ge­samt­kon­text des Bu­ches zu ken­nen. Im ers­ten Teil Zu­gänge wer­den we­sent­li­che Be­zugs­rah­men und theo­re­ti­sche Grund­la­gen des The­mas dis­ku­tiert. Zu­nächst stel­len Eli­sa­beth Klaus und Elke Zobl in dem Bei­trag Kri­ti­sche kul­tu­relle Pro­duk­tion im Kon­text von Cul­tu­ral Stu­ dies und Cul­tu­ral Ci­ti­zens­hip die theo­re­ti­schen Aus­gangs­punkte der Arbeit am Pro­gramm­be­reich vor. Auf der Grund­lage ei­nes of­fe­nen Kul­tur­ver­ständ­nis­ses der Cul­tu­ral Stu­dies rü­cken darin vor al­lem Fra­gen zum All­tags­han­deln von Men­ schen als kul­tur­pro­du­zie­ren­der und kon­flikt­haf­ter Pro­zess in den Vor­der­grund, der Mög­lich­kei­ten der Er­mäch­ti­gung, der An­eig­nung und der Kri­tik be­in­hal­tet, aber auch der Re­pro­duk­tion von Aus­schlüs­sen, Macht­me­cha­nis­men und Un­gleich­hei­ ten. Die Au­to­rin­nen er­läu­tern drei Schlüs­sel­kon­zep­te, die die Grund­la­gen für die Aus­ein­an­der­set­zung mit kri­ti­schen kul­tu­rel­len und künst­le­ri­schen Prak­ti­ken lie­ fern: Kul­tur als ,a whole way of li­fe‘, der Kreis­lauf kul­tu­rel­ler Be­deu­tungs­pro­ duk­tion und Cul­tu­ral Ci­ti­zens­hip. Zum Ab­schluss fra­gen sie, wel­che Per­spek­tive diese Kon­zepte für eine kri­ti­sche kul­tu­relle Pro­duk­tion er­öff­nen, die auf Teil­habe der Men­schen und Ver­än­de­rung von Macht­ver­hält­nis­sen zielt. Wie wir das in der Arbeit am Pro­gramm­be­reich viel­fach ver­wen­dete Ad­jek­tiv ,kri­tisch‘ ver­ste­hen, ist Thema des Bei­trags Theo­re­ti­sche Grund­la­gen kri­ti­scher kul­tu­rel­ler Pro­duk­tion von Ri­carda Drüeke und Eli­sa­beth Klaus. Die Autor_in­nen zei­gen die Tra­di­tions­li­nien und theo­re­ti­schen Be­zugs­punkte die­ses Kri­tik­pro­jek­tes auf. In ei­ner wis­sen­schafts­his­to­ri­schen An­nä­he­rung dis­ku­tie­ren sie als Aus­gangs­ punkt die Kritische Theorie und hier ins­be­son­dere die Kul­tur­in­dus­trie­ana­lyse von Theo­dor W. Adorno und Max Hork­hei­mer. Im Wei­te­ren wer­den da­von aus­ge­hend neuere An­sätze vor­ge­stellt, die ei­nem nor­ma­ti­ven Wis­sen­schafts­ver­ständ­nis fol­ gen, das die Selbst­dar­stel­lun­gen, he­ge­mo­nia­len Be­deu­tun­gen und Wis­sens­re­gime der Ge­sell­schaft hin­ter­fragt und nach Mög­lich­kei­ten der Ge­sell­schafts­ver­än­de­ rung sucht. Neben par­ti­zi­pa­ti­ven Öf­fent­lich­keits­theo­rien sind das Arbei­ten zur Be­deu­tung kul­tu­rel­ler Dis­tink­tion für die Her­stel­lung von Un­gleich­heit, post­ struk­tu­ra­lis­ti­sche An­sät­ze, die Cul­tu­ral Stu­dies so­wie die Gen­der, Post­co­lo­nial und Queer Stu­dies. An­hand die­ser kri­ti­schen Theo­rien bzw. Theo­rie­pro­jekte fragt der Bei­trag da­nach, was Kri­tik heute be­deu­ten kann, und geht ex­em­pla­risch der Frage nach, wel­chen Stel­len­wert Kunst und Kul­tur in den je­wei­li­gen Kon­zep­tio­ nie­run­gen er­hal­ten. Kunst und Kul­tur sind keine neu­tra­len, son­dern um­kämpfte Be­grif­fe. Sie sind in his­to­ri­sche Ent­wick­lun­gen mit unter­schied­li­chen Vor­stel­lun­gen ein­ge­bet­tet, je nach­dem wel­che Rolle sie in der Ge­sell­schaft spie­len kön­nen und sol­len. Der

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Elke Zobl, Eli­sa­beth Klaus, Anita Mo­ser, Pers­son Perry Baum­gar­tin­ger

Ar­ti­kel Kri­ti­sche kul­tu­relle Teil­ha­be: Theo­re­ti­sche An­sätze und ak­tu­elle Fra­gen von Elke Zobl fo­kus­siert kri­ti­sche An­sätze zu kul­tu­rel­ler Teil­ha­be. Auf der Ba­sis ei­ner selbst­re­fle­xi­ven und in­sti­tu­tions­kri­ti­schen Hal­tung wer­den die ge­sell­schaft­ li­chen Macht­ver­hält­nisse in der theo­re­ti­schen so­wie in der prak­ti­schen Arbeit in den Blick ge­nom­men – mit dem Ziel, die be­ste­hen­den Ver­hält­nisse und In­sti­tu­ tio­nen zu trans­for­mie­ren. Da­bei wird die Kon­zep­tion ei­ner kri­ti­schen kul­tu­rel­ len Teil­habe mit je­ner der kri­ti­schen kul­tu­rel­len Pro­duk­tion, wie wir sie am Pro­ gramm­be­reich Zeit­ge­nös­si­sche Kunst und Kul­tur­pro­duk­tion aus­ge­arbei­tet ha­ben, ver­bun­den. In dem Bei­trag zeich­net Zobl zu Be­ginn kurz die Ver­schrän­kun­gen von Kul­tur und Bil­dung nach, um an­schlie­ßend auf den kul­tur­po­li­ti­schen Slo­gan „Kul­tur für alle!“ ein­zu­ge­hen, der eng mit dem Ziel ei­ner De­mo­kra­ti­sie­rung der Ge­sell­schaft ver­bun­den ist. In dem Be­stre­ben, Aus­schlüs­sen ent­gegen­zu­wir­ken, the­ma­ti­siert sie darauffolgend Fra­gen und Hand­lungs­fel­der von Teil­habe in der kri­ti­schen Kul­tur­ver­mitt­lung und der trans­kul­tu­rel­len Kul­tur­arbeit. Mar­cel Bleu­ler geht in sei­nem Bei­trag Par­ti­zi­pa­tion in der zeit­ge­nös­si­schen Kunst: Von der post­mo­der­nen Condition d’Être hin zu ei­ner De­sta­bi­li­sie­rung der Kunst­welt von der Beobachtung aus, dass der Begriff der Partizipation im Kunst­ dis­kurs Ende des 20. Jahrhunderts in erster Linie für eine Neukonzeption der Po­ sition von Be­trach­ter_in­nen steht. Kunstbetrachtung wurde im Kontext postmo­ derner Konzepte zunehmend als pluraler und kontingenter Vorgang verstanden. Künst­ler_in­nen forcierten dieses Verständnis durch die Schaffung von offenen Anlagen und von Spielräumen in Ausstellungen, die das subjektive und ,entfessel­ te‘ Erlebnis akzentuieren. Der Verfasser erläutert die Debatten, die im Zusammen­ hang mit einer derart ausgerichteten Kunstproduktion Anfang des 21. Jahrhun­ derts vermehrt stattfanden. Sie führten zu einem Diskurs, der die Möglichkeiten einer Ermächtigung und Emanzipation von Kunst­be­trach­ter_in­nen gegenüber der künstlerischen Intentionalität fokussiert, und in letzter Konsequenz – so die These des Textes – die Kunstwelt als ein abgegrenztes, privilegiertes Feld in Frage stellt. Ziel des Bei­trags Par­ti­zi­pa­tive Kul­tu­ren im Kon­text von DIY und als in­for­ melle Lern­orte von Elke Zobl ist es, ei­nen kur­so­ri­schen Über­blick über das Kon­ zept der par­ti­zi­pa­ti­ven Kul­tu­ren im Kon­text von Do-It-Your­self (DIY) zu ge­ben und sie als in­for­melle Lern­or­te, an denen Wis­sen und Er­fah­rung Peer-to-Peer wei­ter­ge­ge­ben und aus­ge­tauscht wer­den, zu fas­sen. Der Text geht da­von aus, dass par­ti­zi­pa­tive Kul­tu­ren in ei­nem en­gen Zu­sam­men­hang mit der Ge­schichte und Ent­wick­lung von DIY-Kul­tu­ren ste­hen. Beide sind in viel­schich­tige ge­schicht­ li­che Ent­wick­lun­gen ein­ge­bet­tet und au­ßer­or­dent­lich he­te­ro­gen so­wohl in Be­ zug auf ihre Aus­prä­gun­gen, In­hal­te, For­men und Kon­texte als auch in Hin­blick auf die hier pro­du­zie­ren­den Men­schen und ihre Mo­ti­va­tio­nen, Ziele und künst­ le­ri­schen, kul­tu­rel­len und me­dia­len Stra­te­gien. Zwi­schen DIY-Kul­tu­ren und so­ zia­len, künst­le­ri­schen und po­li­ti­schen Be­we­gun­gen gibt es viel­fäl­tige Be­zü­ge. Zobl ver­weist auf Theo­rien zu par­ti­zi­pa­ti­ven Kul­tu­ren, die inter­dis­zi­pli­när in den

Kul­tur pro­du­zie­ren: Zu­gän­ge, Öf­fent­lich­kei­ten, Pra­xis­fel­der

Cul­tu­ral Stu­dies, den Me­dien­wis­sen­schaf­ten, der Me­dien­päd­ago­gik, den Gen­der Stu­dies, der Po­li­tik­wis­sen­schaft, der Kunst­ge­schichte und der So­zia­len Be­we­ gungs­for­schung aus­ge­arbei­tet wur­den. Im Bei­trag fin­den sich viel­fäl­tige Be­züge auf queer-fe­mi­nis­ti­sche Zu­sam­men­hänge als Bei­spiele für diese kri­ti­schen kul­tu­ rel­len Prak­ti­ken. Der zweite Teil des Ban­des Öf­fent­lichkei ­ ­ten nimmt kon­krete ge­sell­schaft­li­che Ver­än­de­run­gen der letz­ten Jahre und da­mit in Ver­bin­dung ste­hende öf­fent­li­che Aus­hand­lungs- und Selbst­ver­stän­di­gungs­pro­zesse in Kunst und Kul­tur in den Blick. Öf­fent­lich­keit ist ein Schlüs­sel­be­griff für kri­ti­sche Kunst- und Kul­tur­ver­ mitt­lung so­wie Kul­tur­arbeit. Diese will in öf­fent­li­che Pro­zesse ein­grei­fen, sich Ge­hör ver­schaf­fen und Teil­ha­be­mög­lich­kei­ten für mar­gi­na­li­sierte Grup­pen er­ schlie­ßen. Der erste Bei­trag von Eli­sa­beth Klaus Die Be­deu­tung von Kunst und Kul­tur in Gegen­öf­fent­lich­kei­ten: Das Drei-Ebe­nen-Mo­dell von Öf­fent­lich­keit und die Ge­zi-Park-Pro­teste als ,tes­ting ground‘ be­han­delt diese Fra­gen. Klaus stellt zu­nächst das Drei-Ebe­nen-Mo­dell von Öf­fent­lich­keit vor, das neben den po­li­ti­ schen In­sti­tu­tio­nen auch die Rolle von Gegen- und Pro­test­öf­fent­lich­kei­ten so­wie All­tags­öf­fent­lich­kei­ten be­rück­sich­tigt. An­hand des vor­ge­stell­ten Mo­dells dis­ku­ tiert sie das Potenzial von Kunst und Kul­tur­pro­duk­tio­nen, in öf­fent­li­che Dis­kurse inter­ve­nie­rend ein­zu­grei­fen und diese zu ver­än­dern. Im Fol­gen­den wer­den die ­Ge­zi-Park-Pro­teste als ,tes­ting ground‘ für die theo­re­ti­sche An­nä­he­rung unter­ sucht. Die Pro­teste in der Tür­kei 2013 ver­deut­li­chen, wel­che große Be­deu­tung Künst­ler_in­nen, künst­le­ri­sche Stra­te­gien und kul­tu­relle Pro­duk­tio­nen für die Wirk­mäch­tig­keit von Pro­test­be­we­gun­gen ha­ben kön­nen. Anita Mo­ser setzt sich im fol­gen­den Bei­trag Kul­tur­arbeit in der ,Mi­gra­tions­ ge­sell­schaft‘: Un­gleich­hei­ten im Kul­tur­be­trieb und An­satz­punkte für eine kriti­ sche Neu­aus­rich­tung mit Aus­schlüs­sen im öf­fent­li­chen Kul­tur­be­trieb des deutsch­ spra­chi­gen Raums aus­ein­an­der. Mi­gra­tion prägt unsere Ge­sell­schaft seit lan­gem ent­schei­dend mit, was sich je­doch im Feld von Kunst und Kul­tur kaum wi­der­ spie­gelt. Die Au­to­rin geht der Frage nach, wel­che grund­le­gen­den struk­tu­rel­len Ver­än­de­rungen es bräuch­te, da­mit die ,Nor­ma­li­tät‘ mi­gra­tions­ge­sell­schaft­li­cher Viel­heit darin zum Aus­druck kom­men könn­te. Mo­ser führt in das im er­zie­hungs­ wis­sen­schaft­li­chen Kon­text vor­ge­schla­gene Kon­zept der ,Mi­gra­tions­ge­sell­schaft‘ ein und macht es in Hinblick auf eine kritische Auseinandersetzung mit dem Kul­ turbetrieb stark. Die Per­spek­tive der ,Mi­gra­tions­ge­sell­schaft‘ blickt auf die Ge­ sell­schaft als Gan­zes – nicht auf ima­gi­nierte Grup­pen oder ein­zelne Mi­grant_in­ nen – und rich­tet ei­nen in­ter­sekt­io­na­len Fo­kus auf ge­sell­schaft­li­che Ord­nun­gen und Pro­zes­se, die asym­me­tri­sche (Nicht-)Zu­ge­hö­rig­kei­ten her­stel­len und struk­tu­ rie­ren, so­wie auf Kul­tur­ali­sie­run­gen und mehr­heits­ge­sell­schaft­li­che Pri­vi­le­gien. Aus­ge­hend da­von plä­diert die Ver­fas­se­rin für eine dis­kri­mi­nie­rungs­sen­si­ble Per­ spek­tive auf Per­so­nal, Pro­gramm und Pu­bli­kum in eta­blier­ten In­sti­tu­tio­nen, in der

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Elke Zobl, Eli­sa­beth Klaus, Anita Mo­ser, Pers­son Perry Baum­gar­tin­ger

freien Szene so­wie in der Kul­tur­po­li­tik und arbei­tet kon­krete An­satz­punkte und Maß­nah­men für eine mi­gra­tions­ge­sell­schaft­li­che Neu­jus­tie­rung her­aus. In ihrem Beitrag Zur Kon­struk­tion von Iden­ti­täts­räu­men: Flucht in me­dia­len und künst­le­ri­schen Bild­pro­duk­tio­nen gehen Ri­carda Drüe­ke, Eli­sa­beth Klaus und Anita Mo­ser der Frage nach, wie in vi­su­el­len Re­prä­sen­ta­tio­nen von Men­schen in Mi­gra­tions- und Flucht­kon­tex­ten Iden­ti­tä­ten her­ge­stellt wer­den und in­wie­weit da­bei he­ge­mo­niale Be­deu­tungs­pro­duk­tio­nen be­stä­tigt oder um­ge­deu­tet wer­den können. Theoretisch beziehen sie sich dabei auf das Konzept medialer Iden­ti­täts­ räu­me, das im Kontext der Cul­tu­ral Studies entwickelt wurde. Methodisch werden in dem Beitrag einerseits die Ergebnisse einer Analyse von Pressefotografien, die 2015 in der Berichterstattung über Flucht und Geflüchtete publiziert wurden, vor­ gestellt. Diese wird an­de­rer­seits in Be­zug zu künst­le­ri­schen Pro­duk­tio­nen ge­setzt, die im zeit­li­chen Um­feld des ,Som­mers der Mi­gra­tion‘ in Ös­ter­reich re­zi­pier­bar wa­ren und da­durch das öf­fent­li­che Bild­re­per­toire über Flucht er­wei­ter­ten. Dis­ku­ tiert wer­den Chancen und Grenzen von Main­stream­me­dien und Gegenwartskunst als unterschiedliche Räume für Iden­ti­täts­kon­struk­tio­nen. Dabei zeigt sich insbe­ sondere das Potenzial von kritischen künstlerischen Produktionen, dominante Per­ spektiven des öffentlichen Diskurses herauszufordern und zu irritieren. Im drit­ten und letz­ten Teil des Ban­des Pra­xis­fel­der rich­tet sich der Fo­kus auf eman­zi­pa­to­ri­sche Prak­ti­ken im Kon­text von so­zia­len Be­we­gun­gen, ak­ti­vis­ti­scher, selbst­be­stimm­ter Kunst- und Kul­tur­kri­tik, Bil­dungs­pro­zes­sen und Ju­gend­arbeit. Aus­gangs­punkt des Bei­trags von Elke Smo­dics und Elke Zobl Künst­le­ri­ sche Inter­ven­tio­nen als eman­zi­pa­to­ri­sche Prak­ti­ken: Über Ver­schrän­kun­gen von Kunst, so­zia­len Be­we­gun­gen und Bil­dungs­pro­zes­sen ist die Fest­stel­lung, dass die Kunst­ge­schichte bis heute den Ver­bin­dun­gen zu so­zia­len Be­we­gun­gen nur sel­ten nach­geht. Die Ver­fas­se­rin­nen rich­ten da­her den Blick bei­spiel­haft auf kol­lek­ti­ve, künst­le­risch-inter­ven­tio­nis­ti­sche Prak­ti­ken, die sich nicht selbst­re­fe­ren­ziell auf das Kunst­feld be­zie­hen, son­dern die­ses mit so­zia­len Be­we­gun­gen zu­sam­men­füh­ ren. Zwi­schen den anti­dis­kri­mi­nie­ren­den For­de­run­gen von so­zia­len Be­we­gun­gen und den In­ten­tio­nen von künst­le­ri­schen Inter­ven­tio­nen lässt sich seit den 1970er Jah­ren ein eman­zi­pa­to­ri­sches, so­li­da­ri­sches Han­deln als ge­mein­same Ba­sis be­ schrei­ben. Aus­ge­hend von die­ser Be­ob­ach­tung be­schäf­ti­gen sich die Ver­fas­se­rin­ nen vor al­lem mit fe­mi­nis­ti­schen und anti­ras­sis­ti­schen Pro­jek­ten und Per­spek­ti­ ven. Sie ver­ste­hen künst­le­ri­sche Inter­ven­tio­nen als eman­zi­pa­to­ri­sche Prak­ti­ken, in­so­fern als sie neue, auch kon­flikt­hafte und wi­der­sprüch­li­che Hand­lungs­räume an den Schnitt­stel­len von künst­le­ri­scher Arbeit, so­zia­len Be­we­gun­gen und Bil­ dungs­pro­zes­sen er­öff­nen kön­nen. In dem Bei­trag Kul­tur­ver­mitt­lung als kri­ti­sche Pra­xis: Pro­zesse des Quee­ rings und des Emp­ower­ments in der Arbeit mit Ju­gend­li­chen ar­gu­men­tie­ren Elke Zobl und Ri­carda Drüe­ke, dass für die kul­tu­relle und po­li­ti­sche Ju­gend­arbeit die

Kul­tur pro­du­zie­ren: Zu­gän­ge, Öf­fent­lich­kei­ten, Pra­xis­fel­der

Ver­knüp­fung ei­ner kri­ti­schen ge­sell­schaft­li­chen Per­spek­tive mit ei­nem Kon­zept, das zu ei­ge­nen kul­tu­rel­len Pro­duk­tio­nen an­regt, ein gro­ßes Potenzial be­sitzt. Die Per­spek­tive des Quee­rings wird mit An­sät­zen der kri­ti­schen Kunst- und Kul­tur­ ver­mitt­lung ver­bun­den, denn so­wohl queere An­sätze als auch künst­le­ri­sche und kul­tu­relle Pro­duk­tio­nen eig­nen sich da­zu, als ,na­tür­lich‘ an­ge­se­hene Wis­sens­be­ stände zu hin­ter­fra­gen und Ir­ri­ta­tio­nen aus­zu­lö­sen. Die Au­to­rin­nen zei­gen an­hand ei­ner Be­schrei­bung von Work­shops mit Ju­gend­li­chen auf, wie ein Hand­lungs­raum er­öff­net wird, in dem eine Dis­kus­sion und Re­fle­xion von he­ge­mo­nia­len Deu­tungs­ mus­tern – bei­spiels­weise von Ge­schlecht, Se­xua­li­tät und Kör­per – mög­lich wird und he­ge­mo­niale Zu­schrei­bungs- und Bild­po­li­ti­ken durch (kri­ti­sche) kul­tu­relle Pro­duk­tio­nen trans­for­miert wer­den kön­nen. Ab­schlie­ßend dis­ku­tie­ren sie an­hand von (Bild-)Ma­te­ria­lien, wie ein Quee­ring des do­mi­nan­ten Blicks und so­mit eine De­kon­struk­tion von (schein­ba­ren) Nor­mali­tä­ten aus­se­hen könn­te. Pers­son Perry Baum­gar­tin­ger und Vlatka Frketić arbei­ten in ihrem den Band ab­schlie­ßen­den Bei­trag Kri­ti­sches Di­ver­sity und Kul­tur­arbeit: Wenn Ak­ti­vis­mus und Er­fah­rungs­wis­sen in den Mit­tel­punkt ge­rückt wer­den aus­ge­wählte As­pekte des Kri­ti­schen Di­ver­sity her­aus, die für eine trans­for­ma­tori­sche Kul­tur­arbeit wich­tig sind. Da­bei wird eine in an­de­ren Di­ver­si­ty-An­sät­zen we­nig be­ach­tete Per­spek­tive ein­ge­nom­men: die des ak­ti­vis­ti­schen bzw. auf Ak­ti­vis­mus so­wie auf Er­fah­rungs­wis­sen auf­bau­en­den Stand­punkts. Die Autor_in­nen dis­ku­tie­ren als vier zen­trale Prin­zi­pien des Kri­ti­schen Di­ver­sity Kri­tik, Lang­sam­keit, Re­spekt und Ver­ant­wor­tung. Wei­ters be­to­nen sie die Not­wen­dig­keit, den Fo­kus von In­di­vi­dua­ lis­mus hin zu Struk­tu­ren und Nor­men zu ver­än­dern so­wie Di­ver­sity als stets un­ ab­ge­schlos­se­nen Pro­zess zu ver­ste­hen. Kri­ti­sches Di­ver­sity be­zieht sich ei­ner­seits auf Theo­rien – ins­be­son­dere der Wie­ner Kri­ti­schen Dis­kurs­ana­ly­se, der Queer und der Trans Stu­dies – und an­de­rer­seits auf Er­fah­run­gen in der Er­wach­se­nen­bil­dung und der künst­le­risch-po­li­ti­schen Arbeit der Autor_in­nen. Zu­sätz­lich wer­den Stra­ te­gien ak­ti­vis­ti­scher anti­ras­sis­ti­scher, mi­granti­scher, quee­rer und trans* Kul­tur­ pro­duk­tion auf­ge­zeigt, um dar­zu­stel­len, wie in Ko­ope­ra­tio­nen in der Kul­tur­arbeit und in künst­le­risch-for­sche­ri­schen Kon­tex­ten mit un­glei­chen Macht­ver­hält­nis­sen um­ge­gan­gen wer­den kann. Ab­schlie­ßend geht der Bei­trag der Frage nach, in­wie­ fern eine (kri­ti­sche) Zu­sam­men­füh­rung von kri­ti­schen Di­ver­si­ty-An­sät­zen und kri­ti­scher Kul­tur­arbeit sinn­voll sein kann. Kurz vor Druck­le­gung des Ban­des wurde der Pro­gramm­be­reich Zeit­ge­nös­si­sche Kunst und Kul­tur­pro­duk­tion er­neut be­wil­ligt. In der im Ok­to­ber 2019 be­gin­nen­ den, nun­mehr drit­ten Pro­gramm­be­reichs­pe­riode soll fol­gende Frage im Mit­tel­ punkt ste­hen: Wie können künstle­risch-for­schende und trans­dis­zi­plinäre Ex­pe­ri­ men­tierräume ent­ste­hen, in denen bri­sante ge­sell­schaft­li­che The­men der Zeit und Dy­na­mi­ken des Wan­dels an der Schnitt­stelle von Wis­sen­schaft und Kunst be­arbei­ tet wer­den? Der in die­sem Band vor­ge­stellte Zu­gang zu Fra­gen von kri­ti­scher

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Elke Zobl, Eli­sa­beth Klaus, Anita Mo­ser, Pers­son Perry Baum­gar­tin­ger

künst­le­ri­scher und kul­tu­rel­ler Pro­duk­tion führt zu ei­ner Über­prüfung des Sta­tus der wis­sen­schaft­li­chen For­schung im Ver­gleich zu ,an­de­ren‘ For­men der Wis­sens­ pro­duk­tion und -ver­mitt­lung. Im Kon­text von par­ti­zi­pa­ti­ver künstle­ri­scher Pra­xis, selbstorganisierter Kul­tur­arbeit so­wie kri­ti­scher Kunst­ver­mitt­lung ha­ben sich in­ for­mel­le, so­ziale Ex­pe­ri­men­tier- und Wis­sensräume eta­bliert, die eine Tren­nung von Theo­rie und Pra­xis auf­he­ben und Rol­len­ver­tei­lun­gen zwi­schen Künstler_in­ nen, Kul­tur­pro­du­zent_in­nen, ,Ci­ti­zens‘ und Öffent­lich­kei­ten neu ver­han­deln. Es ha­ben sich hier Mo­delle von ,an­de­ren‘ Wis­sensräumen ent­wi­ckelt, denen in den nächs­ten Jah­ren mehr Auf­merk­sam­keit ge­schenkt wer­den soll. Der Pro­gramm­ be­reich wird des­halb als La­bor – ver­stan­den als Ex­pe­ri­men­tier- und Ver­hand­ lungs­raum an den Schnitt­stel­len von Wis­sen­schaft und Kunst so­wie von Kunst, Kul­tur und Ge­sell­schaft – geführt, in dem die Mit­glie­der des Teams ge­mein­sam mit Stu­die­ren­den und Ko­ope­ra­tions­part­ner_in­nen arbei­ten. Es soll ein Raum für For­schung ent­ste­hen, der zu ei­nem (selbst-)kri­ti­schen Re­flek­tie­ren und Han­deln an­regt und Ansätze er­probt, die in den herkömmli­chen Struk­tu­ren des Hoch­schul­ be­triebs eine mar­gi­nale Rolle spie­len. Wir hof­fen, dass die­ses Buch An­re­gun­gen für kri­ti­sche Kunst- und Kul­tur­pro­ jekte be­reit­hält, zu Nach­fra­gen und De­bat­ten führt und so zur Wei­ter­ent­wick­lung unse­rer Arbeit bei­tra­gen kann.

Zugänge

„Ein breites Verständnis der Förderung von Vielfalt zielt auf die umfassende Inklusion von Menschen ab, die aufgrund unterschiedlicher Ausschlüsse nicht zur Mehrheitsgesellschaft gezählt werden und/oder nicht an öffentlich geförderter Kultur teilhaben. Dazu gehören bspw. Menschen mit Rassismuserfahrung, mit Behinderung, mit nicht heteronormativer sexueller Orientierung und/oder Geschlechteridentität sowie Menschen aus beim Bildungszugang und/oder ökonomisch benachteiligten Familien.“ (Joshua Kwesi Aikins/Daniel Gyamerah 2016: 5)

Kri­ti­sche kul­tu­relle Pro­duk­tion im Kon­text

Kri­ti­sche kul­tu­relle Pro­duk­tion im Kon­text von Cul­tu­ral Stu­dies und Cul­tu­ral Ci­ti­zens­hip Eli­sa­beth Klaus, Elke Zobl

Kul­tur ist eine dy­na­mi­sche und kon­flikt­hafte Pra­xis. Sie wird kon­ti­nu­ier­lich ge­sell­schaft­lich pro­du­ziert und ist ge­prägt von Nor­men, he­ge­mo­nia­len Be­deu­ tungs­zu­schrei­bun­gen und Aus­schlüs­sen. Das tra­di­tio­nelle west­li­che, bür­ger­li­ che Ver­ständ­nis von Kul­tur ist ge­prägt durch Ab­gren­zung und Hier­ar­chi­sie­rung zwi­schen ge­sell­schaft­li­chen Schich­ten und zwi­schen ver­meint­lich ,Ei­ge­nem‘ und ,Frem­den‘ (vgl. Mörsch 2016). Be­stimmte Ar­te­fakte oder Prak­ti­ken wer­ den dem­nach als ,Kul­tur‘ oder ,Kunst‘ aus­ge­wie­sen, wäh­rend an­dere diese Be­ zeich­nung nicht zu ver­die­nen schei­nen. In solch ein eli­tä­res, von der Idee ei­ner Hoch­kul­tur ge­präg­tes Ver­ständ­nis inter­ve­nie­ren die Cul­tu­ral Stu­dies.1 Sie neh­ men die Ana­lyse von Macht und Un­gleich­hei­ten, von Aus­schlüs­sen, aber auch von Selbst­re­prä­sen­ta­tion und Er­mäch­ti­gung, So­li­da­ri­tät und ge­sell­schaft­li­cher Ver­ant­wor­tung in den Fo­kus. Ent­schei­dend ist da­bei, dass sie die Gleich­set­zung von ,Kul­tur‘ mit ,Hoch­kul­tur‘ de­zi­diert ab­leh­nen. Statt­des­sen ver­ste­hen die Cul­ tu­ral Stu­dies Kul­tur als um­fas­sende Pra­xis, als „do­ing culture“, die all­tags­kul­ tu­rell re­pro­du­ziert wird und eng mit dem So­zia­len ver­bun­den ist (vgl. Hör­ning/ Reu­ter 2004). In­dem da­mit eine Viel­zahl ganz unter­schied­li­cher Prak­ti­ken in den Blick rückt, wird ein Zu­gang er­öff­net, der künst­le­ri­sche Aus­drucks­for­men und all­tags­kul­tu­rel­le, me­diale Pro­duk­tio­nen auf eine Ebene stellt und auch ihre Über­schnei­dun­gen und Brü­che um­fasst.

1 Mörsch weist dar­auf hin, dass ver­schie­dene Be­we­gun­gen an der Er­wei­te­rung des Kul­ tur­be­griff be­tei­ligt wa­ren, wie „die eu­ro­päi­schen Be­we­gun­gen der Arbei­ter­bil­dung, […], die sich gegen die ,mu­si­sche Bil­dung‘ ab­gren­zende ,kul­tu­relle Bil­dung‘ in der BRD, die la­tein­ame­ri­ka­ni­sche Be­freiungs­päd­ago­gik oder die Wi­der­stands­be­we­gun­gen der De­ko­lo­ni­sie­rung und der In­di­ge­nen“ (Mörsch 2016: o. S.).

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Z u ­gänge am P ro ­gra mm ­b e ­reich Z eit ­ge ­nös ­si ­sche K unst und K ul­tur ­pr o ­duk ­ti on Unsere Aus­ein­an­der­set­zung am Pro­gramm­be­reich Zeit­ge­nös­si­sche Kunst und Kul­tur­pro­duk­tion mit künst­le­ri­schen und kul­tu­rel­len Prak­ti­ken der letz­ten 30 bis 40 Jahre rich­tet sich vor al­lem auf pro­zess­orien­tier­te, selbstorganisierte For­ men an der Schnitt­stelle zur Zi­vil­ge­sell­schaft, die mit An­sät­zen der Par­ti­zi­pa­tion, Kol­la­bo­ra­tion, Kon­text- und Lo­kal­spe­zi­fi­tät arbei­ten. Dass diese An­sätze je­doch fort­lau­fend im Hin­blick auf neue Aus­schlüsse re­flek­tiert wer­den müs­sen, zeigt sich u. a. im Kon­text par­ti­zi­pa­ti­ver künst­le­ri­scher Prak­ti­ken. Mit par­ti­zi­pa­ti­ven Kunst­pro­jek­ten kann – trotz gegen­tei­li­ger Ab­sich­ten der Künst­ler_in­nen – eine Ver­fes­ti­gung un­glei­cher Macht­struk­tu­ren oder eine In­stru­men­ta­li­sie­rung der ein­ be­zo­ge­nen Grup­pen ein­her­ge­hen, wenn diese nur in Tei­len in vor­struk­tu­rierte Pro­ jekte ein­be­zo­gen wer­den und de­ren Ver­lauf und Ver­wer­tung nicht mit­be­stim­men kön­nen (vgl. Mi­levska 2016). Be­zugs­punkte unse­rer Arbeit bil­den ins­be­son­dere künst­le­ri­sche und kul­tu­relle Inter­ven­tio­nen, so­zial en­ga­gierte Kunst so­wie so­zio­kul­tu­relle In­itia­ti­ven an der Schnitt­stelle zu All­tags- und/oder Ju­gend­kul­tu­ren. Ent­schei­dend ist, dass sie eine ge­sell­schaft­li­che Re­fle­xion, die Ar­ti­ku­la­tion neuer Sicht- und Wahr­neh­mungs­wei­ sen so­wie das Ein­grei­fen in Öf­fent­lich­kei­ten er­mög­li­chen. Aus die­ser Per­spek­tive spielt die Fra­ge, „Ist das Kunst und je­nes nicht?“ eine unter­ge­ord­nete Rol­le, weil sie le­dig­lich im Kon­text spe­zi­fi­scher Ar­ti­ku­la­tio­nen, be­stimm­ter Prak­ti­ken und ihrer öf­fent­li­chen Re­so­nanz be­ant­wor­tet wer­den kann. Öf­fent­lich­keit ver­ste­hen wir als ei­nen ge­sell­schaft­li­chen Selbst­ver­stän­di­gungs­ pro­zess. Auf den Ebe­nen der po­li­ti­schen In­si­tu­tio­ne­nen, von zi­vil­ge­sell­schaft­li­che Grup­pen und nicht-or­ga­ni­sier­ten Ak­teur_in­nen wer­den Wirk­lich­keits­kon­struk­tio­nen ver­han­delt. Da­bei han­delt es sich um ei­nen kon­flikt­haf­ten Pro­zess, in dem Macht­ver­ tei­lun­gen, Nor­men und Werte ei­ner Ge­sell­schaft be­stä­tigt, aus­ge­han­delt oder auch hin­ter­fragt wer­den (vgl. Klaus 1998). Da­her spre­chen wir von Öf­fent­lich­kei­ten im Plu­ral. Par­ti­zi­pa­tion be­deu­tet in die­sem Kon­text die Er­öff­nung von Mög­lich­kei­ten, an ver­schie­de­nen Öf­fent­lich­kei­ten teil­zu­ha­ben und diese selbst­be­stimmt mit­zu­ge­stal­ten. Mit dem Be­zug auf die Cul­tu­ral Stu­dies in unse­rer Arbeit – die wir in die­ sem Band in der Dia­lek­tik von Theo­rie und Pra­xis re­flek­tie­ren – rü­cken Fra­gen zum All­tags­han­deln von Men­schen als kul­tur­pro­du­zie­ren­der und kon­flikt­haf­ter Pro­zess in den Vor­der­grund. Die­ser be­in­hal­tet Mög­lich­kei­ten der Er­mäch­ti­gung, der An­eig­nung und der Kri­tik ebenso wie die Re­pro­duk­tion von Aus­schlüs­sen, Macht­me­cha­nis­men und Un­gleich­hei­ten. Da­bei spielt die Er­kennt­nis eine grund­ le­gende Rol­le, dass Men­schen in die kul­tu­relle Be­deu­tungs­pro­duk­tion und die da­mit ver­bun­de­nen Mach­ver­hält­nisse ein­grei­fen kön­nen, in­dem sie selbst zu Kul­ tur­pro­du­zent_in­nen wer­den – wie dies sehr schön in der Zeich­nung der Zi­ne- und Co­mic-Ma­che­rin Me­la­nie Mad­di­son zum Aus­druck kommt:

Kri­ti­sche kul­tu­relle Pro­duk­tion im Kon­text

Abbildung  1: Me­la­nie Mad­di­son (Groß­bri­tan­nien) (Ab­druck mit Ge­neh­mi­gung)

Quelle / © Me­la­nie Mad­di­son

Im Folgenden er­läu­tern wir drei im Kon­text der Cul­tu­ral Stu­dies ent­wi­ckelte Schlüs­sel­kon­zep­te, die die Grund­la­gen für unsere Aus­ein­an­der­set­zung mit kri­ti­ schen kul­tu­rel­len und künst­le­ri­schen Prak­ti­ken lie­fern: Kul­tur als „a whole way of life“, der Kreis­lauf kul­tu­rel­ler Be­deu­tungs­pro­duk­tion und Cul­tu­ral Ci­ti­zens­hip. Zum Ab­schluss fra­gen wWir, wel­che Per­spek­tive diese Kon­zepte für eine kri­ ti­sche kul­tu­relle Pro­duk­tion er­öff­nen, die auf Teil­habe und Emp­ower­ment von Men­schen und die Ver­än­de­rung von Macht­ver­hält­nis­sen ab­zielt2.

2 Dieser Bei­trag fußt auf ver­schie­de­nen am Pro­gramm­be­reich ge­leis­te­ten Vor­arbei­ten und Pu­bli­ka­tio­nen. Neben den im Text zi­tier­ten, sind das u. a. Lang 2015a; Lang/Zobl 2015; Lang/Klaus/Zobl 2015; Zobl/Lang 2012.

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Cultural Studies: Kul­tur als „a whole

way of life “

Der eng­li­sche Kul­tur­wis­sen­schaft­ler Ray­mond Wil­liams hat 1958 Kul­tur als „a whole way of life“ be­schrie­ben, wo­mit er den Grund­stein für die Cul­tu­ral Stu­ dies leg­te. Diese De­fi­ni­tion wird des­halb so oft zi­tiert, weil sie ei­nen Para­dig­men­ wech­sel kenn­zeich­net, in­dem sie sich be­wusst gegen die da­ma­lige und bis heute wir­kende Gleich­set­zung von Kul­tur mit Hoch­kul­tur wand­te. Statt­des­sen be­tont Wil­liams in sei­ner De­fi­ni­tion, dass Kul­tur als ,ganze Le­bens­wei­se‘ in all­täg­li­chen Ge­wohn­hei­ten, Hand­lun­gen und Gegen­stän­den ihren Aus­druck fin­det. Wil­liams’ De­fi­ni­tion be­in­hal­tet da­mit in zweier­lei Hin­sicht eine Neu­ver­or­tung. Wäh­rend der Be­griff der Hoch­kul­tur mit Pro­duk­ten und Ar­te­fak­ten wie li­te­ra­ri­sche Tex­te, mu­si­ka­li­sche Kom­po­si­tio­nen oder Werke der bil­den­den Kunst stark ver­bun­den ist, fo­kus­siert Wil­liams dem­gegen­über vor al­lem auf jene Prak­ti­ken und Pro­zes­ se, die zur Ent­ste­hung be­stimm­ter Werke und Pro­dukte und ihrer Be­wer­tung als Kunst füh­ren. Wei­ter wird Kul­tur da­mit auch aus der Bin­dung an eine pri­vi­le­ gierte Schicht/Klasse be­freit, die kul­tu­relle Ar­te­fakte in Auf­trag gibt und für sich re­kla­miert. Mit die­ser Ver­schie­bung hin zu ei­nem wei­ten Kul­tur­be­griff öff­nete Wil­liams das Feld für die Cul­tu­ral Stu­dies, die nun auf All­tags- und Po­pu­lär­kul­ tur fo­kus­sier­ten und Arbei­ter-, Ju­gend-, Mäd­chen- und Sub­kul­tu­ren unter­such­ ten. Wich­tig war da­bei auch ein Blick­wech­sel von der (bis dato do­mi­nie­ren­den) Er­for­schung des Kon­sum­ver­hal­tens hin zu Men­schen als ,Cul­tu­ral Pro­du­cers‘, die Kul­tur her­stel­len und da­bei ihre Iden­ti­tä­ten ent­wer­fen. So hat etwa hat An­ gela McRob­bie (McRob­bie/Gar­ber 2006 [1975]; McRob­bie 1991, 2010) weib­li­ che Sub­kul­tu­ren und kul­tu­relle Prak­ti­ken von Mäd­chen und jun­gen Frauen*, zum Bei­spiel in Be­zug auf Mu­sik und Tanz oder die Pro­duk­tion von Ma­ga­zi­nen, unter­ sucht und diese da­mit als ei­gene Kul­tur über­haupt erst sicht­bar ge­macht. Kul­tur wird in den Cul­tu­ral Stu­dies als Teil des All­tags ver­stan­den und fin­det in der ge­leb­ten All­tags­pra­xis ver­schie­de­ner Grup­pen und Klas­sen ihren Aus­druck. Mit dem Ver­ständ­nis von Kul­tur als ,gan­zer Le­bens­wei­se‘ er­öff­nen sich an­dere Fra­gen als die, die im Hin­blick auf künst­le­ri­sche und kul­tu­relle Pro­zesse zu­vor ge­stellt wur­den: Wel­che Rolle spielt (Po­pu­lär-)Kul­tur im Selbst­ver­ständ­nis von Ge­sell­schaf­ten und Grup­pen? Wie wird durch Kul­tur Macht aus­ge­übt und Un­ gleich­heit her­ge­stellt? Wie wird im All­tag Kul­tur an­ge­eig­net und pro­du­ziert? Wel­ che Par­ti­zi­pa­tions­mög­lich­kei­ten kön­nen sich da­durch er­öff­nen? Wie ge­sche­hen kul­tu­relle Aus­schlüsse und kul­tu­relle Inter­ven­tio­nen? Diese Fra­gen las­sen sich auf ein weitgefächertes Spek­trum an Prak­ti­ken an­ wen­den, die der Kul­tur­be­griff der Cul­tu­ral Stu­dies um­fasst: „In cul­tu­ral stud­ies tra­di­tions, then cul­ture is un­der­stood both a way of life – en­com­pass­ing ideas, at­ti­tudes, lan­guages, prac­tices, in­sti­tu­tions, and struc­tures of power – and a whole

Kri­ti­sche kul­tu­relle Pro­duk­tion im Kon­text range of cul­tu­ral prac­tices: ar­tis­tic forms, texts, canons, ar­chi­tec­ture, mass-pro­duced com­ mod­ities, and so forth.“ (Gross­berg/Nes­lon/Treich­ler 1992: 4)

Dieser Kul­tur­be­griff ist ein­ge­bet­tet in ein über­grei­fen­des po­li­ti­sches Ziel, Ge­sell­ schaft­ver­än­de­rung im Sinne von De­mo­kra­tie, In­klu­sion und Eman­zi­pa­tion al­ler Men­schen zu er­rei­chen. Kers­tin Gold­beck (2004) cha­rak­te­ri­siert die Cul­tu­ral Stu­ dies wie folgt: „Bei den Cul­tu­ral Stu­dies han­delt es sich um ein in­tel­lek­tuel­les Pro­jekt, das sich all­täg­li­chen kul­tu­rel­len Prak­ti­ken wid­met und sie in ihrer kon­tex­tu­el­len Ein­bet­tung mit be­son­de­rem Blick auf die kon­text­spe­zi­fi­schen Macht­ver­hält­nisse ana­ly­siert. Cul­tu­ral Stu­dies arbei­ten inter­dis­zi­pli­när und wol­len po­li­tisch Mög­lich­kei­ten be­reit­stel­len, die ei­ge­nen ge­sell­schaft­ li­chen Kon­texte zu ver­än­dern.“ (Ebd.: 28)

Wenn Kul­tur in die­sem Sinne als ge­lebte All­tags­pra­xis ver­stan­den wird, dann rü­ cken auch die so­zia­len, po­li­ti­schen, recht­li­chen, wirt­schaft­li­chen, tech­ni­schen so­ wie me­dia­len Kon­texte kul­tu­rel­ler Pro­duk­tion in den Blick. Kul­tur ist ge­prägt von kon­flik­tä­ren In­ter­es­sen und unter­schied­li­chen An­sprü­chen und bringt die be­ste­ hen­den ge­sell­schaft­li­chen Macht­ver­hält­nisse zum Aus­druck. Diese wer­den durch Kul­tur (re-)pro­du­ziert, in An­pas­sung an sich wan­delnde ge­sell­schaft­li­che Be­din­ gun­gen aber auch mo­dif­ziert und durch Ein­griffe von Gegen­öf­fent­lich­kei­ten ver­ än­dert. Das­selbe gilt für die kul­tu­rel­len, so­zia­len und po­li­ti­schen Iden­ti­tä­ten, die in all­täg­li­chen Prak­ti­ken und Ein­stel­lun­gen ihren Aus­druck fin­den. Bei­de, Kul­tur und Iden­ti­tät, wer­den da­mit als dy­na­mi­sche, kon­flikt­hafte Prak­ti­ken sicht­bar. Die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Ver­hält­nis von Macht, Iden­ti­tät und Kul­tur wurde auch als ,ma­gi­sches Drei­eck‘ be­zeich­net (Mar­chart 2003; vgl. auch Hepp/ Win­ter 1999), das zu­gleich An­gel­punkt des Selbst­ver­ständ­nis­ses und Hand­lungs­ feld der Cul­tu­ral Stu­dies ist. Kul­tur ist eben auch als ge­sell­schafts­po­li­ti­sches und macht­ge­präg­tes, die ge­sell­schaft­li­chen Ver­hält­nisse und Hier­ar­chien re­pro­du­zie­ ren­des Be­deu­tungs­feld auf­zu­fas­sen. Eine sol­che Kon­zep­tua­li­sie­rung hat tiefgreifende Kon­se­quen­zen für die Kunstund Kul­tur­ver­mitt­lung ebenso wie für die edu­ka­tive Pra­xis. So fragt der ka­na­di­sche Er­zie­hungs­wis­sen­schafter Rubén Gaz­tam­bi­de-Fern­án­dez (2014) da­nach, was das Eti­kett ,Kunst‘ und wel­che Kon­se­quen­zen die in­halt­li­che Rah­mung mit ,Kunst‘ im Bil­dungs­kon­text (der Schu­le) be­deu­ten. Er ar­gu­men­tiert für ei­nen An­satz der kul­tu­rel­len Pro­duk­tion und ei­nen Fo­kus auf das Tun der be­tei­lig­ten Ak­teur_in­nen (vgl. ebd.). Er kri­ti­siert, dass vie­len Dis­kur­sen über die Künste und ihre Wir­kun­gen ein eli­tä­res Ver­ständ­nis zu­grunde liegt und plä­diert für eine Um­orien­tie­rung hin zu „Kul­tur als eine Pra­xis“ (vgl. ebd.: 70) im Sinne der Cul­tu­ral Stu­dies. Denn in die­sem Kul­tur­ver­ständ­nis ist „sym­bo­li­sche Krea­ti­vi­tät“ nicht das Pri­vi­leg der Küns­te, son­ dern sie ist Teil des all­täg­li­chen Han­delns al­ler Men­schen. Gaz­tam­bi­de-Fern­án­dez ar­gu­men­tiert, dass es sich beim Be­griff der Künste um ein „dis­kur­si­ves Kon­strukt“ han­delt und dass „das Spre­chen über die Künste zu be­stimm­ten Zwe­cken ein­ge­setzt

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wird“ (ebd.: 55). Auf­grund der eli­tä­ren und eu­ro­zen­tri­schen Auf­la­dung des Be­griffs schlägt Gaz­tam­bi­de-Fern­án­dez vor, im Bil­dungs­kon­text nicht mehr pri­mär von den Küns­ten zu spre­chen, son­dern von „sym­bo­li­scher und kul­tu­rel­ler Arbeit“ bzw. „sym­ bo­li­scher Krea­ti­vi­tät“ als kul­tu­rel­ler Pro­duk­tion (vgl. ebd.: 56). Die­ser Vor­schlag, den Kunst­be­griff in der Schule zu­guns­ten ei­nes Ver­ständ­nis­ses von „Kul­tur als Pra­xis“ zu er­set­zen, er­scheint auf den ers­ten Blick ra­di­kal, kann aber eine Ver­schie­bung des Bli­ckes be­deu­ten und ei­nen er­mäch­ti­gen­den Hand­lungs­raum für die Schü­ler_in­nen in Be­zug auf ihre ei­ge­nen kul­tu­rel­len Prak­ti­ken er­öff­nen. Auch der fran­zö­si­sche So­zio­loge Pierre Bour­dieu hat sich mit dem Kon­strukt und dem ge­sell­schaft­li­chen Sta­tus von Kunst und Kul­tur be­schäf­tigt. Er geht da­bei je­doch stär­ker von ei­ner an den ge­sell­schaft­li­chen Struk­tu­ren orien­tier­ten Per­spek­tive aus. In sei­nen Arbei­ten hat er das Auf­ein­an­der­be­zo­gen­sein von Kul­tur als Le­bens­weise so­zia­ler Klas­sen und als Ord­nungs­sys­tem zur Si­che­rung ge­sell­schaft­li­cher Hier­ar­ chien em­pi­risch unter­sucht und theo­re­tisch ge­fasst. Für den So­zio­lo­gen sind so­ziale Po­si­tion, Ha­bi­tus und Le­bens­stil zen­trale Kon­zep­te, um zu er­klä­ren, wie Die fei­nen Unter­schiede (1978) in den Äu­ße­rungs­for­men der Men­schen – ihrer Klei­dung, ihrer Ein­rich­tung, ihren Hör- und Seh­vor­lie­ben etc. – zu den ge­sell­schaft­li­chen Hier­ar­ chien und Macht­ver­hält­nis­sen bei­tra­gen und diese im All­tags­han­deln re­pro­du­zie­ren. Kunst und Kul­tur ha­ben dem­nach eine Dis­tink­tions­funk­tion, die zur Re­pro­duk­tion von so­zia­len Un­gleich­heits­ver­hält­nis­sen we­sent­lich bei­trägt, weil sie Men­schen auf ihre Plätze in der Ge­sell­schaft ver­weist. Bour­dieu be­tont also vor al­lem die Funk­ tion von Kunst und Kul­tur im Rah­men der Auf­recht­er­hal­tung der ge­sell­schaft­li­chen Hier­ar­chien. Da­mit tritt er den manch­mal mit den Cul­tu­ral Stu­dies ver­bun­de­nen allzu op­ti­mis­ti­schen Vor­stel­lun­gen ent­gegen, Ge­sell­schafts­ver­än­de­rung al­lein durch par­ ti­zi­pa­tive kul­tu­relle Prak­ti­ken be­wir­ken zu kön­nen. Zu­gleich ist Bour­dieus Kon­zep­ tua­li­sie­rung der Le­bens­wei­se, also der kul­tu­rel­len Aus­drucks­for­men der Men­schen, als un­mit­tel­bare Folge ihrer so­zia­len Po­si­tio­nie­rung in der Ten­denz de­ter­mi­nis­tisch. Seine Theo­rie unter­schätzt da­mit die Mög­lich­kei­ten der Men­schen, sich ei­ge­ne, in Tei­len selbst­be­stimmte und er­mäch­ti­gende kul­tu­relle Aus­drucks­for­men zu schaf­fen. Im Rah­men der Cul­tu­ral Stu­dies wurde die Fra­ge, wie Kul­tur­pro­duk­tion ei­ner­seits die be­ste­hen­den Hier­ar­chien le­gi­ti­miert, aber an­de­rer­seits eben auch par­tiell ver­ än­dern und Gren­zen von Ein- und Aus­schlüs­sen ver­schie­ben kann, im Kon­text des Kreis­laufs kul­tu­rel­ler Be­deu­tungs­pro­duk­tion in­ten­siv dis­ku­tiert.

D er K reis ­lauf kultu ­ ­rel ­ler B e ­deu ­tung ­pr o ­duk ­ti on Stuart Hall – ei­ner der füh­ren­den In­tel­lek­tuel­len der ,neuen Lin­ken‘ in Groß­bri­ tan­nien und lang­jäh­ri­ger Di­rek­tor des Cen­tre for Con­tem­po­rary Cul­tu­ral Stu­dies (CCCS) an der Uni­ver­si­tät Bir­ming­ham – hat sich in sei­nen For­schungs­fra­gen in­

Kri­ti­sche kul­tu­relle Pro­duk­tion im Kon­text

ten­siv mit dem Ver­hält­nis von Kul­tur, Iden­ti­tät und Macht be­schäf­tigt. Da­bei ver­ wen­det er für die ma­te­riel­len Pro­dukte kom­mu­ni­ka­ti­ver Pro­zesse den Be­griff des ,Tex­tes‘, der so­wohl sprach­li­che Äu­ße­run­gen als auch me­diale Ar­te­fakte um­fasst. Halls Encoding-decoding Mo­dell (vgl. Hall 1973; Krotz 2009) ver­deut­licht, dass ,Tex­te‘ so­wohl von den­je­ni­gen, die sie pro­du­zie­ren als auch von den­je­ni­gen, die sie re­zi­pie­ren, mit Be­deu­tun­gen ver­se­hen wer­den. Die Be­deu­tun­gen, die Pro­du­ zent_in­nen mit ihren Tex­ten trans­por­tie­ren wol­len, müs­sen da­bei kei­nes­wegs mit je­nen Be­deu­tun­gen über­ein­stim­men, wel­che die Re­zi­pient_in­nen dar­aus ab­le­sen. Das liegt dar­an, dass Texte – der Se­mio­tik und neu­eren Lin­guis­tik fol­gend – stets poly­sem, d. h. viel­deu­tig sind. Ein kom­mu­ni­ka­ti­ver Aus­tausch ist dem­zu­folge ein Pro­zess, in dem die Be­deu­tung ei­nes Tex­tes nicht durch des­sen Co­die­rung auf Sei­ten der Pro­du­zent_in­nen fest­ge­legt ist, son­dern im Pro­zess der Inter­pre­ta­tion, An­eig­nung und Ver­hand­lung durch die Re­zi­pie­ren­den mit ver­schie­de­nen Be­deu­ tun­gen be­legt wer­den kann. An die Über­le­gun­gen Halls an­knüp­fend hat Ri­chard John­son (1985) erst­ mals von ei­nem „circuit of culture“, ei­nem „Kreis­lauf der Kul­tur“ ge­spro­chen, in den a) der Text, b) seine Pro­duk­tion, c) seine Re­zep­tion bzw. Kon­sump­tion und schließ­lich d) die so­zia­len und kul­tu­rel­len Kon­texte zum Zeit­punkt der Text­zir­ku­ la­tion ein­ge­bun­den sind (vgl. Hepp 2010: 159 ff.; Göttlich 2015). Erst im Zu­sam­ men­wir­ken die­ser vier Ele­mente wird kul­tu­relle Be­deu­tung ge­ne­riert. Abbildung 2: Kreis­lauf­mo­dell der Kul­tur nach du Gay et al. (1997: 3)

Quel­le: Eigene Darstellung (in Anlehnung an Hepp 2009: 254)

Paul du Gay et al. (1997) ha­ben John­sons Mo­dell mo­di­fi­ziert und wei­ter­ent­wi­ ckelt. Ihre Über­le­gun­gen krei­sen da­bei um den von Fou­cault stam­men­den Be­griff der Ar­ti­ku­la­tion, der es er­laubt, kul­tu­relle Phä­no­mene nicht nur kon­tex­tu­ell, son­

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dern auch dis­kur­siv zu er­fas­sen: „Ar­ti­ku­la­tion meint […] ver­ein­facht for­mu­liert, dass ein­zelne Ele­mente durch ein dis­kur­si­ves In-Be­zie­hung-Set­zen ihre Be­deu­ tung ver­än­dern, wo­durch sie zu Mo­men­ten von et­was ,Grö­ße­rem‘ wer­den, näm­ lich der dis­kur­si­ven For­ma­tion“ (Hepp 2009: 253). Das Mo­dell von Paul du Gay et al. be­schreibt fünf Ar­ti­ku­la­tions­ebe­nen, die in ei­ner kom­ple­xen Be­zie­hung zu­ ein­an­der ste­hen. Die drei Ebe­nen Re­prä­sen­ta­tion, Pro­duk­tion und Kon­sum(tion) sind be­reits in den frü­he­ren Mo­del­len vor­han­den, wenn sie dort auch an­dere Be­ zeich­nun­gen tra­gen: Re­prä­sen­ta­tion – bei Hall als „Text“ be­zeich­net – um­fasst alle kul­tu­rel­len Pro­duk­te/Gü­ter, die im­ma­te­riell und/oder ma­te­riell re­zi­piert bzw. kon­su­miert wer­den kön­nen. Hall (1997) hat die Be­deu­tung von Re­prä­sen­ta­tio­nen her­aus­ge­stri­chen, denn sie rah­men unsere Vor­stel­lungs­welt und ent­schei­den dar­ über mit, was sag­bar und was un­sag­bar ist, was sicht­bar wird und was un­sicht­bar bleibt. Er schreibt: „It is by our use of things, and what we say, think and feel about them – how we rep­re­sent them – that we give them a mean­ing. In part, we give ob­jects, peo­ple and events mean­ing by the frame­works of in­ter­pre­ta­tion which we bring to them. In part, we give things mean­ing by how we use them, or in­te­grate them in­to our ev­ery­day prac­tices.“ (Ebd.: 3)

Pro­duk­tion meint die tech­ni­schen, öko­no­mi­schen und so­zia­len Be­din­gun­gen, unter denen das kul­tu­relle Gut von sei­nen Pro­du­zent_in­nen ge­schaf­fen wird und in den Kreis­lauf ein­fließt. Kon­sum be­schreibt den so­zia­len und kul­tu­rel­len Kon­ text, in dem ein Pro­dukt an­ge­eig­net und wie es ge­nutzt wird, also in den All­tag der Kon­su­ment_in­nen und Re­zi­pient_in­nen ein­fließt. Im Ver­gleich zu den Vor­gän­ger­mo­del­len fin­den sich im Kreis­lauf der Kul­tur bei du Gay et al. zwei neue Ebe­nen: Iden­ti­tät ver­weist auf die Art und Wei­se, wie die Gü­ter zur For­mung von Sub­jek­tivi­tä­ten bzw. Per­spek­ti­ven und Sicht­wei­ sen bei­tra­gen. Re­gu­la­tion um­fasst alle Grenz­set­zun­gen, die den Pro­zess der Be­ deu­tungs­pro­duk­tion re­gu­lie­ren, da­mit steu­ern und rah­men. Das um­fasst u. a. die recht­li­chen, tech­ni­schen, po­li­ti­schen und öko­no­mi­schen Be­din­gun­gen in­klu­sive der da­mit ver­bun­de­nen Re­gu­la­tions­me­cha­nis­men, die mit­be­stim­men, wel­ches Gut über­haupt wie pro­du­ziert wird, wel­che Re­prä­sen­ta­tio­nen dem­zu­folge zir­ku­ lie­ren und wel­che An­eig­nungs­prak­ti­ken mög­lich sind. Diese fünf Ele­mente bil­den in ihrer viel­fäl­ti­gen Ver­net­zung eine Art Kreis­lauf, in­ner­halb des­sen kul­tu­relle Be­ deu­tun­gen ent­ste­hen und im­mer wie­der neu ver­han­delt wer­den (vgl. Hepp 2010: 161; Göttlich 2015). In unse­rer Arbeit spielt der Kreis­lauf der Kul­tur eine wich­tige Rol­le, weil er ver­deut­licht, dass und wie Men­schen darin ein­grei­fen könnnen, in­dem sie sel­ber Kul­tur pro­du­zie­ren. Als Kul­tur­pro­du­zent_in­nen kön­nen sie neue, an­dere Re­prä­ sen­ta­tio­nen ent­wi­ckeln, die in der Folge in der Ge­sell­schaft zir­ku­lie­ren. Ein Bei­ spiel da­für lie­fern die unter dem Be­griff der Iden­ti­täts­po­li­tik zu­sam­men­ge­fass­

Kri­ti­sche kul­tu­relle Pro­duk­tion im Kon­text

ten Ak­ti­vi­tä­ten von Mit­glie­dern mar­gi­na­li­sier­ter Grup­pen, die eine an­er­ken­nende Sicht­bar­keit er­rei­chen wol­len. Die fe­mi­nis­ti­schen Be­we­gun­gen der 1970er Jahre wie auch die LGBTQI-Be­we­gun­gen zei­gen, dass Gegen­öf­fent­lich­kei­ten unter be­stimm­ten Be­din­gun­gen er­folg­reich neue Re­prä­sen­ta­tio­nen ver­an­kern und da­ durch so­ziale und kul­tu­relle Aus­schluss­me­cha­nis­men in Be­we­gung ge­ra­ten kön­ nen. Wie sol­che Er­folge mög­lich sind, wird in der so­zia­len Be­we­gungs­for­schung in­ten­siv dis­ku­tiert. Sie fragt da­nach, wie es mög­lich wird, dass mar­gi­na­li­sierte Grup­pen in der Öf­fent­lich­keit Ge­hör fin­den und he­ge­mo­niale Mei­nun­gen, Hal­ tun­gen und Hand­lun­gen in ihrem Sinne ver­än­dern kön­nen.3 Wir knüp­fen an die­ses For­schungs­feld an, in­dem wir par­ti­zi­pa­tive Öf­fent­lich­keits­theo­rien unse­rer Arbeit zu­grunde le­gen. Cul­tu­ral Ci­ti­zens­hip Das Kreis­lauf­mo­dell der Kul­tur grei­fen die Kom­mu­ni­ka­tions­wis­sen­schaft­le­rin­ nen Eli­sa­beth Klaus und Mar­greth Lü­nen­borg auf, um Ci­ti­zens­hip (,Staats­bür­ger­ schaft‘) und zi­vil­ge­sell­schaft­li­che Teil­habe in heu­ti­gen Me­dien- und Mi­gra­tions­ ge­sell­schaf­ten zu dis­ku­tie­ren. Sie fra­gen da­nach, unter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen und Be­din­gun­gen wem das Recht zu­ge­stan­den wird, in den Kreis­lauf der kul­ tu­rel­len Be­deu­tungs­pro­duk­tion ein­zu­grei­fen, also an der ge­sell­schaft­li­chen Be­ deu­tungs­pro­duk­tion teil­zu­ha­ben, und grei­fen dazu das Kon­zept ei­ner Cul­tu­ral Ci­ti­zens­hip auf (vgl. Klaus/Lü­nen­borg 2004a, 2004b, 2012; vgl. auch Ste­ven­son 2001). Das aus dem an­glo­ame­ri­ka­ni­schen Raum stam­mende Kon­zept der Cul­tu­ral Ci­ ti­zens­hip be­tont zi­vil­ge­sell­schaft­li­che An­sprü­che auf eine Mit­ge­stal­tung kul­tu­rel­ ler Be­deu­tungs­pro­duk­tion. Mit der Be­to­nung kul­tu­rel­ler Ci­ti­zens­hip er­wei­tert es den Fo­kus der tra­di­tio­nel­len Öf­fent­lich­keits- und De­mo­kra­tie­for­schung, die sich zum ei­nen auf die The­ma­ti­sie­rung po­li­ti­scher Be­tei­li­gungs­rechte von Bür­ger_in­ nen und zum an­de­ren auf die Be­deu­tung des Na­tio­nal­staats da­für be­schränkt hat. Der von Tho­mas M. Mar­shall 1949 aus­ge­arbei­tete Be­griff von Ci­ti­zens­hip geht dar­über hin­aus, in­dem er zi­vi­le/in­di­vi­du­el­le, so­ziale und po­li­ti­sche Rechte als die drei zen­tra­len Di­men­sio­nen von Ci­ti­zens­hip be­in­hal­tet (vgl. Mar­shall 1992).4 In sei­nem Bei­trag Post­mo­dern Cul­ture/Mo­dern Ci­ti­zens er­wei­tert Bryan S. Tur­ner 3 Der Be­griff der He­ge­mo­nie wird in den Cul­tu­ral Stu­dies von Gram­sci über­nom­men. Er fin­det heute auch von rechts­ex­tre­men Grup­pen, wie etwa den Iden­ti­tä­ren und bei der AFD Ver­wen­dung. Hier zeigt sich, dass die Be­we­gungs­for­schung sol­che anti­eman­zi­pa­ to­ri­schen Be­we­gun­gen zu we­nig be­rück­sich­tigt hat, denn diese ha­ben eine ebenso lange Tra­di­tion wie die Frei­heits-, Eman­zi­pa­tions- und De­mo­kra­tie­be­we­gun­gen. 4 Dies ist der Grund, warum wir den Be­griff Ci­ti­zens­hip ver­wen­den und nicht den deut­ schen Be­griff Staats­bür­ger­schaft, der wei­ter­hin an den Na­tio­nal­staat und po­li­ti­sche Be­ tei­li­gungs­rechte ge­bun­den ist.

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(1994) Mar­shalls Ty­po­lo­gie um die vierte Di­men­sion ei­ner Cul­tu­ral Ci­ti­zens­hip. Da­bei defi­niert er Citizenship „as a set of prac­tices which con­sti­tute in­di­vid­uals as com­pe­tent mem­bers of so­ci­ety“ (Turner 1994: 159). Tur­ner hebt mit die­ser De­fi­ni­tion her­vor, dass Ci­ti­zens als Mit­glie­der ei­ner Ge­mein­schaft durch die ver­ schie­de­nen so­zia­len, recht­li­chen, po­li­ti­schen und eben auch kul­tu­rel­len Prak­ti­ken kons­ti­tu­iert wer­den bzw. sich sel­ber kons­ti­tu­ie­ren. Öf­fent­li­che Teil­habe ba­siert da­mit (auch) auf der „Mög­lich­keit ei­ner um­fas­sen­den An­eig­nung der Kul­tur­pro­ duk­tion ei­ner Ge­sell­schaft“ (vgl. Klaus/Lü­nen­borg 2004b: 108). Die For­mu­lie­rung „An­eig­nung von ge­sell­schaft­li­cher Kul­tur­pro­duk­tion“ setzt keine ein­heit­li­che Kul­tur vor­aus, son­dern be­rück­sich­tigt die Viel­falt von kul­tu­rel­len Aus­drucks­for­men und er­langt in Mi­gra­tions­ge­sell­schaf­ten zu­sätz­li­che Be­deu­tung. In der ame­ri­ka­ni­schen Mi­gra­tions­for­schung wurde das Kon­zept etwa von Re­nato Ro­saldo (1994) auf­ge­grif­fen. Für ihn be­steht ge­rade in der An­er­ken­nung von Dif­ fe­renz die Es­senz des Kon­zep­tes von Cul­tu­ral Ci­ti­zens­hip. Entspre­chend defi­niert er diese als „the right to be dif­fer­ent (in terms of race, eth­nic­ity, or na­tive lan­guage) with­out com­pro­mis­ing one’s right to be­long, in the sense of par­tic­i­pat­ing in the na­ tion-state’s dem­o­cratic pro­cesses“ (Ro­sal­do 1994: 57). Als vor­der­grün­dig uni­ver­sel­les Prin­zip setzt Ci­ti­zens­hip ein wei­ßes, männ­li­ches, he­te­ro­se­xu­el­les Sub­jekt vor­aus und ne­giert die Mar­gi­na­li­sie­rung und den Aus­schluss an­de­rer Grup­pen (vgl. Fra­ser/ Gor­don 1994). Nach Ro­saldo be­deu­tet Cul­tu­ral Ci­ti­zens­hip des­halb An­er­ken­nung je­ner kul­tu­rell ver­mit­tel­ten An­nah­men und Prak­ti­ken, die Un­gleich­heit ge­rade auf Ba­sis ei­ner Gleich­heits­rhe­to­rik be­grün­den und ver­fes­ti­gen. Cul­tu­ral Citizenship lie­fert da­mit auch Aus­drucksmöglich­kei­ten für die For­de­rung­en mar­gin­a­li­sier­ter Grup­pen nach ge­sell­schaft­lich­er An­er­ken­nung: „Bridg­ing the dis­courses of the state and ev­ery­day life, of cit­i­zen­ship and cul­ture, the de­mand for res­pec­to5 is a de­fin­ing de­mand of Cultural Citizenship.“ (Ro­saldo 1999: 260) Kul­tur wird in dem durch Cul­tu­ral Ci­ti­zens­hip er­wei­ter­ten Mo­dell als „his­ to­risch und so­zial ge­bun­de­ner Vor­rat an sym­bo­li­schen Deu­tungs- und Inter­pre­ta­ tions­mög­lich­kei­ten“ (Klaus/Lü­nen­borg 2004a: 197) ver­stan­den, um zu be­to­nen, dass neben den in­di­vi­du­el­len, so­zia­len, recht­li­chen und po­li­ti­schen Hand­lungs­ räu­men kul­tu­relle Prak­ti­ken Ci­ti­zens­hip als Teil­habe an der Ge­sell­schaft kons­ti­ tu­ie­ren. Gleich­zei­tig wird mit die­ser vier­ten Di­men­sion Ci­ti­zens­hip aus ihrer na­ tio­na­len Be­zo­gen­heit ge­löst, die Mar­shall vor­aus­setzt und die ei­nen we­sent­li­chen Kri­tik­punkt an sei­nem Mo­dell dar­stellt. Das Kon­zept der Cul­tu­ral Ci­ti­zens­hip um­fasst dem­zu­folge „all jene kul­tu­rel­len Prak­ti­ken, die sich vor dem Hin­ter­grund un­glei­cher Macht­ver­hält­nisse ent­fal­ten und die kom­pe­tente Teil­habe an den sym­ bo­li­schen Res­sour­cen der Ge­sell­schaft er­mög­li­chen“ (Klaus/Lü­nen­borg 2004b: 103). Die heute auch dis­ku­tier­ten For­men von ar­tis­tic cit­zens­hip (vgl. El­li­ot/Sil­ 5 Vgl. zu dem Kon­zept auch und aus­führ­li­cher Ri­chard Sen­netts Re­spekt im Zeit­al­ter der Un­gleich­heit (2007).

Kri­ti­sche kul­tu­relle Pro­duk­tion im Kon­text

ver­man/Bow­man 2016) oder DIY cit­zens­hip (vgl. Hart­ley 1999: 154 f.; Rat­to/Bo­ ler 2014; Reit­sa­mer/Zobl 2014) se­hen wir als Teil von Cul­tu­ral Cit­zens­hip an, da de­ren Fo­kus auf ei­nen wei­ten, pro­zess­haf­ten Kul­tur­be­griff die bei­den an­de­ren For­men mit ein­schließt. Cul­tu­ral Ci­ti­zens­hip ver­weist auf die macht­volle Rolle von Kul­tur für ge­ sell­schaft­li­che Teil­habe und spricht da­mit neue As­pekte von Zu­ge­hö­rig­keit und Aus­ge­schlos­sen-Blei­ben, von In­klu­sion und Ex­klu­sion in der Ge­sell­schaft an, die heute noch deut­li­cher über kul­tu­relle Mar­kie­run­gen – etwa Spra­che, Klei­dung oder Re­li­gion – er­fol­gen. Für Gra­ham Mur­dock (1999: 11 f.; zu­erst 1994: 158 f.) be­in­hal­tet Cul­tu­ral Ci­ti­zens­hip des­halb die Mög­lich­keit, ei­gene kul­tu­relle Iden­ ti­tä­ten zu ent­wer­fen. Der eng­li­sche Kul­tur- und Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler fragt da­nach, wie die aus ei­ner Cul­tu­ral Ci­ti­zens­hip re­sul­tie­ren­den Rechte auf „kom­pe­ tente Teil­habe an den kul­tu­rel­len Res­sour­cen ei­ner Ge­sell­schaft“ (Klaus/Lü­nen­ borg 2004b: 103) ein­ge­for­dert wer­den kön­nen. Ihm zu­folge er­ge­ben sich dar­aus vier An­sprü­che, auf:

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In­for­ma­tio­nen, um Grund­la­gen für po­li­ti­sche und so­ziale Ent­schei­dun­gen zu be­sit­zen. Er­fah­run­gen, da­mit die Viel­falt mög­li­cher Le­bens­wei­sen zum Aus­druck ge­ bracht wer­den kann, die so­mit Ideen für ei­gene Iden­ti­täts­kon­zepte lie­fern kön­ nen. Wis­sen, als die Mög­lich­keit In­for­ma­tio­nen und Er­fah­run­gen sinn­voll zu inter­ pre­tie­ren und zu ver­knüp­fen. Das er­for­dert Zu­gang zu Er­klä­rungs­an­sät­zen, die das All­ge­meine mit dem Be­son­de­ren, das Ak­tu­elle mit dem his­to­risch Ge­ wach­se­nen, die Mi­kro­ebene mit der Ma­kro­ebene ver­bin­den. Teil­habe, die den In­di­vi­duen und Grup­pen eine Stimme ver­lei­hen und ihren ak­ti­ven An­teil am Rin­gen um Be­deu­tun­gen zum Aus­druck brin­gen. (vgl. Klaus/Lünen­borg 2004a: 202; Klaus/Lünen­borg 2012)

Das Kon­zept der Cul­tu­ral Ci­ti­zens­hip bil­det die Aus­gangs­ba­sis für Mit­spra­che, Mit­be­stim­mung und Mit­ge­stal­tung an ge­sell­schaft­li­chen und kul­tu­rel­len Ent­wick­ lun­gen und Pro­zes­sen. Folgt man Mur­dock, so ist die Vor­aus­set­zung für Ge­stal­ tungs­mög­lich­kei­ten unter­schied­li­cher Men­schen, dass ih­nen In­for­ma­tio­nen zur Ver­fü­gung ste­hen, auf de­ren Ba­sis Er­fah­run­gen ver­all­ge­mei­nert wer­den kön­nen. In­dem „Be­züge zur ei­ge­nen Le­bens­wirk­lich­keit sicht­bar wer­den“ (Klaus/Lü­nen­ borg 2004a: 200), kann auch neues Wis­sen über die ge­sell­schaft­li­chen Ver­hält­ nisse ge­won­nen wer­den. In unse­rer Les­art um­fas­sen In­for­ma­tion und Wis­sen nicht nur ko­gni­tive Pro­zes­se, son­dern schlie­ßen Mög­lich­kei­ten ei­nes Wiss­en­er­werbs durch z. B. neue äs­the­ti­sche Er­fah­run­gen ein. Denn diese ha­ben für die Ver­än­ de­rung der durch Macht ge­präg­ten Wahr­neh­mungs- und Wis­sens­ord­nun­gen der Ge­sell­schaft ei­nen wich­ti­gen Stel­len­wert.

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Die Pro­duk­tion von kul­tu­rel­len Be­deu­tun­gen um­fasst da­her so­wohl Deu­tungsund Inter­pre­ta­tions­pro­zes­se, die sich auf die in­di­vi­du­el­len Iden­ti­tä­ten be­zie­hen, als auch sol­che, die Grup­pen­zu­ge­hö­rig­kei­ten oder die ge­samte Ge­sell­schaft be­tref­fen. Cul­tu­ral Ci­ti­zens­hip be­deu­tet, jene kul­tu­rel­len Res­sour­cen zu mo­bi­li­sie­ren bzw. mo­bi­li­sie­ren zu kön­nen, die es er­lau­ben, in den Kreis­lauf der Be­deu­tungs­pro­duk­ tion ein­zu­grei­fen, über kul­tu­relle und ge­sell­schaft­li­che The­men mit­zu­ent­schei­den so­wie mit­zu­be­stim­men, wel­che Be­deu­tun­gen in der Ge­sell­schaft zir­ku­lie­ren, dort ver­han­delt, be­wer­tet, re­pro­du­ziert oder auch ver­än­dert wer­den. Eine der­art inter­ ve­nie­rende Teil­habe um­fasst ein ak­ti­ves Mo­ment der Mit­be­stim­mung und Mit­ ge­stal­tung kul­tu­rel­ler Be­deu­tungs­pro­duk­tion durch ver­schie­dene In­di­vi­duen bzw. Grup­pen. An den sym­bo­li­schen Res­sour­cen der Ge­sell­schaft gleich­be­rech­tigt teil­ zu­ha­ben, setzt die Mög­lich­keit vor­aus, kri­ti­sche Fra­gen auf­zu­wer­fen und kul­tu­ relle und ge­sell­schaft­li­che Teil­habe ein­zu­for­dern. Hier geht es um Er­mäch­ti­gung zu per­sön­li­chem Aus­druck, Wis­sens­er­werb und die Ent­wick­lung von kri­ti­scher Re­fle­xions­fä­hig­keit, die Mit­ge­stal­tung und ak­tive Teil­nahme an ei­ner grö­ße­ren Ge­mein­schaft – vir­tu­ell, kul­tu­rell, po­li­tisch – im Sinne ei­nes Cul­tu­ral Ci­ti­zen­ ship er­mög­li­chen.

K ri ­ti ­sche

kul­tu ­relle

P ro ­duk ­ti on

Wie oben dar­ge­legt, ver­ste­hen wir kul­tu­relle Be­deu­tungs­pro­duk­tion als zir­ku­lä­ren und kon­flikt­rei­chen Aus­hand­lungs- und Selbst­ver­stän­di­gungs­pro­zess. In die­sem wer­den Sicht­wei­sen und Ein­stel­lun­gen er­zeugt, auf­ge­nom­men und in ei­nem öf­ fent­li­chen Zir­ku­la­tions­vor­gang dis­tri­bu­iert, da­bei oft re­pro­du­ziert, aber manch­ mal eben auch neu ver­han­delt. Im Kreis­lauf der Kul­tur wird of­fen­sicht­lich, dass Ge­sell­schaf­ten, Grup­pen und Ein­zel­per­so­nen kon­ti­nu­ier­lich an die­sen Vor­gän­gen be­tei­ligt sind. Wird Kul­tur­pro­duk­tion als ein Pro­zess ver­stan­den, der sich vor al­ lem im All­tag und in den Le­bens­wei­sen der Men­schen ar­ti­ku­liert, dann rü­cken die zi­vil­ge­sell­schaft­li­che Mit­be­stim­mung, die Dy­na­mi­ken öf­fent­li­cher Ver­hand­ lung so­wie die (Re-)Pro­duk­tion von Un­gleich­hei­ten und Aus­schlüs­sen in den Mit­ tel­punkt des In­ter­es­ses. Ei­ner der Be­weg­gründe für künst­le­ri­sche und kul­tu­relle Inter­ven­tio­nen ist die starke Re­gu­lie­rung der kul­tu­rel­len Be­deu­tungs­pro­duk­tion, die von ge­sell­schaft­li­chen, po­li­ti­schen so­wie öko­no­mi­schen Macht­an­sprü­chen und von Kon­flik­ten und wi­der­sprüch­li­chen In­ter­es­sen ge­prägt ist. Kri­ti­sche kul­tu­relle Pro­duk­tion setzt an dem Wil­len an, „nicht der­ma­ßen re­ giert zu wer­den“ (Fou­cault 1992: 8) und ver­sucht, neue Er­fah­run­gen zu er­mög­li­ chen und da­mit an­dere Wahr­neh­mungs­wei­sen zu er­öff­nen und Wis­sens­re­gime zu ir­ri­tie­ren. Wir ver­ste­hen kri­ti­sche kul­tu­relle Pro­duk­tion als en­ga­gier­tes und pro­ duk­ti­ves Mit­ge­stal­ten der ei­ge­nen Le­bens­welt, die in kul­tu­relle und öf­fent­li­che Pro­zesse der Be­deu­tungs­pro­duk­tion ein­greift und auf zi­vil­ge­sell­schaft­li­cher Teil­

Kri­ti­sche kul­tu­relle Pro­duk­tion im Kon­text

habe und Kol­la­bo­ra­tion be­ruht. Da­bei grei­fen wir auf den Be­griff des ,Cul­tu­ral Pro­du­cers‘ bzw. der Kul­tur­pro­du­zent_in­nen zu­rück, um sicht­bar zu ma­chen, dass Men­schen die kul­tu­relle Be­deu­tungs­pro­duk­tion ei­ner Ge­sell­schaft in ei­nem kol­ la­bo­ra­ti­ven Pro­zess stets mit­be­stim­men und mit­ge­stal­ten. Die Frage ist al­ler­dings, wie be­wusst dies je­weils ge­schieht und wel­che prak­tisch-hand­werk­li­chen wie ge­ dank­lich-re­flek­tie­ren­den Mög­lich­kei­ten und er­mäch­ti­gen­den Hand­lungs­räume Men­schen da­für zur Ver­fü­gung ste­hen. Denn diese ge­hö­ren zu den Vor­aus­set­zun­ gen, um Kri­tik zu äu­ßern, neue Er­fah­run­gen zu ma­chen, die ge­sell­schaft­li­chen Rah­mun­gen zu ir­ri­tie­ren und da­mit Wis­sens­ord­nun­gen zu stö­ren. Die Schaf­fung von de­mo­kra­ti­schen Öf­fent­lich­kei­ten und von Räu­men, die zi­vil­ge­sell­schaft­li­che und kul­tu­relle Teil­habe er­mög­li­chen, sind für die­ses Ver­ständ­nis von kri­ti­scher kul­tu­rel­ler Pro­duk­tion zen­tral. Ihre wich­tigs­ten Re­fle­xions­mo­mente sind Par­ti­zi­ pa­tion und Kol­la­bo­ra­tion, Pri­vi­le­gie­rung und Aus­schlüs­se, in­ter­sekt­io­nale Ver­ schrän­kun­gen, so­ziale Un­gleich­heit und kul­tu­relle Ab­wer­tung. In den Bei­trä­gen in die­sem Buch fin­den sich unter­schied­li­che Bei­spiele da­zu. Künst­le­ri­sche und kul­tu­relle Prak­ti­ken, die ak­tiv Mit­spra­che an kul­tu­rel­len Pro­duk­tions­pro­zes­sen ein­for­dern und Aus­hand­lungs­pro­zesse an­sto­ßen, set­zen sich mit unse­ren all­täg­li­chen Be­deu­tungs­ras­tern und mit ak­tu­el­len ge­sell­schaft­ li­chen Phä­no­me­nen kri­tisch aus­ein­an­der, in­dem sie Ver­trau­tes, Ge­wohn­tes, Gän­ gi­ges hin­ter­fra­gen und viel­fäl­tige Wahr­neh­mungs­per­spek­ti­ven ent­wer­fen. Sie inter­ve­nie­ren – oft ex­pli­zit, zu­wei­len nur im­pli­zit – in das, was ak­tu­ell als Kul­tur ver­stan­den und ge­lebt wird: „Works of art, DIY cul­tu­ral forms, etc. […] ir­ri­ tate and chal­lenge the way we ,nor­mal­ly, see and do things. To­day a host of con­tem­po­rary art pro­duc­tions ex­ist that aim to re­flect on and in­ter­pret our cul­ tu­ral con­texts and the un­der­pin­nings of our dai­ly rou­tines.“ (Zobl/Klaus 2012: o. S.) Künst­le­ri­sche und kul­tu­relle Prak­ti­ken – vor al­lem an der Schnitt­stelle zum so­zia­len/po­li­ti­schen En­ga­ge­ment – ha­ben grund­sätz­lich das Potenzial, ge­ sell­schaft­li­che Ent­wick­lun­gen zu re­flek­tie­ren, neue (oder an­de­re) Sicht­wei­sen zu ar­ti­ku­lie­ren, Er­fah­rungs­räume zu öff­nen und kri­ti­sches Den­ken und Han­deln an­ zu­sto­ßen. Vor­aus­set­zung da­für ist ein kri­ti­scher Blick auf (ei­ge­ne) Pri­vi­le­gien, auf ge­sell­schaft­li­che Aus­schlüsse und Un­gleich­hei­ten und die Be­reit­schaft, so­li­ da­ri­sche Al­li­an­zen und Ko­ope­ra­tio­nen ein­zu­ge­hen. Zen­tral bleibt, über den „Hia­ tus zwi­schen Wirk­lich­keit und Mög­li­chem“ (Hark 2009: 31) und auch über die Dif­fe­renz von Wol­len und Be­wir­ken nach­zu­den­ken. Eine sol­che kri­ti­sche Pra­xis er­mög­licht, tra­dierte Be­deu­tun­gen nicht in ers­ter Li­nie zu re­pro­du­zie­ren, son­dern diese of­fen zu le­gen, da­mit der Kri­tik zu­gäng­lich zu ma­chen und zu ver­än­dern. Vor­aus­set­zung da­für ist die Fä­hig­keit, Fra­gen zu stel­len, Kri­tik – auch im Sinne ei­ner Selbst­re­fle­xion – zu for­mu­lie­ren und aus­zu­spre­chen, um ge­sell­schaft­li­che Pro­zesse mit­zu­ge­stal­ten, denn: „Kri­ti­sches Den­ken gibt uns die Mit­tel, die Welt so zu den­ken, wie sie ist und wie sie sein könnte.“ (Wac­quant 2006: 669 zi­tiert nach Hark 2009, Herv. i. O.)

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Theo­re­ti­sche Grund­la­gen kri­ti­scher kul­tu­rel­ler Pro­duk­tion

Theo­re­ti­sche Grund­la­gen kri­ti­scher kul­tu­rel­ler Pro­duk­tion Kri­tik in der zeit­ge­nös­si­schen Kunst- und Kul­tur­pro­duk­tion Ri­carda Drüe­ke, Eli­sa­beth Klaus

„Die Kunst nicht der­ma­ßen re­giert zu werden …“ – mit die­ser Aus­sage ver­weist Mi­chel Fou­cault auf Kri­tik als eine be­stimmte Hal­tung, die u. a. ein kri­ti­sches „Ver­hält­nis zur Kul­tur“ ein­be­zieht (Fou­cault 1992: 8). Gleich­zei­tig be­tont er mit dem Be­griff des „Re­gie­rens“ die Be­deu­tung von Macht und Herr­schaft und de­ren zen­trale Rolle in Sub­jek­ti­vie­rungs­pro­zes­sen. Eine Aus­stel­lung im Würt­tem­ber­gi­ schen Kunst­ver­ein in Stutt­gart – u. a. ku­ra­tiert von Yvonne P. Do­de­rer – griff im Jahr 2010 die­ses Zi­tat an­läss­lich der De­batte um das Bau­pro­jekt Stutt­gart 21 auf und prä­sen­tierte eine künst­le­ri­sche Ge­samt­in­stal­la­tion, die den Spu­ren des Wi­ der­stands folgte und nach den Trans­for­ma­tio­nen des Öf­fent­li­chen frag­te. Kunst und Kri­tik ste­hen nicht nur in die­sem Bei­spiel in ei­nem en­gen Zu­sam­men­hang. Viel­mehr wer­den die Mög­lich­kei­ten und Gren­zen von künst­le­ri­schen und kul­ tu­rel­len Pro­duk­tio­nen, in ge­sell­schaft­li­che Ver­hält­nisse zu inter­ve­nie­ren, po­li­ti­ sche De­fi­ni­tions­macht zu er­schüt­tern und neue Be­deu­tun­gen zu er­öff­nen, heute glei­cher­ma­ßen im zeit­ge­nös­si­schen Kunst­dis­kurs wie in Öf­fent­lich­keits­theo­rien um­fas­send dis­ku­tiert. Auch der Pro­gramm­be­reich Zeit­ge­nös­si­sche Kunst und Kul­tur­pro­duk­tion – Teil des inter­uni­ver­si­tä­ren Ko­ope­ra­tions­schwer­punkts Wis­sen­schaft und Kunst (Mo­zar­teum und Uni­ver­si­tät Salz­burg) – geht den Mög­lich­kei­ten und Gren­zen ei­ner an Eman­zi­pa­tion und so­zia­ler Ge­rech­tig­keit orien­tier­ten künst­le­ri­schen und kul­tu­rel­len Be­deu­tungs­pro­duk­tion nach. Das Nach­den­ken über Fra­gen da­nach, ob und wie Inter­ven­tion, Par­ti­zi­pa­tion und Er­mäch­ti­gung mit­tels künst­le­ri­scher Stra­ te­gien und kul­tu­rel­ler Pro­duk­tio­nen ge­lin­gen kann, hat sich so­wohl in ei­ner Reihe theo­re­ti­scher Arbei­ten nie­der­ge­schla­gen als auch zur prak­ti­schen Er­pro­bung von Um­set­zungs­mög­lich­kei­ten ge­führt. Ei­nen Bei­trag zur kri­ti­schen Wis­sens­pro­duk­ tion und zu kri­ti­schen Kul­tur- und Ge­sell­schafts­ana­ly­sen zu leis­ten, ist Fun­da­ment und Anker­punkt der Arbeit des Pro­gramm­be­reichs, denn das Zu­sam­men­spiel von Theo­rie und Pra­xis, von der Ana­lyse des Ge­ge­be­nen und dem Eru­ie­ren des Mög­

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li­chen ist ein zen­tra­les Merk­mal kri­ti­scher Theo­rie­pro­jekte (vgl. Hark 2009: 31). Die Arbeit am Pro­gramm­be­reich Zeit­ge­nös­si­sche Kunst und Kul­tur­pro­duk­tion durch­zieht die Re­fle­xion am „Hia­tus zwi­schen Wirk­lich­keit und Mög­li­chem“, wie es Sa­bine Hark (ebd.) for­mu­liert hat, und er ver­steht die Su­che nach Eman­zi­pa­tion und Ge­rech­tig­keit als „Uto­pie in Rea­li­sie­rung“ (Cas­tro Va­rela 2018: 13). Die­ser Bei­trag dient da­zu, die Tra­di­tions­li­nien und theo­re­ti­schen Be­zugs­punkte unse­res Kri­tik­pro­jek­tes of­fen zu le­gen. Da­für wäh­len wir ei­nen wis­sen­schafts­his­ to­ri­schen Zu­gang, des­sen Aus­gangs­punkt die Kritische Theorie1, ge­nauer ge­sagt die Kul­tur­in­dus­trie­ana­lyse von Adorno und Hork­hei­mer bil­det. Unter kri­ti­schen Ge­sell­schafts- und Kul­tur­theo­rien ver­ste­hen wir des Wei­te­ren in die­sem Bei­trag nicht nur sol­che An­sät­ze, die sich ex­pli­zit auf den Mar­xis­mus und die Kritische Theorie und ihre Haupt­ver­tre­ter_in­nen be­zie­hen, son­dern ebenso jene nor­ma­ti­ven Ent­wür­fe, die eine ge­rech­te­re, de­mo­kra­ti­schere Ge­sell­schaft zum Ziel ha­ben und die so­zia­len und kul­tu­rel­len Me­cha­nis­men der Her­stel­lung ge­sell­schaft­li­cher Un­ gleich­heit unter­su­chen. Wich­ti­ger als ein ex­pli­zi­ter Be­zug auf Marx oder Adorno er­scheint viel­mehr die bei al­ler Unter­schied­lich­keit ge­teilte Ein­sicht je­ner An­sät­ ze, „dass Dinge nicht not­wen­dig das sind, was sie schei­nen“ (Ro­goff 2003: o. S.). Dem­ent­spre­chend wer­den daran an­knüp­fend neuere An­sätze vor­ge­stellt und ihre Par­al­le­len, Wei­ter­ent­wick­lun­gen und auch Ab­wei­chun­gen und Dis­sen­sen zur Kritischen Theorie dis­ku­tiert. Da­bei in­ter­es­sie­ren uns vor al­lem jene Vor­schlä­ ge, die die Inter­ven­tions­mög­lich­kei­ten von Kunst- und Kul­tur­pro­duk­tio­nen in ge­ sell­schaft­li­che Ver­hält­nisse be­to­nen, Vor­schläge zur Aus­wei­tung der Gren­zen des Mög­li­chen be­in­hal­ten und dazu her­aus­for­dern, Pro­zesse der „Ent­un­ter­wer­fung“ (Fou­cault zit. nach Hark 2009: 31) zu den­ken. Dazu ge­hö­ren par­ti­zi­pa­tive Öf­fent­ lich­keits­theo­rien, Arbei­ten zur Be­deu­tung kul­tu­rel­ler Dis­tink­tion für die Her­stel­ lung von Un­gleich­heit, post­struk­tu­ra­lis­ti­sche An­sät­ze, die Cul­tu­ral Stu­dies so­wie die Gen­der Stu­dies ebenso wie neuere theo­re­ti­sche An­sät­ze, wie etwa die Post­ co­lo­nial Stu­dies oder die Queer Stu­dies. An­hand die­ser kri­ti­schen Theo­rien bzw. Theo­rie­pro­jekte dis­ku­tie­ren wir die Fra­ge, was Kri­tik heute be­deu­ten kann, und ge­hen ex­em­pla­risch der Frage nach, wel­che Be­deu­tung Kunst und Kul­tur in den je­wei­li­gen Kon­zep­tio­nie­run­gen er­hal­ten.

1 Wenn wir im Fol­gen­den die Groß­schrei­bung, also „Kri­ti­sche Theo­rie“, ver­wen­den, dann ist da­mit der sich um die Frank­fur­ter Schule grup­pie­rende For­schungs- und Wis­ sen­schafts­zu­sam­men­hang ge­meint. Spre­chen wir hin­gegen von „kri­ti­sche(n) Theo­ rie(n)“ in der Klein­schrei­bung und auch im Plu­ral, dann mei­nen wir das viel brei­tere Spek­trum ge­sell­schafts­kri­ti­scher Po­si­tio­nie­run­gen.

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D ie K ritische T heorie als G rund ­lage kri ­ti ­scher K ul­tur - und G e ­sell ­schafts ­w is ­sen ­schaf ­ten Zen­tral für die Ana­lyse und Ein­schät­zung von Kul­tur bei Adorno und Hork­hei­mer sind ihre Über­le­gun­gen zur Kul­tur­in­dus­trie, die sie vor al­lem in der Dia­lek­tik der Auf­klä­rung (1988) dar­ge­legt ha­ben. Die Auf­klä­rung, so Adorno und Hork­hei­mer, ist durch das Auf­kom­men der Kul­tur­in­dus­trie und der in­dus­triel­len Re­pro­duk­tion so­wie durch die Ver­mark­tung kul­tu­rel­ler Gü­ter existenziell be­droht. Mit dem Be­ griff der Kul­tur­in­dus­trie brin­gen Adorno und Hork­hei­mer zum Aus­druck, dass die Sphäre der Kul­tur ihre Eigen­stän­dig­keit ver­lo­ren hat und Kul­tur­gü­ter nun­mehr als Mas­sen­ware pro­du­ziert und an Ziel­grup­pen von Kon­su­ment_in­nen markt­för­mig ver­teilt wer­den. Po­pu­lär­kul­tu­relle In­halte tra­gen dem­nach dazu bei, dass die Ge­ sell­schaft ent­po­li­ti­siert und ge­sell­schaft­li­che Herr­schafts­ver­hält­nisse le­gi­ti­miert wer­den. Adorno und Hork­hei­mer ge­hen da­von aus, dass die Men­schen durch die Ver­brei­tung der Unter­hal­tungs­kul­tur ge­täuscht wer­den, da diese das Ver­gnü­gen von Re­zi­pient_in­nen stan­dar­di­siert und sie von ei­ner Ein­sicht in ihre Si­tua­tion ab­hält. Die Kul­tur­in­dus­trie gau­kelt zwar vor, dass die Kon­su­ment_in­nen zwi­ schen ver­schie­de­nen Pro­duk­ten und An­ge­bo­ten frei wäh­len kön­nen, fak­tisch wird je­doch das „Im­mer­glei­che“ an­ge­bo­ten und wer­den tri­viale In­halte im In­ter­esse der Mäch­ti­gen und zum Er­halt des Sta­tus quo pro­du­ziert. Die Ein­zel­nen wer­ den zum Teil ei­ner ent­in­di­vi­dua­li­sier­ten „Masse“, die ihre wirk­li­chen Be­dürf­nisse nicht mehr kennt, son­dern im im­mer neuen Amü­se­ment Be­frie­di­gung sucht (vgl. Hork­hei­mer/Adorno 1988: 208). Mül­ler-Doohm (vgl. 2000: 79) iden­ti­fi­ziert ent­ spre­chend drei Ten­den­zen, die die Wir­kun­gen der Kul­tur­in­dus­trie kenn­zeich­nen: Kon­for­mis­mus, Tri­via­li­sie­rung und Stan­dar­di­sie­rung. Die­ser Kul­tur­be­griff weicht von dem­je­ni­gen, den wir der Arbeit in unse­rem Pro­gramm­be­reich zu­grunde le­gen, stark ab, da wir Kul­tur mit Ray­mond Wil­liams (1989 [1958]) als „ganze Le­bens­weise“ auf­fas­sen, die den Men­schen nicht nur auf­ge­zwun­gen wird, son­dern die sie mit- und re­pro­du­zie­ren, und de­ren Be­deu­ tung sie des­halb par­tiell auch ver­än­dern kön­nen. In der Kul­tur­in­dus­trie hin­gegen er­schei­nen die Men­schen als bloße Kon­su­ment_in­nen. Sol­cher­ma­ßen ent­mün­digt ver­lie­ren sie die Mög­lich­keit, als Staats­bür­ger_in­nen die Ge­sell­schaft mit­zu­ge­ stal­ten. Die ge­zielte Ver­mitt­lung kul­tu­rel­ler In­halte – das, was Adorno mit „Auf­ klä­rung als Mas­sen­be­trug“ be­zeich­net – ist für den ka­pi­ta­lis­ti­schen Staat funk­ tio­nal: Im Ge­wande der Auf­klä­rung bzw. In­for­ma­tions­ver­mitt­lung wer­den die Mas­sen ge­täuscht, in­dem he­ge­mo­niale Rea­li­täts­deu­tun­gen bei­spiels­weise durch Zei­tun­gen, Film, Rund­funk und Fern­se­hen pro­du­ziert, ver­brei­tet und le­gi­ti­miert wer­den. Als Folge da­von wird die be­ste­hende Ord­nung af­fir­ma­tiv be­stä­tigt und die Bil­dung ei­ner kri­ti­schen Öf­fent­lich­keit nach­hal­tig ver­hin­dert. Adorno trennt strikt zwi­schen Hoch­kul­tur und Po­pu­lär-/Unter­hal­tungs­kul­tur, zwi­schen dem au­then­ti­schen Kunst­werk und sei­ner blo­ßen Re­pro­duk­tion. Da­mit

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schreibt er je­doch zu­gleich eine Eli­te­orien­tie­rung fest und ne­giert Mög­lich­kei­ ten der Auf­klä­rung und Eman­zi­pa­tion der Men­schen. Je­doch sind im Kon­text der Frank­fur­ter Schule nicht nur kul­tur­pes­si­mis­ti­sche Per­spek­ti­ven auf die kul­tu­relle und me­diale Ent­wick­lung ge­rich­tet wor­den. So sah vor al­lem Wal­ter Ben­ja­min (1963) die Re­pro­du­zier­bar­keit von Kunst­wer­ken als Chance für eine De­mo­kra­ ti­sie­rung der Ge­sell­schaft an. Ben­ja­min spricht sich ins­be­son­dere für ei­nen po­ li­ti­schen Me­dien- und Kunst­ge­brauch aus (vgl. 1963: 119 ff.) und sieht in der Ver­än­de­rung der Be­deu­tung der Kunst die Mög­lich­keit, den „Klas­sen­cha­rak­ter der Pro­duk­tions­weise“ zu durch­bre­chen (ebd.: 127).

P ar ­ti ­zi ­pa­ti ve Ö f ­fent ­lich ­kei ­ten und G egen öf ­ ­fent ­lich ­kei ­ten In di­rek­ter Tra­di­tions­li­nie zu Adorno und Hork­hei­mer steht das Werk Jür­gen Ha­ber­mas’, des­sen Arbei­ten je­doch we­ni­ger ideo­lo­gie­kri­ti­sche Im­pulse als viel­ mehr de­mo­kra­tie­kri­ti­sche zu­grunde lie­gen. Ha­ber­mas in­ter­es­sie­ren die Grund­ la­gen und Be­din­gun­gen für eine de­li­be­ra­tive De­mo­kra­tie, in der Bür­ger_in­nen mit­re­den und mit­be­stim­men kön­nen (vgl. dazu auch Mül­ler-Doohm 2008: 56). Seine bei­den Haupt­werke Struk­tur­wan­del der Öf­fent­lich­keit (1993 [1962]) und Theo­rie des Kom­mu­ni­ka­ti­ven Han­delns (1981a, 1981b) be­schäf­ti­gen sich zen­tral mit der Fra­ge, wie eine de­mo­kra­ti­sche Öf­fent­lich­keit her­ge­stellt wer­den kann, wel­che Ge­fah­ren ihr der­zeit dro­hen und an wel­chen kri­tisch-nor­ma­ti­ven Maß­ stä­ben sich der po­li­ti­sche Dis­kurs mes­sen las­sen muss. Po­li­ti­sche Öf­fent­lich­keit ist für Ha­ber­mas ein zen­tra­ler Sek­tor der Le­bens­welt, das herr­schafts­freie Fun­ da­ment der De­mo­kra­tie, da sie „keine Arena markt­för­mi­ger, son­dern dis­kur­si­ ver Be­zie­hun­gen“ dar­stellt (Fra­ser 2001: 109). Ha­ber­mas’ Öf­fent­lich­keits­mo­ dell, seine spe­zi­fi­schen Kon­zepte von de­li­be­ra­ti­ver De­mo­kra­tie und von ei­ner po­li­ti­schen Öf­fent­lich­keit ent­wer­fen ei­nen nor­ma­ti­ven Ideal­ty­pus und ha­ben zu ei­ner Reihe kri­ti­scher Aus­ein­an­der­set­zun­gen und auch zu Vor­schlä­gen für ihre Wei­ter­ent­wick­lung ge­führt. Nancy Fra­ser (vgl. 2001: 107–109) hat aus­ge­arbei­tet, dass die be­ste­hen­den Un­gleich­heits­ver­hält­nisse die Exis­tenz ver­schie­de­ner, von ihr „sub­al­tern“ ge­ nann­ter Gegen­öf­fent­lich­kei­ten be­din­gen und diese eine wich­tige de­mo­kra­ti­sche Funk­tion er­fül­len. In de­zi­dier­ter Ab­gren­zung zu Ha­ber­mas’ auf Kon­sens be­ru­hen­ der de­li­be­ra­ti­ver Öf­fent­lich­keits­vor­stel­lung hat Chan­tal Mouffe (vgl. u. a. 2014) ihr Mo­dell ei­ner ago­nis­ti­schen Öf­fent­lich­keit vor­ge­stellt. Da die Ge­sell­schaft stets von Ant­ago­nis­men, also nicht auf­lös­ba­ren Wi­der­sprü­chen durch­zo­gen sei, sei es die Auf­gabe von De­mo­kra­tie und Öf­fent­lich­keit, diese nicht zu leug­nen, son­dern offenzulegen. Ihre Ver­wand­lung in ago­nis­ti­sche Wi­der­sprü­che führe da­zu, dass sich zwar eine Interessensgruppe mit ihrer Po­si­tion durch­set­zen kön­ne, dem ent­

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gegen­ste­hende Po­si­tio­nie­run­gen diese Ent­schei­dun­gen aber ak­zep­tier­ten. Mouffe hat der ak­ti­vis­ti­schen Kunst in ihren neu­eren Pu­bli­ka­tio­nen eine wich­tige Rolle bei der Ver­wirk­li­chung ei­ner ago­nis­ti­schen Öf­fent­lich­keit ein­ge­räumt. In Ago­nis­ tik. Die Welt po­li­tisch den­ken (2014) ar­gu­men­tiert sie, dass die Kunst do­mi­nante He­ge­mo­nien unter­lau­fen und Räume für gegen­he­ge­mo­niale Inter­ven­tio­nen be­ reit­stel­len kön­ne: „Ich bin über­zeugt, dass künst­le­ri­sche und kul­tu­relle Prak­ti­ken Räume des Wi­der­stands schaf­fen kön­nen, die das ge­sell­schaft­li­che Ima­gi­näre unter­gra­ben, das für die Re­pro­duk­tion des Ka­pi­ta­lis­mus not­wen­dig ist. Ich bin je­doch der Auf­fas­sung: Wenn wir ihr po­li­ti­sches Potenzial ver­ste­hen wol­len, soll­ten wir For­men des künst­le­ri­schen Wi­der­stands als ago­nis­ ti­sche Inter­ven­tio­nen im Kon­text des gegen­he­ge­mo­nia­len Kamp­fes be­trach­ten.“ (Mouffe 2014: 136)

Die Be­deu­tung ei­ner po­li­tisch-ak­ti­vis­ti­schen Kunst für Gegen­öf­fent­lich­kei­ten und Pro­test­be­we­gun­gen be­ruht Mouffe zu­folge auf der Mög­lich­keit, allgemeingültige Nor­men und un­hin­ter­fragt gel­tende Nor­mali­tä­ten in Frage zu stel­len, über Af­fekte und emo­tio­nale Re­ak­tio­nen (vgl. ebd.: 148) „neue Prak­ti­ken und Sub­jek­tivi­tä­ten“ aus­zu­bil­den und „die be­ste­hende Macht­kon­fi­gu­ra­tion“ zu unter­mi­nie­ren (ebd.: 158).

D is ­tink ­ti on und kul­tu ­relle U r ­spr ünge von  U n gleich ­ ­hei ­ten Pierre Bour­dieu hat die Rolle kul­tu­rel­ler Ar­te­fakte – wie Kunst­wer­ke, Me­dien oder Mo­de­stile – und den da­mit ver­bun­de­nen, schein­bar in­di­vi­du­el­len Ge­schmack im Zu­sam­men­hang mit Struk­tu­ren der Un­gleich­heit und Macht­ver­hält­nis­sen unter­ sucht. In sei­nem Haupt­werk Die fei­nen Unter­schiede (1987 [1979]) zeigt er em­ pi­risch, wie so­ziale Un­gleich­hei­ten in der fran­zö­si­schen Ge­sell­schaft fort­lau­fend her­ge­stellt wer­den, und be­grün­det da­mit eine Kul­tur- und Ge­sell­schafts­theo­rie, die auf der Unter­schei­dung ver­schie­de­ner Klas­sen und der Her­aus­bil­dung ei­nes je­weils klas­sen­spe­zi­fi­schen Ge­schmacks fußt. Klas­sen unter­schei­den sich nach Bour­dieu durch sym­bo­li­sche Dif­fe­ren­zie­run­gen und un­glei­che so­ziale Po­si­tio­nie­ run­gen, die sich im Ha­bi­tus ma­ni­fes­tie­ren und in spe­zi­fi­schen Ge­schmacks­kul­tu­ ren sicht­bar Aus­druck fin­den. Den Ha­bi­tus be­schreibt Bour­dieu als ein „Sys­tem dauer­haf­ter und über­trag­ba­rer Dis­po­si­tio­nen, die als Er­zeu­gungs- und Ord­nungs­ grund­lage für Prak­ti­ken und Vor­stel­lun­gen die­nen“ (Bour­dieu 1987 [1979]: 90 f.) und die so die Zu­ge­hö­rig­keit ei­nes In­di­vi­du­ums zu ei­ner be­stimm­ten Klasse ver­ deut­li­chen. Die Po­si­tion, also die so­ziale Stel­lung ei­nes In­di­vi­du­ums in ei­ner Ge­ sell­schaft ist des Wei­te­ren ab­hän­gig von dem je­wei­li­gen – so­zia­len, öko­no­mi­schen und kul­tu­rel­len – Ka­pi­tal, über das ein In­di­vi­duum ver­fügt. Das Ka­pi­tal kommt

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auf den ver­schie­de­nen Fel­dern, die die Ge­sell­schaft struk­tu­rie­ren, zum Ein­satz und be­stimmt we­sent­lich die Po­si­tion der so­zia­len Ak­teur_in­nen dar­in. Bour­dieu über­win­det mit die­ser Kon­zep­tio­nie­rung den Dua­lis­mus von Sub­jekt und Ob­jekt, von In­di­vi­duum und Struk­tur, da Sub­jekte mit ihrem Ha­bi­tus essenzieller Teil des je­wei­li­gen Fel­des sind, in dem sie agie­ren, und zu­gleich ihre Hand­lun­gen von den Struk­tu­ren des Fel­des be­stimmt wer­den. Po­si­tio­nen in den ver­schie­de­ nen ge­sell­schaft­li­chen Fel­dern – egal ob Kunst, Mo­de, Me­dien, Po­li­tik oder Wis­ sen­schaft – wer­den durch zwei inter­agie­rende Fak­to­ren be­stimmt: ei­ner­seits vom je­wei­li­gen Ha­bi­tus und den in­di­vi­du­ell zur Ver­fü­gung ste­hen­den Ka­pi­tal­sor­ten, und an­de­rer­seits von den im Feld wir­ken­den Struk­tu­ren und Macht­ver­hält­nis­sen. Ge­sell­schaft­li­che und kul­tu­relle Phä­no­mene sind da­mit durch ei­nen struk­tu­rel­len De­ter­mi­nis­mus ge­prägt, der die Hand­lungs­mög­lich­kei­ten der so­zia­len Sub­jekte be­schnei­det. Bour­dieu und Adorno tei­len die Sicht­wei­se, dass ma­te­rielle Un­gleich­hei­ten in ei­nem en­gen Zu­sam­men­hang mit kul­tu­rel­len Pro­zes­sen ste­hen, wo­bei bei Bour­ dieu vor al­lem auch die ge­lebte All­tags­kul­tur in den Blick rückt. Beide kri­ti­sie­ ren die herr­schende Kul­tur, in der sie ein Mit­tel se­hen, um Unter­drü­ckung und Un­gleich­heit zu­gleich zu le­gi­ti­mie­ren und zu (re-)pro­du­zie­ren. Bour­dieus (1987 [1979]: 36) Kon­zept ei­nes „le­gi­ti­men ge­sell­schaft­li­chen Ge­schmacks“ weist eine Af­fi­ni­tät zu Ador­nos Be­griff der Hoch­kul­tur auf, da sich beide auf den Mu­sikund Kunst­ge­schmack der Elite be­zie­hen, der hö­her als an­dere Stile be­wer­tet wird. Den­noch sind bei Bour­dieu die Unter­schiede zwi­schen ver­schie­de­nen kul­tu­rel­ len Grup­pen we­ni­ger durch den Gegen­satz von Hoch- und Po­pu­lär­kul­tur ge­kenn­ zeich­net als viel­mehr durch so­ziale Gegen­sät­ze, die durch den Ha­bi­tus re­pro­du­ ziert wer­den und in der All­tags­kul­tur ihren Aus­druck fin­den. Bour­dieus An­satz ist unter an­de­rem im Rah­men der künst­le­ri­schen In­sti­tu­tio­nen­kri­tik re­zi­piert wor­den (vgl. Al­berro 2005). Die­ser Be­zug liegt des­halb na­he, weil er sich sel­ber mit dem Kunst­feld be­schäf­tigt und des­sen Bin­dung an die pri­vi­le­gierte Klasse und den le­gi­ti­men Ge­schmack her­aus­ge­arbei­tet hat (vgl. Bour­dieu 1999; Bour­dieu 1993; Bour­dieu/Dar­bel/Schnap­per 1991). Bour­dieus Stu­dien so­wie sein da­mit ver­bun­de­nes Ha­bi­tus­kon­zept sind je­doch von Jac­ques Ran­cière vor al­lem auf­grund ihrer em­pi­ri­schen An­lage scharf kri­ti­ siert wor­den (vgl. Son­der­eg­ger 2010a, 2010b; aus­führ­lich Son­der­eg­ger/Kast­ner 2014). Für Ran­cière ist die An­wen­dung so­zial­wis­sen­schaft­li­cher Em­pi­rie – ge­ rade auch in der Be­stim­mung des Ha­bi­tus – pro­ble­ma­tisch, weil diese letzt­lich auf klas­sen­spe­zi­fi­schen Durch­schnitts­daten und wie auch im­mer de­fi­nier­ten re­ prä­sen­ta­ti­ven Er­geb­nis­sen be­ruht, die den ge­sell­schaft­li­chen Sta­tus quo als kaum ver­än­der­bar zei­gen. Statt­des­sen sucht Ran­cière nach ein­zel­nen Bei­spie­len für die Selbst-Be­freiung und Eman­zi­pa­tion von Men­schen und fin­det diese vor al­lem in de­ren Hin­wen­dung zur Kunst und in ihren Herr­schafts­ver­hält­nis­sen ent­gegen­lau­ fen­den äs­the­ti­schen Er­fah­run­gen. Son­der­eg­ger (2010a: 32) spricht von Ran­ciè­res

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„sub­ver­si­vem Op­ti­mis­mus“. Sein „Pro­jekt ei­ner af­fir­ma­ti­ven Kri­tik“ be­stehe da­ rin „an wi­der­spens­tige und un­wahr­schein­li­che Prak­ti­ken des Streits zu er­in­nern, aus denen man nicht viel All­ge­mei­nes ab­lei­ten kann“ (ebd.).

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des

W is ­sens

Den post­struk­tu­ra­lis­ti­schen An­sät­zen im All­ge­mei­nen und Mi­chel Fou­cault im Be­son­de­ren geht es um eine His­to­ri­sie­rung und Kon­tex­tua­li­sie­rung von Be­grif­ fen und Theo­rien. Im Zen­trum von Fou­caults Arbei­ten steht die Frage da­nach, wie Wahr­heit und Wis­sen in der Ge­sell­schaft ent­ste­hen. Dem liegt die An­nahme zu­grun­de, dass eine Ge­sell­schaft durch Macht­ver­hält­nisse struk­tu­riert ist, die dem Sub­jekt nicht nur äu­ßer­lich ent­gegen­tre­ten, son­dern von die­sem auch ver­in­ ner­licht sind. Das Sub­jekt ist also im­mer in Ab­hän­gig­keit von ge­sell­schaft­li­chen Struk­tu­ren zu se­hen, die durch Macht, Herr­schaft und he­ge­mo­nia­les Wis­sen ab­ge­si­chert sind (vgl. Fou­cault 1993). Fou­caults In­ter­esse liegt da­bei ins­be­son­ dere auf der Ent­ste­hungs­ge­schichte die­ser Struk­tu­ren und den dar­auf auf­bau­ en­den Na­tu­ra­li­sie­run­gen von Wis­sen und Wahr­heit. Um diese zu er­grün­den, be­schreibt Fou­cault seine Vor­ge­hens­weise mit den Be­grif­fen der „Archäo­lo­gie“ und der „Ge­nea­lo­gie“. Unter Archäo­lo­gie ver­steht er die his­to­ri­sche Spu­ren­su­che nach der Ent­ste­hung von Dis­kur­sen. Mit Hilfe der Ge­nea­lo­gie nimmt Fou­cault die mit der Durch­set­zung be­stimm­ter Dis­kurse ver­wo­be­nen Macht­ver­hält­nisse und Nor­ma­li­sie­rungs­stra­te­gien in den Blick, um deut­lich zu ma­chen, dass es auch al­ter­na­tive Mög­lich­kei­ten der Ent­wick­lung ge­ben kann (vgl. Fou­cault 1981 [1969]). Ben­ja­mins Es­say (2007 [1932]) Aus­gra­ben und Er­in­nern, das die His­ to­ri­sie­rung von Dis­kur­sen an­mahnt, um Macht­be­zie­hun­gen zu ana­ly­sie­ren, zeigt bei­spiel­haft, dass die Me­thode der Ge­nea­lo­gie in der Tra­di­tion ei­ner kri­ti­schen Er­kennt­nis­theo­rie steht. Dis­kur­se, die bei Fou­cault so­wohl sprach­li­che als auch nicht-sprach­li­che Ob­ jekte wie In­sti­tu­tio­nen, Ge­setze etc. um­fas­sen, bil­den ein Dispositiv, also eine he­ te­ro­gene Ge­samt­heit, das eine stra­te­gi­sche Funk­tion hat und in Macht­ver­hält­nisse ein­ge­bun­den ist (vgl. Agam­ben 2008). Die Ge­nea­lo­gie deckt da­bei die ver­bor­ ge­nen Me­cha­nis­men auf, die den so­zia­len Prak­ti­ken und da­mit den Dis­kurs­ver­ läu­fen zu­grunde lie­gen, so dass diese der Re­fle­xion zu­gäng­lich wer­den, in Frage ge­stellt und die Gren­zen des Sag- und Denk­ba­ren ver­scho­ben wer­den kön­nen (vgl. Hoy 1998). In­dem Fou­cault auf­zeigt, dass die spe­zi­fi­sche Ver­bin­dung von Macht, Herr­schaft und Wis­sen(-schaft) stets raum-zeit­lich pro­du­ziert ist, also an eine be­stimmte Ge­sell­schaft, Kul­tur und Zeit ge­bun­den ist, kön­nen diese Struk­ tu­rie­run­gen hin­ter­fragt und ver­än­dert wer­den. Je­doch sind für Fou­cault die Sub­ jekte im­mer in die Macht­struk­tu­ren so ver­strickt, dass eine Be­freiung dar­aus kaum

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mög­lich er­scheint. Das Sub­jekt ist in die­ser Sicht­weise also nicht Ur­sprung des Wis­sens, der Frei­heit, der Spra­che und der Ge­schich­te, son­dern es wird von den ge­sell­schaft­li­chen Dis­kur­sen und Macht­be­zie­hun­gen über­haupt erst er­zeugt und kann da­mit nicht un­ab­hän­gig von die­sen ge­dacht wer­den. Die All­gegen­wart von Macht und Herr­schaft – also de­ren „Ge­samt­heit, ge­bil­det aus den In­sti­tu­tio­nen, den Ver­fah­ren, Ana­ly­sen und Re­fle­xio­nen, den Be­rech­nun­gen und den Tak­ti­ken“ – fasst Fou­cault unter den Be­griff der „Gou­ver­ne­men­tali­tät“ (Fou­cault 2005: 171; vgl. Fou­cault 2006). Durch ein Auf­zei­gen des en­gen und un­ent­wirr­ba­ren Zu­sam­ men­hangs zwi­schen den Macht- und Herr­schafts­ver­hält­nis­sen und der Kons­ti­tu­ ie­rung von Sub­jek­ten er­öff­net Fou­cault eine neue Per­spek­tive auf Un­gleich­hei­ten und Un­ge­rech­tig­kei­ten (vgl. Moss 1998: 6 ff.). Fou­caults Be­mü­hen, all­gegen­wär­tige Macht- und Herr­schafts­ver­hält­nisse auf­ zu­de­cken, steht in der Tra­di­tion der Macht­kri­tik der Kritischen Theorie. Trotz des unter­schied­li­chen Sub­jekt­be­griffs sind sich die post­struk­tu­ra­lis­ti­schen An­sätze so­wie die Kritische Theorie darin ei­nig, dass für das In­di­vi­duum kaum Mög­lich­ kei­ten ei­nes eigen­stän­di­gen oder wi­der­stän­di­gen Han­delns be­ste­hen. Fou­cault ar­gu­men­tiert da­bei auf der Mi­kro­ebene der Aus­übung ge­sell­schaft­li­cher Ge­walt, wäh­rend die Kritische Theorie den Fo­kus auf die Ma­kro­ebene und da­mit vor al­ lem auf die öko­no­mi­schen Macht­ver­hält­nisse legt. Je­doch stellt Fou­caults kri­ti­ sche Sicht­weise auf das Sub­jekt ei­nen fun­da­men­ta­len Unter­schied zur Kritischen Theorie dar, da er die Mög­lich­keit ei­nes uni­ver­sa­lis­ti­schen Den­kens ne­giert, in­ dem er – hier folgt ihm Ju­dith But­ler (1995) – die Es­senz von Ka­te­go­rien in Frage stellt und nach Grenz­ver­schie­bun­gen sucht. Fou­caults Über­le­gun­gen sind eine der theo­re­ti­schen Grund­la­gen der Post­co­ lo­nial Stu­dies, die die Wir­kun­gen und Rück­wir­kun­gen des Ko­lo­nia­lis­mus so­wie ko­lo­nia­ler Dis­kurse und ko­lo­nia­ler Wis­sens­re­gimes unter­su­chen (vgl. Con­rad 2012; vgl. auch Cas­tro Va­re­la/Dha­wan 2005). An­ge­sichts der ko­lo­nia­len Gewalt­ geschichte(-n) ge­ra­ten zen­trale An­nah­men ei­nes eu­ro­zen­tri­schen Welt­bil­des ins Wan­ken, weil diese im „Menschrechtsnarrativ“ kaum eine Rolle spie­len (Cas­ tro Va­rela 2018: 22). Die Dif­fe­ren­zen und Wi­der­sprü­che zwi­schen den Wer­ten der Auf­klä­rung und den tat­säch­li­chen Ver­bre­chen gegen die Mensch­heit las­sen sich nicht mit ei­ner Aus­gren­zung Letz­te­rer weg­inter­pre­tie­ren, son­dern er­for­dern „die Aus­ein­an­der­set­zung mit der Auf­klä­rung, so wie sie etwa die Post­ko­lo­niale Theo­rie – aber auch die Kritische Theorie – in An­griff ge­nom­men hat“ (Cas­tro Va­rela 2018: Ma­nu­skript­seite 20). Da­bei rü­cken Kul­tur und Iden­ti­täts­po­li­ti­ken ins Zen­trum.

Theo­re­ti­sche Grund­la­gen kri­ti­scher kul­tu­rel­ler Pro­duk­tion

C ul­tu ­ral S tu ­dies : H e ­ge ­m o ­nien und kultu ­ ­relle B e ­deu ­tungs ­pr o ­duk ­ti on Eine kon­zise De­fi­ni­tion der Cul­tu­ral Stu­dies hat Kers­tin Gold­beck (2004) vor­ge­ legt. Dem­nach han­delt es sich bei den Cul­tu­ral Stu­dies „um ein in­tel­lek­tuel­les Pro­jekt, das sich all­täg­li­chen kul­tu­rel­len Prak­ti­ken wid­met und sie in ihrer kon­tex­tu­el­len Ein­bet­tung mit be­son­de­rem Blick auf die kon­text­spe­zi­fi­schen Macht­ ver­hält­nisse ana­ly­siert. Cul­tu­ral Stu­dies arbei­ten inter­dis­zi­pli­när und wol­len po­li­tisch Mög­ lich­kei­ten be­reit­stel­len, die ei­ge­nen ge­sell­schaft­li­chen Kon­texte zu ver­än­dern.“ (Gold­beck 2004: 28)

Die Cha­rak­te­ri­sie­rung der Cul­tu­ral Stu­dies – wie auch der Post­co­lo­ni­al, Gen­der oder Queer Stu­dies – als Pro­jekt ver­deut­licht, dass es sich nicht um ei­nen homo­ ge­nen theo­re­ti­schen An­satz mit ein­heit­li­chen Be­griff­lich­kei­ten und ka­no­ni­sier­ten Denk­tra­di­tio­nen han­delt (vgl. Hepp/Krotz/Tho­mas 2009). Pro­jekte sind of­fen und selbst-re­fle­xiv und grei­fen auf eine Viel­zahl be­ste­hen­der Denk­tra­di­tio­nen zu­rück, um ihre Fra­ge­stel­lun­gen zu be­arbei­ten. Für die Cul­tu­ral Stu­dies gilt, dass das große Spek­trum an theo­re­ti­schen Be­zü­gen so­wie die Viel­falt inter- und trans­dis­zi­ pli­nä­rer Ver­or­tun­gen durch ein spe­zi­fi­sches In­ter­esse an den all­tags­kul­tu­rel­len Ef­ fek­ten ge­sell­schaft­li­cher Macht­ver­hält­nisse so­wie durch ein inter­ven­tio­nis­ti­sches Wis­sen­schafts­ver­ständ­nis ge­bän­digt wird. Sie be­ste­chen zu­gleich durch die enge Ver­zah­nung von theo­re­ti­schen Aus­füh­run­gen und em­pi­ri­scher – vor al­lem eth­no­ gra­fisch aus­ge­rich­te­ter – For­schungs­tä­tig­keit (vgl. ebd.). Der weite Kul­tur­be­griff der Cul­tu­ral Stu­dies – „culture as a whole way of life“ (Ray­mond Wil­liams 1989 [1958]) – unter­schei­det sich stark von dem Ador­ nos. Der von Adorno ge­prägte Dua­lis­mus von Hoch­kul­tur, die den au­then­ti­schen Aus­druck er­laubt, und den Pro­duk­ten der Kul­tur- und Unter­hal­tungs­in­dus­trie, die die Men­schen ver­blen­den, wird in den Cul­tu­ral Stu­dies auf­ge­ho­ben. Kul­tur wird als die Sphäre ver­stan­den, in der im All­tag das Rin­gen um Macht und Be­deu­tung statt­fin­det. „Apo­ka­lyp­ti­ker“ hat Um­berto Eco (1994 [1964]) mit di­rek­tem Be­zug auf Adorno und Hork­hei­mer die Kon­struk­teure ei­nes pas­si­ven Pu­bli­kums­bil­des ge­nannt. Masse und Kul­tur­in­dus­trie seien „Be­griffs­fe­ti­sche“, die der kri­ti­schen Elite su­spekt blie­ben (Eco 1994 [1964]: 38–39). Führt man Ecos Ar­gu­men­ta­tion wei­ter, dann liegt der ent­schei­dende Feh­ler sol­cher Po­si­tio­nie­run­gen dar­in, die ei­ ge­nen Vor­ur­teile gegen po­pu­lär­kul­tu­relle Aus­drucks­for­men zum Aus­gangs­punkt ihrer Kul­tur- und Ge­sell­schafts­theo­rie zu ma­chen. Ecos Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen „ge­schlos­se­nen“ und „of­fe­nen“ Tex­ten ist des­halb auch in die Vor­stel­lun­gen der Cul­tu­ral Stu­dies ein­ge­flos­sen. Zwi­schen Cul­tu­ral Stu­dies und Kritischer Theorie gibt es – bei al­len Unter­schie­den im Kul­tur- und Ideo­lo­gie­be­griff wie auch in Be­zug auf die Rolle von Re­zi­pient_in­nen im Me­dien­pro­zess – aber auch wich­ tige Ge­mein­sam­kei­ten wie den Be­zug auf die Marx’­sche Ge­sell­schafts­theo­rie, die

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Ab­leh­nung der Zen­tra­li­tät öko­no­mi­scher Macht- und Pro­duk­tions­ver­hält­nisse im Mar­xis­mus bei gleich­zei­ti­ger Hin­wen­dung zu Kul­tur und Me­dien als zen­tra­len Ver­mitt­lungs­in­stan­zen und Ideo­lo­gie­pro­du­zent_in­nen. Im Rück­griff auf Alt­hus­ser wird Ideo­lo­gie den Men­schen nicht in ers­ter Li­nie von au­ßen auf­ok­troy­iert, son­dern viel­mehr von die­sen selbst­tä­tig an­ge­eig­net und re­pro­du­ziert, ist im All­tag ge­lebte und ent­wi­ckelte Kul­tur und kann ge­rade des­ halb auch mo­di­fi­ziert wer­den. Ideo­lo­gie wird in den Cul­tu­ral Stu­dies zu der so­zia­ len Sphä­re, in der Macht und Be­deu­tung zu­sam­men­tref­fen. Die Be­deu­tungs- und Sinn­pro­duk­tion der Men­schen er­folgt selbst­tä­tig, al­ler­dings nicht frei und selbst­ be­stimmt, weil die be­ste­hen­den Macht­kon­stel­la­tio­nen und Do­mi­nanz­ver­hält­nisse vor­ge­ben, dass man­che Be­deu­tun­gen vor an­de­ren fa­vo­ri­siert wer­den, man­che Sinn­pro­duk­tio­nen wahr­schein­li­cher sind als an­de­re, man­che Ge­sell­schafts­kon­ struk­tio­nen ver­bind­li­cher als ihre Al­ter­na­ti­ven. An­knüp­fend an Gram­sci (vgl. u. a. 1987) wird He­ge­mo­nie als die Macht der ge­sell­schaft­li­chen Eli­ten de­fi­niert, ihre Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen als All­ge­mein­in­ter­es­sen zu set­zen und da­mit kon­sens­fä­hige do­mi­nante Be­deu­tun­gen vor­zu­ge­ben. He­ge­mo­niale Be­deu­tun­gen kön­nen aber – ins­be­son­dere im Kon­text der ge­ring ge­ach­te­ten und des­halb we­ni­ger ka­no­ni­sier­ ten und re­gle­men­tier­ten Po­pu­lär- und Mas­sen­kul­tur – auch durch­bro­chen wer­den, weil diese keine all­um­fas­sen­den Fest­le­gun­gen und ex­klu­si­ven Be­schrei­bun­gen lie­fern. 1973 hat Stuart Hall sein En­co­ding/De­co­ding-Mo­dell vor­ge­legt, das die Frage nach der Pro­duk­tion von Be­deu­tun­gen in der Ge­sell­schaft neu stellt. Hall greift darin auf die neuere Lin­guis­tik zu­rück, die die Ar­bi­tra­ri­tät von Zei­chen und die Poly­se­mie von Tex­ten nach­ge­wie­sen hat. Da­von aus­ge­hend wird in den Cul­tu­ral Stu­dies ein wei­ter Me­dien- und Text­be­griff ver­wen­det, der nicht nur klas­si­sche ,Mas­sen­me­dien‘ oder ver­bale Äu­ße­rungs­for­men um­fasst, son­dern alle Trä­ger von Be­deu­tung, also ins­be­son­dere auch Kunst­werke mit­ein­schließt. Von der Poly­se­mie der Zei­chen aus­ge­hend, wird die Re­zep­tion in die­sem Mo­dell – und in de­zi­dier­ter Ab­gren­zung von klas­si­schen Wir­kungs­mo­del­len – zu ei­nem eigen­stän­di­gen Mo­ ment im Kom­mu­ni­ka­tions­pro­zess. Neben der Ko­die­rung von Me­dien­tex­ten im Pro­duk­tions­pro­zess ist auch eine eigen­stän­dige De­ko­die­rung not­wen­dig, die zwar häu­fig, aber längst nicht im­mer mit den im Ur­sprungs­text nahegelegten Be­deu­ tun­gen über­ein­stimmt: Ent­schlüs­se­lung muss nicht gleich Ver­schlüs­se­lung sein! Kul­tu­relle und so­ziale Kon­texte wir­ken in Pro­duk­tions- wie Re­zep­tions­pro­zes­sen und füh­ren zu viel­fäl­ti­gen Be­deu­tungs­zu­schrei­bun­gen an kul­tu­relle Pro­duk­tio­nen. Das En­co­ding/De­co­ding-Mo­dell ist in den Kreislaufmodellen von John­son (1985) und du Gay et al. (1997) wei­ter­ent­wi­ckelt wor­den, in denen die Ver­mitt­lung zwi­ schen Mi­kro- und Ma­kro­ebe­ne, die Re­gu­la­tion des Kom­mu­ni­ka­tions­pro­zes­ses so­ wie auch seine iden­ti­täts­stif­ten­den As­pekte stär­kere Be­ach­tung ge­fun­den ha­ben.

Theo­re­ti­sche Grund­la­gen kri­ti­scher kul­tu­rel­ler Pro­duk­tion

G en ­der und Q ueer S tu ­dies : S o ­ziale D if ­fe ­ren ­zie ­run ­gen und die K ri ­tik an K a­te ­g o ­rien Wie bei den Cul­tu­ral Stu­dies han­delt es sich auch bei den Gen­der Stu­dies um ein Theo­rie­pro­jekt, das sich aus zahl­rei­chen Tra­di­tio­nen und theo­re­ti­schen Strö­mun­ gen speist und ei­nen inter­ven­tio­nis­ti­schen An­spruch ver­tritt. Zu ei­ner dis­zi­plin­ über­grei­fen­den Dis­kus­sion tru­gen fe­mi­nis­ti­sche Wissenschaftler_innen Über­le­ gun­gen aus der Phi­lo­so­phie und Er­kennt­nis­theo­rie, der Wis­sen­schafts­ge­schich­te, der Ge­schich­te, der So­zio­lo­gie und an­de­ren So­zial- und Kul­tur­wis­sen­schaf­ten bei. Die Be­we­gung von der frü­hen Frau­en­for­schung hin zu den heu­ti­gen Gen­der Stu­ dies ist von ei­nem Rin­gen um ein an­ge­mes­se­nes Ver­ständ­nis der Ka­te­go­rie Gen­ der be­glei­tet. Gen­der wurde als viel­di­men­sio­nale so­ziale Ka­te­go­rie sicht­bar, die zu­gleich ein Klas­si­fi­ka­tions­sys­tem lie­fert, eine zen­trale ge­sell­schaft­li­che Struk­tur­ ka­te­go­rie dar­stellt und als Ideo­lo­gie ein Gen­der­re­gime be­grün­det (vgl. Ro­bin­son 1992: 135; Klaus 2005). Gen­der als Klas­si­fi­ka­tions­sys­tem zeigt die Zu­wei­sung von hier­ar­chi­sie­ren­den Po­si­tio­nen in den ver­schie­de­nen so­zia­len Fel­dern. Gen­ der als Struk­tur­ka­te­go­rie ver­weist dar­auf, dass der bi­näre Ge­schlechter­code – die Ent­gegen­set­zung von männ­lich und weib­lich – jen­seits des Wol­lens und oft so­gar des Be­wusst­seins der ge­sell­schaft­li­chen Sub­jekte wirk­sam ist. Als Ideo­lo­gie liegt der Gen­der­ka­te­go­rie eine Na­tu­ra­li­sie­rung von Unter­schei­dun­gen zu­grun­de, die Unter­schiede über­haupt erst ,ma­chen‘ bzw. her­vor­brin­gen. In den Gen­der Stu­ dies wird des­halb der Ver­wo­ben­heit des Gen­der­dua­lis­mus mit an­de­ren Dis­kur­sen, etwa dem Kunst- und Kul­tur­dis­kurs, Auf­merk­sam­keit ge­schenkt. Im For­schungs­ feld der In­ter­sekt­io­na­li­tät wer­den heute Ver­schrän­kun­gen von Gen­der mit an­de­ ren, Un­gleich­heit ge­ne­rie­ren­den Ka­te­go­rien bzw. Dis­kur­sen wie Ra­ce, Eth­nie, Klasse etc. er­forscht (vgl. Drüe­ke/Klaus/Thiele 2014). Die Be­züge zur Kritischen Theorie, aber auch de­ren Wei­ter­ent­wick­lung durch die Gen­der Stu­dies sind viel­fäl­tig. So wird die Herr­schafts- und Wis­sen­schafts­ kri­tik auf­ge­nom­men, das Kon­zept von Öf­fent­lich­keit wei­ter­ent­wi­ckelt so­wie vor al­lem in den Cul­tu­ral Gen­der Stu­dies die Rolle des Pu­bli­kums neu be­stimmt. Im Span­nungs­feld von Fe­mi­nis­mus, Kritischer Theorie und post­mo­der­ner Theo­rie er­ge­ben sich nach Knapp (vgl. 1999: 14) wich­tige An­knüp­fungs­punkte für die Re­for­mu­lie­rung und Aus­dif­fe­ren­zie­rung fe­mi­nis­ti­scher Herr­schafts­kri­tik (vgl. auch Be­cker-Schmidt 1999: 122 ff.). Fe­mi­nis­ti­sche kri­ti­sche Theo­rie, so Cor­ne­ lia Klinger (1999: 254 f.), ist über­wie­gend als eine „Denk­form“ zu ver­ste­hen, die sich zen­tral auf das nor­ma­tive Kon­zept von Ge­rech­tig­keit be­zieht. Ins­be­son­dere Donna Ha­ra­way (1995a) hat sich kri­tisch mit den Wis­sens­be­stän­den ei­ner Ge­sell­ schaft auseinandergesetzt und mit dem Be­griff des „si­tu­ier­ten Wis­sens“ be­tont, dass wis­sen­schaft­li­che Ob­jek­ti­vi­tät und Grenz­zie­hun­gen ra­di­kal in Frage zu stel­ len sind. Da im­mer nur von ei­nem be­stimm­ten Stand­punkt aus ge­spro­chen wer­den

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kann, stellt sich die Frage nach den Be­deu­tun­gen von grund­le­gen­den Kon­zep­ten wie Ver­nunft, Uni­ver­sa­li­tät, Ob­jek­ti­vi­tät, Ge­rech­tig­keit oder Wahr­heit. Ins­be­son­dere die Arbei­ten von Ju­dith But­ler ha­ben die Gen­der Stu­dies tief­ greifend ver­än­dert und we­sent­li­chen Ein­fluss auf die Ent­wick­lung der Queer Stu­ dies ge­nom­men, weil But­ler (1995) die lange Zeit in der Ge­schlech­ter­for­schung ge­läu­fige Tren­nung von Gen­der und Sex hin­ter­fragt hat. Jene Tren­nung, so But­ler, habe letzt­lich die Vor­stel­lung be­stä­tigt, dass es eine bio­lo­gi­sche Es­senz gibt, die das he­te­ro­nor­ma­tive Ge­schlech­ter­ver­hält­nis be­grün­det. Nach But­ler ist aber auch Sex als eine nor­ma­tive Ka­te­go­rie nicht vom Gen­der­dis­kurs zu tren­nen. But­ler stellt her­aus, dass Sex eben nicht als „vor­dis­kur­siv“ an­ge­se­hen wer­den kann, da es ei­nem Sub­jekt nicht mög­lich ist, sein Ge­schlecht durch Han­deln her­vor­zu­brin­ gen, da es kein „Ich“ au­ßer­halb der Kon­struk­tion von Sex/Gen­der gibt (vgl. But­ler 1997: 28). In die­ser Kon­struk­tion wer­den kul­tu­relle und ge­sell­schaft­li­che He­ge­ mo­nien und Pri­vi­le­gien fort­ge­schrie­ben und do­mi­nan­te, als ,nor­mal‘ an­ge­se­hene Sub­jek­tivi­tä­ten er­zeugt. Mit Ver­weis auf die Sprech­akt­theo­rie führt But­ler den Be­griff der Per­for­ma­tivi­tät von Ge­schlecht ein, so dass die ver­meint­li­che Bi­nari­ tät des Ge­schlechter­kör­pers grund­le­gend in Frage ge­stellt wird. Per­for­ma­tivi­tät ist „die [sich] stän­dig wie­der­ho­lende Pra­xis, durch die der Dis­kurs die Wir­kung er­zeugt, die er be­nennt“ (But­ler 1997: 22). Ebenso wie in den post­struk­tu­ra­lis­ti­ schen An­sät­zen wer­den in den Queer Stu­dies die Mög­lich­kei­ten ei­nes in­ten­tio­nal han­deln­den Sub­jekts kri­tisch ge­se­hen. Den Gen­der und Queer Stu­dies lie­gen kon­ struk­ti­vis­ti­sche Per­spek­ti­ven zu­grun­de, denen trotz vie­ler Unter­schiede die Kri­tik an Es­sen­zialis­men, die Ra­di­ka­li­sie­rung von Sub­jekt­kri­tik und die da­mit ein­her­ge­ hende Neu­kon­zep­tio­nie­rung von Sub­jekt und Sub­jek­ti­vi­tät so­wie eine selbst­re­fle­ xive er­kennt­nis­theo­re­ti­sche Po­si­tio­nie­rung ge­mein­sam sind (vgl. Pühl et al. 2004). So schla­gen die Queer Stu­dies vor, queer nicht als Iden­ti­tät, son­dern als Iden­ti­ täts­kri­tik zu kon­zep­tio­nie­ren. Da­mit wird nicht nur die Ge­schlech­ter­dif­fe­renz in den Blick ge­nom­men, son­dern es wer­den vor al­lem Ka­te­go­ri­sie­run­gen kri­ti­siert und ein Den­ken jen­seits von Di­cho­to­mien an­ge­regt: „Queer ist im­mer eine Iden­ ti­täts­bau­stel­le, ein Ort be­stän­di­gen Wer­dens.“ (Ja­gose 2001: 165) Nor­men und kul­tu­relle Vor­stel­lun­gen wer­den so auf ihre In­klu­sions- und Ex­klu­sions­me­cha­ nis­men hin­ter­fragt. Die „Ver­Un­ein­deu­ti­gung von Ge­schlecht und Se­xua­li­tät“, die Antke En­gel (2007) ent­lang ei­ner aus­führ­li­chen Ana­lyse quee­rer Theo­rien kon­ zi­piert hat, ist als Teil quee­rer Po­li­tik zu ver­ste­hen. Die Be­deu­tung von queer ist da­mit in per­ma­nen­ter Aus­hand­lung be­grif­fen (vgl. Eng­lert et al. 2009: 12 f.) und Quee­ring lässt sich als ein po­li­ti­sches Pro­jekt ver­ste­hen, das ei­ner­seits auf ei­ner theo­re­ti­schen Wei­ter­ent­wick­lung be­ruht, aber an­de­rer­seits auch ex­pli­zit eine prak­ ti­sche Ebene mit ein­be­zieht. Denn die po­li­ti­sche, kul­tu­relle und künst­le­ri­sche Pra­ xis in­spi­riert queere Theo­rie­bil­dun­gen und lie­fert da­für den Kon­text (vgl. ­En­gel/ Schulz/Wedl 2005). Queere Re­prä­sen­ta­tio­nen und kul­tu­relle Prak­ti­ken kön­nen dann, so En­gel (2007: 296 f.), als „pro­duk­tive Ir­ri­ta­tio­nen“ die­nen, um die Be­deu­

Theo­re­ti­sche Grund­la­gen kri­ti­scher kul­tu­rel­ler Pro­duk­tion

tun­gen von Ge­schlecht und Se­xua­li­tät und die da­mit ver­bun­de­nen Hier­ar­chien zu durch­bre­chen. Da­mit las­sen sich „ver­schie­dene so­ziale Fra­gen aus mi­no­ri­sier­ten Per­spek­ti­ven“ in den Blick neh­men, die gleich­zei­tig mit künst­le­ri­schen Mit­teln be­arbei­tet wer­den (vgl. Lüth/Mörsch 2015: 188). Po­li­ti­sche, kul­tu­relle und künst­ le­ri­sche Prak­ti­ken und queere Theo­rie­bil­dun­gen ste­hen sich also nicht di­cho­tom gegen­über, son­dern be­din­gen und in­spi­rie­ren sich gegen­sei­tig.

Z um S tel ­len ­w ert von K ri ­tik in der zeit ge ­ nös ­ ­ ­schen K unst - und si K ultur ­ ­ o duk pr ­ ­ on . E in kur ­zes F a ­zit ti Neben zen­tra­len, sie ver­bin­den­den Ele­men­ten neh­men die ver­schie­de­nen An­sätze kri­ti­scher Kul­tur- und Ge­sell­schafts­theo­rie in Be­zug auf ge­sell­schaft­lich re­le­vante Fra­ge­stel­lun­gen unter­schied­li­che Po­si­tio­nen ein. Da­durch wird die Kritische Theorie durch ihre je spe­zi­fi­sche Her­an­ge­hens­weise mo­di­fi­ziert und wei­ter­ent­ wi­ckelt. So sind ei­nige der An­sätze stär­ker in der Mi­kro­ebene ge­sell­schaft­li­chen und kul­tu­rel­len Han­delns ver­an­kert, wäh­rend an­de­re, wie die Kritische Theorie selbst, die Ma­kro­ebene be­to­nen. Die Mög­lich­kei­ten ei­ner Ver­än­de­rung der be­ste­ hen­den Ver­hält­nisse wer­den da­bei sehr unter­schied­lich be­ur­teilt: Be­to­nen etwa die Cul­tu­ral Stu­dies und die Gen­der Stu­dies Mög­lich­kei­ten der Par­ti­zi­pa­tion und Eman­zi­pa­tion, fo­kus­sie­ren bei­spiels­weise Bour­dieu und Fou­cault stär­ker die Me­ cha­nis­men der Täu­schung, Ver­blen­dung und Ma­ni­pu­la­tion, die ge­sell­schaft­li­che Ver­än­de­rung auch ver­hin­dern kön­nen. Kon­tro­vers wird auch dis­ku­tiert, was je­weils unter ,Kri­tik‘ zu ver­ste­hen ist. So neh­men etwa im Gegen­satz zu Ha­ber­mas und sei­nem Be­stre­ben, nor­ma­tive Kri­te­rien für eine de­mo­kra­ti­sche Öf­fent­lich­keit und Po­li­tik zu ent­wi­ckeln, vor al­lem post­struk­tu­ra­lis­ti­sche Theo­re­ti­ker_in­nen ei­nen an­de­ren Stand­punkt ein. Denn da­mit werde ein ver­all­ge­mei­nern­des ,Wir‘ kon­stru­iert, dass es so nicht ge­ ben kön­ne, eine Vor­stel­lung von Ge­rech­tig­keit eta­bliert und in der Folge Werte fest­ge­legt, die zu neuen Ex­klu­sio­nen führ­ten (vgl. u. a. But­ler 2001). Statt­des­sen geht es Fou­cault nicht um die Auf­stel­lung neuer Nor­men und Wer­te, son­dern dar­ um, „nach der ver­schlie­ßen­den Kons­ti­tu­tion des Fel­des der Ka­te­go­rien selbst“ zu fra­gen (ebd.). Kri­tik be­in­hal­tet dann vor al­lem die Hin­ter­fra­gung von ver­meint­ lich na­tür­li­chen Wis­sens­be­stän­den und legt des­sen Gren­zen und Aus­schlüsse of­ fen. Letzt­lich schlie­ßen sich beide Ar­ten der Kri­tik nicht un­be­dingt aus. In der kon­kre­ten künst­le­risch-kul­tu­rel­len Pro­duk­tion und ei­ner en­ga­gier­ten, kri­ti­schen (Ak­tions-)For­schung wird es not­wen­dig sein, auf be­reits be­ste­hende Werte und Nor­men als Maß­stab für Kri­tik und Ver­än­de­rung zu­rück­zu­grei­fen. Zu­gleich muss da­mit aber stets auch ein kri­tisch-de­kon­struk­ti­vis­ti­sches und ein selbst­kri­ti­sches Über­den­ken und Über­arbei­ten eben die­ser Nor­men und Maß­stäbe ver­bun­den sein,

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Ri­carda Drüe­ke, Eli­sa­beth Klaus

wie etwa die kon­flikt­rei­che De­batte um ,par­ti­zi­pa­tive Kunst‘ zeigt (vgl. Ran­cière 2015; Mi­levska 2016). Zeit­ge­nös­si­sche kri­ti­sche Kunst- und Kul­tur­pro­duk­tion knüpft da­bei an eine große Band­breite an Theo­rien so­wie an Theo­rie­tra­di­tio­nen an. Da­bei kann heute we­ni­ger denn je von ei­ner kri­ti­schen Theo­rie in der Ein­zahl als viel­mehr von ei­ nem Zu­sam­men­hang aus­ge­gan­gen wer­den, in dem in der künst­le­risch-kul­tu­rel­len Aus­ein­an­der­set­zung mit der Gegen­wart und ihren Pro­ble­men auf eine Viel­zahl von Kon­zep­ten und Vor­stel­lun­gen aus ganz unter­schied­li­chen Dis­zi­pli­nen zu­rück­ ge­grif­fen wird, de­ren Ge­mein­sam­keit eben vor al­lem darin be­steht, „dass Dinge nicht not­wen­dig das sind, was sie schei­nen“ (Ro­goff 2003: o. S.).

Kri­ti­sche kul­tu­relle Teil­ha­be: Theo­re­ti­sche An­sätze und ak­tu­elle Fra­gen

Kri­ti­sche kul­tu­relle Teil­ha­be: Theo­re­ti­sche An­sätze und ak­tu­elle Fra­gen1 Elke Zobl

D ie

de ­m o ­kra­tie ­p o ­li ­ti ­sche

F unk ­ti on

von

K ul­tur

Wie kann eine de­mo­kra­tie­po­li­ti­sche Vor­stel­lung von Kunst und Kul­tur um­ge­setzt wer­den? Wie kön­nen viele – oder gar „alle“2 – die Mög­lich­keit ha­ben, an Kul­tur teil­zu­ha­ben? Wie kön­nen sich die Kunst- und Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen da­hin­ge­hend öff­nen und trans­for­mie­ren? Und wel­che Rolle spielt da­bei die Bil­dung? Dies sind grund­le­gende Fra­gen in ei­ner de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft. Da­hin­ter steht, dass Kunst und Kul­tur keine neu­tra­len, son­dern um­kämpfte Be­griffe sind. Sie sind in his­to­ri­sche Ent­wick­lun­gen mit unter­schied­li­chen Vor­stel­lun­gen ein­ge­bet­tet, je nach­dem wel­che Rolle sie in der Ge­sell­schaft spie­len kön­nen und sol­len. Der Zu­gang zu Kunst und Kul­tur so­wie die Er­mög­li­chung der Pro­duk­tion von Kunst und Kul­tur stel­len Grund­rechte de­mo­kra­ti­scher Ge­sell­schaf­ten dar. Da­her ist es im Sinne ei­ner Teil­ha­be- und Ver­tei­lungs­ge­rech­tig­keit eine grund­le­gende Auf­gabe der öf­fent­li­chen Hand, ein mög­lichst brei­tes und viel­fäl­ti­ges kul­tu­rel­les Angebot für das Ge­mein­wohl be­reit­zu­stel­len und zu unter­stüt­zen.

1 Dieser Bei­trag ba­siert auf mei­nem im eJour­nal p/art/ici­pate er­schie­ne­nen Ar­ti­kel Per­ spek­tiv­wech­sel ge­fragt: Hin zu ei­ner selbst­re­fle­xi­ven und kri­ti­schen kul­tu­rel­len Teil­habe (Zobl 2018). Er ent­stand im Nach­feld der Ge­sprächs­reihe Kul­tur für alle – Kul­tur mit al­len? Po­si­tio­nen,Re­fle­xio­nen, Hand­lungs­fel­der kul­tu­rel­ler Teilhabe am Schwer­punkt Wis­sen­schaft und Kunst im Win­ter­se­mes­ter 2017/18. Ich danke al­len Ge­sprächs­part­ ner_in­nen ganz herz­lich, Laila Hu­ber und Elke Smo­dics für ihre wich­ti­gen In­puts und die Zu­sam­men­arbeit und Mar­cel Bleu­ler, Pers­son Perry Baum­gar­tin­ger so­wie Sig­linde Lang für das Feed­back zur Über­arbei­tung die­ses Tex­tes! Nä­here Infos zur Ge­sprächs­ reihe unter: http://www.w-k.sbg.ac.at/de/zeit­ge­no­es­si­sche-kunst-und-kulturproduktion/ vermittlung/gespraechsreihen/kultur-fuer-alle-kultur-mit-allen.html (7. 11. 2018). 2 Vgl. dazu den Dis­kurs zu „Kul­tur für alle“ (Hoff­mann (1981 [1979]); Ben­zer 2016; Fuchs 2016a und 2016b; so­wie die Aus­gabe unse­res eJour­nals p/art/ici­pate 2018 unter dem Ti­tel Open Up!).

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Die Kul­tur­wis­sen­schaft­le­rin Wanda Wiec­zo­rek (2018) hat Teil­habe3 fol­gen­ der­ma­ßen de­fi­niert: „Teil­habe ist ein um­fas­sen­der Be­griff, der Mög­lich­kei­ten des In­di­vi­du­ums be­zeich­net, sich als Teil des ge­sell­schaft­li­chen Zu­sam­men­le­bens zu be­grei­fen und ge­stal­tend dar­auf Ein­fluss zu neh­men. Kul­tu­relle Teil­habe ist ein Ele­ment die­ser all­ge­mei­nen so­zia­len Teil­ha­be. Sie um­fasst so­wohl die Teil­nahme an Kul­tur als auch die ei­gene kul­tu­relle Pro­duk­tion und er­ for­dert den sou­ver­änen Um­gang mit unter­schied­li­chen kul­tu­rel­len Aus­drucks­for­men und Codes, aus dem Op­tio­nen der Mit­wir­kung und Mit­ge­stal­tung er­wach­sen […].“ (Wiec­zo­rek 2018: 5)

Die­sen An­sprü­chen steht eine Rea­li­tät gegen­über, in der die Mehr­heit der Kul­tur­ in­sti­tu­tio­nen keine of­fe­nen Orte für ,je­der­mensch‘ sind, son­dern Orte der Selbst­ ver­ge­wis­se­rung der mitt­le­ren und hö­he­ren Ge­sell­schafts­schich­ten, die (groß­teils) unter sich blei­ben (vgl. Man­del 2016a): „Der öf­fent­li­che Auf­trag an die Kul­tur­ in­sti­tu­tio­nen ver­kehrt sich so ins Gegen­teil: An­statt al­len Per­so­nen glei­cher­ma­ ßen Zu­gang zum kul­tu­rel­len Angebot und zur ei­ge­nen Pro­duk­tion zu ver­schaf­fen, stel­len sie selbst die Bar­riere dar, die den Weg zur Kul­tur er­schwert.“ (Ebd.: 7) Teil­ha­ben (kön­nen), oder nicht, ist da­her die Fra­ge. In die­sem Bei­trag geht es mir dar­um, im Feld der kul­tu­rel­len Teil­ha­be, in dem sich Pra­xis und theo­re­ti­sche De­bat­ten in Wech­sel­wir­kung vor­an­brin­gen, Po­si­ tion zu be­zie­hen. Ich ar­gu­men­tiere hier für ei­nen An­satz ei­ner kri­ti­schen kul­tu­ rel­len Teil­ha­be, der auf ei­ner selbst­re­fle­xi­ven und in­sti­tu­tions­kri­ti­schen Hal­tung be­ruht, in Theo­rie und Pra­xis ge­sell­schaft­li­che Macht­ver­hält­nisse in den Blick nimmt und eine Trans­for­ma­tion der be­ste­hen­den Ver­hält­nisse und In­sti­tu­tio­nen zum Ziel hat.4 Auf ei­ner theo­re­ti­schen Ebene geht es mir dar­um, die­sen An­satz ei­ner kri­ti­schen kul­tu­rel­len Teil­habe mit je­nem der kri­ti­schen kul­tu­rel­len Pro­duk­ tion, wie wir ihn am Pro­gramm­be­reich Zeit­ge­nös­si­sche Kunst & Kul­tur­pro­duk­ tion am Schwer­punkt Wis­sen­schaft und Kunst aus­ge­arbei­tet ha­ben, zu ver­bin­den (vgl. Lang/Klaus/Zobl 2015). Kri­ti­sche kul­tu­relle Pro­duk­tion ver­ste­hen wir im Sinne der Cul­tu­ral Stu­dies als en­ga­gier­tes und pro­duk­ti­ves Mit­ge­stal­ten der ei­ge­ nen Le­bens­welt und da­mit ver­bun­de­ner kul­tu­rel­ler und öf­fent­li­cher Pro­zesse der

In ei­ner trans­dis­zi­pli­nä­ren Arbeits­gruppe in dem Pro­jekt Kul­tu­relle Teil­habe in Salz­ burg (2017–2020) er­for­schen wir Grund­la­gen, Mög­lich­kei­ten, Her­aus­for­de­run­gen und Stra­te­gien kul­tu­rel­ler Teil­habe all­ge­mein und in Stadt und Land Salz­burg im Be­son­de­ ren. Da­bei in­ter­es­siert uns, wel­che Aus­schlüsse im Kul­tur­be­reich statt­fin­den, wir eru­ie­ ren, wo Hand­lungs­be­darf be­steht, und ge­ben Im­pulse für Ver­än­de­run­gen (vgl. Web­site). 4 Die Arbei­ten des In­sti­tute of Art Edu­ca­tion (IAE) an der Zür­cher Hoch­schule der Künste unter der Lei­tung von Car­men Mörsch wa­ren und sind für mich in der Ent­wick­ lung die­ses An­sat­zes zen­tral. Mörsch ver­tritt ei­nen An­satz der Kul­tur­ver­mitt­lung als kri­ti­sche und selbst­re­fle­xive Pra­xis, von dem ich sehr viel ge­lernt habe und auf den ich mich in dem Bei­trag be­ziehe (vgl. Web­site IAE).

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Kri­ti­sche kul­tu­relle Teil­ha­be: Theo­re­ti­sche An­sätze und ak­tu­elle Fra­gen

Be­deu­tungs­kons­ti­tu­ie­rung: Kul­tur wird als ein par­ti­zi­pa­ti­ver und kol­la­bo­ra­ti­ver Pro­zess ge­lebt, in dem Sicht­wei­sen und Ein­stel­lun­gen er­zeugt, auf­ge­nom­men und in ei­nem öf­fent­li­chen Zir­ku­la­tions­pro­zess dis­tri­bu­iert wer­den. Zen­tral ist da­bei die Ver­hand­lung von de­mo­kra­ti­schen Öf­fent­lich­kei­ten und Räu­men, aber auch von Kon­flik­ten, Macht, so­zia­len Un­gleich­hei­ten und Aus­schluss­me­cha­nis­men. In dem Bei­trag zeichne ich zu Be­ginn kurz die Ver­schrän­kung von Kul­tur und Bil­dung nach, um an­schlie­ßend auf den kul­tur­po­li­ti­schen Slo­gan „Kul­tur für alle!“ als eng ver­bun­den mit dem Ziel ei­ner De­mo­kra­ti­sie­rung der Ge­sell­schaft ein­zu­ge­hen. In dem Be­stre­ben, Aus­schlüs­sen ent­gegen­zu­wir­ken, the­ma­ti­siere ich darauffolgend Fra­gen der Teil­habe in der kri­ti­schen Kul­tur­ver­mitt­lung und der trans­kul­tu­rel­len Kul­tur­arbeit. Ich schließe mit Über­le­gun­gen zu ver­schie­de­nen Hand­lungs­fel­dern.

D as Z u ­sa m ­m en ­w ir ­ken

von

K ul­tur

und

B il ­dung

Seit je­her sind Kul­tur und Bil­dung eng ver­schränkt, wo­bei seit Ende des 18. Jahr­ hun­derts eine ,Ver­bür­ger­li­chung‘ der Bil­dung und Künste zu ver­fol­gen ist: So ent­stand etwa vor al­lem im Zuge der fran­zö­si­schen Re­vo­lu­tion und der In­dus­tria­ li­sie­rung die Idee, Bil­dung und Künste zu de­mo­kra­ti­sie­ren, sodass alle (bür­ger­ li­chen) Ge­sell­schafts­mit­glie­der ei­nen An­spruch dar­auf ha­ben (vgl. Sturm 2002 in IAE 2013: 22).5 Wei­ters ent­wi­ckelte sich seit Mitte des 19. Jahr­hun­derts die Vor­stel­lung, das Mu­seum für das ,brei­te‘ Pu­bli­kum zu öff­nen und zu­gäng­lich zu ma­chen. Je­doch, wie der Kul­tur­wis­sen­schaft­ler Tony Ben­nett ar­gu­men­tiert, funk­ tio­nierte das Mu­seum hier als Dis­zi­pli­nie­rung der Ge­sell­schaft mit­tels In­struk­tion (vgl. Stern­feld 2015 [2005]). In die­ser Zeit öff­ne­ten sich auch die Uni­ver­si­tä­ten und es ent­stan­den Volks­hoch­schu­len, die je­doch, an­statt Ler­nende zu er­mäch­ti­ gen, bür­ger­li­che Werte und Nor­men mit­tels Dis­zi­pli­nie­rung wei­ter­ga­ben (vgl. ebd.). Zu­dem be­gan­nen sich zu Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts volks­bild­ne­ri­sche An­sätze und eine Mu­seums­päd­ago­gik zu ent­wi­ckeln. Diese An­sätze gin­gen von ei­nem na­tür­lich be­gab­ten In­di­vi­duum aus, das so ge­bil­det wer­den soll­te, dass es in der Ge­sell­schaft funk­tio­nie­ren könnte (Stern­feld spricht von der „Ta­xi­fah­rer­ me­thode“, vgl. 2015 [2005]). Die­sen An­sät­zen gegen­über steht ab Mitte des 20. Jahr­hun­derts eine Ent­ wick­lungs­li­nie, die als Bil­dungs­ziel Selbst­re­prä­sen­ta­tion und Selbst­er­mäch­ti­gung for­mu­liert und Päd­ago­gik in den Kon­text ge­sell­schaft­li­cher Macht­ver­hält­nisse setzt. Im Zu­sam­men­hang kri­ti­scher und ra­di­ka­ler Päd­ago­gik, wie sie u. a. Paulo Freire (1978 [1970]) und bell hooks (1994b) präg­ten, wird Bil­dung als Pro­zess 5 Dies ist na­tür­lich eine sehr ver­kürzte und kon­den­sierte Dar­stel­lung, für eine wei­ter­ge­ hende Dis­kus­sion vgl. auch Fuchs 2018.

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der Po­li­ti­sie­rung ver­stan­den6. Gleich­falls arbei­ten die Cul­tu­ral Stu­dies vor dem Hin­ter­grund ihrer star­ken Ver­an­ke­rung in der Er­wach­se­nen­bil­dung und im Sinne ei­ner „cri­ti­cal pe­da­gogy“ mit ei­nem er­wei­ter­ten Kul­tur­be­griff (vgl. Gi­roux 1994; Me­che­ril/Witsch 2006). Die­ser zielt auf eine Auf­lö­sung der Gren­zen zwi­schen Kunst, Kul­tur und All­tag so­wie auf ei­nen of­fe­nen Zu­gang zu Kunst und Kul­tur und be­in­hal­tet ein Ver­ständ­nis von Bil­dung, das Mit­tel zur Selbst­er­mäch­ti­gung mit dem Ziel ei­ner lang­fris­ti­gen so­zia­len und po­li­ti­schen Ver­än­de­rung zur Ver­ fü­gung stel­len will. Dem­ent­spre­chend ist es Auf­trag und Ziel von Bil­dung, dazu bei­zu­tra­gen, dass die Men­schen jene Macht­me­cha­nis­men er­ken­nen ler­nen, die ihr Le­ben prä­gen. Denn diese Re­fle­xion ist Vor­aus­set­zung, um dar­auf auf­bau­end (selbst­er­mäch­ti­gen­de) Ver­än­de­run­gen in­iti­ie­ren zu kön­nen. Bil­dung wird in die­ser Per­spek­tive als gegen­sei­ti­ger Lern­pro­zess und kol­la­bo­ra­tive Wis­sens­pro­duk­tion auf­ge­fasst. Bil­dung als kri­ti­sche Pra­xis be­deu­tet da­bei, Theo­rie, Re­fle­xion und das Er­pro­ben von Hand­lungs­stra­te­gien als zu­sam­men­ge­hö­rig zu ver­ste­hen (vgl. Zobl/Hu­ber 2015). Zen­tral in der De­batte um ge­sell­schaft­li­che Aus­schlüsse sind die Arbei­ten des So­zio­lo­gen Pierre Bour­dieu. Ende der 1970er Jahre stellte Bour­dieu in sei­ner ein­ fluss­rei­chen Stu­die Die fei­nen Unter­schiede (1979) fest, dass Kunst­in­sti­tu­tio­nen der so­zia­len Dis­tink­tion des Bür­ger­tums die­nen. Da­mit ein­her geht die Fest­stel­ lung, dass eine Viel­zahl von (steuer­zah­len­den) Men­schen nicht von öf­fent­lich ge­ för­der­ten kul­tu­rel­len An­ge­bo­ten er­reicht wird und öko­no­mi­sche und bil­dungs­po­ li­ti­sche Aus­schlüsse und Bar­rie­ren in Kunst und Kul­tur wirk­mäch­tig sind. Wei­ters kri­ti­siert er die Idee, dass Bil­dungs­in­sti­tu­tio­nen al­len of­fen stün­den. Im Gegen­ teil müsse offengelegt wer­den, dass es keine „na­tür­li­che Be­ga­bung“ ge­be, und Letz­tere als ein bür­ger­li­ches Kon­strukt zu ver­ste­hen sei, das klas­sen­spe­zi­fi­sche Unter­schiede ver­stär­ke. Ak­tu­elle Stu­dien wie Art.School.Dif­fe­ren­ces (Schweiz, vgl. Web­site und Mörsch 2018) zu Ein- und Aus­schluss­me­cha­nis­men an Kunst­ hoch­schu­len zei­gen: „Kein an­de­res ge­sell­schaft­li­ches Spiel­feld ist so ex­klu­siv wie die Künste.“ (Mörsch 2016: o. S.) Ge­rade die In­sti­tu­tion Schule spielt in der Re­pro­duk­tion von so­zia­len Un­ gleich­heits­ver­hält­nis­sen eine zen­trale Rol­le, kann aber gleich­zei­tig auch als zen­ tra­ler Ort für Trans­for­ma­tio­nen eben die­ser ver­stan­den wer­den. bell hooks sieht den Klas­sen­raum − und/oder jeden an­de­ren Raum der Ver­mitt­lung − als ei­nen Raum, in dem Ver­än­de­rung mög­lich ist (vgl. 1994b: 110, zi­tiert in Ka­zeemKaminski 2016). Der ka­na­di­sche Er­zie­hungs­wis­sen­schaft­ler Rubén Gaz­tam­bi­deFern­an­dez sieht Bil­dung als kul­tu­rel­len Pro­zess und Schule als ei­nen „Ort für eine en­ga­gierte und dauer­hafte kul­tu­relle Pra­xis“ (2014: 7). Er schlägt – ziem­lich ra­di­kal – vor, den Kunst­be­griff im Bil­dungs­kon­text au­ßen vor zu las­sen. Die­ser sei mit ei­ner Wir­kungs­rhe­to­rik und ei­nem eu­ro­zen­tri­schen und eli­tä­ren Kunst- und 6 Zum Ver­hält­nis von De­mo­kra­tie und Er­zie­hung vgl. zen­tral John De­wey (1964).

Kri­ti­sche kul­tu­relle Teil­ha­be: Theo­re­ti­sche An­sätze und ak­tu­elle Fra­gen

Kul­tur­ver­ständ­nis ver­knüpft. Aus­schlüsse wür­den im Sinne so­zia­ler Dis­tink­tion (re-)pro­du­ziert. Er plä­diert da­her im Sinne der Cul­tu­ral Stu­dies für ein Ver­ständ­ nis von „Kul­tur als Pra­xis“ und da­für, den Fo­kus auf das Tun der be­tei­lig­ten Ak­ teur_in­nen zu rich­ten. Gaz­tam­bi­de-Fern­an­dez ar­gu­men­tiert, an­statt von den Küns­ ten von „sym­bo­li­scher und kul­tu­rel­ler Arbeit“ bzw. „sym­bo­li­scher Krea­ti­vi­tät“ als kul­tu­rel­ler Pro­duk­tion zu spre­chen (ebd.: 56). In Bil­dungs­kon­tex­ten, wie z. B. in der Schu­le, kann so ein An­satz pro­duk­tiv sein, wie ich selbst im Kon­text der Pro­ jekte Ma­king Art, Ma­king Me­dia, Ma­king Change! und Ma­king Art, Ta­king Part! (s. Bild­teil) be­ob­ach­ten konn­te: Wenn wir in der Arbeit mit Schü­ler_in­nen von künst­le­ri­schen Work­shops spra­chen, dräng­ten sich ihre je­wei­li­gen in­trin­si­schen Vor­stel­lun­gen, Er­war­tun­gen und na­tür­lich auch Vor­ur­teile vom Ge­füge ,Kunst‘ in den Vor­der­grund – Kunst war groß­teils et­was, das nichts mit ih­nen zu tun hat­te. Wenn wir uns statt­des­sen auf kul­tu­rel­len Stra­te­gien (wie DIY) be­zo­gen, be­ob­ ach­te­ten wir eine grund­le­gen­dere Of­fen­heit, ohne den Bal­last des Sys­tems Kunst mit­zu­trans­por­tie­ren. Der Er­zie­hungs- und Kul­tur­wis­sen­schaft­ler Max Fuchs for­dert eine kri­ti­sche Kul­tur­päd­ago­gik (2017). Aus­ge­hend von ei­ner his­to­ri­schen Ver­an­ke­rung des Be­ griffs „kri­tisch“, u. a. in der „Kri­ti­schen Theo­rie“ der Frank­fur­ter Schu­le, müsse eine kri­ti­sche Päd­ago­gik ihren Blick auf ge­sell­schaft­li­che Un­gleich­hei­ten und Un­ge­rech­tig­kei­ten und die wach­sende neo­li­be­ra­le, öko­no­mi­sche Denk­wei­se, die sich durch ei­nen po­si­ti­vis­ti­schen Kom­pe­tenz­be­griff und Hu­man­ka­pi­tal aus­zeich­ net und sich auf die in­nere For­mung des Sub­jekts aus­wir­ke, rich­ten (vgl. ebd.). Er sieht da­her die zen­trale Auf­gabe ei­ner kri­ti­schen Kul­tur­päd­ago­gik dar­in, die Aus­wir­kun­gen des Pro­zes­ses der Neo­li­be­ra­li­sie­rung auf die Per­sön­lich­keit zu ana­ly­sie­ren und Wi­ders­tän­dig­kei­ten vor al­lem mit­tels künst­le­ri­scher bzw. krea­ti­ ver Prak­ti­ken zu mo­bi­li­sie­ren. Ab­schlie­ßend for­dert er die in Theo­rie und Pra­xis be­ste­hen­den „Denk­an­stren­gun­gen zu bün­deln“ (ebd.: o. S.) und spricht sich für eine ent­spre­chende kri­ti­sche kul­tu­relle Bil­dungs­po­li­tik aus. Der Ver­weis auf die neo­li­be­rale Um­struk­tu­rie­rung unse­rer Ge­sell­schaft, den Fuchs hier ar­gu­men­tiert, ist für ein kri­ti­sches Ver­ständ­nis kul­tu­rel­ler Teil­habe zen­tral, da sie In­di­vi­duen wie Struk­tu­ren glei­cher­ma­ßen be­trifft.

K ul­tu ­relle T eil ­ha ­b e : D ie F or ­de ­rung „K ul­tur

für alle !“

Bereits 1948 for­mu­lier­ten die Ver­ein­ten Na­tio­nen das Recht „am kul­tu­rel­len Le­ ben der Ge­mein­schaft frei teil­zu­neh­men“ als ein Men­schen­recht (Artikel 27, Men­schen­rechts­charta der Ver­ein­ten Na­tio­nen). Auf der UNESCO-Welt­kon­fe­renz über Kul­tur­po­li­tik in Me­xi­ko-Stadt wurde im Jahr 1982 wei­ters eine De­mo­kra­ti­ sie­rung der Kul­tur ge­for­dert. In der kul­tur­po­li­ti­schen For­de­rung der 1970er/80er

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Jahre „Kul­tur für alle!“ wird die Vi­sion ei­ner kul­tu­rel­len Teil­habe „al­ler“ in ei­ner he­te­ro­ge­nen Ge­sell­schaft le­ben­den Men­schen ein­ge­for­dert (vgl. Hoff­mann 1981 [1979]; zur his­to­ri­schen Di­men­sion vgl. Fuchs 2018) – ein „Bür­ger­recht Kul­tur“ (vgl. Gla­ser/Stahl 1983). „Kul­tur für alle!“ be­stand in der For­de­rung ei­ner De­mo­ kra­ti­sie­rung von Kul­tur in der Ver­bin­dung von Teil­ha­be­ge­rech­tig­keit und Ab­bau von Bar­rie­ren mit ei­ner Wert­schät­zung al­ter­na­ti­ver kul­tu­rel­ler Prak­ti­ken und kul­ tu­rel­ler Bil­dung (vgl. Bock­horst/Rein­wand/Za­cha­rias 2012; Fuchs 2016a). Im Zuge ei­ner Kri­tik am eli­tä­ren Kul­tur­be­griff und an pa­ter­na­lis­ti­schen Vor­ stel­lun­gen ei­ner „Kul­tur für alle!“ wurde aus dem zu­neh­mend be­deu­tungs­lee­ren Slo­gan zu­nächst eine „Kul­tur von al­len für alle!“ und in der Folge eine „Kul­tur mit al­len!“ (vgl. Ben­zer/IG Kul­tur Vor­arl­berg 2016). Zen­tral wa­ren und sind da­bei De­ bat­ten um kul­tu­relle Di­versi­tät, Cul­tu­ral Ci­ti­zens­hip, cri­ti­cal dis_ab­ili­ty, eine DoIt-Your­self-Kul­tur und eine kri­ti­sche Kunst- und Kul­tur­ver­mitt­lung. So for­derte die be­hin­dert und ver­rückt fei­ern Pride Pa­rade am 15. Juli 2017 in Ber­lin: „ganz­ ha­ben statt teil­ha­ben!“7 In ei­nem Inter­view er­klä­ren die Pri­de-Or­ga­ni­sa­tor_in­nen: „Mit ,Ganz­ha­be‘ mei­nen wir die voll­stän­dige und um­fas­sende Teil­habe für be­hin­derte und ver­rückte Men­schen. Mit dem 2016 er­las­se­nen Bun­des­teil­ha­be­ge­setz (BTHG) sollte bei­ spiels­weise die Teil­habe be­hin­der­ter Men­schen ver­grö­ßert wer­den. Tat­säch­lich gibt es klei­ nere Ver­bes­se­run­gen, aber die sind sehr über­schau­bar. Da­für ent­hält das Ge­setz wei­tere Ein­schrän­kun­gen der Selbst­be­stim­mung be­hin­der­ter Men­schen. ,Ganz­ha­ben statt teil­ha­ben‘ heißt: wir wol­len die ganze Bä­cke­rei statt nur Krü­mel. Wir wol­len eine Ge­sell­schaft, in der kein Mensch aus­ge­grenzt wird.“ (O. V. 2017: o. S.)

Die Idee der „Ganz­habe“ stellt die selbst­be­stimmte und er­mäch­ti­gende Teil­habe al­ler Men­schen an al­len Be­rei­chen der Ge­sell­schaft in den Mit­tel­punkt (vgl. Magd­le­ner 2018). Zwar ha­ben sich vor dem Hin­ter­grund die­ser For­de­run­gen und Ent­wick­lun­ gen die Viel­falt des Kul­tur­an­ge­bots und die Vor­aus­set­zun­gen für kul­tu­relle Par­ti­ zi­pa­tion ver­bes­sert, al­ler­dings ist kul­tu­relle Teil­habe wei­ter­hin eng mit „ver­erb­ tem“ Bil­dungs­stand, Ein­kom­mens­ver­hält­nis, so­zia­ler Her­kunft und So­zia­li­sa­tion ver­bun­den (vgl. Sche­ytt/Sie­vers 2010; vgl. zu kul­tu­rel­len Un­gleich­hei­ten Fuchs 2016b; Pilić/Wie­der­hold 2015; Man­del 2017 [2016]). Mit For­de­run­gen nach glei­ chen Bil­dungs- und Teil­ha­be­chan­cen sind zum ei­nen Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen auf­ge­ for­dert, in­sti­tu­tions­kri­tisch ihre ei­ge­nen Aus­schluss­me­cha­nis­men, Pri­vi­le­gien und Hier­ar­chien zu re­flek­tie­ren und ver­mitt­leri­sche Bil­dungs­arbeit mit ei­nem mög­ lichst gleich­wer­ti­gen Aus­tausch von Er­fah­run­gen von Men­schen aus unter­schied­ li­chen Ge­sell­schafts­be­rei­chen (vgl. Stö­ger 2002) ein­zu­set­zen. Zum an­de­ren ist die Kul­tur­po­li­tik dazu auf­ge­for­dert, das kul­tu­relle Le­ben zu öff­nen und Teil­ha­be­ge­ rech­tig­keit aus­dif­fe­ren­ziert um­zu­set­zen. 7 Vgl. Web­site und Fa­ce­book-Auf­tritt.

Kri­ti­sche kul­tu­relle Teil­ha­be: Theo­re­ti­sche An­sätze und ak­tu­elle Fra­gen

T heo ­re ­ti ­sche A n ­sätze und ak ­tu ­elle F ra­gen der T eil ­ha be in der kri ­ti ­schen K ul­tur­v er ­m itt ­lung Ein Ziel von Kul­tur­ver­mitt­lung ist es, so­ziale Aus­schlüsse im kul­tu­rel­len Feld zu be­kämp­fen (vgl. IAE 2013: 34). Kul­tur­ver­mitt­lung stellt eine sehr he­te­ro­gene Pra­ xis mit unter­schied­li­chen Po­si­tio­nie­run­gen dar. Unter dem Be­griff der Kul­tur­ver­ mitt­lung, der ein un­schar­fer und weit ge­fass­ter Sam­mel­be­griff ist, wird ein di­ver­ ses Feld der kul­tu­rel­len Bil­dung in Kunst- und Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen, in der Schule und in au­ßer­schu­li­schen Ein­rich­tun­gen und Pro­jek­ten sub­su­miert. Ge­ne­rell wird er „für Si­tua­tio­nen an­ge­wen­det, bei denen Men­schen über die Künste (oder auch wis­sen­schaft­li­che und ge­sell­schaft­li­che Phä­no­mene und Er­kennt­nis­se) in­for­miert wer­den, über sie in Aus­tausch tre­ten und auf sie rea­gie­ren – sei es spre­chend oder mit an­de­ren Aus­drucks­for­men“ (ebd.: 15). Im Feld der Kul­tur­ver­mitt­lung las­sen sich in den letz­ten Jah­ren eine Auf­wer­ tung und ein re­gel­rech­ter Boom be­ob­ach­ten. Da­hin­ter steht u. a. die Not­wen­ dig­keit, sich als öf­fent­lich sub­ven­tio­nierte In­sti­tu­tio­nen zu le­gi­ti­mie­ren und die de­mo­kra­tie­po­li­ti­sche For­de­rung nach Teil­ha­be­mög­lich­kei­ten der Be­völ­ke­rung (ver­mehrt) ein­zu­lö­sen (vgl. ebd.). Auf­bau­end auf ei­nem eman­zi­pa­to­ri­schen Päd­ago­gik­ver­ständ­nis be­greift sich die kri­ti­sche Kunst- und Kul­tur­ver­mitt­lung (vgl. Jasch­ke/Stern­feld 2012; Mörsch 2009 und 2012a; Set­te­le/Mörsch 2012; Stern­feld 2015 [2005]) als eine he­ge­mo­ nie­kri­ti­sche Pra­xis (vgl. IAE 2013). Car­men Mörsch be­ob­ach­tet da­bei die Bil­dung von neuen Al­li­an­zen zwi­schen kri­ti­schen Ku­ra­tor_in­nen, Künst­ler_in­nen und Ver­ mitt­ler_in­nen im Ver­such, die In­sti­tu­tio­nen von in­nen zu ver­än­dern und durch kri­ ti­sche Bil­dungs­an­sätze Hand­lungs­spiel­räume zu er­wei­tern (vgl. 2012a: 69; 2011). Diese Ver­än­de­rung der In­sti­tu­tion Mu­seum – aber auch der In­sti­tu­tio­nen Schule und Uni­ver­si­tät – von in­nen könnte dem­nach zur Schaf­fung ei­ner „kri­ti­schen In­sti­ tu­tion“ füh­ren (vgl. Fra­ser 2005: 278; Mörsch 2012a). Dies er­for­dert auch, die ver­ steck­ten Nor­men und Werte in der Kul­tur­ver­mitt­lung selbst zu hin­ter­fra­gen, so­wie den Wil­len der in­vol­vier­ten In­sti­tu­tio­nen und Per­so­nen, sich zu ver­än­dern so­wie sich selbst zu wi­der­spre­chen (vgl. IAE 2013: 39, in Re­fe­renz zu Frigga Haugg). Wel­che Mög­lich­kei­ten und For­men der Teil­habe gibt es in der Kul­tur­ver­mitt­ lung? Mörsch skiz­ziert fünf Be­tei­li­gungs­gra­de: re­zep­tiv (Auf­neh­men und Inter­ pre­tie­ren von In­for­ma­tion z. B. in Form von Füh­run­gen, Le­sun­gen oder schrift­li­ chen In­for­ma­tio­nen), inter­ak­tiv (Dia­log, Nach­fra­gen, Dis­kus­sions­mög­lich­kei­ten), par­ti­zi­pa­tiv (Teil­neh­mende ha­ben Mög­lich­kei­ten der eigen­stän­di­gen Ge­stal­tung), kol­la­bo­ra­tiv (Rah­men, The­ma­tik und Me­tho­den wer­den ge­mein­sam ent­wi­ckelt) und re­kla­mie­rend (eine Interessensgruppe von au­ßen tritt an eine Kul­tur­in­sti­tu­tion her­an) (vgl. IAE 2013: 86 ff.). Die Kul­tur­ver­mitt­lung nimmt da­bei eine af­fir­ma­ ti­ve, re­pro­duk­ti­ve, de­kon­struk­ti­ve, re­for­ma­tive und/oder trans­for­ma­tive Funk­tion ein (vgl. ebd.: 113 ff.; Mörsch 2009).

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In der Kul­tur­ver­mitt­lung wer­den wich­tige Fra­gen zum Ler­nen als Er­geb­nis he­ge­mo­nia­ler Ver­hält­nisse so­wie zum Durch­bre­chen von an­ge­lern­ter Pra­xis und gän­gi­gem Wis­sen dis­ku­tiert. Pro­zesse des Ler­nens und Ver­ler­nens von Denk- und Hand­lungs­mus­tern, so Nora Stern­feld (2014), sind ent­schei­dend, um Kri­tik zu äu­ßern und ge­sell­schaft­li­che Trans­for­ma­tio­nen an­zu­sto­ßen. In der Ver­mitt­lungs­ arbeit geht es dem­nach vor al­lem dar­um, Räume zu öff­nen, in denen neue Fra­gen, Hand­lungs­mög­lich­kei­ten und Öf­fent­lich­kei­ten ent­ste­hen kön­nen. Im Zen­trum steht da­bei die Fra­ge, wer Sprech­raum in den In­sti­tu­tio­nen Kunst- und Kul­tur er­ hält – oder sich die­sen an­eig­net – und wie die Macht­ver­hält­nisse zu Gunsten der Ver­än­de­rung von Sprech­po­si­tio­nen ge­nutzt wer­den kön­nen (vgl. Jasch­ke/Stern­ feld 2012: 18 f.). Die kri­ti­sche Kul­tur­ver­mitt­lung macht deut­lich, dass es auf ver­schie­de­nen Ebe­nen Inter­ven­tio­nen ge­ben kann (vgl. Lüth/Mörsch 2015): So sol­len zum ei­ nen die bis­he­ri­gen Vor­stel­lun­gen über kul­tu­relle Bil­dung re­flek­tiert und eine Dis­ kus­sion dar­über an­ge­sto­ßen wer­den, wel­cher Kunst- und Kul­tur­be­griff sol­chen Set­zun­gen zu­grunde liegt. Zum an­de­ren ist es wich­tig, viel­fäl­tige In­for­ma­tionsund Unter­richts­ma­te­ria­lien zu ent­wi­ckeln, die ge­sell­schafts­kri­ti­sche Mo­mente aus ei­ner anti­ras­sis­ti­schen und queer-fe­mi­nis­ti­schen Per­spek­tive mit­den­ken bzw. als Aus­gangs­punkt neh­men, wie etwa FLIC FLAC* Fe­mi­nis­ti­sche Ma­te­ria­lien für den Kunst­unter­richt von Büro tra­fo.K (2011), die Tool­box Ver­let­zende Spra­che an­ge­hen (Hu­ber 2014), der Ras­sis­mus­kri­ti­sche Leit­fa­den (Pro­jekt Lern- und Er­in­ ne­rungs­ort Afri­ka­ni­sches Vier­tel 2015) so­wie das RCG – Ma­ga­zin zu In­ter­sekt­io­ na­li­tät (AG Post­ko­lo­niale Mi­gra­tion(en) und Anti-Ras­sis­mus 2014) und die von uns ent­wi­ckelte Tool­box Do-It-Your­self, Do-It-To­ge­ther! Ma­te­ria­lien für eine kri­ ti­sche und fe­mi­nis­ti­sche Ver­mitt­lungs­pra­xis8. Diese Ent­wick­lung von Lehr­ma­te­ria­lien ge­schieht ak­tu­ell auch in trans­na­ tio­na­len Arbeits­grup­pen der An­ot­her Ro­ad­map School9, die im Pro­jekt An­ot­her Road­­map for Arts Edu­ca­tion mit­arbei­ten. Das Pro­jekt be­zieht sich auf die Ver­ öf­fent­li­chung der Ro­ad­map for Arts Edu­ca­tion (2006) und der dar­auf fol­gen­den Seoul Agenda durch die UNESCO und die darin her­ge­stellte Sicht­bar­keit von kul­ tu­rel­ler Bil­dung als glo­bal be­deu­ten­des Thema10. Die Pro­jekt­ver­ant­wort­li­chen se­ hen da­her die Not­wen­dig­keit, sich inter­na­tio­nal zu ver­net­zen und Ak­teur_in­nen aus Mu­seen, Uni­ver­si­tä­ten, Schu­len und aus der freien Kul­tur- und Bil­dungs­arbeit zu­sam­men­zu­brin­gen, um „die kul­tu­relle Bil­dung als en­ga­gierte Pra­xis für so­zia­ 8 Vgl. Web­site des Pro­jektes Mak­ing Art, Making Me­dia, Making Change. Für eine Zu­ sam­men­stel­lung sol­cher Ma­te­ria­lien siehe das Archiv für eman­zi­pa­to­ri­sche Pra­xen, das im Pro­jekt Stra­te­gien für Zwi­schen­räu­me. Neue For­mate des Ver_Ler­nens in der Mi­ gra­tions­ge­sell­schaft von Büro tra­fo.K ent­wi­ckelt wurde (vgl. Web­site), so­wie die Ma­ te­ria­lien­samm­lung auf der Web­site des Pro­jek­tes Ma­king Art, Ta­king Part. 9 Vgl. Web­site 10 Vgl. Web­site Another Roadmap to Education

Kri­ti­sche kul­tu­relle Teil­ha­be: Theo­re­ti­sche An­sätze und ak­tu­elle Fra­gen

len Wan­del“ (vgl. Web­site An­ot­her Ro­ad­map to Edu­ca­tion) zu be­trei­ben. Pro­jekte wie diese le­gen nicht nur ver­schie­denste (euro­zen­tris­ti­sche, eli­tä­re) Grund­an­nah­ men über die Funk­tion und das Ver­ständ­nis von Bil­dung und Kul­tur of­fen, son­ dern ent­wi­ckeln auch neu­ar­ti­ge, im­puls­ge­bende For­mate für kul­tu­relle Bil­dung mit ei­ner post­ko­lo­nia­len Per­spek­ti­ve, um so­ziale Aus­schlüsse in Kunst, Kul­tur und Ge­sell­schaft zu be­kämp­fen. Wiec­zo­rek ver­tritt zum an­de­ren die For­de­rung nach ei­ner selbst­re­fle­xi­ven „ra­ tio­na­len Kul­tur­ver­mitt­lung“ (2018). Ziel da­von wä­re, dass Kul­tur­ein­rich­tun­gen nicht nur be­stimm­te, klar de­fi­nierte – mit kul­tu­rel­lem Ka­pi­tal aus­ge­stat­tete – Per­ so­nen („In­si­der“) er­rei­chen, son­dern al­len Per­so­nen glei­cher­ma­ßen Zu­gang zum kul­tu­rel­len Angebot und zu eige­ner Pro­duk­tion ge­ben könn­ten. Sie ar­gu­men­tiert: „Es geht also dar­um, die Fer­tig­kei­ten des kul­tu­rel­len Ka­nons durch­läs­sig und auf­ nah­me­fä­hig zu ma­chen für die darin feh­len­den Ge­sell­schafts­schich­ten und so die Mög­lich­keit für Mit­ge­stal­tung – oder den be­grün­de­ten Ver­zicht dar­auf – zu schaf­ fen.“ (Wiec­zo­rek 2018: 11) Eine „ra­tio­nale Kul­tur­ver­mitt­lung“ – und hier nimmt sie Be­zug auf Bour­dieu, der für das Bil­dungs­sys­tem eine „ra­tio­nale Päd­ago­gik“ (ebd.: 12) ge­for­dert hat – stehe nahe an der Pra­xis, sei frei von Idea­li­sie­run­gen und habe ei­nen of­fe­nen und selbst­re­fle­xi­ven Blick für die Mög­lich­kei­ten und Gren­zen. Sie fol­gert: „Wenn wir ra­tio­nale Kul­tur­ver­mitt­lung in die Tat um­set­zen wol­len, dann be­deu­tet das eine Um­keh­rung der Blick­rich­tung. Weg von den ver­meint­li­chen De­fi­zi­ten der Nicht-An­we­sen­ den und hin zum ei­ge­nen An­teil an de­ren Ab­we­sen­heit: Wo­durch wer­den sie ab­ge­hal­ten? Was tun wir – als In­sti­tu­tio­nen und als In­di­vi­duen –, um Bar­rie­ren zu er­rich­ten oder auf­ recht zu hal­ten? Wie ver­hin­dern unsere Arbeits­weise und unsere In­sti­tu­tions­struk­tur die An­we­sen­heit be­stimm­ter Per­so­nen und Grup­pen? Wie müs­sen wir uns selbst ver­än­dern, um Zu­gang zu er­mög­li­chen? Und wor­auf müs­sen wir ver­zich­ten, um Teil­habe ge­rech­ter zu ge­stal­ten?“ (Ebd.: 12)

Wiec­zo­rek ver­weist neben dem gut aus­ge­arbei­te­ten Fach­wis­sen auf das be­reits be­ ste­hende Ma­te­rial aus der Pra­xis und auf unser im­pli­zi­tes Er­fah­rungs­wis­sen, aber auch auf die Not­wen­dig­keit neuer Me­tho­den, um auf die­ses Wis­sen und Ma­te­rial zu­rück­grei­fen zu kön­nen. Ob­wohl der Ter­mi­nus „ra­tio­nale Kul­tur­ver­mitt­lung“ et­ was ge­wöh­nungs­be­dürf­tig ist (wie sie selbst zu­gibt), finde ich ihren An­satz sehr pro­duk­tiv, um ge­nau auf die ei­gene Mo­ti­va­tion, die ver­in­ner­lich­ten An­nah­men und Er­war­tun­gen zu schauen und die Per­spek­tive auf die ei­gene In­vol­viert­heit – als Per­son, als In­sti­tu­tion – in die Ab­we­sen­heit von Per­so­nen und Grup­pen zu rich­ten.

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A us ­schl üs ­sen ent ­gegen ­w ir ­ken : T rans ­kul­tu ­relle  K ul­tur ­ar beit in

der

P ra ­xis

In dem Dis­kurs rund um eman­zi­pa­to­ri­sche Prak­ti­ken und Trans­for­ma­tio­nen der In­sti­tu­tio­nen neh­men seit An­fang der 1990er Jahre trans­kul­tu­relle Kunst- und Kul­tur­in­itia­ti­ven eine wich­tige Rolle ein, in­dem sie mit ei­ner brei­ten, mi­gra­tions­ ge­sell­schaft­lich ge­präg­ten Be­völ­ke­rung arbei­ten. In die­sem Kon­text sind trans­ kul­tu­relle Kon­zepte wich­tig, „die das En­ga­ge­ment für eine gleich­be­rech­tigte und so­zio­kul­tu­rell di­ver­si­fi­zierte Ge­sell­schaft auf­brin­gen und Bar­rie­ren für eine unter­ re­prä­sen­tierte und mar­gi­na­li­sierte Gruppe ab­bauen“ (KunstSozialRaum Brun­ nen­pas­sage 2015: 21). Trans­kul­tu­relle Kul­tur­arbeit zielt auf eine Er­mög­li­chung von Viel­heit (vgl. Ter­kes­si­dis 2010) ab, ohne Dif­fe­ren­zen ei­nes „Wir“ – „Ihr“ fest­zu­schrei­ben, son­dern mit der In­ten­tion, mit Dif­fe­ren­zen im Rah­men ei­nes ge­mein­sa­men, trans­for­ma­ti­ven Pro­zes­ses um­zu­ge­hen. Da­mit müs­sen kul­tur­po­li­ ti­sche Maß­nah­men ein­her­ge­hen: „Eine ,Kul­tur für al­le‘ be­darf je­ner Räu­me, in denen ein ,Will­kom­men-Sein‘ mög­lich wird, das ge­rade Mi­grant_in­nen nicht als das ,an­de­re‘ setzt, son­dern ein ega­li­tä­res Mit­ein­an­der zu­lässt.“ (KunstSozialRaum Brun­nen­pas­sage 2015: 24) Ver­schie­de­ne, in den letz­ten Jah­ren mit Be­zü­gen zu Kunst und Kul­tur ent­ wi­ckelte anti­ras­sis­ti­sche, in­ter­sekt­io­nale und post­ko­lo­niale An­sätze (vgl. ­Cas­tro Va­re­la/Dha­wan 2009; Ka­zeem 2015, Ka­zeem/Schaf­fer 2012; Sal­gado 2012; Schnitt­punkt 2009) so­wie die Per­spek­tive der Mi­gra­tions­päd­ago­gik11 im Kon­text von äs­the­ti­scher Bil­dung (vgl. Me­che­ril 2012a, 2012b) set­zen ebenso hier an, in­ dem sie an­statt mit Kon­zep­ten der Mul­ti- und In­ter­kul­tur­ali­tät mit An­sät­zen der „Trans­kul­tur­ali­tät“ arbei­ten. Die Ta­gung und Pu­bli­ka­tion Kunst­ver­mitt­lung in der Mi­gra­tions­ge­sell­schaft (ifa et al. 2012) so­wie zwei Aus­ga­ben von Art Edu­ca­tion Re­search (Land­kam­mer/Mörsch 2012, 2014) zei­gen bei­spiels­weise Denk- und Hand­lungs­per­spek­ti­ven für das Feld auf. Kri­ti­siert wird, dass sich die In­sti­tu­tio­ nen im Zuge des Dis­kur­ses über die Schaf­fung von Zu­gän­gen für Mi­grant_in­nen selbst le­gi­ti­mie­ren und zeit­ge­mä­ßer er­schei­nen wol­len, aber das Para­dox über­ se­hen wer­de, „dass eine An­er­ken­nung von Be­nach­tei­li­gun­gen und Aus­ge­schlos­ sen­sein im­mer auch de­ren Wie­der­ho­lung be­deu­tet“ (Mörsch 2012b: 12; vgl. Me­ che­ril 2012b). Ziel ist es, den Dis­kurs weg von „Mi­gra­tions­an­de­ren“, hin zu ei­ner Re­fle­xion über die Rolle der von der Kunst­ver­mitt­lung ge­stal­te­ten Räume in der Mi­gra­tions­ge­sell­schaft zu ver­schie­ben (Mörsch 2012b: 15). Denn:

11 Bei der Mi­gra­tions­päd­ago­gik „rich­tet sich der Blick auf Zu­ge­hö­rig­keits­ord­nun­gen in der Mi­gra­tions­ge­sell­schaft, auf die Macht der Unter­schei­dung, die sie be­wir­ken und die Bil­dungs­pro­zes­se, die in die­sen macht­vol­len Ord­nun­gen er­mög­licht und ver­hin­dert sind“ (Me­che­ril 2015: 207).

Kri­ti­sche kul­tu­relle Teil­ha­be: Theo­re­ti­sche An­sätze und ak­tu­elle Fra­gen „Wenn Ras­sis­mus und Aus­gren­zung struk­tu­rell ge­se­hen wer­den, kann die Vi­sion ei­ner Kunst­ver­mitt­lung, die Aus­schluss­me­cha­nis­men ent­gegen­wirkt und Kunst­räume als Lernund Hand­lungs­orte ge­rade für mi­no­ri­täre Po­si­tio­nen nutz­bar macht, das Selbst­ver­ständ­nis von Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen und Kunst­ver­mitt­lung nicht un­be­rührt las­sen. Kunst­ver­mitt­lung soll da­mit – in An­leh­nung an Spi­vaks Kon­zept des Ver­ler­nens von Pri­vi­le­gien – als Dy­na­mik von Ler­nen und Ver­ler­nen kon­zi­piert wer­den.“ (Mörsch 2012b: 16)

Hier wer­den (wie wei­ter oben be­reits dar­ge­stellt) ganz klar eine kri­ti­sche Selbst­ re­fle­xion und das Hin­ter­fra­gen von Macht­ver­hält­nis­sen so­wie ein Ver­ler­nen von Pri­vi­le­gien ein­ge­for­dert. In die­sen Pro­zes­sen hat die Her­stel­lung von Be­din­gun­gen für kol­lek­tive und kol­la­bo­ra­tive Wis­sens­pro­duk­tion eine zen­trale Be­deu­tung. Da­bei geht es um das An­er­ken­nen ei­ner Gleich­wer­tig­keit unter­schied­li­cher Wis­sens­for­men, wie je­ner des Er­fah­rungs­wis­sens und des aka­de­mi­schen Wis­sens, so­wie um die The­ma­ti­ sie­rung von und ei­nen be­wuss­ten Um­gang mit un­glei­chen struk­tu­rel­len Macht­ ver­hält­nis­sen zwi­schen den be­tei­lig­ten Ak­teur_in­nen (vgl. Land­kam­mer 2012). In die­sem Kon­text wur­den An­sätze der par­ti­zi­pa­ti­ven For­schung im Feld der Kunst- und Kul­tur­ver­mitt­lung auf­ge­grif­fen (vgl. Mörsch 2008, 2012a; Land­kam­ mer 2012; Set­tele 2012; Wöh­rer et al. 2017). Par­ti­zi­pa­tive For­schung ist da­bei nicht nur Werk­zeug zur Wei­ter­ent­wick­lung der kri­ti­schen Kunst- und Kul­tur­ver­ mitt­lung, son­dern kons­ti­tu­ti­ver Be­stand­teil ei­nes Me­tho­den­sets zur ge­sell­schafts­ kri­ti­schen und trans­kul­tu­rel­len Bil­dungs- und Kul­tur­arbeit. Die Kunst­wis­sen­schaft­le­rin Ra­chel Ma­der hat mit Be­zug auf par­ti­zi­pa­tive Kunst und die Her­stel­lung von Öf­fent­lich­keit ar­gu­men­tiert, dass künst­le­ri­sche Prak­ti­ken dif­fe­ren­zier­ter und viel­schich­ti­ger als theo­re­ti­sche Po­si­tio­nen mit di­ver­ sen Öf­fent­lich­kei­ten inter­agie­ren und Aus­ein­an­der­set­zun­gen an­re­gen. Würde man all die Theo­rien – wie das Kon­zept zu Öf­fent­lich­kei­ten (im Plu­ral), die durch viel­ schich­tige Aus­hand­lungs­pro­zesse her­ge­stellt wer­den – ernst nehmen, er­for­dere dies um­fas­sende theo­re­ti­sche Ana­ly­se­arbeit. Diese kann aber kaum alle Mo­mente von Öf­fent­lich­keit und un­kon­trol­lier­ba­ren Wi­der­sprüch­lich­kei­ten, die durch diese Kunst­prak­ti­ken her­ge­stellt wer­den, fas­sen. Statt­des­sen stellt sie im­mer nur Frag­ mente dar und ist da­mit in „ein­di­men­siona­len Urtei­len“ ver­fan­gen (Ma­der 2014: 109). Sie ar­gu­men­tiert: „Diese Viel­schich­tig­kei­ten ge­nauso zu be­nen­nen und inter­pre­ta­tive Of­fen­heit und Un­si­cher­hei­ten aus­zu­hal­ten, das er­scheint mir eine Kom­pe­tenz, die die Kunst gegen­wär­tig bes­ser be­herrscht als die Wis­sen­schaft.“ (Ebd.: 110) Diese Pra­xis ist so viel­schich­tig, kom­plex, wi­der­sprüch­lich und pro­ zess­haft, dass wir sie auf theo­re­ti­scher Ebene nur in Tei­len mit ganz kon­kre­ten Fra­gen und ab­seits von dis­zi­pli­nä­ren Gren­zen fas­sen kön­nen. Dies ist ein wich­ti­ger Punkt, um­ge­legt auf teil­ha­be­orien­tierte kul­tu­relle Pra­xis. Ge­fragt sind da­her inter- und trans­di­zi­pli­näre An­sätze so­wie team­ba­sierte und par­ ti­zi­pa­tive For­schung, die diese wich­ti­gen Fra­gen aus ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven kon­text­ua­li­sie­ren und dis­ku­tie­ren kön­nen.

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K ein F a ­zit : H and ­lungs ­fel ­der kri ti ­ ­scher kul­tu ­rel ­ler  T eil ­ha be Die bis­her dis­ku­tier­ten As­pekte wer­fen zen­trale Fra­gen auf: Wie las­sen sich die For­de­run­gen nach Teil­habe und der Öff­nung von In­sti­tu­tio­nen tat­säch­lich ein­lö­ sen? Wie sieht eine trans­for­ma­ti­ve, eman­zi­pa­to­ri­sche und so­li­da­ri­sche Arbeit in Kunst und Kul­tur aus, die neue und an­dere Denk- und Er­fah­rungs­räume kul­tu­rel­ ler Teil­habe er­schließt? Dies sind kom­ple­xe, viel­schich­tige Fra­gen, die je­weils und kon­kret in den ver­schie­de­nen Kon­tex­ten wie­derum neue, un­ab­schließ­bare Fra­gen, Her­aus­for­de­run­gen und Wi­der­sprüch­lich­kei­ten auf­wer­fen. Fol­gende As­pekte er­schei­nen mir be­son­ders wich­tig, um hin zu ei­ner kri­ti­ schen kul­tu­rel­len Teil­habe (auch neue) Zu­gänge zu er­mög­li­chen, Aus­schlüs­sen ent­gegen­zu­wir­ken und neue Per­spek­ti­ven ein­zu­neh­men: Aus den er­läu­ter­ten Po­si­ tio­nen und Hand­lungs­fel­dern wird klar, dass es ei­ner­seits not­wen­dig ist, Macht­ver­ hält­nisse zu the­ma­ti­sie­ren, kri­tisch zu be­leuch­ten und of­fen zu le­gen. Da­mit ein­ her geht ein be­wuss­ter Um­gang mit un­glei­chen struk­tu­rel­len Macht­ver­hält­nis­sen der be­tei­lig­ten Ak­teur_in­nen und ein In­fra­ge­stel­len von Sprech­po­si­tio­nen. Dazu ge­hört auch die Selbst­re­fle­xion, das Hin­ter­fra­gen von (z. B. euro­zen­tris­ti­schen) Grund­an­nah­men und das Ab­ge­ben von Pri­vi­le­gien auf in­di­vi­du­el­ler Ebene so­wie die grund­le­gende Trans­for­ma­tion von In­sti­tu­tio­nen (im Rah­men von an­ge­bo­te­nen Pro­gram­men, Pu­bli­kum und Per­so­nal). An­de­rer­seits steht die Ent­wick­lung und Um­set­zung von er­mäch­ti­gen­den und so­li­da­ri­schen Mög­lich­kei­ten der Teil­habe und der Selbst­re­prä­sen­ta­tion von und mit den Be­tei­lig­ten im Rah­men von dis­kri­ mi­nie­rungs­sen­si­blen Ko­ope­ra­tio­nen und Al­li­an­zen im Zen­trum der Be­stre­bun­gen ei­ner kri­ti­schen Pra­xis von kul­tu­rel­ler Teil­ha­be. Um sol­che Pro­zesse an­zu­sto­ßen (oder über­haupt um­zu­set­zen), er­for­dert es ein per­ma­nen­tes Ler­nen und Ver­ler­nen, eine selbst­re­fle­xive Hal­tung und ein of­fe­nes Ein­las­sen auf wi­der­sprüch­li­che und schwie­rige Pro­zes­se, die viel Zeit und Raum be­nö­ti­gen. Wich­tig ist da­bei, die ei­gene Po­si­tio­nie­rung und das je­wei­lige Ver­ständ­nis von Kunst, Kul­tur und Bil­dung offenzulegen und zu be­grün­den12. Schließ­lich geht es vor al­lem dar­um, ei­nen selbst­re­fle­xi­ven und kri­ti­schen Per­spek­ti­ven­wech­sel vor­ zu­neh­men und aus ei­nem an­de­ren – trans­dis­zi­pli­nä­ren, of­fe­nen, dis­kri­mi­nie­rungs­ sen­si­blen – Blick­win­kel auf Zu­gäng­lich­kei­ten, Bar­rie­ren und kul­tu­relle Pro­duk­ tion zu schau­en, bis­her un­be­kannte kul­tu­relle Prak­ti­ken wahr­zu­neh­men und auf die­ser Grund­lage sich selbst so­wie in­sti­tu­tio­nelle Ziel­set­zun­gen, in­terne Struk­tu­ ren und Pro­gramm­po­li­tik zu ver­än­dern. Grund­lage für ein Ver­ständ­nis ei­ner kri­ti­schen kul­tu­rel­len Teil­habe sind ein er­wei­ter­ter und re­flek­tier­ter Kul­tur­be­griff, der in die Prak­ti­ken und Dis­kurse ei­nes 12 Mörsch (o. J.) for­dert dies ein­ge­hend in ihrem Bei­trag Watch this space!: Po­si­tion be­ zie­hen in der Kul­tur­ver­mitt­lung.

Kri­ti­sche kul­tu­relle Teil­ha­be: Theo­re­ti­sche An­sätze und ak­tu­elle Fra­gen

west­li­chen, bür­ger­li­chen und eli­tä­ren Ver­ständ­nis­ses von Kul­tur inter­ve­niert und Kul­tur als ver­han­del­ba­re, kon­flikt­hafte und re­fle­xive Pra­xis ver­steht. Diese Pra­ xis be­zeich­nen wir am Pro­gramm­be­reich als kri­ti­sche kul­tu­relle Pro­duk­tion. Ich würde also ar­gu­men­tie­ren, um kul­tu­relle Teil­habe zu er­for­schen, zu unter­stüt­zen und um­zu­set­zen, ist es not­wen­dig, auf ein Ver­ständ­nis von kri­ti­scher kul­tu­rel­ler Pro­duk­tion zu­rück­zu­grei­fen. Es gilt in Theo­rie und Pra­xis Macht­ver­hält­nisse und Er­mäch­ti­gungs­pro­zesse kri­tisch und selbst­re­fle­xiv zu be­arbei­ten, um Mög­lich­kei­ ten ei­ner ge­sell­schaft­li­chen Teil­habe und Mit­ge­stal­tung zu er­öff­nen. Dies be­in­ hal­tet auch, Wi­ders­tän­dig­kei­ten gegen neo­li­be­rale Do­mi­nanz­ver­hält­nisse und das Ex­pe­ri­men­tie­ren mit und in Frei­räu­men zu er­mög­li­chen. Nun, was kon­kret tun? Wir kön­nen von­ein­an­der ler­nen. Bü­cher und Ma­te­ria­ lien, die Theo­rie und Pra­xis zu­sam­men­brin­gen, ge­ben zen­trale Im­pulse für die Um­set­zung ei­ner kri­ti­schen kul­tu­rel­len Teil­ha­be: Ge­nannt seien hier bei­spiels­ weise Ge­flüch­tete und Kul­tu­relle Bil­dung (Zie­se/Gritschke 2016) oder Kunst­ pra­xis in der Mi­gra­tions­ge­sell­schaft – Trans­kul­tu­relle Hand­lungs­stra­te­gien am Bei­spiel der Brun­nen­pas­sage (Pilić/Wie­der­hold 2015) und die Be­richte und Ma­ te­ria­lien von Selbst­or­ga­ni­sa­tio­nen wie die der Bünd­nisse kri­ti­scher Kul­tur­prak­ ti­ker_in­nen mit MIND THE TRAP! (Ber­lin, 2016)13 und Ver­netzt euch! (Ber­lin, 2015), MAIZ (Linz), Ico­noc­la­sis­tas (Bue­nos Ai­res), Les­Mig­raS (Ber­lin, 2009), RISE (Aus­tra­lien, Ca­nas 2015) und die Pre­ca­ri­ous Wor­kers Bri­gade (Lon­don)14. Car­men Mörsch hat den Ver­such unter­nom­men, aus die­sem Wis­sen der Prak­ti­ ken um Selbst­er­mäch­ti­gung und Selbst­be­schrei­bun­gen mi­no­ri­sier­ter Po­si­tio­nen vier Kri­te­rien für Pro­jekte kul­tu­rel­ler Bil­dung und Kunst­ver­mitt­lung zu for­mu­lie­ ren, „wel­che die Ge­sell­schaft und ins­be­son­dere das kul­tu­relle Feld öff­nen hel­fen“ (Mörsch 2016: o. S.): „1. ,Not­hing ab­out us wit­hout us‘: in den Pro­jek­ten sind die im kul­tu­rel­len Feld nicht Vor­ ge­se­he­nen die Ak­teu­re. Sie kon­trol­lie­ren die In­hal­te, For­men, Res­sour­cen und Re­prä­sen­ta­ tio­nen. Das heisst, sie ent­schei­den auch selbst, ob, wie und von wem sie dar­ge­stellt wer­den. 2. Be­tei­ligte Mehr­heits­an­ge­hö­rige arbei­ten in den Pro­jek­ten nach­weis­lich an ei­ner ak­ti­ven Um­ver­tei­lung von Mehr­wert und Pri­vi­le­gien. 3. Wis­sen­schaft­li­che Be­glei­tung oder for­ma­tive Eva­lua­tion unter­stützt die Her­stel­lung von Zeit und Raum für eine kri­ti­sche Re­fle­xion und Be­arbei­tung der je­des Pro­jekt durch­zie­hen­

13 Das Bünd­nis kri­ti­scher Kul­tur­prak­ti­ker*in­nen inter­ve­nierte mit Mind the Trap in die 2014 am Deut­schen Thea­ter Ber­lin statt­fin­dende Ta­gung Mind the Gap (Man­del/Renz 2014), um auf Pro­ble­ma­ti­ken des Ta­gungs­kon­zepts und Aus­schlüsse hin­zu­wei­sen, vgl. dazu Web­site Mind the Trap; Sha­ri­fi/Sha­rifi 2014. 14 Vgl. Web­site zu Vernetzt euch! Stra­te­gien und Vi­sio­nen für eine dis­kri­mi­nie­rungs­ kritische Kunst- und Kul­tur­sze­ne, dazu das Pla­kat „Stra­te­gien für eine kri­ti­sche Kul­ tur­arbeit“: http://www.ver­netzt-euch.org/wp-con­tent/uplo­ads/2016/02/Ver­netzt-euch_ ­doku_bild­schirm.pdf; Web­sites MAIZ, Pre­ca­ri­ous Wor­kers Bri­ga­de, Ico­noc­la­sis­tas.

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Elke Zobl den Macht­ver­hält­nis­se. Wo­bei diese kri­ti­sche Re­fle­xion nicht in Läh­mung re­sul­tiert und da­durch selbst zum Alibi für den Er­halt von Pri­vi­le­gien führt. 4. Fin­det das Pro­jekt in ei­ner Kul­tur­in­sti­tu­tion statt, so trägt es dazu bei (zum Bei­spiel, in­ dem es dies zur Be­din­gung macht), dass sich Di­ver­si­fi­zie­rung von Struk­tu­ren wie zum Bei­ spiel Per­so­nal­zu­sam­men­set­zung, Pro­gram­mie­rung oder Cur­ri­cula er­eig­net, nicht nur von Sicht­bar­kei­ten im Wer­be­ma­te­rial.“ (Mörsch 2016, o. S.)

Konkret bräuchte es, wie viel­fach be­reits ge­for­dert wur­de, für ge­sell­schaft­li­che Par­ti­zi­pa­tions­mög­lich­kei­ten dis­kri­mi­nie­rungs­kri­ti­sche, of­fene Angebote kul­tu­ rel­ler Bil­dung, nach­hal­tige Unter­stüt­zung von In­itia­ti­ven der freien Szene und der kri­ti­schen Kul­tur­ver­mitt­lung, die Schaf­fung von Frei­räu­men, eine stär­kere In­ te­gra­tion von Kunst und Kul­tur in Zu­sam­men­arbeit mit Künst­ler_in­nen in das Bil­dungs­sys­tem und die Unter­stüt­zung de­zen­tra­ler und trans­dis­zi­pli­nä­rer Kul­tur­ in­itia­ti­ven, Ein­be­zug der Per­spek­tive der Men­schen, um die es geht, in kul­tu­relle Bil­dungs­pro­jek­te, um nur ei­nige As­pekte zu nen­nen.15 Durch diese – und viele wei­tere Maß­nah­men – könn­ten die eman­zi­pa­to­ri­schen For­de­run­gen für eine so­ li­da­ri­sche und of­fene Ge­sell­schaft, ba­sie­rend auf ei­ner dis­kri­mi­nie­rungs­sen­si­blen Zu­sam­men­arbeit und auf mehr­di­men­siona­len Per­spek­ti­ven, um­ge­setzt wer­den.

15 Der Kul­tur­ent­wick­lungs­plan des Lan­des Salz­burg geht ei­nen we­sent­li­chen Schritt in diese Rich­tung, of­fen bleibt der­zeit noch des­sen Um­set­zung, siehe Web­site.

Par­ti­zi­pa­tion in der zeit­ge­nös­si­schen Kunst

Par­ti­zi­pa­tion in der zeit­ge­nös­si­schen Kunst: Von der post­mo­der­nen Condition d’Être hin zu ei­ner De­sta­bi­li­sie­rung der Kunst­welt Mar­cel Bleu­ler

Par­ti­zi­pa­tion ist ein zen­tra­les Stich­wort im west­li­chen Kunst­dis­kurs um die Jahr­ hun­dert­wende und zu­gleich ein un­scharf de­fi­nier­tes. Wer sich ei­nen Über­blick zu ver­schaf­fen ver­sucht, er­hält schnell den Ein­druck, dass ab Ende der 1990er Jahre ver­schie­denste Kunst­pro­jekte unter dem Be­griff sub­su­miert wur­den, die ihr Pu­bli­ kum auf die eine oder an­dere Weise ein­be­zo­gen. Meist han­delte es sich da­bei um ver­spielte und inter­ak­tive Pro­jek­te, die Kunst­in­sti­tu­tio­nen zu so­zia­len Räu­men, zu ,La­bo­ra­to­ries‘ oder Lounges um­funk­tio­nier­ten. Oder um sol­che, die au­ßer­halb von her­kömm­li­chen Aus­stel­lungs­häu­sern statt­fan­den und spe­zi­fi­sche, meist mar­ gi­na­li­sierte so­ziale Mi­lieus adres­sier­ten. Trotz der man­geln­den Kon­tu­rie­rung von Par­ti­zi­pa­tion in der Kunst ka­men mit dem Be­griff deut­lich po­li­tisch kon­no­tierte Ver­spre­chen in den Dis­kurs: Künst­ler_in­nen und Ku­ra­tor_in­nen spra­chen zu­se­ hends von ei­ner De­mo­kra­ti­sie­rung und Öff­nung des Kunst­be­triebs oder gar ei­ner Eman­zi­pie­rung der Be­trach­ter_in­nen. Auch hier er­scheint je­doch un­klar, wie ge­ nau es mit die­sen Be­zeich­nun­gen ge­nom­men wur­de. Im Rück­blick auf die ty­pi­schen Prak­ti­ken um 2000 herum spricht der Kunst­ his­to­ri­ker Grant Kes­ter von ei­ner le­dig­lich „sym­bo­li­schen“ Par­ti­zi­pa­tion: Die Be­trach­ter_in­nen hät­ten die Ideen der Künst­ler_in­nen aus­ge­führt und sich da­bei in eng vor­ge­ge­be­nen Hand­lungs­spek­tren be­wegt (vgl. Krenn/Kes­ter 2013: 3). Sein Ver­dikt ist sym­pto­ma­tisch für den Dis­kurs, der sich im ers­ten Jahr­zehnt des 21. Jahr­hun­derts ent­spann. Im Zu­sam­men­hang mit Par­ti­zi­pa­tion be­fass­ten sich Kri­ti­ker_in­nen ver­mehrt da­mit, Vor­gänge der In­stru­men­ta­li­sie­rung oder Aus­beu­ tung von so­zia­len Grup­pen of­fen zu le­gen (vgl. Bi­shop 2006). Ein­la­dun­gen zur Teil­habe wur­den als in­sze­nierte Geste ent­larvt, hin­ter denen sich die un­an­ge­foch­ tene Au­to­ri­täts­po­si­tion von Kunst­schaf­fen­den ver­barg. Die­se, so der Grund­te­nor, wür­den auch in der Zu­sam­men­arbeit mit mar­gi­na­li­sier­ten so­zia­len Grup­pen den Eigen­pro­fit nicht aus den Au­gen ver­lie­ren oder seien schlicht zu naiv, um zu er­ ken­nen, dass ihre Pro­jekte trotz bes­ter Ab­sich­ten in Macht­prak­ti­ken mün­de­ten.

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Par­al­lel zu die­ser Kri­tik zeich­nete sich ein un­ge­bro­che­ner Er­folgs­zug von Par­ ti­zi­pa­tion in der Welt von Ga­le­rien, Bien­na­len und Mu­seen ab. Hier spiel­ten die so­zial-inter­ak­ti­ven Kunst­pro­jekte der fort­schrei­ten­den Even­ti­sie­rung von Aus­ stel­lungs­häu­sern und der – nicht zu­letzt wirt­schaft­lich mo­ti­vier­ten – For­de­rung nach Be­su­cher_in­nen-Pro­gram­men in die Hän­de. Par­ti­zi­pa­tive Kunst, so scheint es, ließ sich zu Be­ginn des 21. Jahr­hun­derts ebenso gut ver­mark­ten wie die Kri­tik an ihr. Ent­spre­chend die­ser kurz skiz­zier­ten Ein­drü­cke drängt sich eine po­le­mi­sche Hal­tung auf. Par­ti­zi­pa­tion scheint eine hohe An­zie­hungs­kraft auf die Kunst­welt aus­ge­übt zu ha­ben. Die Her­aus­for­de­run­gen aber, tat­säch­lich eine gleich­be­rech­ tigte Mit­be­stim­mung an Ent­schei­dungs- und Hand­lungs­pro­zes­sen zu er­rei­chen und da­mit auch die zen­trale Stel­lung von Künst­ler_in­nen-Per­sön­lich­kei­ten zu re­ la­ti­vie­ren, schei­nen kaum je kon­se­quent um­ge­setzt wor­den zu sein. Nichts­des­to­ trotz ge­riet et­was in Be­we­gung. Mit dem Hype ging eine Ver­hand­lung des post­ mo­der­nen In­di­vi­du­ums, sei­ner Ver­fasst­heit in ei­ner zu­se­hends me­dial ver­mit­tel­ten Welt, so­wie der ge­sell­schaft­li­chen Rolle von Kunst ein­her. Im Er­star­ken von Par­ ti­zi­pa­tion in der bil­den­den Kunst kom­men ideen­ge­schicht­li­che As­pekte zu­sam­ men, die für das Ver­ständ­nis von zeit­ge­nös­si­scher Kunst und die Dis­kus­sion ihres ge­sell­schaft­li­chen Potenzials ent­schei­dend sind. Aus die­ser Be­ob­ach­tung er­gibt sich das Vor­ha­ben des vor­lie­gen­den Tex­tes. Mein An­lie­gen be­steht dar­in, kunst­his­to­ri­sche und ideen­ge­schicht­li­che Eck­pfei­ler her­aus­zu­arbei­ten, die Par­ti­zi­pa­tion zu ei­nem Para­digma der west­li­chen Kunst­pro­ duk­tion um die Jahr­hun­dert­wende be­för­der­ten. Da­bei lenke ich den Fo­kus auf die dis­kur­si­ven Zu­sam­men­hänge und ihre Im­pli­ka­tio­nen. Diese Aus­ein­an­der­set­zung führt bis in die Gegen­wart hin­ein, in der sich, so meine Be­haup­tung, eine Ab­ küh­lung und zu­gleich eine Neu­per­spek­ti­vie­rung von Par­ti­zi­pa­tion in der Kunst ab­zeich­nen. Zwei Dinge sind der Aus­ein­an­der­set­zung vor­weg­zu­neh­men. Ers­tens lie­fert der Text keine De­fi­ni­tion da­von, was par­ti­zi­pa­tive Kunst ist oder wie An­sätze der Par­ti­zi­pa­tion in der Kunst idea­ler­weise funk­tio­nie­ren. Ähn­lich wie dies im Zu­sam­men­hang mit Per­for­mance­kunst be­schrie­ben wurde (vgl. Phe­lan 1993), er­ scheint mir ein sol­cher es­sen­zialis­ti­scher Zu­gang ver­fehlt. Wie ich deut­lich ma­ chen wer­de, han­delt es sich bei Par­ti­zi­pa­tion um eine Denk­fi­gur, die da­von lebt, dass sie zu ver­han­deln ist. Eine Fest­schrei­bung würde das kri­ti­sche Potenzial, das ich ihr letzt­lich zu­schrei­be, unter­gra­ben. Zwei­tens ist vor­aus­zu­schi­cken, dass sich die An­nä­he­rung aus mei­ner Per­spek­tive als west­li­cher Kunst­wis­sen­schaft­ler voll­ zieht und dass da­bei ins­be­son­dere eng­lisch­spra­chige Autor_in­nen ins Zen­trum ge­ stellt wer­den. Der Text be­ab­sich­tigt nicht, diese Per­spek­tive auf­zu­bre­chen. Viel­ mehr soll sie struk­tu­riert dar­ge­legt und da­mit auch an­greif­bar ge­macht wer­den, im Wis­sen dar­um, dass sie we­der voll­stän­dig noch uni­ver­sell sein kann.

Par­ti­zi­pa­tion in der zeit­ge­nös­si­schen Kunst

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die

E nt ­fes ­se ­lung

Die oben zi­tierte Kri­tik von Grant Kes­ter be­zieht sich auf künst­le­ri­sche Arbei­ten, wie sie Ni­co­las Bour­ri­aud Mitte der 1990er Jah­re her­an­zog, um eine „neue Ten­ denz“ der Gegen­warts­kunst zu be­schrei­ben. Diese Ten­denz dis­ku­tierte der inter­ na­tio­nal re­zi­pierte Ku­ra­tor unter dem Be­griff Est­hé­ti­que re­la­tio­nelle (deutsch: re­la­tio­nale Äs­the­tik), zu dem er 1998 eine gleich­na­mige Pu­bli­ka­tion her­aus­gab. Worum es sich da­bei han­delt, lässt sich an­hand ei­ner Arbeit von Pierre Huyghe ver­ an­schau­li­chen. Im Fe­bruar 1995 rea­li­sierte der fran­zö­si­sche Künst­ler in Mai­land die Arbeit Cas­ting, die er selbst als „Aus­stel­lung“ (La­vigne 2013: 37) be­zeich­net. Zu der Aus­stel­lung hatte er im Vor­feld zwei ver­schie­dene Ein­la­dun­gen kur­sie­ren las­sen. Die eine rich­tete sich an Kunst­in­ter­es­sier­te, die zu ei­ner Ga­le­rie-Er­öff­ nung ge­la­den wur­den, die zweite wurde au­ßer­halb der Kunst­welt ver­brei­tet und adres­sierte nicht-pro­fes­sio­nelle Schau­spie­ler_in­nen. Sie wur­den auf­ge­ru­fen, frei ge­wählte Text­pas­sa­gen aus Pier Paolo Pa­so­li­nis Film Uc­cel­lacci e Uc­ce­lini zu re­ zi­tie­ren und sich so für ei­nen Part in ei­ner neuen Arbeit des Künst­lers zu be­wer­ben. Da sich Huyghe da­mals mit sei­nen künst­le­risch-ci­neas­ti­schen Arbei­ten inter­ na­tio­nal ei­nen Na­men ge­macht hat­te, ist an­zu­neh­men, dass aus bei­den Grup­pen – den Kunst­leu­ten wie den Laien­dar­stel­ler_in­nen – viele dem Auf­ruf ge­folgt sind. Der Raum, in dem Cas­ting statt­fand, war bis auf ei­nige Sitz­ge­le­gen­hei­ten so­wie eine fest in­stal­lierte Ka­mera für die Auf­zeich­nung der Vor­spre­chen leer. Die Aus­ stel­lung be­stand nicht aus ei­ner ma­te­riel­len In­stal­la­tion, son­dern in der so­zia­len Kon­stel­la­tion, die durch die zwei­glei­sige Ein­la­dung ent­stand. Kunst­pu­bli­kum und Schau­spie­ler_in­nen ka­men mit ganz ver­schie­de­nen Be­weg­grün­den und Er­war­tun­ gen an, wur­den je­doch nicht über die Dop­pel­bö­dig­keit in Kennt­nis ge­setzt. Die sich mi­schen­den an­we­sen­den Men­schen ge­rie­ten auto­ma­tisch in ein Dispositiv mehr­deu­ti­ger Rol­len­zu­schrei­bun­gen und Wahr­neh­mun­gen. Es ent­stand, wie Huy­ ghe be­schreibt, ein Pro­zess vol­ler „Zö­ger­lich­kei­ten und Zu­fäl­len“ (La­vigne 2013: 37). Be­su­cher_in­nen und Schau­spie­ler_in­nen wur­den Teil ei­ner Rea­li­tät, die sie durch ihre An­we­sen­heit ge­ne­rier­ten und zu­gleich nicht durch­schau­ten. Ih­nen blieb nichts an­de­res üb­rig, als die Si­tua­tion zu be­ob­ach­ten und mit an­de­ren ins Ge­ spräch zu kom­men, um sich zu orien­tie­ren. Auf­grund von Arbei­ten wie Cas­ting zählte Huyghe zu den Künst­ler_in­nen, an­hand de­rer Bour­ri­aud sei­nen Be­griff ei­ner re­la­tio­na­len Äs­the­tik ent­wi­ckel­te. Bour­ri­aud lenkte da­bei den Fo­kus auf die Eigen­schaf­ten und die Funk­tions­wei­sen der zwi­schen­mensch­li­chen Be­zie­hun­gen, die ein Kunst­werk ent­wirft re­spek­tive her­vor­ruft (vgl. Bour­ri­aud 2002: 109). An­ge­wen­det wurde die­ser Fo­kus ins­be­son­ dere auf Arbei­ten, die im Zu­sam­men­kom­men von Men­schen be­stan­den. Neben Cas­ting ge­hörte dazu etwa Rir­krit Ti­ra­va­ni­jas Un­tit­led (Free/Still) von 1992, für das der thai­län­disch-ar­gen­ti­ni­sche Künst­ler in New York ei­nen Ga­le­rie­raum leer­

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räumte, um darin eine Kü­che und ei­nen Ess­raum ein­zu­rich­ten. Die Be­su­cher_in­ nen von Un­tit­led (Free/Still) fan­den Ti­ra­va­nija beim Ko­chen und Ser­vie­ren von Cur­ry­reis vor. Die Ga­le­rie wurde zu ei­nem so­zia­len Ver­hand­lungs­raum, in dem die Be­su­cher_in­nen durch die Art, wie sie die An­lage nutz­ten – zum Bei­spiel als Gra­tis-Im­biss, als so­zia­len Be­geg­nungs­raum oder als äs­the­ti­schen Raum –, die Be­deu­tung von Un­tit­led (Free/Still) pro­du­zier­ten. Bour­ri­auds Be­griff – der bald nur noch in der eng­li­schen Über­set­zung „Re­ la­tio­nal Aest­he­tics“ kur­sierte – ist aus dem Dis­kurs und der jün­ge­ren Ge­schichte par­ti­zi­pa­ti­ver Kunst nicht weg­zu­den­ken. Den hin­zu­ge­zo­ge­nen Künst­ler_in­nen ging es je­doch nicht um das Er­rei­chen ei­ner gleich­be­rech­tig­ten Teil­habe an künst­ le­ri­schen Ent­schei­dungs- und Hand­lungs­pro­zes­sen. Im Gegen­teil: Etwa in Huyg­ hes Aus­stel­lung Cas­ting wur­den die Be­su­cher_in­nen vom Künst­ler ja hin­ters Licht ge­führt. Da­mit strich die Arbeit viel­mehr die Au­to­ri­tät des Künst­lers und seine Vor­macht­stel­lung her­vor. Huyg­hes Vor­ge­hens­weise lässt sich mit künst­le­ri­schen In­ter­es­sen der Hap­pe­ ning- und Kon­zept­kunst in Ver­bin­dung set­zen, eine Re­fe­renz, die auch Bour­ri­aud in sei­nem Buch auf­greift. Ins­be­son­dere im US-ame­ri­ka­ni­schen Kon­text er­prob­ten Kunst­schaf­fende in den 1960er und 70er Jah­ren eine Neu­kon­zep­tion von Kunst­ be­trach­tung. Etwa in den Arbei­ten von Al­lan Ka­prow fan­den eine Ak­ti­vie­rung und Ein­bin­dung der Be­trach­ter_in­nen statt, die sie zu Teil­neh­men­den am Kunst­ ge­sche­hen wer­den lie­ßen. Folge­rich­tig sprach Ka­prow da­mals auch nicht mehr von „be­hol­ders“, also Be­trach­ter_in­nen, son­dern ver­wen­dete be­reits in den spä­ten 50 Jah­ren den Be­griff „par­ti­ci­pants“ (vgl. Ur­sprung 2003: 96). Da­bei ging es ihm je­doch ebenso we­nig wie Huyghe um den Ent­wurf ei­ner de­mo­kra­ti­schen Teil­ha­ be. Im Zen­trum des In­ter­es­ses stand die For­mung ei­nes sub­jek­ti­ven äs­the­ti­schen Er­leb­nis­ses, in das sich Zu­fälle und zwi­schen­mensch­li­che Dy­na­mi­ken misch­ten. Ein Er­leb­nis, das der Künst­ler nicht ganz in der Hand hat, ob­schon er aufs Ganze ge­se­hen die Fä­den zieht. Die­ser An­satz unter­schei­det sich dia­me­tral vom Kunst­er­leb­nis, wie es bei­ spiels­weise den abs­trak­ten Ex­pres­sio­nist_in­nen gut zehn Jahre frü­her vor­schwebte (vgl. Schnee­mann 2003). Nicht sel­ten ga­ben diese ei­nen idea­len Be­trach­ter_in­ nen-Stand­punkt vor, um eine ein­deu­tige Wir­kung und mög­lichst di­rekte Über­tra­ gung ihrer künst­le­ri­schen In­ten­tion si­cher­zu­stel­len. Im Gegen­satz zu die­ser eng ge­führ­ten Be­trach­tung ent­fes­selte Ka­prow das Kunst­er­leb­nis. So konn­ten etwa die Be­su­cher_in­nen sei­ner 18 Hap­pe­nings in 6 Parts (1959) keine Ideal­per­spek­ tive ein­neh­men, son­dern wur­den durch die räum­li­che An­ord­nung und die zeit­li­ che Über­la­ge­rung von Er­eig­nis­sen in eine zwin­gend frag­men­ta­ri­sche, sub­jek­tive Er­leb­nis­per­spek­tive ver­setzt. Sie be­gan­nen mit der künst­le­ri­schen Vor­gabe und letzt­lich auch unter­ein­an­der zu inter­agie­ren. Das In­ter­esse an ei­ner sol­chen Ent­fes­se­lung der Be­trach­tung setzte Bour­ri­aud in den 1990er Jah­ren in den Zu­sam­men­hang neuer kul­tu­rel­ler Rah­men­be­din­gun­

Par­ti­zi­pa­tion in der zeit­ge­nös­si­schen Kunst

gen. In sei­ner Pu­bli­ka­tion ar­gu­men­tiert er an­hand von Über­le­gun­gen und mit­ tels ei­nes Vo­ka­bu­lars, die eng an die da­mals fort­schrei­tende Di­gi­ta­li­sie­rung, die Dienst­leis­tungs­ge­sell­schaft und die zu­gleich er­starkte Do-It-Your­self-Be­we­gung ge­bun­den wa­ren. Ob­wohl ihm Claire Bi­shop, die den Dis­kurs über par­ti­zi­pa­tive Kunst in den 2000er Jah­ren maß­geb­lich präg­te, spä­ter vor­hielt, nur das Vo­ka­bu­ lar aus­ge­tauscht zu ha­ben, eigent­lich aber eine Sa­che zu be­schrei­ben, die be­reits in den 60er Jah­ren ak­tu­ell war, (vgl. Bi­shop 2004: 53) traf Bour­ri­aud mit sei­nen Relational Aest­he­tics den Puls der Zeit.

S o ­c iété A us ­w eg

du S pec ­tacle – aus der post ­m o ­der ­nen

L äh ­m ung ?

Die Mo­da­li­tä­ten und die Po­li­tik von Kunst­be­trach­tung wur­den gegen Ende des 20. Jahr­hun­derts heiß de­bat­tiert. Wie Wolf­gang Kemp 1996 fest­stell­te, er­starkte eine au­to­ri­täts­kri­ti­sche Per­spek­ti­ve, aus der die Spiel­räume der Be­trach­ter_in­ nen und ihre Mög­lich­kei­ten dis­ku­tiert wur­den, eine sub­jek­ti­ve, un­vor­her­ge­se­hene Sicht ein­zu­neh­men. Es liegt auf der Hand, dass eine sol­che Per­spek­tive dem Kunst­ his­to­ri­ker nicht be­hag­te. Kemp hatte sich mit sei­nem Kon­zept der Re­zep­tions­äs­ the­tik ei­nen Na­men ge­macht, die von der An­nahme aus­geht, dass der Vor­gang der Kunst­be­trach­tung in ei­nem Werk ver­an­lagt und mehr oder min­der deut­lich vor­ge­schrie­ben ist. Ba­sie­rend auf die­ser An­nahme ana­ly­sierte Kemp die Re­zep­ tion aus­ge­hend vom for­mal-äs­the­ti­schen, kon­zep­tio­nel­len und nar­ra­ti­ven Auf­bau ei­nes Kunst­werks (vgl. Kemp 1996). Gegen Ende des 20. Jahr­hun­derts zeich­nete sich dies­be­züg­lich eine Um­keh­rung ab. An­statt die Re­zep­tion vom Kunst­werk her zu den­ken, wurde viel­mehr das Kunst­werk von der Re­zep­tion her ana­ly­siert – ein An­satz, der Kemps Arbeit grund­sätz­lich in Frage stell­te. An­ge­sichts der zu­neh­men­den Zahl an Autor_in­nen, die sich für die Spiel­ räume der Be­trach­tung und für eine Kunst in­ter­es­sier­ten, die un­vor­her­ge­se­hene Re­ak­tio­nen för­der­te, sprach Kemp de­spek­tier­lich von ei­ner „Viewer Li­be­ra­tion Front“ (1996: 13). Die Be­zeich­nung er­scheint nicht nur zy­nisch, son­dern auch frag­wür­dig, da es sich bei den „Viewer Li­be­ra­tion“-Dis­kur­sen kei­nes­wegs um eine ein­heit­li­che „Front“ han­del­te. Es fan­den sich min­des­tens drei Dis­kurs­strän­ ge, die vor je­weils spe­zi­fi­schen Hin­ter­grün­den die Neu­kon­zep­tion der Be­zie­hung von Kunst und Re­zep­tion ent­war­fen. Ei­ner der Stränge eta­blierte sich vor dem Hin­ter­grund ei­ner kri­ti­schen, fe­mi­nis­tisch und post­ko­lo­nial ge­präg­ten Theo­rie­ bil­dung in der Aus­ein­an­der­set­zung mit Per­for­mance­kunst (Peggy Phe­lan, Ame­lia Jo­nes). Ein wei­te­rer Strang, der sich in der Aus­ein­an­der­set­zung mit orts­pe­zi­fi­scher Kunst („site spe­ci­fi­city“) und Kunst im öf­fent­li­chen Raum ent­spann, ar­gu­men­ tierte im en­ge­ren Sinne mit so­zial- und raum­theo­re­ti­schen Kon­zep­ten (Ro­sa­lyn Deut­sche, Mi­won Kwon). Ein drit­ter Dis­kurs­strang stand unter star­kem Ein­fluss

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der post­struk­tu­ra­lis­ti­schen, vor al­lem fran­zö­sisch­spra­chi­gen Phi­lo­so­phie. Er war nicht zwin­gend am Kunst­ge­sche­hen, son­dern viel mehr an der Po­si­tion des In­di­ vi­du­ums in ei­ner zu­se­hends me­dial ver­mit­tel­ten Welt in­ter­es­siert. Den­noch wirkte er auf den Kunst­dis­kurs ein, was sich im zu­neh­men­den Re­kur­rie­ren auf Ro­land Bart­hes und Gil­les De­leuze ma­ni­fes­tierte (Giu­liana Bru­no, Ben­ja­min Buch­loh). Aus kunst­his­to­ri­scher Sicht ist auf­fäl­lig, dass alle drei Dis­kurs­stränge mit Ent­ wick­lun­gen und Para­dig­men der 1960er Jahre in Ver­bin­dung ste­hen, als Kunst zu­se­hends eph­emer wur­de, au­ßer­halb von in­sti­tu­tio­na­li­sier­ten Räu­men statt­fand und als Ro­land Bart­hes den „Tod des Au­tors“ und da­mit die Ge­burt der Le­ser_in­ nen – re­spek­tive der Be­trach­ter_in­nen – ver­kün­de­te. Die Stränge in den 1990er Jah­ren ver­kör­pern so­mit Fa­cet­ten ei­ner post­mo­der­nen Geis­tes­hal­tung, die sich im 20. Jahr­hun­dert ins­be­son­dere unter Ein­fluss des Mar­xis­mus, der Psy­cho­ana­lyse und des Struk­tu­ra­lis­mus ge­fes­tigt hat­te. Die Aus­wir­kun­gen die­ser Geis­tes­hal­tung zei­gen sich sehr deut­lich im Zu­sam­ men­hang mit der Kunst von Pierre Huyg­he. Seine Arbei­ten aus den 1990er Jah­ren stan­den deut­lich unter dem Ein­druck der post­mo­der­nen De­kon­struk­tion. Wie in der Aus­stel­lung Cas­ting an­ge­deu­tet, dreh­ten sie sich um die Mehr­deu­tig­keit von Rea­li­tät. Huyghe orien­tierte sich da­bei an De­bat­ten um die Ver­fasst­heit des post­ mo­der­nen In­di­vi­du­ums in ei­ner me­dial ver­mit­tel­ten Welt. Unter den Stich­wor­ten des „Si­mu­la­crum“ und der „Si­mu­la­tion“ war gegen Ende des 20. Jahr­hun­derts das Wis­sen darum ver­brei­tet wor­den, dass die Ge­sell­schaft ei­nem un­auf­halt­ba­ren Pro­ zess der Vor­spie­ge­lung und des un­ent­scheid­ba­ren Rea­li­täts­be­zu­ges aus­ge­lie­fert ist. Ein Pro­zess, der je­des Ge­fühl von Ge­wiss­heit, Ver­bind­lich­keit oder ein­deu­ ti­ger Orien­tie­rung ab­han­den ge­ra­ten lässt. Das post­mo­derne In­di­vi­duum be­fand sich dem­nach in ei­ner Po­si­tion, die kein Ge­fühl von Wahr­heit und Ver­bind­lich­keit kennt und es un­mög­lich macht, eine künst­le­ri­sche Arbeit – geschweige denn die Le­bens­welt – als Gan­zes zu er­fas­sen. Diese post­mo­derne Condition d’être wurde ins­be­son­dere in der Me­dien­theo­rie – unter spre­chen­den Ti­teln wie Blur­red Boun­dar­ies (Ni­chols 1994) oder Rette wer kann ( ) (Pa­ech 1990) – dis­ku­tiert. Dem In­di­vi­duum wurde eine un­lös­bare „post­mo­ derne Skep­sis“ (Car­roll 1998: 36) at­tes­tiert, ein Miss­trauen gegen­über der ver­mit­tel­ten Welt und zu­gleich eine feh­lende Hand­lungs­stra­te­gie, um da­gegen vor­zu­ge­hen. Es sei par­al­le­li­siert und letzt­lich auch iso­liert, da es vom per­ma­nen­ten Zwei­fel heim­ge­sucht wird, über­haupt Zu­griff auf eine inter­sub­jek­tive Wirk­lich­keit zu ha­ben. Diese Skep­sis ging ein­her mit ei­ner Ge­ring­schät­zung der Po­si­tion der Zu­ schau­er_in­nen gegen­über,1 die sich auf Guy De­bords Schrift So­ciété du Spec­tacle 1 Die für das aus­ge­hende 20. Jahr­hun­dert ty­pi­sche, pe­jo­ra­tive Sicht auf die Fi­gur der Zu­schau­er_in fasst der Phi­lo­soph Jac­ques Ran­cière 2007 rück­bli­ckend so zu­sam­men: „Being a spec­ta­tor me­ans loo­king at a spec­tac­le. And look­ing is a bad thing, for two rea­sons. First, look­ing is deemed the op­po­site of know­ing. It means stand­ing be­fore an

Par­ti­zi­pa­tion in der zeit­ge­nös­si­schen Kunst

(1967) zu­rück­füh­ren lässt. Der para­dig­ma­ti­sche Text stellt eine ideen­ge­schicht­ li­che Re­fe­renz dar, die Bour­ri­aud – und spä­ter seine Ant­ago­nis­tin Claire Bi­shop (vgl. Bi­shop 2011) – im Zu­sam­men­hang mit re­la­tio­na­ler oder „par­ti­zi­pa­ti­ver“ Kunst stark ak­zen­tu­ier­te. So­ciété du Spec­tacle wurde im Um­feld der mar­xis­tisch ge­präg­ten Si­tua­tionis­ti­schen Inter­na­tio­nale in Pa­ris ver­fasst. Es han­delt sich um eine Ka­pi­ta­lis­mus-Kri­tik, die das Sub­jekt und seine so­zia­len Be­zie­hun­gen ins Vi­ sier nimmt, die die Kon­sum­ge­sell­schaft des 20. Jahr­hun­derts her­vor­bringt. Eine Ge­sell­schaft, die kaum mehr von kon­kre­ten Be­zü­gen zur ma­te­riel­len Welt und un­ mit­tel­ba­ren Be­zie­hun­gen aus­ge­he, son­dern von da­zwi­schen ge­schich­te­ten Ideen und ver­mit­teln­den Inter­faces ge­steu­ert sei. De­bord hebt her­vor, dass diese Ideen und Inter­faces ideo­lo­gisch ge­prägt sind und das In­di­vi­duum sei­ner selbst­be­stimm­ ten Be­zie­hung zur Welt be­rau­ben. In De­bords Text er­kennt Bi­shop An­fang des 21. Jahr­hun­derts die Kern­re­fe­renz für das Auf­kom­men par­ti­zi­pa­ti­ver An­sätze in der Kunst.2 Eine Kunst, die ihre Adres­ sat_in­nen ak­ti­viert und von ih­nen ab­ver­langt, zu „par­ti­ci­pants“ zu wer­den, sei als Aus­weg aus ei­ner iso­lier­ten und ma­ni­pu­lier­ba­ren Sub­jek­ti­vi­tät auf­ge­fasst wor­den (vgl. Bi­shop 2004). An­hand von Huyg­hes Arbeit Cas­ting lässt sich diese Ver­qui­ckung deut­lich ma­chen. Eine In­stanz oder ein Inter­face, die über die Si­tua­tion auf­klä­ren wür­den, fehl­ten in der Aus­stel­lung. Die Be­su­cher_in­nen konn­ten sich nicht an ei­ner vor die un­mit­tel­bare Er­fah­rung ge­schich­te­ten Ver­mitt­lung orien­tie­ren. Der Ge­dan­ ken­schluss liegt na­he, dass diese Leer­stelle die Be­trach­ter_in­nen ak­ti­viert. Sie se­hen sich ge­zwun­gen, aus ihrer her­kömm­li­chen Emp­fän­ger_in­nen-Rolle her­aus­zu­tre­ten und selbst, re­spek­tive in der Be­geg­nung mit An­de­ren, Be­deu­tung zu ge­ne­rie­ren. In­ so­fern wer­den sie, ge­rade weil sie von ei­ner ab­we­sen­den Künst­ler_in­nen-Au­to­ri­tät hin­ters Licht ge­führt wer­den, ak­ti­viert oder gar er­mäch­tigt. Diese Über­le­gung ist für den Dis­kurs zen­tral. Künst­le­ri­sche Arbei­ten, die eine Teil­habe der Be­trach­ter_in­nen ein­for­dern, wer­den um die Jahr­hun­dert­wende stark mit dem An­lie­gen ei­ner Er­mäch­ti­gung und Eman­zi­pa­tion ver­bun­den (vgl. Bi­shop 2004: 61). Die Drei­ecks­be­zie­hung von Künst­ler_in, Kunst­werk und Be­trach­ter_in wird als Mo­dell-Si­tua­tion auf­ge­fasst, in der sich das ge­sell­schaft­li­che Da­sein im Span­nungs­feld von ideo­lo­gi­schem Über­bau, Inter­face und In­di­vi­duum spie­gelt.

ap­pear­ance of the re­al­ity that lies be­hind it. Sec­ond, look­ing is deemed the op­po­site of act­ing. He who looks at the spec­ta­cle re­mains mo­tion­less in his seat, lack­ing any power of in­ter­ven­tion. Be­ing a spec­ta­tor is sep­a­rated from the ca­pac­ity of know­ing just as he is sep­a­rated from the pos­si­bil­ity of act­ing.“ (Ran­cière 2007: 272) 2 Ähnlich wie Ran­cière dis­tan­ziert sich Bishop selbst von der viel zi­tier­ten Refer­enz auf De­bord: „For many art­ists and cu­ra­tors, Guy De­bord’s in­dict­ment of the al­ien­at­ing and di­vi­sive ef­fects of cap­i­tal­ism in the So­ciété du Spectacle (1967) strikes to the heart of why par­tic­i­pa­tion is im­por­tant as a pro­ject: It re­hu­man­izes – or at least de-al­ien­ates – a so­ci­ety ren­dered numb and frag­mented by the re­pres­sive in­stru­men­tal­ity of cap­i­tal­ism.“ (Bi­shop 2004: 179 f.)

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Die ein­set­zende Selbst­er­mäch­ti­gung in ei­ner Arbeit wie Cas­ting wird dem­ent­spre­ chend als Mo­dell – oder als Uto­pie – ei­ner Eman­zi­pa­tion gegen­über dem ideo­lo­gi­ schen Über­bau mit­samt sei­nen ma­ni­pu­la­ti­ven Kräf­ten ge­le­sen.

T he eman ­c i ­pa­t ed spec ­ta­tor und A nt­ago ­n is ­m us – K on ­tr o­v er ­sen um den E f ­fekt der E man ­zi ­pa­ti on und  D e m ­ o kra ­ ­ ­sie ­rung ti Ge­rade wenn par­ti­zi­pa­tive Kunst als Mo­dell für Selbst­er­mäch­ti­gung auf­ge­fasst wird, stellt sich eine kon­tro­vers dis­ku­tierte Pro­blem­stel­lung: Wird die Er­mäch­ ti­gung nicht zu­gleich unter­gra­ben, wenn sie von ei­ner Au­to­ri­tät an­ge­wie­sen ist und die Adres­sat_in­nen dem Ruf nach Eman­zi­pa­tion fol­gen? Diese Frage steht im Zen­trum des viel be­ach­te­ten Auf­sat­zes The ema­ni­ci­pa­ted spec­ta­tor (2007) des Phi­lo­so­phen Jac­ques Ran­ciè­re. Darin be­zeich­net es Ran­cière als Miss­ver­ständ­nis, dass die Be­trach­ter_in­nen zu Ak­ti­vi­tät und kri­ti­scher Re­sponse ver­an­lasst oder gar ge­zwun­gen wer­den müs­sen, um ei­nen eman­zi­pa­to­ri­schen Ef­fekt zu er­le­ben (2007: 279).3 Er ar­gu­men­tiert, dass sol­che An­sätze bei ge­nauer Be­trach­tung ein Macht­ ge­fälle zwi­schen Künst­ler_in­nen und Pu­bli­kum per­pe­tu­ie­ren. Er be­zeich­nete es als zu­tiefst pa­ter­na­lis­ti­sche Hal­tung, den Zu­schau­er_in­nen zu­erst eine un­kri­ti­sche Pas­si­vi­tät zu­zu­spre­chen und sie dann aus die­ser Po­si­tion her­aus­füh­ren zu wol­len. Da­mit fasste er in Wor­te, woran sich vor­her schon An­dere ge­sto­ßen hat­ten: Eine künst­le­ri­sche Arbeit, die ihre Adres­sat_in­nen an­weist, ak­tiv und kri­tisch zu wer­ den, spricht ih­nen das Ver­mö­gen ab, von sich aus ak­tiv und kri­tisch zu sein. Mit sei­ner ebenso prä­zi­sen wie zu­gäng­li­chen Ab­hand­lung gab Ran­cière je­nen ein In­stru­men­ta­rium an die Hand, die sich an der er­star­ken­den Ten­denz hin zu di­ dak­ti­schen künst­le­ri­schen Arbei­ten stör­ten. Zu die­sem La­ger zählte ins­be­son­dere Bi­shop. Be­reits drei Jahre vor Er­schei­nen von Ran­ciè­res Auf­satz kri­ti­sierte sie, dass die unter den Relational Aest­he­tics auf­ge­führ­ten Kunst­pro­jekte kaum je den An­spruch ein­lös­ten, eman­zi­pa­to­ri­sche oder de­mo­kra­ti­sie­rende Ef­fekte zu ha­ben. In ihrem Auf­satz An­ta­go­nism and Relational Aest­he­tics (2004) arbei­tet Bi­shop die Män­gel an Bour­ri­auds De­mo­kra­tie­be­griff her­aus. Er habe schlicht be­haup­tet, dass alle künst­le­ri­schen An­sät­ze, die ihre Be­trach­ter_in­nen ein­be­zie­hen und Dia­log er­mög­li­chen, de­mo­kra­tisch und letzt­lich po­li­tisch seien (vgl. Bi­shop 2004: 65). Sei­nem vage kon­zep­tio­na­li­sier­ten De­mo­kra­tie­be­griff hält Bi­shop eine Re­fe­renz ent­gegen, die sie aus Ro­sa­lyn Deut­sches Monografie Evic­ti­ons: Art and Spa­cial Po­li­tics (1996) über­nimmt: Das Kon­zept der „ra­di­ka­len De­mo­kra­tie“ von Lac­lau/ 3 Ran­cière il­lus­triert sol­che Ver­su­che mit den para­dig­ma­ti­schen An­sät­zen von Ber­told Brechts epi­schem Thea­ter (das die Zu­schau­er_in­nen mit­tels Unter­bre­chun­gen der Nar­ ra­tion im­mer wie­der aus der vor­ge­spie­gel­ten Rea­li­tät her­aus­riss), und von An­to­nin Ar­tauds Thea­ter der Grau­sam­keit (das das Pu­bli­kum so weit kon­fron­tierte und unter Druck setz­te, bis es selbst unter­bre­chend rea­gierte).

Par­ti­zi­pa­tion in der zeit­ge­nös­si­schen Kunst

Mouffe (1991 [1985]), dem sie ins­be­son­dere den Be­griff des Ant­ago­nis­mus ab­ge­ winnt, mit­tels des­sen sie die Ver­spre­chen von par­ti­zi­pa­ti­ver Kunst, de­mo­kra­ti­sche Er­mäch­ti­gung zu er­zie­len, re­flek­tiert. Die von Bour­ri­aud her­vor­ge­ho­bene Kunst kri­ti­siert sie da­bei in­so­fern, als dass diese viel zu rei­bungs­los auf­ge­he. So be­schreibt sie etwa in Be­zug auf Ti­ra­va­ ni­jas Un­tit­led (Free/Still), dass hier keine de­mo­kra­ti­sche Ver­hand­lung, son­dern viel­mehr eine nor­ma­tive „to­ge­ther­ness“ statt­fin­de. Die Men­schen, die zu­sam­men­ kom­men, wür­den größ­ten­teils aus der­sel­ben Kunst­szene stam­men, sich be­reits ken­nen und sich für die­sel­ben Dinge in­ter­es­sie­ren. Sie bil­den eine Ge­mein­schaft, die de­sta­bi­li­sie­rende As­pekte re­gu­liert (oder sie durch Ein- und Aus­schlüsse be­ reits re­gu­liert hat). Wie Bi­shop vor dem Hin­ter­grund von Lac­lau/Mouffe ar­gu­ men­tiert, wi­der­spre­che ein sol­cher re­gu­lier­ter so­zia­ler Raum de­mo­kra­ti­schen Ver­ hält­nis­sen: „[…] a de­mo­cra­tic society is one in which relations of conflict are sus­tai­ned, not er­ased. With­out an­tag­on­ism there is on­ly the im­posed con­sen­sus of au­thor­i­an or­der – a to­tal sup­pres­sion of de­bate and dis­cus­sion.“ (Bi­shop 2004: 66) Auf die­ser Ba­sis nimmt sie eine all­ge­meine Kri­tik an den Relational Aest­he­ tics vor. Bi­shop spricht von ei­ner „Feel-Good“-Kunst (ebd.: 79), die „to­ge­ther­ ness“ und al­len­falls kol­lek­tive Krea­ti­vi­tät pfle­ge, wo­bei von ei­nem Ef­fekt der De­ mo­kra­ti­sie­rung nicht die Rede sein kön­ne, wenn man diese als ant­ago­nis­ti­sche Dy­na­mik ver­steht. Eine sol­che Dy­na­mik würde viel­leicht dann ein­set­zen, wenn zum Bei­spiel be­trun­kene Pas­sant_in­nen in Ti­ra­va­ni­jas Aus­stel­lung rein­kom­men und zu ran­da­lie­ren be­gin­nen. Dann könnte eine all­ge­meine De­sta­bi­li­sie­rung ent­ ste­hen und man hätte sich mit den ant­ago­nis­ti­schen Kräf­ten, die im Sinne Bi­shops eine De­mo­kra­tie aus­ma­chen, zu be­fas­sen. Bi­shop prägte da­mit eine wich­tige Dis­kurs­fi­gur. Zu­se­hends wurde von Kunst ge­spro­chen, die be­ab­sich­ti­ge, ant­ago­nis­ti­sche Dy­na­mi­ken aus­zu­lö­sen. Na­tür­ lich stellt sich hier – ähn­lich wie in Be­zug auf das Para­dox ei­ner An­re­gung zur Eman­zi­pa­tion – die Fra­ge, in­wie­fern eine ,ant­ago­nis­ti­sche‘ Ge­mein­schafts­struk­tur tat­säch­lich ant­ago­nis­tisch sein und den Ef­fekt ei­ner De­mo­kra­ti­sie­rung er­rei­chen kann, wenn sie von Küst­ler_in­nen er­wünscht oder gar ver­an­lasst wird. Bi­shop selbst geht nicht auf diese Frage ein. Statt­des­sen kri­ti­siert sie, dass der Hype um par­ti­zi­pa­tive Kunst zu ei­nem „et­hi­cal turn“ (2006: 178) ge­führt ha­be. Kri­ti­ker_in­nen wür­den sich nicht mehr auf äs­the­ti­sche, son­dern le­dig­lich auf ethi­ sche Fra­gen kon­zen­trie­ren. Je­der Hin­weis auf Aus­beu­tung würde so­fort ins Vi­sier ge­nom­men und al­les, was nicht durch Kon­sens-ba­sierte Pro­zesse her­vor­ge­bracht wird, als künst­le­ri­scher Ego­zen­tris­mus und Macht­aus­übung an­ge­klagt (vgl. ebd.: 180). Bi­shop pran­gert an, dass diese ethi­sche Emp­find­lich­keit zu ei­ner über­be­ton­ ten Di­dak­tik und letzt­lich ei­ner künst­le­ri­schen Be­lang­lo­sig­keit füh­re. In Ab­gren­zung dazu hält sie Arbei­ten von Künst­ler_in­nen hoch, die so­ziale Tren­nun­gen und die Un­aus­ge­wo­gen­heit von Macht­ver­hält­nis­sen tat­säch­lich auf­ klaf­fen las­sen. Zwei die­ser Künst­ler sind Tho­mas Hirsch­horn und San­tiago Sier­ra,

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die ge­ne­rell hoch kri­tisch dis­ku­tiert wur­den. Hirsch­horn und Sierra arbei­ten meist mit so­zial und wirt­schaft­lich schwach ge­stell­ten Men­schen. An­statt da­bei die Il­ lu­sion zu er­we­cken, dass die „par­ti­ci­pants“ durch die Kunst­pro­jekte eine Hand­ lungs­macht und Mit­spra­che er­hal­ten, ex­po­nie­ren die Künst­ler auf je­weils an­dere Weise die Schwie­rig­kei­ten ei­nes ge­sell­schaft­li­chen Zu­sam­men­kom­mens. Bishop: „[…] their work ac­knowl­edges the im­pos­si­bil­ity of a ,mi­cro­to­pia‘ and in­stead su­ tains a ten­sion among viewers, par­tic­i­pants, and con­text.“ (2006: 70) In die­ser kon­fron­ta­ti­ven und schwer er­trag­ba­ren Span­nung sieht Bi­shop den wir­kungs­vol­len Ge­gen­pool zum nai­ven Ver­spre­chen der Relational Aest­he­tics, ei­ nen Raum zu schaf­fen, in dem das In­di­vi­duum zu Hand­lungs­macht kommt. Bi­ shops Kri­tik lässt sich da­hin­ge­hend auf den Punkt brin­gen, dass die unter den Relational Aest­he­tics ge­führ­ten Kunst­pro­jekte mit ihren re­gu­lier­ten Spiel­räu­men und der Ze­le­brie­rung von „to­ge­ther­ness“ jene Macht­ver­hält­nisse und Unter­drü­ ckungs­me­cha­nis­men re­pro­du­zie­ren, die sie zu über­win­den vor­ge­ben.

D ia ­l o ­g i ­c al A est ­h e ­t ics – D e ­sta ­b i ­li ­sie ­rung der  K unst ­w elt Wie sich in Bi­shops Kri­tik an­deu­tet, mün­dete der durch Ni­co­las Bour­ri­auds an­ ge­sto­ßene Hype um Par­ti­zi­pa­tion in leicht kon­su­mier­ba­ren Pro­jek­ten. Mög­li­cher­ weise ließe sich das Selbe auch über Arbei­ten der Hap­pe­ning- und Kon­zept­künst­ ler_in­nen der 1960er und 1970er Jahre sa­gen. Auf­fäl­lig ist aber, dass sich nach der Jahr­hun­dert­wende die gro­ßen Aus­stel­lungs­in­sti­tu­tio­nen für eine Kunst in­ter­es­sie­ ren, die in der Ein­bin­dung von Men­schen be­steht. Wäh­rend etwa die Hap­pe­nings von Al­lan Ka­prow nach ihrem Statt­fin­den fast in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten wä­ren, kaufte zum Bei­spiel das Mu­seum of Mo­dern Art New York in den 2000er Jah­ren Ti­ra­va­ni­jas Un­tit­led (Free/Still) für seine Samm­lung an. Der Ge­winn aus die­ser Auf­merk­sam­keit fällt je­doch we­ni­ger dem Pu­bli­kum, son­dern den Künst­ler_in­nen und In­sti­tu­tio­nen zu, die es als At­trak­tion prä­sen­ tie­ren, wenn man ir­gendwo an­ste­hen muss, um teil­zu­neh­men. Wie etwa bei der Ma­rina Ab­ra­mo­vić-Per­for­mance The Ar­tist is Present (2010), die eben­falls im MoMA statt­fand und den Be­su­cher_in­nen er­mög­lich­te, sich der Künst­le­rin, die hier täg­lich für sie­ben Stun­den auf ei­nem Stuhl saß, für eine frei ge­wählte Zeit gegen­über zu set­zen. Die Aus­sicht, an ei­ner Per­for­mance von Ab­ra­mo­vić ,teil­zu­ neh­men‘,4 zog ein Mil­lio­nen­pu­bli­kum an. Dut­zende von Be­su­cher_in­nen wa­ren so­gar be­reit, schon am Vor­abend beim Mu­seum an­zu­ste­hen, um am nächs­ten Tag 4 Die Teil­nahme be­schränkte sich auf ein stark ein­ge­grenz­tes Hand­lungs­spek­trum. Die Be­su­cher_in­nen konn­ten sich hin­set­zen, der Künst­le­rin in die Au­gen se­hen und wie­der auf­ste­hen. Zeig­ten sie in­di­vi­du­el­le, un­er­war­tete Re­ak­tion, wur­den sie vom Si­cher­heits­ per­so­nal so­fort ab­ge­führt (vgl. Aker 2012).

Par­ti­zi­pa­tion in der zeit­ge­nös­si­schen Kunst

si­cher an die Reihe zu kom­men. Das Stra­ßen­bild, das sich da­bei er­gab, unter­ schied sich kaum von den War­te­schla­gen vor ei­nem Apple-Store, be­vor ein neues iPhone her­aus­ge­ge­ben wird. In An­be­tracht die­ser Aus­wüchse stell­ten sich die Ver­spre­chen ei­ner Eman­ zi­pa­tion – und nicht zu ver­ges­sen: der anti-ka­pi­ta­lis­ti­sche Hin­ter­grund, der mit der Re­fe­renz auf So­ciété du Spec­tacle be­tont wor­den war – zu­se­hends als un­er­ füllt her­aus. Gegen Ende der 2000er-Jahre fand eine Ab­küh­lung der De­bat­ten um Par­ti­zi­pa­tion in der Kunst statt. Als Bi­shop 2012 die Monografie Ar­ti­fi­cial Hell. Par­ti­ci­pa­tory Art and the Po­li­tics of Spec­ta­tors­hip her­aus­gab, kam dies ei­nem End­punkt gleich: Par­ti­zi­pa­tive Kunst er­schien als ab­ge­schlos­sene Epi­sode der jüngs­ten Kunst­ge­schich­te. Zu­gleich ha­ben sich je­doch be­stimmte Prak­ti­ken hart­nä­ckig am Le­ben er­hal­ ten, die Bi­shop nicht in den Dis­kurs ein­be­zo­gen hat­te. In ei­nem Auf­satz von 2006 hatte sie de­spek­tier­lich von Pro­jek­ten ge­spro­chen, die sich auf­grund man­geln­ der „äs­the­ti­scher Qua­li­tä­ten“ nicht mehr von So­zial- oder Com­mu­ni­ty-Pro­jek­ten unter­schie­den. Sie il­lus­trierte die­sen Be­reich an­hand des tür­ki­schen Künst­ler_in­ nen-Kol­lek­tivs Oda Pro­je­si, die ex­pli­zit keine äs­the­ti­schen In­ter­es­sen ver­folg­ten und auch kein scharfe Ab­gren­zung gegen­über so­zia­ler Arbeit vor­nah­men (vgl. Bi­shop 2006: 180). Bi­shop sah in die­ser Ab­sage und feh­len­den Ab­gren­zung das Pro­blem. Da­mit ginge die (äs­the­ti­sche) Auto­no­mie von Kunst ver­lo­ren und ei­ner In­stru­men­ta­li­sie­rung würde Tür und Tor ge­öff­net. Dass die Sa­che da­mit nicht er­le­digt ist, macht Grant Kes­ter in ei­nem Inter­ view von 2013 deut­lich, in dem er sich gegen die Po­si­tion von Bi­shop rich­tet, de­ren Hal­tung er be­reits in sei­nem Buch The One and The Many kri­ti­sierte (vgl. 2011: 59). Er weist dar­auf hin, dass künst­le­ri­sche Arbei­ten, die sich in die von ihr an­ge­pran­gerte Un­schärfe vor­wa­gen, an den Grund­fes­ten ge­nau je­nes ideo­lo­ gi­schen Über­baus krat­zen, den Autor_in­nen wie Bi­shop im­pli­zit stütz­ten5 – näm­ lich der „Kunst­welt“ als ei­nem durch Ein- und Aus­schluss­me­cha­nis­men so­wie be­stimm­tem Ha­bi­tus und Be­zugs­sys­tem aus­ge­zeich­ne­tem Be­reich (vgl. Krenn/ Kes­ter 2013). Kes­ter ist neben Bi­shop eine der Dis­kurs-füh­ren­den Fi­gu­ren in Be­zug auf Par­ ti­zi­pa­tion in der Kunst, ob­wohl er eher den Be­griff der Kol­la­bo­ra­tion ver­wen­det hat. Seit Ende der 1990er Jahre unter­sucht er Pro­jek­te, die in zwi­schen­mensch­li­ chen Dy­na­mi­ken be­ste­hen (vgl. Kes­ter 2004, 2011, 2015). Im Unter­schied zu Bi­ 5 „So much of the art world, es­pe­cial­ly the art world that is con­cerned with con­tem­po­rary art, is sus­tained by the buy­ing and sell­ing of art. And there is, not sur­pris­ing­ly, a very strong de­sire among the cu­ra­tors, his­to­rians and critics whose pro­fes­sional iden­tities are large­ly de­pen­dent on this world, to be­lieve that the work they dis­cuss re­tains some sub­ ver­sive, crit­i­cal or an­tag­o­nis­tic charge, while any work that seeks to op­er­ate out­side of, or chal­lenge, the ideo­log­i­cal and in­sti­tu­tional pro­to­cols of this world is naïve, po­lit­i­cal­ly mis­guided or sen­ti­men­tal.“ (Krenn/Kes­ter 2013: 11)

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shop in­ter­es­siert ihn da­bei ge­rade die zu­neh­mende Be­reit­schaft von Künst­ler_in­ nen, sich mit an­de­ren kul­tu­rel­len und in­tel­lek­tuel­len Fel­dern in Dia­log zu set­zen, in­dem sie etwa Me­tho­den der so­zia­len oder po­li­ti­schen Arbeit über­neh­men und sich zu­wei­len kaum mehr von ak­ti­vis­ti­schen In­itia­ti­ven unter­schei­den. Die von Bi­shop ver­foch­tene Ab­gren­zung von Kunst be­schreibt er als eine in die Jahre ge­kom­me­ne, mo­der­nis­ti­sche Denk­fi­gur. Dem­gegen­über seien zeit­ge­nös­ si­sche Künst­ler_in­nen of­fen, die Auto­no­mie von Kunst und ihre ge­sell­schaft­li­che Dis­tink­tion auf­zu­bre­chen (vgl. Krenn/Kes­ter 2013: 4) Die Of­fen­heit gegen­über an­de­ren kul­tu­rel­len Fel­dern und der so­zia­len, po­li­ti­schen Le­bens­welt gilt Kes­ter als zen­tra­les Merk­mal ei­ner „dia­lo­gi­schen Äs­the­tik“, ein Kon­zept, das er seit der Jahr­hun­dert­wende ent­wi­ckel­te. Von ei­ner dia­lo­gi­schen Äs­the­tik kann dem­nach dann die Rede sein, wenn Kunst auf ei­ner struk­tu­rel­len Ebene ei­nen Aus­tausch ein­geht. Wenn also Me­tho­den und auch An­lie­gen in die Kunst­pro­duk­tion ein­rü­ cken, die ge­rade nicht zu ihrer Do­mäne ge­hö­ren. In­ner­halb der west­li­chen De­bat­ten ist Kes­ter der Ein­zi­ge, der die Auf­lö­sung der Kon­tu­ren von künst­le­ri­scher Arbeit im Zu­sam­men­hang mit Par­ti­zi­pa­tion als sprin­gen­den Punkt und Potenzial dar­stellt. Dies ist des­halb be­mer­kens­wert, da auch pro­mi­nente Arbei­ten wie Ti­ra­va­ni­jas Un­tit­led (Free/Still) zu­min­dest vor­ der­grün­dig die Gren­zen der Kunst durch­aus her­aus­for­dern. In­ter­es­san­ter­weise kri­ti­siert aber beispielweise Bi­shop an Un­tit­led (Free/Still) nicht die man­gelnde Dis­tink­tion gegen­über an­de­ren Prak­ti­ken – ob­wohl die Arbeit auch ein­fach als Pop-Up-Im­biss be­trach­tet wer­den könnte –, son­dern le­dig­lich den zu we­nig kom­ ple­xen De­mo­kra­tie­ent­wurf, den Ti­ra­va­nija zum Aus­druck brin­ge. Dass die Arbeit zum Kunst­feld ge­hört, scheint für sie im Unter­schied zu dem Ne­ga­tiv-Bei­spiel Oda Pro­jesi au­ßer Frage zu ste­hen. Ver­gleicht man ihren Um­gang mit den bei­den Fäl­len, dann wird deut­lich, dass Bi­shop nicht klärt, warum die eine Arbeit zum Kunst­feld ge­hört und die an­dere nicht. Viel­mehr re­pro­du­ziert und er­här­tet sie eine be­reits ge­trof­fene Ka­no­ni­sie­ rung. Wäh­rend Un­tit­led (Free/Still) ei­nen un­be­strit­te­nen und viel zi­tier­ten ,Lieb­ ling‘ der Kunst­welt dar­stellt (was etwa im An­kauf durch das Mu­seum of Mo­dern Art zum Aus­druck kommt), sto­ßen Arbei­ten wie jene von Oda Pro­jesi höchs­tens in Ni­schen der Kunst­welt auf In­ter­esse und Rück­halt. Von sol­chen Ni­schen grenzt sich Bi­shop deut­lich ab. Sie ar­gu­men­tiert, dass hier die äs­the­ti­schen Ka­te­go­rien nicht zu grei­fen ver­mö­gen, die sich in der Kunst­ ge­schichte ge­fes­tigt ha­ben (vgl. Bi­shop 2006: 181 ff.). Da­bei re­kur­riert sie auf Avant­gar­de-Prak­ti­ken so­wie auf alt­her­ge­brachte Kri­te­rien und Über­le­gun­gen, die auf Fried­rich Schil­ler und die deut­sche Ro­man­tik zu­rück­ge­hen (ebd.: 183). Mit die­sem Re­kurs demons­triert sie ein in­tel­lek­tuel­les Wis­sen und ei­nen dar­auf ba­sie­ ren­den An­spruch, die we­nig mit ihrem Gegen­stand – der Arbeit von Oda Pro­iesi an der Schnitt­stelle zur so­zia­len Arbeit – zu tun ha­ben, son­dern viel­mehr vom Ha­ bi­tus und den Dis­tink­tions­merk­ma­len der west­li­chen Kunst­welt zeu­gen.

Par­ti­zi­pa­tion in der zeit­ge­nös­si­schen Kunst

Ob­wohl Bi­shop eine be­tont kri­ti­sche Theo­rie­bil­dung aus der So­zio­lo­gie hin­ zu­zieht und da­mit den Kunst­dis­kurs er­wei­tert, re­pro­du­ziert sie letzt­lich die Einund Aus­schluss­me­cha­nis­men, mit­tels de­rer sich die Kunst­welt als ein ex­klu­si­ves und pri­vi­le­gier­tes Feld ab­setzt. Sie ver­langt zwar nach ei­nem kri­ti­schen, de­sta­bi­ li­sie­ren­den Ge­sell­schafts­bild, stellt aber die Grund­fes­ten der Kunst­welt, in der ein sol­ches Bild ent­wor­fen und re­zi­piert wird, nicht zur Dis­kus­sion. Kes­ters dia­lo­gi­sche Äs­the­tik hin­gegen sieht es ge­rade auf diese Grund­fes­ten ab. Bei ihm ist es nicht die Ge­sell­schaft, son­dern der Kunst­be­trieb, der de­sta­bi­li­ siert wird. Seine dia­lo­gi­sche Äs­the­tik im­pli­ziert, dass Par­ti­zi­pa­tion nicht le­dig­lich eine zwi­schen­mensch­li­che, son­dern eine im wei­te­ren Sinne ge­sell­schaft­li­che Sa­ che ist, die dis­kri­mi­nie­rende Struk­tu­ren ver­han­delt. Die­sen Ein­druck er­här­tet er, in­dem er künst­le­ri­sche Pro­jekte wie jene von Oda Pro­jesi her­vor­hebt. In sei­ner Unter­su­chung The One and The Many dis­ku­tiert er bei­spiels­weise ein Pro­jekt in Nal­par (In­dien), in dem sich die Arbeit ei­ner NGO mit künst­le­ri­scher Arbeit ver­ bin­det (vgl. Kes­ter 2011: 76–83). Das An­lie­gen des Pro­jekts be­stand dar­in, eine neue Form von Trink­was­ser­brun­nen zu er­rich­ten, die lo­ka­len Iden­ti­täts­ent­wür­fen ent­spricht, ein Vor­ha­ben, das kaum von Ent­wick­lungs­zu­sam­men­arbeit unter­schie­ den wer­den kann. Ein sol­ches Pro­jekt würde Bi­shop dis­qua­li­fi­zie­ren. In ihrer Lo­gik in­stru­men­ ta­li­siert es Kunst für so­ziale Zwe­cke und zeugt da­bei mehr von ei­ner „Chris­tian ,good soul‘“ (Bi­shop 2006: 183), an­statt von ei­ner durch die west­li­che Äs­the­tik ge­fes­tig­ten, dis­tin­guie­ren­den Geis­tes­hal­tung. Ge­nau die­sen Zu­gang zu Kunst for­ dert Kes­ter her­aus. Seine Unter­su­chung stellt da­mit die Ab­gren­zung re­spek­tive die Ab­grenz­bar­keit von Kunst von an­de­ren Dis­zi­pli­nen und ge­sell­schaft­li­chen Fel­ dern grund­le­gend in Frage und ver­langt nach der For­mu­lie­rung neuer Kri­te­rien. Das An­lie­gen von Neu­for­mie­run­gen („re­con­fi­gu­ra­tion“) durch­zieht sein Kon­zept der dia­lo­gi­schen Äs­the­tik auf meh­re­ren Ebe­nen. So streicht Kes­ter auch deut­lich her­ vor, dass Dia­log und Par­ti­zi­pa­tion nur dann be­ste­hen, wenn so­wohl eine Pro­jekt­an­lage als auch die in­vol­vier­ten Per­so­nen eine grund­le­gende Ver­än­de­rung durch­lau­fen: „We don’t sim­ply en­ter into dia­lo­gue with the intention of de­fen­ding an a priori be­lief, but in or­der to ex­pe­rience an opening out to the ot­her that has the po­ten­tial to re­con­fi­gure our sub­jec­ti­vity in a pro­found manner.“ (Krenn/Kes­ter 2013: 10) Die­ser An­spruch ist ent­schei­dend, um Kes­ters Po­si­tion gegen­über je­ner von Bi­shop wei­ter ab­zu­set­zen. Die von ihr hoch­ge­hal­te­nen Po­si­tiv-Bei­spiele Tho­mas Hirsch­horn und San­tiago Sierra zeich­nen sich da­durch aus, dass die Künst­ler ihre Vi­sion nicht aus der Hand ge­ben. Un­ge­ach­tet des­sen, wen Hirsch­horn oder Sierra in ihre Pro­jekte ein­be­zie­hen, ent­ste­hen eine je­weils ty­pi­sche Äs­the­tik und eine auf ähn­li­che Weise er­schüt­ternde Wir­kung. Diese Ko­hä­renz wäre kaum mög­lich, wenn sich die Künst­ler auf ei­nen Aus­tausch mit den so­zia­len Mi­lieus und ein „opening out to the ot­her“ (ebd.: 10) ein­las­sen wür­den. Im Unter­schied dazu er­ hebt Kes­ter den An­spruch, dass ge­rade das künst­le­ri­sche Sub­jekt, seine Me­tho­dik

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und Vi­sion in ei­nem Pro­jekt­ver­lauf neu for­miert wer­den. Wenn die­ser An­spruch ein­ge­löst wird, wenn kunstferne so­ziale Mi­lieus über ei­nen Pro­jekt­ver­lauf ebenso mit­be­stim­men wie Künst­ler_in­nen, dann ent­ste­hen Pro­duk­tio­nen, die eine ei­gene Lo­gik ent­wi­ckeln. Es re­sul­tiert da­bei zwin­gend eine Un­schärfe be­züg­lich der ge­ sell­schaft­li­chen und kul­tu­rel­len Ver­or­tung sol­cher Pro­jek­te.

U n ­schärfe als neue P er ­spek ­ti ve von P ar ti ­ zi ­ ­pa­ti on Mei­nes Er­ach­tens steht Kes­ter für eine sich ak­tu­ell voll­zie­hende Neu­per­spek­ti­vie­ rung von Par­ti­zi­pa­tion in der bil­den­den Kunst. Die eben be­schrie­bene Un­schärfe stellt da­bei ein zen­tra­les Ele­ment dar. Es ist je­doch wich­tig zu be­to­nen, dass es sich da­bei um eine an­ders ge­la­gerte Un­schärfe han­delt als je­ne, die ich ein­lei­tend in Be­zug auf den Kunst­dis­kurs um die Jahr­hun­dert­wende an­ge­spro­chen ha­be. Um dies deut­lich zu ma­chen, will ich die dis­kur­si­ven Eck­pfei­ler, in­ner­halb de­rer ich Par­ti­zi­pa­tion in der jüngs­ten Kunst­ge­schichte ver­or­tet ha­be, re­ka­pi­tu­lie­ren und zu­sam­men­füh­ren. Die Aus­gangs­be­ob­ach­tung des vor­lie­gen­den Tex­tes be­steht dar­in, dass dem von Künst­ler_in­nen und Ku­ra­tor_in­nen in den 1990er Jah­ren an­ge­sto­ße­nen Dis­ kurs kein ri­go­ro­ser Be­griff von Par­ti­zi­pa­tion zu­grunde lag. Wie ich ar­gu­men­tiert ha­be, ging es da­mals pri­mär um Be­stre­bun­gen, den Vor­gang der Kunst­be­trach­tung zu ent­fes­seln und zu sub­jek­ti­vie­ren. Den Be­trach­ter_in­nen wur­den Spiel­räume und kon­tin­gen­te, inter­ak­tive Er­leb­nis­per­spek­ti­ven er­öff­net. Die Be­stim­mung über das Ge­samt­set­ting der Arbei­ten blieb je­doch den Künst­ler_in­nen vor­be­hal­ten, die kaum aus ihrer Au­to­ri­täts­po­si­tion her­aus­tra­ten. In­so­fern mar­kiert das Stich­wort Par­ti­zi­pa­tion hier pri­mär das Be­stre­ben, das Pu­bli­kum aus sei­ner her­kömm­lich zu­ge­dach­ten Po­si­tion her­aus­zu­füh­ren, die sich auf eine in­ner­li­che Kon­tem­pla­tion be­schränkt und ei­nem Nach­voll­zie­hen der künst­le­ri­schen In­ten­tion ver­bun­den ist. Unter dem Stich­wort der Par­ti­zi­pa­tion wer­den die Be­trach­ter_in­nen durch spe­zi­fi­ sche Pro­jekt­an­la­gen zu han­deln­den Fi­gu­ren der Kunst. Der Be­griff steht da­mit für eine neue, post­mo­derne Kon­zep­tion von Kunst­be­trach­tung. Das Fun­da­ment die­ser Neu­kon­zep­tion bil­det unter an­de­rem die anti-ka­pi­ta­ lis­ti­sche Kri­tik, ver­kör­pert von Guy De­bords Pu­bli­ka­tion So­ciété du Spec­tacle (1967), die von der Kunst­welt ge­ra­dezu gie­rig auf­ge­nom­men wurde.6 Vor dem 6 Diese ,Gier‘ der Kunst­welt, die mit De­bords So­ciété du Spec­tacle ver­bun­de­ne, anti-ka­ pi­ta­lis­ti­sche Kri­tik auf­zu­neh­men, be­schreibt Claire Bi­shop im Ma­nu­skript ei­ner Vor­ le­sung von 2011, die on­line zu­gäng­lich ist (vgl. Bi­shop 2011). Sie wird zu­dem von Ran­ciè­res po­le­mi­scher Be­schrei­bung il­lus­triert, wo­nach sich unter dem Stich­wort „Spec­tacle“ ein kri­ti­sches Be­wusst­sein im Kunst­dis­kurs mar­kie­ren lässt (vgl. Ran­cière 2007: 272). Zu­dem fällt sie auch im Zu­sam­men­hang mit Pierre Huyg­hes Werk auf, das oft­mals unter dem Be­griff dis­ku­tiert und ver­mit­telt wird.

Par­ti­zi­pa­tion in der zeit­ge­nös­si­schen Kunst

Hin­ter­grund von De­bords Kri­tik ließ sich eine Kunst, die un­mit­tel­bare Inter­ak­tion för­dert, als po­li­tisch be­trach­ten. Sie ließ sich als kri­ti­sche Re­ak­tion auf die post­ mo­derne Condition d’Être an­prei­sen, die mit dem Un­be­ha­gen as­so­zi­iert war, in ei­ ner zu­se­hends me­dial ver­mit­tel­ten Welt ma­ni­pu­la­ti­ven Kräf­ten und un­mar­kier­ten Ideo­lo­gien aus­ge­lie­fert zu sein. Par­ti­zi­pa­tion wurde mit dem Ver­spre­chen ver­bun­ den, den „par­ti­ci­pants“ die Er­fah­rung von Un­mit­tel­bar­keit zu­rück­zu­brin­gen und ein Ein­grei­fen zu er­mög­li­chen. In die­sem Kon­text setzte sich der An­spruch fest, dass es im Zu­sam­men­hang mit Par­ti­zi­pa­tion um eine Selbst­er­mäch­ti­gung und De­mo­kra­ti­sie­rung geht. Wie Bi­shop und Ran­cière kri­tisch an­merk­ten, löste sich die­ser po­li­ti­sche An­spruch kei­nes­wegs auto­ma­tisch ein. Er führte je­doch zu ei­ner deut­li­chen Er­wei­te­rung des Kunst­dis­kur­ses um ge­sell­schaft­li­che und po­li­ti­sche Fra­gen (re­spek­tive Be­ haup­tun­gen). In die­ser Er­wei­te­rung liegt ein bis heute wirk­sa­mer Ge­winn für die Kunst­welt, da Kunst eine er­höhte ge­sell­schaft­li­che Re­le­vanz zu­ge­schrie­ben wird. Bei ge­nauer Be­trach­tung er­scheint es je­doch höchst zwei­fel­haft, ob mit ihm auch po­si­tive ge­sell­schaft­li­che Ef­fekte statt­ge­fun­den ha­ben. An die­sem Punkt kommt nun Grant Kes­ter ins Spiel. Wäh­rend seine Ant­ago­ nis­tin Claire Bi­shop kri­tisch dis­ku­tier­te, in­wie­fern künst­le­ri­sche Pro­jekte de­mo­ kra­ti­sche Struk­tu­ren er­zeu­gen, zieht er zu­min­dest im­pli­zit in Fra­ge, in­wie­fern Kunst über­haupt ein de­mo­kra­ti­scher ge­sell­schaft­li­cher Be­reich sein kann. Unter sei­nem Be­griff der dia­lo­gi­schen Äs­the­tik macht Kes­ter deut­lich, dass Par­ti­zi­pa­tion nur dann mög­lich ist, wenn die Pri­vi­le­giert­heit und die Ab­gren­zung der Kunst­welt zur Dis­po­si­tion ge­stellt wer­den. Nur wenn Kunst aus ihrem Be­reich her­aus­tritt, wenn sie sich mit Prak­ti­ken und An­lie­gen aus an­de­ren kul­tu­rel­len, ge­sell­schaft­ li­chen Be­rei­chen ver­bin­det und da­mit auch ihre Er­kenn­bar­keit ,als Kunst‘ aufs Spiel setzt, kann Par­ti­zi­pa­tion im Sinne von Öff­nung, Dia­log und gleich­be­rech­tig­ ter Teil­habe statt­fin­den. Die Bri­sanz von Kes­ters Po­si­tion wird in­di­rekt deut­lich, wenn man be­ob­ach­ tet, wie prä­gende Autor_in­nen wie Claire Bi­shop oder auch Main­stream-Künst­ ler_in­nen wie Ma­rina Ab­ra­mo­vić die her­kömm­li­che Ab­gren­zung ver­tei­di­gen. Wäh­rend Bi­shop das Ein­hal­ten der äs­the­ti­schen Ka­te­go­rien der Kunst­welt für zwin­gend hält, und Ab­ra­mo­vić ihre stark von Me­di­ta­tions­tech­ni­ken und As­kese ge­präg­ten Per­for­mances durch äs­the­ti­sche Rah­mun­gen von eben­die­sen Be­zü­gen ab­hebt, plä­diert Kes­ter ge­rade für die Un­schär­fe, gegen die sie sich stel­len. Seine Per­spek­tive drängt die Frage auf, ob ein ri­go­ros um­ge­setz­ter Be­griff von Par­ti­zi­pa­tion un­wei­ger­lich zu ei­ner Auf­lö­sung der Kunst­welt als ei­nem ab­ ge­grenz­ten und pri­vi­le­gier­ten Be­reich führt. In die­ser Frage liegt na­tür­lich eine Be­dro­hung für all je­ne, die von der Ab­gren­zung der Kunst­welt pro­fi­tie­ren, da sie ihre Ex­per­tise oder ihre Aus­sicht auf wirt­schaft­li­chen Er­trag in Frage ge­stellt se­ hen. An­de­rer­seits birgt sie ein Potenzial für jene Prak­ti­ken und Per­so­nen, die von der Kunst­welt bis an­hin dis­kri­mi­niert wer­den.

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Kes­ters ent-gren­zen­der Hal­tung er­scheint mir ge­rade mit Blick auf ak­tu­elle ge­sell­schaft­li­che Ent­wick­lun­gen in den de­fi­ni­tions­mäch­ti­gen Me­trop­olen der west­li­chen Kunst­welt pro­duk­tiv. Durch die jüngs­ten Mi­gra­tions­be­we­gun­gen tref­ fen hier Men­schen mit ver­schie­den aus­ge­präg­ten Fä­hig­kei­ten und In­ter­es­sen zu­ sam­men. Es liegt auf der Hand, dass da­bei die stär­ker ge­stellte Par­tei be­ste­hende Ein- und Aus­schlüsse so­wie Über­ein­künfte dar­über er­här­ten kann, was Kunst ist und wo ihre Gren­zen etwa zu Hand­werk, Pop­kul­tur oder So­zio­kul­tur lie­gen. Wenn der Si­tua­tion aber mit der bei Kes­ter an­ge­leg­ten Of­fen­heit be­geg­net wird, dann birgt das Zu­sam­men­kom­men das Potenzial ei­ner Neu­for­mie­rung. Wenn eine un­ scharfe Kon­tu­riert­heit künst­le­ri­scher Arbeit und eine Of­fen­heit gegen­über an­de­ ren kul­tu­rel­len Prak­ti­ken zu­ge­las­sen wer­den, wenn un­deut­lich sein darf, ob et­was ein Com­mu­ni­ty- oder ein Kunst-Pro­jekt, Tra­di­tion oder Per­for­mance, Kalligrafie oder Ma­le­rei ist, dann wird nicht nur der Kunst­be­griff neu ver­han­delt, son­dern auch eine in­klu­sive Hal­tung ge­stärkt. Hält man sich die von Mi­gra­tion ge­präg­ten Le­bens­wel­ten vor Au­gen, dann tritt nicht die von Bi­shop be­schwo­rene De­sta­bi­li­sie­rung von Ge­mein­schaft, son­ dern im Gegen­teil: das Rin­gen um ein In-Be­zie­hung-Tre­ten in ei­ner oh­ne­hin in­ sta­bi­len, von Un­gleich­heit und Se­gre­ga­tion ge­präg­ten Welt in den Vor­der­grund. Bi­shops Zu­gang zu Par­ti­zi­pa­tion, der auf der Lo­gik von Ab­gren­zung und Dis­tink­ tion ba­siert, ist für diese Si­tua­tion nicht ope­ra­tio­na­li­sier­bar. Kes­ter hin­gegen zeigt hier eine Per­spek­tive auf. Er macht deut­lich, dass es nicht auf eine (so­ziale oder äs­the­ti­sche) Dis­tink­tion, son­dern auf ein dia­lo­gi­sches Han­deln an­kommt, das von der Be­reit­schaft ge­tra­gen ist, her­kömm­lich Zu- und Ein­ord­nun­gen zu über­win­den und eine Ver­än­de­rung zu­zu­las­sen.

Par­ti­zi­pa­tive Kul­tu­ren im Kon­text von DIY und als in­for­melle Lern­orte

Par­ti­zi­pa­tive Kul­tu­ren im Kon­text von DIY und  als in­for­melle Lern­orte1 Elke Zobl

Par­ti­zi­pa­tion ist ei­ner der zen­tra­len Schlüs­sel­be­griffe in zeit­ge­nös­si­scher Kunst und Kul­tur­pro­duk­tion und um­fasst eine Viel­zahl an Kon­zep­ten wie Teil­ha­be, Teil­ nah­me, Mit­be­stim­mung oder Mit­wir­kung. Eine Mög­lich­keit des ge­sell­schaft­li­ chen Ein­grei­fens, Mit­re­dens und Mit­ge­stal­tens so­wie der Kri­tik bie­ten da­bei inter­ve­nie­rende künst­le­ri­sche Prak­ti­ken und par­ti­zi­pa­tive Kul­tu­ren. Par­ti­zi­pa­tive Kul­tu­ren ste­hen in ei­nem en­gen Zu­sam­men­hang mit der Ge­schichte und Ent­ wick­lung von Do-It-Your­self-(DIY-)Kul­tu­ren, die mit viel­fäl­ti­gen künst­le­ri­schen, kul­tu­rel­len und me­dia­len Stra­te­gien arbei­ten. Theo­rien zu par­ti­zi­pa­ti­ven Kul­tu­ ren wur­den inter­dis­zi­pli­när in den Cul­tu­ral Stu­dies, den Me­dien­wis­sen­schaf­ten, der Me­dien­päd­ago­gik, den Gen­der Stu­dies, der Po­li­tik­wis­sen­schaft, der Kunst­ ge­schichte und der So­zia­len Be­we­gungs­for­schung aus­ge­arbei­tet. Ein be­son­de­rer Schwer­punkt wurde da­bei auf Fan-Kul­tur (engl. ,fan­dom‘), Po­pu­lär­kul­tur, al­ter­ na­tive Me­dien­pro­duk­tion, On­line-Me­dien und -Com­mu­ni­ties so­wie päd­ago­gi­sche Im­pli­ka­tio­nen ge­legt. Ab­ge­lei­tet aus der eng­li­schen Be­zeich­nung ,par­ti­ci­pa­tory culture‘ be­zeich­net der Be­griff eine ak­tive Be­tei­li­gung von Men­schen an kul­tu­rel­ler und me­dia­ler Pro­ duk­tion, die sie selbst­be­stimmt ge­stal­ten, ver­öf­fent­li­chen und ver­brei­ten. Zu­gleich zei­gen die Be­tei­lig­ten zi­vil­ge­sell­schaft­li­ches En­ga­ge­ment, wer­den ak­ti­ver Teil von Netz­wer­ken und Com­mu­ni­ties und ge­ben über in­for­mel­les Men­to­ring Wis­sen wei­ter (vgl. Jen­kins et al. 2009). Der Be­griff der par­ti­zi­pa­ti­ven Kul­tur ist eng mit dem ame­ri­ka­ni­schen Me­dien­wis­sen­schaft­ler Henry Jen­kins ver­bun­den. Jen­kins und seine Arbeits­gruppe ar­gu­men­tie­ren, dass durch die Ver­brei­tung des Inter­nets, neuer Me­dien­tech­no­lo­gie, inter­ak­ti­ver Platt­for­men und nutzer_innengenerierter Netz­werke De­mo­kra­tie und Par­ti­zi­pa­tion ge­stärkt wer­den: Es sei jetzt – in der Ver­ 1 Dieser Bei­trag baut auf Ar­ti­kel, die in Zu­sam­men­arbeit mit Rosa Reit­sa­mer und Ri­ carda Drüeke ent­stan­den sind, auf (vgl. Reit­sa­mer/Zobl 2010, 2011, 2014; Zobl/Drüeke 2012; Zobl/Drüeke 2019 (im Er­schei­nen); Zobl 2012). Ich danke herz­lich für die Zu­ sam­men­arbeit!

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bin­dung von ,al­ten‘ und ,neuen‘ Me­dien – für das durch­schnitt­li­che, all­ge­meine Pu­ bli­kum (oder Kon­su­ment_in­nen) mög­lich, ak­tiv an (Me­dien-)Kul­tu­ren teil­zu­ha­ben (vgl. Jen­kins 2006a und 2006b). Dies löste viel­fäl­tige Dis­kus­sio­nen rund um ein ak­ti­ves Pu­bli­kum, Peer-to-Peer-Pro­duk­tion, Co-Creation, ,pro­su­mers‘, ,pro­du­sa­ ge‘ und ,pro­sump­ti­on‘ aus. Manch­mal wird der Be­griff der par­ti­zi­pa­ti­ven Kul­tur in Ver­bin­dung mit den Be­grif­fen „kul­tu­relle Par­ti­zi­pa­tion“ („cul­tu­ral participa­tion“) und „Kul­tu­ren der Par­ti­zi­pa­tion“ („cul­tu­res of participation“) ver­wen­det (vgl. della Por­ta/Mat­toni 2013). Der Be­griff des DIY wurde in Zei­ten des Neo­li­be­ra­lis­mus und Ka­pi­ta­lis­mus – und ins­be­son­dere seit Be­ginn des 21. Jahr­hun­derts – stark von der Wer­bung ver­ein­nahmt und kom­mer­zia­li­siert. Oft­mals fin­det eine An­eig­nung kul­tu­rel­ler eman­zi­pa­to­ri­scher Prak­ti­ken statt, wo­bei DIY-Prak­ti­ken ver­wen­det, diese je­doch kom­plett de­kon­text­ua­li­siert und ent­po­li­ti­siert wer­den. Ziel die­ses Bei­trags ist es, ei­nen kur­so­ri­schen Über­blick über das Kon­zept der par­ti­zi­pa­ti­ven Kul­tu­ren im Kon­text von DIY zu ge­ben und sie als in­for­melle Lern­or­te, an denen Wis­sen und Er­fah­rung Peer-to-Peer wei­ter­ge­ge­ben und aus­ge­ tauscht wer­den, zu fas­sen. Ich stelle zu Be­ginn den Kon­text der DIY-Kul­tu­ren und die ge­schicht­li­che und theo­re­ti­sche Ent­wick­lung so­wie Kri­tik am Kon­zept vor, an­ schlie­ßend er­läu­tere ich Kon­zepte des in­for­mel­len Ler­nens. Ein Fo­kus liegt da­bei auf queer-fe­mi­nis­ti­schen kul­tu­rel­len und me­dia­len – we­ni­ger je­doch auf künst­le­ri­ schen – Bei­spie­len als kri­ti­sche Prak­ti­ken. Her­aus­strei­chen möchte ich, dass par­ ti­zi­pa­tive und DIY-Kul­tu­ren in viel­schich­tige ge­schicht­li­che Ent­wick­lun­gen ein­ ge­bet­tet sind und in ihren Aus­prä­gun­gen, In­hal­ten, For­men und Kon­tex­ten so­wie in Hin­blick auf die pro­du­zie­ren­den Men­schen und de­ren Mo­ti­va­tio­nen und Ziele au­ßer­or­dent­lich he­te­ro­gen sind. Sie ste­hen in vie­len Be­zü­gen zu so­zia­len, künst­le­ ri­schen und po­li­ti­schen Be­we­gun­gen. Auf­grund die­ser viel­fäl­ti­gen Aus­prä­gun­gen spre­che ich von ,par­ti­zi­pa­ti­ven Kul­tu­ren‘ und ,DIY-Kul­tu­ren‘ im Plu­ral.

P ar ­ti ­zi ­pa­ti ve K ul­tu ­ren und ihre V er an ­ ­ke ­rung in  DIY-K on ­tex ­ten Par­ti­zi­pa­tive Kul­tu­ren müs­sen in der ge­schicht­li­chen Ent­wick­lung und im Kon­text der DIY-Kul­tu­ren be­trach­tet wer­den. Diese er­mu­ti­gen In­di­vi­du­en, ihre ei­ge­nen Me­dien, Pro­jekte und Ar­te­fakte zu pro­du­zie­ren, an­statt von der Kul­tur­in­dus­trie mas­sen­pro­du­zierte Ware zu kon­su­mie­ren (vgl. Calm­bach 2007; Lang­rei­ter/Löff­ ler 2017; Mar­cus 1989; McKay 1998). DIY-Kul­tu­ren cha­rak­te­ri­sie­ren sich durch Selbst­or­ga­ni­sa­tion, durch das Auf­bre­chen der Gren­zen zwi­schen Kon­su­mie­ren­ den und Pro­du­zie­ren­den und durch nicht-for­ma­li­sierte Lern­prak­ti­ken. DIY-Ak­ teur_in­nen zei­gen ein de­zi­dier­tes In­ter­esse an der Ver­wen­dung neuer Tech­no­lo­ gien (Com­pu­ter, Vi­deo, Inter­net etc.), rich­ten sich gegen he­ge­mo­niale Ideo­lo­gien (u. a. über al­ter­na­tive und of­fene Kunst- und Mu­sik­pro­duk­tion) und ver­su­chen,

Par­ti­zi­pa­tive Kul­tu­ren im Kon­text von DIY und als in­for­melle Lern­orte

ihre kul­tu­rel­len Pro­duk­tio­nen ideo­lo­gisch und ma­te­riell mög­lichst un­ab­hän­gig von kom­mer­ziel­len Struk­tu­ren und ei­ner ka­pi­ta­lis­ti­schen Wa­ren- und Kul­tur­in­ dus­trie her­zu­stel­len und zu ver­brei­ten (vgl. Calm­bach 2007; Ke­ar­ney 1998; Spen­ cer 2005; McKay 2010; Reit­sa­mer 2013). Neben ei­ner Kri­tik an der Kon­sum­kul­ tur sieht Ste­phen Dun­combe ei­nen an­de­ren As­pekt als noch wich­ti­ger an, näm­lich „the ac­tive creation of an al­ter­na­tive culture“ (1997: 117). Denn: „DIY is not just com­plain­ing about what is, but ac­tu­al­ly do­ing some­thing dif­fer­ent.“ (Ebd.) Kri­ti­sche kul­tu­relle Pro­duk­tion und al­ter­na­tive Me­dien spie­len seit je­her eine wich­tige Rolle in so­zia­len Be­we­gun­gen, die sich für pro­gres­si­ven, de­mo­kra­ti­schen Wan­del ein­set­zen, denn viele – vor al­lem junge – Men­schen sa­hen und se­hen auch heute noch sich und ihre In­ter­es­sen in der Ge­sell­schaft und in den Mas­sen­me­dien nicht oder miss­re­prä­sen­tiert. Seit dem Be­ginn der Frau­en­be­we­gun­gen ha­ben Fe­mi­nist_in­ nen ihre An­lie­gen unter an­de­rem in selbst­pu­bli­zier­ten Zeit­schrif­ten, Pam­phle­ten und Fly­ern kund­ge­tan. Al­ter­na­tive Me­dien, Ra­dio oder künst­le­risch-ak­ti­vis­ti­sche Pro­jekte bie­ten die Mög­lich­keit der de­mo­kra­ti­schen Kom­mu­ni­ka­tion, der Ver­net­zung, der Selbst­er­mäch­ti­gung und der Teil­ha­be. In die­sen Me­dien kön­nen die Pro­du­zie­ren­den und Le­sen­den eine All­tags­me­dien­öko­no­mie des Schen­kens und Tau­schens her­stel­len und Pro­zes­sen der In­sti­tu­tio­na­li­sie­rung, Pro­fes­sio­na­li­sie­rung und Ka­pi­ta­li­sie­rung wi­der­ste­hen (vgl. At­ton 2002: 64). Die da­bei ent­ste­hen­den DIY-Netz­werke le­gen Wert auf ver­än­der­te, pro­zess­hafte so­ziale Be­zie­hun­gen und Kom­mu­ni­ka­tions­pro­ zesse in Be­zug auf eta­blierte Stan­dards der Pro­fes­sio­na­li­sie­rung, der Kom­pe­tenz­ an­eig­nung und des in­tel­lek­tuel­len Eigen­tums („anti-copyright“) (vgl. ebd.: 27 ff.). Das Grund­prin­zip die­ser DIY-Prak­ti­ken liegt in der Par­ti­zi­pa­tion, in­dem die Grenze zwi­schen Kon­su­mie­ren­den und Pro­du­zie­ren­den (,pro­su­mer‘) auf­ge­weicht wird. Im Mit­tel­punkt steht we­ni­ger der Er­folg in Hin­blick auf die An­zahl der Le­ser_in­nen oder des Pu­bli­kums als viel­mehr die Ar­ti­ku­la­tion von he­te­ro­ge­nen Sicht­wei­sen und Per­spek­ti­ven in unter­schied­li­chen For­ma­ten. Die Aus­gangs­punkte der DIY-Kul­tu­ren als be­wusst al­ter­na­ti­ve, sub­kul­tu­relle und anti­kom­mer­zielle Phi­lo­so­phie und als Kri­tik an der Tren­nung von Kunst und All­tag ge­hen bis zu den Da­daist_in­nen in den 1920er, den lin­ken und Avant­gar­ de-Kunst-Be­we­gun­gen in den 1950er und 1960er Jah­ren (u. a. Si­tua­tionist_in­nen, Hap­pe­nings von Al­lan Ka­prow) und den da­mals auf­kom­men­den so­zia­len Be­we­ gun­gen zu­rück (vgl. Ke­ar­ney 1997; Mar­cus 1989). Der Slo­gan des DIY und die da­mit ver­bun­dene gegen­kul­tu­rel­le, anti­au­to­ri­täre Selbst­er­mäch­ti­gung war neben der Hip­pie-Be­we­gung vor al­lem in der Punk­rock-Szene zen­tral (vgl. Dun­combe 1997). Zum Teil ent­stand DIY aus ei­ner Not­wen­dig­keit zur Selbst­or­ga­ni­sa­tion und dem Auf­bau eige­ner Struk­tu­ren in­ner­halb die­ser Be­we­gung, da die Mu­sik-In­ dus­trie we­nig In­ter­esse an Punk­rock zeigte (vgl. ebd.). Je­doch wird die Punk-Be­ we­gung oft­mals fälsch­li­cher­weise als Ur­sprung der DIY-Phi­lo­so­phie dar­ge­stellt. Sol­che un­kri­ti­sche Zu­gänge ver­zer­ren die lange Ge­schichte des DIY (vgl. Ke­ar­ ney 1997: 215).

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In den 1990er Jah­ren for­mier­ten sich ver­mehrt gegen­kul­tu­relle DIY-Sze­nen im anglo-amerikanischen und eu­ro­päi­schen Raum. Riot Grrrls for­der­ten in der al­ ter­na­ti­ven Mu­sik­szene in Nord­ame­rika ihren Raum. Hun­derte von jun­gen Frauen be­gan­nen Zi­nes mit ex­pli­zit fe­mi­nis­ti­schen The­men zu pro­du­zie­ren (vgl. Bal­dauf/ Wein­gart­ner 1998; Green/Ta­or­mino 1997; Schilt 2003; Zobl 2009). Unter dem Motto ,fe­male self-emp­ower­ment‘ und DIY wur­den Fes­ti­vals, Kon­zer­te, Aus­stel­ lun­gen und Work­shops or­ga­ni­siert so­wie Fan­zi­nes ge­grün­det, um der per­ma­nen­ ten Unter­re­prä­sen­ta­tion von Mu­si­ke­rin­nen und Künst­le­rin­nen die ei­gene Krea­ ti­vi­tät ent­gegen­zu­set­zen und dem Är­ger über die be­ste­hen­den Ver­hält­nisse Luft zu ma­chen. Der po­li­ti­sche An­spruch um­fasste da­bei nicht nur ein fe­mi­nis­ti­sches An­lie­gen, son­dern (weit­ge­hend) auch eine Ab­gren­zung gegen Ras­sis­mus und Dis­ kri­mi­nie­rung im All­ge­mei­nen. In der Wei­ter­ent­wick­lung und inter­na­tio­na­len Ver­brei­tung der Ri­ot-Grrrl-Be­ we­gung ent­stand eine Viel­zahl an ver­schie­de­nen kul­tu­rell-künst­le­ri­schen und ak­ti­vis­ti­schen DIY-Pro­jek­ten, wie bei­spiels­weise La­dy­feste (vgl. Om­mert 2017; Zobl 2011b), ak­ti­vis­ti­sche und Mu­sik-Netz­werke (vgl. Hvala 2012; Reit­sa­mer 2013) so­wie queer-fe­mi­nis­ti­sche Blogs und Com­mu­nity Me­dien (vgl. Gun­nars­ son-Payne 2009, 2012; Chid­gey 2009). Amy Spen­cer sieht fe­mi­nis­ti­sches Craf­ ting (vgl. Cri­ti­cal Craf­ting Circle 2011; Mül­ler 2007) als eine wei­tere Phase der DIY-Kul­tu­ren, in der neue Com­mu­ni­ties ge­bil­det wer­den (vgl. Spen­cer 2005: 67)2. ,Cri­ti­cal Craf­ting‘ oder ,Craf­ti­vism‘ zielt auf die Eta­blie­rung von Un­ab­hän­ gig­keit und ei­ner al­ter­na­ti­ven Öko­no­mie im Sinne ei­nes Do-It-To­ge­ther. Für die Münch­ner Künst­le­rin Ste­pha­nie Mül­ler (rag*trea­su­re) wird DIY erst dann in­ter­es­ sant, „wenn es zu ei­nem Do-it-To­ge­ther wird und sich nicht auf den ei­ge­nen Mi­ kro­kos­mos be­schränkt. Wenn man bei­spiels­weise ge­mein­same Ak­tio­nen mit an­ de­ren KünstlerInnen durch­führt, Netz­werke wei­ter­strickt, die Gren­zen zwi­schen ProduzentIn und KonsumentIn auf­bricht und bei ei­ner Mo­de­per­for­mance oder Näh­ak­tion auch das Pu­bli­kum mit­ein­bin­det“ (Mül­ler 2010: 18 f.). Für Mül­ler geht es dar­um, Pro­jekte ohne die Vor­aus­set­zung ei­ner pro­fes­sio­nel­len Aus­bil­dung „zu ei­nem of­fe­nen Ex­pe­ri­men­tier­feld“ für sich und das Pu­bli­kum zu ma­chen (ebd.: 19). Die kol­la­bo­ra­tive Arbeits­weise ist in Mül­lers DIY-Zu­gang also zen­tral. Diese Ge­schichts­schrei­bung ist frei­lich aus ei­ner west­li­chen Per­spek­tive ver­ fasst, die glo­bale und trans­na­tio­nale Ent­wick­lungs­li­nien – mit ihren je spe­zi­fi­schen Aus­prä­gun­gen – au­ßer Acht lässt, wie bei­spiels­weise die sa­miz­dat-Pu­bli­ka­tio­nen in der ehe­ma­li­gen So­wjet­union3 oder die hand­ge­schrie­be­nen po­li­ti­schen Wand­zei­ 2

Auch wenn es glo­bal be­reits ähn­li­che An­stren­gun­gen gibt, ist das fe­mi­nis­tisch ge­prägte Craf­ting nach wie vor ein west­li­ches Wohl­stands­phä­no­men, das vor al­lem von wei­ßen, ge­bil­de­ten, jun­gen Frauen der Mit­tel­klasse aus­ge­übt wird (vgl. Cri­ti­cal Craf­ting Circle 2011). 3 Vgl. dazu die So­viet Sa­miz­dat Pe­ri­o­di­cals Daten­bank, mit Pu­bli­ka­tio­nen von 1956 bis 1986.

Par­ti­zi­pa­tive Kul­tu­ren im Kon­text von DIY und als in­for­melle Lern­orte

tun­gen, ge­nannt da­zi­baos, wäh­rend der kul­tu­rel­len Re­vo­lu­tion (1966–79) in Chi­ na. Cle­men­cia Ro­drí­guez hat in ihren Stu­dien und Bü­chern zu „ci­ti­zens’ media“ (vgl. 2001) vor al­lem von Frauen selbst pro­du­zierte Me­dien und Netz­werke (z. B. Com­mu­nity Ra­dios) in Ni­ca­ra­gua, Ko­lum­bien, Spa­nien und Chile so­wie in la­tein­ ame­ri­ka­ni­schen Com­mu­ni­ties in den USA in den Blick ge­nom­men. Wie ich in mei­nen Vor­arbei­ten zu fe­mi­nis­ti­schen, quee­ren und trans Zi­nes und ihren viel­schich­ti­gen trans­na­tio­na­len Netz­wer­ken (vgl. Zobl 2009) ver­sucht habe her­aus­zu­arbei­ten, wis­sen wir am meis­ten über Zi­nes in eng­lisch­spra­chi­gen, west­li­chen Län­dern4. Selbst­pu­bli­zierte Ma­ga­zine wer­den aber, wenn auch unter unter­schied­li­chen Na­men und La­bels, in vie­len ver­schie­de­nen Län­dern und Spra­ chen pro­du­ziert und ver­teilt – was auch eine Her­aus­for­de­rung in Be­zug auf die wis­sen­schaft­li­che Re­cher­che und Do­ku­men­ta­tion ist (vgl. Grrrl Zine Net­work; Grass­roots Fe­mi­nism; Zobl 2009). Ein Grund­te­nor ist, dass sie of­fe­ne, par­ti­zi­pa­ ti­ve, nicht-hier­ar­chi­sche und in­for­melle Ex­pe­ri­men­tier­räume schaf­fen wol­len, die durch nie­dere Zu­gangs­schran­ken, bil­lige und ein­fa­che Tech­no­lo­gien und al­ter­na­ tive Dis­tri­bu­tions­wege den Zu­gang zur Me­dien­pro­duk­tion er­leich­tern sol­len. Viele Zi­ne­ma­cher_in­nen ha­ben den in­halt­li­chen An­spruch, fe­mi­nis­tisch, anti­ ras­sis­tisch, anti­ka­pi­ta­lis­tisch und so­li­da­risch mit Frauen* und mar­gi­na­li­sier­ten Grup­pen zu sein. Ob­wohl sich viele der Macht­dy­na­mi­ken be­wusst sind, geht ihr kri­ti­scher An­spruch oft­mals nicht über eine leere Rhe­to­rik der In­klu­sion hin­aus. Durch die Ver­wen­dung spe­zi­fi­scher kul­tu­rel­ler Codes, Sym­bo­le, Spra­chen und Äs­thet­iken adres­sie­ren die Pro­du­zent_in­nen ihre Peers. Die mit queer-fe­mi­nis­ti­ schen Zi­nes as­so­zi­ierte demografische Gruppe ist vor­wie­gend weiß, aus der Mit­ tel­klas­se, jung und bil­dungs­be­vor­zugt (vgl. Schilt 2005; Ke­ar­ney 2006). Viele Zine­pro­du­zent_in­nen las­sen eine kri­ti­sche Re­fle­xion ihrer Pri­vi­le­gien, die sie durch ihre ge­sell­schaft­li­che Po­si­tion als weiße Mehr­heits­an­ge­hö­rige ha­ben, ver­ mis­sen und set­zen he­ge­mo­niale Nar­ra­tive fort. Ei­nen der wich­tigs­ten Bei­träge zur Ana­lyse von race in der Zi­ne-Com­mu­nity und zu ei­ner Kri­tik an ihren Li­mi­ta­tio­ nen lie­fert Mimi Nguyen (vgl. u. a. 2012), Her­aus­ge­be­rin der Kom­pi­la­ti­ons-Zi­nes Evo­lu­tion of a Race Riot (1997) und Race Riot (2000). Be­zug­neh­mend auf Punk als Sub­kul­tur, die männ­lich do­mi­niert und von Dis­sens ge­prägt ist, ar­gu­men­tiert sie, dass eine selbst­re­fle­xive Be­trach­tung von Pri­vi­le­gien und ihren his­to­ri­schen 4 Nachdem ich vor zwan­zig Jah­ren fest­stel­len konn­te, dass ei­ner­seits die For­schung sich auf Zi­nes im anglo-amerikanischen Raum fo­kus­sierte und an­de­rer­seits eine zen­tra­le, vir­tu­elle Res­sour­cen­seite fehl­te, grün­dete ich 2001 das On­line-Archiv Grrrl Zine Net­ work, um auf­zei­gen, dass Zi­nes in vie­len ver­schie­de­nen Län­dern pro­du­ziert wer­den. Ich konnte da­bei mehr als 1.100 Zi­nes aus 43 ver­schie­de­nen Län­dern in 15 Spra­chen do­ku­men­tie­ren und 120 Zi­ne-Pro­du­zen­tin­nen inter­vie­wen. Die meis­ten Zi­nes, die ich im Rah­men mei­ner For­schung sam­meln konn­te, stam­men aus Nord­ame­ri­ka, Eu­ropa und Aus­tra­lien. Das Fol­ge­pro­jekt Grass­roots Fe­mi­nism hat ei­nen brei­te­ren Fo­kus auf ver­schie­dene DIY-Prak­ti­ken.

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und po­li­ti­schen Kon­tex­ten not­wen­dig sei (vgl. Nguyen 1997). Dies er­for­dert auch eine an­dere Ge­schichts­schrei­bung, die ebenso die Stra­te­gien der Selbst­pu­bli­ka­tio­ nen von „Chi­ca­na, La­ti­na, Black, In­di­ge­nous and APA [Asian Pa­ci­fic Ame­ri­can] ar­tists, poets and wri­ters du­ring the ’60s and ’70s“ (Piep­zna-Sa­ma­ra­sinha 2004: 26) in den Blick nimmt. Um sol­che Aus­schluss­me­cha­nis­men zu unter­su­chen, er­scheint mir der Zu­gang der Cri­ti­cal Whi­te­ness Stu­dies aus den USA frucht­bar, der un­hin­ter­frag­tes Weiß­ sein als Sys­tem von Pri­vi­le­gie­rung und Do­mi­nanz sicht­bar macht. Folg­lich ist hier die For­de­rung nach Selbst­re­fle­xion (etwa unter Hin­weis auf die Homo­ge­ni­tät der Zi­ne-Com­mu­ni­ty) und ei­ner Be­schäf­ti­gung mit den Inter­sek­tio­nen von Gen­ der, race, Klasse und Macht zu er­he­ben, die letzt­lich zu ei­ner ,neuen‘ kri­ti­schen und selbst­re­fle­xi­ven Ge­schichte der fe­mi­nis­ti­schen Al­ter­na­tiv­me­dien und der DIY-Kul­tu­ren füh­ren könn­te, die ei­nen anti-ko­lo­nia­lis­ti­schen Stand­punkt be­in­ hal­tet. Bei Mig­ra­Zine bei­spiels­wei­se, dem „mehr­spra­chi­gen On­line-Ma­ga­zin von Mi­gran­tin­nen für alle“ (vgl. Web­site), her­aus­ge­ge­ben vom auto­no­men selbstor­ ganisierten Mi­gran­tin­nen-Ver­ein maiz in Linz, Ös­ter­reich, sind Mi­gran­tin­nen am ge­sam­ten Ent­ste­hungs­pro­zess des Me­diums be­tei­ligt. Die Ka­te­go­rie ,Mi­gran­tin‘ wird als po­li­ti­sche Iden­ti­tät ver­stan­den, d. h. als „Be­zeich­nung ei­nes op­po­si­tio­ nel­len Stand­orts“ und im Sinne ei­ner „fe­mi­nis­ti­schen und anti­ras­sis­ti­schen Par­ tei­lich­keit (Fe­Migra)“ (vgl. Web­site). Als Platt­form für unter­re­prä­sen­tierte Stim­ men kann Mig­ra­Zine als ge­lun­ge­nes Bei­spiel für „selbstorganisierte Par­ti­zi­pa­tion an der Me­dien­land­schaft“ (vgl. Web­site) von in­ter­sekt­io­na­len Iden­ti­tä­ten ge­le­sen wer­den. Kul­tu­relle und me­diale Prak­ti­ken in par­ti­zi­pa­ti­ven Kul­tu­ren kön­nen so trotz vie­ler Her­aus­for­de­run­gen neue Ar­ti­ku­la­tions­for­men und neue Sicht­bar­kei­ten für queer-fe­mi­nis­ti­sche Be­we­gun­gen und Ak­teur_in­nen for­mie­ren.

T heo ­re ­ti ­sche E nt ­w ick ­lun ­gen und Z u gänge ­ zu   par ­ti ­zi ­pa­ti ­v en K ul­tu ­ren Das theo­re­ti­sche Kon­zept der ,par­ti­ci­pa­tory culture‘ stellt eine Wei­ter­ent­wick­lung der An­sätze der Arbei­ten am Cen­tre for Con­tem­po­rary Cul­tu­ral Stu­dies (CCCS) der Uni­ver­si­tät von Bir­ming­ham (Eng­land) dar. Das CCCS wurde 1964 ge­grün­ det und pro­du­zierte viele be­deut­same Ana­ly­sen von gegen­wär­ti­gen All­tags­prak­ti­ ken, in denen Ju­gend­kul­tu­ren, Po­pu­lär­kul­tur und Macht im Zen­trum stan­den. Es wurde der Ver­such unter­nom­men, Wis­sen­schaft für diese – bis dato als un­wis­sen­ schaft­lich be­trach­te­ten – The­men zu öff­nen. Als Ver­tre­ter ist hier der lang­jäh­ri­ger CCCS-Di­rek­tor Stuart Hall be­son­ders zu er­wäh­nen, der das ein­fluss­rei­che En­co­ ding/De­co­ding-Mo­dell ent­wi­ckelte und Fra­gen von race und Ge­schlecht zen­tral in sei­nen kul­tu­rel­len Stu­dien ver­han­del­te. In den USA ent­ste­hen in der Folge ver­schie­dene Stu­dien, denen der of­fene Kul­tur­be­griff der Cul­tu­ral Stu­dies als um­fas­sende Le­bens­wei­se, ge­lebte Er­fah­

Par­ti­zi­pa­tive Kul­tu­ren im Kon­text von DIY und als in­for­melle Lern­orte

rung und in­te­gra­ler Teil des All­ta­ges so­wie als Kon­flikt­feld, in dem Be­deu­tungs­ zu­schrei­bun­gen und ge­sell­schaft­li­che He­ge­mo­nien ver­han­delt wer­den, zu­grunde liegt. Hier sind bei­spiels­weise die Arbei­ten von Cons­tance Pen­ley (1997), Ca­mille Ba­con-Smith (1991), Henry Jen­kins (1992) und Lisa A Le­wis (1992) mit zu nen­ nen. Ihre Ana­ly­sen ver­schie­de­ner kul­tu­rel­ler Prak­ti­ken der Fan­kul­tur ent­stan­den mit dem An­lie­gen, Me­dien­kon­su­ment_in­nen als ak­tiv, kri­tisch en­ga­giert so­wie krea­tiv und Me­dien­an­eig­nung im Kon­text der All­tags­welt zu fas­sen. Sie bauen da­bei auf den Shift der Cul­tu­ral Stu­dies hin zu Publikumsethnografien auf und be­zie­hen sich auf Autor_in­nen wie Da­vid Mor­ley (1980), John Tul­loch (1983), Ja­nice Rad­way (1984), Ien Ang (1985) und John Fiske (1987), die das Pu­bli­kum in ei­ner ak­ti­ven Rolle mit ethnografischen Me­tho­den – je­doch aus ei­ner Out­si­ der-Per­spek­tive – in den Blick nah­men (vgl. Jen­kins 2006b). Ba­con-Smith und Jen­kins sind be­ken­nende Fans der Prak­ti­ken, die sie ana­ly­sie­ren, und ver­bin­den da­bei die Per­spek­ti­ven der Aka­de­mi­ker_in­nen mit den Sicht­wei­sen der als sub­ jek­tiv an­ge­se­he­nen Fans in Form der „Aca/Fen“ (,Fen‘ als Plu­ral von ,Fan‘), ein Be­griff, den Jen­kins ge­prägt hat. Mit die­sem sub­jek­ti­ven Zu­gang, per­sön­li­ches und si­tua­ti­ves Wis­sen so­wie ge­lebte Er­fah­rung in die sogenannte ,ob­jek­ti­ve‘ For­ schung ein­zu­brin­gen, stie­ßen sie je­doch auf Wi­der­stand in­ner­halb der aka­de­mi­ schen Com­mu­ni­ty. Um­ge­kehrt kri­ti­sierte diese jün­gere Ge­ne­ra­tion von Wis­sen­ schaf­ter_in­nen die vor­her­ge­hen­den Autor_in­nen für ihre de-per­so­na­li­sier­ten und af­fekt­lo­sen Per­spek­ti­ven (vgl. ebd.). Eine Skiz­zie­rung theo­re­ti­scher Ent­wick­lungs­li­nien par­ti­zi­pa­ti­ver Kul­tu­ren im Kon­text di­gi­ta­ler Ent­wick­lun­gen er­folgte 2013 in The Par­ti­ci­pa­tory Cul­tu­ res Hand­book. Die Her­aus­ge­ber_in­nen Aaron Del­wi­che und Jen­ni­fer J. Hen­der­ son arbei­ten da­bei mit ei­nem Schwer­punkt auf den Me­dien­wis­sen­schaf­ten und auf Cul­tu­ral Stu­dies vier Pha­sen her­aus: Zu Be­ginn steht die „Phase der Ent­ste­ hung“ (1985–1993) (vgl. Del­wi­che/Hen­der­son 2013: 4 f.), in der sich die glo­bale Kom­mu­ni­ka­tions­land­schaft vor al­lem durch die weite Ver­brei­tung der Com­pu­ ter ver­än­der­te. In die­ser Phase hin­ter­frag­ten eine wach­sende Zahl an Stu­dien die Kon­zep­tio­nen ei­nes pas­si­ven Pu­bli­kums. John Fiske war hier mit sei­nem Buch Tele­vi­sion Cul­ture (1987) und dem Be­griff der „se­mio­tic de­mo­cracy“ prä­gend. Mit der fort­lau­fen­den Wei­ter­ent­wick­lung des Com­pu­ters prägte Ho­ward Rhein­ gold schließ­lich 1993 den Be­griff „vir­tual com­mu­nity“. In der zwei­ten Phase (1994–1998) der Theo­re­ti­sie­run­gen ste­hen die Trans­for­ma­ tio­nen im Inter­net im Vor­der­grund (vgl. Del­wi­che/Hen­der­son 2013: 5 f.). Der So­zio­ loge Ma­nuel Cas­tells ana­ly­sierte die Ent­wick­lun­gen ei­ner „Netz­werk­ge­sell­schaft“ (vgl. 1996) mit der zen­tra­len Aus­sa­ge, dass de­zen­tra­li­sier­te, par­ti­zi­pa­tive Netz­werke unsere Art und Weise zu arbei­ten, zu ler­nen und zu spie­len trans­for­mie­ren. Stu­dien zu ak­ti­vis­ti­schen Zi­ne-Kul­tu­ren (vgl. Dun­combe 1997) so­wie zu Com­pu­ter­spie­len (vgl. Turkle 1995) ana­ly­sier­ten bis­lang als be­lang­los ein­ge­schätzte kul­tu­relle Aus­ drucks­for­men und be­trach­te­ten sie als wich­tig und in­ter­es­sant. Aber auch in an­de­ren

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Fel­dern wur­den par­ti­zi­pa­tive Kul­tu­ren ana­ly­siert, bei­spiels­weise in der Phi­lo­so­phie. Hier wurde ar­gu­men­tiert, dass Theo­rie­pro­duk­tion an vie­len Or­ten – nicht nur in der Aka­de­mia – pas­siert, so auch in Fan-Com­mu­ni­ties (vgl. McLaughlin 1996). In der drit­ten Phase des „Push-button Pu­bli­shing“ (1999–2004) ent­wi­ckel­ten sich be­nut­zer­freund­li­che Sys­teme für Ver­öf­fent­li­chun­gen im Web (z. B. Li­ve­Jour­ nal, Nap­ster, My­Spa­ce, Flickr, Fa­ce­book) (vgl. Del­wi­che/Hen­der­son 2013: 6). Par­ti­zi­pa­tive Kul­tur wurde da­bei in zwei Strän­gen wis­sen­schaft­lich unter­sucht: In Form von haupt­säch­lich qua­li­ta­ti­ven Fall­stu­dien zu On­li­ne-Com­mu­ni­ties von Fans (z. B. zu Buffy the Vam­pire Slayer, Hello Kitty oder Po­ké­mon) und in Form von Ana­ly­sen zu Mus­tern, Ver­bin­dun­gen und tech­no­lo­gi­schen Unter­fan­gen von par­ti­zi­pa­ti­ver Kul­tur. In den Er­zie­hungs­wis­sen­schaf­ten wur­den wei­ters das Ler­ nen in di­gi­ta­len Kon­tex­ten und On­li­ne-Com­mu­ni­ties als Orte in­for­mel­len Ler­nens unter­sucht (vgl. Bucking­ham 2003; Gee 2004). Die vierte Phase der „all­gegen­wär­ti­gen Ver­bin­dun­gen“ (2005–2011) wird mit der Ent­ste­hung von You­Tube und den mo­bi­len Tele­fo­nen als Mi­ni-Com­pu­ter und da­mit der Mög­lich­keit von neuen For­men von Ci­ti­zen-Jour­na­lis­mus, per­for­ma­ti­ ven Kunst­pro­jek­ten, mash-up-Mu­sik­vi­deos und Trans­me­dia-Ver­öf­fent­li­chun­gen fest­ge­legt (vgl. Del­wi­che/Hen­der­son 2013: 6 f.). Das Phä­no­men You­Tube wur­ de unter­sucht (vgl. Burg­ess/Green 2009) und Henry Jen­kins be­schäf­tigte sich in ver­schie­de­nen Bü­chern mit Blog­ging, Ga­ming, Kon­ver­genz­kul­tur, Trans­me­dia Sto­ry­tel­ling, Sprea­da­ble Me­dia und po­li­ti­schem Ak­ti­vis­mus Ju­gend­li­cher (vgl. 2006a, 2006b, 2013, 2016). Um die hy­bride Rolle von Nut­zer_in­nen von On­li­ ne-Com­mu­ni­ties, Open Source Soft­ware-Ent­wick­lung oder user­ge­ne­rier­ten Pro­ jek­ten (wie Wi­ki­pe­dia) zu fas­sen, schlug Axel Bruns (vgl. 2008) den Be­griff des „pro­du­ser“ vor. Da­mit wird auch der Über­gang von ,pro­duc­ti­on‘ (Pro­duk­tion) zu ,pro­sump­ti­on‘ (Pro­duk­tion und Kon­sum) zu ,pro­du­sa­ge‘ (Pro­duk­tion und Nut­ zung) be­nannt. Die Be­deu­tung von ,pro­du­sa­ge‘ weist in­halt­li­che Schnitt­stel­len zu kol­la­bo­ra­ti­vem Ler­nen und Wis­sens­pro­duk­tion auf so­wie zur ,Me­dien­kon­ver­ genz‘ – dem An­nä­hern und Zu­sam­men­wach­sen der Me­dien v. a. durch tech­ni­sche Ent­wick­lun­gen und eine cross-me­diale Pro­duk­tion und Re­zep­tion.5 Nach der ers­ 5 Für Jen­kins geht Me­dien­kon­ver­genz über die tech­ni­sche Di­men­sion hin­aus und ver­ weist auf kul­tu­relle Ver­än­de­run­gen, in denen User_in­nen Rol­len von Me­dien­kon­sum und -pro­duk­tion fle­xi­bel ein­neh­men kön­nen (vgl. Jen­kins 2006b). In dem Buch Con­ ver­gence Cul­ture (2006b) dis­ku­tiert er die Schnitt­punkte von Me­dien­kon­ver­genz, par­ ti­zi­pa­ti­ver Kul­tur (v. a. im Hin­blick auf Fan­tum) und kol­lek­ti­ver In­tel­li­genz. An dem Kon­ver­genz-Kon­zept von Jen­kins wurde vor al­lem die über­mä­ßige Be­to­nung des par­ti­zi­pa­ti­ven Potenzials der User_in­nen, eine unter­be­leuch­tete Sicht­weise der unter­ neh­me­ri­schen Lo­gik von Kon­ver­genz, ein un­zu­läng­li­cher Ein­be­zug der grö­ße­ren Me­dien­land­schaft und ihrer Macht­ver­hält­nisse so­wie eine zu op­ti­mis­ti­sche Sicht der de­mo­kra­ti­schen Ver­brei­tung von Kon­ver­genz kri­ti­siert (vgl. Hay/Coul­dry 2011: 4 f.). Jen­kins nimmt zu den Kri­tik­punk­ten Stel­lung (vgl. 2014) und er­kennt die Aus­schluss­ me­cha­nis­men und unter­neh­me­ri­schen An­eig­nun­gen und Ver­mark­tun­gen an.

Par­ti­zi­pa­tive Kul­tu­ren im Kon­text von DIY und als in­for­melle Lern­orte

ten Eu­pho­rie schwächte sich unter den aka­de­mi­schen Ana­ly­sen die Hoff­nung auf die Potenziale par­ti­zi­pa­ti­ver Kul­tu­ren ab und die Auf­merk­sam­keit wurde auf die vie­len Her­aus­for­de­run­gen der ver­net­zen Welt ge­lenkt. Ar­gu­men­tiert wur­de, dass die all­gegen­wär­tige Tech­no­lo­gie jeden As­pekt unse­res Le­bens durch­dringt und uns ent­frem­det und ab­ge­stumpft hin­ter­lässt (vgl. Turkle 2011). Diese Skiz­zie­rung der theo­re­ti­schen Ent­wick­lungs­li­nien von Del­wi­che and Hen­der­son macht die ein­zel­nen Pha­sen deut­lich, die je­doch neuere Stu­dien ab 2011 noch nicht fas­sen (wie bei­spiels­weise Jen­kins/Ito/boyd 2016). Wei­ters sind Leer­stel­len in dem Fo­kus auf eine US- an­glo-aus­tra­lo-ame­ri­ka­ni­sche Per­spek­tive zu se­hen. In den letz­ten Jah­ren sind auch im deutsch­spra­chi­gen Raum ver­schie­ dene Stu­dien in die­sem Kon­text ent­stan­den, etwa im Be­reich der di­gi­ta­len Me­dien der Sam­mel­band Par­ti­zi­pa­tive Me­dien­kul­tu­ren (vgl. Bier­mann/From­me/Ver­stän­ dig 2014) und Rainer Win­ters Wi­der­stand im Netz (vgl. 2010), in Hin­blick auf par­ti­zi­pa­tive Räume im Kunst- und kul­tur­ma­na­ge­ria­len Kon­text Sig­linde Langs Unter­su­chun­gen (vgl. 2015a, 2015b) und in Be­zug auf DIY-Kar­rie­ren von DJs in Wien Rosa Reit­sa­mers Stu­die (vgl. 2013). Die Aus­stel­lung Do It Yourself. Die Mit­ mach-Re­vo­lu­tion zeigte 2011 in Frank­furt his­to­ri­sche und gegen­wär­tige Ent­wick­ lungs­li­nien (vgl. Hor­nung/No­wak/Kuni 2011). Viele Fall­stu­dien wid­men sich der Ana­lyse queer-fe­mi­nis­ti­scher Aus­drucks­for­men und par­ti­zi­pa­ti­ver Kul­tu­ren, bei­ spiels­weise in Be­zug auf fe­mi­nis­ti­sche Me­dien­pro­duk­tion und anti­ras­sis­ti­schen, fe­mi­nis­ti­schen und LGBTIQ*-Ak­ti­vis­mus und -Netz­wer­ken. In­ter­sekt­io­nale Iden­ ti­tä­ten und ,white pri­vi­le­ge‘ in Grrrl Zi­nes ha­ben bei­spiels­weise Ali­son Piep­meier (vgl. 2009) und Kris­ten Schilt (vgl. 2005) be­leuch­tet, wäh­rend Me­la­nie Ram­dar­ shan Bold Zi­nes er­ör­tert, die von Peo­ple of Co­lor pro­du­ziert wer­den (vgl. 2017).

I n ­f or ­m elle L ern ­o rte

und

DIY C i ­ti ­zens ­hip

Das Kon­zept der par­ti­zi­pa­ti­ven Kul­tu­ren hat vor al­lem in der Me­dien­päd­ago­gik mit ei­nem Fo­kus auf den Er­werb von Me­dien­kom­pe­ten­zen und in inter­dis­zi­pli­nä­ ren Stu­dien zu DIY-Kul­tur im Hin­blick auf die Schaf­fung von Peer-to-Peer-Lern­ um­ge­bun­gen mit in­for­mel­lem Ler­nen An­klang ge­fun­den. Auf­bau­end auf sei­nen Vor­arbei­ten lei­tete Jen­kins das Pro­jekt New Me­dia Li­te­ra­cies (2006–2011) als Teil ei­ner gro­ßen For­schungs­in­itia­tive zu di­gi­ta­lem Ler­nen der Ma­cArt­hur Foun­da­ tion (USA). In dem Projekt ent­stand das viel zi­tierte, aber auch kri­ti­sierte White Paper Con­front­ing the Challenges of Participatory Culture: Me­dia Education for the 21st Century (vgl. Jenkins et al. 2009). Viele junge Men­schen wür­den sich im Sinne ei­ner Par­ti­zi­pa­tion be­reits viel­schich­tig an der gegen­wär­ti­gen Kul­tur be­tei­li­gen, bei­spiels­weise in­dem sie for­mal oder in­for­mell Mit­glie­der in On­li­neCom­mu­ni­ties mit ver­schie­de­nen Me­dien­for­men (Fa­ce­book, Mess­age­bo­ards u. a.) sei­en, neue krea­tive For­men wie Zi­nes oder Digital Sam­pling pro­du­zier­ten, ge­ mein­sam in for­ma­len oder in­for­mel­len Teams an Auf­ga­ben oder der Pro­duk­tion

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von neuem Wis­sen arbei­te­ten (z. B. Wi­ki­pe­dia) und den Fluss der Me­dien („cir­ cu­la­ti­ons“) – etwa bei Pod­cas­ting oder Blog­ging – form­ten (vgl. ebd.: 3). Die Autor_in­nen ver­wei­sen auf Stu­dien, die die potenziellen Vor­teile par­ti­zi­pa­ti­ver Kul­tu­ren wie Peer-to-Peer-Ler­nen, die Ver­viel­fäl­ti­gung kul­tu­rel­ler Aus­drucks­for­ men oder auch eine er­mäch­ti­gen­dere Kon­zep­tion von Ci­ti­zens­hip an­füh­ren. Sie wei­sen aber auch auf Aus­schlüsse hin, in­dem Zu­gänge zu par­ti­zi­pa­ti­ven Kul­tu­ren wie eine neue Form ei­nes „hid­den curriculum“ funk­tio­nier­ten und so be­stimmt wer­de, wel­che Ju­gend­li­che in der Schule oder am Arbeits­platz er­folg­reich seien oder hin­ter­her­hink­ten (vgl. ebd.: 3). Die Stu­dien­au­tor_in­nen de­tek­tie­ren dem­zu­folge drei Kern­pro­ble­me: eine Kluft in den Mög­lich­kei­ten der Par­ti­zi­pa­tion durch un­glei­chen Zu­gang zu Res­ sour­cen, ein Pro­blem in der Trans­pa­renz, sodass junge Men­schen nicht er­ken­ nen kön­nen, wie Me­dien die Wahr­neh­mung der Welt for­men, so­wie eine ethi­sche Her­aus­for­de­rung, in­dem junge Men­schen im­mer mehr öf­fent­li­che Rol­len als Me­ dien­pro­du­zie­rende und Teil­neh­mende in Com­mu­ni­ties ein­neh­men (vgl. ebd.: 3). Im Kon­text ei­ner Me­dien­päd­ago­gik se­hen sie als zen­trale Auf­gabe der Schu­len, kul­tu­relle Kom­pe­ten­zen und so­ziale Fä­hig­kei­ten in Hin­blick auf neue Medien und die Teil­nahme an di­gi­ta­len Com­mu­ni­ties zu ver­mit­teln. Die da­für er­for­der­li­chen ,new skills‘ be­nen­nen sie etwa mit spie­le­ri­schem Pro­blem­lö­sungs­ver­hal­ten, der An­nahme ver­schie­de­ner Iden­ti­tä­ten zum Zweck der Im­pro­vi­sa­tion und Ent­de­ ckung, Mul­ti­tas­king, kol­lek­tive In­tel­li­genz, Be­ur­tei­lung von In­for­ma­tion, Trans­ me­dia-Na­vi­ga­tion und Ver­net­zung (vgl. ebd.: 4). Im Kon­text des Ler­nens in par­ti­zi­pa­ti­ven Kul­tu­ren be­trifft eine wich­tige Ar­ gu­men­ta­tions­li­nie die Schaf­fung von Peer-to-Peer-Lern­um­ge­bun­gen au­ßer­halb tra­di­tio­nel­ler Bil­dungs­in­sti­tu­tio­nen, an denen (vor­wie­gend) junge Men­schen auf ver­schie­denste Weise mit äs­the­ti­schen In­no­va­tio­nen in­for­mell ex­pe­ri­men­tie­ren: Paul Gee spricht hier von „af­fi­nity spaces“ (vgl. 2004) als (reale oder vir­tu­el­le) Räu­me, in denen (jun­ge) Men­schen über ge­mein­same In­ter­es­sen und Ziele zu­sam­ men­ge­bracht wer­den und durch in­for­mel­les Ler­nen und Ver­net­zungs­ak­ti­vi­tä­ten daran teil­ha­ben. Durch die ge­mein­same Mo­ti­va­tion kön­nen laut Gee ge­wisse Bar­ rie­ren (wie Al­ter, so­zio-öko­no­mi­scher Sta­tus, Bil­dung) über­wun­den wer­den und es kann ein Auf­bre­chen des Expert_innenwissens statt­fin­den, so dass es zu ei­ner De­mo­kra­ti­sie­rung unter­schied­li­cher Wis­sens­for­men kom­men kann. Da­bei ent­ste­ hen nicht nur lo­ka­le, trans­na­tio­nale und vir­tu­elle Netz­werke (vgl. Zobl 2011b), son­dern auch kol­la­bo­ra­tive und nicht-kom­mer­zielle Räu­me, die ge­prägt sind von ei­nem in­for­mel­len Ler­nen, pro­zess­orien­tier­ten und nicht-hier­ar­chi­schen Arbeits­ me­tho­den, Ak­ti­vis­mus, zi­vil­ge­sell­schaft­li­chem En­ga­ge­ment und „DIY Ci­ti­zen­ ship“ (vgl. Reit­sa­mer/Zobl 2010). So wer­den bei­spiels­weise in DIY-Works­hops – wie bei queer-fe­mi­nis­ti­schen Fes­ti­vals und Camps (z. B. La­dy­fest, Grrrls Rock Camp) üb­lich – durch ,learning by doing‘ und ,skill sharing‘ tech­ni­sche, künst­le­ri­sche und hand­werk­li­che Kom­

Par­ti­zi­pa­tive Kul­tu­ren im Kon­text von DIY und als in­for­melle Lern­orte

pe­ten­zen mit dem Ziel ver­mit­telt, ei­gene kul­tu­relle Pro­duk­tio­nen her­zu­stel­len, diese über nicht-kom­mer­zielle Netz­werke zu ver­brei­ten und da­durch eta­blierte Maß­stäbe für ,per­fek­te‘, kom­mer­ziell aus­ge­rich­tete kul­tu­relle Pro­duk­tio­nen zu sub­ver­tie­ren. Ge­rade die Work­shops spie­len eine zen­trale Rolle in der Schaf­fung von in­for­mel­len Lern­or­ten, in denen junge Men­schen ihre Ideen, Er­fah­run­gen, ihr Wis­sen und ihre Mei­nun­gen kom­mu­ni­zie­ren und aus­tau­schen kön­nen. Au­ßer­halb for­ma­ler (Aus-)Bil­dungs­ein­rich­tun­gen wird Wis­sen unter­ein­an­der ver­mit­telt (vgl. Reit­sa­mer/Zobl 2010) und ein „kul­tu­rell pro­duk­ti­ver, po­li­ti­sier­ter gegen-öf­fent­ li­che[r] Raum“ (Nguyen 2000: o. S.) ge­schaf­fen. Mimi Nguyen be­zeich­net dies im Kon­text der Ri­ot-Grrrl-Be­we­gung als „ein in­for­mel­les päd­ago­gi­sches Pro­jekt, eine Art punk rock ,tea­ching machine‘“ (ebd.). Die Ver­hand­lung sol­cher par­ti­ zi­pa­ti­ven Räume – mit ei­ner Be­to­nung auf pro­zess-orien­tier­ten, nicht-hier­ar­chi­ schen und kol­la­bo­ra­ti­ven Arbeits­me­tho­den, be­wuss­ter Re­fle­xion, Ver­hand­lung und Re­kla­ma­tion von Raum und dem Zu­las­sen von mög­li­chen Kon­flik­ten so­wie kri­ti­scher Selbst­re­fle­xion – er­for­dern aber auch ei­nen Lern­pro­zess, der von al­len Be­tei­lig­ten ge­wollt wer­den muss.

K ri ­tik

am

K on ­zept

der par ­ti ­zi ­pa­ti ­v en

K ul­tu ­ren

Der Archi­tekt und Autor Mar­kus Mies­sen hat (wie viele an­de­re) grund­le­gend auf die Pro­ble­ma­tik des Be­griffs ,Par­ti­zi­pa­tion‘ hin­ge­wie­sen (vgl. Mies­sen 2007, 2012). Er plä­diert für ei­nen Be­griff von „kon­flikt­haf­ter Par­ti­zi­pa­tion“ als eine Art „un­er­wünschte Ir­ri­ta­tion“ (2007: 2). Nico Car­pen­tier hat vor­ge­schla­gen, den Be­ griff ,Par­ti­zi­pa­tion‘ nur für jene Fälle zu be­nut­zen, in denen alle Ak­teur_in­nen von der glei­chen Macht­po­si­tion und dem glei­chen Sta­tus aus mit­wir­ken kön­nen – et­ was, das in der Pra­xis sel­ten er­reicht wird, aber ein Ziel, auf das wir hin­arbei­ten soll­ten (vgl. Car­pen­tier 2011). Chris­tian Fuchs ar­gu­men­tiert, dass das Kon­zept der Par­ti­zi­pa­tion aus der Po­li­tik­wis­sen­schaft stammt und eng mit der Theo­rie ei­ner par­ti­zi­pa­ti­ven De­mo­kra­tie und sei­nen po­li­ti­schen, po­li­tisch-öko­no­mi­schen und kul­tu­rel­len Di­men­sio­nen ver­bun­den sei (vgl. 2011). Eine zen­trale Kri­tik am Kon­zept der par­ti­zi­pa­ti­ven Kul­tu­ren be­zieht sich vor al­lem auf eine (zu) po­si­ti­ve, un­hin­ter­fragte und ver­ein­fachte Ver­wen­dung des Be­ griffs der Par­ti­zi­pa­tion zum ei­nen, im Sinne ei­ner me­dia­len Re­duk­tion „als Schaf­ fung von nut­zer­ge­ne­rier­ten In­hal­ten und Pu­bli­kums­be­tei­li­gung“ (Fuchs 2015: 1). Zum an­de­ren zielt die Kri­tik auf die op­ti­mis­ti­sche (und glo­ri­fi­zie­ren­de) Grund­an­ nahme in west­li­chen Ge­sell­schaf­ten, dass Par­ti­zi­pa­tion in­trin­sisch de­mo­kra­tisch sei (vgl. The Ja­nis­sary Col­lec­tive 2013: 258). The Ja­nis­sary Col­lec­tive ar­gu­men­ tiert, dass par­ti­zi­pa­tive Kul­tu­ren so­wohl Men­schen er­mäch­ti­gen als auch neue Bar­rie­ren für Com­mu­ni­ty-Teil­habe er­rich­ten wür­den und Aus­druck des­sen sei­en, was Par­ti­zi­pa­tion ganz kon­kret je­weils be­deute (vgl. ebd.: 257). Sie ste­hen op­ ti­mis­ti­schen An­nah­men von par­ti­zi­pa­ti­ven Kul­tu­ren äu­ßerst kri­tisch gegen­über,

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ins­be­son­dere was die freie Ent­schei­dung an der Teil­nahme an di­gi­ta­len par­ti­zi­pa­ ti­ven Kul­tu­ren be­trifft: „We ar­gue that con­tem­po­rary par­tic­i­pa­tory cul­ture is a form of power that aligns close­ly with ex­ist­ing val­ues and norms, and that mem­bers in par­tic­i­pa­tory cul­ture are not so much free to con­trib­ute, but ra­ther can be seen as com­pel­led to con­trib­ute in a way that aligns with dom­i­nant norms and al­ready es­tab­lished power struc­tures. Spe­cific­ally, we ques­tion wheth­ er feel­ing free to con­trib­ute real­ly means that mem­bers ac­tu­al­ly are free in how, when, and why they con­trib­ute to par­tic­i­pa­tory cul­tures.“ (Ebd.: 258)

Anstatt Er­mäch­ti­gung und Frei­heit zu er­lan­gen, wür­den die Teil­neh­men­den die Nor­men und Werte der herr­schen­den Top-down-Macht­struk­tu­ren re­pro­du­zie­ren und sich gegen­sei­tig kon­trol­lie­ren (vgl. ebd.: 260). In­so­fern werde par­ti­zi­pa­tive Kul­tur zu ei­ner Norm, so das Kol­lek­tiv, und es kommt zu dem Schluss: „Aware­ness of par­tic­i­pa­tory cul­ture as dis­tinct from par­tic­i­pa­tion, as a de­riv­a­tive of it, re­ quires a free choice to par­tic­i­pate ac­cord­ing to one’s own strat­egies. […] Par­tic­i­pa­tory cul­ ture can nev­er pro­vide the ba­s­is for the good life – in fact, in can be its worst en­emy.“ (Ebd.: 264)

Ähn­li­che Kri­tik am Kon­zept der par­ti­zi­pa­ti­ven Kul­tu­ren, wie von Henry Jen­kins et al. (v. a. 2009 in dem be­reits er­wähn­ten White Paper) skiz­ziert, for­mu­liert auch Chris­tian Fuchs in Hin­blick auf die Ver­wo­ben­heit mit der Kommodifizierung von di­gi­ta­len Räu­men (vgl. Fuchs 2011, 2015; zu den Kri­tik­punk­ten vgl. wei­ters De­ ter­ding 2009). Fuchs weist dar­auf hin, dass so­ziale Me­dien (wie You­Tu­be, Face­ book, Twit­ter) „keine For­men ei­ner par­ti­zi­pa­ti­ven, son­dern ei­ner stra­ti­fi­zier­ten Kul­tur [sind], in der sich ge­sell­schaft­li­che Macht­asym­me­trien ma­ni­fes­tie­ren“ (2015: 2). Er kri­ti­siert Jen­kins für ein kul­tur­alis­ti­sches Ver­ständ­nis von Par­ti­zi­pa­ tion, das die Ver­wo­ben­heit mit Ka­pi­tal­an­samm­lung au­ßen vor lässt, und fol­gert, dass die Aus­drucks­for­men ei­nes Inter­nets, das von Unter­neh­men do­mi­niert wird, nie par­ti­zi­pa­tiv sein könn­ten (vgl. Fuchs 2011: o. S.). Fuchs sieht die ein­zi­gen Orte ei­nes par­ti­zi­pa­ti­ven Inter­nets, die unter­neh­me­ri­scher Vor­herr­schaft wi­der­ste­ hen, in nicht-kom­mer­ziel­len Pro­jek­ten. Er plä­diert für eine Po­li­tik der Ge­mein­ güter und des Ge­mein­eigen­tums.

K ri ­ti ­sche kul­tu ­relle P ro ­duk ­ti on und par ti ­ zi ­ ­pa­ti ve K ul­tu ­ren – ein R e ­s ü ­m ee Par­ti­zi­pa­tive Kul­tu­ren ver­an­schau­li­chen die Idee ei­ner kri­ti­schen kul­tu­rel­len Pro­ duk­tion, wie wir sie hier in die­sem Band ver­tre­ten, als en­ga­gier­tes, kri­ti­sches und auch pro­duk­ti­ves Mit­ge­stal­ten der ei­ge­nen Le­bens­welt und da­mit ver­bun­de­ner kul­tu­rel­ler und öf­fent­li­cher Pro­zesse der Be­deu­tungs­kons­ti­tu­ie­rung: Kul­tur wird als ein par­ti­zi­pa­ti­ver und kol­la­bo­ra­ti­ver Pro­zess ge­lebt, in dem Sicht­wei­sen und

Par­ti­zi­pa­tive Kul­tu­ren im Kon­text von DIY und als in­for­melle Lern­orte

Ein­stel­lun­gen er­zeugt, auf­ge­nom­men und in ei­nem öf­fent­li­chen Zir­ku­la­tions­pro­ zess dis­tri­bu­iert wer­den. Com­mu­ni­ties und Ein­zel­per­so­nen sind kon­ti­nu­ier­lich an die­sen Pro­zes­sen be­tei­ligt und be­stim­men das kul­tu­relle Ge­füge ei­ner je­wei­li­gen Ge­sell­schaft mit. Zen­tral sind da­bei die Ver­hand­lung von de­mo­kra­ti­schen Öf­fent­ lich­kei­ten und Räu­men, aber auch von Kon­flik­ten, Macht, so­zia­len Un­gleich­hei­ ten und Aus­schluss­me­cha­nis­men. Par­ti­zi­pa­tive Kul­tu­ren kön­nen auch wi­der­sprüch­li­che Räume dar­stel­len, durch­zo­gen von struk­tu­rel­len und dis­kur­si­ven Un­gleich­hei­ten, Brü­chen und Aus­ schlüs­sen. Be­deut­same struk­tu­relle Un­gleich­heits­di­men­sio­nen er­ge­ben sich im Um­gang mit Me­dien und Tech­no­lo­gien: Bei­spiels­weise wird eine ge­wisse Me­ dien­ver­siert­heit vor­aus­ge­setzt, um über­haupt Zu­gang zu be­stimm­ten al­ter­na­ti­ven Me­dien oder DIY-Prak­ti­ken zu fin­den, zu­dem stellt eine wei­tere Schwelle die Fä­hig­keit zur me­dia­len und kul­tu­rel­len Pro­duk­tion und zur Teil­nahme an Me­ dien-Netz­wer­ken (on- und offline) dar. Den Pro­du­zent_in­nen müs­sen da­für unter­ schied­li­che so­zia­le, kul­tu­relle und bil­dungs­be­zo­gene ma­te­rielle Res­sour­cen zur Ver­fü­gung ste­hen, v. a. Zeit (Frei­zeit) und der Zu­gang zu Me­dien­tech­no­lo­gie. Es gibt viele Schlag­wor­te, die die Mög­lich­kei­ten der Be­tei­li­gung von Men­ schen in künst­le­ri­schen, kul­tu­rel­len und me­dia­len Pro­jek­ten be­nen­nen, und auch ver­schie­dene Aus­le­gun­gen da­von. Par­ti­zi­pa­tion ist ein am­bi­va­len­ter, viel­schich­ ti­ger und nicht ab­schließ­ba­rer Pro­zess, ge­prägt von Macht­ver­hält­nis­sen und kon­ flikt­haf­ten Aus­ver­hand­lun­gen. Die­sen theo­re­tisch zu fas­sen, ist mit Her­aus­for­de­ run­gen ver­bun­den. Wir ha­ben im Kon­text ei­nes künst­le­risch-edu­ka­ti­ven Pro­jek­tes vor­ge­schla­gen, von „Par­ti­zi­pa­tion als kri­ti­scher Pra­xis“ zu spre­chen (Hu­ber/Zobl o. J.: o. S.). Wenn aus der Per­spek­tive der kri­ti­schen Kunst­ver­mitt­lung von Par­ti­ zi­pa­tion die Rede ist, wird Par­ti­zi­pa­tion als Aus­ver­hand­lung der Spiel­re­geln und nicht als blo­ßes ,Mit­ma­chen‘ ge­fasst, also als eine Form der Teil­habe und Teil­nah­ me, die die Be­din­gun­gen des Teil­neh­mens selbst ins Spiel bringt (vgl. Stern­feld 2012: 121). Viele Fra­gen wer­den da­bei vi­ru­lent (vgl. Aqra et al. 2016): Was be­ deu­tet es kon­kret von der Pra­xis aus­ge­hend, wenn sich unter­schied­li­che Men­schen – Schü­ler_in­nen, For­scher_in­nen, Ver­mitt­ler_in­nen, Künst­ler_in­nen, Kul­tur­arbei­ ter_in­nen – an künst­le­risch-kul­tu­rel­len oder me­dia­len Pro­jek­ten in ei­nem of­fe­nen Pro­zess be­tei­li­gen? Wie er­folgt die Teil­habe und wie wird ein Hand­lungs­raum von wem be­stimmt? Wie sieht die ge­mein­same Wis­sens­pro­duk­tion aus, las­sen sich alle dar­auf ein? Ist es ge­lun­gen, al­ter­na­tive Räu­me, die aber auch von Nor­men und von Ha­bi­tus durch­drun­gen sind, zu ima­gi­nie­ren? Wel­ches mi­no­ri­täre Wis­sen kommt nicht vor und fließt nicht in das kol­lek­tive Wis­sen ein? Wel­ches Wis­sen ist pri­vi­le­giert und wel­ches mar­gi­na­li­siert? Wenn wir über ei­nen me­dien­wis­sen­ schaft­lich ge­präg­ten Dis­kurs hin­aus­ge­hen und Par­ti­zi­pa­tion und die Schaf­fung par­ti­zi­pa­ti­ver Kul­tu­ren als kri­ti­sche Pra­xis fas­sen, kom­men un­er­war­te­te, neue und kon­flikt­hafte Per­spek­ti­ven so­wie unsere ei­ge­nen (aka­de­mi­schen) Macht­po­si­tio­ nen, Pri­vi­le­gien und he­ge­mo­niale Wis­sens­pro­duk­tion in den Blick.

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„In part, we give objects, people and events meaning by the frameworks of interpretation which we bring to them. In part, we give things meaning by how we use them, or integrate them into our everyday practices. In part, we give things meaning by how we represent them – the words we use about them, the stories we tell about them, the images of them we produce, the emotions we associate with them, the ways we classify and conceptualize them, the values we place on them.“

I am a Cultural Producer! Postkarten, die 2012 von Studierenden in der projektorientierten Lehrveranstaltung I am a Cultural Producer! unter der Leitung von Siglinde Lang und Elke Zobl entworfen wurden. Roundtable am 2. Juni 2012 im Rahmen der 50­ Jahr­Feierlichkeiten der Uni Salzburg. Fotos: Timna Pachner, Pia Streicher

(Stuart Hall 1997: 3)

Abbil ild il ldu dung 2: 2 Colllllla lage aus Fo F tos von kü k nstltltle leriris isch-eduka k tit ven ka M teririria Ma ialilie ien de d r To T olb l ox lb ox: x: „Do-It-Yo Y urs Yo r elflflf, rs f, Do-it-To T geth To t er! th r “ de r! d s Pr Pro roj oje jekt k es „Ma M ki Ma kin ing Art rt, rt t, Ma M ki kin ing Medi dia di ia, Ma M ki kin ing Change!“ (Fo (F Fotos: VO V RNA N ME NA M NA N CHN HNA HN NAME ME; E; Colllllla lage: Tim Ti imna Pa P chner) r r)

Kunst – Aktivismus – Alltag

Die Comic­Figuren wurden von Studierenden 2013 in einem Workshop mit Ka Schmitz entwickelt. Fotos: Pia Streicher

„We encounter overlaps between art practice and activism, environmental science, participatory urban planning, social work, ethnography, and so on. In all of these moments a kind of a transversal dialogue is taking place between artistic production and people working in other adjacent domains.“ (Grant Kester im Gespräch mit Martin Krenn, 10.12.2013)

Eine Ausstellung zum Thema Partizipation, umgesetzt von Studierenden und Elke Zobl im KunstQuartier Salzburg 2017. Fotos: Ute Brandhuber­ Schmelzinger

pARTicipate! Kunst und Kultur in Salzburg „Kulturelle Teilhabe ist ein Element [der] allgemeinen sozialen Teilhabe. Sie umfasst sowohl die Teilnahme an Kultur als auch die eigene kulturelle Produktion und erfordert den souveränen Umgang mit unterschiedlichen kulturellen Ausdrucksformen und Codes, aus dem Optionen der Mitwirkung und Mitgestaltung erwachsen.“ (Wanda Wieczorek 2018: 5)

In un-/ sichtbare Ordnungen eingreifen „Kritisches Denken gibt uns die Mittel, die Welt so zu denken, wie sie ist und wie sie sein könnte.“ (Loïc Wacquant 2006: 669)

Romana Hagyo und Silke Maier­Gamauf arbeiteten mit Studierenden in dem Workshop Fotografische Inszenierung als Intervention im Salzburger Stadtraum 2018. Fotos: Fabian Schober, Romana Hagyo und Silke Maier­Gamauf

Fotos von der Ausstellung der Forschungsabteilung 2017, Ausstellungseröffnung Taking Part Fotos: Pia Streicher

Öffentlichkeiten

„Ich bin überzeugt, dass künstlerische und kulturelle Praktiken Räume des Widerstands schaffen können, die das gesellschaftliche Imaginäre untergraben, das für die Reproduktion des Kapitalismus notwendig ist. Ich bin jedoch der Auffassung: Wenn wir ihr politisches Potenzial verstehen wollen, sollten wir Formen des künstlerischen Widerstands als agonistische Interventionen im Kontext des gegenhegemonialen Kampfes betrachten.“ (Chantal Mouffe 2014: 136)

Die Be­deu­tung von Kunst und Kul­tur in Ge­gen­öf­fent­lich­kei­ten

Die Be­deu­tung von Kunst und Kul­tur in  Ge­gen­öf­fent­lich­kei­ten: Das Drei-E­be­nen-Mo­dell von Öf­fent­lich­keit und die Ge­zi-Park-Pro­teste als ,tes­ting ground‘ Eli­sa­beth Klaus Per­for­ma­tivi­tät des Wi­der­stands lau­tete der Ti­tel von Film- und Vi­deo­ta­gen, die im Sep­tem­ber 2014 in der Wie­ner Ga­le­rie Li­sa­bird statt­fan­den. Die In­i­ti­a­to­rin­nen, Ta­lina Bauer und San­dra Vo­ser, wie­sen in ei­nem mit art and sig­na­ture ge­führ­ten In­ter­view auf die in­ten­sive Be­schäf­ti­gung von Künst­ler_in­nen mit dem Thema Wi­der­stand hin, wo­bei de­ren Aus­ei­n­an­der­set­zung mit Po­li­tik und Ge­sell­schaft wie­derum zur Öff­nung von künst­le­ri­schen Dis­kur­sen bei­tra­ge. Neue so­zi­ale Be­ we­gun­gen be­dien­ten sich „oft­mals künst­le­ri­scher Stra­te­gien für die Äu­ße­rung von Wi­der­stand“ (Möl­ler 2015: o. S.). Ein be­son­ders au­gen­fäl­li­ges Bei­spiel für die große Be­deu­tung von künst­le­ri­schen und kul­tu­rel­len Pro­duk­ti­o­nen für die For­ mie­rung po­li­ti­schen Wi­der­stan­des und ih­rer öf­fent­li­chen Re­so­nanz lie­fern die ­Ge­zi-Park-Pro­teste in der Tür­kei 2013, die im letz­ten Teil die­ses Ar­ti­kels dis­ku­ tiert wer­den. Das Drei-E­be­nen-Mo­dell von Öf­fent­lich­keit dient da­bei als ana­ly­ti­sches In­ stru­ment, um über das Potenzial von Kunst und Kul­tur­pro­duk­ti­o­nen nach­zu­den­ ken, in öf­fent­li­che Dis­kurse in­ter­ve­nie­rend ein­zu­grei­fen und diese zu ver­än­dern. Das Drei-E­be­nen-Mo­dell the­ma­ti­siert die Rolle von Ge­gen­öf­fent­lich­kei­ten und Pro­test­be­we­gun­gen im Rah­men öf­fent­li­cher Aus­hand­lungs­pro­zesse und ba­siert auf fe­mi­nis­ti­schen Öf­fent­lich­keits­the­o­rien, de­ren Aus­gangs­punkt die Kri­tik an der bi­nä­ren Un­ter­schei­dung von Pri­vat­heit und Öf­fent­lich­keit bil­det. Dem­ent­spre­ chend ist die­ses Mo­dell vor al­lem in Be­zug auf Frau­en­be­we­gun­gen und queerfemi­nis­ti­sche Be­we­gun­gen dis­ku­tiert und em­pi­risch an­ge­wen­det wor­den. Es ver­ deut­licht, wie es so­zi­a­len Be­we­gun­gen ge­lin­gen kann und ge­lun­gen ist, in die ge­sell­schaft­li­che Be­deu­tungs­pro­duk­tion ein­zu­grei­fen und po­li­tisch wie kul­tu­rell nach­hal­tige Ver­än­de­run­gen durch­zu­set­zen. In der Ar­beit am Pro­gramm­be­reich Zeit­ge­nös­si­sche Kunst und Kul­tur­pro­duk­tion fand es Ein­gang, um edu­ka­tive Pro­ zesse der Selbst­er­mäch­ti­gung in Gang zu set­zen und zu re­flek­tie­ren. So hat Elke

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Zobl (2017) un­ter­sucht, wie künst­le­risch-edu­ka­tive Pro­jekte mit Ju­gend­li­chen im Kon­text des Drei-E­be­nen-Mo­dells von Öf­fent­lich­keit pro­duk­tiv ge­dacht wer­den kön­nen, und hat da­mit auch auf die Rolle von Kunst und Kul­tur in öf­fent­li­chen Selbst­ver­stän­di­gungs­pro­zes­sen hin­ge­wie­sen. Im Bei­trag skiz­ziere ich zu­nächst die fe­mi­nis­ti­sche Kri­tik am Du­a­lis­mus von Öf­fent­lich­keit und Pri­vat­heit und stelle dann das Drei-E­be­nen-Mo­dell von Öf­fent­ lich­keit vor. Da­ran an­knüp­fend dis­ku­tiere ich die Rolle von künst­le­ri­schen und kul­tu­rel­len Pro­duk­ti­o­nen für und in Ge­gen­öf­fent­lich­kei­ten. Schließ­lich die­nen die Ge­zi-Park-Pro­teste als ,tes­ting ground‘ für die the­o­re­ti­schen Aus­füh­run­gen. Gezi-Park hat über­aus deut­lich ge­zeigt, wel­che große Be­deu­tung Künst­ler_in­nen, künst­le­ri­sche Stra­te­gien und kul­tu­relle Pro­duk­ti­o­nen für die Wirk­mäch­tig­keit von Pro­test­be­we­gun­gen ha­ben.

K ri ­tik am D u­a ­lis ­m us von P ri ­vat ­heit und Ö f ­fent ­lich ­keit als A us ­gangs ­punkt fe m ­ i nis ­ ti ­ scher ­ Ö f fent ­ ­lich ­keits ­the ­o ­rien 1 Wie Öf­fent­lich­keit de­fi­niert und ge­stal­tet wer­den kann, wurde zu ei­ner Schlüs­ sel­frage der Eman­zi­pa­ti­ons­be­we­gun­gen von Frauen und hat fe­mi­nis­ti­sche Wis­ sen­schaftler_innen in vie­len Dis­zi­p­li­nen be­schäf­tigt. Öf­fent­lich­keit wurde so zu ei­nem zen­t­ra­len For­schungs­feld der Ge­schlech­ter­for­schung (vgl. u. a. El­shtain 1981; Pa­te­man 1988; Hau­sen 1992; Schacht­ner/Win­ker 2005; Thiele et al. 2012; Rie­graf et al. 2013; Klaus/Drüeke 2017). Ein Grund­pfei­ler fe­mi­nis­ti­scher Öf­fent­ lich­keits­the­o­rie ist die In­fra­ge­stel­lung des Du­a­lis­mus von Öf­fent­lich­keit und Pri­ vat­heit. Die tra­dierte ge­sell­schaft­li­che Zu­ord­nung von Frauen zu ei­nem pri­va­ten (häus­li­chen) Be­reich und von Män­nern zu ei­nem öf­fent­li­chen (po­li­ti­schen) Be­ reich schafft und re­pro­du­ziert Un­gleich­hei­ten in vie­ler­lei Hin­sicht. Was als pri­vat oder öf­fent­lich gilt, ist mit der tra­di­ti­o­nel­len Ar­beits­tei­lung der Ge­schlech­ter ver­ bun­den und weist den als Män­nern oder Frauen mar­kier­ten Sub­jek­ten je­weils un­ ter­schied­li­che Hand­lungs- und Er­fah­rungs­räume zu (vgl. Beck-Gerns­heim 1980). Die Tren­nung zwi­schen pri­vat und öf­fent­lich ist ein „po­li­ti­cal act in and of it­ self“, for­mu­liert Nira Yu­val-Da­vis (1997: 80). Dem Staat kommt da­bei die Macht zu, zu de­fi­nie­ren, was als pri­vat, was als öf­fent­lich ver­han­del­bar gilt. Dem­ent­spre­ chend kön­nen staat­li­che Be­hör­den glei­cher­ma­ßen In­ter­ven­ti­o­nen in die Pri­vat­

1 In die­sem Ab­schnitt greife ich zu­rück auf den mit Ri­carda Drüeke ver­fass­ten Bei­trag: Drüe­ke, Ri­car­da/Klaus, Eli­sa­beth (2018): Fe­mi­nis­ti­sche Öf­fent­lich­kei­ten: For­men von Ak­ti­vis­mus als po­li­ti­sche In­ter­ven­ti­on. In: Kor­ten­diek, Be­ate/Rie­graf, Bir­git/Sa­bisch, Katja (Hg.) (2018): Hand­buch In­ter­dis­zi­p­li­näre Ge­schlech­ter­for­schung. Ge­schlecht und Ge­sell­schaft. Wies­ba­den: Sprin­ger VS.

Die Be­deu­tung von Kunst und Kul­tur in Ge­gen­öf­fent­lich­kei­ten

sphäre vor­neh­men als auch Nicht-In­ter­ven­ti­o­nen le­gi­ti­mie­ren, ein Des­in­te­r­esse für den Pri­vat­raum zei­gen oder die­sen im Ge­gen­teil eng­ma­schig kon­trol­lie­ren. Dass dem­zu­folge Pri­vat­heit auch ein Gut ist, das es ge­gen Ein­griffe staat­li­cher Ge­walt und die Über­wa­chung po­li­ti­scher In­sti­tu­ti­o­nen zu ver­tei­di­gen gilt, ha­ben zu­erst Schwarze Frauen und Mi­g­ran­tin­nen in die fe­mi­nis­ti­sche De­batte ein­ge­bracht (vgl. Bo­bo/Sei­ter 1991). Sie kri­ti­sier­ten, dass der Slo­gan „Das Pri­vate ist po­li­tisch“ vor al­lem die Per­s­pek­ti­ven und In­te­r­es­sen von Frauen aus der wei­ßen Mit­tel­schicht zum Aus­druck brin­ge. Die Kon­trolle über den Pri­vat­be­reich ist an Fra­gen von Macht und Ein­fluss ge­bun­den. Die Phi­lo­so­phin Beate Röss­ler hat dar­ge­legt, dass der Schutz der Pri­vat­sphäre in den letz­ten Jahr­zehn­ten eine neue Dring­lich­keit er­fah­ren hat, denn diese diene als Ort der Be­wah­rung „pri­va­ter Räume und pri­ va­ter Le­bens­di­men­si­o­nen, um den Sinn in­di­vi­du­el­ler Frei­heit zu ge­währ­leis­ten“ (Röss­ler 2001: 54). Dass diese be­droht ist, zeigt die – mit staat­lich-po­li­ti­schen oder öko­no­mi­schen In­te­r­es­sen ver­bun­dene – eng­ma­schige Über­wa­chung von Ak­ ti­vi­tä­ten im In­ter­net. Da­r­ü­ber­hi­n­aus­ge­hend sind mit der Ent­ge­gen­set­zung von pri­vat und öf­fent­lich und ih­rer Zu­wei­sung an Frauen und Män­ner his­to­risch wei­tere Dua­lis­men ver­ bun­den, jene von Emo­tion und Ver­stand, Na­tur und Kul­tur, Fik­tion und Fakt, Un­ ter­hal­tung und In­for­ma­ti­on, ,wei­cher‘ und ,har­ter‘ Wis­sen­schaft, schließ­lich auch Po­pu­lär- bzw. All­tags­kul­tur und Hoch­kul­tur. Diese Dua­lis­men füh­ren so­wohl im Hin­blick auf Kunst und Wis­sen­schaft als auch in Be­zug auf Öf­fent­lich­keit zu ein­ fluss­rei­chen Un­ter­schei­dun­gen. So sind Kunst und Kul­tur als ,das Schö­ne‘ als sinn­lich, sub­jek­tiv und emo­ti­o­nal de­fi­niert, wo­hin­ge­gen die Wis­sen­schaft rein ra­ ti­o­nal und ob­jek­tiv sein soll, un­ter Ne­gie­rung al­ler sub­jek­ti­ver und emo­ti­o­na­ler As­pekte wis­sen­schaft­li­cher Tä­tig­keit. Der Ein­satz des Ver­stan­des zu Las­ten der Emo­ti­o­nen zeich­net das Men­schen­bild in den Auf­klä­rungs­dis­kur­sen aus. Ra­tio und Emo­tio fun­die­ren als wich­tige Dif­fe­renz des­halb auch nor­ma­tive Öf­fent­ lich­keits­vor­stel­lun­gen, etwa wenn in Ha­ber­mas’ De­mo­kra­tie­mo­dell der ra­ti­o­nale Dis­kurs der Bür­ger zur Vo­r­aus­set­zung ei­ner de­li­be­ra­ti­ven De­mo­kra­tie wird. Die Kri­tik am Du­a­lis­mus von Öf­fent­lich­keit und Pri­vat­heit und da­mit ver­bun­de­ner wei­te­rer Dif­fe­ren­zie­run­gen er­mög­licht ei­nen an­de­ren Blick auf Öf­fent­lich­keit und wurde zu ei­nem Aus­gangs­punkt par­ti­zi­pa­ti­ver Öf­fent­lich­keits­mo­del­le.

D as D rei -E­b e ­nen -M o ­dell

von

Ö f ­fent ­lich ­keit

Als eine wei­tere Prä­misse der do­mi­nan­ten Öf­fent­lich­keits­the­o­rien wird in der so­ zi­a­len Be­we­gungs­for­schung die Exis­tenz ei­ner ein­zi­gen, gro­ßen Öf­fent­lich­keit hin­ter­fragt. Negt und Kluge (2001 [1972]) de­fi­nie­ren Öf­fent­lich­keit als eine Or­ ga­ni­sa­ti­ons­form so­zi­a­ler Er­fah­rung. Sie be­grün­den, wa­rum sich ne­ben der bür­ ger­li­chen Öf­fent­lich­keit eine pro­le­ta­ri­sche Ge­gen­öf­fent­lich­keit mit ei­ge­nen In­ter­

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ak­ti­ons­for­men und Räu­men for­mier­te. Wenn man die­ses Ar­gu­men­ta­ti­ons­mus­ter ver­all­ge­mei­nert und auf wei­tere so­zi­ale Kon­s­tel­la­ti­o­nen und In­te­r­es­sen­grup­pen be­zieht, dann wird eine Viel­falt von Öf­fent­lich­kei­ten sicht­bar. Ge­rade fe­mi­nis­ti­ sche The­o­re­ti­ker_in­nen wie­sen auf die Mög­lich­kei­ten de­zen­t­rier­ter Öf­fent­lich­kei­ ten hin, eta­b­lierte Struk­tu­ren in Frage zu stel­len und viel­fäl­ti­gen ge­sell­schaft­li­chen Grup­pen eine Stimme zu ver­lei­hen. Spi­vak (1988) schreibt in ih­rem Ar­ti­kel Can the Subaltern Speak?, dass An­ge­hö­rige von sub­kul­tu­rel­len oder mar­gi­na­li­sier­ten Grup­pen nicht spre­chen kön­nen, so­lange sie nicht sel­ber ge­hört und statt­des­sen von west­li­chen In­tel­lek­tu­el­len in­ter­pre­tiert wer­den, die ihre Deu­tun­gen dem Spre­ chen der Sub­al­ter­nen ein­schrei­ben. Fra­ser (1992) greift die­sen Be­griff auf und ar­gu­men­tiert, dass sol­che sub­al­ter­nen Öf­fent­lich­kei­ten zum Funk­ti­o­nie­ren der von Ha­ber­mas ent­wor­fe­nen ra­ti­o­na­len Dis­kurs­sphäre not­wen­dig sind, in­dem sie als Mo­der­ni­sie­rungs­res­source und als Kor­rek­tiv ge­gen Aus­gren­zun­gen fun­gie­ren. Öf­ fent­lich­keit ist da­nach ein dis­kur­si­ves Fo­rum zur In­sze­nie­rung von Kon­flik­ten, das aus star­ken und schwa­chen Öf­fent­lich­kei­ten be­steht (vgl. Fra­ser 2001: 107 ff.). An die Aus­füh­run­gen von Fra­ser habe ich mit dem Drei-E­be­nen-Mo­dell von Öf­ fent­lich­keit the­o­re­tisch an­ge­knüpft (vgl. Klaus 1998, 2001; Klaus/Drüeke 2017). Das Drei-E­be­nen-Mo­dell von Öf­fent­lich­keit ist durch vier mit­ei­n­an­der ver­ zahnte Kom­po­nen­ten ge­kenn­zeich­net (vgl. Klaus 2017). Ers­tens ist da­rin Öf­ fent­lich­keit als Selbst­ver­stän­di­gungs­pro­zess – und da­mit auch als Be­deu­tung ge­ne­rie­ren­der Pro­zess – in­ner­halb ei­ner Ge­sell­schaft de­fi­niert, in dem durch The­ ma­ti­sie­rung, Ver­all­ge­mei­ne­rung und Be­wer­tung von Er­fah­run­gen ge­sell­schaft­li­ che Wirk­lich­keits­kon­s­t­ruk­ti­o­nen ver­han­delt, ge­fes­tigt, ent- oder ver­wor­fen wer­ den. Das ist ver­bun­den mit der Fest­le­gung, Be­stä­ti­gung oder auch Mo­di­fi­zie­rung kon­sen­sua­ler so­zi­a­ler Wer­te. Im Selbst­ver­stän­di­gungs­pro­zess Öf­fent­lich­keit wer­ den kul­tu­relle Ziele über­prüft und kul­tu­relle Iden­ti­tä­ten ge­schaf­fen, Nor­men und Werte aus­ge­han­delt, Re­geln für das ge­sell­schaft­li­che Zu­sam­men­le­ben fest­ge­legt so­wie Iden­ti­tä­ten ent­wor­fen. Kul­tu­relle Pro­duk­ti­o­nen sind da­mit ein we­sent­li­cher Teil von öf­fent­li­chen Aus­hand­lungs­pro­zes­sen. So ge­se­hen wird auch in der häus­li­chen Sphäre und im All­tag Öf­fent­li­ches ver­han­delt und Öf­fent­lich­keit her­ge­stellt. Statt des Ge­gen­sat­zes von Pri­vat­heit und Öf­fent­lich­keit kön­nen dann zwei­tens – als Kern des Mo­dells – drei Ebe­nen von Öf­fent­lich­keit un­ter­schie­den wer­den, auf de­nen sich öf­fent­li­che Selbst­ver­ stän­di­gungs­pro­zesse mit ih­ren je ei­ge­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­for­men und -fo­ren ent­ fal­ten (vgl. Abb. 1). Die Be­zeich­nung der drei Ebe­nen – ein­fa­che, mitt­lere und kom­p­lexe Öf­fent­lich­kei­ten – rich­tet sich da­nach, wie schwie­rig bzw. vo­r­aus­set­ zung­s­voll der Zu­gang zu die­sen Öf­fent­lich­kei­ten je­weils ist, wie leicht oder wie kom­p­li­ziert es ist, da­rin eine Spre­cher_in­nen­rolle ein­zu­neh­men. Die Ebene der ein­fa­chen Öf­fent­lich­keit, de­ren Pro­to­typ All­tags­kom­mu­ni­ka­ti­o­nen bil­den, stellt sich durch spon­tane Be­geg­nun­gen her und zeich­net sich durch di­rekte Kom­mu­ ni­ka­ti­ons­for­men aus. Der Zu­gang dazu ist ein­fach, da hier in­ter­per­so­nelle Kom­

Die Be­deu­tung von Kunst und Kul­tur in Ge­gen­öf­fent­lich­kei­ten

mu­ni­ka­ti­ons­vor­gänge – den Ide­al­ty­pus stel­len also Ge­sprä­che dar – im Mit­tel­ punkt ste­hen. Auf der mitt­le­ren Ebe­ne, de­ren Pro­to­typ Bür­ger_innen­in­i­ti­a­ti­ven und Ver­eine sind, fin­det eine erste Rol­len­dif­fe­ren­zie­rung in Spre­cher_in­nen und Mit­glie­der statt. Der Zu­gang ist da­bei häu­fig an Mit­glied­schaf­ten, die Spre­cher_ in­nen­rolle an Wah­len ge­knüpft. Ver­samm­lun­gen und Pu­b­li­ka­ti­o­nen die­nen dem Zu­sam­men­halt der durch ein ge­mein­sa­mes In­te­r­esse ver­bun­de­nen Mit­glie­der. Diese Öf­fent­lich­kei­ten sind in der Mitte zwi­schen den ein­fa­chen und kom­p­le­xen Öf­fent­lich­kei­ten an­ge­sie­delt. Auf der kom­p­le­xen Ebene von Öf­fent­lich­keit, de­ren Pro­to­typ die Mas­sen­me­dien und die Par­la­mente sind, wird die Kom­mu­ni­ka­tion wei­ter­ge­hend pro­fes­si­o­na­li­siert und die Rol­len zwi­schen Kom­mu­ni­ka­tor_in­nen und Pu­b­li­kum, zwi­schen Me­dien und Teil­öf­fent­lich­kei­ten sind nicht um­kehr­bar fest­ge­legt. Auch wenn das Pu­b­li­kum grö­ßer wird, so ist der Zu­gang und sind die Mo­da­li­tä­ten der Mit­glied­schaft, etwa in Re­dak­ti­o­nen oder Na­ti­o­nal­rä­ten, durch die kom­p­le­xen Struk­tu­ren aus­ge­spro­chen vo­r­aus­set­zung­s­voll. Abbildung  1: Hie­r­ar­chie der drei Ebe­nen von Öf­fent­lich­keit

Quel­le: Ei­gene Dar­stel­lung

Für die drei Ebe­nen der Öf­fent­lich­keit gilt des­halb: Je kom­p­le­xer die Kom­mu­ ni­ka­ti­ons­struk­tur, umso klei­ner die Zahl der kom­mu­ni­ka­ti­ven Fo­ren, denn Men­ schen sind stän­dig in All­tags­kom­mu­ni­ka­ti­o­nen in­vol­viert, ge­hö­ren ei­ner Reihe von Par­tei­en, Ver­bän­den oder Interessensgruppen an, nur re­la­tiv we­nige sind aber ak­tive Spre­cher_in­nen in kom­p­le­xen Öf­fent­lich­kei­ten. Des Wei­te­ren gilt: Je kom­ p­le­xer die Ebene der Öf­fent­lich­keit, umso grö­ßer ist ihr ge­sell­schaft­li­cher Ein­ fluss. Da­mit las­sen sich Öf­fent­lich­kei­ten als hie­r­ar­chisch ge­glie­derte Py­ra­mide vi­su­a­li­sie­ren (vgl. Abb. 1). Als dritte Kom­po­nente sind mit dem Drei-E­be­nen-Mo­dell Teil­öf­fent­lich­kei­ten im­p­li­ziert, die sich auf der Ba­sis ge­mein­sa­mer so­zi­a­ler Er­fah­run­gen, sich über­ schnei­den­der Hand­lungs­räume oder ge­teil­ter In­te­r­es­sen kons­ti­tu­ie­ren. Sol­che Teil­öf­fent­lich­kei­ten sind dann u. a. schicht-, ge­ne­ra­ti­o­nen-, ge­schlechts- und kul­

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tur­ge­bun­den, zeich­nen sich also durch eine Über­schnei­dung und Über­kreu­zung ver­schie­de­ner Dif­fe­renz­ka­te­go­rien aus. Sie bil­den je­weils spe­zi­fi­sche Dis­kus­si­ ons­wei­sen und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­for­men aus. Be­son­ders in­te­r­es­sant sind im Kon­ text von Ge­sell­schafts­kri­tik und Ver­än­de­rungs­mög­lich­kei­ten Be­we­gungs- und Pro­test­öf­fent­lich­kei­ten, die in Be­zug auf ein be­stimm­tes An­lie­gen ge­sell­schaft­li­ chen Wan­del her­bei­füh­ren wol­len. In der so­zi­a­len Be­we­gungs­for­schung sind da­ bei lange Zeit le­dig­lich sol­che Ge­gen­öf­fent­lich­kei­ten fo­kus­siert wor­den, die kul­ tu­relle und/o­der po­li­ti­sche Ver­än­de­run­gen an­stre­ben, um zur Ver­wirk­li­chung der Men­schen­rech­te, von De­mo­kra­tie und Gleich­be­rech­ti­gung bei­zu­tra­gen. Erst mit den deut­li­chen Er­fol­gen rech­ter bzw. rechts­ex­t­re­mer Par­teien wer­den nun zu­neh­ mend auch sol­che Pro­test­be­we­gun­gen in den Blick ge­nom­men, die rechts­ra­di­ka­ les, mi­li­ta­ris­ti­sches, se­xis­ti­sches oder ras­sis­ti­sches Ge­dan­ken­gut ver­brei­ten, also eine an­ti­de­mo­kra­ti­sche, aus­schlie­ßende und men­schen­feind­li­che Po­li­tik ver­fol­gen (vgl. den Über­blick von Roth/Rucht 2008). Da­mit ist die vierte Kom­po­nente des Drei-E­be­nen-Mo­dells an­ge­spro­chen, näm­lich die ge­sell­schafts- und macht­the­o­re­ti­sche Be­stim­mung von öf­fent­li­chen De­bat­ten, wo­bei ins­be­son­dere Um­bruch­pha­sen eine wich­tige Rolle er­hal­ten. Öf­ fent­lich­kei­ten auf den un­ter­schied­li­chen Ebe­nen ha­ben un­ter­schied­li­che In­ter­ven­ ti­ons- und Par­ti­zi­pa­ti­ons­mög­lich­kei­ten, d. h. je kom­p­le­xer die Öf­fent­lich­keits­e­be­ ne, umso stär­ker sind die Ent­schei­dungs­be­fug­nisse und umso eher kön­nen ei­gene Po­si­ti­o­nen durch­ge­setzt wer­den, aber umso ge­rin­ger sind zu­gleich die Par­ti­zi­pa­ ti­ons­mög­lich­kei­ten. In Um­bruch­pha­sen öff­net sich das mas­sen­me­di­ale Sys­tem für al­ter­na­tive Ent­würfe und Ge­sell­schafts­bil­der, das heißt kleine und mitt­lere Öf­fent­lich­kei­ten kön­nen grö­ßere De­fi­ni­ti­ons­macht er­hal­ten (vgl. Klaus 1995). Um­bruch­pha­sen sind Zei­ten ver­dich­te­ter Kom­mu­ni­ka­tion – der ge­sell­schaft­li­che Ver­stän­di­gungs­pro­zess ver­läuft viel­stim­mi­ger, viel­fäl­ti­ger und kon­t­ro­ver­ser – und kön­nen da­mit als ge­sell­schaft­li­che Dy­na­mi­sie­rungs­schübe für Öf­fent­lich­keit ver­stan­den wer­den. Ob wir der­zeit in ei­ner Um­bruch­phase le­ben, ist um­strit­ten, klar ist aber, dass in vie­len Ge­sell­schaf­ten „epo­chale Trans­for­ma­ti­o­nen“ (Sas­sen 2007) statt­fin­den, also tiefgreifende me­di­a­le, po­li­ti­sche, öko­lo­gi­sche und kul­tu­ relle Wand­lungs­pro­zes­se, in de­nen sich eine Viel­zahl un­ter­schied­li­cher Stim­men auf ver­schie­de­nen Ebe­nen von Öf­fent­lich­keit ar­ti­ku­liert2.

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Dass das Mo­dell, wel­ches vor der Ein­füh­rung di­gi­ta­ler Me­dien ent­wi­ckelt wur­de, auch in den ak­tu­el­len De­bat­ten re­le­vant bleibt, hat Ri­carda Drüeke (2013) ge­zeigt. Al­ler­dings weist ihre Stu­die da­r­auf hin, dass die ver­schie­de­nen Öf­fent­lich­keits­eben sich heute viel stär­ker durch­mi­schen und die drei Ebe­nen sich aus­dif­fe­ren­zie­ren. Das Mo­dell hat in ganz un­ter­schied­li­chen For­schungs­pro­jek­ten zu Fra­gen von Par­ti­zi­pa­ti­on, In­ter­ven­tion und Ver­än­de­rung An­wen­dung ge­fun­den, etwa in Be­zug auf queer-fe­mi­nis­ti­sche Be­we­ gun­gen oder par­ti­zi­pa­tive On­line-Öf­fent­lich­kei­ten (vgl. die Bei­träge in Klaus/Drüeke 2017).

Die Be­deu­tung von Kunst und Kul­tur in Ge­gen­öf­fent­lich­kei­ten

K ünst ­le ­ri ­sche und kul­tu ­relle P ro ­duk ­ti ­o ­nen als in te ­ g ­ ra ­ ler ­ T eil von eman ­zi ­pa­to ­ri ­schen Bew ­ e gungs ­ ­ fent öf ­ ­ lich ­kei ­ten In den zeit­ge­nös­si­schen bil­den­den Küns­ten fin­det seit ge­rau­mer Zeit eine in­ten­ sive Be­schäf­ti­gung mit den Ver­bin­dun­gen und Ver­schrän­kun­gen zwi­schen Kunst und Öf­fent­lich­keit, den Be­zie­hun­gen zwi­schen Äs­the­tik und ge­sell­schaft­li­cher In­ ter­ven­tion statt. In ak­tu­el­len Pu­b­li­ka­ti­o­nen fin­den sich Rück­griffe u. a. auf The­o­ dor W. Ador­no, Um­berto Eco, Jac­ques Ran­ciè­re, Jür­gen Ha­ber­mas, Mi­chel Fou­ cault oder Pierre Bour­dieu, die die Schnitt­stel­len zwi­schen kunst­his­to­ri­schen und ge­sell­schafts­wis­sen­schaft­li­chen Dis­kur­sen an­deu­ten (vgl. etwa Dan­ko/Mo­esch­ler/ Schu­ma­cher 2015; Com­mon – Jour­nal für Kunst & Öf­fent­lich­keit ab 2012; Mar­ chart o. J.; Re­ben­tisch 2013). Dem­ge­gen­ü­ber wird in der so­zi­al- und kom­mu­ni­ ka­ti­ons­wis­sen­schaft­li­chen Öf­fent­lich­keits­for­schung kaum eine Ver­bin­dung von Öf­fent­lich­kei­ten mit künst­le­ri­schen und kul­tu­rel­len Pro­duk­ti­o­nen her­ge­stellt. Ein Grund da­für ist die Fo­kus­sie­rung auf Ha­ber­mas’ (1993 [1962]) Ent­wurf ei­ner po­li­ ti­schen Öf­fent­lich­keit, die vor al­lem po­li­ti­sche In­sti­tu­ti­o­nen und Ver­fah­rens­wei­sen in den Blick nimmt. In­te­r­es­sant ist aber, dass Ha­ber­mas zu­folge die bür­ger­li­che Öf­fent­lich­keit in den Le­se­ge­sell­schaf­ten und li­te­ra­ri­schen Zir­keln des 19. Jahr­ hun­derts – also im kul­tu­rel­len Le­ben – ih­ren Aus­gang nimmt. Auch ge­hört der me­ta­pho­ri­sche Ver­weis auf die bil­den­den und dar­stel­len­den Künste von An­fang an zum Nach­den­ken über Öf­fent­lich­keit und den Be­din­gun­gen ih­rer Ver­än­de­rung. Han­nah Arendt und viele an­dere ha­ben po­li­ti­sche Öf­fent­lich­keit als Dra­ma, Bühne oder Per­for­mance ge­fasst (vgl. Ri­vera 2015). Öf­fent­lich­keit wird häu­fig als thea­ trale In­sze­nie­rung ge­dacht, in der sich eine Welt­deu­tung, und da­mit ein Ein­griff in die Welt, vor Pu­b­li­kum di­a­lo­gisch, in ver­teil­ten Rol­len und pro­zess­haft ent­fal­tet. Kunst und Kul­tur sind aber nicht nur als Aus­gangs­punkt und im me­ta­pho­ri­schen Sinne in öf­fent­li­che Selbst­ver­stän­di­gungs- und Ver­än­de­rungs­pro­zesse in­vol­viert, son­dern stel­len ei­nen in­te­g­ra­len Be­stand­teil von Pro­test­be­we­gun­gen und de­ren Er­fol­gen dar. Die große Be­deu­tung von künst­le­ri­schen und kul­tu­rel­len Pro­duk­ti­o­nen3 hat bis­her nur in we­ni­gen Öf­fent­lich­keits­the­o­rien Be­ach­tung ge­fun­den ha­ben. Jens Kastner (2011) spricht von ei­nem „ver­nach­läs­sig­ten Zu­sam­men­hang zwi­schen Kunst und so­zi­a­len Be­we­gun­gen“ und ar­bei­tet des­sen Schnitt­stel­len he­r­aus. Vor al­lem Chan­tal Mouffe (2002, 2007, 2008, 2014) hat der ak­ti­vis­ti­schen Kunst in ih­ren neu­eren Pu­b­li­ka­ti­o­nen eine wich­tige Rolle bei der Ver­wirk­li­chung ei­ner ago­nis­ti­schen De­mo­kra­tie ein­ge­räumt. Ago­nis­ti­sche Po­li­tik und künst­le­ri­sche 3

Un­ter kul­tu­rel­len Pro­duk­ti­o­nen ver­stehe ich hier Aus­drucks­for­men und Ar­te­fak­te, die im Rah­men von Pro­test­be­we­gun­gen ent­ste­hen, etwa Be­we­gungs­me­di­en, But­tons, Lie­ der etc.

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Prak­ti­ken lau­tet ein Ka­pi­tel in ih­rer 2014 auf Deutsch er­schie­ne­nen Pu­b­li­ka­tion Ago­nis­tik. Die Welt po­li­tisch den­ken. Sie ar­gu­men­tiert da­r­in, dass die Kunst eine be­deu­tende Rolle im Un­ter­lau­fen do­mi­nan­ter He­ge­mo­nien und im Be­reit­stel­len von Räu­men für ge­gen­he­ge­mo­ni­ale In­ter­ven­ti­o­nen spie­len kann: „Ich bin über­zeugt, dass künst­le­ri­sche und kul­tu­relle Prak­ti­ken Räume des Wi­der­stands schaf­fen kön­nen, die das ge­sell­schaft­li­che Ima­gi­näre un­ter­gra­ben, das für die Re­pro­duk­tion des Ka­pi­ta­lis­mus not­wen­dig ist. Ich bin je­doch der Auf­fas­sung: Wenn wir ihr po­li­ti­sches Potenzial ver­ste­hen wol­len, soll­ten wir For­men des künst­le­ri­schen Wi­der­stands als ago­nis­ ti­sche In­ter­ven­ti­o­nen im Kon­text des ge­gen­he­ge­mo­ni­a­len Kamp­fes be­trach­ten.“ (Mouffe 2014: 136)

Die Öf­fent­lich­keits­the­o­re­ti­ke­rin be­schränkt sich weit­ge­hend auf künst­le­ri­schen Ak­ti­vis­mus, be­zieht aber da­r­ü­ber hi­n­aus auch kri­ti­sche Kunst in ihre Über­le­gun­ gen ein, und sie wen­det sich ge­gen die Tren­nung des Kunst- und des Wis­sen­ schafts­fel­des, in­dem sie fest­hält, dass Po­li­tik im­mer eine äs­the­ti­sche Di­men­sion und Kunst im­mer eine po­li­ti­sche Di­men­sion habe (ebd.: 140). Mouf­fes Texte ent­ hal­ten wich­tige Ar­gu­mente für die Rolle und Be­deu­tung, die Kunst und Kul­tur für Ge­gen­öf­fent­lich­kei­ten und in Pro­test­be­we­gun­gen ein­neh­men kön­nen, weil kri­ti­ sche künst­le­ri­sche und kul­tu­relle Pro­duk­ti­o­nen schein­bar allgemeingültige Nor­ men und un­hin­ter­fragt gel­tende Nor­mali­tä­ten in Frage stel­len kön­nen so­wie über Af­fekte und emo­ti­o­nale Re­ak­ti­o­nen (vgl. ebd.: 148) „neue Prak­ti­ken und Sub­jek­ tivi­tä­ten“ er­mög­li­chen und da­mit „die be­ste­hende Macht­kon­fi­gu­ra­tion“ un­ter­mi­ nie­ren kön­nen (ebd.: 158). Ge­nau da­rin lie­gen aber auch die He­r­aus­for­de­run­gen für Pro­test­be­we­gun­gen und Ge­gen­öf­fent­lich­kei­ten, die Öf­fent­lich­keit für ihre An­ lie­gen schaf­fen und diese ge­sell­schaft­lich durch­set­zen wol­len. Nicht di­rekt, aber in­di­rekt ist in der his­to­ri­schen Frau­en­be­we­gungs­for­schung die He­r­aus­bil­dung neuer Prak­ti­ken und Sub­jek­tivi­tä­ten mit­tels kul­tu­rel­ler und künst­le­ri­scher Pro­duk­ti­o­nen be­reits the­ma­ti­siert wor­den. Ein Bei­spiel da­für lie­fert die Stu­die von Ulla Wi­scher­mann (2003), auf die hier et­was aus­führ­li­cher ein­ ge­gan­gen wer­den soll. Die Frank­fur­ter Me­di­en­his­to­ri­ke­rin ist den Be­din­gun­gen des au­ßer­or­dent­li­chen Er­fol­ges zweier Frau­en­be­we­gun­gen um 1900, der Be­we­ gun­gen für eine Re­form des Se­xu­al­straf­rechts und je­ner für die ge­setz­li­che Ver­ an­ke­rung des Wahl­rechts für Frau­en, nach­ge­gan­gen. Sie un­ter­schei­det da­bei mit Ver­weis auf Negt/Kluge (2001 [1972]), Fra­ser (2001) und Klaus (2001) zwi­schen drei Ebe­nen des öf­fent­li­chen Wir­kens die­ser Be­we­gun­gen, die in ih­rem Zu­sam­ men­spiel zu ih­ren Er­fol­gen bei­ge­tra­gen ha­ben: der Ebene der Frau­en­be­we­gungs­ kul­tur, der Be­we­gungs­öf­fent­lich­kei­ten und der Ad­res­sie­rung der kom­p­le­xen Öf­ fent­lich­keit, der öf­fent­li­chen Mei­nung (vgl. Abb. 2). Die je­wei­lige so­zi­ale Funk­tion die­ser drei Ebe­nen bei der For­mie­rung von Frau­en­be­we­gun­gen cha­rak­te­ri­siert Wi­scher­mann an­hand der 1992 von Jean L. Co­hen und An­drew Arato ein­ge­führ­ten Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen ei­ner „po­li­tics

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of identity“, ei­ner „po­li­tics of in­flu­ence“ und ei­ner „po­li­tics of po­li­ti­cal in­clu­ sion“ (Co­hen/Arato 1992: 556). Bei der „pol­i­tics of iden­ti­ty“ geht es im direkten und relativ egalitären Austausch der Akteur_innen um „the re­de­fin­ing of cul­tu­ ral norms, in­di­vid­u­al and col­lec­tive iden­ti­ties, ap­pro­pri­ate so­cial roles, modes of in­ter­pre­ta­tion, and the form and con­tent of dis­cours­es“ (Cohen/Arato 1992: 492–563). Die „pol­i­tics of in­flu­ence“ „tar­gets the pub­lic sphere for the pur­pose of gain­ing rec­og­ni­tion as a col­lec­tive ac­tor“ (ebd.: 526), zielt al­so auf Anerkennung und Einfluss innerhalb des Politischen (vgl. ebd.: 508) ab. Auf der kom­p­le­xen Ebene schließ­lich for­dert die „po­li­tics of in­clu­sion“ po­li­ti­sche Teil­habe und po­li­ ti­sche Re­for­men ein. Abbildung 2: Die Ad­res­sie­rung der drei Ebe­nen von Öf­fent­lich­keit in  so­zi­a­len Be­we­gun­gen

Quel­le: Ei­gene Dar­stel­lung (un­ter Ein­be­zug von Co­hen/Arato 1992 und Wi­scher­mann 2017)

Wi­scher­manns Ty­po­lo­gie der auf den ver­schie­de­nen Ebe­nen der Frau­en­be­we­ gungs­öf­fent­lich­keit ver­wen­de­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und In­ter­ak­ti­ons­for­men ver­ deut­licht die Be­deu­tung von Me­dien und kul­tu­rel­len Pro­duk­ti­o­nen (vgl. Wi­scher­ mann 2017). Auf der Ebene der Frau­en­be­we­gungs­kul­tur wer­den die per­sön­li­chen Be­zie­hun­gen zwi­schen den Ak­teur_in­nen zur in­ter­nen Mo­bi­li­sie­rung ge­nutzt. Es geht um eine „po­li­tics of identity“, die über ge­mein­same Ver­an­stal­tun­gen wie Rei­ sen, Aus­flüge oder Zu­sam­men­woh­nen ver­mit­telt wird und auf per­sön­li­che Me­dien wie Ta­ge­buch und Briefe zu­rück­greift. Auf der Ebene der Frau­en­be­we­gungs­öf­ fent­lich­kei­ten geht es um die in­terne und ex­terne Mo­bi­li­sie­rung für die Ziele der Be­we­gun­gen und ein Ver­ständ­nis für die An­lie­gen ih­rer Ak­teur_in­nen. Da­bei fin­ det diese „po­li­tics of in­flu­ence“ nicht nur in der Ver­eins- und Be­we­gungs­pres­se, in Flug­blät­tern oder Pla­ka­ten ih­ren Aus­druck, son­dern ent­fal­tet sich auch durch die An­eig­nung ei­ge­ner Räu­me, durch die Schaf­fung ge­mein­sa­mer Ri­tu­ale und Sym­bo­le, durch Ge­mein­schaft und So­li­da­ri­tät ver­mit­telnde Lie­der und Ge­dich­

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te. Schließ­lich geht es auf der Ebene von Öf­fent­lich­keit/öf­fent­li­cher Mei­nung um eine „po­li­tics of in­clu­sion“, die eine gleich­be­rech­tigte Teil­habe von Frauen an der po­li­ti­schen Öf­fent­lich­keit ein­for­dert. Das setzt die Durch­set­zung neuer Deu­tungs­ mus­ter vo­r­aus, die durch in­ten­sive Me­di­en- und PR-Ar­beit, durch öf­fent­li­che Pro­ test­ver­samm­lun­gen, De­mons­t­ra­ti­o­nen und Ak­ti­o­nen des zi­vi­len Un­ge­hor­sams er­ reicht wird (vgl. auch Kin­ne­brock 2005). Häu­fig wird da­bei auf Il­lus­t­ra­ti­o­nen und Fotos zu­rück­ge­grif­fen, wie u. a. das Bei­spiel der eng­li­schen Suf­f­ra­get­ten zeigt, die ge­zielt Bil­der nutz­ten, um die Mas­sen­me­dien zu er­rei­chen und auf ihre An­lie­gen auf­merk­sam zu ma­chen (vgl. Ger­hard 2017). In Wi­scher­manns Ana­ly­sen (2003, 2017) fin­den sich also zahl­rei­che Hin­weise auf die Be­deu­tung kul­tu­rel­ler, teil­weise künst­le­ri­scher Pro­duk­ti­o­nen für die Hin­ ter­fra­gung der herr­schen­den Nor­men und Wer­te, der hie­r­ar­chi­schen Ge­schlech­ ter­ver­hält­nisse und ei­ner die Frauen vom po­li­ti­schen Pro­zess aus­schlie­ßen­den Nor­ma­li­tät. Die ver­meint­li­che Na­tür­lich­keit dis­kri­mi­nie­ren­der Weib­lich­keits­de­ fi­ni­ti­o­nen und ih­rer ge­sell­schaft­li­chen Fol­gen zu ir­ri­tie­ren, ist ein ers­ter Schritt zu de­ren Über­win­dung. Das er­for­dert das Auf­bre­chen, die Un­ter­wan­de­rung her­ kömm­li­cher Be­deu­tun­gen und über­kom­me­ner Deu­tungs­mus­ter. Nicht zu­letzt des­ halb wa­ren ein­fluss­rei­che so­zi­ale und po­li­ti­sche Be­we­gun­gen stets von künst­le­ri­ schen und kul­tu­rel­len In­ter­ven­ti­o­nen be­glei­tet (vgl. auch Kastner 2011; Kast­ner/ Spörr 2008). Kri­ti­sche Kunst- und Kul­tur­pro­duk­ti­o­nen kön­nen ir­ri­tie­ren und in Selbst­ver­ stän­di­gungs­pro­zesse der Ge­sell­schaft in­ter­ve­nie­ren, in­dem sie he­ge­mo­ni­ale Be­ deu­tun­gen un­ter­lau­fen. Künst­le­ri­sche und kul­tu­relle In­ter­ven­ti­o­nen4 zeich­nen sich da­durch aus, dass sie das Potenzial ha­ben, neue Sicht­wei­sen und an­dere Per­spek­ti­ ven auf Alt­be­kann­tes zu er­öff­nen, Men­schen mit Un­ge­wohn­tem und Un­ge­wöhn­ li­chem zu kon­fron­tie­ren und zu ir­ri­tie­ren. Schein­bar selbst­ver­ständ­li­ches, un­hin­ ter­frag­ba­res Wis­sen kann durch die Er­mög­li­chung neuer äs­the­ti­scher Er­fah­run­gen hin­ter­frag­bar wer­den. Künst­le­ri­sche Pro­duk­ti­o­nen und Stra­te­gien er­leich­tern dies durch ihre stra­te­gi­schen Mög­lich­kei­ten, die dem ,ra­ti­o­na­len po­li­ti­schen Dis­kurs‘ so nicht zur Ver­fü­gung ste­hen: etwa durch Bri­co­la­ge, als Ar­beit mit un­ter­schied­ li­chen Ma­te­ri­a­lien und For­men, durch die Col­la­ge, als Zu­sam­men­schnitt des Ver­ schie­de­nen, oder die Ver­frem­dung, wie etwa im Cul­ture Jam­ming „as an an­tiin­sti­tuio­na­list and an­ti-con­su­merist prac­tice ta­king place in the po­li­ti­cal pu­b­lic sphere“ (McGui­gan 2005: 428). Die un­mit­tel­ba­re, emo­ti­o­nale An­spra­che kann die Be­schrän­kun­gen he­ge­mo­ni­a­ler Wis­sens­be­stände durch das Ein­brin­gen af­fek­ 4

Zur Pro­b­le­ma­tik des In­ter­ven­ti­ons­be­griffs ver­glei­che die von Laila Hu­ber und Elke Zobl 2015 he­r­aus­ge­ge­bene Aus­gabe IN­TER­VE­NE! Künst­le­ri­sche In­ter­ven­ti­o­nen II: Bil­dung als kri­ti­sche Pra­xis. p/art/ici­pate – Kul­tur ak­tiv ge­stal­ten, 5. Aus­ga­be. On­line un­ter https://www.p-art-ici­pa­te.net/in­ter­ve­ne-kunst­le­ri­sche-in­ter­ven­tio­nen-ii-bildungals-kritische-praxis/ (24. 1. 2019); da­rin ins­be­son­dere den Bei­trag von Janna Gra­ham und Ni­co­las Vass.

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ti­ver, kör­per­li­cher Er­fah­run­gen um­ge­hen. In den Wor­ten der so­zi­a­len Be­we­gungs­ for­schung: Künst­le­ri­sche und kul­tu­relle Pro­duk­ti­o­nen kön­nen er­mög­li­chen und er­leich­tern, gleich­zei­tig eine „po­li­tics of identity“ zu le­ben, eine „po­li­tics of in­flu­ ence“ zu ge­stal­ten und auf die­ser Ba­sis eine „po­li­tics of in­clu­sion“ ein­zu­for­dern. Kastner (2011: 7) warnt aber zu­gleich vor ei­ner allzu op­ti­mis­ti­schen Per­s­pek­tive und „plä­diert für eine Les­weise des Zu­sam­men­hangs von Kunst­pro­duk­tion und so­zi­a­len Be­we­gun­gen, der des­sen Ef­fekte nicht als un­mög­lich, aber auch nicht als selbst­ver­ständ­lich be­greift“.

D ie G e ­zi -P ark -P ro­teste 2013

in der

T ür ­kei

Die Be­deu­tung von Kunst und Kul­tur in al­ter­na­ti­ven Be­we­gun­gen soll ab­schlie­ ßend an­hand der Ge­zi-Park-Pro­test­be­we­gung in der Tür­kei 2013 auf­ge­zeigt wer­ den. Diese nahm im Mai 2013 in Is­tan­bul mit Pro­tes­ten ge­gen ein Bau­pro­jekt auf dem Ge­lände des Ge­zi-Parks ih­ren Aus­gangs­punkt. Dass im Ge­zi-Park Bäume ge­fällt wer­den soll­ten, um hier ein pri­va­tes Shopping Center zu er­rich­ten, wurde zum An­lass der Pro­tes­te, war aber nicht ihr ein­zi­ger Grund. Wei­ter­ge­hend for­ mierte sich da­mit ein Wi­der­stand ge­gen die Po­li­tik der AKP und die au­to­ri­täre Re­gie­rungs­füh­rung von Re­cep Tayyip Er­do­gan, die ei­ner­seits die Neo­li­be­ra­li­sie­ rung des Lan­des durch­set­zen, an­de­rer­seits eine Re-Is­la­mi­sie­rung der Tür­kei vo­ r­an­trei­ben, die Men­schen­rechte mit­tels Zen­sur und Ver­bo­ten ein­schrän­ken und durch Fest­nah­men und Haft­stra­fen jed­wede Op­po­si­tion da­ge­gen un­ter­drü­cken. Zum gro­ßen Aus­maß der Ak­ti­o­nen tru­gen wei­ter auch die har­ten und ge­walt­tä­ ti­gen Re­ak­ti­o­nen von Po­li­zei und Re­gie­rung auf die De­mons­t­rant_in­nen bei, die sich per di­gi­ta­ler Me­dien rasch ver­brei­te­ten. Der re­la­tiv un­spek­ta­ku­läre Park – der je­doch eine lange Ge­schichte hat – wurde zum Ort ei­nes Wi­der­stands, an dem sich ganz un­ter­schied­li­che Be­we­gun­gen kreuz­ten und sich die Ge­zi-Park-Pro­teste ent­fal­te­ten. In der ge­sam­ten Tür­kei kam es im Som­mer 2013 zu ei­ner Pro­test­be­ we­gung mit über 5.000 Ak­ti­o­nen, an de­nen weit mehr als 3,5 Mil­li­o­nen Men­schen teil­nah­men5. In­zwi­schen lie­gen zahl­rei­che Ana­ly­sen und auch meh­rere Buch­pu­b­ li­ka­ti­o­nen vor, die sich mit den Pro­tes­ten, ih­rem Ver­lauf, ih­ren Ur­sa­chen und Fol­ gen be­schäf­ti­gen (vgl. Da­vid/Toktamış 2015; Gök­su/Ol­gun 2014; Gutt­stadt 2014; Ataç/Fa­ni­za­deh/VIDC 2016; Ka­ra­kaya­lí/Yaka 2014; Özkırımlı 2014). Hier soll vor al­lem der Frage nach­ge­gan­gen wer­den, in­wie­fern die Ge­zi-ParkPro­teste den Zu­sam­men­hang zwi­schen so­zi­a­len Be­we­gun­gen und künst­le­ri­schen und kul­tu­rel­len Pro­duk­ti­o­nen ver­deut­li­chen. Im Un­ter­schied zur his­to­ri­schen Frau­en­be­we­gung um die Wende zum 20. Jahr­hun­dert, von der Wi­scher­mann zwei Stränge ana­ly­siert hat, kann in Be­zug auf die Ge­zi-Park-Pro­teste nicht von ei­ner 5 Vgl. dazu den aus­führ­li­chen Wi­ki­pe­dia-Ar­ti­kel Pro­teste in der Tür­kei 2013.

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ein­heit­li­chen so­zi­a­len Be­we­gung ge­spro­chen wer­den. Die Pro­teste im ­Gezi-Park be­stan­den aus ei­ner ,As­sem­b­la­ge‘ un­ter­schied­li­cher Grup­pie­run­gen und Men­ schen mit ih­ren je ei­ge­nen An­lie­gen und In­te­r­es­sen. Ver­tre­ten wa­ren etwa Grup­ pen aus der Öko­lo­gie­be­we­gung, Ak­ti­vist_in­nen aus LGBTQI-Kon­tex­ten, an­ti­ka­ pi­ta­lis­ti­sche Grup­pen und Glo­ba­li­sie­rungs­geg­ner_in­nen, die ge­gen neo­li­be­rale Po­li­ti­ken und die Gen­tri­fi­zie­rung der Städte auf­be­gehr­ten, auch kur­di­sche Or­ga­ ni­sa­ti­o­nen wa­ren da­r­un­ter, die eine Ende der Dis­kri­mi­nie­rung von Kurd_innen for­der­ten. Viele Pro­tes­tie­rende be­kann­ten sich zur ke­ma­lis­ti­schen Tra­di­tion ei­ner sä­ku­la­ri­sier­ten Tür­kei und wand­ten sich ge­gen Al­ko­hol­ver­bote und die Pro­pa­gie­ rung der Drei-Kind-Fa­mi­lie so­wie des Kopf­tuchs als ,an­ge­mes­se­ne‘ Klei­dung für Frauen durch die AKP-Regierung. Wei­ter be­tei­lig­ten sich auch Fuß­ball­fans und Grup­pen ohne ein di­rek­tes po­li­ti­sches oder re­li­gi­ö­ses An­lie­gen an den Ak­ti­o­nen (Toktamış 2015) (vgl. Abb. 3). Abbildung 3: Die ver­schie­de­nen Grup­pen im Ge­zi-Park-Areal

© Anonymous/Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:2013_ Taksim_Gezi_Park_pro­tests#/media/File:Gezi-park-encampment-map.jpg

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Die For­men des kom­mu­ni­ka­ti­ven Han­delns, die Wi­scher­mann in Be­zug auf die Frau­en­be­we­gun­gen be­schreibt, sind hilf­reich, um wich­tige As­pekte der Ge­ziPark-Pro­teste he­r­aus­zu­ar­bei­ten, auch wenn durch Social Me­dia und an­dere di­gi­ tale Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mög­lich­kei­ten ganz neue For­men hin­zu­ge­tre­ten sind. Wenn die Pro­teste im Ge­zi-Park auf der mitt­le­ren Ebene von Öf­fent­lich­keit ver­or­tet wer­ den – die heute deut­lich stär­ker auf öf­fent­li­che Are­ale be­zo­gen sind, als das für die frü­he­ren so­zi­a­len Be­we­gun­gen gilt –, dann er­ge­ben sich ei­nige wich­tige Be­o­ b­ach­tun­gen. Pi­nar Gü­müs und Vol­kan Yil­maz (2015) ha­ben da­r­auf hin­ge­wie­sen, dass die Pro­teste nicht das Re­sul­tat völ­lig spon­ta­ner Ak­ti­vi­tä­ten wa­ren, wie es oft, vor al­lem in den Mas­sen­me­dien dar­ge­stellt wur­de. Viel­mehr wur­den diese durch Ak­ti­vist_in­nen in­i­ti­iert, die ver­schie­de­nen Be­we­gun­gen mit ei­ner be­währ­ten Or­ ga­ni­sa­ti­ons­struk­tur an­ge­hör­ten. Deshalb gelang es ihnen „mem­bers of oth­er po­ lit­i­cal groups, which would nor­mal­ly not come to­geth­er easi­ly“ (Gümüş/Yılmaz 2015: 187) zu vernetzen. „In oth­er words, dis­cur­sive and prac­ti­cal strat­e­gies they em­ploy­ed long be­fore the Gezi pro­tests con­trib­uted to the con­sol­i­da­tion of a so­cial move­ment com­mu­ni­ty.“ (Ebd.) Die ver­schie­de­nen Ge­gen­öf­fent­lich­kei­ten ver­sam­mel­ten sich im Park und es ge­lang, eine vor­her nie dagewesene Zahl von Men­schen aus ein­fa­chen Öf­fent­ lich­kei­ten zu mo­bi­li­sie­ren, die sich den ers­ten Ak­ti­vist_in­nen an­schlos­sen. In der Folge ent­fal­te­ten sich eine „po­li­tics of identity“ und eine „po­li­tics of in­clu­sion“, die zu ei­ner ge­ra­dezu ex­plo­si­ons­ar­ti­gen Aus­brei­tung spon­ta­ner und kre­a­ti­ver Pro­ test­for­men führ­ten. Die­se, aber auch das äu­ßerst bru­tale Vor­ge­hen der Po­li­zei führ­ten da­zu, dass in­ter­na­ti­o­nale Me­dien auf die Ge­zi-Park-Pro­teste auf­merk­sam wur­den und da­r­ü­ ber in­ten­siv be­rich­te­ten (vgl. dazu Sa­ri­sa­ka­loglu 2019). Viele Be­o­b­ach­ter_in­nen der Er­eig­nisse in Is­tan­bul ho­ben ne­ben der er­staun­li­chen Breite der Pro­teste ei­nen wei­te­ren As­pekt her­vor: die un­ge­heu­er­li­che Viel­falt der künst­le­ri­schen und kul­tu­ rel­len Pro­duk­ti­o­nen, die ein in­te­g­ra­ler Teil der Pro­teste und ih­rer An­zie­hungs­kraft war und diese stärk­te. Bil­dende Künst­ler_in­nen, Schau­spie­ler_in­nen, Mu­si­ker_in­ nen, Street Ar­tists, Fil­me­ma­cher_in­nen schlos­sen sich den Pro­tes­ten an, ge­hör­ ten mit ih­ren kre­a­ti­ven Ideen und Ar­bei­ten zur Be­we­gung und tru­gen zum „Gezi Spi­rit“ ent­schei­dend bei – dem Ge­fühl der So­li­da­ri­tät und des Zu­sam­men­halts, der Freude und Spon­ta­nei­tät am Ge­stal­ten des po­li­ti­schen Pro­zes­ses (vgl. u. a. Bi­an­chi 2018: 216, 226). Je­remy F. Wal­ton (2015) ar­gu­men­tiert, dass im Ge­zi-Park wäh­rend der ge­ sam­ten Dauer der Be­set­zung eine kar­ne­va­leske At­mo­s­phäre im Sinne Bach­tins herrsch­te. The­a­ter­pro­duk­ti­o­nen und Per­for­man­ces wa­ren all­ge­gen­wär­tig und so­wohl Po­e­sie (vgl. Ay­te­kin 2017) als auch Mu­sik (vgl. Bi­an­chi 2018) spiel­ten eine wich­tige Rolle für die For­mie­rung der Pro­test­be­we­gung und tru­gen zu ei­nem „sense of be­lon­ging to the col­lec­tive identity of the Gezi Park movement“ (ebd.: 212) ent­schei­dend bei (vgl. Ab­b. 4).

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Abbildung 4: Tanz des Der wischs mit Gas mas ke. Graffi tis während der Gezi­Park­Proteste

© Jordi Boixareu/Quelle: The Passenger/Alamy Stock Foto

Abbildung 5: Gewaltfreier Protest: Erdem Gündüz Standing Man

© Nevit Dilmen/Quelle: https://commons.wikimedia.org/ wiki/File:Duranadam_standing_man_Taksim.svg

Die Be­deu­tung von Kunst und Kul­tur in Ge­gen­öf­fent­lich­kei­ten

Ei­nige Per­for­man­ces wur­den sehr po­pu­lär, wie etwa der Stand­ing Man des Künst­ lers, Tän­zers und Cho­re­o­gra­fen Er­dem Gün­düz6. Acht Stun­den stand er still und blickte auf das Por­t­rät des Be­grün­ders ei­ner lai­zis­ti­schen, an Eu­ropa ori­en­tier­ ten Tür­kei, Mus­tafa Ke­mal Ata­türk. Die mensch­li­che Sta­tue er­in­nerte da­mit zu­ gleich an die Grün­dungs­prin­zi­pien des tür­ki­schen Staa­tes und wies in der stil­len und fried­li­chen Be­we­gungs­lo­sig­keit zu­gleich die Be­haup­tun­gen der Re­gie­rung zu­rück, bei den Ak­ti­vist_in­nen der Be­we­gung handle es sich um ge­fähr­li­che Ter­ ro­rist_in­nen. Diese Per­for­mance fand zahl­rei­che Nach­ah­mun­gen so­wohl in der Tür­kei als auch im Aus­land, wie etwa in Ham­burg (vgl. Abb. 5). Street Art und Graf­fiti wa­ren in den Pro­tes­ten wich­tige Me­di­en, die auf dem Ge­zi-Park-Ge­lände sel­ber, aber auch in der an­gren­zen­den Is­tan­bu­ler In­nen­stadt all­ge­gen­wär­tig wa­ren (vgl. Ya­nik 2015; Tas, T./Tas, O. 2014). Mit den Bil­dern und Tex­ten ant­wor­te­ten Künst­ler_in­nen oft schnell und spon­tan auf Er­do­gans Re­ pres­sa­lien und setz­ten ih­nen ei­gene For­de­run­gen und Deu­tun­gen ent­ge­gen. Der öf­fent­li­che Raum war stark um­kämpft, denn die Staats­macht ant­wor­tete da­r­auf wie­derum mit dem re­gel­mä­ßi­gen Über­ma­len von Graf­fi­ti, „anti-graffiti actions that re­sul­ted in a pat­chy assemblage of institutional beiges, greys, and ot­her non-­ descript co­lours“ (Eve­red 2018: 1). Als die Mas­sen­me­dien zu­nächst die Pro­teste und die ge­walt­tä­ti­gen Re­ak­ti­o­nen der Re­gie­rung da­r­auf ig­no­rier­ten und CNNTür­kei statt­des­sen eine Do­ku­men­ta­tion über Pin­guine sen­de­te, wurde der als Mas­ ke ge­tra­gene oder mit Scha­b­lone an die Wand ge­mal­te, auf­ge­sprayte oder ge­bas­ telte Pin­guin zum macht­vol­len Sym­bol der Kri­tik an den tür­ki­schen Me­dien und der Staats­macht (vgl. Abb. 6). Abbildung 6: Di­ren Tak­sim! (Leiste Wi­der­stand Tak­sim!)

© Bu­rak Su/Quel­le: https://com­mons.wi­ki­me­dia.org/wi­ki/ Fi­le:Ge­zi_park%C4%B1_2013-06-08_(52).jpg

6 Vgl. Wi­ki­pe­dia-Ein­trag zu Er­dem Gün­düz.

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Nicht sel­ten trug der Pin­guin eine Gas­mas­ke, um so auf das bru­tale Vor­ge­hen der Po­li­zei ge­gen die an­ti­au­to­ri­tä­re, viel­stim­mige Be­we­gung hin­zu­wei­sen und ge­gen den Ein­satz von Knüp­peln und Trä­nen­gas zu pro­tes­tie­ren (vgl. Öz­türk­men 2014). Die Gas­maske war über­all prä­sent – ge­tra­gen zum Schutz vor Po­li­zei­an­grif­fen und zu­gleich sym­bo­lisch auf Fotos, in Graffitis oder Lo­gos für Hash­tags ab­ge­bil­ det, mit dem zum Wi­der­stand auf­ge­ru­fen wurde (vgl. Abb. 7). Sie wurde auch Teil von Per­for­man­ces, die die Ge­walt des Staa­tes de­mas­kier­ten, bei­spiels­weise in­dem der Bräu­ti­gam bei ei­ner ver­meint­li­chen Hoch­zeit mit Gas­maske auf­trat. Ikonogra­ fischen Sta­tus er­langte das do­ku­men­ta­ri­sche Foto der „Wo­man in Red“, ei­ner Frau im ro­ten Kleid, die von der Po­li­zei mit Trä­nen­gas at­ta­ckiert wur­de. Abbildung 7: Oc­cupy Gezi

© Bu­rak Su/Quel­le: https://com­mons.wi­ki­me­dia.org/ wi­ki/Fi­le:Oc­cu­py­Ge­zi.jpg

Hu­mor, das Sich-lus­tig-Ma­chen über die staat­li­chen Me­dien und die Re­gie­rung, war ein wich­ti­ges, vi­su­el­les und ver­ba­les Werk­zeug der Ge­zi-Park-Be­we­gung (vgl. Gör­kem 2015). Oft ant­wor­te­ten die Ak­ti­vist_in­nen di­rekt auf die Über­griffe der Po­li­zei und die Dro­hun­gen des Prä­si­den­ten Er­do­gan. Als die­ser die De­monst­ rant_in­nen als „ça­pulcu“, als Plün­de­rer und Schur­ken, be­zeich­ne­te, eig­ne­ten sich diese den Be­griff an: „Ever­yday I’m ça­pu­ling“ war auf Grafitti, Pos­tern und T-Shirts zu le­sen. Aki­vist_in­nen, on­line oder offline, iden­ti­fi­zier­ten sich mit den „Ça­pul­cus“ als so­zi­a­ler Gruppe (vgl. Odag/Ulug/So­lak 2016) (vgl. Abb. 8). Hu­mor funk­ti­o­nierte auch als emo­ti­o­nale Stütze ge­gen die sehr re­a­lis­ti­sche Angst, in den Po­li­zei­ein­sät­zen ver­letzt zu wer­den oder ums Le­ben zu kom­men (vgl. Yanık 2015). Ins­ge­samt star­ben in der Tür­kei bei den Pro­tes­ten zwölf Men­ schen, 8.000 wur­den ver­letzt (vgl. Gök­kaya 2018). Ju­dith But­ler hat in ih­rer Pu­b­ li­ka­tion ­No­tes To­ward a Per­for­ma­tive Theory of As­sem­bly (2015), in der sie u. a.

Die Be­deu­tung von Kunst und Kul­tur in Ge­gen­öf­fent­lich­kei­ten

Abbildung 8: „Ev­er­y­day I am Çapuling“

© VikiPicture/Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2013_Taksim_ Gezi_Park_protests,_a_Chapulling_grafitti_at_%C4%B0n%C3%B6n%C3%BC_ Street,_G%C3%BCm%C3%BC%C5%9Fsuyu,_Taksim_1.JPG

Abbildung 9: „KOMM, WENN DU DICH TRAUST! #leis­te­wi­ders­tand­mein­herz ICH TEILE DICH!“

Quel­le: Ti­tel­blatt des Aus­stel­lungs­ka­ta­logs: Sıkıyorsa Gel!, #direnkalbim, Seni Paylaşıyorum!

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auch auf die Gezi-Park-Pro­teste Be­zug nimmt, die Ver­letz­lich­keit „öf­fent­li­cher Ver­samm­lun­gen“ the­ma­ti­siert. Sie stellt da­bei den Kör­per in den Mit­tel­punkt und be­tont, dass Po­li­tik eben nicht nur auf sprach­li­cher Ebe­ne, son­dern auch auf kör­per­li­cher statt­fin­det. In ei­ner sol­chen Per­s­pek­tive wird u. a. die Be­deu­tung von Af­fek­ten und des Affektpotenzials von kre­a­ti­ven, künst­le­risch-kul­tu­rel­len Aus­drucks­for­men, wie sie im Ge­zi-Park über­aus prä­sent wa­ren, deut­lich. Eine Aus­stel­lung zum Jah­res­tag der Pro­tes­te, die in zwei be­kann­ten Ga­le­rien in Is­tan­ bul ge­zeigt wurde und zu der auch ein Aus­stel­lungs­ka­ta­log vor­liegt, bringt die Viel­falt künst­le­ri­scher Ak­ti­vi­tä­ten und ihre un­mit­tel­bare po­li­ti­sche Be­deu­tung ein­drucks­voll zum Aus­druck. Die Ku­ra­tor_in­nen Be­dri Bay­kam und De­niz Özer ver­ban­den da­rin die Ar­bei­ten von 52 Künst­ler_in­nen zu Gezi mit Fotografien, die die fried­li­che und so­li­da­ri­sche At­mo­s­phäre im Ge­zi-Park ebenso wie die Bru­ta­li­tät der Po­li­zei­ein­sätze zei­gen7. Der Ti­tel der Aus­stel­lung, SI­KI­YORSA GEL! #di­ren­kal­bim SENİ PAYLAŞIYORUM! be­deu­tet in wört­li­cher Über­set­ zung: „KOMM, WENN DU DICH TRAUST! #leis­te­wi­ders­tand­mein­herz ICH TEILE DICH!“ (vgl. Abb. 9).

E in

kur ­zes

F a ­zit

Die zahl­rei­chen wis­sen­schaft­li­chen Ver­öf­fent­li­chun­gen zu den Ge­zi-Park-Pro­tes­ ten zei­gen, dass ak­ti­vis­ti­sche, en­ga­gier­te, in­ter­ven­ti­o­nis­ti­sche und auf Teil­habe set­zende Kunst- und Kul­tur­pro­duk­ti­o­nen ent­schei­dend zum Zu­sam­men­halt der Ak­ti­vist_in­nen bei­ge­tra­gen ha­ben, ei­nen gro­ßen An­teil an der For­mie­rung ih­res po­li­ti­schen Ein­flus­ses und am so­li­da­ri­schen ,Gezi Spi­rit‘ hat­ten so­wie auch die in­ter­na­ti­o­nale Sicht­bar­keit der Pro­teste for­cier­ten. Alt­be­kann­tes neu zu emp­fin­den, zu den­ken und aus­zu­spre­chen, er­for­dert neue äs­the­ti­sche For­men, neue Re­prä­sen­ta­ti­ons­wei­sen und neue Stra­te­gien. Des­ halb sind künst­le­ri­sche und kul­tu­relle Prak­ti­ken und Pro­duk­ti­o­nen eine wich­tige Res­source für In­ter­ven­ti­o­nen in kom­p­lexe Öf­fent­lich­kei­ten. Sie sind in­te­g­ra­ler Be­stand­teil von so­zi­a­len Be­we­gun­gen und Ge­gen­öf­fent­lich­kei­ten. Um diese Er­ kennt­nisse in der Öf­fent­lich­keits­for­schung pro­duk­tiv – im Sinne der die Er­öff­ nung von Ver­än­de­rungs­mög­lich­kei­ten – zu nut­zen, ist ein Zu­sam­men­den­ken von künst­le­risch-kul­tu­rel­len und wis­sen­schaft­li­chen An­sät­zen not­wen­dig. In den künst­le­ri­schen Pro­duk­ti­o­nen, die die Ge­zi-Park-Pro­teste über­dau­ert ha­ ben, auch in den Pu­b­li­ka­ti­o­nen da­zu, drückt sich eine hei­ter-ge­las­sene Auf­bruch­ stim­mung und eine so­li­da­ri­sche Pro­test­i­den­ti­tät aus, die im schar­fen Kon­trast zu den im­mer stär­ke­ren Re­pres­si­o­nen und den Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen der AKP-Regierung steht. Es gibt Me­di­en, künst­le­ri­sche Pro­jekte und ak­ti­vis­ti­sche 7 Eine eng­li­sche Kurz­be­schrei­bung fin­det sich auf der Web­site Ko­laj Art.

Die Be­deu­tung von Kunst und Kul­tur in Ge­gen­öf­fent­lich­kei­ten

Grup­pen, die trotz­dem und un­ter gro­ßen Ge­fah­ren wei­ter­ar­bei­ten und die Er­in­ne­ rung an Gezi wachhalten, wie etwa Mor Çatı (vgl. Website), die sich für Frau­en­ rechte ein­setzt und jene un­ter­stützt, die Op­fer von Ge­walt wur­den. Die po­li­ti­schen Ent­wick­lun­gen in der Tür­kei zei­gen je­doch deut­lich, wie wich­tig es ist, bei der Ana­lyse von Ge­gen­öf­fent­lich­kei­ten und Pro­test­be­we­gun­gen, ebenso wie für die Frage nach der Wirk­mäch­tig­keit von künst­le­ri­schen und kul­tu­rel­len Pro­duk­ti­o­nen die ge­sell­schaft­li­chen Hie­r­ar­chien und Macht­ver­hält­nisse stets mit zu be­den­ken.

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Kul­tur­ar­beit in der ,Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft‘

Kul­tur­ar­beit in der ,Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft‘: Un­gleich­hei­ten im Kul­tur­be­trieb und An­satz­punkte für eine kri­ti­sche Neu­aus­rich­tung Anita Mo­ser

Mi­g­ra­tion be­ein­flusst un­sere Ge­sell­schaft grund­le­gend auf un­ter­schied­li­chen Ebe­nen. Sie ist ein Phä­no­men, das dazu bei­trägt, be­ste­hende Ver­hält­nis­se, Gren­ zen und Ord­nun­gen in Be­we­gung zu ver­set­zen, in­dem sie diese pro­b­le­ma­ti­siert, ir­ri­tiert und Ver­än­de­run­gen ein­for­dert (vgl. Me­che­ril 2016b). Dies lässt sich auch in Be­zug auf den Kul­tur­be­trieb des deutsch­spra­chi­gen Raums fest­stel­len. Glo­ bale Mi­g­ra­ti­o­nen – ins­be­son­dere Be­we­gun­gen wie der ,Som­mer der Mi­g­ra­ti­on‘ 2015 – ma­chen wie durch eine Linse Ras­sis­men und asym­me­t­ri­sche Macht-, Teil­ha­be- und Re­prä­sen­ta­ti­ons­ver­hält­nisse sicht­bar, die die­ses Feld kenn­zeich­ nen: Zum ei­nen feh­lende Di­versi­tät und eine weiße1 Do­mi­nanz auf al­len Ebe­nen – also auf je­ner des Ma­na­ge­ments, der in­halt­li­chen Aus­rich­tun­gen und Pro­ duk­ti­o­nen, des Pu­b­li­kums so­wie der kul­tur­po­li­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­ger_in­ nen –, die mit dem Aus­schluss Nicht-Wei­ßer als Sub­jekte mit ei­ge­nen Stim­men, Per­spek­ti­ven und Hand­lungs­wei­sen ein­her­geht. Zum an­de­ren die Ad­res­sie­rung nicht-wei­ßer Kunst- und Kul­tur­pro­du­zent_in­nen so­wie -re­zi­pi­ent_in­nen in tem­ po­rä­ren Son­der­pro­gram­men, oft in Zu­sam­men­hang mit de­ren Re­duk­tion auf be­ stimmte The­men (wie Mi­g­ra­ti­on, Hei­mat oder Kul­tur) und ei­ner Fest­schrei­bung als ,An­de­re‘. Ob­wohl Mi­g­ra­tion eine uni­ver­selle mensch­li­che Pra­xis dar­stellt, die un­sere Ge­sell­schaft seit lan­gem ent­schei­dend prägt, er­weist sich das Feld von Kunst und Kul­tur als über­aus re­sis­tent ge­gen­ü­ber Ver­än­de­run­gen und (re-)pro­du­ziert he­ge­ mo­ni­ale Un­gleich­heits­ver­hält­nisse kon­ti­nu­ier­lich mit. So steht die­ser im deutsch­ spra­chi­gen Raum maß­geb­lich über öf­fent­li­che Gel­der fi­nan­zierte und po­li­tisch

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Der Be­griff weiß, klein und kur­siv ge­schrie­ben, ist – wie er im vor­lie­gen­den Text ver­ wen­det wird – ein von Schwar­zen The­o­re­ti­ker_in­nen ent­wi­ckel­ter ana­ly­ti­scher Be­griff, um struk­tu­rell ver­an­kerte weiße Do­mi­nanz- und Macht­ver­hält­nisse und da­mit ver­bun­ dene Pri­vi­le­gien und Ras­sis­men zu be­zeich­nen (vgl. Ku­ria 2015).

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ge­steu­erte Be­reich auch im Wi­der­spruch zu ei­ner de­mo­kra­ti­schen Kul­tur­po­li­tik (vgl. Mo­kre 2005), de­ren Auf­gabe es ist, Kunst und Kul­tur der­ge­stalt zu fo­kus­ sie­ren und zu för­dern, dass die Be­völ­ke­rung in ih­rer Ge­samt­heit und Di­versi­tät da­rin re­prä­sen­tiert und hand­lungs­fä­hig ist. Dies müsste ge­rade auch die um­fas­sen­ de, nicht zu­letzt fi­nan­zi­elle För­de­rung mi­no­ri­sier­ter und von (bil­dungs­be­zo­ge­nen, so­zi­a­len, öko­no­mi­schen etc.) Aus­schlüs­sen be­trof­fe­ner Per­so­nen, künst­le­ri­scher Per­s­pek­ti­ven und Prak­ti­ken zur Folge ha­ben, was in wei­te­rer Kon­se­quenz grö­ßere Ver­tei­lungs­ge­rech­tig­keit und He­te­ro­ge­ni­tät im künst­le­risch-kul­tu­rel­len Feld be­ deu­ten wür­de. Ein sol­cher­ma­ßen (neu) aus­ge­rich­te­ter Kul­tur­be­trieb könnte wich­ tige Im­pulse für an­dere ge­sell­schaft­li­che Fel­der set­zen. Wo muss an­ge­setzt wer­den, da­mit sich die ,Nor­ma­li­tät‘ mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­ schaft­li­cher Viel­heit2 im Kunst- und Kul­tur­be­trieb durch­setzt? Und zwar in dem Sinn, dass sie nicht nur the­ma­tisch, tem­po­rär und ober­fläch­lich ,in­te­g­riert‘ wird, son­dern als Trans­for­ma­tion3 in Ge­stalt ei­ner tie­fer ge­hen­den struk­tu­rel­len Ver­ än­de­rung auf un­ter­schied­li­chen Ebe­nen statt­fin­det? Die­ser Frage geht der vor­ lie­gende Bei­trag nach. Dazu werde ich ein­gangs das Feld des Kul­tur­be­triebs im deutsch­spra­chi­gen Raum kurz um­rei­ßen und die wich­tigs­ten As­pekte in Be­zug auf Aus­schlüsse im Kon­text mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft­li­cher Ent­wick­lun­gen dar­stel­len. An­schlie­ßend wird das Kon­zept der ,Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft‘ und des­sen Potenzial in Hin­blick auf eine kri­ti­sche Aus­ei­n­an­der­set­zung mit dem Kul­tur­be­trieb dis­ku­ tiert, um im letz­ten Ab­schnitt kon­krete An­satz­punkte für des­sen mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­ schaft­li­che Neu­aus­rich­tung he­r­aus­zu­ar­bei­ten.

2 Mark Ter­kes­si­dis (2017) spricht all­ge­mein in Be­zug auf In­sti­tu­ti­o­nen und Ein­rich­tun­ gen in der „Ein­wan­de­rungs­ge­sell­schaft“ von „Viel­heits­plä­nen“ (ebd.: 42 ff.), die in un­ se­rer Ge­sell­schaft der Viel­heit zu ent­wi­ckeln sei­en, um ei­nen Per­s­pek­ti­ven­wech­sel und eine Neu­jus­tie­rung der Or­ga­ni­sa­ti­o­nen zu be­werk­stel­li­gen. Mi­g­ra­tion sieht er da­bei als „eine Art Pas­se­par­tout“ (ebd.: 9), um zahl­rei­che grund­sätz­li­che As­pekte des Wan­dels zu dis­ku­tie­ren. 3 Der Be­griff der Trans­for­ma­tion taucht seit ei­ni­gen Jah­ren ver­stärkt im Zu­sam­men­hang mit Kunst und Kul­tur auf und wird aus un­ter­schied­li­chen Per­s­pek­ti­ven im Kon­text von demografischem Wan­del, Di­gi­ta­li­sie­rung etc. the­ma­ti­siert, un­ter an­de­rem in Be­ zug auf Kulturmangement und -po­li­tik (vgl. Kno­blich 2018; Kol­land 2016; Sie­vers/ Föhl/Kno­blich 2016; Föhl/Wolf­ram/Pe­per 2016; Föhl/Sie­vers 2015), Mu­se­o­lo­gie (vgl. CAR­MAH 2018), kri­ti­sche Kunst­ver­mitt­lung (vgl. Mörsch 2009; Set­te­le/Mörsch 2012) oder im Zu­sam­men­hang mit Ne­o­li­be­ra­lis­mus, Kul­tur­in­dus­t­rie und künst­le­ri­scher Kri­tik (vgl. Rau­nig/Wug­ge­nig 2016 [2007]).

Kul­tur­ar­beit in der ,Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft‘

T rends im K ul­tur ­b e ­trie b : M i ­g ­ra­ti on als  T he ­m en ­lie ­fe ­ran ­tin und M i g ­ rant ­ _ in ­nen als  , target   group ‘ Der Kul­tur­be­trieb des deutsch­spra­chi­gen Raums ist ein kom­p­le­xes Feld aus ein­ zel­nen Kul­tur­ein­rich­tun­gen und -pro­jek­ten, de­ren Ak­teur_in­nen (wie Künst­ler_ in­nen, Kul­tur­ma­na­ger_in­nen, Ku­ra­tor_in­nen etc.), Ver­mitt­lungs­in­stan­zen so­wie kul­tur­po­li­ti­schen Rah­men­be­din­gun­gen (vgl. Zem­by­las 2004; Hein­richs 2006). In Be­zug auf die Trä­ger_in­nen­schaft kann zwi­schen öffentlich-rechtlichen bzw. staat­li­chen In­sti­tu­ti­o­nen, im Pro­fit-Be­reich an­zu­sie­deln­den pri­vat­recht­lich-kom­ mer­zi­el­len Ein­rich­tun­gen so­wie dem pri­vat­recht­lich-ge­mein­nüt­zi­gen Sek­tor un­ ter­schie­den wer­den. Letz­te­rer ge­hört zum Non-Pro­fit-Be­reich und wird häu­fig un­ter dem Be­griff der freien Sze­ne/n sub­su­miert (vgl. Mo­ser 2015). Misch­for­ men so­wie viel­fäl­tige Über­schnei­dun­gen und ge­gen­sei­tige Be­ein­flus­sun­gen kenn­ zeich­nen die drei Be­rei­che. Die we­sent­lichs­ten Un­ter­schiede las­sen sich in Be­zug auf de­ren kul­tur­po­li­ti­sche Ab­si­che­rung und Fi­nan­zie­rung aus­ma­chen, wo­bei eta­ b­lierte staat­li­che Ein­rich­tun­gen in ei­ner deut­lich pri­vi­le­gier­te­ren Si­tu­a­tion als die chro­nisch un­ter­fi­nan­zier­ten frei pro­du­zie­ren­den Künst­ler_in­nen, Kol­lek­tive und In­i­ti­a­ti­ven sind. Cha­rak­te­ris­tisch für die freie Kul­tur­ar­beit – ent­stan­den in den 1970er Jah­ren aus dem Be­dürf­nis nach Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on, in­halt­li­cher Un­ab­hän­ gig­keit und der Ent­wick­lung ei­ner ei­ge­nen So­zi­o­kul­tur – sind ein ge­sell­schafts­ kri­ti­sches Selbst­ver­ständ­nis und oft auch un­kon­ven­ti­o­nel­lere Zu­gänge (vgl. ebd.; Mo­ser 2016). Seit ei­ni­gen Jah­ren fin­den im Kul­tur­be­trieb – und ver­stärkt im Kon­text der Flucht­be­we­gun­gen von 2015 – Aus­ei­n­an­der­set­zun­gen mit Fra­gen der ,In­te­g­ra­ti­ on‘ und zur ,in­ter­kul­tu­rel­len Öff­nung‘ von Ein­rich­tun­gen statt. Da­bei sind zwei Phä­no­mene vor­herr­schend: Zum ei­nen die Fo­kus­sie­rung auf Mi­g­rant_in­nen4 als potenzielles Pu­b­li­kum samt Um­set­zung ent­spre­chen­der Au­dien­ce-De­ve­lop­mentStra­te­gien, zum an­dern der zu­neh­mende Ein­be­zug von (glo­ba­ler) Mi­g­ra­tion und da­mit in Ver­bin­dung ste­hen­der In­halte als Thema in Kul­tur­in­sti­tu­ti­o­nen und Aus­ stel­lungs­pro­jek­ten. So wer­den seit den 1990er Jah­ren in Eu­ropa zu­neh­mend Aus­stel­lun­gen durch­ge­führt, die auf die Über­win­dung eu­ro­zen­t­ris­ti­scher Per­s­pek­ti­ven in der west­li­chen Kunst ab­zie­len, in Ös­ter­reich etwa die im Rah­men des stei­ri­schen herbst 96 ent­wi­ckelte Aus­stel­lung In­klu­sion : Ex­klu­si­on. Kunst im Zeit­al­ter von 4 Auf die Pro­b­le­ma­tik die­ses Be­griffs gehe ich an spä­te­rer Stelle ein. Im vor­lie­gen­den Text wird be­wusst auf eine Un­ter­schei­dung zwi­schen Mi­g­rant_in­nen und Ge­flüch­te­ten ver­zich­tet, da diese Ka­te­go­rien ei­nen Dis­kurs der Un­ter­schei­dung zwi­schen be­rech­tig­ ter und nicht be­rech­tig­ter Mi­g­ra­ti­on, not­wen­di­ger Flucht (von ,Kriegs­flücht­lin­gen‘) und we­ni­ger zwin­gen­der Flucht (von ,Wirt­schafts­flücht­lin­gen‘) stüt­zen.

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Post­ko­lo­ni­a­lis­mus und glo­ba­ler Mi­g­ra­tion, die den „Ver­such ei­ner neuen kul­tu­ rel­len Kartografie“ (Wei­bel 1997: Klap­pen­text) un­ter­nahm. Auch die Bi­en­nale der zeit­ge­nös­si­schen Kunst in Lyon (2000) oder die in Köln 1999/2000 ge­zeigte Groß­aus­stel­lung Kunst­wel­ten im Di­a­log – Von Gau­guin zur glo­ba­len Ge­gen­wart woll­ten nicht-west­li­che Kunst in den Fo­kus rü­cken. Da­bei wurde das ,An­de­re‘ an­ge­eig­net, prä­sen­tiert und am Kunst­markt po­si­ti­o­niert, ohne die ei­ge­nen In­sti­tu­ ti­o­nen und de­ren Ver­stri­ckung in (post-)ko­lo­ni­a­lis­ti­sche Macht­be­zie­hun­gen kri­ tisch zu hin­ter­fra­gen, nicht-weiße Künst­ler_in­nen und Kul­tur­schaf­fende als Ex­ pert_innen und Ent­schei­dungs­trä­ger_in­nen ein­zu­be­zie­hen oder ih­nen über­haupt das Feld zu über­las­sen. Bei al­lem En­ga­ge­ment ze­men­tie­ren der­ar­tige Pro­jekte die weiße Vor­herr­schaft und Per­s­pek­tive im west­li­chen Kunst­be­trieb (vgl. Mi­cos­séAi­kins 2011). Seit rund fünf­zehn Jah­ren wer­den im deutsch­spra­chi­gen Raum die ras­sis­ti­ schen Aus­schlüsse von In­sti­tu­ti­o­nen und de­ren Rolle als „Kon­ser­ven des Ko­lo­ni­ a­lis­mus“ (Kra­vagna 2009) kri­tisch durch­leuch­tet (vgl. für Ös­ter­reich u. a. Mut­ten­ tha­ler/Wo­nisch 2006; Ka­zeem/Mar­tinz-Tu­rek/Stern­feld 2009). In­halt­lich wer­den diese Dis­kus­si­o­nen an­satz­weise in Samm­lungs­tä­tig­kei­ten von (eth­no­lo­gi­schen) Mu­se­en, Aus­stel­lungs­the­o­rien und -prak­ti­ken auf­ge­nom­men, we­ni­ger je­doch in Hin­blick auf die Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren der Kul­tur­be­trie­be. Umso wich­ti­ger sind da­her Aus­nah­me­er­eig­nisse wie 2002 die documenta 11, die mit dem in Nigeria geborenen Kurator Okwui Enwezor erstmals von einem Nichteuropäer geleitet wurde. Enwe­zor voll­zog ei­nen Per­s­pek­ti­ven­wech­sel in­ner­halb der re­nom­mier­ten Groß­aus­stel­lung, in­dem er fünf Platt­for­men in ver­schie­de­nen Erd­tei­len in­stal­lierte – Kas­sel war eine da­von –, da­bei Kunst mit an­de­ren Wis­sens­sys­te­men ver­band und so Hier­ar­chien und Aus­schlüsse der west­li­chen eu­ro­zen­t­ris­ti­schen Sicht auf Kunst hin­ter­fragte und de­kon­s­t­ru­ier­te. Seit den 2000er Jah­ren fin­det Mi­g­ra­tion – ins­be­son­dere die Ge­schichte der Ar­ beits­mi­g­ra­tion – als all­tags­kul­tu­rel­les Thema ver­mehrt Ein­gang in In­sti­tu­ti­o­nen. Ex­pert_in­nen stel­len ei­nen Boom von Mi­g­ra­ti­ons­aus­stel­lun­gen (vgl. Wo­nisch 2012: 14) fest, der durch­aus kri­tisch zu se­hen ist. Häu­fig wer­den die Aus­stel­lun­ gen ohne oder mit le­dig­lich mar­gi­na­ler Ein­bin­dung von Mi­g­rant_in­nen kon­zi­piert und um­ge­setzt und ein en­ger Fo­kus auf ,die‘ Kul­tur ,der‘ Mi­g­rant_in­nen oder die Prä­sen­ta­tion ent­kon­text­ua­li­sier­ter, kli­schee­haf­ter Ob­jekte ge­legt. Eine viel be­ach­tete Aus­nahme ist die von dem ehe­ma­li­gen ,Gast­ar­bei­ter‘ Ce­ma­let­tin Efe in­i­ti­ierte und 2004 von der In­i­ti­a­tive Min­der­hei­ten in Ko­o­pe­ra­tion mit dem Wien Mu­seum re­a­li­sierte Aus­stel­lung Gast­ar­baj­teri – 40  Jahre Ar­beits­mi­g­ra­tion (vgl. Gür­ses/Ko­goj/Mattl 2004). Die im in­ter­dis­zi­p­li­nä­ren Team, dem un­ter an­de­ren Ar­beits­mi­g­rant_in­nen und An­ti­ras­sis­mus-Ak­ti­vist_in­nen an­ge­hör­ten, um­ge­setzte Aus­stel­lung er­zählte Ar­beits­mi­g­ra­ti­ons­ge­schich­ten selbst­be­stimmt aus der Per­ s­pek­tive von Mi­g­rant_in­nen und mit Fo­kus auf so­zi­ale und po­li­ti­sche Fra­gen. Erst­mals fand das Thema da­mit in Ös­ter­reich Ein­gang in eine Kul­tur­in­sti­tu­ti­on.

Kul­tur­ar­beit in der ,Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft‘

Die spe­zi­fi­schen Ent­ste­hungs- und Um­set­zungs­be­din­gun­gen der als „Gegener­ zählung“ zum ös­ter­rei­chi­schen Mi­g­ra­ti­ons­dis­kurs kon­zi­pier­ten Aus­stel­lung (vgl. Böse 2005) hat­ten zur Fol­ge, dass sie auch von (e­he­ma­li­gen) Ar­beits­mi­g­rant_in­ nen stark be­sucht wur­de. Die im Kon­text des Pro­jekts in Be­zug auf in­halt­li­che und or­ga­ni­sa­to­ri­sche Fra­gen ent­wi­ckelte breite Ex­per­tise wurde und wird im Kul­ tur­be­trieb je­doch kaum auf­ge­nom­men. Auch Mi­g­ra­tion als Quer­schnitts­ma­te­rie in den Dau­er­aus­stel­lun­gen der Mu­seen und als selbst­ver­ständ­li­cher Teil ös­ter­ rei­chi­scher Er­in­ne­rungs­kul­tur ist nach wie vor sel­ten sicht­bar (vgl. Hin­ter­mann 2012: 137). Ähn­lich wie in Be­zug auf ,Mi­g­ra­ti­ons­aus­stel­lun­gen‘ lässt sich ein An­stieg von In­i­ti­a­ti­ven und the­o­re­ti­schen Aus­ei­n­an­der­set­zun­gen zur Schaf­fung von Zu­ gän­gen ,für Mi­g­rant_in­nen‘ be­o­b­ach­ten. Eine ste­tig wach­sende Zahl an Au­dien­ ce-De­ve­lop­ment-Stu­dien be­schäf­tigt sich mit der Frage nach Mi­g­rant_in­nen als (feh­len­des) Pu­b­li­kum im Kul­tur­be­trieb (vgl. u. a. All­man­rit­ter 2017, 2016, 2009; All­man­rit­ter/Sie­ben­haar 2010; Haus­mann/Kör­ner 2009; Man­del 2017 [2016], 2016a, 2016b, 2013). Da­bei bil­den mit­un­ter wirt­schaft­li­che Fra­ge­stel­lun­gen den Aus­gangs­punkt und es wird pri­mär aus ei­ner öko­no­misch gut si­tu­ier­ten, bil­dungs­ bür­ger­li­chen wei­ßen Per­s­pek­tive der Mehr­heits­ge­sell­schaft so­wie aus der Lo­gik des Kul­tur­be­triebs he­r­aus ar­gu­men­tiert. In­dem Mi­g­rant_in­nen als (meist ho­mo­ ge­ne, mit­un­ter de­fi­zi­tä­re) ,target group‘ kon­s­t­ru­iert wer­den, wird zu­sätz­lich zur Re­pro­duk­tion dis­kri­mi­nie­ren­der Fest­schrei­bun­gen ein hie­r­ar­chi­sches Ver­hält­nis zwi­schen der sich ver­meint­lich öff­nen­den Ein­rich­tung und den er­war­te­ten Be­su­ cher_in­nen her­ge­stellt. Aus­gangs­punkt von Au­dien­ce-De­ve­lop­ment-Zu­gän­gen und Pra­xis­leit­fä­den zur Öff­nung von Kul­tur­ein­rich­tun­gen bil­den häu­fig Kon­zepte von ,In­te­g­ra­ti­on‘, ,In­ter­kul­tur­ali­tät‘ und des ,in­ter­kul­tu­rel­len Di­a­logs‘. Es han­delt sich da­bei um An­sät­ze, die María do Mar Cas­tro Va­rela (2002) als hie­r­ar­chi­sche, Macht er­hal­ tende und aus­gren­zende Dis­kurse be­zeich­net, die haupt­säch­lich von Mehr­heits­ an­ge­hö­ri­gen kon­zi­piert und ge­lei­tet wer­den, kul­tur­ali­sie­rend auf kul­tur­spe­zi­fi­ sche Pa­tent­re­zepte zu­rück­grei­fen und in­ter­kul­tu­relle Kom­pe­tenz „vor al­lem als Kon­flikt­ver­mei­dungs- oder -be­wäl­ti­gungs­kon­zept“ ver­ste­hen (ebd.: 38).5 Neu­ere

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Kri­tik­punkte die­ser Art for­mu­lierte bei­spiels­weise auch das Bünd­nis kri­ti­scher Kul­tur­ prak­ti­ker*in­nen be­züg­lich der Ta­gung Mind the Gap! – Zu­gangs­bar­ri­e­ren zu kul­tu­rel­ len An­ge­bo­ten und Kon­zep­ti­o­nen nied­rig­schwel­li­ger Kul­tur­ver­mitt­lung (9.–10. Ja­nuar 2014, Deut­sches The­a­ter Ber­lin), wo es mit der Ak­tion Mind the Trap! in­ter­ve­nier­te. Kein_e ein­zi­ge_r selbst von Aus­schlüs­sen be­trof­fe­ne_r Wissenschaftler_in, Kul­tur­prak­ ti­ker_in oder Expert_in sei zur Ta­gung ein­ge­la­den ge­we­sen, um sich mit Aus­schlüs­ sen und Mar­gi­na­li­sie­run­gen aus eben die­ser Per­s­pek­tive kri­tisch auseinanderzusetzen. „Letzt­lich ging es, zu­ge­spitzt for­mu­liert, um die Ver­ge­wis­se­rung der ei­ge­nen Po­si­ti­on, die so lange ge­ge­ben ist, wie die ei­ge­nen Pa­ra­me­ter nicht infrage gestellt wer­den.“ (Sha­ri­fi/Sha­rifi 2014: o. S.)

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Stu­dien (vgl. u. a. Dätsch 2018) neh­men ver­stärkt den Be­griff der Trans­kul­tur­ ali­tät zum Aus­gangs­punkt. Die­ser wurde im deutsch­spra­chi­gen Raum we­sent­lich von Wolf­gang Welsch (1995) ge­prägt und setzt der Idee von ge­schlos­se­nen und ein­heit­li­chen Na­ti­o­nal­kul­tu­ren die Vor­stel­lung von durch plu­rale Iden­ti­tä­ten und Ver­mi­schung ge­kenn­zeich­ne­ten Kul­tu­ren ge­gen­ü­ber. Das Ver­hält­nis der Kul­tu­ren sei da­her nicht von Iso­lie­rung und Kon­flikt be­stimmt, son­dern von Ver­flech­tung und Durch­mi­schung (vgl. ebd.). Doch die Vor­stel­lung ver­floch­te­ner hy­b­ri­der Kul­ tu­ren, die im­mer auch im Kon­text von Macht­fra­gen the­o­re­ti­siert wer­den müs­sen (vgl. Me­che­ril/Seukwa 2006: 10), setzt wie­derum (min­des­tens zwei) Ein­zel­kul­tu­ ren vo­r­aus. Die Kri­tik am sta­ti­schen und ver­ein­heit­li­chen­den Kul­tur­be­griff führt im Trans­kul­tur­ali­täts­be­griff da­her „nicht zu ei­ner Über­win­dung, son­dern zur ,Ver­ viel­fa­chung‘ der sta­ti­schen Kul­tur“ (ebd.: 9). Wie bei in­ter­kul­tu­rel­len Zu­gän­gen wird auch im Kon­text von Trans­kul­tur­ali­tät ei­ner kul­tur­alis­ti­schen Re­duk­tion so­ zi­a­ler und po­li­ti­scher Ver­hält­nisse Vor­schub ge­leis­tet, „denn: (Trans-)Kul­tur­ali­sie­ rung bleibt Kul­tur­ali­sie­rung“ (ebd.). Es ist grund­sätz­lich wich­tig und po­si­tiv, dass im Kul­tur­be­reich seit ei­ni­gen Jah­ren ein in­ten­si­ves Nach­den­ken über die Re­duk­tion von Bar­ri­e­ren und das Schaf­fen von Zu­gän­gen statt­fin­det. Je­doch zeigt sich, dass die­ses Nach­den­ken oft­mals in ein­zel­nen künst­le­ri­schen Gen­res (wie der bil­den­den Kunst bzw. Kunst­ ver­mitt­lung) und Fach­rich­tun­gen (wie Au­dience De­velop­ment) stehenbleibt oder auch zu we­nig ra­di­kal – im ei­gent­li­chen Wort­sinn von ,an die Wur­zeln ge­hend‘ – ist. „Au­dience De­velop­ment im en­ge­ren Sinne kann Kul­tur­in­sti­tu­ti­o­nen zwar at­trak­ti­ver und re­le­van­ter für ein brei­te­res Pu­b­li­kum ma­chen“, so ein Fa­zit von Bir­git Man­del (2017 [2016]: o. S.), „je­doch nur ge­ring­fü­gig zur Ver­rin­ge­rung so­ zi­a­ler Se­lek­ti­vi­tät der Par­ti­zi­pa­tion am öf­fent­lich ge­för­der­ten Kul­tur­an­ge­bot bei­ tra­gen“. Ob­wohl Mi­g­ra­tion sämt­li­che Be­rei­che des ein­gangs skiz­zier­ten Kul­tur­be­ triebs tan­giert, wer­den Fra­gen zu des­sen ent­spre­chen­der Ad­ap­tie­rung pri­mär in Be­zug auf Kul­tur­ver­an­stal­ter_in­nen – und nicht etwa auf kul­tur­po­li­ti­sche Be­hör­ den und ihre Ak­teur_in­nen – ab­ge­han­delt. Der Fo­kus der do­mi­nie­ren­den Phä­no­ mene ,Mi­g­ra­tion als The­ma‘ und ,Mi­g­rant_in­nen als ,target group‘‘ rich­tet sich auf Pro­gramme und Pu­blika von Kul­tur­be­trie­ben. Die Ebene des Per­so­nals – ne­ben Pro­gramm und Pu­b­li­kum ein drit­ter zen­t­ra­ler Be­reich in Or­ga­ni­sa­ti­o­nen, in dem Viel­heit um­zu­set­zen ist (vgl. u. a. Man­del 2016b; Schauws 2016; Mi­nis­te­rium für Wis­sen­schaft, For­schung und Kunst Ba­den-Würt­tem­berg 2015) – wird mar­gi­nal the­ma­ti­siert und da­mit ebenso we­nig die Fra­gen der De­fi­ni­ti­ons- und Ent­schei­ dungs­macht in ei­nem Kul­tur­be­trieb. Die De­fi­zite und Potenziale der freien Sze­nen so­wie Wech­sel­wir­kun­gen zwi­schen die­sen und eta­b­lier­ten In­sti­tu­ti­o­nen blei­ben eben­falls häu­fig un­be­rück­sich­tigt. Ana­ly­sen, die die In­sti­tu­tio­nen­land­schaft und ihre Aus­gren­zungs­dy­na­mi­ken ganz­heit­lich kri­tisch be­trach­ten und da­r­auf ba­sie­ rende um­fas­sende Maß­nah­men, die bis dato un­ter­re­prä­sen­tierte Per­so­nen und

Kul­tur­ar­beit in der ,Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft‘

Grup­pen als Ak­teur_in­nen des Kul­tur­be­triebs und selbstorganisierter Ein­rich­tun­ gen för­dern, sind nach wie vor eher sel­ten zu fin­den. Staat­li­che Ein­rich­tun­gen wie die im Ap­ril 2017 vom Ber­li­ner Se­nat ge­grün­dete Kon­zep­ti­ons- und Be­ra­tungs­ stelle für Di­versi­täts­ent­wick­lung im Kul­tur­be­trieb, Di­ver­sity Arts Cul­ture6, sind im deutsch­spra­chi­gen Raum die Aus­nahme und feh­len in Ös­ter­reich gänz­lich.

D as K on ­zept der ,M i ­g ­ra­ti ­o ns ­ge ­sell ­schaft ‘ als   kri ­ti ­sche P er ­s ­pek ­ti ve auf U n ­gleich ­hei ­ten In den letz­ten Jah­ren bil­de­ten sich kon­ti­nu­ier­lich Per­s­pek­ti­ven he­r­aus, die Mi­ g­ra­ti­ons­for­schung als „of­fe­nes Pro­jekt der Kri­tik“ (Me­che­ril et al. 2013: 41) ver­ste­hen (vgl. u. a. Web­site For­schungs­gruppe [KriMi]; Web­site Krit­net). Ei­nen kri­ti­schen An­satz ver­tritt etwa die maß­geb­lich im Kul­tur­be­reich – und zwar vor al­lem in dem trans­dis­zi­p­li­nä­ren Pro­jekt Mi­g­ra­tion7 – ent­wi­ckelte ,Per­s­pek­tive der Mi­g­ra­ti­on‘. Da­r­un­ter ist nicht (pri­mär) die Sicht­weise ein­zel­ner Mi­g­rant_in­ nen zu ver­ste­hen, son­dern viel­mehr eine (For­schungs-)Hal­tung, die mit gän­gi­gen Dis­kur­sen und Be­bil­de­run­gen von Mi­g­ra­tion bricht und „Mi­g­ra­tion als con­di­tio hu­mana, als eine to­tale so­zi­ale Tat­sa­che und als ge­sell­schafts­ver­än­dernde Kraft epis­te­mo­lo­gisch und me­tho­do­lo­gisch auf­greift“ (Hess 2013: 118, Herv. i. O.). Mi­g­ra­tion wird da­bei als Be­we­gung ver­stan­den, die na­ti­o­nal­staat­lich fun­dierte Kon­zep­ti­o­nen (wie Staats­bür­ger­schaft) he­r­aus­for­dert, so­wie als eine wi­der­stän­ di­ge, bis zu ei­nem ge­wis­sen Grad au­to­nome Pra­xis, die von selbst­be­stimmt han­deln­den Sub­jek­ten ge­tra­gen und nur be­grenzt steu­er- und re­gier­bar ist (vgl. Mez­za­dra 2005; Bojadžijev/Ka­ra­kayali 2007). Un­ter die­ser Per­s­pek­tive wird bei­ spiels­weise das Potenzial des ,Som­mers der Mi­g­ra­ti­on‘ als fun­da­men­tale Kri­tik an Grenzregimen und als ein tem­po­rä­res Aus­set­zen und Über­win­den die­ser ana­ ly­siert (vgl. Hess et al. 2016). Die ge­sell­schafts­bil­dende und -ver­än­dernde Kraft von Mi­g­ra­tion steht auch im Zen­t­rum des Kon­zepts der ,Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft‘, wie es ins­be­son­dere im er­zie­ hungs­wis­sen­schaft­li­chen Kon­text ge­prägt und vom Bil­dungs- und Mi­g­ra­ti­ons­for­ 6 Er­klär­tes Ziel die­ser – u. a. aus ak­ti­vis­ti­schen und an­de­ren In­i­ti­a­ti­ven ver­schie­de­ner Ak­teur_in­nen des Ber­li­ner Kul­tur­be­triebs her­vor­ge­gan­ge­nen – Ein­rich­tung ist das In­ i­ti­ie­ren ei­nes di­ver­si­täts­orien­tie­ren Struk­tur­wan­dels. Die Ar­beit um­fasst die Be­ra­tung von Kul­tur­in­sti­tu­ti­o­nen, Qualifizierungsangebote für Kul­tur­schaf­fen­de, die Stär­kung un­ter­re­prä­sen­tier­ter Künst­ler_in­nen und Kul­tur­schaf­fen­der durch Emp­ower­ments­tra­te­ gien, die Un­ter­stüt­zung der Kul­tur­ver­wal­tung in ih­rer di­ver­si­täts­orien­tier­ten Aus­rich­ tung so­wie die Er­he­bung von Gleich­stel­lungs­da­ten für den Ber­li­ner Kul­tur­be­trieb (vgl. Web­site Ber­li­ner Pro­jekt­büro für Di­versi­täts­ent­wick­lung Di­ver­sity Arts Cul­ture). 7 Das Pro­jekt wurde von 2002 bis 2006 im Köl­ni­schen Kunst­ver­ein durch­ge­führt. Der da­bei ent­stan­dene Ka­ta­log be­in­hal­tet ne­ben der um­fang­rei­chen Do­ku­men­ta­tion grund­ le­gende the­o­re­ti­sche Texte dazu (vgl. Köl­ni­scher Kunst­ver­ein et al. 2005).

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scher Paul Me­che­ril in Hin­blick auf die Rolle von Bil­dungs­pro­zes­sen und -in­sti­ tu­ti­o­nen grund­le­gend the­o­re­ti­siert wur­de. Mi­g­ra­tion präge un­sere so­zi­ale Re­a­li­tät auf spe­zi­fi­sche Art und in ei­nem der­art ent­schei­den­den Aus­maß – so die Grund­an­ nahme –, dass der Be­griff der „Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft“ die ad­ä­quate Be­zeich­nung für die ge­gen­wär­tige Ge­sell­schaft sei (vgl. Bro­den/Me­che­ril 2007: 7). Der da­von ab­zu­gren­zende häu­fig ver­wen­dete Be­griff „Ein­wan­de­rungs­ge­sell­schaft“ greife in­ so­fern zu kurz, als er auf den Na­ti­o­nal­staat als Con­tai­ner so­wie da­mit zu­sam­men­ hän­gende Ein­wan­de­rungs­phä­no­mene re­fe­ren­ziert und da­bei eine Reihe zen­t­ra­ler As­pekte von Mi­g­ra­tion (wie etwa Mehr­fach-Zu­ge­hö­rig­kei­ten, trans­na­ti­o­nale Le­ bens­wel­ten etc.) aus­ge­blen­det blei­ben (vgl. ebd.). Die Per­s­pek­tive der ,Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft‘ blickt auf die Ge­sell­schaft als Gan­zes – und nicht auf ima­gi­nierte Grup­pen oder ein­zelne Mi­g­rant_in­nen – und auf ein brei­tes Spek­t­rum von Wan­de­rungs­phä­no­me­nen so­wie mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­ schaft­li­chen Ver­än­de­run­gen. Dazu zäh­len bei­spiels­weise neue (Selbst-)Ver­or­tun­ gen und Hand­lungs­for­men, hy­b­ride trans­na­ti­o­nale Iden­ti­tä­ten und Räu­me, Kon­s­ t­ruk­ti­o­nen von Fremd­heit, ras­sis­ti­sche Pro­zesse und Struk­tu­ren, so­zi­ale Ein- und Aus­gren­zung so­wie re­al­po­li­ti­sche wie sym­bo­li­sche Grenz­zie­hun­gen und -ü­ber­ schrei­tun­gen. Zen­t­ra­ler Aus­gangs­punkt ist die An­nah­me, dass Er­fah­run­gen in der Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft in ei­ner be­deut­sa­men Weise von Zu­ge­hö­rig­keits­ord­nun­ gen struk­tu­riert wer­den, wo­bei „Zu­ge­hö­rig­keit“ eine Re­la­tion zwi­schen ei­nem In­ di­vi­duum und ei­nem so­zi­a­len Kon­text kenn­zeich­net, in wel­chem Prak­ti­ken und Kon­zepte der Un­ter­schei­dung von „zu­ge­hö­rig“ und „nicht-zu­ge­hö­rig“ kons­ti­tu­tiv sind (vgl. Me­che­ril 2012b: 26). Es gilt offenzulegen, dass mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft­ li­che Zu­ge­hö­rig­keit ent­lang ver­schie­de­ner Ka­te­go­rien wie Eth­ni­zi­tät, Na­ti­o­na­li­tät, Re­li­gion etc. und durch die bi­näre Un­ter­schei­dung zwi­schen Grup­pen von (ei­nem als Nor­ma­li­tät ge­setz­ten wei­ßen) ,Wir‘ und (ei­nem häu­fig ab­ge­wer­te­ten ,an­de­ ren‘) ,Nicht-Wir‘ her­ge­stellt wird. Diese Herr­schafts­pra­xis des ins­be­son­dere in den Cul­tu­ral und Post­co­lo­nial Stu­dies the­o­re­ti­sier­ten ,Ot­he­ring‘ (vgl. Said 1978; Spi­vak 1985; Hall 1997) ist eng mit Re­prä­sen­ta­ti­o­nen ver­knüpft. Eine Viel­zahl von Be­schrei­bun­gen, Sym­bo­len und Dar­stel­lun­gen gibt über (na­tio-eth­no-kul­tu­ rel­le) Iden­ti­tät und Dif­fe­renz Aus­kunft und (re-)pro­du­ziert diese auch be­stän­dig (vgl. Bro­den/Me­che­ril 2007: 9). Die Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft ist in al­len ih­ren re­ le­van­ten Be­rei­chen – von der Kunst über Me­dien bis zum All­tags­ge­sche­hen, der Wis­sen­schaft oder der Po­li­tik – „von ei­nem Kampf um Re­prä­sen­ta­ti­o­nen cha­rak­ te­ri­siert“ (ebd.: 14). (Ethni­sier­te) Kul­tur als we­sent­li­cher und be­stim­men­der Fo­kus auf Wan­der­be­ we­gun­gen, (in­di­vi­du­el­le) Hand­lun­gen, Ein­stel­lun­gen oder Kon­flikte wird als zu ein­en­gend und un­an­ge­mes­sen kri­ti­siert, da da­durch nicht nur ste­re­o­type Zu- und Fest­schrei­bun­gen von Men­schen auf ihre an­geb­lich ,frem­de‘ Kul­tur re­pro­du­ziert wer­den, son­dern so­zi­a­le, po­li­ti­sche und struk­tu­relle Un­gleich­heits­ver­hält­nisse oft als kul­tu­relle Fra­gen bzw. Un­ter­schiede the­ma­ti­siert wer­den. Auch die Ka­te­go­rien

Kul­tur­ar­beit in der ,Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft‘

,Mi­g­rant_in‘ oder ,Mi­g­ra­ti­ons­hin­ter­grund‘ werden als zu pro­b­le­ma­ti­sie­rende Zu­ schrei­bungen auf­ge­fasst, da sie enorm ver­kür­zend sind und viel­fäl­ti­ge, kom­p­lexe Fa­cet­ten von Iden­ti­tät aus­blen­den. Un­ter­su­chun­gen zei­gen an­de­rer­seits, dass ,Mi­ g­ra­ti­ons­hin­ter­grund‘ eine wich­tige sta­tis­ti­sche Größe im Zu­sam­men­hang mit Be­ nach­tei­li­gung bei Bil­dungs­ab­schlüs­sen, Zu­gän­gen zu obe­ren Seg­men­ten des Ar­ beits­mark­tes etc. ist, die bei Nicht­be­rück­sich­ti­gung spe­zi­fi­sche – etwa ras­sis­ti­sche – Dis­kri­mi­nie­rungs­er­fah­run­gen un­sicht­bar wer­den lässt (vgl. Ahyoud et al. 2018; Ter­kes­si­dis 2017: 45 ff.). Wich­tig ist da­her zum ei­nen, sich des re­duk­ti­o­nis­ti­schen und re­pro­du­zie­ren­den Potenzials von Ka­te­go­rien und Iden­ti­täts­zu­schrei­bun­gen so­wie der „Un­mög­lich­keit der An­er­ken­nung“ (Me­che­ril 2012b) be­wusst zu sein. Um­fas­sende An­er­ken­nung ist grund­sätz­lich un­mög­lich, denn „[d]er An­dere ist nicht an­er­kenn­bar, da der An­dere nicht er­kenn­bar ist“ (ebd.: 31). An­er­ken­nung setzt vo­r­aus, sich (u. a. vi­su­ell) in den he­ge­mo­ni­a­len Dis­kurs ein­zu­schrei­ben und des­sen dis­kri­mi­nie­rende Struk­tu­ren ein Stück weit zu re­pro­du­zie­ren (vgl. Schaf­ fer 2008). Me­che­ril be­tont die Not­wen­dig­keit ei­ner Re­fle­xion der Un­mög­lich­keit bzw. die An­er­ken­nung der Nicht-Er­kenn­bar­keit oder Un­be­stimmt­heit des An­de­ ren. Die­ses „pa­ra­doxe Mo­ment“ müsste im­mer auch ein Mo­ment all­ge­mei­ner Bil­ dung und Re­fle­xion sein (vgl. Me­che­ril 2012b: 31). We­sent­lich ist zum an­de­ren auch eine in­ter­sekt­io­nale Per­s­pek­tive auf Un­ gleich­hei­ten, die re­flek­tiert, dass Dis­kri­mi­nie­run­gen nicht iso­liert vor­kom­men, son­dern in ih­rer Ver­wo­ben­heit und Gleich­zei­tig­keit mit an­de­ren Dis­kri­mi­nie­ rungs­for­men (auf­grund von ver­mu­te­tem Ge­schlecht, se­xu­el­ler Ori­en­tie­rung, Klas­se, na­ti­o­na­ler oder kul­tu­rel­ler Zu­ge­hö­rig­keit etc.) zu ana­ly­sie­ren sind. Gen­ der und Queer Stu­dies, die He­te­ro­nor­ma­ti­vi­tät als dis­kri­mi­nie­ren­des ge­sell­schaft­ li­ches Struk­tur­prin­zip er­for­schen, so­wie In­ter­sekt­io­na­li­täts­stu­dien bil­den da­her zen­t­rale An­knüp­fungs­punkte kri­ti­scher Mi­g­ra­ti­ons­for­schung, ebenso die Cul­tu­ral Stu­dies so­wie Post­co­lo­nial und Cri­ti­cal Whi­te­ness Stu­dies, die die his­to­ri­schen Kon­ti­nui­tä­ten wei­ßer Vor­herr­schaft in (welt-)po­li­ti­schen, so­zi­a­len und Wis­sens­ zu­sam­men­hän­gen un­ter­su­chen. Das Kon­zept der ,Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft‘ be­tont auch die po­li­ti­sche oder his­ to­ri­sche Di­men­sion von her­ge­stell­ter (Nicht-)Zu­ge­hö­rig­keit, An­er­ken­nung und Re­prä­sen­ta­tion mit ih­ren nicht von­ei­n­an­der zu tren­nen­den Be­deu­tun­gen (po­li­ti­ sche) Ver­tre­tung und (sym­bo­li­sche) Dar­stel­lung. So wer­den etwa die dis­kur­si­ven und kul­tu­rel­len Kon­se­quen­zen der auf Ab­wehr ab­zie­len­den Po­li­tik des 20. Jahr­ hun­derts als Be­stand­teil heute noch be­deut­sa­mer kul­tu­rel­ler Prak­ti­ken der Kon­s­t­ ruk­tion und Be­hand­lung von „,Aus­län­der/in­nen‘, ,Mi­g­rant/in­nen‘, ,Men­schen mit Mi­g­ra­ti­ons­hin­ter­grund‘ als Fremde und ,ei­gent­lich nicht Zu­ge­hö­rige‘“ (Me­che­ril 2016a: 10) er­ach­tet. Mi­g­ra­ti­on, ver­stan­den als Phä­no­men der Be­un­ru­hi­gung (vgl. Me­che­ril 2016b), stellt das po­li­ti­sche ,Wir‘ zur Dis­kus­si­on, und zwar in Hin­blick auf die Fra­ge, wen die­ses ,Wir‘ po­li­tisch re­prä­sen­tiert, wer sich als po­li­ti­sches Sub­jekt ar­ti­ku­lie­ren kann und wer nicht. Auch die Rou­ti­nen öf­fent­li­cher In­sti­tu­

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tio­nen – etwa be­züg­lich ih­rer Spra­che – wer­den durch Mi­g­ra­tion he­r­aus­ge­for­dert, und nicht zu­letzt wird die Le­gi­ti­mi­tät in­di­vi­du­el­ler Pri­vi­le­gien in Frage ge­stellt. Was lässt sich da­r­aus nun in Be­zug auf eine kri­ti­sche Aus­ei­n­an­der­set­zung mit dem Kul­tur­be­trieb in der ,Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft‘ ab­lei­ten?

V on

der , in ­ter -/ trans ­kul­tu ­rel ­len Ö ff ­nung ‘ zu ei ­ner kri ­ti ­schen N eu­aus ­rich ­tung des K ul­tur ­b e ­trie bs Bezugnehmend auf das Kon­zept der ,Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft‘ stellt bei der Ana­ lyse des Kunst- und Kul­tur­fel­des – und zwar auf sämt­li­chen Ebe­nen – die Fo­kus­ sie­rung auf macht­volle ,Ot­he­ring‘-Pro­zesse und Ord­nun­gen, die asym­me­t­ri­sche Zu­ge­hö­rig­kei­ten her­stel­len und struk­tu­rie­ren, ei­nen wich­ti­gen Aus­gangs­punkt dar. Ein­her­ge­hend da­mit gilt es, Kul­tur­ali­sie­run­gen auf­zu­de­cken, Ka­te­go­rien und Ad­ res­sie­run­gen (wie ,Mi­g­rant_in­nen‘) kri­tisch zu re­flek­tie­ren und Dis­kri­mi­nie­run­gen in­ter­sekt­io­nal zu ana­ly­sie­ren. Ein wei­te­rer we­sent­li­cher Punkt ist, mit­zu­den­ken, dass die Her­stel­lung und Re­pro­duk­tion von Zu­ge­hö­rig­keit(-en) und Un­gleich­ hei­ten nicht un­ab­hän­gig von (Kul­tur-)Po­li­tik und ent­spre­chen­der Maß­nah­men zu se­hen ist, da diese ei­ner­seits Aus­gren­zun­gen sys­te­ma­tisch und struk­tu­rell sank­ ti­o­nie­ren, an­de­rer­seits aber auch Steu­e­rungs­in­stru­mente für Ver­än­de­run­gen sein kön­nen. Nicht zu­letzt sind die Pri­vi­le­gien der Mehr­heits­ge­sell­schaft zu the­ma­ti­ sie­ren und zu de­sta­bi­li­sie­ren so­wie kri­ti­sche Fra­gen da­hin­ge­hend zu stel­len, wer wann von wel­chen – in In­i­ti­a­ti­ven, Pro­jek­ten, Kon­zep­ten oder Maß­nah­men fest­ ge­schrie­be­nen – Ord­nun­gen pro­fi­tiert. Ana­log zu in der Mi­g­ra­ti­ons­pä­d­a­go­gik for­ mu­lier­ten Zie­len (vgl. u. a. Me­che­ril 2016b: 106) muss es auch im Kul­tur­be­trieb da­rum ge­hen, „im An­schluss an die Ana­lyse der durch Mi­g­ra­ti­ons­be­we­gun­gen deut­lich wer­den­den so­zi­a­len Ord­nun­gen und he­ge­mo­ni­a­len Ver­hält­nisse da­r­ü­ber nach­zu­den­ken, wie [P]er­spek­ti­ven und [Kul­tur]räume für alle ge­schaf­fen wer­den kön­nen. Für alle!“ (ebd.).8 Das Kon­zept der ,Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft‘ wurde im Kunst­kon­text bis­her pri­ mär im Feld der kri­ti­schen Kunst­ver­mitt­lung re­zi­piert, die sich mit Kunst und Kultur(-institutionen) als Orte von Bil­dung und Fra­gen kri­ti­scher Er­mäch­ti­gung auseinandersetzt und auf de­ren Ver­än­de­rung ab­zielt (vgl. Mörsch/Scha­de/Vö­gele 2018; ifa et al. 2012; Mörsch 2009). Aus­ge­hend von Ras­sis­mus und Aus­gren­zung als struk­tu­relle Phä­no­mene könne die „Vi­sion ei­ner Kunst­ver­mitt­lung, die Aus­ schluss­me­cha­nis­men ent­ge­gen­wirkt und Kunst­räume als Lern- und Hand­lungs­ orte ge­rade für mi­no­ri­täre Po­si­ti­o­nen nutz­bar macht, das Selbst­ver­ständ­nis von Kul­tur­in­sti­tu­ti­o­nen und Kunst­ver­mitt­lung nicht un­be­rührt las­sen“ (Mörsch 2012b: 8 Paul Me­che­ril (2016b: 106) spricht kon­kret von der Schaf­fung von „Bil­dungs­per­s­pek­ ti­ven“ und „Bil­dungs­räu­men“.

Kul­tur­ar­beit in der ,Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft‘

15). Die Trans­for­ma­tion von Kul­tur­in­sti­tu­ti­o­nen wie Mu­seen weg von bür­ger­ lich eli­tä­ren Ein­rich­tun­gen hin zu Ak­teu­rin­nen der po­li­ti­schen Do­mäne ist eine er­klärte For­de­rung kri­ti­scher Kunst­ver­mitt­lung. In Hin­blick auf „das Agie­ren ei­ ner Kunst­ver­mitt­lung in der Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft“ gehe es da­bei ei­ner­seits um die in­di­vi­du­elle Ver­ant­wor­tung der Ver­mitt­ler_in­nen, da­r­ü­ber hi­n­aus aber auch um ein kol­lek­tiv zu er­ar­bei­ten­des „in­sti­tu­ti­o­nel­les Be­wusst­sein für die Ge­schichte die­ser be­son­de­ren In­sti­tu­tion“ und die Frage des Pro­duk­tiv­ma­chens der his­to­ri­ schen Ver­ant­wor­tung für die Ge­gen­wart (ebd.: 17 f.). Für eine kri­ti­sche Ana­lyse und mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft­li­che Aus­rich­tung des Kul­tur­be­triebs gilt es, Über­le­gun­gen der kri­ti­schen Kunst­ver­mitt­lung zu be­rück­ sich­ti­gen, diese aber auch wei­ter­zu­den­ken, ins­be­son­dere in zwei Rich­tun­gen: Ers­tens sind Kon­zepte und Maß­nah­men in Be­zug auf Kul­tur­ein­rich­tun­gen nicht auf eta­b­lierte In­sti­tu­ti­o­nen zu be­schrän­ken, son­dern es soll­ten auch die frei­ en Sze­nen ad­res­siert und ein­be­zo­gen wer­den so­wie Wech­sel­wir­kun­gen zwi­schen den Fel­dern un­ter­sucht wer­den. Denn der ge­mein­nüt­zige dritte Sek­tor ist ge­nauso wie die gro­ßen In­sti­tu­ti­o­nen von Ras­sis­men und Un­gleich­hei­ten durch­zo­gen, die es auf­zu­zei­gen gilt. Gleich­zei­tig gibt es je­doch ge­rade in der freien Kul­tur­ar­ beit zahl­rei­che Ein­rich­tun­gen und Pro­jek­te, die über viel Ex­per­tise in Be­zug auf Di­versi­tät, die Be­nen­nung und Re­duk­tion von Dis­kri­mi­nie­run­gen, die (Selbst-) Or­ga­ni­sa­tion und Po­li­ti­sie­rung von Aus­schlüs­sen be­trof­fe­ner Per­so­nen etc. ver­ fü­gen. Bei­spiels­weise ar­bei­tet die au­to­no­men Mig­rant_in­nen­selbst­or­ga­ni­sa­tion maiz (vgl. Web­site) seit ih­rer Grün­dung in Linz 1994 an den Schnitt­stel­len von po­li­ti­ scher Kul­tur- und Bil­dungs­ar­beit. Be­reits An­fang der 2000er Jahre for­mu­lierte die Selbst­or­ga­ni­sa­tion Fra­gen nach struk­tu­rie­ren­den Kon­flikt­li­nien so­wie Kri­te­rien und For­de­run­gen in Be­zug auf Zu­sam­men­ar­bei­ten zwi­schen Mi­g­rant_in­nen und Künst­ler_in­nen der Mehr­heits­ge­sell­schaft (vgl. Sal­gado 2015 [2004]), die heute noch und ins­be­son­dere auch in Be­zug auf Kul­tur­in­sti­tu­ti­o­nen re­le­vant sind. So wer­den un­ter an­de­rem Kon­zepte von Par­ti­zi­pa­tion kri­ti­siert, die nicht auf eine ega­li­täre Form der Zu­sam­men­ar­beit ab­zie­len, son­dern le­dig­lich die In­vol­vie­rung von Mi­g­rant_in­nen mei­nen (vgl. ebd.). Ein Grund­satz von maiz ist da­her, keine Ko­o­pe­ra­tion mit Künst­ler_in­nen ein­zu­ge­hen, „die mit be­reits fer­ti­gen Kon­zep­ ten zu uns mit der Ein­la­dung zur Mit­wir­kung kom­men“ (ebd.: 41). Pa­r­al­le­len zu die­sen und wei­te­ren Über­le­gun­gen9 von maiz sind in dem über zehn Jahre spä­ter 9

Ein wei­te­rer von maiz be­nann­ter Grund­satz ist, Ent­schei­dun­gen be­züg­lich Ko­o­pe­ra­ti­ o­nen auf Ba­sis be­stimm­ter Kri­te­rien zu tref­fen, etwa der Be­reit­schaft und dem In­te­r­ esse der Künst­ler_in­nen an ei­nem „di­a­lo­gi­schen Pro­zess, der sich au­ßer­halb der Lo­gik der Op­fer­rolle und ei­ner eu­ro­zen­t­ris­ti­schen Per­s­pek­tive ent­fal­ten soll“ (Sal­gado 2015 [2004]: 42). Auch Ein­klang in Be­zug auf die Ziel­set­zung des Pro­jek­tes muss vor­han­den sein, wo­bei maiz ein ex­pli­zit ge­sell­schafts­kri­ti­sches In­te­r­esse und die Ver­mitt­lung ge­ gen­he­ge­mo­ni­a­ler Po­si­ti­o­nen for­mu­liert. Sämt­li­che Pha­sen und Ebe­nen von Pro­jek­ten

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ent­stan­de­nen Zehn-Punk­te-Pro­gramm von RISE 10 things you need to con­si­der if you are an artist – not of the re­fu­gee and asy­lum see­ker com­mu­nity – loo­king to work with our com­mu­nity (vgl. Ca­nas 2015) zu fin­den, etwa un­ter Punkt 4 „Par­ti­ci­pa­tion is not al­ways pro­gres­sive or emp­owe­ring“ (ebd.: o. S.). Seit 2007 ist der Art­So­ci­al­Space Brun­nen­pas­sage (vgl. Web­site) als La­bor und Pra­xis­ort trans­kul­tu­rel­ler und par­ti­zi­pa­ti­ver Kunst in der ehe­ma­li­gen Markt­halle am Wie­ner Brun­nen­markt tä­tig. Ein kos­ten­los zu­gäng­li­ches, mehr­spra­chi­ges, in­ter­dis­zi­p­li­nä­ res Pro­gramm so­wie mehr­jäh­rige Ko­o­pe­ra­ti­o­nen mit eta­b­lier­ten Kul­tur­in­sti­tu­ti­o­ nen wie dem Wie­ner Kon­zert­haus, dem Burg­the­a­ter und dem Welt­mu­seum Wien sind Teil des Kern­kon­zep­tes (vgl. Pi­lić/Wie­der­hold 2015). Das seit 2012 jähr­lich im Sep­tem­ber zu ver­schie­de­nen Aus­schrei­bungs­the­men statt­fin­dende Kul­tur­fes­ ti­val WIEN­WO­CHE (vgl. Web­site) ver­steht Kul­tur­ar­beit als ein Ein­mi­schen in ge­sell­schaft­li­che, po­li­ti­sche und kul­tu­relle De­bat­ten. Künst­le­ri­sche und kul­tu­relle Prak­ti­ken sol­len da­bei er­wei­tert und für alle in der Stadt le­ben­den so­zi­a­len Grup­ pen zu­gäng­lich ge­macht wer­den. Die WIEN­WO­CHE bie­tet um­fas­sende Un­ter­ stüt­zung bei der Kon­zep­tion und Um­set­zung von Pro­jek­ten und leis­tet da­mit ei­nen wich­ti­gen Bei­trag zu Pro­fes­si­o­na­li­sie­rung von Kul­tur­ar­bei­ter_in­nen. Das in die­sen ex­em­p­la­risch er­wähn­ten Ein­rich­tun­gen und Pro­jek­ten ent­ wi­ckelte und er­probte Wis­sen fehlt viel­fach in In­sti­tu­ti­o­nen (vgl. Mo­ser/Gülcü 2018), wes­halb nicht nur ge­zielte Maß­nah­men zu set­zen sind, da­mit es da­rin Ein­ gang fin­det und um­ge­setzt wird, son­dern auch bud­ge­täre Um­ver­tei­lun­gen zur um­ fas­sen­den Stär­kung des Fel­des freier Kul­tur­ar­beit zu emp­feh­len sind. Zwei­tens ist eine breite Um­set­zung der For­de­run­gen nach ei­nem Wan­del des Kul­tur­be­triebs über den Be­reich ein­zel­ner Kul­tur­be­triebe hi­n­aus zu den­ken, in­ dem die Kul­tur­po­li­tik10 und -ver­wal­tung in Be­zug auf kon­krete (kul­tur-)po­li­ti­sche Maß­nah­men ad­res­siert wird (vgl. u. a. Kol­land 2016; Man­del 2016b). Die kul­tur­ po­li­ti­sche Di­men­sion ist we­sent­lich, da – wie auch Mark Ter­kes­si­dis in Be­zug auf Or­ga­ni­sa­ti­o­nen all­ge­mein be­tont – Wan­del oft­mals ei­nen An­stoß im Sinne po­li­ti­ scher Be­ein­flus­sung be­nö­tigt (vgl. 2017: 43 f.). Die „För­de­rung von Di­versi­tät“ ist laut der Ex­per­tise Hand­lungs­op­ti­o­nen zur Di­ver­si­fi­zie­rung des Ber­li­ner Kul­tur­ sek­tors von Jos­hua Kwesi Ai­kins und Da­niel Gya­me­rah (2016) als „ziel­füh­rende In­ter­ak­tion zwi­schen Po­li­tik, Ver­wal­tung und Kul­tur­ein­rich­tun­gen“ zu se­hen und kann nur ge­lin­gen, „wenn sie vom Par­la­ment so­wie der Spitze der Kul­tur­ver­wal­ tung als pri­o­ri­täre und per­ma­nente po­li­ti­sche Auf­gabe ver­stan­den und kom­mu­ni­ ziert wird“ (ebd.: 16).

sol­len zu­dem von kri­ti­scher Re­fle­xion (in Be­zug auf Ras­sis­men und Sexis­men in­ner­ halb des Pro­jekts) durch­zo­gen sein. 10 Konkret sind da­mit die un­ter­schied­li­chen Ebe­nen von Kul­tur­po­li­tik – also die struk­tu­ rel­le, for­melle und in­sti­tu­ti­o­nelle Po­li­ty-Di­men­si­on, die in­halt­li­che Ebene der Po­licy und die Aus­hand­lungs­pro­zesse der Po­li­tics – und de­ren In­ei­n­an­der­wir­ken ge­meint.

Kul­tur­ar­beit in der ,Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft‘

Zu­sam­men­fas­send lässt sich fest­hal­ten, dass es bei der mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft­ li­chen Aus­rich­tung des Kul­tur­be­triebs nicht um eine (,in­ter­kul­tu­rel­le‘ bzw. ,trans­ kul­tu­rel­le‘) Öff­nung ein­zel­ner Kul­tur­ein­rich­tun­gen, die the­ma­ti­sche Ver­hand­lung von Mi­g­ra­tion oder eine Ver­än­de­rung von eta­b­lier­ten In­sti­tu­ti­o­nen hin zu of­fe­nen, kri­ti­schen Lern­or­ten geht, son­dern um ei­nen um­fas­sen­den Wan­del und eine sys­te­ ma­ti­sche dis­kri­mi­nie­rungs­sen­si­ble Neu­jus­tie­rung des Kul­tur­be­triebs (vgl. Baum­ gar­tin­ger/Mo­ser 2018).11

D is ­kri ­m i ­nie ­rungs ­sen ­si ­b le P er ­s ­pek ­ti ve auf P er ­s o ­nal , P ro ­gra mm und P u ­b ­li ­ku m in eta ­b ­lier ­ten I n sti ­ tu ­ ti ­ o ­ nen ­ , freier S zene und K ul­tur ­p o ­li ­tik Eine Neu­jus­tie­rung des Kul­tur­be­triebs setzt vo­r­aus, die oben ge­nann­ten ,drei P‘ Per­so­nal, Pro­gramm und Pu­b­li­kum in in­sti­tu­ti­o­na­li­sier­ten und freien Kul­tur­ein­ rich­tun­gen ebenso wie in Or­ga­ni­sa­ti­o­nen von Kul­tur­po­li­tik und -ver­wal­tung – wo die drei Ebe­nen mit den Be­grif­fen Ak­teur_in­nen, Angebote, Ad­res­sat_in­nen ge­ fasst wer­den kön­nen – dif­fe­ren­ziert zu be­leuch­ten. Da­bei ist eine in­ter­sekt­io­na­le, dis­kri­mi­nie­rungs­kri­ti­sche Per­s­pek­tive ein­zu­neh­men und der Fo­kus auf her­ge­stellte (Nicht-)Zu­ge­hö­rig­kei­ten, Kul­tur­ali­sie­run­gen und mehr­heits­ge­sell­schaft­li­che Pri­ vi­le­gien zu rich­ten. Die Frage nach (feh­len­den) Zu­gän­gen ist – wie Ai­kins und Gya­me­rah mit ih­rer die ,drei P‘ er­gän­zen­den Säule ,Z‘ für Zu­gang (2016: 14) ver­ deut­li­chen – eben­falls zen­t­ral. Diese ist grund­le­gend als Quer­schnitts­as­pekt von Per­so­nal, Pro­gramm und Pu­b­li­kum zu thematisieren.12 Struk­tu­rierte und pro­fes­si­ o­nell be­glei­tete Pro­zesse der kri­ti­schen Selbst­re­fle­xi­on, Be­stands­auf­nah­me, Eva­ lu­a­ti­on, Be­darfs­er­mitt­lung, Er­ar­bei­tung von Hand­lungs­fel­dern und Zie­len sind wei­tere we­sent­li­che Grund­la­gen ei­ner Neu­aus­rich­tung. Ent­spre­chende Grund­satz­ be­schlüs­se, Leit­bil­der so­wie Ein­pla­nung und Zur­ver­fü­gung­stel­lung aus­rei­chen­der fi­nan­zi­el­ler Mit­tel für die Pro­zesse sind eben­falls zen­t­ral (vgl. Abb. 1). 11 Nach Fer­tig­stel­lung mei­nes Tex­tes und kurz vor Druck­le­gung bin ich auf ein Ge­spräch von Lena Prabha Ni­sing und Car­men Mörsch auf­merk­sam ge­wor­den, in dem ähn­li­ che Über­le­gun­gen wie in mei­nem Text an­ge­stellt wer­den. Sie plä­die­ren da­für, wie der Ti­tel ih­res Bei­trags ver­deut­licht, „[s]tatt ,Trans­kul­tur­ali­tät‘ und ,Di­versi­tät‘: Dis­kri­ mi­nie­rungs­kri­tik und Be­kämp­fung von struk­tu­rel­lem Ras­sis­mus“ zu fo­kus­sie­ren (in: Blu­men­reich, Ul­ri­ke/Den­gel, Sa­bi­ne/Hip­pe, Wolf­gang/Sie­vers, Nor­bert (Hg.) (2018): Welt.Kul­tur.Po­li­tik. Kul­tur­po­li­tik in Zei­ten der Glo­ba­li­sie­rung. Jahr­buch für Kul­tur­po­ li­tik 2017/18, Band 16. Bie­le­feld: tran­script, S. 139–149). 12 Ai­kins und Gya­me­rah (2016: 14) be­to­nen je­doch die Re­le­vanz der Säule ,Z‘ für Zu­gang pri­mär in Be­zug auf zwei Ak­teu­re: die Kul­tur­ver­wal­tung (die u. a. durch eine spe­zi­fi­ sche Ziel­grup­pen­an­spra­che den Zu­gang zu För­der­in­stru­men­ten si­cher­stel­len soll­te) und Kul­tur­in­sti­tu­ti­o­nen (die u. a. durch be­zahlte Prak­tika für die Ziel­gruppe den Zu­gang in das pro­fes­si­o­nelle Kul­tur­ge­schäft er­mög­li­chen soll­ten).

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Ab­bil­dung  1: An­satz­punkte für eine mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft­li­che Neu­aus­rich­tung des Kul­tur­be­triebs GRUNDLAGEN  Intersektionale diskriminierungskritische Perspektive auf • hergestellte (Nicht-)Zugehörigkeiten • Kulturalisierungen • mehrheitsgesellschaftliche Privilegien • (fehlende) Zugänge  Strukturierte und professionell begleitete Prozesse • der kritischen Selbstreflexion • Bestandsaufnahme und Evaluation • Bedarfsermittlung • Erarbeitung von Handlungsfeldern und Zielen • in solidarischer Zusammenarbeit zwischen Institutionen und (zivilgesellschaftlichen) Initiativen 

Grundsatzbeschlüsse, Leitbilder, ausreichende finanzielle Mittel

Kulturpolitik und -verwaltung

Kulturinstitutionen und freie Szene/n

Personal (Akteur_ innen)

• Diversifizierung von Leitung und Mitarbeiter_innen samt umfassender betrieblicher Begleitmaßnahmen • Diversifizierung von Auswahlgremien, Jurys, Beiräten etc.

• Diversifizierung von Leitung und Mitarbeiter_innen samt umfassender betrieblicher Begleitmaßnahmen

Programm (Angebote)

• Reflexion von Kunst- und Kulturbegriffen • Eruierung und Vermeidung diskriminierender und rassistischer Inhalte • Diversifizierung von Antragsteller_innen • Adaption von Fördergesetzen und Subventionsrichtlinien • Adaption von Förderkriterien und -programmen • Barrierereduzierte Vermittlung • Kostenlose Qualifizierungsangebote für Kulturschaffende • Stärkung der freien Szene/n

• Reflexion von Kunst- und Kulturbegriffen • Eruierung und Vermeidung diskriminierender und rassistischer Inhalte • Barrierereduzierte Vermittlung • Diversifizierung mitwirkender Künstler_innen und Kulturschaffender • Selbstorganisierte Programme ‚von Communities‘ statt ‚Sonderprogramme für‘ diese • Einbezug der Expertise der freien Szene/n in etablierten Kulturinstitutionen

Publikum (Adressat_ innen)

• Reduktion räumlicher, ökonomischer, sozialer etc. Barrieren • Barrierereduzierte Kommunikation • Erweiterung der Kommunikationskanäle • Kontinuierliche Kooperation mit ‚Communities‘

• Reduktion räumlicher, ökonomischer, sozialer etc. Barrieren • Barrierereduzierte Kommunikation • Erweiterung der Kommunikationskanäle • Kontinuierliche Kooperation mit ‚Communities‘ • Einbezug der Expertise der freien Szene/n in etablierten Kulturinstitutionen

Quel­le: Ei­gene Dar­stel­lung

Kul­tur­ar­beit in der ,Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft‘

In Kulturbetrieben sind selbstkritische Fragen zur Zusammensetzung des Perso­ nals aller Hierarchiestufen künstlerischer und administrativer Bereiche zu stel­ len, sowohl bezüglich fest angestellter wie auch freier Dienstnehmer_ innen. Die Per­so­nal­zu­sam­men­set­zung ist auch in Kul­tur­po­li­tik und -ver­wal­tung hoch re­le­ vant, nicht nur bei Beamt_innen und An­ge­stell­ten, son­dern ins­be­son­dere auch in Ent­schei­dungs­gre­mi­en, Bei­rä­ten und Ju­rys. Die Be­ru­fung der Lei­tung von Kul­ tur­ein­rich­tun­gen spielt da­bei eine zen­t­rale Rol­le, da sie „die ef­fek­tivste Steu­e­ rungs­maß­nahme zur För­de­rung von Di­versi­tät“ (Ai­kins/Gya­me­rah 2016: 28) zu sein scheint. Dies un­ter an­de­rem des­halb, weil „Haus­lei­tun­gen ihre ei­ge­nen Pro­ gramm­ma­cher_in­nen, Netz­werke und di­ver­si­täts­re­le­vante Kon­zepte mit­brin­gen“ (ebd.). Ins­be­son­dere bei der Neu­be­set­zung von Füh­rungs­kräf­ten sei zu be­rück­ sich­ti­gen, dass sich diese um­fas­send zur För­de­rung von Di­versi­tät ver­pflich­ten. Ein­her­ge­hend mit der Di­ver­si­fi­zie­rung von Per­so­nal und an­de­ren Ak­teur_in­nen des Kul­tur­be­triebs braucht es wei­tere um­fas­sende Maß­nah­men, die die Um­set­ zung der Neu­aus­rich­tung be­glei­ten und gute Ar­beits­be­din­gun­gen er­mög­li­chen. Etwa ist zu re­flek­tie­ren, wie neue Mit­ar­bei­ter_in­nen ge­se­hen und be­han­delt wer­ den, wie „für ihr Fort­kom­men ge­sorgt“ wird (vgl. Ter­kes­si­dis 2017: 51). Da­bei gilt es, auch die in in­sti­tu­ti­o­nelle Hand­lungs­wei­sen ein­ge­schrie­be­nen ras­sis­ti­schen Wis­sens­be­stände zu the­ma­ti­sie­ren (vgl. ebd.: 53 f.). Die Per­so­nal­e­bene spielt in Hin­blick auf Ver­än­de­run­gen bei Pro­gramm und An­ge­bo­ten so­wie Pu­b­li­kum bzw. Ad­res­sat_in­nen eine we­sent­li­che Rol­le. Beim Pro­gramm von Or­ga­ni­sa­ti­o­nen und Pro­jek­ten des Kunst- und Kul­tur­be­ rei­ches ist ei­ner­seits auf der in­halt­lich-re­prä­sen­ta­ti­ven Angebotsebene nach der Ver­brei­tung von dis­kri­mi­nie­ren­dem und ras­sis­ti­schem Wis­sen und der Pro­duk­ tion von Ste­re­o­ty­pien und Aus­schlüs­sen zu fra­gen. Diese kon­ti­nu­ier­li­che kri­ti­sche Selbst­re­fle­xion und Eva­lu­a­tion sollte selbst­ver­ständ­li­cher Teil je­der Kul­tur­ar­beit sein. An­de­rer­seits geht es aber auch um eine grund­sätz­li­che Aus­ei­n­an­der­set­zung mit ei­nem vo­r­aus­set­zung­s­vol­len, bil­dungs­bür­ger­li­chen wei­ßen Kunst- und Kul­tur­ be­griff (vgl. Mi­cos­sé-Ai­kins 2011), da­r­auf ba­sie­ren­den Pro­gram­men und da­durch ge­schaf­fe­nen Bar­ri­e­ren, die oft mit ei­nem weit­ge­hend feh­len­den In­te­r­esse an der Kul­tur­pro­duk­tion mi­g­ranti­scher Com­mu­ni­ties ein­her­ge­hen (vgl. u. a. ebd.; Mo­ser/ Gülcü 2018). Auch die Ver­an­stal­tung von Son­der­pro­gram­men für die Ziel­gruppe ,Mi­g­rant_in­nen‘ ist kri­tisch zu hin­ter­fra­gen, da diese re­duk­ti­o­nis­ti­sche, ste­re­o­type Fest­schrei­bun­gen be­för­dern und mit­un­ter über „To­ke­nism“ im Sinne ei­ner „kurz­ fris­ti­gen, fei­gen­blattar­ti­gen Ein­be­zie­hung di­ver­ser Ak­teure auf un­ters­ten Hie­r­ar­ chie­e­be­nen“ (Ai­kins/Gya­me­rah 2016: 11) nicht hi­n­aus­ge­hen. Die Pro­gramm­e­bene von Kul­tur­ver­wal­tung und -po­li­tik um­fasst de­ren Angebote, In­halte und För­der­struk­tu­ren. Auch hier ist eine grund­le­gende Hin­ter­ fra­gung der Kunst- und Kul­tur­be­griffe er­for­der­lich, die den För­de­run­gen im­p­li­ zit und ex­pli­zit zu­grunde lie­gen und Aus­schlüsse pro­du­zie­ren. Wo stel­len Po­li­tik und Ver­wal­tung zu­dem durch For­ma­li­tä­ten (Nicht-)Zu­ge­hö­rig­keit her, in­dem die

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Ver­gabe von För­de­run­gen an die Staats­bür­ger­schaft ge­bun­den ist oder Ge­set­ze, For­mu­lare und För­der­pro­ze­du­ren un­ver­ständ­lich sind? Auf Ebene der Kul­tur­ver­ wal­tung sind ähn­lich wie bei Kul­tur­ver­an­stal­ter_in­nen die Art der Ad­res­sie­rung durch bar­rie­re­be­wusste An­spra­che13 so­wie die Wahl der Netz­werke und Kom­mu­ ni­ka­ti­ons­ka­näle14 von zen­t­ra­ler Be­deu­tung für das Ge­lin­gen oder Nicht-Ge­lin­gen von Kom­mu­ni­ka­ti­on. Im An­schluss an eine kri­ti­sche Be­stands­auf­nahme so­wie in­halt­li­che und sprach­li­che Ad­ap­tie­run­gen soll­ten für von Aus­schlüs­sen be­trof­ fene Per­so­nen spe­zi­fi­sche Qualifizierungsangebote – bei­spiels­weise in Be­zug auf „An­trags­fit­ness“ (vgl. Ai­kins/Gya­me­rah 2016: 11) – und die Si­che­rung von Zu­ gän­gen zu För­der­pro­gram­men ge­währ­leis­tet wer­den. Zu­dem ist eine bud­ge­täre Um­ver­tei­lung mit Fo­kus auf die lang­fris­tige För­de­rung von Selbst­or­ga­ni­sa­ti­o­nen und freien Kul­tur­in­i­ti­a­ti­ven zu emp­feh­len, die in Be­zug auf Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ ren und da­rin ver­han­delte kri­ti­sche In­halte wich­tige Im­pulse für eine Neu­aus­rich­ tung des Kul­tur­be­triebs ge­ben kön­nen.

A b ­schlie ­ssende B e ­m er ­kun ­gen Wenn im Kul­tur­be­trieb des deutsch­spra­chi­gen Raums über Good-Prac­ti­ce-Bei­ spiele in Be­zug auf Di­versi­tät ge­spro­chen wird, wird im­mer auch auf das seit 2013 von Sher­min Lang­hoff und Jens Hillje ge­lei­tete Ma­xim Gorki The­a­ter Ber­lin (vgl. Web­site) ver­wie­sen – und dies zu Recht. Das 2016 mit dem The­a­ter­preis Ber­lin aus­ge­zeich­nete so­wie 2014 und 2016 in der Kri­ti­ker_in­nen­be­fra­gung von theater heute zum The­a­ter des Jah­res ge­wählte Staats­the­a­ter zeigt an­schau­lich, wie ein der Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft ent­spre­chen­der dis­kri­mi­nie­rungs­sen­si­bler Kul­tur­be­ trieb aus­se­hen kann. Ge­sell­schaft­li­che Viel­heit spie­gelt sich da­rin struk­tu­rell auf sämt­li­chen Ebe­nen wi­der. Das Per­so­nal ist in den un­ter­schied­li­chen Hie­r­ar­chie­ stu­fen di­vers, die Pro­jekte und Auf­füh­run­gen sind (auch vi­su­ell) mehr­spra­chig und das Pu­b­li­kum ist über­aus heterogen. Das Pro­gramm be­in­hal­tet Stü­cke aus un­ ter­schied­li­chen Kul­tu­ren und so­zi­a­len Zu­sam­men­hän­gen, nicht-ka­no­ni­sierte und ka­no­ni­sierte Tex­te, wo­bei zum Bei­spiel der deut­sche Ka­non kon­ti­nu­ier­lich de­kon­ s­t­ru­iert und aus neuen, nicht-wei­ßen Per­s­pek­ti­ven an­ge­eig­net wird. Im Sinne ei­ner in vor­lie­gen­dem Bei­trag ar­gu­men­tier­ten kri­ti­schen Neu­aus­rich­tung des Kul­tur­be­ 13 Teil der bar­rie­re­be­wuss­ten An­spra­che des Ber­li­ner Pro­jekt­fonds Kul­tu­relle Bil­dung ist bei­spiels­weise die Be­reit­stel­lung von In­for­ma­ti­o­nen über För­der­pro­gramme des Fonds in den Spra­chen Deutsch, Tür­kisch, Ara­bisch, Far­si, Eng­lisch, Fran­zö­sisch und He­b­rä­ isch (vgl. Ai­kins/Gya­me­rah 2016: 11). 14 Dies zeigte sich etwa bei dem Pro­jekt Tür­kisch – Oper kann das an der Ko­mi­schen Oper in Ber­lin. Er­staunt da­r­ü­ber, dass im Kin­der­chor keine Kin­der tür­ki­scher Her­kunft wa­ren, lan­cierte In­ten­dant Mus­tafa Akca ei­nen Auf­ruf im größ­ten Sen­der tür­ki­scher Spra­che in Ber­lin, wo­r­auf sich rund 200 Fa­mi­lien mel­de­ten (vgl. Ter­kes­si­dis 2017: 50).

Kul­tur­ar­beit in der ,Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft‘

triebs ver­folgt das Gorki The­a­ter also nicht nur auf der or­ga­ni­sa­to­ri­schen, son­dern auch auf der in­halt­li­chen Ebene ei­nen kri­ti­schen und po­li­ti­schen An­spruch, in­dem es auf der Bühne bri­sante Fra­gen ver­han­delt: „Wie kön­nen wir zi­vi­li­siert le­ben in ei­ner he­te­ro­ge­nen Ge­sell­schaft? Zu­ge­spitzt: Wel­che neue Ge­sell­schaft brau­chen wir?“ (Lang­hoff 2015: o. S.) Noch sind Bei­spiele wie das Gorki The­a­ter eher sel­ten – und in dem be­rech­ tig­ten Lob von Ein­rich­tun­gen wie die­ser kann auch eine Ge­fahr lie­gen, so Ai­ kins und Gya­me­rah (2016: 9): „Diese Häu­ser soll­ten nicht als er­freu­li­che Ni­schen dar­ge­stellt wer­den, de­ren Exis­tenz den […] Status Quo recht­fer­tigt.“ Für ei­nen brei­ten Wan­del in Form ei­ner tiefergehenden struk­tu­rel­len Ver­än­de­rung auf un­ ter­schied­li­chen Ebe­nen des deutsch­spra­chi­gen Kul­tur­be­triebs braucht es, wie in vor­lie­gen­dem Ar­ti­kel dar­ge­stellt, um­fas­sende dis­kri­mi­nie­rungs­sen­si­ble Ana­ly­sen und Maß­nah­men, die eta­b­lierte In­sti­tu­ti­o­nen, freie Szene und Kul­tur­po­li­tik be­tref­ fen. Das Kon­zept der ,Mi­g­ra­ti­ons­ge­sell­schaft‘ mit dem in­ter­sekt­io­na­len Fo­kus auf Ord­nun­gen und Pro­zes­sen, die asym­me­t­ri­sche (Nicht-)Zu­ge­hö­rig­kei­ten her­stel­len und struk­tu­rie­ren, bie­tet da­bei wich­tige the­o­re­ti­sche Be­zugs­punk­te. Ins­ge­samt mag eine grund­le­gende kri­ti­sche Re­fle­xion des Kul­tur­be­triebs und eine da­r­auf auf­bau­ende brei­te, sys­te­ma­ti­sche Or­ga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung als gro­ ßes, schwer steu­er­ba­res und kaum durch­führ­ba­res Vor­ha­ben er­schei­nen, dem der pri­vi­le­gier­ten Mehr­heits­ge­sell­schaft an­ge­hö­rende Kul­tur­schaf­fen­de, Kul­tur­be­ amt_in­nen und -po­li­ti­ker_in­nen eine Reihe von Ge­gen­ar­gu­men­ten ent­ge­gen­set­zen könn­ten. Wan­del „als kre­a­tive He­r­aus­for­de­rung ver­stan­den“ (Ter­kes­si­dis 2017: 71) braucht da­her nicht nur Op­ti­mis­mus und Aus­dau­er, son­dern auch eine ge­wisse „Be­reit­schaft zum Streit“, denn „[n]ie­mand hat ge­sagt, die Ge­sell­schaft der Viel­ heit sei eine ge­müt­li­che An­ge­le­gen­heit“ (ebd.).

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Zur Kon­s­t­ruk­tion von Iden­ti­täts­räu­men

Zur Kon­s­t­ruk­tion von Iden­ti­täts­räu­men: Flucht in me­di­a­len und künst­le­ri­schen Bild­pro­duk­ti­o­nen1 Ri­carda Drüe­ke, Eli­sa­beth Klaus, Anita Mo­ser

E in ­lei ­tung Bil­der von Ge­flüch­te­ten in La­gern2 an der un­ga­ri­schen oder slo­we­ni­schen Gren­ze, auf ös­ter­rei­chi­schen Bahn­hö­fen, in ,Zelt­städ­ten‘ oder un­ter­wegs auf Au­to­bah­nen be­glei­te­ten in Ös­ter­reich 2015 die öf­fent­li­chen De­bat­ten über Flucht und Mi­g­ra­ ti­on. Ziel des Bei­trags ist es, an­hand der me­di­a­len Be­richt­er­stat­tung so­wie künst­ le­ri­scher Pro­duk­ti­o­nen zum Thema Flucht auf­zu­zei­gen, wie in die­sen Dis­kur­sen Iden­ti­tä­ten kon­s­t­ru­iert und re­pro­du­ziert wer­den, aber auch mo­di­fi­ziert oder ver­ wor­fen wer­den kön­nen. Me­dien kön­nen Iden­ti­täts­räume ent­wer­fen, die das ,Ei­ge­ ne‘, das kul­tu­rell In­klu­dier­te, und das ,Frem­de‘, das Aus­ge­schlos­se­ne, mar­kie­ren. Bil­der sind in die­sem Kon­text be­deu­tend, da sie ei­nen wich­ti­gen Platz in Print­ me­dien ein­neh­men und vi­su­elle Dar­stel­lun­gen eine große Sug­ges­tiv­kraft ent­fal­ten kön­nen. The­o­re­tisch be­zieht sich der Bei­trag auf das un­ter Be­zug­nahme auf die Cul­tu­ ral Stu­dies ent­wi­ckelte Kon­zept me­di­a­ler Iden­ti­täts­räume (vgl. Hipfl 2004; Klaus/ Drüe­ke/Kirch­hoff 2012). Me­tho­disch stel­len wir ei­ner­seits die Er­geb­nisse ei­ner Ana­lyse von Pressefotografien im Zeit­raum Juli bis Ok­to­ber 2015 vor, die in der Be­richt­er­stat­tung über Flucht und Ge­flüch­tete pu­b­li­ziert wur­den. Durch die hohe Fre­quen­tie­rung der sogenannten ,Bal­kan­rou­te‘ war das Thema Flucht in die­sem Zeit­raum in den ös­ter­rei­chi­schen Print­me­dien sehr prä­sent. Diese Be­richt­er­stat­ 1 Dieser Bei­trag ist die über­ar­bei­tete Fas­sung des Tex­tes Drüe­ke, Ri­car­da/Klaus, Eli­sa­ beth/Mo­ser, Anita (2017): Me­di­ale und künst­le­ri­sche Dis­kurse zu Flucht und Mi­g­ra­ tion. In: Ober­lech­ner, Man­fred/Trültzsch-Wij­nen, Chris­tine W./Du­val, Pa­t­rick (Hg.): Mi­g­ra­tion bil­det. Mi­g­ra­tion Edu­ca­tes. Ba­den-Ba­den: No­mos Ver­lag, S. 315–335. 2 Den Be­griff ,La­ger‘ ver­wen­den wir im Bei­trag im Sinne von Not­un­ter­kunft, Ba­ra­cken, Nacht­la­ger.

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Ri­carda Drüe­ke, Eli­sa­beth Klaus, Anita Mo­ser

tung set­zen wir an­de­rer­seits in Be­zug zu künst­le­ri­schen Pro­duk­ti­o­nen zu die­sem The­ma, die im zeit­li­chen Um­feld des ,Som­mers der Mi­g­ra­ti­on‘ in Ös­ter­reich re­zi­ pier­bar wa­ren und da­durch das öf­fent­li­che Bild­re­per­toire über Flucht er­wei­ter­ten. Ziel des Bei­trags ist, kri­tisch zu dis­ku­tie­ren, wie in vi­su­el­len Re­prä­sen­ta­ti­o­nen von Ge­flüch­te­ten und Mi­g­ra­ti­on, die als Teil so­zi­a­ler und kul­tu­rel­ler Prak­ti­ken zu ver­ste­hen sind, Iden­ti­täts­räume her­ge­stellt und ver­fes­tigt wer­den bzw. auch um­ ge­deu­tet wer­den kön­nen. In un­se­rem Bei­trag ma­chen wir zu­nächst the­o­re­ti­sche An­mer­kun­gen zum ,spa­tial turn‘ in der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft und der Kon­zep­tion von Kom­ mu­ni­ka­ti­ons- und Me­di­en­räu­men. An­schlie­ßend stel­len wir die Stich­probe und aus­ge­wählte Da­ten un­se­rer Er­he­bung der Bild­be­richt­er­stat­tung über Flucht und Mi­g­ra­tion in vier ös­ter­rei­chi­schen Ta­gess­zei­tun­gen vor. Wei­ter­ge­hend fra­gen wir auf der Ba­sis ei­ner Un­ter­schei­dung von drei Ty­pen me­di­a­ler Iden­ti­täts­räume nach den da­rin evo­zier­ten bzw. aus­ge­schlos­se­nen Iden­ti­tä­ten. Ins­be­son­dere künst­le­ri­ sche Pro­duk­ti­o­nen ha­ben das Potenzial, die im öf­fent­li­chen Dis­kurs do­mi­nan­ten Per­s­pek­ti­ven zu er­wei­tern, zu ver­än­dern oder gar zu kon­ter­ka­rie­ren. Sie er­öff­nen da­mit wei­tere Sicht­wei­sen, die wir dis­ku­tie­ren, be­vor ein kur­zes Fa­zit den Bei­trag ab­schließt.

K om ­m u ­ni ­ka­ti ­o ns - und M e ­di ­en ­räu ­m e : D as  K on ­zept   me ­di ­a ­ler I den ­ti ­täts ­räu me Anknüpfend an die ,social geo­gra­phy‘ hat in den Kul­tur- und So­zi­al­wis­sen­schaf­ ten ein ,spa­tial turn‘ statt­ge­fun­den. Die­ser hat seit Mitte der 1990er Jahre auch die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft er­reicht. Räume ha­ben eine Funk­tion für die Er­mög­li­chung von Kom­mu­ni­ka­tion und sind in der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft kein völ­lig neuer To­pos. Schon 1951 for­derte der Me­di­en­wis­sen­schaft­ler Ha­rold In­nis dazu auf, sich mit den Macht­struk­tu­ren in je­nen his­to­risch-spe­zi­fi­schen Räu­ men zu be­schäf­ti­gen, in de­nen Me­dien pro­du­ziert und kon­su­miert wer­den. Sein Ziel war es, aus den Er­geb­nis­sen Mög­lich­kei­ten ab­zu­lei­ten, um ne­ben bzw. aus den do­mi­nan­ten Me­di­en- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­for­men und -räu­men neue und an­ dere Räume zu ent­wi­ckeln (vgl. In­nis 1986 [1951]). Das Buch Spaces of Iden­tity von Da­vid Mor­ley und Ke­vin Ro­bins (1995) gilt als ein Stan­dard­werk des ,spa­tial turn‘ in der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft: Mor­ley und Ro­bins ge­hen da­von aus, dass es heute we­ni­ger phy­si­sche, son­dern vor al­lem sym­bo­li­sche Be­gren­zun­gen sind, die als Rah­men für kul­tu­relle Ge­mein­schaf­ten fun­gie­ren. Ei­nes ih­rer Un­ ter­su­chungs­ob­jekte ist die Ima­gi­na­tion ei­nes eu­ro­pä­i­schen Raums. Da­rin werde durch die Me­dien vor al­lem eine eth­nisch weiße Iden­ti­tät an­ge­bo­ten, so dass an­ dere so­zi­ale Grup­pen (Mi­g­rant_in­nen, dia­spo­ri­sche Ge­mein­schaf­ten) kei­nen Platz er­hiel­ten (vgl. Mor­ley/Ro­bins 1995).

Zur Kon­s­t­ruk­tion von Iden­ti­täts­räu­men

An diese Ar­bei­ten und die der Sozialgeografin Do­reen Mas­sey (1994) hat die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft­le­rin Bri­gitte Hipfl (2004) an­ge­knüpft und Me­dien als so­zi­ale Räume de­fi­niert, die Iden­ti­täts­bil­dung er­mög­li­chen. Da­ran lehnt sich un­sere Un­ter­schei­dung von drei Ty­pen me­di­a­ler Iden­ti­täts­räume an: 1.) Medien konstruieren Räume, in denen Territorien begrenzt, Nationen ver­ortet sowie Landschaften identifiziert werden und in de­nen spe­zi­fi­sche Iden­ti­tä­ten ih­ren Platz fin­den.3 Im Fol­gen­den spre­chen wir in An­leh­nung an die Cri­ti­cal Geo­po­li­tics in Be­zug auf diese Räume von ,ge­o­po­li­ti­schen Räu­men‘. 2.) Die Me­di­en­in­halte stel­len ,iden­ti­täts­po­li­ti­sche Räume‘ be­reit, in de­nen sich Men­schen als Eu­ro­pä­er_in, Frau/Mann, Ös­ter­rei­cher_in oder Ka­tho­lik_in ver­ or­ten kön­nen und ver­or­ten las­sen. 3.) Schließ­lich ent­ste­hen im Kreis­lauf me­di­a­ler und kul­tu­rel­ler Be­deu­tungs­pro­ duk­tion – ins­be­son­dere in der An­eig­nung von Me­dien durch ihre Re­zi­pi­ent_ in­nen   – ,Zwi­schen­räume‘4, die he­ge­mo­ni­a­len Iden­ti­täts­dis­kur­sen zu­wi­der­lau­ fen kön­nen.

M e ­th o ­di ­scher Z u ­gang Stu­dien zur Bild­be­richt­er­stat­tung über Ge­flüch­tete und Mi­g­rant_in­nen zei­gen, dass in den Me­dien be­stimmte Bild­ty­pen vor­herr­schend sind. Ge­flüch­tete wer­ den vor al­lem als Men­schen­menge ge­zeigt und durch diese In­sze­nie­rung als eine Ge­fahr für ,un­se­re‘ Si­cher­heit dar­ge­stellt (vgl. Chou­lia­ra­ki/Sto­lic 2017). Die Ge­ flüch­te­ten selbst blei­ben so ge­sichts­los und wer­den als ,fremd‘ markiert (vgl. Banks 2012). Mit dem medial weit verbreiteten Bild des toten syrischen Jungens Alan Kurdi wurde eine Diskussion angestoßen, wie über Tod und Elend von Flucht visuell berichtet werden kann und darf (vgl. Pa­pai­lias 2018). So wird zwar einerseits in den Medien auf ähnliche Bilder zurückgegriffen; gleichzeitig zeigen die öffentlichen Aushandlungsprozesse über die medialen Darstellungen hinaus, wie einzelne Bilder herausgegriffen und Teil öffentlicher Verhandlungen werden. Ersichtlich wird so, wie verschiedene Bilder Teil des Diskurses über Geflüchtete und Migrant_innen sind und konstituierend für Prozesse gesellschaftlicher Bedeutungsproduktion sind. Ak­tu­elle Stu­dien zu vi­su­el­len künst­le­ri­schen Aus­ei­n­an­der­set­zun­gen mit Mi­g­ ra­ti­on, Flucht und Re­fu­gees (vgl. De­mos 2013; Dog­ra­maci 2013; Tello 2016; Ring 3 Hipfl spricht von „politisch-geografischen Räu­men“. Mit der leich­ten Mo­di­fi­ka­tion ver­ wei­sen wir auf die Ver­bin­dung die­ser Kon­zep­tion zu den „Cri­ti­cal Geo­po­li­tics“ (vgl. etwa Lossau 2001). 4 Bei Hipfl: „Zwi­schen-Räume“.

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Pe­ter­sen 2017) ma­chen deut­lich, dass – bei al­ler Un­ter­schied­lich­keit in Be­zug auf die un­ter­such­ten Kunst­prak­ti­ken und Ar­gu­men­ta­ti­o­nen – die Frage da­nach zen­t­ ral ist, wel­che Per­s­pek­ti­ven mit wel­chen Äs­thet­iken wort­wört­lich ins Bild ge­setzt wer­den und in­wie­weit Am­bi­va­len­zen und Un­schär­fen ent­ste­hen. Im Wis­sen um den kons­ti­tu­ie­ren­den Bei­trag von Bil­dern im Zu­sam­men­hang mit der Kon­s­t­ruk­ tion von Mi­g­ra­tion und Migrationsregimen sind die Su­jets, ins­be­son­dere aber die Ef­fekte die­ser Bil­der, re­s­pek­tive de­ren Ad­res­sie­rung und ,po­li­ti­sche Kraft‘ von zen­t­ra­lem In­te­r­es­se. Da­mit bil­den so­wohl die Me­di­en­bil­der als auch die künst­le­ ri­schen Pro­duk­ti­o­nen die vi­su­elle Rah­mung für Aus­ei­n­an­der­set­zun­gen mit ge­gen­ wär­ti­gen Mi­g­ra­ti­ons­be­we­gun­gen und sind als so­zi­ale und kul­tu­relle Prak­ti­ken Teil der kul­tu­rel­len Be­deu­tungs­pro­duk­ti­on. Aus­ge­hend von die­ser An­nahme wur­den für die Ana­lyse der Print­be­richt­er­stat­ tung über Flucht und Ge­flüch­tete die Zei­tun­gen Salz­bur­ger Nach­rich­ten, Stan­dard, Kro­nen Zei­tung und Die Presse aus­ge­wählt und im Zeit­raum vom 1. 8. 2015 bis zum 30. 10. 2015 aus­ge­wer­tet. Auf­grund der gro­ßen An­zahl an Ar­ti­keln ha­ben wir eine Ein­schrän­kung des Ma­te­ri­al­kor­pus vor­ge­nom­men und zwei künst­li­che Wo­chen ge­bil­det.5 Ins­ge­samt be­steht un­sere Stich­probe da­mit aus 1.328 Ar­ti­keln. In ei­nem wei­te­ren Schritt wur­den da­von jene Ar­ti­kel aus­ge­wählt, die mit ei­nem Bild oder meh­ re­ren Bil­dern il­lus­t­riert wa­ren. Wie un­sere Aus­wer­tung zeigt, spie­len Ab­bil­dun­gen in der Print­be­richt­er­stat­tung zum Thema Flucht und Ge­flüch­tete eine große Rol­le, denn 62,4 Pro­zent al­ler Bei­träge ent­hiel­ten min­des­tens ein Bild. Un­sere Stich­probe für die vi­su­elle Ana­lyse bil­dete so­mit ein Kor­pus von 829 Bil­dern. Diese Bil­der ha­ben wir so­wohl quan­ti­ta­tiv als auch qua­li­ta­tiv aus­ge­wer­tet. Mit Hilfe ei­ner quan­ti­ta­ti­ven Ana­lyse las­sen sich zen­t­rale Mus­ter und Struk­tu­ren der Bil­der he­r­aus­ar­bei­ten und da­mit ei­ner vi­su­el­len Kon­text­a­na­lyse un­ter­zie­hen (vgl. Mül­ler 2011: 47). Auch bei der Ana­lyse der künst­le­ri­schen Bil­der – ver­stan­den als Ele­mente ei­ner spe­zi­fi­schen Sicht­bar­keits­ord­nung (vgl. Ran­cière 2002), in der die An­we­ sen­heit ebenso wie die Ab­we­sen­heit von In­for­ma­ti­o­nen über ihre Be­deu­tung ent­schei­det – be­zie­hen wir uns auf die visuelle Kontextanalyse, indem die bild­ li­chen Re­prä­sen­ta­ti­o­nen mit Denkfiguren und sozialen sowie politischen Zusam­ menhängen in Verbindung gesetzt werden. Dabei gehen wir von drei Beispielen der bildenden Kunst aus, die – im Gegensatz etwa zu Ai Wei­weis Nachstellung des ikonischen Bildes des auf der Flucht umgekommenen syrischen Kindes Alan Kurdi – nicht unmittelbar infolge der Fluchtbewegungen von 2015 entstanden sind. Vielmehr wählten wir Positionen, die bereits 2014 umgesetzt wurden, jedoch

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Die Aus­wahl der Un­ter­su­chungs­ein­hei­ten er­folgt bei ei­ner künst­li­chen Wo­che so, dass aus der ers­ten Wo­che der Mon­tag, aus der fol­gen­den der Diens­tag etc. in die Stich­probe ein­fließt. Der Vor­teil da­von ist, dass die Me­di­en­be­richt­er­stat­tung über ei­nen län­ge­ren Zeit­raum be­trach­tet wer­den kann, aber zu­gleich die von Tag zu Tag wech­seln­den Be­ richt­er­stat­tungs­mus­ter der Me­dien be­rück­sich­tig wer­den.

Zur Kon­s­t­ruk­tion von Iden­ti­täts­räu­men

zwischen Herbst 2015 und Frühjahr 2016 in Österreich sehr präsent waren und da­ durch hierorts das öffentliche Bildrepertoire über Flucht maßgeblich erweiterten. Sie wurden großflächig im Stadtraum von Salzburg plakatiert (Esca­ping Cac­tus von Nil­bar Gü­res), in öffentlichen Veranstaltungen präsentiert und diskutiert (The Un­tit­led Images von Kha­led Bar­akeh) und in Ausstellungsräumen sowie über Ankündigungen in den Tageszeitungen zugänglich gemacht (The Unknown von Nicole Weniger). Die künstlerischen Repräsentationen unterscheiden sich zwar in Hinblick auf ihren Verbreitungsgrad und Rezeptionskontext von Bildern in Mas­ senmedien, stellen jedoch wie diese Bausteine der kul­tu­rel­len Wis­sens­ord­nun­gen bzw. des „vi­su­el­len Wis­sens“ (Prinz/Reck­witz 2012: 194) über Flucht dar und wer­den als sol­che ana­ly­siert und in­ter­pre­tiert. Da­mit ori­en­tie­ren wir uns an re­prä­ sen­ta­ti­ons­kri­ti­schen Per­s­pek­ti­ven der Vi­sual Stu­dies, die vi­su­elle Er­zeug­nisse – als ge­prägt von Hier­ar­chi­sie­run­gen und asym­me­t­ri­schen Ver­hält­nis­sen – in ei­nem Sys­tem so­zi­a­ler, kul­tu­rel­ler und vi­su­el­ler Ord­nun­gen ver­or­ten.

R äum ­li ­che A na ­l o ­gien

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B il ­dern G e ­fl o ­he ­ner

Im Folgenden analysieren wir mediale und künstlerische Repräsentationen von Flucht und Ge­flüch­te­ten. Da­bei nut­zen wir die Kon­zep­tion me­di­a­ler Iden­ti­täts­ räu­me, um Me­di­en­bil­der und künst­le­ri­sche Re­prä­sen­ta­ti­o­nen da­hin­ge­hend zu un­ ter­su­chen, wo ge­flüch­tete Men­schen ver­or­tet wer­den, wel­cher Platz ih­nen da­mit in wel­chen Ge­mein­schaf­ten ein­ge­räumt wird und wel­che Grenz­zie­hun­gen und -öff­nun­gen dies be­in­hal­tet. Ge­o­po­li­ti­sche Räume Me­dien stel­len durch die Art und Wei­se, wie sie über Vor­gänge in der Welt be­rich­ ten, politisch-geografische bzw. ge­o­po­li­ti­sche Räume be­reit. Dies be­in­hal­tet, Men­ schen in Ver­bin­dung mit kul­tu­rel­len Prak­ti­ken und in ei­nen Ver­gleich zu an­de­ren Ter­ri­to­rien bzw. Or­ten oder Räu­men zu set­zen. Es ent­steht eine ima­gi­näre Geogra­ fie mit Bil­dern von Land­schaf­ten und Men­schen, die diese be­völ­kern. Be­stimmte Men­schen wer­den also an be­stimm­ten Or­ten und in be­stimm­ten Re­gi­o­nen ver­or­tet. Wei­ter­ge­hend er­laubt dies die Be­wer­tung der ei­ge­nen so­zi­o-kul­tu­rel­len Iden­ti­tät und stützt na­ti­o­nale Iden­ti­täts­kon­s­t­ruk­ti­o­nen. Da­für fin­den wir in un­se­rer Stich­ probe vor al­lem das Mo­tiv der ma­te­ri­el­len und sym­bo­li­schen Grenz­set­zun­gen. Ma­te­ri­elle Grenz­set­zun­gen Ein Me­di­en­re­zi­pi­ent_in­nen in­zwi­schen ver­trau­ter Bil­der­ty­pus zeigt das Mit­tel­ meer. Be­vor die Gren­zen im Jahr 2016 ge­schlos­sen wur­den, war das Meer zwi­ schen der Tür­kei und Grie­chen­land das zen­t­rale Hin­der­nis, das sy­ri­sche Ge­flüch­

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tete überqueren mussten, um nach Europa zu gelangen. Europa wird in diesen Visualisierungen als ein Sehnsuchts­ und Glücksort dargestellt. Jenseits davon liegen die gefährlichen Orte und Länder der Welt. Abbildung 1: Die Presse, 10. August 2015, S. 1

Wie auf Abbildung 1 erkennbar, spielen Boote und Rettungswesten eine große Rolle. So ist ein Mann mit Rettungsweste vor einem Schlauchboot zu sehen, der ein kleines Kind im Arm hält, das er küsst. Die dem Bild seitlich hinzugefügte Überschrift „Glücklich nach gefährlicher Überfahrt“ legt eine bestimmte Inter­ pretation nahe: Die Menschen, die aus einer Kriegs­ und Krisenregion über das gefährliche Meer geflüchtet sind, sind nun gerettet. Sie sind in Europa angelangt und damit in einer Region, die ihnen Sicherheit und eine Zukunft verspricht. Abbildung 2: Die Presse, 10. August 2015, S. 2

Zur Konstruktion von Identitätsräumen

Ein weiterer Bildertypus zeigt Gruppen von Flüchtenden in dem Moment, als sie die europäische Küste erreichen (vgl. Abb. 2). Im Einzelnen sind die Menschen in der Gruppe nicht zu erkennen. Ihre Gestalten heben sich dunkel vom rot gefärbten Abendhimmel ab. Besser zu identifizieren sind die erhobenen Hände und Finger, die teilweise das Victory­Zeichen formen. Eine Person hält eine Stange empor. Die Bildunterzeile verrät, dass es sich um Geflüchtete aus Syrien handelt, die in Griechenland angekommen sind und ein Selfie machen. Dass sie „lebend“ ange­ kommen sind, unterstreicht die Gefahren, die mit der Überfahrt verbunden sind. Das Glück der gelungenen Überquerung des Meeres wird damit bildlich verdop­ pelt, da nicht nur das Pressefoto, sondern auch die Refugees auf dem Foto diese dokumentieren. Die Grenze zwischen Unfreiheit, Krieg und Unterdrückung wird bei diesem Bildertypus durch das Meer markiert, dessen Überfahrt gefährlich ist und damit gleichermaßen auf die Verzweiflung wie den Mut der Geflüchteten verweist. Mit aller Macht wollen sie Europa erreichen, das sich so als geopolitische Region konstruiert, in der die Menschenrechte geachtet und jedem Einzelnen Sicherheit und Zukunft versprochen werden. Die positiven Assoziationen im Hinblick auf die Geflüchteten, die dabei hervorgerufen werden, gelten aber vor allem dieser Konstruktion Europas. Da Österreich keine Grenze zum Meer hat, bleiben die Geflüchteten insofern abstrakt, als sie im eigenen Land keine physische Präsenz beanspruchen. Innerhalb Österreichs werden in den Bildern dann andere Grenzen markiert, die explizit oder implizit die Geflüchteten von der einheimischen Bevölkerung trennen (vgl. Abb. 3 und 4). Abbildung 3: Kronen Zeitung, 15. November 2015, S. 16

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Abbildung 4: Kronen Zeitung, 9. August 2015, S. 18

Auf Abbildung 3 sind hinter einem Zaun mehrere Zelte zu sehen, undeutlich sind auch einige Menschen am Bildrand zu erkennen. Als Beobachtende werden die Leser_innen der Zeitung diesseits des Zaunes positioniert. Sie sehen ein einge­ zäuntes Areal, in dem Menschen von ihnen abgegrenzt campieren. Solche hohen Zäune lösen unweigerlich die Assoziation von Gefängnissen oder Lagern aus. Das unsichtbare ,Wir‘ bleibt darin von ,den Anderen‘ nicht nur getrennt, sondern zu­ gleich auch geschützt. Abbildung 4, die keine Menschen zeigt, teilt die Landschaft in zwei Be­ reiche auf: Im Vordergrund ist eine ,Zeltstadt‘ abgebildet, die die Flüchtigkeit des Verweilens vieler nicht­sesshafter Menschen symbolisiert, im Hintergrund zeichnet sich am Hügel die Silhouette eines Kirchturms und von Dächern ab, die das vertraute Bild einer schon lange existierenden, sich nicht wandeln­ den Stadt zeigt. Dazwischen liegt ein Waldgebiet, das als vermeintlich na­ türliche Grenze zwischen den Geflüchteten und der Bevölkerung fungiert. In beiden Bildern werden zwei Territorien deutlich voneinander abgegrenzt: das von der unsichtbar bleibenden Bevölkerung bewohnte Territorium auf der einen Seite und das den – nur manchmal schemenhaft erkennbaren – Geflüchteten zuge­ wiesene Areal auf der anderen. Symbolische Grenzsetzungen Symbolische Grenzen evozieren jene Bilder, auf denen Geflüchtete und Polizei oder Bundesheer zu sehen sind. Damit werden Ersteren bestimmte physische Räume zugeordnet – die von anderen Orten, an denen die ,Einheimischen‘ leben, deutlich abgegrenzt sind (vgl. Abb. 5 und 6). Abbildung 5 zeigt im Vordergrund einen Mann, der den Betrachter_innen den Rücken zuwendet. Groß ist das Wort „Polizia“ auf dem Shirt zu sehen, es han­ delt sich also um einen italienischen Polizisten. Er beobachtet eine Gruppe von ca. 20 Personen, die im Hintergrund warten. Zu sehen sind die Lokomotiven zweier

Zur Konstruktion von Identitätsräumen

Züge, wobei rechts ein Zug der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) zu erken­ nen ist. Der Untertitel besagt, dass „Tausende Illegale“ von Italien nach Österreich wollen, jedoch am Brenner angehalten werden. Ob dieses Bild am Brenner foto­ grafiert wurde, ist aber nicht zu erkennen. Wie bei den physischen Zäunen markiert der Polizist eine Körpergrenze, so dass die sichtbaren Geflüchteten nicht auf das Territorium der unsichtbar bleibenden Bevölkerung überwechseln können. Wie hier zeigt sich auf weiteren Bildern auch eine deutliche räumliche Distanz zwi­ schen der Polizei, die das Areal bewacht, und den Geflüchteten selbst (vgl. Abb. 6). Abbildung 5: Kronen Zeitung, 10. August 2016, S. 16

Abbildung 6: Kronen Zeitung, 16. November 2015, S. 17

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Schon in den frühen Pressefotografien zur Flucht werden damit häufig klare Gren­ zen zwischen dem ,Wir‘ der Bevölkerung und den ,Anderen‘, die als Geflüchtete nach Europa oder Österreich kommen, abgesteckt. Stets werden die Refugees in den ,anderen‘ Territorien und an ,anderen‘ Orten platziert als die meist unsichtbar bleibenden Beobachter_innen und Zeitungsleser_innen. Identitätspolitische Räume Medieninhalte konstruieren auch identitätspolitische Räume, in denen Identitäten etabliert und verhandelt werden (vgl. Hipfl 2004). Die Konzeption von medialen Identitätsräumen führt zu einer Beschäftigung mit den in den Medien vorkom­ menden sozialen Identitäten und Körpern. Welche Identitäten sind an welchen Orten, in welchen Kontexten überhaupt denkbar und vorstellbar? Weitergehend erlaubt diese Konzeption danach zu fragen, wie die Zugehörigkeit zu imaginären Gemeinschaften bestimmt wird und welche Differenzierungen, Grenzziehungen und Formen des Ausschlusses dabei vorgenommen werden. Die Bildberichterstat­ tung über Geflüchtete liefert ein Beispiel für Inszenierungsstrategien von Fremd­ heit und Ausschluss, die Debatte über ,unsere‘ Werte ein anderes. Eine anonyme Menge Bilder, die identitätspolitische Verortungen hervorrufen, werden in unserer Stich­ probe durch eine bestimmte Inszenierung von Gruppen von Geflüchteten aufge­ rufen. Abbildung 7: Der Standard, 26. August 2015, S. 24

Zur Konstruktion von Identitätsräumen

Abbildung 7 zeigt eine Menschengruppe, in der die einzelnen Personen eng bei­ einander sitzen. Im Bildmittelpunkt wird das Gesicht eines Mannes von seinem Handy beleuchtet. Der Kontext des Bildes und die Bildunterzeile machen unmiss­ verständlich deutlich, dass es sich um Geflüchtete handelt, die auf die Fähre von Kos nach Piräus warten. Die Dunkelheit verhindert, dass einzelne Menschen auf dem Bild zu erkennen sind. Außer einem links stehenden Kind sieht man auf dem Bild nur Männer. Die Darstellung einer dunklen Menschenmenge wird oft mit einer Bedro­ hung für das Individuum assoziiert. Das gehäufte Auftreten dieses Bildertypus legt damit schon jene Metaphern nahe, die dann immer stärker die Diskussion um Fluchtmigration in Europa bestimmt haben, dass nämlich die ,Flut‘, der ,an­ schwellende Strom‘ oder die ,gigantische Welle‘ ,uns‘ zu überschwemmen drohe. Das mit Abbildung 7 exemplarisch vorgestellte Bildmotiv unterstützt darüber hi­ naus einen Diskurs, der in der Mediendiskussion eine große Rolle spielte, dass nämlich überwiegend Männer nach Europa geflüchtet seien. Die Wertedebatte Identitätspolitische Setzungen sind besonders deutlich und direkt in der sogenannten Wertedebatte formuliert worden, in der ,europäische‘ oder auch ,christliche‘, neuerdings ,christlich­jüdische‘ Werte beschworen werden. Nun sind Werte schwierig fotografisch zu zeigen, deshalb greifen die Medien in solchen Debatten häufiger auf Zeichnungen, Symbole oder Comics zurück, die sich in un­ serem Sample zahlreich finden. Abbildung 8: Salzburger Nachrichten, 7. November 2015, S. 1

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Zu die­sem Bil­der­ty­pus ge­hört Abbildung  8, eine Zeich­nung des be­kann­ten Salz­ bur­ger Ka­ri­ka­tu­ris­ten Wi­za­ny, die auf den ers­ten Blick die Wer­te­de­batte un­ter dem Ti­tel „An­pas­sungs­druck“ kri­tisch kom­men­tiert. Eine be­leibte Per­son, die mit Le­ der­ho­se, ka­rier­tem Hemd und Jagd­hut als ,Ein­hei­mi­scher‘ und mit Arzt­man­tel und Ste­tho­s­kop als Arzt ge­kenn­zeich­net ist, kon­fron­tiert ei­nen schmäch­ti­gen Mann mit ei­nem rot-weiß mar­kier­ten, also ös­ter­rei­chi­schen Wer­te­ka­ta­log. Der Mann ist durch die feh­len­den Schu­he, sei­nen Bart, die ab­ge­ris­sene Klei­dung und den Ruck­ sack mit dem sy­ri­schen Lan­des­wap­pen als Ge­flüch­te­ter mar­kiert. Der Wer­te­ka­ ta­log ka­ri­kiert An­for­de­run­gen an die ide­a­len ös­ter­rei­chi­schen Kör­per­maße und -wer­te. Diese Ka­ri­ka­tur des ver­meint­li­chen Wer­te­ka­nons und der Ver­pflich­tung von Ge­flüch­te­ten, die­sen an­zu­neh­men, wird aber durch die un­mit­tel­bar da­r­un­ter ge­ setzte Ar­ti­kel­ü­ber­schrift „Die Zu­wan­de­rer müs­sen un­sere Werte an­neh­men“ kon­ ter­ka­riert. Die kri­ti­sche Mi­g­ra­ti­ons­for­schung hat be­reits vor Jah­ren ana­ly­siert, dass In­te­g­ra­tion im­mer stär­ker von ei­ner Auf­gabe der Ge­sell­schaft zu ei­ner der Mi­g­rant_in­nen ge­wor­den ist.6 Sie hat des­halb da­für plä­diert, den Be­griff der In­te­g­ ra­tion durch das Be­griffs­paar In­klu­si­on/Ex­klu­sion zu er­set­zen. Seit 2015 ist diese Ver­schie­bung der In­te­g­ra­ti­ons­leis­tung von ei­ner, die die Ge­sell­schaft er­mög­li­chen muss, zu ei­ner, die vor al­lem in der Ver­ant­wor­tung von Ge­flüch­te­ten liegt, im­mer deut­li­cher her­vor­ge­tre­ten. Da­mit ver­bun­den ist ein wei­te­res Pro­b­lem, denn wenn von Wer­te­ge­mein­schaf­ten ge­spro­chen wird, egal ob im Kon­text ei­ner län­der- oder kon­ti­nent­spe­zi­fi­schen Ver­or­tung oder im Zu­sam­men­hang mit re­li­gi­ö­sen Ge­mein­ schaf­ten, dann wird stets eine ho­mo­gene Ge­sell­schaft vo­r­aus­ge­setzt. Wer­te, die sich als an­zu­stre­ben­des Ideal ent­wi­ckelt ha­ben, wie etwa die Men­schen­rech­te, wer­den da­mit als Re­a­li­tät ge­setzt. Die dis­kur­sive Ver­or­tung je­ner Werte in West­ eu­ro­pa, in Ös­ter­reich oder im Chris­ten­tum führt dann zwangs­läu­fig zu ei­ner Aus­ gren­zung an­de­rer und zu de­ren Aus­schluss aus der sol­cher­ma­ßen kon­s­t­ru­ier­ten Wer­te­ge­mein­schaft – und sie lie­fert iden­ti­täts­po­li­ti­sche Set­zun­gen, die eine In­te­ g­ra­ti­on, im Sinne der Ver­hin­de­rung von Ex­klu­si­o­nen, nicht nur er­schwe­ren, son­ dern per de­fi­ni­ti­o­nem aus­schlie­ßen. Zu­sam­men­ge­fasst fin­den sich auf der Ebene der me­di­a­len Bil­der­pro­duk­tion zum Thema Flucht in den un­ter­such­ten ös­ter­rei­chi­schen Zei­tun­gen nur aus­nahms­ weise Dar­stel­lun­gen, die eine he­ge­mo­ni­ale Be­deu­tungs­pro­duk­tion in Frage stel­ len, auch wenn in der Me­di­en­an­eig­nung die An­nahme viel­fäl­ti­ger Po­si­ti­o­nen eine Mög­lich­keit bleibt. Für die Er­öff­nung von Zwi­schen­räu­men be­reits auf der ma­ni­ fes­ten (Bild-)E­bene fin­den sich dem­ge­gen­ü­ber zahl­rei­che Bei­spiele in künst­le­ri­ schen und kul­tu­rel­len Pro­duk­ti­o­nen.

6 Vgl. etwa https://www.uni­vie.ac.at/kri­ti­sche-mig­ra­ti­ons­for­schung/php/wir.php (6. 11. 2018); dort z. B. Gou­ma, Neu­hold, Schei­bel­ho­fer, Val­chars 2010.

Zur Kon­s­t­ruk­tion von Iden­ti­täts­räu­men

Zwi­schen­räu­me: Künst­le­ri­sche Re­prä­sen­ta­ti­o­nen Ar­bei­ten der Visual Arts, die Mi­g­ra­ti­on, Flucht und Ge­flo­hene in den Blick neh­ men, wer­den ins­be­son­dere in Be­zug auf ihr Potenzial, Am­bi­va­len­zen, viel­deu­ tige Bil­der und kom­p­lexe Nar­ra­ti­o­nen zu er­zeu­gen, in­ter­pre­tiert (vgl. Mo­ser 2011; Tello 2016; Ring Pe­ter­sen 2017) oder an der Schnitt­stelle zum Ak­ti­vis­mus ver­or­tet (vgl. Hei­den­reich 2015). Viel­fach zie­len die Kunst­pro­jekte auf die Dekonstruktion stereotyper Repräsentationen, die Produktion gegenhegemonialer Bilder und Sichtweisen auf Migration und Migrant_innen und damit auf die Schaffung von Zwischenräumen ab, die am­bi­va­lente Re­zep­ti­ons­wei­sen er­mög­li­chen und Mehr­ deu­tig­kei­ten jen­seits bi­nä­rer Op­po­si­ti­o­nen ver­han­deln. Kunst lie­fert wie Me­dien Ma­te­rial für die Ent­ste­hung von Zwi­schen­räu­men, die sich im Mo­ment der Re­zep­tion er­öff­nen. Da­r­ü­ber hi­n­aus sind künst­le­ri­sche Ar­ti­ku­la­ ti­o­nen viel­fach auf der Ebene der Pro­duk­tion Orte der Ent­fal­tung von Zwi­schen­räu­ men (vgl. Klaus/Drüeke/Kirch­hoff 2012). Die Er­öff­nung von Zwi­schen­räu­men im Kon­text künst­le­ri­scher Pro­duk­ti­o­nen wurde in den letz­ten Jah­ren ver­stärkt dis­ku­tiert, ins­be­son­dere auch in post­ko­lo­ni­a­len und per­for­man­ce­the­o­re­ti­schen Zu­sam­men­ hän­gen. Zwi­schen­räume kön­nen als post­ko­lo­ni­ale dritte Räume im Sinne Homi K. Bhab­has (2000) ver­stan­den wer­den, die hy­b­ride Kul­tur- und Iden­ti­täts­kon­s­t­ruk­ti­ o­nen er­mög­li­chen. Die Äs­the­tik der Per­for­ma­tivi­tät geht un­ter Be­zug­nahme auf Ri­tu­al­the­o­rien da­von aus, dass im Mo­ment der Re­zep­tion von Kunst die äs­the­ti­sche Er­fah­rung als Schwel­len­er­fah­rung mit trans­for­ma­ti­ver Kraft er­lebt wer­den kann, da ge­wohnte All­tags­re­geln vo­r­über­ge­hend ihre Gül­tig­keit ver­lie­ren und Nor­men, Rol­len und Sym­bole neu zur Dis­po­si­tion ge­stellt wer­den (vgl. Bach­mann-Me­dick 2006: 104–143; Fi­scher-Lichte 2004). In sol­chen Zwi­schen­räu­men wer­den ver­traute Wahr­ neh­mungs­mus­ter be­wusst mit­tels äs­the­ti­scher In­sze­nie­rungs­stra­te­gien ins Wan­ken ge­bracht und eine Wirk­lich­keit kon­s­t­ru­iert, „in der das eine zu­gleich als das an­dere er­schei­nen kann, eine Wirk­lich­keit der In­sta­bi­li­tät, der Un­schär­fen, Viel­deu­tig­kei­ten, Über­gän­ge, Ent­gren­zun­gen“ (Fi­scher-Lichte 2004: 304). Äs­the­ti­sche Er­fah­rung hat Ju­li­ane Re­ben­tisch zu­folge ethisch-po­li­ti­sches Potenzial, in­so­fern als sie ein un­mit­ tel­ba­res Ver­ste­hen so­wie tat­säch­li­ches Han­deln un­ter­bricht, und zwar „zu­guns­ten ei­ner re­fle­xi­ven Ver­ge­gen­wär­ti­gung der kul­tu­rel­len und so­zi­a­len Ho­ri­zon­te, in die un­ser Ver­ste­hen und un­ser Han­deln nor­ma­ler­weise ein­ge­las­sen sind“ (La­leg 2012). Im Fol­gen­den wer­den drei Bei­spiele der Ge­gen­warts­kunst dis­ku­tiert, die sich auf Mi­g­ra­tion und Flucht be­zie­hen und auf un­ter­schied­li­che Art Zwi­schen­räume er­öff­nen. Am­bi­va­lente Ver­hül­lun­gen Von Ni­cole We­ni­ger, ei­ner in Ti­rol ge­bo­re­nen und in Wien le­ben­den Künst­le­rin, stammt die 2014 ent­stan­dene erste Ar­beit ih­rer Fotoserie The Un­known (Abb. 9). Die Fotografie zeigt Per­so­nen, die in gol­den schim­mernde Tü­cher ge­hüllt sind.

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Ort der In­sze­nie­rung ist eine kar­ge, un­wirt­li­che Land­schaft am ne­be­li­gen Meer, die keine Rück­schlüsse auf ei­nen kon­kre­ten politisch-geografischen Raum zu­ lässt. Auf dem Bild sind kei­ner­lei Hin­weise dazu zu fin­den, was die Gruppe in der Ge­gend macht und wie sie da­hin ge­kom­men ist. Un­klar ist auch, ob sie sich auf das Was­ser zu be­wegt oder von dort kommt. Durch diese nicht be­stimm­bare Be­we­gung der Gruppe er­scheint das Was­ser bzw. Meer – im Ge­gen­satz zu zahl­ rei­chen Me­di­en­bil­der – nicht als zu über­win­dende Gren­ze. Abbildung  9: Ni­cole We­ni­ger The Un­known, 2014, C-Print, 100 × 70 cm

Cour­tesy/© Ni­cole We­ni­ger

In ei­nem star­ken Kon­trast zur Land­schaft steht der gol­dene Glanz der Tü­cher, die sich als Ret­tungs­de­cken ent­pup­pen und im Kon­text von Flucht – so­wohl in den Me­dien als auch im künst­le­ri­schen Dis­kurs7 – lau­fend vor­kom­men. Sie sind pri­mär Sym­bol für Not und Ka­ta­s­t­ro­phen, kön­nen durch das gol­dene Glit­zern aber auch As­so­zi­a­ti­o­nen zu Reich­tum oder Über­fluss ent­ste­hen las­sen und in­so­ fern sehr am­bi­va­lent er­schei­nen. In We­nigers Ar­beit wird die Ret­tungs­fo­lie zur Ver­hül­lung mensch­li­cher Kör­per ver­wen­det, wo­bei sie durch die Dra­pie­rung des Stof­fes zu ei­ner Art Klei­dung wird. Mit der gän­gi­gen Ver­wen­dung und Be­deu­tung des Ma­te­ri­als wird also ge­bro­chen. Die Ret­tungs­fo­lien kön­nen als Bur­kas ge­le­sen wer­den. Diese Les­art bleibt je­doch hoch­gra­dig va­ge, da sich aus dem Bild nicht er­schließt, wer die Men­schen sind – ob Frauen oder Män­ner – und wel­cher sym­ 7 Ein pro­mi­nen­tes Bei­spiel stammt von Ai Wei­wei, der im Früh­jahr 2016 seine Skulp­tu­ ren­gruppe Circle of An­imals/Zo­diac Heads in Prag mit Ret­tungs­fo­lien um­hüllte (vgl. http://orf.at/sto­ries/2322903/ (6. 11. 2018)).

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bo­li­schen Ge­mein­schaft sie an­ge­hö­ren könn­ten. Es wird eine Un­be­stimmt­heit und Viel­deu­tig­keit ins Bild ge­rückt, die in me­di­a­len Bil­dern oft fehlt: Dort steht die Burka meist für Rück­stän­dig­keit und hat eine wich­tige Funk­tion für die Grenz­zie­ hung zwi­schen ei­nem In­ner- und Außerhalb der Ge­sell­schaft (vgl. Klaus/Drüe­ke/ Kirch­hoff 2012). Ein wei­te­rer Un­ter­schied zu den ana­ly­sier­ten Me­di­en­bil­dern er­ gibt sich da­r­aus, dass die Gruppe nicht mit Be­dro­hung (vgl. Ha­eh­nel 2015; Falk 2010) as­so­zi­iert wird, wenn­gleich sie dis­tan­ziert und un­nah­bar wirkt. Der Ti­tel ver­weist auf ,das Un­be­kann­te‘, wo­durch eine Po­si­ti­o­nie­rung von Sub­jek­ten und eine Grenz­zie­hung – zwi­schen ,uns‘ Be­trach­ter_in­nen und den ,frem­den‘ Ab­ge­bil­ de­ten – vor­ge­nom­men wird, und ein­her­ge­hend da­mit wiederum ganz ähn­lich wie in den Me­di­en­bil­dern eine Aus­gren­zung der ,An­de­ren‘ stattfindet. Ni­cole We­ni­ger geht es in der Ar­beit da­r­um, Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit zu the­ ma­ti­sie­ren – eine Ver­lo­ren­heit zwi­schen dem ir­gendwo An­kom­men und dem sich Ver­or­ten, „eine An­kunft in der Schwebe zwi­schen Un­si­cher­heit und Su­che“, wie sie in un­se­rem im Früh­jahr 2016 ge­führ­ten Ge­spräch be­tont (Mo­ser 2016: o. S.). As­so­zi­a­ti­o­nen zu Flucht tun sich auf, wo­bei die Künst­le­rin diese Be­züge nicht be­wusst in­ten­diert. Sie sieht Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit als glo­ba­les Zei­chen der Mensch­heit, un­ab­hän­gig von Kul­tur oder Ge­schlecht. Die 2014 ent­stan­dene Foto­ grafie er­hält – wie an­dere Ar­bei­ten We­nigers – im Kon­text der vie­len Me­di­en­bil­ der, die seit Herbst 2015 zu Flucht er­schie­nen sind, neue Be­züge und Be­deu­tun­ gen. „Die Frage nach der Zu­ge­hö­rig­keit, da­nach, wo ich bin, wo ich mich ver­orte oder wo ich hin­möch­te, be­schäf­tigt mich schon seit Jah­ren – auf ei­ner abs­trak­ten Ebene“, sagt die Künst­le­rin. „Aber jetzt ist das Thema ge­rade auf sehr trau­rige Art in der Re­a­li­tät stark sicht­bar.“ (Ebd.) Zei­gen durch Nicht-Zei­gen The Un­tit­led Ima­ges (Abb. 10) ist eine Ar­beit des sy­ri­schen Künst­lers Kha­led ­Barakeh, der seit einigen Jahren in Berlin lebt und arbeitet. Die 2014 ent­stan­ dene In­stal­la­tion aus fünf Bil­dern zeigt Stra­ßen­sze­nen mit Men­schen, die an­dere – schwer ver­letzte oder ge­tö­tete – Men­schen hal­ten. Als ge­o­po­li­ti­scher Raum wird der Nahe oder Mitt­lere Os­ten evo­ziert, zum Teil durch Klei­dung oder ara­bi­ sche Schrift­zei­chen. Die Fotoserie weist in An­sät­zen do­ku­men­ta­ri­schen Cha­rak­ter auf, in­dem sie re­ale Kriegs­schau­plätze – laut Bar­akeh in Sy­rien (vgl. Web­site des Künst­lers) – ab­bil­det. Der do­ku­men­ta­ri­sche Ein­druck wird durch künst­le­ri­sche Ein­griffe je­doch ra­di­kal ge­bro­chen: Die Op­fer sind aus den Fotografien he­r­aus­ ge­schnit­ten bzw. wurde die Fotofolie ab­ge­zo­gen, sodass die Kör­per nur als weiße Sil­hou­et­ten er­kenn­bar sind. Die­ser ge­walt­tä­ti­ge, na­hezu chi­r­ur­gi­sche künst­le­ri­ sche Akt lässt ein Kon­ti­nuum aus et­was Hin­ter-sich-Las­sen und Mit­neh­men ent­ ste­hen, das kons­ti­tu­tiv für jede Mi­g­ra­ti­ons- und Flucht­si­tu­a­tion ist. Bar­akeh re­flek­tiert das ,Di­lemma der Re­prä­sen­ta­ti­on‘ – die Wirk­lich­keit nicht nur ab­bil­det, son­dern im­mer auch mit­kon­s­t­ru­iert –, in­dem er Re­prä­sen­ta­tion als

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in­ten­ti­o­na­les Sicht­bar- und Un­sicht­bar-Ma­chen zum zen­t­ra­len Thema der Ar­beit macht und zwi­schen der Dar­stel­lung von Men­schen und de­ren Nicht-Dar­stel­lung chan­giert. Die Op­fer bzw. die Leer­stel­len wer­den über ihre Kon­texte ak­zen­tu­ iert: Die Men­schen, die die Op­fer tra­gen – An­ge­hö­rige oder Freun­de? –, sind mit dem Aus­druck von Ver­zweif­lung, Angst und Trauer er­kenn­bar. Da­r­ü­ber las­ sen sich Rück­schlüsse auf die le­bens­be­droh­li­chen Um­stän­de, das Aus­maß all­täg­ li­cher Gräuel in Kon­flikt­ge­bie­ten und die da­mit ver­bun­dene ra­di­kale Zer­stö­rung mensch­li­cher Bin­dun­gen zie­hen. Es wer­den in der In­stal­la­tion also Ur­sa­chen von Flucht als all­täg­li­che und in­time Dra­men ins Bild ge­rückt, die im me­di­a­len Dis­ kurs weit­ge­hend aus­ge­blen­det blei­ben. Da­durch, dass die Op­fer als Leer­stel­len in­sze­niert wer­den, tre­ten Fra­gen nach re­li­gi­ö­ser, kul­tu­rel­ler oder ge­schlecht­li­cher Iden­ti­tät in den Hin­ter­grund und sie kön­nen zu an­o­ny­men Platz­hal­tern für un­ter­schied­li­che Men­schen – auch der Be­ trach­ter_in­nen – wer­den. Abbildung 10: Kha­led Bar­akeh: Teil der Fotoserie The Un­tit­led Ima­ges, 2014, C-Digital print, fünf Fotos je 21 × 30 cm

Cour­tesy/© Kha­led Bar­akeh

Tex­tile Ver­weise Die In­stal­la­tion Esca­ping Cac­tus der in Wien und Is­tan­bul le­ben­den und ar­bei­ten­den Künst­le­rin Nil­bar Gü­res ent­stand eben­falls – wie die bei­den vor­her ana­ly­sier­ten Ar­ bei­ten – im Jahr 2014. Sie wurde von Ap­ril bis Ok­to­ber 2016 im Rah­men der Aus­ stel­lung Po­e­sie der Ver­än­de­rung im Mu­seum der Mo­derne Salz­burg prä­sen­tiert und war da­r­ü­ber hi­n­aus auch als Fotografie auf dem groß­for­ma­ti­gen An­kün­di­gungs­pla­

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kat der Aus­stel­lung über meh­rere Mo­nate im ge­sam­ten Stadt­raum prä­sent. Da­durch war es mög­lich, die künst­le­ri­sche Ar­beit in ei­nem tra­di­ti­o­nel­len Kunst­raum, aber auch ,nie­der­schwel­lig‘ im öf­fent­li­chen Raum Salz­burgs zu re­zi­pie­ren. Um die Re-In­sze­nie­rung von dis­kri­mi­nie­ren­den Ste­re­o­ty­pi­sie­run­gen zu um­ ge­hen, kann eine Stra­te­gie sein, Kör­per­bil­der in den Re­prä­sen­ta­ti­o­nen stark zu re­du­zie­ren oder ganz auf sie zu ver­zich­ten und dadurch Raum für komplexe Ima­ ginations- und Reflexionsprozesse zu schaffen (vgl. Ha­eh­nel 2013: 127). Gü­res mei­det in ih­rer Aus­ei­n­an­der­set­zung mit Flucht eine Be­zug­nahme auf Re­prä­sen­ta­ ti­o­nen mensch­li­cher Kör­per. Sie ver­wen­det Tex­ti­li­en, die in ih­rer Ar­beit ge­ne­rell eine wich­tige Rolle als künst­le­ri­sche Me­dien spie­len (vgl. Achola et al. 2010: 105–152), und ver­la­gert das Thema ins Pflan­zen­reich: Ihre in­stal­la­tive Ar­beit Esca­ping Cac­tus zeigt ei­nen Stoff­kak­tus, der sich aus dem Blu­men­topf be­freit hat und weg­läuft (vgl. Abb. 11). Die Be­frei­ung bzw. Flucht kann da­bei als Akt ei­ner in­di­vi­du­el­len Eman­zi­pa­tion ge­le­sen wer­den und be­zieht sich nicht ex­pli­zit auf Flucht­be­we­gun­gen aus Kri­sen­ge­bie­ten. Abbildung  11: Nil­bar Gü­res, Esca­ping Cac­tus, 2014, Me­tall­kon­s­t­ruk­ti­on, Fä­den, Tex­til, Blu­men­topf, Er­de, ge­hä­kelte Tex­til­ob­jekte

 Mu­seum der Mo­derne Salz­burg, Foto: Rai­ner Ig­lar

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Gü­res pro­b­le­ma­ti­siert Gren­zen und Grenz­ü­ber­schrei­tun­gen, in­dem sie die Lo­gik der Bi­o­lo­gie au­ßer Kraft setzt. Pflan­zen, die im Ge­gen­satz zu an­de­ren Le­be­we­sen meis­tens fest im Bo­den ver­wur­zelt und un­mo­bil sind, mit der Fä­hig­keit sich zu ent­wur­zeln aus­zu­stat­ten, birgt ein frech-wit­zi­ges Pa­ra­dox in sich. Der selbst­be­ stimmte Be­frei­ungs­akt des Kak­tus löst Fra­gen nach mög­li­chen Grün­den aus: Wie hoch muss der Lei­dens­druck sein, dass man ein Le­ben – mög­li­cher­weise ohne Er­de, Wur­zeln und Was­ser – oder gar ein Nicht-Ü­ber­le­ben in Kauf nimmt oder in Kauf neh­men muss? Was wis­sen wir über­haupt über Flucht­ur­sa­chen? Diese und ähn­li­che Fra­gen er­öff­net die In­stal­la­ti­on, los­ge­löst von kul­tu­rel­len oder ge­ schlecht­li­chen Iden­ti­täts­zu­schrei­bun­gen. Die Ar­beit kann als Plä­do­yer für Be­we­gungs­frei­heit und per­sön­li­che Frei­heit als uni­ver­sel­les Recht für alle – und als Be­stär­kung, sich die­ses Recht he­r­aus­zu­ neh­men – in­ter­pre­tiert wer­den. Sie be­tont zu­dem die – bei al­lem Leid – im­mer viel­fäl­ti­gen Fa­cet­ten der Iden­ti­tät Ge­flüch­te­ter, vor al­lem auch Selbst­be­stimmt­heit und Stär­ke. Da­mit ent­wirft Gü­res eine Per­s­pek­ti­ve, die dem viel­fach kri­ti­sier­ten (vgl. Hess 2015; Ha­eh­nel 2013; Bi­schoff/Falk/Ka­fehsy 2010) me­di­a­len Vik­ti­mi­ sie­rungs- und Ka­ta­s­t­ro­phen­dis­kurs rund um Mi­g­ra­tion und Flucht ent­ge­gen­steht. In­dem Nil­bar Gü­res die sta­che­li­ge, zähe und un­ter wid­rigs­ten Be­din­gun­gen über­ le­bens­fä­hi­ge, ge­schlechts­lose Pflanze als Fo­lie ih­rer Pro­jek­tion von Stärke und Selbst­be­stimmt­heit in den Fo­kus rückt, kön­nen diese Merk­male als ge­schlechtsund kul­tur­un­ab­hän­gi­ge, mensch­li­che Ei­gen­schaf­ten in­ter­pre­tiert wer­den.

F a ­zit Un­sere Ana­lyse von Pressefotografien hat ge­zeigt, dass in den Ta­ges­zei­tun­gen politisch-geografische Räume vor al­lem durch Grenz­set­zun­gen mar­kiert wer­den und spe­zi­fi­sche Iden­ti­täts­räume für Ge­flüch­tete ent­ste­hen. Durch die Bil­der von Ge­flüch­te­ten ent­ste­hen ima­gi­näre und ima­gi­nierte Ge­mein­schaf­ten, die Ge­flüch­ tete vor al­lem au­ßer­halb der ,ei­ge­nen Räu­me‘ ver­or­ten. Al­ler­dings ge­schieht dies auf­grund der Po­ly­se­mie von Me­di­en­in­hal­ten nie in ei­ner ein­deu­ti­gen, uni­for­men Wei­se. In­ter­pre­ta­ti­ons­wei­sen und Po­si­ti­o­nie­run­gen im iden­ti­täts­po­li­ti­schen Raum, sind viel­mehr ab­hän­gig von den so­zi­a­len Kon­tex­ten der Re­zep­ti­on, durch die Zwi­ schen­räume ent­ste­hen kön­nen. Wäh­rend im Pro­zess der Me­di­en­an­eig­nung die An­nahme viel­fäl­ti­ger Po­si­ti­o­ nen mög­lich ist, fin­den sich je­doch auf der Ebene der me­di­a­len Bil­der­pro­duk­tion in un­se­rer Stich­probe nur aus­ge­spro­chen sel­ten Dar­stel­lun­gen, die eine he­ge­mo­ ni­ale Be­deu­tungs­pro­duk­tion in Frage stel­len. Wir kön­nen und wol­len da­bei keine In­ten­ti­o­na­li­tät un­ter­stel­len. Die Leit­li­nien und Rou­ti­nen des Bild­jour­na­lis­mus sind ein­ge­bun­den in die Se­lek­ti­ons­re­geln und die Ar­beits­rou­ti­nen der Me­di­en­pro­duk­ ti­on. Hier wird vi­su­el­les Ma­te­rial vor al­lem ge­nutzt, um ak­tu­elle Nach­rich­ten zu

Zur Kon­s­t­ruk­tion von Iden­ti­täts­räu­men

be­bil­dern, was oft un­ter Zeit­druck ge­schieht. Im Mo­ment ih­rer Ver­wen­dung wer­ den des­halb die ge­sell­schaft­li­chen Dis­kurs­tra­di­ti­o­nen, in die sie ein­ge­bet­tet sind, meist nicht dis­ku­tiert. Eine Aus­nahme bil­den viele iko­no­gra­fi­sche Bil­der, wie etwa das von Alan Kur­di, dem drei­jäh­ri­gen sy­ri­schen Kind, das auf der Flucht er­trank und des­sen Kör­per im Sep­tem­ber 2015 an Land ge­spült wurde (vgl. Mor­ten­sen/Al­lan/Pe­ters 2017). Beim Ver­such zu ver­ste­hen, wel­che Bil­der sol­che star­ken Re­ak­ti­o­nen aus­ lö­sen, wer­den ne­ben den eher me­di­en­typi­schen Ei­gen­schaf­ten Pro­mi­nenz, Häu­fig­ keit des Ab­drucks (auch in di­gi­ta­len Me­di­en) und Un­mit­tel­bar­keit der Dar­stel­lung ei­nes Er­eig­nis­ses wei­tere ge­nannt. In­te­r­es­sant ist, dass die im Wei­te­ren ge­nann­ten Merk­male auch in den von uns ana­ly­sier­ten künst­le­ri­schen Ar­bei­ten zu fin­den sind: die Ver­brei­tung in un­ ter­schied­li­chen Me­dien und da­mit die par­ti­elle Los­lö­sung vom ur­sprüng­li­chen Kon­text; die Met­ony­mie, mit­tels de­rer ein Bild dann ein all­ge­mei­ne­res kul­tu­rel­les Phä­no­men be­schreibt bzw. eine ge­sell­schaft­lich all­ge­mei­nere Be­deu­tung er­hält; eine kul­tu­relle Re­so­nanz als Ver­weis auf Ar­che­ty­pen und tieferliegende mensch­li­ che Ge­füh­le; schließ­lich eine ein­dring­li­che Kom­po­si­ti­on, die mit we­ni­gen Mit­teln Über­ra­schun­gen, Ge­gen­sätze und Span­nun­gen zum Aus­druck bringt (vgl. Perl­ mut­ter, zit. in Mor­ten­sen/Al­lan/Pe­ters 2017: 73). Auf die von uns aus­ge­wähl­ten Bil­der der Ge­gen­warts­kunst tref­fen diese Merk­ male in­so­fern zu, als sie be­reits auf der ma­ni­fes­ten Ebene am­bi­va­lente und ir­ri­ tie­rende Be­deu­tun­gen tra­gen. Die Ar­bei­ten von We­ni­ger und Gü­res ha­ben erst im Zuge der kon­t­ro­ver­sen De­bat­ten im Som­mer 2015 ihre kon­krete Be­deu­tung im Dis­kurs um Flucht er­hal­ten. Wie iko­no­gra­fi­sche Fotos kann Kunst In­halte ,ein­ schleu­sen‘ bzw. be­to­nen, die in der all­täg­li­chen vi­su­el­len Bild­pro­duk­tion der Me­ dien aus­ge­blen­det blei­ben, etwa in­dem Flucht­ur­sa­chen, viel­fäl­tige Fa­cet­ten von Iden­ti­tä­ten, die Be­to­nung von Flucht als selbst­be­stimm­ter Akt oder Be­we­gungs­ frei­heit für alle the­ma­ti­siert wer­den. Im Mo­ment der Re­zep­tion kön­nen sol­che Pro­duk­ti­o­nen Zwi­schen­räume er­öff­nen und pro­duk­tive Ver­un­si­che­run­gen aus­ lö­sen, die – im bes­ten Fall – dif­fe­ren­zierte Re­fle­xi­ons­pro­zesse über Iden­ti­tä­ten und de­ren Kon­s­t­ruk­ti­o­nen in Gang set­zen und Raum­po­li­ti­ken ver­än­dern. An­ders for­mu­liert: Sie kön­nen „resources for thought and feeling“ be­reit­stel­len, „that are ne­ces­sary for cons­ti­tu­ting people as ci­ti­zens“ (Ha­ri­man/Lu­cai­tes 2007: 13).

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Making Art, Making Media, Making Change! In gesellschaftliche Verhältnisse intervenieren

„Selbst ein Magazin gestalten, „Wir müssen stattdessen sagen, was wichtig ist, sich die öffentliche Sphäre Gehör verschaffen. Selbst als zu fragmentiert als Stift und Papier denken, greifen, eigene Comic-Welten etwas, daserschaffen, aus einersich das auch zutrauen und Vielzahl von Räumen behaupten Ich kann das. und/oder Formationen Ausrangierte Materialien ungewöhnlich und für besteht, dierecyceln sich bald eigene Ideen und Botschaften miteinander verbinden, nutzen. Do-It-Yo Y urself nicht nur Yo voneinander alsbald Aufruf zum Kreativsein abschotten, und diealsin verstehen, sondern Möglichkeit, die Welt konflikthaften undmit kritischen Augen zu betrachten widersprüchlichen und gemeinsam an Beziehungen Veränderungenzueinander zu arbeiten. Making stehen.“ Art, Making Media,

Making Change! ermutigt junge (Simon Sheikh 2004: 2) Menschen, selbst in der kulturellen und medialen Produktion aktiv zu werden und T il dieser partizipativen Kultur Te zu sein. Das Projekt umfasst ein Workshop-Programm, eine T olbox zur Unterstützung der To Vermittlungsarbeit und ein wanderndes Archiv.“ (www.makingart.at)

SAUBERKEITS≠ORDNUNG ­ MONSTER WORKSHOP! mit Tomash Schoiswohl im Rahmen des Symposiums In sichtbare und unsichtbare Ordnungen eingreifen 2018. Fotos: Tomash Schoiswohl, Fabian Schober

Abbil ild il ldu dung 1: Colllllla lage aus Fo F tos vom Zin Zi ine-Wo W rk Wo rks kshop im i Ra R hmen d s „Wo de W men’s Wo ’ Sp ’s S ace“ von T re Te r sa Lugstein i , von de in d r Cra r ft ra ftitivi vis ism-We W rk We rks ksta t tt mit Step e hanie ep i Mülllllle ie ler sowi wie wi ie von d r Ausstellllllu de lung „Ma M ki Ma kin ing Art rt, rt t, M ki Ma kin ing Medi dia di ia, Ma M ki kin ing Change!“ mit T ililn Te lnehmeriririn innen de d s Grr rrr rr rrlrls ls Camp und Ka K Schmitz t tz (Fo (F Fotos: VO V RNA N ME NA M N CHN NA HNA HN NAME ME; E; Colllllla lage: Tim Ti imna Pa P chner) r r)

Wem gehört die Stadt?

2014 organisierte Teresa Lugstein die internationale Jugendbegegnung Women's Space, an der Frauen aus verschiedenen Ländern teilnahmen. Gemeinsam mit Studierenden entwickelten sie einen künstlerischen Stadtspaziergang im Stadtraum Salzburg mit den Slogans „We live to change!“ und „Dream big!“. Fotos: Pia Streicher

Abbil ild il ldu dung 2: 2 Colllllla lage aus Fo F tos von kü k nstltltle leriris isch-eduka k tit ven ka M teririria Ma ialilie ien de d r To T olb l ox lb ox: x: „Do-It-Yo Y urs Yo r elflflf, rs f, Do-it-To T geth To t er! th r “ de r! d s Pr Pro roj oje jekt k es „Ma M ki Ma kin ing Art rt, rt t, Ma M ki kin ing Medi dia di ia, Ma M ki kin ing Change!“ (Fo (F Fotos: VO V RNA N ME NA M NA N CHN HNA HN NAME ME; E; Colllllla lage: Tim Ti imna Pa P chner) r r)

„From the point of view of the theory of hegemony, artistic practices play a role in the constitution and maintenance of a given symbolic order or in its challenging and this is why they necessarily have a political dimension.“ (Chantal Mouffe 2008: 11)

stlerischer Künstlerischer Aktivismus Aktivismus in in Migrationskontexten Migrationskontexten

W&K­Forum Digital Spring. Kunst­Aktivismus in Migrationskontexten am 11.3.2016 in der ARGEkultur Salzburg mit André Leipold (Zentrum für Politische Schönheit, Berlin), Sonja Prlić (gold extra, Salzburg) und Khaled Barakeh (Damaskus/Berlin, Abbildung oben rechts: The Shake ­ Materialising Distance, 2013, oben links: The Shake ­ FRENEMY, 2013), Moderation: Sabine Bruckner (Salzburg). Fotos: ARGEkultur Salzburg

„Ich verstehe Migration im Wesentlichen als Phänomen, das dazu beiträgt, dass Gegebenes und die Ordnungen des Gegebenen irritiert, aufgewühlt, beunruhigt, provoziert und herausgefordert werden. […] Vieles, was im öffentlichen Raum, aber auch im Klassenzimmer oder im Lehrer_innenzimmer passiert, kann interpretiert werden als ein Kampf um Ordnungen.“ (Paul Mecheril 2016b: 102)

„Mit ‚Ganzhabe‘ meinen wir die vollständige und umfassende Teilhabe für behinderte und verrückte Menschen. [...] ‚Ganzhaben statt teilhaben‘ heißt: wir wollen die ganze Bäckerei statt nur Krümel. Wir wollen eine Gesellschaft, in der kein Mensch ausgegrenzt wird.“ (Siegessäule.de 2017: o.S.)

Diversity in Kunst und Kultur

Ein Diversity­Modell für Kunst­ und Kulturinstitutionen, entwickelt von den Studierenden Alexandra Bründl, Sebastian Jacobs, Raphaela Schatz und Claudia Simair in einer Lehrveranstaltung von Persson Perry Baumgartinger 2018. Fotos: Alexandra Bründl, Sebastian Jacobs, Raphaela Schatz und Claudia Simair

Praxisfelder

„Die temporäre Intervention schafft einen Zwischenraum, in dem Platz für das Hinterfragen des Gewohnten und für das Denken von Möglichkeiten ist.“ (Laila Huber in Aqra/Huber/Smodics/Zobl 2016)

Künst­le­ri­sche In­ter­ven­ti­o­nen als eman­zi­pa­to­ri­sche Prak­ti­ken

Künst­le­ri­sche In­ter­ven­ti­o­nen als eman­zi­pa­to­ri­sche Prak­ti­ken: Über Ver­schrän­kun­gen von Kunst, so­zi­a­len Be­we­gun­gen und Bil­dungs­pro­zes­sen1 Elke Smo­dics, Elke Zobl „Von wel­cher po­li­ti­schen Per­s­pek­tive aus träu­ men wir, se­hen wir, sind wir schöp­fe­risch tä­tig und brin­gen et­was in Gang? […] Es geht da­r­ um,  die Bil­der um­zu­wan­deln, Al­ter­na­ti­ven zu schaf­fen.“ (hooks 1994a: 13)

Die Kunst­ge­schichte hält sich bis heute im We­sent­li­chen an kunst­in­terne Les­ar­ten künst­le­ri­scher Ar­bei­ten und geht den Ver­bin­dun­gen zu so­zi­a­len Be­we­gun­gen nur sel­ten nach (vgl. Kastner 2011: 11). Wir ge­hen dem ge­gen­ü­ber in die­sem Bei­trag von der Be­o­b­ach­tung aus, dass sich zwi­schen den an­ti­dis­kri­mi­nie­ren­den For­de­ run­gen von so­zi­a­len Be­we­gun­gen und den In­ten­ti­o­nen von künst­le­ri­schen In­ter­ ven­ti­o­nen eine Schnitt­stelle be­schrei­ben lässt, die sich seit den 1970er Jah­ren auf ein eman­zi­pa­to­ri­sches, so­li­da­ri­sches Han­deln rich­tet. Un­ser In­te­r­esse am In­ter­ ven­ti­ons­be­griff be­zieht sich da­bei auf drei As­pek­te: Auf das Ver­hält­nis von Kunst, Po­li­tik und Ge­sell­schaft, auf das ak­tive und kri­ti­sche Ein­grei­fen in ge­sell­schaft­ li­che Ver­hält­nisse und Ord­nun­gen so­wie auf das Sicht­bar­ma­chen wi­der­strei­ten­ der und wi­der­stän­di­ger Po­si­ti­o­nen. In­ten­tion die­ses Bei­trags ist es, den Blick auf kol­lek­tive in­ter­ven­ti­o­nis­ti­sche Prak­ti­ken zu rich­ten, die nicht selbst­re­fe­ren­zi­ell auf das Kunst­feld be­zo­gen sind, son­dern die­ses mit so­zi­a­len Be­we­gun­gen zu­sam­ 1 Der Text baut auf den Ar­ti­keln von Zobl/Reit­sa­mer 2014 und Hu­ber/Zobl 2014 auf und ent­wi­ckelt diese wei­ter. Zwei Aus­ga­ben un­se­res eJour­nals p/art/ici­pate (4 und 5, 2014) wid­me­ten sich eben­falls der The­ma­tik. Wir dan­ken Rosa Reit­sa­mer und Laila Hu­ber herz­lich für die pro­duk­tive Zu­sam­men­ar­beit in die­sen Bei­trä­gen, so­wie für das Feed­ back zu dem Text Mar­cel Bleu­ler, Ines Gar­nit­schnig, Re­nate Höll­wart, Pers­son Perry Baum­gar­tin­ger und Sig­linde Lang. Ein­schrän­kend müs­sen wir fest­hal­ten, dass wir uns dem Feld aus un­se­rer in Ös­ter­reich ver­an­ker­ten Per­s­pek­tive vor­wie­gend mit Be­zug auf deutsch­spra­chige Li­te­ra­tur und Bei­spiele an­nä­hern.

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Elke Smo­dics, Elke Zobl

men­füh­ren. Da­durch er­öff­nen sie eman­zi­pa­to­ri­sche Hand­lungs­räume für das Den­ ken von Mög­lich­kei­ten und stel­len herr­schafts­kri­ti­sche Ge­gen­öf­fent­lich­kei­ten her. Im Fo­kus ste­hen da­her die Schnitt­stel­len, Ver­knüp­fun­gen und Ver­schrän­kun­gen von künst­le­ri­schen In­ter­ven­ti­o­nen, so­zi­a­len Be­we­gun­gen und Bil­dungs­pro­zes­sen. Diese Per­s­pek­tive ist un­se­rer Ver­an­ke­rung in ei­ner kri­ti­schen Kunst- und Kul­tur­ ver­mitt­lung und ei­nem Ver­ständ­nis von Bil­dung als eman­zi­pa­to­ri­schem Han­deln ge­schul­det.

E in ­lei ­tung : E in

gu ­tes

L e ­b en

für al ­le !

Ein zen­t­ra­les de­mo­kra­tie­po­li­ti­sches An­lie­gen hin­ter der Ver­schrän­kung von Kunst, so­zi­a­len Be­we­gun­gen und Bil­dung ist die For­de­rung nach ei­nem „gu­ten Le­ben für alle“. Das In­te­r­esse gilt da­bei künst­le­ri­schen Ein­grif­fen, die durch ihre (Bild-)Spra­che nicht im­p­li­zit das wie­der­ho­len, was sie kri­ti­sie­ren wol­len, son­dern viel­mehr der Ent­wick­lung von Ge­gen­bil­dern und Ge­gen­ge­schich­ten, die ihre For­de­run­gen be­reits als struk­tu­rel­les Ele­ment ent­hal­ten. So for­derte die Künst­le­rin Banu Cennetoǧlu mit ih­rer künst­le­ri­schen In­ter­ven­tion bei der do­ cu­menta 14 (2017) ei­nen öf­fent­li­chen Di­a­log zum po­li­ti­schen Ge­sche­hen ein: Mit dem Ein­zei­ler Being­sa­feis­scary auf der Fas­sade des Kas­se­ler Frie­de­ri­cia­ nums rich­tet sich die Künst­le­rin ge­gen macht­po­li­ti­sche Sys­teme und Struk­tu­ren. Abbildung 1: Banu Cennetoǧlu, Being­sa­feis­scary, do­cu­menta 14 in Kas­sel, 2017

© Elke Zobl

Künst­le­ri­sche In­ter­ven­ti­o­nen als eman­zi­pa­to­ri­sche Prak­ti­ken

Sie fragt da­nach, wel­che ge­sell­schaft­li­chen Trans­for­ma­ti­ons­pro­zesse an­ge­sto­ßen wer­den, wenn eine be­stimmte In­ter­pre­ta­tion in Be­zug auf mensch­li­che Grund­ rechte (wie z. B. Schutz, Frei­heit, Ar­beit, Woh­nen) do­mi­nant wird und die de­mo­ kra­ti­schen Werte Frei­heit, Gleich­heit und So­li­da­ri­tät zu Gunsten re­s­t­rik­ti­ver Ord­ nungs­sys­teme und -re­geln ab­ge­baut wer­den. Des Wei­te­ren bringt Cennetoǧlu ihr Un­be­ha­gen ge­gen­ü­ber dem all­ge­mei­nen Rück­zug in die Kom­fort­zone der west­ li­chen Welt auf Kos­ten von ge­sell­schaft­li­chen Er­run­gen­schaf­ten in fol­gen­den Fra­gen zum Aus­druck: „Wel­chen Preis zah­len wir letzt­lich für un­sere Si­cher­heit? Wel­che Ma­ni­pu­la­ti­o­nen neh­men wir da­für in Kauf?“ (Cennetoǧlu 2017: o. S.) Die For­de­rung „Buen vi­vir“ – also nach ei­nem „gu­ten Le­ben für alle“ – wur­ de vor al­lem in Bo­li­vien und Ecua­dor im Kon­text ei­ner Ka­pi­ta­lis­mus- und Kon­ sum­kri­tik und der Idee ei­nes ge­mein­schaft­li­chen, öko­lo­gi­schen und nach­hal­ti­gen Zu­sam­men­le­bens auf­ge­stellt und in den neuen so­zi­a­len Be­we­gun­gen in Eu­ropa auf­ge­nom­men.2 Queer-fe­mi­nis­ti­sche und an­ti­ras­sis­ti­sche Kämpfe for­dern die Be­ reit­schaft al­ler, ei­nen so­li­da­ri­schen Um­gang mit­ei­n­an­der zu pfle­gen, ge­sell­schaft­ li­che Aus­schlüsse zu be­kämp­fen und das Ge­mein­same vor das Tren­nende zu stel­ len. In ei­ner Re­de, die Ru­bia Sal­gado auf der Ak­ti­ons­kon­fe­renz der lin­ken In­i­ti­a­tive „Auf­bruch“ 2016 in Wien zum Thema „Es gibt kein gu­tes Le­ben im Aus­schluss!“ ge­hal­ten hat, ar­gu­men­tiert sie (u. a. ge­gen Aus­schlüs­se, die wäh­rend der Ak­ti­ons­ kon­fe­renz statt­fan­den): „Aber es gibt kein gu­tes Le­ben, so­lange Men­schen im Mit­tel­meer ster­ben. Es gibt kein gu­tes Le­ben, so­lange mus­li­mi­sche Frauen auf der Straße an­ge­spuckt wer­den. Es gibt kein gu­tes Le­ben, wenn queere Men­schen ir­gendwo nicht zu­ge­las­sen wer­den, sei es auf Toi­let­ ten oder wo auch im­mer. Es gibt kein gu­tes Le­ben im Aus­schluss!“ (Sal­gado 2016: o. S.)

In diesem Sinne ver­steht sich das In­ter­ve­nie­ren in mäch­tige De­fi­ni­ti­o­nen als Schritt zu ei­ner ver­än­dern­den Pra­xis oder, wie Mark Ter­kes­si­dis ein­for­dert: „Es wird Zeit, sich von al­ten Ideen wie Norm und Ab­wei­chung, Iden­ti­tät und Dif­fe­ renz, von Deutsch­sein und Fremd­heit zu tren­nen und ei­nen neuen An­satz­punkt zu fin­den.“ (Ter­kes­si­dis 2010: 125) Die Vor­stel­lung von ei­ner frei­en, glei­chen und in­klu­si­ven Ge­sell­schafts­ord­ nung, wie sie in dem Zi­tat von Sal­gado the­ma­ti­siert wird, ist kein Wohl­fühl­kon­ zept, son­dern die Aus­ei­n­an­der­set­zung mit Wi­der­sprü­chen und Kon­flik­ten und die stete Neu­ver­hand­lung von de­mo­kra­ti­schen Wer­ten. In Zei­ten von ge­sell­schaft­li­ chen Um­brü­chen wird das Nach­den­ken über de­mo­kra­ti­sche Mit­be­stim­mung und so­zi­ale Ge­rech­tig­keit in The­o­rie und Pra­xis vi­ru­lent, die Frage nach pas­sen­den Kon­zep­ten für ein gu­tes Zu­sam­men­le­ben steht im Zen­t­rum. Da­bei wer­den al­ter­na­ 2 Zur in­ter­na­ti­o­na­len Kon­tex­tu­a­li­sie­rung des Slo­gans, vor al­lem in den An­den­län­dern, vgl. das The­men­heft von PE­RI­PHE­RIE. Po­li­tik, Öko­no­mie, Kul­tur zu „Buen vi­vir – gut le­ben, aber wie“ (Heft 38, 2018).

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tive so­zi­ale Ord­nun­gen im Span­nungs­ver­hält­nis mit dem he­ge­mo­ni­a­len Cha­rak­ter der Ge­sell­schaft ent­wor­fen und es wird aus­ge­han­delt, wie viel Dis­sens das De­mo­ kra­tie­kon­zept zu­lässt. In der Aus­ver­hand­lung von Kon­sens und Dis­sens spielt der öf­fent­li­che Raum eine zen­t­rale Rol­le. Die­ser ist nach Chan­tal Mouffe (2014) ein „Kampf­platz“ der Re­prä­sen­ta­ti­on. Da­rin pral­len klas­si­sche Aus­schlüsse ent­lang der Ka­te­go­rien Ge­ schlecht, Klas­se, se­xu­elle Ori­en­tie­rung oder Her­kunft mit dem Wol­len der so­zi­ a­len Be­we­gung und den Ge­gen­bil­dern künst­le­ri­scher Ein­griffe auf­ei­n­an­der. Im öf­fent­li­chen Raum wer­den wi­der­strei­tende Po­si­ti­o­nen sicht­bar bzw. hör­bar (vgl. Mouffe 2014). „Cri­ti­cal art“, so Mouf­fe, kann in die­sen Kampf­platz durch Kri­tik und die Vi­su­a­li­sie­rung von Un­gleich­hei­ten, Aus­schlüs­sen und Un­ter­drü­ckun­gen in­ter­ve­nie­ren und Räume des Wi­der­stands schaf­fen (vgl. ebd.: 136). Ziel ist nach Mouffe nicht die Her­stel­lung von Kon­sens, son­dern ein pro­duk­ti­ver Um­gang mit dem Dis­sens. Durch die po­li­ti­sche Set­zung und die Nähe zum Ak­ti­vis­mus trans­for­miert sich der her­kömm­li­che Kunst­be­griff (als ei­ner von vie­len). Künst­le­ri­sche In­ter­ ven­ti­o­nen, die in kol­lek­ti­ven und kol­la­bo­ra­ti­ven Zu­sam­men­hän­gen in öf­fent­li­che Räu­me, Dis­kur­se, Struk­tu­ren und Wis­sens­for­men ein­grei­fen, ha­ben den Werk­be­ griff der Kunst ra­di­kal ver­än­dert. Die in in­ter­ve­nie­ren­den künst­le­ri­schen Prak­ti­ ken an­ge­sto­ße­nen di­a­lo­gi­schen Aus­hand­lungs­pro­zesse kön­nen wir als Orte des Po­li­ti­schen (vgl. Mouffe 2014)3 ver­ste­hen, an de­nen do­mi­nante Er­zäh­lun­gen und ih­nen in­ne­woh­nende Ge­walt­ver­hält­nisse offengelegt wer­den und un­sicht­ba­res Wis­sen sicht­bar wird: Künst­le­ri­sche In­ter­ven­ti­o­nen wi­der­set­zen sich den macht­ funk­ti­o­na­len Dis­kur­sen und er­öff­nen durch ihr eman­zi­pa­to­ri­sches Han­deln neue Räu­me. Die­sen As­pekt des öf­fent­li­chen Raums als Aus­hand­lungs­ort der Re­prä­sen­ta­ ti­on, mit der Auf­for­de­rung an das – sich im Kunst­feld be­we­gende – Pu­b­li­kum, eman­zi­pa­to­risch zu han­deln, kön­nen wir ex­em­p­la­risch am Bei­spiel der do­cu­menta 14 se­hen. Das Ku­ra­tor_in­nen-Team, an­ge­lei­tet von Adam Szymc­zyk, stellt die eman­zi­pa­to­ri­sche Per­s­pek­tive „von­ei­n­an­der ler­nen“ ins Zen­t­rum. Es er­hebt da­mit den An­spruch, fest­ge­fah­rene Leserichtungen und nor­ma­tive Re­prä­sen­ta­ti­ons­lo­gi­ ken des Aus­stel­lens zeit­ge­nös­si­scher Kunst mit der do­cu­menta 14 zu ver­schie­ben, denn „ihre Teil­ha­ber_in­nen sind ihre Be­su­cher_in­nen und Künst­ler_in­nen, ihre Le­ser_in­nen und Autor_in­nen so­wie all je­ne, durch de­ren Ar­beit sie ver­wirk­licht wird“ (Szym­cyk 2017: 37). Das Aus­stel­lungs­kon­zept der do­cu­menta 14 ist der Ver­such so­wohl ei­ner Ent­kop­pe­lung vom ka­pi­ta­li­sie­ren­den und iden­ti­täts­bil­den­ 3 Chan­tal Mouffe un­ter­schei­det zwi­schen Po­li­tik und dem Po­li­ti­schen. „Po­li­tik“ be­zeich­ net bei Mouffe die in­sti­tu­ti­o­nel­len po­li­ti­schen Struk­tu­ren, wo­hin­ge­gen das „Po­li­ti­sche“ im Mo­ment der Aus­ver­hand­lung und des Dis­sens ent­steht (2014). Nach Nora Stern­feld könnte man auch von „Kon­takt­zo­nen“ spre­chen (2013).

Künst­le­ri­sche In­ter­ven­ti­o­nen als eman­zi­pa­to­ri­sche Prak­ti­ken

den Kunst­spek­ta­kel als auch des Auf­grei­fens von Transformationspotenzialen der ge­sell­schafts­po­li­ti­schen Wert­vor­stel­lun­gen so­zi­a­ler Be­we­gun­gen: „Ich möchte be­haup­ten, dass die do­cu­menta nicht nur ein Mit­tel der deut­schen Kul­tur­po­li­tik ist […], son­dern als ein au­to­no­mes, ge­mein­sam be­ses­se­nes, trans­na­ti­o­na­les und in­ klu­si­ves, selbstorganisiertes künst­le­ri­sches Un­ter­fan­gen ver­stan­den wer­den muss […]“ (Szymc­zyk 2017: 41). Mit die­ser Po­si­tion sto­ßen Szymc­zyk und sein Ku­ ra­tor_in­nen­team auf Wi­der­stand. Dies ist nicht zu­letzt an der Dis­kus­sion über die Zu­kunft des do­cu­men­ta-Kunst­werks, des Obe­lis­ken Ich war ein Frem­der und du hast mich auf­ge­nom­men von Olu Ogui­be, ab­zu­le­sen.4 Zu­sätz­lich ist zu fra­gen und bleibt of­fen, ob das Aus­stel­lungs­kon­zept der do­cu­menta 14 auch tat­säch­lich ein­ ge­löst wer­den konnte und ob die Rhe­to­rik so­zi­a­ler Be­we­gun­gen nur über­nom­men (o­der so­gar in­stru­men­ta­li­siert?) wur­de. Im Zen­t­rum un­se­res Bei­trags steht, wie an­fangs er­wähnt, die Ver­schrän­kung von Kon­zep­ten zu An­ti­dis­kri­mi­nie­rung, die aus den po­li­ti­schen Ein­grif­fen so­ zi­a­ler Be­we­gun­gen seit den 1970er Jah­ren her­vor­ge­hen, und künst­le­ri­schen In­ ter­ven­ti­o­nen mit ih­ren For­de­run­gen nach eman­zi­pa­to­ri­schen Hand­lun­gen und so­li­da­ri­schen Ver­bin­dun­gen. Da­bei geht es gleich­zei­tig um die Spann­weite zwi­ schen der Sicht­bar­ma­chung exis­tie­ren­der Ein­flüsse so­zi­a­ler Be­we­gun­gen auf die künst­le­ri­sche Ar­beit und um­ge­kehrt so­wie um das Auf­zei­gen ei­ner Al­ter­na­tive zur selbst­re­fe­ren­zi­el­len Lek­türe von Kunst. Um da­bei ei­nige Kern­as­pekte he­r­aus­ zu­ar­bei­ten, ver­su­chen wir im Fol­gen­den, den Dis­kurs über künst­le­ri­sche In­ter­ ven­ti­o­nen aus­zugs­weise dar­zu­stel­len. An­schlie­ßend zeich­nen wir Ent­wick­lungs­li­ nien künst­le­ri­scher In­ter­ven­ti­o­nen als eman­zi­pa­to­ri­sche Prak­ti­ken seit den 1970er Jah­ren bis heute ex­em­p­la­risch nach und kon­zen­t­rie­ren uns da­bei auf drei Blick­ win­kel, die wir je­weils mit Bei­spie­len er­läu­tern: die Ver­schrän­kung von Kunst und Ak­ti­vis­mus im öf­fent­li­chen Raum an­hand ei­ner Per­for­mance von Erika Mis (1972), künst­le­ri­sches Han­deln als eman­zi­pa­to­ri­sche Stra­te­gie an­hand der ös­ter­ rei­chi­schen Kol­lek­tive Wo­chen­klau­sur (1990er bis 2000er Jah­re), VolxT­hea­ter­ Ka­ra­wane (2001–2011) und Klub Zwei (ab 2006) so­wie das Ver­schwim­men der Gren­zen zwi­schen Kunst­feld, so­zi­a­len Be­we­gun­gen und Bil­dung und das Von­ei­ n­an­der-Ler­nen an­hand des ak­tu­el­len Bei­spiels Die ganze Welt in Zü­rich. Un­ser Ar­gu­ment zu den Schnitt­stel­len von Kunst und so­zi­a­len Be­we­gun­gen grei­fen wir zum Schluss noch ein­mal auf.

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Die mit dem Ar­nold-Bo­de-Preis aus­ge­zeich­nete Ar­beit ist ein Auf­ruf zu so­li­da­ri­schem Han­deln mit flüch­ten­den Men­schen. Auch der ge­wählte Stand­ort am Kö­nigs­platz und die Ad­res­sie­rung der Mehr­heits­ge­sell­schaft sind von zen­t­ra­ler Be­deu­tung. Nun hat die Kass­ler Stadt­ver­wal­tung den Obe­lis­ken ver­setzt, er wurde an die Pe­ri­phe­rie ver­drängt – trotz Pro­test­mär­schen, De­mons­t­ra­ti­o­nen und Pe­ti­ti­o­nen, in de­nen sich die Zi­vil­ge­sell­ schaft für den Er­halt des Mo­nu­ments aus­spricht und sich ge­gen die In­stru­men­ta­li­sie­ rung rech­ter Par­tei­po­li­ti­ken wehrt.

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K ünst ­le ­ri ­sche I n ­ter­v en ­ti ­o ­nen : B e ­griffs ­v er ­o r ­tung   und A m ­b i ­va ­len ­zen Die Be­griffe ,In­ter­ven­ti­on‘ und ,künst­le­ri­sche In­ter­ven­ti­on‘ sind of­fen, he­te­ro­ gen und las­sen viele Mög­lich­kei­ten zu, das Ver­hält­nis von Kunst, Po­li­tik und Ge­ sell­schaft zu den­ken. Zu­sätz­lich wäh­len Künst­ler_in­nen, Kul­tur­pro­du­zent_in­nen und Kunst­ver­mitt­ler_in­nen – ge­mein­sam mit ih­ren Kol­la­bo­ra­teur_in­nen – un­ter­ schied­li­che Stra­te­gien und Me­tho­den der Um­set­zung. Der In­ter­ven­ti­ons­be­griff dient in der bil­den­den Kunst in den letzten zwan­ zig Jah­ren zur Be­schrei­bung von kul­tu­rel­lem Ak­ti­vis­mus, Kunst im öf­fent­li­chen Raum und in­for­mel­len und sub­ver­si­ven künst­le­ri­schen Stra­te­gien (vgl. von Bor­ ries et al. 2012: 126).5 Dem Glos­sar der On­line-Pu­b­li­ka­tion Zeit für Ver­mitt­lung fol­gend, meint In­ter­ven­ti­ons­kunst jene künst­le­ri­schen Prak­ti­ken, die den der Kunst zu­ge­mes­se­nen Raum über­schrei­ten und Aus­ei­n­an­der­set­zun­gen mit dem „Au­ßen“, also dem lo­ka­len Kon­text, su­chen und sich im Be­reich der so­zi­a­len Be­ we­gun­gen ver­or­ten (vgl. IAE 2013: o. S.). In Op­po­si­tion zur bür­ger­li­chen Vor­stel­lung der Au­to­no­mie der Kunst als ,l’art pour l’art‘ ste­hend, geht es in in­ter­ven­ti­o­nis­ti­schen künst­le­ri­schen Kon­tex­ten grund­le­gend da­r­um, auf be­ste­hen­de, als über­holt an­ge­se­hene und von Macht ge­ prägte Struk­tu­ren auf­merk­sam zu ma­chen und diese um­zu­ge­stal­ten (vgl. Wege 2001). Künst­ler_in­nen for­dern mit ih­ren in der Re­gel zeit­lich be­grenz­ten, im­puls­ ge­ben­den, stö­ren­den und ir­ri­tie­ren­den Ein­grif­fen in den ge­sell­schaft­li­chen Status Quo ver­stärkt die so­zi­ale und po­li­ti­sche Ver­ant­wor­tung der Kunst ein. Zen­t­rale Be­griffe sind Pro­zess­haf­tig­keit, Di­a­log, Kom­mu­ni­ka­ti­on, Par­ti­zi­pa­ti­on, Ko­o­pe­ ra­ti­on, Re­cher­che, Ana­ly­se, Kon­text und Orts­be­zug (vgl. Wege 2001: 23 f.). Wir schlie­ßen uns in die­sem Bei­trag der De­fi­ni­tion von Büro tra­fo.K an: „Un­ter In­ter­ven­tion ver­steht man eine ak­ti­ve, kri­ti­sche Hand­lung. Es ist eine Form des Pro­tests, die Macht­ver­hält­nisse und so­zi­ale Un­gleich­hei­ten re­flek­tiert. Ak­ti­vist_in­nen und Künst­ler_in­nen set­zen die In­ter­ven­tion in ih­rer Ar­beit ein, um in dis­kri­mi­nie­rende und un­ ter­drü­ckende Struk­tu­ren ein­zu­grei­fen und for­dern da­mit eine ge­sell­schaft­li­che und po­li­ti­ sche Ver­än­de­rung. In­ter­ven­ti­o­nen sind sehr viel­fäl­tig, aber alle ver­fol­gen das Ziel po­li­ti­sche Pro­zesse in Gang zu set­zen und neue Per­s­pek­ti­ven für ge­sell­schaft­li­ches Han­deln zu er­öff­ nen.“ (Büro tra­fo.K 2014: o. S.)

Ein gro­bes Ras­ter für eine Ein­tei­lung von künst­le­ri­schen In­ter­ven­ti­o­nen le­gen Chris­tian Höl­ler (1995) und As­t­rid Wege (2001) vor. Sie un­ter­schei­den da­bei zwei 5 Du­Monts Be­griffs­le­xi­kon zur zeit­ge­nös­si­schen Kunst (2006) ver­weist im Zu­sam­men­ hang mit In­ter­ven­ti­o­nis­mus auf ak­ti­o­nis­ti­sche Prak­ti­ken und lis­tet un­ter an­de­rem die Pla­kate und Ak­ti­o­nen der Gue­rilla Girls auf, die ge­gen in­sti­tu­ti­o­na­li­sier­ten Se­xis­mus und Ras­sis­mus in der Kunst­welt iro­nisch und me­di­en­wirk­sam pro­tes­tier­ten, oder die Ar­bei­ten der Kol­lek­tive ACT UP, Gran Fury und Ge­ne­ral Idea, die in der AIDS-Krise die LGBTI-Com­mu­ni­ties in den USA mo­bi­li­sier­ten (vgl. Ge­ene 2006: 140).

Künst­le­ri­sche In­ter­ven­ti­o­nen als eman­zi­pa­to­ri­sche Prak­ti­ken

Ar­ten der künst­le­ri­schen In­ter­ven­ti­on, die ei­n­an­der er­gän­zen kön­nen: Die erste kon­zen­t­riert sich auf die Stö­rung spät­ka­pi­ta­lis­ti­scher Macht­struk­tu­ren im Be­reich der Kul­tur- und Me­di­en­in­dus­t­rie, in­dem Ge­gen­in­for­ma­ti­o­nen und -bil­der ein­ge­ schleust und die ge­re­gel­ten Ab­läufe durch ge­zielte in­ter­ven­ti­o­nis­ti­sche Ak­ti­o­nen infrage gestellt wer­den. Hierzu kön­nen etwa die in­sti­tu­ti­ons­kri­ti­schen In­ter­ven­ti­o­ nen des fe­mi­nis­ti­schen Kol­lek­tivs Guerrilla Girls ge­nannt wer­den. Mit Dar­stel­lun­ gen sta­tis­ti­scher Er­he­bun­gen, den sogenannten Wee­nie Counts, ver­öf­fent­li­chen sie in nächt­li­chen Pla­kat­ak­ti­o­nen die Be­tei­li­gungs­zah­len von Frauen und Män­nern in gro­ßen Kunst­in­sti­tu­ti­o­nen. Mit die­ser Stra­te­gie der Of­fen­le­gung pran­gern sie den Se­xis­mus und die Do­mi­nanz wei­ßer Män­ner in der Kunst­welt an. Für die zweite Art der künst­le­ri­schen In­ter­ven­ti­o­nen ist cha­rak­te­ris­tisch, dass sie eher so­zial mo­ti­vierte An­sätze ver­fol­gen, mit dem Ziel, ge­sell­schaft­lich mar­gi­na­li­ sierte Grup­pen zu un­ter­stüt­zen, in­dem für de­ren Be­lange eine Öf­fent­lich­keit ge­schaf­ fen und kon­kret zu ei­nem Wis­sen über ihre Si­tu­a­tion bei­ge­tra­gen wird. Hier sind die Ak­ti­o­nen der ös­ter­rei­chi­schen Gruppe Wo­chen­klau­sur be­spiel­haft (auf die wir spä­ter noch ein­ge­hen) oder das Ham­bur­ger Pro­jekt Park Fic­tion mit dem Ent­wurf ei­nes öf­fent­li­chen, selbst­ver­wal­te­ten Parks. Das ge­mein­same Ziel die­ser Vor­ge­hens­wei­sen ist die Her­stel­lung ei­ner „Ge­gen­öf­fent­lich­keit“, die Hand­lungs- und Kri­tik­fä­hig­keit (vgl. Wege 2001: 25) so­wie Di­a­log und Per­s­pek­ti­ven­viel­falt er­mög­licht. Der in­fla­ti­o­näre Ge­brauch der Be­griffe „In­ter­ven­tion“ und „künst­le­ri­sche In­ ter­ven­tion“ im Kunst­feld und im Ak­ti­vis­mus (vgl. von Bor­ries/Weg­ner/Wen­zel 2012: 95) wird kri­ti­siert, weil die Ge­schichte und Idee der In­ter­ven­tion ab­sor­biert und neu­t­ra­li­siert werde (vgl. Gra­ham/Vass 2014; Gra­ham/Vass/Krauss 2014). Künst­le­ri­sche In­ter­ven­ti­o­nen sind viel­fäl­tig, sto­ßen Ver­än­de­run­gen an und kön­nen auch am­bi­va­lent und wi­der­sprüch­lich ein­ge­setzt wer­den: Das For­schungs­team des Pro­jek­tes Ur­bane In­ter­ven­ti­o­nen (HFBK Ham­burg) stellt eine Er­wei­te­rung und Ver­schie­bung in der Ver­wen­dung des Be­griffs „In­ter­ven­tion“ seit der Jahr­ tau­send­wende in zwei­er­lei Hin­sicht fest: Zum ei­nen the­ma­ti­sie­ren künst­le­ri­sche In­ter­ven­ti­o­nen zu­neh­mend den ur­ba­nen, öf­fent­li­chen Raum und grei­fen durch vi­ su­el­le, per­for­ma­tive und ar­chi­tek­to­ni­sche Ak­ti­o­nen in die Wahr­neh­mung ge­sell­ schaft­li­cher Ak­teur_in­nen ein. Zum an­de­ren wer­den künst­le­ri­sche In­ter­ven­ti­o­nen im­mer häu­fi­ger als Mar­ke­ting­stra­te­gien für Pro­dukt­plat­zie­rung ein­ge­setzt und er­ fah­ren eine In­sti­tu­ti­o­na­li­sie­rung (vgl. von Bor­ries/Weg­ner/Wen­zel 2012: 100 ff.). Janna Gra­ham und Ni­co­las Vass (2014) kri­ti­sie­ren die ka­pi­ta­lis­ti­sche Ver­ein­ nah­mung durch Mar­ke­ting­stra­te­gien und da­mit eine zu­neh­mende Neu­t­ra­li­sie­rung des In­ter­ven­ti­ons­be­griffs, der sein herr­schafts­kri­ti­sches Potenzial ein­büßt. Dies ist der Fall, wenn die ei­gene Ver­wick­lung und Be­tei­li­gung an der Re­pro­duk­tion der zu kri­ti­sie­ren­den Um­stände aus­ge­blen­det wird. Oder auch wenn In­ter­ven­ti­o­nen zu The­men ent­wi­ckelt und um­ge­setzt wer­den, an de­nen die be­tei­lig­ten Per­so­nen und/o­der Or­ga­ni­sa­ti­o­nen kein lang­fris­ti­ges In­te­r­esse ha­ben. Gra­ham und Vass kri­ ti­sie­ren zu­dem, dass die Be­zeich­nung ei­ner In­ter­ven­tion als „künst­le­risch“ oft den

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kol­lek­ti­ven Enstehungsprozess ei­ner In­ter­ven­tion ne­giert, da in vie­len Fäl­len (ins­ be­son­dere an der Schnitt­stelle zum Ak­ti­vis­mus und so­zi­a­len Be­we­gun­gen), wie bei­spiels­weise bei In­ter­ven­ti­o­nen der Pre­ca­ri­ous Wor­kers‘ Bri­gade (vgl. Web­site) nicht nur Künst­ler_in­nen in­vol­viert sind. Folg­lich ten­die­ren sie da­zu, In­ter­ven­ti­ o­nen nicht ex­pli­zit als künst­le­risch zu be­zeich­nen, um keine Hier­ar­chi­sie­rung der Be­tei­lig­ten vor­zu­neh­men. Sie plä­die­ren für eine so­li­da­ri­sche Ar­beit mit Ak­teur_ in­nen in an­de­ren Fel­dern; dies um­fasst Un­ter­stüt­zung durch Zu­hö­ren, Re­fle­xion und Sich-Öff­nen, um Neues zu ler­nen und auf an­dere Ar­ten po­li­ti­schen Agie­rens auf­merk­sam zu wer­den (vgl. Gra­ham/Vass 2014). In­ter­ven­ti­o­nen er­öff­nen in dem Sinn ei­nen Zwi­schen­raum an den Schnitt­stel­ len von Kunst und so­zi­a­len Be­we­gun­gen, sodass be­ste­hende Ord­nun­gen kri­tisch hin­ter­fragt und an­ders per­spek­ti­viert wer­den kön­nen. In­so­fern tra­gen sie das Po­ tenzial in sich, au­ßer­halb des Kunst­fel­des wie auch im Kunst­feld kul­tu­relle und so­zi­ale Ver­än­de­run­gen an­zu­sto­ßen.

D ie V er ­schrän ­kung von künst ­le ­ri ­schen I n ­ter­v en ­ti ­o ­nen und A k ­ti ­v is ­m us in neuen so ­zi ­a ­len B e ­w e ­gun ­gen : Z ur P o ­li ­ti ­sie ­rung des öf ­fent ­li ­chen R aums in den 1970 er J ah ren ­ Seit der Ent­ste­hung des mo­der­nen Künst­ler­bil­des, das ,den Künst­ler‘ als au­to­no­ mes Sub­jekt setzt, sind Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on, Grup­pen­bil­dung, Kol­la­bo­ra­tion und Pro­jekt­ar­beit we­sent­li­che Stra­te­gien, um „avant­gar­dis­tisch ver­stan­de­nen Ziel­set­ zun­gen durch die Bün­de­lung [Anm. d. Verf.: von Per­so­nen und In­te­r­es­sen] zum Durch­bruch zu ver­hel­fen“ (von Bis­marck 2006: 280). Mit den Be­we­gun­gen der his­to­ri­schen künst­le­ri­schen Avant­gar­den – Da­da­is­mus, rus­si­scher Kon­s­t­ruk­ti­vis­ mus, Sur­re­a­lis­mus, Si­tu­a­tio­nis­mus – wer­den kol­lek­tive Ar­beits­wei­sen als po­li­ti­ sche und in­ter­ve­nie­rende Stra­te­gien ver­stan­den. Das kri­ti­sche Potenzial der Selbst­or­ga­ni­sa­tion ,von un­ten‘ ent­fal­tet sich je­doch brei­ten­wirk­sam erst mit den neuen so­zi­a­len Be­we­gun­gen in den spä­ten 1960er bzw. frü­hen 1970er Jah­re. Der öf­fent­li­che Raum wird in der Nach­wir­kung der 68er-Be­ we­gung und der An­ti­kriegs­pro­teste das Zen­t­rum für die Aus­hand­lung von so­zi­ al- und kul­tur­po­li­ti­schen The­men. Er wird zum Ort, an dem ge­gen in­sti­tu­ti­o­nelle Bar­ri­e­ren mit Stra­te­gien des po­li­ti­schen Ak­ti­o­nis­mus ge­kämpft wird, um eman­zi­ pa­to­ri­sches Han­deln, Selbst­er­mäch­ti­gung und -be­stim­mung mög­lich zu ma­chen. Un­ter der Prä­misse „Das Pri­vate ist po­li­tisch und das Po­li­ti­sche ist pri­vat“ setzt sich die fe­mi­nis­ti­sche Be­we­gung mit viel­fäl­ti­gen Be­nach­tei­li­gun­gen und Dis­kri­mi­nie­run­gen aus­ei­n­an­der und geht über den er­folg­rei­chen Kampf um die Ab­schaf­fung des Paragrafen 144 in Ös­ter­reich, des so ge­nann­ten ,Abtreibungspa­ ragrafen‘, hi­n­aus. Sie the­ma­ti­siert Ge­walt ge­gen Frauen bis hin zu den recht­li­chen

Künst­le­ri­sche In­ter­ven­ti­o­nen als eman­zi­pa­to­ri­sche Prak­ti­ken

Aus­schlüs­sen po­li­ti­scher Re­prä­sen­ta­ti­on. An der Po­li­ti­sie­rung des Pri­va­ten be­tei­ ligt sich das Kunst­feld mit Stra­te­gien der Ak­ti­ons­kunst und der Per­for­mance (vgl. Pa­pen­brock 2012). Nach dem Motto „Raus auf die Straße“ steht der Kör­per im Zen­t­rum der Pro­test­ar­ti­ku­la­tion und wird so­mit als Me­dium und In­for­ma­ti­ons­trä­ ger für die De­kon­s­t­ruk­tion von Macht­ver­hält­nis­sen und Aus­druck von Wi­der­stand ein­ge­setzt. Neue Pro­test­for­men ge­gen das Es­ta­b­lish­ment sind Stra­ßen­the­a­ter, Blo­ cka­den, Sit-ins und Be­set­zun­gen. Die Gleich­stel­lungs­for­de­run­gen wer­den mit ei­ ner neuen Di­rekt­heit ver­mit­telt und er­fahr­bar ge­macht. Abbildung  2: Erika Mis, De­mons­t­ra­tion des Ak­ti­ons­ko­mi­tees zur Ab­schaf­fung des § 144 („Abtreibungsparagraf“) und der Ak­tion un­ab­hän­gi­ger Frauen (AUF) mit der Ak­ti­ons­künst­le­rin Erika Mis in Wien, 1972

© Walter He­nisch

Diese Nut­zung des öf­fent­li­chen Raums und die un­mit­tel­bare Ad­res­sie­rung von ge­sell­schafts­po­li­ti­schen The­men durch die fe­mi­nis­ti­sche Be­we­gung zei­gen ne­ ben den be­kann­ten Ar­bei­ten von VA­LIE EX­PORT ex­em­p­la­risch die Dokumen­ tationsfotos der Ak­ti­ons­künst­le­rin Erika Mis aus dem Jahr 1972 in Wien. Die Per­for­mance Selbst ist die Frau ist in Form ei­nes Stra­ßen­the­a­ters in­sze­niert, das im Rah­men der De­mons­t­ra­tion ge­gen den Paragrafen 144 auf der Ma­ria­hil­ fer Straße in Wien statt­fin­det. Die For­de­rung nach sei­ner Ab­schaf­fung steht im Kon­text ei­nes west­eu­ro­päi­schen Kamp­fes, da die­ser Frauen – in Ös­ter­reich bis 1975 – kri­mi­na­li­siert und fremd­be­stimmt in ge­sell­schaft­lich nor­mierte Vor­stel­ lun­gen von Weib­lich­keit treibt, vor al­lem in die Ge­schlech­ter­rolle der ent­rech­ te­ten Ehe­frau und Mut­ter. In ei­nem Kä­fig auf ei­nem Lei­ter­wa­gen lässt sich die Künst­le­rin Erika Mis in Häft­lings­klei­dung mit der Num­mer § 144 von ei­nem

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sinn­bild­li­chen Drei­er­ge­spann durch die Straße zie­hen. Die Ver­klei­dun­gen der den Wa­gen zie­hen­den Män­ner re­prä­sen­tie­ren die pa­t­ri­ar­chale Macht: das Ge­setz, die Me­di­zin und die Kir­che. Der Schluss­akt der Per­for­mance – die Zer­stö­rung des Kä­figs – ist eine Set­zung ge­gen pa­t­ri­ar­chale Macht­ver­hält­nisse und he­te­ro­ nor­ma­tive Recht­spre­chung. Die Per­for­mance von Mis ist ganz klar in der fe­mi­nis­ti­schen Wi­der­standsund Be­frei­ungs­be­we­gung, ei­ner we­sent­li­chen Ak­teu­rin der neuen so­zi­a­len Be­we­ gun­gen, ver­an­kert. Neue so­zi­ale Be­we­gun­gen – im Un­ter­schied zu vor­her­ge­hen­ den so­zi­a­len Be­we­gun­gen wie etwa der Ar­bei­ter_in­nen­be­we­gung – dis­ku­tie­ren ver­stärkt Fra­gen zu kul­tu­rel­len und sym­bo­li­schen Wer­ten und Re­prä­sen­ta­ti­o­nen (an­statt öko­no­mi­scher An­lie­gen), die sie ver­än­dern wol­len. Die Ak­teur_in­nen set­zen auf de­zen­t­ra­le, zum Teil klas­sen­ü­ber­grei­fende Selbst­or­ga­ni­sa­tion ,von un­ ten‘ und auf Kol­la­bo­ra­ti­o­nen, bei de­nen es über den so­zi­a­len Zu­sam­men­schluss hi­n­aus zu ge­mein­sa­men Pro­duk­ti­ons­pro­zes­sen kommt (vgl. Liev­rouw 2011). Die New Social Mo­ve­ment Theory ar­gu­men­tiert, dass sich kol­lek­tive Ak­ti­o­nen, die sich bei­spiels­weise für Fe­mi­nis­mus, Um­welt und al­ter­na­tive En­er­gien, Les­ben-, Schwu­len- und Trans-Rechte6 und ge­gen Krieg und Un­ter­drü­ckung ein­set­zen, in neu­ar­ti­gen, un­kon­ven­ti­o­nel­len und kul­tu­rel­len For­men von so­zi­a­lem Ak­ti­vis­mus – ak­ti­vis­ti­schen künst­le­ri­schen, kul­tu­rel­len und me­di­a­len Prak­ti­ken – en­ga­gie­ren. Sie un­ter­schei­den sich von vor­her­ge­hen­den Be­we­gun­gen hin­sicht­lich ih­rer Ak­ teur_in­nen (z. B. vor­wie­gend mit Bil­dung aus­ge­stat­tete ,know­ledge wor­kers‘) und der Art und Weise ih­rer Ak­ti­o­nen (z. B. de­zen­t­ra­le, an­ti-hie­r­ar­chi­sche Netz­wer­ke, Nut­zung neuer Medien und des öf­fent­li­chen Raums). Wenn Kunst im Stadt­raum agiert, ver­bin­det sie da­mit den An­spruch des „Rechts auf Stadt“, also den An­spruch auf An­eig­nung und Mit­be­stim­mung von öf­fent­li­chem Raum. Je­doch sind die Gren­zen zwi­schen künst­le­ri­schen In­ter­ven­ti­ o­nen und po­li­ti­schem Ak­ti­vis­mus flie­ßend (vgl. Fels­hin 1995)7 und Schnitt­stel­len er­ge­ben sich auf ver­schie­de­nen Ebe­nen (vgl. Her­mann/Diaz 2013). Künst­le­ri­sche In­ter­ven­ti­o­nen wie po­li­ti­scher Ak­ti­vis­mus set­zen auf öf­fent­li­che In­sze­nie­rung und die Prä­senz der Kör­per im öf­fent­li­chen Raum, schaf­fen ein Be­wusst­sein über po­li­ ti­sche und so­zi­ale Miss­stände und set­zen mit ak­ti­o­nis­ti­schen, künst­le­ri­schen Ein­ grif­fen Pro­zesse der Po­li­ti­sie­rung in Gang, die über Pro­test hi­n­aus­ge­hen. Gleich­ zei­tig geht die Ent­wick­lung po­li­ti­scher Kunst­prak­ti­ken mit ei­ner Ab­wen­dung vom werk­o­ri­en­tier­ten Kunst­be­griff ein­her (vgl. Grothe 2005: 88). An­ders als Kunst, die in ih­rem Ob­jekt­cha­rak­ter ver­harrt, er­öff­net die Aus­hand­lung über die Kör­per ein

6 TransPersonen sind spä­tes­tens seit den 1980er Jah­ren ak­ti­ver Teil der fe­mi­nis­ti­schen und schwul-les­bi­schen Kämpfe (vgl. Ver­ein][dis­kur­siv 2011; Baum­gar­tin­ger 2017). 7 Vgl. zu dem Thema und ei­ner in­ter­na­ti­o­na­len Aus­ei­n­an­der­set­zung auch die Hefte von PE­RI­PHE­RIE. Po­li­tik, Öko­no­mie, Kul­tur, Nr. 144 (2016): Po­li­tik mit Kunst und Nr. 145 (2017) Wi­der­stand mit Kunst.

Künst­le­ri­sche In­ter­ven­ti­o­nen als eman­zi­pa­to­ri­sche Prak­ti­ken

Spek­t­rum von be­tont po­li­ti­schen Kunst­prak­ti­ken und be­in­hal­tet viel­fäl­tige und zir­ku­lie­rende Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­zes­se, wie am Bei­spiel der Frau­en­be­we­gung klar er­sicht­lich wird.

K ol ­lek ­ti ­v es künst ­le ­ri ­sches H an ­deln als eman zi ­ pa ­ t­ o ri ­ ­sche und so ­li ­da ­ri ­sche S tra­te ­gie : D ie  1990 er bis 2000 er J ahre Im Zuge der öko­lo­gi­schen Be­we­gung und der Glo­ba­li­sie­rungs­kri­tik der 1990er Jahre di­ver­si­fi­ziert sich die in­ter­ve­nie­rende Kunst­pra­xis noch ein­mal we­sent­lich. Sie folgt ei­nem er­wei­ter­ten Kunst­be­griff und be­wegt sich in Cross-o­ver-Be­rei­ chen. Da­bei sind The­o­rie, Ver­mitt­lung und Kri­tik in­te­g­ra­ler Be­stand­teil der neuen Kunst­pro­duk­ti­on. Stella Rollig hält fest: „Der enge Rah­men des Kunst­kon­texts wird zu­guns­ten in­ter­dis­zi­p­li­nä­rer For­schung ver­las­sen, die Aus­ei­n­an­der­set­zung mit So­zi­o­lo­gie, Ge­schichts­for­schung, Bi­o­tech­no­lo­gie oder Gen­ders­tu­dies ge­ sucht.“ (Rol­lig 1998: 10) Zu­neh­mend wird auch in Kol­lek­ti­ven und kol­la­bo­ra­tiv an den Schnitt­stel­len von Kunst und Ak­ti­vis­mus ge­ar­bei­tet (vgl. dazu bei­spiels­ weise Her­mann/Diaz 2013 am Bei­spiel von Or­gan Kri­ti­scher Kunst). Die po­li­ti­schen Kunst­prak­ti­ken der 1990er bis in die 2000er Jahre bil­den den Rah­men für drei Bei­spiele aus dem ös­ter­rei­chi­schen Kon­text, näm­lich die WochenKlausur, die VolxT­hea­ter­Ka­ra­wane und Klub Zwei, die als künst­le­ri­sche Kol­lek­tive ihre In­ter­ven­ti­ons­kunst als Re­al­po­li­tik (vgl. Kube Ven­tura 2001) mit an­ti­dis­kri­mi­nie­ren­den Prak­ti­ken in Be­zie­hung set­zen. In Ös­ter­reich ist der Be­griff der In­ter­ven­ti­ons­kunst vor al­lem mit der Gruppe WochenKlausur ver­bun­den, die seit den 1990er Jah­ren zahl­rei­che „so­zi­ale In­ter­ ven­ti­o­nen“ re­a­li­siert hat. Die In­ter­ven­ti­o­nen der Gruppe um­fas­sen u. a. die Ver­ hand­lung und Ein­rich­tung ei­ner fah­ren­den, kos­ten­lo­sen Am­bu­lanz für Ob­dach­lose in Wien (1993), den Auf­bau ei­ner Pen­sion für dro­gen­nut­zende Frauen in Zü­rich (1994) oder die Er­öff­nung ei­ner Ko­or­di­na­ti­ons­stelle zur so­zi­a­len und recht­li­chen Be­treu­ung von Schub­haf­tin­sass_in­nen im Po­li­zei­ge­fan­ge­nen­haus Salz­burg (1996) (vgl. Zinggl 2001, 2005), aber auch ak­tu­elle Pro­jekte etwa in Köln, Eind­ho­ven oder Glas­gow (vgl. Web­site WochenKlausur). Die Vor­ge­hens­weise der WochenKlausur wird als pro­zess­o­ri­en­tierte und par­ti­ zi­pa­to­ri­sche Stra­te­gie mit of­fe­nem Aus­gang ver­stan­den. Mit ei­ner kon­kre­ten Be­ auf­tra­gung vor Ort und mit dem Ein­set­zen von in­sti­tu­ti­o­nel­len Res­sour­cen ha­ben sie das Ziel, in Form von Klau­su­ren in Di­a­log zu tre­ten, Ver­hält­nisse – zu­min­dest tem­po­rär – um­zu­ge­stal­ten, Re­fle­xion und Dis­kurs an­zu­re­gen und die Öf­fent­lich­ keit au­ßer­halb des Kunst­fel­des ak­tiv zu be­tei­li­gen (vgl. Zinggl 1999). Man­che Ak­ti­o­nen und Ein­rich­tun­gen wer­den im Zuge von Ko­o­pe­ra­ti­o­nen so ver­an­kert, dass sie jah­re­lang be­ste­hen blei­ben, an­dere funk­ti­o­nie­ren im­puls­ar­tig und kurz­

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fris­tig. In­so­fern wer­den durch die In­ter­ven­ti­o­nen der Wo­chen­klau­sur An­stöße und Im­pulse für nach­hal­tige Pro­zesse ge­setzt. Neue, kunst-ex­terne Räume wer­den ge­ schaf­fen. Die Nut­zung al­ter­na­ti­ver, au­to­no­mer Orte oder die In­be­sitz­nahme öf­ fent­li­cher und ge­sell­schaft­li­cher Räume au­ßer­halb des Kunst­be­triebs stel­len neue For­men der Par­ti­zi­pa­tion und der Kom­mu­ni­ka­tion dar. Die Folge da­von ist eine Be­griffs­trans­for­ma­tion des Po­li­ti­schen in der Kunst in eine po­si­tive Be­set­zung. Aber das Be­we­gen au­ßer­halb von kunst­spe­zi­fi­schen Räu­men und der Ein­satz von raum­grei­fen­den Stra­te­gien heißt nicht nur, eine Sicht­bar­keit von mi­no­ri­sier­ ten Po­si­ti­o­nen her­zu­stel­len, son­dern be­deu­tet auch zi­vi­len Un­ge­hor­sam mit straf­ recht­li­chen Fol­gen. Das ös­ter­rei­chi­sche Künst­ler_in­nen-Kol­lek­tiv VolxT­hea­ter­ Ka­ra­wane et­wa, ein ge­sell­schafts­kri­ti­sches post­dra­ma­ti­sches Kunst­pro­jekt, wird in Folge sei­ner ak­ti­vis­ti­schen In­ter­ven­ti­o­nen am G8-Gip­fel 2001 in Ge­nua von der ita­lie­ni­schen Po­li­zei für vier Wo­chen in­haf­tiert. Als In­stru­ment der Wi­der­rede bie­tet die Stra­ßen­the­a­ter­ak­tion die Mög­lich­keit ei­ner par­ti­zi­pa­ti­ven Mo­bi­li­sie­rung ge­gen ras­sis­ti­sche Grenz­re­gime. In oran­gen Over­alls und Hel­men tre­ten die Ak­ti­ vist_in­nen als Sin­king Ship-Skulp­tur auf und zie­hen eine mit No­bor­der No­na­tionPla­ka­ten be­kleb­ten Ba­de­wanne mit den For­de­run­gen: „das Recht auf Frei­heit von Be­we­gung, die Ab­schaf­fung der Schub­haft und den Stop von De­por­ta­tion“. Abbildung  3: pu­bliXt­hea­tre­ca­ra­van.mov, Film­kol­lek­tiv VTK, 2002. Ver­leih: http://six­pack­film.at/

Das lose ba­sis­de­mo­kra­tisch or­ga­ni­sierte Kol­lek­tiv be­stand bis 2011 und wurde von Ak­ti­vist_in­nen des Volxt­hea­ter Fa­vo­ri­ten (Wien) und der Platt­form für eine Welt ohne Ras­sis­mus in­i­ti­iert. Im Zen­t­rum ih­rer Pro­jek­te, wie der er­wähn­ten No­ bor­der, No­na­tion Ka­ra­wane (2001), dem Aus­stel­lungs- und Me­dien­bus No­bord­

Künst­le­ri­sche In­ter­ven­ti­o­nen als eman­zi­pa­to­ri­sche Prak­ti­ken

er­Zone in Graz (2002) und dem No­bord­er­LAB (2003) im Rah­men des Aus­trian Social Fo­rums in Hal­le­in, steht die Aus­ei­n­an­der­set­zung mit Gren­zen, Mi­g­ra­tion und Glo­ba­li­sie­rung. Der Künst­ler Gin Mül­ler, vor­mals Mit­glied der Volxt­hea­ter­ka­ra­wa­ne, be­schäf­ tigt sich mit In­ter­ven­ti­o­nen im öf­fent­li­chen Raum aus der Per­s­pek­tive des Raums als von Macht durch­setzt: „Wich­tig ist für mich vor al­lem, das Kon­zept Raum als Po­li­ti­sches zu ver­ste­hen. Po­li­tik [wird] hier ver­stan­den als Ver­räum­li­chung, als Ver­tei­lung und An­ord­nung, oder, wie es Jac­ ques Ran­cière im An­schluss an Fou­cault for­mu­liert, Po­li­tik als po­li­zei­li­cher Raum, in dem gou­ver­ne­men­tale Prak­ti­ken aus­ge­führt wer­den. Am Raum in­te­r­es­siert mich na­tür­lich die Fra­ge, in­wie­fern er ein Kon­flikt­raum ist und wie da­rin bzw. da­r­aus Wahr­neh­mungs­po­li­ti­ken und Mög­lich­kei­ten per­for­ma­ti­ver Prak­ti­ken ent­ste­hen kön­nen […].“ (IG Bil­dende Kunst 2005: o. S.)

Wie die an­fangs er­wähnte Mouffe ver­steht Mül­ler Raum als Mög­lich­keit der Aus­ ver­hand­lung und des Dis­sens. Die VolxT­hea­ter­Ka­ra­wane be­gibt sich di­rekt an die Orte bri­san­ter ak­tu­el­ler po­li­ti­scher Aus­ei­n­an­der­set­zun­gen – also an die „Kampf­ plätze“ der Re­prä­sen­ta­tion (vgl. Mouffe 2014) – und macht mit ih­ren In­ter­ven­ ti­o­nen wi­der­strei­tende Po­si­ti­o­nen so­wie ge­sell­schaft­li­che Un­gleich­hei­ten, Aus­ schlüsse und Un­ter­drü­ckun­gen sicht­bar. Als Bei­spiel für kol­lek­ti­ves Han­deln als eman­zi­pa­to­ri­sche Stra­te­gie seien wei­ters die Pla­kat­ak­ti­o­nen von Klub Zwei (be­ste­hend aus Si­mone Ba­der und Jo Schmei­ser) ge­nannt. Die Pla­kate wer­den in par­ti­zi­pa­ti­ven Pro­zes­sen mit Be­tei­lig­ ten aus un­ter­schied­li­chen Be­rei­chen kon­zi­piert und in den öf­fent­li­chen Raum ein­ ge­schrie­ben. Mit dem Ti­tel Für eine Stadt ohne Ras­sis­mus aus dem Jahr 2006, den Klub Zwei von der Platt­form für eine Welt ohne Ras­sis­mus ab­lei­ten, ent­wi­ckelt das Künst­le­rin­nen­kol­lek­tiv ge­mein­sam mit Schü­ler_in­nen der El­ly-Heuss-Re­al­ schule in Mün­chen-Gie­sing In­ter­ven­ti­o­nen, die auf Dis­kus­si­o­nen über Be­grif­fe, Bil­der und Struk­tu­ren in Zu­sam­men­hang mit Ras­sis­mus, Se­xis­mus und an­de­ren For­men der Dis­kri­mi­nie­rung ba­sie­ren. Die di­a­log­o­ri­en­tierte Aus­gangs­fra­ge, die der von Klub Zwei ein­ge­la­dene So­zi­ al­wis­sen­schafter Anil K. Jain an die Klasse und sich selbst rich­tet, lau­tet: „Wa­rum glaubst du ein Ras­sist, eine Ras­sis­tin zu sein?“ Aus der Zu­sam­men­ar­beit mit den Schü­ler_in­nen zu die­ser Frage er­ge­ben sich wei­tere Fra­gen wie: „Ist Na­ti­o­na­li­ tät an­ge­bo­ren?“, „Ist Zu­kunft an­ge­bo­ren?“ oder „Ist Mün­chen an­ge­bo­ren?“. Die­ se wer­den auf ei­ner Post­kar­ten­se­rie so­wie im öf­fent­li­chen Raum Mün­chens auf Groß­flä­chen­pla­ka­ten, Trans­pa­ren­ten und auf ei­nem Stadt­bus af­fi­chiert. Klub Zwei geht es um Ver­än­de­run­gen ge­sell­schaft­li­cher Ver­hält­nis­se: „,Ar­bei­ten an der Öf­fent­lich­keit‘, das be­deu­tet also eine do­mi­nante Öf­fent­lich­keit zu kri­ ti­sie­ren und zu be­ar­bei­ten, um sie schließ­lich zu ver­än­dern. An­de­rer­seits ver­weist der Ti­ tel un­se­rer im­mer noch an­dau­ern­den Pro­jekt­reihe Ar­bei­ten an der Öf­fent­lich­keit aber auch

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Elke Smo­dics, Elke Zobl auf das öf­fent­li­che Sicht- und Hör­bar­ma­chen von mög­lichst ega­li­tä­ren Zu­sam­men­ar­bei­ten zwi­schen MigrantInnen und Mehr­heits­an­ge­hö­ri­gen in ei­nem Kunst­pro­jekt im öf­fent­li­chen Raum.“ (Klub Zwei 2014: o. S., Herv. i. O.)

Die ge­nann­ten In­ter­ven­ti­o­nen spre­chen un­ter­schied­li­che Öf­fent­lich­kei­ten ab­seits des Kunst­kon­tex­tes an, wo­bei Künst­ler_in­nen sich in Kol­lek­ti­ven zu­sam­men­ schlie­ßen und häu­fig mit Tei­len so­zi­a­ler Be­we­gun­gen au­ßer­halb des Kunst­fel­ des zu­sam­men­ar­bei­ten, um un­ter­schied­li­che Er­fah­rungs­ho­ri­zon­te, Wis­sens­be­ stände und Sicht­wei­sen auf die Ge­sell­schaft zu fu­si­o­nie­ren und Ge­gen­mo­delle zur neo­li­be­ra­len Um­struk­tu­rie­rung des öf­fent­li­chen Raums, wie etwa zu der vo­r­an­schrei­ten­den Gen­tri­fi­zie­rung von Stadt­tei­len oder der zu­neh­men­den Über­ wa­chung des öf­fent­li­chen Raums, zu ent­wi­ckeln. Sie ge­hen so­li­da­ri­sche Ver­bin­ dun­gen ein und las­sen die Gren­zen von Kunst, so­zi­a­ler Ar­beit, Ak­ti­vis­mus und Po­li­tik ver­schwim­men.

M ög ­lich ­kei ­ten der T eil ­ha ­b e : A k ­tu ­elle  A k ­ti ­o ­nen   und  D e ­bat ­ten Als weg­wei­send in Be­zug auf die Aus­ver­hand­lung von Mög­lich­kei­ten der Teil­ habe und des Von­ei­n­an­der-Ler­nens be­grei­fen wir das di­a­lo­gi­sche Kunst­pro­jekt Die ganze Welt in Zü­rich – kon­krete In­ter­ven­tion in die Schwei­zer Mi­g­ra­ti­ons­ po­li­tik (Mo­ra­wek 2016, 2017). Die­ses be­zieht sich di­rekt auf das Pro­jekt 8 der Wo­chen­klau­sur 1994 in der Shed­hal­le, das in die Dro­gen­po­li­tik in Zü­rich mit­tels Boots­fahr­ten mit Expert_innen und Ent­schei­dungs­trä­ger_in­nen in­ter­ve­nier­te. Vor dem Hin­ter­grund von Hanna Arendts Dik­tum „das Recht, Rechte zu ha­ben“ ha­ ben die künst­le­ri­sche Lei­te­rin der Shed­halle in Zü­rich, Ka­tha­rina Mo­ra­wek, und der Künst­ler Mar­tin Krenn ge­mein­sam mit ei­ner trans­dis­zi­p­li­nä­ren Ar­beits­gruppe kon­krete Vor­schläge ei­ner Stadt­bür­ger_in­nen­schaft – ei­ner „Ur­ban Ci­ti­zens­hip“ – für Zü­rich ent­wi­ckelt. Ein Vier­tel al­ler Be­woh­ner_in­nen der Schweiz sind weit­ge­ hend von recht­li­cher, so­zi­a­ler, wirt­schaft­li­cher und kul­tu­rel­ler Teil­habe an (städ­ti­ scher) Ge­sell­schaft aus­ge­schlos­sen, weil sie keine Schwei­zer Staats­bür­ger_in­nen sind. Das Pro­jekt­team ver­folgte den An­spruch, mit der Shed­halle ei­nen Ort zu schaf­fen, an dem über Sach­zwänge hi­n­aus ge­mein­sam über so­zi­ale Uto­pien nach­ ge­dacht, ver­han­delt und po­li­tisch agiert wer­den konn­te. Sie ver­folg­ten das Bild, Zü­rich solle zum „si­che­ren Ha­fen“ wer­den: für al­le, die in die­ser Stadt le­ben und für al­le, die noch dort­hin kom­men. Die Ar­beits­gruppe er­ar­bei­tete in nicht-öf­fent­ li­chen Ge­sprä­chen mit Ent­schei­dungs­trä­ger_in­nen und an­de­ren In­vol­vier­ten kon­ krete Pro­jekte zu drei As­pek­ten städ­ti­scher Ci­ti­zens­hip: Auf­ent­halts­frei­heit, Dis­ kri­mi­nie­rungs­frei­heit und Ge­stal­tungs­frei­heit. Im Rah­men von drei öf­fent­li­chen Ha­fen-Fo­ren dis­ku­tier­ten lo­kale und in­ter­na­ti­o­nale Ak­teur_in­nen das Potenzial ei­ner Bür­ger_in­nen­schaft für die Stadt Zü­rich.

Künst­le­ri­sche In­ter­ven­ti­o­nen als eman­zi­pa­to­ri­sche Prak­ti­ken

Abbildung 4: Die ganze Welt in Zü­rich. Dis­kus­si­on, Ers­tes Ha­fen­fo­rum, Shed­halle Zü­rich, Sams­tag, 24.  Ok­to­ber 2015

Foto: Mar­tin Krenn, 2015

Die ganze Welt in Zü­rich ist ein ge­gen­wär­ti­ges Bei­spiel für ei­nen Pa­ra­dig­men­ wech­sel in in­sti­tu­ti­o­nel­len Auf­ga­ben­fel­dern mit For­schungs- und Bil­dungs­auf­ trag, in­so­fern als Kunst- und Bil­dungs­in­sti­tu­ti­o­nen als Hand­lungs­räume be­grif­fen wer­den, in de­nen un­ge­wöhn­li­che Be­geg­nun­gen und Dis­kurse – durch­aus auch „im Sinne ei­ner so­zi­a­len Uto­pie“ (Mo­ra­wek 2017: 99) – mög­lich wer­den und ein kon­ kre­ter po­li­ti­scher Aus­hand­lungs­raum er­öff­net wird. In­so­fern ist das Pro­jekt auch ein Bei­spiel für die enge Ver­wo­ben­heit von ak­ti­vis­ti­schen Kunst­prak­ti­ken mit par­ ti­zi­pa­ti­ven Pro­zes­sen und das Ver­schwim­men von ak­ti­vis­ti­schen In­i­ti­a­ti­ven und dem Kunst­feld, wie sie Grant Kes­ter mit der „di­a­lo­gi­schen Äs­the­tik“ be­schrie­ben hat (vgl. dazu den Bei­trag von Bleu­ler in die­sem Band). Mo­ra­wek stellt fol­gende wirk­same Ver­än­de­run­gen fest, die durch das Pro­jekt ge­sche­hen sind: „Eine an ge­sell­schaft­li­cher Trans­for­ma­tion ori­en­tierte In­ter­pre­ta­tion von Ur­ban Ci­ti­zen­ship braucht ei­ner­seits Stra­te­gien zur Stär­kung der zi­vi­len Rechte von Bür­ger*in­nen und Nochnicht-Bür­ger*in­nen. So geht es eben nicht da­r­um, mit ge­rin­gen Mit­teln (weil aus ei­nem Kunst­pro­jekt ent­stan­den) ein neu­es, schi­ckes (weil par­ti­zi­pa­ti­ons­ver­wand­tes) Tool für In­ te­g­ra­ti­ons- oder Be­völ­ke­rungs­ma­na­ge­ment zu ent­wi­ckeln, son­dern es geht in ers­ter Li­nie da­r­um, Po­li­tik selbst in die Hand zu neh­men, so wie so­zi­ale Be­we­gun­gen das schon im­mer tun […].“ (Mo­ra­wek 2017: 113)

Künst­le­ri­sche In­ter­ven­ti­o­nen wie Die ganze Welt in Zü­rich grei­fen in po­li­ti­sche Dis­kurse und Ver­hält­nisse ein und er­ar­bei­ten – ähn­lich der Wo­chen­klau­sur – kon­ krete und pra­xis­o­ri­en­tier­te, aber auch uto­pi­sche Ge­gen­ent­würfe zu ak­tu­el­len po­

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li­ti­schen Si­tu­a­ti­o­nen. Da­bei wer­den im Sinne von Ur­ban Ci­ti­zens­hip und ei­nem so­li­da­ri­schen Han­deln die so­zi­a­len Kämpfe ,von un­ten‘ stets mit­ge­dacht und der De­mo­kra­tie­be­griff durch die bis­lang aus­ge­schlos­se­nen Bür­ger_in­nen über­ar­bei­ tet. Da­mit solch eine trans­for­ma­tive Pra­xis zum Grei­fen kommt, braucht es nicht nur ein He­r­aus­tre­ten aus dem ab­ge­grenz­ten Feld der Kunst und ein Ein­ge­hen von (tat­säch­li­chen) Ko­o­pe­ra­ti­o­nen mit In­i­ti­a­ti­ven aus un­ter­schied­li­chen Kon­tex­ten, son­dern auch ein Ei­n­an­der-Zu­hö­ren, ein Von­ei­n­an­der-Ler­nen und eine Of­fen­heit für kom­p­le­xe, auch wi­der­spens­tige und schwie­rige Pro­zesse an den Schnitt­stel­len von Kunst­pra­xis, so­zi­a­len Be­we­gun­gen und Bil­dungs­pro­zes­sen.

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A us ­b lick

In die­sem Bei­trag ha­ben wir ei­nen we­nig be­ach­te­ten, aber wich­ti­gen Dis­kurs im Kunst­feld in den Blick ge­nom­men und sind den Ver­schrän­kun­gen von Kunst­prak­ ti­ken, so­zi­a­len Be­we­gun­gen und Bil­dungs­pro­zes­sen nach­ge­gan­gen. Wir ha­ben uns vor al­lem auf fe­mi­nis­ti­sche und an­ti­ras­sis­ti­sche Per­s­pek­ti­ven be­zo­gen, die grund­ le­gend da­r­auf ab­zie­len, be­ste­hende Macht­ver­hält­nisse auf ihre je spe­zi­fi­sche Weise und un­ter Ein­satz he­te­ro­ge­ner Stra­te­gien herr­schafts­kri­tisch he­r­aus­zu­for­dern. In In­ter­ven­ti­o­nen wer­den (Ge­gen-)Bil­der und Nar­ra­tive er­ar­bei­tet, die im­puls­ge­bend Di­a­log und ein Von­ei­n­an­der-Ler­nen, auch im Sinne von Ver­mitt­lungs­pro­zes­sen, in­i­ti­ie­ren. Wir ver­ste­hen sol­che künst­le­ri­schen In­ter­ven­ti­o­nen als eman­zi­pa­to­ ri­sche Prak­ti­ken, in­so­fern als sie neue, auch kon­flikt­hafte und wi­der­sprüch­li­che Hand­lungs­räume an den Schnitt­stel­len von künst­le­ri­scher Ar­beit, so­zi­a­len Be­we­ gun­gen und Bil­dungs­pro­zes­sen er­öff­nen. Wir möch­ten mit die­ser Les­art der Ver­ schrän­kun­gen eine Al­ter­na­tive zur selbst-re­fe­ren­zi­el­len Lek­türe im Kunst­feld an­ bie­ten und eine Öff­nung für Prak­ti­ken an den Schnitt­stel­len for­cie­ren. Die er­wähn­ten Bei­spiele in­ter­ve­nie­ren­der Kunst­pra­xis ma­chen The­men sicht­ bar, die öf­fent­lich nicht oder kaum ver­han­delt wer­den (u. a. weil das staat­li­che In­te­r­esse fehlt), und ent­wi­ckeln Ge­gen­bil­der und Hand­lungs­op­ti­o­nen. Ge­rade die­ ses Sicht­bar­ma­chen und das Zei­gen von Brü­chen in Ge­gen­bil­dern und Ge­gen­ge­ schich­ten, aus de­nen sich an­dere Per­s­pek­ti­ven er­öff­nen und Denk­pro­zesse aus­ge­ löst wer­den, sind für die an­ti­ras­sis­ti­sche Bil­dungs­ar­beit wich­tig. Da­r­aus kann sich auch ein eman­zi­pa­to­ri­sches Tun ent­wi­ckeln, das die Öf­fent­lich­keit im Sinne der For­de­rung nach ei­nem „gu­ten Le­ben für alle“ auf­rüt­telt und zu ei­ge­nem – in­di­vi­ du­el­len wie auch auf In­sti­tu­ti­o­nen und Struk­tu­ren be­zo­ge­nen – Han­deln an­stößt. In die­ser Mög­lich­keit, an den sich auf­lö­sen­den Gren­zen von Kunst, Ak­ti­vis­mus und Bil­dung be­ste­hende Bil­der ge­mein­sam zu ver­än­dern und neue Hand­lungs­ räume für ein „gu­tes Le­ben für alle“ zu er­öff­nen und zu schaf­fen, se­hen wir – und hof­fen in ge­gen­wär­ti­gen Zei­ten der Um­brü­che auf – das eman­zi­pa­to­ri­sche und trans­for­ma­tive Potenzial künst­le­ri­scher In­ter­ven­ti­o­nen.

Kul­tur­ver­mitt­lung als kri­ti­sche Pra­xis

Kul­tur­ver­mitt­lung als kri­ti­sche Pra­xis: Pro­zesse des Quee­rings und des Em­power­ments in der Arbeit mit Ju­gend­li­chen1 Elke Zobl, Ri­carda Drüeke

E in ­lei ­tung Für die kul­tu­relle und po­li­ti­sche Ju­gend­arbeit bie­tet die Ver­knüp­fung ei­ner kri­ti­ schen ge­sell­schaft­li­chen Per­spek­ti­ve, die herr­schende so­ziale und kul­tu­relle Ord­ nun­gen hin­ter­fragt, mit ei­nem Kon­zept, das zu ei­ge­nen kul­tu­rel­len Pro­duk­tio­nen an­regt, eine große Chance – und stellt gleich­zei­tig eine viel­fäl­tige Her­aus­for­de­ rung dar. Das an der Uni­ver­si­tät Salz­burg durch­ge­führte Wis­sen­schafts­kom­mu­ni­ ka­tions­pro­jekt Ma­king Art, Ma­king Me­dia, Ma­king Chance! – ein par­ti­zi­pa­ti­ves Kul­tur- und Me­dien­pro­jekt – zeigt Mög­lich­kei­ten der Ver­bin­dung ei­nes sol­chen An­spruchs mit der Ent­wick­lung von fe­mi­nis­ti­schen und anti­ras­sis­ti­schen Ma­te­ria­ lien für die Arbeit mit Ju­gend­li­chen so­wie mit der Durch­füh­rung von Work­shops für Ju­gend­li­che und Mul­ti­pli­ka­tor_in­nen auf. Theo­re­tisch lei­tend ist da­bei die Per­ spek­tive ei­nes Quee­rings, die sich in unse­rem Ver­ständ­nis nicht nur auf se­xuelle Po­li­ti­ken be­zieht, son­dern viel­fäl­tige und kom­plexe Macht- und Herr­schafts­ver­ hält­nisse in den Blick nimmt und re­flek­tiert so­wie schein­bare Nor­mali­tä­ten de­ kon­stru­ie­ren kann. Mit die­ser zu­grunde ge­leg­ten Per­spek­tive wer­den in der kon­ kre­ten Zu­sam­men­arbeit mit Ju­gend­li­chen de­ren in­di­vi­du­elle und kol­lek­tive Aus­ schlüsse re­flek­tiert, ge­sell­schaft­li­che Macht­ver­hält­nisse the­ma­ti­siert und dar­auf auf­bau­end Teil­ha­be­mög­lich­kei­ten für Ju­gend­li­che er­arbei­tet. Im Mit­tel­punkt steht dem­nach die Fra­ge, wie mit die­sem An­satz des Quee­rings in he­ge­mo­niale Zu­ schrei­bun­gen ein­ge­grif­fen und bei Ju­gend­li­chen gän­gi­ges Wis­sen hin­ter­fragt wer­ den kann. Dies ist Vor­aus­set­zung, um Mög­lich­kei­ten der Kri­tik, aber gleich­zei­tig 1 Dieser Bei­trag er­schien erst­mals unter dem Ti­tel Ma­king Art, Ma­king Me­dia, Ma­king Change!? Pro­zesse des Quee­rings und des Em­power­ments in der Arbeit mit Ju­gend­ li­chen in GEN­DER. Zeit­schrift für Ge­schlecht, Kul­tur und Ge­sell­schaft, Heft 2, 2016. Ab­druck mit freund­li­cher Ge­neh­mi­gung.

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auch des Em­power­ments auf­zu­zei­gen. Den Be­griff ,Em­power­ment‘ ver­wen­den wir im Sinne von bell hooks, die Em­power­ment als ei­nen Pro­zess be­schreibt, der ein­setzt, „wenn wir be­gin­nen zu ver­ste­hen, auf wel­che Weise Herr­schafts­struk­ tu­ren das ei­gene Le­ben be­stim­men, wenn wir ein kri­ti­sches Be­wusst­sein und die Fä­hig­keit zum kri­ti­schen Den­ken ent­wi­ckeln, wenn wir neue al­ter­na­tive Le­bens­ ge­wohn­hei­ten er­sin­nen und auf­grund die­ses mar­gi­na­len Raums von Dif­fe­renz in uns Wi­der­stand leis­ten“ (hooks 1990: 55). In dem Bei­trag ge­hen wir wie folgt vor: Zu­nächst stel­len wir den Kon­text des Pro­jek­tes vor. Den theo­re­ti­schen Rah­men bil­det eine Ver­bin­dung aus queer­ theo­re­ti­schen An­sät­zen mit An­sät­zen der kri­ti­schen Kunst- und Kul­tur­ver­mitt­ lung. Künst­le­ri­sche und kul­tu­relle Pro­duk­tio­nen eig­nen sich be­son­ders, um als ,na­tür­lich‘ an­ge­se­hene Wis­sens­be­stände zu hin­ter­fra­gen und Ir­ri­ta­tio­nen aus­zu­lö­ sen. De­ren kri­ti­sches Potenzial und die Aus­gangs­punkte des Pro­jek­tes, die in ei­ nem Ver­ständ­nis von Kul­tur als par­ti­zi­pa­ti­ver und Do-It-Your­self-Kul­tur so­wie in queer-fe­mi­nis­ti­schen Kon­tex­ten lie­gen, stel­len wir im Fol­gen­den mit Hilfe der im Pro­jekt ent­wi­ckel­ten Ma­te­ria­lien dar. Wir zei­gen an­hand ei­ner Be­schrei­bung von Work­shops mit Ju­gend­li­chen auf, wie ein Hand­lungs­raum er­öff­net wird, in dem eine Dis­kus­sion und Re­fle­xion von he­ge­mo­nia­len Deu­tungs­mus­tern – bei­spiels­ weise von Ge­schlecht, Se­xua­li­tät und Kör­per – so­wie die Trans­for­ma­tion von Zu­ schrei­bungs- und Bild­po­li­ti­ken durch (kri­ti­sche) kul­tu­relle Pro­duk­tio­nen mög­lich wird. Wie ein Quee­ring des do­mi­nan­ten Blicks und so­mit eine De­kon­struk­tion von (schein­ba­ren) Nor­mali­tä­ten aus­se­hen kann, dis­ku­tie­ren wir an­schlie­ßend an­ hand von (Bild-)Ma­te­ria­lien, die wir in der Arbeit mit Ju­gend­li­chen ein­set­zen.

K on ­text : D as P rojekt M aking A rt , M aking M e ­dia , M aking C hange ! Ma­king Art, Ma­king Me­dia, Ma­king Change! ist ein trans­dis­zi­pli­nä­res Wis­sen­ schafts­kom­mu­ni­ka­tions­pro­jekt an der Schnitt­stelle von Uni­ver­si­tät – Ju­gend­ arbeit – Kunst­ver­mitt­lung, das am inter­uni­ver­si­tä­ren Schwer­punkt Wis­sen­schaft und Kunst ver­an­kert ist, ei­ner Ko­ope­ra­tion zwi­schen der Pa­ris Lo­dron Uni­ver­si­tät Salz­burg und der Uni­ver­si­tät Mo­zar­teum Salz­burg. Neben dem wis­sen­schaft­li­chen Team wurde das Pro­jekt vor al­lem in Ko­ope­ra­tion mit Künst­ler_in­nen und Me­dien­ pro­du­zent_in­nen, Ver­tre­ter_in­nen der fe­mi­nis­ti­schen Mäd­chen­arbeit so­wie Expert_ innen der kri­ti­schen Kunst- und Kul­tur­ver­mitt­lung ent­wi­ckelt.2 Das Pro­jekt baut auf 2

Das Pro­jekt wurde vom ös­ter­rei­chi­schen Wis­sen­schafts­fond (FWF, WKP 10) als Wis­ sen­schafts­kom­mu­ni­ka­tions­pro­jekt vom 1.3.2014 bis 30.9.2015 ge­för­dert. Team­mit­glie­ der: Elke Zobl, Ri­carda Drüe­ke, Ste­fa­nie Grün­an­gerl. Ko­ope­ra­tions­part­ner_in­nen: Co­ mic-Künst­le­rin Ka Schmitz, Tex­til-Künst­le­rin Ste­pha­nie Mül­ler, Car­men Mörsch vom

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zwei von Elke Zobl ge­lei­te­ten For­schungs­pro­jek­ten auf, die auf al­ter­na­tive fe­mi­nis­ ti­sche Me­dien­pro­duk­tion und junge Frauen als ak­tive kul­tu­relle Pro­du­zent_in­nen im Kon­text der La­dy­feste fo­kus­sier­ten (vgl. Zobl/Drüeke 2012; Zobl/Reit­sa­mer 2012).3 Diese For­schungs­arbei­ten ha­ben ge­zeigt, dass ge­rade durch selbst ge­machte kul­tu­relle Pro­duk­tio­nen, Me­dien und Netz­werke mit queer-fe­mi­nis­ti­schem Fo­kus neue Räume – und da­mit Hand­lungs­mög­lich­kei­ten – für Ju­gend­li­che und junge Er­wach­sene er­öff­net wer­den. Sie sind durch eine par­ti­zi­pa­tive Kul­tur, selbst or­ga­ni­ sier­tes, kol­la­bo­ra­ti­ves Ler­nen in in­for­mel­len Kon­tex­ten, lo­ka­le, trans­na­tio­nale und vir­tu­elle Kom­mu­ni­ka­tion und Ver­net­zung, Ak­ti­vis­mus und zi­vil­ge­sell­schaft­li­ches En­ga­ge­ment ge­kenn­zeich­net (vgl. Reit­sa­mer/Zobl 2010; Zobl 2009; Zobl 2011a). Aus­ge­hend von die­sen Er­geb­nis­sen wur­den im Pro­jekt Ma­king Art, Ma­king Me­dia, Ma­king Change! ver­schie­dene Work­shops mit Ju­gend­li­chen als kul­tu­relle und me­ diale Pro­du­zent_in­nen kon­zi­piert und durch­ge­führt. Diese Work­shops wur­den fort­ lau­fend von den Pro­jekt­mit­arbei­terin­nen eva­lu­iert und wer­den nach Pro­jekt­ende wei­ter­ent­wi­ckelt. Zen­tral in der An­lage des Pro­jekts ist, dass der Pro­zess und nicht das Pro­dukt ent­schei­dend ist so­wie ,learning by doing‘ und die Zu­sam­men­arbeit mit den Ju­gend­li­chen im Vor­der­grund ste­hen. In Zu­sam­men­arbeit mit den Künst­ler_in­nen und Ko­ope­ra­tions­part­ner_in­nen4 kon­zi­pier­ten wir eine Ex­pe­ri­men­tier-Werk­statt zum Phä­no­men Craf­ti­vism5 so­wie Co­mic- und Zine6-Work­shops. Dar­aus er­ga­ben sich ös­ter­reich­weite mo­bile Work­ shops mit ge­schlech­ter­ge­misch­ten und mäd­chen­spe­zi­fi­schen Grup­pen – Schul­ klas­sen so­wie Ju­gend- und Mäd­chen­grup­pen im Al­ter von zwölf bis 26 Jah­ren. Von März 2014 bis Mai 2015 führ­ten wir 27 Work­shops an 14 In­sti­tu­tio­nen mit 350 Teil­neh­mer_in­nen durch. Der über­wie­gende Teil der Work­shops war mäd­ chen- bzw. frau­en­spe­zi­fisch. Wich­tig war uns bei den Work­shops, den Kon­struk­ In­sti­tute for Art Edu­ca­tion der Zür­cher Hoch­schule der Künste (Schweiz), Büro tra­fo.K (Wien), make it – Büro für Mäd­chen­för­de­rung des Lan­des Salz­burg, Mo­na-Net: Mäd­ chen Online Netz­werk Aus­tria, Frau­en­büro Stadt Salz­burg, ver­schie­dene Kul­tur- und Me­dien­pro­du­zent_in­nen. Vgl. Website des Projektes. 3 Vgl. Websites zu den FWF-geförderten Forschungsprojekten Feministische Medien­ produktion in Europa und Junge Frauen als Produzent_innen von neuen kulturellen Räumen. 4 Für die Aus­arbei­tung die­ser Per­spek­tive war es für das Pro­jekt von gro­ßer Be­deu­tung, mit Expert_innen der kri­ti­schen Kunst- und Kul­tur­ver­mitt­lung zu kol­la­bo­rie­ren: Car­ men Mörsch, In­sti­tute for Art Edu­ca­tion, Züricher Hoch­schule der Küns­te, und Elke Smo­dics von tra­fo.K, ei­nem Kunst­ver­mitt­lungs­büro in Wien. 5 Das eng­li­sche Wort ,Craf­ti­vism‘ – oder al­ter­na­tiv die Be­griffe ,Ra­di­cal Craf­ting‘ und ,Cri­ti­cal Craf­ting‘ – be­zieht sich auf die Ver­bin­dung von Hand­arbeit mit Ak­ti­vis­mus und ei­nen kri­tisch-ex­pe­ri­men­tel­len Do-It-Your­self-Zu­gang dazu (vgl. Eis­mann et al. 2011). 6 Zi­nes sind nicht-kom­mer­ziel­le, nicht-pro­fes­sio­nelle Ma­ga­zine in ge­rin­ger Zir­ku­la­tion, die in frei­wil­li­ger, un­be­zahl­ter Arbeit pro­du­ziert, ver­öf­fent­licht und ver­brei­tet wer­den (vgl. Dun­combe 1997; Zobl 2009).

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tions­cha­rak­ter ins­be­son­dere von Ge­schlecht zu ver­han­deln und die Stra­te­gie des Quee­rings in­so­fern zu in­te­grie­ren, als wir uns ge­mein­sam mit den Ju­gend­li­chen mit schein­ba­ren Nor­mali­tä­ten wie Rol­len­bil­dern und Ste­reo­ty­pen auseinander­ setzten, um diese zu hin­ter­fra­gen. Als Aus­gangs­punkt für die Zu­sam­men­stel­lung von Ma­te­ria­lien, die in den Work­shops mit den Ju­gend­li­chen ver­wen­det wer­den, stell­ten wir uns fol­gende Fra­gen:





Welche Ma­te­ria­lien kön­nen im Sinne ei­nes Quee­rings ver­meint­li­che Nor­mali­ tä­ten, Herr­schafts­struk­tu­ren und Macht­ver­hält­nisse hin­ter­fra­gen und be­in­hal­ ten be­reits ein kri­ti­sches Mo­ment, in­dem sie die ge­sell­schaft­li­che Ord­nung nicht re­pro­du­zie­ren, son­dern durch­bre­chen und de­kon­stru­ie­ren? Welche Ma­te­ria­lien kön­nen ein Em­power­ment im Sinne des Er­öff­nens von kri­ti­schen Hand­lungs­räu­men unter­stüt­zen und zu eige­ner kul­tu­rel­ler Pro­duk­ tion an­re­gen?

Nur jene Ma­te­ria­lien, die diese As­pekte – der De­kon­struk­tion von Macht­ver­hält­ nis­sen, im Spe­zi­fi­schen von He­te­ro­nor­ma­ti­vi­tät, und des Em­power­ments – aus­ drü­cken kön­nen, wur­den aus­ge­wählt. Für den Ein­satz in die­sen Work­shops ent­wi­ckel­ten wir für Leh­rer_in­nen und Mul­ti­pli­ka­tor_in­nen eine künst­le­risch-edu­ka­tive Do-It-Your­self, Do-It-To­ge­ther! Tool­box. Aus­schlag­ge­bend und für die Ent­wick­lung ent­schei­dend wa­ren da­bei ähn­li­che Pro­jek­te, etwa FLIC FLAC* Fe­mi­nis­ti­sche Ma­te­ria­lien für den Kunst­ unter­richt von tra­fo.K (2011). Auch die Tool­box Ver­let­zende Spra­che an­ge­hen (Hu­ber 2014), der ras­sis­mus­kri­ti­sche Leit­fa­den (Pro­jekt Lern- und Er­in­ne­rungs­ort Afri­ka­ni­sches Vier­tel 2015) so­wie das RCG – Ma­ga­zin zu In­ter­sekt­io­na­li­tät (AG Post­ko­lo­niale Mi­gra­tion(en) und Anti-Ras­sis­mus 2014) stell­ten wich­tige Re­fe­ renz­punkte dar. Die Tool­box ent­hält Ma­te­ria­lien für eine kri­ti­sche und fe­mi­nis­ti­ sche Ver­mitt­lungs­pra­xis. Sie um­fasst Mo­dule und Hand­lungs­an­re­gun­gen für die drei be­schrie­be­nen Werk­stät­ten bzw. Work­shops.7 Dar­über hin­aus be­fin­det sich in der Tool­box An­schau­ungs­ma­te­rial, d. h. Pri­mär­ma­te­ria­lien wie Zi­nes, Co­mics und Bei­spiele von Craf­ti­vism-Pro­jek­ten. Zur wei­te­ren Il­lus­tra­tion der DIY-Pro­ duk­ti­ons­kon­texte sind Sprech­bla­sen ent­hal­ten, auf denen Zi­tate von Kul­tur- und Me­dien­pro­du­zent_in­nen ab­ge­druckt sind. Schließ­lich um­fasst die Tool­box Bild­ kar­ten mit ver­schie­de­nen Zeich­nun­gen, Col­la­gen und Fotografien aus queer-fe­mi­ nis­ti­schen künst­le­ri­schen und me­dia­len Arbei­ten.

7 Die Tool­box kann am Ko­ope­ra­tions­schwer­punkt Wis­sen­schaft und Kunst, Pa­ris Lo­dron Uni­ver­si­tät Salz­burg und Uni­ver­si­tät Mo­zar­teum (Kon­takt: Elke Zobl) kos­ten­los ent­lie­ hen wer­den.

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T heo ­re ­ti ­scher R ah ­m en : Q uee ­ring in der kri ­ti ­schen K ul­tur­v er ­m itt ­lung Für die Ent­wick­lung der kon­kre­ten Ma­te­ria­lien in der Arbeit mit Ju­gend­li­chen, die wir in den Ab­schnit­ten 4 und 5 ge­nauer vor­stel­len, bil­det eine ge­sell­schafts­kri­ti­ sche und queer-fe­mi­nis­ti­sche Per­spek­tive die Grund­lage (vgl. But­ler 1995; En­gel 2007; Ja­gose 2001; Mouffe 2008). In der päd­ago­gi­schen Pra­xis fin­den sich kri­ ti­sche Per­spek­ti­ven auf ge­sell­schaft­li­che Macht- und Herr­schafts­ver­hält­nisse vor al­lem in der Bil­dungs- und Mäd­chen­arbeit (vgl. Wal­gen­bach 2014). Häu­fi­ger Aus­ gangs­punkt ist da­bei die Aus­ein­an­der­set­zung mit der ei­ge­nen Bio­gra­fie und dar­auf auf­bau­end die Re­fle­xion von Dis­kri­mi­nie­rungs­for­men. So greift bei­spiels­weise das Ju­gend­bil­dungs­pro­jekt re­spect ju­gend­li­che Selbst­sti­li­sie­run­gen als ,Gangs­ta‘ etc. auf, um da­mit Pro­zesse der Selbst- und Frem­de­thni­sie­rung zu re­flek­tie­ren so­wie de­ren ge­sell­schaft­li­che Her­stel­lungs­pro­zesse in den Blick zu neh­men (vgl. Wal­gen­bach 2014; Ak­ka/Pohl­kamp 2010). Auf­bau­end auf ei­nem eman­zi­pa­to­ri­schen Päd­ago­gik­ver­ständ­nis (vgl. Freire 1978), das Bil­dung als Pro­zess der Po­li­ti­sie­rung sieht, in dem Men­schen jene Macht­me­cha­nis­men er­ken­nen ler­nen, die ihr Le­ben prä­gen, ver­steht sich die kri­ ti­sche Kunst- und Kul­tur­ver­mitt­lung (vgl. Mörsch 2012a; Set­tele/Mörsch 2012; Rol­lig/Sturm 2002; Schnitt­punkt 2013) selbst als eine he­ge­mo­nie­kri­ti­sche Pra­ xis, die eine „be­wusst be­trie­bene Unter­bre­chung und Gegen­ka­no­ni­sie­rung“ (IAE 2013: 38) dar­stellt. Da­bei wer­den so­wohl Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen und künst­le­ri­sche Pro­duk­tio­nen als auch der päd­ago­gi­sche Be­reich „zu den zen­tra­len Or­ten, an de­ nen die he­ge­mo­niale Ord­nung aus­ge­han­delt wird“ (IAE 2013: 38). In dem Feld wer­den wich­tige Fra­gen zum Ler­nen als Er­geb­nis he­ge­mo­nia­ler Ver­hält­nisse so­ wie zum Durch­bre­chen von an­ge­lern­ter Pra­xis und gän­gi­gem Wis­sen dis­ku­tiert, um Räume für Dis­sens zu öff­nen und Mög­lich­kei­ten des Un­er­war­te­ten zu schaf­ fen (vgl. Stern­feld 2014). Pro­zesse des Ler­nens und Ver­ler­nens von Denk- und Hand­lungs­mus­tern, so Nora Stern­feld (vgl. 2014), sind ent­schei­dend, um Kri­tik zu äu­ßern und ge­sell­schaft­li­che Trans­for­ma­tio­nen an­zu­sto­ßen. Grund­sätz­lich wird Bil­dung in der Per­spek­tive der kri­ti­schen Kunst- und Kul­tur­ver­mitt­lung als gegen­sei­ti­ger Lern­pro­zess und kol­la­bo­ra­tive Wis­sens­pro­duk­tion auf­ge­fasst. Kri­ti­ sche Pra­xis be­deu­tet da­bei, Theo­rie und Re­fle­xion so­wie das Er­pro­ben von Hand­ lungs­stra­te­gien als zu­sam­men­ge­hö­rig zu ver­ste­hen. Um queert­heo­re­ti­sche und queere künst­le­ri­sche An­sätze mit ei­ner sol­chen kri­ti­schen päd­ago­gi­schen Pra­xis zu ver­bin­den, ha­ben Nanna Lüth und Car­men Mörsch (2015) den Be­griff „Queere Kunst Päd­ago­gik“ vor­ge­schla­gen. Zen­tral ist da­bei der ge­mein­same Be­zug von künst­le­ri­schen und päd­ago­gi­schen Ver­fah­ren zu ei­ner anti­ras­sis­ti­schen und anti­se­xis­ti­schen Her­an­ge­hens­weise (vgl. Lüth/Mörsch 2015: 188). Da­durch ent­steht eine Form von Kunst/Päd­ago­gik, die sich als „,queer‘ und nicht (nur) ,kri­tisch‘“ be­zeich­net, denn „Af­fek­te, Be­geh­ren, Ver­letz­lich­keit,

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Un­ein­deu­tig­keit und Wi­der­sprü­che“ sind „bei der Ent­wick­lung und Rea­li­sie­rung ihres eman­zi­pa­to­ri­schen künst­le­ri­schen und päd­ago­gi­schen An­lie­gens“ (Lüth/ Mörsch 2015: 188) zen­tra­ler Aus­gangs- und An­gel­punkt. Da­mit wird nicht nur die Ge­schlech­ter­dif­fe­renz in den Blick ge­nom­men, son­dern es wer­den vor al­lem Ka­te­go­ri­sie­run­gen kri­ti­siert und ein Den­ken jen­seits von Di­cho­to­mien an­ge­regt: „Queer ist im­mer eine Iden­ti­täts­bau­stel­le, ein Ort be­stän­di­gen Wer­dens.“ (Ja­gose 2001: 165) Die­ser Zu­gang er­mög­licht es, „ver­schie­dene so­ziale Fra­gen aus mi­ no­ri­sier­ten Per­spek­ti­ven“ zu fo­kus­sie­ren und gleich­zei­tig mit künst­le­risch-edu­ ka­ti­ven Mit­teln zu be­arbei­ten (vgl. Lüth/Mörsch 2015: 188). Dem­zu­folge ste­hen sich po­li­ti­sche, kul­tu­relle und künst­le­ri­sche Prak­ti­ken und queere Theo­rie­bil­dun­ gen nicht di­cho­tom gegen­über, son­dern be­din­gen und be­fruch­ten sich gegen­sei­ tig. For­men kri­ti­scher künst­le­ri­scher Prak­ti­ken (,cri­ti­cal art‘) kön­nen do­mi­nante He­ge­mo­nien hin­ter­fra­gen und de­sta­bi­li­sie­ren, in­dem sie vi­sua­li­sie­ren, was unter­ drückt bzw. ver­ein­nahmt wird, und Al­ter­na­ti­ven be­reit­stel­len (vgl. Mouffe 2008: 6 ff.). Kenn­zei­chen sol­cher künst­le­ri­scher Prak­ti­ken sind nach Chan­tal Mouffe (2014: 135) die „Pro­duk­tion neuer Sub­jek­tivi­tä­ten und die Aus­arbei­tung neuer Wel­ten“, um den „Com­mon Sense“ durch gegen­he­ge­mo­niale Inter­ven­tio­nen zu ver­än­dern (Mouffe 2014: 139). Da­mit kön­nen queere Re­prä­sen­ta­tio­nen und so­ ziale Prak­ti­ken ent­wi­ckelt wer­den, die Be­deu­tun­gen nicht als et­was Fi­xes be­trach­ ten und gleich­zei­tig auf die Norm ver­wei­sen, die sie ver­un­ein­deu­ti­gen bzw. die den „Pro­zess der In­fra­ge­stel­lung oder Ver­schie­bung ma­te­ria­li­sie­ren“ (En­gel 2007: 296). Nicht nur Iden­ti­tä­ten sind des­halb zu po­li­ti­sie­ren, son­dern auch ge­sell­schaft­ li­che Prak­ti­ken und Rah­men­be­din­gun­gen, in denen diese ent­ste­hen und sta­bi­li­siert wer­den (vgl. But­ler 2004: 48 ff.). Queere Re­prä­sen­ta­tio­nen und Prak­ti­ken kön­ nen dem­ent­spre­chend, so Antke En­gel (2007: 296 f.), als „pro­duk­tive Ir­ri­ta­tio­ nen“ die­nen, um Ge­schlecht und Se­xua­li­tät nicht nur auf hier­ar­chi­sche Ge­schlech­ ter­dif­fe­ren­zen und He­te­ro­nor­ma­ti­vi­tät zu be­zie­hen. Ge­rade queere künst­le­ri­sche Prak­ti­ken an den Schnitt­stel­len von Theo­rie, Kunst und Ak­ti­vis­mus – dies zei­gen bei­spiels­weise die Bei­träge in den ak­tu­el­len Sam­mel­bän­den von Kä­the von Bose et al. (2015) und Chris­tiane Er­har­ter et al. (2015) – the­ma­ti­sie­ren die viel­fäl­ti­gen Inter­ven­tions­mög­lich­kei­ten in die vi­su­el­len und per­for­ma­ti­ven Re­prä­sen­ta­tions­ for­men von Gen­der, Se­xua­li­tät, Af­fekt und Po­li­tik. Die kri­ti­sche Kunst- und Kul­tur­ver­mitt­lung – im Sinne ei­ner in Ent­wick­lung be­find­li­chen Quee­ren Kunst Päd­ago­gik – macht also deut­lich, dass es auf ver­ schie­de­nen Ebe­nen Inter­ven­tio­nen ge­ben kann (vgl. Lüth/Mörsch 2015): So sol­ len zum ei­nen die bis­he­ri­gen Vor­stel­lun­gen über kul­tu­relle Bil­dung re­flek­tiert und da­mit auch eine Dis­kus­sion dar­über an­ge­sto­ßen wer­den, wel­cher Kunst- und Kul­ tur­be­griff sol­chen Set­zun­gen zu­grunde liegt. Zum an­de­ren ist es wich­tig, viel­fäl­ tige In­for­ma­tions- und Unter­richts­ma­te­ria­lien zu ent­wi­ckeln, die ge­sell­schafts­kri­ ti­sche Mo­mente aus ei­ner anti­ras­sis­ti­schen und queer-fe­mi­nis­ti­schen Per­spek­tive mit­den­ken bzw. als Aus­gangs­punkt neh­men (vgl. tra­fo.K 2011). In Ver­bin­dung

Kul­tur­ver­mitt­lung als kri­ti­sche Pra­xis

mit ei­nem Quee­ring als Stra­te­gie zeigt sich das Potenzial der kri­ti­schen Kunstund Kul­tur­ver­mitt­lung. Mo­mente der Ir­ri­ta­tion vor al­lem ei­ner – aber nicht nur – he­ge­mo­nia­len Zwei­ge­schlecht­lich­keit und der da­mit ver­bun­de­nen Ein- und Aus­schlüsse kön­nen so in der Ver­mitt­lungs­pra­xis the­ma­ti­siert wer­den. Wenn ge­ sell­schaft­li­che Prak­ti­ken und Fest­schrei­bun­gen kri­tisch in den Blick ge­nom­men wer­den und nach den Be­din­gun­gen der Kon­struk­tion von Sex und Gen­der ge­fragt wird, kann dies zu ei­ner Ver­viel­fäl­ti­gung der Sicht­wei­sen bei­tra­gen.

I n -F ra­ge -S tel ­len von N or ­m a ­li ­tät (- en ): zur  E nt w ­ ick lung ­ von A n ­ge ­b o­ten und M ate ­ ria ­ lien ­ für eine kri ­ti ­sche und fe m ­ i nis ­ ti ­ sche ­ V er m ­ itt lungs ­ ­ pra ­xis Im Folgenden zei­gen wir an­hand der durch­ge­führ­ten Work­shops mit Ju­gend­li­chen die Ent­wick­lung und Ein­satz­mög­lich­kei­ten der Ma­te­ria­lien und Angebote für eine kri­ti­sche und queer-fe­mi­nis­ti­sche Ver­mitt­lungs­pra­xis auf. Daran an­schlie­ßend stel­len wir als Teil der vi­su­el­len Ma­te­ria­lien die Bild­kar­ten vor und dis­ku­tie­ren an die­sem Bei­spiel die Mög­lich­kei­ten ei­nes Quee­rings und Em­power­ments. Kri­ti­sche kul­tu­relle Pro­duk­tio­nen in Work­shops Ziel der im Rah­men des Wis­sen­schafts­kom­mu­ni­ka­tions­pro­jekts ent­wi­ckel­ten Craf­ti­vism-Werks­tät­ten so­wie Co­mic- und Zi­ne-Works­hops ist die Er­öff­nung ei­ nes ge­mein­sa­men macht­kri­ti­schen und er­mäch­ti­gen­den Sprach- und Hand­lungs­ raums. Sie sind in drei Pha­sen struk­tu­riert: Zu­nächst er­folgt ein Ken­nen­ler­nen über Bild­ma­te­ria­lien – wie Zi­nes, Co­mics oder Bild­kar­ten –, die wir mit­ein­an­ der dis­ku­tie­ren. In ei­nem zwei­ten Schritt folgt die Pro­duk­tion von Co­mics, Zi­nes oder Craf­ti­vism-Ob­jek­ten, die ihren in­halt­li­chen Aus­gangs­punkt bei den The­men der Ju­gend­li­chen neh­men und eine Brü­cke zu den Ma­te­ria­lien bil­den, die wir in die Work­shops tra­gen. Als Ab­schluss wer­den in der letz­ten Phase die Er­geb­nisse gegen­sei­tig vor­ge­stellt und re­flek­tiert. Der kon­krete Ab­lauf sieht da­bei ex­em­pla­risch wie folgt aus: Bei ei­nem drei­stün­ di­gen Zi­ne-Works­hop – bei­spiels­weise in ei­nem Mäd­chen­zen­trum in Kla­gen­furt oder an ei­ner wei­ter­füh­ren­den Schule in Mittersill im länd­li­chen Raum Salz­burgs – bauen wir zu­nächst bei unse­rer An­kunft die mo­bile Le­se­lounge8 auf, die eine Viel­zahl an 8 Die Zi­nes ent­stam­men dem Grrrl Zi­nes-Ar­chiv im gen­dup, dem Zen­trum für Gen­der Stu­dies und Frau­en­for­schung an der Uni­ver­si­tät Salz­burg. Die­ses Archiv um­fasst eine Samm­lung von 2.300 queer-fe­mi­nis­ti­schen Zi­nes, die Elke Zobl seit 1999 ge­sam­melt hat (s. Website Zines-Archiv).

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queer-fe­mi­nis­ti­schen und frau­en­po­li­ti­schen Zi­nes und Co­mics ent­hält. Nach ei­ner Be­grü­ßung, in der wir auch kurz die Re­geln ei­nes re­spekt­vol­len Um­gangs mit­ein­an­der an­spre­chen9, su­chen sich alle Teil­neh­mer_in­nen – auch die Work­shop­lei­ter_in­nen – ein Zine oder Co­mic aus, das sie an­spricht. Zu­erst zö­gernd, dann mit im­mer mehr In­ter­esse se­hen sich die Ju­gend­li­chen die Hefte an und es be­gin­nen Ge­sprä­che dar­über, was ih­nen daran ge­fällt, wel­che The­men span­nend sind und in­wie­weit diese Ma­te­ria­lien an­dere The­men oder vi­su­elle Re­prä­sen­ta­tio­nen ent­hal­ten als Mas­sen­me­dien. In den Zi­nes ist bei­spiels­weise eine Frau mit Kopf­tuch ab­ge­bil­det, die als DJane arbei­tet und über ihre fe­mi­nis­ti­schen Über­zeu­gun­gen spricht. Wir se­hen Frau­en, die nicht den Mo­del-Ma­ßen ent­spre­chen, mit ihrem Kör­per zu­frie­den sind und Fotoserien dar­über ma­chen. Es sind Frauen ab­ge­bil­det, die in den Stadt­raum ge­hen und mit Fä­ den ei­nen Bör­sen­platz über­span­nen, um zur Fi­nanz­krise Stel­lung zu be­zie­hen. Nach ei­nem Aus­tausch über Form und Cha­rak­te­ris­tika von Zi­nes ge­hen wir dazu über, ge­mein­sam ein Zine zu pro­du­zie­ren, in dem je­de_r Teil­neh­mer_in min­des­tens eine Seite ge­stal­tet. Dazu über­le­gen wir ge­mein­sam, wel­che The­men die Ju­gend­li­chen be­schäf­ti­gen, um dar­aus Schwer­punkte für das Heft zu ent­wi­ckeln. Wir fra­gen: „Was be­trifft euch im All­tag, und was wür­det ihr gerne daran än­dern?“, „Wel­che Un­gleich­ hei­ten und Un­ge­rech­tig­kei­ten gibt es?“ und „Gibt es eine ,ei­ge­ne‘ Ge­schich­te, die ihr er­zäh­len könnt?“. Es kommt eine Dis­kus­sion in Gang und die Ju­gend­li­chen be­gin­nen sinn­ge­mäß Fra­gen zu stel­len wie „Warum ver­die­nen Frauen we­ni­ger als Män­ner?“, „Warum wer­den Grup­pen und Ein­zel­per­so­nen, die von der Norm ab­wei­chen, aus­ge­ grenzt?“ und „Warum wer­den Ste­reo­type über Män­ner und Frauen als nor­mal er­lebt?“. Aus­ge­hend von sol­chen Fra­gen las­sen sich an­schlie­ßend schein­bare Nor­mali­tä­ten und ge­sell­schaft­li­che Macht­ver­hält­nisse the­ma­ti­sie­ren. Wei­ter­ge­hend fra­gen wir: „Warum ist das so?“ und „Was hat das al­les mit mir zu tun?“. Unter Rück­griff auf diese Fra­ge­stel­lun­gen ge­stal­ten die Ju­gend­li­chen und die Work­shop­lei­ter_in­nen in ei­nem nächs­ten Schritt Col­la­gen für das Zi­ne. Beim Col­la­gie­ren grei­fen die Work­ shop­lei­ter_in­nen vor­wie­gend auf Ma­ga­zine und Zei­tun­gen aus fe­mi­nis­ti­schen und frau­en­po­li­ti­schen Kon­tex­ten zu­rück, um den Mehr­heits­dis­kurs nicht von vorn­her­ ein zu re­pro­du­zie­ren. In dem Kla­gen­fur­ter Work­shop trug das Zine schließ­lich den Ti­tel Al­les bas­ta? Nö! und ent­hielt Bei­trä­ge, in denen Rol­len­bil­der und do­mi­nante ge­sell­schaft­li­che Ver­hält­nisse auf­ge­zeigt, aber gleich­zei­tig auch Kri­tik daran ge­übt wur­de. Abbildung 1 zeigt ei­nen Aus­zug aus ei­nem Zi­ne, das im Rah­men ei­nes sol­ chen Work­shops mit Schü­ler_in­nen und jun­gen Frauen an der Schule in Mittersill ge­stal­tet wur­de. Die Teil­neh­mer_in­nen der Work­shops re­flek­tier­ten ihre Si­tua­tion und Po­si­tion in der Ge­sell­schaft und nah­men zum Teil ei­nen kri­ti­schen Stand­punkt in Be­zug auf die Wir­kung von Herr­schafts­struk­tu­ren ein. 9 In den Work­shops kann auch ver­let­zende und dis­kri­mi­nie­rende Spra­che vor­kom­men. Wir be­nen­nen diese (ohne die Spre­cher_in­nen zu ver­ur­tei­len) und ver­wei­sen auf eine re­spekt­volle Spra­che (vgl. Hu­ber 2014).

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Abbildung  1: Aus­zug aus ei­nem ge­mein­sam von Schü­ler_in­nen des BORG Mittersill und jun­gen Frauen ge­stal­te­ten Zine

In ei­nem Groß­teil der in den Work­shops pro­du­zier­ten Zi­nes brin­gen die Ju­gend­li­ chen macht- und herr­schafts­kri­ti­sche The­men zur Spra­che, ins­be­son­dere ver­schie­ dene For­men von Dis­kri­mi­nie­rung (u. a. Se­xis­mus, aber auch z. B. Cy­ber-Mob­ bing), Aus­schlüsse und Ge­walt gegen Frau­en. Sie üben Kri­tik an Rol­len-, Kör­ per- und Schön­heits­bil­dern und Nor­men und for­mu­lie­ren For­de­run­gen für Frau­ en­rechte und Gleich­be­rech­ti­gung, Re­spekt, Selbst­be­stim­mung über den ei­ge­nen Kör­per und das ei­gene Aus­se­hen. Dar­über hin­aus the­ma­ti­sie­ren die Ju­gend­li­chen all­ge­meine ge­sell­schafts­po­li­ti­sche The­men wie den Gegen­satz zwi­schen Arm und Reich. Ein zwei­ter gro­ßer The­men­be­reich be­trifft Bei­träge zu Em­power­ment und der Er­mun­te­rung, ak­tiv zu sein oder zu wer­den, bei­spiels­weise im Be­reich der Mu­sik. Wei­ter­hin brin­gen viele – in ei­nem drit­ten The­men­kom­plex – den Druck in Be­zug auf Leis­tung so­wie Schul-, Be­rufs- und Zu­kunfts­aus­sich­ten in ei­nem neo­li­be­ra­len Sys­tem10 zur Spra­che. Auch All­tags­the­men wie Mo­de, Schmin­ken, Inter­net, Fil­me, Freund­schaft, Lie­be, Re­li­gion und Tier­schutz sind Teil der pro­ du­zier­ten Zi­nes. Über den Ein­stieg durch die Pri­mär­ma­te­ria­lien der Zi­nes und Co­mics ist es mög­lich, di­rekt viel­fäl­tige und macht­kri­ti­sche The­men an­zu­spre­chen und so ei­nen Hand­lungs­raum zu öff­nen, der von den Work­shop-Teil­neh­mer_in­nen mit­be­stimmt 10 Die Ju­gend­li­chen be­zeich­nen das Sys­tem nicht mit dem Be­griff ,neo­li­be­ral‘, aber sie be­schrei­ben in ihren ei­ge­nen Wor­ten, wie sie das ge­sell­schaft­li­che Zu­sam­men­le­ben er­ fah­ren und be­nen­nen da­bei Cha­rak­te­ris­tika des Neo­li­be­ra­lis­mus.

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wird, in­dem sie ihre Mei­nun­gen und Le­bens­wirk­lich­kei­ten ein­brin­gen und diese – teil­weise kri­tisch – in Be­zug zu ge­sell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­sen set­zen. In die­sem Raum kön­nen grund­sätz­li­che Denk- und Re­fle­xions­pro­zesse in­iti­iert wer­den, um ge­sell­schaft­li­che Macht­ver­hält­nisse und Aus­schlüsse zu hin­ter­fra­gen. Vor al­lem Ju­gend­li­che, die sich mar­gi­na­li­siert füh­len, sich im Pro­zess des Ou­tings be­fin­ den oder Dis­kri­mi­nie­rungs­er­fah­run­gen ge­macht ha­ben, emp­fin­den es als po­si­tiv, dass diese Er­fah­run­gen zur Spra­che ge­bracht wer­den. Gleich­zei­tig wäre eine län­ ger­fris­tige Zu­sam­men­arbeit mit den Ju­gend­li­chen not­wen­dig, um tiefergehende Re­fle­xions­pro­zesse an­zu­sto­ßen und he­te­ro­nor­ma­tive Ord­nun­gen nach­hal­ti­ger in Frage zu stel­len. Vi­su­elle Blick­re­gime trans­for­mie­ren: Bild­kar­ten  in  der  Ver­mitt­lungs­pra­xis In die­sem Ab­schnitt zei­gen wir die Ent­wick­lung und den Ein­satz der im Pro­jekt er­arbei­te­ten Bild­kar­ten auf, die in den Work­shops als Ein­stieg zum Ken­nen­ler­ nen oder im zwei­ten Schritt für die tiefergehende Dis­kus­sion im Hin­blick auf ein Quee­ring und Em­power­ment ver­wen­det wer­den kön­nen. Aus dem vor­han­de­nen Ma­te­rial der For­schungs­pro­jekte wur­den zu­nächst 140 Aus­züge und Ti­tel­bil­der von queer-fe­mi­nis­ti­schen Co­mics und Zi­nes bzw. Fotos von Craf­ti­vism-Pro­jek­ten aus­ge­wählt, die in ei­nem mehr­stu­fi­gen und ge­mein­ schaft­li­chen Pro­zess mit den Ko­ope­ra­tions­part­ner_in­nen dis­ku­tiert wur­den. Dies führte letzt­end­lich zu ei­ner Aus­wahl von 25 Bild­kar­ten für die Ver­wen­dung in den Work­shops. Auf den Bild­kar­ten wer­den ei­ner­seits die Po­si­tio­nen der queerfe­mi­nis­ti­schen Kul­tur­schaf­fen­den deut­lich, vor al­lem wird aber der Kon­struk­ tions­cha­rak­ter von ge­sell­schaft­li­chen Ka­te­go­rien, ins­be­son­dere von Ge­schlecht, her­vor­ge­ho­ben. Die Bild­kar­ten ka­men so­wohl in Work­shops mit Schü­ler_in­nen und Stu­die­ren­den als auch mit Leh­rer_in­nen der Kunst­päd­ago­gik so­wie Kom­mu­ ni­ka­tions­wis­sen­schaft­ler_in­nen zum Ein­satz. In den Work­shops ge­hen wir so vor, dass sich alle Teil­neh­men­den (auch die Mul­ti­pli­ka­tor_in­nen bzw. Leh­rer_in­nen) eine Karte aus­wäh­len. In ei­ner Runde wer­den die Bil­der auf den Kar­ten ge­nau be­schrie­ben und die Gründe der Aus­ wahl ge­nannt, um die je­wei­li­gen Bild­po­li­ti­ken und Zu­schrei­bun­gen, die da­mit ein­her­ge­hen (z. B. in Be­zug auf Kö­per­nor­men, Ge­schlech­ter­rol­len), zu be­nen­nen und zu hin­ter­fra­gen. Ge­mein­sam wer­den die Ant­wor­ten in ei­ner zwei­ten Runde be­spro­chen. Ver­schie­dene Fra­gen kön­nen da­bei lei­tend sein: In­wie­fern wird das, was von der Ge­sell­schaft als ,nor­mal‘ und ,schön‘ an­ge­se­hen wird, in den Bil­dern hin­ter­fragt und um­ge­deu­tet? Wie wird Kri­tik an schein­ba­rer Nor­ma­li­tät ge­äu­ßert? Wie wird Kri­tik an Dis­kri­mi­nie­run­gen, z. B. auf­grund von Ge­schlecht, Eth­ni­zi­ tät, Re­li­gion, Klas­se, ge­übt? Wel­che an­de­ren und neuen Bil­der wer­den gän­gi­gen Nor­men ent­gegen­ge­setzt? Aber auch: Wie wird Sel­ber­ma­chen und Selbst-Ak­tiv-

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Wer­den zum Aus­druck von Kri­tik ver­wen­det? Das An­lie­gen ist, eine Aus­ein­an­ der­set­zung mit Macht- und Dis­kri­mi­nie­rungs­for­men so­wie die De­kon­struk­tion ste­reo­ty­per Bil­der an­zu­re­gen. Die Ju­gend­li­chen nah­men die Bild­kar­ten über­wie­ gend mit In­ter­esse und Neu­gier auf. Die Leh­ren­den emp­fan­den die Bild­kar­ten als pro­duk­ti­ves Ver­mitt­lungs­ma­te­rial für eine macht- und he­te­ro­nor­ma­ti­vi­täts­kri­ ti­sche Arbeit. Die Bild­kar­ten wer­den nun lau­fend in ei­nem par­ti­zi­pa­ti­ven Pro­zess mit ver­schie­de­nen Grup­pen wei­ter­ent­wi­ckelt und er­wei­tert. Im Fol­gen­den grei­fen wir vier Bild­kar­ten her­aus und dis­ku­tie­ren, wie diese im Sinne ei­nes Quee­rings Macht­ver­hält­nisse de­kon­stru­ie­ren und He­te­ro­nor­ma­ tivi­tä­ten in Frage stel­len so­wie als Form des Em­power­ments Hand­lungs­räume er­öff­nen. Abbildung 2: quee­ris­tics/Chris Campe, 2006

Quelle: Plotki Femzine #1, Deutschland. www.queeristics.de. Abdruck mit Genehmigung.

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Das im Plotki Fem­zine pu­bli­zierte Bild mit dem Ti­tel Áce­soir (Abb. 2) stammt von der Zeich­ne­rin Chris Campe (quee­ris­tics.de). Es zeigt in meh­re­ren Schrit­ten den Ta­ges­be­ginn von zwei Per­so­nen. Deut­lich wird, dass mit Ge­schlechts­zu­schrei­ bun­gen vi­su­ell spie­le­risch um­ge­gan­gen wird, da der Ge­schlechter­kör­per als et­was Äu­ße­res und da­mit Wan­del­ba­res dar­ge­stellt wird. Auf ei­ner Se­quenz steht bei­ spiels­weise eine Per­son vor ei­nem Klei­der­schrank, in dem meh­rere ,Ge­schlechter­ hül­len‘ zur Aus­wahl ste­hen. In­dem sie sich ei­nen Ge­schlechter­kör­per – über meh­ rere Se­quen­zen hin­weg – per­for­ma­tiv an­eig­net, ver­schie­ben sich he­tero­nor­ma­tive Zu­schrei­bun­gen. Zwar las­sen sich diese schein­ba­ren Wahl­mög­lich­kei­ten von Ge­ schlecht, die diese Se­quen­zen aus­drü­cken, durch­aus kri­tisch dis­ku­tie­ren, den­noch zeigt diese Zu­sam­men­stel­lung, dass Gen­der und Sex in der so­zia­len Pra­xis her­vor­ ge­bracht wer­den und nicht not­wen­di­ger­weise als et­was vorab na­tür­lich Ge­ge­be­nes be­trach­tet wer­den müs­sen. So­wohl Sex als auch Gen­der sind in dem Sinne per­for­ ma­tiv, als sie das Sub­jekt, das diese nur aus­zu­drü­cken scheint, als sei­nen Ef­fekt kon­stru­ie­ren (vgl. But­ler 1995). Die Ge­schlechter­kör­per wei­sen dar­über hin­aus ver­schie­dene Kom­bi­na­tio­nen männ­li­cher und weib­li­cher At­tri­bute auf. In ei­nem Inter­view be­tont Chris Campe, dass es ihr wich­tig ist, in Zeich­nun­gen ver­schie­ dene Codes, die eher männ­li­che oder eher weib­li­che Zu­schrei­bun­gen aus­lösen, zu kom­bi­nie­ren und so die Wahr­neh­mung von Ge­schlech­tern of­fen zu hal­ten (vgl. Reit­sa­mer 2010). Mit die­sem Bild wer­den also ein­deu­tige Er­kenn­bar­kei­ten ei­nes weib­li­chen oder männ­li­chen Kör­pers in Frage ge­stellt und es wird an­ge­regt, dar­ über nach­zu­den­ken, wel­che Ge­schlechter­kör­per als ,nor­mal‘ gel­ten und warum dies so ist. Der Fo­kus wird da­bei auf die Pro­zesse des Han­delns (des ,do­ing gen­ der‘) ge­legt, in denen Be­deu­tungs­zu­wei­sun­gen kon­stru­iert und kul­tu­relle Über­ein­ künfte er­zielt wer­den. In den Work­shops kann dis­ku­tiert wer­den, wie diese Be­deu­ tun­gen in ei­nem stän­di­gen Pro­zess des Aus­han­delns und Be­stä­ti­gens ent­ste­hen, der in Macht- und Hier­ar­chie­ver­hält­nisse ein­ge­bun­den ist. Mit Hilfe des Bil­des – der Ti­tel Áce­soir stellt ein Sprach­spiel zwi­schen dem Wort ,Ac­ces­soire‘ (dt. ,Bei­werk, Zu­be­hör‘) und ,à ce so­ir‘ (dt. ,bis heute Abend‘) bei der Ver­ab­schie­dung der bei­den Fi­gu­ren dar – kön­nen diese Zu­schrei­bun­gen hin­ter­fragt und um­ge­deu­tet wer­den. Abbildung 3 stammt aus dem girls will be boys will be girls will be … Colo­ ring Book (Queer­book Committee) von Ja­cinta Bun­nell und Irit Rein­heimer, das als selbst pu­bli­zier­tes Zine zu­nächst im Jahr 2001 er­schien und im Jahr 2004 in leicht über­arbei­te­ter Form als Buch bei ei­nem un­ab­hän­gi­gen Ver­lag in den USA ver­öf­fent­licht wur­de. Bun­nell und Rein­heimer ver­wen­den Il­lus­tra­tio­nen aus Mal­ bü­chern für Kin­der oder kre­ie­ren Zeich­nun­gen selbst, oft auch mit Work­shopTeil­neh­mer_in­nen. Diese Bil­der kom­men­tie­ren sie kri­tisch mit Slo­gans und Sprü­ chen. Da­bei de­kon­stru­ie­ren die Pro­du­zent_in­nen tra­di­tio­nelle und tief ver­an­kerte Ge­schlech­ter­rol­len und -bil­der auf iro­ni­sche, sub­ver­sive und spie­le­ri­sche Wei­se. Auch diese Ab­bil­dung, auf der zwei Men­schen zu se­hen sind, die be­ste­hende Ge­ schlechter­pro­no­men dis­ku­tie­ren und in die­sem Pro­zess ein neu­es, ge­schlechts­

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Abbildung 3: So­me­ti­mes the Spoon Runs Away with An­ot­her Spoon Co­lo­ring Book von Ja­cinta Bun­nell, USA 2010. Il­lus­tra­tion von Nat­ha­niel Ku­si­nitz

© Ja­cinta Bun­nell and PM Press. http://queer­book­com­mit­tee.com

neu­tra­les Pro­no­men – „Ze“ – (er-)fin­den, wird kom­men­tiert mit dem Spruch „The new pro­noun they in­ven­ted sui­ted just ever­yone fine“. Hier wird auf die Mög­lich­ keit ver­wie­sen, Be­ste­hen­des, als ,nor­mal‘ An­ge­se­he­nes und im All­tag per­for­ma­tiv im­mer wie­der Her­ge­stell­tes (in dem Fall Zwei­ge­schlecht­lich­keit) zu hin­ter­fra­gen und in ei­nem Dis­kus­sions­pro­zess mit ver­schie­de­nen – auch mi­no­ri­sier­ten – Men­ schen ei­nen Raum für Neues zu öff­nen. Die­ser Raum ist ein Mög­lich­keits­raum auf vi­su­el­ler und sprach­li­cher Ebene und er­mun­tert – im Sinne des Em­power­ments – que(-e-)r zu den­ken und Vi­sio­nen der Selbst­re­prä­sen­ta­tion zu ent­wi­ckeln. Die DIY-Pro­du­zent_in­nen die­ser Co­lo­ring Books, die sie auch als „anti-bias books“ be­zeich­nen, zie­len auf eine Kri­tik an Me­dien für Kin­der ab und dar­auf, wie die­

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se Ge­schlech­ter­rol­len und -bil­der dar­stel­len; eine Kri­tik, die da­mit arbei­tet, dass Men­schen über sich und ihre tief ver­an­ker­ten Er­war­tun­gen über Ge­schlecht und Se­xua­li­tät la­chen. Abbildung 4: Rec­laim your body! Stoff­auf­nä­her, Kol­lek­tiv Loo­kism.in­fo, Deutsch­land 2007

Quelle: www.loo­kism.in­fo. Ab­druck mit Ge­neh­mi­gung

Die Abbildung 4 Rec­laim your body ist ein Stoff­auf­nä­her des Kol­lek­tivs Loo­kism. in­fo. Das Kol­lek­tiv ver­öf­fent­licht auf sei­ner Web­seite Texte zum Thema Loo­kism und setzt sich da­mit kri­tisch mit gän­gi­gen Schön­heits­nor­men aus­ein­an­der. Die Ab­bil­dung mit dem Unter­ti­tel Kick the norm zeigt eine Frau, die eine zer­split­ terte Waage in der Hand hält. Deut­lich zu se­hen ist, dass sie un­ra­sierte Beine hat – eine An­spie­lung auf Wer­be­bil­der und ge­sell­schaft­li­che Nor­men, die ei­nen ra­ sier­ten (Frau­en-)Kör­per fa­vo­ri­sie­ren. Durch die­ses Bild wer­den an­dere Bil­der von

Kul­tur­ver­mitt­lung als kri­ti­sche Pra­xis

Frauen ver­mit­telt, die sich selbst­be­wusst Nor­men wi­der­set­zen und für eine Rück­ er­obe­rung der Deu­tungs­ho­heit über den ei­ge­nen Kör­per plä­die­ren. Da­mit wer­den gän­gige Ka­te­go­ri­sie­run­gen kri­ti­siert und ein Den­ken jen­seits von be­stimm­ten Zu­ schrei­bun­gen an­ge­regt. Mit Ju­gend­li­chen wer­den auf der Ba­sis die­ser Ab­bil­dung vor­herr­schende Bil­der von Frau­en­kör­pern dis­ku­tiert, auch Kri­tik an ste­reo­ty­pen Dar­stel­lun­gen von Weib­lich­keit in der Wer­bung wird ge­äu­ßert. Da­durch wer­den Mög­lich­kei­ten auf­ge­zeigt, wie Ju­gend­li­che sich gän­gige Bil­der an­eig­nen kön­nen, sie um­deu­ten und die­sen neue Bil­der hin­zu­fü­gen kön­nen. Abbildung 5: Zeich­nung aus dem Zine Same He­art­beats #4 von Nina Nij­sten, Bel­gien 2010

Quelle: dra­wings­by­ni­na.word­press.com, echo­pu­blis­hing.word­press.com. Ab­druck mit Ge­neh­mi­gung

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Die Zeich­nung in Abbildung 5 stammt aus der vier­ten Aus­gabe des Zi­nes Same He­art­beats (2010) der bel­gi­schen Zi­ne-Ma­che­rin Nina Nij­sten, die neben Zi­nes viel­fäl­tige Pro­jekte im Sinne ei­nes ak­ti­vis­tisch orien­tier­ten „DIY Fe­mi­nism“ (vgl. Chid­gey 2009) in­iti­iert hat, wie bei­spiels­weise das trans­na­tio­nale Fe­mi­nist Pos­ ter Pro­ject (vgl. Website), das Selbst­pu­bli­ka­tions­pro­jekt ECHO (vgl. Website), das Zine Fest Gent oder das Riot Grrrl Col­lec­tief. Die Ab­bil­dung mit dem auf die Straße auf­ge­mal­ten Auf­ruf „Rec­laim the Streets“ er­mun­tert da­zu, (Stadt-)Raum ein­zu­neh­men und für sich zu be­an­spru­chen. Zwei der ab­ge­bil­de­ten Per­so­nen be­ set­zen die Straße ak­tiv, in­dem sie mit­ten auf die­ser sit­zen. Da­mit ein­her geht ein Auf­ruf zu ei­nem Do-It-Your­self und zu ei­nem ge­mein­sa­men und ak­ti­vis­ti­schen Han­deln im Sinne des Do-It-To­ge­ther. Die­ses Bild von Nij­sten ver­an­schau­licht die Frei­heit des Kom­bi­nie­rens unter­schied­li­cher Aus­drucks­mög­lich­kei­ten (der Zeich­nung, Spra­che, Fotografie, Col­la­ge) und öff­net die Frage ,Wem ge­hört der öf­fent­li­che Raum?‘. Es eig­net sich be­son­ders da­zu, wi­der­stän­dige Hand­lungs­ mög­lich­kei­ten auf­zu­zei­gen und – auch durch die ,nied­rig­schwel­li­ge‘ Form der Zeich­nung und Col­lage – zu eige­ner kul­tu­rel­ler Pro­duk­tion an­zu­re­gen. Bei den aus­ge­wähl­ten Bil­dern geht es nicht um ein­deu­tige Ant­wor­ten, son­dern viel­mehr um Brü­che, um viele ver­schie­dene Fra­gen und Ant­wor­ten und da­mit um eine Viel­stim­mig­keit für Lern- und Bild­pro­zes­se. Deut­lich wer­den die Mög­lich­ kei­ten ei­nes Quee­rings im Sinne ei­nes Durch­bre­chens und ei­ner De­kon­struk­tion bzw. ei­nes Ver­un­ein­deu­ti­gens von vor­herr­schen­den Kon­struk­tio­nen, ins­be­son­dere von Ge­schlecht, Spra­che, Kör­per und Zu­ge­hö­rig­keit und da­mit ein­her­ge­hen­den Zu­schrei­bun­gen und Ste­reo­ty­pi­sie­run­gen. Da­mit ver­bun­den ist ein Nach­den­ken dar­über, wel­che Macht jene Bil­der ha­ben, die im Fern­se­hen, in Com­pu­ter­spie­ len, Mu­sik­vi­deos etc. hin­sicht­lich ei­nes bi­nä­ren Ge­schlechter­re­gimes re­pro­du­ziert wer­den, und wel­che Bild­po­li­ti­ken durch das Durch­bre­chen von kli­schee­haf­ten Dar­stel­lungs­wei­sen und Ste­reo­ty­pen in me­diale Ste­reo­ty­pi­sie­run­gen inter­ve­nie­ren kön­nen. Wich­tig in der Dis­kus­sion der Bild­kar­ten ist eben­falls, ein Au­gen­merk dar­auf zu le­gen, wel­che Mög­lich­kei­ten des Em­power­ments und der po­li­ti­schen Ak­ti­vie­rung es ge­ben kann. So­mit er­öff­net das Arbei­ten mit die­sen Bild­kar­ten ein ge­mein­sa­mes spie­le­ri­sches De­kon­stru­ie­ren und Durch­bre­chen von Ge­schlech­ter­ rol­len auf der Bild- und Sprach­ebene und eine Auf­for­de­rung zum Han­deln im Sinne ei­nes Do-It-Your­self! und ei­nes Do-It-To­ge­ther!.

A us ­b lick : Q uee ­ring im K on ­text kri ­ti ­scher kultu ­ rel ­ ler ­ P ro ­duk ­ti on und V er ­m itt ­lung Was kön­nen die be­schrie­be­nen Ma­te­ria­lien im Sinne ei­nes Quee­rings leis­ten? Eine Qua­li­tät der Work­shops be­steht dar­in, dass wir ei­ner­seits durch die archi­ va­ri­schen Ma­te­ria­lien aus queer-fe­mi­nis­ti­schen Be­we­gun­gen (wie die Zi­nes oder

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die Bild­kar­ten) und an­de­rer­seits durch das Ein­brin­gen der ei­ge­nen The­men der ju­gend­li­chen Teil­neh­mer_in­nen schnell in ei­nen macht­kri­ti­schen Dis­kurs ein­stei­ gen kön­nen und so hö­ren, was die Ju­gend­li­chen be­wegt, in­ter­es­siert und woran sie Kri­tik üben. Da­durch er­öff­net sich ein Hand­lungs­raum, in den ver­schie­dene Per­ spek­ti­ven und ihre Le­bens­wirk­lich­kei­ten ein­flie­ßen und in dem wir über ge­sell­ schaft­li­che Macht­ver­hält­nis­se, Un­gleich­hei­ten und Un­ge­rech­tig­kei­ten spre­chen kön­nen. Dazu ge­hört auch, sich eine Spra­che an­zu­eig­nen, um Stel­lung be­zie­hen zu kön­nen und eine ei­gene Po­si­tion hin­sicht­lich ge­sell­schaft­li­cher (Macht-)Ver­ hält­nisse zu for­mu­lie­ren – al­le­samt Pro­zes­se, die nicht ein­fach sind. Wich­tig ist auch der As­pekt des (Selbst-)Pro­du­zie­rens, den je­der Work­shop ent­hält und der den Teil­neh­mer_in­nen gro­ßen Spaß macht. Mit den Bild­kar­ten und in den Work­shops ver­su­chen wir, die stän­di­gen Aus­ hand­lungs­pro­zesse von Ge­schlecht und ihre Ein­bet­tung in so­wie Ver­schrän­kung mit Macht- und Hier­ar­chie­ver­hält­nis­se(-n) zu the­ma­ti­sie­ren und zu de­kon­stru­ie­ ren, um ge­sell­schaft­li­che Di­cho­to­mien zu re­flek­tie­ren und ein In-Fra­ge-Stel­len – ein Ver­un­ein­deu­ti­gen, ein Quee­ring – von Ge­schlechter­nor­men an­zu­re­gen. So er­mög­li­chen die queer-fe­mi­nis­ti­schen Re­prä­sen­ta­tio­nen auf den Bild­kar­ten „pro­ duk­tive Ir­ri­ta­tio­nen“ (En­gel 2007: 296 f.) und da­mit eine Ver­schie­bung des­sen, was als ,nor­mal‘ an­ge­se­hen wird. Wenn wir Bil­dungs­pro­zesse so ge­stal­ten, dass Macht­ver­hält­nisse be­wusst „ver-lernt“ und die struk­tu­relle Di­men­sion von Aus­ schluss­me­cha­nis­men er­kannt wer­den (vgl. Stern­feld 2014: 16–20), dann kön­nen of­fene Räume für al­ter­na­tive Wis­sens­pro­duk­tio­nen, für Em­power­ment und für Dis­sens ge­schaf­fen wer­den, die eine An­eig­nung und da­durch eine Neu­inter­pre­ta­ tion und Trans­for­ma­tion von Be­deu­tun­gen und Zu­schrei­bun­gen er­mög­li­chen. Die Er­fah­run­gen aus den Work­shops zei­gen, dass Ju­gend­li­che sich mit den ex­ter­nen Work­shop­lei­ter_in­nen zu­meist schnell und un­vor­ein­ge­nom­men auf das Ma­te­rial – seien es die Bild­kar­ten oder die Zi­nes – ein­las­sen und ei­gene An­knüp­fungs­ punkte fin­den. Wenn man­che Bil­der und Wör­ter fremd oder un­be­kannt er­schei­nen oder Ab­wehr bei den Ju­gend­li­chen her­vor­ru­fen, spre­chen wir über die Her­kunft und Be­deu­tung der Be­griffe oder Bil­der und be­nen­nen, was die­sen Wi­der­stand aus­löst. Da es sich um kom­plexe und viel­schich­tige Be­griff­lich­kei­ten han­delt, ist diese Aus­ein­an­der­set­zung nicht ein­fach und als An­stoß für ei­nen län­ger­fris­ti­gen Pro­zess der Aus­ein­an­der­set­zung und der Hin­ter­fra­gung von Macht­ver­hält­nis­sen und Nor­ma­tivi­tä­ten zu se­hen. Mit den Work­shops kön­nen wir nur Im­pulse ge­ben, wün­schens­wert ist eine kon­ti­nu­ier­li­che Re­fle­xion im Um­feld und in der All­tags­ welt der Ju­gend­li­chen. Die Wei­ter­ent­wick­lung der Viel­falt der Bild­re­prä­sen­ta­tio­nen auf den Bild­kar­ ten (u. a. im Hin­blick auf ra­cism, loo­kism, ab­leism) steht in di­rek­tem Be­zug zur Not­wen­dig­keit ei­ner in­ter­sekt­io­na­len Mehr­ebe­nen­per­spek­tive in der Ju­gend­arbeit (vgl. Groß 2014). Das er­for­dert nicht nur die lau­fende Rück­bin­dung an die Pra­ xis und die Zu­sam­men­arbeit mit Mul­ti­pli­ka­tor_in­nen, Ju­gend­arbei­ter_in­nen, Leh­

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rer_in­nen und Schü­ler_in­nen bzw. Ju­gend­li­chen, son­dern auch die Ko­ope­ra­tion und Kol­la­bo­ra­tion mit queer-fe­mi­nis­ti­schen Kul­tur- und Me­dien­pro­du­zent_in­nen, Ver­mitt­ler_in­nen und For­scher_in­nen. Mit der Bil­dung neuer Al­li­an­zen geht auch der Ver­such ein­her, die In­sti­tu­tio­nen – wie Uni­ver­si­tät oder Schule – von in­nen zu ver­än­dern und durch kri­ti­sche Bil­dungs­an­sätze zu er­wei­tern (vgl. Mörsch 2012a: 69). Teil da­von ist, wie Me­la­nie Groß (vgl. 2014: 22 f.) ar­gu­men­tiert, die Re­fle­ xion der ei­ge­nen Vor­ur­teile und Nor­ma­ti­vi­täts­vor­stel­lun­gen so­wie ein Wahr­neh­ men und Ernst­neh­men der Aus­gren­zungs­pro­zesse der Ju­gend­li­chen unter­ein­an­der, sodass auf Dis­kri­mi­nie­run­gen kri­tisch und deut­lich rea­giert wird. Diese viel­fäl­ti­ gen Her­aus­for­de­run­gen und die Re­fle­xion der ei­ge­nen (uni­ver­si­tär ver­an­ker­ten) Rolle und Po­si­tion an der Schnitt­stelle zur Schule und Ju­gend- bzw. Mäd­chen­ arbeit so­wie der Kunst- und Kul­tur­ver­mitt­lung ste­hen im Zen­trum der Wei­ter­ent­ wick­lung der Ma­te­ria­lien, etwa durch zeit­lich län­ger an­ge­legte Work­shops so­wie Peer-to-Peer- und Train-the-Trai­ner-Work­shops. In die­sem Sinne stre­ben wir ein Ma­king Art, Ma­king Me­dia, Ma­king Change! an.

Kri­ti­sches Di­ver­sity und Kul­tur­ar­beit

Kri­ti­sches Di­ver­sity und Kul­tur­ar­beit: Wenn  Ak­ti­vis­mus und Er­fah­rungs­wis­sen in  den  Mit­tel­punkt ge­rückt wer­den Pers­son Perry Baum­gar­tin­ger, Vlatka Frketić

Dieser Text ar­bei­tet aus­ge­wählte As­pekte von Kri­ti­schem Di­ver­sity1 he­r­aus, die für eine trans­for­ma­tori­sche Kul­tur­ar­beit wich­tig sind. Da­bei wird ein bis­her in an­ de­ren An­sät­zen des Di­ver­sity we­nig be­ach­te­ter Blick­win­kel ein­ge­nom­men: je­ner des ak­ti­vis­ti­schen bzw. auf Ak­ti­vis­mus so­wie auf Er­fah­rungs­wis­sen2 auf­bau­en­ den Stand­punkts3. Zen­t­ral sind da­rin vier Prin­zi­pi­en: Kri­tik, Lang­sam­keit, Re­ spekt und Ver­ant­wor­tung. Dazu kommt ein Fo­kus­wech­sel vom In­di­vi­dua­lis­mus hin zu Struk­tu­ren und Nor­men so­wie ein grund­le­gen­des Ver­ständ­nis von Di­ver­sity als un­ab­ge­schlos­se­nem Pro­zess. Un­ter Rück­be­zug auf The­o­rien der Wie­ner Kri­ti­ schen Dis­kurs­a­na­ly­se, der Queer und der Trans Stu­dies wird der An­satz des Kri­ ti­schen Di­ver­sity vor­ge­stellt. Wei­ters wer­den Stra­te­gien von ak­ti­vis­ti­scher anti­ ras­sis­ti­scher, mi­g­ranti­scher, quee­rer und trans Kul­tur­pro­duk­tion auf­ge­nom­men, wie in Ko­o­pe­ra­ti­o­nen in künst­le­risch-for­sche­ri­schen Kon­tex­ten mit un­glei­chen 1 Während in die­sem Bei­trag ,Di­ver­si­ty‘ als all­ge­mei­ner Ober­be­griff für alle be­ste­hen­den Di­ver­si­ty-An­sätze ver­wen­det wird und der Aus­druck ,kri­ti­sches Di­ver­si­ty‘ ver­schie­ dene An­sätze in­ner­halb von Di­ver­sity meint, die ei­nen kri­tisch(-er-)en An­satz ver­fol­ gen, be­zieht sich der Be­griff ,Kri­ti­sches Di­ver­si­ty‘ auf ei­nen spe­zi­fi­schen An­satz des Wie­ner Ver­eins ][dis­kur­siv, der Aus­gangs­punkt die­ses Tex­tes ist. Er speist sich vor al­ lem aus Er­fah­rungs­wis­sen und ba­siert auf ak­ti­vis­ti­schen Wis­sens­stän­den und Prak­ti­ken. 2 Un­ter Er­fah­rungs­wis­sen wird mit Co­mu­ni­dad de Pro­duc­to­res en Artes (COM­PA) eine „all­täg­li­che (em­pi­ri­sche) Er­fah­rung […] die zum Kon­zept – ei­ner ge­wis­sen Sys­ tema­tisie­rung – führt[e]“ (COMPA 2019: 54) ver­stan­den. Sie ver­glei­chen ihre Her­ an­gehens­weise mit je­ner der Groun­ded Theo­ry, in der eine The­o­rie in em­pi­ri­scher Be­­obach­tung ent­steht: „Aus die­ser Per­s­pek­tive kann man die Prin­zi­pien der Me­tho­do­ lo­gie von COMPA als eine in der Er­fah­rung ge­grün­de­ten Me­tho­do­lo­gie be­zeich­nen.“ (Ebd.) 3 Mit dem Be­griff ,Stand­punkt‘ be­zie­hen wir uns auf Donna Ha­ra­way (1995), die da­mit nicht eine be­stimmte The­o­rie oder Iden­ti­tät meint, son­dern eine Ver­or­tung in ei­ner Welt, die von Macht, Pri­vi­le­gie­rung und Un­ter­drü­ckung ge­kenn­zeich­net ist (vgl. auch Baum­ gar­tin­ger 2017).

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Macht­ver­hält­nis­sen um­ge­gan­gen wer­den kann. Ab­schlie­ßend geht der Bei­trag der Frage nach, in­wie­fern eine (kri­ti­sche) Zu­sam­men­füh­rung von Di­ver­sity und Kul­ tur­ar­beit sinn­voll sein kann.

D i ­v er ­sit y – V on ei ­ner P ro ­fit­o ­ri ­en ­tie ­rung hin   zu   ge sell ­ ­schaft ­li ­che m W an ­del Di­ver­sity bzw. Di­versi­tät sind viel ver­wen­dete Be­grif­fe, die als Kon­zepte je­doch häu­fig in­halts­leer sind – sie be­deu­ten vor al­lem Pa­pier­ar­beit (vgl. Ah­med 2011; 2012), wer­den zur Ima­ge-Stei­ge­rung in Or­ga­ni­sa­ti­o­nen ver­wen­det (vgl. Schö­ne­ feld 2017) und ber­gen die Ge­fahr der Ent­po­li­ti­sie­rung und Be­lie­big­keit an­ti­dis­ kri­mi­na­tori­scher An­sätze (vgl. Eggers 2011). Als Kon­zept ist ,Di­ver­si­ty‘ kurz ge­ sagt ein In­stru­ment der Pro­fit- wie Non­pro­fit-Sek­to­ren, wo­bei es all­ge­mein da­rum geht, dass sich die real exis­tie­ren­de, ge­sell­schaft­li­che Viel­falt auch in öko­no­mi­ schen, staat­li­chen so­wie zi­vil­ge­sell­schaft­li­chen Ein­rich­tun­gen ab­bil­det. Im Laufe der letz­ten Jahr­zehnte ha­ben sich ver­schie­dene Di­ver­si­ty-An­sätze he­r­aus­ge­bil­det, wie etwa Di­ver­sity Ma­na­ge­ment, Ma­na­ging Di­ver­sity so­wie kri­ti­ sche und So­ci­al-Jus­ti­ce-An­sätze (vgl. u. a. Schö­ne­feld 2017; Ab­dul-Hus­sain/Baig 2009; Adams/Bell 2016; Adams et al. 2018; En­gel 2013). Die Um­set­zungs­ziele von Di­ver­sity rei­chen da­mit von Pro­fit­ma­xi­mie­rung über Image­pflege bis hin zu ei­ner ge­sell­schaft­li­chen Um­ver­tei­lung und Gleich­stel­lung, die eine öko­no­mi­sche bzw. ge­sell­schaft­li­che Trans­for­ma­tion zu ei­ner so­zial ge­recht(er)en Wirt­schaft und Ge­sell­schaft er­for­dern. Di­ver­sity fin­det so­wohl in der Or­ga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­ lung wie auch im Rah­men der Er­wach­se­nen­bil­dung (z. B. in Form von Trai­nings) An­wen­dung, die kri­ti­sche­ren An­sätze kön­nen etwa zur Re­fle­xi­on, zur Ana­ly­se, zur In­ter­ven­tion und schluss­end­lich zur Trans­for­ma­tion ei­ge­ner Aus­schluss­ mecha­nis­men ge­nutzt wer­den (vgl. u. v. a. Cas­tro Va­re­la/Dha­wan 2011; Bar­gehr 2009; Pau­ser 2009; Mal­ho­tra 2011). Die ver­schie­de­nen Di­ver­si­ty-An­sätze zei­gen Über­schnei­dun­gen und Wi­der­ sprü­che: bei Di­ver­sity Ma­na­ge­ment und Ma­na­ging Di­ver­sity etwa geht es vor al­lem um Pro­fit­ma­xi­mie­rung, also da­r­um, mehr Kon­su­ment_in­nen4 für das ei­gene Un­ter­neh­men zu ge­win­nen, in­dem ,Min­der­hei­ten‘ in der Wer­bung re­prä­sen­tiert 4 Wir nut­zen in die­sem Buch prin­zi­pi­ell den sogenannten ,Gap‘, um mehr als die zwei Ge­ schlech­ter Mann oder Frau sicht­bar zu ma­chen und der real exis­tie­ren­den Ge­schlechter­ viel­falt ei­nen ei­ge­nen Platz – sym­bo­li­siert durch den Unterstrich – zu ge­ben (zur Stra­ te­gie des Un­ter­strichs vgl. s_he 2003). In die­sem Bei­trag ver­wen­den wir zu­sätz­lich den sogenannten ,Stern‘ (Baum­gar­tin­ger 2008). Wenn uns be­kannt ist, dass Per­so­nen ein­deu­tig eine be­stimmte (gram­ma­ti­sche) Ge­schlechter­mar­kie­rung nut­zen, dann wird die­ser ver­wen­det. (Vgl. für ei­nen Über­blick zu al­ter­na­ti­ven Ge­schlechter­mar­kie­run­gen im Deut­schen u. a. Baum­gar­tin­ger 2008 so­wie AG Feministisch Sprach­han­deln 2015).

Kri­ti­sches Di­ver­sity und Kul­tur­ar­beit

oder als Mit­ar­bei­ter_in­nen sicht­bar wer­den. Die kri­ti­schen und po­li­ti­schen Di­ ver­si­ty-An­sätze da­ge­gen se­hen sich als an­ti­dis­kri­mi­na­torisch, bei ih­nen steht ge­ sell­schaft­li­cher Wan­del hin zu so­zi­a­ler Ge­rech­tig­keit im Mit­tel­punkt (vgl. u. a. Adams/Bell 2016; Adams et al. 2018; Wein­bach 2006; Eggers 2011; Ro­sen­streich 2011; Cas­tro Va­re­la/Dha­wan 2011). Di­ver­si­ty-An­sätze be­zie­hen sich u. a. auf ge­ setz­li­che Re­ge­lun­gen wie etwa das Gleich­be­hand­lungs­ge­setz, das über die Eu­ ro­päi­sche Union (EU) auch in Ös­ter­reich im­p­le­men­tiert wurde (s. Web­site der Gleich­be­hand­lungs­an­walt­schaft). Mau­reen Maisha Eggers (2011) sieht in Di­ver­si­ty-An­sät­zen die Ge­fahr der Ent­po­li­ti­sie­rung der An­ti­dis­kri­mi­nie­rungs­po­li­tik, ins­be­son­dere bei Di­ver­si­ty­kon­ zep­ten mit ei­ner stark in­di­vi­dua­li­sier­ten Kon­zep­ti­on. Auch Rob­in Diangelo warnt vor einer Individualisierung im Kontext von Diskriminierung: „In­di­vid­u­al­ism claims that there are no in­trin­sic bar­ri­ers to in­di­vid­u­al suc­cess and that fail­ure is not a con­se­quence of so­cial struc­tures but comes from in­di­vid­u­al char­ac­ter. Accor­ ding to the ideology of in­di­vi­dua­lism, race is ir­re­le­vant.“ (Di­an­gelo 2018: 10) Di­ver­sity würde man da­mit „als eine Po­li­tik des ,Sich-Gut-Füh­lens‘ be­schrei­ben, die es Men­schen er­laubt, sich zu ent­span­nen und sich we­ni­ger be­droht zu füh­len, so als ob wir es schon ,ge­löst hät­ten‘ und es nichts mehr zu tun gäbe“ (Ah­med 2011: 134). Wei­ters weist Eggers auf die Ge­fahr der Be­lie­big­keit hin und meint da­mit eine un­dif­fe­ren­zierte An­ei­n­an­der­rei­hung von Dis­kri­mi­nie­rungs­fel­dern wie etwa Ras­sis­mus, Klas­sis­mus, Se­xis­mus, Ho­mo­pho­bie etc.: „Wenn über alle For­men von Dis­kri­mi­nie­rung gleich­zei­tig ge­spro­chen wird, kann es schnell pas­sie­ren, dass sich alle Spre­chen­den als Dis­kri­mi­nierte po­si­ti­o­nie­ren und ei­gene Do­mi­nanz­po­si­ ti­o­nen mit Blick auf an­dere Struk­tur­ka­te­go­rien ver­leug­nen.“ (E­ggers 2011: 259 f.) So kann der Zu­gang ,Wir müs­sen im­mer alle und al­les mit­den­ken‘ ein­zelne kon­ krete Dis­kri­mi­nie­run­gen ver­schlei­ern und un­be­sprech­bar ma­chen. Um sich von je­nen Di­ver­si­ty-An­sät­zen zu dis­tan­zie­ren, die auf Pro­fit­ma­xi­mie­ rung fo­kus­sie­ren bzw. als reine Image­pflege nach au­ßen hin ver­wen­det wer­den, aber keine Trans­for­ma­tion zur Folge ha­ben, sind nach und nach dis­kri­mi­nie­rungs­ kri­ti­sche(re) Di­ver­si­ty-An­sätze ent­stan­den (vgl. u. a. Eggers 2011; Ro­sen­streich 2011; En­gel 2013; Cas­tro Va­re­la/Dha­wan 2011; Adams/Bell 2016) so­wie Di­ver­ si­ty-Mo­delle, für den Kunst- und Kul­tur­be­reich etwa das Mo­dell Di­ver­sity Bal­ loons (Bründl et al. 2018). Ziel der kri­ti­schen Di­ver­si­ty-An­sätze ist es, über die ka­pi­ta­lis­ti­sche Lo­gik hi­n­aus ei­nen dis­kri­mi­nie­rungs­kri­ti­schen Stand­punkt ein­zu­ neh­men. Das be­deu­tet zum Bei­spiel, dass sich die ge­sell­schaft­li­che Viel­falt auf der Per­so­nal­e­bene wie­der­fin­det, in­dem etwa von struk­tu­rel­len Dis­kri­mi­nie­run­gen be­trof­fene Per­so­nen be­vor­zugt ein­ge­stellt wer­den.

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Pers­son Perry Baum­gar­tin­ger, Vlatka Frketić

K ri ­ti ­sches D i ­v er ­sit y Der vor­lie­gende Text geht vom Kri­ti­schen Di­ver­sity des Ver­eins ][dis­kur­siv5 aus. Grund­le­gend für die­sen Di­ver­si­ty-An­satz ist die Be­zug­nahme auf eine ge­sell­ schaft­li­che Wirk­lich­keit, in der nicht al­len Men­schen die glei­chen Mög­lich­kei­ten und die gleich­be­rech­tigte Par­ti­zi­pa­tion an ge­sell­schaft­li­chen, d. h. so­zi­a­len, ma­te­ ri­el­len, po­li­ti­schen und kul­tu­rel­len Res­sour­cen zu­kom­men. Im Laufe der Jahr­hun­ derte ha­ben sich Ge­sell­schafts­sys­teme ver­fes­tigt, die auf Aus­beu­tung, Aus­schluss und Un­gleich­hei­ten auf­bau­en: auf Ko­lo­ni­a­lis­mus, Ras­sis­mus, Klas­sis­mus, Na­ti­o­ nal­staat­lich­keit, Ge­sund­heits­nor­men, Zwei­ge­schlech­ter­nor­men etc. Ne­ben ge­sell­ schaft­li­chen In­sti­tu­ti­o­nen wie etwa Kir­che und Uni­ver­si­tä­ten sind auch Kunstund Kul­tur­ein­rich­tun­gen Teil die­ser ge­sell­schaft­li­chen Un­gleich­heits­struk­tu­ren und re­pro­du­zie­ren sie. In die­sen Struk­tu­ren sind Le­bens­re­a­li­tä­ten ver­or­tet und ha­ben je nach Po­si­tion mehr oder we­ni­ger Mög­lich­kei­ten, sich zu ver­wirk­li­chen bzw. sind von ge­sell­schaft­li­cher und da­her auch kul­tu­rel­ler Teil­habe ein- oder aus­ ge­schlos­sen. Das Kri­ti­sche Di­ver­sity baut auf the­o­re­ti­scher, pä­d­a­go­gisch-di­dak­ti­scher, ak­ ti­vis­ti­scher und prak­ti­scher Aus­ei­n­an­der­set­zung mit Di­ver­si­ty, An­ti­dis­kri­mi­nie­ rung, Ras­sis­mus­kri­tik, Trans­In­ter­Queer und Spra­che bzw. Kom­mu­ni­ka­tion auf (vgl. u. a. Web­site des Ver­eins ][dis­kur­siv). Die­ser Di­ver­si­ty-An­satz ver­bin­det die Pra­xis in der Er­wach­se­nen­bil­dung, die Ar­beit für NGOs und Uni­ver­si­tä­ten so­wie ak­ti­vis­ti­sche Hin­ter­gründe mit the­o­re­ti­schen und em­pi­ri­schen For­schungs­ er­kennt­nis­sen der Sprach­wis­sen­schaft, der Trans, Queer und Post­co­lo­nial Stu­dies so­wie der Kri­ti­schen Mi­g­ra­ti­ons­for­schung. Kritisches Diversity bedeutet eine differenzierte und intersektionale Herangehensweise, welche die unterschiedli­ chen Diskriminierungsmechanismen nicht nur als einzelne Phänomene getrennt voneinander behandelt, sondern sie vielmehr als ein wirkmächtiges System in­ ein­ander verschränkter Mechanismen versteht. Der Ankerpunkt ist eine kriti­sche Haltung, wobei Sprache und sprachliches Handeln sowie Diskriminierung im Mittelpunkt stehen. Diversity ist in diesem Verständnis ein Prozess, eine stän­ dige Weiterentwicklung und Veränderung, kein statisches Produkt, keine ober­ flächliche Imagepflege, sondern eine intensive Auseinandersetzung mit gesell­ schaftlichen Strukturen. Es bedeutet, Minderheiten und ihre Forderungen in den 5

Der Ver­ein ][dis­kur­siv – Ver­ein zur Ver­quee­rung ge­sell­schaft­li­cher Zu­sam­men­hänge hat in Wien seine Ba­sis. Haupt­be­rei­che sind Trans­In­ter­Queer, An­ti­ras­sis­mus, Queer Mi­g­ra­tion und die je­wei­li­gen mög­li­chen Ver­bin­dun­gen, wo­bei die Ver­bin­dung von Spra­che, Macht und Dis­kurs wich­tige Eck­pfei­ler dar­stel­len (vgl. Web­site). Der Ver­ein forscht, pu­b­li­ziert und bie­tet Trai­nings und Work­shops an, die wie­derum ein wich­ti­ger Be­stand­teil der (Wei­ter-)Ent­wick­lung sei­ner Ar­beit dar­stel­len. Der An­satz des Kri­ti­ schen Di­ver­sity wird von Vlatka Frketić, in­zwi­schen ge­mein­sam mit Pers­son Perry Baum­gar­tin­ger, ent­wi­ckelt (vgl. u. a. Frketić 2014; Ver­ein ][dis­kur­siv 2014).

Kritisches Diversity und Kulturarbeit

Mittelpunkt zu rücken, (aktivistisches) Erfahrungswissen ernst zu nehmen und dabei Machtpositionen und herrschende Privilegien ins Zentrum der Analysen der Prozesse und Inhalte in Kultureinrichtungen zu stellen (vgl. Bargehr 2009). Ziel sind Teilnahme­ und Teilhabemöglichkeiten für alle, die in dem Moment Teil der Gesellschaft sind. Grundlegend für das Kritische Diversity sind

• • • •

die vier Prinzipien Langsamkeit, Kritik, Respekt und Verantwortung, diverse Diskriminierungsfelder (etwa Antisemitismus, Transfeindlichkeit, Ho­ mophobie, Ableismus u. v. m.), normative Strukturen (z. B. Heteronormativität; Kolonialismus sowie Natio­ nalsozialismus und ihre Nachwirkungen bis heute) und deren Dimensionen (sprachliche, diskursive, historische, emotionale, in­ tersektionale) (vgl. Abb. 1) Abbildung 1: Mehrebenenmodell des Kritischen Diversity (Verein ][diskursiv)

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Quelle: Eigene Darstellung

Wenn Diskriminierung als systematische Unterdrückung und Ausdruck einer ge­ sellschaftlichen Ungleichheitsstruktur verstanden wird, genügt die individuelle Ebene nicht für eine Analyse der Ein­ und Ausschlussmechanismen. Neben der

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Pers­son Perry Baum­gar­tin­ger, Vlatka Frketić

in­di­vi­du­el­len Ebene be­schäf­tigt sich das Kri­ti­sche Di­ver­sity da­her in An­leh­nung an Nor­man Fairc­lough auch mit der so­zi­a­len Ebene so­wie der in­sti­tu­ti­o­nel­len (vgl. Frketić 2014: 31 ff.). Ähn­lich spricht der So­ci­al-Jus­ti­ce-Di­ver­si­ty-An­satz von der in­di­vi­du­el­len, in­sti­tu­ti­o­nel­len und so­zi­a­len/kul­tu­rel­len Ebe­ne, die sie wie­derum zu­sam­men­ge­fasst als Struk­tur so­zi­a­ler Un­gleich­heit ver­ste­hen (Adams/Zú­niga 2016: 97 ff.; vgl. auch Har­di­man/Ja­ckson 2007: 39 ff.).

D ie vier P rin ­zi ­pien K ri ­tik , L ang ­sa m ­keit , R e ­spekt   und  V er ­ant ­w or ­tung Aus­gangs­punkt des Kri­ti­schen Di­ver­sity ist der Kri­tik­be­griff der Wie­ner Kri­ti­ schen Dis­kurs­a­na­ly­se. Denn wenn Kul­tur­ar­beit zu ei­nem ge­sell­schaft­li­chen Wan­ del bei­tra­gen soll, so ist eine kri­ti­sche Hal­tung, die al­les durch­zieht, grund­le­gend: Hand­lun­gen, He­r­an­ge­hens­wei­sen, Ge­dan­ken, aber auch die so­zi­a­len Ge­fü­ge, in de­nen mensch sich ver_or­tet oder ver_or­tet wird, so­wie die In­sti­tu­ti­o­nen, in de­nen Ein- und Aus­schlüsse wirk­sam sind. Für Kul­tur­ein­rich­tun­gen be­trifft das die Ebe­ nen des Pu­b­li­kums, des Pro­gramms, des Per­so­nals so­wie des Zu­gangs6. In ei­nem In­ter­view kon­kre­ti­siert Ruth Wo­dak, eine der Be­grün­derIn­nen der Wie­ner Kri­ti­ schen Dis­kurs­a­na­ly­se, Kri­tik fol­gen­der­ma­ßen: „,Crit­i­cal‘ means not tak­ing things for grant­ed, open­ing up com­plex­i­ty, chal­leng­ing re­duc­ tion­ism, dog­ma­tism and di­chot­o­mies, be­ing self-re­flec­tive in my re­search, and through these pro­cess­es, mak­ing opaque struc­tures of pow­er re­la­tions and ide­ol­o­gies man­i­fest. ,Crit­i­cal‘, thus, does not im­ply the com­mon sense mean­ing of ,be­ing neg­a­tive‘ – ra­ther ,skep­ti­cal‘. Pro­ pos­ing al­ter­na­tives is al­so part of be­ing ,crit­i­cal‘.“ (Wo­dak in Ken­dall 2007: Absatz 17; vgl. auch Rei­sigl/Wo­dak 2001)

Diese Hal­tung tat­säch­lich um­zu­set­zen be­deu­tet, dass im Kul­tur­be­trieb eta­b­lierte Per­so­nen ihre Pri­vi­le­gien und Po­si­ti­o­nen so­wie die Struk­tur, die ihre Pri­vi­le­gie­ rung er­mög­licht, ra­di­kal hin­ter­fra­gen. Denn eine kri­ti­sche Hal­tung setzt vo­r­aus, den Fo­kus auf den so­zi­a­len und po­li­ti­schen Sta­tus von dis­kri­mi­nier­ten Men­schen zu ver­schie­ben so­wie auf die Struk­tu­ren, die auf Aus­schlüs­sen auf­bau­en, und sie fragt, in wel­chen in­sti­tu­ti­o­na­li­sier­ten For­ma­ten sich diese wi­der­spie­geln. Durch den ex­pli­zi­ten Ein­be­zug von Al­ter­na­tiv­vor­schlä­gen ins Kon­zept der Kri­tik geht diese Hal­tung über eine ,the­o­re­ti­sche‘ Re­fle­xion hi­n­aus und bin­det eine prak­ti­sche Um­set­zung der Er­kennt­nisse aus dem Re­fle­xi­ons­pro­zess ein. Die­ser As­pekt ist be­

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Ai­kins/Gya­me­rah er­wei­tern die drei klas­si­schen Säu­len Pro­gramm, Pu­b­li­kum und Per­ so­nal mit der vier­ten Säule „Zu­gang“ (2016: 14), um etwa im Be­reich För­de­rung die struk­tu­rel­len Zu­gangs­bar­ri­e­ren ex­pli­zit zu ma­chen (vgl. ebd.: 20).

Kri­ti­sches Di­ver­sity und Kul­tur­ar­beit

son­ders wich­tig: Für eine Trans­for­ma­tion ge­nügt die al­lei­nige (Selbst-)Re­fle­xion nicht, denn ohne Um­set­zung fin­det kein Wan­del statt. Das Prinzip der Langsamkeit steht für Entschleunigung in einer schnell­lebigen, kapitalistisch-neoliberalen Zeit. Langsamkeit meint jedoch kein (strategi­sches) Verschleppen von Inhalten. Dieses Prinzip eröffnet vielmehr einen zeit­lichen Mo­ dus, um die Umwelt differenzierter wahrnehmen zu können, um Neues zu erken­ nen und Altes neu zu denken.7 Respekt und Verantwortung sind zwei weitere Prinzipien des Kritischen Diversity. Damit ist eine Haltung gemeint, durch die die eigene Person und die Umgebung über die eigenen Interessen hinaus mit Respekt behandelt werden und die Bereitschaft besteht, die Verantwortung für die eigenen Handlungen sowie deren Effekte und Konsequenzen (selber) zu tragen. Diese vier Prinzipien können wichtige Denk- und Handlungsräume eröffnen, die auch zu Transformationen in Kultureinrichtungen beitragen können, etwa dann, wenn sie in Organisationsentwicklungsprozessen berücksichtigt werden.

F o ­kus ver ­än ­dern : hin zu struk ­tu ­rel ­ler D is ­kri ­m i ­nie ­rung und ge ­sell ­schaft ­li ­chen N or ­m en Will sich Kul­tur­ar­beit kri­tisch ge­gen­ü­ber dis­kri­mi­nie­ren­den Struk­tu­ren ver­hal­ten, so ist es not­wen­dig, den Fo­kus auf die Rah­men­be­din­gun­gen zu le­gen, die so­zi­ale Un­gleich­heit er­mög­li­chen – also ge­sell­schaft­li­che Nor­men und Wer­te, Dis­kri­mi­ nie­rungs­struk­tu­ren etc. zu re­flek­tie­ren. Um die­sen Fo­kus­wech­sel zu ver­deut­li­ chen, grei­fen wir auf ein Bei­spiel von Ju­dith But­ler, ein* Sprach­phi­lo­so­phin* und Queer-Theo­re­ti­ke­rin* aus den USA, zu­rück (vgl. Abb. 2): But­ler er­zählt da­rin die Ge­schichte ei­ner Per­son, die von Gleich­alt­ri­gen ge­tö­ tet wird, weil sie*er sich auf eine Art und Weise be­wegt, die nicht der he­te­ro­nor­ ma­ti­ven Ord­nung ent­spricht. Diese Ge­schichte und vor al­lem die Rück­schlüsse von But­ler ver­deut­li­chen sehr gut, wie ein Fo­kus­wech­sel zu ver­ste­hen ist: Sie 7

Zu Zeit, Lang­sam­keit und Ent­schleu­ni­gung gibt es noch we­nig Aus­ei­n­an­der­set­zung so­wohl im Be­reich der (u­ni­ver­si­tä­ren) Bil­dung wie auch der Kul­tur­ar­beit. Wir ar­bei­ ten das Prin­zip seit ei­ni­gen Jah­ren nach und nach in un­sere Di­ver­si­ty-Trai­nings wie auch Work­shops und in die Hoch­schul­lehre ein, ver­tie­fen un­sere Be­schäf­ti­gung da­ mit und er­wei­tern un­ser Er­fah­rungs­wis­sen, das wie­derum in die nächs­ten Trai­nings, Work­shops und Lehr­ver­an­stal­tun­gen so­wie lang­sam in auf Er­fah­rungs­wis­sen ba­sierte The­o­re­ti­sie­run­gen ein­fließt. Ins­be­son­dere be­schäf­ti­gen sich kri­ti­sche, ak­ti­vis­ti­sche For­ schungs­rich­tun­gen wie Post­co­lo­ni­al, Queer und Trans Stu­dies mit dem The­ma. Bis­her zeigt un­sere the­o­re­ti­sche so­wie prak­ti­sche Aus­ei­n­an­der­set­zung, und auch das Feed­back der Trai­nings-/Work­shop-/Lehr­ver­an­stal­tungs­teil­neh­men­den, dass Zeit ein macht­vol­ les, dis­zi­p­li­nie­ren­des, ko­lo­ni­a­les, west­lich-bür­ger­li­ches, he­te­ro­nor­ma­ti­ves Kon­s­t­rukt ist (vgl. Wie­mann 2011; Garde 2018).

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Pers­son Perry Baum­gar­tin­ger, Vlatka Frketić

weist in dem In­ter­view we­der der ge­tö­te­ten Per­son noch den Tä­ter_in­nen eine Iden­ti­tät oder eine Grup­pen­zu­ge­hö­rig­keit zu. Sie fragt viel­mehr nach ei­ner all­täg­ li­chen Hand­lung: der Art zu ge­hen. Und sie fragt wei­ter nach dem Wa­r­um: Wa­rum wird je­mensch auf­grund der Art zu ge­hen ge­tö­tet? Wei­ters fragt sie vor al­lem nach der da­hin­ter­lie­gen­den Norm: Was macht den Gang so schlimm für die an­de­ren Per­so­nen, dass sie das Ge­fühl ha­ben, diese Per­son tö­ten zu müs­sen? Abbildung 2: Aus­schnitt aus arte-Dokumentation über Ju­dith But­ler, 2006 There´s a story that came out around 8 years ago of a young man who lived in Maine and he walked down the street of his small town where he had lived his entire life. And he walks with what we call a “swish,” his hips move back and forth, in a “feminine” way. And as he grew older – 14, 15, 16 – that swish, that walk, became more pronounced, and it was more dramatically feminine, and he started to be harassed by the boys in the town and soon two or three boys stopped his walk. And they fought with him and they ended up throwing him over a bridge and they killed him. So then we have to ask: why would someone be killed for the way they walk? Why would that walk be so upsetting to those other boys that they would feel that they must negate this person? They must expunge the trace of this person. They must stop that walk no matter what. They must eradicate the possibility of that person ever walking again. It seems to me that we´re talking about an extremely deep panic or fear, an anxiety that pertains to gender norms, and if someone says “you must comply with the norm of masculinity, otherwise you will die,” or “I kill you now, because you do not comply,” then we have to start to question what the relation is between complying with gender and coercion. (Judith Butler in arte-Doku, 2006)

Quel­le: Ei­gene Dar­stel­lung

Da­mit ver­schiebt But­ler den Fo­kus weg von (von au­ßen ge­tä­tig­ten) Iden­ti­täts­zu­ schrei­bun­gen ein­zel­ner Per­so­nen hin zu ge­sell­schaft­li­chen Nor­men und Wer­ten (Heteronormativität …), also weg von der in­di­vi­du­el­len Ebene hin zur so­zi­a­len Ebe­ne. But­ler geht da­mit auf ge­sell­schaft­li­che Rah­men­be­din­gun­gen ein, die eine sol­che Tat über­haupt erst denk­bar und mög­lich ma­chen. Wenn sich die Kul­tur­ar­beit tat­säch­lich än­dern will in Rich­tung Öff­nung, An­ti­ dis­kri­mi­nie­rung und kul­tu­relle Teil- bzw. Ganz­habe8, dann ist ein sol­cher Fo­kus­ wech­sel not­wen­dig: da­r­auf, wel­che ge­sell­schaft­li­chen Werte und Nor­men in ei­ner Kunst- und Kul­tur­ein­rich­tung auf wen wie mit wel­chen Kon­se­quen­zen wir­ken. Dann ist v. a. eine Ana­lyse not­wen­dig, die nicht nur die ,An­de­ren‘/die Dis­kri­mi­ nier­ten in den Fo­kus nimmt, son­dern jene Struk­tu­ren in Frage stellt, die ei­nen sys­te­ma­ti­schen Aus­schluss mög­lich ma­chen. Wei­ters ist es wich­tig, ernst­haft zu re­flek­tie­ren, wer von den Dis­kri­mi­nie­run­gen und dem sys­te­ma­ti­schen Aus­schluss pro­fi­tiert – so­wohl auf der in­di­vi­du­el­len, der so­zi­a­len wie auch der in­sti­tu­ti­o­nel­ len Ebe­ne. Dies kann etwa ge­sche­hen, wenn „die weiße Mehr­heits­ge­sell­schaft an 8 Der Be­griff Ganz­habe ist dem Slo­gan „Ganz­habe statt Teil­habe“ der „Be­hin­dert und ver­rückt fei­ern Pride Pa­rade“ in Ber­lin 2017 ent­lie­hen (vgl. Web­site und Fa­ce­bookAuf­tritt Behindert und ver­rückt fei­ern Pride Pa­rade).

Kri­ti­sches Di­ver­sity und Kul­tur­ar­beit

die Pe­ri­phe­rie [ge­rückt] und eine queer_fe­mi­nis­ti­sche und de­ko­lo­niale Per­s­pek­ tive [zen­t­riert]“ (Aig­ner/Ku­ming 2018: 9) wird, wie es Tanja Araujo und Ma­rissa Lobo vom Lin­zer Ver­ein maiz9 be­to­nen. Oder an­ders aus­ge­drückt: „maiz ist nicht her­ge­kom­men, um über die Mi­g­rant_in­nen zu re­den – maiz ist her­ge­kom­men, um über euch zu re­den!“ (Arau­jo/Lobo 2018: 36), wie der Ti­tel ei­ner ih­rer Vor­träge lau­tet. Aus ei­ner sol­chen Ana­lyse he­r­aus kön­nen Al­ter­na­ti­ven mit Trans­for­ma­tions­po­ ten­zial he­r­aus­ge­ar­bei­tet und im Sinne ei­ner Or­ga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung Schritt für Schritt um­ge­setzt wer­den. Denn die Dis­kri­mi­nie­rungs­struk­tu­ren und ge­sell­schaft­ li­chen Nor­men sind – wie wei­ter oben be­reits skiz­ziert – das Pas­se­par­tout, das Ein­ zel­per­so­nen dis­kri­mi­nie­rende Hand­lun­gen er­mög­licht, er­leich­tert oder er­schwert.

D i ­v er ­sit y als T rans – ing

un ­a b ­ge ­schl os ­se ­ner

P ro ­zess :

Eine an­dere Art und Weise der Fo­kus­ver­schie­bung ist es, Di­ver­sity als stän­ di­gen, un­ab­ge­schlos­se­nen Pro­zess zu ver­ste­hen und nicht da­von aus­zu­ge­hen, Di­ver­sity sei nach ei­ner be­stimm­ten Zeit ,er­le­digt‘, weil bei­spiels­weise ein* Diversitybeauftragt* be­stimmt wur­de. Di­ver­sity ist viel­mehr als ein Pro­zess zu ver­ste­hen, der kein Ende nimmt, son­dern stän­dig statt­fin­det. So wie es keine Spra­che vor dem Spre­chen oder Ge­bär­den gibt, gibt es kein Di­ver­sity vor dem Tun. Um die­ses Grund­ver­ständ­nis klar­zu­ma­chen, greift das Kri­ti­sche Di­ver­sity auf die Trans Stu­dies zu­rück: In den Trans Stu­dies wird die Di­cho­to­mie, es gäbe et­was Fi­xes und al­les an­dere wäre et­was Über­schrei­ten­des, kri­ti­siert. Im Fo­kus lie­gen da­bei das In­fra­ge­stel­len und Auf­lö­sen der ge­sell­schaft­lich kon­s­t­ru­ ier­ten Un­ter­schei­dung von „fi­xity“ und „cros­sers“ (Stry­ker/Cur­rah/Moo­re 2008; vgl. Baum­gar­tin­ger 2017). Es geht da­r­um, ge­rade keine (neue) Ka­te­go­rie oder Gruppe von Men­schen, Din­gen oder Phä­no­me­nen fest­zu­schrei­ben, die zum Be­ sipiel als ,trans‘ und da­mit als Über­schrei­ter_in­nen („cros­sers“) et­was Fi­xem („fi­xity“) ge­genübergestellt und durch Grenz­zie­hun­gen po­si­ti­o­niert wer­den. Viel­ mehr ist ein neuer Stand­punkt ein­zu­neh­men. Su­san Stry­ker, Pais­ley Cur­rah und Lisa Jean Moore (2008) schla­gen vor, die­sen Pro­zess trans­ing oder auf Deutsch Ver­tran­sen zu nen­nen, ähn­lich zum Be­griff des Ver­quee­rens in den Queer Stu­ dies (vgl. Baum­gar­tin­ger 2017). Die Autor_in­nen ver­sinn­bild­li­chen dies mit dem Bin­de­strich: Trans–. Es geht also da­r­um, mit den Trans Stu­dies die Vor­stel­lung 9 maiz ist ein au­to­no­mes Zen­t­rum von und für Mi­g­ran­tin­nen in Linz mit dem Ziel, „In­te­ r­es­sen von Mi­g­ran­tin­nen zu för­dern und For­de­run­gen nach au­ßen zu tra­gen“ (Web­site: o. S.). Die Tä­tig­kei­ten von maiz um­fas­sen Be­ra­tung, Bil­dung, For­schung so­wie Kunstund Kul­tur­ar­beit (vgl. Web­site).

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da­von zu ver­lie­ren, dass es et­was Fi­xes gäbe dem­ge­gen­ü­ber dann al­les an­dere als ,Ü­ber­schrei­ten­des‘ er­schiene. Viel­mehr ist da­von aus­zu­ge­hen, dass Spra­che, Ge­sell­schafts­struk­tu­ren, (Kul­tur-)Po­li­tik, Kunst- und Kul­tur­be­reich et­was sich stän­dig Ver­än­dern­des, Flui­des sind. Das ist in­so­fern für den vor­lie­gen­den Bei­trag in­te­r­es­sant, als so­wohl bei kri­ ti­schen Di­ver­si­ty-An­sät­zen als auch bei kri­ti­scher Kul­tur­ar­beit ge­sell­schaft­li­cher Wan­del und Trans­for­ma­tion eine wich­tige Rolle spie­len. Denn als Ziel kri­ti­scher Di­ver­si­ty-An­sätze wird im­mer wie­der ge­sell­schaft­li­cher Wan­del hin zu ei­ner so­ zial ge­rech­te­ren Ge­sell­schaft for­mu­liert, ins­be­son­dere im So­ci­al-Jus­ti­ce-An­satz, ei­nem po­li­ti­schen Di­ver­si­ty-An­satz, der The­o­rien und Prak­ti­ken des Social Jus­ tice10 in den Mit­tel­punkt rückt (vgl. Adams/Bell 2016; Adams et al. 2018) und sich als po­li­ti­sches Pro­jekt ver­steht (vgl. Wein­bach 2006). Auch in der kri­ti­schen Kul­tur­ar­beit spie­len ge­sell­schaft­li­cher Wan­del und Trans­for­ma­tion hin zu of­fe­ne­ ren Kunst- und Kul­tur­sze­nen so­wie prin­zi­pi­ell zu ei­ner so­zial ge­rech­te­ren Ge­sell­ schaft eine wich­tige Rolle (vgl. u. a. Mörsch 2009; Ter­kes­si­dis 2008; Baum­gar­ tin­ger/Mo­ser 2018). Denn wenn es das Fixe und das Über­schrei­tende nicht gibt, sind auch (ge­sell­schaft­li­che und Di­ver­si­ty-)Trans­for­ma­ti­o­nen un­ab­ge­schlos­sene Pro­zes­se. Für den Be­reich der Kul­tur­ar­beit be­deu­tet das kon­kret: sich selbst als Kul­tur­ar­bei­ter_in, das Pro­gramm, das er­reichte Pu­b­li­kum, die Per­so­nal­auf­tei­lung und de­ren Sta­tus und Be­zah­lung so­wie den Zu­gang zu den Ver­an­stal­tun­gen im­mer wie­der zu hin­ter­fra­gen, im­mer wie­der eine neue Per­s­pek­tive ein­zu­neh­men.

K ul­tur ­ar ­b eit

und

K ri ­ti ­sches D i ­v er ­sit y

Der 2012 am­tie­rende Staats­se­k­re­tär für kul­tu­relle An­ge­le­gen­hei­ten der Ber­li­ner Staats­kanz­lei, André Schmitz, stellte die Fra­ge, wa­rum so we­nige Men­schen mit Mi­g­ra­ti­ons­er­fah­rung hoch sub­ven­ti­o­nierte Mu­se­en, The­a­ter und Opern be­su­chen. „Die Ant­wort ist ein­fach: Diese Men­schen wer­den erst dann auch in diese Häu­ser strö­men, wenn dort in ir­gend­ei­ner Weise ihre Ge­schich­ten, Er­fah­run­gen und Er­leb­nisse be­ar­bei­tet wer­den. Wenn sie sich selbst auf den Büh­nen der Stadt als han­delnde Fi­gu­ren wie­der­fin­den und nicht als Fremde oder Exo­ten, Ka­ri­ka­tu­ren oder Ste­re­o­ty­pen, an de­nen die ,ech­ten‘ deut­schen (Hel­den-)Fi­gu­ren sich ab­ar­bei­ten. Oder wenn sie ihre Mi­g­ra­ti­ons­ge­schichte als selbst­ver­ständ­li­chen Teil deut­scher Ge­schichte in deut­schen Mu­seen ent­de­cken.“ (Schmitz 2012: o. S.)

10 Der eng­li­sche Be­griff ,Social Jus­ti­ce‘ ist nicht di­rekt zu über­tra­gen in den deut­schen Be­griff ,so­zi­ale Ge­rech­tig­keit‘, da Ers­te­rer mehr­fa­che Be­deu­tung trägt: ,social‘ steht so­wohl für ge­sell­schaft­lich wie auch für so­zial und ,jus­ti­ce‘ steht so­wohl für Recht wie für Ge­rech­tig­keit (vgl. Wein­bach 2006: 38 ff.), wes­halb in die­sem Bei­trag der eng­li­sche Be­griff ver­wen­det wird.

Kri­ti­sches Di­ver­sity und Kul­tur­ar­beit

Die Über­set­zung auf ös­ter­rei­chi­sche Ver­hält­nisse liegt auf der Hand. Als ,Frem­ de‘, ,E­xo­ten‘, ,Ka­ri­ka­tu­ren‘ oder Ste­re­o­ty­pen bzw. als Ig­no­rierte fin­den sich ne­ben Men­schen mit Mi­g­ra­ti­ons­er­fah­rung auch als be­hin­dert be­zeich­nete Men­schen, trans Per­so­nen bzw. all­ge­mein Men­schen, de­ren Kör­per nicht der Norm ent­spre­ chen, im all­ge­mei­nen Kunst­be­trieb so gut wie nir­gendwo po­si­tiv, selbst­be­stimmt und mit­be­stim­mend wie­der. Beim Kri­ti­schen Di­ver­sity geht es da­her um weit mehr als um Re­prä­sen­ta­ti­o­nen von ge­sell­schaft­lich sys­te­ma­tisch Dis­kri­mi­nier­ten. Es geht um Pro­zesse der Ein­ver­lei­bung von an­ti­dis­kri­mi­na­tori­schem Wis­sen in künst­le­ri­sche und ver­mitt­leri­sche Kol­la­bo­ra­ti­o­nen, wie bei­spiels­weise die Aus­ stel­lung Ver­suchs­an­ord­nung wi­der­spens­ti­gen Han­delns. Kol­lek­tive For­men des Aus­tauschs über eman­zi­pa­to­ri­sche Stra­te­gien und so­li­da­ri­sche Ver­bin­dun­gen in der Ga­le­rie der IG Bil­dende Kunst in Wien 2017 zeigt.11 Im Sinne des Ar­ti­kels 2 „Von kul­tu­rel­ler Viel­falt zu kul­tu­rel­lem Plu­ra­lis­mus“ der All­ge­mei­nen Er­klä­rung zu kul­tu­rel­ler Viel­falt der UNESCO (2001) geht es um eine Po­li­tik der „Ein­be­zie­hung und Mit­wir­kung al­ler Bür­ger“. Nur so könn­ten der so­zi­ale Zu­sam­men­halt, die Vi­ta­li­tät der Zi­vil­ge­sell­schaft und der Frie­den ge­si­ chert wer­den. „Ein so de­fi­nier­ter kul­tu­rel­ler Plu­ra­lis­mus ist die po­li­ti­sche Ant­wort auf die Re­a­li­tät kul­tu­rel­ler Viel­falt“ (ebd.). Dies ist ein wich­ti­ger An­satz, denn „[e]in brei­tes Ver­ständ­nis der För­de­rung von Viel­falt zielt auf die um­fas­sende In­klu­sion von Men­schen ab, die auf­grund un­ter­schied­li­cher Aus­schlüsse nicht zur Mehr­heits­ge­sell­schaft ge­zählt wer­den und/o­der nicht an öf­fent­lich ge­för­der­ter Kul­tur teil­ha­ben. Dazu ge­hö­ren bspw. Men­schen mit Ras­sis­mus­er­fah­rung, mit Be­hin­de­rung, mit nicht he­te­ro­nor­ma­ti­ver se­ xu­el­ler Ori­en­tie­rung und/o­der Ge­schlech­ter­i­den­ti­tät so­wie Men­schen aus beim Bil­dungs­zu­ gang und/o­der öko­no­misch be­nach­tei­lig­ten Fa­mi­lien.“ (Ai­kins/Gya­me­rah 2016: 5)

Selbst wenn In­sti­tu­ti­o­nen wie Mu­se­en, aber auch (öf­fent­lich fi­nan­zier­te) Pro­jekte freier Kul­tur­sze­nen sich real exis­tie­ren­der ge­sell­schaft­li­cher Viel­falt und Kom­ p­le­xi­tät zu öff­nen ver­su­chen, führt das oft­mals zu ei­ner Ver­fes­ti­gung der Mehr­ heits- und Un­gleich­heits­struk­tu­ren. Dies liegt u. a. da­r­an, dass von ,den Neu­en‘ er­war­tet wird, sich den be­ste­hen­den Struk­tu­ren und Re­geln un­ter­zu­ord­nen, an­statt die Re­geln und Struk­tu­ren der In­sti­tu­tion zu än­dern, die die Ein- und Aus­schlüsse erst pro­du­zie­ren und Zu­gänge er­schwe­ren. Di­ver­sity wie Kul­tur­ar­beit sind keine ,All­heil­mit­tel‘, die eine Ge­sell­schaft so­zial ge­rech­ter ma­chen. Aber sie bie­ten Mög­lich­kei­ten, kul­tu­relle Teil­habe im Sinne ei­ner ge­sell­schaft­li­chen Ganz­habe zu den­ken und in klei­nen Schrit­ten Ver­än­de­run­gen her­bei­zu­füh­ren. Ge­sell­schaft­ li­cher Wan­del ist – wie Di­ver­sity und kul­tu­relle Teil­habe – ein stän­di­ger Pro­zess, der nie auf­hört und im­mer wie­der jus­tiert wer­den muss. 11 Die Aus­stel­lung fand von 24. März bis 12. Mai 2017 in der Ga­le­rie der IG Bil­dende Kunst in Wien statt. Sie wurde von Elke Smo­dics kon­zep­tu­a­li­siert und un­ter Mit­ar­ beit von Carla Bo­ba­dil­la, Vlatka Frketić und Belinda Kazeem-Ka­miń­ski re­a­li­siert (vgl. Web­site der Aus­stel­lung).

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Viele Kunst- und Kulturprojekte entstehen aus der Initiative von Einzelnen oder Gruppen heraus, die nicht Teil des etablierten Kulturbetriebs waren oder sind. Dazu gehört die mittlerweile 15 Jahre zurückliegende Ausstellung Gastarbajteri 40 Jahre Arbeitsmigration im Wien Museum 2004, bei der das Vermittlungspro­ gramm die Ausstellung als Gegenerzählung zu den vor­herr­schen­den öf­fent­li­chen Dar­stel­lungs­for­men und Ge­schichts­bil­dern the­ma­ti­sierte (vgl. Web­site) so­wie das Ausstellungsprojekt Verborgene Geschichte/n – remapping Mozart das im Wie­ ner Mozartjahr 2006 „vier Konfigurationen“ (Ausstellungen) realisierte, die einem (Kunst-)Geschichtskanon über Mozart und seine Zeit ver­schiedene diskriminie­ rungskritische Geschichten entgegensetzten, die übli­cherweise – insbesondere in Jubliäen – verborgen bleiben (vgl. Bratić et al. 2006). Zu nennen sind hier weiters die Ausstellung 1-0-1 [one ‘o one] intersex, die 2005 in der neuen Gesellschaft für bildende Kunst NGBK in Berlin erstmals „[D]as Zwei-Geschlechter-System als Menschenrechtsverletzung“ thematisierte (vgl. Website; NGBK 2005) sowie die in Wien realisierte Ausstellung geheimsache:leben, die sich mit Schwulen und Lesben – sowie vereinzelt trans Personen – in Wien im 20. Jahrhundert be­ schäftigte, ohne die Verfolgung von Homosexuellen in der NS-Zeit auszublenden (vgl. Brunner et al. 2005). Aktuelle Projekte sind die queere Kunstvermittlung der Drag Figur Tiefe Kümmernis im Kunsthistorischen Museum Wien, durch die der vorherrschende heteronormative Blick in der Kunstgeschichte kritisch betrachtet wird (vgl. Website Die Tiefe Kümmernis), sowie die Ausstellung Ob_Scenery der Künstlerin Ashley Hans Scheirl im Salz­burger Kunstverein, die Geschlechterbina­ ritäten, ökonomische Verhältnisse und den Kunstbetrieb in Frage stellt (vgl. Web­ site des Salzburger Kunstvereins). Diese Aus­stel­lungs­pro­jekte bzw. Ver­mitt­lungs­for­mate sind noch im­mer eine Aus­nah­me. Im Fol­gen­den wer­den – an­hand kon­kre­ter Bei­spiele der ak­ti­vis­ti­schen Kunst- und Kul­tur­pro­duk­tion – drei zen­t­rale As­pekte dar­ge­stellt, die in der eta­ b­lier­ten Kul­tur­ar­beit bis­her we­nig bis keine Um­set­zung ge­fun­den ha­ben, aber wich­tig für eine Trans­for­ma­tion des Kul­tur­be­trie­bes sind. Im Vor­der­grund steht da­bei die Po­si­ti­on, aus der ak­ti­vis­ti­schen bzw. auf Ak­ti­vis­mus ba­sie­ren­den Kul­tur­ ar­beit so­wie aus dem Er­fah­rungs­wis­sen he­r­aus zu den­ken und zu han­deln.

A k ­ti ­v is ­ti ­sche K ri ­tik

am

K ul­tur ­b e ­trie b

Aus der (in­sti­tu­ti­o­na­li­sier­ten) Kul­tur­ar­beit teil­weise oder voll­stän­dig aus­ge­schlos­ sene Kul­tur­ar­bei­ter_in­nen re­a­gie­ren auf struk­tu­relle Dis­kri­mi­nie­run­gen und Aus­ schluss­me­cha­nis­men seit vie­len Jah­ren mit For­de­run­gen und Hin­wei­sen, wer­den aber sel­ten ge­hört. Vor kurzem ver­öf­fent­lich­ten mi­g­ranti­sche, Schwar­ze, in­di­ge­ne, les­bi­sche, quee­re, trans Künst­ler*in­nen of Co­lor auf dem Blog We-are-sick-of-it ihr State­ment „Es kotzt uns an!“ und be­zie­hen sich di­rekt auf Kul­tur­in­sti­tu­ti­o­nen (s. Abb. 3; vgl. Web­site):

Kri­ti­sches Di­ver­sity und Kul­tur­ar­beit

Abbildung 3: State­ment „Es kotzt uns an!“, 2018 Institutionen eignen sich „kritisches” Wissen an, ohne Verantwortung zu übernehmen und reproduzieren somit Formen von Diskriminierungen! ES KOTZT UNS AN, DASS √ ein Kunstkontext, der sich auf der einen Seite „kritisch“ mit Migration, Rassismus, Klassismus und Kolonialismus auseinandersetzt, gleichzeitig Diskriminierungen reproduziert. √ mit uns gesprochen wird, aber unsere Perspektiven und Stimmen unsichtbar gemacht werden. Dass wir eingeladen werden, aber nur interessant sind, solange unsere Kritik nicht die alltägliche Praxis der Institution/Person kritisiert, sondern ihr bei einer Imageverbesserung hilft. √ sich Institutionen kritische künstlerisch-politische Positionen nur temporär von außen holen und uns Streitlust oder mangelnde Kooperation vorwerfen, sobald wir uns kritisch gegenüber Rassismus äußern. √ sich die großen Kunst- und Kulturinstitutionen kritisch mit Rassismus, Migration, Kolonialismus auseinander setzen wollen, dann aber nur weiße Personen die gut bezahlten und nicht prekären Jobs bekommen. √ dieselben Personen und Institutionen allzu oft zu Diskriminierung(en) schweigen und immer noch auf diese hingewiesen werden müssen. √ sich Personen und Institutionen zwar mit „Offenheit”, kritischem Bewusstsein und Diskursen schmücken, sich gleichzeitig jedoch Entscheidungen und Handlungen nicht verändern. (Vgl. Website „We are sick of it“)

Quel­le: Ei­gene Dar­stel­lung

Es geht also nicht da­r­um, ein­zelne Künst­ler_in­nen nur ein­zu­la­den und zu glau­ ben, da­mit wä­ren Teil­ha­be­for­de­run­gen er­füllt. Es geht viel­mehr da­r­um, Dis­kri­mi­ nie­rungs­struk­tu­ren auf­zu­de­cken, Res­sour­cen um­zu­ver­tei­len und vie­les mehr, wie etwa Vlatka Frketić be­reits 2006 for­mu­liert: „Eine der mög­li­chen Auf­ga­ben im (mi­g­rantisch-)an­ti­ras­sis­ti­schen Zu­gang zu be­reits be­ ste­hen­den Kul­tur­ar­bei­ten ist es, nicht of­fen­sicht­li­che, vi­su­elle und für Ras­sis­men kons­ti­tu­ tive Be­zie­hun­gen auf­zu­zei­gen und ih­nen im Sinne ei­ner Selbst­er­mäch­ti­gung ent­ge­gen­zu­ wirken.“ (Frketić 2006: o. S.)

Zwei Jahre da­vor be­schreibt Ru­bia Sal­gado be­reits Er­fah­run­gen des Lin­zer Ver­ eins maiz mit Ko­o­pe­ra­ti­o­nen mit Mehr­heits­ös­ter­rei­cher_in­nen in der Kunst- und Kul­tur­ar­beit als „Ver­ein­nah­mungs­ver­such […] Be­trug und Raub­ver­such“ (Sal­ gado 2015 [2004]: 39). Da­bei stellt sie zen­t­rale Fra­gen nach der Mo­ti­va­tion und Ziel­set­zung der Ak­teur_in­nen im Rah­men sol­cher Ko­o­pe­ra­ti­o­nen im Kunst- und Kul­tur­be­reich, die bis heute re­le­vant sind: „Wa­rum und wozu wer­den die Pro­jekte re­a­li­siert? Wa­rum be­tei­ligt man sich da­r­an? In wel­cher Re­la­tion ste­hen das Stre­ben nach Sym­me­t­rie und die Re­fle­xion über ega­li­täre For­men der Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen Mi­g­rant_in­nen und Künstler_in­nen, die An­ge­hö­ rige der Mehr­heits­ge­sell­schaft sind, zu dem Ziel, durch künstle­ri­sche Ar­beit ge­gen­he­ge­ mo­ni­ale Dis­kurse und For­men der Re­prä­sen­ta­tion mi­g­ranti­scher An­lie­gen her­zu­stel­len?“ (Ebd.: 40 f.)

Aus die­ser Er­fah­rung he­r­aus geht der Ver­ein maiz, der u. a. künst­le­risch-po­li­ti­sche Pro­jekte um­setzt, keine Ko­o­pe­ra­ti­o­nen mit Künst­ler_in­nen ein, die mit „fer­ti­gen Kon­zep­ten und der Ein­la­dung zur Mit­wir­kung zu uns kom­men“ (ebd.: 41).

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Diese für den Be­reich des An­ti­ras­sis­mus for­mu­lier­ten Auf­ga­ben kön­nen auf anti­dis­kri­mi­ne­rende Zu­gänge um­ge­legt wer­den und gel­ten dem­ent­spre­chend auch in Be­zug auf Ab­leis­mus, Adul­tis­mus, Klas­sis­mus, Loo­kis­mus oder Inter*feind­ lichkeit, um nur ei­nige zu nen­nen.

A k ­ti ­v is ­ti ­sches W is ­sen

in den

M it ­tel ­punkt

stel ­len

Auch wenn für Kunst- und Kul­tur­ein­rich­tun­gen The­men wie Flucht, Trans, In­ter­ ge­schlecht­lich­keit, Mi­g­ra­ti­on, BeHinderung etc. neu sein soll­ten, so gibt es be­ reits sehr viel Wis­sen und Kön­nen, viele Ideen und Um­set­zun­gen da­zu. Denn ak­ti­vis­ti­sche Kul­tur­ar­bei­ter_in­nen aus sogenannten Min­der­hei­ten be­schäf­ti­gen sich be­reits seit lan­gem mit Aus­schlüs­sen und Dis­kri­mi­nie­rungs­me­cha­nis­men im Kul­tur­be­trieb. Sie ha­ben eine lang­jäh­rige in­di­vi­du­elle wie kol­lek­tive Er­fah­rung und Ex­per­tise und ar­bei­ten als Grup­pe/n in un­ter­schied­li­cher Be­set­zung und in ver­schie­de­nen Be­rei­chen da­für, dass die oben ge­nann­ten The­men über­haupt in den Kunst- und Kul­tur­dis­kurs ein­ge­hen. In die­sem Sinn ist auch die For­de­rung „Not­hing ab­out us wit­hout us“, die ur­sprüng­lich aus der Ent­hin­de­rungs­be­we­gung kommt (vgl. Charl­ton 1998; vgl. auch Baum­gar­tin­ger/Mo­ser 2018), zu ver­ste­hen: Die Künst­ler_in­nen und Ak­ti­vist_in­nen wis­sen am besten über ,ih­re‘ The­men Be­ scheid, also for­dern sie, von An­fang an mit ein­be­zo­gen zu wer­den – und zwar ab der ers­ten Kon­zep­tu­a­li­sie­rung, wie die oben er­wähnte He­r­an­ge­hens­weise des Ver­eins maiz zeigt. Eine sol­che Vor­ge­hens­weise kann etwa in­sti­tu­ti­o­na­li­siert wer­den, in­dem ein of­fe­ner Raum ge­schaf­fen wird (ar­chi­tek­to­nisch, zeit­lich, fi­nan­zi­ell, ad­mi­nis­t­ra­tiv), aus dem he­r­aus nach und nach von den ak­ti­vis­ti­schen Kul­tur­ar­bei­ter_in­nen selbst Pro­jekte ein­ge­bracht, aber auch Per­so­nal, Pro­gramm und Pu­b­li­kum mit­be­stimmt wer­den. In die­sem Raum wer­den Er­fah­rungs­wis­sen, ak­ti­vis­ti­sche und NGO-Wis­ sens­pro­duk­tion in den Mit­tel­punkt ge­stellt. Ein sol­cher Pro­zess er­for­dert Zeit (Lang­sam­keit), eine kri­ti­sche Hal­tung, Re­spekt so­wie Ver­ant­wor­tung.

P artizipation ja , aber richtig !: „N oth ­ing about us with ­o ut us !“ Par­ti­zi­pa­tion von dis­kri­mi­nier­ten Grup­pen im Kul­tur­be­reich ist eine zen­t­rale Di­ men­sion von Di­ver­si­ty. Sie steht im­mer in Re­la­tion zu Macht­be­zie­hun­gen, Kon­ flikt, Kon­sens und Dis­sens und ist da­mit auch po­li­tisch. Da­bei geht es vor al­ lem um die un­ter­schied­li­chen In­te­r­es­sen der Be­tei­lig­ten, um Mög­lich­kei­ten der Kon­sens­fin­dung so­wie um das Schaf­fen von Räu­men, um kon­t­ro­verse De­bat­ten zu füh­ren. Der par­ti­zi­pa­to­ri­sche Schwer­punkt kann hier­bei nicht aus­schließ­lich

Kri­ti­sches Di­ver­sity und Kul­tur­ar­beit

in der Be­tei­li­gung von dis­kri­mi­nier­ten Grup­pen an be­ste­hen­den Struk­tu­ren oder kon­kre­ten Pro­jek­ten lie­gen. Ge­nauso wich­tig sind selbstorganisiert ge­schaf­fene Räu­men, wel­che mehr oder we­ni­ger in­sti­tu­ti­o­na­li­siert sein und län­ger oder kür­zer be­ste­hen kön­nen, so­wie Ideen und Kon­zep­te, die aus den Le­bens­re­a­li­tä­ten ge­ nann­ter Grup­pen he­r­aus ge­dacht und ent­wi­ckelt wer­den. Hier stellt sich u. a. die Fra­ge, wel­che Schwer­punkte zu par­ti­zi­pa­to­ri­schen Über­le­gun­gen im Kon­text von Di­ver­sity ge­legt wer­den. Aus der Per­s­pek­tive des Kri­ti­schen Di­ver­sity kön­nen di­ ver­si­ty­ge­lei­tete oder par­ti­zi­pa­to­ri­sche Maß­nah­men nicht aus­schließ­lich nach den Vor­stel­lun­gen ei­ner In­sti­tu­tion ver­mit­telt oder um­ge­setzt wer­den (vgl. Mies­sen 2012). In­sti­tu­ti­o­nen kön­nen bei par­ti­zi­pa­to­ri­schen Pro­jek­ten je­doch eine wich­tige Rolle spie­len, in­dem sie Res­sour­cen zur Ver­fü­gung stel­len, Vor­schläge ma­chen oder aber von Be­ginn an the­ma­ti­sie­ren, bei wem das so­zi­ale Ka­pi­tal der kul­tu­rel­ len Pro­duk­tion ver­bleibt. Be­züg­lich Ko­ope­ra­ti­ons­part­ner_in­nen­schaf­ten hat maiz Kri­te­rien für die Zu­ sam­men­ar­beit ent­wi­ckelt (vgl. Sal­gado 2015 [2004]: 41 f.). Un­ter an­de­rem sind für maiz ega­li­täre For­men der Zu­sam­men­ar­beit kons­ti­tu­ie­rende Teile des Pro­ zes­ses: „Im Be­wusst­sein, dass alle ge­sell­schaft­li­chen Be­zie­hun­gen von Un­gleich­hei­ten be­stimmt sind, und dass das Stre­ben nach Sym­me­t­rie als ein po­li­ti­scher Pro­zess nicht an Be­deu­tung ver­liert (trotz des Wis­sens um ihre Un­mög­lich­keit), be­schäf­ti­gen wir uns u. a. mit Fra­gen nach den Kon­flikt­li­nien, wel­che die Zu­sam­men­ar­beit struk­tu­rie­ren (wie z. B. die Ach­sen mi­no­ri­tär/ma­jo­ri­tär; eu­ro­zen­t­ris­ti­sches Wis­sen/,pe­ri­phe­res‘ Wis­sen; Kunst­feld/po­li­ti­sches Feld), nach Stra­te­gien, Ver­ein­ba­run­gen und Struk­tu­ren, um ge­gen Ras­sis­mus und Se­xis­mus in­ner­halb der Ko­o­pe­ra­tion vor­ge­hen zu kön­nen.“ (Sal­gado 2015 [2004]: 42 f.)

Ein Schritt in Rich­tung ega­li­täre For­men der Zu­sam­men­ar­beit als Teil des Kul­ tur­pro­duk­ti­ons­pro­zes­ses war das vom In­no­va­ti­ons­topf der Kul­tur­platt­form Ober­ öster­reich (KUPF) un­ter­stützte Pro­jekt Know­led­ging the Back­ground12 (2006), wel­ches eman­zi­pa­to­ri­sches Ar­bei­ten von Mi­g­ran­tin­nen in­i­ti­ierte und Wis­sensund Emp­ower­ments­tra­te­gien auf Vi­deo do­ku­men­tier­te. Alle Auf­nah­men, Di­a­loge so­wie der Schnitt er­folg­ten in Zu­sam­men­ar­beit al­ler Pro­jekt­teil­neh­mer_in­nen. Der pro­du­zierte Film wurde al­len Pro­jekt­teil­neh­mer_in­nen zur freien Ver­wen­dung zur Ver­fü­gung ge­stellt (vgl. Web­site). 12 Aus­gangs­punkt, Not­wen­dig­keit und Ziel des Pro­jek­tes wer­den wie folgt ar­gu­men­tiert: „Pro­jekte zu und über Mi­g­ran­tin­nen wer­den vor­wie­gend von Mehr­heits­an­ge­hö­ri­gen kon­zi­piert, ge­lei­tet und na­tür­lich ver­fü­gen die Letzt­ge­nann­ten auch über ent­spre­chende Zu­gänge zu Res­sour­cen. Die­ser Um­stand wurde schon so oft be­schrie­ben, kri­ti­siert und an­ge­foch­ten, dass es fast ba­nal klingt. Trotz­dem: Die Si­tu­a­tion hat sich nicht be­deu­tend ge­än­dert. Das bei der KUPF ein­ge­reichte Pro­jekt ,Know­led­ging the Back­ground‘ ist ein Ver­such diese Sack­gas­se, ab­seits der ver­ein­fa­chen­den Ge­gen­ü­ber­stel­lung von Mi­ g­ran­tin­nen und Mehr­heits­an­ge­hö­ri­gen, ab­seits des Ent­we­der-Ihr-o­der-Wir-Prin­zips, zu hin­ter­fra­gen und Ge­gen­stra­te­gien zu ent­wi­ckeln und zu er­pro­ben.“ (Frketić 2005: o. S.)

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Pers­son Perry Baum­gar­tin­ger, Vlatka Frketić

Ein wei­te­res Bei­spiel für kul­tu­relle Par­ti­zi­pa­tion ist das Kol­lek­tiv Mi­gra­fonA13, wel­ches (ohne öf­fent­li­che För­de­rung) zwei Co­mic­hefte pro­du­zierte (2007 und 2011): „Die Ar­beits­weise von Mi­gra­fonA ex­pe­ri­men­tiert mit der kri­ti­schen Vi­su­a­li­sie­rung und His­ to­ri­sie­rung ak­tu­el­ler po­li­ti­scher De­bat­ten aus der Per­s­pek­tive von MigrantInnen. In Form von Text- und Bil­der­pro­duk­tion (Il­lus­t­ra­ti­o­nen) bringt Mi­gra­fonA selbst­pro­du­zierte Co­mic­ hefte (in Print­form) he­r­aus, die eine breite Öf­fent­lich­keit er­rei­chen sol­len.“ (Vgl. Web­site)

Abbildung 4: MigrafonA, auf „As Rights Go By“, freiraum Q21, Wien 2016

© MigrafonA/Petja Dimitrova, petjadimitrova.net

Im Co­mic The Glo­ri­ous 7/Die glor­rei­chen 7 (Mi­gra­fonA 2011; s. Abb. 4) soll durch die nar­ra­tive ver­bale und vi­su­elle Form des (Co­mic-)Hef­tes der Ras­sis­ mus in Ös­ter­reich, wel­cher sich u. a. in den sogenannten Frem­den­ge­set­zen, ei­ner he­ge­mo­ni­a­len Wer­te- und Wis­sens­pro­duk­tion so­wie in der Ge­schichts­schrei­bung ma­ni­fes­tiert, auf­ge­grif­fen wer­den. Die er­zählte Ge­schichte steht in Ver­bin­dung mit ak­tu­el­len Pro­zes­sen der Trans­for­ma­tion von Lohn­ar­beit, Gren­zen und Na­ti­o­ nal­staa­ten, Pre­ka­ri­sie­rung, Ver­ar­mung so­wie Kon­troll- und Dis­zi­p­li­nie­rungs­maß­ nah­men, wel­che weite Teile der Be­völ­ke­rung be­tref­fen (vgl. Web­site). 13 Mi­gra­fonA ist ein Kol­lek­tiv der Künst­ler_in­nen bzw. Kul­tur­pro­du­zent_in­nen und Ak­ ti­vist_in­nen Petja Di­mit­ro­va, Vlatka Frke­tić, Be­linda Ka­zeem-Ka­mińs­ki, Ra­dos­tina Pa­tu­lova und Vina Yun, wel­ches im Feld des po­li­ti­schen An­ti­ras­sis­mus, von Mi­g­ra­ti­ ons­ge­schichte bzw. -po­li­tik und Selbst­emp­ower­ment-Stra­te­gien von (in Ös­ter­reich le­ ben­den) Mi­g­rant_in­nen ar­bei­tet (vgl. Web­site).

Kri­ti­sches Di­ver­sity und Kul­tur­ar­beit

D i ­v er ­sit y in der K ul­tur ­ar ­b eit ? E in for ­dern ­der A us ­b lick Damit Kri­ti­sches Di­ver­sity im Kul­tur­be­reich wirk­sam wer­den kann, muss es auf the­o­re­ti­scher, pä­d­a­go­gisch-di­dak­ti­scher, ak­ti­vis­ti­scher und prak­ti­scher Aus­ei­n­an­ der­set­zung mit ge­sell­schaft­li­cher Viel­falt im wei­tes­ten Sinne auf­bau­en. Ein sol­ cher kri­ti­scher Di­ver­si­ty-An­satz be­ruht auf fol­gen­den grund­le­gen­den Kri­te­ri­en: ei­ner kri­ti­schen Hal­tung, ei­nem Fo­kus­wech­sel auf struk­tu­relle Dis­kri­mi­nie­rung mit den da­hin­ter­lie­gen­den in­di­vi­du­el­len Po­si­ti­o­nen, in­ter­sekt­io­na­len He­r­an­ge­ hens­wei­sen so­wie ei­nem kri­ti­schen Zu­gang zu Par­ti­zi­pa­ti­on. Da­bei sollte Kri­ti­ sches Di­ver­sity maß­geb­lich – also nicht nur punk­tu­ell bzw. in ver­ein­zel­ten Pro­ jek­ten und Vor­ha­ben – von bzw. mit Per­so­nen, die sogenannten Min­der­hei­ten zu­ge­ord­net wer­den, fo­kus­siert und for­mu­liert wer­den an­statt aus­schließ­lich von pri­vi­le­gier­ten Po­si­ti­o­nen aus. Das Kri­ti­sche Di­ver­sity for­dert Ver­än­de­run­gen über (Selbst-)Re­fle­xi­o­nen hi­n­aus – kon­krete Ver­än­de­run­gen im Sinne ei­ner Teil- bzw. Ganz­habe in bzw. an der Kul­tur­pro­duk­tion in all ih­ren Pha­sen. So er­mög­licht das Kon­zept Trans–ing es, ei­nen Stand­punkt ein­zu­neh­men, wel­cher nicht an­nimmt, dass es et­was Sta­ti­sches oder Über­schrei­ten­des gibt, son­dern da­von aus­geht, dass Ge­sell­schaft et­was sich stän­dig Ver­än­dern­des ist – so auch Kul­tur­po­li­tik so­wie der Kunst- und Kul­tur­be­reich. In der Um­set­zung gilt es zu ver­han­deln, wie be­stimmte Sa­chen hin­ter­fragt und ver­än­dert wer­den kön­nen: Wel­che Hand­lungs­mög­lich­kei­ ten ste­hen der Kul­tur­ar­beit zur Ver­fü­gung? Wel­che Ver­än­de­run­gen müs­sen ge­setzt wer­den, um von ei­ner Trans­for­ma­tion des Kul­tur­be­trie­bes spre­chen zu kön­nen? Ei­ner Trans­for­ma­ti­on, die struk­tu­relle Dis­kri­mi­nie­run­gen und Aus­schluss-, aber auch Ein­schluss­me­cha­nis­men so­wie Pri­vi­le­gie­run­gen ge­zielt mit­denkt. Kri­ti­sches Di­ver­sity al­leine hat nicht die Kraft, ge­sell­schaft­li­che Trans­for­ma­ tion zu ei­ner so­zial ge­rech­ten Welt zu be­wir­ken. We­der mit Re­fle­xi­on, Sen­si­bi­li­sie­ rung, Ana­lyse oder Bil­dungs­maß­nah­men. Das Potenzial des Kri­ti­schen Di­ver­sity liegt in der ra­di­ka­len kri­ti­schen Hin­ter­fra­gung ge­sell­schaft­li­cher Wirk­lich­kei­ten, die von Un­gleich­hei­ten ge­kenn­zeich­net sind, der be­stän­di­gen und boh­ren­den Läs­ tig­keit, Un­ge­rech­tig­keit, Macht­ver­hält­nisse und Pri­vi­le­gien auf­zu­zei­gen so­wie auf Macht­ver­hält­nisse in Di­ver­si­ty­pro­zes­sen selbst hin­zu­wei­sen. Kri­ti­sches Di­ver­sity be­zieht sich in die­sen Pro­zes­sen auf kon­krete ge­sell­schaft­li­che Ver­hält­nisse und bet­tet diese in ei­nen glo­ba­len Kon­text ein. Denn Un­gleich­heit, Aus­schluss und Aus­beu­tung kennt keine (na­ti­o­na­len, ge­schlecht­li­chen, behindernden  …) Gren­ zen. Auch nicht im Kul­tur­be­reich.

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Making Art, Making Media, MakingMaking Change! Art Making Media Making Change! „Selbst ein Magazin gestalten, sagen, was wichtig ist, sich Gehör verschaffen. Selbst zu Stift und Papier greifen, eigene ComicWelten erschaffen, sich das auch zutrauen und behaupten: ‚Ich kann das.‘ Ausrangierte Materialien ungewöhnlich recyceln und für eigene Ideen und Botschaften nutzen. Do-It-Yourself nicht nur als Aufruf zum Kreativsein verstehen, sondern als Möglichkeit, die Welt mit kritischen Augen zu betrachten und gemeinsam an Veränderungen zu arbeiten. Making Art, Making Media, Making Change! ermutigt junge Menschen, selbst in der kulturellen und medialen Produktion aktiv zu werden und Teil dieser partizipativen Kultur zu sein.“ (www.makingart.at)

„Selbst ein Magazin gestalten, sagen, was wichtig ist, sich Gehör verschaffen. Selbst zu Stift und Papier greifen, eigene Comic-Welten erschaffen, sich das auch zutrauen und behaupten Ich kann das. Ausrangierte Materialien ungewöhnlich recyceln und für eigene Ideen und Botschaften nutzen. Do-It-Yo Y urself nicht nur Yo als Aufruf zum Kreativsein verstehen, sondern als Möglichkeit, die Welt mit kritischen Augen zu betrachten und gemeinsam an Veränderungen zu arbeiten. Making Art, Making Media, Making Change! ermutigt junge Menschen, selbst in der kulturellen und medialen Produktion aktiv zu werden und T il dieser partizipativen Kultur Te zu sein. Das Projekt umfasst ein Workshop-Programm, eine T olbox zur Unterstützung der To Vermittlungsarbeit und ein wanderndes Archiv.“ (www.makingart.at)

Craftivism­Workshop mit Stephanie Müller, Ausstellung mit Wandgestaltung von Mädchen und Ka Schmitz, Zine­Workshop mit Elke Zobl 2014­2015. Fotos: Pia Streicher Abbil ild il ldu dung 1:

Colllllla lage aus Fo F tos vom Zin Zi ine-Wo W rk Wo rks kshop im i Ra R hmen d s „Wo de W men’s Wo ’ Sp ’s S ace“ von T re Te r sa Lugstein i , von de in d r Cra r ft ra ftitivi vis ism-We W rk We rks ksta t tt mit Step e hanie ep i Mülllllle ie ler sowi wie wi ie von d r Ausstellllllu de lung „Ma M ki Ma kin ing Art rt, rt t, M ki Ma kin ing Medi dia di ia, Ma M ki kin ing Change!“ mit T ililn Te lnehmeriririn innen de d s Grr rrr rr rrlrls ls Camp und Ka K Schmitz t tz (Fo (F Fotos: VO V RNA N ME NA M N CHN NA HNA HN NAME ME; E; Colllllla lage: Tim Ti imna Pa P chner) r r)

„Inwiefern kann das, was von der Gesellschaft als ‚normal‘ und ‚schön‘ gesehen wird, hinterfragt und umgedeutet werden? Welche anderen, neuen Bilder können dem entgegengesetzt werden? Und produzieren diese Bilder ihrerseits wieder Normen? Solche und ähnliche Fragen stehen im Zentrum der Toolbox Do­It­Yourself, Do­It­Together! Künstlerisch­edukative Materialien und Angebote für eine kritische Vermittlungspraxis. Sie wurde in Zusammenarbeit mit Künstler_innen, Medienproduzent_innen, Expert_innen der feministischen Mädchenarbeit sowie der kritischen Kunst- und Kulturvermittlung und mit den bei den DIY-Workshops teilnehmenden Jugendlichen entwickelt. “ (www.makingart.at)

Das Workshop­Team in unserer mobilen Leselounge im Mädchenzentrum Klagenfurt und die Toolbox. Fotos: Jasmina Deljanin­Hudelist, Pia Streicher

Abbil ild il ldu dung 2: 2 Colllllla lage aus Fo F tos von kü k nstltltle leriris isch-eduka k tit ven ka M teririria Ma ialilie ien de d r To T olb l ox lb ox: x: „Do-It-Yo Y urs Yo r elflflf, rs f, Do-it-To T geth To t er! th r “ de r! d s Pr Pro roj oje jekt k es „Ma M ki Ma kin ing Art rt, rt t, Ma M ki kin ing Medi dia di ia, Ma M ki kin ing Change!“ (Fo (F Fotos: VO V RNA N ME NA M NA N CHN HNA HN NAME ME; E; Colllllla lage: Tim Ti imna Pa P chner) r r)

Making Art Taking Part! „Welche Fragen stellen sich Jugendliche heute? Wofür setzen sie sich ein? Und wie wollen Jugendliche Gesellschaft mitgestalten und verändern? Diesen Fragen ging das Projekt Making Art – Taking Part! nach. Dabei haben wir uns in zwei Schulen in Salzburg mit den Jugendlichen mit ihren aktuellen Fragestellungen auseinandergesetzt. Der Abschluss bestand aus einer Intervention im öffentlichen Raum in der Stadt Salzburg und in Mittersill, die von den Jugendlichen konzipiert und durchgeführt wurden. Für die Interventionen wurden ein mobiler Infowagen als ‚Tauschbörse‘, eine Würfelinstallation, ein fotografisches GestenABC, Buttons zum Selbermachen, eine Kontrasouvenirstation usw. produziert.“ (www.takingpart.at)

Die Abschlussveranstaltung der NMS Liefering (Salzburg) stand unter dem Motto „Zusammenleben“. Fotos: Pia Streicher

„Wir haben versucht einen Zwischenraum zu öffnen, in dem die Ambivalenzen und Fragen thematisiert wurden und zugleich die Selbstermächtigung der Jugendlichen im Zentrum unseres Vorhabens stand.“ (Elke Zobl in Aqra/Huber/Smodics/Zobl 2016)

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An­ga­ben zu den Autor_in­nen

An­ga­ben zu den Autor_in­nen

Pers­son Perry Baum­gar­tin­ger (Dr. phil.) ist Se­nior Scien­tist am Pro­gramm­be­ reich Zeit­ge­nös­si­sche Kunst und Kul­tur­pro­duk­tion (Schwer­punkt Wis­sen­schaft und Kunst, Uni­ver­si­tät Salz­burg und Uni­ver­si­tät Mo­zar­teum Salz­burg). Er stu­ dierte An­ge­wandte Sprach­wis­sen­schaft, Ge­schlech­ter­for­schung und So­zial­ge­ schichte in Wien. Pers­son Perry Baum­gar­tin­ger war u. a. Gast­wis­sen­schaft­ler an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin so­wie Vi­si­ting Fel­low der Uni­ver­si­tät Bern. Seine For­schung und Lehre be­we­gen sich im Be­reich Trans—Arts, ak­ti­vis­ti­sche For­schung, Kunst- und Kul­tur­ma­na­ge­ment, Kri­ti­sches Di­ver­si­ty, Spra­che/Kom­ mu­ni­ka­tion und Macht, Trans*In­ter*Queer. Mar­cel Bleu­ler (Dr. phil.) ist Se­nior Scien­tist am Pro­gramm­be­reich Zeit­ge­ nös­si­sche Kunst und Kul­tur­pro­duk­tion (Schwer­punkt Wis­sen­schaft und Kunst, Uni­ver­si­tät Salz­burg und Uni­ver­si­tät Mo­zar­teum Salz­burg) so­wie Co-Lei­ter des Post­gra­du­ier­ten-Pro­gramms Arts and Inter­na­tio­nal Co­ope­ra­tion an der Zür­cher Hoch­schule der Küns­te. Er stu­dierte bil­dende Kunst und Kunst­ge­schichte an den Uni­ver­si­tä­ten Zü­rich, Bern und Har­vard. Seit 2014 hat er sich auf Kunst­ pro­jekte und künst­le­ri­sche Zu­sam­men­arbeit in ge­sell­schaft­li­chen Kon­flikt­si­tua­ tio­nen fo­kus­siert. Er unter­sucht Pro­jek­te, die vor dem Hin­ter­grund so­zia­ler Un­ gleich­heits­ver­hält­nisse und Dis­tink­tions­me­cha­nis­men Aus­tausch und Be­geg­nung er­mög­li­chen so­wie Teil­habe in Gang set­zen sol­len, so­wie kon­krete An­sät­zen ei­ner dia­lo­gi­schen Äs­the­tik. Mar­cel Bleu­ler ver­folgt ei­nen pra­xis-ba­sier­ten For­ schungs­an­satz und setzt sich mit den Mög­lich­kei­ten von künst­le­ri­scher For­schung aus­ein­an­der. Ri­carda Drüeke (Dr. phil.) ist As­sis­tenz­pro­fes­sorin am Fach­be­reich Kom­mu­ni­ ka­tions­wis­sen­schaft der Uni­ver­si­tät Salz­burg. Sie stu­dierte Po­li­tik­wis­sen­schaft, So­zio­lo­gie und Kunst­ge­schichte in Mar­burg und Ham­burg. Als wis­sen­schaft­li­ che Mit­arbei­te­rin arbei­tete sie in den Pro­jek­ten E-Emp­ower­ment. Die Nut­zung des Inter­nets in frau­en­po­li­ti­schen Netz­wer­ken an der TU Ham­burg-Har­burg so­wie Mo­bile Inter­net Ser­vices and Pri­vacy an der Eu­ro­pa-Uni­ver­si­tät Via­drina Frank­ furt/Oder. Sie forscht und lehrt zu In­klu­sions- und Ex­klu­sions­pro­zes­sen in und

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Kultur produzieren

durch Me­dien, di­gi­ta­len Öf­fent­lich­kei­ten (ins­be­son­dere mit ei­nem Schwer­punkt auf Pro­test­ar­ti­ku­la­tio­nen zi­vil­ge­sell­schaft­li­cher Ak­teur*in­nen so­wie Dy­na­mi­ken der Em­pö­rung am Bei­spiel von Hate Speech) so­wie im Be­reich Gen­der Me­dia Stu­dies. In ihrem Ha­bi­li­ta­tions­pro­jekt be­schäf­tigt sie sich mit (fe­mi­nis­ti­schem) Ak­ti­vis­mus mit­tels di­gi­ta­ler Me­dien Vlatka Frke­tić (Dipl. oec.in) ist als Er­wach­se­nen­bild­ne­rin und Tex­te­rin tä­tig. Sie stu­dierte Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten in Za­greb und Sprach- und Kul­tur­wis­sen­ schaf­ten in Wien. Vlatka Frke­tić ist zer­ti­fi­zierte So­ci­al-Jus­ti­ce-Trai­ne­rin und ent­ wi­ckelte ge­mein­sam mit Pers­son Perry Baum­gar­tin­ger ein Fort­bil­dungs­kon­zept zu Kri­ti­schem Di­ver­si­ty. Ihre Schwer­punkte lie­gen in den Be­rei­chen trans­kul­tu­ relle Kom­mu­ni­ka­tion, (Queer-)Mig­ra­ti­on, Di­versi­tät und Ge­schlecht, Spra­che und Macht, Rhe­to­rik, Social Jus­ti­ce. Eli­sa­beth Klaus (Dr. phil.) ist Pro­fes­so­rin für Kom­mu­ni­ka­tions­wis­sen­schaft und Co-Lei­te­rin des Pro­gramm­be­reichs Zeit­ge­nös­si­sche Kunst und Kul­tur­pro­duk­tion am Schwer­punkt Wis­sen­schaft und Kunst. Von 2015 bis 2018 war sie Lei­te­rin des inter­uni­ver­si­tä­ren Dok­to­rats­kol­legs Die Künste und ihre öf­fent­li­che Wir­kung (Uni­ver­si­tät Salz­burg und Uni­ver­si­tät Mo­zar­teum Salz­burg). Sie stu­dierte Ma­ the­ma­tik und So­zial­wis­sen­schaf­ten in Müns­ter, pro­mo­vierte an der Uni­ver­sity of No­tre Dame (IN/USA) in So­zio­lo­gie und ha­bi­li­tierte sich am In­sti­tut für Jour­na­ lis­tik der Uni­ver­si­tät Dort­mund. Gast- und Ver­tre­tungs­pro­fes­su­ren bzw. län­gere For­schungs­auf­ent­halte führ­ten sie nach Wien, Ham­burg, Kla­gen­furt, Dub­lin und Is­tan­bul. Ihre For­schung kon­zen­triert sich auf Öf­fent­lich­keits­theo­rien, kom­mu­ ni­ka­tions­wis­sen­schaft­li­che Un­gleich­heits- und Ge­schlech­ter­for­schung, Cul­tu­ral Stu­dies und Po­pu­lär­kul­tur. Anita Mo­ser (Dr. phil.) ist Se­nior Scien­tist am Pro­gramm­be­reich Zeit­ge­nös­si­sche Kunst und Kul­tur­pro­duk­tion und wis­sen­schaft­li­che Mit­arbei­te­rin des inter­uni­ver­ si­tä­ren Dok­to­rats­kol­legs Die Künste und ihre öf­fent­li­che Wir­kung (Schwer­punkt Wis­sen­schaft und Kunst, Uni­ver­si­tät Salz­burg und Uni­ver­si­tät Mo­zar­teum Salz­ burg). Sie studierte Komparatistik und Spanische Philologie in Innsbruck und Bil­ bao, absolvierte einen Kul­tur­ma­na­ge­ment-Lehr­gang (Universität Innsbruck) und war anschließend u. a. als Kulturmanagerin beim Festival Neuer Musik Klang­ spuren Schwaz und als Geschäftsführerin der Interessenvertretung freier Tiro­ ler Kulturinitiativen TKI tätig. In For­schung und Lehre be­schäf­tigt sie sich mit Gegen­warts­kunst und Kul­tur­arbeit in der Mi­gra­tions­ge­sell­schaft, Kunst- und Kul­ tur­ma­na­ge­ment, Kul­tur­po­li­tik, Freier Kul­tur­arbeit und Gen­der Stu­dies.

An­ga­ben zu den Autor_in­nen

Elke Smo­dics ist Kom­mu­ni­ka­tions­ku­ra­to­rin mit den Schwer­punk­ten zeit­ge­nös­ si­sche Kunst, Fe­mi­nis­mus und Par­ti­zi­pa­tion in Kunst und Kul­tur­ver­mitt­lung. Ein Fo­kus ist da­bei die Ent­wick­lung von Ver­mitt­lungs­tools und Arbeits­ma­te­ria­lien für anti­dis­kri­mi­nie­ren­de, eman­zi­pa­to­ri­sche Bil­dungs­pro­zes­se. Sie ist Grün­dungs­ mit­glied wie auch Teil­ha­be­rin von Büro tra­fo.K, das 2012 den ös­ter­rei­chi­schen Kunst­preis er­hal­ten hat. Sie ku­ra­tiert par­ti­zi­pa­tive Aus­stel­lun­gen so­wie Pro­jekte im öf­fent­li­chen Raum und ist Lehr­be­auf­tragte zu queer-fe­mi­nis­ti­schen, trans­dis­zi­ pli­nä­ren Ver­mitt­lungs­stra­te­gien. Elke Zobl (Dr. phil.) ist As­so­ciate Pro­fes­so­rin am Fach­be­reich Kom­mu­ni­ka­ tions­wis­sen­schaft und Lei­te­rin des Pro­gramm­be­reichs Zeit­ge­nös­si­sche Kunst und Kul­tur­pro­duk­tion am Schwer­punkt Wis­sen­schaft und Kunst (Pa­ris Lo­dron Uni­ ver­si­tät Salz­burg und Uni­ver­si­tät Mo­zar­teum Salz­burg). Nach Stu­dien der Bild­ ne­ri­schen Er­zie­hung (im Fach Bild­haue­rei), Ger­ma­nis­tik, den Gen­der Stu­dies und Kunst- und Kul­tur­wis­sen­schaf­ten an den Uni­ver­si­tä­ten Salz­burg und Wien, Mo­ zar­teum Salz­burg, Aka­de­mie der Bil­den­den Künste und Duke Uni­ver­sity (North Ca­ro­lina) forschte sie meh­rere Jahre an der Uni­ver­si­tät of Ca­li­for­nia San Diego (USA) zu al­ter­na­ti­ven, fe­mi­nis­ti­schen Me­dien und trans­na­tio­na­len Netz­wer­ken. Ihre Arbeits- und For­schungs­schwer­punkte um­fas­sen par­ti­zi­pa­tive Kul­tur­pro­duk­ tion, künst­le­ri­sche und kul­tu­relle Inter­ven­tio­nen, kri­ti­sche Kul­tur­ver­mitt­lung und Gen­der Stu­dies.

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Kulturwissenschaft Johannes F.M. Schick, Mario Schmidt, Ulrich van Loyen, Martin Zillinger (Hg.)

Homo Faber Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2018 2018, 224 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-3917-9 E-Book: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3917-3

Thomas Hecken, Moritz Baßler, Robin Curtis, Heinz Drügh, Mascha Jacobs, Nicolas Pethes, Katja Sabisch (Hg.)

POP Kultur + Kritik (Jg. 7, 2/2018) 2018, 176 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 16,80 € (DE), 978-3-8376-4455-5 E-Book: 16,80 € (DE), ISBN 978-3-8394-4455-9

María do Mar Castro Varela, Paul Mecheril (Hg.)

Die Dämonisierung der Anderen Rassismuskritik der Gegenwart 2016, 208 S., kart. 17,99 € (DE), 978-3-8376-3638-3 E-Book: 15,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3638-7 EPUB: 15,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3638-3

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Kulturwissenschaft Fatima El-Tayeb

Undeutsch Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft 2016, 256 S., kart. 19,99 € (DE), 978-3-8376-3074-9 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3074-3

Rainer Guldin, Gustavo Bernardo

Vilém Flusser (1920–1991) Ein Leben in der Bodenlosigkeit. Biographie 2017, 424 S., kart., zahlr. Abb. 34,99 € (DE), 978-3-8376-4064-9 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4064-3

Stephan Günzel

Raum Eine kulturwissenschaftliche Einführung 2017, 158 S., kart., zahlr. Abb. 14,99 € (DE), 978-3-8376-3972-8 E-Book: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3972-2

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