Kriegsgefangenschaft in Österreich-Ungarn 1914-1918: Historiographien, Kontext, Themen [1 ed.] 9783205215240, 9783205214922

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Kriegsgefangenschaft in Österreich-Ungarn 1914-1918: Historiographien, Kontext, Themen [1 ed.]
 9783205215240, 9783205214922

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Kriegsgefangenschaft in Österreich-Ungarn 1914–1918 Historiographien, Kontext, Themen

Verena Moritz, Julia Walleczek-Fritz (Hg.)

Kriegsfolgenforschung Wissenschaftliche Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung, Graz – Wien – Raabs

Begründet von Stefan Karner, herausgegeben von Barbara Stelzl-Marx, Band 10 Advisory Board der Wissenschaftlichen Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung unter dem Vorsitz von Stefan Karner: Jörg Baberowski

Verena Moritz

Beáta Katrebová Blehová

Bogdan Musial

(Humboldt-Universität, Berlin) (Institut für das Gedächtnis der Nation, ­Bratislava)

Csaba Békés

(Ungarische Akademie der Wissenschaften, Budapest)

Günter Bischof

(University of New Orleans)

Stefan Creuzberger (Universität Rostock)

Thomas Wegener Friis

(Süddänische Universität, Odense)

(Universität Wien)

(Universität Warschau)

Ol’ga Pavlenko

(Russische Staatliche Geisteswissenschaftliche ­Universität, Moskau)

Dieter Pohl

(Universität Klagenfurt)

Pavel Polian

(Universität Freiburg)

Peter Ruggenthaler

Marcus Gräser

(Ludwig Boltzmann Institut für ­K riegsfolgenforschung)

Andreas Hilger

(Johannes Kepler Universität Linz)

Kerstin Jobst

(Landesverteidigungsakademie, Wien)

(Johannes Kepler Universität Linz) (Deutsches Historisches Institut Moskau) (Universität Wien)

Rainer Karlsch (Berlin)

Roman Sandgruber Erwin Schmidl

Daniel Marc Segesser (Universität Bern)

Ottmar Traşcã

Mark Kramer

(Universität Cluj-Napoca)

Hannes Leidinger

(Universität Leipzig)

(Harvard University) (Universität Wien, Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung)

Peter Lieb

(Zentrum für Militärgeschichte und ­S ozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam)

Ulrich Mählert

(Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Berlin)

Aryo Makko

(Universität Stockholm)

Horst Möller (München)

Stefan Troebst Oldřich Tůma

(Tschechische Akademie der Wissenschaften, Prag)

Alexander Vatlin

(Moskauer Staatliche Universität)

Gerhard Wettig

(Kommen/Deutschland)

Vladislav Zubok

(London School of Economics)

Verena Moritz / Julia Walleczek-Fritz (Hg.)

Kriegsgefangenschaft in ­ sterreich-Ungarn 1914–1918 Ö Historiographien, Kontext, Themen

Böhlau Verlag Wien ∙ Köln

Veröffentlicht mit freundlicher Unterstützung durch: Zukunftsfonds der Republik Österreich Amt der N.Ö. Landesregierung, Abteilung Wissenschaft und Forschung Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Abteilung Wissenschaft und Forschung Dekanat der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; ­detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung  : Kriegsgefangene bei Tuchla (Oportal); © Österreichisches Staats­ archiv/Kriegsarchiv © 2022 Böhlau Verlag, Zeltgasse 1, A-1080 Wien, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Korrektorat  : Ute Wielandt, Markersdorf Einbandgestaltung  : Michael Haderer, Wien Satz  : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-205-21524-0

Für Lena und Hannah

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 11

EINFÜHRUNG Verena Moritz Rahmenbedingungen und Überlegungen zu neueren Forschungen über Kriegsgefangenschaft im Habsburgerreich . . . . . . . . . . . . . .

 19

HISTORIOGRAPHIEN UND THEMEN ÖSTERREICH Die österreichische Historiographie zur K ­ riegsgefangenschaft im Habsburgerreich 1914–1918 Verena Moritz / Julia Walleczek-Fritz / Hannes Leidinger Zwischenkriegszeit und Neubeginn nach 1945. . . . . . . . . . . . . . .

105

Verena Moritz Themen der internationalen Historiographie und die Kriegsgefangenschaft im Habsburgerreich im Lichte neuer Fragestellungen und Forschungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

165

UNGARN Henriett Kovács Kriegsgefangene in Transleithanien 1914–1918. Historiographie, ­Forschungsansätze und Gedenken in Ungarn . . . . . . . . . . . . . . .

231

TSCHECHIEN Dagmar Hájková / Martin Klečacký Kriegsgefangenenlager in Böhmen bzw. auf dem Territorium des heutigen Tschechiens im Ersten Weltkrieg. Geschichte und Gedenken . 253

8

Inhalt

RUSSLAND Natal’ ja Suržikova Die österreichisch-ungarische Kriegsgefangenschaft in der russländischen, sowjetischen und postsowjetischen Historiographie ..

271

SERBIEN Danilo Šarenac Die Vergessenen. Schlaglichter auf die Geschichte der serbischen ­Kriegsgefangenen des Ersten Weltkrieges. . . . . . . . . . . . . . . . . .

305

ITALIEN Marco Mondini “There won’t be many coming home”. Historiography, ­ self-representation and the return of Italian POWs. . . . . . . . . . . . .

327

RUMÄNIEN Loránd L. Mádly / Verena Moritz Die rumänischen Kriegsgefangenen des Ersten Weltkrieges. Eine Spurensuche.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

351

MONTENEGRO Heiko Brendel “Without the Slightest Exaggeration, We Can Report That Our Soon and Inevitable S ­ tarvation is Approaching.” Montenegrin Enemy Aliens, Prisoners of War, and Internees in Austro-Hungarian Custody During the First World War . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

373

KONTEXT UND VERGLEICHSEBENEN: ­ GEWALTGESCHICHTE UND ZIVILGEFANGENE Oswald Überegger Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg als i­ nterdisziplinäre ­Gewaltgeschichte. Entwicklungslinien und Desiderata . . . . . . . . . .

403

Inhalt

Gordana Ilić Marković Im eigenen und im fremden Land gefangen. Serbische Internierte des Ersten Weltkrieges in Österreich-Ungarn . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

435

KRIEGSGEFANGENSCHAFT IM H ­ ABSBURGERREICH Verena Moritz Völker- und Militärrecht, Praxis der Gefangenen­behandlung und ­Thematisierung von Missständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

467

Abkürzungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

623

Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

627

Die Kriegsgefangenschaft in Österreich-Ungarn in Zahlen. . . . . . . .

655

Kriegsgefangenenlager im Habsburgerreich . . . . . . . . . . . . . . . .

661

Kriegsgefangenenstationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

663

Kurzbiographien der Autorinnen und Autoren. . . . . . . . . . . . . . .

665

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

669

Vorwort

Die beiden Herausgeberinnen des vorliegenden Bandes haben mit ihren Qualifikationsschriften, die bereits vor einigen Jahren an den Universitäten Wien und Innsbruck entstanden, sowie mit anknüpfenden Publikationen versucht, die Kriegsgefangenschaft im Habsburgerreich als Forschungsgegenstand zu etablieren. In dieser Zeit entwickelte sich die internationale Kriegsgefangenenhistoriographie auf vielfältige Art und Weise weiter. Rund um das Gedenken 1914/2014 startete dann ein vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) finanziertes Projekt über die Kriegs­ gefangenschaft in Österreich-Ungarn, das sich dem Thema vor allem unter den Gesichtspunkten „Zwangsarbeit“ und „Gewalt“ widmen sollte. Die diesbezüglichen Forschungen wollten nicht zuletzt einer vielfach auf die Lager im Hinterland konzentrierten Geschichtsschreibung weiter reichende Perspektiven entgegensetzen. Ziel war es darüber hinaus, unter Berücksichtigung der in den letzten beiden Dekaden sukzessive angewachsenen internationalen Forschung zur Kriegsgefangenschaft im Ersten Weltkrieg zusätzliche beziehungsweise aktualisierte Sichtweisen auf die Problematik zu erarbeiten. Den Ausgangspunkt der nunmehrigen Untersuchungen bildeten demnach neue sowie modifizierte Fragestellungen und schließlich umfangreiche Archivrecherchen, die vor allem im Österreichischen Staatsarchiv als Forschungsstelle und organisatorischer Anker des Projektes durchgeführt wurden. Innerhalb von vier Jahren stellte das Projektteam seine Ergebnisse auf etwa 30 nationalen und internationalen Konferenzen zur Diskussion, und es entstanden etwa 30 Zeitschriftenartikel zur Kriegsgefangenschaft in der Habsburgermonarchie, die unterschiedliche Aspekte der Thematik beleuchteten. Gleichzeitig wurde eine größere Publikation geplant, die unter Hinwendung auf ergänzende Fragestellungen beziehungsweise Schwerpunkte und unter Verwendung weiterer, bislang unberücksichtigter Archivquellen neue Ergebnisse der Kriegsgefangenenforschung zu Österreich-Ungarn vorstellen sollte. Dabei vermeiden wollte das Forschungsteam eine bloße Kompilation der bereits im Rahmen des Projektes veröffentlichten Texte. Parallel zu solchen Überlegungen waren schließlich die Frage der österreichisch-ungarischen Repressalienpraxis gegenüber Kriegsgefangenen sowie insgesamt völkerrechtliche Aspekte oder aber die Reaktionen auf wahrgenommene Missstände in

12

Vorwort

der Gefangenenbehandlung von ziviler Seite mehr und mehr ins Zentrum der Recherchen gerückt. Es handelte sich um Themen, die in einzelnen Artikeln für wissenschaftliche Zeitschriften aufgrund des erforderlichen größeren Textumfanges nicht hätten entsprechend behandelt werden können. Die genannten Untersuchungsfelder reflektieren Kernfragen der internationalen Kriegsgefangenenforschung zum Ersten Weltkrieg, für die nicht zuletzt die Arbeiten beispielsweise von Rüdiger Overmans, Jochen Oltmer, Reinhard Nachtigal sowie Uta Hinz und Heather Jones wichtige Impulse bereithielten und -halten. Sie korrespondierten überdies mit den bereits erwähnten Projekt-Schwerpunkten „Zwangsarbeit“ und „Gewalt“ auf vielfältige Art und Weise. Mit fortschreitender Projektdauer und als Folge von Diskussionen mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen im In- und Ausland drängte sich zudem eine weitere Agenda auf: der Versuch einer Bestandsaufnahme der Historiographien zur Kriegsgefangenschaft in Österreich-Ungarn in jenen Ländern, aus denen die von der k. u. k. Armee eingebrachten Feindsoldaten stammten. Immerhin schienen sich hier etliche Leerstellen aufzutun, deren Hintergründe vielfach unklar geblieben waren. Erfreulicherweise gelang es, Kolleginnen und Kollegen aus und/oder für alle/n Länder/n zu finden, aus denen jene Kriegsgefangenen stammten, die sich im Gewahrsam der k. u. k. Armee befunden hatten, im Habsburgerreich bzw. in den eroberten oder okkupierten Gebieten als Arbeitskräfte eingesetzt wurden und in zahlreichen Fällen dort auch starben. Als am Ende just ein Artikel über die Historiographie in Österreich fehlte, entschied sich das Projektteam für einen Text, der gleich mehrere Funktionen erfüllen sollte: die Beschäftigung mit Erinnerung und Gedenken, mit historiographischen Entwicklungen, dem Forschungsstand sowie mit Fragestellungen, die sich aus der Geschichtsschreibung über die Gefangenschaft sowie den Ersten Weltkrieg im Allgemeinen ableiten ließen und in der internationalen Geschichtsschreibung zum Teil bereits (durchaus kontrovers) diskutiert worden waren. Dieser breit gefasste Rahmen eröffnete zudem die Gelegenheit, wesentliche, bereits publizierte Projektergebnisse kompakt zusammenzufassen sowie auf zusätzliche Überlegun­gen hinzuweisen, die teilweise auf neu erschlossenem Quellenmaterial fußten. Darüber hinaus erschien es dem Projektteam wichtig, die Perspektiven auf die Thematik in jenen Ländern abzufragen, die im Ersten Weltkrieg der k. u. k. Monarchie angehörten und ebenso mit der Präsenz von gefangenen Feindsoldaten konfrontiert wurden wie das Territorium der heutigen öster­reichischen Republik. Als Folge gerieten schließlich Ungarn und Tschechien in den Fokus. So entstand ein aus vielen verschiedenen Sichtweisen zusammengesetzter Sammelband, der neue Forschungen ebenso integriert, wie er historiographi-

Vorwort

13

sche Entwicklungen nachzeichnet oder die Frage des Erinnerns und Gedenkens aufgreift – Themen, denen sich wiederum die Autorinnen und Autoren der Historiographie-Texte mit zusätzlichen Schwerpunkten genähert haben, die auch ihre eigenen aktuellen Forschungen miteinbezogen. Mit Beiträgen über die Gewaltgeschichte sowie die Lage serbischer Zivilinternierter in österreichisch-ungarischem Gewahrsam erweiterte sich überdies der Kontext mit Vergleichsmöglichkeiten und wichtigen Impulsen für die Gefangenenthematik. Diese wurden dann vor allem im letzten Teil zur Kriegsgefangenschaft im Habsburgerreich aufgegriffen beziehungsweise reflektiert. Gedankt sei an dieser Stelle dem FWF für die Finanzierung des Forschungsprojektes und darüber hinausgehend für die bereitwillige Unterstützung bei verschiedenen organisatorischen Fragen. Großer Dank gilt überdies dem Österreichischen Staatsarchiv, das eine institutionelle Anbindung des Projektes gewährleistete und dem Team seine Infrastruktur zur Verfügung stellte. Die fachkundige Unterstützung und die Hilfsbereitschaft des mittlerweile pensionierten Kriegsarchivdirektors Christoph Tepperberg, seines Nachfolgers Robert Rill sowie von Gerhard Artl, Otto Kellner, Melanie Bayer, Christoph Ortner und Walter Ehmayer sowie der Mitarbeiter der Bibliothek muss hier besonders hervorgehoben werden. Unkomplizierte Hilfestellungen hinsichtlich einer effektiven Durchführung von Recherchen kamen überdies vom Direktor des Haus-, Hof- und Staatsarchivs Thomas Just sowie von Joachim Tepperberg und Gerhard Gonsa. Für ihre Unterstützung bei organisatorischen Dingen, die die Projektabwicklung mit dem Staatsarchiv betrafen, gedankt sei überdies Erwin Wolfslehner und Karin Holzer. Mit großem Wohlwollen haben darüber hinaus die ehemaligen Generaldirektoren des Öster­reichischen Staatsarchivs Lorenz Mikoletzky und Wolfgang Maderthaner das Projekt begleitet und damit seinen erfolgreichen Abschluss ermöglicht. Für ihre Unterstützung zu danken ist überdies den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landesarchive in Österreich sowie all jenen, die in verschiedenen ausländischen Forschungsstätten entsprechende Hilfestellungen bei den Recherchen gaben. Besonders hervorzuheben ist das Niederösterreichische Landesarchiv. Namentlich genannt sei des Weiteren Daniel Palmieri vom Archiv des IKRK in Genf. Wesentlichen Anteil am Gelingen des Projektes hatten auch die im Rahmen von Kurzstipendien ermöglichten Archivrecherchen in Polen und Slowenien, die infolge der Zuwendungen des Deutschen Historischen Institutes in Warschau sowie des Milko Kos Institutes/Slowenische Akademie der Wissenschaften realisiert werden konnten. Besondere Hilfe gewährten außerdem Kolleginnen und Kollegen aus Russland, die bei der Organisation der

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Vorwort

Forschungsaufenthalte in Moskau zur Seite standen. Namentlich anzuführen sind hier Viktor Iščenko, Marija Petrova sowie Olga Pavlenko. Zu danken gilt es des Weiteren den Verantwortlichen des Archivs in Rovereto (Italien), die die Recherchen dort auf unkomplizierte Art und Weise ermöglichten. Viele ergänzende Perspektiven auf die Forschungen zur Gefangenenthematik ergaben sich überdies aus zwei gemeinsam mit Christa Ehrmann-Hämmerle, Hannes Leidinger und Karin Moser abgehaltenen Lehrveranstaltungen an der Universität Wien, die dem Thema „Sexuelle Gewalt im Ersten Weltkrieg“ gewidmet waren. Die damit in Zusammenhang stehenden Diskussionen haben die Arbeit an vorliegendem Band auf vielfältige Weise bereichert. Ohne das große Engagement von Julia Köstenberger als Mitarbeiterin sowie Hannes Leidinger als Mitarbeiter des Projektes wäre dessen erfolgreiche Durchführung gar nicht erst möglich gewesen. Das gilt auch für Bernhard Bachinger, der als nationaler Forschungspartner das Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung (BIK) in Graz repräsentierte. Danilo Šarenac und Henriett Kovács haben außerdem dem Projektteam Archivdokumente aus Serbien und Ungarn zur Verfügung gestellt. Gordana Ilić Markovićs vielfältige Unterstützung inkludierte darüber hinaus auch wichtige Hinweise auf serbische Literatur und unzählige andere Details. Ihnen und allen anderen Kolleginnen und Kollegen, die an der Entstehung des Bandes mitgewirkt haben, ist für eine gelungene Teamarbeit und nicht zuletzt für die große Geduld, die auf dem langen Weg zur Realisierung der Publikation erforderlich gewesen ist, aufrichtiger Dank auszusprechen. Zu würdigen ist hier auch die effektive Zusammenarbeit mit dem BIK, in dessen Reihe beim Verlag „Böhlau“ vorliegender Band erscheint. Dem „Wissenschaftlichen Beirat“, dessen Mitglieder auf Grundlage eines „Peer review“-­Verfahrens für die Qualitätssicherung der Reihe verantwortlich sind, beziehungsweise den betreffenden Gutachterinnen und Gutachtern des vorliegenden Bandes sei für die wichtigen Anregungen gedankt. Barbara Stelzl-Marx als Leiterin des Institutes hat überdies wesentlich zu einem reibungslosen Ablauf des damit verbundenen Verfahrens beigetragen. Koordinierungsarbeiten, die im Zuge des Publikationsprozesses zu leisten waren, haben im Übrigen dankenswerterweise Philipp Lesiak und Sigrid Lazar übernommen. Für die finanzielle Unterstützung in Form von Druckkostenzuschüssen gedankt sei außerdem dem Dekanat der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, dem Zukunftsfonds der Republik Österreich, dem Amt der Niederösterreichischen Landesregierung und dem Land Steiermark/Abteilung für Wissenschaft und Forschung.

Vorwort

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Dank gebührt schließlich auch dem Böhlau-Verlag, der den Band in sein Programm aufgenommen und ungeachtet der Hürden, welche die Corona-­Krise 2020/2021 mit all ihren Folgen hervorbrachte, professionell betreut hat. Insbesondere Michael Rauscher und Martin Zellhofer haben wesentlich zum erfolgreichen Abschluss des Buch-Projektes beigetragen. Wien, im Juli 2021

Verena Moritz und Julia Walleczek-Fritz

EINFÜHRUNG

Verena Moritz

Rahmenbedingungen und Überlegungen zu neueren Forschungen über Kriegsgefangenschaft im Habsburgerreich

Gefangenenzahlen und Propaganda Die hier angebotene Einführung in den Sammelband wagt in Anbetracht ­eines seiner Schwerpunkte – der Kriegsgefangenenhistoriographie – einen gewissermaßen direkten Einstieg in das Thema, der zentrale Fragen wie etwa die Problematik von Gesamt- sowie Opferzahlen oder die humanitäre Hilfe für die Gefangenen in den Blick nimmt. Die Geschichtsschreibung über die Gefangenschaft in österreichisch-ungarischem Gewahrsam wird dann erst im zweiten Teil des Bandes aus unterschiedlichen Perspektiven vorgestellt, der Forschungsstand ausführlich dargelegt. Nachfolgender Text möchte indessen bewusst die neueren Forschungen über die Kriegsgefangenschaft im Habsburgerreich, die u. a. die Basis für den letzten Teil des Bandes schufen, als Ausgangspunkt für grundlegende Reflexionen heranziehen. Gleichzeitig soll die Konzeption des Sammelbandes, die ganz am Ende des Beitrages noch einmal erläutert wird, mit Ausführungen zu besonders wichtig erscheinenden Fragestellungen nachvollziehbar gemacht werden. Speziel­les Augenmerk gilt darüber hinaus den verwendeten Quellen und jenen Überlegungen, die sich bei ihrer Auswertung aufdrängten. Nicht zuletzt die Materialien, die für eine Rekonstruktion der Gesamtzahl der Gefangenen herangezogen wurden, verwiesen umgehend auf eminente Herausforderungen in der Quellenkritik. Vor etwas mehr als einem Jahrzehnt machte Oswald Überegger in einem Aufsatz über die europäische „Dimension militärischer Normübertretungen im Ersten Weltkrieg“ auf den Umstand aufmerksam, dass diese „meist nur in der abstrakten Form quantitativer Parameter“ beachtet würde.1 Mit anderen

1

Oswald Überegger, „Verbrannte Erde“ und „baumelnde Gehenkte“. Zur europäischen Dimension militärischer Normübertretungen im Ersten Weltkrieg, in: Sönke Neitzel/ Daniel Hohrath (Hg.), Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Paderborn/München/Wien/Zürich 2008, 241–278, 245.

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Verena Moritz

Worten: Es geht um Zahlen. Zahlen von Todesopfern, Zahlen von Übergriffen. Oft müssen Schätzungen reichen, wird auf- oder abgerundet. Zahlen dienen – mitunter nur beiläufig erwähnt und mit wenigen Belegen abgesichert – der Verdeutlichung des Ausmaßes der beschriebenen Gewalt. Zahlen befördern aber ebenso sehr die Relativierung von Gräueln oder suggerieren ein mehr oder weniger moderates Maß an negativen Konsequenzen kriegerischer Konflikte. Was genau hinter ihnen steckt, erschließt sich oft nur ansatzweise. Die errechneten Prozentsätze etwa der im Ersten Weltkrieg in Kriegsgefangenschaft verstorbenen Soldaten ergeben anscheinend ein für viele Länder positives Bild von den Bedingungen, denen Gefangene ausgesetzt waren. So blieb, vorhandenen Aufstellungen zufolge, die Sterblichkeit von Kriegsgefangenen in Frankreich, Deutschland, Großbritannien, aber auch im Habsburgerreich unter zehn Prozent. In anderen Staaten war der Anteil an Toten allerdings bedeutend höher. In der Kriegsgefangenenforschung herangezogen werden beispielsweise Mortalitätsraten zwischen 17 und 25 Prozent für Feindsoldaten, die sich in russischem, serbischem oder rumänischem Gewahrsam befanden. Offensichtlich aber, so resümiert die Historikerin Heather Jones, habe der überwiegende Großteil der Kriegsgefangenen die in Feindeshand verbrachte Zeit überlebt. Diesen Umstand verknüpft sie nicht zuletzt mit der erfolgreichen Implementierung nationaler und internationaler Regelwerke zum Schutz der Gefangenen.2 Gerade der Kriegsgefangenschaft im Ersten Weltkrieg kommt in diesem Zusammenhang und mit Blick auf die Haager Landkriegsordnung (HLKO), in der die wesentlichen Rahmenbedingungen für die Behandlung von Feindsoldaten festgeschrieben wurden, gewiss eine besondere Bedeutung zu. Für die Weiterentwicklung des Kriegsgefangenenrechtes im 20. Jahrhundert waren die Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg maßgebend.3 Die „Verrechtlichung“ der Kriegsgefangenenbehandlung wiederum überführte diese nicht zuletzt in das Feld staatlicher Selbstdarstellung. Hier ging es auch darum, moralische Kategorien in Abgrenzung zu den gegnerischen Ländern aufzuzeigen. Immerhin konnte die Gefangenenproblematik dazu genutzt werden, sich „gegenüber der eigenen Bevölkerung und neutralen Beobachtern als humane und zivile Nation“ darzustellen.4 Hohe Sterblichkeitsraten unter den Feindsoldaten ließen sich mit einem solcherart angestrebten Image 2

3 4

Heather Jones, International Law and Western Front Prisoners of War in the First World War, in: Anne-Marie Pathé/Fabien Théofilakis (Hg.), Wartime Captivity in the Twentieth Century. Archives, Stories, Memoires, New York/Oxford 2016, 30–44, 32. Siehe dazu auch die Ausführungen im letzten Teil des Buches. Heather Jones, Kriegsgefangenenlager. Der moderne Staat und die Radikalisierung der Gefangenschaft im Ersten Weltkrieg, in: Mittelweg 36–20/4 (2011), 59–75, 68.

Rahmenbedingungen und Überlegungen zu neueren Forschungen

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nicht vereinbaren. Der Tod in Gefangenschaft wurde vielmehr zum Synonym für die Brutalität des Feindes im Umgang mit den ihm ausgelieferten Kämpfern. Dichotome Betrachtungsweisen waren die logische Konsequenz. Später getroffene Einschätzungen von Kriegsteilnehmern, wonach „im Kriege […] alle Völker Barbaren“ seien und wechselseitige Beschuldigungen über Verbrechen, die realiter beide Parteien begangen hätten, lediglich „Heucheleien“5, entlarvten eine mehr oder weniger hemmungslose Kriegspropaganda. Ein vor allem mit Blick auf die Zeitgeschichte von manchen kritisierter „Geschichtsmoralismus“ muss zum einen nicht zwangsläufig als beklagenswertes Ärgernis betrachtet werden und zum anderen auch nicht automatisch im Dienste eines angeblich politisch gesteuerten, emotionalisierten Erinnerns und Gedenkens stehen.6 Fragen zu „Moral und Geschichte“ stellen darüber hinaus einen sich durchaus in den Vordergrund drängenden Untersuchungsgegenstand dar. Das lässt sich u. a. anhand des Ersten Weltkrieges mit seinen „Schulddebatten“ unschwer vorführen. Die Kriegsgefangenenthematik positioniert sich hier gewissermaßen als eines von vielen Kapiteln dieser Auseinandersetzung um die Verantwortung für die Folgen des Konfliktes. Die Problematik der tatsächlichen oder aber nur vorgeblichen Einhaltung völkerrechtlicher Normen in Bezug auf die Kriegsgefangenen wurde bereits während des Krieges auf die Ebene prinzipieller Diskussionen über den „Zivilisationsgrad“ oder den „Kulturstatus“ der kriegführenden Parteien geho­ben – ein Faktor, dem dann auch über das Ende des Weltkrieges hinaus Bedeutung zukam und der die Frage nach „Schuld“ und „Sühne“ auf unterschiedliche Weise berührte.7 5 6

7

Zit. nach Julius Deutsch, Kriegserlebnisse eines Friedliebenden. Aufzeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg, hg. von Michaela Maier und Georg Spitaler, Wien 2016, 89. Vgl. dazu u. a. Rudolf Burger, Wozu Geschichte? Eine Warnung zur rechten Zeit, Wien/ Graz/Klagenfurt 2018; Michael Hochedlinger, Geschichtsvernutzung im Zeitalter von Kulturkapitalismus und Moralismus. Eine Beschwerde, in: Thomas Winkelbauer (Hg.), Haus? Geschichte? Österreich? Ergebnisse einer Enquete über das neue historische Museum in Wien, Wien 2016, 145–174. Dazu auch Habbo Knoch/Benjamin Möckel, Moral History. Überlegungen zu einer Geschichte des Moralischen im „langen“ 20. Jahrhundert, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 14/1 (2017), https://zeithistorische-forschungen.de/1-2017/5454, DOI: https:// doi.org/10.14765/zzf.dok.4.764 (abgerufen am 1.2.2021). Die Bedeutung der Frage eines Akzeptierens völkerrechtlicher Konventionen zur Humanisierung des Krieges, um als „zivilisiert“ zu gelten, war bereits vor dem Krieg evident. Vgl. Daniel Marc Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? Die Ahndung von Kriegsverbrechen in der internationalen wissenschaftlichen Debatte 1872–1945, Paderborn 2010, 111–142. Vgl. außerdem Ulrich Lappenküper/Reiner Marcowitz (Hg.), Macht und Recht. Völkerrecht in den internationalen Beziehungen, Paderborn/München/Wien/Zürich 2010.

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Verena Moritz

Vor dem Hintergrund einer vor 1914 in Konventionen festgeschriebenen „Humanisierung“ militärischer Konflikte stellte sich die Situation von Zivilinternierten, aber auch von Flüchtlingen während des Krieges in der Regel anders dar als jene der Kriegsgefangenen. Dieser Befund trifft ohne Zweifel auch auf das Habsburgerreich zu. Fehlende oder erst im Laufe des Krieges festgelegte Bestimmungen zur Fürsorge für die Betroffenen beziehungsweise Kontrolle ihrer Lebensumstände trugen wesentlich dazu bei, die Lage internierter oder konfinierter Zivilisten besonders prekär zu gestalten. Das galt insbesondere für Personen, die aus dem Habsburgerreich stammten und dort interniert wurden, oder für Zivilisten aus den Okkupationsgebieten, die für politisch unzuverlässig oder anderweitig „unerwünscht“ gehalten wurden. Trotz der Schwierigkeit, verlässliche Gesamtzahlen dieser Personengruppen zu präsentieren, liegen etwa verschiedene Forschungen zur Situation der Betroffenen in einzelnen Lagern der Habsburgermonarchie vor, die Rückschlüsse auf die dort herrschenden Bedingungen zulassen. Herauszugreifen sind hier etwa die Lager Thalerhof, wo vornehmlich Ruthenen konzentriert waren, sowie Nezsider (Neusiedl am See) oder Arad, wo sich vor allem Serben befanden. Bereits zeitgenössische Berichte verweisen auf zahlreiche Missstände und die enorme Sterblichkeit unter den dorthin verbrachten Personen.8 Darüber hinaus deuten interne Statistiken der k. u. k. Militärverwaltung darauf hin, dass die Sterblichkeitsrate unter den Internierten im Habsburgerreich im ersten Kriegsjahr um ein Vielfaches höher lag als bei den Kriegsgefangenen.9 8

9

Anfragebeantwortung wegen angeblich schlechter Behandlung der serbischen Gefangenen im Flüchtlingslager Nezsider und Vasmegye/Ungarn. Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA) Haus-, Hof- und Staatsarchiv (HHStA) Ministerium des Äußern (MdÄ) Administrative Registratur (AR) Fach (F) 36 Dep. 11, 28/2a, 3 Serbien, Kt. 573; Internierte b. h. Landesangehörige in Arad. ÖStA Kriegsarchiv (KA) Kriegsministerium (KM) 10. Abt. 1915: 10–41/4, Kt. 984; dazu auch: Verena Moritz, Gefangenschaft, in: Hannes Leidinger/ Verena Moritz/Karin Moser/Wolfram Dornik, Habsburgs schmutziger Krieg. Ermittlungen zur österreichisch-ungarischen Kriegsführung 1914–1918, St. Pölten/Salzburg/Wien 2014, 93–144; Eva Maria Mannsberger/Karl Schäfer, Das Neusiedler Internierungslager 1914–1918, in: Neusiedler Jahrbuch, hg. vom Verein zur Erforschung der Stadtgeschichte von Neusiedl am See, Bd. 11 (2008/9), 5–42. Dazu auch: Georg Hoffmann/Nicole-Melanie Goll/Philipp Lesiak, Thalerhof 1914–1936. Die Geschichte eines vergessenen Lagers und seiner Opfer, Herne 2010; Stevan Bugarski/Bozidar Panić (Hg.), Dokumenti o umiranu Srba zatoćenika u Aradskom logoru 1914–1916 godine, Novi Sad 2016. Über bauliche Adaptierungen nach dem Auftreten zahlreicher ansteckender Krankheiten – ohne genaue Angabe von Todesopfern – siehe: Memorandum zu bautechnischen und sanitären Massnahmen anlässlich der Flecktyphusepidemie in der aufgelassenen Festung Arad, März 1916. ÖStA KA Manuskripte (MS) Technik im Weltkrieg (TiWK), Nr. 147, K. u. k. Militärbauleitung des Milkmdos Temesvar, zu Nr. 3925/1916. Vgl. Nachweisung über verstorbene Kriegsgefangene, August 1916. ÖStA KA KM 14. Abt. 1916: 59–61, Kt. 1803.

Rahmenbedingungen und Überlegungen zu neueren Forschungen

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Einen direkten Kausalzusammenhang zwischen Mortalität und fehlenden völkerrechtlichen Abkommen in Bezug auf die Zivilinternierten zu konstatieren, erscheint auf den ersten Blick gewagt. Eine eingehende Untersuchung diesbezüglicher Rahmenbedingungen oder bilateraler Verständigungen zwischen den kriegführenden Mächten fehlt. Dennoch legen vorhandene Zahlen konkrete Auswirkungen nahe: Die Sterblichkeit unter den Internierten im Habsburgerreich erreichte während des gesamten Krieges Werte, die in absoluten Zahlen zwar deutlich hinter jenen der Opfer unter den Feindsoldaten zurückblieben, sie prozentual aber bei Weitem übertrafen. Das galt insbesondere für den Beginn des Krieges, als über 40 Prozent der Internierten starben.10 Eine diesbezügliche Unterteilung nach der Herkunft der Verstorbenen, die etwa Rückschlüsse darauf zuließe, welchen Anteil eigene sowie fremde Staatsbürger beziehungsweise bestimme Ethnien an der Gesamt­opferzahl hatten, ist nicht vorhanden. Trends lassen sich aber erkennen: Unter den „enemy aliens“ rangierten Serben und Italiener – an Gesamtzahlen gemessen – an vorderster Stelle.11 Die Mortalität unter den Internierten blieb überdies abseits der evidenten Spitzen gerade zu Kriegsbeginn auch in der Folgezeit auf einem außerordentlich hohen Niveau. 1917 bilanzierte man für das Lager Heinrichsgrün (Jindřichovice) 1290 verstorbene serbische Internierte, für Nagy­megyer (Veľký Meder) 511. Damit erreichte die Mortalität in beiden Lagern zwischen 22 und mehr als 23 Prozent.12 Hinter der mit 6,5 Prozent veranschlagten Sterblichkeit von Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn verbergen sich angeblich 121.000 Tote.13 Diese Opferzahl ist im Vergleich mit anderen Staaten keineswegs auffällig hoch – im Gegenteil. Trotzdem ist von einer an den vorhandenen diesbezüglichen Zahlen gekoppelten Bewertung der Kriegsgefangenschaft im Habsburgerreich abzuraten. Ohne Weiteres von einer „besseren“, weil angeblich von humanen Grundsätzen geleiteten Gefangenschaft im Habsburgerreich auszugehen, erscheint ebenso unpassend. Ehemalige k. u. k. Offiziere vermittelten nach 1918 diesen Eindruck – vor allem im Kontrast zu den Bedingungen der Gefangenschaft in Russland. Vorbehalte sind schon allein deshalb angebracht, 10 Ebd. 11 Vgl. Matthew Stibbe, Enemy Aliens, Deportees, Refugees. Internment Practices in the Habsburg Empire, 1914–1918, in: Journal of Modern European History 12/4 (2014), 479–499. 12 Bericht der Perlustrierungskommission des Militärgouvernements Serbien. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-10/35-18, Kt. 1437. 13 Kriegsgefangene und Zivilinternierte in den wichtigsten kriegführenden Staaten, Tabelle ohne Seitenzahl, in: Hans Weiland/Leopold Kern (Hg.), In Feindeshand. Die Gefangenschaft im Weltkriege in Einzeldarstellungen, 2 Bde., Wien 1931.

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weil bei genauerer Betrachtung der Datenlage davon auszugehen ist, dass die nach dem Krieg bekannt gewordenen Opferzahlen zu niedrig gegriffen sind. Dass etwa für Russland im Vergleich zu den kolportierten 121.000 Toten in österreichisch-ungarischer Gefangenschaft mehr als dreimal so viele verstorbene k. u. k. Soldaten aufscheinen, ergibt sich wiederum einerseits aus der größeren Anzahl der von der Zarenarmee eingebrachten österreichisch-ungarischen Soldaten und vermag andererseits die besonderen Bedingungen der russischen Gefangenschaft zu bestätigen, die u. a. auch von den Wirrnissen des „Bürgerkrieges“ beeinflusst wurde.14 Gegenüberstellungen von Opferzahlen münden aber bei allem Abwägen von spezifischen Voraussetzungen geradezu zwangsläufig in ein mitunter problematisches Vergleichen.15 Zahlen allein sind darüber hinaus nicht ausreichend, um das Wesen der Kriegsgefangenschaft zu erfassen und die betreffenden Gestaltungsmöglichkeiten der Gewahrsamsmächte einzuschätzen. Zu berücksichtigen ist dabei zweifelsohne auch, in welchem physischen Zustand Soldaten in Gefangenschaft gerieten. Hier zeigten sich gerade in Bezug auf die Lage in österreichisch-ungarischer Gefangenschaft teilweise eklatante Unterschiede zwischen jenen Feindsoldaten, die in einem früheren Stadium des Krieges oder aber gegen Ende gefangengenommen wurden, als sowohl die Ressourcen des Herkunfts- als auch des Nehmestaates bereits einigermaßen angegriffen waren.16 Für Serbien, das nach den Balkankriegen hinsichtlich seiner materiellen Reserven bereits geschwächt in den Krieg ging, galt dieser Befund bereits bei oder zumindest kurz nach Kriegsbeginn. Die hohe Sterblichkeit unter den kriegsgefangenen k. u. k. Soldaten, die 1915 von der serbischen Armee beim „Großen Rückzug“ mitgeführt wurden, brachte man sogar auf österreichisch-ungarischer Seite zunächst gar nicht unbedingt oder ausschließlich mit einer besonderen Form der Gewaltanwendung oder Feindseligkeit gegenüber den k. u. k. Soldaten in Zusammenhang. Die überaus schwierigen Umstände des „Großen Rückzuges“ und die materielle Erschöpfung des Gegners fanden selbst auf gegnerischer Seite entsprechende Beachtung. Das Zurück-

14 Vgl. Reinhard Nachtigal, Zur Anzahl der Kriegsgefangenen im Ersten Weltkrieg, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 67 (2008), 345–384, 348. 15 Vgl. dazu etwa beispielsweise die Auseinandersetzungen um die Opferzahlen, die im „Schwarzbuch des Kommunismus“ genannt wurden. Siehe: Horst Möller (Hg.), Der rote Holocaust und die Deutschen. Die Debatte um das „Schwarzbuch des Kommunismus“, München/Berlin 1999. 16 Vgl. dazu die Überlegungen zu Deutschland bei Mark Spoerer, The mortality of allied prisoners of war and Belgian civilian deportees in German custody during World War I. A reappraisal of the effects of forced labour, in: Population Studies. A Journal of Demography 60 (2006), 121–136.

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weichen der Serben forderte bekanntlich allein unter den serbischen Soldaten sowie der Zivilbevölkerung Zehntausende Opfer. Schätzungen zufolge betrug die Zahl der Toten etwa 140.000.17 Die in serbischer Hand befindlichen k. u. k. Soldaten mit sich „in den Strudel der Tragödie“ zu reißen, korrespondierte allerdings – so die diesbezügliche Schlussfolgerung von Luca Gorgolini, der ein Buch zum weiteren Schicksal der Kriegsgefangenen unter italienischer Kontrolle vorgelegt hat – mit dem Ansinnen, dadurch eine womöglich neuerliche Bewaffnung der Feindsoldaten im Falle ihrer Befreiung durch den vorrückenden Feind zu verhindern.18 Vor diesem Hintergrund ist wohl auch die Ablehnung Serbiens zu sehen, einem österreichisch-ungarischen Vorschlag hinsichtlich der Überführung der Gefangenen nach Griechenland – das Land war damals noch nicht am Krieg beteiligt – zu folgen. Laut Heinrich von Raabl-Werner, ab 1917 stellvertretender Leiter der 10. Kriegsgefangenen-Abteilung im k. u. k. Kriegsministerium, die das österreichisch-ungarische Gefangenenwesen gestaltete und verwaltete, hätte sich im Falle einer Zustimmung Serbiens das Habsburgerreich verpflichtet, die eigenen Soldaten dort „auf Kriegsdauer“ zu internieren und zu verpflegen.19 „Die Entscheidung der Serben, die Kriegsgefangenen“ trotz der überaus ungünstigen Begleitumstände mit sich zu führen, ergab sich „auch aus der klaren Absicht, den Ententemächten zu demonstrieren, dass die Regierung, selbst wenn sie zur Flucht gezwungen war, in der Lage“ sein würde, „in jeder Hinsicht aktiv zu handeln, also auch die feindlichen Soldaten zu bewachen, die zuvor gefangengenommen worden waren“.20 Für Tausende Gefangene aber wurde der Weg nach Albanien zum „Todesmarsch“. Gorgolini geht davon aus, dass sich die Anzahl von ursprünglich bis zu 70.000 k. u. k. Kriegsgefangenen in der Zeit bis zum Frühjahr 1915 nahezu halbierte.21 Demgegenüber veranschlagte man in Wien eine ungleich höhere Opferzahl.22 Zahlen oder Prozentsätze führen verschiedene Szenarien vor Augen, die gleichermaßen aufschlussreich wie verzerrend wirken. Nicht nur ungesicherte Mortalitätsraten erweisen sich als problematisch. Auch andere Berechnungen

17 Vgl. Luca Gorgolini, Kriegsgefangenschaft auf Asinara. Österreichisch-ungarische Soldaten des Ersten Weltkriegs in italienischem Gewahrsam, Innsbruck 2012, 63. 18 Ebd., 67. 19 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil I: Kriegsgefangenenfürsorge Österreich-Ungarns. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 6. 20 Gorgolini, Asinara, 67. 21 Ebd., 66. 22 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil I: Kriegsgefangenenfürsorge Österreich-Ungarns. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 41. Vgl. auch Moritz, Gefangenschaft, 129.

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oder Gegenüberstellungen ziehen unterschiedlich interpretierbare Schlussfolgerungen nach sich: Wenn man von insgesamt 8.400.000 in Kriegsgefangenschaft geratenen Soldaten des Ersten Weltkrieges ausgeht23 – ein Wert, der wahrscheinlich zu niedrig gegriffen ist –, sind ebenfalls auf Grundlage von durchaus diskussionswürdigen Angaben 900.000 Männer und damit fast elf Prozent gestorben. Damit war das Risiko, in Kriegsgefangenschaft zugrunde zu gehen, etwa annähernd so groß wie dasjenige, auf dem Schlachtfeld zu sterben. Von der Gesamtzahl aller Mobilisierten sollen nämlich 13 Prozent gefallen sein.24 Solche Bilanzen widersprechen der vor allem zu Beginn des Krieges weitverbreiteten Meinung über das Wesen der Kriegsgefangenschaft: Sie wurde nicht zuletzt mit einer Art Sicherheitsverwahrung assoziiert, wo man keiner unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben mehr ausgesetzt war. Noch dazu lag – wieder aufgrund durchaus zweifelhafter Angaben – die Chance, eher in Gefangenschaft zu sterben als im Zuge von Kämpfen zugrunde zu gehen, noch höher, wenn man sich als Feindsoldat im Gewahrsam der Entente befand, und zwar bei durchschnittlich 16 Prozent. Dass dieser „Durchschnitt“ vor allem zu Lasten der hohen Mortalität in Russland geht, erschließt sich erst, wenn solche Angaben entsprechend aufgeschlüsselt werden. Indessen ergibt eine analoge Rechnung für die Mittelmächte eine Sterblichkeit von unter sechs Prozent.25 Legt man allerdings die Anzahl der in Gefangenschaft verstorbenen Soldaten auf diejenige der insgesamt mobilisierten Männer um, dann starb von rund 74 Millionen nur ein Prozent der Betreffenden in Gefangenschaft.26 Zahlen spielten bereits während des Krieges eine große Rolle – im negativen Sinne, wenn man etwa an die gegenüber der Bevölkerung freilich nur fragmentarisch weitergegebene Anzahl von Gefallenen und Verwundeten denkt, oder im intendierten positiven, wenn Angaben über in Gewahrsam 23 Tabelle in: Weiland/Kern, In Feindeshand und vgl. Franz Scheidl, Die Kriegsgefangenschaft. Von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Berlin 1943, 96 f. Jochen Oltmer spricht von mindestens sieben, aber „wahrscheinlich eher 8 bis 9 Millionen“. Jochen Oltmer, Einführung. Funktionen und Erfahrungen von Kriegsgefangenschaft im Europa des Ersten Weltkriegs, in: Jochen Oltmer (Hg), Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006, 11–23, 11. Mittlerweile sind im Übrigen fünf Millionen „index cards“ mit Namen von Kriegsgefangenen, die während des Krieges dem IKRK zugingen, online gestellt: https://grandeguerre.icrc. org/ (abgerufen am 12.3.2021). 24 Scheidl, Die Kriegsgefangenschaft, 97. Andere Ergebnisse in der Tabelle von Weiland/ Kern, In Feindeshand. Hier stehen 8,7 Prozent von in Gefangenschaft gestorbenen Männern 13 Prozent von an den Fronten getöteten Soldaten gegenüber. 25 Scheidl, Die Kriegsgefangenschaft, 97. In Weiland/Kern, In Feindeshand ist das Verhältnis fünf Prozent gegenüber zwölf Prozent bei den Ententestaaten. 26 Kriegsgefangene und Zivilinternierte in den wichtigsten kriegführenden Staaten, Tabelle in: Weiland/Kern, In Feindeshand, ohne Seitenzahl.

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genommene Feindsoldaten oder das erbeutete Kriegsgut gemacht wurden. Die Öffentlichkeit im Habsburgerreich erfuhr aus den Zeitungen immer wieder über neue Kontingente eingebrachter Kriegsgefangener. Ihre Anzahl sollte nicht zuletzt die Erfolge der eigenen Streitkräfte dokumentieren. In der Gewalt der k. u. k. Armee befanden sich bereits im September 1914 beispielsweise mehr als 400 russische Offiziere und ca. 44.500 Mannschaftsangehörige der Zarenarmee. Hinzu kamen etwa 5500 serbische Kriegsgefangene und mehr als 200 Montenegriner.27 Zurückhaltung bot sich in Zusammenhang mit dem Thema Tod in der Kriegsgefangenschaft an: Kein Nehmestaat konnte daran interessiert sein, im Detail über die Sterblichkeit der in seinem Gewahrsam befindlichen Feindsoldaten zu berichten. Bereits die in der Haager Landkriegsordnung festgelegte Verpflichtung zur Bekanntgabe entsprechender Namenslisten der Verstorbenen an den Herkunftsstaat erwies sich mitunter als lästige Notwendigkeit – erst recht, wenn man die Registrierung der Kriegsgefangenen nicht unter Kontrolle hatte oder sich Todesfälle unter den Feindsoldaten in bedenklichem Ausmaß häuften. Beides war im Habsburgerreich der Fall. Die Kontrolle über die Anzahl der in Gefangenschaft geratenen Soldaten blieb ein permanentes Desiderat. Das zentrale Problem hinsichtlich der mangelhaften sogenannten „Evidentführung“ der Kriegsgefangenen ergab sich aus den parallelen Verwaltungen des k. u. k. Kriegsministeriums und der betreffenden Stellen bei der Armee im Felde (A. i. F.). Über eine mangelhafte Weitergabe an Daten aus dem Bereich der Armee im Felde klagte vor allem das Gemeinsame Zentralnachweisebureau (GZNB) in Wien, das gemäß den Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung Auskünfte über Kriegsgefangene an deren jeweilige Herkunftsstaaten weiterleiten sollte. Im Frühjahr 1916 schätzte es die Anzahl der nicht „in Evidenz“ befindlichen Kriegsgefangenen auf 160.000.28 Darüber hinaus langten fragmentarische oder einfach fehlerhafte Listen in der Auskunftsbehörde ein. Interessanterweise bekam das GZNB immer wieder kyrillisch geschriebene Namen beispielsweise italienischer Gefangener ausgefolgt. Viele Angaben erwiesen sich unter diesen Bedingungen als völlig unbrauchbar.29 Als Problem präsentierte sich überdies der Umstand, dass vor allem zu Beginn des Krieges viele der an Seuchen zugrunde gegangenen Gefangenen gar nicht erfasst werden konnten, weil sie

27 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 6. 28 Verzeichnisse über Evidenzdaten der Kgf. im Armeebereiche. ÖStA KA KM 10. KgA 1916: 10-8/8-8, Kt. 1286. 29 Mangelhafte Verfassung von Listen. ÖStA KA KM 10. KgA 1916: 10-10/8-14, Kt. 1286.

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bereits vor der Registrierung verstorben waren und daher als „Unbekannt“ begraben werden mussten. „Todesfallaufnahmen“ enthielten daher oft nicht mehr Informationen als die Feststellung, dass jemand gestorben war.30 Solche und andere Defizite hinsichtlich der Registrierung von Feindsoldaten bestanden in unterschiedlichem Ausmaß während des gesamten Krieges. Absichtlich unterlassene Registrierungen von bei der A. i. F. verwendeten Gefangenen verschärften das Problem.31 Die Schaffung eines „General-Inspektorates“, das auf Drängen des 1917 eingesetzten k. u. k. Chefs des Ersatzwesens alle Gefangenenagenden betreuen und damit auch für die Erfassung der Feindsoldaten sowohl im Hinterland als auch bei der Armee im Felde verantwortlich sein sollte, blieb Theorie. Bis zuletzt war nur ein Teil der von der A. i. F. zurückbehaltenen Gefangenenkontingente in den Hinterlandslagern oder aber den sogenannten „Kriegsgefangenenstationen“, die im Bereich der Armee im Felde zumindest administrativ als Stammlager dienen sollten, tatsächlich registriert. Nachvollziehbare Angaben aus den Kriegsgefangenenstationen, die als Sammel- bzw. Zerstreuungsstellen im Armeebereich dienten, erreichten das k. u. k. Kriegsministerium in keineswegs zufriedenstellendem Ausmaß.32 Das Armeeoberkommando (AOK) zeigte sich darüber hinaus auch bei der Bekanntgabe anderweitiger Informationen gegenüber dem Kriegsministerium durchaus unwillig. Dessen Ersuchen, „ihm vollen Einblick in die Stände an der Front zu gewähren“, beantwortete Generalstabs­ chef Franz Conrad von Hötzendorf mit einem schlichten „Nein!“.33 Seine angebliche „Geheimhaltungssucht“ wird dafür ebenso verantwortlich gemacht wie das Bestreben, die mehr oder weniger uneingeschränkten Kompetenzen des Armeeoberkommandos für die A. i. F. keinesfalls durch Eingriffe des Kriegsministeriums zu gefährden. Dabei ging es überdies darum, das Maximum an Unterstützung durch die drei Militärministerien des Habsburgerreiches – k. u. k. Kriegsministerium und die Landesverteidigungsministerien der beiden Reichshälften – sicherzustellen. Kontrollierende Einblicke in die tatsächlichen Verhältnisse bei der Armee im Felde drohten womöglich Einschränkungen in dieser Hinsicht nach sich zu ziehen.34 Es bot sich demnach an, bei Zahlenangaben vor allem die eigenen Bedürfnisse und Wünsche im Auge zu behalten. Das galt auch für die Kriegsgefangenen. Eine Bekanntgabe 30 Verena Moritz/Hannes Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung. Die russischen Kriegsgefangenen in Österreich (1914–1921), Bonn 2005, 68 f. 31 Ebd., 194 f. 32 Ebd., 171. 33 Zit. nach Rudolf Hecht, Fragen zur Heeresergänzung der gesamten bewaffneten Macht Österreich-Ungarns während des Ersten Weltkriegs, Diss. Wien 1969, 385 f. 34 Ebd., 386.

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genauer Daten zu den bei der A. i. F. befindlichen Feindsoldaten hätte eventuell Begehrlichkeiten anderer Instanzen geweckt. Immerhin wurde mit fortschreitender Kriegsdauer der Einsatz von gefangenen Arbeitern nicht nur im militärischen Kontext, sondern auch im Zivilsektor immer beliebter. Nach Kriegsende konnten die liquidierenden Behörden des Habsburgerreiches jedenfalls keine gesicherten Angaben zur Gesamtzahl sowie zur Sterblichkeit unter den Kriegsgefangenen machen. Innerhalb der Heeresverwaltung kursierten höchst unterschiedliche Daten.35 Das Zahlenchaos griff vor diesem Hintergrund auch auf die Agenden des vom Internationalen Roten Kreuz organisierten Suchdienstes über. Letzterer hielt überdies für Österreich-Ungarn verschiedene Sonderregelungen bei der Weitergabe von Personendaten bereit, die für zusätzliche Komplikationen sorgten.36 Verlässliche Gefangenenzahlen konnten viele Staaten nur bedingt liefern, manche gar nicht. Das Kriegsministerium in Wien etwa erhielt aus Russland angeblich grundsätzlich Doppelmeldungen über die Gefangennahme von k. u. k. Soldaten: einmal aufgrund von Transportlisten, die die Verbringung der Feindsoldaten in das Hinterland dokumentierten, und ein zweites Mal nach Ankunft der Betreffenden an ihrem ersten Unterbringungsort. Die Namen einzelner Gefangener wurden bis zu achtmal gemeldet, Tausende offenbar kein einziges Mal und die überwiegende Mehrheit mindestens zweimal. Als Folge davon schwankte die Zahl der in russische Gefangenschaft geratenen k. u. k. Soldaten zwischen 1,76 und 4,5 Millionen! Daraus und in Anbetracht der revolutionären Umwälzungen im Zarenreich ergaben sich in weiterer Folge außerdem ungenaue Zahlen zu den in russischer Gefangenschaft verstorbenen k. u. k. Soldaten. Diese lagen offenbar weit bis sehr weit über der Anzahl der tatsächlichen Toten.37 Bis zuletzt waren die österreichisch-ungarischen Stellen jedenfalls darauf angewiesen, Schätzungen vorzunehmen, die schließlich zwei bis 2,25 Millio­ nen Kriegsgefangenen in Russland ergaben.38 Insgesamt gerieten mehr als 24 Prozent aller mobilisierten k. u. k. Soldaten in Kriegsgefangenschaft – ein

35 Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 328–330. 36 Vgl. dazu Daniel Palmieri, Minutes From Meetings of the International Prisoner-­OfWar Agency, ICRC 2014, https://shop.icrc.org/minutes-from-meetings-of-the-interna tional-prisoner-of-war-agency-21-august-1914-to-11-november-1918-pdf-en (abgerufen am 2.7.2021). 37 Nachtigal, Zur Anzahl, 368. 38 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil I: Kriegsgefangenenfürsorge Österreich-Ungarns. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 6. Vgl. dazu auch Verena Moritz, Gefangenschaft und Revolution. Deutschösterreichische Kriegsgefangene und Internationalisten in Rußland 1914 bis 1920, Diplomarbeit Wien 1995, 22–27.

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außerordentlich hoher Anteil. Auf Platz zwei rangierte Russland mit etwa 16 Prozent.39 Für Rumänien wurden indessen vom Kriegsministerium in Wien zwischen 7200 und 10.000 k. u. k. Soldaten in Gefangenschaft angenommen, wobei die rumänische Seite die erstgenannte Zahl offiziell weitergegeben hatte. Die dazu addierten 2800 Mann entsprachen den Schätzungen in Wien, wo man von einer Vielzahl fehlender Meldungen ausging.40 Nicht sehr viel weniger, nämlich rund 9000 Gefangene, befanden sich als Kriegsgefangene in französischem Gewahrsam.41 Unklarheit herrschte indessen auch über die Zahl der Kriegsgefangenen, die die serbische Armee eingebracht hatte. Gemeldet worden waren etwa 75.000. Im k. u. k. Kriegsministerium errechnete man unter Berücksichtigung von wahrscheinlich völlig unterbliebenen Meldungen und der wahrgenommenen zahlreichen Todesfälle insgesamt zwischen 100.000 und 110.000 k. u. k. Soldaten.42 Von serbischer Seite wurde 1918 anlässlich der Verhandlungen über den Gefangenenaustausch sowie über die Freilassung serbischer Zivilinternierter gegenüber den österreichisch-ungarischen Vertretern darauf hingewiesen, dass im Zuge des „Rückzuges des serbischen Heeres im Herbst 1915 die Listen der Kgf. [Kriegsgefangenen] in Verlust geraten“ waren.43 Vernichtet worden waren demgegenüber auch im Habsburgerreich angesichts von Plünderungen und Bränden in den Gefangenenlagern bei Kriegsende u. a. Namenslisten der in Gefangenschaft geratenen und administrativ erfassten Feindsoldaten. Trotzdem lag die mangelnde Orientiertheit der liquidierenden k. u. k. Behörden in Sachen Gesamtzahlen und Sterblichkeit nach 1918 neben den geschilderten Defiziten auch an einer bereits während des Krieges praktizierten Verschleierung unangenehmer Fakten.44 Solche Praktiken dürften auch anderen kriegführenden Mächten nicht völlig fremd geblieben sein. Dass Hunderttausende in russische Kriegsgefangenschaft geraten waren, wollten die österreichisch-ungarischen Behörden indessen nicht an die große Glocke hängen. Selbiges galt für die bereits ab dem zweiten Kriegsjahr zu39 Niall Ferguson, Prisoner Taking and Prisoner Killing in the Age of Total War. Towards a Political Economy of Military Defeat, in: War in History 11/2 (2004), 134–178, 156. 40 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil I: Kriegsgefangenenfürsorge Österreich-Ungarns. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 6. 41 Ebd. 42 Ebd. 43 Offizielle Verhandlungen in Kgf.-Angelegenheiten mit der serbischen Regierung, ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-35/247-3, Kt. 2157. 44 Vgl. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 207 f.

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mindest vage abschätzbare hohe Sterblichkeit von k. u. k Soldaten als Kriegsgefangene im Zarenreich. Die tendenziell zurückhaltende Informationspolitik der mit Gefangenenagenden befassten 10. Kriegsgefangenenabteilung im k. u. k. Kriegsministerium fand indessen nicht überall Zustimmung. Als im Mai 1917 in Österreich der seit Frühjahr 1914 sistierte Reichsrat wiedereröffnet wurde, kritisierten einige Abgeordneten irreführende Restriktionen bei der Berichterstattung, die offenbar die enorm hohe Gesamtzahl der vor allem in Russland gefangengehaltenen k. u. k. Soldaten verschwiegen hatte. Dadurch sei das Los der Gefangenen in ein falsches Licht gerückt worden. Den Angehörigen habe man die Weitergabe aussagekräftiger Nachrichten über das Schicksal der Gefangenen vorenthalten. Notwendige Hilfsmaßnahmen seien als Folge davon verhindert oder verspätet eingeleitet worden. Das k. u. k. Kriegsministerium rechtfertigte sich in diesem Kontext nicht zuletzt mit dem Hinweis, dass man die Öffentlichkeit nicht habe beunruhigen wollen.45 Bereits im Mai 1916 stellte das Kriegsministerium gegenüber den Diplomaten am Wiener Ballhausplatz klar, dass „hinsichtlich der Veröffentlichung von Beschwerden über das unerträgliche Los der Kriegsgefangenen in Russland“ Vorsicht an den Tag gelegt worden sei. Die „zwecklose Verbreitung von derlei Nachrichten“, hieß es, würde lediglich eine „in ihrer Tragweite und ihren Folgen unabsehbare Gehässigkeit“ erzeugen.46 Tatsächlich war die Sorge vor einem Überhandnehmen solcher Regungen nicht unbegründet. Immerhin sollen nahezu 400.00047 k. u. k. Soldaten in russischer Kriegsgefangenschaft verstorben sein – eine Zahl, die anders als die ebenfalls kolportierten bis zu 600.000 Verstorbenen für realistisch gehalten wird.48 Die Sterblichkeitsrate unter Kriegsgefangenen in Russland lag laut „In Feindeshand“, einem 1931 in Österreich erschienenen zweibändigen Werk über die Gefangenschaft im Ersten Weltkrieg, bei nicht ganz 18 Prozent. Höher war sie in Rumänien mit 23 Prozent und am höchsten für Gefangene in serbischem Gewahrsam mit angegebenen 25 Prozent.49 Fraglich ist indessen, inwiefern beziehungsweise in welchem Ausmaß die behauptete informationspolitische Zurückhaltung im Habsburgerreich tat45 Vgl. Verena Moritz, „Schauermärchen“ und „Greueldichtungen“, „Barbarei“ und „Mas­ senmord“. Die Behandlung von Kriegsgefangenen als Gegenstand der österreichischen Pressepropaganda, 1914–1918, in: Zeitgeschichte 45/1 (2018), 35–56. 46 K. u. k. KM Abt. 10/Kgf., Nr. 9747 an das k. u. k. Ministerium des Äußern, 20.5.1916. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Krieg 1914–1918 Dep. 7 Kriegsgefangene-Rußland, Kt. 409. 47 Konkret waren es laut Übersichtstabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand 385.000 k. u. k. Soldaten und Offiziere, die ums Leben kamen. 48 Nachtigal, Zur Anzahl, 368. 49 Tabelle in: Weiland/Kern, In Feindeshand, ohne Seitenzahl.

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sächlich gepflogen wurde. Der Zeigefinger in der Entente-Presse war jedenfalls schnell in Richtung Mittelmächte ausgestreckt worden. Von Beginn an hatte man dort die „Barbarei“ der Feinde auch in Bezug auf die Gefangenenbehandlung angeprangert. Bereits wenige Wochen nach Kriegsausbruch, im damals noch neutralen Italien, konnte sich Victor Klemperer von der Wirkmacht und dem hohen Organisationsgrad der Entente-Propaganda überzeugen: In vielen Variationen sah man deutsche Feldgraue als Kirchen- und Klosterschänder, man sah deutsche und österreichische Soldaten, wie sie Gefangene ausplünderten, schlugen, gräßlich folterten, und daneben standen die Offiziere der Henkersknechte und rauchten gemütsruhig und lächelten beifällig.50

Die „propagandistische Ausdehnung des Kriegsbildes“ auf die Gefangenenbehandlung führte eine „systematisch organisierte, ebenso schrankenlose wie illegitime Kriegsführung abseits der Schlachtfelder“ vor Augen.51 „Diese Totalisierung von Kriegsbildern blieb in der Kriegsgefangenenfrage nicht allein auf die Erweiterung von Feindvorstellungen und deren propagandistische Instrumentalisierung beschränkt. Sie mündete in manchen Bereichen in einen Prozeß wechselseitiger Brutalisierung der Gefangenenbehandlung. So muß“, resümiert Uta Hinz in ihrer Studie zur Kriegsgefangenschaft in Deutschland, „die festgestellte Eskalation der Repressalienpraxis als direkte Folge dieser Entwicklung gelten.“52 Der spätere österreichische Bundeskanzler Ernst Streer von Streeruwitz53, der im k. u. k. Kriegsministerium mit Gefangenenagenden befasst gewesen war und die politische Gruppe der Kriegsgefangenenabteilung geleitet hatte, stellte nach dem Krieg die „fortgesetzte Aufhetzung des Volkes gegen den Feind“ in Russland, Frankreich oder Italien fest. Den „erfundene[n] Berichte[n]“ über die Lage der Gefangenen in Österreich-Ungarn stellte er eine als maßvoll charakterisierte Presseberichterstattung im Habsburgerreich entgegen. Er erklärte den Erfolg beziehungsweise die Notwendigkeit einer ungezügelten Propaganda in den genannten Ländern folgendermaßen:

50 Zit. nach Arne Karsten, Der Untergang der Welt von gestern. Wien und die k. u. k. Monarchie 1911–1919, München 2019, 132. 51 Uta Hinz, Gefangen im Großen Krieg. Kriegsgefangenschaft in Deutschland 1914–1921, Essen 2006, 353. 52 Ebd., 353 f. 53 Streeruwitz war von Mai bis September 1929 österreichischer Bundeskanzler.

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Denn Völker auf primitiver Kulturstufe wie die Russen, sind ebenso wie Nationen mit überreizter Phantasie, wie die Franzosen und Italiener für Greuelberichte empfänglich und für die Vergeltung an sich ohne Rücksicht auf den praktischen Zweck eingenommen. Das Gefühl überwuchert den Verstand und die öffentliche Meinung folgt Schlagworten, die gerne gehört werden, ganz umgekehrt wie bei uns, wo die kritische Veranlagung im guten Sinne und ein auch in Momenten höchster Anspannung nicht ausser Wirksamkeit kommender Takt und guter Geschmack derartige Massenpsychosen hindert oder abkürzt.54

Dokumente der 10. Kriegsgefangenenabteilung im k. u. k. Kriegsministerium belegen zwar keineswegs die hier zitierten Einschätzugen, aber immerhin einen weitgehenden Verzicht der k. u. k. Behörden auf Entgegnungen. 1916 wurde bekannt, dass auf Grundlage der Aussage eines russischen „Unterleutnants“ in den Zeitungen des Zarenreiches über ein Massensterben chole­ rakranker russischer Gefangener in der Kriegsgefangenenstation Tuchla im Sommer 1915 berichtet wurde. Streeruwitz kommentierte dies im diesbezüglichen Akt der Kriegsgefangenenabteilung so: „Das KM [Kriegsministerium] unterläßt es, in den meisten Fällen derartige Schaudernachrichten, welche für die Ententepresse typisch sind, zu widerlegen.“55 An der Eigendynamik der Kriegspropaganda, wie sie sich auch im Habsburgerreich einstellte, änderten solche Haltungen nichts. Mögen allzu grelle oder plakative Übertreibungen in der österreichischen Pressepropaganda auch unterrepräsentiert gewesen sein, ließen die allgemein üblichen Charakterisierungen der Feinde so oder so wenig Spielraum für einigermaßen objektive Einschätzungen. Das galt auch für die gegnerische Behandlung der Kriegsgefangenen. Im militärischen Kontext waren vorteilhafte Berichte über die Bedingungen in fremder Gefangenschaft ohnehin unerwünscht. Dass österreichisch-ungarische Generäle derartige Darstellungen als Einladung zur Desertion von k. u. k. Soldaten qualifizierten, war keine Besonderheit. Überall verwehrten sich militärische Instanzen mit Blick auf den zu befördernden Kampfgeist der Truppen gegen positive Schilderungen der Gefangenschaft

54 Ernst von Streeruwitz, Kriegsgefangene im Weltkriege, I. Band, o. O., o. J. (Typoskript), 147 f. 55 Hinsichtlich der Zustände in Tuchla wurde aber dennoch festgehalten, dass unter den dort im Sommer 1915 festgehaltenen über 11.000 Gefangenen nur wenige Todesfälle vorgekommen seien. Bereits „wenige Tage nach Ausbruch“ der Cholera sei die Zahl der Todesopfer „auf 2 herabgerückt“ worden. Betr. Artikel aus russischen Zeitungen. ÖStA KA KM 10. KgA 1916: 10-126/14, Kt. 1387.

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und eine womöglich regelkonforme Behandlung seitens des Gegners.56 Vor diesem Hintergrund wurde die Art der Berichterstattung über das Schicksal der eigenen kriegsgefangenen Soldaten a priori in enge Bahnen gelenkt. Die Anzahl jener österreichischen Presseartikel, die ungünstige Einsichten in die Lage der eigenen Soldaten in Feindhand lieferten, übertraf vereinzelte Meldungen, die einer eher neutralen Berichterstattung entsprachen oder tendenziell beruhigende Botschaften an besorgte Angehörige verbreiteten, schließlich bei Weitem. Man darf aber zumindest überrascht sein, dass es diese eher positiv urteilenden Artikel überhaupt gegeben hat. Zu Beginn des Krieges, als die Dauer des Konfliktes noch nicht abschätzbar war und wohl für überschaubar gehalten wurde, gab sich die österreichische Presse in der Darstellung der feindlichen Gefangenschaft tatsächlich relativ ­milde.57 Auch die von der k. u. k. Armee eingebrachten Kriegsgefangenen galten zunächst ­keineswegs als rundweg zu schmähende Gegner. Zumindest in der Charakte­risierung russischer Kriegsgefangener überwogen mitunter ­wohlmeinende Attribute. Russen wurden als „freundlich“, „gutmütig“, ja geradezu „­ kind­lich“ vorgestellt – eine Bewertung, die freilich gleichzeitig einen gewissen Grad an Abschätzigkeit zum Ausdruck brachte.58 Bald aber verlegte man sich auf andere Botschaften. Die in der Presse verwendeten Zuschreibungen hinsichtlich der schließlich in zunehmendem Maße angeprangerten Mängel der Gefangenenbehandlung in den feindlichen Staaten korrespondierten im Wesentlichen mit den auch abseits dieser Thematik verwendeten Stereotypen und Herabwürdigungen des Gegners. Bezüglich der Gefangenenbehandlung durch die Serben sprach man von „Kulturschmach“. Den Italienern warf man vor, ein hohes „Kulturniveau“ höchstens vorgetäuscht zu haben, und die Russen wurden als primitiv und notorisch bestechlich charakterisiert.59 Über die „Barbarei“ der Serben in Bezug auf die Behandlung der in Gefangenschaft geratenen k. u. k. S ­ oldaten 60 wurde die Öffentlichkeit bereits seit Ende 1914 informiert. Spätestens mit Frühjahr 1916 mehrten sich dann ausführlichere Berichte, in denen von entsetzlichen Gräueln und von einem organisierten „Massenmord“ an den 56 Vgl. Moritz, „Schauermärchen“ und „Greueldichtungen“, passim. 57 Für den vorerwähnten Artikel wurde eine eingehende Untersuchung der deutschsprachigen österreichischen Presse, die zu einem großen Teil von der Österreichischen Nationalbibliothek in ihrer Datenbank „Anno“ erfasst ist, unternommen. Für seine Beteiligung an dieser Auswertung gilt im Übrigen Bernhard Bachinger besonderer Dank. 58 Besonders erwähnenswert sind zwei Artikel von Roda Roda und Ludwig Biro, in: Neue Freie Presse, 7.11.1914, 3 f. und Pester Lloyd, 9.11.1914, 1 f. 59 Vgl. Moritz, „Schauermärchen“ und „Greueldichtungen“, 47. 60 Vgl. Grazer Mittags-Zeitung, 22.12.1914, 1.

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Kriegsgefangenen in Russland die Rede war.61 Das „Deutsche Nordmährerblatt“ traf angesichts der Zustände in russischer Gefangenschaft einerseits und der angeblich viel günstigeren Lage von Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn andererseits unmissverständliche Aussagen: Es sei klar, „auf welcher Seite der Kampf für Recht und Gerechtigkeit geführt wird“. Demgegenüber wolle man auf feindlicher Seite lediglich die „eigene Unkultur“ verbergen. Hinter dem Reden über „Humanität, Kultur und Zivilisation“ steckten demzufolge nur „hohle Schlagworte“.62 Tatsächlich drangen immer mehr Nachrichten über vielfach elende Bedingungen in russischer Gefangenschaft in die Donaumonarchie. Die Eindrücke von österreichisch-ungarischen Rot-Kreuz-Schwestern, die sie während ihrer sogenannten „Visitierung“ bzw. Inspektion von Gefangenenlagern im Zarenreich gesammelt hatten, hatten kaum Spielraum für positive Einschätzungen gelassen.63 Insgesamt ist demnach die selbstauferlegte Zurückhaltung in Sachen Propaganda, von der das k. u. k. Kriegsministerium sprach, differenziert zu betrachten. Eingehalten wurde sie nur bedingt und in der letzten Kriegsphase tendenziell weniger als in den Jahren zuvor. Dass sich vor allem viele Angehörige der in Gefangenschaft geratenen k. u. k. Soldaten eine detailliertere Berichterstattung über deren Los gewünscht hätten, verweist gleichzeitig auf die Begleiterscheinungen einer veränderten Informationspolitik, die das k. u. k. Kriegsministerium gerne vermieden hätte: Negative Meldungen über die Gefangenenbehandlung in Feindeshand riefen unzählige besorgte Ehefrauen, Väter und Mütter usw. auf den Plan. Vor allem Provinzblätter lösten mit ihren Artikeln über die Lage von k. u. k. Soldaten in Gefangenschaft Unruhe unter den Angehörigen aus. Grundlage für solche Meldungen waren immer wieder Briefe von Kriegsgefangenen an ihre Familie, die offenbar unbeschadet die Zensur hatten passieren können und dann veröffentlicht wurden. Auch Schilderungen von Heimkehrern trugen zur Verunsicherung jener bei, die um das Leben der in Gefangenschaft befindlichen Familienmitglieder bangten.64 Umgekehrt wurde in der Presse die Behandlung der eingebrachten Kriegsgefangenen durch die heimischen Behörden als vorbildhaft oder immerhin regelkonform präsentiert. Zu Beginn des Krieges mussten allerdings in An61 Vgl. u. a.: Allgemeiner Tiroler Anzeiger, 14.4.1916, 2; Illustrierte Kronen-Zeitung, 13.4.1916, 3; Arbeiter-Zeitung, 13.4.1916, 5. 62 Deutsches Nordmährerblatt, 27.5.1916, 4. 63 Vgl. Reinhard Nachtigal, Die dänisch-österreichisch-ungarischen Rotkreuzdelegierten in Rußland 1915–1918. Die Visitation der Kriegsgefangenen der Mittelmächte durch Fürsorgeschwestern des österreichischen und ungarischen Roten Kreuzes, in: Zeitgeschichte 25-11/12 (1998), 366–374. 64 Vgl. Moritz, „Schauermärchen“ und „Greueldichtungen“, 43–48.

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betracht allzu offensichtlicher Defizite bei der Unterbringung und medizinischen Versorgung seuchenkranker Gefangener gegenüber der eigenen Bevölkerung Versäumnisse zugegeben werden.65 Von ziviler Seite waren die Missstände „für die heutige Zeit“ immerhin als „schwer“ und geradezu „unglaublich“ eingestuft worden. Im Vordergrund stand dabei aber nicht die Sorge um das Wohl der Gefangenen, sondern die Angst vor den Epidemien, die sich unter den Feindsoldaten ausgebreitet hatten.66 Entsprechende Gegenmaßnahmen waren unumgänglich. Auch militärintern war man sich schließlich über die Gefahren, die sich aus der vielfach primitiven Infrastruktur in den Lagern oder Sammelplätzen ergaben, im Klaren. Im März 1915 wurden unter Einbeziehung verschiedener militärischer Stellen „bauhygienische Grundsätze“ beschlossen, auf deren Grundlage bestehende und in Planung befindliche Gefangenenlager adaptiert bzw. errichtet werden sollten, um die Ausbreitung von ansteckenden Krankheiten zu unterbinden. Bereits im Januar reagierte das Kriegsministerium mit einem Erlass, der auf eine Reduktion der ursprünglich projektierten „Belagszahlen“ in den Lagern abzielte und nun mehr Platz für weniger Kriegsgefangene vorsah.67 Die Propaganda versuchte das „Publikum“ in der Zwischenzeit mit Verweisen auf bereits eingeleitete oder noch bevorstehende Maßnahmen zur Eindämmung der in den Lagern grassierenden Seuchen zu beruhigen. Während beispielsweise die Gefahr, die von Pocken ausging, aufgrund einer bestehenden Impfpflicht eliminiert war, weitete sich der Flecktyphus zu einem enormen Problem aus. Dieser Krankheit gegenüber zeigte man sich seitens der k. u. k. Armee trotz der Erfahrungen, die von Militärärzten während der Balkankriege 1912/13 gesammelt worden waren, zunächst einigermaßen hilflos.68 Ungeachtet dessen ging es in der Presseberichterstattung darum, nach außen hin klarzumachen, dass es den „kriegsgefangenen Serben und Russen bei uns“ unbeschadet der aufgetretenen Mängel bei der Bekämpfung der aufgetretenen epidemischen Krankheiten „nicht schlecht“ ergehe. Das wurde etwa Ende Januar 1915 mit Berufung auf eine Visitationstour des spanischen Botschafters verkündet, dessen Land das Schutzmachtmandat für Serben und Russen in Österreich-Ungarn übernommen hatte.69 In den österreichischen 65 Vgl. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 84 f. 66 Zit. nach ebd., 85. 67 Rudolf Mauer, Kriegsgefangenenlager in der gewesenen öst.ung. Monarchie, in: Techn. Mitteilungen 1920, viertes Heft, 156–167, 158 f. ÖStA KA MS TiWK, Nr. 115. 68 Vgl. Heinz Flamm, Das Fleckfieber und die Erfindung seiner Serodiagnose und Impfung bei der k. u. k. Armee im Ersten Weltkrieg, in: Wiener Medizinische Wochenschrift 165 (2015), 152–163. 69 Neuigkeits-Weltblatt, 28.1.1915, 19.

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Zeitungen vermittelt wurde überdies der Eindruck, wonach zunächst die Gefangenen selbst verantwortlich für ihre Misere gewesen seien, da sie gefährliche „Ungeziefer“ eingeschleppt hätten.70 Damit wurde eine Art „Muster“ festgelegt, das sich allerdings Österreich-Ungarn nicht allein zu eigen machte. Die Frage, ob die Gefangenen bereits Träger der Seuche gewesen waren, als sie in feindlichen Gewahrsam genommen wurden, oder erst in Gefangenschaft an ihr erkrankten, artete in wenig zielführende gegenseitige Beschuldigungen zwischen Nehme- und jeweiligem Herkunftsstaat aus. Später kamen ähnliche Argumentationen jedenfalls auch in Zusammenhang mit der öffentlichen Erörterung von Missständen in der Behandlung von Kriegsgefangenen, Internierten oder aber Flüchtlingen zum Tragen. Die k. (u.) k. Behörden waren um Exkulpation bemüht. Von einer „Mitschuld“ der Betroffenen an ihrer misslichen Lage war ebenso die Rede wie von unermüdlichen Bemühungen zuständiger Instanzen, das Los der Menschen zu verbessern.71 In jedem Fall war es insbesondere Serbien, das von österreichisch-ungarischer Seite als regelrechter „Seuchenherd“ betrachtet wurde. Diese Sichtweise wiederum verband sich mit einer Abwertung der serbischen Bevölkerung als rückständig und nicht vertraut mit „hygienischen Standards“.72 Über die von der k. u. k. Armee eingebrachten Kriegsgefangenen an sich erfuhr die Bevölkerung aus den Zeitungen freilich relativ wenig. In Summe blieben Pressebeiträge über die in der Donaumonarchie befindlichen Feindsoldaten eher selten – abgesehen freilich von Verlautbarungen, die vor allem die Arbeitsverwendung der Gefangenen im zivilen Bereich betrafen oder Entweichungen von Feindsoldaten meldeten und um Mithilfe der Bevölkerung bei deren Ergreifung ersuchten.73 Grundsätze zur Berichterstattung über Kriegsgefangene hielten auch die allgemein geltenden Regelungen für die Pressezensur bereit. Darin wurde etwa aufgrund der Erfahrung des sogenannten „Seuchenwinters“ 1914/15, als vor allem die Provinzblätter einigermaßen ungeschminkt und gut infor70 Pester Lloyd, 9.11.1914, 1 f. 71 Vgl. Moritz, Gefangenschaft, 121–124. 72 Wichtig dazu Indira Duraković, Serbia as a Health Threat to Europe. The Wartime Typhus Epidemic, 1914–1915, in: Joachim Bürgschwentner/Matthias Egger/Gunda Barth-Scalmani (Hg.), Other Fronts, Other Wars? First World War Studies on the Eve of the Centennial, Leiden 2014, 259–279. 73 Als diese Bestimmungen, die im Laufe des Krieges verschiedene Ergänzungen erfuhren, im März 1918 dem Gemeinsamen Zentralnachweisebureau (GZNB) vorgelegt wurden, hatte sich allerdings bereits deutlich gezeigt, dass man die großen Blätter in Österreich eher unter Kontrolle hatte als die kleinen der Provinz. Zeitungen wie die „Neue Freie Presse“, die „Reichspost“ oder die „Arbeiter-Zeitung“ widmeten sich im Übrigen insgesamt weniger häufig der Gefangenenthematik als lokale Periodika.

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miert über die Zustände beispielsweise in den Lagern in Mauthausen oder Kenyérmező beziehungsweise Esztergom berichtet hatten, die Unterdrückung solcher Artikel verfügt.74 Nicht an die Öffentlichkeit dringen sollten auch Einblicke in die österreichisch-ungarische Kriegsgefangenen-Propaganda. Damit gemeint war die „Sonderung der Kriegsgefangenen nach Nationalität oder Konfession (Ukrainer, Polen, Russen, Mohammedaner etc.)“. Auch negative Schilderungen von Austauschinvaliden über die Gefangenschaft in Feindeshand waren unerwünscht, da sie, wie es hieß, Hilfsaktionen zu Gunsten invalider Kriegsgefangener beeinträchtigen würden.75 Man fügte hinzu: Nachrichten über geradezu unerträgliche oder schmachvolle Behandlung der eigenen Kriegsgefangenen sind aus Rücksicht auf die Angehörigen und die kriegerische Stimmung im Inlande ebenso unzulässig wie allzu rosig gefärbte Darstellungen, da diese alle diplomatischen Schritte zur Verbesserung des Loses unserer Kriegsgefangenen erschweren.76

Umgekehrt waren keinerlei Nachrichten über Bestrafungen von Gefangenen im eigenen Gewahrsam erlaubt. Selbiges galt für Artikel über Arbeitsverweigerungen oder „aufrührerische Bewegungen“ unter den Feindsoldaten.77 Manifestierte sich in den betreffenden Zensurvorschriften tatsächlich neben augenscheinlichen manipulativen Absichten auch das Bemühen um eine zurückhaltende Presseberichterstattung in Kriegsgefangenenfragen, wurden – wie bereits erwähnt – diesbezügliche Direktiven dennoch immer wieder verletzt, Besonnenheit und Zurückhaltung mit fortschreitender Kriegsdauer mehr und mehr aufgegeben. Inwieweit eine allmählich in Schwung gekommene österreichisch-ungarische Propaganda Anteil an solchen „Abweichungen“ hatte bzw. diese vorantrieb, ist freilich schwer zu beantworten. So oder so – das Schicksal der Gefangenen im eigenen Gewahrsam spiegelte sich abseits der erwähnten rein informellen Zusammenhänge, wie sie die Voraussetzungen für die Arbeitsverwendung von Feindsoldaten oder die Problematik

74 Zensurgrundsätze, Res. Nr. 4721, 17.2.1915, Nr. 18472, 17.2.1915. ÖStA KA AOK Evidenzbüro 1917, Kt. 3752. Vgl. dazu auch: Tamara Scheer, Die Ringstraßenfront. Österreich-Ungarn, das Kriegsüberwachungsamt und der Ausnahmezustand während des Ersten Weltkriegs, Wien 2010, 113 f. 75 Zensurgrundsätze, Res. Nr. 71, 14.9.1915, Nr. 41971. ÖStA KA AOK Evidenzbüro 1917, Kt. 3752. 76 Zensurgrundsätze, Res. Nr. 86, 11.11.1915, Nr. 48502. ÖStA KA AOK Evidenzbüro 1917, Kt. 3752. 77 Zensurgrundsätze, Res. Nr. 1666, 18.7.1916, Nr. 75769. ÖStA KA AOK Evidenzbüro 1917, Kt. 3752.

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von Entweichungen repräsentierten, in der österreichischen Presselandschaft kaum wider.

Angaben zur Anzahl der Opfer Wirklichkeit und Propaganda entfernten sich angesichts einer fortschreitenden Versorgungskrise und wachsenden Kriegsmüdigkeit ohnehin immer offensichtlicher voneinander. Das galt auch für die Lage der Feindsoldaten in der k. u. k. Monarchie. Einblicke in zum Teil dramatische Verhältnisse in einigen Kriegsgefangenenlagern oder Nachrichten über Feindsoldaten, die – wie es 1918 intern hieß – „haufenweise“ zugrunde gingen78, gehörten für die Mitarbeiter der 10. Kriegsgefangenenabteilung des k. u. k. Kriegsministeriums, der nach eigener Definition zentralen Stelle für Gefangenenangelegenheiten, ab 1917 bis Kriegsende mehr oder weniger zur Routine. Zu Jahresanfang 1918 galten allein in den Lagern der Monarchie 150.000 der dort befindlichen ca. 180.000 Feindsoldaten als „unterernährt, krank und nicht mehr transportfähig“.79 Nichtsdestoweniger gereichten die in den darauffolgenden Jahren, also nach Kriegsende, publizierten Angaben zur Gesamtzahl und Sterblichkeit der Gefangenen im Habsburgerreich gewissermaßen zu einer Art Entlastung für die k. u. k. Verwaltung. Zumindest wurde der Eindruck von alles in allem zufriedenstellenden Bedingungen in österreichisch-ungarischer Gefangenschaft vermittelt – vor allem im Vergleich mit den Zuständen in Russland. Von dort waren schauderhafte Berichte über die Lebensbedingungen der Gefangenen eingetroffen, die von Heimkehrern vielfach bekräftigt wurden. Tatsächlich schnitt das Habsburgerreich in Sachen Sterblichkeit von Kriegsgefangenen im eigenen Gewahrsam im Vergleich zu anderen Staaten gut, wenn nicht sehr gut ab. Diesbezügliche Angaben, die sich auf Daten der früheren k. u. k. Behörden stützen, gehen von einer Sterblichkeitsrate in der Höhe der bereits eingangs erwähnten 6,5 Prozent aus.80 Das Habsburgerreich stand damit zwar schlechter da als Deutschland mit angegebenen 3,5 Prozent, Großbritannien mit vier oder Frankreich mit 5,3 Prozent, aber dennoch mit Abstand besser als etwa Serbien, Rumänien oder das Zarenreich.81 78 Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 206. 79 Ebd., 206. 80 Scheidl, Die Kriegsgefangenschaft, 97 und die Tabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand. 81 Tabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand. Solche Angaben sind allerdings ebenso mit Vorsicht zu genießen wie jene in Entente-Publikationen, deren Verfasser beziehungsweise Auftraggeber entweder bereits während des Krieges oder nach 1918 mitunter

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Ungeachtet solcher Daten prangerte beispielsweise Italien nach dem Krieg eine hohe Opferzahl unter italienischen Kriegsgefangenen in österreichisch-ungarischem Gewahrsam an. Daraus wiederum resultierten Ansprüche auf Kompensation. Nachforschungen hinsichtlich der Mortalitätsraten unter den Gefangenen in Österreich-Ungarn und im Deutschen Reich verknüpften italienische Stellen nach dem Krieg u. a. mit Reparationsforderungen. Dieser Umstand erwies sich als nicht unbedingt ideal für eine unvoreingenommene Untersuchung der Problematik. Abwegig waren die erhobenen Forderungen freilich nicht. Schließlich bereitete man sich in Erwartung der bevorstehenden Friedensverhandlungen auch in Wien im Dezember 1918 auf Fragen zur „Kostenerstattung“ in Zusammenhang mit der Verpflegung, Bekleidung sowie Repatriierung der feindlichen Gefangenen vor. Obwohl etliche Daten mit Verweis auf den Zusammenbruch der Monarchie oder den Arbeitseinsatz der Feindsoldaten nicht mehr rekonstruierbar waren, errechnete man einzufordernde oder aber gegenzurechnende Summen. Gerade im Abgleich mit den Beträgen, die Italien betrafen, ergaben sich aber Unstimmigkeiten. Zu berücksichtigende „Verpflegszeiten“ spielten ebenso eine Rolle wie – ganz grundsätzlich – die Zahl der eingebrachten und verstorbenen Kriegsgefangenen.82 Eine italienische Untersuchungskommission ging nach dem Krieg von insgesamt 100.000 im Gewahrsam der Mittelmächte verstorbenen kriegsgefangenen Landsleuten aus. Mehr als 92.000 davon entfielen auf das Habsburgerreich.83 Zuvor hatte man von österreichischer Seite nur etwa 33.000 Todesopfer – freilich mit dem Hinweis auf lückenhafte Daten – „zugegeben“. Intern, d. h. im „Liquidierenden k. u. k. Kriegsministerium“, vermutete man mehr als doppelt so viele tote Italiener.84

eher Interesse an einer Skandalisierung der Problematik hatten als an einer einigermaßen seriösen Einschätzung. Letztere wiederum stieß angesichts der Quellenlage per se an enge Grenzen. Vgl. dazu die Ausführungen bei Hinz, Gefangen, 13–17. 82 Kostenerstattung, 1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-35/764, Kt. 2160. 83 Giovanna Procacci, „Fahnenflüchtige jenseits der Alpen“. Die italienischen Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn und Deutschland, in: Jochen Oltmer (Hg), Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006, 194–215, 194–196; Alan Kramer, Italienische Kriegsgefangene im Ersten Weltkrieg, in: Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger (Hg.), Der Erste Weltkrieg im Alpenraum. Erfahrung, Deutung, Erinnerung, Innsbruck 2006, 247–258, 248, 251; vgl. Verena Moritz, „… treulos in den Rücken gefallen“. Zur Frage der Behandlung italienischer Kriegsgefangener in Österreich-Ungarn 1915–1918, in: Robert Kriechbaumer/Wolfgang Muel­ler/Erwin A. Schmidl (Hg.), Politik und Militär im 19. und 20. Jahrhundert. Österreichische und europäische Aspekte. Festschrift für Manfried Rauchensteiner, Wien/ Köln/Weimar 2017, 185–208. 84 Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 328.

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Interessanterweise folgte die italienische Untersuchungskommission offenbar deutschen offiziellen Angaben und ging von „nur“ ca. 7500 Toten im Gewahrsam Deutschlands aus – freilich bei einer im Vergleich zu Öster­ reich-Ungarn viel niedrigeren Gesamtzahl an italienischen Gefangenen. Gleichzeitig korrigierte man die Zahl der in Österreich-Ungarn gefangen gewesenen Italiener um etwa 100.000 nach oben und schloss auf insgesamt 468.000.85 Das hieß weiters, dass nach italienischen Angaben – dabei handelte es sich allerdings um Schätzungen86 – in österreichisch-ungarischem Gewahrsam tatsächlich an die 20 Prozent der gefangenen Italiener verstorben sein mussten. Dieses Ergebnis übertraf die in Österreich behördenintern mit mindestens etwa 66.000 Verstorbenen angenommene Sterblichkeit um einige tausend Männer. Die von österreichischer Seite an die italienischen Stellen offiziell weitergegebene Zahl wurde dadurch indessen beinahe verdreifacht.87 Der italienischen Waffenstillstandskommission lagen indessen eigene Daten in dieser Angelegenheit vor. Sie verfügte über Unterlagen zu 41.000 Toten. Quelle hierfür waren Angaben des Gemeinsamen Zentralnachweisebureaus. Zu dieser Zahl rechnete man „andere Tausende der verschiedenen Lager hinzu“. Für das böhmische Kriegsgefangenenlager Milowitz (Milovice) allein waren es angeblich 5080 Verstorbene, die im Totenbuch des Lagers registriert worden waren. Diese Aufzeichnungen befanden sich im Besitz der Kommission.88 Dass ab 1917 in diesem Lager eine besonders große Anzahl Italiener zugrunde ging, wurde später auch von russischer Seite bestätigt.89 Die von Roberto Segre angeführte italienische Waffenstillstandskommission ging jedenfalls von insgesamt 60.000 Toten aus90 – eine Zahl, die weit unter den später angegebenen 92.500 lag und selbst die internen Schätzun85 Vgl. Moritz, „… treulos in den Rücken gefallen“, 189. 86 Procacci, „Fahnenflüchtige jenseits der Alpen“, 196. 87 Anzahl der Verstorbenen ital. Kgf. in Österreich-Ungarn, März 1919. ÖStA KA Liqu. KM 10. KgA 1919: 10-125/4, Kt. 2248. 88 Die Führung einer Polemik mit der Waffenstillstandskommission über die gegenseitige Behandlung von Kgf., Juni 1919. ÖStA KA Liquidierendes (Liqu.) KM 10. KgA 1919: 10-125/22, Kt. 2248. Die Zentralstellen in Wien wurden im Sommer 1918 für den Zeitraum Januar bis Juli 1918 über eine Anzahl von 4407 verstorbenen Kriegsgefangenen in Milowitz informiert. Überhandnehmen von Erkrankungen und Todesfällen bei ital. Kgf., 1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-39/3, Kt. 2160. Zur Problematik einer Rekonstruktion von Opferzahlen siehe auch: Rudolf Koch, Im Hinterhof des Krieges. Das Kriegsgefangenenlager Sigmundsherberg, Sigmundsherberg 2002, 137–143. 89 Vgl. Kirill Ja. Levin, Zapiski iz plena v Avstrii 1915–1917, Moskva 1931, 99. Über Levin siehe auch den Beitrag von Natal’ja Suržikova in diesem Band. 90 Die Führung einer Polemik mit der Waffenstillstandskommission über die gegenseitige Behandlung von Kgf., Juni 1919. ÖStA KA Liqu. KM 10. KgA 1919: 10-125/22, Kt. 2248.

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gen im Liquidiererden k. u. k. Kriegsministerium unterschritt. Österreichische Nachkriegspublikationen wiederum machten Angaben zur Mortalität unter den Italienern, die bei „nur“ 26.000 Toten lagen.91 Währenddessen verwiesen andere italienische Angaben auf noch höhere Opferzahlen als die erwähnten 92.500 Toten. Ein ehemals in der „Evidenzabteilung“ für die k. u. k. Kriegsgefangenenlager tätig gewesener Italiener behauptete, dass allein zwischen November 1917 und Februar 1918 mehr als 93.000 italienische Gefangene in österreichisch-ungarischem Gewahrsam verstorben waren.92 Es gab spezifische Gründe, um einerseits Zahlen klein zu halten und diese andererseits womöglich allzu freihändig nach oben zu korrigieren. Kompensationen spielten hier ebenso eine Rolle wie Schuldfragen. Österreich wollte nach dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches grundsätzlich nicht für Verfehlungen verantwortlich gemacht werden, die – so stellte sich die Lage aus Sicht des kleinen Landes dar – einem untergegangenen Imperium anzulasten waren, von dem man sich nun distanzierte. Die Auseinandersetzung um die Behandlung der jeweiligen Kriegsgefangenen drohte nach 1918 zu eskalieren. Segre, der die schlechtere Behandlung der Italiener in österreichisch-ungarischer Gefangenschaft für erwiesen hielt, wandte sich gegen „jede Polemik“ in den Debatten um die wechselseitige Gefangenenbehandlung, wollte aber in den von österreichischer Seite aufgezählten Missständen des italienischen Gefangenenwesens lediglich Lappalien erkennen. Wenngleich in Wien über die Lage ehemaliger k. u. k. Soldaten in Italien im November 1918 teils dramatische Berichte eingingen93, richtete man sich im Staatsamt für Heerwesen offenbar auf die Notwendigkeit einigermaßen funktionierender diplomatischer Beziehungen mit dem Nachbarstaat ein. Die 10. Kriegsgefangenenabteilung des Liquidierenden k. u. k. Kriegsministeriums fügte sich einer derartigen Rücksichtnahme nur widerwillig und ließ ihrerseits die Amtsleitung des Staatsamtes für Heerwesen wissen: Mögen die Leiden, die Italiener in der österr.-ung. Gefangenschaft erlitten hatten, noch so schwer gewesen sein, so wären sie insofern leicht zu vermeiden gewesen, als Oesterreich-Ungarn Italien gegenüber nicht den geringsten Anlass zum Kriege gegeben hatte. Italien war seitens Oesterreich-Ungarn

91 Vgl. die betr. Tabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand. 92 Kramer, Italienische Kriegsgefangene, 250 f. 93 Behandlung kgf. Italiener und Bericht von Stabsarzt Dr. Josef Wanke über die Behandlung der österr.-ung. Kgf. in den Konzentrationslagern von Verona. ÖStA KA Liqu. KM 10. KgA 1919: 10-125/6, Kt. 2248.

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wohl nicht im entferntesten in irgend einer Richtung bedroht und daher auch nicht genötigt, sich zur Wehr zu setzen.94

„Ueber diese Tatsache“, werde, hieß es weiter, „auch die lebhafte Beredsamkeit des Südländers“ – gemeint war Segre – „nicht hinwegkommen können.“95 Die Problematik ungesicherter und instrumentalisierter Gesamtzahlen zu den Kriegsgefangenen insgesamt und speziell im Habsburgerreich sowie in weiterer Folge zur Sterblichkeit der Feindsoldaten in österreichisch-ungarischem Gewahrsam wird in der Geschichtsschreibung nicht zum ersten Mal aufgegriffen.96 Dass schwer überprüfbare Daten in der Forschungsliteratur weitergereicht werden und darauf aufbauend mitunter fragwürdige Ergebnisse erzielt oder diskussionswürdige Schlussfolgerungen getätigt werden, ist aber nach wie vor von Belang. Während für Deutschland vorhandene amtliche Veröffentlichungen des Datenmaterials zu den Kriegsgefangenen in der Forschung einmal als zuverlässig97, ein anderes Mal mit Blick auf die Umstände der Veröffentlichung dieser Zahlen als durchaus problematisch eingeschätzt werden98, mündete eine genauere Betrachtung entsprechender Informationen zu den Gefangenen im Gewahrsam des Habsburgerreiches in die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Revision. Die in der Publikation „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ – einer amtlichen Gesamtdarstellung des Weltkrieges aus der Perspektive ehemaliger k. u. k. Offiziere – genannte Gesamtzahl von mehr als 1,3 Millionen Kriegsgefangenen für 1918 resultiert augenscheinlich aus einer Momentaufnahme.99 Zweifelhaft ist die Zusammenstellung von Gefangenenzahlen in dem bereits erwähnten zweibändigen Werk zur Geschichte der Kriegsgefangenschaft im Ersten Weltkrieg mit dem Titel „In Feindeshand“, wobei dessen Herausgeber Ungenauigkeiten einräumen. Dennoch entsprechen die dort angeführten Zahlen im Wesentli-

94 Die Führung einer Polemik mit der Waffenstillstandskommission über die gegenseitige Behandlung von Kgf., Juni 1919. ÖStA KA Liqu. KM 10. KgA 1919: 10-125/22, Kt. 2248. 95 Ebd. 96 Nachtigal, Zur Anzahl, 345–384 sowie Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 328–331. 97 Nachtigal, Zur Anzahl, 347. Konkret geht es dabei um die Angaben von Wilhelm Doegen, Kriegsgefangene Völker, Bd. 1: Der Kriegsgefangenen Haltung und Schicksal in Deutschland, Berlin 1919. Von Hinz wird Doegen allerdings zu den „Verteidigern der ‚deutschen Sache‘“ in der „internationalen Propagandaschlacht um Kriegsgefangene und Gefangenenwesen“ gezählt, was wiederum, so Hinz, seine Glaubwürdigkeit und die seiner angeführten Daten etwas beeinträchtigt. Hinz, Gefangen, 17. 98 Vgl. Hinz, Gefangen, 237–247. 99 Österreich-Ungarns letzter Krieg (= ÖUlK) 1914–1918, Bd. 7: Das Kriegsjahr 1918, Wien 1938, 44.

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chen jenen Informationen, die von ehemaligen Offizieren des k. u. k. Kriegsgefangenenwesens weitergegeben wurden. Verwendung in der Historiographie fanden überdies die Ausführungen von Franz Scheidl. Seine Angaben zur Anzahl der Kriegsgefangenen wurden und werden auch in diesem Text herangezogen – nicht zuletzt, um die Problematik der Zahlen und ihre im Raum stehende Instrumentalisierung zu veranschaulichen.100 Grundsätzliche Bemerkungen zu Scheidl sind freilich angebracht. Dass sein Buch über die völkerrechtliche Entwicklung der Kriegsgefangenschaft 1943 in Berlin erscheinen konnte, mag bei einigen Forscherinnen und Forschern bereits eine gewisse kritische Distanz zu den dort aufscheinenden Angaben befördert haben. Tatsächlich gilt Scheidl als der erste österreichische Holocaust-Leugner101. Bei der Zusammenstellung der Zahlen zu den Kriegsgefangenen fällt auf, dass Scheidl sich um eine Gegenüberstellung von Mortalitätsraten bemüht, bei der die Entente vor allem aufgrund der Daten zu den in Russland Verstorbenen eklatant schlechter als die Mittelmächte abschneidet. Außerordentlich hoch sind zudem die genannten Prozentsätze zur Sterblichkeit deutscher Soldaten in Gefangenschaft. Sie übertreffen jene der k. u. k. Soldaten in Russland und Serbien um mehr als die Hälfte und machen in einem Fall fast 40, im anderen beinah 55 Prozent aus.102 Scheidl verwendete, wie er schrieb, „amtliche[s] Zahlenmaterial“ und bezog sich dabei auf eine Publikation des deutschen Rechtswissenschaftlers Christian Meurer.103 Dieser hatte im Rahmen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu den Kriegsgefangenen gearbeitet und sich später überdies zu den deutschen

100 Zurückgegriffen bzw. verwiesen wird im Weiteren vor allem auf die im Buch Scheidls abgedruckten, während des Krieges entstandenen bi- und multilateralen Abkommen zu den Kriegsgefangenen. 101 Zu Scheidl: Wolfgang Benz (Hg.), Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, Bd. 8: Nachträge und Register, Berlin/Boston 2015, 117 f.; Wolfgang Neugebauer/Peter Schwarz, Der Wille zum aufrechten Gang. Offenlegung der Rolle des BSA bei der gesellschaftlichen Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten, Wien 2004, 83 f. 102 Scheidl, Die Kriegsgefangenschaft, 96. Nachtigal verweist im Übrigen auch auf spezielle Zählweisen etwa für die Statistiken in „Österreich, Deutschland und bei den italienischen Verlusten“, wo auch „alle Vermissten und nicht Heimgekehrten“ hinzugerechnet wurden. Nachtigal, Zur Anzahl, 368. Allerdings widerspiegeln die Daten auf österreichischer Seite keineswegs jene wahrscheinlich viel zu hoch angesetzte Mortalität in russischem Gewahrsam, wie sie explizit für Kriegsgefangene aus Deutschland angegeben wurde. Einigermaßen korrekte Gesamtzahlen zu den verstorbenen sowie vermissten Gefangenen aus der k. u. k. Armee in Russland zu eruieren, erwies sich aber ohne Zweifel nicht zuletzt auch als Folge des Zusammenbruches der Doppelmonarchie als überaus schwierig. 103 Scheidl, Die Kriegsgefangenschaft, 96.

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Kriegsverbrechen in Belgien zu Wort gemeldet, wobei er diese dezidiert in Abrede stellte.104

Schätzungen Neuere Darstellungen zur Gesamtzahl der Feindsoldaten im Habsburgerreich gehen von bis zu zwei Millionen Kriegsgefangenen aus105 – ein Wert, der die Angaben in „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ um einige Hunderttausend übersteigt, der von Scheidl mit ca. 1,86 Millionen106 genannten Zahl immer noch relativ nahekommt und unter der in der Publikation „In Feindeshand“ von der Deutschen Margarete Klante angeführten Anzahl von mehr als 2,3 Millionen107 liegt. Eigene Untersuchungen, die sich allerdings auf die gefangenen Russen in österreichisch-ungarischem Gewahrsam konzentriert hatten, konnten aufgrund enorm schwankender Zahlen allein zu den russischen Kriegsgefangenen, die von knapp 900.000 bis 1,75 Millionen reichen, ein Ergebnis von über zwei Millionen Soldaten in österreichisch-ungarischem Gewahrsam ebenfalls nicht ausschließen.108 Bei Berücksichtigung von diversen Fehlern im Rahmen der „Evidenthaltung“, die nach dem Krieg von den liquidierenden k. u. k. Behörden eingestanden wurden, ergab sich nur für die Feindsoldaten aus dem Zarenreich eine durchaus realistische Zahl von 1,3 Millionen.109 Im Auge zu behalten sind darüber hinaus – wie bereits gezeigt – weit auseinanderliegende Daten zu den kriegsgefangenen Italienern und als Konsequenz unterschiedliche Sterblichkeitsraten, die mit dem bereits genannten Höchstwert von beinahe 20 Prozent angegeben werden.110 Divergierende Aussagen zur Anzahl rumänischer Gefangener machen indessen auch die Frage der in der Literatur regelmäßig erwähnten hohen Mortalität unter dieser Gruppe schwer beantwortbar.111 Tatsächlich scheint es so, als wäre die Sterblichkeit rumänischer 104 Zu Meurer: Otto Stolberg-Wernigerode, Christian Meurer, in: Neue deutsche Biographie, Bd. 17, Berlin, 1994, 267 f. Siehe auch: Segesser, Recht statt Rache, 157–159. 105 Vgl. Nachtigal, Zur Anzahl, 362. 106 Scheidl, Die Kriegsgefangenschaft, 97. 107 Margarete Klante, Die Kriegsgefangenen in Deutschland, in: Hans Weiland/Leopold Kern (Hg.), In Feindeshand. Die Gefangenschaft im Weltkriege in Einzeldarstellungen, Bd. 2, Wien 1931, 172–193, 173. 108 Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 329 f. 109 Ebd., 329. 110 Vgl. Moritz, „… treulos in den Rücken gefallen“, 189. 111 Vgl. u. a. Heather Jones, A Missing Paradigm? Military Captivity and the Prisoner of War, 1914–18, in: Matthew Stibbe (Hg.), Captivity, Forced Labour and Forced Migration in Europe during the First World War, London/New York 2009, 19–48, 23.

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Gefangener in deutschem Gewahrsam mit 29 Prozent112 ein sehr viel größeres Problem gewesen als in Österreich-Ungarn, wo man mit kolportierten angeblich acht Prozent weit hinter der deutschen Rate rangierte.113 Als fragwürdig erweisen sich des Weiteren Angaben zu den in österreichisch-ungarischer Gefangenschaft verstorbenen Serben. So liegen Schätzungen vor, die allein für Anfang 1918 von bis zu 40.000 zugrunde gegangenen Gefangenen aus dem südslawischen Königreich bzw. sogar 50.000 Toten ausgehen. Andere Daten verweisen auf insgesamt nicht mehr als 15.000 Todesopfer.114 Die Gesamtzahl der an die Mittelmächte verlorenen Soldaten der serbischen Armee wird auf eine Summe von 220.000 bis 250.000 Mann geschätzt.115 Die Weitergabe von Namenslisten aus Österreich-Ungarn wurde nach serbischer Wahrnehmung lückenhaft und widerwillig betrieben. Erschwerend kam hinzu, dass serbische Kriegsgefangene von den Verbündeten untereinander, also Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien sowie der Türkei, immer wieder weitergereicht wurden. Erst im Februar 1918 übersandte das Österreichische Rote Kreuz einen ersten Bericht an die serbischen Behörden, der über die Gefangenenzahlen Auskunft gab und 93.473 Serben für das Habsburgerreich nannte, weitere fast 34.000 für Deutschland und 21.000 für Bulgarien.116 Nach dem Krieg wurde von serbischer Seite eine Gesamtopferzahl von über 81.000 in Gefangenschaft verstorbenen Männern angegeben.117 112 Vgl. Doegen, Kriegsgefangene Völker, 56. 113 Tabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand. 114 Mirčeta Vemić, Pomor Srba ratnih zarobljenika i interniranih civila u austrougarskim logorima za vreme Prvog svetskog rata 1914–1918, in: Zbornik Matice srpske za drustvene nauke 147 (2014), 201–234, 203; Alan Kramer, Dynamic of Destruction. Culture and Mass Killing in the First World War, Oxford/New York 2007, 67 und die Tabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand. Scheidl zufolge lag die Sterblichkeit der Rumänen in Deutschland tatsächlich „nur“ bei mehr als 17 Prozent, in Österreich-Ungarn hingegen, wie auch in Weiland/Kern, In Feindeshand angegeben, bei acht. Die höchste Sterblichkeit im Habsburgerreich wiesen nach Scheidl mit 9,75 Prozent die Serben auf, wohingegen die Italiener nach Scheidls Aufstellung mit sieben Prozent erst an vierter Stelle im „Ranking“ lagen. Vgl. Scheidl, Die Kriegsgefangenschaft, 97. 115 Dalibor Denda, Srpski ratni zarobljenici u Prvom svetskom ratu, in: Stanislav Sretenović/Danilo Šarenac (Hg.), Leksikon Prvog svetskog rata u Srbiji, Beograd 2014, 345; Bog­dan Trifunović, Prisoners of War and Internees (South East Europe), in: 1914–1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2014–10–08. DOI: 10.15463/ie1418.10132 (abgerufen am 1.2.2021). 116 Rapport sur les dommages de guerre causés à la Serbie et au Monténégro présenté à la Commission des Réparations des Dommages, Paris: Délégation du Royaume des Serbes, Croates et Slovènes à la Conférence de la Paix, Paris 1919, 21. 117 Ebd., 20.

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Der Historiker Nenad Lukić geht von 32.500 in österreichisch-ungarischem Gewahrsam verstorbenen serbischen Kriegsgefangenen aus.118 In diesem Dickicht an Zahlen sind es – bei allen Vorbehalten – die Angaben von ehemaligen hochrangigen k. u. k. Offizieren, die weitere wichtige Details zum Verständnis der Problematik liefern. Das gilt zumindest für die Gesamtzahlen, weniger für die Angaben zur Sterblichkeit. Heinrich von Raabl-Werner notierte für 1916 die Zahl von 1.250.000 in Österreich-Ungarn registrierten Kriegsgefangenen. Bis zum 20. Mai 1918 waren dann mehr als 1,8 Millionen gemeldet worden.119 Allerdings kamen im Zuge des „Vorstoßes der k. u. k. Streitkräfte über den Piave“ und des „fortschreitenden Zerfalls der russ. Front“ weitere Tausende hinzu, „so daß sich der Höchststand an Kgf. im Jahre 1918 auf rund 2 Mill. beziffert“. Dadurch ausgeglichen, so Raabl-Werner, wurde die Anzahl jener Gefangene, die aufgrund der Friedensverträge mit Russland und Rumänien ausgetauscht wurden.120 Die betreffende Zahl für Russland beträgt aller Wahrscheinlichkeit nach zwischen 60.000 und 70.000 Männer, die noch vor Kriegsende heimkehren konnten. Hier ist allerdings anzumerken, dass Raabl-Werner bei anderer Gelegenheit allein für die Gefangenen aus Russland 1,75 Millionen Mann veranschlagte. Wenn dem so war, dann freilich sind selbst zwei Millionen Feindsoldaten als Gesamtzahl für Österreich-Ungarn zu knapp bemessen.121 Auch Ernst von Streeruwitz hatte genauso wie Raabl-Werner in der 10. Kriegsgefangenenabteilung des k. u. k. Kriegsministeriums das Schicksal der Feindsoldaten in Österreich-Ungarn maßgeblich mitgestaltet und eine sicherlich exklusive Kenntnis von den Zahlen, die zu den Gefangenen in Österreich-Ungarn vorlagen. Manipulative Absichten können in Zusammenhang mit der Nennung der Gefangenenzahlen nicht völlig ausgeschlossen werden. Jene unterschiedlichen Angaben, die die beiden in ihren sowohl veröffentlich-

118 Nenad Lukić, Interniranje stanovništva i vojnika Kraljevine Srbije u austrougarske logore tokom Prvog svetskog rata, Beograd 2017, 38–53. Offenbar noch während des Krieges war seitens Serbiens von etwa 39.000 Verstorbenen in österreichisch-ungarischem Gewahrsam die Rede. Diese Zahl umfasste sowohl Internierte als auch Kriegsgefangene und würde – in Abgleich mit Lukićs Zahlen – eine relativ geringe Anzahl von verstorbenen Internierten nahelegen. Vgl. Bogdan Trifunović, Prisoners of War and Internees (South East Europe), in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2014–10–08. DOI: 10.15463/ie1418.10132 (abgerufen am 3.8.2021). Vgl. zur Problematik der Anzahl serbischer Opfer auch den Beitrag von Gordana Ilič Marković in vorliegendem Band. 119 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 6. 120 Ebd., 6 f. 121 Vgl. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 328–332.

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ten als auch unveröffentlichten Schriften machten, resultieren andererseits aber wohl auch oder wahrscheinlich vorrangig aus dem bereits mehrmals angesprochenen prinzipiellen Problem der eingeschränkten Aussagekraft jedweder Daten. Die alle Umstände und Zeiträume berücksichtigende endgültige Zahl existierte nicht. Das wiederum ließ Spielräume in alle Richtungen zu. Hinsichtlich Raabl-Werners Angaben zu den in Gefangenschaft Verstorbenen ist – wie noch zu zeigen sein wird – aufgrund zum Teil fehlender Differenzierungen aber besondere Vorsicht geboten. Streeruwitz notierte in seinen auf mehrere Bände angelegten Aufzeichnungen für den 27. Juli 1917 1.405.598 kriegsgefangene Offiziere und Mannschaften, die bis dahin in Evidenz genommen worden waren. Eine Zahl zu den Todesopfern fehlt allerdings. Er führt in einer Auflistung des Weiteren etwa 1.136.000 russische Kriegsgefangene an, ca. 140.000 Italiener, 115.000 Serben, 34.000 Rumänen und mehr als 10.000 Montenegriner. Auf Engländer und Franzosen entfielen in einem Fall nicht einmal 500 und im anderen gar nur etwa 120 Mann.122 Bedenkt man, dass in den kommenden Monaten vor allem noch ein enormer Zuwachs an italienischen Kriegsgefangenen bevorstand, Zehntausende angeblich außer Evidenz geraten waren und sich durch Flucht der Gefangenschaft entzogen hatten, erscheinen die weiter vorne erwähnten 1,86 Millionen einigermaßen plausibel – allerdings wieder ohne eine unbekannte Zahl an Todesopfern. 468.000 gefangene Italiener, die sich nach italienischen Angaben in österreichisch-ungarischem Gewahrsam befanden, müssen angesichts solcher Daten in jedem Fall fragwürdig erscheinen. Zu den 140.000 Männern, die Streeruwitz angab, kamen Ende 1917 als Folge des Durchbruches bei Flitsch und Tolmein 175.571 italienische Kriegsgefangene hinzu, die Österreich-Ungarn zugeschlagen wurden. An Deutschland abgegeben wurden von den damals insgesamt 299.411 eingebrachten Feindsoldaten 123.840.123 Damit war eine Summe von rund 315.571 Italienern unter der Kontrolle der k. u. k. Armee erreicht. Diese Zahl entspricht weitestgehend auch der von Heinrich von Raabl-­ Werner für den Mai 1918 genannten. Bis dahin waren, schrieb er, 316.056 italienische Gefangene gemeldet worden. In Anbetracht der seinen Angaben entsprechend etwas mehr als 17.000 Soldaten, die verstorben, entflohen, entlassen oder per Invalidenaustausch in die Heimat gelangt waren, ging er für den Mai 1918 konkret von verfügbaren 299.015 italienischen Gefangenen aus, für September 1918 aber von 359.436 – ein Anstieg, der sich „infolge des Vor122 Streeruwitz, Kriegsgefangene im Weltkriege, I. Band, 82. 123 Stand der Kriegsgefangenen per 27.10.1918. ÖStA KA AOK Op. Abt., Evidenzgruppe B 1917/18, Kriegsgefangene, Kt. 600.

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stoßes der k. u. k. Streitkräfte über den Piave“ ergab.124 Von den Gesamtzahlen, wie sie in der Zwischenkriegszeit kolportiert wurden, unterscheiden sich solche Angaben nicht. Sie waren offenbar Grundlage für später veröffentlichte Daten: Bei Scheidl ebenso wie in „In Feindeshand“ ist von 369.000 Italienern in österreichisch-ungarischem Gewahrsam die Rede, bei Raabl-Werner sind es mit 359.436 etwa zehntausend weniger125, weil offenbar nur auf Mannschaftsangehörige bezogen126. Über 366.000 Italiener glaubte wiederum im August 1918 der Chef des Ersatzwesens der k. u. k. Armee disponieren zu können.127 Tatsächlich ergibt sich bei Betrachtung der italienischen Gefangenenzahlen ein Dilemma. Sowohl für die oben erwähnten, unter 400.000 liegenden Angaben als auch für höhere Zahlen finden sich Belege bzw. Anhaltspunkte. Die von italienischer Seite nach Kriegsende überaus hoch angesetzten Gesamtzahlen zu den in Gefangenschaft der Mittelmächte geratenen Italienern – man ging von insgesamt ca. 600.000 italienischen Gefangenen in Deutschland und Österreich-Ungarn (468.000 für die Donaumonarchie) aus – erhalten nämlich eine Bestätigung in anderweitig vorhandenen Statistiken der k. u. k. Heeresverwaltung, die allein für Österreich-Ungarn weit mehr als 500.000 italienische Kriegsgefangene nahelegen. Betreffende Angaben spiegeln das wider, was in der Korrespondenz zwischen k. u. k. Kriegsministerium und AOK immer wieder als Problem angesprochen wurde: Abseits einer mangelhaften oder unterbliebenen Erfassung eingebrachter Feindsoldaten im Etappenraum ergaben sich divergierende Zahlen auch aufgrund einer lückenhaften Kommunikation bzw. einer unterlassenen Weitergabe von Daten an die zuständigen Stellen. Im Etappenraum sollen sich nach dem Stand vom Oktober 1918 zusätzlich zu den allein für das Hinterland berechneten 369.439 gefangenen Italienern 143.788 Feindsoldaten aus dem südlichen Königreich befunden haben. In Summe ergäbe diese Statistik dann insgesamt – die im Hinterland registrierten Italiener plus die keinem Stammlager des Hinterlands zugeteilten italienischen Feindsoldaten im Etappenraum – über 513.000 Mann. ­Addiert man die zusätzlich dazu annähernd 10.000 genannten Offiziere, käme man als Ergebnis auf etwa 523.000 Italiener in österreichisch-ungarischem Gewahrsam.128 124 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 6. 125 Ebd. 126 Nach der Tabelle in „In Feindeshand“ waren es ohne Offiziere 359.400 und mit Offizieren 369.600 Mann. Tabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand. 127 Rapport über den Krankenstand in den Lagern, August 1918. ÖStA KA Chef d EW 1918: 19-29, Kt. 108. 128 Stand der Kriegsgefangenen per 27.10.1918. ÖStA KA AOK Op. Abt., Evidenzgruppe B 1917/18, Kriegsgefangene, Kt. 600.

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Die aktuelle italienische Forschung zur Frage der Anzahl italienischer Kriegsgefangener geht nach entsprechender Prüfung vorhandener Daten immer noch von insgesamt mindestens 600.000 Gefangenen des Appeninkönigreichs in Deutschland und Österreich-Ungarn aus, tendiert allerdings zumindest teilweise zu einer Korrektur der späteren, sehr hohen Angaben hinsichtlich der Verstorbenen. Daten entsprechend, die während bzw. kurz nach dem Krieg erhoben wurden, kehrten bis Anfang 1919 550.000 Italiener aus der Gefangenschaft in die Heimat zurück – diese Zahl wiederum ist von den hier genannten 523.000 nicht allzu weit entfernt. Die Opferzahl für die gefangenen Italiener sowohl für Deutschland als auch die Donaumonarchie wird aktuell mit insgesamt ca. 50.000 bis immer noch 80.000 bzw. 100.000 angegeben und widerspiegelt einmal mehr eine unsichere Datenlage, die entsprechende Erörterungen nach sich zieht.129 Annäherungen an die Frage der in österreichisch-ungarischer Kriegs­ gefangenschaft verstorbenen Feindsoldaten sind – wie gezeigt wurde – summa summarum einigermaßen problematisch und aufgrund der vielen unterschiedlichen Zählungen in unterschiedlichen Kontexten verwirrend. Trotzdem ist den vorhandenen „Spuren“ nachzugehen. Ihre Kenntnis kann das Zahlenwirrwarr mit bestimmten Absichten, aber auch mit daraus resultierenden Narrativen verknüpfen. Entlang der vorhandenen konkreten Anhaltspunkte lassen sich immerhin Tendenzen ablesen, die teilweise in krassem Widerspruch zu offiziell kolportierten Angaben österreichisch(-ungarischer) Provenienz stehen, wie sie ab der Zwischenkriegszeit kursierten. Noch während des Krieges errechnete etwa das Russische Rote Kreuz 129.002 Todesopfer im Habsburgerreich allein unter den gefangenen Soldaten aus dem Zarenreich.130 Daten nachrevolutionärer (sowjetrussischer) Provenienz, die nach der Eliminierung von festgestellten Mehrfachregistrierungen zustande kamen, nennen etwa 110.000 Verstorbene.131 Beide Angaben liegen weit über jener Anzahl an Todesopfern, wie sie von österreichischer Seite offiziell genannt wurden, nämlich 63.000. Die Mortalitätsrate unter den Gefangenen aus dem Zarenreich erreichte nach russischen Berechnungen mehr als zehn Prozent.132 Demgegenüber ging Egon Freiherr von Waldstätten – während des Krieges dem Kriegsarchiv in Wien zugeteilt und 1918 zum Obersten befördert – von nicht einmal 40.000 toten Russen in österreichisch-ungarischem 129 Vgl. den Beitrag von Marco Mondini in vorliegendem Band. 130 Bericht der Kommission des Russischen Roten Kreuzes, Zl. 108798. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Liasse Krieg 1914–1918 Dep. 7 Kriegsgefangene in Russland, Kt. 474. 131 Vgl. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 330. 132 Spravka. Časti o voennoplennych central’noj kollegii o plennych i bežencach. Rossijskij Gosudarstvennyj Voenno-Istoričeskij Archiv (RGVIA) f. 12651 op. 11 d. 135a l. 21.

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Gewahrsam aus. Damit lagen seine Angaben weit hinter den offiziellen österreichischen Zahlen für die verstorbenen Gefangenen der russischen Armee. Seine für die Kriegsgefangenen aus dem Zarenreich präsentierten Gesamtzahlen unterschritten eine Million und lagen als Höchststand im April 1918 bei 935.117 Mann.133 52.000 von österreichisch-ungarischer Seite eingebrachte Feindsoldaten der Zarenarmee wurden laut Waldstätten dem deutschen Bündnispartner überlassen.134 In seiner unveröffentlichten „Statistischen Studie über russische Kriegsgefangene“ in der Donaumonarchie und in Deutschland bezeichnete er seine auf Auskünften des k. u. k. Kriegsministeriums, „dienstlichen Mitteilungen des preussischen Kriegsministeriums“ sowie des k. u. k. AOK beruhenden „ziffernmässigen Angaben“ als geradezu unangreifbar: „Sie stellen […] hinsichtlich ihrer Authentizität und Verlässlichkeit das Höchstmass des in dieser Beziehung überhaupt Erreichbaren dar.“135 Nur Lob hatte er des Weiteren für die „Evidenzen“ des k. u. k. Kriegsministeriums übrig, die er für „ausgezeichnet[e]“ hielt. Allerdings verwies er auch auf nach dem Krieg vielfach vernichtete diesbezügliche Materialien sowie auf das Aussortieren von Akten etwa im „(zivilen) ‚Statistischen Amt‘“.136 Waldstättens Studie, die 1946 als Typoskript angefertigt wurde, spiegelt die Komplexität der Zahlenproblematik einerseits in nur sehr eingeschränktem Maß wider und unterstreicht andererseits die mehr oder weniger übliche „Freihändigkeit“ beim Versuch einer Rekonstruktion von Zahlen. Nicht zuletzt seine vor allem auf Schätzungen sowie überaus fragmentarischen Daten basierenden Angaben zur Mortalität oder zu den Todesursachen für die gefangenen Russen sind von der angeblichen „Verlässlichkeit“ weit entfernt. Er stützte sich auf Angaben, welche die für den jeweils genannten Stichtag tatsächlich vorhandenen Feindsoldaten auswiesen. Die Gesamtproblematik der Gefangenenzahlen mit Verlusten bzw. „Abgängen“ unterschiedlicher Natur erfasste er damit nicht. Die mit 121.000 Mann angegebene Gesamtzahl für alle in österreichisch-­ ungarischer Kriegsgefangenschaft Verstorbenen, die in „In Feindeshand“ auf-

133 Statistische Studie über russische Kriegsgefangene in Österreich-Ungarn (und in Deutschland) 1914–1918. ÖStA KA NL E. von Waldstätten B/129: 12, 9 (Umschlag – Elaborat über die vom kriegführenden Staat „Österreich-Ungarn“ im Verlauf des großen Krieges 1914/18 gemachten russischen Kriegsgefangenen). 134 Statistische Studie über russische Kriegsgefangene in Österreich-Ungarn (und in Deutschland) 1914–1918. ÖStA KA NL E. von Waldstätten B/129: 12, 5. 135 Statistische Studie über russische Kriegsgefangene in Österreich-Ungarn (und in Deutschland) 1914–1918. ÖStA KA NL E. von Waldstätten B/129: 12, 1. 136 Statistische Studie über russische Kriegsgefangene in Österreich-Ungarn (und in Deutschland) 1914–1918. ÖStA KA NL E. von Waldstätten B/129: 12.

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scheint und auch von Scheidl verwendet wird, korreliert in jedem Fall nicht mit jenen Opferzahlen, die in den Herkunftsstaaten der Gefangenen eruiert wurden oder zum Teil auch innerhalb der Kriegsgefangenenbehörden Öster­ reich-Ungarns bzw. später der Republik Österreich kursierten. Als keineswegs zutreffend angesehen werden müssen auch die von Raabl-Werner genannten Zahlen bezüglich der Verstorbenen. Er beziffert die Gesamtzahl der Todesopfer, der Ausgetauschten, Geflüchteten ebenso wie die der Entlassenen auf insgesamt lediglich 107.217 Mann – ein völlig unrealistisches Ergebnis.137 Eine Korrektur der von österreichischer Seite nach dem Krieg angegebenen Daten zu den Todesopfern erscheint aufgrund der vorgeführten Beispiele – dem italienischen und dem russischen – zulässig. Die Frage ist nur, in welchem Ausmaß diese Berichtigung in weiterer Folge für die Mortalitätsrate vorgenommen werden kann. Die Sterblichkeit bei 1,86 bis möglichen zwei oder gar 2,3 Millionen Gefangenen als Summe aller von der k. u. k. Armee eingebrachten Feindsoldaten mit lediglich 6,5 Prozent anzugeben, dürfte so oder so unrichtig sein. Ähnlich wie bei Italienern und Russen legt eine Zusammenschau vorhandener Zahlen Korrekturen auch für Rumänen und Serben nahe. Die diesbezügliche Ausgangslage ist in Anbetracht des vorhandenen Datenmaterials allerdings noch komplizierter: Im Sommer 1918 ging der k. u. k. Chef des Ersatzwesens von insgesamt etwa 92.000 verfügbaren Serben aus, während Streeruwitz für Juli 1917 von 115.000 sprach, Raabl-Werner aber insgesamt etwa 155.000 nannte.138 Wahrscheinlich seitens des GZNB an Serbien weitergegeben worden waren außerdem Anfang 1918 Zahlen über die bis Ende 1917 in Österreich-Ungarn vorhandenen Gefangenen und Internierten. Diesen Daten zufolge befanden sich im Gewahrsam des Habsburgerreiches 127.500 serbische Kriegsgefangene und 79.000 serbische Internierte.139 Hinsichtlich der Mortalität unter den Serben und der Anzahl der Heimgekehrten oder Geflohenen lassen die genannten Angaben demnach höchst unterschiedliche Schlussfolgerungen zu. Eine Erhöhung von offiziell genannten 15.000 Todes­opfern140 137 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 6. 138 Rapport über den Krankenstand in den Lagern, August 1918. ÖStA KA Chef d EW 1918: 19-29, Kt. 108; Streeruwitz, Kriegsgefangene im Weltkriege, I. Bd., 82; Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 6. 139 Bogdan Trifunović, Prisoners of War and Internees (South East Europe), in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2014–10–08. DOI: 10.15463/ie1418.10132 (abgerufen am 3.8.2021). 140 Scheidl, Die Kriegsgefangenschaft, 97.

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unter den serbischen Kriegsgefangenen auf mehr als doppelt so viele legen jedenfalls Zahlen serbischer Provenienz nahe. Heinrich von Raabl-­Werner wiederum rechnete von insgesamt gemeldeten fast 155.000 serbischen Gefangenen 24.677 der Gruppe der Verstorbenen, Geflohenen, Entlassenen und Austauschinvaliden zu.141 Eine Korrektur nach oben, wenn auch in eventuell geringerem Ausmaß als von serbischer Seite vorgebracht, scheint indessen schon mit Blick auf die hohe Zahl an Todesopfern, die 1914/15 epidemische Krankheiten unter den Serben gefordert hatten, erforderlich: Allein für das Lager Mauthausen werden in den Quellen bis zu 12.000 Tote genannt. Die Gesamtopferzahl dürfte bereits vor diesem Hintergrund 15.000 übertreffen. Betreffend die Anzahl der Rumänen sind etwaige Korrekturen der Mortalität in Anbetracht einer unbekannten Anzahl von Gefangenen, die bis August 1918 aufgrund des Friedensschlusses heimkehren konnten, ebenfalls problematisch. Hinzu kommt das mangelhafte Ausgangsmaterial zur Gesamtzahl rumänischer Soldaten in Feindeshand. Den österreichisch-ungarischen Daten konnten von rumänischer Seite offenbar wenige eigene Informationen entgegengehalten werden. Man verließ sich anscheinend vorrangig, wenn nicht zur Gänze auf jene Listen, die – zögerlich genug – aus dem Habsburgerreich eintrafen. Für 1918 schwanken Angaben zu den Rumänen zwischen wenigen Tausend und ca. 43.000 Mann.142 Feststeht allerdings, dass im März 1918, als der Gefangenenaustausch zwischen Rumänien und Österreich-Ungarn beginnen sollte, mehr als 11.500 rumänische Gefangene der A. i. F. zugeteilt waren.143 Raabl-Werner zieht in jedem Fall von insgesamt bis Mai 1918 gemeldeten fast 53.000 Rumänen annähernd 10.000 ab, subsumiert Letztere aber einmal mehr unter der Rubrik der durch „Tod, Inv.[aliden-] Austausch, Flucht, Entlassung etc.“ – wie es hieß – „Abgegangenen“.144 Hier bleibt überdies anzumerken, dass die Anzahl heimgekehrter Invaliden eher gering zu veranschlagen ist. Während über das neutrale Schweden bis etwa Anfang 1918 21.000 körperlich beeinträchtigte k. u. k. Soldaten in die Heimat kamen, waren es an der SW-Front nicht einmal 14.000.145 Noch weniger 141 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 6. 142 Siehe dazu u. a. auch die Tabelle zu den Zahlen in diesem Band. 143 Bevollmächtigter Generalstabsoffizier beim AGK Mackensen von Obstlt. von Förster. ÖStA KA FA AOK Bevollmächtigte AGKdo Gerok, Mackensen AOK Verb., Op. Nr. 229/3, Kt. 3958. 144 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 6. 145 Vgl. dazu die Angaben bei Gerhard Wanner, Die Bedeutung der k. u. k. Gesandtschaft und des Militärattachements in Stockholm für die Beziehungen zwischen Schweden und Österreich-Ungarn während des Ersten Weltkriegs, Osnabrück 1983, 109; so-

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Serben wurden infolge des Invalidenaustauschs entlassen. Es waren etwa 6000.146 Allein die Addition der erwähnten Opferzahlen für Russen und Italiener in österreichisch-ungarischem Gewahrsam, die abseits der von österreichischer Seite offiziell bekanntgegebenen Daten eruiert wurden, übertrifft die nach dem Krieg präsentierte Gesamtopferzahl bei Weitem. Das gilt auch, wenn man hierfür die jeweils niedrigsten Zahlen, die in den Heimatstaaten der Kriegsgefangenen errechnet wurden, zusammenzählt: 110.000 Russen und 50.000 Italiener. Wenn man überdies Anfang 1918 in der k. u. k. Heeresverwaltung von etwa 1,3 Millionen verfügbaren Feindsoldaten ausging, ist die Diskrepanz zu den 1,86 bis mehr als zwei Millionen Gefangenen, die insgesamt in die Hand der k. u. k. Armee fielen, enorm. Mindestens 500.000 „fehlen“ also zwischen der Momentaufnahme vom Beginn des Jahres 1918 und den anderweitig genannten Gesamtzahlen. Selbst eine Verdoppelung der Opferzahl auf ca. 240.000 Tote wäre unter diesen Vorzeichen eine womöglich moderate Schätzung. Die Einberechnung von geflüchteten Gefangenen, Austauschinvaliden sowie Feindsoldaten, die noch bis Kriegsende eingebracht wurden, und die Berücksichtigung notorischer Evidenzfehler würden dann ein „Restergebnis“ von mindestens 260.000 Mann nahelegen. Solche Rechenbeispiele verdeutlichen den Interpretationsspielraum, den die unsichere Datenlage bietet. Mortalitätsraten für die einzelnen Kriegsgefangenen-Nationalitäten im Habsburgerreich neu zu berechnen, ist angesichts der enorm schwankenden Gesamtzahlen einigermaßen müßig. Trends für die Opferzahlen anzugeben, die den oben vorgeführten Berichtigungen bzw. den aufgezeigten Varianten einer Berechnung folgen, erscheint jedoch vertretbar. Nachfolgende Ausführungen werden immer wieder die Problematik der Zahlen aufgreifen und dabei ebenfalls zu keinen endgültigen Ergebnissen kommen beziehungsweise kommen können. Dass fragwürdige Zahlen im Kontext von Propaganda, Zensur und Rechtfertigungsstrategien zu verorten sind, dass sie aber auch abseits manipulativer Eingriffe administrative Fehler und Unzulänglichkeiten widerspiegeln, sind unbedingt zu berücksichtigende Faktoren für das Verständnis der Kriegsgefangenenproblematik insgesamt. Für Österreich-Ungarn ist explizit anzumerken, dass die greifbaren wie Matthias Egger, Die Hilfsmaßnahmen der österreichisch-ungarischen bzw. der öster­reichischen Regierung für die österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen in Russland und Italien. Ein Forschungsbericht, in: Gunda Barth-Scalmani/Joachim Bürgschwentner et al. (Hg.), Militärische und zivile Kriegserfahrungen 1914–1918, Innsbruck 2010, 81–114, 104–106. 146 Isidor Djuković, Austrougarski zarobljenici u Srbiji 1914–1915, Beograd 2008, 177.

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Statistiken zur Anzahl und Mortalität der Gefangenen mangelhaft sind. Die betreffenden Daten für den Etappenraum und damit etwa zu den Kriegsgefangenenstationen waren noch lückenhafter und damit noch unzuverlässiger als jene, die für das Hinterland vorliegen. Für bestimmte Perioden fehlen sie zur Gänze. Die Historiographie wird – realistischerweise – trotz der offenbar nicht nur für Österreich-Ungarn ungesicherten und bei näherer Betrachtung enorm schwankenden Zahlen weiterhin Todesraten von Gefangenen in verschiedenen Staaten vergleichen. Hier ausgedrückt sei das Plädoyer für einen gewissermaßen transparent zu machenden Zweifel an vorhandenen Daten und für die Problematisierung zweifelhafter „Fakten“. Das mag manchen ebenso unbefriedigend erscheinen wie die Auseinandersetzung mit vielen, sich oft widersprechenden Details. Die Quellenlage aber zwingt unter diesen Voraussetzungen zum besonders vorsichtigen Umgang mit den verfügbaren Zahlen.

Kriegsgefangenenhilfe als Streitfall – am Beispiel italienischer Kriegsgefangener Wie sehr die Kriegsgefangenenproblematik in Zusammenhang mit einem über den Krieg hinausreichenden Propagandakontext beziehungsweise vor dem Hintergrund verschiedenartiger Instrumentalisierungen und Interpretationen zu betrachten ist, zeigt sich indessen auch hinsichtlich der humanitären Hilfe zu Gunsten der Gefangenen. Wieder geht es nicht zuletzt um Zahlen und um die Frage deren Transparenz. Dass sich darüber hinaus die „champions of charity“ der Rot-Kreuz-Gesellschaften für die Kriegsziele ihrer Heimatländer einspannen ließen, wie John F. Hutchinson in einem vieldiskutierten Buch thematisiert hat147, verweist ähnlich wie bei der Zahlenpro­ blematik auch bei der Kriegsgefangenenhilfe auf komplexe Zusammenhänge und Motive. Diese wiederum führen beispielsweise auf das Feld der Politik. Die bereits während des Krieges feststellbare „Politisierung“ von Hilfslieferungen an die Gefangenen wurde etwa von Nadja Durbach am Beispiel der diesbezüglichen britischen Praxis in einem Artikel mit dem vielsagenden 147 Vgl. John F. Hutchinson, Champions of Charity. War and the Rise of the Red Cross, Boulder 1997, 353 f. Siehe außerdem: Cédric Cotter, (S’)Aider pour survivre. Action humanitaire et neutralité suisse pendant la Première Guerre Mondiale, Zürich 2018; Ders., Red Cross , in: 1914–1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2018–04–10. DOI: 10.15463/ ie1418.11237 (abgerufen am 1.2.2021).

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Titel „The parcel is political“ aufgezeigt: Die staatliche Regulierung von Paketsendungen bewegte sich im Spannungsfeld nüchterner Erwägungen und emotionalisierter Debatten: Auf der einen Seite ging es darum, die mit Hilfslieferungen für Gefangene verbundene potentielle Hilfe für den Kriegsgegner zu unterbinden, auf der anderen Seite war es nicht zuletzt infolge öffentlichen Drucks unumgänglich, den eigenen Soldaten in Feindeshand Unterstützung zu gewähren.148 Hinzu kamen Überlegungen hinsichtlich einer erhofften Loyalität der Betroffenen gegenüber ihrer Heimat. Auch die Bewahrung von „Humanressourcen“, die es mit Blick auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Staates nach dem Krieg zu berücksichtigen galt, spielte eine Rolle. Gleichzeitig erwuchsen Erwägungen zu Gunsten einer staatlichen Gefangenenhilfe einer seit dem 19. Jahrhundert auf unterschiedlichen Ebenen zu beobachtenden „Entstehung und Expansion des Moralischen“. Und dieser „moralische Faktor“ wiederum korrelierte u. a. mit der Herausbildung des humanitären Völkerrechtes, aber auch mit einer (Re-)Formulierung staatlicher „Pflichten“.149 Gegensätzliche Ansichten, die Kriegsgefangene einerseits als Feiglinge oder Drückeberger abstempelten und andererseits auf eine Anerkennung von deren Leistungen und der erbrachten Opfer drängten, erschwerten allerdings vielfach eine homogene staatliche Vorgehensweise. Auch in Österreich-Ungarn traten solche Differenzen zu Tage.150 Das Ausmaß der Gefangenenproblematik – immerhin gerieten weit mehr als zwei Millionen k. u. k. Soldaten in Feindeshand –, mündete aber schließlich in eine Politik, die staatliche Hilfsmaßnahmen gewährleistete. Öffentlicher Druck, humanitäre Über148 Nadja Durbach, The parcel is political. The British government and the regulations of food parcels for prisoners of war, 1914–1918, in: First World War Studies 9/1 (2018), 93–110. Vgl. auch Heather Jones, International or transnational? Humanitarian action during the First World War, in: European Review of History – Revue européenne d’histoire 16/6 (2009), 697–713. 149 Vgl. dazu Knoch/Möckel, Moral History. 150 Die massenhafte Gefangennahme von k. u. k. Soldaten im Zuge des Falles der Festung Przemyśl machte sicherlich eine sukzessive Umdeutung der Kriegsgefangenschaft im Sinne einer unvermeidlichen Kapitulation notwendig. Zu verweisen ist allerdings auf Ressentiments in hohen militärischen Kreisen vor allem angesichts der Problematik slawischer Überläufer oder aber slawischer Gefangener, die schließlich in Gefangenschaft die Seiten wechselten. Ab 1917/18 hinzu kam auch das steigende Misstrauen gegenüber Kriegsgefangenen-Heimkehrern aus ideologischen Gründen. Siehe dazu u. a. Richard Lein, Pflichterfüllung oder Hochverrat? Die tschechischen Soldaten Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg, Wien/Berlin 2011; Richard G. Plaschka/Horst Haselsteiner/Arnold Suppan, Innere Front. Militärassistenz, Widerstand und Umsturz in der Donaumonarchie 1918, 2 Bde., Wien 1974.

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legungen ebenso wie utilitaristische Erwägungen machten einen derartigen Kurs nahezu unausweichlich.151 Die Frage, inwiefern und ob die einzelnen Regierungen, aber auch private Hilfsgesellschaften bzw. nationale und internationale Organisationen mit ihren Interventionen zu Gunsten der Kriegsgefangenen reüssierten und damit einer konstatierten „dynamic of salvation“152 mehr oder weniger zufriedenstellend entsprachen, war demnach bereits während des Krieges verknüpft mit den Erwartungshaltungen und Forderungen der eigenen Bevölkerung. Im Habsburgerreich etwa kam einer öffentlich diskutierten Bewertung des humanitären Engagements zu Gunsten der Kriegsgefangenen vor allem in Russland gerade in den beiden letzten Kriegsjahren große Bedeutung zu und zwang die zuständigen Behörden zu selbstlegitimierenden Stellungnahmen.153 Der drohende Verlust der „moralischen“ Glaubwürdigkeit des Staates 151 Zur Kriegsgefangenenfürsorge Österreich-Ungarns ausführlich: Matthias Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen? Die k. u. k. Regierung und die österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen in Russland 1914–1918, Diss. Salzburg 2018. Ich danke dem Verfasser für die Einsicht in seine Arbeit. Egger benennt drei zentrale Motive für die österreichisch-ungarische Kriegsgefangenenhilfe: „1) die Wahrung der Stabilität der Regierung/des Systems, 2) die Abfederung budgetärer und ökonomischer Langzeitfolgen und 3) die Wahrung der militärischen Schlagkraft der Monarchie.“ Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen?, 231. 152 Branden Little, An explosion of new endeavours. Global humanitarian responses to industrialized warfare in the First World War Era, in: First World War Studies 5/1 (2014), 1–16, 13. 153 Bezüglich einer Bilanz der Fürsorgeaktivitäten siehe Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen?, 523–598. Mit der Frage der Kriegsgefangenenhilfe verbanden sich in der historiographischen Betrachtung auch Überlegungen hinsichtlich nationaler oder nach Konfessionen differenzierter Initiativen, die in weiterer Folge auch zu einer Problematisierung der „Quellenhoheit“ von Eliten-Perspektiven überleiteten. Vgl. Antje Bräcker, Katholisches karitatives Wirken in den Balkankriegen und im Ersten Weltkrieg zwischen Habsburgerreich und Nationalbewegungen am Beispiel der Kriegsgefangenenfürsorge, in: Wolfram Dornik/Julia Walleczek-Fritz/Stefan Wedrac (Hg.), Frontwechsel. Österreich-Ungarns „Großer Krieg“ im Vergleich, Wien/Köln/Weimar 2014, 91–104. Tatsächlich ist nicht nur in den in diesem Zusammenhang beispielsweise konkret angesprochenen Beständen des Archivio Segreto Vaticano der Überhang an Dokumenten, die das Schicksal von Offizieren berühren, evident. Die Anonymität der Gefangenenmassen wurde anhand verschiedener „Eingaben“ bezüglich des Loses einzelner Kriegsgefangener auch in den betreffenden Sammlungen des Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien am ehesten in Bezug auf Offiziere überwunden. Das galt für die höheren Ränge aus der Mitte der Feindsoldaten ebenso wie für die eigenen Offiziere in Gefangenschaft. Teilweise korrigiert werden konnte eine solcherart entstandene Einseitigkeit auf Grundlage der Zensur der aus den gegnerischen Staaten eintreffenden Gefangenenkorrespondenz, wobei sich ein repräsentatives Bild von den Lebensbedingungen der k. u. k. Soldaten in Gefangenschaft infolge der von den Nehmestaaten verfügten Beschränkungen für das Verfassen von Briefen beziehungsweise Postkar-

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war somit eng verbunden mit der Frage humanitären Engagements. Heather Jones konstatierte in Zusammenhang mit der Problematik der Hilfsmaßnahmen eine Tendenz zur „Verstaatlichung“ mit Folgen auch für neutrale bzw. internationale Initiativen: Ultimately, the war’s unleashing of nationalised aid efforts based on reciprocity also served to undermine the neutral, international humanitarian approach, which was based on universal legal prisoner of war rights as enshrined in prewar international law. The mass nationalisation of war aid – with its concomitant unleashing of transnational cultural exchanges – was an important and highly complex dimension of First World War cultural mobilisation. Indeed, the nationalisation of aid was one of the significant, overlooked legacies of the conflict.154

Insgesamt stellt sich indessen angesichts der sukzessiven Auflösung des Lagersystems in Österreich-Ungarn oder wenigstens seines fortschreitenden Bedeutungsverlustes als Folge einer breit angelegten Arbeitsverwendung der Feindsoldaten ohnehin die Frage, inwiefern etwa Fürsorgemaßnahmen seitens der Heimatstaaten die Betroffenen überhaupt erreichten beziehungsweise wie viele Gefangene davon profitierten.155 ten abermals nur bedingt ergab. Den „Draht“ zu den einfachen Soldaten zu verlieren drohten im Übrigen auch die Herkunftsstaaten der im Habsburgerreich befindlichen Kriegsgefangenen vor allem infolge deren verstärkten Einsatzes für Arbeiten außerhalb der Lager. Für Vertreter der Schutzmächte oder Delegierte von Hilfsgesellschaften wurde es dadurch sukzessive schwieriger, im Zuge ihrer Visitationen die Masse der Kriegsgefangenen, die als Konsequenz ihres Arbeitseinsatzes im ganzen Land verstreut waren, zu erreichen. 154 Jones, International or transnational?, 710. 155 Obwohl eine gewissermaßen kompensatorische Versorgung der Gefangenen auf Grundlage von Hilfslieferungen angesichts der prekären Versorgungslage der Monar­ chie ohne Zweifel erwünscht war, gab es in diesem Zusammenhang verschiedene logistische Probleme, die u. a. grundsätzliche Charakteristika des österreichisch-ungarischen Gefangenenwesens widerspiegelten. So erwies sich infolge der Zerstreuung der Gefangenen auf viele verschiedene Arbeitsplätze außerhalb der Lager sowohl die Aushändigung von Korrespondenzen als auch von Liebesgabenpaketen als schwer zu bewältigende Herausforderung. Betroffen waren vor allem die im Bereich der Armee im Felde befindlichen Feindsoldaten, für die überdies eigene Korrespondenzvorschriften galten, um der gegnerischen Macht keine Rückschlüsse auf den Standort entsprechender Kriegsgefangenen-Arbeiter-Abteilungen zu liefern. Im Frühjahr 1916 ließ das AOK die Korrespondenz der bei der A. i. F. befindlichen Gefangenen sogar vernichten, weil es befürchtete, dass über Poststempel relevante Daten über die „Kriegsgliederung“ der k. u. k. Armee an den Feind gelangen könnten. Ausfüllung von Evidenzkarten. ÖStA KA KM 10. KgA 1916: 10-10/8-7, Kt. 1286. Wie sehr indessen die Registrierung der

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Bereits ab 1915 wurde im Habsburgerreich die Arbeitsverwendung von Kriegsgefangenen in großem Stil organisiert – eine Maßnahme, die sich im Einklang mit den Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung befand.156 Steigender Arbeitskräftemangel, verhältnismäßig niedrige Kosten, der angenommene disziplinierende Effekt auf ansonsten untätig bleibende Männer sowie die mit Kriegsdauer stetig wachsenden Ausgaben für Unterbringung und Versorgung der Feindsoldaten machten die Verwendung von Kriegsgefangenen zu einer geradezu alternativlosen Notwendigkeit. Die Einsatzbereiche erweiterten sich seit Kriegsbeginn laufend und betrafen die Agrarwirtschaft ebenso wie Industrie- oder Dienstleistungsbetriebe. Zehntausende arbeiteten schließlich auch im Bereich der Armee im Felde, wo sie teilweise für völkerrechtswidrige Arbeiten und damit für Tätigkeiten, die direkt mit Kriegsoperationen in Verbindung standen, eingesetzt wurden. Obwohl es „ein allgemein akzeptiertes und praktiziertes Prinzip gewohnheitsrechtlichen Kriegsbrauchs“ darstellte, „Kriegsgefangene grundsätzlich nicht zu HandFeindsoldaten aus dem Ruder gelaufen war beziehungsweise wie wenig sich die Armee im Felde um eine ordnungsgemäße Evidenthaltung gekümmert hatte oder diese bewerkstelligen konnte, zeigte sich unter anderem darin, dass große Geldbeträge – für 1918 ist von immerhin vier Millionen Kronen die Rede – nicht an die Gefangenen ausgefolgt wurden, weil man sie angeblich nicht ausfindig machen konnte. Die von Verwandten und Hilfsorganisationen bereitgestellten Summen galten als „unbestellbar“. Während angesichts einer ständigen Verringerung von Rationen die Aufforderungen der Gefangenen vor allem an Familienangehörige, Lebensmittel zu schicken, immer dringlicher wurden, kamen also ganz offensichtlich bei Weitem nicht alle Liebesgaben oder aber Geldsendungen tatsächlich bei den Betroffenen an. Misswirtschaft und Korruption in den Lagern, die auch Kriegsgefangene als Täter mit einschloss, waren zusätzliche Faktoren, die dazu führten, dass Pakete vorenthalten wurden. Obwohl man die missbräuchliche Verwendung von Liebesgabenpaketen in verschiedenen Erlässen untersagte, bedeute das freilich nicht, dass sie auch immer befolgt wurden. Für wie wichtig man die Hilfslieferungen hielt, um die Gefangenen ernähren zu können, beweisen indes Regelungen bei der A. i. F., die die Weiterverwendung unzustellbarer Pakete für Gefangene bei der Armee im Felde festlegten: Diese sollten nach Ablauf einer Frist unter den Kriegsgefangenen jener Einheiten, an die die Lieferung gegangen war, verteilt werden. Vgl. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 147. 156 Trotz einer mit der Arbeitsverwendung verbundenen Vielzahl von organisatorischen Problemen und schließlich einer nicht mehr gewährleisteten Versorgung der Feindsoldaten resümierten Experten nach dem Krieg einen überaus günstigen „Nutzeffekt“ der Kriegsgefangenenarbeit. Die Rede war von einer Ersparnis von etwa 50 Prozent für einzelne Einsatzbereiche. Wiener Landwirtschaftliche Zeitung, 25.1.1919, 1 f. Demgegenüber wurde die Arbeitsverwendung von Flüchtlingen noch während des Krieges minder günstig bewertet. Man habe, meinte ein Vertreter des k. k. Ministeriums des Innern im Juli 1915, „im großen und ganzen schlechte Erfahrungen“ mit ihnen gemacht. Protokoll der interministeriellen Sitzung betr. Beschäftigung von Kriegsgefangenen, 6.7.1915. Kärntner Landesarchiv (KLA) Landesregierung/Präsidium, Zl. 6407 (Kriegsgefangene für gemeinnützige Arbeiten), Kt. 349.

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lungen gegen ihren eigenen Staat“ zu zwingen, wurden Feindsoldaten zu solchen Tätigkeiten, wenn erforderlich, unter Gewaltanwendung herangezogen.157 Insgesamt waren die Gefangenen über viele Hunderte Arbeitsstätten im Hinterland ebenso wie im Bereich der Armee im Felde verstreut. Dadurch wurden Hilfsaktionen erheblich erschwert. Zu berücksichtigen gilt es darüber hinaus auch den Umstand, dass in der k. u. k. Monarchie Liebesgabentransporte immer wieder Ziel von Beraubungen waren. Gegenmaßnahmen der k. u. k. Behörden griffen zunächst nur schleppend.158 Tatsächlich blieb die 157 Vgl. Hinz, Gefangen, 53. 158 Im Habsburgerreich mangelte es ganz grundsätzlich an Transportkapazitäten, um eintreffende Hilfsgüter zu befördern. Und schließlich fehlte es an Ressourcen in Zusammenhang mit der Sortierung der Pakete. Im März 1918 etwa wurde das Kriegsministerium von der k. u. k. Paketsammelstelle in Sigmundsherberg informiert, dass die „Reparatur“ beschädigter Pakete mit großem materiellem sowie personellem Aufwand verbunden war. K. u. k. Kriegsgefangenen-Paketsammelstelle in Sigmundsherberg an das k. u. k. Kriegsministerium, 18.3.1918. ÖStA KA KM 10. KgA 10-18/2-43. Kt. 2015. Das Hauptproblem aber lag darin, dass viele Lieferungen noch auf ihrem Weg zu den Verteilerzentren beraubt wurden. Die Dimensionen dieser Beraubungen gefährdeten die Hilfslieferungen enorm. Man ging schließlich dazu über, Waggons mit Liebesgaben zu plombieren, um derartige Vorfälle zu vermeiden. Tatsächlich erfuhr die Beraubung von Eisenbahnzügen im Laufe des Krieges eine „gigantische Steigerung“. Verglichen mit 1914 musste eine Zunahme von 3890 Prozent (!) beobachtet werden: „Auffallend ist die Beschleunigung der Zunahme von Diebstählen und Eisenbahnberaubungen ab 1917, mit dem Zeitpunkt also, als die Einkommen aus Arbeit und Unterstützungen für den größten Teil der Bevölkerung nicht mehr ausreichten, um mit der Teuerung zumindest soweit Schritt zu halten, dass man sich neben Wohnung und Brennmaterialien eine zumindest rudimentär ausreichende Ernährung hätte leisten können.“ Anatol Schmied-Kowarzik, Die wirtschaftliche Erschöpfung, in: Helmut Rumpler (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. XI: Die Habsburgermonarchie und der Erste Weltkrieg, Teilband 1/1, Wien 2016, 484–542, 538. Das Kriegsministerium setzte indessen alles daran, die „Lebensmittelzufuhr aus dem feindlichen und neutralen Ausland“, die infolge der Beraubungen schwer in Mitleidenschaft gezogen worden war, sicherzustellen. Einmal mehr war in diesem Zusammenhang von „das Ansehen der Monarchie schwer beeinträchtigenden“ Vorkommnissen die Rede. Offenbar hatte die widerrechtliche Aneignung von Liebesgaben einen geradezu „katastrophale[n] Umfang“ angenommen. K. u. k. Kriegsgefangenen-Paketsammelstelle in Sigmundsherberg an das k. u. k. Kriegsministerium, 18.3.1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-18/2-43, Kt. 2015. Obwohl die Beraubungen nicht nur auf dem Territorium der k. u. k. Monarchie stattfanden, dürften selbst die oben angesprochenen Maßnahmen zur Vermeidung solcher Missstände im Habsburgerreich nicht immer gegriffen haben. Vgl. K. u. k. Kriegsgefangenenlager-Kommando Ostffyasszonyfa, Exh. Nr. 367, res. 1918, 24.4.1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-137/6, Kt. 2223. Warum die Pakete so begehrt waren, lag auf der Hand. Sie enthielten „ausser Brot verschiedene Lebensmittel, wie Reis, Hülsenfrüchte, Schokolade, Feigen, Konserven etz., dazu Tabak, Wäsche und Kleider.“ Der Wert der eingegangenen Pakete belief sich allein für Februar 1918 auf etwa 13 Millionen Kronen. Ebd.

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Problematik von Plünderungen der Hilfslieferungen gemeinsam mit einem phasenweise vorhandenen Transportchaos und zahlreichen kommunikativen Defiziten bis Ende des Krieges bestehen.159 Ungeachtet dessen vervielfachte sich ab Anfang 1917 die Anzahl an Hilfsgütern, die in Österreich-Ungarn ankamen. Allein im niederösterreichischen Sigmundsherberg trafen zwischen Februar und Mai 1918 vier Millionen Pakete ein.160 Diese Phase deckte sich auch mit einer sogenannten „Normalisierung“ des Empfangs von Sendungen aus Italien, von wo zuvor offenbar weniger Poststücke eintrafen.161 Die Historiographie kommt zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich des tatsächlichen Effektes von Hilfslieferungen für die Lage der Gefangenen.162 Ungeachtet dessen galten und gelten sie als Gradmesser für das Engagement des Herkunftsstaates zu Gunsten seiner Staatsbürger. Vor allem die Politik der Regierung in Rom, die Hilfslieferungen an italienische Gefangene im Gewahrsam der Mittelmächte ganz explizit als indirekte Unterstützung der Gegner wertete und sogar diesbezügliche Sendungen von Angehörigen der Gefangenen ver- beziehungsweise behinderte, geriet in diesem Zusammenhang in Verruf. Anders als die italienische Historikerin Giovanna Procacci, die das „Massensterben“ italienischer Gefangener in österreichisch-ungarischem Gewahrsam vor allem der italienischen Kriegsgefangenenpolitik anlastete, meinte Alan Kramer: „Was auch immer der italienische Staat getan oder unterlassen hätte, war letztlich für das Schicksal der meisten Gefangenen nicht entscheidend.“163

159 Vgl. Thomas Edelmann, Das Etappenwesen der österreichisch-ungarischen Landstreitkräfte 1909 bis 1918. Kriegsvorbereitung und Kriegsrealität, Diss. Wien 2017, 137–144. 160 Rudolf Koch, Im Hinterhof des Krieges. Das Kriegsgefangenenlager Sigmundsherberg, Sigmundsherberg 2002, 151 f. 161 Ebd., 197. 162 In Bezug auf die Tätigkeit österreichisch-ungarischer Behörden mit einer tenden­ziell positiven Einschätzung: Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen?, passim. Zurück­ haltender: Julia Walleczek-Fritz, Kontrolle durch Fürsorge. Neutrale humanitäre Organisationen und ihr Engagement für Kriegsgefangene in Österreich-Ungarn und Russland im Ersten Weltkrieg in vergleichender Perspektive, in: Wolfram Dornik/Julia Walleczek-Fritz/Stefan Wedrac (Hg): Frontwechsel. Österreich-Ungarns „Großer Krieg“ im Vergleich, Wien/Köln/Weimar 2014, 105–137. Egger hält allerdings in Anbetracht der weitaus höheren Gefangenenzahlen Österreich-Ungarns im Vergleich mit Deutschland einen sehr viel geringeren Gesamtaufwand pro Kopf für die k. u. k. Soldaten in Russland fest. Vorhandene, wenn auch fragmentarische Zahlen legen überdies nahe, dass nur etwa 0,9 Prozent der Militärausgaben für die Unterstützung der Gefangenen in Feindeshand aufgewendet wurden bzw. werden konnten. Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen?, 249. 163 Kramer, Italienische Kriegsgefangene, 256.

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Die genauen Dimensionen der zu Gunsten der Kriegsgefangenen in der Donaumonarchie geleisteten Hilfe von Neutralen oder aber privaten Hilfsorganisationen lassen sich indessen nur ansatzweise in konkrete Gesamtzahlen gießen. Noch schwerer zu beantworten ist die Frage nach einem nach Herkunftsländern differenzierten Gesamtvolumen von Unterstützungen für die gesamte Kriegsdauer. Die vereinzelten Auflistungen etwa der Anzahl von Konserven oder anderen Hilfsgütern vermögen dies nur bedingt zu leisten. Immerhin wurden neben den Lebensmitteln auch Geldsendungen geschickt oder Wäschepakete zusammengestellt. Auch kolportierte Summen, die für die Anschaffung von Hilfsgütern verwendet wurden, spiegeln das Ausmaß staatlicher Initiativen nur bedingt wider. Der Kurs der in verschiedenen Fremdwährungen angekauften Güter war immer wieder enormen Schwankungen ausgesetzt – ganz zu schweigen von den Turbulenzen der jeweils eigenen Währung. Außerdem kam es neben den Initiativen der Schutzmächte zu unterschiedlichen Kooperationen zwischen den einzelnen Hilfsorganisationen und auf diese Weise zu Fürsorgemaßnahmen, die das Ausbleiben von Unterstützung aus den Herkunftsländern der Gefangenen wenigstens ansatzweise auszugleichen suchten. Laut der durch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) gegründeten internationalen Auskunfts- und Hilfsstelle für Kriegsgefangene in Genf, der Agence internationale des prisonniers de guerre (AIPG), belief sich die Zahl der bis Dezember 1915 übermittelten Pakete an Kriegsgefangene aller Krieg führenden Staaten auf nahezu 16 Millionen Stück.164 Auf Grundlage aktueller Forschungen ist davon auszugehen, dass für italienische Kriegsgefangene im Habsburgerreich ungleich mehr Hilfsgüter verschickt wurden (oder zumindest in Österreich-Ungarn ankamen) als für Gefangene anderer Nationalitäten. Selbst angesichts sich verschärfender Richtlinien der Regierung in Rom für die Ausfuhr von Paketen gereichte das diesbezügliche Verhältnis zu einem eklatanten Nachteil beispielsweise für 164 Vgl. Uta Hinz, Humanität im Krieg? Internationales Rotes Kreuz und Kriegsgefangenenhilfe im Ersten Weltkrieg, in: Jochen Oltmer (Hg.), Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006, 216–238, 225 f. In den Jahren 1915 und 1916 erhielten russische Kriegsgefangene im Bereich der Mittelmächte etwa 130.000 Liebesgabenpakete aus ihrer Heimat. Vgl. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 147. Demnach bekamen nicht einmal fünf Prozent der Russen in Gefangenschaft derartige Hilfslieferungen, die aus dem Zarenreich stammten – ein Umstand, der wiederum darauf hinweist, dass die Nehmestaaten nolens volens ihrer in der HLKO festgelegten Versorgungspflicht zumindest in der ersten Kriegshälfte einigermaßen entsprechend nachkommen mussten. Mit fortschreitender Lebensmittelknappheit kam den Hilfslieferungen als Ersatz für eine in Eigenregie kaum mehr zu gewährleistende Versorgung ohne Zweifel eine größer werdende Bedeutung zu.

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Gefangene aus dem Zarenreich.165 Die Unterstützung für die gefangenen Ita165 Hinsichtlich der Pakete, die – nach Nationalitäten gestaffelt – zumindest in der ersten Jahreshälfte 1917 im Habsburgerreich ankamen, gibt ein Bericht der Paketsammelstelle in Mauthausen aus dem Jahr 1917 Einblick: „Für die 100.000 ital. Kgf. 380.000 Stücke und für die 1.000.000 russischen und andere Kgf. 80.000 Stücke.“ Dieser Aufstellung zufolge erhielten „die italienischen Kgf. rund 50 mal mehr Pakete, als die übrigen Kgf“. Allein im Lager Mauthausen langten monatlich schließlich 140.000 Pakete ein. Dieses Ungleichgewicht an Paketen, die für italienische Gefangene bestimmt waren, wurde im betreffenden Bericht explizit festgehalten. Gleichzeitig formuliert wurde die Annahme, dass in Sigmundsherberg eine ähnliche Zahl an Paketen eingehe. Aktenkonvolut betr. Angelegenheiten italienischer Kgf., April 1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-18/202, Kt. 1463. Unklar bleibt der Einlauf an Lieferungen für serbische und russische Kriegsgefangene, der angeblich zentral in Brüx und Sigmundsherberg geregelt wurde. Aus den vorhandenen Akten lässt sich keine Trennung der Sammelstellen nach Herkunftsländern der Gefangenen eruieren. Die oben genannten Angaben erscheinen angesichts der Bezugnahme auf die Gesamtzahl der Kriegsgefangenen plausibel. Vgl. Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 6, 28. Den Umfang der Liebesgaben für russische Kriegsgefangene gibt Raabl-Werner für 1916 mit 127 „Waggonladungen“ an, für 1917 mit 177 „Waggonladungen“. Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 37. Aus einer Aufstellung der Paketsammelstelle Sigmundsherberg geht jedenfalls hervor, dass sich offenbar infolge der Maßnahmen zu Verhinderung der Beraubung von Liebesgabentransporten der Einlauf an Paketen ab 1918 zunächst verdoppelte und schließlich vervielfachte. Der durchschnittliche „Tageseinlauf“ betrug demnach im Februar 24.000 Pakete, im März 1918 sogar weit über 35.000. K. u. k. Kriegsgefangenen-Paketsammelstelle in Sigmundsherberg an das k. u. k. Kriegsministerium, 18.3.1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1018/2-43. Kt. 2015. Allein im März 1918 hatte es die „Schweizer Oberpostdirektion“ mit 796.470 Postpaketen für italienische Kriegsgefangene in Österreich-Ungarn zu tun. Zusammenstellung der Schweizer Oberpostdirektion, April 1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-18/386, Kt. 2053. Allerdings behauptete im März 1919 die italienische Waffenstillstandskommission, dass sich in Sigmundsherberg bei Kriegsende etwa 1.500.000 nicht ausgegebene Pakete befanden und diese bewusst unterschlagen worden waren. Nach Berechnungen des Liquidierenden Kriegsministeriums entsprach das einem etwas mehr als zweimonatigen Rückstand bei der Paketausgabe, da monatlich angeblich etwa 700.000 Pakete eintrafen. Der betreffende Rückstau ergab sich nach Meinung der Liquidierenden Behörden aus den Entwicklungen bei Kriegsende. Vor allem fehlte es an Waggons zum Weitertransport. Vgl. Beschwerdeschrift der ital. Waffenstillstandskommission, März 1919. ÖStA KA Liqu. KM 10. KgA 1919: 10-125/2, Kt. 2248. Die italienische Regierung präferierte ungeachtet dessen während des Krieges die erwähnten restriktiven Maßnahmen: „Außenminister Sonnino verlangte […] sogar, daß die Menge der in den Paketen an die Gefangenen in Österreich enthaltenen Nahrungsmittel reduziert und jegliche Hilfe für italienische Kriegsgefangene in Deutschland untersagt wurde.“ Procacci, „Fahnenflüchtige jenseits der Alpen“, 204. Diese harte Linie wirkte sich ungeachtet der noch rigoroseren Haltung gegenüber den Gefangenen in Deutschland folglich auch auf die italienischen Gefangenen in Österreich-Ungarn einigermaßen negativ aus. Außerdem kam es offenbar auch in Bezug auf die Lieferungen für die Donaumonarchie 1918 zumindest phasenweise zu einem kompletten Stillstand. Vgl. Procacci, „Fahnenflüchtige jenseits der Alpen“, 204.

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liener speiste sich im Unterschied etwa zur Kriegsgefangenenfürsorge Österreich-Ungarns für k. u. k. Soldaten in Feindesland vor allem aus den Zuwendungen von Familienangehörigen.166 Das Ausmaß dieser Hilfe war immens. In einem Zensurbericht des GZNB über italienische Kriegsgefangene aus dem März 1917 hieß es, dass die „Ernährung vieler Kriegsgefangener gegenwärtig ausschließlich oder zum grössten Teile auf Paketsendungen aus dem Auslande“ beruhte.167 Gleichzeitig verwiesen wurde auch auf eine bevorstehende „starke Einbusse“ an Sendungen, die mit den „Ausführverboten“ der italienischen Regierung in Verbindung gebracht wurden.168 In der ersten Jahreshälfte 1917 erhielten italische Kriegsgefangene zwar – wie erwähnt – um ein Vielfaches mehr an Paketen als Gefangene anderer Nationalitäten. Zumindest phasenweise aber lagen mehrere Wochen zwischen dem Einlangen der einzelnen Liebesgabensendungen in Österreich-Ungarn. Noch im Frühjahr 1918 meinte der Inspizierende des Kriegsgefangenen-Arbeiterlagers in Breitenlee Feldmarschallleutnant Johann Linhart, dass die Pakete für gefangene Italiener „infolge wiederholter Grenzsperre auf der ital. Seite“ mit enormer Verspätung eingetroffen seien.169 Und trotzdem präferierten Arbeitgeber im Habsburgerreich mitunter explizit italienische Kriegsgefangene, da sie anders als die Gefangenen aus dem Zarenreich immer noch sehr viel mehr Lebensmittel aus der Heimat erhielten und daher zu besseren Arbeitsleistungen fähig waren.170 Die Gründe für die zumindest 1917/18 auch von Seiten der k. u. k. Behörden registrierte hohe Sterblichkeit unter den italienischen Gefangenen deuten in jedem Fall auf verschiedene Faktoren hin, die über die Frage der Hilfspakete hinausweisen. Dazu zählt ein mit dem rasanten Anwachsen der Anzahl eingebrachter italienischer Gefangener als Folge militärischer Operationen der k. u. k. Armee überforderter Apparat, der den „Massenabschub“ der Gefangenen vom Kampfbereich nur schwer bewältigte. „Der von“ Alan Kramer 166 Die Ressourcen der Bevölkerung Österreich-Ungarns wurden von verschiedenen Sammlungen zu Gunsten des Krieges sowie nicht zuletzt von der Zeichnung der Kriegsanleihen absorbiert. Vgl. dazu in Bezug auf die Steiermark Martin Moll, Die steirische Wirtschaft im Ersten Weltkrieg, in: Josef Riegler (Hg.), „Ihr lebt in einer großen Zeit, …“ Propaganda und Wirklichkeit im Ersten Weltkrieg, Graz 2014, 89–108, 98–102. Zu den „Quellen“ der Kriegsgefangenenfürsorge in Österreich-Ungarn siehe: Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen?, 222–227. 167 Märzbericht über italienische Kriegsgefangene, 1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 1018/202, Kt. 1463. 168 Ebd. 169 Beschwerde von Kgf. des Kgf. Arbeiterlagers in Breitenlee über schlechte Behandlung. ÖStA KA KM 10. KgA 1918/19: 10-18/643, Kt. 2053. 170 Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 188.

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„beschriebene unmenschlich lange Transport der frierenden italienischen Kriegsgefangenen nach der 12. Isonzo-Schlacht 1917“ müsse, so der österreichische Militärhistoriker Thomas Edelmann, „im Kontext des kollabierenden Transportapparates der k. u. k. Armee analysiert werden“.171 Der Weg ins Hinterland dauerte angesichts dessen ungewöhnlich lange und bedeutete ein Mehr an Strapazen für die Betroffenen.172 Angesichts von massenhaften Gefangennahmen im Zuge von Offensiven kam es überdies immer wieder zu einer ebenso massenhaften Konzentration von Gefangenen in den Lagern – ein Umstand, der die Verbreitung von ansteckenden Krankheiten begünstigte. Zu berücksichtigen gilt es auch die Folgen des 1917 durchgeführten Gefangenenaustausches zwischen Hinterland und Armee im Felde, durch den das Ausmaß an Ausbeutung, die bei der A. i. F. offenbar von Anfang an üblich war, erst augenscheinlich wurde. Jetzt nämlich starben die aus dem Bereich der Armee im Felde überstellten Gefangenen im Hinterland, wo man derartige „Abgänge“ für gewöhnlich mit größerer Genauigkeit festhielt als bei der A. i. F.173 Mit anderen Worten: Der (wahrgenommene) Anstieg von Todesfällen unter italienischen Kriegsgefangenen ist u. a. Ausdruck einer gewissermaßen „kollateral“ ans Tageslicht gekommenen Tragödie. Nicht von der Hand zu weisen ist wohl auch der Umstand, wonach die ab 1917 gefangengenommenen Italiener bereits bei ihrer Gefangennahme physisch in einem schlechteren Zustand waren als noch zu Kriegsbeginn. Hinzu kam aber schließlich die völlig unzureichende Verpflegung in Gefangenschaft sowie das Unvermögen der Militärstellen, an die eingebrachten Feindsoldaten eine den Witterungsverhältnissen angepasste Bekleidung auszugeben. Zusätzlich waren italienische Kriegsgefangene offenbar in zahlreichen Fällen nach der Gefangennahme verschiedener Uniformteile beraubt worden. Seitens des 11. k. u. k. Armeekommandos wurde im Januar 1918 festgestellt, dass den Italienern „hauptsächlich die Pelzmäntel, Mäntel, Pelerinen und überhaupt wärmere Bekleidungsstücke abgenommen wurden, so dass sie […] schutzlos den Unbilden der Witterung preisgegeben“ waren.174 Die „Abnahme von Kleidungsstücken jeder Art“ wurde daraufhin „den Truppen […] strengstens“ verboten175 – ein Appell, dem angesichts der immer spärlicher werdenden Ausstattung von k. u. k. Soldaten mit für die Witterung geeigne171 Thomas Edelmann, Gefangennahme und Abtransport der Kriegsgefangenen durch den österreichisch-ungarischen Etappenraum 1914–1918, in: Beiträge zur österreichischen Militärgeschichte 864–2019, Wien 2019, 377–414, 389. 172 Edelmann, Das Etappenwesen, 126. 173 Vgl. Verzeichnis über Evidenzdaten. ÖStA KA KM 10. KgA 1916: 10-8/8-8, Kt. 1286. 174 Zit. nach Kramer, Italienische Kriegsgefangene, 254. 175 Ebd.

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ten Monturen wahrscheinlich nur eingeschränkt entsprochen wurde. Solcherart seien, so Thomas Edelmann, Verstöße gegen die Gefangenenbehandlung als Folge „der materiellen Situation der Armee“ vorgekommen und „dem spezifischen Kontext ihres Armeebereichs“ zuzuordnen. Es gebe indessen „keine Hinweise auf kollektive Ressentiments von k. u. k. Soldaten gegenüber Italienern“. Verfehlungen sieht Edelmann vielmehr gleichmäßig auf alle Nationalitäten von Gefangenen verteilt. Die Abnahme von Kleidungsstücken etwa, wie sie auch russischen Gefangenen 1914 widerfuhr, sei beispielsweise der damals bereits mangelhaften Bekleidung der k. u. k. Soldaten zuzuschreiben.176 Dass im Übrigen nach der Gefangennahme regelrechte „Ausplünderungen“ „sowohl von unserer als auch von Feindes-Seite üblich war[en]“, fand auch in österreichischen Nachkriegspublikationen Bestätigung.177 Das Problem unrechtmäßigen „Konfiszierens“ von Kleidung tauchte in unterschiedlichen Situationen auf. Auch lange nach der Gefangennahme wurden Kleidungsstücke abgenommen. Anlässlich der Überstellung von Feindsoldaten aus den Lagern zu den Arbeitsstellen fielen derartige Missstände besonders auf. Manche kamen dort, hieß es seitens des Militärkommandos Pozsony im Frühjahr 1917, „ohne Hose und Bluse“ an, ein Umstand, der vor allem auf Missbräuche seitens der Eskortemannschaften zurückgeführt wurde.178 Auch das k. u. k. 7. Armeekommando bekam es mit derartigen Vorfällen zu tun. Im Januar 1918 war etwa in Oláhszentgyörgy 2000 italienische Kriegsgefangenen in einem als bedauernswert bezeichneten Zustand eingetroffen. Überstellt aus Sigmundsherberg, waren sie mitten im Winter in „schlechten Monturen, fadenscheinigen Mäntel[n], die keinen Schutz gegen Kälte boten“ in Ungarn angekommen. Die meisten waren „ohne warme Leibwäsche und Decken und total verlaust“ eingetroffen. Als Konsequenz wurden die Gefangenen nur zu einem ganz geringen Prozentsatz für Arbeiten verwendet, der Rest verblieb in den „Baracken in Ruhe belassen“. „Die Hauptursache des Erschöpfungszustandes“, hieß es, lag „in der vollkommenen Aushungerung der Italiener während der vergangenen Wochen“. Die Sektion einiger Leichen verstorbener Italiener ergab einen Befund, der keine andere Schlussfolgerung zuließ als die, dass die Männer verhungert waren.179 In einem Zensurbericht über die Lage 176 Edelmann, Gefangennahme, 388 f. 177 Vgl. Ig. Matko, Die Erlebnisse eines österr. Unteroffiziers in serbischer Kriegsgefangenschaft und Flucht 1914/15, Graz 1931, 15. 178 MA. J. Nr. 14688/Kgf. betr. Visitierung des Bekleidungszustandes abzusendender Kriegsgefangener. Militärkommandobefehl Nr. 79. ÖStA KA Terr Befehle, 5. K., Pozsony 1914–1916, Kt. 51. 179 K. u. k. Eisenbahnbaudirektion, Adj. Nr. 200/31 an das k. u. k. 7. Armeekommando (Qu. Abt.), 18.1.1918. ÖStA KA Chef d EW 1918: 19-19, Kt. 108.

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italienischer Gefangener, der bereits aus dem Frühjahr 1917 stammte, machte man überdies neben einer „ständige[n] Unterernährung“ auch noch auf das „enge Zusammenwohnen“ der Gefangenen aufmerksam, das die Ausbreitung von Tuberkulose begünstigte.180 Ansonsten hieß es unumwunden, dass sich in den Gefangenenkorrespondenzen „Quantität und Intensität“ der so bezeichneten „Hungerklagen“ italienischer Gefangener gesteigert hätten, wobei man sich in dieser Hinsicht gewissermaßen ohnehin „im Rahmen des nun bereits Gewohnten und Hergebrachten“ befände.181 Ohne Zweifel war es die Summe der erwähnten Faktoren, die für die in einzelnen Lagern beobachtete hohe oder höhere Sterblichkeit italienischer Kriegsgefangener zumindest ab 1917 verantwortlich war. Die allgemeine Versorgungskrise dürfte freilich den größten Einfluss auf das Elend der sogenannten „latecomers“ ausgeübt haben – also jener Kriegsgefangener, die erst in einer späteren Phase des Krieges eingebracht wurden. Zu Letzteren zählten im Übrigen auch die rumänischen Kriegsgefangenen.182 Von ihnen 180 Märzbericht über italienische Kriegsgefangene, 1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 1018/202, Kt. 1463. 181 Ebd. 182 Eine gewissermaßen mitgebrachte körperliche Schwäche war indessen jene Erklärung, die man seitens der k. u. k. Armee für die hohe Mortalität unter eingebrachten rumänischen Gefangenen heranzog, die bereits Anfang 1917 hauptsächlich im ungarischen Lager Ostffyasszonyfa in auffällig großer Zahl gestorben waren. Die bereits für üblich gehaltene „Verpflegsnot“ sowie der Mangel an Brennmaterial, der infolge unbeheizter Baracken verschiedene Infektionskrankheiten unter den Gefangenen nach sich zog, waren aber offenbar nicht ausreichend, um das Sterben in Ostffyasszonyfa entsprechend zu erklären. Täglich gingen bis zu 16 Rumänen zugrunde, was hochgerechnet auf die Anzahl der im Lager befindlichen Rumänen eine Sterblichkeitsrate von knapp 15 Prozent ergab. Ein zwecks Ursachenforschung herangezogener Stabsarzt, der Mangelernährung angesichts des verhältnismäßig guten Zustandes der ebenfalls im Lager befindlichen Russen als Hauptgrund für die hohe Mortalität ausschloss und schließlich die Leichen verstorbener Rumänen obduzierte, um genauere Kenntnisse zu erhalten, eruierte verschiedene Darmerkrankungen als Auslöser für die außergewöhnliche Sterblichkeit. Diese Krankheiten wiederum waren angeblich eine Folge mangelnder bis schädlicher Ernährung, die die Rumänen noch während der Kämpfe und im Zuge ihres Abtransportes nach der Gefangennahme erhielten. „Sie assen von Hunger gequält allerlei Unverdauliches und holten sich jene Darmentzündungen, die noch heute“, so die Meinung des Mediziners, „das kausale Moment ihrer Unterernährung darstellen“. Tatsächlich wogen die Rumänen bei einer durchschnittlichen Körpergröße von 165 cm zwischen 44 und 63,5 Kilogramm, im Mittel keine 54 Kilogramm. „[D]as Material“, so der Arzt über seine Untersuchung der rumänischen Gefangenen, war „mehr als minderwertig“. K. u. k. Reservespital in Trencsen an das k. u. k. Militärkommando Pozsony betr. sanitäre Zustände unter den rumänischen Kriegsgefangenen, 5.2.1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-137/8, Kt. 1589. Dass sowohl serbische als auch österreichische Ärzte Autopsien verstorbener serbischer Gefangener durchführten, führte auch Živko Topalović in seinem Bericht an. Seine Angaben zufolge wogen die Verstorbenen teil-

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wurden überdies viele just in der kalten Jahreszeit gefangengenommen. Der Winter 1916/17 erwies sich als der strengste während der gesamten Kriegsdauer und zog sich weit ins Frühjahr 1917 hinein.183 Versucht man nichtsdestoweniger die Frage von Hilfsgütern im Kontext der Sterblichkeit von Gefangenen als Faktor zu würdigen, gilt es Folgendes zu bedenken: Auch wenn etwa an russische Kriegsgefangene eklatant weniger oft Paketsendungen adressiert waren als an die Italiener, bleibt offen, ob das Ausmaß dieser Hilfslieferungen nachhaltigen Einfluss auf die Lage der Empfänger nehmen konnte. Die Anzahl der Pakete sagt überdies nichts darüber aus, wie viele Männer tatsächlich in deren Genuss kamen, und auch nichts darüber, ob der Inhalt der Postsendungen infolge oft langer Transportwege aus noch verzehrbaren oder aber bereits verdorbenen Lebensmitteln bestand und in welchem Verhältnis sich genießbare beziehungsweise ungenießbare Produkte zueinander verhielten.184 Beraubungen von Hilfslieferungen reduzierten – wie erwähnt – die Menge der tatsächlich auszugebenden Pakete außerdem erheblich. Dieser Sachverhalt entsprach im Übrigen den Argumenten der italienischen Regierung, die mit den Hilfslieferungen eine indirekte und unerwünschte Versorgung der Gegenseite verknüpfte. Sogar italienische Kriegsgefangene ließen laut Zensurabteilung in Wien ihre Verwandten in Briefen beziehungsweise durch Mitteilungen auf Korrespondenzkarten wissen, dass eine Übersendung von Hilfspaketen ohnehin nur dem „Feinde“ zugutekomme. Einige forderten ihre Angehörigen aus diesem Grund dazu auf, gar keine Lieferungen mehr zu schicken.185 Die Skepsis der Westalliierten hinsichtlich einer Unterstützung russischer Gefangener im Gewahrsam der Mittelmächte steht im Übrigen ebenfalls in weise nicht mehr als 30 Kilogramm. Vgl. Živko Topalović, Za naše zarobljenike, Korfu 1918. Vgl. außerdem Spoerer, The mortality of allied prisoners of war and Belgian civilian deportees in German custody during World War I. A reappraisal of the effects of forced labour, in: Population Studies. A Journal of Demography 60 (2006), 121–136. 183 Zu den Auswirkungen des Winters 1917/18 auf die serbischen Gefangenen siehe Topalović, Za naše zarobljenike. 184 Vgl. dazu die Beschwerde eines italienischen Gefangenen über Pakete, die „regelmässig erst nach 3 Wochen“ eintrafen, wobei die „darin enthaltenen Lebensmittel gewöhnlich schon verdorben und ungeniessbar sind und deren Inhalt oft Abgänge zeigt“. Bericht des Fürsorgekomitees des Roten Kreuzes für Kriegsgefangene in Wien, Juli 1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-125/19, Kt. 1589. Andere Gefangene berichteten wiederum, dass ihnen das Überleben lediglich durch die Übersendung von Paketen möglich sei. Vgl. Sonderbericht der Zensurabteilung, Oktober 1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-23/185, Kt. 1513. Der Bericht entstand in Zusammenhang mit der Anwendung des „Anbindens“ trotz Verbotes dieser Strafe. 185 Die Angelegenheiten der italienischen Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn, September 1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-18/613, Kt. 1466.

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Zusammenhang mit einer daraus resultierenden befürchteten Versorgung des Gegners. Da man über die Bedeutung gefangener Russen als „kriegswirtschaftliches Potential“ der Mittelmächte orientiert war, wurden ursprünglich großzügiger geplante Hilfsprojekte maßgeblich reduziert, um dann angesichts des Brester Friedens endgültig abgehakt zu werden.186 Und bezüglich der Lage russischer Kriegsgefangener polnischer Nationalität in Bulgarien stellte man etwa auf österreichisch-ungarischer Seite fest, dass diese deswegen „schlechter sei, als die anderer Kriegsgefangener“, da „ihnen durch das Rote Kreuz fast keine Geldunterstützungen zukommen, weil man diese von Seiten der Entente nur an echtrussische“ Gefangene „gelangen“ lassen wollte.187 Die Umsetzung umfassender Hilfsmaßnahmen scheiterte, obwohl diesbezügliche Pläne durchaus auf Gegenseitigkeit ausgerichtet waren und die Versorgung der Gefangenen beider Krieg führender Parteien vorsahen. Die Blockadepolitik der Entente stand solchen Initiativen grundsätzlich entgegen. Ein von österreichisch-ungarischer Seite unterbreiteter Vorschlag, durch Lebensmittelkäufe des Dänischen Roten Kreuzes in den USA Versorgungsgüter an besonders bedürftige Gefangene in allen europäischen Ländern verteilen zu können, fand in London keinerlei Wohlwollen.188 Die Weigerung, Hilfslieferungen für Gefangene zu schicken, war ganz offensichtlich nicht nur auf die italienische Regierung beschränkt.189 Ausfuhr186 Hinz, Gefangen, 313. 187 Vertreter des k. u. k. Ministerium des Äußern beim k. u. k. Armeeoberkommando an Außenminister Graf Czernin, 18.12.1917, Nr. 25.165. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 19 l-z Kriegsgefangene, Kt. 940, Fol 433. Das Interesse des AOK galt im Übrigen nicht nur den polnischen Kriegsgefangenen in Bulgarien, sondern auch in der Türkei, wo diese ebenfalls in einem speziellen Lager gesammelt werden sollten. 1918 setzte man sich auf österreichisch-ungarischer Seite – ebenso wie in Bezug auf Bulgarien – für die Entlassung der polnischen Gefangenen ein, da man sie nicht mehr als russische Staatsbürger betrachtete. Dazu: Liasse Krieg 19/24. Obsorge für die russischen Gefangenen polnischer Zunge in der Türkei. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 19 l-z Kriegsgefangene, Kt. 940. 188 Dazu: Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen?, 448–450. 189 Die Situation in Mauthausen im letzten Kriegsjahr, als zumindest phasenweise immer noch viele Zehntausende Lieferungen ankamen, erscheint aufgrund der Quellenlage beziehungsweise der Berichte von Betroffenen allerdings als überaus widersprüchlich. Berichte über italienische Gefangene, die Hilfsgüter verkauften oder aber an die Not leidende Bevölkerung der Umgebung verschenkten, stehen gewissermaßen neben jenen Schilderungen, die von einer rasanten Zunahme an Todesfällen unter den Gefangenen zeugen. In Mauthausen sollen 1917/18 von 10.000 bis 12.000 Italienern innerhalb von nur zwei Monaten 900 gestorben sein. Procacci, Fahnenflüchtige jenseits der Alpen, 211 (Fn. 35). Im Herbst 1917, nach der 12. Isonzoschlacht, war die Situation zumindest im Lager Milowitz (Milovice) noch sehr viel dramatischer – zumindest nach Berichten eines italienischen Arztes. Innerhalb von vier bis fünf Monaten gingen dort angeblich 10.000

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verbote beziehungsweise Grenzsperren bedingten schließlich, dass die von privater Seite bereitgestellten Pakete nicht oder mit großer Verzögerung bei den Betroffenen ankamen – ein Umstand, der dazu führte, dass eben dadurch viele Lebensmittel die Adressaten in bereits verdorbenem Zustand erreichten.190 Eine erst im Herbst 1918 in einem Abkommen zwischen dem Königvon 14.000 Gefangene an Hunger und Kälte zugrunde. Ebd. Für den Zeitraum von Januar bis März 1918 waren es anderen Angaben zufolge fast 3000 Gefangene, die dort verstarben. Im August wurden aus Milowitz für den Zeitraum Januar bis Juli 1918 4407 verstorbene Kriegsgefangene gemeldet. Überhandnehmen von Erkrankungen und Todesfällen bei ital Kgf., 1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-39/3, Kt. 2160. Die Zustände in Milowitz wurden Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage, in der von täglich 25 bis 40 Todesfällen unter den gefangenen Italienern die Rede war. Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des Reichsrates, 54. Sitzung der XXII. Session vom 23. Januar 1918, 1982/I. Anfrage des Abgeordneten Karel Baxa und der Mitgefertigten an die k. k. Regierung über die traurigen Verhältnisse des Kriegsgefangenenlagers in Milovic [sic], wo täglich 25 bis 40 Kriegsgefangene vor Hunger sterben. Dass die Sterblichkeit unter den „Süditalienern“ eine „verhältnismäßig hohe Ziffer erreichte“, wurde in der Anfragebeantwortung im Mai 1918 zwar zugegeben. Diese allerdings seien bereits in erschöpftem Zustand gefangengenommen worden. Keinesfalls sei die hohe Mortalität „auf die mangelhafte Verköstigung der Kriegsgefangenen“ zurückzuführen, „da die Verpflegung, wenn sie auch nicht reichlich bemessen ist, doch zur Lebensführung der Kriegsgefangenen ausreicht“. Man habe, hieß es in der Anfragebeantwortung weiter, mittlerweile eine Kostaufbesserung für die Betroffenen sichergestellt ebenso wie eine „ausgiebigere Beheizung ihrer Ubikationen“ angeordnet – Maßnahmen allerdings, die „bisher nicht vom erwünschten Erfolge begleitet waren“. Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des Reichsrates Ad Nr. 1982/I, XXII Session (592). Anfragebeantwortung des Ministers. Das „Überhandnehmen von Erkrankungen und Todesfällen“ unter italienischen Kriegsgefangenen wurde auch in anderen Lagern vermerkt. Insgesamt starben nach Angaben des Chefs des Ersatzwesens in den Hinterlandslagern der Monarchie zwischen Januar und März 1918 über 8000 Kriegsgefangene. Vgl. Moritz/ Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 208. Dass nach Mark Spoerer vor allem die sogenannten „latecomers“ und damit die Italiener, die in großen Kontingenten ab 1917 gefangengenommen wurden, hohe Mortalitätsraten aufwiesen, erscheint nachvollziehbar. Diesen Umstand aber vor allem der Art des Arbeitseinsatzes zuzuschreiben und eine niedrigere Sterblichkeit unter den Russen hauptsächlich auf deren Verwendung im ländlichen Bereich zurückzuführen, erweist sich allerdings für die Habsburgermonarchie nur bedingt als schlüssig. Immerhin waren etwa zwei Drittel aller bei der A. i. F. eingesetzten Feindsoldaten Russen. Auch die verstärkte Verwendung von Italienern in Industriebetrieben erklärt die hohe Mortalität nur bedingt. Vielmehr drängten sich physische Erschöpfung bei der Gefangennahme gemeinsam mit der Mangelernährung in österreichisch-ungarischem Gewahrsam als jene Ursachen auf, die den größten Anteil an der Sterblichkeit hatten. Die Bedeutung von Liebesgabenpaketen für die sogenannten „Frischgefangenen“ des Herbstes 1917, unter denen offenbar einige Tausend nur knapp nach der Gefangennahme zugrunde gingen, war kaum gegeben. Vgl. Spoerer, The mortality, passim. 190 Zu den Verzögerungen beim Weitertransport als Ursache für das Ungenießbarwerden von Nahrungsmitteln hinzu kamen andere Faktoren, die ähnliche Folgen zeitigten. So

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reich und Österreich-Ungarn vereinbarte „Verpflegung der ital. Kgf.“ durch „Kollektivsendungen aus Italien auf Kosten der ital. Regierung“ hatte für die Lage der Betroffenen wenn überhaupt, dann wohl nur äußerst marginale Bedeutung.191 Das Interesse des Habsburgerreiches an italienischen Lebensmittelsendungen war indessen in Hinblick auf die Erhaltung der Gefangenen aus dem südlichen Königreich als Arbeitskräfte „das grösste“.192 Schon im Frühjahr 1917 regte das in Wien ansässige „Fürsorge-Komitee des Roten Kreuzes für Kriegsgefangene“ an, über das Italienische Rote Kreuz „Kollektivbrotsendungen“ an die italienischen Gefangenen im Armeebereich zu übermitteln.193 Dabei galt es allerdings Bedenken des AOK zu berücksichtigen, das Brotsendungen auch mit dem Einschmuggeln „unzulässige[r] Korrespondenzen“ verknüpfte und daher Mehllieferungen den Vorzug gab.194 Tatsächlich nahm die Sorge vor Sabotageakten oder Spionage in Zusammenhang mit den Paketsendungen immer mehr zu, was umfangreiche Maßnahmen hinsichtlich der Vor- und „Detailzensur“ anstieß. Letztere sollte, hieß es im Herbst 1917, „mit größter Rigorosität“ erfolgen: „Vor der Ausgabe der Pakete an die Kgf. sind die Konserven zu öffnen, der Inhalt dem Kgf. in die Eßschale zu schütten, die Konservenbüchsen sind anderweitig zu verwenden. Ebenso hat die Zerkleinerung von Brot, Speck, Wurst, Zwieback etz. […] zu erfolgen“.195 Österreich-Ungarn förderte ungeachtet solcher Vorsichtsmaßnahmen und angesichts der „sich täglich zuspitzenden Ernährungskrise, deren Ursache in der Absperrung von den normalen Zuschubsgebieten lag“, die Zufuhr von Liebesgabensendungen für die Gefangenen weiterhin „nach Kräften“.196 Der italienischen Regierung hatte man anlässlich eines Protestes über die mangelteilte man der k. k. Post- und Telegraphen-Direktion in Wien im Juni 1918 aus St. Gallen in der Schweiz mit, dass zahlreiche Pakte für italienische Kriegsgefangene offenbar „durchnässt“ und daher „viele Stücke mit Lebensmitteln in Verwesung übergegangen“ waren. Fürsorge-Komitee des Roten Kreuzes für Kriegsgefangene an das k. u. k. Kriegsministerium, 10. Abt./Kgf. 17.6.1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918/19, ohne Signatur, Kt. 2053. 191 K. u. k. Kriegsministerium betr. Abkommen mit Italien, 27.9.1918. ÖStA KA MKSM 1918: 69-9/44, Kt. 1382. 192 Bericht von General Stutz über die Verhandlungen in Bern mit Italien. ÖStA KA MKSM 1918: 69-9/44, Kt. 1382. 193 Kollektivbrotsendungen an italienische Kriegsgefangene im Armeebereich. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-18/112-2, Kt. 1462. 194 Kollektivbrotsendungen an italienische Kriegsgefangene im Armeebereiche. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-18/112, Kt. 1462. 195 Verlautbarungen betr. Kgf.-Wesen, September 1917. ÖStA KA Chef d EW 1917: 1923/1-3, Kt. 42. 196 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 18.

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hafte Versorgung der eigenen Landsleute bereits 1916 mitgeteilt, dass, bedingt durch die „völkerrechtswidrigen Maßnahmen der Entente“, eine „Sparsamkeit“ in der Ernährung der Gefangenen erforderlich sei, die allerdings auf deren Arbeitsleistung und Gesundheitszustand Rücksicht nehme.197 Die nichtsdestoweniger konstatierte „Unterernährung“ der Kriegsgefangenen gründete sich, so Heinrich von Raabl-Werner später, nicht auf „Haß, Mißgunst, Mangel an Energie der leitenden oder Fahrlässigkeit der durchführenden Stellen, sondern ausschließlich u. allein“ auf die allgemeine „Ernährungskrise“.198 Auch Deutschland wandte sich im Übrigen trotz fehlender grundlegender Vereinbarungen mit Rumänien zur Sicherstellung einer Gefangenenhilfe im Mai 1917 an das Rumänische Rote Kreuz im Okkupationsgebiet mit dem Ansuchen, Nahrungsmittel für die gefangenen Rumänen im deutschen Reichsgebiet zu schicken. Dass deren Unterversorgung mit Liebesgaben ausschlaggebend für die hohe Mortalität war, schließen diesbezügliche Untersuchungen allerdings eher aus.199 Die Bedeutung von Hilfslieferungen wird durch diesen Befund freilich keineswegs prinzipiell in Frage gestellt. Die betreffenden Forschungen legen mit dem Verweis auf eine ganze Reihe zusätzlicher Faktoren vielmehr eine genauere Betrachtung der Problematik nahe. Das Fehlen oder aber die geringere Anzahl von Hilfslieferungen ohne Weiteres mit der Sterblichkeit von Gefangenen zu koppeln, erscheint jedenfalls zu kurz gegriffen. Die ungleich größere Menge an Liebesgabenpaketen für italienische im Vergleich zu russischen Gefangenen muss hier berücksichtigt werden. Die „Politisierung“, aber auch „Moralisierung“ von Hilfsmaßnahmen erscheint in jedem Fall als ein prägendes Element der Entwicklung beziehungsweise Weiterentwicklung humanitären Engagements während des Ersten Weltkrieges.200

Quellen zur Kriegsgefangenenproblematik in Österreich-Ungarn und Perspektiven Im Rahmen des FWF-Forschungsprojektes zur Kriegsgefangenschaft im Habs­burgerreich, das die Grundlagen für das vorliegende Buch lieferte, 197 Brot für die ital. Kgf. ÖStA KA KM 10. KgA 1916: 10-125/23, Kt. 1387. 198 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 18. 199 Lisa Mayerhofer, Zwischen Freund und Feind. Deutsche Besatzung in Rumänien 1916– 1918, München 2010, 274. 200 Vgl. dazu den schon erwähnten Artikel von Durbach bez. der britischen Herangehensweise an die Gefangenenfürsorge: Durchbach, The parcel is political, passim.

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wurde die bisherige Quellenbasis für eine Untersuchung der Lage von Feindsoldaten in der k. u. k. Monarchie deutlich verbreitert. Das ist nicht nur zurückzuführen auf die intensiven Recherchen im Österreichischen Staatsarchiv, wo sich das Schriftgut der für Gefangenenagenden wesentlichen Behörden des Habsburgerreiches befindet, sondern auch auf Aktenfunde in verschiedenen Archiven im Ausland wie etwa in Russland, in der Slowakei, der Schweiz, in Polen, Slowenien, Ungarn, Serbien oder in Italien. Umfangreiche Untersuchungen galten auch der deutschsprachigen österreichischen Presse­ berichterstattung über die Kriegsgefangenen sowie den Stenographischen Protokollen des Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrates, wo ab 1917 auch das Schicksal von fremden Heeresangehörigen in Gewahrsam der k. u. k. Armee angesprochen wurde. Insgesamt ist der Quellenkorpus zu den Kriegsgefangenen im Habsburgerreich, der sich im Österreichischen Staatsarchiv (ÖStA) befindet und Dokumente verschiedener mit Gefangenenagenden befasster Behörden betrifft, von zentraler Bedeutung für die diesbezüglichen Forschungen gewesen. Das umfangreichste Quellenmaterial, das das ÖStA zu bieten hat, findet sich in den Beständen der 10. Abteilung beziehungsweise 10. Kriegsgefangenen-Abteilung des k. u. k. Kriegsministeriums. Die Bedeutung dieses Materials liegt allerdings nicht nur in seiner Größenordnung201, sondern auch in seiner Vielfalt, finden sich doch dort die Korrespondenzen mit allen übrigen für Gefangenenfragen relevanten Instanzen. Wesentliche Einblicke bieten des Weiteren nicht nur das Schriftgut aus dem zahlenmäßig kaum überschaubaren Bereich der sogenannten „Neuen Feldakten“, sondern beispielsweise auch Dokumente des Chefs des Ersatzwesens, der Militärkanzlei Seiner Majestät (MKSM) oder des k. u. k. Ministeriums des Äußern. Von Beginn an leiteten angesichts der Breite des Themas und der erwartbaren Masse an Quellen Kriterien der Machbarkeit auch die Fragestellungen, die am Anfang des Forschungsprojektes standen. Sie fokussierten mit Gewalt und (Zwangs-)Arbeit auf zwei wesentliche Faktoren für die Behandlung beziehungsweise die Lebensbedingungen der Feindsoldaten. Ausgangspunkt der Forschungen war vor allem die Perspektive der k. u. k. Behörden einschließlich der für den Armeebereich zuständigen Instanzen. Hier gilt es festzuhalten, dass das von der Armee im Felde kontrollierte Gebiet mit Truppen 201 Da es zu diesem umfangreichen Bestand keine modernen Findbehelfe, sondern lediglich die aus der Zeit stammenden Handbücher bzw. Schlagwortkataloge und Exhibitenprotokolle gibt, ist der Weg zu den Materialien mit hohem Zeitaufwand verbunden. Dieser Befund erstreckt sich allerdings auf fast alle Bestände des Kriegsarchivs, die die Gefangenenproblematik betreffen. Eine Ausnahme stellen lediglich die Kartons des Chefs des Ersatzwesens dar, für die es zwar ebenfalls keine modernen Findmittel gibt, die aber über ein Rubrikensystem problemlos zu erschließen sind.

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und Train als „Operationsbereich“ auch die Etappe umfasste. Dieses Territorium griff angesichts des Kriegsverlaufes immer weiter aus.202 Mit fortschreitender Kriegsdauer umfasste der Etappenraum „fast ganz Österreich“.203 Österreich-Ungarn verwendete phasenweise mehr als 360.000 Feindsoldaten für Tätigkeiten im Bereich der „Armee im Felde“ und damit mehr Kriegsgefangene als etwa das Deutsche Reich.204 Die Berücksichtigung jenes Quellenkorpus, der die Lage der Kriegsgefangenen bei der A. i. F. betraf, absorbierte aufgrund dessen Beschaffenheit und zahlreicher Besonderheiten der Überlieferung solcher Bestände einen Großteil der Zeit, die für Recherchen aufgebracht wurde.205 Die Organisation des k. u. k. Kriegsgefangenen202 Zur Organisation des Etappenwesens siehe Edelmann, Das Etappenwesen, 22 f. „Der Etappenraum sollte im Allgemeinen gleichsam einer materiellen und personellen Vorratskammer im Rücken einer Armee funktionieren, der durch sich selbst sowie seine Verbindung zum Hinterland jegliche Bedürfnisse der kämpfenden Truppe befriedigen musste, damit die Operations- und Kampffähigkeit der im Felde stehenden Truppe erhalten blieb. Dafür wurde der Etappenraum samt der okkupierten Bevölkerung bellifiziert, sprich auf die Kriegshandlungen ausgerichtet.“ Edelmann, Das Etappenwesen, 24. Für die Gefangenenbehandlung ergab sich in jedem Fall eine zweigeteilte Zuständigkeit. Den „Befehlsbereich des Kriegsministeriums und der Landesverteidigungsministerien“ definierte die „Etappenvorschrift“ als das an den Etappenraum „rückwärts“ grenzende „Hinterland“. Etappenvorschrift. Dienstbuch E. 57, Wien 1912 (Entwurf), XII. Klargestellt wurde außerdem, dass „Operations- und Etappenbereich“ sich „räumlich nicht voneinander scheiden“ lassen konnten – ein Faktor, der in weiterer Folge auch die Frage des Einsatzes von Gefangenen berührte, die bei der A. i. F. auch zu Kriegszwecken dienenden, völkerrechtswidrigen Arbeiten herangezogen wurden. Ebd., XIII. 203 Ernst von Streeruwitz, Springflut über Österreich. Erinnerungen, Erlebnisse und Gedanken aus bewegter Zeit 1914–29, Wien/Leipzig 1937, 107. 204 In „Österreich-Ungarns Letzter Krieg“ sind für 1. Januar 1918 362.000 Kriegsgefangene bei der A. i. F. genannt, davon 248.000 Russen. ÖUlK, Bd. 7, 45. 205 Zur Verdeutlichung der Masse an Materialien, die allein die Kriegsgefangenenforschung im ÖStA mit sich bringt: Während die Bestände der 10. Kriegsgefangenenabteilung des k. u. k. Kriegsministeriums im ÖStA viele Hunderte Kartons umfassen, ist der Bestand für das EOK/Qu.Abt mit fast 1400 Kartons und jeweils bis zu 1000 Aktenstücken ebenfalls riesig. Hinzu kommen unzählige Dokumente, die anderen Beständen aus den NFA (Neue Feldakten) zuzuordnen sind und ebenfalls berücksichtigt wurden. Vgl. dazu u. a. die allein für die SW-Front 1915 herangezogenen Dokumente in: Julia Walleczek-Fritz, Behind the Front Line. Russian and Serbian POWs as Forced Labourers in Austria-Hungary and the Beginning of the Southwestern Front in 1915, in: Dalibor Denda/Mario Christian Ortner (Hg.), The Great War in 1915, Belgrade 1917, 147–164. Zum EOK/Qu.Abt die Angaben bei Edelmann, Das Etappenwesen, 16. 1916 wurde das EOK im Übrigen zur Qu.Abt. Letztere war ebenfalls ab 1916 eine selbstständige Abteilung des AOK. Weiterreichende Umstellungen ergaben sich dann mit März 1917, als Oberst Theodor Ritter von Zeynek Chef der Qu.Abt wurde. Das Justizwesen wanderte beispielsweise in die Präsidialabt. des AOK und insgesamt ergaben sich neue Zuständigkeiten. Im Herbst 1917 wurde überdies die Stelle des Generalquartiermeis-

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wesens mit seinen zahlreichen Verzweigungen in militärische und zivile Bereiche macht angesichts der daraus resultierenden Fülle an Materialien eine Rekonstruktion der Lebensbedingungen der Gefangenen einerseits leichter. Die Spezifika des k. u. k. Gefangenenwesens bedingen andererseits aber auch eine nicht unbedingt qualitativ wertvolle Vervielfachung des Materials und per se eine beachtliche Unübersichtlichkeit. Zu berücksichtigen ist auch eine den Umständen der Kriegssituation an sich zuzurechnende Aktenlage vor allem für die Erforschung der Situation von Gefangenen im Etappen- bzw. Frontbereich. Dort wurden hauptsächlich Themen, die die kämpfende Truppe betrafen, reflektiert. Informationen über die Lage der gegnerischen Soldaten bei der A. i. F. ließen sich demgegenüber auf oft sehr mühsame Art und Weise „extrahieren“. Schlussendlich ist festzuhalten: Angesichts der nichtsdestoweniger dichten Überlieferung zu den Kriegsgefangenenagenden im Kriegsarchiv in Wien gelang im Zuge des Forschungsprojektes eine Annäherung an das Thema, die über bisherige Untersuchungen wesentlich hinausreichte. Als Ergebnis sind bereits zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze präsentiert worden.206 Diese ebenso wie ein Teil der nachfolgenden Beiträge, die sich beispielsweise der Frage der österreichisch-ungarischen Repressalienpraxis in Zusammenhang mit Gefangenenagenden oder der Kriegsgefangenenthematik als Gegenstand der parlamentarischen Arbeit 1917 und 1918 zuwenden, können auf Grundlage der neuen Forschungen verdeutlichen, wie sehr die Behandlung von Feindsoldaten im Habsburgerreich gewissermaßen zu einem Tauziehen zwischen den verschiedenen Behörden führte oder grundsätzliche Diskussionen zur Frage des Völkerrechtes anstieß. Zusätzlich zu der bereits in früheren Forschungen festgestellten administrativen Komplexität des österreichisch-ungarischen Gefangenenwesens manifestierte sich nunmehr noch deutlicher als bisher aufgezeigt im Kern eine duale Organisation mit dem k. u. k. Kriegsministerium auf der einen und dem k. u. k. Armeeoberkommando auf der anderen Seite. Beide Institutionen erwiesen sich als die tragenden Säulen eines Systems, das infolge des groß angelegten Arbeitseinsatzes der Gefangenen eine weitestgehende Ausdifferenzierung innerhalb der jeweiligen Kompetenzräume erfuhr. Wie tief allerdings die Bruchlinien zwischen Kriegsministerium und AOK in Gefangenenangelegenheiten verliefen und wie sehr diese zum Teil gravierende Unterschiede für die Situation der Feindsoldaten bedingten und auf diverters aufgelöst, die „Teilung zwischen OOK (Operierendes Oberkommando) und EOK ‚weitgehend verwischt‘.“ Vgl. Edelmann, Das Etappenwesen, 28 f. 206 Vgl. dazu die Angaben im Text zur österreichischen Historiographie in vorliegendem Band.

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gierenden Standpunkten im Allgemeinen beruhten, vermochten erst die aktuellen Forschungen freizulegen. Die komplexe Organisation des k. u. k. Kriegsgefangenenwesens soll an dieser Stelle aufgrund verschiedener bereits vorhandener Arbeiten dazu nicht explizit aufgerollt werden.207 Wichtig ist aber im Auge zu behalten, dass zwar alle Gefangenenagenden in der bereits mehrmals erwähnten 10. Kriegsgefangenenabteilung des k. u. k. Kriegsministeriums208 zusammenliefen, die konkreten Abläufe aber je nach Aufenthaltsort oder Arbeitsverwendung der Gefangenen über deren alleinige Kontrolle hinausgingen. Zum Kriegsministerium und dem Armeeoberkommando als zentrale Stellen für die Ausgestaltung des Kriegsgefangenenwesens in ihren jeweiligen Kompetenzbereichen hinzu kamen in unterschiedlichem Ausmaß Kriegsüberwachungsamt (KÜA), die Militärkommanden209, die Instanzen der Armee im Felde mit den Armeekommanden, der Chef des Ersatzwesens oder das Gemeinsame Zentralnachweisebureau sowie zahlreiche zivile Behörden, die den Arbeitseinsatz der Kriegsgefangenen (mit-)organisierten beziehungsweise begleiteten. Hierzu zählten beispielsweise die Landesarbeitsnachweisestellen in Österreich oder die „Komitatskriegsgefangenenarbeitsausschüsse“ in Ungarn.210 Weiters zu berücksichtigen ist auch die Tätigkeit des k. u. k. Ministeriums des Äußern, das gleichsam als Sprachrohr nach außen fungierte, wenn es um den Verkehr militärischer Stellen mit dem Ausland beziehungsweise den Schutzmächten ging, welche die Staatsbürger der Feindstaaten oder die eigenen Staatsangehörigen im Bereich der gegnerischen Mächte vertraten. Ungeachtet dessen waren die Diplomaten ganz offensichtlich mehr als nur Überbringer von Nachrichten, sondern erwiesen sich gegenüber den eigenen militärischen Behörden auch als mäßigendes Korrektiv in Fragen der Gefangenenbehandlung beziehungsweise versuchten zumindest in diese Richtung

207 Vgl. dazu mit neuen Erkenntnissen: Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen?, 113– 162; siehe auch Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 54–57; Hannes Leidinger/Verena Moritz, Aspekte des „Totalen Lagers“ als „Totale Institution“. Kriegsgefangenschaft in der Donaumonarchie 1914–1915, in: Martin Scheutz (Hg.), Totale Institutionen. Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 8/1 (2006), 86–101. 208 Als eigene Abteilung eingerichtet wurde die Abteilung 10/Kriegsgefangene oder 10. Kriegsgefangenenabteilung erst im Herbst 1915. Bis dahin wurden die Gefangenenagenden im Rahmen der 10. Abteilung besorgt, die u. a. mit Mobilisierungsagenden betraut war. 209 Während die Korpskommanden im Feld standen, erledigten die Militärkommanden die Administration der für die Korps- bzw. Militärkommandobereiche relevanten Angelegenheiten. 210 Vgl. dazu MA. Nr. 70070/Kgf. vom 25.8.1917 betr. Evidentführung der auf Arbeit befindlichen Kgf. in Ungarn. ÖStA KA Terr Befehle, 5. K., Pozsony 1914–1916, Kt. 51.

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zu wirken. Das Ministerium des Äußern, das neben einem eigenen Department für Kriegsgefangenenangelegenheiten diesbezügliche Fragen auch in seiner völkerrechtlichen Abteilung abhandelte, muss demnach, mehr als dies bisher berücksichtigt wurde, gerade in der Anfangsphase des Krieges als Mitgestalter insbesondere der Repressalienpraxis betreffend Gefangene im Habsburgerreich betrachtet werden.211 Für die mit Gefangenenagenden befasste Abteilung im Kriegsministerium erwies sich das Ministerium des Äußern durchaus als Partner, um mit „diplomatischen Bemühungen die Feindmächte zu zwingen, die Gefangenen so zu behandeln, wie es nach dem Völkerrecht vorgesehen war“.212 Dass dem AOK mit Kriegsbeginn Vertreter des Ministeriums des Äußern sowie der beiden Innenministerien beigestellt wurden, machte eine Art zivile Kontrolle geltend, wenngleich sich argumentativ „Kriegsnotwendigkeiten“ gegenüber Einsprüchen ziviler Seite vor allem zu Kriegsbeginn ohne größere Hemmnisse behaupteten. Die Kompetenzen der erwähnten Vertreter gegenüber den Militärs blieben in der Praxis zwar vielfach diffus, berührten aber – zumindest auf dem Papier – explizit völkerrechtliche Belange beziehungsweise damit verbundene Fragen.213 Eine in den August 1914 datierende Instruktion für den Vertreter des k. u. k. Ministeriums des Äußern beim k. u. k. Armeeoberkommando räumte diesem das Recht zur Berichterstattung vor dem AOK in völkerrechtlichen Belangen ein. In „zweifelhaften Fällen“ sollte er „Weisungen des Ministerium[s] des Äusseren einholen“ dürfen.214 „Völker211 Eine andere Einschätzung der Bedeutung des Ministeriums des Äußern bei Matthias Egger, Der institutionelle Rahmen der Kriegsgefangenenfürsorge der Habsburgermonarchie 1914–1918, in: Storia e Futuro 28 (Febbraio 2012), ohne Seitenangabe, online unter: http://storiaefuturo.eu/der-institutionelle-rahmen-der-kriegsgefangenenfursorge-der-habsburgermonarchie-1914-1918/ (abgerufen am 12.1.2021). Auch Heinrich von Raabl-Werner bezeichnete das Außenministerium lediglich als „fallweiser Berater der milit. Zentralstelle“. Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil I: Kriegsgefangenenfürsorge Österreich-Ungarns. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 6, 4. Um Unklarheiten zu vermeiden: Die Autorin meint nicht die Rolle des Außenministeriums für das k. u. k. Kriegsgefangenenwesen insgesamt, sondern streicht hier die Bedeutung des Ministeriums des Äußern in Bezug auf die Repressalienpraxis hervor. In Hinblick auf die Folgewirkungen von Vergeltungsmaßnahmen für die internationalen Beziehungen und das Völkerrecht – wohl auch mit Blick auf künftige Entwicklungen – ist die Einflussnahme des Ministeriums des Äußern auf die Frage von Repressalien evident. Das konnte aufgrund der Akten im HHStA nachgewiesen werden. 212 Streeruwitz, Springflut, 87. 213 Vgl. Manfried Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Wien/Köln/Weimar 2013, 159. 214 Instruktion für den Vertreter des k. u. k. Ministerium des k. u. k. Hauses und des Äusseren beim k. u. k. Armee-Oberkommando, 4.8.1914. ÖStA KA FA AOK Evidenzbüro, Kt. 3510.

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rechtsverletzungen seitens der Gegner“ wurden überdies im k. u. k. Ministerium des Äußern „evident geführt“, eine ursprünglich ins Leben gerufene „militärische Untersuchungskommission“ aber offenbar schnell aufgelöst.215 Es tun sich demnach wenigstens tendenziell andere Konstellationen auf als etwa in Deutschland. Für den Bündnispartner des Habsburgerreiches wurde von der Forschung ein „Primat des Militärischen“ diagnostiziert, der abseits ziviler Einflussnahme auch in Bezug auf das Üben von Vergeltung rigorose Vorgehensweisen angeblich eher beförderte als in den westlichen Entente-Staaten.216 Tatsächlich drängte sich im Zuge der Forschungen zur Situation der Kriegsgefangenen in der Donaumonarchie gerade mit ihrem Schwerpunkt auf Gewalt und Zwangsarbeit immer wieder auch der Vergleich mit dem deutschen Verbündeten auf. Ungeachtet verschiedener Überlappungen hinsichtlich der Organisation des Kriegsgefangenenwesens und der in diesem Zusammenhang von österreichisch-ungarischer Seite betonten guten Zusammenarbeit verwiesen andere Faktoren auf unterschiedliche Vorgehensweisen. Der Umgang mit Repressalien, der in der Kriegsgefangenenforschung als symptomatisch für eine als unerbittlich eingeschätzte Kriegsführung explizit des Hohenzollernreiches gilt217, bot sich als geeigneter Untersuchungsgegenstand an, um vorhandene Indizien für eine von Deutschland abweichende Gefangenenpolitik des Habsburgerreiches unter die Lupe zu nehmen. Die Frage der Repressalienpraxis wiederum rückte die Rolle des k. u. k. Außenministeriums in den Blickpunkt und berührte dabei auch prinzipielle und bereits lange wirksame „Beziehungsprobleme“ zwischen Zivil und Militär. So bewirkten die im Habsburgerreich bereits traditionell bestehenden Animositäten zwischen Diplomaten und Generalstab eine deutlich hervortretende Reserviertheit unter den Mitarbeitern des Ministeriums des Äußern gegenüber den Ansichten der Armeeführung – und vice versa. Das zeigte sich geradezu folgerichtig auch in Bezug auf die Kriegsgefangenenbehandlung. Die Kluft zwischen den militärischen Instanzen beziehungsweise vor allem zwischen dem Armeeoberkommando und dem Ministerium des Äußern vertiefte sich während des Krieges zusätzlich.218 Des Weiteren spiegelten sich auch in den 215 Völkerrechtsverletzungen, April 1915. ÖStA KA KM Präs. 1915: 83-6/6, Kt. 1802. 216 Vgl. v. a. Isabel Hull, A Scrap of Paper. Breaking and Making International Law during the Great War, Ithaca/NY 2014 und Dies., Absolute Destruction. Military Culture and the Practices of War in Imperial Germany, Ithaca/NY 2005. 217 Vgl. Heather Jones, Violence against Prisoners of War in the First World War. Britain, France and Germany, 1914–1920, Cambridge/New York/Melbourne 2011. 218 Dabei ging es auch um anscheinend persönliche Aversionen. Beispielhaft hierfür ist eine vernichtende Denkschrift von Friedrich von Wiesner über die Kompetenzen Con-

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oft entgegengesetzten und nur schwer in Einklang zu bringenden Meinungen von AOK und Kriegsministerium zur Anwendung von Vergeltungsmaßnahmen im Kontext der Gefangenenbehandlung und zu Kriegsgefangenenagenden im Allgemeinen ebenfalls tieferliegende Konflikte wider. Diese gründeten sich auf weit zurückreichende Differenzen hinsichtlich Stellung und Kompetenzen von Ministerium und Generalstab – ein Gegensatz, der sich vor allem mit der Amtsübernahme von Franz Conrad von Hötzendorf als Generalstabs­ chef ab 1906 verschärft hatte219 und während des Krieges auf vielfältige Art und Weise zum Ausdruck kam. Dass ab 1917 im Rahmen verschiedener Pläne für eine mehr oder weniger radikale Umgestaltung des gesamten Militärwesens u. a. sogar die Abschaffung des k. u. k. Kriegsministeriums angedacht wurde, unterstreicht die Heftigkeit des Konfliktes ebenso wie die anscheinende Notwendigkeit einer effizienteren Kompetenzverteilung.220 Als wichtiger Knotenpunkt für die Kommunikation und Auskunftserteilung in Gefangenenagenden stellte sich überdies das Gemeinsame Zentralnachweisebureau der österreichischen und ungarischen Rotkreuz-Gesellschaften dar, das direkt mit den vergleichbaren Institutionen in den Feindstaaten in Kontakt treten konnte. Das „Gemeinsame Zentral-Nachwei­sebureau, Auskunftsstelle für Kriegsgefangene“ wurde, so Heinrich von Raabl-­Werner, „Quelle größten Segens für die Kgfn. von Freund und Feind“.221 Tatsächlich erwies es sich auch als „der getreue Warner bei etwa beabsichtigten Maßnahrads als Heerführer, in der der Generalstabschef als eitler „Neurastheniker“ beschrieben wurde, völlig unverantwortlich handelnd und unfähig, seine Entscheidungen hinsichtlich ihrer Konsequenzen einigermaßen zutreffend abzuschätzen. Deutlicher, ja drastischer war das Misstrauen des Diplomaten gegenüber dem AOK nicht auszudrücken: Mit Conrad an der Spitze sah Wiesner die Monarchie ihrem Untergang entgegentaumeln. Brief von Friedrich von Wiesner, Juni 1916. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse XLVII/26, Kt. 499. 219 Walter Wagner, Die k. (u.) k. Armee. Gliederung und Aufgabenstellung, in: Adam Wandruszka/Peter Urbanitsch (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. V: Die Bewaffnete Macht, Wien 1987, 142–633, 370 f. 220 Erhellend dazu: Thomas Olechowski, Hans Kelsen. Biographie eines Rechtswissenschaftlers. Unter Mitarbeit von Jürgen Busch, Tamara Ehs, Miriam Gassner und Stefan Wedrac, Tübingen 2020, 197–202. Siehe auch: Manfred Reinschedl, Die Rüstung Öster­reich-Ungarns von 1880 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, Diplomarbeit Wien 1996, 12–15 sowie Christoph Schmetterer, Hans Kelsens Vorschläge zur Reform der österreichisch-ungarischen Wehrverfassung, in: Beiträge zur Rechtsgeschichte Öster­reichs (BRGÖ) 6 (2016), 129–155. Über die vielgestaltigen Konflikte zwischen Generalstab und Kriegsministerium siehe aber insbesondere das Kapitel „Ressourcen“ in: Günther Kronenbitter, „Krieg im Frieden“. Die Führung der k. u. k. Armee und die Großmachtpolitik Österreich-Ungarns, München 2003, 146–232. 221 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 32.

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men, die unliebsame Rückwirkungen auf der Gegenseite auslösen konnten“.222 Damit meinte Raabl-Werner nichts anderes als den im Regelfall auf Mäßigung bedachten Einfluss des GZNB, sobald Vergeltungsmaßnahmen in der Gefan­ genenbehandlung zur Disposition standen. Während in Deutschland der „Kriegsgefangenenschutz“ hinsichtlich der in Feindeshand befindlichen eigenen Soldaten dem „kgl. preuß. Kriegsministerium“ übertragen worden war, hatte diese Konstellation laut Raabl-Werner den Vorteil einer problemloseren Kommunikation mit den Feindstaaten sowie neutralen Ländern.223 Der Einfluss des GZNB, das allerdings sowohl von zivilen als auch militärischen Faktoren geprägt war und realiter als „Hilfsorgan“ der Heeresstellen galt, machte sich offenbar nicht zuletzt in Hinblick auf prinzipielle Vorbehalte gegenüber der Anwendung von Repressalien fühlbar. „Der Fürsorgeabteilung, als dem eigentlichen Kern“ des GZNB „oblag die Wahrnehmung des Kgfnschutzes [Kriegsgefangenenschutzes] im engeren Sinne, speziell die Einleitung und Durchführung aller auf eine Verbesserung des Loses der Kgfn. abzielenden Aktionen, insoweit sie nicht vom KM [Kriegsministerium] selbst im offiziellen Verkehr durch die Schutzmächte geführt wurden.“224 Ein genauerer Blick auf die Tätigkeit des GZNB verdeutlicht indessen die bereits angesprochene Vielstimmigkeit der Quellen und deren problembehaftete Auswertung, die bereits während des Krieges verschiedene Überlegungen anstieß.

Wahrnehmung(en) und Tendenzen Eine der wesentlichen Aufgaben des GZNB bestand in der Zensur von Kriegs­ gefangenen- und Zivilinterniertenkorrespondenzen. Diese Arbeit nahm seit Kriegsbeginn stetig wachsende Dimensionen an. Die Anzahl der gesichteten Schriftstücke schwoll von 8000 im Monat September 1914 bald auf mehrere Zehntausend an und erreichte 1916 450.000 Stück. In der unter militärischer Führung stehenden Zensurabteilung, die nach Sprachgruppen unterteilt war, arbeiteten in diesem Jahr über 1300 Personen.225 Trotz des zu dieser Zeit be222 Ebd. 223 Ebd. 224 Ebd., 34. 225 Jahresbericht der Auskunftsstelle für Kriegsgefangene des Gemeinsamen Zentralnachweisebureaus sowie des Fürsorgekomitees für Kriegsgefangene für das Jahr 1917. ÖStA KA NL H. von Raabl-Werner B/141:4, Mappe 2. Ende 1917 waren es bereits ca. 2600 Mitarbeiter, von denen ein Fünftel ehrenamtlich beschäftigt war. Vgl. Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen?, 593 (Fn. 2568).

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reits beachtlichen Mitarbeiterstabes entfiel auf die einzelnen Zensoren immer noch eine gewaltige Anzahl täglich zu sichtender Korrespondenzen. Die Problematik einer einigermaßen sinnvollen Methode für die Überprüfung der eingegangenen Schriftstücke ließ sich auch durch genaue Instruktionen nur zum Teil lösen. Den Zensoren klargemacht wurde in jedem Fall, dass die Kontrolle dem Filtern von Informationen über die feindlichen Streitkräfte ebenso zu gelten hatte wie der Überprüfung von Loyalitäten. Außerdem sollten sowohl über die Lage der Soldaten in Feindeshand wie auch über jene im eigenen Gewahrsam aussagekräftige Fakten zutage gefördert werden, um in weiterer Folge geeignete Maßnahmen zur Behebung von Missständen einzuleiten.226 Dass negative Bewertungen über die Lebensumstände in öster­ reichisch-ungarischem Gewahrsam zu unterdrücken und entsprechende Eingriffe zu tätigen waren, bevor die Post weiterbefördert werden durfte, lag auf der Hand. Den Zensoren wurde aber auch aufgetragen, „Wahrnehmungen über Übelstände in den Lagern, insoferne sie den Eindruck der Glaubwürdigkeit machen“, Aufmerksamkeit zu schenken. In solchen Fällen sollten derartige Meldungen in dafür vorgesehenen „Protokollbögen“ vermerkt und den „vorgesetzten Behörden“ zur Kenntnis gebracht werden.227 Tatsächlich aber zogen solche Eingaben offenbar keineswegs verlässlich konkrete Maßnahmen zur Beseitigung von aufgezeigten Mängeln nach sich. Bei der „hebräischen Zensurgruppe“ etwa machte sich Unbehagen über die Lage der Internierten im niederösterreichischen Steinklamm breit, nachdem bereits aufgrund auffällig übereinstimmender Klagen aus diesem Lager eine Überprüfung der dortigen Zustände angeregt worden war. Die in der Korrespondenz aber auch weiterhin vorgefundenen Beschwerden nötigten die Zensoren schließlich zur Annahme, dass von den zuständigen Stellen keinerlei Schritte gesetzt worden waren, um sich der Situation der Internierten in Steinklamm anzunehmen.228

226 Instruktion für die Zensurabteilung des GZNB. ÖStA KA AOK Evidenzbüro, Kt. 3789. 227 Die Zensur der Kriegsgefangenenkorrespondenz. Merk- und Handbuch bei der Zensurabteilung des GZNB, Res. 2196. ÖStA KA AOK Evidenzbüro, Kt. 3733. 228 Hebräische Zensurgruppe, Bericht September/Oktober 1915, Res. 2243. ÖStA KA AOK Evidenzbüro, Kt. 3733. Tatsächlich machten ehemals in Steinklamm interniert gewesene Personen später alles andere als günstige Angaben über die Zustände dort. Ein griechischer Staatsbürger etwa behauptete, dass zahlreiche Personen dort an Hunger starben. Außerdem seien orthodoxe Priester besonders roh behandelt worden. Sie mussten überdies, hieß es in einem diesbezüglichen Bericht, verschiedene Demütigungen über sich ergehen lassen, was beispielsweise das Reinigen von Aborten just an religiösen Feiertagen miteinschloss. Broschüre zur Behandlung russischer Gefangener 1915/16. RGVIA f. 2003 op. 2 d. 9 l. 125.

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Unsicherheit in ihrem Urteil über die Glaubwürdigkeit der in den Korrespondenzen vorgefundenen Schilderungen plagte indessen so manchen Leiter der einzelnen Zensurgruppen. Einer davon, der für die Korrespondenz italienischer Kriegsgefangener in der k. u. k. Monarchie zuständige Paul Kammerer229, regte daher im Herbst 1915 eine Besichtigung einzelner „Barackenlager“ durch die Gruppenleiter der Zensurbehörde an. Vom „persönlichen Kennenlernen des Menschenmaterials und seiner Lebenslage“ versprach er sich eine treffsichere Bewertung des gesichteten Schriftgutes.230 Die Vorgesetzten hatten offenbar keine Einwände. Die Erlaubnis für eine derartige Visitationstour oblag jedoch dem Kriegsministerium. Ob sie erteilt wurde, muss offenbleiben.231 In jedem Fall stand auch der erwähnte „Pro­ blemfall“ Steinklamm auf der „Wunschliste“ jener Lager, die Kammerer für einen Besuch vorschlug. So oder so blieben bei einigen Zensoren weiterhin Bedenken über die Stichhaltigkeit von Klagen bezüglich der Lebensbedingungen von Internierten und Gefangenen in den kontrollierten Korrespondenzen bestehen. Der Leiter der Zensurabteilung, Major Theodor Primavesi232, führte demgegenüber die Häufigkeit von Klagen beziehungsweise die Beschaffenheit der Korrespondenz insgesamt eher auf angeblich typische Charakteristika der einzelnen Nationalitäten zurück. Den Serben unterstellte er beispielsweise eine „notorische[r] pathologische[r] Neigung zu Trug und Verlogenheit“.233 In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass Beurteilungen auf Grundlage nationaler Stereotype nicht nur den eingebrachten Feindsoldaten galten, sondern sich auch auf die unter den Soldaten der k. u. k. Armee vertretenen verschiedenen Nationalitäten erstreckten. Antisemitische oder antislawische Haltungen innerhalb eines vorwiegend deutsch-österreichischen Offizierskorps lassen sich ebenso feststellen wie grundsätzliche Überzeugungen

229 Über Kammerer: Arthur Koestler, Der Krötenküsser. Der Fall des Biologen Paul Kammerer, Wien/München/Zürich 1972. 230 Italienische Zensurgruppen an die Zensurabteilung des GZNB, Res. 2367, Oktober 1915. ÖStA KA AOK Evidenzbüro, Res. 2367, Kt. 3733. 231 Vgl. dazu den Hinweis bei Gordana Ilić Marković betr. die Zutrittserlaubnis für Repräsentanten der Zensurabteilung u. a. in das Lager Mauthausen. Gordana Ilić Marković (Hg.), Veliki Rat – Der Große Krieg. Der Erste Weltkrieg im Spiegel der serbischen Literatur und Presse, Wien 2014, 219. 232 Primavesi wurde 1916 von Oberst Otto Kick abgelöst. Vgl. Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen?, 141. Über Primavesi siehe auch: Max Ronge, Zwölf Jahre Kundschaftsdienst. Kriegs- und Industriespionage, Zürich/Leipzig/Wien 1930, 148. 233 Vgl. Bericht des Leiters der Zensur-Abteilung für Kriegsgefangenenkorrespondenz, k. u. k. Major Theodor Primavesi, Juni 1915. GZNB Res. 1128. ÖStA KA AOK GZNB, Kt. 3727.

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einer kulturellen Überlegenheit der Deutschen.234 Gepaart mit sozialdarwinistischen Ansichten ergaben sich aus diesen Ansichten Zuschreibungen, die gewissermaßen selbstverständlich auch auf die Kriegsgefangenen übertragen wurden. Die dem Konflikt selbst, gewissen Vorprägungen und Klischees sowie deren propagandistischer Aufbereitung erwachsende Abwertung des Gegners erwiesen sich als zusätzliche Faktoren für die Art und Weise, wie die Feindsoldaten wahrgenommen wurden. Vorbehalte gegenüber slawischen oder italienischen Soldaten der eigenen Armee machten sich darüber hinaus gerade während des Krieges ebenfalls verstärkt bemerkbar. Der Entfremdungsprozess zwischen Offizieren und Mannschaften war nicht zuletzt „national“ codiert.235 Allgemein akzeptierte, explizit rassistische Ideologien im Umgang mit den Soldaten der multinationalen k. u. k. Armee oder mit den verschiedenen Ethnien der Kriegsgefangenen durch das österreichisch-ungarische Offizierskorps, das sich als „supra-national“ verstand, sind indessen nicht zu konstatieren.236 In der Historiographie ist demgegenüber von „streng ethnizistisch[en]“ Haltungen der „Führungsriege des Heeres“ die Rede. Diese sei davon ausgegangen, „dass in der Monarchie ethnische Nationen mit eindeutigen und unveränderlichen Charakteristika und Grenzen existierten. Das Heer hatte ihrer Meinung nach genau über sie Bescheid zu wissen, richtig mit ihnen umzugehen und sie entsprechend zu kontrollieren.“237 Ohne Zweifel ist die Position der k. u. k. Militärelite gegenüber den verschiedenen in der Armee vertretenen Nationalitäten als ambivalent zu bezeichnen. Der Erkenntnis, dass es „in Österreich-Ungarn kein ‚Herrenvolk‘“ geben dürfe, um „‚centrifugalen Tendenzen den Boden zu entziehen‘“, standen etwa geringschätzige Äußerungen über die „‚Schnackersprachen‘“ kleinerer Nationalitäten gegenüber.238 Uta Hinz hat in ihrer vielbeachteten Studie zu den Kriegsgefangenen in deutschem Gewahrsam festgehalten: „Eine Politik der Ungleichbehandlung aufgrund spezifischer nationaler Feindbilder oder gar der im Zweiten 234 Vgl. dazu u. a. Oswald Überegger, Minderheiten-Soldaten. Staat, Militär und Minderheiten im Ersten Weltkrieg, in: Ders. (Hg.), Minderheiten-Soldaten. Ethnizität und Identität in den Armeen des Ersten Weltkriegs, Paderborn 2018, 9–24, 18–20. Vgl. dazu auch die Ausführungen von Hinz mit dem Zwischentitel „Ideologische Muster“, in: Hinz, Gefangen, 81–84. 235 Vgl. beispielsweise Überegger betr. Soldaten aus dem Trentino: Überegger, Der andere Krieg, 275 f. 236 Vgl. dazu u. a. Martin Schmitz, „Als ob die Welt aus den Fugen ginge“. Kriegserfahrungen österreichisch-ungarischer Offiziere 1914–18, Paderborn 2016, 38. 237 Andrea Di Michele, Soldaten zwischen zwei Uniformen. Österreichische Italiener im Ersten Weltkrieg, Wien/Köln/Weimar 2020, 57. 238 Zit. nach Kronenbitter, „Krieg im Frieden“, 163.

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Weltkrieg handlungsleitenden rassistischen Motivationen läßt sich im Ersten Weltkrieg bei den leitenden Militärstellen insgesamt nicht feststellen.“239 Zumindest sehen Uta Hinz und Heather Jones angesichts grundsätzlicher Verschiedenheiten der Gefangenenbehandlung zum einen zwischen Front und Hinterland sowie zum anderen angesichts der vielen unterschiedlichen Autoritäten, die die Lebensbedingungen der Feindsoldaten prägten, keinen allgemein gültigen ideologischen Rahmen, der einheitliche Anleitungen für die Behandlung der Gefangenen nach solchen Gesichtspunkten vorgegeben hätte.240 Nichtsdestoweniger gab man nach dem Krieg auch von offizieller deutscher Seite zu, dass „die russischen Kriegsgefangenen je nach Bedarf in rücksichtsloserer Weise zu den nötigen Arbeiten“ herangezogen wurden „als die Kriegsgefangenen der übrigen Ententestaaten“. Dies wiederum sei „veranlaßt“ worden „durch die unmenschliche Behandlung der deutschen Kriegsgefangenen in russischer Hand“.241 Solche Aspekte wiederum treffen sich mit Einschätzungen von Oksana Nagornaja, die ihrerseits die Diskriminierung explizit russischer Kriegsgefangener in deutschem Gewahrsam hervorhebt.242 Für Österreich-Ungarn liegt klar zu Tage, dass sich zumindest unter ­Teilen der Armeeführung eine spezielle Feindseligkeit bzw. besondere Ressentiments explizit gegen serbische und italienische Kriegsgefangene richteten.243 Vergleichbare Vorbehalte gegenüber kriegsgefangenen Russen gab es in dieser Form nicht. Der Vorwurf des „Verrates“ etwa, der sich gegen Italien gerichtet hatte und spezifische Abneigungen nach sich zog, war in Anbetracht des gewissermaßen „gewachsenen“ Antagonismus zwischen dem Habsburgerreich und Russland kein Thema. Klischeegeleitete Perspektiven auf die „Feinde aus dem Osten“ und stereotype Beurteilungen waren demgegenüber ganz allgemein und teilweise wohl auch als Folge literaturgeleiteter Russlandbilder oder einer popularisierten Wissenschaft, wo „Ostvölker“ tendenziell abgewertet wurden, vorhanden.244 Oksana Nagornaja spricht in diesem 239 Hinz, Gefangen, 81. 240 Heather Jones/Uta Hinz, Prisoners of War (Germany), in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2014–10–08. DOI: 10.15463/ie1418.10387 (abgerufen am 1.2.2021). 241 Hinz, Gefangen, 302 f. 242 Vgl. etwa auch: Oxana Nagornaja, „Nicht Freunde, nur Verbündete“. Entente-Kriegsgefangene in deutschen Lagern, in: Bernhard Lübbers/Isabella von Treskow (Hg.), Kriegsgefangenschaft 1914–1919. Kollektive Erfahrung, kulturelles Leben, Regensburger Realität, Regensburg 2019, 233–247, 235. 243 Siehe dazu v. a. das letzte Kapitel in vorliegendem Band. 244 Vgl. dazu Peter Hoeres, Die Slawen. Perzeptionen des Kriegsgegners bei den Mittelmächten. Selbst- und Feindbild, in: Gerhard P. Groß (Hg.), Die vergessene Front. Der

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Zusammenhang von der Wirkung, die „Rassenstudien“ seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert auf die Herausbildung bestimmter Sichtweisen auf „die Slawen“ hatten, von einem kolonialen Blick, „racial categories“ und Zuschreibungen, die Russen zu einem kulturell inferioren „Volk“ machten.245 Mit Blick auf die Situation russischer Gefangener in deutschem Gewahrsam meint sie: „Stereotypical images of the enemy allowed the use of harsher discipline by officials on the ground. In camps and work crews, both of which effectively became the private fifdom of their commanders or head guard, uncontrolled license reigned, with no oversight from the center.“246 Die deutsche Propa­ ganda hatte, so Nagornaja, „Vorstellungen über die auf niedriger kultureller Stufe stehenden Slaven“ verbreitet, was „in den Lagern zu strengeren Diszi­ plinierungsmaßnahmen gegenüber den russischen Kriegsgefangenen“ im Vergleich zu Feindsoldaten aus westeuropäischen Ländern geführt habe.247 Die „Präsenz nationaler Negativstereotypen und Rassismen“ im deutschen „Militärapparat“ sieht auch Uta Hinz als vielfach belegt an.248 Vor allem in Ungarn verbanden sich indessen antirussische Haltungen nicht zuletzt mit der Rolle des Zarenreiches bei der Niederschlagung der Revolution 1848/49.249 Vorhandene Abwertungen der Russen als rückständig und primitiv waren darüber hinaus insgesamt, also über den militärischen Wirkungsbereich beziehungsweise die Militärelite hinausgehend, weitverbreitet und kamen nahliegenderweise vor allem in nicht-slawischen Gebieten der Donaumonarchie zum Tragen.250 In Zusammenhang mit dem „unerlaub-

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Osten 1914/15. Ereignis, Wirkung, Nachwirkung, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006, 179–200, 180 f. Oxana Nagornaja, United by Barbed Wire. Russian POWs in Germany, National Stereotypes, and International Relations, 1914–22, in: Kritika 10/3 (Summer 2009), 475–498, passim. Ebd., 480 f. Nagornaja, „Nicht Freunde, nur Verbündete“, 235. Siehe dazu ihren Artikel in einem Sammelband, der den Forschungsstand zur Kriegsgefangenschaft in Deutschland reflektiert: Uta Hinz, Die Erfahrung von Kriegsgefangenschaft in Deutschland 1914–1918. Kenntnisstand und Forschungsfragen, in: Bernhard Lübbers/Isabella von Treskow (Hg.), Kriegsgefangenschaft 1914–1919. Kollektive Erfahrung, kulturelles Leben, Regensburger Realität, Regensburg 2019, 248–267, 262. Vgl. dazu auch Streeruwitz, Springflut, 107. Vgl. dazu u. a.: Wolfram Dornik, „Ganz in den Rahmen dieses Bildes hinein passt auch die Bevölkerung“. Raumerfahrungen und Raumwahrnehmung von österreichisch-ungarischen Soldaten an der Ostfront des Ersten Weltkrieges, in: Bernhard Bachinger/ Wolfram Dornik (Hg.), Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten: Erfahrung – Wahrnehmung – Kontext, Innsbruck/Wien/Bozen 2013, 27–43; Ders., Kultureller Raum und Bewegungskrieg. Raumerfahrungen und Raumdeutungen zu Osteuropa in Selbstzeugnissen deutschsprachiger Kriegsteilnehmer der k. u. k. Armee, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 73/2 (2014), 367–388; Verena Moritz/Hannes Lei-

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ten Verkehr“ zwischen Gefangenen und Einheimischen sowie speziell Frauen wurde eine besondere Verwerflichkeit solcher Kontakte nicht zuletzt von der deutsch-österreichischen katholischen Priesterschaft festgehalten. Sogar in den Zeitungen wurden „deutsche Mädchen“ angesichts der Präsenz vor allem russischer Gefangener dazu aufgerufen, ihre „Ehre“ zu wahren.251 Die schiere Überzahl von Gefangenen aus dem Zarenreich gegenüber Feindsoldaten anderer Nationalitäten lenkte die diesbezügliche Aufmerksamkeit allerdings automatisch vor allem auf russische Kriegsgefangene. Manche sahen in ihnen ein „Krebsgeschwür für die Sittlichkeit“ und warnten vor einer Zunahme unehelicher Geburten sowie infolgedessen vor einer Schar sogenannter „Russenkinder“.252 Dennoch ist in Anbetracht höchst unterschiedlicher Verhaltensweisen der Zivilbevölkerung auch in deutsch dominierten Regionen des Habsburgerreiches ein prinzipieller Gegensatz etwa zu der Haltung der Bevölkerung gegenüber Feindsoldaten in Gebieten mit einer anderen nationalen Zusammensetzung einigermaßen fragwürdig.253 Die von militärischer Seite vergebens versuchte strikte Separierung von Einheimischen und Kriegsgefangenen mündete überall in eine Annäherung, die unterschiedliche Spielarten von „Beziehungen“ bereithielt. Das zeigte sich vor allem in der letzten Kriegs-

dinger, Der Sinn der Erfahrung. Gedanken über den Umgang mit Selbstzeugnissen ehemaliger Kriegsgefangener des Ersten Weltkriegs, in: Hannes Leidinger/Verena Moritz (Hg.), In russischer Gefangenschaft. Erlebnisse österreichischer Soldaten im Ersten Weltkrieg, Wien/Köln/Weimar 2008, 7–36; Jan Liebold, „In allem zurück, weit zurück …“. Russlandbilder deutscher Kriegsgefangener im Ersten Weltkrieg. Ihre Darstellung und Veränderung in der Erinnerungsliteratur 1916–1939, Diss. Berlin 2006. 251 Vgl. dazu etwa Franz Wiesenhofer, Gefangen unter Habsburgs Krone. K. u. k. Kriegs­ gefangenenlager im Erlauftal, Purgstall 1997, 231. 252 Vgl. dazu: Julia Walleczek-Fritz, The social degeneration of the Habsburg home front: „forbidden intercourse“ and POWs during the First World War, in: European Review of History/Revue européenne d’histoire 24/2 (2017), 273–287, 280 f. DOI: https: //www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/13507486.2016.1257575 (abgerufen am 1.2. 2021). 253 Methodisch ergeben sich für eine Untersuchung der Haltungen gegenüber den Gefangenen seitens der Bevölkerung klarerweise erhebliche Probleme. Der Eindruck, dass die Unterschiede zwischen slawischen und nicht-slawischen Bevölkerungsgruppen in ihrem Verhältnis zu den Gefangenen weniger stark ausgeprägt waren, als damals von den Behörden angenommen wurde, ergibt sich unter anderem aus der Beschäftigung mit verschiedenen Selbstzeugnissen, die beispielsweise in der Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien aufbewahrt werden. Sie betreffen Erfahrungen, die sowohl das zivile als auch ein soldatisches Umfeld betreffen. Aus urheberrechtlichen Gründen wird an dieser Stelle auf die Nennung der einzelnen diesbezüglichen Selbstzeugnisse verzichtet.

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phase, als sich angesichts wachsender Kriegsmüdigkeit, des schwindenden Vertrauens gegenüber Staat und Armee oder nationaler Selbstständigkeitsbestrebungen verschiedenartige Affinitäten zwischen Kriegsgefangenen und der Bevölkerung auftaten. Vorhandene Feindbilder und/oder Abwertungen lösten sich zum Teil auf oder wurden in Anbetracht der revolutionären Entwicklungen im Zarenreich eventuell von anderen – in dem Fall „weltanschaulich“ geprägten – Zuschreibungen ersetzt oder eventuell überlagert. Bestimmte Vorannahmen konnten sich zumindest vorübergehend auch positiv auf die Behandlung der Gefangenen auswirken. Hier anzuführen ist die zu Beginn des Krieges geplante bessere Versorgung von russischen Kriegsgefangenen in österreichisch-ungarischem Gewahrsam aufgrund verallgemeinerter Vorstellungen über deren Essensgewohnheiten. Fragwürdigen wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge konnte angesichts einer konstatierten speziellen Ernährungsweise der Russen ihre Leistungsfähigkeit als Arbeiter nur durch höhere Rationen gewährleistet werden254 – ein Privileg, das angesichts des Lebensmittelmangels im Habsburgerreich nur kurz währte. Als bevorzugt gegenüber anderen Nationalitäten in österreichisch-ungarischem Gewahrsam galten russische Kriegsgefangene mitunter aber auch aufgrund der Art ihrer Arbeitsverwendung. Doch auch wenn sich die prioritäre Verwendung von Russen in der Landwirtschaft insgesamt positiv auf ihre Lebensumstände ausgewirkt haben dürfte und alle anderen Gefangenengruppen vornehmlich Arbeitsfeldern zugeteilt wurden, die als weniger attraktiv galten, überwogen in diesem Kontext am Ende zweckgebundene Erwägungen seitens der k. u. k. Behörden. Eine Diskriminierung, die sich aus nationalen Motiven speiste, ist weitgehend auszuschließen. Klar zu Tage traten freilich unterschiedliche Klischees, die beispielsweise die Zuteilung der Kriegsgefangenen zu bestimmten Arbeiten stark beeinflussten. Italienische Gefangene wurden für Tätigkeiten im Agrarsektor als minder geeignet befunden255 und eher für „Mauerer- und Steinbrucharbeiten“ verwendet256. Russen hingegen galten a priori als typisches Bauernvolk mit besseren Voraussetzungen für landwirt254 Vgl. zu der bereits vor dem Krieg etablierten „nutritional science“: Rudolf Kučera, Rationed Life. Science, Everyday Life, And Working-Class Politics in the Bohemian Lands, 1914–1918, New York/Oxford 2016, 12–56. Raabl-Werner begründete die bessere Verpflegung russischer Gefangener so: „Hierfür war die Erwägung maßgebend, daß speziell die Russen, die ja das Hauptkontingent der Kgf. betrugen, von Haus aus ein ungleich größeres Brotquantum benötigten als die heimatliche Bevölkerung, um in ihrem Ernährungs- und Kräftezustand zu verbleiben.“ Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 16. 255 Walleczek-Fritz, Behind the Front Line, 153 f. 256 Streeruwitz, Springflut, 104.

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schaftliche Arbeiten. Die „Wildheit der Serben beim Kampf“, habe sich, so Ernst von Streeruwitz, nicht auf deren Arbeitseinsatz übertragen: „Der Serbe war überall ein gutwilliger und genügsamer Arbeiter“. Über rumänische Gefangene meinte er, dass sie „zumeist“ ebenfalls „gutmütig“ waren, aber „physisch nicht sehr leistungsfähig“ und obendrein „nicht frei von anderen Fehlern“.257 Bei der A. i. F., wo die Bedingungen als besonders schwierig galten und Arbeiten unterschiedlichster Art zu verrichten waren, stellten in jedem Fall Soldaten der Zarenarmee die Mehrzahl der dort eingesetzten Gefangenen. An der NO-Front waren mehr als 70 Prozent der eingesetzten Feindsoldaten Angehörige der Zarenarmee. Ein ähnliches Bild ergibt sich für die SW-Front. Nur an der SO-Front waren Russen in geringerer Zahl vorhanden als Kriegsgefangene, die anderen Nationalitäten angehörten. Mit Stichtag 1. Januar 1918 arbeiteten dort „nur“ etwas mehr als 40 Prozent russische Gefangene.258 Ähnlich wie Ernst von Streeruwitz hatte sich Theodor Primavesi konkrete Schemata bei der Beurteilung der eingebrachten Kriegsgefangenen zurechtgelegt, die zweifellos auch Standesdünkel reflektierten. Während er in Teilen der russischen Mannschaftsangehörigen lediglich „minderwertiges Gesindel“259 erblickte, machte sich ganz allgemein ein kulturelles Überlegenheitsgefühl gegenüber den Kriegsgefangenen breit. Insbesondere der sogenannte „Hygienediskurs“, im Zuge dessen den Gefangenen mangelnde Reinlichkeit vor allem in Zusammenhang mit der Seuchenbekämpfung und -prävention unterstellt wurde, eignete sich für diesbezügliche Wertungen.260 Differenzieren wird man aber auch hier müssen: Nicht alle Offiziere der k. u. k. Armee folgten solchen Urteilen, und nicht alle konnten beispielsweise Ansichten über einen angeblich spezifischen Verdauungstrakt russischer Gefangener mit dadurch bedingtem höherem Bedarf an Nahrung etwas abgewinnen oder eine Argumentation nachvollziehen, die die hohe Sterblichkeit unter Italienern ab 1917 vornehmlich auf klimatische Anpassungsprobleme zurück­ führte.261 257 Ebd. 258 Stand und Verwendung der Kgf. (Stichtag 1. Januar 1918). ÖStA KA Chef d EW 1918, Kt. 106. 259 Bericht des Leiters der Zensur-Abteilung für Kriegsgefangenenkorrespondenz, k. u. k. Major Theodor Primavesi, Wien, Juni 1915. GZNB, Res. 1128. ÖStA KA AOK GZNB, Kt. 3727. 260 Vgl. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 88. 261 Hier ist allerdings festzuhalten, dass diesbezügliche Forschungen bereits vor dem Krieg durchgeführt wurden. Während des Krieges schließlich kam der Frage einer gewissermaßen effektiven Nahrung, um etwa entsprechende Arbeitsleistungen sicherzustellen, eine besondere Bedeutung zu. Dazu siehe das Kapitel „Rationed Society: The Politics of Food“ in: Kučera, Rationed Life, 12–56.

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„Opinio communis“? Die Einschätzungen von Theodor Primavesi und seine Pauschalurteile über „minderwertige“ Russen oder „wehleidige Polen“ halfen überdies wenig bei der praktischen Arbeit der Zensoren. Der oder die eine oder andere – in der Zensurabteilung arbeitete ein beträchtlicher Anteil an Frauen – machte sich anscheinend grundsätzliche und seriösere Gedanken darüber, inwiefern sich aus den Briefen und Postkarten, die er oder sie täglich durchsah, ganz reale Verhältnisse ablesen ließen – unabhängig von der nationalen Herkunft der Verfasser und Verfasserinnen262. Immerhin wurden die Betroffenen auf das Verbot, unerwünschte Nachrichten niederzuschreiben, aufmerksam gemacht, und sie wussten über die bei Zuwiderhandeln durchgeführte sogenannte „Remedur“ der beanstandeten Stellen Bescheid. Wer den diesbezüglichen Vorgaben gar keine Aufmerksamkeit schenkte und keine Selbstzensur übte, dessen Briefe wurde eventuell auch „inhibiert“. Die Häufung von „Hungerklagen“ und Beschwerden über Misshandlun­ gen führte daher beispielsweise einmal mehr Paul Kammerer in seinem Dezemberbericht 1917 über die Korrespondenz italienischer Kriegsgefangener auf die Unkenntnis der Vorschriften für das Abfassen von Briefschaften unter den „Frischgefangenen“ zurück. In diesen Schriftstücken wurde, wie er angab, keines der sonst üblichen Synonyme für „Hunger“ verwendet, die bereits geraume Zeit in Gefangenschaft befindliche Italiener anführten, um die Zensur eventuell zu täuschen. In jeder Sprache gab es nämlich „Ersatzwörter“, um assoziativ oder metaphorisch zu beschreiben, wie sich die eigene Situation abseits vorgegebener Regeln für die Korrespondenz mit den Angehörigen tatsächlich darstellte. Die „Frischgefangenen“, stellte Kammerer fest, nannten hingegen den Mangel unverhohlen beim Namen, sodass „Hunger“ auch als solcher bezeichnet wurde.263 Freilich gab es auch die sogenannten „Zitronenschreiber“, die in der Hoffnung, ihre „Tarnung“ bliebe unentdeckt und die Geheimschrift erst dem Adressaten nachvollziehbar, ebenfalls deutliche Worte für ihre Situation fanden. Ein in Serbien befindlicher italienischer Gefangener schrieb laut September-Bericht 1917 der betreffenden Zensurgruppe ohne Umschweife über Hungerrationen und ungenießbare Nahrung: „Im Winter Schweinefutter, im Sommer Kräuter wie die Frösche.“ Paul Kammerer ergänzte diesen Satz mit der Bemerkung „Frösche 262 Der Zensur unterworfen war – wie erwähnt – auch die Korrespondenz von Zivilinternierten, und damit auch von Frauen. 263 Dezemberbericht 1917 zur italienischen Kriegsgefangenenkorrespondenz. ÖStA KA AOK Evidenzbüro, Res. 4927, Kt. 3756.

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fressen keine Kräuter“ – ein zynisch wirkender Einwand, der allerdings in Anbetracht von Kammerers eigentlicher Profession als Zoologe und der Tatsache, dass er vor allem über Frösche und Kröten forschte, in einem anderen Licht erscheint.264 Während Kammerer neben den verschiedenen „Tricks“ für die U ­ mgehung der Zensur die Frage der Authentizität beschriebener Inhalte beschäftigte, widmete sich der ebenfalls der italienischen Zensurgruppe zugeteilte Leo Spitzer zumindest nach getaner Arbeit vor allem sprachwissenschaftlichen Studien. Das durchgesehene Material lieferte hierfür reichlichen Stoff. In einer diesbezüglichen Publikation, die 1921 erschien, bedauerte er allerdings die Gleichförmigkeit der Korrespondenzen. Einigermaßen despektierlich meinte er: „Zwar löste der Krieg gar manchem die Zunge, der früher nichts zu erzählen wusste, zwar hatte jetzt Hinz und Kunz ein Schicksal zu künden, und vielleicht ein heroischeres als in früheren Jahrzehnten der Gefahrlustigste und Waghalsigste“, doch verengte sich dann das Geschriebene meist auf alltägliche Erfahrungen und Bedürfnisse. Die Korrespondenzen unterschieden sich, meinte Spitzer, ob „von Omsk“, von „Bozen“, von „Steinklamm“ oder sonst wo her kommend, inhaltlich kaum voneinander. Und trotzdem gelangte er ähnlich wie sein Kollege Kammerer zu der Einsicht, dass es keine „opinio communis“ unter den Briefe- und Kartenschreibern gegeben habe, keine Gemeinsamkeit von Wahrnehmungen, die sich zu einem einheitlichen Bild gefügt hätten. Während die Zensurleitung nach allgemeinen, zusammenfassenden Eindrücken über die Verhältnisse in bestimmten Lagern fragte, sah sich der Zensor zwischen konträren Schilderungen gewissermaßen hinund hergerissen. So entstanden mit den Zensurberichten am ehesten „subjektive Verallgemeinerungen“, erwachsen aus „dem Gefühl für die Häufigkeit“ bestimmter Äußerungen.265 Tatsächlich schränkte die vorgegebene Berichtsstruktur, die der Zusammenstellung monatlicher Dossiers durch die einzelnen Zensurgruppen zugrunde lag, die Möglichkeit, aus den Korrespondenzen allgemein zutreffende 264 Die Angelegenheiten der italienischen Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn, September 1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-18/613, Kt. 1466. 265 Leo Spitzer, Italienische Kriegsgefangenenbriefe. Materialien zu einer Charakteristik der volkstümlichen italienischen Korrespondenz, online: https://archive.org/stream/ italienischekrie00spituoft/italienischekrie00spituoft_djvu.txt (abgerufen am 12.1.2021). Das betreffende Buch erschien 1921 in Bonn. Siehe auch: Leo Spitzer, Die Umschreibungen des Begriffs „Hunger“ im Italienischen. Stilistisch-onomasiologische Studie, Halle an der Saale 1920. Zu Spitzer: Klaus Taschwer: Die Geburt der Diskursanalyse in der k. u. k. Zensuranstalt, in: Der Standard 13.11.2013, online:http://derstandard. at/1381371721960/Die-Geburt-der-Diskursanalyse-in-der-k-u-k-Zensuranstalt (abgerufen am 1.7.2021).

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Einblicke in die Lebensbedingungen der Verfasser zu erlangen, gravierend ein. Die Zensoren, die ihre Berichte im Regelfall nach Briefschaften von Offizieren oder einfachen Soldaten sowie nach den Aufenthaltsorten der Gefangenen und diesbezüglichen Beschreibungen – also von Hinterlandslagern oder Arbeitsstätten sowie Einsatzbereichen im Etappen- oder Frontbereich – gliederten, waren gleichzeitig dazu aufgerufen, Beispiele sowohl für positive als auch negative Anmerkungen zur allgemeinen Situation in österreichisch-ungarischem Gewahrsam festzuhalten. Die Vorgaben orientierten sich also nach einer offenbar angestrebten Ausgewogenheit, die keineswegs mit den tatsächlichen Gegebenheiten korrespondieren musste. Dessen ungeachtet genügte der Großteil der Berichte diesen Direktiven. Lob und Tadel hielten sich daher oft die Waage. Darüber hinaus stellte sich die Frage der Quantität und der Auswahl der eingefangenen Stimmen. Hier taten sich wiederum große Diskrepanzen zwischen den einzelnen Zensurgruppen auf, wobei die Dossiers über die russische und italienische Gefangenenkorrespondenz schon allein aufgrund der Anzahl der diesbezüglichen Gefangenen die Zusammenstellungen anderer Zensurgruppen im Umfang übertrafen. Die Italiener, die zahlenmäßig dennoch weit hinter den Russen zurücklagen, galten als besonders schreibfreudig. Russischen Gefangenen wiederum ebenso wie serbischen wurde ein geringerer Bildungsgrad attestiert, der auch die Menge der Korrespondenz limitierte. Andererseits machten sich für gewöhnlich schriftkundige Kameraden erbötig, Analphabeten oder weniger Gebildete bei ihrer Korrespondenz zu unterstützen. Dass etwa die Briefschaften serbischer Kriegsgefangener zahlenmäßig geringer ausfielen, hing allerdings auch mit eigenen diesbezüglichen Restriktionen für die okkupierten Gebiete zusammen. Inhaltlich gravierende Unterschiede zu den Briefen bzw. Postkarten anderer Kriegsgefangenen-Nationalitäten wurden von der serbischen Zensurgruppe indessen nicht festgestellt. Trotzdem kam einigen ausgewählten Briefen serbischer Kriegsgefangener nach dem Krieg eine besondere Bedeutung zu. Der ehemalige Leiter der serbischen Zensurgruppe Vladislav Pandurović veröffentlichte 1923 einige Beispiele der zensurierten Korrespondenz serbischer Gefangener, die die in österreichisch-ungarischem Gewahrsam erlittenen Unbilden dokumentierten und so zu zentralen Belegen für die Leiden in Gefangenschaft wurden.266 Die Widersprüchlichkeiten, die sich des Öfteren aus der Überprüfung der Briefschaften ergaben, machte Paul Kammerer in Zusammenhang mit den italienischen Kriegsgefangenen in seinen Berichten immer wieder zum Thema. Ein „wahrheitsgetreues Bild“ von den Lebensbedingungen der Ge266 Vgl. Vladislav Pandurović, Srpska pisma iz svetskog rata 1914–1918, Osijek 1923.

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fangenen sei, meinte er im Frühjahr 1918, aus der Korrespondenz nicht zu gewinnen. Vor allem die diesbezüglichen Schilderungen der Zustände im Lager Theresienstadt gaben ihm, so Kammerer selbst, „Rätsel“ auf. Zunächst geradezu als „Straflager“267 beschrieben, folgte kurz darauf überwiegend Lob, um dann wieder ins Gegenteil umzuschlagen.268 Tatsächlich erreichten auch die russischen Stellen Meldungen, wonach in Theresienstadt Gefangene regelmäßig geschlagen wurden.269 Schon 1915 kam man indessen in der russischen Zensurgruppe des GZNB zu dem Schluss, dass die Abnahme an Klagen über die Lebensbedingungen in der Gefangenenkorrespondenz „nicht unbedingt“ auf deren Verbesserung schließen ließ. Vielmehr wurde festgestellt, dass Beschwerden weniger wurden, je länger sich die betreffenden Männer in Kriegsgefangenschaft befanden: „Das Wort ‚Gewohnheitstier‘ findet auch hier“, wurde angemerkt, „volle Bestätigung“. Wie sich nun wirklich die Lage der Gefangenen270 darstelle, sei aufgrund der „tausendfachen Variationen des Charakters“ der Verfasser nicht festzustellen. „Dadurch“ könne aber, lautete die Schlussfolgerung, „selbst bei minutiöser statistischer Führung der Klagemenge, diesem Material“, also der Gefangenenkorrespondenz, „blos [!] der Rang eines Forschungsbehelfes, nicht aber eines Beweises, zugesprochen werden!“ Während diese Erkenntnis von einem der Leser des Berichtes handschriftlich mit der Anmerkung „nur bedingt richtige These“ kommentiert wurde, hieß es in der Analyse weiter, dass lediglich der sorgfältige Abgleich von Lob und Klagen zu jeweils einem bestimmten Lager relevante Aussagekraft besitzen könne.271 Zweifel an einer womöglich allzu negativ skizzierten Lage durch die Verfasser der überprüften Post dürften mit fortschreitender Kriegsdauer unter den Zensoren sukzessive geringer geworden sein. Im letzten Kriegsjahr fiel

267 Tatsächlich finden sich auch in den Aussagen russischer Heimkehrer aus der Gefangenschaft diesbezügliche Bewertungen. Theresienstadt wurde explizit als Straflager bezeichnet, wo unter anderem Gefangene aufgrund mehrfacher Fluchtversuche diszipliniert werden sollten. Vgl. Aussagen von Rückkehrern aus der österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenschaft, Juli 1917. RGVIA f. 2000 op. 1 d. 7617 ll. 225–239. 268 Märzbericht der italienischen Zensurgruppe 1918, Res. 5040. ÖStA KA AOK Evidenzbüro, Kt. 3758. 269 Protokoll N. Špilnovskij. RGVIA f. 2048 op. 1 d. 512 ll. 91–92. Dass, wie M. Egger schreibt, Übergriffe des Wachpersonals bzw. der Eskortemannschaften selten vorkamen, kann auf Grundlage der Quellen der 10. Kriegsgefangenenabteilung oder aber der Zensurberichte des GZNB nicht nachvollzogen werden. Vgl. Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen?, 272. 270 Zensur der Korrespondenz der Kriegsgefangenen, 1914/15, 82/Res. ÖStA KA AOK Evidenzbüro, Kt. 3726. 271 Ebd.

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zumindest Paul Kammerer auf, dass eine früher als besser beschriebene Situation im Hinterland nun genauso negativ bewertet wurde wie jene bei der Armee im Felde. Von dort stammten stets die meisten Klagen der Kriegsgefangenen.272 Während freilich Zensoren wie Paul Kammerer „nur“ die Gefangenenkorrespondenz mit ihrer kritisch hinterfragten Aussagekraft nutzen konnten, um die Lage der Feindsoldaten abschätzen zu können, verfügte das k. u. k. Kriegsministerium selbstverständlich über viele verschiedene Kanäle, die es über die Lebensumstände der Gefangenen informierten. Dass auch hier diverse Filter dafür sorgten, Nachrichten über Missstände im Bedarfsfall zu unterdrücken, versteht sich von selbst. Dennoch lassen die vorhandenen Quellen keinen Zweifel daran, dass das Kriegsministerium oder explizit die Mitarbeiter der 10. Kriegsgefangenenabteilung relativ genau über die Lage der Feindsoldaten Bescheid wussten – auch auf Grundlage deren eigener Wahrnehmungen, die ohne Zensureingriffe weitergegeben wurden. So hatte man immerhin einem Teil der Kriegsgefangenen die Möglichkeit der Beschwerdeführung eingeräumt, und zwar in einem Ausmaß, das über die allgemeinen Zugeständnisse in dieser Hinsicht hinausging.273 Von derlei Eingaben der Gefangenen erhielt das Kriegsministerium jedenfalls Kenntnis. Abseits der Berichte vorhandener Kontrollinstanzen (wie etwa die Inspektionsoffiziere in den Militärkommandobereichen und bei den Etappenkommanden, Funktionäre des „Fürsorgekomitees für Kriegsgefangene“274, 272 Märzbericht der italienischen Zensurgruppe, Res. 5040. ÖStA KA AOK Evidenzbüro, Kt. 3758. 273 Im Dienstbuch J-35 wurde den Gefangenen zwar das Recht einer Beschwerdeführung zugestanden. Diesbezügliche Kritik blieb aber lagerintern. Außerdem konnten Kriegsgefangene, die „wiederholt ungerechtfertigte Beschwerden“ vorbrachten, auch bestraft werden. Dienstbuch J-35. Kriegsgefangenenwesen (Kgf. W.). Sammlung und Sichtung der ergangenen Erlässe, Wien 1915, 91. Russische Kriegsgefangene allerdings, denen als Resultat der Stockholmer Beschlüsse, die 1916 zustande kamen, gestattet worden war, Lagerkomitees zu bilden, konnten ihre Kritik an den herrschenden Verhältnissen direkt an verschiedene Organisationen herantragen. Dazu zählte unter anderem auch das Fürsorge- beziehungsweise Hilfskomitee beim GZNB. Vgl. den Text der Stockholmer Beschlüsse: Scheidl, Die Kriegsgefangenschaft, 107 f. Ausführlich über die praktische Organisation der Lagerkomitees siehe im Übrigen auch: Lagergeschichte Purgstall. ÖStA KA AOK Evidenzbüro, Kt. 3792. 274 Das Komitee stand unter dem „Ehrenvorsitz des Generalinspektors der Freiw. Sanitätspflege Erzherzog Franz Salvator sowohl in Öst. als auch in Ung.“ und bestand aus „leitenden Funktionären des zugehörigen Roten Kreuzes […], dessen einzelne Mitglieder ein bestimmtes Gebiet zur speziellen Betreuung zugewiesen erhielten“. Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 36. Außerdem wandten sich kriegsgefangene Russen an die Redaktion der vom k. u. k. Kriegsministerium her-

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Militärseelsorger und Lagerkommandanten) konnten auf diese Weise tiefe Einblicke in die Lebensrealität der Gefangenen gewonnen werden. Es ergab sich demnach ein aus vielen verschiedenen Quellen und Sichtweisen zusammengesetztes Gesamtbild zur Situation der eingebrachten gegnerischen Soldaten – eines, das ohne Zweifel nicht frei von Widersprüchen war, aber nichtsdestoweniger eine Menge an Informationen bereithielt und Tendenzen offenlegte. Dass die Konzentration auf die Perspektive der Zentralbehörden, die dem Forschungsplan und den vorrangigen Fragestellungen des Projektes entsprach, womöglich das Problem aufwerfen würde, einem eventuell verzerrenden „Elitendiskurs“ aufzusitzen, ließ sich unter Berücksichtigung der vorangegangenen Umstände weitgehend ausschließen. Was die Behörden wussten – oder wissen wollten – und wie sie mit diesem Wissen umgingen, ließ sich anhand des gesichteten Materials einigermaßen genau nachvollziehen. Dass überdies bei aller Quellenähe, die für die im Band versammelten Texte angestrebt wurde, Archivdokumente allein die „vergangene Wirklich­ keit“ nicht abbilden und nur ein Stückwerk dessen repräsentieren, was „sprachlich in ihr und über sie artikuliert werden kann“275, liegt auf der Hand. Die vorgenommenen Interpretationen orientieren sich demgemäß nicht allein an den verschriftlichten „Fakten“, sondern daran, was sich aus ihnen nachvollziehbar und im Kontext weiterer Perspektiven ableiten lässt.276

Das Konzept des Sammelbandes Mit den bisherigen Ausführungen sollten der Lektüre der nachfolgenden Kapitel ganz grundsätzliche Gedanken über die aktuelle Kriegsgefangenenforschung zur Situation im Habsburgerreich mitgegeben und die Bedeutung sowie der Quellenwert behördeninterner Diskurse dargelegt werden. Gleichzeitig versucht wurde, Grenzen und Möglichkeiten bürokratischer oder bürokratisierter Wahrnehmungen der Kriegsgefangenenproblematik am Beispiel ausgegebenen russischsprachigen Gefangenenzeitung „Nedelja“, um Beschwerde über Missstände zu führen. Siehe dazu: Christian Steppan, Die Kriegsgefangenenzeitung „Nedelja“. Propagandastimme oder Ombudsfrau?, in: Gunda Barth-Scalmani/Joachim Bürgschwentner et al. (Hg.), Militärische und zivile Kriegserfahrungen 1914–1918, Innsbruck 2010, 33–80. 275 Reinhart Koselleck, Fiktion und geschichtliche Wirklichkeit, in: Zeitschrift für Ideo­ logiegeschichte 1/3 (2007), 39–54, 47. 276 Dazu die einleitenden Überlegungen bei: Fabian Thunemann, Verschwörungsdenken und Machtkalkül. Herrschaft in Russland, 1866–1953, Berlin/Boston 2019, 1–19.

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der Zensurfrage vorzuführen. Die Artikel im Abschnitt „Historiographien“ vertiefen dann einige der hier bereits präsentierten Fragestellungen. Bezug genommen wird nicht nur auf die Geschichtsschreibung über die Kriegsgefangenschaft in der Donaumonarchie, sondern auch auf die internationale Kriegsgefangenenforschung mit ihren wichtigen Impulsen für die angesprochenen neueren Forschungen zur Situation im Habsburgerreich. Die Idee, historiographische Texte in diesem Band zu vereinen, entstand als Ergebnis eines 2014 im Österreichischen Staatsarchiv durchgeführten Projekt-Workshops und zahlreicher nachfolgender Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen, im Zuge derer das Desiderat einer Problematisierung unterschiedlicher Perspektiven auf die Gefangenschaft im Habsburgerreich offenkundig wurde. Wie wichtig es ist, Historiographien und Erinnerung beziehungsweise Gedenken zu berücksichtigen, tat sich nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Zentenarien 1914/2014 und 1918/2018 auf. Hier zeigte sich mitunter deutlich, wie sehr Kriegsgefangenschaft in einem Kontinuum von Narrativen verstrickt sein kann, die sich bisweilen in Anlehnung an die Weltkriegspropaganda lediglich in neue Zonen potentieller Instrumentalisierung oder zweifelhafter Geschichtspolitik zu begeben scheinen. In Betracht für den vorliegenden Sammelband kam die Geschichtsschreibung in den Herkunftsländern der Feindsoldaten, die sich in österreichisch-ungarischem Gewahrsam befunden hatten, und jener Nachfolgestaaten der k. u. k. Monarchie, wo große Lager errichtet worden waren: Neben dem Territorium des heutigen Österreichs sind das Ungarn oder auch Tschechien. Die Autorinnen und Autoren der Beiträge über die Historiographie und das Gedenken, die sich bereit erklärten, eine oftmals spärlich „bearbeitete“ Forschungslandschaft genauer unter die Lupe zu nehmen, haben sich trotz vorgegebener Leitlinien dem Thema jeweils mit sehr unterschiedlichen Zugängen, Schwerpunkten, aber auch Interpretationen gewidmet. Die bisher in oft nur bescheidenem Ausmaß betriebenen Forschungen zur Gefangenschaft im Habsburgerreich bedingten diese Vielfalt und Heterogenität ebenso wie eine jeweils spezifische nationale Geschichtspolitik, die ihrerseits die Historiographien ganz prinzipiell beeinflusste. Allen Beiträgen gemein ist aber der Versuch, Gründe für eine vielfach vernachlässigte Auseinandersetzung mit der Gefangenenproblematik aufzuzeigen. Bereits in den vorab geführten Diskussionen mit den Autorinnen und Autoren wurde klar, dass sich ungeachtet des allgemein gesetzten Rahmens, der eine Skizze der Geschichtsschreibung zur Kriegsgefangenschaft im Habsburgerreich bieten sollte, zusätzliche Perspektiven ergeben würden. Letztere wiederum orientieren sich an den Forschungen der betreffenden Kolleginnen und Kollegen ebenso wie an Fragestellungen, die vor allem die Gedenkjahre 2014 bis 2018 stimulierten. Während etwa Henriett Kovács neben einem histo-

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riographischen Überblick über Kriegsgefangenschaft im Ersten Weltkrieg in Ungarn vor allem das Gedenken vor dem Hintergrund des Zentenariums im Auge behält und dabei auf ehemalige Lager in Transleithanien verweist, widmen sich Dagmar Hájková und Martin Klečacký vorrangig dem Forschungsstand zu den ehemals böhmischen Lagern und dem heutigen Umgang Tschechiens etwa mit den früheren Lagerfriedhöfen. Der gewissermaßen zerklüfteten Geschichtsschreibung in Serbien zum Gefangenenthema ebenso wie beispielsweise der serbischen Gefangenenfürsorge während des Ersten Weltkrieges wendet sich wiederum Danilo Šarenac zu. Loránd L. Mádly verweist des Weiteren auf eine weitgehend fehlende rumänische Forschung zu den Gefangenen im Habsburgerreich und setzt sich mit der Problematik der hohen Mortalität rumänischer Kriegsgefangener auseinander. Eine kritische Bestandsaufnahme zur sowjetischen beziehungsweise russischen Historiographie über die Gefangenen des Zarenreiches in Österreich-Ungarn legt schließlich Natal’ja Suržikova vor. Sie zeichnet die diesbezügliche Entwicklung ausgehend von den Propagandadiskursen der Kriegszeit bis in die Gegenwart nach. Dem Schicksal montenegrinischer Kriegsgefangener in österreichisch-ungarischem Gewahrsam spürt außerdem Heiko Brendel nach. Er greift dabei vor allem auf eigene Forschungen zurück, um das Schicksal dieser relativ kleinen Gefangenengruppe in österreichisch-ungarischem Gewahrsam zu erhellen und außerdem mit der Geschichte Montenegros insgesamt zu verbinden. Basierend auf neuen Untersuchungen zu den italienischen Gefangenen legt Marco Mondini seinen Schwerpunkt auf Selbstreflexionen Betroffener im Spannungsfeld der während des Krieges vielfach negativen Bewertungen von Gefangenschaft, um schließlich auf die schwierige Rückkehr der Italiener in die Heimat hinzuweisen. Aufgrund der geringen Zahl von französischen sowie britischen Kriegsgefangenen in österreichisch-ungarischem Gewahrsam – zusammengerechnet waren das nicht einmal 1000 Männer – wurde auf einen Beitrag zur Historiographie über die Gefangenschaft im Habsburgerreich in diesen Ländern verzichtet.277 Die diesbezügliche Geschichtsschreibung in Frankreich und Großbritannien beschäftigt sich naheliegenderweise eher mit der Situation betreffender Kriegsgefangener in Deutschland.278 277 Um das Zensurwesen Österreich-Ungarns „nicht noch mehr zu belasten“, wurden etwa die 1917 auf dem italienischen Kriegsschauplatz gefangengenommenen Franzosen und Briten dem deutschen Bündnispartner überlassen. Vgl. Typoskript von Maximilian Ronge über den Nachrichtendienst im Ersten Weltkrieg. ÖStA KA NL M. Ronge B 126:1, 630. 278 Hinweise auf die Lage französischer Gefangener im Habsburgerreich aber in: Verena Moritz/Julia Walleczek-Fritz, Le sort des prisonniers de guerre, notamment des prison-

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Jener Beitrag über die österreichische Historiographie und eine nach 1918 verschiedentlich erinnerte beziehungsweise vergessene Gefangenschaft im Habsburgerreich, der am Anfang des betreffenden Abschnittes steht, ist als Rahmentext zu lesen. Er widmet sich in zwei Teilen zunächst der prägenden Phase für die Wahrnehmung und die Bewertung der Gefangenschaft in der Zwischenkriegszeit sowie der Geschichtsschreibung nach 1945 und schließlich der neueren internationalen Kriegsgefangenenforschung. An die dort formulierten wesentlichen Fragen und Zugänge anknüpfend, fließen dann auch Forschungsergebnisse beziehungsweise Befunde des FWF-Projektes zur Situation im Habsburgerreich ein. Dabei wird überdies im Zuge der Projektarbeit bereits Publiziertes in groben Strichen zusammengefasst. Darüber hinaus werden zusätzliche Erkenntnisse und aktuelle Schlussfolgerungen – über weite Strecken auf Quellenbasis – vorgestellt sowie Probleme angesprochen, die teilweise in den nachfolgenden Texten, in den Abschnitten über Völkerrecht und Gefangenschaft im Habsburgerreich und über die Thematik im Kontext ziviler Betrachtungsweisen, ausführlicher untersucht werden. Im Vordergrund stehen dort spezifische Fragen zum Thema Kriegsgefangenschaft und Gewalt, die bisher in der Historiographie nicht oder nur am Rande behandelt wurden. Allen Beiträgen auch des Historiographie-Teils ist mehr oder weniger deutlich zu entnehmen, wie sehr Kriegsgefangenschaft in einem Gewalt- und Propagandakontext zu betrachten ist.279 Zum einen wurde ein regelwidriges Verhalten gegenüber den Kriegsgefangenen im Herkunftsland antizipiert und wurden Verfehlungen im Sinne einer allumfassenden Gewaltausübung verabsolutiert. Diese Deutung brachte Gewalt mit einem riesigen Spektrum an diesbezüglich möglichen Formen und schließlich „Verbrechen“ in Verbindung, von Restriktionen hinsichtlich der Gefangenenkorrespondenz bis hin zum intendierten Zugrundegehen Kriegsgefangener an epidemischen Krankheiten. Zum anderen tat sich Gewalt tatsächlich von Beginn der Kämpfe an als Merkmal der Gefangenenbehandlung auf. Die Nachrichten über diesbezügliche Verfehlungen der feindlichen Truppen wurden in Verbindung mit dominanten Propagandadiskursen zur Grundlage gefordeter oder tatsächlich umgesetzter Gegenmaßnahmen. Gleichzeitig löste sich die Gewaltausübung gegenüber Feindsoldaten von situativen Bezugsrahmen etwa im Zuge der sogenannten „Vorwärtspaniken“ und Eröffnungsfeldzüge und wurde sukzessive in andere

niers français, dans la monarchie austro-hongroise (1914–1918), in: Guerres mondiales et conflits contemporains, April-Juni 254 (2014), 71–86. 279 „The prisoner was almost exclusively associated with violence, either as perpetrator or victim. Moreover, this violence was now defined as atrocity – as the most extreme and outrageous type of radical moral transgression.“ Jones, Violence, 118.

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Settings beziehungsweise Umgebungen überführt. Dort wiederum wurde sie unterschiedlich konsequent systematisiert, eingehegt oder aber entgrenzt. Auf Grundlage von Weisungen oder Verordnungen entstanden verschiedene „Ermöglichungsräume“ für Gewaltausübung gegenüber Kriegsgefangenen.280 Die Verwendung von Feindsoldaten u. a. für völkerrechtswidrige Arbeiten im Bereich der Armee im Felde ging einher mit der Entwicklung einer Gefangenenbehandlung, die sich per se von den Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung entfernte. Die bei der A. i. F. gepflogene Behandlung erwuchs wiederum „erlaubten“ Disziplinierungen, bestimmten Ressentiments und schließlich „Kriegsnotwendigkeiten“. Mit Verweis auf Letztere wurden legale Möglichkeiten betreffend die Gefangenenbehandlung oder -disziplinierung ausgeschöpft oder gegebenenfalls auch überschritten. Vor diesem Hintergrund bot es sich an, ganz allgemein einen Blick auf die Gewaltforschung des Ersten Weltkrieges zu werfen. Oswald Überegger, der sich bereits in zahlreichen Publikationen intensiv mit dieser Thematik befasst hat, legte mit seinem Artikel zu „Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg als interdisziplinäre Gewaltgeschichte“ ein Fundament für nachfolgende Überlegungen zur Problematik von Gewalt und Kriegsgefangenschaft, die im Beitrag über Repressalien und „erlaubte“ beziehungsweise „unerlaubte“ Gewalt mitschwingen. Dort geht es um den Diskurs zwischen den k.(u.)k. Behörden über die Frage der Zulässigkeit und Ausgestaltung von Repressalien und um die daraus erwachsene Praxis eines weitgehenden Verzichtes auf rigorose Vergeltungsmaßnahmen, die als Antwort auf gegnerische Verfehlungen in der Gefangenenbehandlung im Raum standen. Der Text widmet sich aber auch der Problematik von im Prinzip regelkonformer, aber nichtsdestoweniger beeinspruchter Gewalt im Rahmen disziplinarischer Maßnahmen oder der Frage, inwiefern Ressentiments gegenüber bestimmten Kriegsgefangenengruppen deren Behandlung beeinflussten und spezifische Gewaltmaßnahmen evozierten. Darüber hinaus wird gezeigt, wie sehr die mit der Wiedereröffnung des Reichsrates im Frühjahr 1917 ermöglichte zivile Kritik an der Behandlung von Feindsoldaten das Eingeständnis von Missständen durch die Behörden provozierte – ein Umstand, der auch auf die Situation von Flüchtlingen und Internierten verweist, mit der sich die Repräsentanten der Volksvertretung ab 1917 noch sehr viel intensiver auseinandersetzten als mit der Lage der Kriegsgefangenen im Habsburgerreich.281 Mit ihrem Text 280 Vgl. dazu: Jörg Baberowski, Einleitung: Ermöglichungsräume exzessiver Gewalt, in: Jörg Baberowski/Gabriele Metzler (Hg.), Gewalträume. Soziale Ordnungen im Ausnahmezustand, Frankfurt am Main 2012, 7–27. 281 Dazu u. a. Moritz, Gefangenschaft, 119–124.

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über Serbinnen und Serben in den österreichisch-ungarischen Interniertenund Flüchtlingslagern widmet sich Gordana Ilić Marković dem Schicksal von Zivilisten und bereitet damit eine wichtige Vergleichsebene für den abschließenden Teil des Bandes auf. Das serbische Beispiel steht gewissermaßen stellvertretend für die Problematik der Zivilgefangenschaft, die bekanntlich auch andere Nationalitäten betraf. Ilić Marković offeriert eine zusätzliche Perspektive darauf, was „Gefangenschaft“ im Ersten Weltkrieg bedeuten konnte. Im Vordergrund steht dabei, die Betroffenen gewissermaßen zum Sprechen zu bringen und vielfach nüchterne, entpersonalisierte Befunde über Sterben und Leiden durch die Stimmen der Opfer nachvollziehbarer zu machen.

Formales Den Autorinnen und Autoren des Bandes wurde die Entscheidung, ob sie ihren Artikel in deutscher oder englischer Sprache verfassen wollen, freigestellt. Ein Text wurde aus dem Russischen übersetzt. Bei allen Artikeln handelt es sich um Originalbeiträge, die hier erstmals veröffentlicht werden. In Zusammenhang mit dem Zarenreich bzw. Russland wäre im Übrigen korrekterweise vom Russländischen Imperium zu sprechen. Russen stellten bekanntlich nur eine der vielen Ethnien des Vielvölkerreiches dar. Angesichts des zur Zeit des Ersten Weltkriegs im Deutschen üblicherweise verwendeten „russisch“ und der Tatsache, dass „russländische Kriegsgefangene“ einigermaßen ungewohnt klingt, wird aber auf diese Differenzierung im vorliegenden Band verzichtet. Im Anhang findet sich eine Auswahlbibliographie zum Thema Kriegsgefangenschaft im Habsburgerreich, die weitgehend mit den Texten im Teil zur österreichischen Historiographie und mit dem Beitrag über die Gefangenschaft und das Völker- sowie Militärrecht korrespondiert. Sie umfasst primär die zitierte Forschungsliteratur. Diese Bibliographie zu erstellen, hat sich deshalb aufgedrängt, weil die erwähnten Texte einigermaßen umfangreich sind und Kurzzitate daher unter Umständen schwer aufgespürt werden können. Die Bibliographie soll hier Abhilfe schaffen. Der im Verhältnis dazu überschaubare Umfang der übrigen Texte ließ den Verzicht auf eine auch um die Literaturangaben dieser Beiträge ausgeweitete Bibliographie vertretbar erscheinen. Abstand genommen wurde des Weiteren von der Übersetzung fremdsprachiger Titel in den Anmerkungen. Betroffen davon sind vor allem die Beiträge im Historiographie-Teil. Die bloße Übersetzung von bibliographischen Angaben generiert nach Ansicht der Herausgeberinnen im Fall fehlender

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Kenntnis der jeweiligen Sprache einen eher geringen Mehrwert für die jeweiligen Leserinnen und Leser. Noch dazu wird im Haupttext im Regelfall auf die Inhalte der betreffenden Werke eingegangen. Vermieden werden sollte außerdem eine hypertrophe Ausdehnung der Fußnoten, die eine Übersetzung der Titel unweigerlich nach sich gezogen hätte.

HISTORIOGRAPHIEN UND THEMEN

ÖSTERREICH Die österreichische Historiographie zur ­ riegsgefangenschaft im Habsburgerreich 1914–1918 K

Verena Moritz / Julia Walleczek-Fritz / Hannes Leidinger

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Vergessen? Fremdenverkehr im Kriegsgebiet, Luxushotel und Five o’clock, Stammtisch­ runden und Abrüstungskonferenzen, Militärparaden und Heldengedenkfeiern, Ministerfracks und Munitionsfabriken, Generale und Arbeitslose – hoppla, wir leben! Manchmal klirrt noch die Pflugschar an einen Totenschädel, manchmal spielt noch ein Kind mit einer Granate und wird in Stücke gefetzt, manchmal klappert noch ein Prothesenbein über das Straßenpflaster, zwischen Schlangenhautschuhen und Autoreifen – es war einmal ein großer Krieg.1

Im Mai 1932 beklagte die „Arbeiter-Zeitung“ (AZ) vor dem Hintergrund einer innenpolitischen Verhärtung der „Fronten“ ebenso wie angesichts wachsender außenpolitischer Spannungen – nicht zum ersten Mal – das Vergessen. Nicht das Vergessen des vergangenen Krieges, der offensichtlich allgegenwärtig zu sein schien, sondern das Vergessen seiner Toten, der Millionen Menschenleben, die er vernichtet hatte. Bezug genommen wurde in den folgenden Ausführungen dann weniger auf Ernst Tollers 1927 uraufgeführtes Gesellschaftspanorama „Hoppla, wir leben noch!“ als vielmehr auf das Stück „Wunder um Verdun“ des 1930 bei einer Theaterprobe verunglückten österreichischen Autors Hans Chlumberg. Darin ging es um die imaginierte Auferstehung der Kriegstoten und um die Frage, warum und wofür sie eigentlich gestorben waren. Nicht ganz klar ist, ob der unbekannt gebliebene Autor des AZ-Artikels „Kriegstote“ lediglich mit den Gefallenen gleichsetzte oder aber auch andere Opfergruppen miteinbezog.2 Die österreichischen Sozialdemokraten zeigten sich mehr als zehn Jahre nach dem Krieg bestürzt über die Anziehungskraft, die gerade von jenen auszugehen schien, die den vergangenen Konflikt als wesentliche Grundlage ihres politischen Denkens und Wirkens verwendeten. Und sie gaben ihrem 1 2

Arbeiter-Zeitung, 15.5.1932, 1. Angesichts divergierender Zahlen zu den Verlusten inklusive ziviler Opfer geben die im Artikel angegebenen 13 Millionen keinen verlässlichen Aufschluss darüber, welche „Kategorie“ von Kriegstoten gemeint war.

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Entsetzen darüber Ausdruck, dass „Gedankenlosigkeit und Gleichgültigkeit“ die Gefahr einer „Wiederholung“ der Geschichte eröffne: Die Kriegsnutznieser [sic], die Hinterlandskrieger, denen der Krieg ein gewinnbringendes Geschäft war, während andere verbluteten, Frauen und Kinder hungern mußten, sie veranstalten bei uns allerorts ‚Wiedersehens‘- und ‚Kriegergedächtnisfeste‘, um diejenigen, die einst in den Schützengräben lagen und alle Schrecknisse über sich ergehen lassen mußten, aufs neue für den monarchistischen Militarismus zu begeistern.3

Vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Militarisierung der Gesellschaft standen entsprechende Tugenden hoch im Kurs. Friedensappelle wurden als politische Rhetorik demaskiert, und eine mehr und mehr an Nostalgie und Traditionsbewusstsein gekoppelte Geschichtsbetrachtung und Gedenkkultur suchte nicht (mehr) nach den Schuldigen der Katastrophe, sondern orientierte sich an verlorenen Werten. Die Veteranen des Krieges beanspruchten angesichts des im Kampf Erlebten und Erlittenen eine Art moralische Überlegenheit oder zumindest eine ihnen anscheinend vorenthaltene Würdigung.4 Ausgeklammert aus jeglicher Wertschätzung der „erbrachten Opfer“ schienen vor allem ehemalige Kriegsgefangene geblieben zu sein5, wobei militärische Narrative über die Ursachen der Niederlage Zivilisten beziehungsweise nicht kombattante Teilnehmer des Krieges a priori stigmatisierten. Für die „erdolchte Front“ – so die Zeitung „Arbeiterwille“ im September 1920 – ma-

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Zit. nach Oswald Überegger, Erinnerungskriege. Der Erste Weltkrieg, Österreich und die Tiroler Kriegserinnerung in der Zwischenkriegszeit, Innsbruck 2011, 111. Vgl. Julia Eichenberg, Veterans’ Associations, in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, edited by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Hea­ ther Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2014–10–08. DOI: 10.15463/ie1418.10270 (abgerufen am 1.3.2021). Zur Reintegration der Heimkehrer im Nachkriegsösterreich siehe im Übrigen: Matthew Stibbe, Elsa Brändström and the Reintegration of Returning Prisoners of War and their Families in Post-War Germany and Austria, in: Ingrid Sharp/Matthew Stibbe (Hg.), Aftermaths of War. Women’s Movement and female Activists, 1918–1923, Leiden/Boston 2011, 333–353; Maureen Healy, Civilizing the Soldier in Postwar Austria, in: Nancy M. Wingfield/Maria Bucur (Hg.), Gender and War in Twentieth-Century Eastern Europe, Bloomington 2006, 47–69, 50–54. Vgl. dazu Oswald Überegger, Vom militärischen Paradigma zur ‚Kulturgeschichte des Krieges‘? Entwicklungslinien der österreichischen Weltkriegsgeschichtsschreibung im Spannungsfeld militärisch-politischer Instrumentalisierung und universitärer Verwissenschaftlichung, in: Oswald Überegger (Hg.), Zwischen Nation und Region. Weltkriegsforschung im internationalen Vergleich. Ergebnisse und Perspektiven, Innsbruck 2004, 63–122, 89 f.

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che man im Nachhinein ganz zu Unrecht die Arbeiterschaft verantwortlich. Selbst frühere Generäle hätten demgegenüber vor allem die unfähigen Spitzen der Armee und der Regierung als Schuldige identifiziert.6 Ehemalige kriegsgefangene Offiziere, die darum fürchteten, gar nicht mehr als aktive Teilnehmer des Krieges wahrgenommen und damit regelrecht in die Nähe des Zivils gerückt zu werden, hatten im Regelfall einen anderen Blick auf derlei Debatten. Ein Rechtfertigungsdruck hatte darüber hinaus immer bestanden. Wer unverwundet in Gefangenschaft geraten war, musste die Umstände seiner Gefangennahme darlegen. Davon ausgenommen waren nur jene Männer, die beim Fall der Festung Przemyśl gefangengenommen worden waren.7 Während unverwundet gefangengenommene Offiziere gemäß den Reglements des k. u. k. Heeres nach der Rückkehr eine ehrenrätliche Untersuchung auf sich zukommen sahen, hatten sich Mannschaftsangehörige vor einer Kommission zu verantworten.8 Über „das Schimpfliche, Entehrende“ und „das jeder Manneswürde Abträgliche der verschuldeten Gefangenschaft“ sollten die Männer jedenfalls noch im Felde aufgeklärt werden.9 Eine abschreckende Wirkung ging überdies von Berichten über die Zustände in feindlichem Gewahrsam aus. Zumindest Erzherzog Eugen sah etwa mit Verweis auf die kolportierten katastrophalen Bedingungen in serbischer Gefangenschaft ohnehin den Kampf bis zum letzten Atemzug als einzig zulässige Alternative zu einem gewissermaßen vorprogrammierten qualvollen Zugrundegehen in Feindeshand. Ein „ehrenvoller Soldatentod“ sei der Kriegsgefangenschaft in jeder Hinsicht vorzuziehen.10 Dass im Herbst 1917 indessen der damalige k. k. Minister für Landesverteidigung Karl Freiherr Czapp von Birkenstetten anlässlich einer Anfragebeantwortung über die Lage der Gefangenen in Russland als Fürsprecher für die Kriegsgefangenen auftrat, hinterließ bei manchen offenbar keine nachhaltigen Spuren. Der Minister meinte zum Abschluss einer Stellungnahme im Parlament nicht ohne Pathos: „Feindlicher Haß“ habe   6 Vgl. Arbeiterwille, 22.9.1920, 5.   7 Vgl. dazu Matthias Egger, Die Hilfsmaßnahmen der österreichisch-ungarischen bzw. der österreichischen Regierung für die österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen in Russland und Italien. Ein Forschungsbericht, in: Gunda Barth-Scalmani/Joachim Bürgschwentner et al. (Hg.), Militärische und zivile Kriegserfahrungen 1914–1918, Innsbruck 2010, 81–114, 102.   8 Vgl. dazu die betreffenden Bestimmungen in: Neuigkeits-Welt-Blatt, 8.8.1915, 9.   9 Zu den diesbezüglichen Belehrungen: Präs. Nr. 7094: Benehmen der Offze. in u. außer Dienst (= KM Erlaß Abt. 5, Nr. 4404 vom 6. April 1915). Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA) Kriegsarchiv (KA) Terr Befehle, 14. K., Innsbruck 1915–1916, Kt. 83. 10 Dazu Verena Moritz, Gefangenschaft, in: Hannes Leidinger/Verena Moritz/Karin Moser/Wolfram Dornik, Habsburgs schmutziger Krieg. Ermittlungen zur österreichisch-ungarischen Kriegsführung 1914–1918, St. Pölten/Salzburg/Wien 2014, 93–144, 130.

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in Gefangenschaft „auch [!] Unschuldige zu Tausenden gefällt, denen kein Mitgefühl, kein Gedanke und keine Tat Rettung bringen konnte. Sie sind für das Vaterland gestorben, oft schwerer als im Kampf, ihnen gebührt Ehre, ihren Familien die Hilfe des Staates“.11 Die Sorge, nach 1918 als Drückeberger und damit als vermeintlicher Mitverursacher der „Katastrophe“ von 1918 oder zumindest als Kämpfer „zweiter Klasse“ wahrgenommen zu werden, paarte sich vor allem bei den früheren Offizieren gewissermaßen mit der Kontinuität erhoffter Entlastung.12 Ihrem Ehrenkodex gemäß wurde überdies eine Gefangennahme in unverwundetem Zustand als besonders beschämend empfunden, während einfache Soldaten die Verantwortung für die Gefangennahme zumindest tendenziell ihren Vorgesetzten anlasten konnten. Wohl in Anlehnung an das deutsche Beispiel – 1933 wurden im Nachbarland Kriegsgefangene den Frontsoldaten explizit gleichgestellt13 – unternahm es erst das autoritäre Regime in Österreich, ehemalige Kriegsgefangene, die als Soldaten der k. u. k. Armee in Feindeshand geraten waren, aus ihrer teils selbstgewählten, teils erzwungenen Isolation zu holen. Auch ihr „Opfer für das Vaterland“ wurde nun anlässlich diverser Gedenkveranstaltungen in feierlichem Rahmen anerkannt und nicht mehr – so die Eigenwahrnehmung einiger Betroffener – gegenüber den „Leistungen“ der Frontkämpfer abgewertet beziehungsweise beschwiegen.14 Unter Berücksichtigung des von Oswald Überegger aufgezeigten Kon­ struktionscharakters des Topos einer „undankbaren Heimat“15 muss man in Bezug auf die ehemaligen Kriegsgefangenen von einem an unterschiedliche „Adressaten“ gerichteten Vorwurf sprechen. Je nach politischer Tendenz richtete sich dieser retrospektiv an die führenden Kräfte des Habsburgerreiches und die Regierungen mit christlich-sozialer Dominanz oder eher an die Sozialdemokratie, der in den ersten Jahren nach Kriegsende eine dominierende Rolle zugekommen war. In der Selbstrepräsentation des aufgrund seines Wirkens zweifellos wichtigsten Kriegsgefangenenverbandes im Nachkriegsöster11 Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des Reichsrates. Ad Nr. 466/I, XXII. Session/63. Anfragebeantwortung Seiner Exzellenz des Herrn Ministers für Landesverteidigung, 28. September 1917. 12 Vgl. Patrick Houlihan, Was there an Austrian stab-in-the-Back Myth? Interwar Military Interpretations of Defeat, in: Günter Bischof/Fritz Plasser/Peter Berger (Hg.), From Empire to Republic. Post-World I War Austria, New Orleans/Innsbruck 2010, 67–89. 13 Vgl. Rainer Pöppinghege, Kriegsteilnehmer zweiter Klasse? Die Reichsvereinigung ehemaliger Kriegsgefangener 1919–1933, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift (MGZ) 64 (2005), 391–423, 422. 14 Vgl. Der Plenny, 10. Jg., Folge 11/12 (November/Dezember 1933), 99. 15 Vgl. Überegger, Erinnerungskriege, 193–201.

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reich, der Bundesvereinigung ehemaliger österreichischer Kriegsgefangener (B. e. ö. K.), begann die „undankbare Heimat“ erst ab Ende der 1920er Jahre eine wachsende Rolle zu spielen. Diese „Verspätung“ stützt wiederum Thesen, die in Zusammenhang mit der „Schmähung“ und „Erniedrigung“ von ehemaligen k. u. k. Offizieren in der frühen Republik von einem „Erzähltopos“ sprechen, der „die Vorstellungen von einer falschen und ungerechten Umwertung“ der im Krieg erfüllten Pflicht „organisierte“ und Verallgemeinerungen Vorschub leistete.16 Die nur kurze Zeit aktiven kommunistischen Vereinigungen und ein an der Sozialdemokratie orientierter Kriegsgefangenenverband hatten sich indessen vor allem auf die sogenannte „Gebührenfrage“ konzentriert, d. h. auf das Problem der ungenügend geregelten finanziellen Abgeltungen für die in Gefangenschaft verbrachten Jahre. Ideelle Forderungen, die dem Wunsch nach Anerkennung entsprangen, standen bei diesen Verbänden, die vor allem die Interessen einfacher Soldaten vertraten, im Hintergrund. Von herkömmlichen Veteranenverbänden und ihren als kriegsverherrlichend wahrgenommenen Ritualen distanzierte sich etwa der „Reichsverband ehemaliger Kriegsgefangener des Mannschaftsstandes Österreichs“17, der der Sozialdemokratie nahestand. Den „Dank des Vaterlandes“ tat er als „patriotisches Phrasengedresche“ ab18 und Kranzniederlegungen oder Paraden zu Ehren der Weltkriegssoldaten bezeichnete man dort als „Mordpropagandamaske­rade“.19 Indessen ergaben sich aus dem Leitspruch „Durch Leid zum Licht, im Licht zur Liebe“ der B. e. ö. K. offensichtliche Parallelen zum sozialdemokratischen Bestreben, das Kriegserlebnis vor allem als leidvolle und traumatische Erfahrung vor Augen zu führen. Augenscheinlich aber konnten diesbezüglich wohl gänzlich unbeabsichtigte Überschneidungen durch die implizite Hinwendung zu christlich-religiösen Botschaften neutralisiert werden. Hinzutrat gegen Ende der 1920er Jahre ein stärker werdendes Interesse der Bundesvereinigung an den Gepflogenheiten des traditionellen militärischen Gedenkens. Insofern 16 Zit. nach Martin Schmitz, „Als ob die Welt aus den Fugen ginge“. Kriegserfahrungen österreichisch-ungarischer Offiziere 1914–18, Paderborn 2016, 382. 17 Der Reichsverband gab die Zeitschrift „Der Kriegsgefangene als Erzähler“ heraus, die ab 1927 „Der ehemalige Kriegsgefangene als Erzähler“ hieß. Zu den Kriegsgefangenenverbänden siehe u. a.: Hannes Leidinger/Verena Moritz, Gefangenschaft, Revolution, Heimkehr. Die Bedeutung der Kriegsgefangenenproblematik für die Geschichte des Kommunismus in Mittel- und Osteuropa 1917–1920, Wien/Köln/Weimar 2003, 95–98; Verena Moritz, Half-hearted reconciliation. The „Federal Association of former Aus­ trian POWs“ and the question of veterans’ internationalism in interwar Austria, in: Zeitgeschichte 47/2 (2020), 33–57. 18 Der Kriegsgefangene als Erzähler, 4. Jg., Nr. 6 (Juni 1926), 5 f. 19 Der Kriegsgefangene als Erzähler, 1. Jg., Nr. 5 (März 1924), 3.

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erscheint es wenig verwunderlich, dass das Führungsgremium der B. e. ö. K., das von ehemaligen kriegsgefangenen Offizieren dominiert war, am Ende eine ähnliche Ausrichtung präferierte, wie sie gewissermaßen typische Veteranenverbände an den Tag legten, die sich einer Traditionspflege nach bewährten Mustern verpflichtet fühlten. Das „Martyrium“ der Gefangenschaft und das „stille Heldentum“ der Betroffenen erfuhr mit dem Übergang zum autoritären Regime in Österreich schließlich auch von offizieller Seite die nunmehr eingemahnte Wertschätzung.20 Die Bundesvereinigung, die eine stetig enger werdende Kooperation mit der Regierung eingegangen war, begrüßte die Integration der ehemaligen Kriegsgefangenen in die Schar der Frontkämpfer als überfällige Anerkennung der Heimat und als Dank für eine „unerschütterliche Pflichterfüllung“. Denn, so wurde betont, in Kriegsgefangenschaft geraten seien nicht jene, die im Hinterland geblieben waren, sondern an vorderster Front gekämpft und in Feindeshand ihrer „Pflicht“ zu Gunsten des Vaterlandes in besonderer Weise nachgekommen waren. Dieses gewissermaßen neu erstandene Vaterland zeigte sich nun tatsächlich dankbar und stolz.21 Obwohl sich bereits in den 1920er Jahren in Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg und darüber hinaus mit der habsburgischen Vergangenheit eine „konservative Restauration“22 durchgesetzt hatte, markierte erst das autoritäre Regime eine „radikalisierte“, weil alternativlose Fortsetzung dieser Entwicklung23. Die Niederlage des Jahres 1918 wurde konsequent in einen heldenmütigen Triumph transformiert. Im September 1934 erklärte Bundespräsident Wilhelm Miklas: „Nach unerhörten Siegen und Erfolgen ist schließlich des Reiches Kriegsmacht, in wahrhaft titanischem Kampf gegenüber seiner erdrückenden Überzahl von Gegnern, einer feindlichen Welt erlegen.“24 Der Zusammenbruch der k. u. k. Monarchie war demnach trotz der Leistungen der k. u. k. Armee erfolgt.25

20 Vgl. Emil Seeliger, Märtyrer des Weltkrieges, in: Hans Weiland/Leopold Kern (Hg.), In Feindeshand. Die Gefangenschaft im Weltkriege in Einzeldarstellungen, Bd. 1, Wien 1931, 43; Hans Weiland, Kriegsgefangenschaft im Weltkrieg, in: Hans Weiland/Leopold Kern (Hg.), In Feindeshand. Die Gefangenschaft im Weltkriege in Einzeldarstellungen, Bd. 1, Wien 1931, 41 f. 21 Vgl. Hans Weiland, Die Bundesvereinigung der ehemaligen österr. Kriegsgefangenen; Weltkrieg und Kriegsgefangenschaft. Worte auf dem Weg; Was will und soll die B.e.ö.K.?, 9–21; alle Texte in: Hans Weiland/Leopold Kern (Hg.), In Feindeshand. Die Gefangenschaft im Weltkriege in Einzeldarstellungen, Bd. 1, Wien 1931. 22 Vgl. Überegger, Vom militärischen Paradigma, 75. 23 Ebd., 80. 24 Zit. nach Werner Suppanz, Österreichische Geschichtsbilder. Historische Legitimationen in Ständestaat und Zweiter Republik, Köln/Weimar/Wien 1998, 225. 25 Vgl. dazu Houlihan, Was there an Austrian stab-in-the-Back Myth?, 67–89.

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Das autoritäre Regime strebte eine Vereinheitlichung des uneinheitlichen Gedenkens und eine definitive Abkehr von einer Erinnerungskultur an, die sich von verklärenden Ritualen ferngehalten und „dezidiert antitraditionalistische“ und in weiterer Folge antimilitaristische Akzente gesetzt hatte.26 Der „revolutionäre Schutt“ sollte mit Blick auf die Frühphase der Republik auch in diesem Sinne endgültig beiseitegeschafft werden. Für die Sozialdemokratie war die Einweihung des Heldendenkmales in Wien im September 1934 freilich nichts weiter als eine „von der Regierung organisierte monarchistische Demonstration“ gewesen. In der im Exil erscheinenden „Arbeiter-Zeitung“ bezeichnete man die gesamte Veranstaltung als peinliches Schauspiel. Mit Rückgriffen auf die Politik der Habsburgermonarchie und Seitenhieben auf die Nationen, die 1918 ihre Unabhängigkeit erlangt hatten, habe man obendrein für Verstimmung unter den anwesenden Diplomaten gesorgt.27 1936 vollzog sich dann die Eingliederung der B. e. ö. K. in die „Österreichische Reichs-Kameradschafts- und Soldatenfront“.28 Mit diesem Schritt endete der Sonderstatus der ehemaligen Kriegsgefangenen in der österreichischen Veteranenlandschaft auch formal. Der Eintritt der B. e. ö. K. in die „Reichs-Kameradschafts- und Soldatenfront“, die dann wiederum der Vaterländischen Front eingegliedert wurde29, leitete die letzte Phase bis zum Ende des Erinnerns ein, wie es die Vereinigung zuvor praktiziert hatte – als „separiertes Angebot“ speziell für ehemalige Kriegsgefangene. Im Frühjahr 1938, nach dem „Anschluss“, wurde die Zeitschrift der B. e. ö. K., „Der Plenny“, eingestellt. Während mit dem Aufgehen der Bundesvereinigung in den reichsdeutschen Kriegsgefangenenverband (R. e. K.), der seinerseits der Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung (NSKOV) eingegliedert worden war30, das Schicksal deutschösterreichischer k. u. k. Soldaten in Kriegsgefangenschaft in Vergessenheit geriet, hatte man sich für die Feindsoldaten und ihren Zwangsaufenthalt in Österreich-Ungarn kaum interessiert. Insofern entsprach in Österreich die Beschäftigung mit der Kriegsgefangenenproblematik allge26 Vgl. Überegger, Vom militärischen Paradigma, 76. Siehe auch: Catherine Edgecombe/ Maureen Healy, Competing Interpretations of Sacrifice in the Postwar Austrian Republic, in: Mark Cornwall/John P. Newman (Hg.), Sacrifice and Rebirth. The Legacy of the Last Habsburg War, New York/Oxford 2016, 15–34. 27 Arbeiter-Zeitung, 15.9.1934, 4. 28 Vgl. zur Gründung im Juni 1935: Österreichische Wehrzeitung, Folge 27, 5.7.1935, 4. 29 Vgl. Florian Wenninger, Dimensionen organisierter Gewalt, in: Florian Wenninger/Lucile Dreidemy (Hg.), Dimensionen organisierter Gewalt. Das Dollfuß-Schuschnigg-Regime 1933–1938, Wien u. a. 2013, 493–578, 525 (Fn. 193). 30 Vgl. Hannes Leidinger/Verena Moritz, Gefangenschaft, Revolution, Heimkehr. Die Bedeutung der Kriegsgefangenenproblematik für die Geschichte des Kommunismus in Mittel- und Osteuropa 1917–1920 Wien/Köln/Weimar 2003, 96.

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meinen Grundzügen der Historiographie zum Ersten Weltkrieg, wo aktiv vergessen und selektiv erinnert wurde.31 Im Folgenden soll versucht werden, die Beschäftigung mit der Kriegsgefangenenproblematik im Zusammenhang mit der allgemeinen Historiographie zum Ersten Weltkrieg in Österreich, aber auch mit Blick auf die internationale Kriegsgefangenenforschung sowie im Kontext neuer Untersuchungen und Interpretationen explizit zur Situation im Habsburgerreich nachzuzeichnen. Letztere gründen sich auf das eingangs erwähnte FWF-Forschungsprojekt, das sich auch der diesbezüglichen Geschichtsschreibung in den Nachfolgestaaten der k. u. k. Monarchie sowie in den Herkunftsländern der im Habsburgerreich gefangen gewesenen Feindsoldaten zuwandte. Da diese Thematik den nachfolgenden Texten u. a. ungarischer, tschechischer, russischer oder serbischer Kolleginnen und Kollegen zu entnehmen ist, wird sie hier eine untergeordnete Rolle spielen. Aufgegriffen werden indessen verschiedene Forschungsfragen, die sich u. a. in Zusammenhang mit der neueren Weltkriegsforschung auftaten.32 Nicht alle Resultate der im Zuge des Forschungsprojektes durchgeführten Untersuchungen können erschöpfend im Rahmen dieses Bandes dargelegt werden. Einiges dazu ist – wie erwähnt – bereits erschienen und wird hier zum Teil zusammenfassend dargestellt beziehungsweise muss aus Platzgründen komprimiert werden. Aktuelle Interpretationen, die auf im Zuge des Projektes ausgewerteten Quellen beruhen, fließen in den vorliegenden Text des Bandes an jeweils passender Stelle ein. Insofern stellt sich dieser Beitrag als einer dar, der die Darstellung des Forschungsstandes mit neuen Erkenntnissen verknüpft und so auf ein aktuelles Niveau zu bringen versucht.

Erinnern: Teilweise Zunächst ist auf die Auseinandersetzung mit den Erlebnissen der Gefangenen der k. u. k. Armee zu verweisen. Sie waren der Ausgangspunkt auch für 31 Die Autorinnen und der Autor des vorliegenden Beitrages folgen hier den diesbezüglichen Einschätzungen von Oswald Überegger: „Dieser Geschichtsschreibung ist eine Form des ‚aktiven Vergessens‘ bzw. des ‚selektiven Erinnerns‘ immanent, die dort, wo nicht genehm, ‚aktiv‘ vergaß und dort, wo opportun, in meist stilisierender Überhöhung ‚selektiv‘ in Erinnerung rief.“ Überegger, Vom militärischen Paradigma, 67. 32 Diese fanden zum Teil bereits in aktuellen Arbeiten zur Kriegsgefangenschaft im Habsburgerreich als Folge des erwähnten FWF-Forschungsprojektes Beachtung. Vgl. den Hinweis auf die betreffenden Arbeiten am Ende des Kapitels bzw. siehe die Bibliographie sowie http://www.pows-ww1.at/ergebnisse (abgerufen am 22.2.2021). Andere Themen wiederum werden zum Teil erst in den weiteren Abschnitten des Buches aufgegriffen und dementsprechende Überlegungen und Ergebnisse erstmals präsentiert.

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die sporadische Beschäftigung mit den Feindsoldaten im Habsburgerreich. Schon aufgrund der Beschaffenheit des österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenenwesens, das die Gefangenschaft eigener und feindlicher Soldaten in vielen Bereichen auf denselben Verwaltungsebenen abhandelte, gab es etliche Überschneidungen. Prägende Narrative zum Wesen der Kriegsgefangenschaft in Österreich-Ungarn, die auch nach 1945 wirksam blieben, bildeten sich in den ersten beiden Jahrzehnten nach Kriegsende heraus. Die Gefangenenproblematik an sich war zunächst aufgrund der massenhaften Gefangennahme von k. u. k. Soldaten an der Südwest-Front noch im November 1918 und der schwierigen Heimkehr Tausender Männer vor allem aus der russischen Kriegsgefangenschaft in der Frühphase der Ersten Republik von großer Bedeutung gewesen. Sogenannte „Angehörigenverbände“ machten hinsichtlich einer raschen Repatriierung der Betroffenen Druck auf die Regierung. Das Thema Kriegsgefangenschaft war also in weiten Teilen der Bevölkerung präsent.33 Und es war fixer Bestandteil der diplomatischen Beziehungen in den ersten Jahren nach Kriegsende, als es darum ging, die Heimkehr beiderseitiger Gefangener vertraglich zu regeln. Als heikel, aber in Anbetracht einer noch ungelösten Repatriierungsproblematik unumgänglich – immer noch befanden sich nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie Zehntausende ehemalige k. u. k. Soldaten auf dem Territorium des untergegangenen Zarenreiches –, erwies sich in diesem Kontext vor allem die Kontaktaufnahme mit dem nunmehrigen bolschewistischen Russland. Hinter einer angestrebten Verständigung Österreichs mit dem Kreml witterten die Siegermächte mehr als nur die Grundlage für eine Lösung der Kriegsgefangenenfrage. Unerwünschte ideologische Rückwirkungen auf das instabile und zunächst sozialdemokratisch geführte kleine Land wurden befürchtet.34 Mit den turbulenten innerrussischen Entwicklungen verknüpften sich indessen konkrete Schicksale zahlreicher Österreicher. Ihre Erinnerungen gaben in der Folgezeit nicht nur Aufschluss über die Erlebnisse in Gefangen­ schaft, sondern vermittelten auch tiefe Einblicke in das revolutionäre Russland. Kriegserinnerungen boomten, und die Veröffentlichungen von 33 Vgl. dazu u. a.: Ke-Chin Hsia, A Partnership of the Weak. War Victims and the State in the Early First Austrian Republic, in: Günter Bischof/Fritz Plasser/Peter Berger (Hg.), From Empire to Republic. Post-World War I Austria, New Orleans/Innsbruck 2010, 192–221. 34 Vgl. dazu u. a. Verena Moritz, Von Brest-Litowsk nach Kopenhagen. Die Anfänge der bilateralen Beziehungen 1918–1920, in: Verena Moritz/Julia Köstenberger/Aleksandr Vatlin/Hannes Leidinger/Karin Moser, Gegenwelten. Aspekte der österreichisch-sowjetischen Beziehungen 1918–1938, St. Pölten/Salzburg/Wien 2013, 27–68.

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ehemaligen Kriegsgefangenen waren nur ein kleiner Teil einer wahren Flut an Schriften, die auf den vergangenen Krieg Bezug nahm.35 Während die Beschäftigung mit der Kriegsgefangenschaft vor allem in den Händen ehemals Betroffener lag36, zeigte die „zivile“ Historiographie nur ein sehr eingeschränktes Interesse am Ersten Weltkrieg. Die zeitliche Nähe zum Geschehenen, die Akten, die nur einem kleinen Kreis von Auserwählten zugänglich waren, die Desorientierung, die der Zusammenbruch des Habsburgerreiches auch unter Historikern hinterlassen hatte – all das erschwerte eine wissenschaftlichen Aufarbeitung a priori. Eine deutschnational dominierte öster­reichische Geschichtswissenschaft beschäftigte sich in der Folge vor allem mit einer „patriotisch gefärbte[n] Darstellung des österreichischen Anteils an der deutschen Reichsgeschichte“ und der „Rechtfertigung der ‚historischen Mission‘ der Monarchie im Südosten Europas“.37 Eine bereits im Krieg „kultivierte[n] Abwehrhaltung gegenüber den Siegermächten“ wurde beibehalten, „begleitet von der Glorifizierung des gemeinsamen Kriegserlebnisses und der ‚Waffenbrüderschaft‘ mit Deutschland“.38 1926 begonnen wurde beispielsweise eine vier Jahre später zum Abschluss gebrachte großangelegte Akten­edition über Österreich-Ungarns Außenpolitik von 1908 bis 191439. Sie folgte dem „Leitmotiv der ‚Wiederherstellung der Wertschätzung der deutschen Nation‘ durch die Widerlegung der ‚Kriegsschuldlüge‘ nach deutschem Vorbild“.40 Die wenigen Arbeiten, die sich indessen der wirtschaftlichen und sozialen Probleme im Habsburgerreich 1914–1918 annahmen, blendeten jene Hunderttausenden Kriegsgefangenen, die vor allem als Arbeitskräfte eine enorme Rolle für die österreichisch-ungarische Kriegswirtschaft gespielt hatten, fast völlig aus. Nur vereinzelte Verweise auf die Kriegsgefangenen im Gewahrsam Österreich-Ungarns, aber auch auf k. u. k. Soldaten in gegnerischem Gewahr35 Vgl. dazu Verena Moritz, 1917. Österreichische Stimmen zur Russischen Revolution, Salzburg/Wien 2017, 41–67. 36 Kriegsgefangenenerinnerungen wurden u. a. in den Zeitschriften der betreffenden Verbände publiziert. Vgl. v. a. „Der Plenny“, der von der B. e. ö. K. herausgegeben wurde, und die bereits erwähnte Zeitschrift des Reichsverbandes. 37 Hermann J. W. Kuprian, Die Pariser Friedensverträge und die österreichische Geschichtswissenschaft während der Zwischenkriegszeit, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (MIÖG) 114 (2006), 123–142, 128. 38 Ebd., 133. 39 Österreich-Ungarns Außenpolitik von der Bosnischen Krise 1908 bis zum Kriegsausbruch 1914. Diplomatische Aktenstücke des österreichisch-ungarischen Ministeriums des Äußern. Ausgewählt und bearbeitet von Ludwig Bittner und Hans Uebersberger, Wien 1930. Dazu siehe auch: Ulfried Burz, Die Kriegsschuldfrage in Österreich (1918– 1938), in: Ulfried Burz (Hg.), Brennpunkt Mitteleuropa. Festschrift für Helmut Rumpler, Klagenfurt 2000, 97–116, 112–114. 40 Zit. nach Kuprian, Die Pariser Friedensverträge, 137.

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sam finden sich folgerichtig in den im Rahmen der Carnegie-Reihe zu Österreich-Ungarn im Weltkrieg veröffentlichten Bänden.41 Demgegenüber wurde das Erlebnis der Kriegsgefangenschaft auch in Form literarischer Texte verarbeitet. In Deutschland war es allen voran Edwin Erich Dwinger, der mit seinen Romanen über die Erfahrungen als Kriegsgefangener in Russland ein breites Publikum erreichte.42 In Österreich machte indessen Joseph Roth in „Flucht ohne Ende“ einen in russische Gefangenschaft geratenen k. u. k. Offizier zur Hauptfigur. Der Roman, der das wechselvolle Schicksal des Oberleutnants Franz Tunda beschrieb, erschien 1927 in München. Mit der „Flucht“ als Leitmotiv bediente sich Roth im Übrigen jenes Narrativs, das am ehesten die Gefangenschaft als „ehrenvoll“ zeigte und dem Eindruck passiven und als „unmännlich“ empfundenen Darbens in Feindeshand entgegengesetzt werden konnte.43 Heimito von Doderer, der selbst einige Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft zugebracht hatte, setzte sich mit dem Thema indessen gleich in mehreren Texten auseinander.44 Abseits der Schrecken der Gefangenschaft und der Wirren des Russischen Bürger41 Zu nennen sind beispielsweise: Emmanuel Adler (Hg.), Die Regelung der Arbeitsverhältnisse im Kriege, Wien 1927; Gusztáv Gratz/Richard Schüller, Der wirtschaftliche Zusammenbruch Österreich-Ungarns. Die Tragödie der Erschöpfung, Wien 1930; Dies., Die äußere Wirtschaftspolitik Österreich-Ungarns, Wien 1925; Emil Homann-Herimberg, Die Kohlenversorgung in Österreich während des Krieges, Wien 1925; Hugo Kerchnawe, Die Militärverwaltung in den von den österreichisch-ungarischen Truppen besetzten Gebieten, Wien 1928; Hans Loewenfeld-Russ, Die Regelung der Volksernährung im Kriege, Wien 1926; Clemens Pirquet, Volksgesundheit im Krieg, 2 Bde., Wien 1926; Alexander Popovics, Das Geldwesen im Kriege, Wien 1925; Josef Redlich, Österreichische Regierung und Verwaltung im Weltkriege, Wien 1925; Richard Riedl, Die Industrie Österreichs während des Krieges, Wien 1932; Wilhelm Winkler, Die Einkommensverschiebungen in Österreich während des Weltkrieges, Wien 1930. 42 Georg Wurzer, Das Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen in Rußland im Ersten Weltkrieg. Der Erlebnisbericht Edwin Erich Dwingers, in: Rüdiger Overmans, In der Hand des Feindes. Kriegsgefangenschaft von der Antike bis zum Zweiten Weltkrieg, Köln/Weimar/Wien 1999, 363–384. Siehe auch: Robert Wistrich, Wer war wer im Dritten Reich. Anhänger, Mitläufer, Gegner aus Politik, Wirtschaft, Militär, Kunst und Wissenschaft, München 1983, 60 f.; Rolf Günter Renner, Grundzüge und Voraussetzungen deutscher literarischer Rußlandbilder während des Dritten Reichs, in: Hans-Erich Volkmann, Das Rußlandbild im Dritten Reich, Köln/Wien/Weimar 1994, 387–420. 43 Vgl. dazu etwa: Oliver Wilkinson, A Fate Worse Than Death? Lamenting First World War Captivity, in: Journal of War & Culture Studies 8/1 (1. February 2015), 24–40. 44 Für den österreichischen Schriftsteller Heimito von Doderer waren die Jahre in russischer Gefangenschaft prägend für seine schriftstellerische Karriere. Die definitive Entscheidung, Schriftsteller zu werden, reifte in der Gefangenschaft. Vgl. Die sibirische Klarheit. Texte aus der Gefangenschaft, München 1991, erstmals erschienen und die Romane „Das Geheimnis des Reichs“ (1930) sowie „Der Grenzwald“ (1967). Joseph ­Roths Roman „Flucht ohne Ende“ erschien 1927.

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krieges beschrieb Doderer die Zeit in Sibirien auch als eine Phase innerer Besinnung, als „Elysium“ und Wendepunkt seiner Existenz.45 In den 1930er Jahren wurde Romanen, die den Ersten Weltkrieg in heroisierender Art und Weise darstellten, von öffentlicher Seite große Aufmerksamkeit zuteil. Das österreichische Unterrichtsministerium empfahl Schulbüchereien den Ankauf von Literatur, die eine „starke patriotische Wirkung“ auf die Schüler ausüben sollte.46 Tapfere Kämpfer in ruhmreichen Schlachten waren in der Regel mehr gefragt als Kriegsgefangene, die nach der Heimkehr die Leiden in Feindeshand erst mit großem Aufwand umdeuten mussten, um der „Heldenriege“ der früheren Frontkämpfer zugerechnet zu werden. Trotzdem erschienen gewissermaßen in einer dritten Welle auch in den 1930er Jahren noch einige Erinnerungen in Buchform, nachdem solche Publikationen bereits während des Krieges in einem klaren Propagandakontext erschienen waren und in der ersten Phase nach Kriegsende ein weiteres Mal einige derartige Texte veröffentlicht wurden.47 Selbst das Kino wandte sich der Kriegsgefangenschaft zu, verglichen mit anderen Kriegsthemen allerdings mit gedämpftem Interesse.48 Abseits verein45 Alexandra Kleinlercher, Zwischen Wahrheit und Dichtung. Antisemitismus und Nationalsozialismus bei Heimito von Doderer, Wien/Köln/Weimar 2011, 43. 46 Suppanz, Österreichische Geschichtsbilder, 229. Vgl. außerdem: Ralph Andraschek Holzer, Österreichische Prosa zum Ersten Weltkrieg im Vergleich, in: Wolfram Dornik/ Julia Walleczek-Fritz/Stefan Wedrac (Hg.), Frontwechsel. Österreich-Ungarns „Großer Krieg“ im Vergleich, Wien/Köln/Weimar 2014, 163–190. 47 Als Beispiel für Veröffentlichungen im (alt-)österreichischen Kontext: W. H. Braun, Unter Zarenherrschaft und Sowjetstern, Graz 1930; Georg Breithaupt, Der Kampf ums Dasein, Berlin 1919; Burghard Breitner, Uunverwundet gefangen. Aus meinem sibirischen Tagebuch, Wien 1922; Karl Ceconi, Meine russische Gefangenschaft, Salzburg 1919; Adolf Epstein, Kriegsgefangen in Turkestan, Erinnerungen, Wien 1935; Hephäst (=Theodor v. Suess), In russischer Kriegsgefangenschaft, Wien 1930; Gustav Jungbauer, Kriegsgefangen, Budweis 1921; Peter Koch, Meine Abenteuer in Sibirien aus 5 ½-jähriger Kriegsgefangenschaft, Salzburg 1930; Rudolf Köstenberger, Mit der Roten Armee durch Russisch-Zentralasien, Graz 1925; Gustav Krist, Pascholl Plenny! Tatsachenbericht von der russischen Kriegsgefangenschaft österreichischer Soldaten, Wien 1936; Erwin Kunewälder, Meine Erlebnisse in zehnmonatiger russischer Kriegsgefangenschaft, Wien 1916; Hans Meier, Begrabene Jugend, Reichenberg 1937; Karl Ney, Volk ohne Heimat. Bilder aus den sibirischen Revolutionstagen, Graz 1923; Viktor Nowak, Bilder aus der Erinnerung eines Austauschinvaliden, Wien 1916; Franz Praeg, Kriegsgefangen in asiatischen Steppen, Dornbirn 1926; Bruno Prohaska, Batjuschka. Ein Kriegsgefangenenschicksal, Wien 1936; Julius Schuster, 16 Monate in russischer Kriegsgefangenschaft 1915/16, Eger 1917; Rudolf Völker, In russischer Kriegsgefangenschaft, Waidhofen 1926; Franz Willfort, Turkestanisches Tagebuch, Wien/Leipzig 1930. Vgl. dazu auch einen Aufsatz von Georg Wurzer in Zusammenhang mit der deutschen Erinnerungsliteratur: Wurzer, Das Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen, 365. 48 Falsche und irreführende Vorstellungen von der Gefangenschaft vermittelt hatten laut

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zelter internationaler Produktionen blieb auch der österreichische Film eher zurückhaltend. Die österreichische Produktion „Die große Liebe“ (A 1931) unter der Regie von Otto Preminger befasste sich zudem vor allem mit den Problemen der Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft. 49 Die B. e. ö. K. regte vor diesem Hintergrund gar die Anfertigung eines aus Spendengeldern ehemaliger Gefangener finanzierten Streifens an, um endlich die „wahre Geschichte“ der Kriegsgefangenschaft jenseits von Vorurteilen und Klischees auf die Leinwand zu bringen.50 Lebendig blieb der Krieg zweifellos unter den Militärs selbst. Die historiographische Auseinandersetzung mit der k. u. k. Armee im Ersten Weltkrieg inklusive der über die Kriegsführung hinausgehenden militärischen Belange und Kompetenzbereiche sowie Verwaltungsstrukturen war weitestgehend eine Domäne der Militärgeschichte. Federführend agierten ehemalige k. u. k. Offiziere mit ihrem exklusiven Zugang zu den relevanten Archivmaterialien. Der Kriegsgefangenenproblematik, die keineswegs in das Feld einer klassischen Militärgeschichte mit ihrem Fokus auf Schlachten oder Kriegsgerät, auf operative und taktische Aspekte, passte, nahmen sie sich allerdings nur sehr oberflächlich an.51 In „Österreich-Ungarns letzter Krieg“, dem mehrbändigen Prestigeprojekt der amtlichen militärischen Geschichtsschreibung, beschränkte man sich im Wesentlichen auf die Bekanntgabe nüchterner Zahlen. Immerhin war die enorme Menge der in Kriegsgefangenschaft geratenen k. u. k. Soldaten – allein in russischer Gefangenschaft hatten sich mehr als zwei Millionen Männer befunden – ein Faktor, der die Dimensionen der Niederlage hervorhob Joachim Givens von der R. e. K. offenbar die Filme „Stacheldraht“ und „Heimkehr“. Der Plenny, 6. Jg., Folge 4/5 (April–Mai 1929), 55. Bei „Stacheldraht/Barbed Wire“ handelt es sich um einen US-amerikanischen Film aus dem Jahr 1927 unter der Regie von Rowland V. Lee, „Heimkehr“ ist ein 1927 gedrehter deutscher Film, Regie: Joe May. Der „Reichsverband“ hatte demgegenüber 1926 ein Inserat abgedruckt, in dem der Film „Feldgrau“ als Film über die Kriegsgefangenschaft beworben wurde. Der 1925 unter der Regie von Manfred Noa gedrehte deutsche Streifen wurde auch unter dem Titel „Der Mann aus dem Jenseits“ gezeigt und von der damaligen Presse in Österreich im Allgemeinen als „Krimidrama“ bezeichnet. 49 Vgl. Verena Moritz, Krieg, in: Verena Moritz/Karin Moser/Hannes Leidinger, Kampfzone Kino. Film in Österreich 1918–1938, Wien 2008, 108–127. 50 Vgl. Der Plenny, 5. Jg., Folge 5 (Mai 1928), 56. 51 „Im Zeitkontext wurde die Kriegsgeschichte mehr noch als die althergebrachte Militärgeschichte als Disziplin genuin militärischer, spezifisch operativer Ereignisse wahrgenommen und darauf reduziert“. Überegger, Vom militärischen Paradigma, 74. Vgl. auch: Thomas Kühne/Benjamin Ziemann, Militärgeschichte in der Erweiterung. Konjunkturen, Interpretationen und Konzepte, in: Thomas Kühne/Benjamin Ziemann (Hg.), Was ist Militärgeschichte?, Paderborn/München/Wien/Zürich 2000, 9–46.

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und grundsätzliche Fragen hinsichtlich der Schlagkraft der „alten Armee“ aufwarf.52 Das Thema ausführlicher zu behandeln war kaum geeignet, um die zweifellos beabsichtigte „Ehrenrettung“ der österreichisch-ungarischen Streitkräfte und ihrer Heerführer festzuschreiben. Die 17 beteiligten früheren k. u. k. Offiziere, die zum Zeitpunkt des Entstehens des monumentalen mehrbändigen amtlichen Werkes „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ zum Teil noch als Aktive dem nunmehrigen österreichischen Bundesheer angehörten, waren um die Würdigung der militärischen Leistungen der k. u. k. Armee bemüht, weniger um die Beschäftigung mit womöglich allzu heiklen Themen.53 Selbiges galt für die dem Weltkrieg geltenden Publikationen von Traditionsverbänden und Veteranenvereinigungen. So konnte nicht überraschen, dass die Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg in der Ersten Republik vorrangig „durch die Monopolisierung militärischer und politischer Sinngebungs- und Rechtfertigungsmuster“ geprägt war.54 Obwohl hauptsächlich von ehemaligen Kriegsgefangenen verfasst und damit im Trend einer auf Erfahrungsberichten fußenden Vergangenheitsbetrachtung, die sich der Deutungshoheit des vergangenen Krieges bemächtigte, erweiterte das 1931 erschienene zweibändige Werk „In Feindeshand55“, das von der B. e. ö. K. herausgegeben wurde, die Perspektiven auf die Thematik in vielerlei Hinsicht. Immerhin beleuchteten, wenn auch ebenfalls aus subjektiver Perspektive zu Papier gebracht und um Rechtfertigung der eigenen Tätigkeit oder aber ehemaliger k. u. k. Institutionen bemüht, einige Autoren das österreichisch-ungarische Kriegsgefangenenwesen, Fürsorgemaßnahmen und weitere Aspekte der Gesamtproblematik, auf die spätere Forschungen zurückgreifen konnten, um vor allem das „System“ der betreffenden Verwaltung und Organisation nachvollziehen zu können. Anhand autobiographischer oder autobiographisch gefärbter Schriften füllten also auch in Zusammenhang mit dem k. u. k. Kriegsgefangenenwesen ehemalige Offiziere, Beamte und Entscheidungsträger das Vakuum, das sich infolge einer diesbezüglich abwesenden Geschichtsschreibung ergeben hatte. Zu Wort kam in „In Feindeshand“ etwa Heinrich von Raabl-Werner, der während des Krieges in leitender Funktion die Gefangenenagenden im k. u. k. Kriegs­ 52 In „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ war bezeichnenderweise „nur“ von 1,6 Millionen Kriegsgefangenen die Rede – „ohne die in Kriegsgefangenschaft Gestorbenen“. Vgl. Österreich-Ungarns letzter Krieg (=ÖUlK) 1914–1918, Bd. 7: Das Kriegsjahr 1918, Wien 1938, 41. 53 Überegger, Vom militärischen Paradigma, 78. 54 Ebd., 79. 55 Hans Weiland/Leopold Kern (Hg.), In Feindeshand. Die Gefangenschaft im Weltkriege in Einzeldarstellungen, 2 Bde., Wien 1931.

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ministerium betreut hatte. Er würdigte in seinem Beitrag die Leistungen des österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenenwesens und verwies auf die meist überaus schwierigen Umstände für die Umsetzung jener Hilfsmaßnahmen, die den Gefangenen der k. u. k. Armee galten.56 Ernst von Streeruwitz wiederum, der ehemalige Leiter der politischen Gruppe in der Kriegsgefangenenabteilung des k. u. k. Kriegsministeriums, widmete sich in seinen Texten für „In Feindeshand“ den Initiativen zur „Verbesserung des Kriegsgefangenenregimes“. Nicht anders als Raabl-Werners Beitrag präsentierten sich diese Artikel nicht zuletzt auch als Ausdruck des Bemühens, die Arbeit der damaligen k. u. k. Behörden in ein günstiges Licht zu rücken. Hinsichtlich der seitens der österreichisch-ungarischen Heeresverwaltung gepflogenen Anwendung von Repressalien, die – so die Argumentation – aus Verfehlungen der russischen Gewahrsamsmacht resultierten, verwies er beispielsweise auf entsprechendes Augenmaß. Insgesamt habe man stets eher auf alternative Methoden gesetzt, um das Wohl der eigenen Kriegsgefangenen nicht zu gefährden.57 In einem weiteren Artikel, der mit „Heimat und Kriegsgefangenschaft“ betitelt war, fielen dann deutliche Worte über Russlands Haltung in Bezug auf die Kriegsgefangenen: Die russische Knute hatte in den armseligen, herabgekommenen, kranken, halb verhungerten Kriegsgefangenen für alte Übung ein neues Opfer gefunden und die russische Gleichgültigkeit, der russische Mangel an Ordnung mußte an Aufgaben der Organisation versagen, die uns selbst in gleicher Lage zu lösen kaum vollständig möglich war.58

Ähnliche Töne schlug Streeruwitz auch in seinen Erinnerungen mit dem Titel „Springflut über Österreich“ an. Das beiläufig formulierte Eingeständnis eigener Unzulänglichkeiten, wie es in „In Feindeshand“ zu finden war, fehlte nun weitgehend. Der Hinweis auf die „Hungerblockade“ der Entente59 ersetzte eine tiefgründigere Selbstkritik bei der Beurteilung des Schicksals der Gefangenen in österreichisch-ungarischem Gewahrsam. Das k. u. k. Kriegsgefangenenwesen hob sich vor allem im kontrastiven Vergleich mit Russland, 56 Heinrich Frh. v. Raabl-Werner, Österreich-Ungarns Kriegsgefangenenfürsorge, in: Weiland/Kern, In Feindeshand, Bd. 2, 324–331. 57 Ernst von Streeruwitz, Die Stockholmer Konferenz 1915, in: Weiland/Kern, In Feindeshand, Bd. 2, 331–334; Ders., Die Konferenz in Kopenhagen, in: Weiland/Kern, In Feindeshand, Bd. 2, 335. 58 Ernst von Streeruwitz, Heimat und Kriegsgefangenschaft, in: Weiland/Kern, In Feindeshand, Bd. 2, 407 f., 407. 59 Dazu siehe David Stevenson, 1914–1918. Der Erste Weltkrieg, Düsseldorf 2006, 296–304.

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aber auch Serbien als geradezu leuchtendes Beispiel ab.60 Gleichzeitig zum Ausdruck gebracht wurde die Überzeugung, wonach die „Misshandlung der Kriegsgefangenen“ in gegnerischer Hand „beispiellos[e]“ gewesen war, während „die Manneszucht unserer Heere, die Gutmütigkeit unserer Bevölkerung und seine höhere Kultur“ solche Marter verhindert hätten. „Bei uns“, hieß es weiter, „war das heilige Feuer geborgen, als der stolze Bau der Menschlichkeit in Trümmern sank, als das Kriegsvölkerrecht und die zur Sicherung der Humanität getroffenen Abmachungen wertloses Papier geworden waren.“61 Ähnliche Argumente wie in seinen in den 1930er Jahren veröffentlichten Erinnerungen hatte Streeruwitz bereits beim Verfassen eines mehrbändigen Werkes zur österreichisch-ungarischen Gefangenenverwaltung berücksichtigt. Die Arbeit daran hatte er offenbar noch während des Krieges aufgenommen. Die entstandenen Bände wurden allerdings nicht veröffentlicht. Sie sind aber als Typoskriptfragmente erhalten geblieben.62 Im Abschnitt „Gefangene in Österreich-Ungarn“, der in „In Feindeshand“ aufscheint, finden sich interessanterweise keine Texte von Heinrich von Raabl-­Werner und Ernst von Streeruwitz. Beide waren im k. u. k. Kriegsminis­ terium auch für Agenden betreffend die Gefangenen im Habsburgerreich verantwortlich gewesen. Stattdessen ließ man zu dieser Thematik Thorsten Wennerström einigermaßen ausführlich zu Wort kommen. Der schwedische Major und Rot-Kreuz-Funktionär hatte während des Krieges einige Gefangenenlager der Doppelmonarchie in offiziellem Auftrag visitiert. Abgedruckt wurden seine Berichte über den Besuch der Lager, die allesamt positive bis überschwängliche Bewertungen der vorgefundenen Zustände enthielten. Der Major zeigte sich überaus zufrieden mit der immer wieder als „vorbildlich“ wahrgenommenen Unterbringung der Kriegsgefangenen sowie mit deren Behandlung. Aufmerksamen Lesern konnte allerdings kaum entgehen, dass zu Beginn jedes der kurzen Berichte auf die Zahl der angetroffenen Kriegsgefangenen hingewiesen wurde und dass diese im Verhältnis zur angegebenen eigentlichen Größe der Lager und ihrer maximalen sogenannten „Belagskapazität“ äußert gering war. So waren laut Wennerström in Hart bei Amstetten statt der vorgesehenen 27.000 Gefangenen nur etwa 2600 anwesend gewesen, in Freistadt statt 30.000 lediglich 2400 oder im ungarischen Dunaszerdahely (Dunajská Streda) statt 27.000 nur 2100 Männer. Lediglich

60 Vgl. Ernst von Streeruwitz, Springflut über Österreich. Erinnerungen, Erlebnisse und Gedanken aus bewegter Zeit 1914–29, Wien/Leipzig 1937, 76–112. 61 Ebd., 76. 62 Ernst von Streeruwitz, Kriegsgefangene im Weltkrieg, 6 Bde., Bd. 2 (Typoskript o. O., o. J.), 29.

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in den besuchten böhmischen Lagern Brüx (Most) und Theresienstadt (Terezín) trafen der Schwede und seine Begleiter jeweils 7000 beziehungsweise 6800 Gefangene an. Von der maximalen Belagszahl war man aber auch hier weit entfernt. Ungeachtet dessen überwogen auch in der Beurteilung dieser Lager mit mehr Gefangenen als in den zuvor visitierten Anerkennung und Lob. In Brüx war von einer „rühmenswerte[n] Ordnung und Reinlichkeit“ die Rede, das Mannschaftslager Theresienstadt wurde als allen Anforderungen „vollständig gerecht“ beschrieben. Auch im, wie Wennerström vorausschickte, „angeblich sehr schlecht[en]“ Offizierslager in Theresienstadt fand der neutrale Delegierte keine zu beanstandenden Missstände vor.63 Dass sich aufgrund der überwältigenden Mehrheit der Gefangenen, die außerhalb der Lager Arbeitsstätten zugeteilt worden waren64, aus der Visitation der sogenannten „Stammlager“ im Hinterland kaum repräsentative Aussagen über die Gesamtsituation der Kriegsgefangenen im Habsburgerreich ableiten ließen, wurde in „In Feindeshand“ nicht angesprochen. Keine Hinweise finden sich auch darüber, in welchem Zeitrahmen Wennerström seine Kontrollbesuche absolviert hatte. Diese Information wiederum wäre angesichts der im Verlaufe des Krieges immer prekärer gewordenen Ernährungslage mit ihren Auswirkungen gerade auch auf die Gefangenen keine unerhebliche gewesen. Andere Eindrücke als der schwedische Rot-Kreuz-Delegierte vermittelte zumindest vom Lager Freistadt ein Beitrag des österreichischen Arztes Robert Pollatschek. In Freistadt sei es zwar nicht wie im „Serbenlager Mauthausen“ zu einem „Massensterben“ infolge von Seuchen gekommen, aber offenbar zu einer Häufung von Todesfällen gegen Ende des Krieges. Die wachsende Lebensmittelnot in Österreich hatte zu einer stetigen Verringerung der Rationen für die Gefangenen geführt – mit entsprechenden Folgen: Die Betroffenen „erschienen“ nun, so der frühere Lagerarzt, „im Spital“ mit „schrecklichen Hungerödeme[n], die man früher kaum kannte; auch sah man nun jene Gerippe abgemagerter Menschen, die plötzlich tot zusammenfielen, ohne vorher krank gewesen zu sein“.65 Trotzdem urteilte Pollatschek: Wenn ich zusammenfasse, muß ich sagen: das Los der Gefangenen ist ein schreckliches, aber in Freistadt geschah alles, um den armen Menschen ihr 63 Thorsten Wennerström, Besuch von Kriegsgefangenenlagern in Österreich-Ungarn, in: Weiland/Kern, In Feindeshand, Bd. 2, 214–227. 64 Zur Arbeit der Kriegsgefangenen u. a.: Verena Moritz/Hannes Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung. Die russischen Kriegsgefangenen in Österreich (1914–1921), Bonn 2005, 106–127. 65 Robert Pollatschek, Das Kriegsgefangenenlager in Freistadt, Ob-Öst, in: Weiland/Kern, In Feindeshand, Bd. 2, 224 f.

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trauriges Dasein erträglich zu machen, soweit es eben die Verhältnisse zuließen. Viel Leid wäre Österreich erspart geblieben, hätten es seine Gefangenen in Sibirien ebenso gut gehabt, wie es die russischen Gefangenen in Freistadt hatten.66

Dem Urteil Pollatscheks folgte auch Leopold Kern in seinem Text über das „Russenlager in Bruck-Kiralyhida“. Die Gefangenen dort, resümierte er, „hatten es wirklich nicht schlecht und hunderttausend Gefangene in Sibirien und Turkestan hätten sich für eine ähnliche Lage freundlichst bedankt“.67 Dass die Gefangenschaft im Habsburgerreich für viele bereits bei der Ankunft im Lager tödlich endete, berichtete hingegen Georg Oswald Bayer in einem Beitrag über das böhmische Lager Heinrichsgrün (Jindřichovice). Einheimische hatten ihm erzählt, dass viele der in Waggons eingetroffenen Gefangenen offenbar bereits während des Transportes verstorben waren und bei der Ankunft im Lager demnach nur mehr tot aus den Zügen geborgen werden konnten. Bayer war in den 1920er Jahren anscheinend in die nunmehrige Tschechoslowakei gekommen, um sich ein Bild von der Exhumierung der im Lager gestorbenen und in einem Massengrab beerdigten Serben und Italiener zu machen. An die 6000 Leichname beziehungsweise sterbliche Überreste der Gefangenen sollten allein in Heinrichsgrün eine im Vergleich zur vormaligen Bestattung würdigere „letzte Ruhe“ finden.68 Es folgte ein Beitrag des früheren Sektionschefs im k. k. Innenministerium, Hans Swoboda, der im Kriegsüberwachungsamt für die Angelegenheiten der Zivilinternierten zuständig gewesen war.69 Swoboda erging sich in allgemeinen Ausführungen zum Thema und hob vor allem die „gute Behandlung“ der Betroffenen hervor, die „von verschiedenen Seiten“ gar Anlass zu Kritik gegeben hatte – und zwar in Hinblick auf die „Leiden, denen unsere Angehörigen in einzelnen feindlichen Staaten ausgesetzt waren“.70 Der in dem oben genannten Beitrag von Robert Pollatschek zumindest erwähnte Hinweis auf das Massensterben von Kriegsgefangenen als Folge von

66 Ebd. 67 Leopold Kern, Das Russenlager in Bruck-Kiralyhida, in: Weiland/Kern, In Feindeshand Bd. 2, 227. 68 Georg Oswald Bayer, Gestorben in fremdem Land. Ein eigenartiges Mausoleum im böhmischen Erzgebirge, in: Weiland/Kern, In Feindeshand, Bd. 2, 228 f. 69 Vgl. dazu auch Tamara Scheer, Die Ringstraßenfront. Österreich-Ungarn, das Kriegsüberwachungsamt und der Ausnahmezustand während des Ersten Weltkriegs, Wien 2010, 63. 70 Hans Swoboda, Zivilinternierte in Österreich, in: Weiland/Kern, In Feindeshand, Bd. 2, 229 f.

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Seuchen und Mangelernährung traf in der Zwischenkriegszeit bisweilen in Zusammenhang mit medizinischen Erörterungen auf Interesse. Insgesamt wurde die Problematik auch in diesem Kontext aber eher selten erwähnt. Das galt noch mehr als für die Kriegsgefangenen für die infolge von epidemischen Erkrankungen zugrunde gegangenen Flüchtlinge und Internierten in österreichisch-ungarischem Gewahrsam, die oft dauerhafter in Lagern konzentriert gewesen waren. In den sogenannten „Baracken-Städten“ konnten sich ansteckende Krankheiten nahezu ungehindert ausbreiten. Während dieses Thema in der Zwischenkriegszeit schließlich völlig ins Abseits geriet, kursierten während des Krieges verschiedentlich kolportierte Angaben über Tausende Todesopfer unter den im Habsburgerreich internierten Zivilisten. Diese ließen und lassen sich aber nicht immer oder bisweilen nur schwer überprüfen. Nichtsdestoweniger sprechen einige Angaben, die teilweise noch während des Krieges von amtlicher Seite gemacht wurden, für hohe Opferzahlen.71 Auch einige erhalten gebliebene sogenannte „Totenbücher“ aus den Lagern sind in diesem Zusammenhang aufschlussreich.72 Dass sich indessen die Herausgeber von „In Feindeshand“ auf die Erfahrungen deutschsprachiger k. u. k. Soldaten vor allem in russischer Gefangenschaft konzentrierten und in den beiden Bänden sehr viel weniger Raum vergleichsweise den Erfahrungen in italienischem oder serbischem Gewahrsam gewidmet war, hing wohl wesentlich mit der gewaltigen Zahl der in russische Gefangenschaft geratenen k. u. k. Soldaten sowie mit der in der B. e. ö. K. besonders stark vertretenen „Fraktion“ von Russlandheimkehrern zusammen. Keimzelle des Verbandes waren immerhin kriegsgefangene k. u. k. Offiziere aus dem sibirischen Lager Krasnojarsk gewesen.73 Dass außerdem auf insgesamt fast 1000 Seiten, die „In Feindeshand“ umfasste, das Thema Kriegsgefangenschaft (inklusiver kurzer Hinweise auf die Zivilinternierten) in Österreich-Ungarn gerade mal auf 15 Seiten abgehandelt wurde, war wiederum kennzeichnend für dessen fast vollständige Abwesenheit in der damaligen Wahrnehmung. Angesichts Hunderttausender, die infolge von Seuchen, schlechter Behandlung und im Zuge der Bürgerkriegswirren in Russland ihr Leben gelassen hatten, Zehntausender, die in serbischer Gefangenschaft zugrunde gegangen, und weiterer Tausender Männer, die im 71 Ausführlich dazu und mit Verweisen auf entsprechende Literatur: Verena Moritz, Gefangenschaft, in: Hannes Leidinger/Verena Moritz/Karin Moser/Wolfram Dornik, Habsburgs schmutziger Krieg. Ermittlungen zur österreichisch-ungarischen Kriegsführung 1914–1918, St. Pölten/Salzburg/Wien 2014, 93–144. 72 Vgl. zum Beispiel die als Pdf-Dokumente abrufbaren Totenbücher der Projektwebsite http://www.pows-ww1.at/projekt/totenbuecher (abgerufen am 20.3.2021). 73 Vgl. Der Plenny, 3. Jg., 1. Folge (1.1.1926), 5.

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Gewahrsam der anderen Feindstaaten gestorben waren, erschien das Elend anderer bedeutend geringer gewesen zu sein. Positive Einschätzungen der „k. u. k. Kriegsgefangenschaft“ konnten sich überdies schon allein aufgrund der ungleich ausführlicheren Darstellungen über die Leiden, die die „eigenen“ Gefangenen zu erdulden hatten, in der Rezeption festsetzen. Naheliegender, als sich den Gefangenen der Feindstaaten in Österreich-Ungarn zu widmen, erschien es überdies, die Erlebnisse der früheren „Bundesgenossen“ zu berücksichtigen. Entsprechend der engen Kooperation der B. e. ö. K. mit deutschen und sudetendeutschen Kriegsgefangenenverbänden, die bereits in die Gründung einer „Deutschen Gefangenenliga“ gemündet hatte74, fanden sich in „In Feindeshand“ auch relativ umfangreiche Texte zur Kriegsgefangenschaft in Frankreich oder „England“.75 Vor diesem Hintergrund kann kaum überraschen, dass in „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ die Problematik der fremden Kriegsgefangenen nicht viel anders abgehandelt wurde. In einer Fußnote wurde eine für den 1. Januar 1918 geltende Auflistung der als Gefangene eingebrachten Feindsoldaten präsentiert. Interessanterweise inkludierten die betreffenden Angaben, die von etwas mehr als 1,3 Millionen ausgingen, eine durchaus nicht selbstverständlich erscheinende Information. Für den angegebenen Stichtag waren, so konnte man der Aufstellung entnehmen, 362.000 Kriegsgefangene im Bereich der Armee im Felde im Einsatz gewesen. Immerhin ließ sich daraus die Dimension der Verwendung von Kriegsgefangenen für Arbeiten, die auch unmittelbar in Zusammenhang mit militärischen Zwecken standen beziehungsweise stehen konnten, ableiten. Da diese völkerrechtswidrige Praxis während des Krieges für einen heftigen Schlagabtausch zwischen den kriegführenden Mächten gesorgt hatte, vermag die nachmalige Bestätigung solcher Zahlen auf den ersten Blick ein wenig zu erstaunen. Tatsächlich aber war bereits während des Krieges mit Verweis auf die diesbezüglichen Regelverstöße der Feindstaaten auch gegenüber der eigenen Bevölkerung offengelegt worden, dass man sich nicht an das in der Haager Landkriegsordnung verankerte Verbot einer derartigen Arbeitsverwendung von Gefangenen hielt.76 Außerdem blieb die aufschlussreiche Fußnote in „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ tatsächlich nicht mehr als eine singuläre Notiz; nicht anders als 74 Vgl. Der Plenny, 5. Jg., 5. Folge (Mai 1928), 60; Der Plenny, 5. Jg., 11. Folge (November 1928), 130. 75 Siehe die Kapitel „Frankreich“ in: Weiland/Kern, In Feindeshand, Bd. 1, 364–428 und „In englischer Gefangenschaft“, ebd., 428–452. 76 Über die mangelhafte Präzisierung des Verbotes, Gefangene für Arbeiten mit „Beziehung zu den Kriegsunternehmungen“ zu verwenden, siehe Uta Hinz, Gefangen im Großen Krieg. Kriegsgefangenschaft in Deutschland 1914–1921, Essen 2006, 53.

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der lapidare Hinweis auf die Bedeutung der Feindsoldaten für die Kriegswirtschaft.77

Zuschreibungen Durchaus kompatibel mit dem Selbstbild Österreichs als Opfer des Krieges ebenso wie mit dem Eindruck eines als ungerecht empfundenen Friedens verbanden einige Autoren in „In Feindeshand“ ihre Schilderungen von der Zeit in Gefangenschaft mit einer Anklage an die tatsächlichen oder vermeintlichen Verantwortlichen für ihre Misere. Vor diesem Hintergrund gerieten etwa „die Tschechen“ als „Verräter“ und Peiniger ihrer deutschösterreichischen Kameraden in russischer Kriegsgefangenschaft ins Visier. Dass gemessen an der Gesamtzahl tschechischer k. u. k Soldaten realiter ein vergleichsweise kleiner Teil in Gefangenschaft die Fronten wechselte und sich gegen das Habsburgerreich gewandt hatte, spielte schon angesichts der durchaus bedeutsamen Rolle, die der Tschechoslowakischen Legion vor allem in Sibirien zukam, wenig bis keine Rolle bei der Bewertung der ehemaligen Mitkämpfer.78 Immerhin verunmöglichte das Entstehen der „Tschechoslowakischen Front“ die Heimkehr Zehntausender k. u. k. Kriegsgefangener vor allem deutscher und ungarischer Herkunft auf Jahre hin.79 Darüber hinaus verknüpften sich nicht selten etwaige bereits vorhandene antirussische Ressentiments mit einer klar antibolschewistischen Haltung. Ohne Zweifel hatte sich vor allem für die Offiziere in Gefangenschaft die Lage infolge der bolschewistischen Oktoberrevolution gravierend verschlechtert. Sie gingen ihrer in der Haager Landkriegsordnung festgelegten Privilegien verlustig und waren vielfach Drangsalierungen vormals Untergebener ausgesetzt. Ihre Eindrücke von den Vorgängen in Russland fokussierten vor allem auf das Chaos, in dem Russland versank, und auf eine schrankenlose Gewalt, die apokalyptische Ausmaße anzunehmen schien.80 Davon abgesehen fußten vorgenommene Charakterisierungen „russischer Eigenarten“ auf der Überzeugung, selbst einer kulturell beziehungsweise zivilisatorisch höherstehenden „Rasse“ anzugehören.81 Die Gewaltexzesse, die den Russischen Bürgerkrieg prägten 77 ÖUlK, Bd. 7, 44 f. 78 Vgl. Richard Lein, Pflichterfüllung oder Hochverrat? Die tschechischen Soldaten Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg, Wien/Berlin 2011. 79 Vgl. dazu die Beiträge im Kapitel „Nach der Revolution“, in: Weiland/Kern, In Feindeshand, Bd. 1, 268–300. 80 Vgl. Moritz, 1917, 171–192. 81 Vgl. etwa: Adolf Butz, Der Russe, in: Weiland/Kern, In Feindeshand, Bd. 2, 168 f; Burg-

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und zu deren Zeugen vielfach auch Kriegsgefangene wurden, schienen derartige Einschätzungen zu bestätigen. Ressentiments gegenüber Serbien und Italien hatten sich indessen entweder schon lange vor oder spätestens nach Beginn des Krieges verfestigt und konnten sich in weiterer Folge, nach 1918, abhängig von aktuellen politischen Entwicklungen, verstärken oder abschwächen. In „In Feindeshand“ waren negative Darstellungen der serbischen oder italienischen Kriegsgefangenschaft im Vergleich zur Schilderung der Lage in Russland nicht im Vordergrund. Abschätzige Worte speziell über Rumänien und Serbien fand aber beispielsweise Ernst von Streeruwitz, als er in seinen Erinnerungen die Zusammenarbeit mit den Feindstaaten bezüglich der Gefangenenagenden skizzierte.82 In jedem Fall präsentierten sich etliche Kriegsgefangenenmemoiren vielfach weniger als Zeugnisse, die auf eine nach dem Krieg häufig gepredigte Versöhnung hinausliefen, als auf die Vertiefung vorhandener Antagonismen und die Affirmation latenter Vorurteile. Exemplarisch hierfür ebenso wie für eine Art „koloniale Perspektive“ sind etwa die Veröffentlichungen von Burghard Breitner, der viele Jahre als Arzt in sibirischen Kriegsgefangenenlagern verbracht hatte. Seine nach dem Krieg publizierten Ausführungen über das Erlebte verknüpfte er immer wieder mit dezidiert antirussischen, antibolschewistischen und antisemitischen Äußerungen, die wiederum auf Grundlage konkreter Beispiele gewissermaßen belegt und damit scheinbar objektiviert wurden. Dieser Problematik einer aus unterschiedlichen Klischees83 und subjektiven Wahrnehmungen gespeisten Polemik oder einer – wenn auch sicherlich nicht gänzlich unberechtigten – retrospektiven Anklage an die Adresse des betreffenden Nehmestaates war sich auch die B. e. ö. K. bewusst, als sie sich dem Erinnern als einer ihrer Hauptaufgaben widmete. So sollte „über allen Haß und alle Entzweiung“ hinweg die „Flamme geläuterter Menschlichkeit“ eine neue „Brüdergemeinde“ hervorbringen.84 Doch es zeigte sich, hard Breitner, Russisches Wesen und russische Revolution, in: Weiland/Kern, In Feindeshand, Bd. 2, 169. 82 Streeruwitz, Springflut, 101. 83 Vgl. dazu u. a. Rüdiger Overmans, „Hunnen“ und „Untermenschen“. Deutsche und russisch/sowjetische Kriegsgefangenschaftserfahrungen im Zeitalter der Weltkriege, in: Bruno Thoß/Hans-Erich Volkmann (Hg.), Erster Weltkrieg – Zweiter Weltkrieg. Ein Vergleich. Krieg, Kriegserlebnis, Kriegserfahrung in Deutschland, Paderborn 2002, 335–365; Jan Liebold, „In allem zurück, weit zurück …“. Russlandbilder deutscher Kriegsgefangener im Ersten Weltkrieg. Ihre Darstellung und Veränderung in der Erinnerungsliteratur 1916–1939, Diss. Berlin 2006. 84 Hans Weiland, Was will und soll die B. e. ö. K.?, in: Weiland/Kern (Hg.), In Feindeshand, Bd. 1, 14–21, 17.

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dass der hehre Wunsch kaum Aussichten auf Erfüllung hatte. So vermochte sich beispielsweise die Selbstüberhöhung über „rückständige“ Russen oft nur im Sinne eines „wohlmeinenden“ Paternalismus abzuschwächen, während umgekehrt die britische und französische „Arroganz“ beklagt wurde. Die B. e. ö. K. selbst sah ihre Bemühungen um eine Verständigung mit den ehemaligen Feinden als Folge einer distanzierten bis ablehnenden Haltung von Veteranenverbänden der Alliierten untergraben.85 Dabei engagierten sich einige B. e. ö. K.-Mitglieder mit großem Einsatz im internationalen Kontext für die Neukodifizierung des geltenden Kriegsgefangenenrechtes, über dessen Unzulänglichkeit ein weitgehender Konsens bestand. Immerhin hatten die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung über die Kriegsgefangenen noch während des Krieges zahlreiche Ergänzungen erfahren86, um augenscheinliche Defizite zumindest teilweise auszugleichen. Mit diversen Abhandlungen zum Thema bereicherten verschiedene B. e. ö. K.-Aktivisten eine auf vielen Ebenen intensiv geführte Debatte.87 Die betreffenden zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträge zu (völker-)rechtlichen Aspekten wurden in Österreich allerdings außerhalb eines kleinen Kreises einschlägig Interessierter kaum rezipiert. Auch die Initiative der B. e. ö. K. zur Schaffung eines „Blauen Kreuzes“, das sich explizit der Kriegsgefangenenfürsorge widmen sollte, blieb von einer größeren Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Der Plan, eine internationale Organisation, d. h. ein weltweit tätiges „Blaues Kreuz“ zu etablieren, scheiterte.88 85 Der Plenny druckte 1938 diesbezügliche Aussagen vorangegangener Jahre ab: Der ­Plenny, 15. Jg., Folge 4/5, (April–Mai 1938), 34 f.; Der Plenny, 9. Jg., Folge 1 (Januar 1933), 2. 86 Die Rede ist von über 50 separaten Abkommen: Vgl. dazu Markus Stuke, Der Rechtsstatus des Kriegsgefangenen im bewaffneten Konflikt, Tübingen 2017, 168. 87 Vgl. dazu Neville Wylie, The 1929 Prisoner of War Convention and the Building of the Inter-war Prisoner of War Regime, in: Sibylle Scheipers (Hg.), Prisoners in War, Oxford/ New York 2010, 91–108 sowie Hinz, Gefangen, 12. 88 Vgl. Der Plenny, 10. Jg., Folge 11/12 (November/Dezember 1933), 97. Siehe außerdem die Artikel im Kapitel „Daheim“, in: Weiland/Kern, In Feindeshand, Bd. 2, Wien 1931, 407–443. Je schwieriger es war, sich auf dem internationalen Parkett Gehör zu verschaffen und Vorschläge betreffend die Neugestaltung des Kriegsgefangenenrechtes einzubringen, desto enger kooperierte die B. e. ö. K. schließlich mit deutschen Partnern und setzte sich damit dem Vorwurf eines „stillen Anschlusses“ aus. Obwohl sich die Vereinigung einer konstruktiven Friedensarbeit verpflichtet fühlte, schwenkte sie mehr und mehr auf einen Kurs ein, der einem gedeihlichen sogenannten „Internationalismus“ im Wege stand. Diese Entwicklung fand ab Ende der 1920er Jahre dementsprechend auch in ihren Schriften Niederschlag und mündete vor dem Hintergrund einer dezidierten Festlegung auf eine Pro-„Anschluss“-Haltung am Ende in eine Positionierung, die der vermeintlichen politischen Neutralität offen abschwor und schließlich kein grundsätzliches Problem damit hatte, „heim ins Reich“ geholt zu werden.

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Schuldfragen Trotz einer evidenten Auseinandersetzung mit den Dimensionen der Kriegsgefangenschaft zumindest unter den ehemals Betroffenen und der anerkannten Notwendigkeit internationalen Zusammenwirkens zur Weiterentwicklung des Kriegsgefangenenrechtes fehlte bei alldem ein ganzheitlicher Blick auf die Vergangenheit. Davon, wie frühere Feindsoldaten ihre Zeit in österreichisch-ungarischer Gefangenschaft betrachteten, nahmen gerade auch die ehemaligen Kriegsgefangenen, die nach Österreich zurückgekehrt waren, kaum oder keine Notiz. Und da die spärlichen Aussagen jener, die vormals im k. u. k. Gefangenenwesen tätig gewesen waren, ein tendenziell positives Bild von den Bedingungen in österreichisch-ungarischem Gewahrsam zeichneten oder aber im Vergleich mit der Gefangenschaft vor allem in Russland Negatives relativiert schien, drängte sich keine Korrektur des solcherart vermittelten Bildes auf. Auch deshalb nicht, weil sich insgesamt nur relativ wenige Betroffene über ihre Erlebnisse im Habsburgerreich zu Wort meldeten. Das hatte – wie in den nachfolgenden Texten des vorliegenden Bandes gezeigt wird – viele unterschiedliche Gründe. Länderspezifische politische Entwicklungen, die einer eigenen Erinnerungskultur ehemaliger Kriegsgefangener entgegenstanden, gehörten ebenso dazu wie der Umstand, dass Gefangenschaft auch oder gerade nach dem Krieg als Makel empfunden wurde. Die Hintergründe mögen in den Verliererstaaten jeweils andere oder zumindest anders gewichtet gewesen sein als bei den Siegern. Für beide galt, dass abseits von Verunglimpfungen in Richtung „Verräter“ oder „Drückeberger“ die mit der Gefangenschaft assoziierte Passivität einer aktiven Teilnahme am Kampf entgegengesetzt wurde. Es ging so gesehen um den Anteil der Kriegsgefangenen an Sieg oder Niederlage. All das machte Gefangenschaft zu einem „Sonderfall“, der sich nicht ohne Weiteres in die jeweiligen nationalen Nachkriegsnarrative einordnen ließ. Hinsichtlich der fehlenden Rezeption von „Gegenstimmen“, die den nahezu uneingeschränkt positiven Eindruck von den Bedingungen in österreichisch-ungarischer Kriegsgefangenschaft beeinträchtigt hätten, bleibt noch zu ergänzen, dass Österreich sich gewissermaßen nicht zuständig erachtete für Belange, die das Habsburgerreich betrafen. Immerhin war nach 1918 seitens der Verantwortlichen eine Rechtsnachfolge abgelehnt worden – wenngleich erfolglos. Auf alliierter Seite bestand man auf der Verantwortung Österreichs am Krieg, unabhängig davon, ob es nun als geschrumpftes „Restösterreich“ auftrat oder nicht. Georges Clemenceau richtete scharfe Worte an die Adresse Österreichs, um Versuchen einer vollständigen Exkulpierung entgegenzuwirken, und im Vertrag von Saint Germain pochte man auf „Wiedergutma-

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chung“.89 Dennoch schenkten die Siegermächte beispielsweise Verfehlungen der k. u. k. Armee sehr viel weniger Beachtung als jenen des deutschen Militärs. Während Deutschland sich nach 1918 im Zentrum der Kriegsschuld­ debatte befand und die strafrechtliche Verfolgung deutscher Kriegsverbrechen unter beachtlichem Aufsehen stattfand, versandeten in Österreich Bemühungen, sich kritisch insbesondere mit den Handlungen der führenden k. u. k. Offiziere während des Krieges auseinanderzusetzen, relativ bald. Verhältnismäßig schwach blieb überdies das Echo in der Öffentlichkeit. Die „Parlamentarische Untersuchungskommission zur Erhebung militärischer Pflichtverletzungen“, die im März 1919 zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammentrat, gehörte bereits 1922 der Vergangenheit an. Am Anfang allerdings war ein durchaus emotionelles Bemühen gestanden, den Ursachen für das „ruhmlose“ Ende der k. u. k. Armee nachzuspüren und fragwürdige Befehlsketten gerade in den letzten Tagen ihres Bestehens zu prüfen. Die Kommission war u. a. aufgrund der als aufklärungsbedürftig bezeichneten Umstände der massenhaften Gefangennahme von k. u. k. Soldaten im Umfeld des Waffenstillstandes an der Südwestfront zustande gekommen. Außerdem ist ihre Konstituierung vor dem Hintergrund entsprechender Diskussionen auf alliierter Seite im Vorfeld der Pariser Friedensschlüsse zu sehen, die beispielsweise auch serbische Perspektiven auf Verfehlungen ehemaliger Kriegsgegner berücksichtigten. Obwohl die serbische Regierung klarstellte, „dass sie die von bulgarischer Seite begangenen Gräueltaten als bedeutsamer erachtete als diejenigen, welche die Streitkräfte der Habsburgermonarchie […] begangen hatten“90, wurde im Österreich betreffenden Vertrag von Saint Germain die Auslieferung von Kriegsverbrechern gefordert.91 Von ehemaligen Offizieren als Instrument zur bewussten Verunglimpfung des alten Offizierskorps angesehen, von Sozialdemokraten, aber auch von Deutschnationalen – wenngleich aus völlig unterschiedlichen Perspektiven – als Notwendigkeit betrachtet, um etwaigen Kriegsverbrechen auf den Grund zu gehen, blieb die Institution in Wirken und Wirkung relativ isoliert.92 Aus89 Über den Begriff „Wiedergutmachung“ als Übersetzung für die geforderten „Réparations“ siehe Laura Rathmanner, Die Reparationskommission nach dem Staatsvertrag von St. Germain, in: Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs (BRGÖ) 2016, 74–98, 76. 90 Daniel Marc Segesser, Kriegsverbrechen? Die österreichisch-ungarischen Operationen des August 1914 in Serbien in Wahrnehmung und Vergleich, in: Wolfram Dornik/Julia Walleczek-Fritz/Stefan Wedrac (Hg.), Frontwechsel. Österreich-Ungarns „Großer Krieg“ im Vergleich, Wien/Köln/Weimar 2014, 213–234, 230. 91 Ebd., 231. Die betreffende Regelung wurde niedergelegt im Teil VII, Strafbestimmungen, Artikel 173 im Friedensvertrag von Saint Germain. 92 Wolfgang Doppelbauer, Zum Elend noch die Schande. Das altösterreichische Offizierskorps am Beginn der Republik, Wien 1988, 143 f.

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nahmen bildeten lediglich vereinzelte Fälle wie etwa jene des Generals Kasimir Freiherr von Lütgendorf, dem der Befehl zur widerrechtlichen „Justifizierung“ von drei Mannschaftspersonen zur Last gelegt wurde.93 Die Causa erregte einiges an Aufsehen. Erst recht aufgrund eines milden Urteils, das nach Ansicht seiner Kritiker einem Freispruch gleichkam. Die „Arbeiter-Zeitung“ sah einen „Massenmörder“, welcher der gerechten Strafe entgehen konnte und von „Ehre“ sprach, wo keine zu finden war.94 Bezeichnenderweise drang ein anderer Fall der Pflichtverletzungskommission, der gewissermaßen ein Ableger der Causa Lütgendorf gewesen war, nicht an die Öffentlichkeit. Darin war es um die Erschießung von kolportierten 150 Serben in Šabac im August 1914 gegangen. Die dem früheren General Lothar von Hortstein als angeblichem Urheber des betreffenden Befehles geltenden Untersuchungen wurden schließlich eingestellt, obwohl als Ergebnis der Befragung verschiedener Zeugen die Tötung der Serben an sich bestätigt wurde. Wer die Exekution der wehrlosen Gefangenen – die Angaben darüber, wie viele der Ermordeten eventuell auch Frauen und Kinder waren, gingen auseinander – angeordnet hatte, konnte allerdings nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ein dringend Verdächtiger war überdies in der Zwischenzeit verstorben. Als wenig hilfsbereit gegenüber den Ermittlern erwiesen sich außerdem die Militärbehörden, deren Auskunft zufolge relevante Akten „in Verstoß“ geraten waren.95 Immerhin entsprach die Mitteilung, wonach der Vorfall bereits Gegenstand von Nachforschungen gewesen war, den Tatsachen. So gab FML (Feldmarschallleutnant) Alfred Curt Zedwitz, der ebenfalls im August 1914 das anscheinend oft wechselnde Kommando in Šabac innegehabt hatte, 1915 zu Protokoll, dass „[d]as Erschießen“ vor seiner Übernahme der Befehlsgewalt erfolgt sei und „über hundert“ sogenannte „Komitatschi“ getötet worden waren. „Weiber“, meinte er, „dürften nicht miterschossen worden sein, da diese im Theater eingesperrt waren“ und auf seine Anordnung hin freigelassen worden waren. Zedwitz gab an, angesichts der Wahl des Exekutionsortes, nämlich des Platzes vor der Kirche, „sehr unangenehm berührt“ gewesen zu sein. Unverständnis macht sich aber auch in anderer Hinsicht breit: Denn „wenn die Leute Komi­ tatschi waren, so hätte man sie nicht gefangen nehmen, sondern sie einfach niedermachen sollen, war dieser Fehler aber einmal geschehen, so mußte der Befehl zur Vollstreckung des Urteils in einer anderen Form gegeben werden“.96 93 94 95 96

Ebd., 220–223. Arbeiter-Zeitung, 5.6.1920, 1 f. Bericht 209/19-59, ÖStA KA FA AOK Pflichtverletzungen, B 161–209, Kt. 17. Bericht des FML Grafen Zedwitz über Massenhinrichtungen von Komitadschis in Schabatz. ÖStA KA KM Präs. 1915, 83-6/7, Kt. 1802. Die Angaben zu den Opfern von Šabac variieren sowohl hinsichtlich ihrer Zusammensetzung – nicht kämpfende Zivi-

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Für eine kurze mediale Aufmerksamkeit sorgte indessen auch ein Verfahren, das die angebliche Rechtswidrigkeit der Exekution eines russischen Kriegsgefangenen im Herbst 1915 aufgriff. Den Freispruch des in der Causa beschuldigten FML Ludwig Goiginger97 begründete das Gericht damit, dass die „Niedermachung“ des Russen angesichts einer drohenden Meuterei unter den mit „Etappenarbeiten“ beschäftigten 25.000 bis 30.000 Kriegsgefangenen gerechtfertigt gewesen sei. Die Tötung des betreffenden Gefangenen, dessen Kameraden sich wegen „schlechte[r] Verpflegung“ bereits vielfach arbeitsunwilllig gezeigt hatten, sollte offenbar der Abschreckung dienen und die aufmüpfigen Russen wieder gefügig machen.98 Die damit in Verbindung gebrachte „Kriegsnotwehr“ oder das „Kriegsnotwehrrecht“ beziehungsweise das „Kriegsnotrecht“ – so der keineswegs einheitliche zeitgenössische Sprachgebrauch – legitimierte, entsprechend der Kritik von sozialdemokratischer Seite, scheinbar alles, was sich in der Rückschau an Verfehlungen auftat.99 Dass „Rücksichtslosigkeit“ eine gewissermaßen selbstverständliche Eigenschaft des Krieges sei, hielt der frühere FML Goiginger später auch in einer „Studie“ über die Ursachen der Niederlage fest. Und dass die „Schonung von Menschenleben“ angesichts der „Notwendigkeit einer erfolgreichen“ Kriegsführung nicht von Bedeutung sein könne, ergab sich seines Erachtens von selbst. Immerhin räumte er ein, dass man es in Sachen „Rücksichtslosigkeit und Skrupellosigkeit […] oft zu weit getrieben hat“.100 Mindestens zwei weitere Fälle, welche die Erschießung von Kriegsgefangenen betrafen, beschäftigten die Pflichtverletzungskommission ab 1919. Ins listen beziehungsweise Frauen und Kinder oder sogenannte „Komitadschis“ – als auch in Bezug auf die Gesamtzahl der Getöteten. Unterschiedliche Angaben gibt es auch über die Tötungsart: Erschießen, Niedermachen mit Bajonetten, „Verbrennen“ usw. Eine vornehmlich auf Grundlage der Angaben von Rodolphe-Archibald Reiss erfolgte Darstellung der Ereignisse in Šabac: Anton Holzer, Schüsse in Šabac. Die Massaker an der Zivilbevölkerung 1914, in: Gordana Ilić Marković (Hg.), Veliki Rat. Der Große Krieg. Der Erste Weltkrieg im Spiegel der serbischen Literatur und Presse, Wien 2014, 71–84. Zu Šabac siehe auch: Oswald Überegger, „Verbrannte Erde“ und „baumelnde Gehenkte“. Zur europäischen Dimension militärischer Normübertretungen im Ersten Weltkrieg, in: Sönke Neitzel/Daniel Hohrath (Hg.), Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Paderborn/ München/Wien/Zürich 2008, 241–278, 270 f. Siehe auch: Branislav Stankovic, Suffering of Šabac and Macva in the Great War, Šabac o. J. sowie Rudolf Jeřábek, Potiorek. General im Schatten von Sarajevo, Graz/Wien/Köln 1991, 162–165.  97 Vgl. dazu etwa Arbeiter-Zeitung, 25.9.1920, 4; Neues Wiener Journal, 25.9.1920, 2; Linzer Volksblatt, 26.9.1920, 4 oder Deutsches Volksblatt, 25.9.1920, 6. Siehe auch: Darstellung zum Fall Goiginger. ÖStA KA FA AOK Pflichtverletzungen, B 217/19.   98 Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 126.  99 Vgl. dazu Arbeiterwille, 28.4.1920, 1 f. 100 „Warum wir unterlagen“. ÖStA KA NL L. Goiginger B/1062:1, 47.

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Rollen gekommen waren diesbezügliche Ermittlungen u. a. aufgrund von Berichten tschechischer Zeitungen. Einem der beschuldigten Offiziere, einem hoch dekorierten Hauptmann, der sich als Opfer tschechischer „Hetze“ bezeichnete, wurden über die Tötung von mehreren Kriegsgefangenen hinaus auch verschiedene andere schwere Verbrechen zur Last gelegt – darunter die Vergewaltigung eines Mädchens und die anschließende Ermordung von dessen Mutter. Die beiden Fälle, die ganz vereinzelt in der österreichischen Presse aufgegriffen worden waren, blieben trotz durchaus überzeugend wirkenden und aus verschiedenen Quellen kommenden Belastungsmaterials für die Beschuldigten ohne Konsequenzen. In einem Fall, weil das betreffende Delikt bereits während des Krieges von einem „Kriegsgericht“ verhandelt und der Betreffende angeblich – Akten dazu gab es keine – freigesprochen worden war.101 Und im zweiten, weil der im Übrigen auf seine Überführung ins österreichische Bundesheer wartende ehemalige k. u. k. Hauptmann tatsächlich als Zielscheibe tschechischer Verleumdungen betrachtet wurde. Zu Wort gemeldet hatten sich zuvor einige der früher unter seinem Kommando gestandenen Soldaten, die u. a. dessen brutalen Umgang mit der Mannschaft anprangerten. Der Beschuldigte wurde im Rahmen entlastender Charakterisierungen hingegen als „äusserst temperamentvoller, tapferer und unerschrockener Offizier“ bezeichnet, der „mit strenger Hand die Disziplin aufrecht“ erhalten habe. So habe er sich bei der Mannschaft, die „teilweise vollkommen unverläßlich, ja hochverräterisch“ gewesen sei, „unbeliebt“ gemacht. Die erhobenen Vorwürfe wurden, den Argumenten des früheren k. u. k. Offiziers folgend, sinngemäß einer Art Rachsucht zugeschrieben.102 Weitere Fälle, in denen es um Misshandlungen von Kriegsgefangenen ging, kamen mit Verweis auf seinerzeit ausgegebene Befehle, die eine weitreichende Handhabe vor allem gegen jene Gefangene enthielten, die aufgrund von Arbeitsverweigerung oder Flucht diszipliniert werden sollten, nicht über das Stadium der Voruntersuchungen hinaus oder wurden eingestellt.103 Das betraf auch die zum Gegenstand von Erhebungen gemachte schlechte Behandlung von russischen Kriegsgefangenen in den militärischen Betrieben am Erzberg, die während des Krieges in den Zuständigkeitsbereich des General­obersten Franz Rohr fielen. Der frühere Betriebsleiter berief sich angesichts der An-

101 Kommission zur Erhebung militärischer Pflichtverletzungen an das Armeeauskunfts­ amt, 24.7.1920. ÖStA KA FA AOK Pflichtverletzungen, B 113/20-2, Kt. 24. 102 Bericht 107/20. ÖStA KA FA AOK Pflichtverletzungen, B 101, Kt. 24. 103 Vgl. etwa Materialien zur Befehlslage 1916, Militärkommando Wien. ÖStA KA FA AOK Pflichtverletzungen, B 109/19, Kt. 14.

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schuldigungen auf die von Rohr erteilten Befehle, denen zufolge die Gefangenen „fleissig angebunden und geprügelt werden“ sollten, „weil wir ja im Kriegsgebiete waren“.104 Der Justizreferent des Militärkommandos Graz ging sogar noch weiter und riet dem Betriebsleiter angeblich, im Falle von Arbeitsverweigerungen unter den Feindsoldaten „einige Russen“ einfach „erschießen“ zu lassen.105 Exekutionen von Kriegsgefangenen waren allerdings nicht Gegenstand der Erhebungen. Diese seien, hieß es, auch nicht vorgekommen – sehr wohl aber Prügelstrafen. Diese wiederum, rechtfertigte sich Rohr, hatte nicht er angeordnet, sondern das k. u. k. Armeeoberkommando.106 In Deutschland kam der Frage regelwidrigen Verhaltens gegenüber Kriegs­gefangenen eine größere Bedeutung zu, als dies für Österreich gelten konnte. Im Nachbarland war bereits kurz nach Kriegsende eine eigene „Kommission zur Untersuchung der Anklagen wegen völkerrechtswidriger Behandlung der Kriegsgefangenen in Deutschland“ ins Leben gerufen worden. Die nach ihrem Vorsitzenden benannte „Kommission Schücking“ sollte die von alliierter Seite vorgebrachten Anschuldigungen überprüfen und sie realiter entkräften. Als Folge entstand eine durchaus umfangreiche Dokumentation zu den „Verletzungen des Kriegsgefangenenrechts“.107 Darauf basierend wurde zwar zugegeben, dass es zu Verfehlungen gekommen war. Diese aber, hieß es, seien trotz und nicht aufgrund von Verfügungen geschehen.108 Unter diesen Vorzeichen blieb auch in Deutschland das Problembewusstsein in Bezug auf die Behandlung der Kriegsgefangenen eher gering, wenngleich dafür gesorgt wurde, dass das Thema nicht gänzlich unter den Tisch fiel.109 Klar abgelehnt wurde aber die von zum Teil schweren Vorwürfen geprägte Haltung der Entente-Mächte, da „nur“ die „eigene Fleckenlosigkeit“ dazu berechtigen würde, „Anklage bezüglich der Kriegsgefangenenbehandlung“ zu erheben.110 Margarete Klante, die während des Krieges im preußischen

104 Zit. nach Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 188. 105 Zit. nach ebd. 106 Ebd. 107 Vgl. Das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages 1919–1928, Völkerrecht im Weltkrieg: Verletzungen des Kriegsgefangenenrechts, Berlin 1927. 108 Ausführlich dazu: Gerd Hankel, Die Leipziger Prozesse. Deutsche Kriegsverbrechen und ihre strafrechtliche Verfolgung nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg 2003, 321– 377; Harald Wiggenhorn, Verliererjustiz. Die Leipziger Kriegsverbrecherprozesse nach dem Ersten Weltkrieg, Baden-Baden 2005. 109 In Österreich wurde die Problematik lediglich von der Arbeiter-Zeitung aufgegriffen. Siehe Arbeiter-Zeitung, 13.4.1919, 4. 110 Margarete Klante, Die Kriegsgefangenen in Deutschland, in: Weiland/Kern, In Feindeshand, Bd. 2, 172–193, 173.

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Kriegsministerium gearbeitet hatte111, ließ in einem für „In Feindeshand“ verfassten umfangreichen Beitrag über die Situation der Kriegsgefangenen in Deutschland keinen Zweifel an der Unzulässigkeit der Vorwürfe und verwies auf eine Art Prolongierung der während des Krieges ausgestreuten Gräuelpropaganda des Gegners mit dem Ziel, Deutschland barbarisches Verhalten zu ­unterstellen.112 Deutschland befand sich hinsichtlich der Gefangenenbehandlung gewissermaßen in einem Kontinuum von Rechtfertigungen und Gegenanschuldigungen. Von Beginn des Krieges an und mit dem Bruch der belgischen Neu­tralität stand es im Kreuzfeuer der Kritik als ein Staat, der sich ohne Bedenken über Völkerrecht hinwegsetzte und verbindliche Vereinbarungen zu einem „Fetzen Papier“ herabwürdigte.113 Davon nicht ausgenommen war auch die Frage der Behandlung von Feindsoldaten, die nicht zuletzt der als unverhältnismäßig befundenen Repressalienpraxis der zuständigen deutschen Behörden galt. In beachtlichem Ausmaß und inmitten einer „hoch emotionali­sierten und emotionsgeladenen Debatte“ wechselseitiger Anschuldigungen114 hatte sich im Deutschen Reich bereits während des Krieges eine überaus rege Publizistik zu Fragen der Gefangenenbehandlung entwickelt. Vor diesem Hintergrund waren „massenhaft Denkschriften“ verfasst worden, die der eigenen Entlastung zu dienen hatten.115 Die „Propagandaschlacht“ rund um die Frage der Kriegsgefangenenbehandlung wurde nach dem Krieg und in Anbetracht fortgesetzter Anklagen von alliierter Seite perpetuiert. Wieder wurden daraufhin Veröffentlichungen lanciert, die Deutschland vom Vorwurf eines barbarischen Umganges mit den Feindsoldaten reinwaschen sollten.116

„War of words“ Im Zusammenhang mit dem „war of words“ in Gefangenenangelegenheiten sah sich die österreichisch-ungarische Propaganda zum Teil ganz anderen Herausforderungen gegenüber als beispielsweise Deutschland gegenüber 111 Vgl. Reinhard Nachtigal, Rußland und seine österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen (1914–1918), Remshalden 2003, 385. 112 Klante, Die Kriegsgefangenen in Deutschland, 172–193. Vgl. etwa auch: Richard Kralik, Dr. Eberles „De Profundis“. Das christliche Weltgewissen, in: Reichspost, 1.5.1921, 18. 113 Vgl. Isabel Hull, A Scrap of Paper. Breaking and Making International Law during the Great War, Ithaca/NY 2014. 114 Hinz, Gefangen, 13. 115 Ebd. 116 Ebd., 17.

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Großbritannien und Frankreich.117 Zunächst wird vor allem der britischen Propaganda eine ungleich höhere Professionalität beziehungsweise Effizienz attestiert als im Vergleich den Mittelmächten.118 In österreichisch-ungarischem Gewahrsam befand sich aber anders als in Deutschland eine nur sehr geringe Zahl britischer und französischer Staatsbürger. Die Berührungspunkte mit deren Herkunftsländern und damit auch die Grundlagen oder aber die Notwendigkeit für scharfe verbale (Gegen-)Angriffe hielten sich daher anscheinend in Grenzen. Zu berücksichtigen sind auch die bis 1918 einigermaßen moderaten Kriegsziele in Bezug auf Österreich-Ungarn, die ebenfalls eine gewisse Zurückhaltung hinsichtlich der verbalen „Angriffslust“ bedingt haben dürften.119 Nicht außer Acht zu lassen sind schließlich auch Spezifika der österreichisch-ungarischen Propaganda. Eine „innerstaatliche 117 Zum „Propagandakrieg“ siehe u. a.: Verena Moritz, „Schauermärchen“ und „Greueldichtungen“, „Barbarei“ und „Massenmord“. Die Behandlung von Kriegsgefangenen als Gegenstand der österreichischen Pressepropaganda, 1914–1918, in: Zeitgeschichte 45/1 (2018), 35–56. 118 Stephen Badsey, Propaganda: Media in War Politics, in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Hea­ ther Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2014-10-08. DOI: 10.15463/ie1418.10046 (abgerufen am 1.3.2021). Siehe außerdem zur k. u. k. Propaganda: Walter Reichel, „Pressearbeit ist Propagandaarbeit“. Medienverwaltung 1914–1918. Das Kriegspressequartier (KPQ), Wien 2016; Petronilla Ehrenpreis, Press/Journalism (Austria-Hungary), in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Hea­ ther Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2014–10–08. DOI: 10.15463/ie1418.10130 (abgerufen am 4.4.2021); Tamara Scheer, „Ich kann das nur für einen Druckfehler halten (…)“. István Tisza und der k. u. k. Ausnahmezustand während des Ersten Weltkriegs, in: Robert Kriechbaumer/ Wolfgang Mueller/Erwin A. Schmidl (Hg.), Politik und Militär im 19. und 20. Jahrhundert. Österreichische und europäische Aspekte. Festschrift für Manfried Rauchensteiner, Wien/Köln/Weimar 2017, 209–228, 216–222. 119 Dazu Matthew Stibbe: „The allies, for their part, occasionally promoted newspaper reports of alleged Habsburg misdeeds in occupied territories and frontier zones, including deportations of civilians. In particular, they were interested in stories regarding expulsions of Italians from the border regions of the monarchy, especially as evidence emerged that such measures were taken even before the official Italian declaration of war on 23 May 1915. However, they were cautious here in the sense that the dissolution of the Habsburg monarchy did not become an official allied aim until early in 1918. Evidence collected by British military intelligence, for instance on the mistreatment of ‚Russophile‘ Ruthene prisoners at the Thalerhof camp near Graz, was not always shared with the pro-allied press, at least until the final year of the war.“ Matthew Stibbe, Negotiating and Mediating Conduct of War, in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2019–11–01. DOI: 10.15463/ie1418.11426 (abgerufen am 23.5.2021).

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Abstimmung“ von Propagandamaßnahmen ließ sich in der Doppelmonarchie angesichts der „Zersplitterung und der Vielzahl an amtlichen, halbamtlichen und privaten Einrichtungen und Organisationen“ nur schwer verwirklichen.120 Hinzu kam die reservierte Haltung der Militärs gegenüber der Presse, für die es überdies in den beiden Reichshälften eine höchst unterschiedlich geregelte Zensurpraxis gab.121 Hinsichtlich der von der Forschung für gewöhnlich in Zweifel gezogenen Effektivität der k. u. k. Propaganda sind jedenfalls Differenzierungen erforderlich. Dabei spielt etwa die Frage des „Zielpublikums“ eine Rolle. Dass beispielsweise die österreichisch-ungarische Frontpropaganda keineswegs ohne Resultate blieb, zeigte sich etwa im Krieg mit Russland. Und dass man zumindest phasenweise einigermaßen konkurrenzfähig war, konnte auch an der SW-Front und der dort entfalteten Propaganda unter Beweis gestellt werden.122 Die Frage der Behandlung gegnerischer Soldaten gehörte jedenfalls von Beginn an zum Standardrepertoire von Beeinflussungsstrategien – bei allen kriegführenden Staaten. Für die k. u. k. Monarchie ergaben sich im „Krieg der Worte“ aber s­ pezielle Voraussetzungen: Trotz der Gräuel österreichisch-ungarischer Truppen vor allem zu Kriegsbeginn in Serbien befand sich die Donaumonarchie zumindest im westeuropäischen Kontext sehr viel weniger im Zentrum diesbezüglicher Anklagen und Schmähungen als von Anfang an der deutsche Bündnispartner angesichts der „atrocities“ in Belgien. Tatsächlich blieb das „Echo auf die Grausamkeiten in Serbien […] in den Ländern der Entente […] gering“.123 Immer mehr wurde Österreich-Ungarn außerdem als „Anhängsel“ Deutschlands betrachtet. Das nicht gerade selbstbewusste Auftreten Kaiser Karls und der völlige Gesichtsverlust, den der junge Monarch als Folge der Sixtusaffäre124 erlitt, verstärkten diese Einschätzung. In weiterer Konsequenz

120 Reichel, „Pressearbeit ist Propagandaarbeit“, 86. 121 Vgl. Scheer, „Ich kann das nur für einen Druckfehler halten (…)“, 216–222. 122 Vgl. Mark Cornwall, The Undermining of Austria-Hungary. The Battle for Hearts and Minds, Basingstoke u. a. 2000. 123 In Bezug auf Galizien spricht Daniel M. Segesser gar von einem „Schweigen“, das „fast vollständig“ gewesen sei. Daniel Marc Segesser, Kriegsverbrechen? Die österreichisch-ungarischen Operationen des August 1914 in Serbien in Wahrnehmung und Vergleich, in: Wolfram Dornik/Julia Walleczek-Fritz/Stefan Wedrac (Hg.), Frontwechsel. Österreich-Ungarns „Großer Krieg“ im Vergleich, Wien/Köln/Weimar 2014, 213– 234. 124 Im Zuge der sogenannten „Sixtusaffäre“ wurden über Vermittlung zweier Brüder von Kaiserin Zita – Xaver und Sixtus von Bourbon-Parma – geheime Friedensgespräche mit Frankreich aufgenommen. Da Karl den Anspruch Frankreichs auf Elsass-Lothringen anerkannte, ergaben sich bei Bekanntwerden der Friedensbemühungen schwer-

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wurde auch die k. u. k. Armee gar nicht mehr oder immer weniger als eigenständiger Faktor wahrgenommen. Der Krieg mit Serbien war nach der Niederlage des Königreiches in der Wahrnehmung einer größeren Öffentlichkeit mehr oder weniger abgehakt. Die Enthüllungen eines Rodolphe-Archibald Reiss über die Kriegsführung der k. u. k. Armee gegen Serbien, die Anfang 1915 nur vereinzelt in den öster­reichischen Zeitungen aufgegriffen worden waren, wurden von österreichisch-ungarischer Seite selbstverständlich zurückgewiesen. Es folgten Dementis und Publikationen über Kriegsverbrechen der gegnerischen Seite, die sich u. a. auf Verfehlungen in der Gefangenenbehandlung bezogen. All das aber war mit 1916 abgeschlossen, Kriegsgefangene in serbischer Hand den Italienern überantwortet worden. Die Propaganda des Habsburgerreiches kam unter diesen Umständen nicht ansatzweise an jene Energien heran, die in Zusammenhang mit deutschen Gräueln entfaltet worden waren: Bücher, Broschüren und andere Schrifterzeugnisse, die vor diesem Hintergrund in Umlauf kamen, waren millionenfach produziert worden.125 Der österreichisch-ungarische „Auftritt“ wirkte hingegen insgesamt eher zahm. Das galt nicht nur in Bezug auf Zurückweisungen von Anschuldigungen, die sich aus den Berichten von Rodolphe-Archibald Reiss ergaben. Eine Veröffentlichung über die Lebensbedingungen der feindlichen Gefangenen in österreichisch-ungarischem Gewahrsam präsentierte sich als „braver“ Bildband über angebliche Musterlager.126 Dass dieser nur bedingt seinen Zweck erfüllte, gab man im April 1917 auch seitens des Fürsorge-Komitees des Roten Kreuzes für Kriegsgefangene zu bedenken. Die Zeiten hätten sich noch dazu geändert, „Eigenlob“ wirke angesichts der kaum noch zu verschleiernden Defizite im Kriegsgefangenenwesen unpassend. Das „Album“ sei zu einer Zeit entstanden, bevor neutrale Beobachter beziehungsweise die betreffenden Rot-KreuzSchwestern aus Russland die Lager der k. u. k. Monarchie bereist hätten.127 wiegende Konsequenzen für das Verhältnis zu Deutschland. Obendrein stritt Karl die Aktion ab, während Frankreich die Verhandlungen öffentlich machte und der junge Kaiser schließlich als Lügner dastand. 125 Vgl. u. a.: Effektive Gräuelpropaganda. Der Bryce Report und die Zeichnungen von Louis Raemaekers, in: Sabine Schulze et al. (Hg.), Krieg und Propaganda 14/18, München 2014, 92–97 oder Nicoletta F. Gullace, Sexual Violence and Family Honor. British Propaganda and International Law during the First World War, in: The American Historical Review 102/3 (1997), 714–747. 126 Vgl. Bilder aus österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenenlagern, hg. von den Fürsorge-Komitees des Österreichisch und Ungarischen Roten Kreuzes für Kriegsgefangene, o. O., o. J. 127 Fürsorge-Komitee des Roten Kreuzes für Kriegsgefangene an das k. u. k. Kriegsministerium, 17.4.1917. ÖStA KA KM 10.  KgA 1917: 10-25/12-2, Kt.  1513. Solche

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Womöglich stellte sich abseits systemimmanenter Defizite der k. u. k. Propaganda oder grundsätzlicher Vorbehalte gegenüber einer bewussten Emotionalisierung von Kriegsthemen auch die Frage nach dem Verhältnis von Aufwand und Nutzen oder Aufwand und Notwendigkeit. Die Voraussetzungen für einen entsprechenden Propagandakrieg mit dem Habsburgerreich128 brachten nämlich auf der gegnerischen Seite realiter nur zwei Staaten mit: Russland und Italien. Serbien und Rumänien, deren Territorien zur Gänze oder größtenteils von den Mittelmächten okkupiert wurden, spielten als eigenständige „player“ eine untergeordnete, ja marginale Rolle.129 Der Handlungsspielraum der Exilregierungen nahm sich generell gering aus – auch in Hinblick auf das Los der eigenen Kriegsgefangenen. Das spiegelt sich auch im Schriftgut der mit Gefangenenagenden befasst gewesenen k. u. k. Stellen im Österreichischen Staatsarchiv wider. Eingaben beziehungsweise Protestnoten sowie insgesamt Korrespondenzen zur Lage der serbischen und rumänischen Gefangenen finden sich hier in sehr viel geringerem Ausmaß als zu den Russen oder Italienern. Wenngleich dieser Umstand natürlich auch mit der Anzahl der jeweiligen Feindsoldaten zu tun hat, zeigt sich darin wohl auch, dass Interventionen zu Gunsten der Serben oder Rumänen nicht zuletzt in Ermangelung der Einflussnahme seitens ihrer Heimatstaaten seltener waren. Fraglos begünstigte zudem eine auf Reziprozität aufgebaute Gefangenenbehandlung jene Staaten, die aufgrund einer höheren Zahl an eingebrachten Feindsoldaten größeren Druck auf ihre Gegner ausüben konnten, um auf das Schicksal der eigenen Soldaten in Gefangenschaft einwirken zu können. Rumänien und mehr noch Serbien befanden sich also aus mehreren Gründen im Nachteil. Dem Zarenreich wiederum gelang es trotz teils massiver und keineswegs zu unterschätzender Anstrengungen sowie zweifellos erzielter Wirkung(en) nicht, das Gefangenenthema in ähnlicher Weise in Szene zu setzen, wie es seine westlichen Verbündeten taten. Die Gründe hierfür sind zweifellos vielfältig. Sie verweisen u. a. auf die Defizite der russischen KriegsgefangenenEinschätzungen änderten allerdings nichts daran, dass noch 1918 auf Weisung der 10. Kriegsgefangenenabteilung einzelne „Lagergeschichten“ von den betreffenden Lagerkommandanten verfasst wurden, um „Gräuelmärchen und Grausamkeitslegenden“ über die Zustände in österreichisch-ungarischer Gefangenschaft entgegenzuwirken. Vgl. dazu: Lagergeschichte Purgstall, Vorwort des Lagerkommandanten. ÖStA KA AOK Evidenzbüro, Kt. 3792. Außerdem wurde das betreffende Album aller Kritik zum Trotz auch 1918 immer wieder zu Propagandazwecken angefordert. Vgl. Oberleutnant Franz Thurn Taxis an das Kmdo. des KPQ, 10.2.1918. ÖStA KA AOK-KPQ, Filmstelle 1918, Kt. 66. 128 Vgl. Reichel, „Pressearbeit ist Propagandaarbeit“. 129 Vgl. dazu auch den Artikel von Danilo Šarenac in diesem Band.

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fürsorge betreffend die eigenen Soldaten in Feindeshand und damit auch auf eine mangelnde Positionierung der Problematik in einem größeren öffentlichen Kontext.130 Zu berücksichtigen ist außerdem die spezifische Zusammensetzung der Adressaten einer derartigen Propaganda, d. h. also der russischen „Öffentlichkeit“.131 Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang sind auch die eklatanten Mängel des russischen Kriegsgefangenenwesens, die sich bereits kurz nach Kriegsbeginn zeigten und der Glaubwürdigkeit einer günstigen Charakterisierung der Gefangenenbehandlung im Zarenreich allzu offensichtlich widersprachen. Eine durchaus mit Nachdruck betriebene Verbreitung von negativen Berichten über die Bedingungen in österreichisch-ungarischer Gefangenschaft blieb indessen unter den russischen Soldaten nicht ohne Resultate.132 Dennoch galt die „Hauptstoßrichtung“ der russischen Propaganda Deutschland und generell sehr viel weniger dem Habsburgerreich, dessen Herabwürdigung und Schmähung angesichts seiner multinationalen Zusammensetzung komplexerer und dadurch weniger griffiger Botschaften bedurfte.133 Negative Zuschreibungen trafen demnach vor allem k. u. k. Soldaten polnischer, deutscher und ungarischer Herkunft. Auch die von der „Außerordentlichen Untersuchungskommission für die Feststellung von Rechtsverletzungen und Kriegsgebräuchen durch die österreichisch-ungarische und die deutsche Armee“ eifrig gesammelten Beispiele von Regelwidrigkeiten in Zusammenhang mit der Gefangenenbehandlung in Österreich-Ungarn vermochten wenig an einer allgemeinen „Deutschlandfixiertheit“ zu ändern. Der sozusagen durchschnittliche Rezipient diesbezüglicher Propagandabotschaften unterschied freilich kaum nach Staatszugehörigkeiten. „Deutsche“ aus der Habsburgermonarchie und jene aus dem Deutschen Reich waren etwa bei der Registrierung von Kriegsgefangenen oft genug einfach nur „nemcy“ und demnach beide Gruppen ganz einfach „Deutsche“.134

130 Dazu vgl. den Artikel von Natal’ja Suržikova in vorliegendem Band. 131 Vgl. dazu Verena Moritz, Traces of Austria-Hungary and the First World War in Tsarist/ Soviet/Russian Cinematography, in: Hannes Leidinger/Günter Bischof (Hg.), Habsburg’s Last War. The Filmic Memory (1918 to the Present). Cinematic and TV Productions in the Neighbouring Countries and Successor States of the Danube Monarchy: Poland, Czechia-Slovakia, Germany, Hungary, Italy, Poland, Romania, Russia, Serbia, Slovenia, New Orleans 2018, 249–286. 132 Vgl. dazu Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 62–66. 133 Vgl. zur Frage der russischen Propaganda gegenüber dem Habsburgerreich am Beispiel der Filmpropaganda: Moritz, Traces of Austria-Hungary. 134 Zur Registrierung der Gefangenen im Zarenreich siehe Verena Moritz, Gefangenschaft und Revolution. Deutschösterreichische Kriegsgefangene und Internationalisten in Rußland 1914–20, Diplomarbeit Wien 1995, 22–27.

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Die Energien, welche die „Untersuchungskommission“ aufwandte, um Verstöße in der Gefangenenbehandlung aufzuzeigen, mündeten darüber hinaus zwar in zahlreiche Publikationen.135 Sie deckten sich aber nicht oder in nur eingeschränktem Maße mit einem entsprechenden Engagement für konkrete Hilfsmaßnahmen zu Gunsten der Kriegsgefangenen in Feindeshand. Insofern widerspiegelte sich im russischen Propagandadiskurs zu den Kriegsgefangenen – und nicht nur im russischen – keineswegs eine auf staatlicher Ebene vorhandene Bereitschaft, eine umfassende Unterstützung der eigenen Staatsbürger in Gefangenschaft zu gewährleisten. Ernst von Streeruwitz diagnostizierte überhaupt ein über weite Strecken fehlendes Interesse der russischen Regierung am Schicksal der eigenen Staatsbürger in Gefangenschaft, das dem „berühmten Nitschewo“ gefolgt sei.136 Und auch sein Kollege Heinrich von Raabl-Werner konstatierte eine geradezu schockierende Gleichgültigkeit.137 Als Reaktion auf deutsche Ankündigungen, „im Fall des Ausbleibens gewisser Verbesserungen in der Lage der deutschen“ Kriegsgefangenen im Zarenreich „Repressalien an den 35 in Deutschland“ befindlichen russischen Generälen „zu üben“, hieß es aus St. Petersburg angeblich, „man könne diese auch ruhig erschießen; Russland sei an ihrem weiteren Schicksale in keiner Weise interessiert“.138 Dass seitens Österreich-Ungarns nichtsdestoweniger gerade mit dem Zarenreich die meisten und weitestgehenden Vereinbarungen zum wechselseitigen Schutz der Gefangenen getroffen wurden, passt einerseits nur bedingt in dieses Bild und unterstreicht andererseits einmal mehr die Notwendigkeit, die Kriegsgefangenenpolitik der Herkunftsstaaten differenziert zu betrachten.139 Das gilt auch für Italien: Der „Erzfeind“ des Habsburgerreiches beteiligte sich einigermaßen aktiv am steten Hin und Her wechselseitiger Anschuldigungen, wenn es um die Gefangenenbehandlung ging. Ernst von Streeruwitz meinte: „Die italienischen Kriegsgefangenen sind überaus empfindlich, die Heimat aufnahmefähig für ihre Beschwerden, umso mehr als die italienische 135 Neben den umfangreichen Dokumentationen der Kommission erschienen auch noch weitere Auszüge in Form schmälerer Bände bzw. Broschüren, die sich auf die Gefangenenbehandlung bezogen. Ž. B. Zizn’ russkich voinov v plenu, Petrorad 1916; Naši voenno-plennye v Avstro-Vengrii, Petrograd 1917; Russkie v plenu u avstrijcev, Petrograd 1916. 136 Ernst von Streeruwitz, Kriegsgefangene im Weltkriege, Bd. 1, 134. 137 Beispiele für die Haltungen zur Gefangenenhilfe in Russland bei Matthias Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen? Die k. u. k. Regierung und die österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen in Russland 1914–1918, Diss. Salzburg 2018, 228. 138 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil I: Kriegsgefangenenfürsorge Österreich-Ungarns. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 11. 139 Vgl. die wechselseitigen „Schwesternreisen“ und die Stockholmer Konferenzen.

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Regierung sehr stark mit inneren Strömungen zu rechnen hat, welche beruhigt werden müssen.“140 Demgegenüber steht das in der Historiographie hervorgehobene Desinteresse der italienischen Regierung an den eigenen Staatsbürgern in Feindeshand141, das mit der weitgehend fehlenden Bereitschaft zu deren Unterstützung mit Hilfsgütern untermauert wurde. Der im Österreichischen Staatsarchiv verwahrte Schriftverkehr über italienische Gefangene belegt indessen, dass abseits der rigorosen Politik Roms bezüglich der Hilfslieferungen beziehungsweise Weiterleitung von Liebesgabenpaketen (von privater Seite beziehungsweise vom Roten Kreuz) an die Gefangenen im Gewahrsam der Mittelmächte deren Lage durchaus aufmerksam beobachtet wurde. Der formulierte Protest gegen angebliche Missstände in der öster­ reichisch-ungarischen Gefangenenbehandlung musste aber nicht zwangsläufig über eine gewissermaßen automatisierte Anklage an die ­Adresse des militärischen Gegners hinausgehen. Die zuständigen k. u. k. Stellen ließen im Übrigen die italienische Regierung mitunter durchaus spüren, dass man sich – im Unterschied zu Russland – hinsichtlich des Zahlenverhältnisses der beiderseitigen Kriegsgefangenen im Vorteil befand. Wien nahm solcherart vorweg, dass es etwaigen Forderungen von italienischer Seite an Gewicht fehlen ­würde.142 Innerhalb der k. u. k. Behörden galt jedenfalls das ehemals verbündete Land im Vergleich zu den anderen gegnerischen Staaten als jenes, das man dem eigenen, freilich als höher veranschlagten Kulturniveau am nächsten empfand – den vor allem kurz nach Kriegseintritt im Frühjahr 1915 verbreiteten Schmähungen zum Trotz.143 Auch das Massensterben österreichisch-ungarischer Kriegsgefangener als Folge von deren Überstellung von Albanien auf die italienische Insel Asinara144, die vor dem Hintergrund des „Großen Rückzuges“ der serbischen Streitkräfte stattfand, konnte ehemalige Ver-

140 Streeruwitz, Kriegsgefangene im Weltkriege, Bd. 1, 134. 141 Vgl. Matthew Stibbe, The internment of enemy aliens in the Habsburg Empire, 1914–18, in: Stefan Manz/Panikos Panayi/Matthew Stibbe (Hg.), Internment during the First World War. A Mass Global Phenomenon, London/New York 2019, 61–84, 75. 142 Brot für die ital. Kgf., Oktober 1916. ÖStA KA KM 10. KgA 10-125/23, Kt. 1387. 143 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil I: Kriegsgefangenenfürsorge Österreich-Ungarns. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 41. 144 Siehe Luca Gorgolini, Kriegsgefangenschaft auf Asinara. Österreichisch-ungarische Soldaten des Ersten Weltkriegs in italienischem Gewahrsam, Innsbruck 2012. Gorgolini geht von insgesamt etwa 7000 Toten aus. Ebd., 105. Die österreichisch-ungarischen Stellen dürften während des Krieges von etwa 2000 Todesfällen in Kenntnis gesetzt worden sein. Vgl. Oberleutnant Epstein über seine Besprechungen in Bern vom 9. bis 12. Sept. 1916. GZNB an Ministerium des Äußern, Zl. 95835, 21.9.1916. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Krieg 1914–1918 Dep. 7 Kriegsgefangene-Varia, Kt. 477.

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antwortliche des k. u. k. Kriegsgefangenenwesens nach 1918 von durchaus positiv resümierenden Einschätzungen der Bedingungen in italienischer Gefangenschaft nicht abbringen.145 Offenbar fokussierte man in diesem Zusammenhang allein auf die serbische Verantwortung für den Tod Tausender k. u. k. Soldaten und erachtete im Vergleich dazu die Übernahme der Kriegsgefangenen durch Italien als verdienstvoll.146. Während des Krieges unterlag die Beurteilung Italiens als Gewahrsamsmacht auf österreichisch-ungarischer Seite freilich etlichen Schwankungen. Das Armeeoberkommando war noch im letzten Kriegsjahr mit dem Hinweis auf seine erschöpfte „Langmut“ bestrebt, mit energischen Vergeltungsmaßnahmen dafür zu sorgen, eklatante Missstände in der Behandlung österreichisch-ungarischer Kriegsgefangener durch Italien abzustellen. Die Regierung in Rom stellte sich aus dieser Perspektive als völlig uneinsichtiger Ansprechpartner dar. Das AOK forderte zudem eine entsprechende Aufklärung der österreichisch-ungarischen Bevölkerung über die Lage der Gefangenen in italienischem Gewahrsam und wollte das KPQ beauftragen, diesbezüglich Presseartikel zu lancieren.147 Auch das Kriegsministerium schätzte die Behandlung der eigenen Heeresangehörigen in Italien als nicht immer zufriedenstellend ein und übte mitunter heftige Kritik an der italienischen Regierung.148 1919 drohte überdies die Frage der Behandlung italienischer 145 Streeruwitz, Springflut, 100. Die Mitverantwortung Italiens in Zusammenhang mit dem Tod von mehreren Tausend k. u. k. Soldaten beim Transport zur und anschließend auf der Insel Asinara wird in der Historiographie explizit festgehalten. Vgl. Luca Gorgolini, Prisoners of War (Italy), in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2015–04–22. DOI: 10.15463/ie1418.10619 (abgerufen am 14.2.2021) und Verena Moritz, „… treulos in den Rücken gefallen“. Zur Frage der Behandlung italienischer Kriegsgefangener in Österreich-Ungarn 1915–1918, in: Robert Kriechbaumer/Wolfgang Mueller/Erwin A. Schmidl (Hg.), Politik und Militär im 19. und 20. Jahrhundert. Österreichische und europäische Aspekte. Festschrift für Manfried Rauchensteiner, Wien/ Köln/Weimar 2017, 185–208. 146 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil I: Kriegsgefangenenfürsorge Österreich-Ungarns. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 42 f. Über die Verantwortung der italienischen Regierung am „Tod Tausender“ k. u. k. Soldaten, die auch der „mangelnden Vorsorge und der offensichtlichen Unfähigkeit der italienischen Militär- und Sanitätsbehörden zum Opfer fielen“, siehe Gorgolini, Kriegsgefangenschaft auf Asinara, 20. 147 Vgl. dazu einen umfangreichen Bericht des AOK: K. u. k. Armeeoberkommando betr. Behandlung österreichisch-ungarischer Kriegsgefangener in Italien. ÖStA KA Chef d EW 1918; 19-15, Kt. 108. 148 Vgl. Beschwerden der ital. Regierung über die Behandlung der außerhalb der Kgf.-Lager verwendeten italienischen Kgf. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-125/28, Kt. 1589.

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Gefangener in österreichisch-ungarischem Gewahrsam in eine scharfe Konfrontation zwischen den liquidierenden k. u. k. Behörden und der italienischen Waffenstillstandskommission auszuarten.149

„Vergangenheitsbewältigung“ Der Gräuelpropaganda in Zusammenhang mit den Kriegsgefangenen ent­ hielt sich die österreichische Presse ebenso wenig wie etwa die russische oder italienische. Dennoch gab es – wie im einleitenden Text bereits ausgeführt wurde – in diesem Kontext auch gewisse Selbstbeschränkungen. Bezugnahmen auf Vergeltungsmaßnahmen im öffentlichen Diskurs blieben jedenfalls eher selten und vage.150 Oder man hängte sie immerhin weniger an die große Glocke, als dies offenbar in Deutschland der Fall war.151 Die von Heinrich von Raabl-Werner oder Ernst von Streeruwitz in rechtfertigender Weise angeführte tendenzielle Zurückhaltung Österreich-Ungarns im Bereich der Repressalienpraxis – sie wurde in der Nachbetrachtung aus österreichischer Perspektive im Übrigen fast ausschließlich in Zusammenhang mit Russland thematisiert – fordert in jedem Fall zu einer Nachprüfung auf.152 Einen generellen Verzicht auf derlei Methoden gab es – wie bereits erwähnt – keineswegs, wenngleich vor allem Kriegsministerium und Ministerium des Äußern im Üben von Revanche kein Allheilmittel für Verfehlungen in der Gefangenenbehandlung gesehen haben. Bedenken hinsichtlich der Sinnhaftigkeit von Vergeltung resultierten darüber hinaus schwerlich nur aus Gründen der Humanität oder aus Sorge vor negativen Konsequenzen für die eigenen Solda-

149 150 151 152

Demgegenüber wurde beispielsweise seitens des Österreichischen Roten Kreuzes die Zusammenarbeit mit den Kollegen vom italienischen Pendant als durchaus positiv beschrieben. Vgl. Jahresbericht der Auskunftsstelle für Kriegsgefangene des Gemeinsamen Zentralnachweisebureaus des österreichischen Fürsorgekomitees für Kriegsgefangene für das Jahr 1917, ACICR/C G1, A 15-10/15-15: Autriche-Hongrie: Comité central de la Croix Rouge autrichienne, Vienne und Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil I: Kriegsgefangenenfürsorge Österreich-Ungarns. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 43. Die Führung einer Polemik mit der Waffenstillstandskommission über die gegenseitige Behandlung von Kgf., Juni 1919. ÖStA KA Liqu. KM 10. KgA 1919: 10-125/22, Kt. 2248. Vgl. Moritz, „Schauermärchen“ und „Greueldichtungen“, 35–56. Dazu Heather Jones, The German Spring Reprisals of 1917. Prisoners of War and the Violence of the Western Front, in: German History 26/3 (2008), 335–356, 350. Vgl. zur deutschen Repressalienpraxis in Zusammenhang mit der Gefangenenarbeit in Russland: Reinhard Nachtigal, Die Murmanbahn. Die Verkehrsanbindung eines kriegswichtigen Hafens und das Arbeitspotential der Kriegsgefangenen (1915 bis 1918), Grunbach 2001 bzw. Ders., Die Murmanbahn 1915 bis 1919, Remshalden 2007.

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ten in feindlichem Gewahrsam. Mindestens ebenso bestimmend war wohl die Erkenntnis, wonach ein Mangel an Interesse der Herkunftsstaaten an den Kriegsgefangenen oder aber deren machtpolitische Schwäche dem Pochen auf ein reziprokes Einhalten geltender völkerrechtlicher Regelungen zuwiderliefen. Sanktionen an die Adresse der Feindstaaten mussten angesichts dessen vielfach ins Leere gehen und boten sich somit nur bedingt als Hebel für die intendierte Verbesserung des Loses eigener Staatsbürger in Gefangenschaft an. Die weitgehende Gleichgültigkeit der russischen Regierung gegenüber den Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn, wie sie im k. u. k. Kriegsministerium registriert wurde, „beschränkte“ angeblich die Anwendung von Vergeltungsmaßnahmen seitens der k. u. k. Monarchie a priori auf „wenige spezielle Fälle“.153 Dass Reziprozität überdies ökonomische Implikationen haben konnte, erschließt sich überdies mit Blick auf Unstimmigkeiten in Fragen der festgesetzten Gagen für Offiziere. Verbesserungen für die Gefangenen standen demnach vor einer Kostenhürde. Die Erhöhung von Gagen oder Löhnungen war nicht zuletzt eine Frage der Finanzierung – und diese musste bei allen Forderungen an die gegnerische Seite auch im eigenen Land erst gewährleistet sein.154 Österreich-Ungarn einigte sich nur mit Italien über eine gegenseitige „Zahlung der Offiziersgehälter“.155 Die Berücksichtigung von Kontinuitäten und Diskontinuitäten oder aber – wie hier ausgeführt – Besonderheiten in Zusammenhang mit der Kriegsgefangenenpropaganda ist wichtig, um das vorhandene oder eher nicht vorhandene Bewusstsein für eine selbstkritische Betrachtung der Gefangenenpolitik im Nachkriegsösterreich besser zu verstehen. Entscheidend dafür, dass sich nach dem Krieg in Österreich die Ausgangslage für eine Auseinandersetzung mit der Kriegsgefangenenproblematik anders darstellte als in Deutschland,

153 Streeruwitz, Kriegsgefangene im Weltkriege, Bd. 1, 124. 154 Zur Problematik positiver wie negativer Konnotation des Reziprozitätsprinzips u. a.: Thomas Brückner, Hilfe und Gegenseitigkeit im Humanismus. Das Beispiel der ­IKRK-Hilfe für Kriegsgefangene im Ersten Weltkrieg, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 66/2 (2016), 246–260, 249 f. 155 Dazu Raabl-Werner: „Da die Bestimmungen des Artikels 17 des Haager Abkommens von 1907 bezüglich Zahlung der Offiziersgehälter nicht von allen kriegführenden Mächten ratifiziert waren, konnten sie nur auf Grund von Spezialvereinbarungen in Kraft gesetzt werden. Eine solche auf Gegenseitigkeit beruhende Abmachung kam mit Italien bald nach dessen Eintritt in den Krieg zustande und sicherte den kgf. Offizieren beider Teile eine relativ auskömmliche Existenz […].“ Keine analogen Abmachungen gab es mit Russland, Serbien und Rumänien. Die „ursprünglich festgesetzten Tages­ alimentationen“ blieben während des gesamten Krieges unverändert. Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 30.

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war aber schlicht und einfach der Umstand, dass sich die europäische Landkarte nach dem Krieg erheblich verändert hatte. Die Donaumonarchie als Adressat für Anschuldigungen in Bezug auf die Gefangenenbehandlung war nach dem November 1918 nicht mehr existent. Dasselbe galt für das Zarenreich, dessen Soldaten die Mehrheit der in Österreich-Ungarn befindlichen Gefangenen gestellt hatten. An den Friedensverhandlungen, die ab 1919 in verschiedenen Pariser Vororten stattfanden, nahm das bolschewistische Russland überdies nicht teil. Ein potentieller Ankläger in Sachen Kriegsgefangene fiel also weg. Und obwohl im Frieden von Saint Germain „Österreich und seine Verbündeten“ als „Urheber“ der „Kriegsschäden infolge des Angriffs Österreich-Ungarns verantwortlich gemacht“ wurden156, erfüllte, wenn man so will, das kleine Land die Rolle eines „Kriegsschuldigen“ nur bedingt. Dabei spielte ganz offensichtlich sein mangelndes ökonomisches Potential eine nicht unbedeutende Rolle. Italien setzte zwar nach dem Krieg eine Untersuchungskommission ein, um dem Schicksal italienischer Kriegsgefangener im Gewahrsam der Mittel­ mächte nachzugehen. Diese widmete sich den als außerordentlich hoch angenommenen Todesraten unter italienischen Mannschaftsangehörigen im Kontext aufzudeckender Kriegsverbrechen. Auch einzufordernde Reparationen galt es zu beachten – ein Umstand, der in der Historiographie durchaus mit der Nennung hoher Opferzahlen in Verbindung gebracht wird.157 Immerhin enthielt der Friedensvertrag von Saint Germain in Zusammenhang mit den Reparationsforderungen auch Bestimmungen, die „Schäden aus jeder Art schlechter Behandlung von Kriegsgefangenen“ oder die „Kosten der Unterstützung, die von den Regierungen der alliierten und assoziierten Mächte den Kriegsgefangenen, ihren Familien und den Personen, deren Ernährer sie waren, gewährt worden ist“, betrafen.158 Die Frage der Verantwortung für den Tod Zehntausender in österreichisch-ungarischer Gefangenschaft, die auch ein minder günstiges Licht auf den italienischen Staat und seine Versäumnisse in der Gefangenenhilfe zu werfen drohte, geriet aber offenbar angesichts der Frage nach materiellen Kompensationen sukzessive in den Hintergrund.159 Die geforderte „Wiedergutmachung“ wiederum stellte sich angesichts der wirtschaftlichen Lage Österreichs als einigermaßen unsicher 156 Rathmanner, Die Reparationskommission, 78. 157 Vgl. Giovanna Procacci, „Fahnenflüchtige jenseits der Alpen“. Die italienischen Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn und Deutschland, in: Jochen Oltmer (Hg), Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006, 194–215, 196. 158 Staatsgesetzblatt (StGBl.) 1920/303, Anlage I/02. 159 Vgl. Procacci, „Fahnenflüchtige jenseits der Alpen“, 196 f.

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dar. Die Reparationskommission, die eingesetzt worden war, um die „Durchführung und Überwachung der Bestimmungen über die Kriegsentschädigungen im Friedensvertrage“160 zu gewährleisten, war im Endeffekt „weniger mit der Vollziehung der ihr im Vertrag“ von Saint Germain „übertragenen Aufgaben denn mit der Hilfe beim Wiederaufbau in Österreich beschäftigt“161. Auch Serbien oder Rumänien präsentierten in Zusammenhang mit den Friedensverträgen Opferzahlen. Im Falle Serbiens stach vor allem die hohe Anzahl ziviler Opfer hervor. Trotzdem mündete diese Bilanz nicht in eine Auseinandersetzung mit Kriegsverbrechen, wie sie von französischer und britischer Seite betrieben wurde. Vor allem nicht explizit in Bezug auf die Kriegsgefangenen – ein Umstand, der hinsichtlich Serbiens auch in Zusammenhang mit dem „Status“ der Kriegsgefangenen im offiziellen Narrativ des vergangenen Krieges stehen könnte162 und Ähnlichkeiten auch zur italienischen Situation aufweist163. Fest steht, dass keiner der Staaten, die gegen die Habsburgermonarchie gekämpft und eine mehr oder weniger bedeutende Anzahl an Soldaten als Gefangene an diese verloren hatten, nach Kriegsende eine mit Frankreich und Großbritannien vergleichbare Rolle im europäischen Mächtekonzert einnahm. Das wirkte sich in weiterer Konsequenz ganz konkret auch auf die Frage der Kriegsgefangenenproblematik nach Kriegsende aus. Österreich-Ungarn beziehungsweise die Republik (Deutsch-)Österreich standen ungeachtet durchaus formulierter Angriffe früherer Feindstaaten – in der Kontinuität der diesbezüglichen Diskurse während des Krieges – im Schatten dieser Art von „Vergangenheitsbewältigung“. Das zeigte sich auch in Hinblick auf die Auslieferung von Personen, „die […] sich gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges vergangen“ hatten. Diese Bestimmung fand sich auch im Friedensvertrag von Saint Germain.164 Praktische Bedeutung hatte sie aber nur für Deutschland, an das im Februar 1920 eine entsprechende Liste auszuliefernder Personen übergeben wurde.165 Mit der erwähnten Schückingkommission hatte Deutschland außerdem bereits Ende 1918 explizit auf Verfehlungen im Umgang mit Kriegsgefangenen Bezug genommen. Während aber erst im Dezember 1919 von der deutschen Nationalversammlung ein „Gesetz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen und Kriegsvergehen“ verabschiedet wurde, verlegte sich die Republik (Deutsch-)Österreich von Anfang an – das diesbezügliche Gesetz war Ende 160 161 162 163 164 165

Zit. nach Rathmanner, Die Reparationskommission, 81. Ebd., 95. Vgl. dazu den Artikel von Danilo Šarenac in diesem Band. Vgl. dazu den Artikel von Marco Mondini in diesem Band. StGBl. 303/1920, Art. 173. Vgl. dazu u. a. Arbeiter-Zeitung, 1.3.1920, 2.

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1918 verabschiedet worden166 – auf militärische Pflichtverletzungen, die im Kontext der „Niederlage“ untersucht werden sollten beziehungsweise die „Führung der Truppen“ ins Blickfeld nahmen.167 Verfehlungen bei der Behandlung von Kriegsgefangenen zu untersuchen, stand nicht explizit auf der Agenda dieser Kommission. Es scheint fast so, als hätte man sich damit zufriedengegeben, dass Missstände in der Gefangenenbehandlung bereits von den Reichsratsabgeordneten ab 1917 aufgezeigt worden waren. In Deutschland haderte man mit einer „oktroyierte[n] Verliererjustiz“168, die auf Verfehlungen fokussierte, die von der deutschen Armee gegenüber fremden Staatsangehörigen begangen worden waren. In Österreich hingegen legten die von der Pflichtverletzungskommission aufgegriffenen Fälle vielmehr fragwürdige Praktiken innerhalb der k. u. k. Armee offen. Damit fand die zunehmende Entfremdung zwischen der Bevölkerung und den „Säulen“ des Staates, die sich vor allem in den beiden letzten Kriegsjahren eingestellt hatte, eine geradezu logische Fortsetzung. Fehlverhalten gegenüber Staatsbürgern feindlicher Staaten anzuprangern, stand für die Pflichtverletzungskommission bezeichnenderweise nicht im Vordergrund. Vielmehr verwiesen die aufgegriffenen Fälle beispielsweise auf die Problematik nationaler Antagonismen innerhalb der k. u. k. Armee, die etwa in Zusammenhang mit der Behandlung tschechischer k. u. k. Soldaten zu Tage traten. Ganz grundsätzlich stellte sich schließlich die Frage des Handlungsspielraumes und der Sinnhaftigkeit einer Kommission, welche Verfehlungen einer nicht mehr existenten Armee und vor allem einer militärischen Führung untersuchte, deren frühere Repräsentanten nun gewissermaßen verteilt waren auf die Gewinner- und Verliererstaaten des Krieges. Sie befanden sich damit oft außerhalb der Reichweite der österreichischen Justiz. Hinzu kamen Grundsatzdebatten über das „Kriegsnotrecht“, die tendenziell dem Argument der Kriegsraison Rechnung trugen.169 Da abgesehen davon schon die militärrechtlich geregelte Praxis standrechtlicher Verfahren beziehungsweise der zulässige Anwendungs166 Siehe Bundesgesetzblatt (BGBl.)-ALT 132/1918. 167 Vgl. StGBl. für den Staat Deutschösterreich, 31. Stück, 132. Gesetz vom 19. Dezember 1918 über die Feststellung und Verfolgung von Pflichtverletzungen militärischer Organe im Kriege. 168 Zit. nach Steffen Bruendel, Kriegsgreuel 1914–18. Rezeption und Aufarbeitung deutscher Kriegsverbrechen im Spannungsfeld von Völkerrecht und Kriegspropaganda, in: Sönke Neitzel/Daniel Hohrath (Hg.), Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Paderborn/München/ Wien/Zürich 2008, 293–316, 315. 169 Hannes Leidinger, Welches Recht?, in: Hannes Leidinger/Verena Moritz/Karin Moser/ Wolfram Dornik, Habsburgs schmutziger Krieg. Ermittlungen zur österreichisch-ungarischen Kriegsführung 1914–1918, St. Pölten/Salzburg/Wien 2014, 191–222, 218–220.

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rahmen solcher Aburteilungen in der k. u. k. Armee einigermaßen großzügig festgelegt war, erschienen viele Delikte, mit denen sich die Pflichtverletzungskommission befasste, rechtlich gedeckt.170 Die Kriegsgefangenenproblematik blieb jedenfalls im Nachkriegsösterreich auch in den Untersuchungen der Pflichtverletzungskommission eher ein Randthema. Der Frage etwaiger Verfehlungen bei der Gefangenenbehandlung widmete sich demgemäß auch die österreichische Presse nach dem Zusammenbruch der Monarchie in Ermangelung konkreter Anlässe für entsprechende Debatten nur vereinzelt. Die 10. Kriegsgefangenenabteilung des Liquidierenden k. u. k. Kriegsministeriums wiederum wimmelte Beschwerden über die Gefangenenbehandlung, die beispielsweise von italienischer Seite kamen, umgehend ab. Verfehlungen wurden schlichtweg in Abrede gestellt oder aber mit Verweis auf fragmentarische und daher zu ergänzende Angaben für nicht stichhaltig erklärt.171 1920, vor dem Hintergrund des Bruches der Koalition und des Ausscheidens der Sozialdemokraten aus der Regierung sowie infolge des Falles Lütgendorf, blieben überdies Initiativen zur Änderung des Prozessverfahrens im Rahmen der Pflichtverletzungskommission ohne Resultat.172 Die veränderten politischen Verhältnisse trugen vielmehr zu einer Beschneidung ihrer Kompetenzen bei.173 Die Kommission wurde noch mehr als bisher marginalisiert. Die Sozialdemokratie, hieß es außerdem aus den Reihen der Kritiker, habe sich als „Büttel“ der Alliierten einspannen lassen und sich in einer Kommission engagiert, die – sinngemäß – völlig verzichtbar gewesen sei.174 Die Kritik war nicht ganz unberechtigt: Tatsächlich hatten von den fast 500 anhängigen Fällen nur wenige ein juristisches Nachspiel für die Beschuldigten zur Folge, nur vier gelangten überhaupt zu einer Hauptverhandlung.175 Anlässlich der Auflösung der Pflichtverletzungskommission äußerte sich die „Arbeiter-Zeitung“ freilich ganz anders als die Kritiker der Institution, 170 Vgl. dazu: Reichsgesetzblatt (RGBl.), Jg. 1855, VI. Stück, 31.1.1855, Nr. 19, Militär-Strafgesetzbuch. Dazu auch: Martin Moll, Militärgerichtsbarkeit in Österreich (ca. 1850– 1945), in: Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs 2016, 324–344, 330–332. 171 Beschwerdeschrift der ital. Waffenstillstandskommission, März 1919. ÖStA KA Liqu. KM 10. KgA 1919: 10-125/2, Kt. 2248. 172 Doppelbauer, Zum Elend noch die Schande, 224. 173 Ebd., 230–232. 174 Hannes Leidinger, „Kriegsgräuel“ im Rückblick. Österreichische Diskussionen im internationalen Kontext in der Zwischenkriegszeit, in: Zeitgeschichte 45/1 (2018), 13–34, 23. 175 Vgl. Claudia Kuretsidis-Haider, Die österreichische Kommission zur Untersuchung militärischer Pflichtverletzungen im Krieg, in: Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft 4 (2014), 8–11.

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wenn auch mit Verweis auf Defizite. Insgesamt aber sei „wertvolle Arbeit“ geleistet worden.176 Realiter aber war das Scheitern der Kommission einigermaßen evident. Mit ihrer Auflösung „war nicht nur das Potential einer Initialzündung für einen kritischen Umgang mit dem Krieg und seinen militärischen Protagonisten im Keime erstickt, sondern auch die rückblickend äußerst wertvolle historiographische bzw. quellenschaffende Tätigkeit dieser Institution vorzeitig beendet“ worden.177 Somit war es mit der Existenz der Kommission bereits zu einem Zeitpunkt vorbei, als die Verhandlungen vor dem Leipziger Reichsgericht gerade erst am Anfang standen. Eine Bilanz hierzu offenbart im Übrigen aber ebenfalls ausgesprochen ernüchternde Ergebnisse. So wurden bis 1927 „Verfahren gegen 1.600 Beschuldigte durch Gerichtsbeschluss eingestellt“.178 Inmitten eines von Gegensätzen dominierten politischen Klimas war in Österreich die Auseinandersetzung mit dem vergangenen Krieg immer wieder zu einem Schlagabtausch zwischen verfeindeten Lagern geraten. Scharfe Polemiken gegen die frühere „Offizierskaste“ seitens der Sozialdemokratie, die der gesamten alten Führungsriege „Fäulnis und Verkommenheit“ unterstellte, trafen auf „alte Loyalitäten“, die sich bis zur „retrospektiven Staatsräson“ steigerten. Hinzu kamen Stimmen, die den Krieg als Ausnahmezustand per se definierten und schon deshalb auf mildernde Umstände für diejenigen plädierten, deren Verfehlungen ins Visier der Pflichtverletzungskommission gekommen waren. Der Verweis auf gleichsam allgegenwärtig gewesene (angebliche) Normübertretungen als mehr oder weniger übliche und hinzunehmende Begleiterscheinung eines unerbittlich geführten Kampfes rückte jene, die „hart durchgegriffen“ hatten, tendenziell in ein positives Licht.179 Moralische Grenzen verschwammen, im Krieg ebenso wie in seiner Nachbetrachtung.180 Sich aus freien Stücken dem Leid früherer Feindsoldaten zu widmen, das nicht nur den Umständen – als solche ließen sich beispielsweise Seuchen und vor allem die Lebensmittelnot darstellen –, sondern womöglich auch intentionalen Regelverstößen erwachsen war, erschien wenn nicht überflüssig, dann zumindest aussichtslos. Erst recht, wenn sich angebliche Normübertretungen als legitimierte 176 Zit. nach Leidinger, „Kriegsgräuel“ im Rückblick, 23. 177 Überegger, Vom militärischen Paradigma, 72. 178 Kerstin von Lingen, „Crimes against Humanity“. Eine Ideengeschichte der Zivilisierung von Kriegsgewalt 1864–1945, Paderborn 2018, 167. Über die Gründe und Hintergründe hierfür siehe Hankel, Die Leipziger Prozesse, 369 f. sowie 518–523. 179 Vgl. die Argumentationen der Verteidigung im Fall Lütgendorf: Reichspost, 4.6.1920, 5 f. 180 Leidinger, „Kriegsgräuel“ im Rückblick, 21.

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Praxis herausstellten, die einerseits die mit Kriegsbeginn erweiterten Befugnisse der Armee widerspiegelte und andererseits bereits auf den geltenden militärischen Reglements basierte. Als schließlich in Ermangelung einer konsensualen Erinnerungskultur und als Resultat einer sukzessiven Aufwertung der k. u. k. Monarchie durch konservative Kräfte der Weltkrieg vor allem als tragisches Schlusskapitel der Jahrhunderte währenden habsburgischen Herrschaft interpretiert wurde, setzte sich zudem der nostalgische Blick auf die Vergangenheit durch. Der autoritäre christliche „Ständestaat“ begann einen „Prozess der Refeudalisie­ rung“ und verknüpfte die Geburt eines neuen österreichischen Patriotismus ab 1933/34 mit einem nahezu uneingeschränkt positiv besetzten Bild der 1918 untergegangenen Monarchie.181 Was Karl Kraus in seinen „Letzten Tagen der Menschheit“ an Einsichten über den vergangenen Krieg zu Tage förderte, blieb demgegenüber weitgehend ausgeklammert. Seine Darstellung einer bizarren Realität der Kriegsgefangenschaft im Habsburgerreich, die auf authentischen Materialien aus den Kanzleien des k. u. k. Kriegsministeriums basierte, mündete in die zynische Aussage eines fiktiven Hauptmanns über die Verantwortung für das Schicksal der im Jahr 1918 völlig verelendeten oder sterbenden Gefangenen: „… mir san eh die reinen Lamperln“.182 Tatsächlich sollten wenige Monate vor Kriegsende die nunmehr mit „Liebe Russen!“ anzusprechenden Gefangenen aus dem untergegangenen Zarenreich vom Wohlwollen Österreich-Ungarns überzeugt werden. Die Militäradministration wünschte sich „Apostel des Friedens“, die als „Vermittler eines dauernden freundschaftlichen Verkehrs“ nach Rückkehr in ihre Heimat die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den ehemals kriegführenden Ländern wieder aufleben lassen sollten.183

181 Ernst Hanisch, Auf der Suche nach der österreichischen Identität, in: Helmut Rumpler/Ulrike Harmat (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. XII: Bewältigte Vergangenheit? Die nationale und internationale Historiographie zum Untergang der Habsburgermonarchie als ideelle Grundlage für die Neuordnung Europas, Wien 2018, 147–162, 158. 182 Zit. nach Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 14. Vgl. dazu die 21. Szene aus dem 5. Akt des Stückes „Die Letzten Tage der Menschheit“, das ein authentisches Schriftstück der k. u. k. Heeresverwaltung bezüglich der Propaganda unter den heimkehrenden Russen heranzieht. 183 Zit. nach Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 261.

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Die Geschichtsschreibung nach 1945 – Schwieriger Beginn Der Zweite Weltkrieg schob die historiographische Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg und als Folge auch mit den Kriegsgefangenen dieses Konflikts Jahrzehnte hindurch ins Abseits. Diese Abwesenheit ergab sich nicht zuletzt auch aufgrund einer schwierigen Neupositionierung der österreichischen Militärgeschichtsschreibung und in Anbetracht der damals aktuellen gesellschaftlichen Interessenslage zu Gunsten der Kriegsgefangenen des vorangegangenen Konfliktes. Auch wenn in den fünfziger Jahren die jetzt auch in Österreich entdeckte „Zeit­geschichte“ zum Zwecke ihrer stofflichen Abgrenzung das Epochenjahr 1917 als Ausgangspunkt ihrer Forschungen wählte, so bestand doch kein Zweifel, daß der Erste Weltkrieg in seiner Gesamtheit und vor allem als kriegsgeschichtliches Phänomen mittlerweile nicht mehr der Zeitgeschichte angehörte, sondern etwa auf die Ebene der napoleonischen Kriege abgesunken war.184

Der Erste Weltkrieg wurde demgemäß in die Antiquariatsecke der Geschichte verbannt, wissenschaftliche Arbeiten dazu waren rar. Diesen Befund erstellten Christoph Allmayer-Beck, Peter Broucek und Manfried Rauchensteiner 1985 in einem Aufsatz, welcher der österreichischen Historiographie zum Ersten Weltkrieg gewidmet war.185 Die Trends und Entwicklungen der österreichischen Weltkriegshistoriographie nach 1945 erklärten in bestimmtem Ausmaß auch die weitgehende Abwesenheit von Untersuchungen zur Kriegsgefangenenproblematik. Es fehlte an Debatten über eine Standortbestimmung militärgeschichtlicher Forschung ganz allgemein. Internationale Entwicklungen wurden kaum rezipiert. Die „mangelnde Selbstreflexion österreichischer Militärhistoriographie“ hinterließ einen theoriefreien Raum und sicherte den „methodische[n] Reduktionismus“ als unhinterfragte Verfahrensweise (militär)historischer Forschung ab.186 Kritische Beobachter attestierten der österreichischen Militärgeschichtsschreibung bis hinein ins beginnende 21. Jahrhundert eine auf 184 Johann Christoph Allmayer-Beck/Peter Broucek/Manfried Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg in der österreichischen Geschichtsschreibung zwischen 1914 und 1984, in: Jürgen Rohwer (Hg.), Neue Forschungen zum Ersten Weltkrieg. Literaturberichte und Bibliographien von 30 Mitgliedstaaten der „Commission Internationale d’Histoire Militaire Comparée“, Koblenz 1985, 267–285, 275. 185 Siehe Angaben in der vorhergehenden Fußnote. 186 Überegger, Vom militärischen Paradigma, 105.

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verschiedenen, bereits Jahrzehnte zuvor erworbenen Defiziten beruhende Rückständigkeit und in weiterer Konsequenz eine fortgesetzte konventionelle beziehungsweise ideenlose Herangehensweise an Themen – inklusive der ebenfalls weiter betriebenen Ausklammerung bestimmter Aspekte.187 Die Kriegsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg löste sich ganz allgemein nur langsam aus ihrer institutionalisierten amtlichen Basis, um Teil der universitären Forschung zu werden. Militärgeschichtliche Forschungen wurden in Österreich zudem vor dem Hintergrund einer weitgehend unkritischen Hinwendung zur „k. u. k. Vergangenheit“ betrieben, die als wesentlicher Baustein für die österreichische Identitätsfindung nach dem Zweiten Weltkrieg recycelt wurde. Abseits einer allgemein positiv konnotierten Rückbesinnung auf die Habsburgermonarchie trug die Unterhaltungs- und Fremdenverkehrsindustrie ihrerseits dazu bei, „Altösterreich“ zum schwarz-gelben Disneyland zu verkitschen.188 Darstellungen der k. u. k. Armee wiederum orientierten sich entweder an den Grundzügen der bereits erwähnten „konservativen Wende“ der Zwischenkriegszeit oder aber als Folge eines antimilitaristischen Grundtenors an despektierlichen Schwejkiaden, die die österreichisch-ungarische Armee vor allem als Truppe von Tölpeln oder verzärtelten Offizieren darstellten.189 Noch vor etwa zehn Jahren hielt der Historiker und Archivar Michael Hochedlinger fest: Alle professionellen [militärgeschichtlichen] Arbeiten kämpfen […] einigermaßen vergeblich gegen den populärhistorischen Kitsch an, der ganz im Gegensatz zum Blick der deutschen Forschung auf das wilhelminische Kaiserreich insbesondere die francisco-josephinische Epoche mit einer störenden Glasur aus Nostalgie und Verklärung überzieht – auch die Militärge­schichte.190

Solchen Erscheinungen Vorschub leistete auch die nostalgisch ausgerichtete Rezeption „altösterreichischer“ Literatur, die die „Tragik“ des Unter­gangs der Donaumonarchie ins Zentrum stellte. Die Beschäftigung mit Schriftstellern wie Joseph Roth, Stefan Zweig, aber auch Arthur Schnitzler mündete eben187 Ebd., 112 188 Vgl. dazu u. a.: Sabine A. Haring, Between the Topos of a ‘Forgotten War’ and the Current Memory Boom: Remembering the First World War in Austria, in: Bart Ziino (Hg.), Remembering the First World War, London 2015, 207–222. 189 Vgl. dazu ebd., 214–216. 190 Michael Hochedlinger, Kleine Quellenkunde zur österreichischen Militärgeschichte 1800–1914 (Stand 2009) 6. https://www.oesta.gv.at/documents/551235/556044/Quellen+zur+%c3%b6sterreichischen+Milit%c3%a4rgeschichte+1800-1914.pdf/749810e3f858-4918-98cf-f7f1b9cdc252 (abgerufen am 21.11.2020).

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falls in wehmütige Rückblicke auf eine untergegangene „Welt von gestern“. Sie ließ sich als Kontrapunkt zur Barbarei des Nationalsozialismus deuten und präsentierte ein friedlich koexistierendes „Völkergemisch“ versus den „Rassenwahn“ des NS-Regimes als Verdienst der Habsburgermonarchie beziehungsweise ihrer Eliten.191 In der österreichischen Historiographie zum Ersten Weltkrieg spiegelten sich solche Geschichtsbilder im Spannungsfeld von Verklärung und Verharmlosung, die durch den inhärenten Vergleich mit dem als unverhältnismäßig „schrecklicher“ wahrgenommenen Zweiten Weltkrieg ungehindert gedeihen konnten, zum Teil wider. Der „Abschied von der ‚Offiziershistorie‘“192, wie sie in den 1920er und 1930er Jahren geschrieben wurde, war ein langer. Dass die Fischer-These in Österreich kaum rezipiert und am ehesten als Bestätigung der vorherrschenden Exkulpierung der Habsburgermonarchie in Zusammenhang mit dem Kriegsausbruch 1914 betrachtet wurde, kann vor diesem Hintergrund kaum überraschen. Es brauchte eine neue Historikergeneration, die für einen Perspektivenwechsel sorgte. Wesentliche Impulse für eine an innovativen Fragestellungen interessierte Weltkriegshistoriographie kamen etwa mit den Arbeiten von Richard Plaschka, Horst Haselsteiner oder Arnold Suppan ab den späten 1960er Jahren.193 Im Kontext der revolutionären Entwicklungen im letzten Kriegsjahr riefen schließlich die aus russischer Kriegsgefangenschaft heimkehrenden k. u. k. Soldaten entsprechendes Interesse hervor.194 Daraus allerdings ergaben sich aber keine weiteren Forschungsinitiativen für die Geschichte der Kriegsgefangenschaft. Nach wie vor unterrepräsentiert blieben in der österreichischen Weltkriegsforschung außerdem sozial- und kulturwissenschaftliche Zugänge. Eine moderne „Kulturgeschichte des Krieges“ zeichnete sich nicht ab.

191 Erhellend dazu etwa die Einschätzungen von Gerald Stieg, vor allem in Zusammenhang mit der Vereinnahmung eines positiv konnotierten Miteinanders in der Monarchie inklusive der jüdischen Bevölkerung: Gerald Stieg, Sein oder Schein? Die Österreich-Idee von Maria-Theresia bis zum Anschluss, Wien/Köln/Weimar 2016, 132 f. Siehe außerdem: Carlo Moos, Habsburg post mortem. Betrachtungen zum Weiterleben der Habsburgermonarchie, Wien/Köln/Weimar 2016. 192 Überegger, Vom militärischen Paradigma, 97. 193 Vgl. Richard G. Plaschka, Cattaro – Prag. Revolte und Revolution, Graz 1963; Richard G. Plaschka/Horst Haselsteiner/Arnold Suppan, Innere Front. Militärassistenz, Widerstand und Umsturz in der Donaumonarchie 1918, 2 Bde., Wien 1974. Vgl. auch: Otto Wassermair, Die Meutereien der Heimkehrer aus russischer Gefangenschaft bei den Ersatzkörpern der k. u. k. Armee im Jahre 1918, Diss. Wien 1968. 194 Vgl. Inge Przybilovszki, Die Rückführung der österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen aus dem Osten in den letzten Monaten der k. u. k. Monarchie, Diss. Wien 1965.

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Als „Symbiose von klassischer Militärgeschichte, Politik- bzw. Diplomatiegeschichte und neueren sozial- und wirtschaftshistorischen Aspekten“ wahrgenommen195, verhalf erst 1993 Manfried Rauchensteiner mit seinem Buch „Der Tod des Doppeladlers“ der Geschichte Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg zu größerer Aufmerksamkeit.196 Diese umfassende Darstellung Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg legte gleichsam den Grundstein für eine zeitgemäße österreichische Weltkriegsforschung, die sich thematisch sukzessive verbreiterte und seit den 1990er Jahren eine stetig größer werdende Zahl von Historikerinnen und Historikern auch längerfristig binden konnte. Die Kriegsgefangenen im Gewahrsam des Habsburgerreichs waren im „Tod des Doppeladlers“ allerdings weitgehend unberücksichtigt geblieben. Dass gerade die Beschäftigung mit dieser Thematik ein Desiderat darstellte, konstatierte indessen im selben Jahr, in dem Rauchensteiners Buch erschienen war, die an der Universität Wien tätige Historikerin Christa Hämmerle. Sie bezeichnete im Rahmen einer Aufbereitung von verschiedenen Ego-Dokumenten zum Erleben des Weltkrieges aus der Perspektive von Kindern die Geschichte der Kriegsgefangenschaft in Österreich-Ungarn als eine weitgehend verdrängte beziehungsweise vergessene.197 Tatsächlich war es in der ersten Dekade nach Ende des Zweiten Weltkrieges in der österreichischen Historiographie zunächst bei einer beiläufigen Bezugnahme auf das Schicksal von Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn geblieben. Im Wesentlichen folgten die betreffenden Autoren überdies den vorhandenen spärlichen Darstellungen aus der Zwischenkriegszeit, ergänzt von einzelnen zeitgenössischen Zeitungsbeiträgen.198 195 Überegger, Vom militärischen Paradigma, 109. 196 Vgl. Manfried Rauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg, Graz/Wien/Köln 1993. 197 Christa Hämmerle (Hg.), Kindheit im Ersten Weltkrieg, Wien/Köln/Weimar 1993, 311. 198 Dieser Befund gilt etwa für drei Dissertationen, die zwischen 1948 und 1954 über die Bundesländer Tirol, Oberösterreich und Vorarlberg im Ersten Weltkrieg verfasst wurden. Obwohl im Falle Oberösterreichs eine große Zahl von Seuchenopfern im Kriegsgefangenenlager Mauthausen erwähnt und dieser Umstand „erschüttert“ zur Kenntnis genommen wird oder in der Dissertation über Vorarlberg die mit grausamen Todesfällen in Zusammenhang gebrachte Verwendung von Gefangenen in der Kampfzone angeführt wird, fallen die Gesamtbewertungen der Bedingungen in österreichisch-ungarischer Gefangenschaft positiv aus. Wesentliches Kriterium hierfür ist der Vergleich mit den Verhältnissen in anderen Staaten. Hinzu kommt schließlich auch der Hinweis auf die Kriegsgefangenschaft im Zweiten Weltkrieg, der ebenfalls der Abschwächung punktuell aufgezeigter „Schattenseiten“ der Bedingungen für Gefangene in Österreich-Ungarn diente. Vgl. Robert Mateja, Oberösterreich im 1. Weltkrieg 1914–1918, Diss. Linz 1948, Ernst Eigentler, Tirol im Inneren während des Ersten Weltkrieges von 1914–1918, Diss. Innsbruck 1954; Ingo Binder, Vorarlberg im Ersten Weltkrieg 1914–

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Es vergingen beinahe drei Jahrzehnte, bis die Gefangenenthematik im Habsburgerreich erneut ins Blickfeld universitärer Forschung geriet. Diese positio­ nierte sich in einem nicht näher definierten militärgeschichtlichen Rahmen und mindestens ebenso sehr im Umfeld lokal- beziehungsweise regionalgeschichtlicher Ansätze.199 Erweiterungen dieser lagerbezogenen Forschung mit ihrem Fokus auf Organisation, Verwaltung und Infrastruktur ergaben sich Ende der 1980er Jahre dann u. a. hinsichtlich der Propaganda unter den ukrainischen Kriegsgefangenen in der Donaumonarchie.200

1918, Diss. Innsbruck 1959. Siehe außerdem: Hans Doliner, Das Land Kärnten im Weltkrieg 1914–1918, Diss. Innsbruck 1951. 199 1981 legte Rudolf Koch eine Dissertation über das Kriegsgefangenenlager im niederösterreichischen Sigmundsherberg vor. Vgl. Rudolf Koch, Das Kriegsgefangenenlager Sigmundsherberg 1915–1919, Diss. Wien 1981. In einer 2002 im Eigenverlag erschienenen Veröffentlichung dieser Arbeit bezeichnete er sie als „erste wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas Kriegsgefangenschaft und Kriegsgefangenenlager in Österreich“. Rudolf Koch, Im Hinterhof des Krieges. Das Kriegsgefangenenlager Sigmundsherberg, Sigmundsherberg 2002, 9. Der Autor fokussierte im ersten Teil der Arbeit auf die Lagergeschichte und präsentierte unter Verwendung von Quellen aus dem Kriegsarchiv in Wien oder von Dokumenten vor allem lokaler Provenienz eine deskriptive Darstellung des Themas. Die herangezogenen Verordnungen und Bestimmungen, Zeitzeugenberichte und Zeitungsartikel dienten vor allem einer Art Dokumentation, die das Lager als „Funktionseinheit“ ins Zentrum stellte und seinen „Erfolg“, aber auch seine Defizite an der Entsprechung von Vorgaben festmachte. In einem weiteren Teil spürte Koch der Lebensrealität der Betroffenen unter anderem auf Grundlage einbehaltener Gefangenenkorrespondenzen nach. Sein Resümee zur Situation der Kriegsgefangenen in Sigmundsherberg orientierte sich an Bewertungen, wie sie in „In Feindeshand“ zur Lage der Feindsoldaten im Habsburgerreich formuliert worden waren: „Das Los der Gefangenen war sicherlich ein äußerst bedauernswertes, doch erkennt man bei den Nachforschungen über die Zustände in anderen Lagern – besonders in Rußland –, daß es in Sigmundsherberg durch mancherlei Umstände doch noch etwas besser war.“ Ebd., 215. 200 Das Lager als Mikrokosmos beziehungsweise als Pars pro Toto für das österreichisch-ungarische Kriegsgefangenenwesen untersuchte 1988 Petra Rappersberger. Petra Rappersberger, Das Kriegsgefangenenlager Freistadt 1914–1918, Diplomarbeit Wien 1988. Wichtige Untersuchungsbereiche erstreckten sich ähnlich wie bei Rudolf Koch auf die Faktoren Organisation, Verwaltung und Infrastruktur. Mit ihrer Diplomarbeit über das Lager Freistadt erweiterte sie jedoch den Blick auf das Lager als Unterbringungs- und Verwahrungsort, indem sie dieses vor allem auch im Kontext der k. u. k. Kriegsgefangenenpropaganda betrachtete. Immerhin diente Freistadt als Sammellager für ukrainische Kriegsgefangene, die einer nationalen und gegen Russland gerichteten Propaganda zugeführt wurden. Bereits im September 1914 war seitens des k. u. k. Ministeriums des Äußern auf die ukrainischen Kriegsgefangenen und ihr „Bewußtsein der nationalen Sonderart“, das es im Bedarfsfall zu wecken gelte, hingewiesen worden. Ab November 1914 begann die Überstellung ukrainischer Kriegsgefangener nach Freistadt. Ebd., 49, 51.

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Nichtsdestoweniger blieben Lager auch weiterhin Ausgangspunkt für eine Beschäftigung mit der Kriegsgefangenschaft im Habsburgerreich. Sie stießen auf Interesse vor allem unter Lokalhistorikern beziehungsweise Heimatforschern mit einem Fokus auf die logistischen beziehungsweise baulichen Anforderungen einer „Massenverwahrung“.201 Dem Kriegsgefangenenwesen in der Steiermark und damit einer ganzen Anzahl von verschiedenen Unterbringungsorten für Kriegsgefangene widmete sich 1991 dann Peter Hansak in einer Dissertation. Seine eingehende Auseinandersetzung mit dem Gefangenenwesen inkludierte erstmals auch eine stärkere Hinwendung zur Problematik des Arbeitseinsatzes von Kriegsgefangenen in österreichischem Gewahrsam. In der Gesamtbewertung der Kriegsgefangenschaft in Österreich-Ungarn blieb die verdienstvolle Darstellung den diesbezüglichen Tendenzen der Zwischenkriegszeit nahe.202 Im Laufe der 1990er Jahre und begleitet von einer auch auf internationaler Ebene intensiver werdenden Auseinandersetzung mit der Kriegsgefangenschaft im Zweiten Weltkrieg setzte schließlich eine Beschäftigung mit der Gefangenschaft des Ersten Weltkrieges ein, die der thematischen Breite des Untersuchungsfeldes gerecht zu werden begann und sich von bisher domi201 Vgl. u. a. Josef Brettenthaler/Horst Haslauer, Kriegsgefangenenlager Grödig, in: Chronik Grödig 1990, 215–223; Fritz Fellner, Die Stadt in der Stadt. Das Kriegsgefangenenlager in Freistadt 1914–1918, in: Oberösterreichische Heimatblätter 43/1 (1989), 3–32; Rudolf Grasmug, 8 Jahrhunderte Feldbach. 100 Jahre Stadt, Feldbach 1984, 290–303; Johann Prassl, „Mei Hoamat“ zwischen Raab und Gleichenberg, Mühldorf 1988, 356–371; Heimatbuch Mauthausen anlässlich 600 Jahre Markt Mauthausen 1335–1985, hg. von der Marktgemeinde Mauthausen, Mauthausen 1995; Johann Stierl, Das Marchtrenkerbuch und die Marchtrenker Elegien, Marchtrenk 1984; Viktoria Weinzierl, Das ehemalige Kriegsgefangenenlager, in: Marchtrenk. Zehn Jahre Marktgemeinde, hg. von der Marktgemeinde Marchtrenk, Marchtrenk 1995; Franz Wiesenhofer, Gefangen unter Habsburgs Krone. K. u. k. Kriegsgefangenenlager im Erlauftal, Purgstall 1997. Manche der hier genannten Autorinnen und Autoren beschreiben bisweilen mit großer Begeisterung vor allem die Lageranlage, zeitgenössische Wertungen werden übernommen: „So entwickelten sich großzügige Lagerbauten, in denen sich nüchterne Zweckmäßigkeit, technisches Können und Verständnis für Hygiene, ästhetischer Sinn, wirtschaftliches Empfinden und humaner Geist zu einem harmonischen Ganzen vereinigten.“ Wiesenhofer, Gefangen unter Habsburgs Krone, 19. Vgl. die Rezension von Hubert Speckner zum Buch von Franz Wiesenhofer in: Zeitgeschichte 25–11/12 (Nov./Dez. 1998), 392 f. 202 Den Ausführungen beziehungsweise Argumenten von Streeruwitz und Raabl-Werner folgend, heißt es: „Eine humane Behandlung der feindlichen Kriegsgefangenen sah die Heeresverwaltung als Garantie für eine gute Behandlung der eigenen Gefangenen in Feindeshand. […] Daß es innerhalb eines Millionenheeres immer wieder zu Unzulänglichkeiten in der Befolgung von Weisungen zur Kriegsgefangenenfrage kommt, ist organisatorisch verständlich und verzeihbar, solange Mißstände verfolgt und nicht unbeachtet zur Regel werden.“ Peter Hansak, Das Kriegsgefangenenwesen während des 1. Weltkrieges im Gebiet der heutigen Steiermark, Diss. Graz 1991, 210.

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nanten Narrativen löste. Diesbezügliche Impulse gingen in Österreich von universitärer Seite aus, durchaus beeinflusst von den Überlegungen zu einer „Neuen Militärgeschichte“, die das Fach abseits einer kriegstechnischen Fixierung betrachtete und vereinzelte „emanzipatorische“ Ansätze der Vergangenheit weiterzuentwickeln trachtete. Soziale und ökonomische Verhältnisse fanden vor diesem Hintergrund ebenso Beachtung wie alltags- und mentalitätengeschichtliche Problemstellungen. Themen im Umfeld von „Medizin und Krieg“ oder Fragen zur „Gehorsamsverweigerung“ wurden im Zuge der historiographischen Neuorientierung aufgegriffen. Gleichzeitig befand sich bereits ab der zweiten Hälfte der 1980er Jahre insbesondere die österreichische Zeitgeschichtsforschung im Umbruch – ein Umstand, der die Historiographie insgesamt beeinflusste und einer verstärkten „Internationalisierung“ zuführte.203 Debatten, die in den 1990er Jahren anlässlich einer Wanderausstellung des Hamburger Institutes für Sozialforschung über die „Verbrechen der Wehrmacht“ entbrannt waren, brachten schließlich einen weiteren Anstoß für eine kritische(re) Auseinandersetzung auch mit der Geschichte des österreichisch-ungarischen Heeres. Der „Tabubruch“ erfasste die „k. u. k. Wehrmacht“ allerdings mit einiger Verzögerung. Thematisch zum Teil immer noch an der spärlich vorhandenen Literatur angelehnt, inhaltlich und methodisch aber an einer zeitgemäßen Militärgeschichte orientiert, entstanden in Österreich vor diesem Hintergrund schließlich vereinzelt Hochschulschriften zur Gefangenenproblematik des Ersten Weltkrieges, die allerdings den Soldaten der k. u. k. Armee galten und vor allem Russland im Fokus hatten. In den betreffenden Arbeiten, die auch als 203 Vgl. u. a. Brigitte Biwald, Von Helden und Krüppeln. Das österreichisch-ungarische Militärsanitätswesen im Ersten Weltkrieg, 2 Bde., Wien 2002 (Bezüge auf Kriegsgefangene finden sich übrigens in Teil 2, 422–468); Isabelle Brandauer, Soldatenalltag in den Dolomiten im Ersten Weltkrieg 1915–1917, Diss. Innsbruck 2006; Elisabeth Dietrich, Der andere Tod. Seuchen, Volkskrankheiten und Gesundheitswesen im Ersten Weltkrieg, in: Klaus Eisterer/Rolf Steininger (Hg.), Tirol und der Erste Weltkrieg, Innsbruck/Wien 1995, 255–275; Susanne Hauber, Frauen an der Front. Der Einsatz von Frauen im österreichischen Sanitätswesen während des Ersten Weltkriegs. Lebens- und Arbeitsbedingungen proletarischer Frauen in Österreich, Wien 1987; Helmut Konrad (Hg.), Krieg, Medizin und Politik. Der Ersten Weltkrieg und die österreichische Moderne, Wien 2000; Hans-Georg Hofer, Nervenschwäche und Krieg. Modernitätskritik und Krisenbewältigung in der österreichischen Psychiatrie (1880–1920), Wien/Köln/Weimar 2004; Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger (Hg.), Der Erste Weltkrieg im Alpenraum. Erfahrung, Deutung, Erinnerung, Innsbruck/Bozen 2006; Oswald Überegger, Der andere Krieg. Die Tiroler Militärgerichtsbarkeit im Ersten Weltkrieg, Innsbruck 2002; Oswald Überegger/Matthias Rettenwander, Leben im Krieg. Die Tiroler „Heimatfront“ im Ersten Weltkrieg, Bozen 2004.

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Folge der „russischen Archivrevolution“ der 1990er Jahre realisiert werden konnten, wurde die sozialgeschichtliche Dimension des Forschungsbereiches betont. Sie trugen zweifellos auch zu einer Erweiterung der Quellenbasis bei, versuchten aber auch vorhandene Fundamente kritisch zu nutzen.204 Gerade in Zusammenhang mit der internationalen Gefangenenforschung wurde indessen deutlich, dass Schwerpunkte mitunter ideologisch inspirierten Interessen folgten. Themenwahl und Interpretationen fokussierten etwa in der Sowjetunion auf Kriegsgefangene-Internationalisten und ihre Tätigkeit auf dem Territorium des untergegangenen Zarenreiches205, während in der amerikanischen Historiographie die Propaganda unter den Kriegsgefangenen in Russland Beachtung gefunden hatte. Immerhin erfuhr dort die Beschäftigung mit dem Thema inhaltliche Erweiterungen in Richtung der Fürsorgemaßnahmen, der Heimkehrproblematik und der vielfältigen diplomatischen Implikationen der Kriegsgefangenenproblematik.206 In Summe zeigte sich das Potential des Forschungsbereiches immer deutlicher – ein Umstand, der schließlich auch im deutschsprachigen Raum registriert wurde. In Österreich entstand vor diesem Hintergrund 1998 ein Schwerpunktheft der Zeitschrift „Zeitgeschichte“ mit einem Fokus auf die 204 Vgl. etwa: Judith Kreiner, Von Brest-Litowsk nach Kopenhagen. Die österreichischen Kriegsgefangenen in Russland im und nach dem Ersten Weltkrieg unter besonderer Berücksichtigung der Kriegsgefangenenmissionen in Russland, Diss. Wien 1996; Hannes Leidinger, Zwischen Kaiserreich und Rätemacht. Die deutschösterreichischen Heimkehrer aus russischer Kriegsgefangenschaft und die Organisation des österreichischen Kriegsgefangenen- und Heimkehrwesens 1917–1920, Diplomarbeit Wien 1995; Verena Moritz, Gefangenschaft und Revolution. Deutschösterreichische Kriegsgefangene und Internationalisten in Rußland 1914–20, Diplomarbeit Wien 1995. 205 Exemplarisch: Internacionalisty v bojach za vlast’ sovetov. Moskva 1965; Učastie trudjaščichsja zarubežnych stran v Oktjabr’skoj Revoljucii. Moskva 1967; Internacionalisty. Trudjaščiesja zarubežnych stran – učastniki bor’by za vlast’ sovetov. Moskva 1967; Internacionalisty. Trudjaščiesja zarubežnych stran – učastniki bor’by za vlast’ sovetov na juge i vostoke respubliki. Moskva 1971; Internacionalisty. Učastie trudjaščichsja stran central’noj i jugo-vostočnoj Evropy v bor’be za vlast’ sovetov v Rossii 1917–1920 gg. Moskva 1987. 206 Siehe u. a.: Gerald H. Davis, Deutsche Kriegsgefangene im Ersten Weltkrieg in Rußland, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 31 (1982), 37–49; Ders., National Red Cross Societies and Prisoners of War in Russia, 1914–1918, in: Journal of Contemporary History 28/1 (Jan. 1993), 31–52; Ders., Prisoners of War Camps as Secret Communities in Russia, Krasnojarsk 1914–1921, in: East European Quarterly 21/2 (1987), 147–163, Ders., Prisoners of War in Twentieth-Century Economies, in: Journal of Contemporary History 12 (1977), 623–634. Richard B. Speed, Prisoners, Diplomats, and the Great War. A Study in the Diplomacy of Captivity, Westport 1990. Besondere Erwähnung verdient außerdem ein 1983 in New York erschienener Sammelband: Samuel R. Williamson/Peter Pastor (Hg.), Essays on World War I. Origins and Prisoners of War, New York 1983. New York 1983.

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Kriegsgefangenschaft in Russland207, und im Jahr darauf erschien in Deutschland ein von Rüdiger Overmans herausgegebener Sammelband mit dem Titel „In der Hand des Feindes“, welcher sich der „Kriegsgefangenschaft von der Antike bis zum Zweiten Weltkrieg“ annahm. Die Gefangenschaft im Ersten Weltkrieg war darin immerhin mit vier Beiträgen vertreten.208 Speziell zur Kriegsgefangenschaft im Habsburgerreich blieb die Anzahl an Hochschulschriften sowie Publikationen indessen überschaubar. Trotz der Schwerpunktsetzung auf die Erforschung des Schicksals von russischen Kriegsgefangenen in der österreichischen Reichshälfte der Habsburgermonarchie wurde allerdings von Verena Moritz sowohl in ihrer Dissertation als auch in nachfolgenden Veröffentlichungen der Versuch unternommen, einen allgemeinen Überblick über das k. u. k. Kriegsgefangenenwesens zu geben und grundlegende Entwicklungen aufzuzeigen. Die diesbezüglichen Untersuchungen präsentierten als Ergebnis tendenziell ein Gegennarrativ zu Darstellungen, die im Zuge einer oftmals kontrastiven Aufbereitung der Thematik die Kriegsgefangenschaft im Habsburgerreich als in Summe positives, geradezu vorbildliches Beispiel für das Schicksal von Feindsoldaten im Ersten Weltkrieg vorgeführt hatten. Auf Grundlage einer entsprechenden Quellenrecherche konnten bisherige Darstellungen zum Wesen der Gefangenschaft im Habsburgerreich zum Teil widerlegt und Merkmale der Gefangenenbehandlung vor Augen geführt werden, die einer Idealisierung entgegenstanden. Vertiefende Einblicke in das Schicksal der Kriegsgefangenen im Habsburgerreich u. a. anhand ausgewählter Regionen bzw. Lager vermittelten indessen weitere Arbeiten, die ebenfalls mehr oder weniger klar von vormaligen Charakterisierungen der Kriegsgefangenschaft in Österreich-Ungarn abrückten, die vor allem Russland als Negativbeispiel für die Bedingungen in Kriegsgefangenschaft herangezogen hatten.209

207 Vgl. dazu: Hannes Leidinger, Gefangenschaft und Heimkehr. Gedanken zu Voraussetzungen und Perspektiven eines neuen Forschungsbereiches, in: Zeitgeschichte 2511/12 (1998), 333–342. 208 Christoph Jahr, Zivilisten als Kriegsgefangene. Die Internierung von „Feindstaaten-Ausländern“ in Deutschland während des Ersten Weltkrieges am Beispiel des „Engländerlagers“ Ruhleben, in: Rüdiger Overmans (Hg.), In der Hand des Feindes. Kriegsgefangenschaft von der Antike bis zum Zweiten Weltkrieg, Köln/Weimar/Wien 1999, 297–321. Weitere Beiträge zum Ersten Weltkrieg steuerten bei: Gerhard Krebs, Die etwas andere Kriegsgefangenschaft. Die Kämpfer von Tsingtau in japanischen Lagern 1914– 1920, 323–338; Uta Hinz, „Die deutschen ‚Barbaren‘ sind doch die besseren Menschen.“ Kriegsgefangenschaft und gefangene ‚Feinde‘ in der Darstellung der deutschen Publizistik 1914–1918 und Georg Wurzer, Das Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen in Rußland im Ersten Weltkrieg. Der Erlebnisbericht Edwin Erich Dwingers, 363–384. 209 Vgl. Verena Moritz, Zwischen allen Fronten. Die russischen Kriegsgefangenen in Öster­

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Als Folge einer fortschreitenden, wenn auch zum Teil zaghaften und durchaus auf Abwehr treffenden Tendenz, habsburgische Geschichte und damit auch jene des Ersten Weltkrieges an eine kritische Geschichtsbetrachtung heranzuführen, stellten sich die Ergebnisse der Kriegsgefangenenforschung schließlich auch als Teil einer erneuerten Militärgeschichtsschreibung dar. Dort wurde in einem ausgreifenderen Kontext Normübertretungen, Kriegsverbrechen oder Beispielen fragwürdiger Herrschaftspraxis insgesamt nachgespürt.210 Parallel dazu erfuhr das Thema „Internierung im Habsburgerreich“ mit Blick auf das Schicksal betroffener Zivilisten mehr und mehr Aufmerksamkeit. Flüchtlinge und Zivilinternierte riefen in der internationalen Forschung verstärktes Interesse hervor, wobei gerade auch das Habsburgerreich in den Fokus geriet.211 Darüber hinaus wandte sich die österreichische Gereich im Spannungsfeld von Nutzen und Bedrohung (1914–1918), Diss. Wien 2001; Verena Moritz/Hannes Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung. Die russischen Kriegsgefangenen in Österreich (1914–1921), Bonn 2005; Ernst Mihalkovits, Das Kriegsgefangenen- und Internierungslager des Ersten Weltkriegs in Neckenmarkt mittleres Burgenland 1915–1919, Diss. Wien 2003; Magdalena Miribung, Kriegsgefangene während des Ersten Weltkriegs im Gadertal, Diplomarbeit Innsbruck 2002; Werner Anzenberger/Heimo Halbrainer/Gabriela Stieber (Hg.), Konflikt & Integration. Die Lager Trofaiach/Gai 1915–1960, Graz 2003; Julia Walleczek, Das Kriegsgefangenenlager Grödig bei Salzburg während des Ersten Weltkriegs. Diplomarbeit Innsbruck 2005; Julia Walleczek-Fritz, Hinter Stacheldraht. Die Kriegsgefangenenlager in den Kronländern Oberösterreich und Salzburg im Ersten Weltkrieg, Diss. Innsbruck 2012. Vgl. außerdem Helene Stocker, Das russische Südtirol. Historische, kulturelle und sprachwissenschaftliche Berührungspunkte. Russische Elemente in Südtirol mit Fokus auf die Kurstadt Meran, Diplomarbeit Graz 2014, insbes. 5–38. 210 Vgl. für diesbezügliche kritische Publikationen vor 2014: Anton Holzer, Die andere Front. Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg, Darmstadt 2007; Hannes Leidinger, „Der Einzug des Galgens und des Mordes“. Die parlamentarischen Stellungnahmen polnischer und ruthenischer Reichsratsabgeordneter zu den Massenhinrichtungen in Galizien 1914/15, in: Zeitgeschichte 5/33 (2006), 235–260; Oswald Überegger, „Verbrannte Erde“ und „baumelnde Gehenkte“. Zur europäischen Dimension militärischer Normübertretungen im Ersten Weltkrieg, in: Sönke Neitzel/Daniel Hohrath (Hg.), Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Paderborn/München/Wien/Zürich 2008, 241–278. 211 Für die österreichische Historiographie zur Flüchtlings- und Interniertenthematik siehe u. a. Beatrix Hoffmann-Holter, „Abreisendmachung“. Jüdische Kriegsflüchtlinge in Wien 1914 bis 1923, Wien/Köln/Weimar 1995; Oswald Haller, Das Internierungslager Katzenau bei Linz. Die Internierung und Konfinierung der italienischsprachigen Zivilbevölkerung des Trentinos zur Zeit des Ersten Weltkrieges, Diss. Wien 1999; Georg Hoffmann/Nicole-Melanie Goll/Philipp Lesiak, Thalerhof 1914–1936. Die Geschichte eines vergessenen Lagers und seiner Opfer, Herne 2010; Hermann J. W. Kuprian, Flüchtlinge und Vertriebene aus den österreichisch-ungarischen Grenzgebieten während des Ersten Weltkrieges, in: Brigitte Mazohl-Wallnig/Marco Meriggi (Hg.), Österreichisches Italien – Italienisches Österreich? Interkulturelle Gemeinsamkeiten und

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schichtsschreibung den Voraussetzungen für die Ausnahmegesetzgebung von 1914 und der daraus resultierenden Außerkraftsetzung staatsbürgerlicher Rechte zu oder setzte sich mit verschiedenen Aspekten der k. u. k. Mili­ tärverwaltung auseinander.212 Gleichzeitig erwachte überdies auch in der internationalen Historiographie das Interesse an der k. u. k. Armee im Ersten Weltkrieg. Aufgrund einer prinzipiellen Deutschland-Fixiertheit weiter Teile der Geschichtsschreibung und einer für lange Zeit vor allem dem westlichen Kriegsschauplatz geltenden Aufmerksamkeit war die Beschäftigung mit dem Habsburgerreich als „Kriegsmacht“ zuvor vielfach von minderer Bedeutung gewesen. Die Perzeption Österreich-Ungarns als ein in vielen Belangen nationale Differenzen vom 18. Jahrhundert bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Wien 1999, 737–751; Hermann J. W. Kuprian, „Entheimatungen“. Flucht und Vertreibung in der Habsburgermonarchie während des Ersten Weltkrieges und ihre Konsequenzen, in: Ders./Oswald Überegger (Hg.), Der Erste Weltkrieg im Alpenraum. Erfahrung, Deutung, Erinnerung/La Grande Guerra nell’arco alpino. Esperienze e memoria, Innsbruck 2006, 289–306; Walter Mentzel, Kriegsflüchtlinge in Cisleithanien im Ersten Weltkrieg, Diss. Wien 1997; Ders., Weltkriegsflüchtlinge in Cisleithanien 1914–1918, in: Gernot Heiss/Oliver Rathkolb (Hg.), Asylland wider Willen. Flüchtlinge in Österreich im europäischen Kontext seit 1914, Wien 1995, 17–44; Reinhard Mundschütz, Das Internierungslager Drosendorf/Thaya 1914–1920. Ein Beitrag zur Geschichte der Behandlung fremder Staatsangehöriger in Österreich während des Ersten Weltkriegs, Diplomarbeit Wien 1993, Reinhard Mundschütz, Internierung im Waldviertel. Die Internierungslager und -stationen der BH Waidhofen an der Thaya, 1914–1918, Diss. Wien 2002; Katharina Stampler, Flüchtlingswesen in der Steiermark 1914–1918, Diplomarbeit Graz 2004. Als Beispiele für die internationale Forschung: Matteo Ermacora, Assistance and Surveillance. War Refugees in Italy, 1914–1918, in: Contemporary European History 16/4 (2007), 445–460; Peter Gatrell, A Whole Empire Walking. Refugees in Russia during World War I, Bloomington 2005; Matthew Stibbe, British Civilian Internees in Germany. The Ruhleben Camp, 1914–18, Manchester 2008; Ders., Krieg und Brutalisierung. Die Internierung von Zivilisten bzw. „politisch Unzuverlässigen“ in Österreich-Ungarn während des Ersten Weltkrieges, in: Alfred Eisfeld/Guido Hausmann/Dietmar Neutatz (Hg.), Besetzt, interniert, deportiert. Der Erste Weltkrieg und die deutsche, jüdische, polnische und ukrainische Zivilbevölkerung im östlichen Europa, Essen 2013, 87–106; Ders., Civilian Internment and Civilian Internees in Europe, 1914–20, in: Immigrants & Minorities 26/1-2 (2008), 49–81; Julie Thorpe, Displacing empire. Refugee welfare, national activism and state legitimacy in Austria-Hungary in the First World War, in: Panikos Panayi/Pippa Virdee (Hg.), Refugees and the end of empire. Imperial collapse and forced migration in the twentieth century, New York 2011, 102–126. 212 U. a. Wolfram Dornik/Stefan Karner (Hg.), Die Besatzung der Ukraine 1918. Historischer Kontext – Forschungsstand – wirtschaftliche und soziale Folgen, Graz/Wien/ Klagenfurt 2008; Martin Moll, Vom Mitbürger zum Staatsfeind. Die Behandlung der Kärntner und steirischen Slowenen im Ersten Weltkrieg, in: Hellwig Valentin/Susanne Haiden/Barbara Maier (Hg.), Die Kärntner Volksabstimmung 1920 und die Geschichtsforschung. Leistungen, Defizite, Perspektiven. Klagenfurt 2002, 275–294; Tamara Scheer, Die Ringstraßenfront. Österreich-Ungarn, das Kriegsüberwachungsamt und der Ausnahmezustand während des Ersten Weltkriegs, Wien 2010.

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ledig­lich „mitgeschleifter“ und sehr viel weniger potenter „Juniorpartner“ des Deutschen Reiches begünstigte solche Sichtweisen.213 Abgelöst wurden sie allmählich von einer verstärkten Auseinandersetzung mit der Ost- und schließlich Balkanfront sowie einer tiefergehenden Untersuchung der Kriegsplanungen vor 1914, die das Habsburgerreich miteinbezogen.214 Auch das wachsende Interesse an der SW-Front mit Gebirgskämpfen und den Schlachten am Isonzo trug zum „Eintritt“ der k. u. k. Armee in die neue Historiographie des Ersten Weltkrieges bei.215 Breiter rezipiert im deutschsprachigen Raum wurden indessen bisherige Forschungen zur Kriegsgefangenschaft im Habsburgerreich erst als Folge eines 2006 von Jochen Oltmer publizierten Sammelbandes.216 Die vergleichende internationale Kriegsgefangenenforschung zum Ersten Weltkrieg wurde dementsprechend von Rezensenten als überfällig betrachtet.217 Ungeachtet dessen ging es zunächst darum, den Forschungsstand zu einzelnen „Nehmestaaten“ vorzustellen. Die betreffenden Autorinnen und Autoren griffen bei ihren Ausführungen auf bereits vorliegende umfassende Untersuchungen zurück. Fünf „Länderstudien“ – darunter eine zu Österreich-Ungarn – skizzierten die Kriegsgefangenschaft als „Problem europäischer Staaten“218, 213 Zur „Abwesenheit“ der Habsburgermonarchie in der internationalen Weltkriegshistoriographie siehe auch: Ulrike Harmat, Untergang, Auflösung, Zerstörung der Habsburgermonarchie? Zeitgenössische Bedingungen der Erinnerung und Historiographie, in: Helmut Rumpler/Ulrike Harmat (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. XII: Bewältigte Vergangenheit? Die nationale und internationale Historiographie zum Untergang der Habsburgermonarchie als ideelle Grundlage für die Neuordnung Europas, Wien 2018, 49–95, 94. 214 Vgl. u. a. Günther Kronenbitter, Austria-Hungary, in: Richard Hamilton/Holger H. Herwig (Hg.), War Planning 1914, Cambridge 2009, 24–47. 215 Vgl. dazu Einschätzungen bei: Bernhard Bachinger/Richard Lein/Verena Moritz/Julia Walleczek-Fritz/Stefan Wedrac/Markus Wurzer (Hg.), Gedenken und (k)ein Ende? Eine Einleitung, in: Dies. (Hg.), Gedenken und (k)ein Ende? Das Weltkriegs-Gedenken 1914/2014. Debatten, Zugänge, Ausblicke, Wien 2017, 7–21, 12 f. Anzuführen in diesen Zusammenhang exemplarisch: Jürgen Angelow, Der Erste Weltkrieg auf dem Balkan. Perspektiven der Forschung, Berlin 2011; Wolfram Dornik/Julia Walleczek-Fritz/ Stefan Wedrac (Hg.), Frontwechsel. Österreich-Ungarns „Großer Krieg“ im Vergleich, Wien/Köln/Weimar 2014; Gerhard P. Groß (Hg.), Die vergessene Front – der Osten 1914–15. Ereignis, Wirkung, Nachwirkung, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006. 216 Jochen Oltmer (Hg.), Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, Paderborn/ München/Wien/Zürich 2006. 217 Boris Barth: Rezension zu: Oltmer, Jochen (Hrsg.): Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, Paderborn 2006, in: H-Soz-Kult, 30.06.2006, http://www.hsozkult.de/ publicationreview/id/reb-7751 (abgerufen am 1.2.2021). 218 Vgl. die Beiträge im erwähnten Band: Hannes Leidinger/Verena Moritz, Verwaltete Massen. Kriegsgefangene in der Donaumonarchie 1914–1918, 35–66; Jochen Oltmer, Unentbehrliche Arbeitskräfte. Kriegsgefangene in Deutschland, 67–96; Georg Wurzer,

Zwischenkriegszeit und Neubeginn nach 1945

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gefolgt von Beiträgen, die sich der nationalen Propaganda unter den Gefangenen in Russland annahmen oder Fürsorgemaßnahmen behandelten219. Miteinbezogen wurden auch die Problematik der Repatriierung sowie die Frage der Reintegration ehemaliger Gefangener in der Zwischenkriegszeit.220 Ein weiterer wichtiger Akzent lag auf der Frage der Kriegsgefangenenarbeit, ein Thema, dem sich insbesondere Jochen Oltmer bereits in den vorhergehenden Jahren zugewandt hatte.221 Dem Band gelang es zweifellos, Kriegsgefangenschaft als „ein europäisches Phänomen mit Massencharakter“ dauerhaft in die Forschungen zum Ersten Weltkrieg einzubinden und die Spezifika der Thematik zu definieren. Annette Becker etwa betonte die Hybridität der Kriegsgefangenschaft. Sie verbindet, schrieb sie, „auf verschiedenen Ebenen kriegs- und zivilgesellschaftliche Aspekte, Schlachtfeld und Heimatfront“.222

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Die Erfahrung der Extreme. Kriegsgefangene in Rußland 1914–1918, 97–126; Panikos Panayi, Normalität hinter Stacheldraht. Kriegsgefangene in Großbritannien 1914–1919, 126–146; Bernard Delpal, Zwischen Vergeltung und Humanisierung der Lebensverhältnisse. Kriegsgefangene in Frankreich 1914–1920, 147–164. Vgl. im erwähnten Band: Reinhard Nachtigal, Privilegiensystem und Zwangsrekrutierung. Russische Nationalitätenpolitik gegenüber Kriegsgefangenen aus Österreich-Ungarn, 167–193; Giovanna Procacci, „Fahnenflüchtige jenseits der Alpen“. Die italienischen Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn und in Deutschland, 194–216; Uta Hinz, Humanität im Krieg? Internationales Rotes Kreuz und Kriegsgefangenenhilfe im Ersten Weltkrieg, 216–236. Vgl. im von Oltmer herausgegebenen Band etwa: Jochen Oltmer, Repatriierungspolitik im Spannungsfeld von Antibolschewismus, Asylgewährung und Arbeitsmarktentwicklung. Kriegsgefangene in Deutschland 1918–1922, 267–294 oder Odon Abbal, Die französische Gesellschaft der Zwischenkriegszeit und die ehemaligen Kriegsgefangenen, 295–308. Vgl. beispielsweise: Jochen Oltmer, Bäuerliche Ökonomie und Arbeitskräftepolitik im Ersten Weltkrieg. Beschäftigungsstruktur, Arbeitsverhältnisse und Rekrutierung von Ersatzarbeitskräften in der Landwirtschaft des Emslandes, 1914–1918, Emsland/ Bentheim 1995; Jochen Oltmer, Zwangsmigration und Zwangsarbeit. Ausländische Arbeitskräfte und bäuerliche Ökonomie im Ersten Weltkrieg, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte XXVII (1998), 135–168. Der Frage nach der Kontinuität des Arbeitseinsatzes ausländischer Arbeitskräfte ging bereits 1984 Ulrich Herbert nach: Ulrich Herbert, Zwangsarbeit als Lernprozeß. Zur Beschäftigung ausländischer Arbeiter in der westdeutschen Industrie im Ersten Weltkrieg, in: Archiv für Sozialgeschichte XXIX (1984), 285–304. Annette Becker, Paradoxien in der Situation der Kriegsgefangenen 1914–1918, in: Jochen Oltmer (Hg.), Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, München/Paderborn/Zürich/Wien 2006, 24–31, 24.

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Themen der internationalen Historiographie und die Kriegsgefangenschaft im Habsburgerreich im Lichte neuer Fragestellungen und Forschungen

Lager Neue Impulse für eine Auseinandersetzung mit der Kriegsgefangenschaft im Ersten Weltkrieg durfte man im Vorfeld und vor dem Hintergrund des Gedenkens 1914/2014 erwarten. Tatsächlich nahm die Anzahl von Arbeiten zur Gefangenenproblematik des Ersten Weltkrieges bereits in der Dekade vor dem Zentenarium kontinuierlich zu. Auf internationaler Ebene verstärkt eingebunden wurde die Thematik in den Kontext größer dimensionierter Fragestellungen, die etwa einer Geschichte der Lager zuzuordnen waren1. Hier wurde unter anderem am Beispiel der Gefangenschaft im Ersten Weltkrieg eine nur bedingt zulässige Gleichsetzung von Kriegsgefangenschaft und Internierung vor allem mit Blick auf die diesbezügliche Praxis der beiden Vielvölkerimperien, der Habsburgermonarchie und des Russischen Reichs, deutlich gemacht. Der 1917 mit Plänen für die Auflösung der großen Lager im Hinterland hervorgehobene Bedeutungsverlust von Gefangenenlagern in der Donaumonarchie machte zudem auf die Paradoxien einer Totalisierung des Krieges2 bei gleichzeitiger Verabschiedung von der Idee eines totalen Lagers aufmerksam.3 Letz-

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Christoph Jahr/Jens Thiel (Hg.), Lager vor Auschwitz. Gewalt und Integration im 20. Jahrhundert, Berlin 2013. Grundlegend außerdem: Joël Kotek/Pierre Rigoulot, Das Jahrhundert der Lager. Gefangenschaft, Zwangsarbeit, Vernichtung, Berlin 2001. Zur Problematik des „Totalen Krieges“ zusammenfassend siehe Daniel Marc Segesser, Controversy: Total War, in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2014-10-08. DOI: 10.15463/ie1418.10315 (abgerufen am 2.3.2021). Vgl. Hannes Leidinger/Verena Moritz, Flüchtlingslager in Osteuropa im Ersten Weltkrieg. Erschließung, Positionierung und Skizzierung einer halb erkundeten Themenlandschaft, in: Christoph Jahr/Jens Thiel (Hg.), Lager vor Auschwitz. Gewalt und Integration im 20. Jahrhundert, Berlin 2013, 177–196, 185; Hannes Leidinger/Verena Moritz, Aspekte des „Totalen Lagers“ als „Totale Institution“. Kriegsgefangenschaft in der Donaumonarchie 1914–1915, in: Martin Scheutz (Hg.), Totale Institutionen. Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 8/1 (2006), 86–101.

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teres präsentierte sich den ursprünglichen Intentionen widersprechend weder dauerhaft noch für alle Gefangenen als „totale Institution“, wie sie etwa der amerikanische Soziologe Erving Goffman definiert hatte.4 Die Entgrenzung des Krieges ging in Zusammenhang mit den Kriegsgefangenen schließlich auch mit einem zunehmenden Kontrollverlust der zuständigen Behörden einher. Berücksichtigen muss man hier die mit der Verwaltung von Gefangenenagenden verbundenen Dimensionen: Die Kriegsgefangenenstationen im Bereich der Armee im Felde mitgerechnet, gab es im Habsburgerreich 106 Lager.5 In den Hinterlandslagern wurde Platz für etwa eine Million Feindsoldaten geschaffen. Als das größte Lager beschrieb Heinrich von Raabl-Werner Kleinmünchen bei Linz mit „846 Einzelobjekten“ und einer „Aufnahmefähigkeit für 410“ Offiziere und „54.700“ Mannschaftsangehörige.6 Für den Bau der Lager in Österreich-Ungarn wurden etwa 200 Millionen Kronen aufgewendet.7 Dabei gilt es zu bedenken, dass nicht einmal die Hälfte der 106 großen Lager jene „Vorzüge“ hinsichtlich Infrastruktur und Ausstattung aufwiesen, die später für die positive Bewertung der Gefangenschaft in Österreich-Ungarn hauptverantwortlich waren. Während sich schließlich die Lager als Folge des Arbeitseinsatzes der Gefangenen bereits ab 1915 wieder zu leeren begannen, wuchs die Zahl der Arbeitsstätten, an denen die für diverse Tätigkeiten herangezogenen Feindsoldaten untergebracht waren, kontinuierlich. Summa summarum verzeichnete das Kriegsministerium, so Raabl-Werner, 1400 „Arbeitsorte“, an denen Gefangene als Arbeiter verwendet wurden.8 Demgegenüber versandte die Paketsammelstelle Sigmunds­herberg im letzten Kriegsjahr Sendungen an

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Vgl. dazu: Martin Scheutz, Hefteditorial „Totale Institutionen“. Missgeleiteter Bruder oder notwendiger Begleiter der Moderne? Eine Einführung, in: Ders. (Hg.), Totale Institutionen. Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 8/1 (2006), 3–19, 3–5. Das Liquidierende Kriegsministerium verdeutlichte gegenüber der italienischen Waffenstillstandskommission die „Leistungen“ der k. u. k. Verwaltung angesichts der gewaltigen Dimensionen der Gefangenenproblematik und verwies auf diese Zahlen. Beschwerdeschrift der ital. Waffenstillstandskommission, März 1919. ÖStA KA Liqu. KM 10. KgA 1919: 10-125/2, Kt. 2248. Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 13. Vgl. Franz Wiesenhofer, Gefangen unter Habsburgs Krone. Kriegsgefangenenlager im Erlauftal, Purgstall 1997, 24. Das Liquidierende Kriegsministerium verdeutlichte gegenüber der italienischen Waffenstillstandskommission die „Leistungen“ der k. u. k. Verwaltung angesichts der gewaltigen Dimensionen der Gefangenenproblematik und verwies auf diese Zahlen. Beschwerdeschrift der ital. Waffenstillstandskommission, März 1919. ÖStA KA Liqu. KM 10. KgA 1919: 10-125/2, Kt. 2248.

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Gefangene, die an etwa 6000 verschiedenen Arbeitsstätten im Einsatz standen.9 Ungeachtet solcher Entwicklungen blieben in der Historiographie die Begrifflichkeiten Lager und Internierung wegweisend für eine Auseinandersetzung mit der Kriegsgefangenschaft – als Orientierungspunkt, aber auch als Folie für eine tiefergehende Beschäftigung mit Formen und Entwicklungen von Internierung als einem „Phänomen der Moderne“. Allein das sich herausbildende „Lagersystem“ für Kriegsgefangene im Ersten Weltkrieg umfasste im Habsburgerreich beispielsweise mit Sammel-, Durchgangs,- Stamm-, Arbeits-, Straf-, Propaganda, Offiziers- oder Mannschaftslagern sowie verschiedenen „gemischten“ Arten eine ganze Reihe von ­Lagertypen. Diese versinnbildlichten gewissermaßen die Transformation in einen „modernen Krieg“ und führten „das Lager“ als „Matrix des Ausnahmezustands“10 vor.11 Die   9 Rudolf Koch, Im Hinterhof des Krieges. Das Kriegsgefangenenlager Sigmundsherberg, Sigmundsherberg 2002, 150. 10 Giorgio Agamben, Homo Sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt am Main 2012, 186. 11 Vgl. Leidinger/Moritz, Flüchtlingslager, 188. Bis heute scheinen die Lager für viele mit einer Art Faszination verbunden. Tatsächlich war die Infrastruktur, die in einigen Hinterlandslagern der k. u. k. Monarchie geboten wurde, beeindruckend. Die Ausstattung reichte von Großküchen, eigenen Bäckereien, Kantinen, verschiedenen Werkstätten bis hin zu Theatern, Kinos, Bibliotheken, Schulen und Gotteshäusern, die den verschiedenen Konfessionen eine entsprechende Möglichkeit zur Ausübung ihrer Religion verschafften. Zumindest teilweise war Eigenversorgung aufgrund einer diesbezüglichen Bewirtschaftung des Lagerareals gegeben. In anderen Lagern dominierten verschiedene Werkstätten. Im niederösterreichischen Wieselburg beispielsweise wurden Prothesen hergestellt. Die von einigen neutralen Delegierten als vorbildlich wahrgenommenen Lageranlagen entstanden freilich nicht zuletzt mit Blick auf die beabsichtigte Nachnutzung des Militärs in Friedenszeiten. Im Zuge des Baus oder der Um- beziehungsweise Ausgestaltung von Lagern kam es bezeichnenderweise immer wieder auch zu einer Überdehnung budgetärer Mittel. Vgl. dazu: Johann Christoph Allmayer-Beck, Die bewaffnete Macht in Staat und Gesellschaft, in: Adam Wandruszka/Peter Urbanitsch (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. V: Die bewaffnete Macht, Wien 1987, 1–141, 113 f. Häufig in Verwendung war während des Ersten Weltkrieges im Übrigen der Terminus „Konzentrationslager“. In Österreich fand er u. a. Anwendung in Zusammenhang mit der Bekämpfung von Seuchen und der Desinfektion von Flüchtlingen. Auch hinsichtlich der Verwahrung von Kriegsgefangenen war von „Konzentrationslagern“ die Rede – offenbar ebenso im Sinne einer Sammel- oder Quarantänestation unweit der Fronten, aber auch in einer sehr viel umfassenderen Bedeutung, die insgesamt Lager meinte. Die diesbezüglichen Quellen verweisen hier vor allem auf eine Verwendung des Begriffes in der ersten Kriegsphase, d. h. 1914/15. In Russland wiederum scheint der während des Weltkrieges ebenfalls gebräuchliche Terminus tendenziell in Zusammenhang mit der tatsächlichen Abgrenzung von Lagern verwendet worden zu sein. Für die Unterbringung von Feindsoldaten benutzt wurden darüber hinaus vor allem bereits bestehende Bauten. Viele Lager im asiatischen Teil des Zaren-

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Massenverwahrung implizierte gleichzeitig eine evidente Hyperreglementierung, die den Anspruch einer staatlichen „Totalkontrolle“ reflek­tierte und parallel dazu die Grenzen einer kriegsbedingten Weiterentwicklung massen­ adäquater Steuerungskompetenzen des Staates vor Augen führte. Dass der u. a. am Lagersystem festgemachte „moderne“ Krieg darüber hinaus auf ökonomische Dimensionen verwies, lässt sich nicht zuletzt an der wachsenden Bedeutung der Kriegsgefangenenarbeit vorführen: Insgesamt bestand die signifikanteste Innovation der Systeme zur massenhaften Internierung von Kriegsgefangenen überall in Europa darin, dass immer größere Zahlen von Gefangenen nicht in Lager ins Hinterland verbracht, sondern in Arbeitseinheiten eingesetzt wurden, die direkt für die Armee tätig warten – bis 1917 war dies in Großbritannien, Frankreich, Österreich-Ungarn, Deutschland und Russland der Fall.12

Diesem Befund von Heather Jones hinzuzufügen ist, dass es der massenhafte Einsatz von Gefangenen in allen Bereichen der Wirtschaft gewesen war, der eine neue Dimension der Kombination Krieg – Zwang – Arbeit eröffnete. Das gilt zumindest für Österreich-Ungarn, wo ein Drittel der Feindsoldaten im Bereich der Armee im Felde arbeiteten, der Rest im Hinterland. Nur Offiziere, arbeitsunfähige bzw. kranke Gefangene sowie jene, die in den Lagerbetrieben tätig waren, verblieben in den Kriegsgefangenenlagern. reiches verfügten offenbar über keine Einzäunungen – ein Umstand, der bemerkenswerterweise bis heute dazu führt, dass von russischer Seite die Existenz von Lagern für Kriegsgefangene des Ersten Weltkrieges regelrecht negiert wird. Der in russischen Quellen durchaus übliche Begriff „Konzentrationslager“ wird überdies von manchen Historikern zurückgewiesen. Die seinerzeitige Wahrnehmung von russischen Kriegsgefangenen, die das „Wegsperren“ in Lagern als eine weitgehend unübliche und demütigende Internierungspraxis erachteten, die man aus der Heimat nur in Zusammenhang mit der Absonderung von Kriminellen kannte, untermauert die Einschätzung von Lagern als bis dahin mehr oder weniger „fremde“ Einrichtungen. Vgl. den Beitrag von Natal’ja Suržikova in vorliegendem Band sowie Walter Mentzel, Kriegserfahrungen von Flüchtlingen aus dem Nordosten der Monarchie während des Ersten Weltkriegs, in: Bernhard Bachinger/Wolfram Dornik (Hg.), Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten. Erfahrung – Wahrnehmung – Kontext, Innsbruck/Wien/ Bozen, Innsbruck 2013, 376–390, 384 f.; Reinhard Nachtigal, Seuchen unter militärischer Aufsicht in Rußland. Das Lager Tockoe als Beispiel für die Behandlung der Kriegsgefangenen 1915/16, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 48 (2000), 363–387, 381 (Fn. 73). Bezüglich der Frage des Terminus „Konzentrationslager“ nehme ich Bezug auf Diskussionen mit russischen Historikern im Rahmen einer Konferenz über die Quellensituation zur Gefangenenforschung im Ersten Weltkrieg in Moskau im April 2018. 12 Heather Jones, Kriegsgefangenenlager. Der moderne Staat und die Radikalisierung der Gefangenschaft im Ersten Weltkrieg, in: Mittelweg 36-20/4 (2011), 59–75, 62.

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Arbeitszwang und Gewalt Sahen (und sehen) manche Historikerinnen und Historiker in der Praxis der Internierung, gekoppelt an die Charakterisierung des Ersten Weltkrieges als „totalen“ Konflikt, einen der Schlüsselfaktoren zum Verständnis der Jahre 1914 bis 1918 als Zäsur13, musste – wie bereits erwähnt – auch das ­Phänomen Zwangsarbeit vermehrt an Bedeutung gewinnen. Allerdings stand die Heranziehung von Zivilisten als außerhalb bestehender Normen vollzogene „Nutzbarmachung“ menschlicher Arbeitskraft insbesondere durch das Deutsche Reich tendenziell mehr im Vordergrund als der Faktor Kriegsgefangenenarbeit.14 Demgegenüber ist das Thema „zivile Zwangsarbeit“ in Bezug auf die Situation im Habsburgerreich noch nicht umfassend untersucht.15 Hinsichtlich der Praxis der Heranziehung von Feindsoldaten als Arbeitskräfte in der k. u. k. Monarchie ist mittlerweile auf im Rahmen des FWF-Projektes erschienene Artikel zu verweisen.16 Dabei ist im Auge zu behalten, dass 13 Vgl. etwa Stibbe, Civilian Internment, 50. 14 Dazu: Vejas Gabriel Liulevicius, Kriegsland im Osten. Eroberung, Kolonialisierung und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg, Hamburg 2002; Jens Thiel, „Menschenbassin Belgien“. Anwerbung, Deportation und Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg, Essen 2007; Christian Westerhoff, Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg. Deutsche Arbeitskräftepolitik im besetzten Belgien und Litauen 1914–1919, Paderborn u. a. 2012. Vgl. aber auch: Jochen Oltmer, Arbeitszwang und Zwangsarbeit. Kriegsgefangene und ausländische Zivilarbeitskräfte im Ersten Weltkrieg, in: Rolf Spilker (Hg.), Der Tod als Maschinist. Der industrialisierte Krieg 1914–1918, Bramsche 1998. Explizit zur Zwangsarbeit Kriegs­ gefangener im Ersten Weltkrieg: Oxana Nagornaja, Das deutsche Zwangsarbeitssystem des Ersten Weltkriegs als Lernprozess. Das Beispiel der russischen Kriegsgefangenen, in: Kerstin von Lingen/Klaus Gestwa (Hg.), Zwangsarbeit als Kriegsressource in Europa und Asien, Paderborn 2014, 143–154. Vgl. auch: Fabian Lemmes, Ausländer­ einsatz und Zwangsarbeit im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Neuere Forschungen und Ansätze, in: Archiv für Sozialgeschichte 50 (2010), 395–444. 15 Mit einzelnen Bezügen dazu: Tamara Scheer, Die Kriegswirtschaft am Übergang von der liberal-privaten zur staatlich-regulierten Arbeitswelt, in: Helmut Rumpler (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. XI, 1/1: Der Kampf um die Neuordnung Mitteleuropas/Vom Balkankrieg zum Weltkrieg, Wien 2016, 437–484. Hinsichtlich der Kriegsflüchtlinge siehe Walter Mentzel, Kriegsflüchtlinge in Cisleithanien im Ersten Weltkrieg, Diss. Wien 1997. 16 Vgl. u. a. Julia Walleczek-Fritz, The Habsburg Empire’s Russian Prisoners of War and Their Experiences as Forced Laborers on the Austro-Hungarian Southwestern Front, 1915–18, in: Laurie S. Stoff et al. (Hg.), Military Affairs in Russia’s Great War and Revolution, 1914–22, Book 1: Military Experiences, Bloomington/ IN 2019, 463–490; Dies., Behind the Front Line. Russian and Serbian POWs as Forced Labourers in Austria-­ Hungary and the Beginnings of the Southwestern Front in 1915, in: Dalibor Denda/ Christian M. Ortner (Hg.), The Great War in 1915, Belgrade 2017, 147–164; Dies., Im Dienste Österreich-Ungarns. Kriegsgefangene in Tirol während des Ersten Weltkrieges, in: Tiroler Heimat 78 (2014), 109–134. Siehe auch zur Arbeitsverwendung im Hinter-

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Kriegsgefangene 1915 und 1916 abseits ihrer Verwendung bei der A. i. F. vor allem in industriellen Betrieben beschäftigt waren. Erst in den beiden letzten Kriegsjahren änderte sich diese Situation. Nun waren Gefangene vor allem landwirtschaftlichen Arbeiten zugeteilt. Damit erhöhte sich auch der Anteil von im ungarischen Reichsteil verwendeten Kriegsgefangenen eklatant. Insgesamt, so Heinrich von Raabl-Werner, waren „gegen Kriegsende über 1 Mill. Kgf. in der Landwirtschaft tätig“.17 Kriegsgefangenenarbeit im Ersten Weltkrieg wird ungeachtet dessen im Kontext der Industrialisierung oder besser Industrialisierungserfahrungen und einer damit verbundenen optimalen Nutzbarmachung menschlicher Arbeitskraft betrachtet. In jedem Fall geht es hier wohl weniger um die Frage des Einsatzes von Gefangenen in spezifischen Arbeitsumfeldern als vielmehr um die, wie Heather Jones meint, Kontinuität im Umgang mit der Arbeiterschaft seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert: Die massenhafte Beschäftigung der Kriegsgefangenen des Ersten Weltkriegs als Arbeiter, die uniformierte Kleidung trugen, stumpfsinnige körperliche Arbeiten verrichteten und nur einen symbolischen Lohn erhielten – der ihnen bei ihrer Befreiung nach Kriegsende ausgezahlt werden sollte, den die meisten jedoch nie erhielten –, lässt sich […] als Kulminationspunkt eines allgemeineren historischen Prozesses verstehen, bei dem es um die Schaffung eines homogenen, austauschbaren Reservoirs verfügbarer Arbeitskräfte der Arbeiterklasse ging, das dem Wachstum der Industrie zu dienen hatte.18

Impulse für die Kriegsgefangenenthematik kamen indessen auch von der historischen Gewaltforschung, die lange Zeit allerdings kaum erschöpfend auf den Ersten Weltkrieg und noch weniger auf Kriegsgefangene Bezug nahm. Die Militärgeschichte spielte zunächst in diesem Zusammenhang so gut wie keine Rolle, da Gewalt im militärischen Kontext ohnehin „kein Rätsel“ darstellte und es zu reichen schien, sich Befehlsstrukturen zuzuwenden.19 land: Verena Moritz, Kriegsgefangene in Wien im Ersten Weltkrieg, in: Alfred Pfoser/ Andreas Weigl (Hg.), Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 104–113 sowie Verena Moritz/Hannes Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung. Die russischen Kriegsgefangenen in Österreich (1914–1921), Bonn 2005, passim. 17 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 54. 18 Jones, Kriegsgefangenenlager, 71. 19 Felix Schnell, Gewalt und Gewaltforschung, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 08.11.2014. http://docupedia.de/zg/schnell_gewalt_gewaltforschung_v1_de_2014. DOI: http://dx.doi.org/10.14765/zzf.dok.2.589.v1 (abgerufen am 2.3.2021). Siehe auch:

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Sozialgeschichtliche Ansätze erreichten die Militärhistorie erst relativ spät, der Beginn einer „Militärgeschichte von unten“ datiert in die 1980er Jahre. Nichtsdestoweniger entwickelten sich mittlerweile aus vereinzelten Arbeiten, die sich schließlich der Gewalt im Ersten Weltkrieg annahmen, für die Frage der Gefangenenbehandlung weiterreichende Ansatzpunkte. Diese betreffen vor allem die Tötung eingebrachter Gefangener beziehungsweise die Frage etwaiger Befehle, welche die physische Vernichtung gegnerischer Soldaten gegenüber deren Unschädlichmachung und Ergreifung priorisierten.20 Die Behandlung der Gefangenen während der gesamten Dauer des Ersten Weltkrieges als systematisierte, regelbasierte Praxis und explizit im Kontext von Gewalt ist mittlerweile für Deutschland, Frankreich und Großbritannien untersucht.21 Kriegsgefangenschaft und Gewalt im Sinne eines Bruches mit vormals gültigen Praktiken wird dabei nicht zuletzt in Verbindung mit „Vorstellungen von Rasse, Ethnizität und Nationalität“ betrachtet22 und der „industrialisierte Schützengrabenkrieg zwischen 1914 und 1918“ als eine „einzigartige Verschmelzung sowohl der ‚Gewalt‘ als auch der ‚Zwangs­ arbeits‘-­Dimension der Kriegsgefangenschaft“ verstanden.23 Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den während des Krieges unter den gefangenen Feindsoldaten durchgeführten anthropologischen Untersuchungen im Deutschen Reich sowie in der Habsburgermonarchie führte die Thematik indessen an seinerzeitige „Rassendiskurse“ heran und knüpfte in unterschiedlichem Ausmaß an die Frage nachfolgender Entwicklungen

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Jörg Echternkamp/Wolfgang Schmidt/Thomas Vogel (Hg.), Perspektiven der Militärgeschichte. Raum, Gewalt und Repräsentation in historischer Forschung und Bildung, München 2010. Vgl. aber explizit zur Gefangenenthematik vor allem die Arbeiten von Heather Jones, auf die hier noch näher eingegangen wird: Heather Jones, Violence against Prisoners of War in the First World War. Britain, France and Germany, 1914–1920, Cambridge/New York/Melbourne 2011, Wichtige Anregungen bei: Niall Ferguson, Prisoner Taking and Prisoner Killing in the Age of Total War. Towards a Political Economy of Military Defeat, in: War in History 11/2 (2004), 134–178; Tim Cook, The Politics of Surrender. Canadian Soldiers and the Killing of Prisoners in the Great War, in: The Journal of Military History 70/3 (Jul. 2006), 637–665, stable URL: http://www.jstor.org/stable/4138119 (abgerufen am 18.8.2021). Zur Problematik intendierter sowie legitimierter Gewalt gegenüber Kriegsgefangenen siehe außerdem: Brian K. Feltman, Tolerance as a Crime? The British Treatment of German Prisoners of War on the Western Front, 1914–1918, in: War in History 17 (2010), 435–458. Grundlegend, mit einigen Hinweisen zum Thema Kriegsgefangene: Benjamin Ziemann, Gewalt im Ersten Weltkrieg. Töten, Überleben, Verweigern, Essen 2013. Vgl. Jones, Violence. Jones, Kriegsgefangenenlager, 72. Ebd., 74.

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an.24 Margit Berner, die sich mit den „Massenuntersuchungen der Wiener Anthropologen an gefangenen Soldaten“ zwischen 1915 und 1918 auseinandergesetzt hat, griff die Frage der Entwicklungslinien in Richtung NS-Ideologie auf. Britta Lange, die anthropologische und ethnographische Verfahren in den Kriegsgefangenenlagern untersuchte, sieht ein aus verschiedenen Komponenten zusammengesetztes problematisches „Menschenbild“ der betreffenden Wissenschaftler.25 Interesse hervorgerufen haben darüber hinaus auch diverse Tonaufnahmen, die im Kontext „musikwissenschaftlicher Forschungen“ in Kriegsgefangenenlagern angefertigt wurden. Die diesbezüglichen Dokumentationen erwiesen sich in weiterer Folge – freilich unter den Vorzeichen eines kritischen wissenschaftlichen Zuganges – gleichermaßen als Ausgangspunkt für 24 Als Beispiele für die mittlerweile stark angewachsene Forschungsliteratur: Margit Berner, Forschungs-„Material“ Kriegsgefangene. Die Massenuntersuchungen der Wiener An­ thro­pologen an den gefangenen Soldaten 1915–1918, in: Heinz Eberhard Gabriel/Wolfgang Neugebauer (Hg.), Vorreiter der Vernichtung? Eugenik, Rassenhygiene und Eu­ thanasie in der österreichischen Diskussion vor 1938. Zur Geschichte der NS-Euthanasie in Wien, Teil 3, Wien/Köln/Weimar 2005, 167–198; Andrew D. Evans, Anthropology at War. Racial Studies of POWs during World War I, in: H. Glenn Penny/Matti Bunzl (Hg.), Worldly Provincialism. German Anthropology in the Age of Empire, Ann Arbor 2003, 198–229; Maciej Górny, War on Paper? Physical Anthropology in the Service of States and Nations, in: Jochen Böhler/Wlodzimierz Borodziej/Joachim von Puttkamer (Hg.), Legacies of Violence. Eastern Europe’s First World War, München 2014, 131–167; Britta Lange, Die Wiener Forschungen an Kriegsgefangenen 1915–1918. Anthropologische und ethnografische Verfahren im Lager, Wien 2013; Monique Scheer, „Völkerschau“ im Gefangenenlager. Anthropologische „Feind“-Bilder zwischen popularisierter Wissenschaft und Kriegspropaganda 1914–1918, in: Reinhard Johler/Freddy Raphael/Claudia Schlager/Patrick Schmoll (Hg.), Zwischen Krieg und Frieden. Die Konstruktion des Feindes. Eine deutsch-französische Tagung, Tübingen 2009, 69–109; Reinhard Johler/Christian Marchetti/Monique Scheer (Hg.), Doing Anthropology in Wartime and War Zone. World War I and the Cultural Sciences in Europe, Bielefeld 2010. 25 „Das Menschenbild, das die Untersucher von ihren Untersuchten hatten, war gekennzeichnet von Rassismus, Vorurteilen und vermeintlicher Überlegenheit und spiegelte sich in den Berichten, Materialbeschreibungen und Auswertungen der Veröffentlichungen der Kriegsgefangenenuntersuchungen wider.“ Berner, Forschungs-„Material“ Kriegsgefangene, 192. Britta Lange wiederum, die anthropologische und ethnographische Verfahren in den Kriegsgefangenenlagern untersuchte und dabei auf die „Wiener Forschungen an Kriegsgefangenen“ fokussierte, bilanzierte: „Wenn die Forschungsergebnisse auch weder durch das Militär ausgesprochen noch die Forschungsergebnisse vom Militär verwertet wurden, so fanden die Kriegsgefangenenforschungen doch unter wohlwollender Billigung und mit praktischer Hilfe des Militärs statt. Bereits bestehende politische Tendenzen – chauvinistische, orientalistische, kolonialistische, auch rassistische Einstellungen – schienen bei den Forschungen an Kriegsgefangenen durch deren Zugehörigkeit zu den Kriegsgegnern und ihren juridischen Ausnahmezustand legitimiert und verschärften sich.“ Lange, Die Wiener Forschungen, 433.

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eine längerfristige Bewahrung damals aufbereiteten „Forschungsmaterials“. So machte etwa das Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften die „Gesänge“ von Kriegsgefangenen aus dem Zarenreich auf mehreren Tonträgern auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich.26

Kategorien Kultur-, wissenschafts-, wirtschafts- und sozialgeschichtliche27 Zugänge bereicherten die Kriegsgefangenenforschung ebenso wie Gender-Perspektiven28 oder – konkret in Zusammenhang mit türkischen Offizieren in russischen Gefangenenlagern – die Untersuchung von Elitendiskursen als Nation-building-Projekt unter besonderen Bedingungen29. Derartige Zugänge, die die Erfahrung der Gefangenschaft mitunter wieder stärker an das „Lagerleben“ banden, „Lagerkulturen“ untersuchten und damit in der Regel die Erfahrungen von Offizieren in den Vordergrund stellten bzw. stellen mussten, hatten sich freilich vom Duktus früherer Historiographien als Echokammern hauptsächlich 26 RECORDINGS FROM PRISONER-OF-WAR CAMPS, WORLD WAR I, Herausgeber: Gerda Lechleitner, Christian Liebl und Ulla Remmer, Inhalt der Series 17/1–5: 17/1: Armenian – Jewish – Latvian – Lithuanian Recordings, 17/2: Finno-Ugric Recordings, 17/3: Russian – Ukrainian Recordings, 17/4: Turk-Tatar Recordings, 17/5: Georgian – Avar – Jewish – Ossetian – Svanetian Recordings, erschienen 2018. Vgl. außerdem: Jaan Ross (Hg.), Encapsulated Voices. Estonian Sound Recordings from the German Prisoner-of-War Camps in 1916–1918, Köln/Weimar/Wien 2012. Siehe dazu auch die umfangreiche Bibliographie des Lautarchivs der Humboldt-Universität Berlin: https://­www.lautarchiv.hu-berlin.de/en/introduction/bibliography/ (abgerufen am 1.4.2021). 27 Vgl. u. a. auch Hannes Leidinger/Verena Moritz, Kriegsgefangenschaft und Kriegswirtschaft. Vergleiche und Problembereiche unter besonderer Berücksichtigung Mittelund Osteuropas im Ersten Weltkrieg, in: Wolfram Dornik/Johannes Gießauf/Walter M. Iber (Hg.), Krieg und Wirtschaft. Von der Antike bis ins 21. Jahrhundert, Innsbruck/ Wien/Bozen 2010, 461–470; Rainer Pöppinghege, Im Lager unbesiegt. Deutsche, englische und französische Kriegsgefangenen-Zeitungen im Ersten Weltkrieg, Essen 2006. 28 Alon Rachamimov, The Disruptive Comforts of Drag. (Trans)Gender Performances among Prisoners of War in Russia, 1914–1920, in: Americal Historical Review 111/2 (2006), 362–382; Ders., Normalität als Travestie. Das Theaterleben der k. u. k. Kriegsgefangenenoffiziere in Rußland, 1914–1920, in: Laurence Cole/Christa Hämmerle/Martin Scheutz (Hg.), Glanz – Gewalt – Gehorsam. Militär und Gesellschaft in der Habsburgermonarchie (1800–1918), Essen 2011, 101–126; Vgl. dazu auch: Matthew Stibbe, Gendered Experience of Civilian Internment. A Forgotten Dimension of Wartime Violence, in: Ana Carden-Coyne (Hg.), Gender and Conflict since 1914. Historical and Interdisciplinary Perspectives, Basingstoke 2012, 14–28. 29 Vgl. Yücel Yanikdağ, Healing the Nation. Prisoners of War, Medicine and Nationalism in Turkey, 1914–1939, Edinburgh 2013.

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von „Offiziersstimmen“ entfernt.30 Als Versuch, eine Art „Kriegsgefangenschaft von unten“ zu präsentieren, verstand sich wiederum ein 2008 erschienener Band, der die Erfahrungen von k. u. k. Soldaten in Russland ins Zentrum stellte.31 In diesem Zusammenhang gilt es festzuhalten, dass, errechnet von der Gesamtzahl der in Kriegsgefangenschaft geratenen Männer, nur 1,5 Prozent Offiziere waren.32 Der Offiziersanteil von Kriegsgefangenen aus der Zarenarmee lag bei etwa 1,4 Prozent. Unter den Gefangenen aus der k. u. k. Armee gehörten knapp über zwei Prozent dem Offiziersstand an. Drei Prozent waren es bei den Italienern, etwas mehr als ein Prozent bei den deutschen Streitkräften, und unter den serbischen Kriegsgefangenen zählten 0,5 Prozent zu den Offizieren.33 Ungeachtet dessen drang eine „Militärgeschichte von unten“ nur zögerlich in die Kriegsgefangenenforschung vor. Obwohl etwa in Zusammenhang mit dem Gedenken 1914/2014 vielfach die subjektiven Perspektiven auch einfacher Soldaten in den Mittelpunkt gerückt wurden, erweiterte sich dieses Interesse in nur eingeschränktem Maße auf die Kriegsgefangenschaft.34 Anders als in Deutschland, wo die Gefangenen anfangs „nur nach den Möglichkeiten der Quartiere untergebracht“ wurden und „kein nationales Einteilungsprinzip“ zum Tragen kam35, erfolgte die Unterbringung von Feindsoldaten, die durch die k. u. k. Armee eingebracht worden waren, vom Beginn des Konfliktes an bis zu dessen Ende weitgehend nach nationalen Kriterien. Während die „Vermischung“ der Ethnien in deutschem Gewahr30 Vgl. Dazu auch: Michael Epkenhans/Stig Förster/Karen Hagemann, Biographien und Selbstzeugnisse in der Militärgeschichte. Möglichkeiten und Grenzen, in: Michael Epkenhans/Stig Förster/Karen Hagemann (Hg.), Militärische Erinnerungskultur. Soldaten im Spiegel von Biographien, Memoiren und Selbstzeugnissen, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006, IX–XVI. 31 Verena Moritz/Hannes Leidinger (Hg.), In russischer Gefangenschaft. Erlebnisse österreichischer Soldaten im Ersten Weltkrieg, Wien/Köln/Weimar 2008. Vgl. hierzu auch: Christa Hämmerle, Den Militärdienst erinnern. Eine Einleitung, in: Christa Hämmerle (Hg.), Des Kaisers Knechte. Erinnerungen an die Rekrutenzeit im k.(u.)k. Heer 1868 bis 1914, Wien/Köln/Weimar 2012, 7–27, 7–10. 32 Alon Rachamimov, POWs and the Great War. Captivity on the Eastern Front, Oxford/ New York 2002, 225. 33 Errechnet anhand der Tabellen in: Weiland/Kern, In Feindeshand, ohne Seitenzahl. 34 Tagebücher auch von einfachen Soldaten, die in Kriegsgefangenschaft gerieten, finden sich beispielsweise in der Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien. Dort vorhandene Texte waren auch Grundlage des erwähnten Bandes über die Gefangenschaft in Russland. Neuere Publikationen von diesbezüglichen Selbstzeugnissen sind eher rar. Mit Bezügen zur Gefangenschaft siehe u. a. Sigrid Wisthaler, Karl Außerhofer. Das Kriegstagebuch eines Soldaten im Weltkrieg, Innsbruck 2011, 55 f. 35 Klante, Die Kriegsgefangenen in Deutschland, 191.

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sam beispielsweise den Protest von britischer Seite nach sich zog und selbst die gemeinsame Unterbringung von britischen mit russischen Offizieren Widerspruch hervorrief36, entschied man sich im Habsburgerreich für andere Richtlinien. In Deutschland reflektierte die gemeinsame Unterbringung von Entente-Soldaten nach Darstellung von Oksana Nagornaja eine gezielte Strategie, Gegensätze zwischen den Feindsoldaten zu fördern. Trennendes tat sich unter diesen Vorzeichen vor allem zwischen russischen und westeuropäischen Kriegsgefangenen auf.37 Praktische Gründe – etwa die einfacher zu handhabende „Verabreichung“ einer jeweils für bestimmte Nationalitäten für typisch(er) gehaltenen Nahrung oder die Möglichkeit, bestimmte Gruppen bei Bedarf rascher sammeln zu können – standen indessen für die Instanzen der Habsburgerarmee im Vordergrund, als sie von einer Vermischung verschiedener Gefangenen-Ethnien Abstand nahmen. Disziplinäre Probleme, die aus der gemeinsamen Unterbringung etwa von Franzosen und Russen in deutschem Gewahrsam resultierten38, verweisen auf die Vorteile der österreichisch-ungarischen Praxis, die allerdings nicht zuletzt die geographischen Dimensionen der Fronten widerspiegelte und wahrscheinlich weniger auf einer bewussten Entscheidung gegen eine „deutsche Lösung“ basierte. Bei manchen Kriegsgefangenen-Arbeiter-Abteilungen oder anderen Gruppen von Gefangenen, die außerhalb der Lager zum Einsatz kamen, war ein Nebeneinander verschiedener Ethnien ohnehin unvermeidlich. Dass solche Konstellationen von den Betroffenen auch in österreichisch-ungarischem Gewahrsam nicht immer goutiert wurden, beweisen entsprechende Eingaben von Gefangenen. Nicht gemeinsam mit Russen arbeiten wollten beispielsweise italienische Gefangene, die in Galizien stationiert waren und Anfang 1918 vielmehr eine Vereinigung mit italienischen Kameraden anstrebten.39 Hinzu kam schließlich eine explizite Separierung bestimmter Gefangenengruppen, die auf konkrete Propagandaabsichten verwies. Überlegungen, die auf eine Beeinflussung bestimmter Gefangenen-Nationalitäten hinausliefen

36 Oxana Nagornaja, United by Barbed Wire. Russian POWs in Germany, National Stereotypes, and International Relations, 1914–22, in: Kritika 10/3 (Summer 2009), 475–498, 479. 37 Oxana Nagornaja, „Nicht Freunde, nur Verbündete“. Entente-Kriegsgefangene in deutschen Lagern, in: Bernhard Lübbers/Isabella von Treskow (Hg.), Kriegsgefangenschaft 1914–1919. Kollektive Erfahrung, kulturelles Leben, Regensburger Realität, Regensburg 2019, 233–247, 240–242. 38 Ebd., 242. 39 Sonderbericht der italienischen Zensurabteilung, Januar 1918. ÖStA KA AOK-Evidenzbüro, Kt. 3784.

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bzw. deren etwaige Besserstellung betrafen, mündeten in eine gesonderte Unterbringung beispielsweise von Ukrainern, Polen oder Muslimen. Das Interesse der historischen Forschung an einzelnen nationalen, aber auch konfessionellen Gruppen in Kriegsgefangenschaft, das auch die diesbezügliche Propaganda bis hin zur Formierung militärischer Einheiten aus Gefangenen miteinschloss, hat sich seit den 1980er Jahren zunächst nur zaghaft weiterentwickelt.40 Neben Russland, das immer noch der Hauptausgangspunkt für einige Arbeiten blieb41, geriet schließlich auch Deutschland42 in den Fokus. Die Frage der realiter wenig nachhaltigen Propaganda unter Kriegsgefangenen in österreichisch-ungarischem Gewahrsam, die im Vergleich zu den ökonomischen Interessen und damit der Arbeitsverwendung von Gefangenen das Nachsehen hatte, manifestierte sich lange Zeit lediglich in vereinzelten Fußnoten. Eine erste zusammenfassende Darstellung österreichisch-ungarischer Propaganda unter den Kriegsgefangenen erfolgte im Rahmen einer Publikation über russische Kriegsgefangene.43 Relativ früh Beachtung in der Geschichtswissenschaft gefunden hatten immerhin die Ukrainer44, die mittlerweile zusätzliche Aufmerksamkeit auf 40 Vgl. Samuel R. Williamson/Peter Pastor (Hg.), Essays on World War I. Origins and Prisoners of War, New York 1983. 41 Marina Rossi, I prigionieri dello Zar. Soldati italiani dell’esercito austo-ungarico nei lager della Russia (1914–1918), Milano 1997; Reinhard Nachtigal, Privilegiensystem und Zwangsrekrutierung. Russische Nationalitätenpolitik gegenüber Kriegsgefangenen aus Österreich-Ungarn, in: Jochen Oltmer (Hg.), Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006, 167–193. Über die Tschechoslowakische Legion: Gerburg Thunig-Nittner, Die tschechoslowakische Legion in Rußland. Ihre Geschichte und Bedeutung bei der Entstehung des 1. Tschechoslowakischen Staates, Wiesbaden 1970. Siehe mittlerweile auch: Joan McGuire Mohr, The Czech and Slovak Legion in Siberia, 1917–1922, Jefferson u. a. 2012 – allerdings mit einer Vielzahl von gravierenden historischen Fehlern. 42 Vgl. Oxana Nagornaja, Des Kaisers Fünfte Kolonne? Kriegsgefangene aus dem Zarenreich im Kalkül deutscher Kolonisationskonzepte (1914 bis 1922), in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 58/2 (2010), 181–206; Margot Kahleyss, Muslime in Brandenburg. Kriegsgefangene im 1. Weltkrieg. Ansichten und Absichten, Berlin 1998; Gerhard Höpp, Muslime in der Mark. Als Kriegsgefangene und Internierte in Wünsdorf und Zossen, 1914–1924, Berlin 1997; Franziska Roy, Soldat Ran Singh und der deutsche Kaiser. Indische Kriegsgefangene in deutschen Propagandalagern, Heidelberg 2014. 43 Vgl. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 128–141. 44 Wolfdieter Bihl, Beiträge zur Ukraine-Politik Österreich-Ungarns 1918, in: Jahrbücher für die Geschichte Osteuropas, N. F. 14/1 (1966) 51–62, 51; Wolfdieter Bihl, Österreich-Ungarn und der „Bund zur Befreiung der Ukraine“, in: Österreich und Europa, Festgabe für H. Hantsch, Graz/Wien/Köln 1965, 505–526; Elisabeth Olenčuk, Das Propagandalager. Die politische Beeinflussung der ukrainischen Kriegsgefangenen in Freistadt 1914–18, in: Arche 8 (März 1995), 8–11. Wolfdieter Bihl, Das im Herbst 1914 geplante Schwarzmeer-Unternehmen der Mittelmächte, in: Jahrbücher für Osteuropä-

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sich gezogen haben.45 Demgegenüber gerieten Polen46, „Deutschrussen“ oder andere Gruppen wie etwa sogenannte „Mazedobulgaren“47 oder „Csangos“48

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ische Geschichte N. F. 14/3 (1966) 362–366 und Elizaveta Olentchouk, Die Ukrainer in der Wiener Politik und Publizistik 1914–1918. Ein Beitrag zur Geschichte der österreichischen Ukrainer (Ruthenen) aus den letzten Jahren der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, Diss. Wien 1998, 118–121. Zu den Propagandaaktivitäten unter den Ukrainern siehe auch Rappersberger, Das Kriegsgefangenenlager Freistadt. Ausführlich zu den ukrainischen Kriegsgefangenen bei den Mittelmächten mit Schwerpunkt allerdings – wie der Titel verrät – auf Deutschland: Frank Golczewski, Deutsche und Ukrainer 1914–1939, Paderborn 2010, 108–128; 282–291. Dazu siehe mittlerweile mit punktuellen Bezügen zu Kriegsgefangenen und der Legion: Piotr Szlanta/Klaus Richter: Prisoners of War (East Central Europe) , in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2017–08–02. DOI: 10.15463/ie1418.11135 (abgerufen am 23.6.2021). „Mazedobulgaren“ wurden zunächst an den bulgarischen Verbündeten abgegeben. Probleme hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit den Bulgaren ergaben sich aber aufgrund von seuchenkranken Gefangenen, die daraufhin nicht weitertransportiert wurden. Außerdem stemmte sich das damals noch neutrale, aber durchaus der Entente zuneigende Rumänien gegen eine Durchreise dieser Personen – angeblich, weil diese anderen Volksgruppen angehörten und beispielsweise als „Kutzowalachen“ in Rumänien zu bleiben wünschten. Andere wiederum seien „Griechen“ und „Zinzaren“ gewesen. 1916 stoppte das Kriegsministerium selbst die Überstellung von 5000 Mazedobulgaren an den bulgarischen Verbündeten, denn man benötigte sie als Arbeitskräfte. Darüber hinaus entnahmen österreichische Zensoren etwa 1917 der Korrespondenz von Mazedobulgaren, dass sich ihre Hoffnungen hinsichtlich Bulgarien nicht erfüllten. Man habe sich, hieß es sinngemäß, umsonst in Gefangenschaft begeben. Vgl. Telegramm Graf Tarnowski, 31.3.1915; Telegramm Graf Tarnowski, 21.4.1915. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 19 c Kriegsgefangene, Kt. 938; K. u. k. KM Abt. 10/Kgf. Nr. 18367 an das k. u. k. Ministerium des Äußern, 15.7.1916. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 19 c Kriegsgefangene, Kt. 938; Serbische Kriegsgefangene in der Monarchie, 5.3.1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-7/4-2, Kt. 1429. Darüber hinaus wurden die „aus der Dobrudscha stammenden rumänischen Untertanen bulgarischer Nationalität“ an Bulgarien abgegeben. Der Vertreter des k. u. k. Ministerium des Äußern beim k. u. k. Armeeoberkommando an das Ministerium des Äußern, 15.11.1915. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 19 l-z Kriegsgefangene, Kt. 940, Fol. 370. Das AOK gab überdies seine Zustimmung zur Einreihung dieser Gefangenen in die Einheiten der Mittelmächte. Dazu hieß es im Januar 1917 an die Adresse des Außenministeriums, dass „gegen die Einreihung freiwillig sich hierzu erbietender Kriegsgefangenen in die Streitmächte der Zentralmächte kein Bedenken obwaltet. Von diesem Standpunkte ausgehend, haben wir seinerzeit auch der Ueberstellung hierlands kriegsgefangener Mazedobulgaren und Islamiten nach Bulgarien beziehungsweise nach der Türkei zwecks Einreihung in die dortigen Heere zugestimmt.“ Abschrift eines Erlasses, Armee-Oberkommando, 24.1.1917, Nr. 398. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 19 l-z Kriegsgefangene, Kt. 940. Die Aufmerksamkeit der k. u. k. Behörden galt in diesem Zusammenhang den aus der Moldau stammenden „Csángos“, die als „Ungarn röm.-katholischer Religion“ und in

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kaum oder gar nicht in den Fokus der Forschung – ein Befund, der bis heute im Wesentlichen zutrifft. Gedämpftes Interesse war im Übrigen den muslimischen Gefangenen aus dem Zarenreich zuteilgeworden, die für die Idee eines „Heiligen Krieges“ gewonnen werden sollten.49 Bereits Anfang 1915 lag „im Allgemeinen“ die Bereitschaft militärischer Stellen im Habsburgerreich vor, „nicht nur bei Ukrainern, Polen und Juden, sondern [auch] bei Liv-, Cur- und Estländern, Kosaken, Tscherkessen, Georgiern, Grusiniern, Tataren, Kalmüken und allen übrigen Mohammedanern und Asiaten des russ. Reiches auf das Erkennen der eigenen nationalen Eigenheiten u. Tugenden und in der Folge auf das Entstehen eines separaten nationalen Selbstgefühls u. einer nationalen Kultur- u. Unabhängigkeitsbestrebung“ hinzuarbeiten.50 Tatsächlich wurden u. a. ukrainische und polnische Gefangene in gesonderten Lagern oder zumindest Lagergruppen konzentriert. Das galt auch für Muslime und offenbar auch für jüdische Kriegsgefangene51, wobei etwa Heinrich von Raabl-Werner nach dem Krieg

Rumänien unterdrückte Staatsbürger bezeichnet wurden, von denen allerdings der Großteil als „rumänisiert“ galt. K. u. k. Ministerium des Äußern betr. Eingabe des Kustos des ungarischen National-Museums im Interesse der in Kriegsgefangenschaft geratenen Csángos aus der Moldau, 1916. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 19 l-z Kriegsgefangene, Kt. 940. Das k. u. k. Kriegsministerium ordnete im November 1916 tatsächlich die von rumänischen Gefangenen separat zu erfolgende Unterbringung von kriegsgefangenen Csángos an. Sie sollten überdies nur in rein ungarischen landwirtschaftlichen Gebieten als Arbeiter verwendet werden. Von einer Verwendung „für den Bereich der Armee im Felde“ wurde abgesehen. K. u. k. Kriegsministerium an das k. u. k. Kriegsgefangenenlager Ostffyasszonyfa, 10.11.1916. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 19 l-z Kriegsgefangene, Kt. 940, Fol. 360. 49 Wolfdieter Bihl, Die Kaukasus-Politik der Mittelmächte, Teil I: Ihre Basis in der Orient-Politik und ihre Aktionen 1914–1917, Bd. 1, Wien 1975. 50 Studie über Behandlung der Kgf., Januar 1915. ÖStA KA KM 10. Abt. 1915: 10-7/9, Kt. 951. 51 Während Raabl-Werner die separate Unterbringung auch von jüdischen Kriegsgefangenen anmerkt, finden sich in den Akten der 10. Kriegsgefangenenabteilung interessanterweise keine weiterführenden Hinweise darauf. Jüdische Gefangene wurden offenbar vor allem in Anbetracht ihrer Deutsch-Kenntnisse als Dolmetscher in den Lagern verwendet, was wiederum für keine gesonderte Unterbringung – zumindest nicht nach Lagern – spricht. Für das ungarische Lager Somorja gibt es allerdings Anhaltspunkte, wonach ab Januar 1916 per Verordnung des k. u. k. Kriegsministeriums jüdische Gefangene in eine eigene Baracke überführt wurden. Die jüdischen Kriegsgefangenen gaben auch eine eigene Zeitschrift mit dem Titel „Der jüdische Kriegsgefangene“ heraus. Als Herausgeber des monatlich erscheinenden Periodikums wurden genannt: „Die Bibliothek-Gesellschaft der jüdischen Kriegsgefangenen und die jüdische Bildungsgesellschaft ‚Jugend‘.“ Eine der Ausgaben enthielt einen „Protest gegen die Verfolgungen, Grausamkeiten und Knebelungen der Juden durch die russische Regierung“. Jüdische Korrespondenz. Wochenblatt für jüdische Interessen, Wien, 1.6.1916, 3.

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diese spezielle Unterbringung nicht mit Propagandazwecken assoziiert wissen wollte. Er betonte in diesem Zusammenhang vielmehr die „Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse des religiösen Bekenntnisses“.52 Dass sich etliche Gefangene – offenbar vor allem Unteroffiziere –, die in Speziallagern zum Zwecke einer gegen das Zarenreich gerichteten nationalen Propaganda landeten, der „im allgemeinen bessere[n] Behandlung“ als „unwürdig erwiesen“, wurde bereits im Sommer 1915 vom Kriegsministerium in Wien festgehalten. Der diesbezügliche Vorwurf betraf Polen und Ukrainer ebenso wie Muslime. Die Betreffenden sollten nach Vollziehung einer Disziplinarstrafe wieder in ihre ursprünglichen Lager rücküberstellt werden.53 Diverse „Rücksichtnahmen“ ebenso wie „Begehrlichkeiten“ kennzeichneten insbesondere den Umgang mit russischen Kriegsgefangenen polnischer Nationalität. Die von Armeeseite vielfach geforderte Verwendung dieser Gefangenen im Rahmen der „polnischen Legion“ unterblieb – trotz verschiedener vorbereitender Maßnahmen, die beispielsweise in eine Sammlung von Polen in zwei hierfür bestimmte Lager mündete. So waren Ende 1916 insgesamt an die 20.000 polnische Kriegsgefangene in den Lagern Plan (Planá) und Csoth (Csót) konzentriert, wobei sich zur polnischen „National-Armee“, wie es vom AOK hieß, insgesamt etwa 3000 Mann freiwillig gemeldet hatten. In Csoth, wo offenbar eine intensivere Propagandaarbeit betrieben worden war als in Plan, betrug der Anteil jener, die sich freiwillig meldeten, 25 Prozent. In Plan hingegen konnten sich für einen Beitritt zur „National-Armee“ nur sechs Prozent erwärmen.54 Kaiser Karl hatte sich indessen bereits dezidiert gegen die Einreihung der Kriegsgefangenen aus Russisch-Polen in die polnische Armee gesperrt. Ganz offensichtlich wollte er mit Blick nach Russland, wo slawische k. u. k. Soldaten zum „Vaterlandsverrat“ verleitet wurden, keine als „unwürdig“ angesehenen analogen Schritte setzen. In dieser Frage lagen allerdings klar zu Tage tretende Meinungsverschiedenheiten zwischen dem AOK und dem Monarchen vor, der „eine Verwendung Kriegsgefangener in unseren Formationen auch“ für den Fall untersagte, dass „dieselben sich freiwillig zum Kriegsdienste melden sollten“.55 Ähnlich lagen die Dinge im Fall 52 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 32. 53 Behandlung renitenter Unteroffiziere. ÖStA KA KM 10. Abt. 1915: 10-96/14, Kt. 993. 54 Polnische Kriegsgefangene, Stellvertreter des k. u. k. Chefs des Generalstabs an das k. u. k. AOK, 15.12.1916. ÖStA KA MKSM 1916: 69-9/47, Kt. 1252. 55 Vertreter des k. u. k. Ministerium des Äußern beim k. u. k. Armeeoberkommando an den Minister des Äußeren von Burián, 18.9.1916. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 19 l-z Kriegsgefangene, Kt. 940, Fol. 18. Beschlossen wurde demgegenüber die Entlassung polnischer Kriegsgefangener, die „in dem links von der Weichsel gelegenen

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der ukrainischen Kriegsgefangenen. Auch für sie kam ein Kampfeinsatz wegen „völkerrechtlicher Bedenken“ nicht in Frage.56 Die Lage änderte sich erst mit den revolutionären Erschütterungen, die 1917 das Zarenreich zertrümmerten. Ein Teil der in österreichisch-ungarischem Gewahrsam befindlichen ukrainischen Kriegsgefangenen wurde nach dem Abschluss des sogenannten „Brotfriedens“ in einer „Division“ zusammengefasst und den ukrainischen Behörden überlassen.57

Gefangenenhilfe Eine weitere bedeutsame Dimension der Kriegsgefangenengeschichte des Ersten Weltkrieges tat sich indessen in Zusammenhang mit der Frage der diesbezüglich entfalteten humanitären Hilfe sowie ihrer Organisationsformen oder Konzepte im nationalen und internationalen Rahmen auf.58 Diese Teile des Okkupationsgebietes ihren Wohnsitz hatten“. Ebd. Die Rede war von etwa 1000 Mann. Darüber hinausgehende Entlassungen wurden mit Blick auf die „volkswirtschaftlichen Interessen“ nicht in Aussicht genommen. K. u. k. Kriegsministerium an das Schutzkomitee für Kriegsgefangene polnischer Nationalität, 26.9.1916. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 19 l-z Kriegsgefangene, Kt. 940, Fol. 35. Überdies wollte angeblich Russland zwecks eigens ausgesandter Emissäre freiwillige Eintritte in die polnische Armee grundsätzlich hintertreiben. Vgl. K. k. Polizeidirektion Wien, Pr. Z. 35822 K, Wien am 4.12.1916. Archivum narodowe w Krakowie (dep II). 247, Policij w Krakowie, Sig. 133, 247, DP Kr 132. 56 Golczewski, Deutsche und Ukrainer, 136. 57 Dazu Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 250–255. 58 Vgl. dazu: Heather Jones, International or transnational? Humanitarian action during the First World War, in: European Review of History – Revue européenne d’histoire 16/6 (2009), 697–713; Uta Hinz, Humanität im Krieg? Internationales Rotes Kreuz und Kriegsgefangenenhilfe im Ersten Weltkrieg, in: Jochen Oltmer (Hg.), Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, München/Paderborn/Zürich/Wien 2006, 216–238. Siehe außerdem: Cédric Cotter, (S’)Aider pour survivre. Action humanitaire et neutralité suisse pendant la Première Guerre Mondiale, Zürich 2018; Ders.: Red Cross, in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2018–04–10. DOI: 10.15463/ie1418.11237 (abgerufen am 31.3.2021). Grundlegend dazu außerdem: Annette Becker, Oublieés de la Grande Guerre. Humanitaire et culture de guerre, 1914–1918. Populations occupies, déportés civils, prisonniers de guerre, Paris 1998; Gerald H. Davis, National Red Cross Societies and Prisoners of War in Russia, 1914–1918, in: Journal of Contemporary History 28/1 (1993), 31–52. Als Überblick mit einem Abschnitt über das IKRK und die Kriegsgefangenenfrage: Daniel Palmieri, An institution standing the test of time? A review of 150 years of the history of the International Committee of the Red Cross, in: International Review of the Red Cross 94/888 (Winter 2012), 1273–1298. Siehe allgemein auch: Bruno Cabanes, The Great War and the origins of humanitarianism, 1918–1924,

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Problematik wurde auch in Verbindung mit allgemeinen Einschätzungen hinsichtlich des Ersten Weltkrieges als Initialzündung für eine professionelle Entwicklung humanitären Engagements untersucht.59 Abseits des sich daraus ergebenden transnationalen Dialoges und eines längerfristigen Lernprozesses wechselseitiger Verständigung im Kriegskontext ging es etwa auch um logistische Herausforderungen, die es in Anbetracht der Verschickung von Hilfslieferungen für die Kriegsgefangenen zu meistern galt. Die größer werdenden Aufgaben der Hilfsgesellschaften korrespondierten mit dem Anwachsen des Personals. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), das am Beginn des Krieges eine „small philantropic organization“ gewesen war, vervielfachte seinen Mitarbeiterstab binnen weniger Monate.60 Darüber hinaus verwies die historiographische Auseinandersetzung mit Neutralität(en) im Ersten Weltkrieg ebenfalls auf die Frage der Kriegsgefan­ genenhilfe und der Ausgestaltung der jeweiligen Tätigkeitsbereiche der Schutzmächte.61 Tatsächlich blieben die Einflussbereiche neutraler Delegierter oft bescheiden. Ihre Eindrücke vom Gefangenendasein waren infolge manipulativer Vorkehrungen der Gewahrsamsstaaten oft mehr ein Abbild gelenkter Meinungsbildung als Produkt objektiver Meinungsfindung.62 Davon abgesehen waren jene Gefangenenkontingente, die der Armee im Felde

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Cambridge 2014; Johannes Paulmann, Conjunctures in the History of International Humanitarian Aid during the Twentieth Century, in: Humanity. An International Journal of Human Rights, Humanitarism, and Development 4/2 (Summer 2013), 215–238; Dieter Riesenberger, Für Humanität in Krieg und Frieden. Das Internationale Rote Kreuz, 1863–1977, Göttingen 1992; Wolfgang U. Eckart/Philipp Osten (Hg.), Schlachtschrecken – Konventionen. Das Rote Kreuz und die Erfindung der Menschlichkeit im Kriege, Freiburg 2011; David P. Forsythe, The Humanitarians. The International Committee of the Red Cross, Cambridge 2005. Jones, International or transnational?, 697. Zit. nach Lindsey Cameron, The ICRC in the First World War. Unwavering belief in the power of law?, in: International Review of the Red Cross 97 (2015), 1099–1120, 1100. Zur Entwicklung der Schutzmächte beziehungsweise der diesbezüglichen Funktion siehe Howard S. Levie, Prisoners of War and the Protecting Power, in: The American Journal of International Law 55/2 (1961), 374–397; vgl. auch Ruth Bertschy, Die Schutzmacht im Völkerrecht. Ihre rechtliche und praktische Bedeutung, Fribourg 1952; Claes Ahlund (Hg.), Scandinavia in the First World War. Studies in the War Experience of the Northern Neutrals, Lund 2012. Vgl. dazu die Vorkehrungen, die 1916 anlässlich der Visitierung von österreichisch-ungarischen Gefangenenlagern durch russische Rot-Kreuz-Schwestern getroffen wurden: Reiseprogramm für die dänisch-russischen Missionen. ÖStA KA KM 10. KgA 1916: 10-35/92, Kt. 1354. Siehe auch: Julia Walleczek-Fritz, Kontrolle durch Fürsorge. Neutrale humanitäre Organisationen und ihr Engagement für Kriegsgefangene in Österreich-Ungarn und Russland im Ersten Weltkrieg in vergleichender Perspektive, in: Wolfram Dornik/Julia Walleczek-Fritz/Stefan Wedrac (Hg): Frontwechsel. Österreich-Ungarns „Großer Krieg“ im Vergleich, Wien/Köln/Weimar 2014, 105–137.

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zugeteilt waren, von Inspektionen durch ausländische Delegierte im Regelfall ausgeschlossen. Die Missionen bekamen also nur einen Teil der Kriegsgefangenen überhaupt zu Gesicht.63 Ungeachtet dessen ist festzuhalten, dass beispielsweise die sogenannten „Schwesternreisen“, die in Österreich-Ungarn und Russland Repräsentanten der jeweiligen Rot-Kreuz-Gesellschaften in Begleitung Neutraler und Vertreter des Nehmestaates64 die Möglichkeit gaben, sich vor Ort ein Bild von der Lage der Kriegsgefangenen zu machen, keineswegs bedeutungslos waren. Reinhard Nachtigal attestiert ihnen mit Blick auf die Lage in Russland eine eminente Wirkung.65 Verbesserungen für die Lage der gefangenen Russen in österreichisch-ungarischem Gewahrsam als Ergebnis der Schwesternreisen sind zweifellos erzielt worden. Ihre Nachhaltigkeit muss allerdings nicht zuletzt angesichts der sich sukzessive verschärfenden Lebensmittelkrise und einer generellen Ressourcenknappheit im Habsburgerreich oder auch in Anbetracht der mehrheitlich außerhalb der Lager befindlichen Gefangenen als meist nur temporär oder schließlich eher gering eingestuft werden. Die Gefangenenpolitik des offiziellen Russlands erfuhr jedenfalls als Resultat der Bereisungen keine signifikante Änderung. Heimatliche Hilfslieferungen für Gefangene aus dem Zarenreich blieben auch nach Ende der Missionen rar. Zumindest gelang es aber der russischen Schwester Aleksandra Romanova, die manipulative Absichten der Gastgeber im Zuge ihrer Visitationen durchaus reflektierte, sich ein annähernd authentisches Bild von der Situation kriegsgefangener Russen vor allem in den Hinterlandslagern der k. u. k. Monarchie zu machen. Darüber hinaus folgten ihre Berichte, sofern sie nicht später für die russische Propaganda modifiziert wurden, einigermaßen objektiven Beurteilungsmaßstäben, was bedeutete, dass sie auch positive Aspekte anmerkte.66 Negative Ergebnisse der Inspektionen wiede63 Die Schutzmachtfunktion für russische, serbische und französische Soldaten in Österreich-Ungarn hatte Spanien inne. Um britische Kriegsgefangene kümmerten sich die Niederlande, und die Schweiz bemühte sich um italienische und rumänische Soldaten im Habsburgerreich. Auch die USA hatten die Schutzmachtfunktion für italienische Soldaten inne. Vgl. Harald Just, Neutralität im Ersten Weltkrieg. II. Teil: Schweden, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 20 (1967), 277–355, 353; Ders., Neutralität im Weltkrieg. I. Teil: Spanien, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 19 (1966), 361–435. 64 Für Österreich-Ungarn war eine Kommission aus drei Personen vorgesehen – eine russische Rot-Kreuz-Schwester, ein Vertreter aus Dänemark (ein Armeeoffizier) und ein k. u. k. Offizier. Reinhard Nachtigal, Die dänisch-österreichisch-ungarischen Rotkreuzdelegierten in Rußland 1915–1918. Die Visitation der Kriegsgefangenen der Mittelmächte durch Fürsorgeschwestern des österreichischen und ungarischen Roten Kreuzes, in: Zeitgeschichte 25-11/12 (1998), 366–374, 366. 65 Vgl. ebd., passim. 66 Doklad sestry miloserdija Romanovoj ob osmotre lagerej voennoplennych v Avstro-Vengrii. Rossijskij Voenno-Istoričeskij Archiv (RGVIA) f. 12651 op. 11 d. 109 ll. 1–70.

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rum wurden auf österreichisch-ungarischer Seite nicht automatisch unter den Teppich gekehrt. Das k. u. k. Kriegsministerium nahm einzelne Missstände, die im Zuge der Schwesternreisen evident wurden, sogar zum Anlass für Reformen. Die Tatsache etwa, dass „gelegentlich der Bereisungen durch die dänisch-russischen Missionen“ die Versorgung von Gefangenen mit geeigneter Bekleidung beanstandet wurde, mündete in eine „Neuorganisation“ der „Kleiderversorgung der Kgf.“ Gleichzeitig wurden sämtliche Quartiermeisterabteilungen angehalten, einen ebenso sparsamen wie zweckmäßigen Umgang mit der zugeteilten Bekleidung für Gefangene im Auge zu behalten.67 Nichtsdestoweniger erwiesen sich die infolge fehlender Rohmaterialien nunmehr aus Ersatzstoffen („Nesselfaser und Papiergewebe“) hergestellten Monturen für die Gefangenen als nur eingeschränkt strapazierfähig. Vor allem Feindsoldaten, die Arbeiten im Freien zu verrichten hatten, konnten in den meisten Fällen nicht mit adäquater Bekleidung versorgt werden.68 Schwer in den Griff zu bekommen war auch das Problem, dass Kriegsgefangene ihre Kleidung verkauften, um sich dafür Nahrungsmittel zu besorgen. Angesichts der oft minderen und unzureichenden Qualität der ausgegebenen Rationen waren solche „Geschäfte“ bereits kurz nach Beginn des Krieges weitverbreitet und auch durch Verbote schwer abzustellen.69

67 K. u. k. Kriegsministerium betr. Kleiderversorgung der Kgf., 13.9.1916. ÖStA KA AOK NFA 4. Armee, ohne Karton. 68 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn, 14. „Womöglich noch größere Schwierigkeiten als die Deckung des Bedarfes an Bekleidungsstücken bereitete die Aufbringung der erforderlichen Wäsche. Alle ergriffenen Auskunftsmittel, wie Verwendung von Nesselfaser- und Jutegespinnsten oder Säckestoff zur Wäscheerzeugung, Umarbeitung von Leinenmonturen auf Wäschestücke, Verwendung von Papierwäsche bei Beerdigung der Toten, auf breiter Basis organisierte Wäschesammlungen bei der Bevölkerung mussten angesichts des vollständigen Mangels an Rohstoffen nahezu gänzlich versagen u. vermochten nicht einmal die Wäschenot an der Front und in den Heilanstalten auch nur halbwegs einzudämmen.“ Ebd., 15. Die Dringlichkeit einer entsprechenden Versorgung der Gefangenen wurde im März 1917 einmal mehr mit deren Arbeitskraft bzw. Arbeitsleistung in Verbindung gebracht. Die „Beteilung“ der Feindsoldaten „bei Landwirtschaft, Industrie und Bahnen“ mit adäquater „Ersatzbekleidung“ sollte „jederzeit, also auch bei Verkehrseinschränkungen und Sperren“ erfolgen. Transport von Bekleidungssendungen für Kgf. MA. Nr. 18008/VA. vom 5.3.1917. Militärkommando­ befehl Nr. 44 Pozsony, 7.3.1917. ÖStA KA Terr Befehle, 5. K, Pozsony 1917-1918, Kt. 51. 69 Vgl. dazu u. a. die Tagebuchaufzeichnungen eines Russland-Deutschen, der im Lager Marchtrenk gefangen gehalten worden war: Das k. u. k. Kriegsgefangenenlager 1914– 1918 und der Kriegerfriedhof in Marchtrenk, hg. vom Museumsverein Marchtrenk – Welser Heide, Marchtrenk 2013, 24–33.

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„Kriegsgefangenendiplomatie“ Überlegungen zu Spielraum und Intentionen neutraler Staaten im Zusammenwirken mit den kriegführenden Mächten ebenso wie mit dem Internatio­ nalen Roten Kreuz fanden überdies im Kontext verschiedener Übereinkünfte zur Verbesserung des Gefangenenloses oder der Weiterentwicklung des Kriegsgefangenenrechtes Beachtung. Die Frage von Kontinuitäten beziehungsweise Rückgriffen auf Erfahrungshorizonte des Ersten Weltkrieges fügte sich somit in einen größeren rechtsgeschichtlichen Problembereich ein.70 In der Nachbetrachtung durch ehemalige k. u. k. Offiziere fanden vor allem die zweifellos bedeutsamen „Stockholmer Beschlüsse“ Beachtung71, die Vertreter Österreich-Ungarns, Deutschlands, Russlands, Rumäniens, des Osmanischen Reiches sowie neutraler Länder ausgehandelt hatten.72 Dass allerdings abseits verschiedener Vereinbarungen mit dem Zarenreich verhältnismäßig wenige Abkommen zustande kamen, ist wohl auf Faktoren zurückzuführen, wie sie hier bereits in Bezug auf die österreichisch-ungarische Propaganda angesprochen wurden: Die Schwäche gegnerischer Staaten, gepaart mit einem zumindest phasenweise oder tendenziell bestehenden Mangel an Interesse an den eigenen Staatsbürgern in Gefangenschaft oder aber Ungleichheit im Verhältnis der jeweiligen Gefangenenzahlen, machten wechselseitige Vereinbarungen zur Verbesserung des Gefangenenloses zu einem entweder schwer erreichbaren beziehungsweise mäßig attraktiven und schließlich gar nicht erst erstrebenswerten Ziel. So fanden etwa die zwischen Österreich-Ungarn und Russland im Zuge von Spezialabkommen erzielten Vereinbarungen nur teilweise ihre Entsprechung in Übereinkünften zwischen dem Habsburgerreich und Italien – obwohl die k. u. k. Monarchie erheblich mehr italienische Soldaten gefangen hielt als umgekehrt das südliche Königreich.73 „[K]onsequent abgelehnt“ wurden beispielsweise die „so erfolgreich verlaufenen ‚Schwesternreisen‘“, wie sie zwischen der k. u. k. Monarchie und Russland vereinbart worden waren.74 Auch ein „Anerbieten des sowohl in“ Österreich-Ungarn als 70 Vgl. Neville Wylie, The 1929 Prisoner of War Convention and the Building of the Inter-War Prisoner of War Regime, in: Sybille Scheipers (Hg.), Prisoners in War, Oxford/ New York 2010, 91–110. 71 Vgl. Ernst von Streeruwitz, Die Stockholmer Konferenz 1915, in: Hans Weiland/Leopold Kern (Hg.), In Feindeshand. Die Gefangenschaft im Weltkriege in Einzeldarstellungen, Bd. 2, Wien 1931, 331–334. 72 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 25. 73 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil I: Kriegsgefangenenfürsorge Österreich-Ungarns. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 42. 74 Ebd., 43.

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auch Italien „auf dem Gebiete der freiw. Sanitätspflege tätig gewesenen Souveränen Malteserritterordens“, die Kriegsgefangenen durch „wechselseitige Delegierte der in Frage kommenden beiden Großpriorate besuchen zu lassen“, wies Rom zurück. Den italienischen Kriegsgefangenen, resümierte Heinrich von Raabl-Werner später, „sind hiedurch manche Vorteile entgangen, die sogar ihren serb. Kameraden durch Einbeziehung in die Besichtigung durch die russ. Rotkreuzschwestern zu teil geworden sind“.75 Mit der italienischen ebenso wie der russischen, serbischen oder französischen Regierung kamen nichtsdestoweniger Abkommen mit dem Ziel einer gegenseitigen Heimsendung „der nicht mehr diensttauglichen“ Kriegsgefangenen zustande.76 Dass überdies wechselseitige Abkommen nicht immer den Interessen der jeweiligen Staaten zum Vorteil gereichten, zeigte sich insbesondere hinsichtlich der Verwendung von Gefangenen für Arbeiten zu militärischen Zwecken. Im Falle einer von beiden Seiten begangenen Regelverletzung war jedenfalls Reziprozität hergestellt – wenngleich außerhalb des Rahmens der HLKO. Da sowohl die Donaumonarchie als auch das Zarenreich mehr oder weniger ausgiebig von der Arbeitsverwendung Kriegsgefangener im Front- und Etappenbereich Gebrauch machten, bildeten diesbezügliche Regelwidrigkeiten eine grundsätzliche Barriere gegen ernstzunehmende Versuche, solche Vergehen abzustellen und dahingehende Vereinbarungen zu treffen. Immerhin profitierten die jeweiligen Armeen von einer Einbeziehung gefangener Soldaten in Tätigkeitsbereiche, für die ansonsten eigenes Personal herangezogen worden wäre. Keine Konsequenzen hatten überdies Verhandlungen mit Russland über die Visitation von Gefangenen „innerhalb des Kriegsgebietes“, da die im Mai 1917 seitens des k. u. k. Kriegsministeriums vermeldeten Gespräche mit der bald darauf einsetzenden russischen Offensive obsolet geworden sein dürften. Für einen ersten geplanten „Probelauf“ hätten den angekündigten schwedischen Delegierten nur „gute“ Kriegsgefangenen-Arbeiterabteilungen vorgeführt werden sollen. Es sollten also nur solche Männer ausgesucht werden, die für einigermaßen präsentabel gehalten wurden. Entlarvend ist auch, dass den „Auserwählten“ rechtzeitig „Liebesgaben“ zugeteilt werden sollten.77 Dass die Lage von kriegsgefangenen Arbeitern im Armeebereich zusehends auf Interesse stieß beziehungsweise Handlungsbedarf hinsichtlich de-

75 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 40 f. 76 Ebd., 42. 77 Besuch der schwedischen Rotkreuzmission, Mai 1916. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 1035/113-5, Kt. 1542.

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ren Lage erkannt wurde, lässt sich auch bei anderen kriegführenden Mächten feststellen. Immerhin einigten sich Deutschland einer- und Frankreich sowie Großbritannien andererseits im Frühjahr 1917 auf eine Regelung, wonach Gefangene innerhalb einer 30-Kilometer-Zone ab der ersten Frontlinie gar nicht mehr für Arbeiten herangezogen werden durften. Mit Italien, Serbien oder Rumänien gab es allerdings keine vergleichbaren Vereinbarungen, mit Russland erst nach dem Frieden von Brest-Litowsk.78 Zuvor hatte man bezeichnenderweise „als Ersatz für die aus der 30-Kilometer-Zone abgezogenen britischen und französischen Gefangenen“ russische Kriegsgefangene an die Westfront verbracht.79 Die britische Armee hingegen konnte neben den eigenen Soldaten beispielsweise auf „‚coloured‘ labour“ sowie auf chinesische Arbeiter zurückgreifen, für welche diese Beschränkungen gar nicht erst galten.80 Österreich-Ungarn strebte jedenfalls derartige Abkommen, d. h. Restriktionen hinsichtlich der angesprochenen Zone, offenbar erst 1918 an. Damals verwies man in Zusammenhang mit Serbien auf die etwaige Implementierung eines derartigen Verbotes nach Vorbild der von Deutschland geschlossenen Abkommen. Im Juli schließlich wurde über die Schweizer Bundesregierung mitgeteilt, dass auf Grundlage von Verhandlungen mit Serbien über einen Gefangenenaustausch serbische Kriegsgefangene „im Feuerbereiche“ nicht verwendet würden.81 Und auch mit Italien wurde erst in Zusammenhang mit einer im September 1918 getroffenen Vereinbarung in Bern82 die Frage der Arbeitsverwendung von Gefangenen hinter der Front (die Frage war konkret: „wie weit hinter der Front?“) aufgeworfen.83 Dazu ist im Übrigen anzumerken, dass man sich im k. u. k. Kriegsministerium – unter Berücksichtigung diesbezüglicher Wünsche des AOK – gegen Vorschläge serbischer, französischer, aber auch italienischer Seite sperrte, ausgetauschte Gefangene bei ihrer Rück78 Uta Hinz, Gefangen im Großen Krieg. Kriegsgefangenschaft in Deutschland 1914–1921, Essen 2006, 301. 79 Ebd., 302. 80 Jones, Violence, 234. Siehe überdies: Daniel Marc Segesser, „When bench gained parity with trench“. Außereuropäische Kriegsarbeiter im Ersten Weltkrieg, in: Flavio Eichmann/Markus Pöhlmann/Dierk Walter (Hg.), Globale Machtkonflikte und Kriege. Festschrift für Stig Förster zum 65. Geburtstag, Paderborn 2016, 193–210. 81 K. u. k. Kriegsministerium an das k. u. k. Ministerium des Äußern betr. Ratifizierung eines mit Serbien geschlossenen Übereinkommens, 1.7.1918. ÖStA KA MKSM 1918: 699/44, Kt. 1382. 82 Vgl. dazu Neuigkeits-Welt-Blatt, 1. Oktober 1918, 4. 83 K. u. k. Kriegsministerium betr. österr.-ung. Konferenz in Bern, 27.9.1918. ÖStA KA MKSM 1918: 69-9/44-10, Kt. 1382. Das Abkommen wurde jedoch nicht mehr ratifiziert und erlangte keine Rechtskraft. Vgl. Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 43.

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kehr in die Heimat nicht wieder an die Front zu schicken. Allerdings näherte sich das k. u. k. Kriegsministerium schließlich einem Vorschlag des Papstes hinsichtlich eines „Großaustausches“ mit Italien an und gab seinen „innegehabten ablehnenden Standpunkt“ auf. Das bedeutete aber, notierte man im Kriegsministerium „pro domo“, dass man „Bevölkerung und Armee rechtzeitig eindringlichst“ darüber aufzuklären habe, „warum die Heimkehrer aus Russland wieder militärisch verwendet werden, die aus Italien hingegen nicht“.84

Nationalstaatliche, transnationale und globale Perspektiven Zu den erwähnten Themen der Historiographie hinzu kamen in den letzten Jahren überdies breit angelegte Studien zur Problematik der Kriegsgefangen­ schaft, die einmal mehr einzelnen Staaten galten. Sie verdeutlichten das nunmehr evidente hohe wissenschaftliche Niveau der Gefangenenforschung zum Ersten Weltkrieg und waren entweder vergleichend angelegt oder aber positionierten sich hinsichtlich gewählter Schwerpunkte im Umfeld der aktuellen Weltkriegsforschung mit ihren vorrangigen Themen. Hier sind nicht zuletzt die bereits erwähnten Arbeiten von Heather Jones und Uta Hinz, aber auch Oksana Nagornaja hervorzuheben85, die mit Deutschland, Frankreich und Großbritannien die Kriegsgefangenschaft im (west)europäischen Rahmen beleuchteten.86 Jones verband ihre Fragestellungen vor allem mit dem Einsatz, der Entwicklung oder Wahrnehmung von Gewalt gegenüber Feindsoldaten, während Nagornaja ihre Untersuchungen im Kontext der „Kriegserfahrungen“ anstellte.87 Uta Hinz’ Studie wiederum orientierte sich am Konzept des „totalen Krieges“. Alle drei griffen auf Grundlage jeweils unterschiedlicher methodischer Zugänge nicht zuletzt auch die Frage von Kontinuitäten und Brüchen in der Gefangenenbehandlung des Ersten im Vergleich zum Zweiten Weltkrieg auf und wandten sich somit einer Konstante 84 Großaustausch mit Italien, 1918. ÖStA KA MKSM 1918: 69-9/44, Kt. 1382. 85 Hinz, Gefangen; Heather Jones, Violence against Prisoners of War in the First World War. Britain, France and Germany, 1914–1920, Cambridge/New York/Melbourne 2011; Oksana Nagornaja, Drugoj voenny opyt. Russkie voennoplennye Pervoj mirovoj vojny v Germanii (1914–1922), Moskva 2010. 86 Für Russland siehe vor allem die Arbeiten von Nachtigal und Wurzer. 87 Vgl. allerdings die sehr negative Aufnahme, die Nagornajas Buch bei Georg Wurzer fand: Georg Wurzer über Oksana S. Nagornaja, Drugoj voennyj opyt. Rossijskie voennoplennye Pervoj mirovoj vojny v Germanii (1914–1922) [Eine andere Kriegserfahrung. Russische Kriegsgefangene des Ersten Weltkriegs in Deutschland (1914–1922)], Moskva: Novyj Chronograf 2010, 439 S., in: MGZ 69/2 (2010), 390 f.

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der Kriegsgefangenenforschung insbesondere in Bezug auf die Einordnung des „Erfahrungshorizontes“ 1914 bis 1918 zu. Als Beispiel für die diesbezüglichen gegensätzlichen Bewertungen angeführt wird in der Kriegsgefangenenhistoriographie zum Ersten Weltkrieg in der Regel am einen Ende Richard B. Speed, der die Gefangenenbehandlung 1914–1918 – mit Ausnahme Russlands – als positives Exempel für eine am Völkerrecht orientierte Praxis sieht und den Umgang mit den Feindsoldaten als gewissermaßen isoliert und somit außerhalb einer anderweitigen Brutalisierung des Konfliktes verortet. Am anderen Ende der damit verbundenen Schlussfolgerungen bewegt sich Ulrich Herbert, der zumindest in Bezug auf die Zwangsarbeit Kontinuitäten im deutschen Gefangenenwesen des Ersten und Zweiten Weltkrieges ausmachte. Annette Becker wiederum betrachtet Lagersystem und Kriegsgefangenschaft als Merkmale einer zunehmenden Radikalisierung des Ersten Weltkrieges an sich.88 Sie sieht in der Behandlung französischer Gefangener sogar einen „Präzedenzfall“ für jene „Grausamkeiten“, die „im Zweiten Weltkrieg an Gefangenen in Deutschland verübt wurden“.89 Die Bedeutung des Ersten Weltkrieges für nachfolgende Entwicklungen zieht freilich ganz allgemein unterschiedliche Schlussfolgerungen nach sich. Deutschland stand und steht dabei im Zentrum diesbezüglicher Überlegungen. Jay Winter hielt etwa fest, „dass die ungeheuren Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs, einschließlich des Holocaust, ohne den monströsen Charakter des Krieges zwischen 1914 und 1918 nie zustande gekommen wären“.90 Andere Historiker wiederum halten mit Blick auf rassistische Haltungen oder aber auf die Frage von Ausbeutung und Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg einen „allgemeinen Erfahrungshorizont“ fest, nicht aber einen Ausgangspunkt für „konkrete Lehren“ beispielsweise für die praktische „Ausgestaltung“ der deutschen „Arbeitskräftepolitik nach 1933“.91 Auch Jonathan Gumz, der sich mit der österreichisch-ungarischen Okkupation Serbiens beschäftigt hat, betrachtet Fragen, die beispielsweise Kontinuitäten zwischen der Gewalt im Ersten und im Zweiten Weltkrieg betreffen, mit Vorsicht: „Such an over88 Vgl. dazu die insbesondere die Ausführungen bei Hinz, Gefangen, 20–22 aber auch Mahon Murphy, Colonial Captivity during the First World War. Internment and the Fall of the German Empire, 1914–1918, Cambridge, 2018, 25–32. 89 Jones, Kriegsgefangenenlager, 70. Jones bezieht sich hier auf einen Artikel von Annette Becker, Suppressed Memory of Atrocity in World War I and its Impact on World War II, in: Doris L. Bergen (Hg.), Lessons and Legacies VIII. From Generation to Generation, Illinois 2008, 65–82, 66. 90 Jay Winter, 1914 bis 1918. Eine Entartung des Krieges?, in: Michael Geyer/Helmuth Lethen/Lutz Musner (Hg.), Zeitalter der Gewalt. Zur Geopolitik und Psychopolitik des Ersten Weltkriegs, Frankfurt/New York 2015, 115–133, 133. 91 Westerhoff, Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg, 344 f.

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determined line of analysis is problematic. It reduces the First World War to little more than a speed bump on the way to the Second World War. In so doing, it robs the First World War of its historicity […].“92 Im Windschatten des Gedenkens 1914/2014 erwachte indessen in Ländern, wo die Themen Kriegs- und Zivilgefangenschaft im Ersten Weltkrieg von den eigenen nationalen Historiographien noch verhältnismäßig stiefmütterlich behandelt worden waren, verstärktes Interesse. Dabei zeigte sich mitunter deutlich, dass die Distanz zu den Propagandadiskursen des Ersten Weltkrieges schwach ausgeprägt war. Die Präsentation bestimmter Themen stellte sich ungeachtet einer oft bemerkenswerten, neu erarbeiteten oder erweiterten Quellenbasis als historiographisches Angebot für nationale Diskurse des 21. Jahrhunderts dar. Allerdings müssen gerade aufgrund einer vielfach fehlenden „Außenansicht“ der Internierungspraxis im Habsburgerreich diesbezügliche Arbeiten vor allem mit Blick auf die verwendeten Quellen auch als Bereicherung und in jedem Fall als ergänzende „Stimmen“ wahrgenommen werden.93 Geographisch griffen weitere Forschungen zur Gefangenenproblematik auch auf den außereuropäischen Raum aus und trugen so verstärkt dem „globalen Krieg“ Rechnung. Mehr in den Fokus kamen dadurch logischerweise Bezugnahmen auf die Kolonialgeschichte, wodurch wiederum grundsätzlich Wesen und Entwicklung von Internierung(en) und Lagern verstärkt in den Blick genommen wurden.94 Im Zuge dessen galt es, sich der Frage der 92 Jonathan Gumz, The Resurrection and Collapse of Empire in Habsburg Serbia, 1914– 1918, Cambridge 2009, 244. 93 Vgl. die nachfolgenden Texte zu den einzelnen Herkunftsländern der Gefangenen im Habsburgerreich. Vgl. dazu aber auch: Natal’ja Viktorovna Suržikova, Rossijskij plen 1914–1922 godov v novejšej otečestvennoj istoriografii: konteksty, konstrukty, stereotipy, in: Vestnik Permskogo Universiteta. Serija: istiorija (2013), URL: https://cyber leninka.ru/article/n/rossiyskiy-plen-1914-1922-godov-v-noveyshey-otechestvennoy-­ istoriografii-konteksty-konstrukty-stereotipy (abgerufen am 11.8.2020); Verena Moritz, „Schauermärchen“ und „Greueldichtungen“, „Barbarei“ und „Massenmord“. Die Behandlung von Kriegsgefangenen als Gegenstand der österreichischen Pressepropa­ ganda, 1914–1918, in: Zeitgeschichte, 45/1 (2018), 35–56. Zur Problematik vor allem der Internierung sogenannter „Russophiler“ im steirischen Lager Thalerhof und der Frage des diesbezüglichen Gedenkens u. a. Harald Binder, Die Ukrainer von enttäuschter Staatstreue zum Kampf um Selbständigkeit, in: Helmut Rumpler (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Teilband 1/2: Vom Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn zum neuen Europa der Nationalstaaten, Wien 2016, 853–885, 868 f. und insbesondere: Egor Lykow, Opfernarrative der „Russophilen“ Ruthenen und ihr nachhaltiger Einfluss auf gesellschaftspolitische Diskurse, in: Studi Slavistici XV/2 (2018), 105–124. 94 Vgl. dazu u. a.: Mahon Murphy, Colonial Captivity during the First World War. Internment and the Fall of the German Empire 1914–1919, Cambridge 2018; Bohdan Kordan, Enemy Aliens, Prisoners of War. Internment in Canada during the Great War,

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kolonialen Kriegsführung, der längerfristigen Präsenz in den eroberten Territorien als „Laboratorium“ der Gewalt vor allem auch gegenüber der Zivilbevölkerung, zuzuwenden.95 Realiter spiegelten sich u. a. in der Kriegsgefangenenproblematik bisweilen die „Unebenheiten“ des Gedenkens 1914/2014 wider. Die Emotionen, die Christopher Clarks „Schlafwandler“96 bereits im Vorfeld des Zentenariums ausgelöst hatten, konterkarierten Intentionen eines „europäischen Gedenkens“ im Dienste einer Zusammenhalt fördernden Gemeinschaft der Europäischen Union. Die „nationalstaatlich eingerahmte“ Erinnerung dominierte, so einige Kritiker, auch die Historiographie, und diese ließ sich im Bedarfsfall in viele Richtungen instrumentalisieren und interpretieren.97 Die reanimierte Kriegsschulddebatte drohte zudem andere Aspekte in den Hintergrund zu drängen. Allerdings offenbart eine nunmehrige Retrospektive tatsächlich Montreal 2002; Jesús Pérez-Garcia, Deutsche Kriegsgefangene in Japan (1914–1920). Viereinhalb Jahre interkultureller Austausch, in: Heidi Grünewald/Anna Montané Forasté/Thomas F. Schneider (Hg.), Retornos/Rückkehr. La Primea Guerra Mondial en el contexto hispano-alemán/Der Erste Weltkrieg im deutsch-spanischen Kontext, Osnabrück 2015, 244–258; siehe auch: Atsushi Otsuru, Prisoners of War (Japan), in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2014–10–08. DOI: 10.15463/ie1418.10131 (abgerufen am 12.2.2021). Als Beispiele für eine frühere Auseinandersetzung mit der Gefangenschaft in Japan siehe Charles Burdick/Ursula Moessner, The German Prisoners of War in Japan, 1914–1920, Lanham 1984 oder Ulrike Klein, Deutsche Kriegsgefangene in japanischem Gewahrsam, Freiburg i. Br. 1993. Siehe auch: Aaron Pegram, Prisoners of War (Australia), in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2015– 07–24. DOI: 10.15463/ie1418.10691 (abgerufen am 13.5.2021). Siehe außerdem: Jonas Kreienbaum, „Wir sind keine Sklavenhalter“. Zur Rolle der Zwangsarbeit in den Konzentrationslagern in Deutsch-Südwestafrika (1904 bis 1908), in: Christoph Jahr/Jens Thiel (Hg.), Lager vor Auschwitz. Gewalt und Integration im 20. Jahrhundert, Berlin 2013, 68–83 oder David Olusoga/Casper W. Erichsen, The Kaiser’s Holocaust. Germany’s Forgotten Genocide and the Colonial Roots of Nazism, London 2010; Jürgen Zimmerer, Von Windhuk nach Auschwitz? Beiträge zum Verhältnis von Kapitalismus und Holocaust, Berlin 2011. 95 Vgl. dazu u. a. Susanne Kuß, Chinesische Arbeitslager des britischen Militärs in Frankreich 1917 bis 1919, in: Christoph Jahr/Jens Thiel (Hg.), Lager vor Auschwitz. Gewalt und Integration im 20. Jahrhundert, Berlin 2013, 140–157. 96 Christopher Clark, Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München 2013. 97 Zit. nach Karin Moser, „Visuelles Erinnern“. Der Erste Weltkrieg im österreichischen Film- und Fernsehschaffen, in: Hannes Leidinger/Verena Moritz/Karin Moser/ Wolfram Dornik, Habsburgs schmutziger Krieg. Ermittlungen zur österreichisch-ungarischen Kriegsführung 1914–1918, St. Pölten/Salzburg/Wien 2014, 235–253.

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eine erstaunliche Breite an Themen, die sich auch abseits revitalisierter Antagonismen positionierten.98

Der „Weltkriegsboom“ Dass die Kriegsgefangenschaft als fixer Bestandteil der Weltkriegsforschung gelten konnte beziehungsweise kann, ließ sich anlässlich des Gedenkens 1914/2014 an der Anzahl an wissenschaftlichen Konferenzen sowie Publikationen ablesen, die entweder explizit dem Thema gewidmet waren oder Kriegsgefangenschaft in ihre jeweiligen Konzepte und Schwerpunkte aufnahmen.99 Die Gefangenenthematik wurde darüber hinaus im Rahmen eines enzyklopädischen Großprojektes zur Geschichte des Ersten Weltkrieges entsprechend beachtet. Auf der Plattform „1914–1918 online. International Encyclopedia of the First World War“ finden sich unter dem Schlagwort „Kriegsgefangene“ bzw. „Prisoners of War“ mittlerweile bald 500 Einträge.100 Der dem Ersten Weltkrieg geltende „Geschichts- und Erinnerungsboom“101 rückte zudem wieder die Lager ins Zentrum des Interesses. Teilweise noch vorhandene Baulichkeiten oder Friedhöfe waren als sichtbare „Zeugen“ der   98 Vgl. dazu u. a. Michael Epkenhans, Der Erste Weltkrieg. Jahrestagsgedenken, neue Forschungen und Debatten einhundert Jahre nach seinem Beginn, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 63/2 (2015), 135–165 und Daniel Marc Segesser, Wellen der Erinnerung und der Analyse. Gedanken zur Historiographie und Narrativen vom „Großen Krieg“ zwischen 1914 und 2014 in globaler Perspektive, in: Bernhard Bachinger/Richard Lein/ Verena Moritz/Julia Walleczek-Fritz/Stefan Wedrac/Markus Wurzer (Hg.), Gedenken und (k)ein Ende? Das Weltkriegs-Gedenken 1914/2014. Debatten, Zugänge, Ausblicke, Wien 2017, 23–47.  99 Beispiele für betr. Konferenzen: „Years of Violence. The First World War and its Aftermath in Austria and Hungary 1914–1920“, Collegium Hungaricum Wien (12.12.2018); „The First World War and its effects on prisoners of war and civilians, Regional Delegation of the International Committee of the Red Cross for Russia, Belarus and Moldova“, Moscow (10.4.–11.4.2018); International Conference: 1916 – In the Trap of War, Peace Nowhere in Sight; Military Institute Prague series „Hobnailed Years in the Battlefields 1914–1918“, Prague (20.9.–21.9.2016); „Military and Civilian Internment in World War I. Different Treatment, Its Motives and Long-Term Implications“, University of Haifa and Tel Aviv University, Haifa/Tel Aviv (16.10.–19.10.2017); „En Guerre Sans Armes. Refugies et prisonniers du front austro-italien (1915–1918)“, EHNE/Universität Sorbonne-Irice, Paris (2.2.–3.2.2017). 100 https://encyclopedia.1914-1918-online.net/search/?fq%5Bquery%5D=Prisoners+of+ War (abgerufen am 7.6.2021). 101 Vgl. Jost Dülffer, Die geplante Erinnerung. Der Historikerboom um den Ersten Weltkrieg, in: Osteuropa 64/2-4 (2014), 351–367, 352.

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Ereignisse anlassgebend für verschiedene Initiativen, einzelne Orte oder Regionen mit der Kriegsgefangenschaft oder der Internierung von Zivilisten in Bezug zu setzen. Bei dieser Gelegenheit entstanden etliche Arbeiten mit durchaus kritischem Blick auf die Vergangenheit.102 Die „Lagerlandschaft“ in ihre Konzepte integrierten auch einige Ausstellungen. Dabei wurde trotz des Anspruches, ein breiteres Publikum zu erreichen, versucht, sich an aktuellen Forschungsstandards zur Internierung im Ersten Weltkrieg zu orientieren.103 Der Befund einer evidenten Würdigung der Gefangenenproblematik in der internationalen Weltkriegsforschung gilt zweifellos auch für die Situation in Österreich. Als eines von vielen Beispielen für die gestiegene Bedeutung der Kriegsgefangenenthematik beziehungsweise deren überfällige Berücksichtigung in der Historiographie anzuführen ist etwa die überarbeitete und im Umfang erweiterte Neufassung des 1993 erstmals veröffentlichten Buches von Manfried Rauchensteiner mit dem Titel „Der Tod des Doppeladlers“. 2013 enthielt es unter dem nunmehrigen Titel „Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie“ ein separates Kapitel über „Lager“, das dem Schicksal der Kriegsgefangenen und Zivilinternierten mehr als 40 Seiten einräumte.104 Auch in den dem Ersten Weltkrieg gewidmeten Bänden, die von der Österreichischen Akademie der Wissenschaft im Rahmen der Reihe „Die Habsburgermonarchie“ herausgegeben wurden, finden sich größere Abschnitte zum Thema Kriegsgefangenschaft und Internierung.105 Die Frage nach dem „missing 102 Stellvertretend für etliche andere: Stefan Brenner; Das Kriegsgefangenenlager in Knittelfeld. Eine Untersuchung der Akten des Kriegsarchivs Wien von den ersten Bemühungen Otto Zeilingers zur Errichtung des Lagers Knittelfeld bis zur Umwandlung des Kriegsgefangenenlagers in ein Militärspital, Diplomarbeit Graz 2011; Herbert Brettl, Das Kriegsgefangenen- und Interniertenlager Boldogasszony/Frauenkirchen. „Sie leben nicht mehr der Gegenwart, sondern der Zukunft zuliebe“, Halbturn 2014 oder Ders., Kriegsgefangenen- und Interniertenlager auf dem Gebiet des heutigen Burgenlands, in: Pia Bayer/Dieter Szorger (Bearb.), Land im Krieg, Eisenstadt 2014, 170–175; Manfred Dacho/Franz Drach/Harald Winkler, Am Anfang war das Lager. Gmünd-Neustadt, Weitra 2014; Ernst Gusenbauer, Krieg, Seuchen und kein Stück Brot. Kriegsgefangenenlager im Ersten Weltkrieg in Oberösterreich, Berlin 2019; Eva Maria Mannsberger/Karl Schäfer, Das Neusiedler Internierungslager 1914–1918, in: Neusiedler Jahrbuch 11 (2010), 5–42; Elisabeth Schöggl-Ernst, Der Feind im eigenen Land. Kriegsgefangene in der Steiermark, in: Josef Riegler (Hg.), „Ihr lebt in einer großen Zeit …“ Propaganda und Wirklichkeit im Ersten Weltkrieg, Graz 2014, 127–143. 103 Vgl. dazu etwa: Fern der Front – Mitten im Krieg 1914–1918. Alltagsleben im Hinterland. Die Vorträge des 34. Symposions des NÖ Instituts für Landeskunde gemeinsam mit dem Institut für Geschichte des ländlichen Raumes, Schallaburg, 30. Juni bis 2. Juli 2014, hg. von Elisabeth Loinig und Reinelde Motz-Linhart, Bd. 60, St. Pölten 2016. 104 Manfried Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Wien/Köln/Weimar 2013, 835–875. 105 Erwin Schmidl, Die Totalisierung des Krieges, in: Helmut Rumpler (Hg.), Die Habsbur-

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paradigm“, die Heather Jones in Bezug auf den Platz der Kriegsgefangenschaft in der Historiographie zum Ersten Weltkrieg noch 2008 aufwarf106, stellt sich nicht mehr: Der Erste Weltkrieg wird im Regelfall nicht mehr ohne Kriegsgefangenschaft „erzählt“ – auch in Österreich nicht. Das Gedenken 1914/2014 präsentierte indessen den Ersten Weltkrieg vielfach als „Große Erzählung“ – wenngleich auch eher in Form zum Teil umfangreicher Überblicke.107 Anscheinend leitete Roger Chickerings Ansicht, wonach ein „totaler Krieg“ auch eine „totale Geschichte braucht“108, viele Initiativen, die nicht nur zwischen 2014 und 2018, sondern bereits in den Jahren zuvor dem Ersten Weltkrieg galten.109 Die vor diesem Hintergrund präsentierte Vielfalt an Themen wiederum eignete sich nicht nur für eine entsprechende Präsentation der Kriegsgefangenenforschung und ihrer Ergebnisse oder Überlegungen. Sie gab auch den Anlass dazu, anhand des beeindruckenden Spektrums der vorgestellten Perspektiven und im Abgleich mit größeren Bezugsrahmen und Schwerpunktsetzungen den Untersuchungsbereich „Kriegsgefangenschaft“ weiterzuentwickeln und an Problemstellungen heranzuführen, von denen wichtige Impulse auszugehen versprachen. Diese taten sich beispielsweise in Zusammenhang mit den Forschungen von Isabel Hull zum Völkerrecht und dessen Umsetzung oder Nichtbeachtung im Ersten Weltkrieg auf – unabhängig von der Frage, inwieweit die diesbezüglich präsentierten Schlussfolgerungen zur Gänze nachvollzogen werden können oder nicht.110

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germonarchie 1848–1918, Bd. XI: Die Habsburgermonarchie und der Erste Weltkrieg, Teilband 1/1, 331–391 mit einem Beitrag zu den Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn auf den Seiten 372–380. Vgl. Heather Jones, A Missing Paradigm? Military Captivity and the Prisoner of War, 1914–18, in: Matthew Stibbe, Captivity, Forced Labour and Forced Migration in Europe during the First World War, London/New York 2009, 19–48, 23. Vgl. die Kritik bei Martin Schmitz, „Als ob die Welt aus den Fugen ginge“. Kriegserfahrungen österreichisch-ungarischer Offiziere 1914–18, Paderborn 2016, 14. Roger Chickering, Total War. The Use and Abuse of a Concept, in: Manfred Boehmke/ Roger Chickering/Stig Förster (Hg.), Anticipating Total War. The German and American Experiences 1871–1914, Washington 1999, 13–28, 27. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang beispielsweise auf etliche, umfangreiche Darstellungen. U. a. zu nennen sind: Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs, München 2014; Herfried Münkler, Der Große Krieg 1914–1918, Berlin 2013 oder das bereits genannte Buch von Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg sowie Daniel Marc Segesser, Der Erste Weltkrieg in globaler Perspektive, Wiesbaden 2010 oder Oliver Janz, 14. Der große Krieg, Frankfurt am Main u. a. 2013. Vgl. Isabel Hull, A Scrap of Paper. Breaking and Making International Law during the Great War, Ithaca/NY 2014 und Dies., Absolute Destruction. Military Culture and the Practices of War in Imperial Germany, Ithaca/NY 2005. Konträre Meinungen dazu beispielsweise bei: Peter Lieb, Der deutsche Krieg im Osten von 1914 bis 1919. Ein

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„Sonderrollen“? Gerade für die kontrovers diskutierte Frage der Behandlung von Kriegsgefangenen im Ersten Weltkrieg durch verschiedene Nehmestaaten erweist sich die Auseinandersetzung mit dem Völkerrecht und seiner Auslegung als unerlässlich. Der „Repressalienpraxis“ wird bei Hull zu Recht entsprechende Aufmerksamkeit zuteil, wenngleich die Einbindung der Kriegsgefangenenproblematik überschaubar bleibt und das daraus resultierende argumentative Potential keineswegs ausgeschöpft wurde.111 Dessen ungeachtet erscheinen Hulls Einschätzungen zum prinzipiellen Umgang Deutschlands mit Völkerrechtsfragen angesichts eines konstatierten militärischen Primats und weitgehend unwidersprochener Vorgehensweisen der Obersten Heeresleitung gerade auch mit Blick auf das Habsburgerreich beachtenswert.112 In Österreich-Ungarn sind trotz der inneren Entwicklung in Richtung einer „Militärdiktatur“113 und der von Kriegsbeginn an wirksamen weitgehenden Durchgriffskompetenzen des Militärs unter Ausschaltung staatsbürgerlicher Rechte immerhin regelmäßige Versuche zur Eindämmung etwaiger völkerrechtlich fragwürdiger Praktiken des AOK beispielsweise durch das k. u. k. Ministerium des Äußern evident. Das Völkerrecht, d. h. explizit Genfer Konvention und Haager Landkriegsordnung, blieb – das zeigen neue Forschungen – auch in Zusammenhang mit der Behandlung der Kriegsgefangenen ein Referenzrahmen.114 Trotz einer zu konstatierenden „Machtlosigkeit“ des Völkerrechtes sei, so auch Jonathan Gumz, festzustellen, „that this legal framework proved important to belligerents of all sides, at least as a screen through which they understood and framed their actions“.115 Für die Anfangsphase des Krieges lässt sich in Bezug auf Österreich-Ungarn einerseits eine reflexhafte Bezugnahme auf die Haager Landkriegsordnung beobachten. Andererseits feststellbar ist ein in Anbetracht praktischer

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Vorläufer des Vernichtungskrieges?, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 4 (2017), 465–506. Vgl. Hull, A Scrap of Paper, 276–282. Vgl. dazu Hull im Interview: https://sciencev2.orf.at/stories/1736306/index.html (abgerufen am 12.7.2020). Vgl. dazu etwa Pieter M. Judson, „Where our commonality is necessary …“. Rethinking the End of the Habsburg Monarchy, in: Austrian History Yearbook 48 (2017), 1–21. Dazu beispielsweise: Heather Jones, International Law and Western Front Prisoners in the First World War, in: Anne-Marie Pathé/Fabien Théoflakis (Hg.), Wartime Captivity in the Twentieth Century, New York/Oxford 2016, 30–44, 39. Jonathan Gumz, The Habsburg Empire, Serbia, and 1914. The Significance of a Side­ show, in: Günter Bischof/Ferdinand Karlhofer (Hg.), 1914. Austria-Hungary, the Origins, and the first Year of World War I, New Orleans/Innsbruck 2014, 127–144, 139.

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Erfahrungen im Felde rasch wachsender Zweifel an der Kompatibilität diesbezüglicher Satzungen mit den realen Gegebenheiten. Die Überzeugung von der eigenen „kulturellen Überlegenheit“ und der daraus abgeleiteten Notwendigkeit, dieser durch die Achtung des Völkerrechtes Ausdruck zu verleihen, stand u. a. der Angst gegenüber, angesichts einer gewissermaßen unbedankten „Ritterlichkeit“ inmitten beobachteter oder angenommener beziehungsweise verallgemeinerter Verstöße des Gegners ins Hintertreffen zu geraten. Dass ungeachtet dessen das k. u. k. Ministerium des Äußern bemüht war, das Habsburgerreich als „civilised, law-abiding state“ zu präsentieren, wird überdies durch Matthew Stibbes Forschungen in Zusammenhang mit den „enemy aliens“ bestätigt.116 Die Unterschiede in der Behandlung der Betroffenen nach Herkunftsländern waren jedoch eklatant. Zu beachten ist vor allem die hohe Mortalität unter serbischen Zivilinternierten. In jedem Fall erscheint die Frage, inwiefern „Ordnungsrufe“ in Sachen Völkerrecht seitens des österreichisch-ungarischen Ministeriums des Äußern an die Adresse des AOK über „Kosmetik“ hinausgingen, zulässig.117 Das Bemühen, ungeachtet vorhandener Missstände und offenkundiger Versäumnisse, als „human“ und „zivilisiert“ zu gelten, ließen im Übrigen auch andere Staaten erkennen, wie sich etwa am Beispiel Russlands oder Serbiens zeigen lässt.118 Während Hull im Kontext völkerrechtlicher Praxis eine „Sonderrolle“ Deutschlands diagnostizierte, erweiterte sich etwa in einem Artikel von Alan Kramer der Blickwinkel – selten genug in der internationalen Kriegsgefangenenforschung zum Ersten Weltkrieg – auch auf das Habsburgerreich.119 Sein Beitrag über italienische Kriegsgefangene steht gewissermaßen stellvertretend für eine zentrale Ausgangsfrage jedweder Untersuchung der Gefangenenproblematik: Indem Kramer die hohe Sterblichkeit unter den Italienern im Gewahrsam der Mittelmächte aufgriff, drängte sich gewissermaßen automatisch die Problematik vielfach ungesicherter oder fragwürdiger Daten zu den Kriegsgefangenen insgesamt auf – ein Umstand, dem sich 2008 Reinhard 116 Matthew Stibbe, The internment of enemy aliens in the Habsburg Empire, 1914–18, in: Stefan Manz/Panikos Panayi/Matthew Stibbe (Hg.), Internment during the First World War. A Mass Global Phenomenon, London/New York 2019, 61–84, 66. 117 Vgl. zu den Konsequenzen militärischer Machtfülle u. a.: John Deak/Jonathan Gumz, How to Break a State. The Habsburg Monarchy’s Internal War, 1914–1918, in: American Historical Review (October 2017), 1105–1136. 118 Dazu die Texte von Natal’ja Surživkova und Danilo Šarenac in diesem Band. 119 Alan Kramer, Italienische Kriegsgefangene im Ersten Weltkrieg, in: Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger (Hg.), Der Erste Weltkrieg im Alpenraum, Erfahrung, Deutung, Erinnerung/La Grande Guerra nell’arco alpino: Esperienze e memoria, Innsbruck 2006, 247–258.

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Nachtigal in einem instruktiven Text widmete und der davor in Zusammenhang mit der Sterberate russischer Gefangener in Österreich-Ungarn behandelt worden war.120 Kramer, der unter anderem auf Giovanna Procaccis Forschungen121 über die rigorose Haltung der italienischen Regierung gegenüber den in Gefangenschaft geratenen eigenen Soldaten rekurrierte, verwies mit seinen Ausführungen in jedem Fall auch auf die Notwendigkeit einer multikausal ausgerichteten „Ursachenforschung“ in Zusammenhang mit den in Gefangenschaft gestorbenen Italienern – und darüber hinausgehend den Gefangenen aller Nationalitäten. Betont wurde dadurch nicht zuletzt das Desiderat einer breitgestreuten Quellenbasis.122 Gerade das „Massensterben“ italienischer Gefangener, das von Giovanna Procacci als „Fall der kollektiven Ausrottung“123 beschrieben wurde und in dieser Lesart der italienischen Gefangenenpolitik anzulasten war, fordert zu einer Zusammenschau der Quellen auf. Es erscheint demgemäß angezeigt, die Komplexität des Schicksals der Kriegsgefangenen als Ergebnis der Gefangenenpolitik sowohl des Nehme- als auch des Heimatstaates zu betrachten.124 Grundsätzliche Haltungen zu den Kriegsgefangenen, die beispielsweise von Procacci vor allem mit Blick auf die „führenden Klassen“ in Italien untersucht worden waren, schoben sich bisher in den Vordergrund. An deutlichen Aussagen mangelt es nicht. Die italienische Kriegsgefangenenpolitik war, meint sie, „bezeichnend“ für den „primär autoritären und strafenden Impetus“ gewesen, der in Bezug auf die in Feindeshand befindlichen Soldaten zum Tragen kam.125 Italiener in österreichisch-ungarischem Gewahrsam wurden demnach weniger Opfer des Nehmestaates als vielmehr der „eigenen Regierung, denn diese misstraute den eigenen Soldaten und versuchte, sie für ihre Gefangennahme zu bestrafen“126. 120     Vgl. dazu Reinhard Nachtigal, Zur Anzahl der Kriegsgefangenen im Ersten Weltkrieg, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 67 (2008), 345–384 sowie Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 328–331. 121 Giovanna Procacci, Soldati e prigioneri italiani nella Grande guerra, Roma 1993. 122 Vgl. dazu: Verena Moritz, „… treulos in den Rücken gefallen“. Zur Frage der Behandlung italienischer Kriegsgefangener in Österreich-Ungarn 1915–1918, in: Robert Kriechbaumer/Wolfgang Mueller/Erwin A. Schmidl (Hg.), Politik und Militär im 19. und 20. Jahrhundert. Österreichische und europäische Aspekte. Festschrift für Manfried Rauchensteiner, Wien/Köln/Weimar 2017, 185–208. 123 Zit. nach Kramer, Italienische Kriegsgefangene, 249. 124 Vgl. Verena Moritz, „… treulos in den Rücken gefallen“, 185–208. 125 Giovanna Procacci, Die italienische Forschung über den Ersten Weltkrieg. Die „pa­ triotische Deutung“ des Krieges und ihre Kontroversen über die Legitimations- und Delegitimationsprozesse, in: Oswald Überegger (Hg.), Zwischen Nation und Region. Weltkriegsforschung im internationalen Vergleich. Ergebnisse und Perspektiven, Innsbruck 2004, 33–62, 51. 126 Schmitz, „Als ob die Welt aus den Fugen ginge“, 226.

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Im Habsburgerreich hatten sich einzelne „Hardliner“ in der militärischen Führung hervorgetan, die ebenfalls rigorose Ansichten in Bezug auf die eige­ nen Soldaten in Kriegsgefangenschaft vertraten und diese konsequenterweise auf die Behandlung der Feindsoldaten in österreichisch-ungarischem Gewahrsam übertrugen. Aus derartigen Standpunkten entwickelte sich dennoch kein homogener oder zumindest kein unumstrittener Kurs des an sich keineswegs einheitlichen k. u. k. Kriegsgefangenenwesens.127 Festzuhalten ist außerdem, dass die offizielle Politik Österreich-Ungarns in Bezug auf Hilfslieferungen für k. u. k. Soldaten in Kriegsgefangenschaft ungeachtet konstatierter Versäumnisse nicht mit einer diesbezüglichen Passivität oder sogar abwehrenden Haltung etwa in Italien oder Russland vergleichbar ist.128 Eine gewisse Zurückhaltung hinsichtlich der Fürsorgemaßnahmen für die gefangenen k. u. k. Soldaten im Zarenreich wird in der Historiographie auch in Zusammenhang mit der unterschiedlichen Behandlung der Kriegsgefangenen nach Nationalitäten betrachtet. Die mehr oder weniger realisierte Privilegierung slawischer Gefangener in Russland hat demnach Hilfsmaßnahmen aus dem Habsburgerreich gebremst: „Man ahnte in Wien, dass die ‚Liebesgaben‘, die über Rotkreuzdelegierte der neutralen Staaten Dänemark und Schweden verteilt wurden, nicht immer die erreichten, die sie wirklich brauchten.“129 Besonders wichtige Anregungen gerade auch für die Forschungen zur Kriegsgefangenschaft im Habsburgerreich hielt ebenso wie Kramer schon vor dem Gedenken 2014 Heather Jones bereit. Den Argumenten und Einschätzungen Hulls folgend, nahm sie mit ihrer Studie über Gewalt gegenüber Kriegsgefangenen durch die Hervorhebung einer negativen Sonderrolle

127 Vgl. Verena Moritz, Gefangenschaft, in: Hannes Leidinger/Verena Moritz/Karin ­Moser/Wolfram Dornik, Habsburgs schmutziger Krieg. Ermittlungen zur österrei­ chisch-­ungarischen Kriegsführung 1914–1918, St. Pölten/Salzburg/Wien 2014, 93–144, 129 f. 128 Vgl. Mattias Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen? Die k. u. k. Regierung und die österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen in Russland 1914–1918, Diss. Salzburg 2018, 250–308. 129 Reinhard Nachtigal, Die Kriegsgefangenen-Verluste an der Ostfront. Eine Übersicht zur Statistik und zu Problemen der Heimatfront 1914/15, in: Gerhard P. Groß (Hg.), Die vergessene Front. Der Osten 1914/15. Ereignis, Wirkung, Nachwirkung, Paderborn/München/Wien/Zürich, 2006, 201–215, 207. Matthias Egger ist demgegenüber der Meinung, dass sich in der Heeresverwaltung kein „allgemein gehaltenes Misstrauen“ gegenüber den Kriegsgefangenen in Russland ausmachen lässt. Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen?, 229. Egger nimmt hier v. a. Bezug auf das k. u. k. Kriegsministerium und das GZNB. Ob dieser Befund auch auf das AOK bzw. die Kommanden der A. i. F. anzuwenden ist, sei dahingestellt.

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Deutschlands klare Zuordnungen vor.130 Mit Blick auf das Schicksal von Feindsoldaten im Habsburgerreich ebenso wie in russischem, serbischem, italienischem, rumänischem oder bulgarischem Gewahrsam ergeben sich allerdings Zweifel am Alleinstellungsmerkmal einer explizit „deutschen Rücksichtslosigkeit“ oder eines genuin deutschen „drive to extremes“, der – hinsichtlich der Gefangenen – für die beiden letzten Kriegsjahre konstatiert wurde.131 Andererseits aber stellt sich freilich ganz grundsätzlich die Frage nach der Vergleichbarkeit verschiedener Gewahrsamsstaaten. Immerhin bewegten sich bereits die Gefangenenzahlen in Frankreich und Großbritannien in anderen Dimensionen als etwa in Deutschland oder Österreich-Ungarn, wo sich bedeutend mehr Feindsoldaten befanden.132 Und darüber hinaus sind eklatante Unterschiede hinsichtlich Versorgung und Ressourcen ganz allgemein evident. In Bezug auf die „Ökonomisierung“ der Kriegsgefangenen bzw. die eminente Bedeutung der Gefangenenarbeit, wie sie für Deutschland festgehalten wurde, drängt sich indessen ein Vergleich mit Österreich-Ungarn auf. Dabei geht es nicht nur um die Dimension der Kriegsgefangenenarbeit, sondern auch um die Behandlung der Feindsoldaten. Die Frage einer Radikalisierung der Gefangenenbehandlung wurde immerhin eng mit der Arbeitsverwendung von Feindsoldaten verknüpft.133 Solche Tendenzen sind auch für das Habsburgerreich nicht von der Hand zu weisen. War das k. u. k. Kriegsministerium 1915 noch der Meinung, dass unabhängig von den dringenden wirtschaftlichen Interessen „keine Mißbräuche in der Gefangenenbehandlung geduldet werden“ durften, die „das Ansehen des Staates und das Schicksal unserer eigenen in Kgfschaft [Kriegsgefangenschaft] geratenen Soldaten gefährden könnten“134, verschoben sich die Prioritäten nicht zuletzt mit der zunehmenden Kriegsdauer. Spätestens ab 1917 gehörte die Versorgung der Armee mit Soldaten und des Hinterlandes mit Arbeitskräften zu den dringendsten Problemen der k. u. k. Monarchie. Zu Jahresanfang 1918 „tauchte die Frage auf, ob nicht die Gefahr eines wirtschaftlichen Zu130  Vgl. Reinhard Nachtigal, Rezension zu: Heather Jones, Violence against Prisoners of War in the First World War. Britain, France and Germany, 1914–1920, Cambridge/New York/Melbourne 2011, in: Historische Zeitschrift 206 (2013), 244–247, 245. 131 Heather Jones/Uta Hinz, Prisoners of War (Germany), in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2014–10–08. DOI: 10.15463/ie1418.10387 (abgerufen am 3.7.2021). 132 Zahlen dazu in: Weiland/Kern, In Feindeshand, Tabelle ohne Seitenangabe. 133 Heather Jones, The German Spring Reprisals of 1917. Prisoners of War and the Violence of the Western Front, in: German History 26/3 (2008), 335–356. 134 Missbrauch Kgf. Arb., Oktober 1915. ÖStA KA KM 10. Abt. 1915: 10-11/139-80, Kt. 959.

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sammenbruchs größer sei als die eines allmählichen Versiegens der Ersätze“ für das Heer.135 Ganz allgemein ist feststellbar, dass sich die Betrachtung von Menschen als „Human-“ oder „Menschenmaterial“ auch auf eigene Soldaten erstreckte. Rücksichtnahmen auf erschöpfte Männer traten gegenüber als „Kriegsnotwendigkeiten“ definierten Zielen zurück. Wie sehr diesbezügliche Möglichkeiten oder aber Zulässigkeiten überdehnt wurden, lässt sich etwa an den Rahmenbedingungen für Österreich-Ungarns Kriegsführung vor allem in den letzten Monaten vor dem Zusammenbruch der k. u. k. Monarchie feststellen und insbesondere an der sogenannten „Hungeroffensive“ gegen Italien ablesen.136 Dem Schicksal von Kriegsgefangenen, die im Front- und Etappenbereich eingesetzt wurden, hat sich nicht zuletzt Heather Jones in ihren Forschungen zugewandt. Ihre Überlegungen und Schlussfolgerungen, die sie 2011 in ihrer vergleichenden Arbeit zu den Kriegsgefangenen in Großbritannien, Frankreich und Deutschland präsentierte und in zahlreichen Artikeln weiterentwickelt hat, wirken ungeachtet vereinzelter kontroverser Rezeptionen in mehrerlei Hinsicht inspirierend137. Zum einen etwa, weil sie mit einem Schwerpunkt auf die Behandlung von Gefangenen im Frontbereich die geradezu als Begriffspaar etablierten Termini Lager und Kriegsgefangenschaft konsequent entkoppelte, und zum anderen, weil sie die Frage des Umganges mit den Gefangenen mit einem erweiterten Gewaltbegriff verknüpfte, wie er bereits in zeitgenössischen Diskursen verwendet worden war. Darüber hinaus warf sie anhand ihrer vergleichenden Perspektiven beispielsweise die Frage der Legitimität und Legitimierung von Gewalt ebenso auf, wie sie den Faktor sich verändernder Wahrnehmung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von Gewaltanwendung in ihren Untersuchungen berücksichtigte. Hier lässt sich zweifellos auch mit der Frage nach der Brutalisierung der Kriegsführung und ihrer Rückwirkung auf die Kriegsgesellschaft einhaken. In weiterer Konsequenz betonte Jones jedenfalls die Bedeutung des zivilen Einflusses auf die Normen der Kriegsgefangenenbehandlung gerade vor dem Hintergrund sich aufschaukelnder Vergeltungsmaßnahmen zwischen den Nehmestaaten.138 Diese Problematik erweist sich zumindest ab dem Frühjahr 135 Österreich-Ungarns letzter Krieg 1914–1918, Bd. 7: Das Kriegsjahr 1918, Wien 1938, 42. 136 Zusammenfassend dazu: Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg, 931–961. 137 Vgl. Nachtigal, Rezension zu: Heather Jones, Violence against Prisoners of War in the First World War, 244–247. Nachtigal sieht im Wesentlichen eine Fortschreibung zeitgenössischer britischer Ansichten über die deutsche Gefangenenbehandlung und mangelnde Distanz zu den Propagandadiskursen des Ersten Weltkrieges. 138 Neben der bereits erwähnten Studie, die 2011 erschienen ist, vgl. auch u. a folgende Ar-

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1917 mit der Wiedereröffnung des Reichsrates auch für die österreichische Reichshälfte der Donaumonarchie von Bedeutung, als die Behandlung der Kriegsgefangenen abseits gelenkter Propaganda zur Sprache kam und in Stellungnahmen zur Behandlung der Feindsoldaten ein diesbezügliches rigoroses Vorgehen ebenso gefordert wie kritisiert wurde.139

„Wahre Lügen“ und „Hypermnesie“ Während des Krieges machten sich zwei russische Offiziere Gedanken über Propagandanachrichten, die in Bezug auf Verfehlungen gegnerischer Truppen in Umlauf gesetzt wurden. Sie kamen zu dem Schluss, dass sie in diesem Zusammenhang offenbar auch mit „Lügengeschichten“ konfrontiert worden waren. In Hinblick aber auf die Wirkung solcher Narrative meinten sie: „Wie aber nicht lügen, wo doch Krieg ist, und im Krieg muss man die Instinkte anfachen. Wie willst du einen Soldaten zum Angriff zwingen, wenn du ihm nicht erklärst, dass der Feind seinen Glauben in den Dreck zieht, seine Frauen und Kinder?“140 Sie hielten schließlich fest, dass feindliche Norm­ übertretungen gegenüber den „Scheußlichkeiten“ im russischen „Hinterland“ zurückstanden. Und schließlich hieß es: „Wie du’s auch drehst, die Österreicher und Deutschen sind um einiges zivilisierter als das russische Heer.“141 Während diese Einschätzung sich mit den Urteilen weiter Teile der russischen Intelligencija über das „russische Volk“ deckte und vorhandene Unter­ suchungen über Gräuel der Zarenarmee ein erschreckendes Ausmaß an Übergriffen aufzeigen142, führen Vergleiche in dieser Hinsicht immer wieder tikel der Autorin: Heather Jones, Discipline and punish? Forms of violent punishment in prisoner of war camps in the First World War. A comparative analysis, in: Christoph Jahr/Jens Thiel (Hg.), Lager vor Auschwitz. Gewalt und Integration im 20. Jahrhundert, Berlin 2013, 99–116; Heather Jones, The Final Logic of Sacrifice? Violence in German Prisoner of War Labour Companies in 1918, in: The Historian 68/4 (2006), 770–791; Jones, The German Spring Reprisals of 1917, 335–356. 139 Vgl. dazu Moritz, „Schauermärchen“ und „Greueldichtungen“, 35–56. 140 Elena S. Senjavskaja, Die Völker Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg aus Sicht des russischen Gegners, in: Bernhard Bachinger/Wolfram Dornik (Hg.), Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten: Erfahrung – Wahrnehmung – Kontext, Innsbruck/Wien/Bozen 2013, 325–240, 327. 141 Ebd. 142 U. a. Alexander Victor Prusin, The Lands Between. Conflict in the East European Borderlands 1870–1992 (Zones of violence), Oxford 2010; Frank M. Schuster, Zwischen allen Fronten. Osteuropäische Juden während des Ersten Weltkrieges (1914–1919), Köln 2004. Siehe dazu auch den Beitrag von Oswald Überegger in diesem Band.

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auf schwieriges Terrain. Darauf verweisen nicht zuletzt und einmal mehr die Arbeiten von Heather Jones, die allerdings gerade in Bezug auf Propaganda und Gräuel den „wahren Kern“ diesbezüglicher Anschuldigungen hervorhebt.143 Dass zumindest mit den etwa von österreichisch-ungarischer und russischer Seite gesammelten Normübertretungen der gegnerischen Heere keine bloßen Propagandaschriften vorliegen, haben zudem aktuelle Forschungen ergeben.144 Vor allem die zum Teil überaus heftig geführten und über den Zeitrahmen 2014/18 hinausgehenden Debatten zu den deutschen Kriegsverbrechen verdeutlichen indessen die grundsätzlichen Konfliktlinien der einschlägigen Forschung in diesem Zusammenhang. Sie verweisen auf die Problematik der Quellen oder aber der Quellenkritik ebenso wie auf Streitfälle hinsichtlich der weiterreichenden Interpretation vorhandener Dokumente. Mit Blick auf die „Hypermnesie“ der „German Atrocities“ forderte Markus Pöhlmann schließlich dazu auf, tatsächlich „neue Erkenntnisse“ zu dieser Thematik zu liefern, um sich „am Ende“ nicht zu den „letzten Opfern der alliierten Kriegspropaganda des Ersten Weltkriegs zählen“ zu müssen.145 Gleichzeitig verweisen John Horne und Alan Kramer in der Neuauflage ihres Buches „Deutsche Kriegsgreuel. Die umstrittene Wahrheit“ auf falsche Interpretationen ihrer Darstellungen der „Franktireurs“ und „deutscher Greuel“ in Belgien. Eine „fatale Kontinuität in der deutschen Militärgeschichte zu konstruieren von ‚Clausewitz und seiner Doktrin des Vernichtungskrieges‘ bis Hitler“ sei nicht beabsichtigt gewesen. „Vielmehr“, heißt es, „deuten wir die Erfahrung des Ersten Weltkriegs als eine entscheidende Etappe auf dem Weg zu 1933 und dem Zweiten Weltkrieg“.146 Die Militärkultur, „die den Verbrechen von 1914 zugrunde lag, stellte darin einen wichtigen, aber keines-

143 Vgl. das Kapitel „Propaganda representations of violence against prisoners“ in: Jones, Violence, 29–120. 144 Vgl. Moritz, „Schauermärchen“ und „Greueldichtungen“. 145 Markus Pöhlmann, Über die Kriegsverbrechen von 1914, in: Flavio Eichmann/Markus Pöhlmann/Dierk Walter (Hg.), Globale Machtkonflikte und Kriege. Festschrift für Stig Förster zum 65. Geburtstag, Paderborn 2016, 125–144, 144. Vgl. daneben auch die Debatten auf dem Portal „Militärgeschichte“: Markus Pöhlmann, Habent sua fata libelli. Zur Auseinandersetzung um das Buch „German Atrocities 1914“, in: Portal Militärgeschichte (16. November 2017), URL: http://portal-militaergeschichte.de/http%3A// portal-militaergeschichte.de/poehlmann_habent (abgerufen am 12.7.2020) oder Gunter Spraul, Ein Standardwerk – oder vielleicht doch nicht? Eine Entgegnung auf die Kritik von John Horne und Alan Kramer im Vorwort ihrer Neuausgabe von 2018, in: Portal Militärgeschichte, 14. März 2019, http://portal-militaergeschichte.de/Spraul_Stan dardwerk (abgerufen am 14.7.2020). 146 John Horne/Alan Kramer, Deutsche Kriegsgreuel 1914. Die umstrittene Wahrheit, Hamburg 2018, XX.

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wegs den einzigen Faktor“ dar.147 Auch dieser Zugang erscheint jedoch manchen Historikern als zu weitgehend.148 Aus den diesbezüglichen Kontroversen ergaben sich schließlich auch Perspektiven für die Gefangenenforschung, die nunmehr verstärkt den Bezugsrahmen der Gewaltforschung und explizit der Kriegsverbrechen in den Blick nahm.149 Dass der Themenkomplex nicht ohne Berücksichtigung des immanenten Propagandakontextes betrachtet werden kann, liegt auf der Hand.150 Im Frühjahr 1915 sollten beispielsweise Nachrichten über eine als besonders grausam geschilderte Gefangenschaft in serbischem Gewahrsam regelmäßig unter den k. u. k. Soldaten verbreitet werden.151 Daran war nichts Ungewöhnliches. Auf russischer Seite erreichte die Auflage von Broschüren über die schlechten Bedingungen in österreichisch-ungarischer und deutscher Gefangenschaft mehrere Hunderttausend Stück. General Michail V. Alekseev persönlich regte eine entsprechende Verteilung unter den russischen Soldaten an.152 Ungünstige Darstellungen über die Gefangenenbehandlung gehörten zum üblichen Instrumentarium der Frontpropaganda aller kriegführenden Mächte. Dass solche Meldungen die eigenen Soldaten davon abhalten sollten, sich womöglich ohne größeren Widerstand gefangennehmen zu lassen, muss nicht näher erläutert werden. Dass man mit Schilderungen von Misshandlungen auch Revanchegelüste befördern konnte, ebenso wenig. Bemerkenswert sind allerdings später von der k. u. k. Armee in Umlauf gebrachte diesbezügliche Verlautbarungen. Trotz der Schilderung von Misshandlungen österreichisch-ungarischer Heeresangehöriger in serbischem Gewahrsam wurde darin nämlich der Anwendung von „Retorsionen“, also „unfreundlichen“ Gegenmaßnahmen, eine Absage erteilt.153 Von Repressalien, die völkerrechtlich

147 Ebd. 148 Vgl. Lieb, Der deutsche Krieg im Osten. 149 Vgl. dazu die Ausführungen im letzten Kapitel des Bandes. 150 Vgl. Moritz, „Schauermärchen“ und „Greueldichtungen“, passim; Daniel Marc Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? Die Ahndung von Kriegsverbrechen in der internationalen wissenschaftlichen Debatte 1872–1945, Paderborn 2010, 157–176. 151 M.A. Nr. 38407, Behandlung der österr.-ung. Kriegsgefangenen in Serbien, aus „Verlautbarungen Nr. 29 des Armeekommandos der Balkanstreitkräfte“, in: K. u. k. Militärkommando in Innsbruck, Militärkommando-Befehl Nr. 41, Innsbruck am 22.5.1915. ÖStA KA Terr Befehle, 14. K., Innsbruck 1915–1916, Kt. 83. 152 Korrespondenz von General Alekseev mit der Außerordentlichen Untersuchungskommission, Dezember 1915. RGVIA f. 2003 op. 2 d. 30 ll. 1–4. 153 Präs. Nr. 4271/H.E., Mißhandlung unserer Kgf. in Serbien (= KM Erlaß Abt. 10/Kgf. Nr. 1190/III vom 23. April 1916), in: K. u. k. Militärkommando Innsbruck, Präsidialverordnung Nr. 19, Innsbruck am 5.5.1916. ÖStA KA Terr Befehle, 14. K., Innsbruck 1915–1916, Kt. 83.

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schwerwiegendere Konsequenzen implizierten, war gar nicht erst die R ­ ede.154 Daraus lässt sich eine Intention in Richtung Deeskalation ableiten – wenngleich eine fragwürdige. Über die Wirkung solcher Botschaften, die einerseits auf gegnerische Normübertretungen hinwiesen und andererseits dazu aufforderten, sie nicht entsprechend zu beantworten, kann man ohnehin nur spekulieren. Schließlich waren die Ansichten zur Anwendung von Vergeltungsmaßnahmen unterschiedlich – und das nicht nur unter den mit Gefangenenagenden befassten Behörden, sondern wohl auch unter den befehlshabenden Offizieren und den Soldaten selbst. So oder so lässt sich hier etwas erkennen, was ab 1915 auch in Zusammenhang mit der Behandlung der als verdächtig angesehenen Zivilbevölkerung in den Grenzregionen feststellbar ist: Man ruderte zurück oder versuchte es zumindest – Widersprüche und Gegentendenzen inbegriffen. Die Gewaltexzesse und Übergriffe zu Beginn des Krieges erschienen jetzt, aus einer gewissen Distanz heraus, zumindest Teilen der Armeeführung maßlos und oft genug kontraproduktiv. Das betraf den serbischen Kriegsschauplatz ebenso wie jenen im Osten. So sollte etwa den Soldaten klar gemacht werden, dass nicht jeder Ruthene automatisch ein Spion war und dass Galizien keineswegs als „[f] remdes Land“ betrachtet werden dürfe.155 Vor allem hinsichtlich des österreichisch-ungarischen Auftretens in Serbien hat sich zumindest in Teilen der Forschung die Einschätzung einer Entwicklung in Richtung Deeskalation durchgesetzt. Obwohl man die Pläne des AOK beziehungsweise namentlich Conrads in Bezug auf Serbien und seine Bewohner als einigermaßen radikal bezeichnen kann, sei die Kampagne der k. u. k. Armee eher „die letzte imperiale Strafaktion des 19. Jahrhunderts“ gewesen und „nicht der erste im 20. Jahrhundert geführte Vernichtungskrieg gegen Zivilisten“.156 154 „Wichtig ist die Unterscheidung zwischen bindendem und nicht-bindendem Völkerrecht, da Staaten nur bei der Verletzung von bindendem Völkerrecht zur Beseitigung des rechtswidrig herbeigeführten Zustandes und zur Wiedergutmachung verpflichtet sind. Und auch nur in diesem Fall sind Gegenmaßnahmen der in ihren Rechten verletzten Staaten, etwa Repressalien und Retorsionen, möglich. Eine Repressalie ist ein an sich völkerrechtswidriges Handeln, das aber bei Rechtsverletzungen als Gegenmaßnahme gerechtfertigt ist […]. Unter einer Retorsion dagegen versteht man ein lediglich unfreundliches, nicht aber rechtswidriges Handeln […].“ Angelika Nußberger, Das Völkerrecht. Geschichte – Institutionen – Perspektiven, München 2009, 13 f. Die Grenzen zwischen völkerrechtlich zulässigen und völkerrechtswidrigen Maßnahmen bzw. hinsichtlich deren Verhältnismäßigkeit oder aber Unverhältnismäßigkeit – ein Umstand, der bei der Anwendung von Repressalien und Retorsionen ebenso von Bedeutung war – verliefen allerdings in Bezug auf die Gefangenenbehandlung zumindest im Sprachgebrauch der k. u. k. Heeresverwaltung fließend. 155 Zit. nach Schmitz, „Als ob die Welt aus den Fugen ginge“, 286. 156 Ziemann, Gewalt, 33. Vgl. dazu auch die Einschätzungen bei Überegger, v. a. in Zusammenhang mit der Frage des Alleinstellungsmerkmals von „Gräuel“, u. a. den Artikel in

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Dass die aus „Missverständnissen und Psychose hervorgerufenen beiderseitigen Atrocitäten“ die „Atmosphäre vollends […] vergifte[t]“ hatten, war eine Einsicht, die wohl an allen Fronten für viele Opfer zu spät kam. Immerhin sollen allein im August 1914 3500 serbische Zivilisten ums Leben gekommen sein.157 Darüber hinaus gilt es auch zu bedenken, dass als mäßigend erscheinende Befehle vor allem auch der Erkenntnis eines Kontrollverlustes gegenüber der eigenen kämpfenden Truppe erwuchsen. Dieser Kontrollverlust wiederum stellte sich angesichts kaum zu zügelnder Gewaltorgien ein und evozierte seinerseits besondere Strenge von Offizieren gegenüber Untergebenen. Berichten ist zu entnehmen, dass sich ein regelrechter „Furor“ einzelner Offiziere der k. u. k. Armee nicht nur auf die Zivilbevölkerung, sondern auch auf die eigenen Soldaten erstreckte, die beispielsweise mit unverhältnismäßigen Strafen konfrontiert wurden.158 Einer beobachteten Verselbstständigung von Gewalt und der damit einhergehenden Ausbildung von Gewalträumen, die sich der Kommandogewalt der Offiziere vielfach entzogen, konnte man nur durch das Setzen von Grenzen begegnen – so widersprüchlich sich diese auch mit Blick auf anderweitige Befehle zur erfolgreichen Niederwerfung des Gegners dargestellt haben mögen.159 Kritische Perspektiven auf die österreichisch-ungarische Kriegsführung oder aber Besatzungspolitik offenbarten in jedem Fall auch Potential für die Gefangenenforschung. Hervorzuheben ist hier u. a. die Frage der Behandlung von Feindsoldaten in der ersten Kriegsphase.160 diesem Band. 157 Ziemann, Gewalt, 32. 158 Vgl. Franz Arneitz, Meine Erlebnisse in dem furchtbaren Weltkriege 1914–1918. Tagebuch eines Frontsoldaten, hg. von Andreas Kuchler, Wien 2016, 13. 159 Vgl. Felix Schnell, Räume des Schreckens. Gewalt und Gruppenmilitanz in der Ukraine 1905–1933, Hamburg 2012, 150 f. 160 Vgl. zur österreichisch-ungarischen Kriegsführung: Wolfram Dornik/Stefan Karner (Hg.), Die Besatzung der Ukraine 1918. Historischer Kontext – Forschungsstand – wirtschaftliche und soziale Folgen, Graz/Wien/Klagenfurt 2008; Gumz, The Resurrection and Collapse of Empire; Hannes Leidinger/Verena Moritz/Karin Moser/Wolfram Dornik, Habsburgs schmutziger Krieg. Ermittlungen zur österreichisch-ungarischen Kriegsführung 1914–1918, St. Pölten/Salzburg/Wien 2014; Tamara Scheer, Zwischen Front und Heimat. Österreich-Ungarns Militärverwaltungen im Ersten Weltkrieg, Frankfurt/Main 2009. Wesentlich überdies für die Kontextualisierung der Kriegsgefangenenproblematik auch: Oswald Überegger, „Man mache diese Leute, wenn sie halbwegs verdächtig erscheinen, nieder“. Militärische Normübertretungen, Guerillakrieg und ziviler Widerstand an der Balkanfront, in: Bernhard Chiari/Gerhard P. Groß (Hg.), Am Rande Europas? Der Balkan. Raum und Bevölkerung als Wirkungsfelder militärischer Gewalt, München 2009, 121–136; Ders., „Verbrannte Erde“ und „baumelnde Gehenkte“. Zur europäischen Dimension militärischer Normübertretungen im Ersten Weltkrieg, in: Sönke Neitzel/Daniel Hohrath (Hg.), Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der

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Massenverwahrung Eine mittlerweile überaus lebendige Forschung zum Themenkomplex „Internierung im Ersten Weltkrieg“161 mit Schwerpunkt auf das Schicksal von Zivilisten gab indessen vielfach erschütternde Einblicke in die Lebensrealität von Flüchtlingen und Zivilinternierten unter österreichisch-ungarischer Kontrolle. Sie eröffnete auch zahlreiche Anknüpfungspunkte für die Untersuchung der Kriegsgefangenenproblematik. Wesentliche Fragen wurden in Zusammenhang mit dem Ausmaß und dem längerfristigen Wirken militärischer Planungen für den Umgang mit „den Feinden“ aufgeworfen. Matthew Stibbe etwa hob in einem 2019 erschienenen Sammelband einmal mehr die Brutalität bei der Behandlung vor allem serbischer Zivilinternierter in österreichisch-ungarischem Gewahrsam explizit hervor. Für ihn scheinen vorhandene Einschätzungen in Richtung einer Deeskalation österreichisch-ungarischer Besatzungsrealität konkret in Serbien 1917 und 1918162 im Widerspruch zur Internierungspraxis des Habsburgerreiches zu stehen.163 Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Paderborn/ München/Wien/Zürich 2008, 241–278. In unterschiedlichem Ausmaß begleitet wurde dieser Prozess einer „Entzauberung“ insbesondere der k. u. k. Armee im Übrigen auch von öffentlichen Debatten, im Zuge derer etwa der österreichisch-ungarische Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf als „Kriegstreiber“ und Unperson bewertet und seine frühere Würdigung genauer unter die Lupe genommen wurde. Als Konsequenz dessen zu sehen ist u. a. die Forderung nach einer Umbenennung von Straßen und Plätzen, die nach Conrad benannt worden waren. Hier zeigte sich einmal mehr die verspätete Verabschiedung von einer verklärenden Sicht auf die Habsburgermonarchie und damit auch auf ihre Armee deutlich – ungeachtet der Frage, wie sinnhaft eine Ausblendung historisch fragwürdiger Personen aus dem öffentlichen Raum ist. Vgl. Walter Müller, Umbenennung „belasteter Straßen“ in Graz unwahrscheinlich, 5.2.2018, in: https://derstandard.at/2000073687927/Belastete-Grazer-Strassen (abgerufen am 10.6.2020). 161 Vgl. Stefan Manz/Panikos Panayi/Matthew Stibbe (Hg.), Internment during the First World War. A Mass Global Phenomenon, London/New York 2019; Arnd Bauerkämper, National Security and Humanity. The Internment of Civilian „Enemy Aliens“ during the First World War, in: Bulletin of the German Historical Institute, London, 40/1 (2018), 61–85; oder Alessandro Livio, The Wartime Treatment of the Italian-Speaking Population in Austria-Hungary, in: European History/Revue européenne d’histoire 24/2 (2017), 185–199. 162 Stibbe bezieht sich hier auf Jonathan Gumz. Dazu beispielsweise neben seiner 2009 erschienenen Monographie (Gumz, The Resurrection and Collapse of Empire) auch: Jonathan E. Gumz, Losing Control. The Norm of Occupation in Eastern Europe during the First World War, in: Jochen Böhler/Wlodzimierz Borodziej/Joachim von Puttkamer (Hg.), Legacies of Violence. Eastern Europe’s First World War, München 2014, 69–88. 163 Stibbe, The internment of enemy aliens in the Habsburg Empire. Vgl. auch Gli spostati. Profughi, Flüchtlinge, Uprchlíci 1914–1919. Fotografarsi. Scriversi, volume 1, Rovereto

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Zu ergänzen sind in diesem Kontext in jedem Fall die Größenordnungen der Internierung im Hinblick auf die Betroffenen. Tausenden „enemy aliens“ bzw. Feindstaatenausländern, die sowohl konfiniert als auch interniert waren und von denen Serben die größte Gruppe darstellten164, stand eine ebenfalls nicht unerhebliche Anzahl eigener Staatsbürger gegenüber. Anzuführen sind hier Italiener, Ruthenen und Südslawen165, die als „politisch verdächtig“ eingestuft wurden. In einer Statistik für den Herbst 1918 ist von insgesamt annähernd 33.000 Zivilinternierten die Rede.166 Allein hinsichtlich der serbischen Internierten im Habsburgerreich nimmt die Forschung aber schließlich mehrere Zehntausend an.167 Für die Anzahl der zwangsweise festgehaltenen Angehörigen von „Feindnationen“ gehen Historiker sogar von etwa 200.000 Personen aus.168 Zu berücksichtigen sind darüber hinaus weit über eine Million österreichisch-ungarische Kriegsflüchtlinge, wovon „zeitweise bis zu 150.000“ in Cisleithanien in verschiedenen Lagern konzentriert waren. Walter Mentzel, der sich seinerseits intensiv mit der Flüchtlingsproblematik in

2015: Laboratorio di storia di Rovereto; Presidenza del Consiglio della Provincia Autonoma di Trento, 2015; Gli spostati. Profughi, Flüchtlinge, Uprchlíci 1914–1919. La storia, volume 2, Mori 2015: Laboratorio di storia di Rovereto; Presidenza del Consiglio della Provincia Autonoma di Trento, 2015. 164 Zur Schwierigkeit einer zahlenmäßigen Erfassung von „enemy aliens“ siehe Stibbe, Internment of enemy aliens in the Habsburg Empire, 67. Zu den Zahlen serbischer Internierter siehe u. a.: Moritz, Gefangenschaft, 102. Die serbische Seite machte im Übrigen nach dem Krieg geltend, dass etwa zehn Prozent der serbischen Zivilbevölkerung das österreichisch-ungarische Lagerwesen durchlaufen hatten. Andrej Mitrovic, Serbia’s Great War 1914–1918, London 2007, 320. Problematisch in Hinblick auf die Feststellung genauer Zahlen war überdies die Vermischung von Kriegsgefangenen mit Zivilpersonen. Beide Gruppen waren zuweilen in ein und demselben Lager untergebracht, wenn auch in getrennten Gruppen. 1917 belief sich die Zahl der in Kriegsgefangenenlagern befindlichen Zivilpersonen auf eine Zahl von über 31.000 Personen. Zur Problematik der Zahlen siehe u. a. die einführenden Texte in vorliegendem Band. 165 Vgl. Matthew Stibbe, Krieg und Brutalisierung. Die Internierung von Zivilisten bzw. „politisch Unzuverlässigen“ in Österreich-Ungarn während des Ersten Weltkriegs, in: Alfred Eisfeld/Guido Hausmann/Dieter Neutatz (Hg.), Besetzt, interniert, deportiert. Der Erste Weltkrieg und die deutsche, jüdische, polnische und ukrainische Zivilbevölkerung im östlichen Europa, Essen 2013, 87–106, 95. 166 Stand der Kriegsgefangenen per 27.10.1918. ÖStA KA AOK Op. Abt., Evidenzgruppe B 1917/18, Kriegsgefangene, Kt. 600. 167 Vgl. Bogdan Trifunović, Prisoners of War and Internees (South East Europe), in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2014–10–08. DOI: 10.15463/ie1418.10132 (abgerufen am 3.8.2021). 168 Brettl, Das Kriegsgefangenen- und Internierungslager Boldogasszony/Frauenkirchen, 39.

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Österreich auseinandergesetzt hat, spricht in diesem Zusammenhang von einer „strukturellen Gewalt“, von „Übergriffen des Lagerpersonals“ und von epidemischen Krankheiten, die Tausende hinwegrafften.169 Allein im niederösterreichischen Lager Gmünd sollen von insgesamt etwa 200.000 Personen, die das Lager während der Kriegszeit durchliefen, ca. 30.000 gestorben sein.170 Auch zu anderen Lagern liegen Schätzungen zur Sterblichkeit vor, die erschreckende Dimensionen des Massentodes vor Augen führen. Im niederösterreichischen Flüchtlingslager Mitterndorf sind angeblich an die 900 Kinder unter zehn Jahren als Folge vor allem epidemischer Krankheiten gestorben.171 Hohe Sterberaten von Zivilinternierten und Flüchtlingen warfen schließlich die Frage der Verantwortung hierfür auf. Die prekäre Situation, in denen sich viele Zivilisten in den Lagern der k. u. k. Monarchie befanden, gab noch während des Krieges Anlass zu Stellungnahmen der Behörden im Rahmen von parlamentarischen Anfragen und Debatten.172 Bemerkenswert in diesem Kontext ist eine 1916 angefertigte Statistik, die auf Grundlage von „Durchschnittszahlen“ der tatsächlich in den beiden ersten Kriegsjahren im Gewahrsam der k. u. k. Monarchie befindlichen Kriegsgefangenen und nicht näher definierten „Internierten“ die Anzahl der jeweiligen Todesfälle unter diesen Gruppen – ebenfalls im Sinne eines Durchschnittswertes – angab. Diesen Berechnungen zufolge lag 1914/15 die Mortalitätsrate unter den eingebrachten Feindsoldaten angeblich bei sechs Prozent, jene der „Internierten“ aber bei einem Wert, der um ein Vielfaches höher war, nämlich bei etwa 40 Prozent! Für das zweite Kriegsjahr ließ sich diesen Angaben gemäß gar nur eine Todesrate von knapp über einem Prozent für die gefangengenommenen gegnerischen Heeresangehörigen eruieren. Demgegenüber belief sich 1915/16 die Mortalität unter den „Internierten“ immer noch auf hohe 22 Prozent.173

169 Walter Mentzel, Kriegserfahrungen von Flüchtlingen aus dem Nordosten der Monarchie während des Ersten Weltkriegs, in: Bernhard Bachinger/Wolfram Dornik (Hg.), Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten. Erfahrung – Wahrnehmung – Kontext, Innsbruck/Wien/Bozen 2013, 359–390, 385 f. 170 Dacho/ Drach/Winkler, Am Anfang war das Lager, 40. 171 Hermann J. W. Kuprian, Zwangsmigration, in: Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger (Hg.), Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, Innsbruck 2014, 217–240, 234. Dass zwei Drittel der Gestorbenen Kinder waren, lässt sich für 1915 auch für das Lager Wolfsberg in Kärnten nachweisen. Vgl. Christian Klösch, Lagerstadt Wolfsberg. Flüchtlinge – Gefangene – Internierte/Camp town Wolfsberg. Refugees – Prisoners – Internees, Wolfsberg 2013, 20. 172 Moritz, Gefangenschaft, 119–124. 173 Nachweisung über verstorbene Kriegsgefangene, August 1916. ÖStA KA KM 14. Abt. 1916: 59–61, Kt. 1803.

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Die verantwortlichen Behörden schienen auf konstatierte Missstände, die sich schon allein aufgrund des „Zusammenpferchen[s] von Gefangenen“174 ergaben, oft nur mit großer Verzögerung zu reagieren. Zivile Ämter beanstandeten den Umgang des Militärs mit den Menschen, erwiesen sich aber andererseits auch als durchaus willige Kooperationspartner – vor allem dann, wenn plausibel erscheinende militärische „Notwendigkeiten“ ins Treffen geführt wurden, um ein rigoroses Vorgehen etwa gegen politisch Verdächtige zu rechtfertigen. Das „Wegsperren“ von Kriegsgefangenen ebenso wie von zivilen Personen erschien vor allem in der ersten Kriegsphase als das Mittel der Wahl, um Kontrolle zu gewährleisten. Die Rettung von Menschenleben war unter diesen Umständen einer gewissermaßen als alternativlos angesehenen „Verwahrung“ nicht prioritär. Die Gefahr, die von ansteckenden Krankheiten ausging, wurde tendenziell unterschätzt.175 Tatsächlich stellte sich bereits während des Krieges die Konzentration von Flüchtlingen in „geschlossenen Lagern“ in Anbetracht vielfach katastrophaler hygienischer Zustände, aber auch „vom volkswirtschaftlichen, finanzpolitischen und vom Standpunkte des Staates“ aus als ein „gewaltiger Missgriff“ dar.176 Gewarnt wurde außerdem vor den weiterreichenden Rückwirkungen auf die Loyalität vor allem jener Nationalitäten, die von Verfolgungen oder anderen „Sicherungsmaßnahmen“ besonders betroffen waren. Umsonst. Und während in den eigenen Lagern Tausende Kriegsgefangene angesichts fehlender hygienischer Einrichtungen an Flecktyphus oder anderen Seuchen starben beziehungsweise bereits gestorben waren, erhob 1916 die österreichische Presse gegenüber Russland die Anklage eines beabsichtigten „Massenmordes“ an österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen als Folge ungenügender sanitärer Vorkehrungen bei deren Unterbringung.177 Während die Donaumonarchie die Ausbreitung epidemischer Krankheiten unter den Kriegsgefangenen ab 1915 weitgehend stoppen hatte können, galt Russland in diesem Zusammenhang und freilich auch über diesen hinaus als rückständig und sein Verhalten als grob fahrlässig.178 In der Nachbetrachtung erhebt sich angesichts unzähliger ziviler Opfer ebenso wie schließlich Zehntausender in österreichisch-ungarischem Ge174 Zit. nach Moritz, Gefangenschaft, 112. 175 Vgl. ebd., 112 f. 176 Zit. nach Walter Mentzel, Die Flüchtlingspolitik der Habsburgermonarchie während des Ersten Weltkrieges, in: Börries Kuzmany/Rita Garstenauer (Hg.), Aufnahmeland Österreich. Über den Umgang mit Massenflucht seit dem 18. Jahrhundert, Wien 2017, 126–155, 145. 177 Vgl. Innsbrucker Nachrichten, 6.6.1916, 4. 178 Vgl. Nachtigal, Seuchen, 363–387.

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wahrsam verstorbener Kriegsgefangener die Frage, wie sich insgesamt die Internierungspraxis des Habsburgerreiches charakterisieren beziehungsweise beurteilen lässt. Die administrative und logistische Überforderung in Zusammenhang mit der „Massenverwahrung“ eigener ebenso wie fremder Staatsangehöriger erscheint damals wie heute als keineswegs ausreichende Erklärung für konstatierte Mängel. Die Verquickung von begründeter Kritik und übertriebenen Anschuldigungen rückte angeprangerte Missstände auf der gegnerischen Seite sowohl während des Krieges und auch teilweise danach tendenziell in den Status eines bewussten Vergehens beziehungsweise einer verbrecherischen Handlung. Unter „Kriegsgräuel“ des jeweiligen militärischen Gegners subsumiert wurden unter diesen Vorzeichen bereits ab 1915 auch epidemische Krankheiten, denen Gefangene zum Opfer fielen.179 Für Deutschland konstatierte Heather Jones eine zu Gunsten der eigenen Zivilbevölkerung priorisierte Seuchenbekämpfung, wohingegen die betreffende Fürsorge für die Kriegsgefangenenlager zurückstand.180 In Bezug auf die Betreuung seuchenkranker Kriegsgefangener in österreichisch-ungarischem Gewahrsam zu Beginn des Krieges lässt sich festhalten, dass es abseits individuellen Fehlverhaltens sowie des weitgehenden Versagens des österreichisch-ungarischen Sanitätswesens wenigstens in der Anfangsphase des Konfliktes181 auch Anzeichen für eine zumindest erwogene, 179 Jones, Violence, 93. 180 Ebd., 107. 181 Klagen über eine mangelhafte Organisation des Sanitätswesens kamen indessen von verschiedenen Seiten. Allseits kritisiert wurde nicht zuletzt der Ärztemangel bei der Feldarmee. Vgl. dazu: KM Erlass Abt. 14, Nr. 1397 res. vom 25.1.1915. Präsidialverordnung Nr. 10. Militärkommando Innsbruck. ÖStA KA Terr Befehle, 14. K., Innsbruck 1914–1916, Kt. 83. In Mauthausen war es im Übrigen ein später an den Folgen seiner Ansteckung mit Flecktyphus verstorbener Lagerarzt, der seinerseits bittere Beschwerde über diesbezügliche Versäumnisse geführt hatte. Als er seinen Dienst in Mauthausen antrat, standen für 14.000 Kriegsgefangene zwei Ärzte zur Verfügung. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 84. Nachvollziehbaren Erwägungen zufolge wurden in weiterer Folge vor allem Ärzte gesucht, die aufgrund einer bereits überstandenen Fleckfiebererkrankung Immunität erlangt hatten. Diese sollten per Verordnung vom Februar 1915 explizit in den Kriegsgefangenenlagern tätig werden. Erlass des k. u. k. KM vom 12.2.1915, Abt. 14, Nr. 2888, in: Militärkommandobefehl Nr. 27, Wien. Niederösterreichisches Landesarchiv (NÖLA) NÖ Statthalterei-Präsidium, Militärkmdo. Wien. Militärkommandobefehle und Militär- und Landwehr-Stationskommandobefehle (Sept. 1914–April 1916), Kt. 11. Dem in sogenannten „Seuchenlagern“ tätigen Personal gewährte man aufgrund der Gefährlichkeit ihrer Arbeit Zulagen. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 86. Als Folge der 1914/15 alle Dimensionen sprengenden Seuchenproblematik wurden unabhängig von der in den Lagern durchgeführten Entlausung die im Etappenbereich

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grundsätzlich zu geltende „reduzierte“ Versorgung von erkrankten serbischen Kriegsgefangenen gibt. Hier zeichnete sich eine Reaktion auf Defizite in der Betreuung von k. u. k. Gefangenen in serbischem Gewahrsam ab.182 Diesbezüglich in den Blick zu nehmen ist das oberösterreichische Lager Mauthausen, wo 1914/15 mehrere Tausend serbische Gefangene zugrunde gingen. Allerdings lassen sich abseits der Verfehlungen des Lagerkommandanten sowie einzelner weiterer Involvierter keine Belege für eine angeordnete medizinische Mangelversorgung von kriegsgefangenen Serben finden.183 Mit befindlichen und dem Etappenoberkommando (EOK) unterstehenden sogenannten „Kriegsgefangenenstationen“ dazu ausersehen, die einlangenden Gefangenen sogleich einer entsprechenden Prozedur zu unterziehen. Quarantäne- und Beobachtungsstationen im Etappenbereich sollten ebenfalls dafür sorgen, das Vordringen von Seuchen nachhaltig einzudämmen. Bereits in den 1915 zu einem Dienstbuch zusammengefassten Erlässen nahmen die Verordnungen zur „Verhütung von Infektionen“ und insbesondere „Vorbeugungsmaßnahmen gegen den Flecktyphus“ beinahe 30 Seiten ein. Vgl. Dienstbuch J-35. Kriegsgefangenenwesen (Kgf. W.). Sammlung und Sichtung der ergangenen Erlässe, Wien 1915, 127–144. Auch die Propagandamaßnahmen des k. u. k. Kriegsministeriums, die ausgewählten Gruppen von Kriegsgefangenen aus verschiedenen Herkunftsstaaten galten und u. a. die Einreihung von Feindsoldaten in verbündete Armeen zum Ziel hatten, wurden durch die unter den Feindsoldaten aufgetretenen Epidemien in Mitleidenschaft gezogen. Die entsprechende Isolierung und ärztliche Überwachung beispielsweise von sogenannten „Mazedobulgaren“ wurden im November 1914 explizit angeordnet. Erst nach einer diesbezüglichen Entwarnung sollten diese Gefangenen, die in der serbischen Armee gekämpft hatten, dem bulgarischen Generalkonsulat übergeben werden. Militärkommando Poszony, 24.11.1914. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 19 c Kriegsgefangene, Kt. 938. 1915 wurde die Überstellung von Mazedobulgaren – es handelte sich damals um mehr als 500 Männer – auf Wunsch der bulgarischen Regierung beendet. Grund waren offenbar „Fleckfiebererkrankungen“, die bei den bereits übernommenen Gefangenen aufgetreten waren. Schreiben des k. ung. Honvedministeriums, 1915. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 19 c Kriegsgefangene, Kt. 938. 182 Vgl. dazu die Ausführungen im letzten Kapitel des Bandes. 183 Ende Januar 1915 hatte eine unangemeldet in Mauthausen erschienene Kommission des k. u. k. Kriegsministeriums festgestellt, dass die hygienischen Zustände im Lager völlig unhaltbar waren. Die gesamte Anlage war durch Abfälle und Fäkalien komplett verunreinigt. In unmittelbarer Nähe zu den Baracken lagen in schmutzigen Strohsäcken mehrere Leichen herum. In einem weiteren Kommissionsbericht, der ebenfalls in den Januar 1915 datiert, wurde vorweggenommen, dass in Anbetracht der „gänzlich verwahrlosten Insassen“ selbst zusätzliches Sanitätspersonal nichts würde ausrichten können, um die Situation zu verbessern. Zit. nach Gusenbauer, Krieg, 118. Parallel dazu blieb die k. u. k. Militärleitung in Mauthausen bei der Ansicht, dass die Misere allein den kriegsgefangenen Serben und ihrem angeblich niedrigen Kulturniveau zuzuschreiben war. Ebd., 119. Ein Inspektionsoffizier bezichtigte wiederum den Lagerkommandanten nicht nur völliger Untätigkeit, sondern behauptete auch, dass dieser unzutreffende Meldungen über die Zustände im Lager an seine vorgesetzten Stellen geschickt hatte. Tatsächlich bedurfte es offenbar eines neuen Kommandanten, um das Sterben im Mauthausener Lager

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anderen Worten: Eine systematisch angeleitete medizinische Unterversorgung serbischer Gefangener gab es nicht – sehr wohl aber ein Fehlverhalten Einzelner, das womöglich von bestehenden Ressentiments sowie rigorosen diesbezüglichen Meinungen innerhalb des Armeeoberkommandos inspiriert war.184 Letzteres trug diesbezügliche konkrete „Ideen“ allerdings erst zu einem Zeitpunkt an das k. u. k. Kriegsministerium heran, als der Flecktyphus bzw. weitere Krankheiten, die unter den Gefangenen in Mauthausen grassierten, bereits im Abklingen begriffen waren. Unzählige Quellen dokumentieren indessen eine vor allem 1914/15 von Chaos durchdrungene Vorgehensweise der Behörden bei der Bekämpfung von Epidemien, die nicht zuletzt unter den eigenen kämpfenden Truppen oder aber der Zivilbevölkerung auftraten. Die „sanitären Zustände“ etwa am „nördlichen Kriegsschauplatze“ gaben im September 1914 dem Spezialdelegierten Graf Galen, der nach Galizien entsendet wurde, Anlass zu größtmöglichem Entsetzen. Verwundete bekamen tagelang nichts zu essen, „weil keine entsprechenden Vorsorgen getroffen“ worden waren, und um „Ruhrkranke“ kümmerte sich niemand „wegen der Ansteckungsgefahr“.185 In den „an den Etappengrenzen“ noch 1914 errichteten Beobachtungs- und Quarantänestationen waren eigene Soldaten ebenso untergebracht wie Kriegsgefangene. „[R]elativ spät“ erfolgte „nach dem registrierten Ausbruch der Cholera“ etwa zu beenden – ein Umstand allerdings, der eher auf individuelle Verantwortlichkeiten für die beschriebenen Missstände verweist und weniger auf ein von höheren Instanzen gewolltes Sterben kriegsgefangener Serben, um womöglich vorhandene Revanchegelüste zu befriedigen. Die schließlich doch eingeleiteten Maßnahmen zur Beseitigung der offensichtlichen Mängel bei der Unterbringung und Versorgung der Gefangenen kamen nichtsdestoweniger für viele zu spät. Die Opferzahl, die wahrscheinlich auch Personen aus dem Wachpersonal miteinschließt, schwankt zwischen 3000 und 12.000 Toten. Vgl. Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. KA MS Ca/Ca 29, 19; Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 86. 184 Von unhaltbaren Zuständen in Mauthausen wusste offenbar auch ein Vertreter der Zensurbehörde zu berichten, der vom k. u. k. Kriegsministerium die Erlaubnis zum Besuch des Lagers erhielt und dort Monate nach Erlöschen der Seuche und dem Ende des Massensterbens diesbezügliche Informationen sammelte. Er erzählte, „dass ein Drittel“ der Gefangenen „wahrscheinlich lebendig begraben wurden, indem sie ohne Pflege, Kleidung und Decke in der klirrenden Kälte liegen gelassen wurden und so froren, dass sie auch in den Dreck hineinkrochen, um vor der Kälte zu fliehen, und man sie dort am nächsten Tag tot auffand […] Und so elend, erfroren, krank, mit amputierten Händen und Beinen, wurden sie noch von den österreichisch-ungarischen Wächtern mit Gewehrkolben geschlagen.“ Zit. nach Gordana Ilić Marković (Hg.), Veliki Rat – Der Große Krieg. Der Erste Weltkrieg im Spiegel der serbischen Literatur und Presse, Wien 2014, 219. 185 Auszug aus dem Einsichtsakt des k. u. k. Generalinspektors der Freiwilligen Sanitätspflege, 23.9.1914. ÖStA KA MKSM 1914: 69-9/4, Kt. 1141.

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am „östlichen Kriegsschauplatz eine Reaktion der Militärbehörden, [um] eine Prophylaxe durch infrastrukturelle Maßnahmen zu schaffen: Obwohl die Statthalterei Lemberg [Lwiw] bereits am 1. August den Ausbruch der Cholera im angrenzenden russischen Gouvernement Podolien verlautbart und das k. u. k. Ministerium des kaiserlichen und königlichen Hauses des Äußeren am 14. August das Armeeoberkommando über die Seuchensituation im Osten informiert hatte, reagierte das Etappenoberkommando erst am 26. August.“186 In weiterer Konsequenz wurde vor der „Einwaggonierung“ der Kriegsgefangenen eine genaue ärztliche Untersuchung angeordnet beziehungsweise angewiesen, Seuchenkranke in Quarantäne zu nehmen. 1915, so Thomas Edelmann, bezeichnete das Etappenoberkommando die „Quarantänestationen in der Etappe“ bereits „als ‚vorbildlich‘“.187 Im Laufe des Jahres 1915 wurden eigene Fleckfieberspitäler und in bestehenden Epidemiespitälern Fleckfieberabteilungen errichtet. Es dauerte einige Monate, bis es den Ärzten möglich war, gesicherte Diagnosen hinsichtlich des „Läuse-Fleckfiebers“ bzw. Typhus exanthematicus zu erstellen und von anderen Erkrankungen abzugrenzen.188 Selbst einfache Soldaten unter den Kriegsgefangenen stellten indessen mit Verwunderung fest, dass die österreichisch-ungarischen Ärzte mitunter nicht mehr als Jod oder Aspirin zur Verfügung hatten, um seuchenkranke Gefangene zu behandeln.189 Mobile Dampfdesinfektoren trafen in der Regel erst Anfang 1915 in den Lagern ein. Zu diesem Zeitpunkt erreichte die Mortalität unter den Feindsoldaten ihren Höhepunkt. Gänzlich überfordert war man beispielsweise im ungarischen Lager Boldogasszony/Frauenkirchen, wo dem Flecktyphus mehrere Ärzte sowie etliche Angehörige des Sanitätspersonals zum Opfer fielen. Betroffen war österreichisch-ungarisches ebenso wie russisches Personal. Anfang Februar 1915 gingen im Lager etwa 300 Kriegsgefangene pro Tag zugrunde. Im Kriegsministerium in Wien war man angesichts von Meldungen über die dortigen Zustände der Ansicht, dass „die Gefangenen des Lagers in Boldogasszony wohl kaum mehr zu retten sind“.190 Während ein Inspektionsbericht vom April 1915 von 3690 Toten ausging, lie186 Thomas Edelmann, Gefangennahme und Abtransport der Kriegsgefangenen durch den österreichisch-ungarischen Etappenraum 1914–1918, in: Beiträge zur österreichischen Militärgeschichte 864–2019, Wien 2019, 377–414, 407 f. 187 Ebd., 408. 188 Wichtig dazu: Heinz Flamm, Das Fleckfieber und die Erfindung seiner Serodiagnose und Impfung bei der k. u. k. Armee im Ersten Weltkrieg, in: Wiener Medizinische Wochenschrift 165 (2015), 152–163. 189 Befragung von Aleksandr N. Pozdnjakov durch Generalmajor Semaško, 25.5.1916, ­RGVIA f. 2003 op. 2 d. 545 ll. 482–486. 190 Zit. nach Brettl, Das Kriegsgefangenen- und Internierungslager Boldogasszony/Frauenkirchen, 89.

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gen Schätzungen zu den Opfern vor, die bis zu einer Zahl von 6000 an der Seuche verstorbenen Gefangenen reichen.191 Ganz allgemein fehlte es zunächst offenbar an Wissen über die Gefährlichkeit der unter den Gefangenen aufgetretenen Krankheiten. Das Problem wurde unterschätzt. Das galt nicht nur für den Flecktyphus. 1914 wurden in Milowitz in Böhmen Gefangene trotz der dort grassierenden Cholera tagsüber freigelassen, um sich Nahrung zu erbetteln.192 Impfungen beispielsweise gegen Cholera sowie Maßnahmen, um neu eintreffende oder bereits erkrankte Gefangene zu separieren, wurden erst ab dem Frühjahr 1915 mehr oder weniger konsequent durchgeführt. Aufschlussreich erscheint in diesem Zusammenhang der Hinweis auf etwa 1,5 Millionen k. u. k. Soldaten, die zwischen 1914 und 1917 an Typhus, Tuberkulose, Ruhr oder Malaria erkrankten. Hunderttausende infizierten sich überdies mit Geschlechtskrankheiten. Etwa 100.000 Soldaten der österreichisch-ungarischen Armee starben an den Folgen epidemischer Krankheiten.193 Bis hinein in das letzte Kriegsjahr gab es in nahezu allen Militärkommandobereichen für zahlreiche Orte Urlaubssperren aufgrund von verschiedenen Infektionskrankheiten, die dort aufgetreten waren.194

„Aushungerung“? Eine „ganzheitliche“ Betrachtung des k. u. k. Internierungswesen erstreckt sich aber auch auf weitere Faktoren angeblicher „Gräuel“ oder Verbrechen, die ähnlich wie die Seuchenproblematik eher den Unwägbarkeiten des Krieges zuzurechnen wären. Solche „Unwägbarkeiten“ zählten in der Propaganda freilich wenig, und nach dem Krieg wurden diesbezügliche Anschuldigungen zumindest in Richtung Deutschland erhoben.195 Während nach 1918 Österreich mit keinen diesbezüglichen Vorwürfen konfrontiert war, gab es sie zuvor durchaus. Im Herbst 1917 hieß es etwa in der britischen Presse, dass Österreich-Ungarn eine mehr oder weniger planmäßige „Aushungerung“ serbischer Kriegsgefangener betreibe. In einem Artikel der „Times“, von dem das k. u. k. Kriegsministerium Kenntnis erhielt, war nicht 191 Ebd., 85–96. 192 Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 70. 193 Dazu u. a.: Elisabeth Dietrich-Daum, Medizin und Gesundheit, in: Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger (Hg.), Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, Innsbruck 2014, 195–216. Siehe auch: Flamm, Das Fleckfieber, 153 f. 194 Vgl. beispielsweise: Militärkommandobefehl Nr. 2, Militärkommando Poszony, MA. Nr. 4480/Sch. vom 18.1.1918. ÖStA KA Terr Befehle, 5. K., Pozsony 1917–1918, Kt. 51. 195 Hinz, Gefangen, 12–22.

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nur von unzureichender, sondern von regelrecht „schädlicher“ Nahrung die Rede. Außerdem, hieß es, waren bereits 50.000 serbische Gefangene im Habsburgerreich zugrunde gegangen.196 Beinahe ein Jahr später stellte man sich angesichts der „Gräuelpropaganda“ der Entente in österreichischen Zeitungen offen die Frage „Sind wir Barbaren?“197. Interessanterweise diente hier expli­zit die Behandlung serbischer Gefangener als entlastendes Beispiel. Das „Berner Hilfskomitee für serbische Kriegsgefangene“ habe, hieß es, von Schweizer Delegierten, die einige Lager im Habsburgerreich besichtigt hatten, „günstige Berichte“ über die Situation der Serben erhalten. Denjenigen österreichisch-ungarischen Personen, die sich um die Gefangenenbetreuung verdient gemacht hatten, wurde demonstrative „Anerkennung“ ausgesprochen.198 Wie steht es nun tatsächlich um die Vorwürfe einer geplanten „Aushunge­ rung“ namentlich serbischer Kriegsgefangener? Dass aus „Ideologie, ‚Nützlichkeitserwägungen‘ oder Machtkalkül“ irgendein „Gewahrsamsstaat seine Kriegsgefangenen absichtlich verhungern ließ“, lasse sich, so Peter Lieb in einem 2017 erschienenen Aufsatz, „bisher“ nicht belegen.199 Die mehr als prekäre Versorgungslage, der sich das Habsburgerreich ab 1916 oder noch früher gegenübersah – schon im „April 1915 kam es zu behördlich verordneten Lebensmittelrationierungen“200 –, rundum als entlastendes Argument für die vor allem in den beiden letzten Kriegsjahren an Hunger und Erschöpfung zugrunde gegangenen Kriegsgefangenen anzuführen, korrespondiert offenkundig mit den rechtfertigenden Darstellungen der zuständigen Stellen während des Krieges sowie ehemals Verantwortlicher in der Zwischenkriegszeit. Die Nahrungsmittelknappheit, für die etwa gegenüber den Kriegsgefangenen explizit die alliierten „Absperrungsmaßnahmen“ ins Treffen geführt wurden, als gänzlich unzulässige Erklärung für die zum Teil beziehungsweise für bestimmte Perioden besonders hohe Mortalität unter den Gefangenen im Habsburgerreich anzusehen, hieße allerdings, seinerzeit bestimmende Faktoren pauschal auszublenden.201 Tatsächlich waren Hunger und Not allgegenwärtig, und sie betrafen Zivilisten ebenso wie die Soldaten 196 Angebliche Aushungerung der serbischen Kgf. in Österreich-Ungarn, November 1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-7/4-8, Kt. 1429. 197 Neuigkeits-Welt-Blatt, 15.8.1918, 15. 198 Ebd. sowie Neue Freie Presse, 14.8.1918, 6. 199 Lieb, Der deutsche Krieg im Osten, 481. 200 Sieglinde Lechner, Sattwerden im Krieg, in: Gunda Barth-Scalmani/Joachim Bürgschwentner et al. (Hg.), Militärische und zivile Kriegserfahrungen 1914–1918, Innsbruck 2010, 221–250, 229. 201 Vgl. Pöhlmann, Über die Kriegsverbrechen von 1914, 127.

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der k. u. k. Armee – in durchaus drastischer Art und Weise.202 Im Sommer 1918 wurde beispielsweise im Rahmen von Inspektionen der kämpfenden Truppen festgestellt, dass bei einigen Einheiten die betreffenden Männer nicht mehr als durchschnittlich 50 Kilogramm wogen.203 Offenbar bekamen viele Frontsoldaten im letzten Kriegsjahr tageweise keine Rationen mehr ausgefolgt und hungerten.204 Im August 1918 hielt man seitens des AOK einen „Zustand der allgemeinen Unterernährung“ für „Mann und Pferd“ fest.205 Eine kritische Reflexion des Umstands, dass Versorgungsengpässe bereits in einer Frühphase des Krieges vielfach der Requirierungspraxis der Armee oder dem mangelnden Krisenmanagement im Bereich des Ernährungswesens bzw. insgesamt dem kriegswirtschaftlichen System206 zuzuschreiben waren, unterblieb mit dem Verweis auf die „Blockade“ der Alliierten. Im Vorfeld von Visitierungen der Gefangenenlager durch neutrale Delegierte wurde etwa das Lagerpersonal vom k. u. k. Kriegsministerium angewiesen, die „Lebensmittelknappheit“, die „nicht ganz zu verschleiern sein wird“, sowie alle „Restriktionsmaßregeln durch die englischen Absperrungsmaßnahmen zu begründen“.207 In den Quellen finden sich Belege für konträre Reaktionen der k. u. k. Stellen auf die prekäre Lage der Feindsoldaten. Die einen bemühten sich um eine einigermaßen angemessene Verpflegung der Gefangenen, die anderen hielten trotz deren offenkundiger Auszehrung den Arbeitseinsatz der Feindsoldaten für nach wie vor prioritär und sprachen sich gegen jegliche „Humanitätsdu202 Rationierungen, Quoten, minderwertige Lebensmittel und Ersatzstoffe prägten den Speiseplan der einheimischen Bevölkerung zum Teil schon im ersten Kriegsjahr. Das sogenannte „Kriegsbrot“ bestand schon ab Herbst 1914 zu einem Gutteil aus Gersten-, Mais- und Kartoffelmehl und 1918 ausschließlich aus Maismehl und anderen Beigaben wie beispielsweise Sägespänen. Kaffee war ein reines Surrogat, zusammengesetzt aus Zichorienwurzeln, Zuckerrüben, Lupinen und Eicheln. Pflanzliche Öle wurden aus Obstkernen, Bucheckern, Unkrautsamen und Rosskastanien gewonnen, und tierische Fette lieferten Knochen, Kadaver, Käfer, Fliegenlarven und sogar Ratten. 1916 waren die Vorräte aufgebraucht. Die Schlangen vor den Geschäften wurden immer länger, die Rationen kleiner. In sogenannten „Hungerkrawallen“ manifestierte sich die zunehmende Erbitterung der Bevölkerung angesichts eines nicht enden wollenden Krieges und einer Ernährungslage, die ihn realiter als längst unführbar erscheinen ließen. Vgl. dazu Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg, 204–221. Vgl. ebd., 685 f. 203 Vgl. Mark Cornwall, The Undermining of Austria-Hungary. The Battle for Hearts and Minds, Basingstoke u. a. 2000, 406. 204 Wisthaler, Karl Außerhofer, 55 f. 205 Zit. nach Schmitz, „Als ob die Welt aus den Fugen ginge“, 368. 206 Vgl. Anatol Schmied-Kowarzik, Die wirtschaftliche Erschöpfung, in: Helmut Rumpler (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. XI: Die Habsburgermonarchie und der Erste Weltkrieg, Teilband 1/1, Wien 2016, 484–542. 207 Zit. nach Brettl, Das Kriegsgefangenen- und Internierungslager Boldogasszony/Frauenkirchen, 97.

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selei“ aus.208 Auch hier wird man der 10. Kriegsgefangenenabteilung in Wien zugestehen müssen, Initiativen zu Gunsten der Feindsoldaten gesetzt zu haben – Bemühungen, die allerdings nicht zuletzt auch an den Möglichkeiten scheiterten. Ministeriumsintern wurden Ansuchen um eine bessere Verpflegung der Gefangenen in Anbetracht fehlender Ressourcen abgeschmettert. Dass sowohl eigene Soldaten wie vor allem auch die Zivilbevölkerung im Vergleich kaum besser gestellt oder aber sogar benachteiligt waren, war ein Argument, das ausländischen Beschwerden über die mangelnde Versorgung von Gefangenen geradezu gebetsmühlenartig entgegengehalten wurde.209 Der Bruch der Haager Landkriegsordnung durch Deutschland, den Hea­ ther Jones in Zusammenhang mit der Angleichung von Kriegsgefangenenrationen an jene von deutschen Zivilisten anstatt von Armeeangehörigen als Folge der „Blockade“ konstatiert, stellt sich zweifellos als ein Verstoß gegen geltende Regelungen dar.210 Bei genauerer Betrachtung ergibt sich allerdings, dass auf Grundlage der Beschlüsse von Stockholm, die Vertreter der deutschen, österreichischen und sowie russischen Rot-Kreuz-Gesellschaften 1916 vereinbarten, zumindest für die aus betreffenden Ländern stammenden Kriegsgefangenen die Verabreichung von Rationen analog zu jener der Zivil­ bevölkerung zulässig war.211. In jedem Fall untersagt blieb auch nach den Richtlinien der Stockholmer Beschlüsse die Ausgabe minderwertiger Kost, d. h. explizit von „Kartoffelschalen“ und „Rinderköpfen“.212 Demgegenüber wurden im Habsburgerreich bereits im Herbst 1915 den Etappenbehörden Rezepte für die Verwertung von Rindermägen und -füßen unterbreitet, um das, was vorhanden war, bestmöglich auszunutzen. Eine explizite Verwendung dieser Rinderteile für Kriegsgefangene war nicht verordnet worden.213 Ab 1916 bildeten in der Etappe allerdings

208 Zit. nach Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 182. 209 Vgl. K. u. k. Kriegsministerium an das k. u. k. Ministerium des Äußern, 26.10.1917, Zl. 102825. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Dep. 7 Kriegsgefangene-Varia, Kt. 435. 210 Vgl. Jones, International Law and Western Front Prisoners, 35. 211 Beschlüsse der Stockholmer Konferenz (13. Mai und 19. Dezember 1916), abgedruckt in: Franz Scheidl, Die Kriegsgefangenschaft. Von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Berlin 1943, 103–110. Vgl. dazu die Abschnitte zum Thema Ernährung in: Das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages 1919–1928, Völkerrecht im Weltkrieg: Verletzungen des Kriegsgefangenenrechts, Berlin 1927, 247–292. 212 Scheidl, Die Kriegsgefangenschaft, 105. 213 Erlass des k. u. k. KM, Abt. 12, Nr. 76.694 vom 23.10.1915, in: Militärkommandobefehl Nr. 193, Wien. NÖLA NÖ Statthalterei-Präsidium, Militärkmdo. Wien. Militärkommandobefehle und Militär- und Landwehr-Stationskommandobefehle (Sept. 1914–April 1916), Kt. 11.

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Schlachtabfälle […] die Hauptbestandteile der Fleischversorgung von Kriegsgefangenen, weshalb sie nach genauen Richtlinien abgebrüht, gereinigt und gesalzen werden mussten. Die diesbezüglichen Richtlinien des Etappenoberkommandos gaben dem Fleischer vor, wie mit dem Fleisch des Schädelknochens sowie der ‚Vorfüße‘ [sic] verfahren werden musste, damit es anschließend unverdorben zu den Kriegsgefangenenlagern des Hinterlands transportiert werden konnte.214

Die Frage, inwiefern die Herabsetzung von Rationen, die mindere Qualität der ausgegebenen Nahrung oder Befehle, wonach für die Verköstigung der Feindsoldaten alle möglichen „Ersatzstoffe“ verwendet werden sollten, als Ausdruck einer radikalisierten Haltung gegenüber den Kriegsgefangenen zu werten ist, als Teil einer „final logic of sacrifice“215 oder als Folge einer Versorgungskrise, die Einschränkungen auf alle, wenngleich nicht unbedingt gleichmäßig, verteilte216, entzieht sich bei näherer Betrachtung eindeutigen Antworten und monokausalen Erklärungen. Selbst die Betroffenen oder aber die im Gefangenenwesen tätigen Personen im In- sowie im feindlichen oder neutralen Ausland fanden unterschiedliche Zugänge zu dieser Problematik oder aber Rechtfertigungen für die „Hungerrationen“, die Feindsoldaten in österreichisch-ungarischem Gewahrsam erhielten. Hinzu kommen ganz allgemein variierende Wahrnehmungen, die eine pauschale Beurteilung der Ernährungssituation der Kriegsgefangenen des Habsburgerreiches und erst recht einer diesbezüglichen „Politik“ einigermaßen problematisch erscheinen lassen.217 Selbst wenn sich das verordnete Ausmaß an Rationen für Kriegsgefangene, eigene Soldaten in der Etappe und für die Zivilbevölkerung wenig unterschieden hat, bleibt die Frage der praktischen Umsetzung solcher Verfügungen. Wenig zielführend erscheint es auch, die Verköstigung verschiedener Gruppen zu vergleichen und mit Sterblichkeitsraten zu koppeln, um daraus wiederum Schlüsse hinsichtlich eines – tatsächlich oder nur vorgeblich – gleichmäßig verteilten Mangels zu ziehen. Aufgrund fehlender, unzulänglicher oder uneinheitlicher Statistiken zur Sterblichkeit etwa der Zivilbevölkerung in Cisleithanien lassen sich keine aussagekräftigen diesbe214 Edelmann, Gefangennahme, 385. 215 Vgl. Jones, The Final Logic of Sacrifice?, 770–791. Vgl. auch Wolfgang U. Eckart, Medizin und Krieg. Deutschland 1914–1914, Paderborn 2014, 345–348. 216 Zur Ernährungslage im Habsburgerreich siehe: General Landwehr, Hunger. Die Erschöpfungsjahre der Mittelmächte 1917/18, Zürich/Leipzig/Wien 1931. 217 Dazu etwa: Živko Topalović, Za naše zarobljenike, Korfu 1918; Das Leben der Gefangenen in Boldogasszony, Ungarn. Arhiv Srbije (AS), MID PO r. 464/46.

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züglichen Vergleiche zwischen Letzterer und den Feindsoldaten anstellen. In manchen Statistiken zur Mortalität im Hinterland waren überdies Kriegsgefangene hinzugezählt worden. Darüber hinaus war die Versorgungslage in der Donaumonarchie alles andere als einheitlich. Relativ deutlich nachvollziehen lässt sich indessen, dass jene Bevölkerungsteile, die vor allem von einer staatlich organisierten Lebensmittelversorgung abhängig waren, in der Regel sehr viel schlechteren Bedingungen unterworfen waren als jene, denen sich auch anderweitige Möglichkeiten zur Beschaffung von Nahrung boten. Dem Schleichhandel kam dabei eine immer größer werdende Bedeutung zu. Klar ist außerdem, dass das Versagen des kriegswirtschaftlichen Systems vor allem in den beiden letzten Kriegsjahren eine Mangelernährung von Teilen der cisleithanischen Bevölkerung bedingte.218

Hierarchie der Opfer? In Zusammenhang mit der Sterblichkeit der Kriegsgefangenen in österreichisch-ungarischem Gewahrsam erscheint es indessen sinnvoll, die Kombination von Hunger und Arbeit genauer auszuleuchten. Hier wird man die Ausbeutung menschlicher „Ressourcen“ als Faktor berücksichtigen müssen. Diese Ausbeutung wiederum, die sich aufgrund unzweifelhafter Intentionalität im Unterschied zur Frage der Ernährung von Kriegsgefangenen a priori als andere Kategorie in der Gefangenenbehandlung ausnimmt, konnte allerdings fremde ebenso wie eigene Staatsbürger betreffen. Eine „Hierarchie“ der einkalkulierten Opfer erscheint mitunter schwer erkennbar. Kriegsgefangenen kam allerdings tendenziell eine größere Bedeutung als Arbeitskraft zu als etwa Flüchtlingen oder Internierten – ein Umstand, der positive und negative Auswirkungen zugleich nach sich zog: Die Versorgung der Feindsoldaten stellte sich angesichts dringend benötigter Arbeiter für Front und Heimat sozusagen als Notwendigkeit dar, während andererseits dieser Utilitarismus minderarbeitsfähige oder kranke Gefangene zu gleichsam überflüssigem Ballast degradierte. Die Frage der Leistungsfähigkeit als „Wertmaßstab“ nahm dementsprechend auf die Ernährung der Gefangenen Einfluss. Feindsoldaten wurden je nach Arbeitsleistung in drei Kategorien eingeteilt: „Nichtarbei­ 218 Vgl. dazu die Überlegungen zur Versorgung der Bevölkerung, zu Mortalitätsraten sowie zum Verfall staatlicher Machtstrukturen bei: Anatol Schmied-Kowarzik, Das öster­ reichisch-ungarische Nationalitätenproblem und der Erste Weltkrieg, in: Bernhard Bachinger/Richard Lein/Verena Moritz/Julia Walleczek-Fritz/Stefan Wedrac/Markus Wurzer (Hg.), Gedenken und (k)ein Ende. Das Weltkriegs-Gedenken 1914/2014. Debatten, Zugänge, Ausblicke, Wien 2017, 153–188, insbes. 173–188.

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tende“, „Mässigarbeitende“ und „Schwerarbeitende“.219 Davon abgesehen wichen die tatsächlich ausgegebenen Rationen vielfach von dem ab, was in peniblen Erlässen geregelt war.220 Die Gleichstellung der Kriegsgefangenen hinsichtlich der Verpflegung mit „nicht im Felde stehenden“ Männern der eigenen Armee konnte jedenfalls nicht aufrechterhalten werden – das wurde mit dem Hinweis auf die „zunehmenden Ernährungsschwierigkeiten“, die sich in einzelnen Gebieten zu einer „förmlichen Hungersnot“ gesteigert hatten, festgehalten.221 Dennoch, so Heinrich von Raabl-Werner nach dem Krieg, habe man zunächst an einer „Brotgebühr“ von 500 bis 560 Gramm täglich für Kriegsgefangene festgehalten, obwohl zeitgleich die „eigene Bevölkerung […] auf täglich 200 g herabgesetzt worden war“.222 Schwer arbeitende Kriegsgefangene im Bereich der Armee im Felde seien, so Raabl-Werner, „eigenen Etappengruppen“ in puncto Ernährung gleichgestellt gewesen. Allerdings musste er einräumen, dass die „sich bis zur Katastrophe steigernde Not an Lebensmitteln“ dafür sorgte, dass sich tatsächlich ausgegebene Rationen eklatant von den beschriebenen Richtlinien unterschieden.223 Einschränkungen wurden allerdings bereits wenige Monate nach Kriegsbeginn verfügt. Als im Dezember 1914 die Ausgabe von Fleisch gekürzt wurde, erfolgte nach Protesten russischer Kriegsgefangener eine kompensatorische Erhöhung der Brotration.224 Schon im Frühjahr 1915 wurde abermals eine Reduktion der 219 Nicht arbeitenden Gefangenen standen demnach per Erlass des Kriegsministeriums vom April 1917 täglich 100 Gramm Fleisch, Schwerarbeitenden 150 Gramm zu. Die „Brotgebühr“ wurde laufend herabgesetzt, wobei es um Reduktionen jeweils im Grammbereich ging. Wenn beispielsweise 70 Gramm Brot der zuvor 420 Gramm gestrichen wurden, sollte „surrogiert“ werden. Statt des Brotes ausgegeben werden konnten demnach beispielsweise 120 Gramm „Schweinsgriefen“, Schweinsköpfe oder -füße oder 120 Gramm Kartoffeln. Diese Auskünfte wurden im Rahmen der Sammlung von Materialien für die Anfragebeantwortung von Anton Korošec betreffend die Zustände im Gefangenenlager Braunau in Böhmen erteilt. Anfrage des RRA. Dr. Korošec und Genossen über angebliche Missstände im Kgflagr. Braunau in Böhmen. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-138/8, Kt. 2224. 220 Laut Bericht des Delegierten des Fürsorge-Komitees des Roten Kreuzes, des Grafen Czernin-Morzin, bekamen die Gefangenen im böhmischen Lager Braunau nur einmal pro Woche 140 g Fleisch. Von den diesbezüglichen Vorschriften, wie sie weiter oben erläutert wurden, war man also in der Praxis weit entfernt. Vgl. Fürsorge-Komitee des Roten Kreuzes für Kriegsgefangene an das k. u. k. Kriegsministerium, 16.1.1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-138/1, Kt. 2223. 221 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 16 f. 222 Ebd., 16. 223 Ebd., 18. 224 Brettl, Das Kriegsgefangenen- und Internierungslager Boldogasszony/Frauenkirchen, 61.

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Verpflegsrationen für Kriegsgefangene und Internierte in den Lagern verfügt, obwohl als Folge dieser Maßnahme Ausschreitungen unter den Betroffenen befürchtet wurden.225 Mit „rücksichtsloser Energie“ sollten diesbezügliche Unmutsäußerungen unterdrückt werden.226 Ganz offensichtlich nicht durchgehend gewährleistet werden konnte eine im Vergleich zu Gefangenen anderer Nationalitäten verfügte bessere Verpflegung russischer Kriegsgefangener. Einer überaus zweifelhaften Theorie über den speziellen Verdauungsapparat der Feindsoldaten aus dem Zarenreich folgend, die im Übrigen später auch als Erklärung für deren Unterernährung herhielt227, bekamen diese ursprünglich eine größer bemessene Brotration. Dass Russen mehr Brot benötigten als andere „Völker“, war allerdings eine weitverbreitete Ansicht, die offenbar auch einen Kausalzusammenhang zwischen Gehorsam und Nahrung herstellte.228 Verbunden mit der „Privilegierung“ dieser Gefangenengruppe war das Ansinnen, die Arbeitsfähigkeit der Russen, die den überwiegenden Großteil der Kriegsgefangenen ausmachten, zu erhalten.229 Radikale Kürzungen der Brotrationen blieben aber auch für Gefangene aus dem Zarenreich nicht aus. Im Januar 1917 erhielten die Feindsoldaten in österreichisch-ungarischem Gewahrsam nur mehr einen Bruchteil der vorgesehenen Menge an Brot.230 Wurde indessen nur hinsichtlich der Kriegsgefangenen zwischen Arbeitsfähigen und weniger nutzbringend Einzusetzenden differenziert? Unterschied eine anscheinend hemmungslose, radikaler und sukzessive totaler werdende Kriegsführung überhaupt noch oder aber jemals zwischen Zivilisten und Militärpersonen, eigenen und fremden Staatsangehörigen? Immerhin war dem Militär bereits mit dem Kriegsleistungsgesetz von Anfang an ein massives Zugriffsrecht auf den Sektor der zivilen Arbeit eröffnet worden. Die weitgehende Entrechtung von Arbeitern in kriegswichtigen Betrieben etablierte auch in diesem Kontext eine Art Zwangsarbeit und schuf somit die Grundlage für 225 Kriegsgefangenenlager – eventuelle Unruhen wegen Verminderung der Verpflegsration, April 1915. ÖStA KA KM 10. Abt. 1915: 10-63/14-2, Kt. 989. 226 Zit. nach Brettl, Das Kriegsgefangenen- und Internierungslager Boldogasszony/Frauenkirchen, 61. 227 Vgl. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 182 f. 228 Vgl. dazu die Tagebuchaufzeichnungen eines Russland-Deutschen, der im Lager Marchtrenk gefangen gehalten worden war: Das k. u. k. Kriegsgefangenenlager 1914– 1918 und der Kriegerfriedhof in Marchtrenk, hg. vom Museumsverein Marchtrenk – Welser Heide, Marchtrenk 2013, 24–33. 229 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 17. 230 Vgl. Brettl, Das Kriegsgefangenen- und Internierungslager Boldogasszony/Frauenkirchen, 61.

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solidarische Haltungen gegenüber den Feindsoldaten, wie sie sich ab 1917 beobachten ließen. Welche Rolle aber spielten abseits davon nationale Zugehörigkeiten? Ergaben sich daraus nachvollziehbare Vor- oder Nachteile für die Betroffenen? Wenn russischen Gefangenen mehr Brot verabreicht wurde, dann stand hinter dieser Bevorzugung offenbar kein per se „nationales Moment“.231 Und dass unabhängig von geltenden Regelungen zur Versorgung von Gefangenen deren Wohlergehen gegenüber anderen Gruppen grundsätzlich und allgemein zurückgereiht war, erscheint etwa in Anbetracht logistischer Überforderung bei der „Approvisation“ der eigenen Soldaten nicht gerade abwegig. Das Vorhandensein expliziter Feindbilder etwa gegenüber Serben wirft allerdings zusätzliche Fragen auf und suggeriert konkreter gefasste Benachteiligungen bestimmter Nationalitäten unter den Feindsoldaten. Immerhin gab es Befehle, die gegenüber Kriegsgefangenen aus Serbien besondere Strenge hinsichtlich ihrer Verwendung als Arbeitskräfte festschrieben.232 Dass Serben mit größerer Härte behandelt wurden als andere Kriegsgefangenen-Ethnien, war ein Vorwurf, der nicht nur von den Betroffenen selbst erhoben wurde.233 Ließ man aber, wie die „Times“ berichtete, namentlich serbische Gefangene verhungern oder waren nicht eher alle Feindsoldaten unabhängig von ihrer nationalen Herkunft von einer defizitären Versorgung, von Ausbeutung und harter Behandlung betroffen? Spielte es in Anbetracht einer immer prekärer werdenden Ernährungslage in der k. u. k. Monarchie etwa wirklich eine Rolle, ob man Russe war, Serbe oder Italiener? Thomas Edelmann, der sich in einer überaus informativen und mit Gewinn zu lesenden Dissertation mit dem k. u. k. Etappenwesen beschäftigt hat, beanstandete 2019 in einem Artikel über Gefangennahme und Abtransport der Kriegsgefangenen durch die k. u. k. Armee einen „dominanten Diskursstrang über kollektive ethnisch begründete Ressentiments im österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenenwesen“, was angeblich zur Folge hatte, „dass seit drei Jahrzehnten fast ausschließlich ihre massenhafte Unterbringung sowie ihre rechtswidrige Verwendung zu kriegswichtiger Arbeit im Fokus der Forschung“ gestanden sei.234 Die bisherige Forschung habe den österreichisch-ungarischen Behörden „einen ausdrücklichen und alles über231 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil I: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 16. 232 Vgl. Heeresgruppenkommando GO Erzh. Eugen (Q-Abt.), Q. Op. Nr. 10.465, Weisungen für die Behandlung und Disziplinierung russ. und serb. Kriegsgefangener, Feldpost 512, im Juli 1916, 4. 233 Vgl. Behandlung der Kgf. im Kgflgr. Heinrichsgrün, August 1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918:10-133/3, Kt. 2223. 234 Edelmann, Gefangennahme, 387.

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lagernden Rachegedanken“ unterstellt und sei überdies in ihren Aussagen „spekulativ“ geblieben.235 Die diesbezügliche Geschichtsschreibung habe außerdem versucht, „eine besondere Schuld der Habsburgermonarchie beim Bruch der Haager Landkriegsordnung“ zu beweisen236 und „Verfehlungen im österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenenwesen […] als radikale nationalistische Ressentiments und als kollektive Tat der Militärbehörden, k. u. k. Kommandos oder der österreichisch-ungarischen Soldaten“ vorzuführen237. Ungeachtet der vorgebrachten Kritik hält Edelmann fest: Zweifellos missachtete Österreich-Ungarn die Artikel [der Haager Landkriegsordnung] hinsichtlich einer menschlichen Behandlung und Verwendung der Kriegsgefangenen während des Ersten Weltkriegs, was die Akten im Österreichischen Kriegsarchiv massenhaft belegen.238

Fernab eines in der Historiographie angeblich geradezu willkürlich gesetzten dominanten Diskursstranges über die Ungleichbehandlung von Feindsoldaten, der „nationalistische Ressentiments“ als Leitlinien des österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenenwesens präsentiert habe, bemühen sich die von Edelmann angeführten Arbeiten, wesentliche Probleme der Gefangenenthematik zu erfassen und früheren Narrativen zusätzliche Perspektiven entgegenzusetzen. Dabei wurde überdies versucht, hinter jene Verordnungen der k. u. k. Militäradministration zu blicken, die Edelmann bei seinem Plädoyer für eine neue Kriegsgefangenenforschung vorrangig heranzieht oder herangezogen sehen möchte. Zweifellos ausführlich problematisiert werden sollten Tendenzen konkret in der Behandlung der Kriegsgefangenen, die auf die angesprochenen „Ressentiments“ verwiesen. In den Fokus gerieten dabei auch Fragen im Abgleich mit dem Gefangenenwesen anderer Staaten. Als Folge galt es darüber hinaus, Propagandadiskurse nachzuzeichnen und gleichzeitig Grenzen der Interpretierbarkeit aufzuzeigen.239 Zu betonen ist, dass „Un235 Ebd., 381. 236 Ebd., 377. Edelmann bezieht seine Kritik auf Arbeiten der Herausgeberinnen vorliegenden Beitrages ebenso wie u. a. auf Alan Kramer. Die Charakterisierung der bisherigen Forschungen führt bei Ausklammerung der Breite von Themen, die sich aus der Kriegsgefangenenforschung ergaben und ergeben, sowie als Folge einer teilweisen Ausblendung der vorhandenen einschlägigen Literatur notgedrungen zu dem skizzierten Befund. Im Fokus jener Forschung, die die Versäumnisse einzelner Nehmestaaten in der Gefangenenbehandlung untersuchte, standen überdies eher Deutschland oder das Zarenreich und viel weniger die Habsburgermonarchie. 237 Ebd., 379. 238 Ebd., 378. 239 Insgesamt verschob sich der Fokus der Forschungen zu den Gefangenen in der Habs-

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gleichbehandlung“ eines der zentralen Themen der Kriegsgefangenenproblematik bereits während des Krieges gewesen war. Eine Ausklammerung oder Marginalisierung dieses Aspektes ginge an der internationalen Historiographie über die Kriegsgefangenschaft ebenso vorbei wie an einer dem gesamten Themenkreis gleichsam inhärenten Fragestellung, die sich zudem in einem Großteil der vorhandenen Dokumente zur Problematik widerspiegelt. Eine Untersuchung des österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenenwesens ohne entsprechende Berücksichtigung des kritisierten „Diskursstranges“ erscheint weder relevant noch kompatibel mit der Quellenlage. Das Problem der „Ungleichbehandlung“ betraf freilich nicht nur die Kriegsgefangenen. Für Differenzierungen in diesem Zusammenhang blieb während des Krieges für gewöhnlich wenig Platz. Das galt für die Behandlung von Zivilisten schließlich nicht weniger als für Feindsoldaten. Ab 1917, vor dem Hintergrund einer in der Volksvertretung verdichteten Politisierung des Krieges und vorgebrachter nationaler Opfernarrative, rückten österreichische Reichsratsabgeordnete Missstände gerade in Zusammenhang mit der Versorgungslage von Zivilisten sogar in die Nähe genozidaler Absichten. Auch in diesem Kontext galt der Hunger als Instrument der Vernichtung und bestimmte Nationalitäten wurden als vorrangige Ziele identifiziert. Der Kroate Ante Tresić-Pavičić etwa meinte im Oktober 1917 im Parlament in Wien: „Ein Mit[t]el der Ausrottung unserer Nation ist die Hungersnot, welche vorsätzlich in unseren Ländern vermehrt wird“, um diese danach einer „deutschen Kolonisation“ zu unterwerfen.240 Tresić-Pavičić, der in seiner Rede burgermonarchie beziehungsweise in deren Gewahrsam sukzessive weg von den zuvor vielfach einzeln behandelten Lagern des Hinterlandes auf Fragestellungen, die allgemein auf Lebensbedingungen oder Rahmenbedingungen für die Behandlung der Feindsoldaten abzielten. Gerade die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Facetten der Kriegsgefangenenarbeit ist allerdings keineswegs „seit drei Jahrzehnten“ im Fokus der Forschung, sondern vielmehr erst in den letzten Jahren verstärkt aufgegriffen worden. Schlussfolgerungen, die Edelmann als „spekulativ“ erscheinen, reflektieren realiter die Quellenlage oder machen (legitime) Zweifel transparent. Vgl. bez. vorhandener Prämissen, notwendiger Differenzierungen sowie offener Fragen betr. „Ungleichbehandlung“ von Gefangenen u. a.: Moritz, „… treulos in den Rücken gefallen“, 185–208. Die im Artikel geäußerte „Spekulation“, wonach auch eine spätere Vernichtung von Akten mit womöglich problematischen Inhalten nicht auszuschließen ist, speiste sich vor allem aus einer Auseinandersetzung der Autorin mit der Vita Maximilian Ronges, Chef des Nachrichtendienstes der k. u. k. Armee ab 1917. Ronge hat bei Kriegsende Akten aus dem Evidenzbureau bzw. der Nachrichtenabteilung vernichtet und offenbar auch später „Skartierungen“ durchgeführt oder aber Dokumente aus dem Kriegsarchiv entnommen. Vgl. Verena Moritz/Hannes Leidinger/Gerhard Jagschitz, Im Zentrum der Macht. Die vielen Gesichter des Geheimdienstchefs Maximilian Ronge, St. Pölten/Salzburg 2007. 240 Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des Reichsrates, 32. Sitzung der XXII. Session am 19. Oktober 1917, 1671.

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unter anderem auf das beklagenswerte Los serbischer Kriegsgefangener und Zivilinternierter einging, wandte sich den angeprangerten Missständen entsprechend einem stetig erweiterten Gewaltbegriff zu. Hunger ebenso wie epidemische Krankheiten wurden dem Instrumentarium destruktiver Planungen zugeordnet – nicht nur im Kontext der Kriegsgefangenenbehandlung. Mangel und Seuchen passierten nicht einfach, sondern dienten einem speziellen Zweck oder speisten sich aus spezifischen Motiven. Davon überzeugt waren neben Tresić-Pavičić beispielsweise auch Abgeordnete der Trentiner Volkspartei, die angesichts schier schrankenloser Requirierungen von einem Vorgehen des Militärs sprachen, als wäre dieses in einem „eroberte[n] Land“.241 Was ansonsten zum Repertoire von Verbalnoten und Eingaben ausländischer Stellen gehörte oder im Rahmen angedrohter Vergeltungsmaßnahmen etwa im Zusammenhang mit der Gefangenenbehandlung angesprochen wurde, fand sich nun in den Debatten des Reichsrates wieder. Der Krieg der Worte zwischen verfeindeten Ländern war hinsichtlich seiner Argumente auch auf innere Konflikte übertragen worden, die Lexik stellte sich als austauschbar dar. Die nationale Kodierung von Missständen verlieh ihnen ungeachtet der genaueren Hintergründe Intentionalität. Damit wandelten sie sich in der Wahrnehmung zu Instrumenten der Unterdrückung oder gar Vernichtung. In Fragen der Behandlung der Feindsoldaten oder der „enemy aliens“ war durch die Möglichkeit der Einflussnahme seitens der Herkunftsländer beziehungsweise der Schutzmächte wenigstens theoretisch ein Korrektiv vorhanden. Die einzelnen Staaten nützten diese – wie gezeigt wurde – mit unterschiedlicher Intensität. Flüchtlinge oder aber die als politisch unzuverlässig geltenden Staatsbürger der Habsburgermonarchie entbehrten demgegenüber lange vergleichbarer Interventionen. In diese Lücke stießen ab dem Frühjahr 1917 die Reichsratsabgeordneten, die ihre Proteste oder Fürsprachen im Wesentlichen an die Interessen bestimmter nationaler Gruppen banden. Sie argumentierten dabei mitunter nicht viel anders als die Vertreter der Feindstaaten, wenn diese Beschwerden über die Lage ihrer Staatsbürger in der k. u. k. Monarchie vorbrachten. Slawische oder italienische Abgeordnete reihten sich so gesehen bereits in die Riege „der Anderen“ ein und untermauerten dadurch eine evidente Entsolidarisierung gegenüber dem Staat. Ihr Engagement für Flüchtlinge und Zivilinternierte verwies darüber hinaus auf offen zu Tage getretene administrative Versäumnisse. Verbindliche recht241 Hermann J. W. Kuprian, Militarisierung der Gesellschaft, in: Hermann J. W. Kuprian/ Oswald Überegger (Hg.), Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, Innsbruck 2014, 61–83, 71, 73

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liche Rahmenbedingungen für eine humane Behandlung und entsprechende Versorgung von Zivilisten, die von Behörden des eigenen Heimatstaates evakuiert bzw. deportiert, interniert oder anderweitig in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt wurden, fehlten.242 Erst mit der Eröffnung des Reichsrates und damit der Intervention auf parlamentarischer Ebene ergaben sich wichtige Modifikationen in der Flüchtlingsfürsorge, die über vielfach privat organisierte Hilfstätigkeit hinauszureichen begann.243 Missstände in Zusammenhang mit der Internierung von Zivilisten wurden ab dem Frühjahr 1917 als Folge der Eingaben von Abgeordneten oder der Berichterstattung eines Teiles der Presse publik.244 Aufgezeigt wurden sie in einem hochemotionalen Klima, das klare Opfer-Täter-Schemata anbot und staatlichen Stellen gewissermaßen automatisch Rechtfertigungen aufdrängte, mit denen sich aber – unabhängig von der Argumentation – das verlorene Vertrauen der Bevölkerung nicht wiederherstellen ließ.

Ausblick Die neuere Kriegsgefangenforschung zum Habsburgerreich öffnete sich nicht nur den hier exemplarisch präsentierten Themen, sondern erweiterte das Spektrum an Forschungsfragen beispielsweise auch um die Rolle von Kriegsgefangenen als „military migrants“ oder etwa als Potential der österreichisch-ungarischen Geheimdienstarbeit. Bestimmt wurde die solcherart angelegte vertiefende Forschung zur Gefangenschaft im Habsburgerreich nicht zuletzt von problemorientierten Zugängen außerhalb des Lagerkontextes, etwa in Zusammenhang mit der Kriegsgefangenenarbeit im Frontbereich. Zwischen 2014 und 2018 entstanden vor diesem Hintergrund 30 wissenschaftliche Artikel.245 242 Vgl. Stibbe, Krieg und Brutalisierung, 90 f. 243 Vgl. Walter Mentzel, Kriegserfahrungen von Flüchtlingen aus dem Nordosten der Monarchie während des Ersten Weltkriegs, in: Bernhard Bachinger/Wolfram Dornik (Hg.), Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten. Erfahrung – Wahrnehmung – Kontext, Innsbruck/Wien/Bozen, Innsbruck 2013, 376–390. 244 Vgl. zum Beispiel „Ein Notschrei aus Katzenau“, in: Arbeiter-Zeitung, 29.6.1918, 8 f. 245 U. a.: Moritz, „Schauermärchen“ und „Greueldichtungen“, 35–56; Verena Moritz, Prigionieri russi, prigionieri in Russia. Detenzione, tradimento e spionaggio nella percezione e nelle strategie dei servizi segreti austroungarici (1914–1918), Diacronie. Studi di Storia Contemporanea: La voce del silenzio. Intelligence, spionaggio e conflitto nel XX secolo, 29/12/2016. http://www.studistorici.com/2016/12/29/moritz_numero_28/ (abgerufen am 2.2.2020); Julia Walleczek-Fritz, The social degeneration of the Habsburg home front: „forbidden intercourse“ and POWs during the First World War, in:

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Das Bild von der Kriegsgefangenenproblematik im Habsburgerreich wurde als Folge wesentlich komplexer. Die daraus abzuleitenden Beurteilungen hinsichtlich der Behandlung der Kriegsgefangenen und der diesbezüglichen Haltungen der mit Gefangenenagenden befassten Apparate näherten sich dabei mitunter jenen Periodisierungen und Charakterisierungen an, wie sie in der internationalen Kriegsgefangenenforschung oder aber in der Historiographie zu Fragen der Kriegsführung aufscheinen bzw. vorgenommen wurden. Andererseits tat sich auch ein beachtlicher Spielraum für teilweise konträre oder zumindest abweichende Interpretationen auf. Die Fülle an Quellen, die der Forschung zur Kriegsgefangenschaft in Österreich-Ungarn zur Verfügung steht, korrelierte in jedem Fall mit einer Vielstimmigkeit, die sich unter anderem mit einer als „umkämpft“ zu bezeichnenden „Linie“ in der k. u. k. Gefangenenpolitik und daraus resultierenden unterschiedlichen Voraussetzungen für die Betroffenen erklären lässt. Dass die Kriegsgefangenschaft im Habsburgerreich unter diesen Vorzeichen und zusätzlich zu bereits in früheren Forschungen betonten Differenzierungen – man denke nur an die unterschiedlichen Bedingungen, mit denen Offiziere und Mannschaftsangehörige per se konfrontiert waren – umso mehr zu Kriegsgefangenschaften mutierte, ist sicherlich ein zentraler Befund der aktuellen Forschungen. Die nachfolgenden Beiträge zu den Historiographien in den Herkunftsländern der Gefangenen, die sich im Gewahrsam des Habsburgerreiches befunden hatten, verdeutlichen nicht zuletzt die Dimensionen des Forschungsbereiches. Sie unterstreichen aber auch, dass nach den vielfach noch ausbaufähigen Untersuchungen auf Grundlage des Aktenmaterials in natio­ nalen Archiven weitere Untersuchungen und Analysen verstärkt auf die Ebene einer transnationalen Geschichtsschreibung bzw. auch einer „histoire crosisée“ gebracht werden sollten. Diesbezügliche Ansätze zeigen sich bereits European Review of History/Revue européenne d’histoire 24/2 (2017), 273–287, DOI: https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/13507486.2016.1257575 (abgerufen am 1.7.2021); Moritz, Gefangenschaft, 93–144; Dies., Die Revolutionen in Russland und die Kriegsgefangenen des Zarenreiches in Österreich-Ungarn 1917–1918, in: Stefan Karner, Stefan/Philipp Lesiak (Hg.): Erster Weltkrieg. Globaler Konflikt – lokale Folgen. Neue Perspektiven, Innsbruck/Wien/Bozen 2014, 187–208; Walleczek-Fritz, Behind the Front Line, 147–164; Dies., „eine Pflicht der Humanität“. Die Seelsorge der katholischen Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg, in: Werner Freistetter/Gerhard Dabringer (Hg.): Religionen im Krieg 1914–1918. Katholische Kirche in Österreich-Ungarn, Wien 2017, 413–438; Dies., Von „unerlaubtem Verkehr“ und „Russenkindern“. Überlegungen zu den Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn als „military migrants“, 1914–1918, in: Christoph Rass (Hg.), Militärische Migration vom Altertum bis zur Gegenwart, Paderborn/München/Wien/Zürich 2016, 221–238.

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in vorliegendem Band. Das Szenario einer gewissermaßen „totalen“ Historiographie zur Kriegsgefangenschaft im Habsburgerreich lässt sich somit erahnen.

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Kriegsgefangene in Transleithanien 1914–1918 Historiographie, Forschungsansätze und Gedenken in Ungarn

Der Erste Weltkrieg – ein Randthema Das Jahr 2014 und die damit verbundene intensive Auseinandersetzung mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges sowie mit seinem Verlauf und seinen Folgen hat der Beschäftigung mit diesem Thema auch in Ungarn neuen Auftrieb verliehen. Das gilt für die Bearbeitung des Themas durch Historikerinnen und Historiker ebenso wie für ein bislang eher geringes öffentliches Interesse. Die Rückbesinnung auf den Ersten Weltkrieg brachte unter anderem auch die betreffenden Opferzahlen in Erinnerung. Für Ungarn berechnete die Forschung rund 611.000 Gefallene. Hinzu kamen Hunderttausende an Verwundeten und schließlich 734.000 Kriegsgefangene.1 Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg war in Ungarn zunächst eine Randerscheinung geblieben.2 Bis nach 1945 waren Aktenbestände, die eine Aufarbeitung des Konfliktes ermöglicht hätten, gesperrt.3 Die Auseinandersetzung mit den Jahren 1914 bis 1918 in der Zwischenkriegszeit vollzog sich vor allem auf Grundlage von Erinnerungsliteratur oder konzentrierte sich auf militärgeschichtliche Aspekte.4 Aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg blieb unter den Vorzeichen einer ideologisch vorgeformten Geschichtsauffassung das Interesse am Ersten Weltkrieg ge-

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Gábor Kiss, Az első világháború veszteségi adatainak kezelése a világháborútól napjainkig. Veszteségi íratok a bécsi Hadilevéltárban, valamint a budapesti Hadtörténelmi Levéltárban, in: Levéltári Szemle 64/4 (2014), 50–60, 52. Róbert Fiziker/Csaba Szabó, Qui desiderat pacem, praeparet bellum. Einleitung, in: Róbert Fiziker/Csaba Szabó (Hg.), Der Erste Weltkrieg aus ungarischer Sicht, Wien 2015, 7–11. Oszkár Zoltán Szőts, Hauptrichtlinien in der Historiografie des Ersten Weltkrieges in Ungarn, in: Róbert Fiziker/Csaba Szabó (Hg.), Der Erste Weltkrieg aus ungarischer Sicht, Wien 2015, 13–34, 16. Eszter Kaba, Alltag in den russischen Kriegsgefangenenlagern im Ersten Weltkrieg. Tatsachen und Irrglauben, in: Róbert Fiziker/Csaba Szabó (Hg.), Der Erste Weltkrieg aus ungarischer Sicht, Wien 2015, 409–425. Vgl. auch Oszkár Zoltán Szőts, Az első világháború az 1945 előtti magyar történetírásban. Nézőpontok, műfajok, intézmények, Pécs 2020.

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ring. Erst József Galántai legte 1964 schließlich ein grundlegendes Werk dazu vor, das in seiner späteren Bearbeitung bis heute als Standardwerk gilt.5 Sehr viel später folgten dann Lexika und Monographien, aber auch Quellensammlungen und Sammelbände, die allerdings alle fast ausschließlich in ungarischer Sprache erschienen.6 2009 schließlich wurde in der Reihe „Nemzet és emlékezet” (Nation und Erinnerung) ein als Nachschlagewerk angelegter Quellen- und Sammelband zum Ersten Weltkrieg publiziert, der von Dániel Szabó, einem Schüler und Nachfolger von József Galántai am Institut für Geschichtswissenschaft der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, ediert wurde.7 Damit erhielt endlich der Erste Weltkrieg nach der Wende von 1989 seinen Platz innerhalb der ungarischen wissenschaftlichen Fachliteratur. Zu erwähnen ist des Weiteren der 2010 erschienene Sammelband „Ungarn im Ersten Weltkrieg”8, der von Ignác Romsics ediert wurde. Der Band geht unter anderem auch auf das Schicksal von ungarischen Kriegsgefangenen in Feindeshand ein.9 Als neues grundlegendes Werk gilt mittlerweile „Der letzte Krieg des alten Ungarn 1914–1918“10 der beiden Historiker Tibor Haj­du und Ferenc Pollmann. Die Autoren bieten darin eine umfassende Analyse des Weltkrieges aus ungarischer Perspektive und sparen dabei auch z. B. das Thema Kriegsverbrechen der k. u. k. Armee nicht aus.11 Gleichzeitig konstatieren sie ein Ungleichgewicht in der Behandlung dieser Thematik und verweisen auf noch ausstehende weitere Forschungen zu vergleichbaren Vergehen   5 József Galántai publizierte 1964 den Band „Magyarország az első világháborúban (1914–18)“. Siehe des Weiteren sein Standardwerk: József Galántai, Az első világháború, Budapest 11980 und 21992. Englische Ausgabe: József Galántai, Hungary in the First World War, Budapest 1989. Für die exilungarische Forschung siehe allerdings: Béla K. Király/Nándor Dreisziger/Albert A. Nofi (Hg.), East Central European Society in World War I, New York 1985: oder Robert A. Kann/Béla Király/Paula Fichtner (Hg.), The Habsburg Empire in World War I. Essays on the intellectual, military, political, and economic aspects of the Habsburg war effort, Boulder u. a. 1977.   6 Jolán Szijj/István Ravasz, Magyarország az első világháborúban. Lexikon A-Zs, Budapest 2000; Péter Bihari, Lövészárkok a hátországban. Középosztály, zsidókérdés, antiszemitizmus az első világháború Magyarországán, Budapest 2008; Péter Bihari, A forgotten home front. The middle classes and the „jewish question“ in Hungary during the First World War, Diss. Central European University (CEU) Budapest 2005.   7 Dániel Szabó (Hg.), Az első világháború. Nemzet és emlékezet, Budapest 2009.   8 Ignác Romsics (Hg.), Magyarország az első világháborúban, Budapest 2010.   9 Vgl. Attila Bonhardt, Hadifogságban, in: Ignác Romsics (Hg.), Magyarország az első világháborúban, Budapest 2010, 134–151. 10 Tibor Hajdu/Ferenc Pollmann, A régi Magyarország utolsó háborúja 1914–1918, Budapest 2014. 11 Rezension von Tibor Balla auf dem Fachblog „nagyhaboru.blog“ (Der Große Krieg. Blog): http://nagyhaboru.blog.hu/2015/03/13/hajdu_tibor_pollmann_ferenc_a_regi_ magyarorszag_utolso_haboruja_1914 (abgerufen am 15.1.2021).

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seitens der Entente-Mächte.12 Für einen neueren, kritischen und internationalen Forschungsansatz steht auch der deutschprachige Sammelband „Der Erste Weltkrieg aus ungarischer Sicht“,13 der von Róbert Fiziker und Csaba Szabó herausgegeben wurde. Ihnen ging es darum, ungarische Perspektiven der Historiographie einer internationalen Geschichtswissenschaft zugänglich zu machen. Die im Band veröffentlichten Texte decken ein großes Themen­ spektrum ab. Neben historiographischen oder politik-, sozial-, diplomatie-, geschlechter-, medizin- und wirtschaftshistorischen Analysen wird auch die ungarische Kriegspropaganda eingehend betrachtet. Enthalten sind auch zwei Studien über die Lage der österreichisch-ungarischen Soldaten in feindlicher Gefangenschaft.14 Die vom Mitherausgeber Róbert Fiziker verfasste Studie „Gedankensplitter über den grossen Galgenkrieg“ unterstreicht die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit den Gräueln des Krieges, die bisher übergangen wurden.15 Fiziker errechnet als Bilanz der gegen die Zivilbevölkerung geführten Gewaltaktionen in Serbien und in Galizien eine Gesamtzahl von etwa 30.000 Opfern und spricht in diesem Zusammenhang von einem moralischen Bankrott der österreichisch-ungarischen Militärführung.16 12 Hajdu/Pollmann, A régi Magyarország, 150–154. 13 Róbert Fiziker/Csaba Szabó (Hg.), Der Erste Weltkrieg aus ungarischer Sicht, Wien 2015. Zu nennen sind des Weiteren die diesbezüglichen Arbeiten von Zoltán Oszkár Szőts, Chefredakteur der Homepage „ujkor.hu“, die über aktuelle Entwicklungen in der ungarischen Geschichtswissenschaft berichtet. Dazu siehe: http://ujkor.hu/ (abgerufen am 2.1.2021). Diese Homepage bietet sowohl für Fachleute als auch für das interessierte Publikum neben aktuellen Informationen und Berichten über Konferenzen, Buchpräsentationen, Diskussionen, Interviews mit Historikerinnen und Historikern auch Rezensionen und Analysen neuer Ergebnisse und Forschungen in Ungarn und international. Siehe auch: Szőts, Hauptrichtlinien in der Historiografie. Szőts hat auch einen Überblick über die ungarischen geschichtswissenschaftlichen Publikationen zu den Gedenkjahren 2014–2016 zusammengestellt: Volt egyszer egy évforduló – válogatás az utóbbi két év első világháborús szakirodalmából, in: Múltunk 61/2 (2016), 120–146. 14 Kaba, Alltag in den russischen Kriegsgefangenenlagern; Gábor Margittai, Geistersoldaten der Eselsinsel. Der Todesmarsch des Großen Krieges auf dem Balkan, in: Róbert Fiziker/Csaba Szabó (Hg.), Der Erste Weltkrieg aus ungarischer Sicht, Wien 2015, 391– 408. 15 Róbert Fiziker, Gedankensplitter über den grossen Galgenkrieg, in: Róbert Fiziker/ Csaba Szabó (Hg.), Der Erste Weltkrieg aus ungarischer Sicht, Wien 2015, 375–390, 378. Fiziker hebt hervor, dass in den Fachbüchern der letzten Jahre, wiewohl sie ausführliche Analysen einzelner Themen bieten, die von den österreichisch-ungarischen Streitkräften begangenen Normübertretungen noch nicht einmal Erwähnung fanden. Die ungarische Forschung ist, unter anderem dank der Arbeit von Krisztián Ungváry, bei der Aufarbeitung dieses Themas in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg schon weiter fortgeschritten. 16 Vgl. Fiziker, Gedankensplitter. Siehe auch: Gergely Bödők, Erőszak, terror, brutalitás.

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Das entscheidende Spezifikum der ungarischen Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg17 besteht darin, dass das Kriegsgeschehen an sich weit weniger beleuchtet wurde als die Folgen des Zusammenbruches. Dieser brachte in Gestalt des Friedensvertrages von Trianon die Aufteilung des „historischen Ungarns“ mit sich, was mit einem Trauma für die gesamte Nation gleichgesetzt wurde. Der Krieg stellte sich vor diesem Hintergrund des Öfteren nur als Vorspiel für das weitere, „bittere“, Schicksal Ungarns dar.18 Der Friedensschluss – in der ungarischen Interpretation das Friedensdiktat – schränkte auch in der jüngeren Historigraphie den Rückblick auf den Weltkrieg gewissermaßen ein. Trotz etlicher verschiedener Konferenzen zum Ersten Weltkrieg und einer zweifellos mit neuen Impulsen versehenen Forschungstätigkeit bleibt dennoch der Eindruck zurück, dass die Entwicklungen nach Kriegsende tendenziell im Vordergrund standen. Das gilt für die Historiographie ebenso wie für das öffentliche Interesse bzw. die diesbezügliche Erinnerungspolitik. In vielen Bereichen dominierten regionale Ansätze und schließlich die gewissermaßen naheliegende Konzentration auf den ostmittel- bzw. osteuropäischen Kontext.19 Sichtbar wurden aber auch scheinbar schwer überwindbare Differenzen in Bezug auf die dominierenden Narrative in anderen Ländern. Das zeigte sich u. a. in Zusammenhang mit der internationalen Konferenz „The Great War: Regional Approaches and Global Az első világháború hatása és a terror jelensége, in: Rubicon 24/4-5 (2014), 99–111. Vgl. auch: https://www.clioinstitute.hu/about-us (abgerufen am 23.1.2021). 17 Zur Frage der Themen, die das Gedenken 2014 mehr oder weniger sichtbar gemacht haben, siehe auch: László Szarka, Minden Egész eltörött … A Nagy Háború magyarországi emlékezetének sajátosságai, in: Tempevölgy, 7/3 (2015), 82–92; vgl. auch http://epa.oszk. hu/03000/03099/00027/pdf/EPA03099_tempevolgy_2015_3_082-092.pdf (abgerufen am 18.1.2021). 18 Ebd. 19 Diese Ausrichtungen manifestierten sich u. a. in betreffenden Forschungsprogrammen und diesbezüglichen Ausschreibungen. Vgl. zum Beispiel zwei Projekte des Institutes für Geschichtswissenschaft der Ungarischen Akademie der Wissenschaften: http://1914-1918.btk.mta.hu/otka (abgerufen am 15.1.2021); Trianon nach 100 Jahren: Kontext, Lokalität, Region. (Projektstart 2016, von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften finanziert); ein Projekt des Politikhistorischen Institutes: Birodalmi átmenetek helyi kontextusban, 1918–1925. Helyi és regionális átmenettörténetek összehasonlító szemszögből az Osztrák–Magyar Monarchiától az utódállamokig: http://www. polhist.hu/old/index.php?option=com_content&view=article&id=530&Itemid=25 (abgerufen am 19.1.2021). Explizit mit der Gefangenenthematik setzte sich im Rahmen eines Forschungsstipendiums Eszter Kaba vom Politikhistorischen Institut auseinander. Ihr ging es um die Quellenlage zu den ungarischen Kriegsgefangenen im Ersten Weltkrieg in Sowjet-Russland. Der Autorin des vorliegenden Beitrages wurde es überdies ermöglicht, die Quellenlage zum Kriegsgefangenenwesen in Ungarn 1914–1918 im Kriegsarchiv/Österreichisches Staatsarchiv in Wien zu untersuchen.

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Contexts“, die im Juni 2014 in Sarajevo abgehalten wurde. Einer der Mitveranstalter, Attila Pók, beauftragter Direktor des Historischen Institutes der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, meinte angesichts kontroverser Standpunkte: „Die Möglichkeiten und Grenzen der geschichtsbezogenen Versöhnung werden nicht durch die vergangenen Ereignisse bestimmt, sondern durch die Umstände der jeweiligen Gegenwart, durch die Erinnerung und die Art der Erinnerungspolitik.“20 Letztere war der ungarischen Regierung in jedem Fall ein besonderes Anliegen. Sie setzte anlässlich des Zentenariums ein eigenes Erinnerungskomitee ein.21 Im Fokus dieses Gremiums und seiner Aktivitäten standen die Jahre 1914 bis 1920. Das Komitee präsentierte sich mit einer eigenen Homepage. Vorsitzende des Komitees wurde Mária Schmidt, gleichzeitig Leiterin des „Hauses des Terrors“ (Terror Háza).22 Das Erinnerungskomitee widmete sich der Organisation von Konferenzen und Ausstellungen, der Finanzierung wissenschaftlicher Publikationen oder der Renovierung von Denkmälern, die an den Weltkrieg erinnern. Hervorzuheben ist beispielsweise die Organisation der Konferenz „ Der Große Krieg von Europa und die Geburt der neuen Weltordnung“, die bereits im November 2013 abgehalten wurde. Als Folge erschien ein Konferenzband mit dem Titel „Európai testvérháború 1914–1918“ (Der Bruderkrieg von Europa 1914–1918), welcher den Ersten Weltkrieg vorab als europäischen Bürgerkrieg klassifizierte.23 20 Vgl. Attila Pók, Az első világháború értelmezésének fő tendenciái 100 évvel a szarajevói merénylet után, in: Múltunk 25/1 (2015), 22–41. Zu einer weiteren internationalen Tagung in Budapest, die dem Thema „Memory and Memoralization of WWI in East Central Europe“ gewidmet war, erschien ein Schwerpunktheft. Die Vorträge der Konferenz wurden in einer speziellen Ausgabe der politikhistorischen Zeitschrift „Múltunk“ veröffentlicht. Vgl. Múltunk 27 (2016), special issue. Die Beiträge sind online abrufbar: http://www.multunk.hu/wp-content/uploads/2017/01/multunk_special_ wwi_2016.pdf (abgerufen am 18.1.2021). Ein Konferenzbericht der Organisatoren kann ebenfalls abgerufen werden via: http://elsovh.hu/english/memory-and-memorializa tion-of-wwi-in-east-central-europe-past-and-present/ (abgerufen am 31.1.2021). 21 Vgl. http://www.elsovilaghaboru.com/centenariumiemlekbizottsag/en/ (abgerufen am 18.1.2021). 22 Vgl. http://www.terrorhaza.hu/en (abgerufen am 2.4.2021). 23 http://www.breuerpress.com/2013/11/07/europa-nagy-haboruja-es-az-uj-vilagrend-­ szuletese/ (abgerufen am 18.1.2021). Mária Schmidt bestimmte den Kurs der ungarischen Erinnerungspolitik hauptsächlich seit 2010. Die diesbezüglich organisierten Konferenzen dienten politisch-diplomatischen Zwecken eher denn einem fachwissenschaftlichen Austausch. Die größte Konferenz zum Ersten Weltkrieg wurde allerdings von der Eötvös Loránd Universität abgehalten. Sie fand im Mai 2014 statt. Vgl. István, Majoros et al. (Hg.), Sorsok, frontok, eszmék. Tanulmányok az első világháború 100. évfordulójára, Budapest 2015. Eine aktuelle englische Zusammenfassung der offiziellen ungarischen Weltkriegserinnerung: Peter Ferwagner, Zusammenfassung der offiziellen

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Hervorzuheben sind des Weiteren innovative Geschichtsprojekte, die sich um die Einbeziehung einer breiteren Öffentlichkeit bemühten. Bereits im Jahr 2010 hatten die drei Militärhistoriker Tamás Pintér, János Rózsafi und Norbert Stenczinger das Internetportal „Blog Großer Krieg“24 gestartet und dazu eine gemeinnützige Stiftung für die Erforschung des Krieges ins Leben gerufen. Ihr Hauptaugenmerk galt dabei der genaueren Untersuchung von Kriegsschauplätzen sowie der Geschichte der betreffenden Regimenter an der Italienfront und in Galizien. Der Blog erregte sowohl unter Fachkollegen wie auch bei Laien großes Interesse und entwickelte sich zur wahrscheinlich wichtigsten derartigen Plattform im Bereich der ungarischen Weltkriegsforschung. Das Portal stellte in den vergangenen Jahren laufend Fachbeiträge, Rezensionen, Quellen, Neuerscheinungen und Veranstaltungsberichte bereit. Es hat sich als eine Kriegsforschungswerkstatt etabliert, in der sich mehrere Weltkriegsspezialistinnen und -spezialisten der Portalredaktion angeschlossen haben. Mit eingebunden ist ein breites Netzwerk von regionalen Archiven und Historikerinnen bzw. Historikern. Veranstaltet werden auch Exkursionen zu den Kriegsschauplätzen, begleitet bzw. betreut von den Experten des Fachblogs.25 Im Rahmen dieser Aktivitäten ging es auch um die Pflege von Soldatenfriedhöfen.26 Darüber hinaus wurde eine Vielzahl von Egodokumenten in Form von Erinnerungsliteratur, Tagebüchern und Soldatenbriefen gesammelt und präsentiert.27 Das Internetportal eines anderen Projektes mit dem Titel „Kriegschauplatz und Hinterland“28 wird vom Politikhistorischen Institut29 seit 2014 (zu einem Teil auch auf Englisch) betrieben. In Zusammenarbeit mit dem Portal wur-

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ungarischen Weltkriegserinnerung: Centenary (Hungary), in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2020-10-20. DOI: 10.15463/ie1418.11488 (abgerufen am 29.1.2021). http://nagyhaboru.blog.hu/ (abgerufen am 17.1.2021). http://www.isonzoexpressz.hu/program (abgerufen am 25.1.2021). Die Soldatenfriedhöfe des Ersten Weltkrieges und die Kriegsdenkmäler waren schon seit der Wende ein wichtiges Forschungsthema in Ungarn. Neue Fragestellungen in Zusammenhang mit Trauer, Gedenken und „Heldenverehrung“ ergaben sich dann u. a. als Folge des Zentenariums. Vgl. Gábor Gyáni, Az első világháború emlékezete, in: Gábor Gyáni, A történelem mint emlékmű, Budapest 2016, 152–185. Vgl. Szőts, Hauptrichtlinien. Szőts hebt dieses Internetportal in seinem Überblick über die ungarische Weltkriegshistoriographie als wichtiges Fachorgan der Geschichtsschreibung zum Weltkrieg hervor. http://elsovh.hu/english/ (abgerufen am 24.1.2021); das Projekt ist teilfinanziert von dem „Europe for Citizens Programme“ der Europäischen Union. http://www.polhist.hu/old/index.php?option=com_content&view=article&id=181 &Itemid=110 (abgerufen am 4.4.2021).

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den bzw. werden Veranstaltungsreihen zum Ersten Weltkrieg organisiert. Die diesbezügliche Tätigkeit inkludiert Podiumsdiskussionen, Filmvorführungen mit anschließenden Gesprächen oder Ausstellungen. Ziel ist es, den Krieg den gegenwärtigen Generationen näherzubringen, wobei nicht zuletzt das Alltagsleben der Zivilbevölkerung ins Zentrum gerückt wird. Eine thematisch geordnete Auswahl von Briefen, Tagebüchern und Kriegsberichten, die aus dem Archivbestand des Institutes stammen, richtet sich sowohl an Forscherinnen und Forscher als auch an ein breiteres Publikum. Ingesamt zielen die hier vorgestellten Internetportale nicht zuletzt auf eine von Historikerinnen und Historikern sowie Laien gleichermaßen gestaltete Gedenkkultur ab. Da die wissenschaftlichen Projektausschreibungen für das Weltkriegsgedenken in Ungarn erst ab 2013/14 veröffentlicht wurden, sind viele, besonders substantielle Ergebnisse erst nach 2018 für die Öffentlichkeit zugänglich geworden. Das gilt auch für digitalisierte Sammlungen bzw. Dokumente. Das Ungarische Nationalarchiv bietet nunmehr eine umfangreiche thematische Sammlung u. a. von ungarischen Datenbanken zu Kriegsverlusten an, militärische Inventare oder Informationen zu Ausstellungen oder Denkmälern usw.30

Themenschwerpunkt: Kriegsgefangenschaft im Ersten Weltkrieg Dass das über Jahrzehnte hindurch gewissermaßen gedämpfte Interesse an der Geschichte des Ersten Weltkrieges für eine ebenso geringe Beachtung der Kriegsgefangenenthematik sorgte, liegt auf der Hand. Dabei sorgte zumindest in der Zwischenkriegszeit eine Vielzahl publizierter Erinnerungen für ein entsprechendes öffentliches Interesse am Schicksal ungarischer Kriegsgefangener in Feindeshand.31 Das anschließende Ausbleiben einer wissenschaft30 Vgl. https://adatbazisokonline.hu/adatbazis/az-elso-vilaghaboru-vesztesegi-adat bazisa (abgerufen am 10.7.2021) und siehe https://adatbazisokonline.hu/adatba zis/a-magyar-katona-aldozatvallalasa-a-nagy-haboruban (abgerufen am 10.7.2021). Auch die militärische Datenbank des Militärhistorischen Archivs in Budapest wurde erweitert: http://magyarezredek.hu/ (abgerufen am 11.7.2021); https://adatbaziso konline.hu/gyujtemeny/elso-vilaghaboru (abgerufen am 11.7.2021); https://adatba zisokonline.hu/gyujtemeny/elso-vilaghaboru (abgerufen am 11.7.2021). 31 Kaba, Alltag in den russischen Kriegsgefangenenlagern, 409. Die wichtigste, umfangreiche Arbeit der Zwischenkriegszeit über die ungarischen Kriegsgefangenen in Feindeshand: Benedek Baja/Imre Lukinich/Jenő Pilch/Lajos Zilahy, Hadifogoly magyarok története. 2 Bde., Budapest 1930. Sie gilt trotz ihrer heroisierenden Tendenzen bis heute als Grundlagenwerk zur Geschichte der ungarischen Kriegsgefangenen. Der 2. Band thematisiert ausschließlich die russische Kriegsgefangenschaft.

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lichen Auseinandersetzung mit der Thematik deckt sich mit den diesbezüglichen Defiziten der Historiographie in anderen Ländern, wobei die Gründe für die weitgehende Nichtbeachtung der Thematik zum Teil andere sind oder zumindest zusätzliche Aspekte beachtet werden müssen. So sorgte die politische Orientierung Ungarns nach dem Zweiten Weltkrieg dafür, dass etwa das in diversen Memoiren ehemaliger ungarischer Kriegsgefangener negativ gezeichnete Erlebnis der Kriegsgefangenschaft in (Sowjet-)Russland nicht aufgegriffen wurde, weil sich daraus unerwünschte Bezüge zur Gegenwart ergaben: „Nach 1945 wurde ein Großteil“ der nach 1918 erschienenen einschlägigen Erinnerungsliteratur „aus politischen Gründen eingestampft, weil ihr Inhalt kein günstiges Licht auf die Sowjetunion warf, die erhalten gebliebenen Kopien bewahrten die Bibliotheken in ihren gesperrten Beständen auf“.32 Wenn das Schicksal der ungarischen Gefangenen aufgegriffen wurde, dann vor allem in Hinblick auf deren positiv konnotierte politische Erfahrungen, die auf die Geschichte der „Oktoberrevolution“ und ihre Folgen für die Kriegsgefangenen verwiesen. Zu berücksichtigen ist hier nicht zuletzt deren Rolle als sogenannte „Internationalisten“ innerhalb der Roten Armee in Sowjetrussland. Die allerdings überschaubare Anzahl diesbezüglicher Abhandlungen, die noch dazu zum Teil in Koproduktion mit sowjetischen Historikern und Archivaren entstanden, machte die Defizite im Bereich der Forschungen zur Kriegsgefangenschaft des Ersten Weltkrieges im Allgemeinen nicht wett.33 Dass die Thematik schon allein aufgrund ihrer Größenordnung Aufmerksamkeit verdient, lässt sich anhand von Zahlen bekräftigen. So überstieg die

32 Kaba, Alltag in den russischen Kriegsgefangenenlagern, 409. 33 Vgl. Antal Józsa, Adalékok az oroszországi magyar hadifoglyok történetéhez, in: Hadtörténelmi Közlemények (Militärhistorische Abhandlungen), 8/2 (1961), 625–669; Ders., Osztrák-magyar hadifoglyok Oroszországban és részvételük az októberi forradalomban, in: Ötven év. A Nagy Október és a magyarországi forradalmak, Budapest 1967, 181–223; Ders., Háború, hadifogság, forradalom. Magyar internacionalista hadifoglyok az 1917 es oroszországi forradalmakban, Budapest 1970; András Zsilák, Az OK(b)P magyar csoportjának szerepe a Vörös Hadsereg internacionalista egységeinek szervezésében (1918–1919), in: Történelmi Szemle 4/3 (1961), 347–360 und vgl. folgende russischsprachige Veröffentlichungen, die zum Teil unter Beteiligung ungarischer Historiker zustande kamen und in russisch-ungarischen Editionen auch in der Sowjetunion veröffentlicht wurden oder aus dem Ungarischen übersetzt wurden: Jenő Györkei/Antal Józsa (Hg.), Vengerskie Internacionalisty v Velikoj Oktjabr’skoj Socialističeskoj Revoljucii, Moskva 1959; die ursprüngliche ungarische Ausgabe wurde 1957 in Budapest veröffentlicht. Weiters: A. A. Chodak/Pavel A. Žilin, Venergeskie internacionalisty v Oktjabr’skoj revoljucii i graždanskoj vojne v SSSR. Sbornik dokumentov, tom 2, Moskva 1968; O. S. Rjabuchina/Pavel A. Žilin (Hg.), Venergeskie internacionalisty v Oktjabr’skoj revoljucii i graždanskoj vojne v SSSR. Sbornik dokumentov, tom 1, Moskva 1968.

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Zahl der gefangenen Ungarn diejenige der Gefallenen. Auszugehen ist von 743.000 Soldaten und Offizieren. Von diesen kehrten angeblich mindestens 300.000 nicht in ihre Heimat zurück. Mittlerweile beschäftigen sich mit der Kriegsgefangenschaft in Russland bzw. mit der Heimkehr ungarischer Gefangener aus Sowjetrussland verschiedene Hochschularbeiten, wissenschaftliche Publikationen, Forschungsprojekte, aber auch populärwissenschaftliche Veröffentlichungen.34 Die Kriegsgefangenenproblematik im Habsburgerreich wurde indessen von der kommunistischen Histriographie ähnlich wie das Schicksal ungarischer Gefangener in Sowjetrussland unter Berücksichtigung politischer Erwägungen behandelt. Das betraf unter anderem die Rolle russischer heimkehrender Kriegsgefangener während der ungarischen Räterepublik 1919.35 Trotz ihrer tendenziösen Ausrichtung erwähnenswert ist eine 1971 erschienene Arbeit, die in den Militärhistorischen Mitteilungen des Ungarischen Kriegsarchivs publiziert wurde.36 Ihren Verfassern war daran gelegen, anhand ausgewählter Dokumente bewusst ein negatives Bild der Entstehung und der Entwicklung der österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenenpolitik zu entwerfen, und zwar insbesondere mit Blick auf die Behandlung der russischen Gefangenen.37 Was die Studie lesenswert macht, ist allerdings die 34 Dazu existieren Masterarbeiten und Dissertationen bzw. dazu forschten und forschen beispielsweise Károly Hunyadi, Attila Bonhardt und Katalin Petrák oder Eszter Kaba. Als Beispiel für betreffende Abschlussarbeiten: Viktor István Cseh, Magyar hadifoglyok Oroszországban az első világháború alatt, BA-Arbeit Debrecen 2015. Derselbe Autor hat seine MA-Arbeit zum Thema der russischen Kriegsgefangenen in Ungarn verfasst: Viktor István Cseh, Orosz hadifoglyok Magyarországon az első világháborúban, MA-Arbeit Debrecen 2018; Rita Keglovich, A Nagy Háború magyar hadifoglyai Olaszországban, Diss. an der Pázmány Péter Katholischen Universität Budapest 2018. Siehe auch: Katalin Petrák, Emberi sorsok a 20. században. Magyar hadifoglyok és emigránsok a Szovjetunióban a két világháború között, Budapest 2012. Zu verweisen ist unter anderen auch auf: Margittai, Geistersoldaten der Eselsinsel und auf Eszter Kaba, „Az 1917–1918-as tél Oroszországban hadifoglyaink legnehezebb időszaka lesz.“ Hadifogolysorsok és az oroszországi forradalom, in: Történelmi Szemle 60/3, (2018), 469–478, abrufbar unter: http://real.mtak.hu/92241/1/Kaba.pdf (abgerufen am 11.7.2021); vgl. auch Kaba, Alltag in den russischen Kriegsgefangenenlagern. 35 Vgl. Antal Józsa, Orosz hadifoglyok Magyarországon 1917–1919, in: Zsigmond Pál Pach/ A. P. Okladnyikov (Hg.), Magyar internacionalisták Szibériában és a Távol-Keleten 1917–1922, Budapest 1978, 247–267 sowie einen gewissermaßen in Co-Produktion eines sowjetischen und eines ungarischen Historikers editierten Dokumentenband: Aleksandr A. Solov’ev/Andras Zsilak (Hg.), Russkie internacionalisty v bor’be za Vengerskuju Respubliku 1919 g. Sbornik dokumentov, Moskva 1972. 36 Antal Józsa/Vajda Alajos, Az Osztrák-Magyar Monarchia első világháborús hadifogoly politikájának kialakulásáról (1914–1916), in: Hadtörténelmi Közlemények 18/4 (1971), 713–761. 37 Die Autoren bieten statistische Aufzeichnungen aus dem Bestand des Kriegsarchivs

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Wiedergabe mehrerer Archivdokumente, die das Schicksal der Gefangenen beleuchten und auf die vielen Facetten der Geschichte der Kriegsgefangenschaft im Habsburgerreich verweisen.38 Das Thema wird auch in der neueren ungarischen Literatur für gewöhnlich nur gestreift.39 Sporadische Erwähnungen gibt es vor allem in Zusammenhang mit kriegswirtschaftlichen Aspekten. 1916 waren laut Hajdu und Pollmann 400.000 Kriegsgefangene in der Monarchie in Industrie und Landwirtschaft tätig. Deren Verpflegung im Industriesektor wird im Vergleich zur Zivilbevölkerung als durchaus angemessen dargestellt40, wobei sich die Autoren auf eine entsprechende Verordnung des k. ungarischen Innenministers stützten.41 Ob die tatsächlichen Bedingungen den in diversen Dokumenten vorgefundenen Angaben entsprachen, wird nicht weiter thematisiert. Zur Sprache kommt im Werk der zwei Autoren die Präsenz von russischen und serbischen Gefangenen in Ungarn, und verallgemeinernd heißt es, man habe versucht, ihnen eine möglichst humane Behandlung angedeihen zu lassen.42 Aufgegriffen werden auch Kontakte zwischen Zivilpersonen und Kriegsgefangenen, welche einzelnen Dörfern als Arbeitskräfte zugeteilt worden waren. Dabei geht es auch um Beziehungen zwischen einheimischen Frauen und den feindlichen Soldaten sowie in weiterer Folge um Kinder, die aus solchen Beziehungen hervorgingen.43 Insgesamt bleiben die diesbezüglichen Ausführungen aber eher an der Oberfläche. Wichtige Fragen, wie etwa die Versor-

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in Wien (AOK Op. Abt. 1917–1918) mit Zahlen zu den Gefangenen in den österreichisch-ungarischen Lagern. Ebd., 716–719, 732. Die angegebenen Dokumente stammten aus den Archivbeständen des Armeeoberkommandos und des gemeinsamen Außenministeriums im Haus-, Hof- und Staatsarchiv bzw. im Österreichischen Staatsarchiv-Kriegsarchiv in Wien, aus dem Kriegsarchiv in Budapest und aus dem Kriegsarchiv in Prag. Hajdu/Pollmann, A régi Magyarország. Ebd., 203. Die Autoren beziehen sich nicht auf die entsprechende Verordnung (Dienstschreiben Nr. 1.593 vom 3. März 1915. des k. u. Innenministers), die festlegte, dass das Wachpersonal pro Tag nicht mehr als 560 Gramm Brot ausgeben durfte. Vgl. Magyar Rendeletek Tára, 1915. Béla Katona, Magyarország közgazdasága. Pénzügyi és közgazdasági évkönyv 1916. évről, Budapest 1917. Hajdu/Pollmann, A régi Magyarország, 207. Ebd., 209, 255. Vgl. auch: Gábor Gyáni, Az első világháború és a paraszti emlékezet, in: Gábor Gyáni, Az elveszíthető múlt. A tapasztalat mint emlékezet és történelem, Buda­ pest 2010, 294–303; Tibor Szenti, Vér és pezsgő. Harctéri naplók, visszaemlkékezések, frontversek, tábori és családi levelek az első világháborúból, Budapest, 1988; Péter Hanák, Kert és Műhely, Budapest 1988. Die deutsche Ausgabe des Werkes gibt die entsprechenden Briefauszüge nicht wieder. Vgl. neuere Publikation im Bereich der Ethnologie zum Thema: Tamás Csíki, Egy ágyban az ellenséggel. Orosz hadifoglyok és falusi nők az I. világháborúban, in: Néprajzi Látóhatár, 27/1-2 (2018), 59–70.

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gungslage 1916/17 und ihre Auswirkungen auf die Verpflegung der Kriegsgefangenen, werden nicht aufgeworfen. Eine 2002 publizierte Analyse von Róbert Blasszauer, einem Mitarbeiter des Kriegsarchivs in Budapest, widmet sich auf einigen wenigen Seiten den Gefangenen in Ungarn und bietet unter anderem eine Zusammenstellung von Verordnungen zur Gefangenenarbeit auf ungarischer Seite.44 Blasszauer beruft sich laut seiner Referenzliste auf ungarische Quellen, hauptsächlich auf entsprechende Akten des Kriegsarchivs in Budapest bzw. einzelne Akten regionaler Provenienz sowie auf die Verordnungen der jeweils zuständigen ungarischen Ministerien. Sowohl das Verteidigungs- und das Innenministerium als auch das Handels- und das Landwirtschaftsministerium waren mit Gefangenenagenden befasst gewesen. Der Autor widmet sich auch der Frage der Anzahl von in Ungarn beschäftigten Kriegsgefangenen und bezieht sich hier auf Daten, die jeweils im Januar 1917 und 1918 erhoben wurden.45 Er nimmt des Weiteren auf die Lebensverhältnisse der Gefangenen Bezug, wobei er auch die Kontrolle durch internationale Organisationen aufgreift, über ärztliche Visiten berichtet oder aber die Entlohnung der kriegsgefangenen Arbeiter thematisiert. In den herangezogenen Dokumenten wird überdies Kritik an der Unterbringung der Gefangenen geübt. Ein Bericht über die in der Ortschaft Szentlászló im Komitat Baranya befindlichen Gefangenen bemängelte beispielsweise „die Reinlichkeit ihrer Wohnstätten“. Die Bekleidung, hieß es, war „zerlumpt“.46 Blasszauer behandelt schließlich auch das Thema „Flucht“. Er führt einschlägige Verordnungen an und erwähnt unter Zitierung von Quellen, dass bei Fluchtversuchen des Öfteren Zivilpersonen Hilfe leisteten. Der Verfasser bietet außerdem einen Überblick über die Lage der Gefangenen nach dem Friendensschluss mit dem revolutionären Russland

44 Róbert Blasszauer, Hadifoglyok Magyarországon az I. világháború idején, in: Jolán Szijj/Ferenc Lenkefi (Hg.), AD ACTA. A Hadtörténelmi Levéltár évkönyve, 2002, Bu­ da­pest 2003; http://mek.oszk.hu/04900/04930/html/#48 (abgerufen am 1.4.2021). 45 Am 1. Januar 1918 waren nach Blasszauers Angaben in der k. u. k. Monarchie 1.309.394 Kriegsgefangene registriert. Nach Ethnien verteilt: 852.853 Russen, 97.712 Italiener, 97.072 Serben, 38.327 Rumänen, 5595 Montenegriner, 465 Franzosen und 31 Briten. Am 1. Januar 1917 waren es insgesamt 1.092.055 Kriegsgefangene. Rund 72 Prozent der Gefangenen (948.000 Personen) waren Russen. 362.517 Gefangene (unter ihnen 247.744 Russen) befanden sich in militärischen Operationsgebieten und 946.877 (660.000 Russen) im Hinterland. Unter den Letztgenannten befanden sich 219.145 (105.000 Russen) in Lagern, die von Soldaten des Landsturms bewacht wurden. Blasszauer präsentiert auch eine statistische Tabelle der Arbeitsverteilung nach einzelnen Tätigkeitsbereichen (Landwirtschaft, Industrie, industrielle Kriegsbetriebe, Forstwirtschaft, Staatsunternehmen) und zählt auch die einzelnen Standorte auf. Vgl. ebd. 46 Zit. nach ebd.

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und behandelt schließlich jene Verfügungen, die dafür sorgen sollten, die Gefangenen trotz der in Aussicht gestellten Repatriierung im Arbeitsprozess zu halten. Danach folgen Beispiele für die Lage der Gefangenen zur Zeit der ungarischen Räterepublik und in der anschließenden Phase bis zum Gefangenenaustausch 1921. In der zweiten Hälfte der Studie legt Blasszauer Quellenmaterial zur Lage der Kriegsgefangenen im Komitat Baranya vor.47 Als ein aktuelleres Beispiel ist eine von Tibor Balla vorgelegte Studie48 über das Kriegsgefangenenwesen der Monarchie am Beispiel der westungarischen Kriegsgefangenenlager zu nennen. Der Verfasser ist als Militärhistoriker auf den Ersten Weltkrieg spezialisiert und Mitarbeiter des Kriegsarchivs in Buda­ pest. Seinem Text liegt ein 2013 im Rahmen der 33. Schlaininger Gespräche gehaltener Vortrag zugrunde. Im Zentrum dieser Konferenz stand die Heimatfront der k. u. k. Monarchie, wobei hauptsächlich regionale Forschungen zum Kriegsgefangenenwesen in Westungarn/Burgenland bzw. in der Steiermark vorgestellt wurden, so auch zu einzelnen Gefangenenlagern. Außer Tibor Balla befasste sich bei dieser Gelegenheit noch Sándor Horváth, Ethnologe des Savaria Museums in Szombathely, in einem Vortrag mit einem ungarischen Thema. Er referierte über die Geschichte des 1915 bis 1918 bestehenden Kriegsgefangenenlagers in Ostffyasszonyfa, wobei er hauptsächlich Ergebnisse der Regionalforschung präsentierte und frühere einschlägige Publikationen zusammenfasste. Balla stützte sich bei seinem Vortrag nicht zuletzt auf einen von Jochen Oltmer 2006 veröffentlichten Sammelband zur Gefangenschaft im Ersten Weltkrieg49 und berücksichtigte neben relevanten Beständen des Kriegsarchivs in Wien auch ungarische Quellen. Herangezogen wurden hauptsächlich Akten des Kriegsarchivs in Budapest sowie lokalhistorische Publikationen zu einzelnen Lagern im ungarischen Reichsteil.50

47 Nach Blasszauers Angaben wurden die Gefangenen im Komitat Baranya in erster Linie als landwirtschaftliche Arbeiter eingesetzt, namentlich in den Gütern von Béllye, Dárda sowie des Pécser Bistums, sodann in den Ländereien kleinerer Gutsherren, ferner als Industriearbeiter in Mohács und in Pélmonostor. Vgl. ebd. 48 Tibor Balla, Das Kriegsgefangenenwesen in der Monarchie am Beispiel der westungarischen Kriegsgefangenenlager, in: Rudolf Kropf (Hg.), Der Erste Weltkrieg an der „Heimatfront“. Tagungsband der 33. Schlaininger Gespräche 22. bis 26. September 2013. Landesmuseum Burgenland, Eisenstadt 2014, 151–176. 49 Vgl. Jochen Oltmer (Hg.), Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006. 50 Einführend beschreibt Balla Organisationen des Kriegsgefangenenwesens in Österreich-Ungarn. Es folgt eine Auflistung der westungarischen Gefangenenlager: Csót, Ostffyasszonyfa, Esztergom-Kenyérmező, Frauenkirchen (Boldogasszony), Dunajská Streda (Dunaszerdahely), Hajmáskér, Vél’ky Meder (Nagymegyer), Šamorin (Somorja),

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Neue Aspekte zur Kriegsgefangenenthematik in Ungarn bieten auch die bereits vorgestellten Internetportale. Im Rahmen des Projektes des Politikhistorischen Institutes „Kriegsschauplatz und Hinterland“ bzw. einer 2016 abgehaltenen Konferenz präsentierte der Historiker Zoltán Paksy einen Überblick zur Geschichte ungarischer Lager.51 Auf den Seiten des Internetportals „Kriegsschauplatz und Hinterland“ sind einige Beiträge mit Literaturangaben auch in englischer Sprache zugänglich. Der von Eszter Kaba verfasste Text „Let us repeat and emphasize: prisoners of war shall be treated humanely. – Prisoners of war in Hungary during the First World War“ präsentiert einen Überblick zur Thematik, gestützt auf zeitgenössische Presseartikel.52 Auf die internationalen Regelungen in Bezug auf die Gefangenenbehandlung und diesbezügliche ungarische Bestimmungen geht wiederum der Artikel „The war prisoner’s right“ ein, der ebenfalls von Kaba verfasst wurde.53

Neckenmarkt (Sopronnyék), Zalaegerszeg sowie das Internierungslager Nezsider (Neusiedl am See). Hinsichtlich des Baubeginns und der Inbetriebnahme der ungarischen Kriegsgefangenenlager stellte Balla fest, dass in den Archiven genauere Daten oft nur sporadisch zu finden sind. Balla listet des Weiteren auch die Offiziersstationen auf dem Gebiet Westungarns auf und stellt den Lagerbetrieb mit Bezug auf verschiedene Quellen dar. Anschließend beschreibt er die Gefangenenarbeit teilweise auf der Grundlage von einschlägigen Monatsberichten. Balla bezieht sich u. a. auch auf einzelne Arbeiten über die betreffenden Kriegsgefangenenlager sowie auf József Gál, Hadifoglyok Somogyban az Első Világháború idején, Kaposvár 1987. Die Arbeit Gáls thematisiert sozialistisch-tendenziös die Besitz- und Lebensverhältnisse in der ländlichen Region. Die Vielzahl von verwendeten regionalen Verordnungen, Quellen zu kommunalen Angelegenheiten, Korrespondenzen, Berichten, Presseartikeln, persönlichen Erinnerungen etc. in Bezug auf die Gefangenenarbeit, Arbeitsvermittlung, Lebensverhältnisse, Kontakt mit der Zivilbevölkerung könnte als Grundlage weiterer Arbeiten dienen. Zum Zentenarium wurden auch zuvor vernachlässigte regionale Aspekte des Ersten Weltkrieges thematisiert. Der Archivar István Áldozó referierte beispielsweise 2014 am „Tag der offenen Türen“ im Archiv in Győr über die Kriegsgefangenenlager im Komitat Győr während des Ersten Weltkrieges. Auf Grundlage vorhandener Quellen präsentierte er Einblicke in das Leben der russischen und serbischen Gefangenen. Laut seinen Angaben kamen 1073 Kriegsgefangene hauptsächlich in der Landwirtschaft in der Umgebung von Győr zum Einsatz. Vgl. http://gyeleveltar.hu/?q=node/63 (abgerufen am 29.1.2021). 51 Zoltán Paksy, Hadifogolytáborból internálótábor. A traumák nyomán átalakuló Magyarország új intézményei, in: Gábor Egry/Eszeter Kaba (Hg.), 1916 – A fordulat éve? Tanulmányok a nagy háborúról, Budapest 2018. 52 http://elsovh.hu/english/let-us-repeat-and-emphasize-prisoners-of-war-shall-be-trea ted-humanely-prisoners-of-war-in-hungary-during-the-first-world-war/ (abgerufen am 29.1.2021). 53 http://elsovh.hu/english/the-war-prisoners-right/ (abgerufen am 29.1.2021).

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Der Blog „Großer Krieg“ veröffentlichte mehrere Artikel zu den italienischen Kriegsgefangenen in Ungarn. Einer der Beiträge entwirft ein Gesamtbild der Lage der italienischen Kriegsgefangenen im Ersten Weltkrieg. Thematisiert werden anhand von Quellen und Fotos die schlechten Lebensbedingungen der Gefangenen in Transleithanien und die hohe Mortalität speziell unter den Italienern.54 Tamás Miklós nähert sich der ungarischen Kriegsgefangenenthematik auf Grundlage seiner ausführlichen Forschungsarbeit zum Kriegsgefangenenlager Esztergom-Kenyérmező, dessen Geschichte er von 1914 bis 1920 nachzeichnet. In seiner kritischen Analyse beschreibt er auch die humanitären Probleme, die hohen Todesraten infolge von Epidemien, aber auch die Sterblichkeit als Resultat schlechter Verpflegung besonders infolge der immer kritischer werdenden Lebensmittelversorgung ab 1917 und insbesondere bei der Armee in Felde.55 Während eine umfassende Zusammenschau der Gefangenenthematik in Ungarn fehlt, sind verschiedene lokalhistorische Forschungen zur Geschichte einzelner Lager unternommen worden. Am besten sind die Lager Ostffyasszonyfa, Csót bei Pápa, Esztergom-Kenyérmező bei Budapest und schließlich Zalaegerszeg dokumentiert. Das Lager in Ostffyasszonyfa (West-Ungarn) gehörte zu den größten Barackenlagern der Monarchie und wurde von den Lokalhistorikern des Komitatsmuseums in Szombathely (Komitat Vas) in einem kleinen Band aufgearbeitet. Als Anlass boten sich dafür runde Gedenkdaten, die an 80 beziehungsweise 90 Jahre seit der Erbauung des Lagers erinnerten.56 Nach einer völkerrechtlichen Einführung wird ein kurzer allgemeiner Überblick über das Kriegsgefangenenwesen 1914 im Komitat Vas geboten. Es folgen eine ausführlichere Beschreibung des Lagers und ein Abriss seiner Geschichte bis zu seiner Auflösung. Die Arbeit der Gefangenen im Lager, aber auch im Agrarbereich und in verschiedenen Unternehmen (Zuckerfabrik usw.) wird ebenfalls dargestellt. Die Ausführungen stützen sich im Wesentlichen auf lokale Quellen des Komitatsarchivs Vas, die Sammlung des Komi­ 54 Jenő Horváth, Olasz hadifoglyok a nagy háborúban (Italienische Kriegsgefangene im Großen Krieg), 25.5.2017, http://nagyhaboru.blog.hu/2017/05/25/olasz_hadifog lyok_a_nagy_haboruban (abgerufen am 29.1.2021). 55 Tamás Miklós, Hadigoglyok az Osztrák-Magyar Monarchia területén az első világháború idején, 21.11.2015, http://nagyhaboru.blog.hu/2015/11/21/hadifoglyok_az_osz trak_magyar_monarchia_teruleten_az_elso_vilaghaboru_idejen (abgerufen am 29. 1.2021). 56 Zsófia Csák, Az ostffyasszonyfai hadifogolytábor története: 1915–1918, Szombathely 1 1995, neue erweiterte Ausgabe 22006.

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tats­museums in Szombathely, einschlägige Verwaltungsakten der Gemeinde, staatliche Verordnungen (vor allem aus den Jahren 1915 und 1916) und auf Berichte zeitgenössischer Zeitungen. Im Lager befanden sich zwischen 1915 und 1918 ca. 100.000 Gefangene. Auf dem Friedhof – die Renovierung begann 1986 – wurden mehr als 10.000 Gefangene (Russen, Serben, Rumänen und Italiener) begraben. Alljährlich findet zu Allerheiligen eine Gedenkfeier statt. Außerdem wurde im Kulturhaus von Nagysimony, ein Nachbarort von Ostffyasszonyfa, eine Ausstellung über das Lager organisiert.57 Dokumentiert wurde auch die Geschichte des Lagers Csót bei Pápa. In einem 1990 erschienenen kleinen Band mit dem Titel „Das Lager Csót im Spiegel von Erinnerungen 1915–1923“ wurde der Bogen bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg gespannt, als es als Demobilisierungslager (1919–1923) diente. Neben Oral-History-Interviews sind detaillierte Angaben zur nationalen Verteilung der Kriegsgräber auf dem Kriegsgefangenenfriedhof beim ehemaligen Lager enthalten. Die Quellen, die herangezogen wurden, stammen hauptsächlich aus dem Archiv in Veszprém, ergänzt durch Berichte lokaler Zeitungen.58 95 Jahre nach Entstehung des Lagers entstand aus diesem Anlass ein umfangreicher Band mit dem Titel „Heimweh-Qualen. Das Lager von Csót 1915–1923“.59 Seit 1983 ist in Csót auch eine Dauerausstellung zur Geschichte des Lagers zu sehen. Eine kurze englische Beschreibung des Lagers kann online abgerufen werden.60 Das erste Kriegsgefangenenlager in Ungarn, Esztergom-Kenyérmező bei Budapest, wurde ab September 1914 auf dem Gebiet des vormaligen Militär-­ Truppenübungslagers errichtet. Frühere Lagefriedhöfe wurden bis 1956 gepflegt, gerieten dann aber ganz in Vergessenheit. Ab dem Jahr 2000 gab es

57 War prisoner camp – Ostffyasszonyfa, http://elsovh.hu/english/war-prisoner-­campostffyasszonyfa/ (abgerufen am 31.3.2021). 58 István Rácz, Csót-tábor az emlékek tükrében, 1915–1923, Pápa 1990. Vom gleichen Verfasser liegt ein Band zur Geschichte der Nachkriegszeit vor: István Rácz, Csót, Hajmáskér, Zalaegerszeg 1919–1923. Adalékok a csóti „leszerelő“, a hajmáskéri és a zalaegerszegi internálótáborok történetéhez, Pápa 1977. Eine Publikation aus dem Jahr 1983 zur Geschichte des Lagers geht auf vorhandene Quellen ein und informiert beispielsweise über die Bemühungen der ungarischen Behörden, ab dem Frühjahr 1918 die russischen Kriegsgefangenen trotz des Friedensschlusses als landwirtschaftliche Arbeiter zu halten. Vgl. Géza Szabó, A csóti hadifogolytábor története 1915–1923, Csót 1983. 59 Ferenc Dely, Honvágyas gyötrelmek: Csót-tábor, 1915–1923: tények, visszaemlékezések, gondolatok a fogolytábor létrehozása 95. évfordulóján, Budapest 2010. Der Verfasser ist ein aus Csót stammender Anwalt. Eigene Forschungen wurden offenbar hinsichtlich der Totenregister des Lagers unternommen. 60 http://elsovh.hu/english/war-prisoner-camp-csot/ (abgerufen am 31.1.2021).

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Initiativen für eine Renovierung. 2008/09 wurden zum Teil durch Mitwirkung von Mitarbeitern des Kriegsarchivs in Budapest die vorhandenen Reste der Friedhöfe renoviert und zugänglich gemacht. Der Militärhistoriker Lajos Négyesi erforschte und dokumentierte im Zuge der Renovierungsarbeiten auch die Lagergeschichte von Esztergom.61 Die Ergebnisse seiner Untersuchungen veröffentlichte er ein paar Jahren später im Fachblog „Der Große Krieg“.62 Aufgrund der vorhandenen Verzeichnisse kann von rund 100.000 Gefangenen ausgegangen werden, die sich zwischen 1914 und 1918 im Lager befanden. Ab 1915 wurden Forschungen von Wissenschaftlern der Ungarischen Akademie der Wissenschaften aus den Fachbereichen „Sprachwissenschaften“ und „Ethnologie“ durchgeführt. Der Lokalhistoriker Tamás Miklós, Mitarbeiter des Fachblogs „Der Große Krieg“, setzte sich – wie bereits erwähnt – ebenfalls mit der Geschichte des Lagers auseinander.63 Die mit Unterstützung der italienischen Botschaft realisierte Renovierung des Lagerfriedhofes Zalaegerszeg war auch hier Anlass für weiterführende Forschungen zur Geschichte dieses Kriegsgefangenen- bzw. Internierten- und Demobilisierungslagers. Das Lager war ursprünglich im Mai 1915 für 20.000 Kriegsgefangene geschaffen worden. Ein Artikel über die Lagergeschichte von 1915 bis zu seinem „Nachleben“ wurde von einem Mitarbeiter des Komitatsarchivs Zala auf dem Nachrichtenportal des Komitats veröffentlicht.64 Anlässlich der Einweihung des renovierten Friedhofes wurde auch ein Artikel von einer Kunsthistorikerin im Fachblog „Der Große Krieg“ veröffentlicht.65 Auf dem Friedhof sind insgesamt 1656 Gefangene begraben, davon 720 Italiener. Die Rekons-

61 Vgl. Lajos Négyesi, Az esztergomi hadifogolytábor emléke, 3.7.2009, https://multkor.hu/20090703_az_esztergomi_hadifogolytabor_emleke?pIdx=2 (abgerufen am 11.4.2021). 62 Lajos Négyesi, Az esztergomi első világháborús hadifogolytábor temetői, 23.8.2012, http://nagyhaboru.blog.hu/2012/08/23/az_esztergomi_elso_vilaghaborus_hadifo golytabor_temetoi (abgerufen am 11.4.2021). 63 Siehe: Tamás Miklós, Első világháborús hadifogolytábor Esztergom-Kenyérmezőn, http://cdn.blog.hu/na/nagyhaboru/image/workshop/miklo_stamas_kenyermezo. pdf (abgerufen am 12.6.2021). Und: Visit to the first Hungarian Lager, http://elsovh.hu/ english/visit-to-the-first-hungarian-lager/ (abgerufen am 31.1.2021). 64 Endre Gyimesi, Fogolytábor a város szélén. Zalaegerszeg körzetében hadifogolytábor létesítendő 20.000 hadifogoly részére, 28.8.2015, https://www.zaol.hu/hetvege/fo golytabor-a-varos-szelen-1722277/ (abgerufen am 1.2.2021). 65 Borbála Jász, Olasz hadifogoly-temető a Magyar Szibéria helyén, 1.6.2017, http://nagy haboru.blog.hu/2017/06/01/olasz_hadifogoly-temeto_a_magyar_sziberia_helyen (abgerufen am 1.2.2021).

Kriegsgefangene in Transleithanien 1914–1918

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truktion der Zahlen von Kriegsgefangenen, die in Ungarn starben, erweist sich als einigermaßen schwieriges Unterfangen.66 Tatsächlich stellt sich die Quellenlage zum Schicksal der Kriegsgefangenen in Ungarn insgesamt als zerklüftet dar. Die Materialien im Kriegsarchiv in Budapest sind im Wesentlichen Kopien der zuständigen Zentralstellen in Wien. Auch für den lokalhistorischen Zugang zur Thematik, der für gewöhnlich auf konkrete Lager fokussiert, sind die Voraussetzungen nicht immer optimal. Wichtige Bestände in den Lokalarchiven dürften in den vorangegangenen Jahrzehnten ausgeschieden worden sein. Hinweise finden sich dann nur mehr in den Registraturen.67 Für den westungarischen Raum und die dort befindlichen Lager ist auch auf die Bestände des Militärhistorischen Archivs in Bratislava zurückzugreifen, wo sich ergänzendes Material zu den Beständen des Österreichischen Staatsarchivs finden lässt. Dokumente aus diesem Archiv wurden beispielsweise vom österreichischen Historiker Herbert Brettl in seinem Buch über das Lager Boldogasszony, heute Frauenkirchen im Burgenland, herangezogen.68 Auch zu den heute ebenfalls im Burgenland befindlichen Lagern Nyék (Neckenmarkt) oder Nezsider (Neusiedl am See) gibt es im Übrigen deutschsprachige Publikationen beziehungsweise Hochschulschriften.69 Demgegenüber haben sich ungarische Historiker und Lokalforscher offenbar vor allem den heute immer noch auf ungarischem Staatsgebiet befindlichen Lagern zugewandt. Ihre Quellenbasis speist sich zusätzlich zu den bereits erwähnten Materialien auch aus zeitgenössischen ungarischen Verordnungen, die von den Behörden in Budapest ausgingen und teilweise auch die Gefangenenthematik betrafen. Einzelne Digitalisate in diesem Zusammenhang sind online zugänglich.70 Zeitgenössische Presseartikel können zur 66 Vgl. István Topor, Olasz hadifoglyok nyughelye Debrecenben, 18.10.2017, http://nagyhaboru.blog.hu/2017/10/18/olasz_hadifoglyok_nyughelye_debrecenben (abgerufen am 1.6.2021). 67 http://nagyhaboru.blog.hu/2015/11/11/olasz_aldozatok_halason (abgerufen am 1.4. 2021). 68 Herbert Brettl, Das Kriegsgefangenen- und Interniertenlager Boldogasszony/Frauenkirchen, „Sie leben nicht mehr der Gegenwart, sondern der Zukunft zuliebe“, Halbturn 2014 sowie vom selben Autor: Kriegsgefangenen- und Interniertenlager auf dem Gebiet des heutigen Burgenlands, in: Pia Bayer/Dieter Szorger (Bearb.), Land im Krieg, Eisenstadt 2014, 170–175. 69 Ernst Mihalkovits, Das Kriegsgefangenen- und Interniertenlager Neckenmarkt mittleres Burgenland, Diss. Wien 2003; siehe auch: Eva Maria Mannsberger/Karl Schäfer, Das Neusiedler Internierungslager 1914–1918, in: Neusiedler Jahrbuch, hg. vom Verein zur Erforschung der Stadtgeschichte von Neusiedl am See, Bd. 11, 2008/9, 34 oder aber die serbische Publikation: Isidor Đuković/Nenad Lukić, Nežider. Austrougarski logor za Srbe 1914–1918, Beograd 2017. 70 Vgl. beispielsweise József Bartha, Leutnant im Verteidigungsministerium, A Hadi-

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Bearbeitung der Kriegsgefangenenproblematik in Ungarn ebenfalls herangezogen werden. Ihre Erschließung bleibt allerdings überaus zeitaufwändig. Abseits der reichen Bestände im Österreichischen Staatsarchiv, die für die Erforschung der Kriegsgefangenenlager in Ungarn sowie des Schicksals der Feindsoldaten in Transleithanien heranzuziehen wären, ist die Quellenlage in Ungarn selbst also eine durchaus schwierige.71 In den letzten Jahren sind aber auch wichtige Fortschritte erzielt worden: Mitglieder einer jüngeren Historiker- bzw. Historikerinnengeneration gründeten Initiativen zur Erforschung der Internierung während des Ersten Weltkrieges in Ungarn und arbeiten seither systematisch an dieser Thematik.72 So sind etwa das Schicksal der russischen Kriegsgefangenen in Ungarn sowie die Umstände ihrer Heimkehr vermehrt in den Fokus der Forschung geraten.73 Es bleibt demnach festzuhalfogolyügy. Vortrag von 10.5.1916, http://elsovh.hu/wp-content/uploads/2015/03/ Bartha-­J%C3%B3zsef-A-hadifogoly%C3%BCgy.pdf (abgerufen am 1.2.2021). 71 In den letzten Jahren wurde eine systematische Untersuchung der Aktenbestände des Kriegsgefangenenwesens sowohl im Militärhistorischen Archiv als auch im Nationalarchiv begonnen. Vgl. Zoltán Oszkár Szőts, Hungarian Sources Concerning the Prisoners of the First World War, in: Marge Berth (Hg.), 1914–1918, dokumenty o voennoplennych i repatriirovannych pervoy mirovoj vojny v archivach Evropy: 1914–1918, Records of Prisoners of War and Repatriated Persons of the First World War in the European Archives. International Committee of the Red Cross, Moskau 2018, 54 f. 72 László Somogyi, Mitarbeiter des Clio-Institutes, beschäftigt sich nach früheren kürzeren Publikationen über Gewalt gegen serbische Zivilinternierte im Lager in Vác bei Budapest seit 2019 intensiv mit den ungarischen Internierungslagern in der weiteren Umgebung von Budapest, https://www.clioinstitute.hu/copy-of-tanacskoeztarsasag-karpatal (abgerufen am 11.7.2021). Siehe auch auf dieser Homepage: László Somogyi, A tápiósülyi civil internálótábor olasz vonatkozásai (1915–1918), in: Clio Műhelytanulmányok 7(2019); László Somogyi, A háborús hátország rejtett színterei. Külföldi állampolgárok és a nemzetiségi „belső ellenség“ internálása az első világháborús PestPilis-Solt-Kiskun vármegyében, in: Clio Műhelytanulmányok 1 (2019). 73 Vgl. die Forschungen von Ákos Fóris, der sich mit den russischen Kriegsgefangenen in Ungarn ab Januar 1919 bis zur Ausrufung der Räterepublik sowie mit deren Heimkehr beschäftigte: Ákos Fóris, Orosz hadifoglyok Magyarországon 1919 januárjától a Tanácsköztársaság kikiáltásáig, in: József Juhász (Hg.), Kelet-európai sorsfordulók. Tanulmányok a 80 éves Palotás Emil tiszteletére, Budapest 2016, 224-232; Ákos Fóris, Az orosz hadifoglyok hazatérése Magyarországról az első világháború után, in: https://torte nelem.444.hu/2017/08/13/az-orosz-hadifoglyok-hazaterese-magyarorszagrol-az-elso-­ vilaghaboru-utan (abgerufen am 10.7.2021); Ákos Fóris, Orosz hadifoglyok Magyarországon 1918 végén, in: Márton Katkó/Tamás Krausz/Zsófia Mészáros (Hg.), Világháború, világforradalom, világbéke?, Budapest 2017, 57–72; Ákos Fóris, The Russian Prisoners of War in the Hungarian Soviet Republic, in: Tamás Krausz et al. (Hg.), The Centenary of the 1917 Russian Revolution(s): its Significance in World History. Materials of the International Conference at the Centre for Russian Studies in Budapest, May 15–16 2017, Budapest 2018, 290-297. Zu anderen Entente-Gefangenen in Ungarn sowie zu den Wachbataillionen der Kriegsgefangenenlager siehe die Ausführungen

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ten, dass rund um das Gedenken 1914/2014 das Los der Kriegsgefangenen in Ungarn während des Ersten Weltkrieges auf unterschiedlichen Ebenen zum Thema gemacht oder erinnert wurde. Im Vordergrund stand dabei eine Perspektive, die sich vor allem der Geschichte einzelner Lager zuwandte. Darüber hinaus zeigten sich ganz grundsätzlich die positiven Effekte einer Auseinandersetzung mit der Geschichte der Jahre 1914–1918, die auf unterschiedlichen Ebenen Fachhistorikerinnen bzw. Fachhistoriker ebenso ansprach wie jene, die sich mit lokalhistorischen Aspekten beschäftigen, oder aber auch eine breite Öffentlichkeit. Ebenso wie in anderen Ländern konnte auf diese Weise eine Vielzahl von Egodokumenten für die Forschung erschlossen werden. Als attraktiv erwiesen sich überdies vor allem über einschlägige Internetportale angebotene Informationen und Initiativen. Dennoch ist das Schicksal der Kriegsgefangenen in Transleithanien ein Randthema der ungarischen Geschichtsschreibung geblieben. Immer noch fehlt eine Synthese des deutschsprachigen und ungarischen Quellenmaterials. Eine umfassende und vor allem auch kritisch reflektierende Auseinandersetzung mit der Gefangenenthematik im ungarischen Reichsteil und damit ein Aufschließen der ungarischen Historiographie zur internationalen Kriegsgefangenenforschung des Ersten Weltkrieges stellt sich folgerichtig nach wie vor als Desiderat dar.

von Gábor Kiss: https://nagyhaboru.blog.hu/2020/04/16/m_kir_nepfelkelo_orzasz loaljak_az_i_vilaghaboru_idejen (abgerufen am 11.7.2021).

TSCHECHIEN

Dagmar Hájková / Martin Klečacký

Kriegsgefangenenlager in Böhmen bzw. auf dem Territorium des heutigen Tschechiens im Ersten Weltkrieg Geschichte und Gedenken

Einführung Obwohl die Historiographie sich bei verschiedenen Gelegenheiten mit Kriegsgefangenenlagern des Ersten Weltkrieges befasst hat, fehlt ein zusammenfassendes Werk zu den Lagern, die in Böhmen bzw. auf dem Territorium des heutigen Tschechiens errichtet wurden.1 Einige Studien zur Kriegsgefangenenproblematik beziehen sich zwar auf die betreffenden Lager, untersuchten sie aber in Anbetracht eines größeren Fokus auf das Thema nicht im Detail.2 Daneben gibt es einige Arbeiten zu einzelnen Lagern oder relevanten 1

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Die Bestände zur Gefangenenproblematik im Vojenský ústřední archiv – Vojenský historický archiv (VÚA-VHA) sind mehr oder weniger fragmentarisch und nur mit den Inventaren aus dem Ersten Weltkrieg erschließbar. Auch die Unterlagen in betreffenden Lokalarchiven zu den Lagern bzw. Kriegsgefangenenstationen Planá/Plan, Jindřichovice/Heinrichsgrün, Milovice/Milowitz, Wadowice/Frauenstadt, Broumov/ Braunau, Německé Jablonné/Deutschgabel, Josefov/Josefstadt, Liberec/Reichenberg und Terezín/Theresienstadt sind lückenhaft und nicht erschlossen. Im Regelfall sind nur Lagerlisten bzw. Registrierungskarten der Kriegsgefangenen vorhanden. Nicht erschlossen sind auch die Archivmaterialien zum Prager Militärkommando; jene zum Militärkommando Litoměřice/Leitmeritz sind inventarisiert, aber aufgrund des damaligen Ordnungssystems schwer zugänglich. Relevante Findbehelfe zum Národní archiv (NA) sind: Soupis dokumentů k vnitřnímu vývoji v českých zemích za 1. světové války, Bd. I 1914–1916, Bd. II 1917–1918, Praha 1997–1998; Souhrnná hlášení presidia pražského místodržitelství o protistátní, protirakouské a protiválečné činnosti v Čechách 1915–1918, hg. von Libuše Otáhalová, Praha 1957. Verena Moritz/Hannes Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung. Die russischen Kriegsgefangenen in Österreich (1914–1921), Bonn 2005; Jitka Zabloudilová, Češi v zajetí a zajatci v Čechách, in: Česká společnost a první světová válka, České Budějovice 1999, 9–21; Jana Zatková, Zabudnutí vojaci. Zajatci v oblasti Vojenského veliteľstva Bratislava 1914–1918, Bratislava 2013; Verena Moritz/Julia Walleczek-Fritz, Váleční zajatci v Rakousku-Uhersku v letech 1914–1918, in: Národopisná revue Strážnice 24/4 (2014), 281–292; Miriam Tůmová, Italští váleční zajatci v Rakousku-Uhersku za první světové války, in: Historický obzor. Časopis pro výuku dějepisu a popularizaci historie 24-1/2 (2013), 10–18; Miriam Tůmová, Italští váleční zajatci a zajatecké tábory Rakouska­ Uherska za první světové války, in: České, slovenské a československé dějiny 20. sto-

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Personen im Kontext der Gefangenenthematik3, die wiederum vor allem auf Materialien aus Regionalarchiven basierten.4 Anzuführen sind außerdem verschiedene universitäre Abschlussarbeiten5 sowie Artikel, die die lokalhistorische Bedeutung von Lagern ins Zentrum stellten.6 Seit den 1990er Jahren ist eine Zunahme von Gedenkveranstaltungen in Zusammenhang mit den Lagern des Ersten Weltkriegs festzustellen. Lagerfriedhöfe wurden restauriert, dienen als Austragungsorte solcher Veranstaltungen (z. B. in Milovice/Milowitz) und nehmen diesbezügliche Traditionen der Zwischenkriegszeit wieder auf. Verschiedene Behörden und lokale Organisationen sowie Privatpersonen haben Initiativen gesetzt, um die betreffenden Areale zu revitalisieren bzw. instand zu setzen. Das Verteidigungsministerium der Tschechischen Republik verzeichnet die vorhandenen Militärfriedhöfe7, und die Gesellschaft für Militärdenkmäler (Spolek pro vojenská pietní místa) katalogisiert entsprechende Kriegerdenkmäler.8 Letztere wurden – etwa in Planá/Plan und Jablonné/Deutschgabel – mit entsprechen-

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letí. 7/2012, Ústí nad Orlicí, 23–32; Petr Beran, Zajatecké tábory v západních Čechách v době 1. světové války. Sag wo die Soldaten sind, wo sind sie geblieben, in: Minulostí Západočeského kraje 49 (2014), 126–156; Romana Beranová Vaicová/Vladimír Bružeňák/Tomáš Kárník/Josef Macke/Jaroslav Vyčichlo, Stopy Velké války. Pomníky 1. světové války a zajatecké tábory na území dnešního Karlovarského kraje, Sokolov 2018; Michal Schuster, Ruští váleční zajatci v Borotíně (okr. Blansko) v letech 1917–1918, in: Sborník Muzea Blanenska, Blansko 2018, 42–56. Elvira Cassetti Pasini, Hrdost, povinnost a odvaha. Kapitán italských alpinistů Giu­ seppe Reburghi a Hořovice, in: Minulostí Berounska. Sborník Státního okresního archivu v Berouně 10 (2007), 229–266; Romana Beranová/Vladimír Bružeňák, Ozvěny Velké války. Zajatecký tábor Jindřichovice 1915–1918, Sokolov 2012; Emanuel Eugen Lauseger, Terezínští katané. Odyssea legionářova, Praha 1921; J. K. Slavenský, Ze spárů dvouhlavého orla. Příběhy prožité legionářem-starodružiníkem v rakouském válečném zajetí a na útěku do Švýcar r. 1915–1916. Paměti jednoho z nejmenších, Praha 1925. Státní okresní archiv (SOkA) Cheb, SOkA Tachov; Státní oblastní archiv Plzeň, Zweigstelle Klášter u Nepomuka; SOkA Sokolov, SOkA Liberec. Miriam Tůmová, Každodennost v zajateckých táborech Rakouska-Uherska za 1. světové války a jejich obraz v deníku Alessandra Pennasilica, Diplomarbeit Prag 2010; Pavlína Kučerová, Zajatecký tábor v Podhradě u Chebu 1915–1918, Bachelorarbeit Liberec 2013; Adéla Rošková, Obec Martínkovice a kostel sv. Jiří a sv. Martina, Bachelorarbeit Brno 2012. Jiří Korel, V Jindřichovicích byl zajatecký tábor, in: Sokolovský deník 18, č. 155 (4.7.2009), 3; Petr Cirkl, 1. tajemník velvyslance Ruské federace v Praze navštívil vojenský hřbitov v Martínkovicích, in: Broumovské noviny. Zpravodaj města Broumova 11 (2011), 21. Siehe: https://www.valecnehroby.army.cz/valecne-hroby-v-cr (abgerufen am 13.6. 2021). Siehe: https://www.vets.cz/ (abgerufen am 13.6.2021).

Kriegsgefangenenlager in Böhmen

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den Informationen über die Lagergeschichte ausgestattet und werden auch als touristische Destinationen ausgewiesen. Diese Entwicklung widerspiegelt das gestiegene Interesse an der Geschichte des Ersten Weltkrieges sowie an der Kriegsgefangenenproblematik. Vorliegender Text will sich in Form eines Überblickes auf die Lager konzentrieren, die ab 1914 in Böhmen bzw. auf dem Territorium des heutigen Tschechiens errichtet wurden. Thematisiert wird dabei auch die Art und Weise, wie mit dem „Erbe“ dieser Zeit heute umgegangen wird. Die ersten Kriegsgefangenenlager in Böhmen entstanden schon 1914. Zunächst wurden bestehende Gebäude für die Unterbringung der Feindsoldaten genutzt. Zu nennen sind hier Kasernengebäude in Terezín/Theresienstadt oder Josefov/Josefstadt. Mit steigenden Gefangenenzahlen und angesichts einer längeren Dauer des Konfliktes wurde aber die Errichtung neuer Lager notwendig. Sie entstanden zum Beispiel in Broumov/Braunau sowie Jindřichovice/Heinrichsgrün. Die Lager wurden nach dem sogenannten „Seuchenwinter“ 1914/15, der die Mängel der bisherigen Lagerarchitektur sowie der Infrastruktur und damit wichtige Ursachen für die Verbreitung der Epidemien unter den Gefangenen offengelegt hatte, durchdachter und professioneller gebaut. Für gewöhnlich bestanden die Lager aus Holzbaracken sowohl für die Gefangenen als auch das Lagerpersonal. Als geeignet für die Errichtung der Lager galten Orte bzw. Örtlichkeiten mit guter Anbindung an die Infrastruktur, d. h. an Wasserversorgung sowie Transportsysteme. Die Gefangenen gelangten im Regelfall mit der Eisenbahn in die Lager, und auch die Versorgung mit Lebensmitteln oder aber Heizmaterial konnte nur durch eine vorhandene Anbindung an das Eisenbahnnetz gewährleistet werden. Infrage kamen dabei vor allem jene Gebiete mit hauptsächlich deutscher Bevölkerung. Allerdings wiesen diese zum Teil unwirtliche klimatische Bedingungen auf, die sich in der Folge auch negativ auf die Gesundheit der Kriegsgefangenen auswirkten.9 Von Beginn des Krieges an wurde die slawische Bevölkerung verdächtigt, mit den gefangenen Serben und Russen zu sympathisieren. Das galt auch für slawische Armeeangehörige. Oberst Antonín Schmidt zum Beispiel, Lagerkommandant in Terezín, wurde seines Postens aufgrund eines angeblich übermäßigen Entgegenkommens gegenüber russischen Gefangenen enthoben, weil er offenbar russische Offiziere zum Tee eingeladen hatte. Und auch der Lagerkommandant von Milovice wurde verdächtigt, sich gegenüber 9

Nr. 4761 Präs./1916, Bericht über eine Inspektion der Kriegsgefangenenlager in Litoměřice/Leitmeritz, 7.6.1916. Vojenský ústřední archiv – Vojenský historický archiv (VÚA-VHA), 9. sborové velitelství (1883–1919).

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Kriegsgefangenen ungebührlich benommen zu haben.10 Aufgrund einer antizipierten Illoyalität slawischer Soldaten wurden diese nicht mit der Beaufsichtigung der Kriegsgefangenen betraut.11 Während die Hauptverantwortung für die Kriegsgefangenen beim k. u. k. Kriegsministerium bzw. dessen 10. Abteilung (10. Kriegsgefangenenabteilung) lag, waren die Lager formal den jeweiligen Militärkommandos untergeordnet. So war etwa das Militärkommando Prag zuständig für Planá/ Plan, Jindřichovice/Heinrichsgrün sowie Cheb/Eger, das Militärkommando Lito­měřice/Leitmeritz für Broumov/Braunau, Terezín/Theresienstadt, Most/ Brüx, Německé Jablonné/Deutsch-Gabel/Deutschgabel, Liberec/Reichenberg, Josefov/Josefstadt und Milovice/Milowitz. Im Juni 1915 wurde überdies aus der Erfahrung der erwähnten schweren Missstände, die sich 1914/15 aufgetan hatten, die Funktion eines Inspizierenden Offiziers für die Kriegsgefangenenlager in den jeweiligen Militärkommandobereichen geschaffen.12 Johann Linhart zum Beispiel war für die Lager im Militärkommandogebiet Prag zuständig13, Felix Andrian für Litoměřice.14 Lagerkommandanten waren in der Regel bereits pensionierte Offiziere, die kriegsbedingt wieder reaktiviert wurden. Einige stiegen während ihrer Dienstzeit zum General auf oder wurden sogar in den Adelsstand erhoben (z. B. die Offiziere Smieth oder Klose). Die interne Struktur der neu errichteten Lager war überall in der Monarchie mehr oder weniger gleich. Neben Lagerkommandanten und Verwaltungs- sowie Wachpersonal verfügte jedes Lager auch über einen eigenen Arzt. Die Lebensmittelversorgung oder die Bereitstellung von Medikamenten oder Kohle sowie anderen Gütern gestaltete sich mit fortschreitender Kriegsdauer immer schwieriger. Trotz baulicher Maßnahmen zur Verbesserung der hygienischen Bedingungen kam es auch nach dem „Seuchenwinter“ 1914/15 in einigen Lagern immer wieder zur Ausbreitung epidemischer Krankheiten. Aufgrund des Zuschubes großer Gefangenenkontingente infolge militäri10 Ebd., Signatur (Sig.) 90-2/11-2, Nr. 7625 Präs./1915; Sig. 90-3/5-6, Nr. 3841 Präs./1915. 11 Ebd., Nr.  4062 Präs./1916. Der Kommandant des Lagers in  Německé Jablonné/ Deutsch­gabel beschwerte sich, dass von den 14 Wachleuten 12 Tschechen waren. Einer von ihnen war František Modráček, Journalist und Sozialdemokrat. Alle tschechischen Wachsoldaten wurden abgezogen. 12 Ebd., Sig. 90-5/28, Nr. 3979 Präs./1915, Abschrift des Erlasses Nr. 43.672 Res./1915 Abt. 10. Darin enthalten sind Richtlinien für die Ausübung der Funktion des Inspek­ tionsoffiziers. 13 Johann Linhart wurde 1912 pensioniert und 1915 reaktiviert. Er erreichte den Rang eines Feldmarschallleutnants und wurde 1919 pensioniert. Linhart wirkte auch als Inspizierender im Militärkommandobereich Wien. 14 Felix Andrian stieg 1917 zum Feldmarschallleutnant auf, 1918 wurde er pensioniert.

Kriegsgefangenenlager in Böhmen

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scher Erfolge der k. u. k. Armee konnten die betreffenden Lager zumindest kurzfristig an den Rand vorhandener Platzkapazitäten gelangen – ein Umstand, der die Verbreitung von Seuchen begünstigte. Auch in den Wintermonaten nahm die sogenannte „Belagszahl“ zu. Viele Kriegsgefangene starben außerdem, weil sie für körperlich anstrengende Arbeiten herangezogen wurden. Tuberkulose gehörte zu den häufigsten Todesursachen.15 Von kulturellen Angeboten in den Lagern wie Musikkapellen, Lagertheater oder Bibliotheken profitierten schließlich nur mehr wenige. Zurück blieben meist nur die Kranken und körperlich Geschwächten sowie jene, die in den Lagerbetrieben arbeiteten. Russische Kriegsgefangene waren im Übrigen bekannt für ihre Geschicklichkeit beim Anfertigen von diversen Holzgegenständen.16 Die folgende Tabelle listet die Anzahl der Kriegsgefangenen im Militärkommandobereich Litoměřice/Leitmeritz für das Jahr 1915 auf. Für Prag gibt es leider keine vergleichbaren Daten. Tabelle 1: Kommandanten der Kriegsgefangenenlager in Böhmen. Lager

Kommandanten

Broumov/Braunau

Generalmajor Josef Mayrhofer v. Grünbühel

Cheb/Eger

Reaktivierter Generalmajor Anton Smieth Edler von Hocharnegg (1915–1916)

Jindřichovice/Heinrichsgrün

Reaktivierter Oberst Franz Latzer (1915–?)

Liberec/Reichenberg

Oberst Friedrich Erben (1916–1918)

Milovice/Milowitz

Reaktivierter Oberst Adolf Halbaerth (1914–?)

Most/Brüx

Oberst Richard Langer

Německé Jablonné/ Deutsch­gabel

Reaktivierter Oberst Gustav v. Kirchstätter

Planá/Plan

Generalmajor Franz Otahal Edler von Ottenhorst (1915) Oberst Konrad Klose von Waldreut (1915–?)

Terezín/Theresienstadt

Reaktivierter Oberst Antonín Schmidt (1914–1915)

Quelle: VÚA-VHA, 9 sborové velitelství.

15 Sig. 90-7/27-3, Nr. 2221/XXV Präs./1915. VÚA-VHA, 9 sborové velitelství. Enthalten ist eine Liste mit Gefangenen, die für Arbeiten außerhalb des Lagers bestimmt wurden. Die Zuteilung der Gefangenen zu bestimmten Arbeitgebern erfolgte über Weisung der Bezirkshauptmannschaften. Zumindest zu Beginn des Krieges wurde aufgrund angeblicher „politischer Unzuverlässigkeit“ slawischen Betrieben die Inanspruchnahme kriegsgefangener Arbeiter vorenthalten. 16 Zabloudilová, Češi v zajetí, 14 f.

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Russen17

Serben

Italiener

Offiziere

Offiziere

Soldaten

Offiziere

Německé Jablonné/ Deutsch­gabel

IX/191518

9769

112

0

0

0

0

5.97319

XII/ 191520

9434

111

0

0

0

0

7.545

Josefov/­ Josefstadt

IX/1915

40.030

131

0

0

0

0

28.154

XII/1915

40.636

123

0

0

0

0

31.701

Milovice/­ Milowitz

IX/1915

35.347

0

0

0

0

0

23.402

XII/1915

31.850

0

0

0

0

0

25.163

Liberec/­ Reichenberg

IX/1915

51.186

158

0

0

0

0

41.251

XII/1915

48.947

169

0

0

0

0

44.329

Terezín/Theresienstadt

IX/1915

35.382

527

0

0

0

0

20.512

XII/1915

36.940

510

0

0

387

0

28.482

Most/Brüx Broumov/ Braunau

Soldaten

Soldaten

Lager

Außerhalb der Lager auf Arbeit

Tabelle 2: Anzahl der Kriegsgefangenen in den Lagern des Militärkommandobereichs Litoměřice/Leitmeritz im Jahr 1915.

IX/1915

43.060

0

0

0

0

0

31.040

XII/1915

38.898

221

0

0

0

0

31.885

IX/1915

428

0

0

0

0

0

0

XII/1915

1135

100

1.489

0

0

0

0

Quelle: Sig. 90-7/27-3, Nr. 2221/XVII Präs./1915. VÚA-VHA, 9. sborové velitelství; Sig. 90-18/5, Nr. 5354/XIV Präs./1915. VÚA-VHA, 9. sborové velitelství.

Die Kriegsgefangenenlager in allen kriegführenden Staaten zogen die Aufmerksamkeit verschiedener Hilfsgesellschaften, aber auch von Vertretern aus den Herkunftsländern der Gefangenen auf sich. Im August 1916 inspizierte beispielsweise eine „Dänisch-Russische Mission“ verschiedene Lager im öster­reichischen Reichsteil der k. u. k. Monarchie. Begleitet wurde die Mission

17 In den betreffenden Statistiken der Behörden wurden alle Nationalitäten des Zarenreiches für gewöhnlich unter „Russen“ geführt. 18 Sig. 90-7/27-3, Nr. 2221/XVII Präs./1915. VÚA-VHA, 9. sborové velitelství. 19 Inkludiert in diese Zahl sind 25 gefangene Franzosen. 20 Sig. 90-18/5, Nr. 5354/XIV Präs./1915. VÚA-VHA, 9. sborové velitelství.

Kriegsgefangenenlager in Böhmen

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von einem k. u. k. Offizier, der Berichte über die „Visitationen“ an seine Vorgesetzten weitergab. Das Besichtigungsprogramm wurde penibel vorbereitet, die Missionsmitglieder bekamen in der Regel nur zu sehen, was sie sehen sollten. Die errichteten „Potemkinschen Dörfer“ konnten allerdings nicht verhindern, dass Gefangene verschiedene Beschwerden – vor allem über mangelnde Verköstigung, fehlende Möglichkeiten für die Körperpflege oder aber über eine unzulässige Heranziehung zu Arbeiten in Rüstungsbetrieben – vorbrachten. Die Namen jener Gefangenen, die derartige Angaben machten, wurden von den k. u. k. Offizieren bezeichnenderweise in ihren Berichten vermerkt.21

Kurze Lagergeschichten22 Broumov (Braunau in Böhmen)23 wurde in der ersten Jahreshälfte 1915 errichtet. Es verfügte über eine eigene Abteilung für kriegsgefangene Offiziere. Das Lager befand sich in der Nähe des Ortes Martínkovice und lag auf einem Areal, das dem dortigen Kloster gehörte. Es bestand aus über 300 Holzbaracken, die ab Juli 1915 bezogen wurden. Bis zu 30.000 Kriegsgefangene waren hier untergebracht. Der tschechische Schriftsteller Jaromír John war ab 1916 als Verwaltungsoffizier im Lager tätig. Noch im Juni 1918 trafen neue Gefangenenkontingente in Broumov ein. Das Lager verfügte über eine Bäckerei, eine Küche, eine Tischlerwerkstatt, eine Schmiede, eine Schuhmacherwerkstatt, eine Schneiderei, Wäschereien, einen Veranstaltungsraum für Theater- und Musikaufführungen, eine kleine Schule, Räumlichkeiten für die medizinische Versorgung sowie für die Durchführung von Autopsien Verstorbener. Eingerichtet wurde außerdem ein Betraum, der von allen im Lager vertretenen Konfessionen genützt werden konnte. In Broumov untergebracht waren außerdem Waisen aus Serbien 21 Nr. 6682 Präs./1916; Nr. 6843 Präs./1916. VÚA-VHA, 9. sborové velitelství. 22 Nr. 6412 Präs./1916, Überblick über die Kriegsgefangenenlager Österreich-Ungarns. VÚA-VHA, 9. sborové velitelství. 23 Vgl. VÚA-VHA, Zajatecký tábor Broumov. Enthält zwei Kartons mit Monatsberichten aus 1917; Befehlen für 1916 und 1918, Registerbänden für 1915–1918; vgl. auch Jan Meier, Zajatecký tábor v Martínkovicích. Smutné a krásné místo, in: Broumovsko 7/1 (1993), 2; Rošková, Obec Martínkovice a kostel sv. Jiří a sv. Martina, 15–18; Petr Bergmann, Lager Broumov/Braunau, 1915–1918. Publikace k výročí 100 let od konce I. světové války, věnovaná památce zajatců zadržovaných v letech 1915–1918 v zajateckém táboře rakousko-uherské armády mezi Broumovem a Martínkovicemi, [Meziměstí] 2018; Ondřej Vašata, Zajatecký tábor v Broumově na sklonku roku 1918, in: Stopami dějin Náchodska. Sborník Státního okresního archivu Náchod 6 (2018), 341–362.

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sowie Jugendliche, die innerhalb von Partisaneneinheiten gegen die k. u. k. Armee gekämpft hatten. Im Dezember 1916 waren über 800 Kinder und Jugendliche zwischen neun und 19 Jahren im Lager interniert.24 Das Lager verfügte über ein gut funktionierendes Abwassersystem und wurde über eine von den Gefangenen gebaute Leitung mit Wasser aus dem Gebirge der Broumovské stěny versorgt. Ungeachtet dessen kam es 1916 zu einem folgenschweren Ausbruch einer Flecktyphusepidemie. Vorhandenen Statistiken zufolge starben 1511 Personen, weitere 6454 erkrankten. Am Lagerfriedhof wurden 2599 Serben begraben, 133 Russen sowie einige Polen, Rumänen sowie Wachleute. Im Jahr 1917 fertigten die Kriegsgefangenen nach den Plänen eines gefangenen russischen Ingenieurs ein kleines Denkmal mit einer Inschrift an, die auf die begrabenen Serben und Russen hinwies. Nach dem Krieg wurde der Lagerfriedhof restauriert. 1927 wurden die sterblichen Überreste der serbischen Gefangenen exhumiert und nach Jindřichovice/Heinrichsgrün überführt, wo ein zentraler Friedhof für die serbischen Kriegsgefangenen errichtet wurde. Die Gebeine der russischen Gefangenen brachte man nach Milovice. Das Friedhofsdenkmal in Broumov ist noch vorhanden, aber schwer zugänglich. Gedenkveranstaltungen finden auf Initiative lokaler Behörden, des tschechischen Kulturministeriums und der Botschaften Serbiens und Russlands statt. Das Lager von Cheb (Eger)25 wurde 1915 errichtet. Auch hier gab es die zuvor bereits beschriebene Infrastruktur. Neben dem Lager befand sich außerdem ein Spital mit einer Quarantänestation. Im März 1915 trafen die ersten Gefangenen in Cheb ein. Es handelte sich um kriegsgefangene Russen, die nach ihrer Ankunft verschiedene Arbeiten zu verrichten hatten, um das Lager fertigzustellen. Die meisten Feindsoldaten aus dem Zarenreich, die man nach Cheb brachte, waren Muslime.26 Für sie wurde schließlich auch eine Moschee mit Platz für 1600 Gläubige errichtet. 1916/17 hielten sich bereits 18.000 Gefangene im Lager auf – unter ihnen nun auch Italiener und Serben.27 24 Die Serbenschule in Braunau, in: Prager Tagblatt, 6.12.1916, 4 f. 25 Kučerová, Zajatecký tábor v Podhradě u Chebu; Beran, Zajatecké tábory v západních Čechách, 126–156. Vgl. auch die Bestände im Staatlichen Bezirksarchiv Cheb: SOkA Cheb, Okresní úřad Cheb, Kronika událostí Chebu a Chebska, Archiv města Cheb. Verschiedene Exponate betreffend das Lager sind im Museum Cheb ausgestellt. Eine Broschüre dazu ist vorhanden: Ruský zajatecký tábor u Chebu – materiály, Cheb 1995. 26 Eine gesonderte Unterbringung von muslimischen Kriegsgefangenen erfolgte in den Lagern Plan und Eger. Über die Propagandaarbeit unter diesen und anderen Kriegsgefangenen des Zarenreiches in Österreich-Ungarn siehe Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 128–141. 27 1915 fanden mit Zustimmung des k. u. k. Kriegsministeriums anthropologische Forschungen statt. In Cheb/Eger and Liberec/Reichenberg wurden mehr als 1000 Kriegsgefangene in diese Forschungen einbezogen bzw. anthropologisch untersucht.

Kriegsgefangenenlager in Böhmen

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1915 wurde ein Friedhof neben dem Lager angelegt. Zwei Jahre später errichtete man hier zwei Denkmäler, die vom Bildhauer Karel Wilfert dem Jüngeren stammten und Islam und Orthodoxie symbolisierten. Die Gefangenen selbst sorgten mit Sammelaktionen für die Finanzierung der Monumente. Nach 1918 wurde die Lageranlage verwüstet, nur der Friedhof blieb übrig. Nach 1945 kümmerte sich niemand mehr um ihn. Heute aber ist er restauriert und öffentlich zugänglich.28 Jindřichovice (Heinrichsgrün)29 war ein Lager für Soldaten und Offiziere, das 1915 im Süden des Dorfes Jindřichovice, in der Nähe der Fabriken von Rotava/Rothau und Sokolov (Falknov/Falkenau) errichtet wurde. 1916 bestand das Lager aus 100 Holzbaracken, außerdem waren auch Sanitätsgebäude vorhanden. Das Lager war außerdem mittels einer eigenen Bahnkonstruktion verbunden mit der Station in Rotava/Rothau, von wo aus Vorräte herangeschafft wurden. Insgesamt hatte das Lager eine Belagskapazität von bis zu 30.000 Gefangenen. Die große Anzahl von dort untergebrachten Feindsoldaten erwies sich als Bürde für die umliegenden Gemeinden. Jindřichovice/Heinrichsgrün selbst hatte vor dem Krieg nur 2000 Einwohner. Die Mehrzahl der Gefangenen stellten Russen und Serben. Sie wurden für beschwerliche Arbeiten in den Stahlwerken von Rotava/Rothau herangezogen. Auch am Bau der Chemiefabrik in Sokolov/Falkenau oder der Eisenbahnbrücke über den Fluss Dazu siehe: Kučerová, Zajatecký tábor v Podhradě u Chebu, 39–42. Vgl. auch Rudolf Pöch, I. Bericht über die von der Wiener Anthropologischen Gesellschaft in den k. u. k. Kriegsgefangenenlagern veranlaßten Studien. Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien 45 (1915), 219–235; II. Bericht über die von der Wiener Anthropologischen Gesellschaft in den k. u. k. Kriegsgefangenenlagern veranlaßten Studien. Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien 46 (1916), 107–131; III. Bericht über die von der Wiener Anthropologischen Gesellschaft in den k. u. k. Kriegsgefangenenlagern veranlaßten Studien. Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien 47 (1917), 77–100; IV. Bericht über die von der Wiener Anthropologischen Gesellschaft in den k. u. k. Kriegsgefangenenlagern veranlaßten Studien. Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien 48 (1918), 146–161. 28 Siehe: http://www.vets.cz/vpm/mista/obec/395-cheb/Chatov%C3%A1/ (abgerufen am 1.2.2021). 29 Beran, Zajatecké tábory v západních Čechách, 126–156. Beran stützt sich bei seinen Beschreibungen über den Alltag im Lager u. a. auf Materialien des SOkA Sokolov (Okresní úřad Sokolov); vgl. auch Beranová/Bružeňák, Ozvěny velké války. Hier enthalten sind einige Fotografien, die aus dem Nachlass des Historikers Václav Němec stammen. http://sokolovsky.denik.cz/z-regionu/obri-zajatecky-tabor-pripomina-­ unikatni-mauzoleum-20140629.html; http://www.ceskenarodnilisty.cz/clanky/zaja tecky-­tabor-jindrichovice.html (abgerufen am 15.7.2021); Jiří Klůc, Zajatecký tábor Jindřichovice 1915–1918, in: Léta do pole okovaná 1914–1918. Bd. II., 1915, Praha 2017, 240–244.

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Ohře/Eger waren sie beteiligt. Viele litten Hunger und starben an Erschöpfung. Sie wurden in einem Waldfriedhof bzw. in Massengräbern bestattet. Im Sommer 1918 begannen die Russen das Lager zu verlassen. Nach der Proklamation der Tschechoslowakei verließen die Wachmannschaften das Lager, und es wurde von der lokalen Bevölkerung geplündert. Den ehemaligen Wasserspeicher des Lagers funktionierte man 1925 zu einem Mausoleum um, wohin die Überreste der verstorbenen Gefangenen verbracht wurden. Exhumierungen fanden zwischen 1926 und 1932 statt. Die Überreste von 7100 serbischen and 189 russischen Kriegsgefangenen aus Jindřichovice/Heinrichsgrün, Cheb/Eger und Planá/Plan sind hier bestattet. Im Juli 1932 wurde das Mausoleum in einer Zeremonie unter Anwesenheit von T. G. Masaryk und dem jugoslawischen König Alexander eingeweiht.30 1995 wurde das Mausoleum renoviert. Die Finanzierung stellten das tschechische und das slowakische Kulturministerium, das Kulturministerium Serbiens und einige serbische Geschäftsleute sicher. 2013 erfolgten neuerliche Instandsetzungsarbeiten, diesmal finanziert vom russischen Konsulat in Karlovy Vary/Karlsbad. Es wurden 468.000 Kronen aufgewendet.31 Planá bei Mariánské Lázně (Plan)32 wurde Anfang 1915 errichtet. Ursprünglich sollte es etwa 15.000 Gefangene aufnehmen können. Bald musste es allerdings erweitert werden, um weitere 5000 aufzunehmen. Auf dem Lagerareal befanden sich 400 Gebäude. Begrenzt war es von vier Wachtürmen. Neben der üblichen Lagerinfrastruktur verfügte es auch über eine Entlausungsstation und über eine damals moderne, mit Dampf betriebene Wäscherei. Im März 1915 trafen die ersten Gefangenen hier ein, im Mai zählte man bereits 4000. Ab 1917 kamen zu den russischen auch rumänische Gefangene hinzu. Nach dem Frieden mit Sowjet-Russland begann sich das Lager zu lee-

30 Nach der Besetzung des Sudetenlandes 1938 wurden 89 Behälter mit Überresten serbischer Kriegsgefangener von verschiedenen Grabstätten in den Niederlanden ebenfalls in das Mausoleum verbracht. Die Zahl der dort begrabenen Opfer stieg auf 7378 an. Es handelt sich um die größte Begräbnisstätte von Kriegsopfern des Ersten Weltkrieges in Tschechien. 31 http://www.evidencevh.army.cz/Evidence/vysledky-hledani-v-cr?mt=Jind%C5% 99ichovice&st=0 (abgerufen am 15.7.2021); Isidor Džuković, Mausoleum srbských zajatců a internovaných z první světové války Jindřichovice, okres Sokolov, Česká republika, Praha 1996; http://sokolovsky.denik.cz/z-regionu/obri-zajatecky-taborpripomina-­unikatni-mauzoleum-20140629.html (abgerufen am 15.7.2021). 32 Beran, Zajatecké tábory v západních Čechách, 126–156; Richard Švandrlík, Zaniklý zajatecký tábor u Plané (1915–1918), in: Hamelika 5 (26.8.1985); Richard Švandrlík, Zmizelé město u Plané, in: Kulturní přehled Mariánské Lázně 5 (1994), http://hamelika. wz.cz/h01-09.htm (abgerufen am 5.5.2021); VÚA-VHA, Zajatecký tábor Planá. Darin enthalten sind zehn Kartons vorwiegend mit Registrierungskarten der Gefangenen.

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ren und nahm vor allem italienische Gefangene auf. Bei Kriegsende wurde das Lager geplündert, die damit einhergehenden Unruhen wurden von der tschechoslowakischen Armee im Dezember 1918 niedergeschlagen. Auf dem Friedhof von Plan wurden 290 Gefangene verschiedener Nationalitäten beerdigt. Da russische Gefangene für die Errichtung eines Monuments gesorgt hatten, galt er als russischer Friedhof. 1934 erfolgte eine Renovierung. Nach dem Zweiten Weltkrieg verfiel der Friedhof und kam im Jahr 2000 in die Obhut der Historischen Bergbaugesellschaft.33 Německé Jablonné (heute Jablonné v Podještědí; Deutschgabel)34 war ein Gefangenenlager, in dem Soldaten und Offiziere aus Russland, Frankreich und Großbritannien untergebracht waren. Errichtet wurde es bereits ab Oktober/ November 1914. 4000 Gefangene sollten hier Platz finden. Im Juni 1915 waren es allerdings bereits fast 12.000. Das Lager bestand aus sieben Gebäuden für Soldaten und zwei für Offiziere sowie mehreren Waschräumen, Küchenanlagen, Wäschereien und anderen Einrichtungen. Im Ort errichtet wurde außerdem ein Spital für k. u. k. Soldaten. Mit Kriegsende wurde das Lager aufgelassen, aber 1919 vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um die Festlegung der Grenzen der Tschechoslowakei wieder reaktiviert. Es diente der Unterbringung von Soldaten aus der Ukraine. Sie waren bis 1921 hier interniert. Danach wurde das Lager abgetragen. Kein einziges Objekt ist mehr vorhanden. Auf dem orthodoxen Lagerfriedhof sind mehr als 100 Russen, Polen und Rumänen begraben. Auch Verstorbene, die anderen Nationalitäten angehörten, sollen hier ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Diesbezügliche Angaben variieren. 1921 wurde ein Denkmal für die ukrainischen Gefangenen errichtet. Der eingemeißelte Text bezieht sich auf Verse des Dichters Taras Šev­čenko.35 Das Denkmal geht auf jene Ukrainer zurück, die 1921 das Lager verließen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Friedhof dem Verfall preisgegeben. Erst 2008 wurde er renoviert und ist heute ein „nationales Denkmal“.36

33 http://www.vets.cz/vpm/mista/obec/1831-plana/nezarazeno/ (abgerufen am 15.7. 2021). 34 Jana Blažková a kol., Jablonné v Podještědí: Pohledy do minulosti, Česká Lípa 1998, 99; VÚA–VHA, Zajatecký tábor Německé Jablonné. Vorhanden ist ein Registerbuch, Nr. 1903. 35 https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/10/Vojensk%C3%BD_h% C5% 99bitov_%28Lada_v_Podje%C5%A1t%C4%9Bd%C3%AD%29_01.jpg (abgerufen am 20.9.2021). 36 http://pamatkovykatalog.cz?element=1266591&action=element&presenter=Elements Results (abgerufen am 15.7.2021).

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Das Lager in Josefov (Josefstadt)37 entstand ab Oktober 1914. An die 100 Holzbaracken wurden auf den Truppenübungsplätzen in Nový Ples und Starý Ples errichtet. Verschiedene Werkstätten gehörten zum Lager dazu. In diesen wurden beispielsweise Fässer sowie Körbe gefertigt. In der Nähe des Lagers gab es ein Spital. Eine russisch-orthodoxe Kirche, ein Theater sowie eine Kapelle für den Gottesdienst verschiedener Konfessionen waren ebenfalls vorhanden; außerdem ein großer Sportplatz. Im März 1915 hinzu kamen große Lagerbäckereien. Entlang der Elbe standen 35 Bäder für die Körperpflege der gefangenen Feindsoldaten zur Verfügung. Von den 42.000 Kriegsgefangenen waren die meisten Russen. Bei ihrer Ankunft mussten die Gefangenen für acht Tage in Quarantäne. Erst danach konnte der Transport zu anderen Destinationen erfolgen. Neuankömmlinge sorgten jedenfalls immer wieder für das Aufflammen von Seuchen, wie etwa der Cholera. Zwischen 1915 und 1916 waren sowohl das Lager als auch der Ort Josefov von dieser Seuche betroffen. Nach dem Krieg diente das Lager als Sammelpunkt für griechische Gefangene, die aus Deutschland nach Böhmen gekommen waren. Hier warteten sie auf ihre Repatriierung. Auch Russen blieben in Josefov, um ihren Heimtransport abzuwarten. Ungarische Gefangene kamen im Februar 1919 hinzu. 1916 wurde von den russischen Gefangenen ein zehn Meter hohes Monument konstruiert, das auf dem Lagerfriedhof errichtet wurde. Hauptverantwortlich hierfür war der Bildhauer Nikolaj Alexandrovič Suškin. 1352 Russen, 466 Italiener und 111 Serben fanden hier ihre letzte Ruhestätte. Im Jahr 2000 wurde eine Gedenktafel für die verstorbenen italienischen Kriegsgefangenen enthüllt, ein Denkmal für die französischen Kriegsgefangenen wurde 2004 eingeweiht. 2012 spendete die russische Botschaft zwei Millionen Kronen für die Renovierung des Friedhofes. Diese erfolgte jedoch in einer Art und Weise, die zu der Zerstörung noch vorhandener Begräbnisstätten führte. Ersetzt wurden sie durch willkürlich gesetzte neue Grabsteine.

37 Antonín Hofmeistr, Josefov za světové války 1914–1918, Josefov 1938; Karel Kracík, Ze života zajatých Rusů u nás. Příběhy z josefovských zajateckých táborů 1914–1918 (Iz žizni plennych russkich u nas. Istorii iz žizni lagerej vojenoplennych v Jozefove 1914– 1918. Sbornik očerkov), hg. von Natallia Sudliankova, Praha 2006; Vojenský hřbitov čekají opravy. Zaplatí je ruské velvyslanectví, in: Náchodský deník (21.4.2012), http:// nachodsky.denik.cz/zpravy_region/vojensky-hrbitov-cekaji-opravy-zaplati-­je-ruskevelvyslanectvi-20120421.html (abgerufen am 15.7.2021); Vladimír Pomortzeff, Zapomenutá bolest, in: Lidé a země (9.12.1914), http://lideazeme.reflex.cz/clanek/zapome nuta-bolest (abgerufen am 7.5.2021); VÚA-VHA, Zajatecký tábor Německé Jablonné. Vorhanden sind acht Kartons mit internen Lagervorschriften und Befehlen sowie Registerbücher.

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Das Kriegsgefangenenlager Liberec (Reichenberg)38 wurde in Liberec-­Rů­ žodol errichtet. Heute befindet sich dort ein Flughafen. Bereits im November 1914 trafen die ersten Kriegsgefangenen ein. Bis Mitte Januar 1915 befanden sich hier bereits 24.000 Gefangene. Die meisten waren Russen. Nach dem Kriegseintritt Italiens kamen auch italienische Gefangene ins Lager. Erst im Februar 1915 war das Lager mit einer Wasserleitung ausgestattet worden. Ursprünglich bestand es aus sechs großen Blöcken mit mehreren Einzelgebäuden. Anfang 1915 kamen mehr als 100 Holzbaracken hinzu. Schließlich konnte es bis zu 55.000 Feindsoldaten aufnehmen, und es verfügte über eine eigene Abteilung für kriegsgefangene Offiziere. Das Lager von Liberec verfügte über eine umfassende Infrastruktur, und es wurde sogar eigenes Lagergeld ausgegeben. In verschiedenen Werkstätten reparierten Gefangene Schuhe und flickten Kleidung, die von gefallenen Soldaten stammten. Von der Bahnstation Ostašov führte eine eigene, mehr als vier Kilometer lange Schmalspurbahn ins Lager. Die deutschsprachige „Reichenberger K.[riegs] G[efangenen]. Lager Zeitung“ erschien einmal pro Monat.39 Sie enthielt Informationen über das Lager, Gedichte, Zeichnungen sowie verschiedene lagerrelevante Berichte. Im Oktober 1918 übernahm die sogenannte „Volkswehr“ die Bewachung der noch verbliebenen russischen Gefangenen. Da die Wache nur 30–40 Mann zählte, war es nicht möglich, die lokale Bevölkerung von Plünderungen abzuhalten. Im Dezember 1918 übernahm dann die tschechoslowakische Armee die Kontrolle bis etwa Mitte 1919, als die letzten russischen Gefangenen das Lager verließen. Der Großteil der Männer, die sich im Lager befanden, kam infolge der Ansteckung mit epidemischen Krankheiten ums Leben. Verstorbene waren auf dem Friedhof in Ostašov begraben worden, wo noch 678 Gräber vorhanden sind. Der Friedhof liegt heute mitten auf einem Feld. Die Nationalität der Verstorbenen lässt sich lediglich nach den daneben gepflanzten Bäumen bestimmen: Birken für die Russen, Fichten für die Italiener. Der Friedhof wurde lange Zeit vernachlässigt und erst zwischen 2002 und 2009 u. a. mit Finanz-

38 Ivan Rous, Tábory a válečná výroba, Liberec 2012, 99–102; Adam Pluhař, Historici mapují zajatecký tábor v Liberci-Ostašově a prosí lidi o pomoc, in: Dnes/Liberecký kraj (22.11.2014), http://liberec.idnes.cz/historici-mapuji-zajatecky-tabor-v-ostasove-f3d-/ liberec-zpravy.aspx?c=A141121_090153_liberec-zpravy_tmV (abgerufen am 15.7.2021); Roman Karpaš a kol., Kniha o Liberci, Liberec 1996; SOkA Liberec, Archiv města Liberec, Místní národní výbor Ostašov; VÚA-VHA, Zajatecký tábor Liberec, wo 39 Kartons mit Registrierungskarten und einer Reihe administrativer Akten vorhanden sind. 39 Vgl. Národní archiv (NA), Prezidium místodržitelství (PM), Sig. 8/4/12/131.

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mitteln der Stadt Liberec schrittweise renoviert. Im Zuge dieser Arbeiten wurden auch Informationen über das Lager angebracht.40 Das Lager Milovice (Milowitz)41 erstreckte sich auf einem über 35 Hektar großen Gelände, das sich im Besitz des Militärs befand.42 Das Lager bestand aus drei Komplexen. Einer davon umfasste die bereits bestehenden Gebäude, die zwei weiteren die üblichen Baracken. Insgesamt gab es 65 Baracken mit Platz für jeweils 220–300 Gefangene. Das Lager war von Stacheldraht umzäunt, eine Beleuchtungsanlage wurde installiert. Darüber hinaus wurden weitere Maßnahmen getroffen, um einer etwaigen Revolte der Gefangenen entgegenzuwirken. Dazu gehörten beispielsweise Gräben, die das Lager umgaben. Die Position des Lagerkommandanten bekleidete Adolf Halbaerth, Ehemann der Schriftstellerin Gabriela Preissová.43 Im Lager untergebracht waren Russen, Serben und Italiener. Die Anzahl der Kriegsgefangenen fluktuierte. Bis zu 48.000 Feindsoldaten hielten sich hier auf. Milovice war demnach eines der größten Lager der Monarchie. Eine ursprüngliche bestehende Offiziersabteilung wurde im April 1915 aufgrund vieler Fluchtversuche unter den gefangenen Offizieren wieder aufgelassen.44 124 russische Offiziere wurden daraufhin in andere Lager in Böhmen überstellt.45 Nach der Zwölften Isonzoschlacht kamen überdies an die 16.000 italie­nische Zivilgefangene nach Milovice. Die hygienischen Bedingungen im Lager waren außerordentlich schlecht – ein Umstand, der den Ausbruch von Seuchen und diversen anderen Krankheiten begünstigte.46 Die hohe Mortalitätsrate im Lager erregte sogar die 40 Siehe: http://roland.webnode.cz/news/vojensky-hrbitov-zajateckeho-tabora-­19141918-liberec-ostasov (abgerufen am 13.6.2021). 41 Vendulka Čapková/Petra Tatarová, Milovice aneb 100 let od založení vojenského cvičiště, Mladá 2004. Darin beschrieben ist die Geschichte des Dorfes und des Militärareals im 20. Jahrhundert mit Fotografien auch vom Lagerfriedhof sowie vom Lager selbst; Tůmová, Každodennost v zajateckých táborech Rakouska-Uherska za 1. světové války a jejich obraz v deníku Alessandra Pennasilica; Jan Řehounek, Osudové okamžiky. Sto let vojenského výcvikového prostoru Milovice – Mladá, Nymburk 2006; VÚA-VHA, Zajatecký tábor Milovice. Enthalten sind zwei Kartons, u. a. mit Berichten sowie die Registerbücher Nr. 1918–1926 aus den Jahren 1914–1918, Materialien finden sich auch im Bestand des Ministerstvo národní obrany des VÚA-VHA. 42 Der Truppenübungsplatz wurde zwischen 1904 und 1907 errichtet. 43 Vgl. Literární archiv Památníku národního písemnictví, Gabriela Preissová. Enthalten sind Manuskripte mit Geschichten über das Kriegsgefangenenlager. 44 Sig. 90-5/16-2, Nr. 2832 Präs./1915. VÚA-VHA, f. 9. sborové velitelství (1883–1919). 45 Ebd., Sig. 90-3/17, Nr. 4895 Präs./1915. 46 Ebd., Sig. 90-3/1, Nr. 135 Präs./1915. Vgl. auch Ze života ruských zajatců v Rakousku, in: Čechoslovák 1/14 (10.9.1915), 3.

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Aufmerksamkeit der Reichsratsabgeordneten in Wien.47 Bis zu 36 Personen sollen pro Tag im Lager gestorben sein. Aufgrund der steigenden Zahl an Todesfällen ging man von Einzelbestattungen ab und begrub die Leichen in Massengräbern. Nach Kriegsende diente das Lager als Sammelstätte für die italienischen Kriegsgefangenen, die hier auf ihre Repatriierung warteten. In mehr als 40 Transporten wurden 89 Offiziere und ca. 2800 Mannschaftssoldaten in die Heimat verbracht. Die Akten der Lageradministration wurden den Italienern im Jahr 1919 überlassen. Most (Brüx) war ein Lager, das auch über eine eigene Offiziersabteilung verfügte.48 Neben etwa 7000 russischen Soldaten hielten sich hier auch an die 200 russische Offiziere auf. Die Gefangenen – mit Ausnahme der Offiziere – arbeiteten im nahe gelegenen Bergwerk. Das Lager fungierte außerdem als eine Quarantänestation für russische Gefangene, die von der NO-Front eintrafen. Das Lager Terezín (Theresienstadt)49 hatte eine Belagszahl von bis zu 10.000 Mann. Es war sozusagen zweigeteilt. Ein Teil befand sich im Bereich des großen Festungskomplexes, ein anderer im unteren Bereich des Areals, wo Holzbaracken aufgestellt wurden. In Terezín wurden Russen, später auch Italiener untergebracht. 1915 errichtete man für die gefangenen Muslime eine eigene Moschee. Nach Kriegsende waren hier ungarische Soldaten untergebracht, die im Zuge der Kämpfe in der Slowakei gefangengenommen worden waren. Auf dem Lagerfriedhof wurden über 17.000 Männer begraben – mehr als 1100 davon Russen. Ein Teil des Friedhofes liegt neben jenem, wo jüdische Opfer aus dem Ghetto Terezín bestattet sind, und ist in einem guten Zustand. Der andere Teil des Gefangenenfriedhofes hingegen ist einigermaßen vernachlässigt.50 Im Hospital in Pardubice wurden sowohl Soldaten der k. u. k. Armee als auch Kriegsgefangene behandelt.51 Bis zu 10.000 Patienten konnten hier be47 Siehe: Kt. 79, Nr. 3617/1918. NA, MRP/R. Die Interpellation bezog sich vor allem auf die hohe Todesrate unter den Italienern. Vgl. Poměry v zajateckém táboře v Milovicích, in: Lidové noviny 26/112 (25.4.1918), 4. Vgl. auch bez. der Visitation des spanischen Botschafters: Moritz/Walleczek-Fritz, Váleční zajatci v Rakousku-Uhersku letech 1914– 1918, 283. 48 Vgl. VÚA-VHA, Zajatecký tábor Most. Vorhanden sind die Registerbücher Nr. 1894– 1902 für die Jahre 1915–1918. 49 Vgl. VÚA-VHA, Zajatecký tábor Terezín. In 59, nicht inventarisierten Kartons finden sich Registrierungskarten, verschiedene Befehle, Lagerregeln, Berichte, Bestimmungen über die Arbeitsverwendung von Kriegsgefangenen, Lagergeld usw. 50 Vladimír Pomortzeff, Zapomenutá bolest, in: Lidé a země (9.12.1914), http://lideazeme. reflex.cz/clanek/zapomenuta-bolest (abgerufen am 15.7.2021). 51 Miloslav Hunáček et al., Válečná nemocnice Karanténa, in: AB-ZET Pardubicka 42

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handelt werden. Im November 1914 hatte man begonnen, hier ein Barackenspital zu errichten. Im Frühjahr 1915 war es fertig und bestand aus mehr als 360 Einzelgebäuden. Es verfügte über eine beeindruckende Infrastruktur. Bereits im ersten Jahr fanden hier an die 8000 Soldaten Aufnahme sowie mehr als 100 Kriegsgefangene. Ohne Zweifel ist rund um das Gedenken 1914/2014–1918/2018 das Inter­ esse am Ersten Weltkrieg und damit auch an den Kriegsgefangenenlagern, die in dieser Zeit auf dem Gebiet des heutigen Tschechiens errichtet wurden, gestiegen. Verstärkte Aufmerksamkeit erfuhr damit auch die Frage der Pflege noch vorhandener Lagerfriedhöfe. Eine tiefgreifende wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Schicksal jener Tausenden Gefangenen, die in den Lagern und vor allem außerhalb derselben zu verschiedenen Arbeiten herangezogen wurden, lässt ungeachtet der zum Teil (zumindest für einige Lager) durchaus vielversprechenden Quellenbestände in Tschechien selbst allerdings immer noch auf sich warten.

(Pardubice 2007); Pardubická karanténa. Pardubický deník Alice Masarykové, ed. Jiří Kotyk, AB-ZET Pardubicka 17 (Pardubice 2001); Petr Horák, Vojenská karanténa v Pardubicích 1914–1918, Bachelorarbeit Pardubice 2009.

RUSSLAND

Natal’ja Suržikova

Die österreichisch-ungarische Kriegsgefangenschaft in der russländischen, sowjetischen und postsowjetischen Historiographie1

Die Beschäftigung mit der russländischen2, sowjetischen und postsowjetischen Historiographie zum Ersten Weltkrieg lässt keinen Zweifel daran, dass das Thema der österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenschaft unterrepräsentiert ist. Diese Situation erklärt sich vor allem mit der schwierigen Quellenlage und der damit verbundenen Notwendigkeit, eine Vielzahl von Materialien in etlichen unterschiedlichen Ländern heranzuziehen. Die Multiethnizität und die damit verbundene Vielsprachigkeit des Habsburgerreiches erschweren die Aufgabe von Forschern, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, zusätzlich. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die wenigen vorhandenen Arbeiten auf russischsprachigen Quellen basieren. Diese wiederum konzentrieren sich auf einen Vergleich des Wesens der Kriegsgefangenschaft, bei dem diese, ob nun in Österreich-Ungarn, Deutschland oder im Osmanischen Reich, negativ, d. h. in Kontrast zu den angeblich humaneren Bedingungen in Russland dargestellt wird. Dieses Urteil bildete sich bereits während des Krieges heraus und verband sich mit dem Diskurs über die feindlichen „Gräuel“ gegenüber den russischen Gefangenen, der auf der Berichterstattung der russischen Presse, den Publikationen der Außerordentlichen Untersuchungskommission von A. N. Krivcov sowie den Erzählungen heimgekehrter Kriegsgefangener basierte.

Die Gefangenschaft in Österreich-Ungarn 1914–1917 „Grauenhafte Ereignisse“ oder als Variante „Schrecken“ in Zusammenhang mit der Kriegsgefangenschaft gehörten zu den von der russischen Presse bevorzugt behandelten Themen bereits von Beginn des Weltkrieges an. Wenn man die unterschiedlichen Blätter analysiert, egal ob es sich nun um größere 1 2

Übersetzung aus dem Russischen: Verena Moritz. Vgl. zu „russländisch“ vs. „russisch“ den Hinweis auf Formales in der Einführung des Bandes.

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Periodika handelt oder um kleinere Zeitungen, dann zeigt sich eine beständige Verengung auf eine Rhetorik der Anklage einer „unmenschlichen“ Gefangenschaft. In Zusammenhang mit dieser Entwicklung lassen sich mindestens drei Etappen ausmachen, die bestimmt waren von einer allgemeinen Veränderung des Wesens des Krieges an sich und von seiner diesbezüglichen Wahrnehmung. Es ist nicht zu übersehen, dass die Presse vor allem die „Gräuel“ in deutscher Gefangenschaft hervorhob, vor deren Hintergrund die Bedingungen in österreichisch-ungarischem Gewahrsam als mehr oder weniger annehmbar dargestellt wurden. Auf verschlungenem Wege, über die Schweiz, konnten in Petrograd Nachrichten über die Lage von russischen Verwundeten und Gefangenen in Öster­ reich-Ungarn empfangen werden. Diesen Mitteilungen zufolge sind die Verwundeten in Spitälern in Krakau untergebracht und genießen eine verhältnismäßig gute Behandlung. Die Spitäler werden geleitet von einigen berühmten Krakauer Professoren. Was die russischen Kriegsgefangenen betrifft, so befindet sich ihr Lager in Tschechien, in Miskovice3,

schrieb die Zeitung „Večernee Vremja“ am 2. Januar 1915.4 Artikel in dieser Tonart blieben allerdings selten. Und, unabhängig davon, dass über die Gefangenschaft in Österreich-Ungarn weniger berichtet wurde als über jene in Deutschland5, deckten sich bald insgesamt die diesbezüglichen Urteile. Wenn es russischen Zeitungen nicht gelang, konkrete 3 4 5

Gemeint war Míškovice. Русские раненые и пленные в Австро-Венгрии, in: Вечернее время, 2.1.1915. Vgl. Наши пленные солдаты в Германии, in: Пермская земская неделя, 29.9.1914; В плену у германцев, in: Русский инвалид, 10.11.1914; Вл. М. Вороновский, К участи военнопленных, in: Вестн. Российского общества Красного Креста 1 (1915), 78–87; В плену у варваров, in: Ранее утро, 19.5.1915; Враги-звери, in: Русское слово, 3.6.1915; Истязания русских пленных, in: Правительственный вестник, 7.7.1915; Кошмары плена, in: Зауральский край, 23.8.1915; B. Стерн, Письмо из немецкого лагеря военнопленных, in: Русские ведомости, 31.10.1915. 31; Немецкие зверства, in: Вестн. Приенисейского края помощи больным и раненым воинам, пострадавшим от войны, беженцам и выселенцам и промышленности по снаряжению армии, 15.11.1915, 14– 15; Германские полководцы и русские пленные, in: Саратовский вестн, 17.11.1915, З. Кочеткова, Беглецы из немецкого плена, in: Русские записки 10 (1915), 141–148; Обращение немцев с русскими военнопленными, in: Русский инвалид, 4.1.1916; Муки немецкого пленения, in: Земская неделя (Казань), 17.4.1916; „Морильня“ для русских пленных в Германии, in: Пермская земская неделя, 5.6.1916; Варвары ХХ века, in: Бесплатное приложение к журналу „Земская неделя“ (Казань), 9.6., 16.6., 30.6, 7.7. 1916; Военнопленные в Германии, in: Современное слово, 2.7.1916; Лишения русских военнопленных, in: Правительственный вестн, 14.10.1916; Звери, in: Вестн. Всероссийского общества попечения о беженцах, 9.–16.10.1916, 16.

Die österreichisch-ungarische Kriegsgefangenschaft

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Materialien über die „schreckliche“ Behandlung russischer Gefangener in Deutschland6 beizubringen, dann wurden Stimmen laut, die über die analoge Situation in Österreich-Ungarn7 berichteten. In der Folge wurde der Umstand, dass die Bedingungen der Gefangenschaft vom Unterbringungsort der Gefangenen abhingen – was diese bei ihrer Heimkehr auch betonten8– zunehmend verwischt. Auf diese Weise wurden auch positive Bewertungen von Gefangenen über ihre Erfahrungen in österreichisch-ungarischem Gewahrsam entsprechend modifiziert.9 Nach der Schilderung von „grauenhaften Erlebnissen“, die Zivilgefangene durchgemacht hatten, wandte sich die Presse den Kriegsgefangenen zu und beschränkte sich dabei nicht auf eine Akkumulation von Negativberichten. Mitte 1915 eignete sich die offizielle wie auch die unabhängige Presse mehr und mehr ein Narrativ über die Gefangenschaft in Feindeshand an, das als eine Art „maßgebliche Zeugenschaft“ umschrieben werden kann. Die Behandlung russischer Kriegsgefangener im Inneren des Habsburgerimperiums ward selbst in Zuchthäusern so nicht gesehen. Man gibt ihnen nur so viel zu essen, wie unbedingt nötig, um massenhaftes Verhungern zu vermeiden, während sie gezwungen werden, die schwersten und schmutzigsten Arbeiten zu verrichten. Die Maßnahmen, um sie zur Arbeit zu zwingen, sind regelrecht kannibalisch [sic!], – unablässiges Schlagen mit Stöcken und Gewehrkolben sind alltäglich und empören die gequälten Gefangenen gar nicht mehr. Im Falle kleinster Vergehen kommen gegenüber unseren Soldaten Maßnahmen zur Anwendung, die an mittelalterliche Folterkammern erinnern: Den Männern werden die Hände und Füße mit Seilen gefesselt und man hängt sie an Haken an die Wand, sodass der obere Teil des Rumpfes und der Kopf nach vorne fallen,

zitierte die Zeitung „Russkoe Slovo“ den Offizier Timofej Afonin und den Soldaten Petr Beržatij, die beide aus der österreichischen Gefangenschaft geflohen waren und daher zu den „maßgebenden Zeugen“ gehörten.10

  6 Siehe beispielsweise: В плену тевтонов, in: Пермские ведомости, 27.9.1914; Зверства немцев, in: Новое время, 30.7./2.8.1914; Жестокости немцев, in: Ebd., 31.7.1914; Озверевшие немцы, in: Ebd., 29.7.1914.   7 Освобождение львовских узников, in: Речь, 8.9.1914.   8 Siehe u. a.: M. M. Ковалевский, В плену, in: Невский альманах. Жертвам войны – писатели и художники, Пг. 1915, 82–86; E. A. Могиленский, Дневник заложника: 7 месяцев плена в Карлсбаде, Пг. 1915; М. И Якубовский, 190 дней в Чертовой башне. Впечатления и переживания пленного русского чиновника в Вене, Пг. 1915.   9 Vgl. В австрийском плену, in: Раннее утро, 11.6.1915. 10 В австрийском плену, in: Русское слово, 11.6.1915.

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Das Wesen der Gefangenschaft wurde, aufbauend auf den Berichten von T. Afonin und P. Beržatij, faktisch schablonenhaft immer wieder von der russischen Presse reproduziert. Damit folgte der anfänglichen „Improvisation“ die Phase der Formalisierung und „Offizialisierung“ einer generalisierenden „Gräuel-Rhetorik“. Die diesbezügliche Umsetzung war Aufgabe der am 9. April 1915 gegründeten „Außerordentlichen Untersuchungskommission zur Feststellung von Verstößen gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges durch österreichisch-ungarische und deutsche Truppen“ (Čresvyčajnaja Sledstvennaja Komissija, Abkürzung: ČSK), bekannt auch als Kommission von A. N. Krivcov. Diese höchste Instanz beschränkte sich nicht auf das einfache Sammeln von Hinweisen auf inhumanes Verhalten gegenüber russischen Kriegsgefangenen. Sie war mit der aktiven Suche, Zusammenstellung und Katalogisierung diesbezüglicher Angaben beschäftigt und arbeitete schlussendlich an der konzeptionellen Ausfertigung der „Gräuel-Rhetorik“. Die Befragung der aus der österreichisch-ungarischen oder deutschen Kriegsgefangenschaft Geflohenen, gleich ob Soldaten oder Offiziere, ebenso wie jene der Austauschinvaliden wurde fließbandartig vorgenommen, wobei die Richtung vom „Interviewer“ vorgegeben wurde, der die Befragten allerdings an das Gebot der Richtigkeit ihrer Aussagen erinnerte. Im Übrigen waren die ehemaligen Kriegsgefangenen ohnehin froh, der „hohen Kommission“ behilflich sein zu können, und nützen die Gelegenheit, sich mit ihren Erzählungen vom „Makel der Gefangenschaft“ reinzuwaschen. Die Feststellung der Glaubwürdigkeit des Berichteten beschränkte sich auf Formales, da man davon ausging, dass die „Kriegsgefangenen aus den Reihen der russischen Armee“ wahrheitsgemäße Angaben machten und „über jeden Zweifel erhaben“ waren.11 Schon Ende 1915 erwies sich die Sammlung von Vergehen in Zusammenhang mit der Behandlung russischer Kriegsgefangener zahlenmäßig als ausreichend, und man ging dazu über, die Quantität an Aussagen durch die Qualität diesbezüglicher Berichte zu ersetzen. Bei der Charakterisierung der österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenschaft dominierten Hinweise auf den Hunger, auf Zwangsarbeit und grausame Bestrafung. Bemerkenswert ist, dass von Beginn an den spärlichen Rationen, die den Gefangenen in Österreich-Ungarn ausgefolgt wurden, gleichsam die Qualität eines tatsächlichen Nahrungsmittels abgesprochen wurde: Man habe den Kriegsgefangenen bereits auf dem Weg in die Lager eine „abscheuliche Brühe ohne Brot“ verabreicht, russische Gefangene erhielten statt Nahrung „Kartoffelschalen“, „morgens bekommen sie eine abscheuliche Flüssigkeit anstatt 11 Вл. М. Вороновский, К участи военнопленных, in: Вестн. Российского общества Красного Креста 1 (1915), 79.

Die österreichisch-ungarische Kriegsgefangenschaft

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von Kaffee“, „Suppe wurde gekocht – nur Wasser, Fleisch wurde überhaupt keines ausgegeben“, „man hat irgendeinen Brei verabreicht, den bei uns in Russland nicht einmal die Schweine fressen“, „Frühstück – Wasser, Mittagessen – Steckrüben, Abendessen – Wasser und Sägemehl“, „statt eines Mittagessens hat man Kastanienmehl ausgegeben“, „sie bekommen den Absud gekochter Innereien“, „das Essen wird gekocht aus unterschiedlichen Abfällen, die nicht einmal ein Hund fressen würde“, „das Brot […] ist nicht genießbar, da es gemischt ist mit Stroh und Sägespänen“.12 „Nichts für die Russischen Schweine!“, resümierte die Presse und schließlich auch die ČSK, die damit auf entwürdigende Aussagen des Feindes hinwies.13 Die österreichisch-ungarische Gefangenschaft wurde schließlich vor allem mit einer unmenschlichen Ausbeutung in Verbindung gebracht. Die ČSK zeigte auf, dass die russischen Kriegsgefangenen entgegen den geltenden Regeln auch für Arbeiten in Verbindung mit Kriegszwecken verwendet wurden: Sie hoben Schützengräben aus, errichteten Drahtverhaue, befestigten unwegsames Terrain für den Truppentransport usw.14 „Es gab einen Fall, wo die Österreicher die Russen zwangen, 10 Geschütze von Jaroslav nach Krasno zu schleppen, angetrieben von Stock- und Peitschenschlägen“, schrieben etwa die „Permskie Vedomosti“, die sich auf Materialien der Kommission stützen.15 Man ergänzte: „Ein Arbeiter war so erschöpft, dass er seinen Kameraden im Lager in fast bewusstlosem Zustand in die Arme fiel, erschöpft bis zum Äußersten.“16 In den gesammelten Belegen wurde das System der Bestrafungen und der Folter russischer Kriegsgefangener genau geschildert. Es ging ­explizit um systematische Bestrafungen, um das „Anbinden“, das „Schließen in Spangen“, um Arreststrafen, um Stockhiebe, um das strafweise Stehen mit schweren Gewichten, um stunden- oder gar tagelange Märsche mit schweren Lasten am

12 Siehe: Наши пленные в Германии и Австрии, in: Земская неделя (Казань), 7.7.1915.; В плену у жестокого врага, in: Ebd., 24.1.1916; Положение наших пленных, in: Правительственный вестн. 7.9.1916; Нас четверо из плена убежало, in: Пермская земская неделя, 30.10.1916; Жизнь в плену, in: Ebd., 6.11.1916. 13 Во вражеском плену, in: Пермские ведомости, 10.2.1916; Русские в плену у австрийцев / [Высочайше учрежденная Чрезвычайная Следственная Комиссия], Пг., 1916, 6. 14 Siehe: чрезвычайная следственная комиссия, in: Правительственный вестн., 29.3./13.5.1916; Возмутительное обращение австрийцев с русскими военнопленными, in: Ebd., 20.4.1916.; В чрезвычайной следственной комиссии, in: Ebd., 25.5./1.6.1916; От председателя чрезвычайной следственной комиссии, in: Ebd., 11.7.1916. 15 Во вражеском плену, in: Пермские ведомости, 10.2.1916. 16 Во вражеском плену, in: Пермские ведомости, 14.2.1916.

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Rücken, um das Übergießen mit Wasser bei Frost, um das strafweise Sitzen im Schnee usw. Und je schrecklicher die eine oder andere Erzählung über Strafen und Qualen war, umso ausführlicher wurde sie weiterverwendet. So waren im „Überblick der Tätigkeiten der Außerordentlichen Untersuchungskommission“ vom 29. April 1915 bis zum 1. Januar 1916 die Abschnitte über die Grausamkeiten des Feindes in Zusammenhang mit der Behandlung der russischen Kriegsgefangenen umfangreicher als alle anderen.17 Bei alledem war es offenbar völlig bedeutungslos, wo sich die russischen Kriegsgefangenen befanden – in Josefstadt (Josefov), Knittelfeld, Marchtrenk, Wieselburg, Brüx (Most), Milowitz (Milovice), Linz, Theresienstadt (Terezín), Salzburg, Budapest, Reichenberg (Liberec), Lebring, Feldbach, Temesvar, Sopron oder sonst wo. Esztergom wurde in jedem Fall von der ČSK geradezu als Hochburg der österreichisch-ungarischen Unmenschlichkeit bezeichnet, und zwar aufgrund der dort 1914 wütenden Epidemien (Cholera und Typhus)18, wobei schließlich beliebige Orte im Rahmen des Schemas „Wohnbedingungen – Ernährung – Epidemien – Arbeit – Strafen – Grausamkeiten“ als gleichermaßen entsetzlich beschrieben wurden. So fiel nicht eines der in den Berichten der ČSK erwähnten Lager aus diesem Rahmen, wodurch die Behauptung über systematische Gräuel untermauert wurde.19 Zu Beschreibungen der „unzureichenden Unterbringung“, des „abscheulichen und kärglichen Essens“, der „Zwangsarbeiten“, der „brutalen Behandlung“, „beispielloser Gräuel“, des „unerträglich schweren Lebens“ kamen in dieser Phase der exemplarischen diskursiven Darstellung der österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenschaft gewissermaßen entlarvende Charakterisierungen des Feindes hinzu: „österreichische Schurken“, „herzlose Österreicher“, „österreichische Barbaren“.20 17 Siehe: Обзор действий Чрезвычайной Следственной Комиссии с 29 апреля 1915 г. по 1.4.1916 г., Пг. 1916. 18 Darüber siehe: Обзор действий Чрезвычайной Следственной Комиссии с 29 апреля 1915 г. по 1 января 1916 г., Пг. 1916, 172–176; Русские в австрийском плену, Пг. 1916, 6–14. 19 Siehe: Обзор действий Чрезвычайной Следственной Комиссии с 29 апреля 1915 г. по 1 января 1916 г., Пг. 1916. Siehe auch: Жизнь русских воинов в плену / [Высочайше учрежденная Чрезвычайная Следственная Комиссия], Пг. 1916; Наши военнопленные в Германии и Австро-Венгрии: (по дополнительным сведениям) / [Чрезвычайная Следственная Комиссия], Пг. 1917. 20 Vgl. П. Е. Навоев, Как живется нашим пленным в Германии и Австро-Венгрии, Пг. 1915, 37–39, 42; Обзор действий Чрезвычайной Следственной Комиссии с 29 апреля 1915 г. по 1 января 1916 г., Т. 1., Пг. 1916, 175 f., 180, 183; Русские в австрийском плену, Пг. 1916, 9 f., 17, 22, 26 f., 29 f. Siehe auch: Зверства австрийцев, in: Уфимский вестник, 16.1.1916.; Возмутительное обращение австрийцев с русскими военнопленными, in: Правительственный вестник, 20.4.1916.; Русские пленные в Австрии, in: Новое время, 5.5.1916; Расстрел русских пленных, in: Современное

Die österreichisch-ungarische Kriegsgefangenschaft

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Diese Bezeichnungen verweisen darauf, dass Unterschiede in der Bewertung der Kriegsgefangenschaft in Deutschland und in Österreich-Ungarn, wie sie zu Beginn des Krieges kolportiert wurden, nun keine Bedeutung mehr hatten. Das wurde auch offen und kategorisch ausgesprochen: „Es kann keinen Zweifel daran geben, dass die Österreicher in allem den Beispielen und Anweisungen der Deutschen Folge leisten und sich als würdige Anhänger ihrer würdigen Verbündeten gerieren.“ Und: „Schwer war das Leben der Kriegsgefangenen in Deutschland, nicht leichter war es auch in Österreich-Ungarn“.21 Oder: „Es ist völlig offensichtlich, dass die grausame Behandlung unserer Gefangenen eine verbreitete und übliche Erscheinung ist und dass mehr oder minder jeder deutsche oder österreichische Soldat damit in Verbindung zu bringen ist.“22 Unterschiedliche Bewertungen allerdings ergaben sich dann doch, und zwar mit Blick auf die Multiethnizität des Habsburgerreiches: Den Wachdienst im Lager übernahmen ausschließlich Deutsche und Magyaren. Soldaten der lokalen tschechischen Bevölkerung wurden hierfür von der Lagerleitung nicht bestimmt aufgrund ihres milden Umgangs mit den Gefangenen. Die Deutschen aber und Magyaren verfuhren grausam mit den Gefangenen,

wurde in einem Dokument hervorgehoben.23 In einem anderen hieß es, dass Bestrafungen, durchgeführt von Soldaten nichtslawischer Herkunft, ungleich grausamer waren, wobei explizit ungarische Soldaten genannt wurden.24 Einer anderen Quelle gemäß wurde konstatiert, dass in Österreich, in Orten mit vorwiegend slawischer Bevölkerung, die Lage der Gefangenen zufriedenstellend war und die Behandlung menschlich; in Ungarn aber ändert sich die Einstellung zu den Gefangenen gravierend – festgestellt werden kann dieselbe Herzlosigkeit, ja Grausamkeit wie in Deutschland.25

21 22 23 24 25

слово, 4.6.1916; Звери, in: Вестник Всероссийского общества попечения о беженцах 38–39 (9.-16.10.1916), 16; В австро-венгерском плену, in: Приазовский край 258 (1916); Репрессии в отношении больных пленных офицеров в Австрии, in: Правительственный вестник, 2.11.1916. Русские в плену у австрийцев / [Высочайше учрежденная Чрезвычайная Следст­ венная комиссия], Пг. 1916, 3. Пленные о немецких зверствах, in: Земская неделя (Казань), 27.11.1916. Обзор действий Чрезвычайной Следственной Комиссии с 29 апреля 1915 г. по 1 января 1916 г., Пг. 1916, 177. Русские в плену у австрийцев / [Высочайше учрежденная Чрезвычайная Следст­ венная комиссия], Пг. 1916, 27 f. Русские пленные в Австро-Венгрии, in: Новое время, 10.3.1916.

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Derartige Aussagen korrelierten mit panslawistischen Ideen, die innerhalb der russischen Eliten ebenso populär waren wie teilweise auch unter der Bevölkerung. Vor diesem Hintergrund vollzog sich auch die getrennte Unterbringung der Gefangenen aus Österreich-Ungarn nach Nationalitäten. Sie wurden eingeteilt in „freundlich gesinnte“ und „feindliche“ – mit allen daraus resultierenden Folgen. Für deutschstämmige Gefangene hieß das etwa die primäre Verschickung nach Sibirien.26 Vielleicht die einzige Quelle, welche die Lage der Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn nicht eindimensional beschrieb, waren die Berichte der russischen Rot-Kreuz-Schwestern, die die Erlaubnis bekommen hatten, russische Gefangene im Feindesland zu besuchen und Lager zu inspizieren. Eine von ihnen, die Fürstin N. G. Jašvil’, die 16 verschiedene Kriegsgefangenenlager besuchte, 17 Hospitäler und 24 Arbeitsstätten sowie die Festung Pressburg (Pozsony/Bratislava), fand keinerlei systematisch betriebene österreichisch-ungarische Barbarei vor, sondern konstatierte: Die Lebensbedingungen der Kriegsgefangenen sind zum größten Teil vom Kommandanten abhängig, aber manchmal auch von den Diensthabenden der niederen Ränge in der Lageradministration. Angesichts dessen ist die Situation der Kriegsgefangenen in jedem einzelnen Lager unterschiedlich.27

Bestrafungen der Gefangenen wurden laut Jašvil’ vor allem aufgrund der „Willkür und der Gehässigkeit unter den niederen Rängen der Bewachungsmannschaft“ vorgenommen.28 Zum selben Schluss kam mit A. V. Romanova eine weitere Rot-KreuzSchwester, die mehr als 20 Lager und etwa 40 Arbeitsstätten von russischen Kriegsgefangenen besucht hatte. Sie vermerkte, dass „der Großteil von Misshandlungen gegenüber den Gefangenen von Soldaten der niederen Ränge vor Ort begangen wird“.29 Obwohl sich diese Berichte vom Narrativ angeblich systematisch verübter „Gräuel“ etwas entfernten, bestätigten sie diese gewissermaßen in einer anderen Hinsicht:

26 Siehe: H. B. Суржикова, Российский плен 1914–1917 гг. как пространство политико-идеологических манипуляций: теории центра и практики периферии, in: Cahiers du Monde russe 53/1 (2012), 247–266. 27 Русские пленные в Австро-Венгрии, in: Русский инвалид, 22.3.1916. 28 Ebd. 29 Пленные в Австрии, in: Новое время, 17.3.1916.

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In Österreich wird mehr geschlagen wegen Ungehorsam und Regelverstößen. Die Offiziere lassen Prügel aber nicht ohne Weiteres durchgehen. In Ungarn, wo das Offizierskorps und die Lageradministration aber bedeutend schlechter sind und wo das Volk von Natur aus brutaler ist, gibt es insgesamt mehr Klagen [von Kriegsgefangenen] wegen Prügel.30

Eine Korrektur bisheriger Darstellungsweisen resultierte aus solchen Beobachtungen nicht. Ab der zweiten Jahreshälfte 1916 wurden außerdem immer mehr Berichte über die Gefangenschaft in Feindeshand publiziert. Das diesbezügliche manipulative Potential kam jetzt voll zur Geltung.31 Das schablonenhafte Bild der russischen Kriegsgefangenen als Märtyrer bzw. Leidende erinnerte die russische Öffentlichkeit aber auch an das eigene schwere Schicksal als mehr oder weniger zu akzeptierende Gegebenheit des Krieges. Die Darstellung der feindlichen Gefangenschaft im Stil eines Martyriums korrespondierte mit dem Bild vom gerechten, opferbereiten „heiligen Russland“. Insofern erscheint es nicht abwegig, davon auszugehen, dass Darstellungen der feindlichen Gefangenschaft auch der Konstruktion eines bestimmten Weltbildes dienten, in dem Russland einen ganz besonderen Platz einnahm. Als Paradoxon erscheint indessen, dass genau diese Konzeption der „Gräuel“ gemeinsam mit der Intention, Russlands Ausnahmestellung in der Welt hervorzuheben, dazu beitrug, eine Logik des „Dazugehörens“ zur zivilisierten Welt zu konstruieren. Nach der Plünderung von Kalisz32 und der „Vergewaltigung“ von Belgien33 durch die Deutschen erklärten die westlichen Verbündeten34 den Krieg zu einem

30 Ebd. Siehe auch: A. C. Тарасевич, Отчет по обследованию лагерей и мест водворения русских военнопленных в Австрии и Венгрии, М. 1917, 8, 17. 31 B. Дмитриев, Между жизнью и смертью, in: Русские ведомости, 8.1.1917; В плену, in: Русский военнопленный 1 (1917); M. Сонин, В германском плену (по личным наблюдениям), in: Русские записки 1 (1917), 51–69; Nr. 2–3, 92–113; Письмо в Мос­ ковский городской комитет [помощи русским военнопленным], in: Русский военнопленный 4 (1917); Из плена, in: Русский военнопленный 6 (1917); B. Краков, Воспоминания военнопленного, in: Пленный и беженец: Еженед. орган Саратовкой губернской коллегии о пленных и беженцах, 1.-15.11.1918, 15 f.; 16.–30.11.1918, 17–19. 32 Siehe z. B. L. Engelstein, A Belgium of Our Own. The Sack of Russian Kalisz, August 1914, in: Kritika: Explorations in Russian and Eurasian History 10/3 (Summer 2009), 441–473. 33 Ausführlich: L. Zuckerman, The Rape of Belgium. The Untold Story of World War I, New York 2004. 34 Dazu siehe: J. Sanborn, Imperial Apocalypse, The Great War and the Destruction of the Russian Empire, Oxford 2014, 251.

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Krieg der Zivilisation gegen die deutsche Barbarei.35 In dieser Situation beeilte sich Russland, das für gewöhnlich vom Westen als halbwilde Peripherie Europas wahrgenommen wurde, zur Entlarvung der „Gräuel“ des Gegners beizutragen, und integrierte sich damit, gewissermaßen als Begleiterscheinung, in die Gemeinschaft jener fortschrittlichen Länder, die vom gerechten Krieg sprachen. Wenn die „Schrecken“ des Krieges hervorgehoben wurden, verbanden sich damit auch pragmatische Aufgaben: Zum einen musste der unrühmliche Umstand, dass sich gegen Ende 1916 russische Soldaten massenweise dem Gegner ergaben, gegenüber der Grausamkeit des Gegners in den Hintergrund gerückt werden. Die Propaganda war nun mehr denn je gefragt. Die russische Bevölkerung musste von der Notwendigkeit, den Krieg bis zum „siegreichen Ende“ fortzusetzen, überzeugt werden.36 Zum anderen sollte der an die Bevölkerung gerichtete Appell, entsprechende Hilfe für russische Kriegsgefangene zu organisieren, Ressourcen mobilisieren, die womöglich bislang der Kontrolle des Staates vorenthalten worden waren.37 Und schließlich sollten die mangelhaften Bedingungen in russischer Kriegsgefangenschaft bagatellisiert werden.38 Dass eine menschliche Behandlung der Gefangenen im Zarenreich mit Blick „auf unsere gefangenen Märtyrer in Deutschland und Österreich“ überflüssig und „in höchstem Maße ungerecht“ sei, war eine weitere Botschaft.39 Nicht nur in Russland „legitimierte“ man mit dem „Kampf gegen die Barbarei“ der anderen „erstaunlich oft die eigene“.40

35 Z. B. W. Le Queux, German Atrocities. A Record of Shameless Deeds, London 1914; J. Massart, Belgians under the German Eagle, London 1916; W. Willis, The Kaiser and His Barbarians, London 1914; W. Thompson, The Martyrdom of Nurse Cavell. The life story of the victim of Germany’s most barbarous crime, London 1915. 36 Darüber z. B. Просьба наших военнопленных, in: Правительственный вестник, 10.12.1916. 37 Siehe u. a. Г. П. Альбат, К вопросу о снабжении военнопленных хлебом, in: Изв. Главного Комитета Всероссийского Земского Союза помощи больным и раненым воинам 41–42 (1916), 66–74; Siehe auch: N. B. Суржикова, Отдел помощи российским военнопленным в Екатеринбурге в годы первой мировой войны (февраль 1915 – март 1917 гг.), in: Шестые Татищевские чтения: Тез. докл. и сообщ., T. 1, Екатеринбург 2006, 347–355. 38 Darüber: В ответ на жестокости немцев, in: Пермская земская неделя, 20.11.1916; Клеймение одежды военнопленных, in: Зауральский край, 11.7.1917. 39 Государственный архив Свердловской области, Ф. 50. Оп. 2. Д. 3184. Л. 133. 40 Ян П., „Нечисть царей, нечисть варваров“. Русская оккупация Восточной Пруссии 1914 г. в восприятии немецкой общественности, in: Россия и Германия в ХХ веке: в 3-х т., М. 2010. Т. 1: Обольщение властью. Русские и немцы в Первой и Второй мировых войнах, 187.

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Die Konstruktion der Geschichte der österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenschaft (1920er bis 1930er Jahre) In der Zwischenkriegszeit war die Kriegsgefangenschaft in Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg nicht im Fokus der Historiographie. Der einzige Versuch, diese zu erforschen, stammt von N. M. Ždanov, und zwar mit seinem Buch „Russische Kriegsgefangene im Weltkrieg 1914–1918“.41 Der Leiter des Moskauer Hilfskomitees für russische Kriegsgefangene im Ersten Weltkrieg 1914–1917, der später im „Central’naja kollegija po delam o plennych i bežencach (Centroplenbež)/Zentralkollegium für Angelegenheiten von Gefangenen und Flüchtlingen“ arbeitete sowie Vorsitzender der historisch-wissenschaftlichen Kommission der „Central’noe upravlenie po evakuacii naselenija (Centroevak)/Zentralverwaltung für die Evakuierung der Bevölkerung“ wurde42, schrieb sein Buch auf Grundlage österreichischer und russischer Quellen, aber auch unter Einbeziehung seiner persönlichen Eindrücke. Wahrscheinlich zum ersten Mal gelangte auf diese Weise eine Statistik zu den russischen Kriegsgefangenen an die Öffentlichkeit, die unter anderem offenbarte, dass ihre Zahl jene der anderen verbündeten Armeen bei Weitem übertraf. Detaillierte Abhandlungen zur Sterblichkeit oder aber zum Arbeitseinsatz der Gefangenen stellten ebenfalls eine „Novität“ dar.43 Noch wesentlicher aber war etwas Anderes. Ždanov konnte zeigen, dass die österreichische Kriegsgefangenschaft nicht jene böswillig organisierte Hölle war, als die sie in der Propaganda dargestellt wurde. Zwar wurde darauf hingewiesen, dass das Habsburgerreich zu Beginn des Krieges nicht auf die Aufnahme Tausender Feindsoldaten vorbereitet gewesen war und sich so zahlreiche Missstände offenbarten. Doch mit Beginn 1915 kam es, so wurde

41 Русские военнопленные в мировой войне 1914–1918 гг./ сост. Н. Жданов; под ред.: А. А. Свечина/В. Н. Клембовского/Д. П. Парского/Я. К. Циховича и Д. К. Лебедева, М. 1920 (Труды Военно-исторической комиссии). 42 Über das Центропленбеж/Центроэвак siehe: А. Ф. Гавриленков, Рославльский уездный Пленбеж (1918–1922 гг.), in: Край Смоленский: Знания. Доброта. Культура, Смоленск, 2002, 17–37; H. B. Лахарева, Государственный аппарат Советской России по эвакуации населения в 1918–1923 гг., in: Государственный аппарат России в годы революции и гражданской войны: материалы Всерос. конф., М. 1998, 171–181; В. Л. Телицын, Первая мировая война: возвращение домой. (Русские военнопленные и государство, 1917–1922 гг.), in: Духовность: Журнал гуманитарных исследований, Кн. 2 (апр.–сент.), 2002, 96–133; И. П. Щеров, Центропленбеж в России: история создания и деятельности в 1918–1922 гг., Смоленск 2000; vgl. auch: M. A., Засыпкин, Организационно-правовые основы деятельности НКВД РСФСР по решению проблемы беженцев: 1918–1923 гг.: дисс. к.юр.н., М. 2008. 43 Русские военнопленные в мировой войне 1914–1918 гг., 68–78.

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nun präzisiert, zum Bau spezieller Lager „mit allen notwendigen Einrichtungen in sanitärer und hygienischer Hinsicht“, wodurch die Lebensbedingungen für die Gefangenen in Österreich-Ungarn entscheidend verbessert werden konnten und sich angeblich „vollends zufriedenstellend“ präsentierten.44 Ždanov verwies überdies auf die privilegierte Unterbringung von einigen gefangenen Offizieren, die beispielsweise in einem Anwesen des Fürsten Batthyáni eher als Gäste denn als Gefangene untergebracht waren. Unterstrichen wurde das Bemühen, das Los der gefangenen Offiziere in jeder erdenklichen Weise zu erleichtern.45 Wenn etwas Kritik unter den Gefangenen hervorrief, dann war es die Einschränkung der Bewegungsfreiheit – das „Gefängnisregime“, das „sich in allen Bereichen des Alltags russischer Kriegsgefangener in Österreich widerspiegelte“.46 Dieses „Regime“ stieß aufgrund unterschiedlicher Usancen im Umgang mit Sträflingen im eigenen Land des Öfteren auf Empörung.47 Davon abgesehen waren Assoziationen der Gefangenschaft in Österreich-Ungarn mit einem „Gefängnis“ oder schließlich mit einer Internierung im Lager an sich nicht zu verabsolutieren, da der überwiegende Teil der Gefangenen zu verschiedenen Arbeiten außerhalb der Lager verwendet wurde. Indem Ždanov gängige Narrative von der Gefangenschaft in Österreich-Ungarn konterkarierte, behauptete er auch, dass die strengen Regeln und Auflagen, die mit der Verwendung der Gefangenen als Arbeitskräfte einhergingen und Arbeitgeber an bestimmte Vorgaben banden, deren Situation im Habsburgerreich „bedeutend“ besser gemacht hatten als in Deutschland.48 Nichtsdestoweniger stellte sich die Gefangenschaft für die kriegsgefangenen russischen Soldaten als schwierige Erfahrung dar. Diese war nicht zuletzt auf den Lebensmittelmangel zurückzuführen, aber auch auf das Gefühl des „Allein-gelassen-Werdens“, was Ždanov wiederum mit dem Desinteresse der zarischen Behörden am Los der russischen Kriegsgefangenen erklärte:

44 45 46 47

Ebd., 251, 253, 256. Ebd., 257 f. Ebd., 254. Darüber geben verschiedene Zeugnisse Auskunft. Der Kommandierende des Kazaner Militärbezirkes beklagte beispielsweise die Bewegungsfreiheit von kriegsgefangenen Offizieren in Ekaterinburg und forderte mit Blick auf die unerwünschten Begleiterscheinungen dieses Umstandes dessen Einstellung. Dabei ging es nicht zuletzt um eine unkontrollierte Informationsbeschaffung durch die kriegsgefangenen Offiziere zum Nachteil Russlands – also um Spionage. Vgl. Telegramm des Kommandierenden des Kazaner Militärkreises, September 1917, in: Центр документации общественных организаций Свердловской области, Ф.41. Оп.2. Д.311. Л.170−170об. 48 Русские военнопленные в мировой войне 1914–1918 гг., 251, 272.

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Zu jener Zeit, als in England und in Frankreich die Kriegsgefangenenhilfe […] von staatlicher Bedeutung war und die ganze Bevölkerung dazu im Vereine mit staatlichen Stellen beitrug, hat die russische Regierung in den ersten Kriegsjahren der Kriegsgefangenenhilfe nicht nur keine ärarischen Mitteln zukommen lassen, sondern sich zu dieser Angelegenheit sogar mit unverhohlener Ablehnung und Unterstellungen verhalten. Was nun die nichtstaatlichen russischen Organisationen betraf, konnten sie ihre Tätigkeit nicht in entsprechender Größenordnung entwickeln, da ihnen von Seiten zentraler Regierungsbehörden und im Besonderen von der jeweiligen lokalen Administration alle nur erdenklichen Hindernisse und Beschränkungen in den Weg gelegt wurden.49

Die Lage hatte sich dadurch verschärft, dass die zarische Regierung, indem sie anderweitigen Verpflichtungen nicht nachkam (Invalidenaustausch, Rücksendung des medizinischen Personals usw.), die österreichisch-ungarischen und deutschen Behörden gewissermaßen zu Gegenmaßnahmen drängte, die in Repressalien gegen russische Kriegsgefangene mündeten. Sie blieben ohne materielle Hilfe und entbehrten auch einen regelmäßigen Kontakt mit ihren Angehörigen. Die Heimat, so Ždanov, „für die sie alles geopfert hatten, […] um ihr und ihrer Verteidigung zu dienen“, hatte sie „vergessen“.50 Ždanov sah also die Verantwortung für die Misere russischer Kriegsgefangener bei den militärischen Behörden Russlands, die aus „militärisch-politischen Überlegungen“ nicht an einer objektiven Information der Bevölkerung über das Los der Kriegsgefangenen interessiert waren. Daher hatte man alle Versuche einer breitenwirksamen Erörterung der Kriegsgefangenenhilfe blockiert, ganz zu schweigen von den Versuchen, bereits die Organisation solcher Maßnahmen zu behindern. Im Interesse der Militärbehörden arbeitete demgemäß auch die Kommission von Krivcov, die „nach üblicher staatsanwaltlicher Methode einzelne Anklagematerialien verallgemeinerte“ und offensichtlich nicht nach einer allumfassenden Prüfung der Lebensbedingungen russischer Gefangener in Österreich-Ungarn strebte.51 Hierbei ist allerdings zu bemerken, dass Ždanovs Beschuldigungen gegenüber den vorrevolutionären, aber auch revolutionären Stellen hinsichtlich einer geradezu „verbrecherischen“ Haltung gegenüber den Kriegsgefangenen nicht völlig ohne Widersprüche bzw. unparteiisch gewesen waren. Typisch für einen Vertreter des progressiven Russlands war Kritik am Zarenreich 49 Ebd., 79 f. 50 Ebd., 261. 51 Ebd., 223 f., 301, 304.

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auch nach dessen Zusammenbruch als Konfrontation mit dem Staat und seiner Verwaltung zum Ausdruck gebracht worden.52 So vehement Ždanovs Versuche einer Korrektur der damals vorherrschenden Urteile über die österreichisch-ungarische Kriegsgefangenschaft gewesen sein mögen, so wenig nachhaltig waren diese Bemühungen. In das sowjetische Narrativ der Kriegsgefangenschaft in Österreich-Ungarn konnte er sich mit seinen Betrachtungen jedenfalls nicht einschreiben. Die politisierte Interpretation der Kriegsgefangenschaft sowohl in Deutschland als auch in Österreich-Ungarn durch die Bolschewiki hing mit deren Verständnis des Ersten Weltkrieges als Katalysator der proletarischen Revolution in Russland zusammen. Kennzeichnend für die Umdeutung der Gefangenschaft unter diesem Gesichtspunkt war der Sammelband „10 Jahre Erster Weltkrieg“, in den unter anderem die Memoiren von I. Razgon und A. Linov einflossen, die in österreichisch-ungarischer Gefangenschaft gewesen waren.53 Ohne besonders umfangreich zu sein, vereinte das neue Narrativ über die Gefangenschaft alles in sich, was der sowjetische Mensch nun wissen sollte. Dabei erschien die Gefangenschaft vorrangig als Leidensweg unterdrückter Werktätiger mit einer Entwicklung hin zur politischen Erkenntnis, und schließlich – zum revolutionären Kampf. Die Kriegsgefangenen der niederen Ränge waren nun die ungebildete, geschlagene und eingeschüchterte Masse der russischen Bauern und Arbeiter, die endlich zu „Sehenden“ geworden waren. Offiziere waren keine gewöhnlichen Offiziere, sondern „Herren“ oder „golddekorierte“ Vorgesetzte, die sich unversöhnlich und feindlich gegenüber der „Masse der Soldaten“ verhielten. Visitationen von aristokratischen Rot-Kreuz-Delegationen wurden nicht als Hilfsmaßnahmen beschrieben, sondern als Versuch, einen „Keil zwischen die Kriegsgefangenen zu treiben“54. Arbeitsverweigerungen russischer Kriegsgefangener wurden als politisch motivierte Streiks dargestellt. Folglich wurde resümiert, dass bereits „gegen Ende 1916 in einer ganzen Reihe von Lagern mächtige Organisationen vorhanden waren, die unter den russischen Kriegsgefangenen wirkten, aber auch unter der lokalen werktätigen Bevölkerung und sogar unter den Truppen“ und dass „das, was in Russland und an der Front im März 1917 stattge52 Ausführlicher dazu: H. B. Суржикова. Проблема беженцев в конфликтах и компромиссах властей и общественности России в годы Первой мировой войны (по материалам периодической печати), in: Вестн. Пермского ун-та. Сер. История 1/32 (2016), 122–133. 53 Десятилетие мировой войны: Сб. статей / под ред. М. Охитовича; с предисл. К. Радека, М. 1925. 54 И. Разгон, in: Десятилетие мировой войны, 276, 278–280; A. Линов, Воспоминания рядового, in: Ebd., 282, 286.

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funden hatte, im Kleinen bereits in der Gefangenschaft entbrannt war, lange vor der Februarrevolution“.55 Weitere Charakterisierungen der Gefangenschaft deckten sich mit jenen der vorangegangenen Jahre. Man sprach von „verfaultem Brot“ ebenso wie von „üblicher Folter“ oder von einem „Gefängnis für viele Jahre“.56 Aufgegriffen wurde auch die von Ždanov beschriebene verbrecherische Haltung der russischen Regierung gegenüber den Kriegsgefangenen. All das unterstrich die viele Mühsal, die von den „Massen“ erbracht werden musste, um den sowjetischen Staat zu schaffen. Die Positionierung der Gefangenschaft als Laboratorium revolutionärer Strömungen und Praktiken verfestigte die Idee der Weltrevolution oder des internationalen Zusammenhaltes unter den unterdrückten Werktätigen. Vor diesem Hintergrund veränderte sich auch das Bild des Feindes, das nunmehr differenzierter wurde. Österreichisch-ungarische Soldaten, die vormals als „Henker“ bezeichnet wurden, hatten nun Mitgefühl mit russischen Gefangenen, mit denen sie regelrecht brüderlich verbunden waren. Die Rede war von „internationaler Solidarität“, die österreichisch-ungarische Wachsoldaten beispielsweise mit Bauern aus den Tiefen des Gouvernements Tula verband.57 Die Deutung der Gefangenschaft als Erfahrung des revolutionären Kampfes bekam ihren fixen Platz in den diesbezüglichen Darstellungen der Zwischenkriegszeit, wobei die individuellen Erinnerungen ehemaliger Kriegsgefangener gewissermaßen neutralisiert wurden. Im Prozess der „Aneignung von Erinnerungen“ wurden Darstellungen, die vom hier skizzierten, stereotypen Narrativ abwichen, ausgeschieden58 und dabei auch Differenzierungen zwischen der Gefangenschaft in Österreich-Ungarn und Deutschland verunmöglicht. 59 Im Stile von Memoirenwerken hatten sich allerdings verschiedene Autoren der Beschreibung der österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenschaft gewidmet, wie zum Beispiel V. Dmitriev, L. Kacov, K. Levin und A. Ul’janskij.60 55 56 57 58

Разгон, B австрийском плену, 281. Линов, Воспоминания, 282–284. Разгон, B австрийском плену, 278. Zu den verbotenen Werken gehörten bis etwa Mitte der 1940er Jahre auch die Erinnerungen des ehemaligen gefangenen Offiziers А. А. Акольдов, „Памяти германского плена“, Прага 1921. Dazu: Центр документации общественных организаций Свердловской области, Ф. 4. Оп. 31. Д.727. 59 Ausführlich: O. C. Нагорная, „Другой военный опыт“: российские военнопленные Первой мировой войны в Германии (1914–1922), М. 2010, 383–390. 60 Vgl. B. Дмитриев, Доброволец; Л. В. Кацов, Сквозь плен: Воспоминания, М. 1930, 1931, 1934; К. Я. Левин, Записки из плена в Австрии в 1915–1917 гг., М. 1928, 1930, 1931, 1934, 1936; Ders., … За колючей проволокой, М. 1929, 1931; А. Г. Ульянский, В плену (1915–1918). Л. 1924; Ders., Война и плен, Л. 1934, 1936.

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Der erfolgreichste unter ihnen war Kirill Jakovlevič Levin (1892–1980)61, dessen Erinnerungen zwischen 1929 und 1937 sieben Mal aufgelegt wurden und gewissermaßen obligatorisch in der sowjetischen Forschung zitiert wurden. Interessanterweise wuchs der Umfang von Levins Memoiren von Auflage zu Auflage an. „Wir blickten betrübt auf die Offiziere. Sie waren Fremde, Feinde, und wir, die wir an der Front gewesen waren, alle schmutzig, ausgezehrt, verlaust, waren uns darüber im Klaren“, beschrieb Levin die Begegnung mit österreichischen Offizieren in der Ausgabe des Buches aus dem Jahr 1931.62 Fünf Jahre später las sich diese Episode ganz anders. Sie sollte offenbar nicht nur die feindliche Haltung der Soldaten gegenüber den Offizieren verdeutlichen, sondern die Nähe, die man im Kontrast dazu gegenüber den einfachen Soldaten der k. u. k. Armee empfand. Ein österreichischer Soldat wurde da plötzlich als „Bruder“ empfunden, und ein russischer Kriegsgefangener fragte: „Warum nur kämpfen wir gegen sie?“63 Auch wenn diese Szene tatsächlich auf die eine oder andere Art stattgefunden haben sollte, die Ergänzung Levins in der Auflage aus dem Jahr 1936 widerspiegelt vor allem, dass aktuellen politisch-ideologischen Ansprüchen Genüge getan wurde. Von dieser Haltung ist in Summe der gesamte Text Levins durchdrungen. Von Auflage zu Auflage und Redaktion zu Redaktion wurden die persönlichen Erfahrungen Levins zurückgedrängt. Anderes hingegen, wie seine Urteile über die Schwäche des zarischen Systems64, den Chauvinismus der Habsburger65, den Klassenkampf im Lager66, die verhasste Provisorische Regierung67, ,,nächtliche internationale Versammlungen“68 der Gefangenen oder die Tätigkeit bolschewistischer Agitatoren69, erfuhren Erweiterungen. Keine Beziehung mehr zu seinen persönlichen Erlebnissen im Lager hatten dann 1936 Verallgemeinerungen bezüglich der Verfasstheit der russischen Kriegsgefangenen, die in vorherigen Ausgaben gefehlt hatten. So hieß es etwa: In den Lagern reiften jene Wandlungen und Stimmungen heran, die tausend Kilometer entfernt die russische Front zerschlugen […] Man kann sich nur

61 Persönliche Dokumente und handschriftlich niedergelegte Arbeiten in: Российский государственный архив литературы и искусства. 62 К. Я. Левин, Записки из плена в Австрии в 1915–1917 гг., М. 1931. 12. 63 Ebd., 12. 64 Ebd., 86. 65 Ebd., 24. 66 Ebd., 41, 53 f., 105, 238. 67 Ebd., 218, 231. 68 Ebd., 213, 227. 69 Ebd., 76, 153, 214, 228.

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schwer vorstellen, mit welch ungestümer und tiefer Freude in den Baracken die ersten Nachrichten über Verbrüderungen an der Front aufgenommen wurden, über Massendesertionen der Soldaten und über ihre Weigerung weiterzukämpfen. Das war genau das, was sie von ihren Kameraden erwartet hatten, es war genau das, was die Erwartungen in die Revolution erfüllt hat.70

Offensichtlich hat nicht nur die eigene Vergangenheit die Hand des Memoirenschreibers geführt, sondern vielmehr die jeweils vorherrschende Vergangenheitsbetrachtung. So verwies Levin vor dem Hintergrund der bolschewistischen Kampagne gegen Kirche und Religion auch darauf, wie hasserfüllt die Haltung der Soldaten sowohl vor als nach der Gefangenschaft gegenüber den Popen gewesen war.71 Auch gegenüber der „bourgeoisen Intelligenzschicht“ fehlte es nicht an Seitenhieben. Viele Arbeiter, hieß es dementsprechend, waren ihrer politischen Entwicklung nach höherstehend gewesen als die Intelligencija und daher in der Lage gewesen, die durch den Krieg entstandene Lage zu begreifen.72 Und da die Hoffnung auf eine Weltrevolution noch nicht erloschen war, machte man aus österreichischen Soldaten, Landstürmlern aus der Slowakei, kriegsgefangenen Italienern, tschechischen Bauern, deutschen Arbeitern und schwedischen Eisenbahnern zumindest Sympathisanten der Revolution, die eifrig in Verbindung mit russischen Kriegsgefangenen traten.73 „Ich gehe mit Dir nach Russland. Dort ist Revolution, dort haben es Soldaten besser“, zitierte Levin einen österreichischen Wachsoldaten – möglicherweise, um einem neuen Leitmotiv der sowjetischen Gegenwart zu entsprechen, wonach es zu Beginn der 1930er Jahre angezeigt war, nunmehr am „Sozialismus in einem Land“ zu bauen.74 Trotz diverser Annäherungen an politisch-ideologische Vorgaben blieben Widersprüche – etwa die Beschreibung von Hunger, Kälte und Krankheiten und schließlich auch Erzählungen von einem Chor und Orchester im Lager, von Schulen und Bibliotheken, von Theatern und Tänzen, von Grünanlagen und Blumen.75 All das suggerierte, dass die Gefangenschaft nicht nur ein Ort unmenschlicher Leiden und Nährboden für revolutionäre Ansichten gewesen war. Ungeachtet dessen avancierte Levin zu einem erfolgreichen sowjetischen Schriftsteller.76 Insgesamt aber mündete sein Versuch, persönliches 70 71 72 73 74 75 76

Ebd., 218 f. Ebd., 32, 97–98, 101 f., 223. Ebd., 82, 217, 238. Ebd., 96, 151, 152, 205, 207, 236, 245, 262, 268 f. Ebd., 236. Ebd., 54–57, 61–67, 80–84. Vgl. Союз писателей СССР: Справочник, М. 1954, 313.

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Erleben mit der Erfahrung „unterdrückter Massen“ zu verschränken, in eine verworrene, kaum überzeugende Darstellung. Möglicherweise wurde aus diesem Grund die Publikation von Erinnerungen ehemaliger Kriegsgefangener in der UdSSR eingestellt. Individuelle bzw. individualisierte Erinnerungen an die Kriegsgefangenschaft waren bald unerwünscht. Was folgte, war schließlich eine entpersonifizierte Variante, in der die Oktoberrevolution und die Entstehung der Sowjetunion im Hauptfokus standen.

Die sowjetische Historiographie der österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenschaft (1950er bis 1980er Jahre) Das Thema der österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenschaft blieb bis in die 1950er Jahre hinein im Wesentlichen vergessen.77 Wenn das Thema Erwähnung fand, dann in Zusammenhang mit feindlichen Gräueln, die allerdings nur Deutschland betrafen und gewissermaßen die Kontinuität deutscher Brutalität vor Augen halten sollte. Da die Darstellungen aber dem Vergleich mit den Verbrechen des Zweiten Weltkrieges nicht standhielten, blieben solche Erwähnungen vereinzelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Entstehung von sogenannten „Volksdemokratien“ dauerte es nicht lange, bis man sich dem Thema Kriegsgefangenschaft in Form einer Beschäftigung mit den Kriegsgefangenen-Internationalisten zuwandte. Die überwiegende Mehrheit der betreffenden Publikationen fokussierte auf die Geschichte der Revolutionierung der ausländischen Kriegsgefangenen des Ersten Weltkrieges in Russland sowie deren Teilnahme an den Ereignissen des „Großen Oktobers“ und des Bürgerkrieges. So war immer wieder von „brüderlicher Hilfe“ unter den unterdrückten Völkern die Rede, wobei die Tatsache, dass durch die Erfahrungen in Russland die heimkehrenden Kriegsgefangenen an den Aufbau des Sozialismus in ihrer eigenen Heimat schritten, als das wichtigere und entscheidendere Element dargestellt wurde.78 Nun ging es nicht mehr 77 Vgl. Документы о немецких зверствах в 1914–1918 гг., М. 1942; Зверства немцев в войну 1914–1918 гг. (из документов первой мировой войны), Л. 1943. 78 Vgl. П. Голуб, Братство, скрепленное кровью, М. 1958; Л. И. Жаров/B. M. Устинов, Интернациональные части в боях за власть Советов, М. 1960; Интернационалисты в боях за власть Советов., М. 1965; Интернационалисты: Трудящиеся зарубежных стран – участники борьбы за власть Советов, М. 1967; Интернационалисты. Трудящиеся зарубежных стран – участники борьбы за власть Советов на Юге и Востоке республики, М. 1971; Интернационалисты: участие трудящихся стран Центральной и Юго-Восточной Европы в борьбе за власть Советов, М. 1987; A. X. Клеванский, Чехословацкие интернационалисты и проданный корпус. Чехословацкие политические организации и воинские формирования в России

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darum, einfach die Russische Revolution im Ausland darzustellen, sondern die Gefangenschaft untermauerte die These von der einen Geschichte aller unterdrückten Klassen und der internationalen, weltweiten Bedeutung der Oktoberrevolution. Die „Helden“ dieser Geschichte – auch in Zusammenhang mit den Gefangenen – waren erwartungsgemäß die Bolschewiki und schließlich Lenin persönlich.79 Den russischen Kriegsgefangenen wurde eine in Summe bescheidene Rolle zuteil – als „Reserve der revolutionären Kräfte“80, ohne jeglichen subjektiven Charakter. Die russischen Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn wurden von den sowjetischen Autoren in erster Linie als Opfer dargestellt. Anders als in den vorangegangenen Jahrzehnten wurden zur Untermauerung von deren schlechter Behandlung nicht nur russische Quellen herangezogen, sondern auch Materialien aus Archiven in Belgrad, Budapest, Wien, Zagreb usw. Die Details, die nun angeführt wurden, mündeten wieder in eine eindimensionale Darstellung der „unmenschlichen Lebensbedingungen“ oder insgesamt der schlechten Behandlung der Gefangenen. 81 Übernommen wurden des Weiteren jene Anschuldigungen, die Ždanov gegenüber der zarischen Regierung in Bezug auf die Lage der Gefangenen erhoben hatte. Damit ließ sich nicht nur das schlimme Los der Gefangenen untermauern, sondern auch der imperialistische Charakter des 1914–1921 гг., М. 1965; Ф. А. Комарова, Интернационалисты зарубежных стран в борьбе за власть Советов в России, М. 1958; В. Г. Краснов, Интернационалисты на фронтах гражданской войны, М. 1989; А. Я Манусевич, Польские интернационалисты в борьбе за победу Советской власти в России. Февраль – октябрь 1917, М. 1965; Октябрьская революция и пролетарский интернационализм, М. 1970; Л. И. Яковлев, Интернациональная солидарность трудящихся зарубежных стран с народами Советской России. 1917–1922, М. 1964. 79 Vgl. В. Ф. Иванов, Большевистский журнал „В плену“ как исторический источник, in: Проблемы историографии и источниковедения истории КПСС: Сб. науч. тр., Днепропетровск 1979, 146–153; В. Ф. Иванов/Н. П Ионичев, Деятельность большевиков среди российских военнопленных в годы первой мировой войны, in: Научные труды по истории КПСС, Вып. 162: В. И. Ленин и история заграничных организаций РСДРП, Киев 1990, 99–104; A. A. Мальков, В. И. Ленин и работа большевиков среди русских военнопленных в Австро-Венгрии и Германии в 1915–1919 годах, in: Вопросы общественных наук: Сб. Статей, Вып. 2., Киев 1970, 82–95; Ders., Деятельность большевиков среди военнопленных русской армии (1915–1919 гг.), Казань 1971; Ю. А. Писарев, Русские военнопленные в Австро-Венгрии в 1917–1918 гг., in: История СССР 4 (1966), 166–178; A. B. Федоров, Участие русских солдат в защите Венгерской советской республики (1919 г.), in: Вопросы истории 2 (1955), 91–96; А. П. Якушина, Работа большевиков среди русских военнопленных в Германии и Австро-Венгрии (1914–1918), in: Вопросы истории КПСС 3 (1963), 59–69. 80 Мальков, Деятельность большевиков, 24. 81 Vgl. ebd., 26–28, 31; Писарев, Русские военнопленные в Австро-Венгрии, 173; Федоров, Участие русских солдат, 91.

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Krieges, der sich gegen die Interessen der Werktätigen wandte. Darüber hinaus wurden auch die Hilfsmaßnahmen der neutralen Staaten zu Gunsten der gefangenen Russen als formaler Akt eingestuft, der sich „in nichts auf deren Lage ausgewirkt hatte“, und die Hilfe seitens russischer philanthropischer Organisationen als „in ihrer Größenordnung erbärmlich“ bezeichnet, als entwürdigende „Gabe“ von Reichen an die Armen.82 Ungefähr in diesem Ton waren dann auch die Bewertungen der Lagervisitationen der Rot-Kreuz-Delegationen abgefasst, die in erster Linie den Interessen der Offiziere gedient hätten.83 Unter diesen Umständen hatten nach Urteil der sowjetischen Historiographie selbst die randständigsten Elemente über ihr bitteres Los nachzudenken begonnen, und die Gefangenschaft war nicht nur Gefangenschaft, sondern wandelte sich in eine „blutige Lektion“ und/oder „große Schule der politischen Erziehung“84. Jeglicher Widerstand seitens russischer Gefangener in österreichisch-ungarischer Kriegsgefangenschaft (Arbeitsverweigerung, Flucht usw.) wurde vor diesem Hintergrund als Aktion eines spontanen Protestes umgedeutet.85 Schließlich erschien die gesamte Kriegsgefangenschaft als Aufstand gegen den imperialistischen Krieg.86 Und genau hier, in der österreichisch-ungarischen (und deutschen) Kriegsgefangenschaft, inmitten der dem Elend preisgegebenen Gefangenen, erschienen nun die Bolschewiki mit V. I. Lenin an der Spitze und wurden für die Entwurzelten zum einzigen Lichtblick. In den Jahren des Ersten Weltkrieges befanden sich im Ausland 3,5 Millionen russische Kriegsgefangene. Der Zarismus und die Provisorische Regierung kümmerten sich nicht um sie. Die ganze mühevolle Arbeit mit ihnen lastete auf den Schultern V. I. Lenins und den bolschewistischen Auslandsorganisationen,

bemerkte in diesem Zusammenhang I. F. Ivanov.87 Gemeinsam mit anderen Autoren hob er hervor, dass die Agitations- und Propagandaarbeit in den

82 Vgl. Мальков, Деятельность большевиков, 28 f. 83 Ebd., 30. 84 Vgl. Иванов, Большевистский журнал, 151; Мальков, Деятельность большевиков, 62; Якушина, Работа большевиков среди русских военнопленных, 64, 68. 85 Vgl. Писарев, Русские военнопленные в Австро-Венгрии, 174; Федоров, Участие русских солдат, 91 f. 86 Vgl. Мальков, Деятельность большевиков, 19–24. 87 В. Ф. Иванов, Деятельность В. И. Ленина, Партии большевиков и советского правительства среди русских военнопленных: (Конец 1914–1922 гг.): Автореф. дисc., канд. ист. Наук, Днепропетровск 1980, 12.

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Gefangenenlagern schon von Beginn des Krieges an einen planmäßigen und systematischen Charakter hatte und „ein überaus wichtiger Teil im Kampf der Bolschewiki für eine Revolutionierung der Armee“ gewesen war.88 Im Zentrum dieses Kampfes war die „Kommission für die intellektuelle Hilfe für die Kriegsgefangenen beim Komitee der Auslandsorganisation der RSDRP“ gestanden, die im März 1915 in Bern gegründet worden war.89 Anhand der Materialien dieser Kommission und vor allem ihrer Korrespondenz mit den Kriegsgefangenen über das Versenden von revolutionärer Literatur in die Lager90 kamen die sowjetischen Historiker zu dem Schluss, dass „die Klassengegensätze“ in der Zarenarmee auch in der Gefangenschaft fortgewirkt hätten und dass die Mehrheit der Gefangenen in den Lagern, die ihre „Klasseninteressen erkannt hatten“, den Bolschewiki folgte und mehr noch: Lenin persönlich.91 Alle kulturell-aufklärerischen Initiativen in den Gefangenenlagern – die Gründung von Selbsthilfekomitees, Schulen, Kursen, Lektionen, Bibliotheken, Lesesälen usw. – wurden retrospektiv von der sowjetischen Historiographie usurpiert und den Bolschewiki zugeschrieben.92 Die Klubs „Wissen“ („Znanie“) und „Jugend“ im Lager Somorja und die Gruppe „Aufklärung“ in Brüx bezeichnete man als revolutionäre Organisationen, obwohl sie zum Teil bereits 1915 gegründet worden waren.93 Der Lesart der sowjetischen Historiographie zufolge konnte der Großteil der russischen Kriegsgefangenen zum Zeitpunkt der Februarrevolution die Ereignisse in Russland „korrekt“ einschätzen.94 Nach den Juliereignissen und der Ankunft von neuen russischen Kriegsgefangenen als Folge der Kerenskij-Offensive wären die Gefangenen endgültig überzeugt gewesen „vom imperialistischen Wesen der Provisorischen Regierung und von der verräterischen Politik der Menschewiki und SRy [Socialisty-Revoljucionery/Sozia­ listen-Revolutionäre]“.95 Zur Zeit der Oktoberrevolution schließlich wussten die russischen Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn laut sowjetischer Historiographie voll und ganz Bescheid über die verderbliche Losung eines „Krieges bis zum siegreichen Ende“ sowie über die irreführenden Botschaften 88 Ebd., 3. Siehe auch: Борьба большевиков за армию в трех революциях, М. 1969. 89 Ausführlich: Якушина, Работа большевиков среди русских военнопленных, 59. 90 Diese Korrespondenz wurde auszugsweise verwendet in: B. B. Зубец, Бернская конференция заграничных секций РСДРП: Дисc., канд. ист. Наук, М. 1959. 91 Siehe: Мальков, Деятельность большевиков, 57 f., 63, 92; Якушина, Работа большевиков среди русских военнопленных, 68 f. 92 Ebd., 79. 93 Vgl. z. B. in Hinblick auf Österreich-Ungarn die Erinnerungen von И. З. Станкин in: Исторический архив 5 (1961), 106 f. 94 Vgl. Мальков, Деятельность большевиков, 98. 95 Ebd., 100.

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nationalistischer, religiöser, monarchistischer und jeglicher anderer nicht-bolschewistischer Propaganda. Schließlich hieß es, dass die revolutionäre Welle, die sich von Russland aus über Deutschland und Österreich-Ungarn ab dem Oktober 1917 ergoss, auf fruchtbaren Boden traf – einen Boden, der aufbereitet worden war von russischen bolschewistischen Kriegsgefangenen.96 Die Teilnahme von Russen an den revolutionären Ereignissen in Ungarn im Jahr 1919 wurde seitens der sowjetischen Historiographie gewissermaßen als Höhepunkt der Geschichte der österreichisch-ungarischen Gefangenschaft aufgefasst. Über russische Internationalisten „im Kampf für die ungarische Räterepublik“ erschien eine Dokumentensammlung mit 40 Briefen aus Gefangenenlagern an die „Kommission der intellektuellen Hilfe für Kriegsgefangene beim Komitee der Auslandsorganisation der RSDRP“, mit Dokumenten über russische Einheiten innerhalb der ungarischen Roten Armee und verschiedenen Erinnerungen von russischen Teilnehmern an den Kämpfen in Ungarn. Sie sollten vor allem die internationale proletarische Solidarität unter Beweis stellen.97 Gleichzeitig aber zeigten die Materialien dieser und anderer Publikationen die Unfähigkeit Sowjetrusslands auf, die russischen Kriegsgefangenen zu repatriieren.98 Weder das Centroplenbež bzw. Centroevak noch die russische Kriegsgefangenenfürsorgemission in Österreich-Ungarn waren in der Lage gewesen, für eine rasche Heimkehr zu sorgen, sodass es zu Massenfluchten aus den Lagern kam und viele Gefangene über Serbien, Slowenien, Kroatien und Rumänien in die Heimat zu gelangen versuchten. Die Verantwortung hierfür wiesen sowjetische Historiker den Nehmestaaten zu, während die Sowjetführung bemüht gewesen sei, die Gefangenen heimzubefördern, um „sie für die Fortsetzung des Krieges im Osten“ einzusetzen.99 Österreich-Ungarn bzw. die Republik Österreich wurden außerdem beschuldigt, dass eine Werbung ehemaliger Gefangener für die „Weiße Armee“ betrieben worden sei.100 Klare Angaben zur Repatriierung russischer Kriegsgefangener machte die sowjetische Historiographie nicht. Weder gab es Statistiken über die Heimgekehrten noch über diejenigen, die in der Fremde geblieben waren. Mit keinerlei Zahlen belegt werden konnte auch die Behauptung, wonach  96 Якушина, Работа большевиков среди русских военнопленных, 68 f.  97 Vgl. Русские интернационалисты в борьбе за Венгерскую Советскую Республику, 1919: Сб. Документов, М. 1972.   98 Vgl. Писарев, Русские военнопленные в Австро-Венгрии, 171; Мальков, Деятельность большевиков, 126.  99 Vgl. Мальков, Деятельность большевиков, 139. Siehe auch: Писарев, Русские военнопленные в Австро-Венгрии, 171–178. 100 Vgl. Мальков, Деятельность большевиков, 173.

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der Großteil der heimgekehrten russischen Gefangenen sich auf die Seite der Sowjetmacht stellte und „in den Reihen der Roten Armee am Bürgerkrieg teilnahm“101. So wurde die Historiographie über die österreichisch-ungarische Kriegsgefangenschaft im Wesentlichen auf die Bolschewisierung der Gefangenen reduziert. Darüber hinaus konzentrierte sich die sowjetische Historiographie über etwa 30 Jahre hindurch auf zwei Fakten, die von einer zu anderen Arbeit gereicht wurden: die Korrespondenz Lenins und seiner Mitstreiter mit 300 Gefangenen und den Umstand, dass in die Lager „2200 Kilogramm“ an Literatur geschickt wurden.102 Bei alldem wurden Widersprüchlichkeiten übergangen – so zum Beispiel verdammte man die Widerstände der österreichisch-ungarischen und deutschen Behörden gegenüber den bolschewistischen Agitationen unter den Gefangenen, obwohl nach dem Frieden von Brest-Litowsk seitens der Bolschewiki die Zusage gemacht worden war, sich Propagandaaktivitäten zu enthalten. Widersprüchlich war auch, warum im Centroplenbež im Juni 1918 eine Aufklärungsabteilung geschaffen wurde, wo doch die Bolschewisierung der Kriegsgefangenen schon mit Ende 1917 für abgeschlossen erklärt worden war.103 An verzerrenden Darstellungen fehlte es nicht. A. A. Mal’kov beispielsweise führte an, dass im Lager Esztergom russische Kriegsgefangene Erklärungen an das Rote Kreuz gerichtet hatten, in denen sie auf eine ungleich bessere Lage der Gefangenen in Russland hinwiesen, die sich angeblich frei bewegen konnten und keinerlei Ausbeutung und Unterdrückung ausgesetzt waren. Dass solche Behauptungen doch einigermaßen weit von den tatsächlichen Gegebenheiten entfernt waren, wurde nicht näher kommentiert.104 Dass es nach der Machtergreifung der Bolschewiki dort und da Erleichterungen für die Gefangenen gegeben hatte, war überdies keine Frage der Menschenliebe gewesen, sondern einfach der Schwäche der Sowjetmacht zuzurechnen, die keine entsprechende Kontrolle über die Gefangenen ausüben konnte. Außerdem wurden diesbezügliche Befehle wieder rückgängig gemacht, und schon im Juni 1918 erließ das Centroplenbež Verfügungen, die die Gefangenen jeglicher Freihei-

101 Иванов, Большевистский журнал, 152. 102 Vgl. Иванов, Большевистский журнал, 151; Мальков, Деятельность большевиков, 46, 49; Писарев, Русские военнопленные в Австро-Венгрии, 170; Якушина Работа большевиков среди русских военнопленных, 62 f. 103 Vgl. Э. П. Нечаев/С. В. Лившиц, Деятельность органов Центральной коллегии по делам пленных и беженцев по идейно-политическому воспитанию русских военнопленных, возвратившихся на родину (1918–1920 гг.): депонированная рукопись, Куйбышев 1982. 104 Мальков, Деятельность большевиков, 177.

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ten beraubten und auf ein Regime hinausliefen, das „viel schlimmer war als das zarische“.105 Insgesamt spiegelte die Historiographie zur österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenschaft die allgemeingültigen Charakteristika der sowjetischen Historiographie der 1950er bis 1980er Jahre wider.106

Die postsowjetische Historiographie – Einschätzungen und weitere Perspektiven Die postsowjetische Historiographie zur Kriegsgefangenschaft in Österreich-­ Ungarn war zunächst bemüht, sich von den sowjetischen Vorläuferwerken zu distanzieren. Substantielle Neuinterpretationen sowie das Heranziehen neuer Quellen ließen allerdings auf sich warten.107 Korrekturen wurden lediglich in Hinblick auf den entscheidenden Einfluss der Bolschewiki auf die politische Haltung der Kriegsgefangenen angebracht, während die Kriegsgefangenen selbst als rechtlose, hilflose, ausgebeutete Individuen dargestellt wurden, die leicht zu manipulieren waren. Eine ganze Serie von Publikationen von S. N. Vasil’eva, die im Lehrbehelf „Die Kriegsgefangenen Deutschlands, Österreich-Ungarns und Russlands in den Jahren des Ersten Weltkrieges“ zusammengefasst sind, präsentierte Gefangene ebenfalls eher als Objekte denn als Subjekte.108 Die Darstellung der Gefangenschaft lief im Wesentlichen auf eine Zusammenschau der bisherigen Literatur zum Thema unter Ausschluss der späteren sowjetischen Historiographie hinaus. Am stärksten rezipiert wurden die „feindlichen Gräuel“, die gegenüber den russischen Kriegsgefangenen verübt worden waren.109 Die Autorin betonte überdies die Ähnlichkeiten zwischen den Bedingungen der Gefangenschaft in Deutschland und Österreich-Ungarn, machte aber insofern einen Unterschied, als sie die brutale Behandlung der Gefangenen in Deutschland als „systematisch“ bezeichnete, jene in Österreich als Ausfluss 105 Ausführlich: H. B. Суржикова, Военный плен в российской провинции (1914–1922 гг.), М. 2014, 288 f. 106 Ю. Н. Афанасьев, Феномен советской историографии, in: Советская историография: сб. Статей, М. 1996, 37. 107 Vgl. E. Sergeev, Russian Prisoners of World War I at the Austrian-Italian Front in 1915– 1917, in: Первая мировая война и ХХ век: Материалы Междунар. конф., М. 1995, 187–189; Ders., Русские военнопленные в Германии и Австро-Венгрии в годы Первой мировой войны, in: Новая и новейшая история 4 (1996), 65–78. 108 Vgl. C. H. Васильева, Военнопленные Германии, Австро-Венгрии и России в годы Первой мировой войны: учебное пособие к спецкурсу, М. 1999. 109 Ebd., 67.

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von Pflichtvergessenheit und Willkür. Die Lebensbedingungen in Österreich-Ungarn waren demnach in höherem Maß von der Persönlichkeit des Lagerkommandanten abhängig sowie von anderen Repräsentanten der militärischen Verwaltung.110 Die beschriebenen Forschungen, die sich der österreichisch-ungarischen und deutschen Kriegsgefangenschaft widmeten, wurden zur Grundlage für die gesamte nachfolgende postsowjetische Historiographie. Allerdings hat sich deren Ausrichtung insofern geändert, als es nunmehr nicht um Gesamtdarstellungen und Überblicke ging, sondern um eine Bearbeitung des Themas, das sich auf kleinere Felder konzentrierte. In diesem Zusammenhang ist u. a. auf eine Hinwendung zur Problematik der Zivilgefangenen hinzuweisen.111 I. K. Bogomolov, der sich dem Thema ausgehend von der Theorie vom „totalen Krieg“ näherte, hat das diesbezügliche Quellenmaterial als hauptsächlich propagandistisch bezeichnet.112 Entgegen dem Narrativ einer inhumanen Behandlung gegenüber russischen Zivilgefangenen in Österreich-Ungarn und Deutschland wies er darauf hin, von wie vielen unterschiedlichen Faktoren deren Schicksal abhing. Darüber hinaus waren weder Österreich-Ungarn noch Deutschland an einer dauerhaften Internierung interessiert, was die Repatriierung der Betroffenen schließlich begünstigte. Der wachsenden Germanophobie konnte dieser Umstand allerdings nicht entgegenwirken, sondern lieferte sozusagen den Startschuss für die Herausbildung einer Konzeption feindlicher „Gräuel“. In Zusammenhang mit den Kriegsgefangenen rückte vor allem der Lageralltag113 ins Zentrum der Aufmerksamkeit, wobei dessen Erforschung vor allem von den Arbeiten E. S. Senjavskajas114 profitierte. Unter Hinzuziehung 110 Ebd., 67 f. 111 Vgl. Н. Б. Хайлова, Люди из примечаний. Максим Максимович Ковалевский – австрийский пленник, in: Россия XX/6 (2015), 172–188. 112 Vgl. И. К. Богомолов, Русские подданные в Австро-Венгрии и Германии в июле-октябре 1914 г., in: Россия и современный мир 2 (2017), 143–160. 113 Vgl. C. A. Виноградов, Русские военнопленные в югославянских землях Австро-­ Венгрии, в Сербии и Черногории в 1914–1918 гг., in: Новый часовой 5 (1997), 98–100; M. B. Оськин, Неизвестные трагедии Первой мировой войны. Пленные. Дезертиры. Беженцы, М. 2011; T. Симонова, Русские в германском и австрийском плену в период Первой мировой войны, in: Журнал Московской патриархии 5 (2006), 72–89. 114 Vgl. E. C., Сенявская, Повседневная жизнь в австрийском плену глазами русского солдата. 1915–1918 гг. (по дневнику P. M. Фишелева), in: Россия в годы Первой мировой войны, 1914–1918: Материалы Междунар. науч. конф., М. 2014, 643– 650; Dies., Положение русских военнопленных в годы Первой мировой войны: очерк повседневной реальности, in: Вестник Российского университета дружбы народов. Сер.: История России 1 (2013), 64–83.

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eine Reihe von neuen und bislang ungenutzten Quellen, die hauptsächlich der Memoirenliteratur zuzuordnen waren bzw. in Briefform vorlagen, kam sie zu dem Schluss, dass „die Erfahrung der Kriegsgefangenschaft genauso individuell war wie das jeweilige Fronterlebnis“. In Zusammenhang mit der „vielgestaltigen Realität des Alltagslebens unter den Bedingungen der Kriegsgefangenschaft“ und mit der Betonung auf die Vielschichtigkeit der Problematik blieb Senjavskaja allerdings innerhalb des Rahmens eines „Leidensdiskurses“. Dabei schränkte sie jedoch mit Verweis auf Oksana Nagornaja, die Spezialistin in Russland für die Geschichte der russischen Kriegsgefangenen in Deutschland, ein, dass sich trotz aller Unzulänglichkeiten und Grausamkeiten das Lagerleben während des Ersten Weltkrieges nicht mit den faschistischen Lagern des Zweiten Weltkrieges gleichsetzen ließe.115 Weitere Arbeiten zum Alltag in österreichisch-ungarischer und deutscher Kriegsgefangenschaft, die dem Schicksal russischer Priester galten und dem Tenor des „Märtyrertums“ speziell dieses Personenkreises entsprachen, folgten.116 A. A. Kostrjukov, der sich diesem Thema widmete, konstatierte zum Beispiel, dass „die Lagerleitung, die sich formal nicht gegen den Gottesdienst wehrte, dennoch die Priester oft daran hinderte, ihren Pflichten nachzukommen“, was wiederum deren Seelsorgetätigkeit in eine regelrechte Heldentat verwandelt hätte.117 Hier ging es allerdings nicht nur um die Manifestation historiographischer Stereotype, sondern auch um eine weiterreichende Beschäftigung mit der Geschichte des russischen Priestertums, das im Zuge des 20. Jahrhunderts mehrfachen Repressionen ausgesetzt gewesen war. Gleichzeitig verwies die Auseinandersetzung mit den religiösen Aspekten der Kriegsgefangenschaft auf bislang vernachlässigte Aspekte, die nunmehr auch psychologische Begleit­ erscheinungen und Folgewirkungen der Kriegsgefangenschaft umfassten. Eine wichtige Weiterentwicklung erfuhr die Historiographie auch durch eine Abkehr von rein klassen- bzw. schichtenbezogenen Untersuchungen hin zur Frage der Ethnisierung von Kriegsgefangenschaft. In diesem Zusammenhang wurden etwa ethnologische Untersuchungen an Gefangenen erforscht, und zwar in Zusammenhang mit finno-ugrischen Völkern.118 115 Сенявская, Положение русских военнопленных, 82 f. 116 Vgl. A. Карпович, Воспоминания из австрийского плена в годы первой мировой вой­ ­ны, in: Церковно-исторический вестник: Издание Общества любителей церковной истории 8 (2001), 5–17; Г. Поляков, Военное духовенство России, М. 2002, 405–408. 117 A. A. Кострюков, Русские военные священники в немецко-австрийском плену в годы Первой мировой войны, in: Церковь и время: Научно-богословский и церковно-общественный журнал 2/35 (2006), 109–118. 118 Vgl. B. H. Денисов, История одного „невоенного“ проекта: фонографические и граммофонные записи военнопленных-удмуртов в 1915–1918 гг. в Австро-Вен-

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Mit Fokus auf den wissenschaftlichen Wert der diesbezüglich vorhandenen Materialien, wie etwa Phonogramm-Aufnahmen, blieb allerdings der Kontext von deren Entstehung weitgehend ausgeblendet. Diesbezüglich ist auf die Arbeiten ausländischer Forscherinnen und Forscher zu verweisen, die sich den ideologischen und rassistischen Komponenten dieser Untersuchungen widmeten.119 L. A. Starčenko wiederum konzentrierte sich auf das besondere Interesse, das seitens deutscher und österreichisch-ungarischer Behörden den sogenannten „Kleinrussen“, d. h. Ruthenen bzw. Ukrainern, zuteilwurde, die ab 1915 in eigenen Propagandalagern untergebracht wurden.120 Allerdings fußten die diesbezüglichen Darstellungen auf weitgehend bekannten Quellen, sodass keine neuen Erkenntnisse geboten werden konnten. Der Autor selbst rekurrierte auf betreffende Kernaussagen von Oksana Nagornaja über die Propagandaabsichten der Mittelmächte, stellte jedoch die Rolle der Gefangenen als lediglich passive „Objekte“ ohne einen gestalterischen Handlungsspielraum in Frage. Der Frage der Bewertung der Kriegsgefangenschaft seitens des russischen Staates und der russischen Öffentlichkeit wandte sich indessen E. E. Abdrašitov zu.121 Entgegen dem gängigen Narrativ deutscher und österreiгрии и Германии, in: Удмуртский край в годы Первой мировой войны, Ижевск 2014, 175–181; B. H. Денисов/A. E. Загребин, Из истории фонографических и граммофонных записей представителей финно-угорских народов в годы Первой мировой войны в Австро-Венгрии и Германии, in: Сибирский филологический журнал 4 (2015), 23–28; B. H. Денисов/A. B. Егоров/A. E. Загребин/A. Шереш, Записи удмуртских военнопленных 1915–1918 гг. в фондах Фонограммархива Австрийской академии наук, in: Ежегодник финно-угорских исследований, T. 10/4 (2016), 122–132. 119 Vgl. dazu: Encapsulated Voices. Estonian Sound Recordings from the German Prisoner-of-War Camps in 1916–1918, ed. by Jaan Ross, Estonian Academy of Music and Theatre, Tallinn, Cologne/Weimar/Vienna 2012; G. Höpp, Muslime in der Mark. Als Kriegsgefangene und Internierte in Wünsdorf und Zossen, 1914–1924, Berlin 1997; M. Kahleyss, Muslime in Brandenburg. Kriegsgefangene im 1.Weltkrieg. Ansichten und Absichten, Berlin 1998; V. Moritz/H. Leidinger, Zwischen Nutzung und Bedrohung. Die russischen Kriegsgefangenen in Österreich (1914–1921), Bonn 2005; M. Scheer, Captive Voices. Phonographic Recordings in the German and Austrian Prisoner-of-War Camps of World War I, in: Reinhard Johler/Christian Marchetti/Monique Scheer (Hg.), Doing Anthropology in Wartime and War Zones. World War I and the Cultural Sciences in Europe, Bielefeld 2010, 179–309. 120 Vgl. Л. А. Старченко, Положение плененных малороссов в Германии и Австро-Венгрии во время Первой мировой войны, in: Славяноведение 3 (2017), 65–70. 121 Siehe: Э. Е. Абдрашитов, Деятельность общественных и международных организаций в деле оказания помощи российским военнопленным в Германии и Австро-Венгрии, in: Научные Ведомости Белгородского государственного университета. История. Политология. Экономика. Информатика 8 (151), Вып. 26. (2013),

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chisch-ungarischer „Gräuel“ in Bezug auf die Kriegsgefangenen erläuterte er vielmehr die dahinter verborgenen russischen Propagandaabsichten, die die Gesellschaft auf einen langen und auszehrenden Krieg einschwören sollten. In seiner Einschätzung kam allerdings der diesbezügliche Pragmatismus der russischen Behörden zu kurz. Darüber hinaus ließ er den Umstand beiseite, dass am Anfang des Festschreibungsprozesses feindlichen „Gräuels“ nicht nur staatliche Strukturen standen, sondern die organisierte Öffentlichkeit Russlands. Immerhin ging es darum, russische Kriegsgefangene als Helden darzustellen. Die Notwendigkeit einer Unterstützung der Kriegsgefangenen musste zu einer Zeit betont werden, als sich in den offiziellen Kreisen eine völlig andere Haltung gegenüber dieser Thematik breitmachte. Relativ unkritisch übernimmt Abdrašitov des Weiteren Einschätzungen hinsichtlich einer gewissermaßen „humaneren“ österreichisch-ungarische Kriegsgefangenschaft im Vergleich zur deutschen – ein Umstand, der mit dem slawischen Einfluss in der Habsburgermonarchie erklärt wird. Die durchaus bemerkenswerte Erkenntnis, wonach das bäuerliche Russland, mit anderen Worten 85 Prozent der russischen Gesellschaft, kein übertriebenes Interesse an der Problematik der Kriegsgefangenen hatte, widerspricht wiederum seiner Schlussfolgerung über die Effektivität der offiziellen Propaganda. Immerhin verweist der Autor auf die schnelle Rehabilitierung Deutschlands im Bewusstsein der Russen in den 1920er Jahren.122 Hier zeigt sich die Komplexität der Problematik, deren Erforschung über den Kontext der Kriegsgefangenschaft allein hinausreichen muss. Spezielle Untersuchungen wurden des Weiteren auch der Frage der Heimkehr aus österreichisch-ungarischer und deutscher Kriegsgefangenschaft gewidmet.123 Das Interesse galt hauptsächlich der Tätigkeit sowjetischer 125–132; Ders., Положение военнопленных в годы Первой мировой войны в российском интеллектуальном пространстве в 1914–1917 гг., in: Вестник Северо-Кавказского федерального ун-та 5 (2013), 77–81; Ders., Положение пленных россиян в информационной политике России в 1914–1917 гг.: внутриполитические и внешнеполитические аспекты, Казань 2014; Ders., Российские военнопленные в Австро-Венгрии (1914–1917 гг.), in: Ученые записки кафедры новой и новейшей истории Ставропольского гос. ун-та, Вып. 5, Ставрополь 2012, 137–150; Э. Е. Абдрашитов/И. В. Крючков, Материалы Чрезвычайной Следственной комиссии А. Н. Кривцова и проблема насилья над российскими военнопленными, in: Вестник Пятигорского гос. лингвистического ун-та 4 (2014), 12–18. 122 Vgl. Э. Е. Абдрашитов, Положение пленных россиян в информационной политике России в 1914–1917 гг.: внутриполитические и внешнеполитические аспекты: Автореф. дисc., докт. ист. наук., Ставрополь 2015, 34–53. 123 Vgl. И. А. Жданова, Организация возвращения российских пленных в 1918–1919 годах, in: Российская история 4 (2011), 63–72; Dies., „Эти военнопленные страшно озлоблены …“. Организация возвращения российских пленных в 1918 – начале

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Evakuierungsdienste. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass planmäßige Repatriierungsaktionen angesichts der Massenheimkehr russischer Kriegsgefangener nicht umgesetzt werden konnten. Den damit verbundenen Herausforderungen zeigte sich Sowjetrussland nicht gewachsen. Allerdings haben Historiker in diesem Zusammenhang eine allzu negative Bewertung vermieden und sich vor allem auf Statistiken gestützt.124 Kritische Anmerkungen gibt es aber in Bezug auf Organisation und Ablauf sowie mangelndes Krisenmanagement. Laut I. A. Ždanova hielten die Behörden die den Kriegsgefangenen entgegengebrachte Aufmerksamkeit für übertrieben, sobald klar wurde, dass ihrerseits keine konterrevolutionären Aktionen zu befürchten waren.125 Gleichzeit hat sich in einer der raren Untersuchungen zu dieser Thematik gezeigt, dass das Problem der Repatriierung russischer Kriegsgefangener den Rahmen des nationalen Kontextes sprengte und dass hierfür nicht allein der Untergang der Imperien verantwortlich gewesen war, sondern das Ende der klassischen Diplomatie und der früheren Ordnung insgesamt. Erst auf Grundlage internationaler Vermittlungen gelang es, die Frage der Heimkehr der Kriegsgefangenen zu regeln.126 Insgesamt bleibt hinsichtlich der neueren russischen Literatur zur Gefangenenthematik ein breiter gewordenes Themenspektrum festzuhalten. Hier hat sie sich allerdings unterschiedlich weit von früheren Interpretationen entfernt. Es ergibt sich auch die Frage, inwiefern die Untersuchung der österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenschaft zu einem eigenen Thema der Forschung werden kann. Noch ist sie an den Vergleich mit der deutschen 1919 г. в Петрограде, in: Клио 1/48 (2010), 138–144; B. A. Карелин, Проблема интернирования русских военнопленных Первой мировой войны, in: Новая и новейшая история 1 (2010), 93–105; O. C. Нагорная, Гуманитарные устремления на пепелище Великой войны. транснациональное измерение европейского опыта репатриации военнопленных, in: Диалог со временем 48 (2014), 7–15; Dies., „Эвакуация в том виде, в котором она существует, губительна для военнопленных и опасна для государства“. советская практика репатриации русских военнопленных Первой мировой войны, in: Вестник Челябинского гос. ун-та, 15 (116), 2008. История. Вып. 24., 55–62; A. B. Посадский, Пленные после плена. к истории русских военнопленных Великой войны в 1918–1920 гг., in: Доклады академии военных наук. Военная история, 5 (23): Первая мировая война. поиски новых подходов к исследованию, приглашение к диалогу, Саратов 2006, 183–188; В. Л. Телицын, Возвращение домой. К истории русских военнопленных Первой мировой войны, М. 2011; В. Л. Чернопёров, Деятельность советского дипломата В. Л. Коппа по возвращению на родину российских военнопленных (1919–1921 гг.), in: Доклады академии военных наук, 88–198; И. П. Щеров, Миграционная политика в России 1914–1922 гг., Смоленск 2000. 124 Vgl. Телицын, Возвращение домой. 125 Жданова, Организация возвращения российских пленных, 70. 126 Vgl. Нагорная, Гуманитарные устремления на пепелище Великой войны.

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Gefangenschaft gebunden. Eine neue Positionierung des Forschungsfeldes bedarf folgerichtig einer Abkehr von überkommenen Wertungen, die bis heute nachwirken. In erster Linie bezieht sich dieser Befund auf das Narrativ der „Gräuel“, dessen Spuren sich auch in der aktuellen Historiographie zur Kriegsgefangenschaft finden lassen.127 Die Überwindung festgeschriebener Interpretationen findet gerade erst statt128; dieser Prozess aber wird wiederum von der immer noch ausstehenden Erneuerung der Quellenbasis gebremst. Ohne Zweifel haben die Heranziehung von Aktenmaterial aus dem Staatlichen Archiv der Russländischen Föderation (GARF), dem Russländischen Militärhistorischen Archiv (RGVIA), dem Archiv der Außenpolitik des Russländischen Imperiums (AVPRI), der Korrespondenzen aus dem Staatlichen Historischen Museum, aber auch von Materialien aus regionalen Archiven sowie privaten Sammlungen die russische Historiographie qualitativ aufgewertet.129 Allerdings bleibt der Mangel an Quellen aus Wien, Belgrad, Prag, 127 Vgl. Е. Ю. Бондаренко, Иностранные военнопленные на Дальнем Востоке России. 1914–1956 гг., Дис. докт. ист. наук. Владивосток 2004, 203; В. И. Косых, Военнопленные забайкальцы в лагерях Германии и Австро-Венгрии в годы Первой мировой войны, in: Укрепление единства российской нации и этнокультурное развитие народов Забайкалья, Чита 2019, 106–108; Б. И. Ниманов, особенности и основные факторы содержания и хозяйственной деятельности военнопленных в 1914–1917 годах в Поволжье, Дис. канд. ист. наук. М. 2009, 67; A. H. Талапин, Военнопленные Первой мировой войны на территории Западной Сибири. Июль 1914 – май 1918 гг., Дис. канд. ист. наук. Омск 2005, 171 f., 186. 128 Vgl. z. B. А. Б. Асташов, Нарушение законов и обычаев войны на русском фронте Первой мировой (по материалам российской Чрезвычайной следственной комиссии), in: Новая и новейшая история 2 (2014), 35–46; Ders., Пропаганда на русском фронте в годы Первой мировой войны, М. 2012; И. О. Дементьев, „Исключения из общего правила“. смена вех в дискуссиях западных историков о характере русской оккупации Восточной Пруссии в годы Первой мировой войны, in: Калининградские архивы 11 (2014), 75–88; N. B. Суржикова, „Кормили нас ужасно, работать заставляли выше сил“. тема вражеского плена, зверств и насилия в российской печати 1914–1917 гг., in: Диалог со временем 59 (2017), 183–203. 129 In der Hauptsache handelt es sich um Ego-Dokumente. Siehe z. B.: А. Н. Кудрявцев/А. В. Соколов, В окопах и в плену. солдатский дневник времен Первой мировой войны, in: Запад-Восток 7 (2014), 136–152; 9 (2016), 163–180; A. Солнцев-Засекин, Побег генерала Корнилова из австрийского плена. составлено по личным воспоминаниям, рассказам и запискам других участников побега и самого генерала, М. 2014; P. Фишелев, Дневник рядового солдата Великой войны, in: Рейтар. Военно-­ исторический журнал 2/64 (2014), 199–234; 3/65 (2014), 138–162; Siehe auch: Э. Е. Абдрашитов, Письма военнопленных Первой мировой войны как канал передачи информации, in: Вестник Томского гос. ун-та. Сер.: История 3 (2012), 30–35; O. E. Бондаренко, Письма с Первой мировой: на примере Усть-Сысольского уезда Вологодской губернии, in: Воинский подвиг защитников Отечества: материалы межрегион. научно-практ. конф. Вологда, Ч. 2., 2000, 269–275; Ф. А. Петров/M. B. Фалалеева, Солдатские письма с фронта и из плена Первой мировой войны.

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Budapest, Bratislava, Zagreb, Prag usw. weiterhin evident. Insofern wird die Geschichte der österreichisch-ungarischen Gefangenschaft, die in Russland geschrieben wird, eine Geschichte Russlands bleiben, und damit die Geschichte einer streng nationalen Orientierung, die nicht frei von Stereotypen ist. Darüber hinaus kommt die Geschichtsschreibung der österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenschaft in ihrem russischen Verständnis weitgehend ohne Beachtung ausländischer Forschungsergebnisse aus und präsentiert sich solcherart mit geradezu autistischen Zügen. Insofern wird es ein Ende der Isolation brauchen, in der sich die russische Historiographie immer noch befindet. Des Weiteren bleibt auch darauf zu hoffen, dass sich das Thema aus einem rein militärischen Kontext löst und Fragestellungen aufgegriffen werden, die das Potential der Kriegsgefangenenproblematik ausschöpfen.

Новые материалы из собрания Отдела письменных источников Государственного исторического музея, in: Война и оружие. Новые исследования и материалы. Труды Пятой Междунар. научно-практ. Конф, Ч. III, СПб. 2014, 453–466.

SERBIEN

Danilo Šarenac

Die Vergessenen Schlaglichter auf die Geschichte der serbischen Kriegsgefangenen des Ersten Weltkrieges

Eine der vielleicht berührendsten Geschichten aus Serbiens „Großem Krieg“ ist jene eines acht Jahre alten Kinder-Soldaten namens Momčilo Gavrić. Am Beginn der österreichisch-ungarischen Invasion in Serbien kam eine der vorrückenden Einheiten in den Heimatort des Jungen: Trbušnica. Das kleine Dorf war nur wenige Kilometer von der Drina und von der Stadt Loznica entfernt. Gavrićs Eltern, vier seiner Brüder und drei seiner Schwestern wurden getötet. Momčilo Gavrić und eine ältere Schwester überlebten das Massaker, da sie sich zufälligerweise zu dieser Zeit nicht in Trbušnica aufhielten. Der Junge wurde bald nach den Ereignissen von einer serbischen Artillerieeinheit gewissermaßen „adoptiert“. Die Soldaten schneiderten ihm schließlich sogar eine Uniform und beförderten ihn zum Korporal und schließlich zum Sergeanten. Momčilo durchlebte alle Härten, denen die serbische Armee bis 1918 ausgesetzt war, bis er gegen Ende des letzten Kriegsjahres in eine Schule nach Großbritannien geschickt wurde. Die Geschichte über den kleinen Jungen errang schon bald eine Art Kultstatus, da sie die Leiden der Zivilbevölkerung während des Krieges eindrucksvoll dokumentierte.1 Darüber hinaus eignete sich Momčilo Gavrićs Schicksal als Symbol für den Widerstand der serbischen Bevölkerung gegen 1

Momčilo Gavrić war fast während des gesamten Krieges bei der betreffenden Artillerieeinheit geblieben. 1918 schickte ihn sein kommandierender Offizier nach Großbritannien, wo er die Schule besuchen konnte. 1921 kehrte er nach Serbien zurück. Erstmals erwähnt wurde er bzw. sein Schicksal in der Belgrader Tageszeitung „Politika“ im Jahr 1964, und zwar in Zusammenhang mit einem von Gavrićs Offizieren, einem Leutnant Ćirić. Das Interesse am Schicksal des Kinder-Soldaten kam allerdings erst in den 1980er Jahren in Schwung. 1991 war Momčilo Gavrić unter der Gruppe der sogenannten „Saloniki-Männer“ – Veteranen, die vom damaligen Präsidenten Slobodan Milošević dekoriert wurden. 2014 wurde eine Straße in Loznica nach ihm benannt, und 2015 erfolgte eine Benennung einer anderen Straße nach ihm in Beograd. Siehe: Stevan Tucović, Ratni dnevnik pukovnika Stevana J. Tucovića, herausgegeben von Aleksandar V. Savić/Đordje Pilčević, Užice 2017, 130 f.; Milisav Sekulić, Sa Gučeva u legendu. Životopis Momčila Gavrića. Najmlađeg ratnika Srbije, Beograd 2009.

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die Invasoren. Was an der Geschichte nicht in dieses Muster passte, wurde beiseitegelassen. Zum Beispiel der Umstand, dass zwei von Gavrićs älteren Brüdern ebenfalls den Krieg überlebten. Sie waren bereits zur Armee eingezogen worden, als ihre Familie ermordet wurde. Die beiden gerieten schon in den ersten Tagen, nachdem die Kämpfe begonnen hatten, in Kriegsgefangenschaft. Ihre Uniform garantierte anscheinend eine größere Sicherheit für ihr Überleben, als sie die Zivilbevölkerung beim Einmarsch der feindlichen Truppen für sich beanspruchen konnte. Was die Brüder in der Gefangenschaft durchmachten, erschien allerdings nicht annähernd vergleichbar mit der legendären Tapferkeit des kleinen Momčilo. Kriegsgefangenschaft war kein Aspekt, der sich ohne Weiteres in Serbiens „Selbstporträt“, das nach dem Krieg gezeichnet wurde, einfügen ließ. Nichtsdestoweniger geriet, gemessen an der Gesamtzahl serbischer Soldaten, wahrscheinlich ein Drittel von ihnen in Gefangenschaft. So betrachtet ist der vermittelte Eindruck von einer „homogenen serbischen Armee“ in den Jahren 1914 bis 1918 höchst fragwürdig, und das Narrativ von den „Tagen der großen nationalen Einheit“ bedarf einer Ergänzung um diese spezielle Facette des Krieges. Serbien zog mit fast 500.000 Soldaten in den Krieg. Bis zum Oktober waren es weitere Zehntausende, die den Armeedienst durchliefen.2 Hinsichtlich der Anzahl der Kriegsgefangenen wiederum stützte sich die serbische Regierung bei ihren Berechnungen auf jene dürftigen Zahlen, die ihr die Zentralmächte nannten oder die von verschiedenen Hilfsgesellschaften stammten. Die serbische Delegation bei den Pariser Friedensverhandlungen ging von 148.288 Kriegsgefangenen aus, die sich in Gewahrsam Österreich-Ungarns, Deutschlands und Bulgariens befunden hatten. Grundlegende Informationen zu der Gesamtzahl serbischer Gefangener stammten aus einem Bericht des Österreichischen Roten Kreuzes vom Februar 1918. Allerdings fehlten darin Angaben zur Situation in den Jahren davor. Aus diesem Grund nahm die serbische Regierung eine höhere Zahl an.3 Heute gehen Historiker von 200.000 bis 250.000 Kriegsgefangenen in den Händen der Mittelmächte aus. Diese Schätzung basiert auf Zahlen, die in Österreich und Deutschland nach Ende des Krieges veröffentlicht wurden.4 2 3

4

Andrej Mitrović, Srbija u Prvom svetskom ratu, Beograd 2004, 79. Rapport sur les dommages de guerre causés à la Serbie et au Monténégro présenté à la Commission des Réparations des Dommages, Paris: Délégation du Royaume des Serbes, Croates et Slovènes à la Conférence de la Paix, 1919, 20 f. Bogdan Trifunović, Prisoners of War and Internees (South East Europe), in: 19141918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2014–10–08. DOI: 10.15463/ie1418.10132 (abgerufen am

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Trotz dieser beachtlichen Zahl von serbischen Soldaten, die während des Krieges in Gefangenschaft gerieten, blieb das Interesse der serbischen Historiographie an dem Thema lange Zeit gering. Der vorliegende Artikel bemüht sich um einen Überblick über die Geschichtsschreibung in Serbien zu den Kriegsgefangenen und leitet schließlich über zu der Frage vorhandener Forschungslücken sowie zu den Perspektiven einer Auseinandersetzung mit der Gefangenenproblematik. Als Beispiel für das Potential einer Geschichte der Kriegsgefangenschaft werden die verschiedenen Phasen der Gefangennahme im Zuge der serbischen Kriegsführung aufgezeigt und in Bezug zur Selbstwahrnehmung des offiziellen Serbiens gesetzt. Ein weiterer Teil des Textes wiederum widmet sich auf Basis verschiedener Archivdokumente der weitgehend unbekannten Geschichte serbischer Initiativen zur Unterstützung der Kriegsgefangenen.

Die serbische Historiographie zum Schicksal der Gefangenen in Österreich-Ungarn Zu Anfang 1916 war Serbien ein besetztes Land. Das serbische Armeekommando begann sein Exil auf der Insel Korfu. Die Generäle verfügten nun über etwa 150.000 Soldaten – jene, die die albanische Küste erreichten und von dort auf Schiffen der Entente evakuiert wurden.5 So ergab es sich, dass mehr serbische Soldaten in Gefangenschaft kamen, als damals für den Kampf einzusetzende Männer vorhanden waren. Trotz dieses überaus bemerkenswerten Umstandes widmete die serbische Geschichtsschreibung dem Phänomen Kriegsgefangenschaft lange Zeit nur sehr wenig Aufmerksamkeit. Freilich war das mangelnde Interesse an der Thematik nicht unbedingt ein Spezifikum der jugoslawischen beziehungsweise serbischen Historiographie. Bekanntlich kam die Erforschung der Kriegsgefangenenproblematik des Ersten Weltkrieges weltweit erst ab den 1990er Jahren in die Gänge.6 Als

5

6

2.8.2021); Dalibor Denda, Srpski ratni zarobljenici u Prvom svetskom ratu, in: Leksikon Prvog svetskog rata u Srbiji, hg. von Stanislav Sretenović/Danilo Šarenac, Beograd, 345. Dalibor Denda, Srpski ratni zarobljenici u svetskom ratu, in: Prvi svetski rat, Balkan i velike sile, Beograd 2015, 17–37; Dalibor Denda, Srpski zarobljenici Centralnih sila, in: Leksikon Prvog svetskog rata u Srbiji, hg. von Stanislav Sretenović/Danilo Šarenac, Beograd 2015, 345–348. Vgl. neben vielen anderen: Annette Becker, Oubliés de la grande guerre. Humanitaire et culture de guerre. Populations occupées, deportés civils, prisonniers de guerre, Paris 1998 oder Matthew Stibbe, Introduction. Captivity, Forced Labour and Forced Migration during the First World War, in: Matthew Stibbe (Hg.), Captivity, Forced Labour and Forced Migration in Europe during the First World War, Oxford 2013, 1–15.

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Folge der schließlich einsetzenden Untersuchungen wurde evident, dass sich die Kriegsgefangenschaft als Prisma für die Erforschung verschiedener Prozesse eignete, die sich auf soziale, kulturelle und wirtschaftliche Aspekte der Kriegsgeschichte bezogen.7 Darüber hinaus bot sich die Kriegsgefangenschaft des Ersten Weltkrieges als Vergleichskategorie für weitere Entwicklungen der Gefangenenbehandlung im 20. Jahrhundert an.8 Kriegsgefangene und deren Schicksal als fixen Bestandteil in die Erforschung des Ersten Weltkrieges zu integrieren, ist mittlerweile gewissermaßen zur Selbstverständlichkeit geworden. Nicht nur in Serbien blickte man vor allem zu Beginn des Krieges mit Skepsis auf die in Gefangenschaft geratenen Soldaten. Es wurde deutlich, dass der Status „Kriegsgefangener“ nicht kompatibel war mit gesellschaftlich weithin akzeptierten Vorstellungen vom Helden und Verteidiger des Vaterlandes. Hinzu kam die spezielle Erfahrung des „Großen serbischen Rückzuges“ 1915 oder des sogenannten „Albanischen Golgothas“. Ab 1916 wurden Kriegsgefangene vor diesem Hintergrund wahrscheinlich mehr noch als zuvor mit Verrätern gleichgesetzt. In das Narrativ vom unbeugsamen Widerstand oder vom heldenhaften Kampf ließen sie sich schwer ­integrieren. Aufmerksamkeit wurde den Gefangenen lediglich in Zusammenhang mit Anwürfen gegen die Mittelmächte zuteil, als die schlechte Behandlung der Serben zur Sprache kam. Auch in die spätere Historiographie des Ersten Weltkrieges ließen sich die serbischen Kriegsgefangenen nur bedingt einordnen. In der Zwischenkriegszeit waren es hauptsächlich Zeitzeugenberichte, die das Schicksal der Kriegsgefangenen aufgriffen. Unter diesen ragt eine Veröffentlichung aus dem Jahr 1923 heraus. Sie stammt von Vladislav Pandurović, der während des Krieges im für das Zensurwesen zuständigen „Gemeinsamen Zentralnachweisebureau (GZNB)“ in Wien tätig war und die Korrespondenz serbischer und montenegrinischer Kriegsgefangener überprüfte. Im Rahmen seiner Dienstzeit hatte er heimlich Kopien der zensurierten Gefangenenbriefe gemacht. Er veröffentlichte diese dann in Form einer Auswahl, ohne die tatsächlichen Namen der Verfasser zu nennen. Trotz der daraus resultierenden spezifischen, weil ganz und gar subjektiven Sicht auf das Los der Gefangenen handelt es sich um eine bedeutende Quellensammlung. Pan-

7 8

Vgl. dazu den Text zur österreichischen Historiographie mit Bezügen zur internationalen Geschichtsschreibung in diesem Band. Neville Wylie, Prisoners of War in the Era of Total War, in: War in History 13/2 (2006), 217–233; Heather Jones, Revising the Laws of War on Prisoners of War in the Twentieth Century. Introduction, in: War in History 23/4 (2016), 408–415.

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durovićs Buch wurde im Rahmen des Gedenkens 1914/2014 in Kroatien neu aufgelegt.9 1928 publizierte ein aus Bosnien-Herzegowina stammender Serbe und Militärpriester im österreichisch-ungarischen Heer, Dušan N. Obradović, ein Buch über die „Österreichischen Slawen“ im Krieg. Darin gab er tiefe Einblicke in das Leben serbischer Kriegsgefangener im ungarischen Lager Nagymegyer (Vel’ký Meder), wo Obradović stationiert gewesen war.10 Mit den Gefangenen setzte sich schließlich auch der frühere serbische Kriegsminister General Dušan P. Stefanović auseinander. Er publizierte 1934 eine Reihe von Artikeln zu diesem Thema. Darin präsentierte er verschiedene Statistiken und Beschreibungen des Lebens der Gefangenen „in ihren eigenen Worten“.11 Während in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Krieg das Los der serbischen Kriegsgefangenen nur in wenigen Veröffentlichungen aufgegriffen wurde12, wandte man sich den Erlebnissen und Erfahrungen von Internierten und verfolgten Zivilisten mit mehr Elan zu. 1920 veröffentlichte der aufstrebende Historiker Vladimir Ćorović sein „Schwarzbuch“, wo er die Lei­den der Serben in Bosnien schilderte. Das Buch wurde zum zentralen Referenzwerk hinsichtlich des Schicksals von Nichtkombattanten in Bosnien.13 Der Lehrer Toša Iskruljev wiederum beschrieb 1936 in einer Monographie detailliert die Drangsalierungen, denen Serben in Ungarn ausgesetzt gewesen waren. Auch dieses Buch wurde anlässlich des Gedenkens 1914/2014 neu aufgelegt.14 Es gilt als einer der wichtigsten Belege für die Verbrechen, die gegenüber Serben in der Vojvodina verübt wurden. Für sein Buch hatte Iskruljev eine Vielzahl von Zeugen in Srem befragt. Im gleichen Jahr veröffentlichte Risto Kovijanić seine Erinnerungen an das berüchtigte Lager Nagymegyer, wo er als Zivilinternierter festgehalten worden war.15 Ähnliche Publikationen folgten auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Fast sechs Jahrzehnte nach Ende des Ersten Weltkrieges, im Jahr 1976, erschienen Dušan S. Krivokapićs Erin-

  9 Vladislav Pandurović, Srpska pisma iz Svetskog rata 1914–1918, Osijek 1923. 10 Dušan N. Obradović, Srbija i austrijski Sloveni u Svetskom ratu 1914–1918, Novi Sad 1928. 11 Dušan P. Stefanović, Iz prošlog rata. Šta je ispričao kaplar Vitomir, in: Ratnički glasnik 16/3 (1934), 129–135; Nr. 4–5, 171–179; Dušan P. Stefanović, Ratni zarobljenici, in: Ratnički glasnik 16/6-7, 248–272. 12 Mileta Novaković, L’occupation Austro-Bulgare en Serbie, Paris-Nancy 1918. 13 Vladimir Ćorović, Crna knjiga. Patnje Srba Bosne i Hercegovine za vreme Svetskog rata 1914–1918, Beograd/Sarajevo 1920. 14 Die Originalausgabe: Toša Iskruljev, Raspeće srpskog naroda u Sremu 1914 godine i Madžari. Sa madžarske granice Bajski trokut, Sent-Andrija, Novi Sad 1936. 2014 erschien die Neuauflage im Verlag „Prometej“ in Novi Sad/Belgrad. 15 Risto Kovijanić, Najdmedjerska dolina smrti. Na grobovima 6000 mučenika, Bratislava 1936.

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nerungen an das Lager Nagymegyer, wo er als Kind gefangen gehalten worden war.16 In etlichen dieser Publikationen wurden persönliche Erfahrungen, aber auch die Erinnerungen von weiteren Zeitzeugen zum Ausgangspunkt allgemeiner Charakterisierungen des Schicksals vor allem der internierten Zivilisten.17 Während eine wissenschaftliche Behandlung der Thematik ausblieb, wurden die erwähnten Veröffentlichungen gleichsam zu unangreifbaren Beweisen für das von der serbischen Bevölkerung erlittene Unrecht. Kritische beziehungsweise objektive Auseinandersetzungen mit der komplexen Thematik gab es keine. Auf der anderen Seite wandte sich die serbische Historiographie mit scheinbar größerem Interesse dem Schicksal österreichisch-ungarischer Kriegsgefangener zu.18 Diesbezügliche Zeitzeugen, die 1914–1915 in Serbien gewesen waren, sprachen von einer relativ „freundlichen“ Behandlung der Feindsoldaten. In diese Richtung gingen beispielsweise auch Aussagen des amerikanischen Journalisten John Reed.19 Sie wurden in der Folge oft zitiert, und einige serbische Historiker stützen sich in ihren Bewertungen explizit auf Reeds Aussagen. Ein überaus positives Bild von der Lage der österreichisch-­ ungarischen Kriegsgefangenen in serbischer Hand zeichnete 2008 beispielsweise Isidor Djuković. Gestützt auf umfangreiches Quellenmaterial, setzte sich Djuković explizit zum Ziel, die humane Behandlung der Feindsoldaten durch die serbische Armee und ihre „ritterliche“ Haltung in diesem Kontext darzulegen.20 Dabei bleiben viele essentielle Fragen zum Schicksal der k. u. k. Soldaten in serbischem Gewahrsam unbeantwortet. Djukovićs Erklärungen dafür, warum 1915 die Zahl der österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen von 75.000 auf nur 35.000 schrumpfte – bei angeblich „sanatoriumsähnlichen“ Bedingungen – vermögen nicht zu befriedigen.21 Zahlreiche Klagen 16 Dušan S. Krivokapić, Sećanja iz nežiderskog lagera 1914–1918 godine i beleške sa prisilnog rada u lagerima Bora 1943 godine, Mataruska Banja 1976. 17 Auf Quellenmaterial basieren auch folgende Untersuchungen: Ljubodrag Popović, Srpski internirci u logorima Austro-Ugarske 1916 godine, Beograd 1990, 309–320; Ljubodrag Popović, Internirci iz Arandjelovca i okoline u 1916. godini. Prilozi za istoriju ovog kraja u Prvom svetskom ratu, in: Šumadijski zapisi, Zbornik radova Muzeja u Arandjelovcu 1 (2003), 149–186. 18 Vgl. z. B. Bogumil Hrabak, Austrougarski zarobljenici u Srbiji 1914–1915 i prilikom povlačenje kroz Albraniju, in: Zbornik, Historijski institut Slavonije 2 (1964), 107–204; Andrej Mitrović, Centralne sile i strategijske saobraćajnice na Balkanu 1915. godine, in: Srbija 1915 godine, Beograd 1986, 183–208; Isidor Djuković, Austrougarski zarobljenici u Srbiji 1914–1915, Beograd 2008. 19 John Reed, Rat u Srbiji 1915 godine, Cetinje 1975, 25. 20 Miodrag Starčević, Predgovor, in: Isidor Djuković, Austrougarski zarobljenici, Beograd 2008, 2. 21 Isidor Djuković, Austrougarski zarobljenici, 91.

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über die Verhältnisse in serbischer Gefangenschaft seitens Betroffener, die auch den serbischen Quellen zu entnehmen sind, wurden relativiert und einfach als Propaganda der Gegenseite eingestuft. Djukovićs Buch folgte dem Trend einer Stilisierung des einfachen serbischen Bauern-Soldaten, der trotz der Verbrechen, die die gefangenen k. u. k. Soldaten begangen hatten, eine natürliche „Charaktergröße“ an den Tag legte und die Feindsoldaten fair behandelte. Isidor Djuković ist der Autor einer Reihe weiterer Werke, die sich der Masseninternierungen im Ersten Weltkrieg annahmen. Sie sind zweifellos wichtig für das Verständnis dieses Phänomens.22 Hervorzuheben ist hier das Buch über das ungarische Kriegsgefangenen- und Interniertenlager Nezsider (Neusiedl am See). Der Tenor seiner Untersuchungen mündet allerdings in die Behauptung, wonach die österreichisch-ungarische Elite auf eine systematische Vernichtung der internierten Serben abgezielt hätte. Das Lager Nagy­megyer wird in diesem Zusammenhang als zentraler Ort dieser Bestrebungen präsentiert. Darüber hinaus widmete sich Djuković dem wahrscheinlich schrecklichsten Beispiel für das Leid, das serbischen Gefangenen zweifellos widerfuhr: Er skizzierte in einem kurzen Text das Schicksal jener Serben, die von Österreich-Ungarn in das Osmanische Reich transferiert wurden.23 Noch dezidiertere Schlussfolgerungen aus der Behandlung von Kriegsgefangenen und Internierten zog indes Vladimir Stojančević, der sich mit der Okkupation Serbiens 1915 bis 1918 und den demographischen Folgen des Krieges für Serbien beschäftigte. Seine Arbeiten über Internierte wurden zu Standardwerken. Stojančević ging darin von einem intendierten Genozid an der serbischen Bevölkerung aus. Nach Stojančevićs Interpretationen gab es seitens der österreichisch-ungarischen Armee einen sorgfältigen Plan der Vernichtung, mit dessen Hilfe die serbische Armee niedergerungen und schließlich die gesamte serbische Bevölkerung ausgerottet werden sollte.24 Die aufgezeigten Misshandlungen serbischer Kriegsgefangener fügten sich perfekt in diese überaus fragwürdige These ein. Ohne Vergleiche mit der Behandlung anderer Nationalitäten in der Gefangenschaft – egal ob Zivilisten oder Soldaten – anzustellen, entsprechende Kontextualisierungen zu liefern oder die sensiblen Termini wie „Genozid“ oder „Vernichtung“ einer entsprechenden Definition zu unterziehen, verdichteten sich Stojančevićs Interpre22 Isidor Djuković, Nadjmedjer. Austrougarski logor za Srbe 1914–1918, Beograd 2002. Die zweite Auflage erschien 2016 in Novi Sad/Beograd/Bratislava. 23 Isidor Djuković, Srpski ratni zarobljenici u Turskoj 1917–1918, in: Vojno-istorijski glasnik 1–2 (2001), 80–82. 24 Vladimir Stojančević, Srbija i srpski narod u ratu i okupaciji 1914–1918, Obrenovac 2016, 24–27.

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tationen zur Festschreibung einer totalen anti-serbischen Kriegsführung des Habsburgerreiches. Die serbische „Opferthese“ hatte darüber hinaus bereits im Kontext des Jugoslawienkrieges der 1990er Jahre Auftrieb bekommen und traf auf durchaus positive Resonanz unter den Historikern. Eine Popularisierung derartiger Geschichtsinterpretationen fand in weiterer Folge beispielsweise in Form von Ausstellungen statt.25 Kriegsverbrechen, begangen an der serbischen Bevölkerung zu Beginn des Krieges, wurden solcherart mit Vergehen gegenüber serbischen Kriegsgefangenen verknüpft, genozidale Intentionen behauptet.26 Angeführt wurden in diesem Zusammenhang überdies Gräueltaten bulgarischer Einheiten, wobei die Schilderungen des Schweizers Rodolphe-Archibald Reiss zu den wichtigsten Quellen für diese Darstellungen zählten.27 Einer quellenbasierten Erforschung von Internierung und Gefangenschaft widmete sich indes der Historiker Nenad Lukić, dem es nicht zuletzt um die Feststellung konkreter Zahlen der Betroffenen und um die Identifizierung der Opfer ging. Dabei griff er auch auf Quellen außerhalb Serbiens zurück, etwa auf Dokumente aus jenen Regionen und Orten, wo sich die relevanten Lager befanden.28 Im Zuge dieser Untersuchungen korrigierte er einige Darstellungen von Vladimir Stojančević.29 Vor dem Hintergrund des Gedenkens 1914/2014 widmete wiederum das umstrittene Andrić-Institut eine spezielle Nummer seiner Zeitschrift den Kriegsgefangenen. Präsentiert wurden bei dieser Gelegenheit u. a. Archivdokumente zum Schicksal der Kriegsgefangenen.30 25 Stradanje srpskog naroda u Srbiji 1914–1918, hg. von Sladjana Bojković, Miloje Prsić, Beograd 2000. 26 Ebd. und vgl. Mirčeta Vemić, Pomor Srba ratnih zarobljenika i interniranih civila u austrougarskim logorima za vreme Prvog svetskog rata 1914–1918, in: Zbornik Matice srpske za drustvene nauke 147 (2014), 201–234. 27 Rodolphe-Archibald Reiss, Le traitement des prisonniers et des blessés par les Austro-Germano-Bulgares. Résultats de l’enquête exécutée sur le front de Salonique/par R. A. Reiss, Paris 1919. 28 Lukić, Interniranje stanovništva i vojnika Kraljevine Srbije. 29 Vgl. auch Ljubodrag Popović, Srpski internirci u logorima Austro-Ugarske 1916 godine, Beograd 1990, 309–320; Ljubodrag Popović, Internirci iz Arandjelovca i okoline u 1916 godine. Prilozi za istoriju ovog kraja u Prvom svetskom ratu, in: Šumadijski zapisi, Zbornik radova Muzeja u Arandjelovcu 1 (2003), 149–186. 30 Die Nummer der Istorijske sveske vom Januar 2015 war den Kriegsgefangenen 1914– 1915 gewidmet. Abgedruckt wurden nur Dokumente serbischer Provenienz: Ratni zarobljenici-dokumenta 1914, hg. von Miroslav Perišić/Aleksandar Marković, Istorijske sveske, 13.1.2015, 2–17; Nenad Lukić, Austrougarski logor Cegled, popis umrlih interniraca 1914–1918, in: Godišnjak za istraživanje genocida 10 (2018), 9–34; Isidor Djuković/Nenad Lukić, Nežider, austrougarski logor za Srbe 1914–1918, Beograd 2017; Nenad Lukić/Valter Mencel, Popis umrlih Srba u logoru Šopronjek/Neckenmarkt

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Gefangennahmen Nur wenig ist von den Korrespondenzen der serbischen Regierung und anderer Institutionen, die während des Krieges entstanden, erhalten geblieben. Das gilt auch für die Dokumente der serbischen Kriegsgefangenenbehörde. Von umso größerer Bedeutung ist daher ein Bericht des serbischen Sozial­ demokraten Živko Topalović. 1914 war er als Unteroffizier in österreichisch-­ ungarische Kriegsgefangenschaft geraten. Im Lager Arad kam er in ­Kontakt mit dem Internationalen Roten Kreuz.31 Nachdem er im Rahmen eines Kriegsgefangenenaustausches freigelassen worden war, fertigte er einen detaillierten Bericht über die Lage serbischer Internierter und Kriegsgefangener in Österreich-Ungarn an. Dieser wurde 1918 in Korfu veröffentlicht.32 Topalović unterschied darin drei Phasen hinsichtlich der Entwicklung der Gefangenenzahlen. Die erste machte er mit der österreichisch-ungarischen Offensive vom August bis zum Oktober 1914 fest. Die zweite datierte er in den Herbst 1915. Als die Reste der serbischen Armee gemeinsam mit der Regierung das Land verließen, zählte man etwa 200.000 Kriegsgefangene, die in österreichisch-ungarische, deutsche oder bulgarische Lager gekommen waren. Nur mehr verhältnismäßig wenige Gefangene wurden dann in der dritten Phase, im Zuge der Kämpfe an der Salonikifront (1916–1918), gemacht. Die Schlacht von Cer (15. bis 24. August 1914) stellte den Höhepunkt der öster­reichisch-ungarischen Invasion dar. Obwohl die serbische Armee siegreich aus ihr hervorging, hatte sie Verluste zu verzeichnen. Etwa 2000 Männer waren getötet worden und 2480 galten als vermisst. Letztere waren größtenteils in Gefangenschaft geraten.33 Obwohl, wie auch Živko Topalović beobachtete, die Zahl der Kriegsgefangenen damals noch klein war34, zeigte sich bald, dass das brutale Vorgehen österreichisch-ungarischer Truppen nicht auf die Zivilbevölkerung beschränkt blieb. Es kam zu Exekutionen, etwa in Šabac, wo neben Dutzenden Zivilisten auch 40 Soldaten getötet wurden.35 John Reed schrieb so-

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1915–1918 godine, in: Godišnjak za istraživanje genocida 8 (2016), 15–69; Nenad Lukić, Beogradjani u austrougarskim logorima, 1914 godine, in: Godišnjak grada Beograda 60, 109–174. Isidor Djukovic, Nadjmedjer. Austrougarski logor za Srbe 1914–1918, Novi Sad 2016, 55. Živko Topalović, Za naše zarobljenike. Stenografske beleške, Korfu (Srpski Crveni Krst) 1918. Živko G. Pavlović, Bitka na Jadru avgusta 1914 godine, Loznica 2014, 540 f. Topalović, Za naše zarobljenike, 8. Rodolphe-Archibald Reiss, Šta sam video i proživeo u velikim danima. Onima koji se nisu vratili. Saopštenje jednog prijatelja iz velikih dana, Beograd 1997, 30. Eine vornehmlich auf Grundlage der Angaben von R. A. Reiss erfolgte Darstellung der Ereig-

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gar von 300 serbischen Soldaten, die exekutiert wurden.36 Zu vergleichbaren Massakern kam es 1915 offenbar nur mehr seitens bulgarischer Einheiten.37 Aus österreichisch-ungarischer Perspektive bemerkenswert war während der Schlacht von Cer indessen der Umstand, dass sich aus „Neu-Serbien“ stammende Soldaten den k. u. k. Truppen freiwillig ergaben.38 Die sogenannten „Mazedobulgaren“, wie sie auf österreichisch-ungarischer Seite genannt wurden, stellten für die k. u. k. Behörden eine besondere Kategorie von Gefangenen dar. Sie zählten zu jenen Feindsoldaten, die gleichsam als „Verbündete“ betrachtet wurden und daher nach Bulgarien transferiert werden sollten.39 Zu der Anzahl jener Soldaten aus den neuen, im Zuge der Balkankriege erworbenen Territorien Serbiens, die in Kriegsgefangenschaft gerieten oder sich freiwillig ergaben, gibt es unterschiedliche Angaben. Diese liegen zwischen 1000 und 3000.40 Desertionen ereigneten sich aber nicht nur in diesem Kontext. In Anbetracht des Vorrückens der k. u. k. Truppen in den Folgemonaten entfernten sich auch ethnische Serben von ihren Truppen.41 Die ersten serbischen Kriegsgefangenen wurden jedenfalls nach Ungarn geschickt, und zwar nach Esztergom-Kenyérmező.42 Jene Soldaten der serbischen Armee, die dann im Herbst 1914 in österreichisch-ungarische Hände fielen, schickte man in das Lager Nagymegyer.43 Dass im Zuge der Schlacht von Kolubara zahlreiche serbische Kriegsgefangene von österreichisch-ungarischer Seite nach nur ganz kurzer Zeit in deren Gewahrsam wieder entlassen wurden, irritierte indessen das serbische

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nisse in Šabac: Anton Holzer, Schüsse in Šabac. Die Massaker an der Zivilbevölkerung 1914, in: Gordana Ilić Marković (Hg.), Veliki Rat – Der Große Krieg. Der Erste Weltkrieg im Spiegel der serbischen Literatur und Presse, Wien 2014, 71–84. John Reed, Rat u Srbiji 1915 godine, Cetinje 1975, 56. Vgl. zur Behandlung serbischer Kriegsgefangener durch die bulgarische Seite: Bernhard Bachinger, Die Mittelmächte an der Saloniki-Front 1915–1918. Zwischen Zweck, Zwang und Zwist, Paderborn 2019, 252–265 und Rumen Chokalov, Prisoners of War in Bulgaria during the First World War, Diss. Cambridge 2012. Egon Kiš, Zapiši to, Kiš!, Novi Sad 1983, 39. Vgl. dazu den Text über die österreichische Historiographie in diesem Band. Lukić, Interniranje stanovnišva i vojnika Kraljevine Srbije, 16; Živko Pavlović, Bitka na Jadru avgusta 1914 godine, Loznica 2014, 540 f. Veliki rat Srbije za oslobodjenje i ujedinjenje Srba, Hrvata i Slovenaca, Beograd 1925, 34. Vgl. auch Strahinja Damnjanović/Dušan Milačić (Hg.), Skopski djački bataljon. Bataljon 1300 kaplara, Beograd 1969 sowie Ernest Troubridge, The Forgotten Admiral. Extracts from the Diary of Sir Ernest Troubridge (1915–1919), hg. von Danilo Šarenac, Beograd 2017, 56. Lukić, Interniranje stanovnišva i vojnika Kraljevine Srbije, 13. Milić J. Milićević, Na pogrešnoj obali. Poraz trupa Timočke divizije u bici kod Čevrntije (na Legetu) 6. septembra 1914 godine, Beograd 2015, 100–110; Lukić, Interniranje stanovništva i vojnika Kraljevine Srbije, 13.

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Armeekommando. Möglicherweise hielt man die serbische Niederlage ohnehin für unausweichlich. Wahrscheinlicher ist, dass die k. u. k. Armee serbische Gefangene als Spione zurückschickte oder sie beauftragt hatte, zersetzend unter ihren Kameraden zu wirken. Letzteres wurde tatsächlich von serbischen Offizieren befürchtet. In der Folge ordnete man eine strenge Befragung der verdächtig erscheinenden „Heimkehrer“ an.44 Laut Isidor Djuković gerieten im Zuge der Schlacht von Kolubara etwa 19.000 serbische Soldaten in Kriegsgefangenschaft.45 Nicht wenige waren desertiert. Dieser Umstand dürfte in hohem Maße dazu beigetragen haben, Kriegsgefangenschaft und Desertion auf gleicher Ebene zu betrachten.

„Albanisches Golgotha“ Im Oktober 1915 stand Serbien den Truppen dreier Armeen gegenüber. Das serbische Armeekommando entschied sich für einen schrittweisen Rückzug. Größere Gefechte sollten vermieden werden. Das Ziel war die Vereinigung mit den Entente-Truppen, die in Saloniki an Land gegangen waren. Der Plan schien aufzugehen. Bis Ende Oktober waren es nur 5000 serbische Soldaten, die in Gefangenschaft kamen.46 Weniger Kampfgeist wurde muslimischen Kämpfern unterstellt. Tatsächlich waren Pauschalurteile nur schwer zu treffen. Während die einen desertierten, kämpften andere mit großem Einsatz.47 Dennoch wurden die speziellen muslimischen Einheiten im Oktober 1915 aufgelöst. Offenbar nahm man an, sie würden eine leichte Beute abgeben beziehungsweise aus freien Stücken die Waffen strecken. Im November 1915 war die serbische Armee immer noch etwa 350.000 Mann stark.48 Bald aber stellten sich erneut Fragen hinsichtlich der Loyalität. Als der serbische General Petar Bojović Skopje gegen bulgarische Truppen verteidigen sollte, sah er sich mit Massendesertionen konfrontiert.49 Seine Männer, Rekruten aus Mazedonien, ergaben sich dem Feind.50 Bojović be-

44 Veliki rat Srbije za oslobodjenje i ujedinjenje Srba, Hrvata i Slovenaca, Beograd 1925, 45. 45 Isidor Djuković, Nadjmedjer. Austrougarski logor za Srbe 1914–1918, Novi Sad/Beograd/Bratislava 2016, 29. 46 Milan Zelenika, Rat Srbije i Crne Gore 1915, Beograd 1954, 234. 47 Vgl. Mihailo Živković, Odbrana Beograda (1914 i 1915), Beograd 1998, 344. 48 Zelenika, Rat Srbije, 282. 49 Alice Askew, Claude Askew, Opustošena zemlja. Srbija kako smo je mi videli, Novi Sad 2012, 155. 50 Petar Bojović, Odbrana Kosova Polja i zaštita odstupanja srpske vojske preko Albanije i Crne Gore. Odlomak iz mojih memoara, Beograd 1922, 18.

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richtete dem Armeekommando außerdem, dass sich Nachrichten verbreiteten, wonach Bulgaren serbische Kriegsgefangene töteten, jene aber, die aus Mazedonien stammten, verschonten.51 Um die Moral der Truppen war es aber auch in anderen Einheiten nicht gut bestellt. Der Artillerieoffizier Mileta Prodanović musste sich in Überredungskunst üben, um die Männer bei der Stange zu halten. Er vertröstete sie auf die baldige Unterstützung der alliierten Truppen, um die Stimmung zu heben.52 Ende November erreichten wahrscheinlich etwa 300.000 Soldaten gemeinsam mit Tausenden Zivilisten die Grenze zu Montenegro und Albanien. Die Situation war kritisch. Man entschied sich gegen eine Kapitulation oder aber verzweifelte militärische Aktionen und für das Exil. Die Armee sollte Serbien verlassen. Der „Große Rückzug“ erfolgte unter teils chaotischen Bedingungen.53 Mileta Prodanović beobachtete die Ereignisse unweit der Stadt Peć. Soldaten verließen in Massen ihre Posten. Auch der eine oder andere Offizier tat es ihnen gleich.54 Die meisten, die flohen, wurden von österreichisch-ungarischen, deutschen oder bulgarischen Einheiten gefangengenommen. Wieder verdichtete sich der Eindruck vom Kriegsgefangenen als Verräter und Feigling. Das „Albanische Golgotha“ wurde zu einem Wendepunkt für die serbische Armee. Die, die es schafften, über die verschneiten Berge nach Albanien zu fliehen, fühlten sich gegenüber jenen, die – auf welche Weise auch immer – in Gefangenschaft gerieten, überlegen. Der serbische Regent Alexander Karadjordjević schrieb, nachdem er die Adriaküste im Dezember 1915 erreicht hatte, an den russischen Botschafter Graf Grigorij Trubeckoj: „Ich habe einen Teil meiner Männer verloren; die aber, die geblieben sind, sind die besten.“55 Die Frage der Loyalität und des Durchhaltens, die sich an das „­ Albanische Golgotha“ knüpfte, spielte auch nach dem Krieg eine Rolle. Die Veteranen des „Großen Rückzuges“ gründeten 1938 eine eigene Vereinigung und wollten sich von jenen ehemaligen Soldaten absetzen, die nicht daran teilgenommen hatten.56 Wer zu jenen zählte, die es ins Exil geschafft hatten, wurde an51 Ebd., 58. 52 Mileta M. Prodanović, Ratni dnevnik 1914–1918, Gornji Milanovac 1994, 106. 53 Danilo Šarenac, Golgotha: The Retreat of the Serbian Army and Civilians in 1915–16, in: Europe on the Move. Refugees in the Era of the Great War, hg. von Peter Gatrell/ Lyubov Zhvanko, Manchester 2017, 236–259. 54 Prodanović, Ratni dnevnik 1914–1918, 108. 55 Branislav Gligorijević, Kralj Aleksandar Karadjordjević. Ujedinjenje srpskih zemalja, Beograd 1996, 201. 56 Diese Tendenz wurde sichtbar in: Albanska spomenica 1915–1916, Oktober 1938–April 1941. Dazu siehe: Danilo Šarenac, Top, vojnik i sećanje. Srbija i Prvi svetski rat 1914– 2009, Beograd 2014.

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hand neu erstellter Armeelisten schon ab 1916 evident. Nun kam das Problem der Deserteure und der Gefangenen erneut zur Sprache. Erwogen wurde auch die militärgerichtliche Verfolgung jener Männer, die auf diese Weise zwischen 1914 und 1916 aus der kämpfenden Truppe ausgeschieden waren. 57

Hilfsaktionen Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der geschilderten Skepsis gegenüber den in Gefangenschaft geratenen eigenen Soldaten verdient die Frage von Hilfsmaßnahmen des offiziellen Serbiens zu Gunsten der Kriegsgefangenen besondere Aufmerksamkeit. Im Allgemeinen wird angenommen, dass der serbische Staat sich dieser Aufgabe nur wenig annahm.58 Doch bei näherer Betrachtung wird klar, dass durchaus Anstrengungen unternommen wurden, um Zivilisten und Soldaten in Feindeshand zu unterstützen. Die Rahmenbedingungen hierfür waren freilich denkbar schlecht. Der Handlungsspielraum der verantwortlichen Stellen stellte sich vor allem nach dem „Großen Rückzug“ als äußerst limitiert dar. Nun mussten alle Hilfsmaßnahmen vom Exil aus organisiert werden. Nachdem die ersten Gefangenen sowohl seitens Österreich-Ungarns als auch Serbiens eingebracht worden waren, hieß es, die in der Haager Konvention festgelegten Vorkehrungen hinsichtlich eines Informationsaustausches zwischen den feindlichen Staaten und der zu erwartenden Gefangenenkorrespondenz zu treffen. Im September 1914 erreichte serbische Repräsentanten via Rumänien ein Telegramm des Österreichischen Roten Kreuzes.59 In diesem ging es um die betreffenden Maßnahmen. Serbien wurde aufgefordert, ein Informationsbüro einzurichten. Allerdings folgte dem sachlichen Ton des Schreibens eine deutliche Warnung in Bezug auf die Behandlung der eigenen Soldaten durch die serbische Seite. Für den Fall festgestellter Misshandlungen von k. u. k. Soldaten drohte Österreich-Ungarn mit entsprechenden Gegenmaßnahmen gegenüber serbischen Soldaten.60 Mitte September wurde 57 Überblick zu den Militärgerichten, 31. Oktober 1916. P. 3A, К. 140, F. 4/ 1, no. 14. Vojni arhiv. 58 Matthew Stibbe, Enemy Aliens and Internment, in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Hea­ther Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2014–10–08. DOI: 10.15463/ie1418.10037. 59 Serbische Regierung an Verteidigungsministerium, 24.8.1914. Arhiv Srbije (AS) MID PO r. 435/ 9; Serbische Gesandtschaft nach Niš, 28.8.1914. AS MID PO r. 435/2. 60 Ebd.

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hierauf in Niš eine spezielle Gefangenenbehörde geschaffen.61 Es war das serbische Äquivalent zum Informationsbüro, wie es in der Haager Konvention beschrieben worden war.62 Anscheinend war die serbische Seite mit der Einrichtung dieser Auskunftsstelle bemüht zu zeigen, dass internationale Vereinbarungen respektiert wurden und dass Serbien Teil der „zivilisierten Welt“ war. Tatsächlich hatte es während der Balkankriege keine vergleichbare Institution gegeben. Darüber hinaus war im „Carnegie Bericht“ das Verhalten der serbischen Armee während der Kämpfe 1912–1913 sehr negativ dargestellt worden.63 Serbien hatte alle relevanten Vereinbarungen der Konventionen von 1899 und 1907 unterzeichnet.64 Allerdings waren die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung aus dem Jahr 1907 nicht ratifiziert worden. Ungeachtet dessen betrachtete man sie auf serbischer Seite als gültig und nahm darauf als Teil akzeptierter internationaler Übereinkünfte Bezug.65 Andererseits versäumten es die österreichisch-ungarischen militärischen Repräsentanten nicht darauf hinzuweisen, dass man sich seinerseits an die geltenden Regeln halten würde, „obwohl die serbische Regierung die Konvention nicht unterschrieben hat“.66 Die serbische Kriegsgefangenenbehörde ebenso wie das Serbische Rote Kreuz nahmen in jedem Fall ihre Tätigkeit zu Gunsten der eigenen ebenso wie der feindlichen Kriegsgefangenen auf. Hierbei kam es oft zu Überschneidungen. Diskrepanzen ergaben sich überdies offenbar im Verständnis diesbezüglicher Aufgaben, die wohl im unterschiedlichen Wesen einer zivilen Ins­ titution einerseits und einer militärischen andererseits begründet lagen. Zu Gunsten der serbischen Kriegsgefangenen im Habsburgerreich setzten sich auch das neutrale Spanien und die USA ein. Die Niederlande wiederum wur61 Die Abteilung wurde per Anordnung des Verteidigungsministeriums am 3. August 1914 geschaffen. Vgl. Službeni vojni list 1914, 736. 62 Außenministerium an Kriegs- und Bautenministerium. 28.8.1914. AS MID PO r. 435/5. 63 Mark Mazower, Balkan. Kratka istorija, Beograd 2003, 26. Vgl. auch Daniel Marc Segesser, „What glory is there in killing wretched fugitives?“ Humanitäres Engagement und entgrenzte Gewalt auf dem Balkan 1875–1915, in: Frank Becker (Hg.), Zivilisten und Soldaten. Entgrenzte Gewalt in der Geschichte, Essen 2015, 125–144. Außerdem: Dietmar Müller/Stefan Troebst (Hg.), Der „Carnegie Report on the Causes and Conduct of the Balkan Wars 1912/13“. Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte in Völkerrecht und Historiographie = comparativ. Zeitschrift für Globalgeschichte und Vergleichende Gesellschaftsgeschichte 24/6 (2014). 64 Djordje Stanković, Srpska vlada i povrede međunarodnog prava Srbije od strane Austro-­­Ugarske u Prvom svetskom ratu, in: Istorija 20. veka 1 (2001), 9–19. 65 Ebd. 66 Jonathan Gumz, The Resurrection and Collapse of Empire in Habsburg Serbia, 1914– 1918, Cambridge 2009, 45.

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den unentbehrlich hinsichtlich der Informationen über die Lage serbischer Soldaten in bulgarischem Gewahrsam und in der Türkei. Über die serbische Botschaft in Russland wurden außerdem Kontakte mit den skandinavischen Ländern hergestellt, und gegen Ende 1914 beteiligten sich auch mehr und mehr private Organisationen an Hilfsmaßnahmen für die serbischen Gefangenen. Bekanntheit erlangte hier vor allem der serbische Hilfsfonds, der in Großbritannien gegründet worden war.67 Das serbische Außenministerium agierte als Koordinator, wobei vor allem die serbische Botschaft in Bukarest – solange Rumänien nicht in den Krieg eingetreten war – eine aktive Rolle spielte. Des Weiteren zielten offizielle Proteste der serbischen Regierung in Zusammenhang mit der Behandlung serbischer Gefangener auf die Aufmerksamkeit des internationalen Publikums, um auf diese Weise die Notwendigkeit einer Unterstützung der gefangenen Landsleute ins Bewusstsein zu rufen. Am Anfang solcher Initiativen stand das Bemühen, Klarheit über die Anzahl der Gefangenen ebenso wie der Internierten zu erlangen.68 Allerdings blieb es bis Kriegsende nahezu unmöglich, verlässliche Informationen zu erhalten.69 Während die serbische Gefangenenbehörde vor allem mit Hilfsmaßnahmen zu Gunsten der betroffenen Männer befasst war, nahm sich das Serbi­ sche Rote Kreuz der Organisation der Gefangenenkorrespondenz an.70 Mehrere Reorganisationen des Kriegsgefangenenwesens, in deren Verlauf die Gefangenenbehörde das Serbische Rote Kreuz als Informationsstelle ablöste, lassen auf organisatorische Mängel schließen. Eine eigene Organisationseinheit für die Gefangenenpost wurde niemals gebildet. So ergaben sich eklatante Rückstände in der Bearbeitung der von österreichisch-ungarischen Gefangenen stammenden Post. Diese wanderte zwischen der Gefangenenbehörde und dem Außenministerium hin und her. Indessen wuchs die Bedeutung spanischer und amerikanischer Repräsentanten bei der finanziellen Unterstützung serbischer Gefangener und Internierter. Die Botschaften der beiden Länder wurden zu Anlaufstellen zahlrei67 Der Fonds wurde im Herbst 1914 in London von Arthur Evans and Robert William Seton-Watson gegründet. 68 Listen von gefangenen Offizieren, Soldaten und Bürgern des Königreichs Serbien in Österreich-Ungarn. AS MID PO r. 436/13. 69 Serbisches Rotes Kreuz an den serbischen Premierminister, 12.10.1914. AS MID PO r. 435/6. Vgl. auch Slavko Grujić, Bericht über die Versorgung serbischer Kriegsgefangener in Bulgarien, Deutschland und Österreich-Ungarn, London, 20.10.1916. AS MID PO r 492/10-14, 12-14. 70 Serbisches Rotes Kreuz an das Außenministerium, 9.3.1915. AS MID PO r. 465/8.

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cher Anfragen serbischer Staatsbürger, die Hilfe für sich oder für Verwandte in Gewahrsam der Feindstaaten erbaten. Mitte 1915 entschied man sich zu einer Aufgabenteilung: Spanien war nunmehr für die westliche Reichshälfte des Habsburgerreiches und die dort befindlichen Kriegsgefangenen und Internierten zuständig, die USA für jene in Ungarn.71 Die beiden Staaten erhielten Gelder aus dem serbischen Budget und waren verpflichtet, deren Verwendung zu dokumentieren. Bitten um Unterstützung kamen unter anderem von Serben, die im Habsburgerreich zu den Konfinierten zählten und im Falle fehlender Gelder eine Überstellung in Internierungslager befürchteten.72 Die Mittel der serbischen Regierung in der Höhe von 200.000 Dinar stammten von einer Anleihe, die im Juli 1915 getätigt wurde.73 Ungeachtet derartiger Anstrengungen blieb die Hilfe in den Augen der Betroffenen dürftig. Serbische Gefangene konstatierten ungleich größer dimensionierte Hilfsmaßnahmen zu Gunsten französischer und britischer Soldaten in Gefangenschaft.74 Tatsächlich erhielt nur eine Minderheit der Serben regelmäßige Unterstützung, wobei es während des gesamten Krieges schwierig blieb, vor allem jene Betroffene zu erreichen, die nicht in den großen Lagern untergebracht waren.75 Als Serbien von den feindlichen Truppen gewissermaßen überrannt wurde, erschienen außerdem Gefangenenagenden von höchstens sekundärer Bedeutung. Gleichzeitig machte vor allem auch die enorm gestiegene Zahl an Flüchtlingen Hilfsmaßnahmen in großem Maßstab erforderlich. Ansuchen um Unterstützung kamen aber auch aus dem okkupierten Serbien, und schließlich rückte auch wieder die Frage der Kriegsgefangenen in den Vordergrund. Nunmehr, vom Exil aus, mussten allerdings ganz andere Schritte gesetzt werden als noch 1914 und 1915. Die komplette Abhängigkeit von der Entente ließ kaum Handlungsmöglichkeiten übrig. Die serbische Regierung verfügte über keine Gelder und war selbst in den grundlegendsten Bedürfnissen auf Mittel der Verbündeten angewiesen. Spezielle Zuwendungen für umfassende Hilfsmaßnahmen zu Gunsten serbischer Internierter und Kriegs-

71 Serbische Gesandtschaft in Bukarest an das Außenministerium, Niš, 15.6.1915. AS MID PO r. 464/47. 72 Serbische Gesandtschaft in Bukarest an das Außenministerium, 26.6.1915. AS MID PO r. 464/52. 73 Finanzministerium an das Außenministerium, 10.7.1915. AS MID PO r. 464/53. 74 Serbische Gesandtschaft in Bukarest an die serbische Regierung, 25.6.1915. AS MID PO r. 464/48-49. Siehe auch: AS Ninko Perić, 1.2.1918, Unterstützung unserer Gefangener und Internierter in den Feindstaaten, r. 535/79. Ebenso: Schreiben der Abgeordneten an den Premierminister, Korfu, 18.9.1916. AS MID PO r. 492/58-59. 75 Amerikanische Botschaft in Berlin an Nikola Pašić, 5.4.1915. AS MID PO r. 465/1.

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gefangener waren nicht vorgesehen gewesen. Eine eigene „Kriegsgefangenenpolitik“ konnte ebenfalls nicht realisiert werden. Folglich versuchte sich die serbische Regierung in diesbezügliche Vereinbarungen zwischen der Entente und den Mittelmächten regelrecht einzumengen. Dies betraf beispielsweise Abmachungen hinsichtlich des Gefangenenaustausches, der zwischen den kriegführenden Mächten festgelegt wurde.76 Da es aussichtslos war, Hilfsmaßnahmen für die serbischen Gefangenen aus eigener Kraft zu realisieren, hoffte die serbische Regierung schließlich ganz auf die Unterstützung der alliierten Staaten. 1916 setzte sie erste Schritte, um die Hilfe für serbische Zivil- und Kriegsgefangene in die Hände der Verbündeten zu legen.77 Ende 1917 schließlich akzeptierten Großbritannien und Frankreich entsprechende Ansuchen der serbischen Regierung und stellten Mittel für serbische Gefangene und Internierte bereit. Nach dem Eintritt in den Krieg genehmigten zudem die USA Gelder für serbische Zivilisten in den Lagern der Mittelmächte. Bis zum Mai 1916 bediente sich überdies der Serbische Hilfsfonds des Netzwerkes der „Russischen Gesellschaft zur Unterstützung von Kriegsgefangenen“, das von Haag aus agierte. Bald nahm es auch Kontakt mit dem „Bureau de Secours aux Prisonniers de Guerre“ in Bern auf. Hier etablierte sich 1916 ein spezieller serbischer Zweig, die „Section Serbe“.78 Die Idee zur Gründung ging auf den einflussreichen Schweizer Ingenieur Aymon de Blonay zurück, der bereits einer Organisation zur Hilfe für serbische Staatsbürger vorstand. Der serbische Diplomat Slavko Grujić war als Koordinator der Hilfsmaßnahmen tätig.79 Beistand kam auch vom Schweizer Außenministerium, das sich vor allem als Mittler in der Kommunikation mit Deutschland und Österreich-Ungarn verstand.80 Während der von serbischer Seite als apokalyptisch erlebten Monate Ende 1915 blieb das von Genf aus wirkende Serbische Rote Kreuz die einzige Institution des Königreiches, die sich unausgesetzt um das Schicksal der Landsleute in Feindeshand annahm. Aber auch dieser Institution ging 1916 das Geld aus.81 76 Abschaffung von Strafen für Kriegsgefangene, ohne Datum. AS MID PO r. 515/8. 77 Serbischer Konsul in Genf an das Außenministerium, Genf, 9.10.1916. AS MID PO r. 492/6-7; Außenministerium an die Gesandtschaften in London, Paris und Petrograd, 22.10.1916, Korfu. AS MID PO r. 492/5. 78 Vgl. Serbisches Rotes Kreuz für die serbische Gesandtschaft in London, 24.11.1916. AS MID PsP F. II, vertraulich, P. 1586/1917. 79 Amerikanische Botschaft in Berlin an Nikola Pašić, 5.4.1915. AS MID PO r. 465/1. 80 Ibid. 81 Schreiben an das Außenministerium, 3.12.1916. AS MID PO r. 492/4.

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Erst 1917 kam eine verstärkte alliierte Hilfe zum Tragen.82 Im Juni 1917 folgte dann die erste Anleihe der USA. Die betreffenden Gelder konnten im Unterschied zu jenen, die Frankreich und Großbritannien für militärische Zwecke zur Verfügung stellten, für die Unterstützung Internierter und die Gefangenenhilfe verwendet werden. Eine halbe Million Dollar ging auf diese Weise an die Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn, Deutschland und Bulgarien.83 Einen weiteren Teil der Gelder wandte die serbische Regierung allerdings für die Löhnung der Soldaten auf.84 Als im September 1917 das Übereinkommen zwischen Großbritannien, Frankreich und der USA hinsichtlich einer umfassenden Hilfe für serbische Kriegsgefangene aufgesetzt wurde, lag es an den Vereinigten Staaten, die entsprechenden Mittel für Nahrung und Bekleidung aufzubringen.85 Die Zusammenarbeit unter den Alliierten gestaltete sich nicht ohne Friktionen. Die USA kritisierten u. a. die „französische Untätigkeit“ in Zusammenhang mit der Weiterleitung der Hilfsgüter.86 Das Serbische Rote Kreuz wiederum arbeitete in Genf mit dem Amerikanischen Roten Kreuz zusammen. Auf diese Weise konnten 720.000 Francs an serbische Gefangene überwiesen werden.87 In Summe machten die Aufwendungen Serbiens für die Unterstützung der Kriegsgefangenen und Internierten im Zeitraum zwischen 1916 und 1918 12.500.000 Francs an Anleihegeldern aus. Der Großteil dieser Summe wurde für die Beschaffung von Nahrungsmitteln benötigt.88 Wahrscheinlich etwa 50 Prozent der serbischen Internierten und Kriegsgefangenen kamen in den Genuss von Hilfsmaßnahmen. Insgesamt ergibt sich ein sehr vielschichtiges Bild der offiziellen serbischen Haltung gegenüber den Soldaten in Feindeshand. Die Vorbehalte gegenüber den Kriegsgefangenen sind ungeachtet der hier skizzierten Bemühungen für eine Unterstützung der in Feindeshand befindlichen Männer evident. Hinzu kommen nationale Narrative, die einerseits die Opferrolle Serbiens betonen und andererseits den Widerstandsgeist der Bevölkerung sowie das Durchhalte­vermögen der Armee hervorheben. Bis heute ist die Frage der Anzahl der im Zuge des „Großen Rückzuges“ in Gefangenschaft geratenen 82 Vgl. Ninko Perić, Bericht: Unterstützung für unsere Gefangenen. AS MID PO r. 535/80, 64. 83 Ubavka Ostojić Fejić, Sjedinjene američke države i Srbija 1914–1918, Beograd 1994, 93. 84 Serbische Regierung an das Serbische Rote Kreuz, London, 12.4.1918, Korfu. AS MID PsL F. I, vertraulich, P. 1211/1918. 85 Vgl. Perić, Bericht: Unterstützung für unsere Gefangenen. 86 Ebd. 87 Ubavka Ostojić Fejić, Sjedinjene američke države i Srbija 1914–1918, Beograd 1994, 95. 88 Vgl. Perić, Bericht: Unterstützung für unsere Gefangenen.

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sowie getöteten oder infolge der Strapazen verstorbenen serbischen Soldaten eine heikle. Immerhin bedingen diesbezügliche Korrekturen womöglich ein Mehr an Kriegsgefangenen oder Deserteuren. Dass allerdings die Ausmaße des Widerstandes gegen die Mittelmächte auch der Mitwirkung von Serben zu verdanken war, die sich dem Rückzug nicht anschlossen, sondern in ihre Dörfer zurückkehrten, bleibt auf diese Weise ausgeblendet. Jüngere Forschungen haben die Gesamtzahl der eingezogenen serbischen Soldaten im Vergleich zu bisher gültigen Angaben niedriger veranschlagt und gleichzeitig die Summe von angeblich mehr als 400.000 getöteten oder infolge von Verwundungen oder diversen Entbehrungen im Zuge des Rückzuges verstorbenen Soldaten mehr als halbiert.89 Solche Angaben sind nicht unwidersprochen geblieben. Sie verweisen auch auf die nach wie vor bestehende Schwierigkeit, die Problematik serbischer Deserteure oder das Schicksal serbischer Kriegsgefangener außerhalb eines „patriotischen“ Narrativs zu behandeln.

89 Mile Bjelajac, Procene ratnij gubitaka Srbije, in: Stanislav Sretenovic/Danilo Šarenac (Hg.), Leksikon Prvog svetskog rata u Srbiji, Beograd 2015, 358–361.

ITALIEN

Marco Mondini

“There won’t be many coming home” Historiography, self-representation and the return of Italian POWs

Italian POWs in the Great War During the First World War about 600,000 Italian soldiers fell into enemy hands. Though approximate (other sources range from 587,000 to 620,000) it was a huge figure, slightly over the mean estimate for French prisoners of war (520,000), three times higher than the British number (roughly 180,000, going by the most reliable data) and inferior only to the 800,000 Germans. In all these cases the armed forces engaged outnumbered Italy’s (from 1914 to 1918 e. g. Germany called up 11,000,000 adult males, twice the Italian number).1 Proportionally speaking, only the enormous masses of eastern-front prisoners (possibly 3,500,000 Russians and over 2,000,000 Austro-Hungarians) can be compared with the impact of imprisonment on the whole Italian fighting force. One “Regio Esercito” (Royal Army) soldier in ten ended the war in a prisoner of war camp; the figure rises to one in seven if the reckoning is made on the operative army alone. Moreover, perhaps one Italian soldier out of seven captured between 1915 and 1918 died in captivity. These data are still controversial. Not surprisingly, the mortality among Italian POWs played a crucial role in the renewal of the Italian historiography on the First World War since the 1990s, even if only lately a new generation of Italian scholars addressed some subjects of the cultural history, like the collective memory of 1

Jochen Oltmer (ed.), Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, Paderborn/ München/Wien/Zürich 2006; Heather Jones, Violence against Prisoners of War in the First World War. Britain, France and Germany 1914–1920, Cambridge/New York/ Melbourne 2011, tabs. 1–2, 21–22. A more accurate estimate, based on comparison of casualty data recorded in the war, lists compiled during wartime, applications for pensions by families and lists of returning POWs, was drawn up by the High Command in March 1919 on behalf of the Prime Minister’s Office; it gave the figure of 19,500 officer POWs (13,300 in Austria-Hungary, 6,200 in Germany) and 571,000 private soldiers (396,000 in Austria-Hungary, 175,000 in Germany). Cf. PCM to Ministero della Guerra, 13.3.1919. Archivio Centrale dello Stato in Roma (ACS), Fondo della Presidenza del Consiglio dei Ministri presso l’ACS (PCM), Guerra Europa, b. 168, f. 19.19, Prigionieri italiani reduci dalla prigionia – provvedimenti vari a loro favore.

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captivity, the virile identity in prisoners’ memoirs and the problem of return (or the impossible return).2 That mass of prisoners of war stemmed from two episodes: during the Austro-Hungarian spring offensive 1916 (the so-called “Strafexpedition”) and above all following the defeat at Caporetto in October 1917, during which German and Austro-Hungarian forces captured nearly 300,000 Italian soldiers.3 The capture of large numbers of POWs was evidently a phenomenon of mobile warfare: cut off from their command after a defeat, surrounded by enemy troops, demoralised and lacking orders, men might surrender “en masse” (half of France’s First World War prisoners of war were captured in 1914), whereas the controlled conditions of static warfare made individual surrender unlikely (soldiers seeking to do so often fell under “friendly fire”) and group surrender a rarity. The majority of the “Esercito Regio” prisoners ended up in about thirty camps in Germany and today’s Republic of Austria, Czech Republic and Hungary. Like most POW nationalities in Germany and Austria-Hungary, the Italians met with brutal treatment.4 Regardless of conventions on POW status, the regime of captivity was harsh, punishment arbitrary and frequent, food chronically inadequate, such that hard labour outside the Kriegsgefangenenlager (“prisoner of war camps”) was a welcome relief, affording a clandestine chance of procuring extra rations, at least until 1916, when even the life conditions of prisoners in labour companies got worse.5 Often the guards in charge were not entirely responsible for the prisoners’ plight: the First World War camp system was simply unsuited to managing and feeding hundreds of thousands (and sometimes millions) of men, given the dire supply system of the Central Empires.6 Not but the greatest German (e. g. Lechfeld) 2

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Marco Mondini, L’historiographie italienne face à la Grande Guerre. Saisons et ruptures, in: Histoire@Politique 1/2014, 69–84; Marco Mondini, La guerra italiana. Partire, raccontare, tornare (1914–1918), Bologna 2014, 286–314. Giovanna Procacci, Soldati e prigionieri italiani nella Grande Guerra. Con una raccolta di lettere inedite, Turin 2000; Camillo Pavan, I prigionieri italiani dopo Caporetto, Treviso 2001. Hannes Leidinger/Verena Moritz, Verwaltete Massen. Kriegsgefangene in der Donaumonarchie 1914–1918, in: Jochen Oltmer (ed.), Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006, 34–66; Jones, Violence, 70–118. Jochen Oltmer, Unentbehrliche Arbeitskräfte. Kriegsgefangene in Deutschland 1914– 1918, in: Jochen Oltmer (ed.), Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006, 67–96; Jones, Violence, 134–144. Uta Hinz, Gefangen im Großen Krieg. Kriegsgefangenschaft in Deutschland 1914– 1921, Essen 2006; Heather Jones, Kriegsgefangenenlager. Der moderne Staat und die Radikalisierung der Gefangenschaft im Ersten Weltkrieg, in: Mittelweg 36/4 (2011), 59–75.

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and Austrian (e. g. Sigmundsherberg) Lager were places of notoriety where men died by thousands. It is estimated that somewhere between 20,000 and 40,000 French and 11,000 British soldiers died in German POW camps.7 The fate of Central Empire soldiers captured by the allies was not much better. At least 25,000 German captive soldiers died in France of various causes, while as for those who fell into the hands of the Russians, the living conditions were extremely harsh. Austro-Hungarian soldiers of ethnic backgrounds potentially allied with the Entente, such as Italians living in Austria, Czechs and Rumanians, were given the opportunity to quit Russian captivity and enlist in national ‘legions’ to fight against the Habsburg monarchy.8 It was a slow and laborious process but it did enable some thousands of prisoners to escape detention. The remainder, especially ethnic Germans and Hungarians, in many cases were devastated by hunger and epidemics, the officially acknowledged mean mortality rate ranging from 20 % to an even higher percentage share.9 According to Giovanna Procacci, who in the 1990s analysed the official policy of Italian Government and Army towards their soldiers in captivity, the basic difference in the lot of Italian soldiers at POW camps in Germany (Rastatt and the so-called Cellelager were particularly notorious), Austria, Bohemia or Hungary was due to Italian state policy. Unlike what was decided by France and Great Britain, until summer 1918 the government was urged by High Command not to take any steps to send prisoners of war material assistance; such relief as they received came from private aid or associations like the Red Cross. Even if some data may be inaccurate, the analysis of Procacci has been generally shared by the Italian scholars.10 It proved a disastrous decision. By the 1907 Hague Convention the burden of maintaining prisoners of war fell to the host government which was obliged to give them the same food and health treatment as their own troops. In practice, however, the rule

  7 Jones, Violence, tab. 1, 21.   8 Alon Rachamimov, POWs and the Great War. Captivity on the Eastern Front, Oxford/ New York 2002; Reinhard Nachtigal, Russland und seine österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen (1914–1918), Remshalden 2003.  9 Uta Hinz, Prisonniers, in: Stéphane Audoin-Rouzeau/Jean Jacques Becker (eds.), Encyclopédie de la Grande Guerre, Paris 2004, 777–787; Georg Wurzer, Die Erfahrung der Extreme. Kriegsgefangene in Russland 1914–1918, in: Jochen Oltmer (ed.), Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006, 167–193. 10 Procacci, Soldati e prigionieri italiani, 182 ff. The author discussed Procacci’s data for the first time in 2014, suggesting that her numbers (and her interpretation) were wrong (see: La guerra italiana. Partire, raccontare, tornare, 286–305). More recently, a detailed quantitative analysis of Procacci’s perspective is offered by Alessio Fornasin, Quanti soldati italiani morirono in prigionia nella prima Guerra mondiale?, in: Contemporanea 2 (2018), 223–239.

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was broadly ignored: from 1916 on, the French and British governments thus ensured that food was sent to their soldiers in captivity. No such decision was taken by the Italian government (though it divided into those potentially in favour and hard-line conservatives like the powerful Minister for Foreign Affairs Sidney Sonnino). Italian official policy toward prisoners obviously was one of the reasons of severe life conditions for Italian soldiers in captivity. Moreover, there was no systematic influence or even interest by the Vatican, the only authority which could have led (at least through a moral or mediatic suasion) to a change in the policy of Italian government. Actually, the Vatican organized a few visits (as widely anticipated) to some camps, in order to verify the prisoners’ living conditions: not unexpectedly, their reports did not point out any problems, but dwelled on the prisoners as targets of spiritual assistance.11 Not only did prisoners of war receive practically no official relief, but private correspondence and association welfare were boycotted several times, and when a POW Office was set up at the Italian High Command, the only result was that post and food packages were slowed down (and almost blocked at one point).12 Those hardest hit were rank-and-file soldiers who formed the bulk of the prisoners, since their families were less able (or un­ able) to send food and clothing. According to an estimate by the committee of inquiry into violence in occupied territory, out of 600,000 Italian prisoners of war somewhat under 20,000 were officers. That ratio matched the proportions in army hierarchy, but was a chilling statistic all the same. In practice, one in ten officers serving on the front was captured sooner or later. The figure becomes even more significant if one reflects that, amid the general debacle of Caporetto, part of the officer corps went ‘on the run’ rather than surrendered, which goes to show that subalterns in fighting units (and occasionally higher ranks and generals) chose to share their soldiers’ fate to the last.13 While behaviour in battle was the same for officers and other ranks, the situation in Austro-Hungarian and German POW imprisonment was quite different. Via private and religious relief channels, many officers continued to receive occasional supplies from their families. Though mal-nourished and lacking health care, especially in winter 1917/18, most of them survived captivity. There were a few hundred deaths in the officer corps, including those who died seeking to escape. It was private soldiers who made up the bulk of the POW 11 Alberto Monticone, La croce e il filo spinato. Tra prigionieri e internati civili nella Grande Guerra, Soveria Mannelli/Rubbettino 2013. 12 Mondini, La Guerra italiana, 288–290. 13 No estimates exist for the number of combatants who returned clandestinely after Caporetto. Some biographical work was done by Cesco Tomaselli, Gli ultimi di Caporetto, Udine 1997 [1931].

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dead (of starvation and disease): one estimate puts them at 100,000, though that might be an exaggeration.14 The disagreement about the accurate number of dead men among the Italian POWs in Austro-Hungarian and German POW camps between 1915 and 1918 arises from the uncertainty of the official sources. In 1925, Giorgio Mortara stated that among the Italian POWs dead were “probably” 80,000 up to 100,000. In his very accurate volume on the public health in Italy during the conflict, Mortara, a famous and respected scholar, recapitulated the official data produced by the “Reale Commissione d’Inchiesta sulle violazioni del diritto delle genti commesse dal nemico”, the governmental committee established in November 1918 to investigate on the war crimes committed by the Austro-Hungarian and German military, and by the Italian Ministry of War just after the war.15 However, these data are quite approximate and often contradictory. In order to account for the number of 100,000 Italian soldiers who died in captivity, Giovanna Procacci cites both official data, for example, the final report of the same Commissione d’inchiesta, which contains different estimates of the victims, as well as press sources, like Mussolini’s newspaper “Il Popolo d’Italia”.16 It should be said that in 1919/20 the newspaper was often deeply involved with the nationalist debate on the war reparations and the “Vittoria mutilata” (maimed victory), and its objectivity is quite questionable. Looking at the official census of the returning POWs, which reached 550,000 individuals between November 1918 and January 1919, and the statistical data reported by Mortara, it becomes comprehensible that figures in regard of the mortality among Italian POWs fluctuate.17 Finally, a recent survey, based on the different evaluations proposed in 1926 by the statistician Corrado Gini, offers another different sum, that is 50,000 Italian soldiers died in captivity.18 14 The estimate that 100,000 died in prison (double the number officially acknowledged by the Italian authorities in the Twenties) was proposed by Procacci, Soldati e prigionieri italiani, 171. 15 Ministero della Guerra. Ex prigionieri di Guerra italiani dati per dispersi o morti, Stabilimenti poligrafico per l’amministrazione della Guerra, Roma 1922; Giorgio Mortara, La salute pubblica in Italia durante e dopo la Guerra, Bari/New Haven/Yale 1925, 28– 30, 49. 16 Procacci, Soldati e prigionieri italiani, 170–171. 17 Cf. Archivio ufficio storico stato maggiore dell’Esercito (AUSSME) B3 – Intendenza generale e intendenza d’armate, b. 72, Relazione sull’opera svolta dall’Intendenza Corpi a Disposizione durante la Grande Guerra and F3 – Carteggio sussidiario prima guerra mondiale, b. 113, f. 3, Relazione sul riordinamento e riorganizzazione e sul funzionamento del servizio per i prigionieri di guerra (1919). 18 Corrado Gini, I morti dell’esercito italiano dal 24 maggio 1915 al 31 dicembre 1918, Roma, Provveditorato generale dello Stato, 1926. See also Fornasin, Quanti soldati italiani morirono.

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In any case, it was a shocking carnage. The government and High Command were well aware of the situation. The (few) prisoners returned on international exchange agreements were systematically questioned and gave a fairly accurate picture of the chronic malnutrition that was decimating the camp inmates, both in Germany and Austria-Hungary. Some of this information reached the ears of the country at large, despite the strict censorship, so it was decided that what could not be covered up should be turned to good account. The stories of some prisoners kept by Austria-Hungary were published in wartime, depicting in macabre detail the “undreamt-of suffering” caused by the enemy’s “inhuman treatment” and “bestial cruelty”.19 The problem was that the High Command was acting upon deliberate policy: the possibility of soldiers being captured had to be be minimised. The prevailing stereotype was that, if captivity was made to sound less than horrible, or preferable to the constant risk of death in battle, desertions would increase like wild-fire.20 The equating of prisoner-deserter (or alternatively prisoner-coward) was quite unfounded, like most of the disciplinary approach under the Cadorna command. A severe and ultra-conservative general educated in the cult of old aristocratic tradition of the Piemontese Army, deeply distrustful towards his own conscripts (which he believed mostly undisciplined and unreliable), tormented by the obsessions of mass desertions, general Luigi Cadorna was a protagonist of the repressive and punitive policy towards Italian soldiers in captivity.21 More­ over, a basic tenet of the Italian military culture implied that it was a disgrace to fall prisoner; surrender was an ignoble gesture for which a price must be paid. By another point of view, the assumption for which the majority of those who were captured were actually traitors or at least cowards was shared by the large part of the bourgeois, nationalist public opinion.22 In some cases (and especially in the little villages), the families of prisoners were marginalized or they were forced to condemn their relatives in enemy hands publicly; sometimes, they were forced to leave in order to avoid moral lynching and several local administrations suspended the allowances usually granted to the sol-

19 Eugenio Masucci/Leopoldo Riccardi di Lantosca, Calvario d’oltr’Alpi. Appunti e note di ventinove mesi di prigionia in Austria-Ungheria, Roma 1918. For reports by returning POWs, see ACS, PCM, Guerra Europea, b. 98, CS – Ufficio I, Interrogatorio di F. Bertone già cappellano militare prigioniero di guerra rimpatriato, 13.5.1918 and Informazioni raccolte dai prigionieri rimpatriati, 4.6.1918. 20 Procacci, Soldati e prigionieri italiani, 201–203. 21 Marco Mondini, Il Capo. La Grande Guerra del generale Luigi Cadorna, Bologna 2017, 227–241. 22 Claudio Staiti, Vedi dunque che il caso è molto grave. Lettere di familiari e sospettati di diserzione nella Grande Guerra, in: Humanities 9 (2016), 109–126.

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diers’ families.23 In a cultural perspective, the destiny of the Italian prisoners was determined by the stigma of captivity as a moral fault, so strong to influence the self-perception of the prisoners themselves.

Capture and imprisonment: remembering the squalor and dishonour Falling prisoner was a blot on a soldier’s honour. In post-French Revolutio­ nary Europe, the equation of masculinity with arms-bearing had heaped symbolic significance on that misfortune. If a real man was defined as one who could use weapons (to defend his honour, or his family’s, or his country’s), to have to lay them down and submit, unarmed, to another’s bidding was to be stripped of one’s manly dignity.24 To be forced to watch events from behind barracks bars or the barbed wire of a prison camp meant one was no longer master of one’s destiny, but a mere spectator at a game being played by others – a state of passivity traditionally associated with women, children and the infirm, but not an active man. The comparison was an apt one for British youth, raised in a culture of sport as training for the greater game of warfare; but with a few retouches it could be applied to other male societies of Europe.25 Just as a war wound was a distinction (to be institutionalised by badges on uniforms and commemorative medals) and sacrifice of life on the battlefield an exploit to be celebrated for ever (by monuments and decorations), so surrender and captivity were a stigma of dishonour. In 1914–1918, European prisoners (and also the Italians) often felt (and were described) as lepers, outcasts from the community of fighting heroes whom the nation fêted and acknowledged – individuals stripped of a man’s dignity, in short.26 Charles De Gaulle, at the time a simple captain captured on the Verdun front in 1916, would describe this widespread condition of prostration as “moral defeat”, a feeling of being “robbed of conflict” or the possibility of action; prisoners were “useless beings”, and this would be held against them all their lives, especially after a victory to which they had contributed nothing.27 “Fu23 Mondini, La guerra italiana, 286–288. 24 Jean Paul Bertaud, La virilité militaire, in: Alain Corbin/Jean Jacques Courtine/ Georges Vigarello (eds.), Histoire de la virilité, 2, Le XIXe siècle, Paris 2011, 157–202. 25 James A. Mangan, Manufactured Masculinity. Making Imperial Manliness, Morality and Militarism, London/New York 2012, 190–227. 26 Annette Becker, Oubliés de la Grande Guerre. Humanitaire et culture de guerre, Paris 1998, 89–93. 27 Bruno Cabanes, La victoire endeuillée. La sortie de guerre des soldats français, Paris 2004, 360–361.

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tility”, “passivity”, “shame” and “abasement” were terms that would recur in the autobiographies of Italian prisoners of war: You’ve got to have lived in a hut among half-naked, scrawny, famished soldiers to know what sadness really is. Hospital, asylums, cemeteries don’t contain as much illness or loneliness or degrading aberration; weak with hunger, alienated by isolation, robbed of consolation, the prisoners […] shed their humanity and out peeps the beast in each and every one.28

Persio Falchi, an artillery officer captured at one of the last engagements before the Italian line gave way at Caporetto, was one of the memoir-writers who dedicated their works not so much to the experience of trench warfare as to the long (a year if you were lucky) and degrading ordeal of imprisonment in Austria(-Hungary). This gave rise to a set of “canons of captivity” marked by a number of points in common.29 More or less all these memoir-writers, most of whom published between 1919 and 1935, began by complaining how hard it was to describe incarceration, experienced as a horrendous trauma: “Such, they say, is the shame of painful memories that only the equanimity of mature years can lift the curtain […] the prisoners’ hunger and wretchedness […] was a spectacle beyond the powers of common imagination”.30 Yet the horror of it was something that needed to be shared. In a kind of mirror-image of trench-life stories, those tackling the task of explaining what captivity had been like did so to save their former suffering comrades from the stigma of cowardice, the allegation that they reneged on their oath so as to save their skins and dodge the suffering of real combatants. Recollection brought “a shudder of horror”, but there was a moral duty to render justice to themselves and to the companions who had shared their lot. Someone had to explain that prison was a fierce ordeal, no less so than a war of combat.31 Small wonder that so many memoirs of imprisonment began with the mo28 Persio Falchi, Un anno di prigionia in Austria, Firenze 1918, 19. 29 Eye-witness accounts include: Guido Orzi, Un giorno a Cellelager, Roma 1919; Francesco Nonni, Cellelager, Viterbo 1920 (The book contains drawings by Francesco Nonni, engraver and potter); Rocco Morretta, I vinti! Da Caporetto a Schwarmstedt, Modena 1921; Guido Sironi, I vinti di Caporetto, Gallarate 1922; Sisto Tacconi, Sotto il giogo nemico. Prigionia di guerra, Milan 1925; Sergio Chianea, Prigionia, Roma 1935; Ex Combattente (A.C.G.), Prigionieri di guerra, Milan 1935; Giuseppe Giuriati, Diario di guerra del granatiere Giuseppe Giuriati, Treviso 1935; Giuseppe Tedeschi, Memorie di un prigioniero di guerra. Diario di un cappellano di fanteria 1917–1919, Brescia 1947; Bonaventura Tecchi, Baracca 15C, Milan 1961. 30 Ibid., 12. 31 Nonni, Cellelager, 4.

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ment of capture, describing what served to show that surrender was unavoidable, that cowardice did not come into it: “Why were we there, with no-one to show us any way out? Why were we cooped up on San Michele when Udine was already occupied? Why did they bring us to Codroipo?”, asks Lieutenant Sisto Tacconi, one of many who blamed the High Command for the panic at Caporetto and the mass surrender of many units (or theirs, at any rate) which had fallen back in orderly armed retreat and could have held out longer, had they been given the slightest chance or hope upon which to go on fighting.32 From the descriptions of surrender there is a common feeling that taking one’s own life would have been far preferable to being captured. The icon of the fighting man who commits suicide rather than suffer the ignominy of imprisonment bulked large in the patriotic anthologies: It was a “fine death” that well became the warrior. In actual fact it was a drastic last resort of the Irredentists, so as not to suffer the humiliation of trial and dishonourable death by hanging (as in the case of Cesare Battisti)33. In “Trincee” (Trenches, 1921) Carlo Salsa, one of the few to recount falling into enemy hands during an Italian offensive, escapes death in the field by a mere fluke. Hurling himself and his men into the attack in suicidal obedience to absurd orders, Salsa impotently watches as his companions are mowed down around him and is eventually captured, though after trying to kill (or be killed) to the bitter end: “I aim my revolver on the nearest target, but it fails to go off with grit in the works […] In a stupor I gaze at the man I was to have killed, standing there before me […] he stretches out a hand and peaceably remarks ‘C’est la guerre!’”.34 Likewise in “Le scarpe al sole” (“Shoes in the Sun”) Paolo Monelli devotes pages to the last rearguard action by which his Alpini try to stem the Austrian advance in early December 1917 (the so-called battaglia d’arresto or ‘First battle of Piave river’) – an epic feat that came within a whisker of the extreme sacrifice: Alpini of Castelgomberto, we all know we drove the enemy back […] But here around me are the lads who yielded ground under my orders, who saved their weapons and hearts from the rout. Here’s where we stop, lads […] But since we haven’t eaten or drunk for 48 hours, there are no rounds left, and few enough of us either, destiny is bringing down the curtain, end of act. Bitter tears and a pang so strong it seems that death would expunge it (my mother’s

32 Tacconi, Sotto il gioco nemico, 57. 33 Cf. the collection of “last letters” in Eno Mecheri, Testamenti della Grande Guerra, Milan 1936. 34 Carlo Salsa, Trincee. Confidenze di un fante, Milan 1995 [1924], 221.

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face behind the most desperate decisions – and I hurl my pistol into the ravine). The oldest of my Alpini are weeping at the ignominy of being captured […]. – Cossa la dirà me mare!35

The upshot of all these stories of captivity is ultimately the same: It wasn’t lack of courage of the officers and privates on the frontline, but of leadership by the top brass (divorced as usual from the reality of combat and unable to give an order that made sense); or in other cases it was purest accident. “Can we raise a bulwark strong enough to break the power of the waves? Yet we were bent on shedding out blood to the last drop,” run the memoirs of Rocco Moretta who was summoned with his regiment, beyond all hope of success, to plug a breach in the Italian defences in late October 1917: “Truth is, the enterprise stretches now beyond the bounds of common abnegation, well-nigh impossible”.36 The painter Guido Sironi, reserve lieutenant serving on the Isonzo front (today’s Slovenia), would recall being swept up in the chaos of battle on 25th October 1917, forced to make a stand on a desperate position with no chance of success, where neither he nor his men had the least intention of surrendering their weapons: “I’m a newcomer to war […] but one thing I do know: here is no place to hang about”.37 The soldiers and officers are not to blame for the defeat. They will shoot until their last round. It is the generals who are panicking, sending in regiments to the slaughter, brigades “demoralised, unprepared for manoeuvres, poorly armed”.38 It was more than a moral obligation to certify that one’s honour was saved, one was not to blame. The officers well knew that they would be grilled on their return as to how they were captured. Until proof to the contrary, the suspicion that they voluntarily went over to the enemy dangled over them. Privates and NCOs39 felt this fear less keenly: if questioned, they could easily state they acted under their commander’s orders, or they were routed when a superior died or was taken prisoner. Unless suspected of any precise misdemeanour, they would be swiftly discharged. That knowledge made their memoirs freer to confess their relief at being captured and saving their skins.40 Grenadier Giuseppe Giuriati, one of the few private soldiers who published his diary 35 “What will my mum say!” from Paolo Monelli, Le scarpe al sole. Cronache di gaie e tristi avventure di alpini, di muli e di vino, Milan 1971 [1921], 168–170. 36 Morretta, I vinti, 32 37 Sironi, I vinti di Caporetto, 39. 38 Ibid., 42. 39 Non-commissioned officers. 40 Cf. for instance Pietro Ferrari, Vita di guerra e di prigionia. Dall’Isonzo al Carso 1915– 1918, Milan 2004, 138.

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during the inter-war years, would testify this in the first draft of his text (“at long last we were all taken prisoner, and happy we were too at saving our skins”). But then his own prudent misgivings and the editor’s pen – Giovanni Comis­so licked the final version into shape – would strike out the sentiment of relief and replace it by the “good soldier” and his patriotic dismay.41 Quite the reverse with Carlo Emilio Gadda when his machine-gun unit got caught up in the débacle of the Isonzo retreat in 1917. He would spend the first weeks of captivity in the German Rastatt clearing camp alternating between pages of gloom in his diary and a draft report detailing his unit’s surrender, noting every fact in support of his own behaviour as commanding officer “lest there be accusations”.42 But it was not always enough to show how scrupulously one had adhered to the rules of honour and the military rubric. Despite all, Gadda would continue to suffer bitterly at being vanquished. While the first news from his parents was of war continuing and friends and brother covering themselves with glory on the field of battle (or in the sky: brother Enrico died shortly afterwards in a flying accident), the future novelist, prone to self-denigration and invective, brooded on his own lot: “abject […] useless and immobile”.43 Moral abasement at being cooped up and useless was a leitmotif among wri­ ters in captivity, or, at least, in most of memoirs and diaries by reserve officers, authors of most of the ego-documents published after the First World War (whereas the majority of privates was recruited from the illiterate peasants).44 The savage treatment meted even to officers (especially in the weeks just after Caporetto) made hunger the first natural emergency, and all diary memoirs harp on the ensuing degradation. The shortage of rations allotted to prisoners soon turned communal life into one long struggle to hog the best portions or privileged positions inside the camp (cookhouse duties, batman to a general) especially in the infamous German “Cellelager” camp at Hannover, known to prisoners as “the graveyard of the living”.45 According to most of the egodo­cu­ments, that starvation disrupted the military community (undoing the ties of discipline and the sense of comradeship that unites fighting men at the front), but also bred a state of moral prostration which led to resignation, inertia and submission: People in camps became “a dead weight to the father-

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Cf. Pavan, I prigionieri italiani, 18–19. Carlo Emilio Gadda, Giornale di guerra e di prigionia, Milan 2002 [1955], 263–308. Ibid., 251 and 314. Marco Mondini, The Construction of a Masculine Warrior Ideal in the Italian Narratives of the First World War, in: Contemporary European History 23 (2014), 307–327. 45 Guido Re, Prigionieri dimenticati. Cellelager 1917–1918, Milan 2008, 83–84.

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land and also to ourselves”.46 The “enemy yoke” under which prisoners were forced to live is a recurrent metaphor describing the helpless mass reduced to brutes and lacking dignity or willpower. Fed and forced to live like animals (“you lived for a wretched bowl of pigswill”), people “lost all the habits of civility, courtesy or kindness and let the brute instincts of primitive man well up from the bottom of their souls”, until the self-preservation instinct “demolished the traditional ties of fraternity and solidarity: […] homo homini lupus”.47 While degradation of prisoners is a recurrent theme of memoirs (“you no longer live, you vegetate like a mindless plant […] in the end you can’t tell man from beast”), explicit references to loss of masculinity among prisoners are rarer, filtered out by strict self-censorship (and also official censorship in the postwar years). One of the rare witnesses who go into detail is Persio Falchi. He gives a contemptuous account of what he called the hell-like circles of human alienation. Enfeebled by starvation, degraded by slavery, some prisoners lost all awareness of being men (i. e. males) and began to behave like those impotent beings the enemy had reduced them to: the result often was self-gratification or homosexuality: Bonds which would have taken the path of friendship in normal life here turned degenerate: a look, a handshake, a gentle pat […] belonged to sexuality. Out of it came jealousy, envy, backbiting, rivalry […]: men gesticulating and talking like women, dancing obscenely like café concerto ballerinas, out to attract suitors […] The tendency towards pederasty48 […] here found fertile soil for propagation. Masturbation, lascivious speech and erotic drawings: few were immune to ruin.49

This might sound like exaggeration or isolated cases (Falchi’s book was substantially cut in its one and only edition), had Morelli not described the “feminising” of prisoners in a less bitter or detailed page, though none the less caustic: “There were some who took a fancy to acting like women; they would sit at the window all day long in female attire […] and flirt with the fiancés who vied for their favour”.50

46 Luigi Tonelli, L’anima e il tempo. Stazioni spirituali di un combattente, Bologna 1921, 138; see Mondini, La guerra italiana, 292–296. 47 Tacconi, Sotto il giogo del nemico, 177; Sironi, I vinti di Caporetto, 103 and 150. 48 The term “pederasty” was used to express “homosexuality”. 49 Falchi, Un anno di prigionia in Austria, 24. 50 Monelli, Le scarpe al sole, 189.

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Prisoners had two ways of reacting to the moral abasement, said the authors of such accounts. In the harsh camp conditions, they might recreate a new “military family” with such few companions in culture and spirit who managed not to succumb to the ruthless anarchy induced by starvation and confinement; or they might concentrate on the only gesture redeeming the fighting man’s honour and promising readmission to the ranks of those who act and don’t just succumb: escape. Carlo Pastorino and Bonaventura Tecchi provided eloquent examples of how one might fashion a “tale of companionship” in captivity. Joining hut 15C at camp “Cellelager” (the so-called “poets’ hut”), Tecchi had the luck to share a year of imprisonment with a weird group of “literati” (already practising, or in embryo like himself), artists and men of culture, including Gadda and Ugo Betti. With these men he created a kind of protected area devoted to intellectual pastimes: writing poems or memoirs, or teaching other prisoners. In Tecchi’s case sharing in this intense exchange of opinions kept his self-dignity intact and prevented him from falling into the depression that seized most prisoners of war. It also bolstered his trust in the resilience of that small band of friends under arms in keeping alive the wartime experience: Those months, I had the luck […] not to live aloof from other people, to live amongst my companions […] but above all the luck to live side by side, rubbing shoulders with three or four persons of sterling worth […] we were a community, inside a mysterious network that protected common interests and predilections.51

Attempts to escape were the other way of saving face. To prisoners of war breaking out showed one had not lost one’s honour as a fighting man, one could still do one’s bit against the enemy and not just give in to inertia and enslavement. As well as an act of defiance against one’s gaolers, it was a way of showing one’s friends and superiors that one was bent on pursuing the war by other means, a source of merit that would prove useful on one’s return home to dispel the suspicion of cowardice and even earn an official commendation (in the 1920s France was to create a special medal for those who had tried to break out of German camps, equating that with an act of war).52 Meticulously prepared and boldly acted out, such escapes formed the high point of prison stories, becoming a warlike deed in the telling, though maybe 51 Tecchi, Baracca 15C, 128 and 145. 52 Uta Hinz, Fuir pour la patrie. Officiers prisonniers de guerre an Allemagne, in: De Gaulle soldat, Paris 1999, 48–57.

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they were a simple bid for freedom from prison servitude. Inevitably, most ended in recapture and return to camp confines (more rarely with the escapee dying), but it was never a reversion to defenceless lassitude. A prisoner who had taken up the challenge and risked his life gained a new standing. He was a soldier warranting respect, even in the eyes of the warders who had begun by looking down on Italian prisoners as cowards: “At the sight of that clear proof of Italian valour, intelligence and tenacity, Lt. Col. von Friedberg let slip a heartfelt Helden! Helden! (heroes! heroes!)”, Stefano Chianea would recall in telling of an unsuccessful escape by fellow-inmates, while Giulio Bazini, when punished for the umpteenth abortive break-out, had the satisfaction of seeing the elderly camp commandant stand to shake the enemy hand in symbolic readmission to the community of proper fighting men.53

The long way home News that the Great War was over burst upon the concentration camp world, bringing turmoil. In the camps of the now toppled Habsburg Monarchy the mechanism of surveillance and administration collapsed between late October and early November 1918, in parallel with the dissolution of the Habsburg State.54 Events in Berlin, too – mutiny by the fleet and garrisons and the eventual abdication of the Kaiser – were accompanied by a relaxing of camp discipline (though not immediate release). The implosion of discipline and hierarchy was exploited by Italian prisoners. When the Armistice was finally announced on November 4th, 1918, most POW camps had already undergone a swift reversal of roles. Outnumbered and now serving a fallen monarchy, most Austro-Hungarian and German commandants and guards negotiated a peaceful exchange of powers with the Italian officers, so that the prisoners soon found themselves the armed custodians (and guarantors) of their erstwhile janitors and even keeping law and order in the towns and districts where the camps stood: “The slaves have become masters”, commented Gadda wryly at the very beginning of November 1918.55 After the first outburst of euphoria (“were we dreaming? All the anguish and torment we had been through dissolved into a remote post”), there followed a sense of jubilation at the war being over (“pride in the triumph of our weapons blended with ineffable joy at the thought of our rapid freedom”) and a desire to stop 53 Chianea, Prigionia, 67. Giulio Bazini, Da Venezia a Venezia, Udine 2010 [1970], 256. 54 Procacci, Soldati e prigionieri italiani, 370–371; Mondini, La guerra italiana, 351–359. 55 Gadda, Giornale di guerra e di prigionia, 414.

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being victims and act upon this sensational turning of the tables by taking up arms.56 At camp Komárom, on the border of today’s Hungary and Slovakia, the Italians learned that the war was over from the town mayor. The prisoners were accorded the dubious status of allies of the new Hungarian nation: “We are men once more, our fetters have finally been broken”, Giulio Bazini commented.57 To the more spirited, being masters instead of slaves in the camp microcosm was not enough. After the first taste of freedom Paolo Monelli, incarcerated at Sigmundsherberg in Lower Austria, rushed to the senior Italian officer and urged they requisition trains and head for Vienna, that those 20,000 prisoners should descend on the capital and impose armed peace on the heart of the Empire.58 A mad scheme, no doubt, but it suited the sudden lawless atmosphere as the camp system toppled. For several days, Monelli relates, there took place “the most crazy situations”: Armed pickets of Italians guarding the camps, stations, town squares and former prisoners keeping communication systems running after the imperial staff had quitted their posts.59 In the novel “Il muro di casa” (1935), one of the few works of fiction describing prison camp experience and repatriation, Stefano Pirandello (alias, Stefano Landi) neatly captures the grotesque side to prisoner-turning-tables-on-warder, the Italians’ deep satisfaction at recovering full human dignity with the power of imposing their will. At the “officer concentration camp of X” in Austria, the old commanding colonel weeps as he brings news of the armistice and admits that all his men have fled. He urges the Italian soldiers to stand guard over the still plentiful food stores and the infrastructure. Not only are yesterday’s prisoners invested with military power over the camp, they now become the only source of nourishment for the local civilians who through the camp gates start begging for food and protection. The Empire collapsed in the space of a few hours and the “Austrian commandant, already in grey bowler and civilian suit”, is expelled from the camp by the new masters.60 When the first inebriation with freedom passed, most men began to wonder when they would return home. For the Italians repatriation largely depended on the area where they had been interned. Return from Germany was the least adventurous, but undeniably the slowest. The new authorities of the German Republic were extremely reluctant to lay on rail transport for 200,000 Italian

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Chianea, Prigionia, 90–92. Bazini, Da Venezia a Venezia, 294. Monelli, Le scarpe al sole, 190. Ibid., 191. Stefano Landi, Il muro di casa, Milan 1944 [1935], 18.

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soldiers. Although an Italian prisoners’ commission headed by General Bassi was set up in Berlin immediately after the 11th November 1918, most internees continued their prison life – in far better conditions and softer discipline – until the following January when even Carlo Emilio Gadda was eventually entrained for Italy.61 By contrast, those confined in an Austro-Hungarian camp were faced with rampant anarchy: Most of them left their camps on their own initiative, improvising an unruly and somewhat carnival-like mass return.62 Under the Armistice terms, Austria undertook to send back its Italian prisoners at an orderly rate of 20,000 per day as of November 20th, but by that date tens of thousands of ex-prisoners had already left their camps in more or less compact groups or individually, after requisitioning, confiscating or just stealing any means of transport available, while the new national authorities floundered without any concerted plan amid endemic civil war which rocked Hungary and the borderland of Austria-SHS state / today’s Slovenia. Sometimes the inmates were simply left to make their own way home (as at camp Dąbie in the new-founded Poland); or an attempt at group transport was made but then collapsed in a muddle (in Hungary the Italians lost their patience and decided to head to Fiume en masse, and from there sail to Italy. Many had to force their way through revolutionary militia at gunpoint).63 The return home from camp Mauthausen in Upper Austria was organised by the prisoners’ commanding officer on his own initiative. No orders coming through from Italy, he forced (or bribed with food) the regional authorities to make over a certain number of trains and travel permits for a mass of 10,000 prisoners (6,000 of them able-bodied and organised in provisional regiments).64 At Sigmundsherberg the Italians took over the camp after the guards took to their heels. For several days they acted as a provisional local administration, supplied the population’s food requirements from military stores and imposed order on the town station until the first batches of prisoners began to set off home on requisitioned trains as of November 4th. They pulled out of the platforms to the tune of Goffredo Mameli’s national anthem and the royal march. It was a festive atmosphere, and numbers of local women, with whom many liberated soldiers had quickly fraternised, were prudently left behind to dry their tears.65 Other return journeys were less joyful. Pietro Ferrari had ended up in Ujvidek fort in southern Hungary when he was told on Novem61 Gadda, Giornale di guerra e di prigionia, 412. 62 Mondini, La guerra italiana, 298–305. 63 ACS, PCM, Guerra Europea, b. 168 bis, f. 19.19 Rimpatrio, Comitato nazionale polacco – missione italiana, 3 december 1918; Bazini, Da Venezia a Venezia, 295–300. 64 Chianea, Prigionia, 94–95. 65 Falchi, Un anno di prigionia in Austria, 220 f.

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ber 2nd that the Italians were going to be released straight away. Out of touch with the Italian home authorities and without any official permit, Ferrari was shunted between Belgrade and Zagreb for a fortnight, along with a handful of fellow-soldiers, trying to make their way in the chaos of the nascent Jugoslav State and find some means of transport home to Italy. In the end he boarded the right train and reached Trieste, only to be sent at once to a concentration camp for ex-prisoners, organised on the quays of the town.66 Whatever the style of homeward journey, there is little doubt that most former prisoners of war had a different homecoming from what they expected. The luckiest were those few who trickled back by evading the controls on the armistice line and frontiers which High Command had set in place immediately after November 4th so as to intercept homeward-bound soldiers. Those gradually returning from Germany later in December and in January likewise fared reasonably well. But the repatriated masses in the first weeks of November (over 400,000 men by the High Command estimate from unspecified data supplied by the German and Austrian authorities) met with yet more confinement and treatment little short of humiliating.67 Even before the Armistice, the Italian War Ministry had scheduled “special concentration and redeployment camps” where all returning prisoners of war would be forcibly impounded pending interrogation.68 For the civil and military authorities the measure served two purposes: to ascertain the circumstances of surrender and detect any cases of desertion; and to place political suspects in quarantine and check whether they had come in contact with “revolutionary propaganda”. Even while war still raged, the obsession with “revolutionary contagion” already prompted the War Ministry to recommend delaying (if not blocking altogether) the return of Italian prisoners of war from former Tsarist Empire areas. These amounted to several hundred persons: some Italian subjects living in Russia, and some soldiers who had managed to escape from Austro-Hungarian POW camps. For these, strict surveillance was the watchword; if possible, they should be kept abroad, or alternatively shipped to the colonies lest they spread Bolshevik propaganda.69 On top of this, the 66 Ferrari, Vita di guerra e di prigionia, 125–132. 67 According to Military High Command, by mid-December “about 400,000 men” had returned to Italy and negotiations were in progress for another 140,000 left in Germany and in Bohemia. Cf. ACS, PCM, Guerra Europea, b. 168 bis, f. Prigionieri, from CS-Ufficio ordinamento e mobilitazione to PCM, 19 December 1918. 68 Procacci, Soldati e prigionieri italiani, 370 f. 69 ACS, PCM, Guerra Europea, b. 98, f. Prigionieri di guerra in Austria-Ungheria, from CS to PCM and MG, Militari provenienti dalla Russia, 11 March 1918 and ibidem, from Ministero della Guerra to PCM Sudditi italiani rimpatriati dalla Russia, 25 May 1918.

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armistice triggered a wave of terror among local administrators and keepers of law and order: What would happen when some hundreds of thousands of returning soldiers (joined by refugees in transit) descended on towns? In the words of the Milan prefect, the exodus needed regimenting if there was to be “a return to normal life” without danger or disorder.70 On November 12th 1918 an edict from High Command made it compulsory for officers and soldiers freed from prison to report within 24 hours of homecoming (and not later than November 20th in any case) to muster points in Emilia (Castelfranco Emilia, Gossolengo, Rivergaro), Ancona or Bari (soon the number of such points would swell to over twenty).71 What these returning prisoners of war received was anything but kid-glove treatment. Adapted from sites already used for redeployment of Caporetto stragglers, the welcoming facilities were inadequate to cope with hundreds of thousands of sick, emaciated men, and the climate of scorn and suspicion did nothing to improve matters. Within a few days men began to die in those camps, partly as a result of the privations of their previous internment, partly due to epidemics caused by insanitary conditions and poor food. The three main concentration camps in Emilia (Castelfranco, Mirandola and Gossolengo) mustered over 265,000 prisoners of war, one thousand of whom met their deaths, largely through untended infection. It was a lucky accident that the beginnings of Spanish influenza were held in check.72 The soldiers were treated so harshly, their demobilisation so retarded by lengthy interrogation, that associations of POW families, local newspapers and even members of parliament began to grumble and bombard the Prime Minister’s Office with demands for explanation and petitions.73 In turn Vittorio Emanuele Orlando urged the High Command to solve the matter, and sent General Ugo Sani’s command an inspection in late December. Naturally, the official reports that came back made light of camp conditions which they set down to an “initial crisis” of organisation; but the fact is, demobilisation speeded up and the muster points began to be closed down. By January 1919 they held barely more than 120,000 men,

70 ACS, PCM, Guerra Europea, b 168 bis, f. 19.19 Rimpatrio, MI, Appunto per il ministro, 30 December 1918. 71 Regio Esercito – CS, 12 November 1918. 72 Fabio Montella, 1918. Prigionieri Italiani in Emilia. I campi di concentramento per i militari italiani liberati dal nemico, Modena 2008, 122. 73 ACS, PCM, Guerra Europea, b. 168, f. 19.19 Prisoners, from MI to V. E. Orlando, 17 November 1918 and from MP Monti Guarneri to PCM, telegram 17 November 1918; from senator Salmoiraghi to V. E. Orlando, telegram 29 November 1918; b. 168 bis, from PCM to CS, Prigionieri rimpatriati, 7 December 1918.

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most of whom were fresh back from Germany and would be released within the month.74 The real scandal, however, was the Trieste concentration-cum-redeployment camp. The idea of setting up a temporary muster point in the newly conquered town was not a prearranged plan but an unavoidable reaction to the situation arising just before the Armistice. On November 3 rd 1918, when General Carlo Petitti di Roreto disembarked in the Port of Trieste with the vanguard of his occupation corps, the place already held thousands of self-liberated prisoners of war. They had poured into town in unruly profusion: the Habsburg governor quitted his post and there was no armed unit capable of maintaining order. The horde of returning warriors survived by theft, periodic pillaging or “living off public charity”.75 On November 7th the newly formed military Governorship decided to use the port zone as a temporary muster point before they could channel the prisoners of war towards the concentration camps in Emilia or Ancona.76 But the rate of returnee influx grew wildly, swamping the governorship facilities and the town’s limited food and medical supplies. There were 5,000 ex-POWs in town on November 9th, 16,000 the next day, 60,000 by mid-month, the figure swelling to a peak of 105,000 men, concentrated within a few square kilometres. Most of them lacked a roof over their heads and the sick and injured had nowhere suitable to be tended. The returnees’ patience, understandably, soon wore thin: many baulked at Petitti’s disciplinary measures. (To his indignation, the General soon discovered that many alleged officers were private soldiers masquerading as officers in the chaos of the liberation.) There were demonstrations in protest, a call to revolt. Various bands of men planned to break out by force, so that to contain the brewing rebellion the area of Punto Franco was cordoned off with barbed wire and guarded by machine-gun posts.77 Trieste teeming with yelling desperadoes overseen by “bersaglieri” and machine-gunners with weapons at the ready was the backdrop for “Il muro di casa”, where a party of officers exhausted by their long trek to the coast 74 Ibid., from Ispettorato Centri di Raccolta Militari Italiani Reduci to CS-Ufficio Ordinamento e Mobilitazione, 23 December 1918 and CS-Ufficio Ordinamento e Mobilitazione, Prigionieri rimpatriati, 1 January 1919. 75 ACS, PCM, Guerra Europea, b. 168 bis, f. Relazione sul movimento dei reduci italiani dalla prigionia di guerra in Trieste after 3 November 1918, Relazione [hereinafter Relazione Petitti], 1. 76 Angelo Visintin, L’Italia a Trieste. L’operato del governo militare italiano nella Venezia Giulia 1918–1919 (Gorizia: LEG 2000), especially 11–26; Paolo Puissa, Trieste 1918. I reduci di novembre, in Franco Cecotti, Un esilio che non ha pari. Profughi, internati ed emigrati di Trieste, dell’Isontino e dell’Istria, Gorizia 2001, 183–195. 77 Relazione Petitti, 2–4.

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from deep in the imperial hinterland were brutally repelled. Sure that their many mishaps are now at an end, their final liberation near, Lieutenant Gia­ como and his comrades give way to whoops of glee and tears of joy at the sight of Trieste, in the last days of November 1918. But suddenly, just after their arrival, they find themselves surrounded by warlike troops who treat them with contempt: “They were told forthwith that the route to freedom was barred; there were fences the same as in Austria, barbed-wire entanglements and […] machine-guns levelled. The place was called Punto Franco”.78 It was a town besieged, not liberated, where the returning men would go through a hallucinatory homecoming. On one of the last stark pages of “Trenches”, the exhausted Carlo Salsa, arriving by ill chance on the first days of November, falls in with a derelict group of glum returnees, with whom he has a laconic exchange: Got here last night, asked for bread, general sent word we should receive bullets instead”. I observe the poor fellow with his uncouth turn of phrase: on his frayed tunic there still dangles the tattered ribbon of a decoration. “We were left to our own devices, stuck here all night in the freezing cold, famished and exhausted, as you can see. Twenty chaps died it in the course of the night. This was reported to the general, and know what he said? Serves them right for betraying their country!79

Salsa’s judgment should be taken with a certain caution. Petitti was certainly a martinet and not given to parleying with rank and file, but he was the first to try and organise sanitation and order in Trieste upon limited means. The flow of reports to Rome on the food situation and the prisoners’ needs do prove he was aware of the enormous problem of thousands of sick men on the brink of exhaustion massing in places ill-suited to catering for their welfare.80 On the other hand, his first impression of the prisoners of war was bad (“poor soldier material”): the fact that some called out “watch out, we’re the lads of Caporetto” was hardly a way to ingratiate him: it will have sounded an alarm-bell in the mind of a career general. Undeniably, the two months in which the Trieste concentration camp ran did not add significantly to Italy’s exit from the war. Under armed guard in the port zone “as though we were malefactors” (as infantryman Pietro Ferrari would recollect), the returning Italian prisoners of war continued to pay for the disgrace of captivity. Some 78 Landi, Il muro di casa, 275–276. 79 Salsa, Trincee, 257. 80 Cf. Relazione Petitti, all. 8 (not numbered), Ufficio sanità.

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160,000 soldiers are thought to have transited through the port of Trieste, though the figure is approximate: first, because the camp commandant (Colonel Pavone from 16th November on) was the first to admit control measures were far from efficient, while sentries who ought to have gunned down escapees had tended to close an eye. In the space of a few weeks the official record is of 11,000 sick and 1,250 dead, largely from ill-managed infection, Spanish influenza and exhaustion, but the records were incomplete and only covered the central portion of camp activity. Hence it is an underestimate.81 There were clearly cases of already debilitated men; but the health reports stress that camp conditions were so bad for many weeks that only those in good health could have survived. A diplomatic way of confirming that the demise of over one thousand survivors of trenches and “living dead camps” in Austria and Germany must be set down to the little or no care by commanding officers for such soldiers, tarnished as they were by surrender (or threats of revolution).82 By the time it was dismantled for good on December 1st, it had become a kind of open-air leper colony. It took the combined pressure of the Roman government (spurred by MPs and civil associations) and local administrations (Trieste now being quarantined by the rest of the world) before the Governorship and High Command resolved to shut down the camp and evacuate its internees elsewhere. Even that was not the end of the journey. Most of these last (an unknown number running to thousands – people who had not managed to make a getaway) were shipped to the permanent concentration camps where the whole weary process of gaining their freedom started all over again. On November 29th 1918 Erminia Tonelli, mother of three sons who enlisted in the army and air-force, wrote a letter to Prime Minister Orlando. The youngest of the three, a survivor of the Isonzo front, was now being held in the Mirandola camp, and there was no way of knowing when he would be set free. Enclosed with the mother’s plea was her son’s last letter, delivered a few days earlier: We came with hearts overflowing with enthusiasm […] trusting that our country’s government would […] hasten the joy of our return home, in view at least of what we went through when Austria had us in her clutches […] Yet

81 Col. Pavone, Campo concentramento ex prigionieri di Trieste – Relazione, in: Relazione Petitti, all. 15, pp. 1–6. 82 Vettovagliamento e Relazione sanitaria relativa al concentramento degli ex prigionieri italiani in Trieste, in: Relazione Petitti, all. 17 and 18 (ibid. especially 12–13). The estimate of victims dates from 25 November 1918.

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Marco Mondini

we have been here for days, and there is talk of us remaining goodness knows how much longer, and at that all the goodwill in the world disappears, the sky of Italy looks less wonderful than it seemed in comparison with Austria, and the cold feels keener …83

Conclusions The history of captivity is good evidence of the peculiarities of the Italian case in the First World War. Comparatively to the size of the operative Army, the Italian prisoners were indeed numerous, although the numbers are not surprising per se. On the Eastern front, between 1914 and 1917, the Austro-Hungarian army left 2 million soldiers in the hand of the enemy following several disastrous defeats. On the contrary, even if their exact amount is still debated, there are no doubts that the extraordinarily high number of Italian POWs who died between 1915 and 1918 is unprecedented in the context of war captivity in First World War Europe. The high rate of death was mainly the consequence of a conscious policy, both on the part of the Italian government and of Luigi Cadorna’s Comando Supremo. The prejudice about the cowardice and dishonour of every soldier taken prisoner (no matter the circumstances), widespread in the Italian military and masculine culture at the time, determined the destiny of the prisoners, not only during their captivity, substantially contributing to their famine and mass death, but also after their repatriation. Labelled as traitors, they were quarantined, imprisoned in other camps (where a lot of them died of starvation) and finally released, but doomed to live in shame. Eventually, for the majority of Italian prisoners, there was no possible return from the war.

83 Giulio Tonelli, 25 November 1918, in: ACS, PCM, Guerra Europea, b 168 bis, from Erminia Tonelli to Vittorio Emanuele Orlando.

RUMÄNIEN

Loránd L. Mádly /Verena Moritz

Die rumänischen Kriegsgefangenen des Ersten Weltkrieges Eine Spurensuche

Die Gründe für den Kriegsausbruch im Sommer 1914 beziehungsweise den Kriegseintritt Rumäniens 1916 ebenso wie der Ablauf und die Folgen des Ersten Weltkrieges sind zweifellos zentrale Themen für eine Auseinandersetzung mit der Entwicklung der rumänischen Geschichte im 20. Jahrhundert. Rumänien gehörte zu den Gewinnern des Krieges und ist in einer territorial erweiterten Form aus dem Konflikt hervorgegangen. Die rumänische Historiographie des Ersten Weltkrieges hat sich – wenn auch mit unterschiedlichen Gewichtungen und teilweise verspätet – eines breiten Themenspektrums angenommen, beginnend mit den Jahren der Neutralität und schließlich den Kampfhandlungen, im Zuge derer die Hauptstadt Bukarest fiel, der größte Teil des Landes unter feindliche Kontrolle kam und die Regierung zum Exil gezwungen wurde. In den Fokus gerieten des Weiteren die Not der Zivilbevölkerung oder die kriegsbedingten Zerstörungen, bevorzugt aber die Entstehung des neuen Staates, die als ein Erfolg der rumänischen Nationalbewegung betrachtet wurde. „Die Vereinigung der von Rumänen besiedelten Gebiete“ der k. u. k. Monarchie „mit dem Königreich Rumänien gab dem Leiden im Krieg gegenüber den Vorstellungen zu Beginn des Krieges eine völlig neue, eine teleologische Bedeutung.“ So wurde „aus dem Verlangen der Rumänen nach Reformen innerhalb der Monarchie eine nationale Befreiungsbewegung“, die trotz zahlloser Opfer am Ende das Ziel der nationalen Einheit erreicht hatte.1 Weitgehend ausgeklammert blieben unter diesen Vorzeichen viele Jahrzehnte hindurch die innerrumänischen Konflikte vor 1914 ebenso wie etliche andere Aspekte, die einer von nationalen Gesichtspunkten dominierten Deutung des Ersten Weltkrieges entgegenstanden. Dazu zählte etwa der Umstand, dass sich viele Rumänen im Habsburgerreich loyal gegenüber ihrem „Vaterland“ verhielten2, 1

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Răzvan Pârâianu, Von der kulturellen zur politischen Einheit der Rumänen, in: Helmut Rumpler (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. XI: Die Habsburgermonarchie und der Erste Weltkrieg 1/2, Wien 2016, 767–812, 769. Ebd. und 771 f.

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obwohl gerade die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zahlreiche Spannungen in Bezug auf die ungarische Haltung gegenüber rumänischen Forderungen bereithielt.3 Auch nach Ausbruch des Krieges wurden entsprechende innenpolitische Reformen, die die Schulpolitik, den amtlichen Sprachgebrauch oder die Wahlordnung betrafen, vom ungarischen Ministerpräsidenten István Tisza „immer wieder verschoben“.4 Die Problematik der Kriegsgefangenen wurde indessen in der rumänischen Historiographie für gewöhnlich nur am Rande erwähnt bzw. als ein Teil der Kriegsnot dargestellt. Die enorme Opferzahl unter den gefangenen Rumänen galt als Beleg für den hohen Preis, den der Sieg gekostet hatte. Immerhin wiesen die rumänischen Kriegsgefangenen die höchste Sterblichkeitsrate unter allen Kriegsgefangenen auf, die sich im Gewahrsam der Mittelmächte befanden.5 Die überaus schwierige Lage der rumänischen Kriegsgefangenen im gegnerischen Machtbereich hing nicht nur mit ihrer Behandlung durch den jeweiligen Nehmestaat zusammen. Die Voraussetzungen für eine adäquate Unterstützung der Betroffenen waren denkbar ungünstig. Nach dem Kriegseintritt Rumäniens war beschlossen worden, die Vertretung der rumänischen Staatsbürger in Österreich-Ungarn und Deutschland den USA zu übertragen.6 Trotz der Hilfsmaßnahmen der Schutzmacht und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz fehlte es an einer ausreichenden Versorgung rumänischer Kriegsgefangener. Zweifellos war die bedrängte Lage Rumäniens mitverantwortlich dafür, dass die Regierung sich anscheinend wenig der eigenen Kriegsgefangenen angenommen hat. Rumänische Gefangene fühlten sich vor diesem Hintergrund häufig in Stich gelassen.7 Die 3

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Harald Heppner, Rudolf Gräf, Romania (Version 1.1), in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2018–12–10. DOI: 10.15463/ie1418.10375/1.1 (abgerufen am 3.2.2021). Jan Vermeiren, Die Mittelmächte und die Rumänienfrage 1914–1916. Ein Beitrag zur Neubewertung des Zweibundes im Esten Weltkrieg, in: Gundula Gahlen/Deniza Petrova/Oliver Stein (Hg.), Die unbekannte Front. Der Erste Weltkrieg in Rumänien, Frankfurt/New York 2018, 85–111, 100. Vgl. dazu beispielsweise: Mark Spoerer, The mortality of Allied prisoners of war and Belgian civilian deportees in German custody during the First World War. A reappraisal of the effects of forced labour, in: Population Studies 60/2 (2006), 121–136. Nach dem Kriegseintritt der USA übte die Schweiz die Schutzmachtfunktion für Rumänien aus. Vgl. dazu: „Die Schweiz als Schutzmacht“ als Schwerpunktthema in: Polit­ orbis. Zeitschrift für Außenpolitik 1/2006. Gheorghe Nicolescu/Gheorghe Dobrescu/Andrei Nicolescu (Hg.), Calvarul prizonierilor români din Primul Război Mondial. Mărturii documentare, Verlag des Vereins „General Ştefan Guşă“, Piteşti 2006, Bd. I, Einleitung, IX–X, XIX–XX.

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Initiativen privater Hilfsgesellschaften, die etwa in Genf, Bern, Haag oder Stockholm gegründet wurden, waren zu bescheiden dimensioniert, um eine ausreichende Versorgung rumänischer Kriegsgefangener mit Hilfsgütern zu gewährleisten.8

Historiographie und zentrale Forschungsfragen Die historiographische Aufarbeitung des Ersten Weltkrieges im Rumänien der Zwischenkriegszeit begann mit den Beiträgen damals prominenter Historiker, unter ihnen Nicolae Iorga9 oder Mircea Djuvara. In Djuvaras „La guerre roumaine“10 wird das bittere Schicksal der rumänischen Kriegsgefangenen vielleicht zum ersten Mal nach Kriegsende in einer Darstellung mit wissenschaftlichen Zügen thematisiert. Ungeachtet dessen und trotz einer zunächst intensiven Auseinandersetzung mit dem Weltkrieg wurde die Gefangenenthematik in der rumänischen Historiographie der Zwischenkriegszeit kaum beachtet.11 Auf militärischer Ebene hatte es demgegenüber noch während des Krieges eine Initiative zur Verschriftlichung von Gefangenenerlebnissen gegeben: Aufgrund einer Verordnung vom 26. März 1918 mussten alle heimgekehrten Offiziere Angaben über ihre Gefangennahme und den Verlauf ihrer Gefangenschaft machen. Anzuführen waren unter anderem Informatio­nen über Nahrung und Unterkunft. Jeweils ein Exemplar des betreffenden   8 Vgl. Mihai-Octavian Groza, Romanian Prisoners in German and Austro-Hungarian Camps (1916–1918). Aspects of Captivity Reflected in the Collective Memory, in: Gundula Gahlen/Deniza Petrova/Oliver Stein (Hg.), Die unbekannte Front. Der Erste Weltkrieg in Rumänien, Frankfurt/New York 2018, 463–478, 475.   9 Iorga hat sich bereits vor dem Kriegsausbruch für einen Eintritt an der Seite der En­ tente­mächte ausgesprochen; während des Krieges hat er kriegspropagandistische Werke kleineren Umfanges verfasst und mit R. W. Seton-Watson zusammengearbeitet (Kriegszeitung „România“; die Zeitung „The New Europe“). Zusammenfassend über den Ersten Weltkrieg: Nicolae Iorga, Istoria românilor, vol. 10: Întregitorii, Bucureşti 1939. 10 Mircea Djuvara, La guerre roumaine 1916–1918, Paris 1919. 11 Vgl. Gundula Gahlen/Deniza Petrova/Oliver Stein, Der rumänische Kriegsschauplatz 1916 bis 1918 als Ort disparater Erfahrungen, in: Gundula Gahlen/Deniza Petrova/Oliver Stein (Hg.), Die unbekannte Front. Der Erste Weltkrieg in Rumänien, Frankfurt/ New York 2018, 11–45, 20. Dazu beispielsweise auch: Radu Marza, World War I as Reflected in the Romanian Historiography (1914–1989), in: Antonello Biagini/Giovanna Motta (Hg.), The First World War. Analysis and Interpretation, Bd. 1, Cambridge 2014, 43–59 oder Maria Bucur, Heroes and Victims. Remembering War in Twentieth-Century Romania, Bloomington 2009. Außerdem: Ioan Bolovan/Rudolf Gräf/Harald Heppner/ Oana Mihaela Tămaş (Hg.), World War I. The Other Face of the War, Cluj-Napoca 2016.

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Schriftstückes, das nicht zuletzt der Bewertung der betreffenden Offiziere beziehungsweise einer Überprüfung von deren Loyalität diente sowie Auswirkungen auf ihre weitere Karriere haben konnte12, war an die betreffende Militäreinheit auszufolgen, ein zweites an den „Historischen Dienst“ des Generalstabes.13 Diese Befragung heimgekehrter Offiziere war mit dem in Öster­reich-Ungarn praktizierten sogenannten „Rechtfertigungsverfahren“ vergleichbar.14 Während das Gefangenenthema nach dem Krieg auf historiographischer Ebene in der Regel kaum reflektiert wurde, gaben Erinnerungen ehemaliger Betroffener Auskunft über das Schicksal in Gefangenschaft. Auch in der Literatur wurde das Thema Kriegsgefangenschaft aufgegriffen.15 Im Falle der angesprochenen Egodokumente handelt es sich größtenteils um Texte ehemaliger Offiziere, denen gemäß Haager Landkriegsordnung eine bessere Behandlung zuteilwurde als einfachen Soldaten. Zu nennen sind etwa die Aufzeichnungen von I. Gr. Oprişan, Emanoil Antonescu, Gheorghe Caracaş oder George Banea.16 Diese Veröffentlichungen beziehen sich 12 Vgl. Claudiu-Lucian Topor, Romanians at War –Soldiers’ Experience During the Military Campaign (1916–1918), in: Gundula Gahlen/Deniza Petrova/Oliver Stein (Hg.), Die unbekannte Front. Der Erste Weltkrieg in Rumänien, Frankfurt/New York 2018, 223–248, 243. 13 Nicolescu/Dobrescu/Nicolescu, Calvarul prizonierilor români din Primul Război Mondial, XIV. 14 Dazu vgl. das Kapitel über die Historiographie in Österreich nach 1918 in diesem Band. 15 Unter den literarischen und meist autobiographisch beeinflussten Darstellungen, die den Ersten Weltkrieg mit seinen mannigfaltigen Implikationen beschrieben und dabei auch die Kriegsgefangenenproblematik streiften, ist beispielsweise Liviu Rebreanus Roman „Pădurea Spânzuratilor“ (Der Wald der Gehenkten, 1922) zu nennen. Explizit auf die Kriegsgefangenschaft bezieht sich schließlich das Werk von George Topârceanu, welcher als Soldat in den Kämpfen um die Dobrudscha gefangengenommen wurde und in Bulgarien in einem Gefangenenlager um das schiere Überleben kämpfte. Er beschrieb in seinem Roman „Pirin Planina“ den Alltag der Kriegsgefangenen. Vgl. George Topârceanu, Memorii de Război. Amintiri din luptele de la Turtucaia. Pirin Planina (episoduri tragice şi comice din captivitate), Bukarest 2014; Liviu Rebreanus Werk in deutscher Übersetzung: Der Wald der Gehenkten. Roman (Übers. Georg Aescht), Wien 2018, 351 Seiten. Grundsätzlich zur autobiographischen Erinnerungsliteratur in Rumänien 1918 bis 1914: Bucur, Heroes and Victims, 73–97. 16 I. Gr. Oprişan, 21 de luni pe căile robiei, Bukarest 1920, 161 Seiten; Ders., Pe căile robiei. Însemnările unui ofiţer român 1916–1918, hg. von Valentin Orga, Cluj-Napoca 2003, 207 Seiten; Emanoil Antonescu Morţi de foame. Povestiri din captivitate, Lagărul Lamsdorf şi Mannheim, Bukarest 1920, 69 Seiten; Maior Gheorghe Caracaş, Din zbuciumul captivităţii. De la 3 noiembrie până la 30 iunie 1918, Bukarest 1920, 192 Seiten oder George Banea, Zile de lazaret, Bukarest 1938, 313 Seiten. Der Autor, der an den Kämpfen in der Dobrudscha teilgenommen hat, schildert darin seine Leiden als Kriegsversehrter. Zu den Memoiren ehemaliger rumänischer Kriegsgefangener siehe auch: Topor, Roma-

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allerdings vor allem auf Erlebnisse in deutscher Kriegsgefangenschaft, wobei beispielsweise Emanoil Antonescu die Entbehrungen, die die Gefangenen in den Lagern Lamsdorf und Mannheim zu erdulden hatten, besonders drastisch schildert: Die Männer schleckten Salz, um den Hunger zu stillen, und verzehrten, wenn sich die Gelegenheit bot, Hunde, Katzen und Mäuse.17 Trotz der zweifellos schlimmen Lage, in der sich viele Gefangene aus Rumänien im Bereich der Mittelmächte befanden, gehe eine Verengung auf rein negative Schilderungen der Zeit in der Kriegsgefangenschaft an der Vielfalt unterschiedlicher Eindrücke vorbei, warnt etwa Claudiu-Lucian Topor. Der Historiker hat sich eingehend mit den Erfahrungen rumänischer Soldaten zwischen 1916 und 1918 befasst. Er verweist in diesem Zusammenhang auf kulturelle Aktivitäten in den Lagern oder aber auf eine Reihe weiterer Möglichkeiten des Zeitvertreibes, die sich zumindest den Offizieren eröffneten.18 Eine wichtige Quelle mit Bezügen zu den rumänischen Kriegsgefangenen sind auch die 1927 in Bukarest veröffentlichten Tagebücher von Alexandru Marghiloman, der vor dem Krieg Innenminister Rumäniens gewesen war und von Mai bis November 1918 Ministerpräsident. Interessant hinsichtlich der Kriegsgefangenenproblematik macht seine Aufzeichnungen nicht zuletzt der Umstand, dass er außerdem während der Besatzungszeit das Amt des Präsidenten des Rumänischen Roten Kreuzes bekleidete und auf diese Weise auch diesbezügliche Agenden betreute. So hatte er Zugang zu Informationen, die die prekäre Lage der rumänischen Kriegsgefangenen darlegten. Seine Versuche, zusammen mit den rumänischen Behörden, eine Verbesserung des Loses der Gefangenen zu erreichen, stießen aber auf Widerstände – u. a. in Zusammenhang mit der Erlaubnis für die „Visitierung“ von Gefangenenlagern.19 Nach 1945 erging es dem Thema Kriegsgefangenschaft im Ersten Weltkrieg in der rumänischen Geschichtsschreibung ähnlich wie in anderen Ländern.20 „Die rumänische Geschichtsschreibungn nach dem Zweiten Welt-

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nians at War, 242 f.; Gh. I. Georgescu, Contribuţiuni la Bibliografia Războiului pentru Întregirea Neamului, Bucureşti 1940. Topor, Romanians at War, 244 f. Ebd., 245. Vgl. Alexandru Marghiloman, Note politice, Bde. 1–3, Bukarest 1993–1995 (Erstveröffentlichung: Bukarest 1927). Eine Auswertung von Marghilomans Aufzeichnungen in Bezug auf die rumänischen Kriegsgefangenen (zumindest für die Gefangenen im Okku­pationsgebiet) findet sich bei Lisa Mayerhofer, Zwischen Freund und Feind. Deutsche Besatzung in Rumänien 1916–1918, München 2010, 272–288. Nach der Wende setzten Forschungen auch über die Geschichte und das Schicksal der Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges (welche hauptsächlich in die Sowjetunion verschleppt wurden) ein. Vgl. Vitalie Văratic/Laurenţiu Constantiniu/Vladimir Iva-

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krieg“, so Răzvan Pârâianu, der sich mit Gedächntis und Geschichtsbild der Rumänen in Bezug auf den Ersten Weltkrieg auseinandergesetzt hat, „mied die Zeit vor“ 1918 „und nahm der Zwischenkriegszeit ihre historischen Wurzeln“.21 Die Reorientierung der rumänischen Historiographie nach dem Ende der Ära Ceauşescu brachte unterschiedliche Ansätze hervor. Auch jetzt erwies sich der Erste Weltkrieg nicht unbedingt als prioritärer Forschungsbereich. Erst Lucian Boia, so Pârâianu, hat Ende der 1990er Jahre die nationale Geschichtskonstruktionen in der rumänischen Historiographie hinterfragt22. Es folgten Arbeiten, die explizit feststellten, dass „die Rumänen aus Österreich-Ungarn zur Krone auch während des Ersten Weltkriegs eher loyal eingestellt als von irredentistischen Idealen getrieben waren“.23 Nach wie vor aber blieben Themen, die auf die nationale Vereinigung als Folge des Krieges fokussierten, von zentraler Bedeutung – auch in Zusammenhang mit den Kriegsgefangenen, wenngleich dieser Aspekt für gewöhnlich nur am Rande beziehungsweise kaum erschöpfend behandelt wurde. Hier ging es beispielsweise um die Haltung von rumänischen Kriegsgefangenen der k. u. k. Armee, die sich in Russland auf die Seite der Entente stellten.24 Dass sich rumänische Kriegsgefangene im untergegangenen Zarenreich den sogenannten „Internationalisten“ anschlossen und die junge Sowjetmacht unterstützten, war naheliegenderweise in der kommunistischen Ära aufgegriffen worden und fand nach der Wende keine Beachtung mehr. Die Anzahl dieser rumänischen Freiwilligen dürfte allerdings eher gering geblieben sein – ein Umstand, der sich in der raren Literatur zu diesem Thema widerspiegelt.25

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novici Korotaev/Ilie Schipor/Vladimir Nikolaevici Kuzelenkov (Hg.), Prizonieri de război români în Uniunea Sovietică. Documente 1941–1956, Bukarest 2013. Pârâianu, Von der kulturellen zur politischen Einheit der Rumänen, 769. Vgl. Lucian Boia, Istorie şi mit în conştiinţa românească, Bukarest 1997. (Dt. Übersetzung: Geschichte und Mythos. Über die Gegenwart des Vergangenen in der rumänischen Gesellschaft, Studia Transylvanica 30, Wien/Köln/Weimar 2003, 291 Seiten.) Pârâianu, Von der kulturellen zur politischen Einheit der Rumänen, 774. Vgl. Vasile Vesa, Transilvania în timpul Primului Război Mondial (1914–1918), in: Ioan-­Aurel Pop/Thomas Nägler/Magyari András (Hg.), Istoria Transilvaniei, Bd. III. (1711–1918), Cluj-Napoca 2008, 467–475. Von den vielen zusammenfassenden Werken, die in den Folgejahren entstanden sind: Mircea Djuvara, La guerre roumaine 1916– 1918, Nancy/Paris/Strasbourg 1919, 335 Seiten; General C. Găvănescul, General Ion Manolescu, 1914–1918. Războiul cel Mare, 3 Bde., Bukarest 1915–1916, 508, 396 u. 695 Seiten; Constantin Kiriţescu, Istoria războiului pentru Întregirea României 1916–1919, 2 Bde., Bukarest 1922, 527 u. 669 Seiten; Mircea V. Rădulescu, Războiul neamului românesc 1916–1919, Bukarest 1920, 208 Seiten; Constantin Stere, Marele războiu şi politica României, Bukarest 1918, 463 Seiten. Vgl. Internacionalisty. Trudjašiesja zarubežnych stran – učastniki bor’by za vlast’ sovetov, Moskva 1967. Darin findet sich ein Beitrag über die rumänischen Internationalisten auf den Seiten 407–436.

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Auch die „Rumänische Legion“ in Italien (Legione Romena d’Italia), die aus Kriegsgefangenen rumänischer Nationalität in Norditalien rekrutiert wurde, rief das Interesse von Historikern hervor.26 Nach einer Übereinkunft zwischen italienischen und rumänischen Politikern war es im Herbst 1918 zur Bildung der Legion gekommen, welche anschließend zusammen mit italienischen Truppen in der letzten Phase des Krieges zum Einsatz kam und Anfang 1919 nach Rumänien repatriiert wurde.27 Weitgehend unbekannt blieb indessen der Versuch, unter den in deutscher sowie österreichisch-ungarischer Gefangenschaft befindlichen Rumänen eine Legion zu bilden, die auf der Seite der Mittelmächte zum Einsatz kommen sollte.28 Ein umfassendes Werk zum Ersten Weltkrieg vorgelegt hat 2016 schließlich der Historiker Liviu Maior.29 Seinen bisherigen Forschungen entsprechend geht es in dieser Studie nicht zuletzt um die rumänische Nationalbewegung und damit auch um die Rumänen Siebenbürgens, die als Soldaten der Doppelmonarchie gegen Rumänien kämpften. Auch die Lage der Kriegsgefangenen und Internierten, der eigenen wie fremden, gerät schließlich in den Fokus. Der Autor macht auch darauf aufmerksam, dass sich in mehreren Gefangenenlagern in Siebenbürgen und im Banat russische, italienische oder serbische Gefangenen befanden und zu verschiedenen Arbeiten eingesetzt wurden (Instandhaltung der Kommunikationswege, Feldarbeit usw.). Erwähnung finden des Weiteren das Lager Arad und die hohe Sterblichkeitsrate unter den dort internierten Serben.30 Das Schicksal der Zivilinternierten wiederum ist in der rumänischen Historiographie bereits intensiver erforscht worden als jenes der Kriegsgefangenen.31 Tatsächlich waren neben der slawischen oder italienischen Bevölkerung der Monarchie auch die Siebenbürger Rumänen „Verdächtigungen, 26 Paolo Tomasella, The Role of Friulian Emigrants in the Formation of the „Romanian Legion“ of Italy, in: Ioan Bolovan/Gheorghe Cojocaru/Oana Mihaela Tămaş (Hg.), Primul Război Mondial. Perspectivă istorică şi istoriografică/World War I. A Historical and Historiographical Perspective, Cluj-Napoca 2015, 402 f. 27 Bolovan/Cojocaru/Tămaş, Primul Război Mondial, 408. 28 Dazu: Groza, Romanian Prisoners, 474 f. In den Akten der k. u. k. Behörden finden sich dazu nur einige wenige Notizen. 29 Liviu Maior, Doi ani mai devreme. Ardeleni, bucovineni şi basarabeni în război 1914– 1916, Cluj 2016. 30 Ebd., 31, 234–236. 31 Vgl. Nicolae Bocşan/Valeriu Leu, Memorialiştii români din Banat despre Marele Război. Motivaţia redactării scrierilor, in: Ioan Bolovan/Gheorghe Cojocaru/Oana Mihaela Tămaş (Hg.), Primul Război Mondial. Perspectivă istorică şi istoriografică/World War I. A Historical and Historiographical Perspective, Cluj-Napoca 2015, 47 f.; Andrei Şiperco (Hg.), Tragedii şi suferinţe neştiute. Prizonieri de război şi internaţi civili în România 1917–1919. Documente elveţiene, Bukarest 2003.

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Denunziationen und […] Internierungen ausgesetzt“ gewesen, wobei hier seitens der ungarischen Behörden angesichts des loyalen Verhaltens bei der Mobilisierung 1914 von Zurückhaltung bei der Überwachung verdächtiger Personen unter den Rumänen die Rede ist.32 Im Vergleich zu den sogenannten „Stammlagern“ für Kriegsgefangene im Hinterland der k. u. k. Monarchie handelte es sich in Siebenbürgen und im Banat um Durchgangslager, von wo aus die als Arbeitskräfte eingesetzten Kriegsgefangenen verteilt wurden.33 Zeitgenössischen Dokumenten zufolge, die von Maior herangezogen wurden, haben die rumänischen Soldaten der k. u. k. Armee die russischen Kriegsgefangenen nicht besonders streng behandelt34 – eine Behauptung, die kaum ohne den Hinweis auf die Unzulässigkeit vorschneller Gesamtbewertungen auskommen kann. Wieder geraten Fragen der Loyalität oder des Nationalbewusstseins in den Vordergrund und leiten schließlich auch bei Maior über zur Beteiligung von rumänischen Gefangenen der k. u. k. Armee an den Freiwilligenkorps.35 Obwohl sich nach 2004, als Rumänien in die NATO aufgenommen wurde und die EU-Beitrittsverhandlungen beendet waren, die „ethnonationale Orientierung“ in der rumänischen Geschichtsschreibung „gemildert“ hat, blieb die Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg vielfach alten Mustern treu.36 Dennoch seien, konstatiert Pârâianu, in den letzten beiden Jahrzehnten neue Ansätze in der Forschung evident und vermehrt sozial- sowie kulturgeschichtliche Studien entstanden.37 Wenngleich rumänische Historiker nach wie vor die Kriegsgefangenenthematik weitgehend beiseite ließen und damit auch nicht auf einen internationalen Trend der Weltkriegshistoriographie ab den 1990er Jahren reagierten, eröffneten sich immerhin 2006 vielversprechende Perspektiven für eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Schicksal der rumänischen Kriegsgefangenen, als ein dreibändiges Werk mit Aufzeichnungen ehemaliger Kriegsgefangener erschien. „Calvarul prizonierilor români din Primul Război Mondial. Mărturii documentare“ (Das Martyrium der rumänischen Kriegsge-

32 Vgl. Olivia Spiridon, Die Siebenbürgenfront 1916 in der Erfahrung der Siebenbürger Sachsen, in: Gundula Gahlen/Deniza Petrova/Oliver Stein (Hg.), Die unbekannte Front. Der Erste Weltkrieg in Rumänien, Frankfurt/New York 2018, 317–346, 337 und Fußnote 79. Über Internierungen während der Okkupationszeit siehe Mayerhofer, Zwischen Freund und Feind, 197–213. 33 Maior, Doi ani mai devreme, 130. 34 Ebd., 199. 35 Ebd., 214–217. 36 Pârâianu, Von der kulturellen zur politischen Einheit der Rumänen, 773–775. 37 Ebd., 776 f.

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fangenen aus dem Ersten Weltkrieg. Dokumentarische Zeugnisse), ediert von Gheorghe Nicolescu, Gheorghe Dobrescu und Andrei Nicolescu, stellte die Grundlage einer weiteren wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema her. Die drei Bände enthalten offizielle Dokumente in Zusammenhang mit Gefangenenagenden ebenso wie etwa Briefe von Kriegsgefangenen, die sich im Gewahrsam der Mittelmächte befanden. Die Materialien stammen mehrheitlich aus dem Militärischen Archiv in Piteşti, es finden sich darin hauptsächlich Dokumente aus dem rumänischen Kriegsministerium und dem Außenministerium. Während die erwähnten Memoiren von Offizieren, die in der Zwischenkriegszeit veröffentlicht wurden, in erster Linie die Kriegsgefangenschaft in Deutschland zum Thema hatten, enthält „Calvarul prizonierilor români“ auch etliche Darstellungen, die Bezug auf Österreich-Ungarn nehmen.38 Dort seien – folgt man wiederum den Schlussfolgerungen von Mihai-Octavian Groza – die Bedingungen vergleichsweise besser gewesen als in Deutschland, wobei sich infolge der Zuspitzung der Nahrungsmittelkrise ab 1917 die Lage auch für die Gefangenen im Habsburgerreich merkbar verschlechtert habe.39 Einmal mehr aber schreiben die vorhandenen Aufzeichnungen rumänischer Gefangener Sichtweisen mehrheitlich von kriegsgefangenen Offizieren fest, wenngleich diese in ihren Darstellungen auch auf die im Regelfall sehr viel schlechtere Situation einfacher Soldaten verweisen.40 Auf Grundlage verschiedener Dokumente werden von den Herausgebern der erwähnten Dokumentenbände außerdem Gesamtzahlen zu den rumänischen Kriegsgefangenen präsentiert: Anfang Februar 1917 befanden sich diesen Angaben zufolge 78.347 Soldaten und 1536 Offiziere in Gefangenschaft; im Laufe des Krieges erhöhte sich diese Zahl auf 110.845, wovon angeblich fast 40 Prozent während der Gefangenschaft gestorben sind.41 Freilich liegen auch andere Angaben vor, die von bis zu 148.000 rumänischen Kriegsgefangenen allein in Deutschland ausgehen, von mehr als 52.000, die sich in österreichisch-ungarischem Gewahrsam befanden, und weiteren etwa 28.000 in bulgarischer Hand.42 Aus den unterschiedlichen Gesamtzahlen leiten sich in weiterer Konsequenz auch unterschiedliche Angaben zur Sterblichkeit unter den kriegsgefangenen Rumänen ab. Deutsche Angaben, die nach dem Krieg veröffentlicht wurden, veranschlagen die Mortalitätsrate bei nahezu 30 Prozent, ein Ergebnis, das jenes unter den Kriegsgefangenen anderer Nationa38 39 40 41

Vgl. Groza, Romanian Prisoners, 472–475. Ebd., 472. Ebd., 474 f. Nicolescu/Dobrescu/Nicolescu, Calvarul prizonierilor români din Primul Război Mondial, XXXVII. 42 Vgl. Groza, Romanian Prisoners, 465.

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litäten um ein Vielfaches übertraf.43 In bestimmten Regionen lag die Sterblichkeit der Rumänen angeblich noch höher. Für die im Elsass befindlichen rumänischen Kriegsgefangenen wird angenommen, dass bis zu 50 Prozent starben – offenbar vor allem an Hungerödemen.44 Die Mortalität von Rumänen in österreichisch-ungarischer Gefangenschaft liegt hingegen nach offiziellen Angaben bei 4200 Toten und damit acht Prozent.45

Zur Mortalität rumänischer Kriegsgefangener Während sich in den erwähnten drei Dokumentenbänden nur kurze Einleitungstexte um eine Einordnung des Themas in die Forschungslandschaft bemühen, stammt das bislang umfassendste Werk zum Schicksal der rumänischen Kriegsgefangenen von dem französischen Offizier und Militärhistoriker Jean Nouzille. Es trägt den Titel „Calvarul prizonierilor de război români în Alsacia şi Lorena: 1917–1918“ (Das Martyrium der rumänischen Kriegsgefangenen im Elsass und in Lothringen).46 Obwohl Nouzille offensichtlich keine Gesamtdarstellung der Gefangenenproblematik anstrebte, weisen die gründlichen Recherchen, die dem Buch zugrundeliegen, über den gewählten geographischen Rahmen der Studie hinaus. Von besonderer Bedeutung sind zweifelsohne die auf einer Fülle von Quellen beruhenden Schilderungen von den schwierigen Lebensbedingungen der rumänischen Kriegsgefangenen. Schon Anfang des Jahres 1917 konnte man eine im Vergleich zu anderen Nationalitäten höhere Mortalität unter den Rumänen feststellen.47 Aus dem Umstand, dass die rumänischen Gefangenen unter den Mittelmächten gewissermaßen „kursierten“ und im Bedarfsfall bzw. nach Absprache vom einen zum anderen Bündnispartner transferiert wurden, resultierten von vornherein ungenaue Angaben über deren Gesamtzahl. Darüber hinaus 43 Vgl. Topor, Romanians at War, 241. Dazu auch Uta Hinz, Gefangen im Großen Krieg. Kriegsgefangenschaft in Deutschland 1914–1921, Essen 2006, 227–229. 44 Vgl. Hinz, die sich hier auf Annette Becker bezieht und diese sich wiederum auf die Arbeit von Nouzille, auf die in vorliegendem Text noch eingegangen wird. Hinz, Gefangen, 229. 45 Tabelle in: Hans Weiland/Leopold Kern (Hg.), In Feindeshand. Die Gefangenschaft im Weltkriege in Einzeldarstellungen, 2 Bde., Wien 1931, ohne Seitenzahl. 46 Jean Nouzille, Le calvaire des prisonniers de guerre roumains en Alsace-Lorraine 1917–1918, Bukarest 1991; zweite erweiterte Ausgabe: Bukarest 1997 und die Übersetzung ins Rumänische: Jean Nouzille, Dumitru Preda, Calvarul prizonierilor de război români în Alsacia şi Lorena: 1917–1918, Bukarest 1997. 47 Ebd., 49 f. Siehe auch: Nicolescu/Dobrescu/Nicolescu, Calvarul prizonierilor români din Primul Război Mondial, XVII.

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verblieben offenbar Zehntausende rumänische Kriegsgefangene im deutschen Okkupationsgebiet – ein Sachverhalt, der ebenfalls und in durchaus erheblichem Ausmaß mitverantwortlich sein dürfte für die Schwierigkeit, verlässliche Zahlen zu präsentieren.48 Unterschiede hinsichtlich der Mortalität von Kriegsgefangenen nach Nationalitäten reduzieren sich überdies – folgt man den Argumentationen von Mark Spoerer und seinen Forschungen zu Zwangsarbeitsregimes im Vergleich – signifikant, wenn entsprechende Zahlen mit der durchschnittlichen „Verweildauer“ in der Gefangenschaft gekoppelt werden.49 „Latecomers” und damit auch Rumänen gerieten hier ganz offensichtlich ins Hintertreffen.50 Die kolportierte katastrophale Situation, in der sich Tausende rumänische Kriegsgefangene befanden, wurde zum Anlass für diplomatische Interventionen seitens der rumänischen und französischen Regierungen bei den deutschen und in offenbar geringerem Ausmaß auch bei den österreichisch-ungarischen Behörden genommen. Darin wurde auch darauf hingewiesen, dass die Sterblichkeit unter anderen Gefangenen angeblich deutlich niedriger lag.51 Ungeachtet dessen folgten auf derlei Vorwürfe im Regelfall abwiegelnde Reaktionen. Hilfssendungen der rumänischen Regierung an die Kriegsgefangenen in Deutschland wurden „bis Ende 1917 blockiert“.52 In Berlin machte man vielmehr die Verbesserung der Ernährungssituation deutscher Soldaten in rumänischer Gefangenschaft zur Bedingung für ein Entgegenkommen in dieser Angelegenheit – obwohl Bestätigungen für die entsprechende Versorgung deutscher Kriegsgefangener vorlagen.53 Uta Hinz, die sich dem Schicksal von Kriegsgefangenen in deutschem Gewahrsam in einer umfangreichen 48 Dazu die aufschlussreichen Ausführungen bei: Lisa Mayerhofer, Zwischen Freund und Feind, 274 f. 49 Vgl. dazu ebd., 274; Mark Spoerer, Zwangsarbeitsregimes im Vergleich. Deutschland und Japan im Ersten und Zweiten Weltkrieg, in: Hans-Christoph Seidel (Hg.), Zwangsarbeit im Europa des 20. Jahrhunderts. Bewältigung und vergleichende Aspekte, Essen 2007, 191–225, 212. 50 Spoerer, The mortality of allied prisoners of war and Belgian civilian deportees in German custody during World War I. A reappraisal of the effects of forced labour, in: Population Studies. A Journal of Demography 60 (2006), 121–136. 51 Nicolescu/Dobrescu/Nicolescu, Calvarul prizonierilor români din Primul Război Mondial, XVI. Hingewiesen wird beispielsweise auf eine Protestschrift an die deutsche Regierung vom 23. August 1917. Offenbar wurde von deutscher Seite davor gewarnt, dass die vorgebrachten Proteste kontraproduktiv seien und eine Verschärfung der Bedingungen der rumänischen Gefangenen herbeiführen würden. 52 Hinz, Gefangen, 228. Widersprüchliche Angaben dazu, die sich einerseits auf Hinz und andererseits auf Marghiloman beziehen, bei Mayerhofer, Zwischen Freund und Feind, 274. 53 Hinz, Gefangen, 228.

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Studie gewidmet hat, bilanziert das diesbezügliche Verhalten der zuständigen deutschen Stellen folgendermaßen: „In einer Mischung von skrupelloser Verschleierung der tatsächlichen Mißstände und politischer Erpressung nahm das Berliner [Kriegs-]Ministerium ohne jegliche humanitäre Rücksichten das Opfer von Menschenleben billigend in Kauf“.54 Auch das Fürsorge-Komitee des Roten Kreuzes für Kriegsgefangene in Wien verhielt sich im Frühjahr 1917 gegenüber einer Initiative zur Belieferung rumänischer Gefangener in der Donaumonarchie mit Kleidung und Lebensmitteln reserviert. Dem k. u. k. Kriegsministerium riet man lediglich zu einer bedingten Zusage, da umgekehrt das Rumänische Rote Kreuz sich angeblich wenig kooperativ in Zusammenhang mit dem Schicksal eigener Staatsangehöriger in rumänischem Gewahrsam gezeigt hatte.55 Tatsächlich forderte das Kriegsministerium zur Wahrung „voller Reziprozität“ auf und machte die Genehmigung von Lieferungen von der Zulassung entsprechender Hilfsaktionen des Schwedischen Roten Kreuzes zu Gunsten k. u. k. Kriegsgefangener in Rumänien abhängig.56 Negativ in Erinnerung geblieben waren auf österreichisch-ungarischer Seite zudem die Hürden, die Rumänien noch vor seinem Kriegseintritt der Weiterleitung von Hilfslieferungen zu Gunsten von k. u. k. Soldaten in serbischer Kriegsgefangenschaft entgegengestellt hatte.57 Die vielfach trostlose Situation, in der sich kriegsgefangene Rumänen im Habsburgerreich befanden, war armeeintern sehr wohl bekannt, obwohl ein Zensurbericht vom März 1917 auf Grundlage der allerdings relativ geringen Anzahl von Korrespondenzen dieser Gefangenengruppe eine allgemeine „Zufriedenheit“ der Rumänen mit den Bedingungen in österreichisch-ungarischem Gewahrsam festhielt.58 Ungeachtet dessen liefen vor allem aus dem ungarischen Lager Ostffyasszonyfa Nachrichten über den elenden Gesundheitszustand rumänischer Kriegsgefangener beim k. u. k. Kriegsministerium ein. Im betreffenden Lager sollen besonders viele Rumänen an Seuchen zugrunde gegangen sein. Im Juni 1918 sah man sich in Österreich-Ungarn mit einer diesbezüglichen Nachfrage der Schweizer Gesandtschaft konfrontiert. Das k. u. k. Kriegsministerium war der Meinung, dass die unter den Rumänen 54 Ebd., 229. 55 Fürsorgekomitee des Roten Kreuzes für Kriegsgefangene an das k. u. k. Kriegsministerium, 7.5.1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-35/133, Kt. 1542. 56 K. u. k. Kriegsministerium betreffend die Versorgung rumänischer Kriegsgefangener. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-18/31-7, Kt. 1463. 57 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil I: Kriegsgefangenenfürsorge Österreich-Ungarns. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 39. 58 Bericht der Zensurabteilung, Abt. D. Res. Nr. 4533, 10.3.1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-18/107-2, Kt. 1462.

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ausgebrochene Flecktyphusepidemie und die daraus resultierende nicht näher erläuterte Opferzahl keineswegs irgendwelchen Versäumnissen des Lagerkommandos angelastet werden dürften. Hauptsächlich für den Ausbruch der Seuche und die hohe bzw. höhere Sterblichkeit verantwortlich sei vielmehr der Umstand, wonach sich die rumänischen Kriegsgefangenen „jeder Reinlichkeitspflege systematisch zu entziehen trachteten, wodurch“ die Bekämpfung der Seuche angeblich erschwert worden war.59 Darüber hinaus stellte der Lagerkommandant, der mehrmals mit Beschwerden über die Situation in Ostffyasszonyfa konfrontiert worden war, alle vorgebrachten Missstände ganz grundsätzlich in Abrede. Seinen Angaben gemäß verübten die Rumänen überdies oft Diebstähle. Ihren Beschwerden bezüglich lediglich sporadischer oder unterbliebener Ausgabe der Liebesgabenpakete hielt er entgegen: Die vom Berner Rothen Kreuz60 gesandten Packete enthalten tatsächlich zu feine Qualität, jedoch nicht im Verständnis zur Lage, sondern zur Primitivität der rum. Kgf. Nur mit Gewalt gelang es zu verhindern, dass die Kgf. Chokolade, Zwiebel, Sardienen und Compot- und Fleischkonserven in ihre Suppe warfen oder diese zu enormen Preisen an Italiener, Russen und an die Zivilbevölkerung in der Umgebung verkauften.61

Seitens des Militärkommandos Pozsony wurden die Beschwerden von rumänischer Seite, die ausgehend von den Berichten eines Austauschinvaliden an Österreich-Ungarn gerichtet wurden, außerdem folgendermaßen kommentiert: Ihre [d. h. der Rumänen] Verlogenheit, Unehrlichkeit und Unreinlichkeit, in Verbindung mit der zum Teil ganz unglaublichen physischen Herabgekom-

59 K. u. k. KM Abt. 10/Kgf. Nr 28307 an das k. u. k. Ministerium des Äußern, 7.6.1917. Behandlung der rumänischen Kriegsgefangenen in Ostffyasszonyfa Zl. 53789 ex 1918. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36, Kt. 475. Umgekehrt war der rumänischen Seite im Übrigen vorgeworfen worden, in Anbetracht der unter gefangenen k. u. k. Soldaten ausgebrochenen Epidemien Nachlässigkeit an den Tag gelegt und österreichisch-ungarische Hilfsaktionen behindert zu haben. K. u. k. KM Abt. 10/Kgf. Nr. 48.976 an das k. u. k. Ministerium des Äußern, 20.9.1917 betr. Behandlung der rumänischen Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn, Zl. 90995. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36, Kt. 475. 60 Gemeint war das noch 1914 auf private Initiative gegründete Berner Hilfskomitee für Kriegsgefangene, das sich dem Schweizer Roten Kreuz anschloss. Dazu siehe: Die humanitäre Hilfe Schweizer Institutionen während des 1. Weltkriegs. http://expo.fsfi.it/ italia2018_int_lgw/exhibits/33SchildQzZBdHpl.pdf (abgerufen am 22.3.2021). 61 K. u. k. Kriegsgefangenenlager-Kommando Ostffyasszonyfa, Exh. Nr. 367, res. 1918, 24.4.1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-137/6, Kt. 2223.

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menheit, haben es mit sich gebracht, dass die besten Absichten des Lagerkommandos lange nicht jene Resultate erzielen konnten, die bei einiger Mithilfe der Betroffenen hätten erreicht werden können.62

Mit den „besten Absichten“ hatten andere Beobachtungen allerdings nichts gemein. Die schwierige Lage von Kriegsgefangenen im Habsburgerreich entging jedenfalls auch der einheimischen Bevölkerung nicht. Dass Kriegsgefangene aus Rumänien, die in der niederösterreichischen Pulverfabrik Moosbierbaum als Arbeitskräfte eingesetzt waren, in großer Zahl an Hunger und Ruhr zugrunde gingen, beobachteten Zeugen ebenso wie diverse Misshandlungen: „[J]eder Sadist“, heißt es beispielsweise in den Aufzeichnungen einer Augenzeugin, „konnte sich an den Gefangenen austoben. Ohne ersichtliche Ursache, wegen einer Kleinigkeit, wurden sie geschlagen, viele zu Tode geprügelt, kein Mensch fragte nach ihnen. […] Da sahen wir die Toten in den Straßengräben liegen. Täglich fuhr ein Pferdewagen durch die Gegend und sammelte die Toten ein.“63 Behördenintern wurde im Übrigen bestätigt, dass die Sterberate unter den Rumänen in Moosbierbaum mit bis zu sechs Toten täglich besonders hoch gewesen war – ein Umstand, der darauf zurückgeführt wurde, dass offenbar auch „Minderarbeitsfähige“ zur Arbeit herangezogen worden waren.64

„Besondere“ Umstände Es zeigte sich indessen, dass in Bezug auf die rumänischen Kriegsgefangenen beispielsweise die deutschen zuständigen Stellen anscheinend genau unterschieden zwischen jenen, die sich in den Etappengebieten befanden und daher in die ausschließliche Zuständigkeit der eigenen Verwaltung fielen, und jenen, die es im übrigen Okkupationsgebiet, also im besetzten Rumänien, zu versorgen galt. Für Letztere sollte nämlich das Rumänische Rote Kreuz aufkommen. Diese Bestimmung widersprach dem Regelwerk der Haager Landkriegsordnung, das eine Versorgung von Feindsoldaten durch den jeweiligen Nehmestaat festschrieb, ermöglichte es aber den deutschen Behörden – so die Vermutungen auf rumänischer Seite –, die Verantwortung für Missstände an

62 K. u. k. Militärkommando Pozsony, Nr. 43488/Kgf. an das k. u. k. Kriegsministerium, 9.5.1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-137/6, Kt. 2223. 63 Zit. nach Verena Moritz/Hannes Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung. Die russischen Kriegsgefangenen in Österreich (1914–1921), Bonn 2005, 237. 64 Schreiben der 14. Abt., 30.7.1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-16/7, Kt. 1462.

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das Rumänische Rote Kreuz abzuwälzen.65 Eine bedeutende Reduktion zu versorgender Kriegsgefangener ergab sich allerdings aufgrund der Praxis der deutschen Militärverwaltung, rumänische Kriegsgefangene zu „beurlauben, damit sie ihren Verpflichtungen auf den heimischen Bauernhöfen nachkommen konnten“. Auch andere Berufsgruppen profitierten von vergleichbaren Regelungen. Bis Ende Juni 1917 waren jedenfalls mehr als 11.000 Bauern auf diese Weise aus der Gefangenschaft entlassen worden. Sie hatten eine Erklärung abgeben müssen, derzufolge sie „nicht mehr gegen die Mittelmächte zu den Waffen greifen würden“.66 Ungeachtet solcher Entwicklungen wurde die Lage der gefangenen Rumänen als unverändert schlecht angesehen. Horrende Sterblichkeitsraten gab es nach Informationen der rumänischen Regierung beispielsweise im Lager Lamsdorf (Łambinowice), aber auch in Tuchla.67 Dokumente im Österreichischen Staatsarchiv zur 4. k. u. k. Armee verweisen in jedem Fall auf schwerwiegende Probleme der zuständigen Stellen hinsichtlich der Bekämpfung von Seuchen unter den in Tuchla befindlichen Gefangenen. Da sich außerdem Kriegsgefangene offenbar nicht an die vorgeschriebene Trennung zwischen Lagergruppen mit erkrankten und solchen mit gesunden oder bereits entlausten Männern hielten – die Entlausung galt als essentielle Prävention gegen eine weitere Ausbreitung von Flecktyphus –, sollten Zuwiderhandelnde im Bedarfsfall „niedergemacht“ werden.68 Die Lage der Gefangenen in Bulgarien, wo im Allgemeinen die Lebensbedingungen für die betroffenen Feindsoldaten als noch schlimmer galten als in Österreich-Ungarn und Deutschland, war indessen durch zusätzliche Umstände erschwert.69 Kriegsgefangenen Serben sowie Rumänen begegenete man auf bulgarischer Seite nicht zuletzt vor dem Hintergrund des vergangenen Balkankrieges besonders feindselig. Sie galten als „Betrüger und Verräter“.70 Offenbar gab es unter der lokalen Bevölkerung regelrechte Rache65 Mayerhofer, Zwischen Freund und Feind, 281. 66 Ebd., 286. 67 Zu Tuchla: http://www.redescoperaistoria.ro/2014/05/22/pentru-patrie-prizonierii-romani-in-lagarele-germane-in-anii-primului-razboi-mondial/ (abgerufen am 7.2. 2021). 68 Etappengruppenkommando, 13.7.1915 betr. Gefangenenlager Tuchla. ÖStA KA NFA, 4. Armee (ohne weitere Angaben; der Bestand befand sich zur Zeit der Durchsicht des Materials im Stadium einer kompletten Reorganisation und konnte nur dank des Entgegenkommens des zuständigen Archivars Gerhard Artl im Juli/August 2019 eingesehen werden). 69 Vgl. Rumen Chokalov, Prisoners of War in Bulgaria during the First World War, Diss. Cambridge 2012. 70 Ebd., 54.

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gefühle. Übergriffe auf Gefangene fanden anscheinend unter Duldung der Wachmannschaften statt. Außerdem berichteten Kriegsgefangene später über die Ausgabe vergifteter Kost.71 Die Kriegspropaganda, mit der sich die Kontrahenten gegenseitig Gräueltaten vorwarfen und in der insbesondere die Exekution von Kriegsgefangenen kolportiert wurde, heizte die Lage noch zusätzlich an.72 Gundula Gahlen unterstreicht in ihrer Charakterisierung des deutschen Rumänienfeldzuges 1916/17 die spezifischen Implikationen des Balkans als Kriegsschauplatz mit seinen Rückbezüglichkeiten auf ethnisch aufgeladene Konflikte in Siebenbürgen oder auf zugespitzte bulgarisch-rumänische Feindseligkeiten in der Dobrudscha. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund steuerten die Kontrahenten einer Entgrenzung des Krieges offenbar bewusst zu.73 Über die brutale Behandlung serbischer und rumänischer Kriegsgefangener in Bulgarien berichteten sowohl Entente-Beobachter als auch Offiziere der Mittelmächte.74 Die von Letzeren zum Teil als befremdlich wahrgenommenen Übergriffe wurden einer als typisch erachteten Grausamkeit der „Balkanvölker“ zugeschrieben.75 Das Los der Kriegsgefangenen durch Hilfe „von außen“ zu verbessern, stellte sich angesichts offenkundiger Kommunikationsverweigerung sei71 Vgl. dazu die Aufzeichnungen von Maior Gheorghe Caracaş. Das sehr beliebte und von der Rumänischen Akademie mit einem Preis ausgezeichnete Werk wurde noch im selben Jahr (1920) wieder aufgelegt unter dem Titel: Trei Evadări. Din zbuciumul captivităţii. Stralsund. Schwarmstadt. Würzburg. Fortul Kustrin. Beeskov. Berlin. Fortul Gorgast. Die jüngste Ausgabe des Buches von Caracaş erschien in der nunmehr dritten Auflage im Jahr 1916: Din zbuciumul captivităţii. De la 3 noiembrie 1916 până la 30 iunie 1918, Bukarest 32016. 72 Chokalov, Prisoners of War in Bulgaria, 59. 73 „Der ethnisch aufgeladene Konflikt in Siebenbürgen gründete sich auf die dortige Unter­drückung der Volksrumänen durch die ungarische Regierung und die Umkehrung der Machtverhältnisse während der rumänischen Invasion. In der Dobrudscha waren unter der bulgarischen Bevölkerung die rumänischen Gräueltaten des Zweiten Balkankriegs noch präsent und der Verlust der Dobrudscha wurde von den Bulgaren als nationale Schande und Demütigung empfunden. Der Wunsch nach Wiedererlangung dieses Territoriums wie auch das Rachemotiv dominierten in der bulgarischen Propaganda, und die militärische Führung billigte Gräueltaten unter Bezugnahme auf dieses Motiv.“ Gundula Gahlen, Eine Schule der Gewalt? Die Sicht der deutschen Kriegsteilnehmer auf die Zivilbevölkerung im Rumänienfeldzug 1916/17, in: Gundula Gahlen/Deniza Petrova/Oliver Stein (Hg.), Die unbekannte Front. Der Erste Weltkrieg in Rumänien, Frankfurt/New York 2018, 289–316, 296. 74 Chokalov, Prisoners of War in Bulgaria, 57 f. Über einen von deutscher Seite vielfach beobachteten überaus grausamen Umgang mit Gefangenen durch die Bulgaren bis hin zu willkürlichen Tötungen siehe: Bernhard Bachinger, Die Mittelmächte an der Saloniki-Front 1915–1918. Zwischen Zweck, Zwang und Zwist, Paderborn 2019, 326 f. 75 Bachinger, Die Mittelmächte an der Saloniki-Front, 326.

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tens des Nehmestaates als nahezu unmöglich dar. Selbst die Weitergabe von Daten zur Anzahl der gefangengenommenen Serben wurde von Bulgarien zunächst verweigert.76 Zeigten sich bulgarische Stellen weitgehend unkooperativ in Zusammenhang mit serbischen Anfragen zum Schicksal ihrer Landsleute in Gefangenschaft, lassen sich ähnliche Verhaltensweisen auch gegenüber Rumänien vermuten.77 Dennoch soll die Sterblichkeit rumänischer Kriegsgefangener mit angeblich 21,6 Prozent in Bulgarien niedriger gelegen sein als jene in deutschem Gewahrsam.78 Jean Nouzilles Erklärungen für die hohe Sterblichkeit unter den kriegsgefangenen Rumänen im Elsass spannen sich indessen von einer eklatanten Vernachlässigung der Gefangenen durch kriegsbedingte Versorgungsschwierigkeiten, den besonders schlechten Bedingungen in den Arbeitskommandos bis hin zu einer gezielten Gewaltanwendung gegenüber den Kriegsgefangenen79, die sich aus entsprechenden Feindbildern gespeist habe. So wurden die Rumänen offenbar explizit als Verräter gesehen, als sie ihre neutrale Haltung 1916 aufgaben und sich im Krieg auf die Seite der Entente stellten.80 Sowohl im Habsurgerreich als auch in Deutschland hatte man entsetzt auf die rumänische Kriegserklärung an Wien reagiert.81 Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf hatte schon vor Beginn des Krieges die Unterstützung Rumäniens zu einer condition qua non für den Erfolg der k. u. k. Armee gemacht. Die Tatsache, dass Rumänien lediglich neutral geblieben war, erachtete er schließlich als Folge einer unfähigen k. u. k. Diplomatie. Dabei war bereits ab dem Sommer 1913, als sich Rumänien an 76 Bogdan Trifunović, Prisoners of War and Internees (South East Europe), in: 19141918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2014–10–08. DOI: 10.15463/ie1418.10132 (abgerufen am 6.4.2021). 77 Chokalov, Prisoners of War in Bulgaria, 58 f. 78 Vgl. Trifunović, Prisoners. Die dort angeführten Angaben zur Sterblichkeit rumänischer Kriegsgefangener in Bulgarien erscheinen mit Blick auf die höhere Mortalität in Deutschland nicht ganz plausibel. Trifunović schließt sich aber Stibbes Meinung an, wonach die Sterblichkeit unter den Kriegsgefangenen im Osten, an der Italien- und Balkanfront, höher gewesen ist als jene im Westen. Vgl. dazu Matthew Stibbe, The internment of civilians by belligerent states during the First World War and the response of the International Committee of the Red Cross, in: Journal of Contemporary History 41/1 (2006), 5–19. 79 Dazu auch Topor, Romanians at War, 243. 80 Vgl. ebd., 242; Jan Vermeiren, Die Mittelmächte und die Rumänienfrage 1914–1916. Ein Beitrag zur Neubewertung des Zweibundes im Ersten Weltkrieg, in: Gundula Gahlen/ Deniza Petrova/Oliver Stein (Hg.), Die unbekannte Front. Der Erste Weltkrieg in Rumänien, Frankfurt/New York 2019, 85–111, 109. 81 Vermeiren, Die Mittelmächte und die Rumänienfrage, 109.

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der Seite Serbiens am Balkankrieg beteiligte, die Sorge um Rumäniens Loyalität gegenüber dem Dreibund gewachsen.82 Trotzdem schwankten Einschätzungen zur rumänischen Haltung gegenüber dem Habsburgerreich je nach gerade getätigten Aussagen rumänischer Politiker oder anderweitig gewonnenen Eindrücken der k. u. k. Diplomaten. Im Juni 1916 beschwor Conrad den k. u. k. Minister des Äußern Stephan Burián von Rajecz mehrmals und überaus eindringlich, Rumänien endlich für die Sache der Mittelmächte einzunehmen. Für den Fall, dass dies misslingen würde, prognostizierte er überaus negative Folgewirkungen.83 Allerdings hatte Burián Gebietsabtretungen an Rumänien zur Erhaltung von Bukarests Neutralität strikt abgelehnt.84 1916 schließlich verdichteten sich die Anzeichen für einen endgültigen Schwenk der rumänischen Führung zu Gunsten der Entente. Der nachmalige Außen­ minister und damalige Botschafter in Rumänien Ottokar Graf Czernin berichtete im Juni 1916 aus Sinaia: „Die schon verblasste Hoffnung auf Siebenbürgen lebt wieder auf, und die Zerschmetterung der Monarchie nimmt in der hiesigen Psyche wieder greifbare Gestalt an.“85 Dass sich Bukarest im August tatsächlich auf die Seite der Entete stellte, bedeutete aus Sicht Wiens eine mehr als unwillkommene Verstärkung der gegenerischen Kräfte – erst recht zu einem Zeitpunkt, da Russland die Mittelmächte mit einer massiven Offensive herausforderte. In der österreichischen Presse sinnierte man anlässlich des rumänischen Kriegseintrittes – wohl mit Bezug auf das Verhalten Italiens im Jahr zuvor – über die „moralische Minderwertigkeit, Treulosigkeit“ und „Tücke“ ehemaliger Verbündeter, über die man aufgrund bereits gemachter Erfahrungen gar nicht mehr errregt sein könne. Das Gegenteil war der Fall.86 Das galt auch für das Deutsche Reich: Kaiser Wilhelm überkam angeblich eine „schwere Depression“, als die rumänische Kriegserklärung bekannt wurde.87 Inwieweit das Bild vom „Verräter“ das Verhalten der Soldaten der Mittelmächte gegenüber den Rumänen beeinflusste, lässt sich schwer fassen.88 82 Vgl. Alma Hannig, Die Balkanpolitik Österreich-Ungarns vor 1914, in: Jürgen Angelow, Der Erste Weltkrieg auf dem Balkan, Berlin 2011, 25–56, 52. 83 Vgl. K. u. k. Chef des Generalstabs an Stephan Burián von Rajecz, Minister des k. u. königlichen Hauses und des Äußern, 19.6.1916, Fol. 509 und k. u. k. Chef des Generalstabs an Stephan Burián von Rajecz, Minister des k. u. königlichen Hauses und des Äußern, 24.6.1916, Fol. 519–521. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse XLVII/2b, Kt. 499. 84 Vermeiren, die Mittelmächte und die Rumänienfrage, 105. 85 Zit. nach ebd., 108. 86 Ebd., 109 f. 87 Ebd., 109. 88 Auf österreichisch-ungarischer Seite behaupteten jedenfalls militärische Instanzen erwartungsgemäß, dass rumänische Kriegsgefangene nicht anders behandelt würden als

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Immerhin gibt es Belege dafür, dass deutsche Soldaten keine Gefangenen machten und stattdessen wehrlose Rumänen lieber niedermachten, weil man ihnen „nicht trauen konnte“89. Tatsächlich war dieses Misstrauen aber wohl eher an die verbreitete Annahme gebunden, wonach die Rumänen ihrerseits häufig keine Gefangenen machten, als an Reminiszenzen an die Vorgeschichte des Kriegseintrittes.90 Angesichts der hohen Anzahl rumänischer Kriesgefangener, die von den Mittelmächten eingebracht wurde, lasse sich von einzelnen Vorfällen außerdem keine massenhafte Tötung wehrloser Soldaten durch deutsche und österreichisch-ungarische Truppen ableiten, meint Gahlen.91 Die Beantwortung der Frage, ob antirumänische Ressentiments eine negative „Langzeitwirkung“ in der Gefangenenbehandlung bedingten, mündet in Anbetracht relevanter Quellen beispielsweise im Österreichischen Staatsarchiv in keine eindeutigen Antworten. Propagandadiskurse überlagern die Problematik ebenso wie divergierende Berichte verschiedener Instanzen. Dass, wie es hieß, eine „gewisse Erbitterung höheren Grades“ in der k. u. k. Armeeführung gegenüber Rumänien vorhanden gewesen war, lässt sich demgegenüber dokumentieren.92

Resümee Die Problematik der rumänischen Kriegsgefangenen des Ersten Weltkrieges und der Gefangenen gegnerischer Staaten auf dem Gebiet Rumäniens stellt in der Gesamtheit der rumänischen Historiographie bis heute ein Randthema dar. Die literarische Verarbeitung ist längst abgeschlossen, Erinnerungstexte sind zum Teil in Vergessenheit geraten beziehungsweise werden in Anbetracht eines immerhin steigenden Interesses an der Geschichte des Ersten Weltkrieges erst in der jüngeren Vergangenheit neu entdeckt beziehungsweise überhaupt neu erschlossen. Dazu zählen Aufzeichnungen in privaten Sammlungen ebenso wie in Archiven. Die rumänische Historiographie zu

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Feindsoldaten aus anderen Staaten. Vgl. K. u. k. Kriegsgefangenenlager-Kommando Ostffyasszonyfa, Exh. Nr. 367, res. 1918, 24.4.1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10137/6, Kt. 2223. Zit. nach Gahlen, Eine Schule der Gewalt?, 296. Ebd., 314. Ebd., 305. K. u. k. Kriegsministerium an das k. u. k. Ministerium des Äußern, 26.10.1917. Zl. 102825. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Dep. 7 Kriegsgefangene-Varia, Kt. 435.

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den Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn steht hinsichtlich der Nutzung dieser Materialien erst am Anfang.93

93 Als wichtigstes Archiv in diesem Zusammenhang hervorzuheben ist das Militärarchiv in Piteşti, welches organisatorisch zum Generalstab Rumäniens gehört. Hier befindet sich der größte Teil des Archivs des rumänischen Kriegsministeriums. Ein Teil der betreffenden Dokumente wurden mikroverfilmt, das Mikrofilmarchiv befindet sich in Bukarest beim „Historischen Dienst des Militärs“. Im Rumänischen Nationalarchiv und seinen Zweigstellen finden sich Informationen hinsichtlich der Kriegsgefangenen in den Beständen der damaligen administrativen Gliederungen des Landes. Außerdem zu berücksichtigen wären Nachlässe, Dokumente des Roten Kreuzes sowie Materialien des Außenministeriums. Vgl. Statul Major General/Serviciul Istoric al Armatei/Centrul de Studii şi Păstrare a Arhivelor Militare Istorice, hg. von Mihai Chiriţă/Ghidul Arhivelor Militare Române, Bukarest 2010 (Generalstab/Historische Dienststelle der Armee/Zentrum für Erforschung und Verwahrung der Historischen Militärarchive, in: Wegweiser der Rumänischen Militärarchive: http://www.arhivelenationale.ro [abgerufen am 1.5.2021]; hier befinden sich detaillierte Listen der Bestände aller Zweigstellen).

MONTENEGRO

Heiko Brendel

“Without the Slightest Exaggeration, We Can Report That Our Soon and Inevitable ­Starvation is Approaching.” Montenegrin Enemy Aliens, Prisoners of War, and Internees in Austro-Hungarian Custody During the First World War

This article concerns subjects of the Kingdom of Montenegro who got restrained, secured, or removed by Austro-Hungarian authorities during the First World War. Four main groups can be differentiated: Enemy aliens (i. e. Montenegrin nationals who lived in Austria-Hungary when the war broke out), prisoners of war (i. e. Montenegrin officers, non-commissioned officers, and rank and file captured in the course of combat operations), military internees (i. e. Montenegrin officers, non-commissioned officers, and rank and file interned after the capitulation of the Montenegrin army), and civil internees (i. e. Montenegrin civilians interned during the Austro-Hungarian occupation of Montenegro). The situation of the deported in the Austro-Hungarian camps and confinement stations as well as the background and consequences of the deportations in occupied Montenegro will be investigated. On the Montenegrins in Austro-Hungarian custody during the First World War, there is some recent research. However, the topic is rarely treated specifically,1 but as a peripheral aspect in more general studies on Serbians prisoners of war in the Habsburg Empire or in studies on specific Austro-Hungarian camps.2 The relevant publications published by Serbian historians focus on lists of deceased prisoners3, while Austrian historians have a strong local 1 2

3

A notable exception is Željko Karaula, “Crnogorska elita” u logoru Karlstein (1916– 1918), in: Matica 17/66 (2016), 257–278. With respect to the figures, this seems reasonable: During the First World War, there were just 15,000 Montenegrins compared to alleged 172,500 Serbians in Austro-Hungarian custody, see Novica Rakočević, Crna Gora u prvom svjetskom ratu 1914–1918 (Iz prošlosti Crne Gore 1), Cetinje 1969, and Bogdan Trifunović, Prisoners of War and Internees (South East Europe), in: Ute Daniel/Peter Gatrell/Oliver Janz/Heather Jones/ Jennifer Keene/Alan Kramer/Bill Nasson (eds.), 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, Berlin 2014. DOI: 10.15463/ie1418.10132 (retrieved 20.9.2021). Isidor Đuković, Nađmeđer. Austrougarski logor za Srbe (Edicija Dokumenti 1), Beo­

374

Heiko Brendel

historical and philatelic focus.4 Additionally, in most of the general publications on prisoners of war in Austria-Hungary during the First World War, Montenegrin prisoners of war and internees are at least mentioned. The Kingdom of Montenegro was, after the Grand Duchy of Luxembourg, the second smallest territorial state that participated in the First World War. Montenegro was mainly situated in the Southern Dinaric Alps and covered about 15,000 square kilometres with roughly 400,000 inhabitants.5 Formally independent from the Ottoman Empire since the Congress of Berlin in 1878, the tiny kingdom was a multi-ethnic and multi-religious state: Two thirds of its population were Orthodox Serbs, one quarter Muslim as well as Catholic Albanians, and the rest Slavic Muslims. The Albanians and Slavic Muslims mainly lived in so-called “New Montenegro”, the eastern part of the country acquired in the Balkan Wars of 1912 to 1913. The majority of the Serbs and some of the Albanians in the Kingdom of Montenegro were organized in bellicose mountain tribes, traditionally living of subsistence pastoralism and predation. Since its secularization in the mid-19th century, Montenegro was ruled by princes and kings of the Petrović-Njegoš dynasty. Montenegro was one of the smallest, most sparsely populated, least developed, poorest, and due to its mountains and deeply indented river valleys most inaccessible countries in Europe.

4

5

grad 2002; Isidor Đuković/Nenad Lukić, Nežider. Austrougarski logor za Srbe 1914– 1918, Beograd 2017, Nenad Lukić, Austrougarski logor Cegled, popis umrlih interniraca 1914–1918, in: Godišnjak za istraživanje genocida 10 (2018), 9–34, and Nenad Lukić, Interniranje stanovništva i vojnika Kraljevine Srbije u austrougarske logore tokom Prvog svetskog rata & Popisi umrlih u logoru Boldogasonj/Frauenkirhen 1914–1918, Beograd 2017. Herbert Brettl, Das Kriegsgefangenen- und Internierungslager Boldogasszony/Frauenkirchen. “Sie leben nicht mehr der Gegenwart, sondern der Zukunft zuliebe”, Halbturn 2014; Walter A. Bruckner, Die Kriegsgefangenen- und Internierungslager auf burgenländischem Gebiet während des 1. Weltkrieges, in: Briefmarkensammlerverein Pinka­ feld (ed.), Postgeschichte des Burgenlandes anlässlich 70 Jahre Burgenland/20 Jahre Briefmarkensammlerverein Pinkafeld (Postgeschichte des Burgenlandes 2), Pinkafeld 1991, 207–346; Hermann Dietz, Die Post der internierten Montenegriner im 1. Weltkrieg, in: Rundbrief der Arbeitsgemeinschaft Österreichisch-ungarische Feldpost 1914–1918 12 (1988), 23–27, and Eva Maria Mannsberger/Karl Schäfer, Das Neusiedler Internie­ rungslager 1914–1918, in: Neusiedler Jahrbuch, hg. vom Verein zur Erforschung der Stadtgeschichte von Neusiedl am See, Bd. 11 (2008/9), 5–42. On the difficulties to determine Montenegro’s population, see for example this contemporary account: Eugen Oberhummer, Montenegro und Albanien unter österreichisch-ungarischer Verwaltung, in: Mitteilungen der K. K. Geographischen Gesellschaft in Wien 61/7 (1918), 313–346, 339–342.

Without the Slightest Exaggeration

375

Montenegrin Prisoners of War and Internees in Austria-Hungary up to the Austro-Hungarian Occupation of Montenegro (August 1914 to February 1916) Despite his long and bitter dispute with the Karađorđević dynasty in Belgrade about the leadership of Serbdom, King Nicholas I Petrović-Njegoš sided with the Kingdom of Serbia at the outbreak of the First World War. Thus, on 5 August 1914, Montenegro formally declared war on Austria-Hungary.6 Even more: The Montenegrin government agreed to provide the Serbian supreme command with two-thirds of its total military capabilities for the purpose of a joint action against Austria-Hungary.7 At the Herzegovinian and Dalmatian front, there stood about 72,000 Austro-Hungarian soldiers with about 500 artillery pieces against about 15,000 Montenegrin soldiers with about 50 artillery pieces. Altogether, Montenegro’s poorly armed and illequipped army, which was more or less a conglomeration of Orthodox Serb tribal militias, fielded less than 45,000 men. Like the other belligerents in the First World War, Austria-Hungary did not allow enemy nationals to leave its territory after the outbreak of hostilities.8 Thus, shortly after the declaration of war, several hundred nationals from the Kingdom of Montenegro were stranded in the Habsburg Empire as “enemy aliens” and got interned. Most of them were transported to the Cisleithanian internment camp Nezsider (Neusiedl am See; see Map 19). Later, many Serb “suspects” from Bosnia and Herzegovina were sent to Nezsider, too.10 Remarkably, internees from tiny Montenegro constituted the largest group of “enemy aliens” in the Austro-Hungarian camps in this phase of the war: There were 460 interned Montenegrin nationals, followed by 200 Serbian, 130 Russian, 120 British, and 110 French enemy aliens.11 And even more remarka  6 Alfred Rappaport von Arbengau, Montenegros Eintritt in den Weltkrieg, in: Berliner Monatshefte 7/10 (1929), 941–966.   7 Srđa Pavlović, Balkan Anschluss. The Annexation of Montenegro and the Creation of the Common South Slavic State, West Lafayette 2008, 68.   8 On enemy aliens in Austria-Hungary, see Matthew Stibbe, Enemy aliens, deportees, refugees. Internment practices in the Habsburg Empire, 1914–1918, in: Journal of Military History 12/4 (2014), 479–499.   9 Map 1 has been uploaded at Zenodo: https://zenodo.org/record/5090149 (uploaded 22.10.2021). 10 On Serbians in Nezsider, see Đuković/Lukić, Nežider. 11 Hans Swoboda, Zivilinternierte in Österreich, in: Leopold Kern/Hans Weiland (eds.), In Feindeshand. Die Gefangenschaft im Weltkriege in Einzeldarstellungen, Bd. 2, Wien 1931, 229 f., 229. Swoboda’s book section represents a more or less official interwar perspective

376

Heiko Brendel

bly, only a small minority of all Montenegrin nationals on Austro-Hungarian soil got interned in August 1914: In the naval port in the Bay of Kotor, but also in road construction in Dalmatia and in forestry in Bosnia and Herzegovina worked a few thousand Montenegrins as cheap foreign workers. The Austro-Hungarian military personnel in Kotor needed those industrious Montenegrin low-wage workers to run the naval facilities, the Austro-Hungarian officials trusted them as reliable employees.12 Some Montenegrin families had even worked for generations in the Bay of Kotor. Thus, Montenegrin workers in militarily sensitive zones in the Kotor naval facilities were allowed to continue to work there, while for example Đuro Vukić, matriculated as a law student at the University of Zagreb, was arrested and interned first in the camp of Nezsider, later in the camp of Boldogasszony (Frauenkirchen).13 The actual fighting between Austria-Hungary and Montenegro began on 8 August 1914, when Montenegrin artillery on Mount Lovćen commenced to shell Austro-Hungarian emplacements in the Bay of Kotor.14 Austro-Hungarian naval artillery silenced the guns, while Montenegrin infantry crossed the border. There followed an Austro-Hungarian counter-offensive, up to 850 Montenegrin militiamen died in these engagements – only a few seemed to have been captured. After the Serbian victory in the Battle of Cer, Montenegrin and Serbian forces crossed the border and occupied the right bank of the Drina River. However, due to bad weather, logistical problems, poor coordination, and even heavy disputes between the Serbians und Montenegrins on the partition of the conquered territory, the advance collapsed. Nevertheless, a Montenegrin van-

on the practice of the internment of enemy aliens in Austria-Hungary during the First World War. 12 Maximilian Ronge, Meister der Spionage, Leipzig 1935, 150. The share of foreigners and of military personnel in the Dalmatian district of Kotor was one of the highest in Austria-Hungary: According to the census of 1910, the district of Kotor had 40,582 inhabitants. Of these, 4,568 were foreigners (“Staatsfremde”, including citizens of Transleithania as well as citizens of Bosnia and Herzegovina) and 5,074 active mili­ tary personnel (“aktives Militär”). See Helmut Rumpler/Martin Seger (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Teilband 2: Soziale Strukturen. Die Gesellschaft der Habsburgermonarchie im Kartenbild. Verwaltungs-, Sozial- und Infrastrukturen. Nach dem Zensus von 1910, Wien 2010, 133 and 301. 13 Brettl, Das Kriegsgefangenen- und Internierungslager Boldogasszony, 39 f. 14 On the fighting up to 1916 see Velimir Terzić (ed.), Operacije crnogorske vojske u prvom svetskom ratu, Beograd 1954. See also Rakočević, Crna Gora u prvom svjetskom ratu 1914–1918, 47–198; James B. Lyon, Serbia and the Balkan Front, 1914, PhD-thesis, University of California 1995; Andrej Mitrović, Serbia’s Great War. 1914–1918, London 2007; Manfried Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburger­ monarchie, Wien 2013, and Louis Cadars, La guerre d’Orient 1914–1918. Les Dardanelles et Salonique (Les cahiers de l’histoire 45), Paris 1965.

Without the Slightest Exaggeration

377

guard reached Pale – just a dozen kilometres outside of Sarajevo. When the Austro-Hungarian counter-offensive began, the Montenegrins retreated. When the year 1914 came to an end, the Montenegrin and Serbian forces had returned to their initial positions. During the offensive, several hundred Montenegrins had died on Bosnian and Herzegovinian soil. But again, surprisingly few had been taken prisoners of war by Austro-Hungarian troops: In the beginning of 1915, there were only 357 Montenegrin prisoners of war in the prisoner-of-war camp Boldogasszony.15 On 1 January 1916, there were 359 Montenegrins in Boldogasszony – or less than three per cent of all prisoners of war in that camp.16 Until autumn 1915, there was no significant military action at the border between Montenegro and the Habsburg Empire. In continuation of the joint Austro-Hungarian-German-Bulgarian offensive against the Kingdom of Serbia in the autumn of 1915, Montenegro was quickly occupied by Austro-Hungarian forces in January 1916. Mount Lovćen fell within days, and even the Montenegrin success in the Battle of Mojkovac under the command of General Janko Vukotić could only delay the quick Austro-Hungarian advance.17 The rapidly moving offensive facilitated prisoner-taking on a vast scale, a few thousand Montenegrin soldiers thus came into Austro-Hungarian captivity. Most of them were sent more or less directly to the Austro-Hungarian prisoner-of-war camp Boldogasszony. At least temporarily, some Montenegrins were sent to the prisoner-of-war camp in Sopronnyék (Neckenmarkt).18 After King Nicholas had departed to Italy, his army surrendered unconditionally on 25 January 1916. Due to the formal capitulation of Montenegro’s forces, there were formally no new Montenegrin prisoners of war after the 25 January 1916. A memorandum of 17 February 1916, signed by King Nicholas’ son Prince Mirko, Janko Vukotić, Brigadier Radomir Vešović – leader of the Vasojevići, the most powerful Montenegrin tribe and distinguished war hero –, and two ministers de facto dethroned King Nicholas: The signees interpreted Nicholas’ solitary actions and his and his entourage’s flight

15 “Standesausweis” of the prisoner-of-war camp Boldogasszony, 5KK 1915, Prez. 136, 90/5/2. Vojenský historický archív (VHA). 16 Bruckner, Die Kriegsgefangenen- und Internierungslager auf burgenländischem Gebiet während des 1. Weltkrieges, 234. 17 See Ćamil Sijarić, Mojkovačka bitka, Sarajevo 1968 and Aleksandar Drašković, Mojkovačka bitka. Ratovanje crnogorske sandžačke vojske 1915–1916, Podgorica 1996. 18 Bruckner, Die Kriegsgefangenen- und Internierungslager auf burgenländischem Gebiet während des 1. Weltkrieges, 276. On Sopronnyék see Ernst Mihalkovits, Das Kriegsgefangenen- und Internierungslager des 1. Weltkrieges in Neckenmarkt mittleres Burgenland 1915–1919, Diss. Wien 2003.

378

Heiko Brendel

as a breach of the Montenegrin constitution of 1905 and started unauthorized peace talks with the Austro-Hungarian occupying forces in Cetinje.19 The negotiations failed, though, and the Austro-Hungarian military general governorate in Montenegro (“k. u. k. Militärgeneralgouvernement” [MGG/M]) was installed in March 1916, the Austro-Hungarian occupation continued until October 1918. Because of the failed peace talks, the Montenegrin prisoners of war had to stay in their Austro-Hungarian camps. Until the end of the war, the aim of the occupation regime in Montenegro, portraying itself as “bearer of culture and civilization”20, was not clearly defined and open to speculations. Yet in January 1918, a report filed by the chief of the Austro-Hungarian military intelligence in occupied Montenegro stated: “The war draws to an end. What happens to Montenegro? This question, that should have been answered in the beginning of our administration, but never had been, is urgent now.”21 Including the Montenegrin prisoners of war captured from the 5 August 1914 until the surrender of the Montenegrin army on 25 January 1916, altogether 15,000 Montenegrin nationals – mostly male adults fit for military service, but also old men, women and even children – were removed from Montenegro and interned in Austria-Hungary during the First World War.22 The number of total internees peaked in the first half of 1918 with estimated 10,000 to 11,000 prisoners of war and internees. In May 1918, there were 9347 Montenegrins interned in Austria-Hungary (see Table 1).23 The data shown in Table 1 originates from an internal Austro-Hungarian report filed in the end of April 1918 by the Austro-Hungarian civil commissioner of the MGG/M, Arthur von Schmidt-Zabiérow. The figures given are confirmed by a report on “Serb” prisoners of war, compiled by the International Red Cross in the end of May 1918 (see Table 2). However, the Red Cross

19 Pavlović, Balkan Anschluss, 78–81. 20 Siegfried Justitz, Bade- und Entlausungsanstalten in Montenegro, in: Der Militärarzt 52/4 (1918), 74–76, 76. 21 Referat “Angliederung Montenegros”, filed by Major Anton Langauer, chief of the Austro-Hungarian military intelligence in the military general governorate in Montenegro on 16 January1918, Private archive at Schloss Clam, Austria. 22 Rakočević, Crna Gora u prvom svjetskom ratu 1914–1918, 328. 23 Bericht über die im April 1918 stattgefundene Besichtigung der Kriegsgefangenen-Lager in Nezsider, Boldogassony und Nagymegyer, der Internierten-Stationen in Karlstein und Grossau und der Konfiniertenstation in Waidhofen a./T., sowie über die anschliessend daran im Kriegsministerium (Abteilung 10/Kgf.) stattgefundene Besprechung. Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Kriegsarchiv (KA) Neue Feldakten (NFA), box 1726, Pol. Nr. 1432/7, Beilage 1.

Without the Slightest Exaggeration

379

report only seems to include Montenegrins in the camps – and no Montenegrins working outside. Table 1: Montenegrins in Austro-Hungarian prisoner-of-war and internment camps as well as confinement stations (according to AustroHungarian military reports, end of April 1918).

Waidhofen an der Thaya, confinment station

Nezsider (Neusiedl am See), prisoner-of-war and internment camp

Nagymegyer (Veľký Meder), prisoner-of-war camp

Karlstein an der Thaya, internment camp

Großau internment camp

Boldogasszony (Frauenkirchen), prisoner-of-war camp

Category*

Accommodation

Prisoner-of-war and internment camps, confinement stations

Total

I

50

0

14

64

II

40

0

12

52

III

1,201

0

4

1,205

in the camps IV and stations V

790

252

974

2,016

0

0

0

0

0

0

168

1,126

0

14

1,308

Total

2,081

252

168

1,126

1,004

14

4,645

No data

800

0

0

3,600

302

0

4,702

2,881

252

168

4,726

1,306

14

9,347

30.8

2.7

1.8

50.6

14.0

0.1

100,0

No data outside the camps and stations (on work) TOTAL Percentage

* Category I: Interned in 1914. Category II: Interned in 1915 and during the early occupation of Montenegro (up to 31 May 1916). Category Ill: Interned in connection to the Vešović affair (from l June to 31 August 1916). Category IV: Interned from 1 September 1916 to the end of April 1918. Category V: Internees, not fitting into categories I, II, Ill, or IV. Source: “Bericht über die im April 1918 stattgefundene Besichtigung der Kriegsgefangenen-Lager in Nezsider, Boldogasszony und Nagymegyer, der lnternierten-Stationen in Karlstein und Grossau und der Konfiniertenstation in Waidhofen a./T., sowie über die anschliessend daran im Kriegsministerium (Abteilung 10/Kgf.) stattgefundene Besprechung“, ÖStA KA NFA Box 1726, Pol. Nr. 1432/7, Beilage 1.

9 255 29

0.14

3.93

0.45

4 90 19 275 6,489

1.39

0.29

4.24

100.0

16 314

199

3.07

0.25

0.06

2,100

32.36

4.84

1 2

0.02

0.03

98

44

0.68

147

184

2.84

2.27

68

1.05

1.51

2,182

33.63

Percentage 331

Number of Montenegrins in the camps/ stations 122

Aschach an der Donau

Nezsider (Neusiedl am See)

Nagymegyer (Veľký Meder)

Mauthausen

Katzenau

Karlstein an der Thaya

Heinrichsgrün (Jindřichovice)

Haugsdorf

Großau

Grödig bei Salzburg

Drosendorf

Doboj

Braunau am Inn

Boldogasszony (Frauenkirchen)

TOTAL

?

Lower Austria (Cisleithania)

Hungary (Transleithania)

Hungary (Transleithania)

Lower Austria (Cisleithania)

“Kriegsgefangenenlager St. V” *

Waidhofen an der Thaya

Szolnok

Sopronnyék (Neckenmarkt)

Raabs an der Thaya

Croatia and Slavonia (Transleithania) Osijek

Hungary (Transleithania)

Hungary (Transleithania)

Upper Austria (Cisleithania)

Upper Austria (Cisleithania)

Lower Austria (Cisleithania)

Bohemia (Cisleithania)

Lower Austria (Cisleithania)

Lower Austria (Cisleithania)

Salzburg (Cisleithania)

Lower Austria (Cisleithania)

Bosnia and Herzegovina

Upper Austria (Cisleithania)

Hungary (Transleithania)

Croatia and Slavonia (Transleithania) Belišće

Upper Austria (Cisleithania)

Constituent/Part of Austria-Hungary

1.88

Camp/ station

5.10

380 Heiko Brendel

Table 2: Montenegrins in Austro-Hungarian prisoner-of-war and internment camps as well as confinement stations (according to the International Red Cross, end of May 1918).

* Not further specified. Source: “Rapport mensuel au 31. mai 1918 de la section serbe du bureau de secours aux prisonniers de guerre (Berne)”, cited by Novica Rakočević, Crna Gora u prvom svjetskom ratu 1914–1918. (lz prošlosti Crne Gore 1), Cetinje 1969, p. 346, partly edited by the author.

Striking discrepancies can only be found in the data referring to the camps in Nagymegyer (Veľký Meder) and Nezsider: According to the Red Cross’s data, 800 Montenegrins in Nezsider seem to be missing, while there are more than

Without the Slightest Exaggeration

381

1000 Montenegrins too many in Nagymegyer. As about 1000 Montenegrins, among them many children, were transferred to Nezsider in March 1918,24 it could be that those had not yet been included in the Red Cross’s data on Nezsider. However, data on Nezsider has to be regarded with caution after March 1918.25 In general, the Austro-Hungarian prisoner-of-war camps had been constructed far away from the fronts. Most Montenegrins were detained in the camps of Boldogasszony, Nagymegyer, Nezsider, and Sopronnyék (Table 3), which were situated in the Hungary’s western counties, not more than 75 kilometres away from Vienna.

Lower Austria (Cisleithania)

Salzburg (Cisleithania)

Upper Austria (Cisleithania)

Bosnia and Herzegovina

Croatia and Slavonia (Transleithania)

Hungary (Transleithania)

unknown

Number of Montenegrins in the camps/ stations

98

498

9

402

184

138

4,885

275

6,489

Percentage

1.5

7.7

0.1

6.2

2.8

2.1

75.3

4.2

100.0

Constituent/ Part of AustriaHungary

TOTAL

Bohemia (Cisleithania)

Table 3: Montenegrins in Austro-Hungarian prisoner-of-war and internment camps (according to the International Red Cross, end of May 1918), by constituents/parts of Austria-Hungary.

Source: “Rapport mensuel au 31. mai 1918 de la section serbe du bureau de secours aux prisonniers de guerre (Berne)”, cited by Novica Rakočević, Crna Gora u prvom svjetskom ratu 1914–1918. (lz prošlosti Crne Gore 1), Cetinje 1969, p. 346, partly edited by the author.

Less than 15 per cent of the Montenegrins were interned in Cisleithanian camps. However, among the one thousand internees in Cisleithania – especially among those in the internment camp near Karlstein an der Thaya about 100 kilometres north-west of Vienna – was the majority of the interned 24 Bericht über die im April 1918 stattgefundene Besichtigung der Kriegsgefangenen-Lager in Nezsider, Boldogassony und Nagymegyer, der Internierten-Stationen in Karlstein und Grossau und der Konfiniertenstation in Waidhofen a./T., sowie über die anschliessend daran im Kriegsministerium (Abteilung 10/Kgf.) stattgefundene Besprechung. ÖStA KA NFA, box 1726, Pol. Nr. 1432/7, Beilage 1. 25 Compare the remarks on the missing data on fatalities in the camp of Nezsider after 29.3.1918 in: Mannsberger/Schäfer, Das Neusiedler Internierungslager, 34.

382

Heiko Brendel

Montenegrin high-ranking military officers, former ministers, administrative officials, and members of the dissolved parliament in Cetinje (“Skupština”).26 In the Transleithanian camps, there were many non-commissioned officers, low-ranking officials, as well as teachers (Table 4). Table 4: Occupational statistics of the Montenegrin internees in Boldogasszony (November 1917). Group

Civilians

Percentage

  32.4

Occupation

Percentage

municipal and district officials

  13.7

primary and secondary school teacher

   8.8

finance and customs officials

   1.8

judicial officials

   4.2

postal officials

   3.9

administrative official

   2.5

non-commissioned officers

  44.2

officers

  12.6

staff officers and generals

  6.0

Others

   2.3

Military personnel

  65.3

Others

   2.3

Total

100.0

Total

100.0

Source: Walter A. Bruckner, Die Kriegsgefangenen- und Internierungslager auf burgenländischem Gebiet während des 1. Weltkrieges, in: Briefmarkensammlerverein Pinkafeld (ed.), Postgeschichte des Burgenlandes anlässlich 70 Jahre Burgenland / 20 Jahre Briefmarkensammlerverein Pinkafeld (Postgeschichte des Burgenlandes 2), Pinkafeld 1991, 207–346, 246.

In general, Montenegrin internees were treated as prisoners of war. This meant that most of them had – according to article 6 of the Hague Convention of 1899 – to work. And the use of the work force of all prisoners of war was a central element of Austro-Hungarian war economy.27 Only a few hundred Montenegrins – mostly notables and high-ranking officers – had been transferred to special Cisleithanian internment camps. Some of those already privileged internees were classified as confinés and sent to Waidhofen, at least if they were able to pay for accommodation and meals from their own assets.28 26 On the Montenegrin “elite” in Karlstein an der Thaya, see Karaula, “Crnogorska elita” u logoru Karlstein. 27 See for example Hannes Leidinger/Verena Moritz, Verwaltete Massen. Kriegsgefangene in der Donaumonarchie 1914–1918, in: Jochen Oltmer (Hg.), Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006, 35–66, 48–57. 28 Kriegsministerium to Ministerium des Äußern, 29.1.1917. ÖStA KA NFA, box 1701

Without the Slightest Exaggeration

383

There were few exceptions though, when Austria-Hungary paid accommodation and meals of confinés. For example, three impecunious Montenegrins, which had collaborated with the occupiers, were confined on their own wish, because they feared to be treated as traitors by their own people.29

Internment of Montenegrins in the Austro-Hungarian Military General Governorate in Montenegro (March 1916 to October 1918) In the beginning of the occupation, the military rule in Montenegro was quite gentle. Security problems were not the most pressing issue in occupied Montenegro, but the precarious nutrition situation: For decades Monte­negro had not been able to feed its people; this was an important reason for the migration of the rural Montenegrins to other countries, for example to Austria-Hungary and the Ottoman Empire, but especially to the United States of America.30 During the Balkan Wars and the First World War, the situation got considerably worse. As soon as two weeks after the establishment of the MGG/M, a weekly report of the Austro-Hungarian military intelligence stated: “Among the poor populace the people starve to death. There is just one thought: To satisfy the hunger. They do whatever you wish to get something to eat […].”31 The military administration had to transport food from Austria-Hungary to Montenegro to mitigate the hunger. Until July 1917, these transports – mainly from Cisleithania – brought 100,000 daily rations into the occupied kingdom, equalling 80 to 90 railway wagons per month.32 Nevertheless, more people died in Montenegro of hunger than of violence. In the Piva region alone, near the Herzegovinian border, about 2000 people starved

29 30 31 32

(MGG/M 1917), Pol. Nr. 689, and Nachrichtenabteilung des KK Nikšić to KK Nikšić, 8.2.1917. ÖStA KA NFA, box 1700 (MGG/M 1917), Pol. Nr. 562/564. Kriegsministerium to Ministerium des Äußern, 29.1.1917. ÖStA KA NFA, box 1701 (MGG/M 1917), Pol. Nr. 689. See Pavle S. Radusinović, Stanovnistvo Crne Gore do 1945. godine. Opsta istorijsko-geografska i demografska razmatrana, Beograd 1978, 132–134. Weekly military intelligence report MGG/M of 17.3.1916. ÖStA HHStA (Haus-, Hofund Staatsarchiv) MdÄ PA I Krieg 49 e, box 998. Hilfsaktion für Montenegro Januar 1916 bis Juli 1917, Thurn to Burián (4.2.1916) and Krobatin to Tisza (7.3.1916). ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 49 b, box 996. See also Hugo Kerchnawe, Die Militärverwaltung in Montenegro und Albanien, in: Hugo Kerchnawe/Rudolf Mitzka/Felix Sobotka/Hermann Leidl/Alfred Krauss (Hg.), Die Militärverwaltung in den von den österreichisch-ungarischen Truppen besetzten Gebieten (Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Weltkrieges: Österreichische und ungarische Serie), Wien 1928, 270–304, 276.

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to death.33 The Austrian geographer Eugen Oberhummer noted in his travel diary in July 1917 – when Austria-Hungary still transported food into the ­MGG/M – that even in Cetinje, Montenegro’s capital, “the populace, especially the women, look pretty starved”.34 However, already in the summer of 1916 security began to supersede all other problems in the MGG/M: At the beginning of June, rumours intensified that a Montenegrin armed rebellion against the occupiers was planned. The Austro-Hungarian forces were alarmed when on 13th June 1916 a Serbian hand grenade was found in Cetinje.35 The rumours about the imminent uprising were corroborated: Radomir Vešović – who had the reputation to be one of the bravest Montenegrin officers 36 – was identified as the head of the plot.37 On 15 June 1916, about fifty high-ranking Montenegrin military officers, bureaucrats, and politicians should be arrested and interned on the accusation of having planned an armed revolt against the occupiers. Among those officers were the “hero of Mojkovac”, Vukotić, and Vešović.38 While the first was arrested without any resistance, the latter shot the officer commanding the patrol sent out to arrest him and fled, with two of his brothers and other Vasojevići tribesmen, into the inhospitable mountains. Immediately, Vešović’s father, his third brother, and two officers belonging to the Vasojevići tribe were taken hostage.39 However, military general governor Viktor Weber Edler von Webenau stated towards Eduard Otto, envoy of the Austro-Hungarian foreign ministry in the MGG/M and former minister plenipotentiary in Montenegro, that “[…] the evil is not deep, that it is restricted to narrow circles, and, most important, that is has not touched the majority of the population.” But just two days later, Weber re-evaluated the situation: “[…] the idea of revolt is, in

33 Dragoljub Živojinović, Serbia and Montenegro. The Home Front, 1914–1918, in: Béla K. Király/Nándor F. Dreisziger/Albert A. Nofi (eds.), East Central European society in World War I (East European Monographs 196), New York 1985, 239–259, 254. 34 Marcel Bertele/Christian Wacker (Hg.), Die Reisetagebücher Eugen Oberhummers. Die Reisen in die Alte Welt, München 2004, 451. 35 Daily report of 15.6.1916. ÖStA KA AOK Op. Abt. (Evidenzgruppe B), box 654. 36 Rakočević, Crna Gora u prvom svjetskom ratu 1914–1918, 304–305. 37 Ibid., 312, on Vešović and his tribe, the Vasojevići, see Milosav Miša Mišović, General Radomir Vešović i Vasojevići pod Austro-Ugarskom okupacijom 1916–1918, Ivangrad 1979. 38 In Montenegrin historiography there is a debate about the eventual fabrication of the plot by Austro-Hungarian officials. See for example Rakočević, Crna Gora u prvom svjetskom ratu 1914–1918, 317. 39 For a detailed analysis of the “Vešović affair”, see Heiko Brendel, “Lieber als Kacake als an Hunger sterben”. Besatzung und Widerstand im k. u. k. Militärgeneralgouvernement in Montenegro (1916–1918), Frankfurt am Main 2019, 142–188.

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some districts, deeply rooted in the population. Internments have to be continued.”40 In between the military general governor had discussed the matter with the chief of the general staff of the Austro-Hungarian army, Franz Conrad von Hötzendorf– who had served as a young Austro-Hungarian officer at the Montenegrin border during the insurrection of the years 1881 and 1882 and for whom the insurgents at that time had been “brutal”, “murderous”, and “cruel” enemies as well as “primitive people”.41 The Austro-Hungarian military authorities in Montenegro feared a largescale uprising on 28 June 1916, St. Vitus Day (“Vidovdan”), an important Serbian national and religious holiday – and the second anniversary of the assassination of Archduke Franz Ferdinand in Sarajevo. To stifle the revolt at the very beginning, Weber ordered to hire 3000 volunteers fit for military service in the mainly Orthodox districts of Nikšić, Kolašin, and Podgorica in Old Montenegro – or one out of ten men between 15 and 50 in the mentioned districts. The military general governor’s reasoning was to reduce the potential insurrectional “human material” (“Menschenmaterial”) in those districts pre-emptively, so that the danger of a general insurrection would be diminished.42 These volunteers should be sent as workers to Austria-Hungary, where labour force was urgently needed in agriculture as well as in road and railroad construction, especially in Bosnia and Herzegovina. And Montenegrin workers were commonly known as trusted and reliable employees in the Habsburg Empire.43 Soon it became clear that there would not be 3000 volunteers in the mentioned districts, but by far less. More compulsory measures were taken to eliminate the danger of the anticipated insurrection, while all involved Austro-­Hungarian officials – military as well as civilian – agreed that the security of the Austro-Hungarian forces in Montenegro had the highest priority.44 Thus, the Austro-Hungarian military and gendarmerie in the MGG/M were reinforced and border patrols at the Herzegovinian border were increased.45 But, more importantly, Weber ordered the immediate pre-emptive internment 40 Otto an Burián, 19.6.1916. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 49 a, box 996. 41 See Franz Conrad von Hötzendorf, Mein Anfang. Kriegserinnerungen aus der Jugendzeit 1878–1882, Berlin 1925, 171 f. 42 MGG/M to Nachrichtenabteilung AOK, 21.6.1916. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 49 e – Stimmung in Montenegro 1916, box 998. 43 Ronge, Meister der Spionage, 150. 44 See MGG/M to Nachrichtenabteilung des AOK, 21.6.1916, and Otto to Burián, 16.6. 1916, both ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 49 e – Stimmung in Montenegro 1916, box 998, as well as Rakočević, Crna Gora u prvom svjetskom ratu 1914–1918, 310–313. On the military necessity argument, see especially Thurn to Burián, 27.6.1916. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 49 e – Stimmung in Montenegro 1916, box 998. 45 Report of 27.6.1916. ÖStA KA AOK Op. Abt. (Evidenzgruppe B), box 654.

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of all Montenegrin military officers and “other unreliable persons”46 – politicians, bureaucrats, teachers, academics, students, and clerics, if necessary with their spouses and children – and their deportation to Austria-Hungary. Additionally, the pre-emptive mass internment of all Orthodox men fit for military service in the district of Kolašin and parts of the district of Nikšić was prepared.47 This quite extreme measure should begin after the aforementioned internment of all Montenegrin officers – but was never executed as planned. Nevertheless, many internments took place. As planned, mostly men, but also some women and even children were arrested on the slightest suspicion, only farmers were often spared – the Austro-Hungarians had not forgotten the latent hunger crisis in Montenegro. On just a single day, the 26 June 1916, 717 Montenegrins were interned by the military and gendarmerie.48 When St. Vitus Day arrived, Vešović did not give in and did not surrender to the Austro-Hungarian authorities. But there was no general insurrection against the occupying forces in the MGG/M. Nevertheless, the hostages taken after the “Vešović-incident” were executed on 28 June 1916. Only Vešović’s father, arrested directly after the murder, was pardoned due to his old age.49 And up to 9 July 1916, in the district of Kolašin alone, 1642 persons were interned, in the district of Nikšić an additional 115 persons.50 Altogether, 2500 Montenegrins were sent to Austria-Hungary.51 This first huge wave of internments lasted for six weeks, but Vešović – wanted dead or alive – and his companions had still no intention to leave the mountains of Kolašin.52 The “Vešović affair”, as it was called, sowed deep doubts and mistrust towards the Montenegrins in military general governor Weber and most of his officers. In Weber’s opinion, the loyalty of the Montenegrin populace in general was problematic, while the Montenegrin officers and the “intelligence” were irreconcilable enemies of the Austro-Hungarian Empire, coined by anti-Habsburg Pan-Slavism, and advocates of Great Serbia.53 One of the Austro-Hungarian military hardliners in Montenegro and the mastermind behind 46 Thurn to Burián, 27.6.1916. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 49 e – Stimmung in Montenegro 1916, box 998. 47 Thurn to Burián, 27.6.1916. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 49 e – Stimmung in Montenegro 1916, box 998. 48 Daily report of 27.6.1916. ÖStA KA AOK, Op. Abt. (Evidenzgruppe B), box 654. 49 Rakočević, Crna Gora u prvom svjetskom ratu 1914–1918, 321. 50 Ibid., 323. 51 Report of 25.6.1916, “Zuschub montenegrinischer Staatsangehöriger”. ÖStA KA KM 10. KgA, Nr. 17.722 res. According to Pavlović, Balkan Anschluss, 142, note 51, 1,889 Montenegrins were imprisoned in Bolodgasszony and Karlstein on 31.12.1916. 52 Rakočević, Crna Gora u prvom svjetskom ratu 1914–1918, 373. 53 Ibid., 319.

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the internments in June and July 1916 was Gustav Hubka, chief of the general staff in the MGG/M. Before the war, he had been Austro-Hungarian military attaché in Cetinje.54 Heinrich Clam-Martinic, former Cisleithanian prime minister, replaced Weber as military general governor in Montenegro in July 1917. Hubka was also replaced. Initially, the number of new internments dropped and the number of disinternments rose under Clam-Martinic’s command. But the insurgency in Montenegro grew in early 1918, and in February 1918, Austro-Hungarian sailors in the Bay of Kotor mutinied, thus putting the Central Powers’ strategic position in the Adriatic at risk.55 Though the naval mutiny was put down within days, it was feared that there could exist a connection between the mutineers and the insurgents in Montenegro.56 On the one hand, South Slavs accounted for the largest number of the accused mutineers.57 On the other hand, several thousand Montenegrin low-wage labourers worked in the naval facilities in the Bay of Kotor. Most of them had been employed for many years, and after the war had started, their contracts had not been discontinued. With the naval mutiny in the Bay of Kotor and the following investigations, those Montenegrin workers were seen as a latent security risk – and, according to Maximilian Ronge, the last director of the Austro-Hungarian military intelligence, 2900 Montenegrins were sent from the naval facilities in the Bay of Kotor to the Transleithanian internment camps in March 1918.58 This was most likely the hugest wave of Montenegrins sent to the internment camps during the entire war. But not only in the Bay of Kotor, also in the MGG/M the security measures were tightened: The new chief of the general staff of the Habsburg army, 54 For Hubka’s position, a private letter from Otto to Burián is revealing: ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 49 a – Unsere Verwaltung in Montenegro, Allgemeines 19161918, Otto to Burián (19.6.1916), box 996. Another central Austro-Hungarian hardliner involved in the internments was civil commissioner of the district of Kolašin, Miloš Ljeskovac, a loyal Bosnian Serb from Sarajevo. See Rakočević, Crna Gora u prvom svjetskom ratu 1914–1918, 317. 55 See Heiko Brendel, Der geostrategische Rahmen der österreichisch-ungarischen Besatzung Montenegros im Ersten Weltkrieg, in: Jürgen Angelow/Gundula Gahlen/ Oliver Stein (Hg.), Der Erste Weltkrieg auf dem Balkan. Perspektiven der Forschung, Berlin 2011, 159–177. 56 Bernard Stulli, Ustanak mornara u Boki Kotorskoj. 1.–3. februara 1918 (Pomorska Biblioteka 12–13), Split 1959, 204. 57 See Richard Georg Plaschka, Cattaro–Prag: Revolte und Revolution. Kriegsmarine und Heer Österreich-Ungarns im Feuer der Aufstandsbewegungen vom 1. Februar und 28. Oktober 1918 (Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft Ost 3), Graz 1963, 190, footnote 32. 58 Ronge, Meister der Spionage, 150.

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Arthur Arz von Straußenburg, demanded from Clam-Martinic “ruthless severity” to “pacify”59 the MGG/M. Eduard Hospodarž, one of the highest decorated officers of the Austro-Hungarian army, was sent to Montenegro and attached to Clam-Martinic to suppress the insurgency in the MGG/M. Consequently, the numbers of internments increased again.

Practicing Internment Basically, there were two kinds of internments in the MGG/M: “Pre-emptive internment on security reasons” and “penal internment after criminal offenses”, but not all cases fit perfectly into the two categories. The highest authority of occupied Montenegro was the military general governor in Cetinje: from March 1916 to July 1917 Weber von Webenau, then Clam-Martinic. Ultimately, the military general governor had to decide whether any Montenegrin in his jurisdiction – covering all of the Kingdom of Montenegro – was to be interned or not. But the military general governor’s decision was, if anything, a formal act, because he based his conclusions not on own enquiries, but on the information provided by the commands of the eight districts60: In “Old Montenegro” the district commands resided in Cetinje, Kolašin, Nikšić, Podgorica, and Stari Bar; in “New Montenegro”, acquired in the Balkan Wars of 1912–1913, there were district commands in Berane, Peja, and Pljevlja. The requests for internments were usually sent by the district gendarmerie commands to the central administration in Cetinje. The type- or handwritten lists with the proposed internees could, for example in the district of Kolašin, include several hundred names. The names of the “suspects” originated from several sources. First of all, there were the investigations of the gendarmerie, acting as an Austro-Hungarian police force in the MGG/M. The gendarmes carried out criminal inquiries and sent out reconnaissance patrols. They obtained their information mainly from cooperative Montenegrins, as it was recommended by the service regulations.61 Further hints were given by scouts and spies of the Austro-Hungarian military intelligence, another source were the denunciations by Montenegrin “confidents” collaborating with the Austro-Hungarian occupying forces. An important role had the “confidents” reporting to the chief of the general staff in Montenegro. Another key position 59 AOK an MGG/M, 10.3.1918. ÖStA KA AOK Op. Abt., box 515, Nr. 49939. 60 The eighth district command, Berane, was not established before 1.6.1917. 61 15. k. u. k. Korpskommando, Instruktion für das Gendarmerie-Streifkorps, Sarajevo 1909, 30.

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was held by Captain Viktor Andrejka who headed the Austro-Hungarian military intelligence in Montenegro at the beginning of the occupation.62 Hubka and Andrejka quickly established an effective surveillance network of more or less reliable informers and spies all over the MGG/M, thus tightening the Habsburg Empire’s grip on Montenegro.63 Most of the spies and informers in Austro-Hungarian service were local Montenegrins. A few, however, were Austro-Hungarian nationals,64 some of them living in Montenegro for many years. The most important of them even held a representative post: The “famous Austro-Hungarian spy” Filip Lukšić65, a Dalmatian, headed the Austrian chamber of commerce in Podgorica, the economic and commercial centre of Montenegro. The roundups following the reconnaissance and espionage efforts and denunciations were carried out ruthlessly by the Austro-Hungarian gendarmerie, regular Austro-Hungarian military, and locals serving as auxiliaries. Focal points of the mass arrests were the mainly Serbian and Orthodox districts of Kolašin and Nikšić, which were also the centres of the insurgency, but also the Albanian and Muslim inhabited districts of Peja and Berane. The Austro-Hungarians often entered the villages arousing suspicion in platoon strength; men, women, and even children were temporarily arrested on the slightest evidence. In the case of individual or collective resistance, houses were burnt to the ground and livestock was confiscated. To secure their operations, the gendarmes also took hostages.66 Arrested suspects were court-martialled in the district capitals. The most important accusations were espionage against the occupying forces, the direct or indirect support of the insurgency, and the illegal possession respectively hiding of firearms. If the suspicions could be substantiated – in the case of illegal possession of firearms quite often, because the evidence was on hand, in the case of supporting the insurgents much less frequently – the accused were sentenced to fines, imprisonment, or death. In some cases, the judges ordered the internment of the accused. But the majority of the internments 62 Maximilian Ronge, Kriegs- und Industrie-Spionage. Zwölf Jahre Kundschaftsdienst, Zürich 1930, 188. 63 See: Österreichisch-ungarische Militärattachés und Militärbevollmächtigte. Ihr Wesen und Wirken im Auslande, sowie als Hilfsquelle der militärischen Zeitgeschichte. ÖStA KA NL G. Hubka B 61/26. 64 As no common imperial citizenship existed: Citizens of Cisleithania, citizens of Transleithania, and citizens of Bosnia and Herzegovina. 65 Rakočević, Crna Gora u prvom svjetskom ratu 1914–1918, 309. 66 The taking of hostages was regulated by the gendarmerie’s service regulations: 15. k. u. k. Korpskommando, Instruktion für das Gendarmerie-Streifkorps. Zur reservier­ ten Amtsgebarung als Manuskript gedruckt, Sarajevo 1909, 38.

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were the consequence of hearings where the proof could not stand the test of the court-martial and the Austro-Hungarian military code of law. The proceedings were closed for want of evidence, but the suspected – lacking the verdict of not guilty – were still regarded as endangering the security in the MGG/M. Thus, they were not set free, but the district command proposed them for internment: The record of the court-martial was sent to the military general governor in Cetinje, who approved these “internments for security reasons”67 in almost all cases without further inquiries. Most often the military general governor did not check the files himself, but assigned this work to his chief of the general staff. While the court files returned into the districts, the suspected were quickly transported to the internment camps in Austria-Hungary. Most interestingly, not a single attempt to explicitly liberate internees during the long transports within the MGG/M was reported in 1918, while there were several attacks on transports of arrested insurgents.68 Additionally to the roundups, hundreds of insurgents turned themselves in. Typically, they appeared in small groups in front of remote, sparsely manned gendarmerie posts and offered the handover of their arms against gracious treatment.69 Most often the former insurgents were interned in Austria-Hungary after they had surrendered. A very special case is the surrender of Radomir Vešović. In the end of 1917, Vešović and his small group of insurgents had suffered various hardships. Military general governor Weber, pressured by the chief of the general staff of the Austro-Hungarian army to solve the Vešović affair quickly, made contact to his family through Filip Lukšić. In the summer of 1917, under the new military general governor Clam-Martinic, the indirect negotiations between the military administration and Vešović continued.70 Janko Vukotić and many other high-ranking Montenegrin officials were disinterned, as it was hoped they could persuade Vešović to surrender.71 In the end of 1917, Vešović and eleven insurgents surrendered to the sub-district command in his home town Andrijevica. Clam-Martinic had guaranteed Vešović full amnesty, the return of all confiscated movable and immovable goods, and retrospective full payment of his salary as a Montenegrin general as well as additionally stipends for his two daughters. Vešović’s wish to become interned within the borders of Monte67 KK Peja to MGG/M, 14.5.1917. ÖStA KA NFA, box 1702 (MGG/M 1917), Pol. Nr. 846. 68 For example, daily report of 4.3.1918. ÖStA KA AOK, Op. Abt., Evidenzgruppe B, box 662, and daily report of 24.6.1918. ÖStA KA AOK, Op. Abt. (Evidenzgruppe B), box 663. 69 For example, daily report of 29.3.1918, 19.4.1918, and 21.4.1918. ÖStA KA AOK, Op. Abt., Evidenzgruppe B, box 662. 70 See Rakočević, Crna Gora u prvom svjetskom ratu 1914–1918, 403–406. 71 Ibid., 381.

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negro was denied, in the end of January Vešović was removed from Montenegro to Austria-Hungary and confined in the Austrian town of Graz. Soon he was transferred to the Castle of Pöggstall near Melk in Lower Austria, because it was reasoned that the flight risk was too high in a large city like Graz. But the most important reason was that the city dwellers of Graz had no sympathy for such a preferential treatment of an enemy brigadier, murderer of an Austro-Hungarian officer, and insurgent in the fifth year of the war.72 And in Montenegro, the insurgency became even stronger than ever before.

Consequences of Internment in Montenegro The mass internments had noticeable consequences for Montenegro’s economy, the military administration itself, and on the morale of the Montenegrin population. When the Austro-Hungarian occupation of Montenegro began, the country’s poor rural economy had already stagnated for many years.73 Additionally, Montenegro suffered of a chronic lack of manpower at least since the First Balkan War. Therefore, the absence of altogether 15,000 prisoners of war and internees – the figure peaked in the first half of 1918 with estimated 10,000 to 11,000 – weighed twice as hard on the economy of the MGG/M.74 The Montenegrin administrative structures were also hardly developed, the staffing level was low and due to the heavy war losses since 1912 on the verge of collapse. In the months after the occupation of Montenegro, the Austro-Hungarian forces filled the positions in the central administration and in the eight districts with their own – mostly military, but also civilian – personnel.75 But, especially in the 215 municipalities of Montenegro, the occupiers depended on locals. However, Montenegrin civil servants were mostly members of prestigious and important families, many of them were officers 72 Kriegsministerium to MGG/M, 4.9.1918. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 49 e (“Vešović”), box 997. 73 See Michael R. Palairet, The Culture of Economic Stagnation in Montenegro, in: Markus Mattmüller (ed.), Wirtschaft und Gesellschaft in Berggebieten, Graz (Itinera 5–6), Basel 1986, 392–492. 74 Rakočević, Crna Gora u prvom svjetskom ratu 1914–1918, 328, and “Bericht über die im April 1918 stattgefundene Besichtigung der Kriegsgefangenen-Lager in Nezsider, Boldogassony und Nagymegyer, der Internierten-Stationen in Karlstein und Grossau und der Konfiniertenstation in Waidhofen a/T, sowie über die anschliessend daran im Kriegsministerium (Abteilung 10/Kgf.) stattgefundene Besprechung”. ÖStA KA NFA, box 1726, Pol. Nr. 1432/7, Beilage 1. 75 Emil Perels, Montenegro und Albanien unter österreichisch-ungarischer Verwaltung, in: Der österreichische Volkswirt, 6.4.1918, 466–469, 466.

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in Montenegro’s militia – and got interned in the course of Vešović affair. The Austro-Hungarians were not capable to fill the open positions on the municipal level with equally capable locals. Thus, the internments directly stressed the military administration’s ability to control the country. In Andrijevica, “capital” of the Vasojevići tribal territory and therefore a focal point of the internments, there was only one of seven municipal councillors left: Three had died of unknown causes, and three had been interned. Military general governor Weber ordered an immediate election and appointment of new municipal councillors to fulfil at least the most basic administrative tasks in Andrijevica.76 The morale consequences of the mass internments were even more devastating than the economic problems and the loss of capable staff: The population was in fear of the – repeatedly arbitrary – displacement of people, who were often members of the former elite, belonging to families with many followers and supporters. Further, corruption and denunciation grew with the increasing power of the Montenegrin “confidents” to doom their fellow citizens. In the multi-ethnic and multi-religious areas of Montenegro – Podgorica and Stari Bar in Old Montenegro and all of New Montenegro – the internments promoted the tensions between the ethnic and religious groups, especially between Orthodox Serbs and Albanian Muslims. The Austro-Hungarian gendarmerie in Montenegro was, according to General Vukotić, the main reason for the distrust in the population:77 A large number of its non-commissioned officers were Slavic Muslims from Bosnia and Herzegovina. Some of those gendarmes were very biased towards their fellow Muslims and unprovokedly brutal against Orthodox Serbs. Further, South Slavic Austro-Hungarian officers – who were, due to their language proficiency, often assigned to the MGG/M – had in many cases very strong anti-Serb and anti-Montenegrin resentments.78 Thus the Orthodox Serb minority in New Montenegro – that had treated the Muslim majority as second-class-citizens for three years – did not feel safe and protected by the Austro-Hungarians, as they had indeed lost many of their privileges with the beginning of the occupation. 76 Instruction by MGG/M, 8.2.1917. ÖStA KA NFA, box 1702 (MGG/M 1917), Pol. Nr. 899. 77 Rakočević, Crna Gora u prvom svjetskom ratu 1914–1918, 412. 78 See Andrej Mitrović, The Yugoslav Question, the First World War and the Peace Conference, 1914–1920, in: Dejan Djokić (ed.), Yugoslavism. Histories of a failed idea, 1918– 1992, Madison 2003, 42–56, 47 and Richard Brian Spence, The Yugoslav Role in the Austro-Hungarian Army, 1914–1918, in: Béla K. Király/Nándor F. Dreisziger/Albert A. Nofi (eds.), East Central European society in World War I (East European Monographs 196), New York 1985, 354–365, 359.

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But not only Orthodox Serbs accused the Austro-Hungarian military administration to favour the Muslims in the MGG/M, even the Albanian Catholics did so: For example, there was the case of the mayor of Bar, a Catholic Albanian named Debeglia, well-known for his strong Austrophile attitude and even accused to be an “Austrian” spy. In spring 1916, Debeglia was denunciated by another citizen of Bar, an Albanian Muslim. Debeglia was arrested, expecting deportation and internment. His trial lasted for months before it became obvious that the accusations against him lacked any basis. But during his absence, the denunciator himself had been appointed mayor – and the military administration was not willing to reinstate Debeglia, because this would disavow the position of the occupiers.79 Either way, the new Muslim mayor proved to be as Austrophile as his Catholic predecessor.80 The gendarmerie’s biases were not only religiously, but also ethnically motivated: Many Slavic Muslims serving in the gendarmerie cultivated a strong hostility towards their fellow Muslim Albanians. During the Vešović affair, for instance, the Orthodox Serbs in the district of Peja, which was largely Albanian and Muslim, had been spared from mass internments. Later, though, most Albanian “beys” – members of the wealthy, landowning, former Ottoman elite – had been interned with “remorseless severity”, including male adolescents aged 14 to 18.81 Albanian Muslims were noticeably often not arrested for specific motives, but merely “for reasons of precaution”82.

Practicing Disinternment The final decision for internments was made by the military general governor in Cetinje. However, he did not have the final authority for disinternments: When deported from the MGG/M to Austria-Hungary, the internees fell under the jurisdiction of the Austro-Hungarian ministry of war in Vienna. Its 10th Department resp. 10th POW Department was actually responsible for prisoners of war, and it was the result of intense debates between various officials that it also gained responsibility for the military and civil internees in Austria-Hungary. The War Surveillance Office (“Kriegsüberwachungsamt”) and the complex responsibilities in Cisleithania and Transleithania further complicated the 79 Otto to Burián, 24.5.1916. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 49 e, box 998. 80 Otto to Burián, 19.8.1916. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 49 e, box 997. 81 Trollmann to MGG/M, 9.12.1916. ÖStA KA NFA, box 1699 (MGG/M 1917), Pol. Nr. 371. 82 For example Weber to AOK, 10.6.1917. ÖStA KA NFA, box 1695 (MGG/M 1916–18: Finanz- und Zivilgruppe).

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situation.83 At the beginning of 1917, the common minister of war, Alexander von Krobatin, pointed out that only he had the final decision on the release of prisoners of war and internees from occupied Montenegro. The military general governor of Montenegro was only allowed to make suggestions.84 The process of disinterning Montenegrins from Austro-Hungarian camps took several steps: Firstly, an official request for disinternment had to be filed and sent to the MGG/M and then to the district intelligence officer, where the internee was checked most accurately. Thus, in February 1917, the “Perlustrierungskommission” (an investigation committee, responsible for internees) recommended the disinternment of a few Montenegrin officers because they suffered from tuberculosis in the camps. About a month later, the repatriation request was denied: Either the officers had connections to Radomir Vešović and his insurgents, or they advocated the unification of Montenegro and Serbia under the Karađorđević dynasty, or they simply were members of “problematic” families.85 Sometimes even authorities besides the chain of command were involved in checking the internees. There is the exemplary case of the school teacher Nikola Kujacić who was interned in September 1916. In February 1917 he requested disinternment. His request was sent to the responsible authorities to be checked – and denied. Assumedly the responsible intelligence officer at the fortress Bileća replied that Kujacić was a Great-Serbian nationalist with strong anti-Austrian sentiments; from Montenegro, the district command of Nikšić answered that Kujacić had been on trial for espionage in July 1916, but the case had been closed for lack of evidence. After the failed trial, Kujacić had been interned on initiative of the district command of Nikšić.86 Nevertheless, there were various chances to be disinterned. First of all, several old and ill internees from the prisoner-of-war camps in Hungary were disinterned and repatriated, further many of those incapacitated for work. They were sent by train and with minimal guards to their home districts in Montenegro.87 Some ill internees were repatriated after their re-

83 See Reinhard Mundschütz, Internierung im Waldviertel. Die Internierungslager und -stationen der BH Waidhofen an der Thaya 1914–1918, Diss. Wien 2002, 16–36. 84 Kriegsministerium an AOK, 6.2.1917. ÖStA KA NFA, box  1699 (MGG/M 1917), Pol. Nr. 371. 85 KK Podgorica to MGG Montenegro, 28.2.1917. ÖStA KA NFA, box 1702 (MGG/M 1917), Pol. Nr. 901. 86 Nachrichtenabteilung des KK Nikšić to KK Nikšić, 8.2.1917. ÖStA KA NFA, box 1700 (MGG/M 1917), Pol. Nr. 562/56. 87 Kriegsministerium, 10. KgA Nr. 1891, 29.1.1917. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 49 g, box 998.

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covery.88 In general, clergymen and high-ranking officials like former Montenegrin ministers – as long as classified as “politically unsuspicious” or regarded as “politically useful” for the occupiers – had the best chance to be disinterned.89 Internees working outside the camps had – especially when well educated – quite good chances to be disinterned much faster than ordinarily, if they were requested by their employers. Thus, in December 1917, an internee from Boldogasszony had applied at a steamship company in Budapest and got a job there. He was immediately disinterned and equipped with his personal propriety, good clothes, shoes, and a mess gear.90 Another most interesting case was about two interned Montenegrin students, one of them the above mentioned Đuro Vukić: Both were allowed to travel to Zagreb and to stay there for four weeks to take their university exams. The two students were allowed to travel without guards, they just had to inform the police in Zagreb – which had been notified in advance – of their arrival and stay. Notwithstanding it was made clear from the beginning that any request to extend the leave would be denied. After their exams, the students had to return to their camp.91 Many internees and their relatives in Montenegro appealed to the envoy of the Austro-Hungarian foreign ministry in the MGG/M, Eduard Otto, hoping he could help them, even against the military’s intentions. Especially internees personally known to Otto, for example the former Montenegrin consul in Shkodra, Aleksandar Martinović, sent long letters to him and informed him this way “unofficially” about the situation in the camps.92 In various cases, Otto supported high-ranking Montenegrins campaigning for the disinternment of fellow countrymen, such as the former Montenegrin minister of finance, Filip Jergović, or the Orthodox bishop of Cetinje and metropolitan of Montenegro, Mitrofan Ban. Otto also had contacts to the Albanian Lazër Mjeda Roman, the Catholic archbishop of Skopje.93

88 Kriegsministerium, 10. KgA to AOK. 7.3.1917. ÖStA KA NFA, box 1699 (MGG/M 1917), Pol. Nr. 371. 89 Bezirkshauptmannschaft Waidhofen to MGG/M, 27.12.1916. ÖStA KA NFA, box 1698 (MGG/M 1917), Pol. Nr. 58. 90 Kriegsministerium, 10. KgA an AOK, 19.12.1917. ÖStA KA NFA, box 1700 (MGG/M 1917), Pol. Nr. 498. 91 Kriegsüberwachungsamt to k. k. Bezirkshauptmannschaft in Waidhofen, 26.2.1917. ÖStA KA NFA, box 1702 (MGG/M 1917), Pol. Nr. 960. 92 Otto to Burián, 12.12.1916. ÖStA KA NFA, box 1701 (MGG/M 1917), Pol. Nr. 689. 93 Otto to Czernin, 28.1.1917. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 49 g, box 998 and Otto to Czernin, 13.2.1917. ÖStA KA NFA, box 1699 (MGG/M 1917), Pol. Nr. 371.

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Besides disinternment, the officials in the MGG/M took action to help the starving internees in the Austro-Hungarian camps, too. Thus, on 8 December 1916, the highest-ranking internee from Montenegro, General Janko Vukotić, wrote a letter to the military general governor of Montenegro, in which he complained bitterly about the living conditions in the internment camp at Karlstein.94 The civil commissioner of the MGG/M in Montenegro, Paul von Sternbach, used Vukotić’s letter as an occasion to visit the internment camp at Karlstein and the confinement station Waidhofen in the end of January 1917. He wrote a detailed report in which he disqualified most of Vukotić’s complaints as exaggerated. But in some respects he supported the claimant, and the Austro-Hungarian ministry of war corrected some of the reported deficiencies.95 For example, the interned Montenegrins were allowed to buy “government-friendly” newspapers as the “Cetinjer Zeitung” (the official organ of the MGG/M, which had a German and a Serbo-Croatian edition), the Croatian “Narodni Novine” (published in Zagreb), or the Bosnian-Herzegovinian “Sarajevski List”.96 By the end of 1917, Karlstein had become the epicentre of Montenegrin political activity. As the Montenegrin internees disagreed on most political issues – especially on the country’s future as an independent state or as a part of Great Serbia – there were heated political debates and sometimes even fistfights in the camp, often fuelled by traditional tribal conflicts. The political activists began to lobby their fellow internees, they wrote statements and memoranda. When Prince Mirko – the only member of the royal family who stayed in the occupied kingdom – died in a sanatorium near Vienna on 2 March 1918, internees in Karlstein wrote a petition to be allowed to attend his funeral. When this request was denied, they drafted a letter of condolence to the exiled King and collected signatures. Nevertheless, only half of their fellow internees could be convinced to sign the letter.97 Most petitions, though, were much less political. The majority of the petitions was about the horrible living conditions in the camps, especially the lack of food – a problem the authorities would or could not change, even in the “better” internment camps, for example Großau. Thus, Montenegrin officers – which had been transferred from Boldogasszony to Großau – wrote on 1 May

94 Otto to Czernin, 28.1.1917. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 49 g, box 998. 95 Several documents in the file ÖStA KA NFA, box 1702 (MGG/M 1917), Pol. Nr. 991. 96 Kriegsministerium, 10. KgA, 29.1.1917. ÖStA KA NFA, box 1702 (MGG/M 1917), Pol. Nr. 968. 97 Pavlović, Balkan Anschluss, 131, and Karaula, “Crnogorska elita” u logoru Karlstein, 268–271.

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1918: “Without the slightest exaggeration, we can report that our soon and inevitable starvation is approaching.”98 In another petition, 28 interned Albanian notables formally requested to be allowed to buy Montenegrin tobacco, because they – well known as heavy smokers – would suffer heavily from withdrawal.99 Weber fought courageously for the permission to send Montenegrin tobacco – the only agricultural good Montenegro had in abundance – to the camps in Austria-Hungary, especially for the mentioned Albanian internees.100 Weber argued that “for the Balkan people, tobacco is more important than food” and that “this benevolence would be fruitful politically”.101 Thus, the internees could at least smoke while they still starved and died of diseases. The majority of the Montenegrin prisoners of war and internees did not return to their homes before the end of the war. When they arrived in Montenegro, the Kingdom was occupied by the Royal Serbian army and ready to be annexed by the Kingdom of Serbia. King Nicholas would never return from his exile. The most famous Montenegrin internee, Radomir Vešović, an opponent of Montenegro’s unification with Serbia, left the Castle of Pöggstall together with his two daughters and returned via Prague to Montenegro in November 1918.102

In Lieu of a Conclusion: The Significance of the Montenegrin Case The Hague Convention with Respect to the Laws and Customs of War on Land of 1899 – ratified by Austria-Hungary and Montenegro – treated prisoners of war in chapter 2. Reprisal killings and the taking of civilian hostages, in general accepted in 19th century customary international law, were not subject of the Hague Convention of 1899. This matter was implicitly included

  98 Collective note by several Montenegrin officers from Großau to the commission sent by the MGG/M (1.5.1918), see “Bericht über die im April 1918 stattgefundene Besichtigung der Kriegsgefangenen-Lager in Nezsider [etc.]”. ÖStA KA NFA, box 1726, Pol. Nr. 1432/7, Beilage 2.0.  99 Weber to AOK, 7.10.1916. ÖStA KA NFA, box 1695 (MGG/M 1916–18: Finanz- und Zivilgruppe). 100 MGG/M to Kriegsministerium 10. KgA, 1917. ÖStA KA NFA, box 1699 (MGG/M 1917), Pol. Nr. 351. 101 Weber to AOK, 10.6.1917. ÖStA KA NFA, box 1695 (MGG/M 1916–18: Finanz- und Zivilgruppe). 102 On 13 November 1918, Vešović was spotted in Prague (see “Das Czecho-slowakische Preßbureau meldet”, Wiener Zeitung, 14.11.1918).

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in the Hague Convention of 1907, articles 27, 46 and 50.103 This convention, though, had not been ratified by Montenegro and – concerning the situation in the occupied kingdom – regarded as irrelevant by Austro-Hungarian legal experts.104 Explicitly, far-reaching humanitarian protection of civilians during war was not codified before the Fourth Geneva Convention of 1949. Thus, the internments in the MGG/M did not contradict codified international law or Austro-Hungarian law – and were in accordance with customary international law. But the mass internments practiced in Montenegro suffered from the core problem of the MGG/M105: Their aim was not clearly defined and therefore open to arbitrariness. If the internments had aimed on suppressing the insurgency, they failed totally: The more Montenegrins were interned, the more fled the threat of internment by joining the insurgents in the mountains. Not even the internment of Radomir Vešović changed anything; the same applied to the disinternment of Janko Vukotić. Compared to the total figure of prisoners of war in the various Austro-Hungarian camps, up to more than 2 million106, the share of the 15,000 Montenegrins was insignificant. For Montenegro itself, however, the burden of the internments was heavy: The Montenegrin internees and prisoners of war in the various Austro-Hungarian camps and confinement stations during the First World War equalled almost 4 per cent of Montenegro’s total population. And without any doubt, several hundred Montenegrins starved to death and died of diseases and general mistreatment in the Austro-Hungarian camps and stations107; the Austro-Hungarian internments often were arbitrary, sometimes even despotic in enforcement and consequences. But there was supervision – official and semi-official. And decisions were corrected by the decision-makers. Milovan Đilas – the famous Yugoslav Communist politician, theorist, author, and partisan, born in 1911 near the Montenegrin village of Mojkovac – wrote in his autobiographically inspirited novel “Montenegro”: “The […] oc103 See Mary Kay Mattson, Taking and Killing of Hostages. Coercion and Reprisal in International Law, in: Notre Dame Law Review 51 (1978) 1, 131–148, 136–140, and Andrew D. Mitchell, Does One Illegality Merit Another? The Law of Belligerent Reprisals in International Law, in: Military Law Review 170 (2001), 155–177, 161 f. 104 Perels, Montenegro und Albanien unter österreichisch-ungarischer Verwaltung, 466. 105 See note 21. 106 Cf. the chapter on numbers of POWs in Austria-Hungary in this volume. 107 In Nagymegyer, the camp with the most Montenegrins and presumably the worst living conditions, died at least 464 (or around 20 per cent) of the interned Montenegrins. See Risto Kovijanić, Crnogorski sahranjeni u Mađmeđeru [sic], 1916–18 godine, in: Istorijski Zapisi 14 (1958) 1 f., 380–392.

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cupation itself was an evil […] Austria was unable to avoid the mistake made by all conquerors: it demanded and took to itself more than even the most pacifically disposed parts of the population could hand it.”108 In the end, Đilas oversimplified, but was correct: The occupation was unbearable for Montenegro. But compared to the Bulgarian occupation of Macedonia in the First World War,109 or even the horrors Đilas would experience during the Italian and German occupation of Montenegro during the Second World War110, the MGG/M was not a “Land without Justice”111. However, both the legal situation and the civil and military organisational structures in the Austro-Hungarian military general governorate in Montenegro and in the Habsburg Empire at large left much freedom for all decision-makers on all levels. Individuals used these opportunities – for better and for worse.

108 Milovan Đilas, Montenegro, London 1962, 107. 109 See Björn Opfer, Im Schatten des Krieges. Besatzung oder Anschluss – Befreiung oder Unterdrückung? Eine komparative Untersuchung über die bulgarische Herrschaft in Vardar-Makedonien 1915–1918 und 1941–1944, Münster 2005. 110 See, for example, Jozo Tomasevich, Occupation and Collaboration, Stanford 2001, and Klaus Schmider, Partisanenkrieg in Jugoslawien 1941–1944, Hamburg 2002. 111 Milovan Đilas, Land without Justice, New York 1958.

KONTEXT UND VERGLEICHSEBENEN: ­GEWALTGESCHICHTE UND ZIVILGEFANGENE

Oswald Überegger

Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg als ­interdisziplinäre Gewaltgeschichte Entwicklungslinien und Desiderata

Die Gewaltgeschichte des Ersten Weltkrieges stand vor allem in ihrer engeren thematischen Verortung als Geschichte der Kriegsverbrechen bzw. Kriegsgräuel über lange Zeit hinweg nicht im Zentrum des allgemeinen und geschichtswissenschaftlichen Interesses.1 Militärische Normübertretungen und ihre Folgen wurden und werden im wissenschaftlichen Diskurs und in der öffentlichen Diskussion bevorzugt mit den Kriegen und Krisenherden assoziiert, die der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ folgten.2 Insofern können der in den letzten Jahren in den Mittelpunkt der medialen und politischen Aufmerksamkeit gerückte Genozid an den Armeniern im Ersten Weltkrieg3 1

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Vgl. zur Frage der Entwicklung der Gewaltgeschichte des Ersten Weltkrieges vor allem: Benjamin Ziemann, Gewalt im Ersten Weltkrieg. Töten, Überleben, Verweigern, Essen 2013; zu den Kriegsverbrechen vgl. im Überblick: John Horne, Atrocities and war crimes, in: Jay Winter (Hg.), The Cambridge History of the First World War. Global War, volume 1, New York 2014, 561–584; Christin Pschichholz (Hg.), The First World War as a Caesura? Demographic Concepts, Population Policy, and Genocide in the Late Ottoman, Russian, and Habsburg Spheres, Berlin 2020. Siehe auch: Christoph Nübel, Neuvermessungen der Gewaltgeschichte. Über den „langen Ersten Weltkrieg“ (1900– 1930), in: Mittelweg 36/24 (2015), 225–248; vgl. für andere auch die ältere Arbeit: Benoit Majerus, Kriegserfahrung als Gewalterfahrung. Perspektiven der neuesten internationalen Forschung zum Ersten Weltkrieg, in: Christian Jansen (Hg.), Der Bürger als Soldat. Die Militarisierung europäischer Gesellschaften im langen 19. Jahrhundert. Ein internationaler Vergleich, Essen 2004, 271–297. Vgl. allgemein zur historiographischen Bearbeitung des Forschungsgegenstandes aus einer breiteren historischen Perspektive die Anmerkungen von Daniel Hohrath und Sönke Neitzel, Entfesselter Kampf oder gezähmte Kriegsführung? Gedanken zur regelwidrigen Gewalt im Krieg, in: Dies. (Hg.), Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Paderborn/München/Wien/Zürich 2008, 9–37. Neuere Publikationen, die sich mit dem Themenkreis der Kriegsgräuel bzw. -verbrechen im 20. Jahrhundert beschäftigen, schenken der Situation im Ersten Weltkrieg vielfach nur marginale Aufmerksamkeit. Um nur ein Beispiel anzuführen: Timm C. Richter/Klaus Jochen Arnold (Hg.), Krieg und Verbrechen. Situation und Intention: Fallbeispiele, München 2006. Es gibt mittlerweile eine breite wissenschaftliche Literatur über den Genozid an den Armeniern. Vgl. stellvertretend für viele andere Studien: Ronald Grigor Suny, “They

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sowie die wieder aufgeflammten Debatten rund um die Kriegsverbrechen des deutschen Heeres in Belgien und Nordfrankreich 1914 nicht als repräsentativ für die Beschäftigung mit der Gesamtthematik gelten, der sich bisher realiter ein kleiner Kreis spezialisierter Historiker annahm. Die im Dezember 2011 durch die französische Nationalversammlung erfolgte Verabschiedung eines Gesetzes, das die Leugnung des Genozids an den Armeniern unter Strafe stellte, hatte den im öffentlichen historischen Diskurs marginalisierten Kriegsverbrechen des Ersten Weltkrieges eine ungewohnte Medienpräsenz verschafft.4 Schon im Jahr 2006 war es in Frankreich zu einer ähnlichen Initiative gekommen, die allerdings im französischen Senat keine Mehrheit gefunden hatte.5 Zur selben Zeit war der Völkermord an den Armeniern im Rahmen der Verleihung des LiteraturNobel­preises an den regierungskritischen türkischen Schriftsteller Orhan ­Pamuk in den Mittelpunkt der medialen Berichterstattung gerückt. Aufgrund seiner Äußerungen über den Genozid an den Armeniern war gegen Pamuk im Dezember 2005 in der Türkei ein gerichtliches Verfahren wegen „Beleidigung des Türkentums“ eröffnet worden.6 Im Juni 2016 hat nun auch der Deutsche Bundestag im Rahmen der Resolution „Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten in den Jahren 1915 und 1916“ die Geschehnisse als Völkermord qualifiziert.7 Wie in Frankreich im Jahr 2011 und als Konsequenz ähnlicher politischer Initiativen etwa des schwedischen Reichstages (2010) und des öster­reichischen Nationalrates (2015) reagierte die Türkei auf diplomatischem Wege mit dem Abzug der jeweiligen Botschafter. Zuletzt hatte im

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can live in the desert but nowhere else”. A History of the Armenian Genocide, Princeton 2015; Akçam Taner, The Young Turks’ Crime against Humanity. The Armenian Genocide and Ethnic Cleansing in the Ottoman Empire, Princeton 2012; Hans-Lukas Kieser/ Dominik J. Schaller (Hg.), Der Völkermord an den Armeniern und die Shoah, Zürich 2002. Vgl. dazu: Massaker an Armeniern. Streit zwischen Frankreich und Türkei vor Eskalation, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/massaker-an-armeniern-streit-zwischen-frankreich-und-tuerkei-vor-eskalation-11621173.html (abgerufen am 3.7.2021). Vgl. dazu: Völkermord an Armeniern. Französische Nationalversammlung nimmt Genozid-Gesetz an, in: http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/voelkermord-­anarmeniern-franzoesische-nationalversammlung-nimmt-genozid-gesetz-­an-1383693. html (abgerufen am 3.7.2021). Vgl. Pamuk erhält Nobelpreis. Der türkische Schriftsteller wird für sein literarisches Werk ausgezeichnet, in: Zeit online, https://www.zeit.de/online/2006/42/nobelpreis-literatur-pamuk (abgerufen am 3.7.2021). Volltext unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/086/1808613.pdf (abgerufen am 3.7.2021).

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­ pril 2021 mit Joe Biden erstmals auch ein amerikanischer Präsident deziA diert von einem Völkermord gesprochen.8 Neben dem Genozid an den Armeniern standen in den letzten Jahren vor allem die von Angehörigen des deutschen Heeres begangenen Kriegsverbrechen in Belgien und Nordfrankreich zu Kriegsbeginn im öffentlichen Rampenlicht. Über die sogenannten German Atrocities ist zuletzt rund um die 2017 erschienene Publikation des Kunsthistorikers Ulrich Keller9 eine neue Kon­ troverse entbrannt, die auch eine mediale Polemik nach sich zog.10

Herangehensweisen und Aufarbeitungsszenarien Die bereits erwähnte Konzentration auf einzelne Phänomene und Territorien beschreibt allerdings bereits eines von mehreren wesentlichen Defiziten der bisherigen Forschung zur Gewaltgeschichte des Ersten Weltkrieges. Zum besseren Verständnis historiographischer Trends und aktueller Debatten soll im Folgenden überblicksartig auf die grundlegenden historiographiegeschichtlichen Entwicklungen aus einer interdisziplinären Perspektive eingegangen werden.11 Die schon während des Krieges erfolgte Instrumentalisierung der vielfach propagandistisch überzeichneten gegnerischen Kriegsgräuel erleichterte nach 1918 die kategorische Zurückweisung entsprechender Anschuldigungen als Propaganda-Konstrukte legendenartigen Gehaltes.12 Auch die rechtliche Ver  8 Vgl. https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-04/us-praesident-joe-biden-arme nien-­voelkermord-osmanisches-reich-tuerkei (abgerufen am 12.7.2021).   9 Ulrich Keller, Schuldfragen. Belgischer Untergrundkrieg und deutsche Vergeltung im August 1914, Paderborn 2017. Vgl. zur Debatte jetzt auch: Christoph Brüll/Geneviève Warland, Débats récents sur l’invasion allemande en Belgique en 1914, in: Journal of Belgian History 1 (2020), 112–124. 10 Vgl. dazu den Beitrag von Alan Kramer und John Horne, Wer schießt hier aus dem Hinterhalt?, in: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/massaker-in-belgien-im-ers ten-­weltkrieg-15472194.html (2.6.2021), und die Replik von Ulrich Keller, Gespenster schießen nicht mit Schrotflinten, in: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/ erster-weltkrieg-gespenster-schiessen-nicht-mit-schrotflinten-15533970.html (abgerufen am 2.5.2021). 11 Die folgenden Ausführungen orientieren sich an meinem älteren Aufsatz: Oswald Überegger, „Verbrannte Erde“ und „baumelnde Gehenkte“. Zur europäischen Dimension militärischer Normübertretungen im Ersten Weltkrieg, in: Daniel Hohrath/Sönke Neitzel (Hg.), Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Paderborn 2008, 241–278. 12 Vgl. dazu auch Alan Kramer, „Greueltaten“. Zum Problem der deutschen Kriegsverbrechen in Belgien und Frankreich 1914, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hg.), „Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch …“ Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs, Frankfurt am Main 1996, 104–139, 104 f.

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folgung von Kriegsverbrechen scheiterte im Wesentlichen, sodass nach dem Krieg rasch ein (vorläufiger) Schlussstrich unter die Thematik gezogen wurde.13 Weder auf juristischer noch auf historiographisch-wissenschaftlicher Ebene waren also die Voraussetzungen für eine ernsthafte Beschäftigung mit dem Thema vorhanden, dem allerdings in der politischen Agitation der Zwischenkriegszeit eine ideologisch jeweils unterschiedlich konnotierte Kampfparolen-Funktion zukam. Innerhalb der primär militär- und politikgeschichtlich ausgerichteten nationalen Meistererzählungen reduzierte sich die Beschäftigung mit kriegerischer Gewalt auf die in Zahlenspielen betriebene Opfer-Quantifizierung und die traditionelle Schlachtengeschichte als militärische Operationsgeschichte, während das Töten als Handlung sowie das Phänomen exzessiver Gewalt tabuisiert wurden. Trotz der paradigmatischen Erneuerung und Modernisierung der Weltkriegshistoriographie in den Jahrzehnten nach 1945 dauerte die Ausblendung von militärischen Normübertretungen als völkerrechtswidrige Gewalt fort. Weder in der das Subjekt Soldat weitgehend ignorierenden Sozialgeschichte der 1970er Jahre noch in den nachfolgenden alltagsgeschichtlich ausgerichteten Studien kam der aktiven soldatischen Gewalt im Krieg eine über Allgemeinplätze hinausgehende Bedeutung zu.14 Der auch im retrospektiven gesellschaftlichen Diskurs zu beobachtenden weitgehenden Tabuisierung des aktiven Tötens entsprach in der historischen Forschung die dominierende Verortung des Soldaten in einem „passivierenden Deutungssystem“15, das ihn primär als subalternes Opfer eines repressiven militärischen Establish­

13 Vgl. Daniel Marc Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? Die Ahndung von Kriegsverbrechen in der internationalen wissenschaftlichen Debatte 1872–1945 (Krieg in der Geschichte 38), Paderborn/München/Wien/Zürich 2010; Heiko Bruendel, Kriegsgreuel 1914–18. Rezeption und Aufarbeitung deutscher Kriegsverbrechen im Spannungsfeld von Völkerrecht und Kriegspropaganda, in: Sönke Neitzel/Daniel Hohrath (Hg.), Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Paderborn/München/Wien/Zürich 2008, 293– 316; Gerd Hankel, Deutsche Kriegsverbrechen des Weltkrieges 1914–18 vor deutschen Gerichten, in: Wolfram Wette/Gerd R. Ueberschär (Hg.), Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, Darmstadt 2001, 85–98; Harald Wiggenhorn, Verliererjustiz. Die Leipziger Kriegsverbrecherprozesse nach dem Ersten Weltkrieg, Baden-Baden 2005; für Österreich vgl. Hannes Leidinger, Kriegsgräuel im Rückblick. Österreichische Diskussionen im internationalen Kontext während der Zwischenkriegszeit, in: Zeitgeschichte 45/1 (2018), 13–34. 14 Vgl. dazu Thomas Kühne, Massen-Töten. Diskurse und Praktiken der kriegerischen und genozidalen Gewalt im 20. Jahrhundert, in: Peter Gleichmann/Thomas Kühne (Hg.), Massenhaftes Töten. Kriege und Genozide im 20. Jahrhundert, Essen 2004, 11–52, bes. 11–16. 15 Kühne, Massen-Töten, 14.

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ments wahrnahm. Innerhalb dieser Deutungskoordinaten gewann der Subjekt-Status des einfachen Soldaten fast ausschließlich im Zusammenhang mit militärischen Verweigerungshaltungen an wissenschaftlicher Relevanz.16 Damit fügen sich die gewalthistorischen Forschungen zur Geschichte des Ersten Weltkrieges primär in das struktur- und militärgeschichtlich dominierte Paradigma der allgemeinen historischen Gewaltforschung ein. Letztere hatte sich in der Zeit nach 1945 vor allem als Geschichte der Entwicklung des staatlichen Gewaltmonopols und der gesellschaftlichen Protestbewegungen etabliert. Die Konstitution und Entwicklung des modernen Verwaltungs-, Polizei- bzw. Militärstaates, die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols nach innen und nach außen sowie die Formen, Motivatio­ nen und soziokulturellen Rahmenbedingungen sozialer Protestbewegungen standen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses.17 Im Kontext einer vornehmlich auf strukturgeschichtliche Fragen konzentrierten und kaum je auf die Gewalt (als soziales Handeln) sui generis fokussierten Perspektive orientierte sich der Mainstream der historischen Gewaltforschung nicht von ungefähr an dem von Johan Galtung eingeführten sozialwissenschaftlichen Theorem der „strukturellen Gewalt“. Letzteres überdehnte seinen Kritikern zufolge den Gewaltbegriff und führte letztlich dazu, dass er an Kontur und Schärfe verlor.18 Ein in ähnlicher Weise extensiver Gewalt-Begriff hat sich – wenn auch im Rahmen anderer thematischer Fokussierungen und Fragestellungen – in der neueren kulturwissenschaftlichen Gewaltdebatte etabliert.19 Derlei weitläufige Interpretationen von Gewalt haben schließlich kaum mehr etwas mit der klassischen Popitz’schen Definition gemein, die Gewalt als „Machtaktion“ begriff, „die zur absichtlichen körperlichen Verletzung anderer führt […]“.20

16 Ebd., 13 f. 17 Vgl. dazu den Überblick von Friedrich Jaeger, Der Mensch und die Gewalt. Perspektiven der historischen Forschung, in: Friedrich Jäger/Jürgen Straub (Hg.), Was ist der Mensch, was Geschichte? Annäherungen an eine kulturwissenschaftliche Anthropologie, Bielefeld 2005, 301–324, 305–311, bzw. den älteren Überblick von Dirk Schumann, Gewalt als Grenzüberschreitung. Überlegungen zur Sozialgeschichte der Gewalt im 19. und 20. Jahrhundert, in: Archiv für Sozialgeschichte 37 (1997), 366–386, 368–371. 18 Vgl. dazu bspw. Trutz von Trotha, Zur Soziologie der Gewalt, in: Ders. (Hg.), Soziologie der Gewalt (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie; Sonderhefte 37), Opladen 1997, 9–56, 13–14. 19 Vgl. dazu die Kritik von Valentin Groebner, Schock, Abscheu, schickes Thema. Die Kulturwissenschaften und die Gewalt, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 1/3 (2007), 70–83. Der Gewalt-Begriff in den Kulturwissenschaften sei laut Groebner, „so breit, daß er fast unbegrenzt dehnbar erscheint“ (71). 20 Heinrich Popitz, Phänomene der Macht, Tübingen 1986, 48.

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Aber nicht nur in den Geschichts- und Geistes-, sondern auch in den Sozial­ wissenschaften war die konkrete Gewalt als soziales Handeln über lange Zeit hinweg kaum ein bedeutenderes Thema. Die innerhalb der soziologi­ schen Teildisziplinen eher randständige Gewaltsoziologie beschäftigte sich vornehmlich mit den strukturellen Faktoren der Ursachen von Gewalt. Diese Präferenz für eine gleichsam ätiologische Perspektive auf das Phänomen der Gewalt ging ebenfalls mit einer Vernachlässigung der Thematisierung von Gewalthandlungen als soziale Praxis einher. Nicht die Gewalttat an sich stand im Mittelpunkt gewaltsoziologischer Forschung, sondern die in sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Verhältnissen verorteten Ursachen der Gewalt. Der soziologische Blick richtete sich demnach vornehmlich auf das Kollektiv der Täter, dessen über statistische Parameter und quantifizierende Zugänge erarbeitetes sozioökonomisches Gruppenprofil in Bezug zu Protest- und Gewaltphänomenen gesetzt wurde. In ihrer Struktur-Fokussierung implizierte die traditionelle Gewaltsoziologie letztlich auch eine Art Entsubjektivierung der Täter, deren Impetus und Motivlagen vielfach stereotyp als Konsequenz sozialstruktureller Determinanten verortet wurden. Forschungspraktisch lag der Gewaltursachenforschung die zivilisations- bzw. modernisierungstheoretisch begründete optimistische Ausgangshypothese zugrunde, dass der Gewalt prinzipiell mit entsprechenden Maßnahmen beizukommen sei. Primär als Auftragsforschung betrieben, begriff sie ihre Erkenntnisse als mögliches praktisches Korrektiv und als eine Art Handreichung zur potentiellen Gewaltvermeidung für konkrete (politische) Entscheidungsträger.21 In Opposition zur konventionellen Ursachensoziologie entwickelte sich innerhalb der Gewaltsoziologie Anfang der 1990er Jahre eine neue Forschungsrichtung, deren Vertreter gerade die skizzierte methodische Verabsolutierung quantitativer Verfahren, die evidente Täter-Konzentration und insbesondere die Fokussierung der traditionellen Soziologie der Gewalt auf ihre vermeintlichen Ursachen kritisierten.22 Das „Begreifen der Gewalt“, so 21 Vgl. zur traditionellen Gewaltsoziologie stellvertretend für andere Beiträge die Anmerkungen von Birgitta Nedelmann, Gewaltsoziologie am Scheideweg. Die Auseinandersetzungen in der gegenwärtigen und Wege der künftigen Gewaltforschung, in: Trutz von Trotha (Hg.), Soziologie der Gewalt (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie; Sonderhefte 37), Opladen 1997, 59–85; Peter Imbusch, Gewalt. Stochern in unübersichtlichem Gelände, in: Mittelweg 36/2 (2000), 24–40; Thorsten Bonacker, Zuschreibungen der Gewalt. Zur Sinnförmigkeit interaktiver, organisierter und gesellschaftlicher Gewalt, in: Soziale Welt 53/1 (2002), 31–48. 22 Trotha, Zur Soziologie der Gewalt, 16–20. Richtungsweisend für die neue Gewaltsoziologie wurde vor allem die Arbeit von Wolfgang Sofsky, Traktat über die Gewalt, Frankfurt am Main 1996. Vgl. zu den Debatten auch den grundlegenden Beitrag von

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die Hauptkritik, sei „nicht in irgendwelchen ‚Ursachen‘ jenseits der Gewalt selbst zu finden“.23 Eindrücklich plädierte die neue Gewaltsoziologie für eine Verschiebung der Perspektive von den Ursachen auf die Gewalthandlung als soziale Praxis und ihre körperliche Dimension sowie schließlich auf den konkreten Akt des Tötens als „Definitivum aller Gewalt“.24 Der Blick auf den Gewaltakt und die involvierten Akteure implizierte die Verlagerung der Perspektive auf das Gewaltopfer bzw. die Interaktion von Tätern, Opfern und Zuschauern im Prozess gewalttätigen Handelns. Letzterer vollzog sich, glaubte man, bis zu einem gewissen Grad eigendynamisch, verselbstständigt, mit letztlich entgrenzender Tendenz. Vielfach handle es sich um eine Art – so Jan Philipp Reemtsma – „autotelische Gewalt“25, also eine Gewalt, die im Grunde als sinnlos bzw. sinnentleert zu bezeichnen sei.26 Der neue Blick auf die Gewalt stützte sich weniger auf das vornehmlich sozialstatistische Datenmaterial, das für die Interpretationen der Gewaltursachenforscher von entscheidender Bedeutung war, sondern orientierte sich an den qualitativen Verfahren der „dichten Beschreibung“ (Clifford Geertz) von Gewalthandlungen.27 Allerdings bot gerade der quasi-voyeuristische Blick auf Gewaltphänomene, der sich im Rahmen der minutiösen, teilweise auch emphatischen Narration gewaltsamer Exzesse vielfach etablierte, rasch auch Anlass zu Kritik an der „neuen“ Gewaltsoziologie. Letztere laufe Gefahr, den Prozess der Gewaltausübung insgesamt zu ästhetisieren und „in der Faszination vor der schaudernden Gewalt zu versinken“.28 Darüber hinaus traten die Kritiker der

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Benjamin Ziemann, ‚Vergesellschaftung der Gewalt‘ als Thema der Kriegsgeschichte seit 1914. Perspektiven und Desiderate eines Konzeptes, in: Bruno Thoß/Hans-Erich Volkmann (Hg.), Erster Weltkrieg/Zweiter Weltkrieg. Ein Vergleich. Krieg, Kriegserlebnis, Kriegserfahrung in Deutschland, Paderborn/München/Wien/Zürich 2002, 735–758. Trotha, Zur Soziologie der Gewalt, 20. Popitz, Phänomene der Macht, 56. Vgl. zum Begriff die Anmerkungen von Jan Philipp Reemtsma, Vertrauen und Gewalt. Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne, Hamburg 2008, 116–124. Vgl. Nedelmann, Gewaltsoziologie am Scheideweg, 64; Imbusch, Gewalt, 28; einen differenzierteren Blick auf Sinn bzw. Nicht-Sinn exzessiver Gewalt bietet auch Michel Wieviorka, Die Gewalt, Hamburg 2006, 156–164. Vgl. dazu ausführlicher Trotha, Zur Soziologie der Gewalt, 20–25. So Kühne, Massen-Töten, 24. Vgl. dazu auch Joachim Renn/Jürgen Straub, Gewalt in modernen Gesellschaften. Stichworte zu Entwicklungen und aktuellen Debatten in der sozialwissenschaftlichen Forschung, in: Handlung, Kultur, Interpretation 11/2 (2002), 199–224, 209–212. „So laufen manche der mittlerweile vorliegenden Beschreibungen nicht zuletzt Gefahr“, schreiben Joachim Renn und Jürgen Straub, „die Grenze zwischen wissenschaftlicher Darstellung und einer in mehrfacher Hinsicht problematischen Ästhetisierung der Phänomene zu verwischen.“ (S. 209); vgl. auch Nedelmann, Gewaltsoziologie am Scheideweg, 70.

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im neuen gewaltsoziologischen Diskurs omnipräsenten Behauptung entgegen, dass Gewalt im Prinzip sinnlos sei. Der Verweis auf die Sinnlosigkeit von Gewalt verschleiere realiter den Blick auf die diesbezüglichen vielschichtigen Sinnkonstitutionsmechanismen bzw. Sinnveränderungsprozesse und trage zu einer Art „Essentialisierung und Mythologisierung von Gewalt“29 bei. Die „dynamische Energie entfesselter Gewalt“ könne „erst dann erklärt werden, wenn gezeigt werden kann, wie sich Täter von ihren ursprünglichen Motiven und Rechtfertigungen lösen, sich anderen zuwenden und dann auch diese aufgeben, um schließlich in der Anwendung von Gewalt selbst den einzigen Sinn zu sehen.“30 Die sich im Zuge der wissenschaftlichen Debatte verhärtende methodische Entweder-oder-Frontstellung zwischen „alter“ und „neuer“ Gewaltsoziologie ist in der Folge von verschiedenen Seiten mit dem Plädoyer für einen Methodenpluralismus konfrontiert worden, der auch für die Gewaltgeschichte des Ersten Weltkrieges vielversprechend wäre. Als interdisziplinäres Unterfangen sollten sich künftige gewalthistorische Studien „weder durch die Art der mit dem Gewaltphänomen verbundenen Problemstellung noch durch die Art seiner methodischen Behandlung dogmatisch verengen, sondern umgekehrt öffnen“.31 Eine interdisziplinäre Ausrichtung der Kriegsgräuelforschung des Ersten Weltkrieges ist bis heute allerdings nicht wirklich zu erkennen.

Zäsuren und Defizite Die Tatsache, dass inhaltliche Tabuisierung und methodisch-thematische Engführung auch in der geschichtswissenschaftlichen Gewaltforschung des 29 Renn/Straub, Gewalt in modernen Gesellschaften, 212. „Die Eigendynamik der Gewalt wird nur noch behauptet, nicht mehr nachgewiesen oder gar – und darauf käme es an – von Fall zu Fall, von Situation zu Situation, von Gesellschaft zu Gesellschaft relativiert“, kritisiert Thomas Kühne, um hinzuzufügen: „Solche Gewaltsoziologie beginnt und endet im Nirgendwo. Wo Gewalt entsteht (und wo sie vermieden wird) ist nicht mehr der Frage wert. Ihr Endpunkt im unergründbaren Leid der Opfer erlaubt keine Nachfrage mehr.“ Kühne, Massen-Töten, 24. 30 Nedelmann, Gewaltsoziologie am Scheideweg, 78. 31 Ebd., 81. Peter Imbusch schreibt zu Recht, dass sich insgesamt „unterschiedliche Herangehensweisen für unterschiedliche Gewaltphänomene zu eignen“ scheinen, und dass man eher „einem Methodenpluralismus das Wort“ reden müsse, „als der Präjudizierung einer bestimmten, für alle (?) Gewaltformen verbindlichen Methode“. Imbusch, Gewalt, 31. Auch für Joachim Renn und Jürgen Straub erscheint die „Reproduktion von Debatten, in der die quantitative und qualitative Forschung in das starre Verhältnis eines dogmatischen Entweder-Oder-Verhältnisses gezwängt werden, […] unnötig, ja kontraproduktiv“. Renn/Straub, Gewalt in modernen Gesellschaften, 209.

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Krieges seit den 1990er Jahren sukzessive aufgebrochen wurden, verdankt sich neben den Impulsen der neuen Gewaltsoziologie für die historische Forschung32 einem ganzen Ursachenbündel: der zunehmenden Distanz zum Ersten Weltkrieg als historisches Ereignis und der kritischen Reflexion tradierter Deutungskonventionen; der primär allerdings auf den Zweiten Weltkrieg fokussierten verstärkten Thematisierung militärischer Normübertretungen, etwa durch neue Forschungserkenntnisse zur Kriegsgewalt,33 durch die Wehrmachtsausstellung des Hamburger Institutes für Sozialforschung34 sowie infolge der Goldhagen-Debatte.35 Schließlich sorgten auch die kaum für möglich gehaltene Rückkehr des Krieges nach Europa am Balkan und die in der Folge stattgehabten Kriegsverbrechen für tagespolitische und gegenwartsbezogene Anknüpfungspunkte und Bezugnahmen auf die zeithistorischen europäischen Gewalträume der beiden Weltkriege.36 Die wohl auch generationsbedingte Durchbrechung der Tabuisierung militärischer Normübertretungen einerseits und die Thematisierung der Kriegsgräuel im Rahmen des öffentlichen Interesses für die „neuen“ Kriege um die Jahrtausendwende haben schließlich auch das Interesse für die Gewaltgeschichte der „alten“ Kriege des 20. Jahrhunderts verstärkt, wiewohl sich der Forschungsfokus von Beginn an vor allem auf den Zweiten Weltkrieg und die

32 Vgl. als Beispiel eines von einem Historiker und einem Soziologen herausgegebenen interdisziplinären Bandes, der auch auf die Rezeption neuer gewaltsoziologischer bzw. sozialpsychologischer Forschungserkenntnisse bedacht ist, insbesondere die Publikation von Peter Gleichmann und Thomas Kühne (Hg.), Massenhaftes Töten. 33 Vor allem die Arbeit von Christopher R. Browning, Ganz normale Männer. Das Re­ serve-­Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen, Hamburg 1993. 34 Vgl. dazu die Anmerkungen von Hans-Ulrich Thamer, Vom Wehrmachtsmythos zur Wehrmachtsausstellung, in: Harald Schmid/Justyna Krzymianowska (Hg.), Politische Erinnerung. Geschichte und kollektive Identität, Würzburg 2007, 123–131; Ders., Vom Tabubruch zur Historisierung? Die Auseinandersetzung um die „Wehrmachtsausstellung“, in: Martin Sabrow (Hg.), Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen nach 1945, München 2003, 171–185. 35 Vgl. zur Goldhagen-Debatte: Hans Mommsen, Die Goldhagen-Debatte. Zeithistoriker im öffentlichen Konflikt, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 54/12 (2006), 1063– 1067; ferner den Beitrag von Norbert Frei, Goldhagen, die Deutschen und die Historiker. Über die Repräsentation des Holocaust im Zeitalter der Visualisierung, in: Martin Sabrow/Klaus Große Kracht/Ralph Jessen (Hg.), Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen nach 1945, München 2003, 138–151, und die Beiträge in: Johannes Heil/Rainer Erb (Hg.), Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit. Der Streit um Daniel J. Goldhagen, Frankfurt am Main 1998. 36 Vgl. Kühne, Massen-Töten, 14–16, und den Beitrag von Wolfgang Höpken, Gewalt auf dem Balkan. Erklärungsversuche zwischen „Struktur“ und „Kultur“, in: Wolfgang Höpken/Michael Riekenberg (Hg.), Politische und ethnische Gewalt in Südosteuropa und Lateinamerika, Köln/Weimar/Wien 2001, 53–95.

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Zeit nach 1945 richtete.37 Die seit Mitte der 1990er Jahre davon unabhängig an Profil gewinnende, sehr stark mit den spezifischen Forschungsinteressen einzelner Historiker zusammenhängende Thematisierung der Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg „profitierte“ von den neu entstandenen Konflikt­lagen und Krisenherden. Insgesamt verdichteten sich die Studien zum Thema, deren Gesamtumfang allerdings überschaubar blieb.38 Die Kriegsgräuel-Historiographie der letzten zwei Jahrzehnte weist allerdings aus heutiger Sicht mehrere Defizite auf. Letztere umreißen gleichzeitig auch eine Reihe von Desiderata, die in die Richtung einer integrativen und interdisziplinären Gewaltgeschichte des Ersten Weltkrieges weisen, der bisher forschungspraktisch noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Mit Blick auf die Defizite der bisherigen Forschung gilt es zunächst, erstens, auf die bereits eingangs erwähnte selektive Konzentration auf einzelne Territorien zu verweisen – etwa auf den Sonderfall des Völkermordes an den Armeniern und die vor allem von John Horne und Alan Kramer in pionierhafter und verdienstvoller Art und Weise vorangetriebene Erforschung der deutschen Kriegsgräuel in Belgien und Nordfrankreich 1914.39 Diese thematischen Präferenzen sind im Kontext einer in der Weltkriegsforschung lange vorherrschenden Fokussierung der Westfront zu sehen, deren „Material37 Vgl. dazu auch den Forschungsüberblick von Christian Ingrao, La violence de guerre. Approche comparée des deux conflits mondiaux, Essai de bibliographie introductive, Bulletin de l’IHTP 73 (1999). 38 Vgl. dazu auch die Literaturhinweise in der nächsten Fußnote. 39 John Horne und Alan Kramer beschäftigen sich seit den frühen 1990er Jahren mit den deutschen Kriegsgräueln in Belgien und Frankreich und haben darüber zahlreiche Beiträge veröffentlicht. 1993 erschien Alan Kramers Beitrag über „Greueltaten“, im Jahr 1994 folgte „Les Atrocités allemandes“. Mythologie populaire, propagande et manipulations dans l’armée allemande, in: Jean-Jacques Becker u. a. (Hg.), Guerre et cultures. 1914–1918, Paris 1994, 147–164. In demselben französischen Sammelband hat John Horne seinen Beitrag „Les Mains coupées. ‚Atrocités allemandes‘ et opinion francaise en 1914“ veröffentlicht (S. 133–146). Seither haben die beiden irischen Historiker weitere Studien über die deutschen Kriegsgräuel 1914 und ihre Verarbeitung und Aufarbeitung nach 1918 vorgelegt. Im Jahr 2001 ist zum selben Thema eine Monographie in englischer Sprache erschienen: John Horne/Alan Kramer, German Atrocities, 1914. A History of Denial, New Haven 2001. Die deutsche Übersetzung wurde im Jahr 2004 veröffentlicht: John Horne/Alan Kramer, Deutsche Kriegsgreuel. Die umstrittene Wahrheit, Hamburg 2004, Neuauflage 2018. Die bereits 2004 erschienene Studie von Isabel Hull konzentriert sich vornehmlich auf den Genozid an den Armeniern und die deutschen Gräuel 1914 an der Westfront: Isabel Hull, Absolute Destruction. Military Culture and the Practices of War in Imperial Germany, Ithaca/NY 2005. In seiner 2008 erschienenen, vorerst letzten Monographie zum Thema behandelt Alan Kramer nicht nur die deutschen Gräuel 1914, sondern die Kriegsgräuel im Ersten Weltkrieg insgesamt: Alan Kramer, Dynamic of Destruction. Culture and Mass Killing in the First World War, Oxford/New York 2007.

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schlachten“ die neue Dimension der Kriegsführung im Rahmen des modernen, industrialisierten Massenkrieges idealtypisch zu verkörpern schien. 40 In der gewalthistorisch ausgerichteten Weltkriegsforschung standen die Kämpfe im Westen paradigmatisch für jenen Typus neuer exzessiver Kriegsgewalt, die die German Atrocities von 1914 in erster Linie zu repräsentieren schienen. Eine ähnlich intensive und umfassende Aufarbeitung der in anderen Front- bzw. Besatzungsgebieten verübten Kriegsgräuel steht hingegen bis heute noch weitgehend aus. Als von der Historiographie weitgehend „vergessene Fronten“41 rückten die lange Zeit vernachlässigten anderen Kriegsschauplätze – insbesondere die Ost- und Balkanfront – erst seit der Jahrtausendwende stärker in den Fokus der Forschung. Obwohl im Vorfeld und im Zuge des Centenaires von 2014 auch eine Vielzahl von Studien zu anderen Kriegsschauplätzen publiziert wurde, lassen – von einigen Ausnahmen einmal abgesehen42 – spezifische Arbeiten zum Thema weiterhin auf sich warten. Erst künftige – im wahrsten Sinne des Wortes – Grundlagenforschungen, die sich in „historiografische[r] Kärrnerarbeit“43 auf neues (und altes, neu interpretiertes) Archivmaterial stützen, werden konkretere und verbindlichere Aussagen zur Thematik ermöglichen. In Ergänzung zu dieser territorialen Engführung der Forschung, die aufgrund der starken Konzentration auf einzelne Kriegsschauplätze und Armeen ein gewisses Ungleichgewicht nach sich gezogen hat, liegt ein zweites Defizit in der ebenfalls zu beobachtenden forschungspraktischen Präferenz für einzelne Arten von Kriegsverbrechen. So sind die in kleineren und größeren Massakern erfolgten Tötungen und Hinrichtungen von Zivilpersonen in Belgien/Nordfrankreich, Ostpreußen und Serbien – zu denen auch konkrete, wenn auch vielfach unsichere quantitative Angaben vorliegen – ver-

40 Vgl. dazu Vejas Gabriel Liulevicius, Kriegsland im Osten. Eroberung, Kolonisierung und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg, Hamburg 2002, 14. 41 So der darauf anspielende programmatische Titel eines Sammelbandes: Gerhard P. Groß (Hg.), Die vergessene Front. Der Osten 1914/15. Ereignis, Wirkung, Nachwirkung, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006. Vgl. jetzt die umfassende Studie von Wlodzimierz Borodziej und Maciej Górny, Der vergessene Weltkrieg. Europas Osten 1912–1923, Stuttgart 2018. 42 Vgl. beispielsweise als Zusammenfassung des Forschungsstandes zu den Kriegsverbrechen der Habsburgerarmee im Ersten Weltkrieg: Hannes Leidinger/Verena Moritz/ Karin Moser/Wolfram Dornik, Habsburgs schmutziger Krieg. Ermittlungen zur österreichisch-ungarischen Kriegsführung 1914–1918, St. Pölten 2014. 43 Markus Pöhlmann, Habent sua fata libelli. Zur Auseinandersetzung um das Buch „German Atrocities 1914“, in: Portal Militärgeschichte 2017, http://portal-militaerge schichte.de/http%3A//portal-militaergeschichte.de/poehlmann_habent, 9 (abgerufen am 4.7.2021).

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gleichsweise am besten erforscht. Mit Blick auf andere Arten und Formen von Kriegsverbrechen muss hingegen noch auf große Forschungsdefizite verwiesen werden. Das gilt etwa für die materiellen Zerstörungen im Rahmen der Politik der „verbrannten Erde“, die Plünderungen und Requisitionspolitik sowie den weiten Bereich der Repressalien (z. B. Geiselnahmen, menschliche Schutzschilde) ebenso wie für das Phänomen der Massenvergewaltigungen, die Verwendung verbotener Waffen (etwa Dumdumgeschosse) sowie die Tötung bzw. Misshandlung von Verwundeten und Kriegsgefangenen. Zu all diesen Themen liegen für die Zeit des Ersten Weltkrieges bis dato nur vereinzelte Forschungen vor.44 Ein drittes Defizit liegt ferner in der Tatsache, dass sich die Forschung bisher kaum je spezifisch mit den Gräueln bzw. Verbrechen als selbstständige Untersuchungsgegenstände beschäftigt hat. Kriegsgräuel werden vielfach lediglich im Kontext breiter angelegter militärhistorischer und besatzungsgeschichtlicher Studien thematisiert, die aufgrund anderer Schwerpunktlegungen vielfach dazu tendieren, die konkreten Gewalthandlungen als Imponderabilien der Besatzungsherrschaft zu marginalisieren. Militärische Normübertretungen finden darin meist nur in der Abstraktion quantitativer Angaben, in faktenorientierten Narrationen oder beiläufigen Erwähnungen gewissermaßen en passant Beachtung. Diese Studien bieten letztlich nur einen camouflierenden Blick auf die eigentlichen Verbrechen und sagen kaum etwas über die tieferen Ursachen und Zusammenhänge der Gewalt aus. Obwohl in den letzten Jahren etwa zur Geschichte des Ersten Weltkrieges in Ostund Südosteuropa grundlegende Studien vorgelegt wurden, die die Art und Weise der militärischen Kriegsführung, die Ausübung der Besatzungsherrschaft und die Auswirkungen des Krieges auf die Zivilbevölkerung erhellt haben,45 fehlt es nach wie vor an Arbeiten, die sich im Detail mit den Kriegs-

44 Aus Platzgründen können diese Studien hier nicht aufgelistet werden. Vgl. stellvertretend dazu die Literaturangaben in den Überblicksbeiträgen von Markus Pöhlmann, Über die Kriegsverbrechen von 1914, in: Flavio Eichmann/Markus Pöhlmann/Dierk Walter (Hg.), Globale Machtkonflikte und Kriege, Paderborn u. a. 2016, 125–144; Überegger, „Verbrannte Erde“, und Alan Kramer, Atrocities (Version 1.1), in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, DOI: 10.15463/ie1418.10770/1.1 (abgerufen am 3.7.2021). 45 An dieser Stelle können nur einige wenige, neuere Publikationen angeführt werden: Bernhard Bachinger/Wolfram Dornik (Hg.), Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten: Erfahrung – Wahrnehmung – Kontext, Innsbruck/Wien/Bozen 2013; Jürgen Angelow (Hg.), Der Erste Weltkrieg auf dem Balkan. Perspektiven der Forschung, Berlin 2011; Daniela Schanes, Serbien im Ersten Weltkrieg. Feind- und Kriegsdarstellungen in österreichisch-ungarischen, deutschen und serbischen Selbst-

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gräueln an der Ostfront und am Balkan46 beschäftigen und dem Forschungsgegenstand in theoretisch-methodischer Hinsicht auch auf der Höhe der interdisziplinären Diskussion zur Gewaltgeschichte begegnen. Mit der zuletzt erwähnten fehlenden Orientierung der Arbeiten an den theoretisch-methodischen Standards der interdisziplinären Gewaltforschung ist ein viertes Defizit angesprochen. Das Gros der geschichtswissenschaftlichen Forschungsliteratur sieht von einer tieferen Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen neuerer soziologischer, sozialpsychologischer und kulturwissenschaftlicher Arbeiten zum Phänomen der Gewalt und ihrer Eskalation in Kriegen meist ab und orientiert sich auch kaum an der in theoretisch-methodischer Hinsicht weit fortgeschrittenen Gewaltforschung über den Zweiten Weltkrieg.47 Von der zeugnissen (Neue Forschungen zur ostmittel- und südosteuropäischen Geschichte 3), Frankfurt am Main/Wien u. a. 2011; Lisa Mayerhofer, Zwischen Freund und Feind. Deutsche Besatzung in Rumänien 1916–1918, München 2010; Christoph Mick, Kriegserfahrungen in einer multiethnischen Stadt. Lemberg 1914–1947, Wiesbaden 2010; Annemarie H. Sammartino, The Impossible Border. Germany and the East, 1914–1922, Ithaca 2010; Alexander Victor Prusin, The Lands Between. Conflict in the East European Borderlands 1870–1992 (Zones of violence), Oxford 2010; Jonathan E. Gumz, The Resurrection and Collapse of Empire in Habsburg Serbia, 1914–1918, Cambridge 2009; Vejas G. Liulevicius, The German Myth of the East. 1800 to the Present, Oxford u. a. 2009; Graydon Allen Tunstall, Blood on the Snow. The Carpathian Winter War of 1915 (Modern war studies), Lawrence 2010; Tamara Scheer, Zwischen Front und Heimat. Österreich-Ungarns Militärverwaltungen im Ersten Weltkrieg, Frankfurt am Main 2009; Andrej Mitrovic, Serbia’s Great War 1914–1918, London 2007; Helmut Rübsam, Soldatische Erfahrung des Ersten Weltkriegs am Beispiel der Ostfront, Norderstedt 2007; Mark von Hagen, War in a European Borderland. Occupations and Occupation Plans in Galicia and Ukraine 1914–1918, Seattle u. a. 2007; Michael Neiberg, Fighting the Great War. A Global History, Cambridge/Mass/London 2005; Peter Gatrell, Russia’s First World War. A Social and Economic History, New York 2005; Peter Gatrell, A Whole Empire Walking. Refugees in Russia during World War I, Bloomington 2005; Frank M. Schuster, Zwischen allen Fronten. Osteuropäische Juden während des Ersten Weltkrieges (1914–1919), Köln 2004; Eric Lohr, Nationalizing the Russian Empire. The Campaign Against Enemy Aliens During World War I, Cambridge/Mass. 2003; Joshua A. Sanborn, Drafting the Russian Nation. Military Conscription, Total War and Mass Politics, 1905–1925, DeKalb/Illinois 2003; Peter Holquist, Making War, Forging Revolution. Russia’s Continuum of Crisis 1914–1921, Cambridge/Mass. 2002; Liulevicius, Kriegsland im Osten. 46 Vgl. zum Krieg am Balkan die Problemaufrisse und historiographiegeschichtlichen Überblicke von Jürgen Angelow, Der Erste Weltkrieg auf dem Balkan. Neue Fragestellungen und Erklärungen, in: Arnd Bauerkämper/Elise Julien (Hg.), Durchhalten! Krieg und Gesellschaft im Vergleich 1914–1918, Göttingen 2010, 178–194; und John Paul Newman, War in the Balkans, 1914–1918, in: War in History 18/3 (2011) 3, 386–394. 47 Als Beispiele für eine weitgehend fehlende theoretisch-methodische Grundierung der Forschung seien hier die in den letzten Jahren entstandenen Arbeiten über die Kriegsgräuel der k. (u.) k. Armee in Serbien angeführt: Anton Holzer, Das Lächeln der Henker. Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914–1918, Darmstadt 2008;

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zweifellos wichtigen und für die zitierten vernachlässigten Kriegsschauplätze vielfach erst zu leistenden Sichtbarmachung des Phänomens allein einmal abgesehen, fehlen, wie bereits erwähnt, interdisziplinär ausgerichtete gewaltgeschichtliche Arbeiten. Letztere müssten sich in einem stärker analytischen Zusammenhang mit den Fragen nach der situativen Entstehung von Gewalt, den verschiedenen Formen konkreter Gewalthandlungen als soziale Praxis sowie den täter- wie opferbezogenen Deutungs- und Motivmustern beschäftigen, um der in neueren Forschungen stets betonten Komplexität kriegerischer Gewalthandlungen innerhalb und außerhalb des völkerrechtlich Erlaubten gerecht zu werden.48 Eine moderne, integrative Erforschung der Kriegsgräuel muss deshalb auch und gerade dort beginnen, wo sich das bloß beiläufige narrative oder auch quantitative Erkenntnisinteresse konventioneller Studien üblicherweise erschöpft. In methodischer Hinsicht scheint eine stärker interdisziplinäre Ausrichtung gewalthistorischer Forschung schon allein deshalb unerlässlich, weil mit geschichtswissenschaftlichen Zugängen allein – so wie das bisher in der Regel der Fall war – dem Phänomen der militärischen Normübertretungen analytisch nicht beizukommen ist.49 Fünftens und letztens ist schließlich noch die weitgehend fehlende komparative Perspektivierung der Kriegsgräuel-Forschung zu nennen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist bisher noch kein konsequenter Vergleich der Art und des Umfanges von Kriegsverbrechen an den verschiedenen Fronten unternommen worden. Auch eine vergleichende Analyse der konkreten Gewaltpraxis der Weltkriegsarmeen und ihrer Hintergründe bzw. Zusammenhänge steht im Wesentlichen noch aus. Die 2007 erschienene verdienstvolle Arbeit von Alan Kramer „Dynamic of Destruction. Culture and Mass Killing in the First World War“ hat diesbezüglich Pionierarbeit geleistet und stellt einen ersten Schritt in die richtige Richtung dar.50 Der territorial eingeschränkte, meist nationale Blick hat letztlich vielfach auch zu Fehleinschätzungen und Ders., Augenzeugen. Der Krieg gegen Zivilisten. Fotografien aus dem Ersten Weltkrieg, in: Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie 22-85/86 (2002), 45–74; gänzlich methodisch unzureichend sind die älteren Arbeiten von Hans Hautmann. Vgl. beispielsweise: Hans Hautmann, Die österreichisch-ungarische Armee auf dem Balkan, in: Franz W. Seidler/Alfred M. de Zayas (Hg.), Kriegsverbrechen in Europa und im Nahen Osten im 20. Jahrhundert, Hamburg/Berlin/Bonn 2002, 36–41; Hans Hautmann, Der erste Weltkrieg und unsere Zeit, in: http://www.klahrgesell schaft.at/Mitteilungen/Hautmann_3_04.html (abgerufen am 3.6.2021). 48 Vgl. dazu ausführlicher Überegger, „Verbrannte Erde“. 49 Vgl. als Plädoyer dafür auch Benjamin Ziemann, Der Erste Weltkrieg als ein Laboratorium der Gewalt, in: Ders., Gewalt im Ersten Weltkrieg, 7–21. 50 Kramer, Dynamic of Destruction; vgl. zur Frage der vergleichenden Kriegsgräuelforschung auch meine Anmerkungen: Überegger, „Verbrannte Erde“.

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interpretativen Verzerrungen bei der kontextuellen Einordnung des Phänomens in die kaum je fokussierte europäische bzw. globale Dimension der Kriegsgräuel geführt.

Kontroversen In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung über den Problemkreis der Kriegsgräuel nehmen vor allem zwei Diskussionspunkte eine besondere Stellung ein, deren Relevanz auch über ihre spezifische Bedeutung für den Ersten Weltkrieg hinausweist. Dazu zählen einerseits die Auseinandersetzungen über die in quantitativer wie qualitativer Hinsicht prekäre Quellenbasis der historischen Kriegsgräuel-Forschung und andererseits die kontroversen Diskussionen rund um die sogenannte „Kontinuitätsthese“. Erstere Debatte ist im Zuge der Diskussionen über die im Jahr 2001 bzw. 2004 (in deutscher Sprache) erschienene Studie zu den deutschen Kriegsgräueln an der Westfront von John Horne und Alan Kramer entbrannt.51 Im Kern warf die Debatte die Frage nach dem Realitätsgehalt und dem effektiven Quellenwert der meist im propagandistischen Kontext oder im Sog der frühen Kriegsschuldforschung entstandenen zeitgenössischen Untersuchungen auf, die für die historische Forschung in Ermangelung aussagekräftiger Parallelquellen aber vielfach unverzichtbar waren und sind. Für den Historiker wird die Übernahme von in diesem Kontext entstandenen und tradierten Informationen jedoch nicht selten zu einer quellenkritischen Gratwanderung, und die interpretative Verwertung dieses Quellentyps bleibt letztlich immer diskussionswürdig, auch wenn sie mit der gebotenen Vorsicht erfolgt. Die von den beiden irischen Historikern mit Blick auf die deutschen Kriegsgräuel in Belgien und Frankreich vertretenen Thesen sind speziell hinsichtlich der angesprochenen Quellenproblematik auf Befürworter und Kritiker gestoßen. Letztere haben vor allem die angesprochenen „quellenkritischen Bedenken“ angemeldet und sich darüber ereifert, „dass die beiden Historiker den alliierten Quellen nicht dieselbe Quellenkritik […] angedeihen lassen“52 wie etwa den deutschen. 51 Horne/Kramer, German Atrocities; Dies., Deutsche Kriegsgreuel 1914. 52 So etwa Peter Hoeres, Rezension von: Horne/Kramer, Deutsche Kriegsgreuel 1914, in: sehepunkte 4 (2004) 7/8, http://www.sehepunkte.historicum.net/2004/07/6108. html (abgerufen am 15.7.2021). Auch Markus Pöhlmann mahnte schon in seiner 2002 erschienenen Rezension „eine deutlichere Einordnung dieser Publikationen [der amtlichen belgischen und französischen Kommissionen der Zwischenkriegszeit] in den Kontext der Kriegsschuldforschung“ ein, „deren erkenntnisleitende Interessen teil-

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2017 hat diese Kontroverse eine teilweise polemisch geführte Neuauflage erfahren. Infolge der Studien von Gunter Spraul und Ulrich Keller53 – zweier Nicht-Fachhistoriker – entzündete sich die Debatte erneut an der Frage nach der Verwendung und Interpretation disputabler Quellen. Im Rahmen der zwei voluminösen Studien, die sich als eine Art Gegendarstellung zu den Thesen von Kramer und Horne lesen, wiederholten die Kritiker den Vorwurf einer unausgewogenen, in letzter Konsequenz parteilichen Quellenrezeption, die der deutschen Überlieferung a priori einen manipulativ-instrumentellen Charakter unterstelle, während den belgischen Quellen ein objektiv-authentischer Grundzug konzediert würde. Aus den deutschen Regimentsgeschichten zu ziehende Erkenntnisse sowie die umfangreichen Akten und Protokolle behördlicher Soldatenaussagen der deutschen Seite, die als zentrale Quellen ebenso in Betracht kommen würden, seien weitgehend ignoriert worden.54 Daraus würden auch die interpretative Schieflage und Fehlannahmen der – so die Kritiker – weitgehend unzutreffenden Thesen der Autoren von „German Atrocities“ resultieren. Die Reaktion des deutschen Heeres sei nicht nur auf einen imaginierten, realiter aber nicht stattgefundenen Franctireurkrieg zurückzuführen gewesen, sondern auf die wirkliche Beteiligung von bewaffneten Zivilisten und die bewusste Vorbereitung eines „Untergrundkrieges“ durch die belgische Regierung – für den allerdings keine Belege vorliegen.55 In den Debatten rund um die Kontinuitätsthese steht hingegen die Bedeutung des Ersten Weltkrieges für die Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts im Mittelpunkt.56 Dabei ist insbesondere die Frage nach dem Charakter der

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weise jenseits von Geschichtsschreibung und Rechtsprechung lagen“, und kritisiert darüber hinaus, dass „gleichzeitig die entsprechenden deutschen Publikationen als Quellenbasis für die Ereignisgeschichte ausgeklammert und in den wirkungsgeschichtlichen und geschichtspolitischen Teil verschoben werden […].“ Markus Pöhlmann, Rezension von: Horne/Kramer, German Atrocities, 1914, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 61/2 (2002), 564 f. Gunter Spraul, Der Franktireurkrieg 1914. Untersuchungen zum Verfall einer Wissenschaft und zum Umgang mit nationalen Mythen, Berlin 2016; Keller, Schuldfragen. Vergleiche zu den Vorwürfen ausführlicher die Anmerkungen von Markus Pöhlmann, Habent sua fata libelli. Zur Auseinandersetzung um das Buch „German Atrocities 1914“, in: Portal Militärgeschichte 2017, http://portal-militaergeschichte.de/sites/default/files/ pdf/Poehlmann_Habent%20sua%20fata.pdf (abgerufen am 3.5.2021), 1–10, 4. Vgl. ebd., 5. Vgl. dazu insbesondere folgende Beiträge, die jeweils auch die bisherige Diskussion reflektieren: Stig Förster, Der Vernichtungsgedanke in der militärischen Tradition des Deutschen Kaiserreiches. Überlegungen zum Problem historischer Kontinuität, in: Christoph Dipper/Andreas Gestrich/Lutz Raphael (Hg.), Krieg, Frieden und Demokratie. Festschrift für Martin Vogt zum 65. Geburtstag, Frankfurt am Main/Berlin/Bern u. a. 2001, 253–265; Rüdiger Bergien, Vorspiel des „Vernichtungskrieges“? Die Ostfront des Ersten Weltkriegs und das Kontinuitätsproblem, in: Gerhard P. Groß (Hg.), Die

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Kriegsführung im Ersten Weltkrieg im Vergleich mit dem Zweiten Weltkrieg kontrovers beantwortet worden. Kann man diesbezüglich von Kontinuitäten zwischen den beiden Kriegen sprechen? Und inwiefern darf die mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg erfolgte Etikettierung als „Vernichtungskrieg“ auch für den Ersten Weltkrieg als zutreffend gelten? Während ein Grundkonsens darüber zu bestehen scheint, dass sich wohl schon im Ersten Weltkrieg eine neue Radikalisierung der Kriegsführung Bahn gebrochen hatte, verschieben sich die Positionen längs der unterschiedlich argumentativ untermauerten Hervorhebungen von Kontinuitäten und Brüchen. Einerseits wird in Betonung bestehender Kontinuitäten auf die bereits im Ersten Weltkrieg stattgehabte zunehmende Entgrenzung des Krieges hingewiesen, die zu einer Erosion bestehender Trennlinien zwischen Militär und Zivilbevölkerung geführt und schließlich auch eine neue Dimension der Gewalt in Gestalt zahlreich verübter Kriegsgräuel nach sich gezogen habe. Gerade im Rahmen des Systems einer aggressiv-repressiven Besatzungsherrschaft habe sich ein Typus von Kriegsführung etabliert, der während des Zweiten Weltkrieges nur mehr eine zusätzliche Radikalisierung erfahren habe. In den extremen Positionen dieser Argumentation wird das „Vernichtungskrieg-Etikett“ mehr oder weniger vorbehaltlos auf den Ersten Weltkrieg übertragen. Aus dieser Sicht bildete der organisierte, systematische Genozid das einzige wirkliche Differenzierungsmerkmal, das mit Blick auf den Sonderfall des Völkermordes an den Armeniern allerdings wiederum zu relativieren war.57 vergessene Front. Der Osten 1914/15. Ereignis, Wirkung, Nachwirkung, Paderborn/ München/Wien u. a. 2006, 393–408. Vgl. zuletzt auch die Anmerkungen von Jörg Echternkamp, 1914–1945: Ein zweiter Dreißigjähriger Krieg? Vom Nutzen und Nachteil eines Deutungsmodells der Zeitgeschichte, in: Sven Oliver Müller/Cornelius Torp (Hg.), Das deutsche Kaiserreich in der Kontroverse, Göttingen 2009, 265–280; und Dieter Langewiesche, Der „deutsche Sonderweg“. Defizitgeschichte als geschichtspolitische Zukunftskonstruktion nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, in: Horst Carl/ Hans-Henning Kortüm/Dieter Langewiesche/Friedrich Lenger (Hg.), Kriegsniederlagen. Erfahrungen und Erinnerungen, Berlin 2004, 57–65. Vgl. speziell zum Thema der Kriegsgräuel die Anmerkungen von Alan Kramer, Deutsche Kriegsverbrechen 1914/1941. Kontinuität oder Bruch?, in: Sven Oliver Müller/Cornelius Torp (Hg.), Das Deutsche Kaiserreich in der Kontroverse, Göttingen 2009, 341–356. 57 Eberhard Demm spricht etwa auch davon, „daß das Besatzungsregime der Nazis in Osteuropa auf den repressiven Traditionen der preußischen Armee aufbaute, die nur durch ein einziges neues Moment ergänzt wurden: den organisierten Genozid.“ Eberhard Demm, Das deutsche Besatzungsregime in Litauen im Ersten Weltkrieg. Generalprobe für Hitlers Ostfeldzug und Versuchslabor des totalitären Staates, in: Eberhard Demm (Hg.), Ostpolitik und Propaganda im Ersten Weltkrieg, Frankfurt am Main/ Berlin/Bern u. a. 2002, 329–339, 339. Auch der österreichische Historiker Anton Holzer spricht mit Blick auf das Vorgehen der österreichisch-ungarischen Armee in Serbien

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Die Mehrheit der Historikerinnen und Historiker steht in Betonung der evidenten Brüche einer allzu linearen Konstruktion von Kontinuitäten und kausalen Zusammenhängen allerdings skeptisch gegenüber. Zwar werden bestehende Kontinuitäten nicht verschwiegen, der neue rassentheoretisch motivierte und als Konsequenz einer verbrecherischen Staatsideologie forcierte Massenmord im Zweiten Weltkrieg verkörperte allerdings eine andere bzw. neue Dimension kriegerischer Gewalt. In dieser differenzierteren Sichtweise rangiert der nationalsozialistische Vernichtungskrieg auf einer anderen Ebene als die europäische Kriegsführung im Ersten Weltkrieg, innerhalb derer sich trotz der evidenten Radikalisierung und Entgrenzung des Krieges ein – wenn auch bescheidener – „Restbestand an zivilisatorischen Grundwerten“58 erhalten hatte. Auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Tendenz genozidaler Verfolgung auf ein singuläres Ereignis (Armenier) beschränkt blieb, könne im Unterschied zum Zweiten mit Blick auf den Ersten Weltkrieg kaum von einem „regelrechten Vernichtungskrieg“ gesprochen werden.59 Auf einer untergeordneten Ebene dieser allgemeinen Kontinuitätsdebatten stellte sich vor allem die Frage nach der spezifischen Rolle des deutschen Heeres innerhalb des Prozesses der Gewalteskalation im Ersten Weltkrieg und der damit verbundenen Langzeit-Wirkung. Die Thesen der erwähnten Dubliner Historiker Alan Kramer und John Horne insinuierten aufgrund fehlender fundierter Vergleichsstudien unausgesprochen eine Art „deutschen Sonderweg“, der etwa in der wirkmächtigen Arbeit von Isabel Hull zu einer Art „master narrative“ weiterentwickelt wurde. Diesen „German Way of War“ interpretierte man als offensichtlich radikalisierte Militärkultur des wilhelminischen Deutschlands.60 Infolge neuerer Forschungserkenntnisse ist diese Einschätzung allerdings kaum mehr haltbar. Zum einen zeigen sich im front- und armeeübergreifenden Vergleich der militärischen Normübertre-

1914 von einem „Vernichtungskrieg“. Vgl. für andere Arbeiten des Verfassers etwa: Anton Holzer, Den Krieg sehen. Zur Bildgeschichtsschreibung des Ersten Weltkriegs, in: Anton Holzer (Hg.), Mit der Kamera bewaffnet. Krieg und Fotografie, Marburg 2003, 57–70, 65. Vgl. dazu meine Kritik: Oswald Überegger, „Man mache diese Leute, wenn sie halbwegs verdächtig erscheinen, nieder.“ Militärische Normübertretungen, Guerillakrieg und ziviler Widerstand an der Balkanfront 1914/15, in: Bernhard Chiari/Gerhard Groß (Hg.), Am Rande Europas? Der Balkan. Raum und Bevölkerung als Wirkungsfelder militärischer Gewalt, München 2009, 121–136. 58 Förster, Vernichtungsgedanke, 264; vgl. auch Bergien, Vorspiel des „Vernichtungskrieges“?, 399. 59 Vgl. Förster, Vernichtungsgedanke, 264. 60 Vgl. als Kritik dazu auch die aufschlussreichen Anmerkungen von Peter Lieb, Der deutsche Krieg im Osten von 1914 bis 1919. Ein Vorläufer des Vernichtungskrieges?, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 65/4 (2017), 465–506, 465 f.

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tungen teilweise frappierende strukturelle Parallelen, die bisher hervorgekehrte Sonderwegs-Thesen im Wesentlichen entkräften und im Übrigen auch kulturalistische Erklärungsansätze wenig plausibel machen. Die deutschen Gräuel in Belgien und Nordfrankreich sind in quantitativer Hinsicht und ihrem Wesen nach durchaus mit dem völkerrechtswidrigen Vorgehen etwa der k. u. k. Armee an der Ostfront und am Balkan oder der russischen Armee in Ostpreußen vergleichbar und stellen demnach keine Besonderheit dar.61 Zum anderen scheinen bei näherem Hinsehen gerade jene hervorgekehrten militärkulturellen Besonderheiten, die zur Erklärung der vermeintlich spezifisch deutschen Militärkultur stets bemüht wurden – nämlich die fehlende Kon­ trolle des Militärs durch zivile Instanzen, die Geringschätzung völkerrechtlicher Bestimmung und das radikale Vorgehen gegenüber Zivilisten62 –, beileibe keine Alleinstellungsmerkmale zu sein. Die zitierten Charakteristiken treffen grosso modo ebenso auf die Habsburgermonarchie, das zaristische Russland und auch andere kriegsbeteiligte Staaten zu. Und schließlich gilt es noch einmal darauf hinzuweisen, dass die 1914 in identischer Weise von nahezu allen kriegsbeteiligten Armeen verübten Grausamkeiten in zahlreichen Massakern als „Anfangsphasendelikt[e]“63, die im Prinzip eine Variante der militärischen Vorwärtspaniken darstellten, sehr viel mehr mit strukturellen und situativen Gegebenheiten zu tun hatten als mit der radikalisierten Militärund Kriegskultur einer spezifischen Armee.64 Im Kontext der Debatten über die Kontinuitätsthese ist schließlich auch die eng damit zusammenhängende „Brutalisierungsthese“ zunehmender Kritik unterzogen worden. Sie ging von einer durch das Fronterlebnis des industrialisierten Massenkrieges auf breitester Ebene erfolgten Brutalisierung der Weltkriegssoldaten aus.65 Letztere hätte vorhandene Hemmschwellen gesenkt und die gesellschaftliche Radikalisierung nach 1918 befördert. Im Gegensatz dazu betonten neuere Arbeiten, dass das Gros der Soldaten „durch die Erleb-

61 Vgl. vor allem: Alexander Watson, „Unheard of Brutality“. Russian Atrocities against Civilians in East Prussia, 1914–1915, in: Journal of Modern History 86 (2014), 780–825; Überegger, „Verbrannte Erde“; jetzt auch: Pöhlmann, Über die Kriegsverbrechen von 1914, 144. 62 Vgl. Lieb, Der deutsche Krieg im Osten, 466. 63 Pöhlmann, Über die Kriegsverbrechen von 1914, 126. 64 Vgl. Oswald Überegger, Kampfdynamiken als Gewaltspiralen. Zur Bedeutung raum-, zeit- und situationsspezifischer Faktoren der Gewalteskalation im Ersten Weltkrieg, in: Zeitgeschichte 45/1 (2018), 79–101. 65 Die „Brutalisierungsthese“ führt zurück zu den Arbeiten von George Mosse. Vgl. vor allem: George Mosse, Gefallen für das Vaterland. Nationales Heldentum und namenloses Sterben, Stuttgart 1993.

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nisse an der Front nicht nachhaltig brutalisiert worden“66 sei. Diesen Interpretationen zufolge war die „Brutalisierung der politischen Kultur im Europa der Zwischenkriegszeit nur mittelbar ein Produkt des Weltkrieges“.67 Sie lasse sich viel eher als direkte Konsequenz der offen aufbrechenden politischen Kontroversen respektive der Radikalisierungs- und Militarisierungstendenzen der europäischen Nachkriegsgesellschaften begreifen.

Desiderata: Für eine Phänomenologie der Kriegsgräuel Eine moderne Geschichte der Kriegsgräuel im Ersten Weltkrieg darf sich – das ist schon an anderer Stelle betont worden – nicht auf ihre bloße Benennung oder auf die Auseinandersetzung mit der quantitativen Dimension begangener Verbrechen beschränken. Sie muss sich – und das ist bisher kaum geschehen – auch mit den Fragen nach den strukturellen (operativen und situativen) Rahmenbedingungen, nach den verschiedenen Gewaltformen und den konkreten Abläufen sowie den Motiv- und Erfahrungsmustern der beteiligten Akteure beschäftigen. Es ist der Frage nachzugehen, welche Bedeutung strukturelle und individuelle Faktoren in spezifischen Kriegssituationen für den Gewaltentstehungsprozess hatten und wie sie auf militärische Gruppen und Netzwerke einwirkten, die gleichsam als „soziale[n] Transmissionsriemen[s]“ fungierten, über die „massenhaftes Tötungshandeln wirksam“ wurde.68 Im Rahmen einer über Situations- und Fallanalysen entwickelten, praxeologisch informierten Mikrogeschichte der Gewalt sollten künftige Forschungen insbesondere die Dynamik der kleinen militärischen Gemeinschaft als „Face-to-Face-Gruppe“ oder „primary group“69 ins Auge fassen.70 Inwiefern und in welchem Ausmaß entwickelten diese Soldaten-

66 Dirk Schumann, Gewalterfahrungen und ihre nicht zwangsläufigen Folgen. Der Erste Weltkrieg in der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts, in: Zeitgeschichte-online (2004), https://zeitgeschichte-online.de/themen/gewalterfahrungen-und-ihre-­nichtzwangslaufigen-folgen, 14 (abgerufen am 12.7.2021); vgl. dazu auch Benjamin Ziemann, Das „Fronterlebnis“ des Ersten Weltkrieges – eine sozialhistorische Zäsur? Deutungen und Wirkungen in Deutschland und Frankreich, in: Hans Mommsen (Hg.), Der Erste Weltkrieg und die europäische Nachkriegsordnung. Sozialer Wandel und Formveränderung der Politik, Köln 2000, 43–82. 67 Schumann, Gewalterfahrungen, 16. 68 Kühne, Massen-Töten, 33. 69 Heiko Biehl, Kampfmoral und Einsatzmotivation, in: Nina Leonhard/Ines-Jacqueline Werkner (Hg.), Militärsoziologie. Eine Einführung, Wiesbaden 2005, 268–286. 70 Über die kohäsive Bedeutung der militärischen Kleingruppen gibt es eine breite, vor allem sozialwissenschaftliche Literatur, beginnend mit den Studien des Forscherteams

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gruppen als „informelle Gruppe[n]“71 über die „Vergemeinschaftung durch Normbruch“ eine Art Eigendynamik?72 Und welche Bedeutung kam ihr im Gesamtkontext massenhaft begangener Kriegsverbrechen zu? Von der im militärischen Sinn handelnden, vergemeinschafteten Soldatengruppe ging zum einen, insbesondere im Krieg, beträchtlicher Konformitätsdruck aus; zum anderen verstärkte das Gruppenbewusstsein die Möglichkeit zur Diffusion der Verantwortung, bewerkstelligte eine Art moralische Arbeitsteilung und etablierte über eine spezifisch militärorganisationale Sozialisation im Krieg ein „organisationales Gewissen“73, das von Friedens-Standards stark divergierte und tendenziell mit dazu beitrug, einen Restbestand moralischer Skrupel zu suspendieren. Soldatengruppen fungierten demnach im Krieg auch als „Orte der sozialen Transmission moralentlasteter Organisationsräson“74 und trugen letztlich zur Hemmschwellen-Reduktion und der verstärkten Erzeugung moralischer Indifferenz bei. Die gruppenspezifische Kriegserfahrung evozierte eine Verschiebung des Referenzrahmens der Gewaltausübung.75 Das kriegsimmanente Handeln der Referenzgruppe rückte zunehmend in das Zentrum der individuellen Orientierung der Soldaten.76 Tun und Handeln in der

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(Research Branch) um den amerikanischen Soziologen Samuel Stouffer (Vgl. Samuel A. Stouffer u. a., The American Soldier. Studies in Social Psychology in World War II (Bde. 1–4), Princeton 1949) und den Arbeiten von Edward A. Shils und Morris Janowitz (Vgl. Edward A. Shils/Morris Janowitz, Cohesion and Disintegration in the Wehrmacht in World War II, in: Public Opinion Quarterly 12 (1948) 2, 280–315). Vgl. dazu zusammenfassend die Anmerkungen von Biehl, Kampfmoral und Einsatzmotivation, 272–278; ferner: Siniša Malešević, The Sociology of War and Violence, Cambridge 2010, 222; Thomas Kliche, Militärische Sozialisation. in: Gert Sommer (Hg.), Krieg und Frieden. Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie, Weinheim/Basel/Berlin 2004, 344–356; Rolf Pohl/Marco Roock, Sozialpsychologie des Krieges. Der Krieg als Massenpsychose und die Rolle der militärisch-männlichen Kampfbereitschaft, in: Thomas Jäger/Rasmus Beckmann (Hg.), Handbuch Kriegstheorien, Wiesbaden 2011, 45–53. Vgl. zur formellen und informellen Organisation als Ausdruck unterschiedlicher Formen der Strukturbildung die Anmerkungen von Hermann L. Gukenbiehl, Formelle und informelle Gruppe als Grundformen sozialer Strukturbildung, in: Bernhard Schäfers (Hg.), Einführung in die Gruppensoziologie, Wiesbaden 1999, 80–96. Kühne, Massen-Töten, 33. Günther Ortmann, Organisation und Moral. Die dunkle Seite, Weilerswist 2010, 104. Ebd., 97. „Entscheidend ist, daß die Grenzen, die gewaltsames Handeln überschreitet, eben keine Konstanten sind“, schreibt Dirk Schumann treffend. „Sie werden in Sozialisationsprozessen und in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Diskussionen gezogen, sie werden ‚gelernt‘ und können auch ganz individuell durch neue Erfahrungen und Lernvorgänge verschoben werden.“ Schumann, Gewalt als Grenzüberschreitung, 373. Vgl. zur Bedeutung der Gruppe im Prozess gewaltsamen Handelns ausführlich die Anmerkungen von Harald Welzer, Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden, Frankfurt am Main 2005, 82–91.

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soldatischen „Community“ avancierten zum primär verbindlichen Maßstab schlechthin, und sie evozierten und verstärkten „selbsttätige, selbsttragende Praxis-Legitimations-Rekursionen ihrer Mitglieder“77, deren exkulpierender Wirkung ein beträchtliches Maß an gewaltpotenzierender Selbsteskalation und Selbstentgrenzung inhärent war.78 „Möglicherweise ist diese Bindung an die Gruppe durch Stress und eingeübte Bewegungsabläufe wichtiger und naheliegender“, so Andreas Herberg-Rothe, „als abstrakte Ideale oder Interessen, für die der einzelne in die Schlacht zieht“.79 Phänomenologisch lassen sich in Anlehnung und Erweiterung der Thesen des Gewaltsoziologen Randall Collins80, gleichsam idealtypisch fünf unterschiedliche Entstehungszusammenhänge von Kriegsgräueln differenzieren, die zwar nicht alle, aber zumindest einen großen Teil der im Landkrieg zu gewärtigenden Kriegsverbrechen inkludieren: Erstens handelt es sich um Gräuel, die als Folge einer „Vorwärtspanik“ vor allem in angespannten und prekären militäroperativen Situationen entstehen, wie sie für spontane und überraschende militärische Offensiven, Durchmärsche oder Rückzüge – etwa das Vorrücken der deutschen Armee in Belgien 1914 oder etwa auch der k. u. k. Armee in Serbien – charakteristisch sind.81 Vorwärtspaniken lassen den aktiv vorstoßenden Part des sich zunehmend in Brutalität übersetzenden gewaltsamen Handelns tendenziell in eine „moralische Auszeit“ oder einen „emotionalen Tunnel“ treten.82 Sie forcieren kontinuierlich, eigendynamisch und vielfach scheinbar unaufhaltsam gewalttätige Übergriffe und entladen sich in schweren Gewaltexzessen unterschiedlichster Gestalt, wie etwa Massakern, Plünderungen und Massenvergewaltigungen. Sie sind „Gewalt, die nicht zu stoppen ist“.83 Zweitens sind Gräuel zu nennen, die in Ausführung eines konkreten obrigkeitlichen Befehls zur Liquidierung oder zwangsweisen Verbringung eines zivilen Bevölkerungsteiles oder einer militärischen Gruppe aus rassischen, ethnischen, ideologischen oder praktischen Gründen begangen werden. Darunter sind für die Zeit des Ersten Weltkrieges der Genozid an den Armeniern, die Erschießungen von Kriegsgefangenen oder

77 Ortmann, Organisation und Moral, 125. 78 Vgl. dazu ausführlicher ebd., 123–131. 79 Andreas Herberg-Rothe, Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt am Main/ New York 2003, 119. 80 Vgl. dazu ausführlich: Randall Collins, Dynamik der Gewalt. Eine mikrosoziologische Theorie, Hamburg 2011, 146–157. 81 Vgl. zu den Vorwärtspaniken die ausführlichen Bemerkungen von Randall Collins, ebd., 130–201. 82 Vgl. zu den Begriffen ebd., 136 bzw. 151. 83 Ebd., 145.

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etwa auch die Internierung und Verbringung gesellschaftlicher Gruppen zu subsumieren. Eine dritte Gruppe von Gräueln umfasst Verbrechen, die sich als Folge einer militärischen Politik der verbrannten Erde ausnehmen, die letztlich immer auch getötete Zivilisten zumindest bewusst in Kauf nimmt. Eine vierte Art von Gräueln entsteht schließlich als Folge von exemplarischen Bestrafungs- oder Vergeltungsszenarien, etwa im Rahmen der Guerillabekämpfung, der Anwendung von Repressalien oder der im Ersten Weltkrieg zuhauf erfolgten Geiselerschießungen. Und eine letzte Kategorie umfasst die primär Soldaten betreffenden waffentechnologisch verursachten Gräuel, etwa durch die Verwendung von völkerrechtlich verbotener Explosivmunition (z. B. Dumdumgeschossen). Dirk Schumann hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Formen der Brutalisierung im Krieg „kein Resultat des Krieges an sich“ waren, „sondern spezifischer Umstände und Einflüsse“.84 Auf das Entstehen und die konkrete Gestalt der skizzierten Typen von Gräueln wirkten demnach in unterschiedlicher Intensität mehrere Faktoren ein, die man – wiederum idealtypisch – als situationsimmanent (1), organisationsimmanent (2), erfahrungsimmanent (3) und als dispositionsimmanent (4) bezeichnen könnte. Die genannte Reihenfolge entspricht dabei meines Erachtens ihrer effektiven Bedeutung für die Entstehung exzessiver Gewalt: Den situationsimmanenten Faktoren kam im Rahmen des Entstehungsprozesses von Kriegsgräueln tendenziell die größte, den dispositionsimmanenten Faktoren – so meine Einschätzung – die tendenziell geringste Bedeutung zu. 1. Situationsimmanente Faktoren: Diesbezüglich erscheint zunächst die He­rausarbeitung der Rahmenbedingungen und Spezifika der operativen Kriegsführung sowie jener militäroperativ bzw. raumspezifisch bedingten, situativen Charakteristika zentral, die das Entstehen von Gräueln tendenziell begünstigt und befördert haben – insbesondere der situationslastigen, besonders grausamen Gräuel, die sich im Kontext der bereits erwähnten Vorwärtspaniken ereigneten. „Die Handlungskontexte, in denen sich Individuen alltäglich aufhalten oder aufhalten müssen“, kann man Birgitta Nedelmann zustimmen, „sind mit einer unterschiedlich großen Gewaltwahrscheinlichkeit ausgestattet“.85 Deshalb kommt der über konkrete Situations- und Fallanalysen zu bewerkstelligenden Rekonstruktion der „Situationsdynamik“86 von Gewalthandlungen und der konkreten Gestalt von diesbezüglichen Gewalt­

84 Schumann, Gewalt als Grenzüberschreitung, 382. 85 Nedelmann, Gewaltsoziologie am Scheideweg, 77. 86 So treffend Collins, Dynamik der Gewalt, 18.

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akten eine besondere Bedeutung zu.87 Auf die Wichtigkeit situativer Impulse für den Prozess der Gewalteskalation in Kriegen ist in der älteren und neueren historischen Literatur zum Thema immer wieder hingewiesen worden.88 Auch rezente Forschungserkenntnisse bestätigen im Wesentlichen den Eindruck, dass „die Situation viel entscheidender für das“ ist, „was Menschen tun, als die Persönlichkeitseigenschaften, die sie in diese Situation hineinbringen“.89 Dementsprechend zentral erscheint die Beleuchtung der Wechselwirkung von strukturellen Faktoren und soldatischer Radikalisierung. Im Kontext künftiger Forschung sollte es demnach um die Frage gehen, in welcher Weise soldatische Radikalisierung in einem Zusammenhang mit kriegs- und – konkreter – gefechtsspezifischen situativen Gegebenheiten und Besonderheiten stand. In welche strukturelle bzw. situative Logik ordnen sich massenhafte Kriegsverbrechen ein, und inwiefern gleichen sich die dadurch in Gang gesetzten Dynamiken? Die angesprochenen situationsimmanenten Faktoren verkörpern einen Ursachenkomplex, der im Rahmen der Gewalteskalation zweifellos von entscheidender Bedeutung war.90 Die Entstehung völkerrechtswidriger Gewalt kann etwa allein mit Blick auf die militärische Befehlsgebung bei Weitem nicht erklärt werden. Ein Großteil der Gräuel entsteht vorwiegend im Rahmen der militärischen Interaktion in der Auseinandersetzung mit dem militärischen oder zivilen Gegner. Der Bewegungskrieg ist der eigentliche Gewaltort, an dem diese Art von Gräueln verübt wird. Diese Gräuel (Massaker, Massenvergewaltigungen, Plünderungen und exzessive Zerstörungen) sind häufig die Folge der erwähnten Vorwärtspaniken und entstehen in den unübersichtlichen Vor-und-Zurück-Konstellationen, den Jagd-Flucht-Situatio87 Michael Geyer, Eine Kriegsgeschichte, die vom Tod spricht, in: Thomas Lindenberger/ Alf Lüdke (Hg.), Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit, Frankfurt am Main 1995, 136–161. 88 Vgl. dazu schon die Ausführungen in der Studie von Christopher R. Browning, Ganz normale Männer, die schon im Jahr 1993 erschien, bzw. zuletzt dazu die Anmerkungen von Sönke Neitzel und Harald Welzer, Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben, Frankfurt am Main 2011. 89 Neitzel/Welzer, Soldaten, 44. Vgl. als Plädoyer für eine stärker auf die Situation bezogene Perspektive auch die Anmerkungen von Philip G. Zimbardo, Wie gute Menschen zu Verbrechern werden. Ein situationistischer Blick auf die Psychologie des Bösen, in: Roger Fayet/Hans-Georg von Arburg (Hg.), Die Anatomie des Bösen. Ein Schnitt durch Körper, Moral und Geschichte, Baden 2008, 159–189; Harald Welzer, Die soziale Situation. Wie ganz normale Männer töten, in: Roger Fayet/Hans-Georg von Arburg (Hg.), Die Anatomie des Bösen. Ein Schnitt durch Körper, Moral und Geschichte, Baden 2008, 191–216. Vgl. zuletzt vor allem die Studie von Collins, Dynamik der Gewalt. 90 Vgl. dazu und zum folgenden ausführlicher: Überegger, Kampfdynamiken als Gewaltspiralen.

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nen, die den Bewegungskrieg charakterisieren. Sie werden insbesondere von militärischen Vorhuten und den Spitzen der Besatzungstruppen begangen. Diese im Rahmen von Vorwärtspaniken begangenen Gräuel werden etwa in zahlreichen Berichten österreichisch-ungarischer und deutscher militärischer Kommandostellen aus dem Ersten Weltkrieg geschildert, die angesichts der Gewalteskalation in den eigenen Truppen im Rahmen militärischer Offensiven ratlos und teilweise auch entsetzt waren. Diese Quellen unterstreichen zudem auch die Tatsache, dass diese Eskalation im Gros der Fälle nicht nur nicht anbefohlen war, sondern dass es den Militärs trotz unzähliger Befehle auch nicht gelang, dieser ausufernden Gewalt Herr zu werden. Das bedeutet gleichzeitig, dass diesen Gewaltkonstellationen eine Art situativer Gewalt eigen war, die sich der militärischen Kontrolle und dem militärischen Management zumindest teilweise zu entziehen schien.91 Die skizzierten militärischen Vorwärtspaniken weisen im Wesentlichen drei Charakteristiken auf: Erstens etablierten sie einen neuen Referenzrahmen, den man in Erweiterung des Welzerschen „Referenzrahmens des Krieges“ als Subreferenzrahmen der Front oder des Gefechtes bezeichnen könnte. Dieser Sub-Referenzrahmen war tendenziell gewaltoffen geprägt, und es kam eine partikulare Moral zum Tragen. Fragen der moralischen Kompatibilität soldatischen Handelns stellten sich in dieser spezifischen Situation kaum. Zweitens stellte sich der im Rahmen von militärischen Vorwärtspaniken zu beobachtende Prozess asymmetrischer Verstrickung als nachgerade entscheidend heraus. Im Rahmen einer hetzjagdartigen Situation drang eine Truppe rasch nach vorne, während das unübersichtliche feindliche Vis-à-vis meist ungeordnet zurückwich. In diesen spezifischen Situationen traten die Soldaten vielfach in einen – so hat es Randall Collins treffend bezeichnet – „emotionalen Tunnel“, in dem eine Entgrenzung der Gewalt sehr wahrscheinlich war und eine Art von Gewalt entstand, der schwer entgegnet werden konnte. Ein dritter zentraler Faktor der in militärischen Vorwärtspaniken zu beobachtenden Gewaltspezifik hing schließlich mit organisationalen Selbstverstärkungseffekten zusammen, die sich aus der Bedeutung der Soldatengruppen im Kampf ergaben. Der in erster Linie von Letzteren als Primärgruppe vorgegebene Referenzrahmen war in diesen spezifischen Situationen des militärischen Vordringens tendenziell gewaltoffen und wirkte sehr wahrscheinlich gewaltforcierend. Weder Ideologien, Mentalitäten noch irgendwelche Gesetze, Gebote und Verbote bildeten in diesen Situationen den Hauptorientierungspunkt, sondern das gewalttätige Verhalten der Gruppe als Kollektiv insgesamt, an dem sich der einzelne Soldat orientierte. 91 Vgl. ebd.

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2. Organisationsimmanente Faktoren: Die Analyse der gleichsam organisationalen Rahmenbedingungen soldatischer Orientierung stellt eine zweite wichtige Ebene dar.92 Im Kontext organisationssoziologischer Fragestellungen93 geht es um die Rekonstruktion jener organisationsspezifischen Settings, die die Kriegslebenswelten der Soldaten über militärische Befehle, die Autorität militärischer Vorgesetzter, die Bedeutung militärhierarchischer Strukturen und über die entstehende Ordnung einer militärischen Gruppendynamik tangierten. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen die bereits im Rahmen der Phänomenologie der Kriegsgräuel erwähnten, großteils befehlsimmanent provozierten Gräuel: Der Liquidierung militärischer oder ziviler Bevölkerungsteile, dem konkreten Handling der militärischen Politik der verbrannten Erde sowie der vielgestaltigen Guerillabekämpfung lagen meist konkrete – wenn auch vielfach nur sehr unbestimmt formulierte – Befehle zugrunde. Im Rahmen der Auslegung, Befolgung und Umsetzung militärischer Weisungen im Krieg spielten militärorganisationale Faktoren, wie etwa der sich zwar bei Weitem nicht ausschließlich, aber doch auch an Befehlen orientierende jeweilige gruppenspezifische Referenzrahmen, die Autorität der militärischen Führer oder Gehorsamsstrukturen eine wichtige Rolle für die Praxis der Gewalthandlungen sowohl in gewalthemmender als auch in gewaltforcierender Hinsicht. Vielfach kam der obrigkeitliche Befehl zum Normbruch nämlich einer Art Initiation zur Gewalteskalation gleich. Die Dechiffrierung der komplexen Semantik militärischer Befehle und der mit ihnen verbundenen durchwegs gruppenspezifischen (Auslegungs-)Spielräume „des ‚Du darfst!‘ im ‚Du sollst!‘“ als „Zonen gebotener Gewaltausübung“94 ist für das Verstehen der Situationsdynamik von befehlsevozierten Gräueltaten zentral.95 92 Vgl. zur militärischen Organisationskultur aus militärsoziologischer Perspektive allgemein die Ausführungen von Ulrich vom Hagen und Maren Tomforde, Militärische Organisationskultur, in: Nina Leonhard/Ines-Jacqueline Werkner (Hg.), Militärsoziologie. Eine Einführung, Wiesbaden 2005, 176–197. 93 Vgl. zur Organisationssoziologie allgemein den Überblick von Veronika Tacke, in: Georg Kneer/Markus Schroer (Hg.), Handbuch spezielle Soziologien, Wiesbaden 2010, 341–359. 94 Jan Philipp Reemtsma, Gewalt. Monopol, Delegation, Partizipation, in: Wilhelm Heitmeyer/Hans-Georg Soeffner (Hg.), Gewalt. Entwicklungen, Strukturen, Analyseprobleme (Kultur und Konflikt), Frankfurt am Main 2004, 346–360, 350, vgl. auch Ders., Freiheit, Macht, Gewalt, in: Ders., Mord am Strand. Allianzen von Zivilisation und Barbarei. Aufsätze und Reden, Hamburg 1998, 125–145. 95 „Jeder Befehl hat einen gewissen Auslegungsspielraum“, so Reemtsma, „ihn zu verstehen und auszuführen verlangt das Erkennen spezifischer Situationen (was an ihnen typisch ist und was Abweichung) und der Art der Organisation, in der der Befehl gegeben wird (was ist die typische Art und Weise, den Befehl zu verstehen und auszuführen, und ist die typische Art und Weise angemessen?)“ Reemtsma, Gewalt, 351. Vgl.

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Letztlich geht es um die Frage nach der effektiven Bedeutung militärischer Befehle für die Eskalation von Gewaltsituationen. Konkret: Welche befehlsimmanenten sprachlichen und symbolischen Codes öffneten und schlossen in bestimmten Situationen die Bandbreite von Spielräumen zur (unrechtmäßigen) Gewaltausübung? Wie ist die vielfach widersprüchliche Befehlsgebung einzelner militärischer Befehlshaber zu bewerten, die zwischen der Einforderung einer völkerrechtskonformen Kriegsführung und verbalradikalen Appellen an die drakonische Strenge im Umgang mit der Zivilbevölkerung changierten? Welche Rolle spielten die Radikalisierungstendenzen auf der unteren und mittleren militärischen Führungsebene? Und welche konkreten (auch befehlsimmanenten) Faktoren zeichneten dafür verantwortlich, dass es in gewissen Truppenkörpern zu einer extensiven Auslegung des sogenannten „Kriegsnotwehrrechtes“ kam – mit bisweilen fatalen Auswirkungen für die präsente Zivilbevölkerung? Im Kontext der primär befehlsimmanenten, gleichsam organisierten Gräuel, denen eine evidente Tendenz zur Entgrenzung und Eskalation inhärent war, erscheint also dreierlei interessant. Zum einen die Ebene der Träger und der konkreten Inhalte militärobrigkeitlicher Befehle an sich; zum anderen die Ebene der gruppenspezifischen Wahrnehmung militärischer Befehle und die Art und Weise ihrer Übersetzung in gewaltsames Handeln; und schließlich die eigendynamische Entwicklung befehlsevozierter Gräuel mit Blick auf ihre Eskalierungstendenz. Dass die qua Autorität erteilten Ordern von Führern als Befehlsträger unter bestimmten Voraussetzungen und in gewissen Situationen mit einer überaus hohen Gehorsamsbereitschaft korrespondieren, ist spätestens seit den Experimenten des amerikanischen Sozialpsychologen Stanley Milgram bekannt.96 Gleichzeitig muss aber auch betont werden, dass militärische Befehle im Kontext ihrer Bedeutung für die Gewaltpraxis nicht überschätzt werden dürfen. Der alleinige Blick auf Kommandostrukturen und militärische Anordnungen „von oben“ kann die komplexen Entstehungszusammenhänge und das ganze Ausmaß der Kriegsverbrechen nicht erklären. Gerade im Rahmen der Dynamik des Kampfes scheinen, wie bereits erwähnt, in welche Richtung auch immer erteilte militärische Befehle eher eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben.97 Kriegsgräuel lassen sich zum militärischen Befehl ferner die Anmerkungen von Holger Meyer, Über das Töten in Genoziden, Marburg 2009, 38–40. 96 Vgl. zu den Milgram-Experimenten ausführlich Welzer, Täter, 108–132; Dave Grossman, On Killing. The Psychological Cost of learning to Kill in War and Society, New York/Boston/London 2009, 141–149. Problemorientiert dazu vgl. Wieviorka, Die Gewalt, 135–147. 97 Vgl. dazu auch Überegger, Kampfdynamiken als Gewaltspiralen, 83–86.

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also auch über die Ebene der militärischen Befehlsgebung nicht hinreichend erklären, weil nur ein geringerer Teil der Verbrechen „organisiert“ gewesen zu sein scheint und vielfach – ganz im Gegenteil – alle militärischen Versuche bzw. Befehle zur Begrenzung der Gewalt ins Leere liefen. 3. Erfahrungsimmanente Faktoren: Das soldatische Erleben und Erleiden militäroperativer Aktivitäten und der Komplex im Krieg erlassener Befehle „von oben“ beeinflussten auch das individuelle Kriegserlebnis der Subaltern-Soldaten. Insofern wirkten situations- und organisationsimmanente Faktoren auch entscheidend auf das zur Kriegserfahrung98 transponierte Kriegserlebnis der Soldaten ein. Die aus der konkreten Kampfsituation und den Befehlen vorgesetzter Offiziere gespeisten Wahrnehmungen und ihre Verarbeitung zu Kriegserfahrungen konstituierten gemeinsam mit anderen Determinanten, die den Kriegsalltag und die Lebenswelten einfacher Soldaten ausmachten, einen speziellen, in stetiger Veränderung begriffenen, erfahrungsbestimmten Erlebnisrahmen: Hunger, Übermüdung, Krankheit, Strapazen, Geselligkeit, Erholungsphasen, Feste, Feiern, Momente der Kameradschaft, Gefechtspausen und andere emotionale Faktoren bzw. Ereignisse positiver oder negativer Art lassen sich als Erlebnismuster interpretieren, die die soldatische Kriegs­ erfahrung in gewissen räumlichen und zeitlichen Zusammenhängen entsprechend unterschiedlich prägten. Unabhängig von den spezifisch situationsund befehlsgebundenen Kriegsgräueln müssten sich künftige Forschungen deshalb auch die schwierige Frage nach jenen spezifischen Konstituenten der Kriegserfahrung stellen, die die Eskalation von Gewalt beförderten bzw. auch einschränkten. Zur Erklärung der nicht primär situativ und organisational beförderten Entgrenzung von Gewalt kann die Reflexion des soldatischen Erfahrungsrahmens hilf- und aufschlussreich sein. Eine von der Berücksichtigung der soldatischen Kriegserfahrungen entkoppelte Perspektive ist deshalb letztlich zum Scheitern verurteilt. Völkerrechtswidrige Gewalt kann vielfach nur über die Analyse der Entstehungsbedingungen allgemeiner Kriegsgewalt und ihrer erfahrungsspezifischen Verortung verstanden werden. Im Rahmen

98 Vgl. zum Konzept der Kriegserfahrungen vor allem: Nikolaus Buschmann/Horst Carl (Hg.), Die Erfahrung des Krieges. Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg, Paderborn u. a. 2001; vgl. auch Anselm Doering-Manteuffel, Die Erfahrungsgeschichte des Krieges und neue Herausforderungen. Thesen zur Verschränkung von Zeitgeschehen und historischer Problemwahrnehmung, in: Georg Schild/Anton Schindling (Hg.), Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit. Neue Horizonte der Forschung, Paderborn u. a. 2009, 273–299, bzw. Niels Birbaumer, Neurogeschichte von Gewalt und Kriegserfahrung, in: Georg Schild und Anton Schindling (Hg.), Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit. Neue Horizonte der Forschung, Paderborn u. a. 2009, 83–108.

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künftiger Forschungen könnte vor allem die Analyse jener soldatischen Erfahrungssequenzen ins Auge gefasst werden, die in einem direkten gewaltbefördernden Zusammenhang standen. Vielfach war die konkrete praktische Erfahrung des Krieges im Frontalltag ein Faktor, der das Entstehen von völkerrechtswidriger Gewalt beförderte. Gerade die für den östlichen und südlichen Kriegsschauplatz so charakteristische, teilweise rasche Abfolge von Invasion, Besatzung und Rückzug schuf eine ganze Reihe von situativen Möglichkeiten, Freiheiten und Zwängen, die letztlich auch völkerrechtswidriges Handeln begünstigten. Beispielsweise allein schon die schlechte Infra­ struktur an oder hinter der Front oder die von Kriegsbeginn an auch von Hunger geprägten desolaten Lebensverhältnisse der Soldaten konnten Zerstörung, Plünderung oder auch andere Übergriffe auf die Zivilbevölkerung nach sich ziehen. 4. Dispositionsimmanente Faktoren: Darunter ist hingegen jenes Kollektiv von individuellen Dispositionen und Überzeugungen zu verstehen, das die Soldaten gleichsam mit in den Krieg brachten. Individuelle Dispositionen und Ideologien konditionierten bis zu einem gewissen Grad soldatische Handlungsweisen im Krieg. Die konkrete Frage nach der effektiven Bedeutung von präformierten Einstellungen, ideologischen Überzeugungen, gegebenenfalls gewaltbejahenden bzw. bellizistischen Dispositionen oder etwa auch pejorative Voreingenommenheit in Form von – im Krieg auch propagandistisch aufgeladenen – Feindbildern einerseits und der realen handlungsrelevanten Wirkung propagandistischer und ideologischer Mobilisierung im Prozess der soldatischen Radikalisierung andererseits ist schwierig zu beantworten. Nicht minder schwierig ist die Frage nach der Bedeutung dispositionsimmanenter Faktoren für die Eskalation der Gewalt und die Beteiligung an Kriegsverbrechen. Ein ganzer Forschungsstrang gewaltsoziologischer und sozialpsychologischer Arbeiten hat allerdings immer wieder darauf hingewiesen, dass „Herkunft und soziales Umfeld, die den Hintergrund einer Person ausmachen, […] im Allgemeinen in nachweislicher, aber nur schwacher Beziehung zur Gewalt“99 stünden und Persönlichkeitsvariablen „einen vergleichsweise geringen, oft sogar unerheblichen Stellenwert“100 hätten. Demzufolge gilt es eine Art Missverhältnis zu beklagen, weil sich insbesondere die historische Weltkriegsforschung, beeinflusst von der sich in den 1990er Jahren etablierenden Trends der „neuen Militärgeschichte“, dem Gewaltthema fast ausschließlich über die beiden zuletzt erwähnten Ebenen, nämlich jenen der individuellen Dispositionen und der soldatischen Kriegser 99 Collins, Dynamik der Gewalt, 204. 100 So Neitzel/Welzer, Soldaten, 46.

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fahrungen, genähert hat. In diesen Forschungszusammenhängen wurden bevorzugter Weise über Selbstzeugnisse und Ego-Dokumente der Kriegs­alltag sowie die individuellen (ideologischen und mentalen) soldatischen Dispositionen rekonstruiert, die zuhauf Anhaltspunkte für ein xenophob und etwa auch antisemitisch unterlegtes pejoratives Bild des (militärischen und zivilen) Feindes, beispielsweise in den östlichen Kriegsgebieten, lieferten. Im Rahmen der Interpretation dieser mentalen und ideologischen Dispositionen liegt die Problematik in der Tatsache, dass über die Identifizierung bestehender Ressentiments oder auch noch so eindrücklicher Negativ- und Feindbilder einzelner Kriegsteilnehmer nicht eo ipso auf einen ausgeprägteren Gewalt-Habitus geschlossen werden kann. An den Gräueln – so mein Ersteindruck im Rahmen eigener Forschungen zur Ost- und Balkanfront – beteiligten sich in der Regel Soldaten aller sozialen Milieus, verschiedenster Bildungsgrade mit unterschiedlichen Deutungen des Feindes – negativer, aber auch positiver Art. Dispositionen können demnach das Entstehen von Kriegsgräueln nicht oder nur zu einem sehr geringen Teil erklären. Deshalb führt auch der Versuch, Kriegsgräueln allein über die individuellen Deutungen der Soldaten auf die Spur zu kommen, mehr oder weniger ins Leere. Es spricht demnach viel dafür, den Blick von den individuellen Dispositionen stärker hin zu den konkreten Gewaltsituationen zu verschieben und vor allem die Situa­ tionsdynamik und emotionale (Gewalt-)Dynamik, die sich während militärischer Kampfhandlungen entwickelten, in den Fokus zu stellen – ohne jedoch selbstredend die zuletzt genannten erfahrungs- und dispositionsimmanenten Faktoren aus dem Blickwinkel zu verlieren. Im Umkehrschluss bedeutet das gleichzeitig auch, dass etwa den militärischen Truppenakten, die als „alte“ Quellenbestände im Rahmen der erfahrungszentrierten „neuen“ Militärgeschichte etwas aus dem Blickfeld der Historiker geraten waren, eine neue Relevanz zukommen könnte – zwar nicht in der überholten konventionellen Perspektive einer traditionellen Militärgeschichte applikatorischen Zuschnittes, die darauf bedacht war, militärische Operationen gleichsam en détail zu rekonstruieren, aber doch – soweit quellenmäßig möglich – zur dichten Beschreibung und Rekonstruktion der skizzierten Situationsdynamik eskalierender Gewalt – und zwar wohl idealer Weise in der Form aussagekräftiger Fallstudien.

Schluss Das eben skizzierte Faktoren-Konglomerat konstituierte letztlich einen sich von Situation zu Situation verändernden und von Gruppe zu Gruppe

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unter­schiedlichen Referenzrahmen soldatischer Gewalthandlungen – einen Refe­renzrahmen der Front bzw. des Gefechtes. Auf Letzteren wirkten in differenter Weise primär situative Gegebenheiten, militärische Befehle und Kriegserfahrungen ein, während hingegen ethische oder moralische Erwägungen nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben scheinen. Diesem gruppenspezifischen Referenzrahmen kam eine entscheidende Orientierungsfunktion für die soziale Gewaltpraxis der Soldaten zu – auch und besonders in jenen uns heute als Grenzüberschreitung erscheinenden Situationen, in denen sich soldatische Gewalt in völkerrechtswidrige Verbrechen übersetzte. Dieser Referenzrahmen etablierte eine „partikulare Moral“101, die sich von Friedensstandards in eklatanter Weise unterschied und gerade auch in der Frage des militärischen Normbruches aus „der Sicht der Akteure Geltung beanspruchen und ihr Handeln anleiten konnte“.102 Den Faktoren und Mechanismen, die den Referenzrahmen konstituierten bzw. verschoben, sollte sich die Gewaltforschung des Ersten Weltkrieges in Zukunft verstärkt widmen. Die Kriegsgräuel-Forschung müsste sich dabei stärker an interdisziplinären Forschungskonzepten orientieren und – vor allem – vergleichend vorgehen. Nur auf diese Weise wird es möglich sein, verbindlichere Informationen zu den bis heute noch offenen Fragen der weiter oben skizzierten Forschungskontroversen geben zu können. Im Kontext der erwähnten theoretisch-methodischen Standards gilt es tragfähige Forschungskonzepte zu erarbeiten, die gewalt- und militärhistorische Perspektiven mit Erkenntnissen der Gewaltsoziologie und -psychologie verbinden. Damit müsste die Weitung des Forschungshorizontes in thematischer und räumlicher Hinsicht einhergehen. Die exklusive Konzentration auf gegen die Zivilbevölkerung gerichtete Gräuel sollte durch die stärkere forschungsmäßige Thematisierung anderer Arten von Kriegsgräueln, die im Rahmen der hier entwickelten Phänomenologie zumindest angerissen wurden, erweitert werden. In räumlicher Hinsicht muss der Fokus auf die bisher immer noch nicht wirklich überzeugend aufgearbeiteten Kriegsgräuel in Ost- und Südostbzw. Südeuropa verschoben werden. Auf diese Weise können die Kriegsverbrechen der verschiedenen kriegsbeteiligten Staaten und Armeen – auch über eine vergleichende Perspektive – besser eingeordnet werden.103

101 Welzer, Täter, 37. 102 Ebd., 31. 103 Vgl. etwa den Sammelband zu Rumänien: Gundula Gahlen/Deniza Petrova/Oliver Stein (Hg.), Die unbekannte Front. Der Erste Weltkrieg in Rumänien, Frankfurt/New York 2018; bzw. auch: Bernhard Bachinger, Die Mittelmächte an der Saloniki-Front 1915–1918. Zwischen Zweck, Zwang und Zwist, Paderborn u. a. 2019.

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Letztlich bleibt die Frage danach, warum es zu all diesen völkerrechtswidrigen Gewalttaten und Gräueln kommen konnte, eine zentrale Herausforderung. Die nur über eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zu bewerkstelligende Beantwortung dieser Frage führt über die stärkere Operationalisierung bzw. Herausarbeitung der in diesem Beitrag sehr allgemein und kursorisch skizzierten situations-, organisations-, erfahrungs- und dispositionsimmanenten Ursachen der Entstehung völkerrechtswidriger Kriegsgewalt. Dieser Quaternio an Faktoren konstituierte, erweiterte bzw. verschob und – man könnte auch sagen – pervertierte schließlich vielfach auch den jeweiligen soldatischen Referenzrahmen, der in dem Prozess der Entstehung exzessiver Gewalt eine entscheidende Bedeutung spielte.

Gordana Ilić Marković

Im eigenen und im fremden Land gefangen Serbische Internierte des Ersten Weltkrieges in Österreich-Ungarn

Nach dem Ersten Weltkrieg verschwand das Königreich Serbien von der Landkarte. Es wurde Teil eines neuen Staates: des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen, ab 1929 des Königreiches Jugoslawien und nach dem Zweiten Weltkrieg der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. Für die Herausbildung einer neuen südslawischen Nationalidentität wurde es als nicht förderlich angesehen, Kriegserlebnisse einzelner Völker in den Vordergrund zu rücken. Die jugoslawische Historiographie, die sich ohnehin dem Ersten Weltkrieg als „Sonderthema“ kaum widmete und den Konflikt für gewöhnlich in die Nationalgeschichte integrierte, berücksichtigte serbische Selbstzeugnisse und literarische Werke von Autoren aus Serbien, die den Krieg miterlebt hatten, in der Regel selten. Dabei waren, bedingt durch eine breite Mobilisierung, den Verlauf der Kämpfe, eine große Flüchtlingswelle und die dreijährige Okkupationszeit, alle Gesellschaftsschichten vom Krieg unmittelbar betroffen gewesen. Dazu kam noch eine hohe Zahl von Serben aus der Habsburgermonarchie, die den Konflikt entweder als Zivilisten oder Militärangehörige miterlebten. Ihre Aufzeichnungen hat sich die serbische Historiographie erst in den letzten Jahren verstärkt zunutze gemacht. Neben Millionen von Soldaten aller beteiligten Länder, die im Ersten Weltkrieg weltweit in Kriegsgefangenschaft kamen, wurden auch zahlreiche Zivilisten zu Gefangenen. Besonders fragwürdig erscheint die Internierung eigener Staatsbürger, wie etwa in Russland und in Österreich-Ungarn. Sie betraf nicht zuletzt die serbische Bevölkerung der Habsburgermonarchie. Aus ihren Reihen stammten die ersten Gefangenen dieses Krieges. Von den Schicksalen der in Österreich-Ungarn verhafteten, internierten, als Geisel genommenen und konfinierten serbischen Zivilisten geben Tagebücher, Briefe oder Nachkriegsmemoiren beredtes Zeugnis. Wichtige Informationen finden sich darüber hinaus in einer Vielzahl von Archivquellen, in Stadtchroniken, in der österreichischen und ungarischen, aber auch serbischen Presse sowie in Lagerlisten oder sogenannten „Totenprotokollen“. Neben den schriftlichen Zeugnissen der Zeit blieben außerdem zahlreiche Foto-

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grafien erhalten. Mittels dieser Quellen konnte Einsicht in die Welt der Gefangenen genommen und die Rekonstruktion einzelner Schicksale versucht werden.1 Laut Daten, die im Rahmen der Friedenskonferenz in Paris 1919 vorgelegt wurden, verlor Serbien im Ersten Weltkrieg fast ein Drittel seiner Einwohner: 1.247.435 Menschen.2 Wie stark gerade Zivilisten, die in Statistiken für gewöhnlich seltener aufscheinen, in Mitleidenschaft gezogen worden waren, belegt die Aufteilung der Verluste: 402.435 Soldaten und 845.000 Zivilisten. In Summe befand sich während des Krieges fast die Hälfte der Bevölkerung Serbiens in Internierungs- oder Kriegsgefangenenlagern, oder aber die Menschen fristeten als Flüchtlinge ihr Leben.3 Serbische Zivilinternierte befanden sich in Lagern in Österreich-Ungarn, Bulgarien, Deutschland und im Osmanischen Reiche.4 Zudem wurden sie als Auswanderer aus der Habsburgermonarchie in Staaten, die mit der alten Heimat im Krieg standen, zu „feindlichen Ausländern“ (enemy aliens) und gemeinsam mit anderen Staatsbürgern der k. u. k. Monarchie und Deutschlands etwa in Internierungslagern in Kanada, Australien oder Großbritannien festgehalten5. Ungeachtet variierender Angaben zu den betreffenden Gefangenen sowie zu Mortalitätsraten befand sich zweifellos die höchste Zahl serbischer Gefangener in den Lagern Österreich-Ungarns. Laut einem Bericht des Roten Kreuzes vom Januar 1918 befanden sich Ende 1917 in den österreichisch-ungarischen Lagern 127.500 serbische Kriegsgefangene und 79.000 Internierte.6 Das k. u. k. Armeeober1

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Das Material wurde in Archiven und Bibliotheken Serbiens und Österreichs gesammelt. Zahlreiche Geschichtszeugnisse befinden sich immer noch als Erinnerungsstücke im Privatbesitz der Familien, weswegen die Feldforschungsarbeit erforderlich war. In den vier Jahren verlor Serbien 28 Prozent seiner Gesamtbevölkerung, mehr als irgendein anderes Land, darunter zwei Drittel Zivilisten und 53 Prozent der männlichen Bevölkerung im Alter von 18 bis 55 Jahren. Dazu kamen 260.000 Invalide und Kriegsversehrte. Vgl. Holm Sundhaussen, Geschichte Serbiens, Wien 2007, 228. Dušica Bojić, Serbian Refugees in the First Wold War, in: Painters/Warriors/Witnesses. Painting and Photography in Serbia 1914–1918, Belgrade 2017, 107–127, 123. Ca. 5000 serbische Kriegsgefangene wurden aus den Lagern Österreich-Ungarns 1917 und 1918 als Arbeitskräfte (Eisenbahn- und Kanalbau, Minenarbeit etc.) in das Osmanische Reich verbracht, außerdem serbische Zivilisten aus dem bulgarischen Okkupationsgebiet dorthin deportiert. Zudem gelangten Serben auch als kriegsgefangene österreichisch-ungarische Soldaten und Offiziere u. a. in die Lager Russlands, Italiens und Japans. Die Zagreber Presse berichtet über die Inhaftierung von Männern im Alter zwischen 15 und 55 Jahren und über die Internierung von zusätzlich 40.000 Frauen und 16.000 Kindern, alle deutsche und österreichisch-ungarische Staatsbürger. Hrvatsko pravo, 22.5.1915, 5. Rumen Cholakov, Prisoners of War in Bulgaria during the First World War, Cambridge 2012, 13.

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kommando hatte im Juni 1917 eine Erfassung der internierten serbischen Staatsangehörigen in 15 Lagern Österreich-Ungarns angeordnet, unterteilt in „1) Männer wehrfähig, 2) Männer wehrunfähig und über 50jährige, 3) Weiber und 4) Kinder unter 15 Jahre“. Für die Lager Boldogasszony (Frauenkirchen), Nezsider (Neusiedl am See), Aschach an der Donau, Nagymegyer (Veľký Meder) und Braunau allein ergab diese Untersuchung die Zahl von 60.870 Internierten, die bis Mai 1917 überlebt hatten.7 Im Bericht der serbischen Delegation in Paris aus dem Jahr 1919 wurde eine Zahl von 60.000 serbischen Internierten angegeben, 20.000 waren gestorben.8 Die hier angegebenen Zahlen beziehen sich ausschließlich auf die Bevölkerung aus dem Königreich Serbien, ohne Berücksichtigung der Opfer unter den Serben aus der Habsburgermonarchie. Nicht inkludiert in die Gesamtzahlen sind überdies diejenigen, die in den Jahren 1917 und 1918 freikamen. Innerhalb der ersten Monate war eine große Anzahl dieser Gefangenen an Erschöpfung, Kälte und vor allem an Typhus gestorben. Viele waren bereits in geschwächtem Zustand, nur notdürftig bekleidet, deportiert worden, und die vorgesehenen Unterkünfte waren bei ihrer Ankunft noch nicht bezugsfertig. Einige verstarben zum Teil, noch bevor begonnen wurde, ihre Daten systematisch zu erfassen. Wie viele serbische Internierte im Laufe der Kriegsjahre in den Lagern Österreich-Ungarns genau untergebracht waren und wie viele davon starben, lässt sich unter diesen Vorzeichen bislang nicht exakt feststellen. Aufgrund verschiedener Dokumente und Privataufzeichnungen kann man sich jedoch ein Bild von der Gefangennahme, den Lagern und der Situation dort machen. Im Kriegsverlauf kam es zu mehrmaligen Verlegungen von Gefangenen. Außerdem gab es Lager, wo – bei entsprechender Trennung – sowohl Zivilisten als auch Kriegsgefangene untergebracht waren. Als Unterbringungsorte in Frage kamen vor allem kleinere Ortschaften, die sich an einer Bahnstrecke befanden. Die Einwohnerzahl dieser Ortschaften vervielfältigte sich mit der Ankunft der

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Zit. nach Vladimir Stojančević, Srpski civilni internirci u Austro-Ugarskoj, in: Istorijski časopis XXII (Beograd 1975), 149–171, 159 f. Report sur les dommages de guerre causés à la Serbie et au Monténégro présenté à la Commission des Réparations des Dommages, Paris 1919. Aufgrund der während des Krieges gesammelten Daten lag die Zahl der Internierten nach der Schätzung der Regierung zwischen 50.000 und 100.000. Mileta Novakovic, L’occupation Austro-Bulgare en Serbie, Nancy 1918, 37. Siehe auch: B. Krizman/B. Hrabak (Hg.), Zapisnici sa sednica Delegacije Kraljevine SHS na Mirovnoj konferenciji u Parizu 1919–1920, Beograd 1960, 329–327; Predrag Trifunović, Pisanja generala Trifunovića. Izabrani spisi, objavljeni i neobjavljeni, Beograd 2014, 234–259; Dalibor Denda, Srpski zarobljenici Centralnih sila, In: Leksikon Prvog svetskog rata u Srbiji, Beograd 2014, 345–348.

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Gefangenen.9 In größerer Zahl befanden sich Serben in folgenden Gefangenenlagern: Boldogasszony/Frauenkirchen (damals Ungarn, heute Österreich/Burgenland), Nagymegyer/Veľký Meder (damals Ungarn, heute Slowakei), Еsztergom (Ungarn), Czegled (Ungarn), Heinrichsgrün/Jindřichovice (Böhmen: Tschechien), Braunau/Broumov-Martínkovice/Märzdorf (Böhmen: Tschechien), Grödig bei Salzburg, Aschach an der Donau (Oberösterreich), Marchtrenk (Oberösterreich), Mauthausen (Oberösterreich), Nyék/Neckenmarkt (damals Ungarn, heute Österreich/Burgenland), Brunn am Gebirge (Niederösterreich) und Czinkota (Ungarn), Nezsider/Neusiedl am See (damals Ungarn, heute Öster­reich/Burgenland), Drosendorf (Niederösterreich), Thalerhof bei Graz (Steiermark), Katzenau (Oberösterreich), Braunau am Inn (Oberösterreich), Arad (Banat, Rumänien), Doboj (Bosnien-Herzegowina), Sopronnyék/Neckenmarkt (Ungarn), Kecskemét (Ungarn) und Túrony (Ungarn). Während die Behandlung der Kriegsgefangenen in der Haager Landkriegsordnung festgelegt worden war, unterlag jene der gefangenen Zivilisten den Gesetzen des jeweiligen Landes, was zu unterschiedlichen und wechselnden Regelungen führte.

Im eigenen Land gefangen Unmittelbar nach der Ermordung von Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo kam es zu Vergeltungsmaßnahmen gegenüber der „orthodoxen Bevölkerung“ Bosniens, wie Serben im öffentlichen Diskurs der k. u. k. Monarchie für gewöhnlich bezeichnet wurden. Erste Verhaftungen, Geiselnahmen und Hinrichtungen folgten. Betroffen davon waren schließlich auch Serben und als „illoyal“ beziehungsweise „serbophil“ eingestufte andere Südslawen in Dalmatien, Slawonien, Istrien und weiteren Gebieten Österreich-Ungarns. Die ersten Gefangennahmen erfolgten auf Grundlage sogenannter „Proskriptionslisten“, die als Folge von Überwachung, aber auch Denunziationen noch in den Jahren vor dem Krieg entstanden waren. K. u. k. Kriegsminister Alexander von Krobatin hatte bereits am 2. Juli 1914 um das Inkrafttreten von Ausnahmeverfügungen in Bosnien und Herzegowina ersucht. Dazu kam es am 26. Juli 1914. Die Bestimmungen beinhalteten u. a. Folgendes: Auflösung des Landtages, Auflösung aller serbischen Vereine, Ausweisung aller Angehörigen des Königreiches Serbien aus Bosnien und Herzegowina, Ausschluss aller serbischen Hoch- und Mittelschüler sowie Lehrer, „die sich 9

Vor dem Krieg verzeichneten z. B. Aschach an der Donau, Braunau am Inn, Marchtrenk, Mauthausen, Frauenkirchen oder Neusiedl am See zwischen 1700 und 3000 Einwohner.

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in letzter Zeit irgendwie an staatsfeindlichen Demonstrationen beteiligt haben …“, sowie Einsetzen von „strengster Überwachung der Geistlichen serbischer Nationalität, der Lehrer und Studierenden“.10

Zuerst wurden gebildete Serben und Honoratioren und danach Personen aus allen Bevölkerungsschichten als Geiseln genommen11 und als „politisch unzuverlässig“ innerhalb ihrer Wohngebiete festgehalten. Geiselnahmen erfolgten als Präventivmaßnahmen im Falle serbischer Übergriffe. Diese Praxis wurde in der Zeit der Julikrise in Bosnien-Herzegowina, Dalmatien, Istrien, Slawonien, im Banat und in der Bačka wie auch in Ungarn und Österreich angewendet und im weiteren Kriegsverlauf auf Serbien und Montenegro ausgedehnt. Geiseln wurden nicht immer in Gefängnisse verbracht, sondern auch zum Zwecke der Abwehr gegen Angriffe der serbischen Armee vor den eigenen Truppen hergetrieben und als Schutzschilder missbraucht, um Brücken, Züge oder andere strategische Ziele zu sichern.12 Der junge Korporal Egon Erwin Kisch befand sich im Sommer 1914 mit den österreichisch-ungarischen Truppen am linken Ufer der Drina in Bosnien und wurde Zeuge zahlreicher Übergriffe: 7. August 1914: […] kamen wir um ¾ 8 Uhr abends nach Bjelina. […] Auf dem Marktplatz steht ein Galgen, ein Pflock mit einem Nagel oben. Heute sind ein Pope und ein Student gehängt worden. In der Nacht hörten wir Schüsse, es gibt schon Vorpostengeplänkel.

8. August: In einem Wagen fuhr eine verwundete Serbin vorüber. Sie hatte angeblich einen Brunnen vergiftet und war dabei ertappt worden; als sie flüchtete, sandte

10

Zit. nach Tamara Scheer, About Švabas and Komitadschis. Social Structures and Life in Occupied Belgrade (1915–1918), in: Vojno istorijski glasnik 2 (2009), 30–54, 57 f. 11 Unter ihnen auch berühmte serbische Schriftsteller: Aleksa Šantić und Svetozar Ćorović in Mostar (Herzegowina), Ivo Vojinović in Dubrovnik. 12 U. a. Ćorović, Crna knjiga; vgl. Stenographische Protokolle, Haus der Abgeordneten, 32. Sitzung der XXII. Session am 19.10.1917, 1667–1674; Jovan Miodragović, Beleške iz trinaestodnevne vladavine austrijske u Beogradu, Beograd 1915; Arnold Suppan, Deutsch-österreichisch-ungarisch-serbisch-kroatisch-slowenische Konfliktgemeinschaft 1848–1918, in: Hitler – Beneš – Tito. Konflikt, Krieg und Völkermord in Ostmittelund Südosteuropa, Wien 2017, 217–330, 303.

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man ihr einen Schuß nach. Ein Serbe wurde mittels Automobil ins Korpskommando eingeliefert. Er trug die Uniform eines Infanteristen unserer bosnischen Regimenter. Der Junge – er soll ein serbischer Offizier sein – hatte die Augen verbunden. In seinem Gesicht zeugte kein Fältchen von Besorgnis oder gar von Angst, obwohl ihm der Tod von Henkershand gewiß ist.

9. August: Auf der Stationswache sind die Spionageverdächtigen. Ich schaue in die Arreste. In der ersten Zelle stand der junge serbische Offizier in der Bosniakenuniform […]. In der nächsten Zelle waren drei zerlumpte Burschen, Ziegenhirten. Im dritten Raum war ein dunkelfarbiger Mann untergebracht, der die Uniform eines österreichischen Feuerwerkers trug. In der vierten Zelle lag auf einer Pritsche ein Mann mit langem, pechschwarzem Prophetenhaar und Christusbart. […] Er dürfte ein Pope sein. […] In der letzten Zelle waren etwa zwölf Tschuzen (so nennen wir die Landleute), darunter ein ganz alter mit weißem Vollbart, schwarzer Lammfellmütze und roten Strümpfen; auch er soll ein Anhänger des Sarajewoer Princips gewesen sein. Im oberen Stockwerk: die Geiseln. Es sind Honoratioren aus österreichischen Landstrichen, wo Hinterhältigkeiten gegen das Militär vorkamen. Sobald sie sich wiederholen sollten, werden die Geiseln hingerichtet […]13

Die ersten Gefangenenstationen bzw. Durchgangslager befanden sich in Derventa, Banja Luka, Bosanski Brod und Mostar in Bosnien und Herzegowina, in Slavonski Brod, Osijek und Karlovac in Kroatien und Maribor in Slowenien. Im weiteren Kriegsverlauf wurden die gefangenen Zivillisten in weiter entfernt gelegene Internierungslager in Ungarn und Österreich verlegt. Die Lager in Bosnien und Kroatien blieben indessen als Etappensammellager bestehen. Darüber hinaus wurden einige auch konfiniert. Bei den Konfinierten handelte es sich um gefangene Zivilisten, die sich außerhalb der Lager oder in gesonderten Lagerteilen befanden, gewisse Bewegungsfreiheit genossen, über Geldmittel verfügten, um selbst für ihre Unterkunft und Verpflegung aufzukommen, und, wenn sie außerhalb der Lager untergebracht waren, sich regelmäßig bei der Polizeibehörde zu melden hatten. In Aschach an der Donau befanden sich 41, in Heinrichsgrün 409 und in Neusiedl am See 271 Konfinierte.14 Unter den konfinierten Ausländern im niederösterreichischen 13 Egon Erwin Kisch, Schreib das auf Kisch!, Leipzig 1951, 77–81. 14 Ljubodrag Popović, Srpski internirci u logorima Austrougarske 1916 godine, in: Zbornik radova, Istorijski institut, 5/1987, 309–320, 317.

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Raabs an der Thaya15 sind insgesamt 60 Serben fassbar. Den angegebenen Berufen zufolge – darunter Ärzte, Richter, Universitätsprofessoren oder Bankiers – gehörten die Konfinierten den höheren beziehungsweise vermögenderen Schichten an. Einer von ihnen war der frühere serbische Ministerpräsident Vladan Đor­ đević16. Er wurde im Januar 1916 in Serbien inhaftiert, worüber die österreichische Presse vermeldete: „Besonders gegen Exzellenz Georgevitsch mag einige Vorsicht am Platz sein. Dieser ehemalige Ministerpräsident, der sich, so oft es kriselte, gern in Wien aufgehalten hat und dort in manchen Kreisen als ein öster­reichfreundlicher Serbe gilt, ist ein Serbe und nur ein Serbe.“17 Im Juni 1916 kam der Befehl, Đorđević aus Serbien nach Österreich zu bringen und dort zu konfinieren. Als Ort seines Aufenthaltes wurde Raabs an der Thaya bestimmt. Seine Frau Polina, eine Wienerin, war wenige Monate davor gestorben. Die jüngste Tochter und ihre Kinder folgten dem Vater bzw. Großvater nach Niederösterreich. Nach Belgrad kehrten sie im November 1918 zurück.18 Bezeichnend ist auch das Schicksal des berühmten Mathematikers und Wissenschaftlers Milutin Milanković, der sich zur Zeit der Julikrise in seinem Geburtsort, in Dalj in Slawonien, aufhielt. Milanković hatte in Wien studiert. Bei seiner Verhaftung im Juli 1914 war er Professor an der Universität in Belgrad und serbischer Staatsbürger. Als solcher wurde er zuerst nach Osijek deportiert, dann in Dalj unter Hausarrest gestellt. Nachdem die serbische Armee nach Srem vorgedrungen war, wurde er mit zahlreichen weiteren Serben schließlich nach Karlovac in Kroatien gebracht. Ende Oktober kam der Befehl für die Verlegung nach Nezsider. Milankovićs Freunde und Kollegen in Wien erwirkten, dass er schon Ende 1914 nach Budapest als Konfinierter entlassen wurde, wo ihm auch die Erlaubnis zur Benutzung der Bibliothek im Zusammenhang mit seinen wissenschaftlichen Studien erteilt wurde. Ähnlich erging es den serbischen Schauspielern Aleksandar Binički19 und Bora 15 Reinhard Mundschütz, „Raabs an der Thaya“, in: Die Internierungslager für Zivilisten in Niederösterreich während des Ersten Weltkrieges 2018, https://vereinnetzwerkblog. wordpress.com/2018/05/13/die-internierungslager-fuer-zivilisten-in-niederoesterreich/ (abgerufen am 21.1.2021). 16 Dr. Vladan Đorđević (1844–1930) studierte als Stipendiat der serbischen Regierung Medizin in Wien. Seine Arzt- und Politiker-Kariere machte er im Königreich Serbien. 17 Linzer Volksblatt, 6.2.1916, 2. 18 Vgl. Gordana Ilić Marković, Bečke godine Vladana Đorđevića, in: Vladimir Konjuh/ Radoje Čolović/Jovan Delić, Vladan Đorđević. On the Occasion of the 176th Anniversary of His Birth, Beograd, 2020, 497–514. 19 Aleksandar Aca Binički, in Belgrad geborener Opernsänger sowie Theater- und Filmschauspieler, der sein Studium in München abgeschlossen hatte, war Bruder des berühmten serbischen Komponisten Stanislav Binički, der als Dirigent das Orchester der

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Rašković20, die 1914 Mitglieder des Zagreber Theater gewesen waren. Auch sie wurden in Nezsider interniert und standen nach der Entlassung als Konfinierte in Zagreb unter Beobachtung. Bei Weitem nicht allen gelang es aber, der Internierung in den Lagern zu entgehen und sich in die Schar der Konfinierten einzureihen. Anfang August brachten viele Zeitungen eine knappe Meldung über die ersten Kriegsgefangenen Österreich-Ungarns: 1. August. Heute Nacht trafen in Arad unter starker militärischer Bedeckung insgesamt hundertundsiebzehn Reichsserben21 ein. Sie sind die ersten Kriegsgefangenen unserer ruhmreichen Armee. Die 117 Soldaten kamen um 12 Uhr mitternachts mit dem Timişoarer Personenzug hierher. Unter den festgenommenen Serben befinden sich auch zwei Offiziere, darunter der Sohn des serbischen Woiwoden R. Putnik. Die serbischen Kriegsgefangenen wurden in der Arader Festung interniert.22

Während des gesamten Krieges setzte man die Deportation von Serben aus Bosnien, Herzegowina, Dalmatien, Istrien, Srem, Slawonien und dem Banat, unter ihnen Tausende Frauen und Kinder, als Zivilinternierte in österreichische und ungarische Lager fort. In Srem wurden ganze Dörfer „leergeräumt“ bzw. „gesäubert“ – ein Teil der Bewohner umgebracht, der Rest interniert und Hab und Gut der Betroffenen konfisziert. In der „Reichspost“ lasen sich die Vorgänge so: […] die Serben […] ließen abermals mehrere Tausend Gefangene in den Händen unserer Truppen, zu gleicher Zeit übersetzten sie bei Pancsova die Donau und das Ende war, wie wir im gestrigen Abendblatte melden konnten, eine neue Niederlage, eine neue Flucht in schwerer Bedrängnis und neuerliche Gefangennahme zahlreicher Serben. So wurden, wie die amtliche Verlautbarung vom 15. September feststellen konnte, Banat und Syrmien von den Serben vollständig gesäubert …23

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Königsgarde in der serbischen Armee leitete und 1914 den mittlerweile weltberühmten „Drina-Marsch“ komponierte. Bora Rašković, gebürtig aus Šabac, war einer der bekanntesten Schauspieler der Vorkriegszeit und Doyen des Zagreber Theaters. In der Vorkriegspresse ebenso wie seitens der Behörden wurden die Serben der Monarchie überwiegend als „orthodoxe Bewohner“ im Unterschied zu den Serben aus dem Königreich Serbien bezeichnet, die als Reichsserben oder Serben geführt wurden. U. a. Neues Wiener Journal, 3.8.1914, 1. Reichspost, 17.9.1914, 3.

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Die Presse beider Länder, die sich nun im Krieg gegenüberstanden, berichtete über die „Illoyalität“ oder aber „Solidarität“ der Südslawen in der Monarchie. Die Loyalität der Völker der k. u. k. Monarchie dem Kaiser und Vaterland gegenüber wurde stets betont, insbesondere in der österreichisch-ungarischen Presse in Kroatien und Bosnien-Herzegowina und ab 1916, nach der Besatzung Serbiens und Montenegros, auch in der Okkupationspresse dieser Gebiete. Dabei wurde das Schicksal der „Verräter“ zur Abschreckung dargelegt. Mit der Deportation der Serben aus Srem und Slawonien erfolgte ihre Enteignung. Ungarn, Deutsche und Kroaten wurden aufgerufen, sich hier anzusiedeln. Die Lehre aus diesem Krieg – Die Völker dieser Monarchie verdichteten ihre Reihen um den Thron, sobald der Krieg entflammte. Alle kämpften Schulter an Schulter mit Begeisterung und unter größtem Opfer für das Leben und den Ruhm des Landes und der Krone. […] Der Feind wurde gezwungen, vor den vereinten Bajonetten der Deutschen, Tschechen, Polen, Kroaten und Ungarn zu weichen. Nur ein schwarzer Schandfleck blieb auf unserem Körper, bedauerlicherweise in unserer unmittelbaren Nähe, in unserem Srem, auf welches wir so stolz waren. Die orthodoxe Bevölkerung zeigte sich in großer Zahl geradezu feindlich gegenüber ihrem Heimatland. […] während die griechisch-östliche Zivilbevölkerung in einigen Teilen von Srem mit dunklen Seiten unsere Geschichte bedeckte, bedecken kroatische Söhne und mit ihnen auch orthodoxe Brüder in den Kämpfen ihre heldenhaften Köpfe mit Lorbeerkränzen. […] Wegen des Hochverrats – Der Kommandant der Festung Petrovaradin, […] gab am 12. dieses Monats folgende Kundmachung heraus: „Auf die Nachricht, dass die serbischen Truppen die Grenze überschritten hatten, wurde der Feind von einem Teil der Einwohner aus der Gemeinde Beška feierlich empfangen. […] Wegen dieses unverschämten Verrates ließ die Militärkreisbehörde sechs Hauptschuldige öffentlich hinrichten, während auf die anderen eine harte Strafe wartet. Ich ermahne die Bevölkerung, sich mit solchen hochverräterischen Taten zurückzuhalten, weil jeder Verräter sofort erschossen wird.“ In Stara Pazova wurden diese Hochverräter hingerichtet […]. Zweitausend orthodoxe Bewohner wurden unter strenger Bewachung nach Irig deportiert, wo ihnen der Prozess gemacht wurde. Die orthodoxe Bevölkerung wird aus dem Kreis Srem deportiert und wird nicht mehr dorthin zurückgebracht. […] Gefangene aus Srem in Osijek sind auf das Neue Messegelende, wo für sie die Ställe zweckgemäß eingerichtet wurden, überstellt. […] Zusätzlich zu den Gefangenen, die sich schon in Petrovaradin und anderen Ortschaften befinden, wurden insgesamt 3216 Orthodoxe aus Srem nach Osijek gebracht.24 24 Vinkovci und Umgebung/Vinkovci i okolica, 27.9.1914, 1–3.

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Auch die Presse der Alliierten und Neutralen berichtete über die Ereignisse in Srem sowie über die Lage der Serben in der Monarchie. Österreichische und ungarische Zeitungen reagierten darauf mit mehreren Artikeln, um darin die erhobenen Anschuldigungen zu widerlegen beziehungsweise zu dementieren.25 Die Redaktion der Belgrader Tageszeitung „Politika“ richtete daraufhin einen Appell an „alle Zeugen der österreichischen Gräueltaten, […] insbesondere an Priester, Lehrer und Lehrerinnen, Bürgermeister, Beamte und alle Schriftkundige […], uns alles, was sie über Plünderungen und Barbarei der österreichischen Offiziere und Soldaten wissen, zu melden“, und begann ab November 1914 diese Berichte auf der Titelseite unter der Rubrik „Aus dem Schwarzbuch der österreichischen Bestialitäten“ („Iz crne knjige austrijskih zverstava“) zu veröffentlichen. Bereits Anfang November war Folgendes zu lesen: Die Frage der österreichischen Serben: […] Indem unsere Truppen auf den feindlichen Boden eindringen, erfahren sie von der alltäglichen Gewalt, welche von den Österreichern den dortigen Serben angetan wird. Raub, Vergewaltigungen, Erschießungen waren in der letzten Zeit alltägliche Ereignisse in jenen Ortschaften, die von Serben bewohnt sind. Vor unseren Truppen sich zurückziehend, nahm die österreichische Armee serbische Priester, Lehrer und Händler nach Petrovaradin als Geiseln mit. […] Das ist nicht für lange Zeit! Die österreichische Armee, die in eineinhalb Monaten nicht im Stande war, einen Kampf zu gewinnen, wird mit Gewalttaten die Kämpfe ersetzen. […] Letztendlich sollen sich Serben, die heute – in den Gefängnissen und auf der Flucht – unter dem österreichischen Terror leiden, auf jene Hunderttausende Serben besinnen, die bei Tag und Nacht in den nassen Schützengräben kämpfen und bluten. […].26

Auch einzelne Quellen aus der Zwischenkriegszeit nehmen auf die geschilderten Ereignisse Bezug: In Beška wurden orthodoxe Bewohner aufgrund von Denunziationen, die an den Kommandanten der Festung von Petrovaradin herangetragen wurden, verhaftet.27 25 Mehr zur serbischen und österreichisch-ungarischen Propaganda im Ersten Weltkrieg in: Gordana Ilić Marković, Roda Roda, Srpski dnevnik izveštača iz Prvog svetskog rata. Austrougarski ratni presbiro, Novi Sad/Beograd 2017; Gordana Ilić Marković, Papirno naoružanje Prvog svetskog rata. Jezik propagande na primeru Austrougarske monarhije i Kraljevine Srbije, in: Đorđe Đurić (Hg.), Prvi svetski rat i ujedinjenje. Zbornik radova, Matica Srpska, Novi Sad 2018, 161–197. 26 Politika, 2.9.1914, 1. 27 Vgl. Toša Iskruljev, Raspeće srpskog naroda u Sremu 1914 i Madžari, Novi Sad 1936, 33–42.

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Tausende Serben wurden überdies ihrer staatsbürgerlichen Rechte entledigt und enteignet. Ins Visier genommen wurden ab Ende 1914 sogenannte „unbefugte Auswanderer“. Die Anweisungen für Expatriierungen und Enteignungen waren im Oktober 1914 gegeben worden.28 In Betracht kamen Bewohner Bosniens und Herzegowinas, die sich nachweislich oder mutmaßlich der serbischen Armee angeschlossen hatten. Als Abschreckung wurde die Bevölkerung mittels Presse davon in Kenntnis gesetzt. In der „Bosnischen Post“, einer deutschsprachigen Zeitung aus Sarajevo, wurde allein für den Zeitraum vom 20. Februar bis 23. März 1915 die Zahl von über 5000 expatriierten und enteigneten Familien angeführt. Auch in Österreich berichteten Zeitungen darüber: Ausstoßung aus dem Staatsverband. – Wie die Blätter in Sarajevo melden, wurde der ehemalige Abgeordnete und Advokat Dr. Milan Krstic, der als Leutnant in russische Kriegsgefangenschaft geriet und sich gegenwärtig in Saloniki aufhält, expatriiert. Der Verlust der Landesangehörigkeit bezieht sich auch auf seine Gattin wie auch auf seine minderjährige Tochter.29

Großes Echo rief eine Rede des kroatischen Abgeordneten Dr. Ante Tresić-Pa­ vi­­čić30 am 19. Oktober 1917 im Reichsrat in Wien hervor. Tresić-Pavičić war selbst interniert gewesen und berichtete über den Umgang mit den Reichsserben ebenso wie den Serben und anderen Südslawen in der Habsburgermonarchie, die als Sympathisanten oder Anhänger der Idee der „südslawischen Einheit“ bezeichnet worden waren. Begleitet von zahlreichen Zwischenrufen, berichtete er über Geiselnahmen und Ermordungen in Bosnien-Herzegowina und Kroatien in der Zeit zwischen dem Attentat im Juni 1914 und 28 Milan Toplica, Austro-Ugarska protiv svojih podanika. Državna štamparija Kraljevine Srbije, Niš 1915, 24. Wie aus dem Nachwort ersichtlich, wurde dieser Text über den „Krieg Österreich-Ungarns gegen seine eigene Untertanen“ in Venedig verfasst und vom serbischen Wissenschaftler Mihajlo Pupin in den USA herausgegeben. Der Name Milan Toplica war offensichtlich ein Pseudonym. Die Broschüre sollte die Öffentlichkeit über die Lage der serbischen Bevölkerung in Österreich-Ungarn und die Hilfsmaßnahmen aus den alliierten und neutralen Ländern sowie über die Rekrutierung von in den USA ansässigen Südslawen informieren. 29 Arbeiter-Zeitung, 19.10.1915, 5. 30 Aus Dalmatien stammender kroatischer Schriftsteller und Politiker, seit 1906 Reichsratsabgeordneter. Sofort nach dem Kriegsausbruch wurde er in Split festgenommen und daraufhin über die Auffanglager in Rijeka, Zagreb und Maribor ins Internierungslager Thalerhof bei Graz deportiert. Unter „Anklage des Verbrechens des Hochverrates“ wurde er nach zwei Jahren Internierung in Haft genommen. Nach 20tägiger Gerichtsverhandlung in Graz, in der ein Militäranwalt die Todesstrafe verlangte, wurde er am 4. Juli 1916 freigesprochen, blieb aber für weitere Monate interniert.

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dem Kriegsbeginn. Außerdem schilderte er die Zustände in den Gefangenenlagern in Doboj, Mostar und Arad. Tresić-Pavičić berichtete über schwerste Misshandlungen von „Frauen, Greisen und Kindern“ und von Tötungen in diesen Lagern, nannte die vollen Namen von Tätern, Opfern und Zeugen. Außerdem sprach er von Tausenden Todesopfern infolge von Seuchen.31 Die Rede wurde trotz Zensur im Zagreber Blatt „Novosti“ in der Ausgabe vom 25./26. Oktober 1917 veröffentlicht:32 Unser Volk wurde auch in diesem Kriege wieder, wie immer, in die erste Kampfreihe gerückt, bis zum vollständigen Verbluten dem heißen Kugelregen ausgesetzt, auf der eigenen Scholle allmählich mit dem Henkerstrick, durch Blei, Bajonette, Gefängnis, Deportation, Konfination, Evakuation, Kriegsgericht, Hunger, Internierungslager und absichtlich verursachte Krankheiten ausgerottet. Seine Unterdrückung begann schon vor dem Kriege, und zwar sofort nach dem Attentat von Sarajewo. Damals wurde unter Obhut der Behörden die Treibjagd auf die Serben begonnen und organisiert, und ihre Geschäfte wurden überall zerstört und geplündert. Schon damals sind viele Serben umgekommen. […] Sobald der Krieg ausbrach, begann auch der Sturm der Ausrottung aller südslavischen Volksfreunde. […] als gefangene Serben über Agram und Budapest nach Marburg fahren mussten, Kolbenhieben und Flüchen wilder magyarischer Soldaten ausgeliefert, damals wurden viele vor Entsetzen wahnsinnig, und ich sah mit eigenen Augen einen Unglücklichen zum Wagenfenster des mit voller Geschwindigkeit fahrenden Zuges in die Finsternis der Nacht und des Todes hinausspringen. […] Viele unterlagen den Leiden in Marburg und Graz […]. Viel furchtbarer war noch das Schicksal der Gefangenen in Mostar, Doboj und Arad, […]. In Mostar […] wurden sie […] auf Befehl irgend eines Offiziers vom oberen Stockwerk in den Hof geführt und zweien, bis zu den Zähnen bewaffneten Muselmanen ausgehändigt. […] Noch Schrecklicheres gab es in Doboj. […] Alles wimmelte von allen möglichen Arten von Ungeziefer […] Da erbarmten sich die Wärter; sie ordneten an, dass sich die Frauen nackt auszuziehen hatten, und unterhielten sich mit dem Scheren ihrer Haare auf Kopf und Geschlechtsteilen unter unbeschreiblichem Gezeter der Weiber. Zum Schluss fingen sie an, eigenhändig ihre Geschlechtsteile mit einer Salbe zu schmieren, und zwar sehr gründlich — so groß war ihre Anteilnahme an der Reinlichkeit dieser Unglücklichen. […] Für die Gräuel von Doboj könnte ich viele Zeugen nennen; 31 Stenographische Protokolle, Haus der Abgeordneten, 32. Sitzung der XXII. Session am 19.10.1917, 1667–1674. 32 M. M. Kossitsch, Dr. [Mirko Mihailo Kosić], Die Südslavenfrage, Zürich 1918, 158.

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[…] Der Selbstherrscher von Bosnien und Herzegowina, General Potiorek, ordnete an, dass alle Serben aus Bosnien und Herzegowina über die Grenze zu treiben seien. Sein Befehl wurde gewissenhaft ausgeführt und wer ihm Widerstand leistete, wurde getötet. […] Nach der Meinung des Abgeordneten Kosta Maikić gingen durch das Sarajewoer Garnisonsgefängnis mehr als 10.000 Personen und viele unter ihnen wurden gehängt. […].33

Mehrfach wurden einzelne Teile der Rede in Zeitungen der Entente wiedergegeben. Auf Serbisch34 und Französisch35 wurde sie in Genf abgedruckt. In der Presse der Habsburgermonarchie wurde auszugsweise darüber berichtet.36 Während die Lager Boldogasszony, Nezsider, Mauthausen und Aschach an der Donau im Nachkriegsnarrativ Serbiens als die „vier serbischen Golgothas“ bezeichnet wurden, gelten in den Darstellungen von Serben aus Bosnien und Herzegowina über den Ersten Weltkrieg die Internierungslager Doboj und Arad als die schlimmsten Internierungsorte. Die ersten 600 Gefangenen, vorwiegend Frauen und Kinder und einige wenige serbische kriegsgefangene Soldaten, wurden am 27. Dezember 1915 nach Doboj deportiert. Bis zu seiner Auflösung im Juli 1917 waren im Lager insgesamt 45.791 Gefangene untergebracht, davon über 16.000 Männer und fast 17.000 Frauen und Kinder aus Bosnien und Herzegowina sowie mehr als 9000 serbische und an die 3000 montenegrinische Soldaten. Im Oktober 1915 wurden etwa 5000 Zivilisten aus Belgrad nach Doboj gebracht.37 Einige Tausend wurden in die ungarischen Lager deportiert. Die Mortali­ tätsrate unter den in Doboj gebliebenen Personen war sehr hoch. Allein im April 1916 starben hier 643 Kinder.38 Die Zahl der Toten wird auf 10.000 bis

33 Stenographische Protokolle, Haus der Abgeordneten, 32. Sitzung der XXII. Session am 19.10.1917, 1667–1674. 34 Naše patnje i naše borbe. Štamparija Ujedinjenja, Ženeva 1917. 35 Ante Tressitsch-Pavitchitch, Réquisitoire de Tressitsch-Pavitchitch et d’autres députés yougoslaves prononcé au Parlement de Vienne, in: Les souffrances d’un peuple, Genève 1918, 25–32. 36 Das Linzer Volksblatt etwa ging nur auf die von Tresić-Pavičić erhobenen nationalen Forderungen ein. Vgl. Linzer Volksblatt, 21.10.1917, 3. 37 Novakovic, L’occupation, 36. 38 Ćorović, Crna knjiga, 91. Das umfangreiche Werk („Schwarzbuch“) des aus Mostar stammenden Historikers, der in Wien promoviert hatte und nach dem Attentat in Sarajewo verhaftet und im sogenannten „Banjaluka-Prozess“ des Verrates angeklagt und verurteilt wurde, beinhaltet genaue Angaben von Namen und Orten in Zusammenhang mit Verhaftungen, Hinrichtungen, Geiselnahmen und Verschleppungen der bosnischen Serben in die Internierungslager.

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12.000 geschätzt.39 Das massenhafte Sterben war Folge von Seuchen wie auch unmenschlicher Behandlung und Übergriffe durch das Wachpersonal. Die Unterbringung erfolgte in Baracken, in denen manchmal jeweils 800 bis 1000 Gefangene untergebracht wurden. Es gab weder Betten noch Matratzen. Die Menschen mussten auf nacktem Boden schlafen. Ihre Wertsachen wurden ihnen abgenommen. Ihre Notdurft mussten sie in Latrinen unter freiem Himmel verrichten. Entlausungsprozeduren, die die Entfernung der Körperbehaarung inkludierten, mussten auch Frauen ohne Einhaltung einer wie immer gearteten Intimsphäre über sich ergehen lassen. Im „Kaiserlichen und Königlichen Internierungslager in Arad“ waren zuerst die Serben aus der Monarchie interniert worden, insbesondere die Bewohner der Grenzgebiete zu Serbien und Montenegro. Ihre Inhaftierung als „politische Gefangene“ setzte sofort nach dem Attentat in Sarajevo ein. Die Deportation in die Festung von Arad, wie auch in die anderen Lager der Habsburgermonarchie, erfolgte dann mit Kriegsbeginn. Schließlich kamen aber auch Serben aus dem Königreich hinzu. In der österreichisch-ungarischen Presse, vorwiegend in den Zeitungen der südslawischen Gebiete, erschienen täglich Berichte über die erfolgten Deportationen. Nach Angaben von Überlebenden und ebenso Berichten von Delegationen des Roten Kreuzes waren die Zustände in diesem Lager, das in einer mittelalterlichen Burg eingerichtet wurde, Grauen erregend. Viele starben als Folge katastrophaler hygienischer Bedingungen, an Flecktyphus, Tuberkulose, Hunger, Erfrierungen, Körperstrafen, aber auch infolge von Zwangsarbeit. Auch Selbstmorde wurden verzeichnet. Zahlreichen Häftlingen wurden Arme oder Beine amputiert, da sie Erfrierungen erlitten hatten. Davon betroffen waren auch viele Kinder.40 Die Überlebenden berichteten über Folter und Schläge, Frauen über Vergewaltigungen. Die Verstorbenen wurden vorwiegend in Massengräbern bestattet, der Gottesdienst, der von internierten serbischen Geistlichen durchgeführt hätte werden können, nicht gestattet. Im Lager befanden sich auch ganze Familien, die aus Bosnien und Herzegowina expatriiert worden waren. Hilfslieferungen, die an die Insassen des Lagers gehen sollten, erreichten diese aufgrund von Interventionen des offenbar korrupten Lagerkommandos in vielen Fällen nicht. Erst als der Arader Abgeordnete im Budapester Parlament Ştefan Cicio Pop eine Anfrage über die Zustände im Lager stellte, kam 39 Die ersten Exhumierungen sterblicher Überreste aus den Massengräbern auf der rechten Uferseite des Flusses Bosna und die Umbettung in ein Gemeinschaftsgrab in Doboj erfolgten erst 1938. Nach dem Zweiten Weltkrieg und bis in die neuere Zeit wurden weitere Massengräber dieses Lagers, rund um das Dorf Prijedl, bei Bauarbeiten entdeckt. 40 Vgl. Narodno jedinstvo, Sarajevo, 12.6.1919.

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es im März 1915 zu Untersuchungen und infolge dessen zu gewissen Verbesserungen sowie zu Entlassungen bzw. Verlegungen von Frauen und Kindern in andere Lager wie etwa Nezsider oder Braunau in Böhmen. Der Lagerkommandant, Eduard Hegedes, wurde vor Gericht gestellt und in einem Prozess in Timişoara zu einem Jahr Gefängnis und Degradierung verurteilt. Er legte Beschwerde gegen das Urteil ein und wurde offenbar sofort aus dem Gefängnis entlassen.41 Misshandlungen serbischer Gefangener in diesem Ausmaß sind nur noch aus den Etappenlagern und Gefangenenstationen in Bosnien und Herzegowina sowie Kroatien bekannt. Dušan Krivokapić etwa, damals ein 11jähriger Junge, schrieb in seinen Memoiren über eine Gruppe von Gefangenen aus der Umgebung von Kotor, die im August 1916 zuerst ins Ortsgefängnis, von dort in eine Kaserne in Mostar und einige Tage später über Sarajevo nach Bosanski Brod am Sava-Ufer gebracht wurden. Hier trafen sie auf Frauen und Kinder, die aus Serbien deportiert worden waren: Jene zwei Kinder, die schon unterwegs erkrankt waren, starben hier am zweiten Tag. Die Wache hörte das Weinen der Mütter und stürmte in die Baracke. […] Ohne irgendeine Spur von Mitgefühl schoben sie mit den Füßen die kleinen toten Körper weg. […] Am Nachmittag legten sie die Leichen in einen gemeinsamen Sarg und trugen ihn weg. Die zwei Mütter winselten und gingen dem Sarg hinterher. Die Wachsoldaten erlaubten das nicht und letztendlich, als die Mütter nicht aufgeben wollten, zogen sie die nackten Bajonette heraus. Als Strafe für ein solches Benehmen bekamen wir an dem Tag kein Abend­ essen […]42

Im fremden Land gefangen Die wohl „wertvollste Geisel“ in der Julikrise war der Generalstabschef der serbischen Armee Radomir Putnik, der sich während des Attentates in Sarajewo mit seiner Tochter im steirischen Bad Gleichenberg auf Kur befand. Offenbar gab es innerhalb der zuständigen Behörden keine klaren Vorstel41 Vgl. u. a. Ćorović, Crna knjiga, 83–100; Božidar Panić, Aradska tvrđava. Austrougarski logor za istrebljenje Srba: 1914–1918, Temišvar 1994. 42 Dušan S. Krivokapić, Sećanja iz nežiderskog lagera 1914–1918 godine, Mataruška Banja 1976, 24. Krivokapić wurde am 13.8.1914 als 11jähriger Junge mit seiner Mutter in Kotor gefangengenommen. Das Lager Nezsider erreichten sie im November. Den Memoiren ist zu entnehmen, dass der Vater schon einige Tage vor der Kriegserklärung mit anderen Männern aus Kotor abtransportiert worden war.

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lungen, wie mit Putnik verfahren werden sollte. Vorerst blieb er unter polizeilicher Beobachtung in Österreich. Im Juli folgte die Entlassung, in Budapest aber setzte man ihn erneut fest. Kaiser Franz Joseph verfügte schließlich seine Freilassung. Putnik erreichte Serbien einige Tage vor dem Kriegsbeginn. Die Reaktionen darauf fielen zwiespältig aus. Für die einen zeugte die Freilassung von Österreich-Ungarns „Ritterlichkeit“, für die anderen erschien sie angesichts des drohenden militärischen Konfliktes mit Serbien unverständlich.43 Ab August 1914 begann die Deportation der Bewohner des Königreiches Serbien. Die ersten Kriegsgefangenen und Zivilinternierten stammten aus Nordwestserbien, der Gegend rund um die Flüsse Drina, Sava und Kolubara, als nach der „ersten Invasion“ im Sommer und Herbst 1914 Tausende Zivilisten und Soldaten deportiert wurden. Die Gesamtzahl der serbischen Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn im ersten Kriegsjahr lag wahrscheinlich bei etwa 45.000. Für das Jahr 1914 wurden in den Verlustlisten der serbischen Armee 261 Offiziere, 1322 Unteroffiziere und 43.576 Soldaten als vermisst geführt. Es zeigte sich, dass „vermisst“ dem Begriff „kriegsgefangen“ gleichzusetzen war.44 Vom ersten Tag an befanden sich Frauen, Kinder und alte Männer mitten im Kriegsgeschehen. Sobald sich die serbische Armee zurückzog, wurden sie zu Opfern von Repressionsmaßnahmen. Mačva und Jadar, zwei Kreisbezirke Nordwestserbiens um die Städte Šabac und Loznica, in denen die erste militärische Operation gegen Serbien stattfand, wurden zu Schauplätzen von Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung45. Frauen, Kinder und alte Männer wurden erhängt, verstümmelt, bei lebendigem Leibe verbrannt, die Frauen jeglichen Alters vergewaltigt und viele Zivilisten gefangengenommen.46 Nicht nur einige, sondern alle Häuser waren zerstört. […] Wir sahen das verwüstete Hotel „Europa“, in dem dreitausend Männer, Frauen und Kinder zusammengepresst drei Tage ohne Nahrung und Wasser festgehalten und danach in zwei Gruppen aufgeteilt worden waren – in eine, die als Kriegs43 Vgl. Martin Moll, Auf dem Weg in den Weltkrieg. Die Affäre um den Steiermark-Aufenthalt des serbischen Generalstabschefs im Juli 1914. Ein später Nachtrag aus steirischer Sicht, in: Blätter für Heimatkunde 78 (2004), 75–84. 44 Denda, Srpski ratni, 273. 45 In Serbien wird Šabac mitunter auch als „serbisches Verdun“ bezeichnet. 46 Vgl. John Reed, The War in Eastern Europe, New York, 1916; Rodolphe-Archibald Reiss, Report upon the Atrocities Committed by the Austro-Hungarian Army during the First Invasion of Serbia, London 1916; Anton Holzer, Das Lächeln der Henker. Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914–1918, Darmstadt 2008; Gordana Ilić Marković, Der Große Krieg. Der Erste Weltkrieg im Spiegel der serbischen Literatur und Presse, Wien 2014, 115–132.

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gefangene nach Österreich verschleppt wurde, und eine andere, die vor dem Heer hergetrieben wurde, während dieses in Richtung Süden gegen die Serben vorging.47

Vorhandene Totenbücher der Lager bestätigen eine sehr hohe Anzahl von Gefangenen aus Nordwestserbien. Auch Postkarten aus den Internierungsorten oder Fotos sowie Memoiren ermöglichen es, den Schicksalen der gefangenen Bewohner dieser Gegend nachzuspüren. Darüber hinaus wurden die Ereignisse auch in literarischen Werken, die alle im Krieg oder kurz danach entstanden, verarbeitet.48 Viele wurden als Geiseln vorerst in ihren Kreisbezirken gefangen gehalten. Im Falle „feindlicher Aktionen“ gegen die österreichisch-ungarische Armee wurde mit ihrer Hinrichtung gedroht. Von den Geiselnahmen während der 13tägigen Belagerung von Belgrad im Jahr 1914 berichtete Jovan Miodragović49: Eine der schwierigsten und traurigsten Aufgaben, mit der wir im Bürger-Ausschuss zu kämpfen hatten, war die Frage der Geiseln […]. Österreich-Ungarn hatte bereits auf eigenem Territorium, in Srem, Bosnien und Herzegowina und Dalmatien, in allen Ortschaften, in denen Serben die Bevölkerungsmehrheit bildeten, die Praxis vollzogen, angesehene Personen zu verhaften und sie als Geiseln zu halten, zur Absicherung gegen Aufstände oder Aktionen gegen ihre Armee. Falls es doch dazu käme, müssten alle Geiseln dafür mit ihrem Kopf bezahlen. […] Herr Schwarz50 forderte sie schon am ersten Tag. […] Wen der eigenen Mitbürger für Schlachthof und Galgen empfehlen? […] Von jedem Stadtteil mussten ein oder zwei Geiseln bestimmt werden […]. Ein Übel war es, sie auszusuchen, ein anderes, sie zu verhaften, und ein drittes, sie dem österreichischen Kommando zu überstellen. Das alles musste sein …51.

47 John Reed, The War, 83 f. 48 Vgl. Ilić Marković, Der Große Krieg, 110–132. 49 In der Belgrader Zeitschrift „Pijemont“ in Form von Artikeln verfasst, erschienen diese Texte gesammelt 1915 als Buch unter dem Titel „Dreizehntägige Besatzung von Belgrad 1914“. 50 Polizeichef Belgrads während der Okkupation 1914. 51 Jovan Miodragović, Beleške iz trinaestodnevne vladavine austrijske u Beogradu, Beograd 1915, 62 f. Bald nach Veröffentlichung dieses Buches im Jahr 1915 wurde Belgrad erneut okkupiert und der Autor im Sommer 1916 interniert. Im Lager in Nezsider blieb er bis 1917. Nach dem Krieg veröffentlichte er seine Erinnerungen an die Zeit von 1915 bis 1918.

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In diesen Tagen wurden Tausende Belgrader, wie auch Bewohner anderer Ortschaften, in Internierungslager deportiert. Auf den Straßen des okkupierten Serbiens wurde die Bevölkerung mit Plakaten über das Vorhaben der Besatzungsmacht in Kenntnis gesetzt. Als Grund für die Massenverhaftungen wurde angegeben, dass Österreich-Ungarn als „gesitteter Staat nur mit serbischen Soldaten, nicht mit friedlichen Bürgern Krieg führen“ wolle, und da „sich unter der zurückkehrenden Bevölkerung Soldaten in Zivil verbergen“, hätten sich, unter Androhung der Todesstrafe, „alle 16–60jährigen Männer bei der Militärbehörde zu melden“.52 Diese Männer wurden als „wehrfähige Zivilisten“ gefangengenommen und auch als solche in den Statistiken geführt. Im Totenbuch des Lagers Aschach an der Donau wurden sie mit Beginn 1917 unter der Kategorie „Zivil oder Militär“ als „Militärpflichtig“ oder „Wehrpflichtig“ verzeichnet.53 In einem Brief der Belgraderin Biljana Dimić vom 10. Mai 1916 an den Militärgouverneur von Belgrad, den Grafen Johann Ulrich von Salis-Seewis, bittet die Mutter um die Entlassung ihres am 30. November 1914 im Alter von 19 Jahren in Belgrad verhafteten Sohnes, der als Zivilist in das Gefangenenlager Boldogasszony deportiert und später in das Internierungslager Nezsider verlegt worden war.54 Als ab 1917 Internierte aus den Lagern entlassen wurden, traf das nicht auf die Kategorie der „wehrfähi­ gen Männer“ zu, die als Zivilisten aus dem okkupierten Serbien deportiert worden waren und als „auf die Dauer des Krieges ‚nicht zu externierende‘“ Personen bezeichnet wurden55. Die Internierungen von Serben wurden während des gesamten Krieges durchgeführt, wobei Masseninternierungen im Sommer und Herbst 1914, am Beginn der Okkupationszeit 1915 und im August bis Oktober 1916 als Folge des Kriegseintrittes Rumäniens stattfanden. Als es zur Okkupation Montenegros im Januar 1916 kam, befanden sich dort zahlreiche aus Serbien geflüchtete und aus Bosnien und Herzegowina expatriierte serbische Familien, die in weiterer Folge samt „griechisch-orthodoxen Montenegrinern“56 interniert wurden. Da der montenegrinische König Nikola im Januar 1916 die Kapitulation unterzeichnet hatte, wurden die wehrfähigen Männer Montenegros 52 Proklamation/Objava – Plakat, Dezember 1915 (Nationalbibliothek Serbiens, Belgrad, PL 135/1). 53 Gordana Ilić Marković/ÖSK, Totenbücher, Webportal Kriegsgefangene im Habsburgerreich 1914–1918, http://www.pows-ww1.at/projekt/totenbuecher (abgerufen am 25.1.2020). 54 Lični fond Vojislava Veljkovića (1865–1931) 2877-K-2-3.58. Istorijski arhiv Beograda (IAB). 55 VGG (Vojni Generalni Guverman/Srbija), VIII. 1128. Arhiv Srbije (AS). 56 Der Ausdruck wurde u. a. in der Besatzerblatt „Cetinje Zeitung“ verwendet.

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zur Zwangsarbeit im Okkupationsgebiet eingeteilt oder in Lager außerhalb des Landes deportiert. Danach kamen ganze Familien an die Reihe. Von den Etappensammelstationen wurden sie ebenso wie die Einwohner des okkupierten Serbiens in Internierungslager gebracht. König Nikola ging indessen mit seiner Familie ins italienische Exil. In Montenegro blieb lediglich Sohn Mirko. Ihm wurde der Aufenthalt auf seinem Gut in der Nähe von Podgorica gestattet. Dieses Privileg sowie eine Behandlung in einem Wiener Sanatorium im April 1916 wurden für Propagandazwecke genutzt.57 In der Okkupationszeit wurden die Zahlen der Internierten aus Serbien vom Militärgeneralgouvernement in Belgrad erfasst. Allein für den Zeitraum vom 30. August bis 10. November 1916 gab es Meldungen über 16.577 Internierte.58 Auf Grundlage weiterer Dokumente des Militärgeneralgouvernements im Bestand des Archivs Serbiens korrigierte Ljubodrag Popović, ehemals Archivdirektor, den Zeitraum auf 10. Juli bis 10. Oktober 1916 und die Zahl auf 20.444 Personen bzw. 20.462, wenn man noch 18 im November internierte Personen aus Valjevo dazu zählt.59 In einem in Schweden veröffentlichten Memorandum richtete die Sozialistische Partei Serbiens 1917 einen Appell an die „zivilisierte Welt“ angesichts „der Internierung von 150.000 serbischen Untertanen Österreich-Ungarns“, unter welchen sich „mehrere Tausend über 60jährige Personen und Tausende Frauen und sogar die Kinder zwischen 8 und 15 Jahren befinden“.60 Da sich die serbische Regierung im Exil auf der Insel Korfu befand, konnte sie ausschließlich über die Vermittlung der Neutralen die serbischen Gefangenen erreichen. Hinzu kamen überdies Initiativen privater Organisationen und schließlich eine mehr oder weniger koordinierte Hilfe seitens der Alliierten.61 Ähnlich wie die serbischen Kriegsgefangenen, die 1914/15 in österreichisch-ungarischem Gewahrsam zu Tausenden an Flecktyphus zugrunde gingen, waren auch die ersten internierten Zivilisten aus Serbien von Seuchen betroffen: 57 Vgl. Gordana Ilić Marković, Od „zemlje patuljka“ do „zemlje napretka“. Crna Gorda u austrougarskoj periodici Prvog svetskog rata, in: Drago Perović, Jedanaesti novembar. Sto godina od oslobođenja i ujedinjenja, Matica srpska. Društvo članova u Crnoj Gori, Podgorica, 201–214. Mirko Petrović starb in Wien am 3. März 1918 und wurde auf dem Zentralfriedhof bestattet. 58 Stojančević, Srpski civilni internirci, 158. 59 Popović, Srpski internirci, 312. 60 Un appel des Socialistes serbes au Monde civilisé, avec préface de Camille Huysmans, Paris 1917. 61 Vgl. Adolf Golker/Johann Eggerstorfer et al., Bilder einer vergessenen Stadt. Das k. u. k. Kriegsgefangenenlager Aschach/Hartkirchen 1915–1918, Aschach/Hartkirchen 2015, 53.

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Im August 1914, als das 2. Ungarische Regiment der Husaren die Kaserne von Neusiedl (Nezsider) verlassen hatte, um auf den Kriegsfeldern von Galizien zu kämpfen, wurde diese Kaserne zum Lager der Staatsbürger Serbiens, die sich am Kriegsanfang in der ungarischen Hälfte vorgefunden hatten, und auch weiterer Serben, die gefangen genommen wurden. […] Im Erdgeschoss befanden sich Pferdeställe, in denen gefangene Bauern untergebracht waren, und im oberen Stock die ‚Mantelträger‘, wie sie von den Militärs genannt wurden. Sie wurden in mehrere Kategorien unterteilt – die höchste war die von sog. Intellektuellen. […] Die österreichisch-ungarische Armee drang erneut in Serbien ein und neue Gefangene füllten unser Lager. Das waren Bauern aus Mačva und der Umgebung von Šabac. Ausgelaugt von den Kriegsereignissen und erschöpft vom Transport sahen sie aus wie Geister. Sie wurden ins Erdgeschoss, in die Pferdeställe verfrachtet. Müde legten sie sich auf die Reste des verfaulten Strohs nieder […] Unter ihnen brach eine unbekannte Krankheit aus, welche niemand weder dem Namen nach kannte noch von Heilmitteln wusste. Sie begannen zu sterben wie die Fliegen, anfangs einer oder zwei pro Tag und später immer mehr. Ihre Erzählungen töteten in uns jegliche Hoffnung. […] Das Leben im Lager war mit jedem Tag schwieriger. Die Krankheit nistete sich ein und der Tod mähte. Es gab Tage, da man aus unserem Abteil, einen nach dem anderen, 10 Leichen wegtrug, um sie in eine Grube zu werfen.62

Kritische Berichte über die schlechten Zustände in den österreichisch-ungarischen Lagern begannen sich in der Presse der Alliierten und der neutralen Länder zu häufen. Die unter Zensur stehende österreichische und ungarische Presse reagierte darauf, indem sie die Inhaftierungen rechtfertigte und über günstige Bedingungen in den Gefangenenlagern berichtete. So übernahmen mehrere Zeitungen im Februar 1915 folgenden Artikel: Die aus Serbien weggeführten Leute sind nur solche, welche die Waffen gegen uns erhoben haben. Es sind meist Personen in noch wehrfähigem Alter und keineswegs in der Mehrzahl Greise, Frauen und Kinder. Sie sind alle in Neusiedl (Nezsider) untergebracht. Dagegen sind in Szeged nur Zivilinternierte, die der ungarischen Regierung unterstehen. Im Neusiedler Lager wütet keine Epidemie (wenn auch an dreißig Fälle Fleckentyphus zu verzeichnen sind). Die Unterkünfte sind gut. Frauen und Kinder sind in einer Kaserne untergebracht, die Männer in soliden Baracken. Dem Lager sind drei bis vier 62 Milutin Milanković, Uspomene, doživljaji i saznanja iz godina 1909 do 1944, Beograd 1952, 77–82.

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Ärzte, darunter ein russischer Arzt, zugeteilt. Von Entbindungen ohne ärztliche Hilfe kann daher keine Rede sein. Als Kost erhalten die Leute die Militärmenage in guter Qualität.63

Die Unterbringung von Zivilisten unterschied sich im Wesentlichen kaum von jener der Kriegsgefangenen. Allerdings waren die Lebensbedingungen für Personen höherer Schichten günstiger – ebenso wie auch kriegsgefangene Offiziere privilegiert waren.64 Epidemien dezimierten die Zahl der Internierten ebenso wie Mangelernährung und daraus resultierende Krankheiten. Erhalten gebliebene Totenbücher geben Aufschluss über die Todesursachen. Ab 1916 lässt sich eine auffallende Häufung der Todesart „Erschöpfung“ unter überwiegend über 55jährigen Zivilisten, aber auch ganz jungen Personen feststellen. Vermehrt angegeben wurden des Weiteren auch Marasmus, Körperschwäche und Darmkatarrh. Zahlreiche Personen gingen außerdem an Lungenkrankheiten zugrunde. Insbesondere bei den über 70jährigen Internierten führten Herzlähmung bzw. Herzinsuffizienz wie auch allgemeine Körperschwäche zum Tod. Gegen Kriegsende erlagen einige Internierte außerdem der Spanischen Grippe.65 Auf das Los der Kriegsgefangenen und Internierten machten schließlich auch Personen aufmerksam, die selbst betroffen gewesen waren. Zu ihnen zählte beispielsweise Živko Topalović66, ein ehemaliger Kriegsgefangener, der in Aschach an der Donau gewesen war. 1918 richtete er im Auftrag des Roten Kreuzes einen Appell zur Hilfeleistung für die Kriegsgefangen und Internierten an die Öffentlichkeit. Seine eindrücklichen Schilderungen der Lebensbedingungen der Betroffenen ließen keinen Zweifel an der dringenden Notwendigkeit entsprechender Hilfsmaßnahmen.67

63 U. a. Fremden-Blatt, 25.2.1915, 2; Wiener Zeitung, 25.2.1915, 11; Neues Wiener Journal, 25.2. 1915, 3; Neues Wiener Tagblatt, 25.2.1915, 5; Arbeiter-Zeitung, 25.2.1915, 5. 64 Vgl. Milanković, Uspomene, 77–82. 65 Vgl. als Beispiel die Eintragungen zu: Milenko Đuković, 85 Jahre, Herzschwäche, 21.1.1916; Milorad Selaković, 75 Jahre, Altersschwäche, 26.4.1916 (Totenbuch, KGL Aschach an der Donau/Hartkirchen). 66 Topalović war Jurist, Publizist und vor dem Krieg Mitbegründer der Sozialistischen Partei Serbiens. In den Balkankriegen und im Ersten Weltkrieg diente er als Reserve­ offizier. Bei der Okkupation Serbiens wurde er gefangengenommen und in das Lager Aschach an der Donau deportiert. 1917 kam er im Zuge eines Austausches frei und stellte sich in den Dienst des Serbischen Roten Kreuzes. 67 Živko Topalović, Za naše zarobljenike. Srpski crveni krst, Državna štamparija Krljevine Srbije, Korfu 1918, 9–14.

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Alltagsleben und Organisation in den Lagern Westungarns und Österreichs Beim Eintritt in die Lager wurden die Gefangenen registriert und bekamen Kennzeichnungsnummern. Auf vielen Fotos ist zu sehen, dass auf den Kappen, die die Gefangenen trugen, eine Nummer aufgenäht war. Davon ausgenommen waren nur die Offiziere.68 Der Lohn für die Arbeit in den Fabriken, den Bergwerken oder in der Landwirtschaft wie auch die Geldsendungen aus der Heimat wurden in Lagergeld ausbezahlt, das ansonsten keinen Wert hatte. Diese Maßnahme diente nicht zuletzt der Prävention von Fluchtversuchen.69 Diese wurden meistens auf dem Weg zur Arbeit unternommen, weswegen die Sicherheitsmaßnahmen und die Anzahl der Wächter nach und nach erhöht wurden. Immer wieder brachten die Zeitungen kurze Meldungen über die Flucht von Gefangenen. Für das Ergreifen der Flüchtigen wurde eine Belohnung in Aussicht gestellt. Herabsetzung der Essensrationen, schwere Arbeit und Haft waren die häufigsten Arten der Bestrafung für Fluchtversuche. Kriegsgefangenen ebenso wie Internierten war es erlaubt, per sogenannter „Korrespondenzkarten“, die sie im Durchschnitt zwei Mal im Monat vom Lagerkommando zugeteilt bekamen, in serbischer Sprache an ihre Angehörigen zu schreiben. Sie wurden jedoch dazu angehalten, Lateinschrift zu verwenden. Da in Serbien vor dem Ersten Weltkrieg ausschließlich die kyrillische Schrift in Gebrauch war, aber auch wegen der hohen Analphabetenrate, wurden diejenigen Gefangenen aus Serbien, die aufgrund ihrer Fremdsprachenkenntnisse auch die lateinische Schrift beherrschten, zu „Schreibern“. Aufgrund einer als ungeübt erscheinenden Schrift ist bei einigen Korrespondenzen zu erkennen, dass die Gefangenen wohl erst im Lager die lateinische Schrift erlernten, um ihre Briefe selbst verfassen zu können.70 Trotz der restriktiven Vorgaben fanden auch einige kyrillisch verfasste Postkarten den Weg zu den Adressaten in Serbien. Die Inhalte beschränkten sich auf das Erlaubte.71 Kriegsgefangenenpost

68 „Die Kinder bekamen vor [den Ziffern] der Lagernummer den Buchstaben F gestellt, die Frauen G, die Intellektuellen W und die restlichen R. Meine Bezeichnung war FK743 (K als Anfangsbuchstabe des Familiennamens). Alle mussten diese Nummer vorne an der Kleidung tragen.“ Krivokapić, Sećanja, 30. 69 Donauland, 1917, 90. 70 Vgl. Jovan Miodragović, Tragični dani Srbije. Beleške iz zloglasne trogodišnje vladavine austriske u Srbiji, Beograd 1921, 129. 71 Mein Dank gebührt Herrn Vojislav Maksimović, dem Enkel von Lazar Maksimović aus Bogoštica, der mir während meiner Feldforschung in Serbien 50 Postkarten seiner Familie, die aus dem Ersten Weltkrieg stammen, zur Verfügung stellte.

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unterlag ebenso wie der private Briefverkehr der Kontrolle, ein Umstand, der die Selbstzensur der Verfasser von Briefschaften zur Folge hatte. Es war nicht gestattet, negative Äußerungen über das Erlebte niederschreiben. Die Lagerpost wurde von der Zensurabteilung des „Gemeinsamen Zentralnachweisebureaus“, das vom Roten Kreuz Österreich gegründet worden war und dem Kriegsministerium unterstellt war, überprüft. Dank Dr. Vladislav Pandurović, der ab 1915 in Wien als Zensor für die serbische Korrespondenz tätig war, blieben einige der einbehaltenen Briefe erhalten. Pandurović schrieb sie ab und veröffentlichte sie nach dem Krieg.72 Die Berichte in der österreichisch-ungarischen Presse über das Leben in den Lagern, in welchen es auch Theater, Orchester, Schulen und Bibliotheken gab, dienten zweifelsohne propagandistischen Zwecken. Vielen Selbstzeugnissen nach zu urteilen wurde das Angebot gewiss gerne angenommen, um wenigstens für kurze Zeit den schweren Alltag zu vergessen. Tatsächlich aber gab es die erwähnten Einrichtungen nur in wenigen Lagern. Theater- und Musikaufführungen fanden größtenteils nur zu Weihnachten oder Ostern statt. Der Unterricht für die internierten Kinder war kein regelmäßiger, und Bibliotheken wurden, wenn überhaupt, nur in einzelnen Lagern und erst im letzten Kriegsjahr eingerichtet. Über den Unterricht in den Lagern Nezsider, Boldogasszony und Aschach an der Donau sind durchaus präzise Aufzeichnungen überliefert. Sie geben darüber Aufschluss, welche Kinder die „Schulen“ besuchten und wer sie unterrichtete: Lehrer und Schuldirektoren aus serbischen Gymnasien, die ebenfalls interniert worden waren. Manche der Internierten fanden trotz Zensur kritische Worte: Sie wollten protzen: wie sie in den Lagern die Schulen eingeführt, die Theater und Bibliotheken, und was weiß ich, was noch gegründet hatten, um sich vor ganz Europa als Kulturvolk darzustellen. Das ist ein unausgesprochener Zynismus. Schulen? Ich bebe vor Wut, wenn ich an jene Baracke denke, die sie als Schule bezeichnen. In der Mitte ist ein Ziegelofen, der nie eingeheizt wird, und unsere Kinder frieren, noch dazu ohne genug zu essen zu haben, hungrig in der armseligen Kleidung. […]. Genauso so ist es mit dem Theater. Man zittert und schaut. Kann ein hungriger Mensch überhaupt etwas mit Genuss anschauen? […].73

72 Vgl. Vladislav Pandurović, Srpska pisma iz svetskog rata 1914–1918, Osijek 1923; Ilić Marković, Der Große Krieg, 216–221. 73 Milan Nikolić-Rasinski, Nežiderska epopeja. Ili krvavi listovi iz života Srba u lageru, Novi Sad 1919, 79.

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Das Repertoire der Theater in den Kriegsgefangenen- und Internierungs­ lagern unterlag der Zensur des Lagerkommandos. So wurden im Lager von Boldogasszony Doyles „Sherlock Holmes“, Gerhart Hauptmanns „Elga“, Sándor Lukácsys „Die Rothaarige“74 aufgeführt, aber auch serbische Theater­ stücke mit Gesang. In Aschach stand u. a. auch Shakespeares Othello auf dem Programm. Das Publikum bestand vorwiegend aus Lagerinsassen, dazu Wachpersonal und manchmal auch Ortseinwohner. Der Erlös der verkauften Eintrittskarten ging größtenteils an die k. u. k. Kriegsfürsorge. Selbiges galt auch für die von den Lagerinsassen angefertigten Schnitzereien, Malereien und Stickereien, deren Verkaufserlös gespendet wurde. Ein Teil kam der Beschaffung des Unterrichtsmaterials für die Lager-Schulen zugute. Die positiven Berichte über den Alltag der Gefangenen erfüllten einen propagandistischen Zweck. Über das Theater der serbischen Gefangenen in Aschach berichtete beispielsweise auch die Okkupationspresse in Belgrad: Eine Gruppe der internierten Belgrader schreibt uns aus dem Lager Aschach an der Donau: Im Lager im Aschach an der Donau gründeten die internierten Belgrader ein Theater, in welchem sie eine angenehme Unterhaltung finden. Es spielen berühmte Schauspieler Spasić, Bekić, die als Komödianten mit ihrem Humor und ihrer künstlerischen Leistung für die Erheiterung unserer Belgrader sorgen. Auch Zloković, Milošević, Stojanović etc. sind dabei und alle lobenswert. Diese Woche (dem Datum auf der Postkarte nach, Ende November) bereiten sie eine Vorstellung zu Gunsten der Armen in Belgrad. Der Erlös wird über das k. u. k. Lagerkommando nach Belgrad geschickt.75

Im Internierungslager Nezsider wirkten mehrere Theatergruppen, später das sogenannte „Serbische Volkstheater“. Da in Nezsider viele serbische Schauspieler, Sänger und Musiker aus Kroatien, Bosnien, der Vojvodina und dem Königreich Serbien festgehalten wurden, traten hier hauptsächlich professionelle Schauspieler und Sänger auf, darunter Vukosava Spasić, die im Juni 1918 im Lager starb: Ich erinnere mich an die verstorbene Vukosava, vor allem wegen ihrer Hauptrolle im Stück ‚Golgota‘, in der sie sowohl ihr Talent als auch Taktgefühl zeigte, und wir alle wünschten uns, sie in dieser Rolle erneut zu sehen. Ihr Tod lastet schwer auf mir […].76 74 Eines der meistaufgeführten Theaterstücke im Königreich Serbien vor dem Krieg. 75 Beogradske novine, 7.12.1916, 3. 76 Nikolić-Rasinski, Nežiderska epopeja, 82.

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Spasićs Mann, der Theaterdirektor Mihajlo Spasić, wurde kurz nach dem Tod der Ehefrau schwer krank und aus dem Lager entlassen. Er schrieb in der Belgrader Besatzungszeitung „Beogradske novine“ einen Nachruf auf die Verstorbene. Aus seinem Inhalt – er bedankt sich für die Fürsorge beim Lagerkommando – sind Eingriffe der Zensur und damit gleichsam die letzten Anstrengungen der österreichisch-ungarischen Propaganda herauszulesen.77 Im Unterschied zum okkupierten Serbien und Montenegro waren in den Kriegsgefangenen- und Internierungslagern der Monarchie die serbische Sprache und kyrillische Schrift zugelassen – mit Ausnahme der Lagerpost, wenngleich nicht durchgängig. Jene kyrillischen Bücher, die aus den Bibliotheken und Buchhandlungen Bosniens und Herzegowinas, Kroatiens und des okkupierten Serbiens entfernt worden waren, fanden Verwendung in den Bibliotheken der österreichisch-ungarischen Lager in der Habsburgermonarchie. Außerdem wurden von den Gefangenen auch einige handschriftliche Zeitungen78 produziert, die für die Verbreitung innerhalb des jeweiligen Lagers gedacht waren. Auch sie waren in kyrillischer Schrift („Srpski glas“ im Kriegsgefangenenlager für Offiziere in Grödig (1917–1918) und „Puls“ im Kriegsgefangenenlager Aschach an der Donau (1916–1917)79) verfasst. Neben den aktuellen Lageraktivitäten, kulturellen sowie philosophischen Beiträgen und Texten, die der Unterhaltung dienen sollten, gab es darin auch eine Such- und Tauschbörse. Dass diese Zeitungen der Zensur unterstanden, beweisen einige „weiße Flecken“. Da auch ganze Familien interniert waren, befanden sich viele Kinder unterschiedlichen Alters in den Lagern. In einem Bericht des Österreichischen Roten Kreuzes vom 13. Oktober 1916 wurde an das Internationale Rote Kreuz in Genf gemeldet, dass sich im Kriegsgefangenenlager Braunau in Böhmen 920 und im Internierungslager Nezsider 270 serbische Knaben im Alter von 8 bis 17 Jahren befanden. Auf Bitte des serbischen Bildungsministeriums in Korfu an die neutralen Länder, „sich der Sache anzunehmen“, legte die spanische Gesandtschaft in Bern am 23. März 1917 einen Bericht beim Roten Kreuz in Genf vor, in dem mitgeteilt wurde, dass die Zahl der serbischen Knaben in Braunau in Böhmen bis Oktober 1916 auf 1580 gestiegen war und dass das YMCA die Versorgung der Kinder mit Kleidung und Nahrung übernommen sowie Hilfe bei der Organisation des Unterrichtes geleistet hatte.80 Außerdem 77 Ilić Marković, Der Große Krieg, 223. 78 Einige davon befinden sich in der Handschriftensammlung der Nationalbibliothek Serbiens in Belgrad. 79 Unvollständig in der Handschriftensammlung der Nationalbibliothek Serbiens in Belgrad erhalten. 80 Mihailo Grujičić, Školovanje u ropstvu“, in: Jovan Kangrga/Milan Kostić, Nastavnik, Beograd 1919, 203–206.

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wurden auch Alphabetisierungs- oder Landwirtschaftskurse abgehalten. Ab 1917 wurden mit Erlaubnis des Lagerkommandos Schulen organisiert, wie etwa in den Lagern in Aschach an der Donau und im westungarischen Nezsider. In der Zeit von August 1917 bis Juni 1918 stieg in letztgenanntem Lager die Zahl der serbischen Kinder von 530 auf 822.81 Hier wurde ab Juni 1917 in mehreren „Gymnasialklassen“ unterrichtet. Als Lehrpersonal fungierten jene gefangenen Professorinnen und Professoren, Schuldirektoren und Studentinnen sowie Studenten, die entweder als Kriegsgefangene oder im Zuge der Internierung der serbischen Intelligenzschicht aus der Habsburgermonarchie und dem Königreich Serbien in die Lager gekommen waren. Dieses „Gymnasium“ nahm am 10. Juli 1917 den Unterricht auf.82 Aufgrund der hohen Sterblichkeit mussten schon vom ersten Tag der Gefangenschaft eigene Lagerfriedhöfe angelegt werden. Die Toten wurden in Einzel-, Doppel-, Gruppen- und Massengräbern bestattet. In einigen Lagern wurden als Ersatz für eine Kirche, Synagoge oder Moschee Gebetsbaracken bzw. Gebetsräume und auch Kapellen errichtet. Mit Ausnahme der Zeit des größten Massensterbens unter den serbischen Gefangenen von 1914 bis Frühling 1915 und der hohen Sterblichkeit im Winter 1916/1783, als die Toten in Massengräbern bestattet wurden, begleiteten serbische Seelsorger die Lagerbegräbnisse. Im Falle der Serbisch-Orthodoxen könnte man ironischerweise sagen, dass es an Popen in keinem Lager mangelte. Sie wurden als besonders verdächtig schon ab der Julikrise in Bosnien und Herzegowina inhaftiert. Viele von ihnen wurden an Ort und Stelle oder in den Gefängnissen von Bosnien-Herzegowina und Kroatien hingerichtet, der Rest interniert. Im okkupierten Serbien wurden sie sofort interniert. Für den serbisch-orthodoxen Religionsunterricht kamen daraufhin orthodoxe Priester aus Kroatien und Ungarn zum Einsatz. So wurde der Belgrader Erzpriester des Amtes enthoben, interniert und durch den österreichisch-ungarischen griechisch-orthodoxen Militärgeistlichen, den Erzpriester Theodor Jungić, ersetzt.84

81 Eva Maria Mannsberger/Karl Schäfer, Das Neusiedler Internierungslager 1914–1918, in: Neusiedler Jahrbuch, hg. vom Verein zur Erforschung der Stadtgeschichte von Neusiedl am See, Bd. 11 (2008/9), 5–42, 19. 82 Krivokapić, Sećanja; Nikolić-Rasinski, Nežiderska epopeja. 83 Ein Lehrer aus Serbien vermerkte in seinem Artikel nach dem Krieg, dass im Lager Aschach an der Donau „an manchen Tagen über 100 Personen starben“ und dass es im Winter 1916/17 insgesamt 4000 Tote gab. Stanoje Maksić, Srednja škola u zarobljeničkom logoru u Ašahu, in: J. Kangrga/M. Kostić, Nastavnik, Beograd 1919, 207–210, 208. 84 Hugo Kerchnawe, Die Militärverwaltung in den von den österreichisch-ungarischen Truppen besetzten Gebieten, Wien 1928, 230.

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Allein im Lager Nezsider befanden sich 160 Popen.85 Während es in den Lagern Arad und Doboj den zahlreichen internierten serbischen Popen nicht gestattet war, sich als Seelsorger zu betätigen oder Grabgebete zu sprechen, wurde in den Kriegsgefangenenlagern in Westungarn, Böhmen, Mähren und Österreich die Pflege der Religion ermöglicht, wie dies durch die Haager Konvention festgelegt war. Auf Ersuchen des YMCA gestattete das Lagerkommando, dass die Gefangenen des Lagers Boldogasszony eine der Baracken als serbische Kirche gestalten durften. Diese wurde auch von evangelischen Gefangenen besucht. An Sonn- und Feiertagen begleitete ein Männerchor den Gottesdienst.86. Laut Plan des Internierten-Friedhofs Nezsider vom März 1918 und dem Friedhofskataster befanden sich auf diesem Serbenfriedhof 4582 Einzel- und 117 Massengräber87. In den Aufzeichnungen eines damals noch minderjährigen Jungen wird die Beerdigung der Mutter im Winter 1916 in einem dieser Massengräber beschrieben: Meine Mutter war unter den ersten in unserer Gruppe, die Erschöpfung zeigte, […]. Am dritten Tag am Abend starb sie. Vor der Kapelle, einer schwarz gestrichenen Baracke, die mit einem großen weißen Kreuz gekennzeichnet war, versammelten sich weinende Frauen. […] Den Frauen und Kindern war es gestattet, die Verstorbenen bis zum Friedhof zu begleiten, den Männern nicht. Die Totengräber […] holten steife und halb nackte Leichen heraus, […] stapelten je vier Leichen pro eine Trage, die dann sechs Männer trugen. Die kleinen Kinderleichen, die sie Pakete nannten, wurden quer auf die anderen Leichen gelegt, […] ohne Kreuz und ohne Priester. […] Am Ende des Zuges gingen die Totengräber und trugen Kübel mit Kalk und Birkenbesen mit. […] Die Leichen wurden, ohne Beachtung des Geschlechts, in ein Gemeinschaftsgrab hineingeworfen. Zwei Totengräber nehmen die Leiche und schmeißen sie einfach in die Grube – eine Schicht Leichen, dann eine Schicht Kalk und am Ende die Kinderleichen, und letztendlich gießen sie den Rest des Kalkes über alle Leichen und darauf schütten sie die Erde […] [Es] blieb

85 Rodolphe-Archibald Reiss, Les infractions aux règles et lois de la guerre, Lausanne/ Paris 1918. Dieser Bericht basiert auf Befragungen, die mit den aus der Gefangenschaft entflohenen oder freigelassenen Serben geführt wurden. 86 Herbert Brettl, Das Kriegsgefangenen- und Interniertenlager Boldogasszony/Frauenkirchen. „Sie leben nicht mehr der Gegenwart, sondern der Zukunft zuliebe“, Halbturn 2014, 104. 87 Laut Friedhofsplan wurden in den Gräbern bis zu vier Personen bestattet. Mannsberger/Schäfer, Das Neusiedler Internierungslager, 31–33.

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ein Haufen Erde, bedeckt mit etwas Schnee, und auf der Seite eine aufgestellte Tafel: „20 serbische Zivilisten“.88

Die erhaltenen Lagerfriedhöfe auf dem Gebiet der Republik Österreich kamen 1919 unter die Obhut des Österreichischen Schwarzen Kreuzes, das sich auch heute um die Grabpflege kümmert. Engagierte Bewohner und Institutionen der Ortschaften helfen hier ebenfalls tätig mit.

Abtransport der gefangenen Südslawen Solange der Krieg andauerte, konnten Kriegsgefangene, sofern sie nicht flohen, ausschließlich auf dem Wege des Austausches freikommen. Auch zu Entlassungen serbischer Zivilisten aus Internierungslagern kam es noch während des Krieges. Das bedeutete, dass sie entweder in der Habsburgermonarchie konfiniert wurden oder im okkupierten Serbien, das als Etappe galt, was wiederum nur für Wohlhabende in Frage kam. Einige Gruppenentlassungen von Internierten fanden ab 1917 statt.89 Mit dem November 1918 begann der Rücktransport der Gefangenen. Seitens der einheimischen Bevölkerung wurden Unruhen und Plünderungen befürchtet, zusätzliches Wachpersonal bereitgestellt oder wenigstens angefordert. Größtenteils erfolgte die Heimkehr ohne nennenswerte Zwischenfälle. Nachrichten über die politischen Entwicklungen und die begonnene Gründung neuer Staaten erreichten auch die Gefangenenlager. Gerade zu dieser Zeit erfolgte nun die Rückkehr der serbischen Kriegsgefangenen und Internierten.90 Die Ungewissheit über die weitere Zukunft unter den Heimkehrenden war groß. Neben den organisierten Transporten schlugen sich nicht wenige der serbischen Gefangenen alleine in die Heimat durch. Auf ihrem Weg wurde ein Teil von ihnen in die Bataillone der serbischen Armee, die für die Grenzkämpfe nach dem Krieg eingesetzt waren, eingegliedert. Nicht wenige starben im Zuge dieser Konfrontationen.91 Von denjenigen, die Serbien auf 88 Krivokapić, Sećanja, 57 f. 89 Bis Dezember 1916 wurden einem Bericht des Militärgeneralgouvernements Serbien zufolge zwischen 8000 und 10.000 Mann entlassen bzw. einheimischen Arbeiterlager-Abteilungen zugeteilt. Bis zu 1000 wurden pro Monat entlassen. Vgl. VGG, 17, 198. AS. 90 Vgl. u. a. Emil Stefanovič, Moji zapiski z Dunaja, V Ljubljani 1921. 91 U. a. Marijan F. Kranjc, Slovenska vojaška inteligenca. Slovenski dobrovoljci srbske vojske, Grosuplje 2005; Vlado Strugar, Srpska vojska u zaštiti jugoslovenskog prostora krajem godine 1918, in: Stvaranje jugoslovenske države 1918, Beograd 1918.

Im eigenen und im fremden Land gefangen

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dem direkten Weg, zu Fuß oder in den organisierten Transporten erreichten, waren einige so geschwächt, dass sie ihre Rückkehr nur wenige Tage überlebten.

Schluss Die Berichte über die Lager in der Habsburgermonarchie und die dortigen Zustände in der österreichischen beziehungsweise ungarischen sowie serbischen Kriegspresse und die Memoiren der Überlebenden sind erwartungsgemäß höchst unterschiedlich. Selbiges gilt allerdings auch für historische Abhandlungen zum Thema – bis heute. Zweifellos bedarf die Heranziehung von Selbstzeugnissen und zeitgenössischen Presseartikeln einer entsprechenden Quellenkritik: Die Kriegspresse stand unter Militärzensur. Die Art und Weise, wie die Medien Informationen präsentierten, beeinflusste die subjektive Realitätswahrnehmung der Menschen massiv. In den Selbstzeugnissen wiederum steht das eigene Schicksal im Vordergrund, dessen Schilderung durch die zeitliche Distanz zwischen Erleben und Niederschreiben beziehungsweise Veröffentlichung Abweichungen und Veränderungen ausgesetzt war.92 Der hier gewählte Zugang, über die Kriegspresse und Selbstzeugnisse Einblicke in das Leben serbischer Internierter zu ermöglichen, verweist daher nicht zuletzt auf die Komplexität von Wahrnehmungen und Erfahrungen zwischen Propaganda und subjektiven Perspektiven.

92 Vgl. u. a. Gordana Ilić Marković, Ratna periodika, dnevnici i memoari kao izvor za prou­­čavanje istorije Prvog svetskog rata. Srem 1914, in: Spomenica Istorijskog arhiva „Srem“ 15, Sremska Mitrovica 2016, 97–110.

KRIEGSGEFANGENSCHAFT IM ­H ABSBURGERREICH

Verena Moritz

Völker- und Militärrecht, Praxis der Gefangenen­ behandlung und Thematisierung von Missständen

Ausgangslage Zu Kriegsbeginn erwies es sich ganz grundsätzlich als notwendig, die im Habsburgerreich mit Kriegsgefangenen befassten Stellen über die Bestimmungen für deren Behandlung in Kenntnis zu setzen. Gewalttätige Übergriffe gegenüber Kriegsgefangenen, vorenthaltene Verpflegung, mangelnde Bewachung oder aber, konträr, eine als allzu entgegenkommend wahrgenommene Betreuung verwundeter Feindsoldaten ließen eine zweckdienliche Information geboten erscheinen.1 Wer schließlich kommunizierte Regeln missachtete, musste mit Bestrafung rechnen. „Auf Befehl des 6. Armee-Etappenkommandos“ vom Dezember 1914 sollten beispielsweise Angehörige der „Eskortemannschaft“, die „Gefangenen eigenmächtig Geld und Wertsachen“ abnahmen, zur Verantwortung gezogen werden – gerichtliche Konsequenzen inbegriffen.2 Verwiesen wurde auf die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung (HLKO) ebenso wie auf ergänzende Vorschriften, die etwa die

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Vgl. Behandlung der Kriegsgefangenen, Oktober 1914. ÖStA KA KM 10. Abt. 1914: 102/60-4 und 60-6, Kt. 516. Darüber hinaus kam es offenbar auch vor, dass den Kriegsgefangenen Verpflegung vorenthalten wurde. So verfügte die 10. Abteilung des k. u. k. Kriegsministeriums im November 1914: „Insbesondere wird strengstens verboten, irgendwelche Menageersparnisse zu erzielen oder Teile des Menagegeldes für Brotzubussen zu verwenden. Für Brotzubussen und zur Bereitung von Tee steht über Bitte der Kriegsgefangenen demnach nur jener Teil der Löhnung zur Verfügung, der nicht zur Deckung anderer Bedürfnisse (Seife, Tabak, etz.) benötigt wird.“ K. u. k. Kriegsministerium, 10. Abt., Nr. 16289 res., betr. Behandlung der Kgf., Wien, 26.11.1914. Kriegsarchiv Budapest (KAB) Erster Weltkrieg, Karton 4357/Hadtörténelmi Levéltár (HL) I. világháborús anyag, 4357. Vgl. im Übrigen auch Thomas Edelmann, Gefangennahme und Abtransport der Kriegsgefangenen durch den österreichisch-ungarischen Etappenraum 1914–1918, in: Beiträge zur österreichischen Militärgeschichte 864–2019, Wien 2019, 377–414, 405 f. Eine allzu entgegenkommende Behandlung der Gefangenen wurde wiederum moniert in einer Eingabe an das Kriegsministerium: Betr. Behandlung der Kriegsgefangenen, 1914. ÖStA KA KM Präs. 1915: 83-2/1, Kt. 1802. M. A. Nr. 16.338/1914. Inkorrekte Behandlung Kriegsgefangener. Militärkommando­ befehl Nr. 2, Sarajevo am 2.1.1915. ÖStA KA Terr Befehle, 15. K., Sarajevo 1915–1916, Kt. 92.

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Organisation der Etappe betrafen.3 Im Laufe des Krieges kamen Hunderte von Verordnungen hinzu. Gravierende, aber auch weniger bedeutsame Modifikationen bereits bestehender Regeln verstärkten allerdings den Eindruck der Unübersichtlichkeit. Die im so bezeichneten Dienstbuch J-35 der k. u. k. Armee zusammengetragenen Erlässe oder aber das sogenannte „Blaue Kriegsgefangenenbüchel“ mit den Bestimmungen für die Arbeitsverwendung4 von Kriegsgefangenen stellten sich immer nur als Stückwerk des gerade vorhandenen, aber unentwegt in Erweiterung begriffenen Gesamtkomplexes an Verordnungen zur Gefangenenproblematik dar. Die dadurch zum Ausdruck gebrachte Überreglementierung reflektierte den Anspruch einer „totalen“ Kontrolle ebenso wie den Umstand, dass diesbezügliche Vorgaben offenbar nicht in hinreichendem Maße befolgt wurden, existierende Befehle sich als untauglich für die Praxis erwiesen oder Präzisierungen beziehungsweise Ergänzungen erforderlich wurden. So mussten etwa in der Frage der Registrierung von Kriegsgefangenen oder aber in Hinblick auf die Handhabung der Gefangenenkorrespondenzen geltende Bestimmungen unzählige Mal „nachjustiert“ werden. Dennoch taten sich trotz der in großer Zahl kursierenden Vorschriften bis hinein in das letzte Kriegsjahr immer wieder eklatante Defizite hinsichtlich deren Kenntnis auf. So stellte sich etwa noch im März 1918 heraus, dass militärische Kommanden offenbar keine Ahnung von den „Bestimmungen der Haager Konvention“ in Zusammenhang mit der Arbeitsverwendung von Gefangenen hatten.5 Dass Unterbringung, Ernährung und Behandlung der Feindsoldaten den Bestimmungen internationaler Vereinbarungen unterworfen waren, sollte aber auch der Bevölkerung kommuniziert werden. Auf diese Weise wurde offenbar geäußerten Beschwerden über deren als allzu reichlich wahrgenommenen Verpflegung entgegnet. Anscheinend gab es angesichts rasant wachsender Gefangenenzahlen Befürchtungen, die Feindsoldaten würden die Monarchie „blankessen“.6 Noch wichtiger, als die Zivilbevölkerung mit Informationen über geltende Bestimmungen zur Gefangenenbehandlung zu konfrontieren, erschien es al-

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Behandlung der Kriegsgefangenen, Oktober 1914. ÖStA KA KM 10. Abt. 1914: 102/60-4 und 60-6, Kt. 516. Mit dem „Blauen Kriegsgefangenenbüchel“ (Bestimmungen für die Beistellung kriegsgefangener Arbeiter in Österreich) gemeint ist der Erlass Nr. 3000 der 10. Abt./Kgf., der mit März 1916 in Kraft trat und die Arbeitsverwendung der Gefangenen neu regelte. Vorhanden ist dieses u. a. in: ÖStA KA KM 10. KgA 1917, Kt. 1441. Arbeitsverweigerung ital. Kgf./K. u. k. Militärkommando, Landwehrgruppe Krakau, 15.3.1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-147/6, Kt. 2230. Grazer Vorortezeitung, 6.1.1915, 10. Vor allem russische Gefangene wurden bereits 1914 als „große Esser“ charakterisiert. Vgl. Pester Lloyd, 9.11.1914, 1 f.

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lerdings, die Kriegsgefangenen selbst mit bestehenden Regulativen bekannt zu machen – inklusive Hinweisen auf durchaus drastische Konsequenzen einer Missachtung derselben. Mitte August 1914 verfügte das k. u. k. Kriegsministerium, dass die zunächst in das ungarische Esztergom abzuschiebenden russischen Kriegsgefangenen vor „Antritt der Reisebewegung“ darüber belehrt werden sollten, dass „die Urheber absichtlicher Beschädigungen an den Transportmitteln bzw. den Verkehrseinrichtungen sofort niedergemacht werden“.7 Außerdem wurden die Gefangenen nach der sogenannten „Perlustrierung“ (gemeint damit ist das Anhalten von Personen zur Überprüfung ihrer Identität und die etwaige Abnahme von mitgeführten Dokumenten und Gegenständen) über „ihre Unterstellung unter die Vorschriften und Gesetze der k. u. k. Armee unterrichtet“, Mannschaften und Offiziere, „soweit dies die Verhältnisse im Armeebereich überhaupt zuließen“, voneinander separiert.8 Die sich bald einstellenden unhaltbaren Zustände am Truppenübungsplatz bei Esztergom, wo keine adäquaten Voraussetzungen für die in Tausenden zuströmenden Gefangenen der NO-Front getroffen worden waren, führten im Übrigen den ursprünglichen Plan, alle Gefangenen lediglich an wenigen, wenn nicht einem Ort zu konzentrieren, schnell ad absurdum.9 Festgelegt wurde schließlich, wo die Gefangenen vorrangig zu versammeln waren: „Die strategische Lage der Monarchie, als eine“ bald „an nahezu allen ihren Fronten angegriffene oder von Angriffen bedrohte Festung ergab die Donaulinie in ihrem Verlauf von Passau bis etwa Budapest und die an das Deutsche Reich grenzenden Teile Böhmens als jene Gebiete, in denen die Unterbringung der Kgfn. fürzuwählen war.“10

  7 K. u. k. KM Abt. 10 Nr. 3292 res., 13.8.1914. ÖStA KA NFA 6. Armee-Op. Akten, Kt. 13. Mit dieser Verordnung bewegte man sich insofern innerhalb eines rechtsgültigen Rahmens, wonach als feindlich wahrgenommene Handlungen den Status des Kriegsgefangenen neutralisieren konnten. Sowohl an die Gefangenen als auch die Zivilbevölkerung richtete sich indessen das Verbot, Uniformen zu verkaufen beziehungsweise zu kaufen. Um derartige Vorkommnisse zu unterbinden, wurden Gefangenentransporte bald möglichst unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt, die Zivilbevölkerung gewissermaßen auf Distanz gehalten. Vgl. Salzburger Wacht, 18.8.1915, 5.   8 Edelmann, Gefangennahme und Abtransport der Kriegsgefangenen, 396.   9 Vgl. Thomas Edelmann, Das Etappenwesen der österreichisch-ungarischen Landstreitkräfte 1909 bis 1918. Kriegsvorbereitung und Kriegsrealität, Diss. Wien 2017, 125 f. Ausführlich über die Organisation des Transportes von Kriegsgefangenen in der Etappe betr. Abschub, Verköstigung, Verhör und Verteilung von den Kampftruppen bis zum betr. Divisionskommando siehe: Ebd., 125–128. Vgl. dazu auch: Kgf. Lgr. in der Steiermark – Evakuierung. ÖStA KA KM 10. Abt. 1915: 19-6/6, Kt. 1015. 10 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 9.

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Die Bedingungen in Esztergom, wo die Gefangenen „Freilager“ bezogen beziehungsweise in Erdlöchern und -hütten Unterschlupf fanden11, stellten sich indessen bald als menschenunwürdig dar und riefen nicht zuletzt die zivilen Behörden auf den Plan, die sich vor allem wegen einer Ausbreitung der unter den Gefangenen grassierenden Krankheiten an vorgesetzte Verwaltungs- sowie militärische Behörden wandten und um Abhilfe baten.12 Drastische Schilderungen dessen, was russische Kriegsgefangene in den ersten Monaten des Krieges mit Beginn ihrer Gefangennahme durch die k. u. k. Armee erlebten, fand im Übrigen auch Niederschlag in einer russischen Broschüre mit dem Titel „Russkie v plenu u avstrijcev“. Sie stimmen mit den Berichten, die das k. u. k. Kriegsministerium erreichten, in vielen Punkten überein, beinhalten allerdings auch etliche Hinweise auf willkürliche Tötungen von Gefangenen sowie vor allem auf Misshandlungen.13 Zitiert wurde in diesem Druckwerk auch ein österreichischer Arzt. Angesichts des Gesundheitszustandes der Gefangenen und einer ausbleibenden Versorgung auf den Transportzügen beziehungsweise Fußmärschen in den Etappenraum hatte der Mediziner angeblich der Meinung Ausdruck verliehen, wonach es menschlicher wäre, die eingebrachten Kriegsgefangenen zu erschießen, anstatt sie auf diese Weise qualvoll zugrunde gehen zu lassen.14 Während indessen das Kriegsministerium in Wien die Haager Landkriegsordnung gegenüber der k. u. k. Armee ebenso wie der Öffentlichkeit als verbindliche Grundlage für die Gefangenenbehandlung präsentierte, machte sich in diesem Zusammenhang sehr bald eine größer werdende Skepsis breit. Das k. u. k. Armeeoberkommando sowie diverse Vertreter der kämpfenden Truppe formulierten schon kurze Zeit nach Kriegsausbruch den Wunsch nach Vergeltungsmaßnahmen. Auslöser waren beobachtete Verstöße der gegnerischen Seite bei der Gefangenenbehandlung. Das dem Völkerrecht inhärente Prinzip der Reziprozität ließ Vergeltung als legitime Reaktion auf Verfehlungen erscheinen. Der Ruf nach „Revanche“ war demnach kein prinzipieller Angriff auf die Haager Landkriegsordnung, aber ein Symptom für den vorhandenen Zweifel an der Sinnhaftigkeit beziehungsweise praktischen Funktionsweise völkerrechtlicher Prinzipien. Während allerdings die 11 Ebd. 12 Siehe u. a. Verena Moritz, Gefangenschaft, in: Hannes Leidinger/Verena Moritz/Karin Moser/Wolfram Dornik, Habsburgs schmutziger Krieg. Ermittlungen zur österreichisch-ungarischen Kriegsführung 1914–1918, St. Pölten/Salzburg/Wien 2014, 93–144, 132–137. 13 Vgl. dazu Russkie v plenu u avstrijcev. Rossijskij Gosudarstvennyj Voenno-Istoričeskij Archiv (RGVIA) f. 2003 op. 2 d. 821 ll. 20–35. 14 Ebd., l. 22.

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Infragestellung des Völkerrechtes im Falle der deutschen Armee bereits vor dem Krieg evident war und festgehalten wurde, dass der „Kriegsgebrauch im Landkriege“ der Kriegsraison als Leitlinie zu folgen habe15, hatte man sich in Österreich-Ungarn offenbar mit mehr oder weniger zustimmenden Kommentaren in Richtung Berlin begnügt. Ebenso wie beim Bündnispartner sah man Völkerrecht und Kriegsnotwendigkeiten aber im Konflikt. Die vom „Großen Generalstab“ in Berlin herausgegebene Schrift über den „Kriegsgebrauch im Landkriege“ war in österreichischen Militärzeitschriften positiv aufgenommen worden. Dass dort „falschen und übertriebenen humanitären Anschauungen“ wirklichkeitsnahe „ritterliche“ Perspektiven entgegengehalten wurden, fand Zustimmung.16 Im deutschen Heer freundete man sich nicht ohne Weiteres mit den qua Völkerrecht geltenden Regeln für die Gefangenenbehandlung an – obwohl gerade diese vor dem Krieg positiv rezipiert worden waren.17 Dokumentiert sind bereits für den August 1914 diverse Beispiele für eine geforderte unnachsichtige Behandlung eingebrachter Kriegsgefangener.18 Die Argumentation, die dabei geführt wurde, negierte die Haager Landkriegsordnung nicht grundsätzlich, reihte sie aber gegenüber der sogenannten „Kriegsnotwendigkeit“ nach hinten, oder sie wurde aufgrund – so Isabel Hull – „unverified suspicions about the enemy’s behaviour“ keineswegs verabsolutiert. Eine Befolgung der Haager Bestimmungen hatte, meint Hull, vielmehr einen provisorischen oder schwebenden Charakter.19 Demgegenüber hält Jonathan Gumz eine eklatante Missachtung des Völkerrechtes auch anderer Kriegsparteien fest. Dabei hervorgehoben werden die von der k. u. k. und der russischen Armee dominierten Kriegsschauplätze. Zusammenfassend heißt es: „Whether we turn to Belgium and northern France during the German invasion of 1914, Russian

15 Uta Hinz, Gefangen im Großen Krieg. Kriegsgefangenschaft in Deutschland 1914–1921, Essen 2006, 61. Bezug genommen wird hier auf die 1902 vom „Großen Generalstab“ veröffentliche Publikation „Kriegsgebrauch im Landkriege“. 16 Die vom deutschen Generalstab herausgegebene „Einzelschrift“ zum „Kriegsgebrauch im Landkriege“, die als Beleg für die diesbezüglichen Prioritäten der deutschen militärischen Führung gilt, wurde in k. u. k. Militärkreisen ganz offensichtlich rezipiert. Vgl. dazu: Militär-Zeitung, 4.1.1903, 1–3 und Danzer’s Armee-Zeitung, 29.1.1903, 4–6 sowie 18.5.1905, 11 mit einer Kurzrezension zu August v. Reinhardts Buch über „Die Humanität im Kriege“. 17 Dazu Hinz, die allerdings auch die „Doppelbödigkeit“ dieser Rezeption hervorhebt. Hinz, Gefangen, 65. 18 Isabel Hull, Absolute Destruction. Military Culture and the Practices of War in Imperial Germany, Ithaca/NY 2005, 279 f. und vgl. Dies., A Scrap of Paper. Breaking and Making International Law during the Great War, Ithaca/NY 2014. 19 Hull, Absolute Destruction, 280.

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Poland, East Prussia, Galicia or Serbia, nineteenth-century norms of war came under pressure from the very beginning.“20 Die Haager Landkriegsordnung hatte indessen mit ihrem „ius in bello“ auch konkrete Grundsätze für die Kriegsgefangenenbehandlung festgelegt21, die „sich aus humanitären Normen und traditionellem Kriegsgewohnheitsrecht zugleich speisten“.22 Stefan Oeter, der sich der Entwicklung des Kriegsgefangenenrechtes aus der Perspektive des Völkerrechtlers zugewandt hat, erkennt jedoch gemessen an früheren Regelwerken wenig Innovatives an der HLKO: Die diesbezüglichen Bestimmungen zur Gefangenenproblematik seien „letztlich nur […] eine Weiterentwicklung der im Lieber-Code“ – eine ins Jahr 1863 datierende und vor dem Hintergrund des Amerikanischen Bürgerkrieges zusammengestellte Kodifikation – „und den nachfolgenden Heeresdienstvorschriften der europäischen Staaten niedergelegten Grundsätze, die allgemein als Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts angesehen wurden“.23 Im Zuge der Konferenz in Brüssel, wo 1874 ein Regelwerk für das „ius in bello“ anvisiert worden war, blieben in Bezug auf die Kriegsgefangenen die Bestimmungen des Lieber-Codes im Wesentlichen unverändert.24 Die weiteren Erfahrungen aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg fanden demgemäß keinen Niederschlag. Für den Ersten Weltkrieg war die HLKO maßgeblich.

20 Jonathan Gumz, Norms of war and the Austro-Hungarian encounter with Serbia, 1914– 1918, in: First World War Studies: Military Occupations in First World War Europe 4/1 (2013), 97–110, 103. 21 Ein instruktiver Überblick über die Entwicklung des Kriegsgefangenenrechtes sowie die Haager Landkriegsordnung, speziell in Zusammenhang mit der Gefangenenbehandlung, mit wertvollen Hinweisen überdies auf die diesbezügliche Literatur: Hinz, Gefangen, 43–70. Grundlegend dazu u. a. Geoffrey Best, Humanity in Warfare. The Modern History of the International Law of Armed Conflicts, London 1980; Jost Dülffer, Regeln gegen den Krieg? Die Haager Friedenskonferenzen 1899 und 1907 in der internationalen Politik, Frankfurt am Main 1978; Ders., Deeskalations- und Friedens­ politik im 20. Jahrhundert, Köln/Wien/Weimar 2008. Unverzichtbar des Weiteren: Daniel Marc Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? Die Ahndung von Kriegsverbrechen in der internationalen wissenschaftlichen Debatte 1872–1945, Paderborn 2010 mit ausführlichen Kapiteln u. a. zur HLKO. Siehe des Weiteren: Kerstin von Lingen, „Crimes against Humanity“. Eine Ideengeschichte der Zivilisierung von Kriegsgewalt 1864–1914, Paderborn 2018; Markus Stuke, Der Rechtsstatus des Kriegsgefangenen im bewaffneten Konflikt, Tübingen 2017 oder Alan Kramer, Kriegsrecht und Kriegsverbrechen, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumreich/Irina Renz (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn/München/Wien/Zürich 2009, 281–292. 22 Hinz, Gefangen, 28. 23 Stefan Oeter, Die Entwicklung des Kriegsgefangenenrechts. Die Sichtweise eines Völkerrechtlers, in: Rüdiger Overmans (Hg.), In der Hand des Feindes. Kriegsgefangenschaft von der Antike bis zum Zweiten Weltkrieg, Köln/Weimar/Wien 1999, 41–59, 50. 24 Dazu Segesser, Recht statt Rache, 95–102.

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Neben der Fürsorgeverpflichtung des Nehmestaates vorgeschrieben war in den Haager Bestimmungen die Gleichstellung der Feindsoldaten mit den eigenen Heeresangehörigen. Diese Regelung galt auch für den Rechtsstatus der Kriegsgefangenen und somit für die Normen ihrer Disziplinierung. Da aber die diesbezüglichen nationalen Bestimmungen unterschiedlicher Natur waren, barg diese Gleichstellung Konfliktstoff in sich.25 Die Ahndung von Übertretungen und Vergehen sowie von Verbrechen gemäß den Statuten der Armee des Nehmestaates implizierte nicht unbedingt dasselbe Strafausmaß wie im Herkunftsstaat des zur Verantwortung zu ziehenden Kriegsgefangenen. Reziprozität, ansonsten die Basis der völkerrechtlichen Vereinbarungen, ließ sich in dieser Hinsicht gar nicht erst herstellen.26 Die Eingliederung von 25 Die „Anwendung von Bestimmungen des II. Teiles des Militärstrafgesetzes auf Kriegsgefangene“ wurde erst im August 1915 verordnet. Siehe: Reichsgesetzblatt (RGBl.) 1915, Nr. 233: Verordnung des Ministers für Landesverteidigung im Einvernehmen mit dem Kriegsminister vom 12. August 1915 über die Anwendung von Bestimmungen des II. Teils des Militärstrafgesetzes (MStG) auf Kriegsgefangene. Dazu siehe auch: Max Breitenstein/Demeter Koropatnicki, Die Kriegsgesetze Oesterreichs, Wien 1916, 509 f. 26 Auf diesen Umstand wurde im Dezember 1917 auch in einer Anfragebeantwortung des k. k. Ministers für Landesverteidigung gegenüber den betreffenden Abgeordneten hingewiesen, in der es u. a. um die Behandlung von k. u. k. Soldaten in italienischer Gefangenschaft ging: „Das italienische Militärstrafgesetz, dem die österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen unterstehen, hat bedeutend höhere Strafsätze, als das österreichisch-ungarische und tritt vielfach bei Fällen in Wirksamkeit, in denen in der Monarchie nur Disziplinarstrafen angewendet würden. Eine Reziprozität läßt sich nicht herstellen, da die Kriegsgefangenen nach internationalem Rechte den gesetzlichen Strafbestimmungen desjenigen Landes unterstehen, in dem sie sich befinden […].“ Das Kriegsministerium aber habe in einzelnen Fragen Ausgleichsregelungen durchgesetzt. Diese aber tangierten eher sekundäre Problematiken, wie etwa die „Gebührenfrage bei Straf- und Untersuchungshaft“. Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des Reichsrates, Ad Nr. 766 I. XXII. Session (244). Anfragebeantwortung Seiner Exzellenz des Herrn Ministers für Landesverteidigung, 27. Dezember 1917. Vereinbarungen zur gegenseitigen Strafaussetzung, wie sie etwa zwischen Deutschland einerseits und Frankreich sowie Großbritannien andererseits erzielt wurden, kamen offenbar zwischen der k. u. k. Monarchie und ihren gegnerischen Staaten nicht in vergleichbarem Ausmaß zustande beziehungsweise erst wenige Monate vor Kriegsende. Vgl. zur deutschen Situation: Hinz, Gefangen, 145 f. Trotzdem enthielten die 1916 vereinbarten Stockholmer Beschlüsse wichtige Bestimmungen, darunter über „Rechtsprechung und Strafen“, die zumindest „Vergehen und Verbrechen“ betrafen, welche wiederum „während der Flucht oder in Zusammenhang mit dieser begangen wurden“. Diese sollten bis Kriegsende aufgeschoben werden und danach durch Sondergerichte, „zusammengesetzt aus Vertretern neutraler Länder unter Teilnahme von Vertretern der kriegführenden Länder“, Urteile „gefällt werden“. Vgl. Franz Scheidl, Die Kriegsgefangenschaft. Von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Berlin 1943, 109. Über die verschiedenen Stockholmer Konferenzen sowie weitere Vereinbarungen in Zusammenhang vor allem mit Russland siehe: Matthias Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen? Die k. u. k. Regierung und die österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen in Russland 1914–

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Feindsoldaten in das für das eigene Heer geltende Militär- und Disziplinarstrafrecht begünstigte zudem eine Perspektive, die Feindsoldaten tendenziell als Mitglieder der eigenen Streitkräfte betrachtete. Diese Sichtweise schlug sich in gewisser Weise auch in der Unterbringung der Gefangenen nieder: Selbst in den Barackenlagern wurden sie nach dem Muster eigener militärischer Formationen untergebracht.27 Bezeichnenderweise galten flüchtende Kriegsgefangene im Sprachgebrauch militärischer Instanzen außerdem als „Deserteure“. Wenn Gefangene demnach als „feindliches Personal“28 erachtet wurden, geschah dies nicht im Widerspruch zur HLKO. Der „Wehrpflichtstaat“, wie er sich im 19. Jahrhundert herausgebildet hatte, übertrug die „volle Kontrolle über das soldatische Potenzial“ auch auf die eingebrachten Kriegsgefangenen29, die für die Zeit ihres Zwangsaufenthaltes dem eigenen „Apparat“ zugeordnet wurden. Die „Militarisierung“ der Arbeit, die auch zivile Arbeitskräfte erfasst hatte, erstreckte sich geradezu folgerichtig auf die Feindsoldaten. Deren Heranziehung zu „Arbeiten“ war gemäß HLKO mit der Einschränkung erlaubt, dass diese „nicht übermäßig und in keiner Beziehung zu den Kriegsunternehmungen“ stehen durften. Kriegsgefangene Offiziere für „Arbeiten“ zu verwenden, untersagten die Bestimmungen grundsätzlich.30

„Anbinden“ An der Frage der Disziplinierung von Kriegsgefangenen entzündeten sich sogleich heftige Auseinandersetzungen zwischen den kriegführenden Staaten. Die im deutschen ebenso wie im österreichisch-ungarischen Heer übliche wie auch verbreitete Strafe des „Anbindens“31 rief bei der Entente besondere Em1918, Diss. Salzburg 2018, 250–308. 27 Rudolf Mauer, Kriegsgefangenenlager in der gewesenen öst. ung. Monarchie, in: Techn. Mitteilungen 1920, viertes Heft, 156–167, 160. ÖStA KA MS TiWK, Nr. 115. 28 Etappenvorschrift. Dienstbuch E-57, Wien 1912 (Entwurf), Auflage 1914, 48. 29 Heather Jones, Kriegsgefangenenlager. Der moderne Staat und die Radikalisierung der Gefangenschaft im Ersten Weltkrieg, in: Mittelweg 36-20/4 (2011), 59–75, 67 f. 30 Haager Landkriegsordnung, II. Kapitel: Kriegsgefangene, Art. 6. Der Wortlaut der Haager Landkriegsordnung ist u. a. abrufbar über: https://www.1000dokumente.de/index. html?c=dokument_de&dokument=0201_haa&object=translation&l=de (abgerufen am 1.7.2021). 31 Beim „Anbinden“ wurden die Betroffenen gefesselt, die Arme am Rücken, und an einen Pfahl angebunden. Bei dieser Tortur berührten die Füße den Boden kaum oder aber gar nicht. Wer in dieser Stellung zwei oder mehr Stunden verharren musste, empfand diese Strafe mit gutem Grund als eine, die durchaus die im Stockholmer Protokoll untersagten „physischen Schmerzen“ hervorrief. Vgl. Verena Moritz/Hannes Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung. Die russischen Kriegsgefangenen in Österreich

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pörung hervor. Mit den neuen Regelungen für das Disziplinar-Strafrecht aus dem Jahr 1903 waren im k. u. k. Heer „Anbinden und Schließen in Spangen“ als „Friedensstrafe eliminiert“ worden. Zulässig waren „das Anbinden als Ordnungsstrafe und als Strafverschärfung nur im Felde“, also im Krieg, und „das Schließen in Spangen nur gegen Mannschaft ohne Chargengrad als Strafverschärfung unter besonderen Verhältnissen“.32 Tatsächlich war das „Anbinden“ eine „Leibesstrafe“, die gegenüber k. u. k. Soldaten immer wieder – etwa in Zusammenhang mit „Renitenz“ oder „frechem Benehmen“ – zur Anwendung kam und von diesen als überaus grausam empfunden ­wurde.33 Auch aus dem Habsburgerreich heimgekehrte Gefangene berichteten über die Schrecken des „Anbindens“.34 Realiter war es die oftmals regelwidrige Durchführung der Strafe – verboten war beispielsweise das „Anbinden“ bei extremen Temperaturen oder Witterungsverhältnissen –, die vehementen Protest hervorrief. Seitens des k. u. k. Kriegsministeriums wurde im Falle besonderer Widersetzlichkeit von Gefangenen die wiederholte Anwendung des „Anbindens“, aber auch des „Schließens in Spangen“ an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen anempfohlen – eine Anordnung, die dem Disziplinarstrafrecht grundsätzlich nicht widersprach.35 Fotografisch dokumentiert wurde indessen in einem in Russland herausgegebenen Band mit dem Titel „Russkie v plenu u avstrijcev“ („Russen in Gefangenschaft bei den Österreichern“) die grausame Anwendung des „Anbindens“, die den Betroffenen schmerzhafte Verrenkungen abverlangte.36 Auch italienische Kriegsgefangene wussten von wahren Torturen zu be­ rich­­ten. Anlässlich ihrer Wiedereinbringung nach der Flucht gaben zwei Italiener 1916 Schilderungen über Misshandlungen zu Protokoll, die ihnen bei einer Arbeiter-Abteilung in Galizien widerfahren waren:

(1914–1921), Bonn 2005, 155. 32 Franz Kleemann, Das neue Disziplinar-Strafrecht, Wiener-Neustadt 1904, 13. 33 Vgl. dazu den wertvollen Beitrag von Christa Hämmerle, „… dort wurden wir dressiert und sekiert und geschlagen …“ Vom Drill, dem Disziplinarstrafrecht und Soldatenmisshandlungen im Heer (1868 bis 1914), in: Laurence Cole/Christa Hämmerle/Martin Scheutz (Hg.), Glanz – Gewalt – Gehorsam. Militär und Gesellschaft in der Habsburgermonarchie (1800 bis 1918), Essen 2011, 31–54, 42. 34 Vgl. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 155. 35 Vgl. Isolierung der Kriegsgefangenenlager, Belehrung, Disziplinarstrafen. ÖStA KA KM 10. Abt. 1915: 10-96/2, Kt. 992. Zu den diesbezüglichen Körper- und Fastenstrafen zählte u. a. auch die „Auferlegung beschwerlicher und lästiger Dienstverrichtungen außer der Reihe, als Reinigungsarbeiten, Abortinspektion, Barackeninspektion u. dgl. bis zu 6 Wochen“. K. u. k. Kriegsministerium an das k. u. k. Militärkommando Pozsony, 23.3.1915. Vojenský Historický Archiv (VHA Bratislava). 5KK 1914, Kt. 68. 36 Vgl. Russkie v plenu u avstrijcev, Petrograd 1916, Fototeil.

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Wir wurden beim Anbinden durch ein unter das Kinn gestelltes Holzstück gezwungen den Kopf aufrecht zu halten, oder man stellte uns einen Wasserkübel auf den Nacken, dass die Knochen krachten, oder man hängte uns den Wasserkübel am beweglichen Griffe über den Hals, so dass uns das Gewicht des Wassers nach vorne zog. Eine andere Strafe bestand darin, dass man uns nur auf einem Fuss stehen liess; wir mussten das rechte Knie hochheben und darauf den Ellbogen stützen und den Unterarm mit ausgestrecktem Zeigefinger vor die Nase halten. Alle diese Strafen wurden mit höhnischen Bemerkungen der Wachmannschaft begleitet.37

Dass in den 1916 gefassten Stockholmer Beschlüssen das Zufügen von „physischen Schmerzen“ im Zuge von Disziplinierungsmaßnahmen verboten wurde, vermochte eine missbräuchliche Anwendung der innerhalb der k. u. k. Armee gebräuchlichen Körperstrafen nicht abzustellen.38 Das „Anbinden“ wurde vielmehr zum Inbegriff einer brutalen Gefangenenbehandlung der Mittelmächte. Das k. u. k. Kriegsministerium war der Ansicht, speziell in Russland habe sich rund um das „Anbinden“ ein „förmlicher Sagenkreis gebildet“. Resultat seien Tausende Broschüren über diese Strafart im Sinne einer „moderne[n] Folter“, die innerhalb der Entente-Länder Verbreitung fänden und dem Prestige der k. u. k. Monarchie Schaden zufügen würden.39 Tatsächlich wurde das „Anbinden“ von der russischen Propaganda in das Narrativ „systematischer Gräuel“ in österreichisch-ungarischer Gefangenschaft überführt. Gemeinsam mit dem „Schließen in Spangen“ galt diese Strafe als Beleg für die Barbarei des Gegners und als eine konsequente „Folter“ russischer Soldaten.40 37 Mißhandlung von Kgf., Oktober 1916. ÖStA KA KM 10.  KgA 1916: 10-125/58-2, Kt. 1387. 38 Scheidl, Die Kriegsgefangenschaft, 108. Zur Bedeutung der Stockholmer Konferenzen für die Weiterentwicklung des Kriegsgefangenenrechtes siehe z. B. Iris Rachamimov, Military captivity in two world wars, in: Roger Chickering/Dennis Showalter/Hans van de Ven (Hg.), The Cambridge History of War. Vol. IV: War and the Modern World, Cambridge 2012, 214–235. 39 K. u. k. Militärkommando Innsbruck. Präsidial-Verordnungen, Nr.  55. Innsbruck 30. Oktober 1916, Präs. Nr. 11303/Kgf. ÖStA KA Terr Befehle, 14. K., Innsbruck 1914– 1916, Kt. 83. 40 Vgl. dazu den Artikel von Natal’ja Suržikova in vorliegendem Band. Auf der gegnerischen Seite sorgten nicht zuletzt Aussagen von heimgekehrten Kriegsgefangenen, die entweder als Invalide ausgetauscht wurden oder sich durch Flucht der Gefangenschaft entziehen konnten, für ein durch und durch negatives Bild vom Nehmestaat, der angeblich vor keinerlei Maßnahmen zurückschreckte, wenn es um die Behandlung von Feindsoldaten ging. Derartige Meldungen wiederum eigneten sich für die Presse im Habsburgerreich als Beispiele für die notorische Entstellung der „wahren“

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Das k. u. k. Kriegsministerium gab sich allerdings noch in einer anderen Hinsicht besorgt: Hingewiesen wurde auch auf die kontraproduktive Wirkung des „Anbindens“ in Zusammenhang mit „Fürsorgeaktionen“ zu Gunsten eigener Armeeangehöriger in russischer Gefangenschaft: „Jede Beschwerde betreffend Mißhandlung von Kriegsgefangenen wird mit dem Verweis auf das ‚unmenschliche Anbinden‘ abgewiesen.“ Das Ministerium, das jedoch das Anbinden für ein „unentbehrliches Mittel“ zur Disziplinierung von Feindsoldaten hielt, betonte die Notwendigkeit einer regelkonformen Ausführung der Strafe und kündigte ein strenges Vorgehen gegenüber jenen an, die sich über diesbezügliche Anordnungen hinwegsetzten.41 Diesem Vorgehen schloss man sich auch seitens des AOK an. Da im Rahmen einer Inspektion von Gefangenen beim Heeresgruppenkommando Boroević im Herbst 1916 „[w]iederholt beobachtete Vorfälle“ eines regelwidrigen „Anbindens“ gemeldet wurden, verfügte auch Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf eine Behebung derartiger Missstände im Bereich der Armee im Felde. „Die Kommandanten der Kriegsgefangenen-Arbeiterabteilungen“ sollten „dementsprechend“ belehrt werden.42

Verhältnisse durch den Feind. So hieß es beispielsweise in der „Wiener Abendpost“ über Aussagen geflohener russischer Soldaten, wonach cholerakranke Kriegsgefangene im Habsburgerreich bei lebendigem Leib verbrannt worden waren, dass die „Schändlichkeit“ solcher Beschuldigungen außer „ganz unwissenden asiatischen Truppen selbst in Russland jedem Lebewesen mit gesundem Menschenverstand klar sein“ müsse. Tatsächlich war es im Lager Esztergom zu einem Brand in der Lagerküche gekommen, die vollständig vernichtet wurde. Das Feuer griff laut Aussage eines aus österreichisch-ungarischer Gefangenschaft geflohenen russischen Soldaten trotz der Löschversuche der Wachmannschaft auch auf eine Baracke über, in der an Cholera erkrankte gefangene Russen untergebracht waren. Viele kamen dabei, so der befragte Aleksandr Pozdnjakov bei seiner Heimkehr, ums Leben, ohne dass es Rettungsversuche gegeben habe. Davon ausgehend, ergänzte er, entspannen sich Gerüchte, wonach „die Deutschen“ die Baracke absichtlich in Brand gesetzt hatten. Diese Gerüchte wiederum wurden von der russischen Propa­ganda weiterverwendet und als Tatsache dargestellt. Vgl. Wiener Abendpost, Beilage zur Wiener Zeitung, Nr. 18, 24.1.1916, 3; Befragungsprotokoll, 25. Mai 1916, Aleksandr N. Pozdnjakov. RGVIA f. 2003 (Štab Verchovnogo glavnokomandujuščego (Stavka), g. Mogilev), op. 2. d. 545 ll. 482–486. Zu den Zuständen in Esztergom in den ersten Kriegsmonaten siehe beispielsweise: Moritz, Gefangenschaft, 132. 41 K. u. k. Militärkommando Innsbruck. Präsidial-Verordnungen, Nr.  55. Innsbruck 30. Oktober 1916, Präs. Nr. 11303/Kgf. ÖStA KA Terr Befehle, 14. K., Innsbruck 1914– 1916, Kt. 83. 42 K. u. k. Armeeoberkommando, Q Op. Nr. 135.092, 16. Oktober 1916. ÖStA KA NFA Qu.Abt. d. HGK. Erzh. Eugen, 1916, Kt. 732.

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Das „Anbinden“, das zwar in Deutschland ebenso wie in Österreich-Ungarn auch in höheren Militärkreisen teilweise als demütigend und nicht zeitgemäß empfunden wurde43, aber den Bestimmungen der HLKO nicht zuwiderlief, war ein „paradigmatisches Beispiel für die Vermischung militärischer, rechtlicher und propagandistischer Elemente in der internationalen Auseinandersetzung um legitime und illegitime Behandlung Kriegsgefangener“.44 In Deutschland wurde das „Anbinden“ infolge unausgesetzter Proteste aus den Herkunftsstaaten der Gefangenen im Dezember 1916 als Strafmittel gegenüber Kriegsgefangenen abgeschafft und im Mai 1917 das diesbezügliche allgemeine Verbot verfügt. Damit war das „Anbinden“ auch für deutsche Soldaten keine zulässige Strafe mehr.45 Während andere Strafformen weiterhin Stoff für eine Fortsetzung des Propagandakrieges in Fragen der Gefangenenbehandlung lieferten, rang man sich auch in Österreich-Ungarn zu einem Verzicht auf das „Anbinden“ durch. Dort war man ebenfalls mit regelmäßigen Forderungen – vor allem aus dem Zarenreich und Italien – nach einem Abschaffen dieser Strafform konfrontiert worden.46 Im März 1917 verfügte 43 Vgl. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 155. 44 Hinz, Gefangen, 165. Während die Kompetenz des Disziplinarstrafrechtes in Zusammenhang mit der Arbeitsverwendung von Gefangenen außerhalb der Lager ebenso den betreffenden militärischen Instanzen oblag, wurde in Hinblick auf die erforderliche Hinzuziehung von „patrouillierenden Gendarmen“ auch diesen eine solche Kompetenz eingeräumt. Im Dienstbuch J-35 wurde dazu verfügt: „Der Strafvollzug erfolgt unter Aufsicht eines Gemeindeorganes / Bewachungsmannes an einem vor den Augen des Publikums geschützten Orte und darf mit keinen reglementswidrigen Härten (z. B. Stellen in die glühende Sonne, in Regen und Sturm) verbunden werden.“ Dem „Postenkommandanten“ wurde im Falle von „besonders krassen“ Vergehen zugestanden, „die Strafe des zweistündigen Anbindens im Höchstausmaße an drei aufeinanderfolgenden Tagen“ zu verhängen bzw. „die von einem untergeordneten Gendarm bewirkte Bestrafung, die ihm ehetunlichst zu melden ist, bis zum vorbezeichneten schärfsten Ausmaß“ zu „erhöhen“. Dienstbuch J-35. Kriegsgefangenenwesen (Kgf. W.). Sammlung und Sichtung der ergangenen Erlässe, Wien 1915, 95. Realiter blieb die Aufsichtspflicht bei Arbeitsverwendung von Gefangenen im zivilen Kontext oft in der Kompetenz der Arbeitgeber, die hierfür Mitglieder von „Bürgerkorps und Veteranenvereinen“, aber etwa auch „Forstschutzpersonal“ heranziehen konnten. Dienstbuch J-35, 92. 45 Hinz, Gefangen, 164. 46 Neben dem „Anbinden“ stand den betreffenden Organen noch eine Reihe weiterer Disziplinarstrafen zur Verfügung, um „Zucht und Ordnung“ unter den Kriegsgefangenen aufrechtzuerhalten. Für Kriegsgefangene, die im Bereich der A. i. F. der Südwestfront zum Einsatz kamen, hieß das: „Zeitweise Entziehung des Rauchens, Fasten, Arreststrafen mit hartem Lager, Anlegen der Spangen durch 6 Stunden an einem oder mehreren aufeinanderfolgenden Tagen, Anbinden durch 2 Stunden an höchstens 2 aufeinanderfolgenden Tagen.“ Letztere Strafe war damit sogar geringfügiger veranschlagt als im Dienstbuch J-35. Immerhin sollte der „Vollzug aller dieser Strafen“ die „Arbeitszeit des

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Kaiser Karl endlich die Aufhebung des „Anbindens“. Während diese Maßnahme gemeinsam mit Amnestieerlässen für gewöhnlich als Beispiel für die „Milde“ des jungen Monarchen gilt, verweist der Zeitpunkt dieser Verfügung eher auf parallele Entwicklungen zur Vorgehensweise im Deutschen Reich. Dort hatte man zumindest gegenüber den Kriegsgefangenen schon einige Wochen davor das „Anbinden“ für abgeschafft erklärt. Aus Perspektive des Kriegsministeriums war es freilich schlicht unverständlich, warum Russland, wo das Militärstrafrecht auch die Prügelstrafe47 vorsah, sich so vehement gegen das „Anbinden“ auflehnte und diese Strafe als Pars pro Toto für die allgemeinen „Schrecknisse“ der österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenschaft vorführte. In Bezug auf Italien war man im Kriegsministerium im Übrigen der Meinung, dass den Disziplinarstrafen im italienischen Heer strengere Verordnungen zugrunde lagen als in Österreich-Ungarn. Ausgearbeitet wurde daher im Oktober 1917 eine Regelung, die beide Seiten zu reziprokem Vorgehen verpflichten sollte.48 Dabei war es vor allem um die Ahndung von Fluchtversuchen gegangen. Das AOK erhob Einspruch gegen die Initiative des Kriegsministeriums. Es verlangte eine Einschränkung der projektierten Bestimmungen auf Gefangene im Hinterland.49 Dass schließlich das „Anbinden“ trotz des 1917 ausgesprochenen Verbotes auch weiterhin zur Anwendung kam, verdeutlichte weniger den Autoritätsverfall des Herrscherhauses als vielmehr die Hilflosigkeit der Kommandierenden vor Ort, denen es nunmehr an entsprechenden Mitteln zur Disziplinierung mangelte. Vom Militärkommando Pozsony hieß es vor diesem Hintergrund im April 1917 in einem Schreiben an das Kriegsministerium, dass bei Abschaffen des „Anbindens“ und in Ermangelung zusätzlicher Lebensmittelrationen, um die Gefangenen arbeitswillig zu erhalten, äquivalente betreffenden „Kriegsgefangenen nicht verkürzen“. Etappengruppenkommando GO Erzh. Eugen (Q-Abt.), Q. Op. Nr. 10.465, Weisungen für die Behandlung und Disziplinierung russ. und serb. Kriegsgefangener, Feldpost 512, im Juli 1916, 11. Grundsätzlich unterschieden wurde bei der Art der Bestrafung zwischen Offizieren und Mannschaftspersonen, wobei auch die Chargengrade berücksichtigt wurden. Neben den bereits angeführten Strafen miteinbezogen wurden auch Lese- und Schreibeverbote oder die Herabsetzung der Löhnung. Explizit festgehalten wurde – zumindest in projektierter Version –, dass Arreststrafen gegenüber Offizieren lediglich in Form des Zimmerarrests durchgeführt werden sollten. Vgl. Bestrafungen, Oktober 1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-7/29-245, Kt. 1432. 47 Auch in der k. u. k. Armee gab es ungeachtet des diesbezüglichen Verbotes Prügelstrafen. Vgl. u. a. Maria Schiffinger (Hg.), Das Kriegstagebuch des Josef Wegl. Ein Niederösterreicher an der Dolomitenfront 1915/16, Salzburg 2015, 83. 48 Bestrafungen, Oktober 1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-7/29-245, Kt. 1432. 49 Bestrafungen von Fluchtfällen, November 1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-7/29287, Kt. 1432.

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Strafen bei Arbeitsverweigerung eingesetzt werden müssten.50 Genau darin lag aber das Problem. Während die Kontrolle über die Gefangenen vor allem bei der Armee im Felde, wo Fluchten aufgrund der gegebenen Nähe zu den feindlichen Linien eher erfolgversprechend schienen als im Hinterland, in den beiden letzten Kriegsjahren zusehends verloren ging, fehlte es offenbar an entsprechenden Mitteln, um die Gefangenen zu disziplinieren. Nicht zu übersehen ist freilich, dass auch in den vorangegangenen Jahren zahlreiche Entweichungen vor allem wegen unzureichender Verpflegung und Misshandlungen vorgekommen waren. Arreststrafen stellten sich in jedem Fall aus Perspektive der Kommandierenden als keineswegs ausreichend dar, um Fluchtversuche oder andere Verfehlungen entsprechend zu ahnden. Und auch mit Blick auf den Gefangeneneinsatz bei landwirtschaftlichen Arbeiten erschien die praktische Umsetzung von Arreststrafen anstelle des „Anbindens“ fraglich. Es fehlte schlicht und einfach an entsprechenden Örtlichkeiten, um diese durchzuführen. Die Kriegsgefangenen, hieß es überdies, seien „derart abgestumpft und indolent, dass sie die Arreststrafe nicht als eine Massregel, die sie zu bessern hat, sondern als Erholungspause betrachten“51 – dies umso mehr, als den Gefangenen nicht immer und nicht in allen Einsatzbereichen Ruhetage zugestanden wurden. Ähnliche Verhaltensweisen wie bei

50 Konsequenzen der Abschaffung des Anbindens bei den Kgfen., Militärkommando Pozsony an das k. u. k. Kriegsministerium, 26.4.1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10147/9, Kt. 1598. Warnende Kommentare kamen auch vom Inspizierenden für Kriegsgefangene des betreffenden Militärkommandos. Dieser meinte: „Es kann nicht in Abrede gestellt werden, dass diese Strafe, namentlich ausserhalb der Lager, öfters in einer der Vorschrift nicht entsprechenden Weise vollzogen wurde. Diese Fälle, tendenziös übertrieben dargestellt und aufgebauscht, waren der gegnerischen Seite willkommener Anlass zu Rekriminationen gegen die Behandlung der Kgf. bei uns. Andererseits muss aber hervorgehoben werden, dass nach Wegfall der Strafe des Anbindens kein wirksames Mittel vorhanden ist, um namentlich ausserhalb der Lager widersetzliche und die Arbeit verweigernde Kgf. zum Gehorsam zu zwingen. Ich befürchte und sehe voraus, dass der Wegfall dieser allgemein gefürchteten, aber eindrucksvollen und gleichzeitig wenig zeitraubenden Bestrafung sich in den Lagern durch ein Nachlassen der Disziplin, Vergehen gegen Zucht und Ordnung und namentlich ausserhalb der Lager durch passive Resistenz gegen schwere Arbeiten fühlbar machen wird.“ Inspizierender für Kriegsgefangene im Militärkommandobereich Pozsony an das k. u. k. Militärkommando, Pozsony, 16.4.1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-117/9, Kt. 1598. Laut Raabl-Werner waren die betreffenden Inspektionsoffiziere für einen oder zwei Militärkommandobereiche zuständig. Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 4. 51 Kriegsgefangenen-Inspektionsoffizier bei dem landwirtschaftlichen Arbeitsausschuss des Komitates Vas an das Militärkommando in Pozsony, 17.4.1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-17/9, Kt. 1598.

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den Gefangenen ließen sich im Übrigen auch bei Deserteuren wahrnehmen, die mit Freiheitsstrafen konfrontiert waren. Letztere hatten im Regelfall keine abschreckende Wirkung, sondern wurden angesichts der „Strapazen in der Front“ geradezu als willkommen erachtet.52 1918 jedenfalls wurde „Anbinden“ als Strafe wiedereingeführt.53 Während sich Schieflagen hinsichtlich des Disziplinar- beziehungsweise Militärstrafrechtes schon sehr früh unangenehm bemerkbar machten, ­traten sie anderswo in einer Form auf, die noch sehr viel mehr an Grundsätzen rührte. So erstreckte sich die Gültigkeit der Haager Landkriegsordnung nur auf einen Konflikt zwischen Signatarstaaten, wobei die Ratifizierung des Vertragswerkes als Grundvoraussetzung für den Rang eines tatsächlichen Signatarstaates erachtet wurde. Das bedeutete beispielsweise, dass Serbien, das die HLKO von 1907 unterzeichnet, aber nicht ratifiziert hatte, von Österreich-Ungarn, das den Kodex nur mit „Vorbehalt“ ratifiziert hatte54, als außerhalb der Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung stehend betrachtet werden konnte. Als daher das Etappenoberkommando Ende Juli 1914 „die Truppen am serbischen Kriegsschauplatz“ dahingehend informierte, „dass zwar die Haager Landkriegsordnung auch dort gelte, die österreichisch-ungarischen Soldaten aber nur solange daran gebunden wären, wie sich auch der Gegner an die Bestimmungen hielt“, argumentierte es entlang des geltenden Reglements.55 Dass „Gleichberechtigung mit dem Feinde“ hinsichtlich der Ratifikation der Haager Beschlüsse herzustellen und Reglements für die k. u. k. Armee dementsprechend zu formulieren wären, forderte Conrad noch vor dem Krieg.56 Anzumerken ist in diesem Kontext übrigens auch, dass Italien die Haager Landkriegsordnung aus dem Jahr 1907 ebenso wenig ratifiziert hatte wie die zwei Verbündeten des Habsburgerreiches, Bulgarien und das Osmanische Reich.57 Die Nicht-Ratifikation der HLKO 1907 seitens Serbiens

52 Vgl. Oswald Überegger, Der andere Krieg. Die Tiroler Militärgerichtsbarkeit im Ersten Weltkrieg, Innsbruck 2002, 249–253. 53 Vgl. ebd., 117. Vgl. dazu verschiedene Befehlssammlungen mit der betr. Verordnung zur Wiedereinführung. Archiwum Główne Akt Dawnych (AGAD) Qu.Abt. 7 Sig. 170. 54 Hinz, Gefangen, 58 (Fn. 95). Dazu ist zu ergänzen, dass Vorbehalte zu unterschiedlichen Regelungen offenbar von den meisten Mächten formuliert worden waren. Siehe dazu: RGBl. 1913, Nr. 245, Kundmachung des k. k. Ministerpräsidenten vom 25. November 1913 über die Vorbehalte betr. Übereinkommen der I. und II. Haager Friedenskonferenz. 55 Edelmann, Gefangennahme und Abtransport der Kriegsgefangenen, 404. 56 Vgl. Edelmann, Das Etappenwesen, 96. 57 Lingen, „Crimes against Humanity“, 143 und siehe auch Andreas Toppe, Militär und Kriegsvölkerrecht. Rechtsnorm, Fachdiskurs und Kriegspraxis in Deutschland 1899– 1940, Berlin/Boston 2012, 37.

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und Italiens wurde allerdings von Österreich-Ungarn nicht dazu benutzt, völkerrechtliche Verpflichtungen gegenüber den Gefangenen aus diesen Ländern in Frage zu stellen.58 Serbien und Italien hatten immerhin auch zu den Signatarmächten der Landkriegsordnung in der Fassung von 1899 gehört, wo die relevanten Bestimmungen für die Gefangenenbehandlung bereits festgelegt waren. War das Vertragswerk der zweiten Haager Landkriegsordnung im Vergleich zum Kodex aus 1899 zwar für einige Bereiche wesentlich erweitert worden, wies es hinsichtlich der Kriegsgefangenenfrage nur geringfügige Modifikationen auf. Die Frage, wer gemäß Völkerrecht agierte und wer nicht, ließ sich ungeachtet dessen anscheinend nicht ohne Weiteres klären. Selbiges galt für die Konsequenzen einer Missachtung des Reglements. So fehlten in der Haager Landkriegsordnung praktische Richtlinien zur Konfliktlösung bei beanstandeter Nichteinhaltung des Kodex. Die potentielle Vermittlungskompetenz der Neutralen wurde nicht genützt. Auf diese Weise blieb die Einhaltung des Regelwerkes der Landkriegsordnung im Wesentlichen Sache des Signatarstaates: „Das Prinzip des internationalen Rechts sollte ebenso wenig Vorrang gegenüber der nationalen Souveränität erlangen wie die Reglementierung der Kriegführung gegenüber den militärisch definierten Kriegsnotwendigkeiten.“59 Diese wiederum verbanden sich mit Überlegungen zu einem „Kriegsnotwehrrecht“, das Zuflucht für alle möglichen Normverletzungen bot.60

„Humanisierung“ des Krieges? Die befürchtete beziehungsweise vorweggenommene Unwirksamkeit von Regelungen zur „Zähmung“ des Krieges wurde bereits vor dem Ersten Weltkrieg diskutiert.61 Im militärischen Umfeld, wo die meisten Zweifel an der Praktikabilität einer gewissermaßen eingedämmten Kriegsführung vorhanden gewesen sein dürften, wurden Defizite vor allem den zivilen Architekten der ausgehandelten Kodizes angelastet. Schließlich ging es aber auch um 58 Hinweise darauf finden sich weder in den Dokumenten der 10. Kriegsgefangenenabteilung noch in den Aufzeichnungen Raabl-Werners oder Streeruwitz’. 59 Hinz, Gefangen, 57. 60 Ebd., 60. 61 Vgl. Daniel Marc Segesser, „Humanising war! You might as well talk of humanising hell“. Recht und die Humanisierung des Krieges in der industriellen Gesellschaft Europas, in: Thomas Kolnberger/Benoit Majerus/M. Christian Ortner (Hg.), Krieg in der industrialisierten Welt, Wien 2017, 391–406.

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die praktische Bedeutung der vereinbarten Bestimmungen. Anlässlich der „Grausamkeiten“, die den italienischen Truppen im Zuge des Tripolis-Feldzuges zugeschrieben wurden, gab sich im November 1911 beispielsweise „Danzer’s Armee-Zeitung“ ernüchtert über die Exzesse einer Kriegsführung, die trotz verschiedener Schiedsgerichte, Friedenskonferenzen und geltender Regelwerke ohne Konsequenzen zu bleiben schienen. Gab es, wurde gefragt, wirklich kein Mittel, „um ein weiteres Beschmutzen des Banners europäischer Kultur“ zu „verhindern […]?“ Die Verantwortung sah der anonyme Autor des Artikels bei der Diplomatie. Deren „Vertreter“ aber, hieß es, seien „bureaukratisch veranlagte Wesen“, die sich „jährlich bei Konferenzen“ versammelten, um hochtrabende Ziele, wie die Abschaffung der Kriege und Einsetzung internationaler Schiedsgerichte zu propagieren, in der Praxis aber versagen sie […], wenn es gilt, den Grundregeln des Völkerrechts Geltung zu verschaffen. Ruhig haben die Diplomaten seinerzeit den Greueln am Balkan zugesehen, die türkische Soldateska durfte schrankenlos und brutal in Albanien hausen – und heute werden Türken und Araber unter dem Kreuz der Genfer Konvention von Italienern massakriert.62

Die Wirksamkeit von Regeln für eine „Humanisierung“ der Kriegsführung erschien aber auch in Anbetracht der nachfolgenden Balkankriege 1912/13 fragwürdig. Die österreichische Presse berichtete damals durchaus häufig über Kriegsgräuel, wobei etwa die „Arbeiter-Zeitung“ ihre Meldungen darüber nicht zuletzt als grundsätzliche Warnung vor einem befürchteten großen europäischen Waffengang präsentierte. Die Haager Landkriegsordnung erschien in diesem Kontext manchen eher als Mittel zur Verharmlosung kriegerischer Handlungen, deren angebliche „Humanisierung“ a priori zur Disposition stand.63 Dass es womöglich am Willen militärischer Instanzen mangelte, die HLKO in den bestehenden Reglements entsprechend zu verankern, war bereits 1910, ebenfalls in „Danzer’s Armee-Zeitung“, angesprochen worden. Hingewiesen wurde in diesem Kontext auf eine Veröffentlichung des Hauptmannauditors Ernst Junk über die „Landkriegsordnung der zweiten Haager Friedenskonferenz 1907 und das österreichisch-ungarische Militärrecht“. Junk forderte 62 Danzer’s Armee-Zeitung, 30.11.1911, 4. 63 Vgl. Maximilian Gulla, Prestigeverlust oder Krieg? Die Reaktion auf die Balkankriege 1912/13 in der Berichterstattung von „Reichspost“ und „Arbeiterzeitung“, Masterarbeit Wien 2014.

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darin Adaptierungen des bestehenden Militärrechtes zu Gunsten der HLKO ein, wobei sich „Danzer’s Armee-Zeitung“ pessimistisch über die diesbezügliche Bereitschaft der zuständigen Instanzen innerhalb der k. u. k. Armee zeigte. Dass das Landkriegsrecht der zweiten Haager Friedenskonferenz noch nicht „als abgeschlossen zu betrachten sei“, ändere nichts an der Nachteiligkeit „sich ergebende[r] Verzögerungen“ bei der Adaptierung nunmehriger völkerrechtlicher Normen.64 Mit dem Hinweis auf nicht abgeschlossene Verhandlungen gemeint war, dass die Verwirklichung einer weiteren Haager Friedenskonferenz im Raum stand, deren Vorbereitung nur schleppend vor sich ging. Das mangelnde Engagement der Mächte in dieser Hinsicht kritisierte im Übrigen auch das „Carnegie Endowment for International Peace“. Der in seinem Auftrag erstellte Untersuchungsbericht über die Kriegsführung in den Balkankriegen 1912/13 wurde 1914 vorgelegt. Da alle an der Auseinandersetzung beteiligten Seiten die Regeln der Haager Landkriegsordnung missachtet hatten, wurde die Einsetzung einer permanenten internationalen Kommission angeregt, die sich der Kontrolle der Einhaltung der HLKO widmen sollte. Dieser Vorschlag versandete.65 Die „Weiterentwicklung des 1899 eingerichteten Internationalen Schiedsgerichtshofes“ ließ offensichtlich auf sich warten.66 Nur kurze Zeit nach den Balkankriegen standen die Zeichen in Richtung des „Großen Krieges“. Zu Beginn des neuen und von Beginn an viel größer dimensionierten Konfliktes fehlte es also an einer bereits eingeforderten Kontrollinstanz, um den Bestimmungen der HLKO Gewicht zu verleihen. Bezug nehmend auf die militärischen Auseinandersetzungen seit Verabschiedung der Bestimmungen von 1907 hatten sich Defizite jedenfalls bereits deutlich gezeigt. Insofern hatte das Regelwerk bereits vor 1914 an „Ansehen“ eingebüßt. Was folgte, war ein Erosionsprozess, der bereits kurz nach Zustandekommen des Vertragswerkes einsetzte. Vor diesem Hintergrund entfaltete sich im Ersten Weltkrieg eine mitunter ungezügelte Repressalienpraxis, die sich auf das Gegenseitigkeits- beziehungsweise Reziprozitätsprinzip stützte. Durch Vergeltungsmaßnahmen sollten vermutete oder tatsächliche Missstände in der Gefangenenbehandlung der Gegenseite abgestellt werden. 64 Danzer’s Armee-Zeitung, 16.6.1910, 11. 65 Lingen, „Crimes against Humanity“, 125. 66 Vgl. Dietmar Müller, Die Balkankriege und der Carnegie-Bericht. Historiographie und völkerrechtliche Bedeutung, in: Dietmar Müller/Stefan Troebst (Hg.), Der „Carnegie Report on the Causes and Conduct of the Balkan Wars 1912/13“. Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte in Völkerrecht und Historiographie = comparativ. Zeitschrift für Globalgeschichte und Vergleichende Gesellschaftsgeschichte 24/6 (2014), 7–24, 20.

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Während die negativen Auswirkungen dieses Mechanismus bereits während des Krieges bemängelt wurden und in der Forschung kritische Reflexionen nach sich zogen, teilten und teilen sich die Meinungen über die positiven beziehungsweise erfolgreichen Konsequenzen von Repressalien für eine tatsächliche Verbesserung der Lage der Betroffenen.67 Ohne Zweifel konnte sich der „Reziprozitäts-Mechanismus“ in „zwei unterschiedliche Richtungen“ entwickeln: So wie die Möglichkeit, Unrecht an den Kriegsgefangenen im eigenen Gewahrsam zu vergelten, eine Tendenz zur Eskalation enthielt, so war die Sorge um die eigenen Kriegsgefangenen im fremden Gewahrsam ein zentrales Argument für einen pfleglichen Umgang mit den fremden Kriegsgefangenen im eigenen Gewahrsam – vorausgesetzt das Wohlergehen der eigenen Angehörigen im fremden Gewahrsam war ein Anliegen.68

Das Gegenseitigkeitsprinzip mit seinen Auswüchsen in Richtung der Repressalien schien im Ersten Weltkrieg jedenfalls regelrecht einzementiert. Als 1916 der Papst einen Vorstoß hinsichtlich der Einstellung von Vergeltungsmaßnahmen unternahm, stellte das k. u. k. Kriegsministerium klar, dass es dem Anliegen „Sr. Heiligkeit“ voll beipflichte, sich aber nicht in der Lage sehe, einen einseitigen Verzicht auf Vergeltung zu leisten. Wieder wurden reziproke Vorgehensweisen der Feindstaaten verlangt. Man drehte sich im Kreis: Angesichts der mannigfaltigen Verfehlungen in der Behandlung von in Gefangenschaft befindlichen k. u. k. Soldaten müsse man sich, so das Kriegsministerium in Wien, die Androhung von Repressalien als „ultimo [sic] ratio zur Lebensrettung für österr. ung. Soldaten in der Gefangenschaft“ vorbehalten.69 Ein grundsätzlicher Verzicht auf Vergeltung erschien selbst erklärten Kritikern dieser Praxis letztlich illusorisch. Wer Repressalien prinzipiell ausschloss, der verfügte offenbar über keinerlei Instrumente, Forderungen nach dem Schutz der Interessen eigener Staatsbürger in Feindeshand Nachdruck zu verleihen. Immerhin aber einigten sich Deutschland und Großbritannien noch während des Krieges auf eine Entschärfung der Repressalienpraxis, wonach die tatsächliche Anwendung von Vergeltung erst nach Ablauf einer 67 Dazu die aufschlussreichen Anmerkungen von Hinz, Gefangen, 888 (Fn. 83). 68 Rüdiger Overmans, „In der Hand des Feindes“. Geschichtsschreibung zur Kriegsgefangenschaft von der Antike bis zum Zweiten Weltkrieg, in: Ders. (Hg.), In der Hand des Feindes. Kriegsgefangenschaft von der Antike bis zum Zweiten Weltkrieg, Köln/ Weimar/Wien, 1999, 1–40, 27. 69 Ernst von Streeruwitz, Kriegsgefangene im Weltkriege, I. Band, o. O., o. J. (Typoskript), 110.

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vierwöchigen Frist schlagend werden sollte. Vor Androhung der Repressalien wurde außerdem eine „persönliche Aussprache“ zur Klärung bestehender Differenzen in Haag in den Raum gestellt.70 Österreich-Ungarn traf allem Anschein nach keine vergleichbare Übereinkunft mit seinen Kriegsgegnern. Die Kompatibilität der HLKO mit dem Militärrecht der k. u. k. Armee schien indessen grundsätzlich gegeben, wobei sich hier gewisse Unterschiede „zu anderen Militärstrafgesetzen“ auftaten.71 1912 resümierte der bereits erwähnte, ursprünglich offenbar skeptisch gestimmte Ernst Junk, dass die HLKO und das „österreichisch-ungarische Militärrecht sich in den Schnittpunkten im wesentlichen decken“.72 Andererseits aber verwies er auf „zahlreiche“ notwendige „Verbesserungen und Ergänzungen“, um die „weittragenden Folgen einer Diskrepanz“ zwischen bestehenden „Militärvorschriften“ und „den Haager Beschlüssen zu vermeiden“. Junk betonte bei dieser Gelegenheit die Schwerfälligkeit des diesbezüglichen, mehrgliedrigen Gesetzgebungsapparates der k. u. k. Monarchie.73 Gegen einzelne Artikel des Haager Vertragswerkes hatten im Übrigen „verschiedene Großmächte“, darunter – wie erwähnt – Österreich-Ungarn, „Reserven angemeldet“. Die betreffenden Staaten waren daher nicht an die diesbezüglichen Regeln gebunden. Konkret aufgegriffen wurde von Junk dabei die Frage der Behandlung der Zivilbevölkerung in okkupierten Gebieten. Kriegsgefangenenagenden waren nicht betroffen.74 Das 1915 herausgegebene Dienstbuch J-35, das als „Sammlung und Sichtung der ergangenen Erlässe präsentiert wurde“, benannte als „Grundlagen für die Behandlung Kriegsgefangener“ die Dienstbücher E-53 und E-57.75 Diese wiederum waren nur kurze Zeit vor Kriegsbeginn vorgelegen. Im Anhang zur Vorschrift für die höheren Kommandos der Armee im Felde (Dienstbuch E-53), der 1913 erschienen war, war die Haager Landkriegsordnung allerdings lediglich abgedruckt.76 Zusätzlich wurde darauf hingewiesen, 70 Das Abkommen datiert in den Sommer 1917. Scheidl, Die Kriegsgefangenschaft, 116. 71 Junk schrieb: „Im Gegensatze zu anderen Militärstrafgesetzen können Kriegsgefangene nach unserem Militärstrafgesetz nicht Subjekte von Militärdelikten sein.“ Hier konstatierte er einen Unterschied zu deutschem Recht. Ernst Junk, Aus der disziplinären und militärgerichtlichen Praxis, Wien 1912, 95. 72 Ebd., 103. 73 Ebd. 74 Junk bezieht sich auf Art. 44 der HLKO, der es den Kriegführenden verbot, „die Bevölkerung eines okkupierten Gebietes zu zwingen, Auskünfte über die Armee des anderen Kriegführenden oder über seine Verteidigungsmittel zu geben“. Ebd., 100. 75 Dienstbuch J-35, 1. 76 Betr. die Kriegsgefangenen bzw. die diesbezüglichen Regelungen der HLKO siehe: Zu E-53. Anhang zur Vorschrift für die höheren Kommandos der Armee im Felde (Interna-

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dass das Übereinkommen nur in dem Fall „bindend“ sei, sofern es von den kriegführenden Mächten auch ratifiziert wurde. Welche der im Dienstbuch enthaltenen Bestimmungen daher in Kraft treten würden oder auch „welche Änderungen einzelner Artikel“ zu beachten wären, könne „mit Rücksicht auf die von anderen beteiligten Mächten bei der Ratifikation gemachten Vorbehalte“ erst „im Kriegsfall verlautbart“ werden.77 Heranzuziehen war laut Dienstbuch J-35 des Weiteren der II. Teil des Dienstreglements des k. u. k. Heeres betreffend den Felddienst.78 Unter Para­ graph 68 behandelt wurde neben der Kriegsgefangenschaft von Angehörigen des eigenen Heeres auch jene von Feindsoldaten. Hier festgelegt war u. a. die Belehrung der Gefangenen darüber, „daß sie in jeder Beziehung den für die eigene Armee gültigen Vorschriften unterworfen werden“. Waffen, Munition, Pferde, militärische Papiere und Karten sollten ihnen nach der Gefangennahme ebenso abgenommen werden wie „nötigenfalls auch die Verpflegung“. „Die übrige Ausrüstung und ihr anderes persönliches Eigentum“ sollte „ihnen […] belassen“ werden.79 Außerdem festgehalten wurde: „Die Kommanden der Eskorten von Kriegsgefangenen sind verantwortlich für deren Bewachung und ihren Schutz gegen Mißhandlungen.“80 Diejenigen Angehörigen des Feindes, „die durch ein Vergehen oder Verbrechen das Recht auf die Behandlung als Kriegsgefangene verwirkt haben“, sollten als „Arrestanten“ behandelt werden.“81 Im Abschnitt XI und den dort aufgelisteten „wichtigste[n] internationale[n] Vereinbarungen“ enthalten war außerdem die Frage der Versorgung verwundeter Kriegsgefangener; sie war den Verwundeten der eigenen Armee entsprechend der Genfer Konvention gleichzusetzen.82 Dieses im Juli 1906 zustande gekommene „Internationale Übereinkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken“ war von Österreich-Ungarn im März 1908 ratifiziert und 1911 im Reichsgesetzblatt veröffentlicht worden.83

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tionale Gesetze und Gebräuche im Kriege), Wien 1913, 7–14. Dienstbuch E-53 stammte ebenfalls aus dem Jahr 1913 (= Vorschrift für die höheren Kommandos der Armee im Felde). Zu E-53 Anhang, 1. Dienstbuch J-35, 17. Dienstreglement für das kaiserliche und königliche Heer, II. Teil. Felddienst, Wien 1912 (Entwurf), 154. Ebd., 154 f. Ebd., 155. Ebd., 156. RGBl. Nr. 191, LXXXIII Stück, ausgegeben am 28. September 1911 betr. Internationales Übereinkommen vom 6. Juli 1906 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken bei der Armee im Felde, 573–591.

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Die Bestimmungen des Dienstreglements deckten sich im Wesentlichen mit den diesbezüglichen Verfügungen der sogenannten „Etappenvorschrift“ (Dienstbuch E-57).84 Dort waren Kriegsgefangene betreffende Regeln im Abschnitt „Feindliches Personal und feindliches Eigentum“ festgehalten.85 „Abweichungen von der Landkriegsordnung lassen sich“ in der Etappenvorschrift finden. Sie betreffen mit der Frage ehrenwörtlich abgegebener Versprechungen seitens der Kriegsgefangenen allerdings eine in Summe wahrscheinlich eher marginale Problematik. Die HLKO räumte dem Thema allerdings verhältnismäßig viel Platz ein.86 Das Dienstbuch J-35 stellte in Abstimmung mit der HLKO sowie nationalem Militärrecht bzw. geltenden Dienstreglements eine „Sammlung und Sichtung der ergangenen Erlässe“ für das Kriegsgefangenenwesen dar. Hinsichtlich des Disziplinarstrafrechtes schien indessen der lapidare Hinweis betreffend die Gültigkeit auch für Kriegsgefangene „ohne Rücksicht darauf, ob ein Reziprozitätsverhältnis besteht“, zu reichen. Dies wurde noch vor der zweiten Haager Friedenskonferenz im Disziplinarstrafrecht für die k. u. k. Armee festgehalten.87 Für 1909, in jenem Jahr, als das Habsburgerreich die Beschlüsse der Haager Friedenskonferenz von 1907 ratifizierte88, nachweisbar sind die Übernahme der Haager Beschlüsse in Dienstreglements sowie weitere Bestrebungen, diese etwa für die Etappenvorschriften zu berücksichtigen.89 Weiterreichende Abstimmungen betreffender Vorschriften mit der HLKO unterblieben aber.90 Bereits in den Jahren zuvor fehlten entsprechende 84 Etappenvorschrift. Dienstbuch E-57, Wien 1912 (Entwurf), Auflage 1914. 85 Ebd., 129–132. Auf den Abschnitt A, der das „feindliche Personal“ betraf, folgte Abschnitt B „Feindliches und neutrales Sanitätspersonal“. Ebd., 133 f. 86 Edelmann, Gefangennahme, 393. Edelmann führt aus: „Während die Haager Landkriegsordnung die Freilassung der Kriegsgefangenen gegen ihr Ehrenwort, nicht mehr zu kämpfen, erlaubte, verbot die Etappenvorschrift diese für kriegsgefangene Offiziere. Ihr Ehrenwort, nicht zu fliehen, galt nur in Absprache mit dem k. u. k. Kriegsministerium für eine ausgedehnte Bewegungsfreiheit außerhalb des Armeebereichs. Das Verbot beruhte höchstwahrscheinlich darauf, dass das Dienstreglement II den eigenen in Gefangenschaft geratenen Offizieren die Freilassung gegen Ehrenwort verbot.“ Ebd., 393 f. 87 Kleemann, Das neue Disziplinar-Strafrecht, 77. 88 Die Ratifikation erfolgte 1909, die diesbezüglichen Bestimmungen fanden sich 1913 in den Reichsgesetzblättern. Selbiges gilt für die Beschlüsse der Haager Friedenskonferenz von 1899, die von der Habsburgermonarchie 1900 ratifiziert wurden, aber ebenfalls erst 1913 in den Reichsgesetzblättern veröffentlicht wurden. Siehe RGBl. 1913 Nr. 173 bis 188. RGBl. Nr. 180/1913 betraf die „Gesetze und Gebräuche des Landkrieges“, die übrigen u. a. Bestimmungen zum „Seekriege“ oder „Rechte und Pflichten der neutralen Mächte“. 89 Edelmann, Das Etappenwesen, 35. 90 Zur Ratifikation der Beschlüsse der beiden Haager Friedenskonferenzen siehe die

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Versuche, die aufgrund der ersten Haager Konferenz gefassten Beschlüsse in Sachen Gefangenenbehandlung in die Behelfe der k. u. k. Armee einzuarbeiten. Auch nach der zweiten Haager Konferenz und deren Ratifikation begnügten sich die erwähnten Dienstbücher, die als Entwürfe präsentiert wurden, im Wesentlichen mit der Wiedergabe der betreffenden Reglements. Das Etappenbüro selbst ist darüber hinaus erst 1909 gegründet worden. In diese Phase vor dem Ersten Weltkrieg fiel des Weiteren auch die Ausarbeitung von Orientierungsbehelfen für den Kriegsfall, die allerdings mit den diesbezüglichen Ausnahmeverfügungen eine Fülle konkreter Bestimmungen enthielten. Die Zuständigkeit für Gefangenenagenden seitens des Kriegsüberwachungsamtes (KÜA) erwies sich realiter aber lediglich als „ergänzend“ zu den Kompetenzen der 10. Abteilung des Kriegsministeriums bzw. später der 10. Kriegsgefangenenabteilung.91 Für die Erarbeitung diesbezüglicher Verfügungen relevant waren nicht zuletzt die Erfahrungen aus der Annexionskrise 1908/0992 und damit jener Zeitrahmen, der auch die Einbeziehung völkerrechtlicher Aspekte in bestehende oder aber gerade umgearbeitete Reglements betraf. Auch vom preußischen Kriegsministerium war zu Ende 1911 im Übrigen die Haager Landkriegsordnung „im vollen Wortlaut als Anhang II der preußischen Felddienstordnung von 1908“ beigegeben worden.93 Offene Fragen bezüglich einer Weiterentwicklung der Landkriegsordnung ebenso wie das Unterschätzen der Größenordnung der Gefangenenproblematik dürften danach zu einem weitgehenden Ausbleiben einer Auseinandersetzung mit diesbezüglichen Fragen seitens der k. u. k. Armee beigetragen haben. Das betraf abseits der Integration völkerrechtlicher Verpflichtungen in den inneren „Betrieb“ der Armee für den Kriegsfall ganz allgemein die Organisation des Kriegsgefangenenwesens. Sowohl die 10. Abteilung des Kriegsministeriums, aus der erst im Herbst 1915 eine eigene Kriegsgefangenenabteilung hervorging, als auch die Rot-Kreuz-Gesellschaften waren zu Kriegsbeginn bezeichnenderweise nur vage über die bevorstehenden Aufgaben orientiert. Eine ablehnende Haltung gegenüber Abrüstungsvorschlägen oder aber der Problematik einer obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit wird in Zusam­ Reichsgesetzblätter aus dem Jahr 1913, und zwar Nr. 173 bis 188; betr. Vorbehalte zu „den Übereinkommen der I. und II. Haager Friedenskonferenz“ seitens der einzelnen Staaten siehe: RGBl. 1913, Nr. 245. 91 Vgl. Tamara Scheer, Die Ringstraßenfront. Österreich-Ungarn, das Kriegsüberwachungsamt und der Ausnahmezustand während des Ersten Weltkriegs, Wien 2010, 81, 113 f. 92 Dazu ausführlich ebd., 12–38. 93 Toppe, Militär und Kriegsvölkerrecht, 38.

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menhang mit der Haager Konferenz 1907 nicht zuletzt dem Habsburgerreich sowie Deutschland nachgesagt.94 Tatsächlich waren es zu allererst die Diplomaten der k. u. k. Monarchie, die bereits der Erörterung des Themas „Abrüstung“ im Rahmen der Unterredungen in Haag eine Absage erteilten.95 Die diesbezügliche Haltung der Militärs war ohnehin klar. Diese aber mit einer grundsätzlichen Ablehnung aller übrigen Agenden der Haager Konferenz gleichzusetzen, wäre allem Anschein nach überzogen. Zwar freundeten sich k. u. k. Militärs offenbar durchaus mit den für „realistischer“ gehaltenen deutschen Sichtweisen auf den „Kriegsgebrauch im Landkriege“ an. Dass andererseits eine womöglich frühere oder praktikablere Überführung der Bestimmungen zur Gefangenenbehandlung in das nationale Militärrecht sowie das Dienstreglement an einer in der k. u. k. Armee vorhandenen prinzipiellen Opposition gegenüber der HLKO scheiterte, lässt sich nicht belegen und muss (vor allem auch in Anbetracht der erst 1909 erfolgten Ratifikation der Bestimmungen der Haager Landkriegsordnungen von 1907 sowie einer erst 1913 stattgefundenen Veröffentlichung derselben im Reichsgesetzblatt) als unwahrscheinlich bezeichnet werden.96 Zu teilweise ähnlichen Ergebnissen kommt auch Uta Hinz mit Blick auf die deutsche Situation97, wobei sie die „Besonderheiten“ der Bewertung des neuen internationalen Kriegsrechtes in Deutschland hervorhebt: Die nur vage formulierten „militärischen Notwendigkeiten“ determinierten die Akzeptanz jeglicher kriegsrechtlichen Regel. Auf die Regelung des Gefangenenwesens erlangte dieser Primat der „Kriegsnotwendigkeit“ vor 1914 nur deshalb keinen größeren Einfluß, weil nach dem zeitgenössischen Kriegsbild kaum vorstellbar war, daß Kriegsgefangenschaft in irgendeiner Hinsicht zum kriegswichtigen Faktor werden könnten.98

94 Matthias Schulz, Vom Direktorialsystem zum Multilateralismus? Die Haager Friedenskonferenz von 1907 in der Entwicklung des internationalen Staatensystems bis zum Ersten Weltkrieg, in: Die Friedens-Warte. Journal of International Peace and Organization 82/4 (2008), 31–50, 42 f. 95 Vgl. Solomon Wank, Diplomacy against the Peace Movement. The Austro-Hungarian Foreign Office and the Second Hague Peace Conference of 1907, in: Ders. (Hg.), Doves and Diplomats. Foreign Office and Peace Movement in Europe and America in the Twentieth Century, Westport 1978, 55–84. 96 Vgl. die Ausführungen in Fußnote 88. 97 Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen bei Hinz über die deutsche Armee: Hinz, Gefangen, 65–70. 98 Hinz, Gefangen, 70.

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Übergangen wurden allerdings bei alldem die Erfahrungen des Amerikanischen Bürgerkrieges, die durchaus auf die Bedeutung des Faktors Gefangenschaft verwiesen hätten. In Zusammenhang mit einer zögerlich wirkenden Berücksichtigung von völkerrechtlichen Bestimmungen in den Dienstbehelfen der k. u. k. Armee ist überdies hervorzuheben, dass deren Anfertigung bzw. Überarbeitung insgesamt sehr schleppend in Bewegung geraten waren. Abseits der Gefangenenproblematik erwies sich die Aktualisierung bestehender Verfügungen als eine komplexe logistische Herausforderung, die überaus lange Vorlaufzeiten beanspruchte.99 Die Aussagen des erwähnten Militärjuristen Ernst Junk in Sachen Schwerfälligkeit des Gesetzgebungsapparates lassen sich ohne Weiteres auf die Militärbürokratie in toto übertragen.

Zulässigkeiten Ausgangspunkt für angedrohte oder schließlich umgesetzte Vergeltungsmaßnahmen waren in Zusammenhang mit der Gefangenenproblematik ursächlich Meldungen über Vergehen der gegnerischen Seite. Tatsächlich erscheint es in Bezug auf die Gefangenenbehandlung ebenso problematisch wie für die Kriegsführung an sich, vornehmlich von bloß angenommenen und nicht verifizierten Verfehlungen des Gegners auszugehen – ein Faktor, der zu berücksichtigen ist, ohne dabei einer diesbezüglichen Rechtfertigungslogik folgen zu müssen. Verschiedene Untersuchungen haben indessen gezeigt, dass beispielsweise in Hinblick auf die Kämpfe in Serbien diverse Befehle an die k. u. k. ­Truppen dafür gesorgt haben, in Vorwegnahme gegnerischen Fehlverhaltens beziehungsweise als Folge einer allgemeinen Stigmatisierung des Feindes einer Eskalation von Gewalt Vorschub zu leisten. Dabei wurde größtmögliche Rücksichtslosigkeit gepredigt, die auch das „Niedermachen“ von Kindern nicht ausschloss.100 Hinzu trat die dehumanisierende „Gewaltsprache“ der Pro­pa­ganda insgesamt, wobei gerade auch führende Persönlichkeiten des Habsburgerreiches sich kaum einer Mäßigung bei der Wortwahl ihrer Schmä 99 Vgl. Tamara Scheer, Das Kriegsüberwachungsamt. Von den Anfängen bis zum Ausbruch des Weltkrieges 1914, Diplomarbeit Wien 2004, 10. 100 Vgl. dazu u. a. Oswald Überegger, „Verbrannte Erde“ und „baumelnde Gehenkte“. Zur europäischen Dimension militärischer Normübertretungen im Ersten Weltkrieg, in: Sönke Neitzel/Daniel Hohrath (Hg.), Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Paderborn/München/ Wien/Zürich 2008, 241–278.

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hungen des Feindes unterwarfen. Demgegenüber kam es von serbischer Seite durchaus zu Formen einer irregulären Kriegsführung, auf die wiederum seitens der k. u. k. Streitkräfte mit größter Härte und in Hinblick etwa auf umfangreiche Maßnahmen gegenüber der Zivilbevölkerung unverhältnismäßig und brutal reagiert wurde. Von Anfang an kam es zu einer Entgrenzung des Konfliktes, der sich von herkömmlichen Vorstellungen der Kriegsführung trennte. Eine einheitliche Linie in der Frage der gegen die Zivilbevölkerung zu ergreifenden Gegenmaßnahmen beim k. u. k. Offizierskorps gab es in Anbetracht solcher Entwicklungen aber offenbar nicht. Der Umstand, dass Serbien die Haager Landkriegsordnung von 1907 nicht ratifiziert hatte, ließ auf Grundlage unterschiedlicher Interpretationen eine Nichtbeachtung derselben im Krieg mit dem südslawischen Königreich als Variante erscheinen.101 Noch im August 1914 erteilte aber das AOK einer prinzipiellen Abkehr vom geltenden Völkerrecht im Krieg am Balkan mit Verweis auf das „Gebot der Kultur und Selbstachtung“ eine Absage.102 Kurze Zeit später jedoch schienen solche Ansagen nicht mehr mit den realen Gegebenheiten Schritt zu halten. Gerade die ersten Monate nach Kriegsbeginn stellten sich hinsichtlich der Gefangenenbehandlung als eine Art „Einführungs- oder Probephase“ dar, in der aus unterschiedlichsten Gründen das bestehende Regelwerk der Haager Landkriegsordnung in Frage gestellt oder aber auf seine „Elastizität“ überprüft wurde. Parallel dazu, so Markus Pöhlmann, waren für „die Soldaten wie für die Zivilbevölkerung im Kampfgebiet […] die Formen, Funktionen und auch juristische oder moralische Grenzen militärischer Massengewalt noch im Fluss; sie wurden ausgetestet, sie wurden sogar zwischen den Parteien regelrecht ausgehandelt“.103 Die Praktikabilität der Haager Bestimmungen erschien jedenfalls aus Sicht der Armeeführung klärungsbedürftig, wenn sie beispielsweise den im Sinne der „Kriegsnotwendigkeiten“ zu setzenden Prioritäten im Wege standen. Innerhalb der deutschen Armee wurde Ende August 1914 festgehalten, dass eine Verköstigung von russischen Kriegsgefangenen nicht möglich sei, da aufgrund eines ungewissen Nachschubes vor allem die Versorgung der eigenen Soldaten gewährleistet werden müsse. Solange sich die Gefangenen außerdem in Frontnähe befänden, sei eine physische Beeinträchtigung dersel-

101 Vgl. Martin Schmitz, „Als ob die Welt aus den Fugen ginge“. Kriegserfahrungen österreichisch-ungarischer Offiziere 1914–18, Paderborn 2016, 310. 102 Ebd., 310 (Fn. 793). 103 Markus Pöhlmann, Über die Kriegsverbrechen von 1914, in: Flavio Eichmann/Markus Pöhlmann/Dierk Walter (Hg.), Globale Machtkonflikte und Kriege. Festschrift für Stig Förster zum 65. Geburtstag, Paderborn 2016, 125–144, 143.

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ben durchaus von Vorteil.104 Die 90.000 im Zuge der Schlacht von Tannenberg gefangengenommenen Russen eventuell verhungern zu lassen, hielt auch Kaiser Wilhelm nicht unbedingt für abwegig – eine Überlegung, die angesichts der so bald nach Kriegsbeginn bereits in die Hunderttausende gehenden Anzahl an eingebrachten Feindsoldaten, die es nunmehr zu versorgen galt, nicht nur der hochnervöse Monarch angestellt hatte.105 Einige Monate später zog man auch in Österreich-Ungarn das Verhungern von Kriegsgefangenen in Erwägung. Der Hintergrund war allerdings ein anderer: So veranlassten verschiedene Meldungen über die schlechte Lage von kriegsgefangenen k. u. k. Soldaten in serbischer Hand das AOK im März 1915 zur Ankündigung drastischer Befehle beziehungsweise zunächst zu Eingaben an das k. u. k. Kriegsministerium sowie das Ministerium des Äußern. Das Armeeoberkommando kündigte an, als Vergeltungsmaßnahme seinerseits serbische Gefangene „verhungern […] lassen“ zu wollen.106 Wenngleich sich für die Verwirklichung solcher Drohungen keine weiteren Hinweise finden, machen diese zweierlei deutlich: Zum einen waren die Meldungen über die Lage der k. u. k. Gefangenen in serbischer Hand tatsächlich erschütternd. Außerdem signalisierte die serbische Seite nach der Wahrnehmung von k. u. k. Stellen offenbar wenig Entgegenkommen, um die Lage der gefangenen Soldaten zu verbessern. Obwohl das Serbische Rote Kreuz eine kooperationswillige Haltung einnahm, verweigerte laut Heinrich Raabl-Werner die serbische Armee die direkte Übernahme von Hilfsgütern für die gefangenen k. u. k. Soldaten. Die Folge waren Verzögerungen bei der Weiterleitung von Kleidung, aber auch von „Sanitätsmaterial“ – Lieferungen, die dann außerdem bei ihrem Eintreffen trotz Interventionen des italienischen Konsuls in Niš zu einem nicht unbeträchtlichen Teil den serbischen Truppen anstatt den Kriegsgefangenen zugutegekommen sein sollen.107 Eine eingeschränkte Kooperationswilligkeit der serbischen Regierung in Zusammenhang mit Fürsorgemaßnahmen für die Gefangenen wurde auch in der österreichischen Presse kommuniziert.108 Im k. u. k. Kriegs-

104 Hull, Scrap of Paper, 279. 105 John C. G. Röhl, Wilhelm II. Der Weg in den Abgrund 1900–1941, Nördlingen 2008, 1202. 106 Vertreter des Ministeriums des Äußern beim k. u. k. AOK Nr. 2540 an das Ministerium des Äußern, ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Kriegsgefangene 1914–1918 Dep. 7 Kriegsgefangene-Varia, Kt. 440. 107 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil I: Kriegsgefangenenfürsorge Österreich-Ungarns. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 39. 108 Neues Wiener Tagblatt, 25.6.1915, https://www.digital.wienbibliothek.at/wk/periodical/pageview/687075 (abgerufen am 2.2.2021).

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ministerium ging man indessen auf Grundlage der eingegangenen Berichte von vielen Zehntausenden Opfern unter den Soldaten der österreichisch-ungarischen Armee in serbischem Gewahrsam aus.109 Revanchegelüste entstanden nicht zuletzt vor diesem Hintergrund. Zum anderen demonstrierte die Haltung des AOK, wie sehr die Frage der Gegenseitigkeit das Verständnis von den Bestimmungen der HLKO leitete. Das galt auch für Serbien, das trotz unterbliebener Ratifizierung die Konvention immerhin unterzeichnet hatte.110 Dieses Verständnis von „Wechselseitigkeit“ resultierte allerdings ganz offensichtlich auch in Vorstellungen von einem „Gleichgewicht des Schreckens“. Gleichzeitig ging es auch um die Frage, welchen Handlungsspielraum das Völkerrecht ganz prinzipiell bot, um eigene Interessen zu vertreten. Dazu waren konkrete Anlassfälle im Kontext von Vergeltungsmaßnahmen nicht unbedingt erforderlich. So wollte etwa der stellvertretende Generalstabschef Franz Höfer im Januar 1915 in Erfahrung bringen, ob es „zulässig sei, Gefangene an einem festen Platze dann niederzumachen, wenn die Erhaltung der eigenen Besatzung (Lebensmittelnot) durch die Mitesser gefährdet werde“.111 Der Vertreter des k. u. k. Ministerium des Äußern beim k. u. k. AOK teilte gegenüber Außenminister Stephan Burián von Rajecz mit, dass Höfer selbst im Völkerrecht nach diesbezüglichen Bestimmungen gesucht hatte, aber nicht fündig geworden war und daher um Auskunft gebeten habe. Offensichtlich ging es um die prekäre Versorgungslage der Festung Przemyśl, die sich bereits seit einigen Wochen im Belagerungszustand befand. Dass konkret von solchen Maßnahmen Gebrauch gemacht werden müsste, schloss Höfer damals zwar aus, wollte aber zur Sicherheit über prinzipielle Richtlinien im Völkerrecht verfügen. Tatsächlich wurde Höfer seitens des Vertreters des Außenministeriums beim AOK, Friedrich Wiesner, umgehend eine mündliche Auskunft erteilt, die abschlägig lautete. Für ein Sanktionieren des „Niedermachens“ von Kriegsgefangenen als Folge mangelhafter „Verpflegsmöglichkeiten“ fand auch er im Völkerrecht keine Anhaltspunkte. Um dem Ansuchen des stellvertretenden Generalstabschefs Genüge zu tun, arbeitete Wiesner dennoch eine kurze schriftliche Abhandlung zu dieser Frage aus, die sich vor allem um die 109 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil I: Kriegsgefangenenfürsorge Österreich-Ungarns. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 37. 110 Vertreter des Ministeriums des Äußern beim k. u. k. AOK Nr. 2540 an das Ministerium des Äußern, ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Kriegsgefangene 1914–1918 Dep. 7 Kriegsgefangene-Varia, Kt. 440. 111 Vertreter des k. u. k. Ministeriums des Äußern an den Minister des Äußern Burian, 19.1.1915. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Krieg 1914–1918 Dep. 7 Friedensverhandlungen mit Rußland, Völkerrechtliche Fragen, Kt. 377.

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Zulässigkeit etwaiger Ausnahmeregelungen auf Grundlage der Kriegsnotwehr drehte. Eine solche ließ sich laut Wiesner lediglich in der, wie er meinte, unsicheren Übergangsphase von der Gefangennahme bis zum klaren Faktum eines In-den-Gewahrsam-Nehmens erblicken, nicht aber im Zustand bereits bestehender Kriegsgefangenschaft. Die Tötung von Feindsoldaten im Falle der von Höfer geschilderten Situation hielt Wiesner für keinesfalls legitim und erachtete eher die Freilassung der Gefangenen im gegenständlichen Fall für empfehlenswert.112 Im Rückblick äußerte sich übrigens der an anderer Stelle bereits erwähnte Feldmarschallleutnant Ludwig Goiginger über das Schicksal der im Frühjahr 1915 in russische Hände gefallenen Festung Przemyśl. Deren Verlust sei seiner Ansicht nach prinzipiell vermeidbar gewesen. Außerdem hätte man dort – so Goiginger – länger durchgehalten, wären nicht unzählige „überflüssige[r] Esser und Fresser“ vorhanden gewesen. Dazu zählten offenbar auch die Kriegsgefangenen. Der rechtzeitige Abtransport sowohl von Feindsoldaten als auch von anderen Personengruppen hätte seiner Meinung nach dazu geführt, dass die tatsächlichen Verteidiger der Festung bis zu acht Wochen länger ausgeharrt hätten.113 Als Przemyśl von den Russen eingenommen wurde, befanden sich angeblich 2000 russische Kriegsgefangene dort114 – eine Zahl, die im Verhältnis zu den ca. 120.000 k. u. k. Soldaten und Offizieren gering ist. Insofern erscheint Höfers Vorstoß umso ungewöhnlicher. Wie viele Gefangene in der Zeit der Einschließung der Festung starben, muss offenbleiben. Die Verluste der ur-

112 Notiz über die Frage zum Töten von Kriegsgefangenen. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Krieg 1914–1918 Dep. 7 Friedensverhandlungen mit Rußland, Völkerrechtliche Fragen, Kt. 377. Die Tötung von Kriegsgefangenen in einer „zwingenden Nothlage“ war allerdings ganz offenbar in Zusammenhang mit der Schrift „Kriegsgebrauch im Landkriege“ auch in militärischen Kreisen der Donaumonarchie, und zwar bereits einige Jahre vor dem Krieg, diskutiert worden. Vgl. Danzer’s Armee-Zeitung, 29.1.1903, 4–6, 5. Vom Kriegsnot(wehr)recht Gebrauch zu machen – allerdings in einem anderen Kontext –, hielt der Kommandant von Przemyśl, Feldmarschallleutnant Herman Kusmanek von Burgneustädten, angesichts der Umstände für angemessen. Eine ganze Reihe von sogenannten „feindlichen Handlungen“ sollte seinen bereits 1914 ausgegebenen Befehlen zufolge die „Niedermachung“ der Urheber nach sich ziehen und inkludierte dabei u. a. das „Niederbrennen“ ganzer Ortschaften oder das „Dezimieren“ der Bewohner. Zit. nach Leidinger, Eskalation der Gewalt, 81. Leidinger weist allerdings auch auf Gräuel russischer Truppen hin. Ebd., 80. 113 Goiginger, „Warum wir unterlagen“. ÖStA KA NL L. Goiginger B/1062: 1, 10. 114 Vgl. Leopold Ehrenstein, Der Fall der Festung Przemyśl. Der Sibirische Engel Elsa Brändström, Bratislava 1937, 28. Nach Alexander Watson befanden sich im Januar 1915 nicht einmal 1100 russische Gefangene in der Festung. Alexander Watson, The Fortress. The Great Siege of Przemysl, London 2019, 172.

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sprünglich mit etwa 130.000 Mann bezifferten Festungsmannschaft lagen bis zur Übergabe an die Russen bei 11.000 Soldaten. Diese waren u. a. im Zuge von „Ausfallsversuchen“ entweder getötet oder gefangengenommen worden.115 Im Übrigen nahmen manche Soldaten der Zarenarmee offenbar kaum etwas von einer Auszehrung der in der Festung befindlichen Gegner wahr. Zumindest unter den k. u. k. Offizieren. Diese wurden vielmehr als „rotbackig“ und „wohlgenährt“ beschrieben. Unter diesen Bedingungen, so eine russische Perspektive, „konnte man sich nur schwer vorstellen, dass der Grund für die Aufgabe der Garnison Hunger gewesen sein sollte“116.

Grauzonen In der Grauzone, die sich in der Zeitspanne zwischen dem „Überwältigtwerden“ durch den Gegner sowie der Kapitulation bzw. dem Überlaufen zum Feind einerseits und einer etwaigen Gefangennahme andererseits auftat, fanden indessen in allen Armeen Tötungen potentieller Kriegsgefangener statt.117 Die explizite Empfehlung oder der entsprechende Befehl, den Feind aufgrund einer antizipierten Täuschung oder aber sogar im Sinne einer wünschenswerten Dezimierung der gegnerischen Streitkräfte zu liquidieren, um eine als Belastung erachtete Bewachung zu vermeiden oder sich mit Blick auf eine ungesicherte Versorgungslage unerwünschter „Esser“ zu entledigen, eröffnete zusätzliche Dimensionen der Kriegsführung. Das oben genannte Beispiel zur erwogenen Tötung von Gefangenen in Prze­myśl ging offensichtlich über die Formel „kill or be killed“ als offen definierte oder auch verklausulierte Direktive einer nachrangigen Schonung des Gegners im Zuge einer Kampfsituation hinaus. Es steht darüber hinaus für die Bandbreite unterschiedlicher Motive einer zumindest in Betracht gezogenen Liquidierung von Feindsoldaten.118 115 Vgl. Reinhard Nachtigal, Rußland und seine österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen (1914–1918), Remshalden 2003, 33 (Fn. 87). 116 Zit. nach Elena S. Senjavskaja, Die Völker Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg aus Sicht des russischen Gegners, in: Bernhard Bachinger/Wolfram Dornik (Hg.), Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten. Erfahrung – Wahrnehmung – Kontext, Innsbruck/Wien/Bozen 2013, 325–240, 331. Demgegenüber stehen allerdings die Berichte Betroffener. Vgl. dazu etwa die Schilderungen bei Ehrenstein, Der Fall, 7–29. Siehe auch Watson, The Fortress, 161–187. 117 Vgl. dazu Alan Kramer, Dynamic of Destruction. Culture and Mass Killing in the First World War, Oxford/New York 2007, 63. 118 Vgl. dazu Tim Cook, The Politics of Surrender. Canadian Soldiers and the Killing of Prisoners in the Great War, in: The Journal of Military History 70/3 (Jul. 2006), 637–665.

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Die diesbezügliche Anfrage des stellvertretenden Generalstabschefs hebt sich von situativen Fällen unzulässiger Gefangenentötungen ab. Vorhanden war vielmehr ein Plan zur intentionalen Beseitigung eines ganzen Kollektivs von Männern, die sich bereits in Gefangenschaft befanden. Der geschilderte Fall dokumentiert allerdings auch, dass völkerrechtliche Bestimmungen selbst in diesem Kontext nicht einfach ignoriert wurden. Die Nichtexistenz einer Art „Richtlinien-Befehl“119, „der ein völkerrechtswidriges Vorgehen“ der k. u. k. Armee „vorbehaltlos angeordnet hätte“,120 steht offenbar einem Suchen nach Möglichkeiten gegenüber, die ein rigoroses Vorgehen in Anlehnung an vorhandene Konventionen rechtfertigen sollten. In diesem Zusammenhang zu verweisen ist auf eine allgemeine Tendenz der militärischen Führung, rechtliche Normen in Abstimmung auf die „Verhältnisse und Bedürfnisse der Armee im Felde“ zu interpretieren oder interpretieren zu wollen.121 In Hinblick etwa auf die Militärstrafrechtsordnung bedeutete dies, dass sie „zunehmend als ein dem Krieg nicht entsprechender Formalismus empfunden wurde“ und dass eine „‚Moralisierung des Rechtes‘ im militärischen Sinne“ Platz griff.122 „Der Verweis auf den Not- und Ausnahmezustand im Krieg wurde“, so Oswald Überegger, „sehr bald nach Kriegsbeginn zum gemeinsamen Nenner einer Weisungs- und Verfügungspraxis des Armeeoberkommandos, deren Inhalte den Bestimmungen der Militärstrafprozeßordnung in vielerlei Hinsicht widersprachen.“123 Die erst 1912 in ein neues Regelwerk gegossene Militärstrafprozessordnung wurde bei Kriegsbeginn wieder in jenes „inquisitorische“ Instrument zurückverwandelt, als das es zuvor von Kritikern empfunden worden war.124 Das Militärstrafrecht, das aus dem Jahr 1855 stammte, entbehrte demgegenüber ohnehin zeitgemäßer Modifikationen. Verfasst in Zur Problematik intendierter sowie legitimierter Gewalt gegenüber Kriegsgefangenen siehe außerdem: Brian K. Feltman, Tolerance As a Crime? The British Treatment of German Prisoners of War on the Western Front, 1914–1918, in: War in History 17 (2010), 435–458. Außerdem: Benjamin Ziemann, Gewalt im Ersten Weltkrieg. Töten, Überleben, Verweigern, Essen 2013, 37 f. Für die k. u. k. Armee sind im Übrigen ähnliche Befehle in Bezug auf Zivilisten belegbar. Vgl. Leidinger, Eskalation der Gewalt, 51–92. Zu „systematischen“ Übergriffen von k. u. k. Soldaten gegenüber russischen Kriegsgefangenen siehe: Senjavskaja, Die Völker Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg, 326. 119 Ich entlehne hier einen Begriff von Oswald Überegger. Ders., Kampfdynamiken als Gewaltspiralen. Zur Bedeutung raum-, zeit- und situationsspezifischer Faktoren der Gewalteskalation im Ersten Weltkrieg, in: Zeitgeschichte 45/1 (2018), 79–101, 85. 120 Ebd. 121 Überegger, Der andere Krieg, 120. 122 Ebd. 123 Ebd., 120 f. 124 Vgl. dazu die Ausführungen bei Jonathan Gumz, The Resurrection and Collapse of Empire in Habsburg Serbia, 1914–1918, Cambridge 2009, 110 f.

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der Ära des Neoabsolutismus war es ganz im Sinne der „Abschreckung“ verfasst worden. „With the death penalty for thirty-four offenses in wartime, the Militärstrafgesetz certainly contained deterrence in abun­dance.“125 Martin Schmitz, der sich den Kriegserfahrungen österreichisch-ungarischer Offiziere im Weltkrieg im Rahmen einer umfangreichen Untersuchung gewidmet hat, schätzt indessen die Tötung von Kriegsgefangenen insgesamt als Randphänomen ein. Das unterstreichen seiner Meinung nach die hohen Gefangenenzahlen im Weltkrieg, die mit etwa zehn Prozent aller Mobilisierten zu veranschlagen seien.126 Ähnlich argumentiert auch Benjamin Ziemann. Beide, Schmitz und Ziemann, widersprechen damit der diesbezüglichen Darstellung von Niall Ferguson. Dieser betrachtete die Tötung von Feindsoldaten, die sich bereits ergeben hatten, seitens deutscher Truppen, aber auch durch Franzosen und Briten offenbar keineswegs nur als Ausnahme von der Regel.127 Dass „Prisoner killing“ von allen kriegführenden Armeen praktiziert wurde, betont indessen auch Heather Jones. Eine diesbezügliche „official policy“ vermag sie allerdings zumindest für die West-Front, der sie sich in ihren Studien zugewandt hat, nicht zu erkennen.128 Die Frage, inwieweit abseits individuellen Handelns eine befehlsmäßige Anordnung oder immerhin Empfehlung zur Tötung des Gegners im Falle einer alternativ durchzuführenden Gefangennahme vorhanden war, stellten die kriegführenden Mächte durchaus. Es ging dabei nicht zuletzt um die bereits angesprochene Grauzone bis zur Gefangennahme an sich, für die handlungsanleitende Befehle von besonderer Bedeutung waren. Die Beweislage hinsichtlich der Existenz eines Befehls, „keine Gefangene zu machen“, ist im Regelfall eine schwierige. Schriftliche Belege, gibt etwa Niall Ferguson zu bedenken, lassen sich schon aufgrund der offensichtlichen Verletzung geltenden Rechtes kaum finden. Anderweitige Hinweise deuten auf mündlich ausgegebene Order oder zumindest Ermutigungen hin, den Feind, egal unter welchen Umständen, lieber zu töten als zu schonen. Die unterschiedlich formulierte Empfehlung, keine Gefangenen zu machen, entlastete die Sol-

125 Ebd., 111. Siehe: Kaiserliches Patent vom 15. Januar 1855, womit ein neues Militär-Strafgesetzbuch über Verbrechen und Vergehen kundgemacht, und vom 1. Juli 1855 angefangen in Wirksamkeit gesetzt wird, Reichs-Gesetz-Blatt (RGBl.) für das Kaiserthum Österreich, VI. Stück 19. Militärstrafgesetz (= Militärstrafgesetzbuch). 126 Schmitz, „Als ob die Welt aus den Fugen ginge“, 225. 127 Niall Ferguson, Der falsche Krieg. Der Erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert, München 2013, 356–367 (die Ersterscheinung datiert unter dem Titel „The Pity of War“ ins Jahr 1998) und vgl. Ziemann, Gewalt, 72 f. 128 Heather Jones, Violent Transgression and the First World War, in: Studies. An Irish Quarterly 104/414 (Summer 2015), 124–143, 125 f.

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daten. Ein im Zuge des Kampfes womöglich schwer zu lösendes Problem fiel einfach weg, das Töten (potentieller) Gefangener erschien vielmehr als gutzuheißende Tat zu Gunsten der Schlagkraft der eigenen Armee.129 Fanden sich dennoch Belege für verschiedenartige „Anleitungen“ zur physischen Vernichtung wehrloser Gegner, lag eine Völkerrechtsverletzung vor, die wiederum propagandistisch verwendet werden konnte. Wenn sich demnach „organisationsimmanente Faktoren“ in Zusammenhang mit Gefangenentötungen vor „situationsspezifische“ oder anderweitig motivierte Auslöser schoben, handelte es sich um „befehlsevozierte Gräueltaten“, die sich dann auch nicht ohne Weiteres mit „Kriegsnotwehr“ entschuldigen ließen.130 Die „Erklärung, daß kein Pardon gegeben wird“, war laut HLKO „namentlich untersagt“.131 Die Rücksichtslosigkeit, die beispielsweise aus diversen Befehlen zur Kriegsführung der k. u. k. Armee gegen Serbien spricht, deutet nicht unbedingt auf eine angeratene Mäßigung gegenüber etwaig zu machenden Gefangenen hin. Die vielfach angesprochene Eskalation der Gewalt vor allem in der Anfangsphase des Krieges, die im Zuge sogenannter „Vorwärtspaniken“ begangenen Gräuel und das „Rauben, Plündern, Schänden und Notzüchtigen“132 von k. u. k. Truppen beispielsweise auch im Krieg gegen Russland vermitteln wahrlich ein anderes Bild. Gingen aber solche Gräuel gegenüber der Zivilbevölkerung automatisch einher mit Normübertretungen in Zusammenhang mit der Gefangennahme von Feindsoldaten und deren Behandlung? Oder zeugen Zehntausende Kriegsgefangene, die zu Beginn der Kampfhandlungen eingebracht wurden, nicht vielmehr von der Regelkonformität des Konfliktes zwischen den feindlichen Truppen selbst? Immerhin befanden sich gegen Ende 1914 bereits 200.000 Kriegsgefangene in österreichisch-ungarischem Gewahrsam133 – ein Umstand, der aber vor allem Ausdruck eines Konfliktes zwischen großen Kampfeinheiten war und sicherlich nicht zwingend die „Ritterlichkeit“ der k. u. k. Armee unter Beweis stellte oder ihre grundsätzliche Bereitschaft, Gefangene in großen Massen zu nehmen, anstatt im Kampf anderweitig auszuschalten. Selbiges trifft freilich auf andere Streitkräfte des Ersten Weltkrieges ebenso zu. Zu bedenken gilt es außerdem, dass sich schwerlich eruieren lässt, wie viele Soldaten am Schlachtfeld ihr Leben ließen,

129 130 131 132 133

Vgl. Ferguson, Der falsche Krieg, 367–370. Vgl. Oswald Übereggers Text in vorliegendem Band. Scheidl, Die Kriegsgefangenschaft, 77. Überegger, Kampfdynamiken, 79. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 66.

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obwohl sie sich ergeben hatten, und somit als potentielle Gefangene einfach niedergemacht wurden. Martin Schmitz hat in seiner Studie verschiedene konkrete Beispiele für die Tötung von Kriegsgefangenen angeführt, bei denen k. u. k. Soldaten Opfer ebenso wie Täter waren. Meldungen über das Auffinden verstümmelter Leichname oder über Gräuel gegenüber den eigenen Kameraden in Gefangenschaft taten ihre nicht zu unterschätzende Wirkung und trugen ganz wesentlich dazu bei, die Tötung von Feindsoldaten, die sich womöglich bereits ergeben hatten, einem Gefangennehmen vorzuziehen. Wie viele dieser Meldungen aus nicht verifizierten oder nachgeprüften Übergriffen resultierten, reiner Propaganda entsprangen oder nachvollziehbaren Vorkommnissen zugrunde lagen, lässt sich im Nachhinein freilich nur schwer überprüfen. Wenn man den Argumenten Benjamin Ziemanns folgt, dann richtete sich die Entscheidung, Gefangene zu nehmen oder eher nicht, im Wesentlichen nach „sachrationale[n] Erwägungen“, konnte aber auch aus Wut und Erbitterung erfolgen. Die Frage der Reziprozität spielte dabei in jedem Fall keine geringe Rolle: Wer Gefangene nahm und sie gut behandelte, hoffte ebenfalls auf Schonung und entsprechende Behandlung durch die gegnerische Seite für den Fall, selbst einmal in die Hand des Feindes zu geraten.134 Wer allerdings nicht mit „ritterlichem“ Verhalten der Gegner rechnete oder rechnen durfte, der verhielt sich anders.135 Der „Wert“ von Gefangenen stieg überdies mit zunehmender Kriegsdauer. Die Möglichkeit, sie als Arbeitskräfte zu verwenden, aber auch ihre 134 Ziemann, Gewalt, 78. 135 Dass solche Überlegungen durchaus Bedeutung hatten, belegt auch die Beschwerde eines k. u. k. Offiziers gegenüber dem AOK über die brutale Behandlung von russischen Kriegsgefangenen, die überdies mit Speiseresten verköstigt wurden. Mehrere Gefangene stürzten sich offenbar auf einen Korb mit den betreffenden Abfällen und wurden von den Wachleuten geprügelt und mit Füßen getreten. „Ein in der Nähe stehender Verpflegsoffizial lachte hiezu u. sprach zu der ungarischen Mannschaft: ‚üsd, üsd (schlag, schlag)‘.“ An Glaubwürdigkeit gewann der Bericht dadurch, dass der betreffende Offizier umgekehrt auch das als ungebührlich bezeichnete Verhalten eines weiteren russischen Kriegsgefangenen kritisierte, der in einem Restaurant verkehrte und vertrauliche Worte mit den dort anwesenden Damen und Herren wechselte. Abschließend hieß es in dem Schreiben des Oberleutnants an das Armeeoberkommando: „Ebenso wie es zu verurteilen ist, dass sich ein Kriegsgefangener vollkommen ungezwungen, frei u. respektlos benimmt u. alle Komodität [sic] genießt; ebenso u. noch viel strenger ist es zu verurteilen, wenn Kriegsgefangene auf cca. [sic] 300 Schritte daneben, fast unter demselben Dache, auf das brutalste und unmenschlichste behandelt werden. Blos[s] der eine Gedanke, dass es unseren Landsleuten und Soldaten in feindlichen Staaten ebenso ergehen könnte, muss dieses Vorgehen auf das schärfste verurteilen; abgesehen davon, dass es menschenunwürdig ist.“ K. u. k. Feldjägerbaon. Nr. 5, XXVII Marschkompanie an das k. u. k. AOK, 19.3.1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-11/1310, Kt. 1447.

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Bedeutung für die „military intelligence“ machten das Gefangennehmen des Gegners gewissermaßen attraktiv. Je länger sich der Krieg hinzog, desto systematischer ging die k. u. k. Nachrichtenabteilung vor, um durch Befragungen beziehungsweise Verhöre entsprechende Informationen zu erhalten. Dolmetschoffiziere des AOK wurden in die Gefangenenlager sowie Sanitätsanstalten, wo sich Kriegsgefangene befanden, geschickt, um nicht zuletzt Offiziere jener Nationalitäten des russischen Zarenreiches zu befragen, unter denen oppositionelle Haltungen gegenüber Russland angenommen wurden. Von Interesse waren nicht nur Informationen betreffend die aktuelle Lage, sondern offenbar auch in Hinblick auf den Kriegsausbruch. So sollten beispielsweise die Hintergründe der russischen Mobilisierung 1914 untersucht werden. Als auskunftsbereit erwiesen sich vielfach polnische Offiziere. Gewaltanwendung gegenüber weniger gesprächigen Gefangenen kam offenbar vor, wurde aber den Dolmetschoffizieren strikt untersagt und auch mit Disziplinarmaßnahmen geahndet.136 Tatsächlich betonten später Militärs verschiedener Länder, dass Kriegsgefangene eine der wichtigsten Quellen darstellten, um Informationen über die feindliche Armee zusammenzutragen. Damit einher ging eine fortschreitende Systematisierung von Gefangenenverhören.137 Auch „Dolmetschkurse“ für Nachrichtendienst-Offiziere wurden im Umfeld von Gefangenenlagern eingerichtet. Für die Abhaltung von Russisch-Kursen war etwa das niederösterreichische Lager Wieselburg ausersehen worden.138 Kriegsgefangene konnten demnach aus unterschiedlichen Gründen für wertvoll gehalten werden. Inwiefern, in welcher Form oder mit welchem Nachdruck dieser Umstand auch an die Kampfeinheiten herangetragen wurde beziehungsweise Beachtung unter ihnen fand, ist schwer zu eruieren. Oswald Überegger spricht indessen mit Blick auf die Kampfdynamiken „Feindbilder[n] und ideologische[r] Radikalisierung“ im Zuge von Vorwärtspaniken eine lediglich untergeordnete Rolle zu. Vielmehr betont er die Bedeutung „konkrete[r] Vor-Ort-Erlebnisse (Tod oder Verwundung von Kameraden, vermeintliche oder tatsächliche Kriegsgräuel des Gegners)“, die „kurzfristig und situativ erzeugte Hass-, Zorn- und Rachegefühle“ provozier136 Vgl. dazu die umfangreichen Berichte in: ÖStA KA AOK Evidenzbüro, Kt. 3616. 137 Vgl. Verena Moritz, Prigionieri russi, prigionieri in Russia. Detenzione, tradimento e spionaggio nella percezione e nelle strategie dei servizi segreti austroungarici (1914– 1918), in: Diacronie. Studi di Storia Contemporanea. La voce del silenzio. Intelligence, spionaggio e conflitto nel XX secolo, 29/12/2016. http://www.studistorici.com/ 2016/12/29/moritz_numero_28/ (abgerufen am 2.2.2021). 138 Typoskript von Maximilian Ronge über den Nachrichtendienst im Ersten Weltkrieg. ÖStA KA NL M. Ronge B 126:1, 630.

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ten, die „gewaltforcierend oder -motivierend wirken konnten“.139 Dass nicht „Motive, Anlässe, Ideologien oder Einstellungen“ entscheidend sind für das Verstehen von Gewalthandlungen, hebt auch Jörg Baberowski hervor – allerdings nicht explizit auf Vorwärtspaniken bezogen, sondern auf die von ihm beschriebenen „Räume der Gewalt“.140 Spielten spezifische Vorprägungen beziehungsweise vorhandene oder schließlich auf unterschiedlicher Ebene verstärkte Ressentiments für die Art der Kriegsführung insgesamt – unabhängig von den Umständen der konkreten, situativen Gewaltausübung mit ihren hierfür spezifischen Abläufen – demnach eine eher geringe Rolle?141 Anton Holzer sieht Kausalzusammenhänge zwischen einem antiserbischen „Propagandakrieg“ des Habsburgerreiches und den Gewaltexzessen der k. u. k. Armee, die sich gegen die serbische Zivilbevölkerung richteten.142 Markus Pöhlmann wiederum weist auf „kulturelle[n] Vorprägungen“ bzw. konkret „Feindbilder“ und ihren Einfluss auf die Bewertung von „Kriegsverbrechen“ 139 Überegger, Kampfdynamiken, 95. 140 Vgl. dazu: Ulrike Jureit, Rezension zu: Baberowski, Jörg: Räume der Gewalt. Frankfurt am Main 2015, in: H-Soz-Kult, 29.03.2016, http://www.hsozkult.de/publicationreview/ id/reb-23480 (abgerufen am 12.6.2021). Vgl. außerdem: Georg Elwert, Gewaltmärkte. Beobachtungen zur Zweckrationalität von Gewalt, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft: Soziologie der Gewalt 37 (1997), 86–101 sowie Axel T. Paul/Benjamin Schwalb (Hg.), Gewaltmassen. Über Eigendynamik und Selbstorganisation kollektiver Gewalt, Hamburg 2015. 141 Ob man – wie etwa R.-A. Reiss, der einige schwere Übergriffe der k. u. k. Armee in Serbien aufgedeckt hatte – tatsächlich davon sprechen kann, dass die gesamte Bevölkerung der Donaumonarchie beziehungsweise die Soldaten der k. u. k. Armee schon vor Kriegsausbruch darauf getrimmt worden waren, sozusagen blindwütig zur „Hinrichtung des lästigen Nachbarn“ zu schreiten, sei angesichts einer fragwürdigen Verallgemeinerung dahingestellt. Selbiges gilt für seine Einschätzung, wonach Gefangenentötungen und -misshandlungen durch serbische Seite lediglich oder ausschließlich als „Märchen“ zu bezeichnen sind. Rodolphe-Archibald Reiss, Wie die Österreicher und Ungarn in Serbien Krieg führten. Persönliche Beobachtungen eines Neutralen, Lausanne 1915, 78 f., in: ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 13, Kt. 932. In jedem Fall wehrte man sich auf österreichisch-ungarischer Seite wiederum mit dem Vorwurf, wonach Reiss alles andere als unparteiisch gewesen sei und daher bewusst Lügen über die k. u. k. Armee und ihr Vorgehen in Serbien verbreitet habe. In der „Sammlung von Nachweisen für die Verletzungen des Völkerrechts durch die mit Österreich-Ungarn Krieg führenden Staaten“, die per 31. Januar abgeschlossen wurde, ebenso wie in einer Broschüre mit dem Titel „Die Lügen über die österreichisch-ungarische Kriegführung in Serbien“, wurden nicht zuletzt Tötungen von Gefangenen oder Leichenverstümmelungen durch die serbische Seite angeführt, um auf den Reiss-Bericht zu reagieren. Übergriffe u. a. auf die Zivilbevölkerung gab man zu, allerdings lediglich im Sinne einer logischen Reaktion auf deren „Fehlverhalten“. Die Lügen über die österreichisch-ungarische Kriegsführung in Serbien, Wien 1916. ÖStA HHStA MdÄ PA I, Kt. 931. 142 Anton Holzer, Das Lächeln der Henker. Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914–1918, Darmstadt 2014, 114.

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hin. Er problematisiert darüber hinaus „ethno-konfessionelle“ Feindbilder, deren tatsächliche Wirkung auf die Kriegsführung oder deren Durchdringung der Bevölkerung beziehungsweise der Soldaten aber kontrovers diskutiert werden. Demgegenüber sei die „antisemitische Ausrichtung der Verbrechen russischer Soldaten“ im Ersten Weltkrieg „unumstritten“.143 Martin Schmitz macht die antizipierte irreguläre serbische Kriegsführung für das oftmals brutale Vorgehen der k. u. k. Truppen mitverantwortlich. Tatsächlich dürfte eine seit den Balkankriegen vor allem den sogenannten „Komitadschi“ nachgesagte Grausamkeit zu einem rigorosen Auftreten der k. u. k. Armee a priori beigetragen haben.144 Diesbezügliche Prognosen über einen zu erwartenden „schmutzigen Krieg“ speisten sich aus noch in Friedenszeiten vorgenommenen Analysen.145 Stereotypen über eine für den Balkan „typische“ Grausamkeit verbreiteten sich anlässlich der Balkankriege allerdings nicht nur im Habsburgerreich, sondern in vielen europäischen Staaten.146 In jedem Fall blieben die damit verbundenen Vorannahmen nicht ohne Wirkung auch unter den Kampfeinheiten der österreichisch-ungarischen Armee. Noch bevor die Kämpfe in Serbien richtig begannen, traten beispielsweise k. u. k. Offiziere mit der Bitte an Ärzte heran, ihnen Gift für den Fall einer Gefangennahme zu überlassen, um den vorweggenommenen Torturen zu entgehen.147 Andere beobachteten die Nervosität der Männer mit Besorgnis. Hauptmann Ernst Freiherr von Jedina-Palombin, der 1914 in Serbien im Einsatz war, gab sich angesichts der Panik unter den Männern ratlos: „Was soll ich mit allen diesen nervenschwachen Menschen tun? Nach den Kriegsartikeln wären sie alle zu erschießen gewesen. Ich habe nichts derartiges unternommen“.148 143 Pöhlmann, Über die Kriegsverbrechen von 1914, 138 f. 144 Vgl. dazu u. a. hinsichtlich der Rahmenbedingungen für die Berichterstattung über die Balkankriege mit aufschlussreichen Einsichten: Florian Keisinger, Unzivilisierte Kriege im zivilisierten Europa. Die Balkankriege und die öffentliche Meinung in Deutschland, England und Irland 1876–1913, Paderborn/München/Wien/Zürich 2008. 145 Vgl. dazu Jonathan Gumz, The Habsburg Empire, Serbia, and 1914. The Significance of a Sideshow, in: Günter Bischof/Ferdinand Karlhofer (Hg.), 1914. Austria-Hungary, the Origins, and the first Year of World War I, New Orleans/Innsbruck 2014, 127–144, 134 f. 146 Vgl. Daniel Marc Segesser, Kriegsverbrechen? Die österreichisch-ungarischen Opera­ tionen des August 1914 in Serbien in Wahrnehmung und Vergleich, in: Wolfram Dornik/Julia Walleczek-Fritz/Stefan Wedrac (Hg.), Frontwechsel. Österreich-Ungarns „Großer Krieg“ im Vergleich, Wien/Köln/Weimar 2014, 213–234, 214–218. 147 Aufzeichnungen von Hans Bachmann, 23 f. ÖStA KA NL H. Bachmann B/609. Vgl. auch Überegger, Kampfdynamiken, 87 sowie Segesser, Kriegsverbrechen?, 220. 148 Zit. nach Ernst Hanisch, Die Männlichkeit des Krieges. Das österreichische Militärstrafrecht im Ersten Weltkrieg, in: Thomas Angerer/Birgitta Bader-Zaar/Margarete Grandner (Hg.), Geschichte und Recht. Festschrift für Gerald Stourzh zum 70. Geburtstag, Wien/Köln/Weimar 1999, 313–338, 334.

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Dass im Übrigen Verlautbarungen über völkerrechtswidriges Vorgehen der Feindarmeen durchaus kontraproduktiv wirken und „bei vielen zaghaften Soldaten Furcht“ auslösen konnten, gab man beispielsweise im k. u. k. Kriegsministerium anlässlich beobachteter Übergriffe russischer Soldaten im Dezember 1914 zu bedenken. Von einer Weiterleitung solcher Nachrichten an die eigenen Einheiten wurde daher schließlich sogar auf Wunsch des Kaisers Abstand genommen.149 Gleichzeitig setzte sich bei manchen Soldaten der Eindruck fest, wonach sich ohnehin niemand an irgendwelche Regeln hielt. Solche Wahrnehmungen machte etwa der Sozialdemokrat Julius Deutsch während seines Einsatzes als Artillerieoffizier an der SW-Front. Seinen Angaben zufolge missachtete die italienische ebenso wie die österreichisch-ungarische Seite jegliche Rot-Kreuz-Embleme. Es wurde auf alles geschossen, was sich bewegte. „Der Krieg“, hielt er fest, „war so verwildert, dass die Flagge des Roten Kreuzes einfach nicht mehr anerkannt wurde, weder hüben noch drüben“.150 Zu den Vorannahmen über grausame Gegner hinzu kamen in jedem Fall konkrete Meldungen über das Quälen oder Töten von Verwundeten und Gefangenen beispielsweise auf serbischer Seite, die aus unterschiedlichen Quellen zusammengetragen wurden. Im August 1914 berichtete etwa General Rhemen vom k. u. k. 13. Korpskommando, dass serbische Kriegsgefangene über an k. u. k. Soldaten begangene Gräuel erzählt hatten. Ein namentlich genannter serbischer Offizier habe seinen Männern angeblich befohlen, explizit deutsche k. u. k. Gefangene nicht sofort zu töten, sondern zu „martern“. Diesbezügliche Quälereien wurden im betreffenden Bericht geschildert. Rhemen gab an, dass „[u]nsererseits“ die eingebrachten Kriegsgefangenen „verpflegt und durchaus human behandelt“ würden. „Nur Komitas und Landbevölkerung, die mit den Waffen in der Hand ergriffen wird“, wurden „ohne Zufügung sonstiger Unbill niedergemacht“.151 Dass „Irreguläre“ beziehungsweise „Komitadschis“, den Gefangenen die Augen ausstachen, meldeten zeitgleich auch andere Stellen – wieder auf Grundlage von Berichten eigener Soldaten, die verstümmelte Leichen fanden, sowie von Angaben eingebrachter serbischer Kriegsgefangener.152 Auch seitens montenegrinischer Einheiten war es nach Angaben des k. u. k. 149 Völkerrechtswidriges Vorgehen des Feindes (Nord), Dezember 1914. ÖStA KA KM 10. Abt. 1914: 56–32/2, Kt. 566. 150 Julius Deutsch, Kriegserlebnisse eines Friedliebenden. Aufzeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg, hg. von Michaela Maier und Georg Spitaler, Wien 2016, 56. 151 K. u. k. Korpskommando, op. Nr. 193/58 an das k. u. k. 5. Armeekommando, 20.8.1914. ÖStA KA NFA 6. Armee-Op. Akten, Kt. 13. 152 Telegramm, aufgenommen in Bjeljina, 24.8.1914. ÖStA KA NFA 6. Armee-Op. Akten, Kt. 13.

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Gendarme­riekorpskommandos für Bosnien-Herzegowina zu „Bestialitäten“ gekommen. Den Kriegsgefangenen seien „Nasen und Ohren abgeschnitten“, weiters „die Augen ausgestochen und, um die Lebenden am Schreien zu verhindern, denselben“ der „Mund aufgeschnitten“ worden.153 Zweifellos wirkten sich derartige Schilderungen auf das Vorgehen der Truppe aus und führten wohl auch zu Revancheakten beziehungsweise Gräueln durch k. u. k. Soldaten – Normübertretungen, die im Übrigen in manchen Fällen auch trotz der Missbilligung durch vorgesetzte Offiziere, aber eben auch ohne ein konkretes Einschreiten „passieren“ konnten.154 Alexander Pallavicini beispielsweise, der als k. u. k. Offizier den Serbienfeldzug 1914 miterlebte und darüber Tagebuchaufzeichnungen hinterließ, wurde Zeuge sowohl von Gräueltaten der Komitadschi als auch der „Massakrierung“ gefangengenommener serbischer Kämpfer.155 Dass von Soldaten der k. u. k. Armee auch Zivilisten getötet wurden, deutete er offenbar als Ausdruck von besonders ausgeprägten Rachegefühlen und einer regelrechten Raserei. „[U]nsere Leute“, meinte er, waren „wegen der vollbrachten Gräueltaten“ der Gegenseite „so wild“ geworden.156 Es hatte sich offenbar der Eindruck verstärkt, wonach sich die Misshandlungen des Gegners nicht auf Einzelfälle beschränkten. So war beispielsweise von einem in österreichisch-ungarischer Kriegsgefangenschaft befindlichen serbischen Offizier die massenhafte ­Tötung von k. u. k. Kriegsgefangenen durch die serbische Seite bestätigt worden – mit Verweis auf ein diesbezüglich gewissermaßen übliches Vorgehen. Die Tötung von Kriegsgefangenen stellte sich solcherart als geradezu konstitutiver Faktor der serbischen Kriegsführung dar. Auch gab der betreffende serbische Offizier an, dass slawische Soldaten eher geschont wurden und dass die Liquidierung der Gefangenen durch Komitadschi erfolgte, obwohl die betreffenden Soldaten der k. u. k. Armee von regulären serbischen Einheiten gefangengenommen worden waren. Der serbische Offizier, der sich dazu gegenüber den k. u. k. Behörden äußerte, war aufgrund seines Protestes gegen derartige Vergehen von seinen Vorgesetzten der „Austrophilie“ verdäch­ tigt und des Verrates angeklagt worden, floh aus dem Arrest und ergab sich einer feindlichen Patrouille.157 153 K. u. k. Gendarmeriekorpskommando für Bosnien und die Herzegowina, Res. Nr. 310 mob., 29.8.1914. ÖStA KA NFA 6. Armee-Op. Akten, Kt. 13. 154 Aufschlussreich dazu: Schmitz, „Als ob die Welt aus den Fugen ginge“, 305. 155 Ebd., 304. 156 Zit. nach ebd., 305. 157 K. u. k. Kriegsministerium, Abt. 10, Nr. 66843 res. an das k. u. k. Ministerium des Äußern, 13.8.1915. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Kriegsgefangene 1914–1918 Dep. 7 Kriegsgefangene-Varia, Kt. 440.

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Berichte über serbische Übergriffe gegenüber österreichisch-ungarischen Gefangenen trug man darüber hinaus aber auch auf italienischer Seite zusammen. Bestätigt wurde darin u. a., dass vor allem deutsche und ungarische Soldaten besonders schlecht behandelt wurden und willkürliche Tötungen keine Einzelfälle waren. „[U]mgehend erschossen“ wurden außerdem jene Kriegsgefangene der k. u. k. Armee, über die in Erfahrung gebracht wurde, dass sie in Šabac gewesen waren, als es dort auf Befehl der betreffenden k. u. k. Militärs zur Tötung Dutzender Zivilisten gekommen war158 – eine Rache­aktion, wie sie an der Westfront etwa als Reaktion auf den Untergang der „Lusitania“159, allerdings gegenüber willkürlich ausgewählten Kriegsgefangenen, geübt wurde.160 Wie „entsetzlich“ es war, „auf Gedeih und Verderb einigen Bauernlümmeln ausgeliefert zu sein, die dich berauben, dich ausziehen und dich zu Tode prügeln können, wann immer sie wollen“, hielt überdies ein in serbische Gefangenschaft geratener tschechischer Soldat im Zuge des „Großen Rückzuges“ der serbischen Armee Ende 1915 fest. Er relativierte damit wiederum eine kolportierte bessere Behandlung slawischer k. u. k. Kriegsgefangener in serbischer Hand.161 Auswüchse eines serbischen Hasses auf Österreich-Ungarn, der sich in Form von Misshandlungen der Gefangenen entlud, beobachteten indessen jene italienischen Offiziere, die die gefangengenommenen k. u. k. Soldaten in Anbetracht des „Großen Rückzuges“ der serbischen Armee in ihren Gewahrsam übernahmen: Den überlebenden Kriegsgefangenen wurden alle Wertgegenstände gestohlen, auch die von italienischer Seite ausgegebenen Lebensmittel. Damit nicht zufrieden, begannen die serbischen Rekruten und die Unteroffiziere, die noch nicht ausgezogenen Leichen der österreichisch-ungarischen Soldaten an die Albaner zu verkaufen. Die Gefangenen, die vorsichtig dagegen protestierten, bezogen ein letztes Mal Prügel, ehe sie von den italienischen Soldaten übernommen wurden.162

158 Zit. nach Luca Gorgolini, Kriegsgefangenschaft auf Asinara. Österreichisch-ungarische Soldaten des Ersten Weltkriegs in italienischem Gewahrsam, Innsbruck 2012, 41. 159 Die „Lusitania“ wurde Anfang Mai 1915 von einem deutschen U-Boot versenkt. An Bord befanden sich etwa 2000 Personen, mehr als die Hälfte starb. 160 Vgl. Niall Ferguson, Prisoner Taking and Prisoner Killing in the Age of Total War. Towards a Political Economy of Military Defeat, in: War in History 11/2 (2004), 134–178, 158. 161 Zit. nach Gorgolini, Kriegsgefangenschaft auf Asinara, 71. 162 Ebd., 72.

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Offenbar war unter anderem der erwähnte Bericht jenes serbischen Offiziers, der für seine Kritik an der Behandlung der Feindsoldaten von den eigenen Kameraden arretiert worden war, dafür ausschlaggebend, dass von österreichisch-ungarischer Seite umgekehrt die Tötung von Feindsoldaten aus Serbien in den Raum gestellt wurde. Ein „gewisser Prozentsatz“ sollte demnach im Sinne der Vergeltung erschossen werden. Diese bereits im November 1914 erhobene Forderung des AOK dürfte allerdings kaum die Zustimmung des in die Causa ebenfalls involvierten k. u. k. Ministeriums des Äußern gefunden haben. Überdies stand eine vorherige Überprüfung vorhandener Nachrichten über die Tötung von k. u. k. Gefangenen durch die serbische Seite an. Dass das AOK überdies anregte, Überlegungen hinsichtlich rigoroser Vergeltungsmaßnahmen an die neutrale Presse heranzutragen – inklusive der erwähnten Erschießungen –, rief bei den k. u. k. Diplomaten ohnehin eher Stirnrunzeln hervor. Auf diese Weise, hieß es, lieferte man der Gegenseite die gewünschten Argumente, um ihrerseits Verfehlungen bei der Gefangenenbehandlung durch die k. u. k. Armee anzuprangern.163 Mit einer, so Schmitz, „propagandistischen Überhitzung“ einher gingen auf beiden Seiten Völkerrechtsverletzungen, die dafür sorgten, dass sich die Spirale der Gewalt immer weiter drehte.164 Die österreichisch-ungarische „Spio­nitis“, die sich in einer übertriebenen Angst vor Verrat äußerte und in ein unverhältnismäßiges Vorgehen gegen tatsächliche und vermeintliche Spione mündete, war gemeinsam mit der so bezeichneten „Komitadschi-Psychose“ offenbar das „Produkt eines realen wie auch imaginativ-fiktiven Szenarios“ gewesen.165 Gleichzeitig zeigte sich in den befehlsmäßig gedeckten „Ermöglichungsräumen“ für Gewalthandlungen ein Kontrollverlust, der der k. u. k. Armeeführung die Notwendigkeit einer Eingrenzung der Gewalt vor Augen

163 Behandlung unserer Kriegsgefangenen nicht-slawischer Nationalität in Serbien, ex 1914. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Krieg 1914–1918 Dep. 7 Kriegsgefangene-Varia, Kt. 440. Im Sommer 1915 wurden aus der Gefangenschaft geflohene k. u. k. Soldaten explizit dazu angehalten, im Falle zu berichtender Misshandlungen durch den Gegner „genaue Angaben über Zeit, Ort und Zeugen zu machen“. M.A. Nr. 18731/8 Prämien­ erfolgung für Flucht aus der Kriegsgefangenschaft. Ad K-Erl. Abt. 10 Nr. 49.714 vom 3.8.1915. Militärkommandobefehl Nr. 71, Sarajevo am 11.8.1915. ÖStA KA Terr Befehle, 15. K., Sarajevo 1915–1916, Kt. 92. 164 Schmitz, „Als ob die Welt aus den Fugen ginge“, 308. Der Krieg, so Jonathan Gumz, began „with incredible violence, not all of it conciously directed from the top, some driven by standard military practices, perceptions of a dangerous ‚other‘, confusion on the part of officers and soldiers whose experience of war was limited at best, a breakdown of military supply systems or a toxic combination of all of the above.“ Gumz, Norms of war, 103. 165 Schmitz, „Als ob die Welt aus den Fugen ginge“, 259.

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führte. Wenn aber „Ordnung“ eine „Voraussetzung“ ist, um „Gewalt einzudämmen“, dann ergab sich daraus gerade für die Anfangsphase des Krieges, in der auf unterschiedlichen Ebenen chaotische Zustände herrschten, ein schwer aufzulösendes Dilemma.166 Die in Zusammenhang mit der Gefangenenbehandlung der gegnerischen Seite beförderte Gewalt scheint sich tatsächlich, wie auch von Oswald Überegger betont, ausgehend von den kursierenden „atrocity stories“ sowie eigenen Beobachtungen aufgeladen zu haben. Nichtsdestoweniger dürfte dabei eine Verknüpfung mit Feindbildern nicht völlig unerheblich gewesen zu sein – vor allem dann, wenn die Misshandlung von Gefangenen in ein zumindest angenommenes, gewissermaßen systematisiertes Quälen überführt wurde bzw. in eine Art Muster, das bereits abseits der emotionellen Aufgewühltheit im Rahmen von Kampfhandlungen Platz griff. Das Antizipieren von Normübertretungen des Gegners, mit dem bereits bestimmte Eigenschaften verbunden wurden, verschmolz mit eigenen Wahrnehmungen von der Regellosigkeit des Kampfes, die der Feind ausgelöst hatte. Diese Schlussfolgerung beförderte den weitgehenden Ausschluss eines „Unrechtsdenkens“ und sorgte für die „moralische“ Legitimation eigener Verfehlungen.

„Verschärfte Behandlung“ Dass es angebracht war, Misshandlungen von k. u. k. Soldaten in serbischem Gewahrsam mit einer nicht näher bezeichneten „verschärfte[n] Behandlung“ zu ahnden, „geruhte“ indessen sogar der Kaiser im Februar 1916 „vollends zu billigen“.167 Im AOK hatte man freilich schon viel früher an ganz konkrete Maßnahmen gedacht, die gegenüber gefangenen Serben Anwendung finden sollten. Bereits im März 1915 forderte man vom k. u. k. Kriegsministerium angesichts der kolportierten schlechten Behandlung von k. u. k. Soldaten in serbischer Gefangenschaft eine „schärfere Behandlung“ der kriegsgefangenen Serben in eigenem Gewahrsam und brachte dazu gleich klar umrissene Vorschläge, die allerdings zunächst auf die von den Gefangenen ausgehende Ansteckungsgefahr abzielten. Gedacht wurde an eine strenge „Isolierung“ der Gefangenen von der „Außenwelt“. Diese Maßnahme, hieß es, sei „dringendst geboten, denn der“ in den Lagern „vorkommende Flecktyphus“ habe sich bedauerlicherweise, ausgehend von den gefangenen Serben, ausbreiten können und sei unter anderem für den Tod des Linzer Bischofs Hittmair ver166 Jörg Baberowski, Räume der Gewalt, Frankfurt am Main 2015, 213. 167 Misshandlung von k. u. k. Kriegsgefangenen und Retorsionen. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 13 b Serbien, Kt. 931.

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antwortlich gewesen. Dieser hatte tatsächlich wenige Wochen zuvor das Lager Mauthausen, in dem einige Tausend gefangene Serben an Seuchen und anderen Krankheiten zugrunde gingen, besucht. Generalstabschef Conrad, der das Schreiben an das Ministerium in Wien eigenhändig unterzeichnete, regte überdies an, die medizinische Versorgung der serbischen Gefangenen ausschließlich serbischem Sanitätspersonal zu überlassen. Abschließend meinte er: „Die hier angeführten Maßnahmen für eine strengere Behandlung der serbischen Kriegsgefangenen sind keineswegs erschöpfend und wären nebst weiteren Verschärfungen vom Kriegsministerium durchzuführen.“168 Es darf angenommen werden, dass solche Vorschläge nicht zuletzt als Konsequenz vorhandener Nachrichten über die Weigerung serbischen Sanitätspersonals, kriegsgefangene k. u. k. Soldaten zu versorgen, unterbreitet wurden.169 Dass sich eine unzureichende Versorgung seuchenkranker Gefangener in serbischem Gewahrsam zudem mit Prügel und anderweitigen Übergriffen paarte, berichtete im Übrigen auch ein tschechischer Gefangener, der seine Kameraden als Sanitäter betreuen sollte.170 Ganz allgemein war insbesondere der in den Gefangenenlagern grassierende Flecktyphus Ausgangspunkt für verschiedene Annahmen über die Hinterhältigkeit des jeweiligen Gegners, dem Intentionalität hinsichtlich der Ausbreitung der Seuche unterstellt wurde: Auf österreichisch-ungarischer Seite wurde der Vorwurf erhoben, die serbische Armeeführung habe bewusst mit Flecktyphus infizierte Soldaten an die Front geschickt, um im Falle von deren Gefangennahme die Seuche in die Donaumonarchie zu tragen. Auf serbischer Seite wiederum machte man die k. u. k. Armee für das Überhandnehmen des Flecktyphus verantwortlich, der die eigenen Streitkräfte ebenso wie die serbische Bevölkerung bedrohte und Zehntausende Todesopfer forderte.171 Der

168 K. u. k. AOK/EOK an das k. u. k. Kriegsministerium, 7.3.1915. ÖStA KA KM 10. Abt. 1915: 10-96/2, Kt. 992. 169 Vgl. dazu: Bericht von Lady Paget über die k. u. k. Kriegsgefangenen in Serbien. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Dep. 7 Kriegsgefangene-Varia, Kt. 440. Dazu ist anzumerken, dass sich das serbische Sanitätspersonal nach diesem Bericht anfangs geweigert hatte, mit infizierten Gefangenen in Kontakt zu treten. Als sie es dann aber taten, starben von 26 Sanitätssoldaten 17. Vgl. ebd. Über Lady Paget siehe Ernst von Streeruwitz, Springflut über Österreich. Erinnerungen, Erlebnisse und Gedanken aus bewegter Zeit 1914– 29, Wien/Leipzig 1937, 104. 170 Gorgolini, Kriegsgefangenschaft auf Asinara, 42–44. 171 Dazu insbesonders: Indira Duraković, Serbia as a Health Threat to Europe. The Wartime Typhus Epidemic, 1914–1915, in: Joachim Bürgschwentner/Matthias Egger/ Gunda Barth-Scalmani (Hg.), Other Fronts, Other Wars? World War Studies on the Eve of the Centennial, Leiden 2014, 259–279.

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infizierte oder infektiöse Feind erschien geradezu als „trojanisches Pferd“, als Unheilbringer und „Exekutor“ strategischer Überlegungen.172 Im k. u. k. Kriegsministerium pochte man nichtsdestoweniger auf einen regelkonformen Umgang mit den erkrankten Gefangenen, wobei – wie bereits ausgeführt – die zuständigen Instanzen gerade in den ersten Kriegsmonaten weit davon entfernt waren, einen solchen zu gewährleisten. Retrospektiv verwiesen in diesem Zusammenhang die ehemals Verantwortlichen für gewöhnlich auf vorhandene Vorschriften oder anderweitige Regelungen. Tatsächlich lag der „Pflegedienst“ für die Kriegsgefangenen im Habsburgerreich in den Händen des, so Raabl-Werner, in ausreichender Anzahl vorhanden gewesenen niederen Sanitätspersonal[s] jener Armee, der die Kgf. selbst angehörten. Besonders bewährten sich hiebei die russ. Feldschere, die meist, neben einer entsprechenden fachlichen Vorbildung auch Liebe zu deren Betätigung besaßen. Um dieses Personal in der Erfüllung seiner Berufspflichten anzueifern, waren relativ ansehnliche Dienstzulagen normiert.

Für die medizinische Versorgung Schwerkranker standen „in den meisten Kgflagern“ überdies „Pflegeschwestern zur Verfügung“.173 „Feindliches Sanitätspersonal“ war laut den im Dienstreglement des k. u. k. Heeres enthaltenen „wichtigsten internationalen Vereinbarungen“ nicht „als kriegsgefangen“ anzusehen und hatte „seine Tätigkeit, solang dies erforderlich war, nach den Weisungen und unter Aufsicht der eigenen Kommandos und Behörden fortzusetzen“.174 Gleichzeitig aber ging aus dem Dienstreglement betreffend internationale Abkommen hervor, dass „feindliche Verwundete und Kranke […] gleich den eigenen Kriegskameraden zu pflegen“ waren.175 Den „ärztlichen Dienst“ in den Lagerspitälern versahen jedenfalls laut Raabl-Werner „fast ausschließlich“ österreichisch-ungarische „Militärärzte oder landsturmpflichtige Zivilärzte“.176 Tatsächlich enthielt die Genfer Konvention des 172 Epidemien wurden bereits im Balkankrieg als „Waffe“ betrachtet. Siehe: Christian Promitzer, Combating Cholera During the Balkan Wars. The Case of Bulgaria, in: James Pettifer/Tom Buchanan (Hg.), War in the Balkans. Conflict and Diplomacy before World War I, London/New York 2014, 76–101. 173 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 19 f. 174 Dienstreglement für das kaiserliche und königliche Heer, II. Teil Felddienst, Wien 1912 (Entwurf), 157. 175 Ebd., 156. 176 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 19. Das „lei-

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Jahres 1906 keine konkreten Bestimmungen über die Aufteilung der „Pflege“ von Kriegsgefangenen zwischen dem ebenfalls in gegnerische Hand geratenen Sanitätspersonal und jenem der jeweiligen Gewahrsamsmacht.177 Dass Conrad mit seinen Ansichten bezüglich einer strengeren Behandlung gefangener Serben nicht allein dastand, liegt jedenfalls auf der Hand. So hatte auch Erzherzog Friedrich angesichts verschiedener Berichte über die Lage der k. u. k. Soldaten in russischer wie auch serbischer Kriegsgefangenschaft178 das Kriegsministerium aufgefordert, allen „in Betracht kommenden Behörden als Prinzip einzuschärfen, keinen Stolz darein [sic] zu setzen, für die Gefangenen glänzend zu sorgen, sondern sie kurz zu halten“. Außerdem sollten „Polen, Deutsche, Juden, Mohammedaner und Ukrainer“ von den übrigen Gefangenen abgesondert und besser behandelt werden – eine Forderung, die allerdings, so eine handschriftliche Notiz, erst erfüllt werden könne, sobald die „hygienischen Verhältnisse“ dies zulassen würden.179 Weisungen zur Behandlung und Disziplinierung russischer wie serbischer Gefangener beim Heeresgruppenkommando Erzherzog Eugen trugen den vorgebrachten Vorschlägen zur etwaigen Schlechterstellung der betreffenden Feindsoldaten ebenfalls Rechnung. Einmal mehr als Reaktion auf die Behandlung, die k. u. k. Soldaten in serbischer Gefangenschaft erfuhren, sollte im Umgang explizit mit serbische Gefangenen, die „im Bereiche der A. i. F.“ verwendet wurden, „im Rahmen der geltenden Gesetze drakonische Strenge“ an den Tag gelegt und „jede Rücksicht auf Humanität beiseite“ gelassen werden.180 Erzherzog Eugen, der infolge des Krieges gegen Italien zum „Höchstkommandierenden der neuen Kriegsfront“ wurde, stand darüber hinaus für eine rigorose Politik gegenüber „politisch verdächtigen“ Reichsitalienern und zählt ohne Zweifel zu den „Hardlinern“ innerhalb der Armeeführung. Dafür sprechen auch die

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tende Sanitätspersonal“ der gegnerischen Armeen wurde „in Gemäßheit der Bestimmungen“ der „Genfer Konvention v. J. 1906 sobald es die Umstände gestatteten, in die Heimat entlassen“. Ebd. RGBl. Nr. 191, LXXXIII Stück, ausgegeben am 28. September 1911 betr. Internationales Übereinkommen vom 6. Juli 1916 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken bei der Armee im Felde, 573–591. Ab dem Frühjahr 1915 erreichten das Kriegsministerium verschiedene Berichte auch neutraler Beobachter über die Lage der k. u. k. Gefangenen in Serbien. Diese fielen einigermaßen differenziert aus. Vgl. Behandlung der Kriegsgefangenen in Serbien – Neu­ trale Untersuchung. ÖStA KA KM 10. Abt. 1915: 10-7/4-10, Kt. 948. K. u. k. AOK K. Nr. 4944, betr. Behandlung der Gefangenen, Standort des AOK, 21.2.1915. ÖStA KA KM 10. Abt. 1915: 10-7/4-10, Kt. 948. Heeresgruppenkommando GO Erzh. Eugen (Q-Abt.), Q. Op. Nr. 10.465, Weisungen für die Behandlung und Disziplinierung russ. und serb. Kriegsgefangener, Feldpost 512, im Juli 1916, 4.

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vom Kommando der Südwestfront in einer Reihe von Denkschriften festgehaltenen Zukunftspläne für Tirol und den Kampf gegen den „Irredentismus“. Sie beinhalteten eine weitgehende Militarisierung des zivilen Lebens auch in Friedenszeiten und schwerwiegende Beschneidungen demokratischer Rechte.181 Dass Benachteiligungen bestimmter Gefangenengruppen vor allem im Bereich der Armee im Felde umgesetzt wurden oder zumindest zur Disposition standen, erschließt sich – wie noch zu zeigen sein wird – freilich nicht immer aus klar formulierten Befehlen oder Stellungnahmen. In jedem Fall befanden sich alle Feindsoldaten – zweifellos nicht nur serbische –, die der A. i. F. unterstanden, in einer weniger günstigen Lage als ihre Kameraden, die im Hinterland konzentriert waren. Ende 1917 sah sich etwa der k. k. Minister für Landesverteidigung gar nicht erst genötigt, die besondere Beanspruchung von Gefangenen, die im Bereich der A. i. F. tätig gewesen waren, zu leugnen. Für sie, sagte er offen, seien „hinsichtlich der Verpflegung, Unterkunft und Bekleidung nicht immer jene Vorsorgen getroffen“ worden wie „für die Kriegsgefangenen des Hinterlandes“. Erschwerend kam noch hinzu, dass infolge eines häufigen Wechsels von Arbeitsstätten dieselben nur sporadisch und „zum großen Teil auch gar keine postalische Verbindung mit ihren Angehörigen in der Heimat erlangt“ hatten.182 Darüber hinaus bekamen Gefangene im Bereich der Armee im Felde neben der Geldgebühr beziehungsweise Löhnung183 in der Höhe von 16 Hellern täglich für gewöhnlich keine Arbeitszulage, wie sie etwa Feindsoldaten im Hinterland bezogen.184 Auch rückblickend wurde – zmindest in einem unveröffentlicht gebliebenen Text – die Schlechterstellung 181 Eugen meinte: „Was in Friedenszeiten versäumt worden sei, müsse jetzt im Krieg nachgeholt werden, nämlich die ‚Unschädlichmachung der Träger der Nationalitätenpolitik‘, deren Nachgiebigkeit gerade im Krieg für das militärische Interesse und die ‚bewaffnete Macht‘ verheerende Folgen gezeigt habe.“ Hermann J. W. Kuprian, Militarisierung der Gesellschaft, in: Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger (Hg.), Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, Innsbruck 2014, 61–83, 71, 75–78. 182 Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des Reichsrates. Ad Nr. 1182 I, XXII. Session (210). Anfragebeantwortung Seiner Exzellenz des Herrn Ministers für Landesverteidigung, 15. Dezember 1917. 183 Bezüglich der Löhnung war eine Vereinbarung mit der italienischen Regierung getroffen worden. Im August 1914 wurde per Militärkommandobefehl darauf hingewiesen, dass die Löhnung allen Gefangenen zustehe, die Arbeitszulage nur arbeitenden Gefangenen. War für die Löhnung die Heeresverwaltung zuständig, war es für die Arbeitszulage der Arbeitgeber. In Italien, hieß es überdies, wurden Kriegsgefangene nur „in ganz geringem Maß zur Arbeit herangezogen“. KM Erl., Abt. 10/Kgfe. Nr. 22.427 vom 14.8.1916. I. Nr. 18513. Löhnung und Arbeitszulage der ital. Kgf. ÖStA KA Terr Befehle, 15. K., Sarajevo 1915–1916, Kt. 92. 184 Heeresgruppenkommando GO Erzh. Eugen (Q-Abtlg.), Q. Op. Nr. 10.465, Weisungen für die Behandlung und Disziplinierung russ. und serb. Kriegsgefangener, Feldpost 512, im Juli 1916, 19.

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von Gefangenen bei der A. i. F. vermerkt. Dass diese vor allem in „meist minderen Unterkünfte[n]“ untergebracht waren und „höheren Arbeitsanforderungen“ ausgesetzt waren, fand darin ebenfalls Bestätigung.185 Abstufungen in der Behandlung von Gefangenen erfolgten indessen abgesehen von vorhandenen Ressentiments immer wieder in Zusammenhang mit der Lage der eigenen Heeresangehörigen in Feindeshand. Für serbische Offiziere in österreichisch-ungarischem Gewahrsam galt zwar wie für höhere Ränge anderer Nationen auch, dass (zumindest bis etwa 1917, als die „Verpflegsnot“ auch die Offiziere mehr und mehr betraf186) ihre Lage ungleich besser war als jene von einfachen Soldaten. Trotzdem waren Maßnahmen, die etwa im Zuge von Repressalien zur Anwendung kamen und mit dem Verweis auf analoges Vorgehen gegenüber k. u. k. Kriegsgefangenen in serbischer Hand gerechtfertigt wurden, zumindest phasenweise weitreichender als für Offiziere anderer Nationen. Serbische Offiziere wurden einfachen Soldaten in der Unterbringung gleichgestellt. Sie bekamen weniger komfortable Unterkünfte als sonst für gefangene Offiziere üblich zugeteilt.187 Parallel dazu wurde allerdings vom Kriegsministerium in Wien angekündigt, die ohnehin nicht unumstrittene Unterbringung von gefangenen Offizieren in Hotels und Pensionen oder aber Schlössern, wo freilich nicht automatisch entsprechender Komfort gewährleistet war, abzustellen beziehungsweise einzuschränken. Statt der Unterbringung in sogenannten „Offiziersstationen“ war schließlich die Überstellung in „Offiziersabteilungen“ in den Gefangenenlagern vorgesehen.188 Die betreffenden serbischen Offiziere, die beispielsweise zur Mitte 1915 strafweise in das Gefangenenlager Grödig gebracht wurden, fühlten sich ungeachtet dessen „wie Verbrecher behandelt“. Einer von ihnen befürchtete gar, dass aufgrund der verabreichten ungenießbaren Verpflegung nicht einmal die Hälfte der dort untergebrachten Offiziere in die Heimat zurückkehren ­werde.189 Demgegenüber wurden vom Kriegsministerium auf Grundlage 185 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 54. 186 Vgl. hierzu die Schilderungen von Topalović, der auch den Hunger unter den serbischen Offizieren eindrucksvoll beschreibt: Živko Topalović, Za naše zarobljenike, Korfu 1918. 187 Vladislav Pandurović, Srpska pisma iz svetskog rata 1914–1918, Osijek 1923, 71. 188 Behandlung der Kgf. ÖStA KA KM 10. Abt. 1915: 10-7/22, Kt. 951. Offiziersstationen für Kriegsgefangene, bei denen es sich um „von der Heeresverwaltung gemietete Objekte“ handelte, waren laut Dienstbuch J-35 ab 1915 lediglich für „ranghöhere Stabsund Oberoffiziere“ sowie für rekonvaleszente bzw. genesene Offiziere vorgesehen. Dienstbuch J-35, 104. 189 Serbische Zensurgruppe, 9.7.1915 über Klagen serbischer Offiziere. ÖStA KA KM 10. Abt. 1915: 10-82/726, Kt. 992.

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eines Berichtes aus dem Lager Grödig „unwahre und übertriebene Angaben“ serbischer Offiziere über deren Behandlung festgehalten. Die spanische Botschaft – Spanien hatte das Schutzmachtmandat für serbische Gefangene übernommen – sollte dahingehend informiert werden, dass der beanstandete Entzug von Vergünstigungen, die ohnehin, hieß es, „über den Rahmen des Haager Übereinkommens“ hinausgegangen waren, in Anbetracht der schlechten Lage gefangener k. u. k. Offiziere in Serbien aufrecht bleiben ­müsse.190 In dieser Hinsicht bemerkenswert ist, dass einzelne k. u. k. Offiziere schon ab August 1914 diskriminierende Maßnahmen explizit gegenüber ­serbischen Offizieren in Gefangenschaft gesetzt hatten – und zwar ohne den Hintergrund von Retorsionen beziehungsweise Vergeltungsmaßnahmen. Der Kommandant des k. u. k. XV. Korps, Michael von Appel, hatte nämlich seinen Offizieren aufgetragen, serbischen Offizieren in Gefangenschaft die Waffen abzunehmen und sie „wie die Mannschaft zu behandeln“. „Denn ein Officier­ korps“, meinte er, „das fremde Deserteure in seiner Mitte als Kameraden behandelt, Königsmörder duldet, conspiriert und Mitglieder von geheimen Gesellschaften“ dulde, verdiene keine andere Behandlung.191 Derselbe General ermahnte nur kurz zuvor, Ende Juli 1914, seine Soldaten angesichts der bevorstehenden Kämpfe, „die Gebote edler Menschlichkeit und soldatischer Ritterlichkeit“ zu befolgen.192 Ähnliche Haltungen lassen sich freilich nicht nur in Bezug auf serbische Kriegsgefangene anführen. Manches scheint dafür zu sprechen, dass spezielle Ressentiments die Stimmungslage unter dem k. u. k. Offizierskorps ebenso wie unter den einfachen Soldaten beispielsweise auch in der Auseinandersetzung mit Italien beeinflussten.193 Der von Kaiser Franz Joseph mit Empörung zur Kenntnis genommene „Treubruch“ des ehemaligen Bündnispartners zeigte angeblich unter der „kämpfenden Truppe“ Wirkung. Von „Wut“ und „Verachtung“ gegenüber Italien durchdrungen waren, so wurde beobachtet, nicht nur k. u. k. Offiziere. Der Generalstabschef hatte ohnehin keine Zweifel an seinen freilich schon seit Langem bestehenden negativen Emotionen ge190 Betr. unwahre und übertriebene Angaben kgf. serbischer Offiziere in Grödig, August 1915. ÖStA KA KM 10. Abt. 1915: 10-7/21-13, Kt. 951. Über die Visitation der serbischen Offiziere in Grödig siehe auch: ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Krieg Dep. 11, Kt. 581. Dazu auch: Julia Walleczek-Fritz/Verena Moritz, Zimmer frei! Das Zusammenspiel von Krieg und Tourismus am Beispiel der Unterbringung von Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg, in: Patrick Gasser/Andrea Leonardi/Gunda Barth-Scalmani (Hg.), Krieg und Tourismus im Spannungsfeld des Ersten Weltkrieges, Innsbruck/Wien/Bozen 2014, 293–312. 191 Zit. nach Schmitz, „Als ob die Welt aus den Fugen ginge“, 345. 192 Zit. nach Überegger, Kampfdynamiken als Gewaltspiralen, 84. 193 Schmitz, „Als ob die Welt aus den Fugen ginge“, 223.

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genüber dem neuen Gegner im Süden gelassen. Der deutsche General Hans von Seeckt jedenfalls meinte, dass der als „unerlässlich“ angesehene „Hass“ im Kampf der österreichisch-ungarischen Armee gegen Italien vorhanden gewesen sei, während er gegenüber Russland gefehlt und dort im Unterschied zu Italien zu einem „vollkommen[en]“ Versagen geführt habe.194 Ungeachtet dieser mutmaßlich vorhanden gewesenen besonderen Haltung gegenüber den Italienern innerhalb der k. u. k. Armee erscheint ganz allgemein für die Eröffnungsfeldzüge evident, dass sich Gräuel in hohem Maße gegen Gefangene richteten oder aber dass in der bereits erwähnten Grauzone nach der Unschädlichmachung des Gegners das Pendel eher in Richtung Tötung als Schonung ausschlug. Diese Grundbedingungen trafen wohl auch für das Frühjahr 1915 zu, als der Krieg gegen Italien begann. Martin Schmitz weist in seinen Ausführungen zur, wenn man so will, emotionellen Ausgangslage gegenüber dem italienischen Erzfeind innerhalb der k. u. k. Armee allerdings auf einen weiteren wesentlichen Faktor hin, der eine Motivlage offenlegt, die wiederum über den „Treubruch“ als Anlass für eine angenommene besondere „Erbitterung“ von k. u. k. Truppen im Kampf hinausgeht. In den Quellen seien nämlich, so Schmitz, überdurchschnittlich oft Übergriffe seitens südslawischer Soldaten erwähnt. Die Misshandlung bis hin zur Tötung italienischer Gefangener ging demzufolge vor allen auf das Konto von Slowenen, „Bosniaken“ oder dalmatinischen k. u. k. Truppen.195 Ob das AOK bewusst südslawische Truppen einsetzte, um „die ethnischen Spannungen auszunutzen“, ist umstritten.196 So oder so wiederholte sich am Kriegsschauplatz gegen den früheren Bundesgenossen das, was bereits am Balkan passiert war. Meldungen über italienische Gräuel gegenüber Verwundeten und wehrlosen k. u. k. Soldaten trugen ihrerseits zu einer Brutalisierung der Kampfweise von österreichisch-ungarischen Truppen bei. Es reichten bereits Gerüchte über eine grausame und völkerrechtswidrige Kriegsführung des Gegners, um die eigene Kampfweise womöglich außerhalb vorhandener Normen zu stellen. Die von vermeintlichen Augenzeugen geschilderten und deshalb stets als authentisch verinnerlichten Details feindlicher Grausamkeiten wurden von Soldat zu Soldat weitererzählt. Die informelle Kolportage der Gräuel-Gerüchte evozierte eine teilweise geradezu skurrile Eskalation, die ein „Gefühl

194 Ebd. 195 Ebd., 222. 196 Ebd., 223. Schmitz verweist hier auf eine These von Mark Thompson, White War. Life and Death on the Italian Front 1915–1919, London 2008, 80.

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der unkalkulierbaren Bedrohung“ und eine mehr oder weniger intensive ge­ rüchte­immanente soldatische Auto-Radikalisierung nach sich zog.197

Die damit verbundenen konkreten Reaktionen wiederum waren womöglich nicht anders als im Krieg gegen Serbien keineswegs nur Resultat situativer Gewalt, eruptiver Ausbruch von Aggressionen, Revanchegefühlen und Mordlust, sondern durchaus intentional befördert worden. Zum einen – wie bereits gezeigt – auf Grundlage von ergänzend zu den „Soldatenerzählungen“ (mit einer „gerüchteimmanenten soldatischen Auto-Radikalisierung“ als Folge198) auch „von oben“ bewusst kommunizierten Hinweisen auf das Fehlverhalten des Gegners – etwa bei der Behandlung von Kriegsgefangenen. Zum anderen auf der Basis von Befehlen oder aber Empfehlungen, in der Konfrontation nicht durch unangebrachte „Ritterlichkeit“ gewissermaßen den Kürzeren zu ziehen. Regeln mögen – in Anlehnung an Wolfgang Sofsky – im Kampf um Leben und Tod nicht mehr als „Makulatur“ sein.199 Der Entscheidung aber, den Gegner zum Gefangenen zu machen oder aber nicht, kann auch eine abseits panischer Verhaltensweisen vorhandene (Selbst-)Ermächtigung zugrunde liegen, die in einem handlungsanleitenden „Setting“ mit einem kommunizierten Regelwerk zu verorten ist. Das Schlachtfeld als „Kontingenzraum par excellence“ eröffnete zweifellos unterschiedlich beeinflusste Handlungsmöglichkeiten.200 Normübertretungen in der Gefangenenbehandlung abseits der Schlachtfelder stellen sich als Sample jener höchst unterschiedlichen, aber durchaus ineinandergreifenden Faktoren dar, wie sie etwa Oswald Überegger u. a. in vorliegendem Band präsentiert hat. In diesem Kontext traten aber situationsoder erfahrungsimmanente Aspekte gegenüber befehls- oder aber dispositionsimmanenten Faktoren tendenziell in den Hintergrund.201 Diesbezügliche Normübertretungen gingen im Regelfall auf das Konto von Eskorte- und Bewachungsmannschaften, die an sich mit den Bestimmungen für die Gefangenenbehandlung und auch mit den Konsequenzen eines Zuwiderhandelns 197 Überegger, Kampfdynamiken als Gewaltspiralen, 87. 198 Ebd. 199 Ich beziehe mich hier einmal mehr auf Überegger mit seinen Hinweisen auf Sofsky. Vgl. Überegger, Kampfdynamiken, 92. 200 Vgl. Ulrich Bröckling, Schlachtfelderforschung. Die Soziologie im Krieg, in: Martus Steffen/Marina Münkler/Werner Röcke (Hg), Schlachtfelder. Codierung von Gewalt im medialen Wandel, Berlin 2003, 189–206. 201 Vgl. dazu den Beitrag von Oswald Überegger in vorliegendem Band sowie Sabine A. Haring, K. u. k. Soldaten an der Ostfront im Sommer und Herbst 1914. Eine emotions­ soziologische Analyse, in: Bernhard Bachinger/Wolfram Dornik (Hg.), Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten. Erfahrung – Wahrnehmung – Kontext, Innsbruck/Wien/Bozen 2013, 65–86.

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vertraut hätten sein müssen. Russischen Quellen zufolge waren es vor allem niedere Ränge, denen von heimgekehrten Kriegsgefangenen Übergriffe angelastet wurden.202 Dieses Fehlverhalten wiederum verweist mitunter auf ein „Gewährenlassen“ von Vorgesetzten, wie es auch vom k. u. k. Kriegs­ minis­terium bei verschiedenen Gelegenheiten problematisiert wurde.203 Die unterbliebene Ahndung von Übertretungen deutet auf einen womöglich bewussten Verzicht auf Disziplinierungen hin, wie er von Historikerinnen und Historikern in Zusammenhang mit verschiedenen Formen sexueller Gewalt im Krieg angesprochen wurde. Dieser Einschätzung zufolge sind Disziplinierungen im Falle von Normübertretungen vor allem dann evident, wenn die Rangordnung als solche in Gefahr ist. Ist sie das nicht und ereignen sich Verfehlungen angesichts asymmetrischer „Beziehungen“ (Soldaten – Zivilbevölkerung, aber auch Soldaten – Kriegsgefangene) unbeschadet der Militärhierarchie oder der unmittelbaren Interessen der Armee, können Freiräume bzw. ein individueller Handlungsspielraum Untergebener zugelassen werden.204

„… die sichere Vernichtung des Gegners …“ Die Bedeutung von Befehlen für den Kampf bzw. die Kampfweise gegnerischer Einheiten thematisierte indessen die Propaganda. Im Sommer 1916 wandte sich die österreichische Presse gegen Behauptungen italienischer Zeitungen, wonach bei der Heeresgruppe Erzherzog Eugen dazu aufgefordert worden war, „keine Gefangenen zu machen“. Solche Anweisungen, wurde entgegnet, seien niemals gegeben worden. Weil sich aber „Alpini und Finanzieri“ im Zuge eines Kampfes nur zum Schein ergeben hätten und so hohe Verluste unter den k. u. k. Soldaten verursachten, sei der eigenen Truppe per Befehl eingeschärft worden, „daß einem Feinde, der politisch treulos handeln konnte, auch die treuloseste und hinterhaltigste [sic] Kampfesweise zugemutet werden 202 Vgl. den Artikel von Natal’ja Surzikova in vorliegendem Band. 203 Zu verweisen ist hier u. a. auf Anweisungen des Kriegsministeriums bezüglich Durchführung von Inspektionen. 204 Vgl. dazu insbesondere Regina Mühlhäuser, Reframing Sexual Violence as a Wea­ pon and Strategy of War. The Case of the German Wehrmacht during the War and Genocide in the Soviet Union, 1941–1944, in: Journal of the History of Sexuality 26/3 (2017), 366–401, 376; Dies., „You have to Anticipate What Eludes Calculation“. Reconceptualising Sexual Violence as Weapon and Strategy of War, in: Gaby Zipfel/Regina Mühlhäuser/Kirsten Campbell (Hg.), In Plain Sight. Sexual Violence in Armed Conflict, New Delhi 2019, 3–29, 8–10. Siehe auch: Jan Philipp Reemtsma, Gewalt. Monopol, Delegation, Partizipation, in: Wilhelm Heitmeyer/Hans Georg Soeffner (Hg.), Gewalt. Entwicklungen, Strukturen, Analyseprobleme, Frankfurt am Main 2004, 346–361.

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müsse“.205 Indirekt wurde also bestätigt, dass es zumindest so etwas wie eine Empfehlung gab, im Zweifelsfall von Milde Abstand zu nehmen.206 Vorwürfe, wonach es „zu Anfang“ des Krieges aufgrund „verschiedene[r] Motive“ zu Verfehlungen in der Behandlung italienischer Gefangener gekommen sei, wollte im Übrigen auch Graf Spiegelfeld vom Fürsorge-Komitee des Roten Kreuzes im Frühjahr 1916 nicht in Abrede stellen. Er konstatierte allerdings nur vereinzelte diesbezügliche Klagen und Vorfälle und wies Verallgemeinerungen als unzulässig zurück.207 Die Art und Weise, wie man aufgrund von Vorkommnissen am „nördli­ chen Kriegsschauplatze“ glaubte, sich ganz allgemein gegen „Listen des Gegners“ schützen zu müssen, verweist indessen auf „erfahrungsimmanente“ Faktoren. Eine Ächtung des Gegners wie etwa im Fall Italiens (Stichwort „Treubruch“) oder Serbiens (Stichwort „Königsmörder“) war an der NO-Front indessen kaum von Bedeutung. Die angebliche „Barbarei“ speziell von Kosaken setzte sich aber bereits relativ früh in der Propaganda fest.208 Diverse „Listen“ etwa in Zusammenhang mit vorgetäuschter Kapitulation ließen außerdem ganz prinzipiell auf eine besondere „Hinterhältigkeit“ russischer Soldaten schließen. Aus der Perspektive der k. u. k. Armeeführung waren entsprechende Gegenmaßnahmen nicht mehr als legitimer Selbstschutz. 205 Neues Wiener Tagblatt, 4.7.1916, Wienbibliothek digital, http://www.digital.wienbibliothek.at/wk/periodical/pageview/688137 (abgerufen am 1.4.2021). 206 Gleichzeitig mischten sich in diesen Ratschlag die angesprochenen Ressentiments gegen die „treulosen“ Italiener. Letztere sammelten im Übrigen selbstverständlich auch weiterhin Berichte, die das Habsburgerreich als barbarisch handelnden Feind präsentieren sollten. So hieß es unter anderem auch, dass die infolge des Einsatzes von Gas betäubten italienischen Soldaten von österreichisch-ungarischen Truppen nicht gefangengenommen, sondern noch am Schlachtfeld mit eigens hierfür ausgegebenen Stöcken totgeschlagen wurden. Vgl. K. k. Polizeidirektion Wien an das Präsidium der k. k. n. ö. Statthalterei, 9.7.1916. Niederösterreichisches Landesarchiv/St. Pölten (NÖLA) NÖ Statthalterei-Präsidium, Erster Weltkrieg. Polizeidirektion Wien, Weltkriegs­ tagesereignisse (Okt. 1915–Okt. 1916), Kt. 9. Nach dem Krieg wurde seitens der italienischen Waffenstillstandskommission auch der Vorwurf erhoben, dass General Boroević den Befehl gegeben hätte, „sehr wenig Gefangene zu machen“ – eine Behauptung, die vom Liquidierenden Kriegsministerium zurückgewiesen wurde. Vgl. Beschwerdeschrift der ital. Waffenstillstandskommission, März 1919. ÖStA KA Liqu. KM 10. KgA 1919: 10-125/2, Kt. 2248. 207 Behandlung der ital. Kgf. in Österreich-Ungarn, April 1916. ÖStA KA KM 10. KgA 1916: 10-7/29-102, Kt. 1284. Die nationalen Rot-Kreuz-Gesellschaften übernahmen im Regelfall die Rechtfertigungsrhetorik der Militärverwaltung. Auch Matthias Egger stuft im Übrigen die Österreichische und die Ungarische Rot-Kreuz-Gesellschaft als „verlängerte Arme des Staates“ ein. Vgl. Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen?, 593. 208 Vgl. Harald Stadler/Rolf Steininger/Karl C. Berger (Hg.), Die Kosaken im Ersten und Zweiten Weltkrieg, Innsbruck/Wien/Bozen 2008.

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Nachrichten über „fake surrenders“ kursierten freilich in allen Armeen.209 Konkret beobachtet worden war seitens der k. u.k. Armeeführung, dass „sich der Gegner“, also russische Soldaten, in mehreren Reihen hintereinander unbewaffnet mit aufgehobenen Händen unseren Schützengräben genähert und, da unsererseits durch diese List getäuscht, nicht geschossen wurde, plötzlich die in den Taschen verborgenen Handgranaten in die Schützengräben geworfen hat, worauf sofort rückwärts folgende, durch die Unbewaffneten gedeckte Abteilungen den Sturm auf unsere Stellung durchführten.

General Karl Tersztyánszky befahl daraufhin, daß von allen mir unterstehenden Tr[u]p[p]en in ähnlichen Fällen, wenn sich derlei anscheinend sich ergeben wollende größere Abteilungen nähern, zu schießen und die Abteilung aufzureiben ist. Nur wenn zweifellos festgestellt ist, daß sich tatsächlich Ueberläufer nähern, dann sind dieselben mit entsprechender Vorsicht zu übernehmen.

Beim „geringste(n) Zweifel über die Absichten des Gegners“ sei dieser allerdings „niederzuschießen“. Tersztyánszky abschließend: Ich lege gar keinen Wert auf große Zahlen von Gefangenen, ich ziehe in allen Fällen die sichere Vernichtung des Gegners vor, besonders der uns gegenüber stehende Feind darf nicht geschont, Pardon nur nach loyaler, tapferer Gegenwehr gegeben werden.

Der betreffende Befehl war nach Verordnung des Militärkommandos Sarajevo vom 7. Juli 1915 nunmehr „allgemein zu verlautbaren, die Mannschaft unverzüglichst zu belehren“.210 Eskalierende Gewalt in Zusammenhang mit (potentiellen) Kriegsgefangenen scheint im Kontext sogenannter „Eröffnungsfeldzüge“ besonders häufig aufgetreten zu sein. Aber nicht ausschließlich. Vorangegangenes Beispiel datiert in eine Zeit, als der Weltkrieg beinahe schon ein Jahr andauerte. Anlassfälle für rigoroses Vorgehen gab es immer wieder. Es zeigten sich – unterschiedlich motivierte – radikale Tendenzen auch über die Jahre 1914 und 1915 209 Ferguson, Prisoner Taking and Prisoner Killing, 158. 210 Präs. Nr. 2881. Verhinderung von Listen des Gegners. Op. Nr. 1384 des AGK. G. d. K. von Tersztyánszky. ÖStA KA Terr Befehle, 15. K., Sarajevo 1915–1916, Kt. 92.

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hinaus. Manche überschneiden sich mit neuen beziehungsweise ungewohnten Formen des Kampfes beziehungsweise neuen Gegnern oder anderen Bedrohungsszenarien. Anzuführen ist hier u. a. die rigoros geführte Bekämpfung von aus geflohenen Gefangenen zusammengesetzten Banden oder aber die von ideologischen Motiven unterfütterte Konfrontation mit den Bolschewiki, im Zuge derer es mehr oder weniger üblich wurde, keine Gefangene zu machen.211

„… gewisse Erbitterung höheren Grades …“ Ressentiments gegenüber italienischen Kriegsgefangenen, die sich in Anregungen seitens des Heeresgruppenkommandos Erzherzog Eugen hinsichtlich der Behandlung italienischer Gefangener niederschlugen, verweisen auf diesbezügliche Beharrungskräfte. Das betreffende Heeresgruppenkommando initiierte 1916 eine „Perlustrierung“ von Kriegsgefangenenlagern, um italienischstämmige Angehörige des k. u. k. Heeres als Überläufer zu identifizieren. Die dafür zusammengestellte Kommission erzielte zwar keine brauchbaren Ergebnisse, konnte sich aber, wie es hieß, von der „Feindseligkeit“ der italienischen Kriegsgefangenen überzeugen. Die Kommissionsmitglieder wurden im Zuge ihrer Mission Opfer von „in Italien üblichen Pöbelszenen“, da sich schnell herumgesprochen hatte, zu welchem Zweck die Delegierten erschienen waren. Der Leiter der Kommission, Oberst Gratzy, regte angesichts beobachteter disziplinärer Verfehlungen – die Italiener hatten oft erst nach mehrmaliger Aufforderung salutiert – „gerade gegen italienische Kriegsgefangene, abgesehen von sonstigen Gründen, die Anwendung strengerer Zuchtmassregeln“ an. Anlässlich der „Perlustrierung“ stellte er im Übrigen eine unangebrachte, weil angeblich allzu gute Behandlung der Italiener fest. Klagen, die in der italienischen Presse über die angeblich schlechte Lage der Gefangenen in österreichisch-ungarischem Gewahrsam erhoben worden waren, wies er zurück. Der Bericht wiederum veranlasste das Heeresgruppenkommando Erzherzog Eugen dazu, in einem Schreiben an das AOK eine strengere Behandlung der Italiener zu fordern. Man habe sich diesbezüglich bereits mehrmals geäußert. Angesichts des „Treubruchs“, den der ehemalige Bundesgenosse begangen habe, sollten die Gefangenen „nur auf das strengste Mass dessen Anspruch erheben dürfen, was ihnen eine knappe Auslegung 211 Vgl. Peter Lieb, Der deutsche Krieg im Osten von 1914 bis 1919. Ein Vorläufer des Vernichtungskrieges?, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 65/4 (Oktober 2017), 465– 506, 504 f.

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der völkerrechtlichen Bestimmungen über die Kriegsgefangenen zubilligen kann“. Die bisherige Behandlung sei zu „milde“, das AOK „wolle beim“ Kriegsministerium, – in dessen Zuständigkeit sich die im Hinterland befindlichen Lager befanden, die die Kommission besucht hatte, – „dahin Einfluss nehmen“, dass diese „strenge werde“.212 Interessanterweise folgte diesem Schreiben in der Chronologie der behördlichen Korrespondenz eine Zusammenstellung von schweren Misshandlungen italienischer Kriegsgefangener, die räumlich sowohl das Hinterland als auch die Etappe betrafen. Die betreffenden Berichte sollten offenbar dem AOK vorgelegt werden und Forderungen nach einer strengeren Behandlung die Grundlage entziehen.213 Im Vergleich zur Tötung von (potentiellen) Kriegsgefangenen erscheinen verschiedene, in erster Linie schikanöse Maßnahmen in Zusammenhang mit der Behandlung kriegsgefangener Offiziere bisweilen nichtig. Dabei ist nicht zu vergessen, dass gerade die Offiziersbehandlung in Gefangenschaft als besonders sensibler Punkt galt. Vor allem an ihr bemessen wurde die oft beschworene „Ritterlichkeit“ der Kontrahenten beziehungsweise die eigene Korrektheit im Umgang mit dem Feind.214 Der Behandlung von Offizieren wurde ungeachtet deren geringfügigen Anteils an der Gesamtzahl der Kriegsgefangenen überproportional großes Interesse entgegengebracht. Insofern mag auch nicht verwundern, dass die seitens Österreich-Ungarns gepflogene besondere Behandlung italienischer Offiziere eine intensive Korrespondenz nach sich zog. So hatte im Juni 1915 das „Kommando der Südwestfront“ befohlen, den kriegsgefangenen Offizieren aufgrund des konstatierten „Treubruchs“ den Handschlag zu verweigern. Mit anderen Worten: K. u. k. Offiziere reichten ihren italienischen Kollegen nicht, wie es sonst unter Offizieren üblich war, die Hand zum Gruß. Gleichlautende Befehle ergingen auf Wunsch des AOK auch für das Hinterland. Im März 1917 allerdings, fast zwei Jahre nach Erteilung des betreffenden Befehles, sah sich das k. u. k. Kriegsministerium veranlasst, den Kaiser um Aufhebung dieser Order zu ersuchen. Einmal mehr verwies die 10. Kriegsgefangenenabteilung auf die kontraproduktive Wirkung solcher Maßnahmen, schilderte aber die Behandlung der eigenen Gefangenen in Italien als durchaus zufriedenstellend. Man versorge sie überdies dort besser, als man hierzulande dazu hinsichtlich der Feindsoldaten im Stande sei. Insgesamt 212 Behandlung der Kgf. ÖStA KA KM 10. KgA 1916: 10-125/68, Kt. 1387. 213 Mißhandlung von Kgf., Oktober 1916. ÖStA KA KM 10.  KgA 1916: 10-125/58-2, Kt. 1387. 214 Der Umstand, dass im Habsburgerreich vor allem zu Beginn des Krieges scheinbar besonders komfortable Unterkünfte für kriegsgefangene Offiziere bereitgestellt wurden, hob zudem deren auch in der HLKO festgelegte privilegierte Stellung hervor.

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konstatierte das Ministerium eine alles in allem kooperative Haltung Roms. Explizit festgehalten wurde auch: „Die von uns geübte Praxis, italienische Kriegsgefangene unmittelbar hinter der Front zu mehr oder weniger mit den Kriegsoperationen in direktem Zusammenhang stehenden Arbeiten zu verwenden, wurde noch nicht mit Repressalien beantwortet.“215 Die Verweigerung des Handschlages indessen würden italienische Offiziere als „schwere Ehrenkränkung bitter empfinden“.216 Das betraf offenbar auch die verweigerte Erlaubnis, „Spaziergänge gegen Ehrenwort zu unternehmen“. Zumindest im Lager Braunau in Böhmen war diese Einschränkung für italienische Offiziere noch im Januar 1918 in Kraft. Die betreffende Verfügung stand „in peinlichem Gegensatze zu den russischen Offizieren“, denen gemäß HLKO solche Spaziergänge, die in der Regel dem Erwerb von Esswaren und anderen Utensilien dienten, gestattet wurden.217 Für eine diskriminierende Behandlung von kriegsgefangenen Offizieren aus Rumänien fehlen klare bzw. aktenbasierte Belege – obwohl ähnlich wie in Bezug auf Italien auch hinsichtlich des rumänischen Kriegseintrittes auf Seiten der Entente von „Treulosigkeit“ gesprochen wurde. Das k. u. k. Kriegsministerium wies indessen Vorwürfe der rumänischen Regierung, die eine „minder bevorzugte“ Behandlung rumänischer Gefangener betrafen, zurück. Gleichzeitig wurde eingeräumt, dass eine „gewisse Erbitterung höheren Grades“ angesichts des Kriegseintrittes Rumäniens auf Seiten der gegnerischen Mächte gerade am Beginn des Konfliktes vorhanden gewesen war. Die „Erbitterung“ traf, wenn nicht rumänische Offiziere, dann wenigstens rumäni215 K. u. k. Kriegsministerium an den Kaiser, 7.3.1917. ÖStA KA MKSM 1917: 69-9/ 27, Kt. 1319. 216 Ebd. Aufgrund der „zwischen der Bevölkerung Österreich-Ungarns und Italiens herrschenden Animosität“ sah im Übrigen auch der amerikanische Botschafter Frederic C. Penfield eine besondere Verpflichtung zur Objektivität bei der Visitierung von italienischen Kriegsgefangenen. Sein Bericht über das Lager Mauthausen vom März 1916 fiel bis auf Beanstandungen hinsichtlich der Qualität des Brotes im Großen und Ganzen positiv aus. Auch Vorwürfen hinsichtlich der Misshandlung von Gefangenen ging er nach, wobei der zuständige Lagerkommandant versicherte, dass derartige Vorkommnisse die Bestrafung der Täter zur Folge hätten. Hinsichtlich der Situation der Offiziere kam er zu dem Schluss, dass man sie „physisch nicht schlecht“ behandelte, „moralisch aber wohl“. Die Verweigerung des Handschlages durch österreichisch-ungarische Offiziere erwähnten die italienischen Offiziere in diesem Zusammenhang offenbar explizit. Dass Penfield seine Neutralität hinsichtlich der Inspektion des Mauthausener Lagers hervorhob, hatte wohl auch etwas mit der wachsenden Unzufriedenheit der k. u. k. Behörden mit der US-Tätigkeit für die eigenen Staatsbürger in Russland zu tun. Vgl. Abschrift zur Besichtigung des Lagers Mauthausen, 29.2.1916. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Krieg 1914–1918 Dep. 7 Kriegsgefangene-Italien, Kt. 426. 217 Vgl. Fürsorge-Komitee des Roten Kreuzes für Kriegsgefangene an das k. u. k. Kriegsministerium, 16.1.1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-138/1, Kt. 2223.

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sche Mannschaftsangehörige. Seitens des Kriegsministeriums eingeräumt wurde in jedem Fall eine „gewisse Beschränkung in der Kostmenge“ für die gefangenen Rumänen, die allerdings der allgemeinen Lage zugeschrieben wurde. Die „rumänische Regierung“, so das Kriegsministerium in Wien in einem Schreiben an das k. u. k. Ministerium des Äußern, „wird es […] erklärlich finden müssen, dass in einem Staat, in welchem durch völkerrechtswidrige Massnahmen der Gegner jedermann schwere Entbehrungen auferlegt sind, solche auch den feindlichen Kriegsgefangenen nicht gänzlich erspart werden sollen und können“.218 Aufgrund der Streichungen in diesem Schreiben des Kriegsministeriums ist darauf zu schließen, dass das k. u. k. Ministerium des Äußern nicht geneigt war, die rumänische Regierung mit dem Hinweis auf die „gewisse Erbitterung höheren Grades“ zu behelligen. Details weiterzugeben gedachte man womöglich auch in einer anderen Angelegenheit nicht. Die lakonische Form einer vom k. u. k. Kriegsministerium seitens des AOK eingeforderten Stellungnahme zur angeblich hohen Sterberate unter rumänischen Kriegsgefangenen in Albanien lief zweifellos darauf hinaus, dass tatsächlich von zahlreichen Opfern ausgegangen werden musste. Der Arbeitseinsatz in Albanien, wo u. a. die Malaria grassierte, die sich zu einem enormen Problem für die k. u. k. Truppen ausgewachsen hatte219, war unter den Kriegsgefangenen gefürchtet.220 80 Prozent der Erkrankungen unter den in Albanien bzw. im Bereich des 19. Korps eingesetzten k. u. k. Soldaten gingen auf Malariainfektionen zurück. Eine weitgehende Abschottung dieses Gebietes war ab Oktober 1917 erwogen worden, um die Ausbreitung der Infektionen zu verhindern. Aus Albanien sollte eine „sich selbst erhaltende militärische Enklave gemacht werden“.221 Berichte über trostlose Verhältnisse in Albanien hatten offenbar auch die rumänische Regierung erreicht. Das AOK erwiderte auf Anfrage des Kriegsministeriums lapidar, dass die Mortalität unter den Rumänen in Albanien nicht höher sei als unter den dort im Einsatz befindlichen „eigenen“ Arbeiterkompagnien. Misshandlungen seien überdies nicht den österreichisch-unga218 K. u. k. Kriegsministerium an das k. u. k. Ministerium des Äußern, 26.10.1917, Zl. 102825. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Dep. 7 Kriegsgefangene-Varia, Kt. 435. 219 Aufschlussreich in diesem Zusammenhang: Thomas Edelmann, Von Impfaktionen und medikamentöser Behandlung. Die k. u. k. Armee im Kampf gegen Cholera, Blattern und Malaria im Ersten Weltkrieg, https://blog.hgm.at/2019/07/09/von-impfaktionen-und-medikamentoeser-behandlung/ (abgerufen am 22.4.2021). 220 1918 verfügte das k. u. k. Kriegsministerium die Bereitstellung von insgesamt 2000 Betten in den Lagern Spratzern und Ostffyasszonyfa zur Pflege malariakranker Kriegsgefangener. MA. Nr. 43795/SCh. vom 16.5.1918. Militärkommandobefehl Nr. 122, Pozsony, 18.5.1918, ÖStA KA Terr Befehle, 5. K., Pozsony 1917–1918, Kt. 51. 221 Edelmann, Von Impfaktionen und medikamentöser Behandlung.

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rischen Wachmannschaften anzulasten, sondern gingen – so das AOK – auf das Konto rumänischer „Chargen“.222 Der Einsatz rumänischer Kriegsgefangener beim Bau der „Bagdadbahn“ nährte indessen ebenfalls die Vermutung der rumänischen Regierung, dass ganz grundsätzlich eine „minder bevorzugte[n]“ Behandlung derselben vorlag.223

„… nur die primitivsten Grundsätze der Menschlichkeit …“ Während sich italienische Offiziere in österreichisch-ungarischer Gefangenschaft über den verweigerten Handschlag und andere als diskriminierend wahrgenommene Verhaltensweisen beklagten, befanden auch k. u. k. Offiziere in italienischem Gewahrsam die ihnen zuteilwerdende Behandlung als „demütigend“. Die „Reichspost“ forderte auf Grundlage verschiedener Meldungen „rücksichtslose Vergeltungsmaßnahmen“. Angeblich waren Offiziere der k. u. k. Armee darüber hinaus misshandelt worden. In der „Reichspost“ zitiert wurde ein Geheimbefehl des italienischen Generalstabschefs Luigi Cadorna: „Den so stolzen österreichisch-ungarischen Offizieren ist auf jede Weise fühlbar zu machen, daß sie besiegte Feinde sind, und ist alles daran zu setzen, ihren Stolz zu brechen.“224 Dass in Bezug auf Italien von österreichisch-ungarischer Seite niemals „zur Anwendung von Repressalien geschritten“ wurde, behauptete das k. u. k. Kriegsministerium im Mai 1918225 – eine Aussage, die vom AOK im selben Jahr indirekt bestätigt wurde, als es forderte, endlich mit entsprechenden Vergeltungsmaßnahmen zu beginnen.226 Tatsächlich hatten die „zahlreichen 222 Stellungnahme des k. u. k. Kriegsministeriums auf Grundlage der Auskunftserteilung des AOK, 10. Kgf.-Abt. an das Ministerium des Äußern, 11.11.1917, Zl. 16343. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Dep. 7 Kriegsgefangene-Varia, Kt. 435. 223 Übersendung von Depositen für die rumänischen Kriegsgefangenen bei der „Bagdadbahn“ an das k. u. k. Konsulat Aleppo, Zl. 75276/1917. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Dep. 7 Kriegsgefangene Varia, Kt. 435. Der Türkei überlassen wurden im Übrigen auch 2000 serbische Kriegsgefangene, deren „widmungsgemäße Verwendung“ von k. u. k. Seite angeblich genau beobachtet wurde. Vgl. Bericht aus Konstantinopel, 17.3.1918. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 19 l-z Kriegsgefangene, Kt. 940, Fol. 581. Im Juni 1918 erhob die serbische Regierung Einspruch gegen eine derartige Verwendung der serbischen Gefangenen. Sie seien, hieß es, der Türkei überlassen worden, wobei aber der Großteil von ihnen dort für „deutsche Behörden“ arbeiten würde. Ihre Lage wurde als „schrecklich“ beschrieben. Telegramm, Korfu, 30.6.1918. Arhiv Srbije (AS), MID, Pol. F. 1, Pov. R. 1211/1918. 224 Reichspost, 3.7.1918, 2. 225 K. u. k. Kriegsministerium an Seine Exzellenz Graf Spiegelfeld, 4.5.1918. ÖStA KA MKSM 1918: 69-9/44, Kt. 1382. 226 Vgl. dazu einen umfangreichen Bericht des AOK: K. u. k. Armeeoberkommando betr.

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Rekriminationen“ der österreichisch-ungarischen Heeresverwaltung an die italienische Regierung „beinahe stets ein negatives Resultat“ gezeitigt und „bloß einen zwecklosen Federkrieg“ hervorgerufen. Zu diesem Ergebnis war das Kriegsministerium bereits 1917 gelangt.227 Und an diesem Standpunkt festzuhalten gedachte es auch im Frühjahr 1918, als es in einem Verschlussakt Dutzende, als charakteristisch bezeichnete Beispiele für eine „vorsätzlich geübte unhumane und unwürdige Behandlung der ö.-u. Kgf., speziell der ö.-u. Offi­ziere“, anführte.228 Gegenüber der italienischen Regierung wurde überdies klargestellt, dass man die „konstante Verhetzung der italienischen Presse wegen angeblich unhumaner Behandlung der Kgf.“ in Österreich-Ungarn und die daraus resultierende Forderung nach „Übung von Repressalien“ im Auge behalte. Rom wurde daran erinnert, dass sich in diesem Fall aus „reziproken Maßnahmen“ in Anbetracht der jeweiligen Anzahl von Gefangenen ein „potenziertes Verhältnis ergeben würde“.229 Dass indessen Regelwidrigkeiten in der Gefangenenbehandlung bei Weitem nicht nur darauf beschränkt blieben, die Ehre der Betreffenden anzugreifen, ist nicht zuletzt am russischen Beispiel vorzuführen. Auf österreichische-ungarischer Seite verhärtete sich offenbar auf Grundlage der eingegangenen Kriegsgefangenenpost schon früh der Eindruck, wonach Soldaten der eigenen Armee in russischem Gewahrsam auf verschiedene Art und Weise Misshandlungen widerfuhren, während Feindsoldaten aus dem Zarenreich im Habsburgerreich regelrecht „verhätschelt“ würden.230 Auch

227 228 229 230

Behandlung österreichisch-ungarischer Kriegsgefangener in Italien. ÖStA KA Chef d EW 1918: 19-15, Kt. 108. Referatbogen für die Militärkanzlei Seiner Majestät, 23.3.1917. ÖStA KA MKSM 1918: 69-9/33, Kt. 1382. K. u. k. Kriegsministerium betr. Behandlung österr.-ung. Kriegsgefangener in Italien, 1.4.1918. ÖStA KA MKSM 1918: 69-9/33, Kt. 1382. Behandlung italienischer Kgf. in Ö.-U., März 1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10125/30, Kt. 2223. K. u. k. Kriegsministerium, Präs. Nr. 44.858 an das k. u. k. Ministerium des Äußern, 27.10.1914. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Kriegsgefangene 1914–1918 Dep. 7 Kriegsgefangene-Russland, Kt. 408. Die von russischer Seite aufgezeigte Misshandlung und Tötung russischer Kriegsgefangener, noch bevor sie gewissermaßen regulär in Gewahrsam genommen beziehungsweise entsprechenden Sammelstellen zugeführt wurden, dürfte teilweise ebenfalls in Zusammenhang mit der kolportierten schlechten Behandlung der eigenen Männer in Gefangenschaft gestanden sein. Erwähnung in einer Broschüre über Verfehlungen im Umgang mit gefangenen Russen fand beispielsweise die Tötung von Kosaken durch k. u. k. Soldaten. Kosaken galten im Umgang mit Kriegsgefangenen als besonders brutal. Im dokumentierten Fall ließen die betreffenden k. u. k. Soldaten die gefangengenommenen Kosaken nach stundenlangen Misshandlungen frei, um sie dann gewissermaßen als Flüchtende mit Schusswaffen niederzustrecken. Eines der Opfer, das fälschlicherweise für tot gehalten wurde, traf schließlich auf eigene Einheiten

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Erzherzog Friedrich meinte im Juni 1915, dass die Gefangenenlager in der k. u. k. Monarchie „einen begehrenswerten Aufenthaltsort bilden“, wohingegen „unsere Offiziere und Mannschaften in Elend und Not verkümmern“.231 Daraus ergab sich folgende Konsequenz: Da meine wiederholten Bemühungen im Wege des k. u. k. Ministeriums des Äussern, unseren Kriegsgefangenen ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, ohne Erfolg geblieben sind, habe ich das k. u. k. Kriegsministerium aufgefordert, bei der Unterkunft, Verpflegung und Behandlung der russischen Kriegsgefangenen nur die primitivsten Grundsätze der Menschlichkeit walten zu lassen.

Es liege auf der Hand, dass die „hierorts internierten Kriegsgefangenen keine Schuld“ an der schlechten Behandlung der eigenen Soldaten in Russland trügen, umgekehrt aber sei – sinngemäß – reziprokes Vorgehen angebracht.232 Fehlende Definitionen zur Eingrenzung von Vergeltungsmaßnahmen im Kriegsvölkerrecht ebenso wie durchaus widersprüchliche Äußerungen und Befehle seitens des AOK oder anderer Armeeinstanzen in Sachen Kriegsführung eröffneten in jedem Fall einen weiten Handlungsspielraum. Während etwa am Kriegsschauplatz Balkan noch im August 1914 einem „Wettbewerb“ der Gräueltaten von k. u. k. Seite eine Absage erteilt wurde und Befehle ergingen, die einer Deeskalation der Kriegsführung dienen sollten233, waren umgekehrt die Armeespitzen durchaus bereit, genau diesen „Wettbewerb“ zu praktizieren – nicht zuletzt in der Frage von Vergeltungsmaßnahmen in Bezug auf die Kriegsgefangenen. Gerade auch der Generalstabschef vollzog bei seinen Ideen zur Behandlung des Gegners immer wieder bemerkenswerte Richtungswechsel. An aggressiven Aussagen fehlte es jedenfalls nicht.234 Im März 1915 sorgte die Androhung, „je zwei russische[r] Gefangene[r] für die wegen Besitzes [von] Ü-Munition erfolgte Hinrichtung eines österrei­ chisch-ungarischen Soldaten“235 erschießen zu lassen, für einen regen Briefund gab später den Vorfall zu Protokoll. Vgl. Schmitz, „Als ob die Welt aus den Fugen ginge“, 309. 231 Standort des AOK, 21.6.1915. ÖStA KA MKSM 1915: 69-9/7-5, Kt. 1189. 232 Ebd. 233 Broschüre 1915/16. RGVIA f. 2003 op. 2 d. 9 l. 126; Schmitz, „Als ob die Welt aus den Fugen ginge“, 309. 234 Vgl. Jonathan Gumz’ Ausführungen bezüglich Conrads ursprünglicher Pläne für ein „Verhungernlassen“ der serbischen Bevölkerung, von denen er schließlich Abstand nahm. Gumz, The Resurrection and Collapse of Empire, 145–159. 235 Telegramm Graf Thurn, Teschen, 1.3.1915, Nr. 382. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Krieg 1914–1918 Dep.  7 Friedensverhandlungen mit Rußland, Völkerrechtliche Fragen,

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verkehr zwischen den militärischen Instanzen des Habsburgerreiches und den k. u. k. Diplomaten. Nach Meinung des AOK standen nunmehr als Gefangene eingebrachte russische Soldaten, die im Besitz von sogenannten „Dumdum- oder Ü-Munition“ angetroffen wurden, ganz grundsätzlich „ausserhalb des Völkerrechtes“ und waren daher zu „erschiessen“ beziehungsweise „auf der Stelle niederzumachen“.236 In dieser Frage bestand ganz offensichtlich Einigkeit mit deutschen Instanzen. Dort existierte ein diesbezüglicher Armeebefehl seit dem Februar 1915.237 Offenbar aber hatten tatsächlich einige k. u. k. Soldaten von der angesprochenen „Ü-Munition“, die lediglich dem „Einschießen“ dienen sollte, im Kampf gegen russische Soldaten Gebrauch gemacht. Dieser Umstand irritierte die Diplomaten in Wien ebenso wie Indizien, wonach die Russen offenbar Dumdum-Munition österreichisch-ungarischer Provenienz verwendeten. Diese sei, wurde seitens des Vertreters des k. u. k. Ministerium des Äußern beim AOK angenommen, bei Kriegsbeginn erbeutet worden. In jedem Fall war, so die Auskunft an den Ballhausplatz, der Gebrauch von Ü- beziehungsweise „Scheibenschieß“-Munition selbstverständlich streng untersagt und diesbezügliche Order wiederholt ausgegeben worden. Im Zuge des betreffenden Schriftverkehrs klärte allerdings namentlich Erzherzog Friedrich darüber auf, dass es sich realiter um eine für die Kriegsführung unverzichtbare „Einschiessmunition“ gehandelt habe, die lediglich dem raschen „Ermitteln von Schussdistanzen“ diene und nur für „tote Ziele“ Anwendung finden würde.238 Ein gänzliches Verbot dieser, wie es hieß, „Explosivgeschosse“, sei keineswegs zielführend. Im GegenKt. 377. Die Erprobung von Munition wurde im Übrigen in einem anderen Kontext zum Gegenstand von Vorwürfen hinsichtlich der angeblichen Tötung von Kriegsgefangenen. Darin ging es um die Behauptung, wonach im böhmischen Lager Brüx kriegsgefangene Russen „als lebende Ziele verwendet würden“, um „an ihnen die Durchschlagskraft unserer Gewehrgeschosse zu erproben“. Derartige Anschuldigungen wies das Kriegsministerium nicht nur als absurd zurück, sondern lud den spanischen Botschafter auch gleich ein, sich von den Zuständen in Brüx selbst ein Bild zu machen Die Visitierung des Lagers erbrachte zufriedenstellende Ergebnisse. Die Befragung der russischen Gefangenen führte zu keiner Bestätigung der betreffenden Vorwürfe und veranlasste den spanischen Botschafter, vielmehr dafür Sorge zu tragen, dass die russische Seite von der „überall zuteil werdende[n] humanen Behandlung“ der Gefangenen im Habsburgerreich informiert werde. Generalkonsul Wippern an das k. u. k. Ministerium des Äußern, 20.6.1915. ÖStA KA KM 10. Abt. 1915: 10-82/22, Kt. 992. 236 Völkerrechtswidrige Geschosse, Einsichtsakt, Februar 1915, Zl. 30527/7 ex. 1915. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Krieg 1914–1918, Dep. 7 Friedensverhandlungen mit Rußland, Völkerrechtliche Fragen, Kt. 377 237 Lieb, Der deutsche Krieg im Osten, 475. 238 Erzherzog Friedrich an den k. u. k. Minister des Äußern, 6.3.1915. Zl. 30527/7 ex 1915. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Krieg 1914–1918 Dep. 7 Friedensverhandlungen mit Rußland, Völkerrechtliche Fragen, Kt. 377.

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teil sei im „Interesse der Kampfkraft eine beträchtliche Dotation wünschenswert“. Friedrich gab überdies in Anbetracht vorhandener Befürchtungen seitens des Außenministeriums hinsichtlich Repressalien der Russen zu bedenken, „dass wohl alle Grundsätze des Völkerrechts von unseren Gegnern ständig in skrupelloser Weise verletzt“ worden seien. Dumdumgeschoße würden täglich schwere Verletzungen verursachen, Gefangene und Verwundete beraubt und „chargenmässige Gebühren“ nicht ausgezahlt oder Verpflegung vorenthalten. Russische Soldaten würden in k. u. k. Uniformen oder gar in „Weiberkleidern“ hinterhältige Angriffe vollführen und verschiedene Flugblätter die k. u. k. Truppen und die heimische Bevölkerung zu Hochverrat anstiften. Trotz seiner Überzeugung, wonach an der Ü-Munition festzuhalten sei, schränkte der Erzherzog aber ein, dass eine „weitere Verschärfung des Verhältnisses zum Gegner durch Repressalien“ vom Armeeoberkommando keinesfalls beabsichtigt werde.239 Das Außenministerium wiederum war ebenfalls der Meinung, dass Russland nicht völkerrechtskonform handelte. Andererseits aber sollte, wie es hieß, das eigene Verhalten in Richtung eines „ohne Hemmungen“ geführten Kampfes nicht auch noch beispielgebend wirken oder dem Gegner Rechtfertigungen für eigene Verfehlungen liefern. „Ein solcher Zustand des rücksichtslosesten Kampfes“ drohe nun „zwischen England und Deutschland“ als Resultat des „Unterseebootkrieg[es]“. Österreich-Ungarn aber habe kein Interesse daran, dass „eine derartige Verschärfung des Krieges auch zwischen uns und Rußland beziehungsweise Serbien eintrete, zumal ja dies unseren Feinden mit ihren barbarischen Methoden viel mehr zugute kommen müßte als uns“.240 Solche Mahnungen blieben aber offenbar in Zusammenhang mit der Tötung oder zumindest angedrohten Erschießung von russischen Gefangenen, die Dumdumgeschoße verwendet hatten, ohne Wirkung.241 Außerdem hatte General Hermann Kusmanek von Burgneustädten bereits Ende Januar 1915 – also bevor sich das Außenministerium mit dem Fall beschäftigte – den russischen Gegner wissen lassen, dass im Fall der Exekution eines k. u. k. Soldaten, der Dumdumgeschosse verwendet hatte, zwei russische Kriegsgefangene exekutiert würden.242

239 Ebd. 240 K. u. k. Ministerium des Äußern Zl. 1385 ex 1915. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Krieg 1914– 1918 Dep. 7 Friedensverhandlungen mit Rußland, Völkerrechtliche Fragen, Kt. 377. 241 Lieb, Der deutsche Krieg im Osten, 475. 242 Alexander Watson fügt allerdings auch hinzu, dass kein Zweifel daran bestand, dass auf österreichisch-ungarischer Seite verbotene Munition verwendet wurde. Watson, The Fortress, 172.

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Die Haltung des Außenministeriums, das um Zurückhaltung bemüht war, erhielt im Übrigen auch in der Presse Unterstützung. Noch im Dezember 1914 mahnte der Reichsratsabgeordnete Josef von Baechlé in einem Zeitungsartikel dazu, im Umgang mit den Feinden Besonnenheit an den Tag zu legen. In Anbetracht der eigenen höheren Kulturstufe müsse Unrecht eher erduldet als vergolten werden: „Die aus dem gewöhnlichen Menschengefühl quellenden Rufe nach Retorsion und Repressalien, so begreiflich sie auch seien, mögen also ungehört verhallen!“243

„… schon wegen unseres höheren Kulturstandes …“ Das k. u. k. Kriegsministerium schreckte trotz bereits von Beginn an feststellbarer Präferenzen hinsichtlich eines moderaten Umganges mit Vergeltungsmaßnahmen vor eindeutigen Positionierungen zurück. Auf der einen Seite stand das Gutheißen von Repressalien mit Blick auf dadurch womöglich doch zu erreichende Erfolge, auf der anderen Seite die Ablehnung derselben, um u. a. dem Prestige der Habsburgermonarchie nicht zu schaden oder das Auslösen eines schwer kontrollierbaren Automatismus wechselseitiger Übergriffe zu verhindern.244 Dass sich diese tendenzielle Zurückhaltung beispielsweise gegenüber Russland auch aus der Angst vor einer eventuell noch intensiveren Propaganda des Zarenreiches (und schließlich der Provisorischen Regierung) unter den slawischen Kriegsgefangenen der k. u. k. Armee speiste, erscheint fraglich. Obwohl man bei den k. u. k. Heeresstellen aufgrund der 243 Neuigkeits-Welt-Blatt, 10.12.1914, 10. 244 Es brauchte Rechtfertigungen, wenn Gegensanktionen dann doch als probates Mittel erachtet wurden, um kritisierte Missstände auf feindlicher Seite womöglich abzustellen. Im Mai 1915 sollte beispielsweise auf Weisung des k. u. k. Kriegsministeriums allen Gefangenen in österreichisch-ungarischem Gewahrsam verlautbart werden, dass in ihren Herkunftsstaaten k. u. k. Soldaten vielfach schlechten Bedingungen unterworfen seien. Auch auf Misshandlungen von Offizieren sollte hingewiesen werden. Seinerseits aber fand es das Kriegsministerium „unter seiner Würde“, mit vergleichbaren Maßnahmen gegenüber den Feindsoldaten Vergeltung zu üben und dadurch geltendes Völkerrecht zu verletzen. Dann aber folgte sogleich eine zuwiderlaufende Anordnung. Explizit den russischen Kriegsgefangenen war anzukündigen, dass Gegenmaßnahmen nach Ablauf einer mehrwöchigen Frist in Bezug auf die Behandlung kriegsgefangener Offiziere der Zarenarmee nunmehr auch im Habsburgerreich in Kraft treten würden. K. u. k. Offizieren seien nämlich in russischer Gefangenschaft Rangabzeichen sowie Kokarden abgenommen worden. Im Bedarfsfall sollte es gefangenen russischen Offizieren genauso ergehen. Vgl. KM Erlass Abt. 10, Nr. 35.220 vom 28.5.1915. Militärkommando-­Befehl Nr. 50, 7.6.1915. ÖStA KA Terr Befehle, 14. K., Innsbruck 1914–1916, Kt. 92.

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zensurierten Gefangenenkorrespondenzen aus Russland bereits relativ früh über diesbezügliche Maßnahmen der zarischen Instanzen orientiert war245, erschloss sich erst allmählich ein einigermaßen klares Bild von den Vergünstigungen, die slawischen k. u. k. Soldaten zugestanden werden sollten. Vor allem der bevorzugte Einsatz von für zuverlässiger gehaltenen slawischen k. u. k. Kriegsgefangenen im Frontbereich relativierte darüber hinaus deren kolportierte bessere Behandlung gegenüber deutschen und ungarischen Soldaten in russischer Gefangenschaft.246 Außerdem ergab sich aus unterschiedlichen Quellen ein recht vielschichtiger Eindruck vom illoyalen, aber eben auch sehr wohl loyalen Verhalten slawischer Soldaten in Gefangenschaft.247 Wenngleich es unzweifelhaft innerhalb der Armee Kräfte gab, die eine Negativzeichnung vor allem tschechischer Soldaten als potentielle Verräter vorantrieben, und ganz allgemein Vorbehalte gegenüber Slawen wuchsen, dürften diesbezügliche Auswirkungen auf die Kriegsgefangenenpolitik marginal gewesen sein. Die mehrfach geäußerte Skepsis des Kriegsministeriums in Hinblick auf die Wirkung von Repressalien gegenüber Russland kann jedenfalls nur sehr bedingt in Zusammenhang mit Befürchtungen Österreich-Ungarns hinsichtlich einer nationalen Propaganda unter den slawischen Gefangenen der österreichisch-ungarischen Armee gebracht werden.248 Darüber hinaus stand Russland in Hinblick auf die propagandistische Beeinflussung von k. u. k. Kriegsgefangenen bestimmter Nationalitäten bis hin zu ihrer Einreihung in die feindliche Armee nicht allein da.249 Das AOK strebte zudem ganz 245 Vgl. z. B.: K. u. k. AOK K. Nr. 4944, betr. Behandlung der Gefangenen, Standort des AOK, 21.2.1915. ÖStA KA KM 10. Abt. 1915: 10-7/4-10, Kt. 948. Dazu auch: Streeruwitz, Springflut, 133. 246 Vgl. Nachtigal, Rußland und seine österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen, 157. 247 Vgl. ebd., 114. 248 Vgl. ebd., 97. Erst ab 1916/17, als die Anwerbung von k. u. k. Kriegsgefangenen für die „česka družina“ beziehungsweise das „tschechoslowakische Schützenregiment“, die „Schützenbrigade“ und schließlich die „Tschechoslowakische Legion“ immer größere Ausmaße annahm und unter der Provisorischen Regierung der Einsatz von Freiwilligen der k. u. k. Armee im Rahmen der Kerenskij-Offensive realisiert wurde, wurde dieses Faktum in die Erwägungen der k. u. k. Kriegsgefangenenpolitik verstärkt integriert. Selbiges gilt für die Rekrutierung gefangener Südslawen durch Russland, die zwar unter anderen Bedingungen erfolgte als jene der Tschechoslowaken, aber ebenfalls erst ab 1916 Anlass zu weiterreichenden Erörterungen auf österreichisch-ungarischer Seite gab. Dazu ausführlich Nachtigal, Rußland und seine österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen, 221–292. 249 Vgl. dazu etwa: Öst.-ung. Kriegsgefangene rumänischer Zunge in Rußland und deren Einreihung in die rumänische Armee. ÖStA HHStA MdÄ PA I Liasse Krieg 19 l-z Kriegsgefangene, Kt. 940, Fol. 514–572. Vgl. auch: Reinhard Nachtigal, Privilegiensystem und Zwangsrekrutierung. Russische Nationalitätenpolitik gegenüber Kriegsgefangenen aus Österreich-Ungarn, in: Jochen Oltmer (Hg.), Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006, 167–193.

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grundsätzlich keinen Repressalienverzicht an und forderte vielmehr analoge Vorgehensweisen hinsichtlich einer Propaganda unter Kriegsgefangenen bestimmter Nationalitäten des Russländischen Reiches.250 Überlegungen, wonach Vergeltungsmaßnahmen mit Vorsicht einzusetzen waren, gab es abseits davon in Österreich-Ungarn ganz offensichtlich bereits seit Kriegsbeginn. Im Vordergrund standen dabei völkerrechtliche Bedenken sowie die Sorge um das Prestige des Habsburgerreiches oder die Überzeugung, einer angeblich überlegenen moralischen Haltung Ausdruck verleihen zu müssen. Hinzu kam die Einschätzung, wonach ein als unfähig klassifizierter russischer Staatsapparat generell nicht imstande war, die Lage der Kriegsgefangenen im eigenen Land zu kontrollieren, was Repressalien in ihrer Wirkung a priori zu neutralisieren drohte. Dieses Urteil verfestigte sich insbesondere als Folge der bereits erwähnten sogenannten „Schwesternreisen“251. Die Delegierten der Mittelmächte machten im Zuge dieser Inspektionen als Ursache diverser Missstände im Gefangenenwesen weniger bösen Willen als vielmehr als typisch identifizierte Defizite des russischen Charakters aus.252 Schlampigkeit oder Gleichgültigkeit wurden in diesem Zusammenhang ebenso angeführt wie ein angeblich notorischer Hang zu Korruption.253 Dass innerhalb des Militärs im Habsburgerreich die Meinungen über Repressalien und deren Einsatz auseinandergingen, lässt sich freilich auch am russischen Beispiel festmachen. Darüber hinaus zeigten sich Schwankungen in der Bewertung von Repressalien nicht zuletzt dann, wenn sich anscheinend positive Konsequenzen aus Vergeltungsmaßnahmen ergaben.254 In Summe än250 Vgl. K. u. k. AOK K. Nr. 4944, betr. Behandlung der Gefangenen, Standort des AOK, 21.2.1915. ÖStA KA KM 10. Abt. 1915: 10-7/4-10, Kt. 948. 251 Dazu: Reinhard Nachtigal, Die dänisch-österreichisch-ungarischen Rotkreuzdelegierten in Rußland 1915–1918. Die Visitation der Kriegsgefangenen der Mittelmächte durch Fürsorgeschwestern des österreichischen und ungarischen Roten Kreuzes, in: Zeitgeschichte 25-11/12 (1998), 366–374. 252 Vgl. Nachtigal, Rußland und seine österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen, 119. 253 Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes wiederum, die Inspektionen in russischen Lagern vornahmen, konnten sich davon überzeugen, dass mit Hinweis auf die deutsche Repressalienpraxis Gefangene aus Österreich-Ungarn im Unterschied zu Kriegsgefangenen aus Deutschland keinen Beschränkungen im Postverkehr unterworfen waren. Plen glazami očevidcev 1914–1918. K 100-letiju okončanija Pervoj Mirovoj Vojny. Dokumenty i fotografii. Doklad F. Tormeijera i d-ra F. Ferr’era mladšego (členov delegacii Meždunarodnogo Komiteta Krasnogo Kresta) ob ich poseščenii lagerej voennoplennych v Rossii (oktjabr’ 1915 g.-fevral’ 1916 g.), Moskva 2018/Petrograd 1916, 69 (77). Es handelt sich um einen Wiederabdruck des Berichtes aus dem Jahr 1916. 254 Das war beispielsweise in Zusammenhang mit dem Einsatz von deutschen und k. u. k. Kriegsgefangenen an der Murmanbahn der Fall, wo die Arbeitsbedingungen beson-

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ders schlecht waren und viele Gefangene an Krankheiten zugrunde gingen. Während Deutschland Repressalien anwandte, um eine Verbesserung des Loses der Gefangenen beziehungsweise deren Abtransport zu erwirken, enthielt sich Österreich-Ungarn solcher Schritte. Als nun 1917 der Zar explizit die Evakuierung deutscher Gefangener ankündigte, regten sich Zweifel an der eigenen Haltung hinsichtlich eines Repressalienverzichtes. Rudolf Freiherr von Slatin (alias Slatin Pascha), ab 1915 im GZNB tätig, meinte schließlich in einem Schreiben an das Kriegsministerium: „Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Erklärung der russischen Regierung, es seien nur Deutsche abtransportiert worden, uns gegenüber eine Handhabe zur Durchsetzung der jüngst gestellten Forderungen nach Aufhebung der Anbindungsstrafe, sowie Aenderung in der Behandlung bei Fluchtversuchen im Gebiete der Armee“ darstellen solle. Schreiben Slatins an das k. u. k. Kriegsministerium, 29.1.1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-7/7-35, Kt. 1429. Das Kriegsministerium forderte nunmehr von Russland ebenfalls den Abtransport österreichisch-ungarischer Gefangener und kündigte nach Ablauf einer festgesetzten Frist den „Beginn schwerer, sich sukzessive steigernder Retorsionen“ an. Österreichisch-ungarische Kgf. bei der Murmanbahn, Februar 1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-7/7-35, Kt. 1429. Im März 1917 wurde das Kriegsministerium über die dänische Gesandtschaft in Petrograd informiert, dass der Zar auch den Abtransport der österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen verfügt habe. GZNB an das k. u. k. Kriegsministerium, 6.3.1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-7/7-102, Kt. 1429. Als kurze Zeit später, inmitten des revolutionären Umbruches in Russland, die Nachricht vom Abtransport auch der k. u. k. Soldaten von der Murmanbahn eintraf, ließ allerdings das Dänische Rote Kreuz wissen, dass die Drohung Wiens, Repressalien anzuwenden, keineswegs „für das Resultat in der Murman-Sache […] mitwirkend“ gewesen sei. GZNB an das k. u. k. Kriegsministerium, 15.3.1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-7/7-114, Kt. 1429. Zudem zeigte sich in den Folgemonaten, dass keineswegs alle Gefangenen evakuiert worden waren. Unterschiedliche Signale kamen als Folge des Umsturzes in Russland für die weitere Haltung zu Repressalien seitens der neuen Machthaber. Dass der Petrograder Arbeiter- und Soldatenrat diese ablehnte, beeindruckte Slatin wahrscheinlich mehr als seine Ansprechpartner im Kriegsministerium in Wien. Laut Zeitungsbericht sollte nach Wunsch des Arbeiter- und Soldatenrates das Motto „sie plagen die Unsrigen, lasst uns auch die Ihrigen plagen“ in der Gefangenenbehandlung nicht mehr gelten. Fürsorge-Komitee des Roten Kreuzes für Kriegsgefangene an das k. u. k. Kriegsministerium, 30.6.1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-7/7-266, Kt. 1429. Als schließlich Nachrichten eintrafen, wonach nicht einmal die deutschen Gefangenen von der Murmanbahn abgezogen wurden, sondern vielmehr ein Zuschub neuer Gefangenenkontingente erfolgte, machte das Kriegsministerium erneut einen Schwenk in Richtung anzuwendender Vergeltungsmaßnahmen – ungeachtet der Warnungen von dänischer Seite. Der Diplomat Harald Scavenius gab sich als entschiedener Gegner von Repressalien zu erkennen und meinte, diese würden nicht nur keinen Nutzen bringen, sondern im Gegenteil eine Verständigung zur Verbesserung des Gefangenenloses beeinträchtigen. Das Kriegsministerium wollte zwar ad hoc keine Repressalien zur Anwendung bringen, meinte aber: „Die unentschuldbaren Mißstände an der Murmanbahn sind durch Austauschinvalide der Bevölkerung Österreich-Ungarns bekannt und das Kriegsministerium dürfte sich bei Andauer dieser Verhältnisse, Stimmungen nicht verschließen können, welche in der Anwendung strenger Maßregeln die ultima ratia [sic] zur Abhilfe erblicken.“ Lage der österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen an der Murmanbahn, Juli 1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-7/7-268, Kt. 1429. Über Slatin Pascha siehe im Übrigen: Gordon Brook-Shepherd, Slatin Pascha. Ein abenteuerliches Leben, Wien/München/Zürich 1972.

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derte das kaum etwas an der Grundtendenz der Repressalienpolitik des k. u. k. Kriegsministeriums. Das AOK wiederum legte sich zumindest im Rahmen seiner Zuständigkeit für die Kriegsgefangenen bei der A. i. F. ohnehin ein mehr oder weniger eigenes Reglement für die Behandlung der Gefangenen zu. Ungeachtet diesbezüglicher Meinungsverschiedenheiten und trotz der geradezu gebetsmühlenartig vorgebrachten Vorbehalte hinsichtlich der Sinnhaftigkeit von Repressalien wollte das Kriegsministerium aber gegenüber dem AOK nicht den Eindruck erwecken, als wäre seine diesbezügliche Haltung gegenüber den Feindstaaten völlig „zahnlos“. Im Mai 1915 präsentierte man dem Armeeoberkommando eine Art Rechenschaftsbericht. Maßgebend für die Gefangenenbehandlung in Österreich-Ungarn seien, wurde einmal mehr betont, „die Bestimmungen der Haager bzw. Genfer Konvention“, wobei das „Einlangen verbürgter Nachrichten über hievon abweichende Verfügungen der feindl. Regierungen […] als Retorsionsmassnahmen analoge Anordnungen […] zur Folge“ hätten. Aufgezählt wurden in diesem Zusammenhang: „Einstellung der Löhnungsgebühr255, der grundsätzliche Entfall einer besonderen Entlohnung für geleistete Arbeiten, die Rückbehaltung des in unserer Gewalt befindlichen San.[itäts-] Personals“, das Abnehmen von Rangabzeichen bei kriegsgefangenen Offizieren, „die Auflassung“ der Offi­ ziersstationen für serbische Kriegsgefangene und die „Übersiedlung“ der serbischen Offiziere „in ein Kr[iegs-]Gef[angenen-]Lager, die Einführung verschärfter Disziplinarstrafen“, die Verwendung von Gefangenen „zu fortifikatorischen Arbeiten“. Weiters angedacht war offenbar der „Verfall der Depositen bei Fluchtversuchen“. Wieder hervorgehoben wurde aber, dass die „wahllose Anwendung“ von Vergeltungsmaßnahmen kontraproduktiv sei und dass vor allem die russische Regierung sich „völlig gleichgültig“ gegenüber dem Schicksal der eigenen Soldaten in Gefangenschaft verhalte, womit die Erfolglosigkeit von Vergeltung vorprogrammiert sei.256 Solche Einschätzungen wiederum ließen jegliche Mäßigung in Zusammenhang mit der Arbeitsverwendung russischer Gefangener schnell als überflüssig erscheinen. In einer interministeriellen Sitzung „in Angelegenheit der Beschäftigung von Kriegsgefangenen“, die im Juli 1915 stattfand, waren bestehende Einschränkungen für die Verwendung von russischen Gefangenen im Bergbau besprochen worden. Die „Kriegsverwaltung“, hieß es, hatte lediglich 255 Übersichtlich zur Problematik von „Löhnung“, Lohn, Alimentationen bzw. „Gebühren“ sowie „Depositen“ siehe: Franz Wiesenhofer, Gefangen unter Habsburgs Krone. K. u. k. Kriegsgefangenenlager im Erlauftal, Purgstall 1997, 252–261. 256 Abschrift eines Einsichtsstückes des k. u. k. KM vom 19.5.1915 Abt. 10 Nr. 31480, in: Behandlung der Kriegsgefangenen in Russland, Zl. 51306. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Krieg 1914–1918 Dep. 7 Kriegsgefangene-Russland, Kt. 409.

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„die Abgabe von Kriegsgefangenen […] für Arbeiten obtags zugestanden“, weil „befürchtet“ wurde, „daß sonst durch Verwendung österreichisch-ungarischer Kriegsgefangener beim russischen Bergbau Repressalien ausgeübt würden“. Der für den Bergbau zuständige Sektionschef vermochte „diese Empfindung nicht zu teilen“, sondern gab sich vielmehr „überzeugt, daß man sich russischerseits an solche Rücksichtnahme nicht kehren [sic] wird“.257 Während das k. u. k. Kriegsministerium das AOK wissen ließ – wohl als Reaktion auf Vorwürfe hinsichtlich einer allzu milden Linie gegenüber den Feindsoldaten –, dass man sich bei allen die Gefangenen betreffenden Verfügungen lediglich „von deren Zweckmäßigkeit leiten“ lasse und „[p]hilantropische Erwägungen“ hingegen „nicht in Betracht“ kämen258, riet man auch von ziviler Seite zu Vergeltungsmaßnahmen. Auf diese Weise sollte das Los der eigenen Soldaten in Feindeshand verbessert werden. Im Juni 1915 war beispielsweise der ungarische Ministerpräsident István Tisza bezüglich der Behandlung eigener Gefangener in russischer Hand an das k. u. k. Kriegsministerium herangetreten und hatte „Retorsionen“ gegenüber den Feindsoldaten aus dem Zarenreich gefordert. In seiner Replik an Tisza ging das Kriegsministerium nicht auf etwaige „Retorsionen“ ein. Es gab aber zu bedenken, dass „Repressalien nur dann verfügt“ würden, „wenn es sich darum handelt, auf einem genau umschriebenen Gebiet eine auch formell gleichartige Behandlung der Kriegsgefangenen eintreten zu lassen“. Vor einer „weiterreichende[n] Anwendung von Vergeltungsmaßnahmen“ warnte das Kriegsministerium klar. Eine solche würde letztlich den Gefangenen zum Nachteil gereichen, wobei davon „schon wegen unseres höheren Kulturzustandes“ Abstand zu nehmen sei.259

„Rein humane Gesichtspunkte“ Vergeltungsmaßnahmen gegenüber den Gefangenen im Habsburgerreich waren dennoch nicht ohne Weiteres vom Tisch. Am wenigsten aus der Perspektive des AOK. Im letzten Kriegsjahr zeigte sich die Bereitschaft, gegebenenfalls Revanche 257 Protokoll der interministeriellen Sitzung betr. Beschäftigung von Kriegsgefangenen, 6.7.1915. Kärntner Landesarchiv/Klagenfurt (KLA) Landesregierung/Präsidium Zl. 6407 (Kriegsgefangene für gemeinnützige Arbeiten), Kt. 349. 258 Abschrift eines Einsichtsstückes des k. u. k. KM vom 19. Mai 1915, Abt. 10 Nr. 31480, in: Behandlung der Kriegsgefangenen in Russland, Zl. 51306. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Krieg 1914–1918 Dep. 7 Kriegsgefangene-Russland, Kt. 409. 259 K. u. k. KM, Abt. 10, Nr. 41010 res. an Stephan Graf Tisza, 18.6.1915. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Krieg 1914–1918 Dep. 7 Kriegsgefangene-Russland, Kt. 409.

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zu üben, noch einmal deutlich. Da Heimkehrer aus russischer Kriegsgefangenschaft angegeben hatten, dass einige Kameraden „kurzerhand“ erschossen worden waren, um sie an der Rückkehr in die Heimat zu hindern, kündigte das AOK im April 1918 an, für jeden österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen, der auf diese Weise ums Leben gebracht worden war, nach einwandfreier Bestätigung zweier Zeugen „zwei in Öst.-Ung. gefangene Russen ohne vorherige Anzeige an das Volkskommissariat [für auswärtige Angelegenheiten] erschießen“ zu lassen. Das Kriegsministerium, das vor einem „Wiederaufleben der Retorsionstaktik“ warnte, erhob Einspruch und verlangte, die „Erschiessung von Russen unter keinen Umständen ohne vorheriges Einvernehmen […] vornehmen zu lassen“.260 Eine Zurücknahme der Drohung konnte das Ministerium offenbar nicht erwirken. Es erinnerte aber an seinerzeitige „scharfe[n] Maßregeln“ gegenüber russischen Kriegsgefangenen, die „auf den gesamten Kriegsgefangenenschutz einen sehr üblen Einfluß“ ausgeübt hätten.261 „Unterhandlungen von vielen Monaten“, so Ernst von Streeruwitz später, waren erforderlich gewesen, um eine Schlechterstellung von k. u. k. Kriegsgefangenen in Russland als Folge „entstellter Berichte über unser Verhalten gegenüber den russischen Kriegsgefangenen“ abzustellen.262 Das AOK habe allerdings nunmehr, hieß es 1918, „seit mehr als Jahresfrist“ ein enges „Einvernehmen“ mit dem Kriegsministerium gepflogen – ein Weg der Verständigung, dessen Fortsetzung nun in Zweifel gezogen wurde. Immerhin hatte das Armeeoberkommando das Ministerium mit seinem Vorstoß vor vollendete Tatsachen gestellt. In dieser Angelegenheit aber war „das Gebiet der jedem Zweifel entrückten Kompetenz“ des Kriegsministeriums berührt worden.263 Schützenhilfe kam postwendend vom Außenministerium, das auf die Replik des russischen Volkskommissars Georgij Čičerin verwies. Dieser hatte die Ankündigung des AOK betreffend die Erschießung von Unschuldigen und Wehrlosen als „Schandfleck“ bezeichnet und die sofortige Rücknahme der Drohung verlangt.264

260 Erschießungen österr.-ung. Kgf., April 1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-7/7-267, Kt. 2015. 261 Retorsionsandrohung gegenüber den russischen Kgf. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 107/7-351, Kt. 2015. 262 Ernst Streeruwitz, Die Stockholmer Konferenz 1915, in: Hans Weiland/Leopold Kern (Hg.), In Feindeshand. Die Gefangenschaft im Weltkriege in Einzeldarstellungen, Bd. 2, Wien 1931, 331. 263 Retorsionsandrohung gegenüber den russischen Kgf. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 107/7-351, Kt. 2015. 264 Erschießen österr.-ung. Kgf. durch Russen bei Fluchtversuchen. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-7/378, Kt. 2015.

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Auch gegenüber italienischen Kriegsgefangenen forderte das AOK mit Verweis auf die Lage von österreichisch-ungarischen Soldaten in italienischem Gewahrsam noch im Mai 1918 Repressalien ein. Seitens der 10. Kriegsgefangenenabteilung hieß es dazu: Es sei „offensichtlich, daß die ö.-u. Kgf. gewiß einer schikanösen, oft entwürdigenden Behandlung ausgesetzt sind, während die italienischen Kgf. in der Monarchie, wenn dieselben auch unter den die eigene Bevölkerung ebenso hart treffenden Wirkungen der völkerrechtswidrigen Einschließungen der Monarchie ganz besonders leiden, (Nahrung, Todesfälle, Krankheiten infolge Unterernährung, Mangel an Bekleidung etc. etc.), sich dennoch einer von rein humanen Gesichtspunkten geleiteten Behandlung erfreuen.“ Von Repressalien gegenüber den gefangenen Italienern sei abzusehen, da „bezüglich Verpflegung, Bekleidung, ja auch Unterkunft […] wohl schwer noch härtere Verhältnisse geschaffen werden könnten, als sie an und für sich durch die bereits bestehenden gegeben erscheinen“.265 Ungeachtet derartiger, zweifellos vielsagender Einwände waren spätestens ab 1917 Forderungen nach Geltendmachung von Repressalien in Gefangenenangelegenheiten vermehrt aus der Zivilbevölkerung erhoben worden. Als Ausgangspunkt hierfür dienten häufiger werdende Nachrichten über die schlechte Lage der k. u. k. Soldaten vor allem in russischem Gewahrsam. Parallel dazu regte sich Unmut in der Bevölkerung angesichts einer für unzureichend gehaltenen Fürsorgetätigkeit der zuständigen k. u. k. Behörden zu Gunsten der gefangenen Soldaten in gegnerischem Gewahrsam.266 Zu Anfang 1917 sah sich das Kriegsministerium daher veranlasst, in der Presse Stellung zu diversen Vorwürfen in Zusammenhang mit der Gefangenenfürsorge zu nehmen.267 Nach außen verteidigte das Kriegsministerium seine Tätigkeit zu Gunsten der kriegsgefangenen k. u. k. Soldaten als angemessen, intern aber war man offenbar durchaus der Meinung, dass zu wenig geschehen war. Die Verantwortung hierfür sah man aber vor allem beim „k. k. Finanzministerium und dem k. u. Finanzminister“. Warnend hieß es seitens der 10. Kriegsgefangenenabteilung am Ende eines Schreibens an die für das Rechnungswesen zuständige 15. Abteilung des Kriegsministeriums: Wenn nicht Abhilfe geschieht, wird die Verantwortung gegenüber den Kriegsgefangenen, ihren Angehörigen und der Volksvertretung eine sehr

265 Behandlung ö.-u. Kgf. in Italien. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-7/29-97, Kt. 2017. 266 Grundlegend zur Fürsorgetätigkeit Österreich-Ungarns nunmehr: Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen? 267 Gleichlautende Artikel dazu u. a. in: Pester Lloyd, 10.1.1917, 5; Innsbrucker Nachrichten, 23.2.1917, 3; Mährisch-Schlesische Presse, 28.2.1917, 5.

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schwierige sein. Das Ministerium des Äußern verausgabt für die wenigen Zivilinternierten alle Monate schlank 800.000 Rubel268, welche Summe das Kriegsministerium für eineinhalb Millionen österreichisch-ungarischen Kriegsgefangene, welche Hunger und Not leiden und zu Tausenden in Elend verkommen, nicht erlangen kann.269

Ernst von Streeruwitz bezeichnete später den „scharfe[n]Tadel über die Kriegs­gefangenenhilfe“ als gerechtfertigt, wobei er die Bemühungen der 10. Kriegsgefangenenabteilung nichtsdestoweniger als unermüdlichen, aber von oft unüberwindlichen Hemmnissen begleiteten Kampf zum Wohle der Kriegsgefangenen darstellte.270 Vor dem Hintergrund einer öffentlichen Debatte über die Kriegsgefan­ genen­hilfe wurde schließlich auch die Frage einzusetzender Repressalien behandelt: „Die Zuschriften aus dem Publikum“, so die darauf Bezug nehmenden Ausführungen des Kriegsministeriums, „enthalten sehr oft den Ruf nach Vergeltungsmaßnahmen. Diese werden angewendet, wo ein Erfolg zu erwarten ist. Ziel der verantwortlichen Stellen muss es aber sein, maximal Erreichbares zu sichern, nicht aber den Wünschen einzelner, durch das traurige Los kriegsgefangener Familienangehöriger begreiflicherweise aufgeregter Personen, die ungünstige Nachrichten erhalten, zu entsprechen.“ Die Behandlung der Feindsoldaten in eigenem Gewahrsam sei, wurde auch bei dieser Gelegenheit klargestellt, „eine den rechtlichen Bestimmungen und dem Prestige unseres Staates entsprechende“.271 Parallel dazu wurden eine für dürftig erklärte staatliche Gefangenenhilfe sowie die mangelnde Fürsorge durch den Gewahrsamsstaat auch seitens der Reichsratsabgeordneten immer wieder mit dem Los der Feindsoldaten im Habsburgerreich in Zusammenhang gebracht. Die Anwendung von Repressalien sahen allerdings auch etliche Volksvertreter als untaugliches Mittel zur Verbesserung der Lage eigener Soldaten in Feindeshand. Sie forderten vielmehr eine „den Gesetzen der Menschlichkeit entsprechende Behandlung“ der im Habsburgerreich befindlichen Feindsoldaten als Voraussetzung für ein reziprokes Handeln der gegnerischen Seite ein.272 Der k. k. Minister für Landes268 Laut Tabelle in „In Feindeshand“ handelte es sich um 96.000 Zivilinternierte. Angaben in: Weiland/Kern, In Feindeshand, ohne Seitenzahl. 269 Dotierung der dänischen Gesandtschaft in Petrograd, Oktober 1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-33, Kt. 1544. 270 Streeruwitz, Springflut, 86–97. 271 Neue Warte am Inn, 2.3.1917, 6 f. 272 Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des Reichsrates, 33. Sitzung der XXII. Session am 23. Oktober 1917 (1142/1). Anfrage des Abgeordneten Dr. Stölzel und

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verteidigung Karl Freiherr Czapp von Birkenstetten273 wies seinerseits auf die praktizierte Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen hin und verknüpfte diese nicht zuletzt mit der „Notwendigkeit der Erhaltung“ der Arbeitskraft der Kriegsgefangenen.274 Mit anderen Worten: Die regelkonforme Behandlung und Versorgung der Kriegsgefangenen stellte sich angesichts der Bedeutung ihrer Arbeitskraft für nahezu die gesamte Wirtschaft als geradezu alternativ­ los dar. So wurde es zumindest nach außen kommuniziert, und so lasen sich auch viele militärinterne Befehle betreffend den Umgang mit den Feindsoldaten. Selbst der Monarch hatte sich in dieser Angelegenheit zu Wort gemeldet, um schließlich dieselben Argumente zu verwenden: Ein „humanes und wirtschaftliches Umgehen mit dem Kgf. Material“ hielt Kaiser Karl in Anbetracht der Bedürfnisse von Wirtschaft und Armee für „notwendig“.275

Macht und Ohnmacht Die geschilderte Zwangslage – tatsächlich fürchtete man 1918 in Anbetracht einer bevorstehenden Repatriierung russischer Kriegsgefangener den drohenden Zusammenbruch der Wirtschaft – bedingte aber keineswegs die behauptete regelkonforme Behandlung. Von Kriegs- und Außenministerium in der Repressalienpraxis gezügelt, war bei der A. i. F. ein KriegsgefangenenweGenossen an Seine Exzellenz den Herrn Minister der Landesverteidigung, betreffend die Lage der österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen in den feindlichen Ländern, 23. Oktober 1917. Man habe überdies, hieß es an anderer Stelle, seit 1915 Kenntnis von den besonders in Russland ungünstigen Verhältnissen für gefangene k. u. k. Soldaten und vor allem gemeinsam mit Schweden und Dänemark entsprechende Hilfsmaßnahmen gesetzt. Hinsichtlich Serbiens waren solche Interventionen freilich vielfach zu spät gekommen. Hierzu fand der Minister deutliche Worte: „Nicht unerwähnt soll und darf aber bleiben, dass in Serbien unlöschbarer Haß die Lage der Kriegsgefangenen verschlechtert hat, bis mit dem Totenzug durch Albanien das Drama einen Abschluss fand, welcher die Namen derer, die in jenen Tagen die Führer des Landes waren, mit ewiger Schande bedeckt.“ Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des Reichsrates, Ad Nr. 466 I, XXII. Session (63). Anfragebeantwortung Seiner Exzellenz des Herrn Ministers für Landesverteidigung, 28. September 1917. Das solcherart beschriebene Schicksal von k. u. k. Soldaten in serbischer Kriegsgefangenschaft diente immer wieder als Negativbeispiel, das den eigenen Anstrengungen hinsichtlich der Versorgung von serbischen Kriegsgefangenen sowie Internierten entgegengestellt wurde. 273 Zu Czapp von Birkenstetten anlässlich der Zusammenstellung des „neuen Kabinetts“ siehe: Linzer Volksblatt, 1.9.1917, 1. 274 Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des Reichsrates, Ad Nr. 466 I, XXII. Session (63). Anfragebeantwortung Seiner Exzellenz des Herrn Ministers für Landesverteidigung, 28. September 1917. 275 Zit. nach Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 186.

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sen geschaffen worden, das mehr oder weniger uneingeschränkt den von der Armee festgelegten Prioritäten unterworfen war. Die vorrangigen Bedürfnisse der Armee galt es beispielsweise auch in Zusammenhang mit „renitenten“ Gefangenen zu beachten, wobei angesichts des enormen Bedarfes an Arbeitskräften bei der Armee im Felde „nur wirklich gemeingefährliche Individuen“ Sonderformen der Disziplinierung zugeführt werden sollten. Spezielle Disziplinierungsmaßnahmen für „notorische Deserteure“ – damit gemeint waren bereits mehrmals geflohene Kriegsgefangene – sowie „arbeitsunwillige Elemente“ besorgten allerdings nur bis zum Herbst 1917 die Instanzen der A. i. F. gewissermaßen in Eigenregie. Man vertrat dort die Meinung, solche Gefangene würden gerade „in der Nähe der Front“ ein großes Bedrohungspotential darstellen und „ihr schlechtes Beispiel auch auf die übrigen Kgf. wirken“. Der Abtransport dieser Feindsoldaten ins Hinterland erschien als notwendige Konsequenz. Erst wenn der Aufenthalt in hierfür eigens geschaffenen „Disziplinierungsstellen“ keine „Besserung“ hervorrufen würde, sollten weiterreichende Schritte Abhilfe schaffen.276 „Von der empfindlichsten Strafe des Fastens“ konnte allerdings aufgrund der „knappen Verpflegsverhältnisse[n] kein Gebrauch gemacht werden, weil sonst Arbeitsunfähigkeit eintritt“, schränkte das k. u. k. AOK vorsorglich ein.277 Diese Order wiederum widersprach einer kurz zuvor ergangenen Verlautbarung über die zulässige Verhängung von „Fastenstrafen“ für Gefangene.278 Anders als in Deutschland279 gab es keine speziellen „Repressalienlager“ für Kriegsgefangene in österreichisch-ungarischem Gewahrsam.280 Die strafweise Verschickung von Feindsoldaten nach Albanien oder Montenegro erfolgte, so hieß es, nur in jenen Fällen, in denen eine verschärfte Behandlung außergewöhnlich widerständiger Gefangener bei besonders kräftezehrender Arbeit und zusätzlichen Erschwernissen auch noch nach „beiläufig“ drei Monaten zu keiner Besserung führen würde.281 Die Verwendung ihrer Soldaten 276 Bestrafung von Kriegsgefangenen. ÖStA KA Chef d EW 1917: 19–44, Kt. 42. 277 K. u. k. Armeeoberkommando betr. Kreierung von Kgf.-Disziplinierungsstellen, 17.10.1917. ÖStA KA Chef d EW 1917: 19–44, Kt. 42. 278 Gleichzeitig, d. h. Mitte September 1917, wurde außerdem die Ausübung des Diszi­ plinarstrafrechtes durch „befugte Kommandanten“ verfügt. Vgl. Verlautbarungen betr. Kgf.-Wesen, September 1917. ÖStA KA Chef d EW 1917: 19-23/1-3, Kt. 42. 279 Vgl. dazu den Abschnitt II in: Heather Jones, Violence against Prisoners of War in the First World War. Britain, France and Germany, 1914–1920, Cambridge/New York/ Melbourne 2011, 121–254. Siehe auch: Margarete Klante, Die Kriegsgefangenen in Deutschland, in: Weiland/Kern, In Feindeshand, Bd. 2, Wien 1931, 172–193, 191 f. 280 Vgl. u. a. Uta Hinz, Kriegsgefangenschaft im Zeitalter der Weltkriege, in: Ernst Pieper (Hg.), Das Zeitalter der Weltkriege 1914–1945, Köln 2014, 148–159, 151. 281 Bestrafung von Kriegsgefangenen. ÖStA KA Chef d EW 1917: 19–44, Kt. 42.

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in Albanien wurde allerdings zumindest von rumänischer, serbischer oder italienischer Seite in die Nähe von Vergeltungsmaßnahmen gerückt oder aber mit Repressalien gleichgesetzt.282 Feststeht, dass das verantwortliche AOK in Verbindung mit dem Einsatz von Gefangenen etwa im erwähnten Albanien keine Forderungen nach Besserstellung eigener Soldaten in Feindeshand erhob. Wie immer man also den Arbeitseinsatz der Feindsoldaten in Albanien bewertet – als Strafmaßnahme, als diskriminierende Behandlung bestimmter Kriegsgefangenengruppen oder gar als Rache für den Tod eigener Armeeangehöriger in gegnerischer Hand; es fehlen Hinweise auf den Charakter einer Repressalie. Die betreffenden Herkunftsländer der Feindsoldaten wurden mit keiner Aufforderung zur Verbesserung der Lage von k. u. k. Soldaten in ihrem Gewahrsam konfrontiert. Das Kriegsministerium in Wien, das in Gefangenenfragen durchaus nicht zwangsläufig dem AOK widersprach, betrachtete indessen ab 1917/18 vor allem militärische Organe sowie „Unternehmer, welche für den Heeresbedarf“ arbeiteten, als geradezu „immunisiert gegen Recht, Ordnung und Gesetz“. Das galt auch für Betriebe im Hinterland, die für den Heeresbedarf produzierten und unter militärischer Leitung standen. Die betreffenden Instanzen, kritisierte das Kriegsministerium, sorgten dafür, dass das „Menschenmaterial“– gemeint waren die Kriegsgefangenen – infolge „Ueberanstrengung spitalsreif“ gemacht wurde.283 Im Juni 1917 konstatierte es in einem unter Verschluss gehaltenen Bericht, der dem AOK, dem Chef des Ersatzwesens und den Militärkommandos vorbehalten blieb, „zahlreiche Fälle unangemessener Behandlung kgf. Arbeiter“ in militärischen Betrieben des Hinterlandes, bei öffentlichen Arbeiten „und in bestimmten Klassen privater Arbeit“. „Derartige Verstösse“, hielt man in der 10. Kriegsgefangenenabteilung fest, werden durch die im Augenblicke herrschenden Verpflegsmängel besonders verschärft, weil sie die Widerstandsfähigkeit der Kgf. gegen Strapazen herabsetzen. Während bei unseren Feinden durch den Einfluss neutraler Missionen eine offenkundige Besserung eingetreten ist, mehren sich bei uns die Fälle von Ausbeutung und Vernachlässigung der Kgf.

282 Vgl. Stellungnahme des k. u. k. Kriegsministeriums auf Grundlage der Auskunftserteilung des AOK, 10. Kgf.-Abt. an das Ministerium des Äußern, 11. November 1917, Zl. 16343. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Dep. 7 Kriegsgefangene-Varia, Kt. 435; Übersendung von Depositen für die rumänischen Kriegsgefangenen bei der „Bagdadbahn“ an das k. u. k. Konsulat Aleppo, Zl. 75276/1917. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Dep. 7 Kriegs­ gefangene-­Varia, Kt. 435. 283 Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 186.

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Das Kriegsministerium präsentierte daraufhin ein aus 15 Punkten bestehendes Programm, das Abhilfe bei der Beseitigung der aufgezeigten Missstände schaffen sollte. Explizit festgehalten wurde außerdem, dass inspizierende Organe in „dringenden Fällen, beziehungsweise wo Leben und Gesundheit der Kgf. auf dem Spiele steht“, „initiativ Abhilfe“ schaffen sollten, anstatt sich mit diesbezüglichen Meinungen verantwortlicher Offiziere „zu begnügen“.284 Eine Untersuchung von schweren Missständen in der Kriegsgefangenenstation Tuchla im Frühjahr 1918 orientierte sich offenbar an dieser Aufforderung: Der Kommandant der Station, der allem Anschein nach regelrechte Prügelorgien der Wachmannschaften geduldet hatte, wurde auf Veranlassung des „Inspizierenden Offiziers“ abberufen, andere Beteiligte versetzt, disziplinarisch bestraft oder aber sogar strafrechtlich verfolgt. „Das gesamte Personal“ der Kriegsgefangenenstation wurde schließlich „eingehendst dahin belehrt, gegen unbotmässige Kgfe. nur im Rahmen der gestatteten Befugnisse einzuschreiten“.285 Tatsächlich ist trotz zahlreicher Fälle von Gefangenenmisshandlungen, die privaten beziehungsweise zivilen Arbeitgebern angelastet wurden286, von ungünstigeren Lebens- und Arbeitsbedingungen im militärischen Kontext bzw. vor allem bei der A. i. F. auszugehen. Ruhepausen wurden dort noch seltener gewährt, Arbeitszeiten von 14 Stunden und mehr bis hin zu beinahe ununterbrochener Arbeitsverwendung dokumentierten auch militäreigene Kontrollorgane.287 Inspektionen bei der A. i. F. wurden allerdings nach eigenen Regeln gehandhabt. Zivile und dadurch zusätzliche Kontrolle fiel hier weg. Im Hinterland bedingte indessen ein kompliziertes Geflecht sowohl militärischer als auch ziviler Inspektionen und Prüfmechanismen unterschiedliche Perspektiven auf die Lage der Gefangenen – eine seitens 284 K. u. k. Kriegsministerium, Abt.  10/Kgf. Nr.  27.000/8 betr. Visitierung der Kgf., 20.6.1917. ÖStA KA Chef d EW 1917: 19–21, Kt. 42. 285 Beschwerde Kriegsgefangener über Behandlung in Tuchla, 16.5.1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-18/464, Kt. 2053. 286 Stellvertretend für die vielen Beschwerden, die auch zivile Arbeitgeber betrafen, die Eingabe von russischen Gefangenen in Miskolcz, die den „Postmeister“ der Stadt betrafen: „Die Kgf. müssen wie Tiere 24 Stunden sehr schwere Arbeit verrichten. Wenn sie nicht imstande sind, das zu machen, befiehlt der Postmeister den Telegraphisten, die Kgf. zu schlagen. Einige sind gegangen, sich zu beschweren, da hat man sie zum Bahnhofkommando geschickt und dort wurden sie verprügelt.“ Beschwerde des Kgf. Semenow, Februar 1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918/19: 10-18/467, Kt. 2053. Ernst von Streeruwitz berichtete nach dem Krieg von einem „gewisse[n] Ausbeutungsbestreben“ auch unter privaten Arbeitgebern, die Interventionen des Kriegsministeriums zu Gunsten Gefangener als unnötige „Sentimentalitäten“ bezeichneten. Streeruwitz, Springflut, 104. 287 K. u. k.-Etappen-Inspizierender des 11. Armeekommandos. ÖStA KA NFA 11. Armee Qu.Abt. Kriegsgefangenen-Akten 1917, Kt. 1031.

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einzelner Behörden durchaus skeptisch betrachtete Praxis.288 Ungeachtet dessen ist festzuhalten, dass auch im Etappengebiet sowie in den Militär-Generalgouvernements Kriegsgefangenen-Inspektionsoffiziere tätig waren. Weiterreichende Visitationen, wie sie das Kriegsministerium sowie das Fürsorgekomitee für Kriegsgefangene anregten, wurden allerdings vom AOK abgelehnt. Dabei ging es insbesondere darum, nicht an den diesbezüglichen Kompetenzen der Armeekommanden und Quartiermeisterabteilungen zu rühren.289 Die „Zulassung eines Civilmitgliedes des Fürsorgekomitees für Kgf.“ zur Visitierung von Gefangenen im Etappenraum wies das Armeeoberkommando zurück. Es verfügte aber im Sommer 1916 „periodische Besichtigungen“ der Kriegsgefangenen durch „die Oberquartiermeister oder sonstige geeignete höhere Offiziere“.290 Gleichzeitig wurde „speziell betont, daß diese Anordnung lediglich dem Zwecke dient, analoge Verfügungen bei den Russen zu erreichen, welche günstige Folgen für unsere Kgf. gewärtigen lassen“.291 Inwiefern von diesen Inspektionen nicht nur Soldaten der Zarenarmee, sondern auch andere Kriegsgefangenen-Ethnien betroffen waren, geht aus den vorhandenen Dokumenten nicht hervor. Da aber in verschiedenen Sammelstationen Gefangene unterschiedlicher Herkunft konzentriert waren, ist davon auszugehen, dass auch Nicht-Russen inspiziert wurden.292 Dafür sprechen ins Jahr 1917 datierende Befehle, die regelmäßige Inspizierungen von Gefangenen bei der A. i. F. durch kompetente und vor allem höherrangige Militärpersonen aufgrund sich häufender Beschwerden über deren „schlechte Behandlung, unzureichende Verpflegung, Vorenthaltung der Löhnung und Geldsendungen“ anordneten. Gerade wegen der „Unmöglichkeit einer ausreichenden, der Schwere der Arbeit angemessenen Verpflegung“ und weiterer Defizite in der Versorgung der Feindsoldaten sollten „die gel-

288 Vgl. dazu u. a. K. k. Ackerbauministerium, Zl. 34436 an die k. k. Statthalterei/Landesregierung in Wien, Brünn, Linz, Innsbruck, Prag, Klagenfurt und Salzburg, 14.8.1915. Arhiv Republike Slovenije (ARS) SIAS 33 Fasz. 20/34, Kt. 1. Vgl. auch Neues Pester Jounal, 4.6.1916. https://www.digital.wienbibliothek.at/wk/periodical/zoom/688156 (abgerufen am 1.7.2021). 289 Besuch der im Etappengebiet befindlichen Kgf. ÖStA KA KM 10. KgA 1916: 10-9/152, Kt. 1286. 290 Zulassung eines Civilmitgliedes des Fürsorgekomitees für Kgf. zu den Kgf. im Etappenraum. ÖStA KA KM 10. KgA 1916: 10-9/152-2, Kt. 1286. 291 Ebd. 292 Das erschließt sich zumindest aus Dokumenten betr. die Gefangenenstation Tuchla, wo sich auch italienische Gefangene befanden. Vgl. Beschwerde Kriegsgefangener über Behandlung in Tuchla, 16.5.1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918/19: 10-18/464, Kt. 2253.

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tenden Schutzvorschriften“ umso strenger eingehalten werden, damit die Gefangenen nicht „vollends aufgerieben“ würden.293 Schon mit Beginn des Arbeitseinsatzes der Gefangenen waren indessen im Hinterland Bestimmungen wirksam geworden, denenzufolge die Verletzungen festgeschriebener Pflichten im Umgang mit den Gefangenen geahndet wurden.294 So sahen diesbezügliche Regelungen vor, dass Gefangene im Falle festgestellter Verfehlungen hinsichtlich Verpflegung, Unterkunft und Behandlungen privaten Arbeitgebern sogar entzogen werden konnten und die für die kriegsgefangenen Arbeitskräfte bezahlten Kautionen verfielen. Gewaltausübung gegenüber Gefangenen war demgemäß nicht sanktionsfrei. Die Gefangenenbehandlung im Hinterland im Sinne eines „Gewaltraumes“ bedeutete demnach nicht, dass dieser losgelöst von verbindlichen Regelwerken existierte, die eine hypertrophe Gewaltanwendung befördert hätten.295 Trotzdem folgten auf Verfehlungen im Umgang mit Gefangenen seitens ziviler Arbeitgeber in der Regel nur geringfügige Strafen wie beispielsweise Geldbußen. Strafrechtliche Konsequenzen gab es im Regelfall keine. Im Ungarn wurden diese sogar mit Verweis auf ungarisches Recht explizit zurückgewiesen296 – ein Umstand, der etwa von Inspektions-Offizieren, die in der ungarischen Reichs293 Verlautbarungen betr. Kgf.-Wesen, September 1917. ÖStA KA Chef d EW 1917: 1923/1-3, Kt. 42. 294 Vgl. dazu beispielsweise den Bericht des Inspizierenden für Kriegsgefangenenlager im Militärkommandobereich Innsbruck vom Oktober 1917, der neben „vorschriftsmäßiger Bestrafung“ von Gefangenen auch eine Reihe von Übertretungen anführte. Visitiert worden waren militärische Betriebe des Hinterlandes ebenso wie Gefangene, die bei öffentlichen Arbeiten sowie bei privaten Arbeitgebern eingesetzt wurden. Visitierung der Kriegsgefangenen, verschiedene Berichte ab Juni 1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-63/82, Kt. 1513. Betr. den Entzug von kriegsgefangenen Arbeitern als Folge dreier tödlicher Arbeitsunfälle bei einem privaten Arbeitgeber. K. u. k. Militärkommando Pozsony an das k. u. k. Kriegsministerium, 28.9.1915. ÖStA KA KM 10. Abt. 1915: 10-39/30, Kt. 984. Detaillierte Regeln über den Umgang von Arbeitgebern mit kriegsgefangenen Arbeitern auch in: Bestimmungen für die Beistellung kriegsgefangener Arbeiter in Österreich (Erlass Nr. 3000 der 10. Abt./Kgf), in: ÖStA KA KM 10. KgA 1917, Kt. 1441. 295 Die stichprobenartige Untersuchung der strafrechtlichen Verfolgung von Kriegsgefangenen etwa in der Zuständigkeit des Militärkommandobereiches Graz ergab (im insgesamt freilich nur zu einem geringen Teil erschlossenen Militärgerichtsbestand im Kriegsarchiv in Wien) keinen Hinweis auf ein System irregulärer Praktiken. 296 Das war etwa der Fall, wenn Strafanzeigen gegenüber privaten Arbeitgebern bei Misshandlung von Gefangenen nicht von Letzteren selbst eingebracht wurden – was relativ unwahrscheinlich, weil kaum praktisch durchführbar war –, sondern von vorgesetzten militärischen Kommanden. Ungarische Behörden pochten auf einen unerlässlichen „Privatantrag“, um ein Strafverfahren einzuleiten. MA. Nr. 32360/JR. vom 20.4.1917 betr. Misshandlung von Kgf. Militärkommandobefehl Nr. 79, Pozsony, 25.4.1917. ÖStA KA Terr Befehle, 5. K., Pozsony 1917–1918, Kt. 51.

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hälfte tätig waren, entsprechend kritisiert wurde. Empfindlichere Konsequenzen beispielsweise für Fälle, wo Arbeitgeber die Kriegsgefangenen nicht den vorgeschriebenen ärztlichen „Visitationen“ zuführten, setzte dort außerdem das „Ackerbauministerium“ einfach „ausser Kraft“.297 Einer weitgehenden Ausbeutung der Gefangenen vor allem im Bereich der A. i. F. hatte das k. u. k. Kriegsministerium kaum mehr als seine Einwände entgegenzuhalten. Gewissermaßen unbeeinspruchbare Prioritäten zu Gunsten der Kriegsführung, die das AOK vorgab und deren Berücksichtigung auch für das Kriegsministerium Vorrang haben musste, führten dazu, dass Kritik vornehmlich in Gestalt von Bedenken formuliert werden konnte.298 Das im Februar 1918 an das AOK gerichtete Ersuchen, angesichts zahlreicher Todesfälle unter den im Jahr zuvor eingebrachten italienischen Kriegsgefangenen und der fortbestehenden trostlosen Lage von deren Zuweisung an die A. i. F. abzusehen, kam viel zu spät und zeugte gleichzeitig von den begrenzten Möglichkeiten der Einflussnahme.299 Das Fehlen eines Systems der „checks and balances“ führte im Bereich der Armee im Feld in vielen Bereichen zu einer De-facto-Alleinherrschaft des Armeeoberkommandos. Im Bewußtsein seiner exklusiven Verordnungs- und Verfügungsgewalt im Bereich der Armee im Feld konnte sich das Armeeoberkommando auch bei Interventionen ziviler und militärischer Zentralstellen jeder externen Ingerenz verschließen.300

Dazu ist anzumerken, dass das Kriegsministerium etwa „auf dem Gebiet der Strafrechtspflege im Bereich der Armee im Felde“ dem AOK zu Beginn des Krieges eine Art Blankovollmacht erteilt hatte.301 Das evidente Bemühen des Kriegsministeriums, die regelkonforme Behandlung von Kriegsgefangenen zumindest im Hinterland einigermaßen 297 Bericht des Kgf.-Insp.-Offiziers Nikolaus Turla, 1.3.1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-10/44-2, Kt. 1437. 298 So oder so blieb das Bemühen um eine Verbesserung des Gefangenenloses ungeachtet vorgebrachter Kritik am regelwidrigen Umgang mit den Kriegsgefangenen utilitaristischen Überlegungen verpflichtet. Doch auch solche Argumente wurden schließlich mehr und mehr zur Seite gedrängt. Die 12. Abteilung für Heeresverpflegung verwies 1917 auf bereits erfolgte „Zubußen“ und auf die Unmöglichkeit, eine weitere Erhöhung bestehender Rationen zu veranlassen. Außerdem, argumentierte man, würden bei Weitem nicht nur Gefangene, sondern auch eigene Armeeangehörige unter der Lebensmittelknappheit leiden. Vgl. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 186. 299 10. Kgf.-Abt. an das k. u. k. AOK (Op. Abt.). ÖStA KA Chef d EW 1918: 19-19, Kt. 108. 300 Überegger, Der andere Krieg, 127. 301 Ebd., 125.

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sicherzustellen, entwickelte sich mit zunehmender Kriegsdauer und schwindenden Ressourcen mehr und mehr zu einem Verwalten unlösbarer Probleme. Die Vereinbarkeit mit völkerrechtlichen Verpflichtungen erwies sich vor diesem Hintergrund realiter als unerreichbar. Berichte, die sich mit Missständen in den Gefangenenlagern befassten, oder Beschwerden von Kriegsgefangenen über Misshandlungen und andere Unzulänglichkeiten wurden schließlich mit bürokratischer Routine abgearbeitet. Untersuchungen, die als Folge offensichtlich gewordener Mängel eingeleitet wurden, mündeten immer wieder in wechselseitige Anschuldigungen der involvierten Personen und zuständigen militärischen Instanzen. Die Zusammenarbeit der 10. Kriegsgefangenenabteilung mit militärischen ebenso wie zivilen Stellen gestaltete sich überdies, so Ernst von Streeruwitz, im Verlauf des Krieges immer schwieriger. Auf dem sogenannten „Videndenwege“ kursierten wichtige Aktenstücke unnötig lange. Bis alle relevanten Instanzen ihre Stellungnahmen zu bestimmten Fragen abgegeben hatten, verstrich viel, oft zu viel Zeit. „[S]ehr bedeutsame Dinge“, urteilte Streeruwitz, seien auf diese Weise „mo­ nate­lang verschleppt worden“.302 Ein gleichsam systemimmanentes notorisches Abwiegeln von Beschwerden beispielsweise über Gefangenenmisshandlungen ist ungeachtet dessen nicht festzustellen.303 Demgegenüber ist freilich festzuhalten, dass etwa Miss302 Streeruwitz, Springflut, 127. 303 Praktische Konsequenzen im Sinne effektiver Nachforschungen zu vorgebrachten Kritikpunkten oder konkrete Maßnahmen zur Beseitigung von Missständen sowie die Ahndung von Übergriffen auf Kriegsgefangene gab es. Nicht alle dieser Eingaben fielen einem die Augen verschließenden Pragmatismus zum Opfer oder endeten parteiisch und somit zu Gunsten der eigenen Heeresangehörigen. Vgl. dazu als Beispiel den Bericht des Inspizierenden für das Kriegsgefangenenlager Tuchla, wo schwere Misshandlungen gegenüber Kriegsgefangenen untersucht wurden. Einen Teil der erhobenen Vorwürfe bestätigte der Inspizierende. Als Folge wurden gegen einen Zugsführer und einen Gefreiten Strafanzeigen angeordnet, andere disziplinarisch bestraft oder versetzt. Einer der misshandelten Kriegsgefangenen litt als Folge der Schläge unter „Stuporzuständen, Taubheit und Aphanie“ und wurde der „Invalidenaustauschsammelstelle Mauthausen“ überantwortet. Da außerdem über 70 Gefangene gestorben waren – offenbar an Lungenkrankheiten ebenso wie Erschöpfung – wurde der „schuldtragende“ Kommandant abgelöst, „da er über die Vorfälle wissen musste und nicht rechtzeitig einschritt“. Beschwerde Kriegsgefangener über Behandlung in Tuchla, 16.5.1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918/19: 10-18/464, Kt. 2235. Der Elan, Abweichungen von bestehenden Reglements zu korrigieren oder zu ahnden, schien angesichts einer gewissermaßen zwingenden Kausalkette, die vor allem in Sachen Mangelernährung zu diversen Missständen führte, mitunter nachzulassen. Eindrücklich nachzuvollziehen ist dies etwa anhand einer Untersuchung, die den Gründen für den Tod russischer Kriegsgefangener im Zuge eines Transportes von der Militärbauleitung Trofaiach ins Lager Spratzern auf den Grund gehen sollte. 18 Gefangene starben als Folge

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handlungen auch von k. u. k. Soldaten „in der Regel keine Anzeige“ ihrer Vorgesetzten „zur Folge hatten und kaum einmal mit einer Verurteilung endeten“.304 Dass sich Kriegsgefangene in Fragen der Beschwerdeführung in einer noch schlechteren Ausgangslage befanden, liegt auf der Hand. Selbst beim AOK war man sich darüber im Klaren, dass die Untersuchung von Klagen der Gefangenen bei der A. i. F. zumeist deren, wie es hieß, „Unstichhältigkeit“ zur Folge hätte. Solange man für eine zielführende Prüfung der Sachlage ungeeignete Personen mit eingeschränktem Interesse an dauernder „Abhilfe“ auswählen würde, könne sich daran auch weiterhin nichts ändern.305 Am Ende vieler Erklärungen und Rechtfertigungen für Missstände oder Verfehlungen standen ohnehin oft genug der Krieg und die damit verbundenen „besonderen“ Umstände. Gleichzeitig deutlich wurde angesichts der katastrophalen Versorgungslage der Monarchie und der augenscheinlichen Unfähigkeit, die gefangenen Feindsoldaten entsprechend versorgen zu können, eine Art Fatalismus. Missstände ließen sich trotz entsprechender Vorkehrungen auch im Zuge von Visitationen neutraler Beobachter nicht mehr verbergen und hinterließen selbst bei jenen k. u. k. Offizieren, die den Besuchern zugeteilt waren, „peinliche“ Eindrücke. Als im März 1918 der „Apostolische Nuntius“ verschiedene Lager in Nieder- und Oberösterreich besuchte, traf er auf Zivilinternierte, die wie „lebende Leichen“ aussahen, auf verlauste Kriegsgefangene und auf Männer, die ihm „Hunger! Wir sterben vor Hunger! Brot!“ zuriefen.306 Gegenüber dem 1917 eingesetzten Chef des Ersatzwesens skizzierte das Kriegsministerium das Gefangenenwesen nicht zuletzt als jenes duale System, das es realiter war. Differenzen mit dem AOK wurden entsprechend hervorgehoben – sicher auch zum Zwecke der Selbstexkulpierung. Immerhin ist bei aller Berücksichtigung einer um Regelkonformität bemühten Haltung nicht zu übersehen, dass das Kriegsministerium gerade in Gefangenenangelegenheiten eine Kooperation mit dem AOK aufrechtzuerhalten hatte, bei der eine „Verständigung“ im Zusammenhang mit den als kriegsnotwendig dargestellten Bedürfnissen des Heeres gesucht und mehrheitlich gefunden wurde.307

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oder während des Transportes, Dutzende gingen in Trofaiach selbst zugrunde, Hunderte galten als arbeitsunfähig. Vgl. Todesfälle bei Militärbauleitung Trofaiach, 1916/17. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-39/10, Kt. 1544. Überegger, Der andere Krieg, 293. Verlautbarungen betr. Kgf.-Wesen, September 1917. ÖStA KA Chef d EW 1917: 1923/1-3, Kt. 42. Besuch von Kgf.-Lagern durch Seine Exzellenz den Apostolischen Nuntius, März 1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-9/62-4, Kt. 2019. Eine entsprechende konsensorientierte Zusammenarbeit lässt sich beispielsweise an-

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Darüber hinaus drohte die „Evaluation“ des Kriegsgefangenenwesens, die Samuel von Hazai als Chef des Ersatzwesens vornahm, um eine maximale „Nutzung“ des „Menschenmaterials“ zu gewährleisten, dem Kriegsministerium kein allzu gutes Zeugnis zu bescheren. So hielt Hazai, der zuvor fast sieben Jahre lang k. u. Landesverteidigungsminister gewesen war308, etwa den Betrieb der großen Kriegsgefangenenlager im Hinterland sinngemäß für eine Vergeudung von Ressourcen.309 Die intensive Beanspruchung von Kriegsgefangenenarbeit ließ große Lager ganz allgemein als bedingt tauglichen Unterbringungsort für die Feindsoldaten erscheinen.310 Tatsächlich hielten sich ab 1917 – abgesehen von den Wintermonaten oder aber in Phasen verstärkten Zuschubes von neuen Kriegsgefangenenkontingenten von der Front – in den Lagern des Hinterlandes in der Regel nicht einmal mehr zehn Prozent der Feindsoldaten auf.311 Das Argument des Kriegsministeriums, wonach die Einbringung großer Gefangenenmassen immer wieder das Vorhandensein großer Lager notwendig gemacht hätte und wohl auch in Zukunft machen würde, ließ der Chef des Ersatzwesens nicht gelten. Er sprach vielmehr von Herausforderungen, die es mit Hilfe adäquater Maßnahmen zu meistern gelte. Mobile Kriegsgefangenen-Arbeiter-Abteilungen sollten dort zum Einsatz kommen, wo man sie benötigte. Hierfür würden große Lager nicht gebraucht.312 hand der ab 1.3.1916 in Kraft getretenen neuen Regelungen zur „Beistellung kgf. Arbeiter“ nachweisen, wo das Kriegsministerium die Wünsche des AOK nach Festlegung des Gültigkeitsbereiches der betreffenden Verordnungen über die Organisation des Arbeitseinsatzes von Gefangenen berücksichtigte. K. u. k. Kriegsministerium, Abt. 10, Nr. 3000. Neue Bestimmungen für die Beistellung kgf. Arbeiter. ÖStA KA NFA 4. Armee, ohne Karton. 308 Vgl. Geschichte der k. u. k. Wehrmacht, Bd. VI: Der Allerhöchste Befehl/Die Garden, hg. von der Direktion des Heeresgeschichtlichen Museums, Wien 1988, 22. 309 Seiner Meinung nach waren außerdem zu viele Männer für die Bewachung der Feindsoldaten im Einsatz – eine Einschätzung, die angesichts nicht abreißender Klagen über die Zunahme von Fluchtfällen aufgrund zu geringen Wachpersonals das Kriegsministerium erstaunte. Hazais Vorschlag, den Wegfall von Stammlagern durch einen vermehrten Einsatz von mobilen Kriegsgefangenenarbeiterabteilungen vor allem im Bereich der Landwirtschaft zu kompensieren, unterstreicht den Bedeutungswandel von Lagern insgesamt. 310 Vgl. dazu auch die Einschätzungen von Jones, Kriegsgefangenenlager, 62. 311 Siehe die entsprechenden Zusammenstellungen in: ÖStA KA AOK Op. Abt. Evidenzgruppe B 1917/18 Kriegsgefangene, Kt. 600 sowie in den Kalkulationen des Chefs des Ersatzwesens: ÖStA KA Chef d EW 1918, Kt. 108. 312 Das Kriegsministerium wiederum hatte angesichts der ständig zunehmenden Arbeitsverwendung von Gefangenen bereits 1915, als in den Lagern in der Regel bald nur mehr Offiziere zurückblieben sowie Arbeitsunfähige und Kriegsgefangene, die in lager­eigenen Betrieben tätig waren, die Auflassung eines Großteiles der Lager an-

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Der „Zwang der Verhältnisse“ In der letzten Kriegsphase mangelte es mehr denn je an Männern, die an die Front geschickt werden konnte. Dasselbe galt für die bei der A. i. F. benötigten Arbeitskräfte. Ende September 1918 waren angeblich „kaum mehr 50 % der am Papier evident geführten Mannschaft“313 noch vorhanden.314 1918 fehlten gemäß den Berechnungen des Chefs des Ersatzwesens der k. u. k. Armee 600.000 Mann.315 Gefragt waren effektive Lösungen. Für den Mangel an Frontsoldaten ebenso wie für das Problem fehlender Arbeitskräfte. Vor radikalen Verbesserungsvorschlägen scheute der Chef des Ersatzwesens nicht zurück. Die vorgebrachte Idee einer Auflösung der Lager passte ins Bild. Auf wenig Gegenliebe im Kriegsministerium traf indessen auch ein anderer Vorstoß Hazais.316 So sah er durchaus Spielraum für eine noch nutzbringendere Verwendung der Arbeitskraft der Feindsoldaten. Dass das Kriegsministerium mehrfach auf die prekäre allgemeine Lage vor allem von Gefangenen „in ärarischer Verpflegung“ hingewiesen und den Konnex von „Unterernährung bei schwerer harter Arbeit“ explizit hervorgehoben hatte317, brachte Hazai nicht von solchen Überlegungen ab. Das Ministerium aber sah keine Notwendigkeit für eine Nachbesserung bestehender Regelungen. Nicht fehlen durfte in

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gedacht. Zwei Jahre später wollte man nichts mehr davon wissen. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 103. Zit. nach ebd., 372. Angesichts enormer Verluste unter Offizieren und Soldaten ebenso wie einer großen Zahl Untauglicher, die im Zuge der Musterungen ausschieden, erschien die „Nutzung“ der vorhandenen Soldaten für den Kampfeinsatz gegenüber einer Arbeitsverwendung noch dringender. Arbeiten bei der A. i. F. sollten demgemäß umso eher Kriegsgefangene. Laut „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ waren bis Ende 1917 von 11,80 Millionen Einberufenen 9,12 als tauglich befunden worden, 700.000 enthoben worden. Insgesamt rückten demnach 8,42 Millionen Männer bis dahin ein. ÖUlK, Bd. 7, 41. Der Arbeitskräftemangel bedrohte indessen im militärischen ebenso wie im zivilen Sektor die Kontinuität unverzichtbarer Produktionen, Bauvorhaben oder anderweitiger Arbeiten. Vor diesem Hintergrund stand eine Fortsetzung des Krieges ganz grundsätzlich zur Dis­ position. Conrad charakterisierte schon Anfang 1917 die prekäre Lage so: „Wenn die Entscheidung im Frühjahr nicht zu unseren Gunsten ausfällt, können wir mit den Kräften, die uns noch verbleiben, kaum auf eine Änderung zu unseren Gunsten mehr rechnen.“ Zit. nach Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg, 699. Siehe auch: Corinna Zangerl, Die vergessenen Fremden. Kriegsgefangene in Tirol während des Ersten Weltkriegs, in: Harald Stadler (Hg.), Russland und Tirol im Ersten Weltkrieg. Archäologische und historische Annäherungen zum Thema Kriegsgefangenschaft, Innsbruck 2015, 22–31. Richard G. Plaschka/Horst Haselsteiner/Arnold Suppan, Innere Front. Militärassistenz, Widerstand und Umsturz in der Donaumonarchie 1918, Bd. 1, Wien 1974, 44. Über die Differenzen zwischen Kriegsministerium und Chef des Ersatzwesens siehe auch: Streeruwitz, Springflut, 129 f. Zit. nach Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 170.

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diesem Zusammenhang der Verweis auf den Umstand der „internationalen Verantwortung“, die Bedenken hinsichtlich einer von Hazai angeregten, noch strengeren Auslese von Kriegsgefangenen hinsichtlich ihrer Arbeitstauglichkeit aufkommen ließ. Man sei angesichts der eminenten Bedeutung der Gefangenenarbeit beziehungsweise in Anbetracht des „Zwang[s] der Verhältnisse“ bereits „zur äußerst zulässigen Grenze herabgegangen“, mahnte das Kriegsministerium. Mit anderen Worten: Zur Arbeit verwendet wurden auch Gefangene, die aufgrund ihres Allgemeinzustandes eigentlich einer dringenden Schonung bedurft hätten. Das Kriegsministerium verdeutlichte: „Tatsäch­lich sind schon viele Hunderte von solchen Kriegsgefangenen, die ungeachtet ihres schwächeren Kräfte-Zustandes zu Arbeiten verwendet werden mußten, an Entkräftung gestorben.“318 Wie dramatisch die Lage war, ließ sich im Übrigen auch anhand von Beobachtungen ziviler Arbeitgeber ablesen. Ein Schreiben, das ein Vertreter einer Firma in Donawitz über die Lage der zugewiesenen rumänischen Gefangenen in seinem Betrieb im März 1917 aufgesetzt hatte, veranschaulicht das Ausmaß der Ausbeutung. Von 300 Männern war ein Drittel nicht arbeitsfähig: Die Leute klagen über allgemeine Mattigkeit, Schmerzen in den Füssen und fallen in Partien bei der Arbeit um. Zur Feststellung der Ursache hat sich herausgestellt, dass die sämtlichen Leute schon an der italienischen Front vor 4 Wochen bei 38 Grad Kälte gearbeitet haben und sind von 250 Mann 50 lebend zurückgekommen.

Ein anderer Teil sei in Pressburg im „Steinbruchbetrieb“ gewesen. Von 350 Mann habe man 80 als arbeitsunfähig „ins Lager zurückgewiesen“. Die Männer, hieß es weiter, seien nunmehr völlig abgearbeitet und krank. Es widerspreche „jedem Menschlichkeitsgefühl“, lautete das Resümee, „die dem Tode geweihten Leute noch zur Arbeit zu zwingen, denn heute treibt man die Leute an, sie fallen um, werden in die Baracke gebracht und den nächsten Tag sind sie tot“.319 Solche Eindrücke deckten sich u. a. – um nur zwei weitere Beispiele zu nennen – auch mit den Ergebnissen der Inspektionen von Gefangenen im Bereich des 11. Armeekommandos vom Frühjahr 1917. Die vorgefundenen Männer – meist Russen und Serben – waren nicht nur unzulänglich ernährt, sondern auch „verlaust“. Einige hatten offenbar über Monate hinweg keine 318 Zit. nach ebd., 173. 319 Bericht betreffend die rumänischen Gefangenen, Donawitz, 14.3.1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-11/1461, Kt. 1448.

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„Gelegenheit zur Reinigung“ bekommen.320 Ähnliche Eindrücke vermittelte beispielsweise auch ein Bericht über im ungarischen Reichsteil befindliche Gefangene vom Februar 1917. Sie waren als Folge unzulänglicher Ernährung und „Bequartierung“ sowie kräfteraubender Arbeiten derart geschwächt, dass einige von ihnen von den Arbeitsplätzen weggetragen werden mussten. Von 1534 Kriegsgefangenen galten – so ergab eine, wie es hieß, „Wägung“ – fast 82 Prozent als unterernährt. Mehr als die Hälfte der Betroffenen wurde als nicht mehr arbeitsfähig klassifiziert. Nahrung für die Gefangenen, wurde ergänzt, sei im Umfeld des Lagers oft nicht mehr zu besorgen.321 Noch bevor der Chef des Ersatzwesens die Weichen für einen Austausch zwischen Gefangenenkontingenten bei der A. i. F. und im Hinterland stellte, um auf diese Weise geschwächte Feindsoldaten gegen vermeintlich gesündere beziehungsweise kräftigere auszuwechseln, nahm die Sterblichkeit in den Lagern des Hinterlandes bereits merklich zu. Schon im Frühjahr 1917 starben innerhalb weniger Wochen etwa 3000 der 90.000 in den Lagern befindlichen Gefangenen. Über 80.000 galten als krank beziehungsweise invalid.322 Dass nicht zuletzt die Arbeitsverwendung von Gefangenen im Bereich der Armee im Felde in direktem Zusammenhang mit einer „Häufung“ von Todesfällen unter den Kriegsgefangenen stand, legte im Sommer 1917 beispielsweise auch ein diesbezüglicher Bericht des Militärkommandos Innsbruck nahe. Dessen Angaben nach trafen offenbar über Wochen hindurch im Kriegsgefangenenlager Kleinmünchen „Partien von unterernährten, entkräfteten“ Kriegsgefangenen aus „Spitälern des Kriegsgebietes ein, die oft schon nach einigen Stunden an Entkräftung, Erschöpfung oder allgemeiner Schwäche sterben“. Innerhalb von vier Monaten gingen in besagtem Lager 391 Gefangene zugrunde, die dem XX. Korpskommando und der 11. Armee zugeteilt gewesen waren. In einem Spital in „Pardubitz“ wiederum waren es in nicht ganz fünf Monaten 38 Männer gewesen, die zuvor bei den erwähnten Kommanden bzw. Truppenteilen tätig gewesen waren und schließlich starben.“323 Der Abschub von Kriegsgefangenen, die aufgrund kräftezehrenden Arbeitseinsatzes an Leistungsfähigkeit eingebüßt hatten, in ihre Stammlager war längst zu einer üblichen Vorgehensweise geworden. Sobald die Gefange320 K. u. k. Etappen-Inspizierender, Schreiben vom 12.6.1917. ÖStA KA NFA 11. Armee (Qu.Abt.) 1917 Kriegsgefangene, Kt. 1031. 321 Bericht aus dem Kriegsgefangenenlager Bruck-Királyhida, 15.2.1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-11/174, Kt. 1441. 322 Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 171, 185. 323 K. u. k. Gruppenkommando Etschtal, Op. Nr. 718/4 g. betr. Häufung der Todesfälle unter den Kgf. Museo Storico Italiano della Guerra, Rovereto. Archivi di Comandi militari. K. u. k. Kriegsgefangenen-Kompanie 196a.

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nen als „arbeitsunfähiges Material“ klassifiziert wurden, retournierte man sie an die Lager und forderte neue Männer an.324 Ungeachtet dessen schwenkte der Chef des Ersatzwesens auf die Linie des AOK ein. Er hatte zunächst eine Reduktion von Gefangenen bei der A. i. F. favorisiert, um den dort verbleibenden Feindsoldaten eine bessere Versorgung zukommen zu lassen und die übrigen der Agrarwirtschaft zuzuführen. Das Armeeoberkommando aber betonte ganz andere Prioritäten. War zunächst von 40.000 auszutauschenden Gefangene die Rede, sprach man schließlich von 100.000 und am Ende gar von 200.000.325 Trotz vehementer ziviler Proteste anlässlich des Abzuges von Gefangenen aus dem Agrarbereich und einer bereits vor dem großangelegten Gefangenenaustausch konstatierten minderen Arbeitsfähigkeit des angekündigten „Ersatzes“ – geschwächte Kriegsgefangenen aus dem Bereich der A. i. F. –, richtete sich Hazai nach den Wünschen des AOK. Im Frühjahr und vor allem Herbst 1917 wurden demnach mehrere Zehntausend Gefangene aus stabilen und mobilen Gefangenenabteilungen des Hinterlandes abgezogen, um sie der A. i. F. zuzuführen.326 Es ist, wenn man so will, eine Ironie des Schicksals, dass als Folge des Friedens mit Russland die mit enormem Aufwand erfolgte Austauschaktion zumindest für die NO-Front schon kurze Zeit später zumindest als übertrieben erscheinen musste. Das AOK sah jedoch angesichts der Okkupation der Ukraine eine Reduktion von Kriegsgefangenen-Kontingenten für die A. i. F. zunächst gar nicht unbedingt als dringend an. Die Zahl der bei der Armee im Felde befindlichen Kriegsgefangenen erreichte vor diesem Hintergrund im Januar 1918 362.517 Mann, mehr als zwei Drittel davon Russen.327 Im Oktober sollen es sogar 432.000 gewesen sein, die in militärischen Betrieben arbeiteten oder der A. i. F. unterstellt waren, 285.000 davon russische Gefangene.328 Eine aus dem Jahr 1918 stammende Statistik verweist im Übrigen darauf, dass sich in der ungarischen Reichshälfte mehr zur Arbeit herangezogene Kriegsgefangene befanden als in Österreich.329 In beiden Reichsteilen überwog die Zahl von Gefangenen als Arbeitskräfte im Agrarbereich. Insgesamt waren es per 1. Januar 1918 etwa 60 Prozent der Feindsoldaten im Hinterland, die in der Landwirtschaft arbeiteten, mehr als 14 Prozent in der Industrie, fast 18 324 325 326 327 328 329

Zit. nach Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 188. Ebd., 173, 191 f. Ebd., 192. Ebd., 193. Ebd., 192. Vgl. Stand der Kriegsgefangenen per 27.10.1918. ÖStA KA AOK Op. Abt. Evidenzgruppe B 1917/18 Kriegsgefangene, Kt. 600.

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Prozent in militärischen Betrieben und der Rest in der Forstwirtschaft und in Staatsbetrieben.330 Dass die Gefangenen, die im Rahmen des Austausches von der A. i. F. ins Hinterland transportiert wurden, dort nun gewissermaßen aufgepäppelt werden sollten, beruhte auf einem Wunschdenken. Mit den realen Verhältnissen hatten solche Pläne wenig gemein. Dennoch forderte das AOK noch im Mai 1917 dazu auf, „eine möglichst entsprechende Verpflegung aller Arbeitskräfte, insbesondere aber der Kgf.“ zu gewährleisten. Ein Ausgleich für die bei der Armee fehlenden Arbeiter aus Kontingenten der eigenen Streitkräfte war nicht in Sicht.331 Maßnahmen zur Aufbringung ansonsten nicht aufzutreibender Ersatzkräfte umfassten als Folge auch die verstärkte Heranziehung von Frauen und Kindern. Die Erweiterung der Landsturmpflicht war darüber hinaus ein Dauerthema im AOK, der „Austausch“ von „Menschenmaterial“ zwischen dem Hinterland einerseits und den Etappen- sowie Operationsgebieten andererseits bereits seit 1915 Praxis. Bis Ende des Krieges wurden auf diese Weise im Rahmen dreier Großaktionen Zehntausende diensttaugliche Männer an die Front geschickt, um die eklatanten Ausfälle unter den Kampftruppen der k. u. k. Armee wieder wettzumachen.332 Dabei wurden – in unterschiedlichem Ausmaß – auch Kriegsgefangene miteinbezogen. Der zahlenmäßig umfangreichste Austausch von Gefangenen datiert ins Jahr 1917. Kriegs-, Honvéd- und Landesverteidigungsministerium hatten bereits im Frühjahr 1916 angesichts der hohen Verluste in den Reihen der k. u. k. Armee das AOK aufgefordert, „Bestimmungen des Dienstreglements über die Schonung von Mann und Material“ entsprechend zu beachten. Generalstabschef Conrad hielt solche Direktiven allerdings für kaum realisierbar. Das alles sei, meinte er, „Theorie“ und per se ein „zweischneidiges Schwert“.333 So konnte es kaum überraschen, dass Appelle betreffend Schonung der kriegsgefangenen Arbeitskräfte ins Leere gingen. Sie widersprachen schließlich Verfügungen, in denen vom AOK das Vorantreiben einer Vielzahl von Arbeiten (darunter etliche Bauprojekte) gefordert worden war. Resultat war die intern immer wieder angesprochene Überbeanspruchung der eingesetzten Kriegsgefangenen. Die Stände der als Arbeitskräfte verwendeten Feindsoldaten beim Bahnbau Toblach-Cortina-Zuel waren 1918 beispielsweise als Folge von 330 Stand und Verwendung der Kgf. (Stichtag 1.1.1918). ÖStA KA Chef d EW 1918, Kt. 106. 331 K. u. k. AOK betr. Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Arbeiterabteilungen, Mai 1917. ÖStA KA Kriegsgliederungen, Kt. 140. 332 Rudolf Hecht, Fragen zur Heeresergänzung der gesamten bewaffneten Macht Österreich-Ungarns während des Ersten Weltkriegs, Wien Diss. 1969, passim. 333 Zit. nach ebd., 395.

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Todesfällen und Erkrankungen in einem Ausmaß gesunken, das empfindliche Einschränkungen der ursprünglichen baulichen Planungen zur Folge hatte. Manche der aus ursprünglich jeweils 250 Feindsoldaten zusammengesetzten Formationen hatten sich bis zum Frühjahr 1918 beinahe halbiert. Als besonders schlecht wurde von Beginn der betreffenden Arbeiten an die Lage der italienischen Kriegsgefangenen beschrieben.334 Aus Sicht der Landbevölkerung stellte sich indessen die Ankunft von „ausgehungerten“ und körperlich geschwächten Gefangenen aus der A. i. F. im Hinterland als Zumutung dar. Sie hatten, hieß es bereits im Juni 1917 in der Zeitung „Neue Warte am Inn“, vor allem in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft „fast unheimlichen Appetit“ entwickelt. Die Aufforderung der Armeestellen, die Feindsoldaten angesichts ihrer Bedeutung als Arbeitskräfte besonders gut zu verköstigen, wurde von den „kleinen Leute[n], die auf die Brotkarte angewiesen sind“, als regelrecht zynisch empfunden.335 Während die Versorgung im Hinterland beziehungsweise vor allem auch die Verteilung von Gütern kaum noch funktionierte, griff man in der Armee längst schon zu besonderen Maßnahmen, um Defizite auszugleichen. Das Militärkommando Pozsony etwa rief 1917 zur Verarbeitung von Maikäfern auf, um den Futtermittelmangel auszugleichen, oder informierte über die Inbetriebnahme von Knochenzerkleinerungsmaschinen, mit deren Hilfe Fett gewonnen werden sollte.336 In den Lagern des Hinterlandes machte sich Verzweiflung breit. Das galt im Sommer 1917 für russische Kriegsgefangene anscheinend nicht weniger als für italienische. In einem Zensurbericht vom Juni 1917 über die Korrespondenzen russischer Kriegsgefangener war von zunehmenden „Irrsinnsfällen“ und „Selbstmordversuchen“ die Rede. Die Gefangenen würden aber, hieß es, „einsehen“, dass „die Monarchie sie nicht besser verpflegen kann“. Ihre Beschwerden richteten sich nun vor allem gegen die heimatliche Regierung, die sie im Unterschied etwa zu Briten und Franzosen nicht ausreichend mit Lebensmittelpaketen versorgen würde.337

334 Akten betr. Bahnbau Toblach. Feldeisenbahnwesen 1916/18. ÖStA KA AOK Qu. Abt. Feldeisenbahnwesen, Kt. 3126. 335 Neue Warte am Inn, 9.6.1917, 7. 336 J. Nr. 20061 vom 12.5.1917 betr. Verwertung der Maikäfer als Kraftfutter. Militärkommandobefehl Nr. 92, Pozsony, 13.5.1917; J. Nr. 26817 vom 30. Juni 1917 betr. Knochenzerkleinerungsmaschine – Gebrauchsanweisung. Militärkommandobefehl Nr. 140. Pozsony, 14.7.1917. ÖStA KA Terr Befehle, 5. K., Pozsony 1917–1918, Kt. 51. 337 Russische Kriegsgefangene, Juni-Bericht 1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-18/551; 10-18/750, Kt. 1466.

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Versuche einer Deeskalation und diplomatische Schritte Das Tauziehen in der Gefangenenfrage zwischen dem Kriegsministerium einerseits und dem AOK sowie schließlich auch dem Chef des Ersatzwesens andererseits verweist auf die vielen Widersprüche, die das österreichisch-ungarische Gefangenenwesen kennzeichnen. Neben radikalen Tendenzen finden sich Appelle zur Mäßigung ebenso wie Stimmen, die mit Blick auf die gegnerischen Staaten Verständigungsbereitschaft signalisierten. Die Rücksichtnahme auf „Kriegsnotwendigkeiten“ schob sich bei alldem immer wieder dazwischen oder aber in den Vordergrund. Jonathan Gumz diagnostiziert hinsichtlich der Okkupationspraxis in Serbien ab 1917 eine Rückkehr zur „world of the pre-1914 international system with its emphasis on contained conflict“338 und sieht mit Blick auf Beschneidungen der Militärgewalt eine Besinnung auf den „Rechtsstaat“. 339 Martin Schmitz wiederum fordert eine deutliche Relativierung der These ein, wonach der „Umgang mit gegnerischen Zivilisten im Ersten Weltkrieg einen ‚path of escalation toward total war‘ dargestellt habe“.340 Deeskalierende Faktoren und „Selbstbeschränkungen“ macht Schmitz bereits für eine frühere Phase des Krieges aus.341 Die Frage, ob womöglich konkret in Bezug auf die Gefangenenbehandlung zumindest der Beginn von Kaiser Karls Regentschaft eine Trendumkehr in Richtung einer „Milderung“ bestehender Systeme einleitete, kann nur sehr eingeschränkt mit „ja“ beantwortet werden. Kaiser Karl, der Ende 1916 dem verstorbenen Franz Joseph nachfolgte, gab sich im Zuge seiner intendierten „Entmachtung“ des AOK342 zweifellos bemüht, in der Gefangenenbehandlung gewissermaßen als „Mediator“ auf338 Gumz, Norms of war, 103. 339 Unter Berücksichtigung des sich seit Frühjahr 1917 verändernden politischen Klimas, das nicht zuletzt von einem stärker werdenden Protest gegen die „Allmacht“ des Militärs geprägt war, sind parlamentarische Initiativen zu beachten, die etwa mit dem sogenannten „Überprüfungsgesetz“ „die Basis für die Aufhebung nicht gesetzeskonformer militärgerichtlicher Urteile“ schufen. Im August 1917 schließlich „hatte das Armeeoberkommando alle während des Krieges in nicht gesetzeskonformer Art und Weise ergangenen Verfügungen außer Kraft“ gesetzt. Bis dahin waren allerdings (seit Kriegsbeginn) drei Jahre verstrichen, in denen das AOK „die Zurücknahme“ von „nicht gesetzeskonformen Abänderungen der Militärstrafprozeßordnung“ verschleppen konnte. Überegger, Der andere Krieg, 115, 127 f.; Gumz, Norms of war, 103. 340 Schmitz, „Als ob die Welt aus den Fugen ginge“, 403. 341 Ebd. Vgl. zu den inneren Entwicklungen etwa in Zusammenhang mit Massenstreiks: Plaschka/ Haselsteiner/Suppan, Innere Front, Bd. 1, 196. 342 Vgl. dazu Manfried Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Wien/Köln/Weimar 2013, 711.

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zutreten, u. a. um gegen besonders bedenklich wirkende Gewaltpraktiken vor allem bei der Armee im Felde aufzutreten. Seinen diesbezüglichen Initiativen, die gleichzeitig unter dem Vorzeichen eines Erhaltes der unverzichtbaren Kriegsgefangenenarbeit gesetzt wurden, war aber offenbar nur eingeschränkte Nachhaltigkeit beschieden. Körperstrafen wurden auf sein Geheiß verboten, um gleich wieder erlaubt zu werden, und eine eingeforderte Kontrolle über Todesurteile, die Gefangene betrafen, ließ sich realiter nur schwer verwirklichen. Mit Gegenwind war der junge Kaiser in jedem Fall konfrontiert. Das zeigte sich auch in Zusammenhang mit dem Kriegsnotwehrrecht und seiner Anwendung in Serbien, gegen das Karl einschritt. Die Folge waren, nicht anders als bezüglich der Abschaffung des „Anbindens“, zahlreiche Einsprüche von Offizieren, die eine Rücknahme solcher Befehle forderten.343 Die normative Kraft des Faktischen überstieg die gestalterischen Möglichkeiten des Monarchen. Das Kriegsministerium fürchtete gleichzeitig womöglich allzu weitgehende Veränderungen. Unsicherheit machte sich breit. Obwohl beispielsweise Vorschläge für eine Reform des Militärstrafgesetzes just das Kriegsministerium unterbreitet hatte, schreckte es am Ende vor allzu gravierenden Modifikationen zurück. Mit moderaten Eingriffen ließ sich aber, so wurde es schließlich von k. k. Ministerpräsident Ernst von Seidler im Sommer 1918 belehrt, keine Politik mehr machen.344 Die normative Kraft des Faktischen hatte aber zweifellos auch das Kriegsministerium längst schon eingeholt. Dass in der Zusammenarbeit mit zivilen ebenso wie militärischen Stellen ein tragfähiger Konsens hinsichtlich der Gefangenenfrage nur schwer zu erreichen war, hatte sich bereits früh abgezeichnet. Abhilfe sollten Gespräche am Verhandlungstisch bringen. Schon 1916 reifte die Idee zur Abhaltung einer „militärische[n] Konferenz in Kgf.-Angelegenheiten“. Im Frühjahr 1917 griff sie das Kriegsministerium erneut auf. Die Haager Landkriegsordnung wurde einmal mehr als Leitlinie der Gefangenenbehandlung beschworen. Im dritten Kriegsjahr stand man offenbar wieder am Anfang. 1917 aber waren die Voraussetzungen für einen Neustart in Sachen regelkonformer Kriegsgefangenenbehandlung ganz andere als noch 1914. Die Uhren ließen sich nicht zurückdrehen. Nichtsdestoweniger fand sich als Hauptthema der anvisierten Konferenz die „Einhaltung der völkerrechtlichen Normen“ auf der Tagesordnung. Dann folgten Materien, die sich ganz offensichtlich als Konsequenz der fehlenden oder wenigstens mangelnden Einhaltung von bestehenden Konventionen konkret ergeben hatten sowie aktuelle Probleme ansprachen: 343 Gumz, The Resurrection and Collapse of Empire, 136 f. 344 Ebd., 133.

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die „Ausschliessung von Übergriffen durch Bewachungs- oder sonstige Organe“, die „Sicherung der vorgeschriebenen Ration gegen Mißbräuche untergeordneter Organe“, die „Lösung der Bekleidungsfrage“ oder die „Behandlung von Fluchtfällen von Kgf.“.345 Das Kriegsministerium, das sich immer wieder als treibende Kraft in Bezug auf die Stockholmer Konferenzen mit Rot-Kreuz-Vertretern verschiedener Länder empfunden hatte346, ging davon aus, dass die Frage der Behandlung der Kriegsgefangenen nur unter Einbeziehung maßgeblicher militärischer Instanzen lösbar war. Was im Zuge von Verhandlungen allein von Delegierten des Roten Kreuzes vereinbart wurde, schien ohne die praktische Umsetzung durch die militärischen Verantwortlichen allzu oft wertlos zu bleiben.347 Während sich also das Habsburgerreich als Folge ergänzender Absprachen zur HLKO zu darüber hinaus reichenden Verpflichtungen in Sachen Kriegsgefangenenschutz bereit erklärte348, bestanden gleichzeitig im k. u. k. Kriegsministerium berechtigte Zweifel an deren Umsetzbarkeit. Die Abmachungen der Rot-Kreuz-Vertreter wurden von den Militärs in der Regel mit Argwohn beobachtet oder nährten zumindest ge345 K. u. k. Kriegsministerium an das k. u. k. Ministerium des Äußern, 19.3.1917, Zl. 26735. ÖStA HHStA MdÄ F 36 Dep. 7 Kriegsgefangene-Varia, Kt. 477. 346 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil I: Kriegsgefangenenfürsorge Österreich-Ungarns. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 23. 347 Vgl. K. u. k. Kriegsministerium an das k. u. k. Ministerium des Äußern, 19.3.1917, Zl. 26735. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Dep. 7 Kriegsgefangene-Varia, Kt. 477. Tatsächlich waren, so Uta Hinz, der „Vermittlung zugunsten Kriegsgefangener“ durch „nichtgouvernementale“ Institutionen, wie sie auch das IKRK darstellte, enge Grenzen gesetzt. Mehr noch als dem IKRK aber vertrauten die Regierungen immerhin „ihren nationalen Rotkreuzgesellschaften“, wenngleich auch mit deren Hilfe zustande gekommene „Nachbesserungen“ der bestehenden Regeln für die Gefangenenbehandlung oft hinter den Erwartungen zurückblieben. Uta Hinz, Humanität im Krieg? Internationales Rotes Kreuz und Kriegsgefangenenhilfe im Ersten Weltkrieg, in: Jochen Oltmer (Hg.), Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkriegs, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006, 216–238, 231. Der Versuch des IKRK, die „nationalen Rotkreuzgesellschaften zugunsten der Kriegsgefangenen an einen Tisch zu bringen, scheiterte im letzten Kriegsjahr an der Radikalisierung von Kriegsführung und Kriegspropaganda. Eine im Februar 1918 unternommene diesbezügliche Konferenzinitiative […] mit dem Ziel, die Bestimmungen von Genfer Konvention und HLKO der Kriegsrealität anzupassen, zu ergänzen und zu präzisieren, wurde aufgrund der Kriegsumstände wieder aufgegeben“. Ebd., 232. Mit Blick vor allem auf die Ostfront sehen andere Untersuchungen jedoch ganz grundsätzlich eine größere Bereitschaft zur Kommunikation zwischen den betroffenen Rot-Kreuz-Gesellschaften als im Westen, wo man die Partner-Organisationen in den Feindstaaten angeblich als voreingenommen und unglaubwürdig abqualifizierte. Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen und Überlegungen bei Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen?, 275. 348 Die Bestimmungen der Stockholmer Konferenz (13.5.1916) bzw. des Schlussprotokolls (19.12.1916) bei Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen?, 599–611.

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wisse Bedenken. Hürden taten sich vor diesem Hintergrund bereits in Zusammenhang mit der Ratifizierung der Beschlüsse auf.349 In krassem Gegensatz zur tatsächlichen Lage der Kriegsgefangenen stand im Übrigen auch die durchaus vorhandene Bereitschaft Russlands, im Rahmen bilateraler Gespräche und Sonderabkommen das Los der Feindsoldaten zu verbessern.350 Zustande kamen im August 1917 schließlich eine vierte Stockholmer Konferenz und im Herbst desselben Jahres Gespräche in Kopenhagen, die Vertreter aus Österreich-Ungarn, Deutschland, Russland, Rumänien, der Türkei sowie Schweden und Dänemark an den Verhandlungstisch brachten. Auch militärische Vermittler fanden sich ein. Die Donaumonarchie schickte Repräsentanten des Kriegsministeriums ebenso wie der Rot-Kreuz-Gesellschaften. Die von österreichisch-ungarischer Seite aufgeworfene Idee eines Austausches aller Gefangenen, die sich bereits mehr als zwei Jahre in Gefangenschaft befanden, wurde nicht weiterverfolgt. Dieser überaus bemerkenswerte Vorschlag kann nicht zuletzt im Kontext der Versorgungskrise des Habsburgerreiches sowie eines möglichst effektiven Arbeitseinsatzes von Gefangenen betrachtet werden. Die angekündigte „größte Liberalität bei Feststellung der Zahl“ der in die Heimat zu entlassenden Invaliden stand damit eindeutig in Zusammenhang. Eine „Entlastung von jedem nutzlosen“, weil arbeitsunfähigen „Esser“ schien angezeigt.351 „Für Nichtstuer ist bei uns kein Brot!“, lautete im März 1918 bezeichnenderweise auch eine von den Heeresstellen an die Arbeitgeber kommunizierte Richtlinie für den Umgang mit den Feindsoldaten.352 Anzunehmen ist auch, dass die wachsenden disziplinären Probleme mit den Gefangenen im Gewahrsam der Donaumonarchie, deren destabilisierende Wirkung gerade im letzten Kriegsjahr nicht zu unterschätzen ist, die Bereitschaft der Zentralstellen zu deren Repatriierung beförderten. Die erwähnten Gespräche mit Italien und Serbien zur Mitte 1918 über einen weitgehenden Gefangenenaustausch weisen darauf hin.353 Obwohl man auch in 349 Vgl. ebd., 257–259. 350 Vgl. ebd., 253–276. 351 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 43. Raabl-Werner stellte klar: „Vom reinen Utilitaritätsstandpunkte des Nehmestaates aus war es zweckmäßig, jeden Kgf., der nicht soweit leistungsfähig war, um die Unterhaltskosten erarbeiten zu können, heimzusenden, selbst dann, wenn er eventuell in Kürze wieder in die Kampffront gestellt worden wäre.“ Ebd. 352 Zit. nach Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 234. 353 Zu den Verhandlungen über den Gefangenenaustausch mit Serbien siehe außerdem: Neue Freie Presse, 18.6.1918, https://www.digital.wienbibliothek.at/wk/periodical/ pageview/689155 (abgerufen am 12.1.2021). Serbien blieb allerdings gerade hinsichtlich der Gefangenen von seinen Verbündeten nahezu vollkommen abhängig. Das

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Zusammenhang mit der Heimkehr von Kriegsgefangenen aus Russland und in Anbetracht von Meutereien unter den Ersatzkörpern im letzten Kriegsjahr selbst seitens der eigenen Soldaten mit Auflehnung zu rechnen hatte, ließ sich die Kontrolle über aufrührerische Elemente dieser Kategorie in Anbetracht der hierfür getroffenen Vorkehrungen womöglich leichter wiederherstellen als über fremde Heeresangehörige. Als zunehmend schwierig stellte sich vor allem die Aufsicht über die russischen Kriegsgefangenen dar. Deren Repatri­ ierung zögerte man angesichts des Friedens von Brest-Litowsk gefährlich lange hinaus. Auf diese Weise sollte der Abzug der Gefangenen von ihren Arbeitsstellen – in Abstimmung mit der Heimkehr eigener Soldaten aus Russland – möglichst fließend erfolgen.354 Realiter befand man sich in einer Zwickmühle: Da die Gefangenen immer schwerer zu kontrollieren waren, sollten sie durchaus früher als später repatriiert werden. Andererseits aber brauchte man sie als Arbeitskräfte. Verfügungen, wonach die gefangenen Russen darüber aufzuklären waren, dass ihre Heimkehr „event. noch Monate, wenn nicht mehr, in Anspruch nehmen wird“, gossen lediglich Öl ins Feuer355: Die Ungeduld unter den Gefangenen nahm weiter zu. zeigte sich auch im Vorfeld der 1918 in Bern getroffenen, weitreichenden Abmachungen über die Heimsendung der jeweiligen Kriegsgefangenen. Immerhin galt es hierbei stets auch die Einbeziehung von Italien und Frankreich zu berücksichtigen, wo sich die von der serbischen Armee als Gefangene eingebrachten k. u. k. Soldaten befanden. Da außerdem die neutrale Schweiz eine Vielzahl an Verpflichtungen zu Gunsten der Versorgung und Betreuung serbischer Kriegsgefangener übernahm, mussten auch deren Wünsche beziehungsweise Kapazitäten für die Aufnahme von Gefangenen stets im Auge behalten werden. Darüber hinaus gab es auch in der serbischen Führung unterschiedliche Ansichten über eine etwaige nochmalige Verwendung serbischer Kriegsgefangenen-Heimkehrer zum militärischen Dienst. Obwohl sich die Verbündeten des niedergerungenen Königreiches am Balkan in Austauschfragen durchaus auch als Bremser darstellten, gelang es Mitte 1918 über direkten Kontakt zwischen den Rotkreuzgesellschaften Serbiens und Österreich-Ungarns eine Vereinbarung zu erzielen, die einen „Pro Kopf“-Austausch für alle Kategorien von Gefangenen beinhaltete und den Rest der betroffenen Männer für eine Internierung in der Schweiz bis Ende des Krieges vorsah. Auch Zivilinternierte sollten repatriiert werden. Die weiteren, zu Gunsten der Entente verlaufenden Kriegshandlungen machten die Abmachung allerdings obsolet. Vgl. dazu: Offizielle Verhandlungen in Kgf.-Angelegenheiten mit der serbischen Regierung. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-35/247-3, Kt. 2157 sowie: Razmena naših validnih zarobljenika, Bericht des Außenministeriums, 10.5.1918. AS MID, PO r. 535/40; Srpske novine, 4. August, no. 92, 1918, 1–3. Außerdem Matthias Egger: Die Hilfsmaßnahmen der österreichisch-ungarischen bzw. der österreichischen Regierung für die österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen in Russland und Italien. Ein Forschungsbericht, in: Gunda Barth-Scalmani/Joachim Bürgschwentner et al. (Hg.), Militärische und zivile Kriegserfahrungen 1914–1918, Innsbruck 2010, 81–114, 105. 354 Dazu Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 237–241. 355 Beilage zu MilKmdo.-Befehl Nr. 85/18 (MA. Nr. 32626/Kgf.) betr. die Behandlung der

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Für Aufregung sorgte des Weiteren eine Verlautbarung der Bolschewiki. Sie hatten angekündigt, die Gefangenen der Mittelmächte freizulassen – ein Schritt, der propagandawirksam war und gleichzeitig die schwache Sowjetmacht von der Verpflichtung entband, für die Versorgung der Feindsoldaten aufzukommen. Die Pressezensur im Habsburgerreich musste solche Botschaften an die Gefangenen nachvollziehbarerweise unterdrücken. Ähnliche Forderungen seitens der russischen Kriegsgefangenen waren selbstverständlich unerwünscht. Doch waren die aus Russland heimkehrenden k. u. k. Soldaten so oder so ein Beweis dafür, dass vom Frieden anscheinend nur ein Teil der Kriegsgefangenen profitierte. Die Russen im Habsburgerreich waren es definitiv nicht.356 Dass k. u. k. Soldaten zu Zehntausenden in die Heimat strömten, ließ sich vor den russischen Gefangenen nicht verheimlichen. Letztere zeigten sich nun immer unwilliger, Vertröstungen hinsichtlich ihrer eigenen Repatriierung einfach hinzunehmen. In der 10. Kriegsgefangenenabteilung hatte man indessen völkerrechtliche Bestimmungen im Auge: Als Anfang März 1918 in Wien eine Besprechung über die „wirtschaftlichen Fragen des Großaustausches der Kriegsgefangenen mit Rußland“ unter Beteiligung verschiedener k. k. und k. u. Ministerien, zweier AOK-Abteilungen, des k. u. k. Kriegsministeriums sowie des Chefs des Ersatzwesens stattfand, stand auch die Frage einer Übereinstimmung vorprogrammierter Verzögerungen mit den Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung im Raum. Ernst von Streeruwitz betonte die diesbezügliche regelkonforme Vorgehensweise, da in der HLKO im Falle eines Friedensschlusses nicht von einer „Befreiung“ der Kriegsgefangenen, sondern von einer „ehemöglichste[n] Entlassung“ die Rede sei. Und das seien eben zwei unterschiedliche Sachverhalte. Daher – so die Schlussfolgerung – könne „uns hieraus“, d. h. aus der verschleppten Repatriierung und der Nicht-Entlassung der nach wie vor als Arbeiter verwendeten Russen, „kein Vorwurf entstehen“.357 Das Festschreiben von Normen, die Überprüfung der Regelkonformität, das Aushandeln neuer Vereinbarungen – all das mündete keineswegs automatisch in konkrete Auswirkungen auf oder Veränderungen für die Lage der Betroffenen. Bereits angesichts der ersten Abkommen für einen erweiterten Kriegsgefangenenschutz, die 1915 zustande kamen, machten sich im k. u. k.

russ. Kgf. zwischen Friedensschluss und Abtransport. Militärkommandobefehl Nr. 79, Pozsony, 2.4.1918. ÖStA KA Terr Befehle, 5. K., Pozsony 1917–1918, Kt. 51. 356 Vgl. Protokoll der Besprechung vom 6.3.1918 bez. Großaustausch mit Russland. ÖStA KA Chef d EW 1918: 19-16/4, Kt. 108. 357 Ebd.

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Kriegsministerium bei aller Genugtuung über das vertraglich Errungene auch Zweifel an der Umsetzung breit. Ernst von Streeruwitz gestand viele Jahre später ein: „Nun hieß es, den Plan in die Wirklichkeit zu überführen und es wurde uns wahrhaft bange, wie das einzuleiten und halbwegs sicher zu Ende zu führen wäre.“358 Während Streeruwitz im Weiteren vor allem auf die erfolgreiche Überwindung vieler Probleme hinwies, scheiterte die Durchsetzung verschiedener Maßnahmen ganz einfach an politischen Entwicklungen. Die in Kopenhagen ausgehandelten Bestimmungen, die eine generelle Verbesserung der Lebensbedingungen und eine Erweiterung der Rechte von Feindsoldaten vorsahen359, büßten angesichts der Umbrüche in Russland praktisch jegliche Bedeutung ein. Mit Blick auf die realen Gegebenheiten des k. u. k. Kriegsgefangenenwesens vor allem bei der A. i. F. sowie auf die sukzessive Auflösung des Lagersystems, von der die Mannschaftssoldaten und damit der überwiegende Großteil der Gefangenen betroffen war, erscheinen der Wert und die Praktikabilität der Absprachen allerdings ganz grundsätzlich fraglich.360 Ergänzende Bestimmungen beispielsweise hinsichtlich der bereits zuvor zugelassenen „Lagerkomitees“, denen das Recht der Beschwerdeführung eingeräumt worden war, vermochten die Nöte der Gefangenen in österreichisch-ungarischem Gewahrsam genauso wie in wie in den anderen Vertragsstaaten nur bedingt zu lindern. Das Habsburgerreich war parallel dazu mit einer Vielzahl von 358 Streeruwitz, Springflut, 90. 359 Diesbezügliche Regelungen betrafen überdies beispielsweise mit Bestimmungen zu Spaziergängen von Offizieren sowie Fragen zur Gültigkeit von ehrenwörtlichen Erklärungen Bereiche, die a priori beispielsweise die Lage der Gefangenen bei der A. i. F. gar nicht widerspiegelten. Als eingeschränkt relevant angesehen werden können auch Präzisierungen zu den bereits bei den Stockholmer Vereinbarungen festgelegten Lagerkomitees. In Kopenhagen ging es beispielsweise um die Zahl der Mitglieder nach Anzahl der Gefangenen. In Lagern bis zu 1000 Kriegsgefangenen waren fünf Mitglieder vorgesehen usw. Angesichts sich leerender Lager in der Donaumonarchie und der Arbeitsverwendung eines Großteils der russischen Gefangenen, für welche die betreffenden Bestimmungen gelten sollten, stellte sich ebenfalls die Frage der Anwendbarkeit. Vgl. dazu die nichtsdestoweniger positiven Schlussfolgerungen bei Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen?, 270–273. Vgl. zu den Stockholmer Konferenzen auch: Neue Freie Presse, 4.1.1916, https://www.digital.wienbibliothek.at/wk/periodical/titleinfo/686403 (abgerufen am 1.2.2021). Zu den Gesprächen in Kopenhagen siehe u. a. auch Ernst von Streeruwitz, Die Konferenz in Kopenhagen, Oktober 1917, in: Weiland/ Kern, In Feindeshand, Bd. 2, Wien 1931, 335. 360 Skeptisch bereits zu den Ergebnissen der Stockholmer Konferenzen äußerte sich Alan Kramer, Prisoners in the First World War, in: Sibylle Scheipers (Hg.), Prisoners in War, New York 2010, 75–90, 77 f. Ausführlich zu den Kriegsgefangenen-Konferenzen betreffend die Ostfront mit positivem Resümee: Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen?, 253–277.

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Problemen konfrontiert. Die k. u. k. Armee stand mit dem Rücken zur Wand. Das ausbeuterische System der Arbeitsverwendung von Kriegsgefangenen wurde gerade 1917, als mit der Kopenhagener Konferenz ein „Meilenstein“ in Sachen Kriegsgefangenenschutz gesetzt wurde361, und teilweise noch bis hinein in die letzten Kriegsmonate fortgesetzt. Die Diskrepanz zwischen den Bestimmungen, die am Verhandlungstisch festgelegt wurden, und den tatsächlichen Gegebenheiten vor allem für die Gefangenen bei der Armee im Felde hätte größer nicht sein können. Die „technokratische Brutalisierung“362, die sich unter anderem in einem dehumanisierenden Vokabular der k. u. k. Militärbürokratie für die zur Arbeit verwendeten Gefangenen niederschlug (Stichwort „Arbeitsrussen“), war gleichzeitig gekoppelt an die mit Ressourcenknappheit einhergehenden Herausforderungen der Kriegsführung. Diesen wiederum sah sich die Armeeführung vor allem mit Blick auf fehlende „Humanressourcen“ immer weniger gewachsen. Völkerrechtliche Verpflichtungen sowie ergänzende Bestimmungen für die Gefangenenbehandlung, wie sie Rot-Kreuz-Delegierte noch in der letzten Kriegsphase aushandelten, gerieten vor allem im Bereich der A. i. F. geradezu zwangsläufig ins Hintertreffen oder blieben gleich ganz ohne Bedeutung. Eine durch die Initiativen des Kriegsministeriums und die Eingriffe des Kaisers im Raum stehende grundsätzliche Besinnung auf die Haager Landkriegsordnung mit ihren Bestimmungen für eine humane Gefangenenbehandlung zeichnete sich in der Praxis und vor dem Hintergrund eines erbarmungslosen Abnützungskrieges nicht ab. Zusätzliche Übereinkünfte, wie sie in Stockholm oder Kopenhagen getroffen worden waren, änderten wenig bis nichts an den vorhandenen Rahmenbedingungen. Die Prioritäten waren darüber hinaus klar definiert. Der Kriegsgefangenenschutz war gegenüber den Bedürfnissen der Kriegsführung grundsätzlich nachgereiht. Geschont wurden schließlich auch die eigenen Männer nicht. Das galt für die Soldaten, die in waghalsige Offensiven getrieben wurden, realiter von Beginn des Krieges an.363 „Desinteresse am Wohl der eigenen Mannschaften“ konstatiert Martin Schmitz nicht nur bei der Armeeführung. Er macht diesbezüglich eine 361 Egger, Gekämpft, gefangen und vergessen?, 269. 362 Uta Hinz, Die Erfahrung von Kriegsgefangenschaft in Deutschland 1914–1918. Kenntnisstand und Forschungsfragen, in: Bernhard Lübbers/Isabella von Treskow (Hg.), Kriegsgefangenschaft 1914–1919. Kollektive Erfahrung, kulturelles Leben, Regensburger Realität, Regensburg 2019, 248–267, 260. 363 Vgl. dazu etwa die horrenden Verluste im sogenannten „Karpatenwinter“ 1914/15. Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg, 306–320. Bezüglich der Problematik eines zur Neige gehenden „Humankapitals“ etwa in Verbindung mit den Bestimmungen für die Landsturmpflicht siehe: Ebd., 700 und 776.

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„weitverbreitete Eigenschaft“ innerhalb des gesamten k. u. k. Offizierskorps aus, „das den ‚Aufbruch in die Moderne‘ in Bezug auf zeitgemäße Menschenführung nicht mitgemacht hatte“.364 Während dem „Wohl“ der Gefangenen diesem Befund entsprechend wahrscheinlich noch weniger Aufmerksamkeit gegolten haben dürfte, waren es allen Unzulänglichkeiten und anderweitigen Prioritäten zum Trotz wechselseitige Vereinbarungen für den Kriegsgefangenenschutz, die immerhin das Bewusstsein diesbezüglicher Verpflichtungen wach hielten. Sie verwiesen gleichzeitig auf eine „diplomatische Zukunft“, in der es notwendig sein würde, Rechenschaft über die eigene Gefangenenpolitik abzulegen. Das k. u. k. Kriegsministerium übernahm vor diesem Hintergrund immer wieder die Rolle des Mahners gegenüber dem AOK.

Offene Worte Einer ungehinderten Eskalation in der deutschen Kriegsführung kam laut Isabel Hull der Umstand fehlender nichtmilitärischer Korrektive entgegen – zumal „the main effective limits to excess lay outside the military, in government, politics, law, and public opinion“. In Deutschland seien diese Kräfte zu schwach gewesen.365 Heather Jones übertrug diesen Befund auf die Kriegsgefangenenfrage, sieht eine spezielle „ruthlessness“ auf deutscher Seite und verweist auf „political structures and cultural norms“, die demgegenüber in Frankreich und Großbritannien für eine Eindämmung von Radikalisierungsdynamiken gesorgt hätten.366 Deutschlands Kriegsgefangenenpolitik sei in jedem Fall am wenigsten von zivilen Einflüssen geprägt, die Gefangenenverwaltung zudem „labyrinthisch“ gewesen: „Its decentralised nature, as well as the fact that civilian government had barely any input into prisoner policy, helps to explain the higher levels of violence which emerged in the German case.“367 Im deutschen Reichstag hätten sich überdies lediglich die Sozialdemokraten gegen eine rigorose Vergeltungspraxis gewandt.368 364 Schmitz, „Als ob die Welt aus den Fugen ginge“, 400. 365 Hull, Absolute Destruction, 325. 366 Jones, Violence, 5. Vgl. dazu die Rezension von Reinhard Nachtigal, der u. a. auf den Einsatz von Arbeitskräften aus den Kolonien hinweist: Reinhard Nachtigal, Rezension zu: Heather Jones, Violence against Prisoners of War in the First World War. Britain, France and Germany, 1914–1920, Cambridge/New York/Melbourne 2011, in: Historische Zeitschrift 206 (2013), 244–247. 367 Jones, Violence, 17. 368 Heather Jones, A Missing Paradigm? Military Captivity and the Prisoner of War, 1914– 18, in: Matthew Stibbe (Hg.), Captivity, Forced Labour and Forced Migration in Europe during the First World War, London/New York 2009, 19–48, 27.

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Im österreichischen Teil der Doppelmonarchie sorgte die Wiedereröffnung des Reichsrates im Mai 1917 dafür, dass die Kriegsgefangenenproblematik nunmehr abseits propagandistischer Berichterstattung und einer mehr oder weniger gelungenen Unterdrückung unerwünschter Meldungen problematisiert wurde. Für die k. u. k. Behörden war diese Entwicklung in mehrerlei Hinsicht unerfreulich. Zum Rechtfertigungsdruck gegenüber der eigenen Bevölkerung bezüglich der Frage ausreichender Hilfstätigkeit für die k. u. k. Soldaten in Gefangenschaft hinzu kam auch die Erfordernis, offensichtliche Missstände in der Behandlung von Kriegsgefangenen, aber auch von Flüchtlingen und Internierten in der Habsburgermonarchie zu kommentieren.369 Daraus wiederum ergaben sich Unannehmlichkeiten in Bezug auf das Ausland. Öffentlich diskutierte Missstände in der Gefangenenbehandlung lieferten den feindlichen Staaten gewissermaßen Munition für ihre Beschwerden über Missstände hinsichtlich der Lage der Kriegsgefangenen in 369 Im Juni 1917 sorgte beispielsweise die Rede des Abgeordneten Jiři Střibrný vom „Böhmischen nationalsozialen Klub“ über horrende Zustände im Lager Thalerhof bei Graz für Unbehagen. Mehr als 40 Abgeordnete auch des Deutschen Nationalverbandes forderten daraufhin eine Untersuchung der vorgebrachten Anschuldigungen und machten darauf aufmerksam, dass Vorkommnisse wie in Thalerhof sowohl im In- als auch im Ausland Aufsehen erregen würden. Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des Reichsrates, 10. Sitzung der XXII. Session am 26. Juni 1917, 252 I. Und siehe: Anfrage der Abgeordneten Dr. Schürff, Richter, Dr. Waber, Neunteufel und Genossen an Seine Exzellenz den Herrn Minister für Landesverteidigung, betreffend die Verhältnisse im Gefangenenlager Thalerhof bei Graz. Střibrný selbst wandte sich im Rahmen einer Interpellation an mehrere k. k. Minister. Vgl. u. a. ÖStA KA Ministerium für Landesverteidigung, Interpellationen 1917, Kt. 2880. Tatsächlich nahm man die damit verbundene Auskunftserteilung im Kriegsministerium ebenso wie im Landesverteidigungsministerium nicht auf die leichte Schulter. Einzelne Anfragebeantwortungen erfolgten in Abstimmung mit dem Ministerium des Äußern, das „politische[n] Rücksichten“ geltend machte, wenn in einzelnen Entwürfen Streichungen bestimmter Passagen im Text der Anfragebeantwortung vorgenommen wurden. Dabei ging es insbesondere um Formulierungen, die die Qualität der amerikanischen Schutzmachtfunktion zu Gunsten der Kriegsgefangenen im früheren Zarenreich kritisierten – eine Rücksichtnahme, die angesichts der Tatsache, dass die Anfragebeantwortung sich mit der Kriegserklärung der USA an Österreich-Ungarn zeitlich überlappte, wohl nicht alle Beteiligten für schlüssig hielten. In der ursprünglichen Version hieß es: „Es steht fest und kann gegenwärtig auch ausgesprochen werden, daß die damalige Schutzvertretung der österreichisch-ungarischen Interessen in Rußland, die amerikanische Botschaft in Petrograd, die notwendige Initiative im Kriegsgefangenenschutz vermissen ließ; ihre Haltung bewies auch, daß das Gefühl übernommener Pflichten nicht ausreichte, um gewisse latente, heute zum vollen Durchbruch gelangte Sympathien der amerikanischen Funktionäre für unsere Feinde auszugleichen, beziehungsweise zu überwinden.“ K. u. k. Kriegsministerium und k. u. k. Ministerium des Äußern an das k. k. Ministerium für Landesverteidigung, 17.8.1918. ÖStA KA Ministerium für Landesverteidigung Präsidium Parlamentarische Gruppe 1917, Kt. 363.

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der Donaumonarchie. Das wiederum konnte sich aus Sicht der Heeresverwaltung nur negativ auf die Situation der k. u. k. Soldaten in Feindeshand auswirken. Vor diesem Hintergrund zogen Parlamentarier im August 1918 sogar eine bereits formulierte Anfrage betreffend „furchtbare Zustände“ im böhmischen Gefangenenlager Heinrichsgrün (Jindřichovice) zurück. Sie erbaten vom Minister für Landesverteidigung eine entsprechende Auskunftserteilung auf „normalem“ Wege.370 Andere Anfragen wie etwa jene des fraktionslosen Abgeordneten Vladimir Ravnihar betreffend eine „menschenunwürdige Behandlung“ italienischer Gefangener in Österreich-Ungarn wurden nichtsdestoweniger gestellt. Ravnihars Vorstoß rief sofort das AOK auf den Plan. Das k. k. Ministerium für Landesverteidigung sollte nach Dafürhalten des Armeeoberkommandos die Anfrage „in schärfster Form“ beantworten.371 Aus Sicht des Militärs stellte sich die Rückkehr zum Parlamentarismus insgesamt als gefährliches Experiment dar. Abgesehen von der drohenden Beschneidung eigener Machtfülle sowie einer öffentlich geübten Kritik an der Armeeführung wurden die in der Volksvertretung geführten Debatten als gezielte „nationale Verhetzung“ mit schwerwiegenden Folgen für die Streitkräfte betrachtet. Konkret sah man Gefahren für „die langfristige Aufrechterhaltung militärischer Disziplin und soldatischen Gehorsams“.372 Aufklärungsbedarf ergab sich aus der Sicht der Abgeordneten auch hinsichtlich des Abtransports der Gefangenen im Zuge des erwähnten Austausches zwischen Hinterland und A. i. F. Vor allem die in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung reagierte auf die Entfernung der Kriegsgefangenen durch die Militärbehörden zum Teil zutiefst erbittert. Schwere Vorwürfe wurden zudem im Kontext einer als ungezügelt charakterisierten Militärjustiz vorgebracht – ein Thema, das ganz allgemein vor allem die erste Kriegsphase betraf

370 Die von den Abgeordneten vorgebrachten Vorwürfe waren überaus schwerwiegend und betrafen grausame Misshandlungen sowohl serbischer als auch russischer sowie italienischer Gefangener. Die Behandlung der Serben wurde allerdings als tendenziell am schlechtesten bezeichnet. Außerdem angesprochen wurde eine hohe Sterblichkeit mit phasenweise bis zu 15 Toten täglich im Lager Heinrichsgrün. Behandlung der Kgf. im Kgflgr. Heinrichsgrün, August 1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-133/3, Kt. 2223. Die Antwort an die Parlamentarier legte nahe, dass sich ihre Beschuldigungen auf unrichtige Auskünfte gründeten. Der Lagerkommandant wurde als besonders verdienstvoll präsentiert, zum Nachweis wurden Dankesschreiben von serbischen Gefangenen vorgebracht, die sich an den Lagerkommandanten richteten. Behandlung der Kgf. im Kgflgr. Heinrichsgrün, September 1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-133/4, Kt. 2223. 371 K. u. k. AOK, Op. Nr. 106.176 betr. Behandlung italienischer Kgf., Baden, 10.5.1918. ÖStA KA KM 10. KgA. 1918/19: 10-125/74, Kt. 2223. 372 Überegger, Der andere Krieg, 247.

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und zahlreiche Beschwerden hervorrief.373 In Bezug auf die Kriegsgefangenen wurde die nunmehr zum Ausdruck gebrachte Kritik u. a. an einer unverhältnismäßigen Bestrafung von Feindsoldaten als Folge von Arbeitsverweigerung oder Flucht festgemacht. Im Dezember 1917 verlangten mehrere sozialdemokratische Abgeordnete im Rahmen einer Anfrage Aufklärung „betreffend die an russischen Kriegsgefangenen geübte grausame Militärjustiz“. Einleitend hieß es: Die Nachrichten, die über die schlechte Behandlung und die unzureichende Ernährung von Kriegsgefangenen und über deren Verwendung in der Feuerungszone unter die Bevölkerung gedrungen sind, haben immer von neuem berechtigten Unwillen erregt. Rein menschliche Erwägungen müßten genügen, um den Gefangenen eine Behandlung angedeihen zu lassen, wie sie Menschen zukommt, die nicht aus freiem Willen, sondern unter dem eisernen Zwang militärischer Disziplin, lediglich in Ausübung ihrer ihnen aufgezwungenen Pflicht gegen unsere Truppen gekämpft haben, Soldaten wie die unseren, an dem Krieg nicht mehr und nicht weniger schuldig als diese. Zwingt man sie, an den Fronten im Dienst unserer Kriegsführung tätig zu sein, so ist dies ein offenkundiger Gewaltakt, ein nicht zu rechtfertigender Bruch des Völkerrechts.374

Die Abgeordneten sprachen in der Folge einige Fälle schwerer bzw. übertriebener Strafen an. Thematisiert wurden auch Erschießungen von Kriegsgefangenen, die die Arbeit verweigert hatten.375 Eine im Sommer 1918 eingebrachte Anfrage bezog sich indessen auf die „Behandlung russischer Kriegsgefangener durch militärische Leiter in Kriegsleistungsbetrieben“, die einen konkreten Vorfall vom Frühjahr 1918 betraf. Darin ging es um die Bestrafung von ca. 200 russischen Gefangenen, die sich anlässlich des Friedensschlusses zwischen den Mittelmächten und Russland geweigert hatten, die Arbeit aufzunehmen. Sie wollten in Gefangenenlager

373 Vgl. dazu ebd., 114–116. „Die Regierung sah sich unter diesem Druck zur Einsetzung einer Untersuchungskommission genötigt, deren erstaunlich objektive Ergebnisse den Beschwerdeführern weitgehend recht gaben und der Militärjustiz ein denkbar schlechtes Zeugnis ausstellten. Von Standrechtsfällen abgesehen, wurde sie hinsichtlich Zivilpersonen Mitte 1917 aufgehoben.“ Martin Moll, Militärgerichtsbarkeit in Österreich (circa 1850–1945), in: Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs (BRGÖ) 2016, 324–344, 334. 374 Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des Reichsrates, 50. Sitzung der XXII. Session 1794 I, 18. Dezember 1917. 375 Ebd.

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überstellt werden, um dort die Repatriierung abzuwarten: Die „Rädels­führer“ wurden daraufhin in „Straflager“ überstellt, die übrigen „150 bis 200“ im „Garten des Lagers der Firma“ Bleckmann in Mürzzuschlag an Kastanienbäumen nach der üblichen Regel angebunden und mussten eineinhalb bis zwei Stunden hängen. Von den nebenliegenden Häusern sah man das furchtbare Schauspiel. Nach dem Berichte einer Frau ist einem der Angebundenen das Blut aus der Nase geronnen. Ein Offizier der Bewachungsmannschaft blies einem der Angebundenen höhnisch den Zigarettenrauch unter die Nase.

Dieser Vorfall bewog auch die einheimischen Arbeiter dazu, die Arbeit einzustellen. Ein Streik konnte offenbar gerade noch verhindert werden. Die Misshandlung der Russen aber lenkte die Empörung der Anwesenden auf eine „Militärgewalt“, die offenbar ganz grundsätzlich menschenunwürdige Vorgehensweisen bedingte.376

„Widersetzlichkeiten“ Die Ereignisse in Mürzzuschlag führten vor, wovor die Behörden bereits große Angst hatten – die „Fraternisierung“ einheimischer und fremder Arbeitskräfte.377 Bereits nach der russischen Februarrevolution registrierte 376 Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des Reichsrates, 2911 I, 77. Sitzung der XXII. Session, Anfrage der Abgeordneten Dr. Schacherl, Muchitsch etc. betreffend die Behandlung russischer Kriegsgefangener durch militärische Leiter in Kriegsleistungsbetrieben, 18.7.1918. Betr. Kriegsleistungsgesetz siehe: RGBl. Nr. 236, Gesetz vom 26. Dezember 1912 betreffend die Kriegsleistungen. 377 Erwähnenswert ist, dass es hinsichtlich der Arbeitsverwendung von russischen Kriegsgefangenen schon früh Bedenken gab, die die besonderen Charakteristika des habsburgischen Vielvölkerstaates ebenso betrafen wie weitgehende sicherheitspolitische Überlegungen. Der bei einer interministeriellen Sitzung zu diesen Fragen im Juli 1915 anwesende Heinrich von Raabl-Werner verwies als Vertreter des Kriegsministeriums auf unterschiedliche Voraussetzungen für den Kriegsgefangenen-Einsatz im Vergleich zu Deutschland, mit dem man in regem Austausch über diese Frage stand. Nationale ebenso wie politische Überlegungen spielten eine Rolle. Erstere bewirkten beispielsweise zeitweilige Restriktionen der Verwendung russischer Kriegsgefangener in vornehmlich slawisch besiedelten Gebieten der Monarchie, zweitere betrafen unerwünschte Konsequenzen für die Disziplin der heimischen Arbeiter: So gab es „die Befürchtung, daß sich die Tendenzen der russischen Arbeiterorganisationen unseren heimischen Arbeiterkreisen mitteilen könnten“. Protokoll der interministeriellen Sitzung betr. Beschäftigung von Kriegsgefangenen, 6.7.1915. KLA Landesregierung/Präsidium Zl. 6407 (Kriegsgefangene für gemeinnützige Arbeiten), Kt. 349. Von einer ur-

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man dort und da besorgniserregende Entwicklungen. Im steirischen Passail „organisierten“ sich einige im „Militärbergbau“ tätige russische Gefangene, bedrohten arbeitswillige Kameraden und waren nur mehr mit Zwangsmaßnahmen zur Arbeit zu bewegen. Einigen gelang die Flucht. „Die passive Resistenz griff dann auf die eigene Arbeiterschaft polnischer und ukrainischer Nationalität über.“ Offenbar planten die Gefangenen in Absprache mit der Bewachungsmannschaft außerdem, „Betriebsschäden zu verursachen“.378 Die Furcht vor unerwünschten „Annäherungen“ zwischen Gefangenen, Soldaten und Einheimischen nahm in den kommenden Monaten zu. Sie war angesichts des Ausmaßes der Januarstreiks, die zu Jahresbeginn 1918 die k. u. k. Monarchie erschüttert hatten, durchaus nicht unbegründet. Zwar spielten streikende oder – wie befürchtet wurde – angesichts der revolutionären Entwicklungen in Russland politisch radikalisierte Gefangene damals keine oder eine nur sehr marginale Rolle. Das Potential derartiger Entwicklungen, wie sie in Mürzzuschlag oder Passail beobachtet werden konnten, war aber ohne Zweifel ernst zu nehmen.379 Neben konkreten Meldungen etwa vom gerade noch vereitelten Übergreifen eines Streikes russischer Kriegsgefangener im schlesischen Weidenau auf die dortige Arbeiterschaft380 lagen zahlreiche Berichte über Gefangene aus dem früheren Zarenreich vor, denen zumindest zugetraut wurde, destruktiv auch auf einheimische Arbeiter einzuwirken. Die Heeresverwaltung klassifizierte allerdings alles, was sich an „Widersetzlichkeiten“ zutrug, als mehr oder weniger revolutionär. Vor allem russische Gefangene wurden als „Träger“ sogenannter „umstürzlerischer“ Ideen identifiziert.381 Dabei gilt es auch zu bedenken, dass sich trotz Androhung rigoroser Konsequenzen vor allem im Hinterland der Kontakt zwischen der Bevölkerung und sprünglichen Linie, keine Kriegsgefangenen in „slavische Gegenden“ als Arbeitskräfte zu schicken, wurde noch 1915 Abstand genommen. Allerdings waren aus „nationalen Rücksichten“ bereits zuvor „in die slavischen Gegenden Mährens und Böhmens in erster Linie Kgf. nichtslavischer Nationalität (Mohammedaner, Tartaren, Kirgisen, Italiener etc.) abgegeben“ worden. Vgl. Heranziehung von Kgf. für Arbeiten unter militärischer Bewachung. ÖStA KA KM 10. Abt. 1915: 10-11/139-15, Kt. 959. Über die Reaktion der russischen Kriegsgefangenen auf die Revolutionen in Russland siehe: Verena Moritz, Die Revolutionen in Russland und die Kriegsgefangenen des Zarenreichs in Österreich-Ungarn 1917–1918, in: Stefan Karner/Philipp Lesiak (Hg.), Erster Weltkrieg. Globaler Konflikt – lokale Folgen. Neue Perspektiven, Innsbruck/Wien/Bozen 2014, 187–208. 378 Nachrichtenstelle des k. u. k. Militärkommandos Graz an das Evidenzbüro des k. u. k. Generalstabes, 16.6.1917. ÖStA KA Chef d EW 1917: 19-29/2, Kt. 42. 379 Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 237–241. 380 Bericht aus Böhmischdorf, 29.5.1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-147/29, Kt. 2230. 381 Vgl. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 237–241.

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den Gefangenen nicht hatte verhindern lassen. Vor allem der Arbeitseinsatz der Feindsoldaten im landwirtschaftlichen Sektor stand der eingeforderten Distanz entgegen. Ab 1915 war die Presse voll von Kundmachungen über Strafen sowohl für Kriegsgefangene als auch die Bevölkerung im Falle eines „unerlaubten Verkehrs“.382 Ins Visier gerieten längst nicht nur vorwiegend slawisch besiedelte Gebiete der k. u. k. Monarchie, wo man aus Furcht vor „Fraternisierungen“ zwischen Einheimischen und vor allem russischen Gefangenen zu Kriegsbeginn überhaupt keine Kriegsgefangenenarbeit zugelassen hatte.383 Auf eine revolutionäre Gärung in der k. u. k. Monarchie verwiesen überdies die Meutereien der Ersatztruppenkörper in Judenburg, Murau, Radkers­ burg, Rumburg, Pécs und Kragujevac, an denen Russlandheimkehrer, also aus dem ehemaligen Zarenreich heimgekehrte k. u. k. Soldaten, maßgeblich beteiligt gewesen waren. Vereinzelte Kontakte zwischen russischen Gefangenen und Soldaten, die bei den Meutereien dabei gewesen waren, deuteten auch hier auf unerwünschte Bündnisse hin. Angesichts neuer Streiks sollten im Juni 1918 Kriegsgefangene aus den Rüstungsbetrieben nach und nach abgezogen werden. Man befürchtete ganz offensichtlich gemeinsame Aktionen zwischen einheimischen Arbeitern und den Feindsoldaten.384 Darüber hinaus musste – unabhängig von nationalen Zugehörigkeiten – zunehmend am Willen von Wach- und Eskortemannschaften gezweifelt werden, ihren Verpflichtungen betreffend die Aufsicht von Feindsoldaten entsprechend nachzukommen.385 Diesbezügliche Klagen hatte es von Beginn des Krieges an gegeben, nun aber häuften sie sich.386 Dass 382 Siehe dazu u. a. Julia Walleczek-Fritz, The social degeneration of the Habsburg home front: “forbidden intercourse” and POWs during the First World War, in: European Review of History/Revue européenne d’histoire 24/2 (2017), 273–287 oder Verena Moritz, Kriegsgefangene als Sicherheitsproblem. Zur Kontrolle von Feindsoldaten im urbanen Raum (1914–1920), in: Elisabeth Gruber/Andreas Weigl (Hg.), Stadt und Gewalt. Innsbruck/Wien/Bozen 2016, 269–286. 383 Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 111 f. Auch der bevorzugte Einsatz deutscher und ungarischer Wachmannschaften in böhmischen Gefangenenlagern, unter denen im Unterschied zu slawischen Kollegen keine oder zumindest sehr viel weniger etwaige prorussische Tendenzen vermutet wurden, vermochte „Annäherungen“ auf Dauer nicht abzuwenden. Diese kamen nicht nur zwischen Zivilisten und Gefangenen zustande, sondern schließlich auch zwischen Bewachern und Bewachten. Die Versorgungskrise ebenso wie die damit einhergehende wachsende Kriegsmüdigkeit begünstigten derartige Kontakte. Vgl. dazu u. a. Karel Kracik, Iz žizni plennych russkich u nas. Istorii iz žizni lagerej voennoplennych v Josefove 1914–1918, Praha 2006 und Kirill Ja. Levin, Zapiski iz plena, Moskva 1936. 384 Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 240. 385 Vgl. ebd., 230–234. 386 Tatsächlich gibt es in den Beständen der 10. Kriegsgefangenenabteilung im ÖStA massenhaft Berichte über Entweichungen von Kriegsgefangenen. Als Beispiel für die re-

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sie im Falle eines Aufstandes unter den russischen Gefangenen „nicht einen Schuß abgeben würden“, erklärten im Frühjahr 1918 beispielsweise die zuständigen Offiziere und Wachmannschaften im Lager Reichenberg (Liberec) offenbar ziemlich unverhohlen.387 Die Aufsicht von Gefangenen wurde allerdings spätestens ab dem Frühjahr 1918 auch im Bereich der Armee im Felde gravierend vernachlässigt. Im Sommer des letzten Kriegsjahres war es keine Seltenheit mehr, dass Kommandanten von Kriegsgefangenen-Arbeiterabteilungen gar nicht erst zum Dienst ausrückten und die Feindsoldaten sich der aufgetragenen „täglichen Beschäftigung“ entziehen konnten.388 Eine angesichts des Bedarfs an Arbeitskräften, strategischer Erwägungen gegenüber einem mittlerweile bolschewistischen Russland und fehlender vertraglicher Grundlagen – das Habsburgerreich ratifizierte den Brester Vertrag erst im Juli 1918 – verzögerte Repatriierung der Kriegsgefangenen aus dem ehemaligen Zarenreich rief immer größere disziplinäre Probleme auch mit den Feindsoldaten in Österreich-Ungarn bzw. in den besetzen Gebieten hervor. Bis zum September 1918 waren nur 64.000 sogenannte „Großrussen“ repatriiert worden. Weitere Repatriierungspläne sahen lediglich die Heimkehr von solchen Gefangenen aus dem früheren Zarenreich vor, die als antibolschewistisch galten oder deren Heimatorte nicht von den Bolschewiki kontrolliert waren.389 Das denkbar größte Misstrauen wurde daher vom k. u. k. Kriegsministerium einer im Sommer 1918 im Habsburgerreich eintreffenden sowjetrussischen Fürsorgekommission entgegengebracht. Tatsächlich war diese nicht zuletzt an der Entfaltung bolschewistischer Propaganda unter den russischen Gefangenen interessiert und hatte maßgeblichen Anteil an der Gründung der Kommunistischen Partei Deutsch-Österreichs (KPDÖ).390 Ungeachtet ihrer ideologischen Agenda nahmen die Missionsmitglieder aber auch Aufgaben im Bereich der Gefangenenhilfe wahr. Freilich sorgte die k. u. k. Heeresverwaltung dafür, dass Lager, in denen die Situation der Gefangenen besonders schlecht war, von den sowjetrussischen Vertretern nicht visitiert wurden. In Josefstadt (Josefov) etwa, wo die Gefangenen nach Eindrücken eines österreichischen Rot-Kreuz-Delegierten „zu viel zum Sterben und zu wenig zum Leben“ hatten, oder in Theresienstadt (Terezín), wo

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gelmäßige Beschuldigung von Eskortemannschaften vgl. u. a.: Entweichungen von 108 Kgf. vom Transport des Kgflgr. Sopronnyék. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-143/19, Kt. 2224. Zit. nach Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 239. Kommando der k. u. k. Isonzo-Armee, 26.8.1918. ÖStA KA NFA Kdo. d. Isonzoarmee Qu. Akten Intendanz 1918, Kt. 31. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 255–260. Zur Tätigkeit der sowjetrussischen Kommission: Ebd., 263–274.

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mehr als 700 vergeblich auf ihre Repatriierung wartende Invalide „von Tag zu Tag durch den Tod dezimiert“ wurden, stellten sich freilich die Bedingungen nicht elender als anderswo dar.391 Es machte also wenig Unterschied, welche Lager die sowjetrussischen Delegierten besuchen durften. Auch diejenigen Landsleute, die sie zu Gesicht bekamen, vermittelten den nach Moskau gesandten Berichten zufolge einen niedergeschlagenen bis apathischen Eindruck. Ihr Heimweh hatte geradezu „krankhafte“ Formen angenommen.392 Neben dem psychischen und oftmals schlechten physischen Zustand der Kriegsgefangenen als Folge des allgegenwärtigen Hungers vermerkten die Kommissionsmitglieder im Übrigen auch die schadhafte oder fehlende Bekleidung der Männer, die zum Teil nur mehr in „Lumpen“ herumliefen. Da heimkehrenden Gefangenen von den österreichischen Stellen vor Antritt der Heimreise gerüchteweise die Mäntel abgenommen werden sollten, hofften viele auf eine Ankunft in der Heimat vor Ausbruch des Winters.393 Tatsächlich hatten die k. u. k. keine Vorkehrungen zur weiteren Versorgung der Gefangenen im nahenden Winter getroffen.394 Schleppend versprach im Übrigen auch die Heimkehr der rumänischen Kriegsgefangenen nach dem im Mai 1918 geschlossenen Frieden von Bukarest vonstattenzugehen. Erst nach der Freilassung jener Rumänen, die sich als Gefangene in den von den Mittelmächten besetzten Gebieten befanden, sollten jene heimkehren dürfen, die sich in Deutschland und Österreich-Ungarn aufhielten. Die Repatriierung aus der Donaumonarchie sollte ganz zuletzt erfolgen, wobei in diesem Zusammenhang auch auf die Abhängigkeit von vorhandenen Transportmöglichkeiten hingewiesen wurde395. Während russische Gefangene nicht verstanden, warum sie nicht heimkehren durften, konnte man in der Bevölkerung Österreich-Ungarns nicht nachvollziehen, warum die Repatriierung der k. u. k. Soldaten aus Russland zu stocken schien. Wer nicht „wild“, also außerhalb organisierter Kampagnen in die Heimat gelangte, der hoffte vorläufig umsonst auf ein Ende des Zwangsaufenthaltes im ehemaligen Zarenreich. Eine geordnete Heimkehr ließ auf sich warten. Trotzdem kamen Zehn-, ja Hunderttausende in die Heimat. Als Folge der mit der Ukraine vereinbarten Bestimmungen für die Heimkehr 391 Zit. nach Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 265. 392 Vgl. Ob obsledovanii lagerja v Vizel’burge. Gosudarstvennyj Archiv Rossijskoj Federacii (GARF) f. R-3333 op. 3 d. 595 ll. 46–47. 393 Dokladnaja zapiska o poseščenii lagerja voennoplennych v Vizel’burge v Avstrii. GARF f. 3333 op. 3 d. 595 ll. 117–118. 394 Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 265. 395 Telegraphenabschrift, AOK Baden/Bericht aus Bukarest. ÖStA KA Chef d EW 1918: ohne Zl., Kt. 108.

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der dort befindlichen Gefangenen gelangten immerhin etwa 275.000 Männer allein aus diesem Gebiet „in geregelten Transporten“ in die Heimat.396 Insgesamt registrierte die k. u. k. Heeresverwaltung bis Juni 1918 aber 517.000 Heimkehrer.397 Die massenhafte „wilde“ Heimkehr aus Sowjetrussland war es auch, die das AOK schließlich bewog, seine Zustimmung zur Heimsendung vor allem jener Russen zu geben, die sich bei der A. i. F. befanden. In Anbetracht des langsamen Tempos der gesamten Austauschaktion und eines vorläufigen Verbleibes der arbeitenden Russen im Hinterland hatte man hinsichtlich des „Menschenmaterials“ – so die Hoffnung – keine gröberen Ausfälle oder Lücken mit negativer Konsequenz für die Kontinuität kriegswichtiger Arbeiten zu befürchten. Aus dem ehemaligen Zarenreich kehrten schließlich sehr viel mehr k. u. k. Soldaten zurück, als Österreich-Ungarn umgekehrt Russen in ihre Heimat schickte.398 Das AOK, das nur wenige Monate zuvor den „Gefangenenaustausch“ zwischen Hinterland und A. i. F. durchgesetzt hatte, gab sich nun zuversichtlicher als etwa Vertreter der Wirtschaft, die in den heimkehrenden k. u. k. Soldaten keineswegs einen entsprechenden Ersatz für die sogenannten „Arbeitsrussen“ erblickten und an einem vorläufigen Verbleib der Gefangenen das allergrößte Interesse hatten. Egal aber wie und aus welchen Regionen des untergegangenen Zarenreiches die k. u. k. Soldaten nach Hause kamen: Den Russlandheimkehrern schlug das offensichtliche Misstrauen der k. u. k. Militärstellen entgegen, die diese als potentielle Revolutionäre betrachteten, als bolschewistisch „verseucht“ und daher unzuverlässig. Die Heimkehrerbehandlung der k. u. k. Militärstellen empfanden viele als schikanös. Nicht nur die Betroffenen. Die Art und Weise, wie man mit den Russlandheimkehrern verfuhr, empörte auch deren Angehörige, die zum Teil in Verbänden organisiert waren und in diversen Versammlungen ihrem Unmut Ausdruck verliehen. Zum Sprachrohr ihrer Anliegen machten sich die Sozialdemokraten. Angesichts der revolutionären Entwicklungen in Russland, aber auch des eigenen politischen Kurses mit seinen vielen Verweisen auf das, was im ehemaligen Romanovimperium geschah, maßen sie der Heimkehrerfrage und den aus Russland in die Heimat strömenden k. u. k. Soldaten eine besondere Bedeutung bei.399 396 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil I: Kriegsgefangenenfürsorge Österreich-Ungarns. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 30. 397 Österreich-Ungarns letzter Krieg 1914–1918, Bd. 7: Das Kriegsjahr 1918, Wien 1938, 44. 398 Vgl. dazu: Protokoll der Besprechung vom 6.3.1918 bez. Großaustausch mit Russland. ÖStA KA Chef d EW 1918: 19-16/4, Kt. 108. 399 Die für die Bevölkerung alles andere als nachvollziehbaren Pläne der k. u. k. Behörden in Sachen Gefangenenaustausch mit Russland warfen jedenfalls viele Fragen auf. Ein Austausch fand ja realiter gar nicht statt. Die Bevölkerung werde, hieß es seitens eines

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„Zureden im guten“ Vergünstigungen, die Kriegsgefangenen aus dem ehemaligen Zarenreich angesichts des Friedens von Brest-Litowsk gewährt wurden und ihren Verbleib im Habsburgerreich bis zur tatsächlichen Heimkehr erträglicher machen sollten, erfüllten ihren Zweck nur zum Teil. Außerdem blieben Gefangene, die beispielsweise in militärischen Betrieben arbeiteten, von den in Aussicht gestellten Privilegien zunächst ausgeschlossen. In vielen Bereichen hing das Gewähren von Sonderrechten von der Zustimmung der jeweils verantwortlichen Stellen ab.400 Die vom Kriegsministerium erlassenen „Freiheits-Begünstigungen“ hatten im Bereich der Armee im Felde gar keine Gültigkeit.401 Darüber hinaus erschienen diesbezügliche Regelungen manchen Arbeitgebern ganz grundsätzlich kontraproduktiv. Die Festlegung eines nunmehrigen Mindestlohnes führte dazu, dass sich russische Gefangene, die „bis nun brav arbeiteten“, sich „mit jenen Kgf., welche faul waren, gleichgestellt“ fühlten und ebenfalls weniger arbeiteten. Das bewirkte, wie es aus Schlesien hieß, einen „Rückgang der Produktion“.402 Großzügigere Entlohnung oder ein Mehr an Bewegungsfreiheit lösten außerdem die Versorgungsfrage nicht – und diese wiederum stellte sich als einer der Hauptfaktoren für die wachsende Renitenz der Kriegsgefangenen dar. Dass die Sonderregelungen für russische Gefangene realiter nur auf dem Papier bestanden, musste schließlich auch seitens des k. k. Ministeriums für Landesverteidigung im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage von Reichsratsabgeordneten eingestanden werden.403 Die allerdringendste Frage für die russischen Gefangenen aber war so oder so das Thema Heimkehr. In den Lagern kam es immer häufiger zu Streiks und gewalttätigen Ausschreitungen. Bei der Armee im Felde war man mit

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sozialdemokratischen Abgeordneten im Juni 1918 über die mangelnde Information offizieller Stellen zu dieser Problematik, „so behandelt wie ein kleines Kind“. Es sei indessen klar, warum die „österreichische Regierung“ die Gefangenen nicht austausche, „weil sie die Ideen fürchtet, die herüberkommen“ aus Russland. „Man lässt die Kriegsgefangenen nicht her, damit sie keine revolutionären Gedanken herbringen und damit man zweitens die russischen Kriegsgefangenen hier bei der Arbeit erhalten kann, die auf den Gütern der Bauern und den Fideikommißgütern der Großgrundbesitzer zerstreut sind.“ Zit. nach Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 256. Ebd., 234. Beschäftigung und Behandlung der Kgf.-Überläufer. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 107/7-331, Kt. 2015. Bericht aus Böhmischdorf, 29.5.1918. ÖStA KA KM 10. KgA. 1918: 10-147/29, Kt. 2230. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 234.

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„wiederholten Exzessen und Meutereien“ konfrontiert.404 Während aufrührerischen Gefangenen mit standgerichtlicher Verurteilung gedroht wurde, stellten Beobachter eine weitgehende „Gleichgültigkeit“ unter ihnen fest – eine Haltung, an der auch rigorose Strafandrohungen abzuprallen schienen. „Ob sie leben oder sterben, das ist für die Bedauernswerten einerlei“, hieß es beispielsweise von einem Vertreter des „Christlichen Vereins Junger Männer“ (Young Men’s Christian Association/YMCA) über die Stimmung unter russischen Gefangenen im Lager Reichenberg.405 Dass sie eher „sterben“ wollten, als sich „weiterhin in der Gefangenschaft quälen zu lassen“, ließ beispielsweise eine Gruppe von Russen explizit auch die Redaktion der russischsprachigen Kriegsgefangenenzeitung „Nedelja“ wissen.406 Wenigstens „zu Hause sterben“ wollten indessen russische Gefangene in einer Arbeiterabteilung bei Triest, die diesen Wunsch nicht zuletzt vor dem Hintergrund der sich ausbreitenden Spanischen Grippe formulierten. Einem Ende Oktober 1918 verfassten Bericht zufolge hatten die Russen, die seit 1916 der betreffenden Abteilung angehörten, bislang zufriedenstellend gearbeitet, seien aber von der Bevölkerung „aufgehetzt“ worden, ihre Arbeit niederzulegen.407 Darüber hinaus sorgten die zweifelhaften Privilegien, derer sich nun Russen in unterschiedlichem Ausmaß erfreuten, für Unruhe unter den Gefangenen der übrigen Nationalitäten. Russen an den Arbeitsstellen durch Italiener oder Serben ersetzen zu lassen, löste das Problem wachsender Arbeits­unwilligkeit jedenfalls nicht.408 Alle wollten nach Hause – nicht nur die russischen Gefangenen. Die gefangenen Italiener beanspruchten zudem ähnliche Vorrechte wie die Russen. Im Juli 1918 meldete das AOK zahlreiche Fälle, die Übertretungen der kriegsgefangenen italienischen Mannschaftsangehörigen dokumentierten. Sie wurden „ohne Eskorte, nicht nur auf der Strasse frei herumlaufend, sondern auch in Gasthäusern und Kinos, selbst nach 9 Uhr abends, angetroffen“, bettelten, begingen „Feldfrevel“ oder schädigten „die Landbevölkerung“ anderweitig in „empfindlichster Weise“.409 Jene Feindsoldaten wiederum, die sich unter strengerer Bewa404 405 406 407

Zit. nach ebd. Zit. nach ebd., 239. Zit. nach ebd., 236. Telegramm, 30.10.1918. ÖStA KA NFA Kommando der Isonzofront Qu. Akten Intendanz 1918, Kt. 31. 408 Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 230. Über diese „Privilegien“ berichteten auch die Zeitungen. Siehe u. a.: Neue Freie Presse, 1.5.1918, https://www. digital.wienbibliothek.at/wk/periodical/pageview/689140 (abgerufen am 20.2.2021). 409 Moniert wurde in dem betreffenden Schreiben auch der Verkehr von Kriegsgefangenen mit Frauen. K. u. k. AOK, Op. Nr. 158.940 betr. Wahrnehmungen hinsichtlich der ital. Kgf., Baden, 8.7.1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918/19: 10-125/81, Kt. 2223.

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chung in Lagern befanden, forderten ebenfalls mehr Freiheiten oder gleich die Freilassung. Demgemäß kam es beispielsweise im Lager Sternthal in der Untersteiermark zu einem Aufbegehren von Gefangenen „verschiedener Nationalität“. Auch sie erklärten, sich „lieber erschießen zu lassen, als zu arbeiten“.410 Gegen die aufmüpfigen Männer – mit Ausnahme der Russen, wie betont wurde – sollte im Bedarfsfall tatsächlich mit Waffengewalt vorgegangen werden, hielt man daraufhin seitens des Militärkommandos Graz fest. Tatsächlich wurden 260 russische und 32 serbische Gefangene im Oktober 1918 zwecks „Disziplinierung“ in verschiedene Lager der Monarchie überführt.411 Bereits im März 1918 waren hingegen italienische Offiziere im ungarischen Gefangenenlager Hajmáskér unter Einsatz von Schusswaffen davon abgebracht worden, „das Gitter umzulegen“. Sie waren „gegen die Wache demonstrierend aufgetreten und haben auf letztere geschimpft, ausgespuckt und mit Steinen geworfen“. Ein kriegsgefangener Italiener wurde getötet, sechs weitere verwundet.412 In einigen Lagern verursachten geplante Massenfluchten Tumulte mit Todesopfern, an Arbeitsstätten mussten angeforderte Assistenzen aus den Reihen der Armee für Ruhe sorgen.413 Im Bereich der A. i. F. wurde angesichts zahlreicher Arbeitsverweigerungen das Spektrum standgerichtlich abzuurteilender Delikte erweitert.414 Dem „Hafenadmiralat Pola“, wo man sich nach dem Frieden von Brest-Litowsk streikenden russischen Gefangenen gegenüber sah, empfahl das Kriegsministerium „Zureden im guten“, um „Retorsionen“ der russischen Regierung zu vermeiden. Äußerstenfalls sei die Einreihung der Aufmüpfigen in „militärische Kriegsgefangenenarbeiterpartien“ zu veranlassen.415 Dem Militärkommando Sarajewo riet das Kriegsministerium angesichts zunehmender disziplinärer Probleme mit den Feindsoldaten einerseits zu „guter Behandlung“ und andererseits zur Entfernung von „Aufwieglern“ sowie einer „angemessene(n) Disziplinierung“ derselben. Das bedeutete: „Spangenschliessen und Anbinden“ – Maßnahmen, hieß es, die „in anderen Militärkommandobereichen zum 410 Zit. nach ebd., 257. 411 Ebd. 412 K. u. k. Militärkommando Pozsony an das k. u. k. Kriegsministerium, 26.3.1918. VHA Bratislava. 5KK 1914, Kt. 475. 413 Vgl. K. u. k. Militärkommando Graz an das k. u. k. Kriegsministerium betr. Arbeitsverweigerung russ. Kgf., 15.3.1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-147/4, Kt. 2230. 414 Streik von Kgf. während landwirtschaftlicher Arbeiten, März 1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-147/5, Kt. 2230 oder Abschub streikender Kgf. nach Albanien, April 1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 147-10/8, Kt. 2230. 415 Arbeitsverweigerung Kgf. Russen in Pola, März 1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 14710, Kt. 2230.

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Erfolg geführt“ hätten.416 Tatsächlich gehörten „Anbinden“ und „Spangenschliessen“ trotz der 1917 erlassenen diesbezüglichen Annullierungen dieser Strafen wieder zu den üblichen Disziplinierungsmaßnahmen417 – nach geltendem Disziplinar-Strafrecht gegenüber Mannschaftsangehörigen „ohne Chargengrad“418. Prügelstrafen waren, obwohl diese im Disziplinarstrafrecht gar nicht erst vorgesehen waren, nach Angaben vieler Kriegsgefangener von Beginn des Krieges an üblich.419 Arreststrafen hingegen verloren aufgrund der damit verbundenen unerwünschten Absenz der Gefangenen von den Arbeitsstellen ebenso an Bedeutung wie Fastenstrafen, da sich diese realiter kaum noch von den ausgegebenen Hungerrationen abhoben. Demgegenüber gepflogen wurden regelwidrige Züchtigungen mit der „Rute“.420 Auch die Transferierung in militärische Arbeiterabteilungen oder die „Aufstellung von Strafkompanien für Albanien“ wurden für angemessene Maßnahmen gehalten, um Russen, die die Arbeit verweigerten, zur Räson zu bringen.421 Solche Gefangenen sollten überdies „strafweise erst am Schlusse des gesamten Austausches in die Heimat entlassen“ werden422, wobei intern ohnehin beschlossen wurde, die Repatriierung von Gefangenen aus Albanien oder von Einsatzgebieten der SW-Front ganz grundsätzlich zuletzt durchzuführen.423 Die „Bereithaltung von Streikpa­

416 Arbeitsverweigerung russischer Kgf./Telegramm des KM an das Militärkommando Sarajewo, 1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-147/4, Kt. 2230. 417 Vgl. Präs. Nr. 10059/EhrR. vom Mai 1918 betr. Strafverschärfungen für Kgf., welche die Arbeit verweigern, k. u. k. Militärkommando Pozsony, Militärkommandobefehl Nr. 110, Pozsony 7.5.1918. ÖStA KA Terr Befehle, 5. K., Pozsony 1917–1918, Kt. 51. 418 Franz Kleemann, Das neue Disziplinar-Strafrecht, Wiener-Neustadt 1904, 56 f. 419 Hinweise dazu finden sich in den Dokumenten der 10. Kriegsgefangenen-Abteilung massenhaft. Stellvertretend dafür der Bericht eines aus der Gefangenschaft geflohenen Rumänen: Behandlung der Kgf. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-7/29-74, Kt. 2017. 420 Vgl. Doklad sestry miloserdija Romanovoj ob osmotre lagerej voennoplennych v Avstro-Vengrii. RGVIA f. 12651 op. 11 d. 109 l. 35. 421 Abschub streikender Kgf. nach Albanien, April 1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 14710/8, Kt. 2230. In Albanien sollen 40.000 russische Kriegsgefangene eingesetzt worden sein. Protokoly. RGVIA f. 2000 op. 1 d. 7617 ll. 174–176. Viele starben dort offenbar an Malaria. Ebd. Ende 1917 entwichen allerdings von den in Richtung Albanien gehenden Kriegsgefangenentransporten zwischen 20 und 35 Prozent der Gefangenen aufgrund einer mangelhaften Bewachung bzw. als Folge zu weniger Eskortemannschaften. Vgl. Militärkommandobefehl Nr. 2, Pozsony, 3.1.1918. MA. Nr. 113133/KWV./17. v. 1.1.1918. ÖStA KA Terr Befehle, 5. K., Pozsony 1917–1918, Kt. 51. 422 Beilage zu Militärkommandobefehl Nr. 85/18 (MA Nr. 32626/Kgf.). ÖStA KA Terr Befehle, 5. K., Pozsony 1917–1918, Kt. 51. 423 Anordnung für die Übergabe der russ. und rum. Kgf. in ihre Heimat, Baden, 24.3.1918. Op. Nr. 159.800. ÖStA KA FA AOK Bevollmächtigte AGKdo Gerok, Mackensen AOKVerb., Kt. 3958.

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trouillen“ zählte schließlich zu einer weiteren Methode, die der „Sicherung der Kontinuität“ vor allem landwirtschaftlicher Arbeiten dienen sollte.424 Trotzdem nahm die Unruhe unter den Gefangenen eine kaum mehr einzudämmende Dimension an. Wie sich höhere Kommanden zu den Vorschlägen des k. u. k. Kriegsministeriums für die Disziplinierung der Gefangenen stellten, lässt sich nur erahnen. Deutsche Generäle signalisierten jedenfalls kein prinzipielles Abgehen vom Prinzip eines rigorosen Arbeitszwanges – vor allem in Zusammenhang mit Kriegsoperationen. Über die anzuwendenden Mittel, um Arbeitsverweigerungen hintanzuhalten, hieß es: Wenn sich Kriegsgefangene weigern, die ihnen übertragenen Arbeiten auszuführen, muß mit den schärfsten Mitteln – nötigenfalls mit Gewalt – gegen sie vorgegangen werden. Ob es hierbei dazu kommt, daß der eine oder andere erschossen werden muß, spielt demgegenüber keine Rolle, daß die volle Autorität über die Gefangenen erhalten bleibt. Verweigern sie die Nahrungsaufnahme, um ihren Willen zu erzwingen, so mögen sie verhungern. Jedes Nachgeben macht sie zu Herren der Situation und muß als Schwäche betrachtet werden.425

Kriegsgefangene wurden jedenfalls bei Österreich-Ungarns letzter Offensive im Juni 1918 noch einmal in großer Zahl eingesetzt.426 Dass die Offensive just zu dieser Zeit begonnen wurde, wird in der Historiographie auch mit der vor Augen habenden baldigen Heimkehr der russischen Gefangenen in Zusammenhang gebracht. Es zeigte sich allerdings auch in diesem Kontext ein evidenter Disziplinverfall unter den Gefangenen.427

„Feuerungszonen“ Dass in der Donaumonarchie nicht nur die Lage russischer Kriegsgefangener und deren Behandlung Anlass zu Kritik gaben, spiegelte sich in den Anfragen von Abgeordneten im Parlament in Wien wider. Sie bezo-

424 Ad KM Erl. Abt. 10/Kgf. Nr. 16163 von 1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-147/35, Kt. 2230. 425 Zit. nach Hinz, Gefangen, 303. 426 Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 240. 427 Vgl. Manfried Rauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg, Graz/Wien/Köln 1993, 573.

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gen sich beispielsweise auf die hohe Sterblichkeit von italienischen und serbischen Gefangenen in den böhmischen Lagern Braunau428 und Milo428 Vgl. Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des Reichsrates, 64. Sitzung der XXII. Session am 26. Februar 1918, 2425 I, Anfrage des Abgeordneten Dr. Korošec und Genossen an die Gesamtregierung über die furchtbaren Mißstände im Gefangenenlager Braunau in Böhmen. Als im Februar 1918 eine Gruppe von Abgeordneten, angeführt von Anton Korošec (Kroatisch-slowenischer Klub), eine Anfrage „an die Gesamtregierung über die furchtbaren Mißstände im Gefangenenlager Braunau in Böhmen“ richtete und darin von unzureichender Verpflegung der dort befindlichen Serben und von 3200 Gräbern auf dem Lagerfriedhof die Rede war, versäumte es der Minister für Landesverteidigung nicht, die Leiden der eigenen Soldaten in serbischer Gefangenschaft in Erinnerung zu rufen. Die Beschwerdeführung der Volksvertreter hielt er schon aus diesem Grund sinngemäß für verzichtbar: „Viele unserer braven und tapferen Offiziere und Mannschaften waren dort aller Unbill preisgegeben, nur wegen Mangels jedweder Obsorge und bei Außerachtlassung aller völkerrechtlichen Bestimmungen seitens der feindlichen Regierung in Not und Elend fürs Vaterland dahingegangen. Umso beklagenswerter tritt daher die Erscheinung zutage, daß sich dessenungeachtet noch immer Volksvertreter finden, welche offenbar auf Grund einseitiger und mangelhafter Informationen sich ihrer erwählten Schutzbefohlenen annehmen zu müssen glauben.“ Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des Reichsrates, Ad Nr. 2425 I, XXII Session (844). Anfragebeantwortung des Ministers für Landesverteidigung, 1. September 1918. Eine derartige Erklärung sprach für die Langlebigkeit der gegenüber Serbien bestehenden Ressentiments. Der Landesverteidigungsminister schilderte in der Anfragebeantwortung überdies ausführlich und detailreich die unterschiedlichen Vorsorgen zu Gunsten der in Braunau befindlichen Kriegsgefangenen und Zivilisten und hob insbesondere die Maßnahmen zum Schutz der nach Braunau verbrachten serbischen Kinder hervor. Auf dem Lagerfriedhof seien überdies statt der behaupteten 3200 Gräber „in Wirklichkeit“ 2464 vorhanden, die Sterblichkeit 1917 habe bei einem durchschnittlichen „Stande von 15.145 Personen“ 1917 eine Zahl von 634 erreicht – ein Wert, der offenbar für niedrig gehalten wurde. Der Minister wies explizit auf „1,7“ Todesfälle täglich hin, um damit offenbar die als gering präsentierte Sterblichkeit zu belegen. (Ebd.) Dass hingegen die Sterblichkeit unter den im Lager Nezsider internierten Serben groß war, gab der Minister für Landesverteidigung in einer anderen Anfragebeantwortung zu. Von durchschnittlich 10.000 Internierten waren bis September 1917 3240 Personen an Tuberkulose, Flecktyphus und anderen Krankheiten gestorben. Ein Zusammenhang zwischen Ernährung und Mortalität wurde nicht hergestellt, eine Anhebung der Rationen negiert: „Eine Verbesserung der Verpflegsverhältnisse der serbischen Internierten kann – mit Rücksicht auf den allgemeinen Lebensmittelmangel – derzeit nicht ins Auge gefasst werden, dies umso weniger, als das Kriegsministerium sich der Ansicht nicht verschließen kann, daß die Approvisionierung des Gros unserer einheimischen Bevölkerung sich gewiß wesentlich ungünstiger gestaltet, als jene der in Rede stehenden Internierten.“ Anfragebeantwortung wegen angeblich schlechter Behandlung der serbischen Gefangenen im Flüchtlingslager Nezsider und Vasmegye/Ungarn. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Dep. 11, 28/2a, 3 Serbien, Kt. 573. Analog zu anderen Anfragebeantwortungen beziehungsweise Stellungnahmen im Zuge parlamentarischer Debatten oder aber Sachverhaltsdarstellungen an die Adresse gegnerischer Staaten über die Lage von Kriegsgefangenen und Internierten im Habsburgerreich wurde die Zunahme an Todesfällen nicht zuletzt auf den bereits vorhanden gewesenen Gesundheitszustand der Betroffenen zurückgeführt. Ärztliche Gutachten legte man als „Beweismittel“ vor. Abseits der Bestätigung einzelner An-

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witz429. In Braunau hatten neutrale Delegierte Zustände vorgefunden, die für „schlimmer als in Russland“ gehalten wurden430, und auch der „Delegierte des Fürsorge-Komitees“ Graf Czernin-Morzin beanstandete im Januar 1918 einige Missstände. So stellte er beispielsweise einen eklatanten Mangel an Kohle im betreffenden Lager fest. Eine „angenehme Temperatur herrschte bloss in den Wohnräumen der Wärter“, während die Gefangenen in ihren Quartieren froren.431 Schon im Herbst 1917 hatten überdies das Betteln hungernder serbischer Kriegsgefangener oder aber „Feldfrevel und Obstdiebstähle“ im Umfeld des Lagers Proteste der Braunauer Bevölkerung ausgelöst. Damals wurde allerdings von militärischer Seite festgestellt, dass diese Delikte „nahezu ausschließlich“ von „Kranken“ des in der Nähe des Lagers befindlichen „k. u. k. Reservespitales“ verübt worden waren. Gefangene Serben schieden angeblich als Täter aus. Sie bekamen lediglich in Begleitung einer Eskorte Ausgang, um in den umliegenden Wäldern „Farnkräuter, Laubheu“ und „Brennessel etc.“ zu sammeln.432 Des Weiteren erregte auch die Lage von Gefangenen, die feindlichen Kriegseinwirkungen ausgesetzt waren, die Aufmerksamkeit der Volksvertreter.433 Einsatzbereiche in sogenannten „Feuerungszonen“ waren allerdings in der Regel außerhalb ziviler Wahrnehmung geblieben. Das dürfte beispielsweise auch für das Schicksal der beim Untergang des „Dampfers Linz“ getöteten Kriegsgefangenen gelten. Der Dampfer war im März 1918 vom Hafen Kotor (Cattaro) ausgelaufen und wurde später von einem italienischen Torpedo getroffen. Am Bord befanden sich wahrscheinlich weit

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schuldigungen, die in den Interpellationen der Volksvertreter formuliert wurden – etwa die Beerdigung von serbischen Internierten in Massengräbern als Folge der Epidemien zu Kriegsbeginn –, liefen alle Stellungnahmen zu diesbezüglichen Vorwürfen auf dasselbe Muster hinaus: Man hatte den Umständen entsprechend alles getan, um eine angemessene Behandlung, Verpflegung und Unterkunft der Betroffenen zu gewährleisten. Stenographische Protokolle des Hauses der Abgeordneten des Reichsrates, 54. Sitzung der XXII. Session vom 23. Januar 1918, 1982/1. Anfrage des Abgeordneten Karel Baxa und der Mitgefertigten an die k. k. Regierung über die traurigen Verhältnisse des Kriegsgefangenenlagers in Milovic, wo täglich 25 bis 40 Kriegsgefangene vor Hunger sterben. Vgl. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 207–209. Fürsorge-Komitee des Roten Kreuzes für Kriegsgefangene an das k. u. k. Kriegsministerium, 16.1.1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-138/1, Kt. 2223. Inspizierender der Kriegsgefangenenlager des Militärkommandos Leitmeritz an das k. u. k. Militärkommando, 13.10.1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 138-7/2, Kt. 1589. Vgl. dazu die Ausführungen von Anton Korošec über die triste Lage der Gefangenen in Zelenika, deren Unterkünfte auch immer wieder unter Beschuss von Flugzeugen der Entente gerieten. Während der Angriffe wurden die Gefangenen zudem in die Baracken eingesperrt. Vgl. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 265.

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mehr als 2000 Personen, darunter 482 Kriegsgefangene, von denen nur 90 gerettet wurden.434 Laufend waren indessen Meldungen über den erzwungenen Einsatz von Kriegsgefangenen für Arbeiten zu unmittelbaren Kriegszwecken auch von russischer Seite gesammelt worden. Und im Zarenreich wiederum konfrontierte man die eingebrachten Gefangenen aus der österreichisch-ungarischen Armee mit Nachrichten über die Verwendung russischer Kriegsgefangener im Armeebereich. Ein aus russischem Gewahrsam geflohener k. u. k. Soldat gab beispielsweise im Sommer 1915 zu Protokoll, gemeinsam mit zahlreichen anderen Gefangenen zum Ausheben von Schützengräben verwendet worden zu sein. Arbeitsverweigerung hätte brutale Misshandlungen zur Folge gehabt. Den Gefangenen wurde erzählt, dass ihr Los – zur schweren und über viele Stunden dauernden Arbeit sowie zu den Schlägen kam auch noch eine unzureichende Verpflegung – lediglich dem Schicksal russischer Soldaten in österreichisch-ungarischem Gewahrsam entspreche.435 Seit dem Frühjahr 1915 waren offenbar Tausende russische Gefangene „sogleich nach ihrer Gefangennahme zurückgehalten“ und zu „Kriegsgefange­ nen-­­Arbeiterkompagnien formiert“ worden.436 Dass „fast ein Drittel der in unserer Gewalt befindlichen Kriegsgefangenen […] zu Arbeiten im Bereiche der Armee im Felde verwendet“ wurden, gab der k. k. Minister für Landesverteidigung im Zuge einer Anfragebeantwortung im Dezember 1917 ganz ohne Umschweife zu. Sie seien ausschließlich den Organen des Armeekommandos unterstellt und bildeten „eine Lebensbedingung für die Armee im Felde“. Eine Reihe von Faktoren war hierfür, erklärte der Minister, verantwortlich. Man brauchte die Arbeitskraft der Gefangenen, weil „einerseits große Teile des Kriegsgebietes devastiert, evakuiert und entvölkert“ waren, „die Armee ausschließlich auf den militärischen Nachschub an allem Notwendigen gewiesen ist und weil andererseits in diesem Raume auch alle 434 Feststellung der Namen der mit dem Dampfer „Linz“ verunglückten Kgf., Juni 1918. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-144, Kt. 2230. 435 Protokoll, Gericht der 37. Division, 30.8.1915. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Krieg 1914– 1918 Dep. 7 Kriegsakten 1915, Kt. 348. 436 Stenographische Protokolle des Hauses der Abgeordneten des Reichsrates, Ad Nr. 1182/I, XXII Session (210). Anfragebeantwortung Seiner Exzellenz des Herrn Ministers für Landesverteidigung, 15. Dezember 1917. Vgl. auch Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 193. Während russische Kriegsgefangene ab dem Frühjahr 1915 in großer Zahl von der Armee im Felde zurückbehalten wurden, um im Front- und Etappenbereich zu Arbeiten herangezogen zu werden, forderte das Etappenkommando der Balkanstreitkräfte bereits im Januar 1915 2000 Kriegsgefangene für den Bau von „feldmässigen Brückenköpfen“ an. Vgl. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 122.

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Einrichtungen wie Unterkünfte, Magazine, Eisenbahnen, Straßen, Wasserleitungs- und Seilbahnbauten, entweder wiederhergestellt oder aber neu eingerichtet werden müssen“.437 Per 1. Februar 1917 befanden sich mehr als 280.000 Russen, fast 23.000 Italiener, etwa 10.000 Serben und Montenegriner sowie mehr als 4000 Rumänen bei der Armee im Felde. Übertroffen wurde die daraus resultierende Gesamtzahl von 318.495 Gefangenen bei der A. i. F.438 dann schließlich als Folge des sogenannten „Großaustausches“ zwischen Hinterland und dem Armeebereich.439 Dass die Verwendung von Feindsoldaten in Form von Arbeiterkompagnien in Frontnähe explizit eine „Innovation“ deutscher Provenienz war440, muss in Hinblick auf die diesbezüglichen Praktiken der k. u. k. sowie der russischen Armee wahrscheinlich bereits ab Jahresbeginn 1915 in Zweifel gezogen werden.441 Dazu ist überdies anzumerken, dass der betreffende Gefangenenaustausch analog zu diesbezüglichen Aktionen hinsichtlich des Ersatzes frontdiensttauglicher Soldaten für die k. u. k. Armee erfolgte – ein weiteres Indiz für die Eingliederung auch der Feindsoldaten in die eigenen Streitkräfte und für eine „Totalisierung“ der Kriegsführung. Zuständig für die Aufteilung der Gefangenen auf unterschiedliche Arbeitsorte entweder im Front- bzw. Operationsbereich oder in der Etappe wa-

437 Stenographische Protokolle des Hauses der Abgeordneten des Reichsrates, Ad Nr. 1182/I, XXII Session (210). Anfragebeantwortung Seiner Exzellenz des Herrn Ministers für Landesverteidigung, 15. Dezember 1917. In den ersten Monaten des Jahres 1917 wurden Tausende Kriegsgefangene u. a. bei „Bauten von Pulverfabriken“, „Bauten der Waffenfabrik in Steyr“ oder „zu Arbeiten der einzurichtenden Flugplätze“ eingesetzt. K. u. k. Kriegsministerium, Abt. 10/Kgf. Nr. 6422/17 an das k. u. k. AOK (Qu. Abt.), 1.3.1917. ÖStA KA MKSM 1917: 69-9/25-2, Kt. 1319. 438 Zahlenzusammenstellung, März 1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-10/45, Kt. 1437. 439 In Serbien ging man nach dem Krieg davon aus, dass 30.000 serbische Kriegsgefangene an die österreichisch-ungarische SW-Front geschickt worden waren und dass angeblich nur 5000 von ihnen überlebten. Von Tausenden Kriegsgefangenen aus dem Zarenreich, die an der italienischen Front im Arbeitseinsatz erschossen wurden – ob als Strafmaßnahme oder durch Einwirkung feindlichen Feuers wurde nicht angegeben – ist wiederum in russischen Quellen die Rede. Vgl. Angaben von E. Javorskij, August 1918. GARF f. 3333 op. 3 d. 611 l. 4 sowie Rapport sur les dommages de guerre causés à la Serbie et au Monténégro présenté à la Commission des Réparations des Dommages, Paris: Délégation du Royaume des Serbes, Croates et Slovènes à la Conférence de la Paix, 1919, 20. 440 Vgl. Jones, Kriegsgefangenenlager, 74. 441 Vgl. zu dieser Problematik die entsprechenden Hinweise bei Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 122. Zum Einsatz der Gefangenen für Kriegszwecke siehe ebd., 121–127. Dort wird auf verschiedene Tätigkeiten der Feindsoldaten etwa in „Schlachtfelderaufräumungsabteilungen“ oder in verschiedenen „Etappentrainwerkstätten“ eingegangen.

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ren die Quartiermeister bzw. Etappenkommanden.442 Die Kriegsgefangenenstationen, wo die Feindsoldaten gesammelt wurden, bezeichnete man nach den Buchstaben des Alphabets, um Hinweise auf bestimmte Orte zu unterbinden und „unerwünschte Einblicke in die eigene Kriegsgliederung zu vermeiden“.443 Auch die Militärkommanden, deren Zuständigkeitsbereich sich ganz oder teilweise im Etappenraum befand, empfingen „vom Etappenoberkommando bzw. vom betreffenden Armee-Etappenkommando (Etappengruppenkommando)“ Weisungen betreffend die Abgabe von Gefangenen an die A. i. F.444 Kriegsgefangenen-Arbeiter-Abteilungen (Kgf. A. A. oder K. A. A.445) beziehungsweise Kriegsgefangenen-Arbeiter-Kompanien (Kgf. A. Komp.) umfassten zwischen wenigen Dutzend bis hin zu 500 Feindsoldaten. Sie wurden für eine Vielzahl verschiedener Tätigkeiten verwendet, die weit über die vom Landesverteidigungsminister genannten Bereiche hinausgingen.446 Der Einsatz von Gefangenen im Frontbereich beziehungsweise in der 442 Vgl. hierzu Dienstbuch J-35, 54 f. 443 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 27. 444 Dienstbuch J-35, 54 f. Um die Bereitstellung von Gefangenen für nicht-militärische Arbeiten im Etappenraum musste von den zivilen Behörden ebenfalls bei den Etappenkommanden ersucht werden. Allerdings übernahmen die Überwachung der Gefangenen ausschließlich militärische Eskorten. Angefordert werden konnten Gruppen von mindestens 20 Mann. Anders als im Hinterland bekamen Gefangene im Armeebereich und damit auch für die betreffenden land- und forstwirtschaftlichen Arbeiten, die über zivile Ansuchen in der Etappe ausgeführt wurden, keine Zulagen. Vgl. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 122. 445 Zusätzlich zu diesen Abkürzungen wurden auch andere Varianten verwendet, wie etwa Kgf. Arb. Abt. usw. 446 Eine weitere wichtige Tätigkeit von Gefangenen bestand u. a. im Transport von Kriegsmaterial und anderen Gegenständen. Die Arbeit als Lastträger vor allem im Hochgebirge – gefangene Russen an der SW-Front wurden demgemäß als „Höhenrussen“ bezeichnet – war besonders beschwerlich. Als Graf Markus Spiegelfeld, Präsident des Gemeinsame Zentralnachweisebureaus, im Juni 1917 eine „Besichtigung der russischen Kriegsgefangenen in Südtirol“ vornahm, klärte man ihn über die „höchst traurige“ Lage jener Gefangener auf, die als „Träger für die Kampftruppen“ verwendet wurden. „Die Leute hatten“, hielt er in einem Bericht fest, „schwere Lasten viele Stunden ins Gebirge hinaufzuschaffen“, die Arbeit sei aber „eine unvermeidliche, da nicht genügend Drahtseile für Seilbahnen noch Tragtiere vorhanden seien und menschliche Kraft verwendet werden müsse“. Bericht Spiegelfeld, Juni 1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-10/93-75, Kt. 1438. Dass „angesichts der von ihnen zu leistenden schweren Arbeit, speziell im Gebirgsterrain“ die Verpflegung für Kriegsgefangene „zweifellos unzureichend“ war, hatte das 11. Armeekommando schon im Jahr zuvor bestätigt. Es sei bekannt, dass die Gefangenen „tatsächlich öfters hungern“. Da eine Erhöhung der Rationen nicht in Frage kam, sollten immerhin bislang offenbar nicht eingehaltene Ruhepausen gewährt werden. Zit. nach Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 124. Vgl. auch Julia Walleczek-Fritz, Behind the Front Line. Russian and Serbian

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„Feuer-“ oder „Feuerungszone“ war von ihm anlässlich seiner Anfragebeantwortung im Dezember 1917447 wohlweislich nicht angesprochen worden.448 Wie es Männern konkret erging, die in diesem Bereich tätigen Arbeiterkompagnien zugeteilt waren, hielt allerdings der Landsturmreservist Josef Wegl in seinen Aufzeichnungen fest. Im Juli 1916 schrieb er, rückblickend auf seinen Einsatz in den Dolomiten: Über ein Jahr stehen wir nun an der Front, keinen Ruhetag, immer nur schinden und rackern, oft dem feindlichen Feuer ausgesetzt, wie unsere Verluste (über 1 Dutzend Tote, 20 Verwundete) beweisen. Bei der Kampftruppe stirbt man auf einmal, hier werden die Leute sozusagen, stückweise hingerichtet!449

Die „Kriegsgefangenen“, meinte er allerdings, „werden bei weitem nicht so angetrieben wie unsere Leute“.450 Ein anderer „Augenzeuge“ konstatierte indessen, dass es „im allgemeinen“ keinen Unterschied gab zwischen jenen Arbeiten, die von den Arbeiterkompagnien verrichtet wurden, und jenen, die Gefangenen übertragen wurden. Der Sozialdemokrat und spätere Leiter des Staatsamtes für Heerwesen Julius Deutsch, der vor allem die an der SW-Front eingesetzten Russen bei ihren Arbeiten beobachten konnte, hielt überdies fest, dass sich niemand „viel darum“ kümmerte, ob nun „das Völkerrecht eine solche Verwendungsart erlaubte oder nicht“.451 Aus Sicht der Feindsoldaten stellte sich die Lage ohnehin ganz anders dar, als sie etwa Josef Wegl geschildert hatte. Gefangene hatten demnach ein besonders schweres Los. Der russische Kriegsgefangene V. Dmitriev, der an der SW-Front eingesetzt wurde, berichtete von mehreren Toten und Verwundeten etwa auch als Folge italienischer Luftangriffe. Bereits nach einem Monat hatten ihn die „harte Arbeit und der ständige Hunger“ ausgezehrt.452 Solche

POWs as Forced Labourers in Austria-Hungary and the Beginning of the Southwestern Front in 1915, in: Dalibor Denda/Mario Christian Ortner (Hg.), The Great War in 1915, Belgrade 1917, 147–164. 447 Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des Reichsrates. Ad Nr. 1182 I, XXII. Session (210). Anfragebeantwortung Seiner Exzellenz des Herrn Ministers für Landesverteidigung, 15. Dezember 1917. 448 Über diesbezügliche Übertretungen von russischer Seite berichtete indessen die österreichische Presse: Siehe „Neue Freie Presse“ über den „Missbrauch Kriegsgefangener durch die Russen zu Feindseligkeiten gegen ihr Vaterland“, 13.8.1915. https://www. digital.wienbibliothek.at/wk/periodical/pageview/737825 (abgerufen am 1.2.2021). 449 Schiffinger (Hg.), Das Kriegstagebuch des Josef Wegl, 163. 450 Ebd. 451 Deutsch, Kriegserlebnisse eines Friedliebenden, 71. 452 V. Dmitriev, Dobrovolec. Vospominanija o vojne i plene, Moskva/Leningrad 1929, 28.

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Schilderungen deckten sich auch mit den Erzählungen von russischen Austauschinvaliden oder aber waren Briefen Gefangener an ihre Angehörigen zu entnehmen, sofern sie die Zensur im Habsburgerreich hatten passieren können.453 „Subordinationsverletzungen“ angesichts schwerer, ja lebensgefährlicher Arbeit im Rahmen von Schanz- beziehungsweise Fortifikationsarbeiten im Frontbereich, schlechter Bezahlung und mangelhafter Unterbringung begingen indessen auch „Kriegsleistungsarbeiter“. Arbeitsverweigerung oder eigenmächtiges Entfernen vom Arbeitsplatz waren unter diesen Männern bereits 1915 zu beobachten. Mancherorts sah man sich gezwungen, „mit der Waffe in der Hand“ gegen solche Arbeiter vorzugehen.454 Als Reaktion auf russische Proteste betreffend die widerrechtliche Verwendung von kriegsgefangenen Russen durch die k. u. k. Armee hatte es indessen seitens des k. u. k. Kriegsministeriums bereits im Mai 1916 lapidar geheißen, dass diese lediglich mit der gepflogenen Praxis im Zarenreich übereinstimme. Die in der Note angekündigte Vergeltungsmaßnahme, nunmehr auch österreichisch-ungarische Soldaten zu derartigen Tätigkeiten zu verpflichten, erklärte man auf österreichisch-ungarischer Seite, wo man eine diesbezügliche Verwendung von Gefangenen durch die russische Armee schon seit geraumer Zeit registriert hatte, sinngemäß für absurd. Russland habe schon von Kriegsbeginn an die Haager Bestimmungen in dieser Hinsicht verletzt.455 Auch im Rückblick wurde etwa von Heinrich von Raabl-Werner die „offenkundige Verfehlung gegen das geschriebene Völkerrecht“ durch die „weitgehende Verwendung von kgf. für Kriegszwecke“ zugegeben. Sie sei allerdings erst zugelassen worden, als einwandfrei festgestellt war, daß Russland seit geraumer Zeit große Scharen von Kgf. zwangsweise zu Stellungsbauten in Galizien verwende u. daß angesichts der Art der Behandlung der Kgf. in Serbien, eine, den Geboten der eigenen Not schädliche Rücksichtnahme diesem Staate gegenüber, geradezu grotesk gewirkt hätte.456

Dem k. u. k. Kriegsministerium zufolge wurden Kriegsgefangene in Russland überdies „im schwersten feindlichen Feuer zum Schanzengraben gezwungen, 453 Vgl. Vyderžki iz pisem našich voennoplennych, 29.5.1917. RGVIA f. 2000 op. 1 d. 8415 ll. 8–13. 454 Zit. nach Überegger, Der andere Krieg, 310. 455 Verbalnote, 13.5.1916. RGVIA f. 2003 op. 2. d. 545 l. 135. 456 Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Österreich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 53.

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im Weigerungsfalle geprügelt und dezimiert“.457 Hierbei ist zu beachten, dass Dezimierungsstrafen auch im für die k. u. k. Armee geltenden Militär-Strafgesetz erlaubt waren. Wurde etwa im Falle einer Meuterei die „Anzahl der ergriffenen Widerspenstigen“ als zu groß erachtet, „um die Todesstrafe an jedem zu vollstrecken“, sollte, „sie an dem zehnten Mann, den das Los trifft, und an jedem mitschuldigen Ober- und Unterofficiere vollzogen werden“.458 Auf russischer Seite sind mehrfach Fälle von Tötungen beziehungsweise Meldungen über Misshandlungen mit Todesfolge von Kriegsgefangenen im Gewahrsam der k. u. k. Armee, die Arbeiten an der Front oder aber im näheren Kampfbereich verweigert hatten, dokumentiert. Dabei kam es offenbar auch vor, dass die erwähnten Dezimierungen vorgenommen wurden. Dann wurde jeder zehnte Kriegsgefangene, der sich unwillig zeigte, die befohlenen Tätigkeiten zu verrichten, als Strafmaßnahme erschossen.459 Umgekehrt liegen auch Hinweise auf ähnliche Vorgehensweisen russischer Seite vor. Im Sommer 1915 sollen von 100 slawischen k. u. k. Soldaten, die die Arbeit im Frontgebiet verweigerten, zehn „vor den Augen der streikenden Kameraden erschossen“ worden sein. Die Übrigen nahmen die Arbeit wieder auf, nachdem sie „25 Hiebe mit der Kosakenpeitsche“ erhalten hatten.460

„Imperativ“ ausgewählt Probleme ergaben sich für die k. u. k. Heeresstellen im Übrigen bereits beim Aufbringen von Gefangenen, die „Arbeiten für Kriegszwecke“ ausführen sollten. Im Juli 1915 wurde verfügt, dass in Ermangelung von Freiwilligen betreffende Arbeitskräfte unter den Feindsoldaten „imperativ“ ausgewählt werden sollten. Zur Sicherheit, also um nicht von vornherein abzuschrecken, sollte die Art der Arbeiten überhaupt nur ganz allgemein definiert werden: z. B. „Erdarbeiten, in einer Maschinenfabrik oder Eisengiesserei etc.“. Waren die Männer dann erst einmal vor Ort, hatte eine „vernünftige[n] Aufklärung“ 457 K. u. k. KM Abt. 10/Kgf., Nr. 9747 an das k. u. k. Ministerium des Äußern, 20.5.1916. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Krieg 1914–1918 Dep. 7 Kriegsgefangene-Rußland, Kt. 409. 458 Militär-Strafgesetz über Verbrechen und Vergehen, Reichsgesetzblatt für das Kaiserthum Österreich, Jg. 1855, VI. Stück, Nr. 19, § 168. 459 Vgl. beispielsweise: Befragungsprotokoll, 6.6.1916. RGVIA f. 2003 op. 2 d. 545 l. 487; Befragung von Aleksandr N. Pozdnjakov durch Generalmajor Semaško, 25.5.1916, RGVIA f. 2003 op. 2 d. 545 ll. 482–486; Aussagen von Rückkehrern aus der österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenschaft, Juli 1917. RGVIA f. 2000, op. 1 d. 7617 ll. 225–239. 460 Zit. nach Nachtigal, Rußland und seine österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen, 184.

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zu erfolgen. Den Gefangenen sollte auch vor Augen geführt werden, „dass sie wegen der Art ihrer Verwendung nach der Rückkehr in die Heimat keine Bestrafung zu befürchten haben, weil sich ja die Regierung[en] der kriegführenden Staaten keine Verzeichnisse über die Art der Verwendung der Kriegsgefangenen zusenden.“ 461 Männer, die Verwendung für „rein militärische Zwecke“ fanden, waren zu unbedingtem Gehorsam angehalten. Die Arbeitsleistung sollte „eventuell unter Anwendung von Waffengewalt“ erzwungen werden.462 „Im Arbeitsorte“, hieß es außerdem, „ist den Kriegsgefangenen zu verlautbaren, daß sie durch die Ereignisse des Krieges in unsere Gewalt gefallen sind und uns bedingungslosen Gehorsam schulden, sowie daß Arbeitswillige durch Arbeitszulagen belohnt, störrische Elemente hart bestraft, event. niedergemacht werden“.463 Dass Feindsoldaten, die für den Einsatz bei der A. i. F. bzw. zu „Arbeiten für Kriegszwecke“ bestimmt worden waren, tatsächlich über ihre Verwendung im Unklaren belassen wurden, bestätigte im Übrigen auch ein von Paul Kammerer im Herbst 1917 vorgelegter Zensurbericht über die Korrespondenz italienischer Kriegsgefangener. Dort hieß es: „Wenn die Kgf. Arb. Abt. in den Konzentrationslagern zusammengestellt werden, sage man den Gefangenen nicht, um was für Arbeiten es sich handle: der Gefangene werde vielmehr unter betrügerischen Versprechungen weggelockt: ohne Hilfe vom Vaterland sei er verloren.“464 Die betreffenden Betätigungen inkludierten nach Schilderung der Gefangenen u. a. „Munitionserzeugung, Fabrikation von Sprengstoffen“ bis hin zu „Munitionstransport in der Feuerlinie“. Meldungen über die während der Arbeit im Operationsbereich zu Tode gekommenen Feindsoldaten wurden zudem, behaupteten offenbar einige italienische Kriegsgefangene, nicht ordnungsgemäß weitergegeben: „Bei den an der Front während der Defensivarbeiten Gefallenen unterlässt das Meldeamt die Angabe der Todesursache: der Getötete gilt als vermisst oder das Matrikelblatt wird zerrissen, so dass von der ‚Evidenz‘, wie es genannt wird, nichts übrig bleibt.“465 Manipulationen in Zusammenhang mit der Angabe der Todes-

461 K. u. k. Kriegsministerium betr. Kriegsgefangene bei Arbeiten für Kriegszwecke, 14.7.1915. VHA, KGL Šamorin 1915, Kt. 12. 462 K. u. k. Etappengruppenkommando Nr. 9 an den Standort des EGK 9, 18.8.1915. AGAD EKG 1915 Sig. 115. 463 Kriegsgefangene bei Arbeiten für Kriegszwecke. Nr.  4586-EGK. 12 – AOK Op. Nr. 69190 vom 8.8.1915. Reservat-Militärkommandobefehl Nr. 45, Sarajevo 7.9.1915. ÖStA KA Terr Befehle, 15. K., Sarajevo 1915–1916, Kt. 92. 464 Zensurbericht für italienische Kriegsgefangene, September 1917. ÖStA KA KM 10. KgA 1917: 10-18/613, Kt. 1466. 465 Ebd.

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ursache von Kriegsgefangenen erfolgten allerdings teilweise per Erlass des Kriegsministeriums, um durch die oftmalige Angabe etwa der Todesart „Erschöpfung“ im Ausland keine unerwünschte Aufmerksamkeit zu erregen. Im Juli 1918 führte diese Praxis der Verschleierung einer bis zum Tode führenden Ausbeutung kriegsgefangener Arbeitskräfte zu einer weiteren Interpellation im Reichsrat.466 Einige Fälle von Exekutionen Kriegsgefangener als Folge von Arbeitsverweigerung sind – wie erwähnt – von österreichisch-ungarischen ebenso wie auch von russischen Behörden aufgegriffen worden, diesbezügliche Akten zum Teil sowohl in Österreich als auch Russland erhalten geblieben. Sie erlauben eine erhellende Zusammenschau, die eine erstaunliche Überlappung der von beiden Seiten gesammelten Informationen aufweist. Hervorzuheben ist hier als Beispiel die Erschießung von vier russischen Kriegsgefangenen, die im Sommer 1915 aufgrund von Arbeitsverweigerung am Brenner (Gossensass bzw. Gossensaß/Colle Isarco) stattfand. Die Exekutionen erfolgten im Zuge einer Dezimierung. Diese wurde abgebrochen – d. h. von der Tötung weiterer Gefangener wurde abgesehen –, als die Russen zustimmten, wieder die Arbeit aufzunehmen. Die gefangenen russischen Soldaten, die „in die Stellungen“ zu „Befestigungsarbeiten“ geführt worden waren, hatten die Arbeit verweigert, weil ihnen russische Offiziere hierfür die Todesstrafe im Falle ihrer Heimkehr angedroht hatten. Das k. u. k. Landesverteidigungskommando Tirol stellte sich in dieser Sache auf den Standpunkt, dass die Ausführung der angeordneten Arbeiten verpflichtend sei und diese überdies nicht im Widerspruch zum Völkerrecht stünden, da sie nicht gegen Russland, sondern Italien gerichtet seien. Außerdem wurden die getroffenen Maßnahmen – sie inkludierten neben der Exekution der vier Russen auch „Anbinden“ oder Fastenstrafen – in Anbetracht der großen Zahl anwesender Russen und der Gefahr einer großen Meuterei für angemessen erachtet.467 466 Angabe von Todesursache bei verstorbenen Kriegsgefangenen. ÖStA KA KM 14. Abt. 1918: 59-30, Kt. 2804. 467 1916 führten innerhalb des k. u. k. Kriegsministeriums Berichte über die Tötung von Soldaten aus dem Zarenreich, die in russischen Publikationen der „Außerordentlichen Kommission zur Untersuchung von Verletzungen der Haager Konvention“ festgehalten wurden, zu Nachforschungen über die Hintergründe dieser Behauptungen. K. u. k. Militärkommando in Innsbruck, Präs. Nr. 7653/Jus. an das k. u. k. Kriegsministerium, Innsbruck am 24.7.1916 betr. Erschießung russ. Kgf. in Gossensass im Juni 1915. ÖStA KA KM 10. KgA 1916: 10-66/31-4, Kt. 1382; K. u. k. Bauleitung des L.V.K., Offz. Res. Nr. 44 an das k. u. k. Militärkommando, Innsbruck am 5.7.1916 betr. Justifizierung der Kriegsgefangenen am Brenner. ÖStA KA KM 10. KgA 1916: 10-66/31-4, Kt. 1382. Obwohl die Presse nicht über Fälle dieser Art berichtete, verbreiteten sich offenbar Gerüchte über den Zwischenfall in Gossensass auf andere Weise. In Innsbruck jedenfalls

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Hervorzuheben ist für den „Fall Gossensass“, dass die Untersuchung seitens der k. u. k. Armeebehörden erst als Folge diesbezüglicher Anschuldigungen der russischen Seite erfolgte. Die betreffenden Nachforschungen, die schließlich auf Betreiben des k. u. k. Kriegsministeriums durchgeführt wurden, konzentrierten sich nicht zuletzt auf die Frage korrekter Befehlswege, auf das Problem der Verhältnismäßigkeit der gegen die „renitenten“ Russen verhängten Strafen oder aber auf die Identität jenes Überläufers, der den Fall den italienischen Behörden zugetragen hatte. Letztere wiederum verständigten St. Petersburg, wo die Affäre entsprechend „ausgeschlachtet“ wurde. Darüber hinaus war aus Sicht der k. u. k. Heeresstellen die Tatsache von Interesse gewesen, dass zunächst keine ausreichende Anzahl Freiwilliger bereit war, die Exekution der Russen vorzunehmen. Die fragwürdige Argumentation des Landesverteidigungskommandos Tirol, wonach die den Gefangenen abverlangten „Befestigungsarbeiten“ nur im Falle eines gegen Russland gerichteten Zweckes völkerrechtswidrig gewesen wären, wurde durch das k. u. k. Kriegsministerium allerdings gar nicht erst aufgegriffen. Zumindest nicht in den hierfür eingesehenen Akten. Das Landesverteidigungskommando dürfte sich hier auf einen „gewohnheitsrechtlichen Kriegsbrauch“ bezogen haben, der allerdings so in der HLKO nicht berücksichtigt war.468 kamen Anton Freiherrn von Pantz, der eine hohe Position im k. k. Ackerbauministerium innehatte, Meldungen über die Erschießung von „fünf“ Russen, „die man auf den Brenner zu Schanzarbeiten“ geschickt hatte, zu Ohren. Vgl. auch Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 125. In Russland hatte man als Folge der Aussage eines desertierten „Offiziersaspiranten“ namens Wenzel Wochek (bzw. Voček) über die Vorgänge in Gossensass bzw. Brennerbad Kenntnis erhalten. Der Betreffende, der behauptete, Augenzeuge der Vorkommnisse gewesen zu sein, war im September 1915 zu den Italienern übergelaufen. Seine Angaben wurden an Russland weitergegeben und darüber hinaus mit den Schilderungen von offenbar aus der Gefangenschaft geflohenen russischen Soldaten ergänzt. Diese Vorgehensweise ermöglichte schließlich sogar die namentliche Identifizierung der realiter vier Getöteten. Bemerkenswert an diesem Fall ist des Weiteren der Umstand, dass sich die Darstellungen des aus Böhmen stammenden übergelaufenen Einjährig-Freiwilligen mit der Sachverhaltsdarstellung der verantwortlichen k. u. k. Offiziere, die die Befehle zur Tötung der Russen gaben bzw. ausführten, weitgehend deckten. Vgl. Dežurnij General Verchnom Glavnokomandujuščem an den Dežurnij General Štaba glav. kom. zapadnogo fronta, 30.12.1915. RGVIA f. 2296 (2. Kavkazkij armejskij korpus), op. 1 d. 1167 ll. 25–26. Die mit dem Vorfall von Gossensass in Verbindung gebrachten Vergeltungsmaßnahmen Russlands fielen weitgehend milde aus, wenngleich sich die betroffenen k. u. k. Offiziere über eine daraus resultierende schlechtere Behandlung beschwerten. Alle 30 Tage hatten sie Arreststrafen abzusitzen. Vgl. Zensurabteilung des GZNB, 7.4.1916. ÖStA KA AOK Evidenzbüro, Kt. 3741. Ungeachtet dessen muss offenbleiben, in welchem tatsächlichen Ausmaß abseits offiziell kommunizierter Vergeltungsmaßnahmen Bestrafungen im Sinne des Gegenseitigkeitsprinzips vorgenommen wurden. 468 Vgl. Hinz, Gefangen, 53.

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Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf sich widersprechende oder aber unklare beziehungsweise dubiose Weisungen der zuständigen Instanzen der k. u. k. Armee. Das Problem der Ahndung von Arbeitsverweigerung durch Kriegsgefangene blieb somit oft genug eine Ermessensfrage der vor Ort zuständigen Personen. Dieses Dilemma wurde etwa vom k. u. k. Militärkommando in Innsbruck bei verschiedenen Gelegenheiten angesprochen und spielte auch im Falle der Erschießungen der Gefangenen am Brenner eine Rolle. Weitreichende Konsequenzen für die Gefangenen ergaben sich vor allem dann, wenn Arbeitsverweigerung mit Meuterei gleichgesetzt wurde. Darüber hinaus standen Verfügungen betreffend das Standrecht anderweitigen Bestrebungen, Gefangene bei Arbeitsverweigerung vielmehr einer strafrechtlichen Verfolgung zuzuführen, entgegen. Auf diese Weise konnte beispielsweise auch verhindert werden, „daß Kgf. bei Renitenz durch Disziplinarstrafmittel, wie Anbinden, Menageentzug etc. zur Arbeit gezwungen“ werden konnten.469 Meuterei konnte entsprechend dem geltenden Militärstrafgesetz jedenfalls mit Kerkerstrafen bis hin zur Todesstrafe geahndet werden. Galt das Standrecht, war ein umgehender „Tod durch Erschießen“ nicht ausgeschlossen, „soferne“ als Folge des Deliktes „ein Dienst gegen den Feind […] wirklich gehemmt“ wurde oder „aus anderen Rücksichten […] ein schnell abschreckendes Beispiel erforderlich“ war.470 Realiter war es möglich, Arbeitsverweigerung auf Grundlage des Militärstrafgesetzes auch noch mit anderen Verstößen in Verbindung zu bringen, die vor allem in Kriegszeiten rigoroses Vorgehen rechtfertigten. Die Tötung renitenter Gefangener konnte je nach Auslegung des Tatbestandes oder nach Ermessen des betreffenden Kommandierenden mit Verweis auf geltende Bestimmungen heereseigener Vorschriften legitimiert werden. Dazu bedurfte es realiter gar nicht unbedingt des Standrechtes.471 Letzteres hatte allerdings wenige Monate nach Kriegsbeginn in „teilweiser Aenderung und Ergänzung der bei der Armee im Felde“ ansonsten „bestehenden Anordnungen“ verschiedentlich Verschärfungen erfahren. Per Befehl des k. u. k. AOK/EOK vom 16. März 1915 umfassten standrechtlich abzuurteilende „Verbrechen“ insgesamt 26 Delikte.472 Inkludiert waren Subordinationsverletzungen, Meuterei 469 K. u. k. Militärkommando in Innsbruck, Militärkommando-Befehl Nr. 135, Innsbruck 19. Dezember 1915. ÖStA KA Terr Befehle, 14. K., Innsbruck 1915–1916, Kt. 83. 470 Militär-Strafgesetz über Verbrechen und Vergehen, Reichsgesetzblatt für das Kaiserthum Österreich, Jg. 1855, VI. Stück, Nr. 19, § 161. 471 Vgl. die Fälle von „Meuterei“ von Kriegsgefangenen, die im Rahmen geführter Prozesse mit Kerkerstrafen geahndet wurden: Überegger, Der andere Krieg, 311. 472 Präs. Nr. 1545. Verlautbarung der Standrechtsbestimmungen. Befehl des k. u. k. AOK/

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oder „Ausspähung“. All dies wurde „kundgemacht“, obwohl im Falle letztgenannter Delikte laut Militärstrafprozessordnung eine Ankündigung sogar entfallen konnte.473 Das mit der HLKO gewissermaßen konkurrierende Militärstrafgesetz sowie die geltenden Disziplinarbestimmungen oder das für die k. u. k. Armee relevante Dienstreglement erschwerten a priori eine unangefochtene Akzeptanz völkerrechtlicher Normen erheblich und leisteten rigorosen Vorgehensweisen gegenüber den Kriegsgefangenen Vorschub. In Bezug auf die Kriegsführung in Serbien spricht Jonathan Gumz schließlich ganz allgemein von einem für die k. u. k. Armee bereits vorhandenen Regelwerk, das dazu angetan war, „to provide cover for […] escalations“.474 Zusätzliche Befehle oder Vorschriften, die im Zuge der Kampfhandlungen erlassen beziehungsweise festgelegt wurden, taten ein Übriges. Hinsichtlich der Gefangenenbehandlung ist ein ähnlicher Befund zulässig: Bis hin zu Todesstrafen war gewaltsames Vorgehen gegen Kriegsgefangene durch bestehende Normen oder aber additiv ergangene Regelungen gedeckt.

„Verbrechen wider die Kriegsmacht des Staates“ Wenn die Propaganda der Gegenseite über die Tötung von Kriegsgefangenen berichtete und die völkerrechtswidrige, weil direkt mit Kriegshandlungen in Zusammenhang stehende Arbeitsverwendung der Feindsoldaten thematisiert wurde, war aus Perspektive des Gewahrsamsstaates ein „worst case“-Szenario eingetreten. Gefangenentötungen drohten Repressalien auszulösen und wirkten sich insgesamt negativ auf die Reputation der Nehmestaaten aus. Vergeltung wurde seitens der k. u. k. Behörden beispielsweise nach der Erschießung von fünf italienischen Kriegsgefangenen im Juni 1916 befürchtet. Die betreffenden Italiener waren „nach mißglücktem Fluchtversuche“ hingerichtet worden. Ihre „Justifizierung“ war „auf Grund der vom EOK Op. Nr. 32.183 vom 16.3.1915. ÖStA KA Terr Befehle, 15. K., Sarajevo 1915– 1916, Kt. 92. Dazu ist anzumerken, dass die Entscheidung über die Verhängung des Standrechtes dem Kriegsministerium oblag. Sie konnte „unter besonderen Umständen“ aber auch den einzelnen Kommandanten übertragen werden. Diese „besonderen Verhältnisse“ waren im Gesetzestext nicht näher definiert. Vgl. Mathias Preuschl, Österreichische Militärstrafgerichtsbarkeit 1914 bis 1918. Rechtliche Grundlagen und Judikatur, Diss. Wien 1999, 147. 473 Vgl. dazu den Wortlaut auch unter: http://www.bildarchivaustria.at/Pages/ImageDe tail.aspx?p_iBildID=14267206 8 (abgerufen am 1.3.2021). Vgl. u. a. den § 433 der Militärstrafprozessordnung (MStPO), Gesetz vom 5.7.1912, RGBl. Nr. 130. 474 Gumz, The Habsburg Empire, 139.

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k. u. k. 19. Korpskommando seinerzeit herausgegebenen ‚Maßnahmen zur Hintanhaltung der Flucht von Kriegsgefangenen‘ im Sinn der vom Heeresgruppenkommando Generaloberst Erzherzog Eugen diesbezüglich ergangenen Erlässe“ erfolgt. Dem Schreiben an die Militärkanzlei „Seiner Majestät des Kaisers und Königs“ vom Mai 1917, in dem der Fall dargestellt wurde, kann man entnehmen, dass der diesbezügliche Befehl noch von Kaiser Franz Joseph, und zwar im September 1916,475 aufgehoben worden war. Den handschriftliche Randnotizen zufolge, die auf dem Dokument zu finden sind, gab es aber Zweifel daran, dass die betreffenden Anweisungen des Monarchen bis zu den betreffenden Armeekommanden durchgedrungen waren. Außer­ dem verweisen weitere Notizen darauf, dass die Verfügungen des k. u. k. 19. Korpskommandos unabhängig von den Erlässen des erwähnten Heeresgruppenkommandos ergangen waren. Klargestellt wurde indessen vom Kriegsministerium, dass tatsächlich versucht worden war, den Fall nicht „in die Öffentlichkeit dringen zu lassen“. Dennoch hatte, musste eingestanden werden, die italienische Regierung offenbar „infolge des nicht zu umgehenden Austausches invalider Kriegsgefangener“ Kenntnis von dem Vorfall erhalten.476 Dass sich die Tötung von Gefangenen nicht gänzlich vertuschen ließ und Nachrichten über derartige Fälle nicht nur in die Presse der gegnerischen Staaten einsickerten, zeigten vor allem die beiden letzten Kriegsjahre. Im Januar 1918 zum Beispiel konnte ein Zeitungsartikel die Zensur in Österreich passieren, der die Behandlung von Gefangenen seitens der k. u. k. Armee und die Gefangenenpolitik insgesamt aufs Schärfste verurteilte. Die „Arbeiter-Zeitung“ tat nichts anderes, als am 14. Januar 1918 eine Interpellation an den Minister für Landesverteidigung aufzugreifen, die die „südslavischen Abgeordneten (Benkovic und Genossen)“ am 20. Dezember 1917 eingebracht hatten.477 In dieser Interpellation ging es zum einen um angeblich regelwidrige Bestrafungen bei Arbeitsverweigerung ebenso wie um höchst fragwürdige Befehle im Umgang mit flüchtenden Kriegsgefangenen. Zitiert wurde unter anderem ein Erlass des „Kommandos der Südwestfront“, der sich wiederum auf eine Verfügung des AOK stützte, den Kommandierenden von Kriegsgefangenen-Arbeiterabteilungen „drakonische Strenge“ anriet und dazu aufforderte, 475 Vgl. K. u. k. AOK, Q. Op. Nr. 124379 betr. Behandlung entwichener und wieder eingebrachter Kgf., 29.9.1916. ÖStA KA MKSM 1916: 69-9/35, Kt. 1252. 476 Referatbogen zum Geschäftsstück Abt. 10/Kgf. Nr. 23049 für die Militärkanzlei Seiner Apostolischen Majestät des Kaisers und Königs, Reichenau, am 28.5.1917. ÖStA KA MKSM 1917: 69-9/4-64, Kt. 1319. 477 Arbeiter-Zeitung, 14.1.1918, 3 f.

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„jede Rücksicht auf Humanität beiseite“ zu lassen. Erstrecken sollte sich eine derartige Behandlung sowohl auf russische als auch serbische Kriegsgefangene. Kommandanten, die solchen Vorgaben nicht entsprachen, sollten „ihrer Posten“ enthoben werden. Die Abgeordneten, die sich gegen eine solche Praxis wandten, zogen dabei offenbar die an anderer Stelle bereits erwähnten „Weisungen für Behandlung und Disziplinierung russ. und serb. Kriegsgefangener“ heran, ergänzt von weiteren Anordnungen – diesmal vom 5. Armeekommando beziehungsweise dem AOK478. Obwohl in der HLKO lediglich von „disziplinarischer Bestrafung“ im Falle von Flucht die Rede war, wurde in der betreffenden Verordnung die standgerichtliche Ahndung von Entweichungen festgelegt. Diese sollten als „Verbrechen wider die Kriegsmacht des Staates“ ausgelegt werden. Betroffen davon waren im konkreten Fall zu den Italienern fliehende russische Gefangene, die allerdings in vielen Fällen der irrigen Meinung waren, Fluchtversuche würden ihrem Heimatstaat kommuniziert werden. Solche Mitteilungen, hofften sie, könnten sie vor befürchteten Strafen bei ihrer Heimkehr bewahren und ein bevorstehendes Rechtfertigungsverfahren zu ihren Gunsten beeinflussen.479 In den betreffenden Weisungen der k. u. k. Armee aber wurde Flucht nunmehr zu einem Verbrechen gemacht, das die härteste Bestrafung durch die Gewahrsamsmacht erforderte. Da man vorwegnahm, dass „der zum Feinde flüchtende Kriegsgefangene die Absicht hat, sich nicht nur zu befreien, sondern dem Feinde unsere Situation zu verraten oder bei ihm Kriegsdienst zu nehmen“, sei – hieß es – eine solche Interpretation zulässig. Außerdem, wurde ergänzt, erscheine es „zweifellos auch gerechtfertigt, flüchtende russische Kriegsgefangene, wenn deren Ergreifung nicht möglich oder überhaupt fraglich wäre, vom Kriegsnotwehrrecht Gebrauch machend, niederzumachen“.480 Derartige Vorannahmen, so die Abgeordneten im Reichsrat, seien angesichts der tatsächlichen Fluchtgründe völlig willkürlich: „Die entwichenen Kriegsgefangenen verantworten sich durchgehend damit, daß sie infolge Unter­ernährung und Hunger die ihnen aufgetragenen Arbeiten nicht mehr verrichten konnten, oder mit Heimweh. Es wurde von allen Kriegsgefangenen in Abrede gestellt, daß sie die Absicht hätten, dem Feinde irgendwie zu dienen. Trotzdem“, behaupteten die Abgeordneten, „wurden Hunderte von Kriegsge478 Zudem – ebenfalls in einer Randnotiz – festgehalten wurde, dass das zuständige 19. Korpskommando dem „Heeresgruppenkommando FM Erzherzog Eugen nie unterstanden“ hatte. Flucht von Kriegsgefangenen. ÖStA KA MKSM 1917: 69-8/4-6, Kt. 1319. 479 Vgl. Verzeichnis der Internierungs- und Durchzugsstationen der Kriegsgefangenen – Visitierungsberichte. ÖStA KA AOK Evidenzbüro, Kt. 3791. 480 Arbeiter-Zeitung, 14.1.1918, 4.

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fangenen an allen Fronten auf diese Weise standrechtlich zum Tode verurteilt und erschossen.“ Als Beispiel angeführt wurde die Exekution von vier russischen Kriegsgefangenen durch das „Gericht der Isonzoarmee“ in Općina, wo im Übrigen eine „Arbeiterstrafabteilung“ bestanden hatte.481 Dass offenbar auch an der Front zu Russland ähnliche Vorgehensweisen gegenüber Kriegsgefangenen zur Anwendung kamen, legt indessen auch eine Verordnung der k. u. k. 2. Armee nahe. Kriegsgefangene, die jenseits einer festgesetzten „Verwendungslinie“ aufgegriffen wurden, sollten „bei begründetem Spionageverdachte nach dem Kriegsnotwehrrechte“ niedergemacht, „ansonsten der kriegsgerichtlichen Behandlung beim nächsten Feldgerichte“ zugeführt werden.482 Dass das „Niedermachen“ von Kriegsgefangenen einen großen Umfang angenommen hatte, sahen die Abgeordneten darin bestätigt, dass der Kaiser selbst eingegriffen habe, um „dieser Schmach ein Ende zu machen“. Alle Todesurteile gegen entwichene Feindsoldaten sollten daher „ihm zur Bestätigung“ vorgelegt werden. „Tausende von Opfern“ seien aber auf diese Weise bereits zugrunde gegangenen, und auch nach der betreffenden Intervention des Kaisers habe es weitere Fälle von unzulässigen Tötungen entwichener Kriegsgefangenen gegeben.483

„Rechtsirrtümlich“ Tatsächlich war der Informationsstand der Volksvertreter in der vorgebrachten Angelegenheit erstaunlich gut. So traf es beispielsweise zu, dass Kaiser Karl die Vorlage von Todesurteilen, die geflohene Gefangene betrafen, gefordert hatte, um sie einer Überprüfung zu unterziehen. Dies geschah vor dem Hintergrund russischer Drohungen, flüchtende k. u. k. Kriegsgefangene zu erschießen, sofern nicht analoge Befehle auf österreichisch-ungarischer Seite annulliert würden. In diesem Zusammenhang klärte das k. u. k. Kriegsministerium den jungen Kaiser im Januar 1917 dahingehend auf, dass das

481 Ebd., 3 f. 482 K. u. k. 2. Armeeoberkommando, Q. Op. Nr. 6989, betr. Verwendungslinie für Kgf., 20.9.1916. ÖStA KA AOK NFA 4. Armee, ohne Karton. 483 Arbeiter-Zeitung, 14.1.1918, 3 f. Die Abgeordneten beziehen sich hier zuletzt offenbar auf denselben Fall, der im Rahmen des Pflichtverletzungsverfahrens aufgegriffen wurde. Auch hier heißt es, der Offizier sei wegen Missbrauchs der Amtsgewalt und „Hintansetzung der Dienstvorschriften“ angeklagt, aber „vom Kriegsgericht freigesprochen“ worden. Ebd., 4.

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Heeresgruppenkommando Feldmarschall Erzherzog Eugen […] seinerzeit verfügt hatte, daß 1. Kriegsgefangene, die eine bestimmte Grenze im Operationsraum überschreiten, niederzumachen sind und daß 2. Die Flucht von Kriegsgefangenen als Verbrechen wider die Kriegsmacht des Staates zu betrachten sei. Da in den betreffenden Gebieten für dieses Verbrechen nach § 327 Militär-Strafgesetz zur Zeit das Standrecht kundgemacht ist, bedeuten diese Verfügungen die Androhung der Todesstrafe für Flucht von Kriegsgefangenen.484

Hier ist im Übrigen zu ergänzen, dass Karl im August 1917 anordnete, ihm auch die Todesurteile betreffend Soldaten der eigenen Armee vorzulegen.485 Während die Reichsratsabgeordneten von Hunderten, ja Tausenden Fällen niedergemachter Gefangener sprachen, gab das Kriegsministerium gegenüber dem Kaiser an, dass es Kenntnis von „über 40“ vor diesem Hintergrund vollstreckter Hinrichtungen von Gefangenen hatte.486 Noch im Dezember 1916 vermeldete das k. u. k. Kriegsministerium dem AOK, dass auf Verfügung Kaiser Karls „vor Vollziehung eines über einen Kriegsgefangenen gefällten Todesurteils die Allerhöchste Entschliessung einzuholen“ sei. Dazu hieß es überdies erläuternd: „Zufolge dieser Allerhöchsten Entschließung behält sich das AOK die Bestätigung der im standrechtlichen Verfahren gefällten Todesurteile gegen die in der Gewalt der bewaffneten Macht und der Gendarmerie befindlichen Kriegsgefangenen feindlicher Staaten vor.“487 Laut Militär-Strafprozessordnung war die Bestätigung des zuständigen Kommandanten für eine Vollstreckung des Urteils ausreichend.488 Die Stellungnahme des AOK widersprach im Übrigen der Sichtweise des Kriegsministeriums, das davon ausging, dass der Kaiser „Allerhöchstselbst“ über eine etwaige Begnadigung zum Tode verurteilter Kriegsgefangener befinden würde.489 Nach dem vom Kriegsministerium vorgesehenen Procedere sollten die betreffenden Unterlagen zunächst vom k. u. k. Generalmilitäranwalt überprüft werden, gefolgt von einer Stellungnahme des Kriegsministeriums selbst, die „vom Gesichtspunkt allfälliger Rückwirkung auf das Lose unserer eigenen Kriegsgefangenen“ erfolgen sollte. Danach war die „Schlussfassung Sr. Majestät“ an der Reihe. Ein gravierendes Problem lag allerdings darin, dass die Vorlage der betreffenden Akten „nicht erst nach der Bestätigung 484 Flucht von Kriegsgefangenen. ÖStA KA MKSM 1917: 69-9/4-3, Kt. 1319. 485 Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg, 987 f. 486 Flucht von Kriegsgefangenen. ÖStA KA MKSM 1917: 69-9/4-3, Kt. 1319. 487 Ebd. 488 Siehe die §§ 445–447 der MStPO, Gesetz vom 5. Juli 1912, RGBl. Nr. 130. 489 Flucht von Kriegsgefangenen. ÖStA KA MKSM 1917: 69-9/4-3, Kt. 1319.

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des Urteils“ des zuständigen Kommandanten zu erfolgen hatte, da es ja bereits dadurch „rechtskräftig“ geworden war.490 Die zeitlichen Abläufe ebenso wie die Zuständigkeiten erwiesen sich allem Anschein nach als erhebliche Hemmnisse für eine zusätzliche, übergeordnete Kontrolle. Trotz der Haltung des Kriegsministeriums in dieser Causa, die einmal mehr auf eine Korrektur der für die A. i. F. geltenden Richtlinien in Kriegsgefangenenangelegenheiten hinauslief, hatte es die weiter vorne erwähnte Justifizierung von fünf geflohenen italienischen Kriegsgefangenen gebilligt. Es habe sich dabei, hieß es, um „eine lokale Maßnahme“ gehandelt, die „eine infolge Sabotageakte und dergleichen der geflüchteten Kriegsgefangenen dringende militärische Notwendigkeit“ gewesen sei. Diese „außerordentlichen Maßnahmen“ seien aber bereits seit September 1916 „annulliert“ worden, gefolgt von der erwähnten Verfügung Kaiser Karls, sich die Bestätigung gefällter Todesurteile gegen Kriegsgefangene vorzubehalten.491 Evident ist in diesem Zusammenhang, dass das unter Druck geratene Heeresgruppenkommando Erzherzog Eugen die beanstandeten Weisungen betreffend die Erschießung von Kriegsgefangenen rechtlich zu begründen versuchte. Wenn Fluchthelfer mit dem Tode bestraft werden könnten492, müssten demgemäß erst recht auch die Flüchtenden gleichermaßen abgeurteilt werden, wurde argumentiert.493 Tatsächlich war bei „Fluchthilfe“ von einem „Verbrechen wider die Kriegsmacht des Staates“ ausgegangen und somit Paragraph 327 herangezogen worden. Die Bevölkerung wurde auch in der Presse auf die diesbezügliche Strafe, „Tod durch den Strang“, hingewiesen.494 Das Kriegsministerium indessen bewertete die darauf Bezug nehmenden Schlussfolgerungen des Heeresgruppenkommandos als „rechtsirrtümlich“ und in Hinblick auf die betreffenden Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung (Art. 8) über die Flucht von Kriegsgefangenen als „illusorisch“.495 Auf Widerstand stieß außerdem die vom Heeresgruppenkommando Erzherzog Eugen befohlene Verlautbarung von Todesurteilen, die an Kriegsgefangenen vollzogen wurden. Im Dezember 1916 ging das Kriegsministerium

490 Ebd. 491 Vgl. Flucht von Kriegsgefangenen. ÖStA KA MKSM 1917: 69-8/4-6, Kt. 1319. 492 Vgl. dazu: Verlautbarungen betr. Kgf.-Wesen, September 1917. ÖStA KA Chef d EW 1917: 19-23/1-3, Kt. 42. 493 Bestrafung bei Fluchtfällen von Kgf., 20.9.1916. ÖStA KA MKSM 1916: 69-9/35-2, Kt. 1252. 494 Neues Wiener Tagblatt, 11.2.1916. https://www.digital.wienbibliothek.at/wk/periodical/pageview/687195 (abgerufen am 2.7.2021). 495 Bestrafung bei Fluchtfällen von Kgf., 20.9.1916. ÖStA KA MKSM 1916: 69-9/35-2, Kt. 1252.

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offenbar von 30 russischen Gefangenen aus, die justifiziert worden waren.496 Das Militärkommando Innsbruck riet indessen vorsorglich an, Meldungen über zu Tode gekommene Gefangene, die an der Front, „sei es durch feindliche Waffenwirkung“, „wegen Fluchtversuchen“ oder sonstigen Gründen „erschossen worden sind“, im Verkehr mit den Rot-Kreuz-Organisationen der feindlichen Staaten ohne Angabe der Todesursache weiterzuleiten.497 Auf diese Weise wollte man sich unangenehme Fragen ersparen. Die von den Volksvertretern genannten Zahlen „niedergemachter“ Kriegsgefangener waren eklatant höher als jene, die angeblich dem Kriegsministerium zur Verfügung standen. Aufgrund manipulativer Verfügungen und einer fragwürdigen diesbezüglichen Kommunikation zwischen den Armee­kommanden und dem Ministerium ließ und lässt sich allerdings nicht rekonstruieren, welche der Angaben der Realität eher entsprach.498 Die Parlamentarier lagen allerdings mit ihren Einschätzungen, wonach Kriegsgefangene vor allem aufgrund unzureichender Verpflegung entwichen oder aber in Anbetracht schwerer Arbeit und Misshandlungen entflohen, ein weiteres Mal richtig. Etliche Feindsoldaten, die das Weite suchten, bemühten sich offenbar gar nicht erst, zu den gegnerischen Kampfeinheiten zu gelangen, sondern strebten lediglich eine Überstellung zu anderen Arbeitsstätten an, wo sie sich eine bessere Behandlung und/oder Versorgung erhofften.499 So hielt im Mai 1917 der „Etappen-Inspizierende“ des 11. Armeekommandos fest, dass die bei „Verlade- und Depotarbeiten“ beschäftigten Gefangenen „vorwiegend“ aufgrund zu langer Arbeitszeiten, fehlender Rasttage und ge-

496 Referatsbogen des Kriegsministeriums, 8.12.1916. ÖStA KA MKSM 1916: 69-9/35-2, Kt. 2152. 497 Zit. nach Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 124. 498 Zweifel an der geringen Zahl der standgerichtlich wegen Desertion hingerichteten k. u. k. Soldaten meldet beispielsweise Manfried Rauchensteiner an. Er verweist hier u. a. auf das unbekannte Ausmaß von Fällen, die bei den Feldgerichten verhandelt wurden. Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg, 988 f. 499 Aus der Gefangenschaft zu entweichen, stellte sich aus der Perspektive vieler Betroffener außerdem geradezu als Imperativ dar. Im Sommer 1916 glaubte man etwa seitens des Heeresgruppenkommandos Erzherzog Eugen, dass neueingebrachte russische Soldaten Kameraden, die bereits seit längerer Zeit bei der Armee im Felde im Einsatz standen, zur Flucht animierten. Sie verbreiteten offenbar Gerüchte, wonach geflohene Soldaten in der Heimat spezielle Belobigungen erhielten und von einem weiteren Einsatz an der Front befreit würden. Auf österreichisch-ungarischer Seite regte man daher an, neu eingebrachte Gefangene tunlichst von anderen zu separieren und sie rasch abzuschieben. K. u. k. Heeresgruppenkommando GO Erzh. Eugen, Quartiermeisterabteilung, Q. Op. Nr. 10.057 betr. Fluchtanstiftung. Museo Storico Italiano della Guerra. Rovereto. Archivi di Comandi militari. K. u. k. Kriegsgefangenen-Arbeiterabteilungen 1339 I, 74a, 368, 378 (74).

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ringer Verpflegung flüchteten.500 Realiter deuten alle zu Entweichungen von Kriegsgefangenen gesammelten Daten des Kriegsministeriums ebenso wie der Armeekommanden darauf hin, dass verräterische Absichten, wie sie die zitierten Verfügungen enthielten, die Ausnahme von der Regel darstellten und nicht umgekehrt.

Strafpraxis und Regeln Laut Reglement des Kriegsministeriums war vorgesehen, dass gegenüber flüchtenden Kriegsgefangenen von der Waffe erst dann Gebrauch gemacht werden durfte, wenn die Betreffenden auf den „Anruf“ des Wachpostens („Halt!“) nicht reagierten.501 Diese Richtlinie wurde aber ganz offensichtlich nicht überall befolgt beziehungsweise galten zunächst davon abweichende Bestimmungen. Diese wiederum betrafen offenbar nicht nur die A. i. F. Im Juni 1915 verfügte etwa das Militärkommando Pozsony, dessen Territorium allerdings teilweise im Bereich der Armee im Felde lag: Die Bewachungstruppen […] sind anzuweisen, jeden kriegsgefangenen Deserteur, welcher ausserhalb der Lagerumfassung ohne eigener Eskorte gesehen wird, niederzuschiessen. Wer bei irgendwelcher Gelegenheit flüchtet, ist ohne Anruf [!] sofort niederzuschiessen. Nachrichten über die Tötung von kriegsgefangenen Deserteuren sind zum abschreckenden und warnenden Beispiele jedesmal den Kriegsgefangenen mit entsprechender Belehrung zu verlautbaren.502

In diesem Ton ging es weiter: Werden dennoch flüchtig gewesene Kriegsgefangene in die Lager eingebracht, so sind dieselben in den zu errichtenden Zwinger/:Baracke mit Hindernis umgeben:/bis zum Friedensschlusse zu internieren, wo sie nur den Himmel oben und eine Bretterwand vor sich sehen. Diese eingebrachten Deserteure haben an jedem Samstag strengen Fasttag zu halten. Gegen Leute, die nicht parieren, ist ohneweiteres von der Waffe Gebrauch zu machen.503 500 K. u. k. Etappen-Inspizierender des 11. AK, 3.5.1917. ÖStA KA NFA 11. Armee (Qu. Abt.) 1917 Kriegsgefangene, Kt. 1031. 501 Dienstbuch J-35, 18. 502 K. u. k. Militärkommando Pozsony. Präs. Nr. 6251, 6.6.1915. VHA Bratislava. 5 KK 1914, Kt. 68. 503 Ebd.

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Den Kriegsgefangenen wurde offenbar auch mitgeteilt, dass neben den Wachleuten auch die Zivilbevölkerung ermächtigt war, flüchtige Kriegsgefangene einfach zu töten. Außerdem galten im Militärkommandobereich Pozsony empfindliche Kollektivstrafen. Im September fragte etwa der Lagerkommandant von Kenyérmező an, wie zu verfahren sei, wenn gleich mehrere Gefangene pro Baracke flüchteten. Im Fall der Anwendung von Kollektivstrafen, meinte er, wären nämlich die betreffenden Gefangenen – also die Kameraden der Geflüchteten, die in derselben Baracke untergebracht waren – einer Vielzahl von Fasttagen pro Woche unterworfen.504 Die Existenz von „Zwingern“ für die Bestrafung von Geflüchteten beobachtete im Übrigen im Jahr 1915 ein Schweizer Rot-Kreuz-Arzt, der das ungarische Lager Boldogasszony/Frauenkirchen besucht hatte und einen Bericht über seine Visitierung verfasste.505 Dass Teile der Militärkommandobereiche dem Kompetenzbereich der A. i. F. zufielen, führte, wie im Frühjahr 1915 festgehalten wurde, immer wieder zu „Reibereien“ mit „Höheren Kommanden“ – ein Problem, das sich offenbar auch auf Gefangenenagenden erstreckte.506 Spezielle, durchaus nicht immer ganz klare Richtlinien gab – wie bereits mehrmals erwähnt – das Dienstbuch J-35 vor. Von „unerläßliche[r] Strenge“ gegenüber den Feindsoldaten bei gleichzeitiger „Vermeidung jeder Art kleinlicher Bedrückung“ sowie dem Verbot von „Mißhandlungen“ war ebenso die Rede wie von „mit aller Strenge“ zu begegnenden „Fluchtversuchen“. Vorgesehen war eine nicht näher definierte „dauerhafte“ Unterbringung von geflüchteten und wiedereingebrachten Gefangenen in gesonderten Baracken, deren Beschaffenheit ebenfalls nicht genauer vorgeschrieben wurde.507 Demgegenüber hatte die 504 Kriegsgefangenenlagerkommando Kenyérmező an das k. u. k. Militärkommando in Pozsony, 29.9.1915. VHA Bratislava. 5KK 1914, Kt. 68. Interessanterweise hatte das Militärkommando Pozsony eine eigene „Sammlung der seit Kriegsbeginn ergangenen Kriegsministerial-Erlässe und Verordnungen des Militärkommandos“ herausgegeben, die aber keine grundsätzliche Missachtung der vom Kriegsministerium ergangenen Erlässe aufwies. Die Militärkommanden verfügten laut Raabl-Werner ohnehin über keinen „entscheidende[n] Einfluß“ auf die „Führung des Kriegsgefangenenwesens“. Ebd. Im Übrigen wurde dort Bezug genommen auf „Kapitel II“ des Reglements, „betreffend Gesetze und Gebräuche im Landkriege“ (Dienstbuch E-53); Militärintendant Heinrich von Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II: Das Kriegsgefangenenwesen in Öster­reich-Ungarn. ÖStA KA MS Ca/Ca 29, 5. 505 Es handelt sich um den Arzt Otto Knüsel (Bei den serbischen und russischen Kriegsgefangenen im Kriegsgefangenenlager zu Boldogasszony, Basel 1915). Vgl. dazu: Herbert Brettl, Das Kriegsgefangenen- und Interniertenlager Boldogasszony/Frauenkirchen. „Sie leben nicht mehr der Gegenwart, sondern der Zukunft zuliebe“, Halbturn 2014, 110. 506 Reibereien zwischen Militärkommanden und Höheren Kommanden, April 1915. ÖStA KA KM Präs. 1915: 13-3/15, Kt. 1802. 507 Dienstbuch J-35, 17–19.

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Quartiermeisterabteilung der 5. Armee festgelegt, dass „[a]lle eingebrachten Entwichenen“ einer „Strafabteilung“ zuzuweisen waren.508 Darüber hinaus wurde allerdings eine „strenge aber gerechte Behandlung“ der Gefangenen verfügt, die besonders „verlässlichen und fleissigen Kgf.“ auch diverse Vergünstigungen in Aussicht stellte.509 Dass die „Entweichung eines Kriegsgefangenen auch bei uns nur im Disziplinarwege geahndet werden“ könne, hatte im Zuge eines Abgleiches der Haager Landkriegsordnung mit dem österreichisch-ungarischen Militärrecht schon vor Ausbruch des Krieges der Militärjurist Ernst Junk konstatiert.510 In den 1916 gefassten Stockholmer Beschlüssen, die zumindest für russische Gefangene im Habsburgerreich Gültigkeit hatten, wurden überdies Diszi­ plinarstrafen für Fluchtversuche ausschließlich in Form von Arrest festgelegt. Dieser war darüber hinaus zeitlich limitiert.511 Auf einen regelkonformen Umgang mit Bestrafungen für Fluchtversuche verwies beispielsweise der Lagerkommandant von Purgstall in Niederösterreich. Dort verhängte man Arreststrafen, die – wie vorgesehen – mit der Zahl der Fluchtversuche korrelierten. Erst nach drei Fluchtversuchen erfolgte die Überstellung in eine Strafbaracke. Die Haftdauer hing von einem übergeordneten Schiedsspruch ab.512 Abgesehen davon hatte noch der „alte Kaiser“ auf die Erlaubnis zum Waffengebrauch gegenüber flüchtenden Kriegsgefangenen lediglich in Zusammenhang mit einem Ignorieren des erwähnten „Halt“-Rufes hingewiesen.513 Damit wiederholte er die bereits im Dienstbuch J-35 festgelegten Verfügungen. Auch gegen die rigorose Auslegung von Fluchtmotiven und daran anknüpfende Aburteilungen, wie sie im Reichsrat angeprangert wurden, hatte Franz Joseph Stellung bezogen. Die Einleitung eines Strafverfahrens auf Grundlage des Paragraphen 327 des Militärstrafgesetzes, der das „Einverständnis mit dem Feinde“ bezeichnete und die Todesstrafe oder bis zu 20 Jahre Kerker nach sich zog, durfte gemäß den diesbezüglichen Äußerungen des Monarchen dann nicht erfolgen514, „wenn der Kriegsgefangene nur der Flucht beschuldigt ist und ein sonstiger unter den § 327 fallender Tatbestand nicht vorliegt“.515

508 K. u. k. Armeeoberkommando (Q. Abt.) an das Feldpostamt, Nr. 81, 20.3.1916. ÖStA KA NFA 5. Armee Qu. Op.-Akten 1916, Kt. 1141. 509 Ebd. 510 Junk, Aus der disziplinären und militärgerichtlichen Praxis, 95. 511 Für den ersten Fluchtversuch vorgesehen waren höchstens 20 Tage Arrest, für jeden weiteren höchstens 30. Scheidl, Die Kriegsgefangenschaft, 108. 512 Lagergeschichte Purgstall. ÖStA KA AOK Evidenzbüro, Kt. 3792. 513 Fluchtversuche von Kriegsgefangenen. ÖStA KA MKSM 1917: 69-9/4-3, Kt. 1319. 514 RGBl., Jg. 1855, VI. Stück, 31.1.1855, Nr. 19, Militär-Strafgesetzbuch § 327. 515 Fluchtversuche von Kriegsgefangenen. ÖStA KA MKSM 1917: 69-9/4-3, Kt. 1319.

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Einen solchen Tatbestand bei Bedarf zu konstruieren, war allerdings, wie sich zeigte, alles andere als schwer.516 Inwieweit der Einspruch des k. u. k. Kriegsministeriums gegen das „Nieder­machen“ von Gefangenen ohne „gerichtliches Verfahren“ ebenso wie die Klarstellungen zum Waffengebrauch im Fluchtfall, die bereits von Kaiser Franz Joseph ausgegangen waren, eine monierte Praxis bei der A. i. F. abzustellen vermochten, bleibt unklar. „[E]nergische[s] Eingreifen“ wurde dort schlichtweg für notwendig befunden.517 Im August 1917 erfolgte in jedem Fall die „[n]euerliche Bekanntgabe aller Befehle betreffs Waffengebrauch und Bestätigung der Todesurteile über Kgf“ bei der A. i. F.518

Außer Kontrolle Bereits im September 1915 wurde angesichts hoher Fluchtraten unter den Kriegsgefangenen Bewachungsmannschaften, denen die Verantwortung für das Entweichen von Gefangenen nachgewiesen werden konnte, strenge Bestrafung angedroht.519 Das Problem stetig zunehmender Fluchten ließ sich jedoch durch schärfere Strafen – weder für womöglich nachlässige oder unzuverlässige Wachleute noch für die Gefangenen selbst – anscheinend nicht zufriedenstellend lösen. Auch die Konsequenzen, die der Zivilbevölkerung im Falle einer Hilfestellung für geflohene Gefangene drohte, wirkten offenbar nur eingeschränkt. Unter Strafe gestellt war jedenfalls bereits die „Verleitung zur Flucht“. So waren gefangene Russen angeblich sowohl von Einheimischen als auch von aus Russland heimgekehrten k. u. k. Soldaten aufgefordert worden, die Arbeit niederzulegen und die Heimkehr anzutreten. Für diese „Vorschubleistung zur Desertion“ waren hohe Geldstrafen sowie eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr vorgesehen.520 Das Motiv, das hinter solchen „Vorschubleistungen“ stand, lag klar auf der Hand: Die Heimkehr der Russen sollte das Ende des Krieges beschleunigen. Bis zum Januar 1918 waren mindestens 30.000 russische Gefangene an der NO-Front geflohen. Dort stammten von den insgesamt 194.298 eingesetzten 516 Das erschließt sich auch aus den Formulierungen des betreffenden Paragraphen. Vgl. RGBl., Jg. 1855, VI. Stück, 31.1.1855, Nr. 19, Militär-Strafgesetzbuch § 327. 517 Zit. nach Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 124. 518 Verlautbarung betr. Kgf.-Wesen, August 1917. ÖStA KA Chef d EW 1917: 19-23/2, Kt. 42. 519 K. u. k. Etappengruppenkommando Nr. 9, 27.9.1915. ÖStA KA NFA 4. Armee, ohne Karton. 520 Vgl. Mährisches Tagblatt, 25.7.1918, 5.

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Feindsoldaten 138.899 aus dem ehemaligen Zarenreich.521 Allein im Mai 1918 meldete das AOK eine „Massenflucht“ von 10.000 Kriegsgefangenen aus der Kriegsgefangenenstation Lemberg. Im ersten Halbjahr 1918 hatten galizische Gendarmerieposten annähernd 16.000 geflohene Gefangene wieder aufgegriffen.522 Dass die k. u. k. Armee mit dem Problem massenhafter Entweichungen nicht allein dastand, beweist das deutsche Beispiel. Aus deutschem Gewahrsam erfolgreich fliehen konnten mehr als 107.000 Feindsoldaten.523 Mehr als 136.000 Kriegsgefangene, die entwichen waren, wurden wieder eingebracht.524 Parallel dazu regten sich in der k. u. k. Armee auch unter den eigenen Soldaten wachsende Unzufriedenheit und Kriegsmüdigkeit. Desertionen nahmen stetig zu, und die „Straffälle im Bereich der Armee im Feld hatten sich in der Zeit von November 1917 (77.176) bis Mai 1918 (133.040) fast verdoppelt“.525 Auch bezüglich der eigenen Soldaten hoffte man auf eine entsprechende Wirkung verschärfter Disziplinarmaßnahmen. Bereits im April 1917 war „in Ansehung der grossen Bedeutung strammster Disziplin und Ordnung“ allen „mit der Ausübung des Disziplinarstrafrechtes betrauten Kommandanten ein erweitertes Disziplinarstrafrecht eingeräumt worden“.526 Darüber hinaus waren Feldwachen und Posten angewiesen, „alle Militärpersonen am Verlassen der eigenen Linie zu hindern. Falls ein offensichtlich Desertierender nicht augenblicklich Folge leistete, war er ‚niederzumachen‘.“527 Ein Teil der geflüchteten Kriegsgefangenen wollte oder vielmehr konnte indessen gar nicht sofort in die Heimat zurückkehren und schloss sich den „Grünen Kadern“ an, die sich vornehmlich aus Deserteuren der österreichisch-ungarischen Armee zusammensetzen.528 Für die SW-Front, wo 1918 127.292 Gefangene – davon 92.067 Russen – verwendet wurden529, liegen keine konkreten Zahlen zu geflohenen Kriegsgefangenen vor. Es darf immerhin von ähnlichen Tendenzen wie bei der NO-Front ausgegangen werden, wobei wohl die territorialen Voraussetzungen im Operations- und Etappenbereich zu Italien – ein nicht unbeträchtlicher Anteil von Gefangenen war Ar521 Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 193. 522 Ebd., 230. 523 Wilhelm Doegen (Hg.), Kriegsgefangene Völker, Bd. 1: Der Kriegsgefangenen Haltung und Schicksal in Deutschland. Im amtlichen Auftrage des Reichswehr-Ministeriums, Berlin 1919, 28 f. 524 Margarete Klante, Die Kriegsgefangenen in Deutschland, in: Weiland/Kern, In Feindeshand, Bd. 2, Wien 1931, 172–193, 189. 525 Überegger, Der andere Krieg, 117. 526 Zit. nach ebd. 527 Ebd., 250. 528 Vgl. Doegen, Kriegsgefangene Völker, 239. 529 Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 193.

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beiterkompagnien im Hochgebirge zugeteilt – Fluchten einerseits weniger begünstigten als im Osten, andererseits aber auch die Auffindung Entflohener erheblich erschwerten. Im August 1918, als sich im Bereich der 6. k. u. k. Armee nach dem Abtransport der Russen nur mehr italienische Gefangene befanden, war von unausgesetzten Massenentweichungen die Rede, von einer Bevölkerung, die Geflohene unterstützte, und von der Formierung „kleinerer Banden“, die „gegebenenfalls vor Morden“ nicht zurückschreckten. Opfer waren vor allem Gendarmen und „patrouillierende Etappenmannschaften“. „Die grosse Zahl der entwichenen“ Kriegsgefangenen bedeutete, so der Bericht an den Chef des Ersatzwesens, „eine enorme Gefahr für die Armee“.530 Neu war auch diese Entwicklung nicht, wenngleich sich die diesbezüglichen Dimensionen mit fortschreitender Kriegsdauer enorm vergrößerten. Bereits im Juni 1915 war beim Militärkommando Pozsony von einer Häufung von Fluchtfällen aus Gefangenenlagern und Offiziersstationen die Rede gewesen. „Die flüchtigen Kriegsgefangenen“, hieß es, „bilden eine eminente Gefahr für das ganze Land, weil sie nur vom Diebstahl oder Raub leben können, und zu Brandstiftung und schweren Sittlichkeitsverbrechen Neigung haben.“531 Im Februar 1916 sollte auf Befehl des AOK „durch Maueranschlag und Austrommeln etc. in allen Gemeinden des Armeebereichs der gesamten Bevölkerung“ mitgeteilt werden, welche Konsequenzen eine Hilfestellung für Entflohene haben würde: „Hinter einer Armee haben sich aus entlaufenen russischen Kriegsgefangenen durch Unterstützung der Bevölkerung Banden gebildet, welche durch Raub, Brandlegung und eventuelle Sprengungen, Zerstörungen etc. unermeßlichen Schaden verursachen können. Außer der bereits verlautbarten standrechtlichen Behandlung dieser Verbrecher und deren Mitschuldigen“ sollten „Häuser bezw. Ortschaften“, wo den Flüchtigen Zuflucht gewährt wurde, niedergebrannt werden. In „verdächtigen Ortschaften“ waren überdies „Geiseln auszuheben“.532 Zivilisten waren allerdings in vielen Fällen eher Opfer als willige Fluchthelfer. Etlichen Banden, die sich u. a. aus entflohenen Kriegsgefangenen zu-

530 K. u. k. 6. Armeekommando, Qu.Abt. an den k. u. k. Chef des Ersatzwesens, 20.8.1918. ÖStA KA Chef d EW 1918: 19-5/15, Kt. 108. 531 K. u. k. Militärkommando Pozsony. Präs. Nr. 6251, 6.6.1915. VHA Bratislava. 5KK 1914, Kt. 68. 532 K. u. k. Quartiermeisterabteilung, Nr. 9, 23.2.1916 betr. Räuberunwesen hinter der Front. ÖStA KA AOK NFA 4. Armee, ohne Karton. Vgl. dazu auch Lieb, Der deutsche Krieg im Osten, 478, der ebenfalls auf diesen Befehl Bezug nimmt. Dass Kriegsgefangene eigens entsendeten „Banden“ russischer Soldaten angehört hatten, um Sabotageakte zu unternehmen und Überfälle zu begehen, wurde bereits 1915 festgestellt. Archiwum Panstwowe w Lublinie (APL) 248 MG Lukowie, Sig. 35.

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sammensetzten, zugeschrieben wurden Vergewaltigungen und Morde an Zivilisten. Feldkaplan Karl Gögele, der in einem Deutschordens-Verwundetenspital in Galizien tätig gewesen war und dabei das wechselvolle Vor- und Zurückweichen der k. u. k. Truppen miterlebte, hielt in seinen Tagebüchern die Existenz solcher Räuberbanden fest. Zum Einsatz kam Gögele in seiner Funktion als Seelsorger, wenn die Betreffenden gefasst und aufgrund der ihnen zur Last gelegten Verbrechen standgerichtlich zum Tode verurteilt wurden. Der Kaplan spendete dann entsprechenden Trost, bevor die Delinquenten ihrer Strafe zugeführt wurden. Die Hinrichtungsart orientierte sich nach den Gegebenheiten. Die Betreffenden wurden erschossen oder erhängt.533

Resümee und Schlussfolgerungen In der Historiographie wird in Bezug auf das österreichische-ungarische Okkupationsregime in Serbien trotz evidenter Normübertretungen eine nichtsdestoweniger vorhandene Bindung an das völkerrechtliche Regelwerk 533 So berichtete etwa Gögele, dass für die hinzurichtenden neun Männer zu wenig Platz am Galgen gewesen war, sodass man sie niederschoss und diejenigen, die nicht „ausreichend“ getroffen wurden, per Kopfschuss tötete. Monika Mader (Hg.), Raues Leben, großes Sterben. Feldkaplan Karl Gögele und sein Deutschordensspital. Kriegstagebücher 1915–1918, Bozen 2018, 207, 209–213. Standrechtlich erschossen im Armeebereich wurden laut Zeitungsbericht 1916 beispielsweise zwei russische Kriegsgefangene, die einen Wachsoldaten ermordet hatten. Vgl. Neue Freie Presse, 20.3.1916, 6. Abgesehen von der Exekution von Delinquenten auf Grundlage standgerichtlicher Urteile muss auch auf eine Vielzahl offenbar völlig willkürlich erfolgter Tötungen hingewiesen werden, die freilich kaum dokumentiert sind. Betroffen waren Mannschaftspersonen der k. u. k. Armee und Zivilisten ebenso wie Kriegsgefangene. Karl Gögele etwa kamen immer wieder verschiedene diesbezügliche Erzählungen zu Ohren. Berichtet wurde u. a. über einen Trainoffizier, der „wenigstens über 20 Mann erschossen haben soll, weil sie ihm nach seiner Ansicht nicht schnell genug gehorchten“. Mader, Feldkaplan Gögele, 341. Die Tötung eines verwundeten serbischen Kriegsgefangenen auf Befehl eines vorgesetzten Offiziers löste beispielsweise beim Truppenarzt Hans Bachmann Empörung aus. Der Serbe war trotz seines beeinträchtigten Zustandes wegen eines Kopfschusses gehängt worden, weil er offenbar als Folge seiner schweren Verletzung lautstark delirierte. Bachmann bezeichnete das Erlebnis als eines der „widerlichsten“, das ihm während seiner gesamten Kriegszeit widerfuhr. Aufzeichnungen von Hans Bachmann, 43. ÖStA KA NL H. Bachmann B/609. Demgegenüber weisen wiederum andere Quellen darauf hin, dass man auf österreichisch-ungarischer Seite den Verpflichtungen zur Pflege verwundet in Gefangenschaft gekommener Feindsoldaten weitgehend nachkam oder es zumindest anstrebte. So ist beispielsweise den Aufzeichnungen des erwähnten Feldkaplans Gögele zu entnehmen, dass Verwundete der eigenen wie auch der gegnerischen Armee im Großen und Ganzen unterschiedslos behandelt wurden. Mader, Feldkaplan Gögele, passim und Streeruwitz, Kriegsgefangene, I. Bd., 26.

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betont. Während in Deutschland Armeeoffiziere ebenso wie Diplomaten die geltenden „norms of war“ als Instrumentarium zur Einschränkung deutscher Stärke betrachtet hätten, sei das Habsburgerreich einen davon abweichenden Weg gegangen. Dieser Befund lässt sich – unabhängig davon, wie sehr man geneigt ist, den Schlussfolgerungen bezüglich Serbien (ganz) zuzustimmen – mit Einschränkungen auch auf die Repressalienpraxis Österreich-Ungarns im Rahmen der Kriegsgefangenenproblematik umlegen. Ein „drive to extremes“, wie er für Deutschland angemerkt wurde, lässt sich in dieser Hinsicht nicht feststellen.534 Sehr wohl erkennbar ist aber eine seitens des k. u. k. Armeeoberkommandos vor allem zu Beginn des Krieges favorisierte rigorose Haltung bei Fragen der Gefangenenbehandlung, die mit weitreichenden Forderungen hinsichtlich anzuwendender Vergeltungsmaßnahmen einherging. Sie resultierte nicht zuletzt aus einer evidenten Skepsis gegenüber der Praktikabilität völkerrechtlicher Normen und der Überzeugung, im Sinne der Reziprozität handeln zu dürfen oder zu müssen. Während es dem k. u. k. Kriegsministerium und dem k. u. k. Außenministerium im Großen und Ganzen gelang, die Haager Landkriegsordnung als Referenzrahmen zu positionieren und den befürchteten Automatismus von Vergeltungsmaßnahmen weitgehend einzuschränken, verwirklichte das AOK mit der Arbeitsverwendung von Kriegsgefangenen im Bereich der Armee im Felde ein System, mit dem es sich von Beginn an von den Vorgaben des Völkerrechtes distanzierte. Bei der Verwendung von Feindsoldaten im Armeebereich bzw. zu unmittelbaren Kriegszwecken wurde die HLKO schließlich weitgehend oder gänzlich missachtet. Das Armeeoberkommando realisierte in seinem Machtbereich teilweise das, was es – „koordiniert“ oder „sanktioniert“ mit oder vom Kriegsministerium – ansonsten nicht bzw. in nicht ausreichendem Maße erwirken konnte. Nicht nur in Gefangenenfragen pochte das AOK auf unumschränkte Kompetenzen für die A. i. F. Im Krieg prolongierten und verschärften sich schließlich die bereits lange vor Kriegsausbruch vorhandenen Differenzen zwischen Generalstab und Kriegsministerium. Generalstabschef Conrad hatte bei verschiedenen Gelegenheiten die administrative Einflussnahme des Kriegsministeriums schon vor Kriegsausbruch als kontraproduktiv hinsichtlich der angestrebten verbesserten Schlagkraft der Armee erachtet. Das galt auch und gerade nach den Ereignissen des Sommers 1914. Realiter spiegelte sich in den Konflikten um die Gefangenenfrage nicht zuletzt auch eines der dringendsten Probleme der Armee bzw. des AOK wider: der Mangel an „Humanressourcen“. Interventionen des Kriegsministeriums in Zusammenhang mit Gefangenenagen534 Vgl. hier v. a. den Befund von Heather Jones in ihren Publikationen zur Kriegsgefangenschaft im Ersten Weltkrieg, darunter u. v. a.: Jones, A Missing Paradigm?, 27, 34.

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den hielt das AOK für eine schädigende Eingrenzung notwendiger Handlungsspielräume. Das Kriegsministerium griff dennoch immer wieder ein, und es tat dies vor allem mit Hinweisen auf völkerrechtliche Verpflichtungen, während das AOK die praktischen Vorteile der Gefangenenarbeit als prioritär erachtete. Verschärfungen in der Gefangenenbehandlung gingen freilich nicht a­ llein auf dezidierte Verfügungen des Nehmestaates zurück. Sie ergaben sich im Falle des Habsburgerreiches vor dem Hintergrund schwindender Ressourcen gewissermaßen wie von selbst. Während die deutsche Armee britische und französische Soldaten im Rahmen der sogenannten „spring reprisals“ 1917 bei Hungerrationen zu Arbeiten im unmittelbaren Frontbereich heranzog535, wo sie gegnerischen Kampfeinwirkungen ausgesetzt waren, erachtete das k. u. k. Kriegsministerium die vom AOK immer wieder geforderten Repressalien als sinnlos und distanzierte sich vom diesbezüglichen deutschen Beispiel. Die realen Gegebenheiten, denen sich viele Feindsoldaten in österreichisch-ungarischem Gewahrsam gegenübersahen, machten explizite beziehungsweise zusätzliche Strafmaßnahmen ohnehin überflüssig. Fastenstrafen etwa mussten angesichts der üblichen „Hungerrationen“ als wirkungslos entfallen.536 Ressentiments und Revanchegedanken in Teilen der Armeeführung paarten sich mit rein utilitaristischen Überlegungen, die die Feindsoldaten vor allem als Ressource identifizierten: Im Bereich der Armee im Felde etablierte sich ein „Gewaltraum“, in dem nicht zuletzt auch im Bewusstsein tatsächlichen oder vermeintlich regelwidrigen Vorgehens der Gegenseite eine weitestgehende physische Ausbeutung von Feindsoldaten zum Zwecke der Ausführung von „kriegswichtigen“ Arbeiten stattfand. Wenn daher von „radikalisierenden“ Entwicklungen in der Gefangenenbehandlung die Rede ist, dann sind diese im Habsburgerreich – in dieser Hinsicht durchaus vergleichbar mit Deutschland – eng an die Arbeitsverwendung der Feindsoldaten gebunden. Und sie manifestierten sich bereits wenige Monate nach Kriegsbeginn. Als Antwort auf die Arbeitsverwendung von Gefangenen k. u. k. Soldaten im Armeebereich durch Russland praktizierte die k. u. k. Armee spätestens ab dem Frühjahr 1915 analoge Vorgehensweisen, am Kriegsschauplatz auf dem Balkan wahrscheinlich bereits früher. Gerade in dieser ersten Kriegsphase erwiesen sich „atrocity stories“ über die Behandlung der eigenen Soldaten in Kriegsgefangenschaft als wesentlich 535 Dazu Heather Jones, The German Spring Reprisals of 1917. Prisoners of War and the Violence of the Western Front, in: German History 26/3 (2008), 335–356. 536 Behandlung ö.-u. Kgf. in Italien. ÖStA KA KM 10. KgA 1918: 10-7/29-97, Kt. 2017.

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für die Haltung des AOK in puncto Repressalien und schließlich auch mit Blick auf die längerfristige Behandlung der Feindsoldaten. Vorschläge oder schließlich Verfügungen hinsichtlich einer Schlechterstellung von serbischen oder italienischen Kriegsgefangenen resultierten aus bereits vorhandenen Ressentiments ebenso wie aus der Überzeugung, Vergeltungsmaßnahmen für eine unangemessene Gefangenenbehandlung der Gegenseite setzen zu müssen. Nicht nur aufgrund der Massen an Gefangenen, die zu allererst aus Russland und ab 1915 bzw. vor allem ab 1917 schließlich auch aus Italien stammten, galt das Hauptaugenmerk der mit Gefangenenfragen befassten österreichisch-ungarischen Instanzen diesen beiden Ländern. Demgegenüber gerieten Serben und Rumänen zahlenmäßig, aber auch aufgrund der weitgehenden Machtlosigkeit ihrer Herkunftsstaaten tendenziell in den Hintergrund: Repressalien stellten sich mit der Niederlage bzw. den militärischen Rückschlägen der beiden erwähnten Staaten aus Perspektive der k. u. k. Behörden schließlich als mehr oder weniger obsolet dar. Die Kommunikation über die Behandlung serbischer oder rumänischer Gefangener, die zwischen Gewahrsamsmacht und Herkunftsstaat (über die Schutzmächte und die Rot-Kreuz-Gesellschaften) gepflogen wurde, war angesichts dessen bald von nachrangiger Bedeutung. Abkommen zur Verbesserung des Loses der Betroffenen hatten – ungeachtet ihrer tatsächlichen Auswirkungen – vor diesem Hintergrund vor allem für russische Soldaten Bedeutung. Italienische Gefangene wurden indessen in weitaus höherem Maße als alle anderen Gefangenen in österreichisch-ungarischem Gewahrsam mit Hilfslieferungen aus der Heimat unterstützt. Ganz offensichtlich war das Ausmaß an privater Hilfe, d. h. die Unterstützung von Angehörigen der Gefangenen enorm. Ungeachtet einer in der Historiographie als einzigartig dargestellten ablehnenden Haltung der italienischen Regierung gegenüber den Gefangenen, des weitgehenden Fehlens an staatlicher Unterstützung sowie der Anstrengungen Roms, den Transport von Hilfsgütern zu unterbinden, waren es in Österreich-Ungarn realiter die italienischen Kriegsgefangenen, für die ungleich mehr Liebesgaben geschickt wurden als etwa für russische Gefangene. Angesichts massiver Beraubungen der Transportzüge, diverser Unregelmäßigkeiten bei der Verteilung der Pakete sowie des Umstandes, dass viele Lebensmittel beim Eintreffen in den Verteilungszentren der k. u. k. Monarchie bereits verdorben waren, wirkte sich diese Unterstützung allerdings nur zum Teil positiv auf die Betroffenen aus. Die erhöhte Sterblichkeit italienischer Kriegsgefangener ab Herbst 1917 konnte dadurch nicht verhindert werden. In diesem Zusammenhang, d. h. mit Blick auf die Ursachen des Massensterbens festzustellen ist ein Mix verschiedener Fak-

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toren, die nicht zuletzt auf die eklatanten Versorgungsprobleme der k. u. k. Armee und eine verfehlte Okkupationspolitik vor allem nach der 12. Isonzo­ schlacht verweisen. Insgesamt ergibt sich hinsichtlich des Engagements der Herkunftsstaaten für die Soldaten in österreichisch-ungarischem Gewahrsam ein zwiespältiges Bild. Eine durchaus rege Kommunikation etwa Italiens mit Österreich-Ungarn, um Missständen in der Gefangenenbehandlung entgegenzuwirken, stand eine evidente Weigerung Roms gegenüber, den Angehörigen der eigenen Armee staatliche Fürsorge zukommen zu lassen. Die Bereitschaft, beispielsweise über die Schutzmacht zu intervenieren und entsprechenden Protest gegen Unzulänglichkeiten zu artikulieren, deckte sich offenbar nicht mit einem tiefgreifenden Engagement für die Masse der kriegsgefangenen Soldaten. Die Regierung in Rom folgte ganz offensichtlich der rigorosen Linie der italienischen Armeeführung, die die Mehrheit der Kriegsgefangenen als Deserteure betrachtete. Russland wiederum zeigte sich nach Urteil von k. u. k. Offizieren, die im Gefangenenwesen federführend gewesen waren, hinsichtlich seiner eigenen Soldaten in Gefangenschaft von Beginn an desinteressiert. Demgegenüber verhielten sich die zarischen Behörden aber durchaus aktiv auf dem Feld der Kriegsgefangenendiplomatie. Verschiedene Vereinbarungen in Gefangenenfragen kamen auf diese Weise zustande. Eine großangelegte Unterstützung für die russischen Soldaten in Feindeshand blieb abseits der ab 1915 etablierten sogenannten „Schwesternreisen“ aber aus. Italien ebenso wie Russland spiegelten mit ihrem Verhalten realiter die alliierte Blockadepolitik wider, die mit den Hilfslieferungen für Kriegsgefangene ein Hintertreiben derselben befürchteten. Dabei spielte auch die Arbeitskraft der Gefangenen eine Rolle, von der man wusste, dass sie für die Mittelmächte eine eminente Bedeutung hatte. Eine organisierte Hilfe für Kriegsgefangene bedeutete demnach nichts anderes als eine Stärkung der gegnerischen Ressourcen. Tatsächlich befürchtete man in Großbritannien schließlich, dass die britischen Soldaten im Gewahrsam der Mittelmächte nicht zu wenig, sondern zu viel an Hilfslieferungen bekamen. Während aber London eine auch von der Bevölkerung mehr oder weniger akzeptierte Lösung für dieses Dilemma fand und trotz vorhandener Vorbehalte eine entsprechende Versorgung britischer Soldaten in Gefangenschaft erfolgte537, kamen Hunderttausende russische Kriegsgefangene und damit die Mehrheit der Entente-Soldaten nicht in den Genuss auch nur annähernd vergleichbarer Fürsorgemaßnahmen. Ser537 Vgl. Nadja Durbach, The parcel is political. The British government and the regulations of food parcels for prisoners of war, 1914–1918, in: First World War Studies 9/1 (2018), 93–110.

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bien und Rumänien blieben in Sachen Gefangenenfürsorge außerdem nahezu gänzlich von ihren Alliierten sowie von privaten Initiativen abhängig. In allen kriegführenden Ländern vorhanden war eine von Skepsis getragene Einstellung gegenüber den Kriegsgefangenen. Diese wurden – nicht nur in Italien – tendenziell als Drückeberger und Verräter angesehen. Solche Vorurteile wichen mit fortschreitender Kriegsdauer differenzierteren Zugängen. Berücksichtigt man einmal mehr vor allem das italienische Beispiel, ist freilich keineswegs von einer allgemeingültigen diesbezüglichen Entwicklung zu sprechen. Für Österreich-Ungarn war in diesem Zusammenhang gewiss der Umstand massenhafter Gefangennahmen eigener Heeresangehöriger ausschlaggebend. Hier sticht der Fall der Festung Przemyśl hervor, im Zuge dessen etwa 120.000 Soldaten und Offiziere der k. u. k. Armee in russische Hand gerieten. Eine allgemeine Ächtung gefangengenommener Heeresangehöriger widersprach der Präsentation der Niederlage in der Presse. Dort waren die „opfervolle“ Verteidigung der Festung und eine „ehrenvolle“ Kapitulation betont worden. Eine allgemeine Schmähung von Kriegsgefangenen musste schon deshalb unterbleiben. Zweifel an der Loyalität von Kriegsgefangenen schienen indessen vielfach nicht unbegründet. Der Arbeitseinsatz der Gefangenen in Österreich-Ungarn hatte allerdings Priorität gegenüber verschiedenen Propagandamaßnahmen, die auf eine Verstärkung vorhandener oppositioneller Stimmungen gegenüber dem Heimatstaat abzielten. Die Adressaten solcher Beeinflussungsversuche waren vor allem Kriegsgefangene aus dem russischen Vielvölkerreich. Einige überließ man außerdem den verbündeten Armeen. Muslimische Gefangene etwa wurden an das Osmanische Reich überstellt. Auch sogenannte „Mazedobulgaren“, die in der serbischen Armee gekämpft hatten, sollten abgegeben werden. Sie wurden nach Bulgarien transferiert. Aber auch diese Aktionen gerieten angesichts epidemischer Krankheiten, von denen die Gefangenen betroffen waren, und vor allem als Folge des Eigenbedarfes an Arbeitskräften schon bald ins Stocken. Die mit der Propaganda verbundene zweifelhafte Privilegierung bestimmter Gefangenengruppen ließ sich bezeichnenderweise gar nicht erst mit einem Einsatz bei der Armee im Felde in Einklang bringen. Gepaart mit einer desolaten Versorgungslage offenbarten sich die destruktiven Auswirkungen einer evidenten Ausbeutung von Feindsoldaten bei der A. i. F. vor allem im Zuge des sogenannten „Großaustausches“ von Gefangenen zwischen Hinterland und der Armee im Felde im Jahr 1917. Auch für die Instanzen außerhalb der A. i. F. wurden diese nun deutlich erkennbar. Dort hatte man hinsichtlich der Behandlung von Kriegsgefangenen immer wieder Grenzen des Zulässigen ausgereizt und rigorosen Vorgehensweisen Vorrang

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eingeräumt. Das längerfristige Resultat – eine große Zahl an arbeitsunfähigen Gefangenen – lag allerdings nicht im Interesse der Armee. Gegenzusteuern erwies sich jedoch – das musste auch das Armeeoberkommando feststellen – als schwierig, wenn nicht unmöglich. Der nicht zuletzt angesichts der Ersatzfrage enorm eingeschränkte Handlungsspielraum der Armee ließ gerade gegenüber den Kriegsgefangenen keine prinzipielle Abkehr von bisher geübten Praktiken zu. Als Folge horrender Verluste im Zuge der russischen Brusilov-Offensive hatte sich das weitere Aufbringen frontdiensttauglicher beziehungsweise arbeitsfähiger Männer als kaum noch zu erfüllende Aufgabe dargestellt. Eine tatsächlich wirksame „Deeskalation“ hinsichtlich der Gefangenenbehandlung beziehungsweise eine Verbesserung der Lage, in der sich viele Feindsoldaten befanden, scheiterte unter diesen Bedingungen an den Gegebenheiten. Daran änderte auch ein offenbar besseres Einvernehmen in Gefangenenagenden zwischen k. u. k. Kriegsministerium und AOK, das vor dem Hintergrund des von Kaiser Karl angestoßenen neuen Kurses zumindest in einzelnen Fragen erzielt werden konnte oder musste, wenig. Vielleicht mehr noch als eine „final logic of sacrifice“, wie sie Heather Jones in Bezug auf Deutschland und seinen Umgang mit den Kriegsgefangenen festgehalten hat, machte sich im Habsburgerreich 1918 in Anbetracht der sehr viel deutlicheren Erosionserscheinungen und der immer spürbarer werdenden „inneren Front“ wahrscheinlich eine „final logic of fatalism“ bemerkbar.538 Diese wiederum oszillierte angesichts eines zunehmenden Kontrollverlustes zwischen Hilflosigkeit, „Laissez-faire“ und Härte sowie einer realitätsverweigernden Bürokratie und dem wachsenden Chaos innerhalb der k. u. k. Armee. Bis zur völligen Erschöpfung ausgebeutete Gefangene wurden vor diesem Hintergrund zu Mitte 1918 vom AOK als „unnütze Esser“ abqualifiziert, die noch dazu „größtenteils arbeitsunwillig“ geworden waren.539 Im Zuge der Juni­offensive 1918 kamen angesichts eines eklatanten Mangels an Arbeitskräften dennoch ein letztes Mal Tausende Kriegsgefangene bei der A. i. F. zum Einsatz. Gleichzeitig mehrten sich Anzeichen, dass auch die eigenen Soldaten der Armeeführung die Gefolgschaft verweigerten. Das Aufbegehren innerhalb der k. u. k. Armee beschränkte sich bei Weitem nicht nur auf die in Historiographie immer wieder genannten großen Meutereien bei den Ersatzkörpern, sondern äußerte sich in zahlreichen weiteren „Widersetzlichkeiten“.540

538 Vgl. dazu u. a. das Kapitel 30 „Ein Reich resigniert“ in Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg, 963–992. 539 Zit. nach Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 240. 540 Dazu immer noch zu konsultieren: Plaschka/Haselsteiner/Suppan, Innere Front, 2 Bde., passim.

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Das AOK legte schließlich bei der letzten Offensive gegen Italien, die nicht zuletzt auf Druck Deutschlands ins Auge gefasst und dann realisiert wurde, eine halbherzige, von Zweifeln durchdrungene Haltung an den Tag, die das Scheitern der Aktion regelrecht antizipierte. Die eingesetzten k. u. k. Soldaten entwickelten angesichts der eigenen desolaten Versorgungslage mehr und mehr solidarische Gefühle gegenüber unterernährten und erschöpften Kriegsgefangenen. Der Großteil der bei der Offensive eingesetzten Gefangenen waren Russen, die noch dazu um ihre seit März 1918 in Aussicht gestellte Heimkehr gebracht wurden. Für das k. u. k. Kriegsministerium wiederum erwies sich ab 1917/18 insbesondere in Anbetracht angestrebter oder aber tatsächlich geschlossener (Friedens-)Abkommen das Völkerrecht als besonders zu beachtender Faktor – gerade in Zusammenhang mit Kriegsgefangenenagenden. Während es bei Kriegsbeginn in diesem Zusammenhang zunächst um eine gewissermaßen interne Abklärung der Bedeutung bzw. Umsetzung der HLKO gegangen war und in den nachfolgenden Jahren eine diesbezügliche Kommunikation mit den gegnerischen Staaten als permanenter Schlagabtausch gepflogen wurde, drängte sich ab 1917/18 mehr und mehr eine „Nachkriegsperspektive“ in den Vordergrund. Der jahrelangen Konfrontation zwischen Gewahrsamsstaat und den Heimatbehörden der Feindsoldaten folgte zögerlich, aber doch ein auf die Zeit nach Ende des Konfliktes ausgerichteter Dialog. Die Austauschfrage erhielt in diesem Kontext eine immer größere Bedeutung, eine Verständigung mit den Feindstaaten nahm konkretere Formen an. Wie man mit den fremden Heeresangehörigen in eigenem Gewahrsam verfahren war, ließ sich nun nicht länger als „Verschlusssache“ regeln oder mit lediglich eingeübten Propaganda-Floskeln abhandeln. Während aber die Haager Landkriegsordnung für Österreich-Ungarn Angelpunkt für weiterführende Abkommen und Überlegungen zur Gefangenenfrage blieb, ging man in Russland andere Wege. Dort galten völkerrechtliche Abmachungen nicht zuletzt als Regelwerk der Bourgeoisie, mit der ihresgleichen, d. h. Offiziere, privilegiert wurden. Die Bolschewiki machten schließlich im Rahmen der Verhandlungen, die zum Frieden von Brest-Litowsk führten, deutlich, wie sehr sich die Gefangenenproblematik gerade für ihre Propagandazwecke und Botschaften eignete – eine Lektion, die den Repräsentanten des Habsburgerreiches auf schonungslose Art und Weise erteilt wurde. Die „Demaskierung“ der Mittelmächte als „Ausbeuter“ nicht nur der eigenen Arbeiterschaft, sondern auch der gefangenen Feindsoldaten korrespondierte mit den allgemeinen Plänen der Sowjetmacht, die einen „Weltbürgerkrieg“ vor Augen hatte. Die ideologische Mobilisierung von Gefangenen spielte dabei eine wichtige Rolle. Eine dergestalte Instrumentalisierung der

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Gefangenenfrage verwies auf die Brisanz der Thematik und ihre außerordentliche Sprengkraft.541 Der Frieden von Brest-Litowsk, der unter den russischen Kriegsgefangenen Hoffnungen auf eine baldige Heimkehr stimulierte, die realiter enttäuscht wurden, bedingte insgesamt die Destabilisierung des gesamten österreichisch-ungarischen Gefangenenwesens. Sie ging Hand in Hand mit den Auflösungserscheinungen innerhalb der k. u. k. Armee sowie der wachsenden Kriegsmüdigkeit unter der Bevölkerung. Eine Bilanz bezüglich der Frage einer völkerrechtskonformen Kriegsgefangenenbehandlung im Habsburgerreich wird indessen gleichsam system­ immanente Aspekte berücksichtigen müssen: Konkrete Abweichungen in der Behandlung der Gefangenen im Habsburgerreich beziehungsweise speziell bei der A. i. F. von den Regelungen der Haager Landkriegsordnung lassen sich – abgesehen von der evidenten völkerrechtswidrigen Arbeitsverwendung zu Kriegszwecken – in Zusammenhang mit der Flucht von Kriegsgefangenen nachweisen. Rigoroses Vorgehen gegenüber geflohenen Feindsoldaten war allerdings ebenso wie im Falle der Ahndung von Arbeitsverweigerung militärrechtlich gedeckt oder sollte zumindest solcherart legitimiert werden. Gleichzeitig sorgten sich widersprechende Weisungen darüber, wie mit renitenten Gefangenen zu verfahren sei, für unterschiedliche Handhabungen hinsichtlich disziplinarischer oder militärstrafrechtlicher Konsequenzen. Standrechtliche Aburteilungen wurden jedenfalls im Rahmen geltender Kodizes und der besonderen Vorschriften, die bereits ab Kriegsbeginn galten, ermöglicht. Körperstrafen, wie das von den Entente-Staaten beanstandete „Anbinden“, waren zudem Teil des üblichen Disziplinarstrafrechtes, das sich auch auf die Angehörigen der eigenen Armee erstreckte. Die Abschaffung des „Anbindens“ erfolgte für die k. u. k. Armee schließlich erst nach diesbezüglichen Verordnungen der deutschen Armee. Sie wurde angesichts einer enormen Zunahme disziplinärer Probleme realiter aber nicht umgesetzt. Ungeachtet der etwa von Reichsratsabgeordneten aufgezeigten, anscheinend auf purer Willkür basierenden Tendenzen, rigorose Bestrafungen von Gefangenen zu favorisieren, bot in jedem Fall bereits das Disziplinarstrafrecht bei „Vergehen“ sowie darüber hinausgehend das Militärstrafgesetz der k. u. k. Armee im Regelfall die erforderliche Legitimierung auch von besonders scharfen Maßnahmen gegenüber flüchtenden bzw. geflohenen oder renitenten Kriegsgefangenen. Die seit Kriegsbeginn erweiterten Machtbefugnisse des Militärs taten ein Übriges. All das trug nach Ende des Krieges dazu bei, dass die sogenannte „Pflichtverletzungskommission“, die sich in 541 Über die Verhandlungen zur Gefangenenfrage zwischen Österreich-Ungarn und Sowjetrussland siehe: Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 210–217.

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Österreich der Ahndung von Normübertretungen innerhalb der k. u. k. Armee widmete, scheiterte – unabhängig davon, dass dabei Fragen der Kriegsgefangenenbehandlung ohnehin kaum aufgegriffen wurden. Mit dem Hinweis auf militärrechtliche Grundlagen konnte der Großteil an vorgebrachten Beschuldigungen abgewehrt werden. Das Völkerrecht einzuhalten bedeutete jedenfalls schon aufgrund der Bestimmungen der HLKO mit seinen Verweisen auf anzuwendendes nationales Militärrecht per se nicht, dass der eingeforderten „menschlichen Behandlung“ Genüge getan wurde oder werden musste. Gerade das für die k. u. k. Armee geltende Militärrecht galt als verhältnismäßig rigide. Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang auch Bewertungen der „Menschenführung“ in der k. u. k. Armee, die ganz grundsätzlich auf eine von Gewaltausübung und Willkür getragene „Dressur“ der Mannschaften hinweisen. „Menschlichkeit“ war so betrachtet keine Kategorie in einer „totalen Institution“, wie sie das Militär im Habsburgerreich mitsamt seinem inneren Regelwerk repräsentierte.542 Genau diese Frage der „Menschlichkeit“ aber war es, die 1917/18 von den Volksvertretern im Parlament in Wien auch in Zusammenhang mit der Gefangenenbehandlung aufgegriffen wurde und in eine Anklage gegen die „Militärherrschaft“ mündete. Aus militärischer Perspektive handelte es sich dabei um eine unangebrachte moralisierende Bilanz, die dem Krieg als „Ausnahmezustand“ nicht gerecht werden konnte. Die Interventionen der Parlamentarier desavouierten das bestehende Machtsystem geradezu zwangs­läufig. Die Berücksichtigung militärrechtlicher Vorgaben in Zusammenhang mit der Gefangenenproblematik zog allerdings nicht zwingend negative Konsequenzen für die Feindsoldaten nach sich. Sondierungen im (nur zu einem ganz geringen Teil erschlossenen) Bestand der Militärgerichtsakten im Österreichischen Staatsarchiv543 verweisen auf einen weitgehend regelkonformen

542 Vgl. insbesondere Christa Hämmerle, Den Militärdienst erinnern. Eine Einleitung, in: Christa Hämmerle (Hg.), Des Kaisers Knechte. Erinnerungen an die Rekrutenzeit im k. (u.) k. Heer 1868 bis 1914, Wien/Köln/Weimar 2012, 7–27, aber auch: Christa Hämmerle, „… dort wurden wir dressiert und sekiert und geschlagen …“ Vom Drill, dem Disziplinarstrafrecht und Soldatenmisshandlungen im Heer (1868 bis 1914), in: Laurence Cole/Christa Hämmerle/Martin Scheutz (Hg.), Glanz – Gewalt – Gehorsam. Militär und Gesellschaft in der Habsburgermonarchie (1800 bis 1918), Essen 2011, 31–54. Hämmerle weist im Übrigen darauf hin, dass es nicht darum geht, die k. u. k. Armee im Vergleich mit anderen europäischen Staaten unbedingt als „brutaler“ zu bezeichnen. Die betreffende „Drill- und Strafpraxis“ befand sich allerdings „zu den liberalen Normen und Ansprüchen im ‚modernen‘ Zeitalter der Allgemeinen Wehrpflicht in einem diametralen Gegensatz“. Hämmerle, „… dort wurden wir dressiert und sekiert und geschlagen …“, 53. 543 Diese Sondierungen fanden vor dem Hintergrund eines an der Universität Wien veran-

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Umgang mit straffällig gewordenen Kriegsgefangenen außerhalb der A. i. F. Zu bemerken ist überdies, dass zumindest in der letzten Kriegsphase selbst Gefangene, die sich aufgrund unterschiedlicher Delikte544 „in gerichtl. Untersuchung“ befanden, „auf freiem Fusse belassen“ wurden und nach „Einlieferung in ihr Stammlager […] häufig wieder auf landw. Arbeiten ausgegeben“ wurden, „wo sie unter den übrigen Kgf. ein demoralisierendes Element“ bildeten.545 Erst im Frühjahr 1918 wurde etwa im Militärkommandobereich Pozsony das Verbot einer Abgabe solcher Männer auf Arbeiten ausgesprochen. Derartige Weisungen sprechen zweifellos für den evidenten Mangel an Arbeitskräften – dies umso mehr, als der „Vollzugsgrad militärgerichtlich verhängter Strafen“ offenbar auch hinsichtlich straffällig gewordener k. u. k. Soldaten an die militärische „Nutzbarkeit“ der betreffenden Personen gebunden war.546 Da Gefangene als immer wichtiger erscheinende „Ressource“ galten, wuchs offenbar auch die Bereitschaft, Strafen auszusetzen oder aber Untersuchungen überhaupt einzustellen. Diese Vorgehensweise wiederum etablierte sich analog zu der Praxis des Strafaufschubes für eigene Soldaten. Selbst angesichts schwerwiegender Delikte wie etwa Mord erfolgten Freilassungen von überführten und abgeurteilten Tätern. Die Strafen sollten nach der Demobilisierung abgesessen werden.547 Das Ausmaß an Unruhen und Disziplinverstößen, die vor allem 1918 von Kriegsgefangenen ausgingen, war in jedem Fall immens. Hinzu kamen Massenentweichungen an den Fronten, aber auch immer mehr Fluchtfälle im Hinterland. Die destabilisierende Wirkung dieser Entwicklungen auf die ohnehin durch Ressourcenknappheit, Streiks, die steigende Zahl von Desertionen sowie Meutereien in den Reihen der Armee schwer angeschlagene k. u. k.

kerten Forschungsschwerpunktes zur sexuellen Gewalt im Ersten Weltkrieg statt. 544 Eine erste grobe Analyse der betreffenden Delikte durch die Verfasserin identifiziert „Diebstahl“ als häufigste Straftat. Das deckt sich auch mit Oswald Übereggers Ergebnissen bez. Tirol. In puncto Häufigkeit rangierten Diebstahl und Meuterei in großem Abstand etwa zu Subordinationsverletzungen, Delikten wider die Zucht und Ordnung oder interessanterweise Arbeitsverweigerung auf dem ersten und zweiten Platz. Vgl. Überegger, Der andere Krieg, 173. 545 Kgf. in Strafuntersuchung – Verbot der Ausgabe auf landw. Arbeit. Militärkommandobefehl Nr. 98, 23.4.1918. ÖStA KA Terr Befehle, 5. K., Pozsony 1917–1918, Kt. 51. 546 Vgl. Überegger, Der andere Krieg, 203. 547 Vgl. dazu auch die unveröff. Seminararbeit von Daniel Gunz, Sexuelle Gewalt im Ersten Weltkrieg. Eine Fallstudie zum besetzten Serbien mit besonderem Fokus auf Sexualverbrechen unter Alkoholeinfluss, Wien 2019, Forschungsseminar bei Christa Ehrmann-Hämmerle/Hannes Leidinger/Verena Moritz/Karin Moser, Universität Wien 2020, 8.

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Monarchie ist in der bisherigen Historiographie tendenziell noch zu wenig gewürdigt worden. Die russischen Kriegsgefangenen waren ungeachtet der Vorgänge in ihrer Heimat zum überwiegenden Großteil nicht politisch radikalisiert, ihre Bereitschaft zur Auflehnung resultierte hauptsächlich aus der verweigerten Heimkehr und den prekären Lebensverhältnissen. Die ab 1917 bemerkbare Solidarisierung zwischen Gefangenen und Teilen der Bevölkerung wurde von den Behörden des Habsburgerreiches dennoch mit Sorge beobachtet. Wenngleich sich koordinierte Interaktionen zwischen Gefangenen und einheimischen Arbeitern in Grenzen hielten, entwickelte sich eine Art von „Bündnis“: Nicht zuletzt in den Anfragen der Reichsratsabgeordneten betreffend die Kriegsgefangenen in der Habsburgermonarchie widerspiegelt sich die Wahrnehmung einer „gemeinsamen Erfahrung“, die Feindsoldaten ebenso wie die Zivilbevölkerung beziehungsweise Arbeiterschaft als Opfer einer als rücksichtslos gebrandmarkten Elite und einer schrankenlosen Militärherrschaft auswies548: In militärischen Betrieben wurden auch „renitente“ einheimische Arbeiter „diszipliniert“, kam es zu gewalttätigen Übergriffen oder wurden „Fastenstrafen“ ausgesprochen.549 Zwangsmaßnahmen und Gewalttätigkeiten waren demgemäß nicht allein auf Kriegsgefangene beschränkt. „Gemeinsamkeiten“ ergaben sich überdies angesichts des staatlichen Unvermögens, die Bevölkerung wie auch die Soldaten und schließlich die Kriegsgefangenen entsprechend ernähren zu können. Hier zeigte sich ein Defizit, das angesichts eingeforderter Opferbereitschaft sowie der verlangten Bereitschaft zum „Durchhalten“ umso schwerer wog. Die bestehende Herrschaft wurde vor diesem Hintergrund mehr und mehr in Frage gestellt. Eine „allgemeine Gleichgültigkeit“ der Bevölkerung hinsichtlich des weiteren Schicksals der Monarchie, so Pieter Judson, war die Folge.550 Die unter diesen Vorzeichen zustande gekommene Solidarisierung zwischen Einheimischen und Kriegsgefangenen machte aus früheren Feinden eher Leidensgenossen und aus den Behörden des Heimatstaates tendenziell den eigentlichen Feind. Eine derartige Umkehrung früherer Zuschreibungen mag unter den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen freilich unterschiedlich ausgeprägt gewesen sein. Man denke nur an die Wahrnehmung von Kriegsgefangenen 548 Über die Lage der Arbeiterschaft in den Kriegsleistungsbetrieben siehe u. a.: Angelika Willis, Arbeiterschaft und Kriegswirtschaft, in: Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger (Hg.), Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, Innsbruck 2014, 177–193, 179 f. 549 Vgl. Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 187. 550 Pieter M. Judson, Habsburg. Geschichte eines Imperiums 1740–1918, München 2017, 550.

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vor allem als Nahrungskonkurrenten oder in Anbetracht zunehmender Flurdiebstähle sowie „Feldfrevel“ als „Land“- beziehungsweise oft konkreter als „Russenplage“.551 Fest steht nichtsdestoweniger, dass die Auseinandersetzung mit der Kriegsgefangenenfrage zuminest im Parlament des österreichischen Reichs­ teils die Distanzierung nicht von den Feindsoldaten, sondern von den Instanzen der k. (u.) k. Monarchie zum Ausdruck brachte. Die praktischen Konsequenzen ziviler Interventionen auf die tatsächliche Lage der Gefangenen mag gering gewesen sein, die symbolische Wirkung erscheint umso größer. Dass inmitten des Krieges gewissermaßen Partei ergriffen wurde für „Feinde“, löste vorgegebene Gegensätze auf und fügte sich in eine allumfassende Vertrauenskrise, in der sich die k. u. k. Führung befand. Bezeichnenderweise wurden – anders als etwa in Deutschland, wo Kritik an der Behandlung gefangener Feindsoldaten offenbar nur von sozialdemokratischer Seite ausging552 – von verschiedenen politischen Parteien Missstände in der Kriegsgefangenenbehandlung bemängelt. Die diesbezügliche Anklage, in die sich nationale Motive und die vor allem in der letzten Phase des Bestehens der Donaumonarchie virulenten, hochgradig emotionalisierten nationalen Differenzen ebenso mischten wie soziale Themen, benutzte die Gefangenenfrage schließlich auch ganz allgemein als Hebel für einen Angriff auf das bestehende System. Dieses System wiederum manövrierte sich immer mehr in Zwangsläufigkeiten hinein. Ein „Lavieren zwischen völkerrechtlich-humanitärer Selbstverpflichtung einerseits und der utilitaristischen Einschätzung sich wandelnder ‚Kriegsnotwendigkeiten‘“553 andererseits – so Uta Hinz’ Befund für die Gefangenenbehandlung in Deutschland –, kann auch für Österreich-Ungarn festgehalten werden. Diese Schaukelpolitik vollzog sich innerhalb der k. u. k. Armee in hohem Maße auf Grundlage des dualen Kriegsgefangenenwesens mit dem Kriegsministerium auf der einen und dem AOK bzw. der A. i. F. auf der anderen Seite. Zwischen diesen Instanzen ergaben sich in puncto Gefangenenbehandlung Reibungsflächen ebenso wie Übereinstimmungen, Konflikte genauso wie konsensuales Handeln zu Gunsten von „Kriegsnotwendigkeiten“. Die Bedürfnisse der Armee und die Konformität mit den Bestimmungen der HLKO erschienen vor diesem Hintergrund immer wieder als gewissermaßen handlungsleitende Antipoden. Das Verringern diesbezüglicher Gegensätze betrachtete das AOK angesichts der Völkerrechtsverletzungen durch die geg551 Vgl. dazu Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 236 f. 552 Jones, Missing Paradigm?, 27. 553 Hinz, Gefangen, 137.

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nerische Seite per se als sekundär. Das Kriegsministerium hingegen versuchte einen Spagat, der mit fortschreitender Kriegsdauer immer weniger gelang. Anspruch und Wirklichkeit, Theorie und Praxis drifteten in der Gefangenenproblematik allerdings ganz allgemein oft weit auseinander. Abseits der von „atrocity stories“ motivierten Übertretungen in Zusammenhang mit der Gefangennahme von Feindsoldaten ergaben sich darüber hinaus in der Behandlung bereits gefangengenommener Feindsoldaten, d. h. für die Dauer der Gefangenschaft, Ermöglichungsräume für Gewalt, die sich nicht zuletzt für niedere Ränge auftaten. Dass hier innerhalb der k. u. k. A ­ rmee kein allgemein sanktioniertes „Gewährenlassen“ stattfand, belegen wiederum verschiedene Korrespondenzen der Heeresadministration. Wach- bzw. Eskortemannschaften wurden überdies Bestrafungen angedroht sowohl für den Fall einer Misshandlung von Gefangenen als auch für einen womöglich allzu milden Umgang mit den Feindsoldaten. Misshandlungen von Kriegsgefangenen wurden offenbar in unterschiedlichem Ausmaß geduldet, gleichzeitig aber gab es durchaus Anstrengungen, solchen Verfehlungen entgegenzuwirken. Der Befund von Heather Jones für Deutschland, wonach „no action was ever taken to punish mistreatment [of POWs]“554, lässt sich so betrachtet nicht auf den Umgang der k. u. k. Armee mit diesbezüglichen Übertretungen umlegen. Wenngleich die Quellen nahelegen, dass Fälle einer sanktionslosen Misshandlung von Feindsoldaten jene einer entsprechenden Maßregelung der Verantwortlichen in Summe bei Weitem übertrafen, kann von keinem grundsätzlichen Verzicht einer Bestrafung für die Misshandlung von Kriegsgefangenen gesprochen werden. Die Ahndung von Verfehlungen bei der Behandlung der Kriegsgefangenen beschäftigte aber – wieder vor dem Hintergrund völkerrechtlicher Verpflichtungen – vor allem das k. u. k. Kriegsministerium. Die Instanzen der A. i. F. setzten sich mit diesem Thema anscheinend erst zu einem Zeitpunkt intensiver auseinander, als die Arbeitsleistung der Gefangenen infolge von Misshandlungen oder ausbeuterischen Rahmenbedingungen bei gleichzeitiger Mangelernährung allzu offensichtlich zurückging. Für Deutschland und die dortige Versorgung der Gefangenen wurde in Anbetracht der Angleichung der Rationen an jene für Zivilisten ein Bruch der Haager Landkriegsordnung festgehalten.555 Auch in Österreich-Ungarn wur554 Heather Jones, The Final Logic of Sacrifice? Violence in German Prisoner of War Labor Companies in 1918, in: The Historian 68/4 (2006), 770–791, 784. 555 Hinz, Gefangen, 362; Heather Jones/Uta Hinz, Prisoners of War (Germany), in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2014–10–08. DOI: 10.15463/ie1418.10387 (abgerufen am 1.7.2021).

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den bereits ab 1915 Nahrungszuteilungen für Feindsoldaten reduziert und diese Kürzungen in unterschiedlichen Phasen bestimmten Armee-Kategorien und schließlich den Lebensmittelrationen für Zivilisten angeglichen. In Bezug auf russische Kriegsgefangene legitimierten diesbezügliche Abkommen (Stockholmer Bestimmungen) wenigstens teilweise Abweichungen von den Regeln der HLKO. Armeeinterne Verordnungen über das Ausmaß der Verpflegung konnten angesichts des realen Mangels aber ohnehin nicht oder nur teilweise praktisch umgesetzt werden. Die Überprüfung bislang geltender Zahlen zur Sterblichkeit unter den Kriegsgefangenen in österreichisch-ungarischem Gewahrsam legt eine nach oben zu korrigierende Bilanz nahe. Die vielen unterschiedlichen Angaben, die in diesem Zusammenhang kursierten und immer noch herangezogen werden, verweisen darüber hinaus auf nationale (Opfer-)Narrative, die sich nach dem Krieg in Bezug auf die Gefangenenfrage entwickelten. ­Letztere wiederum entstanden nicht zuletzt vor dem Hintergrund emotionaler Schulddebatten oder der Geltendmachung von Kompensationen durch den früheren Nehmestaat. Der implizite Propagandakontext, der Kriegsgefangenenagenden von Beginn des Krieges an begleitete, setzte sich teilweise auch nach 1918 fort. Eine gewissermaßen zwingende Verknüpfung der Opferzahlen unter den Gefangenen mit den aufgezeigten spezifischen Ressentiments innerhalb der k. u. k. Armee etwa gegen Serben, Italienern und auch Rumänen, die aufgrund des Kriegseintrittes 1916 mit ähnlichen Vorwürfen des „Verrates“ konfrontiert gewesen waren wie die Gefangenen aus dem Apenninkönigreich, erscheint gewagt. Eine „Hierarchie“ der Opfer lässt sich nicht ohne Weiteres feststellen. Verabsolutierende Aussagen sind angesichts des komplexen k. u. k. Gefangenenwesens, aber auch verschiedener zusätzlicher Faktoren – man denke nur an die vor allem in den beiden letzten Kriegsjahren evidente allgemeine Ernährungskrise oder an die Bedingungen bei der A. i. F., die zahlenmäßig vor allem gefangene Russen betrafen – unangebracht. Dass die Haltung der Armeeführung in Bezug auf Repressalien von Vorbehalten gegenüber bestimmten Nationalitäten beeinflusst war, ist indessen klar festzustellen. Dennoch sind auch hier Einschränkungen beziehungsweise Abstufungen erforderlich: Trotz verschiedener Beispiele für eine von Ressentiments beeinflusste Beurteilung von bestimmten Kriegsgefangenen-Ethnien mit entsprechenden Vorschlägen für deren (schlechtere bzw. strengere) Behandlung und trotz der Vergeltungsmaßnahmen vor allem gegen serbische sowie italienische Offiziere, die nicht zuletzt das militärische Ehrverständnis reflektierten und auf Erniedrigung abzielten, gab es keine systematische, d. h. allgemeingültige und angeleitete Diskriminierung von speziellen Nationali-

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täten. Dieser Befund negiert weder die Kontingenz von Übertretungen bzw. Misshandlungen noch den dokumentierten „Kulturhochmut“ vor allem gegenüber den oftmals als rückständig wahrgenommenen Feindsoldaten aus dem Osten. Die betreffenden Schlussfolgerungen sind darüber hinaus mit den aufgezeigten Möglichkeiten zur verschärften Behandlung von bestimmten Gefangenengruppen vor allem im Bereich der A. i. F. zusammenzudenken. Hier konnte ein härterer Kurs eingeschlagen werden als im Hinterland, wobei auch dort die in militärischen Betriebenen eingesetzten kriegsgefangenen Arbeitskräfte tendenziell strenger behandelt worden sein dürften als etwa in zivilen Kontexten – unabhängig von der nationalen Zugehörigkeit der Feindsoldaten. Nach dem Krieg drangen spezifische Opfernarrative bei den früheren Kriegsgegnern nur bedingt bis nach Österreich vor. Die Republik (Deutsch-) Österreich war von den Bestrebungen der Siegermächte hinsichtlich der Untersuchung von Völkerrechtsverletzungen und insofern von einer „Schuld­ debatte“ viel weniger beziehungsweise nur temporär betroffen. Im Unterschied zur Situation in Deutschland, das für die Kriegsführung der Armee an den Pranger gestellt wurde556, gelang es dem neuen österreichischen Staat nach Kriegsende angesichts der hervorgehobenen Distanz zur untergegangenen Monarchie, die mit den k. u. k. Streitkräften in Zusammenhang gebrachten Verfehlungen einer gewissermaßen fremden Macht anzulasten. In den Fokus gerieten vor allem Normübertretungen von k. u. k. Offizieren einerseits und Soldaten der früheren Armee als deren Opfer andererseits. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Kriegsgefangenenbehandlung konnte unter diesen Vorzeichen a priori nicht stattfinden; sie unterblieb – bis auf wenige Ausnahmen – schließlich völlig. Die auch für die spätere Historiographie wegweisenden Darstellungen zum österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenenwesen stammten in der Folge von ehemaligen Offizieren des k. u. k. Kriegsministeriums. Sie setzten sich in ihren Ausführungen über die Gegebenheiten des dualen Kriegsgefangenenwesens völlig hinweg und verengten den Blick auf die Agenden der 10. Kriegsgefangenenabteilung. Reflektiert wurden vor allem ein um Korrektheit bemühtes Amtsverständnis und eine Kriegsgefangenendiplomatie, deren Errungenschaften den Betroffenen realiter in sehr unterschiedlichem Ausmaß zum Vorteil gereichten. Ungeachtet dessen ergab sich in Summe ein nahezu ungetrübt positives Bild von der Kriegsgefangenschaft in Österreich-Ungarn, die angeblich lediglich durch äußere Einflüsse 556 Vgl. dazu auch Daniel Marc Segesser, Katastrophe der Wissenschaft?! Gewalteskalation, Kriegsgräuel und Kriegsverbrechen als Instrumente der internationalen (Nicht-) Kooperation in der Rechtswissenschaft 1914–1919, in: Zeitgeschichte 45/1 (2018), 57–77.

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nachteilige Entwicklungen erfahren hatte. Das Schicksal von Feindsoldaten, die der Armee im Felde zugeordnet worden waren, blieb darüber hinaus beinahe vollständig ausgeklammert. Zum Ausdruck gebracht wurde indes eine tiefe Überzeugung, wonach im Unterschied zu den gegnerischen Staaten Österreich-Ungarn das Völkerrecht hochgehalten habe, während es anderswo „in Trümmern sank“ und „wertloses Papier geworden“ war.557 Die enorme Bedeutung der Arbeitskraft der Feindsoldaten dürfte indessen dazu beigetragen haben, dass die Mortalitätsraten unter ihnen zumindest anteilig geringer waren als unter den Zivilinternierten. In absoluten Zahlen lag freilich die Summe der Todesopfer unter den Kriegsgefangenen im Habsburgerreich um ein Vielfaches höher als unter den Zivilinternierten. Die These, wonach die Haager Landkriegsordnung – bei allen Defiziten und bei aller Berücksichtigung von Beispielen für deren Missachtung – für Kriegsgefangene zumindest einen gewissen Schutz garantierte, kann auch für die Habsburgermonarchie übernommen werden. Selbst die nach oben zu korrigierende Sterblichkeit unter den Feindsoldaten in österreichisch-ungarischem Gewahrsam vermag diesen Befund nicht in Frage zu stellen. Dem Arbeitseinsatz der Feindsoldaten im Habsburgerreich pauschal eine positive Auswirkung auf deren Lebenssituation bzw. deren Überleben zu attestieren, geht sich indessen bei Berücksichtigung vor allem der speziellen Bedingungen bei der A. i. F. sowie der sich vielerorts zuspitzenden Ernährungslage allerdings nicht aus. Hier tun sich Unterschiede etwa zu Russland auf, wo gerade der verspätete breite Arbeitseinsatz der Gefangenen (ab 1916) als Faktor für deren hohe Sterblichkeit identifiziert wird.558 Nicht wenige Historikerinnen bzw. Historiker lehnen mit Verweis auf eine an allen Fronten zu gewärtigende Eskalation der Gewalt vor allem zu Kriegsbeginn die Diagnose eines speziellen „German way of war“ ab. Der Befund eines „deutschen Sonderweges“ hinsichtlich der Behandlung von Feindsoldaten war allerdings im Vergleich dazu seltener Kontroversen ausgesetzt. Das Fazit eines „German way of treating POWs“ wird mittlerweile in der Kriegsgefangenenhistoriographie zwar abgeschwächt beziehungsweise in eine verstärkte Differenzierung überführt, aber für die Lage der Gefangenen im Etappen- und Frontbereich der deutschen Armee und mit Verweis auf die diesbezügliche deutsche Politik sowie eine spezifische Militärkultur mehr oder weniger aufrechterhalten.559 Um eine differenzierte Beurteilung 557 Streeruwitz, Springflut, 76. 558 So die Einschätzung bei Reinhard Nachtigal, Zur Anzahl der Kriegsgefangenen im Ersten Weltkrieg, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 67 (2008), 345–384, 369. 559 Heather Jones/Uta Hinz, Prisoners of War (Germany), in: 1914-1918-online. Internati-

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des deutschen Kriegsgefangenenwesens bemüht war vor allem Uta Hinz, die den „(ökonomischen) Strukturwandel“ für die „festgestellte Erosion oder gar Auflösung zuvor definierter kriegsrechtlicher Grenzen“ mit Blick auf die „Gefangenenfrage“ betonte.560 Im Unterschied zum Einsatz von Gefangenen im Front- und Etappengebiet sei überdies die Behandlung der „Mehrzahl der fremden Soldaten in Lagern und Kommandos innerhalb Deutschlands“ bis 1918 „weit weniger eindeutig als linear verlaufender Prozess eskalierender Gewaltpraktiken [zu] beschreiben“.561 Hinz diagnostiziert allerdings im Verlauf des Krieges eine „deutliche Radikalisierung ‚von oben‘“, also bei den „militärischen Führungsebenen“, gegen Ende des Krieges aber eine „De-Radi­ kalisierung“, weil die „erdachten Zwangsmaßnahmen“ im Bereich der Gefangenenarbeit „nicht die gewünschte ökonomische Wirkung zeigten“.562 Ein Vergleich der Lage von Gefangenen in Deutschland mit jener in Österreich-Ungarn verweist mit Blick auf die breit angelegte Arbeitsverwendung der Feindsoldaten sowie die Organisation des Gefangenenwesens auf etliche Gemeinsamkeiten. Die administrativen Voraussetzungen in der Doppelmonarchie deuten aber ungeachtet der in der Forschung betonten zergliederten Verwaltung des deutschen Kriegsgefangenenwesens563 auf eine vielleicht noch größere Komplexität hin. Diese wiederum ließ sich auf die Besonderheiten des Vielvölkerreiches und seine administrativen „Verästelungen“ zurückführen, die kriegsbedingt noch weitere Ausdifferenzierungen erfuhren. Hinzu kamen Aspekte, die ganz prinzipielle Probleme der Doppelmonarchie reflektierten. Die Differenzen hinsichtlich der Aufteilung von kriegsgefangenen Arbeitern zwischen den beiden Reichsteilen sind hier ebenso anzuführen wie etwa die Bedenken, die dem Einsatz slawischen Bewachungspersonals galten. Unterschiede zu Deutschland tun sich schließlich am Beispiel der Repressalienpraxis besonders deutlich auf. K. u. k. Kriegsministerium und k. u. k. Außenministerium als Korrektive eines allzu scharfen Kurses des AOK in der Frage der Vergeltungsmaßnahmen finden auf der deutschen Seite offen-

560 561

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onal Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2014–10–08. DOI: 10.15463/ie1418.10387 (abgerufen am 2.6.2021). Hinz, Gefangen, 362. Uta Hinz, Die Erfahrung von Kriegsgefangenschaft in Deutschland 1914–1918. Kenntnisstand und Forschungsfragen, in: Bernhard Lübbers/Isabella von Treskow (Hg.), Kriegsgefangenschaft 1914–1919. Kollektive Erfahrung, kulturelles Leben, Regensburger Realität, Regensburg 2019, 248–267, 258. Ebd., 260. Ebd., 258.

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bar keine Pendants. Andererseits aber setzte die k. u. k. Armee anscheinend noch früher als der deutsche Verbündete auf eine völkerrechtswidrige Verwendung der Gefangenen im Armeebereich. Außerdem konnte das AOK den Verzicht auf Vergeltungsmaßnahmen durch eine weitgehende Ausbeutung kriegsgefangener Arbeitskraft sowie spezielle Weisungen etwa für serbische Gefangene gewissermaßen kompensieren. Das galt realiter auch für den Einsatz rumänischer oder italienischer Kriegsgefangener. Diesbezügliche Eskalationen konnten sich abseits punktueller „Aktionen“ und eines (öffentlich geführten) Dialoges mit dem Gegner manifestieren. Vergeltung war so gesehen nicht auf offiziell verwendete bzw. artikulierte Repressalien angewiesen, die demonstrativ eine Verhaltensänderung der Feindstaaten zum Ziel hatten. Aufgrund des Umstandes, dass allerdings Russland mehr Gefangene aus dem Habsburgerreich festhielt als umgekehrt Österreich-Ungarn russische Kriegsgefangene, schienen sich gerade auch in Bezug auf das Zarenreich Vergeltungsmaßnahmen nur bedingt als Instrument zur Verbesserung des Gefangenenloses anzubieten. Das betreffende Zahlenverhältnis wirkte sich ebenso gravierend auf die Bereitschaft zum Einsatz von Repressalien aus wie die Frage des Handlungsspielraumes der gegnerischen Staaten. Serbien und Rumänien waren – wie erwähnt – aus Perspektive Wiens viel weniger relevante Ansprechpartner in Gefangenenagenden als Russland oder Italien. Eine von ideologischen Grundsätzen und rassistischem Gedankengut bestimmte verbrecherische und vielfach auf physische Vernichtung ausgerichtete Gefangenenbehandlung, wie sie im Zweiten Weltkrieg vom Deutschen Reich praktiziert wurde, fand im Ersten Weltkrieg in Österreich-Ungarn definitiv nicht statt. Grauzonen scheinen sich allerdings vor allem in Bezug auf die Behandlung italienischer oder serbischer, aber auch rumänischer Gefangener aufzutun. Die Opferzahlen unter diesen Kriegsgefangenen-Ethnien vor Augen, geraten primär die gefangenen Italiener in den Fokus weiter reichender Überlegungen. Die große Sterblichkeit vornehmlich unter jenen Italienern, die 1917 gefangengenommen worden waren, resultiert jedoch – wie in vorliegendem Band gezeigt wurde – aus vielfältigen Gründen. Trotz verschiedentlich aufgezeigter Versäumnisse und Missstände in der Behandlung gefangener Italiener gibt es keine Hinweise auf ein intendiertes Massensterben. Genozidale Absichten, die etwa in Bezug auf die „Aushungerung“ speziell serbischer Gefangener in den Raum gestellt wurden, sind quellenmäßig nicht fassbar. Eine befehlsevozierte Einschränkung der medizinischen Versorgung seuchenkranker serbischer Kriegsgefangener fand ungeachtet diesbezüglicher Erwägungen des AOK im Rahmen von Vergeltungsmaßnahmen und trotz der dokumentierten Verfehlungen Einzelner nicht statt. All das verweist auf eine Mischung aus bereits vorhandenen Ressentiments und mehr oder

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weniger erfahrungsgeleiteten Vorbehalten, die sich aus den Einschätzungen zur Kriegsführung des Gegners bzw. seiner Praxis der Gefangenenbehandlung ergaben. Gleichzeitig ist zu bedenken, dass sich nicht immer klare Grenzen beispielsweise zwischen ressourcenbedingten Unzulänglichkeiten oder intentionalen Vernachlässigungen bzw. Versäumnissen im Umgang mit den Gefangenen eruieren lassen. Dass indessen die Erfahrungen des Arbeitseinsatzes der Kriegsgefangenen im Ersten Weltkrieg „Lerneffekte“ für den Zweiten Weltkrieg bereithielten, erscheint alles andere als abwegig. Abgesehen von kriegswichtigen Arbeiten wurden durch Heranziehung „kriegsgefangener Arbeitskraft“ auch Projekte realisiert, deren Verwirklichung mit Hilfe herkömmlicher Arbeiter sehr viel kostenintensiver gewesen wären. Die „Ökonomisierung“ der Gefangenen beziehungsweise die Bedeutung der von ihnen geleisteten Arbeit sind gewiss als die prägenden Merkmale des österreichisch-ungarischen Gefangenenwesens im Ersten Weltkrieg zu betrachten. Während dieser Prozess im Hinterland und in Verbindung mit einem mehrgliedrigen militärisch-zivilen Kontrollsystem zwar unter zum Teil erträglicheren Rahmenbedingungen vollzogen wurde als bei der Armee im Felde und sich für etliche Gefangene, die im Hinterland zum Einsatz kamen, wohl auch mehr oder weniger akzeptable Bedingungen auftaten, stellte sich insgesamt die Praxis einer „Taxierung“ von Gefangenen im Sinne ihrer Verwendbarkeit ein. Die Kategorisierung von Gefangenen je nach Arbeitsleistung produzierte geradezu zwangsläufig „unnütze Esser“, die gegenüber physisch überlegenen Gefangenen in Nachteil gerieten. Der Arbeitseinsatz der Feindsoldaten führte darüber hinaus Lager als Einrichtungen vor, die nur ansatzweise mit wirtschaftlichen Bedürfnissen in Einklang zu bringen waren. Kriegsgefangenschaft löste sich von den Vorstellungen eines statischen Verwahrungssystems, und Kriegsgefangenenarbeit mutierte zu einer weitverzweigten, nahezu unüberschaubaren Organisation von Zwangsarbeit. Insofern präsentierten sich frühere Massenlager vor allem als Verwahrungsorte mit „Insassen“ ohne „Wert“ für die Kriegswirtschaft. Die Wahrnehmung von großen Lagern als Sammelstellen für Kranke sowie nicht oder minder Arbeitsfähige und als Orte massenhaften und weitgehend abgeschirmten Sterbens mag überdies dazu beigetragen haben, diese nach dem Ersten Weltkrieg auch abseits der Funktion eines zeitlich limitierten Verwahrungsortes fatalerweise neu zu denken. Unter Berücksichtigung der aufgezeigten Rahmenbedingungen, mit denen sich Kriegsgefangene in österreichisch-ungarischem Gewahrsam konfrontiert sahen, wird man Exkulpierungen der k. u. k. Armee oder um Glättung bemühten Darstellungen des k. u. k. Kriegsgefangenenwesens ebenso eine Absage erteilen müssen wie verallgemeinernden Anklagen. Die Frage, inwie-

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weit Praktiken im Umgang mit den Feindsoldaten Grenzen des Zulässigen überschritten oder eine rigorose Behandlung eingehegt werden konnte, muss angesichts der Komplexität des österreichisch-ungarischen Gefangenenwesens mit seinen daraus resultierenden „Kriegsgefangenschaften“ Antworten nach sich ziehen, die der Mehrdimensionalität des Themas gerecht werden. Deeskalierende Interventionen in Zusammenhang mit der Lage der Feindsoldaten wurden ebenso gesetzt wie Maßnahmen, die sich konsequent an „Kriegsnotwendigkeiten“ orientierten, Vergeltung anstrebten oder schlicht und einfach die Vorteile der Zwangsarbeit nutzen wollten. Es erschließen sich somit variierende Deutungen in jeweils unterschiedlichen Kontexten.564

564 Vgl. dazu Uta Hinz’ Befund in Bezug auf Deutschland und die „Problematik von Brutalisierung und Gewalt an der ‚Heimatfront‘“. Bei einer diesbezüglichen Annäherung „zerbricht“, wie sie schreibt, „jedes Gesamtbild in ein Prisma varianter Befunde und Entwicklungsstränge“. Hinz, Die Erfahrung von Kriegsgefangenschaft, 259.

Abkürzungsverzeichnis

Abt. Abteilung ACS Archivio Centrale dello Stato in Roma (Rom) a. D. Außer Dienst AdR Archiv der Republik AGAD Archiwum Główne Akt Dawnych (Warschau) A. i. F. Armee im Felde AOK Armeeoberkommando APL Archiwum Państwowe w Lublinie (Lublin) AR Administrative Registratur ARS Arhiv Republike Slovenije (Ljubljana) AS Arhiv Srbije AUSSME Archivio ufficio storico stato maggiore dell’Esercito AVPRI Archiv Vnešnej Politiki Rossijskoj Federacii (Archiv der Außen­politik des Russländischen Imperiums, Moskau) AZ Arbeiter-Zeitung b. busta (Umschlag) B. e. ö. K. Bundesvereinigung ehemaliger österreichischer Kriegsgefangener BKA Bundeskanzleramt BMfA Bundesministerium für Äußeres Chef d EW Chef des Ersatzwesens CS Comando supremo (Armeeoberkommando) ČSK Čresvyjčajnaja Sledstvennaja Komissija (Außerordentliche ­Untersuchungskommission) Dep. Departement EOK Etappenoberkommando Evb. Evidenzbüro f. fascicolo (file / Fond) sowie folgende (vgl. Seitenangaben) F Fach FML Feldmarschallleutnant GARF Gosudarstvennyj Archiv Rossijskoj Federacii (Staatliches ­Archiv der Russländischen Föderation, Moskau) GM Generalmajor GO Generaloberst

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Abkürzungsverzeichnis

Gstb. Generalstab GZNB Gemeinsames Zentralnachweisebureau HGM Heeresgeschichtliches Museum (Wien) HHStA Haus-, Hof- und Staatsarchiv (Wien) Hk. Heimkehr HLKO Haager Landkriegsordnung IKRK Internationales Komitee vom Roten Kreuz IR Infanterieregiment K. A. A. Kriegsgefangenen-Arbeiter-Abteilung KAB Kriegsarchiv Budapest KAP Kriegsgefangenen-Arbeiter-Partie(n) KgA Kriegsgefangenenabteilung KGF oder Kgf. Kriegsgefangene KK Korpskommando KLA Kärntner Landesarchiv (Klagenfurt) KM Kriegsministerium KPQ Kriegspressequartier K. u. k. Kaiserlich(e) und königlich(e) K. u. Königlich ungarisch(e) KÜA Kriegsüberwachungsamt LANS Landesarbeitsnachweisstelle MdÄ Ministerium des Äußern MdI Ministerium des Inneren MG Ministero della Guerra MGG/M Militärgeneralgouvernement Montenegro MGZ Militärgeschichtliche Zeitschrift MI Ministero degli Interni Mil.K(m)do Militärkommando MIÖG Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung MS Manuskriptesammlung MStG Militärstrafgesetz MStPO Militärstrafprozessordnung NA Národní archiv N. F. Neue Folge NFA Neue Feldakten NL Nachlass/Nachlässe NÖLA Niederösterreichisches Landesarchiv (St. Pölten) OOK Operierendes Oberkommando Op.Abt Operationsabteilung

Abkürzungsverzeichnis

ÖStA ÖUlK PA PCM

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Österreichisches Staatsarchiv (Wien) Österreich-Ungarns letzter Krieg Politisches Archiv Fondo della Presidenza del Consiglio dei Ministri presso l’ACS POW Prisoner(s) of War Präs. Präsidium PsL Serbian Legation London PsP Serbian Legation Paris Qu.Abt. Quartiermeisterabteilung RC Red Cross RGBl. Reichsgesetzblatt RGVIA Rossijskij Gosudarstvennyj Voenno-Istoričeskij Archiv (Russländisches Staatliches Militärhistorisches Archiv) RSDRP Rossijskaja Social-Demokratičeskaja Rabočaja Partija (Russländische Sozialdemokratische Arbeiterpartei) SRF Serbian Relief Fund StGBl. Staatsgesetzblatt US / USA United States / United States of America VHA Vojenský Historický Archiv (Militärhistorisches Archiv, Bratislava) VÚA-VHA Vojenský Ústřední Archiv – Vojenský Historický Archiv (Militärhistorisches Archiv, Prag) YMCA Young Men’s Christian Association 10. Abt./Kgf. 10. Kriegsgefangenenabteilung (des k. u. k. Kriegsministeriums)

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Die Kriegsgefangenschaft in Österreich-Ungarn in Zahlen

Angaben zur Gesamtzahl der Gefangenen im Habsburgerreich sowie Zahlen zu den einzelnen Nationalitäten Gesamtzahl – 1.364.758 (laut einer Aufstellung des k. u. k. Kriegsministeriums für den Chef des Ersatzwesens, August 1918. Betr. Rapport über den Kranken­ stand in den Lagern, August 1918. ÖStA KA Chef d EW 1918: 19-29, Kt. 108) – 1.405.598 (bis 27. Juli 1917 in Evidenz genommene Kriegsgefangene nach: Streeruwitz, Kriegsgefangene im Weltkriege, I. Bd., 82) – 1.710.053 (im Mai 1918 vorhandener Stand abzüglich Verstorbener, Geflohener, Ausgetauschter usw. nach: Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II, 6) – 1.767.139 (Stand per 27. Oktober 1918. ÖStA KA AOK Op. Abt., Evidenzgruppe B 1917/18, Kriegsgefangene, Kt. 600) – 1.818.024 (bis Mai 1918 gemeldeter Stand nach: Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II, 6) – 1.861.000 (Tabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand) – 2.344.938 (Klante, Die Kriegsgefangenen in Deutschland, 173) Gesamtzahl (Verstorbene) in Prozent 121.000 (Tabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand) 6,5 %1

1

Weitere Prozentangaben bei den „Verstorbenen nach Nationen“ werden lediglich dann angeführt, wenn sie mit vorhandenen Gesamtzahlen korrelieren, d. h. wenn solche Angaben in den betreffenden Statistiken angeführt wurden.

656

Die Kriegsgefangenschaft in Österreich-Ungarn in Zahlen

Die Kriegsgefangenen im Habsburgerreich nach Herkunftsländern ­(Gesamtzahlen) Russland – 893.580 (laut einer Aufstellung des k. u. k. Kriegsministeriums für den Chef des Ersatzwesens, August 1918. Betr. Rapport über den Krankenstand in den Lagern, August 1918. ÖStA KA Chef d EW 1918: 19-29, Kt. 108) – 935.117 (Stand 1. April 1918. Statistische Studie über russische Kriegsgefangene in Österreich-Ungarn (und in Deutschland) 1914–1918. ÖStA KA NL E. von Waldstätten B/129: 12, 9) – 1.128.122 (Stand per 27. Oktober 1918. ÖStA KA AOK Op. Abt., Evidenzgruppe B 1917/18, Kriegsgefangene, Kt. 600) – 1.134.941 (bis 27. Juli 1917 in Evidenz genommene Kriegsgefangene nach: Streeruwitz, Kriegsgefangene im Weltkriege, I. Bd., 82) – 1.215.157 (im Mai 1918 vorhandener Stand abzüglich Verstorbener, Geflohener, Ausgetauschter usw. nach: Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II, 6) – 1.269.073 (bis Mai 1918 gemeldeter Stand nach: Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II, 6) – 1.434.000 (Tabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand) – 1.755.000 (Klante, Die Kriegsgefangenen in Deutschland, 173) Italien – 108.939 (bis 27. Juli 1917 in Evidenz genommene Kriegsgefangene nach: Streeruwitz, Kriegsgefangene im Weltkriege, I. Bd., 82) – 308.835 (im Mai 1918 vorhandener Stand abzüglich Verstorbener, Geflohener, Ausgetauschter usw. nach: Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II, 6) – 326.214 (bis Mai 1918 gemeldeter Stand nach: Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II, 6) – 367.958 (laut einer Aufstellung des k. u. k. Kriegsministeriums für den Chef des Ersatzwesens, August 1918. Betr. Rapport über den Krankenstand in den Lagern, August 1918. ÖStA KA Chef d EW 1918: 19-29, Kt. 108) – 369.600 (Tabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand) – 369.500 (Klante, Die Kriegsgefangenen in Deutschland, 173) – 409.300 (zusammengesetzt aus 13.300 Offizieren und 396.000 Mannschaftssoldaten, Daten des Italienischen Oberkommandos; vgl. Mondini, „There won’t be many coming home“) – 522.863 (Stand per 27. Oktober 1918. ÖStA KA AOK Op. Abt., Evidenzgruppe B 1917/18, Kriegsgefangene, Kt. 600)

Die Kriegsgefangenschaft in Österreich-Ungarn in Zahlen

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Serbien – 91.634 (laut einer Aufstellung des k. u. k. Kriegsministeriums für den Chef des Ersatzwesens, August 1918. Betr. Rapport über den Krankenstand in den Lagern, August 1918. ÖStA KA Chef d EW 1918: 19-29, Kt. 108) – 106.231 (Stand per 27. Oktober 1918. ÖStA KA AOK Op. Abt., Evidenzgruppe B 1917/18, Kriegsgefangene, Kt. 600) – 115.391 (bis 27. Juli 1917 in Evidenz genommene Kriegsgefangene nach: Streeruwitz, Kriegsgefangene im Weltkriege, I. Bd., 82) – 127.500 (Angaben österreichisch-ungarischer Provenienz für 1917; vgl. den Beitrag von Gordana Ilić Marković, Im eigenen und im fremden Land gefangen) – 130.057 (Stand für den Mai 1918 abzüglich Verstorbener, Geflohener, Ausgetauschter usw. nach: Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II, 6) – 154.700 (Tabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand) – 154.774 (bis Mai 1918 gemeldeter Stand nach: Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II, 6) – 154.600 (Klante, Die Kriegsgefangenen in Deutschland, 173) Rumänien – 3054 (Stand per 27. Oktober 1918. ÖStA KA AOK Op. Abt., Evidenzgruppe B 1917/18, Kriegsgefangene, Kt. 600) – 8102 (laut einer Aufstellung des k. u. k. Kriegsministeriums für den Chef des Ersatzwesens, August 1918. Betr. Rapport über den Krankenstand in den Lagern, August 1918. ÖStA KA Chef d EW 1918: 19-29, Kt. 108) – 34.177 (bis 27. Juli 1917 in Evidenz genommene Kriegsgefangene nach: Streeruwitz, Kriegsgefangene im Weltkriege, I. Bd., 82) – 42.859 (im Mai 1918 vorhandener Stand abzüglich Verstorbener, Geflohener, Ausgetauschter usw. nach: Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II, 6) – 52.700 (Klante, Die Kriegsgefangenen in Deutschland, 173) – 55.792 (für Mai 1918 gemeldeter Stand nach: Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II, 6) – 52.800 (Tabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand) Montenegro – 5628 (laut einer Aufstellung des k. u. k. Kriegsministeriums für den Chef des Ersatzwesens, August 1918. Betr. Rapport über den Krankenstand in den Lagern, August 1918. ÖStA KA Chef d EW 1918: 19-29, Kt. 108) – 10.704 (bis 27. Juli 1917 in Evidenz genommene Kriegsgefangene nach: Streeruwitz, Kriegsgefangene im Weltkriege, Bd. 1, 82)

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Die Kriegsgefangenschaft in Österreich-Ungarn in Zahlen

– 11.317 (für Mai 1918 vorhandener Stand abzüglich Verstorbener, Geflohener, Ausgetauschter usw. nach: Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II, 6) – 12.965 (für Mai 1918 gemeldeter Stand nach: Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II, 6) – 13.000 (Tabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand) Amerika (= USA) – 12.900 (Klante, Die Kriegsgefangenen in Deutschland, 173) Albaner – 833 (bis 27. Juli 1917 in Evidenz genommene Kriegsgefangene nach: Streeruwitz, Kriegsgefangene im Weltkriege, I. Bd., 82) – 1055 (für Mai 1918 vorhandener Stand abzüglich Verstorbener, Geflohener, Ausgetauschter usw. nach: Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II, 6) – 1416 (für Mai 1918 gemeldeter Stand nach: Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II, 6) – 1506 (Tabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand) Frankreich – 481 (bis 27. Juli 1917 in Evidenz genommene Kriegsgefangene nach: Streeruwitz, Kriegsgefangene im Weltkriege, I. Bd., 82) – 491 (laut einer Aufstellung des k. u. k. Kriegsministeriums für den Chef des Ersatzwesens, August 1918. Betr. Rapport über den Krankenstand in den Lagern, August 1918. ÖStA KA Chef d EW 1918: 19-29, Kt. 108) – 618 (Stand per 27. Oktober 1918. ÖStA KA AOK Op. Abt., Evidenzgruppe B 1917/18, Kriegsgefangene, Kt. 600) – 652 (für Mai 1918 gemeldeter Stand nach: Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II, 6 und Tabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand) Großbritannien – 122 (bis 27. Juli 1917 in Evidenz genommene Kriegsgefangene nach: Streeruwitz, Kriegsgefangene im Weltkriege, I. Bd., 82) – 134 (im Mai 1918 vorhandener Stand abzüglich Verstorbener, Geflohener, Ausgetauschter usw. nach: Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II, 6) – 158 (für Mai 1918 gemeldeter Stand nach: Raabl-Werner, Kriegsgefangenenwesen, Teil II, 6)

Die Kriegsgefangenschaft in Österreich-Ungarn in Zahlen

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– 265 (laut einer Aufstellung des k. u. k. Kriegsministeriums für den Chef des Ersatzwesens, August 1918. Rapport über den Krankenstand in den Lagern, August 1918. ÖStA KA Chef d EW 1918: 19-29, Kt. 108) – 499 (Stand per 27. Oktober 1918. ÖStA KA AOK Op. Abt., Evidenzgruppe B 1917/18, Kriegsgefangene, Kt. 600) Verstorbene nach Nationen Russen – Unter 40.000 (Statistische Studie über russische Kriegsgefangene in Österreich-Ungarn (und in Deutschland) 1914–1918. ÖStA KA NL E. von Waldstätten B/129: 12, 15 – entspricht 4 %) – 45.110 (Angaben des GZNB nach Ende des Krieges; siehe: Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 330) – 63.000 (Tabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand – entspricht 5 %) – 110.000 (Angaben des Centroplenbež; siehe: Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 330 – entspricht zwischen 7 und 8 %) – 129.002 (Bericht der Kommission des Russischen Roten Kreuzes, Zl. 108798. ÖStA HHStA MdÄ AR F 36 Liasse Krieg 1914–1918 Dep. 7 Kriegsgefangene in Russland, Kt. 474) Italiener – 26.000 (Tabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand – entspricht 7 %) – 33.000 (Angaben des Liqu. KM bzw. des GZNB an die Italienische Militärmission; siehe: Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 328) – 41.000 (entsprechend GZNB nach dem Krieg; vgl. die Angaben im Kapitel „Rahmenbedingungen und Überlegungen“) – 50.000 (bezogen auf Tote in Deutschland und Österreich-Ungarn; siehe: Mondini, „There won’t be many coming home“) – 60.000 (vgl. die Angaben der Italienischen Waffenstillstandskommission; siehe dazu die Ausführungen im Kapitel „Rahmenbedingungen und Überlegungen“) – 66.000 (Inoffizielle Schätzung des Liquidierenden k. u. k. Kriegsministeriums; siehe: Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, 328 und die Angaben im Kapitel „Rahmenbedingungen und Überlegungen“) – 92.500–100.000 (bezogen auf Tote in Österreich-Ungarn und Deutschland, wobei im Regelfall von mindestens 92.500 Todesopfern im Gewahrsam der k. u. k. Armee ausgegangen wird; siehe u. a. die Angaben im Kapitel „Rahmenbedingungen und Überlegungen“)

660

Die Kriegsgefangenschaft in Österreich-Ungarn in Zahlen

Serben – 15.000 (Tabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand – entspricht 9,75 %) – 32.500 (serbische Angaben; vgl. die Angaben im Kapitel „Rahmenbedingungen und Überlegungen“) – 40.000 (vgl. die Angaben im Kapitel „Rahmenbedingungen und Überlegungen“) – 50.000 (vgl. die Angaben im Kapitel „Rahmenbedingungen und Überlegungen“) Rumänen – 4.200 (Tabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand – entspricht 8 %) Montenegriner – 970 (Tabelle in Weiland/Kern, In Feindeshand – entspricht 7,5 %)

Kriegsgefangenenlager im Habsburgerreich1

Bezeichnung

Anmerkung

Aschach a.d. Donau Boldogasszony Braunau a. Inn Braunau i. Böhmen Bruck-Királyhida Brüx Csóth b. Pápa Deutschgabel Dunaszerdahely Eger i. Böhmen Feldbach

Kgf.-Arbeitsdetachement

Freistadt Grödig Hajmáskér Hart b. Amstetten Heinrichsgrün Josefstadt Kenyermézö-tábor Kleinmünchen Knittelfeld

Kgf.-Arbeitsdetachement

Lebring

Kgf.-Arbeitsdetachement

Marchtrenk Mauthausen Milowitz Nagymegyer Ostffyassonyfa Oswiecim

Aufgelassen

Plan Purgstall a. d. Erlauf

1

Angaben aus: ÖStA KA AOK Kriegsgliederungen, Kt. 74.

662

Kriegsgefangenenlager im Habsburgerreich

Bezeichnung

Anmerkung

Reichenberg Somorja Sopronnyek Spratzern Sternthal b. Pettau Szatmar-nemeti Theresienstadt Wadowice Wieselburg a. d. Erlauf Zalaegerszeg

Kgf.-Arbeitsdetachement

Kriegsgefangenenstationen1

BezeichVeränderung nung A

B

Standort

Zeitpunkt

Armee

Errichtet in

Ober-­ Laibach

Mai 1917

2. Isonzoarmee

Verlegt nach

Brazzano

Nov. 1917

2. Isonzoarmee

Errichtet in

Ober-­ Laibach

Sept. 1917

1. Isonzoarmee

Aufgelöst

C

Dez. 1917

1. Isonzoarmee

Verlegt nach

St. Daniel Kobil

März 1918

EtGrpKmdo Görz

Errichtet in

Molczad

Mai 1917

XII. Korps­ kmdo

Dez. 1917

XII. Korps­ kmdo

Aufgelöst

D

Verlegt nach

Huy a. d. Maas (Belg.)

April 1918

Deutsche Westfront

Errichtet in

Mármaros Sziget

Mai 1917

7. Armee

Aufgelöst E

F

G

H

1

Feb. 1918

Errichtet in

Gardolo

Mai 1917

11. Armee

Verlegt nach

Neumarkt in Tirol

Feb. 1918

11. Armee

Errichtet in

Seebach b. Villach

Mai 1917

10. Armee

Verlegt nach

Sillian

Feb. 1918

EtGrpKmdo Belluno

Verlegt nach

Cortina d’Ampezzo

Okt. 1918

Errichtet in

Krakau

Mai 1917

FestgsKmdo Krakau

Übergeben an K. M. als Kgf-Sammelstelle

Aug. 1918

MilKmdo Krakau

Errichtet in

Mai 1917

8. Armee

Visoko ­(Bosnien)

Angaben aus: ÖStA KA AOK Kriegsgliederungen, Kt. 74.

Anmerkung

664

Kriegsgefangenenstationen

BezeichVeränderung nung

Standort

Zeitpunkt

Armee

Verlegt nach

Igalo b. ­Castelnuovo

März 1918

8. Armee

J

Errichtet in

Belgrad

Mai 1917

Serbien

K

Errichtet in

Rosznyo b. Brasso

Mai 1917

1. Armee

Sept. 1918

f. d. 16. Gen­ Kmdo Rumänien

Mai 1917

FestgsKmdo Przemyśl

Bestimmt ab

L

Errichtet in

Przemyśl

Übergeben an K. M. als Aug. 1918 Kgf-Sammel­ stelle M

Errichtet in

Tuchla

Mai 1917

3. Armee

Sept. 1918

4. GenKmdo Exp. Czernowitz

Nagyszeben

Mai 1917

16. GenKmdo

Sept. 1918

16. GenKmdo

Errichtet in

Kowel

Mai 1917

4. Armee

Verlegt nach

Zimno b. Wl.Wol.

Errichtet in

Czaple Gleboka

Verlegt nach

Rohatyn

Übergeben an

N

Errichtet in Aufgelöst

O

P

Aufgelassen

4. GenKmdo Exp. Wl. Wolinsk Mai 1917

9. Armee

Nov. 1917

9. Armee

Feb. 1918

9. Armee

R

Errichtet in

Lemberg

Mai 1917

2. Armee

S

Errichtet in

Lublin

Mai 1917

Polen

T

Errichtet in

Skutari

Mai 1917

XIX. Korps­ Kmdo

Verlegt nach

Zelenika

Juli 1918

XIX. Korps­ Kmdo

U

Errichtet in

Cetinje

Mai 1917

Montenegro

V

Errichtet in

Aicha bei Franzensfeste

Mai 1917

10. Armee

Errichtet in

Kronau

Okt. 1917

6. Armee

Verlegt nach

Maggio

Juni 1918

6. Armee

W

Anmerkung

Unbenannt in „D“ im Aug. 1918

Kurzbiographien der Autorinnen und Autoren

Heiko Brendel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Digital Humanities der Universität Passau. Zuvor war er am Lehrstuhl für Militärgeschichte/Kulturgeschichte der Gewalt der Universität Potsdam tätig, wo er zum Dr. phil. promoviert wurde. Heiko Brendel studierte Politikwissenschaft, Geschichte, evolutionäre Anthropologie sowie Humangeographie, er hat einen Magisterabschluss der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und einen Masterabschluss der Lunds Universitet. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte sind die digitale Geschichtswissenschaft, die Geschichte des Ersten Weltkrieges sowie die Geschichte im Brett- und Computerspiel. Heiko Brendel ist Autor zahlreicher Fachpublikationen, seine Dissertationsschrift „Lieber als Kacake als an Hunger sterben“. Besatzung und Widerstand im k. u. k. Militärgeneralgouvernement Montenegro 1916–1918 erschien 2019 bei Campus in der Reihe „Krieg und Konflikt“. Dagmar Hájková, tätig am Masaryk Institut und Archiv der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik; Forschungsschwerpunkte: Tschechoslowakische/Tschechische Politik- und Kulturgeschichte. Sie ist Autorin und Co-Autorin von Editionen von Dokumenten des Ersten Weltkrieges und der Tschechoslowakei in der Zwischenkriegszeit. Neuere Publikationen: Republika československá: 1918–1939, Praha 2018; Sláva republice! Oficiální svátky a oslavy v meziválečném Československu, Praha 2018. Gordana Ilić Marković, Senior Lecturer am Institut für Slawistik der Universität Wien. Promotion am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien (Propagandasprache im Ersten Weltkrieg). Schwerpunkte in der Lehre und Forschung: südslawisch-österreichischer Sprach- und Kulturkontakt, Sozial- und Kulturgeschichte des Ersten Weltkrieges, Sprachenpolitik. Letzte Veröffentlichungen: „Живео рат! Узвик који значи исто што и: Живела смрт!“ Српски цивилни и војни заробљеници Великог рата, in: The Years that Changed the World. First World War in History and Historiography, Višegrad/ Beograd 2019; Рода Рада – Српски дневник извештача из Првог светског рата. Ратни пресбиро Аустроугарске монархије, Нови Сад/Београд 2017.

666

Kurzbiographien der Autorinnen und Autoren

Martin Klečacký, tätig am Masaryk Institut und Archiv der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, sowie Archivar/Staatsarchiv; Forschungsschwerpunkte: Geschichte der öffentlichen Verwaltung und des Parlamentarismus in der späten Habsburgermonarchie und der Tschechoslowakei. Derzeit forscht er über die Beziehungen zwischen staatlicher Macht und den Gemeinden in Böhmen im 19. und 20. Jahrhundert. Henriett Kovács, Oberassistentin an der Andrássy Universität Budapest/ Lehrstuhl für Politische Theorie und Europäische Demokratieforschung; Forschungsschwerpunkte: Österreich-ungarische kulturelle, ideengeschichtliche und gesellschaftliche Beziehungen im 19. sowie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die ungarische Friedensbewegung in der Habsburgermonarchie. Aktuelles Habilitationsprojekt im Bereich der Adelsforschung und der Frauengeschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zahlreiche Publikationen, darunter u. a.: Die Friedensbewegung in Österreich-Ungarn an der Wende zum 20. Jahrhundert (Andrássy Schriftenreihe – Fakultät für Mitteleuropäische Studien, hg. von Dieter A. Binder et al.), Herne 2009. Hannes Leidinger, Dozent am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien und Leiter der Wiener Außenstelle des Ludwig Boltzmann Institutes für Kriegsfolgenforschung. Mitglied der Militärhistorischen Denkmalkommission des Bundesministeriums für Landesverteidigung, Forschungsprojekte und Publikationen v. a. zur Geschichte Mittel- und Osteuropas im 19. und 20. Jahrhundert. Neuere Publikationen: Der Untergang der Habsburgermonar­ chie, Innsbruck/Wien 2017; Habsburg’s Last War. The Filmic Memory, New Orleans 2018 (hg. gem. mit G. Bischof); Hitler – Prägende Jahre. Kindheit und Jugend 1889–1914, Salzburg/Wien 2020 (gem. mit Ch. Rapp). Loránd L. Mádly, wissenschaftlicher Mitarbeiter des „George Bariţiu“-Insti­ tutes in Cluj-Napoca/Klausenburg; Forschungsschwerpunkte: Geschichte und Edition historischer Quellen, Rechtsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Veröffentlichungen: Neoabsolutism and Liberalism. Nation and Habsburg Politics after 1848, in: Mihai I. Spariosu (ed.), Intercultural Conflict and Harmony in the Central European Borderlands. The Cases of Banat and Transylvania 1849–1939, Göttingen 2017; Consolidation, Integration, Modernization. From the Shaping of the Framework „Mitteleuropa“ to the European Union, in: Alberto Martinelli, Chuanqi He (eds.), Global Modernization Review. Modernity and Diversity in New Era. Proceedings of the IMF, Beijing 2018; Mişcarea naţională a românilor din Transilvania între 1849–1918. Documente, vol. VII-2, Bukarest 2019 (Mitherausgeber).

Kurzbiographien der Autorinnen und Autoren

667

Marco Mondini, Dozent für Konfliktgeschichte an der Universität Padua, Mitglied am ISIG-FBK in Trient und chercheur partenaire am UMR Sirice (CNRS – Paris Sorbonne). Er ist Präsidiumsmitglied des Centre International de Recherche – Historial de la Grande Guerre in Péronne und Bereichs-Herausgeber bei „1914-1918 online. International Encyclopedia of the First World War“. Neuere Publikationen: Fiume 1919. Una guerra civile italiana, Roma 2019; Il Capo. La Grande Guerra del generale Luigi Cadorna, Bologna 2017 (auf Deutsch erschienen 2020); La guerra italiana. Partire, raccontare, tornare (1914–1918), Bologna 2014; Narrating War. Early Modern and Contemporary Perspectives, Bologna/Berlin 2013 (gemeinsam mit M. Rospocher). Verena Moritz, tätig am Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien, Mitglied der Österreichisch-Russischen Historikerkommission und der Wissenschaftskommission des Bundesministeriums für Landesverteidigung; Forschungsschwerpunkte: Geschichte der Habsburgermonarchie und des Russischen Reiches im 19. und 20. Jahrhundert; Erster Weltkrieg, österreichische und sowjetische Geschichte im 20. Jahrhundert, Filmgeschichte, Intelligence history. Publikationen u. a.: 1917. Österreichische Stimmen zur Russischen Revolution, Salzburg/Wien 2017; Traces of Austria-Hungary and the First World War in Tsarist/Soviet/Russian Cinematography, in: Hannes Leidinger/Günter Bischof (eds.), Habsburg’s Last War. The Filmic Memory (1918 to the Present). Cinematic and TV Productions in the Neighbouring Countries and Successor States of the Danube Monarchy: Poland, Czechia-Slovakia, Germany, Hungary, Italy, Poland, Romania, Russia, Serbia, Slovenia, New Orleans 2018. Danilo Šarenac, tätig am Institut für Zeitgeschichte in Belgrad. 2011 Promotion an der Universität Belgrad; Forschungsschwerpunkte: soziale und kulturelle Auswirkungen der Kriege 1912–1918 auf die Balkanregion, Kultur- und Erinnerungskultur, Technikgeschichte. Aktuelle Publikationen: „The Final Push Against the Eternal Enemy“. The Serbian Preparations for the First Balkan War, in: International Journal of Political Science & Urban Studies 7 (2019); „Why did nobody control Apis?“ Serbian Military Intelligence and the Sarajevo Assassinations, in: Mark Cornwall (ed.), Sarajevo 1914, London 2020. Natal’ja Viktorovna Suržikova, Doktor der Geschichtswissenschaften, stellvertretende Direktorin des Institutes für Geschichte und Archäologie der Ural-Abteilung der Russischen Akademie der Wissenschaften; Forschungsschwerpunkte: Geschichte Russlands in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Militärische und revolutionäre Alltagsgeschichte, Kriegsgefangen-

668

Kurzbiographien der Autorinnen und Autoren

schaft und Flüchtlingswesen, Zwangsarbeit und ökonomische Mobilisierung, Ego-Dokumente und Methoden zur Selbstbeschreibung. Neuere Publikationen: Military captivity in the Russian province (1914–1922), Moscow 2014–2019; Russia of 1917 in ego-documents. Memoirs; Reporter’s Notes; Diaries; Letters, Moscow 2015; The First World War in the Mirror of Ego-Sources. Description Practices, Moscow 2019. Oswald Überegger, tätig an der Freien Universität Bozen, Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte; Forschungsschwerpunkte: Militär-, Gewalt- und Genozidgeschichte, Kulturgeschichte des Ersten Weltkrieges, Minderheitengeschichte, Regionalgeschichte des Alpenraumes, österreichisch-italienische Beziehungen. Neuere Publikationen: Im Schatten des Krieges. Geschichte Tirols 1918–1920, Paderborn 2019; Minderheiten-Soldaten. Ethnizität und Identität in den Armeen des Ersten Weltkriegs, Paderborn 2018. Julia Walleczek-Fritz, tätig am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg, Mitglied der Wissenschaftskommission des Bundesministeriums für Landesverteidigung, Forschungsschwerpunkte: Kriegsgefangenen- und Veteranenforschung, Erster Weltkrieg, historische Migrationsforschung, Kulturtourismus, Baukulturelles Erbe. Neuere Publikationen: Staying Mobilized. Veterans’ Associations in Austria’s southern Border Regions, Carinthia and Styria, during the Interwar Period, in: Zeitgeschichte 47/1 (2020); The Habsburg Empire’s Russian Prisoners of War and Their Experiences as Forced Laborers on the Austro-Hungarian Southwestern Front, 1915–18, in: Laurie S. Stoff et al. (eds.), Military Affairs in Russia’s Great War and Revolution, 1914–22, Book 1: Military Experiences, Bloomington/IN 2019.

Personenregister

Abdrašitov, E. E. 297 f. Afonin, Timofej 273 f. Alekseev, Michail V. 202 Allmayer-Beck, Christoph 151 Andrejka, Viktor 389 Andrian, Felix 256 Antonescu, Emanoil 354 f. Appel, Michael von 514 Arz von Straußenburg, Arthur 388 Baberowski, Jörg 502 Baechlé, Josef 529 Balla, Tibor 242 Ban, Mitrofan 395 Banea, George 354 Bassi, General 342 Battisti, Cesare 335 Bazini, Giulio 340 f. Beržatij, Petr 273 Betti, Ugo 339 Binički, Aleksandar 441 Binički, Stanislav 441 Blasszauer, Róbert 242 Blonay, Aymon de 321 Bogomolov, I. K. 295 Boia, Lucian 356 Bojović, Petar 315 Brendel, Heiko 96 Broucek, Peter 151 Burián, Stephan Rajecz von 368, 494 Cadorna, Luigi 332, 348, 524 Caracaş, Georghe 354, 366 Chianea, Stefano 340–342 Chickering, Roger 193 Chlumberg, Hans 105 Clam-Martinic, Heinrich 387 f., 390 Clark, Christopher 190 Clemenceau, Georges 128 Collins, Randall 424–427, 431 Comisso, Giovanni 337

Conrad, Franz von Hötzendorf 28, 79, 203, 367 f., 385, 477, 481, 509, 511, 552, 603 Ćorović, Vladimir 309 Czapp, Karl von Birkenstetten 107, 538 Czernin, Ottokar 368 Deutsch, Julius 504, 582 Đilas, Milovan 398 f. Dimić, Biljana 452 Dobrescu, Gheorghe 359 Djuković, Isidor 310 f., 315 Djuvara, Mircea 353 Dmitriev, V. 582 Doderer, Heimito von 115 f. Doyle, Arthur Conan 458 Durbach, Nadja 55 Dwinger, Edwin Erich 115 Edelmann, Thomas 65 f., 212, 221–223 Erben, Friedrich 257 Eugen, Erzherzog 107, 511, 517, 520, 590, 593–595 Falchi, Persio 334, 338 Ferguson, Niall 498 Ferrari, Pietro 342 f., 346 Fiziker, Róbert 233 Franz Ferdinand, Erzherzog 385, 438 Franz Joseph I., Kaiser 450, 514, 554, 590, 598 f. Friedrich, Erzherzog 511, 526 f. Gadda, Carlo Emilio 337, 339 f., 342 Gahlen, Gundula 366, 369 Galántai, József 232 Gaulle, Charles de 333 Gavrić, Momčilo 305 f. Geertz, Clifford 409 Giacomo, Leutnant 346 Gini, Corrado 331 Giuriati, Giuseppe 336

670

Personenregister

Goiginger, Ludwig 131, 495 Gorgolini, Luca 25 Groza, Mihai-Octavian 359 Grujić, Slavko 321 Gumz, Jonathan 188, 194, 554, 589 Halbaerth, Adolf 257, 266 Hämmerle (Ehrmann-), Christa 154 Haselsteiner, Horst 153 Hauptmann, Gerhart 458 Hazai, Samuel von 547–549, 551 Hegedes, Eduard 449 Hinz, Uta 32, 83–85, 187, 361, 490, 614, 619 Höfer, Franz 494 f. Horne, John 201, 412, 417 f., 420 Hospodarž, Eduard 388 Hubka, Gustav 387, 389 Hull, Isabel 193–195, 197, 412, 420, 471, 562 Ilić Marković, Gordana 99 Iorga, Nicolae 353 Iskruljev, Toša 309 Ivanov, I. f. 290 Jašvil’, N. G. 278 Jedina-Palombin, Ernst Freiherr von 503 Jergović, Filip 395 Jones, Heather 20, 58, 84, 168, 170, 187, 193, 197, 199, 201, 209, 216, 498, 562, 608, 615 Jungić, Theodor 460 Junk, Ernst 483, 486, 491, 598 Kammerer, Paul 82, 89, 90–93, 585 Karadjordjević/Karađorđević, Alexander 316, 375, 394 Karl I., Kaiser 136, 179, 479, 538, 554, 592–594, 608 Keller, Ulrich 405, 418 Kirchstätter, Gustav von 257 Kisch, Egon Erwin 439 Kiss, Gábor 249 Klante, Margarete 45, 133 Klemperer, Victor 32 Klose von Waldreut, Konrad 257 Kostrjukov, A. A. 296 Kovács, Henriett 96 Kovijanić, Risto 309

Kramer, Alan 61, 65, 195–197, 201, 412, 416–418, 420, 560 Krivcov, A. N. 271, 274, 283 Krivokapić, Dušan 309, 449 Krobatin, Alexander von 394, 438 Krstic, Milan 445 Kujacić, Nikola 394 Kusmanek, Hermann von Burgneustädten 495, 528 Landi, Stefano 341 Langer, Richard 257 Latzer, Franz 257 Lenin, Vladimir I. 289–291, 293 Levin, Kirill Ja. 285–287 Lieb, Peter 193, 214, 420 Linhart, Johann 64, 256 Linov, A. 284 Lukácsy, Sándor 458 Lukić, Nenad 47, 312 Lukšić, Filip 389 f. Lütgendorf, Kasimir Freiherr von 130, 148 Mádly, Loránd L. 96 Maikić, Kosta 447 Maior, Liviu 357, 358 Maksimović, Lazar 456 Maksimović, Vojislav 456 Mameli, Goffredo 342 Marghiloman, Alexandru 355 Martinović, Aleksandar 395 Masaryk, Tomáš Garrigue 262 Mayrhofer von Grünbühel, Josef 257 Mentzel, Walter 206 Miklas, Wilhelm 410 Milanković, Milutin 441 Milošević, Slobodan 305 Miodragović, Jovan 451 Mirko, Prinz 377, 396, 453 Modráček, František 256 Mondini, Marco 96 Monelli, Paolo 335, 341 Moretta, Rocco 336 Mortara, Giorgio 331 Mussolini, Benito 331 Nagornaja, Oksana 84 f., 175, 187, 296 f. Nedelmann, Birgitta 425

Personenregister Němec, Václav 261 Nicholas I (Nikola) 374 f., 453 Nicolescu, Andre 359 Nicolescu, Gheorghe 359 Nouzille, Jean 360, 367

Rohr, Franz 132 f. Romanova, Aleksandra V. 182, 278 Ronge, Maximilian 387 Roth, Joseph 115, 152 Rózsafi, János 236

Oberhummer, Eugen 384 Obradović, Dušan N. 309 Oltmer, Jochen 162 f., 242 Oprişan, I. Gr. 354 Orlando, Vittorio Emanuele 344, 347 Otahal von Ottenhorst, Franz 257 Otto, Eduard 384, 395 Overmans, Rüdiger 159

Salsa, Carlo 335, 346 Sani, Ugo 344 Šantić, Aleksa 439 Šarenac, Danilo 96 Scheidl, Franz 44–46, 49, 52 Schmidt, Antonín 255, 257 Schmidt, Mária 235 Schmidt-Zabiérow, Arthur von 378 Schmitz, Martin 498, 500, 515, 554, 561 Schücking, Walther 133, 146 Schumann, Dirk 423, 425 Seidler, Ernst von 555 Selaković, Milorad 455 Senjavskaja, Elena S. 295 f. Ševčenko, Taras 263 Shakespeare, William 458 Sironi, Guido 336 Smieth von Hocharnegg, Anton 256 f. Sofsky, Wolfgang 516 Sonnino, Sidney 63, 330 Spasić, Mihajlo 458 f. Spasić, Vukosava 458 Speed, Richard B. 188 Spiegelfeld, Markus Graf von 518, 581 Spitzer, Leo 90 Spraul, Gunter 418 Stefanović, Dušan P. 309 Sternbach, Paul von 396 Stibbe, Matthew 195, 205 Stojančević, Vladimir 311, 312 Streeruwitz, Ernst von 32 f., 47 f., 54, 88, 119 f., 126, 140, 143, 535, 537, 541, 545, 559, 560 Suppan, Arnold 153 Suržikova, Natal´ja 96 Suškin, Nikolaj Alexandrovič 264 Szabó, Dániel 232 f.

Pallavicini, Alexander 505 Pandurović, Vladislav 91, 308, 457 Pârâianu, Răzvan 356, 358 Pastorino, Carlo 339 Pavone, Oberst 347 Petitti di Roreto, Carlo 345 Pintér, Tamas 236 Pirandello, Stefano 341 Plaschka, Richard 153 Pöch, Rudolf 261 Pöhlmann, Markus 201, 417, 492, 502 Pók, Attila 235 Pollatschek, Robert 121 f. Pop, Ştefan Cicio 448 Popović, Ljubodrag 453 Potiorek, Oskar 447 Preissová, Gabriela 266 Preminger, Otto 117 Procacci, Giovanna 61, 196, 329, 331 Prodanović, Mileta 316 Pupin, Mihajlo 445 Putnik, Radomir 449 f. Raabl-Werner, Heinrich von 25, 47–49, 52 f., 72, 77, 79 f., 87, 118–120, 140, 143, 166, 170, 178, 185, 219, 493, 510, 583 Rašković, Bora 442 Rauchensteiner, Manfried 151, 154, 192 Ravnihar, Vladimir 564 Razgon, I. 284 Reed, John 310, 313 Reemtsma, Jan Philipp 409 Reiss, Rodolphe-Archibald 137, 312, 502

Tacconi, Sisto 335 Tecchi, Bonaventura 339 Tersztyánszky, Karl 519 Toller, Ernst 105

671

672

Personenregister

Tonelli, Erminia 347 Topalović, Živko 67, 313, 455 Toplica, Milan 445 Topor, Claudiu-Lucian 354, 355 Tresić-Pavičić, Ante 223 f., 445 f. Trubeckoj, Grigorij 316 Tunda, Franz 115

Vukić, Đuro 376, 395 Vukotić, Janko 377, 384, 390, 392, 396, 398

Überegger, Oswald 19, 98, 108, 497, 501, 508, 516 Ul’janskij, A. 285

Waldstätten, Egon Freiherr von 50 f. Weber von Webenau, Viktor 384–388, 390, 392, 397 Wegl, Josef 582 Wennerström, Thorsten 120 f. Wiesner, Friedrich 494 f. Wilfert, Karel 261 Wilhelm II., Kaiser 368, 493

Vasil’eva, S.N. 294 Vešović, Radomir 377, 384, 386, 390–394, 397 f. Vojinović, Ivo 439

Ždanov, N. M. 281–285, 289 Ždanova, I. A. 299 Zedwitz, Alfred Curt 130 Ziemann, Benjamin 498, 500