Kosmos Barock: Architektur - Ausstattung - Spiritualität. Die Stiftskirche Melk 9783205789963, 9783205789536

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Kosmos Barock: Architektur - Ausstattung - Spiritualität. Die Stiftskirche Melk
 9783205789963, 9783205789536

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WERNER TELESKO

KOSMOS BAROCK ARCHITEKTUR • AUSSTATTUNG • SPIRITUALITÄT DIE STIFTSKIRCHE MELK

2013 BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR



Gedruckt mit Untersstützung durch das Stift Melk und die Kulturabteilung des Landes Niederösterrreich

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Korrektorat: Irene Bisanz Umschlagabbildung: © Archiv des Autors Frontispiz, Vor- und Nachsatz: © Stift Melk © 2013 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG,Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, 1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Umschlaggestaltung: Michael Haderer,Wien Satz: Bettina Waringer,Wien Druck und Bindung: BALTO print, Vilnius Gedruckt auf chlor- und säurefrei gebleichtem Papier ISBN 978-3-205-78953-6



INHALT

1  EINLEITUNG: DER »KOSMOS« DER BAROCKEN KIRCHE ........................................7 2  DAS LANGHAUS: DIE »VATERFIGUR« – DER HEILIGE BENEDIKT ALS VERKÖRPERUNG DER BENEDIKTINISCHEN GEMEINSCHAFT............................................ 31 3  KUPPEL, CHOR UND HOCHALTAR: DIE »ECCLESIA« – DER TRIUMPH DER RÖMISCHEN KIRCHE......................................................................... 85 4  DAS QUERHAUS: DER BLUTZEUGE – DIE VEREHRUNG DES HEILIGEN KOLOMAN ...............................................................131 5  DIE SAKRISTEI: DAS ALTARSAKRAMENT – DIE VERHERRLICHUNG DER EUCHARISTIE.................................. 171 LITERATUR...................................................................................... 201

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„Oft ist das Schöne der Künste nur ein Schatten der überwältigenden Wahrheit des Christentums.“ (Hans Maier)

EINLEITUNG: DER »KOSMOS« DER BAROCKEN KIRCHE

Das vorliegende Buch trägt den Titel „Kosmos Barock“. Mit der Gleichsetzung dieser Begriffe sollen die Prinzipien einer bestimmten Denkform sowie einer Vorstellung von der Welt veranschaulicht werden, die darauf abzielen, die Darstellung der sichtbaren Dinge einer Ordnung zu unterwerfen. Der dabei zentrale Begriff des „Kosmos“ bezieht sich einerseits auf die Totalität des Universums (κόσμος), dem griechischen Mythos zufolge auf ein harmonisches Ganzes, andererseits aber ebenso auf eine Weltordnung als Systematisierung alles Seienden sowie als Realisierung bestimmter und historisch gewachsener Ordnungsvorstellungen. Seit der Väterliteratur (Patristik) kam dem Begriff Kosmos eine zentrale Bedeutung zu. Dabei wurde einerseits auf den kosmischen Charakter der christlichen Liturgie hingewiesen, die gleichsam Himmel und Erde umgreift, des Weiteren auf die Tatsache, dass Kosmos und Heilsgeschichte ebenfalls zusammengesehen werden müssen. Auch die Zeit kann als kosmisches Phänomen begriffen werden, da der Mensch bekanntlich in Orientierung auf die Gestirne lebt. Dieses Miteinander von Kosmos, Liturgie und Heilsgeschichte illustriert in instruktiver Weise jene Episode, der zufolge Papst 7

Einleitung: Der »Kosmos« der barocken Kirche

Abb. I.1: Einblick in das Langhaus der Stiftskirche Melk (© Stift Melk)

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E inleitung: Der »Kosmos« der barocken Kirche

Leo der Große (reg. 440–461) den gemäß alexandrinischer Tradition späten Termin des Osterfestes mit dem Hinweis kritisierte, Ostern müsse vielmehr in jene Zeit fallen, in der die Sonne den ersten Abschnitt des Tierkreises durchschreitet, also im Sternbild des Widders. Letzteres schien der ideale symbolische Ansatzpunkt zu sein, um aus kosmischer Perspektive sowohl auf das Opfer Abrahams, bei dem der Widder eine tragende Rolle spielt, als auch auf das „Lamm Gottes“ verweisen zu können. Der vielfältige „Kosmos“ einer barocken Kirche demonstriert in geradezu beispielhafter Weise den besonderen Charakter des barocken Systemdenkens. Die in eine anschauliche Ordnung und Hierarchie übersetzte Heilsgeschichte wird durch ihre Visualisierung erst richtig „lesbar“. Dabei geht es immer um den Zusammenhang des Ganzen anstelle des Herausstellens vieler kleiner Sachverhalte und partikularer Informationen. Die Stiftskirche Melk (Abb. I.1) steht dabei in den folgenden Ausführungen gleichsam paradigmatisch für Möglichkeiten und Grenzen der Ausstattung einer barocken Kirche überhaupt. Es wird in den folgenden Kapiteln detailliert zu zeigen sein, wie die barocke Sakralkunst in inhaltlicher und künstlerischer Weise mit vielfältigen Bezügen arbeitet, die auf eine übergreifende Idee, gleichsam auf die Totalität einer Fülle von „Erzählungen“ in ihren umfassenden Sinnbezügen zielen. Die einzelnen Phänomene und Gegenstände werden dabei nicht isoliert präsentiert.Vielmehr ist alles in ein fein austariertes Bezugsnetz unter der „Dominanz des Kulturell-Religiösen“ (Peter Hersche) eingebunden. Zudem sind die künstlerischen Resultate dabei nie von der dahinter stehenden Weltanschauung zu trennen: Christsein bedeutet letztlich eine radikale Revolution in Bezug auf den Charakter des Menschseins überhaupt: Es ist die Vorstellung vom Menschen, „[…] der vor dem Leben steht, dem ein unabsehbar Reiches sich ausbreitet, das wirklich ihm 9

Einleitung: Der »Kosmos« der barocken Kirche



Abb. I.2: Gesamtansicht der Decke des Langhauses der Stiftskirche Melk (© Martin Mádl, Tschechische Akademie der Wissenschaften, Prag)

Einleitung: Der »Kosmos« der barocken Kirche

gehören soll […]“ (Hans Urs von Balthasar): „Alles ist euer, […] Welt, Leben und Tod, Gegenwart und Zukunft: alles ist euer!“ (1 Kor 3, 21f.). Auch dieser Gesichtspunkt ist wesentlich für die barocke visuelle Kultur: Die Totalität des Seienden wird im Kontext barocker Ausstattungen mittels einer bestimmten inhaltlichen und künstlerischen Ordnung ausgebreitet und der Verfügungsgewalt des Menschen, des Betrachters, unterworfen. DIE EIGENSCHAFTEN BAROCKER BILDSYSTEME

Christliche Heilsgeschichte wird solcherart im Barock in ein umfassend geordnetes Bildsystem übergeführt, das die jeweiligen Aussagen mit bewussten Schwerpunktsetzungen an bestimmten Orten im Inneren eines Kirchenraums platziert. Nur an bestimmten Stellen im Kircheninneren können bestimmte Sujets ihre künstlerische und inhaltliche Wirksamkeit entfalten. Die dabei offenbar werdenden vielfältigen Bezüge untereinander – seien sie typologischer, erzählerischer oder rein motivischer Natur – machen gerade den „Beziehungssinn“ (Wolfgang Kemp) der christlichen Kunst in der Frühen Neuzeit aus. Zudem spiegelt die angesprochene Ordnung des barocken Kosmos die Modellhaftigkeit bestimmter Lebensformen und Anschauungen (Regel des hl. Benedikt, Tugendkataloge etc.). Ein wichtiger Aspekt dieses „Beziehungssinns“ hat somit zur Folge, dass eine bestimmte Relation zwischen dem als beispielhaft vorgestellten (Lebens-)Modell auf der einen (etwa gemäß den Tugendidealen eines Ordens) und dem Rezipienten auf der anderen Seite aufgebaut wird. Die Benediktinerstiftskirche von Melk (Abb. I.2 und I.3) verkörpert wie kaum ein anderer Kirchenbau in Mitteleuropa die Prinzipien barocker Ausstattung. Eine ungeheure Fülle unterschiedlicher Aussagen wird im Inneren der Kirche an den 12

Die Eigenschaften barocker Bildsysteme

Abb. I.3: Gesamtansicht der Kuppel- und Langhausfresken der Stiftskirche Melk (© Martin Mádl, Tschechische Akademie der Wissenschaften, Prag)

Betrachter herangetragen, der auf den ersten Blick fast überfordert scheint, diese in sinnvolle ästhetische wie inhaltliche Strukturen zu übertragen. Eben diese künstlerische und inhaltliche Fülle des barocken „Kosmos“ führt zu drei zentralen Fragestellungen des vorliegenden Buches:Wie „funktioniert“ eigentlich die Ausstattung einer barocken Kirche? Welche unterschiedlichen Aussagen und Inhalte werden mittels der bildenden Kunst an den Betrachter gerichtet? Welche Möglichkeiten existieren, um die essentiellen christlichen Themenkreise in der bildenden Kunst adäquat wiederzugeben? Die Theologie selbst hat diese Fragen in ihrer fundamentalen Relevanz erkannt und hinsichtlich der „Sichtbarkeit“ des Phänomens Kirche bereits bestimmte Aussagen getroffen: „Die Sichtbarkeit der katholischen Kirche ist demnach innerlich un13

Einleitung: Der »Kosmos« der barocken Kirche

terschieden von jener Sichtbarkeit, die den heidnischen Religionen wie der Religion des Alten Testamentes zugeordnet ist.“ (Joseph Ratzinger). Zudem muss aber die Kirche in dynamischer Hinsicht verstanden werden, meint doch der Begriff der „Ekklesia“, der Kirche, sowohl den „aktuellen Vorgang des Versammelns wie die versammelte Gemeinde selbst“ (Hans Küng). IN WELCHER HINSICHT IST DIE BAROCKE BILDERSPRACHE »LESBAR«?

Allzu selbstverständlich wird heute der reiche Typenvorrat der barocken „Bildersprache“ als künstlerische Übersetzungsleistung zentraler christlicher bzw. theologischer Inhalte gesehen. Aber eben dieser Prozess der Übersetzung und Transformierung hochkomplexer christlicher V   orstellungen und Lehrinhalte in für den Betrachter „lesbare“, d.h. verständliche Bild­ typen ist erstens ein recht vielschichtiger Vorgang und zweitens mit zahlreichen Schwierigkeiten verknüpft. Diese bestehen vor ­allem darin, dass Bilder nur bedingt die Mysterien einer ­wesentlich in der Transzendenz verankerten Heilsgeschichte zu vermitteln vermögen. Letztlich bedienen sich auch die Evangelien einer ausgesprochen bildhaft erzählenden Sprache der Verkündigung mit einem reichen Vorrat an Mythen, Legenden und Symbolen. Gerade letzterer Punkt formuliert eine immer wiederkehrende Problemstellung, da die schriftliche theologische Auslegung offenbar über ganz andere Möglichkeiten verfügt, um sich einem komplexen heilsgeschichtlichen Themenkreis anzunähern: Predigt und Katechese sind hier die wichtigsten Funktionen im kirchlichen Unterricht, die auch eine zentrale Bedeutung für die bildende Kunst besitzen. Der Betrachter barocker Kirchen wird in vielen Fällen zu schriftlichen Auslegun14

»VISUELLE EXEGESE«

gen, Kommentaren etc. greifen müssen, um bildliche Programme besser – d.h. konkreter vor dem Hintergrund der jeweiligen geschichtlichen Entwicklung – verstehen zu können. »VISUELLE EXEGESE« ALS ANSCHAULICHE FORM DER VERMITTLUNG VON INHALTEN

In einer Art Gegenposition zu dieser textabhängigen Vermittlung von Inhalten hat die Kunstgeschichte in den letzten Jahren an zahlreichen Beispielen deutlich machen können, dass es auch so etwas wie eine „visuelle Exegese“ gibt, die im Idealfall den Betrachter in die Lage versetzen kann, anhand der Sichtbarkeit und Sichtbarmachung ästhetischer Strukturen sowie der Morphologie einer Ausstattung bestimmte Sinngehalte ohne ikonografisches, d.h. schriftlich gebundenes Vorwissen abzulesen. In diesen Fällen wird der Betrachter gleichsam an der Hand genommen und diesem mit Hilfe anschaulich unmittelbar erfahrbarer Bezüge, die offensichtliche sowie versteckte Durchund Einblicke im Kirchenraum mit einbeziehen, die inhaltliche Struktur eines barocken Raumes nähergebracht: Im berühmten und heute nicht mehr überlieferten Zyklus der Antwerpener Jesuitenkirche, im Jahr 1621 von Peter Paul Rubens fertig gestellt und ehemals aus 39 Deckenbildern bestehend, wurden etwa auf der Basis typologischer Strukturen vielfältige Bezüge formuliert, die ehemals dem durch den Raum Schreitenden ein persönliches „Lesen“ des Zyklus ermöglichten. Aber auch am Ende der Barockzeit sind derartige Phänomene nachzuweisen: In der von Martin Knoller ausgemalten ehemaligen Benediktinerstiftskirche von Neresheim, die erst im Jahr 1792 geweiht wurde, sind die Kuppelfresken im zentralen Ovalbau in der Weise angeordnet, dass sie dezidiert auf die Sichtbarkeit in Bezug auf den vom Eingang Kommenden angelegt sind, der die dargestellte 15

Einleitung: Der »Kosmos« der barocken Kirche

Versammlung von Heiligen wie in Form eines „heruntergeklappten“ Bildes in optimaler Weise wahrnehmen kann. An diesen beiden Beispielen wird bereits deutlich, dass die kirchliche Kunst der Barockzeit auch etwas Instrumentelles-Regiehaftes auszeichnet – mit dem Ziel, Inhalte in optimaler Weise einem breiteren Publikum näherbringen zu können. Der solcherart im Kircheninneren visuell vermittelte Abriss einer Heilsgeschichte ist aber nie eins zu eins auf einen Text zu übertragen, sondern immer in höchstem Maße an den spezifischen bildlichen Charakter seiner Mitteilung gebunden. Barocke Ausstattungen im Allgemeinen, jene in Kirchen im Besonderen, stellen somit einen idealen Schnittpunkt dar, um diesen sensiblen Fragen des Verhältnisses zwischen Wort und Bild bzw. zwischen Theologie und bildender Kunst nachzuspüren. Der Betrachter ist letztlich Teil eines dynamischen ­Erfahrungsraumes, der ihm mittels Ortswechsel überraschende Blickrichtungen, Durchblicke und darauf basierend neue ästhetische und inhaltliche Einsichten ermöglicht. Dazu kommen weitere Problemstellungen, die für den Betrachter zentrale Relevanz besitzen: Der Kirchenbau ist aufgrund seiner Hauptfunktion in erster Linie ein Raum der Gegenwart Gottes. Diese zentrale Aufgabe wird vor allem durch die liturgisch reglementierte Praxis des täglichen Kultes in Messe und Chorgebet erfüllt. Für Melk wie für zahlreiche andere Kirchenbauten der Frühen Neuzeit gilt zudem, dass aufgrund der Funktion des Baus als Klosterkirche nur ein eingeschränkter Kreis von Betrachtern die gesamte Ausstattung in allen Dimensionen ihres Reichtums uneingeschränkt erfahren konnte. Aus der Perspektive des Betrachters einer barocken Kirche stellt sich somit die Frage, in welchem Verhältnis zum Kultus eigentlich die bildliche Ausstattung steht. In welcher Hinsicht können also die komplexen bildlichen Darstellungen überhaupt als 16

»VISUELLE EXEGESE«

„Repräsentation“ bzw. Wiedergabe der „Wirklichkeit“ (Gottes) fungieren? Welche Kunstgriffe müssen eingesetzt werden, um gleichsam so etwas wie eine bildliche „Präsenz“ Gottes erzeugen zu können. Wie kann die „dramatische Geschichtsdarstellung“ (Hans Küng) der Evangelien möglichst plastisch in der Kunst vor Augen geführt werden? In welcher Weise sind bildliche Darstellungen einerseits und die Predigt andererseits konkret auf den Betrachter bzw. den Gläubigen im Sinne einer direkt an den Betrachter adressierten Heilsgeschichte bezogen? Aus diesem reichen Bündel an Fragestellungen wird deutlich, dass die angesprochenen Problemkreise keine isolierten Themenblöcke darstellen, sondern letztlich eng miteinander verflochten sind. Die spezifische „Lesbarkeit“ einer barocken Kirche kann einerseits eine „Lesbarkeit“ bzw. ein Verständnis bedeuten, die der Betrachter mit Hilfe schriftlicher Quellen herstellt, anderseits geben ihm – wie konkret zu zeigen sein wird – Bau und Ausstattung selbst reiche Anleitungen zu visuellen Erfahrungen während des Aufenthaltes im Raum. „Lesbarkeit“ als solche bezieht sich zugleich immer auf die Bibel und andere Texte, die in der Liturgie gegenwärtig sind und in einem bestimmten Verhältnis zur bildlichen Ausstattung gesehen werden müssen. So etwa gewinnen die bildlichen Stationen einer Heiligenlegende dann eine besondere Prägnanz, wenn sie einerseits in der Liturgie grundgelegt sind und zugleich an prominenten Stellen in der Ausstattung der Kirche in Gestalt einzelner Abschnitte der Legende „abgelesen“ werden können. Aus dieser Perspektive formiert sich die Kirche zu einer wahrhaft multimedialen Ganzheit, die vom Betrachter und „Hörer“ der Liturgie auch entsprechend wahrgenommen werden kann. Dieser „Hörer“ der Liturgie war in der Barockzeit aber in besonderer Weise auch immer ein im Wortsinn alle menschlichen Sinne einsetzender Schauender und Riechen17

Einleitung: Der »Kosmos« der barocken Kirche

der und somit über die Fülle seiner Sinne am Reichtum der ihm dargebotenen Erscheinungen beteiligt. Dazu kommt das essentielle Faktum, dass zwischen dem Wort und der Geschichte gerade im Christentum ein höchst spezielles Verhältnis existiert, dessen Ausprägung damit zusammenhängt, dass das Wort nach christlicher Auffassung nicht einfach als schriftliche oder sprachliche Mitteilung der Heilsgeschichte verstanden werden kann: „[…] Geschichte ist nicht einfach eine Illustration für die alten Worte, sondern die Wirklichkeit, auf die die Worte warteten. Sie war in den Worten allein nicht erkennbar, aber die Worte kommen zu ihrer ganzen Bedeutung durch das Ereignis, in dem sie Wirklichkeit werden.“ (Joseph Ratzinger). Dies zeigt, dass es kaum möglich sein dürfte, aus dem „Kosmos“ einer barocken Kirche ein bestimmtes Einzelelement gleichsam herauszugreifen, in isolierter Weise zu behandeln und einer Interpretation zuzuführen. V   ielmehr kommt es darauf an, die unterschiedlich eingesetzten Medien in ihrer spezifischen Wertigkeit und Funktionalität wahrzunehmen, in ihrer Relevanz im Gesamtgefüge einer Ausstattung zu beurteilen und in der Folge zu deuten. Diese Notwendigkeit führt zur Frage, ob überhaupt so etwas wie ein übergreifendes Gefüge, das diese Bezeichnung verdient, existiert. Gibt es also einen ästhetischen und/oder thematischen Nenner, auf den die vielfältigen Erscheinungen gebracht werden können oder löst sich das Ganze nicht vielmehr in eine zum Teil verwirrende Vielfalt von Altarbildern, Skulpturen, Fresken und Stuckdekorationen auf? DIE »SICHTBARKEIT« DER KIRCHE

Diese Frage kann nicht eindeutig beantwortet werden. Zu unterschiedlichen Zeiten wurden unter unterschiedlichen liturgischen Verordnungen und unterschiedlichen Rezeptionsbedin18

Die »Sichtbarkeit« der Kirche

gungen unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt.Was aber auffällt, ist das Faktum, dass sich in der Stiftskirche Melk – wie auch in anderen Ausstattungen des 18. Jahrhunderts – eine besondere Intention Bahn bricht, nämlich jene der Visualisierung der Kirche („ecclesia“) in ihrer Gesamtheit und in ihrer engen Verbindung mit dem jeweiligen kirchlichen Orden, der gleichsam als Hüter und Verteidiger der Glaubensreinheit gesehen wird: In Bezug auf die Melker Stiftskirche bedeutet dies konkret, dass damit automatisch zwei inhaltliche Hauptstränge erkennbar sind – einer, der auf die auf den Apostelfürsten Petrus und Paulus ruhende römisch-katholische Kirche zielt, und ein anderer, der den Benediktinerorden mit dem Ordensvater Benedikt an der Spitze unmissverständlich in das Zentrum stellt. Beide Themenkomplexe werden im Kontext der Neugestaltung des Stiftes ab dem frühen 18. Jahrhundert nicht voneinander abgesetzt oder isoliert präsentiert, sondern zu einer neuen, komplexen inhaltlichen und künstlerischen Einheit verwoben, die darauf abzielt, Melk aufgrund seines Ranges als traditionsreiches Benediktinerkloster eine besondere historische Stellung zu verleihen. Wie kann man aber die „Kirche“ als solche überhaupt sichtbar machen? Hier stößt man wieder an das oben angedeutete grundsätzliche Problem der Möglichkeiten und Grenzen christlicher Kunst: Auf der einen Seite existiert zwar ein kodifizierter bildlicher Typus, der etwa die katholische Kirche als Einzelfigur in Gestalt der „Papstkirche“ mit bestimmten Attributen veranschaulicht, auf der anderen Seite gibt es zahlreiche andere künstlerische Varianten, wie die Kirche in ihrer Gesamtheit visualisiert werden kann, so etwa über die Versammlung der Heiligen, das Sakrament der Eucharistie oder die Erfüllung des Alten im Neuen Testament (Typologie). Zieht man Aussagen bedeutender Theologen heran, so wird man allerdings auf eine ganz andere Spur gebracht, die mit der 19

Einleitung: Der »Kosmos« der barocken Kirche

Visualisierung und einer ikonografischen „Sichtbarkeit“ der Kirche vorderhand nichts zu tun hat. Der bedeutende französische Jesuit Henri de Lubac (1896–1991) etwa fasst den Begriff Kirche auf der Basis der paulinischen Theologie vor allem aus sakramentaler Perspektive: „Die Kirche ist das Sakrament Jesu Christi.“ […] „Haupt und Glieder bilden einen einzigen Leib, einen einzigen Christus. Der Gemahl (Christus, W.T.) und die Gemahlin (die Kirche, W.T.) sind ein einziges Fleisch.“ Joseph Ratzinger, Papst Benedikt XVI., formuliert auf der Basis von Augustinus: „Die Kirche ist eben das als Leib Christi bestehende Volk Gottes.“, oder an anderer Stelle: „Die Kirche ist das Volk Gottes, das vom Leib Christi lebt und in der Eucharistiefeier selbst Leib Christi wird.“, ähnlich der katholische Theologe Heinrich Schlier: „Die Enthüllung und Erbauung des in Christi Kreuzesleib eröffneten Heilsraumes geschieht aber zuletzt in der Eucharistie.“ In allen diesen Zitaten wird „Kirche“ mit Hilfe einer spezifisch theologischen – letztlich am Wesen der Sakramente orientierten – Begrifflichkeit definiert, die erst auf der Basis eines umfassenden Wissens zu den Wesenseigenschaften der Kirche ein tieferes Verständnis ermöglicht, jedoch vorderhand nicht geeignet scheint, eine Brücke zu den anschaulichen Dekorationen im Inneren barocker Kirchen zu schlagen. Noch komplexer wird die Angelegenheit, wenn man Zeugnisse der frühchristlichen Theologie heranzieht, die sich durch eine besonders anschauliche Sprache auszeichnen. So etwa formuliert der Kirchenschriftsteller Hippolyt (frühes 3. Jahrhundert): „Denn niemals hört die Kirche auf, aus ihrem Herzen den ­Logos zu gebären, […]“. Im Zentrum dieser interessanten Äußerung steht somit ein dynamischer Prozess des immer neuen Geborenwerdens Christi, der eng mit der andauernden Tätigkeit der Verkündigung der Kirche verbunden ist. 20

Die »Sichtbarkeit« der Kirche

Des Weiteren argumentiert die frühchristliche Theologie durchgehend mit Doppelbedeutungen, etwa den „Leib Christi“ betreffend, sodass der von Irenäus († um 202) gebrauchte Begriff „de ventre Christi“ („aus der Seite Christi“) sowohl den real-physischen Leib Christi als auch allegorisch die aus Christi Seite geborene Kirche bezeichnen kann. Gerade diese Fülle von Begriffen, die in den entsprechenden Auslegungen zueinander in Beziehung gesetzt wurden, letztlich aber alle nur in Bezug auf Christi Wirken und dessen Eigenschaften bedeutungsmächtig sind, macht es fast unmöglich, diesem kolossalen sprachlichen Bilderreichtum einen adäquaten aus dem Bereich der bildenden Kunst zur Seite zu stellen. Theologie auf der einen Seite und die bildende Kunst auf der anderen Seite kreisen somit mit einer gewissen Eigengesetzlichkeit um Phänomene, die beide Seiten im Kern betreffen. Die ältere Forschung hat dieses schwierige Verhältnis zwischen Kunst und Theologie erkannt, aber vorwiegend relational im Sinne einer Beziehung zwischen „geistig“ – „materiell“ gedeutet. So fasst etwa Joseph Sauer (1872–1949) in seiner wegweisenden Studie zur Symbolik der Kirche im Mittelalter die zahlreichen von ihm untersuchten Quellen zu einer Schlussfolgerung zusammen, indem er als Grundgedanken der Symbolik des Gotteshauses die Vorstellung ansieht, dass „die materielle Kirche ein Abbild der großen geistigen“ sei. Doch mit dieser knappen Gleichung „Ecclesia materialis significat Ecclesiam spiritualem.“ wird eine verkürzte Konstruktion hergestellt, welche die mittelalterlichen Schriftsteller zwar in vielfacher Weise ausgesprochen haben, die aber kaum der komplexen Wirklichkeit eines Kirchenbaus und seiner Ausstattung entspricht. Am Beispiel der berühmten Marienwallfahrtskirche von Birnau am Bodensee (1750 fertig gestellt) machte etwa der Kunsthistoriker Hermann Bauer (1929–2000) deutlich, dass gerade die Freskendekoration 21

Einleitung: Der »Kosmos« der barocken Kirche

einer­Barockkirche eine „Gleichzeitigkeit mehrerer möglicher Betrachtungsmodi“ im Sinne einer „kunstvollen Mehrdeutigkeit“ bewirken kann: Die künstlerisch reich ausgestattete Kirche wird aus dieser Perspektive zu einem idealen, himmlischen Schauplatz; andererseits ist sie zugleich der konkrete Ort eines quasi-historischen Geschehens. Die bis heute zu wenig untersuchte Gattung der Predigten von Einweihungen barocker Kirchen bzw. der barocken Predigten insgesamt bietet hier ein entsprechend breites Material zur Veranschaulichung dieser unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen. Sieht man die entsprechenden Predigten auf ihre Schlüsselbegriffe (beginnend mit dem Haupttitel) durch, so kann man erkennen, dass die jeweilige Kirche diesen Interpretationen zufolge in höchst vielfältiger Weise als Wohnung, Hof, Palast oder Audienzsaal Gottes verstanden wurde – mit entsprechenden Konsequenzen in Bezug auf die Interpretation der inhaltlichen Ausrichtung der Ausstattungen. Häufig wurde um ein Bibelwort, um einen einzigen Satz oder auch nur um einen Begriff die umfassende Deutung eines Kirchenraums entwickelt. Die jeweilige Barockkirche konnte aus dieser Perspektive zu einem „zweiten“ und „neuen“ heilsgeschichtlichen Ort mit hoher imaginativer Präsenz werden. Zudem wird aus der kunsthistorischen Analyse dieser Kirchen deutlich, dass die Deckenmalerei nie ohne Einbeziehung der Architektur interpretiert werden kann und in zahlreichen barocken Bauten – etwa mittels der Illusionsmalerei – die eigentliche architektonische Substanz und die Malerei unmittelbar aufeinander bezogen sind. Die Weiterführung der Realarchitektur in die gemalte Bildarchitektur und die damit verbundene Einheit von Malerei und Architektur gewährleisteten solcherart eine heilsgeschichtliche Interpretation des Kirchengebäudes.

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ZEITLICHKEIT UND ÜBERZEITLICHKEIT

ZEITLICHKEIT UND ÜBERZEITLICHKEIT ALS ZENTRALE FAKTOREN CHRISTLICHER WELTANSCHAUUNG

Ein zweiter zentraler Punkt, der es wert ist, dass man ihn unter dem gemeinsamen Aspekt von Theologie und bildender Kunst betrachtet, ist jener der Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit. Dieser Komplex ist für alle Fragen der V   isualisierung auch deshalb so interessant, da gerade über die Thematisierung des Zeitbegriffs eine zentrale Kategorie christlichen Selbstverständnisses berührt wird. Auch hier steht die bildende Kunst vor einer nicht geringen Herausforderung in der künstlerischen Umsetzung, da dem Ereignis der Menschwerdung Christi von Seiten der Theologie auf der Basis biblischer Zeugnisse (vgl. Gal 4, 4) eine „endgültige qualitative Veränderung in der Zeitlichkeit“ (Jean Daniélou SJ) zugeschrieben wurde. Wenn mit diesem einschneidenden Geschehen der Inkarnation „das endgültige Ereignis bereits eingetreten [ist]“ und Christus als „das bereits geschenkte Endziel“ (Jean Daniélou SJ) angesehen werden kann, so bedeutet dies in schlüssiger Weise, dass Christus als „Angelpunkt der Geschichte“ (Jean Daniélou SJ) eine so fundamentale zeitliche Position verkörpert, dass diese letztlich jede menschliche Zeitvorstellung zu sprengen vermag. Besonders das Jesuswort „Ehe Abraham war, bin ich.“ (Jo 8, 58) verdeutlicht dieses Paradoxon, welches das christliche Ereignis als „Gegenwart erfüllter Ewigkeit in der Zeit“ (Hans Urs von Balthasar) ansieht und das Vorausexistieren des Gottessohnes in Gottes Ewigkeit zum Inhalt hat. Christus als der „letzte Adam“ ist – nach einer höchst anschaulichen Formulierung des Theologen Hans Urs von Balthasar (1905–1988) – „immer schon der, der geblutet hat, […].“.  Auch andere Bibelstellen vermögen zu veranschaulichen, dass im Sinne dieser Idee der Präexistenz Jesus zu dem wird, was er sowohl vorweltlich wie 23

Einleitung: Der »Kosmos« der barocken Kirche

auch irdisch eigentlich schon ist: Jesus lässt sich vom Vater auferwecken, um mit allen Insignien der göttlichen Souveränität bekleidet zu werden – unbeschadet der Tatsache, dass ihm diese Insignien vorweltlich bereits zukommen (Phil 2, 6; Jo 17, 5). So bilden heilsgeschichtliche Ereignisse häufig eine untrennbare, aufeinander verweisende Sinneinheit, wenn etwa Auferstehung und Erhöhung Christi als zusammengehörig betrachtet werden müssen und die jeweiligen Ereignisse nicht isoliert als solche zu sehen sind, sondern immer vor dem Hintergrund einer größeren Bedeutungsdimension: „Die Bedeutsamkeit (der Auferstehung, W.T.) ist vom Ereignis nicht zu trennen. Dieses geschah vielmehr so, dass es sich in seiner Bedeutsamkeit ereignete.“ (Heinrich Schlier). Ein letztes Beispiel in dieser Hinsicht stellt 2 Kor 8, 9 dar: Hier ist die Rede von Christus, der reich war und für die Menschheit arm geworden ist, damit diese durch seine Armut zu Reichtum kommen könne. Diese eigenartige textliche „Paradoxformel“ besitzt eine spannungsreiche „innere Dynamik, die sich vor allem in einer Finalität äußert.“ (Hans Urs von Balthasar): Der eigentlich Reiche wird arm, damit jene, die arm sind, reich werden können. Aussagen dieser Art können von der bildenden Kunst mit dem Repertoire traditioneller Typenbildungen praktisch nicht in adäquater Weise wiedergegeben werden. Christliche Kunst ist somit mit dem grundsätzlichen Problem konfrontiert, dass zahlreiche zentrale Begriffe bzw. Phänomene sowie ihre in der Bibel verankerte schriftliche Grundlegung eine extensive Spannung und Dynamik beinhalten, die letztlich auf ein Erfüllt-Werden bzw. auf umfassende zeitliche bzw. moralische Veränderungsprozesse abzielen. Die christliche Kunst kennt zwar seit ihrem Anbeginn verschiedene Argumentationsfiguren, die nicht-lineare Zeitanschauungen versinnbildlichen: An erster Stelle ist hier die für das Abendland grundlegende Denkform der Typologie 24

Die Tradition als Quelle, Legitimation und Anregung

als Beziehung zwischen dem Alten und dem Neuen Testament zu nennen. Dabei werden Vergangenheit und Zukunft, Altes und Neues, konkret typos und antítypos, zu einer untrennbaren Konstellation zusammengedrängt: „Das Messianische ist nicht einfach eine der beiden Grenzen dieser typologischen Beziehung: Es ist diese Beziehung selbst.“ (Giorgio Agamben). Trotzdem bleibt man mit der prinzipiellen Schwierigkeit konfrontiert, dass das Abschreiten jedes Kirchenraums primär an die reale Zeiterfahrung des Betrachters gebunden ist und damit bestimmte Darstellungen der Heilsereignisse nur im zeitlichen Nacheinander, nicht aber dialektisch erlebt werden können. DIE TRADITION ALS QUELLE, LEGITIMATION UND ANREGUNG

Ein letzter grundsätzlicher Fragenkomplex betrifft die Bedeutung der Tradition für Theologie und bildende Kunst: Wer verschiedene barocke Kirchenräume katholischer Prägung besucht hat, wird merken, dass hier kein kodifiziertes oder standardisiertes System der Dekoration vorliegt, sondern dass in einer sehr anpassungsfähigen und zugleich vielschichtigen Weise ein tragender Grundgedanke zum Ausdruck gebracht wird – und zwar jener der Bedeutung der Vermittlung von Lehrinhalten durch Jahrhunderte hindurch – oder, um es mit den Worten des bedeutenden italienischen gegenreformatorischen Theologen Robert Bellarmin (1542–1621) zu sagen: „Was sich bei den Aposteln nicht findet, findet sich bei den Propheten, was in der Schrift nicht steht, das wird uns durch die lebendige Überlieferung vermittelt.“ (Josef Rupert Geiselmann). Überspitzt formuliert: Es existiert somit immer eine durch die Kirchengeschichte vermittelte Referenzquelle, die als Ausgangspunkt oder Folie hinter der Vermittlung von Heilsgeschichte steht 25

Einleitung: Der »Kosmos« der barocken Kirche

bzw. benützt werden kann. Der Kanon 19 des 2. Trullanischen Konzils (692) betonte etwa ausdrücklich, dass es zur Rechtgläubigkeit gehöre, die ganze vielfältige Tradition zu bejahen, und das Tridentinum (1563) dekretierte, dass man – um die ganze Offenbarung empfangen zu können – aus den zwei grundlegenden Quellen, Schrift und Überlieferung, schöpfen müsse („Zwei Quellen-Theorie“). Im „Römischen Katechismus“ des Jahres 1566 war deshalb auch der Passus zu finden, dass die ganze kirchliche Lehre im Wort Gottes enthalten sei, das wiederum auf der Schrift und den Traditionen basiert. Damit hängt das Faktum zusammen, dass sich die Bibel als „Hauptquelle“ mit anderen Quellen der Tradition im Laufe der Jahrhunderte ineinander verzahnte: Die Heilige Schrift wurde durch Kommentare ausgelegt, die wiederum in die Liturgie eingeflossen sind und von dort – etwa über Predigten – eine spezifische Wirkkraft entfaltet haben. Die Theologie hat sogar Christus selbst durch seine persönliche Gegenwart, sein Werk und Opfer als „lebendige und konkrete Exegese der Schrift“ (Henri de Lubac SJ) bezeichnet. Es handelt sich somit bei dem, was übergreifend, zusammenfassend und eigentlich recht unscharf als „Tradition“ umrissen werden kann, um ein höchst engmaschiges textliches „Gewebe“, das an zahllosen Punkten aufeinander verweist und so eine unauflösliche Einheit im Sinne enger inhaltlicher Zusammenhänge konstituiert. Die Kirche ist in diesem Sinne der „sichtbare und geschichtliche Träger der Tradition“ (Yves M.-J. Congar OP) und sie hat diese Aufgabe im Rahmen der Realisierung künstlerischer Ausstattungen auch in der Hinsicht zu vollziehen, damit eine möglichst lückenlose Kontinuität zwischen dem „Christus­ ereignis“ und der jeweiligen Gegenwart gebildet werden kann. So wird sich auch bei der detaillierten Analyse der Melker Stiftskirche zeigen, dass etwa der Heiligenkult gezielt in der 26

DIE BEDEUTUNG DER VISUELLEN ERFAHRUNG

Weise eingesetzt wurde, um dadurch das Bekenntnis für Christus als ein zeitlich durchgehend gegenwärtiges zu veranschaulichen. In diesem Sinn war man an der optimalen Sichtbarkeit einer gleichsam ununterbrochenen Kette von Zeugen und Zeugnissen interessiert, die von den Heiligen der christlichen Frühzeit über die Päpste des Mittelalters und der Frühen Neuzeit bis zu den Ansprüchen der Klostervorsteher der Barockzeit reichen konnte. Matthäus Raders und Jacob Gretsers berühmte Einweihungsfestschrift „Trophaea Bavarica“ (1597) etwa führt den Kirchenraum von St. Michael in München als einen „universalen Zeitenraum“ vor – und zwar vom vorzeitlichen Engelssturz über die historische Leidenszeit der Kirche in den Märtyrerdarstellungen der Seitenaltäre bis zur Präsenz der Statuen der gegenwärtigen Herzogsfamilie an der Fassade. Auch in diesem Sinn einer ständigen Traditionsbildung kann die Kirche schlechthin als „der fortlebende Christus“ (Hans Urs von Balthasar) bezeichnet werden. DIE BEDEUTUNG DER VISUELLEN ERFAHRUNG UND DIE BAROCKE KIRCHE ALS »BILDRAUM«

Die Kirchenausstattung in Melk lässt sich nicht ohne die Besonderheiten der Entwicklung des barocken Bildkults verständlich machen. Der Katholizismus des 18. Jahrhunderts ist – um nochmals auf das hier angesprochene zentrale Verhältnis zwischen Wort und Bild zurückzukommen – ganz wesentlich eine „Religion der Schau“ (David Ganz/Georg Henkel) – allerdings im Sinne eines Kultes der visuellen Erfahrung, die in der Frühen Neuzeit dem Bild im Gegensatz zum Mittelalter eine neue Funktion zuordnet. Essentiell ist hier die historische Rolle des Tridentinischen Konzils (1545–1563), in dessen Nachwirkung das Bild zunehmend als Heilsträger entmachtet und als ein 27

Einleitung: Der »Kosmos« der barocken Kirche

Medium für die Verkündigung sowie die fromme Erbauung in Dienst genommen wurde. Die Fülle an Bildern, die sich jetzt im Inneren der Kirchen ergoss, war nun keine des Reichtums „heiliger“ Bilder (Gnadenbilder) mehr. Die Bilder der Heiligen sollten diesen nicht mehr „wesensähnlich“, sondern nur noch „äußerlich ähnlich“ sein. Damit bedeuteten bzw. repräsentierten Bilder auch etwas anderes als in den Jahrhunderten zuvor. Es wurde nun strikt darauf geachtet, zwischen der Präsenz Gottes in der Eucharistie und seiner visuellen Repräsentation in Form von Bildern zu trennen. Mit dieser Entwicklung einer stärkeren Bindung des Bildkults durch die Kirche war man andererseits frei, einen durch visuelle Mittel imaginierten Raum im Sinne von „Bilderbauten“ (David Ganz) zu gestalten, die quasi eine Realität sui generis vor Augen führen sollten. In raffinierter Weise stellte man nun die Bilder der Malerei und Skulptur in neue mediale, ikonografische und funktionale Kontexte und erreichte durch Kunstgriffe eine „um das Vielfache gesteigerte ästhetische Präsenz“ (David Ganz/Georg Henkel). Die solcherart realisierte „Verdichtung der Bildpräsenz“ (Thomas Lentes) im barocken Raum wirft allerdings nochmals die grundsätzliche Frage nach der Funktion der Kirche als „Bildraum“ auf, da ganz offensichtlich neben- bzw. miteinander mehrere Arten von Bilderwelten existieren: Auf der einen Seite hatten die Bilder – in Form von gemalten oder plastischen „Abbildern“ der Heilstatsachen – die Aufgabe, das Vergängliche der Heilsgeschichte sowie des kirchlichen Rituals in einem als „Farbraum“ gestalteten Kircheninneren in höchst lebensnaher Weise auszubreiten, auf Dauer zu stellen und somit entsprechend zu verewigen. Auf der anderen Seite konnten aber auch die zentralen Ereignisse der Liturgie und der Sakramente selbst als zumindest temporär wirksame „Bilder“ verstanden werden: In letzterem Sinn waren 28

Christliche Kunst und Repräsentation

dezidiert auf Sichtbarkeit angelegte Rituale wie die Elevation der Hostie und die Inzensation des Altars in höchstem Maße an der Visualisierung bzw.  Versinnlichung der Liturgie beteiligt. Die Messe selbst wiederum bedeutete für den bzw. die Gläubigen ein „Verlassen der Zeit und der Geschichte“ (Martin Mosebach) sowie das Eintauchen in einen neuen (mystischen) Erfahrungsraum mit eigenen Gesetzen. Beide hier skizzierten „Bilderwelten“ stehen letztlich im Dienst der „Repräsentation“ der Idee der Kirche. Nicht ohne Grund wurde letzterer Begriff auch als zentral für die katholische Kirche insgesamt angesehen und dieser eine besondere „Kraft zur Repräsentation“ (Carl Schmitt) zugesprochen: „Die Kirche will die königliche Braut Christi sein; sie repräsentiert den regierenden, herrschenden, siegenden Christus. Ihr Anspruch auf Ruhm und Ehre beruht im eminenten Sinne auf dem Gedanken der Repräsentation.“ (Carl Schmitt). Diese spezifische Art der Repräsentation hat wieder konkret mit den hier skizzierten Möglichkeiten und Grenzen von bildender Kunst in Bezug auf die Visualisierung der Kirche schlechthin zu tun. CHRISTLICHE KUNST UND REPRÄSENTATION

Es ist im Kontext kirchlicher Ausstattungen der Barockzeit eben nicht so, dass etwas, das einst präsent war und es nicht mehr ist, nun mit Hilfe der Möglichkeiten der bildenden Kunst gleichsam re-präsentiert oder zurückgeholt wird. Die Analyse der Ausstattung der Melker Stiftskirche wird in vielen Punkten zeigen, dass es im katholischen Christentum vielmehr um bildliche Repräsentation als Form dauernder Gegenwärtigsetzung in dem Sinne geht, als alle Teile der malerischen und plastischen Ausstattung dazu aufgerufen sind, die Spannung zwi29

Einleitung: Der »Kosmos« der barocken Kirche

schen dem vergangenen heilsgeschichtlichen Geschehen und der Gegenwart zu halten. Die „weltliche“ Zeit des „Jetzt“ – als die Zeit der Gegenwart und des Alltags – ist demgemäß in jedem Augenblick auf den vollendeten Sinn der Offenbarung Christi ausgerichtet: „Die Heilsgeschichte ist die Geschichte des Eingreifens Gottes, das die Geschichte begründet, entfaltet und vollendet.“ (Jean Daniélou SJ). Unter diesem Gesichtspunkt wird in einer barocken Kirche auch nicht nacherzählt, wieder in Erinnerung gerufen oder bildlich verdeutlicht bzw. unterstrichen, sondern eine ununterbrochene Verbindung zwischen dem fundamentalen historischen Christusereignis und der Zugehörigkeit des Einzelnen im Hier und Jetzt zu diesem ursprünglichen Ereignis mit allen Mitteln beschworen. Die Sprache des Neuen Testaments mit ihren bewusst eingesetzten Zeitbegriffen, die sich laufend auf die Betonung der Gegenwart beziehen (hodie, ecce), soll in besonderer Weise zeigen, wie das durch Christus neugewonnene Paradies Gegenwart geworden ist. Es geht somit immer um Gottes Offenbarung, „in der die wirkliche Kirche sichtbar wird.“ (Karl Barth). Aus diesem Grund sind auch die angesprochenen Faktoren des christlichen Zeitverständnisses und der Traditionsbildung für die bildende Kunst so zentral, da dadurch die Kluft zwischen dem „Einst“ (Geschichte des historischen Jesus) und dem „Jetzt“ (die jeweilige Gegenwart) geschlossen und die Vergangenheit als bildlich ständig wirksame Heilsgegenwart inszeniert werden kann. Die folgenden Kapitel sollen im Detail zeigen, mit welchen vielfältigen künstlerischen Mitteln diese „lebendige Vergegenwärtigung“ (Laurentius Koch OSB) im Rahmen des barocken Neubaus der Stiftskirche von Melk realisiert wurde.

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DAS LANGHAUS: DIE »VATERFIGUR« – DER HEILIGE BENEDIKT ALS VERKÖRPERUNG DER BENEDIKTINISCHEN GEMEINSCHAFT

ORDNUNGSSTRUKTUREN EINER BAROCKEN KIRCHE

Wenn man der für das vorliegende Buch zentralen Frage „Wie liest man eine barocke Kirche?“ nachgeht, dann erfordert das Wort „lesen“ in diesem Zusammenhang eine konkretere Bestimmung: Unter „lesen“ sind hier letztlich alle Faktoren einer gesamthaften Interpretation zu verstehen – sowohl das Erfassen der ästhetischen Strukturen eines Kirchenbaus (ausgehend von der architektonischen Disposition) als auch das „Ablesen“ der konkreten inhaltlichen Gesichtspunkte im Kontext der Fresken und Altarbilder. „Lesen“ bedeutet in diesem Sinn vor allem das Herstellen von Ordnungen und Strukturen im Raum durch die Konzeptersteller bzw. Künstler auf der einen sowie durch den Betrachter auf der anderen Seite. Die damit verbundene „Ordnung“ in der Ausstattung eines barocken Kirchenbaus unterstreicht, dass nicht jedes Thema in beliebiger Weise an jeder Stelle im Raum platziert werden konnte, sondern eine gewisse 31

LANGHAUS

Ordnungsstrukturen einer barocken Kirche

Abb. II.1: Blick in das Langhaus der Stiftskirche Melk nach Nordosten von der Empore aus (© Martin Mádl, Tschechische Akademie der Wissenschaften, Prag)

LANGHAUS

Hierarchie zur Anwendung kam, die sich auch in der künstlerischen Realisierung des Programms niederschlug. In der Regel sind deshalb dem Langhaus, der Kuppel sowie dem Chor bestimmte Themenkreise vorbehalten, die sich im Idealfall gegenseitig ergänzen und zu einer Gesamtaussage steigern. Die Realisierung dieser umfassenden Aufgabe hat auch zur Konsequenz, dass sich die künstlerischen Elemente auf übergreifende Gesichtspunkte beziehen und einer durchgehenden formalen Intention untergeordnet sind. In Melk hat etwa die Gestaltung der aufgehenden Wand von Langhaus und Chor eine vibrierende und flimmernd glänzende Raumschale zur Folge, die den umgebenen Raum gleichsam in dynamischer Spannung hält (Abb. II.1). Am deutlichsten wird dies in der aufeinander bezogenen Bewegung von vorschwingenden Emporen, denen im Gegenzug zurückschwingende Gebälkteile entsprechen. Das Melker Langhaus ist einheitlich durch korinthische Riesenpilaster mit umlaufendem Gebälk gegliedert. Offensichtlich wurde mit dieser plastisch und farbig deutlich akzentuierten Raumschale ein selbständiger künstlerischer Organismus angestrebt, der von den Malereien der Decke durch ein mächtiges und umlaufendes Gebälk deutlich getrennt ist. Die Gestaltung der aufgehenden Wand (Sockelzone: Marmor, Aufbau: Stuckmarmor) auf der einen und jene der Deckenmalereien auf der anderen Seite sind aber aufgrund der raffiniert umgesetzten Idee eines einheitlichen „Farbraumes“ wiederum in vielfacher Weise miteinander verschränkt und erzielen einen höchst innovativen Eindruck, der alle beteiligten Kunstgattungen in den Dienst ­einer suggestiven „Erscheinungsarchitektur“ stellt. Die folgenden Kapitel versuchen, die einzelnen Themenkreise in diesem „Farbraum“ vor dem Hintergrund ihrer künstlerischen Realisierung voneinander zu trennen, in ihrer­ Besonderheit herauszustellen und – ausgehend von dem kon34

Der barocke Neubau der Stiftskirche Melk

kreten Beispiel Melk – den Blick auf die grundsätzliche Entwicklungen und Möglichkeiten der Sakralkunst in der Barockzeit zu richten. DER BAROCKE NEUBAU DER STIFTSKIRCHE MELK

Die Genese der Programmatik der Ausstattung der Stiftskirche Melk gehört trotz vieler jüngerer Forschungen nach wie vor zu den noch ungelösten Problemfeldern des österreichischen Barock. Zu diesem weiten Fragenkomplex sind sowohl der konkrete Anteil des berühmten Melker „Bauabtes“ Berthold Dietmayr (reg. 1700–1739) (Abb. II.2) im engeren Sinn zu rechnen als auch die inhaltliche Ausrichtung des Programms und dessen schwierige visuelle Umsetzung. Am 30. Juli 1701 ließ Dietmayr, der am 18. November 1700 zum Abt des Stiftes Abb. II.2: Porträt des Melker Abtes Berthold Dietmayr aus: „Series Abbatum Mellicensium Honori Reverendissimi ac Amplissimi Sui Praesulis Bertholdi pro eiusdem consecrationis die à Priori et Conventu Mellicensi Devotissimo affectu aDornata aC DeDICata“ (Wien 1701) (© Österreichische Nationalbibliothek, Wien)

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LANGHAUS

Melk gewählt worden war und am 20. April 1701 von Papst Clemens XI. die Bestätigung erhalten hatte, über die weitere Vorgangsweise betreffend die Erneuerung der Stiftskirche im Sinne einer Entscheidung zwischen Erneuerung oder Neubau abstimmen. Dieser Tag sollte also zu jenem entscheidenden Datum werden, an dem sich das Schicksal des Aussehens des Melker Klosters erfüllte. Dietmayr selbst hatte eine deutliche persönliche Präferenz für eine radikale Lösung als Neubau.  Aus den 27 erhalten gebliebenen Stellungnahmen der Abstimmung im Konvent sind jene des Melker Paters Bonifaz Gallner, der für einen vollständigen Neubau der Kirche mit zwei Westtürmen und einer Kuppel votierte, und jene von Pater Basilius ohne Zweifel die interessantesten Dokumente. Besonders Pater Bonifaz, der in den Quellen des Stiftes als „Architector et Pictor“ bezeichnet wird, war aufgrund seiner Ausbildung in besonderer Weise dazu berufen, eine fundierte Meinung abzugeben. Essentiell für die folgende Gesamtplanung des Stiftes ist vor allem das Faktum, dass mit dem Tag der Abstimmung und den damit verbundenen Ergebnissen das zuvor ventilierte Umbauprojekt der Stiftskirche hinfällig wurde. Mit dem neuen Aussehen der Stiftskirche als Kuppelbasilika mit Doppelturmfassade gewann das Äußere – auch aufgrund der besonderen topografischen Lage des Stiftes – einen besonders repräsentativen Charakter. Doch auch bei näherer Betrachtung des Grundrisses des barocken Neubaus sind einige markante Auffälligkeiten zu bemerken: Das dreijochige basilikale Langhaus ist relativ kurz, und das Querhaus tritt kaum über die Außenmauern der Kirche hervor. Letzteres kann praktisch von außen kaum wahrgenommen werden. Den deutlichen Längszug des Kirchenneubaus unterstreicht zudem das ausladende Presbyterium, dessen zwei Joche einmal quadratisch, das zweite Mal queroblong gestaltet sind. Nicht 36

Der barocke Neubau der Stiftskirche Melk

unwesentlich in diesem Zusammenhang scheint weiters, dass die Ausstattungsgeschichte der neuen Melker Stiftskirche nicht primär von einem oder mehreren Künstlern gesteuert wurde, sondern vom Abt höchstpersönlich. Bereits in den Kontrakt mit dem Architekten Jakob Prandtauer (1660–1726) aus dem Jahr 1702 ließ Abt Dietmayr den Passus aufnehmen, daß ohne sein Wissen und Einverständnis nichts geändert werden dürfe, und im Jahr 1716 sicherte er sich sein Mitspracherecht im Falle der Freskierung der Kirche vertraglich ab. Als sodann 1702 der Bau der neuen Melker Stiftskirche tatsächlich in Angriff genommen wurde, besaß Dietmayr wahrscheinlich noch keine präzise Vorstellung, in welcher Weise das Riesenprojekt in Bezug auf Bau und Ausstattung konkret zu Ende geführt werden sollte. Am 6. April 1716 schloss der Abt mit dem Maler Johann Michael Rottmayr (1654–1730) einen Vertrag für die Anfertigung der Deckenfresken der Stiftskirche und die Ausführung zweier Altarbilder ab. Zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung blieb allerdings offen, ob „entweder nach dem Ihme Herrn Rothmayr vorlegenten oder von demselben selbst zu erfünden habenden Desegno“ zu freskieren sei. Dies bedeutet, dass zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar war, ob der Abt selbst oder der Maler das Konzept für die Fresken erstellen würde. Das für Rottmayrs Umsetzung entscheidende Bildkonzept wurde diesem in der Folge offenbar vom italienischen Dekorationskünstler Antonio Beduzzi (1675–1735) vorgelegt, dessen Entwürfe im Jahr 1716 vorhanden gewesen sein dürften. Letzterer erhielt in den Jahren 1718, 1720 und 1722 entsprechende Zahlungen für die Lieferung von Entwürfen zur Dekoration der Kuppel, des Chores und der Kreuzkapellen, der Langhausdecke sowie der Oratorien und Kapellen. Diese undatierten Entwürfe betreffen die Kuppel, die Kuppelpendentifs, das Presbyterium, die Leopoldskapelle 37

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sowie die Emporen. Die in der Plansammlung des Stiftsarchivs verwahrten Entwürfe Beduzzis für die Pendentifs weisen über die figuralen Kompositionen hinaus ausführliche inhaltliche Erläuterungen auf. Für das Langhaus ist hingegen kein Entwurf überliefert. Beduzzis Rolle in Bezug auf die Freskierung könnte man sich somit am besten in einer Funktion als Mittler zwischen dem namentlich nicht bekannten, aber höchstwahrscheinlich aus dem Kloster stammenden Konzeptersteller und dem ausführenden Freskanten Rottmayr vorstellen. Der italienische Künstler hätte dergestalt das ausführliche lateinische Programm („concetto“) in Entwürfe umgesetzt, das dann Rottmayr in der Folge zur Ausführung übergeben wurde. Rottmayr arbeitete in Melk somit nach einem Konzept des Abtes oder eines gelehrten Mitglieds des Konvents, orientierte sich aber offensichtlich an den Entwürfen Beduzzis, die mit Ausnahme der Langhausgewölbe vorliegen. Rottmayr hingegen „exekutierte“ keineswegs, was ihm vorgegeben war, sondern agierte aufgrund seines Gestaltungsreichtums selbst in der „Rolle eines Erfinders“ (Erich Hubala). Somit durchlief der Prozess der bildlichen Realisierung in Melk einen dreistufigen Ablauf, der von der inhaltlichen Grundlegung (von Seiten des Konvents) über die ikonografische Typenbildung (Beduzzi) bis zur endgültigen malerischen Gestaltwerdung (Rottmayr) nicht als linearer V   erlauf gesehen werden darf, sondern ganz wesentlich von der Eigendynamik der an diesem Schöpfungsprozess Beteiligten dominiert wurde. Das Endprodukt lässt zwar den schriftlichen Concetto deutlich durchscheinen, erfüllt diesen aber mit neuen Schwerpunkten inhaltlicher und erzähltechnischer Natur, die dem ausgeführten Werk mittels der kongenialen malerischen Ausführung eine selbständige Akzentsetzung verleihen.

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Das schriftliche Programm für die Deckenmalereien der Kirche

DAS SCHRIFTLICHE PROGRAMM FÜR DIE DECKENMALEREIEN DER KIRCHE

Die entscheidende Klärung der Programmatik der Kirche, vor allem in Bezug auf die konkreten Entstehungsumstände des Concetto in inhaltlicher Hinsicht, liegt aber trotz dieser Erhellungen im Bereich der künstlerischen Umsetzung nach wie vor weitgehend im Dunkeln. Nicht ohne Grund muss in allen diesen Fragen auf Abt Dietmayr als entscheidenden „Regisseur“ und oberste Instanz des Bauunternehmens in den Kompetenzen der Programmerstellung verwiesen werden. Diese gleichsam omnipräsente Bedeutung des Abtes für das Melker Bau- und Ausstattungsgeschehen wird nicht zuletzt auch aus einer undatierten und unsignierten Entwurfszeichnung Antonio Beduzzis für die zum Torwartlhof gewandte Seite des Eingangstraktes deutlich: Darin wird der auf der Spitze des Dreiecksgiebels angebrachte Stern als das für alle leuchtende Sinnbild des Klosters Melk bezeichnet, verweist doch der (goldene) Stern (in Blau) zusätzlich auf das persönliche Wappen Dietmayrs, das im ersten und vierten goldenen Feld die Hälfte eines schwarzen Adlers mit herausgeschlagener Zunge, ausgebreiteten Flügeln und vor sich gespreizten Waffen, im zweiten und dritten blauen Feld einen goldenen Stern sowie im Herzschild die Schlüssel des Stiftswappens zeigt. Der Adler, der in den Bildprogrammen des Stifts Melk noch häufig anzutreffen sein wird, ist in der barocken Kunst grundsätzlich eines der beliebtesten und inhaltsreichsten Symbole – und dies nicht zuletzt in Bezug auf die Aufgaben eines Klostervorstehers schlechthin. In den allegorischen Auslegungen der Benediktsregel tritt dieser Umstand besonders deutlich hervor: So wird etwa die Rolle des Abtes in den „Quinquagena symbolorum heroica […]“ (Krems/D. 1741) des Lilienfelder Zisterziensers Chrysostomus Hanthaler 39

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im „Symbolum VI“, das Bezug auf das zweite Kapitel der Benediktsregel nimmt, durch zwei junge Adler visualisiert, die einem älteren (vorausfliegenden) zur Sonne folgen („PRAEEVNTEM SEQVVNTVR“). Darüber hinaus ist in der Barockzeit der Adlerflug auch fixer Teil der monarchischen Symbolik. An diesen wichtigen Problemkreis des Anteils des Klostervorstehers an der Erstellung des Kirchenprogramms schließt sich notwendigerweise die Frage nach der spezifischen inhaltlichen Ausrichtung der Langhausfresken an, die nicht unabhängig von der monastischen und kulturellen Situation des Stiftes in den Jahren um 1700 gedacht werden kann. Entscheidend ist hier in erster Linie, in welcher Weise das im Archiv des Stiftes verwahrte schriftliche Programm zu den Deckenmalereien der Kirche neben der Verarbeitung des Hauptthemas, der Auffahrt des hl. Benedikt in den Himmel, mit aktuellen Ambitionen des Abtes in Verbindung gebracht werden kann. „Mellicensis ecclesiae fornicem pictorio decorandum opere implebit apparitio seu revelatio, quam de divi Benedicti ad coelos ascensu duo monachi indissimilem habuerunt, quamvis loco inter se distantes forent, eodem die quo eximius monachorum in occidente patriarcha pie ac sancte in Domino quievit. Apparitio ergo unus ex monachis, quibus visio se obtulit, nempe via admiranda et divinitus efformata, quae pretiosis instrata palliis et frequenti lampadum lumine hinc unde [sic!] illustrata recto Orientis tramite a terris empyreum usque protenditur. Astat vir habitu venerando et forma quae ipsum deceat conspicuus. Isque vir mysterium explicat; eam scilicet esse viam, qua Benedictus in coelum ascendit. Adsunt angeli circa monachum ipsum ut visionem celitus immissam demonstrent. Ascendens videtur ipse Benedictus auspicio Religionis eunden [sic!], manu ducentis atque Angelo itineris duce illum praecedente, obviam se gerit Angelus alter triumphalem chlamydem auro gemmisque distinctam caelesti canditato offerens, et Benedictus in 40

Das schriftliche Programm für dieDeckenmalereien der Kirche

via procedens Idololatriam acriter ac fortiter conculcatam premit, eo quod in Monte Cassino prophanum templum, ubi vesano cultu falsum Apollinis Numen adorabatur, Divo Martino sacrum fecit instaurata pietate ac vera Religione, quo in loco error et impietas temere dominabantur. Adest Castimonia et Poenitentia eiusdem comes individua: praecipue Benedicti virtutes, quarum haec tentationes vanasque Mundi illecebras exterminat, illa vero Asmodeum spinoso fasciculo profligatum dimittit, spinas scilicet demonstrans, quibus denudato corpore vir castissimus sese obvolvens satanam, carnisque irritamenta sedulo debellaverat. Plures angelorum chori opportunis locis intermixti triumphi pompam augent: alii enim praecedunt comitantur alii et invictum alii subsequuntur triumphatorem. Hinc flores plena manu alii spargunt illic [sic!] palmas et similia triumphi signa alii prae se ferunt. Plerique martyrii coronas, virginitatis stolas, cruces, tiaras meritorum et dignitatum ornamenta ac mercedes ostendunt: sicque foecundissimam Ordinis Benedictini subolem, tam quam Martyrum, Virginum, Confessorum, Episcoporum, Cardinalium, Pontificum atque beatorum amplissimum et perenne seminarium enunciant; ceterique imperatorias chlamydes, regalia diademata, principumque sceptra veluti religionis fastus, atque Benedictini instituti fasces conquisitas premonstrant. Plaudit triumphatori angelus, qui eum in praesentis et futurae gloriae argumentum praecedit et a quo tanquam a triumphi precone monachi duo supradicti Sanctissimi Patris laudes audierunt: Haec est via, qua dilectus Domini Benedictus in coelum ascendit: Via utique triumphalis et quae totum fornicem industriose occupat, et quae ipsi empyreo ubi militantis et triumphantis Ecclesiae mystica prostant emblemata, contermina apparet, ut videre est in ipso templi tholo. Extremo in spatio Monachus alter conspicitur eandem revelationem habens, isque Angelis circumstantibus comitatur, ut visionis exprimatur mysterium, sicuti et longe repraesentatur ab alio monacho ut loco distantia, quae inter eosdem intercesserat, demonstretur. Circa fornicem pendent Angelorum manibus suspensa octo ingentia cimelia, quae potiora D. Benedicti miracula repraesentant, 41

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tanquam appendices triumphi ab eo consummati ac veluti triumphantis herois signa et monumenta.“ Dieser Text ist für die gesamte Programmatik der Stiftskirche von so umfassender Bedeutung, dass er im Folgenden in vollständiger Übersetzung wiedergegeben wird: „Das mit Malerarbeit auszuzierende Gewölbe der Melker Kirche wird die Erscheinung bzw. Offenbarung ausfüllen, die zwei Mönche über den Aufstieg des hl. Benedikt zum Himmel hatten – eine völlig identische, obwohl sie räumlich weit von einander entfernt waren – am selben Tag, als der herausragende Vater des abendländischen Mönchstums fromm und heiligmäßig im Herrn entschlief. Folgende Erscheinung also: Einer der Mönche, denen die Schau zuteil wurde, – nämlich eine wunderbare, göttlich gestaltete Straße, die mit kostbaren Gewändern bedeckt und durch das Licht zahlreicher Lampen zu beiden Seiten erleuchtet auf gerader Bahn des Sonnenaufgangs (?) von der Erde bis zum Empyreum sich erstreckt – steht dabei als ein Mann von Ehrfurcht gebietendem Äußerem und geziemender Schönheit. Dieser Mann erklärt das Mysterium, nämlich dass dies die Straße ist, auf der Benedikt in den Himmel aufsteigt. Direkt neben dem Mönch stehen rundum Engel, um anzuzeigen, dass die Vision vom Himmel gesandt ist. Man sieht Benedikt in Person emporsteigen unter dem Schutz bzw. Führung der Religion, die ihn an der Hand führt, und mit einem Engel, der ihm als Führer auf dem Weg vorausgeht. Es schwebt ihm ein zweiter Engel entgegen, der dem Himmelsanwärter ein mit Gold und Edelsteinen besetztes Triumphalgewand reicht. Auf seinem Weg fortschreitend tritt Benedikt kraftvoll den Götzendienst unter seinen Füßen nieder, was sich darauf bezieht, dass er in Monte Cassino einen heidnischen Tempel, wo in absurdem Kult mit Apoll eine falsche Gottheit angebetet wurde, dem hl. Martin weihte und so an einem Ort, an dem Irrtum und Frevel eine Willkürherrschaft ausübten, Frömmigkeit 42

Das schriftliche Programm für dieDeckenmalereien der Kirche

und die wahre Religion einführte. Bei ihm stehen Enthaltsamkeit und ihre unzertrennliche Begleiterin, die Bußfertigkeit, die vornehmlichen Tugenden Benedikts, von denen die eine die Versuchungen und eitlen Verlockungen der Welt austilgt, jene aber Asmodeus mit einen Bündel aus Dornenzweigen niederschlägt und vertreibt, und damit auf die Dornen verweist, in denen sich der durch und durch keusche Held mit entblößtem Körper gewälzt und so den Satan und die Reize des Fleisches entschlossen niedergerungen hatte. Eine größere Anzahl von Engelschören vermehrt an geeigneten Stellen den Triumphzug: Die einen gehen voran, die anderen geleiten ihn/gehen neben ihm, wieder andere folgen dem unbesiegbaren Triumphator. Hier streuen einige Blumen aus vollen Händen, dort tragen andere Palmen und ähnliche Zeichen des Triumphes vor sich her. Die meisten zeigen Märtyrerkronen, Jungfrauengewänder, Kreuze und Papstkronen als Insignien von Würden und Zeichen verdienten Lohns. Die übrigen weisen kaiserliche Gewänder, Königsdiademe, Fürstenszepter als (Symbole für den) Stolz der Religion und vom Benediktinerorden erworbene Machtinsignien vor. So verkünden sie die Fruchtbarkeit des Ordensnachwuchses als einer reichen und fortdauernden Pflanzschule von Märtyrern, Jungfrauen, Bekennern, Bischöfen, Kardinälen, Päpsten und Seligen. Dem Triumphator jubelt ein Engel zu, der ihm zum Zeichen des gegenwärtigen und künftigen Ruhms voranschreitet und von dem wie von einem Herold des Triumphs die beiden obengenannten Mönche den Lobpreis des heiligsten Vaters hörten: Dies ist die Straße, auf der der von Gott geliebte Benedikt in den Himmel aufsteigt. Nämlich eine Triumphstraße, die das ganze Gewölbe voll Betriebsamkeit (?) einnimmt, und augenscheinlich an das Empyreum angrenzt, wo die mystischen Zeichen der streitenden und triumphierenden Kirche dargestellt sind, wie man sie direkt in der Kuppel sehen kann. Am Ende des Raumes sieht man den anderen Mönch dieselbe Offenbarung haben; er wird rundum von Engeln begleitet, um das Geheimnis der Vision zum Ausdruck zu bringen, wie er auch weit weg vom anderen Mönch dargestellt 43

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Abb. II.3: Deckenmalereien im östlichsten Joch des Langhauses der Melker Stiftskirche mit der Vision der beiden Mönche (© Martin Mádl, Tschechische Akademie der Wissenschaften, Prag)

ist, um die räumliche Distanz zwischen beiden anzuzeigen. Um das Gewölbe hängen von Engelshänden gehalten acht riesige Medaillons, die die wichtigeren Wunder des hl. Benedikt darstellen, gleichsam als Anhängsel des von ihm gefeierten Triumphs und wie Feldzeichen und Siegesmale des triumphierenden Helden.“ In besonderer Weise fällt bei der Lektüre des schriftlichen Konzepts auf, dass dieses nicht eins zu eins in die malerische Ausführung übergeführt wurde, sondern Abänderungen zu konstatieren sind, die möglicherweise auf die erwähnte Tätigkeit Beduzzis zurückgehen. In den drei Jochen der Langhausfresken (1720/1721) wird – der literarischen Quelle in den berühmten „Dialogen“ Gregors des Großen (um 593/594 entstanden) 44

DIE »DIALOGE« GREGORS DES GROSSEN

folgend – die triumphale Auffahrt des Ordensvaters Benedikt in die Glorie geschildert, wie sie in dessen Todesstunde zwei Mönche als V   ision erblickt haben sollen (Abb. II.3). Dieses Thema ist seit dem Mittelalter weit verbreitet und besonders auf Altarbildern der Barockzeit populär. Zumeist wird diese Auffahrt des hl. Benedikt in den Himmel auch dazu genützt, dessen Triumph – etwa über Laster – zu visualisieren. Nicht ohne Grund fällt im Melker Konzept auch in unterschied­ lichen Variationen der Begriff „Triumph“. Weit über den literarischen Vorwurf hinaus wird dem Gründer des Ordens und Autor der Regel eine umfassende Funktion als Sieger über alle Untugenden zugesprochen. DIE »DIALOGE« GREGORS DES GROSSEN IN IHRER BEDEUTUNG FÜR DIE MELKER LANGHAUSFRESKEN

Nach der entsprechenden Erzählung in den genannten „Dialogen“ Gregors des Großen (3. Buch, 37. Kapitel) sagte Benedikt einigen seinen Schülern, die sich bei ihm aufhielten, und einigen, die in der Ferne weilten, den Tag seines Todes voraus. Am Tag des Sterbens stand er, so der entsprechende Bericht, „die schwachen Glieder unter den Händen seiner Schüler aufrecht haltend, mit zum Himmel erhobenen Händen und tat unter Worten des Gebetes den letzten Atemzug“. Die gleichzeitige Vision zweier Ordensbrüder an weit auseinander liegenden Orten beschreibt, wie eine mit Tüchern belegte und von unzähligen Lampen beleuchtete Straße von Benedikts Zelle zum Himmel führt. Die „Dialoge“ Gregors des Großen, die aus dem Leben des Ordensvaters Benedikt erzählen, gehören zu den wichtigsten hagiografischen Texten des Mittelalters: Besonders das Stift Melk erfreute sich einer großen Tradition hinsichtlich der Überliefe45

LANGHAUS

Abb. II.4: Deckenmalereien im Langhaus der Melker Stiftskirche (© Martin Mádl, Tschechische Akademie der Wissenschaften, Prag)

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rung dieser „Gregordialoge“. Die erste Übertragung dieses Textes ins Hochdeutsche durch den Mönch Johannes von Speyer um 1450 lässt sich gerade im Melker Codex 570 nachweisen. Die beiden Mönche, denen die Vision zuteil wurde, sind höchstwahrscheinlich im östlichsten Joch des Langhauses, das der Kuppel am nächsten liegt, dargestellt.Von diesem Joch des Langhauses ausgehend wird der Weg in den Himmel durch eine von Lampen beleuchtete Stoffbahn repräsentiert, welche die eigentlich durch Gurtbögen getrennten Szenen des Langhauses miteinander verbindet (Abb. II.4). Diese Einheit in der Darstellung der Auffahrt des Heiligen wird in künstlerischer Weise dadurch hergestellt, dass vor den Scheiteln der Gurtbögen positionierte Wolken entsprechende Übergänge herstellen und solcherart die Langhausjoche zu einer durchgehenden Erzählung verschleifen. In diesem Sinn wird in Melk dem Text der Gregordialoge zu einer gesteigerten Anschaulichkeit verholfen, indem die durchgehende Stoffbahn im wahrsten Wortsinn als Folie und Erzählinstrument für den triumphalen Aufstieg des Ordensvaters Verwendung findet. Handlungsablauf und allegorische Überhöhung (im Triumph des Heiligen im Mitteljoch) werden demgemäß zu einer höchst innovativen gesamtkünstlerischen Einheit verbunden, die durch die dem Teppich farblich angeglichene Scheinarchitektur eine entsprechende Rahmung findet. Nicht unerheblich ist in diesem Zusammenhang die bereits vor längerer Zeit von der Forschung geäußerte Vermutung, Prandtauer habe zunächst eine Tonne, die für eine durchgehende Visualisierung der Benediktauffahrt ohne Zweifel deutliche Vorteile geboten hätte, anstelle der Folge von Platzlgewölben vorgesehen. Wie eine farbige „Haut“ zieht sich somit das Freskenprogramm in Melk über die Jochgrenzen hinweg, deren Trennungen in Form der Gurtbögen aber deutlich erkennbar bleiben.  Auch in anderer Hinsicht formulieren die Fresken 48

DIE »DIALOGE« GREGORS DES GROSSEN

Abb. II.5: Fresken im Sommerchor des Benediktinerstiftes Lambach mit der Aufnahme Benedikts in den Himmel, Carpoforo Tencalla, um 1660 (© Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München)

gleichsam eine Einheit, die sich vom restlichen Kirchenraum absetzt, da der gesamte Zyklus durchgehend vom reich profilierten Gebälk wie von einem „Rahmen“ eingefasst erscheint. Diese auffällige Rahmenfunktion wird nochmals in den einzelnen Kompartimenten der Joche aufgenommen, da die einzelnen Freskenfelder selbst wiederum von scheinarchitektonischen Rahmungen eingefasst sind. Aus dieser Perspektive kann und soll jedes Freskenfeld auch für sich als künstlerische und inhaltliche „Einheit“ gelesen werden. Wie innovativ Rottmayr den Concetto aus den „Dialogen“ Gregors des Großen in Melk umsetzte, wird auch daran deutlich, dass die um 1660 entstandenen Wand- und Deckenfresken im Sommerchor des oberösterreichischen Benediktinerstiftes Lambach aus der Hand Carpoforo Tencallas ebenfalls die Aufnahme Benedikts in den Himmel (Abb. II.5) zeigen – jedoch in ganz 49

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anderer künstlerischer Sichtweise: Hier wird der Bericht in den „Dialogen“ Gregors gleichsam wörtlich genommen: Mehrere Benediktiner sind im linken Teil in ergriffener Weise damit beschäftigt, die Wundererscheinung des auf einer Leiter in den Himmel steigenden Ordensvaters zu bewundern. Auf eine allegorische Auszeichnung des Geschehens, wie sie in Melk auftritt, wird in Lambach allerdings verzichtet.Vielmehr wird mit dem Gottvater beigegebenen Spruchband eine Passage aus dem Bericht Gregors wörtlich zitiert und damit offensichtlich die authentische visuelle Umsetzung der patristischen Quelle betont. Im rechten Teil ist Benedikt nochmals dargestellt. Er sagte seinen Brüdern – den „Dialogen“ Gregors zufolge – sein Hinscheiden voraus: „In demselben Jahre aber, in dem er aus dem Leben scheiden sollte, sagte er einigen Schülern, die sich bei ihm aufhielten, und einigen, die in der Ferne weilten, den Tag seines heiligsten Todes voraus. Denen, die bei ihm waren, befahl er dabei, über das Gehörte Stillschweigen zu beobachten, […]“. Somit werden in Lambach zwei Szenen, die von Gregor dem Großen kurz nacheinander geschildert werden, in einer Szene zusammengezogen. Der Betrachter muss hier – im Gegensatz zur Lösung in Melk – den literarischen Vorwurf genau kennen, um mit der Komplexität der Darstellung sowie der „doppelten“ Wiedergabe Benedikts richtig umgehen zu können. DAS MITTELJOCH – DER HL. BENEDIKT ALS »TUGENDLEHRER«

Im Mitteljoch des Melker Langhauses (Abb. II.6), dem Zentrum der Auffahrt des Ordensvaters, geleiten Engel den greisen, wie im Augenblick seines Hinscheidens aufrecht stehenden Benedikt in seine Glorie, deren gleichsam „entzeitlichter“ Zustand durch das „Stillstehen“ des Handlungsablaufs zusätzlich 50

Abb. II.6: Mitteljoch des Langhauses der Melker Stiftskirche mit dem hl. Benedikt als Tugendlehrer (© Martin Mádl, Tschechische Akademie der Wissenschaften, Prag)

angezeigt wird. An diesem Punkt der Gestaltung werden Elemente ins Spiel gebracht, die nicht dem Bericht der Gregordialoge entstammen, sondern eine freie, allegorische Bereicherung darstellen. Hier wird gleichsam der Verlauf der Draperie – und somit der „durchlaufende“ Text der Erzählung der Gregor­ dialoge – durchbrochen und ein moralisch unterlegter Triumph eingefügt. Dieses „Stillstellen“ der Handlung auf dem Weg des Heiligen in den Himmel thematisiert in einer dezidiert auf den Betrachter bezogenen Sichtweise auch die Auseinandersetzung mit dem Irdischen, da der beispielgebende Ordensvater seinen Triumph höchst konkret am Beispiel der siegreichen mönchischen Tugenden „castimonia“ (Keuschheit) und „poenitentia“ (Bußfertigkeit) gegen alle Anfechtungen und Laster des irdischen Lebens vorführt: Das in den Malereien überdeutlich prä51

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sent gemachte Benediktuskreuz mit der Inschrift „Crux Sacra Sit Mihi Lux, / Non Draco Sit Mihi Dux. / Vade Retro Sathana, Nunquam Suade Mihi Vana: / Sunt Mala, Quae Libas, Ipse Venena Bibas.“ („Das heilige Kreuz sei mein Licht, nicht die Schlange mein Führer. Hinweg Satan, gib mir nie eitlen Rat. Übel ist, was du kredenzst, trinke selbst dein Gift.“) komprimiert diese moralische Konnotation in ebenso traditionsmächtiger (benediktinischer) wie apotropäisch-emblematischer Weise. Die Malereien auf dem Gurtbogen, der die Szene nach unten abschließt, zeigen zwei Putti mit Attributen des Heiligen (Glasbecher mit Schlange, Pedum des Melker Abtes Valentin Embalner, 1641) sowie einen Putto, der ein geöffnetes Buch mit dem berühmten Beginn der Benediktsregel („AVSCVL / TA / O / FILI // PRAECE / PTA / [MA]GI / [STR]I“ [„Höre, mein Sohn, auf die Lehren des Meisters“]) geschultert hält. Dieser Hinweis auf die Regel ist im konkreten Zusammenhang umso wichtiger, als in das Melker Freskenprogramm – wie zu zeigen sein wird – eine Fülle von Hinweisen auf diesen zentralen Text des Ordens eingestreut ist. Das grundsätzliche Thema des Lebens des Ordensvaters wird in der Dekoration des Langhauses nochmals aufgenommen – und zwar in zehn kleinen monochromen Medaillons an den Ansätzen der Gurtbögen sowie an den Stirnseiten des westlichen Vierungsbogens sowie jenes Bogens, der die Kirche über der Orgelempore abschließt. Die entsprechenden Szenen unterstreichen die Bandbreite der reichen „vita activa“ des Ordensgründers und fungieren gleichsam als historische Fix- und Orientierungspunkte seines Lebens. Hier wird deutlich, dass eine Heiligenvita letztlich auch ein „erzieherisches Ziel“ (Dieter von der Nahmer) besitzt: Die Leser bzw. Betrachter sollen in diesem Sinn anhand des ruhmreichen Beispiels eines Heiligen aufgefordert und bestärkt werden, in gleicher Weise wie dieser zu leben. 52

Das Mitteljoch – der hl. Benedikt als »Tugendlehrer«

Abb. II.7: Mitteljoch des Langhauses der Melker Stiftskirche mit dem hl. Benedikt als Tugendlehrer, Detail (© Martin Mádl, Tschechische Akademie der Wissenschaften, Prag)

Für das Langhaus dient der nüchterne Bericht in den „Dialogen“ Gregors des Großen als Ausgangspunkt für eine reiche allegorische Überformung. Dabei sind bereits im literarischen Programm bewusst sakrale und profane Elemente miteinander vermengt: So ist dort etwa dezidiert von einer Chlamys, somit von einem antiken (und nicht-liturgischen!), als Umhang von Königen und Kirchenfürsten verwendeten kostbaren Kleidungsstück die Rede, mit dem der Ordensgründer in seiner Eigenschaft als Tugendlehrer („magister virtutum“) geschmückt wird („clamydem auro gemmisque distinctam“) (Abb. II.7). Dieser wichtige Aspekt des „Tugendlehrers“ Benedikt kann insofern auch mit anderen Quellen belegt werden, als der bekannte Jesuitentheologe Henricus Engelgrave (1610–1670) im ersten Teil seiner emblematischen Schrift „Lux evangelica sub 53

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velum sacrorum emblematum recondita […]“ (Köln 1690) gerade beim Bericht des Heimgangs Benedikts in Anlehnung an Ovids Schilderung der Milchstraße in dessen „Metamorphosen“ davon spricht, wie die „Sterne der Tugenden“ („virtutum stellae“) des Heiligen dessen lichterfüllte Bahn mit Glanz erfüllt hätten. In liturgischer Hinsicht wird man im konkreten Fall aber kaum von einer Chlamys, wie im Programmtext bezeichnet, sprechen können. Vielmehr dürfte bei der Bekleidung Benedikts ein Pluviale (Rauchmantel) gemeint sein, das einerseits beim Stundengebet Verwendung fand und aufgrund der symbolischen Interpretation seit dem 12. Jahrhundert auch als Hinweis auf die Unsterblichkeit des auferweckten Körpers Deutung fand. Einen Hinweis in dieser Frage kann auch das monastische Brevier liefern, das beim Fest des hl. Benedikt am 11. Juli beim ersten Hymnus zur Vesper das Schriftwort „Stolam gloriae induit eum“ anführt und damit den Vorgang des Bekleidens mit dem Gewand der Herrlichkeit (Sir 15, 5) hervorhebt. Gerade dieser von Rottmayr hervorgehobene Vorgang des Bekleidens des Protagonisten ist ein interessantes Detail, das hilft, den Hauptstrang der vor der textilen Folie des Langhauses ablaufenden Erzählung zu steigern, als dadurch neben der breiten goldenen Tapisserie, die über die drei Joche läuft, gleichsam eine zusätzliche (textile) Auszeichnung Benedikts erfolgt. Dieser durch einen Engel durchgeführte Vorgang des Bekleidens des Ordensvaters mit einem kostbaren Stoff im Mitteljoch des Langhauses könnte aber auch als Verweis auf das mönchische Chorgebet, somit auf den Konvent als eigentlichen Adressaten des Programms aufzufassen sein. Die Abfolge der Fresken in den Jochen des Langhauses ist immerhin so ausgerichtet, dass sie von den im Mönchschor Sitzenden am besten wahrgenommen werden kann. Der auffällig betonte Gestus des Bekleidens Benedikts gewinnt auch dann eine umso größere Bedeutung, vergleicht 54

Das Mitteljoch – der hl. Benedikt als »Tugendlehrer«

man diese Szene mit dem – ebenfalls von zwei Engeln flankierten – auferstandenen Christus im Kuppelfresko. Diese Unterstützung des Erzählvorgangs mithilfe von Textilien verweist einerseits sicher auf deren traditionelle Bedeutung als Medien fürstlicher Ruhmestaten in der Frühen Neuzeit. Sie legt aber andererseits noch einen anderen wichtigen Aspekt offen: Der Sterbebericht des Ordensgründers wird in Melk nämlich nicht der durchlaufenden Tapisserie eingeschrieben, sondern findet vor dieser statt. Die Tapisserie hebt damit – wie vor allem seit der spätmittelalterlichen religiösen Malerei üblich – die Haupt­ erzählung hervor, fungiert als auszeichnendes und die Hauptrichtung unterstützendes Merkmal. Zieht man hier zusätzlich Zeugnisse aus der Predigtliteratur heran, so wird deutlich, welche umfassende Rolle dem Ordensvater im Barock zugeschrieben wurde. Wie eine komprimierte Rezeptionsgeschichte von Rottmayrs Melker Langhausfresken liest sich deshalb ein Passus aus einer im Stift im Jahr 1743 gehaltenen und dem Melker Abt Adrian Pliemel (reg. 1739–1745) dedizierten (unpaginierten) Predigt des Servitenpaters Eduardus Maria Fresacher aus dem nahe gelegenen Kloster Maria Lang­ egg mit dem Titel „Erbauliche Lob-Rede, von der Verlassung des Zeitlichen und vollkommener Nachfolg Christi, So in dem Heiligen Ertz-Vatter BENEDICTO entdecket und angeruehmet hat [...]“ (Krems/D. 1743): „[...] aber der Weeg [sic!] ware, wie es Maurus gesehen, mit Lampen gezieret, und auf das herrlichste geschmucket, auf welchen BENEDICTUS in das obere Sion Sieg-prangend eingezogen, nachdem er das untere Babel so großmuethig verlassen. [...]“. Nach diesem Zeugnis zieht Benedikt in seiner letzten Auffahrt in triumphierend-siegender Weise in Zion ein, nachdem er sich sichtbar von jeder Sünde (Babel!) getrennt hat.

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VISION ALS OFFENBARUNG?

Die inhaltliche Besonderheit an der Melker Langhausfreskierung ist die Tatsache, dass die Wiedergabe des Heimgangs Benedikts auf der Basis der Gregordialoge nicht als einziger Darstellungsinhalt fungiert, da zusätzlich zwei weitere Visionen bildlich umgesetzt werden. Die Konzentration der das Langhausprogramm eigentlich dominierenden Handlungsmomente im Mitteljoch geschieht nämlich in höchst raffinierter Weise im Schnittpunkt dreier (!) Visionen: zum einen in jener zitierten, welche die beiden Mönche in der Sterbestunde des Ordensvaters erfuhren, und zum anderen in den beiden Offenbarungen, die Benedikt selbst zuteil wurden: Dies ist einerseits die Vision der Weltkugel bzw. der Dreifaltigkeit in der Todesstunde des Bischofs Germanus von Capua (nach Gregor, Dialoge II 35), dessen Seelenbild als Menschengestalt in der Kugel aufscheint (Abb. II.8). Andererseits fungieren die beiden Putten (mit Lilie und Äbtissinnenstab) mit zentraler Taube auf dem Scheitel des angrenzenden Gurtbogens als Hinweis auf die Vision Benedikts der zum Himmel auffahrenden Seele seiner Schwester Scholastika (Gregor, Dialoge II 34). Zwischen der Weltkugel und dem Seelenbild von Germanus von Capua ist im westlichsten Joch des Langhauses die Darstellung des Benediktschülers Placidus von Subiaco eingefügt. Diese Integration des Märtyrers Placidus dürfte nicht nur mit Benedikt selbst zu tun haben, sondern im konkreten Fall einen weiteren Hintergrund haben: Sein Attribut, eine Zunge, die ein den Heiligen bekrönender Putto als Attribut in der Rechten hält, kann als deutlicher Hinweis auf das Abtwappen Dietmayrs (mit dem Adler und einer herausgeschlagenen Zunge!) gesehen werden. Somit erfüllt der hl. Placidus einen doppelten inhaltlichen Bezugsrahmen – einerseits hinsichtlich der monastischen 56

Vision als Offenbarung?

Abb. II.8: Deckenmalereien im westlichsten Joch des Langhauses der Melker Stiftskirche (© Martin Mádl, Tschechische Akademie der Wissenschaften, Prag)

Hagiografie und andererseits in Bezug auf die Rolle Abt Dietmayrs als „Regisseur“ des gesamten Unternehmens des Melker Neubaus. Diese „Doppelfunktion“ einer bestimmten Person bzw. eines Geschehens ist insgesamt höchst charakteristisch für die barocke Vorstellungswelt bzw. für die Bildwelt der Melker Stiftskirche im Besonderen. Darstellungen des hl. Placidus treten allerdings nicht besonders häufig auf: In der von der „Akademischen Kongregation der in den Himmel aufgenommenen Gottesmutter Maria“ an der Universität Salzburg herausgegebenen, unpaginierten Publikation, die im Titel als „marianisch-benediktinisches Jahr“ („Annus Mariano-Benedictinus sive Sancti illustres Ordinis D. Benedicti, in singulos anni dies cum suis Iconibus & Vitae Elogiis distributi […]“ [Salzburg 1668]) Bezeichnung findet und 57

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Abb. II.9: Hl. Placidus aus: „Annus Mariano-Benedictinus sive Sancti illustres Ordinis D. Benedicti, in singulos anni dies cum suis Iconibus & Vitae Elogiis distributi […]“ (Salzburg 1668) (© Österreichische Nationalbibliothek, Wien) 58

Vision als Offenbarung?

die Heiligen des Benediktinerordens auflistet, ist dem hl. Placidus ein Stich zu seinem Fest am 5. Oktober zugeordnet (Abb. II.9): Im Zentrum von einem Lorbeerkranz umgeben, wird hier die Szene der Enthauptung des Heiligen mit dem Martyrium seiner Gefährten wiedergegeben, umgeben von vier Eckszenen, die links oben eine christliche Seele („anima christiana“) mit einem Schwert in der Brust, rechts oben dieselbe Seele am Kreuz, unten links das Opfer Abrahams und unten rechts einen Widder (vom Opfer Abrahams) zeigen. Im Melker Langhaus wird somit in raffinierter Weise ein feines Netz von miteinander in engem Zusammenhang stehenden Visionen zur Anschauung gebracht. Zudem sind auch die einzelnen Erzählungsstränge in dichter Weise miteinander verwoben. Die Handlungen in den drei Jochen des Langhauses werden durch die Verklammerung dreier V   isionen in formaler und inhaltlicher Hinsicht miteinander verspannt und im Mitteljoch mit dem triumphalen Erscheinen des Protagonisten (der als ­Visionär und selbst Geschauter auftritt) gleichsam zum Stillstand gebracht. Nicht ohne Hintersinn erscheint in diesem tiefsinnig gedachten Netz von Visionen der Anteil des Betrachters bzw. des Melker Konvents, der durch diese Art der Konzeption in besonderer Weise angesprochen erscheint, selbst thematisiert. Denn der diese Malereien Schauende wird unmittelbar in seiner Eigenschaft als „Empfänger“ wirkmächtiger Bilder angesprochen. Auf ihn ist die Fülle der im Langhausprogramm thematisierten Offenbarungen gleichsam unmittelbar bezogen. Dieses betrachterbezogene „Schauen“ von Visionen kann letztlich als Spezifikum der malerischen Ausstattung des Langhauses bezeichnet werden. Man könnte sogar sagen, dass das Visuelle und Visionäre – über den hagiografischen Zusammenhang hinaus – in einzigartiger Weise zum Leitthema der Fresken im Langhaus gemacht wird. In dieser dezidiert betrachterzentrierten „Schau“ 59

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wird der Suggestionsgrad des dargestellten Geschehens und der damit verbundenen inhaltlichen Momente zu einer unerhörten Intensität vertieft. Dazu kommt der wichtige Umstand, dass der sich im Langhaus bewegende und voranschreitende Betrachter grundsätzlich mit zwei Erzählebenen konfrontiert war: Zum einen betrifft dies die hier geschilderte Abfolge der Langhausjoche mit der zentralen Benedikt-Erzählung, zum anderen wird das Langhaus paarweise von Seitenkapellen flankiert, die gleichsam als hagiografische „Mikroerzählungen“ im Rahmen des Gesamtprogramms fungieren und aus Altarbildern mit darauf bezogenen freskierten Deckengewölben bestehen. DAS BAROCKE MELK ALS »NEUES« MONTECASSINO

Im zitierten schriftlichen Programm zu den Deckenmalereien des Langhauses war zusätzlich eine – allerdings in den Gewölben des Langhauses nicht ausgeführte – Anspielung auf Benedikts Kampf gegen Idolatrie und Heidentum vorgesehen, und zwar die Zerstörung eines Apollo-Tempels zugunsten eines Martinsheiligtums in Montecassino. Darin darf ein deutlicher Hinweis auf den historischen Anspruch des Stiftes Melk als „neues“ Montecassino vermutet werden (Leonore Pühringer-Zwanowetz), war das Stift doch im Jahr 1699 in die Cassinenser Kongregation aufgenommen worden. Diese dezidierte Bezugnahme auf Montecassino als „Mutterkloster“ des Ordens ist nicht zuletzt in der barocken Benedikt-Panegyrik ein beliebtes Thema – so etwa in Johannes Josephus Schenhärls Schrift „Neu-Testamentischer Mathathias und Eyferer des Gesatz Gottes Heiliger ErtzPatriarch und und Großherrlicher Ordens-Stiffter des Occidents BENEDICTUS [...]“ (Wien 1733). Hier heißt es unter anderem: „[…] Wie in ein weit besseres Aussehen aber der nunmehr in einen voelligen Tugend-Berg, durch Benedicti Liecht erleuchtete 60

Der Orden des hl. Benedikt und seine Rolle in der Nachfolge Christi

Cassinensische Berg sich verwandlet habe, wollen wir uns vortragen lassen durch die [sic!] schoene Wort des Hochgelehrten Cardinalis Acquire, welcher hiervon also schreibet: >Mons ipse, lumine Sancti Benedicti, factus est alterum coelum, der Berg selbst, ist durch das Liecht Heil. Benedicti ein anderer Himmel worden