Die Stiftskirche St. Servatii zu Quedlinburg: Geschichte ihrer Restaurierung und Ausstattung [Reprint 2021 ed.] 9783112580929, 9783112580912

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Die Stiftskirche St. Servatii zu Quedlinburg: Geschichte ihrer Restaurierung und Ausstattung [Reprint 2021 ed.]
 9783112580929, 9783112580912

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Voigtländer • Die Stiftskirche zu Quedlinburg

Herausgegeben vom INSTITUT FÜR DENKMALPFLEGE

Die Stiftskirche St. Servatii zu Quedlinburg Geschichte ihrer Restaurierung und Ausstattung von

KLAUS VOIGTLÄNDER mit einem Beitrag von

HANS B E R G E R

AKADEMIE-VERLAG BERLIN

1989

ISBN 3-05-000580-7 Erschienen im Akademie-Verlag Berlin, Leipziger Str. 3—4, Berlin, D D R - 1 0 8 6 © Akademie-Verlag Berlin 1989 Lizenznummer: 202 • 100/216/89 Printed in the German Democratic Republic Lektor: Ursula Diecke Einband- und Schutzumschlaggestaltung: Wolf gang Janisch LSV 8124 Gesamtherstellung: VEB Druckhaus „Maxim Gorki", Altenburg, 7400 Bestellnummer: 754 7687 (9056)

11000

FERDINAND VON QUAST »Obgleich als Architekt ausgebildet, dachte und arbeitete Quast völlig als Kunsthistoriker. Durch seine wissenschaftliche Arbeit wurde er einer der Begründer der modernen Kunstgeschichte, insbesondere war er bahnbrechend für eine auf vergleichender Denkmälerkenntnis und Quellenstudium basierende gründliche entwicklungsgeschichtliche Architekturforschung. Aus dieser wissenschaftlichen Sicht betrieb Quast auch seine denkmalpflegerischen Aufgaben mit einer für die Zeit ungewöhnlichen historischen Einsicht und Vorsicht in der Behandlung der Bauten und ihres Inventars. Da seine amtliche Stellung jedoch schwach war, der Konservator besaß den Baudeputationen gegenüber nur ein Einspruchsrecht bis zu Minister-Entscheidungen, da das Amt ohne Hilfskräfte und fast ohne Mittel war, konnte Quast seine Vorstellungen nur selten durchsetzen.« Eva Börsch-Supan (1977, S. 654f.)

6

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung des Herausgebers

11

Vorwort

13

Bau der Äbtissin Mathilde, 968—997 und der Äbtissin Adelheid I., 9 9 9 - 1 0 2 1 Krypta und Chorstufenanlagen

GESCHICHTLICHER ÜBERBLICK Stiftsgebäude 17 Vor- und frühgeschichtliche Besiedlung . . 17 Ottonische und romanische Zeit 17 Neubau des Westkomplexes, 1478/81, 1521 und 1557/69 18 Neue Innenausstattung des Nordtraktes zwischen 1718 und 1755 20 Änderungen um 1800 21 Das Schloß im 19. Jahrhundert 21 Torturm und »Neue Dechanei« 22 »Alte Dechanei« 22 Hauptmannei 23 Propstei 24 Gärten 25 Brunnen und »Wasserkunst« 26 Aufgänge zum Burgberg 26 Die Stiftskirche vor der Restaurierung . . . . 27 Die Restaurierung von 1862 bis 1882

. . . .

32

Die Arbeiten von 1936 bis 1944 Krypta Oberkirche Grabung Stufenanlage Geschlechtertafeln Chorraum Die Oberrechnungskammer Das Ende

38 38 45 48 50 52 53 55 57

STIFTSKIRCHE Mittelschiff

63

Nördliches Seitenschiff

67

Verbindungsbau

70

Südliches Seitenschiff Substruktionen Kapelle St. Nicolai in vinculis Südliches Seitenschiff Querhaus

73 73 73 74 78

Ziter

82

Forschungsbericht zu den Vorgängerbauten Saalbauten Die erste steinerne Kirche Der Bau der Königin Mathilde, 936 . . .

.

87 87 87 . 89

90 95

Confessio 101 Vor der Restaurierung 101 Entdeckung und erste Untersuchung durch Quast und Hase, 1870 bis 1875 103 Wiederherstellungsplan, 1876/78 106 Weitere Untersuchungen und Entdeckungen, 1877/78 106 Wiederherstellung der Gruft, 1878 110 Abschluß der Stuckarbeiten, 1878/79. . . . 1 1 1 Forschungsbericht zur Confessio 112 Ostchor

120

Westbau Der Zustand vor der Restaurierung . . . . Restaurierung Planung, 1860-1865 Der Kostenanschlag vom Oktober 1864 . Teilwiederherstellung des Turmzwischenbaus, 1866/67 Aufführung der Doppeltürme, 1877-1882 . Sicherungsmaßnahmen, 1911—1914 . . . . Schlußbemerkungen

122 122 124 124 124 126 128 130 130

Fußboden

132

Decken

133

Dächer

134

Die denkmalpflegerischen Maßnahmen seit 1945 von Hans Berger 136 AUSSTATTUNG Gräber und Grabplatten

143

Anhang

151

Glasmalerei

153

Malerei

155

Kanzeln 158 Orgeln 160 Altäre 163 Exkurs: Zur Geschichte des Stiftsschatzes . . 1 6 8 Mittelalter 168 Reformation 169 Meßgewänder 170 Abgänge des 17. Jahrhunderts 170 18. Jahrhundert 170 »Heinrichs-Reliquien« 171 19. und 20. Jahrhundert 172 9

URKUNDLICHE UND CHRONIKALISCHE NACHRICHTEN Zu den Vorgängerbauten 177 Vor 936: Kirche St. Wiperti; Inkluse . . . 177 Stiftsgründung; Königin Mathilde; Einsegnung der Äbtissin Adelheid I., 999 . . . . 177 Totenmessen für die königliche Familie . . 178 Totenmessen und Memorien 178 Königsgräber 179 Kirchweihtage .181 Kirch weihliturgie 181 Kirchen- und Altarweihen 181 Altäre 183 Patrone 183 Reliquien 183 Brand der Stiftskirche und Stiftsgebäude, 1070 185 Zum bestehenden Bau Weihe 1129 durch König Lothar Kirchweihtage nach Kalender zu Beginn des 16. Jahrhunderts Der Bau und seine Teile Emporeneinbauten des 16. und 17. Jahrhunderts Altäre Kapellen

188 188 190

Stiftsgebäude

192

Stiftsschatz Schatzverzeichnis Schatzaufseherin Kastenreliquiar mit Smaragd Kastenreliquiar »Heinrichs I.« Weitere Kastenreliquiare

194 194 194 194 195 195

10

186 186 186 186

Drei spätgotische Hausreliquiare . . . . Drei Bergkristall-Flakons Brachiolen . . . Laurentius-Figürchen-Reliquiar . . . Straußenei-Monstranz Vertrag über Anfertigung von drei Büstenreliquiaren, 1501 Liturgischer Kamm Stab »Wasserkrug von Cana« Krone Reichsapfel (?) Goldbarren Handschriften Knüpfteppich Teppiche und anderes Liturgische Gewänder Vasa sacra Altarleuchter Verschiedene liturgische Dinge

195 195 196 196 196 196 197 197 198 199 199 199 199 201 202 202 203 203 203

VERZEICHNISSE Zeittafel

207

Verzeichnis der älteren Abbildungen und Pläne

212

Konkordanz der Abbildungen mit dem Verzeichnis der älteren Abbildungen und Pläne. . 217 Abkürzungen

218

Akten-Verzeichnis

219

Literaturverzeichnis

221

Abbildungsnachweis Tafelteil

. . . 225 227

Vorbemerkung des Herausgebers

Die Stiftskirche St. Servatius auf dem Schloßberg von Quedlinburg zählt als hervorragendes Dokument der Frühzeit des ersten deutschen Staates und wegen ihres hohen baugeschichtlichen wie baukünstlerischen Wertes zu unseren Denkmalen von nationalem Rang. Ihre ständige Betreuung als Gegenstand der Forschung wie der Pflege gehört heute zu den vornehmsten Aufgaben der Denkmalpflege in der Deutschen Demokratischen Republik. Nach Beschädigungen im zweiten Weltkrieg ist in den Jahren 1946 bis 1970 zunächst unter persönlicher Anleitung durch Wolf Schubert, den um die Wiederherstellung der kriegszerstörten Monumente hoch verdienten Landeskonservator von Sachsen-Anhalt, dann durch das Institut für Denkmalpflege, Arbeitsstelle Halle, eine Gesamtinstandsetzung durchgeführt worden. Der Zwang, sich einerseits mit den Ergebnissen der Restaurierungsund Rekonstruktionsmaßnahmen 1936 bis 1941 im Zusammenhang mit der Profanierung der Kirche und ihrer Einrichtung als faschistische Weihestätte, andererseits mit den Veränderungen auseinandersetzen zu müssen, die das Baudenkmal bei der Restaurierung im 19. Jahrhundert erfahren hatte, bestimmte damals weitgehend das denkmalpflegerische Vorgehen und weckte gleichzeitig den

Wunsch nach eingehender Darstellung der gesamten Restaurierungsgeschichte. Er mußte mit Rücksicht auf andere Arbeiten zurückgestellt werden bis sich bei den Forschungen Klaus Voigtländers zur Restaurierungsgeschichte der Stiftskirche St. Cyriakus im benachbarten Gernrode auch zu Quedlinburg so viel Material anfand, daß mir als Mitarbeiter in den ersten Jahren, dann als Verantwortlichem für die Weiterführung der Restaurierung die anschließende Bearbeitung und Veröffentlichung dieses Materials geboten erschien. Klaus Voigdänder hat sich dankenswerterweise dieser Aufgabe unterzogen und das Quellenmaterial aus dem 19. Jahrhundert und den Dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts aufbereitet. Zusammen mit meinem kurzen Bericht über die Restaurierungsarbeiten von 1946 bis 1970 wird das Ergebnis hier vorgelegt. Neben der Darstellung der einen Zeitraum von hundert Jahren umfassenden Restaurierungsgeschichte eines der bedeutendsten mittelalterlichen Baudenkmale unseres Landes macht es deutlich, daß die praktische Ausübung der Denkmalpflege immer auch der eigenen Zeit verbunden bleibt. Hans Berger

11

Vorwort

Der Aufforderung von Hans Berger: »Es wäre an der Zeit, die Geschichte der Denkmalpflege in dieser [Harz-] Landschaft schreiben«,l sucht die vorliegende Arbeit mit der Untersuchung eines weiteren wichtigen Einzelobjektes nachzukommen. In gewisser Hinsicht ist die Restaurierung der Stiftskirche in Quedlinburg der Gegentext zu der in Gernrode. 2 An beiden Restaurierungsobjekten, in räumlicher Nähe, fast gleichzeitig in Arbeit, wirkte der Konservator der Kunstdenkmäler in Preußen, Ferdinand von Quast. Doch was für unterschiedliche Arbeitsfelderl Hatte Quast im benachbarten Herzogtum Anhalt-Bernburg freie Hand und kam ungestört zu seiner großen Restaurierungsleistung an der Stiftskirche Gernrode, war er dagegen in Quedlinburg dem preußischen »Normalfall« ausgesetzt: Quast hatte sich hier auf eine mehr oder weniger wirksame Gutachtertätigkeit zu beschränken, die einen ähnlichen Erfolg hinderte. Nun aber wurde (trotz dieser Einschränkungen) diese hervorragende Leistung in diesem Jahrhundert in bewußter Antithese wenigstens im Innenraum radikal beseitigt. Die denkmalpflegerischen Zauberworte aus den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts, »Entrestaurierung«, »Reromanisierung« oder gar »Entdekorier ung«3, wurden hier zum Ereignis. So ist die Quedlinburger Stiftskirche ein hochinteressanter Zeuge einer dialektischen, wenn auch nicht immer glücklichen Geschichte der Denkmalpflege. Wegen und auch trotz dieser Bemühungen bietet die Stiftskirche Deine eindrucksvolle Anschauung vom monumentalen Ernst romanisch-deutscher Kirchen dieser Zeit« ab 1070 (Edgar Lehmann) 4 ; und: »Es gibt unter den deutschen Kirchen nicht leicht eine zweite, die die keusch verhaltene und doch zugleich s t r a f f e und beschwingte Sprache der letzten vorstaufischen Generation des 12. Jahrhunderts reiner und klarer redete als dieser Raum« (Erich Meyer). 5 Das mir erreichbare Material zu Bau- und Restaurierungsgeschichte wurde zusammengestellt und ausgewertet: Das Aktenmaterial, wenn auch nicht zur Restaurierung, ist unübersehbar, dazu kommen die mittelalterlichen Nachrichten zum Bau, die jüngeren denkmalpflegerischen Arbeiten bis 1944, schließlich ist die Geschichte der Erforschung

1 Berget 1967, S. 18. 2 Voigtländer 1980 3 Grundman, Günter: Wiederaufbau oder Neubau. In: Kunst u. Kirche 20. 1957, S. 154/156. 4 Dehio 1976, S. 363. 5 Meyer, Erich, 1937, S. 15.

bearbeitet worden unter besonderer Berücksichtigung des Grabungsberichtes von 1959.6 Beachtet wurden aber auch die einzigartige Anlage der »Confessio« und die Stiftsgebäude wie die Geschichte des Stiftsschatzes. Auch diesmal bot sich die topographische Ordnung an. Die Folge Langhaus-Querhaus-Westbau gibt etwa den Gang des Restaurierungsablaufs im vorigen Jahrhundert wieder. Herr Dipl.-Ing. Dr. h. c. Hans Berger, der langjährige Chefkonservator des Institutes für Denkmalpflege, Arbeitsstelle Halle, zeigte großes Interesse an den Untersuchungen zur Restaurierungsgeschichte und hat selbst die Zeit von 1945 bis 1970 in einem Beitrag beschrieben. Herr Professor Dr. Edgar Lehmann stand mir wieder (seit 1967) in ständigen und ungezählten Anregungen zur Seite. Herr Oberkonservator Dipl.-Ing. Gerhard Leopold vom gleichen Institut hat nicht nur das Manuskript korrigierend mitgelesen, wie die beiden schon genannten Herren, sondern auch die jüngste Bauaufnahme der Stiftskirche für die Umzeichnung vorbereitet. Diesen Herren, denen ich in fast dreißigjähriger Arbeit verbunden bin, gilt mein ganz besonderer Dank. Es war für mich ein Glücksfall, daß mir in jüngster Zeit Herr Dipl.-Phil. Reinhard Schmitt-Halle zur Seite trat. In sehr selbstloser Weise ließ er mich an den Ergebnissen seiner intensiven Aktenstudien 7 und Bauuntersuchungen an den Stiftsgebäuden (im Auftrage des IfD, Ast. Halle) profitieren. Die Diskussion mit ihm kam insbesondere dem Abschnitt »Stiftsgebäude« zugute. Auch ihm habe ich viel zu danken; wie auch Herrn Dr. Werner JacobsenMünchen, dem ich wichtige Hinweise für den Abschnitt »Forschungsbericht zu den Vorgängerbauten« verdanke. Nicht zuletzt gilt mein Dank Herrn Karl Geipl (IfD Ast. Halle); er fertigte nicht nur in bewährter Weise eine Fülle von Reproduktionen an, sondern auch zahlreiche Neuaufnahmen. Schließlich habe ich Frau Kube-Halle zu danken für die Umzeichnungen der jüngsten Bauaufnahme. Durch die freundlich gewährte Einsicht in das einschlägige Aktenmaterial des Staatsarchivs in Magdeburg wie des Institutes für Denkmalpflege Ast. Halle ist die Arbeit überhaupt erst ermöglicht worden. Plan- und Fotoarchiv dieses Institutes stand

6 Wäscher 1959. 7 Vgl. Akten-Verzeichnis.

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mir offen. Für das verständnisvolle Entgegenkommen beider Institute habe ich zu danken. Dankenswerterweise sind Anfragen an Fachleute immer beantwortet worden; ihre Namen finden sich im Text. Der Lektorin des Akademie-Verlages, Frau Ursula Diecke, habe ich wieder für ihre bewährte Gründlichkeit und ihr Verständnis zu danken. Inzwischen ist die Bearbeitung der Geschichte der Denkmalpflege im Gebiet zwischen Harz und Elbe kein Neuland mehr: Nachdem sich Hans Berger 1967 über Einzelobjekte, die meist unter der

14

Aufsicht Quasts standen, geäußert hat,8 bereitet jetzt das Institut für Denkmalpflege eine »Geschichte der Denkmalpflege in historischen Territorien« vor, Frau Felicitas Buch eine Dissertation über Ferdinand von Quasts Tätigkeit im ehemaligen Gebiet der Provinz Sachsen. Die Arbeit wurde 1967 begonnen und 1985 abgeschlossen. Klaus Voigtländer 8 Berger 1967, S. 17/36.

Stiftsgebäude

Vor- und frühgeschichtliche Besiedlung Grimm hat 8 Besetzungsstufen festgestellt. 1 Schon seit dem Ende der Eiszeit finden sich im Osten und Nordosten des Burgberges Spuren von Besiedlung. Für die späte Eiszeit sind Feuersteinklingen belegt. Die Jungsteinzeit weist sich durch Kellergruben und Gefäße der Band- und Schnurkeramiker aus. Die erste Umwallung stammt aus der Bronzezeit (Steinmauer mit Lehmpackung). Im Osten des Burgberges lagen gut erhaltene Gefäße, Scherben und Wohngruben. Im Mittelschiff der Kirche sind Kellergruben der Eisenzeit ergraben worden; es fanden sich Getreidereste, aber auch Schleifsteine, Webgewichte, Spinnwirteln, Tüllengefäße und Rauhtöpfe mit Wellenrand. Schließlich sind auch noch Pfostenlöcher freigelegt worden. Nach Ansicht der Ausgräber fanden sich im Bereich des Mittelschiffs der heutigen Stiftskirche einmal Reste eines Stein-Erdebaus von um 500 und zum anderen Spuren einer Holzhalle, durch Pfostenlöcher nachgewiesen, die im 8./9. Jahrhundert entstanden sein soll. Es ist aber auch denkbar, daß beide Konstruktionen einem Bau zugehören. 2 Ottonische und romanische Zeit Der Burgberg bildet ein Ovalplateau, das im Laufe der Zeit fast nach allen Seiten durch Substruktionen und Auffüllungen erweitert wurde, so daß es heute etwa die Länge von ca. 100 m und die Breite von 50 m einnimmt. 3 Nicht gut bekannt sind die sicher aufwendigen Befestigungsanlagen dieser Zeit. Deutlich ist, daß der Burgaufgang im 10. Jahrhundert an der Südseite lag 4 und oberhalb der Wegekapelle St. Nicolai endete 5 . In romanischer Zeit wurde der Aufgang

1 Grimm 1958, Nr. 441 u. Abb. 7, 8, 10, 15, 21. Vgl. aber auch: Schirwitz 1929, HB 247. - Schirwitz 1939/40, S. 115f. - Schirwitz 1960, S. 9 f f . - Wäscher 1959, S. 25f. - Stolberg 1968, S. 293ff. 2 Vgl. Forschungsbericht zu den Vorgängerbauten. 3 Vgl. Wäscher 1959, Abb. 15, 45, u. S. 29: »Noch Z" Lebzeiten Heinrichs I. dürften die Ringmauern der inneren Burg unter Verwendung von Mörtel entstanden sein. Die westliche Mauer liegt unter der Ostmauer des Wohnbaus 9 auf Bild 45, die nördliche bei 10 und 15, die südliche in Richtung 8, 7, 15. Südlich davon läuft die Mauer in Richtung 6 bis 11, die den Aufgang zur Burg schützte. Die Westmauer dürfte von Punkt 11 nach dem nördlichen Rand des Plateaus geführt haben, wo sie die Nordmauer t r a f . Die Quermauern 14—15 und 12 teilen die Innenburg in drei Abschnitten. 4 Vgl. Anm. 3. 5 Vgl. Südliches Seitenschiff.

nach Norden an die heutige Stelle verlegt. Wahrscheinlich sind Teile des Torturms romanisch. 6 War zunächst nach Wäscher nur der westliche Teil des Burgberges durch Burgmauern geschützt, so gegen 1200 auch der östliche Teil; 7 wie sich auch die Stiftsgebäude in der westlichen Hälfte konzentrierten, während sich in der östlichen Hälfte nur wenige mittelalterliche Bauwerke nachweisen lassen. 8 Heute ist noch ein oberer und ein unterer Bering aus verschiedenster Zeit nachzuweisen, Türme jedoch nicht mehr. 9 Schon 936 wird von Klostergebäuden berichtet, die im Laufe des 10. Jahrhunderts vermutlich erheblich vermehrt wurden. 10 Sie können aufwendig gewesen sein, um auch die zahlreichen Kaiserlichen Hofhaltungen aufzunehmen. 11 Ein beachtlicher Rest dieser Zeit ist die ursprünglich dreiteilige Kelleranlage des West-Traktes: Stichkappentonnen ruhen auf Säulen. 12 Schon dieser ist auf den Hang hinausgerückt worden. Der » W e s t p a l a s « soll hwobnturmartige« Gestalt gehabt haben. Man vermutet hier die 6 Vgl. Torturm und Neue Dechanei. 7 Vgl. Wäscher 1959, Abb. 15. 8 Substruktionen, die auf massive Gebäude des 10. und 11. Jh. hinweisen könnten, finden sich auch am Südhang. Vgl. Wäscher 1959, Abb. 45, von Westen nach Osten: Substruktion südlich vom heutigen Seitenschiff; Substruktion südlich vor dem heutigen südlichen Querhausarm (zunächst Längstonne, dann Quertonnen); daran anschließend eine zweiteilige Substruktion. Ihr folgt aus der Flucht etwas herausspringend eine rechteckige Substruktion, die gegen 1129 2 Stützen mit Kreuzgratgewölben erhielt. Abgesehen von der Substruktion vor dem südlichen Seitenschiff waren sie bis gegen 1800 immer noch massiv überbaut und gehörten damals noch zur Propstei. Ein weiteres 20 m langes Gebäude lag in der Kirchachse. Die Fundamente sind noch teilweise erhalten. Wäscher 1959, Abb. 15, Nr. 11, deutet die Ostpartie dieses Langbaus als »Unterbau einer Kapelle«; vgl. auch Abb. 217. — Wohl in diesem Bereich ergrub Leopold 1964 t/Reste einer mittelalterlichen Heizanlage«. Leopold 1983, S. 167. - Abb. 155. 9 Vgl. den Vorgang von 1224. Wäscher 1959, S. 71, Nr. 74. — Ein Mauereck, heute Substruktion des Barockanbaus am Nordtrakt, wahrscheinlich romanisch, wird von Wäscher als Turmrest gedeutet: Wäscher 1959, Abb. 215 u. 217, Nr. 13: »Mauerturm z u r Verteidigung des Burgweges«. 10 UN 7. " 11 Vgl. Zeittafel. 12 Zwei nebeneinander liegende Räume, durch eine Türöffnung verbunden, haben eine Tiefe von 8 m. Der schmalere Raum im Norden mit etwa 5 m Breite ist durch eine spätmittelalterliche Stufenanlage zugänglich. In der Längsachse des Raums stehen 2 Säulen, die mit 2 Pfeilervorlagen ein Stichkappengewölbe aufnehmen. Die attischen Basen und die Säulenschäfte sind gut gearbeitet, das Kapitell dagegen besteht nur aus einer

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»kaiserliche Wohnung« mit dem Sitz der Kaiserinnen Adelheid und Theophanu.13 Man darf sicher auch für die ottonische Zeit ein Klausurquadrum, womöglich mit Kreuzganganlage annehmen.14 Der Südtrakt wird 1199 indirekt erwähnt. Er war zweigeschossig. 1129 hatte der Kirch-Westbau jedenfalls Verbindungs-Türöffnungen zum anschließenden Südtrakt, im Erd- wie Emporengeschoß.16 Das Dormitorium, 1199 genannt,16 wird sich im Obergeschoß des Südtraktes befunden haben. Im Erdgeschoß dieses Traktes sind Reste einer Fußboden-Heizung entdeckt worden.17 Der ottonische und romanische Nordtrakt wird sicher die Fläche des heutigen Renaissancebaues eingenommen haben. Wie heute stand auch damals dieser Trakt wegen des Geländeabfalls isoliert vom Westtrakt und war durch ein kurzes Mauerstück verbunden. Wahrscheinlich stand der romanischeBaubiszum Umbau des 16. Jahrhunderts. In ihm befand sich 1202 vor allem die Palaskapelle

13 14

15 16 17

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niedrigen Platte. Die gleichfalls niedrigen Kämpfer gliedern sich in Platte und Schräge. In der westlichen Umfassungswand finden sich in den Achsen 2 Lichtschlitze, die original sein können. In der südlichen Trennwand öffnet sich am Ostende ein Zugang zum zweiten, größeren Raum mit einer Breite von 6 m. Das Stützensystem ist hier ähnlich, nur finden sich hier 2 Stützenreihen. Die Lichtöffnungen der Westseite sind im Innern breiter; die Öffnung des nördlichen Schiffes fehlt. Vor dem Mittelteil der östlichen Abschlußwand liegt eine Stufe. Wahrscheinlich schloß sich südlich ein weiterer Raum an, vielleicht von der Größe des nördlichen Nebenraumes. Jedenfalls entspricht die Lage der Zugangsöffnung der des nördlichen Nebenraums. Nach Wäscher läuft auch die westliche Umfassungswand ein Stück über die südliche Trennmauer nach Süden hinaus. An dieser gefährdeten Eckpartie mußte wegen des steil abfallenden Felsens oft repariert werden: Eine Erneuerung erfolgte in gotischer Zeit mit Gewölbedecke und Mittelpfeiler, die wiederum durch aufwendige Substruktionen der Barockzeit gestört wurde (1613). Eine Zugangsanlage vom Obergeschoß ist auch an dieser Seite vorhanden. Vom nördlichen Nebenraum führt nach Osten eine tiefergelegene Stollenanlage, deren Grundriß dreieckförmig ist. Die einzelnen unter sich verbundenen Stollen sind etwa 10 m lang und 3 bis 4 m breit. Weder ist das Alter noch die Funktion der Anlage deutlich. 1891 hat Brinkmann die Anlage entdeckt. Vgl. Brinkmann 1922, S. 79. - Zeller 1916, S. 76f., u. Abb. 75. - Zeller 1929, HB 338. Dazu Wäscher 1959, Abb. 63, 64, u. S. 33: »Die Baustoffe sind die gleichen, die bei allen Bauten der %weiten Hälfte des 10. fahrhunderts verwendet worden sind; die Mauern aus kleinen Sandsteinquadern in gleichen Schichthöhen mit einem auffallend gelben Mörtel für die Grundmauern und einem leuchtend silbergrauen Mörtel für die Einweihungen, Estriche und das aufgehende Mauerwerk«. Stolberg 1968, S. 295, ist dieser Meinung. Bellmann-Leopold 1960, S. 39: Es ist zu beachten, »daß alle bekannten Damenstifte mindestens seit dem 11. fahrhundert die Anordnung der Gebäude um einen Kreuzganghof geigen«, was im Hinblick auf die Quedlinburger Anlage gesagt ist. Vgl. Westbau. Der Mühlenbach (mit der genannten Mühle) fließt südlich des Burgberges; UN 282ff. , Wäscher 1959, Abb. 45, Nr. 8; 49, 50. Nach Wäscher soll sie aus ottonischer Zeit stammen. — Ein »Säulenschaff mit Plinthei wurde ebenfalls freigelegt: Abb. 48.

mit Kreuzaltar,18 vermutlich am östlichen Ende.19 1368 war dieser Bau die Kurie der Äbtissin.20 Seit 1463 war er aber auch das »Mushaus«; 21 demzufolge könnte möglicherweise das 1199 erwähnte Refektorium hier seinen Platz gehabt haben,22 vielleicht der Sommereßsaal von 1489 23 und die Damenküche.24 Der Kapitelsaal wird übrigens im ganzen Mittelalter nicht erwähnt. Zahlreiche romanische Architekturteile sind erhalten, die dem romanischen Nordtrakt oder den beiden anderen Trakten zugehört haben könnten.25 Vom Osttrakt ist nichts bekannt. Man kann ihn beim Kirchwestbau vermuten.26 Neubau des Westkomplexes, 1478/81, 1521 und 1557/59 1478/81 hatte die Stadt Baugelder an das Stift zu zahlen,27 1521 f. nochmals nach einem Gebäude18 UN 262 ff. 19 A m Nordtrakt finden zur Zeit Grabungen des IfD Ast Halle statt. An der Ostseite Apsis-Reste. V g l . Behrens 1987, S. 5 - 1 2 . 20 UN 264. 21 UN 270, 271. 22 UN 282. 23 UN 289. 24 Wäscher 1959, S. 34f.: »Die Küchenanlagen befanden sich in der Nähe des Brunnens im östlichen Flügel der Nordseite. Auch hier sind frühere Mauerreste zu finden. Eine früher mit Kreuzgewölbe überdeckte Halle hieß der Sommereßraum, in der Tür nach der noch erhaltenen ausgedehnten Küchenanlage Zu ist eine Speiseklappe zu sehen. Dieser Gebäudeflügel wurde 1557—1568 umgebaut und aufgestockt«. Ob der 1489 erwähnte Sommereßsaal wirklich in diesem Raum zu suchen ist, muß offen bleiben: UN 289. Wahrscheinlich befand sich im Erdgeschoß des Nordtraktes die mittelalterliche Damenküche. 1811 und 1821 befand sich hier noch die Küche: Abb. 9, 19. Aber auch im SüdtraktErdgeschoß war im vorigen Jahrhundert die »Königliche Küchen, Abb. II, 14. Vielleicht war sie im Mittelalter die Bedienten-Küche? — 1489 wird eine Küche erwähnt: UN 291. 25 Vgl. Wäscher 1959, Abb. 1 9 7 - 2 0 8 , 2 1 1 - 2 1 4 . Ein Teil dieser Architekturteile wurde beim Abriß des Verbindungsbaus freigelegt. Vgl. Verbindungsbau. — Im »Jägergärtchem steht ein bemerkenswertes Kapitell aus ottonischer Zeit, das Bewahrung und Beachtung verdiente. Es ähnelt bestimmten Kapitellen der Gernröder Stiftskirche. Oben ausgehöhlt dient es jetzt wie seit Jahrhunderten als Blumentopf. Uber den ursprünglichen Standort (Stiftskirche oder Stiftsgebäude) kann nichts gesagt werden. 26 Nach Wäscher lag bis 1070 ein »Trennungsbam an der Stelle des Barock-Verbindungsbaus. Vgl. Verbindungsbau, Anm. 2. — 1511/14 wurden »an dem hohen Gebäude vorn am Schloß« 2 Erker angebaut: UN 260. Damit könnte der (romanische) Vorgängerbau zweigeschossig gewesen sein. Es ist nicht deutlich, ob das Ost- oder Westende des Renaissance-Vorgängerbaus gemeint ist. An der östlichen Stirnwand ist jedenfalls eine geschlossene gotische Türöffnung zu bemerken — ein Hinweis, daß der Renaissancebau kein völliger Neubau war. — Im Vorgängerbau soll die Äbtissin »in einer schlichten Wohnung« gelebt haben, wie 1614 behauptet wird. Lorenz 1931, HB 296. 27 Bei dem Streit der Stadt Quedlinburg mit der Äbtissin beschossen 1477 die Bürger die Stiftsdächer: UN 256. Sie waren damals noch weithin mit Blei gedeckt. Als Buße hatte die Stadt in den Jahren 1478 bis 1481 für 1000 Gulden Bauarbeiten an den Stiftsgebäuden auszuführen: UN 256.

einsturz.28 Es wird leider nicht berichtet, welche Gebäude damals erneuert wurden; vermutlich handelte es sich um den West- und Südtrakt. Wenige Fenster- und Türprofile weisen in diese Zeit29 wie auch die beiden hohen Satteldächer. Vermutlich sind damals erst die romanischen Vorgängerbauten abgetragen worden. 1557/59 ist dann auch der romanische Nordtrakt erneuert worden. 30 Der Neubau ist 50 m lang und 11 m breit. Er ist zweigeschossig. Das Dach war mit 10 Zwerchgiebeln geziert.31 An der Südseite stand der Treppenturm.32 Die Giebel wie noch vorhandene Tür- und Fensterprofile weisen in diese Zeit. Beide Geschosse hatten die gleiche

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A m Torturm finden sich drei eingearbeitete Wappen mit der gestörten Inschrift: » A N N O MCCCC... WICH ABBA ...«. Sie ist auf die Äbtissin Hedwig von Sachsen (1458—1511) zu beziehen, die zwischen 1478 bis 1481 Stiftsgebäude erneuerte. Das dargestellte kursächsische Wappen ist für Quedlinburg nur bis 1485 möglich. Vgl. Keil 1924, HB 22. - Und Lorenz 1931, HB 290. 1521 ging die Äbtissin die Stadt wieder um eine Baubeihilfe von 1000 Gulden an. Es ging um einen »nützlichen Bau«, also ein Stiftsgebäude, das eingestürzt war. Die Äbtissin betont, daß sie es »aus Erforderung großer Notlurft willens wieder aufrichten und bauen lassen müsset. Die Arbeiten begannen 1521 und scheinen Ende des Jahres beendet worden zu sein. Jedenfalls waren weitere Bauhilfen nicht mehr nötig. Lorenz 1931, HB 292. Vgl. aber auch UN 258. Lorenz 1929, HB 221. Vgl. Dächer, Anm. 2. Eine Fensteröffnung findet sich an der westlichen und eine Türöffnung an der östlichen Umfassungswand des Westtraktes; die übrigen Fensteröffnungen sind in der Renaissance- und Barockzeit geändert worden. UN 273 ff.. Das reiche Renaissance-Portal im Hof hat folgende Inschrift: »1558 Den 8. October«, nach der Lesung von Reinhard Schmitt. Die Brinkmannsche Lesung »1568« ist zu korrigieren. Brinkmann 1922, S. 29. — Kettner 1710, S. 156, bezieht den Bau irrtümlicherweise auf die Äbtissin Anna III. ( 1 5 8 4 - 1 6 0 1 ) : »Es hat aber diese Abtißin das Stiffts-Hauß gebauet«. Es handelt sich aber um Anna II. (1516 — 1574). — Zum Ganzen vgl. die Bauaufnahme von 1821: Abb. 19, 20. J e 4 Zwerchgiebel an den Langseiten, je 1 an den Schmalseiten. Dagegen zählt Dehio 1976, S. 366, an den Langseiten je 3 Giebel. »Der nordöstliche Giebel ist in Resten unter dem Dachstuhl der Dechanei nachgewiesen (Fenstergewände,, Lisenen)«, nach freundlicher Mitteilung von Reinhard Schmitt. Der Westgiebel erhielt in der Barockzeit einen Krüppelwalm. Vor 1871 mußte der westliche Giebel der Südseite in schlichter Weise repariert werden. Das Foto des Burgberges von um 1865 zeigt ihn noch intakt: Abb. 31; dagegen zeichnete Steuerwaldt, der 1871 starb, schon die reparierte, heutige Form: Abb. 28. Er gehört zum Bau von 1557/59, wenn er nicht auf älteren Fundamenten ruhen sollte. Der Treppenturm ermöglicht den Zugang zu den Etagen. Im Grundriß quadratisch, geht er in ein Achteck über. Das oberste Geschoß besteht aus Fachwerk. Der Helm hat barocke Form. Die ursprüngliche Zugangsöffnung mit Renaissance-Gewände befindet sich an der Westseite. Die breite Zugangsanlage der Südseite stammt vom Ende des 18. J h . : »Der Aufgang im Innern durch eine enge Wendeltreppe wurde mit einem anständigem und bequemern dem Eingang der Kirche gegenüber vertauscht, welcher neu angelegt«, unter der Äbtissin Sophie Albertine (1787 — 1803). Herzogin Charlotte von Braunschweig kritisiert 1756 den Renaissance-Treppenaufgang: »Nur die Treppe ist nicht sehr gut«. Pangels 1976, S. 395.

Raumteilung: Zwischen dem im Westen quadratischen und im Osten schmalereren Raum lag im Obergeschoß der riesige »sal«.33 Der Raum im Osten des Erdgeschosses besaß 2 Joche von Kreuzgratgewölben, die nicht mehr vorhanden sind.34 Charakteristisch für die Raumflucht des Obergeschosses sind die beiden mächtigen, längsgerichteten Dekken-Unterzüge. 1584—1601 ist diesem Trakt an der Nordseite auf älteren Fundamenten35 ein zweigeschossiger Anbau hinzugefügt worden, um im Obergeschoß wohnlichere Räume für die Äbtissin zu schaffen.36 Es war ein schlichter, verputzter Fachwerkbau mit Putzschmuck in Eckquadern und Kranzornamenten.37 Das Dach mußte flach gehalten werden. 1613 wurde der Torturm mit einem Verbindungsbau (zum Nordtrakt) zur »Neuen Dechanei« eingerichtet.38 Aber auch die gefährdete Südwest-Ecke des Westkomplexes mußte damals eine neue, mächtige Substruktion erhalten. Die dortige Dachecke erhielt 2 prächtige Zwerchgiebel.39

33 »Mushaus oder Saal« im 16. J h . genannt. Lorenz 1929, HB 222. Im 18. J h . : »Stiftshaus«. Vgl. z. B. Anm. 30. 34 Vgl. Abb. 10 von 1715 mit der Legende: »Keller unter das Eßgemach« = Kapitelsaal; und vgl. Abb. 19. 35 Unter der Äbtissin Anna III. (1584—1601) »über dem unteren Schloßtor an der Ecke«. Lorenz 1929, HB 222. Ähnlich Fritsch 1828, II, 24: Anna III. veranlaßte i)den Bau eines Theils des Schlosses über den unteren Schloßthore«. Fritsch bemerkt noch, daß Anna III. ein weiteres Gebäude errichtet habe. Man ist versucht, an das ähnliche Hauptgebäude der Propstei zu denken. Vgl. Propstei. — Die älteren Fundamente dieses Baus hat Wäscher 1959, Abb. 215, untersucht und aufgenommen. 36 Nicht dieser Bau ist zu Beginn des 18. J h . eingestürzt, wie Merian und auch Wäscher vermuten, sondern das südliche Seitenschiff. Vgl. Südliches Seitenschiff, Anm. 14. 37 Die ursprüngliche Fassade des Anbaus mit dem Putzschmuck zeigt Abb. 2, 3, 31,73. Vgl. dazu die Propsteifassade: Abb. 5. — Dehio 1976, S. 366, bezeichnet den Anbau ungerechtfertigt: »Neue Abtei«, sie soll 1718/55 entstanden sein. — 1912 ist der Bau durchgreifend erneuert worden unter Verzicht des Putzschmuckes. 38 Vgl. Torturm und »Neue Dechanei«. 39 Vom 22. 5. 1612 bis Anfang 1613 verhandelt die Äbtissin Dorothea von Sachsen mit der Stadt Quedlinburg wegen Baubeihilfen. Es sind »kostspielige Bauten nötig auf dem Schloß«, »insbesondere sei die »Abteiliche Residence« sehr baufällig«. Lorenz 1931, HB 301. Sie soll das »Hauptgebäude« verbessert haben, womit die Südwest-Ecke des Schloßkomplexes gemeint ist. Als »subsidium charitativum« möchte die Stadt 4000 Taler beitragen, sie gibt 5000 Taler. Lorenz 1929, HB 222. Das große sächsische Wappen an der Ecke weist die Arbeiten der Äbtissin Dorothea von Sachsen zu ( 1 6 1 0 - 1 6 1 7 ) . Dehio 1976, S. 366, dagegen verlegt den Bau in das Jahr 1601. Uber der Wappenkartusche mit Löwenkonsole findet sich eine leere Konsole. Hier stand die Plastik des »Adam«, vielleicht eine »unbekleidete Genienfigur«. Lorenz 1929, HB 224. Das nördliche Giebeldreieck des Westtraktes zeigt am Ende des 18. J h . eine gestufte Zinnenzier mit kleinen Öffnungen: Abb. 2, 4. Es war um 1860 abgetragen. Das Foto von um 1865 zeigt noch Reste: Abb. 31. Um die Jahrhundertwende erhielt das Giebeldreieck stark geschwungene Formen. Dagegen Dehio 1976, S. 366: »der n Giebel sp. 17. Jh.«. 19

Neue Innenausstattung des Nordtraktes zwischen 1718 und 1755 Vielleicht war die beidseitige Kürzung des großen Renaissance-Saales, um zwei zusätzliche Räume zu gewinnen, schon im 17. Jahrhundert erfolgt, worauf das großzügig geschwungene Fußbodenmuster des (späteren) »Blauen Saals« hinweisen könnte. 40 Diese sich so ergebende Raumfolge vom Westen: Audienzsaal, 41 Warteraum, »Blauer Saal«,42 Flur und Kapitelsaal 43 erhielt in den erstgenannten drei Räumen zwischen 1718 und 1755 eine neue, man darf annehmen eine dritte Ausstattung. 44 Die beiden

40 V o n Frau Dr. Hiltrud Kier-Köln erhielt ich dankenswerterweise die Auskunft, daß das Fußbodenmuster aus dem 17. J h . stammt. — Daß die heutige Raumteilung schon 1715 bestand, zeigt A b b . 10. Westlich v o m Kapitelsaal lautet die L e g e n d e : »Saal und Vorgemacht. — 1711 wurden in diesem Saal, dem Vorgängersaal des i>Blauen Saals«, wenn auch schon in der gleichen Größe wie dieser, Festveranstaltungen abgehalten: »Auf den grossen Abtey Saale des Hocbfürstl. Stiffts-Hauses«, vgl. A n m . 102. ' 41 Wahrscheinlich gab es schon seit 1755 den »AudienzSaal«. 1765/66: « g r o ß e s Audienz-Gemach«, Staatsarchiv Magdeburg, Rep. A 20 Tit. VII Nr. 53 und 54. Nach freundlichem Hinweis von Reinhard Schmitt. — So auch Fritsch 1828, II, 124. — Ein nicht näher datiertes Gemälde aus der Regierungszeit der Marie Elisabeth (1718/55) im Schloßmuseum zeigt, wenn auch nicht sehr genau, diesen Saal; er scheint damals auch als Gesellschaftszimmer genutzt worden zu sein. Ob das Schachbrettmuster des Fußbodenparketts damals w i r k lich vorhanden war, m u ß offen bleiben. Noch 1821: »Audienz ~ Saal«, vgl. Abb. 20. Brinkmann 1922, Abb. 6, nennt ihn: »Thronsaah. Der Vorraum w i r d 1765/66 »Vor- oder so genandtes dunkles Gemach« (Rep. A 20, vgl. A n m . 41), 1821 w i r d er »Speisesaal« genannt: Abb. 20. Brinkmann 1922, Abb. 6, nennt ihn »Wartesaal«. 42 Die Bezeichnung »Blauer Saal« ist erstmalig 1765/66 nachzuweisen (Rep. A 20, vgl. A n m . 41), desgleichen der östlich anschließende »Vorsaal«. »Blauer Saal« findet sich auch bei Fritsch 1828, II, 161. 1811 hieß er »großer Saal«, A b b . 9 ; 1821 »Saal«, Abb. 29. Brinkmann 1922, Abb. 6, nennt ihn auch »Speisesaal«. 43 Wahrscheinlich w a r der R a u m im Osten des Nordtraktes seit der N e u g r ü n d u n g von 1557/59 immer der Kapitelsaal. Für das Mittelalter ließ sich ein Kapitelsaal nicht nachweisen, wenn man ihn auch voraussetzen darf. 1715 nennt der sicher ortsfremde L. M. Anhalt den R a u m »Eßgemach«, V g l . Abb. 10. Wenn der Kapitelsaal auch nicht in die Neuausstattung von 1718—55 einbezogen war, so behielt er doch noch bis in die 2. Hälfte des 18. J h . seine rechtliche Funktion. 1708 w i r d die Pröpstin Aurora von den beiden anderen Stiftsdamen in das »Capitelsgemach« eingeladen. Aurora antwortete: Wenn die Damen ihr etwas zu sagen hätten, dann werde sie sie in ihrem »Kirchen-Stübchen« empfangen. Fritsch 1828, II, 107. Die Vereidigung der Äbtissin fand 1756 und 1787 i m » K a p i t e l s g e m a c h « statt, die der niedrigen Dignitäten jedoch im » A u d i e n z g e m a c h « , das stiftsrechtlich eine geringere Bedeutung hatte. Fritsch 1828, II, 107, 118. 44 Die Äbtissin Marie Elisabeth (1718/55) verwandte »in das Innere des Schlosses ... nicht wenig und baute besonders den nördlichen Theil ...so aus, wie er im Ganzen jetzt noch ist«. Fritsch 1828, II, 98, 161. Für diese wichtigen A r beiten konnten bisher noch keine Aktenbelege entdeckt werden. Ohne Quellenangabe weiß A d a m i a k 1971, S. 29 f., daß 1736 die Stuckdecke des Audienzsaales fertig-

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letzteren Räume wurden jedoch nicht in die Ausstattung einbezogen; man nannte sie daher bezeichnenderweise »AlteAbteh*5 Die 3 westlichen Räume erhielten Stuckdecken mit wechselndem Dekor, 46 unter Berücksichtigung der beiden RenaissanceUnterzüge; auch die Ofen- und Fensternischen waren durch Stuckzier hervorgehoben. Der »Blaue Saah besaß ursprünglich tatsächlich einen blauen Anstrich. 47 Wie bemerkt scheint das Fußbodenmuster zur Vorgängerausstattung zu gehören. 48 Der Vorraum, im nördlichen Drittel abgeteilt, 49 war durch einen stuckgezierten Kamin ausgezeichnet. Im Audienzsaal gehören die Stuckdecke und die rotseidene Wandbespannung zu dieser Zeit; 50 desgleichen auch die niedrige hölzerne Wandverkleidung wie die Türflügel, die aber auch den beiden anderen Räumen eigen sind. Vermutlich sind damals auch die 3 nördlich anstoßenden Zimmer als Wohnräume der Äbtissin neu ausgestattet worden. 51 Dem Nord- aber auch den beiden anderen Trakten wurde hofseitig in der Höhe des 1. Geschosses ein Fachwerkgang vorgesetzt, der aus dem 17. oder 18. Jahrhundert stammen könnte. 52 Der nördliche Gang erhielt später, wohl im 18. Jahrhundert, eine Erhöhung, um dem Warteraum mehr Licht zuzuführen. Vom Treppenturm und nördlichen Fachwerkgang war nun der Warteraum zu erreichen, der zum Audienz- und »Blauen Saah führte. Die Fensteröffnungen des Wartesaals wurden vergrößert, die des Audienz- und des »Blauen Saals«, sind zur Hofseite geschlossen worden. Mitte des 18. Jahrhunderts waren fast alle Fensteröffnungen der 3 Trakte vergrößert worden, z. T. sollen noch Butzenscheiben vorhanden ge-

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gestellt w u r d e . » W e n i g später« die Decke des »Blauen Saals«. Die Wetterfahne mit der Jahreszahl »1749« könnte vielleicht auf das Ende der aufwendigen Innenausstattungs-Arbeiten i m 1. Geschoß des Nordtraktes hinweisen. V g l . A n m . 54. So 1811, v g l . Abb. 9. Feines Bandelwerk, dazu im »Blauen Saal« Vögel unter Baldachinen; im Audienzsaal dazu Medaillons mit Vögeln. Diese Decke soll das Vorbild für den » W e i ß e n Saal« im ehemaligen Berliner Schloß gewesen sein. Brinkmann 1922, S. 3 1 ; v g l . auch seine Abb. 9 - 1 2 . Entsprechende Untersuchungen haben das ergeben. Nach freundlichem Hinweis von Frau W a g n e r , Museumsdirektorin des Schloßmuseums Quedlinburg. Vgl. A n m . 40. Nach der ovalen Form des Oberlichts müßte die Wand, die die »Gaderobe« abtrennte (vgl. A b b . 20), noch i m 18. J h . entstanden sein. Sie soll aus der Regierungszeit der Äbtissin Anna A m a l i e (1756/87) stammen. So Brinkmann 1922, S. 33. Herzogin Charlotte von Braunschweig schreibt über die W o h n u n g ihrer Schwester, der Äbtissin Anna Amalie, i m Quedlinburger Schloß: »Meine Schwester ist hübsch logiert«. Pangels 1976, S. 395. V o n einer veralteten Ausstattung hätte sie das sicher nicht gesagt. Die Dächer des Süd- und Westtraktes wurden über die dortigen Fachwerkgänge verlängert. — Die hofseitige W a n d des Südtraktes w a r u m 1821 in der Höhe des 1. Geschosses abgetragen: Abb. 20.

wesen sein.53 Die Dächer waren in Schiefer eingedeckt. 54 Änderungen um 1800 Kurz vor Ende des Stiftes 55 erhielten der Audienzsaal und die anschließenden Wohnzimmer noch eine klassizistische Ausstattung. Der Audienzsaal wurde durch einen Parkett-Fußboden mit einem aparten, auf den Thron ausgerichteten Strahlenmotiv ausgezeichnet. Die Südwand gliederte sich nun in einen neuen Kaminaufbau, von Scheintüren begleitet. Auch die Supraporten bekamen eine neue 53 Lorenz 1929, HB 222. 54 Lorenz 1929, HB 222. - In der Südwest-Ecke des Westkomplexes befand sich eine » W i n d e l t r e p p e « , die zum »Weinkellert führte, womit die ottonische Kelleranlage des Westbaus gemeint sein muß. Vgl. Wäscher 1959, Abb. 63/64. - Im Erdgeschoß des Südtraktes befand sich das »Brauhaus«, die »Küche«, die um 1840 die »Königliche Küche« war, und die »Conditorey«\ im Erdgeschoß des Westtraktes vermutlich die »Mägde- und Kutscherstubem. Im Obergeschoß des Westtraktes war eine abgeschlossene Wohnung, vermutlich die »Zimmer der Frau von Rauschenplatt«. Die Räume »über dem Adam« (vgl. Anm. 39) waren die Eckzimmer. Im Obergeschoß des Südtraktes befanden sich vermutlich »das GesandtenZimmer«, »das Pagenzimmer« und die »drei Fremdenzimmer«. Das war die Situation am Ende des 18. Jahrhunderts. Lorenz 1929, HB 224; und vgl. dazu die Bauaufnahmen: Abb. 19, 20. ABB 14, 34. 1770 sollte der ganze Nordtrakt wegen Baufälligkeit niedergelegt werden. Lorenz 1929, HB 222. Aber man beließ es doch bei Reparaturen: 1780 wurden 4729 Taler veranschlagt, 1781: 2717 Taler, 1784: 2997 Taler, 1785: 2019 Taler, 1786: 2176, 1787: 2409 Taler. Lorenz 1929. HB 224. 1770: Große Schäden am Blauen Saal (Mauerwerk senkt sich), Nordgiebel über Torhaus, an Brauhaus, Küche, Waschküche (Erdgeschoß des Südtraktes), Dechanei, Kanonei, Pförtnerwohnung, der Bau, worin das Kapitelgemach, das überbaute Tor bei dem Eingang in die Kirche und »das Gebäude Rechter Hand der auffahrt, die Alte Abtey genant« sind am besten abzutragen. Vgl. Akten Rep. A 20 Tit. XX Nr. 5, Bl. 7 9 - 8 2 . Giebel über Torhaus ist abgetragen. 24. 3. 1770; ebenda Bl. 89. 1783: Reparatur der sehr schadhaften Terrassenmauer am Jägergarten bis zum Fuße. 18. 6. 1783; Akten Rep. A 20 Tit. XX Nr. 7, Bl. 61. - Das Torhaus selbst »ist auf beyden Seiten mit neuen Bogentheilen aus lauter großen Werckstücken aufgeführet wordem. Ebenda, Bl. 66, vom 5. 7. 1783. — Nottreppe im Nordosten der Burgmauer ist fast fertig; der Bau wurde von der Äbtissin Anna Amalie nach vielen Bitten der alten Pröpstin Charlotte genehmigt. Ebenda, Bl. 69, vom 15. 8. 1783. 1788/89: Einsetzen der neuen, hölzernen Fensterrahmen im Audienzzimmer, Blauen Saal und Wohnzimmer; neue bzw. umgesetzte Öfen in den Wohnzimmern und im Blauen Saal durch Stukkateur Wolperth aus Helmstedt. Akten Rep. A 20 Tit. X X Nr. 8 u. 9. Sollte obige Nachricht von der »Alten Abtey« doch auf einen, wenn auch sekundären Anbau an der östlichen Stirnwand des Nordtraktes hinweisen? Vgl. Anm. 56. 2 Wetterfahnen weisen in das 18. Jahrhundert. Die eine zeigt die Jahreszahl»/ 707« und bezieht sich auf die KirchNordturm-Reparatur. Vgl. Westbau. Die Fahne befand sich auf der Spitze des Nordturms bis 1877/82, dann kam sie auf das Dach des Torturms. Die andere Wetterfahne mit der Jahreszahl »1749« befindet sich heute an der Südwest-Ecke der Stiftsgebäude. Sie könnte sich auf den Innenausbau des Nordtraktes beziehen. 55 Noch die letzte Äbtissin, Sophie Albertine (1787—1803) verwandte »sehr viel auf den inneren Ausbau des Schlosses,

Gestaltung, wie die der anschließenden Wohnzimmer. Auch hier wurde ein neuer Parkett-Fußboden in Kreismustern gelegt. Damals erhielt der Renaissance-Treppenturm einen neuen, repräsentativen Aufgang. 56 Das Schloß im 19. Jahrhundert 1803 wurde das Stift aufgelöst, 1813 das Inventar versteigert. 57 Den Süd- und Westtrakt nutzte man nun zu Wohnungen. In den 40er Jahren residierte im Nordtrakt Friedrich Wilhelm IV. von Preußen während der Herbstjagden. 58 Später wurden die und besonders auf geschmackvolle Verzierung und Meublierung und des blauen Saals, des Audienzzimers ihrer Wohn- und Schlafzimmern. Fritsch 1828, II, 161, 127. Im »Blauen Saal« ließ sie »ein kleines, aber gut eingerichtetes Theater« aufbauen und französische Schauspiele geben. Fritsch 1828, II, 135. Aber auch der Aufgang im Treppenturm wurde von ihr geändert: Anm. 32. 56 »Noch ehe die Frau Äbtissin Quedlinburg wieder verließ [1803], stürzte die sogenannte Alte Abtei, rechter Hand bei dem Aufgange am Schloßtorwege und der Kirche gegenüber, ein, so daß sie gänzlich weggeräumt werden mußte. Damit waren denn auch die alten, zum Theil getäfelten Zimmer zerfallen« und ein kostbarer, in Elfenbein ausgelegter Schrank, mit vielen Fächern. Fritsch 1828, II, 135f. Diese Nachricht hat in der Forschung bis zum heutigen Tag große Verwirrung gestiftet. Ohne Frage stand östlich des Nordtraktes ein Gebäude, wie Grundmauern zeigen. Abb. 9 von 1811 hat die Legende: »Garten an Stelle eines weggerissenen Gebäudes«. Es muß sich um einen sekundären Anbau handeln, der z. B. in der Bauaufnahme von 1715 (Abb. 10) nicht berücksichtigt ist, möglicherweise damals noch nicht vorhanden war. Aber nach Abb. 9 von 1811 verstand man damals unter »Alter Abtei« die beiden in der Mitte des 18. Jh. nicht ausgebauten Räume im Osten des Nordflügels. — Auf Grund dieser Fehlbezeichnung Fritschs rekonstruiert Brinkmann 1922, S. 21, Abb. 2, u. S. 40, den Anbau als originale östliche Verlängerung des Nordflügels mit massiven Wänden; Wäscher 1959, Abb. 14, Nr. 16, u. S. 34, 60. Vgl. Anm. 54. 1811 wird der Nordflügel folgendermaßen beschrieben: »Die Fürstlichen Wohnzimmer, massiv, 2 Etagen hoch, unten Küche und Rüllhaus, oben das Audienz Zimmer und der grosse Saal«. Der Süd- und Westtrakt : »Flügel für Hof bedienten. 2 Etagen hoch, massiv, unten Oekonomie und Bedienten Zimmer, oben Zimmer für die Hoff Damen und Cavaliers«. Legende zu Abb. 9. Vgl. auch Anm. 54. 57 Die Versteigerung ordnete König Jérôme kurz vor Ende des Königreiches Westphalen an, zu dem Quedlinburg gehörte. Sie erfolgte vom 30. 8. bis 18. 9. 1813. »Es waren 1731 Nummern, darunter 88 Tische, 27 Schreibtische, 43 Spiegel, 27 Sophas, darunter eins mit vergoldeter Schnitzarbeit und dazu passenden Sessel, wertvolle Kristallkronenleuchter, venezianische Spiegel. Auch 11 Porträts der »Abbatissinnen« und drei Prospekte des Schlosses wurden verkauft. Einige von diesen Stücken sind wieder zurückgebracht, doch sind sie nicht sicher zu bestimmen. Die Auktion erbrachte 3841 Taler«. Brinkmann 1922, S. 39. Lorenz 1933, HB 337. Nach Akten Rep. B 31 III Nr. I I a , Bl. 1 6 7 - 2 2 8 , Staatsarchiv Magdeburg, waren es 1713 Nummern, sie erbrachten 3941 Taler. Nach freundlichem Hinweis von Reinhard Schmitt. 58 Das war die einzige Nachricht, die Fontane bei seinem Besuch des Quedlinburger Schlosses 1880 erfreute: Friedrich Wilhelm IV. »bewohnte mehrere niedrige, sechs [?] gemütliche Zimmer, ganz so mahagonihaft langweilig auss t a f f i e r t , wie's damals Mode war. 1842 kam er zuerst und hielt hier die großen Harz\agden ab«. Fontane, Autobiographische Schriften I. »Meine Kinderjahre«. Berlin 1982, S. 234, Anm. 43.

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Prachträume des N o r d t r a k t e s der Ö f f e n t l i c h k e i t durch d e n Kastellan gezeigt, so z. B. Fontane, der allerdings hier nichts Erfreuliches f a n d . 5 9 W ä h r e n d der Restaurierung der Stiftskirche dienten die S c h l o ß r ä u m e als L a g e r f ü r O r g e l , Barockaltar u n d E m p o r e n b r ü s t u n g e n . 6 0 D a s hatte Q u a s t a n g e o r d n e t ; er dachte n o c h 1 8 5 8 auch an die W i e d e r h e r s t e l l u n g des Schlosses. A u c h die K n ü p f t e p p i c h t e i l e w o l l t e er hier a u f h ä n g e n lassen. 6 1 A b e r dazu k a m es nicht. D a g e g e n w u r d e n die ausgestopften E x o t e n Dippes i m S c h l o ß aufgestellt. D a s S t a d t m u s e u m ist 1 9 2 8 eröffnet worden. W ä h r e n d der Restaurierung der Stiftskirche erf o l g t e n n u r w e n i g e Ä n d e r u n g e n an den Schloßg e b ä u d e n : V o r allem erniedrigte man die an den K i r c h - W e s t b a u anstoßende Partie des Südtraktes. Sie erhielt ein flaches D a c h mit Zinnen, u m den K i r c h - W e s t b a u w e i t herausragen zu lassen. 6 2

D e r T o r t u r m erhielt 1 6 1 3 mit d e m N e u b a u des V e r b i n d u n g s t r a k t e s (südlich v o m T o r t u r m ) , der sicher einen V o r g ä n g e r b a u besaß, eine durchgreif e n d e Ä n d e r u n g . 6 6 A u c h die anstoßende W e s t p a r t i e der »Alten Dechanei« (östlich v o m T o r t u r m ) w u r d e wahrscheinlich in diese E r n e u e r u n g einbezogen. 6 7 Sie scheint die gleiche Quadertechnik aufzuweisen. Nach R e i n h a r d S c h m i t t ist auch das oberste G e schoß des T o r t u r m s damals e r n e u e r t w o r d e n . Es erhielt nach N o r d e n u n d W e s t e n 2 Ziergiebel. 6 8 E r n e u e r t w u r d e damals auch die S ü d w a n d der D u r c h f a h r t . 6 9 D a g e g e n stammt die heutige Stützmauer des B u r g a u f g a n g s weiter westlich v o n 1 7 8 3 . Sie m u ß t e damals v o l l s t ä n d i g erneuert w e r d e n . 7 0 D i e W a p p e n des T o r t u r m s stammen v o m E n d e des 1 5 . J a h r h u n d e r t s ; sie sollen sicher nicht auf damalige A r b e i t e n am T o r t u r m weisen. 7 1 ^ Alte Dechanei'

T o r t u r m u n d ,Neue D e c h a n e i ' Nicht n u r die G r u n d m a u e r n , sondern auch erhebliche Partien des A u f g e h e n d e n müssen romanisch sein. 6 3 D i e r u n d b o g i g e T o r d u r c h f a h r t lag u r sprünglich h ö h e r u n d etwas w e i t e r südlich an der Westseite, w a s der darüberliegende, geschlossene B o g e n ausweist. 6 4 I m T o r t u r m lag n ö r d l i c h der D u r c h f a h r t eine K a m m e r . 6 5 59 Fontane nannte das Schloß eine »wahre Musterniete« und hielt sich an das Fehlende: den Thron, das venezianische Spiegelglas usw. Aber auch am Vorhandenen hatte er keine Freude. Fontane erschrak beim Anblick der »Schinkelmöbel«, die ihm ein Kindheitstrauma waren; er vermißt an ihnen wirkliche Arbeit und vor allem Phantasie. »Meine Kinderjahrec, vgl. Anm. 58. S. 43. 60 Vgl. Orgeln, und vgl. Altäre. - Brinkmann 1922, S. 30: »Über dem Burgtor liegenden Querbau ... liegen T. die Stücke des barocknen Hochaltars der Stiftskirche, der früher einen würdigen Schmuck des jetzt kahlen gotischen Chores bildet«. 61 Quast am 21. 8. 1858: »Die genannten Emporen geigen meist ein an sich vortreffliches Schnitzwerk in Rococcostil das an anderer Stelle wohl der Aufbewahrung wert ist. Es dürfte daher nach Abbruch der noch wieder verwendbaren davon nebst einigen Teppichen usw. zunächst in einem Räume des anstoßenden Schlosses vielleicht zur Verwendung bei einem künftigen Ausbau des Letzteren zu benutzen seim. Wäscher 1959, Anm. 113. Quast wußte, daß das Kronprinzenpaar noch 1866 die Absicht hatte, »für einige Zeit im Schloß Residenz Zu nehmen«. Wäscher 1959, Anm. 119. Er mußte also mit bevorstehenden Renovierungsarbeiten im Schloß rechnen. Aber der Plan wurde fallengelassen. 62 Das ist vermutlich eine Anregung Quasts, die er in Gernrode wenigstens teilweise realisieren konnte. Vgl. Voigtländer 1980, S. 62. Vgl. Geschichtlicher Uberblick (1936/44). 63 Brinkmann 1922, S. 24: »Jüngst sind über dem Obertore Mauerlöcher aufgedeckt, in denen Balken lagerten, die einen Wehrgang getragen zu haben scheinen«. An der Westseite findet sich der Rest einer rundbogigen, vermutlich romanischen Fensteröffnung. Keil 1924, HB 21. 64 Wäscher 1959, S. 42: »Der Weg lag höher als heute, die Wegfübrung ist noch zu erkennen. Die Wächterstube im Torbau sowie die Bögen nördlich und südlich der mittleren Torhalle und die Überwölbungen der Durchgänge des früher höher gelegenen Tores gehören ebenfalls noch der ersten romanischen Bauzeit am. Nach Anm. 54 von 1783. 65 Wäscher 1959, Abb. 62, Nr. 7, rekonstruiert eine doppel-

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D e r nordöstliche Teil des B u r g b e r g e s w a r seit d e m 1 5 . J a h r h u n d e r t Hoheitsgebiet der D e c h a n e i ; hier w a r der » D e c h a n t i n Hof«, der später z u m » L u s t gartem w u r d e . 7 2 D i e Baulichkeiten der Dechanei bestanden aus einer Reihe v o n F a c h w e r k h ä u s e r n , die sich an den T o r t u r m anschlössen u n d an die B u r g m a u e r lehnten. 7 3 In diesen Häusern w a r aber

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kammerige Anlage; die südliche konnte aber bisher noch nicht nachgewiesen werden. Das an den Torturm östlich anstoßende Gebäude soll ein romanisches »Wachhaus« gewesen sein, Nr. 8. Aber dieser Bau gehört sicher dem Umbau von 1612/13 zu. Vgl. Anm. 77. Fritsch 1828, II, 61: »Ganz besonders aber machte sich Dorothea von Sachsen [1610 — 1617] um den Neubau des Schlosses in mehreren Theilen sehr verdient, indem sie verschiedene bisher aus Fachwerk bestandene Gebäude von Steinen aufführen ließ. Späterhin wurde auch das Schloßthor überbauet, und die nachmalige Wohnung für die Decanissin hier eingerichtet«. Vgl. Anm. 39. Brinkmann 1922, S. 24: »Das Tor selbst ist auch noch romanisch, während das Torgebäude der späteren Barockzeit angehört«. Vgl. Alte Dechanei. Der nördliche Ziergiebel wurde schon 1614, also nach einem Jahr, dargestellt: Abb. 8. Am 24. 3. 1770 wurde gemeldet, daß die Giebel abgetragen worden sind. Vgl. Anm. 54. — Desgleichen ist 1614 auch das Dach des anstoßenden Verbindungshaus gezeichnet worden. Die Legende lautet: «Anno 1613 Neugebauet«: Abb. 8. Der anzunehmende Vorgängerbau könnte aus Fachwerk gewesen sein, vgl. Anm. 66. Aber Defiio 1976, S. 366 hält den Verbindungsbau für älter: »Von den spätma. Erweiterungen und Veränderungen vor allem noch der Querflügel mit dem oberen Tor von 1490 erh., ein Kammertor mit Wächterstube, sowie der Unterbau der ö anschließenden Dechanteh. Der Pförtner kritzelt an diese Wand: »Hans Schenke von Sternheim, Bfürdner 1612«. — Das Wappen gegenüber kam erst 1900 vom Gröperntor hierher. Vgl. Anm. 54. Beide Torgewände wurden damals vollständig erneuert. Anm. 54. Wahrscheinlich ist damals die neue Stützmauer des Burgaufgangs etwas weiter nach Norden gerückt worden, somit mußte wenigstens der Westbogen ebenfalls etwas nach Norden verlegt werden. Vgl. Anm. 27. - Die Arbeiten, die Dehio 1976, S. 366 (Anm. 68), für 1490 am Torturm und Querbau aufzählt, lassen sich jedenfalls nicht für diese Zeit nachweisen. UN 280. Vgl. Abb. 21, aber auch die wichtige Nordansicht von 1614: Abb. 8.

auch die »Canonek untergebracht,74 wie sicher auch die Hauptmannes75 Diese Dechanei-Häuser stehen bis zum heutigen Tag, im Äußern fast unversehrt.76 Das westliche Gebäude ist in seiner westlichen Hälfte 1613 erneuert worden.77 Hier war »Fräulein Marienkammer 1613 erbautr, im östlichen Teil dieses Gebäudes fand sich dagegen: »Fräulein Marien alt gemach sambt einer Kammer darin die Megde gescblafem.18 Dieses Gebäude war 1614 noch zweigeschossig,79 erhielt in späterer Zeit ein weiteres Geschoß. Im ösdich anstoßenden Gebäude war im Untergeschoß vor allem die Küche der Dechanei, im Obergeschoß eine >>grosse und die kleine stube«.80 Die große Stube wird das heutige holzvertäfelte Zimmer des 15. Jahrhunderts sein.81 Auch die Propsteigebäude im Gegensatz zum Äbtissinnenpalas waren nicht sehr ansehnlich und wohl auch in keinem guten Zustand. Deshalb plante 1715 die Pröpstin Aurora von Königsmarck einen monströsen Neubau anstelle des Torturms, der »Alten Dechanei« und der Hauptmannei. Ein riesiger Kasten mit 24 Fensterachsen ohne jegliche Gliederung der Fassaden oder Bauzier. Das Projekt wurde glücklicherweise nicht realisiert.82 Hauptmannei Seit 1477 gab es im Stift einen Stiftshauptmann, dem im Bereich der Dechanei ein kleines Gehöft zugewiesen wurde. Es waren u. a. die Gebäude des heutigen »Schloßkruges«. Das Gebäude längs der Burgmauer, das sich den Dechanei-Gebäuden an74 Legende zum Plan von 1782: »Dechanei und Canonek, Abb. 6. — Die Kanoniker wohnten wie üblich außerhalb des Stiftsbezirks nunten am Schloßberge«, 1710 standen noch 2 Kanoniker-Kurien. Kettner 1710, S. 109. Westlich vom Schloßberg lag 1782 der stiftische »BauHof Abb. 6. 75 Vgl. Hauptmannei. 76 Das zeigt Abb. 8. 77 Hier ähnliche Mauertechnik wie in den oberen Partien des Torturms und des anschließenden Querbaus. — Nach Wäscher 1959, Abb. 62, Nr. 8, war der tonnengewölbte Keller Unterbau eines DWachhauses« von 1070. Nach Dehio 1976, S. 366, ist der Bau 1490 entstanden, vgl. Anm. 68. 78 Legenden zu Abb. 8. — »Fräulein Marien« könnte die Kanonisse Maria Magdalena, Gräfin von Stolberg, seit 1623 Decana, gewesen sein. 79 Abb. 8. 80 Legende zu Abb. 8. — 1811 heißt es: »Die alte Dechanei, 3 Etagen hoch, unten die Wachstube, oben kleine Wohnungen«. Legende zu Abb. 9. 81 Die heutige Bezeichnung »Aurora-Zimmer« hat nur touristischen Wert. Aurora war Pröpstin und ist somit in der Propstei zu suchen. 82 Vgl. Bauprojekt von »L. M. Anhaltt. ' n ¿em einige Maulbeer- und Aprikosenbäume wachsen«, am Spalier wächst Wein. Mörner 1922, S. 449. 1821 war der Garten wieder »Hof«: Abb. 18. Mit der Auflösung des Stiftes 1803 wurden auch die Propsteigebäude nicht mehr bewohnt. 1825 zog hier eine »Erziehungsanstalt für verwahrloste Kinder« ein. Am 20. Juli 1846 brannte die Propstei aus. Das Dach und ein Teil des Obergeschosses kam zu Schaden. 1849 sind die Propsteigebäude abgetragen worden. Nur der Verbindungsbau im Süden und die Stallanbauten an der Nordostseite des gotischen Chorraums blieben vorerst; vgl. Abb. 35, 42.

Gärten Im Mittelalter darf man in dem engen Burgbereich keinen Garten vermuten. 93 Der sicher erste Garten wurde in der t>Dechantin Hof«,91 also im Nordosten des Burgberges, zwischen 1574 und 1584 angelegt. 95 Dieser»Lustgarten« 9 6 fiel (entsprechend dem Geländeabfall) nach Osten ab und eignete sich für eine Terrassenanlage. 97 Es war wohl zunächst der Äbtissinnengarten. Aber auch die Pröpstin legte sich südlich davon einen kleinen Garten an. 98 Zwei weitere und noch kleinere Plätze wurden »Gärten« 93 Immer wieder wird der »Kleine Abteigartem oder der Propsteigarten hartnäckig als der »einzige stilechte Burggarten Deutschlands« bezeichnet, z. B. Atlas für Motortouristik 1968, S. 146. - Adamiak 1970, S. 29, bezeichnet den Propsteigarten als »Würzgartem. — Stolberg 1968, S. 295: »Das verbleibende Drittel der Burg nimmt der »Östliche Innenhof « ein; er bildete die Vorburg mit Wirtschaftsbauten und Gartem. 94 UN 28. 95 Die Äbtissin Elisabeth II. (1574/84) soll den »Schloßgarten« angelegt haben. Fritsch 1828, II, 16. — Östlich von der Hauptmannei (beim »Mistgraben und ein gang %um Hunde stall, der Abtey war der »Schloß Garth anstoßende. Legende zu Abb. 8 von 1614. 96 UN 280. 97 Im 18. Jahrhundert hieß er im Gegensatz zu den großen Anlagen am Fuße des Schloßberges »Kleiner Abteigartem. Lorenz 1929, HB 224. Pläne zur Gartenanlage bei Abb. 6, 9, 18, 23, 24. ABB I, 40. Im Norden und Osten war der Garten durch die Burgmauer begrenzt, im Süden durch den HauptmanneiPferdestall (später Regierungsgebäude) und durch den Äbtissinnen-Pferdestall. Der Garten war in drei Terrassen gegliedert: Die obere Terrasse, beim heutigen »Schloßkrug« beginnend, war zu Beginn des vorigen Jahrhunderts mit Bäumen besetzt. Die mittlere Terrasse gliederte sich in 9 Felder mit Büschen bewachsen; zur unteren Terrasse war sie durch eine Stützmauer getrennt, die mit Pilastern und Deckgesims gegliedert ist. Die Vierjahreszeiten-Putten kamen in jüngerer Zeit vom Grundstück Weingarten 1 - 2 hierher (Dehio 1976, S. 366). In der Mitte bog die Stützmauer zu einem Halbrund aus, das ein Becken mit Fontäne aufnahm. Das Becken war grottenartig überwölbt, wie entsprechende Dübellöcher wahrscheinlich machen. Das Becken wurde erst 1929 wieder freigelegt. Lorenz 1929, HB 222. Schirwitz 1929, HB 247. Auf diese Mauer war die gärtnerische Anlage der unteren Terrasse ausgerichtet. Die Rasenflächen scheinen hier zu Beginn des vorigen Jahrhunderts mit Bäumen bepflanzt gewesen zu sein. Gegenüber der Fontäne lag bei der Burgmauer das »Lust Hauß« mit geschweiftem Helm. Es wurde 1958 abgerissen, soll aber wieder aufgebaut werden. Fontäne und Lusthaus waren durch einen breiten W e g verbunden. Nach 1812 legte man auf dem breiten Weg eine weitere Rasenfläche an, die Kompartimente beiderseits des Lusthauses wurden aufgegeben und das Häuschen in ein Rasenhalbrund einbezogen. Vgl. Abb. 18. 98 Vgl. ABB I, 40. — Domänenrentmeister Niedhardt erhält 1849 die Genehmigung, sich im Propsteigarten »einen Garten ein^tirichtem. Lorenz 1936, HB 368. Als 1928 der Staat das Schloß der Stadt schenkte, richtete sich der Lehrer Volkhammer im nach Westen erweiterten Propsteigarten einen »Kräutergarten« ein. Lorenz 1936, HB 368. Nach Abschluß der umfassenden Reparaturarbeiten am Südteil der Burgmauer wurde nach 1969 im Bereich des ehemaligen Propsteigartens und seiner westlichen Erweiterung ein neuer Garten eingerichtet unter Aufstellung von 2 originalen Mittelschiffskapitellen: Abb. 90/91 u. 93.

genannt, nördlich 99 und östlich 100 des Äbtissinnenpalas. Den Dignitäten genügten auf die Dauer diese kleinen Anlagen nicht; sie legten sich Ende des 17. Jahrhunderts größere Gärten am Fuße des Burgberges an: Der Garten der Äbtissin lag im Süden des Burgberges, 101 der der Pröpstin im Osten, 102 der der Decana dazwischen. 103 Diese

99 Der Garten nördlich des Nordtraktes zeigte Ende des 18. Jahrhunderts Baumbestand: Abb. 2. — 1811 hieß er der »Fürstliche Garten«: Abb. 9. Später wird er auch »fägergärtchen« genannt. Lorenz 1930, HB 280. Hier steht der Grabstein eines Hundes, von der Äbtissin Anna Sophie (1645/80) gesetzt. Fontane erfreute sich dieses Denkmals für »Hundetreue«. Vgl. seinen Roman »Cécile«. 100 Selbst der kleine Platz an der Ostseite des Nordtraktes erhält 1811 die Legende: »Garten auf der Stelle eines weggerissenen Gebäudes«-, vgl. Abb. 9, und Anm. 56. 101 Er war in einem Quadrat angelegt, an der Süd- und Westseite durch einen »Holländischen Graben« begrenzt. In der Mitte der Kompartimente stand ein rundes Gartenhäuschen, 2 oder mehr Fontänen waren vorhanden; vgl. Abb. 6. Fritsch 1828, II, 161 : »Der große Abteigarten vor dem Brühle, in den Chroniken gewöhnlich der Gart-Garten genannt, wurde besonders von der Äbtissin Anna Sophie I. [1645/80] sehr verschönert, auch mit neuen Wohn- und Wirthschaftsgebäuden für den Gärtner versehen«. Herzogin Charlotte von Braunschweig über ihre Schwester, die Äbtissin Anna Amalie im April 1756: »Sie hat mich in der ganzen Abtei herumgeführt und wir haben in ihrem Garten Tee getrunken. Sie ließ Kaskaden springen wie in Versailles und Marly, und wir sind durch den Garten gegangen, in dem es herrliche Ausblicke gibt. Die Gegend von Quedlinburg ist charmant«. Pangels 1976, S. 395. Südlich vom Garten liegt das alte Waldstück Brühl. (1179 erwähnt: »silva, quae Broil vocatur«, Erath, S. 100. 1277 gehört es für die Mönche von St. Wiperti zu den »loca suspecta, Bruyl et Capellenberg«, Erath, S. 360). In der Barockzeit wurde das kleine Waldstück geometrisiert: Wie der anstoßende Garten war es eine quadratische Anlage mit ursprünglich 2 sich in einem Rund kreuzenden Wegen. Es war die »Linden-Allee«. 1757 kamen Diagonalen hinzu, um 1800 geschlängelte Wege. Im Rondell wird 1831 ein Klopstock-Denkmal errichtet; der Entwurf stammt von Schinkel, die Büste von Tieck. Vgl. Abb. 6. Kugler 1838, S. 163. 102 V g l . Abb. 6. — A m 20. 7. 1711 fanden im » P r ö b s t e y Garten« Festlichkeiten für den Zarewitsch Alexei nebst Braut statt: »Indessen ward mit einer Schäferey, kurt%weilig vorhergegangenen Lauff nach einem Hammel, und gewöhnlichen Tantz derselben beschlossen. Und von allerseits hohen Herschafften, an einer Fürstl. Tafel in Lust-Hauß, von dero Bedienten an eines Adi. Cavallier und Marschall T a f f e i in Garten, die Abend-Mahlzeit eingenommen, da neben die fungfrauen mit ihre Marschallen ihre Tafel hatten. Endlich wurden mit Paucken und Trompeten Schall, auch anderer frölicben Bezeugungen mit Stücken, und auf steigenden Raqueten geschossen, Die hohen Personen sassen auf einen über den Buden Fluß gebaueten, inwendig mit grünen Buschwerck also künstlich aus meublirten, und überzogenen Lust-Hause, als wenn Sie an und aus den Wänden gewachsen wären. Der Baldachin und o f f e n e Fenster waren mit Kräntzen behengt und ausgeschmükket: die Music auf den Wasser und zu Lande in zertheilten Garten. Andern Tages den vom Buden-Strohm wurden auf den grossen Abtey Saale des Hochfürstl. S t i f f t s Hauses zu Mittag unter eben angenehmer Music eine Fürstl. Gräfl. und Adi. Cavallier Tafel gehalten. Nach welchem Mittags-Mahl allerseits hohe Personen in höchsten Vergnügen von einander schieden«. Kettner 1712, Anhang. 103 Vgl. Abb. 6.

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A n l a g e n w a r e n aber s c h o n am E n d e des 1 8 . J a h r hunderts teilweise w i e d e r a u f g e g e b e n w o r d e n . 1 0 4 B r u n n e n und »Wasserkunst« 1 5 7 7 lassen sich z w e i B r u n n e n nachweisen. D e r eine lag westlich v o m N o r d t u r m , 1 0 5 der andere wahrscheinlich zwischen der alten Dechanei u n d d e m Querhaus der K i r c h e . 1 0 8 D a diese nicht m e h r genügten, w u r d e 1574/84 eine W a s s e r m ü h l e , die »Wasserkunst« o d e r » K u n s t « errichtet. 1 0 6 Sie w a r n o c h 1 8 4 6 in F u n k t i o n . 1 0 8 A u f g ä n g e z u m Burgberg I m 1 0 . J a h r h u n d e r t lag der B u r g a u f g a n g an der Südseite, in romanischer Zeit an der Nordseite. 1 0 9 Ein direkter Z u g a n g s w e g z u m Äbtissinnengarten 104 Lorenz 1929, HB 224. Schon der Plan von 1782 zeigt partielle Verwüstung: Abb. 6. 105 UN 292. Der Brunnen wurde 1596 noch einmal gereinigt, 1611 wurde er jedoch zugewölbt und das Brunnenhaus abgetragen. Ende des 18. Jahrhunderts diente er als Wasserspeicher der»Wasserkunst«; vgl. Abb. 6. Zu Beginn unseres Jahrhunderts wurde der Brunnen bis auf eine Tiefe von 15 m ausgeräumt. Scherben von Glas- und Majolikagefäßen kamen ans Licht. Lorenz 1928, HB 200. 106 1614 müßte der Ostbrunnen noch in Tätigkeit gewesen sein, vgl. Legende zu Abb. 8. Er lag der alten Dechanei gegenüber, jedenfalls »gleich am Fahrwege« (UN 292). Wäscher 1959, S. 35, hat den Ostbrunnen beim gotischen Portal der Krypta gesucht und nicht gefunden. Lorenz 1928, HB 200. Lorenz 1929, HB 222. 107 Äbtissin Elisabeth II. (1574/84) soll die »Wasserkunst« erbaut haben. So Fritsch 1828, II, 16. - Lorenz 1922, S. 56, meint, das wäre im Jahr 1584 geschehen. — Das Mühlengebäude ist auf der Bauzeichnung von 1821 festgehalten: Abb. 42. — Die Straße bei der abgerissenen Mühle trägt heute die Bezeichnung »^4« der Kunst«. Dagegen lokalisiert der Plan von 1782 die Mühle östlich vom Burgberg, was aber unwahrscheinlich ist; vgl. Abb. 6. 1782 sind Holzrohre durch Bleirohre ersetzt worden. Lorenz 1929, HB 224. Beim Neubau des Südturms kam die Leitung ans Licht (1877/82); sie führte zum westlich anstoßenden Stiftsgebäude — und von dort wohl zum Westbrunnen. 108 Noch beim Brand der Propstei von 1846 arbeitete die »Wasserkunst« mit Erfolg. Lorenz 1929, HB 224. 109 Vgl. Anm. 3.

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w u r d e i m 17./18. J a h r h u n d e r t angelegt. 1 1 0 1 7 8 3 kam die südliche S t ü t z w a n d des B u r g a u f g a n g s in B e w e g u n g . 1 1 1 Sie m u ß t e v ö l l i g neu mit Stützpfeilern errichtet w e r d e n . F ü r den Prozessionskult der 3 0 e r J a h r e dieses J a h r h u n d e r t s schien ein D i r e k t z u g a n g v o m Wipertikloster zum Burgberg wünschenswert. S o sollte der S ü d w e g der Barockzeit w i e d e r gangbar gemacht w e r d e n . A u c h dieses P r o j e k t w u r d e n u r teilweise a u s g e f ü h r t . 1 1 2 110 Vgl. Abb. 9, 18, 23. 111 Die Pröpstin schreibt am 18. 6. 1783 der Äbtissin Anna Amalie, die sich Zumeist in Berlin aufhielt: »Das Stiftsschloß sei nachgerade an vielen Örtern sehr haufällig. Wenn am Torturm und im Zainger noch weitere Einstürze erfolgtem, so wäre das Stift abgeschnitten. »Die Äbtissin mächte doch einen Notausgang durch die nördliche Ringmauer herstellen lassen, mit einer Treppe den Hang hinunter. Anna Amalie war schließlich damit einverstanden, aber die Pröpstin mußte die Hälfte der Kosten trägem. Nach Lorenz 1929, HB 222. Der Notausgang ist in Abb. 9 berücksichtigt; vgl. auch Anm. 54. 112 Hiecke am 2 7 . 2 . 1939: Himmler fordert, daß Much der vor einigen Jahrzehnten vermauerte Treppenaufgang wieder geöffnet wird, der aus dem Flur zwischen den Gruftgewölben (unter dem südlichen Seitenschiff) ins Schiff heraufführt. Der Austritt wird in Höhe des Schiff bodens mit Bohlen abgedeckt und nur bei besonderen Gelegenheiten geöffnet. Der Flur Zwischen den genannten Gruftgewölben erhält eine Außentür in der Südwand, als Zugang vom Südhang des Burgberges«. Akten C 28 II, Nr. 8812, Bl. 294. Hochbauamt II. (Kniese) am 1 5 . 1 1 . 1 9 3 9 : »Im Zusammenhange mit der Wiederherstellung be^w. Neuschaffung eines Aufganges am südlichen Berghange — die Kosten des Südaufganges wurden von der Reichsleitung SS bestritten — wurde eine neue Eingangstür zum Kirchengebäude durch die Abtissinnengruft angelegt«. Akten C 28 II, Nr. 8812, Bl. 317. Diese Öffnung ist noch vorhanden, aber auch die untere Eingangspforte an der Südwest-Ecke des Burgberges. Die Entwürfe hierzu liegen beim IfD, Planarchiv. Der Weg selbst kam nicht mehr in Arbeit. Für den von der SS geforderten Zugang vom Süden in die Stiftskirche gab es noch zwei ältere Varianten: 1. Die Zugangsöffnung im Südgiebel des Querhauses, die zu diesem Zweck erweitert werden mußte. Vgl. Krypta und Chorstufenanlagen, Anm. 2. 2. Die Bohlenlage im östlichen Teil des südlichen Seitenschiffes. Auch dieses Projekt wurde nicht fertiggestellt. Nach Hinweis von Hans Berger.

Die Stiftskirche vor der Restaurierung

Die Stiftskirche hat besonders seit dem 16. bis 18. Jahrhundert ganz bedeutende Veränderungen erfahren, vor allem im Innern, so daß der heutige Kenner sie in ihrem damaligen Zustand kaum wiedererkannt haben würde. 1 Die obere Hälfte der südlichen Giebelwand des Querhauses mußte im 16. Jahrhundert erneuert werden. 2 Im übrigen hatte der Außenbau im Barock Änderungen erleiden müssen: Alle größeren Fensteröffnungen wurden erweitert; die nördliche Nebenapsis erhielt einen merkwürdigen Fachwerkaufsatz; das gesamte südliche Seitenschiff samt Substruktion mußte erneuert werden. 3 Ganz besonders trostlos stand es um den Westbau. Der Nordturm zeigte im oberen Teil samt der typisch geschweiften Haube eine Änderung dieser Zeit; der Südturm war längst abgetragen und der Turmzwischenbau stand nur noch in seiner nördlichen Hälfte. 4 Die Fensteröffnungen des gotischen Ostchors verloren spätestens damals ihr Maßwerk. 5 Auch die Dächer des Querhauses wie des nördlichen Seitenschiffes wurden damals geändert. 8 Noch viel verschleierter wirkte damals das Innere. Die Westempore, ebenfalls nur in ihrer nördlichen Hälfte erhalten, war im Spätmittelalter längst nicht mehr die Empore der Äbtissin. 7 Die Stiftsdamen saßen im Mittelalter wahrscheinlich wie in Gernrode im südlichen Querhausarm. 8 Im Osten des Chorraums stand damals der»Bilderaltan, die Wände waren mit Behängen bedeckt, auf dem Fußboden lag (wenigstens zu Festzeiten) der große Knüpfteppich. An den Seiten stand Chorgestühl; das vorhandene stammt allerdings aus der Barockzeit. 9 1501 wird der

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Zum Ganzen vgl. Abb. 33. Vgl. Querhaus und Abb. 78. Vgl. Südliches Seitenschiff und Abb. 167. Vgl. Westbau. Der Zustand v o r der Restaurierung, Westempore. Vgl. Ostchor, Anm. 4. Vgl. Querhaus; aber auch Nördliches Seitenschiff und Dächer. Vgl. Westbau, Anm. 40. Vgl. Voigtländer 1980, S. 116. Es sind 2 eichengeschnitzte Chorstühle, die in Form und Ornament in die Barockzeit weisen. Die Sitzbretter sind wie im Mittelalter zum Hochklappen eingerichtet, deswegen wurde auch die Unterseite dieser Bretter verziert. Dagegen sind die Außenseiten der Wangen ganz schlicht; sie waren folglich hinter Pfeilervorlagen o. ä. gestellt. Vgl. Brinkmann 1922, S. 116, Abb. 58. - Im 19. Jahrhundert stand das Gestühl noch im Ostchor. Mit dem neuen Bankgestühl der Restaurierung, das auch den Ostchor einbezog, kamen die beiden Barockbänke

»Fürstinn Kirchenstuhk genannt, ein geschlossener Holzbau, den man im Ostchor oder nördlichen Seitenschiff plazieren könnte. 10 Der 1588 erwähnte >)freuchen chor« war bereits mit Stoffen der Meßgewänder ausgeschlagen. 11 Weitere Änderungen der Äbtissinnenloge sind für das Ende des 16. Jahrhunderts bezeugt. 12 Im Langhaus wird man für diese Zeit ein Chaos von Privatlogen vermuten dürfen, 13 wie in anderen Kirchen dieser Zeit.14 Die Äbtissin Anna Sophie (1645—80) sorgte für eine völlige Erneuerung des Innenraums mit einer wohlgeordneten Emporen- und Gestühlanlage, 15 die in der Hauptsache bis zur Restaurierung bestanden haben muß: 16 »Anno 1674 ist die ServatiiKirche gan% von neuen von oben bis unten gar herrlich renovieret, und ist die Oberdecke in einen Schwickbogen verfasset und zierlich mit den Wolken und Stern, ingleichen mit der Abatissin Waben gelieret. Sie verehrete auch eine künstliche, von Hol^ gedrechselte Krone, worauf 12 Lichter kennen gestecket iverden in der St.-ServatiiKirchen; sie war stark vergildet. Sie ließ auch ihr Kirchen Stübichen von neuen künstlich und väterlich mit der ganzen geschnitzten Passion herstellen und starck vergulden, die Bilder stattlich ausputzen. Auch ward die Decke der Oelberg gemalet und das Fenster Blei ward starck vergül-

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in die Krypta: um 1936 stand dieses Gestühl wieder im Ostchor, w o es dann bald störte, nach 1945 kam es wieder an den alten Platz im Ostchor. UN 156. — 1585/86 wird die Abseite an der Fürstlichen Kirchenstube neu gedielt. (Rep. A 20 Tit. X X V Nr. 19 h, S. 20). W o ist diese Abseite zu suchen? Reinhard Schmitt vermutet das nördliche Seitenschiff, das schon damals eine Empore besessen haben könnte, in der die Äbtissinnen-Prieche vielleicht stand. In diesem Fall ist sie ganz im Osten der Empore zu vermuten, in möglichster Nähe zur Kanzel. Das hat aber zur Voraussetzung, daß schon im 16. Jahrhundert der Verbindungsbau vom Äbtissinnen-Palas zur Kirche bestand. Vgl. Verbindungsbau, Anm. 7. UN 497. UN 157, 158. UN 255. Vgl. auch Gräber und Grabplatten, Anhang Nr. 2, 3. Diese Priechen boten zwar der Kirchenkasse gute Einnahmen, aber andererseits auch Anlaß zu Unordnung und Gezänk, das die Quedlinburger Kirchenordnung von 1627 zu steuern sucht. V o r allem soll niemandem oder Prospekt zur Kandel benambi rverdem. Lorenz 1928, HB 187, 221. Vgl. Abb. 33. Kuglers Behauptung, 1712 und 1 7 1 3 sei für den inneren Ausbau manches geschehen, läßt sich nicht belegen, vgl. Anm. 27. Das gleiche gilt für Wäscher 1959, S. 60: 1705 soll die Chorstufenanlage erneuert worden sein. Vgl. Krypta und Chorstufenanlagen, Anm. 23.

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det«.17 Diese Arbeiten sind wahrscheinlich von 1672 bis 1674 erfolgt. 18 Die Emporenanlage mit dem schönen, barocken Schnitzwerk der Brüstungsfelder, die zu einem beachtlichen Teil noch vorhanden sind,19 und der Verbindungsbau20 sind sicher eine funktionelle Einheit, die wohl von 1674 stammt.21 Die Emporen befanden sich in den beiden Seitenschiffen und füllten diese vollkommen aus. Ihre Fußbodenhöhe lag 30 cm unter den Kapitellen der Erdgeschoß-Arkaden, die somit eigentlich weitgehend unbeschädigt geblieben sein müßten. Dagegen fand man eigenartigerweise hier die Kämpfer im vorigen Jahrhundert weitgehend abgeschlagen vor, obwohl sie dieser Emporenkonstruktion kaum im Wege gewesen sein können.22 Entsprechend der krassen sozialen Schichtung im Stift wurden die Emporenbauten nach Osten, der Kanzel zu, immer aufwendiger: Bestand die westliche Hälfte aus schlichten Emporenbauten, die vermutlich für die Stiftsbeamten reserviert waren,23 so 17 Lorenz 1927, HB 149. Nach Ratschronik A, S. 377. Stadtarchiv Quedlinburg. 18 Vgl. Akten Rep. A 12 Nr. 249/6, 1672/74. 19 Die Füllungen befinden sich jetzt in der Kirche zu Förderstedt. Hier folgende Inschrift: »Diese Ornamente aus der Stiftskirche zu Quedlinburg wurden 1902 nach hier gestiftet«. Vgl. Abb. 34. So auch Dehio 1974, S. 98. In Förderstedt sind 10 Brüstungsfelder eingebaut, die jeweils eine Länge von etwa 3 m haben. Auch wenn man von der Orgelempore absieht, deren Brüstungsfelder allerdings bezeugt sind (vgl. Anm. 31), reichen die Felder für die Quedlinburger Langseiten nicht aus, man könnte hier mit 16 Feldern rechnen. Es sind also bei weitem nicht alle Quedlinburger Felder in Förderstedt eingebaut worden. Schon Quast hatte 1858 vermerkt, daß nur die wieder verwendbaren« aufgehoben werden sollen, vgl. Wäscher 1959, Anm. 113. 3 verschiedene Motive lassen sich in Förderstedt nachweisen. 20 Vgl. Verbindungsbau. 21 Lorenz fand im Grundstück Finkenherd 5 Dielen, die auf einer Seite bemalt waren: » D r a p e r i e n , die von einer Decke herabschweben mit faltigen, farbigen Vorhängen und Schnüren, ganz ' m Stih der Barockzeit. Himmlische Gestalten, Engel, und wie es scheint, Gottvater, schimmern dazwischen. An den Stellen, wo die Draperien den tiefblauen, noch nächtlichen Himmel freilassen, glänzen Sterne. Doch in mächtigen Strahlen geht die Sonne auf und ermöglicht den Ausblick auf die Landschaft... Man schaut über eine Stadt... In ihr erhebt sich ein Kuppelgebäude, gekrönt mit goldenem Aufsatz, offenbar der Tempel von Jerusalem. An ihm vorbei geht die Aussicht über das Tal hinüber zu einem Berge, höchstwahrscheinlich der Ölberg«. Lorenz 1930, HB 283. Vermutlich handelt es sich wirklich um einen Rest der StiftskirchenBarockausstattung. Ob es sich um einen Teil der Innenausstattung der Äbtissinnenloge handelt, wie Lorenz vermutet, bleibt offen. UN 159. 22 Ältere Emporenanlagen, denen vielleicht die Kämpfer im Wege gewesen sein können, sind zwar denkbar, aber nur im nördlichen Seitenschiff möglich; denn 1643/45 werden im südlichen Seitenschiff zwei riesige Epitaphe errichtet, die mit einer Emporenanlage nicht zu vereinbaren gewesen wären. Vgl. Gräber und Grabplatten, Anhang Nr. 7, 9. 23 Hier sind die 1788 genannten Stände zu suchen: »Kavaliersstände«, »Stände der Räten, »Hauptmanneilicher Stuhl« und »Hofmeister Stuhlt. Lorenz 1922, II, 158. — Büsching 1819, S. 199: »Die Abseiten sind weit niedriger und haben eine gerade Decke. Sie sind zwiefach getheilt, unten im niedern

28

fanden sich in der östlichen Hälfte geschlossene Logen. Die Seiten zum Mittelschiff waren verglast. Diese Logen könnten für die damals 2 oder 3 Kanonissen bestimmt gewesen sein. Am prächtigsten waren die »Herrschaftlichen Logem ganz im Osten.24 Um sie geräumiger zu gestalten, waren hier, am östlichen Ende der Erdgeschoß-Arkadenreihen, Eingriffe in die Bögen nötig.25 Diese Logen, höher als die übrigen, waren durch ein kräftiges Gesims abgeschlossen. Auf ihm ruhte ein großer, geschnitzter Aufsatz, welcher mit Wappen geziert war. Entsprechend der Lage ihrer Wohnsitze war die nördliche Herrschaftsloge für die Äbtissin,26 die südliche für die Pröpstin bestimmt.27 Die Innenausstattung dieser Logen, oft geändert, war nicht weniger prächtig; wie zitiert befand sich seit 1674 in der Äbtissinnenloge «die gan^e geschnitzte Passion." Das »Pröbstej Chörchem wurde unter der Pröpstin Aurora von Königsmarck (1704—1728) wahrscheinlich ein letztes Mal renoviert und erhielt eine »bessere Einrichtung«™ Eine geschnitzte und gepolsterte Bank, weiß und gold gefaßt, ist noch vorhanden. Sie stammt wohl aus der Mitte des 18. Jahrhunderts und könnte in einer dieser Logen ihren Platz gehabt haben.29 Die Reste des berühmten Knüpfteppichs entdeckte Kugler 1832 in diesen Logen, als märmende Fußdeckem genutzt.30 Die hölzerne Orgelempore vor der Westwand des

24

25 26 27

28

29 30

Gange sind Sitze angebracht und darüber ist eine Emporen. — Rep. A 12 Spez. Quedlinburg Nr. 249/6. Fabrikaturrechnungen 1672/74, Bl. 1 7 : » J o h a n Christian Zwecken dem Mahler, Vor die Decke, it. Neue Poorkirche und Was dem sonst mehr anhengig zu mahlem. Diese Logen hatten die verschiedensten Bezeichnungen: »Fürstinn Kirchenstuhh (1569): UN 156. — »Kirchen Stübichen« der Äbtissin (1674), s. o. — » P r o p s t e y Stübgem, auch »Betstübgen« genannt (1700): Historische Remarques über die neuesten Sachen in Europa. 23. Woche, Dienstag 15 Juni, 1700. - »Pröbstej Chörchem (1710): UN 186. »Abteilicher Kirchenstand«, »Propsteiliches Kirchengemach« (Fritsch 1828, II, 120). - »Propsteilicher Stuhl« (Fritsch 1828, II, 218). Vgl. Mittelschiff. Vgl. Stiftsgebäude, Der Nordtrakt 1557/59. Vgl. Stiftsgebäude, Propstei. Diese lag südöstlich der Kirche. Auch sie besaß einen »Verbindungsbau«, der vom Propstei-Hauptgebäude zum südlichen Querhausarm in das »Kirchen Gemach« und von dort in die Propsteiloge führte. Büsching 1819, S. 199: »...und darüber ist eine Empore, mit vergitterten Stühlen für die Äbtissin und gegenüber für die Pröpstin, welches noch die Gräfin Königsmark angelegt hat, deren Wappen auch daran ist«. — Fritsch 1828, II, 218: »Der Propsteiliche Stuhl aber hat seinen äußeren Schmuck, wie seine innere bessere Einrichtung erst durch Auroren von Königsmark erhalten, deren Wappen er auch zeigt«. Diese Nachricht überzieht Kugler 1838, S. 77: »Aurora ... gab dem Kirchenstuhle der Pröpstin ihre jetzige Gestalt; auch sonst hat sie für den inneren Ausbau der Kirche in den Jahren 1712 und 1713 Manches geleistet«. Möglicherweise hat aber Aurora nur ihr Logeninneres neu ausgestattet. Wahrscheinlich stammen die beiden Hauptlogen, die sich ähnlich waren, in der Hauptsache von 1672/74. Die Bank befindet sich heute, wenn auch in keinem guten Zustand, im Obergeschoß der »Kirchkammer«, 1922 im Obergeschoß des Ziters. Brinkmann 1922, Taf. 3b. UN 477 f. Vielleicht ist der Teppich schon 1199 erwähnt worden: UN 476.

Mittelschiffs lag bedeutend höher; ihre Decke erreichte die Scheitelhöhe der Erdgeschoß-Längsarkaden. Diese Empore soll älter gewesen sein als die Längsemporen. Dagegen könnte sprechen, daß auch ihre Brüstung »gezierte Füllmgem besaß31 wie die Längsemporen. Priechen, auch Bänke, diese besonders im nördlichen Seitenschiff, verstellten die Zugänge zur Krypta, so mußte ein Mittelzugang angelegt werden. Davor stand der gotische Taufstein.32 Im Erdgeschoß des Mittelschiffs standen in der Hauptsache die »Frauen Stuhlet?3 31 Bei Abb. 33 ist vorn die Brüstung angedeutet. — Vgl. auch Legende zu Abb. 60: »Die Orgelempore steht auf einer starken eichenen Säule ... welche mit den unteren Emporen [Längsemporen] in keiner Verbindung steht. Letztere sind jünger«. — Zeller 1916, S. 27: »Die Orgelempore ... war ... auf Holzpfosten abgestützt, die Brüstungsbretter nach dem Schiff mit gezierten Füllungen versehen; die Orgel selbst stand hinter der oberen Galerie als ein einfacher Holzkastem. Hier aber, in der romanischen Westempore, stand damals der Blasebalg. Die Orgel selbst befand sich auf der hölzernen Orgelempore, die die romanische Westwand des Mittelschiffes verstellte. Vgl. Orgeln. 32 Es handelt sich um den noch vorhandenen, gotischen Taufstein. Brinkmann 1922, S. 116 und seine Abb. 57. 33 Der Bankplan von 1741 (Rep. A 12 Spez. Quedlinburg Nr. 209a, Bl. 1 8 0 - 1 8 1 ) gibt einen Überblick über die Bank-Anordnung des Erdgeschosses. Die Namen der Bankbesitzer sind eingetragen. Danach ist deutlich, daß die Stiftskirche zu dieser Zeit nur für Stiftsangehörige im weitesten Sinn bestimmt war. Saßen die Stiftsbeamten in den Emporen (vgl. Anm. 23), so deren Ehefrauen u. a. in den »Frauen Stühlem des Erdgeschosses. Diese Ordnung war in den Kirchen des 17. und 18. Jahrhunderts allgemein üblich. Alle Bänke, blockweise durchnummeriert, hatten Gitteraufsätze, vgl. Abb. 33. Der Hauptblock der uFrauen Stühlen stand im Mittelschiff vor der »Canzel«. Er war in der Mitte abgetrennt; somit ergaben sich 26 Bänke. Die mittleren Stände des Stifts hatten hier ihren Platz, nicht nur die Frau des Stiftshauptmanns und des Kammervogts, sondern sogar »jDes Pröbstej Bothens Ehefrau«. Seitlich von diesem Mittelblock waren 2 Gänge. Jenseits dieser Gänge standen auf jeder Seite 4 Bänke längs vor der Arkadenreihe, so Abb. 33. Hier saßen höhere Stände, zumeist Ehefrauen der Stiftsgeistlichkeit. An der Südseite ganz vorn war z. B. der »Stand vor die Frau Ober Hoffpredigerm. Nach Abb. 33 war dieser Stand als geschlossene Prieche ausgebaut wie der gegenüberliegende der Nordreihe. Es waren also die vornehmsten Frauenplätze. Im südlichen Seitenschiff waren 1741 keine Bänke, im nördlichen nahmen die Frauen der niedrigsten Stände Platz. Es war der Ungünstigte: Einmal waren die 12 Bänke nach Osten gerichtet, zum anderen schranken die 4 vornehmen Bänke der Nordseite dieses Seitenschiff vom Mittelschiff ab. Hier saß z. B. die Frau des »Pröbstey Laqu\aien]« und des »Abtey Kutschers«. Die Bänke verstellten den dortigen Kryptazugang; er war damals geschlossen. Diese Bankblöcke schlössen im Westen bei dem westlichen Freipfeilerpaar ab. Hier war die Fall-»thür in das fürstl. u. adliche Begräbniß-Gewölben und nach Norden das Hauptportal, das einen Windfang besaß mit »Innerste^r] Kirch-Thür«. Dieser Quergang war für die Begräbnisfeiern nötig. Westlich von diesem Quergang schlössen sich in 2 Blöcken die»Ritter-Stände» an mit je 5 Bänken. Sie gehörten den Stiftsbeamten, wie z. B. dem «>Cantzeley-Ratb Pabsti. Es scheinen keine begehrten Plätze gewesen zu sein; denn nur 3 Bänke waren damals besetzt. Die Herren zogen vermutlich den traditionellen Platz in den Emporen vor, vgl. Anm. 23.

Über dem Ziter im nördlichen Querhausarm hatte man schon im 16. Jahrhundert einen t>Äbtissinnensaah eingerichtet ;34 zur Vierung war der Raum verglast. Im 18. und 19. Jahrhundert befand sich hier die Stiftsbibliothek.35 Aber auch der südliche Querhausarm war damals durch eine Fachwerkwand abgetrennt, das »Kirchen Gemach«,36 das zugleich als Durchgang zur westlich anstoßenden Pröpstinnenloge diente. Unter der Äbtissin Anna Sophie (1645—80) erhielt die Chorstufenanlage wieder eine zweigliederige Anordnung.37 Die dort befindliche Kanzel war apart angeordnet: Ein einheitlich geziertes Holzgitter schloß den Chorraum mit der vorkragenden Kanzel ab, sowie die inneren Seiten der neuen Chorstufenanlage.38 Auch die Orgel stammt aus dieser Zeit (1679—85),39 der riesige Altar kam erst 1689—93 hinzu.40 2 aufwendige Epitaphe wurden 1643 und 1645 im südlichen Seitenschiff errichtet; aber schon mit der Neueinrichtung von 1672/74 waren sie durch den neuen Emporenbau »durchschnitten« und somit um ihre Wirkung gebracht.41 Weiterhin raumbestimmend waren mit der Neuausstattung von 1672/74 die aufwendigen Altar- und

34 35 36

37 38

39 40 41

Bemerkenswerterweise waren im Frauen-Hauptblock vor der Kanzel 2 freie, rechteckige Felder eingeschlossen. Sie lagen mit ihrer Langseite in der Achse des Blockes. Das westliche Feld war bedeutend länger. Vermutlich sind es Grabplattenfelder der ersten 3 evangelischen Äbtissinnen (des 16. Jahrhunderts) gewesen. Die strenge, mittige Ausrichtung der hintereinander liegenden Grabplatten, die man hier vermuten kann, scheint auf eine Zweitaufstellung zu weisen, um sie dem Banksystem anzupassen. Die Platten haben einen geböschten Rand und ragten somit über den Fußboden. Kettner 1710 hat jedenfalls diese 3 Platten gesehen: Die Platte von Anna II. (f 1574) fand er in der Mitte der Kirche »hoch erhaben«. In der Nähe sah er die Platte von Anna III. (f 1601). Möglicherweise bemerkte er im kleinen Feld im Osten die Platte von Elisabeth II. (f 1584): »davon nur der eine Tbeil z}t sehn, denn der ander Theil an einen Stuhl angebauet istn, vgl. Gräber und Grabplatten, Anhang Nr. 1 —3. Für die angenommene Lage der beiden Platten im Westen des Bankblockes gibt es eine Bestätigung: »Hans Wilhelm Kunt^en dem Tischler Vor Verrigtete Arbeit in der Stiftskirchen, da er noch [!] Zehen Neue Frauen Stühle umb die beiden hocherhobenen Leichsteine gemacht am 12. Sept. ao 1676t (Rep. A 12 Spez. Quedlinburg Nr. 249/8: Fabrikaturrechnungen 1675/77, Bl. 15). Danach wurde damals der Hauptbankblock in seinem westlichen Teil vollendet. Beiderseits des westlichen, länglichen Feldes fanden sich 1741 je 5 Bänke. UN 148 f. Vgl. Ziter. Vgl. Ziter, Anm. 21. UN 186. Danach soll es in der Propsteiloge noch einen Kreuzaltar gegeben haben. Somit besaß das Stift 3 Kreuzaltäre: Vor dem Ostchor der Hauptkreuzaltar und in der Kapelle des Äbtissinnenpalas. Vgl. UN 175ff., 263. Für den Umbau von 1672/76 wird ausdrücklich bezeugt: Die Chot-»Treppem wurden mmbgeleget«, »änderst gemacht*. Vgl. Krypta und Chorstufenanlagen, Anm. 23. Die einzige Ansicht der geteilten Anlage des 17. Jahrhunderts ist Abb. 33. — Vgl. Kanzeln. — Nach Fritsch 1828, II, 218, soll die Kanzel schon 1662 errichtet worden sein, was sich jedoch nicht nachweisen läßt. Vgl. Orgeln. Vgl. Altäre. Vgl. Gräber und Grabplatten, Anhang Nr. 7, 9.

29

Orgelbauten

im

Osten

und

Westen

der

Kirche.

sogar

selbstgefertigte

künstliche

Blumen.49

Ein

Mittelschiff, Q u e r h a u s und a u c h der westlichste Teil

p a a r J a h r z e h n t e danach m u ß t e die P r ö p s t i n A u r o r a

des O s t c h o r s 4 2 erhielten eine t o n n e n f ö r m i g e H o l z -

v o n K ö n i g s m a r c k ( 1 7 0 4 / 2 8 ) fast das g a n z e südliche

decke, mit W o l k e n - u n d Sternmalerei b e d e c k t , die

Seitenschiff samt der aufwendigen Substruktion er-

auch

neuern (»optime posito«). I n den

den

Obergaden

miteinbezog.43

Teil d e r Mittelschiffswände alle

Wände

»fingerstarke

erhielten

Der

wie w o h l

einen

hellen

untere

überhaupt Anstrich;44

Tünchen w i r d er bei der R e s t a u r i e r u n g

genannt.45 auch

der

D e r r o m a n i s c h e A r c h i t e k t u r s c h m u c k des I n n e r n störte

1 6 7 2 / 7 4 u n d w u r d e vollständig

Die Fenstergewände

M i t den E m p o r e n i m I n n e r n w u r d e g e g e n 1 6 7 2 / 7 4 zweigeschossige

Verbindungsbau48

richtet, der den Äbtissinnenpalas

mit den

er-

neuen

Gewölberäumen

letzterer w u r d e n S ä r g e aufgestellt. 5 0

Kalk

oder Stuck

verkleisterH,

des O b e r g a d e n s

verschmiert«,

kaschiert: waren

die F r i e s e «mit

»mit Gjps

»die meisten der alten Säulen mit Basen und

Capi teil« hatten »einen Überzug

so w u r d e

von Stuck«,

E m p o r e n der K i r c h e v e r b a n d . A b e r a u c h das n u n

bei der R e s t a u r i e r u n g festgestellt. 5 1 Schließlich w a r

v o m Verbindungsbau umbaute romanische Haupt-

die

portal der K i r c h e erhielt v o n 1 6 7 2 bis 1 6 8 0 eine

Stoffdrapierung v e r d e c k t . 5 2 S o m i t w a r mit A k r i b i e

Barock-Verblendung.47

und K u n s t der I n n e n r a u m vollständig barockisiert,

Erdgeschoß-Bogenflucht

mit

einer

dunklen

Neuausstat-

so d a ß m a n 1 6 7 4 r ü h m e n k o n n t e : D e r R a u m sei

t u n g , A n n a Sophie ( 1 6 4 5 / 8 0 ) , schenkte der Stifts-

won oben bis unten gar herrlich renovieret«. N a c h Q u a s t ,

D i e Äbtissin dieser u m f a n g r e i c h e n kirche nicht n u r eine >)gedrechselte

Krone«,sondern

der B a r o c k als K i n d seiner Z e i t nicht liebte, m u ß es eine schlichte A u s s t a t t u n g g e w e s e n sein, die der

42 Rep. A 12 Spez. Quedlinburg Nr. 249/6: Fabrikaturrechnungen 1672/74, Bl. 16 — 17: Besondere Baukosten 1672/73 für den »oberen Theil der Kirchen S. Servatij zu repariren«. Geld für Baumstämme zu Bohlen und Dielenbrettern, für Arbeiten an der Decke über dem Hohen Chor (den Bogen in der Mauer festzumachen). 43 Rep. A 12 Spez. Quedlinburg Nr. 249/6: Fabrikaturrechnungen 1672/74, Bl. 17: »Johann Christian Zwecken dem Mahler, Vor die Decke«. — Vgl. Abb. 33. 44 So nach Abb. 33. 45 Wäscher 1959, Anm. 115. 46 Vgl. Verbindungsbau. 47 Vgl. Nördliches Seitenschiff. — Rep. A 12 Spez. Quedlinburg Nr. 249/7: Fabrikaturrechnungen 1674/75, Bl. 12: »Michael Güntzeln Vor Holtz und Dielen, so zu dem Neuen Eingange in der Stifftskirchen Verbrauchet worden, am 8. Dec. 74«. »Hans Kunt%en dem Tischler Vor eine große eingefaßte Thür in dem ermelten Eingange, am 8. Dec. eod.« »Martin Brunstorffen dem Kleinscbmiede Vor das Thorweg und die Thür an dem Eingange zu beschlagen«, »Hans Frant^en dem Maurer Vor Verrichtete dreytägige Arbeit an dem oftvermelten Eingänge«. Dass. Nr. 249/9: Fabrikaturrechnungen 1677/80, Bl. 54: »Hans Brandten dem Maurer Vor 18. große Lange Steine %um Behuf/ des Portals in die Stifftskirche, am 18. Sept. 80«. »Andreas Schrödern aus Elbingerode Vor Holtz und Dielen zu dem Neuen Eingange am 23. Sept. 80«. Neue Pflastersteine im Eingange (800 Stück). »Hans Brandten dem Maurer Vor Verrichtete Arbeit an dem Eingange in die Stifftskirche am 6. Nov. 80«. Bl. 55. Vermutlich ist damals auch der Windfang gebaut worden, vgl. Anm. 33. 48 An Kronleuchtern werden erwähnt, ohne daß ihre Identität klar zu erkennen ist: Die Äbtissin Anna Sophie schenkt 1674 einen hölzernen, vgl. Anm. 17. — Heute befinden sich in der Kirche zu Danstedt »2 bar. Kronleuchter« (Dehio 1974, S. 63), die einst in der Stiftskirche hingen. Nach freundlicher Mitteilung von Herrn Dr. Maercker (IfD). - Nach Kugler 1838, S. 77, jedoch hat jene Äbtissin der Stiftskirche »1678 einen messingnen Kronleuchter« geschenkt. — 1877 will der Gemeindekirchenrat 2 Kronleuchter verkaufen: »In der Kirche St. Servatii befinden sich zwe* Z u r " c k g e s t e l l t e alte messigne Kronleuchter, die weder jetzt noch später für unsere Kirche verwendet werden können, da sie zum Styl der restaurierten Kirche nicht passend... Der hier stationierte PremierLieutenant v. Riedesel« hat 200 M geboten. Akten C 3 1 , Nr. 57, Bl. 84. Vgl. Abb. 83. Der spätere Kaiser Friedrich III. stiftete der restaurierten Kirche einen »Kronleuchter aus Bronze, aus zwei m'{ Lichthaltern besetzten Ringen bestehend, einen kleineren über einem größeren in modern gotisierenden Stil«. Brinkmann

30

bescheidenen finanziellen L a g e des Stiftes e n t s p r o c h e n haben könnte. U m der G e l d n o t aufzuhelfen, m u ß t e n damals Teile des Stiftsschatzes w e r d e n . 5 3 N u r den B a r o c k a l t a r ( t r o t z

u n d die E m p o r e n mit ihren F ü l -

Schnörkelform«)5i lungen

umgesetzt wunderlicher

(»vortreffliches Schnit^erk

im

Rococcostilin statu quo« verbleibt. Aus der glücklichen Aufdeckung einer originalen Fensteröffnung in der nördlichen Seitenschiffswand will Werner die gleiche Konsequenz ziehen. Wiederum wehrt Quast ab. Nach dieser Fensteröffnung werden die übrigen beider Seitenschiffe gearbeitet. Das geschah 1864. Damals sind auch die Kämpfer wiederhergestellt worden. Werner bekam auch den Auftrag, die malerischen Reste des Innern zu notieren. Seine Entwürfe für Glasmalerei im Langhaus finden Quasts scharfe Kritik. Er tut sie als »Spielereh ab und dringt auf Änderung. Ende 1864 zeigt sich, daß die Pläne nicht erfüllt werden können. Das Langhaus war immer noch 34

nicht fertig. Für die innere Ausstattung, die für 1864 und 1865 vorgesehen war, fehlen die Direktiven. Im übrigen ist das Geld alle. Von den 12000 Talern, die bis 1865 reichen sollten und die Ausstattung mit abzudecken hatten, sind noch 2000 Taler vorhanden.18 Quast sieht den Restaurierungsbau in Gefahr. Er geht aufs Ganze und dringt im Januar 1864 auf einen »Voranschlag derjenigen Restaurationsarbeiten ... deren Ausführung bisher nicht im Plane gelegen haben«, nicht ohne won des Königs Majestät ein allerhöchstes Gnadengeschenk für die würdige Herstellung dieses historisch wie architektonisch so ausgezeichneten Gotteshauses ^u erbitten, damit diese großartige kaiserliche Stiftung, in der der erste selbständige Herrscher Deutschlands seine Ruhestätte gefunden hat, nicht ferner als ein geflicktes Stückwerk erscheine«.19 Im Februar 1864 ist auch Werner die Krise deutlich. Er schreibt Pelizaeus: »Nach dem Dispositionsplan soll in diesem fahr das Innere der Kirche hergestellt werden«,20 Er weiß, daß es damit nichts werden kann, weil der Ausbau noch immer nicht abgeschlossen ist. Aber dennoch sucht er sich rechtzeitig um detaillierte Pläne für die Ausstattung zu bemühen, damit eine nahtlose Weiterarbeit ermöglicht wird. Es geht um den Choraufgang und die damit zusammenhängenden Zugangsöffnungen zur Krypta, um Kanzel und Altar. Von der Ziteranlage hält Werner nicht viel, er möchte sie, weil jüngeren Datums, abbrechen. Auch die Dächer sind zu nivellieren. Ihn stört die »unangemessene Silhuette« des erhöhten Chordaches. Im übrigen ist die Frage des Westbaus noch völlig ungeklärt. Bevor hier nicht eine eindeutige Entscheidung gefallen ist, kann an die Ausstattung nicht gedacht werden. Das alles bleibt offen und wird es noch lange bleiben. Die Planungskrise ist nicht mehr zu übersehen. Denn in Berlin und Magdeburg kommt es zu keiner klaren Entscheidung. Zwar soll der Westbau wiederhergestellt werden, was unumgänglich ist, aber niemand weiß, in welchem Umfang. Ähnlich steht es mit der Planung für die Ausstattung. Im April 1864 erhält Werner den undankbaren Auftrag, einen »Voranschlag« unter diesen Voraussetzungen aufzusetzen. Er hat »binnen 3 Monaten« vorzuliegen. 21 Nach drei Monaten meldet sich Pelizaeus und mahnt Werner im Auftrage Magdeburgs, den Voranschlag »baldigst« einzureichen. 22 Dort ist jetzt auch deutlich: Die brennende Frage ist jetzt der Westbau. Aber zu einer klaren Entscheidung kommt es nicht. Soll der Quastsche Plan veranschlagt werden? Niemand weiß das genau, auch Pelizaeus nicht. Der nüchterne Landbaurat hält im übrigen nicht viel von dem Südturmprojekt. Nicht einmal dieses ist endgültig gestrichen, was die Verwirrung nur vergrößert. Wenn es nach Pelizaeus geht, können die Chorstufen auch mit Zement ausgebessert werden. Für diese wie für das Gestühl, Orgel, Tür18 19 20 21 22

Akten C 3 1 , Nr. 55, Bl. 168. Wäscher 1959, Anm. 117. Akten C 31, Nr. 55, Bl. 113. Akten C 31, Nr. 55, Bl. 134. Akten C 31, Nr. 55, Bl. 168.

Öffnungen zur Krypta fehlen nach wie vor die Direktiven. Dennoch drängt Pelizaeus auf Termineinhaltung, was dem preußischen Landbaurat überhaupt das Wichtigste zu sein scheint. Werner muß mit dem August 1864 ein neuer Termin gesetzt werden, der aber auch nicht einzuhalten war. Die Sache ist schwierig genug. Am 15. Oktober 1864 liegt endlich der Anschlag vor: 23 Werner wendet sich in erster Linie dem Westbau zu, von dem nur noch etwa die nördliche Hälfte steht. Er schlägt vor, jetzt ein Fundament für den Südturm zu legen, im anderen Fall wäre ein späterer Turmaufbau unmöglich. Zwar projektiert er den Turmzwischenbau nach dem Quastschen Vorschlag, aber er kann nicht umhin, selbst ein Doppelturmprojekt vorzulegen. Dazu hatte ihn niemand aufgefordert — und er wird damit noch Erfolg haben. An Stelle des geteilten Choraufgangs projektierte er eine breite Stufenanlage mit Ambonen an den Seiten. Das Quastsche Projekt in Gernrode, das gerade jetzt in Arbeit ist, hatte ihn angeregt. Werner scheint überhaupt für solche »Restaurierungsideen« eine größere Leidenschaft zu zeigen, als für grundlegende Arbeiten wie etwa die Untersuchung des Bauwerks: Jetzt, nach zweijähriger, ausschließlicher Tätigkeit im Langhaus kommt es noch zu Entdeckungen. Jetzt erst fällt ihm auf, daß im südlichen Obergaden noch eine Fensteröffnung geschlossen ist, daß sich an der Ostseite des Langhauses zwei Doppelbogenöffnungen befinden und daß schließlich an der südlichen Stützenreihe Säulenschäfte ausgewechselt werden müssen. Dem Kostenanschlag ist weiter zu entnehmen, daß sich im Oktober 1864 immer noch Arbeiten an der nördlichen Seitenschiffswand finden: Das romanische Portal ist freizulegen und die begleitenden Lisenen sind auszubessern. Darüberhinaus weist Werner auf dringend nötige Arbeiten im Querhaus hin, das bisher überhaupt noch nicht in den Plan aufgenommen ist. Er vergißt auch nicht, seinen Lieblingsgedanken, die Kirchendächer zu nivellieren, anzumerken. Er hat noch andere, über die er jetzt noch nicht spricht. Aber die Behörden lassen sich Zeit. Im April 1865 war der Kostenanschlag immer noch nicht genehmigt. • Da nur noch »für ganz kurze Zeit« Arbeiten vorhanden sind, drängt Werner: Die westliche Abschlußwand droht einzustürzen. Der Mittelpfeiler mußte schon unterfangen werden. Und noch einmal: Werden jetzt nicht die Fundamente für den Südturm gelegt, dann läßt sich weder das Quastsche Projekt noch der Südturm jemals ausführen. Ist über das Gestühl und die Chorstufenanlage entschieden worden? Die Dächer lassen sich nicht mehr reparieren, sie müssen vollkommen erneuert werden, dann aber möglichst ohne den gotischen «Hocken des Chordaches. Diese Krise der Entschlußlosigkeit scheint sich zu einer Katastrophe zu entwickeln. Der vielbe23 Akten C 31, Nr. 55, Bl. 1 8 7 - 2 1 1 .

schäftigte Konservator ist ständig auf Dienstreisen, 1865 in Trier und Naumburg mit vielen Zwischenstationen. Er allein, ohne Helfer, ist für die Denkmäler ganz Preußens zuständig, das sich gerade jetzt ständig vergrößert. Dazu bitten ihn andere Staaten um Sonderaufgaben, wie Anhalt, wo er jetzt das Restaurierungsobjekt Gernrode abschließt. Aber die preußischen Behörden schweigen. In dieser Zeit ganz großer Unsicherheiten kommt Werner weniger der Besuch Quasts mit dem Geschichtsverein vom 22. September 1865 gelegen, als mehr der des preußischen Kronprinzenpaares, eine Woche danach.24 Graf von Asseburg auf dem nahen Falkenstein hatte zur Jagd geladen. Werner berichtet Quast noch am gleichen Tag des 29. September 1865 halb triumphierend, halb mit Schadenfreude über die »Intensionen der höchsten Herrschaften«: »Die Einfachheit der Decken und Fenster [des Langhauses] hatte den höchsten Beifall; überhaupt kann ich ... hinzufügen, daß Se. Königliche Hoheit... seine Zufriedenheit über die Wiederherstellung ...zu äußern und höchst seine Unterstützung, namentlich auch für die Herstellung des hohen Chores, %u%}tsalLen geruhtem. Das Paar wird vom König weitere Mittel %iir Vollendung des ganzen Münsters« erbitten. Werner behauptet, der Kronprinz wünsche eine breite Chorstufenanlage. Der Ziter soll »zur Loge S'r. Majestät... eingerichtet werden«. In die Umfassungswand der Anlage sind daher Fensteröffnungen einzubrechen. Und dann der eigentliche und gefährliche Hauptpunkt: Der Ostchor hat eine romanische Conche zu bekommen. Das hatten Kronprinz und Werner abgesprochen, vermutlich auf Anregung des Kronprinzen, der sich bezeichnenderweise sofort um die Finanzierung kümmern will. Selbst für die malerische Gestaltung der neuen Conche hat sich der Kronprinz bereits Gedanken gemacht. Werner beeilt sich, diese neuen »Direktiven« von Berlin bestätigen zu lassen. Die oberste Baubehörde in Berlin fordert jedoch Quast zu einer Stellungnahme auf. Das ist nicht immer der Fall. Quast durchschaut den Vorgang: »Da es sich hierbei um Gegenstände handelte, welche für die Herstellung der Kirche Th. von höchster Wichtigkeit sind, und sich mit auf Theile beziehen, von der beabsichtigten Herstellung bisher noch nicht meiner Kenntniß gekommen ivan, ist Quast sehr bald in Quedlinburg, um über die neuen Vorschläge »ein sicheres Urtheil« zu gewinnen. Er überprüft hier noch einmal die bauliche Situation, hört sich Werners Kommentar zum Kronprinzenbesuch an und ersucht am 21. Dezember 1865 beim Kronprinzen um Audienz.25 Quast berichtet darüber nach Berlin: In Sachen der Chorstufenanlage scheint »die von Hrn. Baumeister Werner vorgetragene Ansicht... nicht völlig die S. K. H. des Kronprinzen sein«. Werners Konzept biete auch kein »festes Bildn. Als Quast seinen Entwurf einer geteilten Anlage vorlegt, »erklären beide K. K. H. H. sich mit dieser An24 Wäscher 1959, Anm. 118. Brinkmann 1922, S. 90, verlegt den Besuch irrtümlicherweise auf 1867. 25 Wäscher 1959, Anm. 119.

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Ordnung einverstandene. Tatsächlich hatte sich der Kronprinz für mne etwaige Herstellung des hohen Chores in ursprünglicher Weisen ausgesprochen, ist aber mit der Beibehaltung des jetzigen Chorraums einverstanden. Der Kronprinz hat auch keine Einwände, den Ziter nach dem Quastschen Plan behutsam restaurieren zu lassen. »Höchstdieselben erwähnten nichts von einer Durchbrechung der Wände ... Vielleicht hat den Herrn Verfasser [Werner] der von ihm auch anderwärts ausgesprochene Wunsch, den Zither auszubrechen, veranlaßt, S. K. H. dasfaisige Vorschläge %u machen, welche von S. K. H. nicht abgelehnt wurden, auf welche S. K. H. aber auch kein Gewicht legen scheinen«. Schließlich wünscht der Kronprinz, daß die Grabplatten im Mittelschiff verbleiben. Werner hatte überraschend das schwächste Glied der Instanzenkette aufgespürt: Das Königshaus. Der Kronprinz war vielleicht ein wenig zu konziliant und hat sich am Ende doch zu sehr mit dem Lokalbaumeister eingelassen. Andererseits nützte Werner seine Notlage, ohne Weisung zu sein, auf seine Art aus; er suggerierte dem Kronprinzen seine Pläne. Der Vorschlag, den durchlöcherten Ziter als Königsloge zu verwenden, war nur komisch, den romanischen Chorraum wiederherzustellen dagegen — wie die Folge zeigt — gefährlich. Es ehrt den Kronprinzen, daß er einlenkt, als Quast ihn stellt. Er erkennt die Sachautorität und weicht zurück. Merkwürdigerweise trug Wörner damals nicht sein Doppelturm-Projekt vor. Es wäre die Gelegenheit gewesen. 26 Mit dem Vorschlag, die romanische Conche wiederherzustellen, hat Werner ein Gift gestreut, das weiter wirkt. 1868, ein Jahr nach Werners Weggang, ist der Vorschlag wieder da. Mit Quasts Hilfe wird er in klassischen Worten von Berlin abgewehrt, die »fast programmatische Bedeutung« haben: 27 Ich erwidere, »daß ich den abermals in Anregung gebrachten Abbruch des in der Hauptsache wohlerhaltenen, im Spit^bogenstyl errichteten Chores nicht genehmigen kann, da abgesehen von den bedeutenden Kosten durch ein solches Vorgehen ein wichtiges historisches Glied des Baues der Vorzeit ohne dringende Noth vernichtet und doch nicht das ehemalige Vorhandene, sondern nur ein imitierender Bau der Neuheit dafür erlangt werden würdet Quast konnte noch weitere Erfolge für sich verbuchen: Die Grabplatten bleiben im Mittelschiff, die geteilte Chorstufenanlage mit dem (jüngeren) Kryptenzugang in der Mitte bleiben, Altäre, Kanzel werden nach seiner »Vedute« ausgeführt, die sie mit den Brüstungen der Chorstufenanlage einheitlich zusammenfaßt. Bis zur Einweihung am 1. November 1867 war dem ursprünglichen Plan zufolge das Langhaus wiederhergestellt; weiteres war schwer durchzusetzen. Konnte das Querhaus noch in den Restaurierungsplan aufgenommen werden, so wurden dagegen am Westbau einschneidende und pein26 Vgl. Westbau. 27 Berger 1967, S. 29. 28 Wäscher 1959, Anm. 120.

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liehe Streichungen vorgenommen. Nur die Erdgeschoßhalle und die Empore passierten. Nicht einmal der Quastsche Plan, von ihm als Minimum verstanden, kam durch, geschweige denn der Südturm. Werners Drängen hatte nur den Erfolg, daß hier ein Fundament gelegt werden durfte. 29 Somit verblieb das Glockengeschoß in seiner nördlichen Hälfte, am Nordturm wurde nichts getan. Mit der Einweihung wurde Werner nach Merseburg, später nach Naumburg abberufen. 30 Schließlich konnte Quast doch noch weitere Arbeiten realisieren, die bis 1877 ausgeführt wurden, etwa den Ziter 31 und den Chorraum. 32 Bei der Erneuerung des Kryptenfußbodens kam es zur Entdeckung der großartigen »Confessio«, die bis 1879 instand gesetzt wurde. 33 Von 1877 bis 1882 kam das Wernersche Doppelturm-Projekt zur Ausführung. 34 Mit seinen (später kritisierten) 35 »rheinischen« Helmen ist es doch ein beachtliches denkmalpflegerisches Zeugnis dieser Zeit. 29 Von 1866 bis 1867 liegen nur Rechnungen vor: Akten C31, Nr. 56, Bl. 1—383. Man wird also nur, dies aber sehr genau, über die ausgeführten Arbeiten informiert. 30 Akten C 31, Nr. 56, Bl. 356. - Als verantwortliche Bauleiter nennt das Centralbl. d. Bauverwaltung 1. 1881, S. 347, neben den »Geh. Baurähten von Quast und Rosenthah, die die »Oberleitung« haben, Pelizaeus, Werner, jetzt Bauinspektor in Naumburg, welcher »auch den Entwurf zu den Thürmen entworfen hat und dem Bau vom fahre 1863 bis 1867 vorstand. — Die späteren Arbeiten sind unter der Oberleitung des Regierungs- und Bauraths Doeltz und des Bauinspectors Schlüte durch den Regierungsbaumeister Annecke ausgeführt worden«. 31 Vgl. Ziter. 32 Vgl. Ostchor. — Lexikon der Kunst, IV. Bd., Leipzig 1977, S. 8: »Bau und Ornamentik, von hohem künstlerischen Rang und fast unverändert in der Strenge des ursprünglichen Eindrucks erhalten, sind nur durch die eingreifende Restaurierung unter F. Quast 1863¡82 in ihrer Originalität beeinträchtigte. Bei näherer Betrachtung wird die Quastsche Leistung in Quedlinburg sicher noch eine differenziertere Beurteilung erfahren. 33 Vgl. Confessio. 34 Vgl. Westbau. 35 Die Beurteilung der neuen Türme fiel bei der Bauforschung und Denkmalpflege zumeist negativ aus: Bereits Hoßfeld 1915 gefiel der Zustand vor der Restaurierung, dessen ruinösen Grad er aber nicht gekannt hatte: »Das Ganze bot mit den vorgelagerten Schloßteilen ... ein malerisches, ungewöhnlich schönes Bild. Der Eingriff der achtziger fahre hatte sich in der Hauptsache die Wiedergewinnung der ursprünglichen Erscheinung ... zum Ziel gesetzt. Er war puristisch ... und entsprach den an den maßgebenden Stellen damals herrschenden Anschauungem. Statt der »schönen Renaissancehauben zwei »stilgerechte Helme«. Hoßfeld 1915, S. 105. , Brinkmann 1922, S. 71: Die Türme »zeigen die glücklichsten Verhältnisse, doch entsprechen ihre Helme nicht den im östlichen Norddeutschland, zumal in den Harzgegenden herrschenden Formen ... Sie machen das so imposante Schloßbild erst vollkommen, vom Süden her ganz besonders; nur der Blick von Nordwesten, der die Kirche verschwinden läßt, ist nicht so einheitlich wie früher, wo der barocke Kirchturm besser z» ¿en Schloßgebäuden paßte«. Erich Meyer 1937, S. 15: »Es ist bedauerlich, daß der romanische Chor im 14. fahrhundert einem etwas höheren gotischen Neubau weichen mußte, und noch stärker fällt die in der zweiten Hälfte des vorigen fahrhunderts vorgenommene Erneuerung der Türme ins Gewicht«.

Leopold 1970, S. 9: «Der Westbau mit den Türmen wurde in den Jahren 1877—1882 errichtet. Er trägt entscheidend Geschlossenheit der ganzen Anlage bei, wenn auch das Bemühen, einen »romanischem Bauteil anzufügen, nicht gelingen konnte. In allen Einzelheiten wird der Geist des ausgehenden 19. Jahrhunderts deutlich. Eine in der Grundjorm ähnliche Zweiturmgruppe dürfte schon %um ursprünglichen Plan gehört babem.

Berger 1983, S. 38, mit A n m . 18: »Veränderungen der Denkmale durch Restaurierungsmaßnahmen des 19. Jh. sind dann %um Teil reduziert oder im ganzen rückgängig gemacht worden, wenn sie im Schadensbereich lagen oder die historische wie künstlerische Aussage sehr beeinträchtigem. »Beispiel einer Entrestaurierung ist die Stiftskirche in Quedlinburg, deren Turmhelme von 1882 in den Jahren 1947— 50 durch Zeltdächer ersetzt wurdem.

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Die Arbeiten von 1936 bis 1944

Krypta

Der Zustand der Krypta insbesondere bei den Königsgräbern, wie ihn die Restaurierung des vorigen Jahrhunderts hinterließ, einschließlich etwas späterer Arbeiten, war um 1936 folgender: 1 Unter dem großen gotischen Okulus mit Glasmalerei von 1900 lag die offene Confessio. Davor fanden sich die Königsgräber. Der Tiefschacht war in Fußbodenhöhe der Krypta mit Bohlen abgedeckt. Darunter lag eine weitere Bohlendecke in Höhe des Bodens der Königingruft. Wenn auch nicht sichtbar, sollte diese Decke das ursprüngliche Heinrichsgrab markieren. Auf der oberen Bohlenlage stand die aufgebockte Altarplatte, die nach wie vor als die Grabplatte des Königs angesehen wurde und deshalb hier ihren Platz hatte. Südlich davon befand sich das Grab der Königin. Der in der Gruft aufgestellte Sarkophag war durch ein in Fußbodenhöhe der Krypta liegendes Eisengitter sichtbar. Das Gitter bestand aus gekreuzten Diagonalstäben. Südlich von diesem Grab lag die große Platte auf dem Fußboden der Krypta, westlich vom Königinnengrab, ebenfalls auf dem Fußboden die Platte, die das Grab der Äbtissin Mathilde bezeichnete und westlich davor schließlich eine kleine quadratische Platte, auch sie ragte über den Fußboden. Die Zugangsanlage zur Confessio, nördlich vom »Königsgrab«, war inzwischen, wohl aus Sicherheitsgründen, mit Bohlen abgedeckt. Der Fußboden war mit Ziegelplatten belegt, die durch Zementstreifen, auf die Stützen bezogen, gegliedert waren. 2 Zwei Chorstühle standen damals im Ostteil der Krypta. 3 An der Südwand waren eine Fülle von Architekturteilen gestapelt. 4 Das gotische Portal war damals Einlaß für Kirchführungen, in seiner Nähe fand sich der Verkaufstisch. Für die Feier des tausendjährigen Todestages König Heinrichs I. am 2. Juli 1936 suchte die Stadt Quedlinburg im Herbst 1935 »oberste Reichsstellenn zu gewinnen. Schließlich erklärte sich die SS bereit, die Feier zu übernehmen. 5 Davon war der Öffentlichkeit zunächst nichts bekannt.

1 Vgl. Confessio. 2 Vgl. Anm. 22. 3 Brinkmann 1922, S. 116, mit Abb. 58, bemerkt die zwei Chorstühle in der Krypta; mit dem »barockenen Blattornament'!. 4 Vgl. Brinkmann 1922, Taf. 4; Abb. 41, 46b. 5 Superintendent Schmidt am 4. 2. 1938. Akten Servatii 1 9 3 7 - 1 9 4 8 , Bl. 23. - SS Brigadeführer Dr. Reischle am 24. 10. 1935 an Himmler: »Ute Tatsache der Tausend-

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Im Januar 1936 weist der Bürgermeister, wohl in höherem Auftrag, den Provinzialkonservator, Professor Dr. Hermann Giesau-Halle, auf den »Staatsaktei hin. »Allerhöchste Persönlichkeiten!), werden erscheinen, aber die Krypta befindet sich in einem so unwürdigen Zustand, daß ein »Gefühl innerer Weihestimmung« nicht aufkommen kann. Die Architekturteile stören, auch der Verkaufstisch. »Eine würdige Abgrenzung der Gräberstelle« soll ein »Herumtrampeln neugieriger Besucher« verhindern. Das gotische Portal ist zu schließen. 6 Gegen diese Vorschläge hat der Provinzialkonservator nichts einzuwenden. Bedenken hat er allerdings gegen eine »den Raum teilende Grenzlinien. Vor allem soll an den Königsgräbern nicht gerührt werden. Davon war bisher keine Rede. Giesau ahnt das Kommende: »An der Lagerung der Grabplatte des Königs« werden wir nichts ändern dürfen. Was sich in der Gräberfrage klären ließ, ist geklärt. Die Gruft hat keine Geheimnisse mehr. »Gerade die Schlichtheit und doch so liehevolle Art, wie die Platte gefaßt worden ist, macht den Zauber der Stätte aus, die uns allen heilig ist«.1 Am 12. März und 25. April 1936 fanden Lokalkonferenzen mit dem Konservator der Kunstdenkmäler in Preußen bzw. (preußischen) Staatskonservator, Ministerialrat Dr. Robert Hiecke-Berlin, statt.8 Gegenüber der bisherigen, meist kleinlichen Kritik wird von ihm zunächst festgestellt: Die Stiftskirche i>macht im Ganzen einen durchaus wohlgepflegten Eindruck«.9 Es ist aber Forderungen Rechnung zu tragen, zu denen eigene denkmalpflegerische Wünsche kommen. Vor allem, fordert die SS, »muß die viel