Kooperatives Verwaltungshandeln durch Absprachen und Verträge beim Vollzug des Immissionsschutzrechts [1 ed.] 9783428500505, 9783428100507

Das Verwaltungshandeln hat in jüngerer Zeit immer mehr neue Formen angenommen, die den fortschreitenden Rückzug des Staa

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Kooperatives Verwaltungshandeln durch Absprachen und Verträge beim Vollzug des Immissionsschutzrechts [1 ed.]
 9783428500505, 9783428100507

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DONGSOO SONG

Kooperatives Verwaltungshandeln durch Absprachen und Verträge beim Vollzug des Immissionsschutzrechts

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. M ich a e I Klo e p fe r, Berlin

Band 97

Kooperatives Verwaltungshandeln durch Absprachen und Verträge beim Vollzug des Immissionsschutzrechts

Von

Dongsoo Song

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Song, Dong5oo: Kooperatives Verwaltungs handeln durch Absprachen und Verträge beim Vollzug des Immissionsschutzrechts I von Dongsoo Song. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum Umweltrecht ; Bd. 97) Zug\.: Bonn, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-10050-6

Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany

© 2000 Duncker &

ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-10050-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97068

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1998 von der Rechtsund Staatswissenschaftliehe Fakultät der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Schrifttum wurden bis März 1998 berücksichtigt. Meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Rüdiger Breuer, gilt mein herzlicher und aufrichtiger Dank. Ohne seine Unterstützung wäre diese Arbeit nicht zustand gekommen. Seine ermutigende Kritik, seine vielfältigen Hilfestellung, sein Verständnis und seine Toleranz haben mich weit über die Betreuung der Arbeit hinaus bereichert. Für seine wertvollen Anregungen und seine rasche Begutachtung danke ich ebenso dem Zweitgutachter, Prof. Dr. Wolfgang Löwer. Auch im übrigen habe ich bei der Erstellung der Arbeit von vielen Seiten Unterstützung erfahren. Mein besonderer Dank gilt dabei: Herrn Prof. Dr. lürgen Salzwedel für vielfältige Unterstützung. Er hat nicht nur mein Magisterstudium betreut, sondern auch mich während meines Aufenthalts in Deutschland in jeder Hinsicht beraten; Herrn Prof. Dr. lost Pietzcker für die freundliche Aufnahme in den Seminarveranstaltungen; Herrn Ltd. Ministerialrat Dr. Klaus Hansmann im Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen für vielfältige Hinweise und Anregungen aus der Praxis; Herrn Klaus F. Gärditz und Herrn Markus A. Gockel, die mir während der Anfertigung der Arbeit wertvolle Anregungen gaben und bei den Korrekturarbeiten eine große Hilfe waren. Schließlich möchte ich dem Arbeitskreis Wirtschaft und Recht im Stifterverband für die deutsche Wissenschaft meinen Dank für die Förderung der Drucklegung aussprechen. Ebenfalls danke ich dem Verlag Duncker & Humblot für die freundliche Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe "Schriften zum Umweltrecht". Nicht zuletzt danke ich meiner Frau für die Begleitung meines Studiums. Bonn, im März 2000

Dongsoo Song

Inhaltsverzeichnis § 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. 11.

Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungsbereich ......................................... 1. Beschränkung auf das Immissionsschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschränkung auf die Vollzugspraxis ......................... Erster Teil

Grundlagen des kooperativen Verwaltungshandelns § 2 Kooperation im Staatshandeln ....................................... I.

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24 24

Wandel der Staatsfunktionen ................................... 1. Staatliches Handeln in der Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Änderung der Bedingungen des staatlichen Handeins ........... 3. Verschiedene Lösungsansätze ........... ... ..... ........ ..... Kooperation als ein Lösungsansatz .............................. 1. Kooperation als Chance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kooperationsprinzip im Umweltrecht ......................... 3. Kooperationsprinzip in den Entwürfen zum Umweltgesetzbuch ..

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§ 3 Formen des kooperativen Verwaltungshandelns ........................

33

11.

I. 11.

Begriff des kooperativen Verwaltungshandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausmaß des kooperativen Verwaltungshandelns . ... . . ... . . . .. . .. . . 1. Kooperatives Verwaltungshandeln i. e. S. ...................... 2. Kooperatives Verwaltungshandeln i. w. S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Informelles Verwaltungshandeln (Absprachen) .................... 1. Zum Begriff .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Absprachen ............................................ b) Staatliche Informationsakte .............................. c) Stellungnahme ......................................... 2. Verhältnis zwischen informellem und kooperativem Verwaltungshandeln ................................................... 3. Typisierung der Absprachen. ... . . . ... . . . .. . . .. . . .. . . . .. . .. . . a) Nach dem Ziel ......................................... aa) Vorbereitungsabsprachen (Vorverhandlungen) .......... bb) Vermeidungs- bzw. Ersatzabsprachen ................. b) Nach der Intensität des Bindungswillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis aa) Arrangements ..................................... bb) Agreements ....................................... IV. Verwaltungs rechtlicher Vertrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Historische Entwicklung .................................... 2. Begriff und Abgrenzung .................................... a) Öffentlich-rechtlicher Vertrag, verwaltungsrechtlicher Vertrag und Verwaltungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Öffentlich-rechtlicher Vertrag und privatrechtlicher Vertrag .. c) Verwaltungsrechtlicher Vertrag und (mitwirkungsbedürftiger) Verwaltungsakt ......................................... d) Verwaltungsrechtlicher Vertrag und Zusicherung .. . . . . . . . . . . 3. Zulässigkeit im allgemeinen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertragsformverbot ..................................... b) Ermessen und Ermessensreduzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Arten..................................................... a) Koordinations- und subordinationsrechtliche Verträge ....... b) Vergleichs- und Austauschverträge ........................ c) Verfügungs- und Verpflichtungsverträge ................... d) Unbewehrte und bewehrte Verträge ....................... V. Zusammenfassung ................ ".............. , . . .. . . .. . . .. . .

Zweiter Teil Kooperatives Verwaltungshandeln bei der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung § 4 Rechtliche Grundlagen der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung .............................................................

I.

Genehmigungs- bzw. Anzeigeerfordemis . ... .. .. . ... . ... ... ... . . . 1. Neuanlagen ............................................... 2. Änderungen und wesentliche Änderungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Genehmigung wesentlicher Änderungen (§ 16 BImSchG) ... b) Anzeige unwesentlicher Änderungen (§ 15 BImSchG) ...... 11. Genehmigungsvoraussetzungen ................................. I. Grundpflichten des § 5 BImSchG ............................ a) Schutzpflicht ........................................... b) Vorsorgepflicht ......................................... c) Abfallpflicht ........................................... d) Abwärmenutzungspflicht ................................ e) Nachsorgepflicht ....................................... 2. Sonstige normative Anforderungen ........................... III. Genehmigungsverfahren ....................................... I. Förmliches Genehmigungsverfahren ohne Umweltverträglichkeitsprüfung ...................................................

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Inhaltsverzeichnis

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a) Antragstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Behördenbeteiligung und Sachverständigengutachten. . . .. . . . c) Öffentlichkeitsbeteiligung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bekanntmachung................................... bb) Aktive Informationsbeschaffung und Einwendungen Dritter ............ " . . . . .. . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . cc) Erörterungstermin .................................. dd) Bewertung in der Praxis ............................ 2. Vereinfachtes Genehmigungsverfahren ........................ 3. Förmliches Genehmigungsverfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung ................................................... IV. Verschiedene Verwaltungsentscheidungen und Genehmigungen ..... 1. Vorbescheid ............................................... 2. Genehmigung mit Nebenbestimmungen .................. . . . . . 3. Teilgenehmigung .......................................... 4. Zulassung des vorzeitigen Beginns ........................... 5. Rahmengenehmigung ............................. . . . . . . . . . . V. Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konzentrationswirkung ..................................... 2. Privatrechtsgestaltende Wirkung .............................

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§ 5 Vorverhandlungen bei der Anlagengenehmigung .................. . . . . .

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I.

Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff der Vorverhandlungen ............................... 2. Inhalt der Vorverhandlungen ................................ 3. Funktionen der Vorverhandlungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Risikovermeidung ...................................... b) Verfahrensbeschleunigung ............................... c) Informationsbeschaffung für Sachverhaltsermittlung ........ 11. Vorverhandlungen. Beratungen und Scoping-Verfahren ............ 1. Beratung gern. § 2 Abs. 2 der 9. BImSchV ................... a) Einleitung ............................................. b) Inhalt der Beratung ..................................... c) Beteiligung anderer Behörden und Dritter ................. d) Bewertung der Beratung im Hinblick auf Vorverhandlungen. aa) Nach der alten Fassung ............................. bb) Nach der neuen Fassung ............................ 2. Scoping-Verfahren gern. § 2a der 9. BImSchV ................. a) Einleitung ............................................. b) Beteiligung anderer Behörden und Dritter ................. c) Bewertung des Scoping-Verfahrens im Hinblick auf Vorverhandlungen ............................................ III. Vorverhandlungen und faktische Bindungswirkung ................

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Inhaltsverzeichnis 1. Problemstellung............................................ 2. Untersuchungs stand ........................................ a) Faktische Bindungswirkung .............................. b) Keine faktische Bindungswirkung ........................ 3. Stellungnahme............................................. 4. Faktische Bindungswirkung gegen verfahrensrechtlichen Grundsatz ...................................................... IV. Vorverhandlungen und Rechtsschutz Dritter ...................... 1. Problemstellung............................................ 2. Analoge Anwendung der Verfahrensgrundsätze auf die Vorverhandlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Meinungsstand in der Literatur ........................... b) Argumente für Beteiligungsrecht Dritter an den Vorverhandlungen................................................. aa) Vorverhandlungen als Verwaltungsverfahrensrechtsverhältnisse im weiteren Sinne ......................... bb) Vorhandene normative Grundlage .................... cc) Gewährleistung der Interessenberücksichtigung ........ dd) Zweckmäßigkeit ................................... c) Kreis der Beteiligten bei Vorverhandlungen ................ d) Ermessen bei der Entscheidung der Drittbeteiligung ........ e) Fazit .................................................. 3. Konfliktmittler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konzept durch Konfliktmittler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertung ............................................. V. Verfassungsrechtliche Grenzen der Vorverhandlungen ............. 1. Einhaltung der materiellen Gesetzesziele .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gebot der Verfahrenstransparenz ............................. 3. Gebot des fairen Verwaltungsverfahrens ...................... 4. Verfahrensverantwortung der Behörde ........................ 5. Verhältnismäßigkeitsprinzip ................................. VI. Durchführung der verfahrensrechtlichen Grundsätze im Genehmigungsverfahren ............................................... 1. Richtige Genehmigungsentscheidung durch Verfahren .......... a) Verfahren als Garantie ausreichender Sachverhaltsermittlung . b) Verfahren als Garantie des Individualinteresses ............. 2. Grundrechtsschutz durch Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . VII. Möglichkeit des verwaltungsgerichtlichen Drittschutzes bei Erteilung der Genehmigung im Hinblick auf Vorverhandlungen ............. 1. Problemstellung............................................ 2. Gerichtlicher Drittschutz vor Erteilung der Genehmigung ....... a) Gerichtliche Drittschutzdefizite gegen Vorverhandlungen .... b) Rechtsschutzinteresse Dritter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorbeugender Rechtsschutz ..............................

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Inhaltsverzeichnis d) Einschränkung des Rechtsschutzes während des Verwaltungsverfahrens ............................................. 3. Gerichtlicher Drittschutz gegen Verfahrensfehler nach Erteilung der Genehmigung .......................................... a) Klagebefugnis Dritter ................................... b) Drittschützende Genehmigungsverfahrensvorschriften ....... c) Einschränkung des Drittschutzes durch Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlem ....................................... d) Einschränkung des Drittschutzes durch Präklusion .......... VIII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. § 6 Verträge bei der Anlagengenehmigung ...............................

I.

11.

Verwaltungsrechtliche Verträge vor Beendigung des Genehmigungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erscheinungsformen ........................................ 2. Zulässigkeit ............................................... Verwaltungsrechtliche Verträge als Ersatz des Genehmigungsbescheides .......................................................... I. Fragestellung .............................................. 2. Zulässigkeit ............................................... Dritter Teil Kooperatives Verwaltungshandeln bei der Sanierung der bestehenden Anlage

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§ 7 Gesetzliche Sanierungsinstrumente im Immissionsschutzrecht ...........

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I. Materielle Anforderungen ...................................... 11. Sanierungskonzept der TA-Luft 1986 ............................ III. Gesetzliche Sanierungsinstrumente .............................. I. Nachträgliche Anordnung nach § 17 BImSchG ................ a) Anwendungsbereich .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt der nachträglichen Anordnungen. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . c) Ermessens- bzw. Soll-Entscheidung.. . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . d) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ........................ 2. Betriebsuntersagung nach § 20 Abs. 1 BImSchG .............. a) Allgemeines ........................................... b) Voraussetzungen ........................................ 3. Stillegung und Beseitigung nach § 20 Abs. 2 BImSchG ........ 4. Widerruf der Genehmigung nach § 21 BImSchG .............. a) Allgemeines ........................................... b) Widerrufsgründe . . . ... .. ... . . . .. ... . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . c) Entschädigung..........................................

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§ 8 Sanierungsvereinbarungen bei der bestehenden Anlage... . . .. . . . .. ... . .

161

I.

Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161

Inhaltsverzeichnis

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1. Vorverhandlungen vor dem Erlaß nachträglicher Anordnungen

11.

a) Bedeutung der Vorverhandlungen. . . . . . .. .. . . . . .. . . . . . . . . . b) Beteiligung Dritter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Übergang zwischen Absprachen, Verträgen und nachträglichen Anordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sanierungs vereinbarungen anstatt nachträglicher Anordnungen .. a) Erscheinungsfonnen der Sanierungsvereinbarungen ......... b) Zulässigkeit der Sanierungsvereinbarungen ................ aa) Sanierungsverträge ................................. bb) Sanierungsabsprachen .............................. 3. Sanierungsverträge oder Sanierungsabsprachen ................ a) Unterschied zwischen Verträgen und Absprachen ........... b) Sanierungsverträge als bessere Instrumente im Vergleich zu Sanierungsabsprachen ................................... aa) Fragestellung...................................... bb) Vor- und Nachteile der (infonnellen) Absprachen ...... (1) Aspekt der Rechtsstaatlichkeit und Verwaltungseffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Aspekt der Durchsetzung der Absprachen ........ (3) Analoge Anwendung der §§ 54ff. VwVfG auf die Sanierungsabsprachen? ......................... cc) Fazit: Sanierungs verträge als Mittelweg zwischen nachträglichen Anordnungen und Sanierungsabsprachen .... 4. Gründe für Sanierungsvereinbarungen ........................ a) Überwachungsdefizit .................................... b) Unbestimmte Rechtsbegriffe ............................. aa) "Stand der Technik" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) "Wirtschaftliche Vertretbarkeit" bzw. "Verhältnismäßigkeit" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ineffektiver Umweltschutz durch Gerichtsverfahren ......... d) Änderungsgenehmigung ................................. e) Ökonomische und politische Interessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Fazit .................................................. Typisierung der Sanierungsvereinbarungen ....................... 1. Überblick ................................................. 2. Nonnale Sanierungsvereinbarungen, die sich ausschließlich auf eine sanierungsbedürftige Anlage beziehen .................... a) Gewährung von Fristen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abweichung von einer Änderungsgenehmigung ............ c) Abweichung von Emissionswerten: Verhältnis zwischen dem Stand der Technik und den Emissionswerten der TA-Luft ... aa) Problemstellung.................................... bb) Begriff "Stand der Technik" .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bindungswirkung der Emissionswerte der TA-Luft.. . . .

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Inhaltsverzeichnis (1) Emissionswerte der TA-Luft

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(2) Meinungsstand in der Rechtsprechung ........... . 194 (3) Emissionswerte der TA-Luft als Höchstanforderun-

gen? ........................................ . (4) Gegenargumente: Emissionswerte der TA-Luft als Mindestanforderungen ......................... . dd) Zwischenergebnis ................................. . 3. Koppelungsvereinbarungen, die die Sanierung einer bestehenden Anlage mit der Genehmigung einer neuen Anlage verknüpfen .. . a) Bedeutung in der Praxis ................................ . b) Fallbeispiele nach der Realisierung des Standes der Technik . aa) Genehmigungserteilung mit vollständiger Realisierung des Standes der Technik ........................... . bb) Genehmigungserteilung mit vollständiger Realisierung der TA-Luft, aber unvollständiger Realisierung des Standes der Technik ................................... . cc) Genehmigungserteilung mit unvollständiger Realisierung der TA-Luft ................................ '. . . . . .. c) Rechtliche Bewertung ................................... 4. Kompensationsvereinbarungen, die zwei verschiedene sanierungsbedürftige Anlagen einbeziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Gedanke der Kompensation .............................. b) Bedeutung der Kompensation als geregeltes Sanierungsinstrument .................................................. c). Kompensationsanordnungen . ... .... . .. ... . . ... ... .. . .. . .. d) Kompensationen unter TA-Luft 1986 ..................... aa) Kompensationsregelungen der TA-Luft 1986 .......... bb) Fallbeispiele der Kompensationsvereinbarungen ....... ' (1) "Kannenbäckerland" ........................... (2) Abluftreinigung eines Esso-Tanklagers ........... (3) Umstellung der Firma Deutsch-Linoleum-Werke. .. (4) Nachverbrennung der Schadstoffe ............... e) Kompensationen nach der 3. Novellierung des BImSchG von 1990 .................................................. aa) Anlagen .......................................... bb) Technische Maßnahmen ............................ cc) Zeitliche Grenzen .................................. dd) Räumliche Grenzen ................................ f) Zwischenergebnis....................................... III. Rechtmäßigkeit von Sanierungsverträgen ........................ 1. Formelle Rechtmäßigkeit ................................... a) Erforderlichkeit der Schriftform nach § 57 VwVfG ......... aa) Bedeutung der Schriftform .......................... bb) Schriftform in Sanierungsverträgen ...................

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Inhaltsverzeichnis cc) Grundsatz der Urkundeneinheit ...................... b) Zustimmung Dritter nach § 58 VwVfG? . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Begriff und Bedeutung ............................. bb) Nachbarschutz in nachträglichen Anordnungen ........ cc) Nachbarschutz in Sanierungsverträgen ................ 2. Materielle Rechtmäßigkeit bezüglich der inhaltlichen Gestaltung von Sanierungsverträgen .................................... a) Problemstellung ........................................ b) Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes ..................... c) Koppelungsverbot ...................................... d) Übermaßverbot ......................................... e) Bestimmtheit........................................... IV. Rechtsfolgen rechtswidriger Sanierungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Bedeutung ................................................ 2. Nichtigkeit der rechtswidrigen Sanierungsverträge ............. a) Nichtigkeitsgründe nach § 59 Abs. 2 VwVfG .............. b) Nichtigkeitsgründe nach § 59 Abs. 1 VwVfG .............. c) Rechtsschutz ........................................... V. Durchsetzung von Sanierungsverträgen .......................... 1. Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckung nach § 61 VwVfG a) Bedeutung ............................................. b) Voraussetzungen ........................................ 2. Vertragsstrafe .............................................. 3. Durchsetzung des Sanierungsvertrages mittels Sanierungsanordnung ..................................................... VI. Abwicklung durch Anpassung und Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Voraussetzungen ........................................... a) Wesentliche Änderungen maßgeblicher Verhältnisse . . . . . . . .. b) Zumutbarkeit........................................... 2. Anpassung ................................................ 3. Kündigung ................................................ VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

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§ 9 Schlußbetrachtung .................................................

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

253

Sachregister ..........................................................

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§ 1 Einführung I. Problemstellung Umweltschutz ist eine "Schicksalsaufgabe des modemen Staates"'. Ob der Gesetzgeber sein Ziel des Umweltschutzes tatsächlich erreicht, hängt in besonderem Maße von dem Vollzug der jeweiligen Norm ab 2 • Zur Erfüllung dieser Voraussetzung steht dem Staat deswegen ein reichhaltiges Instrumentarium zur Verfügung. Im Vordergrund werden die klassischen ordnungsrechtlichen Instrumente des Verwaltungshandelns eingesetzt. Besonders ausgeprägt ist die rechtliche Formalisierung des Verwaltungshandelns beim Vollzug der gesetzlichen Normen, d. h. der Erfüllung des gesetzlichen Handlungsauftrages durch die Exekutive: Häufigstes und gleichzeitig wichtigstes administratives Handlungsinstrument ist der Verwaltungsake. Da die Verwaltung aber die im Gesetz enthaltenen Steuerungsvorgaben den situativen Besonderheiten nicht genug anpassen kann, ergeben sich daraus die Vollzugsdefizite4 und Steuerungsverluste des Gesetzes5 . In diesem Zusammenhang ist das deutsche Verwaltungsrecht mit neuen Phänomenen des Verwaltungshandelns konfrontiert, die mehr und mehr klassische ordnungsrechtliche Instrumente des Verwaltungshandelns überlagern, ergänzen oder gar ablösen. Die Rede ist von kooperativem Verwaltungshandeln. Die Bewegung hin zu neuen Rechtsformen des Verwaltungshandelns hat insbesondere durch stürmische Entwicklungen im Umweltrecht mächtigen Auftrieb erhalten. Vielfalt, Komplexität und Dynamik heutiger Anforderungen an die Verwaltung führen häufig dazu, daß sich die anstehenden Aufgaben nicht in die überkommenen Verwaltungsstrukturen einfügen lassen. Kooperatives Verwaltungshandeln ist also ein Versuch, mit Breuer, Der Staat 20 (1981),393. Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rn. 28. 3 Vgl. Bull, Allg. VerwR, Rn. 5I3ff.; Erichsen, Allg. VerwR, § 12 Rn. Iff.; Kopp, VwVfG, Vorbem. zu § 54 Rn. 2; WolfflBachoflStober, VerwR I, § 45 Rn. 1 ff. 4 Vgl. hierzu Umweltgutachten 1978, BT-Drs. 8/1938, Tz. 1521ff. 1538ff.; zu empirischen Untersuchungen zum Vollzug im Umweltrecht: Lambrecht, Vollzugseignung des BlmSchG in der Eisen- und Stahlindustrie, 1977; Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, 1978; Bohne, Der informale Rechtsstaat, 1981; von Wedemeyer, Kooperation beim Vollzug des Umweltrechts, 1991. S Vgl. Lange, VerwArch 82 (1991), 1 ff.; Lübbe-Wolff, NuR 1993, 217ff.; Pitschas, DÖV 1989, 785 ff.; Ritter, StWissStPrax 1990, 50ff. I

2

2 Song

§ 1 Einführung

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dieser Entwicklung umzugehen und neue staatliche Steuerungskapazitäten zu gewinnen6 • Typische Fonnen des kooperativen Verwaltunrshandelns sind infonnelle Absprachen und verwaltungsrechtliche Verträge , weil sie auf Konsultationen zwischen der Verwaltung und Privaten beruhen und im Ergebnis regelmäßig einen Komprorniß bzw. Tausch im Sinne einer Verknüpfung von Leistungen und Gegenleistungen zwischen der Verwaltung und Privaten darstellen 8 • Verträge sind hier wegen ihrer Verbindlichkeit und wegen ihrer fonnellen Regelung deutlich von Absprachen zu unterscheiden9 • Absprachen können sowohl im Vorfeld fonnalisierter Handlungsformen (Vorbereitungsabsprachen) als auch an Stelle solcher Handlungsfonnen (Ersatz- bzw. Venneidungsabsprachen) erfolgen 10. In der immissionsschutzrechtlichen Praxis erfolgt beispiel weise die materielle Entscheidung über die Zulässigkeit genehmigungsbedürftiger Anlagen nicht in dem vom BImSchG hierfür vorgesehenen fonnalen Genehmigungsverfahren (§ 10 BImSehG), das im übrigen Dritten beträchtliche Partizipationschancen einräumt, sondern die Entscheidung wird in - dem fonnalen Genehmigungsverfahren vorgelagerten - Absprachen (Vorverhandlungen) gefällt. Die Folge hiervon ist, daß die oben angesprochenen Partizipationschancen entwertet werden und der fonnale Genehmigungsbescheid zu einem "notariellen Beurkundungsakt" 11 vorweggenommener Entscheidungen wird. Vorverhandlungen haben in der Tat viele Vorteile wie Risikovenneidung, Verfahrensbeschleunigung und Infonnationsbeschaffung für die Sachverhaltsennittlung bei dem komplexen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren. Hierzu muß die Behörde aber streng nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ausgerichtet sein. Die rechtsstaatliehe Bewährung hängt letztlich davon ab, ob und inwieweit es gelingt, ihre Tauglichkeit zur Erfüllung der Verwaltungsaufgaben sicherzustellen und auf die Rechte Dritter Rücksicht zu nehmen l2 • In diesem Zusammenhang scheinen Vorverhandlungen insbesondere problematisch, weil man entweder mit dieser Realität rechtsdogmatisch noch kaum umgehen kann oder weil man glaubt, daß zwischen Benz. Kooperative Verwaltung, S. 305 f. Die überragende Bedeutung des kooperativen Verwaltungshandelns wird dadurch unterstrichen, daß der Vorstand der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer sich veraniaßt sah, die "Verträge und Absprachen zwischen der Verwaltung und Privaten" zu einem Beratungsgegenstand der Jahrestagung 1992 der Vereinigung, zu erheben. Vgl. VVDStRL 52 (1993), 190ff. 8 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 233. 9 Benz. Die Verwaltung 23 (1990), 84f.; Bulling, DÖV 1989, 279f. \0 Vgl. Burmeister, VVDStRL 52 (1993), S. 234. 11 Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 318, 346. 12 Vgl. Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen. S. 23. 6 7

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"Kooperation und Korruption"13 bzw. informellem und illegalem Verwaltungshandeln keine klaren Grenzen gezogen werden könnten 14. Hier entzieht sich der Staat nicht nur seiner rechtlichen Bindungen, sondern auch seiner rechtsstaatlichen Verantwortung 15. Damit stellt sich die Frage, wie man die dogmatische Erfassung der Vorverhandlungen erklären kann. Informelle Absprachen spielen auch bei der Sanierung bestehender Anlagen eine bedeutende Rolle. Bei den Bemühungen, veraltete Anlagen dem neuesten "Stand der Technik" anzupassen, verzichtet die Behörde häufig auf den Gebrauch ihre ordnungsrechtliche Sanierungsinstrumente (z. B. nachträgliche Anordnungen gern. § 17 BImSchG) zur Durchsetzung gesetzlicher Umweltstandards. Stattdessen versucht sie, die Sanierungsmaßnahmen durch freiwillige Sanierungsabsprachen mit dem Betreiber zu erreichen. Dabei benutzt die Behörde eine rechtlich fragwürdige Kombination von Druck und Gegenleistung (z. B. Gewährung von Fristen, Abweichung von Emissionswerten). Diese Sanierungsabsprachen sind im Hinblick auf die Durchsetzung besonders problematisch. Aufgrund der rechtlichen Unverbindlichkeit räumen Sanierungsabsprachen der Behörde keinen durchsetzbaren Erfüllungsanspruch ein. D. h., hält der Anlagenbetreiber sich ganz oder teilweise nicht an die Inhalte der Sanierungsabsprache bzw. den beigefügten Zeitplan, gibt es keine weitere Möglichkeit diese durchzusetzen. Die Behörde muß dann bei Null neu anfangen. Sie muß sofort gegen den Betreiber erneut eine nachträgliche Anordnung erlassen. Im Hinblick auf die rechtlichen Probleme der Sanierungsabsprachen stellt sich daher die Frage, ob die Behörde anstatt einer Absprache einen Vertrag abschließen kann. Nachdem der verwaltungsrechtliche Vertrag in §§ 54ff. VwVfG ausdrücklich für zulässig erklärt wurde, ist er als eine der Handlungsformen der Verwaltung unbestritten. Er kann ein wirkungsvolles Instrument der Verwaltung bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben sein l6 . Insbesondere das noch relativ neue Rechtsgebiet "Umweltrecht", das das Kooperationsprinzip zu einem seiner Grundprinzipien zählt 17, müßte daher ein breites Anwendungsfeld für den verwaltungsrechtlichen Vertrag bieten. In Wahrheit erfreut sich das geradezu klassische Kooperationsinstrument des Vertrages aber nur geringer Wertschätzung 18 , während die Absprache in 13 Vgl. den Sammelband von Benz/Seibel, Zwischen Kooperation und Korruption, 1992. 14 Benz, Die Verwaltung 23 (1990), 88. IS Bohne, VerwArch 75 (1984), 346. 16 Schon 1958 wies Salzwedel auf die zunehmende Anwendung des öffentlichrechtlichen Vertrages in der Verwaltungspraxis hin. Vgl. Salzwedel, Die Grenzen der Zulässigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 3. 17 Vgl. Breuer, Der Staat 20 (1981), 398ff.; Grüter, Umwe1trecht und Kooperationsprinzip in der BRD, 1990. 2·

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§ 1 Einführung

der Literatur eingehende Behandlung erfährt 19. Im folgenden soll daher untersucht werden, ob und inwieweit Sanierungsverträge tatsächlich in der Sanierungspraxis anstatt ordnungsrechtlicher Sanierungsinstrumente bzw. Absprachen abgeschlossen werden können, welche Voraussetzungen gegebenfalls für die Rechtmäßigkeit bezüglich der inhaltlichen Gestaltung beachtet werden müssen.

11. Untersuchungsbereich 1. Beschränkung auf das Immissionsschutzrecht

Kooperatives Verwaltungshandeln durch Verträge läßt sich für verschiedene Rechtsgebiete feststellen 2o • Das Bauplanungs- und Bauordnungsrecht ist seit langem ein Laboratorium kooperativen Verwaltungshandelns 21 • Darüber hinaus rückt das kooperative Verwaltungshandeln durch Verträge auch in anderen Rechtgebieten wie z. B. im Abgabenrecht22 , Subventionsrecht23 und Umweltrecht24 in den Vordergrund. (Informelle) Absprachen finden dagegen höchst selektiv Anwendung 25 . Sie sind eigentlich im Zusammenhang mit der Analyse bestimmter Vollzugsdefizite 26 im Bereich des Umweltschutzes entdeckt worden 27 . Hier liegt nach wie vor ein zentraler Schwerpunkt der Absprachen 28 • Sie sind 18 Vgl. Lecheier, BayVBI. 1992,547: "Der Vertrag als eine der Handlungsfonnen der Verwaltung ist also unbestritten: die Handlungsfonn der Verwaltung von Morgen kann und darf es nicht werden". 19 Dies beklagt Di Fabio, DVBI. 1990, 339. 20 Zur neuen empirischen Untersuchung vgl. Bartscher, Der Verwaltungsvertrag in der Behördenpraxis, 1997. 21 Dazu Busse, BayVBI. 1994, 353ff.; Krebs, in: Verwaltungshandeln durch Verträge und Absprachen, S. 77ff.; ders., DÖV 1989, 969ff.; Jäde, BayVBI. 1992, 549 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Festschrift für Konrad Gelzer, S. 117 ff. 22 Dazu etwa Heun, DÖV 1989, 1053 ff.; vgl. ferner allgemein zu steuerrechtlichen Verträgen Sontheimer, Der verwaltungsrechtliche Vertrag im Steuerrecht, 1987. 23 Dazu Knirsch, NVwZ 1984, 495ff. 24 Dazu Amold, VerwArch 80 (1989), 125ff.; Bulling, DÖV 1989, 277ff.; Di Fabio, DVBI. 1990, 338ff.; Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 246. 2S Während Absprachen im Umweltrecht zunehmen, kennen sie das Polizei-, das Sozial- und das Ausländerrecht kaum. Vgl. Kutscha, in: Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, S. 19. 26 Grundlegend Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, 1978. 27 Die erste Monographie über infonnelle Absprachen: Bohne, Der infonnale Rechtsstaat, 1981. 28 Einen Überblick bietet die Darstellung bei Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, S. 15 ff.

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beispielsweise im Immissionsschutzrecht29 , Abfallrecheo und Wasserreche l stark verbreitet. Ein umfassendes Bild oder eine pauschale Beurteilung von kooperativem Verwaltungshandeln durch Verträge und Absprachen ist in der Verwaltung problematisch, so daß kooperatives Verwaltungshandeln in der notwendigen Differenziertheit analysiert werden muß. Unter diesem Vorbehalt sind die folgenden Ausführungen zu einigen Aspekten des Verfahrens und zu den Ergebnissen von kooperativem Verwaltungshandeln auf dem Gebiet des immissionsschutzrechtlichen Vollzugs zu sehen.

2. Beschränkung auf die Vollzugspraxis Kooperatives Verwaltungshandeln durch Verträge und Absprachen kann auf zwei unterschiedlichen Ebenen staatlichen Handeins angesiedelt sein. Hierbei unterscheidet man grundsätzlich zwischen dem normvertretenden32 (normersetzenden 33 oder regulativen 34 ) und dem normvollziehden 35 (projektbezogenen) kooperativen Verwaltungshandeln. Vom normvertretenden kooperativen Verwaltungshandeln wird gesprochen, wenn durch Verträge oder Absprachen eine Lösung vereinbart wird, die darauf zielt, Normsetzungsakte (Gesetze, Rechtsverordnungen, Satzungen) zu verhindern oder zu ersetzen36 • Solche Kooperation durch Verträge und Absprachen im Bereich der Normsetzung treten in verschiedenen Gebieten auf. Beispielsweise tritt in der Praxis der Naturschutzverwaltung häufig der Vertrag (sog. Vertragsnaturschutz37 ) an die Stelle der RechtsverDazu von Wedemeyer, Kooperationen beim Vollzug des Umweltrechts, 1991. Dazu Holmaget, Konfliktlösung durch Verhandlungen, S. 178 ff. 31 Dazu Lübbe-Wolff, NuR 1989, 295 ff. 32 Ausgehend von Bohne, VerwArch 75 (1984), 361 ff. 33 Scherer, DÖV 1991, Iff. 34 Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 25; Tomerius, Infonnelle Projektabsprachen im Umweltrecht, S. 18. 35 Bohne, VerwArch 75 (1984),345, 347ff. 36 Meyer/Borgs, VwVfG, § 54 Rn. 54ff. unterscheidet zwischen echten und unechten Nonnsetzungsverträgen. Echte Normsetzungsverträge sind solche, die eine Verpflichtung zum Erlaß oder zur Änderung, Ergänzung oder Aufhebung einer Nonn begründen. Unechte Nonnsetzungsverträge hingegen versprechen lediglich die Beibehaltung bzw. den Nichterlaß einer Nonn, also die Wahrung des nonnatiyen status quo. Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Meinung in der Literatur sind echte Nonnsetzungsverträge grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerwG, NJW 1980, 2538). 37 Vgl. Di Fabio, DVBI. 1990, 338ff; Gellermann/Middeke, NuR 1991, 457ff; Rengeling/Gellermann, ZG 1991, 317ff. 29

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ordnung, die das Naturschutzrecht als das bedeutsamste Instrument vorsiehes. Darüber hinaus kennt die Praxis der Bauplanung Verträge, aus denen sich Verpflichtungen zur Rechtsetzung ergeben. Absprachen im Bereich der Normsetzung sind auch in der Praxis weit verbreitet. Hierum geht es regelmäßig bei den sog. Selbstbeschränkungsabkommen, wobei es sich häufig um Absprachen zwischen privaten Unternehmen und betreffenden staatlichen Stellen handele9 . In Selbstbeschränkungsabkommen verpflichten sich private Unternehmen freiwillig zu einem bestimmten Verhalten 40 • Diese Selbstbeschränkungsabkommen im Gesetzgebungsverfahren und im Verfahren der Verordnungsgebung41 sind ein häufig erörtertes Beispiel für eine gefährliche Kooperationspraxis zwischen Wirtschaft und Staat, weil sie mit dem Zeichen der Kapitulation des Normgebers vor schwierigen rechtlichen und tatsächlichen Fragen behaftet sind42 . Normvollziehendes kooperatives Verwaltungshandeln ist dagegen solches, das rechtsförmliche Verwaltungshandlungen, vor allem den Erlaß von Verwaltungsakten, vorbereiten oder vermeiden (ersetzen) soll. Es kann also entweder der Vorbereitung rechtsförmlicher Einzelfallentscheidungen dienen oder an deren Stelle treten. Im folgenden wird es nur auf dieses normvollziehende kooperative Verwaltungshandeln - also Kooperation im Bereich des Vollzugs - ankommen. Ausgeschlossen bleiben soll daher normvertretendes kooperatives Verwaltungshandeln - also Kooperation im Bereich der Normsetzung. Dabei handelt es sich um die Zusammenarbeit bei der Durchführung des geltenden Immissionsschutzrechts. Hier kann normvollziehendes kooperatives Verwaltungshandeln in bezug auf die Anlagengenehmigung (§§ 4ff. BImSchG) oder die Abwehr einer drohenden belastenden Verfügung (§§ 17 ff. BImSchG) stattgefunden haben. Kooperatives Verwaltungshandeln kann vor allem im Zuge von Vorverhandlungen im Vorfeld des Genehmigungsverfahrens oder der nachträglichen Anordnung solche Handlungsformen vorberei38 Das BNatSchG ist Rahmengesetzgebung des Bundes (Art. 75 Nr. 3 GG; § 4 BNatSchG) und bestimmt lediglich, daß die Schutzgebiete rechtsverbindlich festgesetzt werden. Die Ländergesetze sehen die Rechtsverordnung und die Satzung als Handlungsformen vor. 39 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 255 f.; GrÜfer, Umweltrecht und Kooperationsprinzip in der BRD, S. 63ff.; Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, S. 47; Scherer, DÖV 1991,2. 40 Typische Beispiele: Vereinbarungen zur Erhaltung des Mehrwegbehältersysterns (1977); Vereinbarungen über die Reduzierung von fluorchlorkohlenwasserstoffen in Spraydosen (1977/1987/1990). Dazu näher vgl. Dempjle, Normvertretende Absprachen, 2 ff. 41 Vgl. Brohm, DÖV 1992, 1034. 42 Kritisch dazu auch Breuer, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band I, S. 251.

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ten. Darüber hinaus kann kooperatives Verwaltungshandeln durch Verträge oder Absprachen eine nachträgliche Anordnung nach § 17 BImSchG vermeiden oder ersetzen (sog. Sanierungsvereinbarungen).

Erster Teil

Grundlagen des kooperativen Verwaltungshandelns § 2 Kooperation im Staatshandeln Das Thema ,,kooperatives Verwaltungshandeln" ist kein neuartiges Phänomen, sondern hat Tradition. Kooperatives Verwaltungshandeln gehört spätestens seit dem 19. Jahrhundert zur Realität öffentlicher Aufgabenerfüllung 1• Neuerdings wird die Ausprägung des kooperativen Verwaltungshandelns vor allem vor dem Hintergrund der realen gesellschaftspolitischen Änderungen deutlich, die für das einseitig-hoheitliche Verwaltungshandeln nicht ohne Folgen bleiben konnten. Zum anderen können die Motive der Handlungsbeteiligten und die aus ihrer Sicht bestehenden Vorzüge (z. B. Flexibilität, Wirtschaftlichkeit und Effektivität) benannt werden.

I. Wandel der Staatsfunktionen 1. Staatliches Handeln in der Tradition Der wirtschafts- und gesellschaftspolitische Liberalismus des 19. Jahrhunderts sah die Staatsaufgabe auf die Rolle des "Nachtwächters" beschränkt, wonach der Staat im wesentlichen nur die Funktion hat, Rahmenbedingungen für ein freies Spiel der gesellschaftlichen Kräfte aufzustellen und die Einhaltung dieser Bedingungen im Einzelfall zu gewährleisten2 • Die Primäraufgabe der staatlichen Gewalt bestand demnach darin, für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Nach diesem klassischen Rechtsstaatsverständnis stand das staatliche Handeln unter der Herrschaft des Gesetzes. Es enthielt abstrakt-generelle, auf die Steuerung zukünftiger Handlungen bezogene Regelungen, die von dieser gleichbleibend und situationsunabhängig vollzogen wurden. Dem Bürger trat der Staat im wesentlichen mit einseitig-hoheitlichen Mitteln gegenüber, und zwar mit Geboten und Verboten 3 • Sie waren in Gesetzen normiert, die den Bürger entweder unmittelbar zu einem bestimmten Verhalten verpflichI Vgl. Ellwein, StWissStPrax 1990, 95 f.; Treiber, in: Vollzugskosten des Rechtsstaates, S. 195 ff. 2 Braun, BayVBI. 1983, 225f.

§ 2 Kooperation im Staatshandeln

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ten oder die Verwaltung ermächtigen, ein solches Verhalten durch Erlaß von Verwaltungsakten vom Bürger einzufordern. Dieses klassische Bild des Rechtsstaates beruhte auf der Vorstellung einer verhältnismäßig einfach strukturierten Umwelt, auf isolierten geradlinigen Wirkungsketten und konstanten Verhältnissen. Die vom staatlichen Handeln angestrebten Ziele waren im wesentlichen gleichbleibend, der Staat verfügte über alle erheblichen Informationen, eine Mitwirkung des Bürgers war im Regelfall nicht erforderlich4 • 2. Änderung der Bedingungen des staatlichen Handeins Die Bedingungen des traditionellen staatlichen Handeins haben sich in den letzten Jahren stark verändert5 • Vorrechtliche einheitliche Handlungskonzepte zerbröckeln, überkommene Wertvorstellungen und Lebensstile ändern sich, sie werden zunehmend individualistischer und pluralistischer. Solche Einstellungen und Verhaltensweisen werden zunehmend auch auf das staatlich Handeln übertragen. Die heutigen Bedingungen für das staatliche Handeln kennzeichnen hohe Komplexität des Entscheidungsgegenstandes, Ungewißheit über den Ausgang einer rechtsförmlichen Entscheidung, Schwankungen in der individuellen Werthaltung und viele andere Unsicherheitsfaktoren. Das Recht als Steuerungsinstrument ist nicht mehr auf eine hierarchisch strukturierte Gesellschaft eingestellt. Vielmehr hat es heute mit der Dynamik und Komplexität der modemen Industrlegesellschaft zu tun6 • Insbesondere im Bereich des Umweltschutzes herrschen heute keine konstanten Verhältnisse, sondern ein sich exponentiell beschleunigendes Entwicklungstempo. Das Recht muß sich hier an das Entwicklungstempo und die Besonderheiten der jeweiligen Situation anpassen 7 • Eine Anpassung an die schnell wechselnden Umweltverständnisse (technischer Fortschritt, neue Sicherheitsstandards und eine gestiegene Sensibilität gegenüber der Umwelt) erfordert somit eine immer komplexere, differenziertere und umfangreichere Regelung der jeweiligen Problembereiche 8 • Damit sinkt hier die rechtliche Steuerungsfähigkeit. Hier geht es um Effektivitätspro3 Dazu statt aller Brohm, VVDStRL 30 (1972), 258ff.; ders., in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band I, S. 253. 4 Hili, DÖV 1987, 885; ders., in: Staatswissenschaften, S. 55. 5 Vgl. hierzu Hill, in: Staatswissenschaften, S. 55ff.; Ritter, StWissStPrax 1990, 50 f.; Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, 71 ff. 6 Zur neuen Auffassung in der Systemtheorie vgl. Willke, in: Jahrbuch zur Staatsund Verwaltungswissenschaft, Band I (1987), 285 ff. 7 Vgl. Brohm, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band I, S. 253; Ritter, in: Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfahigkeit des Rechts, S. 71. 8 Vgl. Pauly, in: Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, S. 26.

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1. Teil: Grundlagen des kooperativen Verwaltungshandelns

bleme sowie um die zunehmende Komplexität von Entscheidungslagen und damit zusammenhängend um Akzeptanzschwierigkeiten der getroffenen Verwaltungsentscheidung9 •

3. Verschiedene Lösungsansätze Der Staat sieht sich einer Vielfalt neuartiger und komplexer Probleme gegenüber, die häufig in ihrem Eigenwert und ihrem Zusammenhang nur schwer durchschaubar sind. Es fragt sich daher, wie staatliches Handeln unter veränderlichen Bedingungen beschaffen sein muß, damit es nicht für antiquiert gehalten wird, sondern geeignet ist, der Komplexität des Handlungsfeldes wirksam zu begegnen und gleichzeitig seine eigene Dynamik zu sichern 10. Das neue Rezept bedingt zunächst eine veränderte Denkhaltung. Dazu gehört die Anerkennung der Notwendigkeit einer quantitativen Erweiterung wie qualitativen Veränderung der staatlichen FunktionenlI. Neben den traditionellen Funktionen der Ordnung, Steuerung und Gestaltung 12 muß der Staat in anderen Bereichen verstärkt Orientierungs-, Organisations- und Vermiulungsfunktionen übernehmen, um gesellschaftliche Prozesse und private Innovationen anzuregen, um Gemeinsamkeiten zu schaffen und sein eigenes Handeln zu unterstützen. Daneben muß der Wandel vom ausschließlich normierenden und befehlenden zum kooperierenden Staat vollzogen werden 13. Die Rechtsposition des einzelnen gegenüber dem Staat hat sich im Laufe der Zeit geändert. Der Bürger hat prozessuale Mittel in der Hand, die insoweit zu einer Waffengleichheit führen. Unter diesem geänderten Staatsverständnis kann es für den Staat durchaus günstig sein, eine Gleichordnung der klassischen hoheitlichen Über-Unter-Ordnung vorzuziehen 14. Im Schrifttum wird verschiedentlich versucht, Strategien für staatliches Handeln zur Bewältigung unvorhergesehener und veränderlicher Entwick9 Henneke, NuR 1991, 272; Hill, DÖV 1987, 890f.; ders., DVBI. 1989, 324f.; Hoffmann-Riem, AöR 115 (1990), 400ff.; Lange, VerwArch 82 (1991), 1 f. \0 Vgl. Ritter, NVwZ 1987,933. 11 Unter Staatsfunktionen sollen hier Bestandteile und Erscheinungsfonnen der Staatsgewalt verstanden werden. Die Staatsfunktionen stehen damit auf einer Abstraktionsebene unterhalb der Staatsziele und der Staatsaufgaben. Vgl. lsensee, in: HbStR, Band I1I, § 57 Rn. 145; Wahl, in: Refonn des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 177 ff. 12 Vgl. Henke, JZ 1992,546. 13 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 234. 14 Gusy (DVBI. 1983, 1224f.) und Lecheier (BayVBI. 1992,547) kritisieren, daß die Vorstellung von der rechtlichen Gleichordnung von Staat und Bürger nicht den Verfassungsgrundentscheidungen entspreche und kein generelles Strukturprinzip des Verwaltungsrechts sei.

§ 2 Kooperation im Staatshande1n

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lungen zu entwerfen IS. Dazu gehört z. B. die Venninderung staatlicher Tätigkeiten. Soll sie zugunsten von marktwirtschaftlichen Lösungen reduziert werden, so ist vorweg an Stichworte wie Deregulierung oder Privatisierung zu denken 16. Die Vertreter des Deregulierungsansatzes wollen die anstehenden Probleme lösen, indem sie von staatlichen Interventionen absehen und die staatliche Tätigkeit insgesamt reduzieren. Deregulierung ist somit als Gegentendenz zur Verrechtlichung zu bezeichnen, deren Ziel es ist, das fönnliche Gesetzesrecht zu vennindern 17 • Die Verfechter der Privatisierung stützen ihre Argumentation auf die allgemeine These, der öffentliche Sektor arbeite aufgrund der staatlichen, bürokratisch organisierten Monopolproduktion betrieblich ineffizienter als ein privates Unternehmen unter Wettbewerbsbedingungen. Gemäß dieser Auffassung sind private Unternehmen in der Lage, die gleiche Leistung billiger oder bei gleichen Kosten eine bessere Leistung zu erbringen als staatliche Unternehmen. Für die vorliegende Untersuchung brauchen diese Lösungsansätze nicht weiter vertieft zu werden. Dagegen soll im folgenden insbesondere aufgezeigt werden, weshalb kooperatives Verwaltungshandeln eine Alternative gegenüber einseitig-hoheitlichem Verwaltungshandeln darstellt.

11. Kooperation als ein Lösungsansatz 1. Kooperation als Chance Wo Unsicherheit herrscht, kann Kooperation 18 mit den Betroffenen dazu dienen, diese Unsicherheit gemeinsam abzubauen l9 • Kooperation kann zwar die Unsicherheit nicht beseitigen, aber die Rationalität des Handeins erhö15 In jüngster Zeit wurde von Ho.fftrwnn-Riem verschiedentlich dafür plädiert, sich mehr auf mögliche Gewinne neuer Handlungsformen zu konzentrieren (z. B. von der Programmsteuerung zur Ressourcensteuerung, von formalen zu informalen, von imperativen zu kooperativen, von modalen zu optionalen, von regulativen zu deregulativen sowie von der Aufgabenorientierung zur Produktorientierung). Siehe dazu ders., DÖV 1997, 433ff. 16 Zur Privatisierung von Verwaltungsaufgaben vgl. von Amim, Rechtsfragen der Privatisierung, 1995; Bauer, VVDStRL 54 (1995), 243ff.; Hengstschläger, VVDStRL 54 (1995), 165ff.; Koch, NVwZ 1996, 215ff.; LecheIer, BayVBI. 1994, 555ff.; Osterloh, VVDStRL 54 (1995), 204ff.; Püttner, LKV 1994, 193ff.; Sach/ Voß u. a. (Hrsg.), Privatisierung staatlicher Kontrolle, 1995; Schach, DVBI. 1994, 962ff.; Schuppert, DÖV 1995, 76lff.; speziell zum Abfallrecht Schach, DVBI. 1994, I ff.; zur Verfahrensprivatisierung Ho.fftrwnn-Riem, DVBI. 1996, 225 ff. und Ha.fftrwnn-Riem/Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996. 17 Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, S. 163; ferner Becker, DÖV 1989, 1004. 18 Kooperation ist kein Rechtsbegriff, gewinnt aber zunehmend an Popularität unter Juristen.

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I. Teil: Grundlagen des kooperativen Verwaltungshandelns

hen und seine Akzeptanz sichern. Sie schafft Gemeinsamkeit und läßt verantwortungsbewußtes, glaubwürdiges Handeln wechselseitig erfahrbar werden 2o • Das Phänomen der Kooperation ist damit auch ein Ausdruck des Wandels der Staatsfunktionen. In der Praxis wird in letzter Zeit zunehmend versucht, einseitig-hoheitliches Handeln durch kooperatives Handeln zu ergänzen21 • Der Weg der staatlichen Entscheidungsfindung führt über eine Zwischenstufe der kooperativen (oder gemeinsamen) Konsensfindung 22 • Dies verweist darauf, daß öffentliche Aufgaben in der modemen Industriegesellschaft vielfach weder durch einseitige Entscheidungen staatlicher Institutionen noch durch vollständige Verlagerung auf private Träger zu erfüllen sind, daß vielmehr erst aufeinander abgestimmte öffentliche und private Handlungen zusammen geeignet sind, die gestellten Anforderungen zu bewältigen. Insoweit gilt Kooperation weder als Verzicht auf staatliche Steuerung noch als Instrumentalisierung der zuständigen staatlichen Instanzen für Gruppeninteressen, sondern als "dritter Weg" zwischen Etatismus und Privatisierung. Sie scheint einerseits eine effektive staatliche Steuerung, andererseits aber auch eine offene Konfliktaustragung und eine Reduktion einseitiger Machtausübung zugunsten einer lemfähigen Politik zu ermöglichen23 • Insbesondere im Umwelt- und Technikbereich bilden sich verschiedene Formen der Kooperation mit der Wirtschaft heraus, weil der Staat hier nur durch eine intensive Kooperation mit dem Betroffenen sachgerecht entscheiden kann. Auf der Handlungsebene kommt Kooperation zur Ausdifferenzierung neuer Formen, wie Informalität, Konsensualität und Flexibilität, die sämtlich zu mehr Kommunikation und weniger autoritativer Entscheidung führen 24 . Dies gilt unabhängig davon, ob dann im Endeffekt das rechtsstaatlieh normierte gesetzgeberische Ziel durch in der Rechtsordnung förmlich vorgesehene Verträge - wie insbesondere verwaltungsrechtliche Verträge nach §§ 54ff. VwVfG - oder in der Rechtsordnung nicht geregelte informelle Absprachen erreicht wird. 19 Dauber, in: Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, S. 80; Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982),201. 20 Hili, in: Staatswissenschaften, S. 59. 21 V~.l. Hecker, DÖV 1985, l003ff.; Henz, Die Verwaltung 23 (1990), 83; Hulling, DOV 1989,277; Hili, DVBI. 1989,326; Kunig/Rublack, Jura 1990, I; Lange, VerwArch 82 (1991), 5; Ritter, AöR 104 (1979), 389; ders., NVwZ 1987, 936; Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, S. 13. 22 Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, Vorwort. 23 Henz, Kooperative Verwaltung, S. 15

24 Zur Wandlung vom interventionistischen, regulatorischen zum reflexiven, medialen Recht vgl. Pitschas, DÖV 1989, 785; Ritter, StWissStPrax 1990, 50; Schuppert, in: Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, S.217.

§ 2 Kooperation im Staatshandeln

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2. Kooperationsprinzip im Umweltrecht Zu jenen prägenden Grundprinzipien des Umweltrechts gehören das Vorsorge-, das Verursacher- und das Kooperationsprinzip25. Während das Vorsorgeprinzip die Erweiterung staatlicher Gefahrenabwehr unterhalb der Gefahrenschwelle anpeilt und das Verursacherprinzip26 Verantwortungszurechnungen vornimmt, stellt das Kooperationsprinzip vor allem auf die Umsetzung und Verwirklichung umweltrechtlicher Ziele, auf Verfahren und Vollzug ab. In Anlehnung an die Aussagen des Umweltberichts der Bundesregierung von 197627 bringt das Kooperationsprinzip grundsätzlich zum Ausdruck, daß Umweltschutz nicht alleinige Aufgabe des Staates ist und von diesem auch nicht einseitig gegen Wirtschaft und Gesellschaft durchgesetzt werden kann, sondern die Beteiligung und Einbindung aller betroffenen Kräfte bei der Gesetzesverwirklichung erfordert28 • Es geht um partnerschaftliche Zusammenarbeit, um eine dem Umweltschutz gerecht werdende Lösung zu erreichen29 • Die Notwendigkeit dieser Zusammenarbeit resultiert daraus, daß einerseits der erforderliche naturwissenschaftlich-technische Sachverstand vorwiegend im Bereich von Industrie und Wissenschaft angesiedelt ist, und es andererseits dem Staat faktisch vielfach unmöglich ist, in umweltrelevanten Lebensbereichen erfolgreich Maßnahmen gegen den Willen der gesellschaftlichen Kräfte durchzusetzen. Daher sollen die oft gegenläufigen Interessen frühzeitig in Einklang gebracht werden, um mögliche Konflikte zu vermeiden und für alle Beteiligten tragbare Kompromisse zu finden. Zweck dieser Zusammenarbeit ist es allerdings nicht, den Staat aus seiner Verantwortung für den Schutz, die Erhaltung und Verbesserung der natürlichen Lebensgrundlagen und Umweltbedingungen zu entlassen. Es geht vielmehr - unter Wahrung der grundsätzlichen Umweltverantwortung 25 Zu den Prinzipien siehe Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Rn. 1/66ff.; Breuer, Umweltschutzrecht, in: Bes. VerwR, Rn. 6ff.; ders., Der Staat 20 (1981), 393ff.; Hoppe/Beckmann, Umweitrecht, § 5 Rn. I ff.; Kloepfer, Umweltrecht, § 3. 26 Breuer, Umweltschutzrecht, in: Bes. VerwR, Rn. 12. Mit diesem Prinzip soll in erster Linie versucht werden, eine Kostentragungspflicht des Verursachers von Umweltschäden herzuleiten. 27 BT-Drs. 7/5684, Tz. 8: "Nur aus der Mitverantwortlichkeit und der Mitwirkung der Betroffenen kann sich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen individueller Freiheit und gesellschaftlichen Bedürfnissen ergeben"; mittlerweile ist das Kooperationsprinzip durch Art. 16 des Staatsvertrages (Staatsvertrag vom 18. 5. 1990, BGB!. II S. 537) und Art. 34 des Einigungsvertrages (Einigungsvertrag vom 31. 8. 1990, BGB!. II S. 889) gesetzlich normiert. 28 Vg!. Grüter, Umweltrecht und Kooperationsprinzip in der BRD, S. 8 ff.; Lübbe-Wolff, NuR 1989, 295ff.; Müggenborg, NVwZ 1990, 909ff.; Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, S. 3 ff. 29 Vg!. Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 232.; Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, § 62 I.

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1. Teil: Grundlagen des kooperativen Verwaltungshandelns

des Staates - um die Gewährleistung einer erhöhten Transparenz und Akzeptanz staatlicher Entscheidung auf dem Gebiet des Umweltschutzes, um die Schaffung von Vollzugserleichterungen und um den Abbau der Vollzugsdefizite 3o • Die notwendige Zusammenarbeit des Staates mit den gesellschaftlichen Kräften hat ihren Niederschlag in verschiedenen Institutionen und Instrumenten gefunden 3l . So werden etwa den Technische Überwachungsvereinen (TÜV), die von der Wirtschaft in privater Rechtsform getragen werden, staatsentlastende Kontrolltätigkeiten in den Bereichen technische Sicherheit und Umweltschutz übertragen. Privatrechtlich organisierte Ausschüsse 32 werden mit der Aufstellung technischer Regelwerke betraut; in anderen Bereichen obliegt diese Aufgabe öffentlich-rechtlich organisierten Ausschüssen33 • Darüber hinaus bestehen Beratungsgremien der öffentlichen Verwaltung 34 und Formen organisierter Anhörung der beteiligten Kreise 35 . Ferner gibt es als Bestandteil interner Selbstüberwachung von Unternehmen die in manchen Gesetzen vorgeschriebenen Umweltschutzbeauftragten36 . Schließlich ist das Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung auf der EG-Ebene zu nennen. Die Instrumente werden im Rahmen des Kooperationsprinzips erweitert, und zwar insbesondere im Interesse eines effektiven und akzeptierten Umweltschutzes. 3. Kooperationsprinzip in den Entwürfen zum Umweltgesetzbuch

Während das Kooperationsprinzip bisher nur punktuell Ausdruck in einigen Detailregelungen gefunden hat, jedoch nirgends als solches niedergeschrieben wurde, finden sich in den Entwürfen zu einem Umweltgesetzbuch ausdrückliche Regelungen 37 • 30 Eingehende Darstellung der Kooperationsziele bei Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, S. 3 ff. 31 Vgl. zum folgenden Breuer, Umweltschutzrecht, in: Bes. VerwR, Rn. 110. 32 Als Beispiel seien genannt: DIN (Deutsches Institut für Nonnung e. V.), VDI (Verein Deutscher Ingenieure e. V.), VDE (Verein Deutscher Elektrotechniker e. V.), DVGW (Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e. V.) 33 Beispiel: KTA (Kemtechnischer Ausschuß) - Bek. des BMU vom 1. 9. 1986 (BAnz. Nr. 183), geändert durch Bek. vom 23. 12. 1986 (BAnz. 1987 Nr. 18). 34 Beispiele: Technischer Ausschuß für Anlagensicherheit (§ 31 a BImSchG), Störfall-Kommission (§ 51 a BImSchG), Zentrale Kommission für die biologische Sicherheit (§§ 4, 5 GenTG), Reaktorsicherheitskommission, Strahlenschutzkommission. 3S Z.B. in den §§ 7,48 i. V.m. § 51 BImSchG. 36 Beispiele: Betriebsbeauftragte für Immissionsschutz (§§ 53ff. BImSchG), für Gewässerschutz (§§ 21 aff. WHG), für Abfall (§§ II aff. AbfG) sowie Strahlenschutzbeauftragte (§§ 29ff. StrISchVO). 37 Vgl. Schmidt, ZUR 1998,279.

§ 2 Kooperation im Staatshandeln

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Bereits der Professorenentwurf38 zu einem Umweltgesetzbuch schlägt mit seinem § 6 eine ausdrückliche Normierung des Kooperationsprinzips vor. Mit § 6 Abs. 1 Satz 4 UGB-ProtE wird insbesondere ein Vorrang der Vereinbarung zwischen Privaten und Behörden vor hoheitlichem Eingreifen angeordnet. Die Zwangsmaßnahme soll also in Subsidiarität, bzw. eine vorsichtige Präferenz39, zur Absprache treten. Besonders hervorgehoben wird dies durch Abs. 3, der solchen Maßnahmen gegenüber Ge- und Verboten den Vorrang einräumt, die dem Bürger Möglichkeiten zur eigenverantwortlichen Entscheidung belassen, wenn hierdurch ein gleichwertiger Schutz der Umwelt erreicht wird und Betroffene nicht stärker belastet werden. Damit soll die Zulässigkeit des Instrumentes der Absprache im Vrfeld als bedeutsame Handlungsform der Behörde klargestellt werden4o• Eine Konkretisierung dieses abstrakt gehaltenen Vorranges finden sich § 87 UGB-ProtE, der zur Durchsetzung eines besseren Umweltschutzes ein Absehen von zwingenden Vorschriften im Einzelfall vorsieht, was insbesondere eine geeigneten Ansatzpunkt für diverse Absprachen darstellt. Insgesamt geht der Entwurf als davon aus, daß die Rücknahme hoheitlicher Zwangsinstrumente zugunsten kooperativer Maßnahmen unter gegebenen Umständen einen besseren Umweltschutz gewährleisten können. Zu diesen Regelungen wurde überwiegend kritisch Stellung bezogen41 . Als besonders problematisch wurde es erachtet, daß jeder Verwaltungsakt unabhängig davon, ob er ein Gebot oder Verbot statuiert, einer doppelten Rechtfertigung bedarf, also neben seinen tatbestandlichen Voraussetzungen für den Eingriff noch eine Prüfung der möglichen Subsidiarität notwendig wird42 • Zudem werde bei einer solchen Regelung übersehen, daß auch bei hinreichender Gewährleistung privater Umweltschutzmaßnahmen ein besonderes öffentliches Interesse an hoheitlichen Maßnahmen zum Schutz der Umwelt bestehen kann43 . Schließlich sei der Subsidiarität staatlichen Umweltschutzes in praktischer Hinsicht aufgrund des zusätzlichen Verwaltungsaufwands völlig ungeeignet und würde die Durchsetzung von Umweltbelangen im Ergebnis eher schwächen44 .

38 Kloepjer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann/Kunig, Umweltgesetzbuch, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1991 [ProfE UGB-AT]. 39 ProfE UGB-AT, Begründung zu § 6, S. 160. 40 ProfE UGB-AT, Begründung zu § 6, S. 160. 41 UGB-KomE, Begründung zu § 7, S. 458f.; UBA(Hrsg.), Denkschrift für ein Umweltgesetzbuch, S. 25f.; Sendler, UPR 1997,382. 42 UGB-KomE, Begründung zu § 7, S. 458. 43 UBA(Hrsg.), Denkschrift für ein Umweltgesetzbuch, S. 26. 44 UBA(Hrsg.), Denkschrift für ein Umweltgesetzbuch, S. 26.

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1. Teil: Grundlagen des kooperativen Verwaltungshandelns

Diese Kritik griff der Kommissionsentwurf zu einem UGB 45 auf und entschärfte die entsprechende Regelung in § 7 Abs. 246 : "Bei Maßnahmen aufgrund der umweltrechtlichen Vorschriften sollen die Behörden prüfen, ob die Zwecke dieses Gesetzbuches in gleicher Weise durch Vereinbarungen mit den Betroffenen erreicht werden können." Somit wird dem Kooperationsprinzip ein vorwiegend politischer Charakter zugesprochen. Eine kaum praktikable Darlegungslast der Behörde bei umweltrelevanten Maßnahmen wird zugunsten einer stärkeren Verhandlungsmacht derselben nicht statuiert47 . An der grundsätzlichen Zulässigkeit der Absprachen als behördliche Handlungsform soll sich hingegen auch im Rahmen des UGB-KornE nichts ändem48 . Mit dem normersetzenden Vertrag wurde in § 36 UGB-KornE eine Regelung getroffen, die den Ersatz einer Rechtsverordnung durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit diversen Verbänden oder einzelnen Unternehmen vorsieht und dadurch sehr weitreichende Möglichkeiten für kooperative Modell schafft. Ergänzt wird dies durch die Möglichkeit der Verbindlicherklärung nach § 37 UGB-KornE. In der Begründung wird darauf hingewiesen, daß auch hier kein erhöhtes Risiko der Nichteinhaltung besteht, da solche Verträge auch nach bisherigem Recht unmittelbar vollstreckbar und zur Gefahrenabwehr geeignet sind49 • Im übrigen sieht auch der UGB-KomE in den §§ 202ff. sogenannte flexible Instrumente vor, die vor allem dazu dienen sollen, eine Übererfüllung umweltrechtlicher Pflichten zu belohnen5o, und sich damit dazu eignen, kooperativ an Problemlösungen heranzugehen. Wenn auch die bei den gerade dargestellten Entwürfe auf eine stärkere Durchnormierung des Kooperationsprinzips setzen, zeigt der derzeitige ministerielle Arbeitsentwurf51 , daß damit wohl in näherer Zukunft eher nicht zu rechnen sein wird. Zwar wird das Kooperationsprinzip in § A 3 [Prinzipien des Umweltschutzes] Abs. 3 in dem vagen Satz "Staat und Bürger wirken beim Schutz der Umwelt zusammen (Kooperationsprinzip)." immerhin erwähnt. Nähere Konkretisierungen sind jedoch nach derzeitigem Stand nicht vorgesehen. Damit bleibt es wohl - trotz berechtigter Bemängelung in der Literatu~2 - bei der bisherigen Konturenlosigkeit und Unbestimmtheit des Kooperationsprinzips. BMD (Hrsg.), Dmweltgesetzbuch (DGB-KornE), 1998. Vgl. Sendler, DPR 1997, 382. 47 DOB-KornE, Begründung zu § 7, S. 459f. 48 DGB-KornE, Begründung zu § 7, S. 457. 49 DGB-KornE, Begründung zu § 36, S. 510. so DGB-KornE, S. 799f. SI Arbeitsentwurf für ein Dmweltgesetzbuch - Erstes Buch, Allgemeiner Teil, vom 5. 3. 1998, Projektgruppe DGB - Geschäftsführung -, Z 11 4 - 41022. S2 Breuer, Verhandlungen 59. DJT, 1992, Band I, B 94 4S

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§ 3 Formen des kooperativen Verwaltungshandelns I. Begriff des kooperativen Verwaltungshandelns Obwohl es schon seit Jahrzehnten rechts- und verwaltungswissenschaftliche Diskussionen gab), gibt es in der Verwaltungsrechtsdogmatik bis heute keine anerkannte Definition des kooperativen Verwaltungshandelns 2• Eine solche Definition wäre nun auch von keinem Nutzen, da sie allenfalls deskriptiv wäre, jedoch keine Aussage mit rechtlichem Gehalt beinhalten würde. Man kann allgemein kooperatives Verwaltungshandeln nur als den komplementären Gegenbegriff zum einseitig-hoheitlichen Verwaltungshandeln bezeichnen. Als einseitig-hoheitliches Verwaltungshandeln bezeichnet man diejenigen Handlungen, die der Staat kraft seiner hoheitlichen Kompetenzen vornimmt. Seit Otto Maye~ kann der Verwaltungsakt als typisches Produkt einseitig-hoheitlichen Verwaltungshandelns qualifiziert werden. Nach wie vor gilt zu Recht der Verwaltungsakt als die wichtigste Handlungsform der Verwaltung. Er stellt ein Instrument zur Verwirklichung der Verwaltungsaufgaben (Bewirkungsauftrag) und zur Rechts- bzw. Interessenwahrung (Schutzauftrag) dar4 . Kooperatives Verwaltungshandeln ist hier eine Alternative oder Ergänzung einseitig-hoheitlichen Verwaltungshandelns5 • Es basiert auf der Tatsache, daß Staatsorgane immer häufiger mit den hochkomplexen Sachverhalten ökologischer, wirtschafts- und sozialpolitischer oder technischer Natur konfrontiert werden, deren Bewältigung mit den traditionellen Mitteln nicht I Schon Forsthoff stellte in der ersten Auflage seines Lehrbuchs des Verwaltungsrechts fest: ,,Je sozial mächtiger er ist, um so mehr Möglichkeiten bieten sich ihm dafür, Möglichkeiten, die nicht mehr durch Einlegung von Rechtsmitteln, sondern im Verhandlungswege wahrgenommen werden. Man arrangiert sich nach den Regeln des "do ut des". Die Verwaltung hat an solchen Arrangements ebenfalls Interesse, da sie, je mehr sie in das Sozialleben ausgreift, auf eine Kooperation mit den Sozialfaktoren angewiesen ist." (Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts I, 1950, S. 62.) 2 Vgl. Schu/ze-Fielitz, DVBI. 1994,657. 3 Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Band I, 3. Aufl., 1924, S. 93: "Verwaltungsakt ist ein der Verwaltung zugehöriger obrigkeitlicher Ausspruch, der dem Untertan im Einzelfall bestimmt, was für ihn Rechtens sein soll." 4 Schmidt-Aßmann, DVBI. 1989,535; Schoch, Die Verwaltung 25 (1992), 23ff. S Vgl. Benz, Kooperative Verwaltung, S. 21.

3 Song

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1. Teil: Grundlagen des kooperativen Verwaltungshande1ns

oder nur unzulänglich möglich ist6 • Um ein präziseres Verständnis des Begriffs kooperatives Verwaltungshandeln zu gewinnen, sollen zunächst dessen besondere Merkmale dargestellt werden. Kooperatives Verwaltungshandeln ist zunächst durch das Prinzip der Zweiseitigkeit und Zusammenarbeit gekennzeichnet. Es unterscheidet sich von einseitig-hoheitlichem Verwaltungshandeln dadurch, daß eine Problemlösung und Leistungserstellung nicht durch einseitige Anordnung, sondern im Zusammenwirken mit Adressaten erfolgt. Es zielt also nicht auf die Steuerung von Adressaten, sondern beruht auf der Selbststeuerung der Beteiligten in einem Verhandlungssystem, das wechselseitige Einflußnahme ermöglicht. Grundlage von Kooperation ist damit die faire, wechselseitige, direkte und offene Kommunikation der Partner7 über Ziele, Interessen, Problemdefinitionen, Kenntnisse und Werthaltungen der Akteure mit der Absicht, diese aufeinander abzustimmen und in Einklang zu bringen8 • Sicher ist hierzu auf beiden Seiten noch ein Ausbau der sozialen und kommunikativen Fähigkeiten erforderlich9 • Darüber hinaus unterscheidet sich kooperatives Verwaltungshandeln durch ergebnisbezogene freiwillige Einigung von einseitig-hoheitlichem Verwaltungshandeln. Während einseitig-hoheitliches Verwaltungshandeln auf Entscheidung und Durchsetzung gerichtet ist, zielt kooperatives Verwaltungshandeln auf freiwillige Einigung zwischen Verwaltung und Privaten. Ziel des kooperativen Verwaltungshandelns ist also eine von allen Beteiligten akzeptierte Lösung der anstehenden Probleme. Das Ergebnis von kooperativer Einigung kann vertraglich festgelegt oder informell abgesprochen sein. Entscheidend ist nicht die Rechtsform, sondern die Tatsache eines Konsenses über ein Ergebnis lO •

11. Ausmaß des kooperativen Verwaltungshandelns Es stellt sich zunächst die Frage, welche Formen nicht einseitig-hoheitlichen Handeins hat das geltende Verwaltungsrecht eingerichtet? Trotz der allgemeinen Bezeichnung des kooperativen Verwaltungshandelns wird diese Frage immer wieder diskutiert.

6 Vgl. Bulling, DÖV 1989, 277ff.; Ritter, AöR 104 (1979), 389ff.; Schrader, DÖV 1990, 326ff. 7 Vgl. Hili, in: Staatswissenschaften, S. 59. 8 Benz. Kooperative Verwaltung, S. 38. 9 Lange, DÖV 1988,325. 10 Benz. Kooperative Verwaltung, S. 38.

§ 3 Fonnen des kooperativen Verwaltungshandelns

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1. Kooperatives Verwaltungshandeln i. e. S. In mancher Literatur ll wird kooperatives Verwaltungshandeln identifiziert mit den (informellen) Absprachen. Unter Absprachen versteht man diejenigen in Kommunikation gefundenen Konsense (Vereinbarungen) zwischen Verwaltung und Privaten über künftiges Verhalten, deren Entscheidungsprozeß nicht durch eine formelle Ordnung geregelt wird. Sie gelten als unverbindlich. Insoweit fallen sie in den Bereich des sog. informellen Verwaltungshandeins. Nach dieser Ansicht wird der Begriff ,,kooperatives" und "informelles" Verwaltungshandeln identisch verwendet. Es wäre allerdings ein Mißverständnis, kooperatives und informelles Verwaltungshandeln gleichzusetzen. Das ist schon begrifflich nicht korrekt, weil beide Termini unterschiedliche Merkmale bezeichnen. 2. Kooperatives Verwaltungshandeln i. w. S. Nach anderen Meinungen l2 sind zum kooperativen Verwaltungshandeln nicht nur Absprachen, sondern auch verwaltungsrechtliche Verträge zu zählen. Absprachen und Verträge sind dadurch gekennzeichnet, daß der gefundene Konsens nach dem Willen der Beteiligten nicht folgenlos bleiben soll. In der Rechtsform des Vertrages hat der Begriff Kooperation schon seit längerem seinen Ausdruck gefunden, weil eine Kooperation die Grundlage jedes Vertragesabschlusses ist 13 • Da einen Vertrag nur schließt, wer sich verträgt, ist Konsens nicht nur rechtliches, sondern bereits begriffliches Konstruktionsprinzip des Vertrages. Konsenssuche und Akzeptanzsicherung sowie Partizipation an Verwaltungsaufgaben sind Assoziationsbegriffe, die mit dem verwaltungsrechtlichen Vertrag in Verbindung gebracht werden l4 •

11 Vgl. Bohne, Der infonnale Rechtsstaat, S. 46ff., 71ff.; ders., VerwArch 75 (1984), 344; Dose, Die Verwaltung 27 (1994), 91 ff.; Kloepfer, ZAU 1996, 58 (Fn. 8); Lübbe-Wolff, NuR 1989, 296f.; StelkenslBonklSachs, VwVfG, § 54 Rn. 18. 12 Vgl. Benz, Die Verwaltung 23 (1990), 85; Bulling, DÖV 1989, 277ff.; Burmeister, VVDStRL 52 (1993), 205 - Prototypen sog. kooperativen Verwaltungshandelns -; Di Fabio, DVBl. 1990, 338ff.; Knack, VwVfG, Vor § 54 Rn. 8.3.4; Kunigl Rublack, Jura 1990,4; Maurer, DVBl. 1989, 805f.; Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen, S. 66ff.; Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 232ff. erörtert die Verträge und Absprachen unter dem Pauschaltitel "UmweItabsprachen" . 13 Vgl. WolfflBachoflStober, Verwaltungsrecht I, § 54 Rn. 19. 14 Krebs, VVDStRL 52 (1993), 256. 3*

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1. Teil: Grundlagen des kooperativen Verwaltungshandelns

Der verwaltungsrechtliche Vertrag gern. § 54 ff. VwVfG, der anstelle einer einseitigen Entscheidung eine einvernehmliche Problemlösung ermöglicht, ist stets dem formellen Verwaltungshandeln zuzurechnen. Er ist nun wegen seiner Verbindlichkeit und wegen seiner formellen Regelung deutlich von Absprachen zu unterscheiden 15 • Durch Rechtserzeugung soll also beim Vertrag eine rechtliche Wirkung erzielt werden, durch das Vertrauen auf das einmal gegebene Wort bei der Absprache eine tatsächliche Wirkung ausgelöst werden. Im folgenden soll kooperatives Verwaltungshandeln nicht mit den (informellen) Absprachen, sondern mit der Gesamtheit der Verträge und Absprachen zwischen Verwaltung und Privaten identifiziert werden.

III. Informelles Verwaltungshandeln (Absprachen) 1. Zum Begriff Seit Beginn der achtziger Jahre 16 bildet das informelle bzw. informale Verwaltungshandeln 17 einen zentralen Gegenstand der verwaltungsrechtlichen und verwaltungswissenschaftlichen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland 18. Trotz dieser intensiven wissenschaftlichen Diskussion besteht nach wie vor Einigkeit weder über die empirischen Phänomene noch über ihre rechtliche Beurteilung und Einordnung. Noch nicht einmal in der Begrifflichkeit stimmt man überein. a) Absprachen Wohl überwiegend wird in der Literatur 19 die Ansicht vertreten, daß nur die (informelle) Absprache zwischen Verwaltung und Privaten zum infor15 Vgl. Bauer, in: Innovation und Aexibilität des Verwaltungshandeins, S. 251; Henke, JZ 1992, 547f; Di Fabio, DVBl. 1990, 343, spricht dagegen von der Möglichkeit rechtlich verbindlicher Absprachen. 16 Der Begriff des "informalen Verwaltungshandeins" wird von Bohne (Der informale Rechtsstaat, 1981) entwickelt. 17 In der Diskussion werden die Begriffe informal und informell weitergehend synonym oder als identisch verwandt. So etwa: Kloepfer, Umwe1trecht, § 4 Rn. 250ff. 18 Bauer, VerwArch 78 (1987), 241 ff.; Becker. DÖV 1985, l003ff.; Beckmann. UPR 1993, 42lff.; Eberle. Die Verwaltung 17 (1984), 439ff.; Hoffmann-Riem. VVDStRL 40 (1982), 187ff.; Schulze-Fielitz. Der informale Verfassungsstaat, 1984, m.w.N. 19 Anstatt dem Begriff der Absprache verwenden manche Autoren einfach den Begriff informelles Venvaltungshandeln.

§ 3 Formen des kooperativen Verwaltungshandelns

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meIlen Verwaltungshandeln gehöre. Insoweit ist der Begriff informelles Verwaltungshandeln mit dem Begriff (informelle) Absprache identisch. Der früheste Versuch stammt von Bohne. Er geht vom Begriffspaar: informal/formal aus, das alternative Handlungsmodalitäten bezeichne und sich auf Entscheidungssituationen beziehe, in denen der Staat faktisch wählen könne, ob er ein bestimmtes Ziel in den von der Rechtsordnung bereitgestellten Handlungsformen oder mit rechtlich nicht geregelten Realakten verwirklichen wolle 2o . Unter dem informellen Verwaltungshandeln versteht Bohne im Gegensatz zum formellen Verwaltungshandeln alle rechtlich nicht geregelten Handlungsweisen zwischen Verwaltung und Privaten über künftiges Verhalten, die zur Herbeiführung des beabsichtigten Erfolges erfolgen können 21 . Dabei versteht man unter Handlungsweisen sowohl Verfahrenshandlungen als auch Rechtsfolgeentscheidungen. Verfahrenshandlungen sind Maßnahmen, die der Vorbereitung eines rechtsförmlichen HandeIns dienen. Informelle Rechtsfolgeentscheidungen sind dagegen Maßnahmen, die dem Ersatz (Vermeiden) einer Rechtsform dienen. M.a.W. handelt es sich um "Verwaltungshandlungen, die sich nicht unter die herkömmlichen rechtlich formalisierten Handlungsformen der Verwaltung rubrizieren lassen,,22. Folgt man dieser Definition, ist für informelles Verwaltungshandeln charakteristisch, daß sie bewußt nicht in einer rechtlich vorgesehenen Form vorgenommen werden (rechtliche Nichtregelung), weil man die damit verbundenen Rechtsfolgen vermeiden möchte (rechtliche Unverbindlichkeit)23. Andererseits muß aber die Erwartung der Einhaltung geschaffen werden. Es soll moralisch verbindlich sein (faktische Wirkung)24. b) Staatliche Informationsakte

In einem Teil der Literatur25 wird das informelle Verwaltungshandeln als eine Art Oberbegriff betrachtet, zu dem einerseits Absprachen, andererseits 20 Bulling, DÖV 1989, 278 kritisiert den Begriff des Informalen/Informellen als zu defensiv, weil er an Klüngelei, Heimlichkeiten und rechtlich oder ethisch nicht einwandfreie Praktiken denken läßt. 2\ Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 46ff., 71ff.; ders., VerwArch 75 (1984), 344; ders., in: HdUR, Bd. I, Sp. 1046; vgl. auch Ritter, in: Wachsende Staatsaufgaben, S. 74. 22 Ossenbühl, in: UTR Bd. 3 (1987),29. 23 Vgl. Bohne, VerwArch 75 (1984), 344; Burmeister, VVDStRL 52 (1993), 234; Dreier, StWissStPrax 1993,648; Lecheier, BayVBI. 1992,548. 24 Brohm, DVBI. 1994, 134. 2S Vgl. Berg, ZLR 1990, 565ff.; Böhm, JA 1997, 794ff.; Brohm, DVBI. 1994, 133ff.; Gröschner, DVBl. 1990, 619ff.; Heintzen, VerwArch 81 (1990), 532ff.; Kloepfer, in: Instrumente und Formen staatlichen HandeJns, S. 331 ff.; Leidinger, DÖV 1993, 925ff.; Lübbe-Wolff, NJW 1987, 2705ff.; Ossenbühl, in: UTR Bd. 3

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I. Teil: Grundlagen des kooperativen Verwaltungshandelns

staatliche Informationsakte (Warnungen, Empfehlungen) gehören. Dieser Ansicht stellt bei der Begriffsbildung des informellen Verwaltungshandelns allein auf das negative Merkmal fehlender Rechtsbindung ab. Somit fallen darunter alle Verhaltensweisen, die in der formalen Ordnung des Entscheidungsverfahrens nicht vorgesehen sind. Damit wird es möglich, neben der Absprache auch die staatlichen Informationsakte als informelles Verwaltungshandeln zu begreifen26 • Die behördlichen Warnungen lie~en etwa vor, wenn Behörden vor dem Gebrauch bestimmter Medikamente 7, vor einer Jugendsekte 28 oder vor der Benutzung von Teigwarenprodukten29 warnen. Die behördliche Empfehlungen liegen z. B. vor, wenn das Umweltbundesamt ein Umweltzeichen, den sog. "blauen Engel" an Produkte verleiheo, um diese als umweltfreudlich zu kennzeichnen und auf diese Weise die Kaufentscheidung des Konsumenten zu beeinflussen. Sowohl bei den Warnungen als auch bei den Empfehlungen soll das Verhalten der Adressaten beeinflußt werden. Die Begriffe werden allerdings uneinheitlich verwendet und dürften sich in der Praxis häufig überschneiden. Am besten lassen sie sich abgrenzen nach der Intensität der beabsichtigten Beeinflussung3l • Bei den Warnungen ist diese am größten. Mit ihr sollen Risiken aufgezeigt werden, wobei die Behörde die Adressaten gezielt und dringend zu einer ganz bestimmten Verhaltensweise veranlassen will 32 • Demgegenüber wird bei einer behördlichen Empfehlung lediglich ein bestimmtes Verhalten nahe gelegt. (1987), 27ff.; Schmidt-Aßmann, DVBI. 1989, 540f.; Schoch, DVBI. 1991, 667ff.; Schulte, DVBI. 1988,512ff. 26 So ausdrücklich Ossenbühl, in: UTR Bd. 3 (1987), 29. 27 BVerwGE 71, 183 (194) - Transparenzliste -. In diesem Urteil hat der Senat amtliche Informationen als grundrechtsrelevant angesehen, wenn sie eindeutig auf einen auf Seiten der Unternehmer eintretenden nachhaltigen Effekt abzielen und diesen Effekt nicht lediglich als Begleiterscheinung mit sich bringen. 28 BVerwGE 82, 76. 29 LG Stuttgart, NJW 1989, 2257ff.; OLG Stuttgart, NJW 2690ff. Hier geht es um eine Warnung des Regierungspräsidiums Stuttgart vor mikrobiell verdorbenen Teigwarenprodukten der Firma Birkel im Zusammenhang mit dem Flüssigeiskandal 1985 und den sich daran anschließenden Rechtsstreit, in dem das Land Baden-Württemberg dem Grunde nach zu Entschädigungsleistungen verurteilt wurde. Hierzu Robbers, AfP 1990, 84 ff. 30 Bei der Zeichenverleihung wirken das Umweltbundesamt, das Deutsche Institut für Gütersicherung und Kennzeichnung e. V. (RAL) und die Jury Umweltzeichen mit. 31 Vgl. im einzelnen Leidinger, DÖV 1993,926. 32 Zur terminologischen Trennung zwischen der Warnung und anderen staatlichen Informationsakten siehe Heintzen, in: Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, S. 174f.

§ 3 Fonnen des kooperativen Verwaltungshandelns

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Behördliche Warnungen können in der Mediengesellschaft unter Umständen gleiche oder sogar weit gravierendere Rechtsverletzungen auslösen als ein regelnder Eingriff des Staates33 • Jede Warnung, die entweder gezielt in subjektive Rechte eingreift oder zumindest eine subjektive Rechtsverletzung erheblicher Art in Kauf nimmt, ist einem eingreifenden Verwaltungsakt gleichzustellen. Sie fällt unter den Gesetzesvorbehalt34, weil sie den Schutzbereich der einschlägigen Freiheitsgrundrechte - also die Wettbewerbsfreiheit des Unternehmers 35 oder die Betätigungsfreiheit der Jugendsekte berührt. Sie darf nur ausgesprochen werden, wenn eine gesetzliche Ermächtigung zu einem solchen Eingriff vorliegt 36, weil ansonsten der Staat risikolos sich Eingriffsbindungen entziehen kann. Darüber hinaus muß die Behörde, bevor sie etwa warnt, den Sachverhalt, soweit möglich und erforderlich, aufklären. Sowohl der Umfang der Sachverhaltsaufklärung als auch die Entscheidung über die Frage des Ob und des Wie der Warnung unterstehen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dabei ist die Behörde verpflichtet, die schonendste Maßnahme auszuwählen 37 • Allerdings unterliegen Grundrechte - auch wenn sie einen Vorbehalt für den Gesetzgeber enthalten - Beschränkungen, die sich aus der Kollision mit anderen Verfassungsbestimmungen ergeben können 38 • Der Konflikt zwischen dem Grundrecht und anderen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern ist jedenfalls im Wege fallbezogener Abwägung zu lösen 39 • c) Stellungnahme

Zwischen Absprachen und staatlichen Informationsakten gibt es gewisse Ähnlichkeiten, Übereinstimmungen und Berührungspunkte. So sind beide dem Bereich des Realakts40 bzw. des schlichten Verwaltungshandelns41 Kloepfer, in: Instrumente und Fonnen staatlichen Handeins, S. 332 f. Vgl. Berg, ZLR 1990, 568ff.; Di Fabio, JuS 1997,5; Heintzen, in: Wandel der Handlungsfonnen im Öffentlichen Recht, S. 179; BVerwGE 71, 183 (189); a.A. Böhm, JA 1997, 795ff.; Lübbe-Wolff, NJW 1987, 2708ff. 3S Vgl. BVerwGE 87, 37 (39) m. w.N. - Veröffentlichung einer Liste mit Diethylenglykol kontaminierter Weine -. 36 So zu Recht Schulte, DVBl. 1988, 519; Beispiele der gesetzlichen Ennächtigungen für gezielte Infonnationsakte § 6 Abs. 1 Satz 2 GerätesicherheitsG, § 69 Abs. 4 AMG und § 6a der 22. BImSchV. 37 Di Fabio, in: Wandel der Handlungsfonnen im Öffentlichen Recht, S. 63. 38 Vgl. BVerwGE 87, 37 (43). In diesem Urteil hat der Senat die Auffassung vertreten, der Schutzbereich des Art. 12 GG werde von der verfassungsrechtlichen Befugnis der Regierung eingeschränkt, im Interesse der politischen Krisenbewältigung die Öffentlichkeit vor Gefahren zu warnen. 39 Vgl. Di Fabio, JuS 1997, 1 ff.; BVerfGE 51, 324 (346); 81, 278 (292f.); BVerwGE 87, 37 (46). 40 Vgl. statt aller Maurer, Allg. VerwR, § 15. 33

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1. Teil: Grundlagen des kooperativen VeIWaltungshandelns

zuzurechnen. In staatstheoretischer Perspektive kann man in beiden Erscheinungsformen den Ausdruck eines Wandels staatlicher Steuerung erblicken. Doch bestehen zwischen beiden Komplexen so tiefgreifende Differenzen, daß sich ihre Zusammenfassung unter einer Problemkategorie nicht rechtfertigen läßt. Dafür sind die im Kern aufgeworfenen Rechtsfragen zu heterogen. Bei staatlichen Informationsakten geht es um die Notwendigkeit einer formalen Rechtsgrundlage für derartige Informationen, vor allem um die Eingriffsqualität und damit den Grundrechtsschutz der mittelbar Betroffenen, ferner auch um den Gesetzesvorbehalt. Die Absprache wirft hingegen Probleme vor allem im Bereich der Handlungsformenlehre und des Verwaltungsverfahrens aur 2 • Vor allem aber ist entscheidend, daß ein staatlicher Informationsakt in einseitiger Weise von Behörden (einseitig-informal) ausgesprochen wird, während das Wesen der Absprache gerade in kooperativer Weise (kooperativ-informal) - im Austausch von Informationen und dem Aushandeln von Konditionen - besteht43 • Im Unterschied zum staatlichen Informationsakt bedeutet die Absprache allerdings, daß die Behörde ihrerseits den Entscheidungsvorgang öffnet und Adressaten ihrer Tätigkeit an der Entscheidungsfindung beteiligt. Die nachfolgende Untersuchung orientiert sich also nur an der Absprache, weil staatliche Informationsakte nicht in das kooperative Verwaltungshandeln eingeschlossen werden können. 2. Verhältnis zwischen informellem und kooperativem Verwaltungshandeln Kooperatives und informelles Verwaltungshandeln beruhen grundsätzlich auf den gleichen grundlegenden Entwicklungstendenzen moderner Staatlichkeit, sind Ausdruck desselben Gestaltwandels des modemen Verwaltungsstaates. Deswegen bestehen im Verhältnis beider Typen des Verwaltungshandelns sachliche Überschneidungen größeren Umfanges. Dieser enge Bezug resultiert daraus, daß informelles Verwaltungshandeln ohne den Willen und die Bereitschaft zur Kooperation nicht denkbar sind. So wird die sachliche Problematik des informellen Verwaltungshandelns in einem Teil der Literatur unter dem Stichwort des kooperativen Verwaltungshandeins, des kooperativen Rechts 44 oder des kooperativen Staats45 abgehandelt. 41 Der Begriff des schlichten VeIWaltungshandelns geht auf die schlichte HoheitsveIWaltung nach Jellinek, VeIWaltungsrecht, 3. Aufl., 1931, S. 21 ff. zurück. Vgl. auch neuerdings Robbers, DÖV 1987, 272ff.; Schulte, Schlichtes VeIWaltungshandein, 1995. 42 Dreier, StWissStPrax 1993, 650f. 43 Vgl. Hoffmann-Riem, ZAU 1990, 19ff.

§ 3 Fonnen des kooperativen Verwaltungshandelns

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Gleichwohl sind begriffliche Abgrenzungen zwischen kooperativem und informellem Verwaltungshandeln notwendig. Informelles Verwaltungshandeln steht im Gegensatz zu formalem Verwaltungshandeln, während kooperatives Verwaltungshandeln den Unterschied zu einseitig-hoheitlichem Verwaltungshandeln bezeichnet. Wie schon oben dargestellt, ist allein die Absprache dem informellem Verwaltungshandeln zuzurechnen. Kooperatives Verwaltungshandeln wird identifiziert mit der Gesamtheit des formellkooperativen Verwaltungshandelns (verwaltungsrechtlicher Vertrag) und informell-kooperativen Verwaltungshandelns46 (Absprache) zwischen Verwaltung und Privaten47 • Insofern ist Kooperation conditio sine qua non, aber nicht conditio sine per quam des informellen Verwaltungshandeins. Anders gesagt: Nicht jedes kooperative Verwaltungshandeln ist informal, aber informelles Verwaltungshandeln (Absprache) ohne Kooperation erscheint nicht vorstellbar48 • Insoweit ist es sachlich-sprachlich falsch, kooperatives Verwaltungshandeln als informelles/informales Verwaltungshandeln zu bezeichnen. Die beiden Begriffe sind nicht völlig identisch. Die folgende Übersicht soll dies deutlich machen. Modalitäten des Verwaltungshandelns49 formell

informell

einseitig-hoheitliches Verwaltungshandeln

Verwaltungsakt

staatliche Infonnationsakt

kooperatives Verwaltungshandeln

verwaltungsrechtlicher Vertrag

Absprache

44 Vgl. Bulling, DÖV 1989, 277ff.; Dose, Die Verwaltung 27 (1994), 91 ff.; Lübbe-Wolf!, NuR 1989, 295ff.; Müggenborg, NVwZ 1990, 909ff.; Schrader, DÖV 1990, 326ff.; Schulze-Fielitz, DVBl. 1994, 657ff. 45 Ritter, AöR 104 (1979), 389ff. (408f.): Er vertritt offenbar ein sehr weitgehendes Kooperationsverständnis. Der kooperative Staat ist für ihn ein Staat, der Großunternehmen, Oligopolen und organisierten Gruppen Zugang zu seinen Entscheidungsvorgängen gewährt, der öffentliche Aufgaben zur gemeinschaftlichen Erledigung mit diesen Machtträgern vergesellschaftet; vgl. auch Voigt, in: Der kooperative Staat, S. 11 ff., 33 ff. 46 Vgl. Bauer, VerwArch 78 (1987), 268; Henneke, NuR 1991, 269. 47 Benz, Die Verwaltung 23 (1990), 84. 48 Dreier, StWissStPrax 1993, 652. 49 Vgl. Benz, Die Verwaltung 23 (1990), 85.

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1. Teil: Grundlagen des kooperativen Verwaltungshandelns

3. Typisierung der Absprachen Naturgemäß fällt die Kategorisierung gesetzlich nicht geregelter Äußerungsfonnen der Verwaltung in Ennangelung nonnativer Ansatzpunkte schwer. Daher soll zunächst ein Überblick über die von der Verwaltung herausgebildeten, in der Praxis gebräuchlichsten Haupttypen der nonnvollziehenden Absprachenso verschafft werdens 1. a) Nach dem Ziel

Absprachen können nach dem Ziel in zwei Typen differenziert werden. Sie können im Vorfeld fonnalisierter Handlungsfonnen (Vorbereitungsabsprachens2 ), andererseits an Stelle solcher Handlungsfonnen (Ersatz- bzw. Venneidungsabsprachen) erfolgens3 . D. h., eine Absprache kann sowohl zur Vorbereitung eines späteren Erlasses des Verwaltungsaktes oder Vertragsschlusses getroffen werden, aber auch neben solche Handlungsfonnen treten. aa) Vorbereitungsabsprachen (Vorverhandlungen) Absprachen können vor allem im Zuge von VorverhandlungenS4 , also im Vorfeld des Verwaltungsaktes oder des verwaltungsrechtlichen Vertrages, solche Handlungsfonnen vorbereitenss . Vorverhandlungen ennöglichen die sachgerechte Bewältigung komplexer Probleme und einen gerechten Interessenausgleich. Im Rahmen von Vorverhandlungen wird der fachliche, technische oder rechtliche Sachverhalt erörtert und eine bestimmte Vorgehensweise für das fönnliche Verwaltungsverfahren festgelegt. Ein ganz wesentlicher Grund für diese Verwaltungspraxis wird in der durch sie ennöglichten Flexibilität gesehen: Prinzipiell lassen sie mangels rechtlicher Bindungswirkung den Beteiligten für ihr künftiges Verhalten alle Optionen so Wie bereits oben in Einführung erwähnt, sollen keine normvertretende Absprachen, sondern nur normziehende Absprachen im folgenden untersucht werden. Siehe oben § I 11 2. SI Detaillierter Überblick bei Henneke, NuR 1991, 270f.; ebenso Bohne, VerwArch 75 (1984), 345; Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 254; Fluck/Schmitt, VerwArch 89 (1998), 225. S2 In mancher Literatur sind sie als normvollzugsbegleitende Absprachen genannt. Vgl. Würfel, Informelle Absprachen in der Abfallwirtschaft, S. 124ff. S3 Vgl. Burmeister, VVDStRL 52 (1993), S. 234. 54 Unter dem Begriff Vorverhandlungen können Vorgespräche, Abstimmungen, Verständigungen, Vorabklärungen und ähnliche Arten kooperativer Kontaktaufnahmen zusammengefaßt werden. Näher dazu siehe unten § 5 1. ss Vgl. Bulling, DÖV 1989,281; Kunig, DVBI. 1992, 1195.

§ 3 Formen des kooperativen Verwaltungshandelns

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offen. Dabei können sich faktische Bindungswirkungen ergeben, die vor allem auf einige Problemfelder verweisen56 . Vorverhandlungen können in letzter Konsequenz zum Erlaß eines Verwaltungsaktes oder zum Abschluß eines verwaltungsrechtlichen Vertrages führen 57 • Theoretisch kann damit auch der spätere Erlaß eines Verwaltungsaktes oder der spätere Abschluß eines verwaltungsrechtlichen Vertrages Inhalt einer Vorverhandlung sein. Verwaltungsakten gehen grundsätzlich keine Verhandlungsprozesse voraus. Kooperationspartner können aber im Vorfeld eines Tätigwerdens der Behörde verhandeln, das Verfahren (etwa über Aktenvorlage oder die Terminierung) und den Inhalt eines Verwaltungsaktes (etwa über Vorfragen oder Teilaspekte der beabsichtigten Endregelung) absprechen58 • Solche Vorbereitungsabsprachen (Vorverhandlungen) bereiten formalisierte Verwaltungsentscheidung vor. Nur dem äußeren Anschein nach handelt es sich hier um ein einseitig-hoheitliches Verwaltungshandeln (sog. ausgehandelter Verwaltungsakt59). Dagegen gehen verwaltungsrechtlichen Verträgen vielfach Verhandlungsprozesse voraus. Der Abschluß von Verträgen erfolgt grundsätzlich durch übereinstimmende Willenserklärungen der Vertragsparteien (Behörde und Bürger). Dieser Vertragsabschluß ist zwar eine entscheidende Zäsur für die Begründung eines Verwaltungsrechtsverhältnisses, letztlich aber nur eine Momentaufnahme innerhalb sich entwickelnder Beziehungen. Denn ihm gehen regelmäßig mehr oder weniger intensive Vorverhandlungen (Vorbereitungsabsprachen) voraus, die für die Beteiligten bereits Rechte und Pflichten mit sich bringen können60• Anders ausgedrückt: "Keine Verhandlungen, kein Vertrag. ,,61 Für Verträge liegen die Verhandlungsprozesse in der Natur der Sache. In Verhandlungsprozessen informieren sich die potentiellen Vertragsparteien gegenseitig über ihre Absichten und Pläne, tauschen sich über rechtliche und tatsächliche Probleme bei der Verwirklichung ihrer Ziele und Aufgaben aus. Dabei werden oftmals wesentliche Fragen des Näher dazu siehe unten § 5 III. Lecheier, BayVBI. 1992,548. S8 Dauber, in: Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, S. 78; Maurer, DVBI. 1989, 802; Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, S. 65ff.; Scherer, DÖV 1991,2. S9 Auf das Phänomen des ausgehandelten Verwaltungsaktes machte frühzeitig u.a. Schmidt-Salzer, VerwArch 62 (1971), 135ff. aufmerksam. Siehe auch Krebs, VVDStRL 52 (1993), 255. Zur abschließend bestimmten nachträglichen Anordnung nach § 17 Abs. 4 BImSchG Fluck, UPR 1992, 326 ff. 60 Bauer, in: Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandeins, S. 255 m.w.N. 6\ Braun, JZ 1983, 842. S6 S1

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1. Teil: Grundlagen des kooperativen Verwaltungshandelns

Sachverhalts oder der Auslegung und Anwendung der materiellen Rechtslage eines Vorhabens abgeklärt und abgestimmt62 . In Hinsicht auf das Immissionsschutzrecht können diese Vorverhandlungen in zwei Fallgruppen unterschieden werden 63 : Vorverhandlungen, die im Vorfeld des Genehmigungsverfahrens geführt werden, und Vorverhandlungen, die geführt werden, nachdem ein rechtswidriger Zustand im Rahmen behördlicher Kontrollen (z. B. sanierungsbedürftiger Anlagen) festgestellt wurde. bb) Vermeidungs- bzw. Ersatzabsprachen64 Unter Vermeidungs- bzw. Ersatzabsprachen sind solche zu verstehen, die der Vermeidung der formalisierten Handlungsformen (Verwaltungsakt oder verwaltungsrechtlicher Vertrag) dienen. Verhandlungen zwischen der Behörde und dem Bürger können durchaus in einen Verwaltungsakt (oder verwaltungsrechtlichen Vertrag) münden, der das Ergebnis der Konsensfindung formal festlegt. Daneben finden jedoch offenbar in zunehmendem Maße Absprachen Anwendung65 • Diese können am Ende eines Verfahrens stehen und die gemeinsame Problemlösung enthalten. Verwaltungsakte (oder Verträge) werden hier vermieden, weil Absprachen dazu führen, daß die Behörde auf den Gebrauch bestimmter Verwaltungsakte (oder Verträge) verzichtet. Damit haben diese Absprachen als verfahrensabschließendes kooperatives Verwaltungshandeln eine Vermeidungs- bzw. Ersatzfunktion66 . Vermeidungsabsprachen können nicht über die Qualifizierung als verwaltungsrechtliche Verträge in den Kreis des rechtsförmigen Verwaltungshandelns geholt werden, weil ein rechtlicher Bindungswille bei keiner der Parteien auszumachen ist. Im übrigen kann ein Sachverhalt ohnehin kein verwaltungsrechtlicher Vertrag sein, wenn die gern. § 57 VwVfG erforderliche Schriftform fehlt. Voraussetzung für das Zustandekommen dieser Vermeidungsabsprachen ist eine Ermächtigungsnorm zum Erlaß eines Verwaltungsaktes (oder zum Abschluß eines Vertrages 67 ) eines bestimmten SachStelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 54 Rn. 18. Bulling, DÖV 1989,279. 64 In mancher Literatur sind sie als normvollzugsabwendende Absprachen genannt. Vgl. Würfel, Informelle Absprachen in der Abfallwirtschaft, S. 121 ff. 6S Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 164ff; Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 395 ff.; siehe auch neuerdings von Wedemeyer, Kooperationen beim Vollzug des Umweltrechts, S. 127ff. 66 Vgl. Breuer, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band I, S. 249; Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, S. 66; Scherer, DÖV 1991, 2. 67 Z.B. ermächtigt § 124 Abs. 1 BauGB die Gemeinden ausdrücklich zum Handeln durch Vertrag, beinhaltet nicht per se das Verbot einer Absprache in diesem 62

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§ 3 Fonnen des kooperativen Verwaltungshandelns

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verhaltes, das Vorliegen diese Sachverhaltes, die Bereitschaft der Verwaltung auf den Verwaltungsakt (oder Vertrag) verzichten und, im Gegenzug hierzu, das Versprechen des Privaten, bestimmte abgesprochene Bedingungen zu erfüllen68 , d. h. einen der Verwaltung entgegenkommenden freiwilligen Handlungsbeitrag zu leisten. In Hinsicht auf das Immissionsschutzrecht sind Vermeidungsabsprachen denkbar, die ein einseitig-hoheitliches Sanierungsinstrument, etwa eine nachträgliche Anordnung nach § 17 BImSehG, vermeiden sollen (sog. Sanierungsabsprachen)69. Derartige Sanierungsabsprachen ergehen statt dem Erlaß eines Verwaltungsaktes, insbesondere bei Verzicht auf die Sanierungsanordnung, die nach dem Stand der Technik erforderlich ist7o • b) Nach der Intensität des Bindungswillens

Absprachen können auch nach der Intensität des Bindungswillens in zwei Fallgruppen differenziert werden. aa) Arrangements Wie oben dargelegt, wird im Rahmen von Vorverhandlungen der gesamte Sachverhalt erörtert und eine bestimmte Vorgehenweise für das förmliche Verwaltungsverfahren festgelegt. Es findet somit eine Verständigung über den Inhalt einer zu erlassenden Verfügung statt71. Der Übergang von den Vorverhandlungen zum Arrangement ist fließend. Eine eindeutige Abgrenzung findet nicht statt. Demzufolge können Arrangements definiert werden als mündliche Absprachen zwischen Behörde und Betroffenem, die verbindlich gemeint sind, aber im Falle der Nichteinhaltung einer festgelegten Sanktion entbehren72 • bb) Agreements Unter Agreement versteht man eine in irgend welcher Form schriftlich dokumentierte Absprache über Verfahrensschritte, Teilregelungen oder Bereich. Eine Absprache kann damit mit erschließungsrechtlichem Inhalt zulässig den Abschluß eines Erschließungsvertrages ersetzen. Vgl. Müller, Öffentliches Vertragsrecht in der Praxis, S. 1Of. 68 Burmeister, VVDStRL 52 (1993), S. 234f. 69 Näher dazu siehe unten § 8. 70 Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 171. 71 Eberle, Die Verwaltung 17 (1984), 439f.; in erklärter Anlehnung an Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl., S. 74. 72 Bulling, DÖV 1989, 280.

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1. Teil: Grundlagen des kooperativen Verwaltungshandelns

Gesamtregelungen. Agreements sind also nichts anderes als schriftlich fixierte Arrangements. Auch ihre Nichteinhaltung bleibt ohne rechtliche Sanktionen. Das Agreement unterscheidet sich dadurch wesentlich vom öffentlich-rechtlichen Vertrag. Da aber die Agreements durch ihre schriftliche Fixierung nicht selten bereits öffentlich bekanntgemacht und in der Öffentlichkeit diskutiert werden, ist der Bruch eines solchen Agreements häufig mit einem öffentlichen Eklat verbunden 73.

IV. Verwaltungsrechtlicher Vertrag 1. Historische Entwicklung

Als Prototyp des kooperativen Verwaltungshandelns ist der verwaltungsrechtliche Vertrag nicht neu74. Er war bis zu seiner gesetzlichen Verankerung in den §§ 54ff. VwVfG als Handlungsform der Verwaltung auf die Ablehnung namhafter Rechtslehrer gestoßen. Einflußreich war bekanntlich vor allem Otto Mayers ablehnende Haltung. Er hielt (subordinationsrechtliche) Verträge zwischen dem Staat und dem Bürger auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts für nicht möglich75, weil der Vertrag die Gleichordnung der Rechtssubjekte voraussetze, das öffentliche Recht aber durch die Überordnung des Staates bestimmt sei76 • Seine Lehre stand klar auf dem Boden der ausschließlich an der klassischen Hoheitsverwaltung orientierten Lehre und Praxis. Sie wurde immer wieder zitiert und lange Zeit als Ausdruck der vermeintlich herrschenden Lehre tradiert. Aber seit geraumer Zeit wurde diese einseitige Orientierung mit der Entwicklung der Leistungsverwaltung und dem damit einhergehenden Wandel der Anschauungen über das Verwaltungsrechtsverhältnis nach und nach überholt. In einigen Lehrbüchern wurde der öffentlich-rechtliche Vertrag nun überwiegend ohne Vorbehalt einer gesetzlichen Ermächtigung generell für zulässig erklärt77 • 1958 wurde gleich durch drei monographische Arbeiten der verwaltungsrechtliche Vertrag grundlegend neu erörtert. Imboden, Stern und Salzwedel bahnten den Weg für die Anerkennung des öffentlichrechtlichen Vertrages als ein dem Verwaltungsakt im wesentlichen gleichbeBulling, DÖV 1989, 280f. Zur historischen Entwicklung der Lehre vom verwaltungsrechtlichen Vertrag unter dem Grundgesetz zuletzt eingehend Maurer, DVBI. 1989, 799ff. 7~ Die Ablehnung des Vertrages bezog sich nicht auf den koordinationsrechtlichen Vertrag, den Mayer für zulässig hielt, vgl. Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Band H, 3. Aufl., 1924, S. 359. 76 Otto Mayer, AöR 3 (1888),42. 77 Vgl. Nebinger, VerwR, 2. Aufl., 1949, S. 276f.; H. Peters, Lehrbuch der Verwaltung, 1949, S. 154f. 73

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§ 3 Fonnen des kooperativen Verwaltungshandelns

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rechtigtes Institut78 • Es wurde von der weiteren Entwicklung der Rechtsprechung sowohl der Verwaltungsgerichtsbarkeit als auch der ordentlichen Gerichtsbarkeit bestätigt79 • Das Bundesverwaltungsgericht äußerte 1966 in seiner grundlegenden Entscheidung zum öffentlich-rechtlichen Vertrag, daß die Möglichkeit vertraglichen Verwaltungshandelns anstelle der einseitigen Anordnung durch Verwaltungsakt grundsätzlich allgemeine Anerkennung finde 8o • Die Diskussion wurde beflügelt, als 1963 ein von den Innenministern des Bundes und der Länder eingesetzter Ausschuß den Musterentwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes (EVwVerfG) vOrlegte81 • Der Entwurf enthielt im Teil IV (§§ 40-48) Regelungen zum öffentlich-rechtlichen Vertrag. 1967 übernahm das Land Schleswig-Holstein den Musterentwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes in sein Landesverwaltungsgesetz82 • In den §§ 121-129 LVwG waren zum ersten Mal allgemein die Regeln über den öffentlich-rechtlichen Vertrag zusammengefaßt. Erst neun Jahre später wurde das Bundesverwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) am 25. 5. 1976 verabschiedet83 • Die Gesetzgeber benutzten diese Gelegenheit der Kodifizierung des allgemeinen VwVfG zugleich dazu, den lang andauernden Streit über die Zulässigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrages zwischen der Verwaltung und Bürgern im Sinne seiner Anerkennung als generell zulässige Handlungsform der Verwaltung zu entscheiden. Nach § 54 VwVfG kann die Behörde Rechtsverhältnisse anstatt des Erlasses eines Verwaltungsaktes durch einen verwaltungsrechtlichen Vertrag begründen, ändern oder aufheben, soweit nicht Rechtsvorschriften dies ausdrücklich untersagen. Die generelle Zulässigkeit der verwaltungsrechtlichen Verträge wird damit nicht mehr bestritten. Der ,,Existenzkampf,84 des verwaltungsrechtlichen Vertrages ist nun endgültig abgeschlossen. Vertragliches Verwaltungshandeln kann jetzt ohne spezialgesetzliche Ermächtigung gestattet sein. 85 Diese grundsätzliche Anerkennung des verwaltungsrechtlichen Ver-

78 Vgl. Imboden, Der verwaltungsrechtliche Vertrag, 1958; Stern, VerwArch 49 (1958), 100ff.; Salzwedel, Die Grenzen der Zulässigkeit des öffentlich-rechtliche Vertrages, 1958. 79 BGH DVBl. 1967,36 (43). 80 BVerwGE 23, 213 (216). 81 Zur weitere Entwicklung des Musterentwurfs siehe Entwürfe von 1970 (BTDrs. 6/1173) und 1973 (BT-Drs. 7/910; BR-Drs. 227/73). 82 SchlHLVwG vom 18. April 1967, GVOBL S. 131. 83 BGBL I S. 1253. 84 Stern, VerwArch 49 (1958), 108. Vgl. zur "nonnativen Ennächtigungslehre" etwa Stern, VerwArch 49 (1958), 139; für heutige Meinung siehe Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 54 Rn.!; Kopp, VwVfG, vor § 54 Rn. 8 f.

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1. Teil: Grundlagen des kooperativen Verwaltungshandelns

trages als Handlungsfonn entspricht dem gesteigerten Selbstbewußtsein des Bürgers, Verhandlungs- und Vertragspartner des Staats zu sein. 86 Trotz der gesetzlichen Anerkennung durch § 54 VwVfG wird der verwaltungsrechtliche Vertrag in der neueren Literatur noch unterschiedlich beurteilt. Positiven Äußerungen, die ihm einen legitimen Platz im Verwaltungsrecht und in der Verwaltungspraxis einräumen und für seine Ausdehnung eintreten87 , stehen kritische und sogar ablehnende Meinungen gegenüber88 . Überwiegend wird er in der Verwaltungs rechtslehre nüchtern registriert und mit eher skeptischer Zurückhaltung betrachtet89 • Auch in der Praxis ist der Abschluß verwaltungsrechtlicher Verträge eher die Ausnahme geblieben. 2. Begriff und Abgrenzung a) Öffentlich-rechtlicher Vertrag, verwaltungsrechtlicher Vertrag und Verwaltungsvertrag

Der Begriff des öffentlich-rechtlichen Vertrages ist Inhalt einer Legaldefinition in § 54 Satz I Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), wonach ein solcher dann vorliegt, wenn ein RechtsverhäItnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts durch Vertrag begründet, geändert oder aufgehoben wird. Der öffentlich-rechtliche Vertrag beruht auf gegenseitigen und übereinstimmenden Willenserklärungen zwischen zwei oder mehreren Parteien90 . Er bezweckt die Regelung konkreter, verwaltungsrechtlicher Rechtsbeziehungen zur Erfüllung der öffentlichen Aufgaben91 • Der öffentlich-rechtliche Vertrag gemäß §§ 54ff. VwVfG läßt sich damit im Schnittpunkt zweier Beziehungsgefüge ansiedeln: als Ausdrucksfonn des kooperativen VerwalSo zutreffend Maurer, DVBI. 1989, 800. Vgl. etwa Braun, BayVBI. 1983, 225ff.; Hill, DVBI. 1989, 32lff.; Maurer/ Hüther, Die Praxis des Verwaltungsvertrags im Spiegel der Rechtsprechung, 1989. 88 Vor allem Püttner, DVBI. 1982, 122ff. Er ist der Ansicht, daß sich der Anwendungsbereich und Häufigkeit öffentlich-rechtlicher Verträge ... offenbar eingeengt statt erweitert hat. Durch diesen tatsächlichen Befund sieht er seine inhaltliche Analyse bestätigt, wonach der subordinationsrechtliche Vertrag zwischen Staat und Bürger auf einer systemwidrigen Annahme beruht. Die mit der VwVfG-Kodifikation nunmehr realisierte Forderung, den Vertrag als alternative Handlungsform zum Verwaltungsakt zuzulassen, lehnt er deshalb ab; ähnlich Henke, JZ 1992, 546. 89 Zu Gründen des Vorbehalts gegenüber dem verwaltungsrechtlichen Vertrag siehe Hoffmann-Riem, in: Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, Grundfragen, S. 155. 90 Mit Recht ablehnend gegenüber der Annahme einer Vertragsfreiheit der Verwaltung z.B. Schmidt-Aßmann/Krebs, Rechtsfragen städtebaulicher Verträge, S. 131, 197. 91 Punke, VerwaltungshandeJn durch Vertrag, S. 25f.; Stern, VerwArch 49 (1958), 100ff. 86 87

§ 3 Formen des kooperativen Verwaltungshandelns

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tungshandelns in dem des konsensualen Staatshandelns und als rechtsverbindliche Regelung in dem der rechtsförmlichen Verwaltungshandlungen. Die drei typischen Kennzeichen des öffentlich-rechtlichen Vertrages bestehen in seiner rechtsgeschäftlichen Natur, der Zweiseitigkeit sowie dem Ausschluß des Privatrechts92 • Das VwVfG spricht zwar durchgehend vom "öffentlich-rechtlichen Vertrag" und in der Legaldefinition von einem "Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts". Es meint aber nicht den gesamten Bereich des öffentlichen Rechts 93 . Aus den generellen Begrenzungen des § 1 Abs. 1 VwVfG, wonach das VwVfG für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit von Behörden gilt, und des § 9 VwVfG (Begriff des Verwaltungsverfahrens) ergibt sich, daß nur solche Verträge unter diese Begriffsbestimmung fallen, die von einer Behörde abgeschlossen wurden und dem Bereich des Verwaltungsrechts zuzuordnen sind. Damit erfaßt der öffentlich-rechtliche Vertrag i. S. d. VwVfG nicht alle Verträge, die sich auf ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis beziehen, sondern nur öffentlichrechtliche Verträge, die ein verwaltungsrechtliches Rechtsverhältnis zum Gegenstand haben und verwaltungsrechtliche Rechte und Pflichte begründen, ändern oder aufheben. Zur KlarsteIlung des Begriffs des öffentlich-rechtlichen Vertrages i. S. d. VwVfG verwenden einige Autoren entgegen der Terminologie des VwVfG deshalb die Bezeichnung "verwaltungsrechtlicher Vertrag,,94. Ausgeschlossen ist daher die unmittelbare Anwendung der §§ 54ff. VwVfG auf völkerrechtliche Verträge, verfassungsrechtliche Verträge sowie staatskirchenrechtliche Verträge9s . Über den Begriff "Verwaltungsvertrag" besteht keine Einigkeit. Einige Autoren96 verwenden die Begriffe Verwaltungsvertrag und verwaltungsrechtlicher Vertrag synonym. Nach einer anderen Ansicht97 ist ein Verwaltungsvertrag jeder Vertrag - mithin auch der privatrechtliehe Vertrag -, den die Verwaltung zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben abschließt. Durch die letztgenannte Ansicht wird der öffentlich-rechtliche Vertrag der Verwal-

92/mboden, Der verwaltungsrechtliche Vertrag, S. 38 ff. 93 Kunig, DVBI. 1992, 1195 kritisiert, daß die Begriffswahl des § 54 Satz 1 VwVfG unglücklich sei. 94 Vgl. WolfflBachoflStober, VerwR I, § 54; GiemulialJaworskylMüller-Uri, VerwR, Kapital 10. 95 Siehe dazu statt vieler Achterberg, Allg. VerwR, § 20 Rn. 195 ff. 96 Vgl. Lecheler, BayVBI. 1992,545 (Fn. 1); Maurer, Allg. VerwR, § 14 Rn. I; ders., DVBI. 1989, 798; StelkenslBonklSachs, VwVfG, § 54 Rn. 30. 97 Vgl. Krebs, VVDStRL 52 (1993), S. 257f.; Schmidt-Aßmann, in: Festschrift für Konrad Gelzer, S. 1l7. 4 Song

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1. Teil: Grundlagen des kooperativen Verwaltungshandelns

tung (bzw. der verwaltungsrechtliche Vertrag) der Kategorie der Verwaltungsverträge als Unterfall unterstellt. Die folgende Ausführung konzentriert sich nur auf den öffentlich-rechtlichen Vertrag i. S. d. VwVfG. Zur Klarstellung des Begriffs wird im folgenden die Bezeichnung "verwaltungsrechtlicher Vertrag" verwendet. Der Verwaltungsvertrag wird auch nicht mit dem verwaltungsrechtlichen Vertrag synonym, sondern in einem weiteren Sinne verstanden. b) Öffentlich-rechtlicher Vertrag und privatrechtlicher Vertrag

Die Unterscheidung zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Verträgen der Verwaltung ist nicht nur für die Rechtswegbestimmung im Falle eines Streites aus dem Vertrag (§ 40 VwGO i. V. m. § 97 VwVfG) von erheblicher Bedeutung. Vielmehr wirkt sich diese Abgrenzungsfrage wegen der für den öffentlich-rechtlichen Vertrag generell vorgeschriebenen Schriftform und wegen den unterschiedlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen und Fehlerfolgen auch auf die Rechtsfolgen der vertraglichen Regelung aus. Die Rechtsnatur des Vertrages ist also maßgebend für die Modalitäten der Vollstreckung und der Haftung sowie für die Bestimmung des anwendbaren Vertragsrechts98. Die Zugehörigkeit eines Vertrages zum öffentlichen oder zum privaten Recht ist im Einzelfall zu bestimmen. Sie kann nicht allein davon abhängig gemacht werden, ob der Vertrag der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben dient, weil Rechtsträger des öffentlichen Rechts sich in Erfüllung ihrer Aufgabe sowohl öffentlich-rechtlicher als auch privatrechtlicher Gestaltungsformen bedienen können99 • Maßgebend für die Abgrenzung von öffentlich-rechtlichem Vertrag und privatrechtlichem Vertrag ist nach § 54 Satz 1 VwVfG der Gegenstand der vertraglichen Regelung 1OO • Gegenstand der vertraglichen Regelung ist das im jeweiligen Vertrag geregelte Rechtsverhältnis lO1 • Rechtsverhältnisse in diesem Sinne sind herkömmlicherweise die sich aus einer rechtlichen Regelung ergebenden Beziehungen zwischen mehreren Rechtssubj ekten 102. Ob nun ein bestimmter Vertrag ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts oder auf dem Gebiet des Privatrechts regelt, wird unter98 Vgl. Kunig, DVBI. 1992, 1195; Maurer, Allg. VerwR, § 14 Rn. 8. Überblick zum Streitstand in Ansehung von Verträgen: Scherzberg, JuS 1992, 206ff. 99 Achterberg, Allg. VerwR, § 20 Rn. 201. 100 Vgl. z.B. BVerwG, JZ 1990, 59lff. m. krit. Anm. Ehlers. 101 Siehe dazu statt vieler Ule/Laubinger, VwVfG, § 68 Rn. 5. 102 Vgl. BVerwGE 50, 11 (19); Ehlers, DVBI. 1986, 912f; Scherzberg, JuS 1992,

206.

§ 3 Fonnen des kooperativen Verwaltungshandelns

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schiedlich bestimmt. Zum Teil wird auf die durch den Vertrag begründeten bzw. betroffenen Rechte und Pflichten (Rechtsfolgen) abgestellt 103. Daraus folgt, daß ein Vertrag öffentlich-rechtlicher Natur dann ist, wenn er Rechte und Pflichten öffentlich-rechtlicher Art begründet, aufhebt, inhaltlich verändert oder feststellt. Teilweise wird demgegenüber für entscheidend gehalten, ob sich der Vertrag auf von der gesetzlichen Ordnung öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich geregelte Sachverhalte bezieht lO4 • Soweit es sich dabei um gesetzlich vorgeregelte Sachverhalte handelt, wird für die Bestimmung der Rechtsnatur des Vertrages wieder auf die Theorien zur Qualifizierung der einseitig verbindlichen Einzelfallregelungen zurückgegriffen l05 . Besonders schwierig ist die Abgrenzung zwischen öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Vertrag dort, wo ein Teil des Vertragsgegenstandes (z. B. die Leistung des Bürgers) privatrechtlich ist und ein anderer Teil des Gegenstandes (z. B. die Leistung der Behörde) öffentlich-rechtlich ist. Für diesen Fall ist streitig, wie derartige Verträge zuzuordnen sind. Zum Teil wird die Auffassung vertreten lO6 , die einzelnen Teile des Vertrages seien aufzuspalten und entsprechend den jeweils für sie geltenden unterschiedlichen Regeln ihrer Rechtsgebiete zu beurteilen. Die weitaus herrschende Meinung 107 will diesen Fall grundsätzlich einheitlich als verwaltungsrechtlichen Vertrag dann auffassen, wenn sich der Gesamtcharakter der Vereinbarung als vom öffentlichen Recht bestimmt erweist. Man muß hier die Abgrenzung nach der Faustformel vornehmen, wonach es auf den Gegenstand des Vertrages 108 , seinen Gesamtcharakter lO9 und Zweck" O ankommt. Die praktischen Unterschiede zwischen öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Vertrag sind nach heutiger Erkenntnis weniger bedeutend als es scheinen möchte, weil die öffentliche Hand in jedem Fall durch die Verfassungsbindung diszipliniert ist. Im übrigen befinden sich Verträge im vorliegenden Zusammenhang zumeist jedenfalls im Umfeld eines verwaltungsrechtlichen Ordnungsmodells, was für ihre Qualifizierung als öffentlichrechtlich ausreicht. III 103 Vgl. Mutius, Jura 1979, 224; Tschaschnig, Die Nichtigkeit subordinationsrechtlicher Verträge, S. 20. 104 BVerwGE 42, 331 (332). lOS Dazu etwa Lange, NVwZ 1983, 313ff.; Neumann, DÖV 1992, 154ff. H16 Vgl. BGHZ 32,214 (217). 107 Vgl. BVerwGE 42, 331 (333); Knack, VwVfG, § 54 Rn. 4.3; Kopp, VwVfG, § 54 Rn. 8; MeyerlBorgs, VwVfG, § 54 Rn. 30f. lOS BGHZ 58, 386 (388); BVerwGE 22, 138 (140); 30, 65 (67); 43, 359 (361). 109 BGHZ 56, 365 (372). 110 BGHZ 97,312 (314); BVerwGE 30, 65 (67). 111 Vgl. Krebs, VVDStRL 52 (1993), 257f., 273f.; Schmidt-Aßmann, in: Festschrift für Konrad Gelzer, S. 127f.; Schmidt-AßmannIKrebs, Rechtsfragen städtebaulicher Verträge, S.162. 4'

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1. Teil: Grundlagen des kooperativen Verwaltungshandelns c) Verwaltungsrechtlicher Vertrag und (mitwirkungsbedürftiger) Verwaltungsakt

Soweit der Staat im Einzelfall im Außenrechtsverhältnis verbindlich, d. h. für sich selbst und den Bürger rechtlich bindend, handeln will, stellt ihm die Verwaltungsrechtsordnung nur zwei rechtliche Handlungsformen zur Verfügung: den Verwaltungsakt oder den verwaltungsrechtlichen Vertrag. Beide werden daher folgerichtig auch in § 9 VwVfG als verfahrensabschließende Akte genannt. Das VwVfG unterwirft beide Handlungsformen mithin einer Vielfalt von gemeinsamen Regeln (§ 62 S. 1 VwVfG). Über den Kanon der damit anzuwendenden Normen des VwVfG, namentlich die Befangenheitsregeln (§§ 20, 21), der Untersuchungsgrundsatz (§ 24), die Beratungspflicht (§ 25), Aktenansicht (§ 29) und Geheimhaltung (§ 30), besteht weitgehend Einigkeit l12 . Nicht anwendbar sind dagegen diejenigen Vorschriften, die speziell auf den Verwaltungsakt zugeschnitten sind wie Anhörung (§ 28)113. Dies ergibt sich daraus, daß im Rahmen der Vertragsverhandlungen immer ausreichend Gelegenheit für den Bürger besteht, seinen Standpunkt darzulegen, so daß für die förmliche Anhörung gemäß § 28 VwVfG beim Abschluß eines verwaltungsrechtlichen Vertrages kein Bedürfnis besteht. Der grundsätzliche Unterschied zwischen Verwaltungsakt und verwaltungsrechtlichem Vertrag besteht in der Art und Weise des Zustandekommens. Der Verwaltungsakt wird einseitig durch die Behörde erlassen. Demgegenüber wird der verwaltungsrechtliche Vertrag mittels Zustimmung und unter Mitwirkung von Bürger und Gemeinwesen geschlossen. Er beruht somit auf Zweiseitigkeit. Dieser Unterschied bewirkt für den verwaltungsrechtlichen Vertrag allgemein, daß er sich hinsichtlich der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen, der Bindungswirkung, der Fehlerfolgen und der Aufhebungsmöglichkeiten bei Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Umstände von einem Verwaltungsakt unterscheidet l14 • Besonders charakteristisch ist etwa, daß ein Verwaltungsakt grundsätzlich auch Vollstreckungstitel ist, während beim verwaltungsrechtlichen Vertrag vor einer Vollstrekkung ein Gerichtsurteil erstritten werden muß, wenn nicht vorher die Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckung (§ 61 VwVfG) vereinbart worden ist l15 • Ausführlich dazu Punke, Verwaltungshandeln durch Vertrag, S. 46ff. m.w.N. Vgl. Knack, VwVfG, Vor § 54 Rn. 4.2; Kopp, VwVfG, § 62 Rn. 2; Meyer/ Borgs, VwVfG, § 62 Rn. 4; Obermeyer, VwVfG, § 62 Rn. 30; Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, § 62 Rn. 5; Ule/Laubinger, VwVfG, § 67 Rn. 13. 114 Vgl. Maurer, Allg. VerwR, § 14 Rn. 18. 115 Vgl. Knack, VwVfG, § 61 Rn. 2; Kopp, VwVfG, § 61 Rn. 1; Meyer/Borgs, VwVfG, § 61 Rn. 3; Obermayer, VwVfG, § 61 Rn. 4; Schulze-Fielitz, DVBI. 1994, 662; Ule/Laubinger, VwVfG, § 72 Rn. 18. 112

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Schwierigkeiten scheinen jedoch dort zu entstehen, wo eine Mitwirkung des Betroffenen bei einem Verwaltungsakt erforderlich ist, nämlich beim sog. mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakt l16 • Das sind z. B. die nur auf Antrag oder Zustimmung zulässigen Verwaltungsakte, wie Baugenehmigung, Einbürgerung, Beamtenernennung, Immatrikulation usw. Dennoch ist der mitwirkungsbedürftige Verwaltungsakt eine einseitig durch die Behörde erlassene Regelung. Das Mitwirkungserfordernis hat nicht den Zweck, den Bürger mitentscheidend in den Regelungsvorgang einzubeziehen, sondern soll sicherstellen, daß ihm nicht ein Verwaltungsakt aufgedrängt wird, den er nicht haben will. Der Erlaß des mitwirkungsbedürftigen VerwaltungsakteS hängt damit nicht von der Akzeptanz des Bürgers ab. Die Erklärung des Bürgers beim verwaltungsrechtlichen Vertrag ist Existenzvoraussetzung, beim mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakt Rechtmäßigkeitsvoraussetzung, häufig auch Rechtswirksarnkeitsvoraussetzung ll7 . Fehlt sie beim beabsichtigten verwaltungsrechtlichen Vertrag, dann liegt überhaupt kein Vertrag vor; fehlt sie beim mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakt, dann liegt zwar ein Verwaltungsakt vor, er ist aber rechtswidrig und anfechtbar. d) Verwaltungsrechtlicher Vertrag und Zusicherung

Der verwaltungsrechtliche Vertrag ist von der einseitigen Zusicherung der Behörde gemäß § 38 VwVfG zu unterscheiden. Für die vertragliche Einigung ist kennzeichnend, daß die Behörde und der Betroffene übereinstimmende Willenserklärungen abgegeben haben. Diese Willenserklärung der Behörde unterscheidet sich von einem einseitigen Leistungsversprechen (Zusicherung) durch den Rechtsfolgewillen 1l8 . 3. Zulässigkeit im allgemeinen

Daß Verträge auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts subordinationsrechtlich zulässig sein können, war eine umstrittene Frage bis zum Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes 1l9• Aber erst seit das VwVfG den verwaltungsrechtlichen Vertrag ausdrücklich für zulässig erklärte, ist dessen 116 Zu Kriterien zur Abgrenzung zwischen mitwirkungsbedürftigem Verwaltungsakt und verwaltungsrechtlichem Vertrag siehe statt vieler Spannowsky, Grenzen des VerwaltungshandeJns durch Verträge und Absprachen, S. 71 ff. ll7 Maurer, Allg. VerwR, § 14 Rn. 19. 118 So ausdrücklich Obennayer, VwVfG, § 54 Rn. 21 m. w.N. 119 Vgl. Bleckmann, VerwArch 63 (1972), 404ff. - sog. Zulassungstheorie (hellte herrschende Auffassung); dagegen Stern, VerwArch 49 (1958), 106ff. - sog. nonnative Ennächtigungstheorie.

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1. Teil: Grundlagen des kooperativen Verwaltungshandelns

Zulässigkeit zur Selbstverständlichkeit geworden I2o. § 54 Satz I VwVfG verlangt für den verwaltungsrechtlichen Vertrag keine gesetzliche Ermächtigung. Nach § 54 Satz 2 VwVfG ist der verwaltungsrechtliche Vertrag gleichberechtigt neben das herkömmliche Instrument des Verwaltungsaktes gestellt worden 121 • a) Vertragsformverbot

Die Schranken der Zulässigkeit des verwaltungsrechtlichen Vertrages stellt § 54 Satz 1 VwVfG klar, nämlich ,,soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen". Die Zulässigkeit des verwaltungsrechtlichen Vertrages hängt damit von dem Nichtvorliegen entgegenstehender Rechtsvorschriften ab l22 • Auszulegen ist dabei, was der Gesetzgeber mit dem Halbsatz "soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen" gemeint hat. Streitig ist zuerst, ob der Vorbehalt ,,soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen" sich nur auf die Vertragsform 123 oder auch auf den Vertragsinhalt 124 beziehen. Nach überwiegender Ansicht bezieht sich dieser Verbot nur auf die Form, nicht erst auf den Inhalt des Vertrages. Rechtsvorschriften stehen entgegen, wenn sie die Vertragsform ausdrücklich verbieten oder der Verwaltung die Inanspruchnahme einer anderen Form als derjenigen des Vertrages zwingend gebieten 125. Ausdrückliche Verbote des verwaltungsrechtlichen Vertrages als Handlungsform sind jedoch selten. Allerdings kann auch die Auslegung gesetzlicher Vorschriften nach ihrem Sinn und Zweck, sowie der Gesamtzusammenhang eines Regelwerks ergeben, daß ein Vertrag nicht zulässig sein soll, daß die Verwaltung also zwingend durch Verwaltungsakt zu handeln hat 126. Die herrschende Ansicht 127 neigt dazu, ausgehend vom Gesetzeszweck bereichsspezifisch ein Vertragsformverbot zu begründen; als anerStelkenslBonklSachs, VwVfG, § 54 Rn. 1. Achterberg, Allg. VerwR, § 20 Rn. 206; StelkenslBonklSachs, VwVfG, § 54 Rn. 6; MeyerlBorgs, VwVfG, § 54 Rn. 66. 122 Also sämtliche Regelungen gesetzlicher, verordnungsrechtlicher, gewohnheitsrechtlicher Natur, die der Verwaltung vertragliche Handlungsformen verbieten. Dazu vgl. BVerwGE 41,331 (334f.). 123 So Achterberg, JA 1979,359; Krebs, VerwArch 72 (1981), 55; Kunig, DVBl. 1992, 1195f.; Maurer, Allg. VerwR, § 14 Rn. 26; MeyerlBorgs, VwVfG, § 54 Rn. 66; Meyer, NJW 1977, 1710, Anm. 55; Obermayer, VwVfG, § 54 Rn. 102. 124 So Knack, VwVfG, § 54 Rn. 1; Kopp, VwVfG, § 54 Rn. 22; Schmidt-Aßmann, in: Festschrift für Konrad Gelzer zum 75. Geburtstag, S. 125; StelkenslBonkl Sachs, VwVfG, § 54 Rn. 46; UlelLaubinger, VwVfG, § 70 Rn. 4. 12S SO Erichsen, Allg. VerwR., § 26 Rn. 4; Kunig, DVBl. 1992, 1196. 126 Vgl. BVerwGE 84, 236 (238); Kopp, VwVfG, § 54 Rn. 27. 127 Vgl. MeyerlBorgs, VwVfG, § 54 Rn. 70; StelkenslBonklSachs, VwVfG, § 54 Rn. 54ff.; Maurer, Allg. VerwR, § 14 Rn. 26; Kunig, DVBl. 1992, 1196. 120 121

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kannte Be'spiele seien Einbürgerungen 128 , Entlassungsverfügung der Soldaten 129 , Beamtenernennungen 130 , Prüfungen und prüfungsähnliche Entscheidungen genannt. Als weiteres Beispiel mag man § 53 Abs. 2 SGB X heranziehen, wonach Verträge über Sozialleistungen nur möglich sind, wenn die Leistungserbringung im Ermessen der Behörde steht. Bei einer Gesamtbetrachtung tendiert man freilich zu der Einschätzung, daß Vertragsformverbote insgesamt eher selten auszumachen sind. b) Ermessen und Ermessensreduzierung

Liegen keine Vertragsformverbote vor, dann steht die Wahl der Vertragsform im Ermessen der Behörde, die dabei an die bekannten Grenzen der Ermessensausübung (§ 40 VwVfG) gebunden ist l3l . Das VwVfG selber geht davon aus, daß Verwaltungsakt und verwaltungsrechtlicher Vertrag als Formen grundsätzlich austauschbar eingesetzt werden können. Eine allgemeine Rechtspflicht für die Behörde, dem verwaltungsrechtlichen Vertrag Vorrang vor dem Verwaltung akt zu geben, gibt es insoweit nicht. Das Ermessen eröffnet Spielräume, die sich daran orientieren, ob die Vertragsform eine einfache, sachgerechte und effektive Erfüllung der jeweiligen Verwaltungsaufgabe ermöglicht; auch verfassungsrechtliche Vorgaben, das materielle Recht und die angestrebte inhaltliche Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses sowie die damit verbundenen Rechtsfolgen entfalten hier Vorwirkung 132 . Im besonderen Verwaltungsrecht hat sich an der Dominanz der Vorschriften, welche zum einseitig-hoheitlichen Handeln durch Verwaltungsakt (z. B. Erlaubnis, Genehmigung, Bescheid, Anordnung etc.) ermächtigen, seither nichts grundstürzendes geändert \33. Der verwaltungsrechtliche Vertrag steht immer noch ganz im Schatten des Verwaltungsaktes. Damit stellt sich die 128 Nach § 16 RuStAG (Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz v. 22. 7. 1913) ist für eine Einbürgerung die Aushändigung einer Urkunde notwendig. 129 Nach § 47 Abs. 4 SoldG (Gesetz über Rechtsstellung der Soldaten v. 19. 8. 1975) muß die Entlassungsverfügung dem Soldaten unter schriftlicher Angabe der Gründe zugestellt werden. 130 Nach § 5 BRRG kann die Ernennung eines Beamten nur durch Verwaltungsakt erfolgen. Das Beamtenverhältnis einer Gestaltung durch Vereinbarung ist nur insoweit zugänglich, als dafür eine gesetzliche Grundlage besteht. vgl. BVerwGE 91,200 (203). 131 Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 54 Rdnr. 6; Gusy, DVBl. 1983, 1222f.; Kunig, DVBl. 1992, 1195 f. \32 Vgl. Scherzberg, JuS 1992,209. \33 Insgesamt akzeptiert das besondere Verwaltungsrecht das Institut des verwaltungsrechtlichen Vertrages mit Zurückhaltung. Vgl. Kunig, DVBl. 1992, 1194; Meyer/Borgs, VwVfG, § 54 Rn. 70.

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1. Teil: Grundlagen des kooperativen Verwaltungshandelns

Frage, ob eine solche Erwähnung der Fonn des Verwaltungsaktes als Ausschluß der Vertragsfonn zu begreifen ist. Zweifelhaft ist, wie das Verhältnis zwischen verwaltungsrechtlichem Vertrag und Verwaltungsakt in diesem Fall beurteilt werden soll. In Hinsicht auf das Immissionsschutzrecht ist es also fraglich, ob die Anlagengenehmigung (§ 4ff. BImSchG) oder eine nachträgliche Anordnung (§ 17 BImSchG) durch einen verwaltungsrechtlichen Vertrag ausgesprochen werden können. Nach Achterberg 134 sind sämtliche Bestimmungen, in denen ordnungs behördliche Verfügungen geregelt werden, als einer vertraglichen Regelung entgegenstehende Rechtsvorschriften zu verstehen. Danach wären die in den Umweltgesetzen vorgesehenen Verwaltungsakte durchweg nicht durch vertragliche Vereinbarungen zu ersetzen. Jüngst wieder hat Burmeister 135 versucht zu zeigen, daß verwaltungsrechtliche Verträge als Ersatz für einseitig-hoheitliche Verwaltungsakte tendenziell rechtswidrig oder aber überflüssig sind. Demgegenüber gibt es nach Krebs 136 keinen gesetzlichen Grund, den verwaltungsrechtlichen Vertrag prinzipiell als subsidiär oder nachrangig anzusehen; sein Verhältnis zum Verwaltungsakt bestimmt je nach Zweckmäßigkeit Überlegungen im jeweiligen Sachbereich und Einzelfall, wenn man nicht gerade umgekehrt im Sinne eines administrativen Subsidiaritätsprinzips von einem Vorrang der Vertragsfonn vor Rechtsfonnen des Verwaltungsaktes ausgehen will. Damit wird grundsätzlich dem verwaltungsrechtlichen Vertrag der Vorzug vor einem Verwaltungsakt gegeben, was aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begründet wird. Maurer 137 stellt dagegen das Verhältnis von verwaltungsrechtlichem Vertrag und Verwaltungsakt umgekehrt dar. Der Anwendungsbereich vertraglicher Regelung liege dort, wo der Verwaltungsakt als Regelungsinstrument nicht oder nicht mehr ausreichend greife. Erichsen 138 ist der Auffassung, daß zwischen vor und nach Erlaß des VwVfG in Kraft getretenen Gesetzen zu differenzieren sei. Lege eine Nonn fest, daß die Verwaltung durch Bescheid, Verfügung, Erlaubnis oder Genehmigung tätig werde, habe das bei Rechtsvorschriften, die nach dem VwVfG erlassen wurden, zumindest indizierende Wirkung hinsichtlich der Unzulässigkeit des verwaltungsrechtlichen Vertrages. Bei vor Erlaß des VwVfG in Kraft getretenen Rechtsvorschriften hätten derartige Fonnulierungen dagegen weniger Aussagekraft. 134

135

136 137 138

Achterberg, JA 1979,359. Burmeister, VVDStRL52 (1993), S. 212f., 222ff. So Krebs, DÖV 1989,974. Maurer, DVBI. 1989,805; ähnlich Kunig, DVBI. 1992, 1196. Erichsen, Allg. VerwR., § 26 Rn. 4.

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Meines Erachtens ist der bloßen Erwähnung des Verwaltungsaktes in verwaltungsrechtlichen Zusammenhängen nicht ohne weiteres ein Vertragsformverbot zu entnehmen, da der Gesetzgeber zwar oft von dem Verwaltungsakt als typischer Handlungsform der Verwaltung ausgeht, damit jedoch nicht regelmäßig zugleich ein gesetzliches Verbot meint. Die Schaffung von § 54 Satz 1 VwVfG hat jedenfalls auch nicht zum Ziel, umstandslos und in voller Breite die durch Verwaltungsakt zu ordnenden Bereiche der Vertragsform zu öffnen. Man muß im Einzelfall überprüfen, ob eine gesetzliche Regelung einen bestimmten Verwaltungsakt oder ein bestimmtes Verwaltungsverfahren zwingend vorschreibt, ob der Erlaß des Verwaltungsaktes grundsätzlich im Ermessen der zuständigen Behörde steht und ob die verwaltungsaktbezogenen Regelungen auch bei vertraglichem Handeln ausreichend berücksichtigt werden können. Wenn eine gesetzliche Regelung eine bestimmte Entscheidung oder ein bestimmtes Verfahren (z. B. die Durchführung eines Genehmigungsverfahrens und das Genehmigungserfordernis) zwingend vorschreibt, besteht keine Möglichkeit, auf diese zu verzichten l39 • In diesem Fall sind Verträge unzulässig l40 • Dagegen finden sich eigentlichen Spielräume für die Vertragsform im Bereich der Ermessensverwaltung. Es ist immer die Aufgabe der Behörden, bei Ermessensentscheidungen (z. B. nachträgliche Anordnung gemäß § 17 BImSchG) die sachlichen, technischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten im Vorfeld des eigentlichen Entscheidungsprozesses so auszuloten, daß eine richtige, dem rechtsstaatlichen Gesetzesvollzug ebenso dienende wie den Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und der Angemessenheit entsprechende Entscheidung gefunden werden kann 141.

4. Arten a) Koordinations- und subordinationsrechtliche Verträge

Das Verwaltungsrecht kennt keinen Einheitstyp der verwaltungsrechtlichen Verträge. Vielmehr unterscheidet das Verwaltungsverfahrensgesetz nach dem Verhältnis der Vertragspartner zwei Grundtypen verwaltungsrechtlicher Verträge: koordinations- und subordinationsrechtliche Verträge 142. Koordinationsrechtliche Verträge sind diejenige Verträge, die zwischen grundsätzlich gleichgeordneten Vertragspartnern abgeschlossen werden. Sie können also zwischen Trägern öffentlicher Verwaltung geschlossen Ähnlich Burmeister, VVDStRL 52 (1993), S. 241. Näher dazu siehe unten § 6. 141 Bulling, DÖV 1989,279. 142 Zu dieser Unterscheidung siehe statt vieler Maurer, Allg. VerwR, § 14 Rn. 12; und zu Fragwürdigkeiten dieser Tenninologie vgl. Hill, DVBI. 1989, 322. 139 140

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1. Teil: Grundlagen des kooperativen Verwaltungshandelns

werden l43 • Die Vertragspartner stehen nicht in einem Über-Unterordnungsverhältnis zueinander, sondern als Träger von Verwaltungsaufgaben auf gleicher Ebene. Die Zulässigkeit der Handlungsform der koordinationsrechtlichen Verträge ergibt sich daraus, daß anderenfalls gleichgeordnete Rechtssubjekte keine Möglichkeit hätten, Gegenstände auf dem Gebiete des Verwaltungsrechts zu regeln. Koordinationsrechtliche Verträge stehen nicht in Konkurrenz zu Verwaltungsakten. Allerdings können sich Träger öffentlicher Verwaltung nur im Rahmen ihrer von der Rechtsordnung beigelegten Rechtsfähigkeit vertraglich binden. Subordinationsrechtliche Verträge sind dagegen Verträge zwischen der Verwaltung und dem Bürger, die sonst im Verhältnis der Über-Unter-Ordnung (Staat-Bürger) stehen, das nach traditioneller Auffassung durch die Befugnis des Staates zur einseitigen Regelung bestimmt wird l44 • Nach § 54 Satz 2 VwVfG kann die Behörde, anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen, einen subordinationsrechtlichen Vertrag mit einem Bürger abschließen, an den sie sonst den Verwaltungsakt richten würde 145. Damit ist klargestellt, daß der Gesetzgeber den subordinationsrechtlichen Vertrag mit dem Bürger für zulässig erachtet. Subordinationsrechtliche Verträge ersetzen bzw. ergänzen zunehmend belastende Verwaltungsakte in meist komplizierteren Fällen, in denen entweder eine hoheitlich-bürokratische Vorgehensweise der Behörde zu Rechtsmitteln durch den Bürger führen würde oder aber ein frühzeitiger Vollzug einer entsprechenden Vorschrift angestrebt wird l46 • Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Grundtypen ist von großer Bedeutung, denn der überwiegende Teil der Bestimmungen des VwVfG gilt nur für Verträge "im Sinne des § 54 Satz 2,,147. Die §§ 55 und 56 VwVfG, die besondere Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für Vergleichs- und Austauschverträge enthalten, sind ausschließlich auf subordinationsrechtliche Verträge zugeschnitten. Auf koordinationsrechtliche Verträge sind sie nicht unmittelbar anwendbar. Darüber hinaus stellt § 59 Abs. 2 VwVfG durch 143 Großer Teil des Schrifttums verneint die Zulässigkeit der verwaltungsrechtlichen Verträge zwischen Privatpersonen. Siehe insbes. Gern, Der Vertrag zwischen Privaten, S. 51; ders., NJW 1979, 694f; ferner Kasten/Rapsch, NVwZ 1986, 712f.; Demgegenüber bejahen andere Autoren (z.B. Erichsen, Allg. VerwR, § 24 Rn. 9; Knack, VwVfG, § 54 Rn. 4.1) die Möglichkeit von verwaltungsrechtlichen Verträgen unter Privaten. 144 Vgl. statt aller Achterberg, JA 1979,358. 145 Kritisch dazu Burmeister, VVDStRL 52 (1993), 229: "Für den verwaltungsrechtlichen Vertrag bleibt nur Anwendungsraum im Bereich rechtlicher Gleichordnung zwischen Verwaltung und Privaten, also dort, wo die Verwaltung gerade nicht eines Verwaltungsaktes durchsetzen könnte". 146 König, VR 1990, 405. 147 Das Vertragsrecht des VwVfG ist damit in erster Linie subordinationsrechtliches Vertragsrecht.

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die ausdrückliche Bezugnahme auf § 54 Satz 2 VwVfG besondere Nichtigkeitsgründe für subordinationsrechtliche Verträge auf. Die Gebiete des Umweltrechts gehören zu den Regelungen besonderer ordnungsrechtlicher Materien, also zum klassischen Bereich der eingreifenden oder Hoheitsverwaltung 148 . Dies ist der Bereich, der als Beispiel für das Über-Unterordnungsverhältnis zwischen Staat und Bürger genannt wird, in dem also der Staat das Recht hat, dem Bürger einseitige Anordnungen aufzugeben 149. Entsprechend dieser Gewichtung wird sich die nachfolgende Untersuchung in erster Linie auf subordinationsrechtliche Verträge konzentrieren 150• b) Vergleichs- und Austauschverträge

Als besondere subordinationsrechtliche Vertragstypen werden vom VwVfG Vergleichsverträge und Austauschverträge hervorgehoben, weil sie besonders häufig vorkommen. Daraus darf allerdings nicht geschlossen werden, es liege ein numerus clausus zulässiger verwaltungsrechtlicher Verträge vor 151 • Gemäß § 55 VwVfG kann die Behörde in pflichtgemäßer Ermessensausübung mit dem Bürger einen Vergleichsvertrag abschließen, um eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehende Ungewißheit im Wege gegenseitigen Nachgebens zu beseitigen (Vergleich). Soweit § 55 VwVfG eine verständige Würdigung verlangt, stellen die Vorschriften auf einen sog. "objektiven Beobachter" ab l52 , der ex ante und mit dem vernünftigen Kenntnisstand der Vertragsparteien ausgestattet, eine Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage vornimmt 153 • Durch diese Vorschrift nicht gedeckt sind nämlich Leistungen der Beteiligten, deren Gesetzwidrigkeit mit der beizulegenden Ungewißheit nichts zu tun haben I54 . Ferner sind Vergleiche über Leistungspflichten der Behörden unzulässig, wenn diese nach der bestehenden Rechtslage nicht erbracht Vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 54 Rn. 78 Vgl. hierzu die Beispiele bei Amold, VerwArch 80 (1989), 125ff.; Bulling, DÖV 1989, 277 ff.; ders., in: Verwaltungshandeln durch Verträge und Absprachen, 147ff. ISO Siehe unten § 8. ISI Maurer, Allg. VerwR, § 14 Rn. 15. 152 Meyer/Borgs, VwVfG, § 55 Rn. 9. IS3 BVerwG verlangt in seinem Urteil vom 18. 11. 1977 (Buchholz 406.11 § 135 Nr. 10) wegen des Begriffs "verständige Würdigung" ebenfalls eine "objektive Betrachtungsweise". Obermayer, VwVfG, § 55 Rn. 14, stellt auf einen "Durchschnittsjuristen" ab. 154 BVerwGE 49, 359 (365). 148

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1. Teil: Grundlagen des kooperativen Verwaltungshandelns

werden dürfen. Demnach sind Vergleichsverträge zwar bei Ungewißheit über die Rechtmäßigkeit, nicht aber bei Gewißheit über die Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns zulässig 1S5 • Unter Austauschverträge versteht man gegenseitig verpflichtende Verträge, in den sich der Bürger der Behörde gegenüber zu einer Gegenleistung verpflichtet. Austauschverträge sind also jedenfalls solche, bei denen Leistung und Gegenleistung gegenseitig verknüpft werden. Nach § 56 Abs. 1 VwVfG dürfen Austauschverträge abgeschlossen werden, wenn die Gegenleistung sowie ihr Zweck im Vertrag ausdrücklich bezeichnet werden, sie der Behörde zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dient, den gesamten Umständen nach angemessen ist und im sachlichen Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde (sog. Koppelungsverbot) steht. Diese Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 56 Abs. 1 VwVfG zielen darauf, den privaten Vertragspartner vor selbst angesichts vertraglicher Übereinstimmung ungerechtfertigten Bindungen im Rahmen von § 59 Abs. 2 Nr. 4 zu schützen. Sie verhindern dabei auch einen sachwidrigen "Ausverkauf von Hoheitsrechten,,156. c) Veifügungs- und Verpflichtungsverträge

Austauschverträge können inhaltlich als Verfügungs- oder als Verpflichtungsverträge ausgestaltet sein 157. Ein Verfügungsvertrag liegt vor, wenn die Behörde z. B. im Rahmen eines Vertrages einen versprochenen Verwaltungsakt erläßt. Soweit der Verwaltungsakt auf unmittelbare Rechtsänderung gerichtet ist, ist der verwaltungsakt-ersetzende Vertrag ein typischer Verfügungs vertrag. Dagegen ist ein Verpflichtungsvertrag gegeben, wenn sich ein oder beide Vertragspartner zu bestimmten Leistungen verpflichten und dementsprechend der andere Vertragspartner einen Anspruch auf Erfüllung der übernommenen Leistungspflichten enthält.

d) Unbewehrte und bewehrte Verträge Verwaltungsrechtliche Verträge können im Hinblick auf Sanktionen in zwei Typen differenziert werden: unbewehrte und bewehrte Verträge. Bei unbewehrten Verträge handelt es sich um formelle verwaltungsrechtliche Verträge, die jedoch für den Fall der Zuwiderhandlung keinerlei Sanktionen Achterberg, JA 1979,360. BT-Drs. 7/910, S. 79. (57 Vgl. Meyer/Borgs, VwVfG, § 56 Rn. 5; zur Bedeutung der Unterscheidung Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen, ISS

(56

S.205f.

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wie Stillegungspflichten, Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckung, Akzeptanz von Zwangsgeldern und ähnliches vorsehen 158. Zur Durchsetzung unbewehrter Verträge muß erst im Klagewege ein Vollstreckungstitel erwirkt werden. Solche Verträge werden vorwiegend mit Betroffenen geschlossen, die selbst in einem öffentlich-rechtlichen Pflichtverhältnis stehen oder öffentlich-rechtlich kontrolliert sind. Dazu gehören insbesondere Städte, Gemeinden und Landkreise (koordinationsrechtliche Verträge). Man kann dort auf weitergehende Sanktionen verzichten, da die Einhaltung derartiger Verträge zu den Amtspflichten der Agierenden oder zumindest der Aufsichtsinstanzen gehört. Der perfekte verwaltungsrechtliche Vertrag in der umweltrechtlichen Praxis ist ein bewehrter Vertrag, bei dem im Vertrag selbst geregelt und besiegelt ist, was im Falle der Vertragsverletzung an tatsächlichen und rechtlichen Sanktionen vorgesehen ist l59 • § 61 VwVfG regelt die Vollstreckbarkeit von subordinationsrechtlichen Verträgen, die häufig mit Sanktionen für den Fall der Nichteinhaltung vertraglicher Pflichten verbunden sind 160.

v.

Zusammenfassung

Die obigen Ausführungen haben gezeigt, daß das Phänomen der Kooperation ein Ausdruck des Wandels der Staatsfunktionen und ein Versuch zur Bewältigung veränderlicher Entwicklungen ist. Auf der Handlungsebene kommt Kooperation zur Ausdifferenzierung neuer Formen, wie Informalität, Konsensualität und Flexibilität, die sämtlich zu mehr Kommunikation und weniger autoritativer Entscheidung führen. Mann kann damit kooperatives Verwaltungshandeln als den Gegenbegriff zum einseitig-hoheitlichen Verwaltungshandeln bezeichnen. Nach h. M. sind zum kooperativen Verwaltungshandeln nur informelle Absprachen zu zählen. Allerdings haben informelle Absprachen zuerst einen Anlaß für die Diskussion des kooperativen Verwaltungshandelns gegeben. Sie sind immer noch Hauptinstrumente des kooperativen Verwaltungshandeins. Jedoch sind zum kooperativen Verwaltungshandeln nicht nur informelle Absprachen, sondern auch verwaltungsrechtliche Verträge zu zählen. Informelle Absprachen und Verträge sind dadurch gekennzeichnet, daß der gefundene Konsens nach dem Willen der Beteiligten nicht folgenlos bleiben soll. In der Rechtsform des Vertrages hat der Begriff Kooperation schon seit längerem seinen Ausdruck gefunden, weil eine Kooperation die 158 159

160

Bulling, DÖV 1989, 281. Bulling, DÖV 1989,281. Näher dazu siehe unten § 8 V I.

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1. Teil: Grundlagen des kooperativen Verwaltungshandelns

Grundlage jedes Vertragsabschlusses ist. Nachdem der verwaltungsrechtliche Vertrag in §§ 54 VwVfG ausdrücklich für zulässig erklärt wurde, ist er als eine der Handlungsformen der Verwaltung unbestritten. Absprachen und Verträge sind vielfältig und rechtlich uneinheitlich. Sie können manchmal im Vorfeld des Verwaltungsaktes, andererseits an Stelle des Verwaltungsaktes erfolgen. Sie lassen sich für verschiedene Rechtsgebiete feststellen. Es stellt sich im folgenden Teil die Frage, inwieweit kooperatives Verwaltungshandeln im Bereich der imrnissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung auftreten.

Zweiter Teil

Kooperatives Verwaltungshandeln bei der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung Nach § 4 BImSchG bedürfen Errichtung und Betrieb gewerblicher Anlagen (z.B. einer Abfallverbrennungsanlage) einer Genehmigung. Der Träger eines Vorhabens muß auf die Genehmigungsbehörde zukommen und die zur Beurteilung der Anlage erforderlichen Unterlagen beibringen. Die Behörde prüft das Vorhaben an Hand der Unterlagen und erteilt die Genehmigung bei Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen. Dieser Genehmigungspflicht können sich Betreiber bei der Errichtung neuer Anlagen kaum, bei der Änderung bestehender Anlagen nur selten entziehen. Allein die Planung der Errichtung einer solchen Anlage ist mit erheblichen Kosten und weitreichenden Folgen verbunden. Der Vorhabenträger ist aber oft nicht in der Lage, die Genehmigungsvoraussetzungen im einzelnen selbst zu beurteilen. Er möchte deswegen von der Genehmigungsbehörde schon vor Antragstellung wissen, unter welchen Voraussetzungen und an welchem Standort das beabsichtigte Vorhaben genehmigungsfähig ist (Absprache in Gestalt von Vorverhandlungen). Im Laufe der Vorverhandlungen werden verschiedene Standorte geprüft und mehrere Gutachten in Auftrag gegeben. Schließlich einigt man sich am Ende der Vorverhandlungen unter Nennung konkreter Anforderungen über die Durchführung des Vorhabens. Nach empirischen Untersuchungen finden vor Einleitung eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens in fast 3/4 aller Fälle intensive Vorverhandlungen stattl. Erste Vorverhandlungen werden oftmals schon mindestens ein Jahr vor der Antragstellung aufgenommen 2 • Möchte man kooperatives Verwaltungshandeln bei der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung erfassen, so muß man zunächst feststellen, wie das gesetzliche Instrumentarium aufgebaut ist. Nachfolgend soll 1 Vgl. Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 50ff.; Hill/Weber, Vollzugserfahrungen mit umweltrechtlichen Zulassungsverfahren, S. 98ff.; Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), 191 ff.; Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 318ff.; von Wedemeyer, Kooperationen beim Vollzug des Umweltrechts, S. 50ff. 2 Die Vorverhandlungen dauern im allgemeinen ebenso lange oder sogar noch länger als das anschließende formelle Genehmigungsverfahren, vgl. Harries, Die Praxis abfallrechtlicher Planfeststellung, S. 2oof.

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

daher zunächst auf einige Grundlagen der Anlagengenehmigung eingegangen werden. Sodann wird der Frage nachgegangen, inwieweit kooperatives Verwaltungshandeln in diesem speziellen Bereich rechtsstaatlich erklärt werden kann.

§ 4 Rechtliche Grundlagen der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung Wichtigste Rechtsgrundlagen für die immissionsschutzrechtliche Anlagengenehmigung sind das BImSchG3 sowie die zur Durchführung des BImSchG erlassenen Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften. Vor Erlaß des BImSchG gehörte das Recht der genehmigungs bedürftigen Anlagen zum Bereich des Gewerberechts4 • Nachdem durch das 30. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 12. 4. 1972 Art. 74 Nr. 24 GG eingeführt und damit für den Bund eine selbständige Vollkompetenz für den Sachbereich der Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung begründet worden war, legte die Bundesregierung dem Bundestag den Entwurf zum Erlaß eines BImSchG vor. Am 21. 3. 1974 wurde das BImSchG im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und trat6 am 1. 4. 1974 in Kraft. Das BImSchG wurde im Laufe der letzten Jahrzehnte durch eine Vielzahl von Gesetzen geändert7 . Das BImSchG wurde insbesondere durch das Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren vom 9. 10. 19968 , das im Zusammenhang mit den vielfälti3 Gesetz zum Schutz vor schädlichen UmweJteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz - BImSchG) in der Fassung vom 14. 5. 1990 (BGBI. I S. 880), zuletzt geändert am 18.4. 1997 (BGBI. I S. 805). 4 Die Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund vom 1. 10. 1869 enthielt in den §§ 16ff. Vorschriften für Anlagen welche einer besonderen Genehmigung bedürfen. Eine vollständige inhaltliche Änderung dieser Gewerbeordnung brachte erst das Gesetz zur Änderung der Gewebeordnung und Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuches vom 22. 12. 1959 (BGBI. I, S. 781). 5 Vgl. BT-Drs. 7/179, 7/1508, 7/1513 sowie BR-Drs. 58/74. 6 BGBI. I, S. 721. 7 Zur Entwicklung des Immissionsschutzrechts statt aller Feldhaus, NVwZ 1995, 963ff. 8 Das Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren vom 9. 10. 1996 (BGBI. I S. 1498). Das Gesetz geht auf das Gutachten einer vom Bundeswirtschaftsministerium eingesetzten Expertenkommission zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren (sog. Schlichter-Kommission) zurück. Das Gutachten enthält 25 Leitvorschläge zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im allgemeinen durch Integration insbesondere wirtschaftspolitisch orientierter Regelungsansätze, 6 Vorschläge mit Ausrichtung auf EG-Recht, 24 Vorschläge zur Änderung des BImSchG,

§ 4 Rechtliche Grundlagen der Anlagengenehmigung

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gen Bemühungen9 steht, den Wirtschaftsstandort Deutschland 10 zu stärken, zuletzt in erheblichem Umfang geändert. Der Gesetzgeber geht davon aus, daß potentielle Investoren durch langwierige und komplizierte Genehmigungsverfahren von einer Entscheidung zugunsten des Standorts Deutschland abgehalten werden könnten 11 .

I. Genehmigungs- bzw. Anzeigeerfordernis 1. Neuanlagen Die Errichtung und der Betrieb von Anlagen l2 , die auf Grund ihrer Beschaffenheit oder ihres Betriebs in besonderem Maße geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen oder in anderer Weise die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zu gefahrden, erheblich zu benachteiligen oder erheblich zu belästigen, sowie von ortsfesten Abfallentsorgungsanlagen 13 bedürfen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG einer Genehmigung. Konkrete und abschließende Auskunft darüber, welche Arten von Anlagen den Kriterien von § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG entsprechen, gibt die Rechtsverordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen (4. BImSchV 14), die auf Grund der Ermächtigung in § 4 Abs. 1 Satz 2 BImSchG erlassen wurde. Im Anhang zur Verordnung werden die genehmigungsbedürftigen Anlagen aufgeführt und sachlich nach zehn Sachgruppen gegliedert . Darunter fallen praktisch alle größeren Industrieanlagen, unabhängig davon, ob es um Anla15 Vorschläge zur UVP und zur Verwaltungsorganisation, 8 Vorschläge zum VwVfG und 8 Vorschläge zur VwGO. 9 Vgl. u. a. das Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren (Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz - GenBeschlG) vom 12. 9. 1996 (BGBI. I S. 1354) und das Sechste Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 1. 11. 1996 (BGBI. I S. 1626); 10 Zum Überblick über den Wirtschafts standort Deutschland im internationalen Vergleich Tettinger. NuR 1997, I ff. 11 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/3996, S. 1. 12 Der Begriff der Anlagen ist legal definiert und umfaßt (1) Betriebsstätten und sonstige ortsfeste Einrichtungen, (2) Maschinen, Geräte und sonstige ortsveränderliche Einrichtungen sowie Fahrzeuge, soweit sie nicht der Vorschrift des § 38 unterliegen, und (3) Grundstücke, auf denen Stoffe gelagert oder abgelagert oder Arbeiten durchgeführt werden, die Emissionen verursachen können, ausgenommen öffentliche Verkehrswege (§ 3 Abs. 5 BlmSchG). 13 Nach dem bis zum 30. 4. 1993 geltenden Abfallgesetz waren einheitlich alle Abfallentsorgungsanlagen gern. § 7 AbfG a. F. grundsätzlich planfeststellungspflichtig. 14 Vierte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen - 4. BlmSchV) in der Fassung vom 14. 3. 1997 (BGBI. I S. 504), geändert am 19. 3. 1997 (BGBI. I S. 545). 5 Song

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2. Teil: Verwaltungshande1n bei Anlagengenehmigung

gen der Chemie oder der Stromerzeugung, der Stahlverarbeitung oder der industriellen Landwirtschaft geht!5.

2. Änderungen und wesentliche Änderungen Die meisten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren betreffen nicht Neuanlagen, sondern Änderungen oder Erweiterungen im Bestand einer Anlage!6. Nach § 15 BlmSchG a.F. bedurfte die wesentliche Änderung einer genehmigungsbedürftigen Anlage ihrerseits der (Zusatz-)Genehmigung, soweit diese Änderung die Lage, die Beschaffenheit oder den Betrieb der Anlage betrifft. Durch die Neufassung der §§ 15 und 16 BlmSchG vom 9. 10. 1996 ist das Immissionsschutzrecht grundlegend neu orientiert. Die Bundesregierung nennt in der Begründung zum Gesetzesentwurf!7 als Änderungsgrund die Anpassung an die IVU-Richtlinie!8. Die Richtlinie werde ein zweistufiges Änderungsverfahren enthalten, nämlich eine Miueilungspflicht für Änderungen und einen Genehmigungsvorbehalt für wesentliche Änderungen!9. §§ 15 und 16 BlmSchG n.F. sollen diesem Vorbild angepaßt werden. a) Genehmigung wesentlicher Änderungen (§ 16 BlmSchG) § 16 BlmSchG n.F. regelt nunmehr die wesentliche Änderung genehmigungsbedürftiger Anlagen. Wie § 15 Abs. 1 BlmSchG a.F. knüpft § 16 Abs. 1 BlmSchG n. F. an der Änderung20 der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebs einer genehmigungsbedürftigen Anlage an. Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BlmSchG hängt die Genehmigungsbedürftigkeit von Anlagenänderungen davon ab, ob nachteilige Auswirkungen hervorgerufen werden können und diese für die Prüfung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG erheblich sein können. Der Begriff "Auswirkungen" ist weit zu verstehen. Erfaßt sind alle direkten oder indirekten, schweren oder leichten, positiven oder negativen Effekte für die Schutzgüter des Gesetzes, seien sie durch Normal15 Über den Umfang der genehmigungsbedürftigen Anlage bestehen auch einige Streitfragen. Dazu näher vgI. Kutscheidt, DÖV 1976, 663ff.; OVG Bremen, UPR 1982,234. 16 1995 waren in Nordrhein-Westfalen 67 % aller immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren auf die Erteilung einer Änderungsgenehmigung ausgerichtet. VgI. Moormann, UPR 1996,413. 17 BT-Drs. 13/3996, S. 9. 18 Richtlinie 96/611EG des Rates über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung vom 24. 9. 1996 (ABI. Nr. L 257/26). 19 VgI. Art. 2 Nr. lOa und lOb, Art. 2 I, II der IVU-Richtlinie. 20 Als Änderung ist jede Abweichung vom Genehmigungsbescheid zu verstehen. Dazu näher vgI. Jarass, NJW 1998, 1098 m. w. N.

§ 4 Rechtliche Grundlagen der Anlagengenehmigung

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betrieb oder Betriebsstörung hervorgerufen. "Nachteilig" sind Auswirkungen, die die vorhandene Situation ungünstig verändem 21 . Die neue Legaldefinition ist damit enger als der durch Rechtsprechung und Literatur konkretisierte Begriff der "wesentlichen Änderung" i. S. des § 15 Abs. 1 BImSchG a.F,z2. Änderungen, die ausschließlich zu Umweltverbesserungen führen oder neutral sind, sind künftig genehmigungsfrei 23 . Darüber hinaus bestimmt § 16 Abs. 1 Satz 2 BImSchG n. F., daß eine Genehmigung auch dann nicht erforderlich ist, wenn durch die Änderung hervorgerufene nachteilige Auswirkungen offensichtlich gering sind und die Erfüllung der sich aus § 6 Abs. 1 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG ergebenden Pflichten sichergestellt ist. § 16 Abs. 2 BImSchG n.F. führt die Möglichkeit des § 15 Abs. 1 Satz 2 BImSchG a. F. fort, unter bestimmten Voraussetzungen ein vereinfachtes Verfahren durchführen zu können. Voraussetzungen sind, daß in den an sich auszulegenden Unterlagen keine Umstände dazulegen wären, die erhebliche nachteilige Auswirkungen für die § 1 genannten Schutzgüter besorgen lassen. Neu geregelt ist, daß von der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht abgesehen werden soll, wenn erhebliche Auswirkungen zu befürchten sind. Nach § 16 Abs. 3 BImSchG n.F. ist die förmliche Genehmigung im Rahmen eines Änderungsverfahren abweichend von § 10 Abs. 6 a BImSchG bereits nach sechs Monaten zu erteilen.

b) Anzeige unwesentlicher Änderungen (§ 15 BlmSchG) In § 15 BImSchG n. F. wird eine neues Anzeigeverfahren für Änderungen eingeführt, das auch die bisherige nachgehende Mitteilung (§ 16 BImSchG a. F.) ersetzt. Die Vorschrift sieht für die Änderung genehmigungsbedürftiger Anlagen eine schriftliche Anzeige mindestens einen Monat, bevor mit der Änderung begonnen werden soll, vor. Die Mitteilung unwesentlicher Änderungen nach Ablauf von jeweils zwei Jahren gern. § 16 Abs. 1 BImSchG a. F. ist gleichzeitig entfallen. Anzeigepflichtig nach § 15 Abs. 1 BImSchG sind alle Änderungen, die sich auf die in § 1 BImSchG genannten Schutzgüter auswirken können. Gemeint sind allerdings nur Auswirkungen der von der Änderung erfaßten Anlagenteile, nicht der gesamten Anlage; erfaßt werden also nur neue oder zusätzliche Auswirkungen 24 . Dabei sind nach Gesetzeszweck nur Auswirkungen durch Immissionen oder sonstige schadensgeneigte Umstände 21 22 23

24

Vgl. Moormann, UPR 1996,414. Feldhaus, BlmSchR, § 15 BlmSchG Anm. 28 m.w.N. Vgl. Hansmann, NVwZ 1997, 109; Wasielewski, LKV 1997, 79. Jarass, NJW 1998, 1098.

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

gemeint25 • Nicht anzeigepflichtig sind hingegen rein betriebsinterne Maßnahmen ohne Umweltauswirkungen, etwa der Austausch von Ventilen 26 . Nicht anzeigepflichtig sind auch Änderungen, für die eine Genehmigung beantragt wird. Diese Einschränkung der anzeigepflichtigen Sachverhalte vermeidet eine unnötige Doppelprüfung (erst Anzeige, dann Änderungsgenehmigung). Die Anzeige ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung. Nach allgemeinen Regeln wird die Anzeige mit dem Eingang bei der Behörde wirksam 27 • Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BlmSchG n.F. sind der Anzeige Zeichnungen, Erläuterungen und sonstige Unterlagen beizufügen, soweit diese für die Prüfung, ob das Vorhaben genehmigungs bedürftig ist, erforderlich sein können 28 • Dabei hängt die Genehmigungsbedürftigkeit davon ab, ob es sich um eine wesentliche Änderung i. S. des § 16 Abs. 1 BlmSchG n. F. handelt. Nach § 15 Abs. 2 BlmSchG n. F. hat die zuständige Behörde den Eingang unverzüglich zu bestätigen und innerhalb eines Monats die Genehmigungsbedürftigkeit zu prüfen, ggf. können Unterlagen nachgefordert werden. Die Anzeige hat insoweit eine auf Änderungskontrolle 29 und auf Überwachung der Gesamtanlage30 bezogene Doppelfunktion. Das Ergebnis kann die Behörde mittels Verwaltungsakt mitteilen 31 • Bei Schweigen der Behörde innerhalb der Monatsfrist darf der Träger des Vorhabens mit der Änderung beginnen.

11. Genehmigungsvoraussetzungen Die materiellen Anforderungen an die Errichtung und den Betrieb einer Anlage ergeben sich aus den Genehmigungsvoraussetzungen in § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BlmSchG. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG ist die Anlagenge2S Der Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 BlmSchG beinhaltet auch Änderungen mit ausschließlich verbessernder Wirkung. Vgl. Feldhaus, BlmSchR, § 15 BlmSchG Anm. 24; Hansmann, NVwZ 1997, 108; Jarass, BlmSchG, Nachtrag zur 3. Aufl. Rn. 15; Kutscheidt, NVwZ 1997, 115; LandmannlRohmerlHansmann, UmweltR, § 15 BlmSchG Rn. 15; Schäfer, NVwZ 1997,528; Wasielewski, LKV 1997, 79; a.A. Fluck, VerwArch 88 (1997), 273ff. 26 Vgl. Wasielewski, LKV 1997,79. 27 Vgl. Moormann, UPR 1996,416. 28 Zur bedeutsamen Rolle der mit der Anzeige beizubringenden Unterlagen Schä· fer, NVwZ 1997,528; vgl. ferner Fluck, VerwArch 88 (1997), 285. 29 Begr. des RegE, BT-Drs. 13/3996, S. 9; ebenso Fluck, VerwArch 88 (1997), 270. 30 Moormann, UPR 1996,417. 31 Zur Rechtsnatur der Mitteilung an den Vorhabenträger Fluck, VerwArch 88 (1997), 288f.; Hansmann, NVwZ 1997, 108; Kutscheidt, NVwZ 1997, 116; Land· mannlRohmerlHansmann, UmweltR, § 15 BlmSchG Rn. 38, 65; Moormann, UPR 1996,417; SchmatzlNäthlichs, BlmSchG, § 15 Anm. 1.3.7

§ 4 Rechtliche Grundlagen der Anlagengenehmigung

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nehmigung zu erteilen, wenn sichergestellt ist, daß die sich aus § 5 BImSchG und einer auf Grund des § 7 BImSchG erlassenen Rechtsverordnung ergebenden Pflichten erfüllt werden. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG dürfen dem keine sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Das BImSchG folgt insoweit dem Regelungsmodell des präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt. Sofern die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt sind, muß die Genehmigung erteilt werden 32 • Es besteht also ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Genehmigung. Es handelt sich hier um eine gebundene Entscheidung, keine Ermessensentscheidung33 • 1. Grundpflichten des § 5 BImSchG

Im Zusammenhang mit den genehmigungsbedürftigen Anlagen sind die Grundpflichten34 des § 5 BImSchG von großer Bedeutung. Sie bilden in materieller Hinsicht das Kernstück der Genehmigungserteilung. a) Schutzpflicht

Die Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG verlangt, daß von der geplanten Anlage keine schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft ausgehen dürfen 3s • Die Schutzpflicht ist im Hinblick auf die Immissionsseite erfüllt, wenn die von der Anlage verursachten Immissionen nicht geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen herbeizuführen (Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen). Hinzu kommt die Pflicht zum Schutz gegen sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen, die nicht Immissionen sind. Die Schutzpflicht entspricht insoweit der Rechtslage zur gewerberechtlichen Anlagengenehmigung36 • Sie dient der Abwehr konkreter schädlicher Umwelteinwirkungen 37 • Diese Forderung wird hinsichtlich der Anlagensi32 Vgl. Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Rn. 6/38; Kloepfer, Umweltrecht, § 7 Rn. 48; Lübbe-Wolff, NuR 1989, 300 .. 33 Vgl. Breuer, Umweltschutzrecht, in: Bes. VerwR, Rn. 175; Feldhaus, BlmSchR, § 6 BlmSchG Anm. 28; Jarass, BlmSchG, § 6 Rn. 19; Landmann/Rohmer/Hansmann, UmweltR, § 6 BlmSchG Rn. 45; SchmatzlNöthlichs, BlmSchG, § 6 Anm. 9.2. 34 Die Pflichten des § 5 Abs. 1 BlmSchG wurden schon seit den Gesetzesmaterialien des BlmSchG als "Grundpflichten" bezeichnet. Vgl. BT-Drs. 7/1513, S. 4. 35 Ausführlich Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 23 ff. 36 Feldhaus, BlmSchR, § 3 BlmSchG Anm. 8; Martens, DVBl. 1981, 597f. 37 Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 25 Rn. 31.

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

cherheit durch die StörfallVO (12. BImSchV 38) mit Durchführungsvorschriften und hinsichtlich des Immissionsschutzes im allgemeinen durch die in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften (Technischen Anleitungen) festgelegten Immissionswerte konkretisiert 39 • b) Vorsorgepflicht

Wegen der Schwächen der Schutzpflicht hat der Gesetzgeber die Vorsorgepflicht 1974 eingeführt. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG verpflichtet die Betreiber von emittierenden Anlagen, Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen zu treffen, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung4o . Die Vorsorgepflicht unterscheidet sich von der Schutzpflicht dadurch, daß sie nicht dem Schutz vor konkret schädlichen Umwelteinwirkungen dient, sondern dem Entstehen solcher Umwelteinwirkungen generell vorbeugt41 , sich also gegen abstrakte bzw. hypothetische Umwelteinwirkungen richtet42 • Sie zielt also durch ihren dynamischen Maßstab auf eine Verbesserung der Umweltverhältnisse43 • Sie setzt insoweit dort ein, wo der vorbeugende Gefahrenschutz noch nicht greift44 • Während die Schutzpflicht mehr auf Gefahrenabwehr im herkömmlichen Sinn zugeschnitten ist, hat die Vorsorgepflicht darüber hinaus eigenständigen rechtlichen Inhalt. Sie verlangt die Verminderung der Emissionen entsprechend dem Stand der Technik und legt damit einen anlagebezogenen, generalisierten, für alle Anlagen gleichennaßen gültigen Maßstab fest. Sie setzt somit prinzipiell einen situationsunabhängigen Standard fest. Wurden vorher nur Auswirkungen auf den engen, von der einzelnen Anlage direkt betroffenen Nahbereich der Anlage geregelt, schafft das Vorsorgegebot die Möglichkeit und die Verpflichtung, auch großräumige Risiken einer generalisierten, am Stand der Technik orientierten Regelung zu unterwerfen45 .

38 Zwölfte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Störfall-Verordnung - 12. BlmSchV) vom 20. 9. 1991 (BGBI. I, S. 1891), geändert am 26. 10. 1993 (BGBI. I, S. 1782). 39 Vgl. Nr. 2.5 TA Luft und Nr. 2.32 TA Lärm. 40 Ausführlich Kloepjer/Kröger, NuR 1990, 8ff.; Rid/Hammann, VBIBW 1987, 121 ff. 4\ Vorsorge dient dazu, einen Sicherheitsabstand zur Gefahrenschwelle zu schaffen und damit Erkenntnisdefizite abzumildern. Zur dieser sog. Risikovorsorge siehe Breuer, Der Staat 20 (1981), 411. 42 Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 25; BVerwG, DVBI. 1984, 478. 43 So Rid/Hammann, UPR 1990, 286. 44 BVerwGE 69, 37 (42ff.) - Heide1berger Heizkraftwerk -. 4S Siehe dazu Feldhaus, DÖV 1974, 613f.

§ 4 Rechtliche Grundlagen der Anlagengenehmigung

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Dieser Vorsorgepflicht kommt in der Umweltpolitik unserer Zeit eine herausragende Bedeutung zu, weil sie mittelbar zu ganz erheblichen Nachrüstungspflichten für die Betreiber genehmigter Anlagen führen kann46 . Die Vorsorgepflicht findet aber ihre Grenzen im jeweiligen Stand der Technik sowie im verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit47 . Sie muß nach Umfang und Ausmaß dem Risikopotential der Immissionen proportional sein, die sie verhindern so1l48. Eine blinde Vorsorge mit dem Ziel einer Nullemission ohne Rücksicht auf das Gefährdungspotential ist weder für Neuanlagen noch für bestehende Anlagen zu legitimieren. "Stand der Technik" ist nach der Definition in § 3 Abs. 6 BlmSchG der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen gesichert erscheinen läßt49 . Aus dieser Definition ergibt sich, daß die Verfahren schon von der Technik entwickelt, d. h. realisiert sein müssen50 • Es genügt nicht, daß lediglich die Wissenschaft Lösungen für bestimmte Verfahren erforscht hat. c) Ab/al/pflicht

§ 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG normiert mit Inkrafttreten des Art. 2 des Gesetzes zur Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Abfällen vom 27. 9. 1994 (BGBl. I 2705) zum 7. 10. 1996 eine Grundpflicht des Betreibers, Abfälle zu vermeiden oder sie ordnungsmäßig und schadlos zu verwerten oder sie hilfsweise als Abfälle ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit zu beseitigen. Zweck dieser Vorschrift ist es, das Abfallaufkommen so weit wie möglich zu senken. Außerdem will die Norm einen sparsamen Umgang mit Rohstoffen erreichen. Unter Abfällen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG sind bewegliche Sachen im Sinne des § 3 KrW-/ AbfG 51 zu verstehen. Zwischen dem Vermeidungs- und Verwertungsgebot

46 Die Vorsorgepflicht wird als materielles Leitbild einer modemen Umweltpolitik angesehen, vgl. SchmidtlMüller, Einführung in das Umweltrecht, S. 4. 47 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 7 Rn. 55f.; Trute, Vorsorgestrukturen und Luftreinhalteplanung im BImSehG, S. 68 ff. 48 Vgl. BVerwGE 69, 44; Dolde, NVwZ 1986, 878; Jarass, DVBI. 1986, 316; Gegenauffassung von RidlHammann, VBlBW 1988, 10. 49 Nach § 25 Abs. 3 GewO wurde unter Stand der Technik ein bestimmter Stand der Betriebserprobung verstanden, vgl. Feldhaus, BlmSchR. § 3 BlmSchG Anm. 17, 19. so Dazu siehe unten § 8 11 2c). SI Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfallen (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz KrW-/AbfG) vom 27. 9. 1994 (BGB!. I S. 2705).

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

besteht kein Rangverhältnis, wohl aber haben beide zusammen Vorrang vor dem Beseitigungsgebot52 . d) Abwännenutzungspjlicht

Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 BlmSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, daß die entstehende Wärme für Anlagen des Betreibers genutzt oder an Dritte, die sich zur Abnahme bereit erklärt haben, abgegeben wird, soweit dies nach Art und Standort der Anlagen technisch möglich und zumutbar sowie mit den Pflichten nach den Nummern 1 bis 3 vereinbar ist. Ziel der Abwärmenutzungspflicht ist die Nutzung überschüssiger Wärme, die der Anlagenbetreiber für den eigenen Produktionsbetrieb nicht benötigt53 . Die Abwärmenutzungspflicht wurde mit der 2. BlmSchG-Novelle von 1985 zum ersten Mal eingeführt. Sie beschränkte sich damals auf die Nutzung entstehender Wärme durch den Betreiber selbst (sog. interne Wärmenutzung). Durch die 3. BlmSchG-Novelle von 1990 wird die Abwärmenutzungspflicht endlich auf die sog. externe Wärmenutzung erweitert. Die Grundpflicht erfaßt nunmehr auch die Abnahme von Dritten, die sich zur Abnahme bereit erklärt haben. Die Abwärmenutzungspflicht gilt nicht für alle genehmigungsbedürftigen Anlagen, sondern nur für solche, die in einer besonderen Rechtsverordnung gern. § 5 Abs. 2 BlmSchG bezeichnet sind, was bislang nur im Bereich der Abfallverbrennungsanlagen geschehen ist (§ 8 der 17. BlmSchV54). e) Nachsorgepjlicht

§ 5 Abs. 3 BlmSchG bestimmt, daß die Grundpflichten des § 5 Abs.1 Nr. 1 (Schutzpflicht) und des § 5 Abs. 1 Nr. 3 (Abfallpflicht) nunmehr auch nach der Einstellung des Betriebes der Anlage weiter gelten. Jeder Anlagenbetreiber hat sicherzustellen, daß von der Anlage nach einer Betriebseinstellung keine Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen ausgehen können und daß die verbleibenden Abfälle verwertet oder beseitigt werden 55. ~2 Vg!. Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Rn. 6/143; Peters, Umweltverwaltungsrecht, Rn. III/34. ~3 Vg!. Sellner, NVwZ 1991,307. 54 Siebzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Verbrennungsanlagen für Abfälle und ähnliche brennbare Stoffe - 17. BlmSchV) vom 23. 11. 1990 (BGB!. I S. 2545). ss Vgl hierzu Hansmann, NVwZ 1993,921 ff.; Sellner, NVwZ 1991, 305ff.; Vallendar, UPR 1991, 91 ff.

§ 4 Rechtliche Grundlagen der Anlagengenehmigung

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Vor der 3. BImSchG-Novelle von 1990 galten die Grundpflichten des § 5 BImSchG nur für die Errichtung und den Betrieb der Anlage. Nach Einstellung des Betriebes der Anlage griff das Instrumentarium des Immissionsschutzrechts nicht mehr. Der Behörde blieb nur noch die subsidiäre Anwendung des allgemeinen Polizeirechts56 . Aber mit der zeitlichen Erweiterung der Grundpflichten wird diese gesetzliche Lücke geschlossen. Die Nachsorgepflichten von § 5 Abs. 3 BImSchG können durch nachträgliche Anordnungen gegenüber dem Betreiber durchgesetzt werden, wobei der § 17 Abs. 4a BImSchG die Einschränkung auf einen Zeitraum von 10 Jahren vorsieht57 • Verantwortlich für den Zustand einer stillgelegten Anlage ist stets der letzte Betreiber, daneben aber auch jeder frühere Betreiber, soweit der pflichtwidrige Zustand bereits bei der Übertragung der Anlage auf einen Rechtsnachfolger bestand58 . Wie lange den ehemaligen Betreiber diese Nachsorgepflichten nach Betriebseinstellung noch treffen, bestimmt aber § 5 Abs. 3 nicht59 . Da zur Durchsetzung der Nachsorgepflichten nachträgliche Anordnungen nur innerhalb einer Frist von 10 Jahren nach der Betriebseinstellung getroffen werden können (§ 17 Abs. 4a BImSchG), erlischt die Verantwortlichkeit des Anlagenbetreibers generell nach Ablauf dieser Frist.

2. Sonstige normative Anforderungen Über die Grundpflichten des § 5 BImSchG hinaus müssen bei Erteilung der Genehmigung auch noch andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes hinsichtlich der Errichtung und des Betriebs der Anlage eingehalten werden (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG). Insbesondere muß der Standort der Anlage die planungsrechtlichen Voraussetzungen nach dem Baugesetzbuch erfüllen. Es ist also das gesamte öffentliche Recht zu beachten, soweit es einen Anlagenbezug enthält60 • Diese Anforderungen Vgl. Dienes, NWVBI. 1990, 405f. Im Entwurf der BReg. war nur eine Frist von 3 Jahren vorgesehen (BT-Drs. 11/4909, S. 6). Auf Vorschlag des Bundesrates hat der federführende BT-Umweltausschuß die Frist auf 10 Jahre verlängert, weil sich Gefahren u. U. erst später zeigen könnten (BT-Drs. 11/6633, S. 45); zur Entstehungsgeschichte des § 17 Abs. 4a BImSchG vgl. statt vieler Landmann/Rohmer/Hansmann, UmweltR, § 17 BImSchG Rn. 14ff. 58 Vgl. Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 88; Nach Vallendar, UPR 1991, 95, trifft die Nachsorgepflicht allein den letzten Anlagenbetreiber, auch dann, wenn ein Rechtsvorgänger den zu beseitigenden Zustand herbeigeführt hat. 59 Zum Überblick über die Rechtsprobleme solches Betreibers, Peters, NVwZ 1994,879ff. 60 Vgl. zu den Einzelheiten Jarass, BImSchG, § 6 Rn. 8; Feldhaus, BImSchR, § 6 BImSchG Anm. 11. S6

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

stehen in engem Zusammenhang mit § 13 BImSchG, der eine eingeschränkte Konzentrationswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung normiert.

IH. Genehmigungsverfahren Das BImSchG unterscheidet förmliche Genehmigungsverfahren (mit Öffentlichkeitsbeteiligung) sowie vereinfachte Genehmigungsverfahren (ohne Öffentlichkeitsbeteiligung). Das förmliche Genehmigungsverfahren ist wiederum aufgeteilt in Vorhaben, in denen ein Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren Platz greift, und Vorhaben, die zwar ebenfalls mit Öffentlichkeitsbeteiligung, aber ohne das Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren zu genehmigen sind61 • 1. Förmliches Genehmigungsverfahren ohne Umweltverträglichkeitsprüfung

In § 2 Abs. 1 der 4. BImSchV62 ist bestimmt, daß für Anlagen, die in der Spalte 1 des Anhangs genannt sind oder sich aus Anlagen der Spalte 1 und 2 zusammensetzen, das förmliche Genehmigungsverfahren durchzuführen ist. Darunter fallen praktisch alle größeren Industrieanlagen. Das förmliche Genehmigungsverfahren findet seine rechtliche Grundlage in § 10 Abs. 1-8 BImSchG. Darüber hinaus ermächtigt § 10 Abs. 10 BImSchG die Bundesregierung, das Genehmigungsverfahren durch Rechtsverordnung zu regeln. Davon wurde mit der Verordnung über das Genehmigungsverfahren (9. BImSchV63 ) Gebrauch gemacht. a) AntragsteIlung

Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung ist ein mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt. Das normale förmliche Genehmigungsverfahren beginnt daher mit der Stellung eines schriftlichen Antrags64 , dem die zur 61

Jarass, NuR 1991,203.

Vierte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen - 4. BlmSchV) in der Fassung vom 14. 3. 1997 (BGB!. I S. 504), geändert am 19. 3. 1997 (BGB!. I S. 545). 63 Neunte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über das Genehmigungsverfahren - 9. BlmSchV) vom 29. 5. 1992 (BGB!. I S. 1001), zuletzt geändert am 9. 10. 1996 (BGB!. I S. 1498). 64 BVerwGE 84, 220 (226f.): "Eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung gestattet nämlich nur das, was vom Antragsteller zur Genehmigung gestellt und worüber folglich von der Behörde positiv entschieden worden ist. ... Eine Global-Genehmigung wäre immissionsschutzrechtlich nicht zulässig." 62

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Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen erforderlichen Zeichnungen, Erläuterungen und sonstigen Unterlagen beizufügen sind (§ 10 Abs. 1 BImSchG). Dabei ist nach § 10 Abs. 2 Satz 1 BImSchG darauf zu achten, daß Unterlagen, die Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse enthalten, gekennzeichnet und getrennt vorgelegt werden. Diese Antragsunterlagen sollen aber der Information der Nachbarschaft und der Allgemeinheit über die möglichen Auswirkungen der Anlage dienen (§ 10 Abs. 2 Satz 2 BImSchG). Außerdem sollen sie der Genehmigungsbehörde die Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen ermöglichen. Insgesamt müssen die Antragsunterlagen Ausführungen enthalten, ob die Grundpflichten des § 5 Abs. 1 BImSchG beachtet und die sonstigen Genehmigungsvoraussetzungen eingehalten sind (sog. Drei-Klassen-System65 ). Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 der 9. BImSchy66 soll bei der Beurteilung, welche Unterlagen zur Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen erforderlich sind, auch zu berücksichtigen sein, ob die Anlage Teil eines Standortes ist, für den Angaben in einer der Genehmigungsbehörde vorliegenden Umwelterklärung enthalten sind. Auf Angaben, die in der Umwelterklärung enthalten sind, kann also zurückgegriffen werden. Sie brauchen nicht erneut im Antrag niedergelegt werden67 . Im übrigen werden Art und Umfang der beizufügenden Unterlagen durch §§ 4 bis 4e der 9. BImSchY präzisiert. Ist das Genehmigungsverfahren durch Antragstellung eingeleitet, bestätigt die Genehmigungsbehörde dem Antragsteller schriftlich den Eingang des Antrags und der Unterlagen (§ 6 der 9. BImSchY). Sodann hat sie unverzüglich, in der Regel innerhalb eines Monats, zu prüfen, ob der Antrag sowie die Unterlagen vollständig sind. Sind der Antrag oder die Unterlagen nicht vollständig, so hat die Genehmigungsbehörde den Antragsteller unverzüglich aufzufordern, die erforderlichen Ergänzungen in angemessener Frist vorzulegen (§ 7 Abs. 1 der 9. BImSchY). Der Antragsteller kann aber seinen Antrag bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung zurücknehmen, das Genehmigungsverfahren ist dann einzustellen68 • b) Behördenbeteiligung und Sachverständigengutachten

Spätestens gleichzeitig mit der öffentlichen Bekanntmachung des Yorhabens fordert die Genehmigungsbehörde alle Behörden, deren Aufgabenbe6S

Peters, Umweltverwaltungsrecht, Rn. III/47.

Neue Regelung durch Art. 3 Nr. 3 des Gesetzes zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren vom 9. 10. 1996 (BGB!. I S. 1498). 67 Vg!. Hansmann, NVwZ 1997, 107; Moormann, UPR 1996,411. 68 BVerwGE 32, 41. 66

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reich durch das Vorhaben berührt wird, auf, für ihren Zuständigkeitsbereich eine Stellungnahme innerhalb einer Frist von einem Monat abzugeben (§ 10 Abs. 5 BImSchG; § 11 Satz 1 der 9. BlmSchV). Die abgegebene Stellungnahme bindet die Genehmigungsbehörde grundsätzlich nicht69 • Das gilt auch für die Stellungnahme der Behörden, deren Zulassung nach § 13 BlmSchG konzentriert wird. Sie werden lediglich angehört. Hat eine Behörde bis Ablauf der Frist keine Stellungnahme abgegeben, so ist davon auszugehen, daß die beteiligte Behörde sich nicht äußern will (§ 11 Satz 3 der 9. BlmSchV). Demnach könnte die Genehmigungsbehörde annehmen, daß Fachbelange (z. B. Grundwasser- oder Bodenschutz), die von der beteiligten Behörde zu vertreten sind, grundsätzlich nicht berührt seien70. Vor der Bekanntmachung kann die Genehmigungsbehörde Sachverständigengutachten einholen, soweit dies für die Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen notwendig ist (§ 13 Abs. 1 Satz 1 der 9. BlmSchV). Wegen der technischen Schwierigkeiten, die mit der Errichtung und dem Betrieb einer genehmigungsbedürftigen Anlage zusammenhängen, müssen immer häufiger Sachverständigengutachten eingeholt werden. Die Kosten solcher Sachverständigengutachten werden dem Antragsteller auferlegt. Vom Antragsteller vorgelegte Gutachten gelten nach § 13 Abs. 2 der 9. BlmSchV als sonstige Unterlagen LS.d. § 10 Abs. 2 BlmSchG. c) Ö!fentlichkeitsbeteiligung

Kernstück des förmlichen Genehmigungsverfahrens ist die Beteiligung der Öffentlichkeit. Diese erfolgt in drei Schritten. Zunächst erfolgt eine Bekanntmachung durch die Genehmigungsbehörde; in der zweiten Phase ist Dritten die Möglichkeit zur aktiven Informationsbeschaffung anhand der auszulegenden Unterlagen sowie die Möglichkeit zur Erhebung von Einwendungen zu eröffnen; den Abschluß der Öffentlichkeitsbeteiligung bildet schließlich in dem dritten Abschnitt ein Erörterungstermin. Die Durchführung des förmlichen Genehmigungsverfahrens unter Öffentlichkeitsbeteiligung dient danut nicht nur dem Informationsinteresse des Betreibers und der zuständigen Behörde, sondern auch dem Schutz Dritter, deren Gesundheit und Eigentum durch die Anlage möglicherweise beeinträchtigt wird71 • Demzufolge leitet das BVerfG72 zu Recht aus den berührten Grundrechten, insbesondere der Art. 2 Abs. 2 und 14 GG den Rechtsanspruch auf ein geordnetes Verfahren ab.

69

70 71

72

LandlrUlnnlRohmerlKutscheidt. UmweltR. § lO BlmSchG Rn. 91. Moormann. UPR 1996,411. Vgl. Jarass. BImSehG, § 10 Rn. 53. BVerfGE 53, 62ff.

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aa) Bekanntmachung Sobald die Antragsunterlagen vollständig sind, hat die Genehmigungsbehörde das Vorhaben in ihrem amtlichen Veröffentlichungsblatt und außerdem in örtlichen Tageszeitungen öffentlich bekanntzumachen (§ 10 Abs. 3 Satz 1 4 BImSehG). Dritte erlangen häufig erst durch die Bekanntmachung eines geplanten genehmigungsbedürftigen Vorhabens sichere Kenntnis von der Projektverwirklichung73 und erkennen die Notwendigkeit, sich zur Wahrung ihrer Rechte an dem Verfahren zu beteiligen. Die Bekanntmachung dient also der Unterrichtung der Allgemeinheit und der Nachbarschaft. Es werden damit ihre Verfahrensrechte gesichert. Der notwendige Inhalt der Bekanntmachung ergibt sich aus § 10 Abs. 4 BImSchG i. V.m. § 9 der 9. BImSchV. Er umfaßt neben den notwendigen Angaben des Antrags, Angaben über den Auslegungsort, den ersten und letzten Tag der Auslegungsfrist sowie über die täglichen Einsichtszeiten. Ferner muß auf die Möglichkeit, Einwendungen zu erheben und auf den Ausschluß von Einwendungen nach Ablauf der Frist hingewiesen werden. bb) Aktive Informationsbeschaffung und Einwendungen Dritter Nach der öffentlichen Bekanntmachung sind der Antrag und die Unterlagen einen Monat74 zur Einsicht auszulegen (§ 10 Abs. 3 Satz 2 BImSchG). Die Auslegung bezweckt, Dritten die Beurteilung zu ermöglichen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Auswirkungen durch die Anlage zu erwarten sind. Auf Anforderungen ist Dritten zur gezielten Vorbereitung von Einwendungen eine Kopie der Kurzbeschreibung zu überlassen (§ 10 Abs. 2 der 9. BImSchV). Zur Einsicht in die Unterlagen ist jedermann berechtigt. Da die Einsichtnahme die Erhebung von Einwendungen erleichtert oder gar erst ermöglicht, ist davon auszugehen, daß der Kreis der Einsichtsberechtigten mit dem der Einwendungsbefugten übereinstimmt75. Das Recht zur Erhebung von Einwendungen ist nach § 10 Abs. 3 Satz 2 BImSchG nicht auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt und steht daher jedermann zu 76. Mithin steht auch das Einsichtsrecht jedermann zu. Bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist hat jedermann - mit oder ohne vorherige Einsicht in die Unterlagen - die Möglichkeit, Einwen73

Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 52.

Seit der 3. BImSchG-Novelle von 1990 beträgt der Auslegungszeitraum nicht mehr zwei Monate, sondern nur einen Monat. 15 Jarass, BImSchG, § 10 Rn. 50. 16 Vgl. Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn.154; BVerwGE 28, 131 (133). 14

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dungen gegen das Vorhaben schriftlich zu erheben (§ 10 Abs. 3 Satz 2 2. Halbs. BlmSchG, § 12 Abs. 1 der 9. BlmSchV). Es kommt nicht darauf an, ob der Einwender geltend machen kann, das Vorhaben verletze ihn in seinen Rechten (§ 42 Abs. 2 VwGO) oder berühre seine Belange (§ 73 Abs. 4 VwVfG). Unter "Einwendung" i. S. dieser Rechtsvorschriften ist dabei ein sachliches Gegenvorbringen zu verstehen, das auf eine Verhinderung oder Modifizierung des geplanten Vorhabens gerichtet ist77 • Diese bedeutet, daß eine bloße Ablehnung nicht als Einwendung angesehen werden kann78 • Ihrer Rechtsnatur nach stellt die Einwendung weder einen Rechtsbehelf noch ein förmliches Rechtsmittel dar, da diese nur gegen bereits getroffene Entscheidungen ergehen können79 . Die Einwendung kann deshalb keinen Widerspruch nach § 68 VwGO beinhalten. cc) Erörterungstermin Sind Einwendungen erhoben worden, so findet ein Erörterungstermin statt, in dem die Einwendungen mit dem Einwender und dem Antragsteller besprochen werden. Der Erörterungstermin ist in § 10 Abs. 6 BlmSchG und in den §§ 14-19 der 9. BlmSchV geregelt80 . Er dient sowohl der Sachaufklärung durch die Behörde als auch der vorverlagerten Rechtsschutzgewährung für den Einwender8l • Der Erörterungstermin soll die Akzeptanz der zu treffenden Entscheidung erhöhen. Nach § 18 Abs. 1 der 9. BImSchV ist der Erörterungstermin nicht öffentlich. Nur dem Antragsteller und den Einwendern, die rechtzeitig Einwendungen erhoben haben, steht ein Rechtsanspruch auf Teilnahme am Erörterungstermin zu. Der Erörterungstermin wird vom Verhandlungsleiter durchgeführt. Der Verhandlungsleiter ist ein Vertreter der Genehmigungsbehörde. Er darf weder beteiligt i.S. von § 20 VwVfG noch befangen nach § 21 VwVfG sein. Nach Jarass82 ist - allerdings de lege ferenda -, zu empfehlen, die Verhandlungsleitung nicht einem Vertreter der Genehmigungsbehörde, sondern einer unabhängigen Persönlichkeit zu übertragen. Der VerBVerwGE 60, 297 (300). Vgl. Kutscheidt, in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 275; BVerwGE 60, 297 (300). 79 Vgl. Jarass, BImSehG, § 10 Rn. 53; Landmann/Rohmer/Kutscheidt, UmweltR, § 10 BlmSchG Rn. 102. 80 Hinweise auf in der atomrechtlichen Praxis gewonnene Erfahrungen bei Korbmacher, UPR 1994, 325 ff. 81 Vgl. Kutscheidt, in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 276. 82 Jarass, BImSehG, § 10 Rn. 67. 77

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handlungsleiter bestimmt im Rahmen von § 18 Abs. 2-5 der 9. BImSchV die Modalitäten einer ordnungsgemäßen Durchführung und die Dauer der Redezeit. Ihm stehen sitzungspolizeiliche Befugnisse zu. Er kann Störer des Termins entfernen lassen und schließlich den Termin vertagen. Der Verhandlungsleiter hat den Erörterungstermin zu beenden, wenn dessen Zweck erreicht ist. dd) Bewertung in der Praxis Trotz der hohen Bedeutung, die der Öffentlichkeit beigemessen wird, ist die Beteiligung Dritter am förmlichen Genehmigungsverfahren mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Die Beteiligung Dritter ist beim förmlichen Genehmigungsverfahren zwar gesetzlich verankert, in der Praxis stellen sich der Wahrnehmung von Interessen Dritter jedoch Problem entgegen. Als Ursache hierfür werden zum einen die Vorverhandlungen genannt83 , zum anderen die unzureichende Fachkenntnis dieses Personenkreises, die ein sachliches, fundiertes Vorbringen gegen ein Vorhaben erschwert84 .

2. Vereinfachtes Genehmigungsverfahren In § 2 Abs. 2 der 4. BImSchV ist bestimmt, daß für Anlagen, die in der Spalte 2 des Anhangs genannt sind, das vereinfachte Genehmigungsverfahren nach § 19 BImSchG durchzuführen ist. Darunter fallen z.B. Anlagen zur Herstellung von Sauerkraut, Schießstände für Handfeuerwaffen, Autowaschstraßen. Beim vereinfachten Genehmigungsverfahren entfallen im wesentlichen die öffentliche Bekanntmachung des Vorhabens, die Auslegung der Antragsunterlagen und das förmliche Einwendungsverfahren mit Erörterungstermin (§ 19 Abs. 2 BImSchG). Hinsichtlich der Rechtsfolgen fehlen die Präklusionswirkung sowie der Ausschluß privatrechtlicher Abwehransprüche. Ansonsten bestehen hinsichtlich der Rechtswirkungen keine Unterschiede.

3. Förmliches Genehmigungsverfahren mit UmweItverträglichkeitsprüfung Gern. § 3 UVPG85 bedarf die Errichtung und der Betrieb einer genehmigungsbedürftigen Anlage einer Umweltverträglichkeitsprüfung86 (UVP), wenn die Anlage im Anhang zur Nr. 1 der Anlage aufgeführt und eine 83 84

Auf dieses Problem wird noch näher einzugehen sein. Siehe unten § 5. Zum Informationsproblem Dritter vgl. Jarass, DVBl. 1985, 196.

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich ist87 • Die UVP entfaltet selbst keine rechtliche Wirkung gegenüber dem Antragsteller. Ihre Aufgabe ist es, die Grundlagen der behördlichen Entscheidungen inhaltlich zu verbessern. Die Durchführung der UVP ist innerhalb des Geltungsbereichs des BImSchG vollständig seit 1992 in die 9. BImSchV integriert88 • Das UVPVerfahren im Immissionsschutzrecht soll sich damit nicht nach dem UVPG, sondern ausschließlich nach der 9. BlmSchV richten. Das UVPG gilt nur dann subsidiär, wenn das Immissionsschutzrecht den Anforderungen des UVPG nicht entspricht oder keine näheren Regelungen enthält (§ 4 UVPG). Da die UVP als unselbständiger Teil des förmlichen Genehmigungsverfahrens durchgeführt wird (§ 1 Abs. 2 der 9. BImSchV), gilt das förmliche Genehmigungsverfahren auch für die UVP-pflichtigen Vorhaben. Die Vorschriften des VwVfG gelten auch nur subsidiär. Sie sind ergänzend heranzuziehen, wenn nicht das BImSchG oder die 9. BlmSchV inhaltsgleiche oder entgegenstehende Vorschriften enthalten89 • Bei den UVP-pflichtigen Vorhaben ist ebenfalls ein schriftlicher Antrag erster gesetzlicher Verfahrensschritt. Der Antragsteller hat in diesem Fall zusammen mit den Antragsunterlagen die für eine UVP erforderlichen zusätzlichen Angaben (sog. Umweltverträglichkeitsstudie: UVS) beizufügen. Diese enthält eine Beschreibung der für die Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen bedeutsamen Auswirkungen des Vorhabens auf Menschen, Tiere und Pflanzen, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft einschließlich der jeweiligen Wechsel wirkungen auf Kultur und Sachgüter (§§ 4 Abs. 1 Satz 2, 4e der 9. BlmSchV). Bei UVP-pflichtigen Vorhaben ergibt sich die Wirkungsweise der UVP aus drei Stufen: Darstellung, Bewertung und Berücksichtigung. Zuerst hat die Genehmigungsbehörde innerhalb eines Monats nach Beendung des 85 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie des Rates vom 27. 6. 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (85/ 337EWG) vom 12. 2. 1990 (BGBL I S. 205), zuletzt geändert am 18. 8. 1997 (BGBL I S. 2081, 2111); Die amtliche Begründung findet sich in BT-Drs. 1113919. 86 Die deutsche Übersetzung des Begriffs "Environmental Impact Assessment". 87 Anlagen, die in Spalte 2 des Anhangs zur 4. BlmSchV genannt sind damit im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 19 BlmSchG zulassen sind, bedürfen mithin nie einer UVP. 88 An der Rechtmäßigkeit der 9. BlmSchV sind Zweifel angebracht, läßt § 10 Abs. 10 BlmSchG doch nur Verfahrensregelungen zu, während die Verordnung aber auch materielles Recht setzt, vgl. Peters, UPR 1994, 93 ff.; siehe aber auch Schmidt-Preuß, DVBI. 1995, 488 f., der von rein verfahrensrechtlichem Charakter ausgeht. 89 Die Regelung des VwVfG für förmliche Verfahren (§§ 63 bis 71 VwVfG) sind jedoch nicht anwendbar, da das BlmSchG nicht auf sie verweist, vgl. Jarass, BlmSchG, § 10 Rn. 5.

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Erörterungstenmns eine zusammenfassende Darstellung der Auswirkung des Vorhabens zu erarbeiten (§ 20 Abs. 1 ader 9. BImSchV). Die zweite Stufe der UVP ist die in § 20 Abs. 1 b Satz 1 der 9. BImSchV geregelte Bewertung. Diese Bewertung ist die Auslegung und die Anwendung der umweltbezogenen Tatbestandsmerkmale der fachrechtlichen Zulassungsnorm 90 . Die so gefundenen Bewertungsergebnisse müssen in der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens berücksichtigt werden, wie § 20 Abs. 1 b Satz 3 der 9. BImSchV es vorgibt. Dabei bedeutet Berücksichtigung nicht bloße Kenntnisnahme, sondern inhaltliche Auseinandersetzung91 •

IV. Verschiedene Verwaltungsentscheidungen und Genehmigungen Die Entscheidung über die Genehmigung trifft die Genehmigungsbehörde. Ihr obliegt auch die Durchführung des Verfahrens. Welche Behörde dies im Einzelfall ist, bestimmt sich nach Landesrecht92 • In NordrheinWestfalen bestimmte sich die Behördenzuständigkeit bis Juli 1994 nach der ZustVO AltG93 . Seit dem 15. Juli 1994 bestimmt sich die Behördenzuständigkeit nach der ZustVOtU94 • Das BImSchG geht vom Regelfall einer Vollgenehmigung für die beantragte Anlage am Abschluß des Genehmigungsverfahrens aus. Daneben sieht das BImSchG die Vielfalt der Arten von Verwaltungsakten wie Genehmigung mit Nebenbestimmungen, Teilgenehmigung, Vorbescheid usw. vor. Sie suchen den vielfältigen Besonderheiten der Realität des Einzelfalls gerecht zu werden 95 • 1. Vorbescheid Die Errichtung einer größeren genehmigungsbedürftigen Anlage dauert unter Umständen einige Jahre. Um das Risiko überschaubar zu halten, Jarass, BImSchG, § 10 Rn. 92. Vgl. BT-Drs. 1113919, S. 27. 92 Da die Länder das BImSchG als eigene Angelegenheit ausführen (Art. 83 GG), sind sie aufgrund des Art. 84 Abs. 1 GG befugt, Behördenzuständigkeit, als auch das Verwaltungsverfahren im einzelnen zu regeln. 93 Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Arbeits-, Immissions- und technischen Gefahrenschutzes vom 6. 2. 1973 (GVNW S. 66), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 14.9. 1993 (GVNW S. 698), unter Nr. 9 der Anlage. 94 Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten auf dem Gebiet des technischen Umweltschutzes vom 14. 6. 1994 (GVNW S. 360). - Artikel IV (GVNW S. 392ff.). 9S Schulze-Fielitz, DVBI 1994,663. 90 91

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

ennöglicht ein Bescheid nach § 9 BImSchG die stufenweise Planung der Anlage. Der Vorbescheid bezweckt also, wichtige Vorfragen vorab zu klären. Gegenstand des Vorbescheids können einzelne Genehmigungsvoraussetzungen oder der Standort der Anlage sein96 . Der Betreiber kann die Anlage zwar noch nicht errichten oder betreiben, aber auf einer gesicherten rechtlichen Basis konkret und detailliert planen. 2. Genehmigung mit Nebenbestimmungen Werden von einer geplanten Anlage immissionsschutzrechtlich oder sonstige zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften im Zeitpunkt der Antragstellung oder beim Betrieb voraussichtlich nicht eingehalten, müßte an sich der Antrag abgelehnt bzw. eine neuer geänderter Antrag vorgelegt werden. Um dieses umständliche und kostenträchtige Verfahren zu venneiden, sieht § 12 BImSchG vor, daß der Genehmigung Nebenbestimmungen beigefügt werden können, damit die gesetzlichen Voraussetzungen in ihrer Erfüllung sichergestellt werden können. Solche Nebenbestimmungen sind ein Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgedankens. Nebenbestimmungen sind insbesondere in Fonn von Bedingungen und Auflagen97 möglich und auch geboten, soweit dies zur Sicherstellung der Genehmigungsvoraussetzungen erforderlich ist (§ 12 Abs. 1 BImSchG). Eine Befristung ist bei Vollgenehmigungen nur auf Antrag (§ 12 Abs. 2 BImSchG), bei Teilgenehmigungen auch von Amts wegen (§ 12 Abs. 3 BImSchG) möglich.

3. Teilgenehmigung Die Bedürfnisse der Praxis haben neben der Vollgenehmigung verschiedene Fonnen von Teilgenehmigungen hervorgebracht, die nach dem Muster des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens im Gesetz ihren Niederschlag gefunden haben. Die Teilgenehmigung nach § 8 BImSchG ennöglicht die abschnittsweise Errichtung und gegebenenfalls auch die Inbetriebnahme der Anlage. Im Unterschied zum Vorbescheid wird durch die Teilgenehmigung die Anlage in einzelne Genehmigungsabschnitte aufgeteilt. Der Begünstigte kann außerdem gestützt auf eine Teilgenehmigung schon mit der Errichtung eines Teils oder der gesamten Anlage beginnen.

96 97

VgJ. BVerwGE 70,365 (372f.). Zur Frage "Genehmigungsinhalt oder Auflage" vgJ. BVerwGE 69, 37 (39).

§ 4 Rechtliche Grundlagen der Anlagengenehmigung

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4. Zulassung des vorzeitigen Beginns Durch die Einführung eines neuen § 8 a BImSchG98 wird die Zulassung des vorzeitigen Beginns eines Vorhabens nicht nur für den Fall der wesentlichen Änderung (§ 15 a BImSchG a. F.), sondern auch für den Fall der Neuerrichtung einer genehmigungsbedürftigen Anlage gerege1t99 • Die Zulassung vorzeitigen Beginns ermöglicht dem Antragsteller, bereits vor Erteilung der Genehmigung mit Errichtungsmaßnahmen und Maßnahmen zur Prüfung der Betriebstüchtigkeit zu beginnen. Die Zulassung des vorzeitigen Beginns setzt voraus, daß mit einer Entscheidung zugunsten des Antragstellers zu rechnen ist, ein öffentliches oder ein berechtigtes privates Interesse an dem vorzeitigen Beginn besteht und der Antragsteller sich zum Schadensersatz und zur Wiederherstellung des früheren Zustandes verpflichtet, wenn das Vorhaben nicht genehmigt wird (§ 8a Abs. 1 BImSehG). Die Zulassung steht im Ermessen der zuständigen Behörde, ist widerruflich, kann mit Auflagen verbunden werden und eine Sicherheitsleistung beinhalten (§ 8 a Abs. 2 BImSehG). Dient ein Änderungsgenehmigungsverfahren allein der Anpassung der Anlage an eine gesetzliche Pflicht, kann im Änderungsgenehmigungsverfahren auch der Betrieb vorläufig zugelassen werden (§ 8a Abs. 3 BImSehG). S. Rahmengenehmigung Durch das Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immIssIonsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren vom 9. 10. 1996 wird die die Genehmigungsvoraussetzungen regelnde Vorschrift des § 6 BImSchG um einen neuen Absatz 2 ergänzt, es wird eine gesetzliche Regelung der sog . ..Rahmengenehmigung"!OO aufgenommen. In einem neuen § 6 Abs. 2 BImSchG wird bestimmt, daß bei Anlagen, die unterschiedlichen Betriebsweisen dienen oder in denen unterschiedliche Stoffe eingesetzt werden (Mehrzweck- oder Vielstoffanlagen), die Genehmigung auf die unterschiedlichen Betriebsweisen und Stoffe zu erstrecken ist, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen für alle erfaßten Betriebsweisen und Stoffe erfüllt sind. Der Sache nach handelt es sich um ein Ausdünnen der Detailtiefe der Genehmigungsaussage in bestimmten Fällen. Diese Neuregelung enthält inhaltlich nichts Neues. Sie greift lediglich die entsprechende Regelung der 98 Art. I Nr. 4 des Gesetzes zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren vom 9. 10. 1996 (BGB!. I S. 1498). 99 Ob durch die neue Regelung § 8 a BlmSchG eine Beschleunigung und Vereinfachung von Verfahren eintritt, erscheint jedoch zweifelhaft, vg!. Hansmann, NVwZ 1997, 106; Moonnann, UPR 1996,412. 100 Der Begriff wird in der amt!. Begr. verwendet, vg!. BT-Drs. 13/3996, S. 8. 6'

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2. Teil: VelWaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

nordrhein-westfälischen Verwaltungsvorschriften zum BImSchG 101 auf und dient deshalb allenfalls der Klarstellung \02.

v.

Rechtswirkungen

Die Anlagengenehmigung berechtigt den Antragsteller zur Errichtung und zum Betrieb der von ihm geplanten Anlage. Sie bekräftigt die Erwartung einer künftigen Nutzung, die rechtlich schutzwürdig ist. Die Anlagengenehmigung ist von der im wesentlichen auf Gefahrenabwehr und präventi ve Kontrolle ausgerichteten Baugenehmigung zu unterscheiden \03. Aus spezifisch immissionsschutzrechtlicher Sicht hat sie darüber hinaus weitere Rechts wirkungen. 1. Konzentrationswirkung Die Konzentrationswirkung läßt sich als eine Rechtsfolge beschreiben, nach der für ein Vorhaben lediglich eine Genehmigung erforderlich ist, die von einer Behörde in einem einheitlichen Verwaltungsverfahren erteilt wird lO4 • Nach § 13 BImSchG schließt die Genehmigung andere, die Anlage betreffende behördliche Entscheidungen ein \05. Hierzu zählen insbesondere öffentlich-rechtliche Genehmigungen, Zulassungen, Verleihungen, Erlaubnisse und Bewilligungen. Diese Konzentrationswirkung dient der Beschleunigung und Vereinfachung des Genehmigungsverfahrens zugunsten des Antragstellers, der nicht jeden einzelnen Antrag gesondert bei den einzelnen zuständigen Behörden zu stellen braucht. Nicht erfaßt werden von der Konzentrationswirkung Planfeststellungen, Zulassungen bergrechtlicher Betriebspläne, behördliche Zustimmungsakte, wasserrechtliche Erlaubnisse und Bewilligungen, Genehmigungen nach atomrechtlichen Vorschriften sowie Verfahren nach § 4 EnWG.

101 Vgl. Nr. 5.1.5 der nordrhein-westfälischen Verwaltungsvorschriften zum BImSchG vom 16. 7. 1993 (NWSMBl. S. 1472), geändert vom 22. 9. 1994 (NWSMBl. S. 1330). 102 Vgl. die amtl. Begr., BT-Drs. 13/3996, S. 8. 103 Zur Rechtsnatur der Baugenehmigung vgl. LenzlHeintz, ZfBR 1989, 142f. 104 Zur Konzentrationswirkung allgemein vgl. Fluck, NVwZ 1992, 115 ff.; Laubinger, VerwArch 77 (1986), 77ff. 105 Der Begriff der Konzentrationswirkung wird im § 13 BImSchG nicht ausdrücklich gebraucht, aber bereits in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 7/179, S. 36) benutzt.

§ 4 Rechtliche Grundlagen der Anlagengenehmigung

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2. Privatrechtsgestaltende Wirkung

Neben der Konzentrationswirkung ist für die immissionsschutzrechtliche Genehmigung ihr privatrechtsgestaltende Wirkung eine zweite charakteristische Besonderheit. Nach § 14 BImSchG können privatrechtliche, nicht auf besonderen Titeln beruhende Ansprüche zur Abwehr von Immissionen gegen den Anlagenbetreiber die Einstellung des Betriebs einer bestandskräftig genehmigten Anlage nicht mehr erzwingen. Das bedeutet: Es kann also nicht die Betriebseinstellung, sondern allenfalls die Durchführung von Schutzmaßnahmen oder Schadensersatz verlangt werden. Diese Vorschrift rechtfertigt sich aus der aufwendigen Ausgestaltung des Genehmigungsverfahrens, in dem den Betroffenen Mitwirkungs- und Abwehrrechte eingeräumt sind. Folgerichtig erstreckt sich die privatrechtsgestaltende Wirkung des § 14 BImSchG nicht auf die im vereinfachten Verfahren erteilte Genehmigung (§ 19 Abs. 2 BImSchG).

§ 5 Vorverhandlungen bei der Anlagengenehmigung Bei der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung werden Vorverhandlungen als Unterkategorie von informellen Absprachen häufig vor dem eigentlichen Antrag auf Anlagengenehmigung geführt.

I. Einführung 1. Begriff der Vorverhandlungen

Vorverhandlungen sind wechselseitige Kontaktaufnahmen und Einigungen zwischen der Genehmigungsbehörde und dem Vorhabenträger im Vorfeld der Antragstellung über alle verfahrens- und materiellrechtlichen Voraussetzungen der Vorhaben verwirklichung und alle für die Genehmigung wesentlichen Fragen I . Unter dem Begriff Vorverhandlungen können Vorgespräche 2 , Abstimmungen 3 , Verständigungen 4 , Vorabklärungen 5 und ähnliche Arten kooperativer Kontaktaufnahmen zusammengefaßt werden 6 . Vorverhandlungen sind eindeutig dadurch charakterisiert, daß sie keine rechtsverbindliche Einigung zum Gegenstand haben. Sie spielen sich nur im rein tatsächlichen, rechtlich unverbindlichen Vorfeld der Behördenentscheidung ab. Sie sind insoweit informelle Absprachen. Sie werden deshalb in der Praxis so geführt, daß Ansprüche aus ihnen nicht möglich sind7 . Dennoch können die Vorverhandlungen bereits inhaltlich die später ergehende, rechtlich verbindliche Entscheidung vorprägen. Sie können auch dem Vorhabenträger Anhaltspunkte für seine weiteren verfahrensmäßigen EntscheiI Vgl. Beyer/in. NJW 1987, 2713; Renge/ing, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, S. 133ff.; Lübbe-Woljf. NuR 1989, 297ff. 2 Vgl. Beyer. Der öffentlich-rechtliche Vertrag. S. 200; Dose. in: Verwaltung und ihre Umwelt, S. 120; Henneke. NuR 1991,272; Mayntz. Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 318 ff. 3 Dreier. StWissStPrax 1993, 655. 4 Eberle. Die Verwaltung 17 (1984), 439 f. S Tomerius. Informelle Projektabsprachen im Umweltrecht, S. 33. 6 Vgl. Bauer. in: Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandeins, S. 257; Breuer. in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band. I, S. 231. 7 Zur Möglichkeit eines Anspruchs auf Amtshaftung statt aller von Wedemeyer. Kooperationen beim Vollzug des Umweltrechts, S. 230ff. m. w. N.

§ 5 Vorverhandlungen bei der Anlagengenehmigung

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dungen geben8 . Ferner sind Vorverhandlungen Vorbereitungsabsprachen, weil sie Behördenentscheidungen nicht ersetzen, sondern vorbereiten wollen. Deswegen bezeichnet man Vorverhandlungen als entscheidungssteuemde Absprachen9 . Die Vorverhandlungen werden beendet, wenn geklärt ist, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine Genehmigung des Vorhabens in Betracht kommt. Fehlt es an der Genehmigungsfähigkeit, so wird der Vorhabenträger regelmäßig auf eine Antragstellung verzichten. 2. Inhalt der Vorverhandlungen

Die Vorverhandlungen erstrecken sich inhaltlich sehr weit. In den Vorverhandlungen pflegen sich der Vorhabenträger und die zuständige Behörde vorab über die Beurteilung der materiellen Rechtslage abzustimmen, also Fragen des Standorts. die Erfolgsaussicht des Antrags, eine eventuelle Antragsalternative, die Notwendigkeit von Änderungen oder Einschränkungen des Antrags und eventuelle Auflagen vorab zu klären 10. Die Vorverhandlungen umfassen somit die prinzipielle Realisierbarkeit des Vorhabens, aber auch Detailbesprechungen über die einschlägigen Umweltstandards und die technische Konzeption. Fraglich ist, ob die Emissionswerte der TA-Luft auch Inhalt der Vorverhandlungen sein können. Die Ziele des Umweltschutzes sind im Bereich des Immissionsschutzes in § I BImSchG näher bestimmt und sollen mit den materiellen Anforderungen des § 5 BImSchG sowie der TA-Luft verwirklicht werden. Von besonderer Bedeutung für die Einhaltung des materiellen Gesetzeszwecks ist die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe, insbesondere des Begriffs "Stand der Technik" bei der Anlagengenehmigung 11. In der Verwaltungspraxis sind die Emissionswerte der TA-Luft als Maßstab des Standes der Technik verbreitet, die gleichzeitig Höchstanforderungen markieren 12. Bulling. DÖV 1989,279. Brohm. DVBI. 1994, 134. 10 Vgl. Bauer, VerwArch. 78 (1987), 247ff.; Beyerlin. NJW 1987, 2713ff.; Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 50ff.; Eberle. Die Verwaltung 17 (1984), 439f.; von Wedemeyer. Kooperationen beim Vollzug des Umweltrechts, S. 61. 11 Zur Auslegung des Stand der Technik siehe Breuer. AöR 101 (1976), 46ff.; Feldhaus. DVBI. 1981, 165ff.; Mayntz. Vollzugsproblem der Umweltpolitik, S. 354ff.; Pitschas. DÖV 1989, 785ff.; Wolf, Der Stand der Technik, S. 257ff. 12 Nach einer Untersuchung geben 95 % der Genehmigungen die Grenzwerte der TA-Luft exakt wieder, vgl. von Wedemeyer. Kooperationen beim Vollzug des Umweltrechts, S. 92; ferner Steinhoff, Zur Bindungswirkung der Emissionswerte der TA Luft. S. 90ff. 8

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2. Teil: Verwaltungshande1n bei Anlagengenehmigung

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Stand der Technik im Sinne des BImSchG ist ein dynamischer, sich immer fortentwickelnder Begriff, den das BImSchG als Genehmigungsvoraussetzung normiert. Die Emissionswerte der TA-Luft sind damit nur Mindestwerte, die im Einzelfall von dem "Stand der Technik" bereits überholt sein können. Insoweit steht die Höhe der Emissionswerte, wie sie von der TA-Luft gefordert werden, nicht zur Diskussion. Die Behörde darf nicht bereit sein, eine Überschreitung dieser Mindestwerte zuzulassen 13. 3. Funktionen der Vorverhandlungen a) Risikovermeidung

Offizieller Sinn der Vorverhandlungen für Vorhabenträger ist es, das Risiko der Durchführung des formellen Genehmigungsverfahrens möglichst gering zu halten l4 • Die Planung der Errichtung einer industriellen Anlagen ist mit erheblichen Kosten und weitreichenden Folgen verbunden. Der Vorhabenträger ist aber oft nicht in der Lage zu beurteilen, ob das beabsichtigte Vorhaben genehmigungsfähig ist. Durch Vorverhandlungen verringert er sein Risiko, da er seinerseits die Auffassung der Behörde zur Sach- und Rechtslage frühzeitig für seine Dispositionen berücksichtigen kann 15. Dies kann für Investitionsentscheidungen von Betrieben von maßgeblicher Bedeutung sein. Der Vorhaben träger kann auf diese Weise seine Gefahr etwaiger Fehlinvestitionen durch Grundstückskäufe, Personaleinstellungen und Kreditaufnahme sowie allgemeine Planungskosten erheblich abbauen 16. Insbesondere bei Vorhaben, die ihrer Art oder ihrem Umfang nach so groß sind, daß mit ihrer Genehmigung nicht ohne weiteres gerechnet werden kann, spielen Vorverhandlungen eine große Rolle. Vorhabenträger und Genehmigungsbehörde bilden insoweit eine Art ,,Zweck- und Risikogemeinschaft" mit dem gemeinsamen Ziel einer gesetzesgerechten Anlagenplanung und Anlagengenehmigung 17 • b) Verfahrens beschleunigung

Da die wirtschaftliche Betätigung von der Genehmigung abhängig ist, hat der Vorhabenträger ein großes Interesse an einem schnellen GenehmigungsDazu näher siehe unten § 8 II 2 c). Lübbe-Wolff, NuR 1989,297. IS Vgl. Henneke, NuR 1991,272. 16 Bauer, VerwArch 78 (1987), 251; Eberle, Die Verwaltung 17 (1984),441. 17 Schulze-Fielitz, Recht des Immissionsschutzes, in: Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 3 VI Rn. 120. \3

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verfahren. Die Praxis zeigt aber, daß entgegen der Hoffnung des Antragstellers die Genehmigungsverfahren sich jahrelang hinziehen, ohne irgendwelche Ergebnisse. Insoweit führt die frühzeitige infonnelle Einschaltung im Vorfeld der Antragstellung zu einer Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens bei komplexer Aufgabenstellung l8 . Durch Vorverhandlungen kann der Antragsteller viel Zeit, Aufwand und Kosten für ein anschließendes Genehmigungsverfahren sparen 19. Beschleunigung im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren ist insbesondere notwendig, weil der Stand der Technik sich so rasant entwickelt, daß Antragskonzepte teilweise schon nach einem Jahr veraltet sind. Die Länge der Genehmigungsverfahren wirkt sich jedoch nicht positiv, sondern negativ auf den Umweltschutz aus. Die Unverbindlichkeit der Vorverhandlungen schafft zusätzliche Flexibilität2o • Das Aspekt der Verfahrensbeschleunigung gewinnt in neuerer Zeit zunehmend dadurch an Bedeutung, daß allzu lange Genehmigungsverfahren wegen der zu befürchtenden Wettbewerbsnachteile bei der Standortauswahl im zusammenwachsenden Binnenmarkt der Europäischen Union zur Besorgnis Anlaß geben2l . c) Informationsbeschaffung für Sachverhaltsermittlung

Seitens der Behörde haben Vorverhandlungen auch hohe Bedeutung für die Sachverhaltsennittlung in Genehmigungsverfahren. Es ist unbestritten, daß die Behörde ohne Kooperation mit dem Antragsteller nicht in der Lage ist, die entscheidungsrelevanten Aspekte zu erkennen und zu bewerten22 • Im Immissionsschutzrecht ist der Gesetzgeber mangels hinreichender Erfahrung außerstande, jeweils aktuell präzise gesetzliche Anforderungen \8 Vgl. dazu grundlegend Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen, S. 49f.; Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, S. 317ff.; Ritter, AöR 104 (1979), 389; Würtenberger, NJW 1991, 260f. \9 Neben diesem wirtschaftlich relevanten Beschleunigungseffekt wird demgegenüber auch auf die Gefahr hingewiesen, daß die Verwaltungstätigkeit durch informelle Verzögerungstaktiken blockiert werden kann, vgl. Bauer, VerwArch 78 (1987), 256; Lübbe-Wolff, NuR 1993, 226f. 20 Dauber, in: Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, S. 81. 2\ Siehe etwa Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren vorn 12. 9. 1996 (BGBL I S. 1354); Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren vom 9. 10. 1996 (BGBL I S. 1498). Zu diesen Gesetzen siehe statt vieler Koch, NVwZ 1996, 215ff.; Schöne, UPR 1996, 94ff.; Steinberg, NuR 1996, 6ff. 22 Henneke, NuR 1991,272; Pitschas, in: Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts: Grundfragen, S. 286ff.

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

zu formulieren und diese ständig den sich schnell fortentwickelnden wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen anzupassen. Die Lösung dieses Problems der Vermeidung starrer Regelungen und der Aufrechterhaltung flexibler Handhabbarkeit der Bestimmungen sieht der Gesetzgeber in der zunehmenden Verwendung höchst unbestimmter Rechtsbegriffe (z. B. Stand der Technik gern. § 5 BImSchG). Diese unbestimmte Rechtsbegriffe bieten den Ansatz zu Vorverhandlungen über deren Auslegung und Anwendung im konkreten Einzelfall. Ohne Vorverhandlungen zwischen der Behörde und Vorhabenträger erhält die Behörde nicht die notwendigen Informationen für eine sachgerechte Entscheidung über den Genehmigungsantrag 23 . Informationen können nicht mehr der Amtsermittlung anheimgegeben werden24 . Darüber hinaus hilft die Nutzung des detaillierten Informationsstandes des sachnäheren Vorhaben trägers als versteckte Ressource, um die Rechtsanwendungsprobleme bei der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe zu überwinden 25 . Durch frühzeitige Vorverhandlungen können damit die Rechtsunsicherheiten relativiert werden 26 . Das BVerwG hat auch in der sog. "Floatglas-Entscheidung,,27 vorbereitende Gespräche und ähnliche Vorverständigungen ausdrücklich als nützlich und geboten bezeichnet, um einen sachgerechten Verfahrens ablauf zu gewährleisten 28 .

23 Die Nutzung privaten Sachverstands von Antragstellern in staatlichen Entscheidungsprozessen hat Tradition. Ihre Verfahrensleistungen beschränkten sich jedoch zumeist auf einzelne Mitwirkungspflichten zur Einspeisung von Informationen über die eigene Sphäre oder die Prüfung einzelner Sachverhaltsteile im Auftrag der zuständigen Behörde. Zur Entwicklung der Mitwirkungspflichten von Antragstellern in umweltrelevanten Verfahren vgl. Schneider, Nachvollziehende Amtsermittlung bei der Umweltverträglichkeitsprüfung. S. 51 ff. 24 Ladeur, UPR 1993. 127. 25 Vgl. Eberle, Die Verwaltung 17 (1984).442; Henneke, NuR 1991,272; KloepJer, ZAU 1996. 58. 26 Vgl. Bauer, VerwArch 78 (1987), 250; Bulling, DÖV 1989,278. 27 BVerwGE 45. 309. Es ging dabei um einen Bebauungsplan. der die Errichtung eines vor seinem Erlaß bereits weitgehend festgelegten großen industriellen Gebäudekomplexes ermöglichen sollte. Ausführliche Analyse des Urteils: Schulze-Fielitz, Jura 1992, 20 l. 28 BVerwGE 45.309 (317. 321).

§ 5 Vorverhandlungen bei der Anlagengenehmigung

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11. Vorverhandlungen, Beratung und Scoping-Verfahren 1. Beratung gern. § 2 Abs. 2 der 9. BlrnSchV a) Einleitung

Die Beratungsregelung des § 2 Abs. 2 der 9. BImSchV29 bestand schon seit 1977, bis 1992 allerdings in der Form des einen Satzes "Die Genehmigungsbehörde soll den Betreiber im Hinblick auf die AntragsteIlung beraten". In den Jahren 1992 und 1993 wurde diese Beratungsregelung der Behörden gegenüber Vorhabenträgern neu geregelt30 . Das Genehmigungsverfahren beginnt zwar erst mit dem Eingang des schriftlichen Genehmigungsantrags bei der zuständigen Genehmigungsbehörde (§ 10 BImSchG). Nach § 2 Abs. 2 der 9. BImSchV kann aber der Vorhabenträger vor Stellung des Genehmigungsantrags die Behörde von dem geplanten Antrag unterrichten. Die Beratungspflicht ist also auf den Zeitpunkt vor Beginn des Genehmigungsverfahrens (vor Abschluß der Planung) vorverlegt 3 ). Insoweit geht die Beratungspflicht des § 2 Abs. 2 der 29 Neunte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. 5. 1992 (BGB!. I, S. 1001), zuletzt geändert am 9. 10. 1996 (BGB!. I, S. 1498). 30 § 2 Abs. 2 der 9. BlmSchV lautet in der geltenden Fassung: Sobald der Träger des Vorhabens die Genehmigungsbehörde über das geplante Vorhaben unterrichtet, soll diese ihn im Hinblick auf die Antragstellung beraten und mit ihm den zeitlichen Ablauf des Genehmigungsverfahrens sowie sonstige für die Durchführung dieses Vorhabens erheblichen Fragen erörtern. Sie kann andere Behörden hinzuziehen, soweit dies für Zwecke des Satzes I erforderlich ist. Die Erörterung soll insbesondere der Klärung dienen, I. welche Antragsunterlagen bei AntragsteIlung vorgelegt werden müssen, 2. welche voraussichtlichen Auswirkung des Vorhabens auf die Allgemeinheit und die Nachbarschaft haben kann und welche Folgerungen sich daraus für das Verfahren ergeben, 3. welche Gutachten voraussichtlich erforderlich sind und wie doppelte Gutachten vermieden werden können, 4. wie der zeitliche Ablauf des Genehmigungsverfahrens ausgestaltet werden kann und welche sonstigen Maßnahmen zur Vereinfachung und Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens vom Träger des Vorhabens und von der Genehmigungsbehörde getroffen werden können, 5. ob eine Verfahrensbeschleunigung dadurch erreicht werden kann, daß der behördliche Verfahrensbevollmächtigte, der die Gestaltung des zeitlichen Verfahrensablaufs sowie die organisatorische und fachliche Abstimmung überwacht, sich auf Vorschlag oder mit Zustimmung und auf Kosten des Antragstellers eines Projektmanagers bedient, 6. welche Behörden voraussichtlich im Verfahren zu beteiligen sind. Bei UVP-pflichtige Vorhaben gilt ergänzend § 2 a. 31 BR-Drs. 526/76, Begründung, S. 3.

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

9. BImSchV über die allgemeine Beratungspflicht des § 25 VwVfG, nach der die Beratungspflicht erst mit der Antragstellung einsetzt, weit hinaus. Gern. § 2 Abs. 2 der 9. BImSchV kann der Vorhabenträger die Behörde von dem geplanten Antrag unterrichten; eine Pflicht dazu besteht nicht. Verzichtet er auf die Unterrichtung, finden keine Beratung statt. Aufgrund dieser Unterrichtung soll die Behörde den Vorhabenträger im Hinblick auf die Antragstellung beraten und mit ihm den zeitlichen Ablauf des Genehmigungsverfahrens sowie sonstige für die Durchführung dieses Vorhabens erhebliche Fragen erörtern. Dieser Verpflichtung der Behörde steht jedoch kein Rechtsanspruch auf Beratung von Seiten des Vorhabenträger gegenüber32 • Ziel dieser Vorschriften ist, die Zusammenarbeit zwischen Vorhabenträger und Genehmigungsbehörde zu verbessern und somit den Verfahrensablauf zu beschleunigen33 . So liegt der Schwerpunkt der Beratungspflicht auf der frühzeitigen Kommunikation und Kooperation zwischen Behörde und Vorhabenträge~4. Zu Recht wird darauf hingewiesen, daß die Beratungspflicht nicht auf eine Teilhabe an der Entscheidung selbst, sondern nur auf die optimale Vorbereitung derselben gerichtet ise s. Wendet man die Unterscheidung formell/informell auf die Beratung an, so lassen sich einzelne Formen als formell charakterisieren, weil sie ausdrücklich geregelt sind, andere als informell, weil sie keiner generellen Verfahrensregelung unterliegen, sondern sich aus den Gegebenheiten des Einzelfalls entwickeln36 . Insoweit scheint im Falle der Beratung die Skepsis, ob formell/informell eine Kategorie ist, die rechtliche Auswirkungen hat, berechtigt zu sein37 .

32 BR-Drs. 526/76, Begründung, S. 3; Jarass. BImSchG, § 10 Rn. 16; Demgegenüber räumt der Allg. Teil des Sozialgesetzbuchs jedermann einen Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch ein (§§ 13 ff. SGB I). 33 Vgl. Jarass. BImSchG, § 10 Rn. 16. 34 Zur Bedeutung der Beratung für die Umweltverwaltung siehe etwa Dose. in: Zwischen Kooperation und Korruption, 93f.; Mohr. NuR 1989, 101 ff. 35 Kunig/Rublack. Jura 1990,5. 36 So die Definition bei Benz. Die Verwaltung 23 (1990), 84. 37 Zu den Folgen Schulte. DVBI. 1988. 512; Henneke. NuR 1991, 271 sieht die Beratung als einseitig-informelles Verwaltungshandeln; Heintzen. NuR 1991, 301 bezeichnet die Beratung als eine Form des informationellen Verwaltungshandeins. Unter dieser Bezeichnung wird das Verwaltungshandeln zusammengefaßt, das sich der Informationsübermittlung als Instrument der Aufgabenerfüllung bedient und als schlichtes Verwaltungshandeln nicht auf einen Rechtserfolg, sondern auf eine tatsächliche Wirkung abzielt. Dazu Oebbecke. DVBI. 1994, 149.

§ 5 Vorverhandlungen bei der Anlagengenehmigung

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b) Inhalt der Beratung

§ 2 Abs. 2 Satz 3 der 9. BlmSchV bestimmt die typische Beratungsfragen, die für die Erörterung eine grundlegende Rolle spielen.

Aus der Sicht der Behörden stellt sich die Erörterung, welche Antragsunterlagen bei AntragsteIlung vorgelegt werden müssen (§ 2 Abs. 2 Satz 3 Nr. I der 9. BlmSchV), als den entscheidenden Beratungsinhalt dar. Sobald die Genehmigungsbehörde von einem Vorhaben erfahrt, soll sie beim Vorhabenträger darauf hinwirken, daß der Antrag und die voraussichtlich erforderlichen Antragsunterlagen formgerecht und vollständig eingereicht werden, damit zeitraubende Rückfragen und Nachforderungen im Genehmigungsverfahren entfallen (formelle Anregungen)38. Berücksichtigt man, daß bei immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen deren Regelungsgehalt maßgeblich durch die Antragsunterlagen bestimmt wird 39 , dann folgt daraus schon hier eine Rechtspflicht zur Beratung im Sinne einer Zweck- und Risikogemeinschaft von Vorhabenträger und Genehmigungsbehörde bei der Bestimmung des erforderlichen Umfangs der Antragsunterlagen40 • Dabei muß die Genehmigungsbehörde die Gesamtheit der für das Vorhaben einschlägigen Normen beachten, soll die Beratung wirklich zu einem genehmigungsfahigen Antrag führen. Welche Unterlagen bei der Antragstellung mindestens zur Prüfung erforderlich sind, regeln § 10 Abs. 1 Satz 2 BlmSchG sowie §§ 4 bis 4e der 9. BlmSchV. Eine weitere, insbesondere für Änderungsgenehmigungsverfahren wesentliche Frage geht dahin, welche Auswirkungen mit dem Vorhaben voraussichtlich verbunden sein werden (§ 2 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 der 9. BlmSchV). Daran knüpfen sich Verfahrensfragen. Darüber hinaus ist der zeitliche Ablauf des Genehmigungsverfahrens mit dem Vorhabenträger zu erörtern (§ 2 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 der 9. BlmSchV). Die Praxis hat erwiesen, daß dies anhand eines Terminplanes am zweckmäßigsten geschehen kann. Mit der weitgehenden Reduzierung der Beratungsinhalte auf den Punkt ,,vollständigkeit der Antragsunterlagen" vernachlässigen manche Behörden diese Verfahrensfragen. Nach einer empirischen Untersuchung 41 nutzen zwei Drittel der Behörden die Beratungsphase selten für Maßnahmen zur zeitlichen

38 Ziff. I.1.2 der Verwaltungsvorschrift zum Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz des Landes NRW, Gemeinsamer Runderlaß d. Ministers für Arbeit, Gesundheit und soziales, d. Innenministers u. d. Ministers für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr vorn 21. 11. 1975 (SMBI. NW 7130 S. 2216). 39 Vgl. BVerwGE 84, 220 (226). 40 So Ipsen, VVDStRL 48 (1990), S. 194. 41 Vgl. Hill/Weber, Vollzugserfahrungen mit umweltrechtlichen Zulassungsverfahren, S. 97.

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

Beschleunigung und sonstigen organisatorischen Verfahrensgestaltung wie Fristen und Zeitpläne im Rahmen von Beratungsgesprächen. § 2 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 der 9. BlmSchV verlangt im Rahmen des Vorgesprächs aus Anlaß eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsantrages eine Prüfung der Frage, ob eine Beschleunigung des Verfahrens dadurch erreicht werden kann, daß ein Verfahrensbevollmächtigter, dem die zeitliche Gestaltung des Verfahrensablaufes sowie die Überwachung der organisatorischen und fachlichen Abstimmung obliegt, sich auf Vorschlag oder mit Zustimmung und auf Kosten des Antragstellers eines Projektmanagers bedient. Der unter funktionale Privatisierung42 fallende Projektmanager ist schon jetzt in der deutschen Praxis verbreitet und im Bereich von verschiedenen Genehmigungsverfahren auch gesetzlich vorgesehen 43 . c) Beteiligung anderer Behörden und Dritter

. Anders als § 2a Abs. 1 der 9. BImSchV erwähnt § 2 Abs. 2 der 9. BlmSchV die Beteiligung des "Dritten" nicht. Aber eine Beteiligung Dritter ist hier nicht ausgeschlossen44 • Ist die Beteiligung anderer Behörden im Hinblick auf diesen Zweck sinnvoll, steht es im Ermessen der Genehmigungsbehörde, sie bereits an der Beratung zu beteiligen. d) Bewertung der Beratung im Hinblick auf Vorverhandlungen

Die Vorverhandlungen begnügen sich in der Regel nicht nur damit, allgemeine Fragen des Genehmigungsverfahrens zu erörtern. Vielmehr werden die Genehmigungsvoraussetzungen und zu erteilenden Auflagen im einzelnen diskutiert. Solche Vorgehensweisen stellen eine umfassende materiellrechtliche Betreuung durch die Behörde dar. Die Antwort auf die Frage, ob die Beratungsregelung gern. § 2 Abs. 2 der 9. BlmSchV als normative Grundlage für die Vorverhandlungen betrachtet werden kann, hängt damit davon ab, ob sich die Beratungsregelung nur auf die Antragstellung als Verfahrenshandlung erstreckt oder darüber hinaus auch auf die spätere materielle Verwaltungsentscheidung erstrecken kann. Wenn Inhalt der Beratung wie Vorverhandlungen auch eine 42 Zur Abgrenzung gegenüber anderen Privatisierung Bauer, VVDStRL 54 (1995), 243ff.; Erbguth, UPR 1995, 369ff.; Hengstschläger, VVDStRL 54 (1995), 165ff.; Hoffmann-Riem, DVBI. 1996, 225ff.; Koch, NVwZ 1996, 215ff.; Lecheier, BayVBI. 1994, 555ff.; Osterloh, VVDStRL 54 (1995), 204ff.; Püttner, LKV 1994, 193ff.; Schoch, DVBI. 1994, 962ff.; Schuppert, DÖV 1995,761 ff. 43 Z. B. § 4 b BauGB; § 7 AtG; § 6 LuftVG. 44 Jarass, BImSehG, § 10 Rdnr. 16.

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materiell-rechtliche Betreuung umfassen kann, kann die Beratungsregelung als normative Grundlage für die Vorverhandlungen betrachtet werden. aa) Nach der alten Fassung Als § 2 Abs. 2 der 9. BImSchV in der Fassung von 1977 noch als ganz allgemein gehaltene Beratungspflicht der Genehmigungsbehörde formuliert war, konnte diese weder als Legitimierung noch als rechtlicher Ansatzpunkt für Vorverhandlungen bewertet werden. Ausgehend vom Wortlaut des § 2 Abs. 2 der 9 BImSchV a. F. ergibt sich eine Beratung nur hinsichtlich der Antragstellung und nicht im Hinblick auf die insgesamte . Realisierung des Vorhabens45 . Eine über § 25 VwVfG, in dem keine materielle Rechtsberatung zulässig ist46 , hinausgehende Beratungspflicht enthält § 2 Abs. 2 der 9 BImSchV a. F. nicht. Sie erstreckt sich also nicht auf das materielle Recht47 • Ferner wird eine detaillierte materielle Rechtsberatung der Behörde, die eher im Aufgabenfeld eines Anwalts anzusiedeln ist, insbesondere deshalb für unzulässig gehalten, damit nicht der Vorwurf der Parteilichkeit erhoben werden kann48 • Vorverhandlungen gehen damit sachlich regelmäßig weit über die durch § 2 Abs. 2 der 9. BImSchV a.F. vorgeschriebene Beratung hinaus49 . Die Beratungspflicht gemäß § 2 Abs. 2 der 9 BImSchV a. F. eignet sich nicht zu einer Erfassung der in der Vollzugspraxis üblichen Vorverhandlungen5o. Dennoch war schon für die alte Fassung die soeben skizzierte Bewertung zweifelhaft. War doch im Hinblick auf die amtliche Begründung51 ein kooperativer Zweck dieser Vorschrift unverkennbar. So hieß es dort: "Die Beratung soll - soweit zu diesem Zeitpunkt möglich - ergeben, mit welchen Auflagen der Träger des Vorhabens bei dem gewählten Standort rechnen muß. Auf die Möglichkeit einer beschleunigten Realisierung des Vorhabens durch Erteilung einer Teilgenehmigung oder eines Vorbescheids soll hingewiesen werden. ... Der Träger des Vorhabens soll seinerseits dartun, durch welche Maßnahmen die Erfüllung der Genehmigungsvoraussetzungen 45 Vgl. Bohne, Der infonnale Rechtsstaat, S. 61 ff.; ders., VerwArch 75 (1984), 347ff. 46 Vgl. Kopp, VwVfG, § 25 Rn. 6; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 9 Rn. 102. 47 Vgl. Beyerlin, NJW 1987, 2719 (Fn. 60); Bohne, Der infonnale Rechtsstaat, S. 61 ff.; Staber, Handbuch des Wirtschafts verwaltungs- und Umweltrechts, S. 818. 48 Vgl. Kopp, VwVfG, § 25 Rn. 6; Tomerius, Infonnelle Projektabsprachen im Umweltrecht, S. 85. 49 Vgl. Eberle, Die Verwaltung 17 (1984), 446f.; König, Verwaltungsrundschau 1990,406. 50 Tomerius, Infonnelle Projektabsprachen im Umweltrecht, S. 85. 51 BR-Drs. 526176; dazu Feldhaus, BImSchR, § 2 der 9. BImSchV Anm. 1.

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

sichergestellt werden soll." Vielmehr legte diese Begründung nahe, daß mit dieser Beratungspflicht eine Möglichkeit für kooperative Verhaltensabstimmung geschaffen wurde52 . Auch Ziffer 1.1.2 der Verwaltungsvorschrift zum Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz des Landes NRW53 regelt eindeutig: "Über formelle Anregung hinaus soll die Genehmigungsbehörde dem Vorhabenträger zu einem möglichst frühen Zeitpunkt die für die Entscheidung über den späteren Genehmigungsantrag wesentlichen Gesichtspunkte zur Kenntnis bringen. Dabei kann es zweckmäßig sein, die für die Genehmigung der Anlage erheblichen Fragen gemeinsam mit dem Vorhabenträger zu besprechen. In dieser Besprechung sind alle für das Genehmigungsverfahren grundlegenden Fragen des Immissions-, Arbeits- und technischen Gefahrenschutzes, insbesondere die Frage der Ernissions- und Immissionsbegrenzung, zu erörtern." Nach dieser Regelung umfaßt die Beratungspflicht die Erörterung der wesentlichen Gesichtspunkte des konkreten Vorhabens 54 , wie auch die angemessene Prüfung der sachlichen und rechtlichen Stellungnahme der Beteiligten55 • Die Behörde muß dem Vorhabenträger Möglichkeiten aufzuzeigen, wie er den verfahrensrechtlichen und materiellen Anforderungen genügen kann 56 . Gegenstand einer solchen vorberatenden Erörterung des Genehmigungsantrags sollen insbesondere Standortfragen, Möglichkeiten der Erteilung einer Teilgenehmigung oder eines Vorbescheides, mögliche mit dem Standort zu verbindende Auflagen sein57 . bb) Nach der neuen Fassung Mit der Neuregelung des § 2 Abs. 2 der 9. BImSchV wurde diese bisher zweifelhafte Kooperationsfunktion klargestellt, indem sie eine Abstimmungsmöglichkeit bezüglich der Verfahrensgestaltung aufzeigt. Nach dieser neuen Regelung erstreckt sich die Beratungspflicht auf solche formellen und materiellen Anregungen, die zu einer Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens oder zur Verbesserung der sachlichen Entscheidungsgrundlagen durch frühzeitige und vollständige Information der Behörde beitragen So auch LandmannlRohmerlKutscheidt, UmweltR, § 2 der 9. BImSchV Rn. 5. Verwaltungsvorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen zum Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, Gemeinsamer Runderlaß d. Ministers für Arbeit, Gesundheit und soziales, d. Innenministers u. d. Ministers für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr vom 21. 11. 1975 (SMBI. NW 7130 S. 2216), zuletzt geändert am 4. I. 1990 (SMBI. NW 227). 54 Maurer, Allg. VerwR, § 15 Rn. 13. 55 Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, S 818. 56 Eber/e, VerwArch 17 (1984), 447. 57 Sellner, Immissionsschutzrecht. S. 106. 52

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§ 5 Vorverhandlungen bei der Anlagengenehmigung

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werden58 • Sie erstreckt sich beispielsweise darauf, ob der vorgesehene Standort geeignet ist und welche Nebenbestimrnungen erforderlich sein werden, um die Erfüllung der in § 6 BImSchG genannten Genehmigungsvoraussetzungen sicherzustellen. Insoweit gelten die gleichen Funktionen bei der Beratung wie bei den Vorverhandlungen59 . Den bisherigen Bedenken, die Beratungsregelung als umfassende Legitimierung der Vorverhandlungen gerade auch im Hinblick auf eine rechtsstaatliche inhaltliche Vorabfestlegung zu verstehen, wurde insoweit Rechnung getragen, als eine Verhaltensabstimmung nur bezüglich der Verfahrensgestaltung nun gesetzlich angeregt und somit auch grundsätzlich legitimiert wird60• Für einen zentralen Bereich der Vorverhandlungen vor einem immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren ist demgemäß eine normative Grundlage vorhanden. Vorverhandlungen müssen jetzt von der behördlichen Beratungspflicht gern. § 2 Abs. 2 der 9. BImSchV umfaßt werden. 2. Scoping-Verfahren gern. § 2 ader 9. BImSchV a) Einleitung

Gemäß § 2a der 9. BImSchV61 , der im Zuge der Umsetzung der Umweltverträglichkeitsprüfungsrichtlinie der EG62 in die 9. BImSchV aufgenommen wurde, wird die allgemeine Beratungspflicht (§ 2 Abs. 2 der 9. BImSchV) bei umweltverträglichkeitsprüfungspflichtigen Vorhaben zu einer "Unterrichtung über den voraussichtlichen Untersuchungsrahmen" ausgeweitet. So heißt es ausdrücklich, daß die Genehmigungsbehörde die für die Umweltverträglichkeitsprüfung erheblichen Fragen mit dem Vorhabenträger eventuell unter Hinzuziehung anderer Behörden, Sachverständiger und Dritter erörtern und darauf diesen über den daraus resultierenden Untersuchungsrahmen unterrichten soll. Das aus dem US-amerikanischen Recht entlehnte Scoping-Verfahren erfolgt in drei Verfahrensschritten:

58 Vgl. Feldhaus, BImSchR, § 10 BImSchG Rn. 18; Jarass, BImSchG, § 10 Rn. 16. 59 Vgl. Schulze-Fielitz, Recht des Immissionsschutzes, in: Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 3 VI Rn. 120. 60 Zur Gefahr des sanften Leitung durch Beratung siehe Wimmer/Amold, in: Verwaltungshandeln durch Verträge und Absprachen, S. 54. 61 Diese Regelung stimmt nahezu wörtlich mit § 5 UVPG, der das Scoping-Verfahren institutionalisiert, überein. 62 Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (85/337/EWG, ABLEG Nr. L 175 vom 27. 6. 1985, S. 40).

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

(1) der Vorhabenträger macht der Genehmigungsbehörde Mitteilung über das UVP-pflichtige Vorhaben und reicht die für die nachfolgende Erörterung geeigneten Unterlagen ein; (2) Vorhabenträger und Genehmigungsbehörde Umfang und Methode der UVP;

erörtern

Gegenstand,

(3) die Genehmigungsbehörde unterrichtet den Vorhabenträger über den Untersuchungsrahmen sowie über Art und Umfang der beizubringenden Unterlagen. Zu dieser Abstimmung des Untersuchungsrahmens können Behörden, Sachverständige oder Dritte hinzugezogen werden. Zweck des Scoping-Verfahrens ist es, nach Herausarbeitung der voraussichtlichen Umwelterheblichkeit des Vorhabens zu einem auf das konkrete Projekt bezogenen Untersuchungsrahmen zu gelangen, damit die Umweltverträglichkeitsprüfung möglichst effektiv, nachvollziehbar und sachgerecht durchgeführt werden kann 63 • Das Scoping-Verfahren soll damit nicht zu einer Vorwegnahme des anschließenden Genehmigungsverfahrens führen. Vielmehr soll es als Verfahrensstufe, die dem eigentlichen Genehmigungsverfahren vorgeschaltet ist, eine Filterfunktion erfüllen, indem erst einmal der maßgebliche Untersuchungsrahmen geschaffen und fixiert wird 64 • b) Beteiligung anderer Behörden und Dritter

Der Untersuchungsrahmen soll mit dem Vorhabenträger und eventuell unter Hinzuziehung der anderen Behörden, Sachverständiger und Dritter erörtert werden. Das Ob und Wie einer Beteiligung Dritter steht dabei im Ermessen der Behörde6s • Der Begriff der Dritten ist hier nicht auf die in ihren Rechten Betroffenen begrenzt, so daß auch Vertreter der nur in ihren sonstigen Interessen berührten Personenkreise zu den Verhandlungen herangezogen werden können66• c) Bewertung des Scoping-Veifahrens im Hinblick auf Vorverhandlungen

Zu recht wird betont, daß der Vorbereitungsprozeß nach § 2 a Abs. 1 der 9. BImSchV nicht auf ein verbindliches Aushandeln einer gemeinsamer Position durch Behörde und Vorhabenträger abzielt. Denn aus dem Austausch von Informationen und Auffassungen folge, daß sich daraus keine Bindung für einen der Beteiligten ergeben könne 67 • Das Scoping-Verfahren Vgl. Erbguth/Schink, UVPG, § 5 Rn. I; Jarass, BImSehG, § 10 Rn. 18. Dreier, StWissStPrax 1993, 665; Schoch, in: Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandeins, S. 230. 6~ Erbguth/Schink, UVPG, § 5 Rn. 13. 66 Vgl. Hoffmann-Riem, AöR 115 (1990),433. 63

64

§ 5 Vorverhandlungen bei der Anlagengenehmigung

99

hat nur eine faktische Bindungswirkung, wie sie auch für Vorverhandlungen typisch ist. Ausgehend von dieser faktischen Bindungswirkung kann im ScopingVerfahren auch keine Grundlage für irgend welche Vertrauensschutztatbestände gesehen werden. Denn, da die Erörterung gerade vorbehaltlich später Änderungen dem Verfahrensstand entsprechend und damit vorläufig stattfindet, ist der Vorhabenträger keinesfalls schutzwürdig68 • Auch hier besteht eine Ähnlichkeit mit der Funktionsweise von Vorverhandlungen. Das Scoping-Verfahren ist als ein Versuch zu bewerten, die zwischen Vorhabenträger und Behörde bisher üblichen informellen Vorverhandlungen zu verrechtlichen und damit zu formalisieren 69 • Es wird damit als eine Verdeutlichung des umweltrechtlichen Kooperationsprinzips verstanden 70. Bohne71 zieht auch den Schluß, daß nunmehr Vorverhandlungen im Rahmen von Zulassungsverfahren für umweltverträglichkeitsprüfungspflichtige Vorhaben ihren informellen Charakter verloren haben.

111. Vorverhandlungen und faktische Bindungswirkung 1. Problemstellung

Vorverhandlungen erzeugen grundsätzlich keine Rechtsbindung, und die Behörde muß prinzipiell für neue Erkenntnisse offenbleiben. Die Vorverhandlungen erfüllen aber ihren Zweck nur, wenn sie mit einer entsprechenden Festlegung der Behörde verbunden sind72 • Nicht umsonst ist von Vorverhandlungen die Rede. Der informelle Raum der Vorverhandlungen wird nicht nur zu reinen Informationsgesprächen, sondern selbstverständlich auch zur Beeinflussung der Behörde genutzt. Die Vorverhandlungen bewirken hier, daß die Entscheidungen im förmlichen Genehmigungsverfahren nicht hergestellt, sondern nunmehr dargestellt werden73. Rechtlich besteht hier das Problem, daß die Genehmigungsbehörde durch den verhandelnden Vorhabenträger so präjudiziert wird, daß sie nicht mehr faktisch frei entscheiden kann. Zum Beispiel kann eine Schutzeinrichtung durch Vorverhandlun-

Schneider, Nachvollziehende Amtsermittlung bei der UVP, S. 151 f. Vgl. Erbguth/Schink, UVPG, § 5 Rn. 23 m. w.N. 69 Erbguth/Schink, UVPG, § 5 Rn. 24; Steinberg, DVBl. 1988, 1000. Dazu kritisch Tomerius, Informelle Projektabsprachen im Umweltrecht, S. 87. 70 Erbguth/Schink, UVPG, § 5 Rn. 4 m. w.N. 71 Bohne, in: HdUR, Bd. I, Sp. 1046f. 72 Vgl. Lübbe-Wolff, NuR 1989,297. 73 Kloepfer. Umweltrecht, § 4 Rn. 268. 67

68



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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

gen akzeptiert werden, die nicht dem "Stand der Technik zur Immissionsbegrenzung" im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BlmSchG entspricht. Das Genehmigungsverfahren gewinnt dadurch lediglich den Charakter einer "notariellen Beurkundung,,74 bereits vorher getroffener Entscheidungen. Es erscheint daher zuerst erforderlich, zu prüfen, wieweit Vorverhandlungen in die Behördenentscheidungen tatsächlich einfließen können.

2. Untersuchungsstand Auf die Frage, wieweit Vorverhandlungen in die Behördenentscheidung tatsächlich einfließen können, gibt es unterschiedliche Untersuchungsergebnisse. a) Faktische Bindungswirkung Nach der Einschätzung Bohnes stimmt das Ergebnis der Vorverhandlungen mit dem letztendlich ergehenden Genehmigungsbescheid samt Nebenbestimmungen in aller Regel überein75. Diese faktische Bindungswirkung folgt schon aus dem hohen Verwaltungsaufwand, den die Genehmigungsbehörde in die oft langwierigen Vorverhandlungen investiert, und aus der Knappheit der zeitlichen und personellen Ressourcen, die es der Behörde kaum erlauben, vom Vorverhandlungsergebnis im anschließenden Genehmigungsverfahren noch wesentlich abzuweichen76 . Eine spätere Abweichung im Genehmigungsverfahren führt zu erheblichen Nachteilen für Behörden und Antragsteller77 • Ule und Laubinger werten auch in ihrem Gutachten zum 52. DJT die Ansicht, daß die beratende Tätigkeit der Behörde nicht zu einer Einschränkung ihrer Entscheidungsfreiheit führe, als wirklichkeitsfremd 78 . Jarass sieht zumindest die Gefahr einer faktischen Bindung der Behörde79 . b) Keine faktische Bindungswirkung Anders als wissenschaftliche Behauptungen bestreiten fast 3/4 aller Behörden nach neuen empirischen Untersuchungen80 die faktische Bindungswirkung der Vorverhandlungen für die endgültige Entscheidung. Sie 74 75 76

77 78 79

Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 318, 346. Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 53. Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 56. So auch Dose, in: Zwischen Kooperation und Korruption, S. 97 Ule/Laubinger, in: Verhandlungen des 52. DJT, Bd. I, S. B 29. Jarass, BImSchG, § 10 Rn. 17.

§ 5 Vorverhandlungen bei der Anlagengenehmigung

101

glauben, daß Vorverhandlungen nur reinen Infonnationscharakter ohne faktische Bindungswirkung hätten. Die endgültige Entscheidung werde unabhängig vom Ergebnis der Vorverhandlungen getroffen. Die Behörden behaupten weiter, daß die Komplexität der Verfahren und der Mangel an finanziellen, personellen und zeitlichen Mitteln in der Praxis für die Abweichung von den Ergebnissen der Vorverhandlungen eine geringe Rolle spielten. Auch Ziffer 1.1.3 der Verwaltungsvorschrift zum Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz des Landes NRW weist auf die Verneinung einer Bindungswirkung der Vorverhandlungen hin. So heißt es dort: "Die Genehmigungsbehörden haben bei der Beratung des Trägers des Vorhabens zu beachten, daß das eigentliche Genehmigungsverfahren erst mit der Stellung des Genehmigungsantrags beginnt und daß die betroffenen Nachbarn nur während der Auslegungsfrist fönnliche Einwendungen erheben können. Eine Entscheidung über einen Genehmigungsantrag kann nur nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens getroffen werden. Deshalb darf die beratende Tätigkeit der Behörde - insbesondere vor der AntragsteIlung - nicht zu einer Einschränkung ihrer Entscheidungsfreiheit führen. Der Genehmigungsbehörde obliegt nur die Aufgabe, über die Erteilung der Genehmigung und damit über die Verleihung eines subjektiven öffentlichen Rechts nach Durchführung des dafür vorgesehenen Verfahrens zu entscheiden. Im Hinblick auf diese Stellung darf die Genehmigungsbehörde bei der Beratung des Antragstellers keine rechtliche oder tatsächliche Bindung eingehen". Nach diesen Verwaltungsvorschriften ist ein Abschluß der administrativen Willensbildung vor Beginn des fonnalisierten Genehmigungsverfahrens mithin nicht zulässig.

3. Stellungnahme Wie bereits oben dargestellt81 , ist es der Sinn der Vorverhandlungen für Vorhabenträger, das Risiko der Durchführung des fonnellen Genehmigungsverfahrens möglichst gering zu halten. Würde im Genehmigungsverfahren von den Ergebnissen der Vorverhandlungen abgewichen, so wären nicht nur die oft umfangreichen Planungen umsonst gewesen, zusätzliche Unkosten entständen auch durch die im Vertrauen auf die Ergebnisse der Vorverhandlungen bereits getroffenen Vennögensdispositionen wie Grundstückskäufe, Anlagenbestellungen u. ä. (Investitionsrisiko). Jede Abweichung von den 80 Vgl. Hili/Weber, Vollzugserfahrungen mit umweltrechtlichen Zulassungsverfahren, S. 103; von Wedemeyer, Kooperationen beim Vollzug des Umweltrechts, S.67ff. 81 Siehe oben § 5 I 3.

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

Vorverhandlungen muß somit auf den Widerstand der Vorhabenträger stoßen. Jedoch nicht nur für die Betreiber, sondern auch für die Genehmigungsbehörde ist eine Abweichung von den Vorverhandlungen mit Nachteilen verbunden. Auf Grund der großen Arbeitsbelastung der Behörden und des hohen Zeitaufwandes, deren die Prüfung eines Vorhabens bedarf, fehlen den Behörden die personellen und damit auch die zeitlichen Mittel, um die Ergebnisse der Vorverhandlungen im Genehmigungsverfahren erneut in Frage zu stellen. Auch die Dauer der Vorverhandlungen, die durchschnittlich länger als das eigentliche Genehmigungsverfahren ist, bestätigt deren bestimmenden Einfluß auf die Entscheidungsfreiheit der Genehmigungsbehörde. Man kann damit so feststellen, daß Vorverhandlungen in einer Grauzone zwischen den Polen der Unverbindlichkeit einerseits und der rechtsverbindlichen Festlegung seiner Ergebnisse andererseits liegen 82 • 4. Faktische Bindungswirkung gegen verfahrensrechtlichen Grundsatz

Zu den Funktionen des förmlichen Genehmigungsverfahrens gehört die Gewährleistung der sachlich richtigen Entscheidungen. Für eine sachlich richtige Entscheidung des Vorhabens hat die Genehmigungsbehörde im Rahmen des Genehmigungsverfahrens sehr komplexe und schwierige Sachverhalte zu ermitteln und zu bewerten. Diese kann nur bei Kenntnis aller entscheidungserheblichen Gesichtspunkte getroffen werden. Um dies sicherzustellen, ist die Behörde von Amts wegen zur Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet (§ 24 Abs. 1 VwVfG83 ). Diese Ermittlungspflicht der Behörde begrenzt in einigem Maße die Vorverhandlungen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist grundSätzlich der Zeitpunkt der Behördenentscheidung. Alle zu diesem Zeitpunkt in Betracht kommenden Umstände müssen in der Entscheidung ihrem Gewicht entsprechend berücksichtigt werden. Daher muß die Behörde während des gesamten Verfahrens für neue Erkenntnisse offen bleiben und gegebenenfalls einen bereits erzielten Konsens der veränderten Sachlage anpassen 84 • Die Behörde darf insoweit Informationen nicht ihren Kooperationspartnern allein überlassen. Sie muß ihrem Gemeinwohlauftrag nachkommend die Informationen prüfen und ergänzen. Auch Eberle, Die Verwaltung 17 (1984), 464. § 24 VwVfG steht wegen § 1 VwVfG unter dem Vorbehalt inhaltsgleicher oder entgegenstehender Bestimmungen spezieller Art, wie etwa jener des immissionsschutzrechtlichen Antragsverfahrens (§§ 2ff. der 9. BlmSchV). Vgl. Kopp, VwVfG, § 24 Rn. 2. 84 Zur Schwierigkeit der umfassenden Ermittlung Eberle, Die Verwaltung 17 (1984),454; Obermayer, VwVfG, § 24 Rn. 74ff. 82

83

§ 5 Vorverhandlungen bei der Anlagengenehrnigung

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Diese Gewährleistungsfunktion der sachlich richtigen Entscheidung durch das Genehmigungsverfahren würde untergraben, wenn die Entscheidungsfindung der Behörde wegen der faktischen Bindungswirkung der Vorverhandlungen nicht für später hinzugewonnene Erkenntnisse offen gehalten wird. Diese faktische Bindungswirkung der Vorverhandlungen würde zu einer Entleerung des als zeitgerechte Ordnungsidee 85 in die Immissionsschutzgesetzgebung eingegangen Verfahrens gedanken führen und die erhoffte Befriedungs- und Legitimationswirkung von förmlichen Verfahren zerstören86 . Damit darf eine Bindung der Behörde hinsichtlich der tatsächlichen Festlegung sich nicht durch Vorverhandlungen ergeben87 • Im folgenden soll zunächst untersucht werden, inwieweit die faktische Bindungswirkung der Vorverhandlungen konkret den Drittschutz gefährden kann, und dann, wie diese Gefahr abgebaut werden kann.

IV. Vorverhandlungen und Rechtsschutz Dritter 1. Problemstellung

Ein Hauptproblem von Vorverhandlungen ist die Gefährdung von Drittpositionen88 • Vorverhandlungen werden regelmäßig von der Genehmigungsbehörde mit dem Vorhabenträger geführt. Dritte, die von dem betreffenden Vorhaben betroffen oder berührt sein könnten, werden nach den bisherigen Erfahrungen der Praxis sehr selten zu den Vorverhandlungen hinzugezogen89 . Ihre denkbare Teilnahme an den Vorverhandlungsrunden begegnet Skepsis. Der Hauptgrund hierfür liegt darin, daß ein möglichst reibungsloser Ablauf des Verfahrens gewährleistet werden soll, ohne "schlafende Hunde" zu wecken und frühzeitigen Widerstand heraufzubeschwören90 • Solche bipolaren Vorverhandlungen zwischen Genehmigungsbehörde und Vorhabenträger - unter Ausschluß Dritter - sind unter rechtlichen Gesichtspunkten problematisch, da angesichts der faktisch präjudizierenden Wirkungen im Vorverhandlungsabschnitt die einwendungsbefugten Dritten Gefahr laufen, ihre Positionen in einem für die insgesamt undurchschaubaren Ver85

Schmidt-Aßmann, in: Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Katego-

rie, S. 6. 86 87 88 89

Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 268. Vgl. Feldhaus, BImSchR, § 10 BImSchG Rn. 20. Bauer, VerwArch 78 (1987), 254; Hoffrnann-Riem, AöR 115 (1990), 427f. Zum Nachweis siehe Bohne, Der informale Rechtsstaat, S 51 f; von Wedmeyer,

Kooperationen beim Vollzug des Umweltrechts, S. 54 f. 90 V gl. die Interviews bei von Wedmeyer, Kooperation beim Vollzug des Umweltrechts, S. 53 f.

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

fahren nicht mehr wirksam durchsetzen zu können91 . Zwar wird den Dritten die gesetzlich vorgesehene förmliche Genehmigungsverfahrensteilhabe gewährt. Aber in praktischer Konsequenz erscheinen Behörde und Antragsträger gewissermaßen als eine Partei, die ihren zuvor gefundenen Konsens gegen Drittbelange quasi verteidigt92 • Die Korrektiv-, Informations-, Kontroll- und Optimierungsfunktion der Beteiligung Dritter muß wirkungslos verpuffen, wenn die wesentlichen Fragen längst informell vorentschieden sind. Die Einwendungen Dritter können nur noch auf Detailfragen, nicht mehr jedoch auf das Vorhaben als solches entscheidenden Einfluß nehmen93 . Hierdurch verliert die Beteiligung Dritter ihren Sinn. Die Partizipation selbst hat dann lediglich Alibicharakter, da die Einwendung und Anregungen Dritter ungeachtet der korrekten Durchführung des Verfahrens faktisch ins Leere laufen94 . Dies ist schwerlich mit der Rechtsschutzfunktion des Genehmigungsverfahrens und dem Grundsatz der Verfahrensfairneß9S vereinbar. Darüber hinaus besteht bei bipolaren Vorverhandlungen die Gefahr der Verfehlung normativer Vorgaben96 . Faktisch kommt es auf diese Weise zu einer partiellen Abgabe der staatlichen Letztentscheidungsmacht in die Hände des an den Vorverhandlungen beteiligten Vorhabenträgers97 . Diese Verwaltungspraxis ist deswegen von der Literatur mit Attributen wie "aus der Dunkelkammer des Rechtsstaats,,98, "in der Grauzone zwischen rechtlichen und faktischen Bindungen,,99 oder "Rechtsformmanipulation"IOO versehen worden. Es stellt sich damit die Frage, wie sich die Rechte Dritter vor den Gefahren faktischer Bindungswirkung wirksam schützen lassen. In der Literatur wird auf unterschiedlichen Wegen versucht, Strategien zur Bewältigung dieses Problems zu entwerfen.

91 Zu dieser Problematik siehe insbes. Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 146ff.; Eberle, Die Verwaltung 17 (1984), 456ff.; Feldhaus, BlmSchR, § 10 BlmSchG Rn. 20; Henneke, NuR 1991, 273; Mayntz., Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 341ff. 92 Hoffnumn-Riem, VVDStRL 40 (1982), 221 f. 93 Bauer, VerwArch 78 (1987), 255; Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), 211 f.; Würtenberger, NJW 1991, 261. 94 Bohne, VerwArch 75 (1984), 353; Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), 211 f. 95 BVerwGE 75, 214 (230). 96 Vgl. Bauer, VerwArch 78 (1987), 254f. 97 Kunig, Jura 1990, 8f. 98 Eberle, Die Verwaltung 17 (1984), 463. 99 Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), S. 234. 100 Burmeister, VVDStRL 52 (1993), 241.

§ 5 Vorverhandlungen bei der Anlagengenehmigung

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2. Analoge Anwendung der Verfahrensgrundsätze auf die Vorverhandlungen Als Verwaltungsverfahren im Sinne des VwVfG gilt nach der Legaldefinition in § 9 "die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlaß eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist; es schließt den Erlaß des Verwaltungsaktes oder den Abschluß des öffentlich-rechtlichen Vertrages ein". Zum Verwaltungsverfahrensbeginn stellt § 22 VwVfG den Grundsatz auf, daß die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet, ob und wann sie ein Verwaltungsverfahren durchführt; dieser Grundsatz soll aber nicht gelten, wenn Rechtsvorschriften vorschreiben, daß die Behörde von Amts wegen oder auf Antrag tätig werden muß. Daraus folgt zwingend, daß das förmliche Genehmigungsverfahren im Immissionsschutzrecht mit der Stellung eines schriftlichen Antrags beginnt (§ 10 Abs. 1 BImSchG). Es kann nicht zweifelhaft sein, daß die Vorverhandlungen zwischen Genehmigungsbehörde und Vorhabenträger schon deshalb nicht Bestandteil eines Verwaltungs verfahrens im Sinne des VwVfG sein können, weil sie typischerweise vor AntragsteIlung stattfinden. Im Hinblick auf die Gefahrdung des Drittschutzes stellt sich aber die Frage, ob die gesetzlichen Beteiligungsvorschriften des VwVfG analog auf die Vorverhandlungen anzuwenden bzw. Drittbetroffene generell an den Vorverhandlungen zu beteiligen sind. Mit anderen Worten lautet die Frage, ob Dritte von der Behörde verlangen können, zu den Vorverhandlungen zugelassen oder jedenfalls so substantiell von deren Verlauf und Ergebnis unterrichtet zu werden, daß sie von ihren Rechten im Verfahren noch wirksam Gebrauch machen können. a) Meinungsstand in der Literatur Hoffmann-Riem lOl plädiert für eine zumindest analoge Anwendung der sämtlichen Regelungen des VwVfG über Verfahrensbeteiligungen Dritter auf solche faktisch bindenden informellen Vorverhandlungen. Er geht davon aus, daß die Rechtmäßigkeit bindender Entscheidungen materiell und formell am Maßstab der abschließenden Entscheidungen gemessen werden müssen. Die Mitwirkung anderer Behörden und die Beteiligung der Betroffenen und Dritter seien danach grundsätzlich auf die informelle vorgeschaltete Entscheidung zu beziehen, wenn diese die Folgenentscheidung in ihrem

101

Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), 220f., 224.

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

Regelungs- oder Programmierungsgehalt ganz oder teilweise vorwegnehmen würde. Bohne 102 wendet sich gegen eine schematische Vorverlagerung sämtlicher drittbezogener Beteiligungsrechte des Genehmigungsverfahrens in die Vorverhandlungen. Vielmehr sollen Zeitpunkt, Inhalt und Form der Beteiligung drittbetroffener Bürger an den Vorverhandlungen im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde stehen (§§ 10, 40 VwVfG). Bereits während der Vorverhandlungen sei es erforderlich, den Einwendungsbefugten Gelegenheit zu geben, ihre betroffenen Belange und möglichen Einwendungen der Behörde zur Kenntnis zu geben. Bei Vorhaben, für die eine förmliche Öffentlichkeitsbeteiligung vorgeschrieben ist, soll darüber hinaus bereits zu dieser Zeit eine öffentliche Bekanntmachung und auf Anfrage eine Darlegung der allgemeinen Planungsziele erfolgen. Gegen den Vorschlag, die Verfahrensrechte Dritter analog auf Vorverhandlungen anzuwenden, haben sich jedoch schon früh Bedenken erhoben 103 . Nach dieser Auffassung würde eine analoge Anwendung der Verfahrensvorschriften auf Vorverhandlungen informelles Verwaltungshandeln formalisieren und damit dem Sinn und Zweck dieser Art der Kooperation widersprechen. Die durch Vorverhandlungen angestrebte Konsensbildung baut zu einem erheblichen Teil auf der Informalität auf. Auf Grund des bestehenden Kooperationsbedarfs dürfte die Vorverlagerung formeller Verfahrensvorschriften in die Vorverhandlungen zur weiteren Vorverlagerung informeller Kontakte führen (Vor-Vor-Verhandlungen) 104.

b) Argumente für Beteiligungsrecht Dritter an den Vorverhandlungen Zwar sind die Behörden nicht geneigt, Dritte an den Vorverhandlungen unmittelbar zu beteiligen. Dennoch ist es verschiedentlich erforderlich, die gesetzlichen Beteiligungsvorschriften analog auf die Vorverhandlungen anzuwenden, bzw. Dritte generell an den Vorverhandlungen zu beteili-

102 Bohne, Der informale Rechtsstaat, 1981, S. 150ff.; ders., VerwArch 75 (1984),352f. 103 Vgl. Bauer, VerwArch 78 (1987), 256ff.; Breuer, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, S. 242; Brohm, DVBI. 1990,323; Eberle, Die Verwaltung 17 (1984), 456ff.; Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 1986, S. 96; Lange, in: VVDStRL 40 (1982), 306; Lübbe-Wolff, NuR 1989,297. 104 Dieser Einwand u. a. bei Dreier, StWissStPrax 1993, 663; Kunig/Rublack, Jura 1990, 6; Lübbe-Wolff, NuR 1989, 297 weist darauf hin, daß sich für das formelle Verwaltungsverfahren geltende Grundsätze in Vorverhandlungen praktisch schwer durchsetzen lassen dürfen, solange es an wirksamen Sanktionen für den Fall ihrer Verletzung fehle.

§ 5 Vorverhandlungen bei der Anlagengenehmigung

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gen 105. Ausgangspunkt dieser Argumentation ist die faktische Bindungswirkung der Vorverhandlungen. aa) Vorverhandlungen als Verwaltungsverfahrensrechtsverhältnisse im weiteren Sinne Um das Beteiligungsrecht Dritter analog auf die Vorverhandlungen anzuwenden, braucht man eine These, wonach eine Verfahrensrechtsverhältnis im weiteren Sinne bereits durch die einen bestimmten Intensitätsgrad erreichende Verhandlungen im informellen Vorstadium der Antragstellung begründet werden kann (sog. Vorverfahrensrechtsverhältnis lO6 oder schlichtes Verwaltungs verfahrens verhältnis 107). Ausgangspunkt muß das allgemeine Staat-Bürger Verhältnis sein. Die traditionelle Verwaltungsrechtslehre versuchte die Verwaltung-Bürger Beziehung ganz vornehmlich von der anvisierten Verwaltungsentscheidung als Kulminationspunkt dieser Beziehung her zu erklären. Aber seit Anfang der achtziger Jahre ist zunehmend die Auffassung im Vordringen, wonach die Verwaltung-Bürger Beziehung weniger punktuell von der Verwaltungsentscheidung her auszudeuten, sondern mehr als ein zeitlich gestrecktes, dynamisch angelegtes und in verschiedene Phasen gegliedertes Rechtsverhältnis mit materiell- und verfahrensrechtlichen Wirkungskomponenten zu begreifen ist (Rechtsverhältnislehre) 108. Rechte und Pflichten werden danach nicht als isolierte Positionen begriffen 109, sondern in ihrem wechselseitigen Wirkungszusammenhang erfaßt. Das Verfahrensrechtsverhältnis ist insoweit der Verwirklichungsmodus des materiellen VerwaltungsrechtsilO. Das Rechtsverhältnis beugt der unzureichenden statischen, nur auf das Produkt des Verwaltungsvorgangs fixierten Betrachtungsweise vor und sichert das unverzichtbare prozedurale Denken ab. Dieser Zeitfaktor lenkt den Blick über den Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung noch hinaus. 105 Über ein Vergleich mit der Beteiligung Dritter im Planfeststellungsverfahren siehe Holznagel, Konfliktlösung durch Verhandlungen, S. 199f.; von Wedemeyer, Kooperation beim Vollzug des Umweltrechts, S. 217f. 106 So Bull, Allg. VerwR, Rn. 814; Hill, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folge im Verwaltungsrecht, S. 281; ders., NJW 1986, 2606; Keller, Vorvertragliche Schuldverhältnisse im Verwaltungsrecht, S. 109. 107 Beyerlin, NJW 1987,2718. lOS Zur Rechtsverhältnislehre siehe insb. Achterberg, Die Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung, 1982, passim; Bauer, Die Verwaltung 25 (1992), 313 f.; Häberle, in: Die Verfassung des Pluralismus, S. 248ff.; Henke, JZ 1992, 541 ff.; Henneke, NuR 1991, 274f.; Schmidt-Aßmann, DVBI. 1989,540; Schoch, in: Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandeins, S. 211 ff. 109 Vgl. Brohm, VVDStRL 30 (1972), 274. 110 Vgl. Wahl, VVDStRL 41 (1983), 153.

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

Die Verwaltungsentscheidung soll in den einheitlichen Rahmen eines Dauerrechtsverhältnisses eingestellt und als zusammenhängender Vorgang betrachtet werden 111. Schwierigkeiten bereitet die Frage, welche Momente für das Entstehen eines Verwaltungsverfahrensrechtsverhältnisses, das nicht als Verwaltungsverfahren im Sinne des § 9 VwVfG gelten kann, bestimmend sind. Nach Häberle l12 handelt es sich hier um einen Sonderkontakt zwischen Verwaltung und Bürger, bei dem das Verwaltungshandeln aus dem Kreis aller Bürger einen individualisierend heraushebt und beide Seiten miteinander zu einem rechte- und pflichtenbegründenden Verhältnis verbindet, das durch eine intensive Interessenverknüpfung gekennzeichnet ist. Der intensivierte Kontakt zwischen Verwaltung und Bürger muß bereits eine rechtlich relevante Verdichtung des allgemeinen Verfahrensrechtsverhältnisses zur Folge haben 113. Treten Genehmigungsbehörde und Vorhabenträger in Vorverhandlungen über die Genehmigungsfahigkeit einer Anlage, so können die Partner regelmäßig voneinander Sorgfalt erwarten. Ohne diese Erwartung wäre weder eine wirtschaftliche Betätigung, noch eine effektive Verwaltungstätigkeit möglich, so daß das in den Partner gesetzte Vertrauen den Schutz der Rechtsordnung verdient. Daher kann es mittlerweile als allgemein anerkannt gelten, daß bereits vor Einleitung eines formellen Verfahrens gemäß § 22 VwVfG ein Verfahrensverhältnis im weiteren Sinne entstehen kann. bb) Vorhandene normative Grundlage Seit 1992 ist für einen zentralen Bereich der Vorverhandlungen vor einem imrnissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren gemäß §§ 2, 2a der 9. BlmSchVeine normative Grundlage vorhanden 114. Vorverhandlungen müssen jetzt von der behördlichen Beratungspflicht und dem Scoping-Verfahren umfaßt werden. Danach soll die Genehmigungsbehörde den Vorhabenträger im Hinblick auf die materielle Antragstellung beraten, sobald dieser die Behörde über das geplante Vorhaben unterrichtet. Das Verwaltungsverfahren schließt die Entscheidung zwar ein, das Ergebnis bildet aber nicht selbst den Schwerpunkt, sondern lediglich den Endpunkt des Verfahrens. Soweit durch die Vorverhandlungen eine Einigung über alle wesentlichen Fragen der Projektrealisierung erzielt wird und sich die Behörde hieran faktisch gebunden fühlt, könne die Verfahrenslagen in Vorverhandlungen als Verwaltungsverfahrensrechtsverhältnisse im weiteren 111 Vgl. Schmidt-AßmannISchoch, Bergwerkseigentum und Grundeigentum im Betriebsplanverfahren, S. 128 f. 112 Häberle, in: Die Verfassung des Pluralismus, S. 252 f., 254. 113 Bauer, VerwArch 78 (1987), 263f. 114 Siehe oben § 5 II.

§ 5 Vorverhandlungen bei der Anlagengenehmigung

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Sinne gelten. Die gesetzlichen Beteiligungsvorschriften des VwVfG müssen damit analog auf Vorverhandlungen angewendet werden. cc) Gewährleistung der Interessenberücksichtigung Zu den Funktionen des Genehmigungsverfahrens gehört ebenso der Schutz von Individualinteressen Dritter. Das Genehmigungsverfahren soll eine Möglichkeit der Beteiligung Dritter sichern, deren materielle Rechte durch den Gegenstand des Verfahrens berührt sein können. Diese Beteiligung Dritter am Genehmigungsverfahren hat in mehrfacher Hinsicht Bedeutung. Durch die Beteiligung am Genehmigungsverfahren ist der Bürger nicht mehr bloßes Objekt staatlichen Handeins, sondern wird zum mitwirkenden und mitgestaltenden Subjekt der behördlichen Entscheidung. Darüber hinaus dient die Beteiligung Dritter der Sachaufklärung, hilft divergierende Interessen frühzeitig zu erkennen und auszugleichen und kann die Legitimation und Akzeptanz einer Verwaltungsentscheidung erhöhen. Die Genehmigungsbehörde hat in einem solchen Verfahren einen Interessenausgleich zwischen dem Interesse des künftigen Anlagenbetreibers an einer Genehmigungserteilung und dem Interesse Dritter an einer Verhinderung des Projekts herbeizuführen l15 • Die negative Folge der zwischen Behörde und Vorhabenträger geführten Vorverhandlungen ist die, daß bei den Dritten der Eindruck erweckt wird, die Genehmigungsentscheidung sei bereits abgesprochen und daß daher Einwendungen im Rahmen des Genehmigungsverfahrens behördlicherseits nicht mehr geprüft würden. Tatsächlich wird wegen der faktischen Selbstbindung der Behörde eine spätere effektive Verfahrensbeteiligung Dritter nicht gewährleistet. Ein solches Mißtrauen gefährdet den Zweck des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens, das neben der Richtigkeit der behördlichen Entscheidung auch die Akzeptanz durch den Bürger sicherstellen soll 1 16. Aus diesem Grund wäre es sachfremd, die Verfahrensgrundsätze für Vorverhandlungen nicht gelten zu lassen. Die analoge Geltung der Beteiligungsvorschriften des VwVfG auf die Vorverhandlungen soll deshalb garantiert werden, weil sich nur so Umgehungsversuchen gegenüber dem VwVfG im Rahmen der Vorverhandlungen entgegentreten läßt 1 17. Die IIS Vgl. BVerwGE 60, 297 (303 f., 306) für das vergleichbare atomrechtliche Genehmigungsverfahren; BVerfGE 53, 30 (65). 116 Vgl. Feldhaus, BImSchR, § 10 BImSchG Rn. 20; Wachs, Das Recht auf Akteneinsicht, S. 118. 117 So Beyerlin, NJW 1987, 2718ff.; Bauer, VerwArch 78 (1987), 267; Bohne, Der informale Rechtsstaat, 1981, S. 150ff.; Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), 224; Kunig/Rublack, Jura 1990, 6.

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

Ergebnisse der Vorverhandlungen ohne Beteiligung Dritte sollen daher als willkürlich angesehen werden. dd) Zweckmäßigkeit Neben der Diskussion, ob es rechtlich nötig ist, Dritte an den Vorverhandlungen zu beteiligen, kann auch faktisch ein Interesse des Vorhabenträgers daran bestehen: wenn er mit seinen potentiellen Gegnern im Widerspruchs- bzw. Anfechtungsverfahren vorab eine Einigung erzielen kann, kann u. U. auch eine Akzeptanz der Genehmigung bei Dritten gefördert werden. Berücksichtigt man insbesondere, daß Drittbetroffene wegen des geringeren Prozeßkostenrisikos mit der Klage gegen den Betreiber nicht zurückhaltend sind 118, kann die Drittbeteiligung an den Vorverhandlungen für den Betreiber eher zweckmäßig sein. c) Kreis der Beteiligten bei Vorverhandlungen

Zum Zeitpunkt der Aufnahme von Vorverhandlungen ist ein Vorhaben in der Regel noch so wenig konkretisiert, daß es nicht möglich ist, den Kreis der Drittbetroffenen zu bestimmen 119• Bei einem immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren gilt dies insbesondere für die Zeit vor der Antragstellung, sofern die Auswirkungen und Folgen der Vorhabensverwirklichung noch unklar sind. Wegen der Schwierigkeit festzustellen, wessen schutzwürdige Interessen vom Ausgang des Genehmigungsverfahrens berührt werden, gibt es in der Literatur Meinungsverschiedenheit über die Bestimmung des Kreises der Beteiligten bei Vorverhandlungen 120 • Eine Beschränkung des Kreises der Beteiligte bei Vorverhandlungen könnte sich ergeben, wenn man den Beteiligtenbegriff für das Verwaltungsverfahren nach § 13 VwVfG für ausschlaggebend hielte. Nach dieser Regelung sind neben Antragsteller und Antragsgegner nur diejenigen Dritten verfahrens beteiligt, die von der Behörde zu dem Verfahren hingezogen werden. Die Hinziehung ist bei für den Dritten rechtsgestaltendem Ausgang des Verfahrens obligatorisch (§ 13 Abs. 2 Satz 2 VwVfG), steht bei der Berührung rechtlicher Interessen jedoch lediglich im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (§ 13 Abs. 2 Satz 1 VwVfG).

Vgl. Jarass, DVBl. 1985, 195. Vgl. Beckmann, UPR 1993, 425; Breuer, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band I, S. 243; Eberle, Die Verwaltung 17 (1984), 457ff.; Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, S. 153. 120 Vgl. Beyerlin, NJW 1987,2720. 118

119

§ 5 Vorverhandlungen bei der Anlagengenehmigung

111

Einer Bestimmung des Kreises der Beteiligten bei Vorverhandlungen steht jedoch zum einen entgegen, daß sich die speziellen verfahrensrechtlichen Regelung in den §§ 10 BImSchG, 8ff. der 9. BImSchV gelöst haben. § 10 Abs. 3 BImSchG gewährt ,jedermann" das Recht, Einwendungen zu erheben bzw. am Erörterungstermin teilzunehmen. Eine Betroffenheit in einem Recht oder in einem rechtlichen Interesse ist damit hier nicht notwendig l21 • Insofern wird das allgemeine gestufte Verfahrensmodell von der immissionsschutzrechtlichen Auswertung zur Jedermann-Beteiligung verdrängt. Darüber hinaus bestätigt § 2a der 9. BImSchV im Zuge der Umsetzung der UVP-Richtlinie der EG den gesetzlichen Trend zur Ausweitung der Drittbeteiligung. Ebenfalls nach § 4 UIG 122 besteht ohne Nachweis irgendeines spezifischen Interesses ein Anspruch Dritter auf freien Zugang zu Informationen über die Umwelt, die bei einer Behörde oder einem bestimmten Person des Privatrechts vorhanden sind 123. Angesichts dieser Fortentwicklung in der verfahrensbezogenen Einbeziehung von Drittbelangen im Umweltschutzrecht ist der Kreis der Beteiligten bei Vorverhandlungen nicht in Anlehnung an das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht einzuengen 124• Der immissionsschutzrechtlichen Wertung nach sollen die in ihren rechtlichen Interessen Berührten sowie die im späteren förmlichen Genehmigungsverfahren Einwendungsbefugten unter Dritten gefaßt werden. d) Ermessen bei der Entscheidung der Drittbeteilung

Die extensive Interpretation des Kreises der Beteiligten bei Vorverhandlungen darf jedoch nicht so verstanden werden, daß der Genehmigungsbehörde ihr Verfahrensermessen durch die Pflicht einer umfassenden Beteiligung Dritter an den Vorverhandlungen genommen wird. Die Genehmigungsbehörde muß dagegen im Hinblick auf den Zweck des Immissionsschutzrechts nach pflichtgemäßem Ermessen die Beteiligung Dritter an den Vorverhandlungen entscheiden 125. Die Grenzen des Ermessens ergeben sich aus der Funktion des Rechts auf Verfahrensteilhabe, das den Betroffenen die Möglichkeit geben soll, auf den Ausgang des Verfahrens und den Inhalt der abschließenden Genehmigungsentscheidung Einfluß zu nehmen. Je nach der Intensität der potentiellen Betroffenheit bieten sich Jarass, BlmSchG, § 10 Rn. 54. Umweltinformationsgesetz vom 8. 6. 1994 zur Umsetzung der EG-Richtlinie 90/313/ EWG des Rates vom 7. 6. 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt (BGBI. I S. 1490). 123 Hierzu insbes. Faber, OVBI. 1995, 722ff.; Schenberg, OVBI. 1994, 733ff. 124 Allerdings ist das UIG ein Fremdkörper im deutschen Umweltrecht. Es wird ansonsten versucht, ohne materielle Präklusionswirkungen die Anforderungen an Verfahrenspositionen zu erhöhen. 12S So Beyerlin, NJW 1987,2720. 121

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

differenzierte Gestaltungsmöglichkeiten der Beteiligung an. Die Intensität der Beteiligung hängt damit unmittelbar von der Natur und dem Gewicht der berührten Belange ab. So wäre beispielsweise für die Fälle der Dritten, für die die letztendlich ergehende Genehmigungsentscheidung rechtsgestaltende Wirkung hätte, eine Beteiligung (z. B. Beiladung, Anhörung, Akteneinsicht und Erörterung) an den Vorverhandlungen denkbar 126. In diesen Fälle muß die Behörde Dritten unmittelbar nach Abschluß der Vorverhandlungen über deren Ergebnis und die maßgeblichen Erwägungen mindestens informieren. Bei der Berührung von sonstigen rechtlichen Interessen und Belange ist nicht unbedingt das Institut der Beteiligung notwendig 127. e) Fazit

Als Fazit kann man so feststellen, daß Vorverhandlungen vor der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung in vielen Fälle zwar nicht Teil des Verwaltungsverfahrens sind, jedoch der anlogen Anwendung des VwVfG unterliegen. Ein Formalisierung der informellen Vorverhandlungen durch Vorverlagerung der Beteiligungsvorschriften des VwVfG erscheint aber wünschenswert. Vorverhandlungen ohne Beteiligung Dritter verstoßen nicht von vornherein gegen die verfahrensrechtliche Grundsätze, sind daher nicht ohne weiteres rechtswidrig 128 • Soweit die Beteiligung Dritter im förmlichen Genehmigungsverfahren formell und materiell ordnungsmäßig nachgeholt wird, wirken sie sich auf das Verfahrensergebnis nicht aus. Erst wenn Vorverhandlungen konkret die Rechte Dritter außer acht lassen und dies auch später durch die Einwendung Dritter im Genehmigungsverfahren nicht korrigiert wird und schließlich der Inhalt der Genehmigung die materiellen Genehmigungsvoraussetzungen § 6 BImSchG nicht erfüllt, ist dann der das Verfahren abschließende Genehmigungsbescheid rechtswidrig und auf Klage des Dritten gern. § 113 VwGO als seine Rechte verletzend aufhebbar 129 •

3. Konfliktmittler a) Konzept durch Konfliktmittler

Einen möglichen Ausweg aus den Drittschutzproblemen von Vorverhandlungen könnte das in den Vereinigten Staaten entwickelte Konzept 130 einer Auch Bohne, VerwArch 75 (1984), 352f. Holznagel, in: Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, S. 110. 128 Kritisch insbesondere Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 150ff. 129 Siehe hierzu unten § 5 VII. 130 Einen Überblick über die amerikanischen Verfahren geben im deutschen Schrifttum Holznagel, Die Verwaltung 22 (1989), 421 ff.; ders., DVBI. 1989, 1080ff. 126

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§ 5 Vorverhandlungen bei der Anlagengenehmigung

113

Konfliktlösung durch einen neutralen Konfliktmittler 131 bieten 132. Die Idee des Konfliktmittlers basiert auf dem Schiedsrichter, der im Verbraucherschutz- und im Arbeitskampfrecht eingesetzt wird, und ist im Zusammenhang mit schwierigen umweltrechtlichen Standortentscheidungen 133 seit den 70er Jahren entstanden. Bei diesen als Negotiation und Mediation bezeichneten Verfahren werden schon vor Antragstellung Aushandlungsprozesse zwischen Vertretern der Verwaltung, dem Vorhabenträger sowie von Repräsentanten aller vom Vorhaben berührten Interessen initiiert 134 • Der Steuerungsfaktor Verfahren könnte auch dabei in einer Weise eingesetzt werden, in der die Wahrscheinlichkeit für eine richtige Interessenabwägung und damit für eine Akzeptanz der Entscheidung steigt. Bei diesen mittlerunterstützten Aushandlungsprozessen kommt dem neutralen Konfliktmittler keine Befugnis zu, eine bindende Entscheidung zu fällen. Auf den Konfliktmittler ist vielmehr die Aufgabe zu übertragen, die gegenwärtig bestehenden Defizite bipolarer Vorverhandlungen zu kompensieren 135. Zum Beispiel ist es seine Aufgabe, die Kommunikation zwischen den Beteiligten zu erleichtern 136, für eine sachbezogene Argumentation zu sorgen, die Definition und Artikulation von Interessen zu unterstützen sowie bei der Entwicklung von Lösungsalternativen mitzuwirken 137. Es muß also betont werden, daß es nicht um die Übertragung behördlicher Entscheidungsbefugnisse auf einen Dritten (Lösung von staatlichen Strukturproblemen durch persönlich-individuelle Anstrengungen 138) geht, sondern um ein institutionelles Arrangement, das der Verwaltung ermöglichen soll, ihren Auftrag neutraler und besser informiert zu bewältigen. Für einen solchen Konfliktmittler müssen Unabhängigkeit vom Verwaltungsapparat und hervorragende Kenntnisse vorausgesetzt werden. Der Konfliktvermittler darf also kein Behördenbediensteter sein, um Distanz zu der 131

walt.

Als ähnliches Institution nennt Lübbe-Wolff, NuR 1989, 297, den Umweltan-

Vgl. Brohm. DVBI. 1990, 32lff.; Caspar. DVBI. 1995,992ff. Zur Rechtsprobleme bei der Verfahrensprivatisierung von Standortsauswahlverfahren im Abfallrecht Hoppe/Bleicher. NVwZ 1996,421 ff. 134 Holznagel. in: Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, S. 101 ff. 135 Kritisch gegenüber einer Einschaltung von Konfliktmittlern Brohm. DVBI. 1990.328; Steinberg. in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen. Band I, S. 295. 136 Schneider. VerwArch 87 (1996), 45. 137 Allerdings kann der Konfliktmittler je nach Typus der Streitigkeiten eine mehr passive oder mehr aktive Rolle übernehmen. Der passive Mittler, der auch Verfahrensmittler genannt wird, ist ausschließlich mit verfahrensbezogenen Aufgaben betraut. Demgegenüber übernimmt der aktive Mittler zusätzlich eine inhaltliche Verantwortung für das Verhandlungsergebnis. Dazu näher vgl. Benz. Kooperative Verwaltung, S. 328f. 138 Schulze-Fielitz. in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band 11. S. 76. 132

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2. Teil: VerwaltungshandeIn bei Anlagengenehmigung

eigeninteressierten Verwaltung zu wahren 139. Er muß gute Fachkenntnis über den Sachbereich und Kenntnis der verwaltungsinternen Zuständigkeiten, Verfahren und Ablaufprobleme haben l40 . b) Bewertung

Trotz dieser Vorteile von mittlerunterstützten Aushandlungsprozessen ergibt sich eine Reihe von tatsächlichen und rechtlichen Probleme bei Erprobung dieser Konzeption. . Kritiker des Konfliktmittlerkonzepts bezweifeln die Neutralität des Konfliktmittlers 141 • Da der Konfliktmittler sachverständig sein muß, werden oft positive oder negative Beziehungen zu einzelnen Teilnehmern bestehen. Ferner unterliegt der Mittler dadurch der Gefahr, daß er anstelle der komprornißfähigsten eine seines Erachtens beste Lösung fördert. Er kann auch ein Interesse an möglichst schnellen, aber weniger interessengerechten und stabilen Lösungen besitzen. Weiter wird dem Konzept vorgeworfen, daß es bei ungleicher Verhandlungsmacht die Illusion gleichberechtigter Teilnahme fördere und im Ergebnis der einseitigen Interessendurchsetzung unberechtigte Legitimität verschaffe. Anders als in den USA hat sich darüber hinaus in Deutschland bislang weder ein einheitlicher Berufszweig von Konfliktmittler noch ein spezielles Qualifizierungsprofil oder -verfahren herausgebildet. Unabhängig von diesen mehr tatsächlichen Bedenken drängen sich noch andere rechtsstaatliche Erwägungen gegen solche Konfliktmittlungsversuche auf. Diese stützen sich insbesondere auf die Zulässigkeit des Instituts der Konfliktmittlung. Eine bruchlose Übertragung des amerikanischen Instituts der Konfliktmittlung in das deutsche System ist trotz der in den USA zu verzeichnenden Erfolge nicht realisierbar. Denn die Prämissen des bundesrepublikanischen und des amerikanischen Verwaltungsverfahrensrechts sind hierfür zu unterschiedlich. Im gegenwärtigen Experimentierstadium ist auch noch unklar, welchen rechtlichen Status Konfliktmittler einnehmen sollen.

V. Verfassungsrechtliche Grenzen der Vorverhandlungen Im Immissionsschutzrecht gibt es kein ausdrückliches Verbot der Vorverhandlungen. Vorverhandlungen dürfen aber nicht unbegrenzt zulässig sein, sondern müssen bestimmten Mindestanforderungen genügen. Vorverhandlungen müssen in einem verfassungsrechtlichen Kontext stehen, der ihrer 139 140 141

Koslka. Die Verwaltung 26 (1993), 105 Vgl. Lübbe-Wolff, NuR 1989,297. Dazu ausführlich Holznagel. Konfliktlösung durch Verhandlungen, S. 281 f.

§ 5 Vorverhandlungen bei der Anlagengenehmigung

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extensiven Interpretation und damit ihrem Anwendungsbereich Grenzen setzt l42 . Sie müssen zuerst unter dem Gesichtspunkt des Rechtsstaatsprinzips stark begrenzt werden. Denn das Genehmigungsverfahren ist in Existenz und Ausgestaltung eine Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips für die Art und Weise der Verwaltungsentscheidung l43 • Ein elementares verfassungsrechtliches Prinzip, das durch das Verwaltungsverfahren gewährleistet werden soll, ist der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung 144. Dieser Grundsatz entspringt dem Prinzip des Vorrangs des Gesetzes aus Art. 20 m GO. Die Verwaltung ist demnach gehalten, beim Gesetzesvollzug den Willen des Gesetzgebers in die Realität umzusetzen. Sie darf eigentlich nicht im Widerspruch zu den gesetzlichen Vorgaben stehen. Gebietet ein Gesetz eine bestimmte Maßnahme, so ist die Verwaltung zu deren Durchführung verpflichtet. Erlegt ein Gesetz der Verwaltungsentscheidung bestimmte Grenzen auf, so hat sich die Verwaltung hieran zu halten. 1. Einhaltung der materiellen Gesetzesziele

Projiziert man den Grundsatz der Vorrangs der Gesetzes auf die Ebene des Genehmigungsverfahrensrechts im Immissionsschutzrecht, so ist zunächst festzuhalten, daß das geregelte Genehmigungsverfahren als bindende Vorgabe zur Umsetzung der materiellen Gesetzesziele durch die Verwaltung fungiert. So erfaßt beispielsweise der materielle Schutzzweck der BImSchG in den§§ 1, 3 und 5 gesundheitliche Position von Allgemeinheit und Nachbarschaft. Über die Erfassung dieser Belange durch das Institut der Öffentlichkeitsbeteiligung (§ 10 BImSchG) korrespondiert die gesetzliche Verfahrensgestaltung wiederum mit der materiell-rechtlichen Zweckbestimmung. Im Genehmigungsverfahren dürfen daher die materielle Gesetzesziele durch Vorverhandlungen nicht unterlaufen werden 145. Die Vorverhandlungen im Vorfeld des Genehmigungsverfahrens dürfen nicht zu einem Konsens führen, der in einem anschließenden Genehmigungsbescheid zu einem rechtswidrigen Zustand führen würde. Eine Gefahr für die Einhaltung mate142 Nach der Fachglas-Entscheidung des BVerwG ist zu fordern, daß die Vorverhandlungen der Behörde sachlich gerechtfertigt, unter Wahrung der planungsrechtlichen Zuständigkeitsordnung getroffen und hinsichtlich einer gerechten Abwägung bei der Vorentscheidung nicht zu beanstanden ist, vgl. BVerwGE 45,300 (321). 143 Vgl. Ossenbühl, NVwZ 1982,465; Schoch, Die Verwaltung 25 (1992), 25ff. 144 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: HbStR, Band III, § 70 Anm. 14 m. w.N. 145 Zu diesbezüglichen Bedenken siehe Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 68 f.; ders., VerwArch 75 (1984), 351; Eberle, Die Verwaltung 17 (1984), 454; Hoffma.nnRiem, VVDStRL 40 (1982), 204 ff.



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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

rieller Gesetzesziele kann wirksam nur ausgeschlossen werden, wenn die Behörde bereits bei der Vorverhandlungen unbedingt auf die Einhaltung der materiellen Genehmigungsvoraussetzungen besteht. Sie darf keine Zugeständnisse machen, die gegen materielle Gesetzesziele verstoßen 146 • In diesem Sinne muß der Spielraum für Vorverhandlungen inhaltlich streng beschränkt werden. Rechtmäßige Vorverhandlungen können nur das zum Inhalt haben, was Gegenstand eines rechtmäßigen Genehmigungsbescheids werden kann. 2. Gebot der Vedahrenstransparenz Zu den grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an das Handeln des Staates zählt das Gebot der Transparenz 147. Diese Ausprägung des Rechtsstaatsprinzip, die von der Rechtsprechung und der Literatur auch unten den Begriff der Rechtssicherheit gefaßt wird 148 , verlangt von der Verwaltung eine Ausgestaltung des Verwaltungs verfahrens in der Weise, daß den Betroffenen die konkrete Verwaltungsentscheidung nach der objektiv zugrundeliegenden Rechtslage einsehbar und vorhersehbar ist. Die rechtsstaatliche Einforderung transparenten Verwaltungshandelns erfüllt damit die Aufgabe, einen Gesetzesvollzug zu verhindern, der anonym und damit für die von der Entscheidung potentiell betroffenen Bürger unkontrollierbar ist 149 • Das Gebot der Verfahrenstransparenz gilt auch für Vorverhandlungen. Demgemäß sind über Vorverhandlungen Aktenvermerke zu fertigen, soweit sie für die abschließende Entscheidung Bedeutung haben. Aber in der Praxis der Verwaltung werden Vorverhandlungen nicht schriftlich, sondern in der Regel mündlich festgehalten. Diese stellen Dritte vor die mißliche Lage, daß sie selbst bei Gewährung der Akteneinsicht keinen umfassenden Einblick in den Stand des Verfahrens sowie dessen Gegenstand bekommen. Die in der Praxis verbreitende Vorverhandlungen sind damit rechtlich sehr bedenklich.

Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, S. Schmidt-Aßmann, in: HbStR. Band III, § 70 Anm. 14; (1983), 165. 148 Vgl. BVerfGE 45, 187 (246); 49, 148 (164); Hill, Das und seine Folgen im Verwaltungsrecht, S. 204. 149 Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht. 146

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150. Wahl, VVDStRL 41 fehlerhafte Verfahren S. 131 f.

§ 5 Vorverhandlungen bei der Anlagengenehrnigung

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3. Gebot des fairen Verwaltungsverfahrens

Das Rechtsstaatsprinzip verlangt auch die Gewährleistung eines fairen Verwaltungsverfahrens l50 • Eine klare Vorstellung davon, welche Aspekte den Kern eines rechtsstaatlichen fairen Verwaltungsverfahrens ausmachen, ist in der Rechtswissenschaft bislang nicht erkennbar. Allerdings wird zur konkreteren Begründung dieser Verfahrensmaxime neben dem Rechtsstaatsprinzip auf den Gedanken der Verfahrensgerechtigkeit oder den Gleichheitssatz aus Art. 3 I GG zurückgegriffen l5l • Der Gleichheitssatz des Art. 3 I GG verlangt aber nicht eine formal gleiche Beteiligung aller Betroffenen am Verfahren. Vielmehr verbietet er eine Ungleichheit der Ermittlung und Berücksichtigung entscheidungserheblicher Belange im Verfahren l52 • Die gleichheitsgewährende Komponente der behördlichen Entscheidungsfindung erfordert dementsprechend eine pluralistische Vornahme der Verfahrenshandlungen, die ein sachlich ungerechtfertigtes Sonderverfahren für den Einzelfall ausschließt. Dieses Gebot bezieht sich nicht auf ein bestimmtes Stadium des Genehmigungsverfahrens, sondern gilt als ein die gesamte Rechtsbeziehung umspannender Grundsatz, also auch in Vorverhandlungen. Bipolare Vorverhandlungen im Vorfeld des Genehmigungsverfahrens bergen schon wegen ihres zweiseitigen Charakters die Gefahr, daß die Behörde vornehmlich die Interessen des Vorhabenträgers berücksichtigt. Neben der hierdurch drohenden Vernachlässigung der Einstellung sonstiger entscheidungsrelevanter Belange erscheint ferner die einseitige Annäherung der Behörde an den Vorhabenträger gegen das Gebot des fairen Verwaltungsverfahrens bzw. der verfahrensrechtlichen Chancengleichheit sehr bedenklich. Die Behörde kann zwar ohne gleichzeitige Drittbeteiligung mit einem Vorhabenträger kooperieren, nicht jedoch über den Kopf der Dritten hinweg l53 . Sonst besteht die Gefahr einer Selektivität der Interessenberücksichtigung l54 , die einer Vereinbarung zu Lasten Dritter gleichkäme und damit die Gewährleistung eines fairen Verwaltungsverfahrens verletzen würde l55 • ISO Vgl. BVerwGE 55, 355 (360); 70, 143 (144f.); 75, 214 (230f.); Maurer, Allg. VerwR, § 19 Rn. 9. ISI Hili, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, S. 309f.; Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, S. 166ff. IS2 Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, S. 72. IS3 Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, S. 96. 154 Hojfmann-Riem, Konfliktmittler in Verwaltungsverhandlungen, S. 12; ders., DVBI. 1994, 1387f.; ders., VVDStRL 40 (1982), 206f, 209f. ISS ZU dieser Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips BVerfGE 52, 380 (390); BVerwGE 55, 355 (360); 70, 143 (151); Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, S. 521 ff.

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

4. Verfahrensverantwortung der Behörde Die rechtsstaatliche Grenze von Vorverhandlungen ergibt sich auch aus der Verfahrens verantwortung der Behörde. Die Letztverantwortlichkeit der Behörde für ihre Entscheidung wird nicht durch die Vorverhandlungen selbst in Frage gestellt 156 • Die Behörde muß weiter die Herrschaft über das Verwaltungsverfahren besitzen, was aus der Rechtsordnung als Kompetenzund Entscheidungsordnung sowie aus rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätzen folgt 157. Wenn die Behörde bei der Vorverhandlungen dem Individualinteresse des Vorhabenträgers mehr als dem Gemeinwohlinteresse Rechnung trägt oder den Vorverhandlungsergebnisse in den anschließenden Genehmigungsbescheid bloß übernimmt, setzt sie sich dem Vorwurf der Verantwortungslosigkeit und damit der Preisgabe der demokratischen Legitimation aus. 5. Verhältnismäßigkeitsprinzip Nach dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 158 besagt, daß der Beteiligte an einem Verwaltungsverfahren weder durch das Verfahren selbst noch durch die abschließende Verwaltungsentscheidung mehr belastet werden darf, als es erforderlich und zumutbar ist (Übermaßverbot). Die Verwaltung ist damit verpflichtet, zwischen verschiedenen Verfahrens- und Entscheidungsalternativen diejenige zu wählen, die den für den Betroffenen schonendsten Eingriff erwarten läßt. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip eröffnet daher einerseits Spielraum für Vorverhandlungen, setzt jedoch andererseits Grenzen. Diese müssen immer am Ziel des Verwaltungsverfahrens orientiert bleiben. Ein generelles Gebot, vor einer Anwendung immissionsschutzrechtlicher Genehmigung die Erzielung eines Konsenses durch Vorverhandlungen zu suchen, kann damit nur auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip gestützt werden, wenn dieses Vorgehen grundSätzlich zu einer besseren Zielverwirklichung führen würde und stets das mildere Mittel gegenüber formalem Handeln darstellte l59 .

I~ Zur Letztentscheidungsverantwortung der Verwaltung Hoffmann-Riem, Konfliktmittler in Verwaltungsverhandlungen, S. 57 ff.; Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, S. 212ff.; Schneider, VerwArch 87 (1996), 54f. 1~7 Vgl. Kunig/Rublack, Jura 1990,8. I~B BVerfGE 19,342 (349); 75, I (16). 1~9 Kunig, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band I, S. 64; Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, S. 200.

§ 5 Vorverhandlungen bei der Anlagengenehmigung

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VI. Durchführung der verfahrensrechtlichen Grundsätze im Genehmigungsverfahren Trotz der Darstellung der Voraussetzungen der rechtmäßigen Vorverhandlungen ist die Frage, wie sich die Rechte der Dritten vor den Gefahren der Vorverhandlungen - insbesondere die faktische Bindungswirkung - wirksam schützen lassen, nicht genug beantwortet. Nimmt man aber an, daß Vorverhandlungen keine die Genehmigung ersetzende Absprache, sondern nur eine Vorbereitungsabsprache im Vorfeld des Genehmigungsverfahrens sind, gibt es die Möglichkeit, rechtswidrige Vorverhandlungen im späterem Zeitpunkt des Genehmigungsverfahrens zu heilen. Soweit Vorverhandlungen später im förmlichen Genehmigungsverfahren durch verfahrensrechtliche Grundsätze formell und materiell ordnungsmäßig nachgeholt werden, wirken Vorverhandlungen sich auf das Verfahrensergebnis nicht aus. Als Beurteilungskriterium für die Rechtmäßigkeit der Anlagengenehmigung kommt im Hinblick auf das Genehmigungsverfahren der abschließende Genehmigungsbescheid in Betracht. Im folgenden sollen die verfahrensrechtlichen Grundsätze des Genehmigungsverfahrens und Grundrechtsschutz durch Verfahren im Hinblick auf wirksamen Schutz Dritter erarbeitet werden, die geeignet sind, einen Rahmen für die Zulässigkeit der Vorverhandlungen abzustecken. 1. Richtige Genehmigungsentscheidung durch Verfahren

Sofern das BImSchG die Anlagengenehmigung an bestimmte Formen bindet, darf die Behörde diese nicht durch formlose Vorverhandlungen unterlaufen. Es muß unbedingt gewährleistet werden, das formelle Genehmigungsverfahren rechtlich korrekt durchgeführt wird l60 • Das Genehmigungsverfahren nach dem BImSchG hat dabei zwei Funktionen. Erstens muß das Genehmigungsverfahren eine ausreichende Sachverhaltsermittlung gewährleisten, die Entscheidungsfindung berechenbar und kontrollierbar machen. Zweitens muß das Genehmigungsverfahren eine angemessene Interessenberücksichtigung geWährleisten und damit zur Legitimation des Verfahrensergebnisses beitragen l61 . All diese Funktionen dienen dem gemeinsamen Ziel der richtigen Genehmigungsentscheidung l62 • Der Begriff der Richtigkeit der Genehmigungsentscheidung muß hier in der Weise ver\60 Auch Lange, VerwArch 82 (1991), 16; ders., in: Instrumente und Formen staatlichen HandeIns, S. 185; \6\ Vgl. Hili, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, S. 201 ff. \62 Beyerlin. NJW 1987, 2715; Kunig, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band I, S. 50.

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

standen werden, daß während der behördlichen Entscheidungsfindung die materiell-rechtliche Wertentscheidung des Gesetzgebers respektiert wird. Es soll die Einhaltung der materiellen Voraussetzungen einer Anlagengenehmigung gewährleisten 163 . Das materielle Recht verwirklicht sich somit in dem und durch das Verfahren, weshalb ihm mehr als nur dienende Funktion für die Sachentscheidung zugesprochen werden kann l64 • Der Einhaltung der grundlegenden Funktionen des Genehmigungsverfahrens muß demzufolge für die Gewährleistung gesetzmäßigen Verwaltungshandelns besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Sie dürfen durch Vorverhandlungen nicht gefährdet werden. a) Verfahren als Garantie ausreichender Sachverhaltsermittlung

Für den Gesetzesvollzug kommt dem Verfahren eine materiell vorgeprägte Garantiefunktion für das Zustandekommen einer ausreichenden Sachverhaltsermittlung zu. Die Genehmigungsbehörde hat die Pflicht, den Sachverhalt gewissenhaft und so umfassend wie möglich aufzuklären, weil nur auf diese Weise eine die immissionsschutzrechtliche Wertung beachtende Entscheidung gefällt werden kann 165 • Diese Verpflichtung zur Ermittlung aller für die Genehrnigungsentscheidung erheblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen begründet den in § 24 VwVfG normierten Untersuchungsgrundsatz l66 • Danach ist die Behörde gehindert, die vom Antragsteller unterbreitete Darstellung und Beurteilung der Sachlage ungeprüft ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Als Element gesetzmäßigen Verwaltungshandelns ist der Untersuchungsgrundsatz daher ebenfalls als Beurteilungskriterium der Vorverhandlungen heranzuziehen 167 • Auf der Ebene der Sachverhaltsermittlung bewirkt die Aufwertung des Genehmigungsverfahrens zum eigenständigen Medium zur Verwirklichung materiellen Rechts, daß dem frühzeitigen Stadium der Informationsbeschaffung besondere Beachtung geschenkt wird. Die Informationsbeschaffung im Genehmigungsverfahren hat besondere Bedeutung, weil die Genehmigungsbehörde häufig vor komplexen Entscheidungssituationen steht. Bei der Informationsbeschaffung muß die Behörde nicht nur mit dem Antragsteller, 163 Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rdnr. 59; ferner auch Eberle, Die Verwaltung 17 (1984), 450; Pietzcker, VVDStRL 41 (1983), 193ff.; Wahl, VVDStRL 41 (1983), 153 ff. 164 Tomerius, Informelle Projektabsprachen im Umweltrecht, S. 43 m. w. N. 165 Eberle, Die Verwaltung 17 (1984), 453. 166 Die Behörde kann gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 VwVfG Art und Umfang der Ermittlung selbst bestimmen, vgl. Kopp, VwVfG, § 24 Rn. 6; Meyer/Borgs, VwVfG, § 24 Rn. 2. 167 Vgl. Kunig, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band I, S. 52.

§ 5 Vorverhandlungen bei der Anlagengenehmigung

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sondern auch mit dem Dritten zusammenarbeiten. Die Beteiligung Dritter an dem Genehmigungsverfahren ist damit für die Infonnationsbeschaffung von großen Bedeutung. Diese Infonnationsbeschaffung dient hier der Rationalisierung der Genehmigungsentscheidung. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Genehmigungsentscheidung. Alle zu diesem Zeitpunkt in Betracht kommende Infonnationen müssen in der Genehmigungsentscheidung ihrem Gewicht entsprechend berücksichtigt werden 168 • So kann dem Untersuchungsgrundsatz nicht durch eine umfassende Sachverhaltsermittlung bereits in Vorverhandlungen genügt werden, vielmehr muß die Genehmigungsentscheidung bis zur Entscheidungsreife für neue Erkenntnisse offengehalten werden 169, und notwendige Ermittlung dürfen nicht durch Vorverhandlungen zwischen Behörde und Vorhabenträger ersetzt werden. In diesem Zusammenhang soll die faktische Bindungswirkung der Vorverhandlungen also in der Ungewißheit der Zukunft ihre Schranken finden. Die Genehmigungsbehörde in Vorverhandlungen darf sich auf die entscheidende Frage im Genehmigungsverfahren (z. B. Emissions- und Immissionswerte oder schädliche Umwelteinwirkungen u.s.w.) nicht beziehen, weil diese inhaltliche Prüfung nur im fönnlichen Genehmigungsverfahren stattfinden darf. Darüber hinaus dürfen Vorverhandlungen in keinem Fall dazu führen, daß bekannte Tatsachen nicht in die Genehmigungsentscheidung übernommen werden oder eine geboten erscheinende Ermittlung unterlassen wird, um Konflikte zu venneiden 17o. Insoweit kann die Behörde in Vorverhandlungen mit dem Vorhabenträger möglicherweise über die Fragen der Verfahrensart, des Verfahrensablaufs oder des Gutachtens abstimmen. Die Nichtbeachtung dieses Grundsatzes würde zu einem Verstoß gegen § 24 VwVfG führen. b) Verfahren als Garantie des Individualinteresses

Zu den Aufgaben des Genehmigungsverfahrens gehört ebenso die Garantie von Individualinteressen, die auf der fonnell vorgegebenen Rationalität der Entscheidung und der Vollständigkeit der Entscheidungsgrundlage basiert 171 • Demzufolge hat die Genehmigungsbehörde bei der Ausführung der Spielräume darauf zu achten, daß jedenfalls alle Betroffenen ihre Belange in den Entscheidungsprozeß einbringen können müssen, die nach der materiell-rechtlichen Wertung vom Schutzzweck des Gesetzes erfaßt Von Wedemeyer, Kooperationen beim Vollzug des Umweltrechts, S. 210. Vgl. Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen, S. 128. 170 Hierzu Eberle, Die Verwaltung 17 (1984), 454f. 171 Hili, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, S. 201. 168

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werden. Im Genehmigungsverfahren muß die Behörde einerseits auf die Individualinteressen des Vorhabenträgers als auch auf die Rechte Dritter Rücksicht nehmen l72 und andererseits ihrer Verantwortung für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben gerecht werden. Ronellenjitsch 173 urteilt, daß der immissionsschutzrechtliche Erörterungstennin nicht nur dazu diene, "den Einwendern rechtliches Gehör zu gewähren, sondern ... dazu beitragen soll, Mißverständnisse auszuräumen und Akzeptanz zu schaffen". Im Genehmigungsverfahren ist insbesondere dafür zu sorgen, daß in seinem Rahmen Beteiligungsmöglichkeiten Dritter gewährleistet werden können. Das Recht auf Verfahrensbeteiligung Dritter darf durch die Bindung an eine Einigung, die im Rahmen von Vorverhandlungen erzielt wurde, nicht verkürzt werden. Gleiches gilt selbstverständlich für Einwendungen Dritter, die nach Abschluß der Vorverhandlungen gegen ein Vorhaben vorgebracht werden. Begründete Einwendungen müssen unbedingt in der abschließenden Genehmigungsentscheidung berücksichtigt werden, auch wenn dadurch der schon gefunden Konsens wieder in Frage gestellt werden sollte. Wesentlich ist dabei die Bereitschaft der Behörde, Einwendungen in den Entscheidungsfindungsprozeß aufzunehmen und damit der Verfahrensposition des Einwenders Rechnung zu tragen. Die Nichtbeachtung dieses Grundsatz führt auch zu einem Verstoß gegen die Beteiligungsvorschriften und zu einem Verfahrensfehler.

2. Grundrechtsschutz durch Verfahren Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit den Verfahrensvorschriften nur eine untergeordnete Bedeutung attestiert. So hat die Rechtsprechung des BVenvG 174 die Verfahrensvorschriften, die eine Beteiligung Dritter am Verwaltungsverfahren vorsahen, vornehmlich als Instrument zur Unterrichtung der Behörde gesehen. Die Öffentlichkeitsbeteiligung diene nur der Ordnung des Verfahrens und solle der Behörde die Möglichkeit zur Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte eröffnen. Schutzfunktion zugunsten Dritter komme hingegen grundsätzlich nur den Vorschriften des materiellen Rechts zu. Deshalb wurde den Dritten kein eigener Rechtsanspruch auf Einhaltung der Verfahrensvorschriften eingeräumt 175 • 172 Vgl. Pitschas. Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, S. 507ff.; Schmidt-Aßmann. DÖV 1990, 177; ders .• in: Reform des Allgemeinen Verwaltungs-

rechts, S. 30.

173 Ronellenfitsch. Beschleunigung und Vereinfachung der Anlagenzulassungsverfahren, S. 57. 174 Vgl. BVerwGE 26, 302 (303); 41, 58 (63ff.); 44, 235 (239ff.). 175 Vgl. BVerwGE 28, 131 (132f.).

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Diese alte Beurteilung über die Verfahrensvorschriften ist seit dem Mülheim-Kärlich-Beschluß des BVerfG 176 vom 20. 12. 1979 überholt. Das BVerfG hatte in diesem Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluß des OVG Koblenz 177 den Verfahrensvorschriften über die Beteiligung Dritter eine grundrechtsschützende Wirkung im Hinblick auf das Atomgesetz zuerkannt 178 • Der Mülheim-Kärlich-Beschluß des BVerfG leitete aus dem objektivrechtlichen Gehalt des Art. 2 Abs. 2 GG die Pflicht der staatlichen Organe her, sich schützend vor die dort genannten Rechtsgüter zu stellen und sie vor rechtswidrigen Eingriffen von seiten anderer zu bewahren 179. Eine so verstandene Schutzpflicht werde nicht nur durch den Erlaß materiell-rechtlicher Vorschriften, sondern gerade auch durch die Gestaltung von Verfahren erfüllt. Soweit es für einen effektiven Grundrechtsschutz von Bedeutung sei, beeinflußten die Grundrechte ebenso das Verfahrensrecht. Daraus ergebe sich für das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, daß bei einem Verstoß der Behörde gegen Verfahrensvorschriften immer dann eine Grundrechtsverletzung in Betracht komme, wenn es sich bei der verletzten Vorschrift um eine zum Schutz der in Art. 2 Abs. 2 GG genannten Rechtsgüter erlassene Vorschrift handele 180. Die Gerichte dürften daher keinesfalls bei der Überprüfung von atomrechtlichen Genehmigungsbescheiden ohne weiteres davon ausgehen, daß ein klagebefugter Dritter zur Geltendmachung von Verfahrens verstößen in der Regel nicht befugt sei. Weitgehend fordern die Richter Simon und Heußler eine Verfahrensgestaltung, die auf einen bestmöglichen Grundrechtsschutz hin wirkt: Gerade im Umweltschutzrecht habe das Verfahren über die Herbeiführung einer gesetzmäßigen, richtigen und gerechten Entscheidung hinaus die Aufgabe, nicht nur den Bedürfnissen der Verwaltung entsprechend einen möglichst reibungslosen Ablauf des Vorhabens sicherzustellen; vielmehr entspreche das Gespräch zwischen Verwaltung und Bürger dem grundgesetzlichen Verständnis der Stellung des Bürgers zum Staat 181 • Vor allem im Bereich schwacher materiell-rechtlicher Programmierung, gekennzeichnet durch ausfüllungsbedürftige Nonnbegriffe und Generalklauseln, müsse ein fonnalisiertes, gerichtlich kontrollierbares Verfahren gewährleisten, daß die wesentlichen Entscheidungsfaktoren geprüft und materiell vorgegebenen Ziele wirklich erreicht werden 182 • BVerfGE 53, 30. OVG Koblenz, DVBI. 1977, 730ff. 178 Das BVerfG hat schon die Verfahrensrelevanz der Grundrechte in mehreren Entscheidungen, beispielsweise auf den Gebieten der Studiumszulassung (BVerfGE 39,276, 294) oder der Enteignung (BVerfGE 45,297,333) zuerkannt. 179 BVerfGE 53, 30 (57). ISO BVerfGE 53, 30 (65 f.). 181 BVerfGE 53, 30 (74f.). 176

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Die Rechtsprechung des BVerfG darf jedoch nicht so verstanden werden, daß jede Verletzung von Verfahrensvorschriften, die der Gesetzgeber in Erfüllung seiner Schutzpflicht erlassen hat, zu einem Grundrechtsverstoß führt. Denn der Gesetzgeber verfügt für die Erfüllung der Schutzpflicht über einen Gestaltungsspielraum; er bestimmt Art und Umfang des Schutzes l83 • Ein Verstoß gegen diese Vorschrift ist damit ein Gesetzesverstoß, aber nicht notwendig zugleich auch eine Grundrechtsverletzung l84 . Ein Grundrechtsverstoß ist ein Verfahrensfehler dann, wenn er das grundrechtlieh unmittelbar gebotene Minimum verletzt, das den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers begrenzt l8s • Zum grundrechtlieh unmittelbar gebotenen Minimum zählt das BVerfG zumindest die Beteiligung Betroffener an den ihre Grundrechte gestaltenden Genehmigungsverfahren 186. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die Rechtsprechung des BVerfG dem Einfluß grundrechtlicher Garantien auf die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens eine zunehmende Bedeutung beigemessen hat l8'. Zu dem von den Grundrechten gebotenen Minimum an Verfahrensgarantie gehören alle Verfahrensvorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung (§ 10 BImSehG; §§ Sff. der 9. BImSchV) im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren. Werden diese Vorschriften durch z. B. Vorverhandlungen mißachtet, so liegt in dem Verfahrensfehler zugleich ein Grundrechtsverstoß.

VII. Möglichkeit des verwaltungsgerichtlichen Drittschutzes bei Erteilung der Genehmigung im Hinblick auf Vorverhandlungen 1. Problemstellung

Dem berechtigten Bedürfnis des Bürgers nach Schutz vor umweltgefährdenden Aktivitäten im Immissionsschutzrecht trägt der Staat durch die Bereitstellung von Verfahren Rechnung, die den Bürger auf zweifache Weise schützen: Zum einen kann der Bürger durch seine Beteiligung am BVerfGE 53, 30 (75). BVerfGE 88, 203 (254). 184 Siehe hierzu Cloosters. Rechtsschutz Dritter gegen Verfahrensfehler, S. 105; Grimm. NVwZ 1985,869. 18S Dolde. NVwZ 1982, 70; Goerlich. DÖV 1982, 634; Grimm. NVwZ 1985, 869. 186 BVerfGE 53, 30 (66). 187 Häberle, VVDStRL 30 (1972), 51 f., 86ff., betont auch die Bedeutung des Verfahrensgedankens für die reale Verwirklichung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechte. 182 183

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Genehmigungsverfahren schon auf den Prozeß der behördlichen Entscheidungsfindung aktiv einwirken (ex ante-KontroIle); zum anderen kann er die behördliche Entscheidung über die Zulassung eines Vorhabens nachträglich durch ein Verwaltungsgericht überprüfen lassen (ex post-Kontrolle)188. Dieser Schnittpunkt, an dem sich die Rechtsschutzfunktionen von Verwaltungsverfahren und Rechtsprechung treffen, wird von dem Begriff der "Effektivität oder Wirksamkeit eines ausgewogenen Rechtsschutzes" umfaßt l89 . Die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens hat hier neben dem eigenen Auftrag der richtigen Entscheidung seine Rolle zur Kompensierung von Defiziten (erste Instanz l90), die in einem späteren gerichtlichen Prozeß zu erwarten wären l91 . In der Rechtswirklichkeit zeigen sich jedoch öfter gravierende Rechtsschutzdefizite im Verwaltungsverfahren. Wie oben bereits dargestellt, wird nicht selten dem Dritten die Wahrnehmung seiner Rechte im Genehmigungsverfahren durch bestimmte, von ihm nicht beherrschbare Vorgänge oder Umstände im Vorfeld des Genehmigungsverfahrens erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Im folgenden wird ein Ausschnitt der Problematik ins Auge gefaßt, inwieweit eine aussichtsreiche Möglichkeit verbleibt, die behördliche Entscheidungsfindung auf die Einhaltung drittschützender Verfahrenspositionen gerichtlich kontrollieren zu lassen. Die Frage nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeit Dritter ist wegen der in der VwGO zum Teil unterschiedlich ausgestalteten Voraussetzungen der einzelnen Klagearten ebenfalls zu prüfen. Dabei ist zunächst nach dem Zeitpunkt zu unterscheiden, ob der Drittschutz sich in erster Linie gegen die Auswirkung der informellen Vorverhandlungen vor Erteilung einer Anlagengenehmigung selbst oder in erster Linie gegen ihre Umsetzung in eine Anlagengenehmigung richtet. 2. Gerichtlicher Drittschutz vor Erteilung der Genehmigung a) Gerichtliche Drittschutzdejizite gegen Vorverhandlungen

Neben der Gefährdung des rechtsstaatlichen Auftrags erschweren Vorverhandlungen eine spätere Kontrolle durch das Verwaltungsgericht l92 . Es sind Beyerlin, NJW 1987,2713. Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, S. 149; Schmidt-Aßmann, NVwZ 1983, 4 f. 190 Ritter, StWissStPrax 1990, 50f. 191 Schoch, Die Verwaltung 25 (1992), 27ff.; Wahl, VVDStRL 41 (1983), 158f. 192 Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), 212. 188 189

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bisher keinerlei Gerichtsurteile bekanntgeworden, in denen Vorverhandlungen in irgendeiner Weise beanstandet worden wären. Diese Fehlanzeige gerichtlicher Urteile gegen rechtswidrige Vorverhandlungen ist diesbezüglich weniger ein Beweis rechtlicher Unbedenklichkeit 193 als vielmehr eine Bestätigung verwaltungsgerichtlicher Kontrollproblematik vor dem Hintergrund mangelnder Beweismöglichkeiten. Vorverhandlungen im Vorfeld des Genehmigungsverfahren spielen sich weitgehend ohne schriftliche Protokollierung des Verhandlungsablaufs ab. Aber je sorgfaltiger der Ablauf der behördlichen Entscheidungsfindung aktenkundig dokumentiert ist, um so mehr wird das Verwaltungsgericht in die Lage versetzt, die behördliche Erfüllung des materiellen Optimierungsauftrags im konkreten Konfliktfall substantiell zu überprüfen. Im Fall einer Klage eines Dritten wird es sein Vorgehen zumindest faktisch erleichtern, wenn das Ergebnis der Vorverhandlungen aktenkundig gemacht wurde 194. Sonst kann der gerichtliche Rechtsschutz keine großen Erfolgsaussichten bieten 195 • Die Behörden vertreten übereinstimmend die Ansicht l96 , die Nichtbeteiligung Dritter bei Vorverhandlung werde durch die spätere formelle Beteiligung aufgewogen, eine Bindung an Vorverhandlungen entfalle bei begründeten Einwendungen Dritter und die Klagemöglichkeiten würden daher keineswegs beschritten. Wer sich mit dieser Wertung zufrieden gibt, verkennt allerdings die rechtliche Tragweite der Typik und die faktische Bindungswirkung der Vorverhandlungen. Typisch für Vorverhandlungen ist, daß den Dritten die Einwendungsbefugnisse im nachfolgenden förmlichen Genehmigungsverfahren erhalten bleiben. Sie verstoßen nicht offen gegen Verfahrensvorschriften, sondern es werden die drittbezogenen Verfahrensgarantien nicht eingehalten. Damit kann ein späteres Rechtsmittelverfahren nicht auf einen Verstoß gegen formales Recht gestützt werden. Der Behörde wird daher ein Verfahrensfehler insgesamt schwer nachzuweisen sein l97 , da eine Verletzung von materiellen Vorschriften oder Fehler bei der Gewichtung und Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen im Genehmigungsbescheid nicht leicht festzustellen sind l98 . Die gerichtliche Durchsetzung des Drittschutzes wird hier erheblich erschwert.

Bulling, DÖV 1989, 278. Zur aktenmäßigen Aufzeichnungspflicht wichtiger Vorgänge mit subjektivrechtlicher Relevanz vgl. BVerfGE 65, 1(70). 195 Bohne, Das informale Rechtsstaat, S. 232; Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982),213. 196 So Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, S. 157. 197 Zum Problem der Rechtsschutzverkürzung siehe Peters, Umweltverwaltungsrecht, Rn. I/13!. 198 So Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), 218. 193

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b) Rechtsschutzinteresse Dritter Vorverhandlungen erzeugen grundsätzlich keine Rechtsbindung, sondern nur faktische Bindung. Es stellt sich damit die Grundfrage, ob überhaupt Dritte rechtlichen Schutz gegen faktische Bindung von Vorverhandlungen in Anspruch nehmen können, ob ihnen also ein Rechtsschutzinteresse (Rechtsschutzbedüfnis) zur Seite steht. Mit anderen Worten lautet die Frage, inwieweit informelle Vorverhandlungen selbst Gegenstand eines Rechtsstreites sein können. Das Rechtsschutzinteresse ist Voraussetzung der Zulässigkeit jeder Klage vor einem Verwaltungsgericht l99 . Die Frage nach dem Rechtsschutzinteresse ist bei nur faktischer Bindung von Vorverhandlungen grundsätzlich zu bejahen, weil eine faktische Bindung so belastend sein kann, daß rechtliche Abwehrmaßnahmen geboten sein können. Diese Annahme ist auch mit dem Gebot der Gewährung wirksamen Rechtsschutzes in Art. 19 IV GG vereinbar. Da auch dem Dritten das verfassungsrechtliche Gebot der Gew~leistung wirksamen Rechtsschutzes aus Art. 19 IV GG zur Seite steht, muß schon aus verfassungsrechtlichen Gründen die Frage des Rechtsschutzes Dritter verfassungskonform so beantwortet werden, daß seine Rechtsschutzmöglichkeit unabhängig davon besteht, ob die Behörde formell oder informell vorgeht2OO •

c) Vorbeugender Rechtsschutz Es stellt sich zunächst die Frage, ob eine vorbeugende Unterlassungsbzw. Feststellungsklage gegen Vorverhandlungen überhaupt möglich ist. Ziel einer derartigen Klage ist vorbeugender Rechtsschutz: das gerichtliche Verbot an die Behörde, die Genehmigung zu erteilen, oder die gerichtliche Feststellung, daß die Genehmigungserteilung unzulässig wäre201 • Die Rechtsprechung des BVerwG läßt vorbeugende Unterlassungsklagen gegen Verwaltungsakte nur in seltenen Ausnahmefällen ZU 202 • Der Kläger muß hier besondere Gründe geltend machen, die es ausnahmsweise nicht zumutbar erscheinen lassen, den Erlaß des Verwaltungsaktes abzuwarten. Im Hinblick auf die Genehmigungserteilung nach §§ 4ff. BImSchG wird dem Einwender in aller Regel zuzumuten sein, die abschließende Sachprüfung der Genehmigungsbehörde abzuwarten. Insoweit ist hier im Fall der noch erforderlichen Umsetzung des Ergebnisses der informellen VorverKopp, VwGO, § vor 40 Rn. 30; Redekerlvon Oertzen, VwGO, § 42 Rn. 28. Beyer, Der öffentlich-rechtliche Vertrag, S. 260. 201 Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 339. 202 Vgl. BVerwGE 54, 211 (215f.) für gemeindlichen Bebauungsplan; Redekerl von Oertzen, VwGO, § 42 Rn. 163; Kopp, VwGO, vor § 40 Rn. 33. 199

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handlungen in einen Genehmigungsbescheid das Rechtsschutzinteresse fraglich. Auch die vorbeugende Feststellungsklage wird für generell zulässig gehalten203 • Für vorbeugenden Rechtsschutz ist jedoch kein Raum, wenn dem Betroffenen zuzumuten ist, den Erlaß des befürchteten Verwaltungsaktes abzuwarten und er auf einen ausreichenden nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann 204 . Also wird im Einzelfall nur schwerlich ein Feststellungsinteresse gegeben sein. Zusammenfassend kann man feststellen: Eine vorbeugende Unterlassungs- bzw. Feststellungsklage gegen Vorverhandlungen ist in der Regel nicht möglich. d) Einschränkung des Rechtsschutzes während des Verwaltungsveifahrens

Neben der Frage nach dem vorbeugenden Rechtsschutz Dritter gegen die Vorverhandlungen ergibt sich die weitere Überlegung, ob der Dritte, wenn er von laufenden Vorverhandlungen erfährt, die unmittelbar seine Rechte zu beeinträchtigen drohen, verfahrensrechtliche Maßnahmen (z. B. Aktenansicht gern. § 29 VwVfG) gerichtlich erzwingen kann. Die Möglichkeit Dritter, bei Vorverhandlungen unmittelbar gerichtlich vorzugehen, erfährt durch § 44a VwGO eine empfindliche Einschränkung. Danach ist eine isolierte Geltendmachung von Rechtsbehelfen gegen behördliche Verfahrenshandlungen während eines noch laufenden Verwaltungsverfahrens weitgehend dadurch ausgeschlossen, daß die Vorschrift im Wege der Negativfassung in ihrem Satz 2 Beteiligte auf den Rechtsbehelf gegen die Sachentscheidung verweist, soweit es nicht um vollstreckbare Verfahrenshandlungen geht. Daraus schließt die überwiegende Meinung, daß gesonderte Rechtsbehelfe gegen Verfahrenshandlungen ausgeschlossen seien. Der Dritte soll den Ausgang des Verwaltungsverfahrens abwarten und erst dann den Fehler über eine Anfechtung der Sachentscheidung geltend machen 205 • Dies soll auch für die eigenständige Geltendmachung von Verfahrensverstößen in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gelten206 • Der Ausschluß gesonderter Rechtsbehelfe gegen unselbständige Verfahrenshandlungen dient vor allem der Verfahrensökonomie 207 . Insbesondere soll dadurch verhindert werden, daß der Abschluß von noch bei den Behörden Vgl. dazu Redekerlvon Oertzen. VwGO, § 43 Rn. 9 rn.w.N. BVerwGE 77, 207. 20S Vgl. Hufen. Fehler im Verwaltungsverfahren, S. 402. 206 Vgl. die Beispiel für den Fall der Akteneinsicht gern. § 29 VwVfG: OVG Münster, DVBI. 1980, 965; VGH München. DÖV 1980, 54. 207 Vgl. BT-Drs. 7/910 S. 97f.; StelkenslBonklSachs. VwVfG, § 97 Rn. 9. 203

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anhängigen Verwaltungsverfahren durch Rechtsbehelfe verzögert und erschwert wird208 . Die Vorschrift ist insofern zugleich eine Folge des Grundsatzes, daß die Verwaltungs gerichte grundsätzlich nachträglichen Rechtsschutz, nicht verfahrensbegleitenden Rechtsschutz, gewähren 209 . Das Regelungskonzept des § 44a VwGO besteht aber darin, der Verwaltungseffizienz Geltung zu verschaffen, ohne den Rechtsschutz in der Sache zu verkürzen. Das heißt: Keinesfalls darf § 44a VwGO so ausgelegt werden, daß er die Verfahrensvorschriften leerlaufen läßt und im Ergebnis dazu führt, daß Verfahrensverstöße ohne Sanktion bleiben21O. Soweit durch Verfahrensfehler Grundrechte verletzt werden, ist § 44a VwGO so zu interpretieren, daß er diese Vorstöße nicht erfaßt, wenn in einem späteren Gerichtsverfahren kein wirksamer Rechtsschutz mehr zu erreichen wäre 211 . Diese Interpretation geht davon aus, daß das BVerfG seit Mülheim-KärlichBeschluß212 den Dritten einen eigenen Rechtsanspruch auf Einhaltung der Verfahrensvorschriften eingeräumt hat. § 44 a VwGO berührt auch nicht jene Verwaltungsbereiche, in denen wegen eines Defizits an materiellen Verhaltensnormen und Entscheidungsmaßstäben die Verfahrensrichtigkeit zur Sachrichtigkeit wird 213 . Eine zeitliche Verschiebung des Rechtsschutzes kann unter Umständen auch bereits die materielle Rechtsposition des Verfahrensbeteiligten berühren und ihm unangemessene Rechtsschutznachteile zufügen 214 . § 44a VwGO ist verfassungskonform restriktiv zu interpretieren. Seine Auslegung und Anwendung muß darauf Bedacht nehmen, daß die beabsichtigte Kontrollkonzentration nicht in ein ungewolltes Kontrolldefizit umschlägt. Wie oben ausgeführt21 5, können die Verfahrensregelungen des VwVfG analog auf die Vorverhandlungen verwendet werden. Der Dritte kann deshalb ein Interesse haben, in Vorverhandlungen hinzugezogen zu werden und seinen Standpunkt einbringen zu können. Soweit die Vorverhandlungen sich auf solche Verfahrensregelung beziehen, die das unmittelbar gebotene Minimum an Verfahrensteilhabe betreffen216 , kann § 44a VwGO nicht angewendet werden. Der Dritte kann hier seine verfahrens-

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Kopp, VwGO, § 44a Rn. 1.

VGH München, NVwZ 1988, 1054; 1989, 1180; Kopp, VwGO, § 44a Rn. 1. Vgl. Pietzcker, VVDStRL 41 (1983),227; Wahl, VVDStRL 41 (1983), 180f. 211 So Roßnagel, JuS 1994,930. 212 BVerfGE 53, 30. Dazu siehe oben § 5 VI 2. 213 Vgl. Redekerlvon Demen, VwGO, § 44a Rn. 3; kritisch dazu StelkenslBonkl Sachs, VwVfG, § 97 Rn. 32. 214 Dssenbühl, NVwZ 1982, 470. 215 Siehe oben § 5 IV 2. 216 Vgl. Dolde, NVwZ 1982,70; Grimm, NVwZ 1985, 869. 209

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rechtliche Position auch schon während Vorverhandlungen grundsätzlich ohne Einschränkung des § 44a VwVfG gerichtlich durchsetzen.

3. Gerichtlicher Drittschutz gegen Verfahrensfehler nach Erteilung der Genehmigung Rechtswidrige Vorverhandlungen haben grundsätzlich keine unmittelbare Folge. Es gibt aber keine Möglichkeit, gegen Vorverhandlungen unmittelbar eine Klage zu erheben. Die Nichtbeachtung von Verfahrensgrundsätzen in Vorverhandlungen wird durch ihre Beachtung bzw. Nachholung im förmlichen Genehmigungsverfahren kompensiert und damit unbeachtlich. Die schwebende Fehlerhaftigkeit der Vorverhandlungen wird durch die umfassende Sachermittlung und angemessenen Beachtung der Drittinteressen im Rahmen des Genehmigungsverfahrens aufgehoben. Wird dagegen das Genehmigungsverfahren formell und materiell nicht ordnungsgemäß durchgeführt, dann können Dritte sich darauf berufen, ein nachträglich erlassener Anlagengenehmigungsbescheid sei rechtswidrig, weil z. B. einseitige Ermessensausübung oder ein Abwägungsdefizit vorliegt. Nach erfolgloser Durchführung eines Vorverfahrens 217 (§ 68 VwGO) können Dritte hier eine Anfechtungsklage (§§ 42, 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zum Verwaltungsgericht erheben. Es geht im Klageverfahren darum, ob durch die beantragte Genehmigung in seine Rechte eingegriffen wurde oder nicht218 • a) Klagebefugnis Dritter

Die Klagebefugnis 219 Dritter ist eine Zentralfrage des Umweltrechts 22o• Das in der VwGO geregelte Rechtsschutzsystem ist nach seiner Konzeption auf Individualrechtsschutz und Gefahrenabwehr zugeschnitten, der nur dem Verletzten und nicht einem beliebigen Dritten zusteht221 • Gemäß § 42 217 Nach einer Untersuchung sind nur unter 10 % der erteilten Genehmigungen durch einen Widerspruch angegriffen worden, von Wedemeyer, Kooperation beim Vollzug des Umweltrechts, S. 49. 218 Vgl. BVerwGE 65, 313ff. 219 Die Klagebefugnis unterscheidet sich vom allgemeinen Rechtsschutzinteresse dadurch, daß es bei ihr ausschließlich auf die generelle Möglichkeit einer Verletzung der Rechte des Klägers ankommt, während beim allgemeinen Rechtsschutzinteresse auf die Frage abzustellen ist, ob angesichts der besonderen Umstände des Falles die Klagebehebung nicht erforderlich ist, weil die Kläger seine Rechte auf einfachere Weise verwirklichen kann, Kopp, VwGO, § 42 Rn. 101. 220 Vgl. Send/er, UPR 1981,4. 221 Die Frage der verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten Dritter gegen drittbelastende Verwaltungsakte wurde seit langer Zeit im Hinblick auf die baurechtliche Nachbarklage erörtert. Zur historischen Entwicklung der baurechtlichen

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Abs. 2 VwGO ist eine Anfechtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungakt in seinen Rechten verletzt zu sein. So ist die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nur zulässig, wenn der Dritte die Verletzung eigener subjektiver Rechte222 geltend macht. Der Dritte muß also vorbringen, daß ihm eigene Rechte zur Seite stehen, die die den anderen begünstigende immissionsschutzrechtliche Genehmigung möglicherweise verletzt. Dazu bedarf es der konIa:eten Feststellung eigener verletzter Rechte. Eine zulässig erhobene Drittklage führt also nicht zu einer umfassenden Prüfung der Genehmigung auf Rechtsmängel, sondern der Prüfungsmaßstab beschränkt sich auf die Frage der Verletzung drittschützender Normen 223 . Die Berufung auf öffentliche oder allgemeine Interessen (z.B. Klimaveränderungen) scheidet dabei immer ebenso aus, wie die Geltendmachung der Interessen anderer Bürger. Verwaltungsgerichtlicher Schutz gegen Anlagengenehmigungen nach dem BImSchG wird demnach allein bei Verletzung subjektiver Rechte Dritter gewährt. Bei der Frage, ob die Verletzung eines subjektiven Rechts vorliegt, kommt es darauf an, ob die einschlägigen Vorschriften dem Kläger subjektive Rechte vermitteln. Nach der h. M. in Rechtsprechung224 und Literatur225 in Anwendung der Schutznormtheorie kommt der einschlägigen Vorschrift der für die gerichtliche Geltendmachung erforderliche subjektivrechtliche Gehalt und damit ein drittschützender Charakter zu, wenn sie nicht nur dem Allgemeininteresse, sondern zumindest auch dem Individualinteresse des einzelnen zu dienen bestimmt ist. Maßgebend ist danach, ob die Erteilung der Anlagengenehmigung gegen eine materiell-rechtliche oder Verfahrensvorschrift verstößt, die nicht ausschließlich allgemeinen Interessen dient, sondern zumindest auch den Schutz individueller Interessen des Dritten bezweckt. Ob eine bestimmte Vorschrift drittschützenden Charakter in diesem Sinne hat, ist durch Auslegung anhand des Wortlauts, des systematischen ZusamNachbarklage siehe insbes. Kemnade, Rechtsschutz des Nachbarn im Baurecht, S. 9ff. 222 Dem Begriff des subjektiven Rechts wird heute überwiegend der Begriff des rechtlich geschützten Interessen gleichgesetzt, vgl. dazu Achterberg, Allg. VerwR, § 19 Rn. 70. 223 Vgl. Jarass, NJW 1983,2845. 224 Für das Gebiet des Baurechts vgl. BVerwGE 27, 29 (33); 28, 268 (270);32, 173 (177); 47, 19 (22); 52, 122 (128f.); 67, 334 (339). Für das Gebiet des Wasserrechts vgl. BVerwGE 41, 58 (63); 62, 243 (246ff.). Für das Gebiet des Immissionsschutzrechts vgl. BVerwGE 65, 313 (320); 68, 58 (59f.). Für das Gebiet des Atomrechts vgl. BVerwGE 61, 256 (262ff.). Zuletzt in BVerwGE 92,313 (317). 225 Vgl. Jarass, NJW 1983, 2844f.; Kopp, VwGO, § 42 Rn. 48; Eyermann, VwGO, § 42 Rn. 86f.; Steinberg, UPR 1984,351. 9'

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menhangs und des Nonnzweck zu ennitteln226 • Da diese Ennittlung aber auch vieWiltige Auslegungsprobleme aufwirft, ist die Schutznonntheorie auf Kritik gestoßen 227 . In zunehmendem Maße wird eine unmittelbare Berufung Dritter auf Grundrechte gefordert 228 . Darüber hinaus hat sich das vom BVerwG etablierte Gebot der Rücksichtnahme mit der Schutznonntheorie in unübersichtlicher Weise vennengt 229 • b) Drittschützende Genehmigungsverfahrensvorschriften

Zuerst stellt sich die Frage, welche Auswirkungen ein solcher Verfahrensfehler auf den Rechtsbestand der Genehmigung hat. Kommt ein materiell-rechtlicher Rechtsschutz Dritter gegen eine erteilte Anlagengenehmigung nur bei der Verletzung drittschützender Vorschriften in Betracht, so kann auch die Verletzung von Verfahrensvorschriften des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens von Dritten nur dann gerichtlich geltend gemacht werden, wenn auch diesen eine subjektiv-rechtliche Relevanz zukommt23o . Wie oben dargestellt231 , kann die Frage nach dem Rechtsschutz Dritter gegen Verfahrensfehler seit dem Mülheim-Kärlich-Beschluß des BVerfG nicht mehr mit dem Hinweis auf eine fehlende drittschützende Funktion der Verfahrensvorschriften verneinend beantwortet werden. Besonderes im Immissionsschutzrecht wird bei der Regelung höchst komplexer Sachverhalte in der Regel lediglich ein Auftrag an die Verwaltung zur Konkretisierung der Ziele im einzelnen erteilt232 • Ein wirksamer Grundrechtsschutz ist im Genehmigungsverfahren von Großprojekten nur dann gegeben, wenn ein Verfahren zur Verfügung steht, in dem Dritte beteiligt werden. Durch frühzeitige Beteiligung wird sichergestellt, daß die Interessen Dritter hinreichend berücksichtigt werden können und so die behördliche Entscheidung zu einem Interessenausgleich und einer Befriedung führen kann. Es kann heute daher nicht bezweifelt werden, daß im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren grundsätzlich allen Verfahrensvorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung (§ 10 BImSchG; §§ Sff. der 9. BImSchV) drittschützender Charakter beigemessen werden kann233 , soweit diese VerfahBVerwGE 66, 307 (308). Vgl. die Zusammenfassung bei Breuer, DVBl. 1983, 432f.; ders., DVBl. 1986,859; ferner Kloepfer, VerwArch 76 (1985), 371 ff. 228 Vgl. statt vieler Maurer, Allg. VerwR, § 8 Rn. 10ff. 229 Vgl. Breuer, DVBl. 1983,431 ff.; Schlichter, NVwZ 1983,641 ff. 230 Vgl. Kunig, in: Gedächtnisschrift für W. Martens, S. 606. 231 Siehe oben § 5 VI 2 (BVerfGE 53, 30). 232 Brohm, DÖV 1987,270; Hill, DÖV 1987,888. 233 Vgl. BVerwGE 60, 297 (307); 85. 368 (374). 226 227

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rensvorschrift ihrerseits dem Schutz materieller Rechtsposition dienen 234 • Für Dritte, deren Gesundheit oder Eigentum durch die Anlage möglicherweise beeinträchtigt wird, können solche Verfahrensvorschriften fast genau so wichtig sein wie die materiellen Regelungen. Unabhängig vom Grad nachteiliger Betroffenheit kann schließlich allein die Verletzung von Verfahrensvorschriften zu Rechtsverletzung führen. Insoweit übernimmt das Genehmigungsverfahren auch verwaltungsrechtliche Kontrolle und Rechtsschutzfunktionen235 . Im allgemein sind zum Verfahrensfehler die Fehler zu rechnen, die darin bestehen, daß die Genehmigungsbehörde ohne Beteiligung der Öffentlichkeit durch Bekanntgabe, Auslegung und Durchführung eines notwendigen Erörterungstermins erteilt. Gleiches gilt, wenn zwar eine Bekanntmachung erfolgt, diese jedoch wegen der Vorverhandlungen nicht ausreichend war. Im Zusammenhang mit den Verfahrensfehlern stellt sich auch die Frage, ob Vorverhandlungen ohne die Beteiligung Dritter zu einem Verfahrensfehler führen können. Nach einer Auffassung 236 verstoßen Vorverhandlungen ohne die Beteiligung Dritter gegen das Verfahrenskonzept der Konfliktbewältigung durch Interessenausgleich. Ein Verfahrensfehler sei dabei unabhängig davon anzunehmen, ob sich die Nichtbeteiligung Dritter im Genehmigungsverfahrensergebnis niedergeschlagen hat. Angesichts der faktischen Bindungswirkung der Vorverhandlungen müsse die Möglichkeit der Einwirkung auf das Genehmigungsverfahrensergebnis ausreichend sein. Vorverhandlungen ohne Beteiligung Dritter führen aber nicht ohne weiteres zum Verfahrensfehler, weil sie grundSätzlich keine die Genehmigung ersetzende oder vermeidende Absprache, sondern nur die vorbereitende Absprache sind. Soweit die Beteiligung Dritter im förmlichen Genehmigungsverfahren formell und materiell ordnungsmäßig nachgeholt wird, wirken Vorverhandlungen sich auf das Verfahrensergebnis nicht aus. Nur wenn die Beteiligung Dritter im Genehmigungsverfahren wegen der Vorverhandlungen nicht ordnungsmäßig durchgeführt wird, kann man hier einen Verfahrensfehler annehmen237 • Wird zum Beispiel in Vorverhandlungen eine unzulässige Verfahrensweise vereinbart, etwa die Abrede eine an sich gebotene Beteiligung Dritter zu umgehen, und diese Verfahrensverkürzung im anschließenden Genehmigungsverfahren nicht korrigiert wird, so ist diese Entscheidung verfahrensfehlerhaft. Gleiches gilt, wenn die EinwenVgl. Weber, JZ 1980, 315. m Hili, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, S. 192,

234

237; Wahl, VVDStRL 41 (1983), 158. 236 Hoffmann-Riem, in: Refonn des Allgemeinen Verwaltungsrechts, Grundfragen, S. 153 f. 237 Vgl. Kunig, DVBI. 1992, 1200.

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dungsargumente Dritter wegen der faktischen Bindungswirkung gar nicht berücksichtigt werden. Es stellt sich zunächst die Frage, welche Rechtsfolgen solche Verfahrensfehler nach sich ziehen. Die Rechtsfolgen der Verfahrensfehler sind in den §§ 44ff. VwVfG geregelt. Nach § 44 VwVfG ist ein Genehmigungsbescheid nichtig, wenn er an einem der im Absatz 2 benannten Mängel oder an einem besonders schwerwiegenden und offenkundigen Fehler leidet238 . Beispiel eines "besonders schwerwiegenden" Verfahrensfehlers ist die Erteilung der Genehmigung im vereinfachten statt im vorgeschriebenen förmlichen Verfahren. Nicht jeder derartige Verstoß gegen das Erfordernis eines förmlichen Verfahrens ist jedoch auch "bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig" (§ 44 Abs. 1 VwVfG). Eine Offenkundigkeit dieses Fehlers ist in der Regel nicht anzunehmen, wenn die Art des Verfahrens nicht von eindeutigen Merkmalen, sondern von der richtigen Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe abhängt oder eine Bewertung des Sachverhalts erfordert239 • Nichtigkeit wird z. B. angenommen, wenn der Verwaltungsakt gegenüber einem Beteiligungsunfahigen ergeht, oder wenn der Verwaltungsakt unwirksam bekanntgemacht worden ist24o • Zusammenfassend kann man damit feststellen, daß es im Hinblick auf Vorverhandlung keine Möglichkeit für die Nichtigkeit des Genehmigungsbescheids gibt, soweit das förmliche Genehmigungsverfahren ordnungsmäßig durchgeführt wird. Verfahrensfehler, die nicht die Nichtigkeit der Genehmigung bewirken, machen den Genehmigungsbescheid anfechtbar, sofern sie nicht nach § 45 VwVfG geheilt werden241 • c) Einschränkung des Drittschutzes durch

Unbeachtlichkeit von Verfahrens/ehlern

Mit der Bejahung des drittschützenden Charakters der Verfahrensvorschriften im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren ist aber nicht entschieden, ob ihre Verletzung in jedem Fall einen Anspruch auf 238 Die Regelung der Nichtigkeitsgründe in § 44 VwVfG ist eine Weiterentwicklung der früher in der Rechtsprechung und in der Literatur überwiegend vertretenen Auffassung. vgl. statt vieler Maurer, Allg. VerwR, § 10 Rn. 31 m.w.N. 239 Feldhaus, BlmSchR, § 10 BlmSchG Rn. 99. 240 OVG Koblenz, NVwZ 1987,899. 241 Durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 12. 9. 1996 (BGBI. I S. 1354) sind die Heilungsmöglichkeiten des § 45 VwVfG zeitlich erweitert worden. Nach § 45 Abs. 2 VwVfG n.F. können nunmehr die versäumten Verfahrenshandlungen nach Abs. I bis zum Abschluß eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Zur neuen Rechtslage der Heilung Halje, DÖV 1997,477ff.

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Aufuebung der nachfolgenden behördlichen Genehmigungsentscheidung gibt. Denn ob die gegen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung gerichtete Anfechtungsklage eines Dritten begründet ist und zur Aufuebung der Genehmigung durch das Verwaltungsgericht führt, hängt vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ab. Danach kommt die Aufuebung der Genehmigung wegen eines Verfahrensfehlers nur in Betracht, wenn dieser zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes führt und der anfechtende Dritte gerade hierdurch in eigenen Rechten verletzt wird 242 • Dem BlmSchG sowie der 9. BImSchV sind keine speziellen Aussagen darüber zu entnehmen, ob die Rechtswidrigkeit der Genehmigung durch einen Verfahrensfehler berührt wird. Zur Bestimmung der Rechtsfolgen des fehlerhaften Verwaltungshandelns kann damit auf das VwVfG zurückgegriffen werden. Unter Berücksichtung des verwaltungsverfahrensrechtlichen Normenkomplexes wird die Ansicht vertreten, daß nur wesentliche Verfahrensfehler zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes führen 243 • Ob daraufhin die Aufuebung dieses Verwaltungsaktes verlangt werden kann, richtet sich nach § 46 VwVfG. Nach § 46 VwVfG kann die Aufuebung eines nicht nichtigen Verwaltungsaktes nicht allein deswegen beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Verfahrensvorschriften zustandegekommen ist, wenn offensichtlich ist, daß die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflußt hat244 • Da die Erteilung der Genehmigung eine gebundene Entscheidung nach § 6 BlmSchG ist, ist § 46 VwVfG grundsätzlich anwendbar. Demgemäß ist ein Verfahrensfehler dann unbeachtlich, wenn er sich nicht konkret auf das Ergebnis auswirkt hat24S , oder weitergehend, daß allein ein Verfahrensfehler nicht zur Aufuebung einer materiell-rechtlich richtigen Entscheidung führen kann 246 • Insgesamt wird die Anfechtungsklage allein wegen eines Verfahrensfehler im Immissionsschutzrecht nur im Ausnahmefall begründet sein, es sei denn, man gelangt 242 Zu den Authebungsvoraussetzungen Eyennann, VwGO, § 113 Rn. 16ff.; Kopp, VwGO, § 113 Rn. 20; Redekerlvon Oertzen, VwGO, § 113 Rn. 30ff. 243 Vor Inkrafttreten des VwVfG vgl. BVerwGE 24, 23 (32); 29, 282 (283 ff.); BVerwG Buchholz 316 § 46 Nr. 8; VGH München, DVBI. 1994, 1198; ohne ausdrückliche Verwendung des Wesentlichkeitsbegriffs BVerwGE 75, 214 (228); zur dienenden Funktion des Verfahrensrechts gegenüber dem materiellen Recht Ossenbühl, NVwZ 1982, 465ff. 244 Der letzte Halbsatz des § 46 VwVfG "wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können" ist mit der im GenBeschlG vorgenommenen Gesetzesänderung (Art. 1 Nr. 4 des GenBeschlG vom 12. 9 1996, BGBI. I S. 1354) vollständig durch einen neugefaßten Halbsatz ersetzt worden. Vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/3995. 245 Vgl. VGH München, BayVBI. 1981,404. 246 Krebs, DVBI. 1984, 111.

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

aufgrund einer Einschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte zu einer nur noch begrenzten Anwendung von § 46 VwVfG. § 46 VwVfG ist aber restriktiv zu interpretieren. § 46 VwVfG regelt den Ausschluß von Fehlerfolgen nur für einen einzigen Fall, nämlich wenn die Behörde die gleiche Entscheidung aus materiell-rechtlichen Gründen auch nach einer Aufhebung sogleich wieder treffen müßte, weil das Gesetz die Verwaltungsentscheidung abschließend determiniert 247 . Beachtet man neben dieser strengen Auslegung noch die grundrechts bezogene Funktion des Verwaltungsverfahrens, so ergeben sich Anwendungsbegrenzungen des § 46 VwVfG. In immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsentscheidungen muß ein Verfahrensfehler nicht automatisch unbeachtlich sein. Denn jeder Verfahrensverstoß, der zu einer mangelhaften Sachermiulung führt, ist ein Fehler, der nicht nur das Verfahren berührt, sondern den Inhalt des Genehmigungsbescheids beeinflussen kann. Es ist daher immer beachtlich. Da die Pflicht der Behörde zur Ermittlung und Bewertung des Sachverhalts bereits dann verletzt sein kann, wenn ein betroffener Dritter keine Gelegenheit hatte, seine Belange in das Verfahren einzubringen, kann auch ein Verfahrensfehler, der dessen Mitwirkung verhindert hat, zu einer Aufhebung der Entscheidung führen 248 • Insofern muß § 46 VwVfG in der Weise interpretiert werden, daß der Verfahrensfehler auch in gerichtlicher Hinsicht relevant wird249 . Als Ergebnis bleibt daher festzuhalten, daß § 46 VwVfG bei der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung dann nicht anwendbar ist, wenn der Verfahrensfehler gerade die Belange Dritter verhindert hat25o .

d) Einschränkung des Drittschutzes durch Präklusion Die gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten werden ferner durch die Präklusionswirkung schwer eingeschränkt. Im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren sind nach § 10 Abs. 3 Satz 3 BImSchG grundsätzlich mit Ablauf der Einwendungsfrist alle Einwendungen ausgeschlossen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titel beruhen. Dies hat zunächst zur Folge, daß verspätet vorgebrachte Einwendungen im Erörterungstermin nach § 14 Abs. 1 der 9. BImSchV nicht erörtert werden müssen (sog. formelle Präklusion). Dies bedeutet allerdings nicht, daß verspätete Einwendungen schlechthin unbeachtlich wären. Da die Behörde nach dem Untersuchungsgrundsatz den Sachverhalt von Amts wegen ermittelt, hat sie verspä247 BVerwGE 65, 287 (290); OVG Lüneberg, NVwZ 1987, 511; Hufen, NJW 1982,2167; Grimm, NVwZ 1985, 870f.; Kopp, VwVfG, § 46 Rn. 20. 248 Führ, Sanierung von Industrieanlagen, S. 233; Sellner, NVwZ 1986,620. 249 Für eine veränderte verfahrensbezogene Auslegung des § 46 VwVfG auch Hufen, DVBI. 1988, 75ff. 250 Roßnagel, JuS 1994, 931.

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tete Einwendungen ebenso wie jede andere ihr bekannt gewordene Tatsache in ihre Prüfungen einzubeziehen251 • Nach der herrschenden Meinung in der Literatur252 und Rechtsprechung 253 erfaßt die Ausschlußwirkung der Einwendung nach § 10 Abs. 3 Satz 3 BImSchG nicht nur weitere Verwaltungsverfahren sondern auch das anschließende verwaltungsgerichtliche Verfahren (sog. materielle Präklusion254 ). Die materielle Präklusion bedeutet, daß der Einwender auch im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen die Genehmigung mit den präkludierten Einwendungen ausgeschlossen ist. Eine Anfechtungsklage ist deshalb zur zulässig, wenn der Kläger - neben der Rechtsverletzung durch die angefochtene Genehmigung - auch geltend macht, er sei mit seinen Einwendungen nicht ausgeschlossen255 • Zur sachlichen Rechtfertigung der materiellen Präklusion hat das BVerwG vor allem folgende Gesichtspunkte angeführt: Die materielle Präklusion habe für den Antragsteller (Anlagenbetreiber) eine Ausgleichsfunktion. Sie stärke die Bestandskraft der Genehmigung gegenüber solchen Drittbetroffenen, die sich am Verwaltungsverfahren nicht oder nicht rechtzeitig beteiligt haben, und begrenze damit das Risiko für den Antragsteller, unerwarteten Nachbarklagen ausgesetzt zu sein256 • Für den Anlagenbetreiber diene die materielle Präklusion zugleich der Rechtssicherheit. Für den Drittbetroffenen stelle sich die materielle Präklusion als die Kehrseite der ihm eingeräumten verfahrensrechtlichen Rechtsstellung dar. Wer die ihm zum vorbeugenden Schutz seiner Rechtsgüter eingeräumte Rechtsposition nicht wahrnehme, soll ein Ergebnis nicht nachträglich in Frage stellen können257 • Das BVerfG258 hat in den vergleichbaren Vorschriften zum Atomrecht die Vereinbarkeit der materiellen Präklusionsvorschriften mit Art. 19 VI GG festgestellt. Das BVerfG bestätigt, daß dem Drittbetroffenen die Geltendmachung seiner Belange schon im Verwaltungs verfahren möglich ist, durch 2.51 Feldhaus, BlmSchR, § 10 BlmSchG Rn. 62; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 157; BVerwGE 9, 9 (13f.). 252 Vgl. Breuer, Umweltschutzrecht, in: Bes. VerwR, Rn. 193; Jarass, BlmSchG, § 10 Rn. 74; Feldhaus, BlmSchR, § 10 BlmSchG Rn. 63f.; Landmann/Rohmer/ Hansmann, UmweltR, § 10 BlmSchG Rn. 152ff. 2.53 Vgl. BVerfGE 61, 82 (109ff.); BVerwGE 60, 297 (301 ff.); OVG Koblenz, DÖV 1979, 525ff. 254 Vgl. allgemein zur materiellen Präklusion aus jüngerer Zeit Mi/ger, Die Präklusion von Rechten Dritter in Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren, 1991; Röhl/Ladenburger, Die materielle Präklusion im raumbezogenen Verwaltungsrecht, 1997. 255 Landmann/Rohmer/Hansmann, UmweltR, § 10 BlmSchG Rn. 157. 256 BVerwGE 60, 297 (303 f., 307). 257 BVerwGE 60, 297 (306). 2.58 BVerfGE 61, 82 (l09ff.).

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

Präklusionsvorschriften keine unzumutbare Schranke für den Zugang zum Gericht aufgestellt wird und auch nicht die Wirksamkeit gerichtlichen Rechtsschutzes verkürzt wird. Die den Dritten im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren obliegende Beteiligungslast sei insoweit auch mit Art. 19 IV GG vereinbar. Durch die materielle Präklusionswirkung werden die gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten Dritter damit schwer eingeschränkt. Die Argumentation der h. M. ist jedoch unter dem drohenden Verlust der materiellen Rechtsposition nur haltbar, wenn die Ausgestaltung des Genehmigungsverfahrens seine Ausgleichsfunktion auch im Drittinteresse wirksam erfüllen kann. Führt jedoch die Steuerung der Vorverhandlungen zur faktischen Entleerung der Einwendungsbefugnisse im nachfolgenden formellen Genehmigungsverfahren, so läßt sich die materielle Präklusion auf verwaltungsgerichtlicher Ebene nicht mehr rechtfertigend durch die Rechtsschutzfunktion des Genehmigungsverfahrens begründen2s9 •

VßI. Zusammenfassung 1. Vorverhandlungen im Vorfeld der immissionsschutzrechtlichen GenehmigungsantragsteIlung beeinflussen die Entscheidungsfreiheit der Genehmigungsbehörde im Hinblick auf die das nachfolgende Verfahren abschließende Entscheidung, weil sie eine faktische Bindungswirkung haben.

2. Vorverhandlung werden durch die Akten in der Regel gar nicht oder nur lückenhaft dokumentiert. Die Folge ist, daß Hintergründe und Motive, die die Genehmigungsentscheidung zugrunde liegen, von außen nur schwer erkannt werden können. Das erschwert die Kontrolle der Verwaltungstätigkeit durch die Aufsichtsbehörden oder der Gerichte wesentlich. 3. Der durch das Genehmigungsverfahren betroffene Dritte hat keine rechtlich abgesicherte Möglichkeit, unmittelbar auf die "Vorverhandlungen" Einfluß zu nehmen. Die Gewährleistung der Beteiligung Dritter im gesetzlich vorgesehenen förmlichen Genehmigungsverfahren hat manchmal Alibicharakter. Es ist daher erforderlich, die Beteiligungsrechte Dritter in die Vorverhandlungen vorzuverlagem. 4. Ob die Beteiligung Dritter an den Vorverhandlungen nötig ist, muß die Genehmigungsbehörde im Hinblick auf den Zweck des Immissionsschutzrechts nach dem sorgfältigen Ermessen entscheiden. Diese Entscheidung muß ermessensfehlerfrei sein. Die Intensität der Beteiligung hängt unmittelbar von der Natur und dem Gewicht der berührten Belange ab.

259

Tomerius, Infonnelle Projektabsprachen im Umweltrecht, S. 126.

§ 5 Vorverhandlungen bei der Anlagengenehmigung

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5. Für den Drittschutz entscheidend ist, daß die Bereitschaft der Genehmigungsbehörde erhalten bleibt, die Ergebnisse der rechtswidrigen Vorverhandlungen im förmlichen Genehmigungsverfahren korrigieren zu können. Im Genehmigungsverfahren soll die Einhaltung der materiellen Voraussetzungen einer Anlagengenehmigung und verfahrensrechtliche Grundsätze beachtet bleiben. Soweit die Ergebnisse der rechtswidrigen Vorverhandlungen im förmlichen Genehmigungsverfahren ordnungsmäßig nachgeholt werden, wirken sie sich auf das Verfahrensergebnis nicht aus. 6. Rechtswidrige Vorverhandlungen haben grundsätzlich keine unmittelbare Folge. Es gibt aber keine Möglichkeit gegen Vorverhandlungen unmittelbar eine Klage zu erheben. Der Dritte hat nur eine Rechtsschutzmöglichkeit gegen den nachträglich folgenden Genehmigungsbescheid. Wenn rechtswidrige Vorverhandlungen später im Genehmigungsverfahren nicht korrigiert werden und schließlich der Inhalt der Genehmigung die materiellen Genehmigungsvoraussetzungen § 6 BImSchG nicht erfüllt, ist dann der das Verfahren abschließende Genehmigungsbescheid rechtswidrig und auf Klage des Dritten gern. § 113 VwGO als seine Rechte verletzend aufhebbar. 7. Der gegenwärtige gerichtliche Rechtsschutz Dritter ist nicht genügend. Obwohl heute nicht bezweifelt wird, daß immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahrensvorschriften drittschützende Funktion haben, wird ein Anspruch auf Aufhebung der Genehmigung durch § 46 VwVfG stark eingeschränkt. Demgemäß wird die Anfechtungsklage nur im Ausnahmefall begründet sein.

§ 6 Verträge bei der Anlagengenehmigung Wie oben erwähnt!, ist die Einhaltung des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens nicht nur objektiv-rechtlich vorgeschrieben, zum Teil besteht darüber hinaus ein subjektives öffentliches Recht Dritter auf die Einhaltung, deren materielle Rechte durch den Gegenstand des Verfahrens berührt sein können. Das förmliche Genehmigungsverfahren ist also durchzuführen, gleichgültig ob der Erlaß eines Verwaltungsaktes oder der Abschluß eines verwaltungsrechtlichen Vertrages mit dem Antragsteller als Beendigung des Genehmigungsverfahrens vorgesehen ist. Insoweit gilt selbstverständlich der allgemeinen Vorrang des Gesetzes für die für das Verfahren zuständige Behörde weiter.

J. Verwaltungsrechtliche Verträge vor Beendigung des Genehmigungsverfahrens 1. Erscheinungsformen

Ein Vorhabenträger (bzw. Antragsteller) wird sich nur dann an Vorverhandlungen beteiligen und zu Zugeständnissen bereit sein, wenn er damit rechnen kann, daß die Behörde bei ihrer abschließenden Entscheidung über die Genehmigung nicht von den Vorverhandlungsergebnissen abweicht. Er wird daher daran interessiert sein, mit der Genehmigungsbehörde vor dem Beginn des Genehmigungsverfahrens oder im Laufe des Genehmigungsverfahrens einen verwaltungsrechtlichen Vertrag zu schließen (sog. Vorvertrag 2). Die Genehmigungsbehörde wäre dann nach dem Grundsatz ..pacta sunt servanda" gegenüber dem Vorhabenträger (bzw. Antragsteller) gebunden. Ein solcher Vertrag liegt z. B. vor, wenn sich die Genehmigungsbehörde vor Beendung des Genehmigungsverfahrens durch Vertrag verpflichtet, eine Anlagengenehmigung mit bestimmten Inhalt zu erteilen (verpflichtender verwaltungsrechtlicher Vertrag). Von diesem Instrument macht die Praxis im Verfahren der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung GeVgl. dazu oben § 5 VI. Zum vorvertraglichen Rechtsverhältnis neuerdings Keller, Vorvertragliche Schuldverhältnisse im Verwaltungsrecht, 1997. I

2

§ 6 Verträge bei der Anlagengenehmigung

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brauch, um pragmatische Paketlösungen zu schnüren. So scheint es sich namentlich bei einem Dissens über die gebotene Emissionsbegrenzung anzubieten, daß die Behörde im Wege eines Kompromisses dem Antragsteller für bestimmte Anlagenteile oder Schadstoffe die Zusage fortschrittlicher Techniken oder Reinigungsleistungen abringt, in anderer Hinsicht jedoch ihrerseits Zugeständnisse macht und sich verpflichtet, eine entsprechende Genehmigung zu erteilen. 3 2. Zulässigkeit Gemäß § 54 VwVfG hängt die Zulässigkeit des verwaltungsrechtlichen Vertrages nur von dem Nichtvorliegen entgegenstehender Rechtsvorschriften ab. Im Immissionsschutzrecht finden sich zwar keine ausdrücklichen Vertragsformverbote bei der Genehmigung, solche lassen sich aber im Wege der Auslegung erschließen. Die Notwendigkeit besonderer Überprüfung dieses Gesichtspunktes hinsichtlich des Genehmigungsverfahrens ergibt sich daraus, daß der Gesetzgeber mit Einführung dieser Verfahrensarten eine sachlich richtige Entscheidung und eine angemessene Interessenberücksichtigung gewährleisten wollte. Im Genehmigungsverfahren muß eine abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage immer möglich bleiben. Vor der Beendigung des Genehmigungsverfahrens geschlossene Verträge im Sinne des § 54 VwVfG, die eine Bindung der Behörde bewirken sollen, widersprechen insoweit dem Sinne und Zweck des nachfolgenden Genehmigungsverfahrens und sind daher unzulässig 4 • Solche Vorverträge sind wegen eines schweren und offenkundigen Fehlers gern. § 59 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG nichtig. Darüber hinaus würden solche Verträge gern. § 58 Abs. 1 VwVfG erst wirksam, wenn alle Drittbetroffenen, in deren Rechte durch den Vertrag eingegriffen wird, schriftlich zustimmen. In der Praxis kann dies kaum erwartet werdens. In jedem Fall ist damit der Genehmigungsbehörde von einem Vertragschluß vor Beendung des Genehmigungsverfahrens abzuraten6 • Diese Auffassung wird insbesondere mit den Erwähnung des notwendigen Schutzes Dritter im Genehmigungsverfahren begründet7 . Ist der Vorhabenträger (bzw. Antragsteller) vor Beendung des Genehmigungsverfahrens an einer bindenden Entscheidung interessiert, ist er auf die Möglichkeit eines Vorbeschei3 Breuer, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, S. 244; Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen, S. 206. 4 Vgl. Feldhaus, BlmSchR, § 10 BlmSchG Rn. 20; Jarass, BlmSchG, § 10 Rn. 17. S Brandt, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. II, S. 246. 6 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 242. 1 Vgl. Burmeister, VVDStRL 52 (1993), S. 241.

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2. Teil: Verwaltungshandeln bei Anlagengenehmigung

des (§ 9 BImSehG) oder einer Teilgenehmigung (§ 8 BImSehG) hinzuweisen.

11. Verwaltungsrechtliche Verträge als Ersatz des Genehmigungsbescheides 1. Fragestellung

Die Einrichtung des Genehmigungsverfahrens erlaubt keine vertragliche Ermessensausübung und -konkretisierung, weil sie den aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip ableitbaren Anforderungen des Genehmigungsverfahrens zuwiderläuft8 • Eine Ermessensausübung ergibt sich nur mittelbar aus der Möglichkeit der Behörde, die Genehmigung mit Auflagen zu versehen (§ 12 BImSehG) oder durch die Zulassung vorzeitigen Beginns (§ 8a BImSehG) zu bewerkstelligen. Diese Ermessensausübung ist nun aber kein punktueller Vorgang, sondern muß sich über die ganze Entscheidungsfindung der Behörde erstrecken. Das Genehmigungsverfahren könnte bereits den Schluß auf die prinzipielle Unzulässigkeit der Vertragsform nahelegen9 . Fraglich ist aber, ob die Genehmigungsbehörde mit dem Antragsteller einen verwaltungsrechtlichen Vertrag anstatt eines Genehmigungsbescheids (§ 10 Abs. 7 BImSehG) schließen darf, wenn er erst nach Abschluß des förmlichen Genehmigungsverfahrens und unter Beachtung seiner Ergebnisse abgeschlossen wird. Mit anderen Worten lautet die Frage, ob die Regelung über den Bescheid so auszulegen ist, daß der Gesetzgeber ausschließlich den Erlaß eines Verwaltungsaktes vorschreiben wollte - im Sinne eines Vertragsformverbotes - oder ob er nur an die gebräuchlichste Handlungsform der Behörde, den Verwaltungsakt, gedacht hat, ohne jedoch den verwaltungsrechtlichen Vertrag ausschließen zu wollen. 2. Zulässigkeit

Nach § 10 Abs. 7 BlmSchG ist der Genehmigungsbescheid über den Genehmigungsantrag schriftlich 10 zu erteilen und zu begründen. Diese Äußerung des Genehmigungsbescheides kann nicht als Erkenntnis eines Vertragsformverbotes verstanden werden. Es besteht allerdings keine MögVgl. Braun, BayVBI. 1983,233. Vgl. Rengeling, Das Kooperationsprinzip im UmweJtrecht, S. 197; Kunig, DVBI. 1992, 1196; a. A. Beyer, Der öffentlich-rechtliche Vertrag, S. 94 ff. 10 Schriftform bedeutet hier, daß der Bescheid die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe Behördenleiters, seines Stellvertreters oder seines Beauftragten enthalten muß. Der notwendiger Inhalt des Genehmigungsbescheides ist in § 21 der 9. BImSchV näher bestimmt. 8

9

§ 6 Verträge bei der Anlagengenehmigung

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lichkeit auf die Durchführung des notwendigen Genehmigungsverfahrens zu verzichten. Denn das Genehmigungsverfahren hat einen eigenen Sinn und Zweck für rechtsstaatliehe Anforderungen. Es ist jedoch denkbar, daß die Genehmigungsbehörde nach Abschluß des förmlichen Genehmigungsverfahrens und unter Vorbehalt des Voraussetzungen des Genehmigungsbescheides einen Vertrag statt eines Genehmigungsbescheides zu schließen. Die Rechtmäßigkeit des solchen Vertrages bedeutet Erfüllung der Voraussetzungen, die in § 10 Abs. 7 BImSchG und § 54ff. VwVfG ausdrücklich erwähnt sind. Aber wegen der zahlreichen Einschränkungen des verwaltungs rechtlichen Vertrages ist davon auszugehen, daß in immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren praktisch der Verwaltungsakt weiterhin beinahe ausschließlich Anwendung finden wird. Dies ergibt sich insbesondere deshalb, weil gerade im Immissionsschutzrecht sehr weitgehend Rechte Dritter berücksichtigt werden müssen. Bei Außerachtlassung eines Dritten wird der verwaltungsrechtliche Vertrag gern. § 58 Abs. 1 VwVfG schwebend unwirksam.

Dritter Teil

Kooperatives VerwaItungshandeln bei der Sanierung der bestehenden Anlage Wo die Vollzugstätigkeit der Umweltbehörden nicht durch einen vorliegenden Genehmigungsantrag in Gang gesetzt wird, hängt die Umsetzung umweltrechtlicher Anforderungen davon ab, daß die Behörde aus eigener Initiative tätig wird). Es handelt sich hier um die Überwachung der bestehenden Anlagen 2 (oder genehmigten Anlagen). Bei dieser Fallgruppe handelt es sich um Sachverhalte der luftverunreinigenden Anlagen, die im Rahmen der behördlichen Kontrollen als sanierungsbedürftig festgestellt wurden, so daß die Behörde jetzt von sich aus häufig sehr kostenintensive Verbesserungen des bestehenden Zustandes veranlassen muß. Die Notwendigkeit nachträglicher Sanierung trotz der Durchführung aufwendiger Genehmigungsverfahren steht außer Zweifel. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig 3 • So können Emissions- oder Immissionsgrenzwert unzutreffend festgelegt worden sein, oder Neuerungen in der Luftreinhaltetechnik lassen eine höhere Emissionsbegrenzung zu. Ebenso können neue Erkenntnisse über die Wirkung luftverunreinigender Stoffe oder die Langzeitwirkung solcher Stoffe eine Sanierung erforderlich machen. Die Behörde muß dann den Betreiber zur Sanierung veranlassen. Hier ist ein rascher Vollzug von Maßnahmen geboten. Die Venninderung der Emissionen, die von bestehenden, nicht dem Stand der Technik entsprechenden Anlagen ausgehen, wird in der Praxis als das am schwierigsten zu lösende Problem im Immissionsschutz bezeichnet4 . Die Schwierigkeiten bei der Sanierung von bestehenden Anlagen betreffen Lübbe-Wolff, NuR 1989,299. In der Literatur wird der Begriff "bestehende Anlage" meist mit dem Begriff der "Altanlage" inhaltlich identisch verwendet. Die beiden sind aber begrifflich nicht identisch. Während bestehende Anlagen alle genehmigte Anlagen im Sinne der §§ 4ff. BImSchG sind, versteht man unter Altanlagen diejenige Anlagen, die zum Zeitpunkt der Rechtsänderung des Immissionsschutzrechts entweder bereits errichtet oder zumindest genehmigt worden waren, vgl. Jarass. Die Anwendung des neuen Umweltrechts auf bestehende Anlage, S. 19. 3 Zu den Gründen für eine Sanierung siehe Landmann/Rohmer/Hansmann. UmweltR, § 17 BImSchG Rn. 4; Jarass, DVBI. 1986, 314f. 4 Mayntz. Vollzugsproblem der Umweltpolitik. S. 135. I

2

3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

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vor allem die Durchsetzung der notwendigen technischen Maßnahmen. Das BImSchG sieht allerdings als gesetzliche Sanierungsinstrumente die nachträgliche Anordnung, die Betriebsuntersagung und den Widerruf der Anlagengenehmigung vor (§§ 17,20,21 BImSehG). Trotz der bedeutenden Stellung dieser Instrumente im System des gesetzlichen Instrumentariums sind Vollzugsdefizite bei der Anlagensanierung in erheblichem Umfang entstanden s. Eine Hauptursache dieser Vollzugsdefizite bereiten das Überwachungsdefizit der Behörden6 und die Unzureich1ichkeit der nachträglichen Anordnung 7 . Auf der Seite des Betreibers ist der Widerstand gegen eine Änderung bestehender Verhältnisse wesentlich größer als bei der Anlagengenehmigung. Bei Neuanlagen können Umweltmaßnahmen bereits bei der Planung berücksichtigt werden und verursachen daher regelmäßig weniger Kosten als eine Umrüstung 8 • Die Sanierung eines Betriebes, dessen Anlagen den immissionsschutzrechtlichen Standards nicht genügen, stößt dagegen für den Betreiber zum Teil an die Grenze der wirtschaftlichen Zumutbarkeit. Der Betreiber akzeptiert folglich das Sanierungskonzept nicht. Die Behörde steht daher vor dem Problem, Maßnahmen durchsetzen zu müssen, ohne mit der Bereitschaft des Betreibers zu eigener Initiative rechnen zu können. In diesem Zusammenhang finden sich in letzter Zeit vereinzelte Hinweise darauf, daß auch kooperatives Verwaltungshandeln (Sanierungsvereinbarung: Vertrag oder Absprache) ein geeignetes Instrument zur juristischen Bewältigung von Problemen der Sanierung der bestehenden Anlage sein kann9 • In der Praxis versuchen die Behörden immer häufiger eine Sanierung ohne den Ersatz gesetzlich geregelter Instrumente, sondern durch einen förmlichen Vertrag oder eine informelle Absprache zu erreichen 10. Insbesondere ist der Kooperationsbedarf groß, wenn Behörde und Betreiber nicht daran interessiert sind, aus Ungewißheit über den Umfang der ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit und die konkret zur Sanierung erforderlichen Maßnahmen jahrelange Gerichtsverfahren zu führen. 5 Dazu Fluck, UPR 1992, 326ff.; von Wedemeyer, Kooperation beim Vollzug des Umweltrechts, S. 103. 6 Zur Informationslage der Verwaltung vgl. Jarass, Die Anwendung des neuen Umweltrechts auf bestehende Anlage, S. 164f. 1 Vgl. dazu unten § 7 III 1. 8 Vgl. Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 136. 9 Vgl. Jarass, Die Anwendung neuen Umweltrechts auf bestehende Anlagen, S. 34f. 10 Hierzu ausführlich Amold, VerwArch 80 (1989), 125ff.; Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 164ff; Bulling, DÖV 1989, 277ff.; ders., in: Verwaltungshandeln durch Verträge und Absprachen, S. 147ff.; Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 395 ff.; siehe auch neuerdings von Wedemeyer, Kooperationen beim Vollzug des Umweltrechts, S. 127ff. 10 Song

§ 7 Gesetzliche Sanierungsinstrumente im Immissionsschutzrecht Es gilt zu klären, welche ordnungsrechtliche Instrumente überhaupt zur Verfügung stehen, die möglicherweise durch Verträge oder Absprachen ersetzt oder ergänzt werden können.

I. Materielle Anforderungen Die Grundpflichten des § 5 BImSchG sind nicht lediglich Maßstabsnormen für die Genehmigungserteilung. Vielmehr gelten sie darüber hinaus unmittelbar für die Beschaffenheit und den Betrieb genehmigungsbedürftiger Anlagen 11. Der Betreiber kann sich also nicht mit einer Erfüllung der Anforderungen, wie sie im Genehmigungsbescheid formuliert wurden, begnügen. Er hat die Pflicht, seine Anlage den sich stetig fortentwickelnden Anforderungen anzupassen 12• Die Grundpflichten werden daher als Dauerpflichten bezeichnet. Handelt es sich um Dauerpflichten, haben Änderungen in der Bewertung der Schädlichkeit von Umwelteinwirkungen und Fortschritten in der Umweltschutztechnik, die während der Betriebsdauer eintreten, unmittelbar Einfluß auf Inhalt und Umfang der Grundpflichten l3 • Derartige neue Erkenntnisse wirken sich automatisch auf den Inhalt der Grundpflichten aus. Damit kann der Betreiber nicht mehr auf die Beibehaltung des Status quo zum Genehmigungszeitpunkt vertrauen l4. D.h., wegen der dynamischen 15 Grundpflichten verleiht die Genehmigung dem Betreiber nicht mehr ein "abschließendes" Recht, die Anlage nach Maßgabe der Genehmigung zu betreiben. Die dem Genehmigungsinhaber zugewiesene Rechtsposition steht damit von Anfang an unter dem gesetzlichen Vorbehalt einer durch die Grundpflichten ausgelösten Anpassungs- und Nachrüstungspflicht. Während die Grundpflichten für die Genehmigungsvoraussetzungen einer Anlage unmittelbar und ohne Einschränkung gelten, können sie für BT-Drs. 711513, S. 4. Vgl. Feldhaus. BImSehR. § 5 BlmSchG Anm. 2; Jarass. DVBI. 1986, 315ff.; SeUner, Immissionsschutzrecht, Rn. 21. \3 Friauf, WiVerw 1989, 176. 14 Vgl. RidlHammann. VBlBW 1988, 8. 15 Vgl. Jarass. BImSehG, § 10 Rn. 2; LandmannlRohmerlKutscheidt. UmweltR, § 5 BlmSchG Rn. 10 11

12

§ 7 Gesetzliche Sanierungsinstrumente im Immissionsschutzrecht

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bestehende Anlagen zwangsweise nur durch eine nachträgliche Anordnung gern. § 17 BImSchG durchgesetzt werden. Die sachliche Reichweite der Grundpflichten ist bei bestehenden Anlagen durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt l6 •

11. Sanierungskonzept der TA-Luft 1986 Die TA-Luft ist eine nach § 48 BImSchG von der Bundesregierung erlassene allgemeine Verwaltungsvorschrift. Nachdem die im Jahre 1974 erlassene TA-Luft 17 im Jahre 1983 neu gefaßt und inhaltlich verschärft wurde, hat die TA-Luft 1986 18 wiederum TA-Luft 1974/1983 abgelöst, weil die der Vorsorge dienenden Vorschriften überholt waren und dem neuesten Stand angepaßt werden mußten. Aus diesem Grund legte die TA-Luft 1986 die Vorschriften zur Begrenzung der Emission an der Quelle für alle Industriebereiche, mit Ausnahme der Großfeuerungsanlagen, fest. Während die Verordnung über Großfeuerungsaniagen 19 anband ihrer Emissionsgrenzwerte für den konkreten Einzelfall verwendbare Festlegungen getroffen hat, enthält die TA-Luft 1986 für den Normalbetrieb genehmigungspflichtiger emittierender Anlagen Vorschriften zur Reinhaltung der Luft, die im Genehmigungsverfahren einer Anlage sowie bei nachträglichen Anordnungen und bei der Ermittlung von Emissionen und Immissionen im Einwirkungsbereich der Anlage zu beachten sind2o• Völlig neuartig ist die in der Nr. 4 der TA-Luft 1986 erfolgte Statuierung der Altanlagensanierung. Altanlagen im Sinne des TA-Luft sind Anlagen, denen bis zum 1. März 1986 eine Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb erteilt worden war oder in einem Vorbescheid oder in einer Teilgenehmigung Anforderungen an § 5 Abs. 1 Nr. 2 festgelegt waren oder die nach § 67 Abs. 2 oder vor Inkrafttreten des BImSchG nach § 16 Abs. 4 der GewO anzuzeigen waren 21 • Die Altanlagensanierung verfolgt das Ziel, den für Neuanlagen geforderten Stand der Technik zu erreichen (alt wie neu 22). Die Sanierungspflicht ist für den Betreiber erst dann verbindlich, wenn die Behörde in jedem Einzelfall eine nachträgliche Anordnung erlassen hat. Siehe dazu unten § 7 III 1. Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (GMB!. S. 426, ber. S. 525). 18 Vom 27. 2. 1986 (GMB!. S. 95, ber. S. 202). 19 Dreizehnte Verordnung zur Durchführung des zes (Verordnung über Großfeuerungsanlagen - 13. (BGB!. I S. 719). 20 Vg!. Nr. I TA-Luft. 21 Nr. 4.2.1 Abs. 4 TA-Luft. 22 Feldhaus. WiVerw 1986, 81. 16

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Bundes-Immissionsschutzgesetz TA Luft -) vom 28. 8. 1974 Bundes-ImmissionsschutzgesetBlmSchV -) vom 22. 6. 1983

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

Nachträgliche Anordnungen sind zum einen nach Nr. 4.1 TA-Luft zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen unverzüglich und zum anderen nach Nr. 4.2 TA-Luft zur Sicherstellung von Ausgleichmaßnahmen zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen mit Fristen von rechtzeitig bis zu zwei Jahren nach Inkrafttreten der TA-Luft zu erlassen. Die Beurteilung, welche Frist für eine Altanlagensanierung in Frage kommt, hängt von den Eigenheiten der jeweiligen Anlage ab. Dafür muß untersucht werden, welche Stoffe oder Stoffgruppen in relevantem Umfang im Rohgas unter Berücksichtigung der tatsächlichen Beschaffenheit und Betriebsweise der Anlag enthalten sein können 23 • Im Regelfall müssen Altanlagen innerhalb von 5 Jahren nachgebessert werden. Altanlagen mit hohem Risikopotential oder mit einem geringen technischen Nachrüstungsaufwand sind innerhalb von 3 Jahren umzurüsten. Weniger bedeutsame Sanierungsfälle müssen innerhalb von 8 Jahren entweder nachgerüstet oder stillgelegt worden sein24 • Das gesamte Vorsorge-Sanierungskonzept soll demnach bis 1994 abgewickelt sein 25 • Die Regelungen für das Vorsorge-Sanierungskonzept haben inzwischen wohl nur noch Bedeutung für die neuen Bundeslände~6. In den neuen Bundesländern galt das BImSchG auf Grund des Umweltrahmengesetzes der früheren DDR27 , das am 1. 7. 1990 in Kraft trat. Seit dem 3. 10. 1990 gilt das BImSchG gemäß Art. 8 des Einigungsvertragsgesetzes28 in den neuen Bundesländern unmittelb~9. Da Art. 8 des Einigungsvertragsgesetzes sich nur auf Gesetze und Rechtsverordnungen bezieht, ist die TA-Luft am 3. 10. 1990 nicht unmittelbar als Bundesregelungen in Kraft getreten. Vielmehr trat die TA-Luft gemäß Art. 9 Abs. 2 des Einigungsvertragsgesetzes zum 1. 7. 1990 in Krafeo. Gemäß § 67 a Abs. 3 BImSchG verlängern sich die in 23 PützlBuchholz, Anzeige- und Genehmigungsverfahren nach dem BImSchG, S.73. 24 Nm. 4.2.4-4.2.9 TA-Luft. 2S Vgl. die vom Länderausschuß für Immissionsschutz vorgelegte "Bilanz der Altanlagensanierung nach der TA Luft" (Stand der Datenzusammenstellung Mai 1995). Nach dieser Bilanz wurden seit 1986 ca. 54000 genehmigungsbedürftige Altanlagen überprüft; 23000 entsprachen nicht den Anforderungen der TA Luft; von den erforderlichen 27000 behördlichen Anordnungen wurden bisher über 89 % erlassen, zit. nach Feldhaus, NVwZ 1995,965 (Fn. 48). 26 Hierunter wird das in Art. 3 Einigungsvertrag genannte Gebiet verstanden, nämlich das Gebiet der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie der Teil des Landes Berlin (Ost), in dem das Grundgesetz bis zum 3. 10. 1990 nicht galt. 27 Vom 29. 6. 1990 (GBI. DDR I, S. 649). 28 Einigungsvertragsgesetz v. 23. 9. 1990 (BGBI. 11, S. 885). 29 Zur Geltung immissionsschutzrechtlicher Regelungen in den neuen Bundesländern vgl. Eisenbarth, UPR 1993, 171 ff. 30 Vgl. Hansmann, NVwZ 1991, 316.

§ 7 Gesetzliche Sanierungsinstrumente im Immissionsschutzrecht

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Nr. 4.2 TA-Luft vorgesehenen Fristen um ein Jahr. Danach soll die Anpassungsfrist spätestens bis 30. 6. 1999 enden 3l •

111. Gesetzliche Sanierungsinstrumente Als Sanierungsinstrumente sieht das BImSchG die nachträglichen Anordnungen, die Betriebsuntersagung, die Stillegung und den Widerruf der Anlagengenehmigung vor (§§ 17,20,21 BImSchG). § 17 BImSchG erlaubt den Erlaß nachträglicher, die Grundpflichten konkretisierender Anordnungen. Bei Nichtbeachtung von Auflagen, vollziehbaren nachträglichen Anordnungen oder Pflichten aus Rechtsverordnungen, räumt § 20 Abs. 1 BImSchG den Behörden eine Betriebsuntersagungsbefugnis ein. Daneben hat die Behörde nach § 20 Abs. 2 BImSchG die Möglichkeit, eine bestehende Anlage, die ohne die erforderliche Genehmigung errichtet, betrieben oder wesentlich geändert wird, stillzulegen oder zu beseitigen. Zum Schluß stellt die dem § 49 VwVfG entsprechende Widerrufsregelung des § 21 BImSchG die schärfste Sanktionsmöglichkeit dar. Die Praxis macht von nachträglichen Anordnungen häufig Gebrauch. Dagegen sind die Betriebsuntersagung, die Stillegung und der Widerruf der Genehmigung sehr selten in Gebrauch32 , denn diese Maßnahmen können zur völligen Entwertung der Investitionen führen und die Behörde trägt auch die Verantwortung dafür, den Betreiber vor unverhältnismäßiger wirtschaftlicher Belastung zu bewahren33 • 1. Nachträgliche Anordnung nach § 17 BImSchG

Die nachträgliche Anordnung nach § 17 BImSchG ist das Hauptinstrument zur Sanierung von bestehenden Anlagen. Für den Erlaß einer nachträglichen Anordnung muß die zuständige Behörde zunächst einen Pflichtenverstoß des Betreibers feststellen 34 • Diese Pflichten können etwa die Grundpflichten des § 5 BImSchG sein. So ist zum Beispiel die Verletzung der Schutzpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1) durch Verursachung schädlicher Umwelteinwirkungen oder die Verletzung der Vorsorgepflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 2) durch Fortentwicklung des Standes der Technik denkb~5. Darüber Vgl. Jarass, BlmSchG, § 67a Rn. 14 m.w.N. Nach einer Untersuchung verwendet die Behörde in weniger als 2 % der sanierungsbedürftigen Fällen diese Mittel. Siehe dazu von Wedemeyer, Kooperation beim Vollzug des Umweltrechts, S. 105; Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 164. 33 Jarass, DVBI. 1986, 319. 34 Feldhaus, BlmSchR, § 17 BlmSchG Anm. 9. 35 Vgl. Landmann/Rohmer/Hansmann, UmweltR, § 17 BlmSchG Rn. 61; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 423 f. 31

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

hinaus kann ein Verstoß gegen die Pflichten aus den § 7 BlmSchG ergangenen Rechtsverordnungen Anlaß für eine nachträgliche Anordnung sein36 • Die Durchsetzung weiterer Anforderungen, die andere öffentlich-rechtliche Vorschriften begründen, ist dagegen nicht möglich 37 •

a) Anwendungsbereich Nachträgliche Anordnungen nach § 17 BlmSchG können gegenüber allen Anlagen getroffen werden, die zum Zeitpunkt der Anordnung gemäß § 4 BlmSchG i. V.m. dem Anlagenkatalog der 4. BlmSchV genehmigungsbedürftig sind. Wie der Wortlaut des § 17 Abs. 1 BlmSchG (nach Erteilung der Genehmigung) zeigt, müssen die Anlagen grundsätzlich genehmigt sein38 . Dazu gehören nicht nur die nach § 4 BlmSchG genehmigten Anlagen, sondern auch Anlagen, die vor Inkrafttreten des BlmSchG nach §§ 16, 25 Abs. 1 GewO genehmigt worden sind (§ 67 Abs. 1 BlmSchG). Wird eine genehmigungsbedürftige Anlage ohne die erforderliche Genehmigung errichtet bzw. betrieben, so gilt nicht § 17, sondern § 20 Abs. 2 BlmSchG39 • Nach § 17 Abs. 5 BlmSchG können nachträgliche Anordnungen auch gegenüber Anlagen getroffen werden, die nach § 67 Abs. 2 BlmSchG oder nach §16 Abs. 4 GewO anzuzeigen waren. Auch gegenüber anzeigefreien Anlagen ist § 17 BlmSchG anzuwenden (§ 67 Abs. 3 BlmSchG)4o. Nach § 17 Abs. 4a BlmSchG dürfen nachträgliche Anordnungen zur Sicherstellung der Nachsorgepflichten aus § 5 Abs. 3 BlmSchG41 nur während eines Zeitraums von zehn Jahren nach der Betriebseinstellung getroffen werden42 .

b) Inhalt der nachträglichen Anordnungen Wenn eine genehmigte Anlage als sanierungsbedürftig festgestellt wird, kann die zuständige Behörde durch eine nachträgliche Anordnung dem Anlagenbetreiber Weisungen zur Beschaffenheit der Anlage sowie zur Art Vgl. Landmann/Rohmer/Hansmann, UmweltR, § 17 BlmSchG Rn. 65. Vgl. Fluck, UPR 1992, 330; Jarass, BImSehG, § 17 Rn. 10. 38 Vgl. Feldhaus, BImSehR, § 17 BlmSchG Anm. 6; Landmann/Rohmer/Hansmann, UmweltR, § 17 BlmSchG Rn. 45. 39 Vgl. Landmann/Rohmer/Hansmann, UmweltR, § 17 BlmSchG Rn. 56; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 421. 40 Dazu Jarass, BImSehG, § 17 Rn. 9. 41 Siehe näher oben § 4 11 I e). 42 Zum Zeitraum der Nachsorgepflichten Hansmann, NVwZ 1993, 928; Vallendar, UPR 1991,95. 36 37

§ 7 Gesetzliche Sanierungsinstrumente im Immissionsschutzrecht

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und Weise des Anlagenbetriebs erteilen. Der Inhalt der nachträglichen Anordnungen, der dabei außerordentlich vielfältig sein kann, ergibt sich aus ihrem bestimmten Ziel, insbesondere die Einhaltung einer bestimmten Emissionsbegrenzung43 • Inhalt einer nachträglichen Anordnung kann somit jede konkrete Sanierungsmaßnahme sein. Werden z. B. Fluor- oder Schwefeldioxid-Emissionen einer bestehenden Anlage, die ihre gesetzliche Emissionswerte überschritten haben, festgestellt, kann die Behörde durch eine nachträgliche .Anordung Sanierungsmaßnahmen durchsetzen44 • Als Sanierungsmaßnahmen kommen vor allem in Betracht45 : technische Emissionsminderungsmaßnahmen, Umstellungen bei Energie- und Einsatzstoffen (z. B. schwefelarmes Heizöl), Modifizierungen des Produktionsverfahrens, Änderungen im Betriebsablauf oder den Betriebszeiten46, Kapazitätsbeschränkungen, Errichtung von Lärmschutzwällen, Errichtung einer Abgasreinigungsanlage und innerbetriebliche Verlegung von störenden Anlagenteilen. Da § 17 Abs. 1 BImSchG an die jeweils genehmigte Anlage anknüpft, sind nachträgliche Anordnungen nur in Bezug auf eine konkret bezeichnete Anlage möglich. Als Adressat der nachträglichen Anordnungen kommt allein der Anlagenbetreiber in Betracht, da nur er Träger der fraglichen Pflichten sein kann47 • Die nachträgliche Anordnung kann nur schriftlich erlassen werden48 und bedarf der schriftlichen Begründung, in der insbesondere die Gesichtspunkte darzulegen sind, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. c) Ermessens- bzw. Soll-Entscheidung

Nach § 17 Abs. I Satz 1 BImSchG steht der Erlaß nachträglicher Anordnungen grundsätzlich im Ermessen der Behörde (können). Die Behörde hat unter sorgfältiger Abwägung der zu berücksichtigenden Interessen nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob sie durch eine nachträgliche Anordnung einschreitet49 • Dies betrifft vor allem die Durchsetzung von 43 Vgl. Feldhaus, BlmSchR, § 17 BlmSchG Anm. 10; lAndmann/Rohmer/Hansmann, UmweltR, § 17 BlmSchG Rn. 126. 44 Vgl. BVerwG, NVwZ 1995,994. 4S Vgl. Feldhaus, BlmSchR, § 17 BlmSchG Anm. 10; lAndmann/Rohmer/Hansmann, UmweltR, § 17 BlmSchG Rn. 131; Jarass, DVBl. 1986,318; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 436; Sundermann, Der Bestandsschutz genehmigungsbedürftiger Anlagen, S.141. 46 Vgl. BVerwGE 6, 294ff. 47 Jarass, BlmSchG, § 17 Rn. 10. 48 Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 440; Demgegenüber vertreten Jarass (BlmSchG, § 17 Rn. 42) und Hansmann (BlmSchG, § 17 Rn. 210) die Auffassung, daß die nachträgliche Anordnung schriftlich oder mündlich ergehen könne. 49 Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 426.

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

Vorsorgepflichten, insbesondere die Durchsetzung emissionsbegrenzender Maßnahmen, die dem Stand der Technik entsprechen. Das behördliche Ermessen bezieht sich nicht nur auf das Ob des Einschreitens, sondern auch auf das Wie des Einschreitens 5o• Es findet seine Grenze im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 17 Abs. 2 BImSchG). Das durch § 17 Abs. 1 Satz 1 BImSchG eingeräumte weite Ermessen ist in vielen Fällen eingeschränkt. Der wichtigste Fall wird in § 17 Abs. 1 Satz 2 BImSchG geregelt. Danach "soll" die zuständige Behörde nachträgliche Anordnungen treffen, wenn festgestellt wird, daß die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft nicht ausreichend vor schädlichen Umwelteinwirkungen oder vor sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen geschützt ist51 • Es handelt sich hier um die Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG. In diesem Fall "muß" die Behörde im Regelfall eine nachträgliche Anordnung erlassen52 • Dabei braucht sie keine nähere Begründung53 • Das Ermessen der Behörde ist hier auf Null reduziert. Die überwiegende Zahl realisierter nachträglichen Anordnungen bezieht sich auf Sanierungsfalle im diesen Sinne. Nur in atypischen Ausnahmefallen steht dagegen der Erlaß der nachträglichen Anordnung im Ermessen54 • Atypische Umstände liegen etwa vor, wenn die Betroffenen in die Beeinträchtigung eingewilligt haben oder die Anlage ohnehin in Kürze stillgelegt worden soll, nicht jedoch deshalb, weil im Einwendungsverfahren keine Bedenken vorgetragen wurden 55 • Die "Soll"-Vorschrift des § 17 Abs. 1 Satz 2 BImSchG hat nachbarschützenden Charakter6 • Der daraus erwachsende Rechtsanspruch geht in der 50 Vgl. Feldhaus, BImSehR, § 17 BImSchG Anm. 12; Landmann/Rohmer/Hansmann, UmweltR, § 17 BImSchG Rn. 165. 51 Nach der ergänzenden Bestimmung der Nr. 4.1.4 TA Luft sollen die nachträglichen Anordnungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen "unverzüglich" getroffen werden. 52 Zwar enthält § 17 Abs. I Satz 2 BImSchG eine "Soll"-Vorschrift; es besteht aber Einigkeit darüber, daß die Behörde unter den dort vorgesehenen Voraussetzungen nachträgliche Anordnungen treffen "muß". Siehe dazu nur Jarass, BImSehG, § 17 Rn. 38. 53 Jarass, Die Anwendung neuen Umweltrechts, S. 30. 54 Die Abweichung von dieser "Soll"-Vorschrift ist als Ausnahme besonders zu begründen, vgl. Feldhaus, BImSehR, § 17 BImSchG Anm. 5; Jarass, DVBI. 1985, 193; ferner BVerwGE 42, 26 (28) - die Sollvorschrift des § 13 Abs. 4 Satz 3 Musterungsverordnung -; BVerwGE 84, 220 (233) - die Sollvorschrift des § 20 Abs. 2 BImSehG. 55 Vgl. Jarass, BImSehG, § 17 Rn. 38; Landmann/Rohmer/Hansmann, UmweltR, § 17 BImSchG Rn. 169,232. 56 Breuer, Umweltschutzrecht, in: Bes. VerwR, Rn. 202; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 465 ff.

§ 7 Gesetzliche Sanierungsinstrumente im Immissionsschutzrecht

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Regel auf den Erlaß konkreter zulässiger Anordnungen. Denn sofern bei einer gebundenen Ennessensentscheidung keine Ausnahmesituation vorliegt, sind die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, ohne daß insoweit ein Ennessensspielraum besteht57 • Anderenfalls kann ein Nachbar nur einen Anspruch auf einen fehlerfreien Ennessensgebrauch geltend machen58 . d) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Die nachträgliche Anordnung ist von Anfang an das rechtstechnische Mittel, die Erfüllung der Grundpflichten des § 5 BImSchG zu erzwingen. Dies bedeutet aber nicht, daß die Inhaber die genehmigten Anlagen grenzenlos nachzurüsten hätten. Auch sie können sich auf den Grundsatz der VerhältnismäßigkeitS9 berufen. Durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist die sachliche Reichweite der Grundpflichten bei genehmigten Anlagen eingeschränkt. Nach § 17 Abs. 2 BImSchG sind nachträgliche Anordnungen nicht zulässig, wenn sie unverhältnismäßig sind. Unverhältnismäßig ist eine nachträgliche Anordnung vor allem dann, wenn der mit der Erfüllung der Anordnung verbundene Aufwand nicht im Verhältnis zu dem mit ihr angestrebten Erfolg steht. Auf der Seite des Aufwands sind sowohl der Grad der Abschreibung der Anlage und die verbleibende Restnutzung als auch die Produktionsbedingungen in die gebotene Abwägung einzubeziehen60 • Auf der Seite des Erfolgs nennt das Gesetz als Kriterium Art, Menge und Gefahrlichkeit der von der Anlage ausgehenden Emissionen und der von ihr verursachten Immissionen sowie die Nutzungsdauer und technischen Besonderheiten der Anlage. Diese Aufzählung der Kriterien ist hier zwar nicht abschließend (insbesondere), aber für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der nachträglichen Anordnungen maßgebend. Da das Kriterium der wirtschaftlichen Vertretbarkeit durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ersetzt wurde, um den Anwendungsbereich des § 17 BImSchG zu erweitern, ist eine nachträgliche Anordnung grundsätzlich verhältnismäßig, wenn sie wirtschaftlich vertretbar ist. Beim Erlaß der nachträglichen Anordnung sind allgemein anerkannte Maßstäbe der fonnalen Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die nachträgliche Anordnung muß daher geeignet sein, das angestrebte Ziel (Beseitigung der 57 Schmidt/Müller, Einführung in das Umweltrecht, § 3 Rn. 44; Kopp, VwVfG, § 40 Rn. 11 m.w.N. 58 Vgl. Feldhaus, BlmSchR, § 15 BlmSchG Anm. 18; Jarass, BImSehG, § 17 Rn. 51; Landmann/Rohmer/Hansmann, UmweltR, § 17 BlmSchG Rn. 233. 59 Zum allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vgl. näher Woljf/Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht I, § 30 Rn. 8 m. w.N. 60 BT-Drs. 10/1862, S. 11.

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

Pflichtenverletzung) zu erreichen61 • Dies setzt voraus, daß das Ziel rechtlich und tatsächlich erreichbar ist. Die einzusetzenden Mittel müssen auch rechtlich und tatsächlich realisierbar sein. Darüber hinaus muß die nachträgliche Anordnung weiterhin erforderlich sein. Das heißt, der Verstoß darf nicht durch eine andere für den Betreiber mildere Maßnahme beseitigt werden können62 • Die Erforderlichkeit dient also der Ermittlung des am wenigsten belastenden Eingriffs. Sie ist Ausdruck des ökonomischen Minimalprinzips. Vorausgesetzt wird dabei, daß das angestrebte Ziel mit dem alternativen Mittel ebenso gut erreicht werden kann. Mit dieser Einschränkung muß die Behörde auch eine andere, vom Anlagenbetreiber vorgeschlagene Abhilfemaßnahme akzeptieren63 • Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht der Durchsetzung der immissionsschutzrechtlichen Schutzpflicht aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 1 BImSchG nur in atypischen Fällen entgegen. Denn aus § 17 Abs. 1 Satz 2 BImSchG folgt, daß der Gesetzgeber der Erfüllung dieser Pflichten gegenüber den Interessen des Anlagenbetreibers grundSätzlich Vorrang einräumt64 • 2. Betriebsuntersagung nach § 20 Abs. 1 BImSchG a) Allgemeines

Zur zwangsweisen Durchsetzung der Vorschriften des BImSchG räumt § 20 Abs. 1 BImSchG den Behörden eine Befugnis der Betriebsuntersagung ein. Die zuständige Behörde kann den Betrieb der Anlage ganz oder teilweise untersagen. Dieses scharfe Mittel der Betriebsuntersagung ist nur eine vorübergehende Maßnahme, die zur Erzwingung der Beachtung von Auflage, Anordnung oder Pflicht durch den Betreiber eingesetzt werden kann. Die Betriebsuntersagung ist daher bis zur Erfüllung des Untersagungsgrundes zulässig. Die Betriebsuntersagung steht im Ermessen der zuständigen Behörde. Dabei hat die Behörde den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Es kann daher u. U. geboten sein, erst mit Mitteln des Verwaltungszwangs gegen den Betreiber vorzugehen, ehe das schärfere Mittel der Betriebsuntersagung eingesetzt wird65 • Vgl. Landmann/Rohmer/Hansmann, UmweltR, § 17 BlmSchG Rn. 80. Wenn beispielsweise die Lärmbelastung für die Nachbarschaft durch das Schließen der Fenster und Türen im Anlagengebäude vermieden werden kann, ist eine Kapselung der Anlage nicht zulässig. vgl. Jarass, DVBI. 1986,318. 63 Vgl. Sel/ner, Immissionsschutzrecht, Rn. 439. 64 Vgl. Feldhaus, BlmSchR, § 17 BlmSchG Anm. 15. 65 Feldhaus, BlmSchR, § 20 BlmSchG Anm. 11; Sundermann, Bestandsschutz genehmigungsbedürftiger Anlagen, S. 172 f.; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 478. 61

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§ 7 Gesetzliche Sanierungsinstrumente im Immissionsschutzrecht

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Die Betriebsuntersagung nach § 20 Abs 1 BlmSchG bezieht sich nur auf die genehmigte Anlage. Wenn eine Anlage ohne die erforderliche Genehmigung errichtet, betrieben oder wesentlich geändert wird, betrifft sie nicht Untersagung sondern Stillegung bzw. Beseitigung nach § 20 Abs. 2 BlmSchG. b) Voraussetzungen

Eingriffsvoraussetzung der Betriebsuntersagung ist, daß eine Auflage, eine vollziehbare nachträgliche Anordnung oder eine abschließend in einer Rechtsverordnung nach § 7 BlmSchG bestimmte Pflicht vom Betreiber einer genehmigungs bedürftigen Anlage nicht befolgt wird. Hier müssen die Auflage, Anordnung oder Pflicht aus der Rechtsverordnung Beschaffenheit oder Betrieb der Anlage betreffen. Bis zum Wegfall dieser Untersagungsvoraussetzungen wird die Betriebsuntersagung in der Regel anzuordnen sein. Auflagen sind Nebenbestimmungen des Genehmigungsbescheids, mit denen der Betreiber zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen verpflichtet worden ist. Ob die Auflage der Erfüllung immissionsschutzrechtliche Grundpflichten (§§ 5 LV. m. 6 Abs. 1 Nr. 1) oder sonstiger öffentlich-rechtlicher Pflichten (§ 6 Abs. I Nr. 2) dient, ist unerheblich66 • Zur Frage, ob unter Auflagen LS. des § 20 Abs. 1 BlmSchG sowohl echte als auch sog. modifizierende Auflagen 67 zu verstehen sind, werden unterschiedliche Ansichten vertreten. Nach einer Ansicht68 ist bei der Nichtbeachtung der modifizierenden Auflagen nicht Betriebsuntersagung (§ 20 Abs. 1), sondern Stillegung (§ 20 Abs. 2) einschlägig. Der Gegenauffassung zufolge69 kann die Behörde grundsätzlich sowohl echte wie auch modifizierende Auflagen mittels einer Betriebsuntersagung durchsetzen. Bei der Nichtbeachtung der modifizierenden Auflagen könne die Behörde unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zwischen Betriebsuntersagung und Stilllegung wählen. Bei Nichterfüllung einer Auflage enthält das BlmSchG eine weitere Eingriffsmöglichkeit, nämlich den Widerruf der Genehmigung 66 VgJ. Feldhaus, BlmSchR, § 20 BlmSchG Anm. 10; Jarass, BlmSchG, § 20 Rn. 7. 67 Unter einer modifizierenden Auflage versteht man eine solche Auflage, die den Gegenstand der Genehmigung qualitativ verändert. Sie soll wegen dieses ihres besonderen Charakters nicht isoliert anfechtbar und aufhebbar sein, vgJ. Maurer, Allg. VerwR., § 12 Rn. 5. 68 VgJ. Jarass, BlmSchG, § 20 Rn. 7; Landmann/Rohmer/Hansmann, UmweJtR, § 20 BlmSchG Rn. 24. 69 VgJ. Feldhaus, BlmSchR, § 20 BlmSchG Anm. 10; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 477.

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

(§ 21 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG). Die zuständige Behörde kann beide Möglichkeiten grundsätzlich unabhängig voneinander anwenden 7o . Die in einer Rechtsverordnung nach § 7 BImSchG abschließend bestimmten Pflichten des Betreibers sind auch Grundlage für eine Betriebsuntersagung. Z. B. sind die Nachrüstungspflichten der Großfeuerungsanlagenverordnung für die Betreiber von Altanlagen unmittelbar wirksam. Es bedarf keiner Umsetzung durch einen pflichtbegründenden Verwaltungsakt. Wenn der Betreiber diese Nachrüstungspflichten der Großfeuerungsanlagenverordnung dennoch nicht erfüllt, kann die Behörde eine Betriebsuntersagung erlassen. In diesem Fall kommt eine nachträgliche Anordnung nur in Betracht, wenn die Behörde gegen den Betreiber im Wege des Verwaltungszwangs vorgehen möchte71 •

Nach § 20 Abs. 3 BImSchG kann der weitere Betrieb einer Anlage untersagt werden, wenn sich der Betreiber oder ein mit der Leitung des Betriebs Beauftragter als in bestimmter Weise unzuverlässig erwiesen hat. Die Untersagung muß hier zum Wohl der Allgemeinheit geboten sein. Diese Vorschrift ist notwendig, weil eine persönliche Unzuverlässigkeit im Genehmigungsverfahren nach dem BImSchG keine Berücksichtigung finden kann. Der Begriff der Unzuverlässigkeit in § 20 Abs. 3 BImSchG ist enger als der des § 35 GewO (mangelnde Gewähr künftigen ordnungsmäßigen Verhaltens) zu verstehen, da er sich nur auf die Einhaltung von Rechtsvorschriften zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen bezieht72 • Der Betreiber (der beauftragte Betriebsleiter) ist nur dann unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamtbild seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, daß er beim Betrieb der Anlage die immissionsschutzrechtlichen Pflichten beachten wird73 •

3. Stillegung und Beseitigung nach § 20 Abs. 2 BImSchG Nach § 20 Abs. 2 BlmSchG soll die zuständige Behörde anordnen, daß eine Anlage, die ohne die erforderliche Genehmigung errichtet, betreiben oder wesentlich geändert wird, stillzulegen oder zu beseitigen ist. § 20 Abs. 2 BImSchG ist damit die notwendige Konsequenz, um die Pflicht zur Genehmigung der Anlage nach § 4 BlmSchG durchsetzen zu können. Insoweit knüpft das BlmSchG an die formelle Illegalität an74 •

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Landmann/Rohmer/Hansmann, Umwe1tR, § 21 BlmSchG Rn. 16 Vgl. Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 479. Vgl. Ule/Laubinger, BImSehG. § 20 Rn. E 6. Vgl. OVG Saarland, UPR 1985,247. Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 485.

§ 7 Gesetzliche Sanierungsinstrumente im Immissionsschutzrecht

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4. Widerruf der Genehmigung nach § 21 BImSchG a) Allgemeines

Rechtsmäßig erteilte Genehmigungen können nach § 21 BImSchG vollständig oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden75 • Der Widerruf ist nur zulässig, wenn eine nachträgliche Änderung der Umgebung den Widerruf erfordert, um das öffentliche Interesse nicht zu gefahrden, oder wenn schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen sind. Gegenstand eines Widerrufs nach § 21 BImSchG sind nach dem BImSchG erteilte Genehmigungen. Dazu gehören Vollgenehmigungen und Teilgenehmigungen (§ 8 BImSchG). Die Entscheidung des Widerrufs steht im Ermessen der zuständigen Behörde. Im Hinblick auf die Rechtsposition des Anlagenbetreibers ist dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit immer zu beachten. Da der Widerruf die letzte und schärfste Eingriffsmöglickeit ist, muß die Behörde stets den geringstmöglichen Eingriff wählen. Deswegen darf die Genehmigung nicht widerrufen werden, wenn das angestrebte Ziel durch eine nachträgliche Anordnung (§ 17) oder durch eine Betriebsuntersagung (§ 20) erreicht werden kann 76 • Der Widerruf der Genehmigung ist nach § 21 Abs. 2 BImSchG nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme von den den Widerruf rechtfertigenden Tatsachen zulässig. Diese Ausschlußfrist gilt für alle Widerrufsgründe gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BImSchG77 • Im übrigen wirkt der Widerruf nur für die Zukunft. b) Widerrufsgründe

Der Widerruf einer rechtmäßig erteilten Anlagengenehmigung ist "nur" unter den Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BImSchG möglich (abschließende Aufzählung). Aus anderen Gründen darf der Widerruf der rechtmäßigen Genehmigung nicht erfolgen. Nach § 21 Abs. 1 Nr. I BImSchG kann die Genehmigung widerrufen werden, wenn der Widerruf vorbehalten ist. In diesem Fall sieht das Gesetz eine Entschädigungspflicht nicht vor. 75 § 21 BlmSchG war im Regierungsentwurf nicht enthalten, weil erwartet wurde, daß das VwVfG noch vor dem BlmSchG verabschiedet würde. Da sich diese Erwartung nicht erfüllte, wurde die heutige Regelung in das Gesetz aufgenommen. § 21 BImSchG ist weitgehend inhaltsgleich mit § 49 des am 1.1. 1977 in Kraft getretenen VwVfG. Zur Entstehungsgeschichte siehe Feldhaus, BImSchR, § 21 BlmSchG Anm. 1. 76 Vgl. Feldhaus, BlmSchR, § 21 BlmSchG Anm. 9. 77 Vgl. Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 519; Ule/Laubinger. BlmSchG, § 21 Rn. D 24.

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

Nach § 21 I Nr. 2 BlmSchG kann die Genehmigung widerrufen werden, wenn mit ihr eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese Auflage nicht oder nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist erfüllt hat. Bei Nichterfüllung einer Auflage besteht ein Konkurrenzverhältnis zwischen dem Widerruf der Genehmigung und der Betriebsuntersagung, da § 20 BlmSchG auch eine Möglichkeit der Betriebsuntersagung für den gleichen Fall enthält. Die Betriebsuntersagung ist wegen der rückgängigen Wirkung grundsätzlich ein milderes Mittel als der Widerruf. Deshalb darf der Widerruf nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in diesem Fall nur ausnahmsweise gebraucht werden 78. Nach § 21 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG kann die Genehmigung widerrufen werden, wenn die Genehmigungsbehörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, die Genehmigung nicht zu erteilen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Nachträglich - nach Erteilung der Genehmigung - eingetretene Tatsachen können eine Veränderung in der Umgebung der Anlage (z. B. Heranrücken von Wohnbebauung) 79 sein. Darüber hinaus gehören zu den nachträglich eingetretenen Tatsachen auch neue Erkenntnisse über die Gefahren, die von bestimmten Betriebsweisen oder Emissionen ausgehen können8o • Nach § 21 I Nr. 4 BImSchG kann die Genehmigung auch widerrufen werden, wenn die Genehmigungsbehörde auf Grund einer geänderten Rechtsvorschrift berechtigt wäre, die Genehmigung nicht zu erteilen, soweit der Betreiber von der Genehmigung noch keinen Gebrauch gemacht hat, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Welche Rechtsvorschriften von dieser Regelung erfaßt werden, ist umstritten. Nach einer Auffassung8 ) umfasse diese Regelung auch jene Fälle, in denen nach Erteilung der Genehmigung die Genehmigungsvoraussetzungen in einer Rechtsverordnung nach § 7 BlmSchG oder einer Verwaltungsvorschrift nach § 48 BlmSchG verschärft wurden. Die Gegenauffassung 82 sieht die Verschärfung untergesetzlicher Normen, die auf § 7 oder § 48 beruhen, nicht als Rechtsänderungen im Sinne des § 21 Abs. 1 Nr. 4 BlmSchG an. 78 Vgl. Jarass, BlmSchG, § 21 Rn. 8; LandmannlRohmerlHansmann, UmweltR, § 21 BlmSchG Rn. 27.

79 Das bekannteste Beispiel sind die sog. Schweinemästerfalle, in denen ein ursprünglich fern von Wohngebieten angesiedelter Schweinernastbetrieb mit einer später herangerückten Wohnbebauung ordnungsrechtlich unvereinbar geworden war. Die Rechtsprechung hatte hier eine Betriebsuntersagung für zulässig gehalten. vgl. OVG Münster, OVGE 11, 250ff. 80 Vgl. LandmannlRohmerlHansmann, UmweltR, § 21 BlmSchG, Rn. 33; Ulel Laubinger, BlmSchG, § 21 Rn. C 22. 81 Vgl. Feldhaus, BlmSchR, § 21 BlmSchG Anm. 7; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 516. 82 Vgl. Jarass, BlmSchG, § 21 Rn. 14.

§ 7 Gesetzliche Sanierungsinstrumente im Immissionsschutzrecht

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Sie argumentiert, daß Änderungen von Rechtsverordnungen nach § 7 oder von Verwaltungsvorschriften nach § 48 auf die Dynamik der unmittelbar geltenden Pflichten des § 5 zurückzuführen seien. Da den Veränderungen der tatsächlichen und rechtlichen Lage auch durch eine nachträgliche Anordnung Rechnung getragen werden kann, ist entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ein Widerruf grundsätzlich nur zulässig, soweit es mit gleichem Erfolg auch eine nachträgliche Anordnung ist. Nach § 21 Abs. 1 Nr. 5 BlmSchG kann die Genehmigung widerrufen werden, um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen. Nachteile für das Gemeinwohl müssen hier über schädliche Umwelteinwirkung sowie sonstige Gefahr und erheblichen Nachteil i.S. des § 1 BlmSchG hinaus schwerwiegend sein83 . Wenn die Bevölkerung im Einwirkungsbereich der Anlage in ihrer Gesundheit gefährdet ist, ist das stets als schwerer Nachteil für das Gemeinwohl anzusehen 84 • Im Hinblick darauf stellt sich die Frage, ob die Vorschrift der Nr. 5 der Vorsoge dienen kann; m.a.W. ob eine Anlagengenehmigung aus Vorsorgeerwägung auch widerrufen werden kann und gegebenenfalls der Widerruf als Enteignung qualifiziert werden soll. Nach herrschender Auffassung85 kann eine Genehmigung auch aus Vorsorgeerwägungen widerrufen werden. Der Widerruf nach § 21 Abs. 1 Nr. 5 BlmSchG könne daher auch der Vorsorge dienen, ohne eine Enteignung darzustellen. c) Entschädigung

Ein entschädigungsloser Widerruf kommt im Falle des Bestehens eines Widerrufsvorbehalts gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG und bei Nichteinhaltung von Auflagen gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG in Betracht, da in diesen Fällen der Anlagenbetreiber allein eigenes Risiko auf sich genommen hat. Da Sanierungsfälle in den allermeisten Fällen nicht unter diesen Vorbehalt fallen, entsteht für die Genehmigungsbehörde durch diese Pflicht eine so große finanzielle Belastung, daß sie vor einem Widerruf zurückschreckt86 • § 21 Abs. 4 BlmSchG sieht in den Fällen der § 21 Abs. 1 Nm.3 bis 5 BlmSchG eine Entschädigung vor. Der Anlagenbetreiber hat in diesen Fällen einen Entschädigungsanspruch, soweit er auf den Bestand der 83 Vgl. Feldhaus, BlmSchR, § 21 BlmSchG Anm. 8; Landmann/Rohmer/Hansmann, UmweltR, § 21 BlmSchG Rn. 44. 84 Seltner, Immissionsschutzrecht, Rn. 517. 8S Vgl. Feldhaus, BlmSchR, § 21 BlmSchG Anm. 8; Seltner, Immissionsschutzrecht, Rn. 517. 86 Vgl. Mayntz, Vollzugsproblem der Umweltpolitik, S. 408f.

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

Genehmigung vertraut hat und sein Vertrauen schutzwürdig ist87 . Insbesondere läßt das Tatbestandsmerkmal der Schutzwürdigkeit des Vertrauens ausreichend Raum für die Berücksichtigung der zeitlichen Dimension einer Rechtsstellung. Falls eine Anlage über einen längeren Zeitraum betrieben wird und sich inzwischen längst amortisiert hat, wird es jedenfalls häufig an der einen Entschädigungsanspruch rechtfertigenden Schutzwürdigkeit des Vertrauens mangeln. Im übrigen setzt die Entschädigung wegen der Fristgebundenheit (innerhalb eines Jahres) stets einen Antrag des Betroffenen voraus. Die Höhe der Entschädigung nach § 21 Abs. 4 BImSchG ist nur auf den Vertrauensschaden, das sog. negative Interesse des betroffenen Betreibers, beschränkt. Der Betreiber hat also einen Entschädigungsanspruch darauf, wirtschaftlich so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn er nicht auf den Fortbestand der Genehmigung vertraut hätte88 • Er soll so stehen, als wenn er von vornherein gewußt hätte, daß die Genehmigung zu dem bestimmten Zeitpunkt widerrufen wird89 •

87 Vgl. Landmann/Rohmer/Hansmann, UmweltR, § 21 BlmSchG Rn. 60; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 519; Ule/Laubinger, BImSehG, § 21 Rn. E 4. 88 Vgl. Ule/Laubinger, BImSehG, § 21 Rn. E 12. 89 Landmann/Rohmer/Hansmann, UmweltR. § 21 BlmSchG Rn. 66.

§ 8 Sanierungsvereinbarungen bei der bestehenden Anlage I. Einführung 1. Vorverhandlungen vor dem Erlaß nachträglicher Anordnungen

a) Bedeutung der Vorverhandlungen

Hinsichtlich der Kooperationsmöglichkeiten etwa vor dem Erlaß nachträglicher Anordnungen können informelle Vorbereitungsabsprachen erfolgen. Jeder Entscheidung der Behörden, zur Durchsetzung von Sanierungsmaßnahmen eine nachträgliche Anordnung zu erlassen, geht, eine Kontaktaufnahme (sog. RevisionsschreibenI) mit dem Anlagenbetreiber voraus. Da durch eine nachträgliche Anordnung regelmäßig in die Rechte des Betreibers eingegriffen wird, besteht zur Anhörung bereits eine Pflicht aus § 28 VwVfG 2 . Die Kontakte mit dem Betreiber gehen im Normalfall jedoch weit über eine bloße Anhörung hinaus. Sie haben die Funktion der Verhandlungen. Allerdings müssen diese Verhandlungen nicht unbedingt mit einer Vereinbarung über die zu treffende Sanierungsmaßnahmen abgeschlossen werden 3 • Durch Verhandlungen kommt vielmehr eine teilweise Konsensbildung über die Aufwendigkeit der zu erfüllenden Sanierungsmaßnahmen, die Art der unterschiedlichen Abhilfemöglichkeiten sowie die bis zur Realisation einzuhaltenden Fristen4 • Diese sog. Vorverhandlungen in Form der Kontaktaufnahme und Diskussion zwischen Behörde und Betreiber vor Erlaß einer nachträglichen Anordnung sind besonders sinnvoll, soweit es sich um sehr komplizierte Sachverhalte handelt. Vorverhandlungen sollen einerseits die Akzeptanz der Betreiber hinsichtlich der erlassenen Anordnung erhöhen und damit das Risiko eines Rechtsstreits verringern 5 • Andererseits versucht die Behörde auf diese Jarass, DVBI. 1986, 320. Während eine Beratung in rechtlicher Hinsicht zur Vorbereitung eines Genehmigungsverfahrens mit den Normierung des § 2 Abs. 2 der 9. BlmSchV sogar vorgeschrieben ist, trifft dies bei Sanierungen zunächst nicht zu. 3 Vgl. Fluck, UPR 1992,327. 4 Vgl. Bartscher, Der Verwaltungsvertrag in der Behördenpraxis, S. 49; Funke, in: Verwaltungshandeln durch Verträge und Absprachen, S. 179. I

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

Weise dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen, indem sie dem Anlagenbetreiber ermöglicht, sich eines von mehreren Sanierungsmitteln, die den angestrebten Zweck erreichen können, auszuwählen. Darüber hinaus kann die Behörde in diesem frühen Stadium sondieren, ob der Betreiber zu kooperativen Sanierungsvereinbarungen bereit ist und welche kompensatorischen Handlungsbeiträge er im Tausch gegen den behördlichen Verzicht auf den Erlaß einer nachträgli~hen Anordnung zu erbringen gewillt bzw. in der Lage ist. b) Beteiligung Dritter

So wie bei den Vorverhandlungen im Genehmigungsverfahren gibt es auch während der Vorverhandlungen im Sanierungsverfahren keine Beteiligung Dritter, die Beschwerden erhoben haben. Dies hängt vor allem mit dem Sanierungsverfahren zusammen, wie es in §§ l7ff. BImSchG geregelt ist. Im Gegensatz zur Genehmigung, bei der die Genehmigungsbehörde gemäß § 10 Abs. 3 BImSchG die Einwendung Dritter anhören muß, ergibt sich eine entsprechende Verpflichtung bei den nachträglichen Anordnungen nicht, so daß eine Beteiligung Dritter selten sein wird. Dritte können nur von Amts wegen oder auf Antrag gemäß § 13 Abs. 2 VwVfG in das Verfahren der nachträglichen Anordnungen hinzugezogen werden6 • Die fehlende Beteiligung Dritter im Rahmen einer Sanierung birgt zunächst die Gefahr, daß eine ausreichende Berücksichtigung ihrer Rechte nicht erfolgt. Da auf Grund des Informationsdefizites der Nachbarn ihrer Beteiligung Grenzen gesetzt sind, kann eine solche Berücksichtigung in effektiver Weise ohnehin nur durch die Behörde geschehen. Allerdings wird in der Regel nicht in die Rechtsposition eines Nachbarn eingegriffen werden7 , wenn der Emissionszustand der Anlage durch Sanierungsmaßnahmen sowieso nur verbessert wird. Solange lediglich die Luftqualität verbessert wird, ergibt sich dadurch keine negative Zustandsveränderung für den Nachbarn8 .

Vgl. Mayntz. Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 424. Jarass. BImSehG, § 17 Rn. 41. 7 Tomerius. Informelle Projektabsprachen im Umweltrecht, S. 38. B Es könnten allerdings durch Sanierungsmaßnahmen unerwartete Nachteile, wie z. B. verbaute Sicht, lärmender Abgasfilter etc., entstehen. S

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§ 8 Sanierungsvereinbarungen bei der bestehenden Anlage

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c) Übergang zwischen Absprachen, Verträgen

und nachträglichen Anordnungen

In der Verwaltungspraxis ist der Übergang zwischen einer vorbereitenden Sanierungsabsprache in der Form der Vorverhandlung einerseits und eines abschließenden Sanierungsvertrages andererseits fließend 9 . Die vorbereitende Sanierungsabsprache wird also manchmal im Vorfeld des Sanierungsvertrages eingesetzt. Die Verwaltungspraxis zeigt vor allem bei komplexen und technischen verwickelten Sanierungsentscheidungen vielfach das Phänomen der in den Abschluß eines rechtsverbindlichen Sanierungsvertrages einmündenden Sanierungsabsprache. Die Behörde verzichtet hier auf den Erlaß einer nachträglichen Sanierungsanordnung mit Blick auf die spätere rechtsverbindliche verwaltungsvertragliche Fixierung der zunächst unverbindlich ausgestalteten Sanierungsabsprache. Ein gängiges Beispiel aus der Praxis des Regierungspräsidiums Stuttgart möge dies verdeutlichen 10: In diesem Fall hatten sich die Behörde und die Firma (DLW) in der Form der Absprache auf die Reduzierung der Schadstoffemissionen einer Heizanlage geeinigt. Dieses Abspracheergebnis sollte zu einem späteren Zeitpunkt durch die Niederlegung in einem verwaltungsrechtlichen Vertrag rechtliche Verbindlichkeit erlangen. Hier stellte die Absprache nur einen Zwischenschritt, quasi eine vorbereitende Maßnahme zu dessen Abschluß, dar. Ebenso kann ein Sanierungsvertrag als ein Vorvertrag im Vorfeld der nachträglichen Anordnung abgeschlossen werden. Der Inhalt des Sanierungsvertrages wird in diesem Fall später in Form einer nachträglichen Anordnung wieder geregelt. Ein konkretes Beispiel I I : Das Regierungspräsidium Stuttgart hat mit den Technischen Werken der Stadt Stuttgart (TWS), die ein Kraftwerk und eine Müllverbrennungsanlage betreiben, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag geschlossen. In dem Vertrag erklärt sich der Betreiber, für sein Kraftwerk eine Rauchgasentschwefelungsanlage zu errichten. Die Entschwefelungsanlage muß dabei den Grenzwert von 400 Milligramm S02 pro Kubikmeter Rauchgas einhalten. Demgegenüber verpflichtet sich der Regierungspräsident, unverzüglich die Genehmigung für einen weiteren Kessel des Kraftwerks zu erteilen und bei diesem auf eine Rauchgasentschwefelungsanlage zu verzichten. Im Vertrag wird darauf hingewiesen, daß der Inhalt dieses Vertrages in Form einer nachträglichen Anordnung zu diesem Kessel rechtsverbindlich geregelt werden wird. Damit ersetzt dieser Vertrag keinen Verwaltungsakt. Er beschränkt sich nur auf die Absichtserklärung der TWS. Vgl. Bauer, VerwArch 78 (1987), 263. Bullig, DÖV 1989, 283f.; dazu näher hinten § 811 4d) (3). 11 Amold, VerwArch 80 (1989), 126ff.

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

2. Sanierungsvereinbarungen anstalt nachträglicher Anordnungen a) Erscheinungsformen der Sanierungsvereinbarungen

Während bei der Anlagengenehmigung kooperatives Verwaltungshandeln vornehmlich während des Verfahrens auftritt, gibt es bei der Sanierung der bestehenden Anlagen einen Ersatz der Instrumente durch Verträge oder informelle Absprachen (sog. Sanierungsvereinbarungen 12). Eine (kooperative) Sanierungsvereinbarung zur Abwendung eines einseitig-hoheitlichen Sanierungsinstruments - insb. einer nachträglichen Anordnung - liegt vor, wenn eine Behörde und ein Betreiber einer sanierungsbedürftigen Anlage in einern verwaltungsrechtlichen Vertrag oder in einer Absprache vereinbaren, in welcher Weise die betreffende Anlage verbessert werden muß damit die Schadstoffe missionen vermindert werden 13. Bei der Einigung über Sanierungsmaßnahmen durch Vereinbarungen ist die Konsensbildung naturgemäß Voraussetzung für die Durchsetzung der Sanierungsmaßnahme. Sanierungsverträge und Sanierungsabsprachen haben gleiche Inhalte 14. Sanierungsverträge sind nur wegen ihrer Verbindlichkeit und wegen ihrer formellen Regelung deutlich von informellen und nicht bindenden Sanierungsabsprachen zu unterscheiden ls . Diese Sanierungsverträge, in denen auf den Ersatz der nachträglichen Anordnung und gegebenenfalls einer Betriebsuntersagung verzichtet wird 16, sind meistens Austauschverträge i. S. des § 56 VwVfG, da Leistungen der Behörde (Nichterlaß der nachträglichen Anordnung, Genehmigungserteilung, Fristengewährung etc.) mit Gegenleistungen des Anlagenbetreibers (Erfüllung der Sanierungsmaßnahmen) verknüpft werden 17. Sanierungsabsprachen sind hier keine Vorbereitungsabsprachen, sondern Vermeidungs- bzw. Ersatzabsprachen, die der Vermeidung der nachträglichen Anordnung dienen l8 • Bei bei den Handlungsformen handelt 12 Der Begriff der Vereinbarung besagt hier, daß die Parteien sich geeignet haben. Er schließt sowohl die förmliche und verbindliche Vertragsform als auch die formlose und unverbindliche Form der Absprachen ein, vgl. Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen, S. 45; vgl. ferner Maurer, DVBI. 1989,807; Häusler, in: Verwaltungshandeln durch Verträge und Absprachen, S. 177. 13 Vgl. Bohne, VerwArch 75 (1984), 354, 357; Breuer, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band I, S. 247; Jarass, DVBI. 1986, 320; ders., BlmSchG, § 17 Rn. 5 f.; Lübbe-Wolff, NuR 1989, 30 I. 14 Vgl. Bohne, VerwArch 75 (1984), 357. IS Zum Ersatz eines Verwaltungsaktes durch verwaltungsrechtlichen Vertrag im Umweltbereich Beyer, Der öffentlich-rechtliche Vertrag, S. 21 ff. 16 Vgl. Hili/Weber, Vollzugserfahrungen mit umweltrechtlichen Zulassungsverfahren, S. 194; zur Schwierigkeit der Abgrenzung Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 54 Rn. 78. 17 Vgl. Breuer, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band I, S. 247f. 18 Dazu siehe oben § 7 III I.

§ 8 Sanierungs vereinbarungen bei der bestehenden Anlage

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es sich um Regelungen im Außenbereich mit verfahrensabschließendem Charakter. die zugleich die Grundlage eines Rechtsverhältnisses bilden. Sanierungsvereinbarungen werden zumindest als Alternative zu einer nachträglichen Anordnung gewählt. Allerdings geht es hier nicht darum, die nachträgliche Anordnung abzuschaffen. Vielmehr haben Sanierungsvereinbarungen grundSätzlich eine ergänzende Funktion zu den nachträglichen Anordnungen 19. Die Frage, unter welchen Bedingungen die zuständige Behörde eher zum Instrument der nachträglichen Anordnung greifen oder eher eine Vereinbarung mit dem Betreiber treffen wird, kann man nicht einheitlich beantworten. Vielmehr sollen diejenigen Fälle ermittelt werden, wo mit den Formen der Sanierungsvereinbarungen bessere Ergebnisse erzielt werden können. Dies wird dann der Fall sein, wenn die Behörde aufgrund eines komplexen Sachverhalts, einer ungewissen Rechtslage und der sich daraus ergebenden langen Verfahrensdauer die Schwierigkeit hat, Sanierungsmaßnahmen durch nachträgliche Anordnungen durchzusetzen. Es besteht allerdings die Gefahr, daß Sanierungsvereinbarungen mißbraucht werden. Bei Sanierungsvereinbarungen liegt die Gefahr beispielsweise darin, daß faktisch Zwangsmittel eingesetzt und Handlungsmöglichkeiten der Behörde ausgedehnt werden können, die mit dem Grundprinzip "Freiwilligkeit der Pflichtenübernahme" nicht zu vereinbaren sind. Würde die Behörde allein die Bedingungen diktieren und der Anlagenbetreiber nur die Wahl zwischen Zustimmung und Ablehnung haben, würde es sich bei der kooperativen Vorgehensweise der Verwaltung nur um einen "Etikettenschwindel" handeln. Die Zustimmung des Betreibers wäre hier bloße Formalität. Darüber hinaus läuft jede arn Konsens orientierte Sanierungsvereinbarung Gefahr, daß sich Behörde und Betreiber letztendlich nicht einigen. Für diesen Fall bleibt es notwendig, daß die Behörde ihre überlegende Hoheitsmacht auch gegen den Willen des Betreiber durchsetzt. Insofern können Sanierungsvereinbarungen stets nur ergänzend wirken 2o . b) Zulässigkeit der Sanierungsvereinbarungen

Die Vorschriften des BImSchG kennen nicht den Vorrang des Kooperationsprinzips, der von den Behörden immer dann den Verzicht auf einen Einsatz ordnungsrechtliches Sanierungsinstrument fordert, wenn sich auf Seiten des Betreibers irgendeine Bereitschaft zu kooperativen Lösungen andeutet21 . 19 Zur Ergänzung der klassischen Handlungsformen durch das kooperative Verwaltungshandeln vgl. König, VR 1990, 404 ff. 20 Vgl. Schulze-Fielitz, DVBl. 1994,659. 21 Lübbe-Wolff, NuR 1989, 302. Speziell sieht Nr. 4.2.10 TA Luft ausnahmsweise Kompensationsvereinbarungen über die Sanierung von Altanlagen vor - jedoch aus-

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

aa) Sanierungsverträge Grundsätzlich kann die Behörde im Rahmen des freien Ermessens entscheiden, ob sie statt einen Verwaltungsakt zu erlassen, mit dem Betreiber auch einen verwaltungsrechtlichen Vertrag abschließt 22 • Der Behörde kommt eine Wahlfreiheit der Handlungsform nach pflichtgemäßem Ermessen ZU 23 • Die Ausübung des Ermessens ist daran zu orientieren, welche Handlungsform eine einfache, sachgerechte und effektive Erfüllung der Verwaltungsaufgabe ermöglicht. Ein Anspruch des Betreibers auf die Wahl der Vertragsform angesichts der behördlichen Entscheidungsprärogative ist praktisch auszuschließen24 • Der Betreiber kann nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung haben 25 • Gemäß § 54 Satz 1 VwVfG dürfen dem verwaltungsrechtlichen Vertrag jedoch keine Rechtsvorschriften entgegenstehen. Insoweit bedarf es der Prüfung, ob sich aus dem BImSchG ein ausdrückliches oder durch Auslegung zu ermittelndes Verbot des verwaltungsrechtlichen Vertrages ergibt. Die Vorschriften des BImSchG beinhalten kein ausdrückliches Vertragsformverbot. Fraglich ist damit, ob die Erwähnung der nachträglichen Anordnungen gemäß § 17 BImSchG als Vertragsformverbot zu begreifen ist. Die Erwähnung der nachträglichen Anordnungen gemäß § 17 BImSchG soll nicht als Vertragsformverbot interpretiert werden, da der Gesetzgeber von den nachträglichen Anordnungen als typische Handlungsform der Verwaltung ausgeht. Dies ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des § 17 Abs. 3 a BImSchG26• Danach soll die zuständige Behörde von nachträglichen Anordnungen bei einer Anlage (der begünstigten oder passiven Anlage) unter bestimmten Voraussetzungen absehen, sofern in einem vom Anlagenbetreiber vorgelegten Plan technische Maßnahmen an anderen Anlagen (der belasteten oder aktiven Anlage) vorgesehen sind. Der Verzicht auf eine nachträgliche Anordnung gegenüber der begünstigten Anlage ist gemäß § 17 Abs. 3 a Satz 5 nur mit dem Sicherungsgebot der Maßnahmen gegenüber der belasteten Anlage zu verbinden. Der Gesetzgeber hat auch in der amtlichen Begründung27 klargestellt, daß die Durchführung der Maßnahmen sichergestellt werden soll. Dem Ziel der Sicherung kann man entschließlich für die Vorsorgesanierung und lediglich in bezug auf die hierfür vorgeschriebenen Fristen. 22 Vgl. oben § 3 IV 3. 23 Vgl. Krebs, VVOStRL 52 (1993), 263f.; Kunig, OVBI. 1992, 1196; Wolffl BachoJlStober, VerwR I, § 54 Rn. 4. 24 Vgl. Kunig, OVBI. 1992, 1196; Maurer, OVBI. 1989, 805. 2.S Knack, VwVfG, § 40 Rn. 10.2; Kopp, VwVfG, § 40 Rn. 27; MeyerlBorgs, VwVfG, § 40 Rn. 32; StelkenslBonklSachs, VwVfG, § 40 Rn. 19. 26 Siehe hierzu unten § 8 11 4. 27 BT-Ors. 11/4909, S. 18.

§ 8 Sanierungs vereinbarungen bei der bestehenden Anlage

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weder im Wege der behördlichen Anordnung oder im Wege des Vertrages gerecht werden 28 • Man kann möglicherweise vermuten, daß § 20 Abs. 1 BImSchG den verwaltungsrechtlichen Vertrag ausschließt, weil er auf solche Verpflichtungen nicht anwendbar sei, die durch einen Vertrag begründet würden. Diese Vermutung ist jedoch unzutreffend. Nach § 20 Abs. 1 BImSchG kann die Behörde den Betrieb einer Anlage ganz oder teilweise untersagen, wenn deren Betreiber einer für sofort vollziehbar erklärten Anordnung oder Auflage nicht nachkommt und diese die Beschaffenheit oder den "Betrieb der Anlage betreffen. § 20 Abs. 1 BImSchG setzt also die sofortige Vollziehbarkeit der Anordnung voraus. Die Kompensationspartner können sich auch gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 VwVfG hinsichtlich ihrer vertraglichen Pflichten, die Sanierungsmaßnahmen durchzuführen, der sofortigen Vollstreckung unterwerfen. Damit hat der verwaltungsrechtliche Vertrag als Vollstrekkungsgrundlage die gleiche rechtliche Qualität wie eine vollziehbare nachträgliche Anordnung. Insoweit kann eine analoge Anwendung des § 20 Abs. 1 BImSchG auf vertraglich vereinbarte Pflichten angemessen sein29 • Jarass 30 ist auch der Auffassung, daß die Rechtsform des verwaltungsrechtlichen Vertrags als Sicherungsmittel in Betracht komme. Er hält einen solchen für zwingend geboten, um den Betreiber der belasteten Anlage einzubinden. Es steht mithin im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, von welchem Instrument sie Gebrauch macht. Sanierungsverträge, in denen auf den Ersatz der nachträglichen Anordnung verzichtet wird, sind insoweit grundsätzlich zulässig3l • Sie beziehen sich insbesondere auf die nachträglichen Vorsorgeanordnungen (Ermessensentscheidungen), die allein deshalb unternommen werden, weil der Stand der Technik inzwischen fortgeschritten ist. Denn bei diesen Ermessensentscheidungen, bei denen die Behörde darüber entscheiden darf, ob und wie sie die nachträgliche Vorsorgeanordnungen erläßt, räumt der Gesetzgeber der Zweckmäßigkeit im Einzelfall den Vorrang ein und überläßt der Behörde im Rahmen der Zweckmäßigkeitserwägungen regelmäßig auch die Wahl des Verwaltungshandelns32 • 28 Koch (ders.lScheuing, GK-BlmSchG, § 17 Rn. 177) verlangt einen verwaltungsrechtlichen Vertrag, da er das Einverständnis mit einer Anordnung als Rechtsgrundlage nicht für ausreichend hält. 29 Vgl. Beyer, Der öffentlich-rechtliche Vertrag, S. 79. 30 Jarass, BlmSchG, § 7 Rn. 16; ferner KochlScheuing, GK-BlmSchG, § 17 Rn. 177. 31 Vgl. Bauer, VerwArch 78 (1987), 261; Beyer, Der öffentlich-rechtliche Vertrag, S.I06; Bohne, VerwArch 75 (1984), 357; Jarass, BImSehG, § 17 Rn. 6. 32 BeckmannIGroße-Hündfeld, BB 1990, 1572; vgl. ferner Achterberg, Allg. VerwR, § 21 Rn. 244; OVG Münster, OVGE 16, 15 (16); OVG Lüneburg, OVGE 16, 471 (475).

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bb) Sanierungsabsprachen In Ermangelung einer gesetzlichen Regelung der Absprache bietet sich für die Frage ihrer prinzipiellen Zulässigkeit eine Anleihe bei dem in gewisser Hinsicht artverwandten verwaltungsrechtlichen Vertrag an 33 • Wenn bereits Verträge ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung abgeschlossen werden können, also prinzipiell zulässig sind, legt dies nahe, daß gleiches auch für die ohne Rechtsbindungswillen getroffene Absprache gelten muß 34 . Es ist daher zunächst kein Grund ersichtlich, die Sanierungsabsprache pauschal mit dem Makel der Unzulässigkeit zu belegen3s • Sanierungsabsprachen sind grundsätzlich im Rahmen des in § 17 BImSchG eingeräumten Ermessensspielraums zulässig36 • Die zuständige Behörde hat nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob sie im Wege der nachträglichen Anordnung gern. § 17 BImSchG einschreitet oder im Wege der Sanierungsabsprache eine kooperative Problemlösung ausarbeitet37 • Wenn die betreffende Anlagensanierung um die Abwehr der von einer Anlage ausgehenden Gefahren geheS, besteht dagegen in der Regel eine Einschreitenspflicht der nachträglichen Gefahrenanordnung gern. § 17 Abs. 1 Satz 2 BImSchG39 . Soweit eine nachträgliche Gefahrenanordnung im typischen Fall erlassen werden soll, ist die Sanierungsabsprache grundsätzlich unzulässig4o• In diesen speziellem Bereich der Gefahrenabwehr sind Sanierungsabsprachen nur in Ausnahmefällen zulässig41 •

33 Kritisch zur analogen Anwendung des § 54 VwVfG Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, S. 196f. 34 Vgl. Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 165; Breuer, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band I, S. 249. 35 Vgl. Bauer, VerwArch 78 (1987), 260; Bohne, VerwArch 75 (1984), 372; Eberle, Die Verwaltung 17 (1984),456; Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), 234. 36 LandmannlRohmerlHansmann, UmweltR, § 17 BlmSchG Rn. 1; Schmidtl Müller, Einführung in das Umweltrecht, § 3 Rn. 49. 37 Vgl. Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 64, l32, l37, 165; ders., VerwArch 75 (1984), 355f.; Jarass, DVBl. 1985, 197; Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen, S. 128ff. 38 Ein FallbeispieI dafür vgl. SchmidtlMüller, Einführung in das Umweltrecht, § 3 Rn. 39. 39 Siehe dazu oben § 7 III 1. 40 Auch Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, S. 198. 41 Vgl. hierzu vor allem Jarass, DVBl. 1985, 198, der mit Recht betont, daß Sanierungsabsprachen zur Gefahrenabwehr rechtlich nur dann vertretbar wären, wenn ihre Einhaltung wirklich gesichert wäre; vgl. ferner Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 174 f.

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3. Sanierungsverträge oder Sanierungsabsprachen a) Unterschied zwischen Verträgen und Absprachen

Schwierig gestaltet sich die Abgrenzung des Vertrages gegenüber der Absprache: das Verständnis der beiden Handlungsformen braucht gemeinsam die Konsensbildung, Akzeptanzsuche und Entscheidungsbildung als Voraussetzung. So geben sie vor allem die Chance, durch Erörterung der verschiedenen Lösungsmöglichkeiten, durch Ausgleich der unterschiedlichen Interessen, durch Zugeständnis im Rahmen der jeweiligen Spielräume und durch Verknüpfung der verschiedenen Gesichtspunkte eine beiderseits befriedigende Regelung zu erreichen. Sie gehören also zusammen zur Kategorie des kooperativen Verwaltungshandelns42 . Der wesentliche Unterschied ist in dem Aspekt der Verbindlichkeit der getroffenen Regelung zu sehen. Anders als beim verwaltungsrechtlichen Vertrag, der auf der Grundlage des gefundenen Konsenses unmittelbar und für beide Parteien verbindlich eine Rechtsfolge setzen soll, will die Absprache die daran beteiligten Parteien rechtlich nicht binden43 • Folglich sind Verwaltungsverträge nach Vorstellung der Parteien aus Rechtsgründen zu erfüllen. Absprachen hingegen sind ohne Rechtsgründe und vor allem ohne rechtliche Verpflichtung hierzu einzuhalten. Die Wahl der informellen Absprache erfolgt somit in bewußter Abkehr vom rechtlich verpflichtenden Institut des verwaltungsrechtlichen Vertrages44 • b) Sanierungsverträge als bessere Instrumente im Vergleich zu Sanierungsabsprachen

aa) Fragestellung Während die Untersuchung von Mayntz 1975 ergab, daß verwaltungsrechtliche Verträge "quantitativ eine marginale Rolle,,45 spielten, werden sie heutzutage häufig als Sanierungsmittel durchgeführt46. Dennoch finden in der Praxis die Sanierungsvereinbarungen sehr oft nicht durch förmliche Siehe oben § 3 11. Vgl. Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 230f.; Kunig, DVBl. 1992, 1195; Lecheler, BayVBl. 1992, 548; Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen, S. 79. 44 Kloepfer, JZ 1991, 739. 45 Mayntz, Vollzugsproblem der Umweltpolitik, S. 401 f. 46 Beispiele bei Amold, VerwArch. 80(1989), 125ff.; Bulling, DÖV 1989,281 ff.; Bartscher, Der Verwaltungsvertrag in der Behördenpraxis, S. 49, 51. 42 43

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

Verträge, sondern durch unverbindliche informelle Absprachen statt47 • Auch in der Literatur wird die Auffassung vertreten, die rechtlich unverbindliche Sanierungsabsprache sei angemessener als ein Sanierungsvertrag48 • Die Vertreter dieser Auffassung stellen darauf ab, daß aufgrund der rechtlichen Unverbindlichkeit der Absprachen die Möglichkeit besteht, das beiderseitige Verhalten der Absprachepartner an neue Entwicklungen anzupassen, ohne daß man rechtlichen Zwängen und Problemen unterliegt. Damit stellt sich die Frage, ob Sanierungsabsprachen tatsächlich besser geeignete Instrumente zur Lösung von Sanierungsproblemen sind als Sanierungsverträge, m. a. W., ob Verträge umgekehrt bessere Instrumente sein könnten. Dazu ist es notwendig, die Vor- und Nachteile der informellen Absprachen im Vergleich zum Handeln durch Verwaltungsakte, aber auch zum Handeln durch verwaltungsrechtliche Verträge näher zu betrachten. bb) Vor- und Nachteile der (informellen) Absprachen (1) Aspekt der Rechtsstaatlichkeit und VerwaltungseJfizienz

Nach der Dogmatik des gegenwärtigen Verwaltungsrechts ist dem Verwaltungsakt als Element der verwaltungsrechtlichen Handlungsformen die Funktion der Rechtsstaatlichkeit zu eigen, soweit die Betonung auf Formung liegt49 • Der Rechtsstaat, der die Bindung der Staatsgewalt an strikte Rechtsregeln zur Richtschnur des Verwaltungshandelns erhebt, garantiert jedem Bürger die Behandlung seines Fall ausschließlich nach dem Gesetz. Der Verwaltungsakt stellt daher in Konkretisierung und Vollzug generellabstrakter verwaltungsrechtlicher Rechtsnormen die Rechtslage im Einzelfall verbindlich fest (sog. Stabilisierungs-, Individualisierungs- und Klarstellungsfunktionso). Darüber hinaus erstattet der Verwaltungsakt die sachliche und zeitliche Einschränkungsmöglichkeit des Regelungsgehalts,Sl um die Komplexität zu reduzieren und um die Entscheidungsrationalität zu bewahren (Flexibilisierungsfunktions2). 47 Zur empirischen Untersuchung siehe von Wedemeyer, Kooperationen beim Vollzug des Umweltrechts, S. 100ff. 48 VgJ. Flude, UPR 1992, 326f. 49 Zur Bedeutung des Verwaltungsaktes vgJ. Achterberg, Allg. VerwR, § 21 Rn. 43ff.; Erichsen, Allg. VerwR., § 12 Rn. 5ff.; Maurer, Allg. VerwR, § 9 Rn.37ff. so VgJ. BVerwG NVwZ 1988, 941; Zur Stabilitätsfunktion des Verwaltungsaktes vgJ. Ladeur, VerwArch 86 (1995), 516ff.; Schoch, in: Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandeins, S. 2OOff. 51 Z. B. Teilgenehmigung, Vorbescheid und nachfolgende Genehmigung. 52 Die Begriffe der Flexibilität und der Stabilität sind im rechtswissenschaftlichen Schrifttum konturenunscharf. Im allgemeinen Sprachgebrauch verbinden sich mit

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Von einer informellen Absprache geht dagegen mehr eine Befriedigungswirkung aus, die öffentlich-rechtliche Anforderungen effizientS3 und praktikabel einbringt und durchsetzt. Dies hängt unmittelbar mit der Aexibilität informeller Absprachen zusammen, die von den Absprachebeteiligten beachtet und befolgt zu werden pflegen, von dem sich aber heide Seiten bei Eintreten besonderer Umstände lossagen könnens4 . Bezüglich informeller Absprachen ist aber dringend zu warnen, daß das Verfassungsrecht durch Art. 20 m GG einer Auflösung der Ausübung von Staatsgewalt in Konsensmodelle entgegenstehtS5 . Unter diesem rechts staatlichen Aspekt erscheinen informelle Absprachen besonders verdächtig. Im Mittelpunkt der Gefahren stehen die Relativierung normativer Vorgaben, die Gefahrdung von Drittbelangen bei aufgrund der Informalität erschwerter Kontrolle und die fehlende Sanktion56 . Die autoritative Durchsetzung des Rechts kann so in Frage gestellt werden. Dennoch sollten die durchaus friedenstiftenden Ziele und Wirkungen von Kooperation, Konsens und Akzeptanz nicht gering geschätzt werden. In diesem Spannungsverhältnis von Rechtsstaatlichkeit und Verwaltungseffizienz liegt der verwaltungsrechtliche Vertrag im Trends7 • Der verwaltungsrechtliche Vertrag enthält einerseits zahlreiche Gesetzesbindungen wie Verwaltungsakt58 , eröffnet andererseits aber auch beträchtliche Spielräume für vertragliche Beziehungen, und zwar sowohl in bezug auf den Abschluß von verwaltungsrechtlichen Verträgen als auch in bezug auf deren inhaltliche Gestaltung. Er erweitert das Gestaltungsspektrum der Verwaltung, indem er durch Kooperation die Verfolgung, Akzeptanz Erreichung oder Optimierung von Verwaltungszielen durch Einwilligung des Bürgers ermögdem Begriff "Flexibilität" Vorstellungen wie Biegsamkeit, Elastizität, Beweglichkeit, Anpassungsfähigkeit, Geschmeidigkeit und ähnliches; mit dieser inhaltlichen Ausrichtung steht Flexibilität in einem gewissen Kontrast zu Stabilität, Rechtssicherheit, Starrheit, Bestimmtheit und anderem mehr, siehe Bauer, in: Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandeins, S. 251. 53 Betrachtet man Absprachen unter dem Gesichtspunkt der Effizienz, so ist eine Reihe von grundsätzlichen Vorteilen erkennbar, die sich vor allem in der Ersparnis von Zeit, Kosten und Aufwand niederschlagen, vgl. Bauer, VerwArch 78 (1987), 252; Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 217; Dauber, in: Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, S. 80f.; Scherer, DÖV 1991, 7. 54 Vgl. Henneke, NuR 1991, 267ff. 55 Vgl. lAdeur, VerwArch 86 (1995), 516ff. (520); Püttner, DÖV 1989, 140; ders., KritV 1991, 65, 68; Schmidt-Aßmann, DVBI. 1989, 539; Sendler, DÖV 1989, 486; Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen, S. 133 ff. 56 Vgl. Eberle, Die Verwaltung 17 (1984), 443ff.; Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), 206ff.; Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 267. 57 Krebs, VVDStRL 52 (1993), 253. 58 Vgl. insbes. § 58 Abs. 1 VwVfG hinsichtlich der Belange Dritter.

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

licht, die dem Verwaltungsakt nicht in gleicher Weise eröffnet sind59 . Aber seine Flexibilität richtet sich immer nach der Rechtsordnung und nicht nach dem rechtsfreien Raum. Die Gefahr, die Gesetzesbindung zu unterlaufen, ist nicht im Vertrag angelegt. In einer rechtswissenschaftlieh geprägten Auseinandersetzung mit kooperativem Verwaltungshandeln, die sich auf das Verhältnis von Rechtsstaatlichkeit und Verwaltungseffizienz bezieht60, verdeutlicht Schulze-Fie/iti 1, daß es für eine rechtsstaatliche Verwaltungsrechtsdogmatik kein Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Aspekten geben könne. Denn "Verwaltungseffizienz erfolgt prinzipiell nur nach Maßgabe des vorgegebenen verwaltungsrechtlichen Rahmens ". Hier weist er auf die wichtigen Funktionen - Rechtsschutzfunktion und Steuerungsfunktion - des Verwaltungsrechts, deren Entfaltung durch rechtliche Handlungsformen zu gewährleisten sei. Mit dieser Sichtweise können verwaltungsrechtliche Verträge in Abgrenzung zu den informellen Absprachen in den Mittelpunkt der Betrachtung gebracht werden.

(2) Aspekt der Durchsetzung der Absprachen In Hinblick auf die Durchsetzung sind Sanierungsabsprachen rechtsdogmatisch besonders problematisch. Wie bereits festgestellt, ist eines der Hauptmerkmale der Sanierungsabsprache rechtliche Unverbindlichkeit. Dies bedeutet, daß die bei der nachträglichen Anordnung ohne weiteres gegebene Vollstreckbarkeit bei der Sanierungsabsprache bereits qua definitionem nicht gegeben ist. Aufgrund der rechtlichen Unverbindlichkeit räumt eine Sanierungsabsprache also der Behörde keinen durchsetzbaren Erfüllungsanspruch ein. Hält der Betreiber sich ganz oder teilweise nicht an die Inhalte der Sanierungsabsprache bzw. den beigefügten Zeitplan für die Realisierung bestimmter Maßnahmen, verstößt er schon per se nicht gegen eine Rechtspflicht62 • Der Betreiber könnte darüber hinaus bei Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen jederzeit von der Sanierungsabsprache Abstand nehmen 63 • D.h., der Betreiber könnte eine Sanierungsabsprache nur 59 Krebs, VVDStRL 52 (1993), 264; Schenberg, JuS 1992, 206; dazu kritisch Gusy, DVBI. 1983, 1225, der das Vertragsrechtsverhältnis als Herrschaftsverhältnis

betrachtet und dem "Formwechsel allein ehen keinen qualitativen Übergang vom konstitutionellen zum demokratischen Verwaltungsrecht" heimißt. 60 Benz, in: Zwischen Kooperation und Korruption, S. 35 ff. widmet sich auch der Auseinandersetzung um die heiden widerstreitenden Aspekte Rechtsstaatlichkeit und Verwaltungseffizienz. 61 Schulze-Fielitz, DVBI. 1994,660. 62 Vgl. Burmeister, VVDStRL 52 (1993), S. 236f.; Kunig, DVBI. 1992, 1197; lAdeur, VerwArch 86 (1995), 519f.

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schließen, um Zeit zu gewinnen64 , weil er damit eine nachträgliche Anordnung hinauszögert 6s • Hält der Betreiber sich nicht an die Sanierungsabsprache, gibt es keine weitere Möglichkeit sie durchzusetzen66 • Die Behörde muß dann bei Null neu anfangen. Sie muß sofort gegen den Betreiber erneut eine nachträgliche Anordnung erlassen. Sie hätte durch ihre Bemühungen um eine Konsensbildung nichts gewonnen 67 . Die Verwirklichung der Sanierungsmaßnahmen hätte sich durch das Vertrauen auf den Betreiber weiter verzögert. Im Ergebnis bringen Sanierungsabsprachen daher weder eine schnellere Verbesserung des Umweltzustands, noch eine Entlastung der Behörde. Die angestrebten Ziele der Effektivität rücken damit in weite Ferne68 • Der Nutzen solcher Sanierungsabsprachen geht gegen Null. In der Literatur wird trotzdem die Meinung69 vertreten, daß den Sanierungsabsprachen oftmals eine faktische Bindungswirkung zukommt. Denn Imagepflege sei häufig ein wesentliches Motiv für Unternehmen, Absprachen ohne den Druck echten Sanktionierungs- bzw. Durchsetzungsinstrumentarium einzuhalten. Diese Begründung trifft aber nicht zu. Denn die Sanierungsbedürftigkeit betrifft nicht nur große Unternehmen sondern auch kleine Unternehmen, bei denen die Imagepflege ohnehin keine Rolle spielt. (3) Analoge Anwendung der §§ 54ff. VwVfG auf die Sanierungsabsprachen?

Da die Sanierungsabsprache selbst keine unmittelbaren rechtlichen Verpflichtungen auslöst und damit effektive Rechtsstaatlichkeit nicht gewähr63 Ein Fallbeispiel (Umstellung der Firma DLW) von Bulling, DÖV 1989, 283ff. In diesem Fall distanzierte sich die Firma einige Wochen nach Abschluß der Absprache überraschend von der Eckdatenvereinbarung und forderte neue Verhandlungen über bereits fixierten künftigen Grenzwerte. Die Behörde sollte daher auf die Linie der klassischen Hoheitsverwaltung neu umschalten. Siehe dazu auch unten § 8 11 4 d) (3). 64 Lübbe- Wolff, NuR 1989, 302 behauptet, daß Sanierungsabsprachen mehr Zeit kosten als in einer stärker aktenmäßigen Bearbeitung, in der Abfassung von Ordnungsverfügungen, Widerspruchsbescheiden oder Stellungnahmen im Klageverfahrens je verschlissen werden könnte. 65 Vgl. Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 73. 66 Vgl. in diesem Zusammenhang Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, S. 197, der darauf hinweist, daß durch die Sanierungsabsprache die Rechtsnorm (§ 17 BImSehG) nicht »vollzogen« wird. 67 Vgl. Bauer, VerwArch 78 (1987), 256. 68 Breuer, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band I, S. 239f.; vgl. ferner von Wedemeyer, Kooperationen beim Vollzug des Umweltrechts, S. 141 f. 69 Vgl. Bulling, DÖV 1989,282.

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

leistet werden kann, wird in der Literatur als herrschende Auffassung 70 vertreten, daß die für verwaltungsrechtliche Verträge geltenden Verfahrensvorschriften (§§ 54ff. VwVfG) auf die Sanierungsabsprachen analog angewendet werden müssen. Als Begründung hierfür wird zumeist vorgetragen, daß die Sanierungsabsprachen in materieller Hinsicht den gleichen, analog heranzuziehenden Schranken wie die förmlichen Sanierungsverträge unterliegen sollen71. Da der Gesetzgeber selbst den Erlaß des VwVfG als Erfüllung des verfassungsrechtlichen Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Rechtssicherheit ansah72 , würde diese verfassungsrechtlich zutreffende Bewertung teilweise unterlaufen werden können, wenn die Verwaltung sich durch bloßen Wechsel der Handlungsform mühelos von ihrer verfahrensmäßigen Bindung im VwVfG befreien könnte73 • Die in § 56 VwVfG niedergelegten Grundsätze des Koppelungsverbotes und des Übermaßverbotes seien durch den Wechsel der Handlungsform nicht zu umgehen 74 . Diese Auffassung kann jedoch im Ergebnis auch keine überzeugende Lösung des Problems herbeiführen, da sie nur den Tatbestand der Absprachen, aber nicht die Rechtsfolge der rechtswidrigen Absprachen beachtet75 . Sie wollte das rechtsstaatliehe Defizit der Absprachen durch den Wege der analogen Anwendung der § 54ff. VwVfG überwinden; materiell-rechtlich etwa durch das Verbot, bei den Verhandlungen sachlich nicht zusammenhängende Interessen und rechtliche Handlungsmöglichkeiten zu Tauschabsprache zu verknüpfen oder durch Aktivierung von grundsätzlichen Rechtsprinzipien wie dem Übermaßverbot. Eine Schwäche solcher Ansätze liegt aber darin, daß die Analogie der §§ 54ff. über das Defizit nicht hinweghelfen kann, da die Rechtsfolge des § 59 VwVfG per se bei der Absprache nicht eintreten kann. Fraglich ist z. B., was sich überhaupt für eine Folge aus der Nichtbeachtung des § 56 VwVfG im Verhältnis Behörde-Anlagenbetreiber ableiten läßt, wenn die Absprache ohnehin keine Rechtsverbindlichkeit besitzt, d. h. auch nicht nichtig oder vernichtbar werden kann. Ein entsprechender Vertrag wäre in diesem Fall gemäß § 59 Abs. 2 Nr. 4 70 Vgl. Beyer, Der öffentlich-rechtliche Vertrag, S. 204ff., 24lff.; Bauer, VerwArch 78 (1987), 267; Bohne, Der infonnale Rechtsstaat, S. 131 ff.; ders., VerwArch 75 (1984), 358ff.; Breuer, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band I, S. 249; Henneke, NuR 1991, 275; Kunig, DVBl. 1992, 1199; Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, S. 97; Robbers, DÖV 1987, 279; dazu kritisch Lange, VerwArch 82 (1991), 15 f.; Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 136f.; Würfel, Infonnelle Absprachen in der Abfallwirtschaft, S. 10. 71 Breuer, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band I, S. 249 Fn. 70 m.w.N. 72 BT-Drs. 7/910, S. 29. 73 Beyer, Der öffentlich-rechtliche Vertrag, S. 243. 74 Vgl. Kunig, DVBl. 1992, 1199. 7S SO auch Bohne, VerwArch 75 (1984), 358.

§ 8 Sanierungsvereinbarungen bei der bestehenden Anlage

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VwVfG in der Regel nichtig. Damit kann die Analogie der §§ 54ff. VwVfG keine Rechtsstaatlichkeit bei der Absprache herstellen. Aus diesem Grund sollen Sanierungsabsprachen mit eher skeptischer Zurückhaltung betrachtet werden. cc) Fazit: Sanierungsverträge als Mittelweg zwischen nachträglichen Anordnungen und Sanierungsabsprachen Bei der Abwägung der Vor- und Nachteile der informellen Absprachen im Vergleich zum Handeln durch Verwaltungsakte und zum Handeln durch verwaltungsrechtliche Verträge läßt sich sagen, daß die Handlungsform des verwaltungsrechtlichen Vertrages problemadäquate Lösungsmöglichkeiten hinsichtlich beider Aspekte bietet76. Der verwaltungsrechtliche Vertrag ist also einerseits eine rechtsverbindliche Regelung und rechtsförmliche Verwaltungshandlung, andererseits aber auch Ausdrucksform kooperativer Verwaltungstätigkeit, also auf dem Gebiet des konsensualen Staatshandelns77. Demnach bietet sich hier eine Möglichkeit, Sanierungsmaßnahmen in kooperativer Zusammenarbeit zu gestalten, ohne den Weg der Informalität zu wählen. Es könnte sich daher lohnen, Sanierungsverträge als Mittelweg zwischen nachträglichen Anordnungen und Sanierungsabsprachen auszuwählen 78. Dagegen scheint die Auswahl der Sanierungsabsprachen wegen des gesteigerten Risikos ihres mißbräuchlichen Einsatzes als Sanierungsinstrument nicht geeignet79 • Sanierungsabsprachen sind als Sanierungsinstrument nur geeignet, wenn die Behörde auf eine Sanierungsverfügung verzichtet, weil der gesetzliche Eingriffstatbestand nicht erfüllt ist. In diesem Fall steht nur der Weg einvernehmlicher Problemlösungen offen 80 • Vor diesem Hintergrund erscheint es geboten, daß die Behörde, wenn sie Sanierungsmaßnahmen durch kooperative Instrumente durchsetzen möchte, sich in Zukunft eher an Sanierungsverträge als Sanierungsabsprachen orientieren muß 8 !. Soweit im folgenden von Sanierungsvereinbarungen die Rede ist, sollen damit Verwaltungsverträge gemeint sein82 • Vgl. Krebs, VVDStRL 52 (1993), 252. Dagegen bezeichnet Jarass (DVBl. 1985, 197) Absprachen als Zwischending zwischen echter Untätigkeit der Behörde und verwaltungsrechtlichen Verträgen. 78 Vgl. Jarass, BlmSchG, § 17 Rn. 6; Bartseher, Der Verwaltungsvertrag in der Behördenpraxis, S. 298f.; zur Suche nach allgemeine ,,zwischenformen" vgl. Schmidt-Aßmann, Die Verwaltung 27 (1994), 137ff. 79 Vgl. Ladeur, VerwArch 86 (1995), 520; Lecheier, BayVBl. 1992,549. 80 Bohne, VerwArch 75 (1984), 355. 81 Vgl. Voigt, in: Der kooperative Staat, S. 62; von Wedemeyer, Kooperationen beim Vollzug des Umweltrechts, S. 106. 82 BeckmannlGroße-Hündfeld (BB 1990, 1570ff.) bezeichnet auch den Begriff der Vereinbarung in der ersten Linie als Vertrag; vgl. ferner Maurer, DVBl. 1989,807. 76 77

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

4. Gründe für Sanierungsvereinbarungen

Die nachträgliche Anordnung als Sanierungsinstrument kommt in der Praxis weniger häufig zur Anwendung, als dies nach ihrer Stellung im Rahmen der immissionsschutzrechtlichen Instrumente zu erwarten ist83 . Dagegen gewinnen Sanierungsvereinbarungen zunehmend an Bedeutung und werden als sinnvolle Alternative zu nachträglichen Anordnungen gesehen. Damit stellt sich zunächst die Frage, aus welchen Gründen sich die Behörde auf kooperative Sanierungsvereinbarungen mit den Betreibern einläßt, obwohl ihr einseitig-hoheitliche nachträgliche Anordnungen möglich wären. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Sie sind in der erster Linie in dem Zusammenhang mit den Vollzugsdefiziten der Verwaltung begründet84 . Die gesetzlichen Ziele der Vorsorge und Gefahrenabwehr würden regelmäßig nicht in dem Umfang verwirklicht, der durch nachträgliche Anordnungen erzwungen werden so1l85. Insbesondere bei komplizierten Sachverhalten der Sanierung haben nachträgliche Anordnungen mangelnde Effektivität. Dagegen sind Vereinbarungen vorteilhaft, effektive und schnelle Verbesserung der sanierungsbedürftigen Anlagen durchzusetzen. Es liegt im vordringlichen Interesse der Behörde, daß innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens tatsächlich Erfolge für die Sanierung eintreten und nicht durch ein Dazwischenschalten von Widerspruch- und Klageverfahren schon der erste Schritt in Richtung auf eine Umweltverbesserung auf Jahre hinaus verschoben wird86 . Durch kooperative Sanierungsvereinbarungen können nicht nur raschere und problemgerechtere Entscheidungen möglich werden 87 , sie können auch der Behörde die Möglichkeit geben, sich ständig den geänderten Umständen anzupassen88 . Da kooperative Verhaltensweisen längerfristig angelegt sind, zukünftige Perspektiven einbeziehen, können eingenommene Standpunkte sogar verändert, zumindest aber weiterentwickelt werden89 . 83 Nach einer Untersuchung wurden dem Betreiber nur in 47 % der Verfahren die notwendigen Sanierungsinstrumente in Sanierungsanordnung aufgetragen. Siehe von Wedemeyer, Kooperationen beim Vollzug des Umweitrechts, S. 102f. 84 Zur Problem der Vollzugsdefizite vgl. Umweltgutachten 1974, BT-Drs. 7/ 2802, S. 179f.; Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Rn. 4/97; Ritter, DÖV 1992, 645. Zur Lösung der Vollzugsdefizite wird vor allem die Ergänzung und Entlastung des Umweltordnungsrechts durch Umweltabgaben vorgeschlagen, von denen man sich bessere Steuerungsleistungen verspricht, dazu vgl. Lübbe-Wolff, NuR 1993,218. 8S Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltgutachten 1978, BT-Drs. 8/1938, Tz. 1544, 1549. 86 Vgl. Breuer, JZ 1994, 1085. 87 Vgl. Amold, VerwArch 80 (1989), 125. 88 Hili, DÖV 1987, 892; Hoffmann-Riem, AöR 115 (1990),429; Schulze-Fielitz, DVBI. 1994, 664. 89 Dauber, in: Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, S. 81.

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Im folgenden werden in Hinblick auf nachträgliche Anordnung die Ursachen der Vollzugsdefizite und die Vorteile der Vereinbarungen näher dargestellt. a) Überwachungsdefizit

Die erste Ursache der Vollzugsdefizite bereiten das Überwachungsdefizit der Behörden. Die Einleitung von Sanierungsmaßnahmen setzt voraus, daß der Behörde die Überschreitung der nonnierten Anforderungen an die Beschaffenheit und den Betrieb einer Anlage bekannt werden. Informationen über die Erforderlichkeit einer Sanierungsmaßnahme können die Behörden grundsätzlich entweder durch eigene Aktivitäten oder durch die Öffentlichkeit erhalten9o . Sanierungsprobleme werden aber von den Behörden nur selten aufgegriffen, sondern regelmäßig erst dann, wenn sich hinsichtlich bestimmter Betriebe die Beschwerden von Nachbarn häufen91 • Aufgrund der Nachbarschaftsbeschwerden werden zuerst Schadstoffmessungen durchgeführt, die eine Überschreitung des zulässigen Wertes ergeben. Folglich stellt die Behörde die Sanierungsbedürftigkeit der Anlage fest und erläßt daraufhin eine nachträgliche Anordnung. Es wird in der Praxis aber darauf hingewiesen, daß die zuständigen Behörden keine ausreichenden Kapazitäten haben, um in ihren Bezirken flächendeckend tätig zu werden, die Sanierungsbedürftigkeit der bestehenden Anlagen festzustellen und die dazu erlassene Anordnung zu überwachen 92 . Beklagt wird zuerst die quantitativ unzureichende Personalausstattung der Behörden93 • Darüber hinaus fehlt auch die Ausstattung der zuständigen Behörden mit qualifiziertem Personal und zureichenden technischen Sachmitteln94 . Es gibt wenig Personal in der Behörden, die das Fachwissen über den Betrieb genau erreichen können. Selbst eine mit noch so qualifizierten Personal besetzte Behörde kann nicht in jedem Einzelfall über die Detailkenntnisse verfügen, die einem Unternehmensmitarbeiter zur Verfügung stehen, wenn es um den Wirkungsgrad verschiedener umwelttechnischer Verfahren geht95 • Dies führt dazu, daß die Behörden oft nicht in der Lage sind, die Sanierungsbedürftigkeit einer Anlage nachzuweisen. Vgl. von Wedemeyer. Kooperationen beim Vollzug des Umweltrechts, S. 114. Die Nachbarschaft tritt manchmal mit Pressemeldungen und Lesebriefen an die Öffentlichkeit und veranlaßt Unterschriftensarnmlungen gegen die Belastungen. 92 Vgl. Jarass. DVBI. 1985, 194; Lübbe-Wolff, NuR 1989, 300; ders .• NuR 1993, 228; Ritter. DÖV 1992,646. 93 Vgl. Mayntz. Vollzugsprobleme der Umwe1tpolitik, S. 98ff. 94 Zur personellen und organisatorischen Ressourcen in den neuen Bundesländern siehe Hili/Weber. Vollzugserfahrungen mit umwe1trechtlichen Zulassungsverfahren. SOff. 9S Rohde. DÖV 1979,488. 90 91

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

b) Unbestimmte Rechtsbegriffe

Die zweite Ursache für den Vollzugsdefizit sind die im BlmSchG enthaltenen unbestimmten Begriffe96 wie "Stand der Technik", "erhebliche Belästigung", "schädliche Umwelteinwirkungen" und "wirtschaftliche Vertretbarkeit" bzw. "Verhältnismäßigkeit". Typisch für unbestimmte Rechtsbegriffe ist ihre Wertausfüllungsbedürftigkeit, das heißt, sie bedürfen einer näheren Spezifizierung97 • Unbestimmte Rechtsbegriffe mögen allerdings im Immissionsschutzrecht unentbehrlich sein98 . Es besteht aber kein Zweifel, daß damit nur ein geringe gesetzliche Regelungsdichte erreicht und die Festlegung dessen, was rechtens ist, erheblich erschwert wird99 . Problemlösungen, die im Zuge des kooperativen Verwaltungshandelns am ehesten zu erreichen seien, wären damit die logische Konsequenz dieser rechtlich ungewissen Situation l()(). aa) "Stand der Technik" Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BlmSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, daß Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen getroffen wird, insbesondere durch die dem "Stand der Technik" entsprechenden Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung. Der unbestimmte Begriff "Stand der Technik" bedarf im Einzelfall der Auslegung. Für den unbestimmten Begriff "Stand der Technik" ist es besonders charakteristisch, daß eine Auslegung allein auf Grund der rechtswissenschaftlichen Methoden nicht möglich ist, sondern eine Reihe naturwissenschaftlicher und technischer Detailkenntnisse erfordert lO1 • Allerdings steht den Behörden bei der Frage, was als Stand der Technik anzusehen ist, kein Ermessen zu. Angewandt auf den Sanierungsbereich bedeutet der Stand der Technik, daß die Behörde Sanierungsmaßnahmen nur dann in Erwägung zieht, wenn diese nach dem Stand der Technik erfüllbar erscheinen 102. Zu nachträglichen Anordnungen wird es nur dann kommen, wenn die Behörde sicher sein kann, daß die technische Erfüllbarkeit gegeben ist. Es entsteht so ein Grenzbereich, in dem die nachträgliche Anordnung deshalb nicht als SanieDazu allgemein WolfflBachoflStober, VerwR I, § 31 Rn. 8ff. Vgl. Salzwedel, NVwZ 1987, 276. 98 Das BVerfG hat die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ausdrücklich zulässig erklärt, vgl. BVerfGE 49, 89 (135f.). 99 Vgl. Bauer, VerwArch 78 (1987), 252; zur Problematik der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe vgl. Erichsen, Allg. VerwR, § 10 Rn. 23 ff. 100 Vgl. Dreier, StWissStPrax 1993, 656f. 101 Vgl. Feldhaus, UPR 1982, 138. 102 Siehe dazu unten § 8 11 2 cl. 96

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rungsinstrument eingesetzt werden kann, weil Unklarheit darüber bestehen, ob diese erfüllbar wäre 103. bb) "Wirtschaftliche Vertretbarkeit" bzw. "Verhältnismäßigkeit" Der unbestimmte Rechtsbegriff "wirtschaftliche Vertretbarkeit" in § 17 Abs. 2 BImSchG a. F. 104 war eine typische Ursache für Vereinbarungen vor der Novellierung in den Jahren 1985 (BImSchG) und 1986 (TA-Luft). Sanierungs vereinbarungen wurden typischerweise dort in Betracht gezogen, wo es problematisch erscheint, ob die nachträgliche Anordnung wirtschaftlich vertretbar im Sinne des § 17 Abs. 2 BImSchG a. F. ist. Verbesserungen der Immissionssituation waren unter diesen Bedingungen nur bei intensiven Verhandlungsprozessen durchsetzbar. Sie beinhalteten in der Regel eine rechtliche und technische Beratung des Betreibers. Häufig kam es jedoch auch zu Austauschprozessen des Gebens und NehmenslOs. Behörden und Betreiber einigten sich also über eine Maßnahme, die möglicherweise etwas weniger belastend ausfallt als die von der Behörde eventuell erwogene nachträgliche Anordnung 106. Mit der 2. Novellierung des BImSchG von 1985 wurde die Voraussetzung der "wirtschaftlichen Vertretbarkeit" für eine nachträgliche Anordnung durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ersetzt. Es trat insoweit eine gewisse Vereinfachung ein, da nicht mehr in so weitreichendem Umfang komplizierte betriebs- und volkswirtschaftliche Berechnungen vorgenommen werden müssen lO7 . Bei der Formulierung der Emissionswerte der TALuft und der Zeitpunkte, bis zu denen sie einzuhalten waren, wurde bereits sowohl die Verhältnismäßigkeit der Anforderungen geprüft als auch der Stand der Technik berücksichtigt. Deshalb ist die Verhältnismäßigkeit der Anforderungen der TA-Luft nur in außergewöhnlich gelagerten Fällen noch mal zu prüfen. Dennoch hat die zuständige Behörde manchmal große Schwierigkeiten bei der Auslegung der Verhältnismäßigkeit lO8 . Es ist immer strittig, ob die von der Behörde geforderte Emissionsminderung verhältnismäßig ist. Denn die Behörde bedarf beim Erlaß einer nachträglichen Anordnung zur BeurteiMayntz, Vollzugsproblem der Umweltpolitik, S. 410. VgJ. Hoppe, Die wirtschaftliche Vertretbarkeit im Umweltrecht, 1984; Koch, WiVerw 1983, 158ff.; Send/er, DVBJ. 1983, 209ff. lOS Dose/Voigt, in: Kooperatives Recht, S. 16. 106 Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 176 f.; Jarass, DVBJ. 1985, 197 f. 107 Zum Vorwurf, man habe mit dem Austausch zweier unbestimmter Begriffe nur eine Vollzugsschwierigkeit durch eine andere mit gesteigerter Unsicherheit ersetzt, Send/er, WiVerw 1993, 279 m. w. N. in Fn. 130. lOS VgJ. Blech, Die Verhältnismäßigkeit nachträglicher Anordnungen, S. 120ff. 103 104

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

lung der Angemessenheit genauer Kenntnisse über die Investitionskosten, den Grad der Abschreibung und die Restnutzungsdauer der betroffenen Anlage sowie die wirtschaftliche Situation des Betreibers 109 • Für die Behörde ist es schwer einzuschätzen, wie die konkreten Auswirkungen einer Sanierungsmaßnahme bei einem Betreiber sind. Berücksichtigt die Behörde diese Faktoren nicht ausreichend, so muß sie im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit einer Aufhebung der Anordnung rechnen. Die nachträgliche Anordnung wird also durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit relativiert und eröffnet damit einen bestimmten Bereich der Sanierungsvereinbarungen llO, da in diesem Fall die Verhältnismäßigkeit nicht geprüft werden muß. c) Ineffektiver Umweltschutz durch Gerichtsverfahren

Gegen die nachträgliche Anordnung kann der Betreiber Widerspruch (§§ 68ff. VwGO)lll einlegen und Anfechtungsklagen (§ 42 Abs. I VwGO) erheben. Nach der bis 1996 geltenden Auffassung des § 80 VwGO dauert

die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs bis zur Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts fort 1l2. Wurde also Widerspruch eingelegt, so endete die aufschiebende Wirkung nicht mit Erlaß des Widerspruchsbescheides, sondern erst mit dessen Unanfechtbarkeit ll3 . Ebenso dauerte die aufschiebende Wirkung der Klage bis zur Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils, gegebenenfalls bis zur rechtskräftigen Entscheidung in letzter Instanz. 114 Während der oft jahrelangen Dauer eines solchen Verfahren hat damit keinerlei Entlastung der Luft stattgefunden llS • Darüber hinaus entstand durch die lang dauernden Verfahren ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand. Berücksichtigt man, daß ein Verwaltungsgerichtsverfahren auch für die beteiligte Behörde einen großen Aufwand mit sich bringt, so wird verständlich, daß die Behörde dazu neigt, mit Möglichkeit solche Verfahren gering BT-Drs. 10/1862, S. 11. Vgl. Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweitrecht, S. 199f. 111 Folgt man Hucke und Ullmann, kam es in den Jahren 1975 bis 1977 bei Sanierungsmaßnahmen im Bereich der Luftreinhaltung in ca. 60 % der Fälle zu Widersprüchen auf Grundlage eines Verweises auf die mangelnde technische Realisierbarkeit und auf die fehlende wirtschaftliche Vertretbarkeit einer Maßnahme, Huckel Ulmann, in: Implementation politischer Programme, S. 105 f. 112 Kopp, VwGO, § 80 Rn. 34; PietznerlRonellenjitsch, Das Assessorexamen im Öff. Recht, § 53 Rn. 29ff. 113 Ganz h. M., vgl. PietznerlRonellenjitsch, Das Assessorexamen im Öff. Recht, § 53 Rn. 29 m. w. N. in Fn. 69. 114 Vgl. Kopp, VwGO, § 80 Rn. 34. m Vgl. Mayntz. Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 409. 109

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zu halten. Die kooperative Sanierungsvereinbarung erscheint dann in besonderem Maß als geeignetes Mittel zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens l16 • Der Betreiber dürfte eher eine Sanierungsvereinbarung akzeptieren, an der er die Problemlösung gemeinsam erarbeitet hat, als eine einseitig angeordnete Hoheitsentscheidung l17 • Das Ergebnis der Sanierungsvereinbarung findet seine Rechtfertigung in der unmittelbaren Zustimmung des Betreibers zu einer als "fair" empfundenen Entscheidung. Dies bedeutet, daß die Legitimation der Sanierungsvereinbarung nicht auf formalen Aspekten wie etwa Kompetenzzuweisung oder Verfahrensregeln beruht, sondern materiell, d. h. durch die inhaltliche Akzeptanz der im Konsens erzielten Lösung begründet ist lls . Durch Vereinbarungen wird es viel eher zu einer Akzeptanz der Regelung kommen, als es bei einseitig-hoheitlichen Akten der Fall wäre, da der Betreiber selbst und eigenverantwortlich bei diesen mitwirken konnte. Die Anzahl der Rechtsmittel ließe sich daher zurückdrängen. Dies kann insgesamt zu einer erheblichen Reduzierung kostenträchtigen Verwaltungsaufwands beitragen 119. Durch das 6. VwGO-Änderungsgesetz l20 sind die Bestimmungen über die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage seit 1. 1. 1997 ergänzt worden. Nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO n. F. soll die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, entfallen. Darüber hinaus sieht der neu eingeführte § 80b VwGO Veränderungen des zeitlichen Umfangs der aufschiebenden Wirkung vor: Wird die Anfechtungsklage im ersten Rechtszug abgewiesen, so endet die aufschiebende Wirkung drei Monate nach Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist. Diese Regelung soll verhindern, daß Rechtsbehelfe nur deshalb eingelegt werden, um den Effekt der aufschiebenden Wirkung hinauszuzögern.

116 Siehe etwa Bauer, VerwArch 78 (1987), 252; Bohne. Der informale Rechtsstaat, S. 217; Brohm, NVwZ 1991, 1029ff.; Dauber. in: Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, S. 80; Mayntz. Vollzugsproblem der Umweltpolitik. S. 409f.; Rohde. DÖV 1979,488. 117 Vgl. Peine. Allg. VerwR, Rn. 251; deshalb gibt es nur wenige Gerichtsentscheidungen, die Probleme des öffentlich-rechtlichen Vertrages zum Gegenstand haben; vgl. auch den Rechtsprechungsbericht Maurer/Hüther. Die Praxis des Verwaltungsvertrags im Spiegel der Rechtsprechung, 1989. 118 Benz. Kooperative Verwaltung. S. 61; zur Notwendigkeit der Akzeptanz vgl. auch Bulling. DOV 1989, 288; Schmidt. in: Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, S. 82. 119 Bauer. VerwArch 78 (1987), 251 f. 120 Das Sechste Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 1. 11. 1996 (BGBI. I S. 1626). Übersichten bei Schenke. NJW 1997, 8lff. und Schmieszek. NVwZ 1996, 1151.

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

Die aktuelle Novellierung der VwGO ergibt sich aus der sog. Standortdiskussion, den zunehmenden Klagen über zu lange dauernde Genehmigungsverfahren und ihre Überprüfung durch die Gerichte. Hier bleibt abzuwarten, ob der gewünschte Beschleunigungs- und Einspareffekt im Hinblick auf die nachträgliche Anordnung eintritt. d) Änderungsgenehmigung

Ein weiterer Grund mag auch in der nachträglichen Anordnung selbst liegen. Ist es zur Erfüllung der nachträglichen Anordnung erforderlich, die Lage, die Beschaffenheit oder den Betrieb der Anlage wesentlich zu ändern, so bedarf die Änderung der Genehmigung nach § 16 BImSchG n.F.(§ 15 i.V.m. § 17 Abs. 4 BImSchG a.F.). Nach der bis 1996 geltenden Auffassung dieser Regelung waren Änderungen, die ausschließlich zu Umweltverbesserungen führten oder neutral waren, auch genehmigungsbedürftig l21 • In den meisten Fällen mußte der nachträglichen Anordnung auf Grund der Umrüstungsmaßnahmen eine Änderungsgenehmigung folgen. Da die Konkretisierung der materiellen Anforderungen auch in dieser Änderungsgenehmigung möglich war, wurde der vorherige Erlaß einer nachträglichen Anordnung vielfach als entbehrlich angesehen 122. Das in den kooperativen Sanierungsvereinbarungen vereinbarte Ergebnis wurde dagegen in der durch die Umrüstung notwendig gewordenen Änderungsgenehmigung fixiert. Auf diese Weise konnte die Behörde auf den Ersatz der nachträglichen Anordnung verzichten und den Betreiber doch an das Ergebnis binden. Die Regelung der Änderungsgenehmigung wurde durch das Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren vom 9. 10. 1996 123geändert. Nach der Neufassung des § 16 Abs. 1 Satz 1 BImSchG ist die Änderung einer genehmigungsbedürftigen Anlage nur genehmigungsbedürftig, wenn durch die Änderung nachteilige Auswirkungen 124 hervorgerufen werden können. Änderungen, die ausschließlich zu Umweltverbesserungen 125 führen oder neutral sind, sind damit künftig genehmigungsfrei 126. Neu ist im wesentlichen eine Bagatellklausel in § 16 Abs. 1 Satz 2 BImSchG. Danach ist eine Genehmigung 121 Vgl. Feldhaus. BlmSchR, § 15 BlmSchG Anm. 6; Jarass, BlmSchG, § 15 Rn.5a. 122 Vgl. Fluck, UPR 1992, 326f. 123 Das Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren vom 9. 10. 1996 (BGBI. I S. 1498). 124 Vgl. dazu oben § 4 I 2. 12!i Z. B. eine Umstellung einer genehmigungsbedürftigen Feuerungsanlage vom Betrieb mit Öl auf Gasbetrieb.

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auch dann nicht erforderlich, wenn durch die Änderung hervorgerufene nachteilige Auswirkungen offensichtlich gering sind und die Erfüllung der sich aus § 6 Abs. 1 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG ergebenden Pflichten sichergestellt ist. Hier bleibt auch abzuwarten, ob die ursprüngliche Intension, die Genehmigungspflicht partiell durch eine Anzeigepflicht zu ersetzen, verwirklicht wird und damit der gewünschte Beschleunigungs- und Einspareffekt tatsächlich eintritt. e) Ökonomische und politische Interessen

Ein anderer Grund, von der nachträglichen Anordnung keinen Gebrauch zu machen, liegt in den ökonomischen und politischen Interessen 127. Zu diesen Interessen gehört die Vermehrung des Steueraufkommens, die Erhaltung von Arbeitsplätzen sowie ganz allgemein die Wahrung und Förderung der Standortattraktivität des jeweiligen Verwaltungsbezirks. Sie sind in der Sorge begründet; die strikte nachträgliche Anordnung nach Einhaltung der normierten Umweltstandards führte oft zu einer Belastung des Unternehmens, die das Betreiben der Anlagen unwirtschaftlich erscheinen läßt. Auch die kommunalen Politiker, die Steuereinbußen vermeiden und Arbeitsplätze ihrer Bürger erhalten möchten, stellen sich einer Veränderung des Status quo in den Weg. Die Ursache des Vollzugsdefizits wird damit in dem ,,zielkonflikt zwischen Ökologie und Ökonomie,,128 gesehen. So wundert es nicht, wenn wirtschaftliche und soziale Erwägungen in Zeiten großer Arbeitslosigkeit bereits in die Sanierungsinstrumente einfließen. Bei der Abwehr von immissionsschutzrechtlichen Maßnahmen sind die Betreiber jedoch nicht auf sich allein gestellt. Sie bedienen sich durchaus der Unterstützung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, wie beispielsweise der Gewerkschaften 129 oder ihrer eigenen Arbeitgeberverbände 13o. Es ist natürlich eine der bedeutendsten Gefahren für die Verwirklichung des Gesetzeszwecks des Immissionsschutzrechts, wenn Belange des Immissionsschutzes bei der Entscheidungsfindung hinter umweltfremde Interesse zurücktreten.

126 Vgl. Hansmann, NVwZ 1997, 109; Moormann, UPR 1996,415; Wasielewski, LKV 1997,79. 127 Vgl. Häusler, in: Verwaltungshandeln durch Verträge und Absprachen, S. 174f.; Jarass, DVBI. 1985, 193f.; Lübbe-Wolff, NuR 1993,219; Wagener, NuR 1988, 71. 128 Martens, DVBI. 1981, 598. 129 Vgl. Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 47. 130 Vgl. WindhojJ-Heritier, in: Instrumente und Formen staatlichen Handeins, S.262f.

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

f) Fazit

Faßt man alle Aspekte zusammen, so zeigt sich, daß die Anwendung von Vereinbarungen als Instrumente zur Durchsetzung von Sanierungsmaßnahmen ein eindeutiges Zeichen für die Vollzugsdefizite der Behörde ist!3! Um nicht in die Situation zu geraten, vor der bestehenden Problemlage völlig kapitulieren müssen, werden kooperative Verhaltensweisen gewählt, die auf den ersten Blick als vorteilhaft erscheinen. Die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung hängt allerdings nicht von der Akzeptanz des Betreibers ab. Trotzdem scheint es richtig, den Versuch, Akzeptanz im Rahmen des Möglichen zu erreichen, als verfassungsrechtlichen Auftrag zu qualifizieren \32. Durch Vereinbarungen lassen sich Problemfälle verhältnismäßig effektiv lösen, wobei in Kauf genommen wird, daß ein gewisses Risiko hinsichtlich der Realisierung der Vereinbarung bestehen bleibt. Die Anwendung von Vereinbarungen ist somit zwar keine Ideallösung, zumindest aber ein Behelfsmittel um bestehende Sanierungsprobleme der Anlagen einer Lösung zuzuführen \33. Es erscheint jedoch fraglich, ob dies nicht bereits unzweckmäßig ist, da die Behörde jedenfalls immer einseitig mit hoheitlichem Zwang vorgehen kann.

11. Typisierung der Sanierungsvereinbarungen 1. Überblick

Naturgemäß fällt die Typisierung der Sanierungsvereinbarungen in Ermangelung normativer Ansatzpunkte schwer. In der Praxis und Literatur gibt es auch keine einheitliche Typisierung der Fallkonstellationen. Daher soll zunächst ein Überblick über die von der Literatur herausgebildeten, in der Praxis gebräuchlichsten Haupttypen verschafft werden.

Mayntz!34 stellt die Typisierung der Sanierungsvereinbarungen auf die Zahl der Anlagen ab. Nach seiner Ansicht könnten sich Sanierungsvereinbarungen sowohl auf die einzelne sanierungsbedürftige Anlage beschränken als auch auf mehrere Anlagen des gleichen Betreibers einbeziehen. Zu den sich auf mehrere Anlagen beziehenden Sanierungsvereinbarungen rechnet er diejenigen Sanierungsvereinbarungen, die sowohl die Sanierung der 131 Zum Zusammenhang der Intensität von Verhandlungsprozessen mit den verschiedenen Ursachen siehe ausführlich Dose, in: Kooperatives Recht, S. 91 ff. 132 HoJfmann-Riem, in: Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 134. 133 So auch Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 456. 134 Vgl. HoJfmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), 197; Mayntz. Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 424 ff.; von Lersner, Verwaltungsrechtliche Instrumente des Umweltschutzes, S. 18.

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bestehenden Anlagen mit der Genehmigung neuer anderen Anlagen verbinden als auch mehrere vorhandene sanierungsbedürftige Anlagen erfassen. Bohne l3S unterscheidet drei Sanierungsabsprachen nach der analogen Anwendung der Vertragstypen: Einfache Absprachen, Vergleichsabsprachen und Austauschabsprachen. Einfache Absprachen würden sich lediglich auf das Ziel und die Art der Durchführung einer einzelnen Sanierungsmaßnahme beziehen. Vergleichsabsprachen würden ebenfalls nur eine einzelne Sanierungsmaßnahme betreffen. Sie dienten jedoch der Beilegung eines Streits. über die Rechtslage oder das Vorliegen bestimmter entscheidungsrelevanter Tatsachen. Austauschabsprachen brächten dagegen zwei oder mehrere Beteiligte in ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über den Gegenstand von Sanierungsabsprachen von Bohne 136 : Grundtypen

Behördliche Leistungen

Einfache Absprachen

- Fristgewährung für Sanierung - Verzicht auf Sanierung, die nach dem Stand der Technik erforderlich, aber ein Änderungsgenehmigungsverfahren notwendig macht

Vergleichsabsprachen

- Zugeständnisse bei Streit über Stand der Technik von Sanierung - Zugeständnisse bei Streit über wirtschaftliche Vertretbarkeit von Sanierung

Austauschabsprachen

-

Vorläufiger Verzicht auf Sanierung einer Zweitanlage Verzicht auf Bußgeldfestsetzung Verzicht auf Verzögerung einer Neugenehmigung Genehmigung einer Neuanlage, die zwar die Emissionswerte der TA-Luft, nicht aber den Stand der Technik einhält Genehmigung einer gleicharti.gen Neuanlage im Gebiet mit Immissionswerte-Uberschreitung Neugenehmigung mit Frist für nach dem Stand der Technik erforderliche Auflagen Zugeständnisse bei immissionsschutzfremden Verwaltungsaufgaben Genehmigung einer andersarti$en Neuanlage im Gebiet mit Immissionswerte-Überschreitung Genehmigung einer gleichartigen Neuanlage mit Immissionswerte-Überschreitung wegen Sanierung durch Drittbetreiber Unterstützung gegenüber anderen Verwaltungsstellen außerhalb Immissionsschutz

I3S So Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 74ff., 164ff.; ders., VerwAreh 75 (1984), 355. 136 Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 76.

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

Jarass 137 und Rengeling 138 unterscheiden Anordnungsabsprache und Genehmigungsabsprache im Hinblick auf die nachträgliche Anordnung und Anlagengenehmigung. Anordnungsabsprachen werden dort in Betracht gezogen, wo an sich eine nachträgliche Anordnung gern. § 17 BImSchG gesetzlich möglich sei, es aber problematisch erscheine, ob die Anordnung verhältnismäßig im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 BImSchG n.F. bzw. wirtschaftlich vertretbar sei (§ 17 Abs. 2 a. F.). Anlagenbetreiber und Behörden könnten sich dann über eine Sanierungsmaßnahme einigen, die möglicherweise etwas weniger belastend ausfalle als die von der Behörde eventuell erwogene Anordnung. Die Anordnungsabsprache ist somit ein Fall der Vergleichsabsprache. Anordnungsabsprachen beschränken sich nicht notwendig auf nur eine Anlage; so können sie auch, wenn ein Betreiber mehrere Anlage betreibt, in Verbesserungen an einer Anlage bestehen, die dann häufig weitreichender ausfällt, als wenn alle Anlagen von nachträglichen Anordnungen betroffen würden. Demgegenüber treten Genehmigungsabsprachen auf, wenn der Anlagenbetreiber eine Neugenehmigung benötige. Im Gegenzug für ein ihm günstiges Verständnis der Genehmigungsvoraussetzungen erkläre sich beispielsweise der Anlagenbetreiber bereit, an einer anderen Anlage über seine Rechtspflichten hinaus Verbesserungen vorzunehmen. Bei Genehmigungsabsprachen müsse der Betreiber für die Neuerrichtung einer Anlage, die den immissionsschutzrechtlichen Anforderungen voll entspreche, zusätzliche Sanierungsmaßnahmen vornehmen, die mit der Neugenehmigung in keinem rechtlichem Zusammenhang stehen. Eine solche Genehmigungsabsprache könne insoweit durch Leistung und Gegenleistung als Austauschabsprache gekennzeichnet sein. Im folgenden sind in Anlehung an Mayntz und Bohne drei Typen der Sanierungsvereinbarungen nach den unterschiedlichen Listungen der Behörde, die manchmal als Druckmittel für Vereinbarungen verwendet werden, zu unterscheiden 139:

- Normale Sanierungsvereinbarungen, die sich ausschließlich auf eine sanierungsbedürftige Anlage beziehen. - Koppelungsvereinbarung, die die Sanierung einer bestehenden Anlage mit der Genehmigung einer neuen Anlage verknüpfen. - Kompensationsvereinbarungen. die zwei verschiedene sanierungsbedürftige Anlagen einbeziehen. \37

Jarass. OVBI. 1986, 320.

Rengeling. Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, S. 32ff. Die hier vorgenommene Typisierung ist allerdings keineswegs abschließend gemeint. sondern dient nur der Illustration der Problematik. 138

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2. Normale Sanierungsvereinbarungen, die sich ausschließlich auf eine sanierungsbedürftige Anlage beziehen

Am häufigsten verwendete Sanierungsvereinbarungen sind normale Sanierungsvereinbarungen, die sich ausschließlich auf eine sanierungsbedürftige Anlage beziehen. Eine normale Sanierungsvereinbarung findet sich meistens dort, wo an sich eine nachträgliche Anordnung für die Sanierung der bestehenden Anlage in Betracht kommt, es aber unklar ist, ob Sanierungsmaßnahmen dadurch tatsächlich erfolgreich durchgesetzt werden können 140. Inhalt der normalen Sanierungsvereinbarungen ist damit die Regelung für die Durchführung einer einzelnen Sanierungsmaßnahme, die im Rahmen der nachträglichen Anordnung in Betracht kommt 141 • In diesem Fall betreffen Leistung und Gegenleistung exakt die gleiche Anlage, so daß die Verknüpfung nicht unter das Koppelungsverbot fällt 142 • Solche Vereinbarungen kommen nicht immer vor dem Erlaß der nachträglichen Anordnung, sondern auch im Rahmen des Widerspruchsverfahrens oder des gerichtlichen Verfahrens vor. Da es sich bei der Sanierungsvereinbarung um einen zweiseitigen Akt handelt, setzt dieser zwangsläufig voraus, daß beide Seiten einander entgegenkommen. Als gemeinsame Problemlösung stellen Sanierungsvereinbarungen also einen Kompromiß zwischen den Kooperationspartnern dar. Die Behörde und der Anlagenbetreiber setzen hier Tauschpotential (Tauschgeschäfte) ein 143 , weil sonst die Sanierungsvereinbarung für den Betreiber nicht interessant ist. Sanierungsvereinbarungen verlaufen damit nach dem Schema "do ut des". Zunächst sollen einige Möglichkeiten, die hinsichtlich eines Entgegenkommens der Behörde in Betracht kommen, dargestellt werden. Im Anschluß ist die Frage aufzuwerfen, in welchem Umfang es zweck- und rechtmäßig ist, auf derartige Maßnahmen zurückzugreifen. a) Gewährung von Fristen

In der Praxis wird das Mittel der Gewährung von Fristen häufig als behördliche Leistung oder als Druckmittel eingesetzt l44 • Wenn der BetreiZu den Motiven für die Behörde siehe oben § 8 14. Vgl. Bauer, VerwArch 78 (1987), 248; Jarass, DVBI. 1986,320. 142 Dose, Die verhandelnde Verwaltung, S. 258. 143 Vgl. Amold, VerwAreh 80 (1989), 140f.; Bauer, VerwArch. 78 (1987), 254; Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 156, 196ff.; Breuer, JZ 1994, 1085; Eberle, Die Verwaltung, 17 (1984),443; Fluck, NuR 1990, 198. 144 Beispiele hierzu Amold, VerwAreh 80 (1989), 125ff.; Bulling, DÖV 1989, 277ff. 140 141

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

ber - zeitlich vage oder genau terminiert - die Erfüllung der Sanierungsmaßnahmen zusichert, anstatt unverzügliche Sanierungen anzuordnen, verspricht dann die Behörde im Gegenzug mehr oder weniger ausdrücklich, den rechtswidrigen Zustand einstweilen zu dulden 145 • Damit werden Sanierungsfristen entsprechend der Zeitvorstellung des Betreibers gewährt. Dies geschieht in der Regel in der Erwartung, daß nach Abschluß der Maßnahmen wieder eine den gesetzlichen Anforderungen anpassende Rechtslage hergestellt wird l46 • Diese Gewährung von Fristen ist von der aktiven Duldung, bei der eine Sanierungsanordnung bewußt nicht erlassen wird, obwohl die Voraussetzungen für den Einsatz gegeben sind, zu unterscheiden 147 • Fraglich ist somit, ob eine solche Gewährung von Fristen rechtmäßig ist. Einerseits wird die Auffassung vertreten 148 , daß die Gewährung von Fristen hinsichtlich der Zweckmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit rechtmäßig sei. Als Begründung hierfür wird zumeist vorgetragen, daß man für einen kürzeren oder mittelfristigen Aufschub die Verantwortung übernehmen kann, wenn sichergestellt ist, daß das Sanierungsziel in absehbarer Zeit erreicht werden kann. Demgegenüber vertritt Bohne 149 die Auffassung, daß die Gewährung von Fristen, sei sie auch für die kooperativen Beziehungen von Behörde und Betreiber förderlich, grundsätzlich rechtlich nicht gerechtfertigt sei. Er weist weiter darauf hin, daß die Gewährung von Fristen auch mit dem Gesetzmäßigkeitsprinzip (Art. 20 III GG) und Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) in Konflikt gerate. Die Rechtmäßigkeit der Fristgewährung ist davon abhängig, wann die Sanierungsmaßnahme spätestens eintreten muß. Im Normalfall wird der zuständigen Behörde ein weiter Ermessensspielraum eröffnet. Sie hat die Freiheit zu entscheiden, ob und wie sie in eine nachträgliche Anordnung gern. § 17 BImSchG einschreiten will. Dabei kann die Behörde vielfältige Gesichtspunkte (z. B. Arbeitsmarkt, Wettbewerb, künftige Entwicklung etc.) berücksichtigen 150. Unter dieser Berücksichtigung kann die Behörde dem Betreiber für Sanierungsmaßnahmen angemessene Fristen gewähren. Der Spielraum ist allerdings im Falle des § 17 Abs. 1 Satz 2 BImSchG (kein 145 Vgl. Breuer, JZ 1994, 1085; Heider, NuR 1995, 336; Wenner, in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1993, UTR Bd. 21, S. 304. 146 Vgl. Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln und Umweltstrafrecht, S. 16. 147 Vgl. Fluck, NuR 1990, 198; Robbers, DÖV 1987, 278; WolfflBachoflStober, VerwR Bd. I, § 57 Rn. 15; Wenner, in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1993, UTR Bd. 21, S. 306. 148 von Wedemeyer, Kooperationen beim Vollzug des Umweltrechts, S. 155. 149 Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 169ff. ISO Vgl. Jarass, BlmSchG, § 17 Rn.35; LandmannlRohmerlHansmann, UmweltR, § 17 BlmSchG Rn. 180.

§ 8 Sanierungsvereinbarungen bei der bestehenden Anlage

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ausreichender Schutz) sehr eng. Nachträgliche Anordnungen sind hier je nach der Durchführbarkeit ohne zeitliche Verzögerung durchzuführen lS1 • Die Gewährung von Fristen als behördliche Leistungen von Sanierungsmaßnahmen ist daher grundsätzlich nicht rechtmäßig. Dies bedeutet aber nicht, daß die Behörde ohne weiteres auf die Gewährung von Fristen verzichten muß. Vielmehr bedeutet sie, daß die Behörde unter Berufung auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausnahmsweise Fristen gewähren darf, wenn dies durch Belange des Umweltschutzes gerechtfertigt wird 152 • Wie oben dargestellt 153 , wird die nachträgliche Anordnung gem. § 17 BImSchG durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind einerseits Art, Menge und Schädlichkeit der emittierten Stoffe, anderseits Restnutzungsdauer und Besonderheiten der Anlage zu berücksichtigen. Dabei ist aber auch in Rechnung zu stellen, daß die Durchführung der Sanierungsmaßnahmen eine nicht unerhebliche Zeit beanspruchen kann. Denn bei dem hohen Standard der gesetzlichen Anforderungen sind oft technisch sehr aufwendige Umrüstungsmaßnahmen vonnöten, um diese Anforderungen sogar noch zu übertreffen. Damit kann die Gewährung von Fristen als behördliche Leistung unter Berufung auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtmäßig sein. Trotzdem darf der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht überschätzt werden. Grundsätzlich ist nämlich davon auszugehen, daß die erforderliche Abwägung zwischen den Interessen des Betreibers und denen der Allgemeinheit bereits durch den Gesetzgeber vorgenommen wurde und Eingang in die gesetzlichen Bestimmungen gefunden hat 154 • Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darf nicht dazu dienen, normative Vorgaben des Gesetzgebers einfach zu überspielen 155 • Er kann daher einen ökonomisch motivierten Verzicht auf die Durchsetzung klarer umweltrechtlicher Anforderungen nicht rechtfertigen. b) Abweichung von einer Änderungsgenehmigung Nachträgliche Anordnungen gegen eine sanierungsbedürftige Anlage führen in den meisten Fällen zu einer "wesentlichen Änderung" der Anlage

ISI IS2

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 168. Kunig, DVBl. 1992, 1197.

oben § 7 III 1 d). Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln und Umweltstrafrecht, S. 113; Herrnes/ Wie land, Die staatliche Duldung rechtswidrigen Verhaltens, S. 20; LübbeWolff, NuR 1989, 301. ISS Vgl. Hermes/Wieland, Die staatliche Duldung rechtswidrigen Verhaltens, S.49. IS3

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

i.S. des § 15 BImSchG a.F. und machen daher eine Änderungsgenehmigung nötig l56 • Denkbar sind hier Sanierungsvereinbarungen, die zum Inhalt haben, daß die zuständige Behörde von der Durchführung eines Änderungsgenehmigungsverfahrens absieht. Insbesondere um Zeit und Kosten eines Änderungsgenehmigungsverfahrens zu vermeiden, vereinbart die Behörde vor dem Erlaß der Sanierungsanordnung mit dem Betreiber, etwas weniger weitgehende Maßnahmen zu ergreifen, die keine "wesentliche Änderung" der Anlage bewirken. Diese Maßnahmen führen zu erheblichen Verbesserungen der Anlage, erreichen jedoch in einige Punkten nicht ganz den Stand der Technik I57 • Darüber hinaus führt die Behörde ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren nach § 19 BImSchG ohne öffentliche Auslegung des Antrags anstatt eines Änderungsgenehmigungsverfahrens durch. Der Betreiber wünscht dieses Verfahren trotz der mit ihm verbundenen größeren Rechtsunsicherheit, weil er an einer möglichst frühzeitigen Genehmigung ohne verzögernde Einwendungen Dritter interessiert ist. Er will möglichst schnell produzieren. Dies ist jedoch offensichtlich unzulässig. § 15 BImSchG a. F. ordnet zwingend die Durchführung eines Genehmigungsverfahrens bei einer wesentlichen Änderung an. Dabei ist es bezüglich des· Genehmigungserfordernisses gleichgültig, aus welchem Grund die Änderung erfolgt. Die Behörde hat somit keinen diesbezüglichen Vereinbarungsspielraum. c) Abweichung von Emissionswerten: Verhältnis zwischen dem Stand der Technik und den Emissionswerten der TA-Luft

aa) Problemstellung Bei den Sanierungsvereinbarungen wird das Mittel der Abweichung der Emissionswerte auch häufig als behördliche Leistung von Sanierungsmaßnahmen eingesetzt. Beispielsweise vereinbart die Behörde mit dem Anlagenbetreiber einen Emissionswert von 0,3 mg/m3 , obwohl er in der TALuft von 0,2 mg/m3 festgelegt wird ls8 . Damit stellt sich die Frage, ob die Behörde ein Entgegenkommen hinsichtlich der Höhe der Emissionsminderung in der TA-Luft als Gegenleistung der Sanierungsmaßnahmen überhaupt vereinbaren kann. Diese Frage ist insbesondere im dem Fall noch wichtiger, wenn die Behörde nach dem Stand der Technik die Möglichkeit hat, unter den Emissionswerten der TA-Luft zu bleiben. Soll die Behörde in diesem Fall nur den Emissionswert der TA-Luft verlangen oder weitergeIS6 IS7 IS8

Siehe dazu oben § 8 I 4 dd). Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 171. Die Werte sind fiktiv.

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hende Maßnahmen fordern? Wird z.B. in der TA-Luft festgelegt, daß ein Emissionswert von 0,2 mg/m 3 eingehalten werden muß, ist dann die Behörde dennoch berechtigt, wenn es der jetzige Stand der Technik erlaubt, auch 0,1 mg/m 3 zu verlangen? In der Praxis wird die Höhe der Emissionsminderung als behördliche Leistung so verwendet, daß sich die beiden Partner nicht an einer möglichst umweltverträglichen, dem Stand der Technik entsprechenden Sanierungsmaßnahme, sondern am Gesichtspunkt einer möglichst kostengünstigen Lösung der Sanierung orientieren 159. Auf eine volle Anwendung des Standes der Technik wird damit hier verzichtet. Diese Überlegungen fordern weiterhin die Frage, ob die in der TA-Luft enthaltenen Emissionswerte zuverlässige Aussagen über den Stand der Technik enthalten oder ob eine permanente Anpassung an den fortschreitenden Stand der Technik denkbar oder gar vorgesehen ist l60 • Im ersten Fall würden die Emissionswerte der TA-Luft als starre verbindliche Grenzwerte aufgefaßt werden, die gleichzeitig Höchstanforderungen markieren. Die Behörde wäre dann nicht berechtigt, obwohl es der jetzige Stand der Technik erlaubt, die höhere Emissionsminderung als die in der TA-Luft festgelegten Emissionswerte zu verlangen. Im zweiten Fall würden dagegen die Emissionswerte der TA-Luft nur als Mindestanforderungen verstanden werden, deren Verschärfung grundsätzlich möglich ist. Es handelt sich damit um die Frage der Bindungswirkung der Emissionswerte der TA-Luft. Unproblematisch wäre das bei Emissionsgrenzwerten mit Rechtsnormqualität l61 • In diesem Fall ist die zuständige Behörde an die in einer Rechtsverordnung enthaltenen Emissionsgrenzwerte gebunden und damit ist der Spielraum für behördliche Abwägung nur insoweit eingeräumt, als der Normgeber bestimmte Fallgestaltungen offengelassen hat oder als er bestimmte Umstände gar nicht berücksichtigen konnte. 162 Im folgenden wird daher untersucht werden, ob und inwieweit die Behörde hinsichtlich der Höhe der Emissionsminderung einen Verhandlungsspielraum haben kann. Dabei muß geklärt werden, wie weit die Emissionswerte der TA-Luft verbindlich sind. Zunächst soll aber das Verhältnis zwischen dem Stand der Technik und den Emissionswerten der TA-Luft dargestellt werden. 1~9 Vgl. Bohne, VerwArch 75 (1984), 359; Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 134. 160 Zur Problemstellung Jarass, BlmSchG, § 48 Rn. 16; LandmannlRohmerl Hansmann, UmweltR, § 48 BImSchG Rn. 47. 161 Emissionsgrenzwerte mit Rechtsnormqualität ergehen typischerweise in Form von Rechtsverordnungen (z. B. die Verordnung über Großfeuerungsanlagen, die Strahlenschutzverordnung und die Rasenmäherverordnung) und binden die Vollzugsbehörden ebenso wie betroffene Dritte und die Judikative. 162 Vgl. LandmannlRohmerlHansmann, UmweltR, § 17 BImSchG Rn. 95.

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bb) Begriff "Stand der Technik" Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, daß Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen getroffen wird, insbesondere durch die dem "Stand der Technik" entsprechenden Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung. Die Emissionen sind hier so weit zu mindern, wie dies mit Maßnahmen möglich ist, die dem Stand der Technik entsprechen l63 • Der Stand der Technik ist damit ein wichtiges Instrument der Vorsorge und ein Maß der Emissionsbegrenzungen. Als Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung kommen neben den Verfahren zur Entstaubung, Abgasreinigung und Lärmbekämpfung sowie Meß-, Steuer- und Regeleinrichtungen auch Verfahren in Betracht, die der Emissionsüberwachung dienen l64 • Maßnahmen, die Emissionen nur günstiger verteilen, sei es in räumlicher oder in zeitlicher Hinsicht, also z. B. höhere Schornsteine, können deshalb nicht in Erwägung gezogen werden. Als Stand der Technik definiert § 3 Abs. 6 BImSchG den Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen gesichert erscheinen läßt. Da sich der Entwicklungsstand ständig verändert, ist der Begriff des Standes der Technik folglich dynamisch 165. Durch ihn soll der Stand der technischen Neuentwicklungen zum Maßstab für die erforderliche Emissionsminderung und damit auch für die in § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG verlangte Vorsorge werden 166. Dabei ist es aber unklar, nach welchem Element man sich zur Festlegung des Standes der Technik zu richten hat. Fraglich ist aber auch, wann eine neue Emissionsminderungstechnologie als Stand der Technik verstanden werden kann. Wichtigstes Element des Standes der Technik ist die technische Machbarkeit von Schadstoffminderungen. Hierzu gehört als notwendige Voraussetzung die praktische Eignung. Die praktische Eignung liegt vor, wenn die Maßnahme in einem Betrieb mit Erfolg erprobt wurde (§ 3 Abs. 6 Satz 2 BImSehG). Verlangt werden von dem Betreiber folglich nur solche Maßnahmen, die ohne große Risiken der Umsetzung im großtechnischen Einsatz verwirklicht werden können 161. Der Stand der Technik geht insoweit über das hinaus, was allgemein bereits praktiziert wird (allgemein anerBender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Rn. 6/134. Siehe die ausführliche Aufzählung von Feldhaus, DVBI. 1981, 168f. 165 Vgl. Jarass, DVBI. 1986,315. 166 Nach Breuer, AöR 101 (1976), 46; NVwZ 1988, 111, wird durch den Begriff des Standes der Technik die jeweilige Front des Fortschritts in das BlmSchG inkorporiert. 167 Trute, Vorsorgestrukturen und Luftreinhalteplanung im BlmSchG, S. 70. 163

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kannte Regeln der Technik I68 ); er bleibt andererseits zurück hinter der rein theoretischen Eignung zum Emissionsminderung (Stand von Wissenschaft und Technik I69 ). Der Stand der Technik bildet also als mittleres Sicherheitssystem die zweite Stufe 170. Ob eine Maßnahme noch als dem Stand der Technik entsprechend angesehen werden kann, entscheidet sich jedoch im Rahmen einer Abwägung der öffentlichen Interessen und derjenigen des Betreibers nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz l71 • Anhaltspunkte für diese Abwägung können sich aus der Gefährdungsintensität der zu vermeidenden Umweltbelastung, aus dem Grad der Steigerung der Emissionsverminderung des neuen Verfahrens und auch aus der Höhe der finanziellen Belastung des Betreibers durch Anschaffungskosten ergeben 172. Danach entsprechen Maßnahmen nur dem Stand der Technik, wenn sie in einer vernünftigen Relation zwischen Aufwand und Nutzen stehen. Der Stand der Technik meint damit nicht stets das wirksamste Verfahren zur Emissionsbegrenzung, sondern ein dem wirksamsten Verfahren mehr oder weniger angenähertes Verfahren, das nicht nur den Umweltbelangen gerecht wird, sondern auch die Interessen des Betreibers angemessen berücksichtigt. Nicht das technisch Machbare, sondern das technisch vernünftigerweise Machbare bezeichnet folglich den Stand der Technik I73 •

168 Dieser Standard war für das Einleiten von Abwasser die Mindestanforderung gemäß § 7 a Abs. I Satz I WHG a. F. 169 Dieser strengste Vorsorgemaßstab hat seinen Niederschlag in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG gefunden. 170 Nach der BVerfGE 49, 89 (135 f.) besteht zwischen den drei technischen Standards eine qualitative Abstufung, und zwar im Sinne gestaffelter Sicherheitsstufen (sog. Drei-Stufen-Theorie): allgemein anerkannten Regeln der Technik, Stand der Technik, Stand von Wissenschaft und Technik. 171 Feldhaus, BlmSchR, § 3 BlmSchG Anm. 19; Landmann/Rohmer/Kutscheidt, UmweltR, § 3 BlmSchG Rn. 32; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 63; BVerfGE 49, 89 (136) im Anschluß an Breuer, AöR 101 (1976), 68, in dem es ausführt. daß bei der Festlegung des Standes der Technik ermittelt werden müsse. was ..technisch notwendig, angemessen und vermeidbar ist"; die amtliche Begründung in BT-Drs. 7/179 S. 32. 172 Vgl hierzu die Kataloge bei Feldhaus. DVBI. 1981, 169; Marburger, Die Regel der Technik im Recht, S. 161. 173 Feldhaus, DVBI. 1981. 170; Marburger. Die Regel der Technik im Recht, S. 161.

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cc) Bindungswirkung der Emissionswerte der TA-Luft (1) Emissionswerte der TA-Luft

Für eine nähere Bestimmung, an welche Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung gedacht ist oder was als dem Stand der Technik entsprechend anzusehen ist 174, erläßt die Bundesregierung gemäß § 48 BImSchG eine allgemeine Verwaltungsvorschrift über Emissionswerte (TA-Luft)17S. Emissionswerte 176 sind quantitative Angaben über luftverunreinigende Stoffe l77 , die von einer Anlage ausgehen. In der TA-Luft werden die Emissionswerte für staubförmige Emissionen, stab-, dampf- oder gasförmige anorganische Stoffe, organische Stoffe und geruchsintensive Stoffe jeweils unterteilt nach der Schädlichkeit des Stoffes und dem Massenstrom als Massenkonzentrationen pro m3 Abluft festgesetzt. So darf eine Anlage z. B. nur bis zu 0,2 mg/m3 Cadmium bei einem Massenstrom von mindestens 1 glh (Nr. 3.1.4) oder 500 mg/m 3 Schwefeldioxid bei einem Massenstrom von mindestens 5 kglh (Nr. 3.1.6) emittieren. Emissionswerte der TA-Luft sind damit Grundlage für Emissionsbegrenzungen nach dem Stand der Technik, die im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit das Maß der gesetzlich gebotenen Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen konkretisieren 178. Der Zweck der Emissionswerte der TA-Luft besteht vor allem darin, zur Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens und zur Entlastung der Behörden von schwierigen technischen Detailfragen beizutragen. Die Bedeutung der Emissionswerte der TA-Luft liegt für die Behörden damit in der Unterstützung bei den Vollzugsaufgaben (Vollzugsfreundlichkeit I79 ). (2) Meinungsstand in der Rechtsprechung

Die Frage, ob die in der TA-Luft festgesetzten Emissionswerte verbindlich sind, wurde in zahlreichen Entscheidungen erörtert. Das BVerwG maß 174 Zum Problem der Verrechtlichung technischer Standards Gusy, NVwZ 1995, 105ff. 175 Vom 28. 8. 1974 (GMBl. S. 426, ber. S. 525) i.d.F. d. Bek. vom 27. 2. 1986 (GMBl. S. 95, ber. S. 202). 176 Emissionswerte unterscheiden sich von Emissionsgrenzwerten, die im BImSchG (§ 7 Abs. I, § 23 Abs. I, § 43 Abs. 1) oder in den Rechtsverordnungen enthalten sind und damit unmittelbar verbindlich sind. 177 Landmann/Rohmer/Hansmann, UmweltR, § 48 BImSchG Rn. 45; Im Schrifttum werden derartige Emissionswerte auch als Umweltstandards bezeichnet, vgl. Jarass, NJW 1987, 1225; Ritter, NVwZ 1987,932. 178 BVerwG, NVwZ 1995, 994. 179 Breuer, NVwZ 1997, 836.

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den aufgrund von § 48 BImSchG erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften im Voerde-Urteil vom 17. 2. 1978 180 weitgehende Außenwirkung bei, in dem es die auf Breuer 181 zurückgehende Rechtsfigur des "antizipierten Sachverständigengutachtens" übernahm. Das Gericht hielt zwar an dem Grundsatz uneingeschränkter gerichtlicher Überprüfbarkeit unbestimmter Rechtsbegriffe des BImSchG fest, räumte den Emissionswerte der TALuft indes im Hinblick darauf, daß diese auf den Erkenntnissen und Erfahrungen von qualifizierten Fachleuten beruhen und die Gerichte selbst über keinen überlegenden Sachverstand verfügen, Beachtlichkeit im Gerichtsverfahren nach Art eines "antizipierten Sachverständigengutachtens" ein. Das OVG Lüneburg sprach in seinem Buschhaus-Beschluß vom 28. 2. 1985 182 offen aus, daß es den Bestimmungen der TA-Luft, obwohl diese Verwaltungsvorschriften und damit keine Rechtsnormen seien, auch im Verwaltungsprozeß Bindungswirkung beimesse. Die Emissionswerte der TA-Luft seien indes nicht verbindlich, soweit sie durch neuere gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse überholt seien oder aber im konkreten Fall eine vom Vorschriftengeber nicht beachtete atypische Fallgestaltung vorliege. Im Wyhl-Urteil vom 19. 12. 1985 183 schließlich bestätigte das BVerwG die Linie des OVG Lüneburg und stützte die gerichtliche Bindung an atomrechtliche Verwaltungsvorschriften nicht mehr auf die Rechtsfigur des antizipierten Sachverständigengutachtens, sondern auf einen neuen Begründungsansatz, nämlich den der "normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften" . Ihre Funktion besteht darin, vom Gesetzgeber der Verwaltung eingeräumte Spielräume mit Bindungswirkung für die Gerichte auszufüllen l84 . Wenn es also aus dem Gesetz folge, daß die Exekutive wissenschaftliche Streitfragen einschließlich der daraus folgenden Risikoabschätzung zu werten habe, dann sei der Verwaltung eine Kompetenz zur Normkonkretisierung übertragen worden und die verwaltungsgerichtliche Kontrolle könne diese Bewertung nicht durch ihre eigene ersetzen. Die Gerichte könnten eine derartige Verwaltungsvorschrift nur darauf überprüfen, ob sie auf willkürfreien Ermittlungen beruhen und bei bestehenden Unsicherheiten zu hinreichend konservativen Abschätzungen führen. Ob die Anerkennung der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift im Wyhl-Urteil aber vom Atom- auf das Immissionsschutzrecht übertragen werden kann, hat das BVerwG bislang offengelassen l85 • In der Literatur 186 ist der Versuch unterBVerwGE 55, 250 (256). Breuer, DVBI. 1978, 34 ff. 182 OVG Lüneburg, NVwZ 1985, 357f. 183 BVerwGE 72, 300 (316ff., 319) zum Atomrecht. 184 Vgl. Breuer, DVBI. 1986,851. ISS Für Qualifikation der TA-Luft als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift OVG Münster, NVwZ 1988, 173; NVwZ 1991, 1200. 180 181

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nommen worden zu begründen, daß die TA-Luft auch eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift mit Außenwirkung ist. Die TA-Luft unterscheide sich in wesentlichen Punkten von gewöhnlichen Verwaltungsvorschriften. Ihr Inhalt werde durch § 48 BImSchG hinreichend gesetzlich determiniert und legitimiert. Der Gesetzgeber habe mit dem § 48 BImSchG der Exekutive die Befugnis zur Konkretisierung der zu bestimmenden Immissions- und Emissionswerte übertragen wollen 187. Ein Dämpfer ist der Lehre von den außenverbindlichen Verwaltungsvorschriften allerdings vom EuGH zugefügt worden. Der EuGH hat in einer Serie von Entscheidungen aus dem Jahre 1991 188 Verwaltungsvorschriften für ungeeignet gehalten, um EG-Richtlinien in nationales Recht umzusetzen. Da die Bundesregierung keine die Allgemeinverbindlichkeit der TALuft anerkennenden höchstrichterlichen Entscheidungen anführen konnte, sprach ihr der EuGH den Charakter einer verbindlichen Regelung ab. Die rechtsdogmatische Konstruktion der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift hat den EuGH nicht überzeugen können l89 • (3) Emissionswerte der TA-Luft als Höchtsanforderungen?

In der Literatur wird die Auffassung vertreten l90 , daß die Emissionswerte der TA-Luft als starre Grenzwerte aufgefaßt werden sollten, die gleichzeitig Höchstanforderungen markieren. Die TA-Luft gebe in Form der Emissionswerte den Stand der Technik an. Die Behörde dürfte daher keine höheren Emissionswerte an bestehende Anlagen stellen, als die in der TA-Luft festgelegte Emissionswerte, obwohl es nach dem Stand der Technik möglich sei. Begründet wird dies unter anderem mit dem Argument, daß die Einhaltung der Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG als sichergestellt an186 Mittlerweile herrschend, vgl. Gellermann/Szczekalla, NuR 1993, 60f.; Sendler, UPR 1993, 321 ff. 187 Vgl. Schink, DVBI. 1986, 174. 188 Die Entscheidungen zur Grundwasserrichtlinie (EuGH, Sig. I 1991, 825 = NVwZ 1991, 973), zu den Luftreinhaltungsrichtlinie über Schwefeldioxid und Schwebestaub (EuGH, Sig. I 1991, 2567 = NVwZ 1991, 866) sowie über Blei (EuGH, Sig. I 1991, 2607 = NVwZ 1991, 868) und zur Rohwasserrichtlinie (EuGH, NVwZ 1992, 459). 189 In der Literatur wurde dem EuGH nach seinen 1991 ergangenen Entscheidungen vorgehalten, der Gerichtshof habe den besonderen Charakter der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften im deutschen Recht nicht verstanden, vgl. insb. Breuer, Umweltschutzrecht, in: Bes. VerwR, Rn. 181 a; ders., Entwicklungen des europäischen Umweltrechts - Ziele, Wege und Irrwege, S. 8 ff., 72 ff.; ders., NVwZ 1997, 833ff.; Sendler, UPR 1993,321 ff. 190 Steinhoff, Zur Bindungswirkung der Emissionswerte der TA Luft, S. 90, 110; vgl. auch von Wedemeyer, Kooperationen beim Vollzug des Umweltrechts, S. 158f.

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zusehen sei, wenn die Emissionswerte der TA-Luft eingehalten würden. Dies sei für die Behörde nur dann möglich, wenn diese zugleich als Höchstanforderungen aufgefaßt würden 191. Dadurch könne der Behörde die Vollzugsaufgabe erleichtert werden, die Anforderungen im Einzelfall korrekt zu bestimmen. Anderenfalls müßte zunächst überprüft werden, ob die Verschärfung eines gegebenen Emissionswertes geboten ist. Danach wäre eine neue Grenze zu ermitteln, bei welcher die gesetzlichen Pflichten als eingehalten gelten könnten. Ein derartiges Vorgehen würde Bedenken hinsichtlich der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit aufwerfen 192 • Nach dieser Auffassung kann die Behörde im oben gestellten Fall nicht berechtigt sein, den höheren Emissionswert von 0,1 mg/m 3 zu verlangen. Die Behörde muß nur den in der TA-Luft festgelegten Emissionswert von 0,2 mg/m 3 beachten. Auf eine volle Anwendung des Standes der Technik wird damit hier verzichtet. Diese Auffassung kann nicht überzeugen. Im folgenden sollen einige Gegenargumente vorgestellt werden. (4) Gegenargumente: Emissionswerte der TA-Luft als Mindestanforderungen Nimmt man an, daß die in der TA-Luft enthaltenen Emissionswerte starre Grenzwerte sind und gleichzeitig Höchstanforderungen markieren, dann sollten der Stand der Technik und die Emissionswerte der TA-Luft tatsächlich identisch sein. Die Emissionswerte der TA-Luft müssen also den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen. Zwischen dem Stand der Technik und den Emissionswerte der TA-Luft besteht jedoch eine große Diskrepanz. Für die These, die Festlegung der Emissionswerte der TA-Luft den rechtlichen Anforderungen des Standes der Technik gern. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG nicht tatsächlich entsprechen könnte, spricht die Zeitfolge des Inkrafttretens bzw. der Novellierungen der TA-Luft. Die TA-Luft wurde seit ihrem Inkrafttreten 1974 nur zweimal geändert, nämlich 1983 und 1986. Obwohl die technische Entwicklung der Anlagensanierung nicht zum Stillstand gekommen, sondern ständig fortgeschritten ist, ist TA-Luft seit 1986 unverändert geblieben 193. TA-Luft aus dem Jahr 1986 ist schon veraltet. Maßvolle Änderungen wären ausreichend, Steinhoff, Zur Bindungswirkung der Emissionswerte der TA Luft, S. 88. Steinhoff, Zur Bindungswirkung der Emissionswerte der TA Luft, S. 122. 193 Vgl. Feldhaus. NVwZ 1995, 965; Dagegen gehen LandmannlRohmerlHansmann, Umweltrecht, TA-Luft, Nr. 4 Rn. 1, davon aus, daß eine grundlegende Neubewertung des Standes der Technik bis zur Mitte der 90er Jahre nicht erforderlich würde und zwar wegen der hohen technischen und wirtschaftlichen Anforderungen. die die Umsetzung der TA-Luft 1986 verlangt. 191

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

um sie auf den neusten Stand zu bringen l94 • Damit kann die Auffassung, daß die in der TA-Luft enthaltenen Emissionswerte starre Grenzwerte seien, nicht verfolgt werden. Darüber hinaus ist es nach dieser Auffassung nicht auszuschließen, daß im Einzelfall der Fortschritt der Technik gehemmt und technische Entwicklungen abgeschnitten werden können, die zum Zeitpunkt der Festlegung die Einhaltung noch nicht möglich waren l9S • Als Fixierung des Standes der Technik zu einem gegebenen Zeitpunkt sollen aber im Prinzip jederzeit neuere Erkenntnisse und technologische Fortschritte die Emissionswerte der TA-Luft als überholt erscheinen lassen. Das bedeutet zugleich, daß die Emissionswerte der TA-Luft den Stand der Technik nicht mehr zutreffend zum Ausdruck bringen. Damit wären die Emissionswerte der TA-Luft rechtswidrig, wenn sie als starre verbindliche Höchstwerte interpretiert werden würden. Nr. 3.1.2 TA-Luft selbst enthält das Gebot, Anlagen mit Einrichtungen zur Begrenzung der Emissionen auszurüsten und zu betreiben, die dem Stand der Technik entsprechen. Diese Regelung eröffnet den Behörden die Möglichkeit, im Einzelfall von den Emissionswerten der TA-Luft abzuweichen und mit Rücksicht auf einen anders definierten Stand der Technik weitergehende Anforderung im Rahmen einer nachträglichen Anordnung zu verlangen. Denn mit dem dynamischen Begriff "Stand der Technik" wird das Fortschreiten der technologischen Entwicklung in die Regelungen integriert. Damit werden auch Anlagen nicht mehr als dem Stand der Technik entsprechend anzusehen sein, bei denen die Emissionswerte der TA-Luft eingehalten werden, wenn in der Praxis wirksamere Verfahren entwickelt worden sind 196. Um den oben genannten Problemen der Anpassung entgegenzuwirken, sollten die Emissionswerte der TA-Luft grundSätzlich nur als Mindestanforderungen verstanden werden, deren Verschärfung grundSätzlich möglich ist l97 • Für die Annahme, daß die Emissionswerte der TA-Luft auf jeden Fall als Mindestanforderungen unbedingt eingehalten werden müssen, spricht auch der Wortlaut der TA_Luft l98 ("dürfen nicht überschritten werden"). So werden z. B. Entstaubungsanlagen ohne weiteres nicht dem Stand der Technik entsprechen, wenn bei deren Betrieb die jeweiligen Emissionswerte der TA-Luft überschritten werden. 194 Aus diesem Grund sieht § 160 Abs. 3 Umweltgesetzbuch (E-UGB-AT) eine Höchstgrenze von 8 Jahren für die Geltungsdauer von Verwaltungsvorschriften vor. 195 Schmölling. in: Grenzwerte, S. 81. 196 Pütz.lBuchholz. Anzeige- und Genehmigungsverfahren nach dem BlmSchG, S.29. 197 Schrader. NuR 1989,290. 198 Z.B. 3.1.3, 3.1.4, 3.1.6, 3.1.7, 3.3.1.2.1, 3.3.1.2.2 TA-Luft usw.

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dd) Zwischenergebnis Die Emissionswerte der TA-Luft sind zwar bedeutsame und grundsätzlich auch seitens der Behörde zu berücksichtigende Regelwerke zur Bestimmung von Sanierungsmaßnahmen. Unabhängig davon, ob die TA-Luft als normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften faktische Außenwirkung entfaltet oder nicht. verbietet sich für den Immissionsschutz, insbesondere im Rahmen der vorsorgebezogenen Sanierungsmaßnahmen, eine starre Übernahme ihrer Emissionswerte. Die Behörde muß eine aus ihrer Sicht optimale Sanierungsmaßnahme betreiben, ohne auf einen in der TA-Luft festgelegten konkreten Emissionswert festgelegt zu sein. Sanierungsbedürftige Anlagen müssen also nicht entsprechend der Emissionswerte der TA-Luft, sondern entsprechend dem Stand der Technik nachgerüstet werden l99 • Im oben dargestellten Fall muß die Behörde damit berechtigt sein, den nach dem Stand der Technik ermöglichten höheren Emissionswert von 0.1 mg/m3 zu verlangen. Der in der TA-Luft festgelegte Emissionswert von 0,2 mg/m 3 ist nur ein Mindestwert. Ein Ermessen der Behörde, vom Stand der Technik zugunsten von kooperativen Sanierungslösungen abzuweichen, ist grundsätzlich nicht eingeräumt. Solche Sanierungsvereinbarungen, die einen Verzicht auf den Stand der Technik beinhalten, sind regelmäßig ermessensfehlerhaft2OO • Die im Einzelfall zulässigen Sanierungsmaßnahmen ergeben sich nur aus dem BImSchG und den allgemeinen Prinzipien, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 3. Koppelungsvereinbarungen 201 , die die Sanierung einer bestehenden Anlage mit der Genehmigung einer neuen Anlage verknüpfen a) Bedeutung in der Praxis Die immissionsschutzrechtliche Sanierung einer bestehender Anlage indiziert ein hohes Konfliktniveau mit entsprechend hohem Widerstand des Betreibers. Um einigermaßen erfolgreich bei der Durchsetzung von SanieVgl. Landmann/Rohmer/Hansmann, UmweltR, § 17 BImSchG Rn. 106. So auch Bohne, Der informale Rechtsstaat. S. 171. 20\ In der Literatur wird der Begriff ..Genehmigungsabsprachen" mit dem Begriff ..Koppelungsvereinbarungen" fehlerhafter Weise identisch verwendet (vgl. Jarass, DVBI. 1986. 320; Rengeling. Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht. S. 32). Während Genehmigungsabsprachen vorzüglich im Hinblick auf Genehmigung in Betracht kommen. kommen Koppelungsvereinbarungen in erster Linie im Zusammenhang mit der Sanierungsmaßnahme in Betracht. Hinsichtlich der Initiative sind beide unterschiedlich. 199

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

rungsmaßnahmen zu sein, würde die Behörde mit ihren Sanierungsplänen häufig warten, bis der Betreiber mit einem Antrag auf Genehmigung einer Neuanlage an sie herantritt, und dann eine Verknüpfung zwischen der Neugenehmigung und der Sanierung herstellen 202 . Durch solche Verknüpfung erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, daß Sanierungsmaßnahmen durchgesetzt werden, da die Behörde ihre mit einem Antrag auf Genehmigung einer Neuanlage verbesserte Verhandlungsposition für eine Veranlassung von sonst kaum erreichbaren Sanierungen nutzt 203 • Neugenehmigung wird also als ein Druckmittel für die Sanierung einer bestehenden Anlage benutzt, da der Betreiber an einer raschen Durchführung des Genehmigungsverfahrens interessiert ist204 • Bei der Verknüpfung zwischen der Neugenehmigung und der Sanierung kann die Behörde verschiedene Optionen haben. Die Behörde kann nicht nur den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung, sondern auch den Inhalt der Neugenehmigung von der Sanierung abhängig machen. Sie kann also nur die Genehmigungserteilung so lange verzögern, bis eine Einigung über die Sanierung erzielt wird 2osoder die Sanierung auf die Anforderungen einer neuen Anlagengenehmigung anrechnen. Dieses Koppelungskonzept hatte insbesondere vor der 2. Novellierung des BImSchG von 1985 und TA-Luft 1986 größere Bedeutung. Denn es war vor Erlaß der Verordnung der Großfeuerungsanlage dem Altanlagensanierungsprograrnm der TA-Luft bei den bestehenden Anlagen, den größten Schadstoffemittenten, schwierig, eine Emissionsminderung zu erreichen206 • Auch heute noch werden rechtlich fragwürdige Sanierungsvereinbarungen durch Koppelungen von Neugenehmigungen mit Sanierungsmaßnahmen an bestehende Anlagen häufig benutzt. Grund hierfür ist die faktische Lage, in der sich der Betreiber befindet. Zwar könnte er seinen Anspruch auf die Genehmigung gerichtlich durchsetzen, ein solches Verfahren würde die Inbetriebnahme der neuen Anlage aber erheblich verzögern und damit ungleich höhere Kosten verursachen, als für die von der Behörde geforderte Sanierungsmaßnahme aufgewandt werden müssen. 202 Vgl. Die Ergebnisse von Untersuchungen der immissionsschutzrechtlichen Praxis, Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 433, auch Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 178; Hill/Weber, Vollzugserfahrungen mit umweltrechtlichen Zulassungsverfahren, S. 102; von Wedemeyer, Kooperationen beim Vollzug des Umweltrechts, S 162ff. 203 Dose, in: Verwaltung und ihre Umwelt, S. 122. 204 Vgl. Bauer, VerwArch 78 (1987), 247f. 20S Vgl. Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 178; Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 432f. 206 Vgl. Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 135f.; Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 169.

§ 8 Sanierungs vereinbarungen bei der bestehenden Anlage

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In der Praxis werden die Gewährung von Fristen, Konzessionen bei der Bestimmung des erforderlichen Standes der Technik und der Verzicht auf Sanktionen bei entdeckten Ordnungswidrigkeiten als die behördlichen Leistungen dargestellt207 • Während im Fall einer einzelnen Anlage die Fristgewährung das häufiger angewendete Mittel ist, spielen Fristen bei der Verknüpfung mehrerer Anlagen keine größer Rolle, weil hier offensichtlich der Kostenfaktor für die Sanierungsmaßnahmen im Vordergrund steht208 • Im folgenden sollen einige Koppelungsvereinbarungen, die nach der Intensität der Konzessionen bei der Bestimmung des erforderlichen Standes der Technik unterschieden werden können, dargestellt werden. Im Anschluß ist die Frage aufzuwerfen, ob es zweck- und rechtmäßig ist, auf derartige Maßnahmen zurückzugreifen. b) Fallbeispiele nach der Realisierung des Standes der Technik

aa) Genehmigungserteilung mit vollständiger Realisierung des Standes der Technik Der Betreiber besitzt eine sanierungs bedürftige Anlage A mit einem Emissionswert von 80 mg/m3209 • Die TA-Luft erlaubt einen Emissionswert von 50 mg/m3 . Er will zusätzlich mit Hilfe einer Errichtung einer Neuanlage B ein Produkt auf den Markt bringen und beantragt eine Neugenehmigung. Die von der zu genehmigenden Neuanlage B voraussichtlich ausgehenden Emissionen liegen unter den Emissionswert von 50 mg/m3 , könnten nach dem Stand der Technik nicht mehr gesenkt werden. Das geplante Vorhaben ist somit ohne Durchführung weiterer Maßnahmen nach dem BImSchG genehmigungsfähig. Die Genehmigung der neuen Anlage B wird dennoch zeitlich solange zurückgehalten, bis eine Einigung über die Sanierung der bestehenden Anlage A erzielt ist. Durch Vereinbarung verzichtet die Behörde unter Zusage der zügigen Genehmigung der Neuanlage B auf eine Sanierungsanordnung hinsichtlich bestehende Anlage A. Dagegen verpflichtet sich der Betreiber zur stufenweisen Stillegung der bestehenden Anlage A im Verlauf der nächsten 5 Jahren. Der Betreiber verspricht zudem, die bestehende Anlage B nach Fertigstellung der Neuanlage A nur noch mit halber Kraft zu betreiben.

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Vgl. Mayntz. Vollzugsprobleme der Umwe1tpolitik, S. 40. Mayntz. Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 435.

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Die hier zitierte Emissionswerte sind alle fiktiv.

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3. Teil: VerwaItungshande1n bei Sanierung bestehender Anlagen

bb) Genehmigungserteilung mit vollständiger Realisierung der TA-Luft, aber unvollständiger Realisierung des Standes der Technik210 Der Betreiber besitzt eine sanierungsbedürftige Anlage A mit einem Emissionswert von 80 mg/m 3• Die TA-Luft erlaubt einen Emissionswert von 50 mg/m 3• Er beabsichtigt zusätzlich die Errichtung einer Neuanlage B und beantragt eine Neugenehmigung. Die von der zu genehmigenden Neuanlage B voraussichtlich ausgehenden Emissionen liegen unter dem Emissionswert von 50 mg/m 3, könnten aber durch die Verwendung neuester Filtertechnik entsprechend dem Stand der Technik noch weiter auf 30 mg/m 3 gesenkt werden. Durch Vereinbarung werden an der sanierungsbedürftigen Anlage A sofortige Emissionsreduzierungen bzw. eine Stillegung erreicht, anstatt noch mögliche Verbesserungen an der Neuanlage B zu verlangen. cc) Genehmigungserteilung mit unvollständiger Realisierung der TA_Luft211 Der Betreiber besitzt eine sanierungsbedürftige Anlage A mit einem Emissionswert von 80 mg/m3 • Die TA-Luft erlaubt einen Emissionswert von 50 mg/m3 • Er beabsichtigt zusätzlich die Errichtung einer Neuanlage B und beantragt eine Neugenehmigung. Die von der zu genehmigenden Neuanlage B voraussichtlich ausgehenden Emissionen liegen unter den Emissionswert von 60 mg/m 3 • Trotzdem wird die Neuanlage B genehmigt, weil der Betreiber sich zu sofortige Sanierungsmaßnahmen an der bestehenden Anlage A verpflichtet hat. c) Rechtliche Bewertung

Unabhängig von dem Inhalt der Koppelungsvereinbarungen ist die Verknüpfung der Sanierung mit der Neugenehmigung rechtlich problematisch 212 • Die Behörde kann die Erteilung einer Genehmigung rechtlich nicht von einer Sanierung abhängig machen, da der Betreiber auf die Genehmigung einen Rechtsanspruch hat, sofern die Genehmigungsvoraussetzungen gemäß § 6 Abs. 1 BImSchG erfüllt sind213 (gebundener Verwaltungsakt). Dieser Gesetzeswortlaut wird so verstanden werden müssen, daß es dabei um die Verhinderung von Emissionen geht, die aus der genehmigungsbe210 211 212 213

Vgl. Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 180. Vgl. Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 181 ff. Vgl. Lübbe-Wolff, NuR 1989,300. Zu den Genehmigungsvoraussetzungen siehe oben § 4 11.

§ 8 Sanierungs vereinbarungen bei der bestehenden Anlage

203

dürftigen Anlage selbst herrühren 214 • Die Sanierung der bestehenden Anlage A als Gegenleistung kann gemäß § 56 Abs. 2 VwVfG nur rechtmäßig sein, wenn sie Inhalt einer Nebenbestimmung zur Neugenehmigung (§ 12 BImSehG) sein könnte. Gemäß § 12 Abs. 1 BImSchG sind Nebenbestimmungen zulässig, soweit dies erforderlich ist, um die Erfüllung der Genehmigungsvoraussetzungen sicherzustellen. Die Sanierung der Anlage A fällt nicht darunter, so daß Sanierungsmaßnahmen zur Voraussetzung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigungserteilung gemacht werden können. Denn die Genehmigung der Neuanlage A wird nur zeitlich solange zurückgehalten, bis eine Einigung über die Sanierung der bestehenden Anlage A erzielt ist215 • Falls die Neuanlage A nur zu sehr geringen Zusatzbelastungen führt und durch die Sanierung der bestehenden Anlage B insgesamt eine ganz erhebliche Verbesserung der Gesamtbelastung erzielt wird, wird eine Verweigerung der Genehmigung der Neuanlage A als unverhältnismäßig einzustufen sein216 • Sanierungsbedürftige Anlagen müssen also nicht zum Prüfungsgegenstand der gewünschten Genehmigung gemacht werden. Koppelungsvereinbarungen sind damit nach § 59 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG nichtig. Abgesehen von dem Fallbeispiel aa) (Genehmigungserteilung mit vollständiger Realisierung des Standes der Technik) verstoßen die anderen Koppelungsvereinbarungen gegen § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSehG, der für genehmigungsbedürftige Anlagen zwingend die Einhaltung des Standes der Technik vorschreibt. Die Behörde ist verpflichtet, bei der Neugenehmigung auf die Einhaltung des Standes der Technik zu bestehen. Wie oben dargestellt217 , hat sie rechtlich keinen Verhandlungsspielraum, unter dem Stand der Technik zu bleiben. Solche Sanierungsvereinbarungen sind rechtswidrig.

4. Kompensationsvereinbarungen, die zwei verschiedene sanierungsbedürftige Anlagen einbeziehen

a) Gedanke der Kompensation Der mit dem Begriff der Kompensation218 angesprochene Ausgleich zwischen zweckwidrigem und zweckverträglichem Verhalten kann Immissionen und Emissionen zu seinem Gegenstand haben. Aus historischer Sicht haben Vgl. Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 25 Rn. 31. So auch Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 178. 216 Jarass, OVBI. 1985, 199. 217 Siehe oben § 8 11 2 c). 218 Vgl. zur allgemeinen Kompetenz- und Rechtskompensation bei Klein, OVBI. 1981,661 ff. 214 215

204

3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

sich Fonnen der Kompensation zuerst im Bereich der Begrenzung der Immissionen entwickelt219 . Später hat sich das Kompensationskonzept von der Immissions- zur Emissionsbetrachtung gewandelt, denn seit Anfang 80er Jahre wird die Auffassung vertreten, daß fühlbare Verbesserungen der Luftqualität nur durch drastische Minderung der Gesamtemissionen erreicht werden konnten. Die Emissionskompensation wird dadurch geprägt, daß ein Anlagenbetreiber die gesetzlichen Emissionswerte einer Anlage (der begünstigten oder passiven Anlage) nicht vollständig einhalten darf, wenn er die Emissionswerte seiner anderen Anlage (der belasteten oder aktiven Anlage) stärker reduziert, als er rechtlich verpflichtet ist, also diese überobligatorisch220 mindert. Ein Rückgang der Gesamtemission wird also hier zur Voraussetzung der Übertragung gemacht221 . Sanierungsmöglichkeiten der bestehenden Anlagen können damit durch Kompensationen erweitert werden. Wird über mehrere sanierungsbedürftige Anlage verhandelt, so besteht die Option vor allem darin, daß die Verbesserungen an der einen Anlage auf die andere Anlage angerechnet werden. Wenn der Betreiber z. B. zwei sanierungsbedürftige Altanlagen (Anlage A und B) besitzt, kann die Behörde mit dem Betreiber eine Vereinbarung darüber herbeiführen, von Maßnahmen gegenüber einer sanierungsbedürftigen Anlage vorerst abzusehen, wenn stattdessen zumindest eine andere Anlage unmittelbar saniert wird. Die Emissionskompensation ist damit ein Versuch, das Vollzugsdefizit einzudämmen. Der Begriff "Kompensation" wird als Bezeichnung einer umweltpolitischen Konzeption verwendet, die den Betreiber mehr Flexibilität bei der Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen zur Minderung der Emissionen verleiht222 . Es lassen sich also durch Kompensationen "ökologisch wirksame und zugleich kostengünstigere Emissionsminderungsmaßnahmen verwirklichen,,223. Andererseits liegt der Erfolg der Behörde durch Kompensationen darin, daß die Verringerung der Gesamtbelastung über dem liegt, was durch eine Sanierung jeder einzelnen Anlage möglich gewesen wäre.

219

Zur rechtlichen Entwicklung des Kompensationsmodells in Deutschland

Voigtländer, Kompensationslösungen in der Luftreinhaltung, S. 12ff. 220 BT-Drs. 10/3556, S. 15. 221 Kloepjer, JZ 1991, 741. 222 Vgl. Rehbinder, in: HdUR Bd. I, Sp. 1277f. Gleichbedeutende mit Kompensa-

tion werden in diesem Zusammenhang die Bezeichnungen "Emissionsguthaben", "Verrechnung", "Saldierung", "Bonus" und "Emissionsverbund" genannt. 223 Vgl. BT-Des. 10/1354, S. 58; 1114909, S. 16.

§ 8 Sanierungsvereinbarungen bei der bestehenden Anlage

205

b) Bedeutung der Kompensation als geregeltes Sanierungsinstrument

In der vergangenen Praxis wurden Kompensationsvereinbarungen auf den Bereich der Luftreinhaltung ohne gesetzliche Grundlage häufig als Sanierungsinstrumente verwendet224 • Der Rechtsgedanke der Kompensation wurde damit als Legitimationsgrundlage für Verhandlungslösungen herangezogen, weil sich der Gedanke der Abschwächung der nonnativen Kraft des Gesetzes darauf stützen ließ, daß Kompensationen oft aufgrund von Verhandlungen zwischen Behörde und Betreiber durch Vereinbarung zustandekamen. Kompensationen wurden daher häufig in Fonn von Absprachen getroffen. Nach dem intensiven Diskussion in Anlehung an US-amerikanischen Ansätze 225 hat die Möglichkeit einer Emissionskompensation in das BImSchG 1985 Eingang gefunden226 • Der Gesetzgeber hat nun in diesen Kompensationsvorschriften das per definitionem Unverbundene abstraktgenerell zum Emissionsverbund227 verknüpft und einen Austausch zwischen für sich stehenden "Emissionsberechtigungen" ennöglicht, indem er die Verbindlichkeit des anlagen bezogenen Vorsorgestandards für diesen Fall aufgehoben hat. Damit hat der Gesetzgeber die in der vergangenen Praxis verbreiteten infonnellen Austauschabsprachen228 verrechtlicht. Infonnelle Austauschabsprachen werden hierzu durch Definition besonderer Tatbestandsvoraussetzungen einerseits, durch Einschränkung des Ennessensspielraums andererseits in bestimmte fonnelle Bahnen gelenkt. Kompensationen unterscheiden sich also von den infonnellen Absprachen jetzt dadurch, daß sie einen vom Ordnungsrecht vorgegebenen Rahmen ausfüllen, d. h. auf einer Ermächtigung zur Schaffung und Verwendung einer Gutschrift im Rahmen des Sanierungsverfahrens beruhen229 • Die Kompensation als ein ökonomisches Instrument liegt insoweit dem ordnungsrechtlichen Instrumentarium noch relativ nahe 230 •

224 Vgl. Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 176ff.; Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 435 f. 225 Siehe hierzu statt vieler Wasmeier. NuR 1992, 219ff. 226 §§ 7 Abs. 3, 48 Nr. 4 BlmSchG. 227 Rehbinder. in: Umweltzertifikate und Kompensationslösungen. S. 74. 228 Vgl. Bohne. Der informale Rechtsstaat, S. 176 ff. 229 Rehbinder. in: Umweltzertifikate und Kompensationslösungen, S. 74; KloepJer. JZ 1991,741. unterscheidet das Kompensationsmodell vom informellen Verwaltungshandeln. 230 Vgl. Gawel/Ewringmann. NuR 1994, 123.

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen c) Kompensationsanordnungen

Die 3. Novellierung des BImSchG von 1991 ergänzt den § 17 BImSchG um einen Absatz 3 a. Danach soll die zuständige Behörde von nachträglichen Anordnungen bei einer Anlage (der begünstigten oder passiven Anlage) absehen, sofern in einem vom Anlagenbetreiber vorgelegten Plan technische Maßnahmen an dessen anderen Anlagen oder an Anlagen Dritter (der belasteten oder aktiven Anlage) vorgesehen sind. Die technischen Maßnahmen an der belasteten Anlage müssen zunächst zu einer Reduzierung der Emissionsfrachten führen, die höher ausfällt als die Reduzierung der Emissionsfrachten, wie sie bei den beiden beteiligten Anlagen durch den Erlaß nachträglicher Anordnungen erreichbar wären 231 • Hierdurch wird eine ausdrückliche Ermächtigung an die zuständige Behörde erteilt, auch beim Fehlen einer Verordnung nach § 7 Abs. 3 BImSchG eine Kompensation im Einzelfall zuzulassen. Die Privilegierung des § 17 Abs. 3 a BImSchG soll aber dann nicht eingreifen, wenn der Betreiber bereits zur Emissionsminderung aufgrund einer nachträglichen Anordnung nach § 17 Abs. 1 BImSchG oder aufgrund einer Auflage nach § 12 BImSchG verpflichtet ist oder wenn eine nachträgliche Anordnung nach§ 17 Abs. 1 Satz 2 BImSchG getroffen werden soll. Das bedeutet: Der Betreiber kann mit seinem Kompensationsangebot allenfalls der nachträglichen Anordnung der Behörde zuvorkommen. Ist die Emissionsminderung bereits angeordnet, kommt das Kompensationsangebot zu spät232 • Kompensationen können der begünstigten Anlage nur gestattet werden, wenn ausreiChend Sorge dafür getragen ist, daß die Mehrleistungen bei der belasteten Anlage tatsächlich erbracht werden. Anderenfalls wäre der Schutzzweck des § 1 BImSchG gefährdet. Während die Verordnungsermächtigung des § 7 Abs. 3 BImSchG zu diesem Sicherungsmittel niChts sagt und in Nr. 4.2.10 Abs. 2 der TA-Luft für alle Regelfälle von nachträglichen Anordnungen oder Nebenbestimmungen zum Genehmigungsbescheid die Rede ist, laut § 17 Abs. 3 a Satz 5 BImSchG ist die Durchführung der Maßnahmen des Plans nur durch "Anordnung" sicherzustellen. § 17 Abs. 3 a BImSchG sieht daher neben der Gefahren- und der Vorsorgeanordnung einen weiteren Typ der nachträglichen Anordnung (Kompensationsanordnung 233 ) vor. Fraglich ist zunächst der Adressat dieser Kompensationsanordnung. Nach AnsiCht von Feldhaui 34 kann die Kompensationsanordnung gemäß § 17 231 So bereits Nr. 4.2.10 TA-Luft; auch BT-Drs. 11/4909, S. 17; Anders Jarass, BlmSchG, § 17 Rn. 69. 232 Sellner, NVwZ 1991,309. 233 Feldhaus, BlmSchR, § 17 BlmSchG Anm. 12a; Jarass, BlmSchG, § 17 Rn. 64.

§ 8 Sanierungsvereinbarungen bei der bestehenden Anlage

207

Abs. 3 a Satz 5 BlmSchG ausschließlich gegenüber dem Betreiber der begünstigten Anlage erlassen werden. Demgegenüber vertritt Jarass 235 die Auffassung, daß der durch § 17 Abs. 3 a gestattete Verzicht auf eine nachträgliche Anordnung gegenüber dem Betreiber der begünstigten Anlage mit einer Kompensationsanordnung gegenüber dem Betreiber der belasteten Anlage zu verbinden sei. Durch die Kompensationsanordnung werde der Betreiber der belasteten Anlage verpflichtet, die Emission in dem notwendigen Umfang zu reduzieren. Entscheidend ist, daß es dem Zweck des § 17 Abs. 3 a Satz 5 BlmSchG widerspräche, die Kompensationsanordnung nur an dem Betreiber der begünstigten Anlage zu richten. Denn § 17 Abs. 3a Satz 5 BlmSchG will vor allem die Durchführung der Maßnahmen des Sanierungsplans sicherstellen. Mit einer Kompensationsanordnung gegen den Begünstigten könnte aber diesem lediglich auferlegt werden, seine zivilrechtlichen Ansprüche gegenüber dem Betreiber der belasteten Anlage geltend zu machen. Gegenüber dem Betreiber der belasteten Anlagen könnten keine öffentlich-rechtliche Pflichten zur Durchführung von Sanierungsmaßnahmen begründet werden. Die Kompensationsanordnung muß daher zumindest gegenüber dem Betreiber der belasteten Anlage erlassen werden. Darüber hinaus kann die Behörde auf Antrag des Begünstigten durch entsprechende Kompensationsanordnung die Rechtsposition absichern, die der Betreiber der begünstigten Anlage durch eine Kompensation erhält. Anderenfalls könnte er schwerlich Ausgleichszahlungen gegenüber dem Betreiber der belasteten Anlage erbringen 236 . d) Kompensationen unter TA-Luft 1986

aa) Kompensationsregelungen der TA-Luft 1986 Mit der 2. Novellierung des BlmSchG von 1985 wurde die Kompensationsregelung zum ersten Mal im BlmSchG getroffen. Es wurde in §§ 7 Abs. 3, 48 Nr. 4 BlmSchG eine Regelungsgrundlage für Kompensation von Altanlagen im Vorsorgebereich geschaffen. Die Kompensationsregelung der §§ 48 Nr. 4 BlmSchG wurde durch Nr. 4.2.10 TA-Luft 1986237 konkretisiert, mit der sich seinerzeit weitreichende Erwartungen auf eine Effizienzsteigerung des immissionsschutzrechtlichen Sanierungsinstrumentariums 234 235 236

Feldhaus, BImSehR, § 17 BlmSchG Anm. 12a. Jarass, BlmSchG, § 17 Rn. 64, 66. Jarass, BlmSchG, § 17 Rn. 66.

Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft - TA Luft vom 27. Februar 1986, GMBI. S. 95. 237

208

3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

verbanden 238 • Die Kompensationsregelung der Nr. 4.2.l0 TA-Luft bot den Behörden die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen von anlagenspezifischen Sanierungsanforderugen zu festen Terminen abzusehen 239 : Die Kompensation war auf Altanlagen im Vorsorgebereich beschränkt. Entgegen den bisherigen Kompensationsregelungen der TA-Luft, bei denen neue Anlagen oder neue Erweiterungen von Anlagen im Gefahrenbereich miteinbezogen wurden, handelte es sich dabei um Kompensationen zwischen Altanlagen im Vorsorgebereich. Ausgeschlossen war daher die Kompensation zwischen Neuanlagen und Neu- und Altanlagen im Vorsorgebereich. Außerdem mußten Betreiber sanierungsbedürftiger Altanlagen eine Sanierungsgemeinschaft bilden und in einem Sanierungsplan technische Ausgleichmaßnahmen vorsehen, die zu einer Überkompensation führten. Darüber hinaus mußten die in die Kompensation einbezogenen Stoffe in ihrer Wirkung auf die Umwelt gleich sein. Die Kompensationsregelung der Nr. 4.2.10 TA-Luft galt nur innerhalb einer bestimmten Frist. Die 1986 eingeführte Emissionsbegrenzung mußte nämlich bis spätestens 28. Februar 1994 von sämtlichen Einzelanlagen erfüllt werden. Die Kompensationsregelung bot lediglich die Möglichkeit, von der Normerfüllung zu früheren Terminen (1989 und 1991) abzusehen, konnte also nur einen zeitlich fest gesetzten Sanierungsaufschub gewähren. Die genehmigten Kompensationen liefen Ende Februar 1994 aus. Von diesem Zeitpunkt an durften auch die bislang infolge überobligatorischer Sanierungsmaßnahmen der belasteten Anlage von einer Sanierung freigestellten begünstigten Anlagen nur weiterbetrieben werden, sofern sie die seit 1986 gültigen Altanlagenanforderungen erfüllen. Insgesamt galt die Kompensationsregelung nach Nr. 4.2.10 TA-Luft abschließend als enge Kompensationslösung mit nur begrenztem Flexibilisierungsanspruch. bb) Fallbeispiele der Kompensationsvereinbarungen (1) "Kannenbäckerland"

Vom Kompensationsangebot der TA-Luft 1986 ist in Deutschland sehr selten Gebrauch gemacht worden 24o• Zu einer solchen Kompensationslösung kam es im kleinen, spezifisch strukturierten "Kannenbäckerland" des Landes Rheinland-Pfalz 241 •

Siehe dazu oben § 7 III. Vgl. Feldhaus/Ludwig/Davids. DVBl. 1986,641 ff. 240 Vgl. Teil I Nr. 3 der Begründung zum Dritten Gesetz zur Änderung des BImSehG, BT-Drs. 11/4909, S. 14. 238

239

§ 8 Sanierungs vereinbarungen bei der bestehenden Anlage

209

In ca. 70 kleineren und mittleren Anlagen im Westerwald - Beschäftigungszahlen zwischen 5 und 200 - wurden keramische Produkte hergestellt. Bei den Anlagen handelte es sich um kontinuierlich betriebene Tunnel- und Schnellbrandöfen und um diskontinuierlich arbeitende Kammer- und Herdwagenöfen, die überwiegend ohne Fluorabscheidungsanlagen betrieben wurden. Die infolgedessen zu hohe Fluorkonzentrationen führten sektoral zu Pflanzenschädigungen. Nach Nr. 3.1.6 TA-Luft müssen jene Anlagen, die einen Massenstrom von 50 g Fluor pro Stunde oder mehr erreichen, den Emissionswert von 5 mg/m 3 Fluor einhalten242 • Die Sanierungsverpflichtung der TA-Luft betraf insgesamt 30 fluoremittierende Anlagen. Aufgrund der anlagenspezifischen Unterschiede, d. h. vor allem hinsichtlich der jeweiligen Bauart, der Größe und der verschiedenen Betriebsweisen der Brennöfen, schwanken die Verrneidungskosten zwischen einzelnen Anlagen stark. Somit bot sich gerade hier eine Kompensationslösung an. Insgesamt konnten sich 15 Anlagen an der Kompensationslösung beteiligen, von denen 4 große Anlagen belastende Anlagen waren, d. h. über die gesetzliche Anforderungen hinaus Fluoremissionen vermieden wurden, während die 11 anderen Anlagen von einer Sanierung absahen. Einigen Anlagen war eine Kompensation nicht möglich, da sie nicht die räumlichen Voraussetzungen der Nr. 4.2.10 T ALuft erfüllten, d. h. nicht in den Einwirkungsbereich der Anlage fielen. Zunächst verpflichteten sich die 4 belastende Anlagen im dem privatrechtlichen Vertrag, anstatt den vorgeschriebenen Emissionswert von 5 mg/m3 Fluor zu erreichen, einen Fluorkonzentrationswert von 2 oder 3 mg/m 3 einzuhalten. Die 11 begünstigte Anlagen dagegen verpflichteten sich zur Ausgleichszahlung für die zusätzlichen Reduzierung. Insgesamt wurde durch die Kompensation der Schadstoff Fluor über 10 % mehr als vorgeschrieben gesenkt. Die nach Nr. 4.2.10 TA-Luft geforderte Überkompensation wurde damit erfüllt.

(2) Ablujtreinigung eines Esso-Tanklagers243 Im Jahr 1987 versuchte das Regierungspräsidium Stuttgart gegenüber vier Betreibern großer Tanklager im Stuttgarter Hafen das Minimierungsgebot für Benzol und den Grenzwert für Gesamtkohlenwasserstoffe durchzu241 Siehe hierzu Gawel/Ewringmann. NuR 1994, 120ff.; Kothe. Marktwirtsehaftliehe Instrumente in der Luftreinhaltung, 135 ff.; Voigtländer. Kompensationslösungen in der Luftreinhaltung, 46ff. 242 Bagatellbetriebe mit geringerem Massenstrom bleiben von der Sanierungspflicht verschont. 243 Beispiel gebildet von Amold. VerwArch 80 (1989), 134; Bulling. DÖV 1989, 284. 14 Song

210

3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

setzen. Nach dem BImSchG und TA-Luft müssen das Minimierungsgebot für Benzol ab 1. 7. 1988 und der Grenzwert für Gesamtkohlenwasserstoffe ab 1. 3. 1991 eingehalten werden. Als erstes erließ das Regierungspräsidium gegenüber vier Betreibern Verfügungen, die die Verpflichtung enthielten, die Abluft von Benzol und Gesamtkohlenwasserstoffen an den Tankwagenbefüllstellen (Anlage A) zu reinigen. Dagegen legten die Firmen Widerspruch ein, der dazu führte, daß die Behörde von den Firmen zusätzlich noch die gleiche Reinigung hinsichtlich der Tanklager (Anlage B) forderte. Daraufhin versammelten sich Behörden und Firmen zu einem Spitzengespräch. Dabei erklärten sich alle vier Firmen sofort bereit, die Tankwagenbefüllstellen freiwillig bezüglich Benzol und Gesamtkohlenwasserstoffe zu reinigen, wenn im Vergleichwege das Regierungspräsidium auf seine Forderung für die Tanklager als solche verzichte. Das Regierungspräsidium hat aus grundSätzlichen Erwägungen diesen Vergleich abgelehnt. Konsequenterweise wurden entsprechende Verwaltungsakte erlassen. Eine der Firmen (Esso) zeigte mit Rücksicht auf die öffentliche Aufmerksamkeit und auf das Image des Unternehmens Gesprächsbereitschaft, was zu einem Vertragsabschluß hinsichtlich der Sanierung führte. In diesem verpflichtete sich die Firma, die geforderten Grenzwerte für Benzol und Gesamtkohlenwasserstoffe an den Tankwagenbefüllstellen (Anlage A) ab 1. 10. 1989 und an den Tanklagern (Anlage B) ab 1. 3. 1991 einzuhalten. Die Firma hat sich weiter verpflichtet, bei Nichteinhaltung der vereinbarten Termine die gesamte Anlage so lange stillzulegen, bis die notwendigen Abgasreinigungseinrichtungen errichtet und in Betrieb sind. Die Firma hat sich auch der sofortigen Vollstreckbarkeit bezüglich ihrer gesamten Pflichten unterworfen und vertraglich die Androhung eines Zwangsgelds im Fall bei Grenzwertüberschreitung akzeptiert. Die Behörde dagegen verpflichtete sich zum Widerruf der Verfügungen und duldete die verspätete Sanierung der Tanklager hinsichtlich des Benzols, indem sie in dem Vertrag mit dem betroffenen Unternehmen entsprechende Pflichten und Fristen festsetzte. Denn die Frist für diese Reinigung endete nach der TA-Luft am 1. 7. 1988, so daß die Sanierung hinsichtlich des Benzols um gut zweieinhalb Jahre verschoben wurde. Eine eineinhalb Jahre zu frühe Sanierung an den Tankwagenfüllstellen (Einhaltung des Grenzwertes für Gesamtkohlenwasserstoff schon am I. 10. 1989 anstatt zu der vorgeschriebenen Frist am 1. 3. 1991) wurde mit einer zu späten Benzolemissionsminderung an den Tanklagern kompensiert. Als Vorteil wurde dabei herausgestellt, daß die wesentlich höheren Emissionen bei den Befüllstellen entstehen und das Regierungspräsidium jetzt sofort einen Erfolg verbuchen könne, während andererseits die Firmen freiwillig gar nichts unternehmen würden und durch Anfechtung der Verfügungen noch auf Jahre

§ 8 Sanierungsvereinbarungen bei der bestehenden Anlage

211

hinaus Hunderte von Tonnen Gesamtkohlenwasserstoffe und Hunderte von Kilogramm krebsverdächtiges Benzol in die Luft abgegeben würden. Dem Stuttgarter Regierungspräsidenten wurde damit ein Beleg dafür geliefert, daß die rechtlichen Anforderungen an die Emissionsreduzierungen bei Tanklagern technisch machbar und die Fristen einzuhalten sind. Er hat erreicht, daß erstmals im Bundesgebiet ein Tankanlagenbetreiber bereit ist, Tankabluft zu reinigen. Es wurde zwar keine neue Technik durchgesetzt, aber die Übertragbarkeit der Reinigungstechnik auf Tanklageranlagen bewiesen und den anderen Firmen demonstriert. (3) Umstellung der Firma Deutsch-Linoleum-Werke244

Die Firma Deutsch-Linoleum-Werke (DLW) betrieb eine aus 2 Kesseln bestehende Heizanlage mit schwerem Heizöl. Wegen der Überschreitung der in der TA-Luft festgelegten Emissionswerte bestand Sanierungsbedarf der Heizanlage. Die Heizanlage hatte bisher durchschnittlich 1700 mg/m3 Schwefeldioxid, 120 mg/m 3 Staub und 600 mg/m 3 Stickoxide emittiert. Die Anlage mußte nach der TA-Luft ab 1. 3. 1991 bei Schwefeldioxid einen Emissionswert 200 mg/m3 , bei Staub 80 mg/m 3 und bei Stickoxid 450 mg/m 3 erreichen. Die zuständige Behörde kam mit der Firma DLW überein, im Rahmen der fälligen Sanierung eine drastische Reduzierung der Schadstoffemissionen zu verwirklichen. Diese hätte problemlos auch durch den Erlaß eines hoheitlichen Verwaltungsaktes, unter präziser Festsetzung der Emissionswerte der TA-Luft für Heizanlagen mit schwerem Heizöl, gesehen können. Das Regierungspräsidium verfolgte jedoch die Absicht, die nach der T ALuft zugelassenen relativ hohen Schmutzfrachten für das bislang verwendete schwere Heizöl durch die Umstellung der Anlage auf einen umweltfreundlichen Brennstoff, erheblich zu verringern. In einer Absprache einigten sich daher die Behörde und die Firma DLW, einen der heiden Kessel, der für die Beheizung der Fabrik ausreichte, bereits ein Jahr früher, als von der TA-Luft verlangt, auf umweltfreundliches Gas oder leichtes Heizöl umzustellen. In der Gesamtbilanz sollten hierdurch rund 50 % des bisherigen Schadstoffausstoßes vermieden werden. Als Gegenleistung erklärte die Behörde ihre Bereitschaft, den zweiten Kessel für eine bestimmte Zeitdauer als Notfallaggregat mit maximal 5 % Betriebsdauer im Jahr, zu tolerieren. Dieses Abspracheergebnis sollte zu einern späteren Zeitpunkt durch die Niederlegung in einern verwaltungsrechtlichen Vertrag mit sofortiger Voll244 14"

Beispiel gebildet von Bulling, DÖV 1989, S. 283 f.

212

3. Teil: VerwaItungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

streckbarkeit und Unterwerfung unter eine Zwangsgeldandrohung rechtliche Verbindlichkeit erlangen. Aber einige Wochen nach Abschluß der Absprache distanzierte sich die Finna überraschend von dieser Eckdatenvereinbarung und forderte neue Verhandlungen über bereits fixierte künftige Grenzwerte. Ebenso lehnte sie die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung und die Akzeptierung eines Zwangsgeld im Falle von Vertragsverstößen ab. Das Regierungspräsidium mußte daher auf die Linie der klassischen Hoheitsverwaltung umschalten. Das Regierungspräsidium stellte der Finna eine umfassende nachträgliche Anordnung mit den Auflagen für die Sanierung der beiden Kessel. Der Finna wurde weiter mitgeteilt, daß rechtzeitig für den Vollzug der fristgerechten Sanierung dieser Kessel der Sofortvollzug angeordnet werden wird. An diesem Fall kann man erkennen, daß Sanierungsabsprachen als Sanierungsinstrumente besonders riskant sind. Wie bereits festgestellt 245 , ist eines der Hauptmerkmale der Sanierungsabsprache rechtliche Unverbindlichkeit. Hält der Betreiber sich nicht an die Sanierungsabsprache, gibt es keine weitere Möglichkeit sie durchzusetzen. Die Behörde muß dann erneut eine nachträgliche Anordnung erlassen. Der Betreiber hat hier eine Sanierungsabsprache nur geschlossen, um Zeit zu gewinnen, weil er damit eine nachträgliche Anordnung hinauszögert. Insoweit ist es geboten, wenn die Behörde Sanierungsmaßnahmen durch kooperative Instrumente durchsetzen will, das Verhandlungsergebnis nicht durch Absprachen sondern durch Verträge zu erzielen. (4) Nachverbrennung der Schadstoffe246

Ein Betreiber mußte vier Anlagen nach der TA-Luft wegen zu hoher Schadstoffkonzentrationen hinsichtlich der organischen Stoffe sanieren. Zur Reduzierung von organischen Stoffen gibt es zwei Möglichkeiten, zum einen, die organischen Stoffe auszuwaschen, zum anderen die Reduktion durch Nachverbrennung. Bei der Wäsche werden die Schadstoffe teilweise ins Abwasser geleitet und teils auch über die Kläranlage wieder an die Luft abgegeben. Eine Nachverbrennung bringt diese negativen Auswirkungen nicht mit sich. Sie ist ökologisch wesentlich vorteilhafter als die Wäsche. Ein erheblicher Nachteil besteht jedoch in dem enonnen Kostenaufwand für die Errichtung einer Nachverbrennungsanlage. Infolge der langen Verhandlungen während des Widerspruchsverfahrens haben die Behörde und der Betreiber vereinbart, daß die Emissionen der Siehe oben § 8 I 3. Beispiel gebildet von Voiglländer. Kompensationslösung in der Luftreinhaltung, S. 50. 245

246

§ 8 Sanierungs vereinbarungen bei der bestehenden Anlage

213

drei Anlagen mit zwei Nachverbrennungsanlagen erfaßt werden, so daß bei diesen eine Konzentration von organischen Stoffen von fast 0 mg/m3 erreicht wird. Die Emissionen der vierten diffusen Anlage sollen, soweit es ohne größeren Aufwand möglich ist, mit einem Wäscher gereinigt werden. Der Rest mit dem Wäscher nicht erfaßbaren organischen Schadstoffe (lOt/a) soll weiterhin ohne Reinigung in die Atmosphäre abgegeben werden. Nach den Vorgaben der TA-Luft soll spätestens 1994 der Wert von 84 t/a erreicht werden. In diesem Fall wurde schon 1991 eine Schadstoffkonzentration von 22 t/ a erreicht, so daß im Ergebnis eine Überkompensation von 62 t/a drei Jahre vor Ablauf der Sanierungsfrist erzielt wurde.

e) Kompensationen nach der 3. Novellierung des BlmSchG von 1990 Die restriktiven Voraussetzungen der Kompensation gemäß § 7 Abs. 3 BImSchG wurden durch die 3. Novellierung des BImSchG von 1990 etwas weiter gefaßt, jedoch die meisten Beschränkungen des bisherigen Rechts beibehalten. Dies gilt für die Beschränkung auf genehmigte Anlagen, auf den Vorsorgebereich und insbesondere für den Ausschluß von Stillegung. Nachträgliche Anordnungen, die zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen erlassen werden, müssen damit befolgt werden und können nicht durch Ausgleichmaßnahmen an anderen Anlagen umgangen oder zeitlich verschoben werden 247 • Gestrichen wurden allerdings die räumliche und zeitliche Begrenzung der Kompensation. Im folgenden sollen die weitgehend gleichen Tatbestandsmerkmale der §§ 7 Abs. 3 und 17 Abs. 3 a dargestellt werden. aa) Anlagen Die Kompensation kann nur zum Tragen kommen, wenn die begünstigte Anlage sowie die belastete Anlage gemäß § 4 BImSchG genehmigt wurden. Gegenstand der Kompensation sind bereits genehmigte Anlagen, Neuanlagen sind ausgeschlossen. In diesem Sinne hat auch der Vorschriftengeber der TA-Luft seine Ermächtigung nach §§ 48 Nr. 4, 7 Abs. 3 BImSchG in Nr. 4.2.10 TA-Luft wahrgenommen. Danach darf nur "in Hinblick auf betriebsbereite Anlagen" von ansonsten vorgesehenen Sanierungsanforderungen abgewichen werden. Durch die 3. Novellierung des BImSchG von 1990 wurde die Beschränkung auf "betriebsbereite Anlagen" aus der Verordnungsermächtigung des

247

Gawel/Ewringmann, NuR 1994, 122.

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

§ 7 Abs. 3 BImSchG gestrichen. Der Gesetzgeber hat auch den neuen § 17 Abs. 3 a BImSchG ohne einen solchen Zusatz verabschiedet. Damit können auch nicht betriebsbereite Anlagen in Kompensationsmaßnahmen miteinbezogen werden, wenn ihre Inbetriebnahme innerhalb des Berechnungszeitraums für die Emissionsfrachten zu erwarten ist248 •

Die begünstigte und die belastete Anlage müssen gern. § 17 Abs. 3 a Satz 1 BImSchG weder von der gleichen Person betrieben werden noch im Eigentum des gleichen Person stehen. bb) Technische Maßnahmen Die notwendige Emissionsreduzierung bei der belasteten Anlage muß gemäß § 17 Abs. 3 a Satz 1 BImSchG durch "technische Maßnahmen" erreicht werden. Fraglich ist, ob die Verwendung anderer Einsatz- bzw. Brennstoffe als technische Maßnahme anzusehen sein kann. Nach Ansicht von Hansmann249 ist der Begriff der technischen Maßnahme eng auszulegen. Eine Emissionsminderung durch Änderung der Einsatz- bzw. Brennstoffe könne nur als technische Maßnahme anzusehen sein, wenn dabei die technische Ausstattung der Anlage selbst geändert werden müsse. Zu einem anderen Ergebnis kommt Jarasi so , der eine weitere Auslegung der technischen Maßnahme befürwortet, so daß die Verwendung anderer Einsatz- bzw. Brennstoffe von dem Begriff mit erfaßt wird. Es widerspricht dem Zweck der Kompensationsregelung, wenn Kompensationen nur bei der nachträglichen Reinigung von Schadstoffen und nicht auch bei der Minderung der Schadstoffbildung schon während des Produktionsvorganges, z. B. durch die Umstellung auf schadstoffarme Brennstoffe, Anwendung finden. Die Einsatzstoff- und Brennstoffumstellungen sind daher unter den Begriff der technischen Maßnahme zu fassen, wenn für die eine technische Umstellung erforderlich ist. Nach den geltenden Kompensationsregelungen sind Stillegungen von Anlagen nicht kompensationsfahig. Fast einstimmig ist man der Ansicht 251 , daß durch die Einbeziehung von vollständigen oder partiellen Anlagenstille248 Vgl. Enders, Kompensationsregelungen im Immissionsschutzrecht, S. 195f.; Jarass, BImSchG, § 17 Rn. 65; LandTTUJnn/Rohmer/HansTTUJnn, UmweltR, § 17 BImSchG Rn. 188; Rehbinder, in: Umweltzertifikate und Kompensationslösungen, S.62. 249 LandTTUJnn/Rohmer/HansTTUJnn, UmweltR, § 17 BImSchG Rn. 189. 2~ Jarass, BImSchG, § 17 Rn. 67. 2S\ Vgl. Verband der chemischen Industrie e. V., Anhörung am 15. November 1989 zur 3. Novellierung des BImSchG (BT-Drs. 1114909. S. 15ff.).

§ 8 Sanierungsvereinbarungen bei der bestehenden Anlage

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gungen die Möglichkeit der Kompensation erheblich erweitert, die Chance für ein größeres Anwendungsfeld der Kompensationslösung beträchtlich gesteigert würde. Allerdings können dabei für den Begünstigten nicht sämtliche Emissionen angerechnet werden, die durch die Stillegung der aktiv kompensierenden Anlage wegfallen. Dann wäre in der Tat die Gefahr des Mißbrauches der Kompensationen hoch. Die Anlagenbetreiber könnten Anlagenstillegungen, die aus betriebswirtschaftlichen Gründen sowieso erforderlich werden und die daher unabhängig von Kompensationsmöglichkeiten geplant waren, so lange herauszögern, bis sich eine günstige Kompensationsmöglichkeit ergibt252 . cc) Zeitliche Grenzen Nr. 4.2.10 TA-Luft 1986 verlangte, daß maximal nach 8 Jahren auch die begünstigte Altanlage dem Stand der Technik entsprechen muß. In der 3. Novellierung des BImSchG von 1990 ist die ausdrückliche Bedingung der zeitlichen Befristung der Kompensation aufgehoben worden. In dem Regierungsentwurf253 wird die Aufhebung der zeitliche Befristung so begründet, daß dadurch zu enge zeitliche und aus ökologischer Sicht auch nicht notwendige Beschränkungen in untergesetzlichen Vorschriften vermieden werden sollen. Eine völlige Aufhebung aller zeitlichen Grenzen würde aber dem Zweck des BImSchG widersprechen, der gemäß §§ 7 Abs. 3 und 17 Abs. 3 a BImSchG durch Kompensationen gefördert werden so1l254. Sie würde dazu führen, daß Anlagen unzulässig stark emittieren können, weil zu einem späteren Zeitpunkt eine andere Anlage im Rahmen von Kompensationen ihre Emissionen überobligatorisch senkt. Dies widerspräche dem Vorsorgegrundsatz. Damit steht die Behörde hier vor folgendem Konflikt: Einerseits soll der Anwendungsbereich für Kompensation flexibilisiert und folglich erweitert werden. Andererseits soll mit Hilfe von Kompensationen dem Vorsorgegrundsatz Geltung verschafft werden. Zeitliche Grenzen können aus dem Vorsorgesystem des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG i. V.m. dem Grundsatz des Verhältnismäßigkeit gewonnen werden. Entscheidend bei der Bestimmung des Zeitraumes, nach dessen Ablauf alle an der Kompensation beteiligten Anlagen dem Stand der Technik entsprechen müssen, sind die übliche Nutzungsdauer der bestehenden Anlage und die voraussichtlichen Kosten ihrer Nachrüstung oder NeuerrichVgl. BR-Drs. 155/89, S. 15. BReg. BT-Drs. 11/4909, S. 41. 254 Vgl. Enders, Kompensationsregelungen im Immissionsschutzrecht, S. 197; Goßler, UPR 1990, 257; Landmann/Rohmer/Hansmann, UmweltR, § 17 BImSchG Rn. 194, sowie die kritische Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 11/4909, S.30. 252

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

tung. Je größer das Ausmaß der Überkompensation ist, desto länger braucht die begünstigte Anlage nicht dem Stand der Technik zu entsprechen und desto später kann die emissionsmindernde Wirkung der Kompensation eintreten. dd) Räumliche Grenzen Nr. 4.2.10 TA-Luft 1986 schrieb für Kompensationen zwingend vor, daß die darin beteiligten Anlagen "benachbart" sein mußten. Danach sollten die Beurteilungsgebiete der an einer Kompensation beteiligten Anlagen sich mindestens in der Größe einer Beurteilungsfläche, d. h. in der Regel mit einer Fläche von 1 km2 überschneiden. Der Wortlaut von § 7 Abs. 3 und § 17 Abs. 3 a BImSchG läßt aber durch die 3. Novellierung des BImSchG von 1990 jede räumliche Beschränkung der Kompensationen wegfallen. Mit der Streichung soll aber nicht eine völlige Liberalisierung der Kompensationen in räumlicher Hinsicht vorangetrieben werden. Es soll vielmehr zum Ausdruck gebracht werden, daß Kompensationen nicht durch möglichst enge räumliche Vorgaben begrenzt werden255 • Somit macht diese Novellierung den Weg für eine Flexibilisierung der Kompensationsmöglichkeit frei. Es besteht nunmehr die Möglichkeit, die Stoffe zu klassifizieren und den Klassen räumliche Kriterien zuzuordnen 256 • Maßgeblich dafür ist der Gesetzeszweck sowie die bisher zur Konkretisierung der Luftreinhaltung entwikkelten Strategie der Luftreinhaltung. f) Zwischenergebnis

Die in der Praxis durchgeführten Kompensationen vor der 3. Novellierung des BImSchG von 1990 sprengen den für die Möglichkeit von Kompensationslösungen gesetzten rechtlichen Rahmen. Zwischen den nach den Rechtsvorschriften vorgesehenen Kompensationen und von den Behörden durchgeführten Kompensationen besteht also eine erhebliche Diskrepanz. Als Grund für diese rechtswidrige Anwendung der Kompensation wird die restriktive rechtliche Ausgestaltung der Kompensationsmöglichkeit genannt. Da die rechtliche Ausgestaltung der Kompensationslösung zur Altanlagensanierung für die meisten Anlagenbetreiber schwer durchschaubar und kalkulierbar ist, dürften die Informations- und Transaktionskosten relativ hoch sein und so das Zustandekommen von Kompensationsmaßnahmen erschweren. Darüber hinaus kommt die Kompensation der Behörde nur dann zur Anwendung, wenn über das Ordnungsrecht allein im speziellen Fall keine Lösung gefunden werden kann, so zum Beispiel bei diffusen m BReg. BT-Drs. 11/4909, S. 16. Vgl. Goßler, UPR 1990,257.

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§ 8 Sanierungsvereinbarungen bei der bestehenden Anlage

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Quellen, deren Emissionen schwer erfaßt werden können, bei Platzmangel im Werkgelände für die Errichtung der Reinigungsanlagen, oder bei unverhältnismäßigen Immissionsschutzanforderungen.

III. Rechtmäßigkeit von Sanierungsverträgen Die Typisierung der Sanierungsvereinbarungen in der Praxis hat gezeigt, daß manche Vereinbarungen rechtlich problematisch sind. Dies führt zu der Frage, welche Voraussetzungen Sanierungsvereinbarungen für ihre formelle und materielle Rechtmäßigkeit erfüllen müssen. Wie oben schon angedeutet 2S7 , orientiert sich dabei folgende Untersuchung in erster Linie an den Sanierungsverträgen.

1. Formelle Rechtmäßigkeit a) Erforderlichkeit der Schriftform nach § 57 VwVfG

aa) Bedeutung der Schriftform Nimmt man an, daß der Spielraum der Behörde grundsätzlich nur in einer rechtlich überprüfbaren und gegen Überschreitungen sichernden Form genutzt werden muß, erhöht das Schriftformerfordernis in Sanierungsverträgen die Rechtsklarheit (Abschlußklarheit) und die Rechtssicherheies8 über Bestand und Inhalt von Sanierungsverträgen2s9 . Dies ist ein Grund, warum sich die Behörde bei ihrer kooperativen Verhandlungslösung für die Sanierung eher an Sanierungsverträgen als an Sanierungsabsprachen orientieren muß. Gegenüber den Sanierungsverträgen wird der gesamte Inhalt einer Sanierungsabsprache in der Praxis selten schriftlich fixiert, kommt ja sogar oft nicht einmal ausdrücklich zur Sprache260 . Die Möglichkeit der behördlichen und gerichtlichen Kontrolle wird damit ausgeschaltet, zumindest vermindert. Diese unkontrollierte Ausweitung der Sanierungsabsprachen gefährdet sowohl die Rechtsstaatlichkeit der Verwaltung wie auch die Wahrung der Rechte des Betreibers261 . In der Literatu~62 wird zwar die Vgl. oben § 8 I 3. Vgl. BVerwGE 45, 189 (194f.) 259 Zu den verschiedenen Funktionen der Schriftfonn vgl. Beyer, Der öffentlichrechtliche Vertrag, S.1l2; Knack, VwVfG, § 57 Rn. 2.1; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 57 Rn. 3; Weihrauch, VerwArch 82 (1991), 557f.; BVerwGE 2, 190 (191); 36, 296 (298); 45, 189 (192); 96, 326 (333). 260 Bauer, VerwArch 78 (1987), 255; Bohne, Der infonnale Rechtsstaat, S. 232. 261 Vgl. Lecheler, BayVBI. 1992,549. 262 Vgl. Jarass, DVBI. 1985, 198; Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, S. 202 2S7

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

Auffassung vertreten, daß der Inhalt der informellen Sanierungsabsprachen mindestens öffentlich bekanntgegeben werden muß. Daß eine Bekanntgabe informeller Sanierungsabsprachen in mehrfacher Hinsicht nützlich sein kann, steht außer Zweifel. Diese Anforderung kann jedoch im Ergebnis keine überzeugende Lösung für Rechtsklarheit und Rechtssicherheit herbeiführen. Die Vorteile des Schriftformerfordernisses können von der Behörde allerdings mit Nachteilen erkauft werden. Durch das Schriftformerfordernis können beispielsweise die Einsatzbreite des Sanierungsvertrages und mit ihm der Entscheidungsspielraum der Behörde über die Verwendung der Vertragsform faktisch eingeschränkt werden263 • Dies zeigen die im Bereich des Regierungspräsidium Stuttgart geschlossenen zwölfhundert maßgeschneiderten schriftlichen Einzelverträge über den Abbruch von Gartenhäusern264• Selbst in diesem Fall mußte die Schriftform gewahrt werden. bb) Schriftform in Sanierungsverträgen Nach § 57 VwVfG ist ein verwaltungsrechtlicher Vertrag schriftlich abzuschließen, soweit nicht durch Rechtsvorschriften eine andere Form vorgeschrieben ist. Eine Abweichung von der Schriftform durch Rechtsvorschriften bedeutet eine Formerschwerung, nicht aber eine Formerleichterung265 . Dies ergibt sich nicht daraus, daß Mündlichkeit keine Form ist, sondern folgt aus einer teleologischen Interpretation des § 57 VwVfG, die zumindest das Erfordernis der Schriftform ergibt. Nach den Intentionen des Gesetzgebers 266 schreibt § 57 VwVfG die Schriftform als Mindestanforderung fest. Wird die Schriftform nicht eingehalten, ist der Sanierungsvertrag nach § 59 Abs. 1 VwVfG und § 125 BGB nichtig267 • Da § 57 VwVfG nicht näher beschreibt, was unter ..Schriftform" zu verstehen, ist es streitig, ob § 37 Abs. 3 VwVfG oder § 126 BGB über 62 VwVfG auf verwaltungsrechtliche Verträge anwendbar ist. Nach h. M.268 ergibt sich das Verständnis der Schriftform nach § 62 VwVfG aus § 126 BGB. Demgemäß ist zur Einhaltung der Schriftform 263 Vgl. Bauer. in: Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandeins, S. 267; Schmidt-Aßmann/Krebs. Rechtsfragen städtebaulicher Verträge, S. 154. 264 Dazu ausführlich Bulling. DÖV 1989, 282. 2M Vgl. Kopp, VwVfG. § 57 Rn. 3; Knack, VwVfG, § 57 Rn. 3. 266 BT-Drs. 7/910, S. 81. 267 Siehe dazu unten § 8 IV 2. 268 Fluck. Die Verwaltung 22 (1989), 185ff.; Kopp. VwVfG, § 57 Rn. 2, 4; Meyer/Borgs. VwVfG, § 57 Rn. 3; Obermayer. VwVfG, § 57 Rn. 10; Punke. Verwaltungshandeln durch Vertrag, S. 49ff.; Tschaschnig. Die Nichtigkeit subordinations-

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erforderlich, daß der Vertragstext in eine Urkunde aufgenommen und von den Vertrags partnern eigenhändig unterschrieben wird. Die Schriftform soll gewährleisten, daß aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärungen, die abgegeben werden sollen, und die Personen, von den sie ausgehen, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Eine bloße Aktennotiz, eine mündliche Klarstellung oder ein bloßer Schriftwechsel können nicht genügen, da eine gleichlautende Urkunde nicht vorliegen würde. Die analoge Anwendung des § 126 BGB auf verwaltungsrechtliche Verträge stellt damit strenge Anforderungen an die Schriftform. Demgegenüber vertritt Knace69 die Auffassung, daß § 126 BGB auf verwaltungsrechtliche Verträge nicht entsprechend anwendbar sei. Seine Auffassung stellt darauf ab, daß mit der analogen Anwendung des § 126 BGB einerseits Sinn und Zweck der Schriftform unter den besonderen Verhältnissen des Verwaltungs verfahrens und andererseits Anforderungen in der Praxis nicht ausreichend gerecht werden könnten. Er weist weiter darauf hin, daß § 37 Abs. 3 VwVfG einen Anhaltspunkt dafür gebe, was unter Schriftform zu verstehen sei. § 37 Abs. 3 VwVfG enthält Bestimmungen über die Schriftform des Verwaltungsaktes. Bei entsprechender Anwendbarkeit dieser Vorschrift wäre zumindest ein Schriftstück zu verlangen gewesen, das die vertragsschließende Behörde bezeichnete sowie Unterschrift oder Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten hätte. Die Frage, was unter Schriftform gemäß § 57 VwVfG im Hinblick auf Sanierungsverträge zu verstehen ist, ließe sich nur durch die Analyse der nachträglichen Anordnungen genauer beantworten. Soweit Sanierungsverträge als Alternative zu einer nachträgliche Anordnung eingesetzt werden, soll das Schriftformerfordernis bei Sanierungsverträgen gegenüber den nachträglichen Anordnungen nicht erhöht, sondern lediglich gleichermaßen sichergestellt werden. Das spricht gerade dafür, nicht die strengeren Anforderungen des § 126 BGB, sondern die des § 37 Abs. 3 VwVfG auf die Sanierungsverträge anzuwenden. Nach Ansicht von Sellne?70 kann die nachträgliche Anordnung nur schriftlich erlassen werden und bedarf der schriftlichen Begründung, in der insbesondere die Gesichtspunkte darzulegen sind, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Ob dabei die eigenhänrechtlicher Verträge nach dem VwVfG, S. 63, 104; Ule/Laubinger, VwVfG, § 69 Rn. 9; OVG Saarlouis, NJW 1993, 1612f. 269 Knack, VwVfG, § 57 Rn. 2.2ff.; wohl auch Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 57 Rn. 7. 270 Seltner, Immissionsschutzrecht, Rn. 440; demgegenüber vertreten Jarass (BlmSchG, § 17 Rn. 42) und Hansmann (BlmSchG, § 17 Rn. 210) die Auffassung, daß die nachträgliche Anordnung schriftlich oder mündlich ergehen könne.

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

dige Unterschrift der Behörde notwendig ist, ist unkla?71. Nimmt man aber an, daß im Bereich der Verwaltung ein in Maschinenschrift wiedergegebener Name, mit einem Beglaubigungsvermerk versehen, für die gesetzliche Schriftform ausreicht 272 , ist die eigenständige Unterschrift der Behörde in nachträglichen Anordnungen nicht notwendig. Das Erfordernis der Schriftlichkeit schließt die eigenhändige Unterschrift nicht um ihrer selbst willen, sondern deshalb ein, weil in der Regel allein sie die Verläßlichkeit der dem Erklärenden zuzurechnenden willentlichen Erklärungsabgabe sicherstellt. Dieser dargelegte Sinn und Zweck der eigenhändigen Unterschrift hat die Rechtsprechung veranlaßt, im Bereich des Verfahrensrechts in einer ganze Reihe von Ausnahmefällen auf die unmittelbare Verbindung von Schriftstück und Unterschrift zu verzichten273 . Bei Sanierungsverträgen ist die eigenhändige Unterschrift der Behörde nicht notwendig, soweit sie eine maschinenschriftliche Namenswiedergabe mit Beglaubigungsvermerk enthält. Dagegen ist die eigenhändige Unterschrift des Betreibers als Mindestanforderung notwendig, weil er damit seine Willenserklärung deutlich machen kann. cc) Grundsatz der Urkundeneinheit Ob die Wirksamkeitsvoraussetzung Schriftform Urkundeneinheit, d. h. die Zusammenfassung der übereinstimmenden Willenserklärungen in einem Vertragstext bedingt (§ 126 Abs. 2 BGB, Grundsatz der Urkundeneinheit) oder ob ein verwaltungsrechtlicher Vertrag auch durch getrennte, nicht übereinstimmende Schreiben, z. B. Briefwechsel geschlossen werden kann, ist auch bei § 57 VwVfG umstritten 274 . Diese Frage ist dann bedeutend, wenn eine Seite eine schriftliche Erklärung abgibt, welche die andere Seite lediglich zu den Akten nimmt oder kurz schriftlich ihr Einverständnis mit der angebotenen Verpflichtung erklärt. Das BVerwG hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 24. 8. 1994275 auch offengelassen, ob Schriftform nach § 57 VwVfG im Grundsatz immer Urkundeneinheit verlangt oder ob eine von einem entsprechenden Erklärungsbewußtsein getragene, mit Bindungswillen abgegebene schriftliche 271 OVG Lüneburg, NJW 1992, 1404 läßt für § 57 VwVfG die Frage der Notwendigkeit der eigenhändigen Unterschrift offen. 272 Vgl. BVerwGE 58, 359 (367). 273 Vgl. BVerwGE 81, 32 (39); BVerwG, NJW 1991, 1193. 274 Für Anwendbarkeit des Grundsatzes der Urkundeneinheit auf verwaltungsrechtliche Verträge Kopp, VwVfG, § 57 Rn. 2; Meyer/Borgs, VwVfG, § 57 Rn. 3; Obermayer, VwVfG, § 57 Rn. 10; Ule/Laubinger, VwVfG, § 69 Rn. 9; OVG Lüneburg, NJW 1992, 1404f.; BGHZ 40, 263; a.A. Knack, VwVfG, § 57 Rn. 2.4; Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, § 57 Rn. 11; Weihrauch, VerwArch 82 (1991), 543. 275 BVerwGE 96, 326 (332ff.) = DVBI. 1995,675 (676).

§ 8 Sanierungsvereinbarungen bei der bestehenden Anlage

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Willenserklärung durch Schriftwechsel einen fonngültigen verwaltungsrechtlichen Vertrag zustande bringen kann. Es hat aber darauf hingewiesen, daß Formvorschriften nicht Selbstzweck sind, sondern unter Berücksichtigung ihres Sinngehalts auszulegen und anzuwenden sind. Ausgehend von der für § 57 VwVfG maßgeblichen Warn- und Beweisfunktion der Schriftform hat es entschieden, daß jedenfalls bei den Bürger einseitig verpflichtenden verwaltungsrechtlichen Verträgen auf die Urkundeneinheit verzichtet werden kann, wenn eine unmißverständliche schriftliche Annahmeerklärung der Behörde vorhanden ist. Folgt man dieser Entscheidung, so könnte man auch zur Bejahung eines schriftlichen verwaltungsrechtlichen Vertrages gelangen, wenn eine Erklärung durch bloße schriftliche Zustimmung seitens des Bürgers angenommen wird. Bei Sanierungsverträgen verpflichtet sich der Anlagenbetreiber gegenüber der Behörde zu Sanierungsmaßnahmen. Gesichert bleiben muß bei Behörden der Nachweis über das Zustandekommen und dem Inhalt eines Sanierungsvertrages. Maßgebend für das Zustandekommen eines Sanierungsvertrages ist damit nicht die Urkundeneinheit, sondern die willensmäßige Übereinstimmung zwischen Behörde und Betreiber. Die Urkundeneinheit mit nebeneinanderstehenden Unterschriften kann sich nur als ein Beweismittel für die Willensübereinstimmung auswirken. Dazu ist aber die Urkundeneinheit nicht unbedingt nötig, da zwei schriftliche Erklärungen nach Auslegung gern. §§ 133, 157 BGB dieselbe Funktion erfüllen können. Nimmt man an, daß durch die Schriftform die Rechtsklarheit und Rechtssicherheit über Bestand und Inhalt eines Sanierungsvertrages gegenüber den Sanierungsabsprachen erhöht werden müssen, ist es notwendig, die strenge Schriftform zu fordern. Rechtsklarheit und Rechtssicherheit können jedoch nicht nur dadurch erreicht werden, daß die beiden Unterschriften auf derselben Urkunde erfolgen müssen. Vielmehr kann ein der Schriftform genügendes Angebot unter diesem Gesichtspunkt angenommen werden, wenn es auf seiten der zuständigen Behörde unterzeichnet und auf diese Weise der Rechtsbindungswille dokumentiert ist276 • Es wird damit als genügend anzusehen sein, wenn bei einer auf zwei getrennten Blättern niedergeschriebenen Urkunde in jedem Blatt auf das andere verwiesen wird, so daß Zweifel über das Erklärungsbewußtsein und die Willenseinigung der Vertrags partner nicht entstehen können, sofern die beiderseitigen Unterschriften den Gesamtinhalt des Sanierungsvertrages decken 277 • Darüber hinaus ist § 57 VwVfG unter Betonung der Verwaltungseffizienz durch kooperative Verein-

OVG Saarlouis, NJW 1993, 1612. Meyer/Borgs, VwVfG, § 57 Rn. 3; Stelkens/Bonk/Sachs. VwVfG, § 57 Rn. 11; Weihrauch. VerwArch 82 (1991), 543. 276

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barungen nicht so auszulegen, daß für den Sanierungsvertrag Urkundeneinheit zwingendes Fonnerfordernis ist278 • In Hinblick auf die BeispielsfaIle in der Praxis des Regierungspräsidiums Stuttgart hat Bulling überraschend darauf hingewiesen 279 , daß die Schriftfonn keine Maßstab für die Abgrenzung zwischen Absprachen und Verträgen ist. Danach würde die durch Schriftwechsel zustandegekommene Vereinbarung zwar als Agreement (Absprache) bezeichnet, aber müsse in der rechtlichen Behandlungen dem verwaltungsrechtlichen Vertrag gleichgestellt werden. Eine Absprache ohne Schriftfonn könne als mündlicher verwaltungsrechtlicher Vertrag bezeichnet. Er versucht weiter zu zeigen, daß der rechtlich relevante Erklärungswillen auch nicht zwischen Absprachen und Verträgen unterscheidet. Dieser Aussage kann jedoch nicht zugestimmt werden, da die Schriftfonn nach § 57 VwVfG Mindestforderung ist. Verträge ohne die Schriftfonn können von Anfang an nicht mehr als Verträge bezeichnet werden. Wären Absprachen und Verträge derart ähnlich, wie es Bulling offenbar voraussetzt, dann wäre jeder formnichtige Vertrag (§ 57 VwVfG) eine Absprache. Diese Umdeutung ist jedoch unzulässig, da der Wille zum Vertragsschluß auf Rechtsbindung abstellt, die Absprache auf Infonnalität, so daß die Absprache kein minus zum Vertrag, sondern ein Aliud ist. Umstritten ist nur, ob der Wortlaut des § 57 VwVfG mit Urkundeneinheit gleichgesetzt werden kann. In Hinblick auf Sinn und Zweck der Kooperation280 stellt man dabei fest, daß das Schriftfonnerfordernis keine übersteigende Schranken für die Anwendung der Verträge sein soll. Danach sind die beiden Unterschrift nicht auf derselben Urkunden erforderlich. Dies bedeutet aber nicht, daß bei Verträgen auf die Schriftfonn verzichtet werden kann. b) Zustimmung Dritter nach § 58 VwVfG?

aa) Begriff und Bedeutung Nach § 58 Abs. 1 VwVfG wird ein in Rechte eines Dritten eingreifender verwaltungsrechtlicher Vertrag erst wirksam, wenn der Dritte schriftlich zustimmt. Hierin drückt sich der allgemeine, auch im öffentlichen Recht geltende Grundsatz aus, daß Verträge zu Lasten Dritter nur mit deren Zustimmung geschlossen werden können281 . Durch die Regelung des § 58 Vgl. Knack, VwVfG, § 57 Rn. 2.4f.; Weihrauch, VerwArch 82 (1991), 543. Bulling, DÖV 1989, 287f. 280 Zur Steigerung der Effektivität des kooperativen Verwaltungshandelns durch Flexibilität Benz, Die Verwaltung 23 (1990), 96. 281 Vgl. zur verfassungsrechtlichen Fundierung dieses Grundsatzes BVerfGE 73, 261 (270f.). 278

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Abs. 1 VwVfG wird einerseits ein Beteiligungsgebot zugunsten Dritter ausgesprochen und anderseits eine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Rechtsgültigkeit des insoweit vereinbarten Vertragsinhalts festgelegt 282 • Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es also, mögliche Rechtsschutzdefizite eines Dritten zu vermeiden, die dadurch entstehen könnte, daß die Behörde, statt einen Verwaltungsakt zu erlassen, einen Vertrag schließt283 • Ein Eingriff in Rechte eines Dritten liegt dann vor, wenn der Rechtsbestand des Dritten durch den Vertragsabschluß verschlechtert, vermindert oder beeinträchtigt wird, wenn mithin der rechtliche status quo ante des Dritten in einen status quo ante minus verwandelt wird284 • Eine solche Beeinträchtigung liegt jedenfalls dann vor, wenn der Vertrag unmittelbar die Rechtsänderung herbeiführt, wenn also ein drittbelastender Verfügungsvertrag vorliegt28s • Zum geschützten Personenkreis sind nach § 58 Abs. 1 VwVfG nur "Dritte" zu rechnen, die unmittelbar durch den Vertrag in ihren Rechten nachteilig betroffen sind. Im Hinblick auf Sanierungsverträge kommen als Dritte, in deren Rechte durch Sanierungsverträge eingegriffen werden könnte, damit in erster Linie Nachbarn in Betracht, deren Gesundheit durch Schadstoff-Emissionen bedroht sein könnte. Nachbarn im Sinne des Immissionsschutzgesetzes sind nach Auffassung des BVerwG286 diejenigen Personen, die von den Auswirkungen einer Anlage in unzulässiger Weise betroffen sein können und gleichzeitig in einer engeren räumlichen und zeitlichen Beziehungen zum Genehmigungsgegenstand stehen. Dabei ist Nachbar allerdings nur, wer auch tatsächlich von den Auswirkungen der Anlage betroffen sein kann. Die engere räumliche und zeitliche Beziehung wird von den Eigentümern und Mietern der im Einwirkungsbereich gelegenen Grundstücke erfüllt sowie von den Personen, die im Einzugsbereich arbeiten. Dabei muß es sich um einen Personenkreis handeln, der sich regelmäßig im Einwirkungsbereich der Anlage aufhält (z. B. Wohnsitz) oder Rechte an dort befindlichen Sachen (z. B. Grundeigentum) hat. Ein nur zufälliger oder gelegentlicher Aufenthalt reicht nicht aus287 • Fraglich ist zunächst, ob durch Sanierungsverträge in Rechte Dritter tatsächlich eingegriffen werden kann und damit die Zustimmung Dritter erforderlich ist. Diese Frage ist beim Sanierungsvertrag von großer Bedeutung, weil damit in der Praxis zugleich seine Anwendung als Handlungsform ein282

283 284 28S 286

287

Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 58 Rn. 1. Vg!. Amt!. Begründung zu § 54 Abs. 1 E 1973, BT-Drs. 7/910, S. 81. Vg!. BVerwGE 66, 184 (186); Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 58 Rn. 11. Erichsen, Jura 1994, 48. BVerwG, UPR 1983, 69ff. BVerwG, UPR 1983,70; Jarass, NJW 1983, 2847f.

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geschränkt werden kann. Der Drittschutz soll daher beim Sanierungsvertrag gegenüber den nachträglichen Anordnungen nicht erhöht, sondern lediglich gleichermaßen sichergestellt werden. Im folgenden soll daher zunächst untersucht werden, inwieweit die im Einwirkungsbereich der Anlage wohnenden Nachbarn im Hinblick auf die nachträgliche Anordnungen gern. § 17 BImSchG geschützt sind. bb) Nachbarschutz in nachträglichen Anordnungen Rechte Dritter sind dann stärker geschützt, wenn ein Gesetz dem unmittelbaren Schutz der Rechte Dritter dient, also nachbarschützenden Charakter hat. Im Immissionsschutzrecht vermittelt bekanntlich die Vorsorgepflicht aus § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG keinen Drittschutz, so daß einem Nachbarn bei ihrer Verletzung auch keinen Anspruch auf ein behördliches Einschreiten zusteht288 • Demgegenüber können die Nachbarn zur Verteidigung ihrer Grundrechtsposition gegen die Behörde eine Anspruch auf den Erlaß konkreter zulässiger nachträglicher Anordnungen erheben, wenn der Anlagenbetreiber gegen seine nachbarschützende Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG verstÖßt289 • Zumindest haben die Nachbarn unter dieser Voraussetzungen Anspruch auf einen fehlerfreien Ermessensgebrauch. Die Sollvorschrift des § 17 Abs. 1 Satz 2 BImSchG hat insoweit nachbarschützenden Charakter90 • Die Nachbarn der emittierenden Anlage können zuerst ein behördliches Einschreiten beantragen291 . Sie haben jedoch keine Anspruch auf Beteiligung zu dem Verfahren der nachträglichen Anordnungen bzw. auf Zustimmung. Sie können nur von Amts wegen oder auf Antrag gemäß § 13 Abs. 2 VwVfG als Beteiligte in das Verfahren der nachträglichen Anordnungen hinzugezogen werden292 . Die Behörde hat hier einen weiten Spielraum in der Frage, welches von mehreren möglichen Mitteln sie anwenden will und 288 Vgl. BVerwGE 65,313 (320); Feldhaus, BImSehR, § 17 BlmSchG Anm. 18; Jarass, BImSehG, § 17 Rn. 51; LandmannlRohmerlHansmann, UmweltR, § 17 BlmSchG Rn. 230. 289 Vgl. Feldhaus, BImSehR, § 15 BlmSchG Anm. 18; Jarass, BImSehG, § 17 Rn. 51; LandmannlRohmerlHansmann, UmweltR, § 17 BlmSchG Rn. 233; SchmatzlNöthlichs, BImSehG, § 17 Anm. 17; SchmidtlMüller, Einführung in das Umweltrecht. § 3 Rn. 44. 290 Breuer, Umweltschutzrecht, in: Bes. VerwR, Rn. 202; Sellner, Immissionsschutzrecht, Rn. 465ff.; BVerwG, BayVBI. 1982,601. 291 Feldhaus, BImSehR, § 17 BlmSchG Anm. 19. 292 Vgl. Jarass, BImSehG, § 17 Rn. 41; SchmatzlNöthlichs, BImSehG, § 17 Anm.9.2.

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welchen von mehreren pflichtwidrig Handelnden sie in Anspruch nehmen will 293 • Außerdem steht es in ihrem pflichtgemäßen Ermessen, Art und Umfang ihrer Ermittlungen zu bestimmen294 • Der durch § 17 BlmSchG vermittelte Drittschutz wird damit durch das behördliche Verfahrensermessen erheblich begrenzt. Wenn die Behörde am Ende den Erlaß einer nachträglichen Schutzanordnung ablehnt, können Nachbarn nach einem erfolglosem Widerspruchsverfahren (§§ 68 ff. VwGO) eine Verpflichtungsklage (§ 42 VwGO) erheben. Dabei müssen die Nachbarn geltend machen, daß gerade sie durch den Pflichtenverstoß eines bestimmten Anlagenbetreibers in ihren Rechten verletzt sind. Es ist damit festzustellen, daß der Nachbarschutz in der nachträglichen Anordnung in erster Linie durch einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung bezüglich eines Einschreitens umgesetzt werden kann. Der Nachbarschutz i. S. des § 17 Abs. 1 Satz 2 BlmSchG verbietet grundsätzlich nur die aktive Duidung29S von Behörden. Soweit die Anordnung erlassen worden ist, ist die Möglichkeit des Nachbarschutzes erheblich geringer. Dies ergibt sich aus der Kenntnis, daß die nachträgliche Anordnung nach § 17 BlmSchG kein begünstigender, sondern ein belastender (verpflichtender) Verwaltungsakt296 gegen den Anlagenbetreiber ist, und damit in der Regel keine Drittwirkung297 hat. ce) Nachbarschutz in Sanierungsverträgen Die Frage, ob durch Sanierungsverträge in Rechte Dritter eingegriffen werden kann, muß man grundsätzlich verneinen 298 • Sanierungsverträge, in denen auf den Ersatz der Vorsorgeanordnung verzichtet wird und die damit wohl rechtlich nicht beanstandet werden können, brauchen keine Zustimmung Dritter. Die Vorsorgepflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 BlmSchG gewährt keinen Drittschutz. Sanierungsverträge, die eine nachträgliche LandmannlRohmerlHansmann, UmweltR, § 17 BImSchG Rn. 233. Vgl. Feldhaus, BImSehR, § 17 BImSchG Anm. 18. 295 Bei der aktiven Duldung wird die nachträgliche Anordnung nicht erlassen, obwohl die Voraussetzungen für die Anwendung der nachträglichen Anordnung gegeben sind. Die Behörde hat hier Kenntnis von dem rechtswidrigen Betrieb der Anlage, aber hat bewußt auf ein formelles Einschreiten verzichtet. Zum Begriff der Duldung statt vieler vgl. Gentzcke, Informales Verwaltungshandeln, S. 21 ff. 296 Zum Begriff der belastenden Verwaltungsakte Maurer, Allg. VerwR, § 9 Rn. 48; WolfflBachoflStober, Verwaltungsrecht I, § 46 Rn. 21 ff. 297 Dagegen ist die Anlagengenehmigung gern. § 4 ff. BImSchG ein Verwaltungsakt mit Drittwirkung. Die Drittwirkung hat zur Folge, daß Nachbarn mit einer gegen die Genehmigung gerichteten Anfechtungsklage das Fehlen von Schutzpflichten rügen können. 298 Vgl. FlucklSchmitt, VerwAreh 89 (1998), 239. 293

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Anordnung zur Gefahrenabwehr ersetzen sollen, greifen ebenso nicht in Rechte Dritter ein, und brauchen damit in der Regel keine Zustimmung Dritter. Wenn der Emissionszustand der Anlage durch Sanierungsverträge sowieso nur verbessert wird, wird in der Regel nicht in die Rechtsposition eines Nachbarn eingegriffen werden 299 . Solange lediglich die Luftqualität verbessert wird, ergibt sich dadurch keine negative Zustandsveränderung für den Nachbarn. Auch bei Kompensationsvereinbarungen ist die Zustimmung Dritter nicht erforderlich. Denn Kompensationsmaßnahmen sind nach den derzeitigen rechtlichen Vorschriften (§§ 7 Abs. 3, 17 Abs. 3 a BImSehG, Nr. 4.2.10 TA-Luft) ausschließlich im Vorsorgebereich zwischen genehmigten Anlage zulässig 3OO . Danach ist eine Ausweitung der Kompensationsmaßnahmen auf den Gefahrenbereich und auf die Errichtung von Neuanlagen verboten. Problematisch wäre es, wenn die Nachbarn behaupten, daß sie durch den Sanierungsvertrag nicht ausreichend geschützt sind oder unerwarteterweise, wie z. B. durch verbaute Sicht, einen lärmenden Abgasfilter etc., beeinträchtigt sind. In solchen atypischen Fällen könnte § 58 Abs. 1 VwVfG einschlägig sein, wonach ein verwaltungsrechtlicher Vertrag, der in Rechte Dritter eingreift, erst wirksam wird, wenn der Dritte zustimmt. Vor diesem Hintergrund muß die Behörde die Interessen Dritter, die bei nachträglichen Anordnung klagebefugt wären, vor Vertragsschluß im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes berücksichtigen (abgestufte Rücksichtnahmepflichten)301. Gegebenenfalls kann sie den Dritten gemäß § 13 Abs. 2 VwVfG als Beteiligten hinzuziehen. Stellt die Behörde fest, daß der Vertragsinhalt als Rechtsbeeinträchtigung in Rechte eines Dritten eingreift, braucht sie die schriftliche Zustimmung Dritter302. Dabei ist die Behörde gegenüber Dritten allenfalls zur Information über den Inhalt des Sanierungsvertrages verpflichtet. Die Zustimmung Dritter kann vor Abschluß des Vertrages als ,,Einwilligung" gemäß § 183 BGB oder nachträglich als "Genehmigung" gemäß § 184 BGB erteilt werden. Nimmt man im Hinblick auf Sanierungsverträge an, daß vor dem Vertragsschluß unklar ist, ob Rechte Dritter von dem Vertrag eingegriffen sind, kann die Zustimmung Dritter meistens nachträglich erteilt werden. Die herrschende Meinung303 nimmt auch trotz des Wortlauts 299 Dazu kritisch Brohm, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. I, S. 255; Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), 206ff.; ders., AöR 115 (1990), 427f. 300 Vgl. oben § 8 11 4 e). 301 Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, S. 201. 302 Vgl. Bauer, VerwArch 78 (1987), 267. 303 Kopp, VwVfG, § 58 Rn. 3; Srelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 58 Rn. 15; Gegenmeinung Knack, VwVfG, § 58 Rn. 3 (keine Rückwirkung).

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des § 58 VwVfG (wird erst wirksam) eine ex-tune-Wirkung der Zustimmung an 304 • Nach der Zustimmung durch den Dritten ist der Vertrag somit als von Anfang an als wirksam zu behandeln. Die Zustimmung des Dritten bedarf darüber hinaus der Schriftform305 • Wenn ein Sanierungsvertrag ohne erforderliche Zustimmung des Dritten geschlossen wird, kann der betroffene Dritte ggf. Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages gern. § 43 Abs. 1 VwGO erheben. 2. Materielle Rechtmäßigkeit bezüglich der inhaltlichen Gestaltung von Sanierungsverträgen a) Problemstellung

Sanierungsverträge sind mit dem zweiseitigen Akt charakterisiert. Sie setzen zwangsläufig voraus, daß beide Seiten einander entgegenkommen. Als gemeinsame Problemlösung stellen Sanierungsverträge also einen Kompromiß zwischen den Kooperationspartnern dar. Die Behörde und der Anlagenbetreiber setzen hier Tauschpotential (do ut des) ein. In diesem Zusammenhang werfen manche Sanierungsverträge Probleme auf, indem sie möglicherweise gegen den Vorrang des Gesetzes gemäß Art. 20 III GG verstoßen, weil sie dazu benutzt werden, inhaltlich weniger weit zu gehen, als eine Rechtsnorm es vorschreibt. Diese Unkontrollierbarkeit der inhaltlichen Vertragsgestaltung könnte damit die Gefahr in sich bergen, daß die Pflege sogenannter guter Beziehungen durch die Inanspruchnahme persönlicher Verbindungskanäle über Anlagenbetreiber zur Verfolgung von eigennützigen Interessen führt, die mit der Aufgabenverantwortung der Behörde oder gar dem gesetzlichen Zweck nicht mehr im Einklang stehen (z. B. Korruption). Die gleichmäßige Durchsetzung des Rechts kann dann in Frage gestellt werden306• Im folgenden soll damit untersucht werden, wie diese Gefahr von Sanierungsverträgen abgebaut werden kann, m. a. W., welche Grenzen die Behörde bei der inhaltlichen Ausgestaltung von Sanierungsverträgen bezüglich der Rechtmäßigkeit beachten muß. Dabei ist zu prüfen, inwieweit die verfassungsrechtlichen Grundsätze in ihrer Reichweite als Prüfungsmaßstab von der Sachmaterie des Sanierungsvertrages abhängen und wie weit die Befugnis der Behörde zur inhaltlichen Vertragsgestaltung reiche 07 • Dies ergibt sich aus der Anwendung des § 184 Abs. 1 BGB. Obermayer, VwVfG, § 58 Rn. 26; Weihrauch, VerwAreh 82 (1991), 560 Fn. 117; a.A. Meyer/Borgs, VwVfG, § 58 Rn. 25. 306 Vgl. Bauer, VerwArch 78 (1987), 254; Hoffmann-Riem, AöR 1990, 425f.; Leehe/er, BayVBI. 1992,548. 304

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b) Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes Im Bereich der Ermessensverwaltung hat die Behörde grundsätzlich den eigentlichen Spielraum für die inhaltliche Gestaltung von verwaltungsrechtlichen Verträgen. Diese Freiheit der inhaltlichen Gestaltung eines Vertrages ist dennoch durch den verfassungsrechtlich verlangten Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes nach Art. 20 III GG eingeschränkeo8 • Der Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes gebietet, daß die Vertragsinhalte nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen und von dem nicht abweichen dürfen. Danach müssen die Vertragsparteien die bestehenden Rechtsnormen immer beachten und dürfen daher keine Verpflichtung eingehen oder Verfügung treffen, die rechtswidrig ise09 • Dies gilt sowohl für die von der Behörde versprochene Leistung als auch für die Gegenleistung des Bürgers. Die Behörde selbst muß bei der von ihr zu erbringenden Leistung den Rahmen der ihr gesetzlich eingeräumten Handlungsspielräume wahren 310 • Verwaltungsrechtliche Verträge dürfen nicht zu Lockerungen der Gesetzesbindung führen 311 • Sie dürfen also kein "Fluchthelfer" für die Verwaltung aus der rechtlichen Bindung sein312 • Bei den Sanierungsverträgen, die als Alternative zu nachträglichen Anordnungen antreten, hat sich die Behörde somit nur innerhalb der immissionsschutzrechtlichen Programmierung zu bewegen. Die Behörde darf nur das vereinbaren, was immissionsschutzrechtlich zugelassen ist. Die inhaltliche Ausgestaltung der Sanierungsverträge soll sich daher an dem gesetzlich zulässigen Inhalt der nachträglichen Anordnungen orientieren313 . Völlig unproblematisch wäre es damit, wenn die Behörde auf dem Vertragswege weitgehendere Sanierungsmaßnahmen erreichen könnte als über eine nachträgliche Anordnung 314 • Jedenfalls ist es auch unbedenklich, wenn sie einen Inhalt haben, der auch Gegenstand einer rechtmäßigen nachträglichen 307 Eine materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung, daß der Sanierungsvertragsinhalt nicht zur Nichtigkeit (§§ 44, 59 Abs. I Nr. I VwVfG) führen muß, kommt hier außer in Betracht. Dazu näher siehe unten § 8 IV 2. 308 Zum Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes im Bereich verwaltungsrechtlicher Verträge vgl. Burmeister, VVDStRL 52 (1993), S. 241; Kopp, VwVfG, § 54 Rn. 24; Kunig, DVBI. 1992, 1197; Scherzberg, JuS 1992, 210; Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 133; UlelLaubinger, VwVfG, § 70 Rn. 2. 309 Bauer, in: Innovation und Aexibilität des Verwaltungshandeins, S. 269. 310 Im öffentlichen Recht gibt es im Prinzip keine Vertragsfreiheit, da die Verwaltung an Gesetz und Recht verbunden ist (Art. 20 III GG). Unter öffentlich-rechtlicher Vertrags freiheit versteht man die Erweiterung des Handlungsspielraums der Verwaltung. Vgl. dazu Göldner, JZ 1976,358. 311 KuniglRublack, Jura 1990, 7. 312 Krebs, VVDStRL 52 (1993), 264. 3J3 Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, S. 35. 314 Vgl. dazu kritische Meinung Lecheler, BayVBI. 1992,546.

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Anordnung hätte sein können. In der Praxis sind solche Fälle jedoch sehr selten. In den meisten Fällen werden auf dem Vereinbarungsweg durchgesetzte Sanierungsmaßnahmen in der Reichweite hinter den mit der nachträglichen Anordnung durchgesetzten Maßnahmen zurückbleiben315 • Dies basiert auf der Tatsache, daß eine Vereinbarung in der Regel für den Betreiber erst dann interessant wird, wenn er selbst aus dem Inhalt dieser Vereinbarung bestimmte Vorteile ziehen kann 316 . Aus vielen Verhandlungen mit dem Betreiber ergibt sich, daß von allen "etwas" zu verlangen wirkungsvoller ist, als von wenigen "alles" zu fordern. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wird damit hier durch Zweckmäßigkeitserwägungen entsprechend der Interessenlage des Betreibers zurückgedrängt. Es stellt sich damit die Frage, ob die Behörde überhaupt durch Sanierungsverträge weniger weitgehende Sanierungsmaßnahmen (z.B. keine Einhaltung des Standes der Technik) als durch nachträgliche Anordnungen erreichen darf. Anders ausgedrückt: Ob Gesetzesabweichungen durch Sanierungsverträge mehr oder weniger pauschal mit einem erheblichen Umweltschutzinteresse oder einer effektiveren Durchsetzung begründet werden kann. Nach h.M. 317 sind gesetzesabweichende Vertragsinhalte, die mit einem zwingenden öffentlichen Interesse oder einem durch die Leistung des Vertragspartners gewonnenen Vorteil begründet werden, unzulässig. Das BVenvG318 vertritt auch die Auffassung, daß verwaltungsrechtliche Verträge ausnahmslos "der Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 III GG)" unterlägen. Demgegenüber vertritt Bleckmann 319 die Auffassung, daß gesetzesabweichende Vertragsinhalte dann in Betracht kämen, wenn dies zur Erreichung eines bei der Normsetzung nicht berücksichtigten Interesses erforderlich sei oder eine relativ geringfügige Beeinträchtigung der gesetzlich vorgesehenen Aufgabenerfüllung durch die mit der höheren Akzeptanz der vereinbarten Regelung und der Leistung des Bürgers verbundenen Vorteile aufgewogen werden könne. Salzwedel320 bejaht auch die Möglichkeit der Vertrags parteien, unter bestimmten Voraussetzungen vom Gesetz abzuweichen. Wenn ein "vertragsfordemdes Interesse" unabweisbar sei, könne vertraglich eine andere Regelung getroffen werden als im Gesetz vorgesehen sei. Nach welSiehe oben § 8 11. Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 453. 317 Vgl. Bauer, in: Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandeins, S. 269; Kunig, DVBl. 1992, 1197; Maurer, DVBI. 1989, 805; Schimpf, Der verwaltungsrechtliche Vertrag, S. 180ff. 318 BVerwGE 42, 331 (334). 319 Bleckmann, NVwZ 1990,604. 320 Salzwedel, Die Grenzen der Zulässigkeit des öffentlichen Vertrages, S. 113 ff. 315

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chen Abwägungskriterien eine vom Gesetz abweichende Vertragsregelung rechtmäßig sein kann, ist der Darstellung von Salzwedel nicht zu entnehmen. Es ist schwierig, in einer konkreten Entscheidungssituation anzugeben, ob bestimmte Normabweichungen für die Funktionsfahigkeit des Gesetzes insgesamt nützlich oder schädlich ist. Eindeutig ist aber, daß diese Frage anband der Auslegung des Immissionsschutzrechts zu bestimmen ist. In der Tat handelt sich bei dem BImSchG um ein Gesetz, das der Staat aufgrund seiner aus den Grundrechten erwachsenden Schutzpflicht durchführen muß. Das heißt aber, daß der Staat gegen diese Schutzpflicht verstößt, wenn er der Behörde gestattet, beim Abschluß von verwaltungsrechtlichen Verträgen vom BImSchG abzuweichen. Im übrigen könnte aus den Zielen des Gesetzes auch sonst keine Ermächtigung entnommen, bzw. eine Ermächtigung modifiziert werden. Zielvorgaben (z. B. § I BImSchG) können allenfalls zur Auslegung dienen. Somit kann auch ein Vertrag nicht unter Berufung auf diese Ziele vom Gesetz abweichen. Man muß damit klar feststellen, daß die Behörde nicht gegen das BImSchG, sondern im Rahmen des BImSchG einen Verhandlungsspielraum besitzt. Ein Sanierungsvertrag, der gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes verstößt, ist dann entweder über den Umweg des § 134 BGB oder unmittelbar nichtig.

c) Koppelungsverbot Das rechtsstaatliche Koppelungsverboe 21 besagt, daß durch Maßnahmen einer Behörde bei der Anwendung des öffentlichen Rechts nichts miteinander verknüpft werden darf, was nicht in einem inneren Zusammenhang miteinander steht, und daß hoheitliche Entscheidungen in der Regel nicht von (zusätzlichen) Gegenleistungen abhängig gemacht werden dürfen 322. Durch das Koppelungsverbot soll insbesondere ein sog ...Ausverkauf von Hoheitsrechten"j23 verhindert werden 324 . Das Koppelungsverbot ist inzwischen für den dafür insbesondere wesentlichen Bereich der verwaltungsrechtlichen Verträge in § 56 Abs. I VwVfG gesetzlich niedergelegt worden. Danach muß die Gegenleistung des Bürgers in sachlichem Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde stehen. Ein sachlicher Zusammenhang ist nach herrschender Meinung gege321 Zum Koppelungsverbot schon Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts I, 1973, S. 293f.; zur Rspr. BVerwGE 42,331 (338); 84, 236 (241); 90, 310. 322 Vgl. Bleckmann, NVwZ 1990, 606; Knack, VwVfG, § 56 Rn. 1.2; Kopp, VwVfG, § 56 Rn. 16; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 56 Rn. 2. 323 Bullinger, Vertrag und Verwaltungsakt, S. 18, 140. 324 BVerwG, NJW 1980, 1294; OVG Münster, OVBI. 1981,836.

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ben, wenn die Gegenleistung des Bürgers demselben öffentlichen Interesse dient wie die Rechtsvorschriften, welche die Behörde zu der von ihr zu erbringenden Leistung ermächtigen32s • So darf zwar beispielsweise die Gegenleistung für die vertragliche Verpflichtung der Behörde zur Erteilung einer Bauerlaubnis in der Zahlung des Privaten auf die Kosten der Errichtung eines gemeindlichen Parkhauses bestehen326, nicht hingegen in einem Beitrag zu einem Sozialfonds327 • Im Hinblick auf Sanierungsverträge kommt dem Koppelungsverbot als wichtige inhaltliche Einschränkung der Handlungsspielräume besondere Bedeutung zu, weil allein durch restriktive Handhabung der unsachlichen Verknüpfung in praktisch denkbaren Vertragskonstellationen entgegengetreten werden kann. Dabei muß nicht nur die Gegenleistung des Betreibers in angemessenem, sachlichen Verhältnis zur Leistung der Behörde stehen, sondern umgekehrt auch die Leistung der Behörde zur Gegenleistung des Betreibers328 • Die vereinbarte Gegenleistung des Betreibers in Gestalt bestimmter Sanierungsmaßnahmen muß nun den rechtsstaatlichen Rahmen wahren, den das Gesetz durch die Anforderungen des Sachzusammenhangs umschreibt. Das Koppelungsverbot ist gültig sowohl für die einzelne sanierungsbedürftige Anlage als auch bei mehreren Anlagen. Es fehlt beispielsweise an dem sachlichen Zusammenhang, wenn dem Verzicht auf Erlaß einer nachträglichen Anordnung zur Schadstoffreduzierung die Zusage des Betreibers gegenübersteht, eine bestimmte Zahl Arbeitsplätze zu schaffen oder zu erhalten329 • Die Verknüpfung von Sanierungsmaßnahmen des Betreibers mit anderen umweltrelevanten Betätigungen330 ist auch unzulässig. Wie oben dargestellt 331 , verstoßen Koppelungsvereinbarungen, die die Sanierung einer bestehender Anlage mit der Genehmigung einer neuen Anlage verknüpfen, egal ob sie mit der Zeitverzögerung oder mit dem Inhalt der Genehmigung verknüpft ist, ebenso gegen den Koppelungsverbot im Sinne des § 56 VwVfG und sind damit rechtswidrig 332 • Sanierungsbe-

325 Kopp, VwVfG, § 56 Rn. 17; vgl. auch Knack, VwVfG, § 56 Rn. 5.4; Obermayer, VwVfG, § 56 Rn. 25.

326 Vgl. vor allem BVerwGE 23, 213 (Ablösungsvertrag); 42, 331 (Folgekostenvertrag). 327 Vgl. BT-Drs. 7/910, S. 80. 328 Vgl. Bleckmann, NVwZ 1990,607. 329 Vgl. Bauer, VerwArch 78 (1987), 262; Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 190ff.; ders., VerwArch 75 (1984),359; Bunneister, VVDStRL 52 (1993), S. 240; Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, S. 95. 330 Z. B. Abfallbeseitigung oder Abwasserbeseitigung. 331 Vgl. oben § 8 11 3. 332 Vgl. Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 178ff.; Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), 204f.

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dürftige Anlagen müssen also nicht zum Prüfungsgegenstand der gewünschten Genehmigung gemacht werden. d) Übermaßverbot

Bei Sanierungsverträgen muß die Gegenleistung des Betreibers ferner "den gesamten Umständen nach angemessen" sein (§ 56 Abs. 1 Satz 2 VwVfG). Das Merkmal der "Angemessenheit" ist Ausdruck des rechtsstaatlichen "Übermaßverbotes,,333 und verlangt, daß zwischen Leistung und Gegenleistung ein ausgewogenes Verhältnis besteht. Diese Kriterium der Angemessenheit bezieht sich nicht nur auf den Zusammenhang von Leistung und Gegenleistung, sondern ist auch ein Kontrollmaßstab für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Gegenleistung. Bei der Abwägung beider Leistungen ist zu berücksichtigen, daß der Sanierungsvertrag ein Mittel des Gesetzesvollzugs ist und daher zur Verwirklichung der Immissionsschutzziele i. S. des § 1 BImSchG beitragen muß 334. Wie in Kompensationsvereinbarungen gezeige 3S , ist die Gegenleistung des Anlagenbetreibers angemessen, wenn die durch Sanierung der Anlage A erreichte Entlastung der Luft höher als die Entlastung ist, die durch Sanierung der Anlage B erzielbar wäre. e) Bestimmtheit

Die in § 57 VwVfG vorgesehene Schriftform bezieht sich nach Umfang und Inhalt auf alle Vertragserklärungen aller Vertragsteile. Sie erstreckt sich nicht nur auf die für das Zustandekommen wesentlichen Punkte, sondern gilt auch für die sonstigen Abreden. Das bedeutet, daß sich Leistung und Gegenleistung nach Gegenstand, Umfang, Dauer und Zweck eindeutig und zweifelsfrei aus Vertragsurkunden selbst ergeben müssen 336. Im Gegensatz zur überwiegenden Auffassung 337 müssen in diesem Zusammenhang die Bestimmtheitsanforderungen (§ 37 VwVfG) an eine nachträgliche Anordnung für den entsprechenden Sanierungsvertrag gefor333 Es kommt in ,,Angemessenheitsgebot" zum Ausdruck, vgl. Kopp, VwVfG, § 56 Rn. 13; Scherzberg, JuS 1992,212. 334 Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 177; vgl. ferner Krebs, VVDStRL 52 (1993), 267; Schmidt-Aßmann, in: Festschrift für Konrad Gelzer zum 75. Geburtstag, S. 124. 335 Vgl. oben § 8 11 4. 336 Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 61 Rn. 9; BVerwGE 84, 236 (244). 337 Kopp, VwVfG, § 57 Rn. 2; Meyer/Borgs, VwVfG, § 57 Rn. 3; Obermayer, VwVfG, § 57 Rn. 10; Ule/Laubinger, VwVfG, § 69 Rn. 9.

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dert werden 338. Dies ergibt sich aus der Tatsache, daß ein Sanierungsvertrag inhaltlich ausreichend klar sein muß, um als verwaltungs rechtlicher Vertrag eine nachträgliche Anordnung zu ersetzen. Sanierungsverträge müssen danach mindestens schriftliche Inhalte darüber enthalten, wer die Vertragspartner sind, welches Sanierungsziel angestrebt und mit welchen Maßnahmen dieses Ziel erreicht werden so1l339. Angezeigt ist es, auch Ort und Zeit des Vertragsschlusses ausdrücklich zu bezeichnen, weil damit Fristen und Termine klarer berechnet werden können340. Zu unbestimmt wären dagegen Sanierungsverträge, die lediglich allgemeine gesetzliche Pflichten wiederholen oder die Anforderungen durch unbestimmte Begriff wie "angemessen", "ordnungsgemäß", "notwendig", "sachgerecht" umschreiben341 . Denkbar sind auch Vertragsinhalte möglicher Sanktion bei Nichterfüllung 342 , oder die Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckung. In diesem Zusammenhang dürfte davon auszugehen sein, daß sich im Rahmen der Anpassung des Vertrages um so weniger Probleme ergeben, desto detaillierter und umsichtiger das Vertragswerk entworfen wurde.

IV. Rechtsfolgen rechtswidriger Sanierungsverträge 1. Bedeutung

Wie oben dargestellt, ist ein Sanierungsvertrag dann rechtswidrig, wenn er gegen den Grundsatz des Vorrang des Gesetzes oder allgemeine Grundsätze des öffentlichen Rechts verstößt. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn diese die inhaltliche Rechtswidrigkeit eines Sanierungsvertrages nach sich zieht. Vor dem Inkrafttreten des VwVfG war die Frage der Rechtsfolge der Rechtswidrigkeit von verwaltungsrechtlichen Verträgen ein umstrittenstes Thema343 . Damals wurde vielfach die Auffassung vertreten, jeder rechtswidrige verwaltungsrechtliche Vertrag sei nichtig344.

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Ebenso Beyer, Der öffentlich-rechtliche Vertrag, S.l52f.; Knack, VwVfG,

§ 62 Rn. 2.2.

Landmann/Rohmer/Hansmann, UmweltR, § 17 BlmSchG Rn. 147. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 57 Rn. 8. 341 Vgl. OVG Münster, GewAreh 1976, 106. 342 Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen, S. 225. 343 Dazu statt vieler Schenke, JuS 1977,281 ff. m. w.N. 344 Begründung des Entwurfs 1973, BT-Drs. 7/910, S. 79; BVerwGE 42, 331 (334); 49, 359 (361 f.); Gegenmeinung Imboden, Der verwaltungsrechtliche Vertrag, S. 97; Salzwedel, Die Grenzen der Zulässigkeit des öffentlichen Vertrages, S. 107. 339

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In § 59 VwVfG sind jedoch die Rechtsfolgen rechtswidriger verwaltungsrechtlicher Verträge dahingehend abschließend geregelt, daß nur bestimmte, qualifizierte Gesetzesverstöße zur Nichtigkeit des Vertrages führen 34S . § 59 Abs. 2 VwVfG stellt zunächst einen besonderen Katalog spezieller Nichtigkeitsgründe auf. Weitere Nichtigkeitsgründe ergeben sich aus § 59 Abs. 1 VwVfG in Verbindung mit der entsprechenden Anwendung der Nichtigkeitsvorschriften des BGB. Liegen solche Nichtigkeitsgründe nicht vor, ist der verwaltungsrechtliche Vertrag zwar rechtswidrig aber wirksam. Ein dem Gesetzmäßigkeitsprinzip zuwiderlaufender Vertrag könnte danach Bestand haben und in vollem Umfang durchsetzbar sein. Die bloße Rechtswidrigkeit der verwaltungsrechtlichen Verträge kann auch vom Bürger durch Berufung auf einen Beseitigungsanspruch346 oder ein Rücktrittsreche47 nicht geltend gemacht werden 348 . Sie bleibt also folgenlos. Dies hat zur Konsequenz, daß die Verwaltung wirksam rechtswidrige verwaltungsrechtliche Verträge abschließen kann, solange nicht die Schwelle der Nichtigkeit überschritten ist. Gegen diese erhöhte Bestandskraft verwaltungsrechtlicher Verträge sind häufig Bedenken - z. B. "Flucht ins Vertragsrecht,,349 - erhoben worden 3so. Die Bedenken sind jedoch kaum geeignet, die Regelung des § 59 VwVfG in Frage zustellen3sl . § 59 VwVfG folgt einem verfassungskonformen Mittelweg zwischen dem Grundsatz der Vertragsverbindlichkeit (paeta sunt servanda) und damit dem Vertrauensschutzprinzip einerseits sowie dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung andererseits. 3s2 Er hat zwar die Nichtigkeitsgründe für den verwaltungsrechtliche Vertrag gegenüber denen beim Verwaltungsakt so ausgedehnt, daß eine generelle Aufhebbarkeit rechtswidriger Verträge wie beim Verwaltungsakt nicht vorgesehen wurde. Jedoch hat er als Nichtigkeitsgründe für den verwaltungsrechtlichen Vertrag alle wesentlichen und qualifizierten Rechtsverstöße erfaßt3S3 . Die Rechts345 Vgl. Achterberg, JA 1979,361; Knack, VwVfG, § 59 Rn. 1.1; Kopp, VwVfG, § 59 Rn. 2; Meyer/Borgs, VwVfG, § 59 Rn. I; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 61 Rn. 7. 346 Der Lösungsvorschlag von Schimpf, Der verwaltungsrechtliche Vertrag, S.332ff. 347 Der Lösungsvorschlag von Blankenagel, VerwArch 76 (1985), 292ff. 348 Vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 59 Rn. 6. 349 Blankenagel, VerwArch 76 (1985), 280. 350 Es handelt sich dabei um ein rechtspolitisches aber auch ein verfassungsrechtliches Problem, das in dieser Untersuchung nicht behandelt werden kann. Dazu vgl. statt vieler Knack, VwVfG, § 59 Rn. 1.1 m.w.N.; zum Art. 19 IV GG vgl. ferner Schimpf, Der verwaltungsrechtliche Vertrag, S. 340ff. 351 Vgl. Knack, VwVfG, § 59 Rn. 1.1; Kopp, VwVfG, § 59 Rn. 3; Obennayer, VwVfG, § 59 Rn. 28f. 352 Vgl. Obennayer, VwVfG, § 59 Rn. 28; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 59 Rn. 5. 353 Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 59 Rn. 5.

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wirksamkeit bleibt damit nur auf nebensächliche Rechtsverstöße beschränkt. Darüber hinaus kann das freiwillige Eingehen des Vertrages mit dem Verzicht auf das Anfechtungsrecht nach Erlaß eines fehlerhaften rechtswidrigen Verwaltungsaktes gleichzusetzen sein3s4 • Im Vergleich zu Verwaltungsakten wird die Rechtsstellung des Bürgers zusätzlich durch die notwendige Schriftform (§ 57 VwVfG) geschützt. Der Bürger kann schlicht die Unterschrift verweigern, wenn er glaubt, der Vertrag sei für ihn unzumutbar. Die Bedeutung der Rechtsfolgen ist ein entscheidendes Kriterium bei der Wahl des Sanierungsvertrages. Gegenüber den Sanierungsverträgen stellt sich für Absprachen die Unterscheidung von Nichtigkeit und Rechtswidrigkeit von vornherein nicht. Denn nichtig, d. h. rechtlich unwirksam, können nur Rechtsakte sein. Die Möglichkeit der Nichtigkeit ist bei Sanierungsabsprachen nicht gegeben, da diese rechtlich unverbindlich sind. Die Nichtigkeitsregelung des § 59 VwVfG findet daher keine analoge Anwendung auf die Sanierungsabsprachen3ss • Die Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und Rechtswidrigkeit hätte im übrigen keinen Sinn, weil mit der Feststellung der Nichtigkeit einer Absprache keine weitergehenderen Rechtsfolgen verknüpft sind als mit der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Absprache. Die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit von Sanierungsabsprachen kann daher rechtliche Konsequenzen nur für die Beurteilung ihrer Einhaltung oder Nichteinhaltung haben 3s6 • 2. Nichtigkeit der rechtswidrigen Sanierungsverträge a) Nichtigkeitsgründe nach § 59 Abs. 2 VwVfG § 59 Abs. 2 Nr. I VwVfG verweist für verwaltungsrechtliche Verträge auf eine entsprechende Anwendung der Nichtigkeitsregelung beim Verwaltungsakt. Danach ist ein verwaltungsrechtlicher Vertrag nichtig, wenn ein absoluter Nichtigkeitsgrund gemäß § 44 VwVfG vorliege s7 • Die Nichtigkeitsgründe des § 44 VwVfG kommen jedoch bei dem Abschluß von Verträgen seltener als beim Erlaß von Verwaltungsakten vor und werden daher in der Praxis keine große Bedeutung haben 3s8 • Knack, VwVfG, § 59 Rn. 1.1 Vgl. Bohne, Der infonnale Rechtsstaat, S. 142; ders., VerwArch 75 (1984), 360; Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen, S. 451. 356 Kunig, DVBI. 1992, 1200. 357 Dazu näher Tschaschnig, Die Nichtigkeit subordinationsrechtlicher Verträge, S.66ff. 358 Vgl. Erichsen, Jura 1994,49; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 59 Rn. 20 354

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

Um zu berücksichtigen, daß die Nichtigkeitsgründe des § 44 VwVfG nur eng umgrenzt sind, schränkt § 59 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG die Rechtsfolge der Nichtigkeit darauf ein, daß ein Verwaltungsakt mit entsprechendem Inhalt nicht nur wegen eines Verfahrens- oder Fonnfehlers im Sinne des § 46 VwVfG rechtswidrig wäre und dies den Vertragschließenden bekannt war. Hierbei ist vor allem daran gedacht, daß in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken durch einen verwaltungsrechtlichen Vertrag ein rechtswidriger Erfolg bewirkt werden soll. Demgemäß führt ein Inhaltsfehler, auf dem ein verwaltungsrechtlicher Vertrag beruht, sofern die Vertragsschließenden ihn gekannt haben, nicht zur Nichtigkeie s9 . § 59 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG bestimmt ferner für den Vergleichsvertrag die Nichtigkeit, wenn die Voraussetzungen zu seinem Abschluß nicht vorlagen und ein Verwaltungsakt mit entsprechendem Inhalt nicht nur wegen eines Verfahrens- oder Fonnfehlers rechtswidrig wäre.

Im Hinblick auf Sanierungsverträge ist die Regelung des § 59 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG von großer Bedeutung. Sie legt fest, daß ein Austauschvertrag nichtig ist, wenn die Voraussetzungen des § 56 VwVfG nicht vorliegen. Nach § 56 VwVfG muß die Gegenleistung des Bürgers mit der Leistung der Behörde in sachlichem Zusammenhang stehen und den gesamten Umständen nach angemessen sein360 • Die Sanierungsverträge, in denen auf den Ersatz der nachträglichen Anordnung verzichtet wird, sind meistens Austauschverträge i. S. des § 56 VwVfG, da Leistung der Behörde (Nichterlaß der nachträglichen Anordnung) mit Gegenleistungen des Betreibers (Erfüllung der Sanierungsmaßnahmen) verknüpft werden. Da § 59 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG die Nichtigkeitsfolge bei Unzulässigkeit der Gegenleistung des Bürgers, nicht jedoch bei Unzulässigkeit der behördlichen Leistung anordnet, dient er in erster Linie dem Schutz des Bürgers361 • Bei Sanierungsverträgen muß jedoch nicht nur die Gegenleistung des Betreibers in angemessenem, sachlichen Verhältnis zur Leistung der Behörde stehen, sondern umgekehrt auch die Leistung der Behörde zur Gegenleistung des Betreibers362 . b) Nichtigkeitsgründe nach § 59 Abs. IVwVjG § 59 Abs. 1 VwVfG legt fest, daß verwaltungsrechtliche Verträge dann nichtig sind, wenn die entsprechende Anwendung von Vorschriften des BGB dies ergibt. Solche Vorschriften sind z. B. Willenserklärung eines 359 360 361 362

Dazu kritisch Meyer/Borgs, VwVfG, § 59 Rn. 35; Schenke, JuS 1977, 281 f. Vgl. dazu oben § 8 III 2 c). Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 59 Rn. 21; BT-Drs. 7/910, S. 82. Vgl. Bleckmann, NVwZ 1990,607.

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Geschäftsunfähigen (§ 105 Abs. 1 BGB), bekannter geheimer Vorbehalt (§ 116 Satz 2 BGB), Mangel gesetzlich vorgeschriebener Form (§ 125 Satz 1 BGB i. V. m. § 57 VwVfG)363. Ist der Vertrag - wegen Inhalt, Zweck oder Art und Weise des Zustandekommens - sittenwidrig 364 , greift § 138 BGB über § 59 Abs. I VwVfG ein365 . Streitig ist, ob für den verwaltungsrechtlichen Vertrag auch die Vorschrift des § 134 BGB entsprechend anwendbar ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Abweichend von der Begründung des Regierungsentwurfs zum VwVfG 366 hält die heute ganz herrschende Meinung367 seine Anwendung im Rahmen des § 59 Abs. 1 VwVfG für geboten. Einerlei ist dabei, ob sich das gesetzliche Verbot auf einen rechtswidrigen Vertragsinhalt oder auf eine unzulässige Vertragsform beziehe68 . Im Hinblick auf Sanierungsverträge könnte § 59 Abs. 1 VwVfG zunächst angewendet werden, wenn die Behörde das Schriftformerfordernis (§ 57 VwVfG) nicht einhält. Der Mangel der Schriftform führt nach allgemeiner Ansicht gemäß 59 Abs. 1 VwVfG und § 125 BGB zur Nichtigkeit des Vertrages 369 . Die Forderung nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit macht die Schriftform zum Wirksamkeitserfordernis.

c) Rechtsschutz Die Nichtigkeit eines Sanierungsvertrages bedeutet, daß er grundsätzlich gegenüber jedermann370 keinerlei Rechtswirkungen entfaltet. Diese Nichtigkeit ist von Amts wegen zu beachten, sie braucht nicht erst gerichtlich geltend gemacht zu werden. Sollte dennoch, z. B. wegen unterschiedlicher Vgl. Kopp, VwVfG, § 59 Rn. 9f. Nach BGH (BB 1981, 516) verstöße ein Vertrag, durch den ein betroffener Anwohner sich verpflichtet, seinen Widerspruch gegen die nach dem BlmSchG erteilte Genehmigung einer Anlage gegen Zahlung eines Entgelts zurückzunehmen, nicht gegen die guten Sitten (§ 138 BGB). 365 Die Nichtigkeit eines sittenwidrigen subordinationsrechtlichen Vertrages ergibt sich auch aus §§ 59 Abs. 2 Nr. I i. V. m. 44 Abs. 2 Nr. 6 VwVfG. 366 BT-Drs. 7/910, S. 80f. 367 Knack, VwVfG, § 59 Rn. 3.1; Kopp, VwVfG, § 59 Rn. 6; MeyerlBorgs, VwVfG, § 59 Rn. 17; StelkenslBonklSachs, VwVfG, § 59 Rn. 50; Scherzberg, JuS 1992, 212ff.; Schmidt-Aßmann, in: Festschrift für K. Gelzer zum 75. Geburtstag, S. 125; Viel Laubinger, VwVfG, § 70 Rn. 3ff.; für Unanwendbarkeit Blankenagel, VerwArch 76 (1985), 282ff.; Bleckmann, NVwZ 1990.601 ff. 368 Vgl. Kopp, VwVfG, § 59 Rn. 7; Maurer, Allg. VerwR, § 14 Rn. 47ff.; StelkenslBonkl Sachs, VwVfG, § 59 Rn. 29. 369 Vgl. Kopp, VwVfG, § 59 Rn. 9; Tschaschnig, Die Nichtigkeit subordninationsrechtlicher Verträge nach dem VwVfG, S. 105 m. w. N. 370 MeyerlBorgs, VwVfG, § 59 Rn. 47. 363 364

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Meinungen der Vertragspartner, gerichtlicher Rechtsschutz gesucht werden, so ist die Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO das geeignete Verfahren. Der Dritte kann auch im Streitfall durch Feststellungsklage die Nichtigkeit geltend machen.

V. Durchsetzung von Sanierungsverträgen Die Durchsetzung von Sanierungsverträgen ist von großer Bedeutung, weil sie in der Praxis zugleich weitgehend über seine Anwendung als Handlungsforrn anstelle der nachträglichen Anordnung entscheidee 71 • Kommt der Betreiber einer nachträglichen Anordnung gern. § 17 BImSchG nicht nach, kann die zuständige Behörde gegen ihn unter den Voraussetzungen des § 20 Abs. I BImSchG eine gänzliche oder teilweise Betriebsuntersagung aussprechen 372 • Macht die Behörde von § 20 Abs. 1 BImSchG keinen Gebrauch, so bleibt ihr die Möglichkeit, die nachträgliche Anordnung im Wege des Verwaltungszwangs durchzusetzen. Üblicherweise wird die Ordnungsverfügung daher von vornherein mit der Androhung eines Zwangsgeldes verbunden373 • Bei Sanierungsverträgen hat die Behörde grundsätzlich zwei Möglichkeiten, ihre Durchsetzung sicherzustellen; erstens kann die Behörde schon im Sanierungsvertrag die Unterwerfung des Betreibers unter die sofortige Vollstreckung nach § 61 VwVfG vereinbaren. Dies erhöht die Rechtssicherheit und vermindert die Gefahr langwieriger und kostspieliger Rechtsstreitigkeiten 374 • Aus der Sicht der Verbindlichkeit haben Sanierungsverträge insoweit gleiche Funktion wie nachträgliche Anordnungen. Nicht sofort vollstreckbar sind Sanierungsverträge ohne Sanktion für den Fall der Nichteinhaltung einer übernommenen Verpflichtung, in denen keine Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckung vorgesehen ist (sog. unbewehrte Verträge375 ). Zur Durchsetzung solcher Verträge muß erst im Klageweg ein Vollstreckungstitel erwirkt werden376• In diesem Fall ist die Stellung des Sanierungsvertrages erheblich schwächer, da die Behörde zunächst ein oft langwieriges Klageverfahren einleiten muß.

Vgl. Beyer, Der öffentlich-rechtliche Vertrag, S. 172. Siehe dazu oben § 7 III 2. 373 Feldhaus, BImSchR, § 17 BImSchG Anm. 20. 374 Vgl. Amold, VerwArch 80 (1989), 138ff. 375 Siehe dazu oben § 3 IV 4 d). 376 Zur prinzipiellen Notwendigkeit der Erhebung einer Leistungsklage durch die Verwaltung, um die Vertragserflillung zu erwirken, siehe WolfflBachoflStober, Verwaltungsrecht I, § 55 Rn. 50. 371

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1. Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckung nach § 61 VwVfG a) Bedeutung

In Sanierungsverträgen kommt es häufig vor, daß sich der Anlagenbetreiher der sofortigen Vollstreckung gemäß § 61 VwVfG unterwirfe77 • § 61 VwVfG regelt die Frage, ob und wie übernommene, aber nicht erfüllte Verpflichtunien eines Sanierungsvertrages zwangsweise durchgesetzt werden können 37 : Behörde und Anlagenbetreiber können sich der "sofortigen Vollstreckung" unterwerfen. Die Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckung kann auf einzelne vertragliche Verpflichtungen beschränkt werden und auch befristet und bedingt erfolgen379 • Sie ist in den Vertrag selbst oder zumindest in eine Zusatzvereinbarung aufzunehmen38o • Die Unterwerfungserklärung führt praktisch dazu, daß die Behörde ohne vorhergehende gerichtliche Klage nach den Regeln der Verwaltungsvollstreckungsgesetze unmittelbar wie auch aus einer nachträglichen Anordnung vollstrecken darf381 • Durch die Unterwerfungserklärung stellt der Sanierungsverttag also einen Vollstreckungstitel dar. Kommt es zur Vollstreckung nach § 61 VwVfG, dann kann sich der Betreiber nur noch gegen die Vollstreckung selbst, nicht gegen den der Vollstreckung zugrunde liegenden Sanierungsvertrag wenden 382 • Die Unterwerfung des Betreibers unter die sofortige Vollstreckung ist ein entscheidendes Durchsetzungsmittel für Sanierungsverträge. Gegenüber einem privaten Anlagenbetreiber müssen Sanierungsverträge deswegen in der Regel nur mit einer Unterwerfungserklärung abgeschlossen werden. Denkt man an die Tatsache, daß der Arbeitsaufwand, um zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen, mitunter viel größer ist, als wenn die Zielvorstellungen mittels einer nachträglichen Anordnung durchgesetzt werden, sind Sanierungsverträge ohne Unterwerfungserklärung als ein Sanierungsinstrument nicht geeignet. Unbewehrte Sanierungsverträge, in den keine Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckung vorgesehen ist, können dagegen ausnahmsweise nur mit einem öffentlichen Träger abgeschlossen 377 Dieser Ergebnis ergibt sich aus der Analyse der durch das Regierungspräsidium Stuttgart abgeschlossenen Sanierungsverträgen. Vgl. Amold, VerwArch 80 (1989), 130, 133, 136; Volltext siehe Anhang 11, in: Hili (Hrsg.), Verwaltungshandeln durch Verträge und Absprachen, S. 204 (Nr. 5.3), 206 (§ 5). 378 Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 61 Rn. 1. 379 Vgl. Kopp, VwVfG, § 61 Rn. 5; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 61 Rn. 15; BGHZ 16, 180. 380 BVerwGE 98, 58 (66f.). 381 Schulze-Fielitz, DVBI. 1994,663. 382 Maurer, Allg. VerwR, § 14 Rn. 56.

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

werden 383 • Denn die beiden Partner sind hier dem öffentlichen Wohl verpflichtet und können sich deshalb ohne Unterwerfungserklärung an den Sanierungsvertrag halten. b) Voraussetzungen

Eine wirksame Unterwerfungserklärung setzt gern. § 61 Abs. I Satz 2 VwVfG voraus, daß die Behörde bei dieser Erklärung von ihrem Leiter, seinem allgemeinen Vertreter oder einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes vertreten wird. Diese Unterwerfungserklärung hat schriftlich zu erfolgen384 • Die Erklärung muß ferner gern. § 61 Abs. 1 Satz 3 VwVfG von der Aufsichtsbehörde der vertragsabschließenden Behörde genehmigt werden. Diese Genehmigung dient der neutralen Überprüfung der Unterwerfungserklärung der Behörde durch eine am Vertrag nicht beteiligten Behörde385 . Umstritten ist jedoch, ob diese besonderen Voraussetzungen nach § 61 Abs. I Satz 2 und 3 VwVfG nur für die Unterwerfungserklärung der Behörde oder auch für die des Bürgers gelten386 • Nach h. M. 387 beziehen sich die Voraussetzungen des § 61 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwVfG nur auf die Unterwerfungserklärung der Behörde, nicht auf die Entgegennahme einer Unterwerfungserklärung des Bürgers. Die Vertreter dieser Auffassung sehen den Sinn dieser Voraussetzungen im Schutz der Behörde, die sich der Vollstreckung unterwirft. Sie stellen darauf ab, daß es sich bei einer Unterwerfungserklärung des Bürgers um eine einseitige Willenserklärung handele388, die der Behörde auch unabhängig von dem Vertragsschluß zugehen könne und keiner Gegenzeichnung durch einen nach dieser Vorschrift berufenen Vertreter bedürfe389 • Andere wollen dagegen unterschiedslos alle in § 61 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwVfG genannten Voraussetzungen stets anwenden390• Das BVerwG hat Vgl. Amold, VerwAreh 80 (1989), 128. Vgl. Kopp, VwVfG, § 61 Rn. 6; Ule/Laubinger, VwVfG, § 72 Rn. 21; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 61 Rn. 14; BVerwGE 98, 58 (67); a. A. Knack, VwVfG, § 61 Rn. 4; Meyer/Borgs, VwVfG, § 61 Rn. 7. Meyer hat inzwischen seine entgegenstehende Ansicht aufgegeben (vgl. ders., JZ 1996, 82). 385 Begründung zu § 57 Abs. 1 Regierungsentwurf. entspricht § 61 Abs. I VwVfG. BT-Drs. 7/910, S. 83. 386 Zur Fonnulierung der Streitfragen Maurer, Allg. VerwR, § 14 Rn. 56. 387 Vgl. Kopp, VwVfG, § 61 Rn. 7f.; Meyer/Borgs, VwVfG. § 61 Rn. 8; Meyer, JZ 1996. 79; SchmitzlWessendorf, NVwZ 1996. 962; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG. § 61 Rn. 18f., 22; differenzierend Knack, VwVfG, § 61 Rn. 5f. und Obermayer, VwVfG. § 61 Rn. 18, 28 (nur aufsichtsbehördliche Genehmigung erforderlich). 388 Berg, JuS 1997. 891; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 61 Rn. 22. 389 Meyer/Borgs, VwVfG, § 61 Rn. 8. 383 384

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auch durch Urteil vom 3. 3. 1995 391 entschieden, daß die Unterwerfung eines Bürgers unter die sofortige Vollstreckung aus einem verwaltungsrechtlichen Vertrag nur wirksam ist, wenn die Voraussetzungen des § 61 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwVfG erfüllt sind. Das BVerwG begründet seine Auffassung mit der These, daß der rechtsunkundige Bürger vor Übervorteilung schutzbedürftig sei 392 • Begründet wird die Anwendung des Satzes 2 (Vertretungserfordernis) auf die Unterwerfungserklärung des Bürgers unter anderem mit dem Argument, daß Zweck der gesetzlich gebotenen Mitwirkung besonders qualifizierter Behördenvertreter bei der Abgabe einer Unterwerfungserklärung der Schutz beider Vertragsschließenden sei. Die Behörde habe ein erhebliches Interesse an einer wirksamen Unterwerfungserklärung des Bürgers. Der Bürger müsse geschützt werden, weil er durch den Vertragsschluß die Möglichkeit verliere, die Behörde zu einer einseitig verantwortlichen gesetzmäßigen Entscheidung durch Erlaß eines Verwaltungsaktes zu veranlassen und dagegen erforderlichenfalls einen Rechtsbehelf einzulegen393 • Ebenso wird die Anwendung des Satzes 3 (Genehmigung der Aufsichtsbehörde) auf die Unterwerfungserklärung des Bürgers mit dem Argument begründet, daß die erforderliche Genehmigung der fachlich zuständigen Aufsichtsbehörde eine rechts- und sachkundige Kontrolle gewährleisten solle. Diese Genehmigungspflicht diene nach dem für die Auslegung maßgeblichen Sinnzusammenhang der in Abs. 1 des § 61 VwVfG getroffenen Regelungen auch dem beiderseitigen Schutz der Vertragsschließenden394 • Der Ausfassung des BVerwG kann jedoch mit zweifacher Begründung nicht zugestimmt werden395 : einerseits mit dem Argument, daß die strenge Voraussetzungen des § 61 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwVfG im Vergleich zu Verwaltungsakte überflüssig seien; andererseits mit dem Argument, daß das VwVfG selbst durch die formellen und materiellen Voraussetzungen für einen umfassenden Schutz des Bürgers gesorgt habe. Die Aufrechterhaltung des Vertrages ohne Vollstreckungsmöglichkeiten ist für die Behörde im konkreten Fall wertlos. Um die vertraglichen Leistungen durchzusetzen, muß die Behörde nun Leistungsklage zum Verwal390 Vgl. Kowalski, NVwZ 1992, 351 f.; Spannowsky, Grenzen des VerwaItungshandeins durch Verträge und Absprachen, S. 209f.; Ule/Laubinger, VwVfG, § 72 Rn. 22f. 391 BVerwGE 98, 58 = NJW 1996,608. 392 In diesem Sinne hat Maurer, DVBl. 1989, 803, auch gegen die Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckung im Rahmen des Vertrages kritisiert: ,,Es besteht die Gefahr, daß sich ein Bürger, der sich vorschnell auf einen Vertrag eingelassen hat, auch noch der unmittelbaren Vollstreckung ausliefert". 393 BVerwGE 98, 58 (68). 394 BVerwGE 98, 58 (76). 395 Vgl. auch die Kritik von Berg, JuS 1977, 888ff.; Meyer, JZ 1996, 78ff. 16 Song

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

tungsgericht erheben. Denn eine zwangsweise Durchsetzung vertraglicher Leistungen ist ohne zusätzlichen Titel nicht möglich. Eigentlich hat die Behörde den verwaltungsrechtlichen Vertrag anstatt des Verwaltungsaktes gewählt, weil der Bürger als unmittelbarer Betroffener damit seinen Sachverstand besser einbringen kann. Die Behörde könnte sich selbst einen vollstreckbaren Titel in Form eines Verwaltungsaktes verschaffen, ohne einer einzigen der Beschränkungen des § 61 VwVfG unterworfen zu sein. Die Wirksamkeit eines solchen Titels hängt nach dem VwVfG gerade nicht davon ab, daß ein Volljurist beteiligt wird oder sogar durch die Aufsichtsbehörde genehmigt wird396 • Diese bedarf nicht einmal der Zustimmung des Bürgers. Insoweit ist die Anwendung des § 61 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwVfG auf Unterwerfungserklärungen des Bürgers überflüssig. Wenn die Voraussetzungen des § 61 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwVfG gerade wegen der Schutzbedürftigkeit auf die Unterwerfungserklärung des Bürgers angewendet werden sollte, wäre es unverständlich, daß nicht auch Verwaltungsakte nur durch den Behördenvertreter erlassen werden können und zusätzlich der Genehmigung der Aufsichtsbehörde unterliegen397 • Darüber hinaus kann die Rechtsstellung des Bürgers durch die formellen und materiellen Voraussetzungen des VwVfG in erheblichem Umfang geschützt werden. Der Bürger kann schlicht die Unterschrift (§ 57 VwVfG) verweigern, wenn er glaubt, der Vertrag sei für ihn unzumutbar. Wie oben schon erwähne98 , muß die Behörde daneben bei der inhaltlichen Vertragsgestaltung die strengen materiellen Voraussetzungen des § 56 VwVfG beachten. Ist eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt, so ist der Vertrag gern. § 59 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG nichtig. Ein weiterer Hinweis, § 61 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwVfG auf die Unterwerfungserklärung des Bürgers nicht anzuwenden, läßt sich der Effektivität der Verwaltung entnehmen. Wäre die Unterwerfungserklärung des Bürgers genehmigungsbedürftig, müßte die handelnde Behörde in jedem Einzelfall der Unterwerfungserklärung des Bürgers ihre Aufsichtsbehörde einschalten. Dies bedeutet erheblichen Verwaltungsmehraufwand und läuft zudem den gegenwärtigen Beschleunigungsbestrebungen zuwider399• Schließlich kann in Hinblick auf Sanierungsverträge für gewisse Fälle entgegengehalten werden, daß es sich bei den Anlagenbetreiber um juristisch außerordentlich gut beratene Großunternehmen handelt, die sich nicht vorschnell einem gravierenden Nachteil ausliefern würden400 • 396

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Vgl. Berg, JuS 1997, 891. So Meyer, JZ 1996, 79. Vgl. oben § 8 III 2c), d). SchmitzlWessendoif, NVwZ 1996,962. So Bulling, DÖV 1989,278.

§ 8 Sanierungs vereinbarungen bei der bestehenden Anlage

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2. Vertragsstrafe Das Regierungspräsidium Stuttgart hat Sanierungsverträge mit Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckung abgeschlossen und in der Regel gleichzeitig eine entsprechend hohe Vertragsstrafe festgesetzt. So können sie auch bei widerstrebenden Betreiber ohne große Verzögerung durchgesetzt werden401 • Es stellt sich damit die Frage, ob und in welchem Umfang im Rahmen eines Sanierungsvertrages zur Sicherung der Sanierungsmaßnahmen eine Vertragsstrafe vereinbart werden kann. Die Frage nach der Zulässigkeit von Vertragsstrafen im verwaltungsrechtlichen Vertrag ist in Lehre 402 und Rechtsprechung403 seit Inkrafttreten des VwVfG selten erörtert worden. Begrifflich ist die Vertragsstrafe ein privatrechtliches Institut. Sie hat als solches in §§ 339ff. BGB ihre Regelung gefunden. Die Vertragsstrafe hat danach eine doppelte Zielrichtung. Sie soll einmal als Druckmittel den Schuldner zur ordnungsgemäßen Erbringung seiner versprochenen Leistung anhalten (Beugefunktion); zum anderen soll sie dem Gläubiger im Verletzungsfalle die Möglichkeit einer erleichterten Schadloshaltung ohne Einzelnachweis eröffnen (Schadensersatzpauschalierungsfunktion)404. Da § 62 Satz 2 VwVfG ergänzend auf die Vorschriften des BGB verweist, ist es unstreitig, daß damit auch auf die Vorschriften über die Vertragsstrafe verwiesen ist. Aus der Möglichkeit zur entsprechenen Anwendung der §§ 339 ff. BGB auf Sanierungsverträge ergibt sich die Erkenntnis, daß die Behörde durchaus ein Interesse daran haben kann, die Durchsetzung einer vertraglichen Pflicht (Sanierungsmaßnahmen) mit Hilfe einer Vertragsstrafe zu erleichtem405 • Wird die Vertragsstrafe wie ein Zwangsmittel für die Verwaltungsvollstreckung eingesetzt, ist der Sanierungsvertrag grundSätzlich zulässig406 • Dies gilt erst recht dann, wenn die Behörde berechtigt gewesen wäre, die 401 Vgl. Amold, VerwArch 80 (1989), 130, 136; Bulling, DÖV 1989, 281; ders., in: Verwaltungshandeln durch Verträge und Absprachen, S. 152; Volltext siehe Anhang 11, in: Hill (Hrsg.), Verwaltungshandeln durch Verträge und Absprachen, S. 204, Nr. 5.4 (50000,- DM), 206, § 6 (30000,-DM). 402 KesslerlKortmann, DVBl. 1977,690; Schilling, VerwArch 85 (1994), 226ff. 403 VGH Bad.-Württ., NVwZ 1982, 252f.; BayVGH, BayVBl. 1983, 730f.; BVerwGE 74, 78 - Studienförderungsverträge -; neuerdings BVerwGE 98,58. 404 Vgl. Schilling, VerwArch 85 (1994), 229; BGHZ 105,24 (27f.). 405 Vgl. Beyer, Der öffentlich-rechtliche Vertrag, S.173; Obermayer, VwVfG, § 62 Rn. 178ff.; Kopp, VwVfG, § 62 Rn. 6. 406 Vgl. zur grundSätzlichen Zulässigkeit von Vertragsstrafenvereinbarungen in verwaltungsrechtlichen Verträgen Berg, JuS 1997, 890; Knack, VwVfG, § 62 Rn. 3; Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshande1ns durch Verträge und Absprachen, S. 253; auch die Rechtsprechung hält Vertragsstrafenvereinbarungen für zulässig, vgl. BVerwGE 74, 78 (80ff.).

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3. Teil: VerwaItungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

durchzusetzende vertragliche Pflicht mittels eines Verwaltungsakts vorzusehen und eine Durchsetzung mit Zwangsgeld zu erzwingen407 . Darüber hinaus vertritt Meyer überzeugend die Auffassung408 , daß die Vereinbarung einer Vertragsstrafe als Gegenleistung i. S. von § 56 Abs. 1 VwVfG nur zulässig sei, wenn für ihre Verwendung ein Zweck im Vertrag vereinbart worden sei, der der Behörde zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben diene. Zugleich müsse die Höhe der Vertragsstrafe angemessen sein und ihr Verwendungszweck im sachlichen Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde stehen409 • Fehle eine der gesetzlichen Voraussetzungen, so wäre die Vereinbarung der Vertragsstrafe gern. § 59 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG nichtig.

3. Durchsetzung des Sanierungsvertrages mittels Sanierungsanordnung Es stellt sich die Frage, ob die Behörde einen Sanierungsvertrag abschließen und danach eine inhaltlich übereinstimmende nachträgliche Anordung erlassen kann, also das, was vertraglich geregelt ist, zugleich mit einem Verwaltungsakt einseitig flankieren kann. Diese Frage wird in der Literatur heute überwiegend verneint4JO • Die Behörde könne keinesfalls wieder umschalten und ihren Vertragsanspruch durch Erlaß eines Verwaltungsaktes geltend machen411 • Diese Auffassung trifft deshalb zu, weil es der prinzipiellen Gleichordnung der Vertragspartner widersprechen würde, wenn einem von ihnen doch wieder Hoheitsrechte zur Durchsetzung des Vertrages zugestanden würden. Die Behörde darf nicht im nachhinein die Waffengleichheit verletzen.

Vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1982,252. Meyer, lZ 1996, 80f. 409 Maurer, DVBI. 1989, 803 f., verlangt auch eine besondere sachliche Rechtfertigung von Vertragsstrafen. 410 So zu Recht die h. M. unter Hinweis auf die Überlegung, daß ansonsten die Waffengleichheit zwischen den Vertragsparteien nicht gewährleistet wäre. Vgl. Erichsen, VerwArch 68 (1977), 70; ders., Allg. VerwR., § 28 Rn. I; Knack, VwVfG, § 61 Rn. 2; Kopp, VwVfG, § 61 Rn. 4; Meyer/Borgs, VwVfG, § 61 Rn. 3; Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen, S. 81; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 61 Rn. 6; aus Rechtsprechung BVerwGE 50, 171 (lnf.); 59,60 (62f.); VGH München, NVwZ 1987, 814f. 411 Begründung zu § 57 Abs. I Regierungsentwurf, entspricht § 61 Abs. I VwVfG. BT-Drs. 7/910, S. 83. 407 408

§ 8 Sanierungsvereinbarungen bei der bestehenden Anlage

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VI. Abwicklung durch Anpassung und Kündigung Ist ein Sanierungsvertrag geschlossen, kann eine Änderung der Verhältnisse eintreten, die den ursprünglichen Sinn des Vertrages berührt. Zu dieser Situation regelt § 60 Abs. 1 VwVfG ausdrücklich die "clausula rebus sic stantibus". Danach kann ein Sanierungs vertrag angepaßt oder gekündigt werden, wenn die Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebend gewesen sind, sich seit Abschluß des Sanierungsvertrages so wesentlich geändert haben, daß einer Vertragspartei das Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung nicht zumuten ist. Erhält der Sanierungsvertrag dagegen Inhalte über das Fehlen, den Wegfall oder die Änderung bestimmter Umstände, so richtet sich die Anpassung zunächst nach den vertraglichen Regelungen 412 . In diesem Fall gibt es für § 60 VwVfG kein Raum. Berücksichtigt man die Tatsache, daß die Behörde Sanierungsverträge als Sanierungsinstrumente zur effektiven Lösung für die Sanierung einsetzen will, sind solche Vertragsregelungen für die Anpassung notwendig. Ohne solche Regelungen kann die Behörde die Anpassung nicht einseitig durchsetzen; sie muß gegebenenfalls die Anpassung durch Leistungsklage erzwingen413 • Insoweit kommt § 60 VwVfG subsidiär nur zur Anwendung, wenn Sanierungsverträge keine Regelungen für die Anpassung enthalten. 1. Voraussetzungen a) Wesentliche Änderungen maßgeblicher Verhältnisse

Eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse seit Abschluß des Sanierungsvertrages im Sinne des § 60 Abs. 1 VwVfG ist dann anzunehmen, wenn Änderungen eingetreten sind, mit denen die Vertragspartner bei Abschluß des Vertrages nicht gerechnet haben und die bei objektiver Betrachtung so erheblich sind, daß nicht angenommen werden kann, daß bei Kenntnis der Sanierungsvertrag mit demselben Inhalt geschlossen worden wäre414 • Die Änderungen können sowohl rechtlicher als auch tatsächlicher Art sein415 . Tatsächliche Änderungen sind beispielsweise solche des Standes 412

OVG Münster, NVwZ 1991, 1l06; BGH, NJW 1983, 2034; Knack, VwVfG,

§ 60 Rn. 3.1; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 60 Rn. 7. 413 Vgl. Kopp, VwVfG, § 60 Rn. 15; Meyer/Borgs, VwVfG, § 60 Rn. 15; Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, § 60 Rn. 6. 414 Kopp, VwVfG, § 60 Rn. 7; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 60 Rn. 14. 415 Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 60 Rn. 6.

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3. Teil: VerwaItungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

der Technik. der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse. etc .• Rechtsänderungen können auch solche der Rechtsprechung oder der Verwaltungspraxis sein416 • Bezüglich der Sanierungsverträge kommen in erster Linie wesentliche tatsächliche Änderungen der Verhältnisse in Betracht. Denkbar wäre hier etwa. daß das vereinbarte Sanierungsziel sich als nicht erreichbar herausstellt. daß sich die Emissionsminderung bezüglich Art und Ausmaß der von der Anlage ausgehenden Emission als falsch erweist. daß Sanierungsmaßnahmen im Nachhinein als untauglich anzusehen sind.

b) Zumutbarkeit Die Prüfung. ob eine Änderung der Verhältnisse das Festhalten am Sanierungsvertrag noch zumutbar bleiben läßt. oder schon unzumutbar macht. bestimmt sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben 417 gemäß § 242 BGB und hängt von den Umständen des Einzelfalles ab418 . Es ist in jedem Fall Voraussetzung. daß das Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung so stark gestört ist. daß das normalerweise von jedem Vertragsbeteiligten zu tragende Risiko weit überschritten ist. und es dem benachteiligten Partner unmöglich wird. in der betroffenen Regelung seine Interessen auch nur annähernd noch gewahrt zu sehen419 • Bei dieser Prüfung sind die Vertragspartner gleichgeordnet. Es ist also nicht zulässig. z. B. bei einer Änderung der Verhältnisse zu Lasten des Betreibers von Seiten der Behörde zu argumentieren. an der Beibehaltung des ursprünglichen Vertragsinhaltes bestehe das gleiche öffentliche Interesse. das bereits für den Abschluß des Sanierungsvertrages gesprochen habe. so daß eine Anpassung des Vertrages nicht verlangt werden könne42o• 2. Anpassung Sind die oben genannten Voraussetzungen erfüllt, so kann die entsprechende Vertragspartei eine Anpassung des Vertragsinhaltes an die geänderten Verhältnisse verlangen421 • Allerdings entsteht nach dem Wortlaut der

416 Vgl. Kopp, VwVfG, § 60 Rn. 8; MeyerlBorgs, VwVfG, § 60 Rn. 5; Stelkensl BonklSachs, VwVfG, § 60 Rn. 10. 417 BVerwGE 25, 299 (303). 418 Vgl. Knack, VwVfG, § 60 Rn. 6; Kopp, VwVfG, § 60 Rn. 9. 419 Knack, VwVfG, § 60 Rn. 6; Kopp, VwVfG, § 60 Rn. 10. 420 Vgl. Bullinger, DÖV 1977,820. 421 Zur Anwendbarkeit der zivilrechtlichen Aexibilitätsregelungen auf verwaltungsrechtliche Verträge Bauer, in: Innovation und Aexibilität des VerwaItungshandelns, S. 276ff.

§ 8 Sanierungs vereinbarungen bei der bestehenden Anlage

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Vorschrift nur ein Anspruch auf Anpassung, eine automatische Anpassung findet nicht statt422 • Sanierungsverträge im Immissionsschutzrecht sind in der Regel auf längere Dauer angelegt und umfassen komplexe Gegenstände. Die Anpassungsnotwendigkeit des nachträglichen Sanierungsbedarfs ist hier zweifellos gegeben, weil die tatsächlichen Änderungen - wie neue Erkenntnisse und technischer Fortschritt - immer immanent sind. Soweit der Sanierungsvertrag keine Inhalte für die Anpassung enthält, müssen diese Änderungen im Wege der Anpassung gern. § 60 Abs. 1 VwVfG getroffen werden. Dabei muß die Behörde allerdings den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Die Anpassung hängt damit liuS Sicht der Behörde entscheidend von der Laufzeit der Sanierungsverträge ab. Je länger der Abschluß des Vertrages zurückliegt, desto eher hat die Behörde die Möglichkeit, den Sanierungsvertrag den tatsächlichen Änderungen anzupassen423 •

3. Kündigung Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann die betroffene Vertragspartei den Sanierungsvertrag kündigen, sofern eine Anpassung nicht möglich oder einer Vertrags partei nicht zuzumuten ist. Dabei kommt eine vollständige Vertragsauflösung durch Kündigung erst in Betracht, wenn für die Parteien durch eine Abänderung des Sanierungsvertrages kein zumutbares Ergebnis zu erreichen ist424 • Nach § 60 Abs. 1 Satz 2 VwVfG kann die Behörde den Sanierungsvertrag auch kündigen, um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen42s • Ein solcher Nachteil liegt dann vor, wenn besondere, erhebliche, überragende Interessen der Allgemeinheit die Auflösung des Sanierungsvertrages gebieten426 • Da diese Regelung den Grundsatz "pacta sunt servanda" weiter einschränkt, ist sie eng auszulegen427 • Der Sanierungsvertrag bringt wegen seines einverständlichen Zustandekommens im Vergleich zu der einseitig erlassenen nachträglichen Anordnung noch eine erhöhte Verbindlichkeit und vertrauensschaffende Situation Meyer/Borgs, VwVfG, § 60 Rn. 15. Vgl. Amold, VerwArch 80 (1989), 139. 424 Slelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 60 Rn. 16. 42.5 Püllner (DVBI. 1982, 124) kritisiert daß, das Kündigungsrecht des § 60 Abs. 1 Satz 2 VwVfG mit einer dem Wesen der Vertrages entsprechenden Gleichordnung der Parteien nicht vereinbar sei. Vgl. ferner Heberlein, DVBI. 1982, 767ff. 426 Slelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 60 Rn. 20. 427 Vgl. Heberlein, DVBI. 1982,768; Meyer, NJW 1977, 1711; Zur Prüfung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Knack, VwVfG, § 60 Rn. 9; Kopp, VwVfG, § 60 Rn. 19; Meyer/Borgs, VwVfG, § 60 Rn. 19; Obermayer, VwVfG, § 60 Rn. 66. 422

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3. Teil: Verwaltungshandeln bei Sanierung bestehender Anlagen

mit sich. Bei Sanierungsverträgen kommt daher dem Tatbestand der Kündigung nur ausnahmsweise eine Bedeutung zu. Die Kündigung des Sanierungsvertrages macht für die Behörde nur dann Sinn, wenn nach Wegfall des Vertrages strengere Regelungen gelten.

VII. Zusammenfassung 1. Das BImSchG sieht als gesetzliche Sanierungsinstrumente die nachträgliche Anordnung, die Betriebsuntersagung und den Widerruf der Anlagengenehmigung vor (§§ 17,20,21 BImSehG). Trotz der bedeutenden Stellung dieser Instrumente sind Vollzugsdefizite bei der Anlagensanierung in erheblichem Umfang entstanden. 2. Es steht in der Praxis außer Streit, daß ein so komplexes und schwieriges Sanierungsproblem im Immissionsschutzrecht nicht alleine durch einseitig-hoheitliche Instrumente gelöst werden kann. Kooperative Sanierungsvereinbarungen in Form von Absprachen oder Verträgen, die bei Feststellung über die Erforderlichkeit von Sanierungsmaßnahmen an bestehenden Anlagen anstelle von nachträglichen Anordnungen getroffen werden, sind auch als Sanierungsinstrumente zulässig. 3. Sanierungsabsprachen sind in der Praxis weit verbreitet. Begründet wird dies unter anderem mit dem Argument, daß Sanierungsabsprachen der Behörde das Prozeßrisiko und damit verbundene Arbeitsbelastung ersparen würden. Man hat jedoch übersehen, daß Sanierungsabsprachen informell rechtlich unverbindlich - und damit aus der rechtsstaatlichen Sicht problematisch sind. Insbesondere erscheinen Sanierungsabsprachen in Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und den Mangel der Durchsetzungsmöglichkeit bedenklich. Daraus erwächst ein spezifischer Bedarf an formell-kooperativen Verträgen. 4. Die Möglichkeiten, die dem Sanierungsvertrag in der Praxis bieten könnte, wurde bisher leider unterschätzt. Die Untersuchung hat deswegen versucht, zu überzeugen, daß Sanierungsverträge auch geeignete Instrumente zur Lösung von Sanierungsproblemen sein können. Denn Sanierungsverträge als formell-kooperatives Verwaltungshandeln haben sowohl den rechtlichen Charakter von nachträglichen Anordnungen als auch von Absprachen. Insbesondere aus dem Aspekt der Durchsetzung von Sanierungsmaßnahmen sind Sanierungsverträge zweckmäßiger als Sanierungsabsprachen, weil die Behörde Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckung, Vertragsstrafen, Sicherheitsleistungen oder Vorbehalte für ergänzende oder weitergehende Regelungen in die Verträge aufnehmen kann. Durch Sanierungsverträge kann auch sofortige Rechtsverbindlichkeit erzielt werden.

§ 8 Sanierungsvereinbarungen bei der bestehenden Anlage

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5. Sanierungsverträge fordern auch die formellen und materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des allgemeinen verwaltungsrechtlichen Vertragsrechts. Jedoch sind die Regelungen von Schriftform und Zustimmung Dritter (§§ 57, 58 VwVfG) nicht in vollem Umfang auf Sanierungsverträge anwendbar. Denn solche Voraussetzungen sollen bei Sanierungsverträgen, in denen auf den Ersatz der nachträglichen Anordnungen verzichtet wird, gegenüber den nachträglichen Anordnungen nicht erhöht, sondern lediglich gleichermaßen sichergestellt werden. Darüber hinaus muß die Behörde bei der inhaltlichen Ausgestaltung von Sanierungsverträgen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und das Koppelungsverbot beachten. Werden diese Voraussetzungen berücksichtigt, so können Sanierungsverträge ihren großen Vorzug gegenüber den nachträglichen Anordnungen, nämlich ihre Offenheit für die vielfaltigen Forderungen und Bedürfnisse der unterschiedlichen Interessenlagen, nutzbringend entfalten. 6. Trotz der Tendenzen zu mehr Kooperation bleiben die immanenten Grenzen der Sanierungsverträge bei deren Wahl bestehen. Jede am Konsens orientierte Verhandlung läuft Gefahr, daß Behörde und Anlagenbetreiber sich letztendlich nicht einigen. Für diesem Fall bleibt es notwendig, daß die Behörde mit ihrer überlegenen Hoheitsmacht Sanierungsmaßnahmen durchsetzen muß. Hier zeigt sich die besondere Verantwortung der Behörde für den Umweltschutz.

§ 9 Schlußbetrachtung Gerade die gewaltige Aufgaben des Umweltschutzes, die auf jedem modemen, technisierten Staat lastet, zwingt dazu, sich der effektivsten Mittel zu bedienen, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Dabei darf insbesondere nicht übersehen werden, daß das Umweltrecht äußerst dynamisch, vielfältig und komplex ist, Fluktuation in Naturwissenschaft und Technik unterliegt und dadurch besonders auf Kooperation mit den fachkundigen Betreibern angewiesen sein kann. Die Kooperation im Umweltrecht ermöglicht es, den Bürger in hoheitliche Verantwortung zu integrieren, ihn teilhaben zu lassen an der Gestaltung zukunftsweisender Entscheidungen. Der Umweltschutz ist nicht allein Aufgabe des Staates, er ist zur allgegenwärtigen Pflicht von jedermann geworden. In diesem Zusammenhang ist kooperatives Verwaltungshandeln im Immissionsschutzrecht nicht nur zunehmend verbreitet, sondern seine Bedeutung wird immer mehr anerkannt. Sein Ziel ist ein vom gemeinsamen Konsens getragenes Ergebnis, also eine Vollzugserleichterung durch Konsens. Kooperatives Verwaltungshandeln führt zu problemgerechteren, effizienteren und für die Adressaten akzeptableren Lösungen. Verbreitung und Bedeutung des kooperativen Verwaltungshandelns rechtfertigen jedoch nicht, daß man deren erhebliche Risiken übersehen oder gar vernachlässigen darf. Es muß dort seine Grenzen finden, wo es zu Rechtsunsicherheit führt. Im Bereich der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung ist kooperatives Verwaltungshandeln in der Form der Vorverhandlungen verbreitet. Vorverhandlungen können hier die Anlagengenehmigung nicht ersetzen, sondern nur diese begleiten. Vorverhandlungen sind zudem - zumindest ansatzweise - auch bereits gesetzlich vorgesehen (§ 2 Abs. 2 der 9. BImSchV). Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, daß Vorverhandlungen zwischen Behörden und Vorhabenträger zwar informell, aber nicht unverbindlich sind. Mittlerweile besteht wohl Einigkeit über den Befund, daß Vorverhandlungen sinnvoll und geboten sind, andererseits die Gesetzesbindung und Drittschutz auch gefährden können. Vorverhandlungen entziehen sich hier einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfbarkeit. Darüber hinaus wird bei Dritten infolge der Intransparenz der Entscheidungsabläufe und des Ausgeschlossenseins von Vorverhandlungen der Eindruck mangelnder Vorhersehbarkeit, Bestimmtheit und Ungleichbehandlung erweckt. Hierdurch besteht die Gefahr ihres Maßbrauchs und werden Zweifel an der

§ 9 Schlußbetrachtung

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Rechtsstaatlichkeit des Verwaltungshandelns genährt. Die Untersuchung versuchte zu zeigen, daß diese Risiken für Dritte durch deren Einbeziehung bereits in das Vorverhandlungsverfahren abgebaut werden könnten. Problematisch hat sich dabei allerdings herausgestellt, daß informelle Vorverhandlungen formalisiert werden und damit dem Sinn und Zweck dieser Art der Kooperation widersprechen. Aufgrund des bestehenden Kooperationsbedarfs dürfte vielleicht die Vorverlagerung formeller Verfahrensvorschriften in die Vorverhandlungen zur weiteren Vorverlagerung informeller Kontakte führen (Vor-Vor-Verhandlungen). Wie dieses rechtsstaatliche Dilemma moderner Umweltpolitik prinzipiell aufgehoben werden kann, konnte auch in dieser Untersuchung nicht gelöst werden. Die Natur der Vorverhandlungen wird wohl auch in Zukunft dazu führen, daß diese Frage offenbleiben muß. Am Ende kann man nur feststellen, daß die Behörde die rechtsstaatliche Schicksalsaufgabe hat, die verfahrensrechtlichen Grundsätze für die Anlagengenehmigung zu beachten und Betreiberpflichten im Imrnissionsschutzrecht unverändert weiter zu überwachen. Die Informalität und Flexibilisierung darf nicht dazu führen, daß die Behörde ihre Verantwortung als Inhaber hoheitlicher Gewalt vergißt und ihre originären ordnungsrechtlichen Verpflichtungen zur Durchsetzung des Rechts vernachlässigt. Verwaltungsrechtliche Verträge können ein Brücke zwischen den Lagern schlagen, einen angemessenen Ausgleich zwischen der herkömmlichen Ordnungsgewalt des Staates und der Forderung nach Konsens und Flexibilität schaffen. Man hat sich dennoch viel zu lange mit der Diskussion der grundsätzlichen Zulässigkeit der verwaltungsrechtlichen Verträge beschäftigt, anstatt einzelne Vertragstypen herauszubilden, an denen sich spezifische Grundprobleme verwaltungsrechtlichen Vertragshandelns herauskristallisieren lassen. Gerade das Umweltverwaltungsrecht wäre ein ideales Anwendungsgebiet des Vertrages, weshalb es erstaunt, warum dieses Instrument hier relativ geringe Resonanz fand. Sanierungsverträge im Immissionsschutzrecht könnten insoweit einen neuen Typ im Spektrum der verwaltungsrechtlichen Verträge darstellen. Bei Sanierungsmaßnahmen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß der Rückgriff auf kooperative Sanierungsverträge oftmals effektiver ist und schneller zur Verwirklichung der gesetzgeberischen Zielvorgabe führt. Eine Ersetzung der ordnungsrechtlichen Sanierungsinstrumente durch Sanierungsverträge kann im Rahmen des Immissionsschutzrechts sowie innerhalb ihrer gesetzlichen Handlungsspielräume zulässig sein. Die Schicksalsaufgabe "Umweltschutz,,1 gebietet es, das volle Spektrum der Handlungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Insofern ist eine Flexibilisierung des Verwaltungshandelns im Umweltrecht nicht vermeidbar. Jedoch I

Breuer, Der Staat 20 (1981), 393.

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§ 9 Schlußbetrachtung

kann auf das Ordnungsrecht in der Luftreinhaltung nicht gänzlich verzichtet werden. Allein zum Schutz des Menschen und seiner Umwelt vor unmittelbaren Gefahren und irreversiblen Schäden ist das Ordnungsrecht in Form von Ge- und Verboten unabdingbar. Die Instrumente kooperativen Verwaltungshandelns treten dabei ergänzend neben die ordnungsrechtliche Instrumente. Die Effektivität des kooperativen Verwaltungshandelns bestimmt sich damit entscheidend nach dem richtigen Ausgleich zwischen kooperativen und einseitig-hoheitlichen Handlungsmöglichkeiten. Mit dieser Untersuchung hoffe ich, einen Beitrag zur rechtlichen Erschließung eines bisher zu Unrecht wenig in Anspruch genommenen Instruments im Umweltverwaltungsrecht leisten zu können, und dazu anzuregen, die aufgezeigten rechtlichen Spielräume zu nutzen.

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Ben