Internationalisiertes Verwaltungshandeln [1 ed.] 9783428505975, 9783428105977

Die Auswirkungen der internationalen Offenheit des Grundgesetzes auf die deutsche Verwaltungsrechtsdogmatik wurden bisla

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Internationalisiertes Verwaltungshandeln [1 ed.]
 9783428505975, 9783428105977

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C H R I S T I A N TIETJE

Internationalisiertes Verwaltungshandeln

Veröffentlichungen des Walther-Schiicking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel Herausgegeben von Jost D e l b r ü c k

und R a i n e r

Hofmann

Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht

136

Volkerrechtlicher Beirat des Instituts:

Daniel Bardonnet TUniversité de Paris I I Rudolf Bernhardt Heidelberg Lucius Caflisch Institut Universitaire de Hautes Études Internationales, Genève Antonius Eitel Münster

Fred L . Morrison University of Minnesota, Minneapolis Albrecht Randelzhofer Freie Universität Berlin Krzysztof Skubiszewski Polish Academy of Sciences, Warsaw; The Hague

Luigi Ferrari Bravo Università di Roma

Christian Tomuschat Humboldt-Universität zu Berlin

Louis Henkin Columbia University, New York

Sir Arthur Watts London

Tommy T. B. Koh Singapore John Norton Moore University of Virginia, Charlottesville

Rüdiger Wolfrum Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg

Internationalisiertes Verwaltungshandeln Von

Christian Tietje

Duncker & Humblot • Berlin

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Tietje, Christian: Internationalisiertes Verwaltungshandeln / Christian Tietje. Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität K i e l ; Bd. 136) Zugl.: Kiel, Univ., Habil.-Schr., 2000 ISBN 3-428-10597-4

Alle Rechte vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorf! GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1435-0491 ISBN 3-428-10597-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706©

Für Claudia

Vorwort Das öffentliche Recht der Bundesrepublik Deutschland ist seit einigen Jahren Herausforderungen ausgesetzt, die in ihrer kombinierten qualitativen und quantitativen Dimension weitreichend sind. Die Diskussionen z. B. zur Verwaltungsmodernisierung, zur Privatisierung und zum Einfluß des europäischen Gemeinschaftsrechts auf das innerstaatliche Verfassungs- und Verwaltungsrecht haben deutlich gemacht, wie wichtig die zeitnahe sowohl retrospektive als auch prospektive wissenschaftliche Begleitung von Rechtsentwicklungen ist, die sich mit großer Dynamik in der Praxis vollziehen. Soweit es um verfassungs- und verwaltungsrechtliche Konzepte geht, die sich auf den ersten Blick mit rein innerstaatlichen Entwicklungen befassen, ist die Aktualität wissenschaftlicher Forschung zumeist auch gegeben. Über die territorialen Grenzen der deutschen Rechtsordnung hinausgehende Rechtsentwicklungen, die ihrerseits das innerstaatliche öffentliche Recht beeinflussen, bleiben aber oftmals einige Zeit unbeachtet. So wurde zum Beispiel die verwaltungsrechtliche Bedeutung des europäischen Gemeinschaftsrechts erst in den letzten Jahren einer gründlichen wissenschaftlichen Analyse unterzogen, obwohl der maßgebliche gemeinschaftsrechtliche Rechtsrahmen schon viele Jahre existiert. Wirft man einen Blick auf Rechtsentwicklungen im internationalen System, die über das Gemeinschaftsrecht hinausgehen, muß sogar festgestellt werden, daß ihre Auswirkungen auf innerstaatliche öffentlich-rechtliche Strukturen nahezu vollständig auf eine wissenschaftliche Aufarbeitung warten. Die vorliegende Arbeit, die im Wintersemester 2000/2001 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Habilitationsschrift angenommen wurde, hat sich zum Ziel gesetzt, 50 Jahre nach der grundlegenden Entscheidung des Verfassungsgebers für eine internationale Offenheit der deutschen Rechtsordnung Strukturen des internationalisierten Verwaltungshandelns in der Bundesrepublik Deutschland aufzuzeigen. Die Arbeit soll verdeutlichen, ob und inwieweit innerstaatliches Verwaltungshandeln in internationale, über das Gemeinschaftsrecht hinausgehende Rechtsentwicklungen eingebunden ist. Dabei wurden bis Dezember 2000 veröffentlichte Schriften und sonstige Materialien berücksichtigt. Der Verfasser ist dankbar dafür, daß er in einer Zeit, in der wissenschaftsexterne politische Instanzen den Forschungsgewinn einer Habilitationsschrift zuneh-

Vorwort

8

mend in Frage stellen, die Möglichkeit hatte, eine solche Arbeit schreiben zu dürfen. Diese Dankbarkeit ist eng verbunden mit dem herzlichen Dank für die Unterstützung und Förderung, die ich durch meinen akademischen Lehrer Prof. Dr. Jost Delbrück erfahren habe. Aus persönlicher und aus wissenschaftlicher Sicht ist es mir ein besonderes Anliegen, die vielfältigen Impulse, die ich als Mitarbeiter und Assistent von Jost Delbrück erfahren habe, mit großem Dank hervorzuheben. Professor Dr. Albert von Mutius danke ich für die Erstattung des Zweitgutachtens im Habilitationsverfahren. Das Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel bot den äußeren intellektuellen Rahmen und die technische Infrastruktur, die während der Entstehung einer umfangreichen Arbeit von zentraler Bedeutung sind. Dem gesamten Institut ist hierfür sehr zu danken. Anstatt diesen Dank zu personifizieren, sei versichert, daß die Arbeit in der Forschungstradition des Instituts, die alle Institutsangehörigen bislang erfahren und mitgeprägt haben, geschrieben wurde. Für die Erstellung der Druckvorlage danke ich Frau Rotraut Wolf. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat die Drucklegung der Arbeit finanziell unterstützt. Hierfür bin ich dankbar. Ein besonders herzlicher Dank gilt schließlich Frau Dr. Claudia Nerius. Ohne ihren Zuspruch und ihre Unterstützung hätte die Arbeit nicht in einem eher eng bemessenen Zeitrahmen entstehen können. Ihr ist die Arbeit gewidmet. Kiel/Halle (Saale), im Juni 2001

Christian Tietje

Inhaltsverzeichnis Einleitung

21

Teil 1 Ansätze und Entwicklung eines Konzeptes des internationalisierten Verwaltungshandelns im öffentlichen Recht

29

A. Die Zeit des Absolutismus in der Folge des Westfälischen Friedens

30

B. Natur- und Vernunftrecht, gemäßigter Absolutismus sowie fortschreitende völkerrechtliche Verflechtung der Staaten

34

C. Aufkommender Konstitutionalismus

42

D. Die Etablierung der internationalisierten Verwaltungsrechtswissenschaft im Konstitutionalismus bei Robert von Mohl und Lorenz von Stein I. Robert von Mohl II. Lorenz von Stein 1. Grundlagen der staatswissenschaftlichen Gedanken von Steins 2. Die dogmatischen Grundlegungen des internationalen Verwaltungsrechts 3. Das internationale Verwaltungsrecht 4. Ausblick

50 50 56 57 61 63 66

E. Rezeption der Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht I. Friedrich von Martens II. Johann Caspar Bluntschli III. Georg Jellinek IV. Weitere Autoren am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts 1. Verwaltungswissenschaftliches Schrifttum 2. Völkerrechtliches Schrifttum V. Zusammenfassung

67 67 70 71 75 75 79 84

F. Die Absage an das bislang bekannte internationale Verwaltungsrecht im Rahmen der »juristischen Methode44 im öffentlichen Recht I. Allgemein zum Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus und zu den Auswirkungen auf die bisherige Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht II. Die Rezeption des Methodenwandels in der Lehre Triepels III. Internationales Verwaltungsrecht in Analogie zum internationalen Privatrecht in der Nachfolge des Triepelschen Dualismus

86

86 90 94

nsverzeichnis

10

IV. Die Unterscheidung von internationalem Verwaltungsrecht und völkerrechtlicher Verwaltung bei den Vertretern des Monismus 98 V. Die Herausbildung der eigenständigen Lehre von der „auswärtigen Verwaltung44 102 VI. Zusammenfassung 103 G. Ansätze zu einer inhaltlichen Betrachtung des internationalisierten Verwaltungshandelns in der Staats- und Völkerrechtslehre der Bundesrepublik I. Internationales Wirtschaftsrecht (Georg Erler) II. Internationale Verwaltung im umfassenden Sinne (Hartwig Bülck, Eberhard Menzel, Jost Delbrück) III. Internationale Verwaltungslehre (Rechts- und Politikwissenschaft) H. Zusammenfassung und Ausblick

105 105 107 111 113

Teil 2 Entwicklung und gegenwärtiger Stand der internationalen Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

116

A. Zweiseitige und mehrseitige Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten außerhalb von Verwaltungsunionen: Von frühen Ansätzen bis zum Ende der Weimarer Republik 119 B. Die historische Entwicklung und das gegenwärtige theoretische Konzept der institutionalisierten Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten 124 I. Vom Wiener Kongreß bis zum 1. Weltkrieg 124 II. Die Zwischenkriegszeit und die Rolle des Völkerbundes 130 III. Das Konzept funktionaler Dezentralisation und Dekonzentration im UNSystem 136 C. Die Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in das internationale System der technisch-administrativen Aufgabenwahrnehmung (Überblick) 149 D. Zusammenfassung

150

Teil 3 Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze: Vom Funktionalismus zur „global governance"

152

A. Die grundlegenden Theorien der Internationalen Beziehungen und ihre Bedeutung für die Erfassung internationaler Verwaltungsbeziehungen 153 I. Realismus 153 II. Föderalismustheorie 154 III. Funktionalismus 155 B. Konkretere Theorien zu umfassenderen internationalen Kooperationsbeziehungen

159

nsverzeichnis I.

Interdependenztheorie und „transgouvernementale" Beziehungen

II. Regimetheorie

159 161

III. „Bürokratische Regime4'

163

IV. Global Governance

164

Teil 4 Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung als eigenverantwortlicher und eigenständiger internationaler Akteur: Grundlegung A. Materielle und formelle Grundlagen des internationalisierten Verwaltungshandelns I. Die „Entterritorialisierung des Verwaltungsrechts" II. Internationalisiertes Verwaltungshandeln und „auswärtige Gewalt" 1. Der verfassungsrechtliche Begriff „auswärtige Gewalt44 2. Internationalisiertes Verwaltungshandeln und Regierungsverantwortung in auswärtigen Angelegenheiten 3. Zusammenfassung B. Die internationale technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe I. Die Bedeutung und inhaltliche Erfassung der Verwaltung im Staatsgefüge . . II. Die Konkretisierung der materiellen Verwaltungsfunktion durch einzelne Verwaltungsaufgaben 1. Staatszielbestimmungen und Staats- sowie Verwaltungsaufgaben: Grundlagen und Begriffsbestimmungen 2. Die normtheoretische Einordnung von Staatszielbestimmungen und hieraus folgenden Verwaltungsaufgaben III. Die Internationalisierung von Staatszielbestimmungen und Staats- sowie Verwaltungsaufgaben 1. Normativ begründete Verwaltungsaufgaben auf der Grundlage der internationalen Kooperationsverpflichtung a) Die internationale Kooperationsoffenheit der Verfassungsordnung als Ausgangspunkt b) Staatszielbestimmung „internationale Zusammenarbeit 44 c) Die völkerrechtliche Kooperationspflicht und ihre Übernahme in die Verfassungsrechtsordnung gemäß Art. 25 Abs. 1 GG aa) Verfassungsrang der durch Art. 25 GG übernommenen Völkerrechtssätze bb) Rechtsprinzipien im Völkerrecht cc) Die völkerrechtliche Kooperationspflicht als Rechtsprinzip 2. Die „Notwendigkeit 44 zur internationalen Kooperation als Verwaltungsaufgabendeterminante außerhalb der Staatszielbestimmung „internationale Zusammenarbeit 44? IV. Internationale Kooperation als Staats- und potentielle Verwaltungsaufgabe . .

171 172 174 182 182 188 198 199 199 203 205 208 210 211 211 213 217 217 220 223

232 235

nsverzeichnis

12 C. Zusammenfassung

237

Teil 5 Völkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien im internationalisierten Verwaltungshandeln A. Die Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien im Bereich von Rechtssetzung und Rechts Verwirklichung I. Rechtssetzung 1. Einführende Aspekte (Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut) 2. Tendenzen zur Anerkennung des Völkergewohnheitsrechts als „universal international law" 3. Dynamische internationale Vertragsregime 4. „Soft Law" II. Rechtsverwirklichung 1. Probleme klassisch konfrontativ-repressiver Rechtsdurchsetzung 2. Sicherstellung von Transparenz als Kooperationsbedingung 3. Ökonomische Steuerungsmodelle und Unterstützung zur Erlangung von Kooperationsfähigkeit B. Internationale Verwaltungskooperation als Steuerungspotential

239

241 241 241 243 245 255 264 265 270 274 278

Teil 6 Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht (Mensch, Tier und Pflanzen) . I. Begrifflichkeit II. Grundstrukturen des nationalen GesundheitsVerwaltungsrechts III. Internationales Gesundheitsverwaltungsrecht 1. Allgemeine menschliche Gesundheit (WHO) 2. Gesundheitsschutz und Land-, Forst- sowie Fischereiwirtschaft (FAO) . . 3. Kooperation von FAO und WHO in Lebensmittelfragen (Codex Alimentarius) 4. Gesundheitsbezogene Aspekte des Pflanzenschutzes 5. Gesundheitsschutz und Tiergesundheit (Internationales Tierseuchenamt) . 6. Gesundheitsschutz und Chemikalienkontrolle 7. Internationale Drogenkontrolle 8. Zusammenfassung: Strukturmerkmale des internationalen Gesundheitsverwaltungsrechts IV. Internationalisiertes Verwaltungshandeln im deutschen Gesundheitsverwaltungsrecht 1. Internationale Verwaltungskooperation 2. Materiellrechtliche Internationalisierungserscheinungen

288 293 293 294 301 301 307 309 313 316 318 320 325 326 326 330

nsverzeichnis a) Verordnungsgebung b) Verweisungen c) Mittelbare internationalisierte Rechtswirkungen 3. Zusammenfassung

330 332 336 347

B. Internationalisiertes Umweltverwaltungsrecht I. Begrifflichkeit und Grundstrukturen des nationalen Umweltrechts II. Grundstrukturen des Umwelt Völkerrechts 1. Entwicklungslinien: Souveränitätsschutz und Schutz globaler Umweltgüter 2. Prinzipien des Umweltvölkerrechts III. Internationales Umweltverwaltungsrecht 1. Internationaler Wasserumweltschutz a) Mariner Umweltschutz aa) Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen bb) Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantik (OSPAR-Übereinkommen) cc) Übereinkommen von 1992 über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebietes (Helsinki-Übereinkommen) b) Schutz der Umwelt von internationalen und internationalisierten Flüssen 2. Luft-und Klimaschutz a) Übereinkommen über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung b) Globaler Klimaschutz 3. Vitaler Umweltschutz 4. Aspekte eines internationalisierten integrierten Umweltschutzes 5. Zusammenfassung: Strukturmerkmale des internationalen Umweltverwaltungsrechts IV. Internationalisiertes Verwaltungshandeln im deutschen Umweltverwaltungsrecht 1. Internationale Verwaltungskooperation 2. Materiellrechtliche Internationalisierungserscheinungen a) Verordnungsgebung b) Verweisungen und sonstige internationalisierende Rechtswirkungen . . 3. Zusammenfassung

349 349 356 356 360 367 368 368 369

C. Internationalisiertes Kommunikations- und Transportverwaltungsrecht I. Begrifflichkeit und Grundstrukturen des nationalen Kommunikations- und Transportrechts 1. Telekommunikation und Postwesen 2. Luft-und Schiffsverkehr II. Internationales Kommunikations- und Transportverwaltungsrecht 1. Internationales Telekommunikationsrecht a) Internationale Telekommunikations-Union (ITU) b) WTO-Rechtsordnung c) Europäische Konferenz der Verwaltungen für Post und Telekommunikation (CEPT)

424

375 382 385 392 393 398 404 409 413 415 415 418 418 420 422

425 425 429 434 434 434 443 447

14

nsverzeichnis 2. Internationales Postrecht 3. Internationales Luftverkehrsrecht 4. Internationales Schiffsverkehrsrecht III. Internationalisiertes Verwaltungshandeln im deutschen Kommunikations- und Transportverwaltungsrecht 1. Internationale Verwaltungskooperation a) Kommunikationsverwaltungsrecht b) Transportverwaltungsrecht 2. Materiellrechtliche Internationalisierungserscheinungen a) Verordnungsgebung und schlichte Bekanntmachung internationaler Standards b) Verweisungen und sonstige internationalisierende Rechts Wirkungen . . aa) Kommunikationsverwaltungsrecht bb) Transportverwaltungsrecht IV. Zusammfassung

449 455 461 467 467 467 470 472 472 478 479 482 485

Teil 7 Die Einbindung des internationalisierten Verwaltungshandelns in die rechtsstaatliche Ordnung A. Internationalisiertes Verwaltungshandeln in der Kompetenzordnung des Grundgesetzes I. Verbandskompetenzen 1. Grundsätze zur Verwaltungskompetenz der Länder im Verhältnis von Art. 30 GG und Art. 32 GG 2. Die Vertragsschlußkompetenz des Bundes im Verhältnis zu Länderkompetenzen 3. Art. 24 Abs. 1 GG II. Organkompetenzen im Bund: Art. 59 Abs. 2 GG 1. Einleitende Überlegungen zur Funktion des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG . . . 2. Wesentlichkeitstheorie und Parlamentsvorbehalt 3. Rationalität und Effektivität/Effizienz als verwaltungsaufgabenkonkretisierende Aspekte im Rahmen von Art. 59 Abs. 2 GG a) Von der klassischen Gewaltenteilung zur Funktionsgerechtigkeit b) Rationalität und Effektivität/Effizienz als Elemente funktionsgerechter Legitimität aa) Legitimität und Rationalität bb) Effektivität und Effizienz als Merkmale praktischer Rationalität.. cc) Folgerung für die verfassungsrechtliche Funktionenabgrenzung . . c) Zusammenfassung 4. Die Verwaltung zwischen Eigenständigkeit und Gesetzesabhängigkeit im Rahmen von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 GG 5. Die internationalisierte Verordnungsgebung als besondere Ausdrucksform des internationalisierten Verwaltungshandelns

488

488 489 489 498 503 510 511 513 521 523 526 526 530 538 540 541 547

nsverzeichnis a) Zulässigkeit der Delegation zum Abschluß und zur Änderung völkerrechtlicher Verträge 548 b) Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Verordnungsermächtigung 554 c) Zusammenfassung und Ausblick 564 B. Das internationalisierte Verwaltungshandeln in der Diskussion über das Verhältnis von innerstaatlichem öffentlichem Recht und internationalem Recht 565 I.

Einleitende Überlegungen und grundlegende verfassungsrechtliche Vorgaben 565

II. Die Relativierung dualistischer und monistischer Theorien durch Übernahme des Völkerrechts in das EG-Recht 568 1. Stellung und Bedeutung des Völkervertragsrechts in der Gemeinschaftsrechtsordnung 569 2. Internationale Organisationen und Vertragsorgane

572

3. Die gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zur völkerrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts 577 4. Gemischte Abkommen als Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung . 580 5. Internationalisiertes nationales Verwaltungshandeln als Konsequenz der „Integrationskompetenz" der Gemeinschaft 583 III. Die Einbindung internationaler verwaltungsrechtlicher Regelwerke in die deutsche Rechtsordnung 1. Einleitende Gesichtspunkte 2. Die materiellrechtliche Bindung der Verwaltung an verbindliche internationalrechtliche Verwaltungsregelungen a) Grundlagen b) Verwaltungsrechtliche Beurteilungs- bzw. Ermessenserwägungen und verbindliches Völkerrecht c) Verwaltungsrechtliche Bedeutung von unmittelbar anwendbaren Völkerrechtsnormen d) Kollisionen von nationalem Recht und Völkerrecht 3. Der Verweis auf verbindliche und unverbindliche internationale Regelwerke als verfassungsrechtliches Phänomen und Problem a) Einleitende Überlegungen b) Bewertung anhand des Demokratieprinzips c) Bewertung anhand des Rechtsstaatsprinzips 4. Die Bedeutung unverbindlicher internationaler Empfehlungen für das deutsche Verwaltungshandeln

585 585 591 591 594 597 598 599 599 603 616 621

a) „Parallele" legislative und exekutive Verwaltungsrechtssetzung b) Verwaltungsvorschriften c) Informales internationalisiertes Verwaltungshandeln

622 624 626

d) Einwirkungen auf Beurteilungs- und Ermessensentscheidungen

632

IV. Zusammenfassung und Ausblick: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im System von nationalem und internationalem Recht als funktional verbundene Einheit 640 C. Internationalisiertes Verwaltungsorganisationsrecht und Fragen der Verwaltungslegitimation 644

nsverzeichnis

16

I. Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Grundlagen II. Legitimatorische Probleme der nationalen Verwaltungsorganisation im Bereich des internationalisierten Verwaltungshandelns 1. Der „Auswärtige Dienst" als bundeseigene Verwaltung (Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG): Idee und Wirklichkeit der Verwaltungsorganisation in internationalisierten Sachbereichen 2. Die Erweiterung des Kreises der Steuerungsinstrumentarien im internationalisierten Verwaltungshandeln als Organisations- und Legitimitätsproblem

646 649

649 657

Schlußbetrachtung

662

Zusammenfassung

667

Anhang

683

I.

Daten zur Entwicklung der institutionalisierten internationalen Zusammenarbeit 685 II. Daten zur im BGBl, veröffentlichten Vertragspraxis der Bundesrepublik Deutschland 686

Schrifttum

693

Personen- und Sachwortverzeichnis

749

Abkürzungsverzeichnis 4

ACABQ

Advisory Committee on Administrative and Budgetary Questions

AIDI

Annuaire de 1'Institut de droit international

AJIL

American Journal of International Law

ARSP

Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie

AVR

Archiv des Völkerrechts

BBA

Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft

BDGVR

Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht

BfArM

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

BgVV

Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin

BSH

Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie

BtMAHV

Betäubungsmittel-Außenhandelsverordnung

BtMG

Betäubungsmittelgesetz

CanYIL

Canadian Yearbook of International Law

CCPR

Codex Alimentarius Komitee für Pflanzenschutzmittelrückstände

CEN

Comité Européen de Normalisation

CENELEC

Comité Européen de Normalisation - Electrotechnique

CEPT

Europäische Konferenz der Verwaltungen für Post und Telekom-

CITES

Convention on International Trade in Endangered Species of

munikation Wild Fauna und Flora CMLRev.

Common Market Law Review

CND

EA

Commission on Narcotic Drugs Übereinkommen über die Internationalen Regeln zur Verhütung von Zusammenstößen auf See Europa-Archiv

ECAC

European Civil Aviation Conference

ECE

Economic Commission for Europe

ECOSOC

Economic and Social Council

ECTRA

Europäischer Ausschuß für Regulierungsangelegenheiten Telekommunikation der CEPT

COLREG

* Alle nicht aufgeführten oder nicht im Text erläuterten Abkürzungen entsprechen Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Auflage, Berlin/New York 1993.

Abkürzungsverzeichnis

18 EJIL

European Journal of International Law

EPIL

Encyclopedia of Public International Law

ETSI

European Telecommunications Standards Institute

EuR

Europarecht

EUROCONTROL

Europäische Organisation für Flugsicherung

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

FAO

Food and Agriculture Organization of the United Nations

GAD

Gesetz über den Auswärtigen Dienst

GATS

General Agreement on Trade in Services

GÜG

Grundstoffüberwachungsgesetz

GYIL

German Yearbook of International Law

HdbStR

Handbuch des Staatsrechts

HRG

Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte

IALA

International Association of Lighthouse Authorities

IBRD

International Bank for Reconstruction and Development

ICAO

International Civil Aviation Organization

ICJ

International Court of Justice

ICLQ

International and Comparative Law Quaterly

IEC

International Electrotechnical Commission

IGH

Internationaler Gerichtshof

ILC

International Law Commission

ILM

International Legal Materials

ILO

International Labour Organization

ILR

International Law Reports

IMCO

Inter-Governmental Maritime Consultative Organization

IMF

International Monetary Fund

IMO

International Maritime Organization

INCB

International Narcotics Control Board

INEF

Institut für Entwicklung und Frieden (Duisburg)

INNs

International Nonproprietary Names for Pharmaceutical Sub-

ISO

International Organization for Standardization

stances ITU

International Telecommunication Union

IWF

Internationaler Währungsfonds

JAA

Joint Aviation Authorities

JIEL

Journal of International Economic Law

JIR

Jahrbuch für Internationales Recht

KSZE

Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (jetzt: Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE)

LuftBO

Betriebsordnung für Luftfahrtgerät

Abkürzungsverzeichnis MARPOL

Internationales Übereinkommen zur Verhütung der Meeresver-

NELS

Northwest European Loran C-System

schmutzung durch Schiffe NYIL

Netherlands Yearbook of International Law

OECD

Organization for Economic Co-operation and Development

PVS

Politische Vierteljahresschrift

RabelsZ

Rabeis Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht

RdC

Recueil des Cours

RegTP

Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post

RIAA

Reports of International Arbitral Awards

RIW

Recht der Internationalen Wirtschaft

RTCM

Radio Commission for Maritime Services

SchSG

Schiffssicherheitsgesetz

SchSV

Schiffssicherheitsverordnung

SeeFSichV

Verordnung über die Sicherung der Seefahrt

SOLAS

Internationales Übereinkommen zum Schutze des menschlichen Lebens auf See

SPS

Sanitary and Phytosanitary Measures

SRÜ

Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen

StIGH SZIER

Ständiger Internationaler Gerichtshof Schweizerische Zeitschrift für Internationales und Europäisches Recht

TBT

Technical Barriers to Trade

TRIPS

Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights

UGB-KomE

Umweltgesetzbuch - Kommissionsentwurf

UNCITRAL

United Nations Commission on International Trade Law

UNCTAD

United Nations Conference on Trade and Development

UNDP

United Nations Development Programme

UNEP

United Nations Environment Programme

UNHCR

United Nations High Commissioner for Refugees

UNICEF

United Nations International Children's Emergency (1946-1953), jetzt: United Nations Children' Fund

UNRRA

United Nations Relief and Rehabilitations Administration

UNTS

United Nations Treaty Series

UNU

United Nations University

UPU

Universal Postal Union

WFC

World Food Council

WFP

World Food Programme

WHF

World Heritage Fund

WHO

World Health Organization

Fund

20

Abkürzungs verzeichni s

WIPO

World Intellectual Property Organization

WTO

World Trade Organization

WVK

Wiener Vertragsrechtskonvention

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

ZEuS

Zeitschrift für Europarechtliche Studien

ZfP

Zeitschrift für Politik

ZgStW

Zeitschrift für die gesamten Staatswissenschaften

ZLR

Zeitschrift für Lebensmittelrecht

Einleitung

Der 50. Jahrestag des Inkrafttretens des Grundgesetzes bot der Rechtswissenschaft die Gelegenheit einer umfassenden Würdigung der rechtsstaatlichen Errungenschaften, die mit der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland verbunden sind. Die internationale Offenheit der deutschen Verfassungsordnung war ein Aspekt, der dabei nahezu durchgängig betont wurde. Sie wird aus historischer Perspektive als wesentliches Merkmal der friedlichen Eingliederung der Bundesrepublik in die internationale Staatengemeinschaft gewertet. Zugleich wird, trotz gewisser Differenzen im Detail, in der Verfassungsentscheidung für die internationale Zusammenarbeit1 die maßgebliche normative Grundlage dafür gesehen, die aktuellen Entwicklungen einer fortschreitenden internationalen Interdependenz,2 die sich als Herausforderung an den und Chance für den Verfassungsstaat darstellen, rechtlich bewältigen zu können.3 Ihre staatstheoretische Fundierung erfahren die damit angedeuteten wechselseitigen Beziehungen zwischen der nationalen Verfassungsordnung und der Rechtsordnung des internationalen Systems4 durch die Ergebnisse der wissenschaftlichen Durchdringung des Wandels des Staatsbegriffes im Kontext der internationalen Kooperation. 5 Die verfassungsrechtlichen und die staatstheoretischen Gesichtspunkte der internationalen Kooperationsoffenheit des Grundgesetzes betreffen jedoch nur einen prinzipiellen Aspekt der Einbindung des Staates in das internationale System. Wie auch sonst im öffentlichen Recht, haben verfassungsrechtliche Entwicklungen in der Regel auch immer einen Einfluß auf den Bereich staatlichen 1

Grundlegend K. Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, passim. 2

Zum Begriff statt vieler Zemanek, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. II, 1021 ff.

3

Zu Abhandlungen anläßlich des 50. Jahrestages des Inkrafttretens des Grundgesetzes, die auf die genannten Aspekte der internationalen Offenheit eingehen, siehe z. B. Dreier, DVB1. 1999, 667 (674 ff.); Hoffmann-Riem, DVB1. 1999, 657 (659 f.); Kirchhof, DVB1. 1999, 637 (646 ff.); Delbrück, in: Alexy/Laux (Hrsg.), 50 Jahre Grundgesetz, 65 ff. 4 Zum Begriff und zur inhaltlichen Bedeutung des Begriffes „internationales System" siehe Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 2 ff. 5

Umfassend hierzu Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, passim.

Einleitung

22

Handelns, der sich als tägliche Konkretisierung verfassungsprinzipieller Vorgaben darstellt: das Verwaltungsrecht. 6 Schon diese recht einfache Überlegung müßte eigentlich erwarten lassen, daß sich in der deutschen Staats- und V e r w a l tungsrechtswissenschaft auch Untersuchungen dazu finden, welche A u s w i r k u n gen die internationale Kooperationsoffenheit der deutschen Verfassungsrechtsordnung auf die innerstaatliche öffentliche V e r w a l t u n g hat. O b w o h l v o n verschiedener Seite gerade i n den letzten Jahren darauf hingewiesen wurde, daß auch die Verwaltungsrechtswissenschaft international ausgerichtet sein muß, 7 gibt es hierzu aus jüngerer Zeit indes keine tiefergehenden Analysen. 8 Neben vereinzelt gebliebenen Abhandlungen, die sich zumindest i m Ansatz damit befassen, welche A u s w i r k u n g e n internationale Rechtsentwicklungen auf das innerstaatliche Verwaltungshandeln haben, 9 bewegt die deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft, soweit es u m grenzüberschreitende Verwaltungsstrukturen geht, i n weiten Bereichen nur, welche Bedeutung insoweit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht zukommt.

6

Zu dieser Thematik klassisch F. Werner , DVB1. 1959, 527 ff.

7

Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 1 Rdnr. 23: „Verwaltungsrecht muß international angelegt sein. Es darf sich nicht auf die Systematisierung und Problematisierung der nationalen oder regionalen Verwaltungsordnungen beschränken. Es muß die Verwaltungswirklichkeit einbeziehen, die an staatlichen Verwaltungsgrenzen nicht Halt macht.... Das Verwaltungsrecht hat... grenznachbarliche, interkommunale und interregionale, übernationale, zwischenstaatliche sowie ausländische Bezüge ... zu berücksichtigen ..."; Siedentopf, in: König/Siedentopf (Hrsg.), Öffentliche Vewaltung in Deutschland, 711 ff.; Trute, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 9 (21 ff.); Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 46 f.; ders., in: Badura/Scholz (Hrsg.), FS Lerche, 513 (520); Püttner, Verwaltungslehre, 65: „Für die Zukunft dürfte aber die Erfassung sowohl der übernationalen Verwaltungsaufgaben als auch die Formen ihrer Erfüllung einschließlich der Verwaltung durch internationale Organisationen ein nicht mehr übergehbares Thema bilden"; Schmidt, VerwArch 91 (2000), 149 (163 f.). 8

Zu dem in diese Richtung gehenden Forschungsdefizit nachdrücklich auch Bernhardt, Diskussionsbeitrag, in: Geiger (Hrsg.), Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 27: „Im Zivilrecht, im Strafrecht, auch im Verwaltungsrecht gibt es vielfältige internationale Kooperationen und Absprachen (z. B. zur zwischenstaatlichen Rechtshilfe), die oft etwas außerhalb unseres Blickfeldes bleiben. Das gilt auch für Regelungen in Regierungsabkommen, die ohne Beteiligung des Parlaments geschlossen werden. Ich haben den Eindruck, daß diese Dinge wissenschaftlich noch nicht angemessen erforscht und verarbeitet sind. Das liegt sicherlich auch an den spärlichen Informationen und den oft nicht ohne weiteres zugänglichen Quellen und Dokumenten. Aber derartige Einwirkungen auf die innerstaatliche Ordnung bedürfen meines Erachtens verstärkter Beachtung und Untersuchung". 9 Siehe insbesondere Menzel, DÖV 1969, 1 ff.; Delbrück, in: Jeserich/Pohl/von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. V, 386 ff.

Einleitung

Die gemeinschaftsrechtlichen Einflüsse auf das nationale Verwaltungsrecht wurden bereits umfassend monographisch aufgearbeitet. 10 Für die vorliegende Untersuchung ist der beachtliche wissenschaftliche Ertrag dieser Arbeiten aber nur von begrenzter Relevanz. Als rechtsdogmatische Grundlage des gesamten Verwaltungsrechts unter europäischem Einfluß stellt sich nämlich der besondere, mit anderen internationalen Entwicklungen nicht vergleichbare Charakter des Gemeinschaftsrechts als Rechtsordnung eigener Art dar. Der Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht ist dabei das maßgebliche Merkmal des Gemeinschaftsrechts. 11 Hierdurch kommt dem Gemeinschaftsrecht, wie auch Art. 23 Abs. 1 GG zeigt, eine normhierarchisch manifestierte Rolle zu, die gleichsam in Ergänzung zum nationalen Verfassungsrecht der Konkretisierung durch das Verwaltungsrecht bedarf. Soweit es um internationale Aspekte der öffentlichen Verwaltung geht, die über das Gemeinschaftsrecht hinausgehen, stellt sich die Situation grundlegend anders dar. Im Gegensatz zum supranationalen Recht der EG 1 2 ist das internationale Recht in seiner Beziehung zur nationalen Rechtsordnung grundsätzlich nicht mit einem Anwendungsvorrang versehen.13 Unabhängig von der noch näher zu erörternden Frage danach, wie sich das Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht dogmatisch umschreiben läßt, muß daher jede rechts wissenschaftliche Untersuchung, der es um die Erfassung und Erklärung internationaler Einflüsse auf die nationale öffentliche Verwaltung geht, von ganz anderen Erkenntnissen ausgehen, als dies im Lichte des Gemeinschaftsrechts der Fall ist. Die von der Supranationalität zu trennende Internationalität der anstehenden Rechtsfragen ist zugleich auch der Grund dafür, warum den internationalen Ein10 Siehe insbesondere von Danwitz , Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration; Brenner , Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß; Hatje, Die gemeinschaftsrechtliche Steuerung der Wirtschaftsverwaltung. 11 St. Rspr., siehe z. B. EuGH, Gutachten 1/91, Slg. 1991,1-6079/Tz. 21: „Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes haben die Gemeinschaftsverträge eine neue Rechtsordnung geschaffen, zu deren Gunsten die Staaten in immer weiteren Bereichen ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben und deren Rechtssubjekte nicht nur deren Mitgliedstaaten, sondern auch deren Bürger sind. ... Die wesentlichen Merkmale der so verfaßten Rechtsordnung der Gemeinschaft sind ihr Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten und ihre unmittelbare Wirkung zahlreicher, für ihre Staatsangehörigen und für sie selbst geltenden Bestimmungen". 12

Zum Begriff der Supranationalität des EG-Rechts statt vieler Streinz, Europarecht, Rdnr. 115 ff. 13 Zu hier nicht weiter interessierenden Ausnahmen für das völkerrechtliche ius cogens siehe Hobe/Tietje, AVR 32 (1994), 130 ff.

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24

flíissen auf das deutsche Verwaltungshandeln bislang so wenig rechtswissenschaftliche Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Obwohl es zwischenzeitlich aus anderen Wissenschaftsdiziplinen umfangreiche empirische und theoretische Untersuchungen zur grenzüberschreitenden deutschen Verwaltungspraxis gibt, 14 scheint in der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft zum Teil das klassische, heute aber in Frage zu stellende Verständnis vorzuherrschen, daß alle Rechtsmaterien, die über das Gemeinschaftsrecht hinausgehen, dem Völkerrecht zuzurechnen seien und es sich hierbei ausschließlich um ein politisches Recht zur Koordination etatistischer Partikularinteressen handele.15 So entsteht zumindest auf den ersten Blick der Eindruck, daß, von vereinzelten Ausnahmen einmal abgesehen, die Verwaltungsrechtswissenschaft auch im Zeichen einer unübersehbaren internationalen Verflechtung des Staates noch nicht den Zustand überwunden hat, den Michael Stolleis auf das Ende des 19. und den Anfang des 20. Jahrhunderts bezogen als ingesamt in der Rechtswissenschaft festzustellenden Übergang vom Internationalismus zum Nationalismus beschrieben hat. 16 Aber auch die Völkerrechtslehre hat bislang wenig dazu beigetragen, die internationale Verflechtung des Staates in ihrer verwaltungsrechtlichen Dimension zu erfassen. 17 Anders als scheinbar in Teilen der Staatsrechtslehre wurde zwar in weiten Bereichen der Völkerrechtswissenschaft die Vorstellung aufgegeben, daß das Völkerrecht nur der Koordination staatlicher Interessensphären diene.18 Indes beschränken sich völkerrechtliche Untersuchungen weiterhin oftmals darauf, pathologische Situationen im internationalen System einer Betrachtung zu unterziehen. Die Normalität der internationalen Interdependenz, die heute qualitativ und quanti-

14

Aus jüngerer Zeit insbesondere Wessels , Die Öffnung des Staates, passim.

15

Hartwig Bülck hat bereits im Jahre 1968 daraufhingewiesen, daß Staatsrechtler, „zumal wenn sie dem Verwaltungsrecht durch Lehre und Forschung verbunden sind", in der Regel nicht das Recht der zwischenstaatlichen Organisationen betrachten, „weil ihnen die eigenständigen Koordinations-Kategorien des Völkerrechts ferner liegen", in: Der Staat 7 (1968), 207 (213). 16 Stolleis , Der lange Abschied vom 19. Jahrhundert, 10 ff.; ders., Nationalität und Internationalst: Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht des 19. Jahrhunderts, 23 ff.; ders., Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 41 f. 17

Ausnahmen bilden insbesondere Delbrück, in: Jeserich/Pohl/von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. V, 386 ff.; Menzel, DÖV 1969, 1 ff. 18 Grundlegend hierzu Friedmann, The Changing Structure of International Law, 60 ff.; hierzu statt vieler Wolfrum, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. II, 1242 ff.; Dicke, ZG 1988, 193 (219 ff.); ders., Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 324 ff.; Delbrück, in: Bartosch/Wagner (Hrsg.), Weltinnenpolitik - Internationale Tagung anläßlich des 85. Geburtstags von Carl-Friedrich von Weizsäcker, 55 ff.

Einleitung

tativ das internationale System bestimmt,19 erfährt auf diese Weise nur wenig Beachtung. Da es aber gerade die Normalität der Erledigung der alltäglich anfallenden Sachaufgaben ist, die das Verwaltungshandeln kennzeichnet,20 bleibt so der Blick für die internationalen Einflüsse auf das nationale Verwaltungshandeln versperrt. Es ist das Ziel dieser Untersuchung, darzulegen, ob und inwieweit sich rechtliche Strukturen eines internationalisierten Verwaltungshandelns nachweisen lassen. Der Begriff des internationalisierten Verwaltungshandelns wird dabei gebraucht, um zunächst zu verdeutlichen, daß sich das Untersuchungsinteresse auf Einzelbereiche des Verwaltungsrechts und auf Verwaltungsaktivitäten insgesamt bezieht, die ihrer Struktur nach international beeinflußt sind. Was in diesem Sinne unter „Verwaltung" zu verstehen ist, ist im Laufe der Untersuchung noch näher darzulegen. 21 Ohne hier schon eine abschließende Umschreibung des bekanntlich problematischen Begriffes der Verwaltung im materiellen Sinne vornehmen zu wollen, ist zu betonen, daß unter „Verwaltungshandeln" nicht nur der engere Bereich des Verwaltungsrechts 22 verstanden wird, sondern darüber hinausgehend hierunter alle Arten administrativer Tätigkeiten subsumiert werden, die nicht legislativer, judikativer oder gubernativer Natur sind. 23 Diese weite begriffliche Fassung soll dazu dienen, die öffentliche Verwaltung in ihrer Gesamtheit erfassen zu können, soweit sie international beeinflußt wird. Zugleich soll deutlich gemacht werden, daß die Analyse des internationalisierten Verwaltungshandelns nicht von einer vorgegebenen, strengen Kategorisierung rechtlicher Begriffe und Institute ausgehen kann. Die noch darzustellende Komplexität der internationalen Verflechtung der öffentlichen Verwaltung verlangt insofern danach, eine rechtsdogmatische und rechtstatsächliche Untersuchung vorzunehmen, die nicht ausschließlich auf die in weiten Bereichen nationalstaatlich geprägten Rechtskategorien des Verwaltungsrechts abstellt.

19

Vgl. Tomuschat, VVDStRL 36 (1978), 7(16 ff.).

20

Zu Umschreibungen von Verwaltung, die in diese Richtung gehen, siehe z. B. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 536; Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht, 455 (478). 21

Infra Teil 4, B. I.

22

Zum Begriff statt vieler Woljf/Bachof/Stober,

23

Verwaltungsrecht I, § 21 Rdnr. 5 ff.

Zu dieser negativen Umschreibung von Verwaltung, die hier nur vorläufig als allgemeine Bezugsgröße gebraucht werden soll und an späterer Stelle um positive, materielle Elemente zu ergänzen ist, siehe z. B. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 1 Rdnr. 6; zur Problematik der nur negativen Umschreibung von Verwaltung z. B. Woljf/Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht I, § 2 Rdnr. 3.

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26

Durch die Verwendung des Begriffes „internationalisiertes Verwaltungshandeln" ist weiterhin bezweckt, eine Abgrenzung zu dem völkerrechtlichen Begriff der Internationalisierung hervorzuheben. Als Internationalisierung werden im Völkerrecht bislang in der Regel Rechtsentwicklungen angesehen, die aus einem übergeordneten Gemeinschaftsinteresse heraus darauf abzielen, vormals der einzelstaatlichen Souveränität unterstehende Regelungsgegenstände einer institutionalisierten internationalen Verwaltung zuzuführen. Solche Internationalisierungskonzepte wurden insbesondere für die Verwaltung staatsfreier Räume untersucht. 24 Diese Untersuchung geht hingegen davon aus, daß sich Strukturen eines internationalisierten Verwaltungshandelns nicht zwingend darin zeigen müssen, daß es zu einer Herauslösung einzelner Verwaltungsbereiche aus der staatlichen Rechtsordnung kommt. Vielmehr ist als These zu formulieren, daß das internationalisierte Verwaltungshandeln in ein kooperatives System komplexer Interdependenzen eingebunden ist, das sich durch seine Mehrebenenstruktur auszeichnet.25 Der Mehrebenenanalyse liegt die Idee zugrunde, Phänomene auf der einen Ebene, gleich ob auf der nationalen oder auf der internationalen, unter Berücksichtigung der Wechselbeziehungen zu untersuchen, die sich zwischen der niederen und der höheren Ebene zeigen.26 Damit ist der bislang zumeist sozialwissenschaftlich besetzte Mehrebenenansatz27 auch aus rechtswissenschaftlicher Perspektive prinzipiell geeignet, zunächst unabhängig von normhierarchischen Gesichtspunkten die tatsächlich vorliegenden Rechtserscheinungen in den Blick zu nehmen. Hierauf aufbauend können sie sodann unter Beachtung bestehender Wechselbeziehungen erklärt sowie normativ eingeordnet werden. Der Mehrebenenansatz kann insoweit auch als pluralistischer methodischer Ansatz verstanden werden. 24

Grundlegend zum Begriff der Internationalisierung und dem Internationalisierungskonzept im Hinblick auf staatsfreie Räume Wolfrum, Die Internationalisierung staatsfreier Räume, 10 ff. und passim; ein wenig untersuchtes Feld der Internationalisierung betrifft die autonome internationale Verwaltung territorialer Gebiete, die vormals oder gegenwärtig einem Staat zugehören, angesichts bestimmter Krisensituationen jedoch nicht mehr mit staatlichen Mitteln verwaltet werden können. Für das Kosovo, als ein Beispielsfall für diese autonome internationale Verwaltung, siehe z. B. Garcia, R.G.D.I.P 2000, 61 ff. 25

Hierzu aus sozialwissenschaftlicher Sicht Ebbinghaus, in: König/Rieger/Schmitt (Hrsg.), Das europäische Mehrebenensystem, 405 (413 ff.). 26 Ebbinghaus, in: König/Rieger/Schmitt (Hrsg.), Das europäische Mehrebenensystem, 405 (413). 27

Aus rechtswissenschaftlicher Perspektive kommt das Modell national und international verbundener Aufgabenerfüllungsebenen dem hier verfolgten Mehrebenenansatz nahe. Zum internationalen System als Modell von Aufgabenerfüllungsebenen siehe Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 391 ff.

Einleitung

Diesem Ansatz entspricht die verwaltungsrechtswissenschaftliche Erkenntnis, daß eine wirklichkeitsnahe und wissenschaftlich überzeugende Erfassung rechtlicher Strukturen der öffentlichen Verwaltung nur erfolgen kann, wenn es vermehrt wieder zu staats- und verwaltungwissenschaftlichen Forschungsansätzen kommt. 28 Der damit verbundenen Absage an eine Methode, der es nur um die „Rechtssystematik, die Rechtmäßigkeit, die Rechtstechnik und die Interpretation" geht, 29 kann im Rahmen einer Betrachtung des internationalisierten Verwaltungshandelns nur gerecht werden, wer nicht von eindimensionalen Vorverständnissen von den Beziehungen des nationalen und des internationalen Rechts ausgeht. In diesem Sinne dient der angesprochene pluralistische methodische Ansatz der Mehrebenenanalyse dazu, die wissenschaftsdisziplinären und rechtsnormativen Verbindungen zwischen innerstaatlichem öffentlichem Recht und internationalem Recht, wie sie in den staatswissenschaftlichen Arbeiten z. B. von Robert von Mohl und Lorenz von Stein noch eindrucksvoll aufgezeigt wurden, 30 in ihrem gegenwärtigen Stand zu ergründen. Der Mehrebenenansatz ermöglicht es zugleich, grundsätzliche Struktur- und Systemaspekte der öffentlichen Verwaltung 31 in ihrer internationalen Dimension - dem internationalisierten Verwaltungshandeln - herauszuarbeiten. Das konkrete rechtswissenschaftliche methodische Programm, das dabei zum Tragen kommen muß und auch in dieser Untersuchung verfolgt wird, ist daran ausgerichtet, daß die verfassungskonkretisierende Funktion des Verwaltungsrechts seine Wechselbeziehung zum Verfassungsrecht determiniert. Dementsprechend muß der Versuch einer Struktur- und Systemanalyse des internationalisierten Verwaltungshandelns neben dem internationalen Recht sowohl das Verfassungs- als auch das Verwaltungsrecht beachten. Durch eine Verbindung induktiver und deduktiver Gesichtspunkte von Erkenntnissen aus dem internationalen Recht, dem Verfassungs- und einzelnen Sachbereichen des Verwaltungsrechts, kann so eine Annäherung der vorzufindenden normativen Erscheinungen erfolgen. 32 Dies ist das Ziel dieser Arbeit. Insoweit unterscheidet sie sich von Untersuchungen, die von vornherein auf Kollisionskonstellationen im Verhältnis von nationalem Verwaltungsrecht und außerhalb der staatlichen 28

Statt vieler Wolff/Bachof/Stober,

29

So die Umschreibung von Wolff/Bachof/Stober, Hierzu infra Teil 1,D.

30

Verwaltungsrecht I, § 15 Rdnr. 3a m. w. N. Verwaltungsrecht I, § 15 Rdnr. 3.

31 Zu dieser Aufgabe der Verwaltungsrechtswissenschaft siehe z. B. Bachof, VVDStRL 30 (1972), 193 (237 f.); Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 12 Rdnr. 11; jetzt umfassend Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, passim. 32

Zu diesem methodischen Programm im Hinblick auf die Beziehung von Verfassungsund Verwaltungsrecht Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 11 (15).

Einleitung

28

Jurisdiktion angesiedelten Rechtsentwicklungen abstellen und damit apriorisch zu dem Ergebnis kommen müssen, daß „eine weitgehende Abschottung internen öffentlichen Rechts gegenüber internationalen Einflüssen" zu konstatieren sei.33 Der methodische Ansatz dieser Arbeit ist weiterhin von der Überzeugung geprägt, daß sich die Verwaltungsrechtswissenschaft ihrer historischen Ursprünge bewußt sein muß. Trotz mancher Kritik scheint die Einbeziehung entwicklungsgeschichtlicher Aspekte in das Studium der öffentlichen Verwaltung unabdingbar. 34 Auch wenn die heutigen Rechtsinstitute und Erkenntnisse des Staats- und Verwaltungsrechts nicht zwingend auf historische Quellen zurückgeführt werden können bzw. sollten, trägt es zum Verständnis der aktuellen Rechtslage und der Funktion der öffentlichen Verwaltung insgesamt bei, wenn ein Blick auf die jeweils maßgeblichen Wurzeln geworfen wird. Insoweit ist den Worten Erich Kaufmanns zustimmen, daß „nur eine historische Orientierung ... den Weg durch die viel verschlungenen, durch seine Kodifikation rationalisierten Pfade unseres Verwaltungsrechts weisen [kann]". 35 Dieser Erkenntnis folgend wird sich die vorliegende Arbeit bei der Herausarbeitung der aktuellen Erscheinungen eines internationalisierten Verwaltungshandelns auch mit historischen Entwicklungsprozessen beschäftigen. Dies soll zugleich dem Verständnis dafür dienen, wie es dazu kam, daß auch heute noch zum Teil eine Vorstellung existiert, nach der trotz bestehender internationaler Interdependenzen von einer nationalen Independenz der öffentlichen Verwaltung auszugehen sei.

33 So Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 7; ebda., 23 ff., auch Einzelheiten zu seinem kollisionsrechtlichen Ansatz. 34

Hierzu und zu kritischen Gegenstimmen Wolff/Bachof/Stober,

Verwaltungsrecht I, vor

§5. 35 E. Kaufmann, in: von Stengel/Fleischmann (Hrsg.), Wörterbuch des Deutschen Staatsund Verwaltungsrechts, Bd. 3, 688 (689).

Teil 1

Ansätze und Entwicklung eines Konzeptes des internationalisierten Verwaltungshandelns im öffentlichen Recht

Die historische Entwicklung der dogmatischen Durchdringung einer eigenständigen Begriffskategorie des internationalisierten Verwaltungshandelns läßt sich nicht losgelöst von der allgemeinen Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland betrachten. Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht standen - von ihren Beziehungen zu den heute als Nachbarwissenschaften bezeichneten Wissenschaftsdisziplinen einmal abgesehen - als Staatswissenschaften lange Zeit in einem unmittelbaren diskursiven und inhaltlich sich ergänzenden Verhältnis. Dies wird beispielhaft durch die noch näher darzustellenden, für die hier interessierenden Fragen wegweisenden Ausführungen Robert von Mohls belegt.1 Die Dogmengeschichte des internationalen Verwaltungsrechts, 2 als Vorstufe zu einer Lehre vom internationalisierten Verwaltungshandeln, ist insoweit in weiten Bereichen ein Bestandteil der Dogmengeschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, wie es sich heute in seinen Spezialdisziplinen des Staats-, Verwaltungs-, Europaund Völkerrechts darstellt. Damit ist allerdings nicht gesagt, daß in der Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland schon immer eine inhaltliche Verzahnung von nationalen und internationalen Regelungsgegenständen gesehen wurde; 3 diese Erkenntnis setzte sich vielmehr erst im Laufe der Zeit durch. Die nachfolgende Untersuchung kann sich nicht umfassend auf die Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland beziehen. Das bedingt der inhaltliche Bezug auf verwaltungswissenschaftliche Aspekte. Erste beachtenswerte Ansätze 1

Insbesondere von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, 1860; hierzu statt vieler Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 172 ff. und 258 ff. m. w. N.; für einen gedrängten Überblick der Entwicklung der Staatswissenschaft siehe auch Ellwein, in: Lüder (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung der Zukunft, 17 ff. 2 3

Siehe Bülck, in: FS Kraus, 29 ff.

Zur hier nicht vertiefend behandelten historischen Entwicklung der introvertierten Staatsbetrachtung in der deutschen Staatsrechtslehre ausführlich Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 54 ff.

30

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

einer wissenschaftlich-systematischen und damit aus heutiger Sicht gewinnbringenden Erfassung der „Policey"-Wissenschaft als Grundlage des späteren Verwaltungsrechts und der Verwaltungsrechtslehre sind erst im 18. Jahrhundert auszumachen.4 Vor diesem Hintergrund ist näher danach zu fragen, ob und inwieweit in der Erfassung der Verwaltungsrechtwissenschaften auch die „äußeren" Bezüge des öffentlichen Rechts im Sinne einer fortschreitenden Verbundenheit des Staates im Staatensystem in den Blickpunkt des Interesses rückten. Die übergreifende Struktur der aufzuzeigenden Gesamtentwicklung liegt dabei im Übergang vom Absolutismus zum Konstitutionalismus und damit einhergehenden Veränderungen im internationalen (europäischen) Staatensystem begründet.

A. Die Zeit des Absolutismus in der Folge des Westfälischen Friedens Die den dreißigjährigen Krieg rechtlich beendenden Verträge von Münster und Osnabrück von 16485 sollten in ihrer Wirkung für mindestens 150 Jahre die Entwicklung des öffentlichen Rechts im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation maßgeblich bestimmen,6 indem sie den Übergang vom personalen Herrschaftsverband zum Territorialstaat manifestierten. 7 Durch die Garantien der Landeshoheit der Kurfürsten, Fürsten und Stände des Römischen Reiches sowie ihrer Bündnisfreiheit 8 und der damit begründeten inneren und äußeren Souveränität der 4 von Berg, Handbuch des teutschen Policeyrechts, Bd. 1/1, 1799, 66: „Erst aber in diesem Jahrhundert wurde die Policeywissenschaft von teutschen Gelehrten vollständig und systematisch zu bearbeiten angefangen"; siehe auch umfassend Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 151 ff.; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 1,372 ff., jeweils m. w. N. Nicht weiter untersucht werden soll, inwieweit es eine übergreifende, kontinuierliche historische Entwicklung des deutschen Verwaltungsstaates gab. Hierzu Knemeyer, Regierungs- und Verwaltungsreformen in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts, passim; Wunder, Geschichte der Bürokratie in Deutschland, passim; zur begriffsgeschichtlichen Forschung siehe Bödeker, Jahrbuch für europäische Verwaltungsgeschichte 1 (1989), 15 ff. 5 Abgedruckt bei: Grewe (Hrsg.), Fontes Historiae Iuris Gentium, Band 2,1988,183 ff.; Buschmann (Hrsg.), Kaiser und Reich - Klassische Texte und Dokumente zur Verfassungsgeschichte des Hl. Römischen Reiches Deutscher Nation, 289 ff. und 380 ff. 6

Hierzu statt vieler Link, JZ 1998,1 (2); Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, 213 ff.; zu den völkerrechtlichen Aspekten Ziegler, AVR 37 (1999), 129 ff. 7 Zur nicht unproblematischen Differenzierung zwischen Personalverband und Territorialstaat und der Entstehung des „modernen" Staates siehe Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, 113 f. 8 Artikel V I I I §§ 1 und 2 Satz 2 der Friedensverträge, abgedruckt bei: Grewe (Hrsg.), Fontes Historiae Iuris Gentium, Band 2, 1988, 183 ff.

A. Die Zeit des Absolutismus in der Folge des Westfälischen Friedens

31

Territorialherren innerhalb des Reiches9 war nun rechtlich der Grundstein für eine divergierende Entwicklung im öffentlichen Recht gelegt: Die Landesherren konnten das für sie jeweils innerstaatliche öffentliche Recht autonom festlegen und darüber hinaus - unter der Bedingung der Achtung der Reichstreue - auswärtige Beziehungen eingehen.10 Für die Herausbildung der Policeywissenschaften hatte die durch den Westfälischen Frieden begründete Herrschaftsordnung zur Folge, daß die wissenschaftliche Durchdringung eines einheitlichen Reichsverwaltungsrechts unmöglich wurde. In ihrer tatsächlichen Dimension verlagerte sich die Verwaltungstätigkeit auf die Ebene der souveränen Reichsterritorien, dort freilich mit beachtlicher Dynamik. 11 Die Reichs Verwaltung selbst aber verharrte „in Apathie" 12 und war daher kaum als Untersuchungsgegenstand einer systematisierenden Verwaltungswissenschaft geeignet. In den Territorien ist gleichzeitig die in diese Zeit fallende Blüte des „Policey"-Begriffes, der letztlich in immer feinerer Differenzierung nahezu die gesamte „Innenpolitik" erfaßte, 13 nachzuzeichnen. Aus der sich so entwickelnden Verwaltungswissenschaft im heutigen Sinne wurde konsequent die Regelung der auswärtigen Angelegenheiten ausgeklammert. Die wissenschaftliche Erfassung einer möglichen Interdependenz innerer und äußerer Regelungsgegenstände schied schon vor diesem Hintergrund aus. Ein weiterer und wesentlicher Aspekt, der die wissenschaftliche Erörterung einer möglichen Verzahnung von innerstaatlichem öffentlichen Recht und Völkerrecht verhinderte, ergibt sich aus der damaligen Soziologie der internationalen Beziehungen. Im durch den Westfälischen Frieden begründeten internationalen (europäischen) Staatensystem beschränkten sich die auswärtigen Beziehungen der Staaten und damit das Völkerrecht weitgehend auf die Regelung von Kriegs- und Friedensfragen. Das zeigt schon der Titel des für das moderne Völkerrecht wegweisenden Buches von Grotius (1583-1645): „De iure belli ac pacis libri tres" (1625). Dementsprechend verkörperte sich die durch die Verträge von Münster und Osnabrück erlangte Souveränität der Territorialstaaten in ihrer äußeren Di-

9

Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, 215 f.; Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 146 f.; siehe auch G. Schmidt, Der Staat, Beiheft 10 (1993), 45 ff. 10

Vertiefend hierzu Link, JZ 1998, 1 (8 f.).

11

Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 158 ff.; ders., in: Jeserich/Pohl/von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1,289 (298 ff.); Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I, 367 ff., jeweils m. w. N. 12 13

Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I, 366. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I, 370.

32

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

mension theoretisch erfaßt und praktisch gelebt im ius ad bellum; 14 weitergehende Aspekte einer umfassenderen Ordnung der internationalen Beziehungen im Sinne der „guten Ordnung" des Policeybegriffes fanden so keinen Raum. Die Feststellung von von Ompteda im Jahre 1785, daß „die Verträge der Völker ... gewöhnlich in Friedensschlüssen und solchen Tractaten [bestehen], welche sich auf Krieg und Frieden beziehen",15 faßt dies prägnant zusammen. Auch Ernst Meier stellte 1874 in diesem Sinne nach Auswertung der relevanten Vertragssammlungen folgendes fest: „Noch zu Ende des vorigen Jahrhunderts bezog sich die grosse Mehrzahl der Staatsverträge auf den Abschluss und die Erneuerung von Allianzen, auf Subsidien und Hülfstruppen, auf Durchmärsche, Besatzungen und Einquartierungen, auf die Behandlung von Deserteuren, die Ranzonirung von Gefangenen, endlich auf Waffenstillstände und Frieden". 16 Einzelne Ausnahmen zu den dominierenden völkerrechtlichen Verträgen dieses Charakters bleiben allerdings zu erwähnen. Meier berichtet insoweit von Handelsverträgen mit Mecklenburg und den Hansestädten, von einem Schiffahrtsvertrag mit Mainz, einem Auslieferungsvertrag mit Pfalz-Zweibrücken sowie zahlreichen Verträgen über die Aufhebung des „droit d'aubaine". 17 Im Ergebnis bleibt es jedoch auch im Lichte dieser eher einen Verwaltungscharakter annehmenden Verträge bei der Feststellung, daß die internationalen Beziehungen in der Zeit von 1648 bis zum Wiener Kongreß deutlich von der rechtlichen Regelung des Friedens- bzw. Kriegsrechts geprägt waren und es sich damit insgesamt um eine politische Materie handelte.18 Der Merkantilismus des 17. und 18. Jahrhundert trug hierzu sein übriges bei, indem er schon per definitionem eine intensive, über den politischen Bereich hinausgehende rechtliche Interaktion der europäischen Staaten verhinderte. In gewisser Parallele zu dem empirischen Befund der politischen Dominanz des auswärtigen Handelns der Territorialstaaten in ihrer Prägung durch den Westfälischen Frieden ist auch die Entwicklung des Staatsrechts im gesamten Reich zu sehen. Ausgehend vom Absolutismus lieferte dieses die dogmatische Grundlage für die Erfassung von Verwaltungslehre und auswärtiger Gewalt: Unabhängig von 14

Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, 216.

15

von Ompteda, Literatur des gesamten natürlichen und positiven Völkerrechts, 583.

16

Meier, Über den Abschluss von Staatsverträgen, 18; zur Bedeutung des ius belli ac pacis für die damals sich entwickelnde Völkerrechtswissenschaft siehe im Überblick auch Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I, 191 ff. m. w. N. 17

Meier, Über den Abschluss von Staatsverträgen, 19; bei dem droit d'aubaine handelt es sich um das sogenannte „Heimfallrecht", als Recht des Landesfürsten bzw. Lehnsherren auf den Nachlaß eines Ausländers. 18 Hierzu auch Biilck, in: FS Kraus, 29 (30 ff.); Baade, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 147 ff.

A. Die Zeit des Absolutismus in der Folge des Westfälischen Friedens

33

der problematischen, seinerzeit und auch heute noch diskutierten Frage nach der Souveränität der Territorien und des Reiches,19 hatte die ganz maßgeblich von Bodin 20 geprägte Souveränitätslehre 21 zumindest die Anerkennung der umfassenden Hoheitsgewalt der Landesherren zur Folge: Princeps legibus solutus est. 22 Die Lehre von der ungeteilten Hoheitsgewalt des Herrschers, im ius eminens ihre sinnfällige Verkörperung findend, führte in ihrer Rezeption in der Wissenschaft zu einer rein nach Sachgebieten systematisierenden Durchdringung des öffentlichen Rechts.23 Kompetenzfragen im Sinne der Zuordnung einzelner Sachbereiche des öffentlich-rechtlichen Staatshandelns stellten sich nicht; nur die deskriptive Verortung einzelner Sachaufgaben innerhalb der einheitlichen Hoheitsgewalt bewegte das wissenschaftliche Interesse. Zunächst verschrieb sich Johann Jakob Moser (1701-1785) der sachaufgabenbeschreibenden Durchdringung des öffentlichen Rechts. Seine unübertroffene empirische Aufarbeitung sollte allerdings dogmatisch nicht besonders gewinnbringend sein. 24 Moser befaßte sich zwar erstmals auch intensiv mit dem „Teutschen Auswärtigen Staatsrecht" (1772) und legte später die Grundlegung einer eigenständigen deutschen Völkerrechtslehre 25, blieb aber ganz der herrschenden Idee der nach innen und außen unbeschränkten und allumfassenden Hoheitsgewalt verbunden. Eine dogmatische Durchdringung möglicher wechselbezüglicher, sub19

Zur Diskussion Quaritsch, Staat und Souveränität, 400 ff. mit umfangr. Nachw.

20

Les six livres de la République, Paris 1583, Neudruck der Originalausgabe Aalen 1977, Buch 1, Kap. 8, 10. 21

Zum bedeutenden Einfluß der Souveränitätslehre Bodins auf die zeitgenössische deutsche Staatsrechtslehre siehe Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I, 174 ff. 22 Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, 242 f.; für eine umfassende historische Einordnung siehe Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 398 ff. 23

W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 82 ff.; Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Aufl., 38 ff.; Merten, Das Verhältnis des Staatsbürgers zum Staat, in: Jeserich/Pohl/von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 5, 53 (54); Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, 22 ff.; Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 53 f. 24

Zu Leben und Werk siehe Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I, 258 ff.; Laufs, JuS 1985, 670 ff., auch abgedruckt in: Stolleis (Hrsg.), Staatsdenker der Neuzeit, 284 ff.; M. Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, 113 ff. m. w. N. 25

Versuch des neuesten europäischen Völkerrechts in Friedens- und Kriegszeiten, 10 Teile, Frankfurt 1777-1780; ergänzend hierzu die Beiträge zu dem neuesten europäischen Völkerrecht in Friedenszeiten, 5 Teile, Stuttgart und Tübingen 1778-1780; Beiträge zu dem neuesten europäischen Völkerrecht in Kriegszeiten, 3 Teile, Stuttgart und Tübingen 1779-1781; hierzu Verdross, Zeitschrift für öffentliches Recht 3 (1922/23), 96 ff.; Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts, 194 ff.

34

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

stantieller Verflechtungen von innerstaatlichem öffentlichem Recht und Völkerrecht war nach Maßgabe dieser wissenschaftlichen Methode nicht zu erwarten. Die Erfassung des Völkerrechts als „äußerem Staatsrecht" deutet jedoch auf ein Ineinandergreifen von völkerrechtlichen und innerstaatlichen Regelungsbereichen hin. 26 Dies gilt auch für die in ihrem dogmatischen Gehalt schon gewinnbringenderen und mit maßgeblichem Einfluß versehenen Arbeiten von Johann Stephan Pütter (1725-1807). Auch er systematisierte nach Sachaufgaben innerhalb der einheitlichen Macht des Fürsten und differenzierte insoweit u. a. nach inneren und äußeren Hoheitsrechten. 27 Das öffentliche Recht in Deutschland in der unmittelbaren Zeit nach dem Westfälischen Frieden und in seiner Beeinflussung durch Absolutismus und Merkantilismus vermochte insgesamt also keinen substantiellen Beitrag zu einem Begriff des internationalisierten Verwaltungshandelns zu leisten: Die Verwaltungswissenschaft selbst begann sich mit dem „Policey"-Begriff erst zu entwickeln, die systematische Durchdringung des Völkerrechts hatte im deutschen Sprachraum gerade erst begonnen, die Staatenpraxis war nahezu ausschließlich auf politische Fragen des Kriegs- und Friedensrechts beschränkt. Es war in diesem Sinne der merkantilistisch-absolutistisch geprägte etatistische Blick auf die eigenen Staatszwecke,28 konzeptionell abgeleitet aus unbeschränkten und umfassenden Hoheitsrechten, der sowohl im Inneren als auch mit Blick auf die äußeren Beziehungen der Territorien das öffentliche Recht in Deutschland bestimmte.29

B. Natur- und Vernunftrecht, gemäßigter Absolutismus sowie fortschreitende völkerrechtliche Verflechtung der Staaten Die in der Hochzeit des Absolutismus vorherrschenden geistigen und wissenschaftlichen Strömungen waren durch das Vernunftrecht und die Aufklärung grundlegenden Wandlungen unterworfen. Dies wirkte sich auf das Verständnis eines internationalisierten Verwaltungshandelns aus, das sich nun zu entwickeln 26

Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts, 201.

27

Siehe insbesondere sein Kurzer Begriff des Teutschen Staatsrechts, 2. Aufl. 1768, 188 ff.; hierzu auch Bülck, in: FS Kraus, 29 (31); zu Pütter umfassend Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I, 312 ff.; Link, in: Stolleis (Hrsg.), Staatsdenker der frühen Neuzeit, 310 ff.; M. Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, 125 ff., jeweils m. w. N. 28

Zu historischen Entwicklung der Lehren von den Staatszwecken und Staatszielen siehe umfassend Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 8 ff. 29

Siehe auch Bülck, in: FS Kraus, 29 (32).

B. Natur- und Vernunftrecht

35

begann. Erste Ansätze zu einem umfassenden, innerstaatliches und internationales Recht einheitlich erfassenden öffentlichen Recht sind dabei bereits im Naturrecht zu verorten. Das zeigt der Titel des grundlegenden Werkes von Grotius („de iure belli ac pacis libri tres, in quibus ius naturae et gentium .. ."). 3 0 Dem Positivismus stand damit seit dem 17. Jahrhundert eine natur- und vernunftrechtlich orientierte Wissenschaftsrichtung entgegen. Dieser Dualismus war für das gesamte öffentliche Recht dieser Zeit, einschließlich des Völkerrechts, charakteristisch. 31 Das sich entwickelnde ius publicum universale sollte hierbei gegenüber dem Positivismus zunächst eine nachhaltigere Wirkung im öffentlichen Recht bis zum Ende des 19. Jahrhunderts haben. Inspiriert von, zum Teil aber auch parallel zu den großen naturrechtlichen Entwürfen durch Grotius, Spinoza, Pufendorf, Thomasius und Wolff, 32 entwickelte sich mit dem ius publicum universale ab Ende des 17. Jahrhunderts in Deutschland langsam eine allgemeine Staatsrechtslehre als eigenständige Wissenschaftsdisziplin. Ihr ging es sachlich und inhaltlich um naturrechtliche Erklärungen, die das gesamte innerstaatliche und internationale Rechts- und Gesellschaftssystem erfaßten. Neben vielfältigen Einflüssen auf das Staatsrecht33 kam es dementsprechend auch zu deren Erstreckung auf die Gebiete der Policey- und der Völkerrechtswissenschaften. Der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gerade für das sich entwickelnde Verwaltungsrecht im Rahmen der Kameralistik und der Policey Wissenschaft bedeutende Johann Heinrich Gottlob von Justi (1717-1771) entwarf so eine streng am Vernunftrecht orientierte Völkerrechtslehre, die charakteristisch für Gedanken des aufgeklärten Absolutismus ist. Justi war überhaupt der erste Kameralist, der mehrere Teildisziplinen in seine Grundlegungen der Staatskunst aufnahm und dabei auch das Völkerrecht in den Blick nahm,34 um so die 30 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I, 276; zu Grotius siehe Wolf, Große Rechtsdenker der Deutschen Geistesgeschichte, 252 ff.; Grewe, Der Staat 1984,161 ff.; Schiedermaier, in: Börner/Jahrreiß/Stern (Hrsg.), FS Carstens, Bd. 1,477 ff.; Link, Hugo Grotius als Staatsdenker; Hoffmann, in: Stolleis (Hrsg.), Staatsdenker in der frühen Neuzeit, 52 ff. 31 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I, 268; Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 414 ff. m. w. N. 32

Hierzu jeweils im Überblick Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I, 278-291 m. w. N.; problematisch ist die Einordnung von Hobbes in die naturrechtliche Entwicklung, da sein Naturrechtsbegriff gerade für das Völkerrecht weniger den philosphischen als vielmehr den rein empirisch-soziologischen Naturzustand umfaßte, hierzu Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts, 161 ff. 33 34

Hierzu Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I, 291 ff.

Hierzu und umfassend zu Justi siehe Klueting, Die Lehre von der Macht der Staaten, 87-114 m. w. N.

36

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

damals alles beherrschende Wohlfahrtsidee im Sinne der „Glückseligkeit" aller Staatsangehörigen zu propagieren. 35 Neben beachtenswerten politischen Ausführungen zur positiven Wirkung der internationalen Zusammenarbeit und des Weltwarenverkehrs für die „Glückseligkeit und Macht eines Volkes", 36 setzte sich Justi mit den naturrechtlichen Grundlagen des Völkerrechts auseinander. Diese beschrieb er wie folgt: „Die zweite Hauptart der Gesetze der Vernunft ist das Völkerrecht. Wenn verschiedene Familien im Stande der natürlichen Freiheit neben einander wohnen, ohne daß sie in Gesellschaft, oder in einer gewissen Verbindung mit einander stehen; so haben sie vielerlei Geschäfte und Angelegenheiten mit einander abzuthun. Sie haben demnach gewisse Grundsätze und Regeln nöthig* wie sie sich gegen einander zu betragen, und zu verhalten haben. Die Vernunft ist es, welche ihnen diese Regeln an die Hand geben muß; ... Alle diese Völker oder Gesellschaften haben gewisse Grundsätze und Regeln in ihrem Verhalten gegen einander nöthig. Die Vernunft ist es, welche diese Regeln vorschreibt; und verschiedene übereinstimmende Fälle machen ein Recht aus, welches das Völkerrecht genannt wird ..." 3 7

Den vernunftrechtlichen Grundlegungen seines Völkerrechts entsprechend definiert Justi dann auch, daß man ,,[u]nter dem Völkerrecht... diejenigen Grundsätze und Regeln [versteht], welche durch die Gewohnheit, oder eine stillschweigende Einwilligung, unter den freien Völkern angenommen und fortgesetzt wird, um ihr Betragen gegen einander danach einzurichten." Dann heißt es schließlich deutlich, daß „die Vernunft... auch hier Gesetzgeberin [ist]". 38 Trotz seiner vernunftrechtlichen Ausrichtung versagte sich Justi aber der später von Kant ausformulierten Idee des Weltbürgertums. Für ihn konnte es ein Weltbürgerrecht nicht geben, da die Völker untereinander nicht in einem gesellschaftlichen Verhältnis stünden, sondern nur ein „geselliges Leben" führten. 39 Dementsprechend ist für Justi „der Stand der natürlichen Freiheit, in welchem die freien Völker leben, ... der Natur der bürgerlichen Verfassungen gerade entgegen 35

Zu der insoweit historischen und geistesgeschichtlichen Bedeutung von Justi und auch von Joseph von Sonnenfelds umfassend Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, 233 ff. mit umfangr. Nachweisen; zu von Sonnenfelds auch Hoke, in: Jeserich/Neuhaus (Hrsg.), Persönlichkeiten der Verwaltung, 44 ff.; zu Justi als literarischem Höhepunkt der Policeywissenschaft des aufgeklärten Absolutismus siehe auch Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 247; von Unruh, Subjektiver Rechtsschutz und politische Freiheit, 11 ff.; zur Glückseligkeitslehre von Justi u. a. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 181 ff. 36 Justi, Chimäre des Gleichgewichts der.Handlung und Schiffahrt (1759), 22-39; hierzu Klueting, Die Lehre von der Macht der Staaten, 95 f. 37

Justi, Die Natur und das Wesen der Staaten (1760), 310 f. (§ 187).

38

Justi, Die Natur und das Wesen der Staaten (1760), 376 (§ 221).

39

Justi, Die Natur und das Wesen der Staaten (1760), 378 (§ 221).

B. Natur- und Vernunftrecht

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gesetzt".40 Hier zeigt sich trotz der vernunftrechtlichen Orientierung die für Justi zentrale Bedeutung des Machtstrebens des Staates als Grundlegung für die Glückseligkeit des Volkes. 41 Zugleich sollte sich in seiner vernunftrechtlichen Ausrichtung allerdings schon der Übergang zum aufgeklärten Absolutismus, mit erkennbaren Ansätzen der Trennung von Staat und Gesellschaft, andeuten.42 Völkerrechtsphilosophisch bleibt das Konzept Justis aber hinter den weitergehenden Gedanken von Christian Wolff (1676-1756) zurück, der die Staaten gerade in einer Gemeinschaft, der civitas maxima , organisiert sah.43 Angesichts der Bedeutung von Justi für die Entwicklung der späteren Verwaltungswissenschaft verdient seine Einbeziehung des Völkerrechts in die innenpolitische und rechtliche Staatstätigkeit im Sinne einer heute als internationale Interdependenz bezeichneten Erscheinung 44 trotzdem besondere Beachtung. Wohl erstmals finden sich hier Gedankenansätze, die auf eine Verbindung von innerstaatlichem Verwaltungshandeln im öffentlichen, gesellschaftlichen Interesse und über den innerstaatlichen Bereich hinausgehende Entwicklungen hindeuten. Diese Gedanken sollten später insbesondere das Werk von Lorenz von Stein beeinflussen. 45 Eine im eigentlichen Sinne erste Systematik der internationalen Verwaltung als Teil der gesamten Policeywissenschaften erarbeitete aber erst Günther Heinrich von Berg (1765-1843) in seinem siebenbändigen Handbuch des Deutschen Policeyrechts (1799-1809). Von Berg repräsentiert den Übergang vom aufgeklärten Absolutismus, der den Untertan weiterhin als Objekt der staatlichen Glückseligmachung betrachtete, hin zum Liberalismus, der die Subjektstellung des Bürgers forderte. Für das Policeyrecht vollzieht sich bei von Berg dieser Wandel in der Trennung von Wohlfahrts- und Sicherheitspolizei, wobei es die Sicherheitspolizei ist, die in Abkehr vom Ziel der alles bestimmenden Beförderung der Glückseligkeit als Gefahrenabwehr dominiert. Durch die Gefahrenabwehr soll freilich gleichzeitig die Wohlfahrtsförderung begründbar sein, so daß - wenngleich nunmehr 40

Justi, Die Natur und das Wesen der Staaten (1760), 379 (§ 221).

41

Hierzu ausführlich Klueting, Die Lehre von der Macht der Staaten, 87 ff.

42

Zur Bedeutung von Justi für den Wandel zum aufgeklärten Absolutismus siehe Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I, 379 ff. 43

Hierzu ausführlich Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts, 167 ff.; Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 417 ff.; Pauly, in: Jerouschek u. a. (Hrsg.), Aufklärung und Erneuerung, 135 (142); allgemein weiterhin zu Christian Wolff auch Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 1,288 ff.; Thomann, in: Stolleis (Hrsg.), Staatsdenker der frühen Neuzeit, 257 ff., jeweils m. w. N. 44

Zur Verortung erster Ansätze der Lehre von der Interdependenz bei Justi siehe Klueting, Die Lehre von der Macht der Staaten, 113 f. m. w. N. 45 Zur Bedeutung des Werkes von Justi für Lorenz von Stein siehe Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 184.

38

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

dogmatisch deutlich anders ausgerichtet - Reste der ursprünglichen Glückseligkeitsdoktrin erhalten bleiben.46 Insgesamt ist aber entscheidend, daß sich mit von Berg nach den philosophischen Grundlegungen durch Kant 47 und so herausragenden Ereignissen wie der Verabschiedung der Virginia Bill of Rights (1776) und der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1789) 48 im deutschen Policeyrecht der Übergang von absolutistischen zu liberal-rechtsstaatlichen wissenschaftlichen Ansätzen abzeichnet.49 In sein System des Policeyrechts nimmt von Berg auch die „Policeygewalt in Beziehung auf auswärtige Verhältnisse" auf. Er geht davon aus, daß trotz der völkerrechtlich anerkannten Unabhängigkeit „des teutschen Reichs und seiner Glieder ... doch die gesellschaftlichen Verhältnisse der europäischen Republik in manchen Fällen vertragsmäßige Verabredungen in Beziehung auf gewisse Gegenstände der Policey, die für die Ruhe und Sicherheit, oder den Wohlstand benachbarter Staaten wichtig sind, veranlassen [können]". 50 Dieses Phänomen der Notwendigkeit grenzüberschreitender Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Policey verortet von Berg dann auf der Grundlage einzelner Beispiele aus der Staatenpraxis in einzelnen Sachbereichen, die er wenig zusammenhängend auflistet. Im einzelnen nennt er den Schutz der fremden staatlichen Souveränität durch die innere Verwaltung, einzelne den grenzüberschreitenden Handel fördernde Regelungen des Staatsrechts und entsprechende Klauseln in Friedensverträgen, völkervertragliche Sicherungen der Handelsfreiheit der Hansestädte, die Regelungen über die Rheinschiffahrt, Zollbestimmungen, Vorschriften zum Schutze der Ehre auswärtiger Mächte und schließlich einzelne Policeymaßnah-

46 Hierzu umfassend Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 211 f.; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 247 f. 47

Statt vieler Lorz, Modernes Grund- und Menschenrechtsverständnis und die Philosophie der Freiheit Kants, passim. 48

Allgemein zur Entwicklung der Grund- und Menschenrechte sowie zum Liberalismus statt vieler Kröger, Grundrechtsentwicklung in Deutschland, 2 ff.; Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, Bd. 1, 79 ff.; Härtung, Die Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte, 9 ff. 49

Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 218: „In der nach 1800 wieder dichter einsetzenden Folge von Polizeirechts- und Polizei wissenschaftslehren bezeichnet Berg den Punkt, an dem die durch die Polizei des absoluten Staates erstarkte bürgerliche Bewegung, ihrer wachsenden Selbständigkeit bewußt, sich von den Fesseln und Beengungen der überlieferten polizeirechtlichen Vorschriften langsam aber nachdrücklich zu lösen beginnt, ohne doch auf deren gesellschaftsstabilisierende Wirkungen zu verzichten oder auch nur geringere Ansprüche auf sie zu machen"; allgemein zu dieser Entwicklung auch Badura, Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates, 31 ff. m. w. N. 50

von Berg, Handbuch des Deutschen Policeyrechts, Vierter Theil, 309.

B. Natur- und Vernunftrecht

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men, die sich als unfreundliche Akte gegenüber anderen Staaten auswirken können. 51 Ohne zunächst weitere systematische Überlegungen anzustellen, ist bei von Berg damit zum ersten Mal in der Geschichte der deutschen Verwaltungswissenschaft eine umfangreichere deskriptive Einbindung internationaler Aspekte in die Beschreibung und Analyse des Policeyrechts vorzufinden. Geleitet wird von Berg hierbei von dem Gedanken der Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit in einzelnen Sachbereichen, die sich für ihn bereits empirisch in der Staatenpraxis nachweisen läßt. Als tatsächlicher Grund für die bei von Berg beginnende Beachtung von völkerrechtlichen Aspekten, die für die Verwaltung relevant sind, ist völkerrechtshistorisch darauf hinzuweisen, daß erst ab dem Westfälischen Frieden von 1648 eine verstärkte öffentliche Transparenz der rechtlich bedeutenden Völkerrechtsakte nachzuzeichnen ist. In Deutschland fand diese Entwicklung in der Sammlung von v. Leibniz aus dem Jahre 1693 ihren sichtbaren ersten Ausdruck. 52 In seiner Nachfolge kam es dann zu einer regen Publikation völkerrechtlicher Verträge im 18. Jahrhundert. 53 Erst auf der Grundlage des nunmehr vorhandenen empirischen Materials war es möglich, die Relevanz der Staatenpraxis auch für innerstaatliche Rechtsbereiche zu erfassen und erste wissenschaftlich-systematische Einordnungen vorzunehmen. Daß die dokumentierte internationale Vertragspraxis dabei eine Erweiterung ihres Regelungsgegenstandes über das klassische Kriegs- und Friedensrecht hinaus der Öffentlichkeit zeigte, führte zu einem wachsenden Interesse an den verwaltungswissenschaftlichen Bezügen des Völkerrechts. 54 Den für die aufkommenende historisch-soziologische Völkerrechts- und später auch internationalisierte Verwaltungsrechtslehre bedeutsamsten sprachlichen Durchbruch vollzog dann Jeremy Bentham (1748-1832) in seinem 1789 erschienen Werk zu den „Principles of Morals and Legislation", in dem er den Begriff des „International Law", des internationalen Rechts, einführte. 55 Mit dieser epo-

51

von Berg, Handbuch des Deutschen Policeyrechts, Vierter Theil, 309-319.

52

Leibniz, Codex Juris Gentium Diplomaticus (1693); fortgesetzt in ders., Mantissa Codicis Juris Gentium Diplomatici, Hannover 1700. 53 Ausführliche Nachweise zu den verschiedenen Quellensammlungen bei Kaltenborn, Kritik des Völkerrechts, 62-66. 54

Zur Bedeutung des sich mit großer Intensität entwickelnden internationalen Vertragswesens in dieser Zeit auch Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, 186 f.; Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 420 ff. 55 Bentham, An Introduction to the Morals and Legislation, 1789, hier zitiert nach der Ausgabe Oxford 1907, Kapitel VII, Ziff. X X V .

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Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

chemachenden Sprachschöpfung wollte Bentham zum Ausdruck bringen, daß das Völkerrecht nicht ein law of nations, ein Recht der einzelnen Völker ist, sondern vielmehr hierüber hinausgehend - im übergreifenden Sinne - ein gemeinsames Recht aller Völker zur Regelung ihrer transnationalen Angelegenheiten darstellt. Diese Konzeption in ihrer sprachlichen Ausprägung als international law sollte wegweisend für die nationale und internationale Rechtslehre des 19. Jahrhunderts sein 56 und so auch ihren Einfluß auf die Entwicklung der Lehre vom internationalisierten Verwaltungshandeln nehmen.57 Das Ende des 18. Jahrhunderts zeichnet sich somit insgesamt durch eine intensivierte Durchdringung des Völkerrechts auf der Grundlage einer wachsenden Staatenpraxis aus. Diese befaßte sich, jetzt auch dokumentiert, zunehmend mit Gegenständen der Staatsverwaltung. Zugleich kam es über einen rein philosophischen Ansatz hinausgehend zu einer wissenschaftlichen Durchdringung, die in der Nachfolge Mosers zwar positivrechtlich, nunmehr aber deutlich systematischer und der Tradition Grotius verpflichtet ausgerichtet war. 58 Als Vollender dieses wissenschaftlichen Ansatzes gilt Georg Friedrich von Martens (1756-1821) mit seinem Hauptwerk einer „Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht". 59 Martens unterscheidet scharf zwischen naturrechtlichen (= moralischen) und positiven Quellen des Völkerrechts, wobei er letzteren allerdings nur eine begrenzte Wirkung zuspricht. Zugleich lehnt er sich an den von Moser geprägten Begriff des „äußeren öffentlichen Rechts" an. Hierdurch eröffnet er sich die Möglichkeit, in seine Darstellung des Völkerrechts Aspekte des innerstaatlichen Verwaltungshandelns einzubringen, die er unter dem Kapitel „von den gegenseitigen Rechten der Völker in Ansehung der einzelnen auf die innere Staatsverwaltung abzweckenden Hoheitsrechte" abhandelt.60 Ausgangsüberlegung ist für ihn insoweit, daß die innerstaatlichen Angelegenheiten zwar in der ausschließlichen Regelungshoheit des Staates stehen, die Staatenpraxis aber vielfältige Beispiele für souveränitätseinschränkende Regelungen des Völkerrechts im Bereich der inneren Staatsverwaltung kenne. Den Bogen zu der zeitgenössischen Verwaltungswissenschaft schlägt Martens auf der Grundlage dieser völkerrechtlichen Erkenntnis mit 56

Hierzu z. B. von Martitz, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 403 ff.

57

Bülck, in: FS Kraus, 29 (40 f.).

58

Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 417 m. w. N.

59

G. F.. von Martens, Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht (1796); hierzu Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts, 198 ff.; Reibstein, Völkerrecht, Eine Geschichte seiner Ideen in Lehre und Praxis, Bd. II, 9 ff. 60

G. F. von Martens, Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht, 92; hierzu auch Bülck, in: FS Kraus, 29 (37); Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 202 ff.

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Verweis darauf, daß „der Zweck des Staats die höchstmögliche Wohlfahrth und Sicherheit der Mitglieder ist". 61 Seine Verwirklichung findet dieser Staatszweck für Martens in den internationalen Beziehungen auf den Gebieten des Ausländerund Paßrechts, des Auswanderungsrechts, des Rechts zum Führen ausländischer Titel etc., des Steuer- und Zollrechts, des internationalen Erbrechts, des Rechtshilfe- und allgemeinen Kollisionsrechts, des internationalen Strafrechts, des Währungsrechts, des Religions- bzw. Kirchenrechts, des Handelsrechts und des internationalen Fluß- und Seerechts.62 Insgesamt erbrachte Martens damit konzeptionell und mit Blick auf die positivrechtliche Durchdringung inhaltlicher Aspekte der internationalisierten „alltäglichen Verwaltungsdinge" 63 des Staates einen wichtigen Beitrag auch für die Fortentwicklung des - wie es Lorenz von Stein später nannte - „internationalen Verwaltungsrechts" in der Übergangszeit vom gemäßigten Absolutismus zum aufkommenden Liberalismus. Die von ihm auch auf das Völkerrecht übertragene und dann die gesamte Vormärzzeit prägende Synthese von Sicherheits- und Wohlfahrtsförderung als Staatszweck zeigt darüber hinaus seine allgemeine Bedeutung in dieser Entwicklungsphase des öffentlichen Rechts in Deutschland auf. Mit der Verbindung des Wohlfahrtsgedankens, der noch dem absolutischen Gedankengut verhaftet ist, und der Sicherheitsfunktion als liberaler, den Individualrechtsschutz betonender Ansatz, begann die Policey Wissenschaft und hiermit einhergehend die Völkerrechtslehre in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den philosophisch insbesondere von Kant und in der Praxis durch die Menschenrechtsentwicklung in Europa und Nordamerika gekennzeichneten Übergang zu einem rechtsstaatlichen Ansatz zu rezipieren und auszuarbeiten.64 Die empirisch nicht zu leugnende Bedeutung einer sich intensivierenden völkerrechtlichen Praxis mußte so in entsprechender Weise beachtet werden. 65

61

G. F. von Martens, Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht, 92.

62

G. F. von Martens, Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht, 92-136, 164-179 und 179-194. 63

So Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 204, unter nicht ganz zutreffendem Verweis auf Reibstein, Völkerrecht, Eine Geschichte seiner Ideen in Lehre und Praxis, Bd. II, 13 f. 64

Zu diesem die Vormärzzeit prägenden Ansatz umfassend Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 250 ff. m. w. N. 65

Insoweit ist die Feststellung von Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 250, ab dieser Zeit erfolgte allmählich die Ausgrenzung der Außenpolitik aus dem Erkenntnisgegenstand der Policeywissenschaft, etwas ungenau.

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Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

C. Aufkommender Konstitutionalismus Zum Teil parallel und inhaltlich verbunden mit dem Übergang vom „Glückseligkeitsstreben" zum individualrechtlich orientierten Verwaltungsverständnis vollzog sich die Entwicklung des Konstitutionalismus im Staats- und Völkerrecht. Er sollte nachhaltige Auswirkungen auf das Verständnis eines internationalen Verwaltungsrechts haben. Der politischen Forderung und wissenschaftlichen Aufarbeitung des gesetzesgebundenen und -geleiteten Staatshandelns als zentrales Kennzeichen des Konstitutionalismus66 kam in der Nachfolge von Montesquieus „De l'Esprit des lois" (1748) in Deutschland im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert eine weite Verbreitung zu. Sie ist staatsrechtlich untrennbar mit dem Namen Karl von Rotteck (1775-1840) verbunden. 67 Die vernunftrechtlich fundierte, politisch ambitionierte und in der Aufklärung Kants ihre philosophische Vollendung findende Forderung nach der Ausrichtung staatlichen Handelns am Menschen als Subjekt und damit verbunden die Ausarbeitung der Trennung von Staat und Gesellschaft 68 sollten zum zentralen Thema der Herrschaft des Rechts im innerstaatlichen Bereich und auf internationaler Ebene führen. Die Parlamentarisierung der auswärtigen Gewalt, ihre Einbeziehung in einen einheitlichen Kanon von Hoheitsrechten und die Transposition der Rechtsidee auf die internationale Ebene öffneten verstärkt den Blick für die Interdependenzen zwischen dem staatlichen Handeln auf nationaler und internationaler Ebene. Verbunden mit einer sich intensivierenden Staatenpraxis war damit dogmatisch der Weg geebnet, um auch das internationalisierte Verwaltungshandeln verstärkt zu berücksichtigen. 69 Im hier interessierenden Bereich wirkte sich der aufkommende Konstitutionalismus zunächst hinsichtlich der Parlamentarisierung der auswärtigen Gewalt aus. Nachdem die auswärtige Gewalt von John Locke (1632-1704) der ausschließlichen Domäne der Regierung als eigenständiger Gewalt neben Legislative und Exekutive zugewiesen wurde, 70 dominierte diese Lehre gleichsam wie selbstver66

Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, 327.

67

Zu ihm umfassend statt vieler Ehmke, Karl von Rotteck, der politische Professor; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 159 ff. 68 Hierzu z. B. die Beiträge in: Böckenförde Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. I, § 28. 69 70

(Hrsg.), Staat und Gesellschaft; Rupp, in:

Zu dieser Entwicklung auch Bülck, in: FS Kraus, 29 (35 ff.).

Locke, Two Treatises of Government II, 1690, §§ 145-147; allgemein zur historischen Entwicklung der staatsrechtlichen Erfassung der auswärtigen Gewalt statt vieler Rumpf, in: FS Pfeifer, 111 ff.; Grewe, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 77 Rdnr. 9 ff.

C. Aufkommender Konstitutionalismus

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ständlich die Zeit des Absolutismus. Erst mit der beginnenden Absage an die einheitliche, in sich nicht aufteilbare Hoheitsgewalt gegen Ende des 18. Jahrhunderts rückte die ständische und dann parlamentarische Rolle der Legislative in auswärtigen Angelegenheiten in den Blickpunkt des wissenschaftlichen und verfassungspolitischen Interesses. Während sich zunächst die Unterscheidung von äußeren und inneren Hoheitsrechten u. a. bei TheodorSchmalz (1760—1831)71 und Johann Ludwig Kliiber (1762—1837)72 durchzusetzen begann, ohne daß allerdings landständische Beteiligungsrechte außerhalb ausdrücklicher Festlegung gefordert wurden, 73 stand bei Nikolaus Thaddäus Gönner (1764-1827) dann schon das Interesse an der Konstitutionalisierung der auswärtigen Gewalt auf der Tagesordnung. Für Gönner waren die materiellen Hoheitsrechte als Mittel zur Erreichung der Staatszwecke anzusehen. Hierdurch wurde für ihn die Unterscheidung von äußeren und inneren Hoheitsrechten gegenstandslos.74 In der VerfassungsWirklichkeit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnte sich allerdings eine weitreichende Konstitutionalisierung des auswärtigen Handelns zwar in Ansätzen, aber nicht umfassend durchsetzen. Dominierend war zunächst weiterhin das monarchische Prinzip, das mit Blick auf die Ausübung jeder Staatsgewalt in Art. 57 der Wiener Schlußakte vom 15. Mai 1820 auf Jahre hin gleichsam legal definiert wurde: „Da der deutsche Bund, mit Ausnahme der freien Städte, aus souverainen Fürsten besteht, so muß, dem hierdurch gegebenen Grundbegriffe zufolge, die gesamte Staats-Gewalt in dem Oberhaupte des Staats vereinigt bleiben, und der Souverain kann durch eine landständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden." 75 Läßt diese monarchische Garantie zwar vermuten, daß gerade für das auswärtige Handeln keine landständischen Beteiligungsrechte bestanden, so kam es hierzu aber doch, da bis auf Preußen fast alle deutschen Verfassungen vorsahen, daß Gesetze der Zustimmung der Stände unterliegen, soweit sie dem einzelnen gegenüber Rechte und Pflichten begründen. Angesichts der sich deutlich intensivieren71

Schmalz, Das natürliche Staatsrecht (1794), §§ 103-106.

72

Klüber, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten (1817), §§ 100 ff., zitiert nach der 3. Auflage (1831); hierzu umfassend Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, 56 ff. m. w. N. 73 Hierzu Baade, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 158 f. m. w. N. 74

Gönner, Teutsches Staatsrecht (1804), §§ 273, 274; hierzu auch Bülck, in: FS Kraus, 29 (36). 75

Abgedruckt in: E.-R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1,91 (99).

44

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

den und jetzt weite Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erfassenden Vertragspraxis im 19. Jahrhundert - und dem damit einhergehenden Schwinden der Bedeutung von klassischen Kriegs- und Friedensverträgen 76 kam es so zu einer vielfältigen Beteiligung der Stände an Angelegenheiten des auswärtigen Handelns, soweit es um die innerstaatliche Umsetzung der völkerrechtlichen Verpflichtungen ging. 77 Die u. a. von Zachariä 78 und später Proebst 19 konstatierte allgemeine Rechtslage, wonach eine Beteiligung der Stände nicht nur an der Umsetzung, sondern auch schon beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge notwendig ist, war vor diesem Hintergrund dann nur noch ein kleiner Schritt. Spätere Kodifizierungen des parlamentarischen Mitwirkungsrechts bei der Ratifikation völkerrechtlicher Verträge in der Paulskirchenverfassung (vgl. Abschnitt III, Art. IIP77), der Weimarer Reichsverfassung (Art. 45) und dem Grundgesetz (Art. 59 Abs. 2) sind eine in dieser Tradition stehende Konsequenz.80 Die mit dem Konstitutionalismus verbundene Forderung nach der Herrschaft des Rechts erfuhr im Staatsrecht zur auswärtigen Gewalt also frühzeitig ihre Entsprechung, setzte sich dann aber auch im Völkerrecht durch. Hier war es zunächst die Verrechtlichung der vom Völkerrecht betroffenen Bereiche der inneren Staatsverwaltung, die in Fortführung staatsrechtlicher Ausführungen, nunmehr vor dem Hintergrund des wachsenden internationalen Verkehrs, in den völkerrechtlichen Lehrbüchern von Schmalz, Klüber und Schmelzing auf Interesse stieß. Schmalz behandelte u. a. die Rechte „der Völker gegen einander, die Staatsverfassung betreffend", das „Verhältnis der Völker in Ansehung der Staats-Verwaltung" und den „Handel der Nationen" und legte hierbei ausführlich dar, welche staatlichen Maßnahmen in diesen Bereichen vom Völkerrecht gestattet sind. 81 Schon wesentlich ausführlicher breitete dann Klüber die innerstaatlichen Verwaltungsbereiche aus, die seiner Ansicht nach von völkerrechtlichen Rechten oder Pflichten betroffen sind. Im einzelnen zählt er hierzu: Auswanderungsverbote; allgemeine Befugnisse der vollziehenden Gewalt im innerstaatlichen Bereich; Auslieferungs76

Hierzu ausführlich Nussbaum , Geschichte des Völkerrechts, 217 ff.

77

Hierzu umfassend Meier, Über den Abschluss von Staatsverträgen, 20-28; Baade, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 159 ff. 78

Zachariä, Vierzig Bücher vom Staate, Bd. 4 (1840), 91.

79

Proebst, Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Statistik 1882, 241 (319 f.). 80

Zu weiteren Einzelheiten der verfassungsgeschichtlichen Entwicklung siehe Grewe, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 77 Rdnr. 19 ff.; Rumpf, in: FS Pfeifer, 111 ff.; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 59 Rdnr. 1 ff.; Delbrück, in: Alexy/ Laux (Hrsg.), 50 Jahre Grundgesetz, 65 (73 f.). 81

Schmalz, Das europäische Völker-Recht (1817), 142 ff., 162 ff., 193 ff.

C. Aufkommender Konstitutionalismus

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recht; allgemeine Polizeigewalt; Finanz- bzw. Steuerverwaltung; Handelsfreiheit; Münz- und Postrecht; Bergwerk-, Forst-, Jagd- und Wasserrecht; Recht der Industriekonzessionen; Recht der Titel und Ehrenzeichen; Erziehungs- und allgemeines Unterrichtsrecht; Kirchenrecht; Wehr- und Waffenrecht; Ausländerrecht; Handelsrecht; Konsularrecht. 82 Dem Ansatz Klübers folgte Schmelzing, der anhand einer umfangreichen Aufarbeitung und Systematisierung der Bereiche Gesetzgebung, Privilegien, Rechtspflege, Polizeigewalt, Staatswissenschaften und Finanzgewalt die „Unabhängigkeit und Freiheit der Europäischen Völker rücksichtlich der inneren Staatsverwaltung" darstellte. 83 In der bei den genannten Autoren in ihrer Breite und wissenschaftlichen Aufarbeitung herausragenden Erfassung verschiedener, die Staatsverwaltung in ihrem Verhältnis zum Völkerrecht betreffender Rechtsbereiche kommt bereits zum Ausdruck, wie sich angesichts einer sich stetig intensivierenden internationalen Zusammenarbeit und Interaktion der Blick für ein internationalisiertes Verwaltungshandeln im Sinne einer Verrechtlichung, die der Konstitutionalismus fordert, öffnet. Auch wenn zunächst noch die Sicherung der Souveränität „rücksichtlich der inneren Staatsverwaltung" im Vordergrund des Interesses stand, sind darüber hinaus deutliche Anzeichen dafür gegeben, mit der fortschreitenden wissenschaftlichen und damit auch terminologischen Durchdringung des Verwaltungsrechts auch die sie betreffenden internationalen Aspekte zu beachten. Den völkerrechtlichen Durchbruch erfährt der Konstitutionalismus dann in der Fortsetzung des Werkes von Johann Christoph vonAretin (1773-1824) durch von Rotteck} 4 Er schreibt über die „Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten": „Hier wie in allen anderen Sphären des Staatslebens oder der Thätigkeit der Staatsgewalt, ja hier ganz vorzüglich, ist die erste und wichtigste Frage die des Rechts". 85 Die damit vollzogene transnationale Rechtsherrschaft fand 1841 bei 82

Kliiber, Europäisches Völkerrecht (1821), §§ 39, 56, 66, 67, 68 ff., 71, 73 ff., 77, 84 ff., 136, 150 ff., 173 ff.; hierzu auch Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 204 f.; zur Bedeutung von Klüber als beherrschender Autorität des öffentlichen Rechts der Vormärzzeit siehe Stolleis, Geschichte des öffentlichen Recht in Deutschland, Bd. II, 71 und 83 ff. m. w. N.; zur Bedeutung Klübers in der Völkerrechtslehre auch Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts, 269 f. 83

Schmelzing, Systematischer Grundriß des praktischen europäischen Völkerrechts, I. Teil (1818), §§ 130 ff. 84 Zur Fortsetzung des Werkes von von Aretin durch von Rotteck nach dessen Tod und allgemein zu seiner Bedeutung siehe Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 163 f.; zur völkerrechtlichen Bedeutung von von Aretin auch Biilck, in: FS Kraus, 29 (37 f.). 85 von Rotteck, Lehrbuch des Vernunftrechts und der Staats Wissenschaften, Bd. 3, Materielle Politik (1834), 1.

46

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

Karl Salomo Zachariä (1765-1843) durch die juristische Begründung des philosophisch von Kant begründeten Weltbürgerrechts 86 eine erste Vollendung. Für Zachariä verlangen Idee und Begriff der einheitlichen Menschheit und das daraus folgende Weltbürgerrecht, daß „wenn auch die Menschengattung nach Familien, nach Stämmen und Nationen, nach Staaten und Völkern gesondert und geschaart ist, so soll doch der Mensch sich als ein Mitglied eines die gesamte Menschheit umfassenden Vereins, alle Menschen als seine Brüder, das Interesse der gesammten Menschheit als das seinige betrachten und so handeln, wie es diese Ansicht fordert." 87 Dieses zunächst philosophische Postulat ist für Zachariä auch ein rechtlicher Grundsatz, der sich darin ausdrückt, daß „von Rechtswegen ein jeder einzelne Staat den Verkehr zwischen dem In- und Auslande frei lassen, In- und Ausländer einander dem Rechte nach gleichstellen [soll]". 88 Im einzelnen verortet wird das so definierte Weltbürgerrecht in der Ausreisefreiheit, der Handelsfreiheit, der Freiheit zum weltweiten geistigen Verkehr und der rechtlichen Gleichstellung von In- und Ausländern. 89 Beachtenswert und den Bogen zum internationalisierten Verwaltungshandeln spannend ist bei Zachariä, daß er das Weltbürgerrecht nicht dem Völkerrecht zurechnet, sondern es in der souveränen Entscheidungsmacht zur Regelung der inneren Angelegenheiten eines jeden Staates verwirklicht sehen will. 9 0 Hieraus, und dies zeigt den juristischen Realitätsbezug der Idee des Weltbürgerrechts zur damaligen Zeit auf, ergibt sich allerdings das Problem vom „antikosmopolitischen Geiste der positiven Gesetze", deren Ratio Zachariä oftmals in der Verfolgung partikularer, gerade nicht dem Weltbürgerrecht zugewandter Interessen sieht.91 Resümierend stellt er daher auch fest: „Das Weltbürgerrecht hat dieselben Feinde, wie der Grundsatz der rechtlichen Gleichheit überhaupt". 92 Ganz anders wurde dies philosophisch freilich noch von Hegel gesehen, obwohl auch er - prima facie ganz im Sinne des Weltbürgerrechts - der individuellen Rechtspersönlichkeit universelle Bedeutung beimißt, diese dann allerdings nur auf die bürgerliche Gesellschaft erstreckt: „Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener u. s. f. ist, - dies 86 Z. B. Kant, Zum ewigen Frieden, Dritter Definitivartikel; ausführlich hierzu Brandt, in: Höffe (Hrsg.), Zum Ewigen Frieden, 133 ff.; Dicke, in: ders./Kodalle (Hrsg.), 115 ff. 87

Zachariä, Vierzig Bücher vom Staate, Bd. 5, 235.

88

Zachariä, Vierzig Bücher vom Staate, Bd. 5, 236.

89

Zachariä, Vierzig Bücher vom Staate, Bd. 5, 240-248.

90

Zachariä, Vierzig Bücher vom Staate, Bd. 5, 248.

91

Zachariä, Vierzig Bücher vom Staate, Bd. 5, 249 ff.

92

Zachariä, Vierzig Bücher vom Staate, Bd. 5, 257.

C. Aufkommender Konstitutionalismus

47

Bewußtsein, dem der Gedanke gilt, ist von unendlicher Wichtigkeit, - nur dann mangelhaft, wenn es etwa als Kosmopolitismus sich dazu fixiert, dem konkreten Staatsleben gegenüber zu stehen".93 Auf das konkrete Staatsleben bezogen ist für Hegel die Fixierung auf den der sittlichen Idee entspringenden Nationalstaat in seiner Individualität von zentraler Bedeutung. Es kann für ihn demnach per se keinen „antikosmopolitischen Geist der positiven Gesetze" geben, da Staaten „vollkommen selbstständige Totalitäten an sich" seien und es daher ausschließlich auf ihren Willen zur Bestimmung des rechtlichen Sollens ankomme.94 Völkerrecht wird folglich zum äußeren Staatsrecht, zumal mit Blick auf die völkerrechtlichen Verträge, deren empirische Bedeutung von Hegel ohnehin als „von unendlich geringerer Mannigfaltigkeit" beschrieben wird. 95 Daß Hegel mit dieser Ansicht die wachsenden rechtlichen Verflechtungen der Staaten schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verkannte, wurde vielfach hervorgehoben 96 und zeigt sich darüber hinaus mit Blick auf den dogmatischen Ertrag in der dargestellten Aufarbeitung dieses Phänomens in der Verwaltungs- und Völkerrechtslehre. 97 Insoweit blieben Hegels Ansichten im hier interessierenden Zusammenhang zumindest in ihrer Radikalität zunächst ohne nachhaltigen Einfluß. 98 Der bei Zachariä im Schwerpunkt noch philosophisch geprägte „kosmopolitische" Ansatz gewinnt vielmehr in der Völkerrechtslehre von Carl Baron Kaltenborn von Stachau (1817-1866) einen positiv-rechtlichen Gehalt. In seiner Monographie zur „Kritik des Völkerrechts" von 1847 scheint sich Kaltenborn zwar zunächst an die subjektive Idee des Staates von Hegel anzulehnen, er ergänzt diese Vorstellung dann aber nachdrücklich durch den objektiven Begriff der internationalen Rechtsgemeinschaft. 99 Für ihn ist Ausgangsüberlegung, daß das Recht allgemein eine Norm für die Beziehung der Glieder eines Gemeinwesens untereinander ist. Seine liberale Grundhaltung mit der Betonung der Freiheit des Individu-

93

Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 209.

94

Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 330, 333.

95

Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 330, 332.

96

Deutlich hierzu Rosenzweig, Hegel und der Staat, Bd. 2,174; siehe auch Biilck, in: FS Kraus, 29 (41); von Trott zu Solz, Hegels Staatsphilosophie und das Internationale Recht, 80 f. sowie passim zur Völkerrechtskonzeption Hegels. 97 Zur heutigen Auseinandersetzung mit der Konzeption Hegels über den Geltungsgrund des Völkerrechts siehe Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1,35 ff.; Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes auf der Grundlage der Völkerrechtsverfassung, 5 f. 98

Zur Willenstheorie im Völkerrecht ab ca. 1875 und dem damit verbundenen Dualismus siehe noch infra Teil 1, F. II. 99 Vgl. Kaltenborn, Kritik des Völkerrechts, 267; hierzu auch Bülck, in: FS Kraus, 29 (42); kurz auch Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts, 322.

48

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

ums tritt dabei klar hervor. 100 Da demnach der Staat ein zur Rechtsgemeinschaft konkretisiertes Volk als Teil der Menschheit und in Anerkennung der Freiheit und Rechtsgebundenheit des einzelnen sei, ist für Kaltenborn der Schritt zur internationalen Rechtsgemeinschaft zwingend: „Wie aber das Volk demnach nur ein Theil, ein Glied der Menschheit ist und als ein Glied eines Ganzen erst seine Einheit in der Menschheit hat, so hat der Staat als der Ausdruck des Rechtsgemeinwesens eines Volkes in der Rechtsgemeinschaft der Staaten zur politischen Einheit der Menschheit eine höhere Macht, als er selbst ist, anzuerkennen und sich als Glied dieser höheren Rechtsgemeinschaft zu geriren". 101 Damit bleibt der Staat in seiner Eigentümlichkeit bestehen, es wird nur eine „höhere Einheit des Rechtslebens" hinzugefügt, nämlich die auswärtigen Beziehungen in ihrer Gebundenheit an das Völkerrecht: „ A u f diese Weise wird das an sich nur nationale Rechtsleben des Staates in ein über die Nation hinausgehendes, allgemein menschliches Rechtsgemeinwesen erhoben, in eine internationale Ordnung des Rechts". 102 Rechtssubjekte dieser internationalen Ordnung des Rechts sind die souveränen Staaten, die ihrerseits das Individuum mediatisieren, so daß dieses nur als mittelbares Rechtssubjekt bezeichnet werden könne. Die Staaten jedoch als unmittelbare Rechtssubjekte müssen „wie in jeder anderen Rechtsordnung ... eine höhere Ordnung über sich anerkennen und sich als Glieder eines diese Ordnung bildenden Ganzen geriren", 103 wobei die Völkerrechtsordnung zugleich die Souveränität der Staaten zu achten hat. Daraus ergibt sich eine Wechselwirkung von subjektiven und objektiven Maßstäben, die schon von von Savigny als die „Gemeinschaft des Rechtsbewußtseyns unter den verschiedenen Völkern, wie sie in Einem Volk das positive Recht erzeugt", bezeichnet wurde. 104 Kaltenborn entwirft also auf philosophischer Grundlage eine positivrechtliche Vorstellung vom Geltungsgrund des Völkerrechts. Für ihn ist das Völkerrecht eine internationale und über den subjektiven Staatswillen hinausgehende Rechtsordnung. Diese Lehre hebt sich deutlich von den etatistischen Ideen Hegels ab und sollte 150 Jahre später in der Völkerrechtslehre wieder weit verbreitet sein. 105 100

Kaltenborn, Kritik des Völkerrechts, 256 f.

101

Kaltenborn, Kritik des Völkerrechts, 260.

102

Kaltenborn, Kritik des Völkerrechts, 261.

103

Kaltenborn, Kritik des Völkerrechts, 262 f.

104

Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 1, 33.

105

Vgl. Mosler, ZaöRV 36 (1976), 6 ff.; ders., The International Society as a Legal Community, passim; Tomuschat, AVR 33 (1995), 1 ff.; ders., RdC 241 (1993), 195 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 2-21; Herdegen, Völkerrecht, § 1 Rdnr. 15 ff.

C. Aufkommender Konstitutionalismus

49

Gleichzeitig gelingt es Kaltenborn so, einzelne Regelungsgegenstände aufzuzeigen, die „als organische Producte, als gesunde und naturgemässe Gliederungen des internationalen Gemeinwesens, nicht als blosse Ausnahmen von der vermeintlich allein als berechtigt erscheinenden souverainen Staatsgewalt erscheinen". 106 Hierzu zählt er u. a. Fragen der Zoll-, Kriegs-, Polizei-, Post- und Münzhoheit, Handelsbündnisse sowie die „völkerrechtlichen Vereinigungen zu gemeinschaftlichen Interessen der Politik, des Handels, der Religion, des materiellen Lebens, der Fabriken, Eisenbahnen, der Posten, des geistigen Lebens, der Presse, des Zeitungs- und Bücherverkehrs." 107 Auf diese Weise wird die internationale Rechtsordnung bei Kaltenborn ihrem Inhalt nach Grundlage auch eines internationalisierten Verwaltungshandelns der Staaten im Interesse des internationalen Gemeinwesens. Zusammenfassend ist damit hervorzuheben, daß die Rezeption der konstitutionellen Idee im Völkerrecht u. a. bei von Rotteck, Zachariä und Kaltenborn zur wissenschaftlichen Durchdringung des internationalisierten Verwaltungshandels beitrug. Der Anerkennung internationaler Interdependenzen, die über die politischen Beziehungen der Staaten hinausgehen, der Erstreckung des auswärtigen Handelns auf die Rechtsstellung des Individuums und dann der Idee der internationalen Rechtsgemeinschaft kommt hierbei maßgebliche Bedeutung zu. Völkerrechtlich relevantes Handeln wird - mit Ausnahme von Hegel - nicht länger als ausschließliche Angelegenheit souveräner Herrscher angesehen, sondern wird in das Gesamtbild des die Rechtssphäre eines jeden Bürgers betreffenden öffentlichen Handelns eingebunden. Damit entsteht in Ansätzen eine Vorstellung davon, wie sich hoheitliches Verhalten insbesondere auf dem Verwaltungsgebiet im Lichte einer immer enger werdenden völkerrechtlichen Verbundenheit der Staaten darstellt. Bei Robert von Mohl und Lorenz von Stein findet sich dann ein Bild des internationalisierten Verwaltungshandelns, das auf diesen Erkenntnissen aufbaut und sie wissenschaftlich in ein System des Verwaltungsrechts einbettet.

106 107

Kaltenborn, Kritik des Völkerrechts, 298.

Kaltenborn, Kritik des Völkerrechts, 299. Kaltenborn, ebda., bezeichnet die aufgezählten Bündnisse als „temporäre Staatenbündnisse" und meint hiermit in moderner Terminologie wohl internationale Organisationen.

50

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

D. Die Etablierung der internationalisierten Verwaltungsrechtswissenschaft im Konstitutionalismus bei Robert von Mohl und Lorenz von Stein I . Robert von M o h l

Das wissenschaftliche Lebenswerk Robert von Mohls (1799-1875) wird in der Regel mit der Unterscheidung von Verfassung und Verwaltung, der Durchdringung des materiellen Rechtsstaatsbegriffes, der aufkommenden Fokussierung der sozialen Frage als Rechtsproblem und der Entwicklung einer Staatsund Verwaltungslehre verbunden. 108 Wenngleich auch die Leistungen von Robert von Mohl in diesen Bereichen von herausragender Bedeutung gerade für die jüngere Staatsrechtswissenschaft sind, so muß es doch verwundern, daß seine Arbeiten im Schnittpunkt zwischen Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht, und damit letztlich im hier interessierenden Bereich des internationalisierten Verwaltungshandelns, bislang kaum Beachtung gefunden haben. 109 Sie deuten durch die inhaltliche Konturierung des Begriffes der internationalen Gemeinschaft 110 Überlegungen an, die heute wieder von aktuellem Interesse sind. 1 1 1 Schon dieser Umstand zeigt die Notwendigkeit auf, sich näher mit dem Beitrag Robert von Mohls zur Entwicklung eines internationalisierten Verwaltungshandelns im System der allgemeinen Verwaltungswissenschaften und des Völkerrechts zu befassen. Die Behauptung, selbst im Zeichen des aufkommenden Konstitutionalismus in der ersten Hälfe des 19. Jahrhunderts sei Deutschland noch ein Polizeistaat im

108 Hierzu und allgemein zu Leben und Werk Robert von Mohls Scheuner, Der Staat 18 (1979), 1 ff.; ders., in: Decker-Hauff/Fichtner/Schreiner (Hrsg.), 500 Jahre Eberhard-KarlsUniversität Tübingen, 515 ff.; Angermann, Robert von Mohl, passim; Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 219 ff.; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 258 ff.; Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 179 ff.; M. Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, 202 ff.; Schroeder, NJW 1998, 1518 ff. m. w. N.; zu weiteren Einzelheiten siehe auch von Mohl, Lebenserinnerungen, Bd. 1, passim. 109

Kurze Erörterungen allerdings bei Biilck, in: FS Kraus, 29 (43 f.); Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 47 f.; Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 56. 110

Insbesondere von Mohl, Die Pflege der internationalen Gemeinschaft als Aufgabe des Völkerrechts, in: Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, 579 ff.; kritisch hierzu Geyer, Über die neueste Gestaltung des Völkerrechts (1866), 16 ff. 111

Vgl. Tomuschat, AVR 33 (1995), 1 ff.

D. Etablierung der internationalisierten Verwaltungsrechtswissenschaft

51

negativen Sinne des Wortes gewesen,112 läßt sich in dieser Pauschalität zwar wohl nicht halten. 113 Die Zeit und damit auch das wissenschaftliche Werk von Mohls ist aber durch die Auseinandersetzung zwischen liberalen, den Individualrechtsschutz betonenden Konzepten und überkommenen, wenn auch weiterentwickelten Vorstellungen hoheitlicher Wohlfahrtspflege bestimmt. Während in dieser Kontroverse vielfach die liberale Position einer Reduzierung des Staatszweckes auf den Schutz des Rechts vertreten wurde, 114 nahm von Mohl gleichsam eine vermittelnde Position ein. Für die von ihm entwickelte Staats- und Verwaltungswissenschaft war der Begriff des Rechtsstaates, in einem materiellen Sinne verstanden, Kerngedanke für die Verortung öffentlich-rechtlicher Aufgabenwahrnehmung im Spannungsverhältnis von Staat und Individuum. Ausgehend von der Anerkennung der Selbständigkeit des einzelnen in der Gesellschaft umschreibt er die zwei zentralen staatlichen Aufgaben im Rechtsstaat wie folgt: „Erstens, Aufrechterhaltung der Rechtsordnung im ganzen Bereiche der Staatskraft, als ein Bedürfnis und ein Gut an sich und als die Bedingung alles Weiteren. Zweitens, die Unterstützung vernünftiger menschlicher Zwecke, wo und insoweit die eigenen Mittel der einzelnen oder bereits zu kleineren Kreisen vereinigt, Betheiligten nicht ausreichen". 115 In diesen Sätzen kommt auf der einen Seite eine Absage an die absolutistische Vorstellung des Staatszweckes einzig zur Verwirklichung der „Glückseligkeit" der Untertanen zum Ausdruck, andererseits wird aber auch die konzeptionelle Verengung auf den formalen Rechtsstaatsbegriff inhaltlich abgelehnt. Gleichzeitig eröffnet sich von Mohl durch den materiellen Rechtsstaatsbegriff 116 die Möglichkeit, insbesondere seine Verwaltungslehre nicht nur auf die Rechtsformen der Verwaltung zu beschränken, sondern umfassendere gesellschaftliche Entwicklungsprozesse zu beachten. Dadurch wird der Blick frei für die Bereiche der fördernden und gestaltenden Verwaltung. 117 Verwaltung in diesem Sinne ist für ihn 112

Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1 (1895), 38 ff.; W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 84-88; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 41 f. 113

Rüfner, Formen öffentlicher Verwaltung im Bereich der Wirtschaft, 170 f.; Scheuner, in: Hauff/Fichtner/Schreiner (Hrsg.), 500 Jahre Eberhard-Karls-Universität Tübingen, 515 (524 f.). 114

Siehe die Nachweise bei Scheuner, in: Hauff/Fichtner/Schreiner (Hrsg.), 500 Jahre Eberhard-Karls-Universität Tübingen, 515 (525). 115

von Mohl, Encyklopädie der Staatswissenschaften (1859), 325; hierzu im einzelnen Scheuner, Der Staat 18 (1979), 1 (16 ff.); Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 226 ff. 116

Hierzu jüngst Sobota, Der Prinzip Rechtsstaat, 306 ff. und 448 ff.; sowie Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 24 ff. 117

Scheuner, in: Hauff/Fichtner/Schreiner (Hrsg.), 500 Jahre Eberhard-Karls-Universität Tübingen, 515 (526 f.).

52

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

daher „die Gesamtheit der Vorschriften und Handlungen, welche dazu bestimmt sind, den Inhalt der Verfassung in allen einzelnen vorkommenden Fällen zur Anwendung zu bringen und demgemäß das ganze Leben im Staate einheitlich zu leiten". 118 Die Verfassung hingegen legt die Staatszwecke fest, beschreibt den zu ihrer Verwirklichung bestimmten „Organismus", regelt nach Form, Grenzen und Inhaber die Staatsgewalt und befaßt sich schließlich mit dem Verhältnis der Staatsangehörigen und „der Gesammtheit". Sie ist also „die Grundlage, der Grundsatz, das Ruhende und Feste", während die Verwaltung als „das sich Bewegende und Wechselnde, die Wirksamkeit und die Anwendung im Staate" beschrieben wird. 1 1 9 In einem unmittelbaren Zusammenhang zu dieser Staats- und Verwaltungslehre steht die konzeptionelle Durchdringung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft bei von Mohl. In Modifikation zu der Dichotomie von Staat und Gesellschaft, die seine Zeit bestimmte, sieht von Mohl die Gesellschaft als ein zwischen dem Individuum und der Staatseinheit liegendes Feld an, „in dem natürliche Verbindungen der Menschen wie Nationalität, Rasse, Klasse oder Religion und organisierte Vereinigungen sich entfalten". 120 Die Dreiteilung von Individuum, Gesèllschaft und Staat führt dazu, daß für ihn die Gesellschaft nicht in Gegensatz zum Staat gestellt wird, sondern als ein integraler Bestandteil desselben erscheint. Auch durch diese Sichtweise wird es für ihn möglich, über formaljuristische Aspekte hinausgehend die Staatswissenschaften auch im Sinne einer soziologischen Analyse zu konturieren; dies ist letztlich die Grundlage für die heute wieder durch die moderne Verwaltungslehre eingenommene Sichtweise.121 Materieller Rechtsstaatsbegriff, die Unterscheidung von Verfassung und Verwaltung, die Betrachtung des Rechts im sozialen, gesellschaftlichen Kontext und die hieraus folgende Herausbildung der Verwaltungslehre sowie die grundlegende - wenngleich auch zum Teil unklare - Beschreibung der Gesellschaft als in den Staat eingefügte Sphäre bilden so die Grundlage für die Ausführungen von Mohls zur „Pflege der internationalen Gemeinschaft als Aufgabe des Völkerrechts". Die unter diesem Titel von ihm verfaßte Abhandlung erschien 1860 erstmals in seinem

118

von Mohl, Encyklopädie der Staats Wissenschaften (1859), 131.

119

von Mohl, Encyklopädie der Staatswissenschaften (1859), 130 f.

120

Scheuner, in: Hauff/Fichtner/Schreiner (Hrsg.), 500 Jahre Eberhard-Karls-Universität Tübingen, 515 (529); siehe insbesondere von Mohl, Encyklopädie der Staatswissenschaften (1859), 18 ff.; hierzu Angermann, Robert von Mohl, 365 ff. 121 Zur interdisziplinären Ausrichtung der Verwaltungslehre i. S. der Verwaltungswissenschaften siehe Püttner, Verwaltungslehre, 7 ff. m. w. N.

D. Etablierung der internationalisierten Verwaltungsrechtswissenschaft

53

Sammelwerk „Staatsrecht, Völkerrecht und Politik". 122 In ihrer inhaltlichen Ausrichtung geht sie aber bereits auf Ausführungen zurück, die von Mohl in der Encyklopädie der Staatswissenschaften entwickelt hatte. 123 Schon in der Encyklopädie stellte von Mohl im Sinne einer soziologischen Betrachtung des internationalen Systems darauf ab, daß „sowohl die einzelnen Menschen und gesellschaftlichen Kreise, wie die Staaten als Ganzes, ... nicht selten ihre Zwecke durch ein ausschließlich innerhalb der Grenzen ihres Gebietes gehaltenes Leben nicht erreichen [können], sondern sie müssen zu ihrer vollständigen Auslebung mit fremden Menschen und Dingen, und hinsichtlich der ersteren sowohl mit einzelnen als mit ganzen Staaten, in Verbindung treten". Die hieraus folgende normative Ableitung wird konsequent als „Grundsatz der Verkehrsnothwendigkeit" bezeichnet,124 der seinerseits bestimmte Verhaltensanforderungen für die Staatsleitung und die Verwaltungsbehörden im Sinne einer internationalen Kooperation beinhalte.125 Seine philosophische und normative Vollendung findet der „Grundsatz der Verkehrsnothwendigkeit" dann in den Ausführungen zur „Pflege der internationalen Gemeinschaft als Aufgabe des Völkerrechts". Für von Mohl handelt es sich hierbei um die Aufarbeitung eines „besonders vernachlässigten Theil" des Völkerrechts, der bislang einzig von Kaltenborn gesehen, aber von ihm nicht hinreichend systematisch aufgearbeitet worden sei. 126 Ausgangsüberlegung für die Entwicklung des Rechts der internationalen Gemeinschaft ist bei von Mohl eine organische Betrachtung von Gemeinschaften insgesamt: Die Menschheit trete immer in verschiedene Gemeinschaften ein, nämlich die Familie, sonstige gesellschaftliche Kreise, den Staat und schließlich die internationale Gemeinschaft. 127 Analog der Situation innerhalb eines Staates sei dabei die internationale Gemeinschaft eine Verbindung „an sich von einander unabhänige[r] Völkerorganismen", deren Zweck in der „gemeinschaftliche^ Förderung solcher gemeinsamer Aufgaben [liegt], deren Erreichung einem einzelnen Staate nicht möglich ist". Damit überträgt von Mohl inhaltlich seinen materiellen Rechtsstaatsbegriff auf die internationale Ebene und nimmt ihn als Grundlage seines Völkerrechtsbegriffes. Vor diesem Hintergrund muß für ihn die bisherige wissenschaftliche Durchdringung des Völkerrechts unzureichend sein, da über die Ab122

von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik (1860), 579 ff.

123

von Mohl, Encyklopädie der Staatswissenschaften (1859), 402 ff. und insbesondere

415 ff. 124

von Mohl, Encyklopädie der Staatswissenschaften, 416.

125

Siehe insbesondere von Mohl, Encyklopädie der Staatswissenschaften, 424 ff.

126

von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik (1860), 580 f.

127

von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik (1860), 582 f.

54

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

grenzung einzelstaatlicher Souveränitätssphären hinausgehende Aspekte kaum herausgestellt wurden. Dementsprechend macht von Mohl einen „doppelten Fehler" in der „Bearbeitung des Völkerrechts ... seit dritthalb Jahrhunderten" aus: Erstens die ausschließliche Erfassung völkerrechtlicher Fragestellungen „vom Standpunkte der Souveränität der Staaten aus", was zu dem Bemühen geführt habe, „so wenig als möglich von der Selbstständigkeit aufzugeben", obwohl es doch unter dem allgemeinen Ziel der „Erreichung der menschenlichen Lebenszwecke" um wesentlich mehr gehen müsse.128 Hiermit verbunden ist für ihn dann als zweiter Fehler zu bezeichnen, daß immer nur die zwischenstaatlichen Beziehungen erörtert wurden, ohne auch die einzelnen und die Gesellschaften in eine Betrachtung der internationalen Beziehungen einzubeziehen. Insgesamt müsse zur Entwicklung eines philosophischen und positiven Völkerrechts also auf alle Subjekte des internationalen Verkehrs, einschließlich der Individuen und der gesellschaftlichen Kreise, und auf alle objektiven Gegenstände des internationalen Verkehrs abgestellt werden. 129 Für von Mohl führt der Begriff der internationalen Gemeinschaft allerdings nicht zu einer Absage an das Konzept und die Bedeutung der staatlichen Souveränität - im Gegenteil: Die mit dem Interesse an staatlicher Selbsterhaltung umschriebene Souveränität steht nach seiner Konzeption neben dem Interesse „durch geordnete Verbindung des Staates mit fremden Staaten sowohl die Lebenszwecke des eigenen Volkes, als die des gesamten Menschengeschlechtes zu fördern". 130 Souveränität und souveränitätsübergreifende internationale Gemeinschaft ergänzen sich also, wiederum ganz im inhaltlichen Sinne des materiellen Rechtsstaatsbegriffes. Nur wenn die dem materiellen Rechtsstaatsbegriff zugrundeliegenden Ziele nicht einzelstaatlich zu erreichen sind, entfaltet sich eine Verpflichtung zur internationalen Kooperation, um auf der internationalen Ebene eben diese Ziele zu verwirklichen. 131 Dabei muß aber eine systematische Trennung von Souveränitätsund internationaler Gesellschaftslehre bestehen bleiben, 132 wobei ihr Verhältnis zueinander analog dem Verhältnis von Verfassungs- und Verwaltungsrecht erfolgen kann: Die maßgeblichen souveränitätsbezogenen Rechtssätze lassen sich nach von Mohl nahezu abschließend feststellen und sind ihrerseits beständig, während die die internationale Gemeinschaft im darüber hinausgehenden Sinne prägenden 128

von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik (1860), 585.

129

von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik (1860), 586 f.

130

von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik (1860), 588.

131

von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik (1860), 590; siehe auch ebda., 594: „... die Lehre von der völkerrechtlichen Souveränität geht allen Anderen vor; aber sie ist nicht der einzige Inhalt des internationalen Rechts". 132

von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik (1860), 599 f.

D. Etablierung der internationalisierten Verwaltungsrechtswissenschaft55

Normen einem ständigen Wandel unterworfen seien.133 In dieser Analogie zeigt sich deutlich, daß von Mohl mit seiner Lehre von der internationalen Gemeinschaft inhaltlich die rechtlichen Konturen eines internationalisierten Verwaltungshandelns umschrieb. Die unterschiedlichen Regelungsaspekte mit Blick auf die internationale Gemeinschaft werden im Anschluß an die Herausarbeitung der dogmatischen Grundlagen von von Mohl im einzelnen anhand seiner Unterscheidung von staatlichen, gesellschaftlichen und individuellen Interessen systematisiert. Im Rahmen der Kategorie der Förderung der staatlichen Zwecke durch andere Staaten behandelt er zunächst einzelne Gegenstände der Rechtsordnung (u. a. internationale Harmonisierung der Gesetzgebung; Zusammenarbeit der „Präventivjustiz" einschließlich Ausländerpolizei, internationale Betrugsbekämpfung und Warenzeichenverletzungen; Zusammenarbeit der Zivil- und Strafjustiz; Vollstreckungsrecht) 134 und geht dann zu den „Gegenständen der polizeilichen Fürsorge" über. Diesen Abschnitt leitet von Mohl mit der Feststellung ein, daß „der Rechtsstaat der Neuzeit... nicht bloss eine Justizanstalt [ist], sondern er hat auch die Aufgabe, seinen Unterthanen die Erreichung ihrer Lebenszwecke durch Anwendung der Gesammtmacht zu erleichtern, wenn die eigenen Kräfte der Einzelnen oder der gesellschaftlichen Kreise zur vollen Erlangung nicht ausreichen. Der Grundgedanke dabei ist, grössere Hindernisse durch noch grössere Kraft zu beseitigen. Nichts ist nun aber möglicher, als dass gerade in Beziehung auf solche Arten von Leistungen die Mittel des einzelnen Staates nicht ausreichen". 135

Zu den Bereichen staatlichen Handelns im Verwaltungsrecht, in denen der Staat an die Grenzen seiner nationalen Kapazitäten stößt und daher internationale Kooperation geboten ist, zählt von Mohl die Auswanderungsangelegenheiten, die Seuchenbekämpfung, die internationale Lebensmittelhilfe, den internationalen Kulturaustausch, das Gewerberecht (z. B. Patentschutz und Arbeitsschutzstandards) und den internationalen Handel einschließlich die grenzüberschreitende Verkehrsinfrastruktur (Eisenbahnen, Post, Schiffahrt). 136 Im Rahmen der Förderung gesellschaftlicher Zwecke durch internationale Kooperation werden sodann die Anerkennung und gegebenenfalls Förderung ausländischer Gesellschaften sowie schließlich hinsichtlich der Förderung der Zwecke

133

von Mohl,, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik (1860), 601.

134

von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik (1860), 602-613.

135

von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik (1860), 613.

136

von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik (1860), 613-620.

56

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

einzelner verschiedene Aspekte der Rechtsstellung von Ausländern in der nationalen Rechtsordnung behandelt.137 Insgesamt legte Robert von Mohl auf der Grundlage des Begriffes von der internationalen Gemeinschaft die wohl erste zusammenhängende, inhaltlich kohärente Gesamtdarstellung eines internationalisierten Verwaltungshandelns vor. Für ihn ist es ausgehend von dem materiellen Rechtsstaatsverständnis in Verbindung mit einer soziologischen Betrachtung der tatsächlichen Begebenheiten hinsichtlich der Stellung des Nationalstaates im internationalen System geradezu zwingend, in der grenzüberschreitenden Kooperation, insbesondere in weiten Bereichen der „polizeilichen Fürsorge", eine normative Notwendigkeit zu sehen. Daß er hierbei nicht immer nur das positive Recht beschrieb, sondern im Sinne seines „philosophischen Völkerrechts" auch de lege ferenda arbeitete, war ihm ebenso bewußt wie die schon fast resignierende Befürchtung, daß sein wissenschaftliches Konzept „nicht bei allen Pflegern der Völkerrechtswissenschaft Eingang finden wird". 1 3 8 Inwieweit dies zutrifft, wird im Laufe dieser Untersuchung noch ebenso zu erörtern sein wie die Frage nach der positiv-rechtlichen Verankerung einer für die internationale Gemeinschaft notwendigen Kooperation im Verwaltungshandeln. Unabhängig hiervon ist aber festzustellen, daß von Mohl inhaltlich wegweisend und über seine Zeit weit hinausreichend seine wissenschaftliche Leistung im deutschen Verwaltungsrecht und der Verwaltungslehre auf die internationale Ebene ausdehnte und damit den Blick für das internationalisierte Verwaltungshandeln im Rechtsstaat eröffnete. 139

II. Lorenz von Stein Zusammen mit Robert von Mohl stand Lorenz von Stein (1815-1890) in gewisser Opposition zur sich entwickelnden strengen Trennung von Verwaltungslehre und Verwaltungsrecht, von materiellem und formellem Rechtsstaatsbegriff. 140 Mit seiner Verwaltungslehre, die auf einer organologischen Methode aufbaute, mußte von Stein fast zwangsläufig in Konflikt mit dem aufkommenden und sich schnell durchsetzenden Positivismus treten, der sich auch und gerade auf die wissen137

von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik (1860), 620-626 und 626-636.

138

von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik (1860), 636.

139

Hierzu auch jeweils knapp Bülck, in: FS Kraus, 29 (43 f.); Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 214 f. 140

Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 383; zu Lorenz von Stein allgemein siehe die Beiträge in: Schnur (Hrsg.), Staat und Gesellschaft; von Mutius (Hrsg.), Lorenz von Stein 1890-1990, jeweils m. w. N.

D. Etablierung der internationalisierten Verwaltungsrechtswissenschaft57

schaftliche Durchdringung der juristischen Erfassung des Verwaltungshandelns auswirkte. Erst in neuerer Zeit erfährt die Verwaltungslehre von Steins wieder eine gesteigerte Aufmerksamkeit, die sich in der Forderung nach einer Berücksichtigung der Verwaltungszwecke im Rahmen der Diskussion zur Dogmatik des Verwaltungsrechts allgemein ausdrückt 141 und von Schmidt-Aßmann pointiert dahingehend umschrieben wurde, daß das moderne Verwaltungsrecht sich nicht mehr ausschließlich auf die „Disziplinierung einer ausgreifenden wohlfahrtsstaatlichen Staatsraison und ihrer monarchischen Exekutive" im Sinne der älteren Verwaltungsrechtslehre beschränken kann. 142 Dies ist inhaltlich auch ein Gedanke von Steins, der in seinen verbundenen Konzepten der nationalen Verwaltungslehre und des „internationalen Verwaltungsrechts" zum Ausdruck kommt.

1. Grundlagen der staatswissenschaftlichen

Gedanken von Steins

Lorenz von Stein verstand sich als Staatswissenschaftler, dem es um die einheitliche und in einem Gesamtkonzept zusammengefaßte Analyse der heute weitgehend getrennten Disziplinen Gesellschaftslehre (Soziologie), Volkswirtschaft, Finanzwissenschaften, Verwaltungslehre und öffentliches Recht ging. Seine Verwaltungslehre war in diesem Ansatz ein wichtiges Element, das in der Entwicklung der Verwaltungswissenschaft in Deutschland insbesondere mit der - allerdings überbetonten - Trennung von Polizei und Verwaltung die Verabschiedung von der noch von Robert von Mohl verfolgten Polizeiwissenschaft bewirkte. 143 Die Beschreibung des Zieles der Verwaltung als auf „die freie und selbsttätige Entwicklung der Einzelnen" gerichtet und dementsprechend die Reduzierung der Polizeitätigkeit auf den Schutz des Individuums vor Gefahren 144 findet sich dann auch im von von Stein umfassend entwickelten und geprägten internationalen Verwaltungsrecht wieder. Grundlage der staatswissenschaftlichen Gedanken von Steins ist zunächst seine Betrachtung des Individuums als in Sphären des Natürlichen und der Persönlichkeit eingeteilt. Während das Natürliche in diesem System statisch ist, richtet sich der wesentliche zweite Teil der Persönlichkeit auf die Tat, die Betätigung des

141

Frühzeitig bereits Bachof, VVDStRL 30 (1972), 193 (218 ff.).

142

Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 18.

143

Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 243 f.; umfassend zur Verwaltungslehre Lorenz von Steins Mayer, in: Schnur (Hrsg.), Staat und Gesellschaft, 435 ff. 144

von Stein, Die Verwaltungslehre, Bd. I, 63 ff.

58

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

Menschen in seinem natürlichen und gesellschaftlichen Kontext. 145 Damit in Verbindung steht als zweiter Ansatz die von von Stein verfolgte organologische Methode - die Erfassung der Welt des Persönlichen mit der Kategorie des Organismus die ihm einen über den Positivismus hinausgehenden, gleichsam visionären Weg eröffnet, ohne allerdings seinen juristischen Anspruch zu verlieren. 146 Träger der Persönlichkeit ist für von Stein in erster Linie zwar das Individuum, gleichwohl erscheint ihm dies als nicht hinreichend, da der einzelne unvollkommen sei und es daher weitere Persönlichkeiten gebe, in denen sich die Individualkräfte potenzieren. Ehe und Familie, Vereine, das Volk und in höchster Verwirklichung dann die Gemeinden, das Land und schließlich der Staat sind so die „allgemeinen Persönlichkeiten", in denen sich die Idee der Persönlichkeit verwirklicht. 147 Der Staat als „zur Persönlichkeit erhobene Gemeinschaft" 148 ist aber entgegen anfänglichen Andeutungen bei von Stein nicht der höchste Träger der Persönlichkeit. Seine Unzulänglichkeit in verschiedenen Sachbereichen bedingt den Zusammenschluß der Staaten zur internationalen Staatengemeinschaft. Sie beruht für ihn auf einer organischen Beziehung, wie sie sich auch innerstaatlich im Verhältnis Staat und Individuum zeige. Auf der Grundlage der Persönlichkeitslehre in ihrer organischen Dimension ergeben sich die Begriffe von Gesetzgebung und Verwaltung bei von Stein, die zusammen mit der Erfassung des Staatsoberhauptes („der Träger des staatlichen Ich") das persönliche Leben des Staates zum Ausdruck bringen und als Verfassung begrifflich zusammengefaßt werden. 149 Die gesetzgebende Gewalt ist in diesem Bild „der Gesammtwille, aus dem Einzelwillen zum persönlichen allgemeinen Willen organisiert"; sein Wesensmerkmal ist es, in vollkommener Verselbständigung „niemals etwas zu thun, sondern nur zu wollen". 1 5 0 Verwaltung demgegenüber sei zwar auch ein sich verselbständigendes Element, allerdings aus-

145 Siehe z. B. von Stein, System der Staatswissenschaft (1852), Bd. 1, 1-14; hierzu umfassend Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 31 ff. m. w. N. 146

Hierzu und zum vorhergehenden insbesondere die Beiträge von Hartmann, Mayer und von Unruh, in: Schnur (Hrsg.), Staat und Gesellschaft, 65 ff., 435 ff., 451 ff. m. w. N. 147 Siehe z. B. von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, Bd. 1,3. Aufl., 10 ff.; weitere Nachweise bei Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 34 ff.; hierzu auch Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 145 ff. 148

von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, Bd. 1, 3. Aufl., 12.

149

von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, Bd. 1, 3. Aufl., 12-17.

150

von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, Bd. 1, 3. Aufl., 16.

D. Etablierung der internationalisierten Verwaltungsrechtswissenschaft

59

schließlich im Sinne der Verwirklichung des Gewollten, dem „Thun". 1 5 1 Damit „ist die Idee der Verwaltung die Idee des arbeitenden Staates"152, wobei der Inhalt der Arbeit niemals etatistisch introvertiert auf den Staat selbst bezogen sei, sondern sich mit Blick auf „die Gesammtheit der Bedingungen der individuellen Entwicklung aller derer, deren Gemeinschaft ihn eben selbst bildet," ergebe. 153 Diese Aussage erhellt, daß es von Stein im Kern um die Freiheit und Selbstverwirklichung des Individuums als Ziel des Verwaltungshandelns ging. Verwirklicht sehen will er dieses Ziel sowohl durch die Befriedigung der unmittelbaren Individualbediirfnisse, als auch durch Planung zur Schaffung der Bedingungen künftiger Entwicklung. Diese inhaltliche Konkretisierung des Verwaltungshandelns verdeutlicht die Verortung des Konzeptes von Steins zwischen dem auf Glückseligkeitsstreben ausgerichteten Wohlfahrtsdenken des Absolutismus und den sich verengenden formalen Rechtsschutzgedanken des liberalen Positivismus. 154 Aus der organischen Betrachtung des Staates und der hieraus folgenden Zweckbestimmung seiner selbst als Individualität (Persönlichkeit) heraus folgt für von Stein, daß der Staat im Zusammenleben mit anderen Staaten eine über die Freiheitsverwirklichung des Individuums im innerstaatlichen Bereich hinausgehende Bestimmung haben müsse. Es sei nämlich „die erste große Thatsache, welche dem wirklichen Leben jedes Staates mit seinem ersten Entstehen zum Bewußtsein gelangt,... das Dasein anderer Staaten, welche bei aller Verschiedenheit von dem eigenen in Organisation, Macht und Gesittung dennoch als gleiche staatliche Persönlichkeiten dastehen".155 Ihre Bestimmung im Sinne der Individualität finden die kraft ihrer Souveränität abgegrenzten, aber doch inhaltlich gleichen staatlichen Persönlichkeiten nun gerade im Gesamtleben der Staaten.156 Es liegt für von Stein daher ebenso wie im innerstaatlichen Bereich in der Konsequenz der natürlichen Entwicklung, daß es über die einzelne Persönlichkeit hinausgehend eine übergeordnete allgemeine Persönlichkeit gibt. Es sei nämlich „wohl etwas wahrer, aber auch kaum trivialer in der Welt als der Satz, daß wo eine Mehrheit von Persönlichkeiten vorhanden ist, auch das entsteht, was wir eine Gemeinschaft nennen", 157 die 151

von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, Bd. 1, 3. Aufl., 16.

152

von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, Bd. 1, 3. Aufl., 25.

153

von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, Bd. 1,3. Aufl., 26.

154

Hierzu Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 41 f. m. w. N. 155

von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, Bd. 1, 3. Aufl., 245.

156

von Stein, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 6 (1882), 395 (399 f.); ders,„ Handbuch der Verwaltungslehre, Bd. 1, 3. Aufl., 246. 157

(418).

von Stein, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 6 (1882), 395

60

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

internationale Staatengemeinschaft. Daraus folgt auch, daß die für das Staatsinnere entwickelten Rechtsideen analog auch auf die Staatengemeinschaft zu übertragen sind und damit eine Wechselwirkung aller Ebenen des nun einheitlichen Organismus erfolgt. Die Entwicklung der Staatengemeinschaft ist daher auch eine Aufgabe des staatlichen Willens und seiner Tat, wodurch dieser Bereich „ein selbständiges Gebiet seiner Verwaltung" wird. 158 Insgesamt entwickelt von Stein so eine theoretische Fundierung einer sich verselbständigenden internationalen Kooperation aus dem Wesen des Staates heraus, die nicht nur der Auffassung Fichtes vom geschlossenen Handelsstaat diametral entgegensteht, sondern sich auch deutlich von Hegels Vorstellung der in sich geschlossenen sittlichen Totalität des Staates absetzt.159 Das noch näher darzustellende internationale Verwaltungsrecht findet bei von Stein aber nicht nur in seiner organischen Staats- und Gesellschaftsbetrachtung seine Grundlage, sondern darüber hinaus in konkreten historisch-soziologischen Beobachtungen. Zunächst ist es neben der Staatengemeinschaft der sich intensivierende grenzüberschreitende Verkehr der Individuen, der im Sinne eines Kosmopolitismus von ihm beschrieben und als Phänomen ausgemacht wird. 1 6 0 Weiterhin haben die französische Revolution und dann die napoleonischen Kriege nachhaltigen Einfluß auf die Gedanken von Steins zu einem internationalen Verwaltungsrecht gehabt. Er sah das für das Völkerrecht Besondere der französischen Revolution darin, daß „ein Act des inneren Staatslebens ... durch seine geistige Bedeutung über die äußere Staatsgrenze hinausgreift" und die Revolutionskriege erstmals eine Konfrontation entgegengesetzter Gesellschaftsordnungen waren. 161 Eben dies sieht er dann in den napoleonischen Kriegen nochmals mit aller Deutlichkeit belegt. In diesem historischen Ereignis zeigte sich für ihn, daß ,,[d]ie Geschichte Europas ... in ihrer Bewegung endlich das Element ergriffen [hatte], durch welches sie die Gemeinschaft der Völker auf immer hervorrief - den Boden der gesellschaftlichen Zustände ... Die nächstliegende Wahrheit aber, die sich von da bestätigt hat und bestätigen wird in jeder Weise, war, daß von da an Freundschaft und Feindschaft, Bündnis und Krieg, Ordnung und Friedestörung unter den großen Staaten von ihrer gesellschaftlichen Entwicklung abhängen mußte. ... Die Gesellschaft, die bis

158

von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, Bd. 1, 3. Aufl., 246.

159

Siehe auch Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 45. 160 von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, 2. Aufl. (1876), 385; hierzu auch Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 49 f. 161

von Stein, Rezension von Wheaton, Neueres Europäisches Völkerrecht, Allgemeine Literatur-Zeitung 1 (1847), 524, zitiert nach: Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 63.

D. Etablierung der internationalisierten Verwaltungsrechtswissenschaft

61

dahin nur die einzelnen Staaten beherrscht hatte, fing an, das ganze Leben des Systems zu durchdringen und zu beherrschen. 44162

Von Stein zog also aus den historischen Entwicklungen in Europa seit 1789 den Schluß einer nicht nur ökonomischen sondern gerade auch gesellschaftlichen Interdependenz der Staaten, die sich als gegenseitige Durchdringung und Abhängigkeit darstellt. Eine Autonomie im Sinne staatlicher und damit auch gesellschaftlicher Souveränität konnte so seines Erachtens nicht mehr bestehen - im Gegenteil: Die Internationalisierung des gesamten Staats- und Gesellschaftslebens im Sinne einer gegenseitigen Abhängigkeit war nunmehr Realität. 163

2. Die dogmatischen Grundlegungen des internationalen

Verwaltungsrechts

Hinsichtlich der dogmatischen Grundlagen des internationalen Verwaltungsrechts bei Lorenz von Stein sind zunächst die von ihm verwendeten Begriffe des philosophischen und des positiven Rechts und ihre Beziehung zueinander kurz zu erläutern. Das philosophische Recht entspringt für ihn der menschlichen Vernunft und beinhaltet als Grundsatz die Gleichheit und als Inhalt die Freiheit der Persönlichkeiten. Das philosophische Recht ist demnach „die Unverletzlichkeit jedes Persönlichen gegenüber jedem thätigen Willen des Anderen". 164 Das positive Recht demgegenüber ist von der Vernunft weitgehend losgelöst und durch die gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt. Es ist „diejenige Gestalt des reinen Rechts, welche durch die Einwirkung der gesellschaftlichen Ordnung auf die einzelnen Persönlichkeiten, und damit auf die Grundlage des Rechts selber naturgemäß und nothwendig erzeugt wird", 1 6 5 und zwar als Wille des Staates. Trotz des damit auf den ersten Blick bestehenden Gegensatzes zwischen philosophischem und positivem Recht und einem dadurch scheinbar hervorgerufenen extremen Positivismus 166 ging es von Stein gerade nicht um eine Trennung von positivem Recht und Vernunft, sondern um ihre gegenseitige Ergänzung: „Offenbar hebt dieser Begriff des positiven Rechts denjenigen des reinen Rechts keineswegs auf, so wenig wie der Begriff der gesellschaftlichen Persönlichkeit den der 162

von Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich, Bd. 1 (1850), 266 f.

163

Vertiefend Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 63 ff. m. w. N. 164

von Stein, Lehrbuch der Nationalökonomie (1887), 79.

165

von Stein, System der Staatswissenschaft, Bd. 2 (1856), 61.

166

So Ronneberger, Der Staat 4 (1965), 395 (398); in diese Richtung auch P. Vogel, Hegels Gesellschaftsbegriff und seine geschichtliche Fortbildung durch Lorenz von Stein, 205; Klemp, Der Sozialgedanke im Werk Lorenz von Steins, 229.

62

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

abstracten oder reinen Persönlichkeit vernichtet ... Es ist einleuchtend, daß sie sich vielmehr bedingen und durchdringen". 167 Schon diese auch heute wieder in der Rechtstheorie vertretene Einheitsthese von Recht und Vernunft 168 eröffnet von Stein die Möglichkeit, über das seinerzeit anerkannte positive Völkerrecht hinausgehend ein mit einem rechtsnormativen Anspruch versehenes internationales Verwaltungsrecht zu entwickeln, das neben gesellschaftlichen Bedingungen vernunftrechtliche Erwägungen aufnimmt und damit in der Tradition von Kaltenborn u. a. steht. 169 Wesentlich für die Entwicklung des internationalen Verwaltungsrechts ist bei von Stein auch sein Verständnis des Verhältnisses von innerstaatlichem Recht und Völkerrecht, das sich aus seinem Souveränitätskonzept erklärt. Die staatliche Souveränität folgt für von Stein nicht aus dem Staatsbegriff selbst, sondern ist Bestandteil des Völkerrechts. Die Persönlichkeit des Staates könne nämlich nur darin gefunden werden, „daß jede Souveränität sich selber als Bedingung höherer, über alle Gränzen hinausgehender Entwicklung erkennt, und daher sich durch Selbstbestimmung selber so weit beschränkt, als diese Beschränkung wieder zur Bedingung der letzten Zwecke alles Staatslebens wird". 1 7 0 Da dies für alle Staaten kraft ihrer jeweiligen Persönlichkeit gelte, sei Souveränität daher im Ergebnis „die freie Anerkennung der Nothwendigkeit des einheitlichen Staatenlebens" und folglich ein Begriff des Völkerrechts. 171 Bei dieser allgemeinen Beschreibung der Souveränität als Völkerrechtsbegriff bleibt von Stein aber nicht stehen. Aus der Notwendigkeit des einheitlichen Staatenlebens, ausgedrückt im Verkehr der Staaten miteinander, folgert er vielmehr, daß Souveränität untrennbar mit der Möglichkeit verbunden sei, auch tatsächlich am Staatenverkehr teilzunehmen. Da dies eine Aufgabe der Verwaltung im Staat sei, könnten folglich nur die Staaten als souverän anerkannt werden, „welche nicht bloß irgend ein Oberhaupt, sondern bereits eine rechtlich organisirte Verwaltung besitzen". 172 Ist damit die Souveränität ein ausschließlich völkerrechtlich determinierter Begriff, der konkret die Existenz einer rechtlich organisierten Staatsverwaltung fordert, so kann es für von Stein keinen Dualismus von Staats- und Völkerrecht ge167 von Stein, System der Staatswissenschaft, Bd. 2 (1856), 61 f.; vertiefend auch Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 73 f. 168

Hierzu Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 39 ff.

169

Hierzu supra Teil 1, C.

170

von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, 3. Aufl., 248.

171

von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, 3. Aufl., 248 f.

172

von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, 3. Aufl., 249.

D. Etablierung der internationalisierten Verwaltungsrechtswissenschaft

ben. Durch seinen Souveränitätsbegriff wird vielmehr im Ergebnis ein in weiten Bereichen monistisches Rechtssystem vorgezeichnet, das sich aus dem Völkerrecht, dem internationalen Recht und dem rein innerstaatlichen Recht zusammensetzt. In diesem System ist das Völkerrecht „die Gesammtheit der Rechtsprinzipien und der positiven Rechtssätze, welche sich für den Verkehr von selbständigen Staaten aus dem Begriffe ihrer Souveränität ergeben 4'.173 Aus der Definition folgt, daß trotz eines angenommenen Monismus nicht jede Rechtsmasse dem Völkerrecht zuzuordnen ist. Das innerstaatliche Recht wird vielmehr als in seiner Existenz autonomes Recht anerkannt, allerdings nur soweit es ohne Rücksicht auf den internationalen Verkehr etatistisch-introvertiert gesetzt wird. Das internationale Recht demgegenüber entsteht, „indem der souveräne Staat diese Selbstherrlichkeit [die aus der Souveränität folgt, Anm. Verf.] für seine Verkehrsbeziehungen zu anderen Staaten im Interesse seiner eigenen Entwicklung, und damit für jeden seiner einzelnen Verwaltungszweige durch seinen eigenen Willen modificiert". 174 Völkerrecht, internationales Recht und innerstaatliches Recht werden damit im Ergebnis nicht anhand ihrer Rechtsquellen voneinander getrennt. Auf der Grundlage des empirisch-soziologischen Ansatzes von Steins erfolgt die Differenzierung vielmehr anhand des jeweiligen Regelungsinhaltes. Nur das sich auf tatsächlich rein interne Sachverhalte beziehende Recht, das keine Berührung zum internationalen System aufweist, ist innerstaatliches Recht. Demgegenüber sind unabhängig von der Rechtsquelle (innerstaatlich oder international) Rechtsnormen dem Völkerrecht und dem internationalen Recht zuzuordnen, wenn sie sich inhaltlich auf den Staatenverkehr beziehen. Konflikte zwischen innerstaatlichem Recht, internationalem Recht und Völkerrecht kann es bei dieser Sichtweise nicht geben, da es per definitionem auf innerstaatlicher und internationaler Ebene keine konfligierenden Rechtsnormen geben kann.

3. Das internationale

Verwaltungsrecht

Ausgehend von seinen grundsätzlichen Überlegungen zur Abgrenzung und zugleich Verschränkung von Völkerrecht, internationalem und innerstaatlichem Recht sowie auf der Grundlage seiner organischen Staats- und Völkerrechtslehre konnte von Stein sein internationales Verwaltungsrecht entwickeln. Dafür stellte er zusätzlich nochmals eine empirisch-soziologische Betrachtung des internationalen Systems seiner Zeit an. Die zunehmenden wirtschaftlichen und kulturel173

von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, 3. Aufl., 249.

174

von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, 3. Aufl., 249 f.

64

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

len Verflechtungen der Staaten sind für ihn der Beweis dafür, daß nicht nur die Staaten selbst als Rechtssubjekte miteinander in Kontakt treten, sondern gerade auch die Völker. Vor diesem Hintergrund habe sich das klassische Völkerrecht, als das Recht zur Abgrenzung staatlicher Souveränitätssphären, das kaum etwas mehr enthalte „als neben der Ordnung und den Formen der Unverletzlichkeit des Friedens auch die des Krieges" und das damit nur das regele, „was die einzelnen Staaten gegenseitig nicht thun dürfen", in seinem Ausschließlichkeitsanspruch im 19. Jahrhundert überlebt. Es müsse durch das internationale Verwaltungsrecht ergänzt werden: „Erst unsere Zeit beginnt mit dem Bewußtsein, daß das gemeinsame Staatsleben zugleich Pflichten gegen die Gemeinsamkeit des Volkslebens hat". 175 Die Notwendigkeit der Fortentwicklung der dogmatischen Durchdringung des Völkerrechts - Anreicherung der negativen Ausrichtung um positive Elemente findet bei von Stein in einer Zweiteilung des internationalen Rechts ihren Niederschlag, die den Gedanken zur Trennung von Verfassung und Verwaltung im innerstaatlichen Rechtskreis folgt. 176 Das klassische Völkerrecht mit seinem souveränitätsabgrenzenden und -bewahrenden Inhalt, dessen weiterbestehende Bedeutung von Stein anerkennt, wird als „Staatenrecht" oder auch als „reines Völkerrecht" bezeichnet.177 Ausgehend von der souveränen Gleichheit der Staaten umfasse es drei Hauptgebiete: (1.) Das Recht des Krieges als Selbstverteidigungsrecht; (2.) die Anerkennung der territorialen Souveränität der Staaten im Sinne einer gewohnheitsrechtlich verankerten Jurisdiktionshoheit; (3.) das „positive Völkerrecht" in der Form völkerrechtlicher Verträge, die im wesentlichen in Friedensund Allianz- bzw. Garantie Verträge unterteilt werden. 178 Dem Staatenrecht steht das internationale Recht in der Form des internationalen Verwaltungsrechts als dem „zweiten, mindestens dem Völkerrechte ebenbürtigen Theil des Rechts für das gemeinsame Leben der Staaten" gegenüber. Sein Objekt 175

von Stein, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 6 (1882), 395 (431); vertiefend Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 80 f. 176 Nussbaum, in: FS Lewald, 555 (556); vgl. auch Bülck, in: FS Kraus, 29 (47); Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 83. 177 178

von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, 3. Aufl., 252.

von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, 3. Aufl., 252 ff.; ders., Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 6 (1882), 395 (426 ff.); im Handbuch der Verwaltungslehre, 3. Aufl., 254, scheint von Stein auch die VerwaltungsVerträge dem Völkerrecht zuzuordnen. Dieser systematische Bruch ist aber wohl als Versehen einzuordnen, zumal er ebda, selbst sagt, daß es sich hierbei um internationales Recht handele; vgl. auch Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 84.

D. Etablierung der internationalisierten Verwaltungsrechtswissenschaft

65

ist der Völkerrechtsverkehr. 179 Quelle des internationalen Verwaltungsrechts ist für von Stein nach einer anfänglichen Verengung nur auf den völkerrechtlichen Vertrag 180 auch und insbesondere die souveräne oder autonome Verwaltungsgesetzgebung, die zwar nicht der Form nach, aber inhaltlich das internationale Verkehrsbedürfnis rezipiert. 181 Das autonome und das vertragsmäßige Verwaltungsrecht ergänzen sich so als internationales Verwaltungsrecht, für dessen Qualifizierung der Regelungsinhalt und nicht die Rechtssetzungsquelle entscheidend ist. 182 Dabei stellt von Stein auch eine graduelle Abstufung in der historischen Entwicklung des internationalen Verwaltungsrechts dahingehend fest, daß aufgrund einer universellen Verfestigung des autonomen internationalen Verwaltungsrechts nach einer gewissen Zeit eine fortschreitende Harmonisierung der nationalen Rechtsnormen erfolge. Dies wiederum führe zur Ausbildung von Reziprozitätsklauseln im Interesse einer internationalen Rechtsbeachtung. Hieraus ergebe sich auf der nächsten Entwicklungsstufe die Verankerung der Regelungsmaterien in völkerrechtlichen Verträgen, was schließlich - soweit möglich - zur Herausbildung eines Staatenbundes oder Bundesstaates führe. 183 Um dann eine noch weitgehendere, auf einzelne Sachbereiche bezogene internationale Verwaltung zu erreichen, werden die „internationalen Verwaltungsorganismen" entstehen, die sich in staatliche (Zollvereine, Weltpostverein, Donaukommission) und nichtstaatliche Organisationen (Arbeiterkongresse, IKRK) 1 8 4 unterteilen lassen; sie sind der Ort, „wo das abstrakte Recht zum thätigen wird". 1 8 5 Neben einer Systematisierung der innerstaatlichen und der internationalen Organe der internationalen Verwaltung 186 analysiert von Stein umfassend die Sachbereiche der autonomen und der vertraglichen internationalen Verwaltung. Im 179

von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, 3. Aufl., 262. von Stein, Die Verwaltungslehre, Teil 2,95: Das „Recht, das in seiner Form ein Vertragsrecht, in seinem Inhalt ein Verwaltungsrecht ist"; hierzu Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 85. 180

181

Deutlich von Stein, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 6 (1882), 395 (422); ders., Handbuch der Verwaltungslehre, 3. Aufl., 264 ff. 182 Anders noch Menzel, DÖV 1969,1 (21); kritisch hierzu bereits Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 85. 183 von Stein, Die Verwaltungslehre, Teil 2, 96 ff.; hierzu auch Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 85 f. 184

Hierzu im einzelnen Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 98-101 m. w. N. 185

von Stein, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 6 (1882), 395

(439). 186 Hierzu ausführlich Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 88 ff. mit umfangr. Nachw.

66

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

Bereich der autonomen internationalen Verwaltung geht er auf folgende Verwaltungstätigkeiten ein: Bevölkerungswesen (Bevölkerungspolitik, Paß- und Fremdenwesen, Einwanderungs- und Auswanderungs wesen); Gesundheitswesen; internationales Polizeiwesen; internationales Bildungswesen; internationale Wirtschaftsverwaltung (Zoll und Freihandel, Landwirtschaft, Förderung des internationalen Handels); internationales Währungs- und Finanzwesen (Währungsordnung, Schuldenwesen, Besteuerungswesen); internationales Arbeiter wesen. Die vertragliche internationale Verwaltung, weitgehend als in heutiger Terminologie besonderes Verwaltungsrecht von von Stein beschrieben, wird in folgenden Sachbereichen verortet: Auswärtige Angelegenheiten; militärische Angelegenheiten; Staatswirtschaft; Rechtspflege (einschließlich internationale Verwaltungsgerichtshöfe); innere Verwaltung (Paßrecht, Ein- und Auswanderung etc. sowie Wirtschaftsrecht). 187 4. Ausblick

Der Entwurf eines internationalen Verwaltungsrechts bei von Stein war für seine Zeit visionär. Er selbst gibt zu, daß sich viele seiner Vorstellungen erst noch tatsächlich entwickeln müssen.188 Das ändert jedoch nichts daran, daß die von ihm thematisierten Grundfragen des Verhältnisses von innerstaatlichem Verwaltungsrecht und Völkerrecht im Lichte fortschreitender Interdependenzen im Staatensystem in einer Entwicklungslinie mit Arbeiten anderer Autoren stehen, die hier bereits vorgestellt wurden. Das Verdienst der Überlegungen von von Stein liegt darin, den Blick für die Herausbildung der rechtlichen Durchdringung der international beeinflußten und zum Teil bestimmten Verwaltungstätigkeit auf nationaler und internationaler Ebene eröffnet zu haben. Viele Einzelaspekte der fokussierten Verwaltungstätigkeiten haben heute keine aktuelle Relevanz mehr; die Bedeutung der dogmatischen Grundlegungen des internationalen Verwaltungsrechts bei von Stein bleibt aber weiterhin bestehen. Seine Überlegungen stellen insofern auf der einen Seite den Höhepunkt der Internationalisierungsdebatte im öffentlichen Recht des 18. und 19. Jahrhunderts dar und bilden auf der anderen Seite gleichzeitig den Ausgangspunkt für hierauf aufbauende Überlegungen in der Gegenwart. 189 Da187

Ausfuhrlich und mit umfangr. Nachw. zu den einzelnen Gebieten Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 102-132. 188 189

Siehe z. B. von Stein, Die Verwaltungslehre, Teil 2, 98.

Siehe Bülck, in: FS Kraus, 29 (49); K. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnormen, 157 und 170; Menzel, DÖV 1969,1 ff.; Delbrück, in: Jeserich/ Pohl/von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 5, 386 ff.; vertiefend noch infra Teil 1,G.

E. Rezeption der Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht

67

zwischen aber liegt eine Zeit, in der von Stein die Gefolgschaft nahezu einhellig versagt wurde; hierauf ist zurückzukommen.

E. Rezeption der Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht I. Friedrich von Martens D i e maßgeblich von Robert von Mohl und Lorenz von Stein begründete Lehre

vom internationalen Verwaltungsrecht erfuhr für einige Zeit bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts im staats- und völkerrechtlichen Schrifttum beachtliche Anerkennung. Zunächst war es der einflußreiche und hoch angesehene190 russische Völkerrechtler Friedrich von Martens, der in seinen ins Deutsche übersetzten Monographien die Idee des internationalen Verwaltungsrechts konsequent übernahm. 191 Ebenso wie von Stein, dem von Martens tief verbunden war, 192 geht er methodisch von einem empirisch-soziologischen Verständnis der Rechtswissenschaften aus, wodurch dem strengen Positivismus eine Absage erteilt wird. Das schlägt sich in der Forderung nach einer Beachtung der konkreten Lebensverhältnisse bei der wissenschaftlichen Durchdringung des Rechts nieder. 193 Vor diesem Hintergrund stellt sich auch für ihn das Verhältnis von innerstaatlichem und völkerrechtlichem Leben als organischer Zusammenhang dar, 194 wobei dem Staat der Zweck zufällt, die Förderung des Wohles und des Fortschrittes der Individuen zu betreiben. 195 Dieser Zweck des Staates mit Blick auf die ihn konstituierende innerstaatliche Gemeinschaft - das Volk - kann aber nunmehr, so die Argumentation von von Martens, nicht ausschließlich im Inneren verwirklicht werden. Das menschliche und damit auch das staatliche Leben beziehe sich tatsächlich vielmehr oftmals auf über die Staatsgrenzen hinausgehende internationale Lebensbereiche, so daß der Staat im Falle einer etatistischen Introvertiertheit schnell an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit stoße. Hieraus ergibt sich für ihn die Notwendigkeit der internationalen Beziehungen, da nur so die Staatszwecke umfassend erreicht werden könn-

190

Hierzu Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts, 275 f.

191

F. von Martens, Das Consularwesen (1874), 1 ff.; ders., Völkerrecht, Bd. 1 (1883), 199 ff.; ders., Völkerrecht, Bd. 2 (1886), 1 ff. 192 Martens widmete sein Lehrbuch zum Völkerrecht Lorenz von Stein. 193

F. von Martens, Das Consularwesen, 2.

194

F. von Martens, Das Consularwesen, 3.

195

F. von Martens, Das Consularwesen, 8.

68

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

ten. 196 Inhaltlich liegen der so entstehenden internationalen Gemeinschaft sowohl das Interesse an dem wirtschaftlichen grenzüberschreitenden Verkehr als auch insgesamt „die Totalität aller socialer Interessen" zugrunde. 197 Die Notwendigkeit zur internationalen Zusammenarbeit ist für von Martens aber nicht nur eine für sich selbst bedeutsame Erscheinung des Völkerrechts, sondern sie statuiert sogar den Geltungsgrund des Völkerrechts. Für ihn gilt das Völkerrecht nicht aus dem souveränen Willen der Staaten heraus. Vielmehr heißt es in Anlehnung an von Mohl und Kaltenborn, daß „die Unentbehrlichkeit eines friedlichen und geordneten internationalen Lebens der Staaten ... aus der Unentbehrlichkeit der internationalen Verbindungen und Unternehmungen als solcher [entspringt]; Ordnung und Recht dieses Gebietes beruhen also auf der internationalen Gemeinschaft und nicht auf der Souveränität der Staaten". 198 Dieser Gedanke ist heute wieder weitverbreitet anerkannt. 199 Die damit in Geltungsgrund und Inhalt umrissene internationale Gemeinschaft ist aber, hierauf weist von Martens nachdrücklich hin, kein „Weltstaat" oder eine civitas maxima im Wolff sehen Sinne. Es handelt sich vielmehr um „eine freie Gesellschaft der Nationen, welche durch die Solidarität gewisser Interessen und Bestrebungen verbunden sind. Diese freie Vergesellschaftung hebt die Selbstständigkeit der einzelnen Staaten nicht nur nicht auf, sondern verleiht ihr gerade die höchste Sanction". 200 Die aus dem Begriff der internationalen Gemeinschaft folgende internationale Verwaltung ist für von Martens die Antwort auf die Frage, wie die Staaten die internationalen Beziehungen regieren und welche speziellen Organe hierfür bereitstehen. In expliziter Anlehnung an von Stein wird internationale Verwaltung daher definiert als „diejenige Thätigkeit der Staaten, welche Glieder der Völkergemeinschaft sind, deren Gegenstand die Lebensbeziehungen und Bestrebungen bilden, welche die Völker mit einander in Berührung bringen und sie verbinden". Verwaltung wird dabei nicht eng begrenzt auf den Gesetzes vollzug reduziert, sondern im umfassenderen Sinne staatlichen Handelns verstanden und nur negativ von der Legislative abgegrenzt. 201 In diesem Sinne sind bei von Martens auch die Aufgaben der internationalen Verwaltung umfassend beschrieben. Sie werden auf das physische Leben des Volkes, die geistige Entwicklung, die Förderung der ökonomischen Bedürfnisse und schließlich die Aufrechterhaltung des Rechts und der 196

F. von Martens, Das Consularwesen, 8 ff.

197

F. von Martens, Völkerrecht, Bd. 1, 202 f. F. von Martens, Völkerrecht, Bd. 1, 200. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 41. F. von Martens, Völkerrecht, Bd. 1, 201.

198 199 200 201

F. von Martens, Das Consularwesen, 19.

E. Rezeption der Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht

69

Rechtsordnung bezogen.202 Zur Systematisierung wird allerdings deutlich zwischen der Verwirklichung politischer und sozial-gesellschaftlicher Interessen unterschieden. 203 Die Eigenart und damit das Besondere des internationalen Verwaltungsrechts sieht von Martens darin, daß es im Kern um innerstaatliche Verwaltung geht, die jedoch nicht wie sonst in ihrer Entscheidung autonom (souverän) ist, sondern ihr Handeln an den bestehenden internationalen Interdependenzen ausrichten muß. 204 Eine wichtige Ausnahme hierzu konstatiert er nur im Hinblick auf die Entwicklung eigenständiger internationaler Verwaltungseinrichtungen (internationaler Organisationen), die sich von partikularen Staateninteressen verselbständigen. Die wichtigsten internationalen Verwaltungseinrichtungen seiner Zeit sind für ihn insoweit die Rheinschiffahrts-Kommission, die Donau-Kommission, die internationalen Post- und Telegrapheninstitutionen und die Hilfsorganisationen im Bereich des humanitären Völkerrechts. 205 In der Gesamtschau entwickelt von Martens ein Bild des internationalen Verwaltungsrechts, das auf der Überzeugung des in seiner Zeit bereits deutlich anhand der Staatenpraxis nachweisbaren Bedürfnisses nach internationaler Kooperation in Sachbereichen, die die gesamte Staatstätigkeit durchdringen, begründet ist. Er knüpft seine Überlegungen dabei nicht nur zunächst an von Stein, von Mohl und Kaltenborn an, sondern geht hierüber noch hinaus. Wie der Aufbau seines zweiten Bandes des Lehrbuches zum Völkerrecht zeigt, ist für ihn nämlich letztlich das gesamte „besondere" Völkerrecht internationales Verwaltungsrecht, selbst das Kriegsrecht. 206 Als einzige, sich aber innerhalb seines Begriffes des internationalen Verwaltungsrechts bewegende Differenzierung nimmt er eine Unterscheidung zwischen der Wahrnehmung von Aufgaben im politischen und im sozial-kulturellen Bereich vor. Diese Ausweitung der Vorstellung eines internationalen Verwaltungsrecht wurde zu Recht kritisiert; 207 sie verläßt den Boden einer dogmatisch stringenten Betrachtung internationalen Verwaltungshandelns, wie sie in ihrer spezifischen, aus der Verwaltungslehre hervorkommenden Art noch bei von Mohl und von Stein vorherrscht. Dessen ungeachtet bleibt die dogmatische

202

F. von Martens, Das Consularwesen, 21.

203

F. von Martens, Das Consularwesen, 22 f.; ders., Völkerrecht, Bd. 2, 10.

204

F. von Martens, Völkerrecht, Bd. 2, 6.

205

F. von Martens, Völkerrecht, Bd. 1, 211.

206

F. von Martens, Völkerrecht, Bd. 2,476 ff.

207

Biilck, in: FS Kraus, 29 (49): „... eine gewisse Übersteigerung und Auflösung des internationalen Gemeinschaftsprinzips ins Universal-Humanitäre . . ä h n l i c h auch Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 217 ff.

70

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

Verbindung von Verwaltungshandeln im innerstaatlichen Bereich und auf internationaler Ebene mit vormals klassischen Regelungsgegenständen des Völkerrechts aber beachtenswert. In ihr kommt die Rezeption einer fortschreitenden Durchdringung von staatlichen Tätigkeitsbereichen zum Ausdruck, die früher als von der Souveränität des Staates umfassend geschützt angesehen wurden, jetzt aber von der zunehmenden Verrechtlichung der Verkehrsbeziehungen im internationalen System geprägt werden. Im Sinne einer Trennung von Staats- und Völkerrecht ist dies freilich mehr eine Leistung auf dem Gebiete des Völkerrechts und weniger ein originärer Beitrag zum Staatsrecht, wie er sich insoweit bei von Mohl und von Stein findet.

II. Johann Caspar Bluntschli Neben von Martens war es wohl zunächst insbesondere Johann Caspar Bluntschli (1808-1881), der den Gedanken eines internationalen Verwaltungsrechts aufgriff und für seine weitreichenden rechtspolitischen Ansätze für die „Organisation des europäischen Statenvereins" fruchtbar machte.208 Die als Staatenbund, d. h. unter Aufrechterhaltung der mitgliedstaatlichen Souveränität von ihm konzipierte europäische Organisation, sollte Entscheidungsmacht sowohl im Bereich der „großen Politik" als auch in den „kleinen Angelegenheiten der völkerrechtlichen Verwaltung und Justiz" erhalten. Zu den letzteren rechnet Bluntschli ebenso wie von Stein insbesondere die Wirtschaftsverwaltung, das Auslieferungswesen, das Ausländerrecht, das Sanitätswesen, Fragen zu Maßen und Gewichten, das Münzwesen etc. 209 Für ihn läßt sich die Aufgabenerfüllung in diesen Verwaltungsbereichen „ohne Gefahr für die einzelnen souveränen Staten durch gemeinsame internationale Anstalten" erledigen. 210 Diese Erkenntnis folgte für ihn nicht zuletzt aus der Tatsache, daß für das Post- und Telegraphenwesen sowie für Maße und Gewichte bereits entsprechende internationale Organisationen existierten. Bluntschli greift also die in seiner Zeit vertretene Zweiteilung völkerrechtlicher Regelungsgegenstände in politische (verfassungsrechtliche) und verwaltungsrechtliche Aspekte auf und wendet sie auf die Organisation seines europäischen Staatenvereines an. In mit Blick auf die EG/EU (Art. 249 EGV) aus heutiger Sicht geradezu visionärer Sichtweise spricht er der europäischen Organisation bestehend 208

Bluntschli, Die Organisation des europäischen Statenvereins, in: ders., Gesammelte kleine Schriften, 279 ff.; hierzu umfassend Hobe, AVR 31 (1993), 367 ff. m. w. N. 209

Bluntschli, in: ders., Gesammelte kleine Schriften, 279 (306 f.).

210

Bluntschli, in: ders., Gesammelte kleine Schriften, 279 (307).

E. Rezeption der Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht

71

aus europäischem Bundesrat und Repräsentantenhaus hierbei gerade für die Verwaltungstätigkeiten eine konkrete Gesetzgebungsbefugnis zu, wobei nur der Vollzug der völkerrechtlichen Gesetze noch durch die Einzelstaaten zu erfolgen habe. 211 Insgesamt entsteht so ein Modell dessen, was heute als supranationale Organisation in der Form der EG bekannt ist 2 1 2 und in seiner konzeptionellen Grundlage die Idee eines internationalen Verwaltungsrechts aufnimmt. Dieser Ansatz ist allerdings ebenso wie bei von Martens völkerrechtlich orientiert und hat keine eigenständige dogmatische Grundlage mehr in der Verwaltungswissenschaft.

III. Georg Jellinek Auch Georg Jellinek (1851-1911) 213 griff in expliziter Anlehnung an von Mohl und von Stein die Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht auf und entwickelte sie dann unter systematischen Gesichtspunkten in seiner „Lehre von den Staatenverbindungen" fort. 214 Ausgangspunkt seiner Betrachtungen ist für ihn eine Systematisierung völkerrechtlicher Verträge nach „der Art und dem Grade der durch die Staatenverträge hervorgerufenen Verbindungen". 215 Jellinek differenziert anhand der Art - des Inhaltes - zwischen dem Verwaltungsvertrag und dem politischen Vertrag. Verwaltungsverträge, wie Handels-, Schiffahrts-, Eisenbahn-, Konsularverträge, die Münz-, Maß-, Zoll-, Post- und Telegraphenkonventionen, Auslieferungsverträge, Verträge zum Schutze geistigen Eigentums oder Vollstreckungsverträge, bezeichnet er als die völkerrechtlichen Regelungen, die der Erfüllung innerer Staatszwecke im Wege der internationalen Kooperation dienen. Durch diese Verträge greife die Staatsverwaltung über das Staatsgebiet hinaus, um den Bürgern Vorteile zu verschaffen, „deren Gewährung von einem anderen Willen als dem seinigen abhängig ist". 2 1 6 Politische Verträge sind demgegenüber auf die „Machtstellung des Staates" bezogen.217 211

Bluntschli, in: ders., Gesammelte kleine Schriften, 279 (302 ff.).

212

Vertiefend hierzu Hobe, AVR 31 (1993), 367 ff.

213

Zu ihm und seinem Werk statt vieler M. Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, 285 ff.; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 450 ff.; Sattler, in: Heinrichs/Franzki/Schmalz/Stolleis (Hrsg.), Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, 355 ff. 214

G. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen (1882), 104 ff. und 158 ff.; gekürzt auch ders., Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., 738 ff.; hierzu auch Pauly, in: ders. (Hrsg.), Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, V I I ff. m. w. N. 215

G. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen (1882), 105.

216

G. Jellinek, Die Lehre von den Staaten Verbindungen (1882), 105 f.

217

G. Jellinek, Die Lehre von den Staaten Verbindungen (1882), 106 f.

72

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

Die ratio der Verwaltungs Verträge beschreibt Jellinek in Abgrenzung zu der der politischen Verträge dahingehend, daß sich in ihnen „gemeinsame Interessen aller civilisirten Völker" finden. Die unter Bezugnahme auf von Stein und von Mohl definierte internationale Verwaltung ist für Jellinek daher der durch völkerrechtliche Verträge erfaßte Rechtsbereich, bei dem es nicht um „des einzelnen Volkes als vielmehr der civilisirten Menschheit Interessen" geht. 218 Diesem neuen Rechtsbereich spricht er eine große Bedeutung für die moderne Wissenschaft zu: „Insbesondere ist hier für die Lehre des Völkerrechts, welche nur aus einer tiefdringenden Auffassung des Staatslebens fruchtbare Anregung zu neuer Thätigkeit erlangen kann, ein genügender Anlaß geboten, die alten Schablonen und ausgetretenen Pfade zu verlassen, um bisher wenig beachtete Gebiete zu bearbeiten, deren Bedeutung heute noch kaum zu ermessen ist". 2 1 9 Jellinek geht vor dem Hintergrund der von ihm gleichsam mit Begeisterung ausgemachten völkerrechtlichen Entwicklung der internationalen Verwaltung sogar noch einen bedeutenden dogmatischen Schritt weiter, indem er Konsequenzen für den Geltungsgrund des Völkerrechts aufzeigt. Für ihn entwickelt sich auf dem Verwaltungsgebiet „in Folge der immer steigenden Solidarität der Staaten mit zwingender Kraft eine Organisation, welche nicht mehr auf dem Willen und der Kraft des Einzelstaates, sondern auf dem der Gemeinschaft beruht". 220 Das Verkehrsleben der Staaten gewinnt damit für Jellinek eine Dimension, die qualitativ über das souveränitätsbezogene Erkenntnisinteresse des Völkerrechts klassischer Prägung hinausgeht und sich im Begriff der „Solidarität der Staaten", praktisch umgesetzt in der internationalen Verwaltung, dogmatisch manifestiert. Die Beziehungen der Staaten sind damit auch nicht mehr „unorganisirt" als in der Zeit des klassischen Kriegs- und Friedensrechts, sondern stellen sich vermehrt als „organisirte Staatenverbindungen" dar. Ein Leugnen des Völkerrechts ist damit nach Ansicht Jellineks nicht mehr möglich. 221 Im Ergebnis „eröffnet sich ... von den organisirten Verwaltungsbündnissen aus eine grossartige Perspektive in der Zukunft des Völkerrechtes, sowohl in Theorie und Praxis." 222 Diese Ausführungen Jellineks stehen prima facie im Gegensatz zu seiner ansonsten strengen Souveränitätslehre und dem daraus für ihn folgenden Primat der innerstaatlichen Rechtsordnung. Erklären läßt sich dies wohl nur damit, daß auch in seiner Souveränitätslehre Platz ist für Situationen, in denen die souveräne 218

G. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen (1882), 109 f.

219

G. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen (1882), 110.

220

G. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen (1882), 110.

221

G. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen (1882), 110 ff.

222

G. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen (1882), 112.

E. Rezeption der Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht

73

Selbstbindung des Staates auf völkerrechtlicher Ebene so weit geht, daß der Begriff letztlich zu einem „nudum jus" verfällt. 223 Es könne insoweit eine Rechtslage entstehen, in der weder Staat noch Staatenverbindung über eine Kompetenz-Kompetenz im souveränitätsrechtlichen Sinne verfügen, ohne daß dies die Souveränität des sich kraft Völkerrechts verpflichtenden Staates berühre. 224 Ob auf der Grundlage dieser Lehre freilich auch die dargelegte, von Jellinek angedeutete autonome internationale Gemeinschaftsbindung der Staaten systemgerecht zu erklären ist, bleibt unklar. Dies veranlaßte ihn daher wohl auch zu einem späteren Zeitpunkt dazu, zwischen dem soziologisch-empirischen und dem juristischen Begriff des internationalen Staatensystems zu differenzieren. 225 In ihrer konkreten Erscheinung charakterisiert Jellinek die „organisirten Verwaltungsbündnisse" als „internationale Verwaltungsvereine", die sich durch selbständige Organe auszeichnen. Ihnen ist die „Einheit des Verwaltungszweckes" eigen, der „die Vereinsstaaten in Beziehung auf die gemeinsam zu lösende Aufgabe zu einem gemeinsamen Verwaltungsgebiet" erhebt. 226 Dabei sei zwischen zwei Klassen von Verwaltungsvereinen - in heutiger Terminologie: internationalen Organisationen - zu unterscheiden: Zum einen denjenigen, die sich mit Verwaltungsaufgaben befassen, die von einem Staat alleine nicht gelöst werden können (z. B. Fragen der grenzüberschreitenden Schiffahrt); hier liege ein internationales Interesse zugrunde. Zum anderen gebe es Verwaltungsvereine, denen es um die Wahrnehmung eines nationalen Interesses gehe, das aus autonomer Entscheidung des Staates heraus in die gemeinsame Aufgabenerfüllung mit anderen Staaten gestellt werde. 227 Die Verwaltungsvereine mit einem internationalen Zweck sind für Jellinek insbesondere die im 19. Jahrhundert entstandene zentrale Rheinschiffahrtskommission (begründet durch die Schlußakte des Wiener Kongresses von 1815),228 der

223

G. Jellinek, Die Lehre von den Staaten Verbindungen (1882), 54.

224

Vertiefend hierzu Pauly, in: ders. (Hrsg.), Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, V I I (IX f.) m. w. N. 225

Hierzu noch sogleich.

226

G. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen (1882), 158 f.

227

G. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen (1882), 159.

228

Siehe Art. 108 ff. der Wiener Schlußakte vom 9.6.1815, abgedruckt bei: von Martens, Nouveau Recueil, Bd. 2,361, und Anhang 16 B zur Schlußakte, Rheinurkunden, Bd. 1,43; zur weiteren Entwicklung siehe die revidierte Rheinschiffahrtsakte von Mannheim vom 17.10.1868, Rheinurkunden, Bd. 2, 80, sowie die Ergänzungen durch den Versailler Friedensvertrag von 1919, u. a. Art. 356, RGBl. 1919 II, 687; ferner die Revidierte Rheinschiffahrtsakte vom 20.11.1963, BGBl. 1966 II, 561, und das Zweite Zusatzprotokoll zur

74

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

internationale Telegraphenverein (vom 17. Mai 1865), der Weltpostverein (vom 9. Oktober 1874) und die internationale Meterkommission (vom 20. Mai 1875). 229 Zu den Verwaltungs vereinen, die einem staatlichen Zweck dienen, zählt er die gemeinsamen obersten Gerichtshöfe der kleineren deutschen Staaten und den deutschen Zollverein (1867-1871). Die Verwaltungsvereine zeichne aus, daß keine internationalen, sondern „staatliche Organe als gemeinsam" eingesetzt werden. 230 Später ergänzte Jellinek seine dogmatischen Grundlegungen zur „Solidarität der Staaten", die in der „Lehre von den Staatenverbindungen" zunächst noch etwas undifferenziert und scheinbar ganz unter dem Eindruck der Gedanken von Mohls und von Steins standen, dahingehend, daß zwischen der sozialen und der rechtlichen Erscheinung des internationalen Staatensystems zu differenzieren sei. Die allgemeine Beobachtung der Interaktion im internationalen System sei zunächst nur sozialer Art, rechtliche Verbindungen würden nur durch völkerrechtliche Verträge begründet. 231 Damit überträgt Jellinek die von ihm für die Staatslehre vertretene Unterscheidung zwischen einem soziologisch-empirischen und einem juristischen Staatsbegriff auf das internationale System.232 Auf die von ihm beschriebene „organisierte" Form der Verwaltungsvereine hat dies freilich keine Auswirkungen, da es sich hier ausnahmslos um Organisationen handelt, denen ein völkerrechtlicher Vertrag zugrunde liegt. Aber auch die rechtliche Natur der internationalen Staatengemeinschaft selbst stellt Jellinek nicht in Frage. Für ihn ist die Staatengemeinschaft, als vom Wesen der Einzelstaaten unabhängige Erscheinung, „für die Kulturstaaten eine gegebene Tatsache, deren rechtliche Natur nun zu konstatieren ist". 2 3 3 Allerdings sei es eben nur eine Staatengemeinschaft, eine Mehrheit von Personen, und kein Gemeinwesen als organisierte Einheit mit selbständigem Willen. 2 3 4 Insgesamt zeigt sich bei Jellinek eine vollumfängliche Rezeption der Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht. Später wird allerdings das noch von von Mohl und von Stein umfassend gezeichnete Bild der kraft bestehender Interdependenzen rechtlich verfaßten Staatengemeinschaft aufgebrochen, indem nunmehr - insoweit Revidierten Rheinschiffahrtsakte vom 17.10.1979, BGBl. 1980 II, 870; hierzu auch Meißner, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL 12, 310 ff. 229

Nachweise hierzu bei G. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen (1882), 160-163. 230

G. Jellinek, Die Lehre von den Staaten Verbindungen (1882), 171.

231

G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 738.

232

Hierzu vertiefend Hohe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 62 ff. m. w. N. 233

G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl., 312.

234

G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl., 312.

E. Rezeption der Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht

75

bereits positivistisch beeinflußt - ein empirisch-soziologischer und ein juristischer Befund gegeneinander gestellt werden. Für die rechtlich normierten Bereiche der internationalen Verwaltung bleibt es aber auch für ihn dabei, daß hier ein Gemeinschaftsinteresse der Staaten zu konstatieren sei. Dieser Befund wird in der Allgemeinen Staatslehre allerdings dogmatisch ausschließlich dem Völkerrecht zugeordnet, 235 so daß die originäre verwaltungsrechtliche Dimension verloren geht.

IV. Weitere Autoren am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts I m letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand die Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht im deutschsprachigen verwaltungswissenschaftlichen und völkerrechtlichen Schrifttum verschiedene weitere Anhänger, die noch zu erwähnen sind. 236

7. Verwaltungswissenschaftliches

Schrifttum

Vom innerstaatlichen Recht ausgehend behandelt Ulbrich in einem Aufsatz aus dem Jahre 1882, der den „Rechtsbegriff der Verwaltung" systematisierend darstellt, die internationale Staatsverwaltung im von Steinschen Sinne im Rahmen des Verwaltungsbegriffes. Als Beispiele hierfür nennt auch er den allgemeinen Postverein (1876) und die Meterkonvention (1875). 237 Nähere Ausführungen zu den dogmatischen Grundlagen des internationalen Verwaltungsrechts finden sich bei ihm jedoch nicht. Die Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht wird aus der Perspektive des innerstaatlichen Verwaltungsrechts dann umfassend von Arthur von Kirchenheim 238 erläutert. In seiner „Einführung in das Verwaltungsrecht" (1885) schließt er sich ausdrücklich den Überlegungen von Kaltenborn, von Mohl von Stein und von Martens an und konstatiert für nahezu alle Verwaltungsaufgaben die Notwen235

G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 738. Hierzu auch jeweils kurz Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 224 ff.; K. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 158 ff. m. w. N. 237 Ulbrich, Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart 9 (1882), 1 (13 f.). 238 Bibliographische Angaben zu Arthur von Kirchenheim, der 44 Jahre in Heidelberg lehrte, bei Drüll, Heidelberger Gelehrtenlexikon 1803-1932, 134 f. 236

76

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

digkeit internationaler Kooperation der Staaten. Ohne sie sei eine effektive Aufgabenerfüllung nicht mehr möglich. Richtig verstanden heißt für ihn internationale Verwaltung daher, „daß in keinem Staate der europäischen Kulturwelt die Ziele der sogenannten inneren Verwaltung erreicht werden können ohne Berücksichtigung einer Menge außerhalb des Einzelstaates liegender Interessen". 239 Dogmatisch wird das internationale Verwaltungsrecht hierbei zunächst zwar dem Völkerrecht zugeordnet, ebenso wichtig seien aber die innerstaatlichen Rechtsnormen, soweit diese völkerrechtliche Regelungen vollziehen. Dabei stehe das internationale Verwaltungsrecht auch in keinem Konflikt zur anzuerkennenden Souveränität der Staaten, da neben die Unabhängigkeit der Staaten „der Grundsatz der internationalen Gemeinschaft" trete, „welcher Freiheit und Selbständigkeit allüberall einschränkt und jeden Staat zwingt, dem anderen Konzessionen zu machen". 240 Folgerichtig seien daher „die solidarischen Interessen der Gesamtheit" die treibenden Kräfte des internationalen Verwaltungsrechts. 241 Die einzelnen Gebiete des internationalen Verwaltungsrechts werden von von Kirchenheim zwar nicht detailliert dargestellt, er verweist jedoch darauf, daß nahezu alle Verwaltungsbereiche hiervon erfaßt seien. Dies treffe namentlich auf die Gefahrenabwehr und die Infrastrukturverwaltung zu. 242 Aufgrund der vielfachen Einflüsse des internationalen Verwaltungsrechts sei es daher eigentlich auch nicht mehr zutreffend, überhaupt noch von einer „inneren Verwaltung" zu sprechen. Aber nicht nur inhaltlich sei eine große Relevanz der internationalen Verwaltungsaufgaben zu konstatieren, sondern auch mit Blick auf die Rechtsquellenlehre lassen sich seiner Ansicht nach Veränderungen feststellen. Neben den maßgeblichen völkerrechtlichen Verträgen entwickele sich nämlich auch eine „Verwaltungsusance" in der internationalen Kooperation. Insoweit warte „das wirkliche Leben nicht auf Verträge". 243 Schließlich kennzeichne das internationale Verwaltungsrecht die Existenz der sich entwickelnden internationalen Verwaltungsvereine als institutionalisierte Kooperationsform. 244 Insgesamt steht von Kirchenheim mit seinen Ausführungen zum internationalen Verwaltungsrecht damit ganz in der Tradition dieser mit Kaltenborn beginnenden eigenständigen Lehre. Bedenkt man, daß von Kirchenheim seine „Einführung in das Verwaltungsrecht" als Vorlesungsgrundriß konzipierte und es dementspre239

von Kirchenheim, Einführung in das Verwaltungsrecht (1885), 114.

240

von Kirchenheim, Einführung in das Verwaltungsrecht (1885), 115.

241

von Kirchenheim, Einführung in das Verwaltungsrecht (1885), 115.

242

von Kirchenheim, Einführung in das Verwaltungsrecht (1885), 116.

243

von Kirchenheim, Einführung in das Verwaltungsrecht (1885), 117.

244

von Kirchenheim, Einführung in das Verwaltungsrecht (1885), 117 f.

E. Rezeption der Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht

77

chend in den vielen Jahren seiner Heidelberger Lehrtätigkeit genutzt wurde, so ist zu ermessen, daß sich an seinem Werk nicht nur insgesamt die Etablierung des Verwaltungsrechts als eigenständige Wissenschaftsdisziplin - in Emanzipation zur allgemeinen Verwaltungswissenschaft - in Deutschland ablesen läßt, 245 sondern dies auch, ohne daß hierüber freilich Erkenntnisse vorliegen, zumindest in seinem Wirkungskreis für die Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht gelten könnte. 246 Ebenfalls aus der Perspektive des innerstaatlichen Verwaltungsrechts wird das internationale Verwaltungsrecht von dem Heidelberger Extraordinarius Franz Dochow (1875-1932) behandelt.247 Er lehnt sich zwar in mehreren Schriften begrifflich an von Stein an, beschränkt das „internationale Verwaltungsrecht des Inneren" dann aber auf diejenigen Regelungsmaterien, die originär der inneren Staatsverwaltung zuzuordnen sind, in ihrer rechtlichen Ausgestaltung aber durch völkerrechtliche Verträge bestimmt werden. 248 Die von von Stein als autonomes internationales Verwaltungsrecht bezeichnete Rechtsmaterie wird von Dochow also nicht betrachtet. Für ihn erfaßt das internationale Verwaltungsrecht nur „die international geregelten Materien ..., die in das Gebiet des internationalen Verwaltungsrechts des Inneren gehören". 249 Damit wird auch das auswärtige Verwaltungsrecht als das Recht des diplomatischen Dienstes und der diplomatischen sowie konsularischen Auslandsvertretungen aus dem Bereich des internationalen Verwaltungsrechts ausgeschlossen. Die ratio des internationalen Verwaltungsrechts sieht auch er allerdings in dem „Verkehrsbedürfnis der Bevölkerung" und der hieraus folgenden Notwendigkeit zwischenstaatlicher Kooperation. 250 Diese gehöre zur „Herstellung und Aufrechterhaltung des Verkehrs mit anderen Staaten ... zu den Staatszwecken".251 Insgesamt ergibt sich so 245

So Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 410.

246

Anders aber Bülck, in: FS Kraus, 29 (56): „Eintagsfliege".

247

Zu ihm kurz Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 275 Fn. 186. 248

Dochow, Vereinheitlichung des Arbeiterschutzrechtes durch Staatsverträge (1907), 3 ff., zur Definition siehe S. 24; kritisch hierzu Rosin, Verwaltungsarchiv 16 (1908), 169 (173 f.); siehe auch Dochow, Zeitschrift für Internationales Privat- und Öffentliches Recht 17 (1907), 267 ff.; ders., Zeitschrift für Internationales Recht 45 (1931/32), 189 ff.; siehe auch seine Sammlung internationaler Verwaltungsverträge: Dochow (Hrsg.), Internationale Verwaltungsverträge (1908). 249

Dochow, Vereinheitlichung des Arbeiterschutzrechtes durch Staatsverträge (1907), 22.

250

Dochow, Zeitschrift für Internationales Privat- und Öffentliches Recht 17 (1907), 267 (268). 251

Dochow, Vereinheitlichung des Arbeiterschutzrechtes durch Staatsverträge (1907), 24, unter Verweis auf G. Jellinek, Die rechüiche Natur der Staatsverträge, 42 ff.

78

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

bei Dochow ein dogmatisch wenig gewinnbringendes Bild der internationalen Verwaltung als völkerrechtlich beeinflußtes Staatshandeln in einzelnen Sachbereichen der Ordnungs- und Leistungsverwaltung, das der Harmonisierung nationaler Rechtsstandards im Interesse des internationalen Verkehrs dient. Die Grundidee des internationalen Verwaltungsrechts in der Prägung, die ihm durch von Stein u. a. gegeben wurde, wird damit zwar anerkannt, aber nicht eigenständig weiterentwickelt. Auch Otto Mayer (1846-1924) geht in der ersten Auflage seines Verwaltungsrechts (1896) noch auf das internationale Verwaltungsrecht ein; 252 in den späteren Auflagen des Lehrbuches findet sich der entsprechende Abschnitt dann allerdings nicht mehr. Für Mayer ist das internationale Verwaltungsrecht jedoch schon weitgehend kein eigenständiges Rechtsgebiet des materiellen Verwaltungshandelns mehr, sondern zum großen Teil internationales Verwaltungskollisions- oder Rechtsanwendungsrecht. Damit schließt er sich einer in seiner Zeit langsam dominierenden Auffassung an, auf die noch näher einzugehen ist. 253 Dementsprechend lehnt es Mayer ab, die rechtliche Existenz eines internationalen Verwaltungsrechts per se anzukennen. Für ihn kann es überhaupt nur ein durch völkerrechtlichen Vertrag begründetes internationales Verwaltungsrecht geben, das in der konkreten Realisierung aufgrund der notwendigen innerstaatlichen Umsetzung dann aber doch wieder innerstaatliches Verwaltungsrecht sei. 254 Nur für die „völkerrechtlichen Verwaltungsgesellschaften" konzediert Mayer, daß sich hier ein eigenständiges Verwaltungsrecht herausbildet, allerdings zunächst nur im organisationsrechtlichen Sinne. 255 Für den Staatenbund wird dann angedeutet, daß mit seiner Gründung ein weiterer qualitativer Sprung hin zu einem selbständigen materiellen Verwaltungsrecht erfolgen könne. Dieser Gedanke wird von Mayer aber nicht vertieft; intensiver widmet er sich vielmehr nur noch dem Verwaltungsrecht im Bundesstaat.256 Wie die Ausführungen Otto Mayers zeigen, sollte damit die Integration des internationalen Verwaltungsrechts in das sich immer deutlicher mit Dominanz herausbildende positiv-rechtlich orientierte deutsche Verwaltungsrecht, wie noch von Ulbrich und von Kirchenheim sowie in Ansätzen von Dochow vertreten,

252 O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 2,453 ff. (§ 62); hierzu auch K Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 170 f. 253

Infra Teil 1,F. III.

254

O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 2, 458 f.

255

O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 2,459 ff.

256

O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 2, 461 ff.

E. Rezeption der Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht

79

immer schwieriger werden. 257 Anders war dies nur insbesondere im italienischen Schrifttum, wo die eigenständige Bedeutung eines internationalen Verwaltungsrechts als sowohl innerstaatliche als auch völkerrechtliche Rechtsnormen erfassendes Rechtsgebiet lange Zeit anerkannt war. 258 In Deutschland versuchte allerdings zu Beginn des 20. Jahrhunderts der seinerzeit engagierteste Vertreter der kaum noch in Lehre und Forschung vertretenen Verwaltungslehre, Ferdinand Schmid (1862-1925), 259 nochmals die Idee der internationalen Verwaltung als Gegenstand dieses Wissenschaftszweiges wiederzubeleben. Er selbst, ein Schüler Lorenz von Steins, 260 konnte jedoch nur die bekannte Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht referierend wiedergeben. Neue Forschungsansätze vermochte er nicht aufzuzeigen. Nachhaltige Wirkungen hatten seine Ausführungen zur internationalen Verwaltung in seiner Leipziger Antrittsvorlesung aus dem Jahre 1908 nicht. 261

2. Völkerrechtliches

Schrifttum

Im völkerrechtlichen Schrifttum folgte Ulimann in seinem Lehrbuch des Völkerrechts (1898) der Konzeption des internationalen Verwaltungsrechts. Er beschränkt sich in seiner Darstellung zwar inhaltlich auf die durch völkerrechtliche Verträge erfaßten Gebiete, verweist aber darauf, daß es sich hierbei um die Erfüllung von Staatsaufgaben handele, die über die einzelstaatliche Handlungsmacht hinausgingen.262 Auch Weissborn geht in seiner Dissertation über eine „internationale Rechtshülfe in der Bevölkerungscontrole" von einem internationalen Verwaltungsrecht 257 Vertiefend hierzu infra Teil 1, F.; zur Einordnung von von Kirchenheim und Dochow als Anhänger der späten staatswissenschaftlichen Methode siehe M. Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, 308. 258

Dies wurde umfassend dargestellt von K. Vogel, Der räumliche Anv 'endungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 159 ff. 259 Zum Bedeutungsverlust der Verwaltungslehre in der Zeit des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts und den Wiederbelebungsversuchen F. Schmids insbesondere in Leipzig siehe umfassend Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 242 ff. m. w. N. 260 Siehe Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 230. 261 F. Schmid, ZgStW 65 (1909), 193 (212); zu den fehlgeschlagenen Versuchen Schmids u. a., die Verwaltungslehre wiederzubeleben, siehe auch Stolleis, Die Verwaltung 15 (1982), 45 (69 ff.); ders., Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 243 f. 262

Ulimann, Völkerrecht, 1. Aufl., 252 f.; 2. Aufl., 370 f.

80

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

aus, das er als „Ausdruck einer internationalen Interessengemeinschaft", als „Überwiegen einer gesammteuropäischen Interessengemeinschaft gegenüber der staatlichen Isolierung" charakterisiert. 263 Auf die völkerrechtlichen Verträge zur Errichtung von internationalen Organisationen „zur Verfolgung gemeinsamer Zwecke", wie den Weltpostverein, bezieht von Liszt in seinem einflußreichen Lehrbuch zum Völkerrecht den Begriff des internationalen Verwaltungsrechts, ohne ihn allerdings näher zu erläutern. 264 Als Vertreter der Völkerrechtswissenschaft nahm auch Nippold, insbesondere in Anlehnung an von Martens, die Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht auf. In seiner breit angelegten Monographie zur „Fortbildung des Verfahrens in völkerrechtlichen Streitigkeiten" (1907) bekennt er sich ausdrücklich zur Vorstellung einer internationalen Gemeinschaft und der hiermit im Zusammenhang stehenden Differenzierung zwischen politischen Verträgen und Verkehrsverträgen, indem er eine inhaltliche und keine formale Betrachtung der vorliegenden Staatsverträge propagiert. 265 Methodisch schließt er sich damit einem weniger positivistisch und eher empirisch-soziologisch orientierten rechtswissenschaftlichen Verständnis an, wie es auch den Arbeiten insbesondere von Kaltenborn, von Mohl, von Stein und von Martens zugrundeliegt. Obwohl er die Systematik des internationalen Verwaltungsrechts bei von Stein wohl mißversteht, 266 nimmt er den Begriff der internationalen Verwaltung inhaltlich auf, bezieht ihn dann aber nur auf die von internationalen Organisationen wahrgenommenen Verwaltungsaufgaben. Eine umfassende Erstreckung des Begriffes auf alle innerstaatlichen und völkerrechtlichen Regelungsbereiche mit Verwaltungscharakter steht Nippold distanziert gegenüber; hier zieht er den Begriff „Weltverkehrsrecht" vor. 267 Dessen Eigenart und damit einhergehend das qualitativ Neue dieser Entwicklungsstufe des Völkerrechts sei es, daß nicht mehr die Sonderinteressen der Staaten die Regelungsinhalte bestimmen, sondern ein gemeinsames Interesse zutage trete. 268 Die weiterhin relevante Souveränität der Staaten könne damit keinen Ausschließlich-

263 Weissborn, Die Ansätze einer internationalen Rechtshülfe in der Bevölkerungscontrole, 7. 264

von Liszt, Das Völkerrecht, hier zitiert nach der 11. Aufl., 26.

265

Nippold, Die Fortbildung des Verfahrens in völkerrechtlichen Streitigkeiten, 23 ff.

266

Nippold, Die Fortbildung des Verfahrens in völkerrechtlichen Streitigkeiten, 23 f. Fn. 9; hierzu auch Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 225. 267 Nippold, Die Fortbildung des Verfahrens in völkerrechtlichen Streitigkeiten, 29 ff. Fn. 17, 61 ff. 268

Nippold, Die Fortbildung des Verfahrens in völkerrechtlichen Streitigkeiten, 36.

81

E. Rezeption der Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht

keitsanspruch mehr einnehmen. Das Völkerrecht baue vielmehr auf zwei Prinzipien auf, nämlich der Souveränität und der Solidarität. 269 Der Solidaritätsgedanke komme in den vielfachen internationalen „Verkehrsverträgen" und insbesondere den internationalen Verwaltungsunionen deutlich zum Ausdruck. 270 Im Jahre 1919 verfolgte der niederländische Rechtswissenschaftler Jitta 211 nochmals einen ähnlichen Ansatz, der freilich nicht zuletzt durch die Einbindung des Abschnittes zur internationalen Verwaltung in umfassende rechtspolitische Vorstellungen zur „Neugestaltung des internationalen Rechts" keinen dogmatischen Gewinn erbrachte. 272 Zumindest deskriptiv vertiefend wurde das internationale Verwaltungsrecht als Ausdruck der „Anerkennung der Interessengemeinschaft aller Kulturstaaten" von Gareis in seinem Lehrbuch des Völkerrechts behandelt. 273 Im einzelnen stellt er im Kapitel „Normen im Interesse des internationalen Verkehrs der Staatsangehörigen" ausführlich die völkerrechtlichen Regelungen zu Schiffahrt, Handel, Sanitätswesen, Landwirtschaft, Gewerbewesen, Postverkehr, Telegraphenwesen, Eisenbahnwesen sowie Kunst und Wissenschaft dar und faßt diese unter dem Begriff des internationalen Verwaltungsrechts zusammen.274 Einen zusammenfassenden Überblick zum internationalen Verwaltungsrecht i m Sinne von von Stein und von Martens lieferte i m Jahre 1902 auch der russische Völkerrechtler Pierre Kazansky,

215

gefolgt von

einer tiefgehenden völkerrechtlichen Analyse im englischsprachigen Raum im Jahre 1909 von Reinsch, 276

269

Nippold, Die Fortbildung des Verfahrens in völkerrechtlichen Streitigkeiten, 53.

270

Nippold, Die Fortbildung des Verfahrens in völkerrechtlichen Streitigkeiten, 61 ff.

271

Jitta, Die Neugestaltung des internationalen Rechts, 21 f.

272

Kritisch hierzu K Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 167. 273

Gareis, Völkerrecht, 2. Aufl., 29.

274

Gareis, Völkerrecht, 2. Aufl., 30 und 166 ff.

275

Kazansky, Revue générale de droit international public 9 (1902), 353 ff.

276 Reinsch, AJIL 3 (1909), 1 ff.; er definiert wie folgt: „The body of law which is thus being created by the action of the authoritative organs of public international unions, and by cooperation among governments, is distinguished from general international law in that it not merely regulates the relations between national states, but undertakes to establish positive norms for universal action. We may tentatively apply to it the designation of international administrative law, defining it as that body of laws and regulations created by the action of international conferences or commissions which regulates the relations and activities of national and international agencies with respect to those material and intellectual interests which have received an authoritative universal organization 44, AJIL 3 (1909), 1 (5); da der Aufsatz keine Anmerkungen enthält, ist nicht ersichtlich, ob sich der Autor mit dieser Definition auf frühere Ausführungen im Schrifttum bezieht.

82

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

Insgesamt zeigt sich damit die primär völkerrechtlich orientierte Ausrichtung Nippolds, Jittas, Gareis u. a., die keine originäre verwaltungswissenschaftliche Durchdringung der Materie im Sinne von von Mohl und von Stein zuläßt, sondern in den dogmatischen Grundlagen nahezu umfassend den Gedanken von Martens folgt. Dabei sind auch völkerrechtlich keine neuen Ansätze auszumachen. Vielmehr erfolgt neben referierenden Passagen nur eine deskriptiven Fortschreibung der Staatenpraxis. Bei Walther Schücking findet sich ebenfalls der Gedanke des internationalen Verwaltungsrechts. Auch bei ihm kommt es aber nicht zu einer dogmatischen Fortentwicklung. 277 Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Kaltenborn und von Mohl sowie der neueren Arbeit von Nippold schließt er sich dem Rechtsgedanken der internationalen Solidarität an, aus dem sich ,,staatlich[e] Aufgaben auf internationalem Boden" ergeben. Dies sei als internationale Verwaltung zu bezeichnen, woraus sich gleichzeitig die rechtspolitische Forderung nach einer internationalen Organisation ergebe. 278 Die internationalen Verwaltungsvereine oder -Unionen werden so auch von Schücking - in Abgrenzung zum Staatenbund - als Organisationen definiert, die „eine einzelne Verwaltungsangelegenheit dem solidarischen Interesse entsprechend regeln". 279 Insgesamt konzentriert sich Schücking seinem Gesamtwerk entsprechend 280 auf die Bedeutung der internationalen Organisationen mit Verwaltungsaufgaben und streift die allgemeine Frage nach einem internationalen Verwaltungsrecht nur am Rande. Die Konzentration in der Völkerrechtswissenschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf „internationale Verwaltungs vereine" ist nicht zuletzt auf den empirischen Umstand der raschen Zunahme internationaler Organisationen zur Durchführung der unterschiedlichsten Aufgaben in dieser Zeit zurückzuführen. In einer die internationalen Verflechtungen der Staaten umfassend würdigenden Darstellung aus dem Jahre 1908 nennt Fried 281 insgesamt 244 internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen mit Verwaltungsaufgaben, wobei nach seinen Berechnungen in den Jahren 1901 bis 1908 ebensoviele Organisationen neu 277

Schücking, Die Organisation der Welt, 61; ders., Das Werk vom Haag, Bd. 1, 17 f.; siehe in diesem Zusammenhang auch Preuss, Das Völkerrecht im Dienste des Wirtschaftslebens, passim, der umfassend die durch wirtschaftliche Interessen determinierte Fortentwicklung des Völkerrechts im inhaltliche Sinne eines internationalen Verwaltungsrechts beschreibt, ohne freilich diesen Begriff zu verwenden. 278

Schücking, Das Werk vom Haag, Bd. 1,18. Schücking, Das Werk vom Haag, Bd. 1,19. 280 Hierzu Bodendiek, Die Friedenswarte 74 (1999), 79 ff.; ders., Walther Schückings Konzeption der internationalen Ordnung, passim. 281 Zu seinem Wirken z. B. Forsch, Die Friedenwarte 74 (1999), 39 ff. m. w. N. 279

E. Rezeption der Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht

83

gegründet wurden wie im gesamten 19. Jahrhundert. 282 Insgesamt 39 staatliche und nichtstaatliche Organisationen hatten ihm zufolge 1908 ihren Sitz im Deutschen Reich. 283 63 völkerrechtliche Abkommen, die sich mit Verwaltungsaufgaben befassen, hatte das Deutsche Reich nach seinen Angaben ratifiziert. 284 Fried kann anhand dieser Zahlen belegen, welche Bedeutung den „internationalen Verkehrsbeziehungen" der Staaten, verstanden als Ausdruck der bereits genannten Idee der internationalen Solidarität, zukommt. Auch er schließt sich daher der Auffassung an, daß sich hier in Abkehr von politischen Sonderinteressen der Staaten ein Gemeinschaftsinteresse im Völkerrecht herausbilde. 285 Dies sei begrifflich in Anlehnung an von Martens als internationale Verwaltung zu erfassen, wobei zwischen einfachen Vèrwaltungsabkommen, internationalen Zentralstellen und selbständigen internationalen Verwaltungsorganisationen differenziert wird. 2 8 6 Daneben kommt bei Fried auf der gesellschaftlichen Ebene - dem „privaten Internationalismus" - den nichtstaatlichen Vereinigungen eine immer größere Bedeutung zu. 287 Den vorerst letzten Versuch einer umfassenden theoretischen Erfassung des internationalen Verwaltungsrechts im Sinne eines materiellen Grundbestandes an übereinstimmenden Verwaltungsrechtsnormen zwischen mehreren Staaten unternahm im Jahre 1930/31 Stier-Somlo. 2%% Seine breit angelegte, sich auf viele Streitfragen aus dem Privat-, Straf- und öffentlichen Recht beziehende Abhandlung ist besonders interessant, da er den zitierten Quellen nach offensichtlich die Arbeiten von von Stein und von Martens nicht kannte und doch dem Grundgedanken nach zu ähnlichen Ergebnissen kommt. Für ihn ist das internationale Verwaltungsrecht - als internationales Recht und nicht als Völkerrecht verstanden - auf die gemeinsame Wahrnehmung einer Verwaltungsaufgabe durch mehrere Staaten bezogen, wozu übereinstimmende Normen zur Anwendung kommen. 289 Eine Begrenzung auf ein Kollisionsrecht oder ein Rechtsgebiet analog dem internationalen Privat282

Fried, Das internationale Leben der Gegenwart, IV.

283

Fried, Das internationale Leben der Gegenwart, 106 f.

284

Fried, Das internationale Leben der Gegenwart, nach 104, graphische Darstellung der Regierungsabkommen zur internationalen Verwaltung usw.; Fried zählt hier allerdings auch einige Abkommen aus dem humanitären Völkerrecht auf, deren Einordnung unter den Begriff der internationalen Verwaltung fragwürdig ist. 285

Fried, Das internationale Leben der Gegenwart, 18 ff.

286

Fried, Das internationale Leben der Gegenwart, 22 f.; umfassende Nachweise zu den völkerrechtlichen Regelungen in einzelnen Verwaltungsbereichen dann ebda., 35 ff. 287

Fried, Das internationale Leben der Gegenwart, 26.

288

Stier-Somlo, Int'l Zeitschrift für Theorie des Rechts 5 (1930/31), 222 ff.

289

Stier-Somlo, Int'l Zeitschrift für Theorie des Rechts 5 (1930/31), 222 (260).

84

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

recht sei dementsprechend abzulehnen.290 Im Ergebnis sei daher auch mit Blick auf das internationale Verwaltungsrecht eine Abgrenzung vorzunehmen, die der innerstaatlichen Differenzierung zwischen Verfassungs- und Verwaltungsrecht entspreche: „Völkerrecht ist gleichsam das Verfassungsrecht der Völkergemeinschaft, internationales Verwaltungsrecht sein dem einzelstaatlichen Verwaltungsrecht entsprechendes Rechtsgebiet".291 Geht man den zitierten Quellen zufolge davon aus, daß Stier-Somlo die bereits seit längerer Zeit vertretenen Gedanken zu einem internationalen Verwaltungsrecht nicht kannte, so können seine Ausführungen als Beweis für die Zeitlosigkeit der Lehren von von Mohl, von Stein und anderen gewertet werden. 292

V. Zusammenfassung Die Rezeption der Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht, wie sie im Konstitutionalismus durch von Mohl und von Stein nach einer schon einige Zeit vorher einsetzenden Entwicklung systematisch umfassend vorgestellt wurde, verlief in unterschiedlicher Intensität und auch inhaltlich divergierend. Im völkerrechtlichen Schrifttum fand die auf internationaler Kooperation 293 begründete Idee einer an inhaltlichen und nicht formalen Aspekten ausgerichteten Betrachtung der empirisch vorzufindenden Staatenpraxis zunächst eine positive und einflußreiche Beachtung. Das Werk von von Martens trug hierzu maßgeblich bei. Für die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts intensiv einsetzende pazifistische Bewegung im Völkerrecht, deren Wirken untrennbar mit den Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 und im deutschsprachigen Raum den Arbeiten u. a. von Nippold,

Schücking,

Wehberg und Fried verbunden i s t , 2 9 4 war so das internatio-

nale Verwaltungsrecht ein fruchtbarer Boden. Der ausgeprägte Internationalismus dieser Lehre gründete sich rechtlich auf der Idee internationaler Solidarität und Kooperation, wie sie gerade im internationalen Verwaltungsrecht verkörpert wurde. Die „Verkehrsnotwendigkeit" als tragendes Rechtsprinzip einer das inner290

Stier-Somlo, I n f i Zeitschrift für Theorie des Rechts 5 (1930/31), 222 (256 ff.).

291

Stier-Somlo, Int'l Zeitschrift für Theorie des Rechts 5 (1930/31), 222 (262).

292

So auch Richter, Völkerrecht, Außenpolitik und internationale Verwaltung bei Lorenz von Stein, 226. 293

Zum normativen und völkerrechtlichen Gehalt dieses Begriffes siehe umfassend Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisaitonen, 324 ff.; ders., Christiana Albertina 36 n. F. (1993), 5 ff.; ders., Jahrbuch für Recht und Ethik 6 (1998), 163 ff., jeweils m. w. N. 294

Hierzu Bodendiek, Die Friedenswarte 74 (1999), 79 ff.; Delbrück, in: Dicke/Kodalle (Hrsg.), Republik und Weltbürgerrecht, 181 (192 ff.), jeweils m. w. N.

E. Rezeption der Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht

85

staatliche und das internationale Recht umfassenden und einheitlich kennzeichnenden Regelungsmaterie verlangte gleichsam, daß über die politischen Beziehungen der Staaten hinausgehend ihre „alltäglichen" Verwaltungsangelegenheiten einer gemeinsamen Lösung zugeführt werden. In seiner geistesgeschichtlichen Entwicklung läßt sich dieser Gedanke auf Kant und seinen im Ewigen Frieden formulierten zweiten („Das Völkerrecht soll auf einen Föderalism freier Staaten gegründet sein") 295 und dritten Definitivartikel („Das Weltbürgerrecht soll auf Bedingungen der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt sein") 296 zurückführen. Die zunehmende zwischenstaatliche Kooperation im 19. Jahrhundert auf Gebieten, die außerhalb der klassischen politischen Beziehungen der Staaten lagen, wurde insoweit inhaltlich als internationales Verwaltungsrecht und damit gleichsam als Weltbürgerrecht sowie organisatorisch-institutionell als Föderalismus freier Staaten verstanden. Dogmatisch war hiermit allerdings eine Absage an die Verankerung des internationalen Verwaltungsrechts in der Verwaltungslehre und eine Hinwendung zum Völkerrecht verbunden. Der universalistische Ansatz bedingte insoweit eine völkerrechtliche Betrachtung. Gleichzeitig ist der aufkommende Positivismus und sein Einfluß auch auf die Völkerrechtslehre sichtbar. Während ursprünglich aus völkerrechtlicher Perspektive - ebenso wie im Rahmen der innerstaatlichen Verwaltungslehre - der Inhalt der Staatenpraxis als analytischer Ansatzpunkt im Vordergrund stand, dokumentieren insbesondere die Ausführungen Jellineks, daß ab Ende des 19. Jahrhunderts Form- bzw. Rechtsquellenfragen die Systematisierung bestimmten. Die Idee eines umfassenden, im innerstaatlichen und internationalen Rechtsraum anzusiedelnden internationalen Verwaltungsrechts konnte hier keinen bzw. keinen unbeschränkten Bestand mehr haben. Internationales Verwaltungsrecht war jetzt nur noch - soweit es noch anerkannt wurde - das aus einer völkerrechtlichen Rechtsquelle entspringende Verwaltungsrecht mit internationalem Charakter, unabhängig davon, ob es um materielle oder institutionelle Regelungen ging. Eine ganz ähnliche Entwicklung ist im verwaltungswissenschaftlichen Schrifttum zu verzeichnen, wobei als wichtige Ausnahme die Arbeit von von Kirchenheim zu beachten ist. In ihr kommt es zu einer konsequenten Rezeption der Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht, und zwar jetzt nicht mehr als Bestandteil der Verwaltungslehre, sondern bereits im Rahmen der Darstellung des Verwaltungsrechts. Durchsetzen konnte sich diese Betrachtung aber nicht. Schon die erste Auflage des Verwaltungsrechts von Otto Mayer wies hier den Weg des sich 295 296

Hierzu Delbrück, in: Dicke/Kodalle (Hrsg.), Republik und Weltbürgerrecht, 181 ff.

Hierzu Brandt, in: Höffe (Hrsg.), Zum Ewigen Frieden, 133 ff.; Dicke, in: ders./ Kodalle (Hrsg.), 115 ff.

86

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

verfestigenden Positivismus, indem Ansätze eines internationalen Verwaltungsrechts nur noch für völkervertraglich geregelte Bereiche und insbesondere die Tätigkeit internationaler Verwaltungsvereine konzediert wurden, im übrigen aber eine Einordnung als innerstaatliches Rechtsanwendungsrecht erfolgte. Die Trennung von Staats- und Völkerrecht brachte damit die Einheitlichkeit des ursprünglichen Konzeptes eines internationalen Verwaltungsrechts zum Einsturz, was im folgenden noch näher darzulegen ist.

F. Die Absage an das bislang bekannte internationale Verwaltungsrecht im Rahmen der „juristischen Methode44 im öffentlichen Recht

I. Allgemein zum Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus und zu den Auswirkungen auf die bisherige Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht Der deutsche Spätkonstitutionalismus ist neben den staatswissenschaftlichen Arbeiten des Lorenz von Stein und anderen ganz maßgeblich durch die aufkommende und sich rasch verfestigende „juristische Methode" 297 gekennzeichnet. Dieser Methodenwandel, 298 hervorgegangen aus einem philosophisch und naturwissenschaftlich sich wandelnden Weltbild und Wissenschaftsverständnis 299 und mit ganzer Kraft zunächst die Zivilrechtsdogmatik erfassend, 300 sollte für einige Jahre die Staats-, Verwaltungs- und Völkerrechtslehre in Deutschland zwar nicht ausschließlich, aber doch mit großem Gewicht bestimmen.301 Der im Sinne eines Formalismus zu verstehende Positivismus dieser Zeit 3 0 2 führte zu einer weitgehenden 297 Der Begriff geht auf R. von Jhering zurück, siehe von Jhering, Unsere Aufgabe, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Rechts 1857, 21: „... die naturhistorische Methode, oder nennen wir sie von jetzt an die juristische Methode". 298

Umfassend Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus,

passim. 299

Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 435 f. m. w. N.

300

Statt vieler Fikentscher,

Methoden des Rechts, Bd. 3, 79 ff.

301

Vgl. Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, 209 ff.; Korioth, in: Lotter (Hrsg.), Normenbegründung und Normenentwicklung in Gesellschaft und Recht, 200 (201 ff.); Stolleis, Die Verwaltung, 15 (1982), 45 ff.; für die Weimarer Zeit siehe auch Korioth, AöR 117 (1992), 212 ff. 302

Badura, Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates, 51.

.

e

d

internationale Verwaltungsrecht

87

Konzentration der rechtswissenschaftlichen Arbeit auf das vorzufindende positive Recht und eliminierte damit u. a. genau die philosophischen und soziologischen Gedanken aus der anerkannten Systematik, die der dargestellten Idee eines internationalen Verwaltungsrechts zugrundelagen. Die Hinwendung der Staatsrechtslehre zum Positivismus ist in Deutschland zunächst untrennbar mit den Arbeiten Carl Friedrich von Gerbers (1823-1891)

verbunden. 303 Er vertrat, aus dem Zivilrecht kommend, mit aller Deutlichkeit die Auffassung, daß politische, philosophische und historische Gesichtspunkte aus dem wissenschaftlichen System des Staatsrechts zu verdrängen seien. Dies war für ihn Voraussetzung, um der „konstruktiven juristischen Methode" zum Durchbruch zu verhelfen. 304 Inhaltlich ist es das zentrale Anliegen von Gerber, die Staatsgewalt im Organismus „Staat" juristisch zu erfassen, und zwar mit rechtlichen Grenzen versehen, aber doch in dem klaren Sinne eines Subordinations Verhältnisses zum Bürger. 305 Damit war sowohl methodisch als auch inhaltlich der Weg gewiesen, den große Teile der Staatsrechtslehre nun mit Macht beschritten. Rezipiert und mit nachhaltiger Wirkung versehen wurden die Gedanken von Gerber in der Staatsrechtslehre durch Paul Laband (1838-1918), 306 der gerade mit

Blick auf die Verdeutlichung „der Grenzsteine zwischen den Gebieten der Politik und des Staatsrechts" für das Werk des älteren Staatsrechtslehrers eine wahre Begeisterung entwickelte. 307 303 Zu Person und Werk siehe Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, 92 ff.; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 331 ff.; M. Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, 222 ff., jeweils m. w. N. 304

Gerber, Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts (1865), Vorrede.

305

Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 206 ff.; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 335; umfassend Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, 115 ff. 306

Zu Leben und Werk siehe ausführlich Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 341 ff.; M. Fnedrich, AöR 111 (1986), 197 ff.; Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, 168 ff.; ders., in: Heinrichs/Franzki/ Schmalz/Stolleis (Hrsg.), Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, 301 ff., jeweils m. w. N. 307

Siehe hierzu das Zitat aus einem Brief Labands an Gerber, wiedergegeben bei Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, 160 Fn. 139: „Die Grundzüge des deutschen Staatsrechts gehören seit ihrem ersten Erscheinen zu meinen Lieblingsbüchern. ... [I]ch fühlte sogleich, daß dieses Buch der Beginn einer neuen Periode in der Behandlung des deutschen Staatsrechts sei. ... Das war zum ersten Mal wieder eine juristische Methode, die seit Pütter dem Staatsrecht abhanden gekommen war; die Grenzsteine zwischen den Gebieten der Politik und des Staatsrechts wurden wieder sichtbar, die formlos gewordene Materie erhielt von Neuem eine feste systematische Gliederung und die Herr-

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Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

Die wissenschaftliche Methode Labands ist von einer strengen Ausrichtung an Abstraktion und Isolation gekennzeichnet, was ihn zu der Aussage führte, daß „die juristische Form ... die Rechtsgestalt [ist] und auf diese kommt es in der Rechtswissenschaft an, nicht auf ihre materiellen Zwecke". 308 Es würde zwar eine untragbare Vereinfachung dieses methodischen Programmes Labands darstellen, wollte man hierin eine reine „Begriffsjurisprudenz" sehen,309 nicht zu verkennen ist jedoch die streng formalistische Betrachtungsweise, die zu einer Absage an philosophisch und soziologisch mitbestimmte Rechtskonzepte führt. In seinen ursprünglich drei Bänden des Staatsrechts des Deutschen Reiches (1876-1882) verwirklichte Laband dieses Programm konsequent und mit beispiellosem sowie nachhaltigem Erfolg und begründete so - als Weiterentwicklung des rechtswissenschaftlichen Positivismus im Sinne Gerbers - den „wissenschaftlich angeleiteten Gesetzespositivismus" im öffentlichen Recht. 310 Bis zum Methodenstreit in der Weimarer Republik sollte dieser Gesetzespositivismus die Wissenschaft des öffentlichen Rechts in Deutschland in großem Maße bestimmen. Neben dem Einfluß Labands auf das Staatsrecht ist die Bedeutung seines Methodenverständnisses für das Verwaltungsrecht zu sehen. Knapp 20 Jahre nach dem Erscheinen der ersten Auflage des ersten Bandes des „Staatsrechts des Deutschen Reiches" vollzog Otto Mayer mit seinem „Deutschen Verwaltungsrecht" die konsequente Anwendung der am Gesetzespositivismus ausgerichteten rechtswissenschaftlichen Methode im Verwaltungsrecht. 311 Sie zeichnet sich durch eine klare und konsequente Beschränkung des Untersuchungsgegenstandes auf das schaft des Gedankens trat wieder an die Stelle der Herrschaft der Phrase. Auf mich persönlich hat ihr Werk den größten Einfluß gehabt.... Meine Bearbeitung des Reichsstaatsrechts zeigt in allen ihren Theilen, wieviel sie Ihnen zu danken hat 308 Laband, AöR 2 (1887), 149 (161); umfassend hierzu auch Herberger, in: Heyen (Hrsg.), Wissenschaft und Recht der Verwaltung seit dem Anden Régime, 91 ff.; zur Kritik an Labands Methodenprogramm siehe M. Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, 236 f.; Koch, in: ders. (Hrsg.), Seminar: Die juristische Methode im Staatsrecht, 61 ff.; Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, 186 ff. 309

Hierzu ausführlich Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, 188 ff. 310 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 343, in Anlehnung an M. Friedrich, AöR 111 (1986), 197 (205 f.). 311 Hierzu ausführlich Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 403 ff.; ders., Die Verwaltung 15 (1982), 45 (52 ff.); Heyen, Otto Mayer - Studien zu den geistigen Grundlagen seiner Verwaltungsrechtswissenschaft, passim; Meyer-Hesemann, Methodenwandel in der Verwaltungsrechtswissenschaft, 15 ff.; M. Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, 312 ff.; Hueber, Otto Mayer - Die Juristische Methode44 im Verwaltungsrecht, passim; Badura, Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates, 51 ff.

F. Absage an das internationale Verwaltungsrecht

89

„der Verwaltung eigentümliche öffentliche Recht" aus 312 und mußte daher die Verwaltungslehre aus der Verwaltungsrechtswissenschaft ausscheiden; ihr wird nur die Rolle der „äußerlichen Anknüpfung, [der] notwendigen Einleitung der Übersicht und des Zusammenhanges" zugewiesen,313 wodurch ihr eine eigentliche juristische Qualität abgesprochen wird. Ganz dieser methodischen Ausrichtung entsprechend fällt daher auch das Urteil Mayers über von Stein aus, den er zwar als den „unbestrittenen Führer" der Verwaltungslehre bezeichnet, ihm aber an vielen Stellen unjuristische, durch Unkenntnis des positiven Rechts gekennzeichnete nur philosophische Leistungen vorwirft. 314 Treu seinem deutlich an Laband orientierten Methodenverständnis entwickelte Mayer eine Dogmatik des deutschen Verwaltungsrechts, die aufbauend auf dem formalen Rechtsstaatsprinzip zentral um den Gedanken der obrigkeitlichen Handlungsformen des Staates kreist, wobei dem Verwaltungsakt eine herausragende Bedeutung zukommt. Hieraus ergibt sich eine streng an positiven Rechtsinstituten des Verwaltungsrechts ausgerichtete Systematik, die der Begrifflichkeit Vorrang vor dem Inhalt einräumt. 315 Wie die bereits dargelegten Ausführungen Mayers in der ersten Auflage des Deutschen Verwaltungsrechts zum internationalen Verwaltungsrecht zeigen, bleibt hierbei für prima facie außerhalb der positiven innerstaatlichen Rechtsordnung stehende Konzepte einer völkerrechtlich determinierten Verwaltungstätigkeit kaum Raum. Das zeigt sich auch an der Völkerrechtskonzeption Mayers, die von ihm gegen Ende seines Lebens umfangreich dargelegt wurde. 316 Für ihn ist die Frage nach dem Geltungsgrund des Völkerrechts in einem geschlossenen juristischen System letztlich nicht zu beantworten; insbesondere naturrechtliche Ansätze und die Willenstheorie stoßen nach seiner Ansicht mit Blick auf die Frage der Letztbegründbarkeit auf unüberwindbare Probleme. Daher, so Mayer, komme man nicht umhin, als „Forderung der Wirklichkeit", aus der Erkenntnis heraus, daß das Völkerrecht gelten muß, die Völkergerechtigkeit, die Völkermoral, als Betrachtungsgegenstand heranzuziehen. Nur durch sie, auch als „Gerechtigkeit für Massenbeziehungen" bezeichnet,317 lasse sich erklären, warum Völkerrecht Recht ist und daher den „Leugnern des Völkerrechts" eine Absage 312

O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1,18.

313

O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 17. 314 Siehe die Nachweise bei Heyen, Otto Mayer - Studien zu den geistigen Grundlagen seiner Verwaltungsrechtswissenschaft, 202 f. 315 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, 405 f.; ausführlich jetzt Schmidt-De Caluwe, Der Verwaltungsakt in der Lehre Otto Mayers, 118 ff. und passim. 316

O. Mayer, AöR 38 (1918), 1 ff.

317

O. Mayer, AöR 38 (1918), 1 (36).

90

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

erteilt werden müsse. Mayer betont jedoch, daß mit dieser Argumentation der Bereich der Logik, die er unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Laband als eine der Kräfte „wirksamer juristischer Schriftstellerei" bezeichnet, verlassen werde. 318 Für ihn bleibt der Geltungsgrund des Völkerrechts also ein außerhalb des juristischen Systems stehender Gesichtspunkt, wodurch letztlich, ohne daß dies von Mayer ausdrücklich gesagt wird, doch die juristische Qualität des gesamten Völkerrechts zumindest in Frage gestellt wird. Vor dem Hintergrund Mayers Dogmatik des Verwaltungsrechts und seiner Völkerrechtskonzeption war die Streichung des Abschnittes zum internationalen Verwaltungsrecht in den späteren Auflagen seines Lehrbuches nur folgerichtig. Die weniger die Form als vielmehr den Inhalt der Verwaltungstätigkeit betrachtende Lehre von einer juristischen Erfassung international beeinflußter und determinierter Verwaltungsaktivitäten konnte für ihn im Kern nur unjuristisch sein. Was für das Schrifttum jetzt noch blieb, um von einem internationalen Verwaltungsrecht zu sprechen, war in Folge des nachhaltigen wissenschaftlichen Einflusses Mayers nur eine inhaltliche Reduktion des Begriffes auf positive innerstaatliche Rechtsinstitute, die sich mit den internationalen Aspekten des Verwaltungsrechts befassen. Der Weg für die Gleichsetzung der Begriffe „internationales Verwaltungsrecht" und „verwaltungsrechtliches Grenz- oder Rechtsanwendungsrecht", auf den noch näher einzugehen ist, war damit vorgezeichnet. Mayer selbst machte dies im Jahre 1912 überaus deutlich, indem er das internationale Verwaltungsrecht als „die besondere Stelle des nationalen Verwaltungsrechts ..., nach welcher es seine Anwendungsmaßstäbe bestimmt", umschrieb. 319 Internationales Verwaltungsrecht sei also nur das Recht, das bestimme, wann der Staat seine Verwaltungsregeln über seine Grenzen hinaus wirken lasse oder wann die Anwendung des Vewaltungsrechts innerhalb der staatlichen Grenzen gegenüber Fremden einschränkt werden könne. 320

II. Die Rezeption des Methodenwandels in der Lehre Triepels Der Methodenwandel in der Staatsrechts- und Verwaltungsrechtswissenschaft verfehlte auch in der Völkerrechtslehre nicht seine Wirkung. Durch das streng

318

O. Mayer, AöR 38 (1918), 1 (37); Mayer bezieht sich hierbei auf das folgende von ihm mitgeteilte Zitat von Laband: „Zum juristischen Schriftsteller, gehört zweierlei: gutes Gedächtnis und strenge Logik", O. Mayer, AöR 38 (1918), 1. 319

0. Mayer, AöR 28 (1912), 350 (351).

320

O. Mayer, AöR 28 (1912), 350 (353).

91

F. Absage an das internationale Verwaltungsrecht

etatistisch-souveränitätsbezogene 321 Rechtsverständnis der juristischen Methode mußte zwangsläufig auch die Frage nach dem Verhältnis von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht neu gestellt werden. Während die bislang dargestellten Lehren v o m internationalen Verwaltungsrecht hierauf kaum eingingen bzw. recht unbedarft hiermit umgingen, unterzog jetzt Heinrich

Triepel

(1868-1946) das

Verhältnis von „Völkerrecht und Landesrecht" einer grundlegenden Analyse. 3 2 2 Methodisch war Triepel i n seinen frühen Jahren nachhaltig vomGesetzespositivismus, verkörpert i n der Person Labands, beeinflußt. Bevor er sich dezidiert für die teleologisch ausgerichtete Interessenjurisprudenz und damit insbesondere für eine Absage an die strikte Trennung von „Recht und P o l i t i k " einsetzte, 3 2 3 stand er nach eigenen Angaben ebenso wie viele andere „ i m Banne der Gerber-Labandschen S c h u l e " . 3 2 4 Sein epochemachendes Werk zum dualistischen Verhältnis von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht war so ganz i n der Tradition des Gesetzespositivismus geschrieben. A n den Grundaussagen hielt Triepel aber auch nach seinem eigenen Methodenwandel bis zum Ende seines Lebens fest, o b w o h l bei i h m nach den Schrecken des 2. Weltkrieges die Hoffnung auf eine „ U m w ä l z u n g des Völkerrechts" w u c h s 3 2 5 und damit die prinzipielle Skepsis gegenüber dem Völkerrecht, die dem Dualismus zugrundeliegt, 3 2 6 zu weichen schien. 3 2 7 321

Siehe z. B. die streng etatistisch ausgerichtete Souveränitätskonzeption Mayers, näher hierzu Heyen, Otto Mayer - Studien zu den geistigen Grundlagen seiner Verwaltungsrechtswissenschaft, 104 ff. 322 Triepel, Völkerrecht und Landesrecht (1899); hierzu auch Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, 139 ff.; zu Triepel statt vieler M. Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, 345; Hollerbach, AöR 91 (1966), 417 ff.; umfassend zu Triepel jetzt Gassner, Heinrich Triepel, passim. 323 Triepel, Staatsrecht und Politik, 19: „Der logische Purismus, der die Jurisprudenz von der Berührung mit anderen Wissenschaften abschließt, der sie zu einer esoterischen, nur den Eingeweihten verständlichen Lehre macht, der alle staatlichen Einrichtungen, Verfassung, Parlament, Königtum, Selbstverwaltung und vieles andere nur als blutleere Schemen erscheinen und ihren ethischen Gehalt unbegriffen läßt, muß notwendig zu einer Verdorrung der Staats- und Rechtslehre führen"; hierzu z. B. Hollerbach, AöR 91 (1966), 417 (431 f.); Koch, in: ders. (Hrsg.), Seminar: Die juristische Methode im Staatsrecht, 85 ff. 324 Triepel, Staatsrecht und Politik, 9; hierzu auch Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, 209; Gassner, Heinrich Triepel, 447. 325

Nachweise hierzu bei Hollerbach, AöR 91 (1966), 417 (424).

326

Tomuschat, VVDStRL 36 (1978), 7 (15); Triepel verweist zwar auf die bei vielen vorhandene Skepsis gegenüber dem Völkerrecht, bezieht hierzu aber selbst keine ausdrückliche Stellung, siehe Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, 1 f. 327 Damit ist freilich nicht gesagt, daß Triepel nicht schon immer eine prinzipiell völkerrechtsfreundliche Haltung eingenommen hat. Auch in seinem Werk „Völkerrecht und Landesrecht" kommt dies wiederholt zum Ausdruck. Siehe z. B. Gassner, Heinrich Triepel, 458. Was jedoch feststeht, ist die dem Dualismus zugrundeliegende Annahme

92

Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

In seiner Monographie „Völkerrecht und Landesrecht", mit der die bislang umfassendste theoretische Grundlegung des Dualismus vorgelegt wurde, geht Triepel von einem prinzipiellen Gegensatz von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht aus. Dieser ist für ihn mit Blick auf die unterschiedlich geregelten Lebensverhältnisse und die jeweiligen Rechtsquellen im innerstaatlichen Bereich und auf der Ebene des Völkerrechts gegeben.328 Entscheidend sei hierbei zu berücksichtigen, daß es im internationalen System außer den Staaten keine organisierten Gemeinschaften gebe; da aber Rechtsregeln eine Gemeinschaft voraussetzen, ergebe sich zwangsläufig, daß auch nur die Staaten Subjekte des Völkerrechts seien, nicht jedoch die Individuen, denen ausschließlich in der innerstaatlichen Rechtsordnung eine Subjektstellung zukomme. 329 Das internationale Rechtssystem wird für Triepel so als staatlich dominiert angesehen und bereits vor diesem Hintergrund in Abgrenzung zum innerstaatlichen Recht gebracht. Dementsprechend ist für ihn das Völkerrecht auch nur ein Recht zur Koordination der Staaten, dem Subordinationsmerkmale fremd sind. Auch dies sei ein entscheidender Unterschied zum innerstaatlichen Recht, das gerade durch das Verhältnis von Berechtigten und Verpflichteten gekennzeichnet sei. 330 Der grundlegende Satz, die Prämisse seiner weiteren Argumentation zum Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht ist für Triepel daher, daß „[w]enn es ein Völkerrecht giebt, ... es nur für die Verkehrsbeziehungen koordinirter Staaten unter einander gelten [kann]". 331 Vor dem Hintergrund der Annahme einer koordinationsrechtlichen Struktur des Völkerrechts ist es konsequent - und wird von Triepel dann auch in klarer analytischer Argumentation und Begrifflichkeit weiter vertieft - , Landesrecht und Völkerrecht gegenständlich und inhaltlich streng voneinander zu trennen. 332 Die Trennung von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht mußte für Triepel auch dazu führen, die hergebrachte Begrifflichkeit von einem „internationalen Privatrecht", einem „internationalen Strafrecht" etc. scharf anzugreifen. Schon der Begriff „international" sei in diesem Zusammenhang zutiefst irreführend, denn es könne sich bei den angesprochenen Rechtsgebieten nur um solche des innerstaatlichen Rechts oder des Völkerrechts handeln, wobei ihm selbst nur die Zuordnung zum innerstaatlichen Recht möglich erscheint. Unabhängig von der konkreten

einer beschränkten, nur koordinationsrechtlich ausgerichteten Wirkkraft des Völkerrechts. 328

Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, 9.

329

Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, 15 f. und 20 f.

330

Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, 19.

331

Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, 20.

332

Verteifend hierzu jetzt Gassner, Heinrich Triepel, 446 ff.

F. Absage an das internationale Verwaltungsrecht

93

Zuordnung sei es aber in jedem Fall ein „schlimmer Fehler", die „internationalen" Rechtsgebiete sowohl im Völkerrecht als auch im innerstaatlichen Recht zu verorten. 333 Dementsprechend sei es auch eine „in höchstem Grade irreführende Ausdrucksweise", von „Grenzgebieten" zwischen Völkerrecht und Staatsrecht zu sprechen; es handele sich hierbei immer um ganz verschiedene Rechtsgebiete.334 Schon an dieser Stelle wird deutlich, daß es in der strengen positivistischen Systematik Triepels keinen Platz für ein internationales Verwaltungsrecht geben kann, wie es insbesondere von den Staats Wissenschaftlern des 19. Jahrhunderts noch angenommen wurde. Die von Kaltenborn, von Mohl, von Stein u. a. beschriebenen Interdependenzen zwischen innerstaatlichem Verwaltungsrecht und Verwaltungshandeln auf der einen Seite und den sich auf internationaler Ebene rechtlich manifestierenden Verkehrsnotwendigkeiten der Staaten auf der anderen Seite mußten in einem System des strengen Dualismus der Rechtsordnungen ihre juristische Existenzberechtigung verlieren. Mit anderen Worten: Die staatswissenschaftlich begründete Interdependenz wich der begrifflich-positivistischen Independenz. Nicht zu übersehen ist allerdings, daß Triepel die im 19. Jahrhundert nachzuweisende zunehmende Verflechtung der Staaten gerade auf Regelungsgebieten, die der Verwaltungstätigkeit zuzuordnen sind, durchaus anerkennt. Dies gilt sowohl für die Verwaltungsvereine, deren völkerrechtliche Existenz er aufgrund der ihnen zugrundeliegenden gemeinschaftlichen Interessenverfolgung auf die „rechtssetzende Vereinbarung" - in Abgrenzung zum Austauschvertrag 335 - zurückführt, als auch für die sich intensivierende Harmonisierung einzelstaatlicher Verwaltungsnormen, wie sie - worauf sich Triepel ausdrücklich bezieht - schon von von Mohl beschrieben wurde. 336 Bei Triepel wird dieser zunächst empirische Sachverhalt nunmehr jedoch in eine strenge Begrifflichkeit eingeordnet, für die nach dem Verpflichtungsgehalt der jeweils zugrundeliegenden Völkerrechtsnorm differenziert wird. Im einzelnen entsteht so die Lehre vom völkerrechtlich „gebotenen", „veranlaßten" und „vorausgesetzten" innerstaatlichen Recht. 337 Ohne daß hier auf Einzelheiten dieser Differenzierung eingegangen werden muß, 338 bleibt hervorzuheben, daß es ganz streng bei der Unterscheidung von „Völkerrecht und 333

Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, 23-25.

334

Triepel,

Völkerrecht und Landesrecht, 26.

335

Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, 68 und 72; zu dieser auch heute dem Inhalt nach noch gebräuchlichen Differenzierung statt vieler Doehring, Völkerrecht, Rdnr. 327 ff. 336

Triepel,

337

Einzelheiten hierzu bei Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, 289 ff.

338

Im Überblick hierzu Gassner, Heinrich Triepel, 455 ff.

Völkerrecht und Landesrecht, 274.

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Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

Landesrecht" im Sinne eines Dualismus bleibt. Die durchaus konzidierte rechtliche Bedingtheit des innerstaatlichen Rechts aufgrund völkerrechtlicher Rechte oder Pflichten wird nur zum Anlaß genommen, um von „völkerrechtlich bedeutsamem und völkerrechtlich gleichgültigem" Landesrecht zu sprechen; immer aber bleibt das Ergebnis Landesrecht, so daß sich für Triepel nochmals die Unzulänglichkeit der Rede vom „internationalen Zivil-, Straf-, Prozeß- oder Verwaltungsrecht" zeigt. 339 Der von Triepel systematisch unübertroffen begründete Dualismus sollte die Lehre vom Verhältnis von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht lange Zeit maßgeblich beeinflussen, auch wenn seine radikale Trennungsthese bald auf Widerstand stieß. 340 Im eigentlichen Sinne begründet hat Triepel die Idee des Dualismus und die daraus folgende Absage an die „internationalen Rechte", wie das internationale Verwaltungsrecht, freilich nicht. Schon Paul Heilborn hatte in seinem „System des Völkerrechts" (1896) in konsequenter Anwendung positivistischer Gedanken dem strengen Dualismus das Wort geredet und schonungslose Kritik an den Vorstellungen von Mohls und von Steins geübt. 341 Es war dann allerdings erst Triepel der dem ganzen die theoretische Begründung und Verfestigung lieferte. Für ein internationales Verwaltungsrecht war in diesem neuen Methoden- und Rechtsverständnis kein Raum mehr.

III. Internationales Verwaltungsrecht in Analogie zum internationalen Privatrecht in der Nachfolge des Triepelschen Dualismus Die inhaltliche Absage an die „internationalen Rechte", wie sie Triepel aus seinem Dualismus konsequent deduzierte, wurde in seiner Nachfolge nicht mehr prinzipiell in Frage gestellt. 342 Nicht mehr der Gegenstand einzelner Verwaltungsrechtsnormen bestimmte nunmehr das wissenschaftliche Erkenntnisinteresse, sondern ausschließlich ihre formale Funktion, wenn von einem „internationalen" 339

Triepel,

Völkerrecht und Landesrecht, 274.

340

Statt vieler Pernice, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. II, Art. 25 Rdnr. 1 f.; Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, 139 ff.; zur Rezeption und Kritik an Triepels Werk ausführlich Gassner, Heinrich Triepel, 459 ff. 341

Heilborn, Das System des Völkerrechts, 58 ff. und 386 ff.; siehe auch Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, 130; auch Heilborn, auf den sich Triepel an vielen Stellen bezieht, kann aber wohl nicht als der eigentliche Begründer des Dualismus gelten. Dieses „Verdienst 44 kommt wohl vielmehr Friedrich Tezner, GrünhutsZ 20 (1893), 120 ff., zu. Hierzu Gassner, Heinrich Triepel, 454 m. w. N. 342

Zu den wenigen Ausnahmen siehe supra Teil 1, E.

F. Absage an das internationale Verwaltungsrecht

95

Verwaltungsrecht gesprochen wurde. Diese formale Funktion wurde nahezu einhellig auf die Eigenschaft des „internationalen" Verwaltungsrechts als „Grenzrecht" oder „Rechtsanwendungsrecht", also ganz im Sinne des internationalen Privatrechts, bezogen.343 Auch wenn es damit bei der von Triepel angegriffenen Begrifflichkeit von einem „internationalen" Recht blieb, wurde inhaltlich die von ihm geforderte Konsequenz anerkannt: Das „internationale" Verwaltungsrecht war jetzt ebenso wie z. B. das internationale Privatrecht im Kern innerstaatliches Recht, dem es um die Regelung international (mit)bestimmter Sachverhalte geht. Neben den bereits dargestellten Ansätzen eines Verständnisses des internationalen Verwaltungsrechts als Grenzrecht bei Otto Mayer, 344 hat der Österreicher Herrnritt das internationale Verwaltungsrecht in Analogie zum internationalen Privatrecht erstmals vertiefend dargestellt. 345 Aus der Zivilrechtswissenschaft war es von Bar, der diese Sichtweise konsequent ausbaute.346 Umfassend angelegt und der Analogie zum internationalen Privatrecht zum endgültigen Durchbruch verhelfend war dann das monumentale Lebenswerk „Internationales Verwaltungsrecht" von Karl Neumeyer? 41 In seinem vierbändigen Werk mit gleichnamigem Titel (1910-1936) und zahlreichen kleineren Abhandlungen 348 unternahm Neumeyer den Versuch, eine umfassende Systematik des verwaltungsrechtlichen Grenz- oder Rechtsanwendungsrechts, analog dem internationalen Privatrecht, zu entwickeln. Ob ihm dies gelang, kann hier ebenso offen bleiben wie eine Erörterung von Einzelheiten seiner Systematik;349 entscheidend ist nur die Grundkonzeption Neumeyers. Ausgangsthese des Werkes von Neumeyer ist seine Überlegung, daß jedem Teilrechtsgebiet der innerstaatlichen Rechtsordnung ein Rechtsbereich zuzuordnen sei, der über den Anwendungsbereich der entsprechenden materiellen Rechts343 Zum Vorstehenden K Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnormen, 170. 344

Supra Teil 1,E. IV. 1.

345

Herrnritt, Grundlehren des Verwaltungsrechts, 101 ff.; hierzu auch K. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnormen, 172. 346

von Bar, in: Holtzendorff/Kohler (Hrsg.), Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, 7. Aufl., Bd. II, 223 (278 ff.). 347

Zu Leben und Person siehe Gutzmller, RabelsZ 27 (1962), 402 ff.; K. Vogel, in: Heinrichs/Franzki/Schmalz/Stolleis (Hrsg.), Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, 531 ff. 348 Eine umfassende Übersicht bietet K. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnormen, 176 ff. 349

Kritisch K. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnormen, 176 ff.; siehe auch Bülck, in: FS Kraus, 29 (56): „Mit staunenswerter Kraft, aber auch mit der ganzen Einseitigkeit großer Systematiker ..

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Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

normen entscheide. Für das Zivilrecht sei dieses „Grenzrecht" das internationale Privatrecht, für das Verwaltungsrecht dementsprechend das internationale Verwaltungsrecht. 350 Nur um dieses Recht - und zwar ausschließlich als innerstaatliches Recht verstanden - gehe es, wenn von einem internationalen Verwaltungsrecht gesprochen werde. Inhaltlich umfasse das internationale Verwaltungsrecht dabei folgende fünf Bestandteile: (1.) Die „Grenznormen des Inlandsrechts"; (2.) einzelne in den Sachnormen des Verwaltungsrechts enthaltene „Verweisungen auf fremdes Recht"; (3.) Vorschriften über die „Anerkennung" ausländischer Amtshandlungen; (4.) Regelungen über die Zusammenarbeit der Staaten (Rechtshilfe und gemeinsame Amtstätigkeit mehrerer Staaten); (5.) sonstige Normen, die „der Verwaltung eines andern Staats rechtliche Bedeutung einräumen". 351 Die konsequente Begrenzung des internationalen Verwaltungsrechts auf diese Bestandteile eines innerstaatlichen Rechtsanwendungsrechts mußte für Neumeyer natürlich eine radikale Absage an die hier dargestellten bisherigen Versuche einer Einordnung rechtlicher Aspekte im Grenzgebiet zwischen nationalem und internationalem Recht bedeuten. Dementsprechend apodiktisch sind seine Formulierungen unter der Überschrift „Verwaltungsrecht im Völkerrecht?": „Kann man innerhalb des Völkerrechts einen verwaltungsrechtlichen Teil ausscheiden? Es ist zuweilen behauptet worden. Und ist doch völlig unvereinbar mit einer Auffassung des Völkerrechts, wie sie im Vorausgehenden vertreten wurde. [ 3 5 2 ] Ist das Völkerrecht eine Ordnung für die Staaten, so müßten es die Staaten sein, die als Rechtsunterworfene von einer solchen Ordnung gebunden würden, und es müßte diese Ordnung ausgehen von der Staatengemeinschaft als der Macht, die Träger solcher Ordnung ist. Verwaltung heißt Tätigkeit ausüben. Wo eine Gemeinschaft verwaltet, muß diese Organe haben, die für sie wirksam werden. Die Staatengemeinschaft aber, die Träger des Völkerrechts ist, ist eine unorganisierte Gemeinschaft. Sie kann keine Organe haben, ohne aufzuhören, diejenige geschichtliche Macht zu sein, als die sie heute anerkannt ist. Sie vermag Träger einer Rechtsüberzeugung zu sein, deren Inhalt verbindliche Norm für die Staaten ist, aber sie kann nicht den Staaten gegenüber eine Verwaltung durchführen. Vielmehr: wo wirkliche Verwaltung ist, da kann dies nur eine Verwaltung sein, die der Staat über die Einzelnen als Rechtsunterworfene führt." 353

Die Absage von Neumeyer an völkerrechtliche Aspekte eines Verwaltungsrechts begründet sich also, dies zeigt das Zitat, auf sein grundlegendes Verständnis des Verhältnisses von innerstaatlichem Recht und Völkerrecht. Die rechtliche 350

Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. IV, 28 ff.

351

Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. IV, 473-480; siehe auch K. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnormen, 184. 352

Zur Sicht des Völkerrechts bei Neumeyer noch sogleich vertiefend im Text.

353

Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. IV, 20 f.; ausführlich auch ebda.,

378 ff.

F. Absage an das internationale Verwaltungsrecht

97

Einordnung dieses Verhältnisses bestimmt sich für ihn nach den prinzipiellen Unterschieden der beiden Rechtsordnungen. Das Völkerrecht sei ausschließlich Recht der Staaten, die Individuen seien „dem Völkerrecht nicht erreichbar". Nur der Staat besitze dementsprechend „in seinem Verhältnis zum Bürger und im Verhältnis zu seinen Organen oberste, in ihrer Legitimation von niemanden weiter abhängige Gewalt". Daher „bilden Völkerrecht und innerstaatliches Recht getrennte Systeme, deren jedes dem andern unabhängig gegenübersteht". 354 Mit seinen Thesen zum Verhältnis von Staats- und Völkerrecht befindet sich Neumeyer in der Gefolgschaft des von Triepel begründeten Dualismus. Dieser geht, wie auch von Neumeyer konzise dargelegt, von behaupteten prinzipiellen Unterschieden der beiden Rechtsordnungen aus, wobei der fehlenden Erreichbarkeit des Individuums im Völkerrecht, wie es gerade wesentliches Merkmal des Staatsrechts sei, und hiermit im Zusammenhang stehend der behaupteten koordinationsrechtlichen Struktur des Völkerrechts eine maßgebliche argumentative Bedeutung zukommt. Da Neumeyer den Begriff „Verwaltung" aber gerade auf das Verhältnis von Staat und Individuum und damit auf einen über schlichte Koordinationsfunktionen hinausgehenden Rechtsbereich bezieht, kann das Völkerrecht für ihn keine Verwaltungsaspekte beeinhalten. Folgerichtig bleibt es daher für ihn bei der ausschließlichen Einordnung des internationalen Verwaltungsrechts in das innerstaatliche Recht, und zwar hier konkret in den Bereich der innerstaatlichen Normen des Verwaltungsrechts über die Rechtsanwendung. Die inhaltliche Reduktion des internationalen Verwaltungsrechts auf ein innerstaatliches „Grenzrecht" oder Rechtsanwendungsrecht durch Neumeyer hatte durchschlagenden wissenschaftlichen Erfolg. In seiner Nachfolge wurde und wird bis heute der Begriff „internationales Verwaltungsrecht" - von hier nicht weiter interessierenden kleineren Differenzierungen einmal abgesehen - einhellig definiert als „der Inbegriff derjenigen Rechtsnormen eines Staates, die eine Bestimmung darüber enthalten, welches Recht - eigenes oder fremdes - von seinen Verwaltungsbehörden und Gerichten in auslandsbezogenen (»internationalen 4) Fällen anzuwenden ist". 3 5 5 354

Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. IV, 20; zusammenfassend zu seinem ausschließlich innerstaatlichem Verwaltungsbegriff auch im Hinblick auf internationale Aspekte auch ders., in: Strupp (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, Bd. 1, 577 ff. 355

Hoffmann, in: von Münch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 6. Aufl., 989 (997); ähnlich statt vieler Isay, HWBd. Rechtswiss., Bd. III, 344 ff.; Schlochauer, Internationales Verwaltungsrecht, 1 f.; Zweigert, in: 50 Jahre Institut für Internationales Recht, 124 (137 ff.); Steindorff, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3, 581 ff.; Kegel, Internationales Privatrecht, § 23 I; Matscher, in: Sandrock (Hrsg.), FS

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Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

Auch für das ausländische Schrifttum läßt sich im übrigen nachweisen, daß sich die Differenzierung zwischen innerstaatlichem Grenz- oder Rechtsanwendungsrecht und völkerrechtlicher Verwaltung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitgehend durchsetzte. Maßgebliche Bedeutung kommt hier der vom Dualismus geprägten, im Jahre 1906 erschienenen Arbeit von Donati 356 zu, auf der aufbauend später zahlreiche Autoren die Trennungsthese weiterentwickelten. 357

IV. Die Unterscheidung von internationalem Verwaltungsrecht und völkerrechtlicher Verwaltung bei den Vertretern des Monismus I m Anschluß an Triepel entwickelte sich eine lebhafte dogmatische Diskussion zu der Frage des Verhältnisses von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht, die auch heute noch in Anlehnung an eine von Verdross entwickelte Systematik und Terminologie als Widerstreit von Dualismus und Monismus geführt wird. Verdross stellte erstmals in systematischer Klarheit dem Dualismus den Monismus entgegen und unterschied hierbei zwischen dem Primat des Völkerrechts und dem des Staatsrechts. 358 Ursprünglich nur auf das Völkervertragsrecht bezogen, sah er im Völkerrecht einen integrierenden Bestandteil „der Rechtsordnungen aller jener Staaten, deren Verfassungen den Abschluß von Verträgen mit anderen Staaten zulassen, und deren zuständige Organe auf Grund dieser Ermächtigungen auch Staatsverträge schließen. Da aber alle zivilisierten Staaten dies tun, so gehören alle diese der großen Völkerrechtsgemeinschaft an". 3 5 9 Mit dieser Konstruktion war erstmals die Einheit von Völkerrecht und staatlichem Recht rechtslogisch dargeBeitzke, 641 ff.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 21 Rdnr. 12 und § 27 Rdnr. 16; Grof, in: Mellinghoff/Trute (Hrsg.), Die Leistungsfähigkeit des Rechts, 303 ff.; R. Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, 196 ff.; Beyerlin, Rechtsprobleme der lokalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, 399 ff. m. w. N. 356 Donati, I trattati internazionali nel diritto costituzionale, 1,430 ff.; hierzu umfassend K. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnormen, 161 f.; siehe auch ders., in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. I, 22 ff. 357

Siehe insbesondere Gascon y Marin, RdC 1930-IV, 1 ff.; Néglulesco, RdC 1935-1, 578 ff.; weitere umfassende Nachweise bei K. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnormen, 162 ff.; im Überblick auch ders., in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. I, 22 ff.; Bülck, in: FS Kraus, 29 (57 f.). 358

Verdross, Zeitschrift für Völkerrecht 8 (1914), 329 ff.; ob Verdross als Urheber der Begriffe „Monismus 44 und „Dualismus44 gelten kann, wie von ihm selbst in Anspruch genommen, ist fraglich. Namentlich Triepel beanspruchte die Urheberschaft für sich und stand daher in einem offenen, auch persönlich zum Ausdruck gebrachten Konflikt mit Verdross. Hierzu Gassner, Heinrich Triepel, 81 Fn. 40. 359

Verdross , Zeitschrift für Völkerrecht 8 (1914), 329 (341 f.).

F. Absage an das internationale Verwaltungsrecht

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legt, auch wenn aufgrund der Beschränkung auf das Vertragsrecht keine zweifelsfreie und allgemeingültige Begründung geliefert wurde. 360 Erst Kelsen, dessen Positivismus Verdross zunächst folgte, war es, der eine konsequente logische Begründung eines zunächst radikalen Monismus lieferte, den er später allerdings in einen gemäßigten Monismus modifizierte. 361 Maßgebliches Argument für den Monismus war für Kelsen die rechtstheoretische Überlegung, daß beide Normenkomplexe, Völkerrecht und innerstaatliches Recht, Geltung beanspruchen und daher auch eine Einheit bilden müssen, da nur so eine Widerspruchslosigkeit - als Forderung einer normativen Ordnung - hergestellt werden könne. Nur wenn es unlösbare Konflikte zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht geben könne, sei die Konstruktion des Dualismus logisch möglich. Da dies ausscheide, bleibe es beim Monismus. Mit anderen Worten: Es sei, wie von den Anhängern des Dualismus angenommen, „unhaltbar", „Völkerrecht und staatliches Recht als zugleich geltende Rechtsordnungen anzusehen, die in ihrer Geltung voneinander unabhängig sind und miteinander in Konflikt geraten können". 362 Die Frage, wo der Geltungsgrund der einheitlichen Rechtsordnung im Sinne des Monismus zu suchen sei, im innerstaatlichen Recht (Primat der staatlichen Rechtsordnung) oder im Völkerrecht (Primat des Völkerrechts), ist für Kelsen letztlich ohne Bedeutung. Entscheidend sei immer nur, daß ein einheitlicher Geltungsgrund, egal wo auch immer zu verorten, gegeben sei. 363 Nachdem Verdross zunächst ganz im positivistischen Sinne Kelsens dem Monismus gefolgt war, hierbei allerdings - wie dargelegt - den Geltungsgrund im Staatsrecht gesehen hatte, modifizierte er seine staatsmonistische Position später deutlich zugunsten des Gedankens vom Primat des Völkerrechts. Dieser wird dann auch nicht mehr rechtslogisch im Kelsenschzn Sinne formuliert, sondern erfährt eine klare naturrechtliche Fundierung. Während Verdross ursprünglich - freilich schon dem Primat des Völkerrechts folgend - eine inhaltsneutrale Grundnorm als Geltungsgrund des Völkerrechts annahm („pacta sunt servanda"), 3 6 4 sind es später naturrechtlich begründete fundamentale Rechtsgrundsätze, 360

Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, 132; zur Kritik umfassend Walz, Völkerrecht und staatliches Recht, 45 ff. 361 Der radikale Monismus ist formuliert bei Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, 111 ff.; der gemäßigte Monismus wird dann abschließend dargestellt in: Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 328 ff.; ders., ZaöRV 19 (1958), 234 ff.; siehe hierzu umfassend Walz, Völkerrecht und staatliches Recht, 64 ff.; Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, 133 ff. 362

Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 330.

363

Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 339 ff.

364

Verdross,

Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, 40.

100 Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

die als Grundnorm wirken: „Wenn daher die völkerrechtliche Grundnorm formuliert werden soll, so muß sie aussagen, daß sich die Völkerrechtssubjekte so verhalten sollen, wie es die fundamentalen Rechtsgrundsätze, die sich aus der sozialen Natur der menschlichen Verbände ergeben, und die auf ihrer Grundlage erzeugten Normen des Vertragsrechts und des Gewohnheitsrechts vorschreiben". 365 Neben der so formulierten naturrechtlichen Grundnorm ist es das Verständnis von der Staatengemeinschaft bei Verdross , das die Idee seines Monismus verdeutlicht. Für ihn verlangt die Möglichkeit des internationalen Staatenverkehrs nach einer bestehenden Staatengemeinschaft: „Nicht die Staaten sind ... die ursprüngliche Gegebenheit, sondern die Staatengemeinschaft ist das logisch Erste, sie ist die Ganzheit, die sich erst in die Staaten zergliedert". 366 Positivrechtlich verlieren die Staaten daher durch das Völkerrecht ihre Stellung als „unbedingt selbständige Rechtsgemeinschaften", um sich sogleich aus der Völkerrechtsordnung als „verhältnismäßig selbständige völkerrechtliche Teilordnungen wieder auszugliedern". 367 Unabhängig von spezifischen Aspekten der hier nur beispielhaft anhand der Arbeiten von Triepel, Kelsen und Verdross dargestellten lebhaften Diskussion zum Verhältnis von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht, die sich in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts feindifferenziert entwickelte, 368 mußten sich auch für den Monismus tiefgreifende Veränderungen im Verständnis der bislang als internationales Verwaltungsrecht bekannten Rechtsmaterie einstellen. Für den Monismus mit Primat des Völkerrechts - eine Lehre vom Primat des Staatsrechts konnte sich trotz entsprechender Begründungen insbesondere von Albert Zorn und Max Wenzel 369 nicht ernsthaft durchsetzen - konnte das originär internationale Element eines internationalen Verwaltungsrechts nicht mehr im innerstaatlichen Rechtsraum verankert werden. Hier verschob sich die Sicht auf die völkerrechtliche Ebene, wodurch die Lehre von der völkerrechtlichen Verwaltung begründet wurde:

365

Verdross,

Völkerrecht, 5. Aufl., 24 f.

366

Verdross,

Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, 39.

367

Verdross,

Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, 23.

368

Hierzu aus zeitgenössischer Sicht umfassend Walz, Völkerrecht und staatliches Recht, 11-164. 369 Zorn, Grundzüge des Völkerrechts, 7: „Völkerrecht ist juristisch Recht nur, wenn und soweit es Staatsrecht ist"; Wenzel, Juristische Grundbegriffe - Der Begriff des Gesetzes, 387; hierzu umfassend Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes auf Grundlage der Völkerrechtsverfassung, 55 ff.

.

e

d

101

internationale Verwaltungsrecht

„Der Begriff des völkerrechtlichen Verwaltungsrechts muß klar und deutlich vom Begriffe des internationalen Verwaltungsrechts unterschieden werden. Das internationale Verwaltungsrecht bildet den Inbegriff jener innerstaatlichen Normen, die uns sagen, welche Tatbestände der Verwaltung nach fremdem Verwaltungsrecht zu beurteilen sind, z. B. die Gültigkeit ausländischer Pässe oder Konzessionen. Das völkerrechtliche Verwaltungsrecht hingegen umfaßt jene völkerrechtlichen Normen, welche die einheitliche Verwaltung universeller oder einer partiellen Staatengemeinschaft in bestimmten Angelegenheiten regeln/' 370

Die Differenzierung zwischen innerstaatlichem „internationalen" Verwaltungsrecht und völkerrechtlicher Verwaltung bei Verdross zeigt damit eine beachtliche Parallele zu den Gedanken Triepels auf. Trotz aller prinzipiellen Unterschiede zwischen Dualismus und Monismus war es jetzt umfassend nicht mehr der Gegenstand, sondern die formale Funktion einer rechtsnormativen Erscheinung, die über ihre Zugehörigkeit zum internationalen Verwaltungsrecht oder zur völkerrechtlichen Verwaltung entschied. Im Unterschied zum Dualismus ist es für den Monismus allerdings dogmatisch zwingend, formale Verwaltungsfunktionen auch auf völkerrechtlicher Ebene ausmachen zu können, wobei zwischen unmittelbarer, supranationaler und mittelbarer völkerrechtlicher Verwaltung unterschieden wird. Dabei sei, so Verdross , die mittelbare Verwaltung am wichtigsten, da „völkerrechtliche Verwaltungsorgane [in der Regel] nur die Aufgabe [haben], die staatlichen Verwaltungen zu leiten und zu überwachen oder bloß ihre Tätigkeit zu koordinieren

und zu fördern".

3,11

Die formale Funk-

tionenbeschreibung bleibt also ganz im Sinne der „juristischen Methode" Triepels dominant, es erweitert sich gegenüber dem Dualismus nur der Erkenntnisgegenstand, und zwar hinsichtlich einer Internationalisierung mit Blick auf die völkerrechtliche Verwaltung. 372 Gleichsam einer Renationalisierung wird hingegen der Begriff vom internationalen Verwaltungsrecht unterzogen, der jetzt nur noch das innerstaatliche Grenz- oder auch Rechtsanwendungsrecht in Verwaltungsangelegenheiten erfaßt.

370

Verdross , Völkerrecht, 5. Aufl., 590 (Hervorhebungen im Original); siehe auch bereits ders., Völkerrecht, 1. Aufl., 141 ff., wo der Begriff des internationalen Verwaltungsrechts bereits im Sinne des innerstaatlichen Rechtsanwendungsrechts gebraucht wird; ebenso ders., Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, 166 f. 371 372

Verdross,

Völkerrecht, 5. Aufl., 590 (Hervorhebungen im Original).

Siehe insoweit aus der Sicht des Monismus mit Primat des Völkerrechts auch Kunz, Die Staaten Verbindungen, 384: „Die internationalen Verwaltungsunionen sind durch die völkerrechtlichen Unionsverträge konstituierte überstaatliche Rechtsgemeinschaften 4'; zur Bedeutung des internationalen Verwaltungsrechts bei den Monisten siehe auch Bülck, in: FS Kraus, 29 (59 ff.).

102 Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

V. Die Herausbildung der eigenständigen Lehre von der „auswärtigen Verwaltung" Die Differenzierung zwischen Verwaltungsgrenzrecht und völkerrechtlicher Verwaltung, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts etabliert hatte, geht dogmengeschichtlich einher mit der Herausbildung der Lehre von der „auswärtigen Verwaltung" als gesondertem Untersuchungsgegenstand der Verwaltungsrechtslehre. Charakteristisch und grundlegend für diese Entwicklung, die dazu führte, daß die Verwaltung der Außenangelegenheiten des Staates keine Beachtung mehr im Verwaltungsrecht fand, sind die Aussagen Otto Mayers in seinem Deutschen Verwaltungsrecht. Für ihn ist Verwaltung „von vornherein gedacht... eine Thätigkeit des Staates, die unter seiner Rechtsordnung sich vollzieht". Aus dieser Erkenntnis ergebe sich zwangsläufig, daß sich außerhalb der staatlichen Rechtsordnung vollziehende Tätigkeiten des Staates keine Verwaltung sein können. Dies gelte namentlich für den diplomatischen Verkehr im umfassenden Sinne, ein Tätigkeitsbereich, der nur dem Völkerrecht, als außerhalb der staatlichen Rechtsordnung liegendes Rechtsgebiet, unterfalle. 373 Auch wenn Mayer in seiner auch terminologischen Abgrenzung zwischen Verwaltung und völkerrechtlichem Handeln des Staates in dieser Radikalität nicht umfassend gefolgt wurde, 374 schloß sich die Verwaltungsrechtswissenschaft doch zumindest inhaltlich seinen Überlegungen an. Von vereinzelt gebliebener Opposition einmal abgesehen375 wurde nunmehr nämlich zwischen innerer und auswärtiger Verwaltung differenziert und nur erstere in die Darstellung des Verwaltungsrechts einbezogen. Einzig Georg Meyer nahm in sein Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts noch die Darstellung des Rechts der Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten auf und zählte darüber hinaus die internationalen Verwaltungsverträge explizit zu den Rechtsquellen des Verwaltungsrechts. 376 Die Nichtbehandlung der auswärtigen Verwaltung im sonstigen Schrifttum wurde unterschiedlich begründet: Während auch für Fritz Fleiner Verwaltung nur die Tätigkeit des Staates unter seiner Rechtsordnung ist und damit das völkerrechtliche Handeln nicht dem Begriff „Verwaltung" unterfällt, 377 stellt Walther Jellinek auf 373

O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 10 f.

374

Siehe insoweit insbesondere G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., 611 Fn. 1: „Wenn aber Mayer alle unter der völkerrechtlichen Ordnung vollzogenen Akte von der Verwaltung ausschließen will, so liegt zu solcher Ausscheidung ein wissenschaftliches Bedürfnis nicht vor". 375

Haenel, Deutsches Staatsrecht, Bd. 1, 531 ff.; Wolgast, AöR 5 (1923), 1 ff.

376

Meyer, Lehrbuch des Deutschen Vewaltungsrechts, Teil 1, 7 f. und Teil 2, 1 ff.

377

Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8.

.

e

d

internationale Verwaltungsrecht

103

den Unterschied von Regierung und Verwaltung ab. Für ihn sei „verwalten" schon semantisch von „walten" abzugrenzen. Während „Verwaltung" einen dienenden Charakter haben müsse, beziehe sich die „waltende" Tätigkeit auf das Regieren. Der Unterschied zwischen Verwaltung und Regierung müsse nunmehr auch auf die „auswärtige Verwaltung" angewandt werden. Nach Walther Jellinek sage schon das „Sprachgefühl, daß diese Tätigkeit keine Verwaltung im gewöhnlichen Sinne ist". Entscheidend sei insoweit nämlich, daß der Staat seine Außenbeziehungen nach Völkerrecht gestalte, nicht aber nach Verwaltungsrecht. 378 Damit wird die „auswärtige Verwaltung" der Regierungstätigkeit des Staates zugeordnet und aus der Darstellung des Verwaltungsrechts ausgeschlossen. Pragmatischer geht später Forsthoff vor, indem es sich für ihn bei der Pflege der auswärtigen Beziehungen „um eine Verwaltung von stark ausgeprägter Eigenart [handelt], für die neben den allgemeinen Regeln des Verwaltungsrechts besondere Grundsätze gelten". Daher sei es „nicht angängig" diese Art der Verwaltung „in einer allgemeinen Darstellung des Verwaltungsrechts mit zu berücksichtigen". 379 Hierbei ist es bis heute geblieben, auch wenn das Recht der auswärtigen Verwaltung in einzelnen Spezialuntersuchungen vertiefend behandelt wurde. 380

VI. Zusammenfassung Faßt man die dogmengeschichtliche Entwicklung zusammen, die spätestens mit Beginn des 20. Jahrhunderts zur Absage an das staatswissenschaftliche Konzept eines internationalen Verwaltungsrechts führte, so fällt die durchschlagende Wirkung der konsequenten Anwendung der „juristischen Methode im öffentlichen Recht" besonders ins Auge. Beginnend mit Triepels Dualismus stand nunmehr aus positivistischen Erwägungen heraus die Frage nach dem Verhältnis von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht zu Debatte. Sowohl die Vertreter des Dualismus als auch die Anhänger monistischer Konzeptionen legten ihren Überlegungen dabei als Prämisse zugrunde, daß die beiden Rechtssysteme - im Sinne einer jeweils gegebenen Rechtsmasse - unterschiedliche Wirkungsbereiche haben. Dies war nicht strittig - Dissens bestand nur mit Blick auf die Frage, ob die beiden 378

W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3 f.

379

Forsthoff,

380

Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 14.

Siehe insbesondere Neumeyer, AöR 31 (1913), 99 ff.; Dochow, Verwaltungsarchiv 23 (1915), 101 ff.; zusammenfassend und ausgesprochen deutlich hierzu auch Wolgast, AöR 44 (N. F. 5, 1923), 1 (2 f.); zur heute weiterhin aktuellen Differenzierung zwischen innerer und auswärtiger Verwaltung siehe z. B. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 2 Rdnr. 35.

104 Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

Rechtssysteme in einer gemeinsamen - übergeordneten - Rechtsordnung oder in zwei getrennten Rechtsordnungen zu verorten sind. Die funktionale Trennung der Rechtssysteme Völkerrecht und Staatsrecht war also anerkannt, da ganz im Sinne Labands bei einer Betrachtung der „juristischen Form", und nicht der materiellen Zwecke, die Unterschiede zwischen innerstaatlichem Recht und Völkerrecht zur damaligen Zeit auf der Hand lagen. Die Frage war dann nur, ob diese Unterschiede eine Trennung der Rechtssysteme bedingen (Dualismus), oder aber ob aus rechtslogischer, naturrechtlicher bzw. soziologischer (Scelles) Perspektive beide Rechtssysteme in einer einheitlichen Rechtsordnung zusammenzufassen sind (Monismus). Das zunächst staatswissenschaftlich begründete internationale Verwaltungsrecht mußte vor diesem Hintergrund bei der Konfrontation mit der juristischen Methode untergehen. Die funktionale Differenzierung zwischen zwei bestehenden Rechtsmassen ließ eine Terminologie nicht mehr zu, der es begrifflich um die inhaltliche Beschreibung bestehender Interdependenzen zwischen innerstaatlichem Recht und Völkerrecht ging. Dem ursprünglichen internationalen Verwaltungsrecht wurde so zum Verhängnis, daß seiner dogmatischen Grundlegung, insbesondere bei Kaltenborn, von Mohl und von Stein, ein an materiellen Zwecken orientiertes Tätigkeitsverständnis zugrundelag, ohne daß der juristischen Form, in deren rechtlichen Rahmen sich diese Tätigkeit vollzog, tiefgehende Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Als positivistisch-juristische Reaktion hierauf entwickelten Dualismus und Monismus jeweils für sich und systematisch konsequent gleichsam radikal-einseitige Konzepte in der Auseinandersetzung mit dem überkommenen Begriff des internationalen Verwaltungsrechts. Für den Dualismus, dessen Völkerrechtsverständnis eine Anwendung des Begriffes „Verwaltung" im ausschließlichen Koordinationsverhältnis der Staaten ausschloß, konnte nur innerstaatliches Verwaltungsrecht gemeint sein, das sich mit internationalen Sachverhalten befaßt; der Monismus mit betont naturrechtlicher Ausrichtung, wie bei Verdross, übertrug die Verwaltungsidee konsequent auf die normhierarchisch höhere Ebene und sprach fortan von völkerrechtlicher Verwaltung, auch wenn dem entgegengesetzt das innerstaatliche Rechtsanwendungs-/Grenzrecht der Verwaltung anerkannt wurde. Vergegenwärtigt man sich diese dogmatischen Grundlagen der aufgezeigten Entwicklung, so ist Bülck zuzustimmen, der hinsichtlich der Absage an das staatwissenschaftliche Verständnis von einem internationalen Verwaltungsrecht feststellte, daß Monismus und Dualismus gemeinsam „den theoretischen Prozeß der Konstitutionalisierung in staatsbezogenen Kategorien fortsetzten und sich dabei neuer, positivistischer Methoden bedienten". 381 381

Bülck, in: FS Kraus, 29 (52).

G. Staats- und Völkerrechtslehre der Bundesrepublik

105

G. Ansätze zu einer inhaltlichen Betrachtung des internationalisierten Verwaltungshandelns in der Staats- und Völkerrechtslehre der Bundesrepublik Neben der bis heute weitverbreiteten formalen Beschreibung des internationalen Verwaltungsrechts als Summe der innerstaatlichen Rechtsanwendungsnormen im Verwaltungsrecht 382 fand eine hierüber hinausgehende inhaltliche Erfassung internationalisierter Verwaltungstätigkeit im rechtswissenschaftlichen Schrifttum nur vereinzelt statt. Die vorliegenden wissenschaftlichen Arbeiten hierzu weisen allerdings eine interessante Parallele zu den staatswissenschaftlichen Konzepten des 19. Jahrhunderts auf.

I. Internationales Wirtschaftsrecht (Georg Erler) Soweit ersichtlich setzte sich Georg Erler erstmals in der Nachkriegszeit damit auseinander, wie die schon kurze Zeit nach Ende des Zweiten Weltkrieges nachzuweisende fortschreitende Interdependenz in den ökonomischen Beziehungen der Staaten rechtlich erfaßt werden kann, wobei sein Interesse den hieraus resultierenden wirtschaftsrechtlichen Fragestellungen galt. Erler geht von einem bewußt und mit Nachdruck vertretenen rechtssoziologischen Ansatz aus; für ihn bestimmt das auszumachende und mit dem Begriff der Interdependenz zu versehende Lebensphänomen weltweiter Interaktion im ökonomischen und rechtlichen Bereich das juristische Erkenntnisinteresse bei der Beschreibung des internationalen Wirtschaftsrechts. 383 Um eine sachgerechte Deutung dieses Phänomens zu gewährleisten, kommt es für ihn daher auch nicht maßgeblich auf die bekannte Trennung von Staatsrecht und Völkerrecht sowie den damit zusammenhängenden Problemen eines Dualismus oder Monismus an: „Die wirtschaftliche Interdependenz der Staaten setzt sich in einer auf keinem anderen Gebiet auch nur annähernd gleich engen rechtlichen Interdependenz fort, die eine so starke Verzahnung und Wechselwirkung von Landesrecht und Völkerrecht im Bereich der Außenwirtschaft bewirkt, daß jeder Versuch einer Trennung eine sachgerechte Deutung unmöglich machen würde". 384 Es sei sogar so, daß „eine an scharfen dualistischen Trennungen zwischen Landesrecht und Völkerrecht ausgerichtete Systematik außerstande ist, alle

382

Siehe supra Anm. 355.

383

G. Erler; Grundprobleme des internationalen Wirtschaftsrechts, 9 ff.

384

G. Erler, Grundprobleme des internationalen Wirtschaftsrechts, 11 f.

106 Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

im internationalen Verkehr der Staaten und Staatengemeinschaften wirksamen rechtlichen Normierungen zu erfassen 44.385 Die rechtliche Interdependenz im Wirtschaftsbereich macht Erler an zwei im einzelnen näher begründeten Erscheinungen fest. Für ihn zeigt sich, daß völkerrechtliche Regelungen wirtschaftlicher Sachverhalte oftmals der Versuch einer Disziplinierung staatlicher Maßnahmen sind, also gleichsam eine Reaktion auf sie. Ausgangspunkt des Rechtserzeugungsprozesses sei also die innerstaatliche Regelung. Komme es nunmehr zu einer völkerrechtlichen Normierung, sei dies die Ursache für weitere innerstaatliche Gesetze. Insgesamt bildet also für Erler ,,[d]ie innerstaatliche Gesetzgebung ... sowohl den Tatbestand als auch die Rechtsfolge der völkerrechtlichen Regelung. Beide Normierungsbereiche erscheinen als einheitliche Sozialerscheinung. Es kann unter diesen Umständen nicht zweckmäßig sein, sie einer getrennten Betrachtung zu unterziehen. Sie müssen vielmehr als einheitlicher Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung erscheinen 44.386 Die dogmatische Begründung dieses „einheitlichen Gegenstandes" führt ihn dann dazu, dem Adjektiv „international" eine Bedeutung beizumessen, die über den klassischen zwischenstaatlichen Bereich des Völkerrechts zur Regelung politischer Beziehungen der Staaten deutlich hinausgeht. Das internationale Wirtschaftsrecht wirkt für ihn vielmehr „durch die Staaten hindurch": „Die internationale Wirtschaft ist eine die Staaten transzendierende Erscheinung. Das internationale Wirtschaftsrecht hat daher die Tendenz in sich, ein die Staaten transzendierendes Recht zu werden, das man vielleicht als ,pernationales' oder »multinationales4 Recht bezeichnen kann". 387 Dieser transzendierende Charakter des Rechts wird für Erler besonders deutlich durch das sogenannte „interne Staatengemeinschaftsrecht", d. h. durch das von den Staaten losgelöste autonome primäre und sekundäre Recht internationaler Organisationen. 388 Gerade dieses interne Staatengemeinschaftsrecht habe „die vormals unnatürlich von einander geschiedenen Provinzen des Völkerrechtes und Landesrechtes so unlösbar aneinandergerückt, daß eine getrennte Betrachtung der drei Normenbereiche ... sich verbietet, wenn nicht eine einheitliche Erscheinung des modernen Rechtslebens in unzulässiger Weise zerschnitten werden soll". 3 8 9

385

G. Erler, Grundprobleme des internationalen Wirtschaftsrechts, 20.

386

G. Erler, Grundprobleme des internationalen Wirtschaftsrechts, 15 f.

387

G. Erler, Grundprobleme des internationalen Wirtschaftsrechts, 18.

388

Zum Begriff „internes Staatengemeinschaftsrecht 44 siehe Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl., 4; Seidl'Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rdnr. 1504. 389

G. Erler, Grundprobleme des internationalen Wirtschaftsrechts, 31.

G. Staats- und Völkerrechtslehre der Bundesrepublik

107

Insgesamt zeigen die Gedanken Erlers seine enge geistige Verbundenheit mit der staatswissenschaftlichen Konzeption eines internationalen Verwaltungsrechts. Ebenso wie schon für die staatswissenschaftlichen Ansätze u. a. bei Kaltenborn, von Mohl und von Stein dargelegt, ist auch für ihn nicht die formelle, in einem dualistischen System zu suchende Rechtsquelle von Bedeutung, sondern vielmehr die materielle Funktion der auf unterschiedlicher Ebene vorzufindenden Rechtsnormen. Dogmatisch angereichert wird dieser, der strengen „juristischen Methode" im öffentlichen Recht eine dezidierte Absage erteilende Ansatz nunmehr allerdings noch durch das neue Rechtsinstitut des internen Staatengemeinschaftsrechts. Die Zeitlosigkeit und Überzeugungskraft dieser Überlegungen zeigt sich daran, daß in den letzten Jahren wieder zunehmend vertreten wird, daß ganz im Sinne von Erler eine isolierte, nur an dem Gegensatzpaar Völkerrecht-Staatsrecht orientierte juristische Betrachtung der Entwicklungen im internationalen Wirtschaftsrecht „die auftretenden Schlüsselprobleme nicht zu bewältigen [vermag]". 3 9 0

II. Internationale Verwaltung im umfassenden Sinne (Hartwig Bülck, Eberhard Menzel, Jost Delbrück) Im Anschluß an Erler, dessen Betrachtungen zu internationalen Verwaltungsstrukturen weitgehend auf das Wirtschaftsrecht beschränkt blieben, befaßte sich zunächst Hartwig Bülck neben dogmengeschichtlichen Aspekten zum internationalen Verwaltungsrecht 391 mit den aktuellen Grundstrukturen einer umfassenderen internationalen Verwaltung, wie sie für die Bundesrepublik Deutschland von Bedeutung sind. In seiner Rektorratsrede an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer am 15. November 1961 war es ihm ein Anliegen, den „Strukturwandel der internationalen Verwaltung" im Lichte der Entwicklungen im Europarecht aufzuzeigen. 392 Bevor er sich dabei mit Verwaltungsstrukturen innerhalb der supranationalen Rechtsgemeinschaft der Europäischen Gemeinschaften auseinandersetzt, skizziert Bülck die historische Entwicklung und den damals aktuellen Rechtsstand der internationalen technisch-administrativen Zusammenarbeit der Staaten. In expliziter Anlehnung an Lorenz von Stein weist er darauf hin, daß „das politisch-territoriale Völkerrecht, das Recht der staatlichen Selbst390

R. Schmidt, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 165; siehe auch Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Abschn. Rdnr. 171 f.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 1 Rdnr. 1 m. w. N. 391

Bülck, in: FS Kraus, 29 ff.

392

Bülck, Der Strukturwandel der internationalen Verwaltung, passim.

108 Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

behauptung in Krieg und Frieden, auf das der Begriff des Völkerrechts, besonders in Deutschland, häufig beschränkt wird, mehr und mehr durch ein unpolitisches, sachlich-funktionales Recht zwischen den Staaten ergänzt [wird]". 3 9 3 Dies ist für ihn der entscheidende Gesichtspunkt, der den von Stein sehen Begriff des internationalen Verwaltungsrechts ausmache. Die Regelungsstrukturen des internationalen Verwaltungsrechts arbeitet Bülck unter Verweis auf zahlreiche Aktivitäten technisch-administrativ ausgerichteter internationaler Organisationen heraus. Da sich für ihn insoweit allerdings kaum Strukturen nachweisen lassen, die durch eine unmittelbare rechtssetzende oder rechtsvollziehende Dimension gekennzeichnet sind, sei die internationale Verwaltung „Einflußverwaltung und grundsätzlich nicht ... eine die Staaten bindende Entscheidungsverwaltung". 394 Mit dieser Formulierung prägte Bülck ein Bild der internationalen Verwaltung, das sich wieder verstärkt an den inhaltlichen Sachaufgaben ausrichtet, ohne dabei jedoch die positiv-rechtlichen Grundkoordinaten im internationalen System zu vernachlässigen. 395 Im Jahre 1969 griff auch Eberhard Menzel den Begriff der internationalen Verwaltung in einem umfassenden inhaltlichen Sinne auf und rekurrierte hierbei ebenfalls auf Lorenz von Stein? 96 Menzel geht es darum, die Auswirkungen der zunehmenden Wahrnehmung von Regelungsaktivitäten auf supranationaler und internationaler Ebene für das Gesellschaftsleben innerhalb eines Staates - also letztlich für das Individuum - nachzuzeichnen, ohne dabei einen engen Verwaltungsbegriff im Gewaltenteilungssinne anwenden zu wollen. Verwaltung wird von ihm vielmehr vor dem Hintergrund der schon innerstaatlich um diesen Begriff kreisenden Unklarheiten, die sich aufgrund eines fehlenden Gewaltenteilungsdogmas im internationalen Rechtsraum nur verschärfen können, im weiten Sinne als „Regelungsgewalt" verstanden. 397 Unter Verwendung dieses Begriffes ist es ihm möglich, von zwei maßgeblichen rechtssoziologischen Beobachtungen ausgehend die Idee der internationalen Verwaltung zu umschreiben. Als erste Ausgangsbeobachtung verweist Menzel auf die hier stichwortartig mit den Begriffen „Wohlfahrts-/Sozialstaat" und „Planungsstaat" zu kennzeich-

393

Bülck, Der Strukturwandel der internationalen Verwaltung, 4.

394

Bülck, Der Strukturwandel der internationalen Verwaltung, 11.

395 Sein rechtswissenschaftliches Methodenverständnis, das durch eine Kombination soziologischer und positiv-rechtlicher Aspekte gekennzeichnt war, legte Bülck z. B. in seinen Bemerkungen zu dem Werk von Heinhard Steiger, Staatlichkeit und Überstaatlichkeit, Berlin 1966, dar, in: Der Staat 7 (1968), 207 ff. 396

Menzel, DÖV 1969, 1 ff.

397

Menzel, DÖV 1969, 1 (3).

G. Staats- und Völkerrechtslehre der Bundesrepublik

109

nende Ausweitung staatlicher Regelungsbefugnisse und -aktivitäten. 398 Dieses Phänomen gewinnt für ihn aber nicht nur aus innerstaatlicher Perspektive für die moderne Rechtsordnung besondere Bedeutung, sondern gerade auch deshalb, weil - als zweite Beobachtung - eine gleichsam parallele Entwicklung der Ausweitung von Regelungsbefugnissen und -aktivitäten im internationalen Bereich nachzuzeichnen sei. In der historischen Entwicklung einer sich intensivierenden zwischenstaatlichen Zusammenarbeit seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert und der nach 1945 sich universell durchsetzenden Völkerrechtsordnung, gekennzeichnet u. a. durch die universelle Friedenssicherung, den Menschenrechtsschutz sowie die rasante Zunahme der Anzahl und Bedeutung internationaler Organisationen, sieht Menzel die Ausweitung der internationalen Regelungsgewalt manifestiert. 399 Daneben tritt für ihn als weiteres, die Idee der internationalen Verwaltung kennzeichnendes Merkmal speziell für die Bundesrepublik die Völkerrechtsfreundlichkeit der Verfassungsordnung und die damit einhergehende Absage an den strengen Dualismus im Sinne von Triepel. Hieraus folge insgesamt, „daß der Staat auf mehreren Gebieten sein Regelungsmonopol verloren und seine Normgebungskompetenz nunmehr mit internationalen Organisationen zu teilen hat". 4 0 0 Gerade die Rolle der internationalen Organisationen im internationalen System sowie die mit ihrer Tätigkeit im Zusammenhang stehenden vielfältigen rechtlichen und faktischen Verpflichtungen des Staates machen dann auch den Begriff der internationalen Verwaltung bei Menzel aus. Insoweit wird das von Steinscht Konzept, das sich zunächst auf das Völkervertragsrecht als Quelle des internationalen Verwaltungsrechts stützte, weiterentwickelt. 401 Als Fazit konstatiert Menzel: „Wir leben in einer Übergangszeit, die sich dadurch auszeichnet, daß der eindimensionalen Regelungsgewalt eine mehrdimensionale gegenübersteht. Kein Staat kann sich dieser Entwicklung entziehen: die Welt wächst zusammen. Je klarer dies erkannt wird, desto erfolgreicher wird sich ein Staat der alten und der neuen Mittel zur Bewältigung seiner Aufgaben zu bedienen wissen". 402 Der Konzeption Menzels - auch im Hinblick auf den historischen Bezug auf Lorenz von Stein - folgt dann Delbrück, der allerdings zunächst noch stärker die Ursachen der zunehmenden internationalen Verwaltung und ihre Auswirkungen auf das herkömmliche Staatsverständnis im Sinne einer „Entstaatlichung" be398

Menzel, DÖV 1969, 1 (3-6).

399

Menzel, DÖV 1969, 1 (6 ff.).

400

Menzel, DÖV 1969, 1 (14).

401

Menzel, DÖV 1969, 1 (21).

402

Menzel, DÖV 1969, 1 (24).

110 Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

trachtet. 403 Internationale Verwaltung ist für ihn insofern „eine staatliche Leistungsdefizite ergänzende Komplementärverwaltung", über deren Auswirkungen auf das Staatsverständnis aber noch keine abschließende Antwort gegeben werden könne. 404 In der inhaltlichen Beschreibung der so gekennzeichneten internationalen Verwaltung gibt Delbrück dann eine Gesamtschau der vielfältigen Verwaltungstätigkeiten internationaler Organisationen auf den Gebieten Wirtschaftsverwaltung, Kulturverwaltung, Arbeits-, Sozial- und Gesundheitswesen, Verkehrswesen und Gefahrenabwehr bzw. Strafverfolgung. Darüber hinaus werden einige einführende Aspekte der institutionellen und funktionalen Verzahnung internationaler und nationaler Verwaltung sowie die Grundzüge des Dienstrechts internationaler Organisationen behandelt. 405 Sieht man einmal von den ausschließlich völkerrechtlich orientierten Ansätzen einer dogmatischen Erfassung der Verwaltungstätigkeit internationaler Organisationen 406 sowie dem speziellen Wissenschaftsgebiet des europäischen Verwaltungsrechts 407 ab, so stellen die Arbeiten von Bülck, Menzel und Delbrück - soweit ersichtlich - die einzigen Analysen im zeitgenössischen deutschen Schrifttum dar, die sich in einem umfassenderen Sinne mit einem internationalen Verwaltungsrecht im Schnittpunkt zwischen nationalem und internationalem Recht näher auseinandersetzen. Durch den Bezug auf von Stein wird hierbei die dogmengeschichtliche Verbindungslinie zu den staatswissenschaftlichen Konzepten des 19. Jahrhunderts hergestellt, wobei jetzt als maßgebliche Neuerung die Rolle und Bedeutung internationaler Organisationen in der internationalen Verwaltung hinzutritt. Entscheidend bleibt aber - und hier ist zudem auf Erler zu rekurrieren - , daß nicht mehr eine streng formalistische Trennung von Staats- und Völkerrecht den Blick für die materiellen Auswirkungen der Verzahnung von nationaler und internationaler Verwaltung verstellt.

403

Delbrück, in: Jeserich/Pohl/von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. V, 386 ff., Zitat auf S. 390. 404 Delbrück, in: Jeserich/Pohl/von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. V, 386 (390 f.). 405

Delbrück, in: Jeserich/Pohl/von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. V, 386 (391 ff.). 406

Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 949 ff.; Wolfrum, (Hrsg.), EPIL, Vol. II, 1041 ff.

in: Bernhardt

407 Umfassend Hatje, Die gemeinschaftsrechtliche Steuerung der Wirtschaftsverwaltung, passim; Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, passim; von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, passim; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, passim.

G. Staats- und Völkerrechtslehre der Bundesrepublik

111

III. Internationale Verwaltungslehre (Rechts- und Politikwissenschaft) Schon frühzeitig wurde vorgeschlagen, eine internationale Verwaltungslehre als wissenschaftliche Fachdisziplin zu begründen, auch wenn aufgrund des vorherrschenden Verständnisses über den Inhalt des Komplementärfaches „internationales Verwaltungsrecht" im Sinne von Neumeyer gewisse Unklarheiten auftreten könnten. Internationale Verwaltungslehre sollte sich nämlich gerade nicht mit Anwendungsfragen des nationalen Rechts befassen, sondern eine „Verwaltungslehre im Bereich des internen Staatengemeinschaftsrechtes", also des primären und sekundären Rechts der internationalen Organisationen, sein. 408 Dementsprechend galt und gilt weiterhin das Hauptaugenmerk der internationalen Verwaltungslehre der internen Verwaltungsstruktur und -organisation internationaler Organisationen, wobei dem internationalen Dienstrecht besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. 4 0 9 In der deutschsprachigen Verwaltungslehre hat dieser Forschungsgegenstand bislang allerdings nur wenig Beachtung gefunden. 410 Eine darüber hinausgehende Aufarbeitung der verwaltungswissenschaftlichen Aspekte der Verzahnung von nationaler Verwaltung und der Tätigkeit internationaler Organisationen erfolgte nur in Ansätzen; auch hier schien lange Zeit die Idee einer prinzipiellen Trennung der Rechtskreise Staatsrecht und Völkerrecht die Möglichkeit für eine Gesamtschau der auftretenden Fragestellungen zu behindern. Sowohl für die rechtswissenschaftliche als auch für die politikwissenschaftliche Forschung stellte sich das Problem, daß der Staat als Einheit im internationalen System gesehen wurde. Eine Zergliederung des einheitlichen Gebildes Staat in unterschiedliche bürokratische Stukturen wurde damit unmöglich, so daß sich auch nicht der Blick für die Verschränkungen nationaler und internationaler Verwaltung eröffnen konnte. 411 Völkerrechtlich stand insoweit das Recht der interna408

Seidl-Hohenveldern,

ZgStW 114 (1958), 552 f.

409

Allgemein zur internationalen Verwaltungslehre in diesem Sinne: Hill, International Administration, passim; Loveday, Reflections on International Administration, passim; Ranshofen-Wertheimer, The International Secretariat, passim; Jordan (Hrsg.), International Administration: Its Evolution and Contemporary Applications, passim; für das Dienstrecht internationaler Organisationen siehe Busch, Dienstrecht der Vereinten Nationen, passim; Amerasinghe, Law of the International Civil Service, Vol. I, passim; ders., ICLQ 45 (1996), 773 ff.; weitere Nachweise zu internationalem Verwaltungsrecht und -lehre in diesem Sinne bei Prieß, Internationale Verwaltungsgerichte und Beschwerdeausschüsse, 166 ff. 410

Kurze einführende Überlegungen nur bei Püttner, Verwaltungslehre, 63 ff.; Thieme, Verwaltungslehre, Rdnr. 129 ff. 411 So überzeugend Cassese, in: Aspekte der internationalen Verwaltung, 38 (49); umfassend hierzu jetzt auch Wessels, Die Öffnung des Staates, passim.

112 Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

tionalen Organisationen im Vordergrund des Interesses. 412 In den Politikwissenschaften wurde im Rahmen der internationalen Beziehungen nach dem Verhältnis von Nationalstaat und internationaler Organisation bzw. der autonomen Rolle internationaler Organisationen im internationalen System gefragt. 413 Nur vereinzelt wurde von diesem etatistischen Modell der rechtlichen und politischen Beziehungen im internationalen System abgewichen und auf Interdependenzen bürokratischer Entscheidungsstrukturen eingegangen, die über die Zentraleinheit „Staat" hinausgehen. Im Zusammenhang mit der Ende der 1960er Jahre aufkommenden „Transnationalismus-Diskussion" sprach Karl Kaiser erstmals aus politikwissenschaftlicher Sicht das Problem „multibürokratischer" Entscheidungsverfahren an, ohne hierauf dann aber vertiefend einzugehen.414 Keohane und Nye griffen diese Idee später auf und entwickelten Ansätze eines Modelles „transgouvernementaler" Beziehungen („sets of direct interactions among sub-units of different governments that are not controlled or closely guided by the policies of the cabinets or chief executives of those governments") mit Blick auf die Rolle einzelner Verwaltungseinheiten der Staaten in Beziehung zu internationalen Organisationen. 415 Auch wenn damit durchaus Ansätze zu einer Betrachtung der Wechselwirkungen und Verschränkungen nationaler Verwaltungseinheiten und internationaler institutioneller Kooperation vorgelegt wurden, erfolgte doch keine tiefergehende Durchdringung der Probleme, die für die Verwaltungslehre von Interesse sind. Dies läßt sich auf das zugrundeliegende erkenntnisleitende Interesse der politikwissenschaftlichen Forschung im Rahmen der Transnationalismus-Diskussion zurückführen, das sich auf die eher allgemeine Frage nach dem Verhältnis von Innen- und Außenpolitik bezog. Die totale Mediatisierung innerstaatlicher Entscheidungseinheiten durch die Zentraleinheit Staat im außenpolitischen Prozeß stand damit prinzipiell zur Debatte, die konkrete Bedeutung dieses Transnationalismus für die Verwaltungstätigkeit im Staat wurde dann aber nicht fokussiert. Letztlich blieb damit auch der Transnationalismus - zumindest aus Sicht der Verwaltungslehre - etatistisch orientiert. Erst im Rahmen der jüngeren politikwissenschaftlichen Diskussion finden sich dann Forschungsansätze, die auf Struktu-

412

Siehe z. B. Seidl-Hohenveldem/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen; Schermers/Blokker, International Institutional Law. 413 Für einen Überblick zu den verschiedenen politikwissenschaftlichen Ansätzen siehe Wessels, Die Öffnung des Staates, 53 ff.; Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 333 ff., jeweils mit umfangr. Nachw. 414

Kaiser, International Organization 15 (1971), 790 (797); in der ursprünglichen deutschen Fassung des Beitrages finden sich die entsprechenden Passagen noch nicht, siehe ders., Politische Vierteljahresschrift 1969, Sonderheft 1, 80 (90). 415

Keohane/Ney,

World Politics 27 (1974/75), 38 (43).

H. Zusammenfassung und Ausblick

113

ren eines internationalisierten Verwaltungshandelns hindeuten und damit gerade für die Staats- und Verwaltungswissenschaften von Bedeutung sind; hierauf ist zurückzukommen. 416 Vertiefend wurden „Aspekte der internationalen Verwaltung" nur einmal anläßlich des 19. Internationalen Kongresses für Verwaltungswissenschaften im September 1983 in Berlin (West) diskutiert. 417 Cassese legte hierzu den Generalbericht zum Thema „Die Beziehungen zwischen den internationalen Organisationen und den nationalen Verwaltungen" vor und beleuchtete hierbei verschiedene Wechselwirkungen zwischen nationaler und internationaler Verwaltung. Neben der Feststellung, daß das Thema bislang kaum auf wissenschaftliches Interesse gestoßen sei, konstatierte Cassese eine zunehmende Verflechtung nationaler und internationaler Bürokratien. Hierin sieht er die Gefahr, daß aufgrund mangelnder Koordination der einzelnen Verwaltungsaktivitäten innerhalb des Staates das einheitliche Handeln der Regierung im internationalen System nicht mehr gewährleistet sei. 418 Insgesamt zeigt sich damit, daß auch in der Verwaltungslehre - von einzelnen rechts- und politikwissenschaftlichen Ansätzen abgesehen - keine umfassenden wissenschaftlichen Analysen existieren, die sich mit der Interdependenz und Wechselwirkung nationaler und internationaler Verwaltung näher auseinandersetzen. 419 Methodisch ist dies auf eine etatistische Betrachtung der internationalen Beziehungen zurückzuführen: Entweder steht nur die Rolle des Staates selbst bzw. die allgemeine Frage nach dem Verhältnis von Innen- und Außenpolitik zur Debatte, oder aber der Fokus verengt sich auf die Verwaltungstätigkeit internationaler Organisationen selbst, ohne wechselbezügliche Auswirkungen auf die nationalen Verwaltungen zu betrachten.

H. Zusammenfassung und Ausblick Versucht man - eingedenk aller Gefahren der Vereinfachung, die hiermit verbunden sind - die dogmengeschichtliche Entwicklung eines internationalen Ver416

Infra Teil 3, B.

417

Das übersieht Püttner, Verwaltungslehre, 65, der davon ausgeht, daß sich auch das Internationale Institut für VerwaltungsWissenschaften bislang auf nationale Verwaltungsprobleme und deren Vergleich konzentriert habe. 418 419

Cassese, in: Aspekte der internationalen Verwaltung, 38 (61).

Von dieser Feststellung ausgenommen ist freilich die jetzt vorliegende politikwissenschaftliche Studien von Wessels, Die Öffnung des Staates.

114 Teil 1: Entwicklung des Konzeptes internationalisierten Verwaltungshandelns

waltungsrechts und auch allgemein der internationalisierten Verwaltungstätigkeit seit dem Absolutismus zusammenzufassen, so kann durchaus von Kontinuitäten seit der Herausbildung eines ius publicum universale im 17. Jahrhundert gesprochen werden. Spätestens einhergehend mit der dogmatischen Herausbildung eines eigenständigen Verwaltungsrechts in Deutschland, insbesondere mit den Arbeiten Justis und Bergs verbunden, lassen sich deutliche Ansätze dazu ausmachen, auch den Einfluß völkerrechtlicher Regelungen oder schlicht empirischer Phänomene im internationalen Bereich auf das Verwaltungshandeln im Staat zu betrachten. Ursprünglich galt das Interesse dabei zwar der Sicherung souveräner Hoheitssphären vor fremden Einflüssen im Verwaltungsbereich, mit dem aufkommenden Konstitutionalismus konnte aber auch das internationale Verwaltungsrecht seine eigenständige rechtliche Fundierung finden. Nach den grundlegenden Arbeiten von Kaltenborn ist es insoweit namentlich Robert von Mohl, der durch die Verbindung der Begriffskategorien „materieller Rechtsstaat" und „Verkehrsnotwendigkeiten der Staaten" in der Lehre von der internationalen Gemeinschaft ein im Grenzbereich von Staats- und Völkerrecht angesiedeltes eigenständiges internationales Verwaltungsrecht konturiert. Lorenz von Stein blieb es dann überlassen, diese dogmatischen Grundlegungen aufzunehmen und seine eigene Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht zu entwickeln. Die Staatswissenschaft hatte mit Kaltenborn, von Mohl und von Stein allerdings auch schon ihren Höhepunkt mit Blick auf die verwaltungswissenschaftliche Erfassung bestehender Interdependenzen in dem sich rasant entwickelnden internationalen System des 19. Jahrhunderts erreicht. Gerade gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahm zwar insbesondere die institutionalisierte internationale Kooperation im Rahmen der Gründung zahlreicher internationaler Verwaltungsunionen in bislang nicht gekanntem Ausmaße zu, 420 eine befriedigende Erfassung dieser Entwicklung mit Blick auf die zunehmende Durchdringung aller Rechtsgebiete war jetzt aber kaum noch möglich. In bescheidenem Ausmaße wurde die Lehre vom internationalen Verwaltungsrecht zwar noch rezipiert, der Methodenwandel im Spätkonstitutionalismus und die durch ihn bedingte, aus dem Dualismus entwikkelte radikale Absage an die „internationalen" Rechte bei Triepel bedeutete jedoch ein Ende des internationalen Verwaltungsrechts in der bisherigen Form. Es entstanden gleichsam in der Tradition des allseits in der Rechtswissenschaft festzustellenden Überganges vom Internationalismus zum Nationalismus 421 die getrenn-

420 421

Hierzu noch sogleich vertiefend.

Hierzu Stolleis, Der lange Abschied vom 19. Jahrhundert, 10 ff.; ders., Nationalität und Internationalität: Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht des 19. Jahrhunderts, 23 ff.; ders., Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, 41 f.

H. Zusammenfassung und Ausblick

115

ten Rechtslehren vom innerstaatlichen Rechtsanwendungsrecht der Verwaltung und von der völkerrechtlichen Verwaltung, die beide für sich und auch zusammengenommen keine juristische Betrachtung mehr zuließen, die sich mit der Interdependenz nationaler und internationaler Verwaltung befaßte. Welche unbefriedigenden Ergebnisse die Trennung von innerstaatlichem Recht und Völkerrecht gerade für die rechtliche Betrachtung von Verwaltungsaktivitäten hat, die stark von bestehenden Interdependenzen determiniert sind, wurde dann erst wieder von Erler verdeutlicht. Seine heute wieder von verschiedener Seite in Erinnerung gerufenen Ausführungen waren allerdings thematisch auf das Wirtschaftsrecht beschränkt. Aber auch hierüber hinausgehend lassen sich Ansätze in der Staatsrechts- und in der Verwaltungslehre aufzeigen, die heute wieder in der Tradition von Kaltenborn, von Mohl und insbesondere von Stein stehen. Wenn dabei von „Tradition" gesprochen wird, so ist freilich nicht ein Zurück zur Staatswissenschaft im alten Sinne gemeint. Ebensowenig wird damit der Notwendigkeit zur dogmatischen Arbeit, durchaus im rechtspositiven Sinne verstanden, eine Absage erteilt. Was demgegenüber hervorgehoben werden soll, ist die Rückbesinnung auf inhaltliche Aspekte der Verwaltungstätigkeit, die - etwas undifferenziert an dieser Stelle - mit dem materiellen Rechtsstaatsbegriff von Mohls mit Blick auf die internationale Gemeinschaft konturiert werden können. Insbesondere die Ausführungen Erlers und Menzels lassen sich in diesem Sinne verstehen. Die dogmengeschichtliche Betrachtung des internationalen Verwaltungsrechts läßt aber auch erkennen, daß der Begriff „internationales Verwaltungsrecht" ambivalent ist. Mit ihm wurden und werden weiterhin unterschiedliche rechtliche Fragen aus den Bereichen innerstaatliches Verwaltungsrecht und internationales Recht verbunden, zumal wenn an die entsprechende Terminologie im Straf- und Zivilrecht gedacht wird. Gerade vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung sollte daher zur Vermeidung von Unklarheiten und in Anerkennung der eigenständigen Bedeutung eines verwaltungsrechtlichen Grenz- oder Rechtsanwendungsrechts nicht von einem internationalen Verwaltungsrecht, sondern allgemein von einem internationalisierten Verwaltungshandeln gesprochen werden, wenn es um die inhaltliche Verflechtung nationaler und internationaler Verwaltungsaktivitäten und ihrer rechtlichen sowie ihrer allgemein für die Verwaltungslehre gegebenen Relevanz geht.

Teil 2

Entwicklung und gegenwärtiger Stand der internationalen Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

Wie schon mehrfach angedeutet, engagieren sich Staaten spätestens seit Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmend im grenzüberschreitenden Bereich, um durch internationale Vereinbarungen Gegenstände der Verwaltung zu regeln. Das so entstehende, in der Terminologie von Steins „internationale Verwaltungsrecht" fand einiges Interesse im staats- und völkerrechtlichen Schrifttum des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. 1 Inhaltlich ging es hierbei um solche Regelungsgegenstände völkerrechtlicher Vereinbarungen, die sich, wie es Georg Jellinek umschrieb, ihrer Art nach auf die „Erfüllung seiner [des Staates, Anm. Verf.] ihm durch seine Natur als Verwalter der gemeinsamen Interessen seines Volkes gesetzten Aufgaben" beziehen.2 Dieser Umschreibung des Verwaltungsvertrages setzte Jellinek den politischen Vertrag entgegen, der sich nicht auf die zuvor genannte „Ausübung einer einzelnen Staatsfunction, um die Erzielung eines particulären Zweckes" beziehe, sondern den Staat „als Ganzes, seine Grösse, seine Kraft, oft selbst seine Existenz" zum Gegenstand habe.3 Die damit vorgenommene Abgrenzung von technisch-administrativen und politischen Regelungsgegenständen der internationalen Vereinbarungen des Staates fand im Schrifttum nahezu durchgehend Anerkennung. 4 Eine dogmatisch vertiefende Auseinandersetzung zur Frage nach der Differenzierung zwischen technisch-administrativer und politischer Regelung fand jedoch nicht statt. Auch hier soll dieser Frage noch nicht nachgegangen, sondern auf einen späteren Untersuchungsabschnitt verwiesen werden. 5 Klarzustellen ist aber, daß vorerst die technisch-administrativen Regelungsgegenstände völkerrechtlicher

1 Siehe beispielhaft und repräsentativ G. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, 105 ff. und 158 ff.; von Liszt, Völkerrecht, 11. Aufl., 134 ff. und 183 ff. 2 G. Jellinek, Die Lehre von den Staaten Verbindungen, 105. 3

G. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, 106.

4

Siehe die Zusammenfassung bei Kunz, Die Staaten Verbindungen, 386.

5

Infra Teil 4, A. II. 2. und Teil 4, B. I.

I n t t i o n a l e Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

117

Vereinbarungen nicht den „Verwaltungsabkommen" im Sinne von Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG zwingend zugeordnet werden, da sich internationale Verwaltungsvereinbarungen nicht ausschließlich als Verwaltungsabkommen im verfassungsrechtlichen Sinne konstituieren. Die verfassungsrechtliche Regelungsform sagt insoweit nichts über den Inhalt einer völkerrechtlichen Übereinkunft aus, die sich materiell als Verwaltungsabkommen darstellt. 6 Auf der Grundlage der Unterscheidung von technisch-administrativen und politischen Regelungsgegenständen völkerrechtlicher Vereinbarungen, ist noch eine weitere Differenzierung entsprechend der Typologie völkerrechtlicher Verträge zu treffen. Sie können grob in zweiseitige (bilaterale) und mehrseitige (plurilaterale und multilaterale) Übereinkommen unterteilt werden, 7 wobei die multilateralen Abkommen lange Zeit abhängig von ihrem Inhalt als gegenseitige Verträge mit Austauschcharakter oder als rechtssetzende Verträge (traité loi; law making treaties) umschrieben wurden. Diese Unterscheidung nach der Verpflichtungsstruktur völkerrechtlicher Verträge geht auf Überlegungen Bergbohms% und Triepels zurück und bestimmte die Dogmatik bis weit in das 20. Jahrhundert hinein. Auch wenn heute die Unterscheidung in den völkerrechtlichen Lehrbüchern nur noch am Rande erwähnt und mit Blick auf das Argument, daß jeder Vertrag unabhängig von seiner Verpflichtungsstruktur „rechtssetzenden" Charakter habe, vor einer Überbetonung der hergebrachten Einteilung gewarnt wird, 9 bleibt sie für die Untersuchung des internationalisierten Verwaltungshandelns historisch und dogmatisch von Interesse. Mit der staats- und völkerrechtlichen Anerkennung von „rechtssetzenden Vereinbarungen", 10 im Gegensatz zu Austauschverträgen, wurde nämlich dogmatisch überhaupt erst die Möglichkeit eröffnet, völkerrechtliche Regelungen zu erfassen, die über den Einzelwillen der kontrahierenden Staaten hinausgehend einer gemeinschaftlichen Interessen Verfolgung dienen. 11 Diese dogmatische Konstruk-

6

Bülck, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3, 562.

7

Statt vieler Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/2, § 144 I M . Bergbohm, Staatsverträge und Gesetze als Quellen des Völkerrechts, 81 f. 9 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1,50 f.; zur Diskussion ausführlich dies., Völkerrecht, Bd. 1/2, § 144 II.2.a.; siehe auch Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 537; Simma, Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge, 84 ff. m. w. N.; die Unterscheidung ganz ablehnend Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn. Rdnr. 116 (Fn. 277); hiergegen allerdings deutlich Doehring, Völkerrecht, Rdnr. 329. 8

10 11

Triepel,

Völkerrecht und Landesrecht, 68 und 72 f.

Hierzu deutlich G. Jellinek, Die Lehre von den Staaten Verbindungen, 107 f.: „Wenn aber die Interessen, welche durch den Vertrag gewahrt werden sollen, zusammenfallen,

I n t t i o n a l e Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

tion erfolgte freilich weniger aus höherer theoretischer Einsicht heraus, sondern war eine unmittelbare wirklichkeitswissenschaftliche Reaktion auf die in der Staatenpraxis der damaligen Zeit zutage tretende Internationalisierung des Verwaltungshandelns. In der über die souveränitätsbezogene Herrschaftsabgrenzung hinausgehenden Verwaltungszusammenarbeit wurde als ratio eine „moderne Weltcultur" gesehen, die „gemeinsame Interessen aller civilisirten Völker sowohl, als auch einer grösseren und geringeren Anzahl unter ihnen geschaffen [hat], welche auf der gemeinsamen Cultur beruhen und daher bleibend sind". 12 Für Jellinek war das so formulierte gemeinsame Interesse das entscheidende qualitative Merkmal völkervertraglicher Zusammenarbeit der Staaten in Verwaltungsangelegenheiten und Grundlage seiner Lehre von den internationalen Verwaltungsvereinen, die - auch als Verwaltungsunionen bezeichnet - das staats- und völkerrechtliche Schrifttum dann bis Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts im Rahmen der Erörterungen zu den Staatenverbindungen intensiv beschäftigten. 13 Heute werden die in ihrer Begrifflichkeit weiterhin bekannten Verwaltungsunionen 14 zwar dem Oberbegriff der internationalen Organisationen zugeordnet, das entscheidende dogmatische Merkmal der Verfolgung eines Gemeinschaftsinteresses bleibt aber als inhaltliches Kennzeichen der Ordnungsfunktion von Verträgen zur Gründung einer internationalen Organisation (institutionelle Verträge) erhalten. 15 Insgesamt kann sich eine internationalisierte Verwaltungstätigkeit damit im Rahmen zwei- oder mehrseitiger Zusammenarbeit sowie als institutionalisierte internationale Kooperation in - nach heutiger Terminologie - internationalen Organisationen zeigen. Über Ausmaß und rechtliche Ausgestaltung des jeweiligen internationalisierten Verwaltungshandelns ist damit noch keine Aussage getroffen; vorerst soll nur die typologische Erfassung in ihrer geschichtlichen Entwicklung von Interesse sein.

wenn ein gemeinschaftliches Interesse vorliegt und demnach nicht Ergänzungsbedürfniss, sondern Solidarität den Grund des Vertrages bildet, dann erlangt die Vereinbarung einen ganz anderen Charakter". 12

G. Jellinek, Die Lehre von den Staaten Verbindungen, 109.

13

G. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, 109 ff. und 158 ff.; umfassend zur Lehre der Verwaltungsvereine bzw. -Unionen Kunz, Die Staatenverbindungen, 373 ff. m. w. N. 14

Wolfrum,

15

Dahm/Delbrück/Wolfrum,

in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. II, 1041 ff. Völkerrecht, Bd. 1/1, 53.

A. Zweiseitige und mehrseitige Zusammenarbeit

119

A. Zweiseitige und mehrseitige Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten außerhalb von Verwaltungsunionen: Von frühen Ansätzen bis zum Ende der Weimarer Republik Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts war die völkerrechtliche Vertragspraxis nahezu ausschließlich von politischen Fragen gekennzeichnet. Völkerrechtliche Verträge wurden zur Kriegs- bzw. Friedensregelung, zu Allianzen, militärischen Kooperationen, Besatzungen fremder Gebiete, Behandlung von Kriegsgefangenen und Deserteuren etc. geschlossen. Eine über diese Sachbereiche unmittelbarer staatlicher Selbsterhaltung hinausgehende völkerrechtliche Kooperation der Staaten in technisch-administrativen Angelegenheiten läßt sich, von wenigen Handelsverträgen abgesehen, kaum nachweisen.16 Erst mit dem Wiener Kongreß setzt eine merkliche Wende hin zu einer verstärkten internationalen Regelung technischadministrativer Sachbereiche ein. Strupp umschrieb diese Entwicklung dahingehend, daß spätestens nach dem 2. Pariser Frieden (20. November 1815) das Völkerrecht „immer weitere Gebiete des gesamten Rechtslebens in seinen sachlichen Bereich einbezogen hat". 17 Während die in der Wiener Schlußakte vorgesehenen ersten internationalen Flußregime als Vorläufer der heutigen internationalen Organisationen gelten können und daher im diesbezüglichen Untersuchungsabschnitt behandelt werden sollen, ist für das zwei- und mehrseitige Vertragswesen nach 1815 aus deutscher Perspektive zunächst auf die stetig wachsende Anzahl von vertraglichen Regelungen Preußens mit anderen Bundesstaaten zum Zoll-, Steuer-, Münz-, Maß- und Gewichtswesen, zur Flußschiffahrt, zum Post- und Telegraphenwesen, zu „Nachdruck" und Heimatwesen sowie zur Rechtshilfe hinzuweisen. Nach einer Auswertung von Meier schloß Preußen in der Zeit von 1806 bis 1870 circa 700 Staatsverträge in diesen Sachbereichen.18 Aus verwaltungswissenschaftlicher Perspektive wurde diese Entwicklung durch die im Zuge der SteinHardenbergschen Reformen vorgenommene Einrichtung von Fachressorts an der Staatsspitze und die damit einhergehende, im Jahre 1810 erfolgte Neuorganisation des „Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten" begünstigt. Das Außenministerium Preußens war jetzt auf der Grundlage einer königlichen Verordnung von 16

von Ompteda, Literatur des Völkerrechts (1785), 583; Meier, Über den Abschluss von Staats Verträgen, 18; zu ersten Ansätzen eines internationalen Verwaltungsrechts ausgehend von der Staatenpraxis gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts siehe supra Teil 1,C. 17 18

Strupp (Hrsg.), Urkunden zur Geschichte des Völkerrechts, Bd. I, VI.

Meier, Über den Abschluss von Staatsverträgen, 22 (Fn. 2) m. w. N.; diese Entwicklung war sicherlich auch durch die Probleme bedingt, die die deutsche Kleinstaaterei hervorbrachte.

120

I n t t i o n a l e Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

1810 in eine politische Sektion und eine zweite Sektion unterteilt, in der Fragen behandelt wurden, die nicht zu den „höheren politischen Angelegenheiten" zählten. Hierzu gehörten u. a. die Handelssachen. Diese Einteilung blieb bis zur weiteren Aufnahme einer Rechtsabteilung (1885) und der Eingliederung der Kolonialabteilung (1890) unverändert. 19 Die insgesamt in Europa zu verzeichnenden regen Aktivitäten mit Blick auf den Abschluß von Staatsverträgen technisch-administrativen Inhalts lassen sich neben der für Preußen angeführten verwaltungswissenschaftlichen Besonderheit der Neuorganisation des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten auf eine Reihe von politischen und sozio-ökonomischen Ursachen zurückführen, die insgesamt die internationalen Beziehungen nach dem Wiener Kongreß prägten. Zunächst ist die bis dahin in Europa unbekannte politische Stabilität des Staatensystems, die durch die Neuordnung des Wiener Kongresses ins Leben gerufen wurde, zu nennen. Die mit dem Namen Metternichs zu verbindende Neuordnung des gesamteuropäischen Staatensystems, ausgedrückt in der heutigen Wendung vom Europäischen Konzert, brachte Europa die bislang längste Friedensperiode seiner Geschichte. Zwischen 1815 und 1854 herrschte für 40 Jahre Friede in Europa, die von 1854 bis 1878 geführten Kriege waren von kurzer Dauer und regional beschränkt. Damit war bis zum Zeitalter des Imperialismus eine politische Stabilität in Europa erreicht, die Raum gab für eine Konzentration auf technisch-sachliche Regelungen der internationalen Beziehungen.20 Daß die so entstandene Möglichkeit intensiver internationaler Beziehungen auch genutzt wurde, liegt im Kern jedoch weniger in politischen, als vielmehr in sozio-ökonomischen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts begründet. Das 19. Jahrhundert ist zunächst das Jahrhundert der Bevölkerungsexplosion in Europa. Die Bevölkerung Europas (einschließlich Rußlands) wuchs von ca. 180-190 Mio. im Jahre 1800 auf bereits 225 Mio. im Jahre 1830 und erreichte im Jahre 1880 eine Gesamtzahl von 332 Millionen. 21 Mit dieser rasanten Bevölkerungsentwicklung ging die sich rasch verbreitende Industrialisierung einher. Spätestens in den 1830er Jahren erfaßte die von England ausgehende Industrialisierung die kontinentaleuropäischen Staaten mit aller Macht. Eine beschleunigte Kapitalbildung, die technische Revolution bei den Produktionsapparaten (mechanischer Webstuhl 1769; Dampfmaschine 1766; „Puddelverfahren" der Eisengewinnung 1784; „Bessemer-Verfahren" zur Stahlherstellung 1855), die Steigerung des Arbeitsangebots 19

Baumgart, Europäisches Konzert und nationale Bewegung, 126 f.

20

Insgesamt zu dieser Entwicklung Baumgart, Europäisches Konzert und nationale Bewegung, 146 ff. 21

Zahlen nach Baumgart, Europäisches Konzert und nationale Bewegung, 5.

A. Zweiseitige und mehrseitige Zusammenarbeit

121

und das Anwachsen des Außenhandels sind Kennzeichen und Ursachen der als industrielle Revolution bezeichneten Entwicklung. 22 Auch die sogenannte Verkehrsrevolution des 19. Jahrhunderts hängt hiermit zusammen: 1825 fuhr die erste Eisenbahn in England, in Deutschland im Jahre 1835 zwischen Nürnberg und Fürth. Das Eisenbahnverkehrsnetz in Europa wuchs von 188 km im Jahre 1830 auf 168.983 km im Jahre 1880.23 Ähnlich verlief die Entwicklung in der Dampfschiffahrt. Der Dampferbestand der Welt wuchs gemessen an seinem Netto-Tonnengehalt von 11.500 im Jahre 1821 auf über 5 Millionen im Jahre 1881.24 Die allgemeine Verkehrsentwicklung im Eisenbahn- und Schiffahrtsbereich führte gleichzeitig zu rasanten Innovationen in der Technik der Nachrichtenübermittlung. Zunächst durch die Beschleunigung des klassischen Postdienstes, ab den 1830er Jahren dann durch die Erfindung und rasche Verbreitung der Telegraphie, zeigten sich bislang unbekannte Möglichkeiten einer weltweiten Kommunikation. Im Sommer 1858 wurde zudem das erste Transatlantikkabel verlegt, das allerdings nach seiner Zerstörung erst 1866 zur dauerhaften Kommunikationseinrichtung werden sollte. Vor diesem Hintergrund zeigte sich nach dem ersten Telegraphenvertrag zwischen Preußen und Sachsen (1849) gerade im Kommunikationsbereich schnell die Notwendigkeit bi- und multilateraler Kooperation. 25 Insgesamt führten all die aufgeführten gesellschaftlichen Entwicklungen schließlich zu einer deutlichen Steigerung des Außenhandels. Der Welthandel wuchs auf Europa bezogen von £ 301 Mio. im Jahre 1830 auf £ 2134 Mio. im Jahre 1880 und weltweit von £ 407 Mio. (1830) auf £ 3033 Mio. (1880). 26 Faßt man die aufgeführte sozio-ökonomische Entwicklung zusammen, zeigt sich eine in Europa bislang nicht bekannte Internationalisierung der gesellschaftlichen Beziehungen. Die Kommunikationsmöglichkeiten, im weiten Sinne grenzüberschreitender wirtschaftlicher und kultureller Natur verstanden, ließen die Notwendigkeit internationaler Staatenkooperation evident werden. Es galt insoweit zum Beispiel Handelsfragen zu klären, grenzüberschreitende Kommunikationswege zu öffnen und zu regeln sowie neu auftretende Gefahren (Seuchen, Pflanzenschutz etc.) grenzüberschreitend zu bekämpfen. A l l dies schlägt sich in der seit 1815 dokumentierten Vertragspraxis der Staaten nieder. Insgesamt wird angenommen, daß von 1815 bis zum 1. Weltkrieg etwa 16.000 (veröffentlichte) völker22

Ausführlich Baumgart , Europäisches Konzert und nationale Bewegung, 15 ff.

23

Zahlen nach Baumgart, Europäisches Konzert und nationale Bewegung, 26.

24

Zahlen nach Baumgart, Europäisches Konzert und nationale Bewegung, 29.

25

Insgesamt zu dieser Entwicklung Baumgart, Europäisches Konzert und nationale Bewegung, 33 ff.; zu der hiermit im Zusammenhang stehenden Entwicklung der institutionalisierten internationalen Zusammenarbeit siehe noch infra Teil 2, B. I. 26

Zahlen nach Baumgart, Europäisches Konzert und nationale Bewegung, 38.

I n t t i o n a l e Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

rechtliche Verträge geschlossen wurden, von denen die meisten administrativtechnische Gegenstände zur Regelung hatten.27 Das Zeitalter von 1815-1914 wird vor diesem Hintergrund auch als von einem bis dahin nie erlebten Wachstum des geschriebenen internationalen Rechts charakterisiert. 28 Die vermehrt technische Ausrichtung der völkerrechtlichen Vertragspraxis erfaßte dabei nicht nur den Inhalt der geschlossenen Abkommen, sondern auch ihre Form. Die klassischen, umfassenden Herrschaftsbekundungen und religiösen Beteuerungen in den Vertragsurkunden fanden kaum noch Anwendung, die äußere Form nahm vermehrt eine technische Zweckmäßigkeit, ausgerichtet an dem Grundsatz der Staatengleichheit, an. Gleichzeitig wurde die französische Sprache als lingua franca der Vertragspraxis immer mehr zugunsten des Englischen zurückgedrängt. 29 Form und Inhalt völkerrechtlicher Verträge wurden so umfassend von der Notwendigkeit internationaler Kooperation der Staaten in technischen Angelegenheiten bestimmt. In der Vertragspraxis des Norddeutschen Bundes und dann des Deutschen Reiches zeigt sich deutlich die intensive internationale Zusammenarbeit im technisch-administrativen Bereich. Auf der Grundlage der im Reichgesetzblatt von 1867 bis 1929 veröffentlichten zwei- und mehrseitigen Staats Verträge, ausgenommen die Verträge zur Gründung von Verwaltungsunionen, zeigt sich folgendes Bild: 3 0 Mit insgesamt 66 Staaten wurden ab 1867 Handels- und Freundschaftsabkommen geschlossen, die sich u. a. auf Handels-, Konsular-, Kredit-, Schiffahrts-, Wirtschafts- und Zollangelegenheiten beziehen. Im Bereich der Binnenschiffahrt kam es zu zwei mehr- und zwei zweiseitigen Verträgen. Insgesamt neun multilaterale und 32 bilaterale Verträge befassen sich mit Fragen der Seeschiffahrt. Neben drei mehrseitigen wurden 70 zweiseitige Verträge zu allen Aspekten des Schutzes des geistigen Eigentums geschlossen. Für das Gesundheitswesen (z. B. Bekämpfung von Cholera, Gelbfieber, Pest und des Opiumhandels sowie Kooperation bezüglich ansteckender Krankheiten) sind zwei multilaterale und 11 bilaterale 27 Bittner, Die Lehre von den völkerrechtlichen Vertragsurkunden, 13; eine Übersicht zu ausgewählten Verträgen nach dem Stand von 1934 gibt Riihland, Systematisches Verzeichnis völkerrechtlicher Kollektivverträge mit Quellenangaben. 28

Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts, 217 ff.; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, 224.

29

Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts, 218 f.

30

Die Auswertung beruht auf dem Gesamtverzeichnis zum Bundes- und Reichgesetzblatt 1867 bis 1929, Berlin 1930. Nicht berücksichtigt werden Abweichungen in der Gesamtanzahl der Verträge, die sich aus Kündigungen, kriegsbedingten Suspensionen etc. ergeben. Insoweit kommt es weniger auf das konkrete Zahlenmaterial, als vielmehr auf einen Gesamtüberblick zur Vertragspraxis an. Die Zeitspanne 1867 bis 1929 wurde gewählt, um den Gesamteindruck nicht aufgrund politischer Entwicklungen in den 1930er Jahren, die auch die Vertragspraxis beeinflußten, zu verzerren. Auch hier gilt, daß nur eine repräsentative Übersicht gegeben werden soll.

A. Zweiseitige und mehrseitige Zusammenarbeit

123

Abkommen nachzuweisen. Hinzu kommen vier zweiseitige Abkommen zum Veterinärwesen. Eine große Anzahl von Staatsverträgen befaßt sich mit sozialen Maßnahmen wie Antisklaverei, Arbeitslosigkeit bei Schiffbruch, Inländergleichbehandlung bei Berufskrankheiten, Unterbindung des Frauen-, Mädchen- und Kinderhandels, Kranken- und sozialversicherungsrechtlichen Fragen, Verbot der Kinder- und Jugendarbeit sowie Verbot gefährlicher Produktionsstoffe (insbesondere Phosphor). In diesem Bereich waren für das Deutsche Reich 23 multilaterale und 25 bilaterale Abkommen in Kraft. Zahlreich sind weiterhin die Übereinkommen zu Fragen des gesamten Verkehrswesens. Im Eisenbahnbereich kam es zu sieben mehr- und 15 zweiseitigen Abkommen. Zwei bilaterale Übereinkommen befassen sich mit dem Fernsprech- und Funkwesen, ein multilateraler Vertrag und drei bilaterale Verträge haben das Kraftfahrtwesen zum Regelungsgegenstand. Der Postbereich ist neben den noch darzustellenden Verträgen zum Weltpostverein in 22 zweiseitigen Verträgen einer Regelung unterzogen. Ein multilateraler Vertrag betrifft den Schutz von unterseeischen Telegraphenkabeln. Mit 11 Staaten kam es zum Abschluß von zahlreichen Steuerverträgen. Hinzu kommen aus dem Handelsbereich drei multilaterale Verträge zu Zollfragen, die durch zahlreiche bilaterale Zoll Verträge mit 14 Staaten ergänzt werden. Schließlich finden sich zahlreiche Abkommen zu weiteren administrativ-technischen Einzelbereichen. Hier sind zu nennen fünf multilaterale und zwei bilaterale Verträge zum Alkoholschmuggel, insgesamt drei Fischereiabkommen, ein mehrseitiger Vertrag zur Landvermessung, zwei multilaterale Abkommen zum Pflanzenschutz und einige weitere bilaterale Verträge zu einzelnen Wirtschaftsfragen wie z. B. gegenseitige Anerkennung von Aktiengesellschaften und Regelung des Alkoholhandels. Diese grobe Übersicht zur Vertragspraxis des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reichs zeigt ein beträchtliches Engagement in der internationalen Kooperation zu technisch-administrativen Fragen grenzüberschreitenden Charakters. Die im Reichgesetzblatt hierzu nachgewiesenen Verträge betreffen zunächst eine große Anzahl verschiedener Aspekte der heute als Wirtschaftsverwaltungsrecht 31 bezeichneten Rechtsbereiche (z. B. Gewerberecht, Kommunikationsrecht, Verkehrsrecht, Schiffahrtsrecht) und belegen damit, daß nicht erst in jüngerer Zeit die Notwendigkeit zur internationalen Kooperation eine zwingende Ergänzung des nationalen Wirtschaftsrechts darstellt, um dessen Steuerungsfähigkeit zu erhalten. 32 Daneben wurden durch Staatsverträge Rechtsfragen u. a. des Sozialrechts, des Arbeitsschutzrechts, des Ausländerrechts und des Umweltschutzrechts ge31 32

Zur Definition siehe Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 18.

So für die heutige Entwicklung im Hinblick auf die begrenzte Rechtsmacht der nationalen Wirtschaftsverwaltung Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 31 f.

124

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regelt. Das besondere Verwaltungsrecht - in heutiger Terminologie - erfuhr damit frühzeitig durch internationale Übereinkommen eine materielle Ergänzung in verschiedenen Rechts- und Gesellschaftsbereichen, deren Regelung angesichts der sozio-ökonomisch bedingten zunehmenden grenzüberschreitenden Verbundenheit der Staaten unumgänglich war.

B. Die historische Entwicklung und das gegenwärtige theoretische Konzept der institutionalisierten Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten I. Vom Wiener Kongreß bis zum 1. Weltkrieg Die Geschichte der institutionalisierten Zusammenarbeit der Staaten in Verwaltungsangelegenheiten ist gleichzusetzen mit der Entwicklung der heute als internationale Organisationen bekannten Völkerrechtssubjekte. Bis zur Anerkennung der Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen bedurfte es allerdings einer nahezu 100jährigen Praxis der Einrichtung und Fortentwicklung von Verwaltungsvereinen bzw. Verwaltungsunionen. 33 Sieht man von der Hanse als „internationaler" Kooperationsform im personalen Herrschaftsverband einmal ab, kann der Beginn der institutionalisierten Staatenkooperation wohl auf das Inkrafttreten der Konvention über den RheinschiffahrtsOctroi vom 15. August 1804 datiert werden, durch die die Erhebung von Schiffahrtsabgaben der Generaldirektion des Octroi in Mainz übertragen wurde. 34 Überhaupt bildeten sich im Bereich der europäischen Flußschiffahrt die ersten Verwaltungsunionen. In der Wiener Schlußakte und dem ihr beigefügten Schiffahrtsregelement wurde festgelegt, daß eine „commission centrale" zur Regelung der Navigationsfragen auf dem Rhein eingerichtet wird. 35 Die nach langwierigen Verhandlungen am 31. März 1831 auf der Grundlage der Regelungen der Wiener Schlußakte von den deutschen Rheinuferstaaten, Frankreich und den Nieder-

33

Zur historischen Entwicklung der Anerkennung der Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen siehe Faßbender, ÖzöRV 37 (1986), 17 (18 ff.) mit umfangr. Nachw. 34 Scheuner, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3, 117(118). 35

Art. 10 Schiffahrtsregelement vom 24.3.1815, abgedruckt bei: Strupp (Hrsg.), Urkunden zur Geschichte des Völkerrechts, Bd. I, 154 (157); hierzu auch Scheuner, in: Strupp/ Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3, 117 (118).

B. Institutionalisierte Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

125

landen verabschiedete Mainzer Rheinschiffahrtsakte stattete die „Zentralkommission für die Rheinschiffahrt" dann mit umfangreichen Rechtssetzung- und Verwaltungskompetenzen aus und wies ihr die Aufgabe einer internationalen Gerichtsbarkeit zu. Damit war die weltweit erste internationale Verwaltungsunion geschaffen worden, 36 die im übrigen - nach verschiedenen Änderungen der Rechtsgrundlage - bis heute fortbesteht. 37 Ähnlich, wenn auch in der Geschichte wechselvoller, 38 gestaltete sich die Einrichtung eines internationalen Verwaltungsregimes für die Donau, beginnend mit der durch den Pariser Frieden von 1856 erfolgten Übernahme des Prinzips der freien Schiffahrt aus der Wiener Schlußakte auch für die Donau als „partie du droit public de l'Europe". 39 Der ins Leben gerufenen Donaukommission wurden umfassende Kompetenzen zugewiesen, die von der Erhebung von Schiffahrtsabgaben, Durchführung strombautechnischer Maßnahmen bis zu eigener Verordnungs- und Sanktionsgewalt reichten. Daneben hatte die Kommission eigene, von den Mitgliedstaaten unabhängige Beamte, die ein Generalsekretariat, eine eigene Kasse, einen technischen Dienst, die Schiffahrtsinspektion sowie Häfen und Krankenhäuser zu verwalten hatten. Mit diesen umfassenden Kompetenzen ausgestattet, wird die Donaukommission zu Recht als eigentlicher Vorläufer einer heutigen supranationalen Organisation bezeichnet.40 Neben den bedeutenden Flußkommissionen für Rhein und Donau kam es im 19. Jahrhundert zur internationalisierten Verwaltung weiterer Flüsse (u. a. Elbe 1821; Weser 1823; Douro 1835; Ems 1843; Po 1849; Pruth 1866), 41 wodurch 36 Einzelheiten hierzu bei Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 388; Hoog, AVR 25 (1987), 202 (209 ff.); Köck/Fischer, Grundzüge des Rechtes der Internationalen Organisationen, 84 f. m. w. N. 37

Zur Rechtsentwicklung und gegenwärtigen Rechtslage umfassend Hoog, AVR 25 (1987), 202 (209 ff.). 38 Zu Einzelheiten der unterschiedlichen Rechtsregime der Donau in der historischen Entwicklung siehe Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 389 ff.; A. Weber, Geschichte der internationalen Wirtschaftsorganisationen, 21 ff.; Köck/Fischer, Grundzüge des Rechtes der Internationalen Organisationen, 86 ff. m. w. N. 39 Art. X V des Pariser Friedens vom 30.3.1856, abgedruckt bei: Strupp (Hrsg.), Urkunden zur Geschichte des Völkerrechts, Bd. 1,187 (189). Die Regelungen zur Donaukommission finden sich ebda, in Art. X V I ff. 40

Köck/Fischer, Grundzüge des Rechtes der Internationalen Organisationen, 86; A. Weber, Geschichte der internationalen Wirtschaftsorganisationen, 22; weitere Einzelheiten zur Rechtsentwicklung bei Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 389 ff.; Hoog, AVR 25 (1987), 202 (218 f.), jeweils m. w. N. 41

von Liszt, Völkerrecht, 11. Aufl., 193 f.; Köck/Fischer, ternationalen Organisationen, 88 f.

Grundzüge des Rechtes der In-

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I n t t i o n a l e Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

insgesamt der Weg bereitet war, auch über den Flußverkehr hinausgehende Regelungsgegenstände einer internationalen Verwaltung zu unterstellen. Die rasante technische Entwicklung der elektrischen Telegraphen ab 1830 offenbarte insoweit schnell die Notwendigkeit, das grenzüberschreitende Telegraphenwesen zu internationalisieren. Nach ersten Ansätzen hierzu durch die Gründung des Deutsch-Österreichischen Telegraphen Vereins (1850) und der Westeuropäischen Telegraphen-Union (1855), beides eher lose Zusammenschlüsse ohne institutionelle Verfestigung, wurde schließlich auf der Pariser Telegraphenkonferenz im Jahre 1865 die Zusammenlegung der beiden Vereine und die Konstituierung der Internationalen Telegraphen-Union beschlossen.42 Die Union wurde 1868 mit einem ständigen Büro der Telegraphenverwaltung in Bern ausgestattet; nach verschiedenen weiteren Änderungen der rechtlichen Grundlagen kam es auf der Londoner Konferenz im Jahre 1903 zur Aufnahme von Regelungen des Telefonverkehrs in den Aufgabenbereich der Telegraphen-Union. 1906 wurde dann die Radio-Telegraphische Union ins Leben gerufen, die zusammen mit der Telegraphen-Union ein gemeinsames Büro in Bern nutzte. Beide Organisationen wurden 1932 zur Internationalen Fernmeldeunion zusammengeschlossen, die heute als Internationale Telekommunikations-Union (ITU) in der Konstitution und Konvention vom 22. Dezember 1992 43 ihre Rechtsgrundlage findet. Eine ähnliche Entwicklung vollzog sich im Postwesen. Nach dem deutschösterreichischen Postvereinsvertrag vom 6. April 1850 wurde 1868 die Norddeutsche Bundespost gegründet. Auf Anregung des Leiters der Norddeutschen Bundespost und späteren Generalpostmeisters des Deutschen Reiches, Heinrich von Stephan (1831-1897), trat im Jahre 1874 in Bern ein internationaler Postkongreß zusammen. Als Ergebnis dieses Kongresses wurde am 9. Oktober 1874 der Vertrag zur Gründung des Allgemeinen Postvereins unterzeichnet. 44 Ebenso wie die I T U verfügte der Weltpostverein (heute: Universal Postal Union, UPU) von Beginn seiner Tätigkeit an über ein eigenständiges Sekretariat. Als Besonderheit seiner Struktur zeigte sich alsbald die Abweichung vom Einstimmigkeitsprinzip in einzelnen Sachfragen und die Einführung eines Änderungsver-

42 Ausführlich zur Geschichte Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union, 28 ff. m. w. N.; siehe auch kurz Knipping/von Mangoldt/Rittberger (Hrsg.), Das System der Vereinten Nationen, Bd. II, 149 m. w. N. 43 44

BGBl. 1996 II, 1308 ff.

RGBl. 1875, 223; zur Geschichte im Überblick Abraham, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3, 829.

B. Institutionalisierte Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

127

fahrens der vertraglichen Grundlagen im Umlaufwege, ohne Einberufung eines Kongresses, dessen Organisation in den Händen des Sekretariats lag. 45 Eine weitere Gründung einer internationalen Verwaltungsunion erfolgte am 20. Mai 1875 in Paris mit der Unterzeichnung der Internationalen Meterkonvention und der Einsetzung des Internationalen Gewichts- und Maßbüros (Bureau International des Poids et Mesures, BIPM) mit Sitz in Sèvres. 46 Das BIPM hatte die Aufgabe, die Referenztypen des metrischen Systems zu verwahren, die bei den Mitgliedstaaten befindlichen Urmaße anhand des internationalen Prototyps periodisch zu überprüfen und regelmäßige Vergleiche mit nicht-metrischen Gewichten und Maßen anzustellen.47 Wesentlich in der Geschichte der internationalen Verwaltungsunionen waren auch die Regelungen zum Schutze des geistigen Eigentums mit der Pariser (1883) 48 und Berner (1886) Konvention,49 deren zunächst getrennte Büros ab 1893 als „Vereinigte Büros" unter Aufsicht der Schweizer Eidgenossenschaft 50 und heute eigenständig in der WIPO 5 1 geführt wurden und werden. Aus dem Wirtschaftsverwaltungsrecht im weiteren Sinne ist weiterhin noch auf die am 5. Juli 1890 gegründete Internationale Union für die Veröffentlichung von Zolltarifen 52 hinzuweisen, die der Aufsicht des Belgischen Außenministeriums unterstand und die schlicht-administrative Aufgabe der Sammlung und Veröffentlichtung von Zolltarifen hatte. Eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Verwaltungsunionen nahm dann das Internationale Übereinkommen über die Technische Einheit im Eisenbahnwesen ein, dessen Geschäftsführung dem Schweizer Bundesrat oblag und dessen Einrichtungen als ständiges Sekretariat eingeordnet werden. 53 Es wurde am 14. Oktober 1890 durch das Internationale Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr als zwischenstaatliche Verkehrsorganisa45

Köck/Fischer, Grundzüge des Rechtes der Internationalen Organisationen, 91; zu Mitgliedschaft und Struktur der UPU siehe auch A. Weber, Geschichte der internationalen Wirtschaftsorganisationen, 27 f. m. w. N. 46

RGBl. 1876, 191 ff.

47

A. Weber, Geschichte der internationalen Wirtschaftsorganisationen, 29.

48

RGBl. 1903, 148.

49

RGBl. 1887, 493.

50

A. Weber, Geschichte der internationalen Wirtschaftsorganisationen, 29; Köck/ Fischer, Grundzüge des Rechtes der Internationalen Organisationen, 92. 51

Convention Establishing the World Intellectual Property Organization v. 14.7.1968, 828 UNTS No. 11846. Hierzu Stoll, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 2, 1431. 52

Siehe A. Weber, Geschichte der internationalen Wirtschaftsorganisationen, 30 f.

53

Köck/Fischer,

Grundzüge des Rechtes der Internationalen Organisationen, 90.

128

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tion ergänzt; die Befugnisse des Berner Zentralrates wurden später durch das Internationale Übereinkommen über den Eisenbahn-Personen- und Gepäckverkehr vom 23. Oktober 1924 erheblich erweitert. 54 Schließlich kam es auch auf wissenschaftlichem und landwirtschaftlichem Gebiet sowie im Bereich des Gesundheitsschutzes zur Gründung von institutionell verfestigten Verwaltungsunionen. A m 22. Juli 1902 wurde der Internationale Rat zur Erforschung der See ins Leben gerufen. Ebenfalls im Jahre 1902 kam es zur Verabschiedung der Brüsseler Zuckerkonvention 55 mit einer Ständigen Kommission, die durch Mehrheitsbeschluß eine Änderung nationalen Rechts bei Verstößen gegen die Konvention anordnen konnte. Diese aus heutiger Sicht supranationalen Befugnisse waren für die damalige Zeit außergewöhnlich. 56 Ebenfalls auf dem Agrarsektor tätig war das 1905 gegründete Internationale Landwirtschaftsinstitut, Vorläuferorganisation der heutigen FAO, dem das Deutsche Reich von Beginn an angehörte. 57 Entscheidungen im Landwirtschaftsinstitut konnten mit Zweidrittelmehrheit getroffen werden. 58 Weiterhin ist für den Gesundheitsschutz das 1909 gegründete Internationale Gesundheitsamt (Hygieneinstitut)59 zu nennen, das als Verwaltungsunion ebenfalls über eine ständige Kommission und ein ihr unterstelltes Sekretariat verfügte und Vorläuferorganisation der heutigen WHO ist. 60 Aus einer Gesamtbetrachtung der entwicklungsgeschichtlich bedeutsamen Gründungen internationaler Verwaltungsunionen im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, denen das Deutsche Reich angehörte, läßt sich zunächst empirisch ihre Bedeutung für die sozio-ökonomisch notwendige internationale Staatenkooperation 54 RGBl. 1892, 793; RGBl. 1928 II, 611; hierzu auch A. Weber, Geschichte der internationalen Wirtschaftsorganisationen, 31 f. m. w. N. 55

Internationales Abkommen von Brüssel über die Behandlung des Zuckers v. 5.3.1902, RGBl. 1903, 7. 56

A. Weber, Geschichte der internationalen Wirtschaftsorganisationen, 33; Köck/ Fischer, Grundzüge des Rechtes der Internationalen Organisationen, 92. 57 Abkommen über die Errichtung eines Internationalen Landwirtschaftlichen Instituts v. 7.6.1905, Zentralblatt für das Deutsche Reich 1908, Nr. 15, auch abgedruckt in: Knipping/von Mangoldt/Rittberger (Hrsg.), Das System der Vereinten Nationen, Bd. II, 267 ff.; siehe auch W. Weber, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrecht, Bd. 1, 435 ff. 58

Köck/Fischer,

Grundzüge des Rechtes der Internationalen Organisationen, 93.

59

Abkommen wegen Errichtung und Unterhaltung eines Internationalen Gesundheitsamts v. 9.12.1907, R.Min.Bl. 19301, 2, auch abgedruckt bei: Knipping/von Mangoldt/Rittberger (Hrsg.), Das System der Vereinten Nationen, Bd. II, 277 ff. 60 Hierzu Vie rheilig-Lang lotz, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 2, 1425 ff.

B. Institutionalisierte Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

129

ersehen. In den wichtigsten Bereichen gesellschaftlicher Aktivitäten mit grenzüberschreitendem Charakter kam es zur Gründung von Verwaltungsunionen, die der Harmonisierung oder Anerkennung nationalstaatlicher Regelungen dienten. Die sich im Laufe der Zeit immer mehr verfestigende Organisationsstruktur der Unionen war dabei weitgehend homogen: Als Hauptorgan, verantwortlich für die politischen Grundsatzentscheidungen, fungierte die Staatenkonferenz, die im technischen Bereich durch Fachdelegiertenkonferenzen mit zeitlich näher beieinander liegenden Sitzungsintervallen unterstützt wurde. Weiterhin gab es internationale Büros (Sekretariate) zur Erledigung der laufenden Verwaltungsarbeiten, deren Unabhängigkeit zum Teil durch ihre Lokalisation in neutralen Staaten (Schweiz, Belgien) gesichert wurde. 61 Inhaltlich dienten die Verwaltungsunionen dem Zweck, staatliche Insuffizienzen eigener Regelungsmacht durch die Formulierung eines gemeinsamen Interesses und darauf aufbauend eine internationale Kooperation zu beheben. Die Verwaltungsunionen wurden im zeitgenössischen Schrifttum so auch konsequent als Zweckverbände umschrieben, 62 wobei zunächst mehrheitlich eine etatistische Zwecksetzung zugrunde gelegt wurde. 63 Obwohl sich gerade bei Georg Jellinek Ansätze zu einer aus der internationalen Gemeinschaft heraus und damit nicht etatistisch inspirierten Zwecklehre mit Blick auf die Verwaltungsunionen finden, 64 war die Staats- und Völkerrechtslehre nicht bereit, hieraus die Konsequenz einer eigenständigen Zweckverortung innerhalb der Verwaltungsunion zu ziehen. Nicht die eigenständige Interessenartikulation durch die Verwaltungsunion, sondern nur die Kumulation der Interessen der ihr zugehörigen Staaten fand Anerkennung. Diese Lehre mußte natürlich zu Problemen führen, da die faktisch einheitliche Interessenartikulation durch ein jeweils geschaffenes Organ mit dem Paradigma einer fehlenden Eigenständigkeit unvereinbar war. Als Ausweg verfiel man auf die Erklärung, daß das Organ einer Verwaltungsunion kein „Organ einer höheren, über den einzelnen Staaten stehenden Gesamtpersönlichkeit" sei,65 sondern es sich um ein Organ der einzelnen Mitgliedstaaten handele. Dogmatisch sollte es also bei de facto einem vorhandenen Organ de iure so viele Organe wie staatliche Mitglieder der Union geben; die Anerkennung einer eigenen Völkerrechtssubjektivität 61

A. Weber, Geschichte der internationalen Wirtschaftsorganisationen, 34.

62

von Liszt, Völkerrecht, 11. Aufl., 138: „Die besonderen Zweckverbände der Staaten sind Vereinigungen einer größeren oder kleineren Staatengruppe zur gemeinsamen Verfolgung bestimmter gemeinsamer Zwecke. Sie werden daher auch als internationale Verwaltungsgemeinschaften bezeichnet". 63

Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 53.

64

G. Jellinek, Die Lehre von den Staaten Verbindungen, 107 ff.

65

Brie, Theorie der Staatenverbindungen (1896), 62.

130

I n t t i o n a l e Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

der Verwaltungsunionen war auf der Grundlage dieser Lehre ausgeschlossen.66 Erst mit der Veröffentlichung einer im Schnittpunkt von Politik- und Rechtswissenschaft anzusiedelnden, einflußreichen Schrift von Leonard S. Woolf für die Fabian-Society im Jahre 1916, in der dieser u. a. unter der Überschrift „The Internationalisation of Administration" das Konzept einer aus der Staatengesellschaft heraus zu entwickelnden, antietatistischen Zwecksetzung konsequent und tiefgehend verfolgte, 67 bahnte sich eine Wende an. Die Gründung des Völkerbundes beflügelte diese Entwicklung dann nachhaltig.

II. Die Zwischenkriegszeit und die Rolle des Völkerbundes Der Völkerbund hatte sich zwei miteinander verbundene, in der konkreten Umsetzung aber doch geschiedene Ziele gesetzt, die im Eingangssatz der Völkerbundsatzung prägnant umschrieben werden als „Förderung der Zusammenarbeit unter den Nationen" und „Gewährleistung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit". Während der Völkerbund das formulierte Ziel der Friedenssicherung weder von seinen normativen Vorgaben her - ein allgemeines Gewaltverbot war in der Satzung nicht verankert worden 68 - noch mit Blick auf die politischen Rahmenbedingungen seines Wirkens erfüllen konnte, 69 waren die von ihm entfalteten Verwaltungsaktivitäten zur Förderung der Zusammenarbeit der Staaten von beachtlicher, zukunftsweisender Wirkung. Satzungsrechtliche Grundlage für die Förderung der von Schiicking und Wehberg als „Arbeitsgemeinschaft der Völker" bezeichneten Verwaltungskooperation waren die Art. 23 ff. der Völkerbundsatzung. 70 Gleichsam äußere Rahmenbedingung für die zentrale Rolle des Völkerbundes in der internationalen Verwaltungszusammenarbeit ist die auch nach dem 1. Weltkrieg stetig zunehmende Anzahl von Gründungen internationaler Verwaltungsunionen: 1919 konstituierte sich die Union zur Gründung eines hydrographischen

66

Einzelheiten hierzu bei Faßbender, ÖZöRV 37 (1986), 17 (20) m. w. N.

67

Woolf, International Government, 113 ff. und passim; hierzu auch Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 53 f. m. w. N. 68 Die Völkerbundsatzung sah in ihren Artikeln 11 und 12 lediglich prozedurale Vorkehrung zur Verhinderung der zwischenstaatlichen Gewaltanwendung vor. 69

Zusammenfassend zum Scheitern des Völkerbundes auf dem Gebiet der internationalen Friedenssicherung Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 55 ff. m. w. N. 70

Schücking/Wehberg,

Die Satzung des Völkerbundes, 2. Aufl., 718 und 757.

B. Institutionalisierte Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

131

Büros, 7 1 1920 w i r d das Internationale Kälteinstitut gegründet, 7 2 1924 folgt das Internationale Tierseuchenamt, 7 3 ebenfalls 1924 w i r d das Internationale Weinamt geschaffen. 74 Darüber hinaus kommt es später noch zur Gründung des Welthilfsverbandes (1927) 7 5 und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (1930). 7 6 Eine besondere Stellung i m Völkerbund nahm schließlich die auf eine lange Vorgeschichte i m 19. Jahrhundert zurückgehende Internationale Arbeitsorganisation ( I L O ) ein, die durch T e i l X I I I (Art. 3 8 7 ^ 2 7 ) des Vertrages von Versailles 7 7 gegründet wurde. Durch diese Verwaltungsunionen 7 8 intensivierte sich die verwaltungstechnische Zusammenarbeit der Staaten über die Praxis vor dem 1. Weltkrieg hinausgehend nochmals und erfaßte nunmehr auch den wissenschaftlich-technischen Bereich. D i e gesamte Entwicklung führte dazu, daß man sich nunmehr auch nicht der genaueren dogmatischen Erfassung der zunehmend als „internationale Organisationen" bezeichneten Rechtsgebilde 7 9 entziehen konnte. Während i m 19. Jahrhundert ausgehend von dem Dogma der alleinigen Rechtssubjektivität des Staates 71 Die Satzung des Internationalen Hydrographischen Büros trat am 21. Juni 1921 in Kraft, abgedruckt bei: Knipping/von Mangoldt/Rittberger (Hrsg.), Das System der Vereinten Nationen, Bd. II, 957 ff. 72

Internationale Übereinkunft zur Schaffung eines Internationalen Kälteinstituts v. 21.6.1920, abgedruckt bei: Knipping/von Mangoldt/Rittberger (Hrsg.), Das System der Vereinten Nationen, Bd. II, 1481 ff. Das Deutsche Reich war nicht Mitglied des Kälteinstituts. 73

Internationales Übereinkommen für die Schaffung eines Internationalen Tierseuchenamts v. 25.1.1924, RGBl. 1928 II, 318; auch abgedruckt bei: Knipping/von Mangoldt/ Rittberger (Hrsg.), Das System der Vereinten Nationen, Bd. II, 1495 ff. 74

Abkommen über die Errichtung eines Internationalen Weinamtes v. 29.11.1924, BGBl. 1969 II, 2179, auch abgedruckt bei: Knipping/von Mangoldt/Rittberger (Hrsg.), Das System der Vereinten Nationen, Bd. II, 1511 ff. 75 Abkommen über die Gründung eines Welthilfsverbandes v. 12.7.1927, RGBl. 1929 II, 531, auch abgedruckt bei: Knipping/von Mangoldt/Rittberger (Hrsg.), Das System der Vereinten Nationen, Bd. II, 1521 ff. 76

Abkommen über die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich v. 20.1.1930, RGBl. 1930 II, 289, auch abgedruckt bei: Knipping/von Mangoldt/Rittberger (Hrsg.), Das System der Vereinten Nationen, Bd. II, 1545 ff. 77 RGBl. 1919, 1268 ff.; auch abgedruckt bei: Knipping/von Mangoldt/Rittberger (Hrsg.), Das System der Vereinten Nationen, Bd. II, 1450 ff.; zur Geschichte im Überblick A. Weber, Geschichte der internationalen Wirtschaftsorganisationen, 38 f.; Gamillscheg, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 2, 38 f. 78

Zur Geschichte siehe auch A. Weber, Geschichte der internationalen Wirtschaftsorganisationen, 47 f.; Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl., 598 f.; Köck/Fischer, Grundzüge des Rechtes der Internationalen Organisationen, 93. 79

Zur Genese des Begriffes siehe Potter, AJIL 39 (1945), 803 ff.

I n t t i o n a l e Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

im internationalen System den Verwaltungsunionen die Qualität als Völkerrechtssubjekte kategorisch abgesprochen wurde, 80 setzten mit der Gründung des Völkerbundes neue dogmatische Entwicklungen ein. Zunächst wurde versucht, das Handeln der Organe der Organisationen damit zu erklären, daß es sich um „gemeinsame Organe" der Mitgliedstaaten handele.81 Während mit dieser Konstruktion noch keine Völkerrechtssubjektivität der Organisationen begründet werden konnte, bot die Anwendung der Lehre von den Staaten Verbindungen hierfür schon mehr Ansätze. Dem Völkerbund selbst wurde dementsprechend von zahlreichen Autoren die Qualität eines Staatenbundes und folglich als Völkerrechtssubjekt zugesprochen, wenngleich strittig war, ob diese umfassend oder nur abgeleitetbeschränkt ausgestaltet war. 82 Damit war der Weg eröffnet, internationale Organisationen insgesamt als derivativ-partikulare Völkerrechtsubjekte anzuerkennen, wie es aufbauend auf den grundlegenden Ausführungen des IGH in seinem Gutachten zu Reparation for Injuries

suffered

in the Service of the United

Nations 83

84

heute der ganz herrschenden Meinung entspricht. Der ursprünglich die unbedingt staatsabhängige und einen unselbständigen Charakter zum Ausdruck bringende Begriff „Verwaltungsunion" verlor so seine materielle Bedeutung. Mit der Anerkennung der Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen und damit ihrer Rechtsmacht zu eigenverantwortlichem Handeln wurde die Vorstellung einer rein abhängigen Verwaltungstätigkeit der Organisationen aufgegeben; wenn heute von „Verwaltungsunionen" gesprochen wird, so ist hiermit nur noch die funktionale, technisch-administrative Ausrichtung der entsprechenden internationalen Organisationen gemeint.85 Sowohl konkret auf die Tätigkeit der Organe des Völkerbundes bezogen, als auch mit Blick auf die Koordination der Arbeit internationaler Verwaltungsunionen, hielt die Völkerbundsatzung insbesondere in ihren Art. 23 und 24 Vorschriften vor, die sich auf die technisch-administrative Aufgabenverwirklichung im internationalen System bezogen. In Art. 23 Völkerbundsatzung war vorgesehen, 80

Ein bedeutende Ausnahme stellt die bereits 1885 von P. Fiore vertretene Ansicht dar, daß die Verwaltungsunionen selbst Völkerrechtssubjekte seinen könnten, wenn ihnen dieser Rechtsstatus zuerkannt werde. Hierzu und zu entsprechenden Nachweisen Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/2, § 106 II.3. 81

Ausführlich zur Entwicklung Faßbender, ÖZöRV 37 (1986), 17 ff.

82

Siehe z. B. Schücking/Wehberg, Die Satzung des Völkerbundes, Bd. 1,85 ff.; zur Entwicklung Faßbender, ÖZöRV 37 (1986), 17 (20 ff.) mit umfangr. Nachw. 83

I C J Reports 1949, 175.

84

Statt vieler Seidl-Hohenveldem/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rdnr. 0303 ff.; Schermers/Blokker, International Institutional Law, §§ 1562 ff. 85

Wolfrum,

in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL Vol. 2, 1041.

B. Institutionalisierte Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

133

daß die Mitgliedstaaten vorbehaltlich bereits bestehender internationaler Abkommen im Rahmen des Völkerbundes ihre Zusammenarbeit auf folgenden Gebieten intensivieren bzw. den Völkerbund mit der Aufgabenwahrnehmung betrauen: Arbeitsbedingungen für Männer, Frauen und Kinder; gerechte Behandlung der „eingeborenen Bevölkerung"; Mädchen- und Kinderhandel sowie Handel mit Opium und anderen schädlichen Mitteln; Überwachung des Waffen- und Munitionshandels; Freiheit des Verkehrs und „gerechte Regelung des Handels"; Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten. Diese Vorschrift ergänzend verfolgte Art. 24 Völkerbundsatzung das Ziel, bereits bestehende Verwaltungsunionen („all international bureaux already established by general treaties") mit Einverständnis der jeweiligen Vertragsstaaten dem Völkerbund zu unterstellen. Damit war durch die Völkerbundsatzung in der Anlage ein zwar rechtlich vages, der ratio nach aber umfassendes Mandat des Völkerbundes geschaffen worden, die technisch-administrative Zusammenarbeit der Staaten zu fördern. Die dieser Konzeption zugrundeliegende Zielsetzung fußte auf der insbesondere durch die bereits erwähnte Schrift von Woolf in der Kriegszeit schnell Verbreitung findende Einsicht, daß internationale Stabilität mit dem Ziel nachhaltiger Friedenssicherung nur durch eine Staatenkooperation gesichert werden könne, die über die Verhinderung zwischenstaatlicher Gewaltanwendung hinausgehe. Damit war die Idee funktionaler Kooperation als internationales Organisationsund Ordnungsprinzip geboren. 86 Während Art. 24 Völkerbundsatzung in der Praxis keine entscheidende Rolle spielte, da nur wenige bestehende Verwaltungsunionen dem Völkerbund unterstellt werden konnten,87 entfaltete sich unter Art. 23 eine weit über das normativ angelegte Konzept hinausgehende Dynamik der Aktivitäten in technisch-administrativen Angelegenheiten. Unzählige Büros, Kommissionen, Organisationen, Ämter und Ausschüsse entstanden, die die unterschiedlichsten Aufgaben in Anlehnung an die Vorgaben des Art. 23 Völkerbundsatzung wahrnahmen. 88 Wesentliche Tätigkeitsfelder waren dabei (1.) wirtschaftliche und soziale Fragen sowie hiermit zusammenhängende Verkehrs- und Kommunikationsangelegenheiten, (2.) Bildungsfragen im weiten Sinne, (3.) soziale Probleme und (4.) der Gesundheitsschutz. Die Handlungsformen der einzelnen Einrichtungen des Völkerbundes in diesen Tätigkeitsfeldern lassen sich zusammenfassend umschreiben als Aktivi-

86

Ghébali, in: Groom/Taylor (Hrsg.), Functionalism, 141 f.; zum Funktionalismus siehe noch infra Teil 3, A. III. 87

Zu den politischen Gründen siehe Ghébali, in: Groom/Taylor (Hrsg.), Functionalism, 141 (143 f.); Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 67 f. 88

Übersichten hierzu bei Göppert, Der Völkerbund, 626 ff.

I n t t i o n a l e Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

täten zur Vorbereitung internationaler Abkommen, technische Hilfe, Beratung politischer Organe des Völkerbundes, Kontrolle internationaler Übereinkünfte, Informationssammlung und -Veröffentlichung sowie Streitschlichtung. 89 Der Erfolg des sich so in den 1920er Jahren immer mehr ausweitenden Netzes institutionalisierter funktionaler Kooperation läßt sich nicht zuletzt daran ablesen, daß die USA in nahezu allen technischen Arbeitseinheiten des Völkerbundes auf einer Ad-hoc-Basis aktiv partizipierten, ohne dem Völkerbund selbst jemals beigetreten 90

zu sein. Die Ausdifferenzierung und institutionell nahezu unüberschaubare Tätigkeitsvielfalt führte allerdings auch zu Kritik im Völkerbund 9 1 und machte die Notwendigkeit deutlich, das bestehende System zu überdenken. Begünstigt wurden die Reformüberlegungen dabei von dem sich Ende der 1920er Jahre abzeichnenden Scheitern des Völkerbundes hinsichtlich der internationalen Friedenssicherung. U m eine gleichsam letzte Rettung des Bundes zu ermöglichen, wurde eine Reformkommission eingesetzt, deren Ergebnisse am 22. August 1939 im sogenannten Bruce-Bericht vorgelegt wurden. 92 Der als eines der wichtigsten Dokumente in der Geschichte internationaler Organisationen bezeichnete Bruce-Bericht 93 wendet sich im Kern gegen die sachliche und terminologische Trennung von technischen und politischen Aufgaben. Stattdessen wird von wirtschaftlichen und sozialen Fragen gesprochen und die Bedeutung der internationalen Kooperation in diesen Angelegenheiten betont. Auch wenn der BruceBericht aufgrund der politisch-militärischen Ereignisse ab dem 1. September 1939 keine umfassende Umsetzung i m Völkerbund erfahren konnte, war durch ihn erstmals in aller Deutlichkeit das Konzept „internationaler Organisation"

89

Ghébali, in: Groom/Taylor (Hrsg.), Functionalism, 141 (147 ff.); Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 66 f.; siehe auch die zahlreichen Dokumente des Völkerbundes zu Fachausschüssen, wirtschaftlichen, sozialen, humanitären Fragen sowie zur geistigen Zusammenarbeit abgedruckt bei: Knipping/von Mangoldt/Rittberger (Hrsg.), Das System der Vereinten Nationen, Bd. II, 629-941. 90

Ghébali , in: Groom/Taylor (Hrsg.), Functionalism, 141 (154).

91

Siehe hierzu die ausgesprochen kritischen Stellungnahmen des britischen und französischen Vertreters während der Völkerbundversammlung 1926, wiedergegeben bei: Göppert, Der Völkerbund, 624. 92

Le développement de la collaboration internationale dans le domaine économique et social, League of Nations Document A 23, 1939; auszugsweise abgedruckt bei: Knipping/ von Mangoldt/Rittberger (Hrsg.), Das System der Vereinten Nationen, Bd. II, 723 ff.; hierzu Schiffer, The Legal Community of Mankind, 251 ff.; Ghébali, in: Groom/Taylor (Hrsg.), Functionalism, 141 (154 ff.); Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 72 ff. m. w. N. 93

So Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 72.

B. Institutionalisierte Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

135

artikuliert. Es zeichnet sich durch die als Interdependenz zu verstehende Verbindung politischer und technischer Zusammenarbeit in einem einheitlichen Kooperationsgedanken aus,94 wie er im deutschen Sprachraum bereits Schücking in seiner 1909 erschienenen Schrift über „Die Organisation der Welt" in Ansätzen vorschwebte. Die Rolle der Verwaltung in diesem einheitlichen Kooperationskonzept der „internationalen Organisation" wird sehr prägnant in dem Memorandum umschrieben, das der damalige Generalsekretär des Völkerbundes, Avenol, an die Z?r«ce-Kommission übermittelte und das dieser als Arbeitsgrundlage diente. Hier heißt es mit Blick auf die funktionale internationale Zusammenarbeit, daß „all States who desire to collaborate in this work, whether Members of the League or not, should feel that they can do so without having to take into consideration any possible repercussions of a political character. They should feel that they have at their disposal a machinery which is a part of their normal administrative action to use at every point where the national administration finds the need of consultation on the international aspect of any question which it may be considering; just as one Department within a national administration consults another when any problem presents aspects which fall outside its own special sphere of knowledge." 95

Obwohl damit die internationale Verwaltungskooperation als zentrales Element funktionaler Zusammenarbeit im Rahmen „internationaler Organisation" ausgemacht war, sollte - wie bereits ausgeführt - eine vertiefende Auseinandersetzung mit den hiermit zusammenhängenden Problemen kein Thema der Staatswissenschaften werden. 96 Politik-, Staats- und Völkerrechtslehre nahmen die Erfahrungen mit der funktionalen Tätigkeit des Völkerbundes und die inhaltlichen Anregungen des Bruce-Berichts vielmehr nur zum Anlaß, das Konzept „internationaler Organisation" autonom und in Beziehung zur Rolle des Nationalstaates zu analysieren. Die Gründung der Vereinten Nationen und die in ihrer Satzung enthaltenen umfangreichen Regelungen zur funktionalen Tätigkeit der Organisation sowie die sich insgesamt intensivierende internationale Staatenkooperation nach dem 2. Weltkrieg boten hierfür eindrucksvolles Anschauungsmaterial.

94

Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 75 f. m. w. N.

95

League of Nations Document C.D.C.I 1, 8, zitiert nach: Ghébali, in: Groom/Taylor (Hrsg.), Functionalism, 141 (156). 96

Supra Teil 1,F.

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136

III. Das Konzept funktionaler Dezentralisation und Dekonzentration im UN-System Mit der Gründung der Vereinten Nationen (UNO) sollte die institutionalisierte Zusammenarbeit der Staaten eine Ausrichtung erfahren, die sich zwar an die Erfahrungen des Völkerbundes anlehnte, aber inhaltlich doch eine neue, im technischen Bereich maßgeblich die Vorschläge des Bruce-Berichtes aufnehmende Qualität aufwies. Neben der zentralen Rolle der UNO im Prozeß der institutionalisierten Staatenkooperation wurden zudem noch zahlreiche weitere internationale Organisationen nach dem 2. Weltkrieg gegründet. 97 Heute existieren 251 klassische internationale Regierungsorganisationen. Daneben wird die Anzahl sonstiger öffentlicher institutionalisierter internationaler Zusammenschlüsse, die nicht die formellen Voraussetzungen einer internationalen Organisation im völkerrechtlichen Sinne erfüllen, 98 mit 6415 angegeben.99 Die Bundesrepublik Deutschland ist Mitglied in 83 universellen und regionalen Organisationen völkerrechtlichen Charakters. Insgesamt ist die Bundesrepublik in der einen oder anderen Form an 521 institutionalisierten regionalen und internationalen staatlichen Kooperationsforen beteiligt. 100 Schon vor dem Hintergrund dieser Zahlen wird klar, daß eine umfassende Darstellung der institutionalisierten Staatenkooperation, wie sie die Bundesrepublik betrifft, den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. I m folgenden sollen daher nur die mit dem Konzept funktionaler Dezentralisation und Dekonzentration zu umschreibenden normativen Grundzüge des gegenwärtigen globalen Netzes internationaler Organisation nachgezeichnet werden, um so eine hinreichende Grundlage für eine weitergehende theoretische Erfassung des Konzeptes internationaler Organisation insgesamt zu erlangen. Dabei soll es allerdings nicht nur um technisch-administrative Aspekte im Sinne des Verwaltungshandelns gehen. Das Erkenntnisinteresse der nachfolgenden Erörterungen liegt vielmehr darin, das übergreifende Konzept der institutionalisierten internationalen Aufgabenwahrnehmung zu ergründen. Hierauf aufbauend kann dann in den späteren Untersuchungsab-

97

Zur statistischen Entwicklung siehe Anhang, I.

98

Zur Definition einer internationalen Organisation, der Völkerrechtsubjektivität zukommt, statt vieler Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rdnr. 105. 99

Zahlen verfügbar in: Yearbook of International Organizations 36 (1999/2000), Vol. 3, 1637; zu weiteren Einzelheiten und einer Bewertung siehe ausführlich Wessels, Die Öffnung des Staates, 154 ff. 100

Zahlen nach: Yearbook of International Organizations 36 (1999/2000), Vol. 2,1491.

B. Institutionalisierte Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

137

schnitten weiter analysiert werden, welche Rolle der öffentlichen Verwaltung in diesem System zukommt. Die Charta der Vereinten Nationen geht in Anlehnung an die Satzung des Völkerbundes von einer als Wechselwirkungsverhältnis ausgestalteten Beziehung zwischen Friedenssicherung und internationaler Kooperation u. a. auf wirtschaftlichem, sozialem, kulturellem und humanitärem Gebiet aus. 101 Schon die als Gründungsmanifest der späteren UNO einzustufende „Atlantik-Charta" 102 betonte diese Zielsetzung durch Verweis sowohl auf die internationale Friedenssicherung als auch auf den Wunsch, „die vollste Zusammenarbeit aller Nationen auf wirtschaftlichem Gebiet herzustellen mit dem Ziel, für alle verbesserte Arbeitsbedingungen, wirtschaftlichen Fortschritt und soziale Sicherheit zu gewährleisten" (Prinzip fünf und sechs der Atlantik-Charta). In der Präambel und Art. 1 Ziff. 1 und 3 UNCharta wurde das Konzept umfassender internationaler Kooperation dann als normative Zielvorgabe der Tätigkeit der Vereinten Nationen festgeschrieben. Seine konkrete Ausgestaltung findet es neben den auf die Friedenssicherung ausgelegten Bestimmungen insbesondere in Kapitel IX (Internationale Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet) und Kapitel X (Wirtschafts- und Sozialrat) der UN-Charta. Zunächst unabhängig von der Frage nach dem konkreten Verpflichtungsgrad der Regelungen der UN-Charta zur internationalen Kooperation, 103 zeigen die normativen Vorgaben der Präambel und der als „Ziele und Grundsätze" überschriebenen Artikel 1 und 2 UN-Charta zumindest auf, daß die Vereinten Nationen mit Blick auf die technische Zusammenarbeit der Staaten bewußt als Organi101 Wolfrum, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 55(a) and (b) Rdnr. 10, spricht von einer „dialectic relationship"; siehe hierzu auch den UNDP-Bericht über die menschliche Entwicklung von 1994: „Die Gründer der Vereinten Nationen hatten der Sicherheit von Menschen immer die gleiche Bedeutung eingeräumt wie der territorialen Sicherheit. Schon im Juni 1945 berichtete der amerikanische Außenminister seiner Regierung über die Ergebnisse der Konferenz von San Fransisco: ,Der Kampf um den Frieden muß an zwei Fronten gekämpft werden. Die erste ist die Sicherheitsfront, bei der ein Sieg Freiheit von Furcht bedeutet. Die zweite ist die wirtschaftliche und soziale Front, an der ein Sieg Freiheit von Not bedeutet. Erst ein Sieg an beiden Fronten kann der Welt einen dauerhaften Frieden bescheren ... Keine Bestimmung, die in die Charta aufgenommen wird, kann den Sicherheitsrat in die Lage versetzen, die Welt vor Krieg zu schützen, wenn Männer und Frauen sich am Arbeitsplatz und zu Hause nicht sicher fühlen können" 4 , UNDP, Bericht über menschliche Entwicklung 1994, 3; siehe auch Hüfner/Spröte, in: Hüfner (Hrsg.), Die Reform der Vereinten Nationen, 99 (109 f.). 102

Gemeinsame Erklärung des Präsidenten der Vereinigten Staaten und des Premierministers des Vereinigten Königreiches v. 14.8.1941, abgedruckt bei: Knipping/von Mangoldt/Rittberger (Hrsg.), Das System der Vereinten Nationen, Bd. 1/1, 3 ff. 103

Hierzu noch infra Teil 4, B. III. 1. c) bb) und cc).

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I n t t i o n a l e Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

sation konzipiert wurden, deren Funktion über die eines „Zweckverbandes" hinausgeht. In den Eingangsregelungen der UN-Charta ist insofern nach heute anerkannter Auffassung der Verweis auf die normativen Wertgrundlagen der Völkerrechtsordnung in ihrer umfassendsten Institutionalisierung durch die UNO zu sehen.104 Dies unterscheidet die UNO bereits von ihrer rechtlichen Grundlage her von der zum Teil vertretenen Einordnung der Verwaltungsunionen des 19. Jahrhunderts als uneigenständige, ausschließlich an funktionalen Gesichtspunkten ausgerichtete Hilfsorgane der Staaten. Die Bedeutung funktional ausgerichteter Zusammenarbeit der Staaten erfährt damit als empirischer Tatbestand eine rechtsnormative Dimension in der UN-Charta, die ihre über eine etatistische Hilfsfunktion hinausgehende konzeptionelle Rolle verdeutlicht. Funktionale Zusammenarbeit dient nach der in ihrem Wirkungsgrad organisatorisch und materiell als Ordnungsvertrag mit universeller Wirkkraft ausgestatteten UN-Charta 105 also der Verwirklichung des normativen Konzeptes internationaler Organisation, das als „die Imperative des Friedens und der Völkerrechtsordnung darstellend] und zugleich Realisierungsmöglichkeiten anbieten[d]" umschrieben werden kann. 106 Dies hat Auswirkungen auf die theoretische Einordnung der institutionalisierten Kooperation der Staaten, auf die zurückzukommen ist. Seine konkrete Ausgestaltung erfährt der Kooperationsgedanke insbesondere in den einzelnen Vorschriften der Kapitel IX und X UN-Charta. In Art. 55 lit. a) bis c) UN-Charta wird ein umfassendes Arbeitsfeld internationaler Zusammenarbeit für die folgenden Sachbereiche festgelegt: Verbesserung des Lebensstandards; Vollbeschäftigung; Förderung der Voraussetzungen für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt und Aufstieg; Lösung internationaler Probleme wirtschaftlicher, sozialer, gesundheitlicher und verwandter Art; internationale Zusammenarbeit auf den Gebieten Kultur und Erziehung; diskriminierungsfreie Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Die normative Bedeutung dieser in der Form unbestimmter Rechtsbegriffe gefaßten Zielvorgaben ergibt sich, wenn die auf sie bezogenen organisationsrechtlichen Verwirklichungskompetenzen nach der UN-Charta betrachtet werden. Nach Art. 60 UN-Charta stehen der Generalversammlung die Kompetenzen zur Wahrnehmung der in Art. 55 UN-Charta genannten Aufgaben sowie zu ihrer Umsetzung notwendigen Maßnahmen nach den Art. 57 bis 59 UN-Charta zu. Damit ergibt sich für

104

Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 90; Randelzhofer, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 2, 994 (995). 105

Zur UN-Charta als „Verfassung" der internationalen Gemeinschaft siehe ausführlich Simma, RdC 250 (1994), 221 (258 ff.) m. w. N. 106

Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 332.

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die Generalversammlung die Möglichkeit, mit einfacher Mehrheit (Art. 18 Abs. 1 UN-Charta) 107 Beschlüsse zur Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet zu fassen (vgl. auch Art. 13 lit. b) UN-Charta). Im Gegensatz zum Sicherheitsrat, der bei Beschlüssen zu seiner „Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" auf eine Zustimmung von neun der 15 Mitglieder, einschließlich der ständigen Mitglieder, angewiesen ist (Art. 27 Abs. 3 UN-Charta), sind Entscheidungen u. a. zur Zusammenarbeit auf den Gebieten der Wirtschaft, des Sozialwesens, der Kultur, der Erziehung und der Gesundheit damit im UN-System einfacher zu erlangen. Hält man sich insoweit die gleichberechtigte Bedeutung von Friedenssicherung und Zusammenarbeit der Staaten vor Augen, die sich in ihrem in Art. 1 UN-Charta niedergelegten Wechselwirkungsverhältnis normativ verankert findet, zeigt sich eine interessante Konzeption: Während die Friedenssicherung dem „oligarchischen" Sicherheitsrat zufällt, nimmt sich die „egalitäre" Generalversammlung der Förderung der Zusammenarbeit der Staaten an. Die Generalversammlung kann sich dabei zwar nicht auf die dem Sicherheitsrat zustehende Befugnis zum Erlaß rechtsverbindlicher Beschlüsse (vgl. Art. 25 UN-Charta) berufen - ihre Entschließungen werden normativ nur als Empfehlungen angesehen (Art. 10 UN-Charta). 108 Trotzdem zeigt die der Generalversammlung nach Kapitel IX UN-Charta i. V. m. Art. 22 und Art. 17 UN-Charta zustehende Kompetenz zur Einrichtung von Institutionen zur Erfüllung der Zusammenarbeitsaufgaben, verbunden mit den hiermit zusammenhängenden haushaltsrechtlichen Fragen, 109 eine beachtliche Machtfülle, deren intensive tatsächliche Inanspruchnahme ein Surrogat für das Fehlen legislativer Befugnisse ist. 110 Die Aktivitäten der Generalversammlung nach Art. 55 ff. UN-Charta erstreckten und erstrecken sich auf nahezu alle Sachbereiche von gesellschaftlicher Relevanz. Als Handlungsformen können hierbei die Einrichtung neuer Institutionen, Empfehlung an Staaten und internationale Organisationen, Ausarbeitung neuer 107

Nach Art. 18 Abs. 2 UN-Charta bedürfen Entscheidungen über „wichtige Fragen", von denen einige beispielhaft aufgeführt sind, einer Zweidrittelmehrheit. Im hier interessierenden Zusammenhang ist diese Verfahrens Vorschrift aber in der Regel nicht relevant. 108 Zu einer vertiefenden Diskussion über die rechtliche Einordnung von Entschließungen internationaler Organisationen siehe noch infra Teil 5, A. I. 4. 109

Wolfrum, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 55 (a) and (b) Rdnr. 9; Tomuschat, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 1, 548 (549 f.). 110 Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 112; zur vor diesem Hintergrund im Laufe der Zeit immer stärker werdenden Bedeutung der Generalversammlung auch Scheuner, in: Kewenig (Hrsg.), Die Vereinten Nationen im Wandel, 189 (191 ff.).

140

I n t t i o n a l e Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

Prinzipien und Programme sowie verschiedene direkte Aktionen genannt werden, 111 wobei allen Handlungsformen mit Außenwirkung - im Unterschied zum internen Organisationsrecht - eine unmittelbare Rechtsqualität nicht zukommt. 112 Materiell beziehen sich die relevanten Aktivitäten der Generalversammlung auf so unterschiedliche Bereiche wie Seismologie, Verstädterung, Entwicklung der Erdölindustrie in Entwicklungsländern, Städtepartnerschaften, Nutzung der Meeresressourcen, menschliche Umwelt, Förderung des Tourismus, Entwicklung der Meeresforschung und friedliche Nutzung der Kernenergie. 113 Im einzelnen nehmen dabei neben den entwicklungs- und wirtschaftspolitischen Programmen, die sich komplementär zur allgemeinen Entwicklungspolitik mit Aspekten der Erhöhung des Lebensstandards, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der angemessenen Ernährung, des öffentlichen Finanzwesens und des Statistikwesens befassen, zahlreiche Aktivitäten der Generalversammlung zur sozialen Entwicklung eine bedeutende Rolle ein. Hierzu gehören die Fortbildung von Verwaltungspersonal, die Verbesserung der Situation von Kindern und Behinderten, die Bekämpfung des Frauen- und allgemein des Menschenhandels, die Harmonisierung von Todeserklärungen, die Verbrechensbekämpfung, das Bevölkerungswesen, Migrationsprobleme, die Wohnungswirtschaft, der Umwelt- und Katastrophenschutz, die Drogenkontrolle und die allgemeine Gesundheitspolitik.114 Betrachtet man diese Praxis der Generalversammlung und des ihr unterstehenden ECOSOC (vgl. Art. 60 UN-Charta), die sich inhaltlich immer an Art. 1 Ziff. 3 und Art. 55 UN-Charta ausrichtet, so läßt sich sagen, daß der als Kompetenzschranke konzipierte Art. 2 Abs. 7 UN-Charta, der ein Eingreifen der Organisation in die inneren Angelegenheiten der Staaten untersagt, im Bereich der von Art. 55 ff. UN-Charta erfaßten Sachbereiche kaum noch Bedeutung hat. Durch die von der Staatenmehrheit unterstützte Beschäftigung der Generalversammlung mit einer Vielzahl von gesellschaftlichen Themen, einschließlich der Menschenrechte, hat sich der Normgehalt der domaine réservé heute dahingehend entwickelt, daß 111

Wolfrum, Rdnr. 9.

in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 55 (a) and (b)

112

Zum Unterschied zwischen unverbindlichem Außenhandeln und verbindlichem Organisationsrecht bei internationalen Organisationen statt vieler Schermers/Blokker, International Institutional Law, §§ 1196 ff. 113

Wolfrum, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 55 (a) and (b) Rdnr. 12. 114 Umfassend hierzu Wolfrum, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 55 (a) und (b) Rdnr. 17-51 m. w. N.; einen umfassenden Überblick zu den zahlreichen Aktivitäten der Vereinten Nationen und hier maßgeblich der Generalversammlung sowie der ihr unterstehenden Gremien bieten die Beiträge in Schachter/Joyner (Hrsg.), United Nations Legal Order, Vol. 1 und 2.

B. Institutionalisierte Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

141

- wenn überhaupt - nur noch ein Kernbestand politischer Selbstbestimmung eines Staates erfaßt wird, einzelne Sachfragen der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung und Kooperation hiervon aber nicht mehr betroffen sind. 115 Neben der Generalversammlung, deren institutionelle Struktur noch näher zu behandeln ist, hat der ECOSOC im Institutionengefüge der UNO eine herausragende, in dem ihm gewidmetem Kapitel X UN-Charta deutlich dokumentierte Position inne. Er wurde als unmittelbare Reaktion auf den Bruce-Bericht des Völkerbundes geschaffen. Seine Hauptfunktionen bestehen darin, „über internationale Angelegenheiten auf den Gebieten der Wirtschaft, des Sozialwesens, der Kultur, der Erziehung, der Gesundheit und auf verwandten Gebieten" Untersuchungen durchzuführen oder zu bewirken sowie Berichte abzufassen oder zu veranlassen (Art. 62 Abs. 1 UN-Charta). Daneben steht dem heute aus 54 Mitgliedern bestehendem ECOSOC (Art. 61 Abs. 1 UN-Charta) das Recht zur Abgabe von Empfehlungen im Bereich des Menschenrechtsschutzes zu, er kann internationale Übereinkommen zur Vorlage an die Generalversammlung entwerfen und in den ihm zustehenden Sachbereichen internationale Konferenzen einberufen (Art. 62 Abs. 2 bis 4 UN-Charta). Ergänzt werden diese materiellen Befugnisse des ECOSOC durch das ihm zugewiesene Recht zur Einrichtung von Kommissionen (Art. 68 UN-Charta). Der ECOSOC hat die sich so umfassend ergebenden formellen und materiellen Kompetenzen intensiv genutzt und neun funktionale Kommissionen, fünf regionale Kommissionen, drei standing committees und sieben Expertengruppen eingerichtet. Neben der für das UN-System wichtigen Arbeit im Bereich des Menschenrechtsschutzes befassen sich die verschiedenen Gremien des ECOSOC mit technischen Aspekten wie Drogenproblemen, Bevölkerungswesen, Statistik, BauplanungsWirtschaft, Zusammenarbeit in Steuerfragen, Transport gefährlicher Güter, neue und regenerierbare Energien sowie geographische Herkunftsnamen. 116 Ebenso wie der ECOSOC hat auch die Generalversammlung ein umfangreiches System unterschiedlichster, von ihr eingerichteter Gremien entwickelt. Neben den sechs Ausschüssen der Generalversammlung (1. Abrüstung und internationale 115

Ähnlich Tomuschat, in: Makarczyk (Hrsg.), FS Skubiszewski, 563 (580), mit dem überzeugenden Hinweis, daß mit dieser Feststellung nur das Verhältnis von internationaler Organisation und Mitgliedstaat, nicht jedoch das zwischenstaatliche Interventionsverbot betroffen ist. 116

Eine Übersicht zu den einzelnen Gremien des ECOSOC findet sich im Yearbook of the United Nations 50 (1996), 1469 ff.; New Zealand Ministry of Foreign Affairs and Trade (Hrsg.), United Nations Handbook 1998, 82 ff.; weitere Einzelheiten zum ECOSOC bei Lagoni, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 1, 461 ff. m. w. N.

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Sicherheit; 2. Wirtschaft und Finanzfragen; 3. Soziale, humanitäre und kulturelle Fragen; 4. Besondere politische Fragen und Entkolonisierung; 5. Verwaltungsund Budgetfragen; 6. Rechtsfragen), 117 die der Vorbereitung und Begleitung der Arbeit der Generalversammlung dienen, existieren zwei Verfahrensausschüsse (Allgemeiner Ausschuß und Vollmachtsausschuß) und zwei Verwaltungsausschüsse (Beratender Ausschuß für Verwaltungs- und Haushaltsfragen [ACABQ] und Beitragsausschuß). Daneben hat die Generalversammlung 18 subsidiäre und Ad-hoc-Gruppen, vier Reformarbeitsgruppen, zwei beratende Gremien und neun Expertengruppen eingerichtet (Stand: 1998). Die verschiedenen Gremien befassen sich mit den unterschiedlichsten, die Arbeit der Generalversammlung betreffenden Sachfragen, wie Verwaltungs- und Finanzstruktur und Reform der UNO, Abrüstung, Weltraumnutzung, friedenserhaltende Maßnahmen, Auswirkungen radioaktiver Strahlung, Weiterentwicklung des Völkerrechts (ILC), Förderung der Verbreitung des Völkerrechts in Lehre und Forschung, internationales Dienstrecht sowie internationales Handelsrecht (UNCITRAL). 1 1 8 Weiterhin sind innerhalb des UN-Systems eine Reihe von Organen und Programmen zu nennen, die über den ECOSOC der Generalversammlung berichten. Hierzu gehören Fachorgane wie der Hohe Flüchtlingskommissar (UNHCR), das Kinderhilfswerk (UNICEF), die Welthandelskonferenz (UNCTAD), das Programm für Entwicklung (UNDP), das Programm für Umwelt (UNEP), das Welternährungsprogramm (WFP), der Welternährungsrat (WFC) und Sonderfonds der UNO zu u. a. Bevölkerungsfragen, Drogenmißbrauch und Capital Development. Hiermit im Zusammenhang ist schließlich auch noch auf verschiedene Einrichtungen zu Forschungs-, Ausbildungs- und Nothilfemaßnahmen sowie auf die von der UNO verwalteten, rechtlich auf eigenständige völkerrechtliche Verträge zurückgehende Menschenrechtsausschüsse (z. B. Ausschuß zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen, Ausschuß zur Beseitigung der Rassendiskriminierung, Ausschuß für die Rechte des Kindes) hinzuweisen. 119 Das UN-System 120 ist damit aber erst in seiner inneren Organisation, nicht aber i m umfassenden Sinne unter Einschluß der in Art. 57 in den Blick genommenen 117

Einzelheiten bei Lindemann/Hesse-Kreindler, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 1, 129 ff. 118 Eine Übersicht zu den einzelnen Gremien der Generalversammlung findet sich im Yearbook of the United Nations 50 (1996), 1464 ff.; New Zealand Ministry of Foreign Affairs and Trade (Hrsg.), United Nations Handbook 1998, 23 ff. 119

Yearbook of the United Nations 50 (1996), 1471 ff.; New Zealand Ministry of Foreign Affairs and Trade (Hrsg.), United Nations Handbook 1998, 23 ff. 120 Kritisch zu diesem Begriff McLaren, International Organization 34 (1980), 139 ff.; siehe auch Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 97 m. w. N.

B. Institutionalisierte Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

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Sonderorganisationen dargestellt. Die in ihrer historischen Entwicklung zum Teil auf die Völkerbundzeit zurückgehenden Sonderorganisationen der UNO sind auf eigenständiger völkerrechtlicher Grundlage als internationale Organisationen gegründet worden. Ihre Verbindung zur UNO erfahren die Sonderorganisationen durch Abkommen, die vom ECOSOC mit Genehmigung der Generalversammlung mit ihnen geschlossen wurden (Art. 63 Abs. 1 UN-Charta). Den Status einer Sonderorganisation der UNO haben zur Zeit (Stand: 1998) folgende Organisationen: International Labor Organization (ILO); Food and Agricultural Organization (FAO); U N Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO); International Civil Aviation Organization (ICAO); World Health Organization (WHO); International Monetary Fund (IMF); International Development Association (IDA); International Bank for Reconstruction and Development (IBRD); International Finance Corporation (IFC); Universal Postal Union (UPU); International Telecommunication Union (ITU); World Meteorological Organization (WMO); International Maritime Organization (IMO); World Intellectual Property Organization (WIPO); International Fund for Agricultural Development (IFAD); U N Industrial Development Organization (UNIDO). Nicht als Sonderorganisation, aber in institutioneller Verbindung zur UNO stehend, sind folgende Institutionen einzustufen: International Atomic Energy Agency (IAEA); Organization for the Prohibition of Chemical Weapons (OPCW); Provisional Technical Secretariat (PTS) for the Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty Organisation (CTBTO); International Consultative Group on Food Irradiation (ICGFI); International Narcotic Control Board (INCB); International Trade Centre UNCTADAVTO (ITC); International Union for the Protection of New Varieties of Plants (UPOV); World Tourism Organization (WTO/OMT). 1 2 1 Die Gesamtstruktur der UNO als heute maßgeblich die institutionalisierte internationale Kooperation prägende internationale Organisation mag zwar auf den ersten Blick verwirrend sein; nicht zu verkennen ist aber das zugrundeliegende normative Konzept. Im Gegensatz zur Vorstellung einer eher zentralistisch aufgebauten „Organisation der Welt" {Walther Schücking), eine Vorstellung, die von der zunehmenden Gründung von Verwaltungsunionen im 19. Jahrhundert inspiriert war, 122 liegt der UN-Charta zunächst das Modell „funktionaler Dezen-

121 Einen zusammenfassenden Überblick zu allen aufgeführten Organisationen/Institutionen gibt New Zealand Ministry of Foreign Affairs and Trade (Hrsg.), United Nations Handbook 1998,211-322. 122

Zu diesem und verwandten Konzepten siehe Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 56 f.; Potter, AJIL 39 (1945), 803 f.

144

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tralisation" zugrunde. 123 Während mit Art. 24 Völkerbundsatzung noch versucht wurde, die Tätigkeit der verschiedenen Verwaltungsunionen zentral im Völkerbund zu bündeln, überläßt die UN-Charta, erstens, den Sonderorganisationen ihren Unabhängigkeitsstatus und bestimmt, zweitens, daß sich auch im inneren organisatorischen Rechtsraum der Organisation pluralistische Strukturen bilden sollen. Die Einrichtung des ECOSOC mit der ihm ebenso wie der Generalversammlung zustehenden Kompetenz zur Errichtung der unterschiedlichsten Gremien zeigt dies deutlich. Die funktionale intergou vernementale Kooperation, 124 die sich aus dem so entstehenden Organisationssystem ergibt, entspricht insgesamt der Struktur des internationalen Systems als dezentraler Rechtsordnung. 125 Nicht eine zentrale „Weltregierung", sondern eine pluralistische Struktur verschiedener funktionaler Kooperationsforen und -mechanismen soll zur Verwirklichung des durch Art. 1 Ziff. 3 und Art. 55 UN-Charta vorgegebenen normativen Programmes beitragen. Auf zentraler Ebene erfolgt insoweit nur eine Koordination der KooperationsVerwirklichung, die institutionell maßgeblich von dem bereits 1946 gegründeten 1 2 6 Administrative

Committee on Co-ordination

(ACC)

wahrgenom-

men wird. Das dem ECOSOC zugeordnete ACC hat zur Aufgabe, die Tätigkeiten der Sonderorganisationen der UNO und einiger anderer Institutionen im Sinne des Effektivitätsgebotes zu koordinieren. Da es sich aus dem Generalsekretär der UNO und den Verwaltungsspitzen der erfaßten Institutionen zusammensetzt, ist es ein strikt exekutives Organ, auf dessen Arbeit die Mitgliedstaaten kaum Einfluß haben.127 Betrachtet man die angedeutete pluralistische Struktur des heutigen Systems internationaler Organisation genauer, zeigen sich neben historisch-politischen Ursachen legitimatorische organisationsrechtliche Gesichtspunkte, die die dem Außenstehenden zunächst kaum überschaubare Organisationsstruktur bestimmen. Analog den aus der Verwaltungslehre und dem Verwaltungsorganisationsrecht bekannten Konzepten der Dezentralisation und Dekonzentration, verstanden als Prinzipien zur Aufgabenverteilung zwischen selbständigen Organisationseinheiten

123 Jenks, B Y I L 28 (1951), 209 (37 f.); Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 98; ders., in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 1, 380 ff. m. w. N. 124

Dicke, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 1, 380 (382). 125

Hierzu Dahm/Delbrück/Wolfrum,

126

ECOSOC Res. 13 (III) v. 21.2.1946 und Res. 166 (VII) v. 29.8.1948.

Völkerrecht, Bd. 1/1,17 ff.

127 Zum ACC siehe Meng, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 60 Rdnr. 13 ff.; Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 256 ff. m. w. N.

B. Institutionalisierte Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

145

bzw. innerhalb einer einzigen Einheit, 128 folgt auch die im UN-System exemplarisch angelegte internationale Organisation einer pluralistischen Ausrichtung, der Rationalitätsgesichtspunkte als Legitimitätserwägungen zugrunde liegen. 129 Bestimmendes Merkmal ist zunächst die Dekonzentration innerhalb der UNO als Völkerrechtssubjekt, maßgeblich zum Ausdruck gebracht in der Aufgaben Verteilung zwischen Generalversammlung und ECOSOC und der ihnen unterstehenden Gremien. Als Dezentralisation, d. h. Aufgabenverteilung zwischen juristisch selbständigen Einheiten, ist das System der Sonderorganisationen und anderer mit der UNO verbundener Organisationen zu kennzeichnen. Weiterhin läßt sich zwischen horizontaler und vertikaler Dezentralisation und Dekonzentration im internationalen System differenzieren: Die Arbeitsteilung zwischen Generalversammlung und ECOSOC ist als horizontale Dekonzentration innerhalb des Völkerrechtssubjektes UNO zu verstehen; das Gremiensystem der beiden Organe der UNO ist von der Idee vertikaler Dekonzentration geprägt. Als horizontale Dezentralisation stellt sich das Nebeneinander von UNO und den selbständigen Sonderorganisationen dar. Da in der dezentralen Völkerrechtsordnung schließlich der Staat mit in das Organisationssystem einzubeziehen ist - die Aufgabenerfüllung durch die jeweilige internationale Organisationseinheit ist auf eine Verwirklichung durch die Mitgliedstaaten der internationalen Organisation angewiesen - , kann schließlich insoweit von vertikaler Dezentralisation gesprochen werden. 130 Neben der institutionellen lassen sich weiterhin materielle Gesichtspunkte der Arbeitsteilung im internationalen institutionalisierten System ausmachen. Als strukturbestimmend in der Anlage des UN-Systems zeigt sich hier - regionalen Proporz als für die geographische Verteilung der UN-Einrichtungen maßgeblichen Gesichtspunkt außer Acht lassend131 - die funktionale Arbeitsteilung. Bereits bei der Gründung der UNO war klar, daß die unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg neu gegründeten bzw. wiederbelebten „Verwaltungsunionen" (ILO, UPU, ITU, FAO, IMF, IBRD und ICAO) nicht der UNO unterstellt werden können. Hierzu fehlte

128 Statt vieler Püttner, Verwaltungslehre, 75; B. Becker, Öffentliche Verwaltung, 213 m. w. N. 129

Zum Rationalitätsgebot als Legitimationskriterium in der Verwaltungsorganisation siehe Krebs, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 69 Rdnr. 77, mit Verweis auf BVerfGE 63, 1 (34), wo sich der Hinweis auf eine Verwaltungsorganisation mit dem Ziel einer ,,wirkungsvolle[n] und leistungsfähige[n] Verwaltung" findet; ausführlich zum Rationalitätsmaßstab noch infra Teil 7, A. II. 3. 130 Zur hier gewählten Typologie institutioneller Verwaltungsorganisation umfassend B. Becker, Öffentliche Verwaltung, 193 ff. 131 Hierzu Dicke, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 1,380 (383 f.) m. w. N.

I n t t i o n a l e Zusammenarbeit in Verwaltungsangelegenheiten

der politische Wille, zumal noch nicht absehbar war, ob die UNO erfolgreich sein würde. Ein mögliches Scheitern der UNO aufgrund mangelnder Ratifikation der Satzung, insbesondere durch die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates (vgl. Art. 110 Abs. 3 UN-Charta), sollte insoweit keinen Einfluß auf die Arbeit der genannten sieben Organisationen haben. Hinzu kam der rechtliche Gesichtspunkt, daß eine zentralisierte Organisation innerhalb der UNO eine Änderung der Satzungen der heutigen Sonderorganisationen notwendig gemacht hätte; eine entsprechende Bereitschaft zu diesem Schritt innerhalb der Organisationen war 1945, gerade vor dem Hintergrund der mangelnden Akzeptanz des auf Zentralisation ausgerichteten Konzeptes des Art. 24 Völkerbundsatzung, nicht absehbar. Im Lichte dieser Umstände wurde auf der Gründungskonferenz der Vereinten Nationen in San Francisco das Konzept funktionaler Dezentralisation und Dekonzentration entwickelt und maßgeblich in den Kapiteln IX und X der UN-Charta festgeschrieben. 132 Trotz aller Kritik, die das Konzept funktionaler Dezentralisation und Dekonzentration im Laufe der nahezu kontinuierlichen Debatte zur Reform der UNO erfahren hat, 133 wird von der Staatengemeinschaft an ihm festgehalten, und das mit guten Gründen: Funktionale Dezentralisation und Dekonzentration sind eine der Stärken des UN-Systems, ermöglichen sie doch eine den Sachaufgaben entsprechende, zumindest vom Ansatz her „entpolitisierte" internationale Kooperation. 134 Völkerrechtsdogmatisch hat diese Erkenntnis in der Herausbildung des Topos von der Dezentralisation als eigenständigem Rechtsinstitut ihren Niederschlag gefunden. Zur Konkretisierung des allgemeinen Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung, dem internationale Organisationen im Gegensatz zu den mit Kompetenz-Kompetenz ausgestatteten Staaten unterliegen, 135 hat der IGH in seiner von 132 Zu dieser Entwicklung umfassend Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 98 ff. m. w. N. 133

Hierzu die Beiträge in Hiifner (Hrsg.), Die Reform der Vereinten Nationen; Wolfrum (Hrsg.), Die Reform der Vereinten Nationen - Möglichkeiten und Grenzen; Fawcett/ Newcombe (Hrsg.), United Nations Reform - Looking Ahead after Fifty Years; sowie Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, passim; ders., in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 2, 1012 ff. 134

Luard, International Agencies: The Emerging Framework of Interdependence, 312; ihm folgend Dicke, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 1, 380 (386); ebenso Meng, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 57 Rdnr. 37 ff. 135

Hierzu bereits Jurisdiction of the European Commission of the Danube, Advisory Opinion, PCIJ Ser. B, No. 14, 64: „As the European Commission [für die Donau, Anm. Verf.] is not a state but an international institution with a special purpose, it only has the functions bestowed upon it by the Definitive Statute with a view to the fulfilment of that

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der WHO vorgebrachten Gutachtenanfrage zum Problem der Völkerrechtswidrigkeit des Einsatzes von Nuklearwaffen das Prinzip funktionaler Dezentralisation des UN-Systems herangezogen. Danach ergebe sich aus den Art. 57, 58 und 63 UN-Charta ein allgemeines Prinzip internationaler institutioneller Kooperation, in dessen Rahmen die UNO umfassende und die Sonderorganisationen sektorale Kompetenzen, jeweils bezogen auf den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung, besitzen: ,,[T]he Charter of the United Nations laid the basis of a ,system4 designed to organize international co-operation in a coherent fashion by bringing the United Nations, invested with powers of general scope, into relationship with various autonomous and complementary organizations, invested with sectorial powers". 136 Für den IGH folgt hieraus, daß die Kompetenzen einer Sonderorganisation nicht nur aus ihrer jeweiligen Satzung heraus zu ermitteln sind, sondern auch aus der „logic of the overall system contemplated by the Charter". Hiernach liege die Kompetenz für Sachprobleme grundsätzlicher Natur bei der UNO, den Sonderorganisationen komme demgegenüber nur eine Befassungskompetenz für ganz spezifische Einzelfragen zu. 137 Damit ist deutlich gemacht, daß dem Prinzip funktionaler Dezentralisation der internationalen institutionalisierten Kooperation ein umfassender normativer Ordnungsanspruch zukommt, der an drei Punkten festgemacht werden kann: Dezentralisation und Dekonzentration weisen, erstens, einen Bezug zu den Kooperationszielen, maßgeblich in Art. 1 UN-Charta formuliert, auf. Durch die ihnen zugrundeliegende Rationalitätserwägung effizienter und effektiver Aufgabenverwirklichung wird ein rechtsnormatives Progamm hinsichtlich einer in möglichst hohem Maße anzustrebenden Verwirklichung der gegenwärtigen Wertegrundlagen des Völkerrechts vorgegeben. Gleichzeitig zeigt sich, zweitens, in der aufgepurpose, but it has the power to exercise those functions to their full extent, in so far as the Statute does not impose restrictions on it." Bestätigt in ICJ, Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict (Request of the World Health Organization), ICJ Reports 1996, 66 (para. 25): „The Court need hardly point out that international organizations are subjects of international law which do not, unlike States, possess a general competence. International organizations are governed by the »principle of speciality', that is to say, they are invested by the States which create them with powers, the limits of which are a function of the common interests whose promotion those States entrust to them". 136 ICJ, Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict (Request of the World Health Organization ), ICJ Reports 1996, 66 (para. 26). 137

ICJ, Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict (Request of the World Health Organization), ICJ Reports 1996,66 (para. 26); vertiefend hierzu auch P. Klein, in: Boisson de Charzournes/Sands (Hrsg.), International Law, The International Court of Justice and Nuclear Weapons, 78 (87 ff.); Bothe, ebda., 103 (106 ff.); Leary, ebda., 112(118 ff.); zum Fall und zur Frage der Kompetenz der WHO um Ersuchen des Gutachtens auch Tietje, AVR 33 (1995), 266 ff.

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zeigten Dezentralisation ein kompetenzbegründendes und -abgrenzendes Strukturmerkmal des internationalen Systems. In Konkretisierung des Grundsatzes begrenzter Einzelermächtigung lassen sich anhand des Dezentralisationsprinzips die jeweiligen Kompetenzen einer internationaler Organisation interpretatorisch bestimmen und in gradueller Abstufung zueinander in Beziehung setzen. Schließlich zeigt sich, drittens, daß das System internationaler Organisation in seiner pluralistischen Ausrichtung als horizontales (Dekonzentration) und vertikales (Dezentralisation) Mehrebenensystem ausgestaltet ist. Dabei kommt neben den innerorganisatorischen Aspekten gerade der vertikalen Dezentralisation besondere Bedeutung zu, da durch sie die Rolle der Staaten als weiterhin und unstrittig zentrale Akteure im internationalen System 138 maßgeblich in den Blick genommen wird. Der Funktionserhalt dieses Mehrebenensystems bestehend aus UNO, Sonderorganisationen und anderen internationalen und regionalen Organisationen in mehr oder weniger fester Beziehung zur UNO sowie schließlich den Mitgliedstaaten, verlangt nach auf jeder Ebene anzusiedelnder und sich ergänzender Koordination. 139 Positivrechtlich festmachen läßt sich die Verpflichtung zur effektiven Koordination dabei in dem in Art. 2 Ziff. 2 UN-Charta niedergelegten Zusammenarbeitsgebot. Dieses bezieht sich zunächst auf das Verhältnis von Mitgliedstaat und internationaler Organisation. 140 Darüber hinaus läßt sich argumentieren, daß, zumal wenn man von der Existenz einer allgemeinen Zusammenarbeitspflicht im internationalen System ausgeht, 141 auch das organschaftliche Verhältnis innerhalb einer Organisation sowie das Verhältnis internationaler Organisationen zueinander von einer Koordinationspflicht bestimmt wird. 1 4 2 Insgesamt entsteht so ein geschlossenes Bild einer horizontal und vertikal pluralistisch ausgestalteten Aufgabenerledigung auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene.

138

Statt vieler Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 26; Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 449 und passim. 139 Dicke, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 1, 380 (387); Schermers/Blokker, International Institutional Law, §§ 1702 ff. m. w. N.; hierzu auch noch infra Teil 5, B. und Teil 7, C. 140

Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 156; Ginther, BDGVR 17 (1975), 7 (21); Tietje, JuS 1994, 197 (200). 141 142

Hierzu ausführlich infra Teil 4, B. III. 1. c) cc).

Vgl. Tietje, European Foreign Affairs Review 2 (1997), 211 (232); Schermers/Blokker, International Institutional Law, §§ 1702 ff.

C. Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in das internationale System

149

C. Die Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in das internationale System der technisch-administrativen Aufgabenwahrnehmung (Überblick)

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich seit ihrer Gründung intensiv an der Realisierung der internationalen Kooperationsvorgaben, wie sie idealtypisch der UN-Charta zu entnehmen sind, beteiligt und insofern ihre internationalen Aktivitäten in das aufgezeigte System funktionaler Dekonzentration und Dezentralisation eingebunden. Im Funstellennachweis B des Bundesgesetzblattes sind zum 31. Dezember 1999 insgesamt 5.192 veröffentlichte völkerrechtliche Verträge aufgelistet, an die die Bundesrepublik gebunden ist. Entsprechend der amtlichen Systematik betreffen hiervon nur 12,57 % Sachfragen, die sich prima facie mit „hochpolitischen" Themen aus den Bereichen „Deutsche Einheit", „Internationale Zusammenarbeit", „Sicherung des Friedens, Schutz im Kriegsfall, Verteidigung" sowie „Kriegsauswirkungen, Kriegsfolgen" befassen. Alle anderen Verträge (87,43 %) sind in der Mehrzahl technisch-administrativen Aspekten gewidmet. 143 Zu ergänzen sind diese Zahlen um weitere internationale Regierungs- oder Ressortabkommen im Sinne von Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG. Da diese nicht zwingend im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden, 144 ist es schwierig, genaue Aussagen darüber zu treffen, welche Ausmaße diese internationale Vertragspraxis einnimmt. Allein aus dem Verteidigungsministerium wird aber berichtet, daß dort bereits über 1.200 Ressortabkommen ohne parlamentarische Beteiligung i. S. v. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG geschlossen wurden. 145 Dies erhellt, daß die Ressorts der Bundesregierung durch eine Vielzahl von internationalen Verträgen, die nicht im Bundesgesetzblatt veröffentlicht sind, in internationale technisch-administrative Kooperationsformen eingebunden sind. Ohne an dieser Stelle einen ausführlichen empirischen Nachweis führen zu können, kann so insgesamt konstatiert werden, daß heute eine beachtliche Vielfalt und Intensität der internationalen technischadministrativen Kooperationsformen besteht, an denen die Bundesrepublik beteiligt ist. Die vorhandenden Rechtsinstrumente werden dabei durch zahlreiche

143

Einzelheiten im Anhang, II.

144

Regelungen zur Veröffentlichung von völkerrechtlichen Verträgen aller Art finden sich in § 76 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundeministerien (GGO) i. d. F. vom 7. Juli 2000, Az.: 01-131200/10. Siehe auch §§ 26 f. der Richtlinien für die Behandlung völkerrechtlicher Verträge, herausgegeben vom Auswärtigen Amt, Stand: Februar 1998. 145

Fleck, Diskussionsbeitrag, in: Geiger (Hrsg.), Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 22.

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informelle Handlungsformen der grenzüberschreitenden Verwaltungspraxis ergänzt. 146

D. Zusammenfassung

Läßt man die historische Entwicklung und aktuelle Ausgestaltung der technisch-administrativen Aufgabenwahrnehmung im internationalen System Revue passieren, zeigen sich einige Strukturmerkmale, die die empirische und normative Grundlage einer heutigen Lehre vom internationalisierten Verwaltungshandeln im demokratischen Rechtsstaat bilden. Augenfällig ist zunächst die intensive und sachlich weit ausdifferenzierte Wahrnehmung von Aufgaben auf internationaler Ebene, denen eine technische Ausrichtung eigen ist. Eine prinzipielle Trennung von technisch-unpolitischen und politischen Funktionen gerade der Tätigkeit internationaler und regionaler Organisationen ist zwar, wie Art. 1 und 2 UNCharta belegen, weder gewollt noch möglich. Entscheidend ist aber, daß in gradueller Abstufung der beiden Sachbereiche ein quantitativ deutlicher Schwerpunkt im technisch-administrativen Bereich liegt. Dies entspricht der historischen Entwicklung der zweiseitigen Vertragspraxis des Deutschen Reiches, der zunehmenden Gründung internationaler Verwaltungsunionen im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, der Praxis des Völkerbundes, der Konzeption der UNO und den Aktivitäten der Bundesrepublik. Die sich aus der Insuffizienz nationalstaatlicher Aufgabenerledigung heraus entwickelnde internationalisierte Verwaltungspraxis hat insoweit deutliche funktionale Ursprünge, ohne daß damit notwendig auf den Funktionalismus als Integrationstheorie abgestellt werden muß. 147 Die funktionale Ausrichtung der internationalisierten Verwaltungstätigkeit durchlief in historischer Perspektive drei große dogmatische Entwicklungsstufen: Insbesondere im 19. Jahrhundert dominierte zunächst die etatistische Ausrichtung sich vollziehender Kooperation in Verwaltungsangelegenheiten. Durch die Absage an eine mögliche Völkerrechtssubjektivität der Verwaltungsunionen wurde zum Ausdruck gebracht, daß es ausschließlich die Staaten sein sollten, die in freier Entscheidung über Inhalt und Ausmaß institutionalisierter Kooperation befinden. Eine Verselbständigung der internationalen Kooperationsformen kam insoweit nicht in Betracht; die internationale Aufgabenwahrnehmung wurde nur als

146

Umfassende empirische Aufarbeitung von Wessels, Die Öffnung des Staates, passim.

147

Zum Funktionalismus noch infra Teil 3, A. III.

D. Zusammenfassung

151

gleichsam verlängerte Staatstätigkeit angesehen.148 Von dieser Sichtweise setzte sich dann die Idee einer „Organisation der Welt" (Walther Schücking ) als zentralisierte politische und administrative Organisationsform ab. In der Völkerbundsatzung finden sich für dieses Konzept verschiedene rechtliche Vorgaben, die allerdings nie umfassend verwirklicht werden konnten. Es wurde aber nunmehr zunehmend - und heute unstrittig - anerkannt, daß dem Völkerbund und anderen internationalen Organisationen Rechtspersönlichkeit und damit eigenständige Handlungskompetenz zukommt. Die etatistische Vorstellung ausschließlich staatsabhängiger Verwaltungstätigkeit auf internationaler Ebene war damit endgültig aufgegeben. Mit der Gründung der UNO wurde dann inspiriert durch den BruceBericht im UN-System konsequent ein Modell vertikaler und horizontaler Dekonzentration und Dezentralisation verwirklicht, das insgesamt den gegenwärtigen Rechtsstand im internationalen System repräsentiert. Unter Fortführung des Gedankens funktionaler, technisch-administrativer Aufgabenwahrnehmung vollzieht sich die internationalisierte Verwaltungstätigkeit in einem pluralistischen Mehrebenensystem juristisch selbständiger Akteure, das unter Anerkennung notwendiger Koordinationsstrukturen auf dem Gedanken internationaler Kooperation aufbaut. Damit ist gleichzeitig die Vorstellung einer prinzipiellen Trennung politischer und nicht-politischer Zusammenarbeit aufgehoben, auch wenn es bei einer graduellen Abstufung der sich in diesem Begriffspaar anzusiedelnden Sachaufgaben bleibt. Denn dem Konzept funktionaler Dekonzentration und Dezentralisation liegt als ratio gerade die Vorstellung zumindest potentiell entpolitisierter internationaler Kooperation zugrunde. Aufbauend auf der historischen Erkenntnis der sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts stetig intensivierenden zwei- und mehrseitigen sowie institutionalisierten internationalen Kooperation in Sachgebieten, die nicht unmittelbar klassisch „hochpolitische" Sicherheitsfragen zum Gegenstand haben, sondern technisch-administrativ geprägt sind, kann daher konkreter nach der rechtlichen Ausgestaltung eines internationalisierten Verwaltungshandelns gefragt werden. Zuvor soll aber in verwaltungswissenschaftlicher Tradition auf sozialwissenschaftliche Theorien eingegangen werden, die einen Beitrag zum Verständnis des aufgezeigten Befundes liefern können.

148

Hier zeigen sich beachtliche Parallelen zur heute z. T. vertretenen Einordnung des Staates im europäischen und internationalen Integrationsprozeß, im Hinblick auf die EG/EU manifestiert im Begriff „Staatenverbund", vgl. Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. I, § 13 Rdnr. 99 („Integration ist schöpferische Evolution des Staates"); Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. IX, § 221 Rdnr. 34 f.

Teil 3

Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze: Vom Funktionalismus zur „global governance"

Die abhängig vom fraglichen Sachbereich ganz unterschiedlich ausgestaltete Interaktion von Staaten hat neben rein normativ-juristischen Analysen zahlreiche sozialwissenschaftliche Theorien hervorgebracht, denen es um Erklärungsmuster für die internationalen Beziehungen im allgemeinen und insbesondere mit Blick auf die Bildung internationaler Organisationen geht. Die Theorien aus der politikwissenschaftlichen Disziplin der Internationalen Beziehungen waren zwar lange Zeit insoweit etatistisch orientiert, als sie sich ausschließlich mit der Stellung des Staates als einheitliche Entität im internationalen System befaßten. 1 In jüngeren Forschungsansätzen gewinnt jedoch die Frage nach der Rolle u. a. einzelner staatlicher Akteure, wie nationaler Verwaltungen, im Prozeß einer „global governance" zunehmend an Bedeutung. Getragen und insoweit hier von maßgeblichem Interesse werden diese neueren theoretischen Ansätze von einer steuerungsorientierten 2 Sichtweise. Sie ist für die Analyse des internationalisierten Verwaltungshandelns von großer Bedeutung.3

1

Hierzu Wessels, Die Öffnung des Staates, 57 ff.

2

Zu einer möglichen Definition von Steuerung im hier verstandenen Sinne siehe von Mutius, VVDStRL 42 (1984), 147 (153): „Der mehr verwaltungswissenschaftlich als rechtsdogmatisch besetzte Begriff »Steuerung4 meint bewußtes Einwirken auf Organisationen - insbesondere Menschen, ihre Umwelt, ihre Entscheidungssituationen und ihre Entscheidungsabläufe - zur Erreichung vorgegebener oder selbst gesteckter Ziele namentlich durch Zielsetzung, Planung, Information, Koordination, Motivation und Kontrolle". 3

Umfassend zu den unterschiedlichen theoretischen Modellen zur Rolle des Staates - den „Staatsbildern" - und der nationalen Bürokratien im internationalen System, ohne allerdings ausdrücklich auf die global governance einzugehen, jüngst Wessels, Die Öffnung des Staates, 55 ff.

A. Grundlegende Theorien der Internationalen Beziehungen

153

A. Die grundlegenden Theorien der Internationalen Beziehungen und ihre Bedeutung für die Erfassung internationaler Verwaltungsbeziehungen Als „Metatheorien" der Internationalen Beziehungen können die Realistische Schule, die „liberale" kooperations- bzw. integrationstheoretische Schule sowie konflikttheoretisch orientierte Erklärungsansätze verstanden werden. 4 Innerhalb dieser stark vereinfachten Dreiteilung lassen sich zwar zahlreiche theoretische Konzepte der Internationalen Beziehungen ausmachen, zu einer näheren Darstellung hierzu muß aber auf das politikwissenschaftliche Schrifttum verwiesen werden.5 Hier sollen nur die Grundstrukturen der politikwissenschaftlichen Theoriebildung interessieren, um so die Verbindungslinien zur theoretischen Erfassung des internationalisierten Verwaltungshandelns herstellen zu können. Darüber hinaus wird auf eine Darstellung der im Schwerpunkt marxistisch geprägten konflikttheoretischen Schule verzichtet, da eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftspolitischen Prämissen, die ihr zugrunde liegen, den Rahmen der Untersuchung sprengen würde. 6

I. Realismus Wenig hilfreich bei der Frage nach internationalisierten Verwaltungsstrukturen ist der Realismus in der in erster Linie von Hans J. Morgenthau geprägten Schule.7 Die dem Realismus zugrundeliegende Vorstellung der Anarchie im internationalen System und hieraus folgender machtorientierter Selbstbehauptungshandlungen der Staaten ist von einer prinzipiell etatistischen Orientierung geprägt. Der Staat wird als geschlossener, einheitlicher Akteur in der internationalen Politik gesehen, ohne daß seine Binnenstruktur oder gesellschaftliche Gruppen in die Analyse des internationalen politischen Prozesses einbezogen

4

Rittberger, Internationale Organisationen, 73; ders., in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 2, 760 (763 ff.). 5 Im Überblick hierzu z. B. Behrens/Noack, Theorien der internationalen Politik, passim; Dougherty/Pfaltzgraff, Contending Theories of International Relations, passim; Rittberger, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 2, 760 (763 ff.); sowie die Beiträge in Rittberger (Hrsg.), PVS Sonderheft 21 (1990). 6 Zur konflikttheoretischen Schule im Überblick Rittberger, nen, 80 ff. m. w. N. 7

Morgenthau, Macht und Frieden (1963).

Internationale Organisatio-

154

Teil 3: Sozial wissenschaftliche Erklärungsansätze

werden. 8 Unabhängig von der Bewertung des Realismus im einzelnen kann damit zumindest die Unzulänglichkeit dieser Theorie mit Blick auf die empirisch festzustellenden komplexen Beziehungen der unterschiedlichsten Akteure im internationalen System konstatiert werden. Dies hängt auch mit der Konzentration des Realismus auf die Aktionsfelder der „high politics" zusammen. Gerade internationale Organisationen agieren jedoch zumindest quantitativ wesentlich intensiver auf - wie auch immer im einzelnen zu konkretisierenden - Feldern der „low politics", die sich durch ihre sachliche Orientierung an Staatsaufgaben unterhalb maßgeblich sicherheitspolitisch geprägter Interessen auszeichnen. Diesen grundsätzlichen Einwänden sind im übrigen auch die verschiedenen Theorieansätze des Neorealismus ausgesetzt, der trotz seiner differenzierteren Ausrichtung die etatistischen und machtpolitischen Prämissen des Realismus übernimmt. 9

II. Föderalismustheorie Die Föderalismustheorie entwickelte Ansätze zur Erfassung eines über den Bereich der Interaktion von Staaten, die als geschlossene und einheitliche Akteure gedacht werden, hinausreichenden Kooperationsprozesses, der durch vielfältige gesellschaftliche und politische Beziehungen gekennzeichnet ist. Als historisch ältestem integrationstheoretischem Forschungsansatz im Rahmen der „liberalen" Schule der Internationalen Beziehungen liegt der Föderalismustheorie die Vorstellung eines politischen Prozesses zugrunde, der auf die Bildung einer gemeinsamen Ordnung im Rahmen von Staatenbund oder Bundesstaat abzielt. 10 Entscheidend ist demnach für die Föderalismustheorie die entweder im Bundesstaat oder in einer anderen Organisationsform zu verwirklichende gemeinsame Politik und Entscheidungsfindung vormals selbständiger Staaten.11 Diese kurze Umschreibung erhellt, daß der Föderalismus als sozial- und rechtswissenschaftliches Konzept nur für die Analyse supranationaler Integrationsstrukturen taugt, nicht jedoch eine Erklärung der weniger intensiven Integrationsformen internationaler Kooperation bieten kann. Dem widerspricht bereits die grundlegende Erkenntnis, 8

Einzelheiten hierzu bei Rittberger, Internationale Organisationen, 74 ff.; Kindermann, in: Pipers Wörterbuch der Politik, Bd. 5,402 ff.; Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 340 ff.; Wessels, Die Öffnung des Staates, 58 f., jeweils m. w. N. 9

Rittberger, Internationale Organisationen, 75; vertiefende Auseinandersetzung mit dem Realismus bei Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 344 f. 10 11

Grundlegend C. J. Friedrich,

Politische Vierteljahresschrift 5 (1964), 154 ff.

Weitere Einzelheiten zu den verschiedenen Föderalismuskonzepten bei M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 113 ff. m. w. N.

A. Grundlegende Theorien der Internationalen Beziehungen

155

daß der Staat weiterhin der maßgebliche internationale Akteur ist. Denn auch wenn ein Wandel des Staatsbildes im Lichte seiner fortschreitenden internationalen Verflechtung anzuerkennen ist, so bleibt es doch im Bereich der nicht supranationalen Organisationsformen internationaler Kooperation zumindest bei der formellen staatlichen Souveränität (vgl. Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta). 12

III. Funktionalismus Erst mit dem Funktionalismus, der in seiner vielfältigen Fortentwicklung das politik- und rechtswissenschaftliche Denken spätestens ab Mitte des 20. Jahrhunderts nachhaltig beeinflussen sollte, 13 wird es möglich, weniger das Kooperations(Integrations-)Ziel als vielmehr den konkreten Kooperationsvorgang in den Blick zu nehmen. Eine differenziertere Betrachtung der verschiedenen Akteure internationaler Kooperation war damit nicht mehr bereits prinzipiell ausgeschlossen, auch wenn der Funktionalismus in seiner ursprünglichen Form diese Entwicklung noch nicht erkennen ließ. Ihm ging es nämlich ursprünglich ebenso wie dem Föderalismus als deutlich präskripti v geprägtem Ansatz um das Integrationsziel - eine internationale Friedensordnung 14 - und weniger um die Analyse des konkreten Kooperationsvorganges. 15 Schon bald konnte diese verengende Sichtweise jedoch durch theoretische Fortentwicklungen auf dem Boden des Funktionalismus überwunden werden. Bevor hierauf einzugehen ist, bleibt aber auf einen zentralen Einwand hinzuweisen, dem der Funktionalismus insgesamt ausgesetzt ist: Grundannahme des Funktionalismus ist es, Integration nicht als politischen Prozeß in etatistischterritorialer Ausrichtung zu begreifen, sondern als ein Ziel, das durch die Zusammenarbeit von Staaten außerhalb politischer Einflüsse verwirklicht wird. Mit der Formel „form follows function" wird so ein aus Sachzwängen heraus sich ergebendes Integrationsprogramm umschrieben, das prinzipiell „entpolitisiert" ist. Damit gewinnt die staatliche Zusammenarbeit in nicht-politischen, „technischen" Sachbereichen in Fortführung der historischen Entwicklung gerade der interna12 Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 449 und passim. 13

Hierzu Johnston, CanYIL 26 (1988), 3 (18 ff.).

14

Mitrany,

15

A Working Peace System, 69.

Zum mit dem Namen Mitrany untrennbar verbundenen Funktionalismus siehe Behrens/Noack, Theorien der internationalen Politik, 135 ff.; Senghaas-Knobloch, Frieden durch Integration und Assoziation, 13 ff.; H. Müller, Die Chance der Kooperation, 9 ff.; Johnston, CanYIL 26 (1988), 3 (18 ff.); Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 334 ff.; Taylor, in: Groom/Taylor (Hrsg.), Frameworks for International Co-operation, 125 ff.; sowie die Beiträge in Groom/Taylor (Hrsg.), Functionalism.

156

Teil 3: Sozial wissenschaftliche Erklärungsansätze

tionalen Verwaltungsunionen des 19. Jahrhunderts 16 einen zentralen Stellenwert in einer Konzeption, der es zentral um das eine Ziel, die internationale Friedenssicherung, geht.17 Und eben an dieser Stelle ist der Funktionalismus Kritik ausgesetzt, die sich darauf bezieht, daß eine Trennung politischer und nicht-politischer Sachbereiche internationaler Kooperation gar nicht möglich sei. Denn, so ein erstes gewichtiges Argument in der Diskussion, schon die Entscheidung über die Herausnahme einer „technischen" Sachaufgabe aus dem staatlichen Bereich und seine Überführung in Formen zwischenstaatlicher Kooperation sei eine eminent politische Entscheidung.18 Darüber hinaus wird, zweitens, denklogisch geltend gemacht, daß mit den vom Funktionalismus beabsichtigten „Spillover"-Effekten - durch die nicht-politische Kooperation wird das politische Ziel der Integration verstanden als Friedenssicherung erreicht - gerade die Trennung von politischer und nicht-politischer Kooperation verneint wird. In konsequenter Anwendung der Trennungsthese dürfte es nämlich gar keine „Spillover"-Wirkungen vom nichtpolitischen in den politischen Bereich geben.19 Bei einer Auseinandersetzung mit der Kritik am Funktionalismus ist vordringlich die wissenschaftstheoretische Perspektive zu beachten, aus der diese erfolgt. Soweit es um die Überzeugungskraft des Funktionalismus als Integrationskonzept, also als präskriptiv-finales Programm geht, wird man den angesprochenen Punkten nicht widersprechen können. Bei dieser Sichtweise wird aber vorausgesetzt, daß der Funktionalismus als analytisches Konzept ausschließlich auf ein bestimmtes Integrationsziel ausgerichtet ist, was bei Mitrany durchaus noch der Fall gewesen ist. Allerdings wird man den Funktionalismus nicht auf seine präskriptiv-finale Ausrichtung verengen können, sondern muß auch seine inhärente deskriptiv-analytische Bedeutung beachten. Denn unabhängig von der Überzeugungskraft des Funktionalismus als Integrationskonzept hat er zumindest dazu beigetragen, die sich mit Beginn der Gründung der ersten Verwaltungsunionen im 19. Jahrhundert tatsächlich vollziehende Staatenkooperation in spezifischen Sachbereichen analytisch erfassen zu können. In der Hervorhebung „aufgabenspezifischer Kooperation" 20 ist eine eigenständige Leistung des Funktionalismus zu sehen, die auch unabhängig von der weitergehenden Frage nach der integrationstheoretischen Leistung des Konzeptes gewürdigt

16

Supra Teil 2, B. I. und II.

17

Vgl. Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 335.

18

M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 166. M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 167; Welz/Engel, von Bogdandy (Hrsg.), Die Europäische Option, 129 (140 f.) m. w. N. 19

20

Senghaas-Knobloch, Frieden durch Integration und Assoziation, 17.

in:

A. Grundlegende Theorien der Internationalen Beziehungen

157

werden kann. 21 Gleichzeitig wurde so der Weg für weitergehende theoretische Konzepte bereitet, die sich weniger mit dem Kooperationsziel, als vielmehr mit Einzelaspekten des Kooperationsprozesses befassen. Ein erster Schritt in diese Richtung konnte bereits der Neofunktionalismus leisten. Auch wenn sein Interesse, maßgeblich formuliert von Haas, 22 in erster Linie dem europäischen Integrationsprozeß galt, liegt seine Bedeutung in der Auflösung der Widersprüchlichkeiten begründet, die sich aus der prinzipiellen Trennung von politischer und nicht-politischer Kooperation ergeben. Im Gegensatz zum klassischen Funktionalismus, aber durchaus in Fortführung einiger seiner Grundannahmen, versucht der Neofunktionalismus eine Synthese von politischen und nicht-politischen internationalen Kooperationsprozessen herzustellen, um so insgesamt das Kooperationsziel einer politischen Gemeinschaft zu erreichen. 23 Unabhängig von hier nicht weiter interessierenden Einzelheiten dieses Konzeptes ist entscheidend, daß der Neofunktionalismus wohl erstmals in der Theorie internationaler Beziehungen den Staat als einheitlichen Akteur in der Analyse zurücktreten läßt und einzelnen politischen Handlungsträgern vermehrt Aufmerksamkeit schenkt. Für den Neofunktionalismus spielen vor allem nationale politische Eliten wie Beamte und Parteien eine entscheidende Rolle mit Blick auf einen „Transfer von Loyalitäten". 24 Ihnen wird im Gegensatz zur den Nationalstaat repräsentierenden Regierung eine erhöhte Rationalität und dementsprechend gleichsam ein starker Integrationswille zugesprochen. Dies ermöglicht in politischen Foren eine Zusammenarbeit auf der Grundlage von funktionalen und übergreifenden („spillover") Gesichtspunkten, die von partikularen Interessen frei ist. Die sich aus der hohen Kooperationsbereitschaft der politischen Eliten ergebenden dynamischen Wechselwirkungen auf nationaler und internationaler Ebene befördern nach Einschätzung des Neofunktionalismus

21

So wohl auch Welz/Engel, in: von Bogdandy (Hrsg.), Die Europäische Option, 129 (141); unklar insoweit M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 167, der den Funktionalismus ausschließlich als Integrationstheorie im präskriptiv-finalen Sinne würdigt. 22

Haas, Beyond the Nation-State (1964).

23

Einzelheiten hierzu bei Harrison, in: Groom/Taylor (Hrsg.), Frameworks for International Co-operation, 139 ff.; M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 168 ff.; Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 337 ff.; Rittberger, Internationale Organisationen, 77 f.; Welz/Engel, in: von Bogdandy (Hrsg.), Die Europäische Option, 129 (141 ff.) m. w. N. 24

Haas, The Uniting of Europe, 16; Welz/Engel, in: von Bogdandy (Hrsg.), Die Europäische Option, 129 (143); Behrens/Noack, Theorien der Internationalen Politik, 138 f.

158

Teil 3: Sozial wissenschaftliche Erklärungsansätze

dann insgesamt den Integrationsprozeß. 25 Auch die den Neofunktionalismus fortschreibenden Theorien des „Post-Neofunktionalismus" der späten 1960er und frühen 1970er Jahre hielten unter Verfeinerung des Analyserasters an dieser Grundidee fest. 26 Wie auch immer man die Stringenz und den Überzeugungswert des Neofunktionalismus und seiner Fortentwicklungen als Integrationstheorien wertet, festzuhalten bleibt, daß erst durch sie die nationalen Verwaltungen - als politische Eliten - im Rahmen von Kooperationsprozessen in den Blick genommen wurden. Zu welchen Problemen dies für das traditionell etatistische Modell internationaler und europäischer Staatenkooperation führte, zeigt der immer wieder erhobene Vorwurf, der Neofunktionalismus habe die Mitgliedstaaten der EG als „key players" zu stark ausgeblendet.27 Sicherlich mag man über die tatsächliche Bedeutung der Staaten - im Gegensatz zu einzelnen politischen Eliten - im europäischen und internationalen Kooperationsprozeß streiten und zu unterschiedlichen Werturteilen kommen, 28 gerade für den europäischen Integrationsprozeß kann aber nicht mehr behauptet werden, daß die Verwaltungskooperation keine Bedeutung habe. Im Gegenteil, es ist gerade die Verwaltungskooperation, der im integrationstheoretischen und verwaltungsrechtswissenschaftlichen Sinne eine zentrale Bedeutung zukommt; dies haben die Untersuchungen zum europäischen Verwaltungsrecht deutlich gezeigt. 29 Als Verdienst des Neofunktionalismus bleibt die Erkenntnis festzuhalten, daß Kooperationsprozesse sich zumindest tatsächlich auch ausgehend von funktionalen Erwägungen im zwischenstaatlich-bürokratischen Raum vollziehen.

25

Näher Welz/Engel, m. w. N.

in: von Bogdandy (Hrsg.), Die Europäische Option, 129 (143 f.)

26 Einzelheiten bei Welz/Engel, (147 ff.).

in: von Bogdandy (Hrsg.), Die Europäische Option, 129

27

M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 172 ff.; Welz/Engel, in: von Bogdandy (Hrsg.), Die Europäische Option, 129 (153). 28

Daß es sich hier letztlich um ein Werturteil handelt, verdeutlichen die ausschließlich wertebezogenen Behauptungen zur zentralen Rolle des Staates von M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 173 f. 29

Schmidt-Aßmann, EuR 1996, 270 ff.; Hatje, Die gemeinschaftliche Steuerung der Wirtschaftsverwaltung, 134 ff.; aus sozialwissenschaftlicher Perspektive Bach, Die Bürokratisierung Europas, passim.

B. Konkretere Theorien zu internationalen Kooperationsbeziehungen

159

B. Konkretere Theorien zu umfassenderen internationalen Kooperationsbeziehungen I. Interdependenztheorie und „transgouvernementale" Beziehungen Die an anderer Stelle bereits erwähnten Ansätze eines Modelles „transgouvernementaler" Beziehungen von Keohane und Nye („sets of direct interactions among sub-units of different governments that are not controlled or closely guided by the policies of the cabinets or chief executives of those governments") 30 haben historisch gesehen am deutlichsten gemacht, daß das Forschungsinteresse nicht den Kooperationszielen, sondern den Kooperationsinhalten und damit verbunden ihren Prozessen gelten sollte. Dies entspricht insgesamt dem InterdependenzAnsatz von Keohane und Nye, 31 der insbesondere hinsichtlich der internationalen Organisationen ihre Rolle hervorhebt als „Akteur, Forum und Mittel zum Zweck der Errichtung, Stabilisierung, und Weiterentwicklung internationaler Institutionen für jene Bereiche der internationalen Beziehungen, in denen wechselseitige Abhängigkeiten (Interdependenzen) kollektiv bearbeitbar und regelbare Probleme hervorgerufen haben". 32 Durch diesen prozeß- und nicht zielorientierten Ansatz hat die Interdependenz-Analyse es ermöglicht, im Rahmen bestehender „komplexer Interdependenzen" nicht nur private gesellschaftliche Akteure in die Analyse internationaler Beziehungen aufzunehmen, 33 sondern insgesamt das bestehende Beziehungsgeflecht der unterschiedlichsten staatlichen und privaten Handelnden in ihrer jeweiligen sachlichen Ausrichtung zu fokussieren. Internationale Beziehungen werden so als umfassende intergouvernementale, transgouvernementale und transnationale Handlungszusammenhänge verstanden. 34 Mit dieser, die zielorientierte Ausrichtung der Integrationstheorien überwindenden Erweiterung des Betrachtungshorizontes geht ein verstärktes Interesse der Wissenschaft einher, die unterschiedlichen, im außenpolitischen Prozeß relevanten nationalen Akteure des Staatsgefüges zu analysieren. Soweit ersichtlich rückt dabei Ende der 1970er Jahre

30

Keohane/Nye, World Politics 27 (1974/75), 38 (43); siehe bereits supra Teil 1, G. III.

31

Keohane/Nye, Power and Interdependence (1977), jetzt 3. Auflage (2001); hierzu Kohler-Koch,, in: PVS, Sonderheft 21 (1990), 110 ff. 32

Rittberger,

Internationale Organisationen, 78.

33

Dies entspricht der Sichtweise des Transnationalismus, hierzu Risse-Kappen (Hrsg.), Bringing Transnational Relations Back In, passim; Kaiser, PVS Sonderheft 1 (1969), 80 ff. 34 Vgl. Rittberger, Internationale Organisationen, 78; siehe auch Kohler-Koch, PVS Sonderheft 21 (1990), 110(116); sowie zusammenfassend zur politikwissenschaftlichen Entwicklung Willetts, in: Groom/Taylor (Hrsg.), Framework for International Co-operation, 255 (264 ff.).

160

Teil 3: Sozial wissenschaftliche Erklärungsansätze

erstmals in der Bundesrepublik Deutschland auch die nationale Ministerialbürokratie als Handlungszentrum einer „verwalteten Außenpolitik" in das Blickfeld der politischen Wissenschaft und der Verwaltungslehre. Der Fokus der Untersuchungen war dabei aber nicht so sehr die Rolle der Bürokratie im internationalen System, sondern in erster Linie im innerstaatlichen außenpolitischen Entscheidungsprozeß. 35 In diesem Zusammenhang wurde verwaltungwissenschaftlich auch untersucht, welche Auswirkungen die zunehmende Funktionalisierung der internationalen Beziehungen auf die Struktur des Auswärtigen Amtes hat. Anhand einer empirischen Erhebung konnte dabei belegt werden, daß sowohl innerhalb des Auswärtigen Amtes als auch hinsichtlich interministerieller Beziehungen der verschiedenen Ressorts der Bundesregierung die bürokratische, auf der Arbeitsebene angesiedelte Aufgabenwahrnehmung mit internationalem Bezug bis Mitte der 1970er Jahre deutlich zunahm. Damit einhergehend wurde eine Abnahme politischer Steuerungs- und Kontrollfähigkeit in diesem Bereich konstatiert, was zur Forderung struktureller organisatorischer Anpassung der Arbeitsstrukturen des Auswärtigen Amtes führte. 36 Aus politik- und Völkerrechts wissenschaftlicher Perspektive nahm in jüngerer Zeit - neben sogleich noch darzustellenden Ansätzen aus der Regimetheorie insbesondere Anne-Marie Slaughter die schon früher formulierten Gedanken einer zunehmenden Relevanz grenzüberschreitender bürokratischer Kooperation wieder auf. Sie verweist auf das immer deutlicher festzustellende, die klassische Vorstellung vom Staat als einheitlichen Akteur im internationalen System fundamental in Frage stellende Phänomen „transgovernmental activities". Vielfache Kooperation einzelner nationaler Verwaltungsstellen, z. B. im Bereich der Banken- und Versicherungsaufsicht und des Wettbewerbsrechts, verändern nach ihrer Beobachtung die Struktur innerstaatlicher und internationaler Rechtssetzungs- und -durchsetzungsprozesse, zumal sich Verwaltungskooperation in der Regel auf Sachgebiete beziehe, die zunächst innerstaatlich geregelt seien. Dies, so Slaughter , führe in Teilbereichen zur „Nationalisierung des internationalen Rechts". Darüber hinaus ergebe sich aus transgouvernementalen Kooperationsformen, die letztlich auf eine Zergliederung des Staates in seine funktionalen Komponenten hinausliefen, ein Netzwerk von mit einer gemeinsamen Aufgabe befaßten Institutionen, was in gewisser Weise sogar dem Inhalt nach als gleichsam informelle „Regierungsbildung" gedeutet werden könne. Der Staat werde von dieser Entwicklung 35

Krause/Wilker, in: Haftendorn/Karl/Krause/Wilker (Hrsg.), Verwaltete Außenpolitik, 39 ff.; Schwarz, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der deutschen Außenpolitik, 43 ff.; für die USA in aller Deutlichkeit und reichhaltig belegt Hopkins, International Organization 30 (1976), 405 ff. 36

Eberwein, Die Verwaltung 1978, 439 ff.; hierzu noch infra Teil 7, C. II.

B. Konkretere Theorien zu internationalen Kooperationsbeziehungen

161

nicht negativ betroffen, sondern im Gegenteil in seiner Eigenschaft als zentraler internationaler Akteur gestärkt werden, auch wenn sich sein Bild verändere. 37

II. Regimetheorie Die Regimetheorie kann als Verbindung neorealistischer und neofunktionalistischer Ansätze und in gewisser Weise auch als Fortführung der InterdependenzAnalyse verstanden werden. Dies klingt bereits bei Slaughter an und weist darauf hin, daß die Regimetheorie bis heute von einflußreicher Bedeutung insgesamt für die Internationalen Beziehungen und speziell für die Frage nach der Rolle einzelner - auch bürokratischer - Akteure im internationalen System ist. 38 Nach der im Rahmen eines Symposiums in Los Angeles im Jahre 1980 formulierten und weithin anerkannten Definition sind internationale Regime „sets of implicit or explicit principles, norms, rules, and decision-making procedures around which actors' expectations converge in a given area of international relations". 39 Regime sind entsprechend dieser Umschreibung also intentional geschaffene und kooperative Institutionen, verstanden als dauerhafte Handlungsmuster und nicht notwendig als internationale Organisationen im juristischen Sinne, denen ein gewisses Minimum an faktischer Wirksamkeit zukommt und die sich durch eine bestimmte Politikfeldbezogenheit auszeichnen.40 Die die Regimetheorie maßgeblich bewegende Frage, wie internationale Kooperation im Rahmen internationaler Regime zustandekommt, wird weitgehend in Anlehnung an Erklärungsmuster des Funktionalismus beantwortet. Dabei werden in Fortführung der Idee funktionaler Zusammenarbeit oftmals ökonomische Erklärungsansätze gewählt; hierzu zählen

37

Slaughter, Foreign Affairs 76 (1997), 183 ff.; zu einer ähnlichen Anlayse speziell zur Praxis der skandinavischen Staaten siehe Nielsson, in: Groom/Taylor (Hrsg.), Frameworks for International Co-operation, 78 ff.; umfassend übereinstimmend auch Chayes/Handler Chayes, The New Sovereignty, 278 ff. 38

Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 350; zur Regimetheorie z. B. Hasenclever/Mayer/Rittberger (Hrsg.), Theories of International Regimes, passim; H. Müller, Die Chance der Kooperation, 26 ff.; Kohler-Koch, in: dies. (Hrsg.), Regime in den internationalen Beziehungen, 17 ff.; Tooze, in: Groom/Taylor (Hrsg.), Framework for International Co-operation, 201 ff.; Wessels, Die Öffnung des Staates, 72 ff. 39 Krasner (Hrsg.), International Regimes, 2; ähnlich z. B. H. Müller, Die Chance der Kooperation, 26 ff.; Levy/Young/Zürn, European Journal of International Relations 1 (1995), 267 (274). 40

Keck, PVS 32 (1991), 635 (638); Mürle, INEF Report Heft 32 (1998), 34; Levy/ Young/Zürn, European Journal of International Relations 1 (1995), 267 (271 f.); Hasenclever/Mayer/Rittberger (Hrsg.), Theories of International Regimes, 8 ff. m. w. N.

Teil 3: Sozial wissenschaftliche Erklärungsansätze

162

Rational-choice-Analysen und das klassische Gefangendilemma der Spieltheorie. 41 Sie alle zielen im Ergebnis ebenso wie die theoretischen Annahmen zur Wirksamkeit von Regimen darauf ab, Effektivitätsgesichtspunkte als ein zentrales Element im Entstehungs- und Wirkungsprozeß internationaler Regime zu erkennen. 42 Der Regimetheorie geht es dabei zusammenfassend immer um eine Steuerung des internationalen Systems, die auf folgende drei Aspekte ausgerichtet ist: (1.) Ermöglichung der Koordination von gemeinsamen oder zumindest parallel laufenden Interessen; (2.) Absicherung und produktive Gestaltung der Organisation von Tauschbeziehungen; (3.) Ausrichtung individuellen Verhaltens auf gemeinschaftlich formulierte Ziele hin. 43 In diesem Steuerungsprozeß kommt Institutionen eine maßgebliche Rolle zu („institutions matter"), wie es der auf der Regimetheorie aufbauende „Neue Institutionalismus" - als Versuch einer Synthese unterschiedlicher theoretischer Ansätze - besonders deutlich gezeigt hat. 44 Unabhängig von weiteren Einzelheiten der Regimetheorie zeigt sich damit bereits, daß ihre analytische Leistung darin liegt, den normorientierten Charakter internationaler Kooperation, und zwar über den Bereich internationaler Organisationen hinausgehend, zu betonen. Darüber hinaus ermöglicht es die Regimetheorie, den zieldeterminierten Integrationsgedanken zurücktreten zu lassen, um so - zieloffen - den Kooperationsprozeß in den Blick zu nehmen.45 Dies führt auch dazu, als Bestandteil des Kooperationsprozesses die Frage nach den jeweils maßgeblichen Akteuren stellen zu können, und zwar in einer über die Zentraleinheit „Staat" hinausgehenden, differenzierten Weise. 46 Dabei bedient sich die Regimetheorie der aus der Policy-Forschung entwickelten Kategorie von „Politiknetzen" („policy networks"). 47 Hierdurch wird es möglich, Regierungshandeln als Zu41

Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 351.

42

Einzelheiten bei Efinger/Rittberger/Wolf/Zürn, PVS Sonderheft 21 (1990), 263 (267 ff.); Kohler-Koch, in: dies. (Hrsg.), Regime in den internationalen Beziehungen, 17 (29 ff.); Hasenclever/Mayer/Rittberger, Theories of International Regimes, 2 ff. 43

Kohler-Koch,

44

Hierzu umfassend Keck, PVS 32 (1991), 635 ff.

in: Böhret/Wewer (Hrsg.), Regieren im 21. Jahrhundert, 109 (124).

45

Efinger/Rittberger/Wolf/Zürn, PVS Sonderheft 21 (1990), 263 (279); vor diesem Hintergrund ist es auch ausgesprochen problematisch, die Regimetheorie als vermeintlich etatistisches Modell für die Erklärung des europäischen Integrationsprozesses fruchtbar machen zu wollen, so aber M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 192 ff. 46 In der Regimetheorie unter Bezugnahme auf bürokratische Kooperationsformen deutlich hervorgehoben von Gehring, Dynamic International Regimes, 422 ff. m. w. N. 47 Zur Policy-Forschung siehe die Beiträge in Héritier (Hrsg.), PVS Sonderheft 24 (1993); Jann, in: Kriz/Nohlen/Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 2, 308 ff.; sowie umfassend Schubert, Politikfeldanalyse, 89 ff. und passim.

B. Konkretere Theorien zu internationalen Kooperationsbeziehungen

163

sammenwirken unterschiedlicher „subsystemischer Akteure" zu erfassen, wobei abhängig vom betreffenden Sachbereich nach eng und weitgespannten Politiknetzen unterschieden wird. Während sich eng gefaßte Politiknetze auf eine überschaubare Anzahl von Akteuren des politisch-administrativen Bereichs beschränken, umfassen weit gespannte Politiknetze darüber hinaus vielfältige gesellschaftliche Akteure. 48 Die Policy-Analyse ist damit strukturell komplex angelegt, was auch einem zentralen Ergebnis ihrer Forschung entspricht. Mit Blick auf die Planbarkeit von Politik und ihrer Komplexität verweigert sich die Policy-Analyse simplifizierenden Modellen: ,,[D]ie gesellschaftlichen Zusammenhänge, in die mittels öffentlicher Maßnahmen interveniert wird, lassen sich nicht auf eindeutige und einfache Wenn-Dann-Sätze reduzieren; vielmehr sind sie multi-determiniert und entwickeln sich häufig zirkulär". 49 Diese Erkenntnis wird auch für die Internationalen Beziehungen fruchtbar gemacht und ebenso wie im innerstaatlichen Bereich ist die Entwicklung einer neuen Steuerungstheorie eine Reaktion hierauf. 50 Die neue Steuerungstheorie fragt verallgemeinernd danach, „in welchem Umfang und in welcher Tiefe die Politik gesellschaftliche Abläufe beeinflussen kann, welche politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen für erfolgreiche politische Steuerung gegeben sein müssen und welche Rolle den Steuerungsobjektiven im Steuerungsprozeß zukommt". 51

III. „Bürokratische Regime44 Aufbauend auf der Regimetheorie, die Kooperationsprozesse in den Blick nimmt, wurde in jüngerer Zeit ein eigenständiges Forschungsgebiet zu „bürokatischen Regimen" im Rahmen internationaler Kooperation begründet. Anhand einer empirischen Analyse am Beispiel der Regelungen der äußeren Aspekte der deutschen Einheit (2+4-Prozeß) konnte hierbei aufgezeigt werden, daß aus politikwissenschaftlicher Sicht außenpolitische Handlungen von selbständig und eigenverantwortlich agierenden Handlungseinheiten der Ministerialbürokratie wahrgenommen werden. Das Beziehungsgeflecht im internationalen System wird so um eine eigenständige bürokratische Handlungsebene ergänzt, die gleichberechtigt neben dem klassischen „politischen" Regierungshandeln („Gipfeldiplomatie") steht. Internationale bürokratische Strukturen sollen dabei funktional darauf ausgerichtet sein, Vertrauen zu schaffen, Regelungszeiträume zu verkürzen, Informationsflüsse 48

Kohler-Koch, in: dies. (Hrsg.), Regime in den internationalen Beziehungen, 17 (62 f.).

49

Héritier,

50

Mürle, INEF Report Heft 32 (1998), 39.

51

Braun, in: Nohlen/Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 1, 611.

PVS Sonderheft 24 (1993), 9(12).

164

Teil 3: Sozial wissenschaftliche Erklärungsansätze

zu erhöhen, Transaktionskosten zu verringern und Kosten für Nichtkooperation anzuheben. Entsprechend diesen Funktionen bürokratischer Kooperation werden „bürokratische Regime" definiert als „institutionalisierte, verregelte Kommunikations- und Kooperationsstrukturen von zwischenstaatlich agierenden Bürokratien, die vertrauensbildende und kooperationsfördernde Funktionen erfüllen sowie der Verbesserung und Stabilisierung zwischenstaatlicher Beziehungen insgesamt dienen". 52 Ihre Bedeutung wird, empirisch belegt, darin gesehen, nicht nur politische Vorgaben im internationalen Verhandlungsprozeß unselbständig umzusetzen, sondern vielmehr eigeninitiativ und gestaltend in den außenpolitischen Prozeß einzugreifen. Als Erklärung für diese Erscheinungsart internationaler Kooperation wird zusammenfassend auf funktionale Gesichtspunkte abgestellt: Argumentiert wird, daß die zunehmenden internationalen Verflechtungen und die steigende Komplexität der zu behandelnden Sachfragen zu einem gesteigerten Regelungsbedarf und damit zu einer „Auffächerung der Kooperations- und Entscheidungsebenen auch auf der internationalen Ebene geführt haben". Damit dienen bürokratische Regime einer Verbesserung der zwischenstaatlichen Problemlösungskapazitäten.53

IV. Global Governance Die im Gefolge der Regimetheorie heute anerkannte Erkenntnis, daß internationale Beziehungen abhängig vom Sachgegenstand komplexe, steuerungstheoretisch zu analysierende Prozeß- und Akteursstrukturen, gerade mit Blick auf die unterschiedlichsten Beteiligten aus dem staatlichen und gesellschaftlichen Bereich, sind, hat gleichsam den Boden für die letzte hier zu behandelnde Theorie, global governance, bereitet. Das spätestens nach der Veröffentlichung des Abschlußberichtes „Nachbarn in Einer Welt" der Commission on Global Governance im Jahre 199554 in der Wissenschaft umfassend auf Resonanz gestoßene Konzept „global governance" ist vor dem Hintergrund der Globalisierungsdebatte zu sehen. Der ursprünglich aus dem Managementbereich multinationaler Unternehmen stammende Begriff „Globalisierung" hat in den letzten Jahren eine nahezu beispiellose Karriere gemacht. Während er anfangs allerdings vielfach als Umschreibung für sich 52 Colschen, Bürokratische Regime als Bedingungsfaktor für internationale Kooperation, 22; ähnlich Paulsen/Colschen/Wagner, ZfP 47 (2000), 54 (60). 53 54

Umfassend Paulsen/Colschen/Wagner,

ZfP 47 (2000), 54 ff.

Deutsche Ausgabe: Stiftung Entwicklung und Frieden (Hrsg.), Nachbarn in Einer Welt, Der Bericht der Kommission für Weltordnungspolitik (1995); hierzu Mürle, INEF Report Heft 32 (1998).

B. Konkretere Theorien zu internationalen Kooperationsbeziehungen

165

gerade im Wirtschaftssektor rasant vollziehende Internationalisierungstendenzen gebraucht wurde, hat sich in jüngerer Zeit eine differenziertere wissenschaftliche Betrachtung durchgesetzt. Im Gegensatz zur als Internationalisierung zu bezeichnenden Intensivierung grenzüberschreitender Beziehungen staatlicher und nichtstaatlicher Akteure mit dem (primären) Ziel einer eigenen Vorteilsmehrung, beschreibt Globalisierung ein gesellschaftliches und staatliches Phänomen der Entgrenzung mit Gemeinwohlbezug.55 Angesichts der nicht mehr zu übersehenden globalen Interaktionen staatlicher und nichtstaatlicher Akteure in nahezu allen Sachbereichen des gesellschaftlichen und politischen Lebens56 und der gleichzeitigen Erkenntnis, daß zahlreiche Probleme, die sich aus dieser Entwicklung ergeben, nicht mehr einzelstaatlich gelöst werden können, zeigt sich die Notwendigkeit, im globalen Gemeinwohlinteresse regionale und globale Kooperationsformen zu stärken. Damit geht die Bedeutung der staatlichen Grenze als gesellschaftliches und im Jurisdiktionsbereich staatliches Symbol getrennter Handlungssphären verloren. Globalisierung bezieht sich dementsprechend auf die festzustellende Entwicklung einer Entgrenzung. Akzentuierter formuliert ist Globalisierung damit qualitativ wesentlich mehr als eine Intensivierung grenzüberschreitender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Interaktion; es handelt sich - so die heute weithin anerkannte sozial- und rechtswissenschaftliche Sichtweise - um gesellschaftliche Denationalisierung und faktische sowie rechtliche Entstaatlichung. Hierunter ist zu vestehen, daß sich gesellschaftliche Beziehungen, z. B. im Kommunikations- und Wirtschaftssektor,jenseits des Nationalstaates und ohne seine Einflußnahme vollziehen (Denationalisierung) und daß darüber hinaus staatliche Regelungsmacht faktisch aufgrund gegebener Insuffizienzen der einzelstaatlich zur Verfügung stehenden Steuerungsmechanismen und rechtlich aufgrund immer mehr ineinandergreifender Jurisdiktionsbereiche relativiert wird (Entstaatlichung). 57 Den Begriff der Entstaatlichung kann man dabei auch mit Di Fabio als „Verlust der territorialen Radizierung des Staates" umschreiben. 58 Denationalisierung und Entstaatlichung als gesellschaftliche und rechtliche Phänomene dürfen jedoch nicht zu dem Schluß verleiten, hiermit werde die Exi55

Delbrück Indiana Journal of Global Legal Studies 1 (1993), 9 (10 f.); ähnlich zum Begriff der Entgrenzung Sommermann, in: Merten (Hrsg.), Der Staat am Ende des 20. Jahrhunderts, 19 (30 ff.). 56 Zu umfassenden Datenmaterial zu dieser Entwicklung siehe: Beisheim/Dreher/Walter/ Zangl/Zürn, Im Zeitalter der Globalisierung?, passim. 57

Zürn, Regieren jenseits des Nationalstaates, 65 ff.; F.-X. Kaufmann, Herausforderungen des Sozialstaates, 119; Delbrück, Indiana Journal of Global Legal Studies 1 (1993), 9 (11); Aman, Vanderbilt Journal of Transnational Law 31 (1998), 769 (780 f.). 58

Di Fabio, Das Recht offener Staaten, 97 ff.

Teil 3: Sozial wissenschaftliche Erklärungsansätze

166

Stenz und Existenzberechtigung des Staates in seiner Rolle als zentraler Akteur i m internationalen System und Garant der Rechtsordnung negiert - i m Gegenteil: Es besteht Einigkeit in der politik- und rechtswissenschaftlichen Forschung darüber, daß der Staat weiterhin die zentrale Handlungseinheit i m formalen und materiellen Sinne bleibt. Was sich verändert, sind die Aufgaben, die Zwecke und das Selbstverständnis des Staates, kurz: das Staatsbild, nicht jedoch die Erkenntnis seiner notwendigen Existenz. 5 9 U n d eben an dieser Stelle setzt auch das Konzept von global governance der Commission

an, das nicht, wie es die deutsche Übersetzung des Berichtes

on Global Governance mit „Weltordnungspolitik" vermuten läßt,

auf eine „Weltregierung" abzielt. Die Commission dies selbst ausdrücklich klar,

60

darüber, daß global governance

on Global Governance

stellte

und auch in der Wissenschaft herrscht Einigkeit nicht global government

meint. 6 1

D i e genauere Bestimmung des Inhaltes von global governance

hat ausgehend

von der anerkannten Prämisse zu erfolgen, daß hiermit nicht Strukturen einer zentrierten und hierarchisch geordneten Weltregierung gemeint sind. governance

Global

w i r d vielmehr als Erklärungsmodell komplexer Problemlösungsstra-

tegien mit B l i c k auf horizontal und vertikal differenzierte Sachfragen und A k teursstrukturen gesehen. Für die Commission

on Global

Governance

handelt es

sich dementsprechend u m „die Gesamtheit der zahlreichen Wege, auf denen Individuen sowie öffentliche und private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln. Es handelt sich um einen kontinuierlichen Prozeß, durch den kontroverse oder unterschiedliche Interessen ausgeglichen werden und kooperatives Handeln initiiert werden kann. Der Begriff umfaßt sowohl formelle Institutionen und mit Durchsetzungsmacht versehene Herrschaftssysteme als auch informelle Regelungen, die von Menschen und Institutionen vereinbart oder als im eigenen Interesse liegend angesehen werden." 62

59 Hierzu umfassend aus der Perspektive der Staatslehre Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, passim; aus politikwissenschaftlicher Perspektive statt vieler Zürn, Regieren jenseits des Nationalstaates, passim; Messner/ Nuscheier, in: Senghaas (Hrsg.), Frieden machen, 337 (344 f.). 60 Stiftung Entwicklung und Frieden (Hrsg.), Nachbarn in Einer Welt, Der Bericht der Kommission für Weltordnungspolitik, xxi. 61

Messner /Nuscheier, in: Senghass (Hrsg.), Frieden machen, 337 (341); Cox, in: ders. (Hrsg.), The New Realism, xv (xvi) (Cox spricht von multilateral governance); Rosenau, in: ders./Czempiel (Hrsg.), Governance without Government, 1 (4); Kohler-Koch, in: Bohret/ Wewer (Hrsg.), Regieren im 21. Jahrhundert, 109 (121 f.); sowie die Beiträge in: Väyrynen (Hrsg.), Globalization and Global Governance, 1999. 62

Stiftung Entwicklung und Frieden (Hrsg.), Nachbarn in Einer Welt, Der Bericht der Kommission für Weltordnungspolitik, 4.

B. Konkretere Theorien zu internationalen Kooperationsbeziehungen

167

Das wesentliche Element der global governance ist nach dieser Umschreibung also die Pluralität der Akteure und der Steuerungsmechanismen mit Blick auf im gemeinsamen (globalen) Interesse liegende Sachprobleme. Die Commission on Global Governance legte in ihrer Studie zwar einen gewissen Schwerpunkt auf internationale Organisationen und hier in erster Linie das UN-System, betrachtete aber auch die vertikale Verteilung der Aufgabenzuständigkeiten im Lichte des Subsidiaritätsgrundsatzes als „Rahmen für die effiziente Verteilung von Zuständigkeiten auf globale, regionale, nationale und lokale Institutionen". 63 Der Commission on Global Governance geht es damit insgesamt um mehr Kooperation, um „Netzwerke von Institutionen und Prozessen", die neben der den Staaten und Regionalorganisationen verbleibenden zentralen Stellung zur Lösung globaler Probleme in die Lage versetzen. 64 Damit wird neben den präskriptiven Aspekten des Berichtes der Kommission, die auf verstärkter globaler Solidarität und „Werte für die Nachbarschaft in der einen Welt" beruhen, 65 als empirisch-analytischer Gehalt auf kooperative Rechtsverwirklichungsstrukturen 66 pluralistischer Ausgestaltung abgestellt. Der Gedanke der dezentralen Struktur der Völkerrechtsordnung 67 erfährt so Bestätigung, gleichzeitig wird er aber auch um neue Elemente angereichert. Neben Staaten und internationalen Organisationen als zentrale Handlungseinheiten kommen insbesondere Individuen und Nichtregierungsorganisationen (globale Zivilgesellschaft) 68 sowie nicht notwendig den Staat in seiner Einheit repräsentierende lokale und sonstige bürokratische Handlungseinheiten in den Blick. Schon vor der Commission on Global Governance befaßte sich auch der Club of Rome mit ähnlichen Fragen. Auch für ihn steht die Steuerungsperspektive in einer horizontal und vertikal pluralistisch differenzierten Aufgabenzuständigkeit 63 Stiftung Entwicklung und Frieden (Hrsg.), Nachbarn in Einer Welt, Der Bericht der Kommission für Weltordnungspolitik, 29 ff., 168 ff., 315 ff.; Zitat ebda. 168. 64

Stiftung Entwicklung und Frieden (Hrsg.), Nachbarn in Einer Welt, Der Bericht der Kommission für Weltordnungspolitik, 7. 65

Stiftung Entwicklung und Frieden (Hrsg.), Nachbarn in Einer Welt, Der Bericht der Kommission für Weltordnungspolitik, 47 ff. (Kapitel 2). 66 Zum Begriff der Rechtsverwirklichung im Gegensatz zur hierarchisch orientierten Rechtsdurchsetzung Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 132 ff. m. w. N.; hierzu noch vertiefend infra Teil 5, A. II. 67 68

Dahm/Delbrück/Wolfrum,

Völkerrecht, Bd. 1/1,43.

Zu ihrer Bedeutung und Stellung in der Völkerrechtsordnung siehe umfassend Hobe, AVR 37 (1999), 152 ff.; Hempel, Die Völkerrechtssubjektivität internationaler nichtstaatlicher Organisationen, passim; Nowrot, Indiana Journal of Global Legal Studies 6 (1999), 579 ff.

168

Teil 3: Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze

im Vordergrund des Interesses. Dabei wird neben der Forderung nach Reformen i m Bereich der internationalen Organisationen gerade die Bedeutung der lokalen Ebene immer wieder betont. 69 Dieser Ansatz einer verstärkten Betrachtung der verschiedenen Ebenen einer sich konstituierenden global governance kommt auch i m Forschungsprogramm der United Nations University

( U N U ) maßgeblich zum

Tragen. I m Rahmen der zahlreichen Forschungsarbeiten der U N U zur global governance 70 wird neben präskriptiven Gesichtspunkten auf die Notwendigkeit der Umsetzung internationaler Handlungsstrategien auf zentraler und lokaler nationaler Ebene sowie auf sich vollziehenden Kooperationen zwischen verschiedenen staatlichen und substaatlichen hoheitlichen und privaten Akteuren verwiesen. Vergleichbare Überlegungen wurden im Schrifttum von Robert Cox angestellt, der allerdings von „Multilateralismus" anstatt von global governance spricht und hierunter nicht-hierarchische Kooperationsformen der verschiedensten staatlichen und nichtstaatlichen Akteure zur Lösung gegebener Probleme auf globaler oder regionaler Ebene versteht. 71 A m akzentuiertesten hat aber wohl James Rosenau die Bedeutung der global governance herausgearbeitet. Für ihn handelt es sich um effektive Regelungen in einem nichtautoritären bzw. dezentralisierten System ohne zentrale Durchsetzungsgewalt: ,,[G]lobal governance is conceived to include systems of rule at all levels of human activity - from the family to the international organization - in which the pursuit of goals through the exercise of control has transnational repercussions". 72 Aus dieser Definition ergibt sich auch die Bedeutung des Topos „governance without government" als „regulatory mechanisms in a sphere of activity which function effectively even though they are not endowed with formal authority". 73 I m Ergebnis geht es also auch hier um Steuerungsmechanismen zur Lösung transnationaler Probleme, die weniger auf autoritative Rechtssetzung und -durchsetzung abstellen, als vielmehr auf kooperative Rechtsverwirklichungsverfahren in differenzierter Akteurs- und Prozeßstruktur. Dabei wird man allerdings ergänzend klarstellen müssen, daß sich Governance- Prozesse tatsächlich kaum ohne staatliche Beteiligung nachweisen lassen werden. Auch wenn es hierzu z. B. mit Blick auf Selbstregulierungsmechanismen i m Internet 74 gewisse Ansätze gibt, stellt sich die Steuerungsstruktur der global governance primär als 69 King/Schneider, Die erste globale Revolution, passim; hierzu auch Mürle, INEF Report Heft 32 (1998), 11 ff. 70 71

Hierzu die Übersicht bei Mürle, INEF Report Heft 32 (1998), 13 ff.

Cox, in: ders. (Hrsg.), The New Realism, xv (xvi). Rosenau, Global Governance 1 (1995), 13. 73 Rosenau, in: ders./Czempiel (Hrsg.), Governance without Government, 1 (5). 74 Hierzu Delbrück/Tietje, Int'l Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, 15 (30) m. w. N. 72

B. Konkretere Theorien zu internationalen Kooperationsbeziehungen

169

governance with governments dar. Hiermit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß es nicht so sehr um ausschließlich sich im gesellschaftlichen Bereich vollziehende Steuerungsmechanismen geht, sondern in erster Linie um kooperative Verfahren staatlich-gesellschaftlicher Natur. 75 Der Verweis auf „governance without government" ist insoweit zu eng, denn auch mit diesem Konzept soll nicht die weiterhin verbleibende Rolle des Staates negiert werden, sondern nur auf neue Steuerungsformen im national-internationalen System aufmerksam gemacht werden. Dem Gedanken des „Netzwerkes von Akteuren" zur funktionalen Problembewältigung kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. 76 Abschließend ist zur Diskussion über global governance auf die hierzu vorliegenden Arbeiten der OECD hinzuweisen, die wie folgt definiert: „Global governance can be loosely defined as the process by which we collectively manage and govern resources, issues, conflicts and values in a world that is increasingly a ,global neighbourhood'". 77 Ausgehend von dem Phänomen der Globalisierung geht es der OECD darum, die Auswirkungen der neuen Herausforderungen und Handlungsstrategien im internationalen System darzustellen, die sich im Staatsgefiige ergeben. Die OECD konstatiert, daß die internationale Verflechtung der Staaten und die daraus resultierende Internationalisierung nahezu aller Sachbereiche staatlichen Handelns organisatorische und inhaltliche Auswirkungen im Staatsaufbau hat. Fachministerien und andere Verwaltungseinheiten seien heute täglich mit internationalen Angelegenheiten befaßt, so daß die traditionelle Vorstellung konzentrierter Außenpolitik in den Außenministerien obsolet sei. Hierauf müsse durch entsprechende organisatorische Maßnahmen der Koordination staatlichen Handelns reagiert werden, damit es nicht zu inkohärenten Maßnahmen verschiedener Akteure aus unterschiedlichen Fachbereichen komme.78 Dies gelte auch für die verstärkte Einbindung substaatlicher (lokaler) Verwaltungseinheiten, die zunehmend grenzüberschreitend tätig seien. Inhaltlich seien darüber hinaus die Implikationen der steigenden Bedeutung exekutiven Handelns mit auswärtigem Bezug mit Blick auf Fragen der demokratischen Legitimation zu beachten. Dies gelte ebenso hinsichtlich der demokratischen Legitimation internationaler Organisationen. Insgesamt stellen damit nach Ansicht der OECD die Globalisierung und die sich hieraus ergebende Notwendigkeit der global governance erhebliche An75

Zürn, Regieren jenseits des Nationalstaates, 169 f. und 204. Altvater/Mahnkopf, Grenzen der Globalisierung, 554 f.; Messner/Nuscheler, in: Senghaas (Hrsg.), Frieden schaffen, 337 (347); zum ganzen auch Mingst, in: Väyrynen (Hrsg.), Globalization and Global Governance, 87 (92 ff.). 76

77 OECD, Globalisation: What Challenges and Opportunities for Governments?, Paris 1996 (http://oecd.org/puma/gvnance/strat/pubs/glo96). 78

Siehe hierzu auch noch infra Teil 7, C. II.

170

Teil 3: Sozial wissenschaftliche Erklärungsansätze

forderungen an eine moderne Gestaltung einzelstaatlicher Politik- und Verwaltungsstrukturen dar. 79 Zusammengefaßt zeigt sich, daß unter global governance eine steuerungstheoretische Erfassung sich kooperativ vollziehender Politik- und Verwaltungsentscheidungen im internationalen System zu verstehen ist. Der unmittelbar ins Deutsche nicht übersetzbare Begriff der „governance" ist insoweit als „Steuerung" zu umschreiben. 80 Global governance bezieht sich also in Fortführung der Regimetheorie auf eine steuerungsperspektivische Erfassung kooperativer Rechtsverwirklichungsprozesse im internationalen System. Der Kreis der Akteure in diesem nicht-hierarchischen Prozeß ist dabei prinzipiell weit zu fassen; internationale, staatliche, substaatliche und gesellschaftliche Akteure der unterschiedlichen horizontalen und vertikalen Handlungsebenen werden erfaßt. Empirisch-analytisch wird dabei darauf abgestellt, daß die aus der Denationalisierung und Entstaatlichung der Globalisierung resultierenden Handlungsherausforderungen heute zunehmend kooperativen Lösungswegen zugeführt werden. Die Beteiligung nichtstaatlicher Akteure im innerstaatlichen und internationalen politischen Prozeß und eine verstärkte grenzüberschreitende Verwaltungszusammenarbeit sind hierfür maßgebliche Kennzeichen. Präskriptiv geht es dem Global-governance-Konz&pt darum, angemessene Strategien zu entwickeln, die unter Anerkennung der weiterhin zentralen Rolle des Staates die Legitimität des sich vollziehenden Rechtssetzungs- und Rechts Verwirklichungsprozesses garantieren. Global governance kann in diesem Sinne als Synthese der rechts- und sozialwissenschaftlichen Theorienbildung aufbauend auf den Grundgedanken des Funktionalismus angesehen werden. Neben der hier zunächst nicht weiter interessierenden Rolle nichtstaatlicher Akteure im innerstaatlichen und internationalen System sind es insbesondere die Auswirkungen der global governance auf die „vollziehende Gewalt", denen maßgebliche Bedeutung zukommt. Damit rückt nach bescheidenen Ansätzen in den 1970er Jahren auch die Frage nach den rechtlichen Rahmenbedingungen eines internationalisierten Verwaltungshandelns wieder zentral in den Blickpunkt des Interesses.

79

OECD, Globalisation: What Challenges and Opportunities for Governments?, Paris 1996 (http://oecd.org/puma/gvnance/strat/pubs/glo96). 80

Mürle, INEF Report Heft 32 (1998), 4; zum Begriff auch K. König, Verwaltungsstaat im Übergang, 136 ff.

Teil 4

Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung als eigenverantwortlicher und eigenständiger internationaler Akteur: Grundlegung

Die sozialwissenschaftlichen und völkerrechtlichen Hinweise auf internationale Kooperationsformen der technisch-administrativen Aufgabenerledigung in einem Mehrebenensystem deuten darauf hin, daß die nationale Verwaltung als eigenständiger und eigenverantwortlicher Akteur im internationalen System zunehmend anerkannt wird. Mit dieser Erkenntnis ist freilich noch keine Aussage darüber getroffen, ob auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive eine Erfassung der Verwaltung als relevanter Faktor im internationalen System möglich ist. Der schlichte Verweis darauf, daß nach herkömmlicher Sichtweise einzelstaatliche Handlungsträger im völkerrechtlichen Außenverhältnis durch den Staat als Völkerrechtssubjekt mediatisiert werden, könnte zu der Annahme verleiten, daß bereits unter prinzipiellen Gesichtspunkten die eigenständige Erfassung einer internationalisierten Verwaltung aussscheidet. Indes wird man unter Berücksichtigung der heute ohnehin nicht mehr zu leugnenden Erweiterung des Kreises der Völkerrechtssubjekte und hierüber hinausgehend des Kreises der Akteure im internationalen System insgesamt sozialwissenschaftlich und juristisch nicht mehr davon sprechen können, daß nur und ausschließlich der Staat in seiner Ganzheit von Interesse ist, wenn es um internationale Kooperationsformen geht.1 Weiterhin würde es nicht zuletzt angesichts des umfassenden empirischen Befundes, den Wolfgang Wessels jüngst zur grenzüberschreitenden deutschen Verwaltungspraxis in den Jahren 1960-1995 vorgelegt hat,2 eine unzulässige Verengung des wissenschaftlichen Diskurses darstellen, einfach auf formaljuristische Kriterien zu verweisen, um so die Verfassungsrelevanz einer eigenständig und eigenverantwortlich handelnden Verwaltung in internationaler Angelegenheiten zu negieren. Da sich das inter-

1

Zur Erweiterung und Vielfältigkeit des Kreises der Akteure im internationalen System statt vieler Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 258 ff. und 309 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 13 ff. 2

Wessels, Die Öffnung des Staates, passim.

172

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

nationalisierte Verwaltungshandeln vielmehr als bislang - abgesehen vom Sonderfall des Gemeinschaftsrechts - nicht untersuchte rechtliche Herausforderung darstellt, muß es darauf ankommen, die insoweit maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundstrukturen dieser den Staat als Einheit transzendierenden Erscheinung zu erfassen. Ausgehend von einigen materiellen und formellen verfassungsrechtlichen Grundlagen des internationalisierten Verwaltungshandelns (A.) wird es dabei auch darum gehen, die internationale Zusammenarbeit in technisch-administrativen Sachbereichen als nationale Verwaltungsaufgabe zu bestimmen (B.).

A. Materielle und formelle Grundlagen des internationalisierten Verwaltungshandelns Nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG kennt die deutsche Verfassungsordnung nur die Gesetzgebung, die Rechtsprechung und die vollziehende Gewalt als staatliche Funktionen auf dem Boden einer einheitlichen Staatsgewalt, die vom Volke ausgeht (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG). 3 Innerhalb dieser auf hohem Abstraktionsniveau angesiedelten Dreiteilung sind Differenzierungen möglich, die sich als verfassungsrechtliche Konkretisierungen der grundlegenden Wertentscheidung des Art. 20 Abs. 2 GG darstellen. Für die vollziehende Gewalt ist es insoweit die Unterscheidung von Verwaltung (Administrative) und Regierung (Gubernative), die dem Grunde nach als verfassungsrechtliche Konkretisierung des Gewaltenteilungsprinzips anerkannt ist. 4 Aus dieser zunächst scheinbar klaren Ausformung des Gewaltenteilungsprinzips erwachsen eine Reihe von Zweifelsfragen, die für eine Verortung des internationalisierten Verwaltungshandelns im demokratischen Rechtsstaat von Bedeutung sind. Sie kreisen zentral um die Problematik, inwieweit internationalisierte Staatstätigkeiten überhaupt als Verwaltungstätigkeiten aufgefaßt werden können. Für Otto Mayer stand insoweit fest, daß Verwaltung „von vornherein" nur als eine Staatstätigkeit gedacht werden kann, „die unter seiner Rechtsordnung sich vollzieht". Da über den territorial umgrenzten staatlichen Bereich hinausgehende Aktivitäten aber vom Völkerrecht geregelt werden

3

Statt vieler Badura, Staatsrecht, D Rdnr. 47 f.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 484 ff. 4

Badura, Staatsrecht, G Rdnr. 2; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 20 Rdnr. 24; BVerfGE 1, 372 (394); 30, 1 (28); 95, 1 (16); das BVerfG verwendet den Begriff „Exekutive" als Oberbegriff für Regierung und Verwaltung; ausführlich jetzt zur Gubernative von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, passim; zu einer ausschließlich institutionellen Differenzierung zwischen Verwaltung und Regierung, die keinen hier interessierenden materiellen Erkenntnisgewinn bringt, jetzt Axer, Normsetzung der Exekutive, 26 ff.

A. Grundlagen des internationalisierten Verwaltungshandelns

173

würden, konnten sie für ihn schon vom Ansatz her keine Verwaltung sein.5 Selbst bei einer möglichen Inkorporation von Völkerrecht in die innerstaatliche Rechtsordnung blieb darüber hinaus für Mayer fraglich, ob es überhaupt zu einer solchen „Nostrifikation des Völkerrechts" kommen könne, da nur dann der Verwaltungsbegriff anwendbar sei.6 Die von Otto Mayer dogmatisch begründete Ausgrenzung des Verwaltungshandelns aus dem Kreis der international beeinflußten Staatsaktivitäten hängt aber neben ihrem völkerrechtlichen Bezug aus staatsrechtlicher Perspektive heute auch mit dem vielfach anzutreffenden Topos von der „auswärtigen Gewalt" zusammen. Akte der „auswärtigen Gewalt" sollen nach der Formulierung des B VerfG „grundsätzlich dem Kernbereich der Regierung zugeordnet" 7 sein. Dies wird auch im Schrifttum so immer wieder vertreten. 8 Durch die vermeintlich verfassungsrechtlich gebotene Zuweisung aller auswärtigen Staatsaktivitäten in den Bereich der „auswärtigen Gewalt" und damit in die Handlungssphäre der Regierung, wird die Verwaltungsdimension internationalisierter Staatsaktivitäten von vornherein dem Blick entzogen. Sowohl der ausschließlich auf die innerstaatliche Rechtsordnung bezogene Verwaltungsbegriff Mayers als auch die Bedeutung des Topos von der „auswärtigen Gewalt" entstammen einem verfassungsrechtlichen Denken, dessen historisch-soziologische und damit auch rechtliche Grundlagen heute zunehmend in Frage zu stellen sind. Die im Schrifttum bereits konstatierte „Entterritorialisierung des Verwaltungsrechts" 9 sowie im darüber hinausgehenden Sinne die verfassungsrechtliche Unangemessenheit einer ausschließlichen Betrachtung der „auswärtigen Gewalt" im Sinne einer starren Verankerung internationaler Aktivitäten des Staates im funktionellen Bereich der Regierung 10 zwingen dazu, auch die Verwaltung in den Blick des internationalisierten Staatshandelns zu nehmen.

5

O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 10 f.

6

O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 11 Fn. 15.

7

BVerfGE 90, 286 (358); vgl. auch BVerfGE 1, 372 (395).

8

Insbesondere Grewe, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 77 Rdnr. 46 ff.; ebenso Kluth, in: Wendt/Höfling/Karpen/Oldiges (Hrsg.), FS Friauf, 197 (200); ähnlich Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 534. 9

E. Klein, in: Starck (Hrsg.), Rechtsvereinheitlichung durch Gesetze, 117 (140); Schmidt-Aßmann, DVB1. 1993, 924 (936); von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 414 f. 10

Siehe nur Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 59 Rdnr. 14 ff.

174

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

I. Die „Entterritorialisierung des Verwaltungsrechts" Mit der Umschreibung von Verwaltung als „eine Thätigkeit des Staates, die unter seiner Rechtsordnung sich vollzieht" 11 begründete Otto Mayer die auch heute noch weitverbreitete Auffassung, daß als Verwaltung nur innerstaatliche Aktivitäten der vollziehenden Gewalt anzusehen seien. Verwaltungshandlungen, die sich auf das Völkerrecht oder insgesamt auf internationale Regelungsgegenstände beziehen, werden daher - zum Teil immerhin unter Zuweisung des Begriffes „auswärtige Verwaltung" - unter Verweis auf die Eigenart dieser Materie aus den Darstellungen des deutschen Verwaltungsrechts ausgeklammert. 12 Das Verwaltungsrecht gewinnt so in seiner wissenschaftlichen Darstellung in Deutschland das Bild einer territorial gebundenen Rechtsmaterie, die sich Einflüssen internationaler Entwicklungen weitgehend entzieht. Erst die eigenständige wissenschaftliche Aufarbeitung des Verwaltungsrechts in seiner europarechtlichen Dimension 13 hat hier eine Wende hervorgebracht. Sie wird verallgemeinernd bereits als „Entterritorialisierung des Verwaltungsrechts" umschrieben. 14 Diese Feststellung fußt allerdings mehr auf empirischer Grundlage ausgehend von den Rechtswirkungen des Gemeinschaftsrechts im innerstaatlichen Rechtsraum und weniger auf einer prinzipiellen Durchdringung der Frage danach, inwieweit und auf welcher ratio begründet das Verwaltungsrechts überhaupt territorial gebunden ist. Um diese Frage muß es aber gehen, wenn Gesichtspunkte eines internationalisierten Verwaltungshandelns aufgezeigt werden sollen, die über die spezifischen Aspekte des Gemeinschaftsrechts hinausgehen. Die wenig hinterfragte Prämisse der territorialen Gebundenheit des Verwaltungsrechts in Deutschland läßt sich nur verfassungsgeschichtlich im Zusammenhang mit der allgemeinen Entwicklung des Territorialitätsprinzips erklären. Das in seinen Umrissen noch näher zu konturierende Territorialitätsprinzips findet seine staatsrechtliche Grundlage in der Ablösung des vorwiegend personalen Herrschaftsverbandes des Altertums und Mittelalters durch die Entstehung des moder11 12

O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. I, 10.

Siehe z. B. Wolff/Bachof/Stober, buch des Vewaltungsrechts, Bd. I, 14.

Verwaltungsrecht I, § 2 Rdnr. 35; Forsthoff,

Lehr-

13

Siehe insbesondere die Monographien von von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration; Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß; Hatje, Die gemeinschaftsrechtliche Steuerung der Wirtschaftsverwaltung. 14

E. Klein, in: Starck (Hrsg.), Rechtsvereinheitlichung durch Gesetze, 117 (140); Schmidt-Aßmann, DVB1. 1993, 924 (936); von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 414 f.

A. Grundlagen des internationalisierten Verwaltungshandelns

175

nen Territorialstaates, wie er sich spätestens mit dem Westfälischen Frieden manifestierte. 15 Bei aller Schwierigkeit der Differenzierung und des oftmals fließenden Überganges vom personalen Herrschaftsverband zum Territorialstaat tritt ein entscheidendes Unterscheidungsmerkmal dieser beiden verfassungsgeschichtlichen Herrschaftsverhältnisse deutlich hervor: Die Grundlage des Verwaltungsrechts im heutigen Sinne beruhte im genossenschaftlich organisierten Herrschaftsverband des Altertums und Mittelalters auf der Idee des Treueverhältnisses als personenrechtliche Bindung. Die „moderne" Vorstellung eines Subordinationsverhältnisses als Grundlage verwaltungsrechtlicher Verhältnisse konnte sich demgegenüber erst im Territorialstaat entwickeln, da jetzt nicht mehr ein Personen verhältnis, sondern das Territorium Grundlage des staats- und verwaltungsrechtlichen Herrschaftsverhältnisses war. 16 Diese später insbesondere als „Eigenschafts-" oder „Raumtheorie" bezeichnete staats- und verwaltungsrechtliche Eigenart des Territorialstaates ist prägnant im Begriff „imperium" und in dem Rechtssatz „Quidquid est in territorio, est de territorio" zusammengefaßt. 17 Schon vor dem Hintergrund der allgemeinen Entwicklung des Territorialstaates zeichnet sich die gerade für das öffentliche Recht immer wieder hervorgehobene untrennbare Verbindung von Rechtsgeltung und Territorium ab. Sie wurde später dann durch den Souveränitätsbegriff maßgeblich geprägt. Auch wenn Bodin, der allgemein als Begründer der Souveränitätslehre gilt, noch keineswegs zwingend den Territorialstaat vor Augen hatte,18 zeichnet sich doch in seiner Zeit die Herausbildung der staatsrechtlichen Vorstellung einer untrennbaren Verbundenheit von Territorium, Herrschaft, Rechtsgeltung und damit staatlicher Existenz im umfassenden Sinne deutlich ab. Das, was den Staat in seiner Existenz und Tätigkeit ausmacht, nämlich die Rechtsordnung, 19 wurde nun zentral am Territorium festgemacht. Damit war auch der Boden geebnet, um die völkerrechtliche Ver15 Zum nicht unproblematischen Gegensatz von personalem Herrschaftsverband und Territorialstaat und der Entstehung des „modernen" Staates siehe Kimminich , Deutsche Verfassungsgeschichte, 113 f. 16

Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, 114.

17

Einzelheiten hierzu bei Krüger, Allgemeine Staatslehre, 89; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 235; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 12 I; AT. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 43 ff. m. w. N. 18

Einzelheiten bei K Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 51 ff. 19

Siehe z. B. Heller, Staatslehre, 191 („Das Recht muss als die notwendige Bedingung des heutigen Staates, der Staat aber auch als die notwendige Bedingung des heutigen Rechtes erkannt werden"); Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. I, § 13 Rdnr. 57,65 ff. ; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 8 (Der Staat als rechtlich verfaßte Gemeinschaft).

176

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

ankerung der Souveränitätslehre zum maßgeblichen Gegenstand des ius inter gentes zu erheben. Die völkerrechtlich garantierte Unverletztlichkeit des territorialen Herrschaftsgebietes führte zur anerkannten Abgrenzung staatlicher Rechtsordnungen und damit zur Manifestation des territorialen Bezuges des Rechts.20 Besonders deutlich zeigte sich dies in der erst mit der Territorialisierung von Herrschaft aufkommenden und dann rasch voranschreitenden Entwicklung eines eigenständigen „Policey"-Rechts als dem Vorläufer des heutigen Verwaltungsrechts. Die Verwirklichung der „guten Ordnung", als umfassende Kompetenzzuweisung an die Hoheitsgewalt verstanden, die sich überhaupt erst mit der staatlichen Verselbständigung der Territorien des Reiches durchzusetzen vermochte, nahm dann allerdings weitgehend ohne inhaltliche Restriktionen das gesamte Feld der im heutigen Sinne „Innenpolitik" ein. Durch die Abkehr von Rechtstiteln, die auf Treueverhältnissen begründet waren, und der Ausbildung territorial begründeter Souveränität kam es zur Möglichkeit zentralisierter öffentlich-rechtlicher Herrschaftsausübung. Ihre Durchsetzung wurde durch die sich entwickelnden Verwaltungsstrukturen gesichert. 21 In der Rechtswissenschaft führte die Territorialisierung von Herrschaftsausübung und damit des Rechts neben eher im Bereich der Staatslehre anzusiedelnden staatstheoretischen Forschungsansätzen des ius publicum universale 22 maßgeblich im Kollisionsrecht zu weitreichenden neuen Erkenntnissen bzw. überhaupt erst zur eigenständigen Herausbildung dieses Rechtsgebietes. Es war insoweit Ulrik Huber (1636-1694), der sich 1684 erstmals intensiver mit dem räumlichen Anwendungsbereich der Gesetze befaßte und - allerdings ohne sich der heutigen Begrifflichkeit zu bedienen - die Lehre vom territorialen Bezug des Rechts begründete. 23 Das so begründete Territorialitätsprinzip erfuhr rasch weitreichende Zustimmung und sollte die kollisionsrechtlichen Lehren im Privat-, Straf- und Verwaltungsrecht lange Zeit prägen. In den Commentaries on the Conflict of Laws von Joseph Story heißt es hierzu zusammenfassend, daß ,,[t]he first and

20 Einzelheiten bei K. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 43 ff.; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 26 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1,316 f.; zur Entwicklung des Souveränitätsbegriffes im Überblick Randelzhofer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. I, § 15 Rdnr. 13 ff. m. w. N. 21

von Unruh, in: Jeserich/Pohl/von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1, 388 (392 ff.); Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I, 369 ff., 397 f., jeweils m. w. N. 22 23

Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I, 291 ff.

Ausführlich hierzu K. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 28 ff. m. w. N.

A. Grundlagen des internationalisierten Verwaltungshandelns

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most general maxim or proposition is that...: that every nation possesses an exclusive sovereignty and jurisdiction within its own territory". 24 Die hier nur angedeutete, im übrigen von Klaus Vogel umfassend nachgezeichnete Entwicklung des Territorialitätsprinzips als zentrales Dogma in der Verbindung von Staat und Recht 25 zeigt seine weitreichende staatstheoretische und rechtspositive Bedeutung auf. Weniger auf Rationalität begründet, als vielmehr historisch bedingt, 26 wurde der Staat in seiner Existenz und Wirklichkeit lange Zeit untrennbar mit dem Gedanken seines territorial umgrenzten Rechts in Verbindung gesetzt. Das Territorialitätsprinzip konnte sich später allerdings im Kollisionsrecht nicht umfassend halten und wurde im Zivilrecht durch die Aufgabe des Souveränitäts- zugunsten des Interessenprinzips und zahlreicher verschiedener Kollisionsnormen ersetzt. 27 Im Strafrecht zeigt sich die Relativierung des Territorialitätsprinzips heute in der Anerkennung des aktiven und passiven Personalitätsprinzips, des Prinzips der stellvertretenden Strafrechtspflege und insbesondere des Weltrechtsprinzips (vgl. §§ 5, 6 und 7 StGB). Im „internationalen" öffentlichen Recht hingegen wird trotz deutlicher Relativierungen z. B. im Kartell- und Steuerrecht und der insoweit zu konstatierenden Absage an die apriorische Geltung des Territorialitätsprinzips 28 immer wieder auf seine zentrale Stellung im kollisionsrechtlichen Sinne abgestellt.29 Dem entspricht die völkerrechtliche Verankerung des Territorialitätsprinzips, das hier in der Ausprägung als territoriale Souveränität und Gebietshoheit, letztere wiederum unterteilt in Rechtssetzungs- und Vollzugsgewalt, bekannt ist. 30 Die Entwicklung des Territorialitätsprinzips zeigt die ihm historisch und aktuell zugewiesene Rolle als staatsexistenzielles Merkmal. A m treffendsten zusammenfassen läßt sich dies in der wohl erstmals von Radnitzky gewählten Umschreibung der Kompetenztheorie. Hiernach ist das Staatsgebiet der räumliche Geltungs24

Story , Commentaries on the Conflict of Laws, Chapter II, § 18; ebda., §§ 18 ff. auch weitere Einzelheiten zum Territorialitätsprinzip; insgesamt zu dieser Entwicklung K Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 28 ff. m. w. N. 25

K Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 43 ff.

26

K. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 59.

27

Zusammenfassend hierzu Kegel, Internationales Privatrecht, § 6.

28

K Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 113 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 321 ff., jeweils m. w. N. 29

Kegel, Internationales Privatrecht, § 23 1.2; BVerwGE 75, 285 (286 f.); R. Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, 196 ff. m. w. N. 30

Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 318 f.; Graf Vitzthum, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. I, § 16 Rdnr. 4; Verdross/Simma/Geiger, Territoriale Souveränität und Gebietshoheit, 15 ff. m. w. N.

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Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

bereich, in dem sich staatliche Herrschaft entfalten kann. 31 Auch wenn weder die Kompetenztheorie noch die sonstigen zum Staatsgebiet vertretenen Theorien jeweils für sich die staats- und völkerrechtliche Eigenart des Staatsgebietes abschließend erfassen können,32 bleibt doch entscheidend, daß die Territorialität des Staates als Wesensmerkmal seiner Existenz und Herrschaft angesehen wird. 33 Überträgt man diese Überlegungen, die in ihren Grundaussagen und unabhängig vom weitgehend rechtspositivistisch beeinflußten Theorienstreit 34 im Kern immer wieder so umschrieben werden, auf die Frage nach der Territorialität des Verwaltungsrechts, kann auf die klassische Aussage von Mayer zurückgegriffen werden, wonach Verwaltung „Thätigkeit des Staates zur Verwirklichung seiner Zwecke" sei. 35 Wenn die „Zwecke" des Staates, um deren Verwirklichung es durch die Verwaltung geht, im umfassendsten Sinne als Ordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse umschrieben werden können,36 wird durch das Territorialitätsprinzip apriorisch vorausgesetzt, daß diese Ordnungsfunktion nur innerhalb der Staatsgrenzen durch die hier wirkende Hoheitsgewalt erbracht werden kann. In diesem Sinne wird „der Kern der Staatlichkeit" in der Verwaltung verortet, wird in der territorial gebundenen einheitlichen Verwaltung die Einheit des Staates, seine Identität, gesehen.37 Damit wandelt sich das Territorialitätsprinzip vom formalen zum materiellen Ordnungsprinzip autonomer, staatszentrierter Ausübung von Herrschaft. Gleichzeitig wird deutlich, daß sich eine territoriale Bezogenheit des Verwaltungsrechts überhaupt nur dann rechtfertigen läßt, wenn die genannte Ordnungsfunktion tatsächlich nur durch innerstaatliche Impulse rechtlicher und politischer Art erfüllt werden kann. Genau an dieser Stelle setzt die Erkenntnis von der Entterritorialisierung des Verwaltungsrechts an. Wie bereits durch die historische Entwicklung und mit Blick auf den gegenwärtigen Rechtsstand internationalisierter Verwaltungsaktivitäten im internationalen 31 Radnitzky, AöR 20 (1906), 313 (339 ff.); siehe auch Graf Vitzthum, Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. I, § 16 Rdnr. 6 m. w. N. 32

Doehring, Allgemeine Staatslehre, Rdnr. 66; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Bd. 1/1,317 f. 33

in: Isensee/ Völkerrecht,

Graf Vitzthum, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. I, § 16 Rdnr. 6.

34

Zu den verschiedenen Theorien umfassend Radnitzky, AöR 20 (1906), 313 ff.; Dahm/ Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1,317. 35

O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. I, 3.

36

Siehe insoweit die verschiedenen Erfassungen der Verwaltung im materiellen (positiven) Sinne im Schrifttum, hierzu Ehlers, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 1 Rdnr. 6 m. w. N. 37

Hierzu die historischen Ausführungen bei Haverkate, (219 Fn. 3).

VVDStRL 46 (1988), 217

A. Grundlagen des internationalisierten Verwaltungshandelns

179

System angedeutet wurde, 38 werden auf völkerrechtlicher Ebene in vielfacher Ausgestaltung Verwaltungsaufgaben wahrgenommen, die über den territorial umgrenzten Hoheitsbereich des Staates hinausgehen. Eine exklusive territoriale Bindung von Verwaltungsaufgaben kennt das internationale System schon seit spätestens der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr. Die in der Staatenpraxis dokumentierte zwischenstaatliche Kooperation durchbricht insoweit die Gebietshoheit des Staates bzw. schränkt sie ein. 39 Während bereits das klassische Völkerrecht in der Form des Servituts, des Kondominiums und des Koimperiums 40 verschiedene „entterritorialisierte" Kooperationsformen kannte, tritt in der neueren völkerrechtlichen Entwicklung die durch internationale Organisationen institutionalisierte zwischenstaatliche Kooperation hinzu. Neben der EG mit der ihrer Rechtsordnung eigenen unmittelbaren Rechtswirkung in den Mitgliedstaaten 41 sind es verschiedene internationale Organisationen, deren Tätigkeit zur Durchbrechung staatlicher Gebietshoheit führt. Ergänzend zu der bereits hervorgehobenen technisch-administrativen Aufgabenwahrnehmung vornehmlich durch internationale Organisationen, sei weiterhin stichwortartig und beispielhaft auf die vielfältigen internationalen Flußregime hingewiesen, die eine „Entterritorialisierung" administrativer Zuständigkeiten prägnant und historisch in seit langem bekannter Weise deutlich belegen.42 Ähnliches gilt für die gerade in der Bundesrepublik zahlreichen grenzüberschreitenden Kooperationen von Gemeinden.43 Artikel 24 Abs. la GG ist in diesem Bereich ein Beleg für die Auf-

38 Vertiefend hierzu noch die Analyse ausgewählter Referenzgebiete des internationalisierten Verwaltungshandelns infra Teil 6. 39

Dahm/Delbrück/Wolfrum,

40

Hierzu Dahm/Delbrück/Wolfrum,

Völkerrecht, Bd. 1/1, 329 f. Völkerrecht, Bd. 1/1, 335 ff. und 341 ff.

41

St. Rspr., siehe z. B. EuGH, Gutachten 1/91 , Slg. 1991,1-6079/Tz. 21: „Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes haben die Gemeinschaftsverträge eine neue Rechtsordnung geschaffen, zu deren Gunsten die Staaten in immer weiteren Bereichen ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben und deren Rechtssubjekte nicht nur deren Mitgliedstaaten, sondern auch deren Bürger sind. ... Die wesentlichen Merkmale der so verfaßten Rechtsordnung der Gemeinschaft sind ihr Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten und ihre unmittelbare Wirkung zahlreicher, für ihre Staatsangehörigen und für sie selbst geltenden Bestimmungen". 42

Einzelheiten bei Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 385 ff.; zu weiteren Aspekten der Entterritorialisierung hoheitlicher Aufgaben, die sich im Zusammenhang mit der Globalisierung zeigen, siehe ausführlich Delbrück, Indiana Journal of Global Legal Studies 1 (1993), 9 ff; Aman, Vanderbilt Journal of Transnational Law 31 (1998), 769 ff. 43

Umfassend hierzu Beyerlin, Rechtsprobleme der lokalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, passim; ders., AVR 27 (1989), 286 ff.; ders., ZaöRV 54 (1994), 587 ff.; Lang, AVR 27 (1989), 253 ff.

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

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gabe des Dogmas staatlicher Ausschließlichkeit zur Erledigung von Verwaltungsaufgaben. 44 Neben den empirischen Hinweisen auf eine „Enterritorialisierung" staatlicher Aufgabenzuständigkeiten, die seit einiger Zeit in der Staatenpraxis festzustellen ist, muß auf einen weiteren Aspekt der völkerrechtlichen Entwicklung aufmerksam gemacht werden, der die Vorstellung der territorial gebundenen Ordnungsfunktion staatlicher Herrschaftsmacht in Frage stellt. I m Völkerrecht entwickelt sich seit einiger Zeit das Konzept sogenannter Staatengemeinschaftsinteressen, die sich durch eine Struktur auszeichnen, die über die koordinationsrechtliche Sphäre einer Interessenabgrenzung territorialer Räume hinausgeht. Während das Völkerrecht klassischer Prägung nur Rechtsnormen für das Verhältnis territorial umgrenzter Staaten zueinander bereithielt, wurde durch die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofes (IGH) z. B. imReparation-for-Injuries-Case von 1949, in der Barcelona-Traction- Entscheidung von 1970, in dem Urteil zum East-Timor- Fall und in dem Gutachten zur Völkerrechtswidrigkeit des Einsatzes von Nuklearwaffen 45 klargestellt, daß einige zentrale Problemfelder von globaler Dimension nicht mehr anhand von Rechtsnormen zur Abgrenzung territorialer Interessensphären gelöst werden können, sondern ein zentrales Anliegen der internationalen Gemeinschaft insgesamt sind. Der dieser Überlegung zugrundeliegende Rechtsgedanke einer hervorgehobenen, den interessenabgrenzenden Raum des völkerrechtlichen Koordinationsrechts verlassenden Rechtswirkung einzelner Völkerrechtsnormen ist heute im Schrifttum anerkannt. 46 Hiermit i m Zusammenhang steht auch das völkerrechtliche Kooperationsgebot, auf das in seiner in Deutschland Verfassungsrang einnehmenden Bedeutung noch zurückzukommen ist. 47 Damit zeigt sich, daß nicht nur für das EG-Recht, sondern insgesamt auf die Einbindung des Staates in das internationale System bezogen, eine Abkehr von 44

Pernice , in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. I, Art. 24 Rdnr. 39 m. w. N. Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations , ICJ Reports 1949, 174 (179); Barcelona Traction, Light and Power Company, Ltd., ICJ Reports 1970, 3 (32); East Timor Case, ICJ Reports 1995, 89 (102); Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict (Request of the World Health OrganizationJ, ICJ Reports 1996, 66 (102). 45

46

Riedel, in: Hobe (Hrsg.), Die Präambel der UN-Charta im Lichte der aktuellen Völkerrechtsentwicklung, 34 (44); Frowein, in: Hailbronner/Ress/Stein (Hrsg.), FS Doehring, 219 ff.; Simma, in: Delbrück (Hrsg.), The Future of International Law Enforcement, 125 (136 ff.); ders., RdC 250 (1994), 221 ff.; Delbrück, in: Götz/Selmer/Wolfrum (Hrsg.), FS Jaenicke, 17 (29 ff.); Tietje, AVR 33 (1995), 266 (281 f.) m. w. N. 47

Infra Teil 4, B. III. l . c ) cc).

A. Grundlagen des internationalisierten Verwaltungshandelns

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der Vorstellung einer sich nur territorial konstituierenden Rechtsordnung zu verzeichnen ist. Während für das Zivil- und Strafrecht das Territorialitätsprinzip schon seit langem seine dominierende Stellung verloren hat, steht die wissenschaftliche Anerkennung eines auch „entterritorialisierten" Verwaltungsrechts allerdings noch aus. Daß sich die Vorstellung eines ausschließlichen Territorialbezugs auch des Verwaltungsrechts nicht rechtfertigen läßt, wurde aber deutlich und wird durch verschiedene Hinweise im Schrifttum darauf unterstrichen, daß eine über das EG-Recht hinausgehende internationale Betrachtung der Verwaltungsrechtswissenschaft notwendig ist. 48 Die nur verfassungsgeschichtlich zu erklärende Verbindung von Territorium, Recht und hoheitlicher Ordnungsfunktion gerade des Verwaltungsrechts verliert zwar auch heute nicht ihre Bedeutung, als apriorisch geltende Rechtserkenntnis hat sie aber keine Berechtigung mehr. Vielmehr zeigen vielfältige Entwicklungen im Rahmen der rechtlichen Einbindung des Staates in die internationale Ordnung, daß Ordnungsfunktionen des Rechts auch aus Erkenntnisquellen fließen können, die außerhalb des staatlichen Territoriums ihren Ursprung haben. Die noch in den sechziger Jahren vertretene These einer „nationalen Eigenart" des Verwaltungsrechts 49 kann daher zumindest als apriorische Aussage ad acta gelegt werden, zumal sie sich schon historisch hinsichtlich der ausländischen Einflüsse auf die wissenschaftliche Durchdringung des Verwaltungsrechts, die aus der Rechtsvergleichung erwuchsen, kaum halten läßt. 50

48

Woljf/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 1 Rdnr. 23; Siedentopf, in: K. König/ Siedentopf (Hrsg.), Öffentliche Vewaltung in Deutschland, 711 ff.; Trute, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 9 (21 ff.); Delbrück, in: Jeserich/Pohl/von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. V, 386 ff.; Menzel, DÖV 1969, 1 ff.; Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 46 f.; ders., in: Badura/Scholz (Hrsg.), FS Lerche, 513 (520); Püttner, Verwaltungslehre, 65; Schmidt , VerwArch 91 (2000), 149 (163 f.). 49 Scheuner, DÖV 1963,714: „Das Verwaltungsrecht gehört zu denjenigen Rechtsmaterien, in denen die nationale Eigenart eines Volkes und Staates sich am stärksten ausprägt. Es weist daher verhältnismäßig geringe internationale Verflechtungen auf." Scheuner relativiert diese Aussage allerdings selbst, indem er ausführlich die französischen Einflüsse auf das deutsche Verwaltungsrecht nachzeichnet. 50

Hierzu ausführlich Heyen, Jahrbuch für Europäische Verwaltungsgeschichte 8 (1996), 163 ff.; Stolleis, Nationalität und Internationalität: Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht des 19. Jahrhunderts, insb. 23 ff.

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Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

II. Internationalisiertes Verwaltungshandeln und „auswärtige Gewalt" 1. Der verfassungsrechtliche

Begriff

„auswärtige

Gewalt"

Der Begriff „auswärtige Gewalt" wird im Grundgesetz nicht verwendet; er läßt sich nur historisch aufbauend auf der von Haenel 51 geprägten Begrifflichkeit erklären. 52 I m klassischen, ausschließlich koordinationsrechtlich geprägten internationalen System 53 war die Trennung von Innen- und Außenpolitik selbstverständlich, ging es doch in der über die Staatsgrenzen hinausgehenden Handlungssphäre um die staatsexistenzielle Frage der Selbstbehauptung gegenüber fremden Souveränitäten. Die federative power war so für John Locke „die Gewalt über Krieg und Frieden, über Bündnisse und alle Abmachungen mit allen Personen und Gemeinschaften außerhalb des Staatswesens".54 Mit dieser Umschreibung dessen, was die „auswärtige Gewalt" seinerzeit ausmachte, nämlich die selbstbehauptende Beziehung zu fremden Staaten, ging die absolutistische Vorstellung einher, daß nur der Monarch den Staat repräsentiere. Aber auch der Liberalismus in seiner klassischen Ausprägung einer Trennung von Staat und Gesellschaft blieb dem Verständnis verhaftet, nur der Staat könne in seinen Handlungen über das staatliche Territorium hinausgreifen, die Gesellschaft hingegen sei in ihrer Freiheitssphäre nach innen orientiert. Für den Nationalismus in seiner isolationistischen Ausrichtung war dies ohnehin selbstverständlich. 55 Das „Primat der Außenpolitik" 5 6 be51

Haenel, Deutsches Staatsrecht, Bd. 1 (1892), 531 ff.; siehe auch Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 32 Rdnr. 18. 52 Die auswärtige Gewalt nach dem Grundgesetz ist vielfach im Schrifttum behandelt. Siehe insbesondere Mosler, in: Schreiber/Mosler (Hrsg.), FS Bilfinger, 243 ff.; Grewe und Menzel, VVDStRL 12 (1954), 129 ff. und 179 ff.; Baade, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt; Reichel, Die auswärtige Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland; Sachau, Wehrhoheit und Auswärtige Gewalt; Hirsch, Kulturhoheit und auswärtige Gewalt; S. Weiss, Auswärtige Gewalt und Gewaltenteilung; D. Seidel, Der Bundespräsident als Träger der auswärtigen Gewalt; Kewenig, in: Schwarz (Hrsg.), Handbuch der deutschen Außenpolitik, 37 ff.; Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt; Grewe, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 77; M. H. Müller, Die innerstaatliche Umsetzung von einseitigen Maßnahmen der Auswärtigen Gewalt; Kokott, DVB1. 1996,937 ff.; Hailbronner und Wolfrum, VVDStRL 56 (1997), 7 ff. und 38 ff. m. w. N. 53 Zur Entwicklung und aktuellen Charakterisierung des internationalen Systems siehe Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 2 ff. 54

Locke, Two Treatises of Government (1668), Bd. II, Kap. 12, § 146; hierzu auch Tomuschat, VVDStRL 36 (1978), 7 (13 f.). 55

Zur entsprechenden Entwicklung in der deutschen Staatsrechtslehre ausführlich Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 54 ff.; zusammenfassend auch Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 11; aus

A. Grundlagen des internationalisierten Verwaltungshandelns

183

stimmte so umfassend die Legitimität einer Prärogative der Regierung in auswärtigen Angelegenheiten. Eine darüber hinausgehende Erfassung der Verwaltung als eigenständiger Akteur im internationalen System war dementsprechend nicht möglich. Auswärtiges Handeln im staatsrechtlichen Sinne wurde mit der Verortung als Regierungsdomäne also aus der Natur der Außenpolitik heraus erklärt. Besonders pointiert hat dies Krüger später für die Staatslehre nochmals zusammengefaßt. Für ihn ist Außenpolitik „das unablässige Bemühen, mit dem Druck fertigzuwerden, den die Auswärtige Lage auf den betreffenden Staat ausübt", ein „bitterer Zwang, dem man sich nicht entziehen kann". 57 Noch deutlicher heißt es dann, daß die Außenpolitik das Feld sei, „auf dem die Selbstsucht der Freiheit in besonders hohem Maße gefordert wird, weil jede Entgleisung hier an die Existenz des Staates zu rühren vermag". 58 Daher „sollte es zur Selbstordnung des Verhältnisses von Parlament und Regierung gehören, daß sich die Parteipolitik nur in ganz seltenen Ausnahmefällen mit ihr beschäftigt". 59 Mit dieser Einschätzung der Außenpolitik als einen unmittelbaren Bezug zur „Staatsräson" 60 aufweisend und einer daraus abgeleiteten nahezu unantastbaren Kompetenzzuweisung an die Regierung ist die Idee der auswärtigen Gewalt als ausschließliche Regierungsdomäne prägnant zusammengefaßt. Noch auf der Staatsrechtslehrertagung im Jahre 1996 in Dresden wurde ganz in diesem Sinne vertreten, daß es um die „Handlungsfähigkeit der Regierung" gehe, wenn die Eingrenzung parlamentarischer Einflüsse auf das auswärtige Handeln gefordert werde. 61 Auch wenn die Verfassungswirklichkeit in historischer Perspektive zwar erkennen läßt, daß in Deutschland seit Entstehen des modernen internationalen Systems mit dem Westfälischen Frieden vielfache Einflüsse gesetzgebender Körperschaften auf das auswärtige Handeln der Regierung bestanden,62 bleibt die Betonung des existenziell politischen Charakters aushistorischer Perspektive Bracher , in: Weidenfeld (Hrsg.), Demokratie am Wendepunkt, 329 ff.; im Überblick auch Tomuschat , VVDStRL 36 (1978), 7(14). 56

Zu diesem auf Leopold von Ranke zurückgehenden Begriff und insgesamt der Lehre vom Primat der Außenpolitik siehe statt vieler T. Stein, Amtshilfe in auswärtigen Angelegenheiten, 135 ff. m. w. N. 57

Krüger, Allgemeine Staatslehre, 24 f.

58

Krüger, Allgemeine Staatslehre, 507.

59

Krüger, Allgemeine Staatslehre, 508.

60

Hierzu Stolleis, in: HRG, Bd. IV, Sp. 1826 ff.

61

Stern, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 56 (1997), 100; Hailbronner, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 56 (1997), 155. 62

Umfassend nachgewiesen von Baade, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 122 ff.; zur historischen Entwicklung zusammenfassend auch Grewe, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 77 Rdnr. 9 ff.

184

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

wärtiger Handlungen damit doch das zentrale Thema der Lehre vom Regierungsvorbehalt im Bereich der auswärtigen Gewalt. Deutlich wird damit, daß die Lehre von der auswärtigen Gewalt im Kern Gewaltenteilungaspekte betrifft. Schon Art. 20 Abs. 2 GG macht jedoch klar, daß es eine „auswärtige Gewalt" im Sinne einer „vierten Gewalt" in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes nicht gibt. 63 Die Diskussion zur auswärtigen Gewalt kann sich folglich nur innerhalb des von Art. 20 Abs. 2 GG und verschiedener Kompetenzvorschriften der Verfassung vorgegebenen Rahmens als Abgrenzung funktioneller und inhaltlicher Aufgabenwahrnehmungszuständigkeiten der drei „Gewalten" bewegen. Seit den Referaten von Grewe und Menzel auf der Bonner Staatsrechtlehrertagung 195364 steht dabei im Mittelpunkt der Diskussion, wie sich unter Gewaltenteilungsaspekten das Verhältnis von vollziehender Gewalt und Legislative im Bereich der auswärtigen Gewalt gestaltet. Daß die hiermit zusammenhängenden Fragen noch nicht geklärt sind, zeigt die kontroverse Erörterung des Referates von Wolf rum während der Staatsrechtslehrertagung 1996 in Dresden, 65 das sich in Fortführung des Themas aus dem Jahre 1953 mit der „Kontrolle der auswärtigen Gewalt" explizit hinsichtlich des Verhältnisses von vollziehender Gewalt und Legislative befaßte. Im Kern stehen sich bei dieser Diskussion die Auffassungen gegenüber, die begrifflich die Einordnung der auswärtigen Gewalt als auf der einen Seite „wesensgemäß zum Bereich der Regierung und Verwaltung gehörend" (Grewe) erfassen, während sie auf der anderen Seite als „kombinierte" (Menzel) oder „gemischte" (Baade) Gewalt, die „gesamthänderisch" (Friesenhahn) vollziehender Gewalt und Parlament übertragen sei, aufgefaßt wird. 66 Der Streit betrifft dabei nicht nur terminologische Aspekte, sondern rankt zentral um die Frage, welche Vorgaben das Grundgesetz hinsichtlich einer „verstärkten Parlamentarisierung der Willensbildung im auswärtigen Bereich", 67 hinsichtlich einer allgemeinen „Parlamentarisierung der auswärtigen Gewalt" 68 gibt. Zur Debatte

63

Statt vieler Hailbronner, VVDStRL 56 (1997), 7 (9); Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 32 Rdnr. 18; Grewe, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 77 Rdnr. 6; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 32 Rdnr. 2. 64

VVDStRL 12 (1954), 129 ff. und 179 ff. VVDStRL 56 (1997), 38 ff.; das Parallelreferat von Hailbronner, VVDStRL 56 (1997), 7 ff., hat im Schwerpunkt die gerichtliche Kontrolle der auswärtigen Gewalt zum Gegenstand. 65

66

Grewe, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 77 Rdnr. 41; Menzel, VVDStRL 12 (1954), 179 (197); Baade, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 7, 115 ff.; Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 9 (38). 67

BVerfGE 68, 1 (85).

68

Wolfrum,

VVDStRL 56 (1997), 39 (62).

A. Grundlagen des internationalisierten Verwaltungshandelns

185

steht also der Einfluß des Parlaments als Kontroll- und Mitgestaltungsorgan im Bereich auswärtigen Handelns, und zwar über die ohnehin in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG normierten Befugnisse hinausgehend. Die hiermit verbundenen rechtlichen Probleme sind von besonderer Bedeutung, da sich in der gegenwärtigen Völkerrechtsordnung vielfältige Formen rechtlich relevanten Handelns zeigen, die nicht dem Begriff des völkerrechtlichen Vertrages im Sinne von Art. 59 Abs. 2 GG entsprechen und damit prima facie der Kontrolle des Parlamentes entzogen sind. 69 An dieser Stelle soll keine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Problem der parlamentarischen Einfluß- und Kontrollmöglichkeiten im Bereich der auswärtigen Gewalt erfolgen. 70 Entscheidend ist vorerst nur, daß wie auch immer man die Rolle des Parlamentes hinsichtlich des auwärtigen Handelns des Staates bewertet, wohl Einigkeit darüber besteht, daß die vollziehende Gewalt zumindest in der Staatspraxis die dominierende Rolle bei der Gestaltung der Außenbeziehungen der Bundesrepublik einnimmt. Und selbst wenn dies aufgrund so entstehender Demokratiedefizite kritisiert wird, geht es doch nicht um eine Kompetenzverlagerung von der vollziehenden Gewalt auf die Legislative, sondern um die mitgestaltende und kontrollierende Rolle des Parlaments, also um eine in ihrer Intensität freilich umstrittene Ergänzung, nicht aber um eine Aufhebung der auch vom BVerfG in ständiger Rechtsprechung hervorgehobenen Funktionszuweisung an die „vollziehende Gewalt". 71 Wenn allerdings zunächst der vollziehenden Gewalt eine prima facie Zuständigkeit für die Pflege der auswärtigen Beziehungen (vgl. Art. 32 Abs. 1 GG) zukommt, geht es hinsichtlich des internationalisierten Verwaltungshandelns darum, eine Abgrenzung von Regierungs- und Verwaltungsfunktionen innerhalb der verfassungsrechtlich einheitlich hervorgehobenen „vollziehenden Gewalt" (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) vorzunehmen. Nur so läßt sich akzentuiert bestimmen, was unter internationalisiertem Verwaltungshandeln als Teilaspekt aus dem Bereich der auswärtigen Staatstätigkeit durch die vollziehende Gewalt zu verstehen ist. 69 Für eine stärkere Rolle des Parlaments im Bereich der auswärtigen Gewalt daher Wolfrum, VVDStRL 56 (1997), 39 ff.; hiergegen Eitel, in: Götz/Selmer/Wolfrum (Hrsg.), FS Jaenicke, 947 ff. 70

Hierauf ist wiederholt zurückzukommen, sobald eine Bewertung von Einzelaspekten des internationalisierten Verwaltungshandelns im demokratischen Rechtsstaat erfolgt und es um die konkrete Bedeutung von vollziehender Gewalt und Legislative in diesem Internationalisierungsprozeß geht, siehe insbesondere infra Teil 7, A. II. 71

Siehe insoweit die Argumente Wolfrums hinsichtlich einer „Parlamentarisierung der auswärtigen Gewalt", VVDStRL 56 (1997), 39 (62); im übrigen BVerfGE 1, 281 (282); 372 (394); 2, 347 (369 f., 379); 68, 1 (85 ff.); 90, 286 (357 f., 381).

186

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

Daß diese Konkretisierung Auswirkungen auf die allgemeinere Frage nach der Rolle des Parlamentes bei der Kontrolle der auswärtigen Gewalt haben wird, deutet sich dabei bereits an. 72 Bevor damit näher auf die Unterscheidung zwischen internationalisiertem Verwaltungs- und Regierungshandeln eingegangen werden soll, ist im Rahmen der Erörterungen zur „auswärtigen Gewalt" noch ein Wort darüber zu verlieren, ob diese begriffliche Erfassung des auswärtigen Handelns des Staates überhaupt beizubehalten ist. In jüngerer Zeit wird immer wieder vertreten, daß der Begriff aufgegeben werden sollte, da er weder verfassungsrechtlich noch mit Blick auf die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen innerstaatlicher und internationaler Rechtsordnung eine eigenständige Bedeutung habe, vielmehr irreführend und überflüssig sei.73 Inhaltlich wird man sich dieser Kritik zumal vor dem Hintergrund der immer weiter fortschreitenden Interdependenz zwischen Innen- und Außenpolitik und damit einhergehend zwischen innen- und außenrelevanten Rechtshandlungen kaum entziehen können. Auch wenn damit keine prinzipielle Absage an eine mögliche Differenzierung zwischen Innen- und Außenpolitik, innerstaatlicher und internationaler Rechtsordnung verbunden sein muß, fällt es doch immer schwerer, klare Abgrenzungslinien zu bestimmen. Die gegenseitige Abhängigkeit nationaler und internationaler Akteure führt insoweit dazu, zunehmend über die herkömmliche Vorstellung getrennter Rechts- und Gesellschaftssphären hinaus zu denken.74 Damit erscheint es aber auch zunehmend schwieriger, wenn nicht sogar unmöglich, eine klare Zuweisung inhaltlicher Aktionsfelder vorzunehmen, die in den Kompetenzbereich einer „auswärtigen Gewalt" fallen. 75 Ob damit aber gleich der in der Verfassungsrechtswissenschaft etablierte Begriff „auswärtige Gewalt" aufgegeben werden muß, erscheint fraglich. Hierzu muß es auch nicht kommen, wenn man mit ihm nicht unreflektiert Vorstellungen einer feststehenden Aufgabenzuweisung im Rahmen des verfassungsrechtlichen Ge72

Hierzu noch infra Teil 7, A. II.

73

Kritisch bereits Mosler, in: FS Thoma, 129 (149); für eine Aufgabe des Begriffes insbesondere Kewenig, in: Schwarz (Hrsg.), Handbuch der deutschen Außenpolitik, 37 (39); jetzt auch Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 59 Rdnr. 15 und Art. 32 Rdnr. 18; aus rechtsvergleichender Perspektive so auch deutlich Ehrenzeller, Legislative Gewalt und Aussenpolitik, 189. 74 Hierzu bereits frühzeitig Schwarz, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der deutschen Außenpolitik, 43 (45 ff.); zusammenfassend aus aktueller Perspektive Ehrenzeller, Legislative Gewalt und Aussenpolitik, 165 ff.; Voigt, Aus Politik und Zeitgeschichte 1998, B29-30,3 ff., jeweils m. w. N. 75 Aus rechtlicher Perspektive hierzu Tomuschat, VVDStRL 36 (1978), 7 (18 ff.); Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 11 ff. und 56 ff. m. w. N.

A. Grundlagen des internationalisierten Verwaltungshandelns

187

waltenteilungsprinzips verbindet. Aus dem Begriff selbst und isoliert für sich den verfassungsrechtlichen Schluß ziehen zu wollen, in diesem Bereich stehe die Aufgabenwahrnehmung der vollziehenden Gewalt respektive der Regierung zu, wie es das BVerfG praktiziert, 76 widerspricht der Unbestimmtheit des Begriffes „auswärtige Gewalt" selbst und der Unmöglichkeit seiner allgemeinverbindlichen inhaltlichen Konkretisierung. 77 Selbst die grundsätzlichen Befürworter der eigenständigen verfassungsrechtlichen Kategorie der auswärtigen Gewalt konzidieren dies. Sie verweisen allerdings darauf, daß es sich um einen Oberbegriff für die gegenständlich auf die Außenpolitik bezogenen, verfassungsgemäßen Kompetenzen handele und insoweit der Begriff seine Berechtigung behalte. „Außenpolitik" als zentraler Begriff wird dabei definiert als „die Gesamtheit aller über die eigenen Hoheitsgrenzen hinausgreifenden Aktivitäten, mit denen Staaten - oder andere im internationalen Kräftespiel handlungsfähige Organisationen - ihre Interessen wahren und ihre Ziele verfolgen; mit denen sie konkret gesprochen, ihre territoriale Integrität und ihre politische Unabhängigkeit schützen, ihre wirtschaftliche Existenz sichern und ihren Wohlstand mehren, ihre Ideale und ihren geistigen und kulturellen Rang fördern - oder auch nur, wie manche von ihnen, nach Machtgewinn streben." 78

Ob mit dieser Definition allerdings viel gewonnen ist, muß bezweifelt werden. Im Ansatz wird zwar zutreffend darauf verwiesen, daß es einen Bereich des auswärtigen Handelns gibt, der gleichsam staatsexistenzielle Dimensionen einnimmt und insoweit als Außenpolitik klassischer Prägung bewertet werden kann. Inwieweit dies auch für den unbestimmten Bereich der Förderung staatlicher „Ideale" etc. gelten kann, bleibt jedoch unklar. Unabhängig von dieser Problematik wird aber deutlich, worum es bei der auswärtigen Gewalt als Verfassungsbegriff geht: Zunächst handelt es sich um einen Oberbegriff für Kompetenzzuweisungen, die verfassungsgemäß die Funktionentrennung des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG konkretisieren. 79 Wann diese Kompetenzzuweisung relevant wird, hängt von inhaltlichen Aspekten ab. Da keine pauschale inhaltliche Zuweisung aller „über die Hoheits76

Vgl. hierzu mit unterschiedlicher sprachlicher Umschreibung, im Kern aber eine einheitliche Linie verfolgend BVerfGE 1, 281 (282); 372 (394); 2, 347 (369 f., 379); 68, 1 (85 ff.); 90, 286 (357 f., 381). 77

Ausführlich Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 56 ff., mit dem Ergebnis, daß „die Akte, die der auswärtigen Gewalt im juristischen Sinne unterfallen, einen Querschnitt durch verschiedene Staatsfunktionen [bilden]" und sie daher nur „von Fall zu Fall" einem bestimmten Funktionsträger zugeordnet werden können, ebda., 79. 78 79

Grewe, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 77 Rdnr. 7.

Zum Gewaltenteilungsprinzip und seiner Konkretisierung durch verfassungsrechtliche Kompetenzzuweisungen siehe auch noch infra Teil 7, II. 3. a).

188

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

grenzen hinausgreifender Aktivitäten" des Staates in den allgemeinen Bereich der auswärtigen Gewalt möglich und auch vom Grundgesetz nicht vorgesehen ist, muß gerade im Lichte der Rechtsprechung des B VerfG vertiefend danach gefragt werden, was die ratio der immer wieder betonten inhaltlichen Zuweisung des auswärtigen Handelns in den Funktionsbereich der Regierung ist. Dies ist dann aber keine spezifische, mit dem Topos „auswärtige Gewalt" verbundene Fragestellung mehr. Sie betrifft vielmehr allgemein die verfassungsrechtliche Stellung von und Differenzierung zwischen Regierung und Verwaltung als Bestandteil der „vollziehenden Gewalt" im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG.

2. Internationalisiertes

Verwaltungshandeln in auswärtigen

und

Regierungsverantwortung

Angelegenheiten

Es gehört zu den Essentialia eines organisierten Gemeinwesens, über eine funktionierende Regierung zu verfügen. 80 Diese Aussage erscheint nicht nur im täglichen Sprachgebrauch der Verfassungswirklichkeit als selbstverständlich, sondern erweist sich auch als rechtlich zwingend, wenn man das Funktionieren eines organisierten Gemeinwesens nicht nur als statischen Zustand, sondern als verfassungsrechtlich gebotenen dynamischen Prozeß auffaßt. Zumindest aus organisationsrechtlicher Perspektive geht auch Art. 65 Satz 1 GG hiervon aus.81 Wie allerdings über den organisationsrechtlichen Begriff der Regierung hinausgehend ihre materielle Aufgabenzuweisung in der Verfassungsordnung genau bestimmt werden kann, ist eine von der Staatsrechtslehre auch heute noch nicht abschließend geklärte Frage, wobei eine abschließende begriffliche Erfassung der materiellen Regierungsfunktionen auch nicht geleistet werden kann. 82 Zunächst unabhängig hiervon besteht aber Einigkeit darüber, daß im Lichte des Gewaltenteilungsgrundsatzes die „vollziehende Gewalt" im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG Regierung und Verwaltung umfaßt. 83 Intensiv diskutiert wird aber, ob und gegebenenfalls inwieweit Regierung und Verwaltung voneinander abzugrenzen sind. Daß sich die Staatsrechtslehre heute wieder intensiver mit dem Versuch beschäftigt, Regierung im materiellen Sinne begrifflich zu erfassen und damit einhergehend die Abgrenzung zur Verwaltung zu konturieren, ist Folge der Über-

80

Vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 681.

81

Einzelheiten bei Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 65 Rdnr. 17 ff.

82

Schröder, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 67 Rdnr. 8.

83

Statt vieler Badura, Staatsrecht, G Rdnr. 2; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 530 f f ; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 680.

A. Grundlagen des internationalisierten Verwaltungshandelns

189

windung der rein juristischen Methode im Staatsrecht des ausgehenden Konstitutionalismus. Bevor diese Entwicklung ihren Höhepunkt erreichte, konnte allerdings Lorenz von Stein aus staatswissenschaftlicher Perspektive noch einen Akzent setzen, der die Regierung als eigenständige Funktion erfaßte. Für ihn, der als Begründer der später von Smend aufgegriffenen Lehre von der Regierung gilt, war Regierung eine betont selbständige Funktion im Staat, die „Wille und That, das ist Gesetz und wirkliches Leben, vermittelt und für beide durch ihre Tätigkeit in ihrem Wesen liegende Einheit in der Wirklichkeit des Lebens herstellt". 84 Verwaltung war für von Stein hingegen ein von der Regierung abgegrenzter Bereich staatlicher Funktionen, der sich konkreter auf die „Idee des arbeitenden Staates"85 bezog. Im späten Konstitutionalismus wurde diese Idee zwar durchaus aufgegriffen, geprägt von der verfassungsrechtlichen Grundidee einer „Herrschaft des Gesetzes" und der Ausklammerung politischer Gesichtspunkte aus staatsrechtlichen Betrachtungen, verlor die Regierungsfunktion als eigenständige Begriffskategorie aber weitgehend ihre Bedeutung. „Politische Herrschaft" wurde staatsrechtlich reduziert auf „Herrschaft des Gesetzes". Das Gesetz wurde dabei im juristischen formalen Sinne als Handlungsdirektive für die einheitlich aufgefaßte Exekutive verstanden. 86 Bei dieser Betrachtung war es konsequent, gerade die völkerrechtlich relevanten Staatshandlungen nicht dem nun dominierenden gesetzesbestimmten Verwaltungsbegriff im Sinne der Exekutive zuzuordnen. Ähnlich wie bei den „verfassungsrechtlichen Hülfsthätigkeiten" waren sie nach Ansicht Otto Mayers nämlich gerade nicht der Herrschaft der innerstaatlichen Rechtsordnung unterworfen, ließen sich also nicht der gesetzesbestimmten Funktion der Verwaltung als Staatsgewalt neben Legislative und Judikative zuordnen. 87 Regierung als u. a. die auswärtige Gewalt umfassende Staatsfunktion wurde so als gesetzes-, als rechtsfreies Handeln verstanden. Georg Jellinek hob dies später deutlich hervor. 88 Damit war zwar eine gewisse Abgrenzung von Verwaltung und Regierung möglich, die staatsrechtliche Eigenart der Regierung konnte aber nicht mehr erfaßt werden. Dies führte zwangsläufig dazu, daß auch die traditionelle Zuordnung der auswärtigen Gewalt zur Regierungsfunktion nicht mehr hinterfragt wurde. Auswärtige Gewalt im umfassenden Sinne der staatlichen Wahrnehmung 84

von Stein, Verwaltungslehre, Bd. I, 2. Aufl., 42; hierzu auch Mößle, Regierungsfunktionen des Parlaments, 95 f.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 676. 85

von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, Bd. 1,3. Aufl., 25.

86

Mößle, Regierungsfunktionen des Parlaments, 93 f.

87

O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1,9-11.

88

G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., 616; weitere Einzelheiten bei Magiera, Parlament und Staatsleitung, 56 ff.

190

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

aller auswärtigen Angelegenheiten wurde per se als im innerstaatlichen Sinne rechtsfreie Staatstätigkeit aufgefaßt, so daß eine Zuordnung von Teilaspekten in den Verwaltungsbereich ausschied. Auch der zum Teil gebrauchte Begriff von der „auswärtigen Verwaltung" 89 wurde nicht als Bezugnahme auf die Verwaltung im materiellen Sinne verstanden, sondern nur als durch den Zusatz „auswärtige" gekennzeichnete und aus der Rechtsungebundenheit heraus begründete gegenständliche Umschreibung von originärer Regierungstätigkeit angesehen.90 Georg Meyer stellte dies mit folgenden Worten deutlich heraus: „Von allen Gebieten der Verwaltung entzieht sich das der auswärtigen Angelegenheiten am meisten einer rechtlichen Beschränkung und Fixierung. Dies gilt namentlich vom internationalen Staatenverkehr, wo fast alle Entscheidungen von der Beurteilung der konkreten politischen Verhältnisse abhängen." 91 Die inhaltliche Gleichsetzung von Regierung und „rechtsfreiem" Staatshandeln zeigte so insbesondere für die Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten nachhaltige Wirkungen. Als Relikt dieses Denkens kann der heute noch in Kraft befindliche § 5 Nr. 2 des Gesetzes über die Haftung des Reichs für seine Beamten gelten, der eine Amtshaftung für Beamte des auswärtigen Dienstes bei politischen Angelegenheiten ausschließt.92 Erst mit der grundlegenden Abhandlung von Smend über „Die politische Gewalt im Verfassungsstaat" aus dem Jahre 1923 93 kam es zu einer über den formellen Aspekt der Rechtsungebundenheit hinausgehenden Erfassung der Regierungsfunktion im materiellen Sinne. Unter grundlegender Kritik an der positivistischen Kennzeichnung der Regierung anhand formaler Kriterien arbeitete Smend das Politische als entscheidendes Wesensmerkmal von Regierung heraus. Für ihn wird der Staat durch die Regierung, als dem Teilbereich, „der in den Kreis der Politik fällt, d. h. in dem der Staat sich und sein Wesen bestimmt und durchsetzt", 94 „zur Einheit, zu seinem eigentümlichen Wesen, zum Ganzen

89

Hierzu bereits supra Teil 1, F. V.

90

In übersteigerter Radikalität einer Absage an jedes rechtliche Element der auswärtigen Gewalt hierzu Wolgast, AöR 44 (N. F. 5,1923), 1 (insbes. 2 f. und 91 ff.); ders., Die Rückständigkeit der Staatslehre, 38 und passim: „... nicht Verwaltung, sondern Politik ist es, was die Auswärtige Gewalt handhabt, 91

Meyer, Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, Bd. 2, 4.

92

Zur Verfassungswidrigkeit der Vorschrift siehe Papier, in: Maunz/Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 34 Rdnr. 281; dort auch Nachweise zu Versuchen im Schrifttum, diese Bestimmung mit Verweis auf den Schutz des Primats der „hohen Politik" zu rechtfertigen. 93

Abgedruckt in: Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen, 68 ff.

94

Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen, 68 (79).

A. Grundlagen des internationalisierten Verwaltungshandelns

191

integriert". 95 In der Weimarer Staatsrechtslehre 96 und später dann in der Staatsrechtslehre der Bundesrepublik fand diese Kennzeichnung der Regierung als politische Staatstätigkeit weitgehende Zustimmung. 97 Zum Teil wird zwar versucht, Regierung mit einem weiten Ermessensbegriff zu verbinden, 98 um so den vermeintlich konturenlosen Begriff des Politischen zu ersetzen. Dem ist aber die begriffsdogmatische Problematik des gerade nur auf die Verwaltung bezogenen Ermessensbegriffes (vgl. § 73 Abs. 1 L V w G SH; § 40 VwVfG; § 114 Satz 1 VwGO) entgegenzuhalten.99 Soweit hierüber hinausgehend dafür plädiert wird, den Regierungsbegriff ganz aufzugeben, 100 ist auf seine vom Grundgesetz konstituierte Geltung als Verfassungsinstitut zu verweisen. Wenn die Verfassung z. B. in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 oder Art. 65 GG eine Regierungstätigkeit im Staat anerkennt, muß dem Begriff auch eine inhaltliche Bedeutung beigemessen werden. 101 Versucht man ausgehend von der prinzipiellen Anerkennung des Politischen als Wesensmerkmal der Regierung deren inhaltliche Funktion genauer zu fassen, um damit auch erste Ansätze einer Unterscheidung zur Verwaltung aufzeigen zu können, kann an dem Integrationsgedanken Smends ansetzend als soziologische Prämisse konstatiert werden, daß ein organisiertes Gemeinwesen auf eine „einheitsstiftende, koordinierende und kontrollierende Gestaltung" angewiesen ist. 102 95

Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen, 68 (85); näher hierzu Mößle , Regierungsfunktionen des Parlaments, 96 f. 96

Die nationalsozialistische Staatsrechtslehre lehnte die Überlegungen Smends allerdings kategorisch ab und verwies zur Begründung auf das einheitliche Konzept vom „Führerstaat", deutlich z. B. E.-R. Huber , Deutsche Juristen-Zeitung 1934, Sp. 950 (954 f.); zu den in diesem Zusammenhang auch zu beachtenden Ausführungen Carl Schmitts zum Begriff des Politischen, die hier aber nicht weiter vertieft werden sollen, siehe z.B.H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, 101 ff. 97

Wegweisend Scheuner, Der Bereich der Regierung (1952) sowie ders., Das Wesen des Staates und der Begriff des Politischen in der neueren Staatslehre (1962), beides abgedruckt in: Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht, 45 ff. und 455 ff.; zusammenfassend zur Entwicklung Mößle, Regierungsfunktionen des Parlaments, 97 ff. m. w. N. 98

Leisner, JZ 1968,727 (728 f.); ähnlich Kassimatis, Der Bereich der Regierung, 45 ff.

99

Mößle, Regierungsfunktionen des Parlaments, 103 f.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 689 f. 100

Frotscher, Regierung als Rechtsbegriff, 200 und passim; hierzu Mößle, Regierungsfunktionen des Parlaments, 102 ff. 101 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 680; Schröder, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 67 Rdnr. 1. 102

Badura, in: Evangelisches Staatslexikon, Bd. 2, Sp. 2951 (2954); siehe auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 681; Mößle, Regierungsfunktionen des Parlaments, 105.

192

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

Es ist diese Funktion von Regierung, die heute allgemein als Staatsleitung umschrieben wird, 1 0 3 ohne damit zwangsläufig eine Zuweisung zur vollziehenden Gewalt i. S. v. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG vorzunehmen. Sie ist durch ein auf das staatlich-gesellschaftliche Ganze bezogenes Verhalten gekennzeichnet, das in prinzipiell dynamischer Ausrichtung gestaltende Funktion einnimmt. Regierung als Staatsleitung kommt damit eine gleichsam schicksalbestimmende Rolle im gesellschaftlichen Prozeß zu, die sich auf die Fortentwicklung des Ganzen, auf die Grundbedingungen einer gedeihlichen Weiterentwicklung der Grundkonstanten des Gesellschaftslebens bezieht. Die nachfolgenden, miteinander verbundenen Merkmale kennzeichnen demnach die Regierung immateriellen Sinne: Sicherung und gestaltende Fortentwicklung des Gemeinwesens in der Gestalt richtungsweisender Bestimmung von Grundkoordinaten gesellschaftlichen Zusammenlebens. 104 Der Versuch einer Annäherung an den materiellen Regierungsbegriff zeigt, daß er inhärent begriffsoffen ist. Eine abschließende Definition dessen, was Regierung ausmacht, ist weder möglich 105 noch erstrebenswert, würde hierdurch doch das diesem Verfassungsrechtsinstitut Eigentümliche, die staatsleitende Funktion, verloren gehen. Man hat allerdings versucht, durch das Rechtsinstitut des Regierungsaktes eine gewisse Konkretisierung vorzunehmen. 106 Regierungsakte in diesem Sinne sollen sich durch die Beteiligung eines Verfassungsorganes und ihren gegenständlichen Bezug u. a. auf den Verfassungsrechtskreis oder „den völkerrechtlich geordneten Verkehr der Staaten untereinander" sowie „die weithin nur lockere rechtliche Eingrenzung" auszeichnen.107 Neben prinzipiellen Bedenken,

103 Grundlegend Magiern, Parlament und Staatsleitung, 62 ff.; siehe auch Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht, 45 (78) und 455 (477); Badura, in: Evangelisches Staatslexikon, Sp. 2951 (2954 f.); ders., Staatsrecht, E Rdnr. 18; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 681; Schröder, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 67 Rdnr. 4; Mößle, Regierungsfunktionen des Parlaments, 107. 104

Zu ähnlichen und weiteren Umschreibungen des Regierungsbegriffes siehe zusammenfassend Krüger, Allgemeine Staatslehre, 689 ff.; Schröder, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 67 Rdnr. 1 ff.; Heller, Staatslehre, 204 („Politisch im eminenten und beispielgebenden Sinne ist deshalb die selbständige Organisation und Aktivierung des gebietsgesellschaftlichen Zusammenwirkens"); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 679 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 531 ff., jeweils m. w. N. 105

Schröder, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 67 Rdnr. 4 f.

106

Ausführlich Kassimatis, Der Bereich der Regierung, 68 ff.; siehe auch Krüger, Allgemeine Staatslehre, 691 ff.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 684 ff. m. w. N. 107

Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 686.

A. Grundlagen des internationalisierten Verwaltungshandelns

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die dieser, der dargelegten inhärenten Offenheit des Regierungsbegriffes widersprechenden, inhaltlichen Festlegung entgegenstehen,108 fällt auf, daß immer wieder der Völkerrechtsverkehr den Regierungsakten per se zugeordnet wird. Und genau hier zeigt die heutige Lehre vom Regierungsakt augenfällige Parallelen zur durch Smend und Scheuner eigentlich überwundenen positivistischen Verengung des Regierungsbegriffes. Sucht man nämlich nach einer Begründung für die Aufnahme insgesamt des Völkerrechtsverkehrs in den Kreis der Regierungsakte, kommt die behauptete staatsexistentielle Bedeutung dieser Handlungen in den Blick. Die durch Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta gesicherte souveräne Gleichheit der Staaten verlange nämlich im koordinationsrechtlich ausgerichteten internationalen System eine ständige Selbstbehauptung des Staates im Widerstreit mit Gleichen. Die bereits zitierten Ausführungen von Krüger belegen dies pointiert. 109 Dabei wird allerdings übersehen, daß schon Smend nachdrücklich darauf hingewiesen hat, daß eine von der allgemeinen Regierungsfunktion isolierte Betrachtung der auswärtigen Gewalt nicht angängig ist. Es müsse vielmehr umfassend danach gefragt werden, ob etwas im Inneren und im Hinblick auf die auswärtigen Beziehungen als „politische Regierung" erscheint: ,,[I]n der außenpolitischen Auseinandersetzung wird nur z. T. um Gegenstände, z. T. lediglich um den subjektiven Persönlichkeitsbereich des Staats in räumlicher oder dynamischer Hinsicht gestritten - das gleichbleibende Moment durch Glaubens-, Erbfolge-, Wirtschafts- und nationale Konsolidations- und Verteidigungskriege hindurch und nur insofern dies Moment in den auswärtigen Beziehungen eines Staates enthalten ist , sind diese Beziehungen Politik. Das politische Element ist hier also dasselbe, das im Inneren des Staats die politische Regierung von der technischen Verwaltung scheidet." 1 1 0

Greift man diese Erkenntnis auf, die aus dem integrationsgeleiteten und politisch bestimmten Regierungsbegriff zwingend folgt, erweist sich die pauschale Einordnung von Handlungen des Staates im Völkerrechtsverkehr als Regierungsakte als nicht haltbar. Soweit völkerrechtlich relevantes Verhalten des Staates dem Regierungsbereich im materiellen Sinne zuzuordnen ist, bedarf es einer Begründung hierfür, die auf einen einheitlichen Regierungsbegriff im staatsleitenden Sinne abstellt. Die im Überblick bereits erfolgte und in einem nachfolgenden Untersuchungsabschnitt noch zu vertiefende 111 Darstellung des internationalisierten Verwaltungshandelns läßt nunmehr jedoch hervortreten, daß sich die internatio108

Schröder, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 67 Rdnr. 8.

109

Siehe auch Krüger, Allgemeine Staatslehre, 939, wo Militärgewalt und auswärtige Gewalt als „unmittelbar mit der Existenz des Ganzen zu tun" umschrieben werden; hierzu auch Tomuschat, VVDStRL 36 (1978), 7 (14 und 20). 110

Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen, 68 (81) (Hervorhebung vom Verf.).

111

Infra Teil 6.

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Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

nale institutionelle Kooperation der Staaten seit vielen Jahren inhaltlich in Bereichen vollzieht, die mit staatsexistenziellen Fragen wenig gemeinsam haben. Schon frühzeitig hat auch Scheuner dies angedeutet: „Zum Bereich der Regierung kann man nach ihrer inhaltlichen Natur die folgenden Gruppen von Rechtshandlungen zählen; die trotz ihrer verschiedenen Gestalt sich doch unter dem Merkmal der Leitung der inneren und äußeren Politik zu einer Einheit zusammenfügen: ... Die das Staatsganze ins Spiel führenden Handlungen der auswärtigen Politik, soweit sie nicht nur wie der Schutz der Staatsangehörigen, konsularische Angelegenheiten, die laufende Mitwirkung in internationalen Verwaltungsorganisationen usw. zur Verwaltung des Auswärtigen gehören. 441,2 Die staatliche Wahrnehmung der auswärtigen Anglegenheiten ist also nicht per se inhaltlich der Regierungsfunktion zuzuordnen. Was i m einzelnen Regierung ausmacht, kann nicht ausgehend von einer pauschalen Differenzierung zwischen inneren und auswärtigen Angelegenheiten bestimmt werden. Regierung ist vielmehr die einheitlich auf das Gesamtschicksal der Gesellschaft abzielende Staatsleitung. Sie kann sich sowohl mit B l i c k auf innerhalb der staatlichen Gesellschaftsordnung abspielende Prozesse als auch hinsichtlich außenpolitischer Fragen zeigen, muß dies aber nicht zwingend. Ebenso wie die innerstaatliche Gesellschaftsentwicklung durch das von der Regierung abzugrenzende Verwaltungshandeln mitgestaltet wird, kann sich auch die Wahrnehmung auswärtiger Angelegenheiten als Verwaltung darstellen. Nur wenn das auswärtige Handeln staatsleitende Bedeutung hat, kann es ebenso wie i m innerstaatlichen Rechtskreis als Regierungshandeln eingestuft werden. 1 1 3 Nur dann ist es auch - wenn überhaupt gerechtfertigt, von „auswärtiger Gewalt" i m Sinne einer Regierungsdomäne zu sprechen.

112 113

Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht, 455 (486 f.) (Hervorhebung vom Verf.).

So auch Kohler-Koch, in: BöhretAVewer (Hrsg.), Regieren im 21. Jahrhundert, 109 (116 f.): „Für die internationale Politik ist daraus abzuleiten, daß nicht alle kollektiven Willensbildungsprozesse, die zu gemeinschaftlichem Handeln auf internationaler Ebene fuhren, mit Regieren gleichgesetzt werden können. Wesensmerkmal von Regieren ist, daß bewußt eine politische Zielbestimmung vorgenommen und gezielte Anstrengungen unternommen werden, die sicher stellen, daß sich das Verhalten der internationalen Akteure darauf ausrichtet. ... Davon abzugrenzen wären Formen internationaler Zusammenarbeit, die im wesentlichen der Umsetzung der von Staaten oder anderen Akteuren individuell vorgenommenen Zielbestimmungen dienen. Eine zufällige Übereinkunft einzelstaatlicher Zielsetzungen bzw. die in der Sachmaterie angelegte Parallelität von Interessen und Zielen mag aufgrund von Zweckmäßigkeitsüberlegungen zu gemeinschaftlichem Handeln führen. Dieses trägt jedoch nicht die Kennzeichen von Regieren, sondern Verwalten. So sind die mit einer eng begrenzten Aufgabe betrauten funktionalen internationalen Organisationen als zwischenstaatliche Verwaltungsvereine zu klassifizieren 44.

A. Grundlagen des internationalisierten Verwaltungshandelns

195

Die Verankerung staatlicher Handlungen, die sich als Wahrnehmung auswärtiger Angelegenheiten darstellen, im Funktionsbereich der Regierung, muß im Ergebnis also ebenso wie in allen sonstigen Fällen vollziehender Gewalt ausgehend von der Differenzierung zwischen Verwaltung und Regierung erfolgen. Welche Abgrenzungskriterien hier anzuwenden sind, ist allerdings überaus schwer zu bestimmen. Der zum Teil vorgeschlagene Verweis auf eine organisationsrechtliche Abgrenzung in dem Sinne, daß Regierung von den Regierungsorganen, Verwaltung von nachgeordneten Behörden wahrgenommen werde, kann ersichtlich nicht überzeugen, sind doch zahlreiche Fälle gegeben, in denen Regierungsorgane einfache Vollzugsaufgaben durchführen (vgl. z. B. Art. 40 Abs. 2 Satz 1 GG; Art. 106 Abs. 8 GG). 1 1 4 Ebensowenig kann eine Differenzierung überzeugen, die sich pauschal an der frei schöpferischen Tätigkeit der Regierung und demgegenüber an einem behaupteten reinen Gesetzes vollzug der Verwaltung zu orientieren versucht. Gegen diese Einteilung spricht schon die heute anerkannte Erkenntnis, daß Verwaltung im Rechtsstaat wesentlich mehr ist als reiner Gesetzesvollzug. Die zunehmende Steuerungsoffenheit des Gesetzes gegenüber der Verwaltung belegt dies nachdrücklich. 115 Auch wenn sich damit die Abgrenzung von Regierung und Verwaltung als problematisch erweist, kann doch nicht der Schluß gezogen werden, daß die Abgrenzungsversuche überhaupt aufzugeben und als nicht gerechtfertigt anzusehen sind. 116 Dieses Vorgehen widerspricht der verfassungsrechtlichen Vorgabe einer Unterscheidung von Verwaltung und Regierung als den zwei Teilbereichen der vollziehenden Gewalt und drängt ohne Berechtigung die staatsrechtliche Frage nach der Rolle des Parlaments im Rahmen der Staatsleitung ins Abseits. 117 Was damit bleibt, ist ansetzend an der Bestimmung des Politischen als Wesensmerkmal der Regierung ein sich hiervon absetzender Verwaltungsbegriff. Damit ist zwar nicht gesagt, daß nicht auch Verwaltung politisch sein kann, 118 es ist aber zumindest ein Ansatzpunkt für die ohnehin nur „eher graduell als prinzipiell 4 ' 119 mögliche Differenzierung zwischen Verwaltung und Regierung gegeben. 114

Nähere Einzelheiten bei Stern , Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 694 f. m. w. N. 115 Einzelheiten hierzu bei Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 18 ff. und 42 ff.; Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 159 ff.; siehe auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 695; Schröder, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 67 Rdnr. 18. 116

So F. Mayer/Kopp,

117

Schröder, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 67 Rdnr. 29.

Allgemeines Verwaltungsrecht, § 1 III.

118

Wahl, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 177 (200). 119

Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 696.

196

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

Die mit dem Begriff des Politischen 120 zu umschreibende staatsleitende Funktion der Regierung führt im Rahmen der Abgrenzung zur Verwaltung dazu, dieser eine unterhalb der auf das Ganze bezogene leitende und gestaltende Funktion zuzumessen. Verwaltung ist insoweit zwar nicht reiner Gesetzesvollzug, aber doch wie auch immer gearteter Vollzug von staatsleitenden Entscheidungen, die von anderer Seite getroffen wurden. H. J. Wolff hat vor dem Hintergrund dieser Überlegungen das Merkmal der Fremdbestimmtheit als maßgebliches Kriterium zur Abgrenzung von Verwaltung und Regierung entwickelt. 121 Inhalt und Ausmaß dieser Fremdbestimmtheit können allerdings unterschiedlicher Intensität sein und müssen nicht zwingend als Bestimmtheit kraft gesetzlicher Regelung ausgestaltet sein. Diese Erkenntnis spricht auch dagegen, Verwaltung als „definierte Gewalt" einzustufen, 122 da hierdurch zumindest terminologisch zu sehr auf ein abschließend vorgegebenes Handlungsprogramm abgestellt wird, wie es beim Verwaltungshandeln gerade nicht immer gegeben sein muß. In diesem Sinne meint „Fremdbestimmtheit" nur, daß eine umfassende Eigenbestimmung von Verwaltungsfunktionen und -aufgaben nicht von der Verwaltung selbst vorgenommen werden kann. Der für eine solche Entscheidung notwendige Freiraum zur selbstbestimmenden Zielsetzung 123 mit Blick auf das Staatsganze steht der Verwaltung nicht zu, auch wenn ihr eine Eigenverantwortung zukommt. Worum es also im Ergebnis geht, ist die graduelle Abstufung von auf das Ganze bezogenen staatsleitenden Entscheidungen der Regierung und typischerweise sich inhaltlich und sachlich mehr auf die konkretere Maßnahme beziehenden Verwaltungsfunktionen, als der „mehr angeleiteten, ausgerichteten Tätigkeit, die der Wahrnehmung der mehr technischen und wiederkehrenden Aufgaben, des Details, des Lokalen dient". 124 Eine abschließende definitorische Erfassung der Funktionsbereiche von Regierung und Verwaltung ist damit nicht möglich. Die Abgrenzung beider Funktionsbereiche kann nur graduell abgestuft anhand des Maßstabes der Staatsleitung erfolgen. Dabei kommt es allerdings nicht auf Gesichtspunkte einer möglichen - aber nicht bestehenden - Unselbständigkeit der Verwaltung im Verhältnis zur 120 Damit soll nicht auf die Lehre Carl Schmitts Bezug genommen werden, hierzu z. B. H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, 101 ff. 121

Jetzt in Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 2 Rdnr. 21; vertiefend hierzu Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 113 ff. m. w. N. 122

So Leisner, JZ 1968, 727; ihm folgend Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 697. 123 124

Vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 697.

Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 536; siehe auch Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, 16 f., m. w. N. zur Abgrenzung Regierung-Verwaltung.

A. Grundlagen des internationalisierten Verwaltungshandelns

197

Regierung an, sondern nur auf den Gesichtspunkt der Fremdbestimmtheit im Sinne von Festlegungen grundlegender Koordinaten des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens, die auf das ganze Staatswesen bezogen sind. Entscheidungen hierüber sind der Regierung vorbehalten, so daß Verwaltung sich typischerweise eher als technische Aufgabenwahrnehmung im die Komplexität des Ganzen reduzierenden Sinne darstellt. Überträgt man diese allgemeinen Gesichtspunkte zur Abgrenzung von Regierung und Verwaltung auf die hier interessierende Frage nach der funktionellen Zuweisung von Aufgaben mit grenzüberschreitendem Bezug im Bereich der vollziehenden Gewalt, zeigt sich, daß jeweils abhängig vom Einzelfall zu differenzieren ist. Da die staatliche Wahrnehmung von auswärtigen Angelegenheiten nicht per se staatsleitende Bedeutung hat, ist die Verwaltung in Abgrenzung zur Regierung immer dann eigener Akteur in auswärtigen Angelegenheiten, wenn es um eine typischerweise „mehr angeleitete], ausgerichtete] Tätigkeit, die der Wahrnehmung der mehr technischen und wiederkehrenden Aufgaben, des Details, des Lokalen dient", 125 also um die „tätige Verwirklichung der Staatsziele im Einzelnen und Besonderen" 126 geht. Diese Differenzierung zwischen Regierungs- und Verwaltungshandeln in auswärtigen Angelegenheiten entspricht auch der Staatspraxis, wie sie dem Verständnis des § 1 Abs. 2 Gesetz über den Auswärtigen Dienst (GAD) zugrunde liegt. Die in dieser Vorschrift umschriebenen Aufgaben des Auswärtigen Dienstes beziehen sich primär auf, wie es in der amtlichen Begründung heißt, den „Kernbereich der Außenpolitik", während eher technische Fragen mit internationalem Bezug auch oder weitgehend von anderen Ressorts wahrgenommen werden. 127 Das Verständnis des Gesetzgebers geht also im Einklang mit der verfassungsrechtlichen Differenzierung zwischen Regierung und Verwaltung dahin, daß die begleitende Wahrnehmung der politischen Regierungsfunktion in auswärtigen Angelegenheiten in die Ressortzuständigkeit des Auswärtigen Amtes fällt, während hingegen die eher technische Aufgabenerledigung auch (oder maßgeblich) eine Angelegenheit der anderen Fachressorts ist. 128

125

Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 536.

126

Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht, 455 (478).

127

Siehe die amtliche Begründung zu § 1 Abs. 2 GAD, abgedruckt bei: Grau/SchmidtBremme, GAD, 82 (83). 128

Grau/Schmidt-Bremme,

GAD, § 1 Rdnr. 8 ff.; siehe hierzu auch noch infra Teil 7, C. II.

198

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur 3. Zusammenfassung

Das Grundgesetz kennt als Konkretisierung des Gewaltenteilungsgrundsatzes im Bereich der vollziehenden Gewalt nur eine Differenzierung zwischen Regierung und Verwaltung. Eine wie auch immer geartete „auswärtige Gewalt" findet im Grundgesetz keine verfassungsrechtliche Grundlage. Die der auswärtigen Gewalt zugeordneten Staatsaktivitäten sind daher im Rahmen der vollziehenden Gewalt funktionell der Regierung oder der Verwaltung zuzuordnen. Eine per se gegebene Funktionszuweisung für über den Hoheitsbereich des Staates hinausgehende staatliche Aktivitäten in den Bereich der Regierung ist nicht zu begründen. Regierungscharakter nehmen nur staatsleitende Maßnahmen ein, also inhaltlich dem Regierungsbegriff zuzuordnende politische Maßnahmen von Verfassungsorganen. Diesen politischen - staatsleitenden - Charakter kann man nicht pauschal jedem staatlichen Verhalten zuweisen, das sich als Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten darstellt. Die vielfältigen internationalen Verflechtungen des Staates und die fortschreitende internationalisierte Verwaltungstätigkeit auf internationaler und nationaler Ebene insgesamt deuten insoweit an, daß sich die „vollziehende Gewalt" in diesem Bereich sowohl politisch als auch administrativ engagiert. Ebenso wie auf der innerstaatlichen Ebene muß damit auch für internationalisierte Staatstätigkeiten ausgehend von einem einheitlichen Begriff des Politischen, der Staatsleitung, danach gefragt werden, ob jeweils im Einzelfall Regierungs- oder Verwaltungsfunktionen berührt sind. Hält man sich diesen verfassungsrechtlichen Befund im Lichte der bereits angedeuteten und noch weiter zu vertiefenden internationalen Verwaltungsaktivitäten 129 und der anerkannten „Entterritorialisierung des Verwaltungsrechts" vor Augen, deutet sich bereits das Potential eines internationalisierten Verwaltungshandelns im demokratischen Rechtsstaat an. Viele Bereiche der institutionalisierten internationalen Kooperation befassen sich mit eher technischen Detailfragen, die materiell als Verwaltungshandeln einzustufen sind. Insoweit verlieren die staatsexistentiellen völkerrechtlichen Fragen wie Krieg und Frieden zumindest quantitativ in der Staatspraxis ihre Bedeutung. Ein Primat der Außenpolitik, wie es der klassischen Idee der auswärtigen Gewalt zugrunde liegt, mag für diesen Bereich zwar noch anzuerkennen sein, in der Mehrzahl internationaler staatlicher Aktivitäten zeigt sich aber die „Interdependenz als rechtlicher Normalzustand"; eine Trennung von „Innen" und „Außen" verbietet sich hier. 130 Verfassungsrechtlich kann daher ganz im Sinne von Smend und Scheuner nur ausgehend von einem 129

Ausführlich noch infra Teil 6.

130

Tomuschat, VVDStRL 36 (1978), 7(16 ff.).

B. Technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe

199

einheitlichen Regierungs- bzw. Verwaltungsbegriff danach gefragt werden, wie sich das jeweilige Handeln in das Funktionentrennungsschema des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG einfügt. Nicht die räumliche Dimension des Staatshandelns steht also zur Debatte, sondern seine inhaltliche Ausrichtung. Damit wird die Verwaltung verfassungsrechtlich zum potentiell eigenverantwortlichen Akteur im internationalen System.

B. Die internationale technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe Um eine verfassungsrechtlich abgesicherte eigenständige Bedeutung der Verwaltung im Rahmen der Wahrnehmung internationalisierter technisch-administrativer Aufgaben begründen zu können, kann nicht nur auf die im Gewaltenteilungsmodell des Grundgesetzes angelegte und von Jurisdiktionsgrenzen zunächst unabhängige Differenzierung von Regierung und Verwaltung abgestellt werden. Vielmehr ist zusätzlich darzulegen, inwieweit der Verwaltung materiell ein eigenständiger Verantwortungsbereich in auswärtigen Angelegenheiten zugewiesen ist. Dazu bedarf es einer näheren Erfassung der allgemeinen Bedeutung von „Verwaltung" im demokratischen Rechtsstaat (I.) sowie einer spezifischen Erörterung des internationalen Aufgabenbezuges der nationalen Verwaltung (II.).

I. Die Bedeutung und inhaltliche Erfassung der Verwaltung im Staatsgefüge Es mag keine neue Erkenntnis sein, daß der Staat des Grundgesetzes „Verwaltungsstaat" ist. 131 Die inhaltliche Tragweite dieser Aussage erscheint jedoch heute allgemein und gerade im Hinblick auf die erweiternde Sicht eines internationalisierten Verwaltungshandelns in einem ganz anderen Lichte, als es bei der Schaffung der verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen zur Stellung der Verwaltung im Verfassungsgefüge abzusehen war. Aufbauend auf der in Art. 20 Abs. 3 GG vorgeschriebenen Bindung der „vollziehenden Gewalt" an Gesetz und Recht, durchschritt die Verwaltungswissenschaft in der Bundesrepublik Entwicklungsstufen, die zum Teil isoliert, zum Teil im Zusammenhang mit der gesamten Verfassungsentwicklung gesehen die verwaltungsrechtliche Perspektive nachhaltig

131

Badura, DÖV 1968, 446 (450); P. M. Huber, Staatswissenschaft und Staatspraxis 1997,423 (446); umfassend jetzt G. F. Schuppen, Verwaltungs Wissenschaft, 51 ff.

200

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

beeinflußten. Bei diesem Perspektivwechsel geht es um die Absage an eine Reduzierung von Erkenntnisinteresse und Regelungsziel des Verwaltungsrechts auf die subordinationsrechtlich determinierte subjektiv-rechtliche Abwehrposition des Bürgers bezogen. In den Vordergrund des Interesses rückt vielmehr die objektivrechtliche Funktion von Verwaltung im Staatsgefüge. Dabei bleibt zwar die verfassungs» und einfachgesetzliche Beziehung Bürger-Staat in ihrer konkreten und tagtäglichen Ausgestaltung durch das Verwaltungshandeln 132 weiterhin ein zentrales Anliegen des Verwaltungsrechts als „konkretisiertes Verfassungsrecht"; 133 dies wird nicht zuletzt durch Art. 1 Abs. 3, 19 Abs. 4 und 20 Abs. 3 GG nachdrücklich in Erinnerung gerufen. Der Frage nach der Rolle der Verwaltung in einem über die subjektivrechtliche Perspektive hinausgehenden objektivrechtlichen Gestaltungssinne kommt heute aber eine maßgebliche Bedeutung in der verwaltungswissenschaftlichen Diskussion zu. In diesem Sinne öffnet sich die den vielfältigen aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen nicht mehr gerecht werdende enge Rechtsschutzperspektive des Verwaltungsrechts dem darüber hinausgehenden Erkenntnisinteresse an der staats- und verwaltungswissenschaftlichen Durchdringung des Verwaltungshandelns insgesamt. 134 Die ursprünglich, gerade von Otto Mayer 135 so nachhaltig geprägte eindimensionale Erfassung von „Verwaltung" wandelt sich also zu einer mehrdimensionalen Betrachtung. Erst dieser Perspektivwandel, der nicht nur in Deutschland festzustellen ist, 1 3 6 bietet verfassungs- und verwaltungswissenschaftlich überhaupt die Möglichkeit, auch internationale Aspekte des Verwaltungshandelns als Verwaltungsaufgabe aus verfassungs- und verwaltungswissenschaftlicher Perspektive näher zu betrachten. M i t der Erweiterung des wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses an der Verwaltung im Staatsgefüge insgesamt steigt aber auch das Bedürfnis danach, den Begriff „Verwaltung" inhaltlich zu fassen. Nun sind allerdings die Versuche einer begrifflichen Erfassung dessen, was materiell unter Verwaltung zu verstehen ist, wohl so alt wie die Verwaltungsrechtswissenschaft insgesamt.137 Insoweit mag 132

Zum Begriff der Verwaltung als Handeln, Besorgen, Verrichten der täglich anfallenden Geschäfte siehe Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 744 f. 133

F. Werner,

DVB1. 1959, 527.

134

Zusammenfassend P.-M. Huber, Staatswissenschaft und Staatspraxis 1997, 423 ff.; Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 15 ff. 135 Vgl. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1,9 und 13 ff. 136 Für das US-amerikanische Verwaltungsrecht siehe Aman, in: Taggart (Hrsg.), The Province of Administrative Law, 90 ff. m. w. N. 137

Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 1,1; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 734 ff.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 2 Rdnr. 2.

B. Technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe

201

man aus einer Gesamtschau der vielfältigen Definitionsversuche gleichsam resignierend zu dem Schluß gelangen, daß nur die Substraktionsmethode, die eine negative Umschreibung von Verwaltung als nicht Rechtsprechung oder Gesetzgebung darstellend vornimmt, definitorische Sicherheit gewährleisten vermag. 138 Schon allgemeine methodische Überlegungen zur Unzulänglichkeit negativer Definitionen, 139 insbesondere aber die Erkenntnis von der Notwendigkeit einer auch begrifflichen Fassung der materiellen Bedeutung der Verwaltung im Staatsgefüge zwingen jedoch dazu, zumindest im Ansatz auch eine positive Umschreibung von „Verwaltung" vorzunehmen. 140 Nach ersten Ansätzen hierzu von W. Jellinek, 141 die später dann von Peters 142 und namentlich Wolff 43 ausgebaut wurden, ist dies heute gerade vor dem Hintergrund der beschriebenen mehrdimensionalen Ausrichtung des mit dem Begriff „Verwaltung" verbundenen Untersuchungsgegenstandes angezeigt. Gegenüber den insoweit im Schrifttum vorgeschlagenen positiven Konkretisierungen von „Verwaltung" 1 4 4 mag man zwar einwenden, die notwendige Abstraktionshöhe führe zu einem Verlust an Verständlichkeit und Praktikabilität. 145 Dies kann freilich nicht davon entbinden, zumindest die Grundelemente des Ordnungsrahmens von „Verwaltung" im Staatsgefüge zu bestimmen. Nur insoweit lassen sich nämlich die über die klassische Rechtsschutzperspektive hinausgehenden „neuen" Verwaltungsfunktionen ergründen und kohärent in das Verfassungsgefüge einbauen. Dabei kommt neben dem in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG angelegten negativen Abgrenzungspotential und dem bereits semantisch sowie im Rahmen der Abgrenzung zur Regierungsfunktion zu begründenden Aspekt der fremdnützigen Besorgung von Angelegenheiten 146 der hierüber hinausgehenden Bestimmung der 138 Grundlegend O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1,9 und 13; W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 6; weitere Nachweise bei Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 734. 139 Schneider, Logik für Juristen, 46. 140 Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 2 Rdnr. 2: „Operationsbasis für die Erkundung der Verwaltung". 141

W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 6. H. Peters, Lehrbuch der Verwaltung; siehe auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 735. 142

143

Jetzt Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 2 Rdnr. 7 ff. Siehe die Übersichten bei Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 735 ff.; F. Mayer/Kopp, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 1 I I 3; Wolff /Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht I, § 2 Rdnr. 4. 144

145 Statt vieler Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 1 Rdnr. 7; Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, 195. 146 Hierzu ausführlich Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 2 Rdnr. 8 f.

202

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

Zielrichtung der Verwaltungstätigkeit eine wichtige Bedeutung zu. Hier kann eine Konkretisierung dadurch erfolgen, daß die Besorgung „öffentlicher Angelegenheiten" in den Blick genommen wird. Schon das genannte Fremdnützigkeitsmerkmal verdeutlicht, daß anderen gegenüber eine Besorgung von Angelegenheiten durch die Verwaltung erfolgt. Die Frage danach, wem gegenüber dies geschieht, berührt die prinzipielle Frage nach der Zielrichtung allen staatlichen Handelns. Diese ist normativ zwar nicht abschließend-konkret, aber doch zumindest prinzipiell aus Art. 1 Abs. 1 GG 1 4 7 zu beantworten. Wenn nach Art. 1 Abs. 1 GG die staatlichen Ziele keinen Eigenwert haben, sondern sich ihre Berechtigung nur aus der dienenden Funktion gegenüber dem Menschen ergibt, 148 kann auch der Verwaltung eben nur diese dienende Funktion zukommen. Verallgemeinert man diese Umschreibung, so ergibt sich ein auf das Gemeinwesen insgesamt bezogenes materielles Kriterium von „Verwaltung" - der Gemeinwohlbezug.149 Die genaue inhaltliche Konturierung des Gemeinwohlbegriffes ist allerdings ausgesprochen komplex. Neben einfachgesetzlichen Regelungen sind es materielle Verfassungsvorgaben, namentlich die Grundrechte, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, die neben der prozedural erfolgenden Gemeinwohlkonkretisierung ihre Wirkkraft entfalten. 150 Was damit bleibt ist eine prinzipiell offene, verfassungsrechtlich aber in ihren Grundstrukturen vorbestimmte materielle Verpflichtungsdimension der Verwaltung, die sich neben der Abgrenzung zu Rechtsprechung, Gesetzgebung und Gubernative auf die gemeinwohlorientierte Besorgung von Angelegenheiten des Gemeinwesens bezieht. 151 Damit ist zugleich auf die Staatszielbestimmungen und die 147

Zu Art. 1 Abs. 1 GG umfassend Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, passim. 148 Siehe hierzu die ursprüngliche Formulierung im Entwurf von Herrenchiemsee: „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Staat um des Staates willen", JöR 1951,48; eindringlich auch Haberle, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. I, § 20 Rdnr. 63 ff. 149

Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 744 f.; Wolff/Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht I, § 2 Rdnr. 24; Schmidt-Aßmann, Das Allgmeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 137 f.; P.-M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, 11; allgemein zur Gemeinwohl Verantwortung in jüngerer Zeit auch Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 26 ff. m. w. N. 150

Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 13; Stolleis, in: Evangelisches Staatslexikon, Bd. I, Sp. 1061 ff.; Haberle, Europäische Rechtskultur, 323 ff. m. w. N.; zur Gemeinwohlorientierung als materiellen Grundvoraussetzung einer normativen Staatszieltheorie siehe Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 305 f. 151

Zu dieser aus positiven und negativen Elementen kombinierten begrifflichen Erfassung von Verwaltung siehe insbesondere Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 736 ff.; Ehlers, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 1 Rdnr. 11.

B. Technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe

203

hiermit zusammenhängende Staats- und Verwaltungsaufgabenlehre verwiesen, da sich im demokratischen Verfassungsstaat die inhaltliche Konkretisierung des zunächst hoch abstrakten Gemeinwohlbegriffes nur positiv aus der Verfassung ableiten läßt. Gleichzeitig wird durch diese Verbindung aber auch deutlich, daß der Gemeinwohlbegriff eine zentrale Stellung in der Verwaltungswissenschaft einnimmt und insoweit trotz der historisch belegten Gefahren eines totalitären Mißbrauchs 152 mit ihm durchaus unbefangen, wenn auch verantwortungsbewußt, umgegangen werden sollte. Die vielfältigen Herausforderungen an die Verwaltungswissenschaft, die sich innerhalb der nationalen Gesellschaftsordnung sowie im Rahmen der europäischen Integration und des internationalisierten Verwaltungshandelns zeigen, führen immer mehr zu der Erkenntnis, daß die Rolle der Verwaltung im Staatsgefüge nur unter Berücksichtigung und gleichzeitig entsprechender Konkretisierung des Gemeinwohlbezugs sachgerecht bestimmt werden kann. 153

II. Die Konkretisierung der materiellen Verwaltungsfunktion durch einzelne Verwaltungsaufgaben Wenn es richtig ist, daß „gerade der kooperative Staat... auf die Gemeinwohlfähigkeit seiner Verfahren und seiner Organisationsgestaltungen besonders achten [muß]" 1 5 4 und die verwaltungsrechtliche Dogmatik sich zugleich an der Staatsund Verwaltungsaufgabenlehre zu orientieren hat, um so die systematische Durchdringung des Verwaltungsrechts im umfassenden Sinne seiner Verortung im Staatsgefüge zu gewährleisten, 155 dann zeigt sich unmittelbar die Beziehung auf, die zwischen der Gemeinwohlausrichtung der Verwaltung und der Staats- und Verwaltungsaufgabenlehre besteht. Zurückführen läßt sich dieses Beziehungsgeflecht auf die Lehre von den Staatszielbestimmungen, da diese als aufgabendeterminierende Normen neben der Legislative und der Judikative auch die Exekutive verpflichten. 156 Aufgrund ihrer normativen BindungsWirkung können Staatszielbestimmungen zu konkreten Verwaltungsaufgaben werden, soweit im Ge152

Statt vieler Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 199 ff. m. w. N.

153

Trute, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 9 (12); Wahl, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisation als Steuerungsressource, 301 (319). Die von beiden Autoren konstatierte Abnahme des Bezuges auf die Verwaltungsaufgaben muß damit aber wohl nicht zwingend einhergehen; sie behält zumindest für die Analyse des internationalisierten Verwaltungshandelns ihre Relevanz, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen sollen. 154

Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 138.

155

Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 138.

156

Einzelheiten bei Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 385 f.

204

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

waltenteilungsgefüge die Verwaltung an der gesamtstaatlichen Verwirklichung der Aufgabenverpflichtung partizipiert bzw. partizipieren muß. Verwaltungsaufgaben sind insoweit auf die Verwaltung bezogene organschaftliche Ausgestaltungen von Staatsaufgaben, denen eine normativ verbindliche Wirkung zukommt, wenn sie auf Staatszielbestimmungen zurückgehen. Da Staatszielbestimmungen aber nur objektives Recht begründen, der Einzelne also keine subjektiv-rechtlichen Rechtspositionen aus ihnen ableiten kann, 157 wird damit die über den klassischen Rechtsschutz hinausgehende Gestaltungsperspektive der Verwaltung eröffnet. Erst die Verankerung des Verwaltungshandelns im normativen Beziehungsgeflecht der Staatszielbestimmungen und Staatsaufgaben ermöglicht es insoweit der Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft, sich mit den spezifischen Aspekten der Rolle der „vollziehenden Gewalt" im Staat auseinanderzusetzen. Dem entspricht auch das zunehmende Interesse daran, ausgehend von den Verwaltungsaufgaben insgesamt die spezifischen Rechtsfragen zu betrachten, die sich aus der Aufgabenerfüllung im Hinblick auf den Einsatz von Programmen, Organisation, Personal und Finanzen der Verwaltung ergeben. 158 Wenn die Aufgabenperspektive gewählt wird, geht es also darum, „das Spektrum zeitgenössischer Verwaltungsaufgaben in seiner Breite zu erfassen". 159 Aufbauend auf diesen Überlegungen dient die Aufgabenperspektive schließlich dazu, die abstrakte Gemeinwohlverpflichtung der Verwaltung normativ zu konkretisieren. Bei allen Schwierigkeiten, die mit dem Gemeinwohlbegriff verbunden sind, besteht doch Einigkeit, daß die normative Erfassung des Staats- und Verwaltungshandelns untrennbar mit ihm verbunden ist. 160 Im demokratischen Verfassungsstaat kann es dabei nicht zu einer Gemeinwohlkonkretisierung kommen, die von Kategorien ausgeht, welche der Verfassungsordnung vorgelagert sind. Nur aus der Verfassung selbst können sich die die Gemeinwohlverpflichtung konkretisierenden Staatszielbestimmungen und hieraus im normativ verpflichtenden Sinne erwachsende Staatsaufgaben ergeben, wenn man nicht die konstitutive Grundlage staatlichen Handelns verlassen und damit der Gefahr staatsübermächtiger, antifreiheitlicher Tendenzen Vorschub leisten will. 1 6 1 157

Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 418 f. u. ö.

158

Wahl, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 177 (184). 159 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 138; ähnlich wohl Wahl, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts, 177 (183 f.). 160 161

Umfassend Häberle, Europäische Rechtskultur, 323 ff.

Schulze-Fielitz, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 11 (14 f.); anders Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HdbStR,

B. Technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe

205

Insgesamt vermag die Verwaltungsaufgabenlehre in ihrer Beziehung zu den Staatszielbestimmungen damit einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, Klarheit über die Herausforderungen zu erlangen, denen sich das Recht mit Blick auf vielfältige nationale und internationalisierte Verwaltungsaktivitäten stellen muß. Dabei ist allerdings zwischen aus Staatszielbestimmungen resultierenden, verpflichtenden Verwaltungsaufgaben und Staats- sowie Verwaltungsaufgaben im darüber hinausgehenden Sinne zu unterscheiden, die nicht unmittelbar auf eine normative Finalverpflichtung zurückgehen.

1. Staatszielbestimmungen Grundlagen

und Staats- sowie

Verwaltungsaufgaben:

und Begriffsbestimmungen

Auch wenn immer wieder festgestellt wird, daß die Lehre von den Staats- und Verwaltungsaufgaben das große Desiderat der deutschen Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft sei, 162 können die Fortschritte auf diesem Gebiet in den letzten Jahren nicht übersehen werden. Von Differenzen in Detailfragen abgesehen, kann heute auf einen zumindest dem Grunde nach weitgehend abgesicherten Kern wissenschaftlicher Erkenntnis zurückgegriffen werden, der das Beziehungsgefüge von Staatszielbestimmungen und Staats- sowie Verwaltungsaufgaben bestimmt. Zur Konkretisierung des erörterten Gemeinwohlbegriffes sowie insgesamt zur systemgerechten Erfassung des nationalen und internationalisierten Verwaltungshandelns im demokratischen Rechtsstaat ist eine Betrachtung der Staatszielbestimmungen und der Staats- und Verwaltungsaufgabenlehre von zentraler Bedeutung. 163 Noch immer bestehen allerdings gewisse terminologische Schwierigkeiten bei der genauen Erfassung und dementsprechend gegenseitigen Zuordnung der Begriffe „Staatszielbestimmungen" und „Staats- bzw. Verwaltungsaufgaben". Das hängt nicht zuletzt mit den unterschiedlichen wissenschaftsdisziplinären Perspektiven zusammen, von denen ausgehend sie erörtert werden. 164 Beschränkt man sich Bd. III, § 57 Rdnr. 1 ff.; differenziert Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 33 ff. m. w. N. 162

Wahl, in: Ellwein/Hesse (Hrsg.), Staatswissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, 29; ders., in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts, 177 (181); ähnlich Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 57 Rdnr. 132. 163 164

Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 138 ff.

Umfassend Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 43 ff.; Schulze-Fielitz, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 11, jeweils m. w. N.

206

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

auf den verfassungsrechtlichen Blick, kann von folgender Begrifflichkeit ausgegangen werden: Staatszielbestimmungen in ihrer ursprünglich von Hans Peter Ipsen 165 und jetzt umfassend von Karl-Peter Sommermann 166 analysierten Bedeutung lassen sich in Übereinstimmung mit der von der Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge" gegebenen Definition umschreiben als „Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die der Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Aufgaben - sachlich umschriebener Ziele - vorschreiben. Sie umreißen ein bestimmtes Programm der Staatstätigkeit und sind dadurch eine Richtlinie oder Direktive für das staatliche Handeln, auch für die Auslegung von Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften." 167

Die Definition verweist bereits darauf, daß Staatszielbestimmungen als normtheoretische Kategorie 168 in einem unmittelbaren Zusammenhang zu Staatsaufgabennormen stehen. Zum Teil wird dieser Aspekt jedoch vernachlässigt und eine Abgrenzung von Staatszielbestimmung und Aufgabennorm anhand des Konkretisierungsgrades vorgenommen. Staatszielbestimmungen sollen so auf einer mittleren Konkretisierungsebene zwischen Staatszwecken und Staatsaufgaben angesiedelt sein. Sie unterschieden sich von den Staatsaufgaben dahingehend, daß sie eine generelle Grundeinstellung des Staates dokumentieren, Staatsaufgabennormen demgegenüber mit höherem Konkretisierungsgrad eine spezifische Sachgebietsbezogenheit aufwiesen. 169 Dieser Abgrenzung ist entgegenzuhalten, daß ausgehend von der allseits akzeptierten Prämisse der normativ bindenden Kraft von Staatszielbestimmungen auch ihnen unmittelbar eine Sachgebietsbezogenheit eigen sein muß. Wollte man diesen Aspekt nur für die Staatsaufgabennormen anwenden, müßten die Staatszielbestimmungen ihre normative Kraft verlieren, da sich jede normative Aussage auf ein Sachgebiet beziehen muß. Unterschiede können sich insoweit nur im Hinblick auf den rechtstheoretischen Verpflichtungsgehalt von Normen ergeben, nicht jedoch hinsichtlich der Frage, ob sie sich auf ein Sachgebiet beziehen oder nur eine „generelle Grundeinstellung" dokumentieren. 165

H. P. Ipsen, Über das Grundgesetz, 14. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 326, 350 und passim. 167 Bericht der Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge", Bonn 1983, 19 f. 166

168 Im Gegensatz zu den Staatszielen als staatstheoretischer Kategorie, siehe Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 5 u. ö. 169 Wahl, in: Ellwein/Hesse (Hrsg.), Staatswissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, 29 (30 f.); ähnlich Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 44 ff.; Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 57 Rdnr. 137.

B. Technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe

207

Kann damit die Sachgebietsbezogenheit kein taugliches Abgrenzungskriterium sein, bleibt es bei der Frage danach, ob Staatszielbestimmungen und Staatsaufgabennormen eine unterschiedliche Verpflichtungsstruktur auszeichnet. Staatszielbestimmungen sind durch ihren finalen Verpflichtungscharakter gekennzeichnet. Die Staatsorgane werden aus den Staatszielbestimmungen auf das „Was" verbindlich festgelegt, woraus sich gleichzeitig erschließt, daß sie, ohne daß das „Wie" determiniert ist, auch einen „Zwang zur politischen Befassung und Entscheidung" ausüben, also auch das „Ob" normativieren. 170 Eben hier zeigt sich der Unterschied zu Staatsaufgabennormen. Sie erfüllen über den finalen Verpflichtungscharakter der Staatszielbestimmungen hinausgehend eine deskriptive Rolle, indem sie insgesamt das Staatshandeln fokussieren, ohne kategorisch danach zu differenzieren, ob das jeweilige Handeln rechtlich geboten ist. Staatsaufgaben sind insoweit alle Tätigkeitsfelder, auf denen staatliche Akteure aktiv sind. 171 Sie können daher definiert werden, als „Rechtssätze, die den Staat oder eine oder mehrere seiner Untergliederungen zu einem zielgerichteten Tätigwerden auf einem bestimmten Sachgebiet ermächtigen oder verpflichten". 172 Hierdurch wird auch die Abgrenzung zu dem Begriff der öffentlichen Aufgaben deutlich, da es sich hierbei - soweit man diese Begriffskategorie überhaupt anerkennen will - auch um Aufgaben handeln kann, die von gesellschaftlichen Gruppen oder Verbänden wahrgenommen werden können. 173 Staatszielbestimmungen und Staatsaufgabennormen sind also sachgebiets-, d. h. aufgabenbezogene Begriffskategorien des Staatsrechts, die sich nur dahingehend unterscheiden, daß Staatszielbestimmungen hinsichtlich des „Was" und „Ob" verpflichtend sind, während Staatsaufgabennormen nicht zwangsläufig verpflichtenden Charakter einnehmen müssen. Daraus folgt auch, daß jede Staatszielbestimmung zu einer Staatsaufgabe und, soweit die funktional-organschaftlichen Voraussetzungen gegeben sind, zu einer Verwaltungsaufgabe führt, nicht jedoch jede Staatsaufgabe auf eine Staatszielbestimmung zurückgehen muß. 170

Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 379; zu dem Zitat siehe Sterzel, ZRP 1993, 13 (16). 171

Grimm, in: ders. (Hrsg.), Staatsaufgaben, 9 (10); Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 365; umfassend und differenziert zum Staatsaufgabenbegriff des Grundgesetzes Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 41 ff. 172

Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 365; in diese Richtung auch, allerdings sehr formalistisch ausgerichtet, Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 61: „Als Begriffsbestimmung ist festzuhalten, daß der Staat für all diejenigen Aufgaben kompetent ist, die er im Einklang mit den kompetenzrelevanten Vorschriften der Verfassung wahrnimmt. Bei diesen Aufgaben handelt es sich um Staatsaufgaben". 173 Zur Diskussion umfassend und kritisch Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 47 ff.; weiterhin Schuppen, VerwArch 71 (1980), 309 ff., jeweils m. w. N.

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

208

2. Die normtheoretische

Einordnung

hieraus folgenden

von Staatszielbestimmungen

und

Verwaltungsaufgaben

Staatszielbestimmungen sind finalorientiert, d. h. sie verpflichten den Staat, das in ihnen formulierte Ziel zu verfolgen („Was" und „Ob"). Im Regelfall handelt es sich hierbei um permanente Ziele, also um solche, die nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht sind, sondern im Lichte eines sich ständig wandelnden Gesellschaftsbezuges immer neu als Herausforderung stellen. Die Zielverwirklichung ist dabei eingebunden in die Gesamtverfassungsordnung, so daß nur im Rahmen der verfassungsrechtlich vorgegebenen Determinanten (Grundrechte, Kompetenzordnung, Rechtsstaatsprinzip etc.) die Verwirklichung des vorgegebenen Zieles anzustreben ist. 174 Damit deutet sich zugleich die normtheoretische Struktur von Staatszielbestimmungen an. Im Einklang mit der Rechtstheorie werden Staatszielbestimmungen als Rechtsprinzipien im Sinne von Optimierungsgeboten angesehen.175 Dieser Einordnung liegt das im Staats-176 und Völkerrecht 177 anerkannte Regel-Prinzipien-Modell der Rechtstheorie zugrunde, wie es insbesondere von Dworkin m und Alexy herausgearbeitet wurde. Rechtsregeln und -prinzipien unterscheiden sich zunächst danach, daß sich Prinzipien nicht zur isolierten Anwendung zur Lösung eines konkreten Rechtsproblemes eignen, während hingegen Regeln eben diese Funktion erfüllen, indem sie für den Rechtsanwender konkrete Lösungen vorgeben. 179 Während diese Unterscheidung anerkannt ist, bestehen in der Rechtstheorie gewisse Schwierigkeiten, die genauere Differenzierung zwischen Regeln und Prinzipien zu bestimmen.180 Alexy hat die bisherigen Versuche der Unterscheidung wiederholt kritisch gewürdigt und das Optimierungskriterium als Wesensmerkmal der Rechtsprinzipien bestimmt. Demnach sind Prinzipien Normen,

174

Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 377 ff., 380 f. und 383 m. w. N.

175

Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 359 ff. und 411; Sieckmann, Regelmodelle und Prinzipienmodelle des Rechtssystems, 141. 176

Umfassend Alexy, Theorie der Grundrechte, passim.

177

Umfassend Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 177 ff. und passim; ders., EuR 2000, 285 (293 f.); sowie ausführlich noch infra Teil 4, B. III. 1. c) bb). 178

Dworkin, Taking Rights Seriously, 22 ff.

179

Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, 216; ders., Theorie der Grundrechte, 75; Penski, JZ 1989, 105; Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 49 ff. 180 Umfassend hierzu Alexy, Theorie der Grundrechte, 73 ff.; ders., Recht, Vernunft, Diskurs, 177 ff., jeweils mit umfangr. Nachw.

B. Technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe

209

„die gebieten, daß etwas in einem relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maße realisiert wird." 1 8 1 Sie enthalten also „Festsetzungen im Raum des tatsächlich und rechtlich Möglichen". 182 Weiterhin entscheidend ist, daß nur Prinzipien einer Abwägung zugänglich sind. Regeln hingegen können nicht Objekt einer Abwägung mit anderen Regeln sein, sondern nur durch Ausnahme- und Rechtfertigungstatbestände eingegrenzt oder für ungültig erklärt werden. 183 Bei der Unterscheidung von Regeln und Prinzipien darf allerdings nicht angenommen werden, daß die beiden Kategorien in einem Exklusivitätsverhältnis zueinander stehen. Möglich ist vielmehr eine Normbetrachtung anhand eines kombinierten Regel-Prinzipien-Modells, wie es für die Grundrechte 184 und entsprechend auch für die Staatszielbestimmungen185 anerkannt ist. Staatszielbestimmungen können insoweit eine normative Verfestigung erhalten, die zu einer operationalisierbaren Regelstruktur führt. Die Ableitung der staatlichen Sicherung des Existenzminimums als subjektives Recht aus der Staatszielbestimmung „Sozialstaatsprinzip" (Art. 20 Abs. 1 GG) ist ein Beispiel für eine solche Regelbezüglichkeit eines Rechtsprinzips. 186 Diese Konstruktion stellt aber bei den Staatszielbestimmungen die Ausnahme dar; im Normalfall bleibt es dabei, daß Staatszielbestimmungen Optimierungsgebote sind. Aus dem Optimierungscharakter von Staatszielbestimmungen ergibt sich ihre Relevanz für die Verwaltungsaufgaben und insgesamt das Handeln der Verwaltung. Ihre prinzipielle Bindung an Staatszielbestimmungen verpflichtet sie, deren Verwirklichung anzustreben, wobei sich abhängig vom Gesetzesbindungsgrad (Art. 20 Abs. 3 GG) im Einzelfall eine unterschiedliche Intensität der Eigen Verantwortung zeigen kann. 187 Dies ist die verfassungskonkrete Übersetzung der rechtstheoretischen Feststellung, daß Optimierungsgebote nur auf eine Zielverwirklichung im Rahmen des rechtlich Möglichen abstellen. Unabhängig hiervon erlangen Staatszielbestimmungen aber normative Bedeutung für die Exekutive, 181

Alexy, Theorie der Grundrechte, 75; ders., Recht, Vernunft, Diskurs, 216.

182

Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, 216.

183

Alexy, Theorie der Grundrechte, 77-79.

184

Alexy, Theorie der Grundrechte, 117 ff.

185

Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 361 f.

186

BVerfGE 40, 121 (133); 82, 60 (80); hierzu auch Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 361 f. 187 Einzelheiten zu den Bindungsmaßstäben im System der Rechtsgebundenheit der Verwaltung bei Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 44 ff.; konkret zu den Staatszielbestimmungen Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 385 f.; umfassend auch Würtenberger, VVDStRL 58 (1999), 139 ff.

210

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

soweit unbestimmte Rechtsbegriffe durch sie zu konkretisieren sind und wenn es um abwägungsrelevante Kritierien bei der Ermessensausübung geht. 188 Das rechtlich Mögliche wird hier durch die gesetzliche Einräumung von der Befugnis zur Tatbestandskonkretisierung bzw. Ermessensausübung bewußt weit gefaßt, so daß die Finalverpflichtung einer Staatszielbestimmung als Optimierungsgebot unmittelbare Wirkung entfaltet.

III. Die Internationalisierung von Staatszielbestimmungen und Staats- sowie Verwaltungsaufgaben Eine internationalisierte Verwaltungstätigkeit im Rechtsstaat ist in ihrer Aufgabenbezogenheit als Rechtsphänomen dogmatisch überhaupt nur dann auszumachen, wenn sich der vom Grundgesetz konstituierte Rechtsstaat der internationalen Zusammenarbeit prinzipiell öffnet. Würde man auch heute noch rechtlich von der philosophischen Idee eines geschlossenen Staates im Sinne von Fichte ausgehen müssen, der jeden Verkehr mit dem Ausland zu unterbinden bzw. auf ein Minimum zu reduzieren hat, um einzig innerhalb des abgeschlossenen Herrschafts Verbandes das Wohlergehen der Untertanen zu fördern, 189 könnte sich schon im Ansatz die Frage nach einer internationalisierten Verwaltungstätigkeit im Sinne der Verwaltungsaufgabenlehre nicht stellen. In bewußter Abkehr von introvertierten Vorstellungen eines sich nach außen abschottenden Nationalstaates hat sich der Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland jedoch von Beginn seiner Existenz an der internationalen Zusammenarbeit geöffnet. Dieser zunächst empirisch-rechtssoziologische Befund, der mit dem Topos von der internationalen Offenheit der Staatlichkeit zu verbinden ist, 190 erfährt in der positiven Verfassungsordnung des Grundgesetzes eine normative Verankerung, die es rechtfertigt, von einer staatsrechtlichen Entscheidung für die internationale Offenheit zu sprechen. 191 Welche konkreten verfassungsrechtlichen Ausmaße diese sich zunächst

188 Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 385; für die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG insoweit Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20a Rdnr. 64 f.; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20a Rdnr. 16. 189 Fichte, Der geschloßne Handelsstaat (1800); hierzu K. Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 14. 190 191

Tomuschat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, § 172 Rdnr. 1.

Grundlegend K. Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 46 f. und passim; weiterhin Tomuschat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, § 172; Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität

B. Technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe

211

auf hohem staatsrechtlichen Abstraktionsniveau bewegende Aussage beinhaltet, ist noch akzentuierter zu bestimmen. Um dabei den Bezug zur Verwaltungsaufgabenlehre in ihrer hier interessierenden internationalisierten Dimension zu wahren, ist der gewählten Systematik folgend zwischen (1.) auf Staatszielbestimmungen zurückgehenden verfassungsrechtlichen Internationalisierungserscheinungen zu differenzieren, die rechtlich verpflichtende Verwaltungsaufgaben begründen, und (2.) solchen, die zu internationalisierten Staats- und Verwaltungsaufgaben außerhalb konkreter Staatszielbestimmungen führen.

1. Normativ

begründete

Verwaltungsaufgaben

internationalen

auf der Grundlage

der

Kooperationsverpflichtung

a) Die internationale Kooperationsoffenheit der Verfassungsordnung als Ausgangspunkt Schon in der Präambel des Grundgesetzes finden sich Anhaltspunkte für die verfassungsrechtliche Verankerung der internationalen Kooperationsoffenheit des Staates, wenn dort auf den Willen des Deutschen Volkes verwiesen wird, „in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen". 192 Die durch diese Formulierung bewußt betonte Bereitschaft des deutschen Staates, sich nach den Schrecken des 2. Weltkrieges wieder in die friedens- und menschenrechtsorientierte Völkergemeinschaft einzugliedern, verweist unmittelbar auf die Zusammenarbeit im internationalen System. Auch Art. 1 Abs. 2 GG dokumentiert dies für den bewußt wertebezogenen Bereich der Menschenrechte. Selbst wenn Art. 1 Abs. 2 GG nur in Ausnahmefällen eine über die positiv normierte Verfassungsordnung des Grundgesetzes hinausgehende Wirkung entfalten mag, 193 ist in dieser Bestimmung doch in augenfälliger Nähe zur Formulierung in der Präambel des

und Interdependenz, 137 ff.; Delbrück, in: Alexy/Laux (Hrsg.), 50 Jahre Grundgesetz, 65 ff., jeweils m. w. N. 192 H. Kraus, Die auswärtige Stellung der Bundesrepublik Deutschland nach dem Bonner Grundgesetz, 19 ff., 21: „Das bedeutet eine demonstrative Wendung zu einer internationalistischen Grundeinstellung"; zur Bedeutung der Aussage der Präambel mit Blick auf die offene Staatlichkeit der Bundesrepublik siehe auch Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. I, Präambel Rdnr. 23. 193

Zum normativen Gehalt des Art. 1 Abs. 2 GG ausführlich Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. I, Art. 1 I I Rdnr. 9 ff.; Sternberg, Der Rang von Menschenrechtsverträgen im deutschen Recht, passim, jeweils mit umfangr. Nachw.

212

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

Grundgesetzes die Öffnung des Tores zur internationalen Entwicklung, namentlich im Bereich der Menschenrechte, erkennbar. 194 Von zentraler Bedeutung für die Offenheit des Grundgesetzes gegenüber der internationalen Rechtsgemeinschaft ist dann Art. 25 GG. Die durch Art. 25 Satz 1 GG bewirkte Übernahme des Völkergewohnheitsrechts und der allgemeinen Rechtsgrundsätze i. S. v. Art. 38 Abs. 1 lit. b) und c) IGH-Statut 195 als die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts" in die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland 196 dokumentiert in deutlicher Abkehr von der Rechtslage nach der Weimarer Reichs Verfassung (Art. 4) 1 9 7 die „blinde Unterwerfung" 198 unter das Völkerrecht. Die „unbesehene" Übernahme von „Normen, die in einem fremden Kontext entstanden sind, ohne daß die nationalen Gesetzgebungskörperschaften auf ihren Inhalt Einfluß hätten ausüben können", 199 bezeugt aufs Deutlichste das Vertrauen, das die deutsche Rechtsordnung der Völkerrechtsordnung in ihrem normativen Bestand entgegenbringt. Nimmt man die angeführten Verweise des Grundgesetzes auf das internationale System und die Völkerrechtsordnung zusammen, gewinnt die vielzitierte „offene Staatlichkeit" des Grundgesetzes 200 erste Konturen, die als Ausgangspunkt für die hier interessierenden Wechselwirkungen zwischen Kooperationsoffenheit, Staatszielbestimmungen, Staats- und Verwaltungsaufgaben dienen. Sie können wie folgt umschrieben werden: Das Grundgesetz hat die deutsche Staatlichkeit bewußt dem internationalen System und der Völkerrechtsordnung geöffnet. Neben den in Art. 25 GG normierten Rechtswirkungen der Übernahme des allgemeinen Völkerrechts in die Rechtsordnung der Bundesrepublik und der anerkannten Verpflichtung zur völkerrechtsfreundlichen Auslegung des deutschen Rechts 201 lassen sich 194 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. I, Art. 1 I I Rdnr. 16; ders., DVB1. 1999,667 (674); Sommermann, AöR 114 (1989), 391 (415). 195

Zu Einzelheiten siehe Steinberger, § 173 Rdnr. 8 und 16 ff. 196

in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII,

Zu Einzelheiten des Rangverhältnisses siehe infra Teil 4, B. III. 1. c) aa).

197

Hierzu Anschiitz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, 14. Aufl., Art. 4 Anm. 4. 198 Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts und das deutsche Verfassungsrecht, 4. 199

Tomuschat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, § 172 Rdnr. 11.

200

Statt vieler K Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 46 f.; Mosler, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, § 175 Rdnr. 10; Dreier, DVB1. 1999, 667 (674); Kirchhof, DVB1. 1999, 637 (638). 201

BVerfGE 58, 1 (34); 59, 63 (89); 64, 1 (20); umfassend Tomuschat, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, § 172 Rdnr. 27 ff.

B. Technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe

213

jedoch keine unmittelbaren normativen Aussagen aus der Offenheitsformel ableiten. Sie umschreibt vielmehr zunächst nur einen rechtssoziologischen Tatbestand, der in seinem verfassungsrechtlichen Gehalt einer normativen Konkretisierung bedarf. Staatstheoretisch belegt die internationale Offenheit der Verfassungsordnung aber, daß die Idee einer abschließenden, souveränitätsintrovertierten Gestaltungsmacht des Staates mit Blick auf die gesellschaftlichen Belange unabänderbar der Vergangenheit angehört. Der Staat öffnet sich insoweit ganz im Sinne der staatstheoretischen Kategorie der Staatsziele dem internationalen System als Aufgabenwahrnehmungsebene, was der Annahme der Geltung der Friedensstaatlichkeit - verstanden im Sinne des positiven Friedensbegriffes 202 - als Staatsziel und insgesamt der Anerkennung der Internationalisierung der Staatsziele entspricht. 203 Damit ist aber nur ein primär staatstheoretischer Befund verbunden, nicht jedoch eine normative Ableitung einer Antwort auf die Frage möglich, ob und gegebenenfalls wie ausgestaltet sich internationale Kooperationspflichten des Staates ausmachen lassen, die auf konkrete Staats- und Verwaltungsaufgaben Auswirkungen haben. Hierzu bedarf es einer Untersuchung, die nach der Verankerung einer Verpflichtung zur internationalen Zusammenarbeit als Staatszielbestimmung im Verfassungsrecht fragt.

b) Staatszielbestimmung „internationale Zusammenarbeit" Staatszielbestimmungen sind verfassungsrechtliche Finalverpflichtungen des Staates, die rechtstheoretisch als Rechtsprinzipien im Sinne von Optimierungsgeboten eingeordnet werden. Inwieweit der Staat und seine Organe aus einem Optimierungsgebot heraus zur internationalen Zusammenarbeit als Staats- und damit potentiellen Verwaltungsaufgabe verpflichtet sind, kann aufbauend auf der staatstheoretischen Einordnung des Staatszieles „internationale Offenheit" neben der aufgabenbezogenen Formulierung in der Präambel des GG („... dem Frieden der Welt zu dienen ...") insbesondere ausgehend von Art. 24 GG beantwortet werden. Wie die Entstehungsgeschichte des Art. 24 GG zeigt, sollte durch ihn die Bildung internationaler Organe erleichtert werden, „die etwa geschaffen werden soll202

Zum positiven Friedensbegriff und insoweit gerade den Menschenrechten als Grundlage des Friedens siehe Delbrück, Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 9 ff., insbes. 16 ff. 203 Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 237 ff. und 252 ff.; zur Internationalisierung der Staatsziele auch Ress, VVDStRL 48 (1989), 56 (79 ff.); Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 418 f.; in diesem Sinne auch bereits Fiedler, in: FS Schlochauer, 57 (69 ff.).

214

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

ten, um mit Wirkung für die Gebiete der beteiligten Staaten Angelegenheiten zu besorgen, die bisher ausschließlich den verschiedenen nationalen Souveränitäten überlassen waren". 204 Schon diese historische Zielrichtung des Art. 24 GG belegt, daß die Vorschrift insgesamt die Wahrnehmung von vormals nur dem Nationalstaat vorbehaltenen Aufgaben durch internationale Kooperation im Rahmen internationaler Organisationen ermöglichen sollte. Neben den spezifischen Aspekten der Übertragung von Hoheitsrechten (Art. 24 Abs. 1 GG), der Einordnung der Bundesrepublik in ein System kollektiver Sicherheit (Art. 24 Abs. 2 GG) und des Beitritts zu Vereinbarungen über eine internationale Schiedsgerichtsbarkeit (Art. 24 Abs. 3 GG) stand die Einfügung des Art. 24 GG in das Grundgesetz damit im Zeichen der sich schon kurz nach Ende des 2. Weltkrieges abzeichnenden wachsenden internationalen Interdependenzen und der hierauf begründeten Bereitschaft der Bundesrepublik zur europäischen und internationalen Integration. 205 Trotz der historisch belegten klaren Zielsetzung des Art. 24 GG wurde nach Inkrafttreten des Grundgesetzes von prominenter Seite vertreten, daß die Vorschrift nur eine „declaration of policy" von rechtlich sehr geringer Tragweite sei. 206 Daß sich diese Einschätzung mit der Entstehungsgeschichte sowie der systematischen Stellung der Vorschrift im Grundgesetz kaum vereinbaren läßt und unter teleologischen Gesichtspunkten ihre Existenzberechtigung als Verfassungsnorm bei nur politischer Ausrichtung überhaupt in Frage gestellt wäre, 207 wurde aber schnell klar. Grewe korrigierte dann auch auf der Staatsrechtslehrertagung 1953 seine ursprüngliche Ansicht: „Es scheint mir ..., daß wir es bei dem Art. 24 Abs. 1 eben doch nicht nur mit einer bloßen »declaration of policy' von geringer rechtlicher Tragweite zu tun haben, sondern mit einer Verfassungsbestimmung von ganz

204

HCh-Entwurf, Darstellender Teil, 23, abgedruckt in: JöR N. F. 1 (1951), 222 f.; zur Entstehungsgeschichte auch Menzel (Erstbearbeiter), in: Bonner Kommentar, Art. 24, Erl. I; D. König, Die Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses, 39 ff. 205

Vgl. Tomuschat, in: Bonner Kommentar, Art. 24 (Zweitbearbeitung) Rdnr. 1; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 517; Delbrück, in: Alexy/Laux (Hrsg.), 50 Jahre Grundgesetz, 65 (75 ff.); zum Begriff der Interdependenz siehe Zemanek, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. III, 1021 ff.; Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 116 ff. m. w. N. 206 Grewe, DRZ 4 (1949), 313 (315); E. Kaufmann, Mündliches Gutachten zum Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, zitiert in: K Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 36 Fn. 107; von Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, 1. Aufl., Art. 24 Erl. 2. 207

Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 519.

B. Technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe

215

konkreter und präziser rechtlicher Bedeutung". 208 Diese Einschätzung fand im Schrifttum schnell Zustimmung 209 und ging später unter dem Einfluß der Schrift von Klaus Vogel zur „Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit" (1964) in die Rechtsprechung des BVerfG ein. 210 Wenn damit zwar der verfassungsrechtliche Gehalt des Art. 24 GG in der Gesamtschau mit den sonstigen Verfassungsvorschriften zur Offenheit der Staatlichkeit dem Grunde nach anerkannt ist, so bestehen doch Unklarheiten, soweit es um den konkreten Verpflichtungsgehalt geht. Schon frühzeitig sprach Kraus insoweit von einer „Verfassungsmaxime", 211 Scheuner von „Weisungen und Richtlinien für das Handeln der Staatsorgane" 212 und Mosler dann explizit von einer „Staatszielbestimmung". 213 Vogel zog ausdrücklich die Parallele zum Sozialstaatsprinzip und dem ursprünglichen Wiedervereinigungsgebot und sah in der Offenheit der Staatlichkeit ebenso wie bei den zuvor genannten Staatszielbestimmungen einen „dirigierenden Verfassungsrechtssatz" bzw. eine „richtungsweisende Vorschrift" mit verpflichtender Wirkung. 214 A l l diesen Einschätzungen ist ersichtlich gemeinsam, daß von einer rechtsnormativen Verpflichtung zur internationalen Zusammenarbeit ausgegangen wird, wie es gerade Kennzeichen einer Staatszielbestimmung ist. Die Einordnung der Verpflichtung zur internationalen Zusammenarbeit als Staatszielbestimmung ist heute daher nahezu einhellig anerkannt. 215 Es wird aber immer wieder darauf hingewiesen, daß man den rechtlichen Gehalt der Verpflichtung zur internationalen Zusammenarbeit relativieren müsse, da aufgrund der Besonderheiten der auswärtigen Angelegenheiten den verantwortlichen Staatsorganen ein weiter Ermessensspielraum zustehe und insgesamt Art. 24

208

Grewe, VVDStRL 12 (1954), 129 (143).

209

Siehe die Nachweise bei Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1,519. 210

Vgl. BVerfGE 63, 343 (370).

211

H. Kraus, Die auswärtige Stellung der Bundesrepublik Deutschland nach dem Bonner Grundgesetz, 21. 212

Scheuner, in: Schnur (Hrsg.), FS Forsthoff, 325 (328).

213

Mosler, Das Völkerrecht in der Praxis der deutschen Gerichte, 9.

214 K Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 47 f. 215 Tomuschat, in: Bonner Kommentar, Art. 24 (Zweitbearbeitung) Rdnr. 3 und 5; Mosler, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, § 175 Rdnr. 14 (Staatsziel); Randelzhofer, in: Maunz/Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 241 Rdnr. 17; H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 52; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 24 Rdnr. 8; wohl auch Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 24 Rdnr. 8; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 24 Rdnr. 1; a. A. ohne vertiefende Begründung Merten, DÖV 1993, 368 (372).

216

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

Abs. 1 GG unter dem Vorbehalt „des politisch Erreichbaren" stehe.216 Neben prinzipiellen Bedenken, die dieser Ansicht mit Blick auf eine verkürzte und pauschalisierte Deutung des Topos von der auswärtigen Gewalt entgegenzusetzen sind, 217 zeigt schon die rechtstheoretische Einordnung von Staatszielbestimmungen als Optimierungsgeboten, daß auch der Vorbehalt des außenpolitisch Möglichen nicht den prinzipiellen Verpflichtungscharakter der Staatszielbestimmung „internationale Zusammenarbeit" relativieren kann. Staatszielbestimmungen sind ohnehin nur auf die Zielverwirklichung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen ausgerichtet, woraus sich auch ergibt, daß sie abhängig von externen Einflüssen eine unterschiedliche Verpflichtungsintensität aufweisen können. Selbst bei der Annahme eines weiten Vorbehalts im Hinblick auf das politisch Mögliche bleibt es aber dabei, daß die finale Verpflichtungsstruktur der Staatszielbestimmung „internationale Zusammenarbeit" ihren normativen Gehalt behält; in Art. 24 Abs. 1 GG „eher ein Instrument zur Erreichung weiterer Finalitäten denn ein aus sich selbst heraus legitimiertes Ziel" 2 1 8 zu sehen, widerspricht der Einordnung als Staatszielbestimmung. Die Verpflichtung zur internationalen Zusammenarbeit ist also als Staatszielbestimmung im Grundgesetz verankert. Der Konkretisierungsgrad dieser Verpflichtung ist wie bei jedem Optimierungsgebot in Abwägung zu sonstigen Verfassungsnormen und mit Blick auf das „tatsächlich Mögliche" im Einzelfall zu akzentuieren. Diese dogmatische Grundlegung des Optimierungsgebotes zur internationalen Zusammenarbeit hat auch eine über die aufgabenkonstituierende Wirkung hinausgehende Bedeutung. Sie bietet einen klaren rechtlichen Maßstab für die Lösung von staatsrechtlichen Problemen, die sich aus der wachsenden internationalen Verflechtung des Staates ergeben können. Bei der zum Teil deutlich artikulierten Sorge über den Bestand rechtsstaatlicher und demokratischer Strukturen der Bundesrepublik nicht nur im Rahmen des europäischen sondern auch auf den internationalen Integrationsprozeß bezogen, muß nicht mit gleichsam der Verfassung vorgelagerten Fundamentalwerten des Staates argumentiert werden. 219 Die Verfassung selbst erkennt durch die Konstituierung von Staatszielbestimmungen als Optimierungsgeboten an, daß die jeweilige Zielverwirklichung in einem Span216 BVerfGE 40,141 (178); ähnlich Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 520; Tomuschat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, § 172 Rdnr. 37; differenziert Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 387 ff. 217

Hierzu supra Teil 4, A. II.

218

Tomuschat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, § 172 Rdnr. 37; ähnlich wohl D. König, Die Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses, 49. 219

So aber wohl Kirchhof,

DVB1. 1999, 637 (639, 649).

B. Technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe

217

nungsverhältnis zu anderen Verfassungsprinzipien stehen kann und es insoweit - wie bei jeder Prinzipienkollision - einer Abwägung im Einzelfall bedarf, die an dem Ziel praktischer Konkordanz orientiert ist. Durch dieses Modell ist es möglich, die Komplexität der mehrdimensionalen Verfassungsprobleme einer nationalen und internationalen Gesellschaftsordnung anhand rechtlicher Maßstäbe zu reduzieren, ohne die bestehende Komplexität in eine den Anforderungen nicht gerecht werdende Entweder-Oder-Entscheidung zu zwängen. 220 Nichts anderes gilt für die Finalverpflichtung zur internationalen Zusammenarbeit, aus der eine Staats- und potentielle Verwaltungsaufgabe folgt, nämlich die Aufgabe der Verwirklichung der Verpflichtung zur internationalen Zusammenarbeit. Die Realisierung dieser Aufgabe im Einzelfall ist verfassungsrechtlich von einem auf den Einzelfall bezogenen komplexen Abwägungsvorgang abhängig, der die Gesamtverfassungsordnung in den Blick zu nehmen hat.

c) Die völkerrechtliche Kooperationspflicht und ihre Übernahme in die Verfassungsrechtsordnung gemäß Art. 25 Abs. 1 GG Neben der unmittelbar aus dem Grundgesetz abzuleitenden Zusammenarbeitsverpflichtung als Staatszielbestimmung kennt auch das Völkerrecht eine prinzipienorientierte Verpflichtung der Staaten zur Kooperation. Als Völkerrechtsprinzip wird diese Verpflichtung durch Art. 25 Satz 1 GG in den Rang einer neben die Staatszielbestimmung „internationale Zusammenarbeit" tretenden Verfassungsverpflichtung erhoben. Zugleich gibt die völkerrechtliche Verpflichtung zur Zusammenarbeit Aufschluß darüber, auf welcher inhaltlichen Wertgrundlage die internationale Kooperation beruht.

aa)

Verfassungsrang

der durch Art. 25 GG übernommenen

Völkerrechtssätze

Die Einordnung der sogleich noch näher zu konturierenden völkerrechtlichen Kooperationspflicht als auch verfassungsrechtliche Zielverpflichtung hängt zunächst mit der Frage zusammen, welchen normhierarchischen Rang die Völkerrechtssätze einnehmen, die von Art. 25 GG in die innerstaatliche Rechtsordnung übernommen werden. Der sprachlich wenig geglückte heutige Art. 25 GG geht 220

So überzeugend Hoffmann-Riem, DVB1. 1999,657 (665); allgemein zur Bedeutung von Rechtsprinzipien, politischer Gestaltungsfreiheit und der Idee einer geschlossenen Rechtsordnung ohne normative Freiräume M. Kaufmann, Staatswissenschaft und Staatspraxis 1997, 161 ff.

218

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

auf einen Beschluß des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates vom 15. Dezember 1948 zurück, der nach längerer Diskussion folgende Fassung vorschlug: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesverfassungsrechts ,..". 2 2 1 Während in dieser Textfassung die verfassungsrechtliche Qualität der übernommenen Völkerrechtsnormen noch explizit hervorgehoben wurde, kam es nach mehreren Anträgen des Abgeordneten von Mangoldt schließlich am 5. Mai 1949 zur später dann in Kraft getretenen Formulierung, wonach die allgemeinen Regeln des Völkerrechts „Bestandteil des Bundesrechtes" sind und den Gesetzen vorgehen. Mit der sprachlichen Änderung war jedoch keine inhaltliche Aussage mit Blick auf einen von der ursprünglichen Fassung abweichenden Rang des Völkerrechts in der innerstaatlichen Rechtsordnung verbunden. Nach anfänglichen Tendenzen von von Mangoldt in diese Richtung wollte er ab Februar 1949 durch den Verweis auf das Bundesrecht und den Vorrang vor den Gesetzen nur erreichen, daß die Möglichkeit zur Abänderung übernommenen Völkerrechts durch einfaches Bundesrecht oder Verfassungsänderung ausgeschlossen wird. Hätte der Artikel das allgemeine Völkerrecht nur als „Bestandteil des Bundesverfassungsrechts" bezeichnet, so von Mangoldt, hätte die Gefahr bestanden, eine Abänderungsbefugnis durch qualifizierten Gesetzesbeschluß anzunehmen. Dem könne nur begegnet werden, wenn das allgemeine Völkerrecht als den Gesetzen vorgehend erklärt werde. 222 Vor der Annahme der endgültigen Fassung des heutigen Art. 25 GG durch den Hauptausschuß betonte der Abgeordnete von Brentano dann nochmals in aller Deutlichkeit, daß das Völkerrecht unter allen Umständen dem Bundesrecht, auch dem Bundesverfassungsrecht, vorgehe. 223 Die Entstehungsgeschichte des Art. 25 Satz 1 GG deutet damit darauf hin, daß ein Primat des Völkerrechts festgeschrieben werden sollte, indem das übernommene Völkerrecht nicht nur dem einfachen Recht, sondern auch dem Verfassungsrecht vorgeht. 224 Inwieweit unabhängig von der Entstehungsgeschichte das allgemeine Völkerrecht i. S. v. Art. 25 GG allerdings tatsächlich einen Überverfassungsrang einnimmt, kann hier offen bleiben, wird aber wohl jedenfalls für völkerrechtliches ius cogens nicht zu bestreiten sein. 225 Entscheidend ist nur, daß das 221

JöR N. F. 1 (1951), 233 f.; Einzelheiten auch bei Menzel, in: Bonner Kommentar, Art. 25 (Erstbearbeitung) Anm. 1.3. 222

JöR N. F. 1 (1951), 234 f.

223

JöR N. F. 1 (1951), 235.

224 So auch Pernice , in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 25 Rdnr. 4; nach ausführlicher Analyse ebenfalls für einen Überverfassungsrang Pigorsch, Die Einordnung völkerrechtlicher Normen in das Recht der Bundesrepublik Deutschland, 55 ff. 225

Pernice , in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 25 Rdnr. 25 ff.; zur derogierenden Kraft des ius cogens gegenüber nationalem Recht siehe auch Hobe/Tietje, AVR 32 (1994), 130 (137).

B. Technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe

219

durch Art. 25 Satz 1 GG in den innerstaatlichen Rechtsraum übernommene allgemeine Völkerrecht zumindest im Rang des Verfassungsrechts steht. 226 Auch wenn das BVerfG 2 2 7 und Teile des Schrifttums 228 dies unter Verweis auf den Wortlaut des Art. 25 Satz 2, 1. Halbs. GG anders sehen, ist nicht zu verkennen, daß die sprachliche Fassung des Art. 25 GG im Lichte der Diskussion im Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates unglücklich ist. Auch der systematische Verweis auf Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG kann nicht gegen die Verfassungsnormqualität ins Feld geführt werden. 229 Denn durch die Verfassungsentscheidung zur internationalen Offenheit insgesamt und konkret durch Art. 25 GG wird die Reichweite des Textvorbehaltes des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG relativiert, was für Art. 24 Abs. 1 GG und Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG im Rahmen der Übertragung von Hoheitsrechten ohnehin anerkannt ist. 230 Aus dem Verfassungsrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts - wozu unstrittig das Völkergewohnheitsrecht gehört 231 - folgt, daß völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtungen, die ihrer Struktur nach als Rechtsprinzipien eine Finalverpflichtung im Sinne eines Optimierungsgebotes festlegen, durch Art. 25 GG die Rolle von Staatszielbestimmungen einnehmen. Die mit Verfassungsrang versehenen Völkerrechtsprinzipien, die vom Staat und seinen Organen als Adressaten eine Zielverwirklichung fordern, begründen damit nicht nur auf völkerrechtlicher 226

Ebenso i. E., wobei nicht immer ganz klar wird, ob es sich damit um einen Verfassungsrang oder aber um eine Ranggleichheit neben dem Grundgesetz handelt, Herzog, EuGRZ 1990,483 (486); Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 25 Rdnr. 25; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 25 Rdnr. 90; Koenig, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Bonner Grundgesetz, Bd. 2, Art. 25 Rdnr. 55; Steinberger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, § 173 Rdnr. 61 m. w. N.; a. A., d. h. für einen Rang zwischen Verfassungsrecht und einfachem Gesetz, z. B. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 168 f.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 479 f. 227 BVerfGE 6, 309 (363); BVerfG (1. Kammer des Zweiten Senats), NJW 1988, 1462, jedoch jeweils ohne Begründung. 228

Umfassende Nachweise bei Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 25 Rdnr. 37; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 493 f. 229

So Kunig, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Abschn. Rdnr. 151; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1,493; Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 25 Rdnr. 25; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 25 Rdnr. 37 m. w. N. 230

Streinz,, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 25 Rdnr. 89; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 25 Rdnr. 26; zur Unanwendbarkeit von Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG statt vieler Lücke, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 79 Rdnr. 16 m. w. N. 231 Vgl. BVerfGE 15, 25 (34); 16, 27 (33); 23, 288 (317); 31, 145 (177); 66, 39 (64 f.); Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 25 Rdnr. 32; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 15 Rdnr. 19.

220

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

Ebene, sondern durch Art. 25 GG auch unmittelbar im Verfassungsrechtsraum die Pflicht, im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen die Verwirklichung des festgelegten Zieles zu erstreben. Solche Finalverpflichtungen sind im Völkerrecht zahlreich vorhanden, was sich aus rechtstheoretischen und -soziologischen Gesichtspunkten erklärt und dogmatisch nachweisen läßt.

bb) Rechtsprinzipien

im Völkerrecht

Der Anerkennung von Rechtsprinzipien als Normkategorie innerhalb einer Rechtsordnung liegt die Erkenntnis zugrunde, daß reine Regelsysteme nur schwerlich vorstellbar und auch nicht erstrebenswert sind. 232 Gerade die juristische Methodenlehre hat gezeigt, daß eine innerhalb einer Rechtsordnung vorhandene Rechtsmasse nie vollständig sein kann, um alle tatsächlich auftretenden Rechtsprobleme lösen zu können. 233 Wollte man den Bestand einer Rechtsordnung daher auf die vorhandenen Rechtsregeln beschränken, bestünde die Gefahr, einzelne Rechtsprobleme nicht lösen zu können oder aber eine Entscheidung auf der Grundlage außerrechtlicher Kriterien treffen zu müssen. Die Unzulänglichkeit beider Möglichkeiten ist evident. 234 Überträgt man diese Überlegungen auf die Völkerrechtsordnung, wird schnell klar, daß gerade das Völkerrecht unter einer unvollständigen Regelstruktur leidet. Aufgrund des komplexen und oft langwierigen völkerrechtlichen Rechtssetzungsprozesses und den damit verbundenen Problemen von „Lücken im Völkerrecht" 235 treten in der Völkerrechtsordnung noch mehr als im innerstaatlichen Rechtsraum Situationen auf, in denen Rechtsregeln zur unmittelbaren Entscheidung eines konkreten Sachverhaltes nicht vorhanden sind. Daneben ist der völkerrechtliche Rechtssetzungsprozeß, gerade im Bereich völkervertraglicher Kodifikationen durch große Staatenkonferenzen, von komplexen diplomatischen Kompromißzwängen gekennzeichnet.236 Diese können im Ergebnis zur Herausbildung von Rechtsnormen führen, denen keine unmittelbare Anwendbarkeit zur Entscheidung konkreter Einzelfallprobleme zukommt. 232

Hierzu und zu den folgenden Argumenten Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, 219 ff.; sowie bereits Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 177 f. 233

Siehe Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 173 und 366 ff.

234

Eingehend Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, 220 ff.

235 Hierzu die gleichnamige Schrift von Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, 24 ff. und passim. 236

Zur Bedeutung der Diplomatie und ihrer fortschreitenden Orientierung an Rechtsnormen - in Abkehr von dem klassischen Bild einer ausschließlich politischen Diplomatie - siehe Delbrück, Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 238 ff.

B. Technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe

221

Schließlich ist das Völkerrecht vergleichbar dem innerstaatlichen Verfassungsrecht auch „politisches Recht", 237 was zwar nicht den prinzipiellen Rechtscharakter des Völkerrechts in Frage stellt, 238 aber doch dazu führt, die Offenheit einzelner Völkerrechtsnormen für die Beachtung des rechtlich und tatsächlich Möglichen mit Blick auf die Verwirklichung des ihnen zugrundeliegenden Normprogrammes anzuerkennen. Diese kurzen Bemerkungen mögen genügen, um schon unter induktiven Gesichtspunkten zu erhellen, warum die Völkerrechtsordnung aus ihr immanenten Aspekten ebenso wie jede andere Rechtsordnung nicht auf Rechtsprinzipien verzichten kann. Deduktiv ist darüber hinaus die Existenz von Rechtsprinzipien als Optimierungsgeboten in verschiedenen Rechtsbereichen des Völkerrechts nachgewiesen. Auch wenn die Terminologie zum Teil schwankt, geht es dabei immer um Normen, „die gebieten, daß etwas in einem relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maße realisiert wird". 2 3 9 Geradezu klassisch wird dieses Normprogramm in Art. 1 und 2 UN-Charta formuliert, wo unter der Überschrift des Kapitel I der Charta von den „Purposes and Principles" der Vereinten Nationen die Rede ist. In abgestufter Normintensität der Art. 1 und 2 UN-Charta beschreiben die „Purposes and Principles" der Charta finale Verpflichtung der Organisation und ihrer Mitgliedstaaten (vgl. 2 Satz 1 UN-Charta), deren Beachtung als Zielvorgaben unter Anerkennung eines zum Teil weiten Verwirklichungsermessens zwingend ist. 240 Weiterhin wurden schon frühzeitig wesentliche Normen des Weltwirtschaftsrechts als Prinzipien ausgemacht.241 Das heute das Weltwirtschaftsrecht dominierende WTO-Recht basiert umfassend auf den Rechtsprinzipien u. a. der Nichtdiskriminierung und der Offenheit der Märkte sowie auf dem Souveränitätsprinzip und dem Prinzip globaler Gerechtigkeit. Auch diese Prinzipien zeichnen sich durch ihren finalen Verpflichtungscharakter aus, wobei die Besonderheit darin

237

Umfassend aus verfassungsrechtlicher Perspektive Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, § 162. 238

Siehe z. B. Henkin, How Nations Behave, 88 ff.; zur Diskussion Dahm/Delbrück/ Wolf rum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 34; Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 116 f. m. w. N. 239

Alexy, Theorie der Grundrechte, 75; ders., Recht, Vernunft, Diskurs, 216.

240

Wolfrum, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 1 Rdnr. 2; weitere Einzelheiten bei Randelzhofer, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 2, 994 ff. 241 Grundlegend Schwarzenberger, RdC 1966-1, 1 (66 ff.); sowie Roessler, G Y I L 21 (1978), 27 ff.; umfassend auch Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, 284 ff.

222

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

besteht, daß mit ihnen zahlreiche Rechtsregeln korrespondieren, die ihrer Konkretisierung dienen. 242 Als weiteres Beispiel für die Bedeutung von Rechtsprinzipien im Völkerrecht kann auf den völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz verwiesen werden, der in einer Vielzahl einzelner Rechtsinstrumente Rechtsnormen enthält, die oftmals als „Standards" beschrieben werden. 243 Auch hier ist Ausgangspunkt der Betrachtungen die UN-Charta, die in ihren Artikeln 1 Abs. 3,13 Abs. 1 lit. b), 55 Ziff. c), 56, 62 Abs. 2,68 und 73 ein allgemeines Programm zur Förderung der Beachtung und Verwirklichung der Menschenrechte aufstellt. Der semantisch allgemein gehaltenen Formulierung in den betreffenden Artikeln wurde zum Teil entnommen, daß die Förderung des Menschenrechtsschutzes in der UN-Charta nur als politischer Programmauftrag zu verstehen sei, rechtliche Verpflichtungen hieraus jedoch nicht erwachsen könnten. Insbesondere Kelsen nahm diesen Standpunkt zu Art. 56 UN-Charta ein. Er bezeichnete die dort genannte Verpflichtung aller Mitgliedstaaten, „gemeinsam und jeder für sich mit der Organisation zusammenzuarbeiten, um die in Artikel 55 dargelegten Ziele zu erreichen" als rechtlich „meaningless and redundant". 244 Aus streng positivistischer Perspektive mag es in der Tat schwierig sein, aus der rein finalen Ausrichtung des Art. 56 UN-Charta auf ihre Rechtsnormqualität zu schließen, auch wenn der Wortlaut („Alle Mitgliedstaaten verpflichten sich ...") wohl gerade für den rechtlichen Verpflichtungsgehalt spricht. Der gesamten Diskussion zum Verpflichtungsgehalt der UN-Charta hinsichtlich des Menschenrechtsschutzes, die hier nicht vertieft werden muß, liegt aber die Problematik zugrunde, daß oftmals als Rechtsnorm nur eine Rechtsregel, also ein zur konkreten Entscheidung taugliches Normprogramm, anerkannt wurde. Daß dies schon aus positivrechtlichen Gründen hinsichtlich der Menschenrechtsverpflichtung aus der UN-Charta nicht haltbar ist, wurde vielfach gezeigt 245 und entspricht der Praxis der UN-Organe. 246 Im Rahmen der heute anerkannten rechts242

Ausführlich zu den vier Prinzipien und den sie konkretisierenden Rechtsregeln Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/ GATT-Rechtsordnung, 189-339. 243 Hierzu Delbrück, Die Rassenfrage als Problem des Völkerrechts und nationaler Rechtsordnungen, 108 ff.; sowie umfassend Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, 260 ff. und 297 ff. 244

Kelsen, The Law of the United Nations, 100; im Ergebnis ebenso Hudson, AJIL 42 (1948), 105 ff.; Kunz, AJIL 43 (1949), 316 ff. 245 Statt vieler Lauterpacht, International Law and Human Rights, 148; Wolfrum, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 56 Rdnr. 2; weitere Nachweise bei Delbrück, Die Rassenfrage als Problem des Völkerrechts und nationaler Rechtsordnungen, 78 ff. 246

Brownlie, Principles of Public International Law, 573 f.

B. Technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe

223

theoretischen Erkenntnis zum Normcharakter auch von Rechtsprinzipien als Optimierungsgeboten kann darüber hinaus kein Zweifel bestehen, daß die Förderung des Menschenrechtsschutzes in der UN-Charta die Mitgliedstaaten und die Organisation rechtlich bindet. Das gilt ebenso für die als Optimierungsgebot formulierten VerwirklichungsVerpflichtungen der Staaten aus Art. 2 Abs. 2 IPBürgR 2 4 7 und Art. 2 Abs. 1 IPWirtR 2 4 8 sowie für eine Reihe weiterer internationaler Menschenrechtsintrumente. 249

cc)

Die völkerrechtliche

Kooperationspflicht

als Rechtsprinzip

Emer de Vattel (1714-1767) formulierte im Jahre 1758 in seinem Droit des Gens: „La prémière Loi générale, que le but même de la Société des Nations nous découvre, est que chaqué Nation doit contribuer au bonheur & à la perfection des autres tout ce qui est en son pouvoir". 2 5 0 226 Jahre später erklärte die International Law Association - unter grundsätzlicher Zustimmung auch der bundesdeutschen Mitglieder der Vereinigung daß ,,[t]he duty of States to co-operate ... one of the most important principles of contemporary international law" sei. 251 Hinter diesen beiden gleichsam als Kontinuum der Völkerrechtsentwicklung erscheinenden Aussagen verbirgt sich jeweils die Erkenntnis, daß sich aus der soziologischen Interdependenz der Staaten rechtliche Schlüsse im Hinblick auf wechselseitige Verhaltenspflichten ergeben. So richtig dies unter soziologischen Gesichtspunkten sicherlich gerade bei grenzüberschreitenden Problemkonstellationen (z. B. Umweltschutz, Informationsaustausch, Friedenssicherung, Welthandel) ist, so wenig kann rechtspositiv nur aus einem empirischen Sachverhalt auf eine rechtliche Pflicht zur Zusammenarbeit geschlossen werden. U m eine völkergewohnheitsrechtliche Pflicht zur Zusammenarbeit zu begründen, bedarf es vielmehr gemäß Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut des Nachweises einer Staatenpraxis und von opinio iuris. Trotz aller Schwierigkeiten, die mit Auslegung und Anwendung

247

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, BGBl. 1973 II, 1534 ff.; zu dieser Verwirklichungspflicht siehe auch - allerdings etwas ungenau - BGHSt 39, 1 (17); Schachter, in: Henkin (Hrsg.), The International Bill of Rights, 311 ff. 248

Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, BGBl. 1973 II, 1570 ff. 249

Umfassend Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, 297 ff. und passim.

250

de Vattel, Le Droit des Gens ou Principes de la Loi Naturelle, Preliminaires § 13, zitiert nach dem Abdruck in: Scott (Hrsg.), The Classics of International Law, Le Droit des Gens, Vol. I, 8. 251

ILA, Report of the Sixty-First Conference, Paris 1984, 127.

224

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

der Tatbestandsmerkmale des Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut verbunden sind, 252 kann heute - anders als noch vor gut 30 Jahren 253 - ausgehend von bi- und multilateralen völkervertraglichen Kooperationspflichten und anderer Staatenpraxis 254 konstatiert werden, daß es in der Tat eine Verpflichtung der Staaten gibt, im Interesse der Erreichung verschiedener, noch näher zu bestimmender Ziele zusammenzuarbeiten. 255 Ihren stärksten Ausdruck findet die Kooperationspflicht im gegenwärtigen Völkerrecht in der UN-Charta als universell geltende Verfassungsurkunde der Staatengemeinschaft. 256 In ihr ist die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Zusammenarbeit umfassend angelegt hinsichtlich des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts und damit zusammenhängender internationaler Probleme wirtschaftlicher, sozialer, gesundheitlicher und verwandter Art sowie insgesamt auf den Gebieten der Kultur, der Erziehung und der Menschenrechte (Art. 1 Ziff. 3, Art. 56 i. V. m. Art. 55 UN-Charta). 257 Normtheoretisch ist diese Zusammenarbeitspflicht als Optimierungsgebot ausgestaltet. Bestätigung und in gewisser Weise auch Konkretisierung erfahren hat die Kooperationspflicht aus der UN-Charta in den Resolutionen der Generalversammlung zu den freundschaftlichen Beziehungen der Staaten (insb. Präambel und Art. 4) 2 5 8 und zu den wirtschaftlichen Rechten und Pflichten der Staaten (insbes. Art. 8,9 und 17). 259 Auch wenn diesen Resolutionen prima facie keine formelle Bindungswirkung zukommt (vgl. Art. 10 U N -

Charta) und sich einige westliche Staaten bei der Verabschiedung beider Resolu-

252

Hierzu statt vieler Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn. Rdnr. 132 ff. 253 Ausführliche Nachweise zur ablehnenden Auffassung hinsichtlich einer völkerrechtlichen Verpflichtung zur Zusammenarbeit in den 50er und 60er Jahren bei K. Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 29. 254

Zur Heranziehung einer Vertragspraxis im Rahmen des Entstehungsprozesses von Völkergewohnheitsrecht statt vieler Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 16 Rdnr. 37 f. 255

Zusammenfassend hierzu Wolfrum,

256

Verdross/Simma,

in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. II, 1242 ff.

Universelles Völkerrecht, § 91.

257 Hierzu umfassend die Erläuterungen von Wolfrum, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 55 (a) und (b) sowie Art. 56; Partsch, in: ebda., Art. 55(c). 258

Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in Accordance with the Charter of the United Nations, Annex zur GA-Res. 2625 (XXV) v. 24.10.1970, abgedruckt in: UNYB 24 (1970), 788 ff.; hierzu statt vieler Rosenstock, AJIL 66 (1971), 713 ff.; Frowein, EA 28 (1973), 70 ff. 259

Charter of Economic Rights and Duties of States, GA-Res. 3281 ( X X I X ) v. 12.12.1974, abgedruckt in: I L M 14 (1975), 251 ff.; hierzu Tomuschat, ZaöRV 36 (1976), 444 ff.

B. Technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe

225

tionen gegen die dort statuierte Kooperationspflicht als die Staaten verpflichtende Völkerrechtsnorm wandten, 260 wird man ihren Einfluß auf die Bildung des entsprechenden Gewohnheitsrechtssatzes nicht per se verneinen können. Dies hängt zunächst allgemein mit der Recht schöpfenden Kraft gerade bedeutender Resolutionen der UN-Generalversammlung zusammen.261 Überdies erklärt es sich aus einem spezifischen inhaltlichen Aspekt, der die damals ablehnende Haltung der westlichen Staaten gegenüber der Kooperationspflicht bedingte. Mit der Verankerung der Kooperationspflicht in den beiden wegweisenden Resolutionen von 1970 und 1974 wollten die Entwicklungsländer ihre politische Forderung nach einer „Neuen Weltwirtschaftsordnung" 262 untermauern. Diese sollte insbesondere finanzielle und technologische Transferpflichten der industrialisierten Staaten begründen. Hinzu kam die Intention der sozialistischen Staaten, durch die Kooperationspflicht ihre Auffassung der „friedlichen Koexistenz" verbunden mit einer Einräumung der Meistbegünstigungsbehandlung durch die westlichen Staaten durchzusetzen. 263 Da beide politischen Zielrichtungen aus verständlichen Gründen von den westlichen Staaten nicht getragen wurden, kam es zu ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der Kooperationspflicht. Daraus lassen sich aber keine weitergehenden Schlüsse hinsichtlich der heutigen Anerkennung einer Zusammenarbeitspflicht ziehen. Schon im Rahmen des KSZE-Prozesses zeigte sich eine positivere Einstellung auch der westlichen Staaten gegenüber bestehenden Zusammarbeitspflichten, die in der Schlußakte von 1975 dann auch umfassend formuliert wurden. 264 Nachdrückliche Bestätigung fand dieses Bekenntnis dann in 260

Einzelheiten bei Wolfrum, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. II, 1242 (1244 f.); Neuhold, in: Miehsler/Mock u. a. (Hrsg.), FS Verdross, 575 ff. 261

Statt vieler Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn. Rdnr. 153.

262

Zur Diskussion über eine neue Weltwirtschaftsordnung siehe die Beiträge in: Bryde/ Kunig/Oppermann (Hrsg.), Neuordnung der Weltwirtschaft?; Oppermann/Petersmann (Hrsg.), Reforming the International Economic Order; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 3.3. 263

Zu den Motivlagen im Rahmen der Ausarbeitung und Verabschiedung der Resolutionen ausführlich Neuhold, in: Miehsler/Mock u. a. (Hrsg.), FS Verdross, 575 (577 ff.). 264 KSZE-Schlußakte, Art. XI, abgedruckt in: Bull. BReg. 1975,968 ff., I L M 14 (1975), 1292 ff.: „Die Teilnehmerstaaten werden ihre Zusammarbeit miteinander und mit allen Staaten in allen Bereichen gemäß den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen entwickeln. ... Sie werden sich bei der Entwicklung ihrer Zusammenarbeit als Gleiche bemühen, gegenseitiges Verständnis und Vertrauen, freundschaftliche und gutnachbarliche Beziehungen untereinander, internationalen Frieden, internationale Sicherheit und Gerechtigkeit zu fördern. Sie werden sich gleichermaßen bemühen, bei der Entwicklung ihrer Zusammenarbeit das Wohlergehen der Völker zu verbessern und zur Erfüllung ihrer Wünsche beizutragen, unter anderem durch die Vorteile, die sich aus größerer gegenseitiger Kenntnis sowie dem Fortschritt und den Leistungen im wirtschaftlichen, wissen-

226

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

dem Dokument des Kopenhagener KSZE-Treffens vom 29. Juni 1990 und der sich anschließenden Pariser Erklärung der KSZE-Staaten vom 19. November 1990. In der Kopenhagener Erklärung wird die Bedeutung der Zusammenarbeit der Staaten für die Verwirklichung der menschenrechtlichen Aspekte des KSZEProzesses mehrmals hervorgehoben. 265 Die Charta von Paris unterstreicht an zentraler Stelle die umfassende Zusammenarbeitsverpflichtung aller KSZE-Staaten im Interesse ihrer Völker. 266 I m Zusammenhang mit diesen deutlichen Formulierungen einer opinio iuris i m

Hinblick auf die Existenz eines Rechtsprinzips zur internationalen Kooperation steht auch die weitergehende Absage der Entwicklungsländer an ein Zusammenarbeitskonzept, das maßgeblich auf positive Transferleistungen durch die industrialisierten Staaten abstellt. Deutlich zum Ausdruck kommt dies in einer im Konsensus-Verfahren angenommenen Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 1. Mai 1990, in der nicht mehr wie früher die Entwicklungszusammenarbeit genannt wird, sondern nur noch allgemein die „obligations of all countries to international economic co-operation" herausgestellt werden. 267 Diese Abkehr von den ideologisch belasteten Vorstellungen einer egalitär ausgerichteten, JMeuen Weltwirtschaftsordnung" entspricht der Anerkennung des von John Rawls entwickelten

Differenzprinzips als nicht-egalitärem Verteilungsgrundsatz 268 im Weltwirtschaftsschaftlichen, technischen, sozialen, kulturellen und humanitären Bereich ergeben"; zu Einzelheiten der Formulierung dieses Zusammenarbeitsgebotes siehe Neuhold, in: Miehsler/Mock u. a. (Hrsg.), FS Verdross, 575 (589 ff.); zur fehlenden Rechtsverbindlichkeit der Schlußakte und der trotzdem bestehenden völkerrechtlichen Relevanz statt vieler Schweisfurth, ZaöRV 36 (1976), 681 ff.; Delbrück, in: 3. Deutsch-Polnisches Juristenkolloquium, 31 ff. 265

Dokument des Kopenhagener KSZE-Treffens über die menschliche Dimension vom 29. Juni 1990, abgedruckt in: EA 45 (1990), D380 ff., dort insbesondere vorletzter Absatz des Vorspannes sowie Punkte 36 und 41 ff. 266 Gemeinsame Erklärung von zweiundzwanzig Staaten über die neuen Ost-West-Beziehungen in Europa, am Rande des KSZE-Gipfeltreffens in Paris am 19. November 1990 verabschiedet, abgedruckt in: EA 45 (1990), D 654,.Punkt 9: „Sie verpflichten sich, mit den anderen KSZE-Teilnehmerstaaten zur Stärkung des KSZE-Prozesses zusammenarbeiten zu wollen, damit dieser Prozeß einen noch bedeutsameren Beitrag zur Sicherheit und Stabilität in Europa leisten kann", sowie Punkt 10: „Sie sind der Auffassung, daß die vorstehenden Punkte die tiefe Sehnsucht ihrer Völker nach engerer Zusammenarbeit und gegenseitigem Verständnis widerspiegelt. Sie erklären, sich stetig für die Weiterentwicklung ihrer Beziehungen im Einklang sowohl mit der vorliegenden Erklärung als auch mit den in der Schlußakte von Helsinki dargelegten Prinzipien einsetzen zu wollen". 267

A/RES/S-18/3 v. 1.5.1990; zur Implementation siehe A/RES/53/178 v. 28.1.1999 m. w. N.; siehe auch Wolfrum, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. II, 1242 (1247). 268

Rawls, A Theory of Justice, 60; hierzu Kersting, John Rawls zur Einführung, 50; ders., Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrages, 275.

B. Technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe

227

recht auch durch die Entwicklungsländer. 2 6 9 Die früher gegen die rechtliche Verankerung der Kooperationspflicht i m Völkergewohnheitsrecht angeführten V o r behalte der industrialisierten Staaten, die sich auf die Neue Weltwirtschaftsordnung bezogen, 2 7 0 haben insoweit heute keine Bedeutung mehr. Zusammenarbeitspflichten der Staaten sind heute neben dem Wirtschaftsbereich i n verschiedenen Feldern des Völkerrechts anerkannt. Dies gilt allgemein für eine Vielzahl von A b k o m m e n zur bilateralen Zusammenarbeit 2 7 1 sowie speziell für die Kooperationspflichten i m Bereich der Menschenrechte, 2 7 2 des Kulturschutzes, 2 7 3 des Umweltschutzes 2 7 4 sowie für die Verwaltung der staatsfreien Räume. 2 7 5

269

Deutlich formuliert in der Position der schwächer entwickelten Staaten auf der neunten Tagung der Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD IX) vom 27. April bis 11. Mai 1996 in Midrand (Südafrika), hierzu Melchers, Vereinte Nationen 1996, 147 (149 ff.) m. w. N.; zum Prinzip globaler Gerechtigkeit in Abgrenzung zu den egalitären Forderungen einer neuen Weltwirtschaftsordnung siehe Franck, Fairness in International Law and Institutions, 19 ff.; Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifarer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 327 ff. m. w. N. 270

Hierzu insbesondere Neuhold, in: Miehsler/Mock u. a. (Hrsg.), FS Verdross, 575 ff.

271

Siehe z. B. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit v. 22.1.1963, BGBl. 1963 II, 707 ff.; Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit v. 17.6.1991, BGBl. 1991 II, 1315 ff.; Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa v. 6.2.1992, BGBl. 1992 II, 475 ff. 272

Siehe z. B. Art. 22 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, GA-Res. 217 (III); Art. 2 Abs. 1 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, BGBl. 1973 II, 1570 ff. 273 UN GA-Res. 3187 (XXVIII) v. 18.12.1973; U N GA-Res. 33/50 v. 14.12.1978; UN GA-Res. 36/64 v. 27.11.1981; Präambel Abs. 5, Art. 1 lit. c) Satzung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO), BGBl. 1971 II, 473 ff.; vertiefend hierzu Wyjj, Kultur als eine Dimension der Völkerrechtsordnung, 274 ff. und passim; Oppermann, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. I, 886 ff. 274

Siehe z. B. aus neuerer Zeit Prinzip 12 der Rio-Erklärung und § 2.22(i) Agenda 21, abgedruckt u. a. bei: Johnson (Hrsg.), The Earth Summit, 120 und 139; Art. 5 Convention on Biological Diversity v. 5.6.1992, I L M 31 (1992), 822 ff.; Art. 3 und 5 Convention on Long-Range-Transboundary Air Pollution v. 13.11.1979, BGBl. 1982 II, 374 ff.; Agreement between the United States and the Federal Republic of Germany on Cooperation in Environmental Affairs v. 9.5.1974, I L M 13 (1974), 598 ff.; weitere Nachweise bei K. Odendahl, Die Umweltpflichtigkeit der Souveränität, 214 f.; zur Kooperationspflicht im Umweltvölkerrecht siehe auch Kiss/Shelton, International Environmental Law, 131; Bothe, in: ders. (Hrsg.), Trends in Environmental Policy and Law, 391 (394); Hohmann, Präventive Rechtspflichten und -prinzipien des modernen Umweltvölkerrechts, 389 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 448 ff.; Stoll, in: Wolfrum (Hrsg.), Enforcing Envi-

228

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

Nimmt man diesen empirischen Rechtsbestand zusammen, zeigt sich, daß der bereits 1964 von Wolf gang Friedmann konstatierte Wandel des Völkerrechts von

einem Koexistenz- zu einem Kooperationsrecht 276 nicht nur eine politische oder akademische Formel ist, sondern eine positivrechtliche Absicherung im Völkerrecht erfahren hat. Daß das Völkerrecht eine Kooperationspflicht kennt, entspricht heute auch der herrschenden Meinung im Schrifttum. 277 Es deckt sich im übrigen mit dem Ergebnis einer rechtsvergleichenden Analyse einer Vielzahl nationaler Verfassungen, die sich zur internationalen Kooperation bekennen.278 Zwei weiterführende Aspekte sind im Zusammenhang mit der völkerrechtlichen Kooperationspflicht noch hervorzuheben: Zunächst wird immer wieder betont, daß sich aus der Kooperationspflicht selbst noch keine konkreten völkerrechtlichen Ge- oder Verbote ableiten ließen. 279 Diesem Einwand kann schon rechtstheoretisch durch Verweis auf den Prinzipiencharakter der Verpflichtung zur Kooperation begegnet werden. Rechtsprinzipien zeichnen sich gerade durch ihre fehlende Eignung zur Entscheidung eines konkreten Rechtsproblemes aus. Ihre Einordnung als Rechtsnorm wird hierdurch auch im Völkerrecht nicht in Frage gestellt. Darüber hinaus ist zwischenzeitlich eine erste Entscheidung aus der internationalen Judikatur bekannt, in der aus der Nichtbefolgung der Kooperationsverpflichtung als Optimierungsgebot konkrete Rechtsfolgen abgeleitet wurden. Der Appellate Body der W T O 2 8 0 entschied in der Sache United States ronmental Standards: Economic Mechanisms as Viable Means?, 39 ff.; Tietje , EuR 2000, 285 (292 ff.). 275

Umfassend Wolfrum,

Die Internationalisierung staatsfreier Räume, 696 ff. und pas-

sim. 276 Friedmann, The Changing Structure of International Law, 60 ff.; hierzu statt vieler Wolfrum, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. II, 1242 ff.; Dicke, ZG 1988, 193 (219 ff.); ders., Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 324 ff.; Delbrück, in: Bartosch/Wagner (Hrsg.), Weltinnenpolitik, 55 ff. 277 Statt vieler Tomuschat, GYIL 25 (1982), 85 (98); Dicke, ZG 1988, 193 (219 ff.); ders., Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 324 ff.; Delbrück, in: Bartosch/Wagner (Hrsg.), Weltinnenpolitik, 55 ff.; Rublack, Der grenzüberschreitende Transfer von Umweltrisiken im Völkerrecht, 191; G. Odendahl, Das Recht auf Entwicklung, 177; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 53; mit deutlich positiver Tendenz auch Wolfrum, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. II, 1242 ff. 278

Umfassend hierzu Häberle, in: Ziemske/Langheid/Wilms/Haverkate (Hrsg.), FS Kriele, 1277 (1287 ff.). 279 K. Odendahl, Die Umweltpflichtigkeit der Souveränität, 215; Rublack, Der grenzüberschreitende Transfer von Umweltrisiken im Völkerrecht, 191. 280

Zum Streitbeilegungs verfahren der WTO statt vieler Komuro, Journal of World Trade 29 (No. 4, 1995), 5 ff.; Vermulst/Driessen, Journal of World Trade 29 (No. 2, 1995), 131 ff.; Petersmann, in: ders. (Hrsg.), International Trade Law and the GATT/WTO Dis-

B. Technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe Import Prohibition

of Certain Shrimp and Shrimp Products,

281

229

daß die beklagten

USA sich hinsichtlich der von ihnen ergriffenen unilateralen Handelsrestriktionen zum Schutz von Meeresschildkröten nicht auf eine bestimmte Ausnahmevorschrift des G A T T zum Schutze natürlicher Ressourcen (Art. X X lit. g) GATT) berufen konnten. Dies wurde im Kern damit begründet, daß sie ihrer Verpflichtung zur internationalen Zusammenarbeit mit dem Ziel der Ausarbeitung eines universellen Schutzkonzeptes für die bedrohte Tierart nicht nachgekommen waren. 282 Den dogmatischen Ansatzpunkt für diese Rechtsauffassung stellt der in der Ausnahmevorschrift des Art. X X G A T T verankerte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dar. 283 M i t der Entscheidung des Appellate Body in dem Shrimp/Turtle-Fall ist belegt, daß aufgrund der Struktur des Art. X X G A T T als den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in das WTO/GATT-Recht inkorporierende Norm Rechtsprinzipien wie gerade die Kooperationspflicht auch konkrete Rechtsfolgen nach sich ziehen können. Dies steht im Einklang mit allgemeinen Überlegungen zu Art. X X GATT. Sie können insgesamt auf die Frage nach der Geltung und Bedeutung von Rechtsprinzipien im Völkerrecht übertragen werden. In Art. X X GATT findet sich letztlich der Gedanke wieder, daß die WTO/GATT-Rechtsordnung durch das Spannungsverhältnis potentiell konfligierender Rechtsprinzipien geprägt ist. Neben den die Liberalisierung des Welthandels fokussierenden Prinzipien der Nichtdiskriminierung und der Offenheit der Märkte ist dies im einzelstaatlichen Interesse das Souveränitätsprinzip. 2 8 4 Konflikte zwischen diesen Prinzipien sind schon aus rechtstheoretischen Überlegungen heraus im Wege der Abwägung zu lösen. 285 I m Rahmen dieses Abwägungsprozesses sind auch weitere Prinzipien zu beachten, die innerhalb der WTO/GATT-Rechtsordnung Geltung beanspruchen. Da das WTO/GATTpute Settlement System, 1997, 3 ff.; ders., The GATT/WTO Dispute Settlement: International Law, International Organizations and Dispute Settlement, passim. 281

United States - Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products , Report of the Panel v. 15.5.1998, WT/DS58/R, auszugsweise abgedruckt in: I L M 37 (1998), 832 ff., und Report of the Appellate Body v. 12.10.1998, WT/DS58/AB/R, auszugsweise abgedruckt in: I L M 38 (1999), 118 ff., sowie EuZW 1999, 150 ff.; zu der Panel-Entscheidung siehe die kritische Besprechung von Howse, Journal of World Trade 32 (No. 5,1998), 73 ff.; zur Entscheidung des Appellate Body Qureshi, International and Comparative Law Quarterly 48 (1999), 199 ff.; Cone, Journal of World Trade 33 (No. 2, 1999), 51 ff. 282 Zum Verfahren und den kooperationsrechtlichen Aspekten ausführlich Tietje, EuR 2000, 285 ff. 283 Hierzu Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 313 ff.; ders., EuR 2000, 285 (293 ff.). 284

Zu den drei Prinzipien Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse, 189 ff., 268 ff. und 291 ff. m. w. N. 285

Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse, 322; allgemein hierzu aus rechtstheoretischer Sicht Alexy, Theorie der Grundrechte, 100 ff.

230

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

Recht keine geschlossene Rechtsordnung darstellt, sondern als Bestandteil der allgemeinen Völkerrechtsordnung sich dieser gegenüber öffnet, 286 muß damit auch das völkergewohnheitsrechtliche Kooperationsprinzip im Rahmen des Abwägungsprozesses beim Vorliegen widerstreitender Prinzipien Anwendung finden. Seinem Inhalt entsprechend streitet es hierbei gegen das Souveränitätsprinzip und engt damit die einzelstaatliche Handlungsfreiheit deutlich ein. Dieses in der WTO-Rechtsprechung anerkannte prinzipienorientierte Abwägungsmodell ist jeder Rechtsordnung eigen und erlangt so für die gesamte Völkerrechtsordnung Bedeutung, zumal das Völkerrecht insgesamt den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kennt. 287 Die normative Bedeutung der völkerrechtlichen Kooperationspflicht als Optimierungsgebot ist damit nochmals herausgestellt. Näher zu erörtern ist damit noch, wie sich die inhaltliche Basis, auf der die völkerrechtliche Pflicht zur Zusammenarbeit fußt, dogmatisch erfassen läßt. Da Staaten in der Weltgeschichte schon immer in der einen oder anderen Form mehr oder weniger intensiv zusammengearbeitet haben, ist mit der Anerkennung einer heute bestehenden Zusammenarbeitspflicht noch keine normativ weitreichende inhaltliche Aussage verbunden. Sie läßt sich jedoch aus einer näheren Betrachtung der ratio der Kooperationspflicht herleiten. Kooperation selbst ist zunächst ein inhaltsneutraler, rein prozeduraler Vorgang der Interaktion, der als solcher noch keine wertbezogene Relevanz hat. 288 Wollte man es hierbei belassen, verlöre der Begriff der Kooperation seine eigenständige Berechtigung als normative Kategorie und könnte nur noch auf den empirischen Sachverhalt einer Zusammenarbeit bezogen werden. Schon die oben aufgeführten Aktionsfelder, in denen Kooperationspflichten sachbezogen von entscheidender völkerrechtlicher Relevanz sind, zeigen aber, daß der völkerrechtlichen Kooperation eine sachbezogene normative Wertvorstellung zugrunde liegt. Mit dem angedeuteten Wertebezug kann allerdings im internationalen System nicht per se eine methaphysische Kategorie unumstößlicher Grundnormen gemeint sein. Dies wäre - unabhängig von rechtsphilosophischen Problemen schon mit der allseits augenfälligen Pluralität der unterschiedlichen Gesellschaftssysteme der Welt unvereinbar. Der der internationalen Kooperation zugrundelie286

Grundlegend zum Verhältnis der WTO/GATT-Rechtsordnung zum allgemeinen Völkerrecht Kuyper, Netherlands Yearbook of International Law 25 (1994), 227 ff.; Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 374 ff. m. w. N. 287

Delbrück, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. III, 1140 ff.; Bleckmann, JuS 1994,177; Gading, Der Schutz grundlegender Menschenrechte, 222 f. m. w. N. 288

Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 324.

B. Technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe

231

gende „Wert" ist vielmehr im Sinne eines gemeinsamen „Werkes" zu verstehen, nämlich die als Ergebnis eines politischen Entscheidungsprozesses feststehende Zwecksetzung. Es sind diese politisch festgelegten Zwecke, mit denen die inhaltliche Ausrichtung der Kooperation als normatives Konzept umschrieben werden kann. 289 Ebenso wie im nationalen Verfassungsrecht, das die Zwecksetzung nicht ausschließlich dem politischen Prozeß überläßt, sondern positivrechtliche Vorgaben durch die Staatszielbestimmungen gibt, verzichtet auch das Völkerrecht nicht auf eine rechtliche Konturierung der inhaltlichen Ausrichtung internationaler Kooperation. Dies zeigt sich schon historisch an dem herausragenden Kooperationsthema Friedenssicherung. Mit der Verankerung des universellen Gewaltverbotes in Art. 2 Abs. 4 UN-Charta vollzog sich parallel eine Öffnung des zunächst negativen Friedensbegriffes hin zu einem auch positiven Verständnis. In der Zusammenarbeitsverpflichtung aus Art. 1 Ziff. 3 UN-Charta auf wirtschaftlichem, sozialem, kulturellem und humanitärem Gebiet sowie im Rahmen des Menschenrechtsschutzes kommt dies zum Ausdruck. 290 Die Kooperationspflicht des Art. 1 Ziff. 3 UN-Charta - insofern zu lesen in Verbindung mit Art. 55, 56 UN-Charta - bezieht sich also inhaltlich auf den dort statuierten Zweck. Dieser kann als Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, orientiert an internationaler Wohlfahrt, sozialer Sicherheit i. w. S. und den Menschenrechten insgesamt, umschrieben werden. 291 Auf einer weiteren Abstraktionsebene läßt sich angesichts der fundamentalen Bedeutung des positiven Friedensverständnisses der UN-Charta und ihrer universellen Geltungskraft diese Zwecksetzung auf die Kooperations verpflichtung im Völkerrecht insgesamt übertragen. Die Kooperationsfelder Umwelt- und Kulturschutz, wirtschaftliche Entwicklung sowie Durchsetzung der Menschenrechte zeigen diesen Bezug unmittelbar inhaltlich auf. Durch die Konkretisierungen, die Art. 1 Ziff. 3 UN-Charta in den Art. 55 und 56 UN-Charta erfährt, wird dies nor289

Ausführlich Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 326 f. m. w. N. 290

Wolfrum, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Art. 1 Rdnr. 5; Meyn, in: Hobe (Hrsg.), Die Präambel der UN-Charta im Lichte der aktuellen Völkerrechtsentwicklung, 25 (29 ff.); Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 85; umfassend zum Friedensbegriff der UN-Charta Delbrück, in: Kewenig (Hrsg.), Die Vereinten Nationen im Wandel, 131 ff. (insb. 139 ff.); Randelzhof er, in: Delbrück (Hrsg.), Völkerrecht und Kriegsverhütung, 13 ff. 291

Zur Konstitution des Friedens als Rechtsordnung insbesondere die Abhandlungen in Delbrück, Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung; sowie ders./Dicke, in: Neriich/ Rendtorff (Hrsg.), Nukleare Abschreckung, 797 ff.

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

232

mativ verdeutlicht. 292 Im Ergebnis zeigt sich damit ein Gemeinwohlbezug der völkerrechtlichen Verpflichtung zur Zusammenarbeit, wie er ebenso dem entsprechenden Staatsziel der nationalen Verfassungsordnung zugrunde liegt. 293 Auch im Völkerrecht ist es dabei ein Gemeinwohlbezug, der rechtlich konstituiert ist und nicht als der Völkerrechtsordnung vorgelagert erscheint. Art. 1 Ziff. 3, 55 und 56 UN-Charta sind Ausdruck dieses Rechtsordnungsbezuges. Sie bestimmen die inhaltliche Ausrichtung der völkerrechtlichen Kooperationspflicht als Optimierungsgebot.

2. Die „Notwendigkeit"

zur internationalen

Verwaltungsaufgabendeterminante „ internationale

außerhalb

Kooperation

der

Zusammenarbeit"

als

Staatszielbestimmung ?

Neben der normativen Ableitung von Verwaltungsaufgaben unmittelbar aus finalverpflichtenden Staatszielbestimmungen existiert eine darüber hinausgehende Kategorie von Staats- und Verwaltungsaufgaben, die nicht unmittelbar auf verfassungsrechtliche Direktiven zurückzuführen ist. Obwohl auch ihre Erfassung insbesondere im Lichte der Diskussion zu den wachsenden Staats- und Verwaltungsaufgaben 294 als dringendes staatswissenschaftliches Problem erscheint, fällt eine dogmatische Konkretisierung schwer. Ohne auf alle Einzelheiten dieser Diskussion eingehen zu wollen, soll hier zumindest geklärt werden, inwieweit der immer wiederkehrende Topos von der „Notwendigkeit" internationaler Kooperation als Staats- und Verwaltungsaufgabendeterminante taugt. Die verfassungrechtliche Ableitung der Staatsauf gaben zielt auf die Frage nach den Aufgabenwahrnehmungskompetenzen des Staates insgesamt ab. Da aber kein geschlossener Aufgabenkatalog gleichsam aus dem Wesen des Staates folgend („natürliche Staatsaufgaben") abzuleiten ist, kann nur die Verfassung Grundlage einer staatlichen Aufgabenwahrnehmungskompetenz sein. 295 In der durch sie konstituierten Herrschaftsordnung könnte man nunmehr die Konstituierung staatlicher Souveränität und daraus folgend eine Omnipotenz des Staates auch für die Auf292 In diese Richtung auch Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 88 ff.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 92. 293 Umfassend hierzu Sommermann, Staatziele und Staatszielbestimmungen, 199 ff. mit umfangr. Nachw. 294 295

Hierzu die Beiträge in Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben.

Häberle, AöR 111 (1986), 595 (601); Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 139; Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 99 ff.; differenziert Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 33 ff. m. w. N.

B. Technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe

233

gabenwahrnehmung erblicken. 296 Bei dieser Annahme würde der Staat jedoch wieder als außerhalb der Verfassung stehend oder ihr vorgelagerte Entität erscheinen, denn die rechtliche Bindung des positiven Verfassungsrechts verlöre durch eine verfassungsrechtliche Omnipotenz des Staates jede Bedeutung.297 Der Vorstellung vom omnipotenten Staat liegt insoweit eine unzutreffende Souveränitätsvorstellung zugrunde: Souveränität war weder historisch noch aktuell im modernen verfassungsrechtlichen Sinne mit der Vorstellung umfassender „zu höchst seiender Einzigartigkeit" des Staates verbunden, sondern als relative Souveränität Objekt rechtlicher Bindungen der Staatsgewalt im innerstaatlichen Bereich und im Rahmen der Völkerrechtsordnung. 298 Wenn überhaupt läßt sich damit nur aus der staatlichen Kompetenz-Kompetenz eine umfassende Aufgabenwahrnehmungsbefugnis des Staates ableiten. Auch hierbei muß aber bedacht werden, daß die staatliche Kompetenz-Kompetenz von vornherein nicht als allumfassendes Souveränitätsrecht, sondern als konstitutiv nur im Rahmen der geltenden Verfassungs- und Völkerrechtsordnung wirkendes Recht begründet werden kann. Im Wirkungsgefüge der rechtlichen Determinanten, die sich durch Verfassungs- und Völkerrecht konstituieren, besteht damit eine relative Aufgabenwahrnehmungsbefugnis des Staates. Auch der Topos von der „Notwendigkeit" als alles überragender staats- oder auch völkerrechtlicher Rechtskategorie 299 verliert vor diesem Hintergrund seine Berechtigung. Der aus der älteren Staatsphilosophie bekannte Ausspruch „necessitas legem facit" 3 0 0 ist mit der Rechtsordnung des demokratischen Verfassungsstaates schlechthin unvereinbar, da er wiederum auf verfassungsvorgelagerte Staatsvorstellungen verweist.

296 So insbesondere Krüger, Allgemeine Staatslehre, 760 f.: „Um jeder, und zwar vor allem jeder nach Zeit, Art und Bedrohlichkeit un vorhersehbaren Lage unbedingt gewachsen zu sein, gehört zur existentiellen Ausstattung eines jeden Staates die General- und Blankovollmacht, sich in freier Entschließung und in eigener Verantwortung diejenigen Aufgaben stellen zu dürfen, die er wegen der zu bewältigenden Lagen für erforderlich hält, ... Mangels einer besseren Lösung soll... der Ausdruck »Souveränität4 für die hier in Frage stehende Fähigkeit des Staates gebraucht werden. In den Verfassungen ist von dieser Eigenschaft ebensowenig ausdrücklich die Rede wie von der entsprechenden Freiheit in der Wahl der Mittel. Dennoch kann kein Zweifel daran bestehen, daß eine jede Verfassung Souveränität und Gewalt des von ihr verfaßten Staates voraussetzt". 297

Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 91.

298

Im Überblick Delbrück, Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 192 ff.; Kirchhof, DVB1. 1999,637 (639 f.); zum gegenwärtigen Gehalt des Souveränitätsbegriffes auch Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 384 ff. und passim. 299

Krüger, Allgemeine Staatslehre, 25 ff.

300

Siehe die Nachweise bei Krüger, Allgemeine Staatslehre, 26.

234

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

Das gilt auch, soweit auf die Notwendigkeit zur internationalen Zusammenarbeit als den modernen Verfassungsstaat in seiner Konstitution determinierende Kategorie verwiesen wird. 301 Eine eigenständige Legitimationsgrundlage staatlicher Tätigkeit kann aus dem Topos der „Notwendigkeit" nicht abgeleitet werden. 302 Damit ist allerdings nicht gesagt, daß die empirisch festzustellende Notwendigkeit internationaler Kooperation das Bild des Staates heute nicht nachhaltig prägt. 303 Um aus diesem empirischen Befund verfassungsrechtliche Ableitungen für die Staats- und damit auch Verwaltungsaufgaben begründen zu können, bedarf es jedoch einer genuin verfassungsrechtlichen oder auch völkerrechtlichen Grundlage, wie sie auch allgemein für die Staats- und Verwaltungsaufgabenlehre zu fordern ist. Neben den positivrechtlich verankerten Staatszielbestimmungen als Staats- und Verwaltungsaufgabendeterminanten bietet es sich an, eine Staats- und Verwaltungsaufgabenlehre an Legitimationskriterien auszurichten. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, daß die Legitimation im demokratischen Verfassungsstaat nicht aus neben oder über der Verfassung stehenden Gründen abgeleitet werden kann. Sie muß sich aus dem verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmen heraus selbst ergeben. Die allgemeinste aber auch grundlegendste Legitimationsstruktur ist dabei in der potentiellen Zustimmungsfähigkeit staatlicher Herrschaft durch die Herrschaftsunterworfenen zu sehen.304 Setzt man diese Legitimationsbetrachtung in Beziehung zur Frage nach der staatsnormativen Ableitung von Staats- und damit auch Verwaltungsaufgaben außerhalb von Staatszielbestimmungen, kann eine abstrakte staatstheoretische und staatsrechtliche Antwort auf die Frage nach den zulässigen Staats- und Verwaltungsaufgaben dahingehend gegeben werden, daß der Staat soviel an Aufgaben wahrnehmen muß und sowenig an Aufgaben wahrnehmen darf, wie es zur potentiellen Zustimmung aller Gewaltunterworfenen zur staatlichen Herrschaft notwendig ist. 305 Damit ist klargestellt, daß es keinen abschließenden Staatsaufgabenkatalog gibt, sondern sich aus multiplen gesellschaftlichen Herausforderungen heraus 301

Vgl. Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz,

110. 302

Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 103; Schulze-Fielitz, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 11 (30). 303 Umfassend Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, passim. 304

Vgl. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 16 II; Höffe, in: Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, 713 (719); Koller, in: Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, 739 (740); vertiefend noch infra Teil 7, A. II. 3. b). 305

Grimm, in: ders. (Hrsg.), Staatsaufgaben, 771 (783 f.).

B. Technisch-administrative Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe

235

immer wieder von neuem die Frage nach der Zulässigkeit gegenwärtig wahrgenommener und neu wahrzunehmender Staatsaufgaben stellt. Prämisse dieser Überlegungen ist stets das Ziel der „Legitimation durch Aufgaben". 306 Diese Rechtfertigungsstruktur erlangt gerade für die dargestellte, mit dem Begriff der Globalisierung verkürzt umschriebene Entwicklung gesellschaftlicher Denationalisierung und faktischer sowie rechtlicher Entstaatlichung eine aktuelle Bedeutung. Es stellt sich insofern nämlich die Frage, welche „internationalisierten" Aufgaben der Staat wahrnehmen muß, um insgesamt ein hinreichendes Legitimationsund Legitimitätsniveau zu wahren. Dies hat auch für die Verwaltungsaufgaben Auswirkungen.

IV. Internationale Kooperation als Staats- und potentielle Verwaltungsaufgabe Neben der legitimatorischen Begründung von internationalisierten Verwaltungsaufgaben außerhalb konkreter Staatszielbestimmungen findet sich im deutschen Verfassungssystem also eine Aufgabendeterminante, die auf die sowohl originär im Grundgesetz verankerte als auch über Art. 25 GG mit Verfassungsrang versehene Völkerrechtsnorm der Zusammenarbeitsverpflichtung im internationalen System zurückgeht. Das dieser Zusammenarbeitsverpflichtung als Staatszielbestimmung zugrundeliegende gemeinsame „Werk" im Sinne seiner inhaltlichen Ausrichtung kann auf hoher Abstraktionsebene in der Gemeinwohlverpflichtung verankert werden. Für das Völkerrecht wurden die insbesondere in Art. 1 Ziff. 3 und 55 UN-Charta genannten Zusammenarbeitswerte lokalisiert, wobei der Umweltschutz als neuerer Völkerrechtswert hinzuzunehmen ist. Einen entsprechenden Katalog wird man auch verfassungsrechtlich benennen können, soweit die Verbindung zu den Staatszielen als staatstheoretischer Kategorie hergestellt wird. Die Staatsziele „Sicherheit", „Sozialstaatlichkeit", „Kulturstaatlichkeit", „Friedensstaatlichkeit" und „Umweltstaatlichkeit" 307 weisen insofern eine deutliche Parallele zu den die völkerrechtliche Kooperationspflicht bestimmenden Normen auf. Insgesamt zeigt sich damit eine deutliche Konvergenz originär staatsrechtlicher und heute auch völkerrechtlicher Zielbestimmungen, was im Schrifttum auch als „gewisse Harmonisierung der Zielstrukturen der Staaten" beschrieben wurde. 308 306

Grimm, in: ders. (Hrsg.), Staatsaufgaben, 771 (785).

307

Hierzu umfassend Sommermann, Staatziele und Staatszielbestimmungen, 223-252.

308

Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 253.

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

236

Dies hat Auswirkungen auf die innere Staatsaufgabenlehre, akzentuiert aber auch entscheidend die staatliche Verpflichtung zur internationalen Zusammenarbeit. Es ist nicht nur die soziologische „Notwendigkeit" zur internationalen Zusammenarbeit, die den Staat in seiner Aufgabenstruktur prägt, sondern gerade die Konvergenz nationaler und internationaler normativer Vorgaben als Zielund Zwecksetzung internationaler Kooperation. Damit wird zugleich deutlich, daß eine rechtsquellenorientierte und damit nationale und internationale Rechtsordnungen abgrenzende Betrachtung des Staatshandelns insgesamt, gerade aber auch des Verwaltungshandelns, zunehmenden Zweifeln ausgesetzt ist. W i l l man den Ordnungsrahmen des internationalisierten Verwaltungshandelns als Bestandteil des Verwaltungshandelns im demokratischen Rechtsstaat insgesamt erfassen, ist eine verzahnende Betrachtung getrennter Rechtsquellen und verschiedener Regelungsebenen unumgänglich 309 und durch die aufgezeigte Konvergenz normativ geboten. Für die Lehre vom internationalisierten Verwaltungshandeln folgt aus der so konkretisierten Verpflichtung zur internationalen Zusammenarbeit eine potentielle Aufgabenzuweisung an die Verwaltung. Innerhalb des staatsrechtlich vorgegebenen Gewaltenteilungsgefüges (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) ergeben sich für die Verwaltung aus der Staatszielbestimmung „internationale Zusammenarbeit" konkrete Verwaltungsaufgaben, die als Konkretisierung des Gemeinwohlbezuges verstanden werden können. Sie beziehen sich auf die Tätigkeitsfelder des Verwaltungshandelns, die im Rahmen internationaler Kooperation zu verwirklichen sind. Welche konkreten Finalverpflichtungen und entsprechende Verwaltungsaufgaben insoweit bestehen, kann abschließend nicht gesagt werden, da die zugrundeliegende Staatsaufgabenlehre für sich nicht geschlossen ist. 3 1 0 Um zumindest einzelne internationalisierte Verwaltungsaufgaben im gegenwärtigen Verfassungssystem benennen zu können, ist es aber auf der Grundlage der bisherigen Untersuchungsergebnisse und ausgehend von den dargelegten, abstrakten Ziel- und Zwecksetzungen des Staats- und Völkerrechts möglich, näher auf konkrete Aktionsfelder der internationalisierten Verwaltungspraxis einzugehen. 311 Ihnen wird eine Rolle zufallen, die im innerstaatlichen Verwaltungsrecht mit dem Begriff der Referenzgebiete umschrieben wird. 3 1 2

309

So für die Verwaltungswissenschaft insgesamt auch explizit Trute, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 9 (22). 310

Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 130 f. m. w. N.

311

Infra Teil 6.

312

Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 8 ff.; hierzu auch Groß, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 57 ff.

C. Zusammenfassung

237

Festgehalten werden kann aber schon an dieser Stelle, daß sich potentielle Verwaltungsaufgaben aus der für die Verwaltung bindenden (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) Staatszielbestimmung zur internationalen Zusammenarbeit ergeben. Die aufgabenbezogene und damit einen Ordnungsrahmen fokussierende Betrachtung der Verwaltungsrechtswissenschaft hat auch diese, aus einem rechtlich verbindlichen Optimierungsgebot folgenden, internationalen Aktionsfelder der Verwaltung zu beachten.

C. Zusammenfassung In der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland kommt der Verwaltung im Gewaltenteilungsgefüge des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG eine potentiell eigenständige Bedeutung zu, soweit es um eine internationalisierte Aufgabenwahrnehmung geht. Ausgehend von einer Absage an die Vorstellung einer apriorisch geltenden territorialen Begrenzung des Verwaltungsrechts konnte aufgezeigt werden, daß der Topos von der „auswärtigen Gewalt" einer Zuordnung von Aufgabenwahrnehmungen mit internationalem Bezug in den Funktionsbereich der Verwaltung nicht entgegensteht. Verfassungsrechtlich gibt es keine Begründung dafür, innerhalb der vollziehenden Gewalt des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG ausschließlich der Regierung die Funktion zur Wahrnehmung auswärtiger Angelegenheiten zuzuweisen. Vielmehr ist, worauf insbesondere Smend und Scheuner frühzeitig hingewiesen haben, unabhängig vom territorialen Bezug immer anhand der fraglichen Sachaufgabe danach zu differenzieren, ob eine durch das Merkmal des Politischen gekennzeichneter staatsleitender Bezug zur Regierungstätigkeit zur Debatte steht oder ob es um eine als Verwaltung zu kennzeichnende, eher technische Aufgabenwahrnehmung geht. Mit der Öffnung des Verfassungsrechts gegenüber dem internationalisierten Verwaltungshandeln wird zugleich an den im innerstaatlichen Rechtsraum bereits vollzogenen Perspektivwandel von der eindimensional ausgerichteten Rechtsschutzperspektive des Verwaltungsrechts hin zu einer mehrdimensionalen Betrachtung des Verwaltungshandelns insgesamt angeknüpft. Hierbei geht es weniger um eine von der Vorstellung abgeschlossener Jurisdiktionsräume geprägte rechtsquellenorientierte Betrachtung, als vielmehr um eine den Grundgedanken der global governance entsprechende verzahnende Betrachtung des Verwaltungshandelns in einem pluralistischen Mehrebenensystem. Referenzpunkt muß dabei immer die Gemeinwohlorientierung der Verwaltung sein, deren Konkretisierung anhand der Staats- und Verwaltungsaufgabenlehre erfolgt. Verwaltungsaufgaben ergeben sich im Verfassungsstaat normativ verpflichtend aus Staatszielbestim-

238

Teil 4: Die Verwaltung als internationaler Akteur

mungen als Optimierungsgeboten. Für das internationalisierte Verwaltungshandeln ist die Staatszielbestimmung „internationale Zusammenarbeit" als originärer Verfassungsrechtssatz und in die Verfassungsordnung nach Art. 25 GG übernommenes Völkerrechtsprinzip von maßgeblicher Bedeutung. Der Kooperationspflicht liegt als inhaltliche Ausrichtung eine im Staats- und Völkerrecht begründete Gemeinwohlverpflichtung zugrunde. Sie prägt in ihrer Ausstrahlung auf die Verwaltungsaufgaben materiell den Gedanken eines internationalisierten Verwaltungshandelns. Dem entspricht auch die Erkenntnis einer zunehmenden Konvergenz nationaler und internationaler normativer Vorgaben als Ziel- und Zwecksetzung internationaler Kooperation. Aber nicht nur im Rahmen verpflichtender Staatszielbestimmungen können Aussagen zu internationalisierten Verwaltungsaufgaben getroffen werden, sondern auch für den hierüber hinausgehenden Bereich einer nicht unmittelbar normativ vorgegebenen Aufgabenlehre. Die grundlegende Erkenntnis der „Legitimation durch Aufgaben" (Dieter Grimm) hat unmittelbare Auswirkungen auf die Verwaltungstätigkeit in einem Staat, der durch gesellschaftliche Denationalisierung und rechtliche sowie faktische Entstaatlichung gekennzeichnet ist. Je deutlicher sich die vielfältigen Auswirkungen dieser - verkürzt als Globalisierung bezeichneten - Entwicklung zeigen, desto vordringlicher ist danach zu fragen, inwieweit die Übernahme internationalisierter Verwaltungsaufgaben zur Sicherung eines hinreichenden Legitimations- und Legitimitätsniveaus des Staatshandelns ingesamt notwendig ist.

Teil 5

Völkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien im internationalisierten Verwaltungshandeln

Die verfassungsrechtlich vorgegebene Rolle der Verwaltung als potentieller Akteur auch im internationalen System verlangt gerade im Lichte des Globalgovernance- Konzeptes nach einer näheren Betrachtung der rechtlichen Steuerungsstrukturen, die das internationalisierte Verwaltungshandeln bestimmen. Ausgehend von der grundlegenden Erkenntnis der Fremdbestimmtheit der Verwaltung, 1 von ihrer im Rechtsstaat durch die Rechts- und Gesetzesgebundenheit (Art. 20 Abs. 3 GG) zum Ausdruck gebrachten normativen Determiniertheit, wird so der Blick zunächst auf die Rechtsquellen gelenkt, aus denen die Verwaltung ihre Handlungsimpulse erfährt. 2 Dabei muß aber stets beachtet werden, daß der normative Gehalt der Fremdbestimmtheit der Verwaltung nicht abschließend erfaßt werden kann, wenn nur auf Rechts- bzw. Gesetzesquellen abgestellt wird. Die verwaltungs- und verfassungsrechtswissenschaftliche Forschung hat vielmehr deutlich gemacht, daß angesichts der dem Gesetz inhärenten Grenzen hinsichtlich seiner Rolle als Steuerungsmedium 3 sowie den rechtsstaatlich nicht veranlaßten und bedenklichen Gedanken einer „globalen Verrechtlichung allen Verwaltungshandelns" 4 die Fremdbestimmtheit der Verwaltung in einem größeren Zusammenhang zu erfassen ist. Das Gesetz bleibt zwar „ein unersetzbarer Eckpfeiler des Verwaltungsrechts", 5 in einem weiter gefaßten Sinne ist aber die Bedeutung des Rechts insgesamt, und zwar des nationalen, europäischen und

1

Wolff/Bachof/Stober,

Verwaltungsrecht I, § 2 Rdnr. 21.

2

Zu den Rechtsquellen im demokratischen Rechtsstaat ausführlich Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 61. 3

Statt vieler Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 164 ff.; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 180 ff., jeweils m. w. N. 4

Zu dem Zitat und weiteren Hinweisen auf Gefahren einer rechtlichen Übersteuerung siehe Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 51 f. 5 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 75; Trute, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 9(16).

ei

ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

internationalen Rechts, von zentralem Interesse. 6 Hieraus gibt sich ein Perspektivenwandel, der sich dadurch auszeichnet, daß es nicht mehr ausschließlich auf das rechtsquellenorientierte verwaltungsrechtliche Arbeiten ankommt. Im Sinne des Global-governance-Konzeptes ist vielmehr verstärkt die Steuerungsfunktion des Rechts in seiner mehrdimensionalen und mehrebenenorientierten Erscheinung zu berücksichtigen. 7 Wenn sich insoweit heute Andeutungen im Schrifttum finden, die auf die Internationalisierung auch der Verwaltungsrechtswissenschaft hinweisen, so wird unter Verweis auf die Funktion des Rechts ingesamt für die Verwaltung auch zutreffend darauf aufmerksam gemacht, daß nicht pauschale Internationalisierungskonzepte, sondern differenzierte Modelle verzahnter Rechtsquellen und damit rechtlicher Steuerungspotentiale in einem Mehrebenensystem zu untersuchen sind.8 Das entspricht den Grundgedanken der global

governance .

Eine nähere Untersuchung einzelner rechtlicher Strukturen des internationalisierten Verwaltungshandelns muß damit aufbauend auf der Rolle der Verwaltung als potentieller internationaler Akteur danach fragen, welche normativen Steuerungspotentiale insgesamt, angesichts der Entterritorialisierung des Verwaltungsrechts 9 also auch über den nationalen Rechtsraum hinausgehend, gegeben sind. Das bereits geprägte und verkürzt als global governance umrissene Bild einer gemeinwohlorientierten Aufgabenwahrnehmung in einem pluralistischen Mehrebenensystem 10 ist also, anders umschrieben, auf rechtsquelleninspirierte normative Vorgaben des Verwaltungshandelns hin zu überprüfen. Da es insoweit um das internationalisierte Verwaltungshandeln geht, erlangen die internationalrechtlichen Aspekte, die sich auf die Verwaltung im demokratischen Rechtsstaat auswirken, eine besondere Relevanz. Dementsprechend ist nachfolgend genauer auf die unterschiedlichen Steuerungsinstrumentarien einzugehen, die das Zusammenspiel von nationaler und internationaler Rechtsordnung - insbesondere im Bereich der technisch-administrativen Aufgabenwahrnehmung bestimmen.

6

Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 43.

7

Vgl. Trute, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 9 (22).

8

Trute, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 9 (21 f.).

9

Supra Teil 4, A. I.

10

Supra Teil 3, B. IV.

A. Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien

241

A. Die Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien im Bereich von Rechtssetzung und Rechtsverwirklichung Die klassische koordinationsrechtliche Ausrichtung des Völkerrechts als souveränitätsabgrenzende und Koexistenz ermöglichende Rechtsordnung wird vielfach mit seiner dezentralen Struktur gleichgesetzt. Da dem Völkerrecht eine zentrale Rechtssetzungs- und Rechtsdurchsetzungsinstanz fehlt, ist die internationale Rechtsordnung davon geprägt, daß sich die Rechtserzeugung ebenso wie die Rechtsdurchsetzung dezentral, durch die einzelnen Staaten vermittelt vollzieht. 11 Hieraus kann zwar nicht geschlossen werden, daß das Völkerrecht aufgrund seiner fehlenden zentralisierten Rechtssetzungs- und Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten prinzipiell nicht als „Recht" anzusehen sei. 12 Das internationale System ist aber politisch und rechtlich durch seine dezentrale, nichthierarchische Struktur nachhaltig gekennzeichnet.13 Die sich aus dieser Situation ergebenden normativen Herausforderungen wurden in der internationalen Rechtsordnung rezipiert. Dies führte zur Herausbildung spezifischer Erscheinungen, die sich von ihrer klassischen unilateralistisch-konfrontativ geprägten Ausrichtung ausgehend heute als vielfältige kooperative Rechtssetzungs- und Rechtsverwirklichungsstrukturen darstellen. Wie noch im einzelnen zu zeigen sein wird, vollzieht sich dieser Wandel gerade in Rechtsbereichen technisch-administrativen Inhalts. Das internationalisierte Verwaltungshandeln ist dementsprechend auch der maßgebliche Fokus der neuen Steuerungspotentiale im internationalen System, die durch den Verweis auf kooperative Rechtssetzungs- und Rechtsverwirklichungsmechanismen angesprochen sind.

I. Rechtssetzung 1. Einführende

Aspekte (Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut)

Die Art und Weise der Rechtssetzung im Völkerrecht wird herkömmlich in Bezug gesetzt zu den in Art. 38 Abs. 1 lit. a) bis lit c.) IGH-Statut genannten Völkerrechtsquellen (völkerrechtliche Verträge, Völkergewohnheitsrecht, allgemeine

11

Statt vieler Dahm/Delbrück/Wolfrum,

Völkerrecht, Bd. 1/1,18,34,43,46 ff. und 88 ff.

12

Zur Diskussion siehe z. B. Franck, The Power of Legitimacy Among Nations, 27 ff.; D Amato, Northwestern University Law Review 79 (1984), 1293 ff., jeweils m. w. N. 13

Dahm/Delbrück/Wolfrum,

Völkerrecht, Bd. I / l , 89.

ei

ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

Rechtsgrundsätze). Ein streng positivitischer, am Wortlaut des Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut orientierter Blick ließe insofern, so die weithin verbreitete Vorstellung, den Schluß zu, daß der einzelstaatliche Konsens die ausschließlich maßgebliche Bedingung für die Entstehung einer völkerrechtlichen Norm sei. Zugleich wird argumentiert, daß es im Sinne des scheinbar abschließenden Charakters des Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut keine sonstigen Völkerrechtsquellen gebe.14 Artikel 38 Abs. 1 IGH-Statut kann indes nur eine - wenngleich wichtige begrenzte Funktion für die Rechtssetzung im heutigen internationalen System zugesprochen werden. Schon unter allgemeinen dogmatischen Erwägungen erweist sich die Vorschrift nur als für den IGH in seiner Rechtsprechungstätigkeit bindend.15 Darüber hinaus handelt es sich bei Art. 38 IGH-Statut eben auch nur um eine Festlegung innerhalb eines völkerrechtlichen Vertrages, so daß die zumindest theoretische Abänderbarkeit der Vorschrift schon aus allgemeinen Überlegungen des Vertragsrechts folgend nicht prinzipiell verneint werden kann. Bereits auf dieser dogmatischen Ebene wird man daher insgesamt nicht prinzipiell konstatieren können, daß Art. 38 IGH-Statut einen abschließenden Katalog der Völkerrechtsquellen darstellt. 16 Es ist vielmehr weitgehend anerkannt, daß sich der partikular, bilateral, multilateral oder solidarisch im Rahmen der internationalen Gemeinschaft zum Ausdruck gebrachte Wille der Staaten eigene Wege der Rechtssetzung bahnen kann, um einem politischen Ziel die jeweils als adäquat angesehene rechtsnormative völkerrechtliche Verfestigung zu geben. Artikel 38 Abs. 1 IGH-Statut kann insofern zwar Anhaltspunkte dafür geben, in welchen normativen Kategorien sich die Rechtssteuerung im internationalen System vollzieht, eine abschließende kodifikatorische Antwort hierauf läßt sich aus der Vorschrift aber nicht ablesen. Mit anderen Worten: Die zum Teil angenommene Ex14

So Seidl-Hohenveldem/Stein, Völkerrecht, Rdnr. 173: „Die Bestimmung enthält eine erschöpfende Aufstellung der Völkerrechtsquellen" (Hervorhebung im Original); umfassend zur rechtstheoretischen und dogmatischen Einordnung des Art. 38 IGH-Statut Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, 84 ff.; Danilenko, Law-Making in the International Community, 30 ff. 15

Zu weiteren Einzelheiten der Diskussion zur Frage, ob Art. 38 IGH-Statut darüber hinaus auch die UN-Mitglieder als Vertragsparteien des IGH-Statuts (vgl. Art. 93 Abs. 1 UNCharta) bindet siehe Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, 89 m. w. N. 16

Zur Diskussion und zu dieser Erkenntnis statt vieler Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn. Rdnr. 149 ff.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 657; Zemanek, in: Hafner/Loibl/Rest u. a. (Hrsg.), FS Seidl-Hohenveldern, 843 (844); Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, 88 ff. mit umfangr. Nachw.; etwas anders aber Danilenko, Law-Making in the International Community, 37 ff., der anerkennt, daß es keine theoretische Begründung für einen abschließenden Charakter des Art. 38 IGH-Statut gibt, zugleich aber der Ansicht ist, daß die Vorschrift zumindest zur Zeit die Völkerrechtsquellen erschöpfend aufzähle.

A. Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien

243

klusivität der Rechtsquellentrias im Völkerrecht ist einer komplexen rechtlichen Steuerungssystematik gewichen, um so auf die wachsenden tatsächlichen Herausforderungen im internationalen System reagieren zu können.17 Auf einige Aspekte des damit angesprochenen Wandels in der Rechtssetzungsdogmatik des Völkerrechts ist im folgenden etwas näher einzugehen.

2. Tendenzen zur Anerkennung „ universal

des Völkergewohnheitsrechts

international

als

law "

Im Zusammenhang mit der rechtstheoretischen Frage nach dem abschließenden Charakter des Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut wird heute zunehmend darauf aufmerksam gemacht, daß schon die auf den ersten Blick konsens- und damit staatszentrierte Zielrichtung der Vorschrift nicht mehr der sich tatsächlich vollziehenden Rechtspraxis entspricht. Insbesondere in der Rechtsprechung des IGH selbst, dem eigentlichen Adressaten des Art. 38 IGH-Statut, kommt dies zum Ausdruck: Noch Ende der 1960er Jahre untersuchte der Gerichtshof in seinem Urteil in dem NorthSea-Continental-Shelf-¥d\\ intensiv, ob tatsächliche, empirisch belegbare Staatenpraxis vorliegt, um das sogenannte Äquidistanzprinzip für die Grenzziehung im Bereich des Festlandsockels als Völkergewohnheitsrecht anerkennen zu können.18 In seinem Urteil im Nicaragua-FM aus dem Jahre 1986 hingegen kam es dem IGH hinsichtlich der Frage nach der völkergewohnheitsrechtlichen Geltung verschiedener Normen des Gewaltverbotes und des humanitären Völkerrechts dann gar nicht mehr auf eine tatsächliche Staatenpraxis an. Der Gerichtshof bezog sich vielmehr primär auf im Kern unverbindliche Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen, um eine rechtverbindliche Aussage im Rahmen des Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut zu treffen. 19 Eine ähnliche Entwicklung zeigte sich in zahlreichen Fällen, in denen es um die völkergewohnheitsrechtliche Geltung verschiedener Vorschriften der UN-Seerechtskonvention ging. 20

17 Hierzu umfassend, auch unter Verweis auf die maßgeblichen rechtstheoretischen Lehren, Riedel, EJIL 2 (1991), 58 ff.; ders., Theorie der Menschenrechtsstandards, insbes. 148 ff. und 260 ff. 18 19

I C J Reports 1969, 3 (32-36 und 38-45).

Case concerning Military and Paramilitary Reports 1986, 14 (97-109).

Activities in and against Nicaragua, ICJ

20 Maritime Delimitation in the Area between Greenland and Jan Mayen, ICJ Reports 1993, 28 (59, 62, 64, 66, 73 f.); Land, Island and Maritime Frontier Dispute, ICJ Reports 1992, 351 (588 f.); Continental Shelf, ICJ Reports 1985, 13 (29, 30, 33 f.); Continental Shelf, ICJ Reports 1982, 18 (66 f.).

ei

ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

Damit wird deutlich, daß der Prozeß der internationalen Rechtssetzung, wie er für das Völkergewohnheitsrecht in Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut idealtypisch festgelegt ist, immer weniger das einzelstaatliche Verhalten fokussiert. Vielmehr wird zunehmend auf die Praxis der internationalen Gemeinschaft insgesamt abstellt. Internationale Konferenzen, insbesondere die „Weltkonferenzen" der 1990er Jahre, 21 sowie die Praxis innerhalb der Organe einer internationalen Organisation ersetzen so in ihrer rechtsnormativen Bedeutung immer mehr das konkrete Handeln des einzelnen Staates.22 Welche Auswirkungen diese Entwicklung im einzelnen auf die dogmatische Bedeutung der Rechtsquellentrias des Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut insgesamt hat, soll hier nicht weiter erörtert werden. Entscheidend ist nur, daß sich zumindest auf das Völkergewohnheitsrecht bezogen ein Wandel von strikt staatszentrierten Konzepten hin zur Anerkennung eines aus sich selbst heraus legitimierten „universal international law" zeigt. 23 Für die hier maßgeblich interessierende Frage, inwieweit sich neue Steuerungsinstrumentarien des Völkerrechts aufzeigen lassen, ist diese Feststellung insoweit von Relevanz, als daß sie auf die zunehmende normative Bedeutung sich kooperativ, insbesondere in internationalen Organisationen oder im Rahmen internationaler Konferenzen vollziehender Verhaltensformen im internationalen System („internationale Gesamtakte") 24 hinweist. In der Rechtsprechung des IGH kommt dies deutlich zum Ausdruck. 25

21

Zu ihnen als Phänomen in den internationalen Beziehungen siehe z. B. Messner/ Nuscheier (Hrsg.), Weltkonferenzen und Weltberichte, passim; eine ausführliche völkerrechtliche Analyse bietet Tomuschat, in: Makarczyk (Hrsg.), FS Skubiszewski, 563 ff. 22

Zu dieser Entwicklung umfassend Charney, AJIL 87 (1993), 529 (543 ff.); ders., in: Delbrück (Hrsg.), New Trends in International Law Making, 171 (174 ff.); ebenso wohl Zemanek, in: Hafner/Loibl/Rest u. a. (Hrsg.), FS Seidl-Hohenveldern, 843 ff. 23 So dementsprechend auch der Titel des wegweisenden Aufsatzes von Charney, AJIL 87 (1993), 529 ff. 24 25

Dahm/Delbrück/Wolfrum,

Völkerrecht, Bd. 1/1, 70.

Besonders deutlich und seine Rechtsprechung zusammenfassend insoweit IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, ICJ Reports 1996, 66 (para. 70): „The Court notes that General Assembly resolutions, even if they are not binding, may sometimes have normative value. They can, in certain circumstances, provide evidence important for establishing the existence of a rule or emergence of an opinio juris. To establish whether this is true of a given General Assembly resolution, it is necessary to look at its content and the conditions of its adoption; it is also necessary to see whether an opinio juris exists as to its normative character. Or a series of resolutions may show the gradual evolution of the opinio juris required for the establishment of a new rule".

A. Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien 3. Dynamische

internationale

245

Vertrags regime

Über die das Völkergewohnheitsrecht betreffenden Rechtssetzungsfragen hinausgehend ist für das internationalisierte Verwaltungshandeln zu bedenken, daß der völkerrechtliche Vertrag im Zentrum des Interesses einer sich wandelnden regulatorischen Struktur des internationalen System steht.26 Im Rahmen der Rechtsquellentrias des Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut wird der völkerrechtliche Vertrag allerdings zumeist nur unter Beachtung der Regelungen der W V K betrachtet, wodurch es zu einer Eingrenzung des Erkenntnisinteresses auf u. a. Fragen des Vertragsschlusses, der Zulässigkeit von Vorbehalten, des Inkrafttretens, der Auslegung, der Änderung, der Ungültigkeit oder Suspendierung von Verträgen oder einzelner Vertragsbestimmungen kommt. 27 Eine rechtliche Analyse nur dieser Aspekte des Vertragsrechts kann jedoch nicht ausreichen, um die Bedeutung des völkerrechtlichen Vertrages im gegenwärtigen internationalen System umfassend zu ergründen. Soweit Fragen der internationalen Rechtssetzung gerade auf die Steuerungsmechanismen in einem Mehrebenensystem bezogen diskutiert werden, ist vielmehr verstärkt auf die materielle Konzeption völkerrechtlicher Verträge einzugehen. Die inhaltliche Gestaltung völkerrechtlicher Verträge ist heute zunehmend von der Herausforderung geprägt, eine akzeptable Balance zwischen dem souveränitätsschützenden einzelstaatlichen Konsenserfordernis im Vertragsrecht (vgl. z. B. Art. 11, 34, 39 W V K ) und der Notwendigkeit einer flexiblen und zeitnahen internationalen Rechtssetzung und Rechtsanpassung zu finden. Die hiermit zusammenhängenden Rechtsfragen sind neben der zunächst rein empirischen Erkenntnis einer sich intensivierenden internationalen Regelungsnotwendigkeit zahlreicher Sachbereiche auch aus der historischen Entwicklung des Vertragsrechts zu erklären: Die ersten dokumentierten internationalen Verträge zwischen unabhängigen Entitäten datieren aus der Zeit der Mitte des dritten Jahrhunderts v. Chr.; aus dieser Epoche ist z. B. ein Freundschafts- und Handelsvertrag der Könige von Ebla und Assur bekannt.28 Überhaupt zeigt sich historisch, daß völkerrechtliche 26 Chayes/Handler Chayes , The New Sovereignty, 2: „... in complex regulatory regimes, the armature on which the whole is constructed is commonly an act of formal law-making - a treaty"; Simma, RdC 250 (1994-VI), 221 (322 ff.); Charney , AJIL 87 (1993), 529 (550 f.). 27 Zu einer solchen klassischen Darstellung des Vertragsrechts siehe z. B. Heintschel von Heinegg , in: K. Ipsen, Völkerrecht, §§ 9 ff.; Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn. Rdnr. 113 ff.; Brownlie, Principles of Public International Law, 607 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rdnr. 327 ff. 28

Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, 15.

ei

ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

Verträge schon immer gerade in Sachbereichen geschlossen wurden, die allgemeine gesellschaftliche Belange, wie z. B. Wirtschaftsfragen, betrafen. 29 Diese eher gesamtgesellschaftlich ausgerichtete inhaltliche Struktur völkerrechtlicher Verträge wandelte sich dann aber mit der Entstehung des modernen internationalen Systems in der Folge des Westfälischen Friedens. 30 Die Zeit nach 1648 ist zwar von einer stetig zunehmenden Anzahl völkerrechtlicher Verträge gekennzeichnet, die Vertragsinhalte standen nun aber deutlich im Zeichen eines reziprozitätsorientierten partikularen Interessenausgleichs. Die bereits zitierten Feststellungen von Ompteda und Meier, daß die internationale Vertragspraxis bis Anfang des 19. Jahrhunderts nahezu ausschließlich mit Kriegs- und Friedensfragen befaßt war, verdeutlichen insoweit prägnant die materielle Beschränkung auf eine gegenwärtige Interessenkoordination quid pro quo. Darüber hinausgehende Aspekte einer abstrakten zukünftigen Zweckerreichung wurden nicht geregelt. 31 Erst nach der Neuordnung der europäischen Machtverhältnisse durch den Wiener Kongreß von 1815 war es dann möglich, zukunftsorientierte gesellschaftliche Interessen zum Regelungsgegenstand völkerrechtlicher Verträge zu machen. Nur so läßt es sich auch erklären, daß in der Zeit von 1815 bis 1924 wohl an die 16.000 völkerrechtliche Verträge geschlossen wurden, von denen im Jahre 1917 ca. 10.000 in Kraft waren. 32 Die zunehmende Orientierung der internationalen Vertragspraxis an administrativ-technischen Regelungsgegenständen, zum Teil verbunden mit der auf vertraglicher Grundlage erfolgenden Gründung internationaler Verwaltungsunionen, 33 ist so insgesamt ein erster deutlicher Ausdruck sich entwickelnder internationaler Kooperationsformen, bei denen Quid-progwo-Interessen nicht mehr im Vordergrund stehen. Heute lassen sich in der internationalen Vertragspraxis zunehmend inhaltliche Gestaltungsformen ausmachen, die sich durch Strukturen regulatorischer Flexibilität auszeichnen und dem Global-governance- Konzept zugerechnet werden können. 34 In ihrer Gesamtheit werden die in Quantität und Qualität das moderne Völkerrecht in einem bislang nicht bekannten Ausmaße prägenden „neuen" Vertrags-

29

Vgl. Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, 99, 128 und 155.

30

Zu dieser historischen Entwicklung siehe bereits supra Teil 1, A.

31

Siehe ausführlich Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 420 ff. Bittner, Die Lehre von den völkerrechtlichen Vertragsurkunden, 13; insgesamt zu diesem „Zeitalter der Verträge" auch Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts, 217 ff.; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, 224 ff. 32

33 34

Hierzu ausführlich supra Teil 2, A. und B. Siehe hierzu ausführlich auch Tietje, GYIL 42 (1999), 26 ff.

A. Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien

247

strukturen vielfach als „dynamische Vertragsregime" bezeichnet.35 Hierdurch soll auf Gesichtspunkte regulatorischer Flexibilisierung hingewiesen werden, die in ihnen zum Ausdruck kommen. Obwohl es sich insoweit um zunächst scheinbar ganz unterschiedliche Ansätze der inhaltlichen Vertragsgestaltung handelt, wird durch den Verweis auf dynamische Vertragsstrukturen sichtbar, daß als Gemeinsamkeit immer auf Steuerungsmechanismen auf den unterschiedlichen Ebenen der nationalen und internationalen regulatorischen Einheiten zurückgegriffen wird. Sie zeichnen sich durch eine Abkehr von der Vorstellung reiner Subsumtionsmodelle aus. Insofern ist durchaus eine gewisse Parallele der Entwicklungen im internationalen Vertragsrecht und im innerstaatlichen Verwaltungsrecht zu konstatieren. 36 Eine erste Erscheinungsform flexibler internationaler Vertragsgestaltung ist in der zunehmenden Ausarbeitung sogenannter Rahmenkonventionen oder Rahmenabkommen zu sehen. Hierunter sind völkerrechtliche Verträge zu verstehen, die sich in ihrer Intention auf die Eröffnung eines prozeßhaften Rechtskonkretisierungsprozesses beziehen, ohne bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses eine abschließende normative Struktur, die sich ausschließlich auf die Setzung von Rechtsregeln bezieht, aufzuweisen. 37 Dementsprechend enthalten Rahmenabkommen nur gewisse rechtsprinzipielle Grundaussagen, die im Rahmen oftmals ebenfalls vorgegebener, prozedural mehr oder weniger eng umrissener Verfahren in nachfolgenden Verhandlungen noch zu konkretisieren sind. 38 Die Idee zur Ausarbeitung von Rahmenkonventionen entstand ursprünglich im internationalen Umweltrecht. 39 Es ist auch heute noch ein bedeutendes Anwen35

Ott , Umweltregime im Völkerrecht, 268; Gehring, Dynamic International Regimes Institutions for International Environmental Governance, passim; Schuppert, Neue Steuerungsintrumente im Umweltvölkerrecht am Beispiel des Montrealer Protokolls und des Klimaschutzrahmenübereinkommens, 30; Beyerlin/Marauhn, Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung im Umweltvölkerrecht nach der Rio-Konferenz 1992,34; Lang, Yearbook of International Environmental Law 3 (1992), 108 (117 ff.); Wolfrum, RdC 272 (1998), 9 (144), spricht im Hinblick auf einzelne Verträge des Umweltrechts von einem „set-up of a learning treaty management system4'; siehe auch Pan, Harvard Int'l L.J. 38 (1997), 503 ff. 36

Hierzu auch bereits Tietje, GYIL 42 (1999), 26 (53 ff.).

37

Zum hier maßgeblichen Begriff von Rechtsnormen als Rechtsprinzipien und Rechtsregeln siehe bereits supra Teil 4, B. II. 2. 38

Zur allgemeinen Charakterisierung von Rahmenabkommen siehe z. B. Beyerlin/Marauhn, Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung im Umweltvölkerrecht nach der Rio-Konferenz 1992,30 ff.; Ott, Umweltregime im Völkerrecht, 286 f.; Palmer, AJIL 86 (1992), 259 (274). 39

Die Idee der Ausarbeitung einer Rahmenkonvention wird Jean Carroz von der FAO im Zusammenhang mit der Ausarbeitung einer regionalen Konvention zum Schutze der marinen Umwelt im Jahre 1974 zugeschrieben, siehe Sand, Marine Environment Law in the

ei

ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

dungsgebiet für diese Art der dynamischen internationalen Vertragsstruktur. Ein gleichsam klassisches Beispiel ist das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen. 40 Aber auch das Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht41 und das Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung 42 sind - zumindest zum Teil - in diese Vertragskategorie einzuordnen. Aus dem Menschenrechtsbereich ist in diesem Zusammenhang als typischer Vertrag die Rahmenkonvention des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten zu nennen.43 Neben den völkerrechtlichen Verträgen, die schon von ihrem Titel her auf ihren Rahmencharakter schließen lassen, finden sich aber auch in zahlreichen sonstigen Verträgen zunehmend Rahmenbestimmungen. Sowohl das internationale Umweltrecht, hier kann z. B. auf Art. 15 und 16 der Konvention über biologische Vielfalt 44 verwiesen werden, als auch das internationale Wirtschaftsrecht bieten hierzu zahlreiches Anschauungsmaterial. In die WTO-Rechtsordnung wurden so verschiedene Vorschriften aufgenommen, die nur allgemeine Grundsätze statuieren und im übrigen auf durchzuführende Verhandlungen zur Konkretisierung der prinzipiellen Verpflichtungen verweisen. 45 Die Struktur von Rahmenverträgen und Rahmenregelungen in einzelnen Verträgen ist abgesehen von Besonderheiten der jeweiligen Sachmaterie immer gleich: Die Rahmenvereinbarung legt nur einige materielle Rechtsgrundsätze sowie mehr oder weniger konkrete Verfahrensvorgaben fest, ein abschließendes Normenprogramm wird jedoch nicht statuiert. Mit dieser Vertragskonzeption wird zunächst völkerrechtlich verbindlich dokumentiert, daß ein bestimmter Sachbereich einer internationalen Regelung unterworfen werden muß, obwohl alle Einzelheiten hierzu noch nicht vereinbart werden konnten bzw. aufgrund sich schnell United Nations Environment Programme, IX; Ott, Umweltregime im Völkerrecht, 268; Thacher, Colorado Journal of Int'l Env. Law & Policy 1 (1990), 101 (104). 40

Vom 9. Mai 1992, BGBl. 1993 II, 1783. Vom 22. März 1985, BGBl. 1988 II, 902; siehe auch Ott, Umweltregime im Völkerrecht, 268 f. 41

42

Vom 22. März 1989, BGBl. 1994 II, 2704 mit Änderungen; hierzu Kummer, International Management of Hazardous Waste, passim; Rublack, Verfassung und Recht in Übersee 22 (1989), 364 ff.; Ott, Umweltregime im Völkerrecht, 268 f.; insgesamt zu Rahmenabkommen im Umweltvölkerrecht im Überblick auch Beyerlin, Umweltvölkerrecht, Rdnr. 88 ff. 43 44

ETS Nr. 157; Hofmann, ZEuS 2 (1999), 379 ff.; Weckerling,

EuGRZ 1997, 605 ff.

Vom 5. Juni 1992, BGBl. 1993 II, 1741; hierzu auch Wolfrum, (113 f.).

RdC 272 (1998), 9

45 Siehe z. B. Art. 10.2 und Art. 20 des Landwirtschaftsübereinkommens; Art. XIII:2, X V und X I X : 1 GATS; Art. 24.1 TRIPS; hierzu auch Tietje, GYIL 42 (1999), 26 (45 ff.).

A. Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien

249

ändernder technischer oder sonstiger tatsächlicher Gegebenheiten nicht immer rechtlich abschließend zu erfassen waren. Zur Erreichung des erstrebten zukünftigen Konkretisierungsgrades werden dann in einem zweiten Schritt prozedurale Vorkehrungen getroffen. Diese sind in der Regel mit der Verpflichtung zur Durchführung entsprechender Verhandlungen verbunden. Rechtsdogmatisch ist dies als pactum de contrahendo

oder als pactum de negotiando zu werten. 4 6 I n der Judika-

tur des IGH und der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ist anerkannt, daß solche Festlegungen die Verpflichtung begründen, am Maßstab von Treu und Glauben orientierte, ernsthafte Bemühungen zu unternehmen, den angestrebten Verhandlungserfolg herbeizuführen. 47 Vor dem Hintergrund dieser rechtlichen Einordnung von Rahmenregelungen im Kontext moderner völkerrechtlicher Rechtssetzung zeigt sich eine deutliche Parallele zu der schon seit langem im internationalen System praktizierten Verwendung von Prinzipien als Normkategorie. 48 Insgesamt können Rahmenregelungen im Völkerrecht damit auch als prozedural angereicherte Prinzipienvereinbarungen im Sinne von Optimierungsgeboten bezeichnet werden. Durch diese Technik wird der völkerrechtliche Rechtssetzungsprozeß in einem bestimmten Sachbereich gleichsam auf eigene Beine gestellt. Damit wird innerhalb des kooperativ angelegten dynamischen Vertragswerkes die souveräne einzelstaatliche Einflußmöglichkeit auf den Regelungsprozeß weit zurückgedrängt. Zugleich verlagert sich der Verhandlungsprozeß mit Blick auf seine Zielrichtung der Konkretisierung technischer Detailfragen zuneh46 47

Siehe auch Kiss, Journal du Droit International 1991, 263 (278).

Siehe insbesondere IGH, North Sea Continental Shelf Case, ICJ Reports 1969, 3 (47): „... the parties are under an obligation to enter into negotiations with the view of arriving at an agreement, and not merely to go through a formal process of negotiation as a sort of prior conditions for the automatic application of a certain method of delimination in the absence of agreement; they are under an obligation so to conduct themselves that the negotiations are meaningful, which will not be the case when either of them insists upon its own position without contemplating any modifications of i t . . . " ; German External Debts Arbitration Tribunal, Entscheidung vom 26.1.1972, ILR 47 (1974), 418 (453 f.): „However, a pactum de negotiando is also not without legal consequences. It means that both sides would make an effort, in good faith, to bring about a mutually satisfactory solution by way of a compromise, even if that meant the relinquishment of strongly held positions earlier taken.... An undertaking to negotiate involves an understanding to deal with the other side with a view to coming to terms ... To be meaningful, negotiations have to be entered into with a view to arriving at an agreement. ... Though ... an agreement to negotiate does not necessarily imply an obligation to reach an agreement, it does imply that serious efforts towards that end will be made." Hierzu auch Beyerlin, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. I l l , 845 ff.; sowie ausführlich Heusei, „Weiches44 Völkerrecht, 237 ff. mit umfangr. Nachw. 48 Zu Einzelheiten siehe Delbrück, Die Rassenfrage als Problem des Völkerrechts und nationaler Rechtsordnungen, 108 ff.; Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, 260 ff. und 297 ff.; ders., in: Delbrück (Hrsg.), New Trends in International Lawmaking, 61 (84 f.).

ei

ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

mend von der politischen auf die administrative Ebene. Diese Phänomene entsprechen inhaltlich der im deutschen Verwaltungsrecht immer mehr festzustellenden „offenen" Gesetzgebung.49 Als zweites Charakteristikum dynamisch angelegter internationaler Vertragsgestaltung stellen sich die gerade für das internationalisierte Verwaltungshandeln wichtigen vereinfachten Vertragsänderungs- bzw. -ergänzungsverfahren dar. Sie können grob unterteilt werden in dem Konsensus-Erfordernis unterliegende oder durch Mehrheitsvotum erfolgende Vertragsänderungen oder -ergänzungen, die mit oder ohne Möglichkeit des opting out 50 nach erfolgter einzelstaatlicher Ratifikation oder auch ohne Ratifikationserfordernis in Kraft treten. Eine Vertragsergänzung auf der Grundlage internationalen Konsenses oder, soweit dieser nicht erreicht werden kann, sogar mit Zweidrittel-Mehrheitsvotum, die ohne einzelstaatliche Ratifikation in Kraft tritt, ist z. B. in Art. 2 Abs. 9 des Montrealer Prokolls über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen, vorgesehen. 51 Das Verfahren der Vertragsänderung aufgrund eines Mehrheitsvotums der Vertragsparteien mit der Folge des Inkrafttretens ohne Ratifikationserfordernis und dies verbunden mit der einzelstaatlichen Möglichkeit des opting out ist jedoch weitaus gebräuchlicher und findet sich heute z. B. in nahezu allen wichtigen Umweltverträgen. 52 Aber auch in anderen Rechtsbereichen sind entsprechende vereinfachte 49

Statt vieler Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 168 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 11 (48 ff.); ders., Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 171 f. 50

Zur Begrifflichkeit und Differenzierung zwischen opting out und contracting out statt vieler Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 1290. 51 52

Vom 16. September 1987, BGBl. 1988 II, 1014.

Siehe insbesondere Art. 18 Abs. 2 Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch die Einbringung durch Schiffe und Luftfahrzeuge v. 15.2.1972, BGBl. 1977 II, 169, I L M 11 (1972), 262; Art. XV:2 Übereinkommen über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen v. 29.12.1972, BGBl. 1977 II, 180, 1046 UNTS 120, I L M 18 (1979), 510; Art. X V f. Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen v. 3.3.1973, BGBl. 1975 II, 773, 993 UNTS 243, I L M (12) 1973, 1085; Art. 16 Abs. 2 lit. f) iii) Übereinkommen vom 2.11.1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe in der Fassung des Protokolls vom 17.2.1978, BGBl. 1982 II, 2, I L M 12 (1973), 1319 und I L M 17 (1978), 546; Art. 24 Übereinkommen über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebietes v. 22.3.1974, BGBl. 1979 II, 1229, I L M 13 (1974), 546; Art. 18 Abs. 4 Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung vom Lande aus v. 4.6.1974, BGBl. 1981 II, 879; Art. 17 Convention for the Protection of the Mediterranean Sea against Pollution v. 16.2.1976, I L M 15 (1976), 290; Art. X I Übereinkommen zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten v. 23.6.1973, BGBl. 1984 II, 569, I L M 19 (1980), 15; Art. 17 Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wildlebenden

A. Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien

251

Vertragsänderungs- bzw. -ergänzungsverfahren bekannt, so z. B. in Art. 21 f. der WHO-Satzung, 53 Art. 90 der Chicago-Konvention über die Zivilluftfahrt 5 4 und Art. VI:4, XXI:5 GATS, in letzterem Fall ebenfalls ohne

Opting-out-Möglichkeit.

Auch wenn die zahlreichen völkerrechtlichen Vertragsänderungs- bzw. -ergänzungsverfahren im Detail zum Teil unterschiedlich ausgestaltet sind, ist für sie als Gemeinsamkeit doch die Modifikation des im allgemeinen Vertragsrechts nach Art. 39 ff. W V K vorgesehenen Erfordernisses einzelstaatlicher Zustimmung bei einer Vertragsmodifikation und damit zugleich die Ausschaltung des nationalen Zustimmungsverfahrens zur Ratifikation zu konstatieren. 55 Den Vertragsparteien verbleibt zwar in der Regel die der Exekutive zustehende Möglichkeit, eine Bindung an die fragliche Modifikation durch eine Opting -out-EMärung zu verhindern. Dies stellt sich jedoch kaum als im internationalen politischen System realistische Alternative dar - im Gegenteil: Eine historische Untersuchung einzelner Fälle, in denen die Möglichkeit zum opting out in strittigen Sachbereichen bestand, zeigt, daß hiervon trotz einzelstaatlicher Bedenken aufgrund eines kooperativen Rechtsbefolgungsdruckes im internationalen System nicht Gebrauch gemacht wird. 5 6 Insgesamt sind die beschriebenen Verfahren damit ein weiterer deutlicher Beleg für die Tatsache, daß sich das internationale Rechtssetzungsverfahren gerade in technisch-administrativen Bereichen zunehmend kooperativen Strukturen zuwendet. Diese lassen dem partikularen Staateninteresse kaum noch Raum. A m deutlichsten wird dies in dem bereits genannten Art. 2 Abs. 9 lit. c) und lit. d) des Montrealer Protokolls zum Ausdruck gebracht. Dort ist unter bepflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume v. 19.9.1979, BGBl. 1984 II, 618, ETS No. 104; Art. 10 Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht v. 22.3.1985, BGBl. 1988 II, 902, I L M 26 (1987), 1516; Art. 18 Basier Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung v. 22.3.1989, BGBl. 1994 II, 2704, I L M 28 (1989), 657; Art. 16 Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen v. 9.5.1992, BGBl. 1993 II, 1783, I L M 31 (1992), 851; Art. 30 Übereinkommen über die biologische Vielfalt v. 5.6.1992, BGBl. 1993 II, 1741, I L M 31 (1992), 822; Art. 26 Convention on Transboundary Effects of Industrial Accidents, I L M 31 (1992), 1330; Art. 31 Abs. 2 Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Wüstenbildung in den von Dürre und/oder Wüstenbildung schwer betroffenen Ländern, insbesondere in Afrika, BGBl. 1997 II, 1468; siehe in diesem Zusammenhang auch Sommer , ZaöRV 56 (1996), 678 ff.; Skala, Internationale technische Regeln und Standards zum Umweltschutz, passim. 53

Satzung der Weltgesundheitsorganisation, BGBl. 1974 II, 43.

54

Abkommen über über die internationale Zivilluftfahrt v. 7.12.1944, BGBl. 1956 II, 411. 55 Sand, Lessons Learned in Global Environmental Governance, 17; Ott, Umweltregime im Völkerrecht, 162 ff.; Tietje, GYIL 42 (1999), 26 (38 f.). 56

Hierzu ausführlich Chay es/Handler 266 ff.

Chayes, The New Sovereignty, 21 ff., 130 und

ei

ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

stimmten Voraussetzungen die Möglichkeit einer für alle Vertragsparteien bindenden Vertragsanpassung durch Mehrheitsvotum vorgesehen. Eine Möglichkeit des opting out existiert nicht. 57 Deutlicher kann die nahezu vollständige Absage an souveräne Entscheidungsrechte eines einzelnen Staates im Rahmen eines bestehenden Vertragsregimes zugunsten kooperativer Rechtssetzungsprozesse nicht ausgestaltet sein. Als dritte kooperative Rechtssetzungsstrategie im gegenwärtigen völkerrechtlichen Vertragsrecht ist die vielfach vorgesehene Möglichkeit einer autoritativen Interpretation einzelner Vertragsbestimmungen durch Exekutivorgane eines Vertragsregimes zu nennen. Auch wenn es sich hierbei „nur" um Aspekte der Auslegung vorhandener Vertragsbestimmungen handelt, und damit nicht um eine Rechtssetzung im engeren Sinne, kommen die normativen Wirkungen oftmals der eigentlichen Rechtssetzung nahe.58 Die Möglichkeit zur autoritativen Interpretation wurde wohl erstmals in Art. X X I X des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds (IWF-Abkommen) 59 vorgesehen. Nach dieser Vorschrift hat das Exekutivdirektorium des IWF die rechtliche Möglichkeit, das Abkommen auszulegen. Kommt es zu einem Einspruch gegen eine entsprechende Auslegungsentscheidung des Exekutivdirektoriums, entscheidet der Gouverneursrat des IWF abschließend und rechtlich verbindlich für alle Vertragsparteien über die Frage (Art. XXDC lit. a) und lit. b) IWF-Abkommen). Eine ähnliche Interpretationsmacht kommt den Direktoren bzw. mit abschließendem Charakter dem Governeursrat der Weltbank zu. 60 Die wohl bekannteste Entscheidung, die im Rahmen des IWFAbkommens unter Anwendung der Möglichkeit autoritativer Interpretation des Abkommens beschlossen wurde, betraf den Übergang von festen zu freien Wechselkursen Anfang der 1970er Jahre. 61 Aber auch in den Abkommen über die 57

Zu Einzelheiten und Nachweisen zur Vertragspraxis nach dieser Vorschrift siehe Ott, Umweltregime im Völkerrecht, 155 ff. 58

Ausführlich hierzu Pan, Harvard Int'l Law Journal 38 (1997), 503 ff.

59

Vom 1./22. Juli 1944, BGBl. 1952 II, 638; Neufassung vom 30. April 1976, BGBl. 1978 II, 13, mit Änderungen. 60

Art. IX lit. a) und b) Abkommen über die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, BGBl. 1952 II, 664, mit Änderungen. 61

Einzelheiten hierzu bei H. J. Hahn, in: Kewenig (Hrsg.), Völkerrecht und internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit, 215 (218); ders., Währungsrecht, 178 f.; zu weiteren wichtigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen, die unter Anwendung dieses Verfahrens getroffen wurden, siehe Pan, Harvard Int'l Law Journal 38 (1997), 503 (519); Chayes/ Handler Chayes, The New Sovereignty, 211; restriktiver allerdings Zamora, in: Schachter/ Joyner (Hrsg.), United Nations Legal Order, Vol. 1,503 (556 f.); zum Verfahren der autoritativen Interpretation im IWF siehe auch allgemein Gold, Voting and Decisions in the International Monetary Fund, 162.

A. Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien

253

WTO, die ILO, die UPU, die UNESCO und über andere Organisationen ist vorgesehen, daß den jeweiligen Exekutivorganen die Rechtsmacht zur autoritativen Interpretation der Abkommensbestimmungen zusteht.62 Auch wenn insofern gewisse Unterschiede in der rechtlichen Tragweite der vorgesehenen Interpretationsmöglichkeit bestehen, läßt sich doch insgesamt feststellen, daß sie heute ein wesentliches und êffektives Verfahren zur kooperativen Rechtskonkretisierung im internationalen System darstellen. 63 Schließlich ist als viertes Rechtssetzungsverfahren innerhalb bestehender Vertragsregime, das sich von der klassischen Rechtssetzung i. S. d. Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut grundlegend unterscheidet, auf die zunehmend praktizierte Inkorporation rechtlich unverbindlicher Entscheidungen staatlicher oder privater Gremien in ein vorhandenes Vertragswerk hinzuweisen. Beispiele hierfür finden sich in der WTO-Rechtsordnung und im internationalen Seerecht: Nach Art. 2.4 des WTOÜbereinkommens über Technische Handelshemmnisse (TBT-Übereinkommen) 64 sind die WTO-Mitglieder verpflichtet, bestehende oder unmittelbar vor der Fertigstellung stehende einschlägige internationale Normen als nationale technische Vorschriften zu verwenden. 65 Die technischen Normen, auf die Bezug genommen wird, sind diejenigen, die im Rahmen der ISO (International Organization for Standardization) und der IEC (International Electrotechnical Commission) erarbeitet wurden. Beide Institutionen sind private Organisationen ohne Völkerrechtssubjektivität. 66 Die von ihnen erarbeiteten technischen Normen sind unverbindlich. Eine noch weitergehendere Inkorporation rechtlich unverbindlicher technischer Normen sieht das Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen der WTO (SPS-Übereinkommen) 67 vor. Es statuiert in Art. 3.2 eine widerlegbare Vermutung dahingehend, daß bestimmte staatliche Maßnahmen rechtlich notwendig sind, soweit sie mit den entsprechenden unverbindlichen Standards u. a. der Codex Alimentarius Commis-

62

Weitere Einzelheiten hierzu bei Pan, Harvard Int'l Law Journal 38 (1997), 503 ff.; Chay es/Handler Chayes, The New Sovereignty, 209 ff.; Tietje, GYIL 42 (1999), 26 (39 f.); Schermers/Blokker, International Institutional Law, §§ 1355 ff. 63

Chayes/Handler

Chayes, The New Sovereignty, 216.

64

Vom 15. April 1994, ABl. EG 1994, L 336/86; auch abgedruckt bei Tietje (Hrsg.), Welthandelsorganisation, 93 ff. 65

Zu Einzelheiten siehe Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Teil II, E 29 Rdnr. 86 ff. 66

Einzelheiten zu ISO und IEC und ihrer Arbeit bei Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Teil II, E 29 Rdnr. 15 ff. 67 Vom 15. April 1994, ABl. EG 1994, L 336/40; auch abgedruckt bei: Tietje (Hrsg.), Welthandelsorganisation, 79 ff.

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ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

sion von WHO/FAO, des Internationalen Tierseuchenamts oder des Sekretariats der Internationalen Pflanzenschutzkonvention übereinstimmen. 68 Ähnliche Regelungen finden sich in zahlreichen Bestimmungen der Seerechtskonvention der Vereinten Nationen (SRÜ), wo als Rechtmäßigkeitskriterium für unterschiedliche Verhaltensweisen auf die Beachtung in der Regel unverbindlicher internationaler Standards, z. B. aus dem Umweltschutzbereich, verwiesen wird. 69 Damit ist festzuhalten, daß zahlreiche Vertragsregime unverbindliche Entscheidungen zumeist technisch-administrativer internationaler privater oder staatlicher Institutionen in das vorhandene Rechtsregime inkorporieren und ihnen so im Ergebnis eine rechtsnormative Bedeutung vermitteln. Dieser Mechanismus ermöglicht es, zu gewährleisten, daß eine dynamische Anpassung des jeweiligen Vertragsregimes an sich ändernde technische bzw. ökologische Bedingungen garantiert ist. Die Vertragsanpassung vollzieht sich damit nicht mehr im Konsens der Vertragsparteien. Sie erfolgt vielmehr extern durch die Arbeit der technischadministrativen Institution, auf die verwiesen wird. Ob die jeweilige Spezialinstitution dabei staatlich oder privatrechtlich organisiert ist, spielt ebensowenig eine Rolle wie die oftmals fehlende Rechtsbindungsqualität der entwickelten technischen Standards. Entscheidend ist immer nur, daß es sich um Standards handelt, die in einem internationalen Forum entwickelt wurden. Hierdurch kommt abermals der kooperative Charakter der sich im Ergebnis durch die Inkorporation vollziehenden Rechtssetzung zum Ausdruck. Zugleich wird auch hier eine beachtliche Parallele zum nationalen Verwaltungsrecht deutlich. Hier finden sich in vielen Bereichen ebenfalls Verweisungen auf private oder öffentliche, im Außenverhältnis in der Regel unverbindliche technische Regelwerke. 70 Faßt man die an dieser Stelle nur kursorisch aufgezeigten Rechtssetzungsstrukturen in internationalen Vertragsregimen zusammen, zeigt sich zunächst eine deutliche Tendenz, verstärkt dynamische Regelungsmechanismen zu entwickeln. Die sich oftmals als ausgesprochen starr erweisenden, den einzelstaatlichen Konsens in den Vordergrund stellenden Verfahren der W Y K zum Vertragsabschluß, 68

Siehe hierzu Anhang A Abs. 3 des SPS-Übereinkommens; Einzelheiten hierzu bei Stewart/Johanson, Syracus J. Int'l Law & Commerce 26 (1998), 27 ff.; ausführlich noch infra Teil 6, A. IV. 2. c). 69

Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen v. 10.12.1982, BGBl. 1994 II, 1799: Art. 21 Abs. 2 und Abs. 4, 39 Abs. 2, 41 Abs. 3, 53 Abs. 8, 60 Abs. 3, 5 und 6, 94 Abs. 2 und 5, 208 Abs. 3, 210 Abs. 6, 211 Abs. 2 und 6, 226 Abs. 1; zu Einzelheiten siehe Oxman, New York Univ. J. of Int'l L & Politics 24 (1991), 109 ff.; Tomuschat, RdC 241 (1993), 195 (348 ff.); Sommer, ZaöRV 56 (1996), 628 (655 ff.). 70

Statt vieler Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 171 f.; vertiefend hierzu infra Teil 7, B. III. 3.

A. Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien

255

zur Vertragsänderung etc. werden so bewußt nicht angewandt, um gerade in technisch-administrativen Bereichen möglichst flexibel auf sich ändernde tatsächliche und rechtliche Gegebenheiten reagieren zu können. Dabei zeigt sich ähnlich wie bereits für das Völkergewohnheitsrecht konstatiert eine fortschreitende Relevanz der Arbeiten, die in internationalen Institutionen durchgeführt werden. Das die W V K wie auch insgesamt den Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut prägende Bild einer ausschließlich vom einzelstaatlichen Willen abhängigen völkerrechtlichen Rechtssetzung wird so nachhaltig in Frage gestellt, wenn nicht sogar revidiert, soweit es um die angesprochenen technisch-administrativen Sachbereiche geht. Zugleich wird deutlich, daß exekutiven Gremien im nationalen und internationalen Raum eine entscheidende Rolle im Rahmen der angeführten Rechtssetzungs- und Rechtskonkretisierungsprozesse zukommt. Ihnen obliegt in der Regel die Ausarbeitung und innerstaatliche Umsetzung der internationalen technisch-administrativen Regelwerke.

4.

„SoftLaw"

Während sich die bislang dargestellten Steuerungsintrumentarien des Völkerrechts direkt oder indirekt auf eine Rechtsquelle im Sinne des Art. 38 Abs. 1 IGHStatut zurückführen lassen, zeigt die Diskussion zu dem Phänomen des „soft law" in aller Deutlichkeit die Grenzen einer Völkerrechtsdogmatik auf, die streng positivistisch ausgehend von einer abschließenden Rechtsquellentrias deduziert. Historisch gesehen führte die in ihren quantitativen und qualitativen Ausmaßen rasant zunehmende zwischenstaatliche Interaktion in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts insoweit zu Formen abgestimmten Verhaltens im internationalen System, die sich nur noch schwer in die dem juristischen Denken geläufige Unterscheidung von rechtsverbindlichen und rechtsunverbindlichen Determinanten einfügen lassen.71 Damit war es zwangsläufig, daß die bis heute intensiv geführte Diskussion zum soft law als „eine der markantesten Veränderungen der völkerrechtlichen Regelungsstruktur" 72 zu einem bedeutenden rechtswissenschaftlichen Erkenntnisinteresse wurde. 73 71 Umfassend zum abgestimmten internationalen Verhalten als „außerrechtliche Normbildung' 4 im internationalen System Delbrück, in: Nerlich/Rendtorff (Hrsg.), Nukleare Abschreckung, 353 ff. 72 73

Engel, Völkerrecht als Tatbestandsmerkmal deutscher Normen, 254.

Der Begriff soll auf McNair zurückgehen, siehe Thürer, Zeitschrift für schweizerisches Recht, 104 (1985), 429 (431 f.); Wengler, JZ 1976,193 (195 Fn. 19); Heusei, „Weiches" Völkerrecht, 23 m. w. N.

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ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

Ob und gegebenenfalls inwieweit es unter juristischen Aspekten betrachtet im internationalen System eine Rechtserscheinung geben kann, die sich auf „weiche", auf sich gerade durch ihren unverbindlichen Charakter auszeichnende Normen bezieht, wurde vielfach erörtert. 74 Eher rechtssoziologische, die tatsächliche Bedeutung von soft law fokussierende Ansichten stehen dabei der nicht zu bestreitenden Erkenntnis gegenüber, als Recht könne eben nur Recht - verstanden als rechtsnormativ bindende Verhaltensdeterminante - und nicht ein rechtsunverbindliches Phänomen bezeichnet werden. 75 Ohne die vorliegende Diskussion hier umfassend nachzeichnen zu müssen,76 ist zunächst darauf aufmerksam zu machen, daß neben einzelnen „hochpolitischen" Sachverhalten wie - als herausragendes Beispiel - der KSZE-Schlußakte von Helsinki 77 insbesondere die technisch-administrativen Regelungsbereiche im internationalen System zur Diskussion über ein mögliches soft law Anlaß geben. Zu Beginn der Entwicklung waren es dabei insbesondere das Umwelt- und das Wirtschaftsvölkerrecht, in denen zunehmend So/ir-/£zw-Phänomene ausgemacht und rechtswissenschaftlich erörtert wurden. 78 Heute gibt es kaum einen Bereich des „Besonderen Völkerrechts", wie z. B. das internationale Verkehrsrecht, das internationale Gesundheitsrecht, das internationale Seerecht und das internationale Kommunikationsrecht, in dem nicht eine zunehmende Relevanz von soft law auszumachen ist. 79 Darüber hinaus ist gerade für das internationalisierte Verwaltungshandeln von besonderer Bedeutung, daß sich die ursprünglich nur unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten diskutierten Fragen zu einem soft law immer mehr auf die hiermit zusammenhängenden innerstaatlichen Rechtsprobleme verlagern. 80 Insgesamt kommt man damit nicht umhin,

74 Umfassend aus jüngerer Zeit Heusei, „Weiches" Völkerrecht, passim; siehe z. B. auch Aust, ICLQ 35 (1986), 787 ff.; Bothe, N Y I L 11 (1980), 65 ff.; Schachter, AJIL 71 (1977), 296 ff.; Zemanek, in: Hafner/Loibl/Rest u. a. (Hrsg.), FS Seidl-Hohenveldern, 843 ff.; Chinkin, ICLQ 38 (1989), 850 ff.; Hillgenberg, ZEuS 1 (1998), 81 ff. 75

Siehe den Überblick zur Diskussion bei Heusei, „Weiches" Völkerrecht, 25 ff.

76

Umfassend aus jüngerer Zeit Heusei, „Weiches" Völkerrecht, passim.

77

Hierzu Delbrück, in: 3. Deutsch-Polnisches Juistenkolloquium, 31 ff.

78 Malanczuk, Akhurt's Modern Introduction to International Law, 54; Seidl-Hohenveldern, RdC 163 (1979-11), 165 ff.; Kather, Der Kodex der Vereinten Nationen über wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken, passim; Bryde, Internationale Verhaltensregeln für Private, passim. 19 Aust, ICLQ 35 (1986), 787 (788); zu den einzelnen Sachgebieten noch ausführlich infra Teil 6. 80

Siehe z. B. Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen,passim; Schreuer, ÖZöR 34 (1983), 243 ff.; Engel, Völkerrecht als Tatbestandsmerkmal deutscher Normen, 244 ff.; Hailbronner, in: von Münch (Hrsg.), FS Schlochauer, 329 ff.; ausführlich noch infra Teil 7, B. III. 4.

A. Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien

257

die unstreitige „wirklichkeitsgestaltende Kraft" des soft law 81 in ihrer dogmatischen Tragweite zumindest zu skizzieren. Unabhängig von der rechtssoziologischen Erkenntnis der nicht zu unterschätzenden tatsächlichen Gestaltungskraft internationalen soft laws 82 stellt sich dogmatisch zunächst die zentrale Frage, ob es sich hierbei wirklich um ein außerrechtliches Phänomen handelt, wie immer wieder behauptet wird. 8 3 In dieser Allgemeinheit kann der These von der außerrechtlichen Natur des soft law nicht gefolgt werden. Vielmehr ist danach zu differenzieren, daß es sich bei dem soft law um eine Erscheinung innerhalb der Völkerrechtsordnung handelt, die allerdings grundsätzlich nicht auf eine verbindliche Rechtsquelle zurückzuführen ist. Daß es sich auch bei dem soft law um ein rechtsordnungsimmanentes Phänomen handelt, folgt aus dem Charakter des internationalen Systems als Rechtsordnung in Verbindung mit der rechtlich - von Art. 53 W V K (ius cogens) einmal abgesehen - unbegrenzt gewährten Freiheit der Staaten und anderer Völkerrechtssubjekte, die Rechtsform ihres internationalen Verhaltens frei zu bestimmen. Damit ist konkret die Erkenntnis angesprochen, daß die Völkerrechtssubjekte kraft ihrer Souveränität bzw. derivativ zugestandenen Handlungsfreiheit darüber entscheiden können, ihr Verhalten den Rechtsquellen des Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut zuzuordnen oder außerhalb hiervon im Wege u. a. des soft law zu handeln. 84 Rechtsdogmatische Grundlage auch des soft law ist damit die Souveränität. Sie ist aber keine vorrechtliche Erscheinung, sondern ein von der Völkerrechtsordnung selbst gewährter Zustand. Das hiervon abweichende B i l d einer dem Recht vorgegebenen Souveränität, das noch der StIGH in seiner Lotus-Entscheidung zeichnete, 85 kann heute jedenfalls keine Geltung mehr beanspruchen. Das Völkerrecht kann als Rechtsordnung nur dann seinen Ansprüchen gerecht werden und seine Geltung behaupten, wenn es eine in sich geschlossene, auf dem umfassenden normativen Bewußtsein von der Notwendigkeit internationaler Kooperation begründete internationale Gemeinschaft

81

So Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn. Rdnr. 67.

82

Hierzu aus jüngerer Zeit insbesondere Zemanek, in: Hafner/Loibl/Rest u. a. (Hrsg.), FS Seidl-Hohenveldern, 843 ff.; Tomuschat , in: Makarczyk (Hrsg.), FS Skubiszewski, 563 ff. 83

Siehe z. B. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn. Rdnr. 67: „Nicht zum Völkerrecht gehören die ... nichtrechtlichen zwischenstaatlichen Vereinbarungen, z. B. der KSZE-Schlußakte . . d e u t l i c h in diese Richtung auch Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 19 Rdnr. 20 ff. 84 Statt vieler Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn. Rdnr. 149 ff. 85 StIGH, Ser. A, No. 10 (18 f.).

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ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

konstituiert. 86 Hierzu gehört es auch, daß bereits die staatliche Souveränität selbst vom Völkerrecht als rechtsnormative Rechtszuweisung gewährt wird. Jede andere Bewertung würde im Ergebnis wieder zu Hegels Theorie vom Völkerrecht als äußerem Staatsrecht 87 und im Ergebnis zur Anarchie in den internationalen Beziehungen führen; diesbezügliche Ansichten werden heute auch nicht mehr ernsthaft vertreten. 88 Mithin ist auch die sich als Ausfluß staatlicher Souveränität konstituierende Entscheidung, internationale Beziehungen außerhalb des Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut im Wege des soft law zu regeln, eine Entscheidung, die innerhalb der Völkerrechtsordnung getroffen wird. Als außerrechtliche Erscheinung kann das soft law nicht eingeordnet werden. Die Charakterisierung von soft law als der Völkerrechtsordnung zugehörig

ändert indes nichts daran, daß es sich prima facie* 9 um rechtsunverbindliche Festlegungen handelt.90 Der Annahme einer rechtsverbindlichen Qualität widerspricht bereits die bewußte Entscheidung der an der Entstehung des soft law beteiligten Völkerrechtssubjekte, gerade nicht einen Rechtssetzungsakt vorzunehmen, der auf einem Rechtsbindungswillen beruht. So klar diese Feststellung zunächst auch erscheinen mag, Rechtsklarheit mit Blick auf sich im gegenwärtigen internationalen System vollziehende Vorgänge ist hiermit noch lange nicht gewonnen - im Gegenteil: In jüngerer Zeit verstärken sich die Anzeichen für einen immer deutlicher werdenden fließenden Übergang zwischen Akten, die mit und solchen die ohne Rechtsbindungswillen geschlossen wurden. 91 Dies ist nicht so sehr darauf zurückzuführen, daß die Völkerrechtssubjekte heute weniger genau als früher zu erken86

Grundlegend hierzu Mosler, ZaöRV 36 (1976), 6 ff.; ders., The International Society as a Legal Community, passim; siehe auch Tomuschat, RdC 241 (1993), 195 ff.; Dahm/ Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 34 ff. 87

Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 331.

88

Statt vieler Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 34 ff.; Tomuschat, AVR 33 (1995), 1 (6 f.); speziell im Hinblick auf die Lotus-Entscheidung des StIGH auch Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, 244 ff. 89

Der Zusatz soll verdeutlichen, daß die Rechtsunverbindlichkeit von Empfehlungen etc. nicht zwingend gegeben ist, sondern abhängig von noch näher zu erörternden Aspekte auch das soft law rechtsnormative Relevanz entfallten kann. In der nachfolgenden Darstellung wird darauf verzichtet, diesen Gesichtspunkt immer wieder durch den Verweis auf eine nur prima facie bestehende Unverbindlichkeit hervorzuheben. 90 91

Umfassend hierzu Heusei, „Weiches" Völkerrecht, 275 ff. und passim.

Siehe hierzu auch § 72 Abs. 1 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien in der ab 1. September 2000 geltenden Fassung (Az. 01-131200/10): „Vor der Ausarbeitung und dem Abschluss völkerrechtlicher Übereinkünfte ... hat das federführende Bundesministerium stets zu prüfen, ob eine völkervertragliche Regelung unabweisbar ist oder ob der verfolgte Zweck auch mit anderen Mitteln erreicht werden kann, insbesondere mit Absprachen unterhalb der Schwelle einer völkerrechtlichen Übereinkunft".

A. Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien

259

nen geben, ob sie mit Rechtsbindungswillen handeln, sondern liegt vielmehr in der fortschreitenden Rezeption kooperativer Handlungsformen als innerhalb der Rechtsquellen des Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut relevantes Verhalten begründet. Nur so ist es auch zu erklären, daß in der Staatenpraxis immer mehr von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, bei ohnehin schon unverbindlichen Erklärungen ausdrücklich den unverbindlichen Charakter zu betonen bzw. Protokollerklärungen („Vorbehalte", vgl. Art. 19 ff. W V K ) dahingehend abzugeben, daß eine unverbindliche Erklärung in dieser Form nicht akzeptiert wird. 92 Trotz solcher Maßnahmen scheut die internationale Judikatur aber nicht davor zurück, „unverbindliche" Erklärungen - soft law - als rechtsnormative Verpflichtungen heranzuziehen. 93 Damit sind zugleich die unterschiedlichen Möglichkeiten angesprochen, die trotz des zunächst unverbindlichen Charakters von soft law zu seiner rechtsnormativen Relevanz führen können. Als unmittelbare Wirkung kann zunächst auf die Möglichkeit verwiesen werden, die der IGH in seinen Entscheidungen in den Nuclear Test Cases in aller Deutlichkeit aufzeigte: A u f der Grundlage von Treu

und Glauben können nach der Rechtsprechung des IGH einseitige Erklärungen im Völkerrecht - und damit, so ist zu ergänzen, auch Erklärungen im Rahmen eines kooperativen Prozesses - verbindlich sein, soweit nur ein Rechtsbindungswille nachweisbar ist. 94 Der maßgebliche Rechtsbindungswille ist anhand des Treu und Glauben-Maßstabes, und zwar aus der objektiven Sicht des Empfängers der Willenserklärung, zu ermitteln. Insbesondere im Lichte der zum Teil sehr konkreten

92 Siehe zu dieser Praxis gerade mit Blick auf die „Weltordnungskonferenzen 44 des letzten Jahrzehnts Tomuschat, in: Makarczyk (Hrsg.), FS Skubiszewski, 563 ff. 93 Als herausragendes Beispiel zu nennen ist die Entscheidung des WTO Appellate Body in der Sache United States - Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, Report of the Appellate Body v. 12.10.1998, WT/DS58/AB/R, auszugsweise abgedruckt in: I L M 38 (1999), 118 ff., sowie EuZW 1999, 150 ff. Der Appellate Body begründete eine völkerrechtliche Kooperationsverpflichtung im Umweltrecht u. a. unter Verweis auf Prinzip 12 der Erklärung von Rio zu Umwelt und Entwicklung, wo es heißt: „Unilateral actions to deal with environmental challenges outside the jurisdiction of the importing country should be avoided. Environmental measures addressing transboundary or global environmental problems should, as far as possible, be based on international consensus44. Die Rio-Erklärung ist als soft law im hier dargelegten Sinne einzuordnen. Zudem hatten die von der Entscheidung des WTO Appellate Body betroffenen USA eine Protokollerklärung zur RioErklärung dahingehend abgegeben, daß sie sich hieran nicht gebunden fühlen. Die zitierte Passage der Rio-Erklärung und Hinweise auf den Vorbehalt der USA finden sich in: Johnson (Hrsg.), The Earth Summit, 117 und 120; zur Entscheidung des Appellate Body auch umfassend Tietje, EuR 2000, 285 ff. 94

ICJ Reports 1974, 253 und 457.

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Formulierungen in Soft-law- Instrumenten ist es damit vielfach kaum noch möglich, einen unverbindlichen Charakter kategorisch anzunehmen.95 Neben der möglichen, vom Einzelfall abhängigen, unmittelbaren rechtsnormativen Relevanz von soft law ist aber auch auf potentielle mittelbare Wirkungen hinzuweisen, die den fließenden Übergang zum „hard law" hervorheben: Gerade in den zunächst unverbindlichen AbSchlußerklärungen der Weltordnungskonferenzen der letzten Jahrzehnte finden sich zahlreiche Formulierungen, die bestehendes Völkergewohnheits- oder -vertragsrecht wiederholen. Der Grund hierfür dürfte darin zu sehen sein, zur Effektivität des bestehenden Rechts beitragen zu wollen. 96 Da der Effektivitätsgrundsatz seinerseits im positiven Völkerrecht verankert ist, 97 kommt es so zu einer mittelbaren rechtsnormativen Wirkung des soft law. Noch deutlicher wird dies im Hinblick auf den in Art. 31 Abs. 3 lit. b) W V K statuierte Auslegungsgrundsatz, daß die tatsächliche „Übung" der Parteien eines völkerrechtlichen Vertrages „in gleicher Weise" zu berücksichtigen ist wie die systematische Interpretation. Tatsächliches Verhalten ohne einen notwendigen Rechtsbindungswillen erlangt damit mittelbare rechtsnormative Wirkung. 98 Dies gilt auch für So/if-/aw-Phänomene, die sich auf bestehende völkerrechtliche Verträge beziehen. 99 Schon diese wenigen Bemerkungen zum allgemeinen Phänomen des soft law mögen genügen, um zu verdeutlichen, daß der vermeintliche Gegensatz von Recht und „Nicht-Recht" im Völkerrecht zunehmend einer wesentlich differenzierten Analyse zu unterziehen ist, als dies zum Teil geschieht. 100 In besonderem Maße gilt dies auch für die Frage nach der rechtsnormativen Relevanz von unverbindlichen Entschließungen internationaler Organisationen als besonderer Erscheinungsform des soft law. Ausgehend von der in Art. 10 UN-Charta niedergelegten 95 Hierzu auch ausführlich Tomuschat, in: Makarczyk (Hrsg.), FS Skubiszewski, 563 (572 ff.). 96

Tomuschat, in: Makarczyk (Hrsg.), FS Skubiszewski, 563 (578 f.).

97

Statt vieler Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 11 Rdnr. 16; Dahm/ Delbriick/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1,69 und 89; umfassend jetzt Krieger, Das Effektivitätsprinzip im Völkerrecht, passim. 98 Zur Bedeutung des Art. 31 Abs. 3 lit. b) W V K allgemein und insbesondere im Hinblick darauf, daß es um eine Übung ohne Rechtsbindungswillen geht: Dissenting opinion of Vice-President Weeramantry, Case Concerning Kasikili/Sedudu Island, ICJ, Judgment of 13 December 1999, para. 19 ff. 99 Hierzu auch ausführlich Tomuschat, in: Makarczyk (Hrsg.), FS Skubiszewski, 563 (575 ff.). 100

Vgl. z. B. den Diskussionsbeitrag von K. Vogel, VVDStRL 36 (1977), 145, der den Begriff „soft law" als einen gefährlichen „Ohrwurm", einem Juristen unheimlich und tauglich allenfalls als soziologische Kategorie ansieht.

A. Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien

261

Kompetenz der UN-Generalversammlung, „Empfehlungen" u. a. an die UN-Mitgliedstaaten abzugeben, hat sich in der Völkerrechtslehre eine umfassende Diskussion dahingehend entwickelt, ob und gegebenenfalls welche rechtsnormative Bedeutung diesen unverbindlichen Organakten zukommt. 101 Mutatis mutandis finden die insoweit vorgetragenen Argumente für jeden internationalen Organakt Anwendung, der auf den ersten Blick rechtsunverbindlich ist. 102 Eine entsprechende Kompetenz zur Abgabe von unverbindlichen Empfehlungen steht heute Organen in nahezu allen internationalen Organisationen zu. Auch wenn die zahlreichen Versuche, ungeachtet des Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut und des klaren Wortlautes des Art. 10 UN-Charta bzw. der entsprechenden Bestimmungen in den Gründungsurkunden anderer internationaler Organisationen „Empfehlungen" (Resolutionen, Deklarationen etc.) eine quasi legislative Bedeutung beizumessen,103 wohl insgesamt gescheitert sind, 104 kann diesen Organakten nicht schon deshalb jegliche rechtsnormative Relevanz abgesprochen werden. Dies zeigt sich bereits an der oben angesprochenen Bedeutung des Verweises auf kooperative Handlungen im internationalen System, die u. a. der internationalen Judikatur als Rechtserkenntnismittel dienen, und der dargelegten, in der Rechtspraxis immer wichtiger werdenden Technik, unverbindliche Organbeschlüsse in den Regelungsmechanismus eines völkerrechtlichen Vertrages zu inkorporieren. Besonders klar zutage tritt ihre Bedeutung schließlich, wenn man die noch näher darzustellende Rechtsprechung des EuGH betrachtet, nach der es zu einer gemeinschaftsrechtlichen Verbindlichkeit einzelner, völkerrechtlich zunächst unverbindlicher Entschließungen internationaler Institutionen kommen kann. 105 Das sich damit abzeichnende Bild der rechtsnormativen Bedeutung von Entschließungen internationaler Organisationen erscheint mithin verwirrend. Zum einen kommt ihnen heute nahezu unstreitig keine primäre Rechtsquellenqualität im 101

Die Diskussion ist umfassend zusammengefaßt von Skubiszewski, A I D I 6 1 I (1985), 29 ff., 85 ff. und 305 ff.; für einen Überblick siehe auch Heusei, „Weiches" Völkerrecht, 31 ff. 102 Berücksichtigt werden nachfolgend nur Akte von Organen einer internationalen Organisation mit Außenwirkung. Zur Einordnung der grundsätzlich rechtsverbindlichen organisationsinternen Organakte siehe statt vieler Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 18 Rdnr. 19 f.; E. Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rdnr. 114 ff. 103

So insbesondere Elias, Africa and the Development of International Law, 74 ff.; Asamoah, The Legal Significance of the Declarations of the General Assembly of the United Nations, passim. 104 105

Statt vieler Tomuschat, in: Makarczyk (Hrsg.), FS Skubiszewski, 563 (572).

EuGH, Rs. C-188/91, Deutsche Shell AG ./. Hauptzollamt Hamburg-Harburg, 1993,1-363 Tz. 17 f.; hierzu noch infra Teil 7, B. II. 2.

Slg.

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ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

Völkerrecht zu, zum anderen sind jedoch zahlreiche Fälle bekannt, in denen zumindest auf sekundärer Ebene eine Rechtsqualität angenommen wird. Dogmatische Klarheit läßt sich hier nur durch eine Systematisierung erreichen. Dabei kann zunächst zwischen den politischen Prinzipiendeklarationen der UN-Generalversammlung und anderer Organe internationaler Organisationen sowie der technisch-administrativen Rechtskonkretisierung durch unverbindliche, aber „qualifizierte Empfehlungen" 106 internationaler Organe differenziert werden. 107 Was die politischen, oftmals für den betroffenen Sachbereich umstrittenen Empfehlungen der Organe einer internationalen Organisation angeht, so läßt sich mit der h. M. zutreffend konstatieren, daß sie außerhalb der angedeuteten sekundären Rechtswirkungen als Rechtserkenntnismittel bzw. im Einzelfall aufgrund einer staatlichen Selbstbindung prima facie keine primärrechtliche Wirkung entfalten. 108 Weitaus wichtiger im vorliegenden Untersuchungszusammenhang sind aber die qualifizierten Empfehlungen internationaler technisch-administrativer Organisationen bzw. ihrer Organe. Sie kennzeichnen zwei Besonderheiten: Zunächst dienen sie der Konkretisierung technisch-administrativer Detailregelungen. Darüber hinaus ergibt sich in der Regel aus einer völkervertraglichen Regelung die rechtsnormative prozedurale Pflicht der Adressaten der Empfehlung, über die Beachtung der Empfehlung Bericht zu erstatten oder im Rahmen anderer prozeduraler Mechanismen in Kooperation mit der entsprechenden internationalen Organisation auf die innerstaatliche Beachtung der Empfehlung hinzuarbeiten. Als gleichsam klassisches Beispiel für diesen Wirkungsmechanismus von qualifizierten Empfehlungen kann auf die Satzung der ILO verwiesen werden. Sie räumt der Organisation die Möglichkeit ein, unverbindliche „recommendations" abzugeben. Zugleich sieht die ILO-Satzung vor, daß die Mitgliedstaaten regelmäßig Auskunft darüber geben müssen, welche innerstaatliche Beachtung die unverbindliche Empfehlung erfährt. 109 Ähnliche Verfahren sind heute in zahlreichen weiteren Sonderorganisationen der Vereinten

106

Begriff von Dahm/Delbrück/Wolfrum,

Völkerrecht, Bd. 1/1, 71.

107

In diese Richtung auch überzeugend Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 22 ff. 108

Statt vieler Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn. Rdnr. 153; differenziert Da hm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 73. 109

Zu diesem Verfahren siehe insbesondere Art. 19 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation, BGBl. 1957 II, 317, mit Änderungen; hierzu umfassend Urmoneit, Internationale Kontrolle mitgliedstaatlicher Verpflichtungen im Bereich des Sozialrechts, 84 ff.; Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 31 f.

A. Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien

263

Nationen und anderen internationalen und regionalen Organisationen vorgesehen. 110 Insgesamt zeigt sich damit, daß im internationalen System angesichts der Komplexität auftretender Regelungsprobleme das soft law eine große Rolle spielt. Dies nicht nur vor dem Hintergrund eines politischen Erkenntnisinteresses, sondern gerade auch hinsichtlich des unübersehbaren Ineinandergreifens differenzierter Steuerungsinstrumentarien unterschiedlicher, aber immer als Bestandteil der Rechtsordnung insgesamt anzusehender verbindlicher oder unverbindlicher Qualität. Das gilt schon für die verschiedenen Erscheinungsformen des „weichen" Völkerrechts allgemein und wird besonders deutlich, wenn die differenzierten Verfahrensmechanismen administrativ-technischer Rechtskonkretisierung durch unverbindliche Empfehlungen von Organen internationaler Organisationen berücksichtigt werden. Daß diese Charakterisierung nebeneinander stehender und ineinandergreifender formaler und informaler Steuerungsinstrumentarien in einer Rechtsordnung keine spezifische Besonderheit des Völkerrechts ist, zeigt auch das deutsche Verwaltungsrecht. Informales Verwaltungshandeln als Reaktion auf sachlich und zeitlich immer komplexer werdende Sachzusammenhänge sowie damit einhergehend deutlich werdende Grenzen konditionaler Gesetzesprogrammierung sind eine in Deutschland mittlerweile ausgiebig untersuchte rechtliche Erscheinung. 111 Ebenso wie auf der völkerrechtlichen Ebene vollzieht sich auch innerstaatlich das informale Verwaltungshandeln gerade in den technisch-administrativen Bereichen des besonderen Verwaltungsrechts, z. B. dem Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht. 112 Auch hier läßt sich nicht immer unmittelbar feststellen, ob ein bestimmtes „informales" Verwaltungshandeln im Außenverhältnis verbindlich ist; verwiesen sei nur auf die sogenannten normvertretenden Absprachen 113 oder auf Verwaltungsvorschriften. 114 110 Siehe z. B. die Nachweise zur FAO, WHO, UNESCO, OECD und Europarat bei Dickert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 32 f.; siehe auch noch weitere Einzelheiten im nachfolgenden Untersuchungsabschnitt zur Rechts Verwirklichung infra Teil 5, A. II. 2. 111 Grundlegend Bohne, Der informale Rechtsstaat, passim; Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, passim; zu einer Übersicht siehe Erichsen, in: ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32 m. w. N. 112

Siehe den Überblick bei Bauer, VerwArch 78 (1987), 241 (244 f.); Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), 187 (191 ff.); Dreier, Staatswissenschaft und Staatspraxis 1993,647 (652 f.). 113

Hierzu statt vieler Oebbecke, DVB1. 1986, 793 ff.; Brohm, DÖV 1992, 1025 ff.; Grewlich, DÖV 1998, 54 ff.; Fluck/Schmitt, VerwArch 89 (1998), 220 ff. 114

Statt vieler Ossenbiihl, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rdnr. 30 ff. m. w. N.

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ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

Trotz zahlreicher Zweifelsfragen, die im Zusammenhang mit dem informalen Verwaltungshandeln auftreten, wird seine rechtsstaatliche Zulässigkeit heute nicht mehr prinzipiell in Frage gestellt. Ebensowenig bestritten wird, daß es sich um ein Handeln innerhalb der Rechtsordnung mit der Folge der Anwendbarkeit ihrer grundlegenden Vorgaben handelt. 115 A l l dies trifft auch für das soft law im Völkerrecht zu. Auch hier bedingt die Komplexität der anstehenden Probleme verbunden mit der Schwerfälligkeit namentlich des klassischen Völkervertragsrechtes 116 die Notwendigkeit, im Interesse von Flexibilität und Effektivität auf informale Steuerungsinstrumentarien auszuweichen. In seiner rechtsempirischen Wirkung steht dieses informale Handeln im internationalen System der rechtsverbindlichen, rechtsquellenorientierten internationalen Interaktion in nichts nach. 117 Insbesondere im Rahmen einer Betrachtung des internationalisierten Verwaltungshandelns ist damit dem soft law große Aufmerksamkeit zu schenken. Dabei kommt es auch auf die sich stellenden innerstaatlichen Rechtsprobleme an. 118

II. Rechtsverwirklichung Das Völkerrecht ist aufgrund seiner dezentralen Struktur nicht nur bei der Rechtssetzung, sondern auch im Bereich der Rechtsverwirklichung von unilateralistischen Mechanismen geprägt. Sie werden aufgrund ihres nicht-kooperativen Charakters folgerichtig oftmals unter der Überschrift von der „Durchsetzung von Völkerrecht" behandelt.119 So richtig die Rede von der „Durchsetzung" des Völkerrechts im Hinblick auf verschiedene klassische Instrumentarien ist, die den Staaten zur Verfügung stehen, so sehr muß doch heute betont werden, daß die alltägliche Staatenpraxis nicht nur hiervon, sondern von umfassenderen kooperati-

115

Statt vieler Erichsen , in: ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32 Rdnr. 5 m. w. N. 116

Zu den diesbezüglichen Problemen der Vertragsausarbeitung und im Ergebnis nicht erfolgreichen Versuchen einer Reform auf Initiative der UN-Generalversammlung siehe Szasz, in: Dinstein (Hrsg.), FS Rosenne, 909 ff. 117 Zu diesem Aspekt ausführlich Zemanek, in: Hafner/Loibl/Rest u. a. (Hrsg.), FS SeidlHohenveldern, 843 ff. 118 119

Hierzu ausführlich infra Teil 7, B. i n . 4.

Siehe z. B. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 88; sowie die Beiträge von Jennings, Zemanek, Doehring, E. Stein, Frowein, T. Stein, Ofosu-Amaah und Dolzer in: ZaöRV 47 (1987), 1-133.

A. Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien

265

ven Rechtsverwirklichungsstrukturen 120 bestimmt wird. Sie lassen sich unter dem Stichwort der compliance zusammenfassen. 121 Den nachweisbaren Wandel von konfrontativer hin zu kooperativer Rechtsverwirklichung im internationalen System haben Chayes und Handler Chayes prägnant dahingehend charakterisiert,

daß heute „the dominant approach [of compliance strategies] is cooperative rather than adversarial". 122

1. Probleme klassisch konfrontativ-repressiver

Rechtsdurchsetzung

In seiner von der klassischen Koordinationsstruktur geprägten konfrontativen Ausrichtung oblag und obliegt es den einzelnen Staaten, dem Völkerrecht zur Durchsetzung zu verhelfen. Hierfür stehen als anerkannte rechtliche Möglichkeiten die Retorsion, die Repressalie und das Recht zur Selbstverteidigung (vgl. Art. 51 UN-Charta) zur Verfügung; aber auch die Forderung von Schadensersatz nach den Grundsätzen der Staatenverantwortlichkeit kann hierzu gerechnet werden. 123 Sieht man einmal von der Retorsion ab, die aufgrund ihres Charakters als rechtmäßige Gegenreaktion auf unfreundliches Verhalten etwas außerhalb der sonstigen Rechtsinstrumentarien zur Durchsetzung des Völkerrechts liegt, zeichnen sich die anderen genannten Durchsetzungsformen dadurch aus, daß sie in unterschiedlicher Weise unilaterale Reaktionen eines Staates auf vorherige Rechtsverletzungen eines anderen Staates sind. Die tatbestandlich geforderte, 120

Zum Begriff und Konzept der Rechtsverwirklichung im über die Rechtsdurchsetzung hinausgehenden Sinne ausführlich Tietje , Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse, 132 ff. m. w. N. 121

Grundlegend hierzu Chay es/Handler Chayes, The New Sovereignty, passim. Beyerlin, Umweltvölkerrecht, Rdnr. 460 ff., und Beyerlin/Marauhn, Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung im Umweltvölkerrecht nach der Rio-Konferenz 1992,73 und 94 ff., sprechen weiterhin von „Rechtsdurchsetzung", stellen dann aber maßgeblich auf kooperative Strukturen ab, innerhalb derer nach „Erfüllungskontrolle" und „Erfüllungshilfe" zu differenzieren sei. Hiermit ist nichts anders gemeint als „Rechtsverwirklichung" im hier benutzten Sinne; umfassend auch die Beiträge zu dem „Symposium on Implementation, Compliance and Effectiveness" in: Michigan Journal of Int'l Law 19 (1998), 303-579 (Beiträge von Alvarez, Downs, Kingsbury, Vandevelde, Joyner, Äff older, Ardia und Jacobson); weiterhin z. B. Koh , Yale Law Journal 106 (1997), 2599 ff.; Brown Weiss/Jacobson (Hrsg.), Engaging Countries: Compliance with International Environmental Accords, passim; Franck, The Power of Legitimacy among Nations, passim; Neuhold, G Y I L 4 2 (1999), 84 ff.; Wolf rum, RdC 272 (1998), 9 ff.; Butler (Hrsg.), Control over Compliance with International Law, passim. 122 123

Chayes/Handler

Chayes, The New Sovereignty, 109.

Hierzu z. B. Zemanek, ZaöRV 47 (1987), 32 ff.; Doehring, ZaöRV 47 (1987), 44 ff.; ders., Völkerrecht, Rdnr. 1025 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 90 ff.

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ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

vorausgehende Rechtsverletzung muß dabei immer eine solche im Reziprozitätsverhältnis 124 der Staaten sein. Es genügt also nicht irgend eine Rechtsverletzung, sondern verlangt wird eine Verletzung eines solchen Rechts, auf dessen Einhaltung der reagierende Staat einen subjektiven Anspruch hat. 125 Ihren historischen Ursprung hat diese reziprozitätsorientierte unilaterale Durchsetzungsstruktur im bilateralen Vertragsverhältnis als dem Prototyp einer völkerrechtlichen Rechtsbeziehung. Eine erste Herausforderung erfuhr die herkömmliche Lehre von der unilateralen Rechtsdurchsetzung, die dem Reziprozitätsgrundsatz verpflichtet ist, durch die zunehmende Bedeutung multilateraler Verträge. Wenngleich auch für sie als Voraussetzung unilateraler Rechtsdurchsetzungsmaßnahmen aufgrund einer vorhergehenden Rechtsverletzung (vgl. z. B. Art. 60 Abs. 2 W V K ) in der Regel eine subjektive Betroffenheit eines einzelnen Staates, die über das Interesse an der Vertragserfüllung hinausgehen muß, verlangt wird, 1 2 6 erweist sich die konsequente Anwendung des Reziprozitätsgrundsatzes zunehmend als problematisch. 127 Das hängt in erster Linie zusammen mit der zunehmenden inhaltlichen Ausrichtung multilateraler Verträge an Staatengemeinschaftsinteressen. Hierdurch wird dem jeweils regulatorisch erfaßten Rechtsgut eine hervorgehobene Stellung in der Völkerrechtsordnung eingeräumt. Zum Schutz und zur Beachtung des fraglichen Rechtsgutes sind damit nicht nur die an einer konkreten Rechtsbeziehung beteiligten Staaten verpflichtet. Vielmehr hat die gesamte Staatengemeinschaft ein rechtlich begründetes Interesse daran, daß die vielfältigen Akteure im internationalen System in jedem Einzelfall die so begründeten Rechtspflichten beachten.128 Staatengemeinschaftsinteressen sind insofern auch als absolute Rechte zu kennzeichnen.

124

Zum Reziprozitätsgrundsatz im Völkerrecht grundlegend Simma, Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge, passim; sowie Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, §§64 ff. 125 Siehe hierzu Art. 5 des zweiten Teiles des ILC-Entwurfes zur Staatenverantwortlichkeit, Y I L C 1985, Vol. II, Part 1, 4 ff.; hierzu im Überblick Simma, AVR 24 (1986), 357 (389 ff.); Annacker, GYIL 37 (1994), 206 (214 ff.); Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 165 f. 126 Zur Erfüllungsstruktur multilateraler Verträge im Überblick M. J. Hahn, Die einseitige Aussetzung von GATT-Verpflichtungen als Repressalie, 93 ff. 127 128

Zu den hiermit angedeuteten Problemen umfassend Frowein, RdC 248 (1994), 345 ff.

Vgl. E. Klein, Statusverträge im Völkerrecht, 54 ff.; Jaenicke, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. II, 1348 ff.; Mosler, Revista Española de Derecho Internacional 21 (1968), 523 (532).

A. Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien

267

Die Relevanz von Staatengemeinschaftsinteressen für die Frage nach neuen Rechts Verwirklichungsinstrumentarien im Völkerrecht zeigt sich an ihrer dogmatischen Begründung. Sie ist in der Erga-omnes-W\xk\mg einzelner Normen des Völkerrechts zu sehen. Hierunter sind diejenigen Regeln des Völkerrechts zu verstehen, die den Staat gegenüber der Gemeinschaft der Staaten in ihrer Gesamtheit binden. 129 Auch wenn die Frage der Durchsetzung von Erga-omnes-Normen noch Schwierigkeiten bereitet, 130 steht doch die tatbestandliche Wirkung dieser Normen fest: Sie stellen eine Abkehr von den klassischen bipolaren Rechtsbeziehungen in der internationalen Staatengemeinschaft dar. 131 Zugleich verdeutlichen sie die übergeordnete Gemeinschaftsbezogenheit einzelner Völkerrechtssätze. Das Reziprozitätselement im Rahmen unilateraler Rechtsdurchsetzungsmaßnahmen der Staaten gerät damit ins Wanken, da sich eine Gegenseitigkeitsbeziehung in der Rechte- und Pflichtenstruktur einzelner völkerrechtlicher Normen nicht mehr klar ausmachen läßt. Sowohl für das Vertragsrecht und die hier in Art. 60 W V K vorgesehenen Reaktionsmöglichkeiten einzelner Staaten auf Vertragsverletzungen anderer Vertragsparteien, als auch im Rahmen der Repressalie und der Selbstverteidigung außerhalb des Vertragsrechtsregimes der W V K zeigen sich so Rechtsprobleme, die die Idee der unilateral-konfrontativen Rechtsdurchsetzung nachhaltig in Frage stellen 132 und nach adäquateren Lösungen verlangen. Die Hinwendung der internationalen Praxis und Rechtslehre zur zunehmenden Beachtung nicht-konfrontativer, kooperativer Rechtsverwirklichungsinstrumentarien im Völkerrecht liegt aber nicht nur in der Dogmatik nicht-reziproker Staatengemeinschaftsinteressen begründet. Vielmehr verdeutlicht schon die quantitative und qualitative Zunahme völkerrechtlicher Normen, insbesondere im Rahmen völkerrechtlicher Verträge, daß das jeder rechtlichen Regelung zugrundeliegende 129

Barcelona Traction Case, ICJ Reports 1970, 32; Frowein, in: Bernhardt/Geck u. a. (Hrsg.), FS Mosler (1983), 241 ff.; Delbrück, in: Götz/Selmer/Wolfrum (Hrsg.), FS Jaenicke, 17 ff.; Ragazzi, The Concept of International Obligations erga omnes, passim. 130 Hierzu Frowein, in: Bernhardt/Geck u. a. (Hrsg.), FS Mosler, 241 ff.; ders., RdC 248 (1994), 345 ff.; Simma, in: Delbrück (Hrsg.), The Future of International Law Enforcement, New Scenarios - New Law?, 125 ff. 131

Frowein , in: Hailbronner/Ress/Stein (Hrsg.), FS Doehring, 219 (224); Hailbronner, AVR 30 (1992), 2 (5); Simma, in: Delbrück (Hrsg.), The Future of International Law Enforcement, New Scenarios - New Law?, 125 (129 ff.); Tietje, AVR 33 (1995), 266 (281 ff.); Delbrück, in: Götz/Selmer/Wolfrum (Hrsg.), FS Jaenicke, 17 ff.; umfassend zu dieser Entwicklung Simma, RdC 250 (1994-VI), 221 ff.; kritisch Weil, AJIL 77 (1983), 413 ff.; hierzu Frowein, RdC 248 (1994), 345 (365). 132

Zu Art. 60 W V K Wolfrum, RdC 272 (1998), 9 (56 f.); Rosenne, Breach of Treaty, 35 ff.; allgemein zu den Problemen Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 92; Frowein, RdC 248 (1994), 345 ff.

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ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

Interesse an Rechtsbefolgung nach weitaus differenzierteren Strukturen verlangt, um unter Wahrung des Rechtsfriedens die Normeffektivität insgesamt zu sichern. Unter Berücksichtigung ökonomisch inspirierter Kosten-Nutzen-Gedanken und sich hiernach ausrichtender Handlungen rationaler Akteure läßt sich insoweit zunächst konstatieren, daß die konfrontative Rechtsdurchsetzung unter Einsatz der beschriebenen Instrumentarien die denkbar schlechteste Handlungsalternative ist. Die unilaterale Sanktionierung mit dem Ziel der Rechtsbefolgung führt immer zu politischen Kosten, die gerade in Rechtsbereichen technisch-administrativen Zuschnitts (z. B. Gesundheitsrecht, Umweltrecht, Kommunikations- und Transportrecht) in keinem Verhältnis zum erstrebten Ziel stehen.133 Weiterhin zu beachten ist, daß die unilateral-konfrontative Rechtsdurchsetzung immer eine gleichsam pathologische Situation voraussetzt. Sie ist jedoch in der Realität der internationalen Beziehungen der seltene Ausnahmefall, da, wie Louis Henkin zutreffend formulierte, ,,[i]t is probably the case that almost all nations observe almost all principles of international law and almost all of their obligations almost all of the time". 1 3 4 Die Inadäquanz konfrontativer Rechtsdurchsetzung ist weiterhin auf einen normstrukturellen Umstand zurückzuführen. Sehr vereinfacht kann im Völkerrecht zwischen zwei unterscheidlichen Erfüllungsstrukturen von Normen differenziert werden: Zum einen können völkerrechtliche Normen Verhaltenspflichten („obligations of conduct") statuieren, die genaue Vorgaben dahingehend statuieren, welche einzelnen Maßnahmen Staaten ergreifen müssen, um einer völkerrechtlichen Pflicht nachzukommen. Zum anderen stellen Normen Ergebnispflichten („obligations of result") auf, die nur das zu erreichende Resultat verbindlich vorschreiben und die Wahl des Weges und der Mittel, die zur Erreichung des Zieles notwendig sind, der Ermessensentscheidung des verpflichteten Staates überlassen. 135 Schon diese Differenzierung erhellt, daß die konfrontative Rechtsdurchsetzung als repressive Reaktion auf eine erfolgte Rechtsverletzung immer dann konzeptionell scheitern muß, wenn Ergebnispflichten in Frage stehen und es um die nach dem Auswahlermessen der Staaten gewählten Wege und Mittel zur Zielerreichung geht. Noch deutlicher wird die Inadäquanz konfrontativ-repressiver Rechtsdurchsetzung dann mit Blick darauf, daß die idealtypische Differenzierung zwi133

Chay es/Handler Chayes , The New Sovereignty, 2 f. und 29 ff.; zur Anwendung der Kosten-Nutzen-Analyse im Rahmen der Rechtsbefolgung im internationalen System umfassend Neuhold, GYIL 19 (1976), 317 ff.; ders., GYIL 42 (1999), 84 ff. 134

Henkin, How Nations Behave, 47; hierzu aus jüngerer Zeit z. B. Alvarez , Michigan Journal of Int'l Law 19 (1998), 303 ff. 135

Zu dieser Differenzierung siehe Art. 20 und 21 der Draft Articles on State Responsibility der ILC, abgedruckt in: I L M 37 (1998), 440.

A. Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien

269

sehen Verhaltens- und Ergebnispflichten nicht der weitaus komplexeren internationalen Vertragspraxis entspricht. 136 Gerade in technisch-administrativen Regelungsbereichen, wie z. B. dem internationalen Umweltrecht, finden sich vielfältige Kombinationen von Verhaltens- und Ergebnispflichten, die zudem in unterschiedlicher Normintensität als Regeln oder Prinzipien 137 in völkerrechtlichen Verträgen niedergelegt sind. 138 Schließlich ist der Tatsache Rechnung zu tragen, daß völkervertragliche Regelungen heute zunehmend Sachbereiche betreffen, die immer komplexer werden und bedingt durch ihre Komplexität umfangreiche innerstaatliche, insbesondere verwaltungsrechtliche Maßnahmen zur Zielerreichung verlangen. In Anerkennung pluralistischer staatlicher Souveränität und unzureichender zentralisierter internationaler Rechtsverwirklichung führt dies zu einer Struktur völkervertraglicher Normen, durch die den Staaten ein weiter Ermessensspielraum hinsichtlich der innerstaatlichen Maßnahmen gelassen wird, die der Erfüllung der eingegangen Verpflichtung dienen. 139 Dies entspricht dem bereits aufgezeigten Grundgedanken einer dezentralisiert-kooperativen Problemlösungsstrategie der global governance.140

Insgesamt zeigt sich damit, daß sich die Rechtsverwirklichung in einem durch eine stetige quantitative und qualitative Zunahme des Normenbestandes geprägten internationalen System nicht maßgeblich durch den Einsatz konfrontativer Mittel vollziehen kann. 141 Der dezentralen Struktur des Völkerrechts als Grundkonstante entsprechend ist heute vielmehr ein differenziertes Bild der Normbeachtung zu zeichnen. Es kann in seiner Struktur mit den beiden engen Begriffen der Implementierung („implementation") und der Rechtsdurchsetzung („enforcement") sowie in einem weiteren Sinne als Rechtsverwirklichung („compliance") um136

Hierzu auch Wolfrum,

137

Zur völkerrechtlichen Regel-/Prinzipienlehre siehe supra Teil 4, B. III. 1. c) bb).

138

Siehe hierzu die Beispiele bei Wolfrum,

RdC 272 (1998), 9 (32 ff.). RdC 272 (1998), 9 (33 f.).

139

Wolfrum, RdC 272 (1998), 9 (32); Bothe, in: Wolfrum (Hrsg.), Enforcing Environmental Standards: Economic Mechanisms as Viable Means?, 5(15). 140 Siehe supra Teil 3, B. IV. 141 Chayes/Handler Chayes, The New Sovereignty, 2 und passim; dem folgend auch Oeter, N Y I L 28 (1997), 101 (105): „The model of enforcement traditionally drawn from an analogy to national legal systems has proven to be inadequate if one really wants to understand the intricacies of the functioning of international law"; zur theoretisch zu begründenden und empirisch nachweisbar anerkannten Inadäquanz konfrontativer Rechtsdurchsetzung siehe auch Beyerlin/Marauhn, Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung im Umweltvölkerrecht nach der Rio-Konferenz 1992,76 ff.; Schuppert, Neue Steuerungsinstrumente im Umweltvölkerrecht, 7 ff.; Wolfrum, RdC 272 (1998), 9 (56 ff.); jetzt auch Schmidt-Aßmann, in: Epping/Fischer/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), FS Knut Ipsen, 305 (308 ff.).

ei

ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

schrieben werden. 142 Hinsichtlich der Implementierung völkervertraglicher Pflichten sind die Staaten nach Art. 26 W V K verpflichtet, ihre nationale Rechtsordnung den Völker vertraglichen Vorgaben anzupassen. Ob eine Implementierung den völkerrechtlichen Verpflichtungen entspricht, ist demnach anhand eines Ist-Soll-Vergleiches der positiven nationalen und internationalen Rechtsregeln und -prinzipien festzustellen. Bei der Durchsetzung des Völkerrechts geht es um Maßnahmen, die repressiv als Reaktion auf eine vorliegende Verletzung einer völkerrechtlichen Pflicht ergriffen werden können. In einem umfassenderen Sinne jedoch ist die Rechtsverwirklichung als das eigentliche Ziel eines internationalen Rechtssetzungsaktes zu verstehen. Dabei geht es umfassend darum, daß nicht nur die innerstaatliche gesetzte Rechtsordnung, sondern alles staatliche Verhalten - einschließlich des Verwaltungshandelns - darauf ausgerichtet ist, eine effektive Verwirklichung der völkerrechtlichen Vorgaben zu gewährleisten. 143

2. Sicherstellung

von Transparenz

als

Kooperationsbedingung

Um eine effektive Rechtsverwirklichung zu ermöglichen, bedient sich das Völkerrecht zahlreicher Instrumentarien zur Sicherstellung von Transparenz als Kooperationsbedingung, die zunehmend als administrative Verfahren gekennzeichnet werden. 144 Die wohl älteste kooperative Rechts Verwirklichungsstrategie in diesem Sinne ist die Überwachung (monitoring) der Einhaltung bzw. Verwirklichung vertraglich festgelegter Regelungen. Sie kommt in vielfachen unterschiedlichen Erscheinungsformen vor und kann grob in Inspektionen und sonstige Überwachungsverfahren eingeteilt werden. Inspektionen sind Überwachungsverfahren, die vor Ort durch Organe einer internationalen Organisation oder eines Vertragsregimes bzw. staatsfremde Staatenvertreter vorgenommen werden. Namentlich im Bereich der Abrüstung und Rüstungskontrolle werden spätestens seit Beginn des 19. Jahrhunderts regelmäßig Inspektionsverfahren vorgesehen, um so das Vertrauen der Vertragsparteien zueinander und den Erfolg der vereinbarten Maßnahmen insgesamt zu sichern. 145 Heute werden Inspektionsverfahren über den Rü-

142

Wolfrum,

RdC 272 (1998), 9 (29 f.).

143

Wolfrum,

RdC 272 (1998), 9 (29 f.).

144

Zum Begriff der administrativen Elemente in der Rechtsverwirklichung siehe Pan, Harvard Int'l Law Journal 38 (1997), 502 ff.; Szasz (Hrsg.), Administrative and Expert Monitoring of International Treaties, passim; Tietje, G Y I L 42 (1999), 26 (53 ff.). 145

Zur Bedeutung und historischen Entwicklung der Überwachung von Abrüstungs- und Rüstungsbeschränkungsmaßnahmen siehe Delbrück, in: ders. (Hrsg.), Friedensdokumente, Bd. 2, 1327 ff.; Oeter, N Y I L 28 (1997), 101 (110 ff.), jeweils m. w. N.

A. Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien

271

stungskontrollbereich hinausgehend z. B. im Interesse der Einhaltung allgemeiner menschenrechtlicher, arbeitsrechtlicher und umweltrechtlicher Regelungen durchgeführt. 146 Von größerer Relevanz sind jedoch die sonstigen Überwachungs verfahren, die sich von der Inspektion dadurch unterscheiden, daß im souveränitätsschonenden Interesse der Staaten keine „Vor-Ort"-Maßnahmen stattfinden. Die konkrete Ausgestaltung der allgemeinen Überwachungsverfahren nimmt dabei ganz unterschiedliche Gestalt an. 147 In ihrer einfachsten Form sind sie als reine Datensammlung 148 und als Verpflichtung der Staaten zur Notifikation von sowie Berichterstattung zu Maßnahmen, die von ihnen zur Durchführung völkerrechtlicher Verpflichtungen ergriffen wurden, z. B. im internationalen Wirtschaftsrecht, 149 im internationalen Umweltrecht 150 und im internationalen Arbeitsrecht 151 bekannt. Auch wenn schon diese einfachen Berichtsverfahren in ihrer Bedeutung als vertrauensbildende Maßnahmen nicht unterschätzt werden dürfen, bleibt ihre umfassende Effektivität zumindest dann fraglich, wenn keine Regelungen zur Auswertung und Bewertung der übermittelten Informationen gegeben sind. 152 Daher gibt es heute immer mehr Berichtsverfahren, die weiter entwickelt sind und über 146 Ausführliche Darstellung der Praxis bei Oeter, N Y I L 28 (1997), 101 (130 ff.); zum internationalen Umweltrecht auch Beyerlin/Marauhn, Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung im Umweltvölkerrecht nach der Rio-Konferenz 1992, 101 f.; zur Inspektion im Rahmen der ILO siehe Urmoneit, Internationale Kontrolle mitgliedstaatlicher Verpflichtungen im Bereich des Sozialrechts, 117 ff.; speziell zum Menschenrechtsschutz z. B. auch Valticos, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/Petersmann (Hrsg.), FS Bernhardt, 647 (650 ff.). 147

Zu einem differenzierten System unter dem Oberbegriff der Erfüllungskontrolle siehe Beyerlin/Marauhn , Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung im Umweltvölkerrecht nach der Rio-Konferenz 1992, 94 ff.; zum Berichtssystem allgemein auch Bartsch, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Instalment 9,326 ff.; umfassend auch die Beiträge in Butler (Hrsg.), Control over Compliance with International Law. 148 Hierzu Beyerlin/Marauhn , Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung im Umweltvölkerrecht nach der Rio-Konferenz 1992, 97. 149

Siehe z. B. die Decision on Notification Procedures der Ministerkonferenz des GATT in Marrakesch, abgedruckt in: Benedek (Hrsg.), WTO, 538 ff. 150

Zu zahlreichen Nachweisen siehe Wolfrum , RdC 272 (1998), 9 (37); Beyerlin/ Marauhn, Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung im Umweltvölkerrecht nach der RioKonferenz 1992,94 ff.; Brown Weiss/Jacobson, Engaging Countries: Strengthening Compliance with International Environmental Accords, passim. 151

Siehe insbesondere die Berichtspflichten nach Art. 19 Abs. 5 lit. c) und lit. e); Art. 19 Abs. 6 lit. c) und lit. d); Art. 19 Abs. 7 lit. b) iii) bis v); Art. 22 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation, BGBl. 1957 II, 317, mit Änderungen; hierzu umfassend Urmoneit, Internationale Kontrolle mitgliedstaatlicher Verpflichtungen im Bereich des Sozialrechts, 84 ff. 152

So im Hinblick auf das internationale Umweltrecht Wolfrum,

RdC 272 (1998), 9 (37).

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ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

die Informationssammlung hinausgehende prozedurale Vorkehrungen treffen. Im internationalen Wirtschaftsrecht existiert z. B. in der WTO-Rechtsordnung ein als „Trade Policy Review Mechanism4' bezeichnetes und seit 1989 (damals noch im Rahmen des GATT 1947) erfolgreich praktiziertes sowie jetzt auch kodifiziertes Verfahren, das eine regelmäßige und umfassende Berichterstattung der WTOMitglieder zu ihrer nationalen Wirtschafts- und Handelspolitik vorsieht. Die abhängig von der ökonomischen Bedeutung des betreffenden WTO-Mitglieds alle zwei bis sechs Jahre vorzulegende einzelstaatliche Berichterstattung wird durch einen Bericht des WTO-Sekretariats ergänzt, der sich auf dem Sekretariat verfügbare Quellen stützt. Beide Berichte werden dann in einem gesonderten Organ der WTO diskutiert und nebst einer Zusammenfassung der Diskussion veröffentlicht. 153 Berichtssysteme mit näher konkretisierten Verfahrensregelungen finden sich auch im internationalen Umweltrecht. Schon 1974 wurde z. B. in dem Pariser Übereinkommen zur Verhütung der Meeres Verschmutzung vom Lande aus 154 festgelegt, daß die Vertragsparteien der durch das Übereinkommen eingesetzten Kommission mitteilen müssen, welche legislativen und administrativen Maßnahmen sie ergriffen haben, um die Einhaltung des Abkommens zu gewährleisten. Darüber hinaus sind die Vertragsparteien verpflichtet, Daten zur Meeresverschmutzung und zur Effektivität von Maßnahmen zur Verminderung der Verschmutzung zu übermitteln (Art. 11, 12 und 17 des Übereinkommens). Um die Einhaltung dieser Berichtspflichten und insgesamt den Schutz der betroffenen Umweltgüter zu sichern, besteht für jede Vertragspartei die Möglichkeit, ein Konsultationsverfahren mit dem Ziel des Abschlusses einer Kooperations Vereinbarung einzuleiten. Dabei kann die durch das Übereinkommen eingerichtete Kommission eine Vermittlerrolle einnehmen.155 Ein institutionalisiertes Berichtssystem findet sich auch in dem Washingtoner Artenschutzabkommen von 1973 (CITES). 156 Es verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, jährlich detaillierte Informationen zu Handelsaktivitäten mit Blick auf ge153

Die Einzelheiten des Verfahrens finden sich im Trade Policy Review Mechanism als Annex 3 des WTO-Abkommens, ABl. EG Nr. L 336/3 ff. (1994), auch abgedruckt bei: Benedek (Hrsg.), WTO, 488 ff.; zu einer näheren Darstellung und Bewertung des Verfahrens siehe Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 136 ff. 154

BGBl. 1981 II, 871; ersetzt durch das Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks v. 22.9.1992, BGBl. 1994 II, 1360. 155 156

Siehe hierzu auch Wolfrum,

RdC 272 (1998), 9 (38).

Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen v. 3.3.1973, BGBl. 1975 II, 777.

A. Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien

273

schützte Tiere und Pflanzen und alle zwei Jahre Informationen zu ergriffenen legislativen und administrativen Maßnahmen zur Durchsetzung des Abkommens insgesamt an das Sekretariat des Abkommens zu übermitteln (Art. VIII:7 CITES). Das Sekretariat hat u. a. die Aufgabe, die vorgelegten Berichte zu überprüfen und gegebenenfalls weitere Informationen von den Vertragsstaaten anzufordern, soweit dies für die Umsetzung des Abkommens als notwendig angesehen wird (vgl. Art. XII:2 lit. d) CITES). Zusätzlich werden die gesammelten Informationen im Rahmen der periodisch stattfindenden Vertragsstaatenkonferenz bewertet. Die Konferenz kann dann Empfehlungen „for improving the effectiveness of the present Convention" aussprechen (Art. XI:3 lit. d) und lit. e) CITES). Die schon in den 1970er Jahren etablierten Berichtssysteme imUmweltvölkerrecht wurden in jüngerer Zeit noch weiter ausgebaut. Das insoweit wohl fortschrittlichste System wurde im Rahmen des Montrealer Protokolls 157 in Kraft gesetzt. Es sieht eine spezielle noncompliance procedure vor, die sich auf die eingehende faktische Evaluation der vorgeschriebenen Staatenberichte (siehe Art. 7 Montrealer Protokoll) durch das Sekretariat 158 und die Vertragsstaaten bezieht und konkrete institutionalisierte Handlungsmöglichkeiten im Falle der Nichteinhaltung des Protokolls vorhält. 159 Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um die Bedeutung von Inspektionsund sonstigen Überwachungsmechanismen im internationalen System deutlich zu machen. Empirisch gehören Überwachungsverfahren heute zum Grundbestand internationaler Vertragsgestaltung. 160 Ihre normative Funktion liegt zentral darin, durch die Herstellung und Sicherung von Transparenz ein kooperatives Verhalten der Staaten zu ermöglichen und zu fördern, das seinerseits insgesamt der Rechtsverwirklichung dient. Insoweit hat insbesondere die Spieltheorie gezeigt, daß ein entscheidender Faktor im internationalen System das gegenseitige Vertrauen ist. 157 Montrealer Protokoll über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht fuhren v. 16.9.1987, BGBl. 1988 II, 1014, und BGBl. 1991 II, 1332. 158

Es handelt sich um das durch das Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht (BGBl. 1988 II, 902) eingerichtete Sekretariat (vgl. Art. 7 des Wiener Übereinkommens). 159 Zu einer eingehenden Analyse der noncompliance procedure siehe Yoshida, Colorado Journal of Int'l Environmental Law and Policy 10 (1999), 95 ff. 160

Siehe nur die umfassende Analyse von Chayes/Handler Chayes , The New Sovereignty, 135 ff.; Beyerlin/Marauhn, Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung im Umweltvölkerrecht nach der Rio-Konferenz 1992,97 („... Berichtspflichten gehören mittlerweile zu den Standardbestimmungen moderner Umweltschutzübereinkommen"); Dolzer, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/Petersmann (Hrsg.), FS Bernhardt, 957 (968): „In modernen multilateralen Verträgen wird häufig ein Berichtssystem niedergelegt...".

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ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

Dieses ist u. a. durch Transparenz zu sichern. 161 Transparenz dient indes nicht nur der prinzipiellen Ermöglichung von Kooperation als einmaliger Erscheinung, sondern ist aufgrund des inhärenten Prozeßcharakters von Kooperation permanent notwendig. Auf die Rechtsverwirklichung übertragen ergibt sich so die Erkenntnis, daß Transparenz den einseitigen Willen der Staaten zur Rechtsbefolgung und gleichzeitig in einem kooperativ-transparenten System den Rechtsverwirklichungsdruck erhöht. Je größer die durch Überwachungsintrumentarien bewirkte Transparenz in internationalen regulatorischen Systemen ist, desto schwieriger ist es für einzelne Staaten, sich unter Verweis auf partikulare Interessen der Rechtsbefolgung zu entziehen. Im Interesse der effektiven Verfolgung globaler Gemeinwohlinteressen sind die Staaten daher bereit, in internationalen Vertragsregimen regelmäßig Überwachungssysteme vorzusehen. Der Gesamtnutzen des so etablierten kooperativen Rechts Verwirklichungssystems ist nämlich insgesamt und für jeden einzelnen Staat immer größer als im Falle der Verfolgung konfrontativ-partikularer Interessen. 162

3. Ökonomische

Steuerungsmodelle

zur Erlangung

von

und Unterstützung

Kooperationsfähigkeit

Kooperative Rechtsverwirklichung als Steuerungsressource vollzieht sich im internationalen System nicht nur im Rahmen von Überwachungssystemen. Daneben finden sich gerade im technisch-administrativen Bereich zahlreiche weitere Mechanismen, die darauf abzielen, eine effektive Rechtsverwirklichung zu garantieren. Insoweit kann grob zwischen ökonomischen Steuerungsmodellen und Maßnahmen mit Blick auf die Unterstützung zur Erlangung von Kooperationsfähigkeit differenziert werden. Ökonomische Steuermodelle als indirekte Verhaltenssteuerung zielen darauf ab, im Gegensatz zur direkten, konditionalen Steuerung durch Motivationsanreize das Verhalten der Normadressaten zu beeinflussen. 163 Ebenso wie im nationalen Recht, wo schon seit längerem im Verwaltungsrecht immer mehr auf eine indirekte Verhaltenssteuerung zurückgegriffen wird, 1 6 4 ist auch im Völkerrecht verstärkt 161 Zur Darstellung und Bewertung der Bedeutung der Spieltheorie für die internationalen Beziehungen statt vieler Zürn, in: Boeckh (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 6, 502 ff. m. w. N. 162

Umfassend hierzu Chayes/Handler

Chayes, The New Sovereignty, 135 ff. und

passim. 163

Statt vieler ausführlich Kloepfer,

164

Grundlegend Kirchhof,

Umweltrecht, § 5 Rdnr. 153 ff.

Verwalten durch „mittelbares" Einwirken, passim.

A. Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien

275

ein Verweis auf Motivationsanreize zur Verhaltenssteuerung zu verzeichnen. 165 Dementsprechend heißt es auch in der Konkretisierung des Prinzips 16 der RioErklärung 166 in der Agenda 21 (Kapitel 8 C.): „Environmental law and regulation are important but cannot alone be expected to deal with the problems of environment and development. Prices, markets and governmental fiscal and economic policies also play a complementary role in shaping attitudes and behaviour towards the environment". 167 Der Einsatz von indirekten Steuerungsinstrumentarien insbesondere im Umweltvölkerrecht erfolgt damit, dies deutet das angeführte Zitat an, primär auf nationaler Ebene. In dem Mehrebenensystem völkerrechtlicher Umweltschutzregulierung wird auf der internationalen Ebene insofern die Notwendigkeit indirekter Verhaltenssteuerung anerkannt, die Auswahl der adäquaten Mittel aber den einzelnen Staaten im Rahmen der innerstaatlichen Umsetzung überlassen. Dieser Regelungsmechanismus kommt z. B. in Art. 4 Abs. 2 lit. e) des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen 168 zum Ausdruck. Dort heißt es, daß die entwickelten Staaten die Verpflichtung übernehmen, „ihre eigenen Politiken und Praktiken, die zu Tätigkeiten ermutigen, die zu einem höheren Niveau der anthropogenen Emissionen von nicht durch das Montrealer Protokoll geregelten Treibhausgasen führen, als sonst entstünde", zu bestimmen und in regelmäßigen Abständen zu überprüfen. Ein ähnlicher Verweis auf nationale Instrumente indirekter Steuerung findet sich auch in dem sogenannten Osler Protokoll zur Konvention über weiträumige grenzüberschreitende Luftverschmutzung von 1994. 169 Hier wird daraufhingewiesen, daß die Vertragsparteien „wirtschaftliche Instrumente anwenden [können], um die Annahme kostenwirksamer Lösungsansätze zur Verringerung der Schwefelemissionen zu fördern".

165 Für das Umweltvölkerrecht hierzu umfassend Schuppert, Neue Steuerungsinstrumente im Umweltvölkerrecht, passim. 166

Rio Declaration on Environment and Development vom 13. Juni 1992, abgedruckt in: Johnson (Hrsg.), The Earth Summit, 118 (120): „National authorities should endeavour to promote the internalization of environmental costs and the use of economic instruments, taking into account the approach that the polluter should, in principle, bear the cost of pollution, with due regard to the public interest and without distorting international trade and investment". 167

Abgedruckt in: Johnson (Hrsg.), The Earth Summit, 205.

168

BGBl. 1993 II, 1784.

169

Übereinkommen vom 13.11.1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung, BGBl. 1982 II, 373; Protokoll vom 13.6.1994 betreffend die weitere Verringerung von Schwefelemissionen, BT-Drucks 13/7557, 8766; auch abgedruckt in: I L M 28 (1989), 212 ff.

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ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

Außerhalb des Umweltrechts verpflichtet z. B. auch das internationale Wirtschaftsrecht die Staaten, in einzelnen Sachbereichen indirekte Steuerungsmechanismen einzusetzen, um internationale Zielvorgaben zu verwirklichen. So heißt es beispielsweise in Art. 66 Abs. 2 TRIPS, daß die entwickelten Staaten „für Unternehmen und Institutionen in ihrem Hoheitsgebiet Anreize vor [sehen], um den Technologietransfer in die am wenigsten entwickelten Länder,..., zu fördern und zu unterstützen ...". Neben Verweisen auf die Möglichkeit und gegebenenfalls Notwendigkeit nationaler Maßnahmen indirekter Verhaltenssteuerung sieht das Völkerrecht aber zunehmend auch unmittelbar auf der internationalen Ebene anzusiedelnde Instrumentarien vor, die der Motivationssteigerung dienen. Als Beispiele hierfür kann auf verschiedene komplexe Bestimmungen des Montrealer Protokolls über den Schutz der Ozonschicht 170 verwiesen werden, die sich mit der gemeinsamen Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen befassen. Wie im Schrifttum ausführlich ergründet und dargelegt, beruhen diese Vorschriften auf dem Gedanken der Kosteneffektivität und sind somit ein ökonomisches Steuerungsinstrument im internationalen System.171 Zusätzlich zu den Mechanismen indirekter Verhaltenssteuerung zielen völkerrechtliche Regelungen schließlich zunehmend darauf ab, die Kooperationsfähigkeit der Staaten und ihrer nationalen Handlungseinheiten zu stärken, um so eine effektive Rechtsverwirklichung zu ermöglichen. Grob gesagt sind hiermit all die Maßnahmen angesprochen, die als „capacity building" - in der Agenda 21 verstanden als „the country's human, scientific, technological, organizational, institutional and resource capabilities" 172 - umschrieben werden. Völkerrechtliche Regelungen, die auf eine Steigerung der Kooperationsfähigkeit von Staaten abzielen, um so die Voraussetzungen für eine effektive Rechtsverwirklichung zu schaffen, finden sich heute in zahlreichen Regelungsbereichen. Oftmals beziehen sie sich auf die Unterstützung von weniger entwickelten Staaten. Im internationalen Umweltrecht gehören Regelungen zur Steigerung der Kooperationsfähigkeit heute zum Standardrepertoire völkerrechtlicher Verträge. 173 Seit dem Inkrafttreten des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturer170

Montrealer Protokoll über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen, BGBl. 1988 II, 1014, mit Änderungen. 171

Ausführlich Schuppert, Neue Steuerungsinstrumente im Umweltvölkerrecht, 135 ff.

172

Agenda 21, Chapter 37.1, abgedruckt bei: Johnson (Hrsg.), The Earth Summit, 481; zu einer ausführlichen Umschreibung von „capacity building" siehe Giindling, ZaöRV 56 (1996), 796 (800 f.). 173

Ein umfassender Überblick wird gegeben von Gündling, ZaöRV 56 (1996), 796 ff.

A. Erweiterung des Kreises völkerrechtlicher Steuerungsinstrumentarien

277

bes der Welt vom 16. November 1972 174 und der hierdurch erfolgten Etablierung des World Heritage

Fund ( W H F ) (Art. 15, 16, 22(e) und (f)) spielen zunächst

finanzielle Mechanismen in der Form der Errichtung von Unterstützungsfonds eine wichtige Rolle. 175 Als allgemeine Finanzierungsinstitution ist weiterhin auf die im Jahre 1991 gegründete und im Jahre 1994 auf eine vertragliche Grundlage gestellte Global Environmental Facility 176 hinzuweisen, die Projekte des globalen Umweltschutzes in den Bereichen Klimaschutz, biologische Vielfalt, internationale Gewässer und Schutz der Ozonschicht finanziell unterstützt. 177 Aber auch in anderen Rechtsgebieten des Völkerrechts spielen finanzielle Unterstützungsmaßnahmen eine wichtige Rolle im Rechtsverwirklichungsprozeß. I m internationalen Wirtschaftsrecht sind z. B. zahlreiche Regelungen auszumachen, die finanzielle Hilfe- und Unterstützungsleistungen an schwächer entwickelte Staaten vorsehen, um ihre allgemeine wirtschaftliche Entwicklung und insbesondere die Fähigkeit zur effektiven Umsetzung eingegangener Verpflichtungen zu fördern. 178 Schließlich ist auf die sonstige, nicht notwendig finanzielle, sondern allgemein technische Unterstützung zur Erlangung von Kooperationsfähigkeit als Voraussetzung einer effektiven Rechtsverwirklichung aufmerksam zu machen. Internationale Vertragsregime sehen heute in der Regel institutionalisierte, im Rahmen einer internationalen Organisation oder sonstigen Institution ausgeführte Programme vor, die darauf abzielen, umfassend die gesellschaftlichen und rechtlichen Voraussetzungen in zumeist schwächer entwickelten Staaten zu schaffen, die zu einer Verwirklichung der international definierten normativen Zielvorgaben notwendig sind. 179 Darüber hinaus kann auch der internationale Technologietransfer insgesamt sachlich den Maßnahmen zur Förderung der Kooperationsfähigkeit im internationalen System zugeordnet werden. 180 174

BGBl. 1977 11,213.

175

Zum WHF und weiteren Fonds siehe z. B. Wolfrum , RdC 272 (1998), 9 (125 ff.); Navid, ZaöRV 56 (1996), 819 (811 ff.). 176 Das Abkommen von 1994 ist abgedruckt in: I L M 33 (1994), 1273. 177

Ausführlich hierzu Klemm, RIW 1998,921 ff.; Sand, in: Wolfrum (Hrsg.), Enforcing Environmental Standards: Economic Mechanisms as Viable Means?, 479 ff. 178 Eine umfassende Analyse hierzu bietet R. Schütz, Solidarität im Wirtschaftsvölkerrecht, passim. 179

Siehe hierzu umfassend für das Umweltrecht, aber auch mit Verweisen auf andere Rechtsbereiche, Sand, ZaöRV 56 (1996), 774 ff.; Wolfrum, RdC 272 (1998), 9 (133 ff.), jeweils m. w. N.; für das internationale Wirtschaftsrecht siehe z. B. den Beschluß der Ministerkonferenz von Marrakesch zu Maßnahmen zugunsten der am wenigsten entwickelten Länder, abgedruckt bei: Benedek (Hrsg.), WTO, 535 f.; Art. XXV:2 GATS; Art. 67 TRIPS. 180

Hierzu umfassend Stoll, Technologietransfer - Internationalisierungs- und Nationalisierungstendenzen, passim.

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ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

Zusammenfassend zeigt sich also, daß neben den die Kooperationsbereitschaft bedingenden völkerrechtlichen Regelungen zur Herstellung von Transparenz zahlreiche rechtliche Mechanismen existieren, die durch ökonomische Anreize und durch Vorgaben zur Herstellung der Kooperationsfähigkeit zur effektiven Rechtsverwirklichung im internationalen System beitragen. Gerade mit Blick auf Strukturen eines internationalisierten Verwaltungshandelns ist hierbei von Interesse, daß sich in den aufgezeigten Rechtsinstrumentarien immer wieder Gedanken einer dezentralisierten Steuerungsstruktur finden. Neben einzelnen Mechanismen, die unmittelbar auf der internationalen Ebene der Verhaltenssteuerung von Staaten dienen, erfolgt vielfach eine Einbindung der einzelstaatlichen regulatorischen und administrativen Handlungsebene in den Rechtsverwirklichungsprozeß. Namentlich bei einer Betrachtung der ökonomischen Verhaltensanreize wird dabei deutlich, daß den Staaten nur sehr weit gefaßte Vorgaben gemacht werden oder sich nur appellierende Hinweise finden. Die hinter dieser Strategie stehende ratio tritt klar zutage: Da aufgrund evidenter Unterschiede in den verschiedenen Rechts- und Gesellschaftssystemen der jeweiligen Vertragsstaaten keine einheitlichen internationalen Vorgaben zum konkreten innerstaatlichen Einsatz der besagten Instrumentarien gemacht werden können, liegt das vordringliche Regelungsziel in einer angestrebten instrumentellen Harmonisierung, die ihrerseits ausreichend Spielraum für nationale Eigenheiten bietet. In der Klimarahmenkonvention wird insofern auch deutlich von der Verpflichtung der entwickelten industrialisierten Vertragsstaaten untereinander gesprochen, „einschlägige Wirtschafts- und Verwaltungsinstrumente, die im Hinblick auf die Verwirklichung des Zieles des Übereinkommens entwickelt wurden," zu koordinieren (Art. 4 Abs. 2 lit. e) i) Klimarahmenkonvention).

B. Internationale Verwaltungskooperation als Steuerungspotential Der aufgezeigte Wandel in den der Rechtssetzung und der Rechtsverwirklichung zugeordneten Steuerungsmechanismen im internationalen System wird durch das Phänomen internationaler Verwaltungskooperation ergänzt. 181 Hierunter sind in einem weit gefaßten Sinne „transnationale Verhandlungsmechanismen" 182 zu verstehen, die als administrative Beziehungsgeflechte zwischen der nationalen Exekutive und dem Exekutivorgan einer internationalen Organisation oder sonstigen In181

Zur auf den EG-Bereich bezogenen Bedeutung von Verwaltungskooperation als Steuerungsressource siehe Schmidt-Aßmann, EuR 1996, 270 ff. 182

So treffend K König, Verwaltungsstaat im Übergang, 139.

B. Internationale Verwaltungskooperation als Steuerungspotential

279

stitution sowie auf zwischenstaatlicher exekutiver Ebene dazu beitragen, in transnationaler 183 Kooperation öffentliche Aufgaben wahrzunehmen. Im Anschluß an verschiedene sozialwissenschaftliche Arbeiten, die schon seit längerer Zeit insbesondere im Rahmen der Regimetheorie und der Netzwerkanalyse die internationale Verwaltungskooperation empirisch und theoretisch zumindest im Ansatz analysiert haben, 184 zeigen sich in letzter Zeit auch bescheidene Hinweise im rechts wissenschaftlichen Schrifttum, die auf die stetig wachsenden Auswirkungen der sich gerade in diesem Bereich administrativer Transnationalität zeigenden „gouvernmentalen Relativierung" 185 aufmerksam machen. Angesichts der sogleich aufzuzeigenden Bedeutung dieses Elementes des internationalisierten Verwaltungshandelns muß aber noch ein beachtliches Forschungsdefizit festgestellt werden. I m Rahmen der weiteren Untersuchung wird zwar immer wieder auf Einzelaspekte internationaler Verwaltungskooperation einzugehen sein, nachfolgend soll aber zunächst durch einige einführende Bemerkungen ein allgemeines Bild dieser transnationalen Erscheinung gezeichnet werden. Dabei ist zwischen dem Einsatz der Verwaltungskooperation in internationalen Verträgen und anderen Rechtsdokumenten als Rechtsverwirklichungsmechanismus und sich hieraus sowie aus zahlreichen informellen Praktiken der internationalen Verwaltungskooperation für die innerstaatliche Verwaltungsorganisation ergebenden Herausforderungen zu differenzieren. Im internationalen System wird die transnationale Verwaltungskooperation als Rechtsverwirklichungsstrategie und in einem weiteren Sinne als Merkmal einer sich entwickelnden Global-governance- Architektur zunehmend rechtsnormativ verankert. Vor dem allgemeinen Hintergrund, daß „die Leistungsfähigkeit von internationalen... Organisationen" und - so ist zu ergänzen - von internationalen Rechtsregimen insgesamt „nicht nur durch den Blick auf ihre eigenen Tätigkeiten zu bewerten [ist]", sondern „in erheblichem Umfang auch von ihrem komplexen, sich verändernden organisatorischen Umfeld, dem Beitrag der nationalen Regierungen und Verwaltungen und der Interessenträger abfhängt]", 186 finden sich gerade in technisch-administrativen Regelungsbereichen zahlreiche Beispiele dafür, eine internationale Verwaltungskooperation verpflichtend vorzusehen. Dies güt zunächst beispielsweise für umweltrechtliche Rege183

Der Begriff des transnationalen Rechts geht zurück auf Jessup, Transnational Law. Siehe supra Teil 3, B.; als umfassendste Analyse für die USA ist insoweit nochmals zu nennen Hopkins, International Organization 30 (1976), 405 ff.; aus dem deutschsprachigen Raum jetzt umfassend Wessels, Die Öffnung des Staates, passim. 185 K. König, in: Hartwich/Wewer (Hrsg.), Regieren in der Bundesrepublik, Bd. 5, 235 (245). 184

186

Siedentopf, in: K. König/Siedentopf (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung in Deutschland, 711 (724); ähnlich bereits Hopkins, International Organization 30 (1976), 405 ff.

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ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

lungen, nach denen zu benennende nationale Verwaltungsbehörden für internationalrechtlich vorgeschriebene Lizenzvergaben zuständig sind, einen zwischenstaatlichen Informationsaustausch vornehmen müssen oder als Auskunftsstellen für fremde Staaten bzw. deren Staatszugehörige dienen.187 Ahnliche Regelungen zu weitreichenden Verpflichtungen über den Austausch technischer Daten und Informationen zwischen Verwaltungsbehörden verschiedener Staaten finden sich in zahlreichen Abkommen des internationalen Fluß- und Wasserrechts. 188 Auch im internationalen Arbeitsrecht wird in den Konventionen der ILO regelmäßig verlangt, daß eine nationale Verwaltungsbehörde als Auskunfts- und Kontaktstelle für die entsprechenden Sachbereiche genannt wird, um so die auf eine Rechtsverwirklichung ausgerichtete internationale Verwaltungskooperation zu forcieren. 189 Aus dem internationalen Wirtschaftsrecht lassen sich ebenfalls verschiedene Beispiele des bewußten rechtsnormativen Einsatzes der Verwaltungskooperation anführen: Zur Erleichterung des internationalen Handels hinsichtlich der Beachtung technischer Vorschriften und Normen unterliegen die WTO-Mitglieder der Pflicht, Auskunftsstellen einzurichten und zu unterhalten, die verwaltungsrechtliche und -technische Informationen zu allen Einzelheiten in diesem Bereich bereitstellen können (Art. 10 TBT-Übereinkommen der WTO). 190 Sehr intensive Verwaltungskontakte sehen in Übereinstimmung mit entsprechenden Empfehlungen der OECD auch internationale Kooperationsabkommen im Wettbewerbsrecht 191 sowie unzählige Doppelbesteuerungsabkommen vor. 192

187 Siehe z. B. Art. 7 Übereinkommen zur frühzeitigen Meldung eines nuklearen Unfalls v. 26.9.1986, BGBl. 1989 II, 435; Art. 4 Übereinkommen zur Unterstützung im Falle eines nuklearen Unfalls oder radiologischen Notfalls v. 26.9.1986, BGBl. 1989 II, 441; Art. 6 Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung v. 22.3.1989, BGBl. 1994 II, 2704; Art. 4 Abs. 2 lit. e) i) Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen v. 9.5.1992, BGBl. 1993 II, 1784; siehe hierzu auch Stoll, Die Friedens-Warte 74 (1999), 187 (193, 196 f.). 188

Zahlreiche Nachweise bei McCaffrey, 4th Report on the Law of the Non-Navigational Uses of International Watercourses, UN Doc. A/CN.4/412 (1988); siehe auch Ule, Die garantierte Wasserzufuhr des Nils nach Ägypten, 186; Torka, Nichtnavigatorische Wassernutzungen, 61 ff. 189 190

Einzelheiten hierzu bei Wild, Flexibilität in multilateralen Instrumenten, 155 ff.

Hierzu auch Tietje, Bd. II, E 29 Rdnr. 99.

in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union,

191 Revised OECD Recommendation Concerning Co-operation Between Member Countries on Restrictive Business Practices Affecting International Trade of 27/28 July 1995, OECD Doc. DAFFE/CLT/WP3/ (94/5); zu Einzelheiten siehe z. B. Lantpert, EuZW 1999, 107 ff. 192 Siehe Art. 26 des OECD-Musterabkommens zur Doppelbesteuerung, abgedruckt mit ausführlicher Kommentierung bei K. Vogel, Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 26.

B. Internationale Verwaltungskooperation als Steuerungspotential

281

Neben diesen hier nur beispielhaft angeführten völkervertraglichen Regelungen, die zu einer unmittelbaren Einbindung nationaler Behörden in den Rechtsverwirklichungsprozeß führen, gewinnt die informelle, also nicht durch unmittelbare konkrete rechtsnormative Vorgaben determinierte Rolle der nationalen Verwaltungen im Prozeß der zwischenstaatlichen Kooperation und allgemein als Faktor in der Realisierung globaler Gemeinwohlbelange eine wachsende Relevanz. 193 Auf internationaler Ebene haben sich die Vereinten Nationen und die OECD dieses Themas besonders angenommen. Die Vereinten Nationen haben seit ihrer Gründung in regelmäßigen Abständen immer wieder hervorgehoben, daß die Effektivität der Arbeit der Organisation maßgeblich auch von der Kooperation der nationalen Verwaltungsbehörden mit ihren zuständigen Stellen sowie, darauf aufbauend, der effektiven Koordination des entsprechenden Verwaltungshandelns im innerstaatlichen Bereich abhängt.194 Gerade der letztgenannte Aspekt war auch schon ein Thema in dem Bruce-Bericht zur Zeit des Völkerbundes. 195 Die ratio für dieses Interesse einer internationalen Organisation an innerstaatlichen Verwaltungsstrukturen liegt auf der Hand: Im Sinne des bereits beschriebenen Ansatzes dezentalisierter Strukturen im internationalen System196 ist eine internationale Organisation auf die Umsetzung ihrer Arbeitsergebnisse im innerstaatlichen Bereich angewiesen. Je mehr nunmehr auf internationaler Ebene technisch-administrative Sachprobleme dem Versuch einer Lösung zugeführt werden, desto mehr Augenmerk ist den innerstaatlichen Verwaltungsbehörden als den eigentlichen Umsetzungsadressaten zu schenken. Die Kooperationsschiene muß sich daher, so zumindest von den Vereinten Nationen immer wieder betont, unmittelbar zwischen der internationalen Organisation und den innerstaatlichen Verwaltungsträgern ergeben, ohne daß der Staat als einheitliches Völkerrechtssubjekt dazwischentritt. 197

193 Frühzeitig hierzu Hopkins, International Organization 30 (1976), 405 ff.; zur rechtlichen Bewertung von administrativer Kooperation als „Geflecht von Realvorgängen" siehe Schmidt-Aßmann, EuR 1996, 270 (272 f.). 194 Einzelheiten und Nachweise bei Schermers/Blokker , International Institutional Law, § 1739; Elmandjra, The United Nations System: An Analysis, 126 f.; aus jüngerer Zeit siehe z. B. Report of the Secretary-General, Implementation of the General Assembly Resolution 50/225, UN Doc. A/53/173 v. 10.7.1998; Report of the Secretary-General, Work of the Fourteenth Meeting of Experts on the United Nations Programme in Public Administration and Finance, U N Doc. E/1998/77 v. 14.6.1998; GA-Resolution 50/225, Public administration and development, GA Official Records, 50th Session, Suppl. No. 49 (A/59/49), 5 ff. 195

Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 231 f.

196

Supra Teil 2, B. III.

197

Zu diesem Kooperations- und Koordinationsaspekt auch Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 231 ff.

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ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

Besonders deutlich wird die Rolle der nationalen Verwaltungen im internationalen System bei der Implementierung der unverbindlichen Abschlußdokumente der verschiedenen Weltordnungskonferenzen der letzten Jahrzehnte. In den entsprechenden Dokumenten werden verstärkt Verwaltungseinheiten aller staatlichen Ebenen angesprochen und zu einer Tätigkeit angehalten, die auf eine effektive Umsetzung der verabschiedeten Aktionsprogramme abzielt. Als Beispiel für diese Strategie dezentralisierter Verwaltungsstärkung und -kooperation kann auf das Kapitel 28 der Agenda 21 verwiesen werden, das regionale Verwaltungseinheiten (local authorities) als Handlungseinheiten im Rahmen eines effektiven Umweltschutzes identifiziert. Neben zahlreichen Vorschlägen zu einer lokalen Agenda 21 nimmt der Verweis auf die Notwendigkeit der grenzüberschreitenden Kooperation der lokalen Verwaltungseinheiten untereinander sowie mit den entsprechenden Organen internationaler Institutionen dabei eine zentrale Stellung ein. 198 Ähnliche Hinweise, die sich u. a. auf die Stärkung der nationalen Verwaltungen der Staaten, einen internationalen Informationsaustausch sowie andere administrative Kooperationsformen auf den unterschiedlichen nationalen und internationalen Ebenen beziehen, finden sich in den Abschlußdokumenten der Weltkonferenzen der neunziger Jahre zu Menschenrechten (Wien 1993), Bevölkerung und Entwicklung (Kairo 1994), Soziale Entwicklung (Kopenhagen 1995), Frauen (Peking 1995) und Habitat II (Istanbul 1996).199 Wie insbesondere in der diesbezüglich grundlegenden und zusammenfassenden Resolution der UN-Generalversammlung 50/225 vom 19. April 1996 deutlich gemacht wird, dienen die Stärkung der nationalen Verwaltungen in den UNMitgliedstaaten und die internationale administrative Kooperation insgesamt dem Ziel, den steigenden Herausforderungen aufgrund „the rapid pace and interdependence of global, political, social and economic developments, and their implications for all countries ..." gerecht zu werden. 200 Auch die OECD befaßt sich seit einigen Jahren im Rahmen ihres „Public Management Service (PUMA)" intensiv mit zahlreichen Aspekten der Verwaltungsmodernisierung und den Herausforderungen an das öffentliche Handeln ins198

Siehe hierzu das detaillierte Programm der Agenda 21, Chapter 28, abgedruckt in: Johnson (Hrsg.), The Earth Summit, 423 f.; siehe hierzu auch noch infra Teil 6, B. III. 4. 199 Eine umfassende Analyse hierzu bietet die Studie des UN-Generalsekretariats, Relationship Between Public Administration and the Implementation of Commitments Made at Major United Nations Conferences, UN Doc. ST/SG/AC.6/1998/L.2 v. 16. April 1998; für einen gestrafften Überblick zu den Weltkonferenzen der 90er Jahre siehe Nuscheier, in: Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen, 641 ff. 200

UN-GA Res. 50/225, Public administration and development, GA Official Records, 50th Session, Suppl. No. 49 (A/59/49), 5 ff.

B. Internationale Verwaltungskooperation als Steuerungspotential

283

gesamt in ihren Mitgliedstaaten.201 Im Rahmen der Arbeiten der OECD in diesem Bereich nimmt die Frage nach der stetigen Zunahme internationaler Verwaltungskooperation eine wichtige Stellung ein. Die OECD hat sich hiermit in einer 1994 erschienenen Studie ausführlich auseinandergesetzt.202 Ausgangsthese der Überlegungen der OECD ist es, daß die Effektivität öffentlicher Aufgabenerfüllung heute in nahezu allen Sachbereichen nur durch internationale Kooperation zu gewährleisten ist. Diese Erkenntnis verlangt nach Ansicht der OECD eine Reform des öffentlichen Bereiches ihrer Mitgliedstaaten, durch die die internationale Kooperation als Regelerscheinung öffentlichen Handelns in vorhandene Regierungsund Verwaltungsstrukturen eingebunden wird. Darüber hinaus werden unterschiedliche Ansätze der Harmonisierung, gegenseitigen Anerkennung etc. als kooperationskonkretisierende administrative Strategien diskutiert und als Handlungsalternativen für die Verwaltungskooperation vorgeschlagen. Gleichzeitig macht die OECD darauf aufmerksam, daß die Globalisierung innerhalb ihrer Mitgliedstaaten umfassende Auswirkungen im Staatsaufbau hat, da Fachministerien und andere Verwaltungseinheiten heute täglich mit internationalen Angelegenheiten befaßt sind. Hierauf müsse durch entsprechende organisatorische Maßnahmen zur Koordination staatlichen Handelns reagiert werden, damit es nicht zu inkohärenten Aktivitäten verschiedener Akteure aus unterschiedlichen Fachbereichen komme. 203 In der internationalen, nicht aber in der deutschen Verwaltungswissenschaft, wurden diese Überlegungen unter ausdrücklichem Hinweis auf den Zusammenhang zwischen den Internationalisierungs- und Globalisierungserscheinungen und der in zahlreichen Staaten geführten Diskussion zur Reform der öffentlichen Verwaltung aufgenommen und ersten Untersuchungen unterzogen. 204 Die Aussagen der OECD zu den Herauforderungen internationaler Kooperation gerade auf Verwaltungsebene sind für die Bundesrepublik von besonderer Relevanz. Vielfach herrscht in Deutschland in der Rechtswissenschaft und auch in anderen Wissenschaftsdisziplinen noch das Bild vor, auswärtiges Handeln und damit auch internationale öffentliche Kooperation sei eine ausschließliche Angelegenheit der auswärtigen Politik, so daß verwaltungswissenschaftliche Aspekte hier keine Rolle spielen würden. Es verwundert daher kaum, daß die nicht mehr zu leugnende internationale - über den EG-Bereich hinausgehende - Verflechtung in allen Bereichen öffentlichen Handelns in ihren Auswirkungen auf die innerstaatli201

Siehe z. B. OECD, The OECD Report on Regulatory Reform, Oktober 1997.

202

OECD, Regulatory Co-operation for an Interdependent World, 1994.

203

OECD, Globalisation: What Challenges and Opportunities for Governments?, Paris 1996 (http://oecd.org/puma/gvnance/strat/pubs/glo96); hierzu auch noch infra Teil 7, C. II. 204

271 ff.

Insbesondere Metcalfe , International Review of Administrative Sciences 60 (1994),

ei

ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

chen Regierungs- und insbesondere Verwaltungsstrukturen nahezu unerforscht ist. 2 0 5 Was allerdings vorliegt, sind Untersuchungen zumindest zu den tatsächlichen Grundlagen sich in Deutschland vollziehender internationaler Verwaltungskooperation. 206 Dabei ergibt sich folgendes Bild: Neben dem Auswärtigen Amt sind heute rund 250 Arbeitseinheiten anderer Ressorts der Bundesregierung (ohne Bundesministerium der Verteidigung) mit außen- und europapolitischen Sachfragen befaßt. 207 Dem entspricht es, daß im Bundeshaushalt 1996 von ca. D M 11,8 Milliarden, die der Bund für auswärtige Angelegenheiten veranschlagte, nur knapp ein Drittel auf das Auswärtige Amt entfiel. 208 Insgesamt wird man daher sagen können, daß es praktisch kein Fachreferat auf Bundesebene gibt, das nicht mit internationalen Fragen in der täglichen Verwaltungsarbeit konfrontiert ist 2 0 9 und so auf den unterschiedlichsten Ebenen in Arbeitskontakten mit den entsprechenden Stellen auswärtiger Regierungen bzw. Verwaltungen, europäischer oder internationaler Organisationen oder sonstiger internationaler Institutionen steht. 210 Die hiermit angesprochene informelle internationalisierte Verwaltungskooperation nimmt damit Ausmaße an, die sich von den als verwaltungswissenschaftliches Phänomen untersuchten innerstaatlichen inneradministrativen Netzwerken und darauf aufbauenden inneradministrativen Kooperationsmechanismen kaum unterscheidet. 211 Zugleich wird deutlich, daß Verwaltungskooperation als Konzept dezentraler administrativer Tätigkeit in einem den Staat transzendierenden Bereich nicht nur in der Europäischen Gemeinschaft von Bedeutung ist, 212 sondern umfassend die Einbindung der Bundesrepublik in das internationale System betrifft. Insgesamt vollzieht sich in der Staatspraxis also genau das, was in völkerrechtlichen Verträgen und unverbindlichen Steuerungsinstrumentarien bewußt intendiert wird und im Global-governance- Konzept seine Umschreibung findet: Die 205 Zu diesem Defizit umfassend Eberwein/Kaiser, Außenpolitik, Bd. 4, 1 ff.

in: dies. (Hrsg.), Deutschlands neue

206

Umfassend jetzt Wessels, Die Öffnung des Staates, passim. Siwert-Probst, in: Eberwein/Kaiser (Hrsg.), Deutschlands neue Außenpolitik, Bd. 4, 13(21). 208 von Ploetz, in: Eberwein/Kaiser (Hrsg.), Deutschlands neue Außenpolitik, Bd. 4,59 (61). 207

209

Ausführlich Andreae/Kaiser, in: Eberwein/Kaiser (Hrsg.), Deutschlands neue Außenpolitik, Bd. 4, 29 (30 f.). 210 Wewer, in: Hartwich/Wewer (Hrsg.), Regieren in der Bundesrepublik, Bd. 5,9 (20); Andreae/Kaiser, in: Eberwein/Kaiser (Hrsg.), Deutschlands neue Außenpolitik, Bd. 4, 29 (30 f.). 211

Siehe hierzu zusammenfassend Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 151 ff. m. w. N. 212

Hierzu Schmidt-Aßmann, EuR 1996, 270 ff.; Hatje, Die gemeinschaftsrechtliche Steuerung der Wirtschaftsverwaltung, 128 ff. m. w. N.

B. Internationale Verwaltungskooperation als Steuerungspotential

285

Notwendigkeit kooperativer internationaler Problemlösungsstrategien bedingt intensive Kontakte staatlicher und internationaler Arbeitseinheiten, die zumindest prima facie außerhalb des politischen Bereiches stehen. Insofern steht im Mehrebenensystem die Lösung der Sachaufgabe im Vordergrund des Interesses und nicht die politische Auseinandersetzung auf der Grundlage partikularer Interessen. Die internationalisierte Kooperation von Verwaltungseinheiten wird so zu einer wichtigen Steuerungsressource, die die diesbezüglichen Erscheinungen im innerstaatlichen Bereich und in der Europäischen Gemeinschaft ergänzt. 213 Gleichzeitig wächst der Verwaltung in internationalen Angelegenheiten eine Selbständigkeit zu, die mit ihrer bereits konstatierten Rolle als potentiell eigenständiger Akteur in den internationalen Beziehungen korrespondiert. 214 Die Ausdifferenzierung der internationalen Verwaltungskontakte hat weiterhin zur Folge, daß die klassische ausschließliche Verantwortlichkeit des Auswärtigen Amtes zur Pflege der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik einer multiplen Internationalisierung des täglichen auswärtigen Handelns der Exekutive weicht. Das im Jahre 1990 in Kraft getretene Gesetz über den Auswärtigen Dienst (GAD) hat diese Entwicklung in § 1 Abs. 2 aufgegriffen, indem es dort ausweislich der amtlichen Begründung dem Auswärtigen Dienst nur noch den „Kernbereich der Außenpolitik" zuweist, 215 während die technischadministrative Aufgabenerledigung in die Hände der sachlich zuständigen Fachressorts fällt. 2 1 6 Auch bei den Aufgaben, die dem auswärtigen Dienst verbleiben, verdeutlicht § 1 Abs. 2 GAD, daß durch die Einbeziehung kultureller, wissenschaftlicher, technologischer, umweltpolitischer und sozialer Sachfragen eine Hinwendung zu einer verstärkten Verwaltungs- und nicht mehr ausschließlich Regierungstätigkeit im internationalen Bereich vom Gesetzgeber anerkannt wird. 2 1 7 Die auch terminologische Differenzierung zwischen „Außenbeziehungen" und „Außenpolitik" im Sinne einer Unterscheidung von internationalisierter Verwaltung und internationaler Politik gewinnt so ihre sachliche Recht-

213

Umfassend zur innerstaatlichen Perspektive Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, passim; zur Verwaltungskooperation in der Europäischen Gemeinschaft Schmidt-Aßmann, EuR 1996,270 ff.; Hat je, Die gemeinschaftsrechtliche Steuerung der Wirtschaftsverwaltung, 128 ff. 214

Hierzu ausführlich supra Teil 4; zu den hiermit verbundenen rechtlichen Fragen der Verwaltungsorganisation siehe infra Teil 7, C. 215

Siehe die amtliche Begründung zu § 1 Abs. 2 GAD, abgedruckt bei: Grau/SchmidtBremme, GAD, 82 (83). 216

Grau/Schmidt-Bremme,

217

E. F. Jung, in: Hartwich/Wewer (Hrsg.), Regieren in der Bundesrepublik, Bd. 5,183

(184).

GAD, § 1 Rdnr. 8 ff.

ei

ölkerrechtliche Steuerungsinstrumentarien

fertigung. 218 Zugleich stellt sich aber aus verfassungsrechtlicher und verwaltungswissenschaftlicher Sicht das Problem der Koordination des auswärtigen Handelns im Staat. Die OECD hat insoweit in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, daß die beschriebenen Entwicklungen die Gefahr des inkohärenten staatlichen Handelns begründen und daher geeignete innerstaatliche Koordinationsmaßnahmen notwendig sind. 219 Wie allerdings vergleichende verwaltungswissenschaftliche Studien zeigen, hat die Bundesrepublik schon im EG-Bereich den im Verhältnis zu den anderen EG-Mitgliedstaaten niedrigsten Grad an innerstaatlicher Koordination auswärtigen Handelns. 220 Im Rahmen einer systematischen Gesamtschau kann damit festgehalten werden, daß die internationalisierte Verwaltungskooperation heute eine in internationalen Rechtsinstrumenten regelmäßig vorgesehene und im übrigen in der Praxis alltägliche Erscheinung ist. Sie dient maßgeblich dazu, anstehende Sachprobleme grenzüberschreitend effektiv zu lösen. Das an anderer Stelle schon aus theoretischen Überlegungen heraus abgelehnte Bild des auswärtigen Handelns im Staat als ausschließlich politischer Vorgang 221 findet so seine empirische Bestätigung. Die eigentliche ratio internationalisierter Verwaltungskooperation ist dabei stets die Erkenntnis, daß die zu bewältigenden Sachprobleme im Interesse einer effektiven öffentlichen Aufgabenerledigung nur im Rahmen internationaler Kooperation gelöst werden können. Dabei gilt es zu beachten, daß „international public management is an interorganizational process which requires co-ordination between levels of governments; between international organizations and national governments, among national governments and within national governments themselves (including linkage to subnational levels)". 222 Internationalisierte Verwaltungskooperation ist mithin nicht nur eine Steuerungsressource von beachtlicher Tragweite, sondern zugleich ein Phänomen, das seinerseits Herausforderungen an innerstaatliche Koordinationsmechanismen stellt; hierauf ist zurückzukommen. 223 Gleichzeitig zeigt sich in der internationalisierten Verwaltungskooperation die Realisierung eines rechtsnormativen Gebotes dezentralisierter Aufgabenerfüllung 218 E. F. Jung, in: Hartwich/Wewer (Hrsg.), Regieren in der Bundesrepublik, Bd. 5,183 (184); Andreae/Kaiser, in: Eberwein/Kaiser (Hrsg.), Deutschlands neue Außenpolitik, Bd. 4, 29 (31). 219

OECD, Globalisation: What Challenges and Opportunities for Governments?, Paris 1996 (http://oecd.org/puma/gvnance/strat/pubs/glo96). 220 Ausführlich Metcalfe, 271 (285).

International Review of Administrative Sciences 60 (1994),

221

Supra Teil 4, A. II.

222

Metcalfe, International Review of Administrative Sciences 60 (1994), 271 (275).

223

Infra Teil 7, C.

B. Internationale Verwaltungskooperation als Steuerungspotential

287

im Mehrebenensystem. Dieses findet in Anlehnung an Art. 2 Abs. 2 UN-Charta in einer allgemeinen Verpflichtung zur vertrauensvollen Kooperation im internationalen System seine rechtliche Begründung. 224 Das an Treu und Glauben als allgemeinem Rechtsgrundsatz im Völkerrecht 225 orientierte Gebot der vertrauensvollen Kooperation insbesondere im Verhältnis Mitgliedstaat-internationale Organisation verlangt insofern, daß zu einer effektiven Rechtsverwirklichung und Aufgabenerledigung diejenigen nationalen und internationalen Organe handeln, die über die entsprechende Sachkompetenz verfügen. Internationalisierte Verwaltungskooperation ist damit eine an Sachaufgaben orientierte organschaftliche Konkretisierung des an anderer Stelle bereits ausführlich erörterten allgemeinen völkerrechtlichen Kooperationsprinzips. 226 Ebenso wie dieses ist der Grundsatz der internationalisierten Verwaltungskooperation als Rechtsprinzip in der Völkerrechtsordnung verankert, so daß über Art. 25 GG auch eine verfassungsrechtliche Bindung entsteht. In ihrer konkreten Ausgestaltung wird man der internationalisierten Verwaltungskooperation sicherlich nicht die dogmatische Dichte zusprechen können, die i m Lichte des Art. 10 EGV für die Verwaltungskooperation in der Europäischen Gemeinschaft herausgearbeitet wurde. 227 In ihren Grundaussagen weisen beide Konzepte aber deutliche Parallelen auf. In beiden Fällen geht es um die dezentrale, sachorientierte Aufgabenerfüllung in einem Mehrebenensystem, das auf der Grundannahme miteinander eng verbundener, aber nicht verschmelzender Rechtsräume beruht. Die Elemente der Verwaltungskooperation können dabei in Anlehnung an Überlegungen von Schmidt-Aßmann 228 als Information und Informationsaustausch, Netzwerke und institutionelle Verfestigungen und in ihrer rechtlichen Ausprägung graduell abgestufte Entscheidungszusammenhänge bezeichnet werden. Sucht man nach einem Oberbegriff für das sich so abzeichnende Beziehungsgeflecht, kann auf das Konzept der global governance verwiesen werden. 229

224

Zur Bedeutung des Art. 2 Abs. 2 UN-Charta als Ausdruck dieses Rechtsgrundsatzes siehe J. P. Müller, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, Art. 2 (2); Ginther, BDGVR 17 (1975), 7 (21) („ius necessarium"); Tietje, JuS 1994, 197 (200) m. w. N. 225 Hierzu statt vieler D' Amato, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. II, 599 ff. 226

Supra Teil 4, B. III. 1. c) cc).

227

Hierzu insbesondere Schmidt-Aßmann, EuR 1996, 270 ff.

228

EuR 1996, 270 (290 f.).

229

Siehe supra Teil 3, B. IV.

Teil 6

Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Die aufgezeigte zunehmende Konvergenz der Gemeinwohlorientierung öffentlichen Handelns im nationalen und internationalen Rechtsraum determiniert im Kern die Sachbereiche, die sich als internationalisiertes Verwaltungshandeln zusammenfassen lassen. Mit dieser Feststellung ist freilich noch keine Aussage darüber getroffen, wie sich einzelne Erscheinungen eines internationalisierten Verwaltungshandelns systematisch erfassen und werten lassen, um so einen Erkenntnisgewinn für die Verfassungs- und Verwaltungsrechtswissenschaft insgesamt ziehen zu können. Thematisch geht es dabei hier ebenso wie insgesamt im Rahmen der Erörterung rechtlicher Aspekte des internationalisierten Verwaltungshandelns um die Herausarbeitung allgemeiner Lehren, die ihrerseits Bestandteil des Allgemeinen Verwaltungsrechts sind.1 Die wissenschaftliche Begründung von Aussagen, die in ihrer Tragweite auf u. a. allgemeine Begriffe, Institute, Handlungs- und Organisationsmuster des Verwaltungsrechts mit Querschnittscharakter 2 schließen lassen, kann methodisch anhand einer Betrachtung ausgewählter „Referenzgebiete" erfolgen. 3 Dem liegt die historische Erkenntnis einer bereits in Ansätzen u. a. auf Lorenz von Stein zurückgehenden Trennung und gleichzeitig wechselseitigen Beeinflussung von Allgemeinem und Besonderem Verwaltungsrecht 4 ebenso zugrunde wie der Gedanke, daß sich gerade im Besonderen Verwaltungsrecht gesellschaftlich bedingte dynamische Entwicklungen ausmachen lassen, die ihrerseits insgesamt von system1

Zum Begriff »Allgemeines Verwaltungsrecht" statt vieler Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 21 Rdnr. 7; Ehlers, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 2 Rdnr. 8. 2

Wolff/Bachof/Stober,

Verwaltungsrecht I, § 21 Rdnr. 7.

3

Hierzu Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrecht, 11 (14, 26 ff.); ders., Das allgemeine Verwaltungsrechts als Ordnungsidee, 8 ff. 4

von Stein, Die Verwaltungslehre, Teil 1, 51, 66; hierzu Groß, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 57 (60).

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

289

bildender Kraft für das Verwaltungsrecht sein können. Die Entwicklungsoffenheit des Rechts, die sich in einer demokratisch-pluralistischen Gesellschaft aus der Einordnung von Recht als „Ziel der Politik" 5 notwendig ergibt, bedingt insoweit eine Anpassungsbedürftigkeit auch des Allgemeinen Verwaltungsrechts (i. w. S.), die im Rahmen einer angemessenen Abwägung zwischen statischer Bewahrung als Gebot von Rechtssicherheit und rechtlicher Vorhersehbarkeit einerseits sowie faktisch nachweisbarer und politisch gewollter Dynamik andererseits zu bewerten ist. 6 In diesem Sinne bietet eine Betrachtung ausgewählter Erscheinungsformen internationalisierten Verwaltungshandelns die methodisch-systematische Möglichkeit, verallgemeinert! ngsfähige Aussagen in den Kategorien des Allgemeinen Verwaltungsrechts - und darüber hinaus, so ist zu ergänzen, auch des Verfassungsrechts - zu treffen. Der Verweis auf „Referenzgebiete" im Verwaltungsrecht kann allerdings gewinnbringend nicht erfolgen, ohne zugleich zu verdeutlichen, welche „übergreifenden Leitideen" 7 den angestrebten Schluß vom Besonderen auf das Allgemeine methodisch bestimmen. Dabei geht es freilich nicht nur um die wissenschaftsmethodisch ohnehin notwendige Offenlegung des Vorverständnisses, sondern maßgeblich um die Klärung der Frage, welche Rolle einzelnen Aktionsfeldern des Verwaltungshandelns in der Rechts- und Gesellschaftsordnung insgesamt zugewiesen wird. Nach der heute weitgehend anerkannten Unzulänglichkeit einer Reduktion verwaltungsrechtlicher Erkenntnis auf die Rechtsform „Verwaltungsakt" 8 und dementsprechend auf die Eingriffsverwaltung 9 wird über den klassisch von Forsthoff geprägten Bereich der Daseinsvorsorge im Sinne von Leistungsfunktionen der Verwaltung 10 hinausgehend insbesondere versucht, mit dem Begriff „Infrastrukturverwaltung" zu operieren; 11 ob dabei allerdings die notwendige 5

Grimm, JuS 1969, 501 (505).

Siehe auch Groß, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 57 (72 f.); Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1 ff. 7 Zur ihrer Funktion im Rahmen einer Betrachtung einzelner Referenzgebiete des besonderen Verwaltungsrecht siehe Groß, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 57 (74 f.). 8

Zur Entwicklung der zentralen Bedeutung des Verwaltungsaktes insbesondere durch Otto Mayer jetzt umfassend Schmidt-De Caluwe, Der Verwaltungsakt in der Lehre Otto Mayers, passim. 9 Zur Kritik siehe z. B. Badura, Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates, 25, 37 ff. 10

Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938,passim; zusammenfassend ders., Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, 368 ff. 11

Siehe z. B. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 3 Rdnr. 6 (dort als Teil der leistenden Verwaltung verstanden); sehr weitgehend z. B. Faber, Verwaltungsrecht, § 31; allgemein auch Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, passim.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Begriffsschärfe im Sinne eines tragenden Gedankens deutlich wird, ist ebenso zu bezweifeln wie mit Blick auf die in diesem Zusammenhang gleichfalls diskutierte Rechtsverhältnislehre. 12 Gewinnbringender ist allerdings die Lehre von der kooperativen Verwaltung, 13 der es gelingt, die verengende Betrachtung des Staat-BürgerVerhältnisses zugunsten einer umfassenderen horizontalen, aber gleichwohl rechtlich erfaßten Perspektive staatlicher Steuerung zu eröffnen. Ihre Bedeutung für das internationalisierte Verwaltungshandeln, wo sich kooperative Verwaltungsstrukturen insbesondere im dezentralen Modell der global governance finden, wurde bereits angedeutet.14 Neben dem Verweis auf kooperative Verwaltungsstrukturen als Leitbild einer systembildenden Erfassung der hier interessierenden Phänomene muß als zweiter Aspekt hinsichtlich der darzustellenden Erscheinungsformen internationalisierten Verwaltungshandelns auch Klarheit darüber gewonnen werden, wie Art und Umfang der öffentlichen Verwaltung im einzelnen bestimmt werden können. Nimmt man dabei die zentrale Bedeutung von Verwaltungsaufgaben 15 in den Blick, kann zunächst ein gewisser gesellschaftlicher und entsprechend rechtlich rezipierter Wandel konstatiert werden. Die klassischen, das Verwaltungsrecht über lange Zeit hinweg prägenden Verwaltungsaufgaben Polizeirecht, Kommunalrecht, Baurecht und Beamtenrecht sind heute u. a. um die Bereiche Wirtschaft, Umwelt, soziale Sicherheit und Gesundheit sowie Wissenschaft angereichert. 16 Die hiermit in den Vordergrund des Interesses rückenden Aspekte der ordnenden und leistenden Verwaltung 17 können systemübergreifend durch ihren Charakter als Gemeinschaftsgüter verteilende Verwaltung gekennzeichnet werden. 18 Auch wenn damit kein unmittelbarer Beitrag zu einer feingliedrigen Differenzierung geleistet wird, 19 ist der Verweis auf die Bedeutung von Gemeinschaftsgütern doch tauglich, um die 12 Groß, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 57 (76); vertiefende Argumente, die gegen die Überzeugungskraft der Rechtsverhältnislehre sprechen, bei Schliesky, Öffentliches Wettbewerbsrecht, 104 ff. m. w. N. 13

E. H. Ritter, AöR 104 (1979), 389 (406 ff.); A. Benz, Kooperative Verwaltung, passim. 14

Supra Teil 3, B. III.; hierzu auch noch infra Teil 7, B. III. 4. c).

15

Supra Teil 4, B. II.

16

Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 106.

17

Hierzu im Überblick ausführlich Wolff/Bachof/Stober, Rdnr. 5 ff.

Verwaltungsrecht I, § 3

18 Im Ansatz ebenso Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 106; siehe auch ders., Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee und System, 21 ff. (verteilende Verwaltung). 19

So die Kritik an dem dargestellten Versuch einer systemübergreifenden Charakterisierung der Verwaltung bei Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 3 Rdnr. 11.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

291

Rolle eines am Gemeinwohl ausgerichteten Verwaltungshandelns im Lichte gegenwärtiger gesellschaftlicher Herausforderungen herauszustellen. Dies gilt, wie Zacher deutlich gemacht hat, für den nationalen Rechtskreis ebenso wie für supraund internationale Rechtsentwicklungen.20 In historischer Perspektive werden durch den Verweis auf die Erhaltung und Verteilung von Gemeinschaftsgütern gesellschaftsphilosophische Konzepte aufgegriffen, die bereits grundlegend von David Hume und später Adam Smith 21 angesprochen wurden. Heute läßt sich ein weiter Konsens dahingehend konstatieren, daß es ein zentrales Anliegen des Rechts - national und international - ist, den Umgang mit Gemeinschaftsgütern zu regeln. 22 I m internationalen System wurde die insoweit maßgebliche Frage, wie einzelne Gemeinschaftsgüter einer effektiven internationalisierten Verwaltung zugeführt werden können, zunächst lange Zeit zwar nur für die sogenannten staatsfreien Räume diskutiert. 23 Dem theoretischen Ansatz der global governance folgend, wendet sich die rechtliche Aufmerksamkeit heute aber intensiv umfassend der Verwaltung von Gemeinschaftsgütern wie Umwelt, Gesundheit, Information und Frieden zu, unabhängig davon, ob die betreffenden Güter innerhalb oder außerhalb staatlicher Jurisdiktion auszumachen sind. 24 In diesem Sinne gewinnen gerade die Rechtsfragen an Bedeutung, die im Schnittpunkt der Kooperation von nationalem, supranationalem und internationalem Recht anzusiedeln sind. 25 Insgesamt läßt sich damit die Verteilung und Bewahrung von Gemeinschaftsgütern als nationale Jurisdiktionsgrenzen übergreifendes Strukturprinzip der Verwaltungsaufgabenlehre kennzeichnen, das seinerseits die Auswahl einzelner Referenzgebiete i m Interesse der Herausarbeitung allgemeiner verwaltungs wissenschaftlicher Lehren bestimmt. 26 A u f dieser Erkenntnis aufbauend, sollen 20

Ausführlich H F. Zacher, in: Badura/Scholz (Hrsg.), FS Lerche, 107 ff.

21

Hume, Treatise of Human Nature (1739); Smith, Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776); hierzu Kaul/Grundberg/Stern, in: dies. (Hrsg.), Global Public Goods, 2 (3) m. w. N. 22

H. F. Zacher, in: Badura/Scholz (Hrsg.), FS Lerche, 107 ff.; Kaul/Grundberg/Stern (Hrsg.), Global Public Goods, passim. 23

Grundlegend Wolfrum,

Die Internationalisierung staatsfreier Räume, passim.

24

Umfassend die Beiträge in: Kaul/Grundberg/Stern (Hrsg.), Global Public Goods, passim; zu dem damit auch angesprochenen Konzept der Staatengemeinschaftsinteressen siehe bereits supra Teil 5, A. I. 2. 25 Deutlich unter Betonung der Notwendigkeit der Beachtung des Völkerrechts H. F. Zacher, in: Badura/Scholz (Hrsg.), FS Lerche, 107 (117). 26

In diese Richtung wohl auch Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 106 ff.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

nachfolgend einzelne Erscheinungsformen internationalisierten Verwaltungshandelns, die sich durch ihren gemeinsamen Bezug auf die Verteilung und Erhaltung von Gemeinschaftsgütern auszeichnen, erörtert werden. Dabei kann allerdings, dies sei angemerkt, nicht umfassend auf alle tatsächlich gegebenen Erscheinungsformen des internationalisierten Verwaltungshandelns eingegangen werden; dies würde den Umfang der Untersuchung sprengen und wäre auch methodisch nicht gewinnbringend. Um das internationalisierte Verwaltungshandeln in seinen systematischen Grundstrukturen zu erfassen, erscheint es vielmehr vertretbar, einige ausgewählte Aktionsfelder darzustellen. Im einzelnen sind dies Teilaspekte aus dem internationalisierten Gesundheitsverwaltungsrecht (I.), dem Umweltverwaltungsrecht (II.) und dem Kommunikations- und Transportrecht (III.)Andere Bereiche des internationalisierten Verwaltungshandelns, wie insbesondere das Wirtschaftsverwaltungsrecht und das Kommunalrecht, bleiben in dieser Untersuchung unberücksichtigt. Dies läßt sich mit Blick auf das Wirtschaftsverwaltungsrecht damit rechtfertigen, daß verschiedene Einzelaspekte dieser Rechtsmaterie ohnehin im Sinne von Querschnittsproblemen bei der Erörterung der angesprochenen Aktionsfelder internationalisierten Verwaltungshandelns mitbehandelt werden. 27 Zu dem für das internationalisierte Kommunalrecht zentralen Bereich der grenzüberschreitenden kommunalen Zusammenarbeit liegen darüber hinaus schon umfangreiche Untersuchungen vor, auf die gerade hinsichtlich der Aufarbeitung des rechtstatsächlichen, heute durch Art. 24 Abs. l a GG gleichsam verfassungsrechtlich legitimierten Ist-Zustandes verwiesen werden kann. 28 Das in diesem Zusammenhang weiterhin anzuführende internationalisierte öffentliche Dienstrecht stellt hingegen ein Desiderat der öffentlich-rechtlichen Forschung dar. 29 Auch wenn das öffentliche Dienstrecht durchaus als Referenzgebiet der Verwaltungsrechtswissenschaft zahlreiche

27 Zum internationalisierten Wirtschaftsverwaltungsrecht siehe auch in Ansätzen R. Schmidt, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 165 ff.; Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 30 ff. 28

Zu Art. 24 Abs. la statt vieler Beyerlin, ZaöRV 54 (1994), 587 ff.; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 24 Rdnr. 39 ff.; Classen, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Bonner Grundgesetz, Art. 24 Rdnr. 70 ff.; zur regionalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit aus politikwissenschaftlicher Sicht umfassend auch Rausch, Grenzüberschreitende Kooperationen, passim. 29 Ansätze hierzu aber bei Delbrück, in: Jeserich/Pohl/von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. V, 386 (400 ff.); J.-D. Busch, Dienstrecht der Vereinten Nationen, passim; knappe Hinweise auch bei Kunig, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 6. Abschn. Rdnr. 27 f.

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

293

Erkenntnisse zu allgemeinen verwaltungsrechtlichen Strukturen vermittelt, 30 soll es aber als doch zum Teil von spezifischen Aspekten der Binnenstruktur der Verwaltung geprägtes Rechtsgebiet hier keiner vertiefenden Untersuchung mit Blick auf Internationalisierungserscheinungen unterzogen werden.

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht (Mensch, Tier und Pflanzen) I. Begrifflichkeit Das öffentliche Interesse an der Gesundheit des Menschen und damit verbunden von Tieren und Pflanzen stellt ein wesentliches Merkmal des modernen Verwaltungsstaates in seiner die Daseinsvorsorge zentral in den Blick nehmenden Dimension dar. 31 Bedingt durch die Entwicklungen der modernen Medizin und der so erreichten Erhöhung der Lebenserwartung des Menschen richtet sich das individuelle Interesse immer mehr auf hiermit verbundene Erwartungen an die (positive) eigene Gesundheit. Gleichzeitig führen die technischen Entwicklungen u. a. in den die biologische Grundversorgung des Menschen betreffenden Bereichen der Lebensmitteltechnik und einzelne als individuell bedrohlich angesehene Umweltentwicklungen dazu, daß die Gefährdungen für die menschliche Gesundheit aufgrund externer Einflüsse zunehmend kritisch betrachtet werden. Hieraus ergibt sich ein individuell empfundenes Spannungsverhältnis zwischen medizinischer Gesundheits wahrung und Lebens verlängerung auf der einen Seite und zunehmenden Gesundheitsbedrohungen aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen auf der anderen Seite. In ihrer politischen und juristischen Tragweite bedingt diese Entwicklung wachsende Herausforderungen an das öffentliche Handeln mit Blick auf Schutz und Bewahrung der menschlichen Gesundheit, die sich in ihrer grundrechtlichen Dimension mit dem zum Teil diskutierten Recht auf Sicherheit 32 sowie insgesamt der schutzrechtlichen Dimension der Grundrechte in Verbindung bringen lassen. Die Frage nach einem Recht auf Gesundheit, die sich historisch weit in die Geschichte des öffentlichen Rechts zurückverfolgen läßt, 33 erlangt so eine zunehmende aktuelle Bedeutung. 30

Kunig, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 6. Abschn. Rdnr. 3.

31

Zum Begriff der Daseinsvorsorge Forsthoff,

32

Hierzu umfassend Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, passim.

Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 1,368 ff.

33 Ausführlich E. Jung, Das Recht auf Gesundheit, 7 ff.; Stürzbecher, in: Pürckhauer/ Stralau (Hrsg.), Gesundheitsverwaltung, Bd. I, 1 ff.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Terminologisch und materiellrechtlich wird das Gesundheitswesen in seiner Mensch, Tier und Pflanzen erfassenden Reichweite zum Teil dem Umweltverwaltungsrecht zugeordnet. Dafür spricht sicherlich die nicht zu leugnende Beziehung, die zwischen der Gesundheit (i. w. S.) und der Umwelt besteht. Die Konzepte des vitalen und integrierenden Umweltschutzes bringen dies deutlich zum Ausdruck. 34 Trotz der damit gegebenen konvergierenden Verzahnung zwischen Umwelt- und Gesundheitsrecht, einschließlich spezifischen tier- und pflanzenschutzrechtlichen Regelungen, soll vorliegend eine Trennung der Rechtsgebiete vorgenommen werden. Hierfür spricht neben der Erkenntnis, daß sich der integrierende Umweltschutz auf internationaler Ebene erst in der Entwicklung befindet, insbesondere das methodische Gebot analytischer Klarheit. Eine materielle Aussage hinsichtlich einer Negierung der Zusammenhänge zwischen Umweltschutz und Gesundheitsschutz ist damit freilich nicht verbunden. 35

II. Grundstrukturen des nationalen Gesundheitsverwaltungsrechts Das in der Bundesrepublik geltende Gesundheitsverwaltungsrecht im hier verstandenen umfassenden Sinne als auf die menschliche Gesundheit sowie damit zusammenhängend den Tier- und Pflanzenschutz bezogen ist in seiner Gesamtheit kaum rechtswissenschaftlich erforscht. 36 Vielmehr zeigt sich auch hier ebenso wie in vielen anderen Bereichen des Verwaltungsrechts eine zunehmende Spezialisierung in der Form von Einzeldarstellungen, wodurch eine systemdarstellende und in diesem Sinne übergreifende Untersuchung anhand tragender Strukturprinzipien zwangsläufig unterbleibt. Auch im Rahmen dieser Untersuchung kann keine umfassende Analyse des öffentlichen Gesundheitsverwaltungsrechts in der Bundesrepublik vorgenommen werden. Im Überblick soll jedoch versucht werden, einige wenige Charakteristika der gegenwärtigen rechtlichen Ausprägung des öffentlichen Gesundheitswesens37 in der Bundesrepublik aufzuzeigen. Im einzelnen

34 Hierzu statt vieler Breuer, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Abschn. Rdnr. 47 ff. 35

Zur Abgrenzung zwischen Umweltschutz und Gesundheits-, Tier- und Pflanzenschutz auch Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rdnr. 78; Breuer, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Abschn. Rdnr. 50. 36 Eine umfassende, heute allerdings weitgehend überholte Darstellung bieten nur Piirckhauer/Stralau (Hrsg.), Gesundheitsverwaltung, 1966; siehe im übrigen Woljf/Bachof, Verwaltungsrecht III, § 133 Rdnr. 8 ff. 37

Zu den Begriffen „Gesundheitswesen" und „öffentliches Gesundheitswesen" siehe Beske/Hallauer, Das Gesundheitswesen in Deutschland, 45.

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

295

wird es dabei um institutionell-organisatorische und materiellrechtliche Aspekte gehen. Versteht man unter dem öffentlichen Gesundheitswesen den von öffentlichrechtlich organisierten Trägern wahrgenommenen Teil des Gesundheitswesens und in diesem Sinne unter Gesundheitswesen allgemein die Gesamtheit der Einrichtungen und Personen, welche die Gesundheit der Bevölkerung fördern, erhalten und wiederherstellen sollen,38 so ist aus rechtlicher Perspektive zunächst zu klären, welcher staatsorganisatorischen Ebene welche Aufgaben in diesem Bereich zustehen. Schon ein Blick auf die vom Grundgesetz vorgegebene Kompetenzordnung im föderalen Staatsaufbau verdeutlicht dabei, daß ein einheitliches Bild kaum zu zeichnen ist. Dem Bund stehen ausdrückliche Gesetzgebungskompetenzen im Gesundheitswesen nur im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung zu. Dabei handelt es sich um die folgenden Einzelbereiche: Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG); Zulassung zu ärztlichen und anderen Heiberufen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG); Verkehr mit Arzneien-, Heil- und Betäubungsmitteln und Giften (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG); Schutz beim Verkehr mit Lebens- und Genußmitteln sowie Bedarfsgegenständen, Futtermitteln und land- und forstwirtschaftlichem Saat- und Pflanzgut (Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG); Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge sowie Tierschutz (Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG); öffentliche Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7); Schutz gegen Gefahren beim Freiwerden von Kernenergie oder durch ionisierende Strahlen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 la GG); wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und Regelung der Krankenhauspflegesätze (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG); künstliche Befruchtung, Untersuchung und künstliche Veränderung von Erbinformationen sowie Regelungen zur Transplantation von Organen und Geweben (Art. 74 Abs. 1 Nr. 26). Die aus diesen Kompetenztiteln folgende Gesetzgebungszuständigkeit hat der Bund umfassend wahrgenommen, 39 so daß auf legislativer Ebene eine weitreichende Bundesregelung des Gesundheitswesen vorliegt. Im Bereich der Verwaltungsorganisation sind für den Gesundheitsschutz im hier verstandenen weiten Sinne zunächst als oberste Bundesbehörden das Bundesministerium für Gesundheit, das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zuständig. 38

Beske/Hallauer, Das Gesundheitswesen in Deutschland, 45; W. Berg, Gesundheitsschutz als Aufgabe der EU, 63 m. w. N. 39 Zu Einzelheiten siehe die ausführliche Kommentierung zu den Sachbereichen von Oeter, in: von Mangoldt/Klein/Stark (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 74.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Aus den genannten Gesetzgebungskompetenzen folgt weiterhin für den Bund die Kompetenz zur Errichtung selbständiger Bundesoberbehörden und bundesunmittelbarer Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts (Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG). Im Bereich des Gesundheitsschutzes hat der Bund die so bestehende Verwaltungskompetenz durch die Errichtung des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV), des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), des Bundesinstituts für Infektionskrankheiten und nicht übertragbare Krankheiten (Robert Koch-Institut) 40 und des Bundesamtes für Sera und Impfstoffe (Paul-Ehrlich-Institut) 41 als jeweils selbständige Bundesoberbehörden im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit wahrgenommen. Aufgaben aus dem Gesundheitswesen nimmt daneben auch das Umweltbundesamt als in den Geschäftsbereich des Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit fallend wahr. 42 Im hier interessierenden Zusammenhang sind weiterhin die folgenden Institutionen im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit zu nennen, deren verfassungsrechtliche Grundlagen allerdings mit Blick auf Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG nicht unproblematisch sind: 43 Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information sowie Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. 44 Schließlich ist hinsichtlich des informellen Verwaltungshandelns auf die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen aufmerksam zu machen (vgl. § 141 SGB V), der eine wichtige Funktion für die Konkretisierung der medizinischen und wirtschaftlichen Orientierungsdaten im Gesundheitswesen zukommt. Trotz der intensiv wahrgenommenen Bundeskompetenzen im Gesundheitswesen verbleiben auch den Ländern bedeutende Gesetzgebungskompetenzen, die durch ihre allgemeine Verwaltungskompetenz nach Art. 30 und Art. 83 GG ergänzt werden. Insgesamt kommt damit der Landesverwaltung im Gesundheits40 Alle errichtet durch das Gesetz über die Neuordnung zentraler Einrichtungen des Gesundheitswesens (Gesundheitseinrichtungen-Neuordnungs-Gesetz - GNG) vom 24. Juni 1994, BGBl. 1994 I, 1416. 41 Gesetz über die Errichtung eines Bundesamtes für Sera und Impfstoffe vom 7.7.1972, BGBl. 1972 I, 1163, zuletzt geändert durch Art. 4 der fünften ZuständigkeitsanpassungsVerordnung vom 26.2.1993, BGBl. 1993 I, 278. 42

Gesetz über die Errichtung eines Umweltbundesamtes v. 22. Juli 1974, BGBl. 19741, 1505, mit Änderungen; Gesetz über die Neuordnung zentraler Einrichtungen des Gesundheitswesens v. 24. Juni 1994, BGBl. 1994 I, 1416. 43

Zur Diskussion siehe Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 87 Rdnr. 69 f.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 87 Rdnr. 13; zu Art. 87 Abs. 3 GG umfassend auch Dittmann, Die Bundesverwaltung, 251 ff. 44 Für eine Übersicht zu diesen Institutionen siehe Beske/Hallauer, wesen in Deutschland, 82 f.

Das Gesundheits-

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

297

wesen eine wichtige Rolle im föderalen Staatsaufbau zu. Als Ausdruck des kooperativen Föderalismus zu verstehen sind dabei die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) 4 5 und die „Arbeitsgemeinschaft der Leitenden Medizinalbeamtinnen und -beamten der Länder" sowie verschiedene Akademien für öffentliches Gesundheitswesen und das Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen. 46 Innerhalb der einzelnen Länder ist die organisatorische Gliederung im Gesundheitswesen zunächst regelmäßig durch die Existenz einer obersten Landesgesundheitsbehörde gekennzeichnet, die in der Regel in einem speziellen Gesundheitsministerium angesiedelt ist. Daneben sind in allen Ländern zur Durchführung der Bundesgesetze im Gesundheitswesen Untersuchungsbehörden (z. B. Lebensmittel-, Arzneimittel- oder Veterinäruntersuchungsamt), Arzneimittelüberwachungsstellen und Landesgesundheitsämter jeweils als unmittelbare Landesbehörden vorhanden.47 Schließlich existieren auf kommunaler Ebene regelmäßig Gesundheitsämter, die als Landesbehörden oder als kommunale Behörden zur Erfüllung von Aufgaben nach Weisung eingerichtet sein können.48 Die sich so ergebende nahezu unüberschaubare Vielfalt der Organisation des öffentlichen Gesundheitswesens im föderalen Staatsaufbau der Bundesrepublik 49 führt auch dazu, daß ein zusammenhängender Überblick über die materiellrechtlichen Regelungen in diesem Bereich kaum möglich ist. Der Versuch einer solchen Darstellung soll auch vorliegend nicht unternommen werden. Um dem Untersuchungsgegenstand der Arbeit gerecht zu werden, erscheint es vielmehr notwendig, einige wesentliche Strukturprinzipien der gegenwärtigen materiellrechtlichen Ausprägung des deutschen Gesundheitsverwaltungsrechts deutlich zu machen, das seinem Kern nach auf einen - freilich im einzelnen wenig konkreten - auf Art. 2 45 „Konferenz der für das Gesundheitswesen zuständigen Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren der Länder". 46

Zu einer kurzen Aufgabenbeschreibung siehe Beske/Hallauer , Das Gesundheitswesen in Deutschland, 54 ff. 47

Siehe den Überblick bei Beske/Hallauer , Das Gesundheitswesen in Deutschland, 56; zu einer straffen Darstellung der Organisation der unmittelbaren Landesverwaltung siehe Rudolf, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 53 Rdnr. 11 ff. 48

Zur Unterscheidung und damit zusammenhängenden Aspekten der Dienst- und Fachaufsicht siehe z. B. §§ 14 ff. und §§ 17 ff. LVwG Schleswig-Holstein; eine zusammenfassende Aufgabenbeschreibung bieten Beske/Hallauer, Das Gesundheitswesen in Deutschland, 56 ff.; zur historischen Entwicklung siehe Bethge, in: Pürckhauer/Stralau (Hrsg.), Gesundheitverwaltung, 80 ff. 49

So auch deutlich E. Jung, Das Recht auf Gesundheit, 110 f.: „... ist es nicht verwunderlich, wenn das heutige Gesundheitsrecht der Bundesrepublik Deutschland in eine nahezu unüberschaubare Gesetzes- und Kompetenzvielfalt zersplittert ist".

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Abs. 2 GG i. V. m. mit dem Sozialstaatsprinzip zu begründenden Leistungsanspruch auf Errichtung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems50 zurückgeht. In seiner internationalen Dimension korrespondiert diese grundrechtliche Ableitung mit dem völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Menschenrecht auf Gesundheit.51 Im einzelnen kann zunächst zwischen drei groben Grundaspekten des öffentlichen Gesundheitswesen differenziert werden. Diese können umschrieben werden als (1.) Wiederherstellung der Gesundheit, (2.) vorbeugender Gesundheitsschutz sowie (3.) Ausgleich von gesundheitlichen Dauerschäden. 52 Die Themenkreise (1.) und (3.) enthalten dabei ersichtlich eine bislang nicht angesprochene Dimension: die soziale Sicherung im Gesundheitswesen. Das gesundheitsbezogene System sozialer Sicherung (insbesondere gesetzliche und private Krankenversicherung, Pflegeversicherung) als Bestandteil des deutschen Gesundheitswesens53 kann hier nicht weiter untersucht werden. Es ist heute weitgehend dem Sozialrecht als Besonderem Verwaltungsrecht einer eigenen wissenschaftlichen Systematisierung unterworfen. 54 Gleichfalls unberücksichtig bleiben müssen Einzelfragen der ambulanten und stationären ärztlichen, zahnärztlichen und psychiatrischen Versorgung, die aus rechtlicher Perspektive u. a. zivilrechtliche, finanzverfassungsrechtliche, kommunalrechtliche und berufsrechtliche Fragen betreffen und damit zum Teil außerhalb des eigentlichen öffentlichen Gesundheitsrechts liegen bzw. nur schwer einer strukturübergreifenden Einordnung zugänglich sind. 55 Was damit bleibt, ist eine nähere Analyse des vorbeugenden Gesundheitsschutzes als öffentliche Aufgabe, der gerade im Zeichen finanzieller Not der sozialen Sicherungssysteme, die der Wiederherstellung der Gesundheit dienen, sowie zunehmender objektiv gegebener oder subjektiv empfundener - Gesundheitsgefährdungen eine wachsende Bedeutung zukommt. Der vorbeugende Gesundheitsschutz ist als eigenständiger Untersuchungsgegenstand erst seit Mitte der 1980er Jahre in den Blickpunkt des wissenschaftlichen Interesses gerückt. Aus historischer Perspektive lassen sich zwar bereits im 50 Statt vieler Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 2 Rdnr. 225; Kunig, in: von Münch/ Kunig (Hrsg.), GG, Bd. I, Art. 2 Rdnr. 60; umfassend Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, passim. 31

Ausführlich mit umfangreichen Nachweisen Tietje, AVR 33 (1995), 266 (291 f.).

52

Zu dieser Systematisierung E. Jung, Das Recht auf Gesundheit, 4 f.

53

Ausführlich Beske/Hallauer,

54

Siehe z. B. Schulin/Igl,

55

Das Gesundheitswesen in Deutschland, 60 ff.

Sozialrecht, Rdnr. 1 ff.

Zu einer rechtlichen Darstellung von Einzelaspekten siehe E. Jung, Das Recht auf Gesundheit, 118 ff.; im übrigen umfassend Beske/Hallauer, Das Gesundheitswesen in Deutschland, 117 ff.

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

299

19. Jahrhundert entsprechende Konzepte nachweisen,56 aber erst durch die zunehmende Erkenntnis, daß vermehrt z. B. umweltbedingte und/oder chronische Krankheiten auftreten, die mit den herkömmlichen Mitteln der Kurativmedizin nicht zu bekämpfen sind, drang die Notwendigkeit präventiver Gesundheitskonzepte in den Vordergrund der gesundheitspolitischen Diskussion.57 Damit erfuhr zugleich das Public-health-Konzept an Bedeutung. Bei aller zu konzidierenden Unklarheit, die weiterhin mit dem Public-health-Konzept im einzelnen verbunden ist, können seine wesentlichen Grundaussagen doch als gesichert gelten: I m Gegensatz zur Konzentration des Gesundheitswesens auf die Kurativmedizin in ihrer sozialversicherungsrechtlichen und ärztlichen Dimension stellt public health auf eine präventive Gesundheitspolitik ab. Es geht damit - unter Einschluß der wirtschaftlichen Aspekte - um die Verhinderung von Krankheiten, die Lebensverlängerung und insgesamt die Gesundheitsförderung, und zwar jeweils unter besonderer Berücksichtigung neu auftretender Gesundheitsgefahren, z. B. durch Infektionen, Umwelteinflüsse oder soziale Destruktion. 58 Überträgt man die Grundgedanken der Public-health-Diskussion in verwaltungsrechtliche Kategorien, lassen sich einige Strukturprinzipien des Gesundheitsverwaltungsrechts im hier verstandenen Sinne ausmachen. Als Ausgangspunkt der Betrachtung ist dabei zu konstatierten, daß die Rechtsmaterien des Besonderen Verwaltungsrechts an Bedeutung gewinnen, die sich mit Gesundheitsgefahren für den Menschen befassen, die in der technologisch-wissenschaftlichen Entwicklung begründet sind. Damit ist der zentrale Kern des Risiko Verwaltungsrechts angesprochen, dem es um den Schutz des einzelnen durch staatliche Maßnahmen in bezug auf Entwicklungen geht, die in ihrer wissenschaftlich-technologischen Dimension gefahrverursachend sein können, ohne daß immer im Einzelfall schon das Vorliegen einer Gefahr im klassischen polizeirechtlichen Sinne festgestellt werden kann. 59 Gesundheitsverwaltungsrecht im hier verstandenen Sinne ist damit ein wesentliches Kennzeichen des „Präventions-Staates" 60 neuzeitlicher Prägung. Zentrale verwaltungsrechtliche Aktionsfelder in diesem Bereich sind u. a. das Arzneimittelrecht, das Chemikalienrecht, das Pflanzenschutzrecht, das Lebensmittelrecht 56

Hierzu im Überblick W. Berg , Gesundheitsschutz als Aufgabe der EU, 65 f.

57

W. Berg , Gesundheitsschutz als Aufgabe der EU, 66 m. w. N.

58

Weitere Einzelheiten zu verschiedenen Definitionen, die im Kern alle auf die hier genannten Gedanken zurückgehen, bei W. Berg, Gesundheitsschutz als Aufgabe der EU, 69 f.; Beske/Hallauer, Das Gesundheitswesen in Deutschland, 45, jeweils m. w. N. 59

Hierzu umfassend Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, passim; ders., Jura 1996, 566 ff. 60

Denninger, KJ 1988, 1 ff.; siehe auch Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 447.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

und das Betäubungsmittelrecht. Sie alle sind durch den Risikobegriff gekennzeichnet,61 der seinerseits zu spezifischen rechtsnormativen Herausforderungen führt. Typenbildende Merkmale sind insofern u. a. der zunehmende Verweis auf die Eigenverantwortlichkeit der risikoinvolvierten Handlungssubjekte, eine wachsende Bedeutung von Grenzwertfestlegungen und vergleichbarer Standardisierung, neue Formen informalen Verwaltungshandelns im Kooperationsverhältnis Staat-Private, auf Gefahrvermeidung abzielende staatliche Handlungen wie Warnungen oder Produkthinweise sowie insgesamt eine zunehmende Differenzierung und Diversifizierung staatlicher Handlungsformen. 62 Zusammenfassend zeigt sich damit unter formellen und materiellrechtlichen Gesichtspunkten, daß das nationale Gesundheitsverwaltungsrecht in Deutschland durch eine institutionell-organisatorische und inhaltliche Vielfalt gekennzeichnet ist. Dies folgt aus dem gerade im Gesundheitsverwaltungsrecht ausgeprägten föderalen Element des Zusammenspiels von bundesrechtlichen Regelungen, gliedstaatlichen Verwaltungskompetenzen sowie verschiedenen Ausdrucksformen des kooperativen Föderalismus. Diese kompetentielle föderale Verantwortungsdiversifikation wird durch materiellrechtliche Konzepte zunehmender präventiver Gesundheitspolitik im Sinne des Risikoverwaltungsrechts ergänzt. Auch wenn der Präventionsgedanke im Gesundheitsverwaltungsrecht historisch gesehen schon immer eine bedeutende Rolle gespielt hat, 63 gewinnt er doch zumindest konzeptionell eine zunehmende Bedeutung in der Verwaltungsrechtsdogmatik und insgesamt in der gesundheitspolitischen Diskussion. Die hervorgehobenen Aspekte des am Public-health-Begriff orientierten Gesundheitsverwaltungsrechts verdeutlichen zugleich, daß zentrale rechtliche Fragen angesprochen sind, die unter dem Stichwort vom „Wandel des Verwaltungsrechts" diskutiert werden. 64 Darüber hinaus erhellt der Verweis auf die Public-health-Diskussion die gesamtgesellschaftliche Relevanz, die der ihrem Kern nach individualschützenden Dimension des Gesundheitsverwaltungsrechts als Risikoverwaltungsrecht zukommt. 65 Angesichts der Transnationalität von Gesundheitsproblemen, die 61

Di Fabio , Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 137 ff., 154 ff. und 166 ff. (Chemikalienrecht, Pflanzenschutzrecht, Arzneimittelrecht); ders., Jura 1996, 566 ff. 62 Zusammenfassend statt vieler Di Fabio, Jura 1996, 566 ff.; speziell für das Lebensmittelrecht auch Hufen, in: R. Schmidt (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, BT 2, § 12 Rdnr. 136 ff. 63 64

Siehe nur die Hinweise bei Wolff/Bachof

Verwaltungsrecht III, § 133 Rdnr. 1.

Hierzu im Überblick mit weiteren Nachweisen Wolff/Bachof/Stober, recht I, § 12 Rdnr. 8 ff.

Verwaltungs-

65 Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 40 ff.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, passim.

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

301

sich namentlich aus dem weltweiten Risikotransfer in der Folge des globalen Güter- und Dienstleistungsaustausches ergeben, ist das Gesundheitsverwaltungsrecht schließlich ein maßgeblicher Referenzpunkt für internationalisierte Verwaltungsstrukturen; 66 dies soll im folgenden näher aufgezeigt werden.

III. Internationales Gesundheitsverwaltungsrecht 7. Allgemeine

menschliche

Gesundheit

(WHO)

Aufgrund der grenzüberschreitenden Mobilität von Personen, Tieren und Sachgütern ist es seit Jahrhunderten ein Anliegen der Staaten, Regelungen zum Gesundheitsschutz zu treffen, die sich auf grenzüberschreitende Sachverhalte beziehen. Vom Altertum bis in das 18. Jahrhundert waren die regulatorischen Anstrengungen der öffentlichen Hand allerdings noch nicht auf eine internationale Koordination und Kooperation im Gesundheitswesen hin ausgerichtet, sondern vollzogen sich autonom innerhalb des jeweiligen HerrschaftsVerbandes. 67 Dies sollte sich im 19. Jahrhundert schnell ändern. Zunächst kam es Anfang des 19. Jahrhunderts zur Gründung verschiedener regionaler Gesundheitsräte im afrikanisch-asiatisch-europäischen Raum, die sich u. a. mit Quarantänemaßnahmen und Gesundheitsfragen im Schiffs- und Landverkehr befaßten. 68 Im Jahre 1830 erreichte dann die Cholera erstmals Westeuropa und führte zu verherrenden Auswirkungen, die sich im grenzüberschreitenden Bereich insbesondere auch im internationalen Handel zeigten. Dies veranlaßte die französische Regierung unter Napoleon Bonaparte III. dazu, im Juli 1851 die erste internationale, über den regionalen Bereich der genannten Gesundheitsräte hinausgehende Sanitätskonferenz einzuberufen. In ihrem Rahmen wurden internationale Gesundheitsvorschriften - insgesamt 137 Artikel - ausgearbeitet, die zwar von allen teilnehmenden Staaten unterzeichnet, später aber nur von wenigen Nationen ratifiziert wurden und daher weitgehend wirkungslos blieben.69

66

Auf das Lebensmittelrecht bezogen in aller Deutlichkeit Wahl, ZLR 1998, 275 (295).

67

Weiterführende Hinweise zu Regelungen aus der Zeit des Altertums bis zum 18. Jahrhundert bei Goodman, International Health Organizations and Their Work, 68; W. Berg, ZfSH/SGB 1996, 505 (506). 68 Einzelheiten bei Wehberg, Die Friedens-Warte 1947,144(145); W. Berg, ZfSH/SGB 1996,505 (506 f.); Vierheilig, Die rechtliche Einordnung der von der Weltgesundheitsorganisation beschlossenen regulations, 8 f. 69

Bélanger, Droit international de la santé, 14; Habernoll, in: Pürckhauer/Stralau (Hrsg.), Gesundheitsverwaltung, Bd. 1,242 (242 f.); W. Berg, ZfSH/SGB 1996,505 (509).

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Trotz dieses Rückschlages setzte man den eingeschlagenen Weg im Rahmen von neun internationalen Sanitätskonferenzen, die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts abgehalten wurden, fort. 70 Im Zuge des medizinisch-wissenschaftlichen Fortschrittes 71 konnte dann auf der Pariser 11. Sanitätskonferenz von 1903 bereits eine grundlegende Revision und Vereinheitlichung der internationalen Maßnahmen u. a. gegen Pest, Cholera und Gelbfieber erreicht werden. Gleichzeitig wurde die Gründung eines Internationalen Gesundheitsamtes („Office International d'Hygiène Publique") angeregt, das schließlich am 9. Dezember 1907 von zwölf Staaten mit Sitz in Paris errichtet werden konnte.72 Das Deutsche Reich wurde im Jahre 1928 Mitglied der Organisation. 73 Im Rahmen der Tätigkeit des Internationalen Gesundheitsamtes wurden bis zum 1. Weltkrieg drei neue internationale Sanitätskonventionen ausgearbeitet.74 Mit der Gründung des Völkerbundes wurde der Versuch unternommen, entsprechend Art. 23 f. Völkerbundsatzung das Internationale Gesundheitsamt in die Organisation des Völkerbundes einzubinden. Hierzu kam es nach einem ersten Fehlschlagen des Vorhabens in Ansätzen im Jahre 1923 durch die Gründung der Hygiene-Organisation des Völkerbundes. Das führte allerdings nicht zum Verlust der Selbständigkeit des Internationalen Gesundheitsamtes.75 In Kooperation mit dem Gesundheitsamt waren die wichtigsten Aufgaben der Hygiene-Organisation die Errichtung eines Epidemiennachrichtendienstes, die Aufstellung von Statistiken über Geburten, Sterblichkeit, Krankheiten und Todesursachen, die Durch70

Paris (1859); Konstantinopel (1866); Wien (1874); Washington (1881); Rom (1885); Venedig (1892); Dresden (1893); Paris (1894); Venedig (1897); Habernoll, in: Pürckhauer/Stralau (Hrsg.), Gesundheitsverwaltung, Bd. I, 243 (243); Einzelheiten bei Siddiqui, World Health and World Politics, 15 ff. 71

1883 wurden die Erreger der Cholera durch Robert Koch, 1894 der Pesterreger durch Kitasato und Yersin entdeckt; insgesamt zur historischen Entwicklung der internationalen Gesundheitskooperation unter Berücksichtigung der medizinischen Aspekte Siddiqui, World Health and World Politics, 14 ff. 72

Habernoll, in: Pürckhauer/Stralau (Hrsg.), Gesundheitsverwaltung, Bd. I, 243 (243); W. Berg, ZfSH/SGB 1996, 505 (509); Goodman, International Health Organizations and their Work, 85 f. 73 Abkommen wegen Errichtung und Unterhaltung eines Internationalen Gesundheitsamts v. 9.12.1907, R.Min.Bl. 19301,2, auch abgedruckt bei: Knipping/von Mangoldt/Rittberger (Hrsg.), Das System der Vereinten Nationen, Bd. II, 277 ff. 74

Internationale Übereinkunft betreffend Maßregeln gegen Pest, Cholera und Gelbfieber vom 17.1.1912, RGBl. 1912 II, 5; Internationale Sanitätskonvention vom 21.6.1926, RGBl. 1930 II, 590; Internationale Sanitätskonvention für die Luftfahrt vom 12.4.1933, RGBl. 1935 11,817. 75

Vierheilig, Die rechtliche Einordnung der von der Weltgesundheitsorganisation beschlossenen regulations, 6.

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

303

führung biologischer Standardisierung, die Verbesserung der Aus- und Fortbildung des medizinischen Personals und schließlich die Förderung von Forschungsarbeiten im Gesundheitswesen.76 Die besonderen Herausforderungen im Gesundheitsbereich, die der 2. Weltkrieg verursachte, führten dann dazu, daß 1943 die United Nations Relief and Rehabilitations Administration (UNRRA) gegründet wurde. Sie war mit spezifischen, insbesondere kriegsbedingten Gesundheitsfragen wie Seuchenbekämpfung und Aufbau nationaler Gesundheitsämter in den Kriegsgebieten betraut. 77 Mit dem Ende des 2. Weltkrieges und der Gründung der Vereinten Nationen erfuhr die zu dieser Zeit in drei Organisationen angesiedelte institutionalisierte internationale Kooperation im Gesundheitswesen eine Neuordnung. Aufbauend auf den Zielvorgaben der Art. 1 Ziff. 3 und Art. 55 lit. b) UN-Charta, deren Inhalt in einem Memorandum der brasilianischen Delegation auf der Konferenz von San Francisco im Jahre 1945 prägnant dahingehend zusammengefaßt wurde, daß ,,[d]ie ärztliche Wissenschaft ... eine der Säulen des Friedens [ist]", 78 kam es durch Beschluß des ECOSOC vom 15. Februar 1946 zur Einberufung einer Konferenz, die sich mit der Gründung einer einheitlichen internationalen Gesundheitsorganisation befassen sollte. 79 Auf der Tagung, die vom 18. März 1946 bis zum 5. April 1946 in Paris stattfand, wurde Einigkeit darüber erzielt, daß die zu gründende Organisation als Sonderorganisation der Vereinten Nationen (Art. 57 UNCharta) einen rein technisch-administrativen, unpolitischen Charakter haben und sie u. a. eine enge Kooperation mit den nationalen Gesundheitsbehörden betreiben sollte. 80 Auf der anschließenden internationalen Gesundheitskonferenz in New York (19. bis 22. Juni 1946) wurde dann die Satzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterzeichnet. Sie trat am 7. April 1948 in Kraft, nachdem sie von den erforderlichen 26 Mitgliedstaaten der UNO ratifiziert worden war (vgl. Art. 80 WHO-Satzung). 81 Die Bundesrepublik Deutschland trat der WHO 1951 76 Siddiqui, World Health and World Politics, 19 f.; Vierheilig, Die rechtliche Einordnung der von der Weltgesundheitsorganisation beschlossenen regulations, 7. 77

Einzelheiten bei Vierheilig, Die rechtliche Einordnung der von der Weltgesundheitsorganisation beschlossenen regulations, 7 f.; Habernoll, in: Pürckhauer/Stralau (Hrsg.), Gesundheitsverwaltung, Bd. I, 243 (244 f.). 78 Zitiert nach: Habernoll, in: Pürckhauer/Stralau (Hrsg.), Gesundheitsverwaltung, Bd. I, 243 (245). 79 Nachweise bei Vierheilig, Die rechtliche Einordnung der von der Weltgesundheitsorganisation beschlossenen regulations, 11. 80

Vierheilig, Die rechtliche Einordnung der von der Weltgesundheitsorganisation beschlossenen regulations, 11. 81

Die Satzung der Weltgesundheitsorganisation vom 22. Juni 1946 ist u. a. abgedruckt in: BGBl. 1974 II, 43, mit Änderungen BGBl. 1975 II, 1103; BGBl. 1977 II, 339; BGBl.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

bei, allerdings nicht im Wege der Ratifikation der Satzung mit Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG), sondern durch schlichten Regierungsakt. Die WHO-Satzung wurde erst 1974 im Bundesgesetzblatt bekannt gemacht.82 Auch wenn die WHO - wie noch darzustellen ist - nicht die einzige internationale Organisation ist, die sich mit dem Gesundheitswesen befaßt, kommt ihr doch eine zentrale Rolle in diesem Bereich zu. Ihre Aufgaben sind deutlich administrativ-technisch angelegt, wie Art. 2 WHO-Satzung zeigt. Hiernach ist sie als „leitende und koordinierende Stelle auf dem Gebiet des internationalen Gesundheitswesens tätig" (Art. 2 lit. a) WHO-Satzung). Sie hat u. a. eine wirksame Zusammenarbeit mit anderen internationalen Organisationen und den staatlichen Gesundheitsbehörden herbeizuführen und zu pflegen sowie die erforderlichen Verwaltungs- und fachlichen Dienste, einschließlich epidemiologischer und statistischer Dienste, einzurichten und zu unterhalten (Art. 2 lit. f) WHO-Satzung). Die damit auf einen spezifischen unpolitischen Sachbereich bezogene Kompetenz der WHO wurde vom IGH in seinem Urteil zur Gutachtenanfrage der WHO hinsichtlich der Völkerrechtswidrigkeit des Einsatzes von Atomwaffen im internationalen bewaffneten Konflikt nachdrücklich in Erinnerung gerufen. Der IGH wies die Gutachtenanfrage der WHO als unzulässig zurück, da die zugrundeliegende Rechtsfrage nicht von der Aufgabenkompetenz der WHO als ausschließlich auf technisch-administrative Sachaufgaben im Gesundheitswesen bezogen gedeckt war. 83 Damit wurde klargestellt, daß die WHO ausschließlich der administrativen Aufgabenerledigung im internationalen System verpflichtet ist. Institutionell werden die Aufgaben der WHO von ihren drei Organen Weltgesundheitsversammlung, Exekutivrat und Sekretariat wahrgenommen (Art. 9 WHO-Satzung). 84 Leitendes Organ ist die Weltgesundheitsversammlung, die sich aus den Delegierten der Mitgliedstaaten, die „möglichst die staatliche Gesundheitsverwaltung des Mitgliedstaates vertreten" sollen, zusammensetzt (Art. 10 f. WHO-Satzung). Zur Erfüllung ihrer umfangreichen Aufgaben (vgl. Art. 18 WHOSatzung) kann die Weltgesundheitsversammlung mit 2/3-Mehrheit Konventionen oder Abkommen annehmen, die von den Mitgliedstaaten zu ratifizieren sind; 1984 II, 347; auch abgedruckt in: Peck, Die Weltgesundheitsorganisation, 76 ff. 82 BGBl. 1974 II, 43; siehe dort auch die Mitteilung, daß die Satzung für die Bundesrepublik Deutschland am 29. Mai 1951 in Kraft trat. 83

ICJ, Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict (Request of the World Health Organization), ICJ Reports 1996, 66 (para. 20 ff.); siehe hierzu bereits supra Teil 2, B. III. 84

69 ff.

Zu den Aufgaben der Organe ausführlich Bélanger, Droit international de la santé,

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

305

unterbleibt die Ratifikation, hat der betreffende Mitgliedstaat die Gründe hierfür ausführlich darzulegen (Art. 20 WHO-Satzung). Dieses, seiner Anlage nach weitreichende internationale Rechtssetzungsverfahren konnte in der Praxis allerdings bislang nicht effektiv eingesetzt werden. Ein erstmaliger Anwendungsfall könnte sich jedoch mit Blick auf die zur Zeit erarbeitete Rahmenkonvention über Tabakkontrolle ergeben. 85 Wenig erfolgreich war bislang auch das in Art. 21 f. WHOSatzung vorgesehene Verfahren des Erlasses von regulations, die unter dem Vorbehalt des opting out ohne zusätzliche nationale Ratifikation für die Mitgliedstaaten in Kraft treten. 86 Seit der Gründung der WHO konnten im Rahmen der einseitigen Rechtssetzung durch die Organisation 87 nur Regelungen zu Maßnahmen zur Verhütung der Verbreitung von Krankheiten 88 und zur Erstellung von Nomenklaturen von Krankheiten und Todesursachen89 erlassen werden. Weit wichtiger als die formellen Rechtssetzungsverfahren der WHO sind jedoch ihre zahlreichen administrativen Aktivitäten, die sich u. a. durch die Weltgesundheitsversammlung wahrgenommen in der Form von prima facie

unverbindlichen Empfehlungen (Art. 23 WHO-Satzung) und sonstigen Verwaltungsmaßnahmen zeigen und von der Idee funktionaler Dezentralisation und Dekonzentration beherrscht werden. 90 Die Empfehlungen der Weltgesundheitsversammlung erstrecken sich auf weite Bereiche des öffentlichen Gesundheitswesens. Neben konzeptionell umfassenden Programmen wie „Gesundheit für 85 Einzelheiten hierzu in: WHO Framework Convention on Tobacco Control, Report of the first Meeting of the Working Group, WTO Doc. A/FCTC/WG1/7 v. 28.10.1999; zur Ineffektivität des Rechtssetzungsverfahrens der WHO siehe auch Vierheilig, Die rechtliche Einordnung der von der Weltgesundheitsorganisation beschlossenen regulations, 30 ff.; Fidler, Vanderbilt Journal of Transnational L. 31 (1998), 1079 (1089 ff.). 86

Hierzu ausführlich Vierheilig, Die rechtliche Einordnung der von der Weltgesundheitsorganisation beschlossenen regulations, 60 ff.; Fidler, Vanderbilt Journal of Transnational L. 31 (1998), 1079 (1089 ff.); Hohe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 295 ff. 87

Zu dieser Charakterisierung des Verfahrens nach Art. 21 f. WHO-Satzung Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 297; Vierheilig, Die rechtliche Einordnung der von der Weltgesundheitsorganisation beschlossenen regulations, 97 ff. 88

Regulations Nr. 2 der Weltgesundheitsorganisation (International Sanitary Regulations) vom 25.5.1951, BGBl. 1955 II, 1062, ersetzt durch die Internationalen Gesundheitsvorschriften (International Health Regulations) vom 1.1.1971, BGBl. 1971 II, 856. 89

WHO Regulations Nr. 1 vom 24.7.1948, hierzu ausführlich Vierheilig, Die rechtliche Einordnung der von der Weltgesundheitsorganisation beschlossenen regulations, 73 ff. 90

Zum Konzept und zur historischen Entwicklung funktionaler Dezentralisation und Dekonzentration in der WHO ausführlich Siddiqi, World Health and World Politics, 53 ff.; Bélanger, Droit international de la santé, 74 ff.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

alle bis zum Jahr 2000," 9 l sind es einzelne konkrete Maßnahmen, die insoweit von der W H O ergriffen und administriert werden. 92 Zu nennen ist hier beispielhaft die Erarbeitung der Liste der International Pharmaceutical

Nonproprietary

Names for

Substances (INNs), die sich auf die einheitliche Namensgebung

für Substanzen bezieht, die als pharmazeutische Mittel vermarktet werden. Bis heute umfaßt diese Liste nahezu 7.000 Namen. 93 Eine ebenfalls prima facie unverbindliche Maßnahme der W H O stellen die Guidelines for Drinking-water Quality dar, die seit 1958 in mehrfacher Änderung veröffentlicht werden. Gleiches gilt für den von der WeltgesundheitsVersammlung 1981 erstmals angenommenen International

Code of Marketing

ofBreast-milk

Substitutes.

94

A l s letztes

Beispiel sei schließlich auf die Arbeiten der W H O im Bereich der biologischen Standardisierung hingewiesen, bei denen es um die Ausarbeitung von Empfehlungen zu Verfahren geht, die die Sicherheit und Wirksamkeit der biologischmedizinischen Produkte, wie Impfstoffe, Plasmaprodukte und Diagnostika, garantieren. 95 Organisatorisch verwirklicht wird das Konzept der Dezentralisation und Dekonzentration in der W H O zunächst durch die Einrichtung von zahlreichen Regionalbüros (Art. 44 ff. WHO-Satzung), die integrierender Bestandteil der Organisation sind (Art. 45 WHO-Satzung). Die gegenwärtig existierenden sechs Regionalbüros 96 haben umfangreiche Kompetenzen zur Wahnehmung der spezifischen auf eine Region zugeschnittenen Aufgaben im Bereich des Gesundheitswesens (vgl. Art. 50 WHO-Satzung). Daneben bestehen innerhalb der W H O zahlreiche Arbeitsgruppen, die sich einzelnen Sachthemen widmen und u. a. durch die regelmäßige Expertenpartizipation Elemente der Dekonzentration repräsentieren. 97 Von besonderem Interesse sind schließlich die noch näher darzustellenden Arbeitsgruppen, die in Kooperation mit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) tätig sind.

91

Umfassend beschrieben in WHO, Weltgesundheitsbericht 1998, 141 ff.

92

Zu einem gestrafften Überblick über die Aktivitäten der WHO insgesamt siehe W. Berg, ZfSH/SGB 1996, 505 (514 ff.). 93

Einzelheiten in WHO, Weltgesundheitsbericht 1998, 23 f.

94

WHO, Weltgesundheitsbericht 1998, 25 f.

95

WHO, Weltgesundheitsbericht 1998, 26.

96

Vgl. Vierheilig, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 2, 1425 (1427); zu den regionalen Gliederungen der WHO siehe auch W. Berg, ZfSH/SGB 1996, 505 (514). 97

Bélanger, Droit international de la santé, 82.

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht 2. Gesundheitsschutz

und Land-, Forst- sowie Fischereiwirtschaft

307 (FAO)

Die FAO als zweite wichtige Organisation der internationalen institutionalisierten Kooperation im Gesundheitswesen wurde am 16. Oktober 1945 gegründet; 98 die Ursprünge der internationalen Kooperation in Ernährungs- und Landwirtschaftsfragen reichen allerdings weit in das 19. Jahrhundert hinein zurück. 99 Für die Bundesrepublik Deutschland, deren Beitritt zu dieser Organisation sich ebenso wie bei der WHO ohne Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften 1. S. v. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG vollzog - die Satzung der FAO wurde erst 1971 im Bundesgesetzblatt bekannt gemacht - , ist die Satzung der FAO seit dem 27. November 1950 in Kraft. 1 0 0 Als ihre Ziele werden in der Präambel der FAOSatzung u. a. die „Hebung des Ernährungs- und Lebensmittelstandards der Völker", die „Ausweitung der Weltwirtschaft" und die „Befreiung der Menschheit vom Hunger" genannt. 101 Zur Erreichung dieser Ziele fördert und empfiehlt die FAO innerstaatliche und internationale Maßnahmen und schlägt internationale Richtlinien über Abkommen für landwirtschaftliche Erzeugnisse vor. Darüber hinaus hat die FAO die Kompetenz, technische Hilfe zu gewähren und alle Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig und zweckmäßig sind, um ihre Ziele zu verwirklichen. 102 I m einzelnen konzentriert sich die Arbeit der FAO heute auf fünf zentrale Sachbereiche: Landwirtschaftliche Produktion; Lebensmittel- und Landwirtschaftsfragen; Fischerei; Forstwirtschaft; sowie Querschnittsaspekte der nachhaltigen Entwicklung. 103 I m hier interessierenden Gesundheitsbereich ist die FAO seit Anfang der 1960er Jahre aktiv. Nach einer durch die verheerenden Auswirkungen des 2. Weltkrieges bedingten Konzentration der Arbeit der FAO auf Ernährungs98 Text der Satzung der FAO in BGBl. 1971 II, 1033, mit Änderungen BGBl. 1982 II, 266; zur historischen Entwicklung siehe Phillips, FAO: Ursprung, Aufbau und Entwicklung, 11 ff.; Marchisio/Di Blase, The Food and Agriculture Organization (FAO), 3 ff.; Köhler, Sozialpolitische und sozialrechtliche Aktivitäten in den Vereinten Nationen, 301 ff. 99

Marchisio/Di

100

Blase, The Food and Agriculture Organization (FAO), 4 ff.

BGBl. 1971 II, 1033.

101

Zum Zusammenhang zwischen dieser Zielsetzung und dem positiven Friedensbegriff siehe H.-J. Schütz, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 1, 499 (501 f.). 102

H.-J. Schütz, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 1, 499 (502). 103 Ein detaillierte Beschreibung der Arbeiten der FAO in diesen fünf zentralen Arbeitsberichten bietet der jährliche Bericht des Generalsekretärs an die Konferenz der FAO (vgl. Art. I I I FAO-Satzung), siehe z. B. The Director-General's Programme of Work and Budget 2000-01, FAO Doc. C 99/3.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

fragen in ihren Anfangsjahren, wuchs spätestens Ende der 1950er Jahre wieder das Interesse an Landwirtschafts- und Ernährungsfragen, die einen unmittelbaren Gesundheitsbezug aufweisen. Hierbei konnte an schon zur Zeit des Völkerbundes erarbeitete Konzepte einer untrennbaren Verbindung zwischen dem Landwirtschafts- und dem Gesundheitswesen angeknüpft werden. 104 I m einzelnen ist die FAO heute z. B. mit Aspekten der Trinkwasserversorgung und der Vermeidung schlechter Ernährungsgewohnheiten befaßt. 105 Seit Mitte der 1970er Jahre beschäftigt sie sich auch intensiv mit der Lebensmittelsicherheit, wozu 1975 ein „Comité de sécurité alimentaire mondiale" gegründet wurde. 1 0 6 Darüber hinaus spielen Fragen der Tiergesundheit eine wichtige Rolle in der Arbeit der FAO. I m Rahmen der mit diesem Bereich befaßten Animal Production and Health Division der FAO werden Aspekte wie Tierseuchen- und Parasitenbekämpfung, Veterinäre Tierversorgung und Tierhaltung und Tierproduktion bearbeitet. 107 Weiterhin von Bedeutung sind die Arbeiten der FAO auf den Gebieten Land- und Wassernutzung (Land

and Water Development

Division)

sowie Pflanzenproduktion und Pflanzenschutz (Plant Production and Protection Division), wozu auch der Arbeitsbereich Pestizide und Pestizidrückstände in Lebensmitteln gehört. 108 Hier wurde durch die FAO ein International Code of Conduct on the Distribution and Use of Pesticides erarbeitet, der durch Richtlinien zur technischen Umsetzung ergänzt wird. 1 0 9 Schließlich befaßt sich die FAO mit dem Schutz genetischer Pflanzenressourcen (Seed and Plant Genetic Resources Service), wo ebenso wie in den zuvor genannten Bereichen Empfehlungen unterschiedlichster Art an die Mitglieder abgegeben wurden.

104 Zu dieser „revolutionary marriage" zwischen Landwirtschafts- und Gesundheitswesen in den 1930er Jahren siehe Marchisio/Di Blase, The Food and Agriculture Organization (FAO), 7 f. 105

FAO, FAO Annual Review, A summary of the Organization's Activities during 1992, 23 f. und 29. 106

W. Berg, ZfSH/SGB 1996, 505 (520). Eine Übersicht zu den zahlreichen Aktivitäten findet sich auf der Homepage der FAO: www.fao.org . 107

108 Hierzu auch Böttcher, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II, § 63 Rdnr. 6. 109

FAO, International Code of Conduct on the Distribution and Use of Pesticides and FAO Pesticide Management Guidelines, beides verfügbar unter: http://www.fao.org/ WAICENT/FAOINFO/AGRICULT/AGP/AGPP/Pesticid/Default.htm.

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht 3. Kooperation

309

von FAO und WHO in Lebensmittelfragen ( Codex

Alimentarius)

Von besonderer Bedeutung für das Gesundheitswesen sind Aktivitäten der FAO, die diese in Kooperation mit der WHO durchführt. Schon 1947 gründeten FAO und WHO ein gemischtes Komitee für Kinderernährung. 110 Ein Joint Meeting (JMPR) von FAO und WHO befaßt sich seit langer Zeit mit Fragen der Toxikologie von Pflanzenschutzmitteln und ihren Rückständen in Lebens- und Futtermitteln. 111 1962 erfolgte die Einsetzung der Codex Alimentarius Commission als gemeinsame Institution von WHO und FAO, die sich mit Lebensmittelstandards insbesondere mit Blick auf den Verbraucherschutz befaßt. Die Codex Alimentarius Commission geht ihrer Idee nach auf den Codex Alimentarius

Austriacus

zurück, eine Sammlung von Produktstandards für Lebensmittel, die von 1887 bis 1911 im österreichisch-ungarischen Kaiserreich erarbeitet wurde. 112 Nach der Gründung eines Codex Alimentarius

Europaeus

nach dem 2. Weltkrieg

(1954-1958), dessen Arbeit nur auf Europa beschränkt war, wurde im Jahre 1962 die Codex Alimentarius Commission als universelle Institution eingesetzt. Sie ist ein gemeinsames Exekutivorgan von WHO und FAO. Aufgabe der Codex Alimentarius Commission ist es, auf allen Gebieten der Lebensmittelsicherheit Standards zu erarbeiten und als Koordinationsstelle für alle internationalen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen im Bereich des Lebensmittelwesens tätig zu sein. 113 Der Codex Alimentarius Commission gehören heute (Stand: Juli 1999) 165 Staaten an, 114 die durch RegierungsVertreter und Sachverständige auf den jeweiligen Sitzungen vertreten werden. 115 Organisatorisch vollzieht sich 110

Bélanger, Droit international de la santé, 144; W. Berg , ZfSH/SGB 1996,505 (520).

111

Böttcher, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II, § 63 Rdnr. 6. 112

Ausführlich zur Geschichte Randell, Food, Nutrition and Agriculture 13/14 (1995), 35 (35 f.). 113 Art. 1 Statutes of the Codex Alimentarius Commission, verfügbar unter: www. fao.org/WAICENT/FAOINFO/ECONOMIC/ESN/codex/Manual/statutes.htm. 114

Codex Alimentarius Commission, Report of the 23rd Session, Doc. ALINORM 99/37, Appendix XII. 115

An der dreiundzwanzigsten Sitzung nahm für die Bundesrepublik ein Ministerialdirigent aus dem Bundesministerium für Gesundheit als Delegationsleiter teil. Weitere Delegationsmitglieder waren: Jeweils ein Regierungsdirektor und ein Oberregierungsrat aus dem Bundesministerium für Gesundheit; der Direktor des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin; zwei Oberregierungsrätinnen aus dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten; ein Oberamtsrat aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie; ein Vertreter des Verbandes der Deutschen Milchwirtschaft e. V.; ein Vertreter der Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau e. V.;

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns die A r b e i t der Codex Alimentarius Commission in 21 Komitees für einzelne Sachbereiche, sechs Komitees zur Koordinierung der A r b e i t der regionalen Büros sowie zur Zeit drei intergouvernmentalen Arbeitsgruppen auf

Ad-hoc-

Basis.116 Die inhaltliche Arbeit der Codex Alimentarius Commission ist der Standardisierung und damit Harmonisierung des Lebensmittelrechts verpflichtet. 1 1 7 Dies w i r d in den „General Principles o f the Codex Alimentarius" wie folgt umschrieben: „The Codex Alimentarius is a collection of internationally adopted food standards presented in a uniform manner. These food standards aim at protecting consumers' health and ensuring fair practices in the food trade. The Codex Alimentarius also includes provisions of an adivsory nature in the form of codes of practice, guidelines and other recommended measures intended to assist in achieving the purposes of the Codex Alimentarius. The publication of the Codex Alimentarius is intended to guide and promote the elaboration and establishment of definitions and requirements for foods to assist in their harmonization and in doing so to facilitate international trade." 118 Die weitreichende Bedeutung, die der Codex Alimentarius Commission in dem so umschriebenen Aufgabenbereich zukommt, ist schon daran zu ermessen, daß sie bis heute (Stand: 1999) mehr als 200 Lebensmittelstandards, mehr als 3.000 Standards für maximale Pestizidrückstände, mehr als 40 Verfahrenskodizes (Codes of Practice)

und ca. 25 Richtlinien für Lebensmittelkontaminationen ver-

abschiedet h a t . 1 1 9 D i e Annahme eines entsprechenden Standards erfolgt nach einem komplexen Verfahren i n acht oder fünf Schritten („Step Procedure") 1 2 0 in der Codex Alimentarius Commission durch Mehrheitsvotum, wobei allerdings

ein Vertreter des Verbandes Deutscher Mineralbrunnen e. V.; ein Vertreter des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e. V.; ein Vertreter der Aktionsgruppe Babynahrung; sowie vier Vertreter großer deutscher Lebensmittelunternehmen; siehe Codex Alimentarius Commission, Report of the 23rd Session, Doc. ALINORM 99/37, Appendix I. 116 Zur Organisationsstruktur der Codex Alimentarius Commission ausführlich Merkte, Der Codex Alimentarius der FAO und WHO, 17 ff. 117

Ausführlich zur diesbezüglichen Entwicklung der Codex Alimentarius Commission Eckert, ZLR 1974, 25 ff.; ders., ZLR 1984, 1 ff. und 113 ff. 118

Abs. 1 der General Principles of the Codex Alimentarius, abgedruckt in: Codex Alimentarius Commission: Procedural Manual, 10. Aufl., 1997. 119 Randell/Miyagishima/Maskeliunas, Food, Nutrition and Agriculture 21 (1998), 18; Merkte, Der Codex Alimentarius der FAO und WHO, 17 ff. und 52. 120

Ausführlich niedergelegt in den Procedures for the Elaboration of Codex Standards and Related Texts, abgedruckt in: Codex Alimentarius Commission: Procedural Manual, 10. Aufl., 1997; hierzu auch Merkte, Der Codex Alimentarius der FAO und WHO, 31 ff.

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

311

zunächst zu versuchen ist, eine Annahme im Wege des Konsensus herbeizuführen. 121 Aus rechtlicher Perspektive ist allerdings zu beachten, daß die Entscheidungen der Codex Alimentarius Commission nicht schon für sich selbst unmittelbare völkerrechtliche Wirksamkeit entfalten. Nach den einschlägigen Verfahrensregelungen ist es vielmehr so, daß es der ausdrücklichen Annahme eines Codex-Standards durch die Staaten bedarf, um eine völkerrechtliche Bindungswirkung herzustellen. 122 Die Mitgliedstaaten haben dabei drei Möglichkeiten der Annahme: Im Rahmen der Vollannahme („full acceptance") und der Annahme mit spezifischen Abweichungen („acceptance with specific deviations") verpflichten sich die Staaten zur Sicherstellung des freien Verkehrs von Erzeugnissen, die dem entsprechenden Standard genügen, sowie zum Verbot von Produkten, die dem Standard nicht entsprechen, vorbehaltlich notifizierter Abweichungen. Soweit die Mitgliedstaaten dagegen - als dritte Möglichkeit - nur die freie Verkehrsfähigkeit („free distribution") erklären, sind sie auch nur verpflichtet, den freien Verkehr des fraglichen Erzeugnisses innerhalb der Grenzen ihrer Jurisdiktion sicherzustellen. 123 Dieses Verfahren gilt für die von der Kommission erarbeiteten „Commodity Standards", die „General Standards" und die Standards für Höchstwerte für Pestizide und für Stoffe mit pharmakologischer Wirkung. 124 Die jeweils abgegebene einseitige Annahmeerklärung ist völkerrechtlich als einseitiges Rechtsgeschäft mit Bindungswirkung zu werten. 125 121 Siehe Rule X Abs. 2 der Rules of Procedure of the Codex Alimentarius Commission, in: Codex Alimentarius Commission: Procedural Manual, 10. Aufl., 1997: „The Commission shall make every effort to reach agreement on the adoption or amendment of standards by consensus. Decisions to adopt or amend standards may be taken by voting only if such efforts to reach consensus have failed". Das Abstimmungsverfahren durch Mehrheitsentscheidung ist in Rule V I der Rules of Procedure festgelegt. Zur Zeit wird sehr intensiv über eine Änderung dieses Abstimmungsmodus diskutiert, siehe Eckert, ZLR 1999, 371 (374). 122 Abs. 4A der General Principles of the Codex Alimentarius, abgedruckt in: Codex Alimentarius Commission: Procedural Manual, 10. Aufl., 1997; siehe auch Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 299 f.; Merkle, Der Codex Alimentarius der FAO und WHO, 38 ff. 123 Abs. 4A der General Principles of the Codex Alimentarius, abgedruckt in: Codex Alimentarius Commission: Procedural Manual, 10. Aufl., 1997; siehe auch Eckert, ZLR 1995, 363 (378). Zur Zeit wird in der Codex Alimentarius Commission über eine Revision des Annahmeverfahrens diskutiert, siehe Eckert, ZLR 1999, 371 (375). 124 Einzelheiten hierzu in den General Principles of the Codex Alimentarius, abgedruckt in: Codex Alimentarius Commission: Procedural Manual, 10. Aufl., 1997; siehe auch Eckert, ZLR 1995, 363 (378). 125

Hierzu grundlegend IGH, Nuclear Test Cases, ICJ Reports 1974, 267,472; aus dem Schrifttum statt vieler Doehring, Völkerrecht, Rdnr. 323 ff.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

In der Praxis der Codex Alimentarius Commission wurde bislang allerdings nur ein geringer Teil der von der Kommission verabschiedeten Standards von einzelnen Staaten angenommen. Insbesondere die Mitgliedstaaten der EG sind insofern ausgesprochen zurückhaltend. Dies ist allerdings oftmals darauf zurückzuführen, daß die Mitgliedstaaten der EG viele ihrer Kompetenzen im Lebensmittelbereich an die Gemeinschaft abgegeben haben.126 Nach entsprechenden Änderungen der Verfahrensordnung der Codex Alimentarius Commission kann jetzt zwar auch die EG selbst die entsprechenden Annahmeerklärungen abgeben;127 auch von dieser Möglichkeit wurde aber kaum Gebrauch gemacht. In der hiermit zusammenhängenden Diskussion zur Mitgliedschaft der EG in der Codex Alimentarius Commission sind bislang keine Erfolge zu verzeichnen. 128 Trotz der damit mit Blick auf die unmittelbaren völkerrechtlichen Rechtswirkungen prima facie unbefriedigenden Arbeit der Codex Alimentarius Commission ist zu beachten, daß die normative Wirkkraft der hier erfolgenden Standardisierung neben den Auswirkungen, die sich aus noch näher darzustellenden Regelungen des nationalen Lebensmittelrechts und der WTO-Rechtsordnung ergeben, 129 durch Verfahrensanordnungen der Kommission geprägt wird, die auch im Falle des Ausbleibens einer Nichtannahmeerklärung Anwendung finden. Die Mitgliedstaaten der Kommission sind nämlich in jedem Fall aufgefordert, ihre Gründe für die Nichtannahme darzulegen. 130 Im übrigen sehen die „Guidelines for the Acceptance Procedure for Codex Standards" detaillierte Regelungen vor, die insgesamt unter Anerkennung der mitgliedstaatlichen Autonomie im legislativen und exekutiven Bereich eine möglichst weitgehende Effektivität der Codex-Standards zum Ziel haben, auch wenn eine förmliche Annahme unterbleibt. In der Praxis wird die so angestrebte Effektivität der Standardisierungsarbeit der Codex Alimentarius Commission auch erreicht. Da viele Staaten ihre Gesetze und Verwaltungspraxis den Vorgaben der Kommission angepaßt haben - z. B. reflektieren zahlreiche

126 Zum europäischen Lebensmittelrecht umfassend Horst/Krohn, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, C.IV.

in: Dauses (Hrsg.),

127

Siehe Abs. 1 der Guidelines for the Acceptance Procedures for Codex Standards, abgedruckt in: Codex Alimentarius Commission: Procedural Manual, 10. Aufl., 1997; zu den kompetenzrechtlichen Fragen Merkle, Der Codex Alimentarius der FAO und WHO, 43 ff. 128

Eckert, ZLR 1995, 363 (379).

129

Infra Teil 6, A. IV. 2. c).

130 Abs. 4B der General Principles of the Codex Alimentarius, abgedruckt in: Codex Alimentarius Commission: Procedural Manual, 10. Aufl., 1997; Ausführungsbestimmungen hierzu finden sich in den Guidelines for the Acceptance Procedures for Codex Standards, abgedruckt ebda.

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

31

Rechtsinstrumente der EG im Lebensmittelbereich Codex-Standards 131 - ist das Ziel einer zumindest faktischen universellen Harmonisierung wichtiger lebensmittelrechtlicher Vorschriften im Ansatz bereits erreicht. 132 Der Codex Alimentarius Commission kommt damit eine herausragende Rolle im internationalen Gesundheitsverwaltungsrechts zu. 133

4. Gesundheitsbezogene

Aspekte des Pflanzenschutzes

Im Bereich des Pflanzenschutzes sind zahlreiche internationale Institutionen tätig: Die Internationale Organisation für Biologische Schädlingsbekämpfung (OILB) ist u. a. für Fragen zuständig, die sich auf Nebenwirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf Nutzorganismen, den Bienenschutz und den Integrierten Pflanzenschutz beziehen. Innerhalb der OECD befaßt sich das Pesticide Forum mit u. a. der Risikobewertung von Pflanzenschutzmitteln. 134 Das Codex Alimentarius Komitee für Pflanzenschutzmittelrückstände (CCPR) als Unterorgan der Codex Alimentarius Commission legt Standards für Höchstmengen für Pflanzenschutzmittelrückstände fest, die in Lebens- und Futtermitteln enthalten sein dürfen. 135 Von zentraler Bedeutung für Fragen des internationalen Pflanzenschutzes ist das Sekretariat des Internationalen Pflanzenschutzabkommens vom 6. Dezember 1951. 136 Das Pflanzenschutzabkommen von 1951 ersetzt das Internationale Reblausabkommen von 1881, das hierzu ergangene Berner Zusatzprotokoll vom 15. April 1889 und das Internationale Pflanzenschutzabkommen vom 16. April 1929. 137 deren frühzeitige Verabschiedung die Bedeutung der internationalen Regelung von pflanzenschutzrechtlichen Problemen, die insbesondere im grenzüberschreitenden Verkehr auftreten können, verdeutlicht. Das Abkommen von 1951

131

Hierzu ausführlich Merkle, Der Codex Alimentarius der FAO und WHO, 53 ff. Eckert , ZLR 1995, 363 (379 f.); ähnlich Merkle, Der Codex Alimentarius der FAO und WHO, 71. 132

133

Siehe auch die Bewertungen von Randell, Food, Nutrition and Agriculture 13/14 (1995), 35 ff.; Eckert, ZLR 1995,363 (380); Merkle, Der Codex Alimentarius der FAO und WHO, 71. 134

Zu den genannten Institutionen Böttcher, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II, § 63 Rdnr. 6. 135 Böttcher, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II, § 63 Rdnr. 6. 136 137

BGBl. 1956 II, 947; BGBl. 1985 II, 982.

Hierzu Murmann, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 2, 764.

314

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

zielt im einzelnen darauf ab, die internationale Zusammenarbeit „im Kampfe gegen Krankheiten und Schädlinge bei Pflanzen und pflanzlichen Erzeugnissen, insbesondere gegen Einschleppung und Verbreitung über die Grenzen der einzelnen Staaten hinweg," zu stärken (vgl. Präambel des Übereinkommens). Dazu sind detaillierte Verpflichtungen der Vertragsparteien vorgesehen, die sich auf die legislative und administrative Praxis hinsichtlich des Pflanzenschutzes beziehen. Im einzelnen werden die Vertragsparteien verpflichtet, nationale Pflanzenschutzämter mit genau umrissenen Aufgaben einzurichten (Art. I V des Übereinkommens), konkret beschriebene Maßnahmen hinsichtlich der Ausstellung von Pflanzenschutzgesundheitszeugnissen zu ergreifen (Art. V des Übereinkommens) und formelle sowie materielle Mindeststandards bei Einfuhrbeschränkungen für Pflanzen zu beachten (Art. V I des Übereinkommens). Darüber hinaus erfolgt eine institutionelle Anbindung des Übereinkommens an die FAO, die im Zentrum der von den Vertragsparteien zu beachtenden internationalen Zusammenarbeitsverpflichtungen, insbesondere in der Form des Informationsaustausches, steht (Art. V I I des Übereinkommens). Gleichzeitig wird auch im Pflanzenschutzwesen auf das Konzept der Dezentralisation zurückgegriffen, indem regionale Organisationen des Pflanzenschutzes vorgesehen sind (Art. V I I I des Übereinkommens). 138 Im Gegensatz zur Codex Alimentarius Commission gab es im Rahmen des Pflanzenschutzübereinkommens lange Zeit keine Standardisierungsbemühungen, was u. a. darauf zurückzuführen ist, daß das Übereinkommen selbst - von einem allgemeinen Verweis auf die Rolle der FAO abgesehen - keine institutionellen Regelungen enthält. Erst 1992 nahm in der FAO ein eigenständiges Sekretariat für das Pflanzenschutzübereinkommen seine Arbeit auf. 139 Im Jahre 1993 folgte dann die Annahme von vorläufigen Verfahrensregelungen zur Ausarbeitung von technischen Standards im Bereich des Pflanzenschutzes. 140 Zugleich wurde ein Expertenkomitee für Pflanzenschutzmaßnahmen eingesetzt. Seither (Stand: Dezember 1999) wurden zehn verschiedene Sammlungen technischer Standards für den

138 Es existieren die folgenden Regionalorganisationen: Asia and Pacific Plant Protection Commission (APPPC); Caribbean Plant Protection Commission (CPPC); Comité Regional de Sanidad Vegetal Para El Cono Sur (COSAVE); Communidad Andina (CA); European and Mediterranean Plant Protection Organization (EPPO); Interafrican Phytosanitary Council (IAPSC); North American Plant Protection Organization (NAPPO); Organismo Internacional Regional de Sanidad Agropecuaria (OIRSA); Pacific Plant Protection Organization (PPPO). 139

Stewart/Johanson,

Syracuse Journal of Int'l L. & Comm. 26 (1998), 27 (46 f.).

140

Stewart/Johanson,

Syracuse Journal of Int'l L. & Comm. 26 (1998), 27 (48).

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

31

Pflanzenschutz erarbeitet und angenommen.141 Da das bislang praktizierte, weitgehend auf einer Ad-hoc-Basis erfolgende Verfahren der Standardisierung im Pflanzenschutzsektor allerdings als den tatsächlichen Herausforderungen nicht gerecht werdend angesehen wird, kam es 1995 zu einem Beschluß der FAO-Konferenz, der eine Anpassung des Übereinkommens von 1951 vorsieht. 142 Der daraufhin erarbeitete Entwurf eines geänderten Internationalen Pflanzenschutzübereinkommens wurde von der 29. FAO-Konferenz im November 1997 angenommen; 143 er ist allerdings noch nicht in Kraft. 144 Das revidierte Pflanzenschutzübereinkommen sieht neben noch weiter ausgebauten Verpflichtungen der Vertragsparteien mit Blick auf ihre nationalen Verwaltungsverfahren hinsichtlich des Pflanzenschutzes insbesondere die Errichtung einer internationalen Pflanzenschutzkommission im Rahmen der FAO vor (Art. X I des Übereinkommensentwurfes). Ihre Aufgabe wird neben einer ausgedehnten Überwachungs- und Informationstätigkeit maßgeblich die Erarbeitung und Verabschiedung technischer Standards sein. Dazu ist vorgesehen, daß technische Standards, zu deren Beachtung die Vertragsparteien „as appropriate" verpflichtet werden, 145 mit Zwei-Drittel-Mehrheitsvotum angenommen werden können, soweit kein Konsens zu erzielen ist. 1 4 6 Damit wird das

141

Principles of Plant Quarantine as Related to International Trade (1995); Guidelines for Pest Risk Analysis (1996); Code of Conduct for the Import and Release of Exotic Biological Control Agents (1996); Requirements for the Establishment of Pest Free Areas (1996); Glossary of Phytosanitary Terms (1999); Guidelines for Surveillance (1997); Export Certification System (1997); Determination of Pest Status in an Area (1998); Guidelines for Pest Eradication Programmes (1998); Requirements for the Establishment of Pest Free Places of Production and Pest Free Production Sites (1999), alle verfügbar unter: http://www.fao.orgAVAICENT/FAOINFO/AGRICULT/AGP/AGPP/PQ/En/Publ/ISPM/ ispms.htm. 142

Stewart/Johanson,

Syracuse Journal of Int'l L. & Comm. 26 (1998), 27 (46).

143

FAO Conference, 29th Session, Revision of the International Plant Protection Convention, FAO Doc. C 97/17 v. 18.11.1997; der Entwurf des revidierten Übereinkommens ist verfügbar unter: http://www.fao.org/Legal/TREATIES/004t2-e.htm . 144

Im Dezember 1999 hatten erst neun Staaten das neue Übereinkommen ratifiziert. Es tritt für alle Vertragsparteien des Internationalen Pflanzenschutzübereinkommens dreißig Tage nach dem Datum in Kraft, an dem Zwei-Drittel der Vertragsparteien ratifiziert haben (hierzu und zu Ausnahmen von dieser Regel, soweit neue Vertragspflichten begründet werden, Art. X I I I Abs. 4 Pflanzenschutzübereinkommen). 145 Siehe Art. X Abs. 4 des Übereinkommensentwurfes: „Contracting parties should take into account, as appropriate, international standards when undertaking activities related to this Convention". 146

Art. X I Abs. 5 des Übereinkommensentwurfes: „The contracting parties shall make every effort to reach agreement on all matters by consensus. If all efforts to reach consensus

31

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

internationale Pflanzenschutzregime durch das revidierte Pflanzenschutzübereinkommen eine beachtliche institutionelle und materiellrechtliche Stärkung erfahren.

5. Gesundheitsschutz

und Tiergesundheit

(Internationales

Tierseuchenamt)

Im Rahmen des internationalen Gesundheitswesens ist weiterhin auf das Internationale Tierseuchenamt aufmerksam zu machen, das namentlich im Bereich der Tiergesundheit wichtige Aufgaben wahrnimmt. Wie auch mit Blick auf die historische Entwicklung der WHO und der FAO festgestellt, reicht auch die Entstehungsgeschichte des Internationalen Tierseuchenamtes in das 19. Jahrhundert zurück. Schon auf dem ersten internationalen Veterinärkongreß im Jahre 1863 in Hamburg wurde die Forderung nach einer einheitlichen Regelung der Bekämpfung von Tierseuchen und kontagiösen Krankheiten erhoben. Auf der Rinderpestkonferenz im Jahre 1872 in Wien wurde die Notwendigkeit eines koordinierten internationalen Vorgehens dann nochmals sehr deutlich. 147 Im Zuge der nachfolgenden Veterinärkongresse 148 und schließlich als Reaktion auf einen Vorfall von Rinderpest auf einem Schiff in Antwerpen kam es dann vom 15. bis zum 19. Mai 1921 zu einer internationalen Konferenz in Paris, auf der die Einrichtung eines internationalen Tierseuchenamtes beschlossen wurde. 149 Das anschließend erarbeitete „Übereinkommen zur Errichtung eines Internationalen Tierseuchenamts in Paris" wurde am 30. April 1924 unterzeichnet und hat heute 155 Vertragsparteien. 150 Das Deutsche Reich wurde im Jahre 1928 Mitglied; 151 die Bundesrepublik Deutschland wird als Mitgliedstaat von dem zuständigen Ministerialrat als

have been exhausted and no agreement is reached, the decision shall, as a last resort, be taken by a two-thirds majority of the contracting parties present and voting". 147 Hierzu und zum folgenden Hüther, Das Internationale Tierseuchenamt und sein Einfluß auf die Tierseuchenbekämpfung, 2 f. 148 Brüssel (1883); Paris (1889); Bern (1895); Baden-Baden (1905); siehe Hüther, Das Internationale Tierseuchenamt und sein Einfluß auf die Tierseuchenbekämpfung, 3. 149

Hüther, Das Internationale Tierseuchenamt und sein Einfluß auf die Tierseuchenbekämpfung, 3 f.; kurz auch Stewart/'Johanson, Syracuse Journal of Int'l L. & Comm. 26 (1998), 27 (49 f.). 150 151

Siehe die Angaben unter: http://www.oie.int/overview/a_oie.htm.

Internationales Übereinkommen für die Schaffung eines Internationalen Tierseuchenamts v. 25.1.1924, RGBl. 1928 II, 318; auch abgedruckt bei: Knipping/von Mangoldt/Rittberger (Hrsg.), Das System der Vereinten Nationen, Bd. II, 1495 ff.; jetzt Neubekanntmachung in: BGBl. 1974 II, 676.

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

31

Leiter der Unterabteilung Veterinärwesen im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in der Organisation vertreten. 152 Die Arbeit des Internationalen Tierseuchenamtes ist zunächst dadurch gekennzeichnet, daß es „unmittelbar mit den für die Tierseuchenbekämpfung zuständigen obersten Behörden oder Dienststellen der verschiedenen Staaten [verkehrt]" (Art. 2 Abs. 3 Satzung des Internationalen Tierseuchenamts). Inhaltlich sind die Hauptaufgaben des Amtes nach seiner Satzung (1.) Forschungen und Versuche über Wesen und Verhütung ansteckender Tierkrankheiten zu veranlassen und zu koordinieren, (2.) Informationen über den Stand der Tierseuchen zu sammeln und an die Regierungen sowie die zuständigen Dienststellen der Mitgliedstaaten zu übermitteln sowie (3.) Entwürfe internationaler Übereinkommen über Tierseuchenbekämpfung zu prüfen und den Vertragsparteien Mittel für die Überwachung und Durchführung zur Verfügung zu stellen (Art. 4 Satzung des Internationalen Tierseuchenamts). Darüber hinaus nimmt die Nachrichtenübermittelung von den Mitgliedstaaten an das Amt und umgekehrt vom Amt an die Mitgliedstaaten bzw. die zuständigen Dienststellen hinsichtlich auftretender Tierseuchen eine zentrale Bedeutung in der Arbeit des Tierseuchenamts ein (vgl. Art. 5 und Art. 9 f. Satzung des Internationalen Tierseuchenamtes). Heute wird diese Aufgabe vom Amt unter Nutzung moderner Informationstechnologien wahrgenommen, so daß jederzeit ein zeitnaher Informationsfluß gesichert ist, was insbesondere für das entwickelte Alarmsystem gilt. 1 5 3 Neben der Informationsübermittlung widmet sich das Tierseuchenamt dem zentralen Feld der Standardisierung. Die Kommission des Tiergesundheitskodex des Tierseuchenamtes 154 hat einen regelmäßig aktualisierten International Animal Health Code for Mammals, Birds and Bees erstellt, der zentrale Vorgaben für den

internationalen Handelsverkehr für Säugetiere, Vögel und Bienen enthält. 155 Neben ausführlichen Regelungen zur technischen Abwicklung des Handelsverkehrs mit Blick auf das Untersuchungsverfahren der nationalen Veterinärbehörden ist hervorzuheben, daß die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, im Einklang mit Art. 5, 9 und 10 der Satzung des Internationalen Tierseuchenamtes das Recht des Amtes anzuerkennen, unmittelbar mit den zuständigen Behörden in Kontakt zu treten. Jeder Kontakt des Amtes mit einer nationalen Behörde und umgekehrt wird 152

Genaue Angaben unter: http://www.oie.int/overview/deleg/a54.htm.

153

Hüther, Das Internationale Tierseuchenamt und sein Einfluß auf die Tierseuchenbekämpfung, 72 ff. 154 Hierzu Hüther, Das Internationale Tierseuchenamt und sein Einfluß auf die Tierseuchenbekämpfung, 74 ff. 155

Verfügbar unter: http://www.oie.int/Norms/MCode/A_summry.htm .

31

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

dabei als Kontakt mit dem Mitgliedstaat insgesamt gewertet. 156 Ergänzt wird der Kodex durch das Manual

of Standards for Diagnostic

Tests and Vaccines , das

Vorschläge für einzelne Untersuchungsmaßnahmen der Veterinärbehörden enthält. Ähnliche Standards wurden vom Tierseuchenamt für den Verkehr mit Fischen sowie bezüglich der insoweit anzuwendenden Diagnosemethoden erarbeitet. 157 Die Arbeit in diesen Standardisierungsbereichen wird innerhalb des Tierseuchenamtes maßgeblich von einer speziellen Normenkommission durchgeführt. 158 In Kooperation insbesondere mit der Codex Alimentarius Commission ist eine Arbeitsgruppe des Tierseuchenamtes schließlich mit Fragen zu Rückständen von veterinärmedizinischen Medikamenten in Lebensmitteln befaßt. Dazu wird eine Sammlung von technischen Mindestanforderungen an die Wirksamkeit, die Qualität und die Unschädlichkeit von Medikamenten für die Veterinärmedizin erstellt sowie an Vorschriften für die Hersteller veterinärpharmazeutischer Produkte gearbeitet. 159

6. Gesundheitsschutz

und

Chemikalienkontrolle

Ein intensives Arbeitsgebiet im internationalen Gesundheitswesen stellt die Chemikalienkontrolle dar. Seit Anfang der 1970er Jahre werden im Rahmen der OECD zahlreiche Aktivitäten durchgeführt, die sich auf die Chemikalienkontrolle im Gesundheitswesen beziehen.160 Von besonderer Bedeutung für die Verwal156

Article 1.2.0.1. des International Animal Health Code for Mammals, Birds and Bees hat folgenden Wortlaut: „For the purposes of the Code and in terms of Articles 5,9 and 10 of the Statutes, every Member Country of the OIE shall recognise the right of the Central Bureau to communicate directly with the Veterinary Administration of its territory or territories. A l l notifications and all information sent by the OIE to the Veterinary Administration shall be regarded as having been sent to the country concerned and all notifications and all information sent to the OIE by the Veterinary Administration shall be regarded as having been sent by the country concerned." 157 International Aquatic Animal Health Code, Third Edition, 2000; Diagnostic Manual for Aquatic Animal Diseases, Third Edition, 2000. 158

Hüther; Das Internationale Tierseuchenamt und sein Einfluß auf die Tierseuchenbekämpfung, 76 f. 159

Hüther, Das Internationale Tierseuchenamt und sein Einfluß auf die Tierseuchenbekämpfung, 80 f. 160 Siehe insbesondere: Recommendation of the Council on the Assessment of the Potential Environmental Effects of Chemicals v. 14.11.1974, OECD Doc. C (74) 215; Recommendation of the Council concerning Safety Controls over Cosmetics and Household Products v. 26.8.1976, OECD Doc. C (76) 144 (final); Recommendation of the Council estab-

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

31

tungspraxis i n den Mitgliedstaaten der O E C D ist dabei die nach Art. 5 lit. a) des OECD-Übereinkommens verbindliche Entscheidung des Rates der O E C D aus dem Jahre 1981 zur gegenseitigen Anerkennung von Daten über die Chemikalienbewertung. 1 6 1 Diese Entscheidung w i r d inhaltlich ergänzt durch eine verbundene Entscheidung und unverbindliche Empfehlung zur Einhaltung der Prinzipien guter Laborpraxis aus dem Jahre 1989. 1 6 2 A u f internationaler Ebene w i r d die Arbeit der O E C D ergänzt durch das International Programme

on Chemical Safety (IPCS), einer Gemeinschaftseinrichtung

des United Nations Environment Programme (UNEP), der I L O und der W H O , die durch ein Memorandum o f Understanding der drei Organisationen aus dem Jahre 1980 ins Leben gerufen w u r d e . 1 6 3 Das Gemeinschaftsprogramm geht allerdings schon auf eine entsprechende Empfehlung zurück, die auf der Stockholmer U m weltkonferenz i m Jahre 1972 verabschiedet w u r d e . 1 6 4 E i n Hauptziel des IPCS ist heute die Erarbeitung und Publikation von Bewertungen der von Chemikalien ausgehenden Gefahren für Mensch und Umwelt. Dazu werden u. a. sog. Internationale Chemische Sicherheitsdatenblätter (International Chemical Safety Cards ICSC) herausgegeben, wovon mittlerweile ca. 1.100 vorliegen. 1 6 5 Daneben werden lishing Guidelines in respect of Procedures and Requirements for Anticipating the Effects of Chemicals on Man and in the Environment v. 7.7.1977, OECD Doc. C (77) 97 (final); Decision of the Council concerning a Special Programme on the Control of Chemicals and the Programme of Work established therein v. 21.9.1978, OECD Doc. C (78) 127 (final); Conclusions of the First High Level Meeting of the Chemical Group of 19th May 1980 dealing with the control of health and environmental effects of chemicals, OECD Doc. ENV/CHEM/HLM/80.M/1; Decision of the Council concerning the Mutual Acceptance of Data in the Assessment of Chemicals v. 12.5.1981, OECD Doc. C (81) 30 (final); Recommendation of the Council concerning the Mutual Recognition of Compliance with Good Laboratory Practice v. 26.7.1983, OECD Doc. C (83) 95 (final). 161

Decision of the Council concerning the Mutual Acceptance of Data in the Assessment of Chemicals v. 12.5.1981, OECD Doc. C (81) 30 (final); ergänzt durch Decision of the Council Amending the Decision concerning Mutual Acceptance of Data in the Assessment of Chemicals, OECD Doc. C (97) 186. 162

Council Decision-Recommendation on Compliance with Principles of Good Laboratory Practice v. 2.10.1989, OECD Doc. C (89) 87 (final); ergänzt durch Decision of the Council Amending the Annexes to the Council Decision-Recommendation on Compliance with Principles of Good Laboratory Practice, OECD Doc. C (95) 8 (final). 163

Einzelheiten hierzu verfügbar unter: http://www.who.int/pcs/pcs_orgs.htm.

164

United Nations Conference on the Human Environment, Stockholm, 5. bis 16. Juni 1972, Action Plan for the Human Environment, Recommendation 78, abgedruckt in: I L M 11 (1972), 1416(1452). 165

Nähere Einzelheiten sind beim zuständigen Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin erhältlich: http://www.bgvv.de/fbs/chem/ ictext_k.htm.

3

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

umfangreiche Arbeiten z. B. im Bereich der Klassifizierung von Pestiziden166 und hinsichtlich von Pestizidrückständen in Lebensmitteln167 durchgeführt. Schließlich sind neben UNEP, FAO, ILO, WHO und OECD auch die United Nations Industrial Development Organization (UNIDO) und das United Nations Institute for Training and Research (UNITAR) mit Sachfragen der Chemikalienkontrolle befaßt. Die Aktivitäten der verschiedenen Organisationen werden in Erfüllung von Empfehlungen der Rio-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung 168 in einem Inter-Organization Coordinating Committee (IOCC) koordiniert. 169

7. Internationale

Drogenkontrolle

Als ebenfalls bedeutendes Anwendungsgebiet intensiver internationaler Kooperation im Gesundheitswesen ist noch auf die Drogenkontrolle und -bekämpfung hinzuweisen. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts, beginnend mit der sogenannten „Shanghai-Commission" im Jahre 1909, wurden zahlreiche Ansätze auf multilateraler Ebene unternommen, um im Rahmen der internationalen Kooperation dem Drogenmißbrauch zu begegnen.170 Unter der Ägide des Völkerbundes, dem die Drogenbekämpfung ausdrücklich zur Aufgabe gemacht wurde (vgl. Art. 23 lit. c) Völkerbundsatzung), entstand dann eine erste Form der institutionalisierten Drogenkontrolle, das Opium Adivsory Traffic

in Opium and Other Dangerous

Committee

on the

Drugs ( O A C ) . Es wurde i n ausdrück-

licher Anerkennung nationalstaatlicher Insuffizenz in diesem Bereich weltweiter Gesundheitsinteressen gegründet. 171 Damit war ein erster bedeutender Schritt getan, um ein heute umfassendes System internationaler Aufsicht über die nationale Drogenpolitik zu etablieren. Nach zahlreichen weiteren multilateralen Regelungsanstrengungen zur Drogenkontrolle und -bekämpfung bis in die 1950er

166

Siehe z. B. Classification of Pesticides by Hazard and Guidelines to Classification 1998-1999, WHO Doc. WHO/PCS/98-21. 167 Siehe z. B. Inventory of IPCS and other WHO Pesticide Evaluations and Summary of Toxicological Evaluations performed by the Joint Meeting on Pesticide Residues Evaluations through 1999, WHO Doc. WHO/PCS/00.2. 168

Agenda 21, Chapter 19, abgedruckt in: Johnson (Hrsg.), The Earth Summit, 361 ff.

169

Hierzu: http://www.Zwho.int/iomc/bro_org.htm .

170

Die Implementationssicherungsmechanismen der UN-

171

Klinger, Die Implementationssicherungsmechanismen der UN-Drogenkonventionen,

Ausführlich hierzu Klinger, Drogenkonventionen, 36 ff. 44 ff.

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

31

Jahre 172 kam es dann schließlich zur Unterzeichnung des Einheits-Übereinkommens von 1961 über Suchtstoffe, 173 das nach einer grundlegenden Änderung von 1972 174 heute noch für den umfassenden internationalen Regelungsmechanismus der Drogenkontrolle maßgebend ist. Daneben existieren als einschlägige Vertragswerke das Übereinkommen von 1971 überpsychotrope Stoffe 175 und seit 1988 das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (Suchtstoffübereinkommen 1988). 176 Insgesamt bilden die drei genannten Abkommen heute einen Rechtsrahmen umfassender internationaler Kooperation in allen Angelegenheiten der gesundheitsschutzbezogenen Diogenkontrolle und -bekämpfung. 177 Mit Blick auf das internationalisierte Verwaltungshandeln sind insbesondere die Übereinkommen von 1961 und 1971 von Interesse; das Übereinkommen von 1988 befaßt sich vorwiegend mit Aspekten der repressiven Drogenbekämpfung, also der Harmonisierung der nationalen Strafgesetze und der internationalen Kooperation im Bereich der Rechtshilfe und insgesamt der Strafverfolgung. 178 Die Übereinkommen von 1961 und 1971 haben demgegenüber vorwiegend die präventive Drogenkontrolle und -bekämpfung zum Regelungsgegenstand und stützen sich daher in weiten Teilen auf administrative Regelungsmechanismen. Von zentraler Bedeutung ist insofern zunächst das Bedarfsschätzungssytem des Übereinkommens von 1961 (Art. 19). 179 Es sieht vor, daß die Vertragsparteien jeweils für das kommende Jahr ihren Bedarf an Suchtstoffen dem internationalen Suchtstoffamt melden und anschließend die gemeldete Suchtstoffmenge nicht mehr überschreiten dürfen (vgl. Art. 19 Abs. 5, Art. 21 bis Übereinkommen 1961). Die Be172

Klinger, Die Implementationssicherungsmechanismen der UN-Drogenkonventionen,

48-72. 173

BGBl. 1973 II, 1354.

174

Protokoll zur Änderung des Einheits-Übereinkommens von 1961 über Suchtstoffe vom 25.3.1972, BGBl. 1975 II, 3; konsolidierte Fassung des Einheits-Übereinkommens jetzt in: BGBl. 1977 II, 111; auch abgedruckt in: Körner, BtMG, 1347 ff.; K Weber, BtMG, 867 ff. 175

BGBl. 1976 II, 1477; auch abgedruckt in: Körner, BtMG, 1379 ff.; K Weber, BtMG,

901 ff. 176

BGBl. 1993 II, 1136; auch abgedruckt in: Körner, BtMG, 1403 ff.; K Weber, BtMG,

923 ff. 177

Umfassend zu den drei Übereinkommen Klinger, Die Implementationssicherungsmechanismen der UN-Drogenkonventionen, 75 ff. und passim. 178 179

Klinger, Die Implementationssicherungsmechanismen der UN-Drogenkonventionen, 83.

Das System geht bereits auf die Genfer Opiumkonvention von 1925 (LNTS, Vol. 81, 317) zurück, siehe Klinger, Die Implementationssicherungsmechanismen der UN-Drogenkonventionen, 85 m. w. N.

3

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

darfsschätzung bezieht sich dabei auf die folgenden Bereiche: Verbrauch für medizinische und wissenschaftliche Zwecke; notwendige Mengen für die Weiterverarbeitung in andere Suchtstoffe; geplante Vorratsmengen sowie Mengen zur Ergänzung der Sondervorräte; Ort und Umfang der Anbauflächen für Opiummohn; ungefähre Mengen des zu gewinnenden Opiums; Anzahl der synthetische Drogen herstellenden Industriebetriebe; Mengen der von diesen Betrieben herzustellenden synthetischen Drogen (Art. 19 Abs. 1 Übereinkommen 1961). Bei der Ermittlung der Schätzungen steht den Staaten zwar ein Ermessen hinsichtlich der angewandten Methode zu, das methodische Vorgehen muß aber gegenüber dem Suchtstoffamt offengelegt werden (Art. 19 Abs. 4 Übereinkommen 1961). Das mit der Entgegennahme und Verwaltung der Bedarfsschätzungen der Staaten betraute Suchtstoffamt wurde durch das Übereinkommen von 1961 als ständiges Vertragsorgan geschaffen, dessen Mitglieder vom ECOSOC gewählt werden (vgl. Art. 9 Übereinkommen 1961). 180 Neben der Übermittlung der jährlichen Bedarfsschätzung sind die Vertragsparteien auch dazu verpflichtet, dem Suchtstoffamt umfangreiche statistische Angaben u. a. zur erfolgten Gewinnung und Verwendung, zum Verbrauch, zur Einund Ausfuhr, zur Beschlagnahme und zu den Beständen von Suchtstoffen zu machen (Art. 20 Übereinkommen 1961; vgl. auch Art. 16 Abs. 4 Übereinkommen 1971). Weiterhin ist vorgesehen, daß die Staaten, soweit sie unter bestimmten Voraussetzungen den Anbau u. a. von Opiummohn erlauben, staatliche Opiumstellen einrichten müssen, denen im einzelnen aufgeführte Kontrollaufgaben obliegen (Art. 23 Übereinkommen 1961). Dies gilt in ähnlicher Weise auch für die Bereiche der Produktions- und Herstellungskontrolle. 181 Hinsichtlich der Herstellungskontrolle sind die Staaten insbesondere dazu verpflichtet, die in den Prozeß der Herstellung involvierten Personen und Unternehmen dahingehend zu überwachen, daß eine Überschreitung der genannten Jahresschätzmenge verhindert wird. Darüber hinaus ist ein staatliches Lizenzsystem vorzusehen, das u. a. Mindestanforderungen an die Qualifikation der mit Suchtstoffen umgehenden Personen bzw. der Betriebsstätten beachten muß 182 sowie eine vor Ort Überwachung der betroffenen Personen und Unternehmen zu gewährleisten hat. Die Suchtstoffübereinkommen 1961 und 1971 überlassen den Staaten allerdings die nähere Ausgestaltung dieser Verfahren nach eigenem Ermessen, soweit nur die zahlreich in den 180 Zu weiteren Einzelheiten siehe Klinger, Die Implementationssicherungsmechanismen der UN-Drogenkonventionen, 136 ff. 181

Art. 21, 24 und Art. 29 Übereinkommen 1961; Art. 7 und 8 Übereinkommen 1971; Einzelheiten bei Klinger, Die Implementationssicherungsmechanismen der UN-Drogenkonventionen, 88 ff. 182

Einzelheiten in Art. 34 Übereinkommen 1961; Art. 8 Übereinkommen 1971.

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

3

Übereinkommen niedergelegten Mindestanforderungen erfüllt werden. 183 Ähnliche Verpflichtungen treffen die Staaten mit Blick auf den grenzüberschreitenden Suchtstoffhandel, der ebenfalls einem Lizenz- und Kontrollsystem zu unterwerfen ist. 184 Ergänzt werden diese weitreichenden Verpflichtungen, die zahlreiche innerstaatliche Verwaltungsmaßnahmen erfordern, durch weitere Berichtspflichten und Vorschriften zur Errichtung kompetenter nationaler Verwaltungsbehörden, die für die Beachtung und Durchführung der Übereinkommen verantwortlich sind. 185 Neben den Verpflichtungen, die sich insbesondere aus den Übereinkommen von 1961 und 1971 im Bereich der nationalen Verwaltung ergeben, wird das internationale Drogenkontrollregime durch die Arbeiten der zuständigen internationalen Gremien bestimmt. Zusätzlich zu dem bereits genannten Suchtstoffamt (International Narcotics Control Board - INCB), dessen 13 Mitglieder unabhängige Experten sind, die keinen Weisungen unterliegen, 186 ist insbesondere die Commission on Narcotic Drugs (CND) zu nennen. Sie ist eine Kommission des ECOSOC (vgl. Art. 68 UN-Charta), die bereits 1946 geschaffen wurde 187 und deren Mitglieder vom ECOSOC gewählt werden. Neben allgemeinen Aufgaben im Bereich der administrativen Überwachung und Durchführung der Drogenkonventionen kommt der CND die wichtige Kompetenz zu, den Anwendungsbereich der Übereinkommen sachlich zu ändern. Konkret geht es hierbei um die Änderung der Anhänge zu den Übereinkommen, in denen abgestuft nach ihrem Gefährlichkeitsgrad die einzelnen Suchtstoffe aufgeführt sind, die dem jeweiligen Vertragsregime unterliegen. Soweit nach einem im Detail vorgeschriebenen Verfahren der Zusammenarbeit internationaler Organisationen und Organe (insbesondere WHO, Suchtstoffamt, CND) eine Änderung einer entsprechenden Anlage für notwendig empfunden wird, trifft die CND hierzu eine für alle Vertragsparteien verbindliche Entscheidung, die im Rahmen der Übereinkommen von 1971 und 1988 auch mit Zwei-Drittel-Mehrheit ergehen kann. 188 Für die Vertragsparteien besteht nur im 183

Klinger, Die Implementationssicherungsmechanismen der UN-Drogenkonventionen,

89 f. 184

Vgl. Art. 30 Übereinkommen 1961; Art. 8 Übereinkommen 1971; weiterführend Klinger, Die Implementationssicherungsmechanismen der UN-Drogenkonventionen, 90 ff. 185

Art. 17 Übereinkommen 1961; Art. 6 Übereinkommen 1971.

186

Art. 9 Übereinkommen 1961; siehe auch Art. 18 f. Übereinkommen 1971; Art. 22 f. Übereinkommen 1988. 187 ECOSOC Resolution 9 (I) v. 16.2.1946; siehe auch Klinger, Die Implementationssicherungsmechanismen der UN-Drogenkonventionen, 131 f. 188

Einzelheiten hierzu in Art. 3 Übereinkommen 1961; Art. 2 Übereinkommen 1971; Art. 12 Übereinkommen 1988; siehe auch Klinger, Die Implementationssicherungsmechanismen der UN-Drogenkonventionen, 108 f.

34

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Rahmen des Übereinkommens von 1971 die Möglichkeit, beim Vorliegen „außergewöhnlicher Umstände", die im einzelnen darzulegen sind, die Nichtannahme der Änderung zu erklären. Auch dann sind aber gewisse Mindeststandards mit Blick auf den geänderten bzw. neu aufgenommenen Suchtstoff zu beachten, so daß keine umfassende Möglichkeit des Opting-out gegeben ist (vgl. Art. 2 Abs. 7 Übereinkommen 1971). Ansonsten ist in allen drei Übereinkommen nur vorgesehen, daß die Vertragsparteien den ECOSOC als Überprüfungsinstanz anrufen können. 189 Schon der kursorische Überblick zu den Regelungsmechanismen der im Detail ausgesprochen umfangreichen Drogenübereinkommen von 1961, 1971 und 1988 verdeutlicht, daß hier ein komplexes und anspruchsvolles Rechtsregime internationaler Verwaltung vorliegt. Es zeichnet sich durch eine Kombination weitreichender Verpflichtungen im Bereich der innerstaatlichen Verwaltungsorganisation und des Verwaltungsverfahrens und einer gleichzeitigen Stärkung internationaler technisch-administrativer Institutionen aus. 190 In diesem Sinne sind die Drogenübereinkommen geradezu idealtypische Beispiele für eine ineinandergreifende und doch in ihrem jeweiligen Rechtskreis getrennte internationalisierte Verwaltung, die in ihrer Effektivität zudem durch zahlreiche informelle Kooperationsmechanismen gekennzeichnet ist. 191 Als tragende materiellrechtliche Strukturprinzipien treten dabei die technische Ausrichtung der komplexen Materie der Suchtstoffkontrolle, die hier zu verzeichnenden dynamischen Entwicklungsprozesse sowie die Notwendigkeit universeller Verrechtlichtung und Kooperation hervor. 192 Diese Merkmale kennzeichnen auch insgesamt die internationale Zusammenarbeit im Bereich der Drogenkontrolle und -bekämpfung, die sich in zahlreichen europäischen und internationalen Foren auf formeller und informeller Basis vollzieht. Die Bundesrepublik Deutschland verfolgt hier auf Bundes- und Landesebene eine sehr intensive internationale Strategie, die ein wesentlicher Bestandteil des im Jahre 1990 verabschiedeten nationalen Rauschgiftbekämpfungsplanes ist. 193 189

Art. 3 Abs. 8 Übereinkommen 1961; Art. 2 Abs. 8 Übereinkommen 1971; Art. 12 Abs. 7 Übereinkommen 1988. 190 Darüber hinaus sehen die Übereinkommen Vertragsdurchsetzungsmechanismen vor, die aus völkerrechtlicher Perspektive ausgesprochen weitreichend ausgestaltet sind. Hierzu die ausführliche Untersuchung von Klinger, Die Implementationssicherungsmechanismen der UN-Drogenkonventionen, passim. 191 Hierzu ausführlich Klinger, Die Implementationssicherungsmechanismen der UNDrogenkonventionen, 148 ff. 192

Klinger, Die Implementationssicherungsmechanismen der UN-Drogenkonventionen, 156 ff. und 168 f. 193

Bundesminister für Gesundheit/Bundesminister des Inneren (Hrsg.), Nationaler Rauschgiftbekämpfiingsplan - Maßnahmen der Rauschgiftbekämpfung und der Hilfe für

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

3

8. Zusammenfassung : Strukturmerkmale

des internationalen

Gesundheitsverwaltungsrechts

Bilanziert man die im Überblick dargestellten, zahlreichen internationalen Aktivitäten, die das internationale Gesundheitsverwaltungsrecht heute prägen, so können die folgenden typischen Strukturmerkmale festgehalten werden: Zunächst zeigt sich schon aus historischer Perspektive, daß der institutionalisierten internationalen Kooperation im Gesundheitswesen eine herausragende Bedeutung zukommt. Geprägt von der grundlegenden Erkenntnis, daß Gesundheitsprobleme inhärent einen globalen, grenzüberschreitenden Charakter innehaben, wurden schon frühzeitig in der Geschichte der internationalen Beziehungen technisch-administrativ ausgerichtete Institutionen geschaffen, die die Kooperation mit den nationalen Gesundheitsbehörden und die Schaffung einheitlicher Gesundheitsstandards zur Aufgabe hatten. Heute sind zahlreiche internationale Organisationen und andere Institutionen auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes tätig; der WHO und der FAO kommt aber nach wie vor eine zentrale Rolle zu. In diesem Zusammhang ist auffallend, daß die dargestellten internationalen Institutionen zum Teil mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet sind. Dies zeigt sich zum Beispiel an der Möglichkeit, den Anwendungsbereich der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge zu modifizieren oder auch an Verfahrensregelungen, die Abstimmungen durch Mehrheitsvotum vorsehen. Im Rahmen einer verwaltungsrechtswissenschaftlichen Betrachtung der verschiedenen Erscheinungsformen des internationalen Gesundheitsverwaltungsrechts lassen sich zwei weitere wesentliche Strukturmerkmale erkennen: Die zentralisierte und dezentralisierte internationale Verwaltungskooperation sowie die Standardisierung. Alle internationalen Institutionen des Gesundheitswesens sind mit Blick auf die ihnen zugrundliegenden Rechtsinstrumente sowie hinsichtlich der sich tatsächlich vollziehenden Praxis von einer intensiven Kooperation mit nationalen und anderen internationalen Verwaltungsstellen geprägt. Auch wenn die rechtlich vorgegebenen Kooperationsformen nicht immer so weit gehen wie bei dem Internationalen Tierseuchenamt, dessen Gründungsdokument einen unmittelbaren Kontakt mit nationalen Behörden zwingend vorschreibt, zeigt das Arbeitsprogramm der relevanten internationalen Institutionen doch, daß der Kooperation mit den sachlich zuständigen Fachbehörden in den Staaten und anderen internationalen Institutionen eine zentrale Rolle zukommt. Dies wird bereits durch Gefährdete und Abhängige, Stand: Februar 1992,44 ff.; siehe auch die ausführliche Übersicht zu den in diesem Bereich tätigen europäischen und internationaler Gremien bei Körner, BtMG, § 28 Rdnr. 4 ff.

3

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

die technisch-administrative Ausrichtung der Tätigkeit der maßgeblichen Gremien bedingt. Allerdings vollzieht sich diese Verwaltungskooperation nicht immer auf einer zentralisierten internationalen Ebene, sondern erfolgt zu einem wichtigen Teil - wie die Beispiele WHO, FAO und Codex Alimentarius Commission zeigen - dezentralisiert im Rahmen von regionalen Einrichtungen. Der Schwerpunkt der materiellen Arbeit im internationalen Gesundheitsverwaltungsrecht liegt im Bereich der Standardisierung. Insofern ist es ein zentrales Anliegen der institutionalisierten internationalen Kooperation im Gesundheitswesen, einheitliche, weltweit oder zumindest regional geltende Regelungen zu finden, die im technisch-wissenschaftlichen Bereich dem Gesundheitsschutz dienen. Dabei geht es um zentrale Fragen der menschlichen, tierischen und pflanzlichen Gesundheitsgefährdung im Sinne eines präventiven Gesundheitsschutzes. Indes wurde auch deutlich, daß sich die Standardisierungsarbeit kaum auf formell rechtswirksame Rechtsinstrumentarien stützt. Das internationale Gesundheitsverwaltungsrecht ist vielmehr oftmals durch die Ausarbeitung von unverbindlichen internationalen Standards geprägt. Insofern kann für weite Bereiche von einem informalen internationalen Gesundheitsverwaltungsrecht gesprochen werden.

IV. Internationalisiertes Verwaltungshandeln im deutschen Gesundheitsverwaltungsrecht 7. Internationale

Verwaltungskooperation

Die Einflüsse des internationalen Gesundheitsverwaltungsrechts auf die nationale Gesundheitsverwaltung sind angesichts des Umfanges der sich in internationalen Foren vollziehenden Aktivitäten vielschichtig. Insbesondere die zahlreichen, von nahezu allen nationalen Gesundheitsbehörden praktizierten Arbeitskontakte auf internationaler Ebene, die der Effektuierung der eigenen Arbeit und insgesamt der Kooperation im Sinne des Gesundheitsschutzes dienen, lassen sich nicht abschließend und umfassend darstellen. Dies wird bereits durch einen exemplarischen Blick auf die Tätigkeit des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) deutlich. Das BgVV pflegt eine sich laufend intensiverende internationale Zusammenarbeit, insbesondere im Rahmen der WHO und FAO. Geprägt wird diese Arbeit zunächst durch die Aufgaben des BgVV, die dieses als „Collaborating Center" bzw. Referenzzentrum wahrnimmt. Das BgVV ist im Fachbereich „Hygiene der Lebensmittel und Bedarfsgegenstände" Collaborating

Center for Reseach and Training

in Food Hy-

giene and Zoonoses der FAO/WHO und führt in diesem Zusammenhang das von

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

3

der WHO im Jahre 1980 ins Leben gerufene Überwachungsprogramm für Lebensmittelinfektionen und -intoxikationen durch. Das Überwachungsprogramm zielt darauf ab, Informationen über Ursachen und Verläufe von Lebensmittelinfektionen zu erhalten, um so nationale Behörden in die Lage zu versetzen, präventive und Kontrollmaßnahmen effektiv durchführen zu können. Dazu werden z. B. auch Anfragen ausländischer Behörden vom BgVV beantwortet sowie Fördermaßnahmen für Fach- und Führungskräfte koordiniert. 194 Als zentrale Erfassungs- und Bewertungsstelle für Umweltchemikalien (FAO/WHO Collaborating Center on Food Contamination

Monitoring)

ist das B g V V u. a. für den A u f -

bau einer Lebensmittelüberwachung zuständig, die auf die Erfassung, Sicherung und Verarbeitung zentraler Daten sowie die entsprechende Erstattung sogenannter „paneuropäischer Berichte" ausgerichtet ist. 195 Weiterhin wurden Organisationseinheiten des BgVV in Abstimmung mit der FAO, der WHO und dem Internationalen Tierseuchenamt (OIE) zu Referenzzentren in den folgenden Sachbereichen ernannt: OIE-Referenzlabor „Bovine Brucellose"; OIE-Referenzlabor „Salmonellose"; Nationales Referenzlabor für marine Biotoxine; Nationales Referenzlabor für Milch und Milchprodukte; Nationale Salmonella-Zentrale; Nationales Referenzlabor für Tierarzneimittelrückstände in Lebensmitteln tierischer Herkunft. 196 Über diese Beispielsfälle internationaler Aktivitäten hinausgehend ist das BgVV außerhalb des EG-Bereiches in ca. 70 internationalen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen bzw. entsprechenden Unterorganen und Komitees dieser Organisationen, zu denen viele der hier genannten gehören, tätig. 197 Neben dem BgVV sind auch weitere selbständige Bundesoberbehörden intensiv in die internationale Verwaltungskooperation im Gesundheitswesen, insbesondere im Rahmen der WHO und FAO sowie der Codex Alimentarius Commission, involviert. Zu nennen ist insoweit z. B. die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BB A), der zentrale Funktionen im Bereich des Pflanzenschutzes zukommen (vgl. § 33 PflSchG). Der BBA obliegen als nationales Pflanzenschutzamt die sich aus Art. IV des Internationalen Pflanzenschutzabkommens ergebenden Aufgaben. Darüber hinaus ist die BBA, die eine eigene Abteilung für nationale und internationale Angelegenheiten der Pflanzengesundheit

194

BgVV, Tätigkeitsbericht 1998, 21.

195

BgVV, Tätigkeitsbericht 1998, 20.

196

BgVV, Tätigkeitsbericht 1998, 20.

197

Siehe die ausführliche Auflistung in BgVV, Tätigkeitsbericht, 22 f.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

unterhält, außerhalb von Gremien der EG umfassend in internationalen Foren tätig, die sich mit Fragen des Pflanzenschutzes befassen. 198 Ohne auf weitere Einzelheiten eingehen zu wollen, läßt sich damit konstatieren, daß die zuständigen nationalen Behörden, die mit Fragen des Gesundheitsschutzes im hier verstandenen weiten Sinne befaßt sind, zahlreiche internationale Arbeitskontakte pflegen und wahrnehmen. Die Tätigkeit der Behörden vollzieht sich dabei im Rahmen der in den internationalen Foren erarbeiteten institutionalisierten Kooperationsformen, wie die Mitarbeit in den zahlreichen Gremien der WHO, der FAO und der Codex Alimentarius Commission verdeutlicht. Das sich so abzeichnende Bild der sich tatsächlich vollziehenden internationalen Verwaltungskooperation wird ergänzt durch die bestehenden rechtlichen Vorgaben, die nationalen Verwaltungsbehörden explizit Aufgaben in der internationalisierten Gesundheitsverwaltung zuweisen. A m weitreichendsten sind insofern die Regelungen, die in dem Übereinkommen zur Errichtung des Internationalen Tierseuchenamtes getroffen wurden. Wie bereits ausgeführt, tritt die nach diesem Übereinkommen zuständige nationale Behörde - in Deutschland das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - in unmittelbaren Kontakt zum Internationalen Tierseuchenamt. Inhaltlich bezieht sich der administrative Kontakt von nationaler und internationaler Behörde dabei umfassend auf zahlreiche Koordinationsmaßnahmen und einen intensiven Informationsaustausch. Soweit es allerdings um Arbeiten innerhalb des Tierseuchenamtes geht, die sich auf Standardisierungsfragen und damit Aspekte beziehen, die sich auf die Rechtssetzung auswirken können, tritt eine sich aus Art. 133 EGV ergebende Außenhandelskompetenz der EG auf den Plan. Die EG ist zwar nicht Mitglied des Tierseuchenamtes, da dies nach dem Übereinkommen über das Tierseuchenamt nur Staaten möglich ist, substantiell berühren Standardisierungsfragen allerdings den Außenhandelsverkehr der Gemeinschaft (vgl. Art. 133 Abs. 1 EGV). 1 9 9 Daher erfolgt in der Praxis eine Abstimmung der Position der Mitgliedstaaten der EG in bezug auf Standardisierungsarbeiten im Tierseuchenamt innerhalb des Rates der EU, so daß - soweit möglich - durch den jeweiligen Ratsvorsitz eine gemeinsame EG-Position vorgetragen werden kann. 200 Die „alltägliche" Verwaltungskoopera-

198 Einzelheiten in: Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft, Jahresbericht 1999, Abschn. Ill.a. und Abschn. IV.c. 199

Zu den Einzelheiten der Außenhandelskomptenz der EG nach Art. 133 EGV siehe nur EuGH, Gutachten 1/94, WTO, Slg. 1994,1-5267 ff.; aus dem Schrifttum statt vieler Krenzier, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Teil II, E 1 Rdnr. 31 ff. 200 Zu Einzelheiten der Vertretung der EG in internationalen Organisationen siehe Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Art. 302 ff. EGV.

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

3

tion mit dem Internationalen Tierseuchenamt, die sich auf die Aufgabenerledigung außerhalb der Standardisierung bezieht, findet aber nach wie vor ohne Einschaltung der EG unmittelbar zwischen der zuständigen Abteilung im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und dem Tierseuchenamt statt. Diese Grundsätze gelten mutatis mutandis auch für die Zusammenarbeit im Rahmen der sonstigen aufgeführten internationalen Gremien, insbesondere mit Blick auf die Codex Alimentarius Commission und das Pflanzenschutzabkommen. 201 Weitreichende Verpflichtungen, die sich auf die nationale Verwaltungsorganisation beziehen, ergeben sich auch aus den Suchtstoffübereinkommen von 1961, 1971 und 1988, deren innerstaatliche Durchführung dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinalprodukte (BfArM) und der dort angesiedelten „Bundesopiumsteile" 202 obliegt. Nach § 19 Abs. 2 BtMG ist das BfArM „besondere Verwaltungsstelle im Sinne der internationalen Suchtstoffübereinkommen". Hierdurch wird zunächst der völkerrechtlichen Verpflichtung aus Art. 17 Übereinkommen 1961 und Art. 6 Übereinkommen 1971 zur Errichtung besonderer Verwaltungsdienststellen nachgekommen. Zugleich werden der Opiumstelle aber auch die Aufgaben zugewiesen, die sich aus den Suchtstoffübereinkommen mit Blick auf die nationale Verwaltungspraxis sowie hinsichtlich der Zusammenarbeit mit den beiden internationalen Kontrollorganen, dem International

Narcotics

Control

Board

und der Commission on Narcotic Drugs (CND), ergeben. Im Zusammenhang mit den sich aus den Suchtstoffübereinkommen ergebenden und im BtMG sowie im Grundstoffüberwachungsgesetz (GÜG) im nationalen Recht umgesetzten Verpflichtungen ist das BfArM bzw. die dortige Bundesopiumstelle somit nahezu umfassend als internationalisierte Verwaltungsbehörde zu bezeichnen. Allerdings werden in die internationale Zusammenarbeit im Rahmen der Suchtstoffübereinkommen neben dem BfArM auch Landesbehörden mit eingebunden. Die für die Drogenbekämpfung zuständigen Landesbehörden sind z. B. nach § 28 Abs. 1 Satz 2 BtMG verpflichtet, an der Erstellung des Berichts über die nationale Drogenpolitik, der nach den Suchtstoffabkommen jährlich dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zu erstatten ist, 203 mitzuwirken. 201 Zu den Gemeinschaftskompetenzen hinsichtlich der Codex Alimentarius Commission ausführlich Merkle, Der Codex Alimentarius der FAO und WHO, 43 ff.; zu den Kompetenzen der EG im Pflanzenschutzbereich siehe Böttcher, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II, § 63 Rdnr. 3 ff. 202 Die Bezeichnung ist auf die ursprüngliche Errichtung einer entsprechenden nationalen Stelle in Erfüllung von völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem Opiumabkommen von 1912 zurückzuführen. 203 Siehe Art. 18 Abs. 1 Übereinkommen 1961; Art. 16 Abs. 1 Übereinkommen 1971; Art. 20 Übereinkommen 1988.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Zusammenfassend läßt sich damit feststellen, daß das Gesundheitsverwaltungsrecht in Deutschland heute von zahlreichen informellen und rechtlich in seinen Grundzügen normierten internationalen Verwaltungskontakten unterschiedlichster Intensität und inhaltlicher Ausgestaltung geprägt ist. Die historisch belegbare und weiterhin aktuelle Grundidee des internationalen Gesundheitsverwaltungsrechts, daß die Herausforderungen an das Gesundheitswesen ihrer Struktur nach inhärent global ausgerichtet sind, findet sich so in der tatsächlichen Verwaltungspraxis umfassend verwirklicht.

2. Materiellrechtliche

Internationalisierungserscheinungen

Neben der sich tatsächlich vollziehenden internationalen Verwaltungskooperation im Gesundheitswesen wird das nationale Gesundheitsverwaltungsrecht in verschiedenen Bereichen durch die beschriebenen internationalen Entwicklungen materiellrechtlich geprägt. Dies kommt in unterschiedlichen rechtlichen Regelungsmechanismen zum Ausdruck.

a) Verordnungsgebung Eine erste systematische Kategorie, in der sich materiellrechtliche Internationalisierungserscheinungen im Gesundheitsverwaltungsrecht ersehen lassen, stellen Verordnungsermächtigungen dar, die auf die innerstaatliche Umsetzung internationaler Gesundheitsregelungen abzielen. Im Bereich des allgemeinen Gesundheitsverwaltungsrechts sind insoweit zunächst die umfangreichen Verordnungsermächtigungen zu nennen, die die Umsetzung der von der WHO beschlossenen sogenannten Internationalen Gesundheitsvorschriften betreffen. Nach dem Gesetz vom 1. Juli 1971 zu den Internationalen Gesundheits Vorschriften vom 25. Juli 1969 204 ist der Bundesminister für Gesundheit ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Verkehr und in einem Einzelfall zusätzlich im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Inneren durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die zur Durchführung der Internationalen Gesundheits Vorschriften der WHO „in der jeweils geltenden Fassung" notwendigen Vorschriften zu erlassen. Die konkreten Regelungsgegenstände der Internationalen Gesundheitsvorschriften sowie eine entsprechende Umschrei-

204 BGBl. 1971 II, 865; zuletzt geändert durch Art. 27 der fünften Zuständigkeitsanpassungs-Verordnung vom 26. Februar 1993, BGBl. 1993 I, 278.

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

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bung durch den nationalen Gesetzgeber sind im einzelnen in dem Gesetz vom 1. Juli 1971 aufgeführt. 205 Eine weitere Verordnungsermächtigung im Gesundheitsbereich enthält § 1 Abs. 4 BtMG. Nach dieser Vorschrift wird der Bundesminister für Gesundheit ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Anlagen I bis I I I zum BtMG, in denen die nicht verkehrsfähigen (Anlage I), die verkehrsfähigen, aber nicht verschreibungsfähigen (Anlage II), sowie die verkehrsfähigen und verschreibungsfähigen Betäubungsmittel (Anlage III) aufgeführt sind, zu ändern, soweit dies aufgrund einer Änderung der Anhänge der Suchtstoffübereinkommen von 1961 und von 1971 notwendig ist. Tatbestandlich bezieht sich die Verordnungsermächtigung damit umfassend und ohne weitere Konkretisierung auf die der Commission on Narcotic Drugs (CND) zustehende Kompetenz, einstimmig (Übereinkommen 1961) bzw. durch Zwei-Drittel-Mehrheitsvotum (Übereinkommen 1971) die Anhänge der Übereinkommen mit BindungsWirkung für alle Vertragsparteien zu ändern. 206 Eine sich ebenfalls auf die internationale Suchtstoffkontrolle beziehende Verordnungsermächtigung enthält § 33 GÜG. Nach § 33 GÜG ist das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt, im Einvernehmen mit anderen Bundesministerien (Finanzen, Inneres, Wirtschaft) und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung Vorschriften zu erlassen „über die Einfuhr, Ausfuhr und Durchfuhr, das Inverkehrbringen, die Kennzeichnung, die Aufzeichnungen und Unterlagen sowie die Überwachung von Grundstoffen", soweit dies u. a. zur Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen notwendig ist. Eine weitergehende Konkretisierung hinsichtlich einzelner Regelungen der Suchtstoffübereinkommen findet sich in § 33 GÜG nicht. Schließlich sei für den Lebensmittelbereich auf die Ermächtigung des Bundesministers für Verkehr hingewiesen, Änderungen des Übereinkommens über internationale Beförderungen leicht verderblicher Lebensmittel 207 durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages innerstaatlich in Kraft zu setzen. Das genannte Abkommen, das Detailregelungen darüber enthält, wie leicht verderbliche Lebensmittel zu transportieren sind, unterliegt der Möglichkeit einer sogenannten vereinfachten Änderung, die sich aus einer Kombination eines einzel205 Ausführlich zur Umsetzung Vierheilig, Die rechtliche Einordnung der von der Weltgesundheitsorganisation beschlossenen regulations, 160 f. 206 207

Einzelheiten in Art. 3 Übereinkommen 1961; Art. 2 Übereinkommen 1971.

Übereinkommen vom 1. September 1970 über internationale Beförderungen leicht verderblicher Lebensmittel und über die besonderen Beförderungsmittel, die für diese Beförderungen zu verwenden sind (ATP), BGBl. 1974 II, 566.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

staatlichen Rechts auf Änderungsvorschläge verbunden mit einem Einspruchsrecht anderer Vertragsparteien ergibt. 208 Soweit eine entsprechende Vertragsänderung völkerrechtlich verbindlich wird, greift die genannte Verordnungsermächtigung zugunsten des Bundesministers für Verkehr ein. 2 0 9 In der Praxis wird von der Möglichkeit der Verordnungsgebung zur Umsetzung von völkerrechtlichen Änderungen des Übereinkommens allerdings zum Teil abgewichen. So wurde z. B. einer für die Bundesrepublik völkerrechtlich bereits am 24. Februar 1996 in Kraft getretenen Änderung des Übereinkommens 210 erst nachträglich mit Gesetz vom 9. September 1998 vom Bundestag zugestimmt. Aber auch unabhängig von dieser zumindest ungewöhnlichen Verfahrensweise bleibt festzuhalten, daß sich mit Blick auf das Übereinkommen über die Beförderung leicht verderblicher Lebensmittel ein weiterer Anwendungsfall einer Verordnungsermächtigung zur innerstaatlichen Umsetzung internationalen Gesundheitsverwaltungsrechts findet. Insgesamt kommt Verordnungsermächtigungen zur Umsetzung internationaler Regelungen des Gesundheitsrechts damit gerade in den Sachbereichen des Gesundheitsverwaltungsrechts eine wichtige Bedeutung zu, die durch eine dynamische Entwicklung und hiermit im Zusammenhang stehende Rechtssetzungsbefugnisse internationaler Institutionen geprägt sind. Insbesondere die Regelungen aus dem Betäubungsmittelrecht, die auf internationaler Ebene durch die weitreichenden Kompetenzen der CND geprägt sind, belegen dies.

b) Verweisungen Als weitere Normkategorie, in der sich die innerstaatliche Bedeutung des internationalen Gesundheitsverwaltungsrechts zeigt, sind zahlreiche Verweisungen in nationalen Rechtsvorschriften auf internationale Regelungsinstrumentarien zu nennen. Eine erste Fallgruppe von Verweisungen findet sich hinsichtlich der von der WHO völkerrechtlich unverbindlich vergebenen Kurzbezeichnungen für Arzneimittel bzw. deren Bestandteile. So sieht z. B. § 10 Abs. 6 Nr. 1 Arzneimittelgesetz vor, daß für die Bezeichnung der Art von Bestandteilen von Fertigarzneimitteln - soweit vorhanden - „die internationalen Kurzbezeichnungen der Weltgesundheitsorganisation" zu verwenden sind. Damit wird auf die von der WHO als „recommended" veröffentlichten, bislang über 7.000 Kurzbezeichnungen zur welt208

Einzelheiten hierzu in Art. 19 des Übereinkommens.

209

Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zu dem Übereinkommen, BGBl. 1974 II, 565.

210

Abgedruckt in: BGBl. 1998 II, 2299.

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

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weiten Vereinheitlichung der Arzneimittel-Nomenklatur (INNs) Bezug genommen. Die INNs erlangen neben § 10 Abs. 6 Nr. 1 Arzneimittelgesetz auch über § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG als anerkannte Beschaffenheitsangaben sowie über entsprechende Verweisvorschriften in einschlägigen EG-Richtlinien 211 rechtsnormative Wirkung. 212 Eine ähnliche Regelung findet sich in der Kosmetik-Verordnung. 213 Sie sieht vor, daß ein Antrag im Verfahren auf Erteilung einer Registriernummer für einen Bestandteil eines kosmetischen Lebensmittels u. a. „die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlene international gebräuchliche Bezeichnung" enthalten muß, um den Bestandteil genau identifizieren zu können. 214 Auch in der Tierimpfstoff-Verordnung 215 wird auf die INNs der WHO abgestellt, soweit es um die einzelnen Buchführungsverpflichtungen der Hersteller bestimmter Tierimpfstoffe geht (§ 11 Abs. 1 Satz 2 Tierimpfstoff-Verordnung). In der Kosmetik-Verordnung wird auf die Anhänge zu dem Suchtstoffübereinkommen von 1961, deren Änderung nicht der staatlichen Ratifikation unterliegt, Bezug genommen. Im einzelnen ist vorgeschrieben, daß bei der Herstellung oder Behandlung von kosmetischen Mitteln keine Stoffe verwandt werden dürfen, die sich in den Anhängen I oder I I des Übereinkommens von 1961 finden. 216 Weitere hier zu nennende Verweisvorschriften beziehen sich auf Verhaltenskodizes, die von internationalen Organisationen verabschiedet wurden; hierunter sind prima facie unverbindliche Empfehlungen zu verstehen, die sich regelmäßig, aber nicht notwendig, an Privatrechtssubjekte wenden. 217 Als herausragendes Beispiel für den Verweis auf einen Verhaltenskodex ist § 23 Abs. 1 Satz 2 Pflanzenschutzgesetz (PflSchG) einzustufen. Danach ist bei der Ausfuhr von Pflanzenschutzmitteln insbesondere der „Verhaltenskodex für das Inverkehrbringen und 211

Art. 1 Abs. 2, 2. Spiegelstrich und Art. 2 Abs. 1 lit. a) Richtlinie 92/27/EWG v. 31.3.1992, ABl. EG Nr. L 113/8 v. 30.4.1992. 2,2 Weitere Einzelheiten bei Schulz, Mitteilungen der deutschen Patentanwälte 1994,158 (159) (zu der alten Rechtslage nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 Warenzeichengesetz); zu § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG und den INN-Zeichen der WHO siehe Fezer, MarkenR, § 8 MarkenG Rdnr. 52. 213 Verordnung über kosmetische Mittel (Kosmetik-Verordnung), neu bekannt gemacht in: BGBl. 1997 I, 2410. 214

Vgl. § 5 Abs. 5 i. V. m. Nr. 1 lit. b) Anlage 9 Kosmetik-Verordnung.

215

Verordnung über Sera, Impfstoffe und Antigene nach dem Tierseuchengesetz (Tierimpfstoff-Verordnung) vom 9.1.1978, in der Fassung der Bekanntmachung vom 12.11.1993, BGBl. 1993 I, 1885. 216 217

§ 1 i. V. m. Anhang 1 Nr. 306 Kosmetik-Verordnung.

Zur Definition von Verhaltenskodizes statt vieler Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 9 Rdnr. 16.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

die Anwendung von Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen" zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang läßt sich weiterhin § 15 Abs. 3 Betäubungsmittel-Außenhandelsverordnung (BtMAHV) 2 1 8 nennen, der vorschreibt, daß das strikte Ausfuhrregime für Betäubungsmittel (§§ 7 bis 12 der Verordnung) keine Anwendung für Lieferungen in Katastrophengebiete findet. Um von der erleichterten Ausfuhrmöglichkeit Gebrauch machen zu können, ist gemäß § 15 Abs. 3 B t M A H V allerdings vorgeschrieben, daß die Ausfuhren „auf der Grundlage der Model Guidelines for the International Provision of Controlled Medicines for Emergency Medical Care der Weltgesundheitsorganisation (Dokument WHO/ PSA/96.17: Weltgesundheitsorganisation, 1211 Genf 27, Schweiz) ausgeführt werden". Unter Angabe des Dokumentenzeichens und der Anschrift der Bezugsadresse werden also die unverbindlichen Guidelines der WHO mit tatbestandlicher Wirkung im Rahmen des § 15 Abs. 3 BtMAHV ausgestattet. Eine ebenfalls tatbestandliche Wirkung wird in Vorschriften der Weinverordnung 219 einem vom Internationalen Amt für Rebe und Weine 220 erarbeiteten Kodex für Weinbehandlungsmittel zugesprochen. Nach der einschlägigen Vorschrift für Reinheitsanforderungen für Weinerzeugnisse darf Bentonit nur zugesetzt werden, wenn u. a. pro 100 Gramm nicht mehr als 1,0 Gramm Kohlensäure, gebunden, enthalten sind. Dies wird im einzelnen nach „der Vorschrift im Internationalen Codex der Weinbehandlungsmittel" des „Internationalen Amtes für Rebe und Weine" bestimmt. 221 Parallele Regelungen zur Notwendigkeit der Beachtung von prima facie unverbindlichen Standards des Internationalen Weinamtes kennt auch das EG-Recht; nach der Rechtsprechung des EuGH besteht insoweit eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung der nationalen Gerichte und zuständigen Verwaltungsbehörden, die Vorgaben des Weinamtes im Rahmen der Bewertung spezifischer Weinanalysemethoden zu beachten.222

218 Vom 16.12.1981, BGBl. 1981 I, 1420; zuletzt geändert durch Verordnung vom 20.1.1998, BGBl. 1998 I, 74. 219

Verordnung zur Durchführung des Weingesetzes (Weinverordnung) vom 9.5.1995, BGBl. 1995 I, 630. 220

Abkommen über die Errichtung eines Internationalen Weinamtes v. 29.11.1924, jetzt in: BGBl. 1969 II, 2179; auch abgedruckt bei: Knipping/von Mangoldt/Rittberger (Hrsg.), Das System der Vereinten Nationen, Bd. II, 1511 ff. 221 222

§ 12 i. V. m. Nr. III. 1. lit. g) Anlage 2 Weinverordnung.

EuGH, Rs. C-105/94, Celestini, Slg. 1997,1-2971 Tz. 39, mit Anm. Koch, ZLR 1997, 425 ff.; bei dem einschlägigen Sekundärrecht handelt es sich um die Verordnung Nr. 822/87, ABl. EG Nr. L 84/1 v. 27.3.1987.

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

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Schließlich sind Verweisnormen auf internationale Regelungen zu nennen, die i m Rahmen einer behördlichen Entscheidung zu beachten sind. Besondere Bedeutung kommt dieser Regelungstechnik im Betäubungsmittelrecht zu: Nach § 5 Abs. 2 BtMG kann die Erlaubnis zum Verkehr mit Betäubungsmitteln (§ 3 BtMG) u. a. dann versagt werden, „wenn sie der Durchführung der internationalen Suchtstoffübereinkommen oder Beschlüssen, Anordnungen oder Empfehlungen zwischenstaatlicher Einrichtungen der Suchtstoffkontrolle entgegensteht". Durch diesen Verweis wird neben den Suchtstoffübereinkommen von 1961, 1971 und 1988 umfassend auf die Arbeit der Commission on Narcotic Drugs , des Suchtstoffkontrollamtes, des ECOSOC, der Generalversammlung der Vereinten Nationen, des Suchtstoffkontrollprogramms der Vereinten Nationen (UNDCP) sowie der W H O Bezug genommen. 223 Das gilt in eben diesem Umfang auch für die in § 9 Abs. 2 B t M G vorgesehene Möglichkeit, im Rahmen einer Ermessensentscheidung die Erlaubnis zum Verkehr mit Betäubungsmitteln mit Nebenbestimmungen zu versehen (vgl. § 36 Abs. 2 VwVfG), wenn der unbeschränkten Erlaubnis die Suchtstoffabkommen bzw. „Beschlüsse, Anordnungen und Empfehlungen" der genannten Institutionen entgegenstehen würden. I m Wortlaut identische Vorschriften gelten für die Erteilung der Erlaubnis für den Verkehr mit Grundstoffen (§§9 Abs. 2, 11 Abs. 2 GÜG). Weitere Verweise im Betäubungsmittelrecht auf sich in internationalen Foren vollziehende Regelungsmechanismen beziehen sich auf das bereits dargestellte Bedarfsschätzungssystem des Suchtstoffübereinkommens von 1961. Nach § 2 Abs. 2 B t M A H V „hat" das B f A r M die Genehmigung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln vorbehaltlich bestimmter Ausnahmegründe zu versagen, „wenn die Einfuhr nicht i m Rahmen der vom Internationalen Suchtstoffkontrollamt bekanntgegebenen Schätzung der Bundesrepublik Deutschland für dieses Betäubungsmittel abgewickelt werden kann". Auch für die Genehmigung zur Ausfuhr von Betäubungsmitteln ist vorgeschrieben, daß sie zu versagen ist, wenn die maßgebliche und vom Suchtstoffkontrollamt bekanntgegebene Schätzung nicht eingehalten wird. Dabei kommt es allerdings auf die Bedarfsschätzung an, die für das Einfuhrland bekannt gegeben wurde (§ 8 Abs. 2 B t M A H V ) . Anknüpfungspunkt ist also nicht die von der Bundesrepublik abgegebene Schätzung, sondern ausschließlich die vom Suchtstoffkontrollamt administrierte Schätzung eines Drittstaates. Dieser einen Drittstaat erfassende Regelungsmechanismus gilt im übrigen auch für die Formvorschriften, die im Rahmen der Ausfuhr zu beachten sind (vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 4 B t M A H V ) . Insoweit muß nämlich eine den Formvorschriften der internationalen Suchtstoffübereinkommen entsprechende Einfuhrgenehmigung der zu223

K. Weber , BtMG, § 5 Rdnr. 40 ff.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

ständigen Behörden des Einfuhrstaates vorgelegt werden, selbst wenn das Einfuhrland nicht Vertragspartei der Übereinkommen ist (§ 7 Abs. 3 BtMAHV).

c) Mittelbare internationalisierte Rechtswirkungen Während die bislang aufgezeigten Einwirkungen des internationalen Gesundheitsverwaltungsrechts auf das innerstaatliche Recht auf unmittelbare, vom nationalen Gesetzgeber oder vom Verordnungsgeber getroffene normative Entscheidungen über die Verzahnung der beiden Rechtskreise zurückgehen, fällt die rechtliche Verortung der weiterhin darzustellenden mittelbaren internationalisierten Rechtswirkungen schwerer. Dem damit angesprochenen Erkenntnisproblem liegt die Einsicht zugrunde, daß der beschriebene Umfang gesundheitsrelevanter Aktivitäten in internationalen Foren nur zum Teil durch eine explizite innerstaatliche rechtsnormative Entscheidung vom deutschen Recht rezipiert wird. Weite Bereiche der intensiven faktischen internationalisierten Verwaltungskooperation scheinen sich damit in ihren rechtlichen Auswirkungen der Möglichkeit einer juristischen Bewertung zu entziehen. Um das Phänomen des internationalisierten Verwaltungshandelns umfassend analysieren zu können, ist allerdings auch hier der Versuch einer rechtlichen Durchdringung notwendig. Dafür gibt es auch Anhaltspunkte, die auf ein wesentliches Strukturmerkmal des internationalen Gesundheitsverwaltungsrecht zurückzuführen sind. Wie dargelegt, sind zahlreiche Arbeiten in diesem Bereich darauf angelegt, Standardisierungsfortschritte im Interesse der Rechtsharmonisierung zu erreichen. Dies gilt insbesondere für die Arbeiten der FAO, der WHO, des Pflanzenschutzsekretariats, der Codex Alimentarius Commission und des Internationalen Tierseuchenamts. Sucht man nach einer genaueren rechtlichen Einordnung sich vollziehender mittelbarer internationalisierter Rechtswirkungen im Gesundheitsverwaltungsrecht, bietet es sich daher an, die rechtliche Bedeutung der angesprochenen Standardisierungsbemühungen näher zu untersuchen. Dabei kann zwischen zwei Wirkungsebenen unterschieden werden: (1.) der aus dem nationalen Rechtskreis im Sinne einer mittelbaren Rechtswirkung heraus sich ergebenden Wirkung internationaler Standardisierung sowie (2.) gleichsam umgekehrt den mittelbaren Einflüssen, die im internationalen Bereich ihren Ausgangspunkt nehmen. Als Referenzgebiet soll für beide Fallgruppen das Lebensmittelrecht gewählt werden, das in weiten Bereichen von internationalen Einflüssen bestimmt wird. 2 2 4 224

Siehe hierzu die überzeugenden Anmerkungen von Wahl, ZLR 1998, 275 (295): »Jedenfalls in Sachen Internationalisierung ist das Lebensmittelrecht aber das Referenzgebiet, ist es das leitende Rechtsgebiet im Gesamtbereich des Öffentlichen Rechts. Nirgends

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

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Aus der Perspektive des innerstaatlichen Lebensmittelverwaltungsrechts gewinnen die genannten internationalen Standardisierungsarbeiten im Rahmen von § 33 L M B G eine wichtige Bedeutung. § 33 Abs. 1 LMBG legt die inhaltliche Bedeutung des Deutschen Lebensmittelbuches als „Sammlung von Leitsätzen, in denen Herstellung, Beschaffenheit oder sonstige Merkmale von Lebensmitteln, die für die Verkehrsfähigkeit der Lebensmittel von Bedeutung sind, beschrieben werden", fest. Die Leitsätze des Lebensmittelbuches werden von der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission (vgl. § 34 LMBG) „unter Berücksichtigung der von der Bundesregierung anerkannten internationalen Lebensmittelstandards beschlossen" (§ 33 Abs. 2 LMBG). Damit wird unmittelbar auf die Arbeiten insbesondere der Codex Alimentarius Commission verwiesen. 225 Der paritätisch durch Vertreter der Wissenschaft, der Lebensmittelüberwachung, der Verbraucherschaft und der Lebensmittel Wirtschaft zusammengesetzten Lebensmittelbuch-Kommission (§ 34 Abs. 2 LMBG) kommt seit einer entsprechenden Gesetzesänderung im Jahre 1975 im Wege der Verabschiedung der Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches eine gestaltende, und nicht nur feststellende Kompetenz mit Blick auf Lebensmittelstandards zu. Dies ergibt sich aus der Formulierung in § 33 Abs. 1 LMGB, daß die dort genannten Merkmale durch die Leitsätze der Kommission „beschrieben" werden. 226 Allerdings folgt hieraus keine rechtsverbindliche Wirkung der Leitsätze. Die die Verkehrsauffassung festlegenden Leitsätze des Lebensmittelbuches werden vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten gewertet. 227 Dies hat zur Folge, daß prozessual eine widerlegsonst im Verwaltungsrecht ist die unmittelbare Relevanz des internationalen Rechts so greifbar und offenkundig wie gerade im Lebensmittelrecht, und nirgends anders ist die direkte und indirekte Wirkung von internationalen Organisationen wie der WTO oder der WHO und ihren jeweiligen Rechts- und Regelsetzungen so anschaulich wie hier. Deutlich wird im Lebensmittelrecht auch, daß hinter und über der europäischen Ebene - deren Relevanz zu verarbeiten eine der großen Herausforderungen des Rechtssystems der Gegenwart und näheren Zukunft ist - längst die noch größere und umfassendere Ebene der Internationalisierung des (nationalen) Rechts zur Realität geworden ist und in ihren Auswirkungen ebenso verarbeitet werden muß". 225 Zipfel, Lebensmittelrecht, § 33 LMBG Rdnr. 11; Merkle, Der Codex Alimentarius der FAO und WHO, 68 m. w. N. 226 Merkle, Der Codex Alimentarius der FAO und WHO, 69; H. Benz, in: ders. (Hrsg.), Deutsches Lebensmittelbuch, A 18; Deutsches Lebensmittelbuch - Leitsätze 2000,12 f.; de Riese, Das Deutsche Lebensmittelbuch, 19 ff. 227 Im lebensmittrechtlichen Schrifttum wird insoweit von „objektivierten Sachverständigengutachten" gesprochen, statt vieler Merkle, Der Codex Alimentarius der FAO und WHO, 69; Zipfel, Lebensmittelrecht, § 33 LMGB Rdnr. 5, 12; H. Benz, in: ders. (Hrsg.), Deutsches Lebensmittelbuch, A 16; ausführlich de Riese, Das Deutsche Lebensmittelbuch, 22 ff. mit zahlreichen Nachw. aus Schrifttum und Rspr.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

bare Vermutung für die zutreffende Umschreibung der Verkehrsauffassung durch die Leitsätze statuiert wird. 228 Auswirkungen hat dies insbesondere auf die in § 17 LMGB festgelegten Täuschungsverbote, die in weiten Bereichen an die Verkehrsauffassung anknüpfen. Auch wenn die Bewertung der Leitsätze des Lebensmittelbuches als antizipierte Sachverständigengutachten im Kern zutreffend sein mag, ist doch kritisch anzumerken, daß die paritätische Besetzung der Lebensmittelbuch-Kommission sowie die insoweit bestehenden Einflußmöglichkeiten verschiedener Bundesministerien (siehe § 33 Abs. 3 und § 34 Abs. 2 LMBG) auf eine nicht nur technisch-wissenschaftliche, sondern zugleich politische Funktion des Lebensmittelbuches hindeuten. Damit geht zwar die Wirkung als antizipiertes Sachverständigengutachten nicht prinzipiell verloren, der Wirkgrad im Rahmen der prozessualen Beweiswürdigung wird aber geschmälert. 229 Selbst wenn man somit Zweifel an der umfassenden Wirkung des Lebensmittelbuches als Bündelung antizipierter Sachverständigengutachten haben kann, bleibt seine mittelbare rechtliche Bedeutung aber festzuhalten; dies entspricht auch der praktischen Bedeutung des Lebensmittelbuches. 230 Die Einflüsse der internationalen Standardisierungsarbeiten auf die Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches werden in § 33 Abs. 2 L M B G zunächst im Sinne einer Berücksichtigungspflicht festgelegt. Dies gilt allerdings nur für die internationalen Standards, die von der Bundesregierung „anerkannt" wurden. Hiermit wird auf das bereits beschriebene Annahmeverfahren der Codex Alimentarius Commission Bezug genommen.231 Da es sich insoweit bei der Annahme eines Codex-Standards um ein völkerrechtlich verbindliches einseitiges Rechtsgeschäft handelt, ist der Begriff der Berücksichtigung in § 33 Abs. 2 L M B G dahingehend zu konkretisieren, daß kein Beurteilungsspielraum der Kommission hinsichtlich einer Übernahme des Codex-Standards in das Deutsche Lebensmittelbuch besteht. Dies ergibt sich aus der beschriebenen rechtlichen Wirkung des Lebensmittelbuches und der hiermit im Zusammenhang stehenden Überlegung der 228 BVerwG, ZLR 1986, 333 (341); ZLR 1988, 556 (562); allgemein zur prozessualen Wirkung antizipierter Sachverständigengutachten Kopp/Schenke, VwGO, § 86 Rdnr. 5b und § 98 Rdnr. 3a. 229

Vgl. BVerwGE 81, 197 (204); BVerwG, DÖV 1991, 472; Kopp/Schenke, VwGO, § 98 Rdnr. 3a m. w. N.; zu einem Parallelproblem im Arzneimittelrecht auch Di Fabio , Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 341 ff. 230

Hierzu H. Benz, in: ders. (Hrsg.), Deutsches Lebensmittelbuch, A 16 ff.; Deutsches Lebensmittelbuch - Leitsätze 2000, 12 ff.; Merkle, Der Codex Alimentarius der FAO und WHO, 70. 231

Supra Teil 6, A. III. 3.

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

3

Notwendigkeit der Völkerrechtskonformität von antizipierten Sachverständigengutachten. Darüber hinaus muß in jedem Fall ein von der Kommission beschlossener Leitsatz, der nicht einem völkerrechtswirksam angenommenen Codex-Standard entspricht, vom Bundesministerium für Gesundheit im Rahmen der vorgeschriebenen Rechtsprüfung abgelehnt werden und darf nicht veröffentlicht werden. 232 Etwas problematischer ist aber die Frage, inwieweit internationale Standards auch dann Berücksichtigung finden müssen oder dürfen, wenn - wie bislang in der Praxis weitgehend der Fall - keine Annahme durch die Bundesregierung erfolgt ist. Fest steht dabei zunächst, daß auch ohne eine völkerrechtswirksame Annahme zumindest eine Berücksichtigungsfähigkeit gegeben ist. In den Leitsätzen der Lebensmittelbuch-Kommission für Obst und Gemüse, tiefgefrorene Lebensmittel, Speisefette und Öle sowie Fische und Fischerzeugnisse ist dies auch geschehen.233 Man wird aber noch einen Schritt weiter gehen müssen und auch dann von einer Berücksichtigungsverpflichtung sprechen können, wenn keine Annahme durch die Bundesregierung erfolgte. Dies ist auf die historisch belegbare und in der ratio legis der §§ 33, 34 L M B G erkennbare Funktion der Lebensmittelbuch-Kommission zurückzuführen, objektiv-wissenschaftlich die Verkehrsanschauung zu Lebensmitteln festzulegen. 234 Mit dieser sachverständigen Funktion und Aufgabe der Kommission wäre es unvereinbar, wenn die Erkenntnisse der Codex Alimentarius Commission nicht berücksichtigt würden. Allerdings kann es sich hierbei auch nur um eine Berücksichtigungsverpflichtung handeln, die der Kommission einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Übernahme eines Codex-Standards in das Deutsche Lebensmittelbuch beläßt. Maßstab und Grenze ist dabei immer die einem Sachverständigengremium inhärente Objektivität der Entscheidungsfindung. Wird dieser Maßstab verletzt, verliert ein Sachverständigengremium wie die Lebensmittelbuch-Kommission seine Legitimität, was gleichzeitig zum Verlust der den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuches zugeschriebenen Wirkung als antizipierte Sachverständigengutachten führt. Zusätzlich zur somit bereits aus der Perspektive des nationalen Lebensmittelverwaltungsrechts bedeutenden mittelbaren Rechtswirkung der internationalen 232

Siehe §§ 33 Abs. 3 Satz 2, 34 Abs. 3 Satz 3 L M B G i. V. m. § 12 Abs. 1 Satz 2 Geschäftsordnung der Deutschen Lebensmittel-Kommission in der Fassung vom 7. Juni 1999, BAnz. Nr. 109 v. 17.6.1999, 9993, mit Berichtigung vom 29. Juni 1999, BAnz. Nr. 117, 10218. 233

Merkle, Der Codex Alimentarius der FAO und WHO, 70; Eckert , BLL-Schriftenreihe, Heft 103, 33 (44). 234

Zur Entstehungsgeschichte der §§ 33, 34 L M B G siehe de Riese , Das Deutsche Lebensmittelbuch, 3 f. m. w. N.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Standardisierungsarbeiten tritt eine vergleichbare Wirkung ein, die ihren Ursprung in völkerrechtlichen Regelungen findet. Hierbei geht es um die Einflüsse, die sich aus Vorschriften der WTO-Rechtsordnung, die auf internationale Standardisierungsarbeiten verweisen, ergeben. Mit Inkraftreten des WTO-Übereinkommens zum 1. Januar 1995 235 erlangten als integrale Bestandteile der WTO-Rechtsordnung auch das Übereinkommen über technische Handelshemmnisse (TBT-Übereinkommen) und das Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS-Übereinkommen) 236 Rechtswirkung. Das TBT-Übereinkommen befaßt sich mit der Zulässigkeit der Verwendung von technischen Vorschriften und Normen, die u. a. zum Schutze der Gesundheit verwandt werden. Technische Vorschriften sind dabei, der international gebräuchlichen Terminologie folgend, rechtlich zwingend vorgeschriebene Regelungen, die Produkt- und in begrenztem Umfange Produktionseigenschaften festlegen. 237 Technische Normen erfüllen zwar auch diesen Zweck, im Unterschied zu technischen Vorschriften ist ihre Verwendung aber nicht zwingend vorgeschrieben. Beide Kategorien können dabei u. a. oder ausschließlich Festlegungen über Terminologie, Bildzeichen sowie Verpackungs-, Kennzeichnungs- oder Beschriftungserfordernisse für ein Produkt, ein Verfahren oder eine Produktionsmethode enthalten.238 Die hier angesprochenen Festlegungen im Deutschen Lebensmittelbuch unterfallen der Definition einer technischen Norm im Sinne des TBT-Übereinkommens in weiten Bereichen, soweit nicht spezifische Regelungen enthalten sind, die unmittelbar auf den menschlichen Gesundheitsschutz im Sinne einer Vermeidung von Gefahren, die durch Zusätze, Verunreinigungen, Toxine oder krankheitsverursachende Organismen in Nahrungsmitteln oder Getränken entstehen, abzielen. 239 Wenn die Leitsätze über die Festlegung der Verkehrsauffassung hinausgehend die Beachtung dieser spezifischen Gesundheitsstandards zum

235 Zu einem Überblick über die WTO-Rechtsordnung siehe Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 92 ff. 236 ABl. EG 1994, L 336/86 und L 336/40; beide auch abgedruckt bei: Tietje (Hrsg.), Welthandelsorganisation, 79 ff. und 93 ff. 237 Zur Berücksichtungsfähigkeit von Produktionseigenschaften, die sich im Endprodukt niederschlagen, ausführlich Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Teil II, E 29 Rdnr. 72 ff. 238

Siehe die Definitionen in Anhang 1 Nr. 1 und 2 zum TBT-Übereinkommen, abgedruckt bei: Tietje (Hrsg.), Welthandelsorganisation, 108 f.; ausführlich auch ders., in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Teil II, E 29 Rdnr. 6 ff. 239

Dementsprechend wurde auch in der Codex Alimentarius Commission anerkannt, daß die Codex-Standards unter das TBT-Übereinkommen fallen, siehe Eckert, ZLR 1999, 371 (376)

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

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Ziel haben, ist als Sonderregelung das sogleich noch näher darzustellende SPSÜbereinkommen einschlägig. 240 Für den Bereich der technischen Normen, die von Stellen einer Zentralregierung, Stellen einer lokalen Regierung oder Verwaltung oder nichtstaatlichen Stellen 241 erarbeitet werden, legt das TBT-Übereinkommen die insoweit von den nationalen Normeninstitutionen zu beachtenden Maßstäbe in einem „Verhaltenskodex für die Ausarbeitung, Annahme und Anwendung von Normen" 242 fest. Der Verhaltenskodex ist von der jeweiligen nationalen Normeninstitution anzunehmen, bevor er für sie wirksam wird. Allerdings trifft die WTO-Mitgliedstaaten die Verpflichtung sicherzustellen, daß die ihrer Jurisdiktion unterstehenden Normeninstitutionen den Verhaltenskodex annehmen. Darüber hinaus sind die WTO-Mitglieder in jedem Fall völkerrechtlich dafür verantwortlich, daß der Verhaltenskodex von staatlichen oder nichtstaatlichen Normeninstitutionen eingehalten wird, und zwar unabhängig davon, ob die entsprechende Institution ihrerseits den Kodex angenommen hat (zu dieser Verpflichtungsstruktur siehe insgesamt Art. 4.1. TBTÜbereinkommen). Hieraus folgt, daß die Bundesrepublik Deutschland als WTOMitglied dafür veranwortlich ist, daß, erstens , der Verhaltenskodex von Normeninstitutionen wie der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission angenommen und, zweitens , in jedem Fall auch eingehalten wird. Diese Verpflichtung folgt im übrigen auch aus dem europäischen Gemeinschaftsrecht, da das TBT-Übereinkommen aufgrund der Mitgliedschaft der EG in der WTO integrierender Bestandteil des Gemeinschaftsrechts ist, so daß Art. 4.1. TBT-Übereinkommen mit Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht von den EG-Mitgliedstaaten zu beachten ist (vgl. Art. 10 EGV). 2 4 3 Neben zahlreichen materiellen und verfahrensrechtlichen Regelungen, die insgesamt darauf abzielen, durch die Normungsarbeit keine „unnötigen Hemmnisse für den internationalen Handel" zu schaffen, 244 werden auch nichtstaatliche 240 Siehe insoweit Art. 1 Abs. 4 SPS-Übereinkommen: „Dieses Übereinkommen läßt die Rechte der Mitglieder nach dem Übereinkommen über technische Handelshemmnisse in bezug auf nicht in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallende Maßnahmen unberührt"; zum Begriff der gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen siehe Anhang A Nr. 1 des SPS-Übereinkommens; sowie Pauwelyn, JIEL 2 (1999), 641 (643 f.). 241

So die Formulierung im TBT-Übereinkommen, siehe Anhang 3 Abs. B TBT-Übereinkommen. 242

Anhang 3 zum TBT-Übereinkommen.

243

Zur Wirkung völkerrechtlicher Verträge der EG im Gemeinschaftsrecht und gegenüber den EG-Mitgliedstaaten siehe noch infra Teil 7, B. II. 244

Vgl. Anhang 3 Abs. E zum TBT-Übereinkommen.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Normeninstitutionen nach dem Verhaltenskodex dazu verpflichtet, bestehende oder kurz vor der Fertigstellung stehende einschlägige internationale Normen bei der Entwicklung der eigenen Normen zu verwenden (shall use them, or the relevant parts of them, as a basis for the standards it develops). V o n dieser Verpflich-

tung kann nur abgewichen werden, wenn die betreffende internationale Norm unwirksam oder ungeeignet ist. Dazu wird beispielsweise auf ein ungenügendes Schutzniveau oder grundlegende klimatische oder geographische Faktoren und grundlegende technologische Probleme verwiesen. 245 Welche internationalen Normen insofern zu berücksichtigen sind, ist im TBT-Übereinkommen nicht im einzelnen festgelegt. Es wird nur darauf verwiesen, daß den maßgeblichen internationalen Organisationen oder internationalen Stellen, in denen sich die Normungsarbeit vollzieht, zumindest alle WTO-Mitglieder beitreten können müssen. 246 Damit werden im Ergebnis alle hier angesprochenen internationalen Institutionen, die auf dem Gebiet der Standardisierung im Gesundheitswesen tätig sind, in Bezug genommen. Die nationalen Normeninstitutionen werden auch verpflichtet, in diesen internationalen Gremien im Interesse einer möglichst weitgehenden globalen Harmonisierung der Normen mitzuarbeiten. 247 Insgesamt läßt sich damit feststellen, daß durch das TBT-Übereinkommen für die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission und alle sonstigen Sachverständigengremien, die sich mit Gesundheitsstandards befassen, weitreichende Verpflichtungen zur Beachtung internationaler Normen, wie sie u. a. von der Codex Alimentarius Commission und in zahlreichen anderen Gremien der W H O und der FAO sowie im Internationalen Tierseuchenamt und im Rahmen des Internationalen Pflanzenschutzübereinkommens erarbeitet werden, völkerrechtlich verbindlich festgelegt sind. Soweit die nationalen Normeninstitutionen den Verhaltenskodex des TBT-Übereinkommens noch nicht angenommen haben, trifft die Bundesrepublik eine völkerrechtliche Pflicht, auf die Annahme hinzuwirken und unabhängig hiervon die Einhaltung des Kodex sicherzustellen. Insgesamt kommt es so zu einer weitreichenden mittelbaren Rechtswirkung der prima facie unverbindlichen internationalen Standardisierung im deutschen Gesundheitsverwaltungsrecht. Noch einen Schritt weiter gehen die mittelbaren Rechtswirkungen internationaler Standardisierung im Gesundheitswesen aufgrund einzelner Regelungen in dem SPS-Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung. Das SPS-Übereinkommen 245

Anhang 3 Abs. F zum TBT-Übereinkommen; siehe hierzu auch im Hinblick auf die Parallelvorschrift für technische Vorschriften in Art. 2.4. TBT-Übereinkommen Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Teil II, E 29 Rdnr. 87. 246

Anhang 1 Nr. 4 zum TBT-Übereinkommen.

247

Anhang 3 Abs. G zum TBT-Übereinkommen.

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

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gilt für alle gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen, die sich mittelbar oder unmittelbar auf den internationalen Handel auswirken können. Dabei handelt es sich um solche Maßnahmen, die zum Schutze des Lebens oder der Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen u. a. mit Blick auf Krankheiten oder Nahrungsmittelzusätze ergriffen werden. 248 Angesichts des weit gefaßten Verweises in Art. 1 Abs. 1 SPS-Übereinkommen darauf, daß das SPS-Übereinkommen für alle Maßnahmen gilt, die sich „mittelbar oder unmittelbar auf den internationalen Handel auswirken können", kommt es nicht darauf an, ob sich eine Gesundheits-, Tier- oder Pflanzenschutzmaßnahme tatsächlich und unmittelbar oder nur potentiell und mittelbar auf den internationalen Handel auswirkt. Vielmehr ist der Anwendungsbereich des SPS-Übereinkommens im Einklang mit einer gefestigten Rechtspraxis im GATT 1947 und jetzt der WTORechtsordnung ebenso weit zu fassen, wie es für das EG-Recht durch die Dassonville-FoxmeX des EuGH 2 4 9 zum Ausdruck gebracht wird. 2 5 0 Im Ergebnis ist damit jedes nationale legislative oder administrative Verhalten zum Schutze der Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen vom SPS-Übereinkommen erfaßt, da sich insoweit nie eine potentielle Auswirkung auf den internationalen Handel ausschließen läßt. Zeitlich gilt dies für jede existente Maßnahme, unabhängig davon, ob sie vor oder nach Inkrafttreten des SPS-Übereinkommens ergriffen wurde. 251 Es kommt auch nicht darauf an, ob die in Frage stehende gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Maßnahme von einer staatlichen oder nichtstaatlichen Stelle ergriffen wurde. Nach Art. 13 SPS-Übereinkommen sind die WTO-Mitglieder umfassend für die Einhaltung des Übereinkommens völkerrechtlich verantwortlich. Soweit nichtstaatliche Stellen, wie z. B. die hier interessierende Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission, auf den dem SPS-Übereinkommen unterfallenden Sachgebieten tätig sind, ist das entsprechende WTO-Mitglied dazu verpflichtet, zur Verfügung stehende geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, daß das SPS-Übereinkommen beachtet wird. Im Ergebnis trifft damit die Bundesrepublik Deutschland die völkerrechtliche und über das EG-Recht die gemeinschaftsrechtliche Pflicht, durch entsprechende legislative oder administrative Vorgaben die Einhaltung des SPS-

248

Siehe die ausführlichen Definition in Anhang A Nr. 1 des SPS-Übereinkommens.

249

EuGH, Rs. 8/74, DassonviUe, Slg. 1974, 837 (847).

250

Einzelheiten und zahlreiche Nachweise zur weiten Auslegung der Verbotstatbestände in der WTO/GATT-Rechtsprechung bei Tietje , Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 157 ff., 238 ff. und 278 ff.; ders., in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Teil II, E 25 Rdnr. 53 ff. 251

EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body v. 16.1.1998, WT/DS48/AB/R, para. 126 ff.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Übereinkommens durch Gutachtergremien wie die Lebensmittelbuch-Kommission sicherzustellen. Materiellrechtlich sieht das SPS-Übereinkommen zunächst vor, daß im Interesse einer möglichst weitgehenden internationalen Harmonisierung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen nationale Vorgaben auf „internationale Normen, Richtlinien oder Empfehlungen" zu stützen sind (Art. 3 Abs. 1 SPS-Übereinkommen). Die Verpflichtung wird durch eine Kooperationspflicht ergänzt, nach der sich die Mitglieder „im Rahmen ihrer Möglichkeiten voll und ganz an den Arbeiten der zuständigen internationalen Organisationen und ihrer Unterorganisationen, insbesondere der Kommission des Codex Alimentarius, des Internationalen Tierseuchenamtes und der im Rahmen der Internationalen Pflanzenschutzkonvention tätigen internationalen und regionalen Organisationen" beteiligen, „um in deren Rahmen die Entwicklung und regelmäßige Überprüfung der Normen, Richtlinien, oder Empfehlungen in bezug auf alle Aspekte gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen zu fördern" (Art. 3 Abs. 4 SPS-Übereinkommen). Im bilateralen Verhältnis der Vertragsparteien drückt sich diese Kooperationsverpflichtung darin aus, daß eine gegenseitige Anerkennung von gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen vorzunehmen ist, soweit objektiv nachgewiesen wird, daß das einheimische Schutzniveau erreicht wird (Art. 4 Abs. 1 SPS-Übereinkommen). Die damit bereits ersichtlichen weitreichenden Auswirkungen, die das SPSÜbereinkommen auf nationale Standardisierungsarbeiten im Gesundheitsbereich hat, werden noch verstärkt durch die materiellrechtlichen Wirkungen, die den internationalen Standards der Codex Alimentarius Commmission, des Internationalen Tierseuchenamtes, des internationalen Pflanzenschutzübereinkommens und sonstiger einschlägiger internationaler Foren 252 beigemessen wird. Nach Art. 3 Abs. 2 SPS-Übereinkommen wird vermutet, daß nationale Maßnahmen, die mit internationalen Standards übereinstimmen, rechtmäßig sind. Dessen ungeachtet können die WTO-Mitglieder jedoch nach Art. 3 Abs. 3 SPS-Übereinkommen von den internationalen Standards abweichende nationale Maßnahmen ergreifen, wenn ein höheres Schutzniveau erreicht werden soll und hierfür eine wissenschaftliche Begründung vorliegt. Für die insoweit notwendige Risikobewertung legt Art. 5 SPS-Übereinkommen den zu beachtenden rechtlichen Maßstab fest. Über die genaue Auslegung der genannten Vorgaben der Art. 3 und 5 SPSÜbereinkommen bestand allerdings einige Zeit Ungewißheit. In dem sogenannten 252 Zu dieser weiten Definition der im SPS-Übereinkommen relevanten internationalen Normen, Richtlinien und Empfehlungen siehe Anhang A Nr. 3 zum SPS-Übereinkommen.

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

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Hormon-Streit zwischen der EG und den U S A 2 5 3 entschied das erstinstanzliche WTO-Panel im Sinne einer nur unter engen Voraussetzungen bestehenden Möglichkeit, von internationalen Standards abzuweichen, da in der systematischen Abfolge der Absätze des Art. 3 SPS-Übereinkommen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten internationaler Standards zu sehen sei. 254 Diese Entscheidung, die den unverbindlichen internationalen Standards im Ergebnis eine Rechtsverbindlichkeit zumaß, wurde in der Revisionsinstanz aufgehoben. 255 Nach der nunmehr weitgehend anerkannten Rechtsprechung des WTO Appellate Body besteht keine völkerrechtliche Verpflichtung, die nationalen Gesundheitsstandards in Übereinstimmung mit internationalen Standards zu bringen. 256 Dies folgt aus dem prima facie unverbindlichen Charakter internationaler Gesundheitsstandards und dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 SPS-Übereinkommen, wonach sich die WTO-Mitglieder bei ihren nationalen Maßnahmen auf vorhandene internationale Standards nur „stützen" sollen (shall base)}51 Demgegenüber besteht nach Art. 3 Abs. 2 SPS-Übereinkommen eine widerlegbare Vermutung der Rechtmäßigkeit einer nationalen Maßnahme, wenn sie in Übereinstimmung (which conform to) mit internationalen Standards steht. In einem dritten Schritt ergibt sich damit, daß die WTO-Mitglieder frei sind, ein höheres Schutzniveau einzuführen, als in internationalen Standards vorgesehen, soweit sie nur den nach Art. 3 Abs. 3 i. V. m. Art. 5 Abs. 1 SPS-Übereinkommen erforderlichen wissenschaftlichen Nachweis der Notwendigkeit hierfür erbringen und im übrigen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist. 2 5 8 Dies führt allerdings nicht zu einer Umkehr der Beweis-

253

Zur Geschichte dieses langjährigen Streitfalles statt vieler Hilf/Eggers, EuZW 1997, 559 (559 f.); Quick/Blüthner, JIEL 2 (1999), 603 (605); McNiel, Virgina Journal of Int'l Law 39 (1998), 89 (99 ff.). 254 EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Panel v. 18.8.1997, WT/DS26/R/USA und WT/DS48/R/CAN, para. 8.70 ff.; zur Entscheidung ausführlich und kritisch Hilf/Eggers, EuZW 1997, 559 ff. 255 EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body v. 16.1.1998, WT/DS48/AB/R, para. 162 ff.; zur Entscheidung statt vieler Quick/Blüthner, JIEL 2 (1999), 603 ff.; McNiel, Virgina Journal of Int'l Law 39 (1998), 89 ff.; Eggers, EuZW 1998, 147 ff.; Slotboom, CMLRev. 36 (1999), 471 (478 ff.). 256 EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body v. 16.1.1998, WT/DS48/AB/R, para. 165 f. 257 EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body v. 16.1.1998, WT/DS48/AB/R, para. 163 f.; siehe auch Quick/Blüthner, JIEL 2(1999), 603 (610 f.). 258

Zur Notwendigkeit der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vgl. Art. 5 Abs. 6 SPS-Übereinkommen; Japan - Measures Affecting Agricultural Products, Report of the Appellate Body v. 19.3.1999, WT/DS76/AB/R, para. 123; Australia - Measures Affecting

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

last in dem Sinne, daß schon das Abweichen von internationalen Standards für sich genommen begründungsbedürftig wäre. 259 Insgesamt ergibt sich damit, daß dem SPS-Übereinkommen als allgemeines Ziel zwar die Vorstellung einer möglichst weitreichenden internationalen Harmonisierung von Gesundheitsstandards zugrunde liegt und dies auch rechtlich durch die in Art. 3 Abs. 2 SPS-Übereinkommen normierte Vermutungsregel gewürdigt wird, im übrigen aber die Mitgliedstaaten ihre eigenen Standards einführen dürfen, soweit sie nur den im einzelnen präzisierten wissenschaftlichen Nachweis der Notwendigkeit hierfür erbringen und das Gebot der Verhältnismäßigkeit beachtet wird. Entscheidende Bedeutung kommt damit dem Maßstab zu, der nach Art. 5 SPS-Übereinkommen für die Risikobewertung bei Festlegung einer gesundheitspolizeilichen oder pflanzenschutzrechtlichen Maßnahme anzuwenden ist. Genau an dieser Stelle ergeben sich dann auch die schwierigsten Rechtsfragen, die heute das internationalisierte Gesundheitsverwaltungsrecht mit Blick auf Standardisierungsfragen prägen. Im einzelnen geht es um die Frage, welche Faktoren in die Risikobewertung einbezogen werden dürfen. Nach der Rechtsprechung des Appellate Body ist dabei zunächst von dem Grundsatz auszugehen, daß eine einzelfallabhängig zu bewertende rationale Beziehung (rational relationship) zwischen der ergriffenen Maßnahme und der Risikobewertung bestehen muß. 260 Hinsichtlich der Risikoanalyse selbst traf der Appellate Body die folgende, zentrale Aussage: „It is essential to bear in mind that the risk that is to be evaluated in a risk assessment under Article 5.1 is not only risk ascertainable in a science laboratory operating under strictly controlled conditions, but also risk in human societies as they actually exist, in other words, the actual potential for adverse effects on human health in the real world where people live and work and die." 2 6 1

Durch diese Aussage des Appellate Body, die sich mit Blick auf Wortlaut und Systematik des Art. 5 SPS-Übereinkommen kritisieren läßt, 262 wurde eine intensive Diskussion in den maßgeblichen internationalen Foren darüber eingeleitet, inthe Importation of Salmon, Report of the Appellate Body v. 6.11.1998, WT/DS18/AB/R, para. 194; Pauwelyn, JIEL 2 (1999), 641 (652). 259 EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body v. 16.1.1998, WT/DS48/AB/R, para. 169 ff.; siehe auch Quick/Blüthner, JIEL 2 (1999), 603 (612). 260

EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body v. 16.1.1998, WT/DS48/AB/R, para. 193: „The requirement that an SPS measure be,based on* a risk assessment is a substantive requirement that there be a rational relationship between the measure and the risk assessment". 261

EC Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Report of the Appellate Body v. 16.1.1998, WT/DS48/AB/R, para. 187. 262

Ausführlich Quick/B lüthner, JIEL 2 (1999), 603 (618 ff.).

A. Internationalisiertes Gesundheitsverwaltungsrecht

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wieweit gesellschaftliche - politische - Faktoren eine Risikobewertung im Gesundheitswesen neben wissenschaftlich-technischen Erkenntnissen mitbestimmen können. 263 Die diese Diskussion prägenden Gesichtspunkte sollen hier nicht vertiefend analysiert werden, da sie spezifische Aspekte des Risiko Verwaltungsrechts betreffen. 264 Dem Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit entsprechend kommt es nur darauf an, festzuhalten, daß das SPS-Übereinkommen neben der Bezugnahme auf internationale Standards weitreichende Auswirkungen auf die gerade für das Gesundheitsverwaltungsrechts zentrale Frage der Risikobewertung hat. Insofern bestimmen das SPS-Übereinkommen und die in seinem Rahmen erfolgende Rechtspraxis des Appellate Body 2 6 5 die Arbeit nationaler Gremien der Standardisierung im Gesundheitswesen sowie die allgemeine verwaltungsrechtliche Dogmatik mit Blick auf den Risikobegriff 266 ganz zentral. 267

3. Zusammenfassung

Zusammenfassend zeigt sich, daß zahlreiche tatsächliche und rechtliche Einwirkungen des internationalen Gesundheitsverwaltungsrechts auf nationale administrative Strukturen bestehen. Neben der konstatierten intensiven internationalen Verwaltungskooperation, die heute die Arbeit aller nationalen Gesundheitsbehörden bestimmt, sind die durch innerstaatliche und völkerrechtliche Rechtsvorschriften bewirkten unmittelbaren und mittelbaren Verschränkungen normativer Vorgaben von Bedeutung, die in unterschiedlichen Foren erarbeitet werden und dort Relevanz entfalten. Das innerstaatliche Recht reagiert insoweit durch verschiedene, in ihrer inhaltlichen Tragweite unterschiedlich ausgestaltete Verweis263

Zu der gerade in der Codex Alimentarius Commission hierzu besonders intensiv geführten Diskussion siehe Eckert , ZLR 1999, 371 (376 ff.). 264

Umfassend Di Fabio , Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, passim.

265

Neben der bereits genannten Entscheidung im Hormon-Streit sind die folgenden Entscheidungen einschlägig: Japan - Measures Affecting Agricultural Products, Report of the Appellate Body v. 19.3.1999, WT/DS76/AB/R; Australia - Measures Affecting the Importation of Salmon, Report of the Appellate Body v. 6.11.1998, WT/DS18/AB/R; zu eine Analyse der bis 1999 vorliegenden Rechtsprechung des Dispute Settlement Body der WTO zum SPS-Übereinkommen siehe Pauwelyn, JIEL 2 (1999), 641 ff. 266 Grundlegend hierzu Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, passim; ders., Jura 1996, 566 ff.; weiterhin Wahl, ZLR 1998, 275 ff., jeweils m. w. N. 267

Siehe hierzu auch mit Blick auf das deutsche Lebensmittelrecht ausführlich Eckert, ZLR 1999, 579 (592 ff.); ders., ZLR 1995, 363 ff.; Rabe, ZLR 1998, 129 ff.; Hilf/Reuß, ZLR 1997, 289 ff.; M. Ritter, EuZW 1997, 133 ff.; Wahl, ZLR 1998, 275 (287 ff.); Classen, Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 49 (1999), 345 ff.; Streinz, Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 46 (1996), 435 ff.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Vorschriften auf Entwicklungsprozesse im internationalen Bereich. Daneben beziehen sich zahlreiche Verordnungsermächtigungen i. S. v. Art. 80 Abs. 1 GG auf völkervertragliche Regelungen, die innerhalb des jeweiligen Vertragsregimes geschaffen oder modifiziert werden können, ohne daß es eines Ratifikationsverfahrens bedarf. Sowohl die Verordnungsermächtigungen als auch die genannten Verweisvorschriften sind dabei als dynamische Rechtsinstrumente einzustufen, da der jeweils in Bezug genommene völkerrechtliche Regulierungsmechanismus bewußt einem Wandel unterworfen ist. A m deutlichsten wird der dynamische Charakter der Einflüsse völkerrechtlicher Entwicklungen auf das nationale Gesundheitsverwaltungsrecht jedoch, wenn verschiedene mittelbare Rechtswirkungen betrachtet werden. Wie die Vorgaben des TBT- und SPS-Übereinkommens verdeutlichen, ist die im Gesundheitswesen wichtige Standardisierungsarbeit nahezu umfassend internationalisiert. Darüber hinaus wird durch die Maßstäbe, die das SPS-Übereinkommen für die Risikobewertung vorgibt, ein weitreichender Einfluß auf die inhaltliche Bestimmung des nationalen Risikoverwaltungsrechts ausgeübt. Sowohl faktisch als auch rechtlich führen diese Entwicklungen dazu, daß es zu einer sich stetig intensivierenden internationalen Harmonisierung gesundheitsverwaltungsrechtlicher Maßstäbe kommt. Soweit der Harmonisierungsnotwendigkeit dabei prozedurale und materiellrechtliche völkerrechtliche Verpflichtungen zugrunde liegen, wirken diese in der Bundesrepublik nicht nur als Völkerrechtsnormen, sondern darüber hinaus mit Vorrangwirkung vor dem nationalen Recht als Verpflichtungen des EG-Rechts. Kraft des dem nationalen Recht vorgehenden gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der völkerrechtskonformen Rechtsanwendung und Rechtsauslegung268 sind insoweit u. a. alle nationalen Verwaltungsbehörden rechtlich dazu verpflichtet, ihr Handeln an den völkerrechtlichen Vorgaben auszurichten. Insgesamt kann damit im Sinne einer, allerdings nur auf das Lebensmittelrecht bezogenen, wegweisenden Feststellung von Rainer Wahl konstatiert werden, daß „[nirgends sonst im Verwaltungsrechts ... die unmittelbare Relevanz des internationalen Rechts so greifbar und offenkundig ... [ist], und nirgends anders ... die direkte und indirekte Wirkung von internationalen Organisationen wie der WTO und der WHO und ihren jeweiligen Rechts- und Regelsetzungen so anschaulich [ist]" wie im Gesundheitsverwaltungsrecht. Daß diese Feststellung allerdings nicht nur auf das Gesundheitsverwaltungsrecht zutrifft, sondern auch für andere Bereiche des Verwaltungsrechts gilt, ist noch darzustellen.

268

Hierzu noch ausführlich infra Teil 7, B. II. 3.

. Internationalisiertes

etverwaltungsrecht

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B. Internationalisiertes Umweltverwaltungsrecht I. Begrifflichkeit und Grundstrukturen des nationalen Umweltrechts In der Folge der Publikation des wegweisenden Buches „The Silent Spring" der Biologin Rachel Carson im Jahre 1962269, der am 3. Dezember 1968 verabschiedeten Resolution 2398 (XXIII) der Generalversammlung der Vereinten Nationen, der Veröffentlichung des Berichts des Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums" im Jahre 1972 und der im selben Jahr abgehaltenen Umweltkonferenz der Vereinten Nationen in Stockholm, ist der Umweltschutz als gesellschaftliche und rechtliche Herausforderung spätestens seit Anfang der 1970er Jahre in den Blickpunkt des nationalen und des internationalen Interesses gerückt. 270 Zugleich entwickelten sich im nationalen und im internationalen Bereich rege und heute nahezu umfassend verwirklichte rechtssetzende Aktivitäten, die darauf abzielten, den Umweltschutz rechtsnormativ zu erfassen. 271 Seither wird das Umweltrecht - nach anfänglichem Zögern 272 - als eigenständiges Rechtsgebiet behandelt.273 Die begriffliche Konkretisierung des Umweltrechts als eigenständiges Rechtsgebiet steht vor dem prinzipiellen Problem, daß es sich hierbei, wie wohl sonst in keinem anderen Rechtsgebiet der Fall, um eine ausgeprägte „problembezogene Querschnittsaufgabe" 274 handelt. Schon der im vorausgehenden Abschnitt dieser Arbeit herausgestellte wechselseitige Bezug zwischen Gesundheitsschutz und Umweltschutz verdeutlicht dies. Im Interesse rechtssystematischer Klarheit, aber auch um die Konvergenz der inhaltlichen und instrumentellen Ausrichtung des nationalen und des internationalen Umweltrechts deutlich machen zu können, ist es jedoch trotzdem notwendig, die übergreifenden Grundstrukturen zunächst des na269

Zur Bedeutung dieses Werkes für die Herausbildung eines öffentlichen Umweltbewußtseins siehe Kiss/Shelton, International Environmental Law, 36; Kilian, Umweltschutz durch Internationale Organisationen, 35; insgesamt zur historischen Entwicklung auch Beyerlin, Umweltvölkerrecht, Rdnr. 8 ff. 270

Siehe den Überblick zu dem grundlegenden umweltschutzorientierten Wertewandel in dieser Zeit in der Bundesrepublik bei Kloepfer, Umweltrecht, § 2 Rdnr. 73 f. 271

Für das nationale Recht Kloepfer, Umweltrecht, § 2 Rdnr. 76; für das internationale Recht Kiss/Shelton, International Environmental Law, 41 ff.; Beyerlin, Umweltvölkerrecht, Rdnr. 21 f. 272

Siehe z. B. Kimminich, Das Recht des Umweltschutzes, 11 ff.

273

Breuer, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Abschn. Rdnr. 36; Arndt, in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, V I I I Rdnr. 3; Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rdnr. 60 Fn. 122 m. w. N. 274

Breuer, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Abschn. Rdnr. 36; dem folgend Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rdnr. 59.

3

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

tionalen Umweltrechts nachzuzeichnen. Dabei kann auf im Schrifttum insbesondere von Breuer und Kloepfer mit weitgehender Übereinstimmung bereits herausgearbeitete Überlegungen zurückgegriffen werden. Das Umweltrecht i. e. S. 275 läßt sich zunächst nach Lebenssachverhalten, nach Gefahrenquellen, nach Gefahrenarten und nach Schutzgütern systematisieren. 276 Auf einer höheren Abstraktionsebene angesiedelt kann auch von einem medialen, einem kausalen, einem vitalen und einem integrierten Umweltschutz als das Umweltrecht auszeichnende Bezugspunkte gesprochen werden. 277 Faßt man diese beiden Systematisierungsansätze zusammen und erkennt die regelmäßig gegebene Problematik, daß sich Überschneidungen der einzelnen Systemgruppen nicht vermeiden lassen, können im Sinne der Überlegungen von Kloepfer drei, immer auf den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen bezogene (vgl. Art. 20a GG) 2 7 8 Regelungsmodelle des Umweltrechts festgestellt werden: (1.) Der sektorale Schutz eines Umweltgutes gegenüber prinzipiell allen Gefahrenquellen; (2.) der prinzipielle Schutz aller Umweltgüter gegenüber bestimmten Gefahrenquellen; und (3.) der Schutz einzelner Umweltgüter vor einzelnen Gefahrenquellen. 2 7 9 Im Überschneidungsbereich des kombinierten Modelles aufeinander bezogener Umweltgüter und Gefahrenquellen anzusiedeln ist neben dieser Dreiteilung dann der integrierende Umweltschutz in seiner übergreifenden Aufgabenstellung. 280 Neben der zunächst formellen Systematisierung anhand von Schutzgut und Gefahrenquelle sowie darüber hinausgehend im Sinne des Verweises auf Querschnittsaufgaben ist das Umweltrecht durch seine inhaltliche Ausrichtung systembildend geprägt. Den hierzu insoweit zentralen Gedanken bringt Art. 20a GG als Verfassungsprinzip deutlich zum Ausdruck: Umweltschutz als Staatszielbestimmung 281 ist auf Prävention im Sinne von Vorsorge als Langzeitverantwortungs275 Zum Umweltrecht i. w. S., das „sämtliche umweltrelevanten Normen unabhängig von ihrem gesetzessystematischen Standort oder umweltspezifischen Aussagegehalt umfaßt" siehe Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rdnr. 70. 276

Kloepfer,

Umweltrecht, § 1 Rdnr. 66.

277

So die wegweisende Systematisierung von Breuer, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Abschn. Rdnr. 37. 278 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20a Rdnr. 28; Arndt, in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, V I I I Rdnr. 4. 279

Kloepfer,

Umweltrecht, § 1 Rdnr. 67.

280

Breuer, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Abschn. Rdnr. 37. 281

Hierzu ausführlich Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 247 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd.II, Art. 20a Rdnr. 20 f. m. w. N.

. Internationalisiertes

etverwaltungsrecht

31

konzept zur Vermeidung von Umweltgefahren bereits im Vorfelde ihrer Entstehung ausgerichtet. 282 Damit wird der klassische Gefahrenbegriff des Polizeirechts erweitert und der Umweltschutz zu einem zentralen Gebiet des Risikoverwaltungsrechts. 283 Die bereits angedeutete enge Verzahnung des Gesundheits- und des Umweltrechts wird an dieser Stelle besonderes deutlich, ist doch das Gesundheitsrecht heute durch seine Public-health- Ausrichtung ebenfalls intensiv dem Präventionsgedanken verpflichtet. 284 Zugleich erhellt die schutzbezogene Vorsorgeausrichtung des Umweltrechts, daß sich die dem Umweltschutz insgesamt zugrundeliegende ratio auf die Bewahrung und Verteilung von Gemeinschaftsgütern bezieht. 285 Insoweit ist nämlich das rechtlich konturierte Interesse an dem Schutz der „natürlichen Lebensgrundlagen" (Art. 20a GG) als anthropozentrische Konzeption 286 darauf ausgerichtet, „alle Umweltgüter, die funktionale Grundlage des menschlichen Lebens sind", 2 8 7 zu bewahren und - insbesondere im intergenerativen Sinne - zu verteilen. Daraus folgt auch, daß die inhaltliche Ausrichtung des Umweltschutzes als rechtsnormative Kategorie zwangsläufig einen grenzüberschreitenden Bezug aufweist, da sich nur so die inhärent global zu verortenden umweltrelevanten Gemeinschaftsgüter tatsächlich im Sinne des umfassenden Schutzzieles des Art. 20a GG bewahren und verteilen lassen.288 Neben dem Vorsorgeprinzip als „Primärziel" des Umweltrechts und der Umweltpolitik kommen dem Verursacherprinzip, dem Gemeinlastprinzip und dem Kooperationsprinzip als „Sekundärzielen" systembildende Kraft zu. 2 8 9 Durch die

282

Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20a Rdnr. 31 ff. und 49; Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 28 ff. sowie ausführlich § 4 Rdnr. 5 ff.; a. A. Scholz, in: Maunz/ Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 20a Rdnr. 10. 283 Für den Umweltschutz hierzu allgemein und umfassend Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 21 ff.; siehe auch Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 108. 284 285

Siehe supra Teil 6, A. II. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 108.

286

Statt vieler Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20a Rdnr. 25 ff.; Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 27. 287 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20a Rdnr. 28; zu den Problemen der inhaltlichen Präzisierung des Begriffes der natürlichen Lebensgrundlagen statt vieler Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 25 ff. 288

So auch Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20a Rdnr. 28; Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 852 m. w. N. 289

Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rdnr. 4; zu weiteren Prinzipien des Umweltrechts siehe ebda., § 4 Rdnr. 1 ff.; Breuer, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Abschn. Rdnr. 6 ff.

3

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

heute nicht mehr bezweifelte Anerkennung dieser Prinzipien im Sinne von rechtsnormativen Optimierungsgeboten hat sich das nationale Umweltrecht als ein Rechtsgebiet konstituiert, das in seiner inhaltlichen und instrumentellen Ausrichtung neue Wege im Verfassungs- und Verwaltungsrecht weist. Die mit den Stichworten „Vorsorge" und „Kooperation" verbundenen Verweise auf präventiv wirkende Steuerungsziele staatlichen Handelns sowie auf flexibel gezogene Grenzen zwischen staatlicher und gesellschaftlicher Verantwortung 290 verweisen unmittelbar auf ein im Verhältnis zum klassischen Ordnungsrecht wesentlich komplexeres Feld von Zieloptionen und Handlungsinstrumentarien. Dies gilt für die Erweiterung staatlicher Handlungsbefugnisse in Reaktion auf die Herausforderungen des Risikoverwaltungsrechts ebenso wie mit Blick auf die zunehmende Verantwortungsdiversifikation im Verhältnis Staat und Gesellschaft. Im einzelnen lassen sich die folgenden verwaltungsrechtlichen Handlungsinstrumente regulativer, ökonomischer und kontextgesteuerter Natur nennen:291 Im Bereich der direkten regulativen Verhaltenssteuerung ist das Umweltrecht von Anzeigepflichten und Erlaubnisvorbehalten geprägt. Das präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (vgl. z. B. § 6 BImSchG) als klassisches öffentlich-rechtliches Kontrollinstrument ist auch im Umweltrecht von zentraler Bedeutung, allerdings wird es heute vielfach durch den Einsatz von Nebenbestimmungen i. S. v. § 36 VwVfG in seiner normativen Reichweite modifiziert (vgl. z. B. § 12 BImSchG). Hierin zeigt sich eine zeitliche und sachliche Flexibilisierung des Genehmigungsverfahrens, die insbesondere dem Risikogedanken im Umweltrecht Rechnung trägt. 292 Dies gilt in ähnlicher Weise für repressive Verbote mit Ausnahmevorbehalten, die in ihrer auf der Rechtsfolgenseite eröffneten Ermessensbefugnis der Behörde regelmäßig die Möglichkeit bieten, gerade mit Blick auf den Schutz und die Verteilung knapper Güter interessengerechte Abwägungen vornehmen zu können (vgl. z. B. §§ 1 f. WHG). In ihrer normativen Wirkkraft ergänzt werden die beiden Genehmigungsarten dann durch zahlreiche Überwachungs- und Kontrollbefugnisse (vgl. z. B. §§ 52 ff. BImSchG; §§ 40 ff. KrW-/AbfG). 293 Die ökonomische Verhaltenssteuerung im Umweltrecht zielt im Gegensatz und in Ergänzung zu den genannten regulativen Mechanismen darauf ab, durch Zwi290

Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 110 f.

291

So die überzeugende Systematisierung von Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 153 ff.; zur ansonsten üblichen Differenzierung nach direkter, indirekter, ökonomischer und kooperativer Verhaltenssteuerung im Umweltrecht siehe z. B. Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rdnr. 34 ff. 292 Vgl. Kloepfer, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Umweltrecht, Bd. I, § 7 Rdnr. 6 ff.; umfassend ders., Umweltrecht, § 5 Rdnr. 40 ff. 293

Hierzu Kloepfer,

Umweltrecht, § 5 Rdnr. 126 ff.

. Internationalisiertes

etverwaltungsrecht

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schenschaltung von zunächst privatautonomen Marktmechanismen die angestrebten Regelungsziele zu erreichen. Insbesondere die abgabenrechtlichen Instrumentarien sowie die direkte und die indirekte Subventionierung sind hier zu nennen.294 Der Vorteil dieser Verhaltenssteuerung liegt darin, durch ökonomische Anreize ein Schutzniveau zu erreichen, das über autoritativ gesetzte staatliche Standards hinausgeht.295 Auch wenn damit sowohl unter Umweltschutzaspekten als auch mit Blick auf ordnungspolitische Vorstellungen vieles für den Einsatz von Instrumenten ökonomischer Verhaltenssteuerung spricht, bleibt doch zu bedenken, daß sich ihre Effektivität nur durch flankierende hoheitliche Maßnahmen garantieren läßt. Neben der bereits genannten regulativen Verhaltenssteuerung ist es insofern insbesondere die Kontextsteuerung, die diese Funktion erfüllt. 296 Als Kontextsteuerung definiert Steinberg „jede nicht-regulative Steuerung durch die nicht-preisliche Parameter derjenigen Entscheidungen beeinflußt werden, die Akteure im umweltrelevanten Technikbereich treffen". 297 Durch diese Definition wird auf die u. a. unter den Stichworten „Kooperationsprinzip", „informales Verwaltungshandeln", „indirekte Verhaltenssteuerung" und „Instrumente der Betriebsorganisation" im Schrifttum bereits ausführlich erörterten Strategien staatlichen Handelns im Umweltrecht abgestellt, die im Gegensatz zum klassischen „Befehl und Zwang" „influenzierend und motivierend" die Entscheidungen der Normadressaten zu beeinflussen trachten. 298 Ohne hier auf weitere Einzelheiten eingehen zu müssen, kann damit konstatiert werden, daß der Komplexität der Aufgabe „Umweltschutz" eine Komplexität der zur Verfügung stehenden und tatsächlich eingesetzten Steuerungsinstrumentarien im Umweltrecht entspricht. 299 Auch wenn die so deutlich werdende „mischinstrumentelle Strategie" durchaus verfassungsrechtliche Probleme bereitet, 300 ändert dies nichts daran, daß ihr Einsatz unverzichtbar ist, um dem Verfassungsauftrag des Art. 20a GG gerecht werden zu können. Was allerdings notwendig ist, um die unumstößliche Ordnungsfunktion des Rechts gerade in diesem komplexen Sach294

Umfassend Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rdnr. 227 ff.; Sacksofsky, durch nicht-steuerliche Abgaben, passim.

Umweltschutz

295

Zu diesem Wirkungsgefüge Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 157 f. m. w. N. 296

Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 164 ff.

297

Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 165.

298

Kloepfer,

Umweltrecht, § 5 Rdnr. 153.

299

Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 108, spricht insgesamt für das Umweltrecht von einer „extrem hohe[n] Komplexität". 300 Zu dem Begriff und zu einem prägnanten Überblick zu den verfassungsrechtlichen Problemen siehe Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 168 ff. mit umfangr. Nachw.

34

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

bereich zu garantieren, ist einerseits eine Besinnung auf die weiterhin verbleibende zentrale Steuerungsfunktion des Rechts sowie andererseits eine Neubestimmung des zugrundeliegenden Verantwortungskonzeptes. Sie muß ausgehend von einer staatlichen Gesamtverantwortung darauf ausgerichtet sein, die konkrete Verantwortungsverteilung im Verhältnis Staat-Gesellschaft und innerhalb des staatlichen Gewaltenteilungsgefüges differenzierter zu erfassen, als dies im Rahmen klassischer ordnungsrechtlicher Vorstellungen der Fall ist. 301 Gerade der zunehmend wichtiger werdende Bereich „gesetzlicher Konkretisierungsermächtigungen" 3 0 2 mit Blick auf technische Standards, die von nichtstaatlichen Handlungseinheiten erarbeitet oder von der Exekutive gesetzt werden, bietet hier zahlreiches, herausforderndes Anschauungsmaterial. 303 Die Komplexität des Umweltrechts zeigt sich jedoch nicht nur in seinen materiellrechtlichen Steuerungsstrukturen, sondern auch hinsichtlich der im Bundesstaat gegebenen Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen. Ähnlich wie für das Gesundheitsverwaltungsrecht bereits ausgeführt, ist auch die Kompetenzverteilung im Umweltrecht von der - nicht unbedenklichen - föderalen Eigenart des deutschen Verfassungsstaates geprägt, daß dem Bund die wesentlichen Gesetzgebungskompetenzen zufallen und die Länder die weitaus größte Verwaltungsverantwortung tragen. 304 Gerade für das Verwaltungsverfahren und die Verwaltungsorganisation zeigt sich insoweit, daß zum einen oftmals die Möglichkeit bundesgesetzlicher Regelung des Verwaltungsverfahrens der Länder (Art. 84 Abs. 1 GG) genutzt wird, zum anderen aber in den Ländern eine komplexe Verwaltungsorganisationstruktur für den Umweltschutz besteht. 305 Zwei wesentliche Aspekte kennzeichnen die sich so abzeichnende organisatorische Komplexität: Zunächst bedingt die Querschnittsaufgabe „Umweltschutz", daß entsprechend der übergreifenden Struktur der Sachaufgabe zahlreiche, sachlich prima facie voneinander getrennte Aufgabenträger mit umweltbezogenen Vollzugsaktivitäten betraut sind. Auch wenn es erste Ansätze einer konsequenten Bündelung administrativer umweltbezogener Zuständigkeiten gibt - die Einrichtung der für Luft, Wasser und Abfall sowie den Naturschutz zuständigen

301 In diese Richtung auch Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 115 f. 302

Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 113.

303

Umfassend hierzu Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 185-284 mit zahlreichen Nachw. 304

Kloepfer; Umweltrecht, § 3 Rdnr. 83; zu den Gesetzgebungskompetenzen des Bundes ders., Umweltrecht, § 3 Rdnr. 84 ff. 305

Kloepfer,

Umweltrecht, § 3 Rdnr. 91 ff.

. Internationalisiertes

etverwaltungsrecht

3

Staatlichen Umweltämter in Schleswig-Holstein 306 ist hier als herausragendes Beispiel zu nennen - bleibt oftmals doch eine beachtliche Vielfalt kompetentieller Aufgabenverteilung zu konstatieren. 307 Hinzu kommt als weiteres Charakteristikum des Umweltrechts, daß neben den eigentlichen Exekutivbehörden zahlreiche staatlich-technische Arbeitseinheiten im Bereich des Umweltschutzes als wissenschaftlich-technischer Sachaufgabe tätig sind; sie wurden zumeist auf Bundesebene als selbständige Bundesoberbehörden oder sonstige Bundesbehörden gebildet. Neben dem Umweltbundesamt308 und dem Bundesamt für Naturschutz 309 sind hier die bereits für den Gesundheitsbereich genannten Bundesbehörden 310 sowie u. a. die Biologische Bundesanstalt,311 die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, 312 die Bundesanstalt für Gewässerkunde 313 und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz314 zu nennen.315 Schließlich nimmt der kooperative Föderalismus - natürlich - auch im Umweltschutz seinen Platz ein: Die Koordination der Landes» und Bundesumweltpolitik vollzieht sich z. B. im Länderausschuß für Immissionsschutz (LAI), der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) und dem Bund-Länder-Ausschuß Reaktorsicherheit. 316 Insgesamt kann damit festgehalten werden, daß das Umweltrecht und insbesondere das Umweltverwaltungsrecht von komplexitätsinduzierten flexiblen Strukturen geprägt ist. Dies gilt für das materielle Umweltrecht ebenso wie für die vielschichtigen organisatorischen Herausforderungen der Umweltverwaltung.

306 Landesverordnung über die Errichtung von Staatlichen Umweltämtern und zur Änderung von Rechtsvorschriften v. 2. Dezember 1997, GVOB1. Schl.-H. 1997, 478. 307 Hierzu auch Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 219 ff.; im Überblick Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 101 ff., jeweils m. w. N. 308

Gesetz über die Errichtung eines Umweltbundesamtes v. 22. Juli 1974, BGBl. 19741, 1505, mit Änderungen. 309

Gesetz über die Errichtung eines Bundesamtes für Naturschutz und zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Artenschutzes v. 6. August 1993, BGBl. 1993 I, 1458. 310

Supra Teil 6, A. II. und Teil 6, A. IV. 1.

311

Errichtet durch Verordnung vom 8. September 1950, BGBl. 19501, 678.

312

Errichtet durch Verordnung vom 8. September 1950, BGBl. 1950 I, 678.

313

Durch Verordnung vom 4. September 1951 in die Verwaltung des Bundes übernommen, BGBl. 1951 I, 826. 314

Siehe hierzu die Verordnung vom 2. Dezember 1981, BGBl. 1981 I, 1238.

315

Weitere Einzelheiten bei Bothe, Verwaltungsorganisation im Umweltschutz, passim; Dittmann, in: Kimminich/von Lersner/Storm (Hrsg.), HdUR, Bd. II, Sp. 1548 ff.; sowie im Überblick Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 94 ff.; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 219 ff. 316

Hierzu auch Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 226.

3

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

II. Grundstrukturen des Umweltvölkerrechts 1. Entwicklungslinien:

Souveränitätsschutz

und Schutz globaler

Umweltgüter

Bevor näher auf konkrete materiellrechtliche und organisatorische Aspekte des gegenwärtigen internationalen Umweltverwaltungsrechts eingegangen werden soll, ist es zunächst notwendig, die Entwicklung des rechtlichen Schutzkonzeptes im Umweltvölkerrecht nachzuzeichnen. Dies erscheint insbesondere deshalb angezeigt, weil im Schrifttum vereinzelt bestritten wird, daß es überhaupt eine eigenständige Materie „Umweltvölkerrecht" gebe, die sich auf genuine ökologische Belange beziehe.317 Sollte diese, einem ausgeprägt etatistischen Denken verhaftete Ansicht 318 zutreffen, müßte der Versuch einer Darstellung des internationalisierten Umweltverwaltungsrechts von vornherein scheitern. Die behauptete primäre Verankerung des Umweltvölkerrechts in einem souveränitätsschützenden und damit etatistischen Konzept läßt sich nur historisch erklären. Erste Ansätze einer völkerrechtlichen Regelung von Sachverhalten, die einen Umweltbezug aufwiesen, sind bereits im 19. Jahrhundert auszumachen. Dabei ging es - sieht man einmal von den dargestellten umweltbezogenen Regelungen des internationalen Gesundheitsrechts ab - im wesentlichen um die Lösung von zwischenstaatlichen Konflikten hinsichtlich gemeinsam genutzter Wasser- und anderer Umweltressourcen. Das in diesem Zusammenhang postulierte, als „Harmon-Doktrin" 319 bekannte souveräne Recht eines Staates auf ein absolutes Nutzungsrecht an seinen ökologischen Ressourcen verdeutlicht, daß internationale Umweltprobleme zunächst im Spannungsverhältnis souveräner, insbesondere benachbarter Staaten auftraten. Der dabei im Vordergrund stehende Schutz von Ressourcen, deren Nutzung einem wichtigen einzelstaatlichen Interesse entspricht, kommt auch in den Anfang des 20. Jahrhunderts vereinbarten multilateralen Verträgen zum Schutze bestimmter Tierarten 320 zum Ausdruck. 317

So explizit, allerdings ohne vertiefende Begründung, Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Abschn. Rdnr. 98. 318

Siehe Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Abschn. Rdnr. 98: „Auch darüber hinaus ist der völkerrechtliche Umweltschutz ganz allgemein nach wie vor in das Prokusbett des Nachbarrechts eingespannt. Zweck des völkerrechtlichen Nachbarrechts aber ist nicht die Durchsetzung genuin ökologischer Belange. Es geht ihm vielmehr, qua Ressourcenschutz und Regelung der Ressourcennutzung, um die Zuordnung und Sicherung territorialer Souveränität und nationaler Prosperität." (Hervorhebung im Original) 319

Ausführlich Krakau, Die Harmon-Doktrin, passim; sowie kurz Randelzhof er, Jura 1992, 1 (3); Hinds, Umweltrechtliche Einschränkungen der Souveränität, 41. 320

Übereinkunft zum Schutz der für die Landwirtschaft nützlichen Vögel v. 19. März 1902, RGBl. 1906, 89; Abkommen zum Schutz der Robben v. 7. Juli 1911, abgedruckt in:

. Internationalisiertes

3

etverwaltungsrecht

Nunmehr jedoch deutete sich an, daß auch rechtlich ein Ausgleich widerstreitender Souveränitätsinteressen notwendig ist, um so zumindest mittelbar die fraglichen Belange des Umweltschutzes berücksichtigen zu können. Die wegweisenden Ausführungen des Ad-hoc-Schiedsgerichts

im

Trail-Smelter-Fall

321

zu einem rechtlichen Verbot einer ernsthaften grenzüberschreitenden Schädigung eines Nachbarstaates gaben diesem Gedanken erstmals in aller Deutlichkeit Ausdruck. Damit war nach der ursprünglichen Konzentration umweltrelevanter völkerrechtlicher Regelungen auf einen einzelstaatlichen Interessenschutz, eingekleidet insbesondere in das Gewand des Arten- und Ressourcenschutzes, die zweite Entwicklungsstufe 3 2 2 des Umweltvölkerrechts, das Nachbarrecht, erreicht. A u c h wenn die konkrete dogmatische Herleitung des umweltrechtlichen Nachbarrechtes mit seiner Verpflichtung, keine ernsthaften grenzüberschreitenden Umweltschädigungen vorzunehmen, i m einzelnen nicht abschließend geklärt ist, 3 2 3 besteht an seiner völkergewohnheitsrechtlichen Geltung heute kein Zweifel mehr. Das Urteil des I G H i m Corfu-Channel-Fd\\? Schiedsentscheidung in der Sache Lac Lanoux

325

2A

die

und schließlich Prinzip 21 der

Stockholmer Erklärung von 1972 3 2 6 sind nur einige Nachweise hierfür. 3 2 7 Zu-

Rüster/Simma (Hrsg.), International Protection of the Environment, Vol. V I I I 1976, 3682; Abkommen zur Regelung des Walfanges, abgedruckt bei: Rüster/Simma (Hrsg.), International Protection of the Environment, Vol. V I I 1976, 3466; siehe auch Randelzhof er, Jura 1992, 1 (3); zu weiteren völkerrechtlichen Verträgen zum Umweltschutz aus dieser Zeit siehe Hinds, Umweltrechtliche Einschränkungen der Souveränität, 42 f. 321 RIAA, Vol. III, 1911 ff. 322 Zur Einteilung der historischen Entwicklung in die drei Stufen völkerrechtlicher Artenschutz, völkerrechtliches Nachbarrecht und genuiner völkerrechtlicher Umweltschutz siehe Randelzhofer, Jura 1992, 1 (3 f.); dem folgend Kunig, in: BDGVR 32 (1992), 9 (11 ff.). 323

Hierzu im Überblick Kloepfer, Umweltrecht, § 9 Rdnr. 69 m. w. N. ICJ Reports 1949, 4 (22): „... every State's obligation not to allow knowingly its territory to be used for facts contrary to the rights of other States". 325 RIAA, Vol. XII, 285 (303): „It could have been argued that the works would bring about a definitive pollution of the waters of the Carol or that the returned waters would have a chemical composition or a tempature or some other characteristic which would injure Spanish interests. Spain could than have claimed that her rights had been impaired 324

326

Principle 21, Declaration of the UN Conference on the Human Environment, abgedruckt in: I L M 11 (1972), 1416 (1420): „States have ... the responsibility to ensure that activities within their jurisdiction or control do not cause damage to the environment of other States or of areas beyond the limits of national jurisdiction". 327

Umfassend zur Staatenpraxis ILA, Report of the sixtieth conference - Montreal 1980, 1982, 163; aus dem Schrifttum statt vieler Kunig, in: BDGVR 32 (1992), 9 (16 ff.); Wolfrum, GYIL 33 (1990), 308 (309 ff.); Beyerlin, Umweltvölkerrecht, Rdnr. 116 ff.

3

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

sammenfassend hat der IGH dies im Jahre 1996 dann auch in aller Deutlichkeit so festgestellt. 328 Ein eigentliches völkerrechtliches Umweltrecht war mit der zentral die nachbarrechtlichen Aspekte fokussierenden Rechtsentwicklung freilich noch nicht entstanden. Die Umwelt als Schutzgut wurde und wird durch das Nachbarrecht nicht eigenständig geschützt, sondern nur als Bestandteil der von der Souveränität (Art. 2 Abs. 1 UN-Charta) geschützten territorialen Integrität der Staaten mittelbar erfaßt. 329 Allerdings ließ bereits die Stockholmer Erklärung von 1972 erkennen, daß die internationale Staatengemeinschaft bereit war, einem genuinen völkerrechtlichen Umweltschutz auch rechtlich eine Grundlage zu geben. Das Prinzip 21 der Erklärung ist zwar zunächst eine Bestätigung des nachbarrechtlichen Schädigungsverbotes. Bemerkenswert ist aber, daß nicht einfach auf die Schädigung anderer Staaten im Sinne ihrer territorialen Integrität abgestellt wird, sondern von der Schädigung der Umwelt anderer Staaten und der Umwelt außerhalb staatlicher Jurisdiktion („damage to the environment of other States or of areas beyond the limits of national jurisdiction") geredet wird. Die Umwelt als eigenständiges Schutzgut trat damit erstmals - wenngleich noch in unverbindlicher Gestalt - im internationalen System hervor. 330 Noch deutlicher und nun in rechtlich verbindlicher Form wurde dann die im November 1972 verabschiedete UNESCO-Konvention über den Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt. 3 3 1 In deren Präambel heißt es, „... daß Teile des Kultur- und Naturerbes von außergewöhnlicher Bedeutung sind und daher als Bestandteil des Welterbes der ganzen Menschheit erhalten werden müssen". Mit dieser Formulierung wurde auf eine Rechtsentwicklung im Völkerrecht Bezug genommen, die ausgehend von der Internationalisierung staatsfreier Räume 332 einzelne globale Rechtsgüter einem Schutz unterstellt, der nicht mehr eine konditionale Verknüpfung mit einzelstaatlichen Interessen aufweist. 333 Ähnlich wie mit Blick auf die staatsfreien Räume durch die Herausbildung des

328

IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, ICJ Reports 1996, 66 (para. 29): „The existence of the general obligation of States to ensure that activities within their jurisdiction and control respect the environment of other States or of areas beyond national control is now part of the corpus of international law relating to the environment". 329

Umfassend zu den territorialen Souveränitätsrechten im Hinblick auf die Umwelt K. Odendahl, Die Umweltpflichtigkeit der Souveränität, 26 ff. 330

So auch Feist, JuS 1997,490 (492).

331

BGBl. 1977 11,215.

332

Hierzu umfassend die gleichnamige Schrift von Wolfrum, staatsfreier Räume, passim. 333

Die Internationalisierung

Zu weiteren Nachweisen siehe Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1,451; Delbrück, in: Kühne (Hrsg.), Blauhelme in einer turbulenten Welt (1993), 101 (113 ff.).

. Internationalisiertes

etverwaltungsrecht

3

Konzeptes eines „Gemeinsamen Erbes der Menschheit" („common heritage of mankind") 334 begann sich nun die rechtliche Erkenntnis durchzusetzen, daß ein etatistische Interessen transzendierendes Staatengemeinschaftsinteresse am Schutz der natürlichen Umwelt besteht. In jüngerer Zeit bringt dies z. B. die Klimarahmenkonvention 335 deutlich zum Ausdruck, wenn es dort in der Präambel heißt, daß „adverse change in the Earth's climate is a common concern of humankind .. .". 3 3 6 Auch wenn die zitierten Formulierungen prima facie humanistisch geprägt sind, darf nicht verkannt werden, daß sich die Schutzrichtung des umweltbezogenen Staatengemeinschaftsinteresses auf die Menschheit bzw. zukünftige Generationen als soziale Gruppen bezieht. Diese Gruppenbezogenheit rechtfertigt es, nicht eine individualistische Konzeption anzunehmen, sondern vielmehr die Interessen der sozialen Handlungseinheiten, d. h. die Staatengemeinschaftsinteressen, als anthropozentrische Konzeption in den Vordergrund zu stellen. 337 Insgesamt wird heute ganz überwiegend konstatiert, daß zumindest dem Grunde nach der Schutz der natürlichen Umwelt ein Staatengemeinschaftsinteresse darstellt, das sich unabhängig von souveränitätsbezogenen Einzelinteressen der Staaten konstituiert. 338 Weiterhin gilt zwar der Rechtssatz, daß entsprechend dem Grundsatz sie utere tuo ut alienum non laedas den Staaten dem Grunde nach ihr

unbeschränkter Souveränitätsbereich auch mit Blick auf umweltrelevante Aktivitäten zur Verfügung steht, in der Ausübung ihrer Souveränitätsrechte ist es ihnen

334 Hierzu umfassend statt vieler Kewenig, in: von Münch (Hrsg.), FS Schlochauer, 385 ff.; Wolfrum, ZaöRV 43 (1983), 312 ff.; Hobe, Die rechtlichen Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Nutzung des Weltraums, 113 ff. 335

Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen v. 9. Mai 1992, BGBl. 1993 II, 1783; auch abgedruckt in: I L M 31 (1992), 849 ff. 336 Zu weiteren Nachweisen aus der internationalen Vertragspraxis, der sich ähnliche Hinweise entnehmen lassen, siehe z. B. Wolfrum, GYIL 33 (1990), 308 (327 ff.); Kiss/ Shelton, International Environmental Law, 144 ff. 337

Tietje, AVR 33 (1995), 266 (283); vgl. auch Hobe, Zeitschrift für Umweltrecht 1994, 15(18). 338 Brunnée, ZaöRV 49 (1989), 791 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 451 f.; Hailbronner, AVR 30 (1992), 2 (5); Simma, in: Delbrück (Hrsg.), The Future of International Law Enforcement, 125 (134); Hohmann, Präventive Rechtspflichten und -prinzipien des modernen Um weit Völkerrechts, 406; Kiss/Shelton, International Environmental Law, 144 ff.; Brown Weiss, AJIL 84 (1990), 198 ff.; Delbrück, in: Kühne (Hrsg.), Blauhelme in einer turbulenten Welt, 101 (113 f.); ders., Indiana Journal of Global Legal Studies 1 (1993), 9 (27 f.); Tietje, AVR 33 (1995), 266 (282 f.); Tomuschat, RdC 241 (1993 IV), 199 (237 f.); Riedel, in: Delbrück (Hrsg.), New Trends in International Lawmaking - International »Legislation4 in the Public Interest, 61 ff.; Reimann, Die nicht-navigatorische Nutzung internationaler Süßwasserressourcen im Umweltvölkerrecht, 160 ff.

3

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

jedoch untersagt, ihre Nachbarn zu schädigen.339 Diese Ausgleichsfunktion des klassischen Nachbarrechts zwischen zwei oder mehreren Rechtssubjekten läßt sich mit der Funktion des Zivilrechts innerhalb nationaler Rechtsordnungen vergleichen. 340 Soweit jedoch Staatengemeinschaftsinteressen an globalen, die einzelstaatliche Interessensphäre übersteigenden Umweltgütern gegeben sind, steht nicht mehr die genannte Ausgleichsfunktion auf einer Gleichordnungsebene zur Debatte; vielmehr läßt das übergeordnete Staatengemeinschaftsinteresse den Vergleich zum innerstaatlichen öffentlichen Recht in seiner das Gemeinwohl wahrenden Dimension angezeigt erscheinen. 341 Damit läßt sich zugleich die Existenz eines genuinen völkerrechtlichen Umweltrechts nicht mehr bestreiten. Wenn - insoweit skeptisch und dem entgegengesetzt - auf die Schwierigkeiten verwiesen wird, die sich aus der sachlichen Komplexität des internationalen Umweltrechts ergeben, 342 muß dem die Erfahrung aus der nationalen Rechtsordnung entgegengesetzt werden. Auch hier wurde dieser Umstand zunächst dahingehend gewertet, daß ein eigenständiges Rechtsgebiet „Umweltrecht" nicht vorliege; heute wird dies freilich nicht mehr ernsthaft behauptet.343

2. Prinzipien

des Umweltvölkerrechts

Ausgehend von den beiden sich ergänzenden rechtlichen Grundlagen des internationalen Umweltrechts, dem völkerrechtlichen Nachbarschutz und dem Schutz globaler Umweltgüter als Staatengemeinschaftsinteresse, lassen sich verschiedene Prinzipien bestimmen, die heute das Umweltvölkerrecht prägen. Ohne hier einen umfassenden Nachweis der jeweils gegebenen völkergewohnheitsrechtlichen Geltung führen zu können, kann dabei auf folgende Prinzipien verwiesen werden: Neben den genannten Schutzprinzipien, die sich unmittelbar auf die Bewahrung der Umwelt innerhalb und außerhalb der staatlichen Jurisdiktionssphäre beziehen (Nachbarschutz und Schutz globaler Umweltgüter) kommt zunächst dem Kooperationsprinzip im internationalen Umweltrecht eine herausragende Bedeutung zu. 339 Zu dieser Auslegung des genannten Grundsatzes vgl. Hinds , AVR 30 (1992), 298 (306 ff.) m. w. N. 340

Vgl. Hinds, AVR 30 (1992), 298 (301). Vgl. Frowein, in: Hailbronner/Ress/Stein (Hrsg.), FS Doehring, 219 (223); Simma, in: Delbrück (Hrsg.), The Future of International Law Enforcement, 125 (129). 341

342 343

Randelzhofer,

Jura 1992, 1 (8).

Statt vieler Breuer, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Abschn. Rdnr. 36; Arndt, in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, V I I I Rdnr. 3; Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rdnr. 60 Fn. 122 m. w. N.

. Internationalisiertes

etverwaltungsrecht

31

In Prinzip 12 der Erklärung von Rio zu Umwelt und Entwicklung heißt es insoweit zu dem Grundgedanken des umweltrechtlichen Kooperationsprinzips, das globale Umweltprobleme auch global einer Lösung zugeführt werden sollen, prägnant: „Environmental measures addressing transboundary or global environmental problems should, as far as possible, be based on international consensus".344 Ähnliche Festlegungen finden sich z. B. in der Agenda 21, 345 in Art. 5 des Übereinkommens zum Schutze der biologischen Vielfalt 346 und in Art. I I des Übereinkommens zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten. 347 Die zunächst als Rechtsprinzip ausgestaltete Kooperationsverpflichtung im Umweltvölkerrecht 348 hat sich insbesondere in verschiedenen Warn-, Informations- und Konsultationspflichten mit Blick auf grenzüberschreitende bzw. globale Umweltgefährdungen konkretisiert. 349 Nicht ganz klar ist, ob auch das namentlich im Rahmen der OECD 3 5 0 frühzeitig entwickelte Verursacherprinzip bereits völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist. Es hat zwar in den letzten Jahren Eingang in verschiedene völkerrechtliche Verträge 351 und in die Rio-Erklärung 352 gefunden, problematisch ist jedoch, ob schon 344 Prinzip 12 der Rio-Erklärung ist abgedruckt u. a. bei: Johnson (Hrsg.), The Earth Summit, 120. 345

§ 2.22(i) Agenda 21, abgedruckt bei: Johnson (Hrsg.), The Earth Summit, 139.

346

Convention on Biological Diversity v. 5.6.1992, I L M 31 (1992), 822 ff.

347 Übereinkommen vom 23. Juni 1979, BGBl. 1984 II, 571 ff.; umfassend hierzu auch Stoll, in: Wolfrum (Hrsg.), Enforcing Environmental Standards: Economic Mechanisms as Viable Means?, 39 ff.; K. Odendahl, Die Umweltpflichtigkeit der Souveränität, 211 ff., jeweils mit umfangr. Nachw. 348

Hierzu Tietje, EuR 2000, 285 (293 f.).

349

Einzelheiten bei Stoll, in: Wolfrum (Hrsg.), Enforcing Environmental Standards: Economic Mechanisms as Viable Means?, 39 ff.; K . Odendahl, Die Umweltpflichtigkeit der Souveränität, 139 ff.; Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), § 229 und S. 854. 350 Siehe insbesondere OECD, Guiding Principles Concerning International Economic Aspects of Environmental Policies, OECD Res. C (72), 128 (1972); OECD, The Implementation of the Polluter-Pays Principle, OECD Res. C (74), 223 (1974), beide abgedruckt in: Rüster/Simma (Hrsg.), International Protection of the Environment, Bd. 1,116 f. und 313 ff. 351 Siehe z. B. Präambel der International Convention on Oil Pollution Preparedness, Response and Co-operation v. 30. November 1990, abgedruckt in: I L M 30 (1991), 735; Art. 2 Abs. 2 lit. b) Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks v. 22. September 1992, BGBl. 1994 II, 1360, BGBl. 1998 II, 2946; Art. 2 Übereinkommen zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen v. 17. März 1992, BGBl. 1994 II, 2333. 352 Principle 16 Rio Declaration of Environment and Development, abgedruckt in: I L M 31 (1992), 876 ff.

3

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

von einer hinreichenden Staatenpraxis und opinio iuris i. S. v. Art. 38 Abs. 1

lit. b) IGH-Statut gesprochen werden kann. 353 Zahlreiche Fragen bestehen auch noch mit Blick auf die mögliche Tragweite und inhaltliche Konkretisierung des Verursacherprinzips. 354 Auch wenn das Verursacherprinzip damit noch nicht dem geltenden Umweltvölkerrecht zugerechnet werden kann, steht seine rechtspolitische Bedeutung doch fest. Insoweit ist es auch nur eine Frage der Zeit, bis es zu seiner Anerkennung als Völkergewohnheitsrecht kommt. Eine große Bedeutung kommt im gegenwärtigen Umweltvölkerrecht dem Vorsorgeprinzip zu. Seine inhaltliche Tragweite wird im Prinzip Nr. 15 der RioErklärung prägnant wiedergegeben: „Zum Schutz der Umwelt wenden die Staaten im Rahmen ihrer Möglichkeiten weitgehend den Vorsorgegrundsatz an. Drohen schwerwiegende oder bleibende Schäden, so darf ein Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewißheit kein Grund dafür sein, kostenwirksame Maßnahmen zur Vermeidung von Umweltverschlechterungen aufzuschieben." 355

Ausgehend von der Anerkennung des Vorsorgeprinzips im deutschen Umweltrecht 356 hat es seit Anfang der 1980er Jahre zunächst in Verträge zum Schutz der Meeresumwelt und in der Folge der Rio-Konferenz heute in nahezu jeden neuen völkerrechtlichen Vertrag zum Umweltschutz sowie in zahlreiche nationale Rechtsordnungen Eingang gefunden. 357 Vor diesem Hintergrund ist nach anfänglichen Zweifeln im Schrifttum heute von seiner völkergewohnheitsrechtlichen Geltung auszugehen.358 Konkretisiert wird das Vorsorgeprinzip durch einzelne Rechtsverpflichtungen insbesondere zur Umweltverträglichkeitsprüfung sowie 353 Ablehnend daher z. B. Beyerlin, in: ders./Bothe/Hofmann/Petersmann (Hrsg.), FS Bernhardt, 937 (950); Kloepfer, DVB1. 1984,245 (255); Sands, Principles of International Environmental Law, 213; siehe im übrigen den ausführlichen Überblick bei Epiney/Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts, 152 ff. 354 Hierzu im Überblick Epiney/Scheyli, 152 ff. m. w. N.

Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts,

355

Deutsche Übersetzung nach Knipping/von Mangoldt/Rittberger (Hrsg.), Das System der Vereinten Nationen, Bd. 1/1, 757 ff. 356 Zum Einfluß des deutschen Vorsorgeprinzips auf die internationale Rechtsentwicklung Cameron/Abouchar, in: Freestone/Hey (Hrsg.), The Precautionary Principle and International Law, 29 (31). 357

Umfassender Überblick zur Praxis bei Epiney/Scheyli, weltvölkerrechts, 103 ff. 358

Strukturprinzipien des Um-

Statt vieler Cameron/Abouchar, in: Freestone/Hey (Hrsg.), The Precautionary Principle and International Law, 29 (30 f. und 52); Epiney/Scheyli, Strukturprinzipien des Umwelt Völkerrechts, 107 m. w. N.; ablehnend noch Beyerlin, in: ders./Bothe/Hofmann/Petersmann (Hrsg.), FS Bernhardt, 937 (950); positiver jetzt ders., Umweltvölkerrecht, Rdnr. 113; zweifelnd - mit positiver Tendenz - Kloepfer, Umweltrecht, § 9 Rdnr. 79.

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etverwaltungsrecht

3

hinsichtlich der Verwendung der besten verfügbaren Umweltpraxis und Umwelttechnologie. 359 Die aufgezeigten materiellen Prinzipien des Umweltvölkerrechts werden durch verschiedene Verfahrensgrundsätze ergänzt. Hierzu zählen neben der bereits genannten Umweltverträglichkeitsprüfung u. a. die Pflichten zur Warnung in Notfällen, zur Informationsübermittlung, zur Konsultation und zur verfahrensmäßigen Gleichbehandlung von Bewohnern betroffener Regionen im Ausland. 360 Versucht man den damit aufgezeigten Normenbestand der internationalen umweltrechtlichen Prinzipien zusammenzufassen und einem Oberbegriff zu-(nicht notwendig unterzuordnen, so kann auf das Konzept der nachhaltigen Entwicklung, wie es insbesondere durch den sogenannten Brundtland-Bericht in die internationale Diskussion eingeführt wurde, abgestellt werden. In seiner allgemeinsten Definition ist hierunter eine Entwicklung zu verstehen, „die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne die Fähigkeit der künftigen Generationen, ihre eigenen Bedürfnisse zu erfüllen, zu beeinträchtigen". 361 Das damit zwar nicht erstmals, aber durch den Brundtland-Bericht doch in seiner Wirkkraft mit beachtlicher Bedeutung formulierte Konzept der nachhaltigen Entwicklung bestimmt heute das internationale Umweltrecht als zentrales Leitmotiv, was sich neben der rechtspolitischen Diskussion an den durchgängigen Verweisen hierauf zeigt, die sich in nahezu allen multilateralen Erklärungen und Übereinkommen finden, die im Anschluß an die Rio-Konferenz erarbeitet wurden. 362 Wie sich das Konzept im einzelnen konkretisieren läßt, ist allerdings nicht abschließend geklärt. Bevor hierauf näher einzugehen ist, bleibt aber zu betonen, daß die strukturelle Offenheit des Konzeptes nicht per se daran hindert, ihm eine normative Wirkkraft beizumessen. Berücksichtigt man vielmehr von Beginn an, daß das Konzept nachhaltiger Entwicklung ohnehin nur als Rechtsprinzip und damit final-orientiertes Normen-

359

Ausführlich Epiney/Scheyli, Strukturprinzipien des Umwelt Völkerrechts, 126 ff. und 141 ff. m. w. N. 360 Hierzu ausführlich K Odendahl, Die Umweltpflichtigkeit der Souveränität, 139 ff.; Wolfrum, GYIL 33 (1990), 308 (313 ff.); Hinds , Umweltrechtliche Einschränkungen der Souveränität, passim; im Überblick Kloepfer, Umweltrecht, § 9 Rdnr. 81 f.; Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGBKomE), 848 f.; zurückhaltend noch Kunig, in: BDGVR 32 (1992), 9 (24 ff.). 361 Deutsche Fassung bei Hauff, Unsere gemeinsame Zukunft, 9 f.; der Brundtland-Bericht wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen durch die Resolution 42/187 v. 11. Dezember 1987 angenommen. 362

Ausführlich hierzu Epiney/Scheyli, und 36 ff. m. w. N.

Strukturprinzipien des Um weit Völkerrechts, 26 f.

34

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Programm konstituiert sein kann, bleibt hinreichend Raum, um eine rechtsdogmatische Betrachtung anzustellen. 363 Die inhaltlichen Aussagen, die mit dem Konzept nachhaltiger Entwicklung verbunden sind, lassen sich ausgehend von einer Analyse der maßgeblichen internationalen Dokumente, insbesondere der Rio-Erklärung, bestimmen. 364 Dabei steht zunächst die intergenerative Perspektive im Vordergrund. In dem Prinzip Nr. 3 der Rio-Erklärung - sowie in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen 365 - wird dies deutlich zum Ausdruck gebracht, wenn dort von den Bedürfnissen „heutiger und künftiger Generationen" die Rede ist. Dies deckt sich im übrigen mit der inhaltlichen Ausrichtung des Umweltschutzes als Staatengemeinschaftsinteresse. 366 Die Schutzrichtung der intergenerativen Ausrichtung des Umweltschutzes ist dabei anthropozentrisch ausgelegt. Durch die damit bedingte rechtliche Absage an ökozentrische Konzepte 367 wird freilich nicht - ebensowenig wie im innerstaatlichen Recht mit Blick auf Art. 20a GG 3 6 8 - der Mensch über die Umwelt gestellt. Vielmehr muß auch der anthropozentrisch ausgerichte Umweltschutz, gerade in seiner intergenerativen Dimension, die Umwelt als eigenständiges Schutzinteresse in den Blick nehmen, so daß sich der

363

So auch Epiney/Scheyli, Strukturprinzipien des Umwelt Völkerrechts, 44 f.; zur Bedeutung von Rechtsprinzipien im Völkerrecht siehe bereits supra Teil 4, B. III. 1. c) bb). 364

Ausführlich und mit zahlreichen Nachweisen hierzu Epiney/Scheyli, pien des Umweltvölkerrechts, 42 ff. 365 Ausführliche Nachweise bei Epiney/Scheyli, rechts, 47 Fn. 45 f.

Strukturprinzi-

Strukturprinzipien des Umweltvölker-

366

Als Hinweis auf die Anerkennung des Konzeptes des intergenerativen Umweltschutzes sei auch auf eine bekannte Entscheidung des Supreme Court der Philippinen hingewiesen. In dem Fall begehrte die Klägerin von der Regierung der Philippinen, bestehende Abholzungskonzessionen einzuziehen, da die Abholzung von Wäldern die Umwelt zerstöre. Hinsichtlich der Zulässigkeit ihrer Klage trug die Klägerin vor, daß sie ihre und die Interessen nachfolgender Generationen vertrete und ihr daher locus standi zukomme. Ebenso entschied der Supreme Court unter Hinweis auf das Konzept der „intergenerational responsibility". Wörtlich heißt es: „Needless to say, every generation has a responsibility to the next to preserve that [aus dem Konzept der »intergenerational responsiblity' folgend, Anm. des Verf.] rhythm and harmony for the full enjoyment of a balanced and healthful ecology", Supreme Court Decision in Minors Oposa v. Secretary of the Department of Environment and Natural Rescources (DENR) v. 30. Juli 1993, abgedruckt in: I L M 33 (1994), 173 (185). 367 368

Umfassend zur Diskussion Heinz, Der Staat 29 (1990), 415 ff.

Hierzu Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 27; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20a Rdnr. 25 ff.; Epiney, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Bonner Grundgesetz, Bd. 2, Art. 20a Rdnr. 28 f.

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etverwaltungsrecht

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vermeintliche Konflikt zwischen anthropozentrischer und ökozentrischer Perspektive deutlich entschärft. 369 Die zeitliche Dimension des Konzeptes nachhaltiger Entwicklung wird durch seinen sachgegenständlichen Umfang ergänzt. An erster Stelle steht dabei die Ressourcenbezogenheit in bezug auf die verschiedenen Umweltmedien sowie mit Blick auf den vitalen Umweltschutz. Als Belege für diese Ausrichtung des Konzeptes nachhaltiger Entwicklung kann z. B. auf die Klimarahmenkonvention und die Biodiversitäts-Konvention verwiesen werden. In der Präambel der Klimarahmenkonvention wird ausdrücklich auf den Schutz des Klimasystems „für heutige und künftige Generationen" abgestellt;370 die Biodiversitäts-Konvention, die die nachhaltige Nutzung der Bestandteile der biologischen Vielfalt als eine ihrer Ziele nennt (Art. 1), umschreibt nachhaltige Nutzung als „Nutzung von Bestandteilen der biologischen Vielfalt in einer Weise und in einem Ausmaß, die nicht zum langfristigen Rückgang der biologischen Vielfalt führen, wodurch ihr Potential erhalten bleibt, die Bedürfnisse und Wünsche heutiger und künftiger Generationen zu erfüllen" (Art. 2). 371 Insgesamt umfaßt das Konzept nachhaltiger Entwicklung in seiner sachgegenständlichen Dimension damit „die Gesamtheit der Umstände, Gegebenheiten und Ressourcen ..., die für die Sicherstellung der Lebensbedingungen künftiger Generationen und damit die Aufrechterhaltung des natürlichen Gleichgewichts notwendig sind". 372 Unterschiedlich beurteilt wird aber, ob das Konzept der nachhaltigen Entwicklung über die genannten sachlichen und zeitlichen Aspekte hinausgehend auch ökonomische Aussagen trifft. Für spezifische Gesichtspunkte des umweltschutzorientierten Wirtschaftens im ordnungspolitischen Sinne ist dies sicherlich der Fall. 373 Ein weitergehender Einschluß auch von entwicklungspolitischen Fragestellungen in das Konzept nachhaltiger Entwicklung läßt sich aber wohl nicht feststellen. Neben prinzipiellen, durch eine Analyse der Rio-Erklärung gestützte Einwände, die hiergegen anzuführen sind, 374 steht dem die völkerrechtliche Praxis entgegen. Insbesondere die WTO-Rechtsordnung als maßgebliches völkerrechtliches Vertragswerk, das sich mit der wirtschaftlichen Entwicklung befaßt, ver369 Hierzu aus völkerrechtlicher Perspektive Epiney/Scheyli, weltvölkerrechts, 50 f.

Strukturprinzipien des Um-

370 Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen v. 9. Mai 1992, BGBl. 1993 II, 1783, letzter Absatz der Präambel. 371

Übereinkommen über die biologische Vielfalt v. 5. Juni 1992, BGBl. 1993 II, 1741.

372

Epiney/Scheyli,

Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts, 52.

373

Epiney/Scheyli,

Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts, 54 f.

374

Ausführlich Epiney/Scheyli,

Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts, 57 ff.

3

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

deutlicht dies. Bereits in der Präambel des WTO-Übereinkommens und dann deutlich formuliert in dem Ministerbeschluß zu Handel und Entwicklung vom 14. April 1994 wird darauf hingewiesen, daß zwar eine enge Verbindung zwischen wirtschaftlicher Wohlfahrt und Umweltschutz in der Form der nachhaltigen Entwicklung besteht, rechtlich aber insofern zwei getrennte Konzepte zur Debatte stehen.375 Die damit zu konstatierende konzeptionelle Trennung von wirtschaftlicher und nachhaltiger Entwicklung verdeutlicht, daß sich das letztgenannte Konzept ausschließlich den anthropozentrisch und intergenerativ orientierten Gedanken des Umweltschutzes widmet. Darüber hinausgehende und angesichts des Umweltschutzes als Querschnittsaufgabe hiermit eng verbundene Aspekte wirtschaftlicher Prosperität werden vom Konzept nachhaltiger Entwicklung nicht erfaßt. Das Völkerrecht kennt hier andere, insbesondere im wirtschaftsrechtlichen Prinzip globaler Gerechtigkeit 376 verankerte Grundsätze, die dem Schutz der Wirtschaftsinteressen gerade der Entwicklungsländer dienen. Sie wirken zwar auf den Umweltschutz ein, eine Verankerung innerhalb des Konzeptes nachhaltiger Entwicklung kann aber nicht begründet werden. 377 Insgesamt kann damit festgehalten werden, daß sich das Umweltvölkerrecht auf eine Reihe von formellen und materiellen Rechtsprinzipien im Sinne von Optimierungsgeboten zurückführen läßt. Auf hoher Abstraktionsebene angesiedelt wirkt dabei das Konzept nachhaltiger Entwicklung gleichsam als globales Leitmotiv. 375

Die maßgebliche Passage der Präambel des WTO-Übereinkommens lautet wie folgt: „Die Vertragsparteien dieses Übereinkommens, in der Erkenntnis, daß ihre Handels- und Wirtschaftsbeziehungen auf die Erhöhung des Lebensstandards, auf die Sicherung der Vollbeschäftigung und eines hohen und ständig steigenden Umfanges des Realeinkommens und der wirksamen Nachfrage sowie auf die Ausweitung der Produktion und des Handels mit Waren und Dienstleistungen gerichtet sind, gleichzeitig aber die optimale Nutzung der Hilfsquellen der Welt im Einklang mit dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung gestatten sollen, in dem Bestreben, den Schutz und die Erhaltung der Umwelt und gleichzeitig die Steigerung der dafür erforderlichen Mittel zu erreichen, und zwar in einer Weise, die mit den ihrem jeweiligen wirtschaftlichen Entwicklungsstand entsprechenden Bedürfnissen und Anliegen vereinbar ist, abgedruckt bei: Tietje (Hrsg.), Welthandelsorganisation, 1. In dem Ministerbeschluß zu Handel und Entwicklung vom 14. April 1994 heißt es unter ausdrücklicher Bezugnahmen auf die Rio-Erklärung und die Agenda 21: „... in der Erwägung, daß weder ein Widerspruch bestehen soll, noch notwendig ist, zwischen der Aufrechterhaltung und der Wahrung eines offenen, nichtdiskriminierenden und gerechten multilateralen Handelssystems einerseits und Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und der Förderung einer dauerhaften Entwicklung andererseits; ...", abgedruckt bei: Benedek (Hrsg.), WTO, 564. 376

Hierzu ausführlich Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse, 326 ff. 377

So in intensiver Auseinandersetzung mit der Problematik auch Epiney/Scheyli, turprinzipien des Umweltvölkerrechts, 57 ff. m. w. N. zur Diskussion.

Struk-

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etverwaltungsrecht

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Angesichts seiner heute das positive Umweltvölkerrecht und die internationale rechtspolitische Diskussion bestimmenden Rolle wird man es bereits dem Völkergewohnheitsrecht zuordnen können. Damit ist freilich nicht gesagt, daß das Konzept nachhaltiger Entwicklung konkrete, operative Handlungsvorgaben liefert, wie es sonst von Normen des Völkergewohnheitsrechts erwartet wird. Vielmehr zeigt sich hier besonders deutlich einmal mehr, daß das Völkerrecht ebenso wie innerstaatliche Rechtsordnungen auf die Existenz von Rechtsprinzipien im Sinne von final orientierten Optimierungsgeboten angewiesen ist und sich diese auch im internationalen System konstituieren. Der Prinzipiencharakter des Konzeptes nachhaltiger Entwicklung 378 ändert aber nichts daran, daß seine Aussagen im Rahmen des tatsächlich und rechtlich Möglichen normativ verpflichtend von den Völkerrechtssubjekten und im Wege der Zurechnung ihren jeweils handelnden Organen zu beachten sind. Zugleich wird hiermit deutlich, daß eine weitgehende inhaltliche und rechtstheoretische Kohärenz zwischen dem internationalen Konzept nachhaltiger Entwicklung und den weiteren genannten Prinzipien des Umweltvölkerrechts auf der einen Seite und den das nationale Umweltrecht bestimmenden Grundsätzen 379 auf der anderen Seite besteht. Dieser Befund dient auch als Ausgangspunkt für die weitere Untersuchung zu konkreten Strukturmerkmalen des internationalen Umweltverwaltungsrecht.

III. Internationales Umweltverwaltungsrecht Das internationale Umweltrecht hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer ausgesprochen komplexen Regelungsmaterie entwickelt, die durch eine Vielzahl von bi- und multilateralen völkerrechtlichen Verträgen geprägt ist. Schon vor diesem quantitativen Hintergrund ist es ausgeschlossen, in dieser Untersuchung einen Überblick über das gesamte internationale Umweltverwaltungsrecht zu geben. 380 Dem Untersuchungsinteresse der Arbeit entsprechend soll es nur darum gehen, einige Grundstrukturen herauszuarbeiten, die es rechtfertigen, von verwaltungsrechtlichen Elementen des internationalen Umweltrechts zu sprechen. Insoweit

378

Zur Einordnung des Konzeptes nachhaltiger Entwicklung als völkergewohnheitsrechtlich geltendes Rechtsprinzip siehe ausführlich auch Epiney/Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts, 81 ff. 379 Zur rechtsdogmatischen und rechtstheoretischen Einordnung der Prinzipien des deutschen Umweltrechts siehe Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rdnr. 1 ff. 380

Einen straffen Überblick bietet Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, §§ 56-58; ders., in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Umweltrecht, Bd. I, § 23; sowie jetzt Beyerlin, Umweltvölkerrecht, passim.

3

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

steht im Vordergrund des Interesses, welche Aspekte technisch-administrativer Aufgabenerledigung des Umweltschutzes in seiner nachbarrechtlichen und staatengemeinschaftsrechtlichen Dimension gegeben sind. Dies soll anhand einer näheren Betrachtung von Einzelaspekten mit Blick auf den Schutz der Umweltmedien Wasser (1.) und Luft (2.) sowie hinsichtlich des vitalen Umweltschutzes (3.) erfolgen. Darüber hinaus ist auch auf übergreifende Konzepte zu verweisen, bei denen es um Ansätze eines internationalisierten integrierten Umweltschutzes geht (4.).

1. Internationaler

Wasserumweltschutz

Der internationale Umweltschutz in wasserbezogenen Sachbereichen entwikkelte sich erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts. Vorherige völkerrechtliche Normen, die sich auf Wasserressourcen bezogen, hatten nahezu ausschließlich die Aufteilung von Nutzungsrechten an Binnengewässern 381 bzw. den wirtschaftlich motivierten Schutz der lebenden Ressourcen der Meere 382 zum Regelungsgegenstand. Heute existieren jedoch sowohl im Bereich des marinen Umweltschutzes als auch mit Blick auf internationale und internationalisierte Flüsse komplexe Regelungsmechanismen, die zahlreiche Strukturen eines internationalen Umweltverwaltungsrechtes aufweisen.

a) Mariner Umweltschutz Im Bereich des marinen Umweltschutzes begann sich erst mit dem Internationalen Übereinkommen zur Verhütung der Verschmutzung der See durch Öl vom 12. Mai 1954 383 ein eigenständiges Recht zum Schutz der Meeresumwelt herauszubilden. Allerdings blieb es zunächst - zusätzlich zu dem Schutz der lebenden Meeresressourcen - bei einer Konzentration der internationalen Regelungsanstrengungen auf die Vermeidung bzw. Bekämpfung der Ölverschmutzung. 384 Umfassendere, auf den Umweltschutz im weiteren Sinne bezogene völkervertragliche 381

Hierzu im Überblick Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 57 Rdnr. 2 ff.; ausführlich Reimann, Die nicht-navigatorische Nutzung internationaler Süßwasserressourcen im Umweltvölkerrecht, 31 ff. 382

Hierzu Wolfrum,

383

BGBl. 1956 II, 379.

Die Internationalisierung staatsfreier Räume, 195 ff.

384 Ausführliche Nachweise zu den zahlreichen völkerrechtlichen Verträgen in diesem Bereich bei Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, § 57 Rdnr. 21 f.

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etverwaltungsrecht

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Rechtsregime wurden erst in Folge der Stockholmer Umweltkonferenz in den 1970er Jahren beschlossen. An erster Stelle zu nennen sind insoweit das „Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen durch Schiffe und Luftfahrzeuge" vom 15. Februar 1977, 385 das Übereinkommen über die Verhütung der Meeres verschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen vom 29. Dezember 1972 386 und das Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe vom 4. November 1973 (MARPOL). 3 8 7 Heute wird der marine Umweltschutz, soweit es die Bundesrepublik Deutschland betrifft, durch Teil X I I des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (SRÜ), 388 das Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantik (OSPAR-Übereinkommen) 389 und das Übereinkommen von 1992 über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebiets (Helsinki-Übereinkommen) 390 maßgeblich geregelt. 391 Auf diese drei Völkerrechtsregime soll in der folgenden Untersuchung zu spezifischen Aspekten des internationalen marinen Umweltverwaltungsrechts näher eingegangen werden.

aa) Seerechtsübereinkommen

der Vereinten Nationen

Das im November 1994 in Kraft getretene SRÜ widmet dem marinen Umweltschutz neben zahlreichen verstreuten Einzelregelungen einen eigenständigen Teil (Teil XII), der mit der Feststellung eingeleitet wird, daß die Staaten verpflichtet sind, „die Meeresumwelt zu schützen und zu bewahren" (Art. 192 SRÜ). Da sich das SRÜ nicht nur mit der hohen See als einem Bereich der internationalisierten Verwaltung eines staatsfreien Raumes befaßt, 392 sondern durch die Erstreckung seines Anwendungsbereiches auf die Küstengewässer und die Wirtschaftszone auch Bereiche erfaßt, die ganz bzw. zum Teil der staatlichen Hoheitsgewalt unter385 BGBl. 1977 II, 169. Die deutsche Übersetzung ist unglücklich, der authentische englische Titel lautet: „Convention for the Prevention of Marine Pollution by Dumping from Ships and Aircraft". 386

BGBl. 1977 II, 180.

387

BGBl. 1982 II, 4.

388

BGBl. 1994 II, 1799; in Kraft getreten am 16. November 1995, BGBl. 1995 II, 602.

389

BGBl. 1994 II, 1360; in Kraft getreten am 25. März 1998, BGBl. 1998 II, 2946.

390

BGBl. 1994 II, 1397; in Kraft getreten am 17. Januar 2000, BGBl. 2000 II, 23.

391

Zu weiteren Völkervertragsregimen zum marinen Umweltschutz siehe im Überblick Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 57 Rdnr. 19 ff.; Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rdnr. 1588 ff. 392 Hierzu umfassend Wolfrum, sowie passim.

Die Internationalisierung staatsfreier Räume, 622 ff.

3

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

liegen, 393 kommt ihm auch für die hier interessierende internationalisierte Verwaltung außerhalb der staatsfreien Räume Bedeutung zu. Dem marinen Umweltschutz wird durch das SRÜ zwar eine hervorgehobene Stellung im internationalen Seerecht zugewiesen, gleichwohl erhebt es nicht den Anspruch, umfassende und abschließende Regelungen in diesem Bereich zu statuieren. Seiner Konzeption nach stellt Teil X I I SRÜ vielmehr nur den „allgemeinen Teil" des internationalen marinen Umweltschutzrechts dar; nach Art. 237 SRÜ bleiben die zahlreichen sonstigen völkerrechtlichen Übereinkommen u. a. zum marinen Umweltschutz von der Geltung des SRÜ unberührt, soweit nur eine Homogenität mit „den allgemeinen Grundsätzen und Zielen" des SRÜ sichergestellt ist. 394 Dieses Konzept schmälert freilich nicht die materielle Bedeutung des SRÜ für den marinen Umweltschutz. Im Gegenteil, schon der Charakter von Teil X I I SRÜ als Rahmenregelung verweist auf die sogleich noch näher zu erörternde Bedeutung, die flexiblen, durch eine komplexe Verweistechnik gekennzeichneten ausfüllungsbedürftigen Rechtsregimen gerade im Umweltvölkerrecht zukommt. 395 Neben verschiedenen allgemeinen Regelungen, welche die Konkretisierung der allgemeinen Schutzverpflichtung des Art. 192 SRÜ zum Gegenstand haben, 396 stellt die Verpflichtung zur weltweiten und regionalen Zusammenarbeit mit dem Ziel der Abfassung und Ausarbeitung von „internationalen Regeln, Normen und empfohlenen Gebräuchen und Verfahren zum Schutz und zur Bewahrung der Meeresumwelt" (Art. 197 SRÜ) ein Kernstück der Verpflichtungssystematik des SRÜ dar. Das SRÜ beläßt es allerdings nicht bei der allgemeinen Kooperationsverpflichtung der Art. 197 ff. SRÜ mit Blick auf die Regelung der technisch-administrativen Einzelheiten des marinen Umweltschutzes, sondern weist den genannten „Regeln, Normen und empfehlenden Gebräuchen und Verfahren" in den Vorschriften, die sich mit der Bekämpfung der einzelner Verschmutzungsarten befassen (Art. 207 ff. SRÜ), eine konkrete rechtsnormative Bedeutung zu. Bevor hierauf näher eingegangen wird, ist daher zu klären, was unter „Regeln, Normen 393

Siehe Art. 2 Abs. 1 und Art. 33 SRÜ; hierzu im Überblick Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 52; Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Abschn. Rdnr. 38 ff. und Rdnr. 49 ff. 394 Zur Charakterisierung des Teil X I I SRÜ als „allgemeiner Teil" des Meeresumweltrechts siehe Lagoni, in: BDGVR 32 (1992), 87 (94). 395

Zur allgemeinen Bedeutung von Rahmenregelungen siehe bereits supra Teil 5, A. I. 3.; zur materiellen Bedeutung von Teil X I I SRÜ siehe auch Lagoni, in: BDGVR 32 (1992), 87 (95). 396 Einzelheiten z. B. bei Lagoni, BDGVR 32 (1992), 87 (121 ff.); Kiss/Shelton, International Environmental Law, 174 ff.; Wolfrum, Die Internationalisierung staatsfreier Räume, 637 ff.; Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 57 Rdnr. 27 ff.

. Internationalisiertes

etverwaltungsrecht

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und empfehlenden Gebräuchen und Verfahren" im Sinne des SRÜ zu verstehen ist. „Regeln" im Sinne des SRÜ sind völkerrechtlich verbindliche Vorschriften, die sich insbesondere aus internationalen Verträgen ergeben. 397 Als „Norm" bzw. „Standard", wie es im authentischen englischen Text präziser heißt, werden technische Standards bezeichnet, die keine eigenständigen rechtsnormativen Aussagen treffen, sondern erst im Zusammenhang mit einer positiven Verpflichtung aus einem völkerrechtlichen Übereinkommen tatbestandliche Wirkung entfalten. Hierbei handelt es sich in erster Linie um die zahlreichen, detaillierten technischen Standards, die, einem vereinfachten Vertragsänderungsverfahren unterliegend, als Anhang zu einem entsprechenden völkerrechtlichen Vertrag Geltung beanspruchen. Ihre Ausarbeitung erfolgt in der Regel durch eine zuständige internationale Organisation bzw. Institution; innerstaatlich werden sie zumeist durch Rechtsverordnung in Kraft gesetzt. Als herausragendes Beispiel im Bereich des marinen Umweltschutzes können insofern die technischen Standards angeführt werden, die im Rahmen des MARPOL-Übereinkommens 398 erarbeitet und innerstaatlich durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Verkehr in Kraft gesetzt werden. 399 Was schließlich die vom SRÜ in Bezug genommen „Gebräuche und Verfahren" angeht, so handelt sich hierbei um von internationalen Konferenzen, Organisationen oder Institutionen mit unverbindlichem Charakter abgegebene Empfehlungen zu formellen oder materiellen Umweltschutzmaßnahmen.400 Die Regeln, Normen, Gebräuche und Verfahren, auf die sich das SRÜ bezieht, erlangen im Bereich der einzelnen Bestimmungen des Übereinkommens zur Verhütung, Verringerung und Überwachung der Verschmutzung der Meeresumwelt (Art. 207 ff. SRÜ) Bedeutung. Hinsichtlich der Verschmutzung vom Land aus ist vorgesehen, daß die Staaten „Gesetze und sonstige Vorschriften" erlassen, die der Bekämpfung dieser Verschmutzungsart, einschließlich der Verschmutzung die von Flüssen, Flußmündungen, Rohrleitungen und Ausflußanlagen ausgehen, dienen. Dabei sind die „international vereinbarte [n] Regeln, Normen und empfehlen [den] 397

Lagoni, in: BDGVR 32 (1992), 87 (126).

398

Internationales Übereinkommen von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe nebst Protokoll von 1978, BGBl. 1982 II, 4. 399

Art. 2 Nr. 1 Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe und zu dem Protokoll von 1978 zu diesem Übereinkommen, BGBl. 1982 II, 2; zu weiteren Übereinkommen des marinen Umweltschutzes, die dieser Regelungssystematik entsprechen, siehe Lagoni, in: BDGVR 32 (1992), 87 (126 Fn. 160). 400

Lagoni, in: BDGVR 32 (1992), 87 (127 f.); umfassend hierzu auch Oxman, New York Univ. J. Int'l Law & Politics 24 (1991), 109 ff.

3

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Gebräuche und Verfahren" zu berücksichtigen (Art. 207 Abs. 1 SRÜ). Eine ähnliche Verpflichtung zum Erlaß von Gesetzen und sonstigen Vorschriften besteht hinsichtlich der Verschmutzung durch Tätigkeiten auf dem nationaler Hoheitsgewalt unterfallenden Meeresboden. Hier gilt, daß die nationalen „Gesetze, sonstigen Vorschriften und Maßnahmen ... nicht weniger wirkungsvoll sein [dürfen] als die internationalen Regeln, Normen und empfohlenen Gebräuche und Verfahren" (Art. 208 Abs. 3 SRÜ). Auch im Bereich der Schädigung der marinen Umwelt durch Verschmutzungstätigkeiten innerhalb des Hoheitsgebietes, die von Schiffen oder Anlagen, Bauwerken und anderen Geräten ausgehen, sind die Staaten verpflichtet, entsprechende nationale Gesetze und andere Vorschriften zu erlassen. Diese dürfen nicht weniger wirkungsvoll sein, als entsprechende internationale Regeln, Vorschriften und Verfahren (Art. 209 Abs. 2 SRÜ). Diese Wirksamkeitsverpflichtung gilt auch für die Verpflichtung zum Erlaß von Gesetzen und sonstigen Vorschriften, die der Bekämpfung der Meeres verschmutzung durch Einbringen („dumping", vgl. Art. 1 Nr. 5 lit. a) SRÜ) dienen (Art. 210 Abs. 1 und Abs. 6 SRÜ). Auch mit Blick auf die Bekämpfung der Meeresverschmutzung durch Schiffe, die die Flagge eines Staates führen oder in sein Schiffsregister eingetragen sind, gilt die unter der Bedingung der Erreichung der Wirksamkeit internationaler Regeln und Normen stehende Verpflichtung, entsprechende nationale Gesetze oder sonstige Vorschriften zu erlassen. Dabei wird allerdings explizit nur auf die internationalen Regeln und Normen abgestellt, die „ i m Rahmen der zuständigen internationalen Organisation oder einer allgemeinen diplomatischen Konferenz aufgestellt worden sind" (Art. 211 Abs. 2 SRÜ). Hiermit wird auf die Tätigkeit der Internationalen Seeschiffahrts-Organisation (IMO) 4 0 1 abgestellt, zu deren Aufgaben seit einer entsprechenden Änderung der Satzung im Jahre 1975 auch die „Verhütung und Bekämpfung der Meeresverschmutzung" gehört. 402 Die Bundesrepublik Deutschland ist der IMO am 7. Januar 1959 durch Regierungsbeschluß ohne Beteiligung der gesetzgebenden Körperschaften beigetreten. 403 Schließlich verpflichtet das SRÜ die Staaten auch dazu, Gesetze und sonstige Vorschriften zur Bekämpfung der Meeresverschmutzung aus der Luft oder durch 401 Übereinkommen über die Internationale Seeschiffahrts-Organisation, Neubekanntmachung der geänderten Fassung des ursprünglichen Übereinkommens vom 6. März 1948 über die Zwischenstaatliche Beratende Seeschiffahrts-Organisation vom 29. Januar 1986, BGBl. 1986 11,423. 402

Die Revision des IMO-Übereinkommens erfolgte am 14. November 1975, siehe BGBl. 1982 II, 469; hierzu und zur Arbeit des eingerichteten Ausschusses zum Schutz der Meeresumwelt z. B. Kilian, Umweltschutz durch Internationale Organisationen, 156 ff., 313 ff.; Hasselmann, Die Freiheit der Handelsschiffahrt, 402 ff. 403 BGBl. 1965 II, 313; zur IMO statt vieler P. Seidel, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 1, 734 ff.

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die Luft zu erlassen und dabei „international vereinbarte Regeln, Normen und empfohlene Gebräuche und Verfahren" zu berücksichtigen. Insgesamt zeigt sich damit, daß sich das SRÜ zahlreicher Verweise auf in internationalen Foren erarbeitete verbindliche und unverbindliche technische Detailregelungen zum Umweltschutz bedient. Hierdurch wird als allgemeines Regelungsziel angestrebt, eine weitgehende weltweite Harmonisierung des besonderen marinen Umweltrechts zu erreichen. Dabei wirken die genannten internationalen Regeln, Normen, Gebräuche und Verfahren als Mindeststandard 404 für die innerstaatlich durchzuführenden legislativen und administrativen Maßnahmen. Die Art und Weise, in der diese Mindeststandards Bedeutung erlangen, ist dabei unterschiedlich ausgestaltet. Während zum Teil nur eine Berücksichtigungsverpflichtung statuiert wird, gilt in anderen Sachbereichen die Verpflichtung, durch nationale Maßnahmen einen Wirkungsgrad zu erreichen, der nicht geringer ist, als von den entsprechenden internationalen Standards intendiert. In jedem Fall aber zeigt sich durch den Verweis auf „Regeln, Normen, Gebräuche und Verfahren" eine Relativierung der völkerrechtlichen Rechtsquellenlehre i. S. d. Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut. 405 Im SRÜ wird zwar durchgehend auf „generally accepted" Regeln, Normen, Gebräuche und Verfahren verwiesen, damit ist aber nicht notwendig ihre völkergewohnheitsrechtliche Geltung gemeint - im Gegenteil: Zwischen dem Völkergewohnheitsrecht i. S. v. Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut und „generally accepted" Regeln, Normen, Gebräuchen und Verfahren bestehen prinzipielle konzeptionelle Unterschiede. Dies ergibt sich schon daraus, daß, wollte man diese Unterschiede nicht anerkennen, keine Notwendigkeit bestanden hätte, in dem SRÜ immer wieder auf die „generally accepted" Regeln, Normen etc. zu verweisen. 406 Darüber hinaus erscheint es unter Zugrundelegung der allgemein akzeptierten Voraussetzungen des Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut ohnehin kaum möglich, daß komplexe technische, notwendig einer dynamischen Entwicklung unterworfene Detailregelungen jemals zu Völkergewohnheitsrecht erstarken können. 407

404

Lagoni, in: BDGVR 32 (1992), 87 (132) m. w. N.

405

Zu dieser Wirkung des Verweises auf internationale Standards allgemein auch Riedel, EJIL 2 (1991), 58 ff.; zusammenfassend auch Reimann, Die nicht-navigatorische Nutzung internationaler Süßwasserressourcen im Umweltvölkerrecht, 84 ff. m. w. N. 406

Oxman, New York Univ. J. Int'l Law & Politics 24 (1991), 109 (146 f.); D. König, Durchsetzung internationaler Bestands- und Umweltschutzvorschriften auf Hoher See im Interesse der Staatengemeinschaft, 146 f.; i. E. ebenso Lagoni, in: BDGVR 32 (1992), 87 (133) m. w. N. 407

Hierzu ausführlich Oxman, New York Univ. J. Int'l Law & Politics 24 (1991), 109 (116 ff.).

3

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Damit wird deutlich, daß die im SRÜ genannten Regeln, Normen etc. nicht zwingend schon für sich rechtsverbindlich sein müssen.408 Sie stellen sich vielmehr unabhängig von ihrer originären Rechtsqualität als technische Detailregelungen mit administrativem Charakter dar, die ihre Legitimität aus dem kooperativen Prozeß ihrer Ausarbeitung oder der tatsächlichen Praxis ihrer Anwendung erlangen. Wann dies der Fall ist, läßt sich freilich nur im Einzelfall bestimmen. Ein schematisches Abstellen auf ein Konsensus-Erfordernis verbietet sich hierbei ebenso wie ein ausschließlicher Verweis auf die für sich verbindliche oder unverbindliche Rechtsnatur der betreffenden Regelung. Vielmehr muß unabhängig von traditionellen Vorstellungen der internationalen Rechtssetzung untersucht werden, ob davon ausgegangen werden kann, daß die fraglichen Regeln, Standards, Gebräuche und Verfahren „generally accepted" sind. 409 Der dynamische Charakter der sich so in den unterschiedlichen Sachbereichen des marinen Umweltschutzes konstituierenden Rechtsregime weist auf die Bedeutung hin, die technisch-administrativen Expertengremien zukommt. Da dem eigentlichen völkervertragsrechtlichen Rechtsregime in der Form der Rahmenbestimmungen des Teiles X I I SRÜ kaum operative Rechtsvorgaben zu entnehmen sind, erschließt sich der genaue marine umweltrechtliche Verpflichtungsgrad erst mit Blick auf die Arbeiten der in Bezug genommenen Standardisierungsgremien. 410 Damit ist auch im internationalen marinen Umweltschutzrecht eine Entwicklung gegeben, die in ganz ähnlicher Form bereits für das internationalisierte Gesundheitsverwaltungsrecht herausgearbeitet wurde. Ebenso wie dort darf aber auch hier nicht vorschnell geschlußfolgert werden, daß damit insgesamt eine auf internationaler Ebene zentralisierte Umweltverwaltung existiert. Vielmehr zeigt das SRÜ deutlich, daß sich der marine Umweltschutz in einem dezentralisierten Mehrebenensystem vollzieht. Adressaten der Verpflichtungen, die sich aus der Kombination von Rahmenregelungen des SRÜ und in internationalen Foren ausgearbeiteten internationalen Regeln, Standards, Gebräuchen und Verfahren ergeben, sind nämlich nationale Organe. Neben der Legislative ist es insoweit ins408

Lagoni, in: BDGVR 32 (1992), 87 (133) m. w. N. zur Diskussion; a. A. wohl Wolfrum, Die Internationalisierung staatsfreier Räume, 638, der davon ausgeht, daß die Regeln, Standards, Gebräuche und Verfahren von den Staaten ausdrücklich angenommen worden sein müssen. 409

Ausführlich auch Oxman, New York Univ. J. Int'l Law & Politics 24 (1991), 109 (149 ff.). 410 Deutlich so auch Lagoni, in: BDGVR 32 (1992), 87 (151): „Es kommt in der Praxis weniger auf die allgemeinen Grundsätze als auf die operativen Einzelregelungen und technischen Normen an. Dies rückt wiederum die Rolle der Fachleute in den internationalen Organisationen für die Entwicklung der Regeln und Normen in den Blick".

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besondere die Exekutive, die für den Vollzug der internationalen Umweltstandards verantwortlich ist und bei dieser Vollzugsaufgabe über das SRÜ an den Maßstab international anerkannter Regeln, Standards, Gebräuche und Verfahren gebunden ist. Zusätzlich zu den allgemeinen Verweisen auf die innerstaatliche Legislative und Exekutive („Gesetze und sonstige Vorschriften") im 5. Abschnitt kommt dies im 6. Abschnitt des Teiles X I I SRÜ zum Ausdruck, wo es um die Einzelheiten der Durchsetzung der marinen Umweltschutzstandards geht. Ebenso wie im 5. Abschnitt wird auch hier durchgehend auf internationale Regeln und Normen abgestellt, wobei diese jetzt freilich nicht als Maßstab der legislativen oder exekutiven Rechtssetzung dienen, sondern unmittelbar eine exekutive Vollzugsverpflichtung statuieren. 411 Ergänzt wird die damit deutlich werdende Rolle der Exekutive im marinen Umweltschutz durch die innerstaatlich vorgesehenen Verordnungsermächtigungen, anhand derer technische Detailregelungen, die im Wege des vereinfachten Vertragsänderungsverfahrens innerhalb des internationalen Vertragsregimes erarbeitet werden, eine Umsetzung in das nationale Recht erfahren. Dies wird sich auch noch im Rahmen der nachfolgenden Ausführungen zu weiteren wichtigen internationalen Rechtsregimen des marinen Umweltschutzes zeigen.

bb)

Übereinkommen

zum Schutz der Meeresumwelt

des Nordostatlantik

(OSPAR-Übereinkommen)

Die umweltschutzbezogenen Vorschriften des SRÜ werden in den für die Bundesrepublik wichtigen Bereichen Nordsee und Englischer Kanal durch das am 25. März 1998 in Kraft getretene „Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks" (OSPAR-Übereinkommen) 412 konkretisiert. 413 Das Übereinkommen ersetzt im Verhältnis der Vertragsparteien das Oslo-Übereinkommen von 1972 zur Verhütung der Meeres Verschmutzung durch das Einbringen

411

Zu Einzelheiten der Durchsetzung nach dem deutschen innerstaatlichen Recht siehe Jahn, Die Behandlung der durch den Betrieb von Seeschiffen anfallenden Stoffe nach innerstaatlichem Recht, Gemeinschafts- und Völkerrecht, 157 ff.; allgemein hierzu auch D. König, Durchsetzung internationaler Bestands- und Umweltschutzvorschriften auf Hoher See im Interesse der Staatengemeinschaft, passim. 412 413

BGBl. 1994 II, 1360; BGBl. 1998 II, 2946.

Zum genauen Anwendungsbereich siehe Art. 1 lit. a) des Übereinkommens sowie Lagoni, in: Koch/Lagoni (Hrsg.), Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee, 79 (84).

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

durch Schiffe und Luftfahrzeuge 414 und das Paris-Übereinkommen von 1974 zur Verhütung der Verschmutzung vom Lande aus. 415 Als bewußt auf eine dynamische Rechtsentwicklung im marinen Umweltschutz angelegtes Vertragswerk, verdient es im vorliegenden Zusammenhang besondere Beachtung, da es im Kern eine umfassende internationalisierte Verwaltungsstruktur begründet, die im Schnittpunkt von nationalem Recht, EG-Recht 416 und Völkerrecht angesiedelt ist. Nach seiner Präambel zielt das OSPAR-Übereinkommen „in der Erkenntnis, daß die Meeresumwelt und die von ihr lebenden Tiere und Pflanzen für alle Völker von lebenswichtiger Bedeutung sind", u. a. darauf ab, ein „untereinander abgestimmtes Vorgehen auf nationaler, regionaler und weltweiter Ebene" zu erreichen. Dabei wird als Leitprinzip auf das Konzept der nachhaltigen Entwicklung in seinem intergenerativen Sinne abgestellt (vgl. Präambel Abs. 1 und Abs. 3 OSPAR-Übereinkommen). Um die so umrissenen Ziele zu erreichen, erweitert das OSPAR-Übereinkommen den Umfang des Schutzes der Meeresumwelt auf die Verhütung und Bekämpfung von möglichen Verschmutzungen, die sich im Seebereich und im innerstaatlichen Territorium ergeben können. Eine rechtliche Abtrennung des marinen Umweltschutzes von der Bekämpfung land- und luftbezogener Verschmutzungsquellen wird damit bewußt nicht vollzogen. 417 Dementsprechend zielt das OSPAR-Übereinkommen umfassend auf die Verhütung und Beseitigung der Verschmutzung vom Lande aus, durch dumping und Verbrennungen, durch Offshore-Quellen sowie durch andere Quellen ab (Art. 3 bis 5 und Art. 7). „Verschmutzung" wird dabei definiert als „die unmittelbare oder mittelbare Zuführung von Stoffen oder Energie in das Meeresgebiet durch den Menschen, aus der sich eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit, eine Schädigung der lebenden Ressourcen und der Meeresökosysteme, eine Beeinträchtigung der Annehmlichkeiten der Umwelt oder eine Behinderung der sonstigen rechtmäßigen Nutzungen des Meeres ergeben oder ergeben können". Diese ausgesprochen weite Definition verdeutlicht, daß letztlich jede nationale Maßnahme mit bereits potentieller Umweltrelevanz vom OSPAR-Übereinkommen erfaßt wird. Daraus ergibt sich eine umfassende Verpflichtung der nationalen Legislative und der nationalen Exekutive, bei jeder umweltrelevanten Entscheidung die Vorgaben des OSPAR-

414

BGBl. 1977 II, 165, in der Fassung der Protokolle vom 2. März 1983, BGBl. 1986 II, 998, und vom 5. Dezember 1989, BGBl. 1994 II, 1355. 415

BGBl. 1981 II, 870, und Protokoll vom 26. März 1986, BGBl. 1989 II, 170.

416

Die EG ist Vertragspartei des Übereinkommen, siehe Beschluß des Rates vom 7. Oktober 1997, ABl. EG Nr. L 104/1 v. 3.4.1998. 417

(82 f.).

Lagoni, in: Koch/Lagoni (Hrsg.), Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee, 79

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Übereinkommens mit Blick auf eine mögliche unmittelbare oder mittelbare, tatsächlich oder potentielle Auswirkung auf die Meeresumwelt zu beachten.418 Im weitergehenden Sinne des integrierten Umweltschutzes sieht das Übereinkommen darüber hinaus eine fortlaufende Beurteilung der Qualität der Meeresumwelt (Art. 6) und eine Förderung der wissenschaftlichen und technischen Forschung (Art. 8) vor. Hierbei und insgesamt im Rahmen des OSPAR-Übereinkommens sind das Vorsorgeprinzip (Art. 2 Abs. 2 lit. a)), das Verursacherprinzip (Art. 2 Abs. 2 lit. b)), die Grundsätze der besten verfügbaren Technik und der besten Umweltpraxis (Art. 2 Abs. 3) sowie allgemein das Konzept der nachhaltigen Entwicklung (Präambel Abs. 3) zu beachten. In seiner hier besonders interessierenden administrativen Regelungsstruktur kombiniert das OSPAR-Übereinkommen - ganz im Sinne des theoretischen Modells der global governance 419 - internationale und internationalisierte nationale Verwaltungselemente. Auf internationaler Ebene wurde durch das OSPAR-Übereinkommen eine mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattete Kommission eingerichtet (Art. 10 ff.), deren zentrale Aufgabe darin gesehen werden kann, als „Motor der Rechtsentwicklung" im Rahmen des Übereinkommens zu wirken. 420 Neben allgemeinen Überwachungs- und Überprüfungsfunktionen hat die Kommission die Kompetenz, verbindliche Beschlüsse und unverbindliche Empfehlungen zu verabschieden (Art. 10 Abs. 3 und Art. 13). Die einstimmig oder, soweit keine Einstimmigkeit erzielt werden kann, durch Dreiviertel-Mehrheitsvotum zu fassenden Beschlüsse oder Empfehlungen der Kommission (Art. 13 Abs. 1) können sich auf alle ihr übertragenen Aufgaben beziehen (Art. 10 Abs. 3). Dabei wird ein Beschluß der Kommission für jede Vertragspartei, die für ihn gestimmt hat, verbindlich, soweit nicht innerhalb von 200 Tagen nach Verabschiedung von der Partei schriftlich das Gegenteil notifiziert wurde. Für alle anderen Vertragsparteien tritt die Bindungswirkung ein, nachdem schriftlich mitgeteilt wurde, daß die entsprechende Partei in der Lage ist, den Beschluß anzunehmen. In der Bundesrepublik Deutschland erfolgt die innerstaatliche Inkraftsetzung der Beschlüsse durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mit Zustimmung des Bundesrates. Materielle Voraussetzung für den Verordnungserlaß ist dabei nur, daß sich der entsprechende Beschluß der Kom418

Lagoni, in: Koch/Lagoni (Hrsg.), Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee, 79 (88).

419

Siehe supra Teil 3, B. IV.

420

So treffend Lagoni, in: Koch/Lagoni (Hrsg.), Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee, 79 (85); zur Arbeit der Kommission siehe ihren jeweiligen Jahresbericht, z. B. OSPAR Commission, Activities of OSPAR July 1998-June 1999, verfügbar unter: http://www.ospar.org.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

mission „ i m Rahmen der Ziele des Übereinkommens sowie der Anlagen und Anhänge [hält]". 421 Durch die 1. OSPAR-Verordnung vom 28. Juli 1999 wurden auf diesem Wege drei Beschlüsse der Kommission innerstaatlich in Kraft gesetzt. Sie betreffen Einzelheiten zur Entsorgung außer Betrieb genommener OffshoreAnlagen, zu Emmissions- und Einleitungsgrenzwerten für die Herstellung von Vinylchloridmonomer (VCM) einschließlich der Herstellung von 1,2-Dichlorethan (EDC) sowie Emmissions- und Einleitungsgrenzwerte für den Vinylchloridsektor zur Anwendung bei der Herstellung von Suspensions-PVC (S-PVC) aus Vinylchloridmonomer. 422 Die schon durch das Verfahren der Beschlußfassung durch die Kommission in Verbindung mit der innerstaatlichen Inkraftsetzung durch Rechtsverordnung sichtbar werdende verwaltungsrechtliche Struktur der Regelungsystematik des OSPAR-Übereinkommens wird durch eine Betrachtung der konkreten Verpflichtungen nationaler Behörden nach dem Übereinkommen nochmals verdeutlicht. Als gleichsam autonome, sich ohne zusätzliche Maßnahmen der Kommission konkretisierende nationale verwaltungsrechtliche Verpflichtung ist zunächst auf Art. 9 des OSPAR-Übereinkommens hinzuweisen. Nach dieser Vorschrift sind die Vertragsparteien verpflichtet, zu gewährleisten, daß ihre nationalen Behörden allen natürlichen und juristischen Personen auf „angemessenen Antrag ohne Nachweis eines Interesses und ohne überhöhte Kosten so bald wie möglich, spätestens innerhalb von zwei Monaten" umfassende Informationen „in Schrift-, Bild-, Ton- oder DV-Form" zum „Zustand des Meeresgebietes, über Tätigkeiten oder Maßnahmen, die diesen Zustand beeinträchtigen oder beeinträchtigen können, und über Tätigkeiten oder Maßnahmen, die in Übereinstimmung mit dem Übereinkommen eingeleitet wurden" verfügbar zu machen (Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2). Die damit statuierte umfassende, in ihrem Anwendungsbereich kaum begrenzte Umweltinformationsverpflichtung der nationalen Behörden 423 ist zwar nicht als subjektivöffentliches Recht ausgestaltet. Art. 9 Abs. 3 schreibt aber vor, daß nur in enumerativ aufgezählten Fällen (Vertraulichkeit, öffentliche Sicherheit etc.) eine Ablehnung des Antrages auf Bereitstellung der Informationen erfolgen darf. Unter Be421 Art. 2 Nr. 2 Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebietes und des Nordostatlantik v. 23. August 1994, BGBl. 1994 II, 1355. 422

Erste Verordnung zum Inkraftsetzen von Beschlüssen der OSPAR-Kommission nach Art. 13 des Übereinkommens zum Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantik (1. OSPAR-Verordnung) v. 28. Juli 1999, BGBl. 1999 II, 618. 423 Zur allgemeinen Diskussion über Umweltinformationsrechte und -pflichten statt vieler D. König, DÖV 2000,45 ff.; umfassend Scherzberg, Die Öffentlichkeit der Verwaltung, passim.

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rücksichtigung der im deutschen Recht anerkannten Geltung eines subjektiv-öffentlichen Rechts auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über Auskunftsbegehren, deren Erteilung eine Beurteilung und Wertung durch die Behörde vorausgeht, 424 kann daher von einer auch prozessual durchsetzbaren Ermessensbindung der nationalen Behörde gesprochen werden. 425 Weitergehende Verpflichtungen der nationalen Behörden ergeben sich aus den zahlreichen Vorschriften des OSPAR-Übereinkommens, die verwaltungsrechtliche Genehmigungsvorbehalte für bestimmte umweltgefährdende Handlungen vorsehen. Einzelheiten hierzu sind in den Anlagen zu dem OSPAR-Übereinkommen geregelt. 426 Nach Art. 2 Abs. 1 der Anlage I über die Verhütung und Beseitigung der Verschmutzung vom Lande aus müssen „Einleitungen in das Meeresgebiet aus Punktquellen sowie Freisetzungen in das Wasser oder die Luft, die das Meeresgebiet erreichen und es beeinträchtigen können" immer einer behördlichen Genehmigung oder Regelung unterliegen. Im Rahmen der Erteilung der Genehmigung oder bei der entsprechenden Regelung sind die bindenden Beschlüsse der Kommission zu beachten. Noch weiter geht die Anlage I I über die Verhütung und Beseitigung der Verschmutzung durch Einbringen oder Verbrennung. Hier ist in Art. 4 i. V. m. Art. 3 Abs. 2 vorgesehen, daß bestimmte Stoffe (Baggergut, inerte Stoffe, Klärschlamm bis zum 31. Dezember 1998, Fischabfälle sowie Schiffe oder Luftfahrzeuge) nur mit Genehmigung der nationalen Behörden im Meeresgebiet beseitigt werden dürfen. Bei der Entscheidung über die Genehmigung hat die Behörde die „einschlägigen anzuwendenden Maßstäbe, Richtlinien und Verfahren" zu beachten, die von der Kommission erarbeitet und angenommen wurden (Art. 4 Abs. 1 lit. b) Anlage II). Die genannten Maßstäbe, Richtlinien und Verfahren der Kommission ergehen als Empfehlungen und sind damit zunächst völkerrechtlich rechtsunverbindlich (vgl. Art. 6 Anlage II). Aufgrund der in Art. 4 Abs. 1 lit. b) Anlage I I statuierten Verpflichtung der nationalen Behörde, sicher424

Statt vieler Kopp/Schenke,

VwGO, § 42 Rdnr. 91 m. w. N.

425

So i. E. auch Lagoni, in: Koch/Lagoni (Hrsg.), Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee, 79 (87). 426 Die Anlagen und Anhänge sind Bestandteil des Übereinkommens (Art. 14 Abs. 1 OSPAR-Übereinkommen). Nach Art. 14 Abs. 2 OSPAR-Übereinkommen haben die Anhänge u. a. „verwaltungstechnischen Charakter". Änderungen der Anlagen und Anhänge werden im Rahmen eines vereinfachten Änderungsverfahrens von der Kommission mit Dreiviertelmehrheit der Stimmen beschlossen (Art. 17 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 2 OSPARÜbereinkommen). Die innerstaatliche Umsetzung erfolgt durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mit Zustimmung des Bundesrates und im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Verkehr und dem Bundesministerium für Wirtschaft, siehe Art. 2 Abs. 1 lit. a) Gesetz v. 23. August 1994, BGBl. 1994 II, 1355.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

zustellen, daß die Genehmigung ihnen entspricht, ergibt sich aber eine mittelbare Rechtsbindung, die ohne die Zwischenschaltung des nur für Beschlüsse geltenden nationalen Umsetzungs Verfahrens durch Rechts Verordnung Wirksamkeit entfaltet. Eine vergleichbare Regelungssystematik enthält auch die Anlage I I I über die Verhütung und Beseitigung der Verschmutzung durch Offshore-Quellen. Hier ist vorgesehen, daß im näher bestimmten Einzelfall notwendige behördliche Genehmigungen „die einschlägigen anzuwendenden Beschlüsse, Empfehlungen und sonstigen Übereinkünfte ..., die aufgrund des Übereinkommens angenommen wurden" 427 bzw. die im Rahmen der Anlage I I I von der Kommission erarbeiteten „einschlägigen anzuwendenden Maßstäb[e], Richtlinien und Verfahren" 428 beachten müssen. Die umschriebenen Verpflichtungen nationaler Genehmigungsbehörden, die verbindlichen Entscheidungen und die unverbindlichen Empfehlungen der Kommission bei ihrer Tätigkeit zu beachten, zeigen schon für sich ein weitreichendes Wechselspiel internationalisierter administrativer Kooperation im Bereich des marinen Umweltschutzes auf. Ergänzt wird diese verwaltungsrechtliche Regelungssystematik - neben der genannten Umweltinformationsverpflichtung nach Art. 9 OSPAR-Übereinkommen - durch verschiedene Berichts- und Konsultationsregelungen. An erster Stelle zu nennen ist hier die in Art. 22 OSPAR-Übereinkommen statuierte allgemeine Informationspflicht gegenüber der Kommission. Hiernach sind die Vertragsparteien verpflichtet, der Kommission regelmäßig über die legislativen und exekutiven Maßnahmen, die zur Durchführung des Übereinkommens ergangen sind, sowie über ihre Wirksamkeit zu berichten. Auf internationaler Ebene wird diese allgemeine Berichtspflicht durch ein detailliertes Programm zur Beurteilung der Qualität der Meeresumwelt ergänzt, das zahlreiche administrative und wissenschaftlich-technische Kooperationsverpflichtungen vorsieht und inhaltlich umschreibt (Anlage IV OSPAR-Übereinkommen). Daneben sehen die Anlagen I bis I I I vor, daß im Bereich der nationalen Verwaltungsorgani427

So hinsichtlich der notwendigen behördlichen Genehmigung für die Verwendung von Stoffen aus Offshore-Quellen, die das Meeresgebiet erreichen und beeinträchtigen können bzw. hinsichtlich der Einleitung oder Emission solcher Stoffe durch Offshore-Quellen; siehe Art. 4 Abs. 1 Anlage I I I zum OSPAR-Übereinkommen. Weiterhin hinsichtlich der Genehmigung der Meeresentsorgung von außer Betrieb genommenen Offshore-Anlagen oder Offshore-Rohrleitungen bzw. für die vollständige oder teilweise Zurücklassung von Offshore-Anlagen im Meeresgebiet; siehe Art. 5 Abs. 1 Anlage I I I zum OSPAR-Übereinkommen. 428 Dies gilt für die behördliche Genehmigung, die dafür notwendig ist, außer Betrieb genommene Offshore-Anlagen oder Offshore-Rohrleitungen zu einem anderen Zweck abzusetzen, als zu dem sie ursprünglich vorgesehen oder hergestellt wurden; siehe Art. 8 Anlage I I I zum OSPAR-Übereinkommen.

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sation Überwachungs- und Kontrollsysteme zu errichten sind, damit die zuständigen nationalen Behörden über das notwendige Tatsachenmaterial verfügen, um im einzelnen näher präzisierte Umweltbewertungen vornehmen zu können. 429 Schließlich ist auch vorgesehen, daß im Bereich der Verhütung und Beseitigung der Verschmutzung durch Einbringen oder Verbrennung eine Konsultation der Behörden aus verschiedenen Vertragsparteien stattfinden muß, damit es nicht zu widersprüchlichen Genehmigungen oder administrativen Regelungen kommt (Art. 4 Abs. 1 lit. c) Anlage I I OSPAR-Übereinkommen). Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß das OSPAR-Übereinkommen detaillierte Vorgaben dazu enthält, welcher Maßstab zur genauen Bestimmung der vorgeschriebenen Anwendung der „besten verfügbaren Technik" und der „besten Umweltpraxis" anzulegen ist (Anhang 1 OSPAR-Übereinkommen). Dabei wird allerdings von vornherein kein statisches Verständnis zugrunde gelegt, sondern auf eine dynamische technische Entwicklung abgestellt. Auch für die nach den Anlagen I und I I I auf nationaler Ebene vorzusehenden Umweltprogramme findet sich im OSPAR-Übereinkommen ein detailliert ausgearbeiteter Maßstab (Anhang 2). Insgesamt gesehen stellt sich das OSPAR-Übereinkommen geradezu als idealtypische Konkretisierung einer internationalisierten Umweltverwaltung dar. Die weitreichenden Auswirkungen, die das Übereinkommen und insbesondere die von der Kommission verabschiedeten verbindlichen Beschlüsse und unverbindlichen Empfehlungen für die nationale Verwaltungspraxis haben, 430 kontrastieren allerdings mit dem Umstand, daß nach Ansicht der Bundesregierung im Rahmen der Umsetzung des Übereinkommens keine Änderungen des nationalen Verwaltungsrechts notwendig waren. 431 Auch wenn dies unter formalen Gesichtspunkten insbesondere mit Blick auf die im WHG und im BImSchG ohnehin schon vorgesehenen Genehmigungserfordernisse zutreffen mag, erscheint fraglich, ob die beachtlichen Auswirkungen des Übereinkommens auf die Verwaltungspraxis damit nicht unterschätzt werden. 432

429 Siehe Art. 2 Abs. 2 Anlage I; Art. 4 Abs. 2 Anlage III; detaillierte Überwachungsverpflichtungen gegenüber Schiffen und Luftfahrzeugen enthält Art. 10 Anlage II. 430

Siehe hierzu auch ausführlich Lagoni, in: Koch/Lagoni (Hrsg.), Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee, 79 ff. 431

Siehe die Denkschrift der Bundesregierung zum Vertragsgesetz, BT-Drs. 12/7847 v. 13. Juni 1994, 1 (87). 432 So auch Lagoni, in: Koch/Lagoni (Hrsg.), Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee, 79 (89).

3 cc)

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns Übereinkommen

von 1992 über den Schutz der

des Ostseegebietes

Meeresumwelt

(Helsinki-Übereinkommen)

Als weiteres wichtiges umweltrechtliches Vertragsregime, das weitreichende administrative Regelungsstrukturen vorsieht, ist das Übereinkommen von 1992 über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebietes (Helsinki-Übereinkommen) 433 zu nennen. Es trat am 17. Januar 2000 in Kraft, 434 nachdem die letzte erforderliche Ratifikation durch die Russische Föderation erfolgt war. Zugleich trat das am 22. März 1974 in Helsinki unterzeichnete ursprüngliche Ostseeschutzabkommen 435 außer Kraft (vgl. Art. 36 Abs. 1 und Abs. 4 Helsinki-Übereinkommen). Ebenso wie das OSPAR-Übereinkommen konkretisiert auch das HelsinkiÜbereinkommen die Vorgaben des Teiles X I I des SRÜ. Neben den zahlreichen und detaillierten Vorgaben für den Meeresumweltschutz i. e. S. liegt seine wesentliche Bedeutung darin, daß auch die inneren Gewässer der Vertragsparteien und umfassend die Meeresverschmutzung vom Lande aus erfaßt werden (vgl. Art. 1 Satz 2 und Art. 6 Abs. 1 Helsinki-Übereinkommen). 436 Dem entspricht auch die Definition des sachlichen Anwendungsbereiches des Übereinkommens, die ebenso wie im OSPAR-Übereinkommen von einer weiten Fassung des Verschmutzungsbegriffes im Sinne jeder unmittelbaren oder mittelbaren, tatsächlichen oder potentiellen Schädigung geprägt ist (Art. 2 Nr. 1). Zur Erreichung der Zielsetzung des Übereinkommens, „alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- oder sonstigen einschlägigen Maßnahmen zur Verhütung und Beseitigung der Verschmutzung [zu treffen], um die ökologische Wiederherstellung des Ostseegebietes und die Erhaltung seines ökologischen Gleichgewichts zu fördern" (Art. 3 Abs. 1), verweist das Übereinkommen zunächst auf verschiedene allgemeine Prinzipien: das Vorsorgeprinzip (Art. 3 Abs. 2), der Grundsatz der Anwendung der besten Umweltpraxis und der besten verfügbaren Technologie (Art. 3 Abs. 3) und das Verursacherprinzip (Art. 3 Abs. 4). Konkretisierungen der so statuierten allgemeinen Grundsätze mit Blick auf die verschiedenen Verschmutzungsquellen finden sich in Anhängen zu dem Übereinkommen. Hinsichtlich der Verschmutzung vom Lande aus ist vorgeschrieben, daß Schadstoffe aus Punktquellen nur mit behördlicher Genehmigung der Meeresumwelt des Ostseegebietes zugeführt werden dürfen (Art. 6 Abs. 3). Die formellen und materiellen Voraus433

BGBl. 1994 II, 1397.

434

BGBl. 2000 II, 23.

435

BGBl. 1979 II. 1229; 1992 II, 502.

436

Hierzu sowie insgesamt zu dem Übereinkommen auch Ehlers, in: Koch/Lagoni (Hrsg.), Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee, 103 ff.

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Setzungen für die Genehmigungserteilung sind in der Anlage I I I zum HelsinkiÜbereinkommen ausführlich niedergelegt. Sachlich werden dabei z. B. kommunale und industrielle Abwässer erfaßt. Hinsichtlich der Verschmutzung durch die Schiffahrt enthält das Helsinki-Übereinkommen zwar auch eigenständige Regelungen; in weitem Umfange wird aber auf die maßgeblichen Vorschriften des MARPOL-Übereinkommens verwiesen. Diese werden, soweit es um Änderungen der maßgeblichen Protokolle und Anlagen zu dem MARPOL-Übereinkommen geht, innerstaatlich durch Rechtsverordnung in Kraft gesetzt.437 Für das Einbringen („dumping") statuiert das Helsinki-Übereinkommen ein umfassendes Verbot, von dem nur unter Beachtung im einzelnen festgelegter Voraussetzungen abgewichen werden darf (Art. 11). Die zuständige Behörde, die eine entsprechende Ausnahmegenehmigung zu erteilen hat, ist dabei an genaue Vorgaben gebunden, die sich zunächst in der Anlage V zum Helsinki-Übereinkommen finden. Für einzelne Einbringungsarten wird aber darüber hinaus auch auf unverbindliche Richtlinien verwiesen, die von der durch das Helsinki-Übereinkommen eingerichteten Kommission verabschiedet wurden. Detaillierte Verpflichtungen für das Handeln der zuständigen nationalen Behörden enthalten auch die Anlage V I (Verhütung der Verschmutzung durch Offshore-Tätigkeiten) und die Anlage V I I (Bekämpfung von Verschmutzungsereignissen). Schließlich sei vermerkt, daß auch das Helsinki-Übereinkommen eine Umweltinformationsverpflichtung der nationalen Behörden gegenüber der Öffentlichkeit statuiert (Art. 17 f.). Die nahezu durchgehende Einbindung der nationalen Behörden in die Regelungssystematik des Helsinki-Übereinkommens wird auf internationaler Ebene durch die Arbeit der Helsinki-Kommission (Kommission zum Schutz der Meeresumwelt der Ostsee, vgl. Art. 19 Abs. 1) ergänzt. 438 Neben spezifischen Aufgaben im Bereich der Überwachung und Weiterentwicklung des Helsinki-Übereinkommens kann die Kommission „alle sonstigen Aufgaben übernehmen, die sie zur Förderung der Zwecke dieses Übereinkommens für erforderlich hält" (Art. 20 Abs. 2). Eine wichtige Aufgabe der Kommission ist es, insbesondere mit Blick auf die Verringerung der Verschmutzung vom Lande aus, anwendbare Ziele und Maßnahmen festzulegen (Art. 20 Abs. 1 lit. d)). Den so ergehenden Empfehlungen der Kommission kommt zwar zunächst keine Rechtsverbindlichkeit zu. Hinsichtlich 437

Siehe Art. 8 i. V. m. Anlage IV Helsinki-Übereinkommen; Art. 2 Nr. 1 Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe und zu dem Protokoll von 1978 zu diesem Übereinkommen, BGBl. 1982 II, 2; als Beispiel für eine entsprechende Rechtsverordnung siehe die 4. MARPOL-Änderungsverordnung v. 12. März 1991, BGBl. 1991 II, 525. 438 Zur Helsinki-Kommission siehe auch Ehlers, in: Koch/Lagoni (Hrsg.), Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee, 103 (120 ff.).

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

der bis zum Jahre 1996 ergangenen 152 Empfehlungen (der alten Helsinki-Kommission) ist aber kein Fall bekannt, in dem die Vertragsparteien den Vorgaben der Kommission nicht gefolgt wären. 439 Ohne hier auf weitere, in vielen Bereichen den dargestellten Vorgaben des OSPAR-Übereinkommens entsprechende Einzelregelungen der umfangreichen Helsinki-Konvention eingehen zu wollen, sei abschließend darauf hingewiesen, daß die in ihrer Regelungssystematik wichtigen Anlagen zu dem Übereinkommen in einem vereinfachten Verfahren - ohne die Notwendigkeit der Ratifikation durch die Vertragsparteien - angenommen und geändert werden können. Für die Vertragsparteien besteht insoweit nur die Möglichkeit, sich von der Bindungswirkung einer von der Kommission angenommenen neuen oder geänderten Anlage durch opting out zu entziehen (Art. 32 Abs. 3 Helsinki-Übereinkommen). In Deutschland werden die so in Kraft gesetzten neuen bzw. geänderten Anlagen zu dem Helsinki-Übereinkommen durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mit Zustimmung des Bundesrates und im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Verkehr sowie dem Bundesministerium für Wirtschaft in Kraft gesetzt. Materielle Voraussetzung für die Inanspruchnahme dieser Verordnungsermächtigung ist nur, daß die neuen bzw. geänderten Anlagen „sich im Rahmen der Ziele des ... Übereinkommens halten". 440 Zusammenfassend ist festzuhalten, daß das Helsinki-Übereinkommen eine komplexe administrative Struktur zum Schutz der Meeresumwelt der Ostsee vorsieht. Wie auch im Rahmen des OSPAR-Übereinkommens, zeichnet sich diese durch eine enge Verflechtung der Tätigkeit der zuständigen nationalen Behörden mit der Arbeit der internationalen Kommission aus. Auch hier gewinnt das Übereinkommen für die nationale Verwaltung eine besondere Bedeutung durch den weiten territorialen und sachlichen Anwendungsbereich, der nahezu jede umweltrelevante Maßnahme erfaßt, die sich bereits potentiell auf die Meeresumwelt der Ostsee auswirken kann. Dementsprechend sind von der nationalen Verwaltung in zahlreichen Fällen die detaillierten formellen und materiellen Rechtsvorgaben zu beachten, die sich unmittelbar aus dem Übereinkommen ergeben, oder die von der Kommission, ggf. durch Rechtsverordnung in das innerstaatliche Recht umgesetzt, beschlossen wurden.

439

Ehlers, in: Koch/Lagoni (Hrsg.), Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee, 103 (121 und 123). 440 Art. 2 Nr. 1 lit. b) Gesetz zu Internationalen Übereinkommen über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebietes und des Nordostatlantik, BGBl. 1994 II, 1355.

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b) Schutz der Umwelt von internationalen und internationalisierten Rüssen Die internationale verrechtlichte Kooperation der Anrainerstaaten von Flüssen, die das Staatsgebiet mehrerer Staaten durchfließen (internationale Flüsse) 441 hat eine lange Geschichte, die sich bis in das dritte vorchristliche Jahrtausend zurückverfolgen läßt. 442 Das internationale Flußrecht war jedoch lange Zeit von Regelungen zur Grenzziehung und gemeinsamen Ressourcennutzung gekennzeichnet; ihren rechtlichen Ausdruck fand diese Entwicklung in der Begründung internationalisierter, also einer internationalen Verwaltung unterstellter Flußregime. 443 Der originäre Schutz der Umwelt internationaler und internationalisierter Flüsse begann sich erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts zu entwickeln. Seither sind weltweit zahlreiche umweltrechtliche Vertragsregime für internationale und internationalisierte Flüsse entstanden,444 von denen vorliegend diejenigen interessieren sollen, die sich auf Wasserläufe beziehen, die das Territorium der Bundesrepublik durchfließen. Von der Bundesrepublik Deutschland wurden bereits frühzeitig nach ihrer Entstehung verschiedene zwischenstaatliche Abkommen über den Schutz der Umwelt internationaler Flüsse geschlossen. Neben der sogleich noch näher darzustellenden Vereinbarung über die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins von 1949/50 und 1963 sind insoweit das am 20. Dezember 1961 von Deutschland, Frankreich und Luxemburg unterzeichnete Protokoll über die Errichtung einer Internationalen Kommission zum Schutz der Mosel gegen Verunreinigung 445 und das am selben Tag unterzeichnete Deutsch-Französische Protokoll über die Errichtung einer Internationalen Kommission zum Schutz der Saar gegen Verunreinigungen 446 zu nennen. Diese beiden als Verwaltungsabkommen gem. Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG in Kraft getretenen Übereinkommen regeln auf relativ knappem Raum die Einrichtung der entsprechenden Kommissionen und bestimmen die ihnen ob441 Zur Begrifflichkeit statt vieler/?. Bauer, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 1,204 f.; Dahm, Völkerrecht, Bd. 1,621; Reimann, Die nicht-navigatorische Nutzung internationaler Süßwasserressourcen im Umwelt Völkerrecht, 19 f. m. w. N. 442 Siehe Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, § 2 I I 1; Reimann, Die nicht-navigatorische Nutzung internationaler Süßwasserressourcen im Umweltvölkerrecht, 32 m. w. N. 443 Hierzu statt vieler Krüger, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 2, 136 ff.; Dahm, Völkerrecht, Bd. 1, 621 ff. 444

Im Überblick hierzu Reimann, Die nicht-navigatorische Nutzung internationaler Süßwasserressourcen im Umweltvölkerrecht, 39 ff. und passim; Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, § 57 Rdnr. 6 ff. 445

BGBl. 1962 II, 1102.

446

BGBl. 1962 II, 1106.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

liegenden Aufgaben. Diese liegen übereinstimmend darin, „eine Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Dienststellen" der Regierungen herbeizuführen, um die beiden Flüsse gegen Verunreinigungen zu schützen. Zu diesem Zwecke werden die Kommissionen damit beauftragt, „alle notwendigen Untersuchungen zur Ermittlung von Art, Ausmaß und Ursprung der Verunreinigungen vor[zu]bereiten, sie durchführen [zu] lassen sowie die Ergebnisse aus [zu] werten". Zugleich ist es Aufgabe der Kommissionen, den Regierungen „alle geeigneten Maßnahmen" zum Schutz der Flüsse gegen Verunreinigungen vorzuschlagen (jeweils Art. 2 der Abkommen). Alle weiteren Vorschriften der Abkommen regeln die technischen, organisatorischen und finanziellen Aspekte der Tätigkeit der Kommissionen. In jüngerer Zeit wurde die damit bereits ersichtliche administrative Kooperation zum Schutz der Umwelt internationaler Flüsse deutlich ausgebaut. Neben kleineren Abkommen wie dem Ems-Dollart-Umweltprotokoll vom 22. August 1996 447 sind heute die Vereinbarungen zum Schutz der Elbe, der Oder, der Donau und des Rheins von besonderer Bedeutung. Ihrer Struktur nach ähnlich aufgebaut sind zunächst der Vertrag über die Internationale Kommission zum Schutz der Oder gegen Verunreinigungen 448 und die Vereinbarung über die Internationale Kommission zum Schutz der Elbe. 449 Durch die aus den Jahren 1996 bzw. 1990 stammenden Verträge wird jeweils eine internationale Kommission eingesetzt, der umfangreiche Aufgaben im Gewässerumweltschutz zugewiesen sind. Hierzu gehören die Erstellung von Übersichten über Schadstoffeinleitungen, die Unterbreitung von Vorschlägen für Abwassergrenzwerte und Qualitätsziele, die Koordination, Dokumentation und Bewertung gemeinsamer Meß- und Untersuchungsprogramme, die Unterbreitung von Vorschlägen zu einheitlichen Methoden zur Klassifizierung der Wasserbeschaffenheit, für Aktionsprogramme zur Reduzierung von Schadstofffrachten aus verschiedenen Quellen und zu Alarm- und Warnverfahren sowie sonstige, im einzelnen näher bezeichnete Beratungs-, Koordinations- und Fördermaßnahmen (vgl. jeweils Art. 2 der Verträge). Den Kommissionen stehen damit keine eigenen Rechtssetzungsoder Vollzugsbefugnisse zu; ihre Arbeiten beschränken sich vielmehr auf die Koordinierung unterschiedlicher Maßnahmen zum Gewässerschutz sowie darauf, 447

Ergänzendes Protokoll zu dem am 8. April 1960 unterzeichneten Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Regelung der Zusammenarbeit in der Emsmündung (Ems-Dollart-Vertrag) zur Regelung der Zusammenarbeit zum Gewässer- und Naturschutz in der Emsmündung (Ems-Dollart-Umweltprotokoll), BGBl. 1997 II, 1703. 448

BGBl. 1997 II, 1708.

449

BGBl. 1992 II, 943.

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einzelne Vorschläge für ein harmonisiertes Vorgehen der Vertragsparteien zu unterbreiten. Die Effektivität der Arbeiten der Kommissionen in diesen Bereichen wird dabei durch Berichtspflichten garantiert, denen die Vertragsparteien mit Blick auf die Befolgung der von den Kommissionen vorgeschlagenen Maßnahmen unterliegen (vgl. jeweils Art. 4 der Verträge). Die weiteren Bestimmungen der Verträge regeln die technischen, administrativen und finanziellen Einzelheiten, die für die Tätigkeiten der Kommissionen notwendig sind. Deutlich detaillierter ausgestaltet sind die Übereinkommen zum Schutz der Donau und des Rheins. Das Donauschutzabkommen vom 29. Juni 1994, 450 das auf einen umfassenden Schutz der Umwelt der Donau und der sie betreffenden ökologischen Ressourcen (vgl. Art. 3) ausgerichtet ist, sieht vor, daß die Vertragsparteien u. a. „alle geeigneten rechtlichen, administrativen und technischen Maßnahmen [ergreifen], um den gegenwärtigen Zustand der Donau und der Gewässer in ihrem Einzugsgebiet hinsichtlich Umwelt und Gewässergüte" zu erhalten und zu verbessern (Art. 2 Abs. 2). Dazu sollen auf der Grundlage des Verursacher- und des Vorsorgeprinzips (Art. 2 Abs. 4) insbesondere alle Maßnahmen, die sich auf die Gewässerverschmutzung und die Wassernutzung beziehen, harmonisiert und koordiniert werden (Art. 2 Abs. 3). Im einzelnen verpflichtet das Abkommen die Vertragsparteien dazu, legislative, exekutive und technische Maßnahmen für einen wirksamen Gewässerschutz, für eine verträgliche Wassernutzung und für eine Überwachung sowie Verringerung der grenzüberschreitenden Auswirkungen zu ergreifen (Art. 5 Abs. 1). Diese allgemeinen Verpflichtungen werden in zahlreichen Punkten im einzelnen konkretisiert (Art. 5 Abs. 2), wobei für verschiedene Sachbereiche auch vorgesehen ist, daß innerstaatliche behördliche Genehmigungsvorbehalte für umweltgefährdende Aktivitäten eingeführt werden (Art. 7 Abs. 5). Weiterhin geregelt sind besondere Maßnahmen zum Schutz von Grundwasserressourcen (Art. 6) und zu von den Vertragsparteien festzusetzenden Grenzwerten (Art. 7). Verfahrenstechnisch werden die so umfassend statuierten materiellen Verpflichtungen aus dem Übereinkommen durch zahlreiche Berichts-, Konsultations- und Informationspflichten (Art. 1CM3) ergänzt. In diesem Zusammenhang besteht, wie schon in anderen Umweltschutzverträgen vorgesehen, auch nach dem Donauschutzübereinkommen eine Umweltinformationspflicht der nationalen Behörden gegenüber natürlichen und juristischen Personen, die unabhängig von einem konkreten Interesse des Antragsstellers zu beachten ist (Art. 14). Die Kooperation der Donaustaaten wird durch die Errichtung einer Internationalen Kommission zum Schutz der Donau institutionalisiert (Art. 18 ff.). Ihre 450

Übereinkommen über die Zusammenarbeit zum Schutz und zur verträglichen Nutzung der Donau (Donauschutzübereinkommen), BGBl. 1996 II, 875.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Aufgabe ist es, zur Umsetzung der im einzelnen in dem Übereinkommen beschriebenen Umweltschutzverpflichtungen der Vertragsparteien sowie mit Blick auf die dynamische Fortentwicklung des Vertragsregimes Vorschläge und Empfehlungen abzugeben (Art. 18 Abs. 1 und Abs. 5). Die Vorschläge und Empfehlungen der Kommission sind zwar unverbindlich, die Vertragsparteien sind aber verpflichtet, über die von ihnen ergriffenen Umsetzungsmaßnahmen regelmäßig Bericht zu erstatten (Art. 18 Abs. 4 i. V. m. Art. 10). Neben diesen unverbindlichen Handlungsinstrumentarien steht der Kommission nach ihrem Statut allerdings auch die Befugnis zu, verbindliche Beschlüsse durch Konsens oder ggf. Vierfünftel-Mehrheitsvotum zu fassen (Art. 5 Anhang IV). Die Beschlüsse entfalten dabei Wirksamkeit für die Vertragsparteien, die für sie gestimmt und nicht das Gegenteil innerhalb von 11 Monaten dem Exekutivsekretär des Übereinkommens notifiziert haben. Für alle anderen Vertragsparteien wird ein Beschluß der Kommission rechtsverbindlich, nachdem eine schriftliche Notifikation darüber vorliegt, daß man in der Lage ist, den Beschluß anzunehmen (Art. 5 Abs. 2 Anhang IV). Wichtig ist diese Form der verbindlichen Rechtssetzung durch die Kommission insbesondere mit Blick auf Änderungen der Anlagen zu dem Donauschutzübereinkommen, in denen spezifische Einzelheiten zu den Verpflichtungen zur Beachtung des „Standes der Technik" und der „besten Umweltpraxis" (Anlage I), zu vom Abkommen erfaßten industriellen Branchen und gefährlichen Stoffen (Anlage II) sowie zu generellen Leitlinien für Gewässergüteziele und -kriterien (Anlage III) geregelt sind. Diese Anlagen können im Wege des beschriebenen Verfahrens durch Beschluß der Kommission geändert werden (Art. 23 Abs. 6 i. V. m. Art. 5 Anlage IV). In Deutschland erfolgt die innerstaatliche Umsetzung einer Änderung einer der Anlagen durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates, wobei sich die Änderungen „ausschließlich auf wissenschaftliche, technische oder verwaltungsmäßige Angelegenheiten beziehen" dürfen. 451 Als aus historischer Perspektive und mit Blick auf seine aktuelle Bedeutung wohl wichtigstes Vertragswerk multilateraler institutionalisierter Kooperation im Bereich eines internationalen (und internationalisierten) Flusses kann schließlich das Übereinkommen zum Schutz des Rheins 452 bezeichnet werden, das am 12. April 1999 auf eine neue - bedeutende - Grundlage gestellt wurde. Die historischen Wurzeln des Umweltschutzregimes für den Rhein reichen allerdings weit in die Geschichte der Bundesrepublik zurück. Bereits in den Jahren 1949/50 wur451

Art. 2 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 29. Juni 1994 über die Zusammenarbeit zum Schutz und zur verträglichen Nutzung der Donau (Donauschutzübereinkommen), BGBl. 1996 II, 874. 452

Abgedruckt in: BT-Drucks. 14/4674 v. 17.11.2000.

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den durch einen Notenwechsel der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs, Luxemburgs, der Schweiz und der Niederlande die ersten Grundsteine für die Schaffung der Internationalen Kommission zum Schutze des Rheins vor Verunreinigung gelegt. 453 A m 29. April 1963 wurde diese Form institutionalisierter internationaler Kooperation dann auf die Basis eines am 1. Mai 1965 in Kraft getretenen Verwaltungsabkommens der genannten Regierungen gestellt. 454 Später kam es noch zum Abschluß von drei Zusatzabkommen, die sich mit spezfischen Aspekten des Schutzes des Rheins vor chemischer Verunreinigung und vor Verunreinigung durch Chloride 455 sowie mit dem Beitritt der EG zu dem Übereinkommen 456 befassen. Durch das am 12. April 1999 unterzeichnete neue Übereinkommen zum Schutz des Rheins werden die bezeichneten Vertragswerke, mit Ausnahme des Übereinkommens über den Schutz des Rheins gegen Verunreinigung durch Cloride, außer Kraft gesetzt. Weiterhin gelten werden jedoch die im Rahmen des alten Rheinschutzabkommens angenommenen Beschlüsse, Empfehlungen, Grenzwerte und sonstigen Übereinkünfte, soweit sie nicht von der Kommission ausdrücklich aufgehoben werden (Art. 19 Rheinschutzübereinkommen). Das Rheinschutzübereinkommen von 1999 trägt zunächst dazu bei, die im nationalen, europäischen und internationalen Umweltrecht entwickelten Rechtsprinzipien des Umweltschutzes mit Blick auf den Schutz des Rheins zu kodifizieren. 457 Ausgehend von einer „ganzheitlichen Betrachtungsweise" (Präambel Abs. 1) und mit dem Ziel einer ,,nachhaltige[n] Entwicklung des Ökosystems Rhein" (Art. 3 Abs. 1) werden dementsprechend das Vorsorgeprinzip, das Prinzip der Vorbeugung, das Prinzip, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen, das Verursacherprinzip, das Prinzip des Ausgleichs bei erheblichen technischen Eingriffen, das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung, das Prinzip der NichtVerlagerung von Umweltbelastungen in andere Umweltmedien sowie die Grundsätze der Anwendung und der Weiterentwicklung des Standes der Technik sowie der besten Umweltpraxis ausdrücklich in den Mittelpunkt des 453 Reimann, Die nicht-navigatorische Nutzung internationaler Süßwasserressourcen im Umweltvölkerrecht, 44 m. w. N. 454

BGBl. 1965 II, 1432.

455

Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen chemische Verunreinigung, BGBL 1978 II, 1054; Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride, BGBl. 1978 II, 1065. 456

Zusatzvereinbarung zu der in Bern am 29. April 1963 unterzeichneten Vereinbarung über die Internationale Kommission zum Schutze des Rheins gegen Verunreinigung, BGBl. 1979 II, 87. 457

So ausdrücklich Denkschrift der Bundesregierung zu dem Übereinkommen zum Schutz des Rheins, Az. W A I 6(B)-20201/3, Anm. zu Art. 3, BT-Drucks. 14/4674 v. 17.11.2000.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Übereinkommens gestellt (Art. 4). In sachlicher und territorialer Hinsicht finden diese Prinzipien und die sie konkretisierenden Vorgaben des Übereinkommens auf den Rhein selbst und sein Einzugsgebiet sowie insgesamt auf die „aquatischen und terrestrischen Ökosysteme, die in Wechselwirkung mit dem Rhein stehen oder deren Wechselwirkung mit dem Rhein wiederhergestellt werden könnte," Anwendung (Art. 2). Die konkreten Verpflichtungen der Vertragsparteien aus dem Rheinschutzübereinkommen sind in seinem Art. 5 ausführlich niedergelegt; sie lassen sich systematisch in drei Gruppen einordnen: Eine erste Kategorie von Verpflichtungen betrifft die autonom von den Vertragsparteien in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet durchzuführenden Umweltschutzmaßnahmen. Hierzu gehören behördliche, regelmäßig zu überprüfende und anzupassende Genehmigungserfordernisse für das Einleiten von Abwässern und für technische Eingriffe in das Ökosystem Rhein sowie allgemeine Verpflichtungen zur Reduzierung der Schadstoffbelastung und zur Bekämpfung sonstiger Gefahrenquellen (Art. 5 Abs. 4). Daneben besteht eine Pflicht, Untersuchungen zu Ursachen und Verursachern von Verschmutzungen durchzuführen (Art. 5 Abs. 3). Als weitere, zweite Kategorie stellen sich die umfassenden zwischenstaatlichen Kooperationsverpflichtungen dar, denen die Vertragsparteien unterliegen (Art. 5 Abs. 1 und 6). Schließlich nehmen als dritte Verpflichtungskategorie die Regelungen zur Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien und der Rheinschutzkommission eine wichtige Rolle ein. Die mit Rechtspersönlichkeit ausgestattete Kommission (Art. 6 Abs. 2) hat zur Aufgabe, Meßprogramme und Untersuchungen vorzunehmen und auszuwerten, Vorschläge für einzelne Maßnahmen und für Maßnahmenprogramme vorzulegen, Warn- und Alarmpläne der Vertragsparteien zu koordinieren sowie die Wirksamkeit der beschlossenen Maßnahmen zu bewerten. Darüber hinaus erfüllt sie alle weiteren, ihr übertragenen Aufgaben (Art. 8 Abs. 1). Zur Verwirklichung ihrer Aufgaben faßt die Kommission einstimmige Beschlüsse, die als unverbindliche Empfehlungen an die Vertragsparteien ergehen und von diesen nach ihrem innerstaatlichen Recht durchgeführt werden (Art. 10 und 11). Die Rechtsunverbindlichkeit der Beschlüsse wird allerdings deutlich relativiert, da die Vertragsparteien dazu verpflichtet sind, „die für ihr Hoheitsgebiet erforderlichen Maßnahmen [zu ergreifen], um die Kommissionsbeschlüsse ... durchzuführen" (Art. 5 Abs. 5). Der für das sich damit ergebende Zusammenspiel verbindlicher und unverbindlicher Instrumentarien zentrale Art. 11 des Rheinschutzübereinkommens sieht darüber hinaus vor, daß die Vertragsparteien der Kommission regelmäßig über die von ihnen ergriffenen Maßnahmen zur Durchführung von Beschlüssen berichten. Zur Stärkung der Umsetzungs- und Berichtspflicht ist vor-

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gesehen, daß jede Vertragspartei diesbezügliche Konsultationen beantragen kann (Art. 11 Abs. 4). Daneben kann die Kommission selbst entsprechende Beschlüsse fassen, um die Durchführung beschlossener Maßnahmen zu fördern (Art. 11 Abs. 4 Satz 3). Nach dem weiterhin geltenden Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride steht es schließlich der Kommission zu, die in Anhang I I zu diesem Übereinkommen festgelegten Grenzwerte zu „nationale[n] Frachten aus Chlorid-Ionen-Ableitungen von mehr als 1 kg/s in einzelnen Stromabschnitten" durch Beschluß zu ändern (Art. 3 Abs. 6 Chloridübereinkommen). In der Bundesrepublik werden die so beschlossenen Änderungen des Anhanges, soweit sie „sich im Rahmen der Ziele de[s] Übereinkommen[s] halten", durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums des Inneren mit Zustimmung des Bundesrates in Kraft gesetzt.458 Insgesamt zeigt sich damit, daß das neue Rheinschutzübereinkommen auf der Grundlage der anerkannten Prinzipien des Umweltrechts ganz zentral auf die Arbeit der Rheinschutzkommission abstellt. Daß den Beschlüssen der Kommission dabei zunächst nur empfehlender Charakter zukommt, hat keine maßgebliche Bedeutung. Durch die allgemeine völkerrechtliche Verpflichtung der Vertragsparteien, die erforderlichen innerstaatlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Beschlüsse durchzuführen (Art. 5 Abs. 5), in Verbindung mit den diesbezüglich vorgesehenen Berichtspflichten und Konsultationsmöglichkeiten (Art. 11 Abs. 5), tritt eine rechtliche Aufwertung der Kommissionsbeschlüsse ein, die sich von einer verbindlichen Beschlußfassung, wenn überhaupt, nur graduell, nicht aber prinzipiell unterscheidet. Der Hinweis der Bundesregierung in ihrer Denkschrift zu dem Übereinkommen darauf, daß den Beschlüssen der Kommission „weiterhin nur der Charakter von - wenn auch polititisch bedeutsamen - Empfehlungen zu[kommt]", 459 erscheint damit als rechtlich verkürzte Bewertung. Sie ist wohl nur damit zu erklären, daß bei einer von vornherein verbindlichen Beschlußfassung der Kommission verfassungsrechtliche Probleme mit Blick auf die Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern befürchtet wurden. 460 Zudem ist hervorzuheben, daß das neue Rheinschutzübereinkommen bewußt als Rahmenüber458 Art. 2 Nr. 2 Gesetz zu den Übereinkommen vom 3. Dezember 1976 zum Schutz des Rheins gegen chemische Verunreinigung und zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride (Gesetz zum Chemieübereinkommen/Rhein und Chloridübereinkommen/Rhein) v. 11. August 1978, BGBl. 1978 II, 1053. 459

Denkschrift der Bundesregierung zu dem Übereinkommen zum Schutz des Rheins, Az. W A I 6(B)-20201/3, Punkt I. Allgemeines, BT-Drucks. 14/4674 v. 17.11.2000. 460

So auch ausdrücklich Denkschrift der Bundesregierung zu dem Übereinkommen zum Schutz des Rheins, Az. WA 16(B)-20201/3, Punkt I. Allgemeines, BT-Drucks. 14/4674 v. 17.11.2000.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

einkommen konzipiert wurde, um so „einen flexiblen, an den in anderen jüngeren internationalen Umweltschutzübereinkommen festgelegten umweltpolitischen Grundsätzen orientierten rechtlichen Rahmen für die künftige Arbeit der IKSR [Internationale Kommission zum Schutz des Rheins, Anm. d. Verf.] im Rheineinzugsgebiet [zu schaffen], ohne umfangreiche konkrete materielle Verpflichtungen der Vertragsparteien zu begründen". 461 Damit wird deutlich gemacht, daß die gewollte intensive Fortentwicklung des Umweltschutzes des Rheins einem dynamischen Entwicklungsprozeß unterliegt, dessen zentraler Motor die Kommission sein soll. Die Ausarbeitung eines detaillierten, dem schwerfälligen Prozeß der internationalen Vertragsverhandlung und innerstaatlichen Ratifikation unterliegenden und unter steuerungstheoretischen Gesichtspunkten kaum befriedigenden Vertragswerkes wäre mit dieser Zielsetzung nicht vereinbar gewesen. Wie auch in anderen Umweltschutzregimen vollzieht sich damit auch der Umweltschutz für den Rhein bewußt weniger auf legislativer als vielmehr auf einer internationalisierten exekutiven Ebene.

2. Luft- und Klimaschutz

Der Luft- und Klimaschutz erfuhr erst zu einem relativ späten Zeitpunkt in der Entwicklung des internationalen Umweltrechts ein intensiveres rechtliches Interesse. Nachdem es zunächst nicht gelungen war, die weiträumige Luftverschmutzung zum Gegenstand der Stockholmer Umweltkonferenz im Jahre 1972 zu machen, war es immerhin möglich, diesen wichtigen Bereich internationaler Kooperation im Umweltschutz in den sogenannten „Korb 2" der KSZE-Schlußakte von Helsinki aufzunehmen. 462 Als Ergebnis der daraufhin in Gang gesetzten Arbeiten der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (ECE) kam es am 13. November 1979 zur Unterzeichnung des Übereinkommens über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung. 463 Es stellt auch heute noch die maßgebliche Rechtsgrundlage für den internationalen Schutz der Luft in seiner nachbarrechtlichen Dimension dar (a). Daneben ist ein nochmals jüngeres Rechtsregime entstanden, das sich mit über den nachbarrechtlichen Schutz der Luft hinausgehenden Aspekten des Klimaschutzes im Sinne der 461 Denkschrift der Bundesregierung zu dem Übereinkommen zum Schutz des Rheins, Az. W A I 6(B)-20201/3, Punkt I. Allgemeines, BT-Drucks. 14/4674 v. 17.11.2000; zu dieser bereits im Rahmen des alten Rheinschutzübereinkommens immer deutlicher werdenden Strategie, ihren politischen Hintergründen sowie ihrem Erfolg siehe auch Durth, Aus Politik und Zeitgeschichte B7/1996, 38 ff. 462

Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 57 Rdnr. 49.

463

BGBl. 1982 II, 374.

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Bewahrung eines globalen Umweltgutes als Staatengemeinschaftsinteresse befaßt (b). 4 6 4

a) Übereinkommen über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung Das Übereinkommen über die weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung ist als Rahmenübereinkommen konzipiert und enthält dementsprechend nur wenige konkrete, operative Rechtsregeln. Aus seinem Prinzipiencharakter erschließt sich aber, daß ein dynamisches Rechtsregime geschaffen wurde, das der weiteren tatsächlichen und rechtlichen Entwicklung gegenüber offen ist und diese einem institutionalisierten Prozeß unterwirft. Deutlich wird dieser Charakter an drei Merkmalen: Zunächst beschränkt sich das Übereinkommen darauf, allgemeine Verhaltensgrundsätze der Vertragsparteien mit Blick auf die Bekämpfung der Luftverunreinigung zu statuieren. Neben einer Reihe von „Grundprinzipien" der internationalen Kooperation (Art. 2 bis 5), ist hier insbesondere die Vorschrift des Übereinkommens zu nennen, die sich mit einzelnen Maßnahmen der Luftreinhaltung befaßt (Art. 6). Hiernach sind die Vertragsparteien dazu verpflichtet, „die bestmöglichen Politiken und Strategien einschließlich der Systeme der Luftreinhaltung und der dazugehörigen Kontrollmaßnahmen zu erarbeiten, die mit einer ausgewogenen Entwicklung vereinbar sind, vor allem durch den Einsatz der besten verfügbaren und wirtschaftlich vertretbaren Technologie sowie abfallarmer und abfallfreier Technologien". Diese Regelung wird durch die Verpflichtung zu entsprechenden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten sowie mit Blick auf einen internationalen Informationsaustausch ergänzt (Art. 7 und 8). Auch die allgemeine Verpflichtung zur „Durchführung und Weiterentwicklung des Programmes über die Zusammenarbeit bei der Messung und Bewertung der weiträumigen Übertragung von luftverunreinigenden Stoffen in Europa (EMEP)" (Art. 9) fällt schließlich in die erste genannte Verpflichtungskategorie. 465 Ein zweites charakteristisches, und nunmehr schon deutlich dem internationalisierten Verwaltungshandeln zuzuordnendes Merkmal des Übereinkommens liegt 464

Zur Unterscheidung zwischen nachbarrechtlichem Schutz vor Luftverunreinigung und globalem Klimaschutz statt vieler Hach, Völkerrechtliche Pflichten zur Verminderung grenzüberschreitender Luftverschmutzung in Europa, 23; Beyerlin, Umweltvölkerrecht, Rdnr. 312 ff. 465

Zu den angesprochenen allgemeinen Verpflichtungen aus dem Übereinkommen siehe auch Hach, Völkerrechtliche Pflichten zur Verminderung grenzüberschreitender Luftverschmutzung in Europa, 19 ff.

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darin, daß im Rahmen der ECE ein Exekutivorgan für das Übereinkommen gebildet wurde (Art. 10). Die Aufgabe dieses Organs besteht neben der Überprüfung der Durchführung des Übereinkommens u. a. darin, im Hinblick auf die Entwicklung des Übereinkommens zu wirken (Art. 10 Abs. 2 lit. b)). Diese Funktion des Exekutivorgans gewinnt insbesondere im Bereich der sogleich noch anzusprechenden Vertragsänderungsverfahren im Rahmen der Protokolle und Anhänge zu dem Übereinkommen an Bedeutung. Schließlich sieht das Übereinkommen als drittes Merkmal, das - wenn auch in der ausgestalteten Form nur begrenzt - für seinen Charakter als dynamisches Rechtsregime spricht, ein von der sonst üblichen völkerrechtlichen Praxis abweichendes Änderungsverfahren vor. Nach Art. 12 Abs. 3 sind Änderungen zu dem Übereinkommen nämlich zunächst „einvernehmlich" von den Vertretern der Vertragsparteien im Exekutivorgan anzunehmen. Damit wird von dem im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge eigentlich vorgesehenen Verfahren der Annahme eines authentischen und endgültigen Vertragstextes durch förmliche Unterzeichnung abgewichen.466 Die Änderungen treten dann nach 90 Tagen, nachdem zwei Drittel der Vertragsparteien ihre Annahmeurkunde bei dem Verwahrer hinterlegt haben, für alle Vertragsparteien, welche die Änderung förmlich angenommen haben, in Kraft. Die dynamisch angelegte Vertragsstruktur des Übereinkommens über die Luftverunreinigung hat in der seinem Inkrafttreten nachfolgenden Vertragspraxis dazu geführt, daß es zu verschiedenen Erweiterungen und Konkretisierungen des Rechtsregimes gekommen ist. A m 8. Juli 1985 wurde das erste Protokoll „betreffend die Verringerung von Schwefelemissionen oder ihres grenzüberschreitenden Flusses um mindestens 30 von Hundert" angenommen.467 Einziger materieller Regelungsgegenstand des Protokolls ist, wie seine Bezeichnung bereits ausdrückt, die Verpflichtung der Vertragsparteien, „sobald wie möglich, spätestens jedoch bis 1993", die nationalen jährlichen Schwefelemissionen oder ihren grenzüberschreitenden Fluß um mindestens 30 % im Verhältnis zum Niveau von 1980 zu verringern (Art. 2 des Protokolls). Um die Erfüllung dieser Verpflichtung zu garantieren, ist eine Berichtspflicht gegenüber dem Exekutivorgan vorgesehen (Art. 4 des Protokolls). Das Verfahren zur Änderung des Protokolls entspricht den genannten Regeln des Übereinkommens (vgl. Art. 7 des Protokolls). 466 Vgl. Art. 10 lit. b) Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge; zur Unterzeichnung siehe auch Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 10 Rdnr. 15, der sogar - allerdings etwas unklar - davon spricht, daß „auf die Unterzeichnung nicht verzichtet werden [kann]". 467

BGBl. 1986 II, 1117.

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Eine zweites Protokoll zu dem Übereinkommen wurde am 31. Oktober 1988 angenommen. Es befaßt sich mit der Bekämpfung von Emissionen von Stickstoffoxiden oder ihres grenzüberschreitenden Flusses.468 Das Protokoll ist wesentlich umfangreicher als das Protokoll zu Schwefelemissionen und sieht verstärkte Elemente einer flexiblen Rechtsgestaltung sowie zugleich konkrete Rechtsverpflichtungen der Vertragsparteien mit Blick auf die zu ergreifenden Maßnahmen zur Reduzierung der Luftverunreinigung durch Stickstoffoxide vor. So ist neben der allgemeinen Verpflichtung, die Stickstoffemissionen auf das Niveau des Jahres 1987 zu reduzieren (Art. 2 Abs. 1), vorgesehen, daß nationale Emissionsgrenzwerte für ortsfeste und mobile Schadstoffquellen einzuführen sind. Diese sind „unter Berücksichtigung" eines Technischen Anhanges zu dem Protokoll sowie „unter Berücksichtigung ... der diesbezüglichen Beschlüsse, die im Rahmen des Binnen Verkehrsausschusses der Kommission [gemeint ist die ECE, Anm. Verf.] gefaßt werden," festzusetzen. Damit statuiert das Protokoll eine Berücksichtigungspflicht mit Blick auf unverbindliche Instrumentarien. Sowohl die Beschlüsse der ECE 4 6 9 als auch der Technische Anhang zu dem Protokoll entfalten nämlich zunächst keine Rechts Wirkung. Artikel 10 des Protokolls legt insofern ausdrücklich fest, daß der technische Anhang „Empfehlungscharakter" hat, auch wenn er Bestandteil des Protokolls ist. Wichtig ist diese mittelbare Rechtswirkung, die gerade dem Technischen Anhang zukommt, nicht nur was die dort geregelten Umweltschutzstandards angeht, sondern gerade deshalb, weil seine Änderung keinem nationalen Ratifikationserfordernis unterliegt. Änderungen des Technischen Anhanges werden vielmehr einvernehmlich im Exekutivorgan beschlossen und treten 30 Tage, nachdem die Annahme allen Vertragsparteien mitgeteilt wurde, in Kraft (Art. 11 Abs. 4 des Protokolls). Nach diesem Verfahren wurde z. B. während der Tagung des Exekutivorganes vom 18. bis 22. November 1991 eine Änderung des Technischen Anhanges angenommen, die Technologien zur Bekämpfung von NOx-Emissionen aus Kraftfahrzeugen betrifft. Für die Bundesrepublik trat die Änderung am 18. April 1992 in Kraft; im Bundesgesetzblatt wurde sie allerdings erst durch eine Bekanntmachung vom 26. April 1995 veröffentlicht. 470 Nochmals in seinem Umfang, insbesondere mit Blick auf technische Vorschriften, deutlich erweitert ist das Protokoll vom 19. November 1991 betreffend die Bekämpfung von Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen oder ihres 468 Protokoll zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung betreffend die Bekämpfung von Emissionen von Stickstoffoxiden oder ihres grenzüberschreitenden Flusses, BGBl. 1990 II, 1279. 469

Zu den Beschlüssen der ECE als Empfehlungen an die Mitgliedstaaten siehe Skala, Internationale Technische Regeln und Standards zum Umweltschutz, 100. 470

BGBl. 1995 II, 358.

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grenzüberschreitenden Busses. 471 Neben detaillierten Vorgaben zur Reduzierung der Luftbelastung durch flüchtige organische Verbindungen (Art. 2 Abs. 2) zeichnet auch dieses Protokoll eine rechtsdogmatisch interessante Regelungssystematik aus, die wiederum die Bedeutung eines internationalisierten technisch-administrativen Verwaltungshandelns hervorhebt. Deutlich zum Ausdruck kommt dies in den einzelnen Verpflichtungen, die sich auf die Festlegung von Grenzwerten für Emissionen von flüchtigen organischen Verbindungen aus verschiedenen Gefahrenquellen beziehen. Die Vertragsparteien sind insoweit dazu verpflichtet, für verschiedene, im einzelnen näher umschriebene Gebiete und Emissionsquellen spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten des Protokolls Grenzwerte jeweils „unter Berücksichtigung" der Anhänge I I und I I I zu dem Protokoll festzulegen (Art. 2 Abs. 3). In diesem Zusammenhang sollen die Vertragsparteien bei der Erfüllung ihrer Verpflichtung zur Festlegung von Grenzwerten „der Verringerung und Begrenzung von Emissionen von Stoffen mit dem größten photochemischen Ozonbildungspotential unter Berücksichtigung der in Anhang IV enthaltenen Informationen höchsten Vorrang ein[räumen]". Die so in Bezug genommenen Anhänge II, I I I und IV haben nach Art. 10 des Protokolls „Empfehlungscharakter". Auch hier zeigt sich also, daß unverbindlichen, inhaltlich ausgesprochen komplexen technischen Standards eine mittelbare Rechtswirkung zugesprochen wird. Ihre Bedeutung wird u. a. noch durch den von dem Protokoll vorgesehenen Überwachungsmechanismus verstärkt, der für jede Vertragspartei die Möglichkeit vorsieht, die Nichteinhaltung der Vorgaben des Protokolls durch eine andere Partei im Exekutivorgan behandeln zu lassen (Art. 3 Abs. 3). Darüber hinaus ist auch in diesem Protokoll vorgesehen, daß seine Anhänge durch Konsens der im Exekutivorgan vertretenen Vertragsparteien geändert werden und 30 Tage nach einer entsprechenden Mitteilung an alle Parteien in Kraft treten (Art. 11 Abs. 4). Dies gilt nicht nur für die mit „Empfehlungscharakter" versehenen Anhänge II, I I I und IV, sondern auch für den verbindlichen Anhang I (vgl. Art. 10). Ein nationales Ratifikationsverfahren ist auch hier nicht vorgesehen. Auch das Protokoll zu dem Übereinkommen über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung betreffend die weitere Verringerung von Schwefelemissionen vom 13. Juni 1994472 folgt dem auf eine dynamische Rechtsentwicklung hin angelegten Modell kombinierter verbindlicher und mit „Empfehlungscharakter" ausgestatteter Regelungen. Grundgedanke des Protokolls ist es, unter Anerkennung „der Notwendigkeit, eine umweltverträgliche und nachhaltige Entwicklung sicherzustellen" (Praämbel Abs. 14), die Regelungen zur Verringerung u. a. von Schwe471

BGBl. 1994 II, 2359.

472

BGBl. 1998 II, 131.

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felemissionen kontinuierlich den fortschreitenden wissenschaftlichen und technischen Kenntnissen anzupassen (Präambel Abs. 17). Die detaillierten, hier nicht näher darzustellenden Regelungen zur schrittweisen Reduzierung von Schwefelemissionen (Art. 2 Abs. 2 ff.) werden dabei von der grundlegenden Verpflichtung geleitet, u. a. sicherzustellen, „daß Depositionen von oxidierten Schwefelverbindungen, die nach dem heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstand in Anhang I als kritische Schwefeldepositionen angegebenen kritischen Einträge langfristig nicht überschreiten" (Art. 2 Abs. 1). Der genannte Anhang I hat ebenso wie der Anhang IV (Technologien zur Bekämpfung der Schwefelemissionen aus ortsfesten Quellen) wiederum „Empfehlungscharakter" (Art. 10); beide Anhänge können durch einvernehmlichen Beschluß des Exekutivorgan geändert werden, wobei allerdings die Möglichkeit des opting out besteht (Art. 11 Abs. 4). Die weiteren Anhänge II, I I I und V zu dem Protokoll sind unmittelbar verpflichtend. Sie dienen der technischen Konkretisierung der einzelnen Regelungen zur Emissions Verminderung, die in Art. 2 Abs. 2 ff. niedergelegt sind. Ihre Änderung folgt dem beschriebenen Verfahren der Änderung des Übereinkommens und der Protokolle (Art. 11 Abs. 3: Annahme durch die Vertreter der Vertragsparteien im Exekutivorgan; Inkraftreten für alle Parteien, welche die Änderung förmlich angenommen haben, sobald zwei Drittel der Parteien ihre Annahmeurkunde hinterlegt haben). Eine Modifikation dieses Verfahrens ist allerdings für Anhang I I zu dem Protokoll vorgesehen, der verbindliche Höchstmengen der Schwefelemissionen und Emissionsverringerungen festlegt. Eine „Änderung" dieses Anhanges unterfällt zwar dem beschriebenen Verfahren des Art. 11 Abs. 3, „Anpassungen" werden allerdings einvernehmlich im Exekutivorgan beschlossen und treten dann für alle Vertragsparteien ohne Einschränkung in Kraft (Art. 11 Abs. 6). Insgesamt zeigt sich damit eindrucksvoll der dynamische Charakter des Rechtsregimes zur Bekämpfung der weiträumigen grenzüberschreitenden Luftverschmutzung. Die auf den ersten Blick bescheidenen - und erst spät einsetzenden - Anfänge der Normierung durch das Übereinkommen von 1979 haben bewußt dem konzeptionellen Ansatz eines Rahmenvertrages folgend im Laufe der Zeit eine zunehmende Regelungsdichte erfahren. Sie drückt sich in den Protokollen zu dem Übereinkommen aus, die ganz maßgeblich durch die Kombination verbindlicher Handlungsverpflichtungen mit unverbindlichen, umfangreichen technischen Anhängen geprägt sind. Allerdings wurde deutlich, daß der verschiedenen Anhängen zugesprochene „Empfehlungscharakter" nicht zur Annahme einer Unverbindlichkeit per se verleiten darf. Vielmehr folgt aus den genannten Berücksichtigungspflichten der Vertragsparteien mit Blick auf die technischen Vorgaben der Anhän-

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ge zu den Protokollen eine rechtliche Einengung ihres Beurteilungsspielraums, der ihnen hinsichtlich der zu ergreifenden innerstaatlichen Maßnahmen zur Reduzierung der unterschiedlichen Luftverunreinigungen zukommt. Berücksichtigt man insofern, daß in Deutschland die maßgeblichen Rechtsvorgaben zur Emissionsbegrenzung durch Rechtsverordnung (§ 7 BImSchG) sowie durch Verwaltungsvorschriften (§ 48 Nr. 2 BImSchG, insbesondere TA-Luft) festgelegt werden und setzt dies in Beziehung zu der zentralen Aufgabe, die dem Exekutivorgan des Übereinkommens von 1979 zugewiesen ist, so zeigt sich die Kombination von nationalem und internationalem Verwaltungshandeln. Auf einer dazwischen gelagerten Ebene kommen dann noch - hierauf sei nur am Rande hingewiesen - die Vorgaben der EG-Rechts hinzu (vgl. § 48a BImSchG), zumal die EG Vertragspartei des Übereinkommens von 1979 ist. 473

b) Globaler Klimaschutz Ein über den zunächst nur nachbarrechtlich orientierten Schutz vor Luftverunreinigungen weit hinausgehendes Rechtsregime hat sich in den letzten Jahren für den globalen Klimaschutz gebildet. Das insoweit maßgebliche Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht474 nebst dem hiermit verbundenen Montrealer Protokoll 475 sowie die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen 476 kennzeichnen einige Rechtsaspekte, die sich dem internationalisierten Verwaltungshandeln zuordnen lassen. Nur auf sie soll in der folgenden Darstellung hingewiesen werden; die in sich ausgesprochen komplexen, technischen Einzelregelungen der genannten Vertragsregime sollen nicht im einzelnen nachgezeichnet werden; hierzu sei auf das einschlägige Schrifttum verwiesen. 477

473

ABl. EG 1981 L 171/13; zu dem auf die Luftreinhaltung bezogenen Gemeinschaftsrecht siehe statt vieler Koch, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II, § 49. 474

Vom 22. März 1985, BGBl. 1988 II, 902. Montrealer Protokoll über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen, v. 16. September 1987, BGBl. 1988 II, 1014, mit Änderungen und Anpassungen. 475

476

Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen v. 9. Mai 1992, BGBl. 1993 II, 1784. 477

Im Überblick zur Klimarahmenkonvention z. B. Bail, EuZW 1998, 457; ders., in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II, 233 ff. (§ 56); zur Wiener Konvention und zum Montrealer Protokoll z. B. H. W. Kraus, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II, 196 ff. (§ 54); Ott, Umweltregime im Völkerrecht, 57 ff. und passim.

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Die Wiener Konvention zum Schutz der Ozonschicht ist als Rahmenübereinkommen konzipiert und enthält dementsprechend kaum konkrete Rechtsregeln, die einzelne Pflichten der Vertragsparteien begründen. Angesichts der politischen und wissenschaftlich-technischen Probleme, die mit ihrer Regelungsmaterie verbunden sind, zielt die Konvention darauf ab, ein sich dynamisch fortentwickelndes Rechtsregime zu konstituieren, das im Laufe der Zeit immer konkretere Rechtsregeln mit Blick auf den Schutz der Ozonschicht hervorbringt. 478 In der Wiener Konvention kommt dies in verschiedenen materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Regelungen zum Ausdruck. Materiellrechtlich sind die Vertragsparteien verpflichtet, immer dann geeignete Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen zu ergreifen, wenn sich erweist, daß einzelne menschliche Tätigkeiten zu einer Veränderung der Ozonschicht und hieraus resultierenden schädlichen Auswirkungen führen (Art. 2 Abs. 2 lit. b)). Diese allgemeine Verpflichtung wird durch zahlreiche prozedurale Regelungen ergänzt, die im Kern darauf abzielen, durch internationale Kooperation den wissenschaftlich-technischen Erkenntnisstand über die Schädigung der Ozonschicht zu erhöhen (vgl. z. B. Art. 2 Abs. 2 lit. a) und Art. 3 bis 5). Um die so gewonnenen Erkenntnisse auf internationaler Ebene in rechtliche Regelungen fassen zu können, konstituiert die Konvention die Konferenz der Vertragsparteien als Organ des Vertrages (Art. 6 Abs. 1). Der regelmäßig tagenden Konferenz kommt die Aufgabe zu, gleichsam als Motor der Rechtsentwicklung alle notwendigen formellen und informellen, rechtlichen und tatsächlichen Schritte einzuleiten, die für eine sich stetig intensivierende Fortentwicklung der Konvention notwendig sind (vgl. den ausführlichen Aufgabenkatalog in Art. 6 Abs. 4). In rechtlicher Hinsicht sieht die Konvention schließlich ein detailliertes Verfahren für die Änderung des Übereinkommens und für die Annahme von Protokollen vor (Art. 8 f.). Zuständiges Organ für entsprechende Rechtssetzungsakte ist die Konferenz der Vertragsparteien. Sie entscheidet durch Konsens, und wenn dieser nicht erreicht werden kann, durch Dreiviertel- (bei Änderungen des Übereinkommens) bzw. Zweidrittelmehrheit (bei Änderungen von Protokollen) (Art. 9 Abs. 3 und 4). Die Änderungen treten für alle Vertragsparteien, die sie förmlich angenommen haben, in Kraft, wenn mindestens drei Viertel (bzgl. des Übereinkommens) bzw. zwei Drittel der Vertragsparteien (bzgl. der Protokolle) ihre formelle Ratifikation, Genehmigung oder Annahme notifiziert haben (Art. 9 Abs. 5). Durch dieses Verfahren wird im Sinne einer erleichterten und dynamischen Rechtsentwicklung von dem ansonsten im Völkerrecht üblichen Verfahren der 478 Hierzu auch Ott, Umweltregime im Völkerrecht, 57 ff. und passim; sowie bereits supra Teil 5, A. I. 3.

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Annahme des authentischen und endgültigen Vertragstextes durch alle Parteien abgewichen, da es keiner förmlichen - und üblicherweise zeremoniellen - Unterzeichnung bedarf und eine Mehrheitsentscheidung über die Annahme ergehen kann. 479 Als sichtbarer Erfolg des auf eine dynamische Rechtsentwicklung angelegten Konzeptes der Wiener Konvention wurde am 16. September 1987 das Montrealer Protokoll angenommen. Es enthält ausführliche Regelungen zur Kontrolle von ozongefährdenden Stoffen. Diese werden in dem Protokoll selbst anhand ihrer chemischen Obergruppen behandelt. Dort ist auch im einzelnen geregelt, welche Verbrauchs- und Produktionsreduktionen innerhalb welcher Zeitspanne durchzuführen sind. In Anhängen zu dem Protokoll finden sich dann die entsprechenden konkreten Stoffe unter Bezeichnung ihres jeweiligen Ozonabbaupotentials.480 Von besonderem Interesse ist mit Blick auf diese Verpflichtungen aus dem Montrealer Protokoll das für sie anwendbare Anpassungsverfahren. Nach Art. 2 Abs. 9 des Protokolls erfolgen notwendige Anpassungen der in den Anhängen genannten Ozonabbaupotentiale sowie Anpassungen und Verminderungen der Produktion und des Verbrauchs der geregelten Stoffe durch Beschlußfassung der Vertragsparteien. Der Beschluß soll dabei nach Möglichkeit durch Konsens ergehen. Ist dies nicht möglich, kann mit einer Zweidrittelmehrheit der anwesenden und abstimmenden Parteien entschieden werden, wobei allerdings jeweils eine Zweidrittelmehrheit der Entwicklungsländer und eine Zweidrittelmehrheit der anderen Staaten gegeben sein muß. 481 Die so ergangenen Beschlüsse sind eo ipso und ohne die Möglichkeit des opting out für alle Vertragsparteien bindend (Art. 2 Abs. 9 lit. d)), so daß eine durch Mehrheitsbeschluß mögliche, verbindliche völkerrechtliche Rechtssetzung vorliegt. Daher muß es auch verwundern, daß zwei der bislang erfolgten Anpassungen des Montrealer Protokolls nach dem Verfahren seines Art. 2 Abs. 9 in Deutschland in ein Zustimmungsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG aufgenommen wurden, obwohl zum Zeitpunkt der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften die völkerrechtliche Bindungswirkung für die Bundesrepublik Deutschland schon lange eingetreten war. 482 Eine Erklärung für dieses, der ratio 479

Vgl. Art. 10 lit. b) Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge; hierzu im Hinblick auf die Wiener Konvention auch Ott, Umweltregime im Völkerrecht, 152 f. 480 Ausführlich H. W. Kraus, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II, § 54 Rdnr. 10 ff. 481 482

Zu diesem Verfahren ausführlich auch Ott, Umweltregime im Völkerrecht, 155 ff.

Gesetz zu der am 25. November in Kopenhagen beschlossenen Änderung und den am 25. November 1992 beschlossenen Anpassungen zum Montrealer Protokoll vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen, v. 6. Dezember 1993, BGBl. 1993 II, 2182; Gesetz zu der am 29. Juni 1990 beschlossenen Änderung und

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des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG widersprechende Verfahren findet sich in den Gesetzesentwürfen der Bundesregierung und ihren Denkschriften hierzu nicht. 483 Insgesamt zeigt sich damit schon an diesen wenigen Hinweisen auf die rechtlichen Strukturen des Wiener und des Montrealer Vertrages zum Schutz der Ozonschicht, daß ein hochentwickeltes, auf der Erkenntnis von der Notwendigkeit einer universellen Verrechtlichung der Schutzbemühungen aufbauendes Vertragsregime entstanden ist. Es zeichnet sich durch den hohen Grad an technischer Komplexität, seinen dynamischen Charakter sowie verschiedene Rechtsinstrumente zur flexiblen Vertragsmodifikation aus. Ergänzt werden diese materiellen Aspekte durch eine ebenso komplexe - hier nicht weiter dargestellte - institutionelle Struktur, in der sich Elemente rechtssetzender, vollziehender und quasi judikativer Funktionen finden. 484 Da die einzelnen technischen Verpflichtungen aus dem Montrealer Protokoll innerstaatlich zumeist durch Rechtsverordnung umgesetzt werden, 485 ist so ein interessantes Modell einer kombinierten internationalen und nationalen Umweltschutzverwaltung entstanden. Ein auf das Zusammenwirken internationaler und nationaler Verwaltungen abzielendes Rechtsregime zum globalen Klimaschutz stellt auch die Klimaschutzrahmenkonvention in Verbindung mit dem sogenannten Kyoto-Protokoll dar. 486 Diese Verträge befassen sich in ihrem inhaltlichen Anwendungsbereich mit der Begrenzung von Treibhausgasen, insbesondere C 0 2 , die nicht von der Wiener Konvention und dem Montrealer Protokoll geregelt sind. Auch die Klimaschutzkonvention ist als Rahmenübereinkommen konzipiert und enthält daher nur wenige konkrete materielle Rechtsverpflichtungen. Ausführlich geregelt sind jedoch die Verpflichtungen der Vertragsparteien, die sich auf eine dynamische Fortentwicklung der nationalen und der internationalen Maßnahmen zum Klimaschutz beziehen (Art. 4). Neben der allgemeinen Verpflichtung, nationale Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen, ist hierbei ein genau definierter Prozeß zur Fortentwicklung der völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Klimaschutz vorgesehen. Er findet, den am 29. Juni 1990 beschlossenen Anpassungen zum Montrealer Protokoll vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen, v. 16. Dezember 1991, BGBl. 1991 II, 1331. 483 Zu den Gesetzesentwürfen und Denkschriften siehe BT-Drucks. 12/5977 v. 27.10.1993; BT-Drucks. 12/1232 v. 1.10.1991. 484

Hierzu ausführlich Ott, Umweltregime im Völkerrecht, 111 ff. m. w. N.

485

Siehe insbesondere die Verordnung zum Verbot von bestimmten die Ozonschicht abbauenden Halogenkohlenwasserstoffen (FCKW-Halon-Verbots-Verordnung) v. 6. Mai 1991, BGBl. 1991 I, 1090; hierzu ausführlich H. W. Kraus, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II, § 54 Rdnr. 32 ff. 486

Ausführlich hierzu Bail, EuZW 1998,457 ff.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

nach der Konzeption des Übereinkommens, auf der Grundlage periodischer Berichte der Vertragsparteien im Rahmen der jährlich abzuhaltenden Konferenz der Vertragsparteien statt (vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. d) i. V. m. Art. 7). Die Konferenz der Vertragsparteien wird in ihrer Arbeit durch das Sekretariat des Übereinkommens (mit Sitz in Bonn) (Art. 8), ein Nebenorgan für wissenschaftliche und technologische Beratung (Art. 9) sowie den sogenannten Implementierungsausschuß (Art. 10) unterstützt. Der Implementierungsausschuß setzt sich aus Staaten Vertretern zusammen, die über besondere Sachkenntnisse in Klimafragen verfügen (Art. 10 Abs. 1), wodurch seine technisch-administrative Ausrichtung deutlich wird. Bei der Weiterentwicklung des Rechtsregimes zum Schutz des Klimas sind die Vertragsparteien u. a. an das Prinzip intergenerativer Gerechtigkeit, an das Vorsorgeprinzip, an das Prinzip nachhaltiger Entwicklung sowie an das Kooperationsprinzip gebunden (vgl. Art. 3). Zur rechtlichen Realisierung der Ergebnisse des verpflichtenden Rechtsfortbildungsprozesses sieht das Rahmenübereinkommen neben der Möglichkeit zahlreicher technisch-administrativer, unverbindlicher Beschlüsse und Maßnahmen der Konferenz der Vertragsparteien ein Verfahren zur Modifikation des Übereinkommens vor. Die Änderung des Übereinkommens selbst (vgl. Art. 15) kann durch Konsens bzw., wenn dieser nicht erreicht werden kann, durch Dreiviertelmehrheit in der Konferenz der Vertragsparteien beschlossen werden, bedarf dann aber noch der einzelstaatlichen Zustimmung in der Form der Ratifikation oder eines anderen Zustimmungsaktes (Art. 15 Abs. 3 f.). Ein vereinfachtes Annahme- und Änderungsverfahren ist jedoch für die Anlagen des Übereinkommens vorgesehen. Hier erfolgt die Annahme oder Änderung einer Anlage, die auf „Listen, Formblätter und andere erläuternde Materialien wissenschaftlicher, technischer, verfahrensmäßiger oder verwaltungstechnischer Art beschränkt [sind]" (Art. 16 Abs. 1), zunächst ebenfalls durch Konsens oder Dreiviertelmehrheitsvotum der Konferenz der Vertragsparteien. Die angenommene oder geänderte Anlage tritt dann jedoch für alle Vertragsparteien in Kraft, ohne daß es einer einzelstaatlichen Ratifikation oder sonstigen Zustimmung bedarf. Insofern besteht nur die Möglichkeit des expliziten opting out (Art. 16 Abs. 3). Wie vorgesehen, wurde das Rechtsregime des Rahmenübereinkommens zwischenzeitlich weiterentwickelt, und zwar durch das am 10. Dezember 1997 von der Konferenz der Vertragsparteien angenommene sogenannte Kyoto-Protokoll. 487 Das Protokoll enthält als zentrale Vorschrift die Verpflichtung der im einzelnen 487

Kyoto Protocol to the United Nations Framework Convention on Climate Change (noch nicht in Kraft), abgedruckt in: I L M 37 (1998), 32 ff.; hierzu ausführlich Bail, EuZW 1998,457 (460 ff.).

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aufgeführten industrialisierten Staaten (einschließlich der Reformstaaten des ehemaligen Ostblocks), eine jeweils genau definierte Reduzierung von Emissionen von C 0 2 , CH, N 2 0 , H-FKW, FKW sowie SF6 vorzunehmen (Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Anhang A und Anhang B). Genaue Vorgaben dazu, wie die so konkretisierten Verpflichtungen zu erfüllen sind, enthält das Protokoll nicht. Es verweist vielmehr auf einen beispielhaften Katalog von legislativen und administrativen Maßnahmen zur Emissionsreduzierung, überläßt den Vertragsparteien aber im übrigen die Wahl der Mittel (vgl. Art. 2 Abs. 2). 4 8 8 Um die Erfüllung der so statuierten finalen Verpflichtungen der Vertragsparteien 489 sicherzustellen, sieht das Protokoll ein detailliertes nationales Berechnungs- (Art. 5) sowie ein internationales Informationsübermittlungs- und Bewertungsverfahren vor (Art. 7 ff.). Die jährlich von den Parteien zu übermittelnden Informationen werden durch ein Expertengremium bewertet (Art. 8) und anschließend von der Konferenz der Vertragsparteien diskutiert (Art. 8 Abs. 5). Dabei steht der Konferenz die Kompetenz zu, alle insoweit notwendigen Beschlüsse zu fassen (Art. 8 Abs. 6), sowie insgesamt - als Rechts Verpflichtung - das Protokoll im Lichte „der besten vorhandenen wissenschaftlichen Informationen über den Klimawandel und deren Auswertung, einschließlich technischer, sozialer und wirtschaftlicher Informationen über die Auswirkungen des Klimawandels" zu überprüfen (Art. 9 Abs. 1). Notwendige Änderungen oder Neufassungen des Protokolls und seiner Anlagen werden dann im Rahmen eines Verfahrens beschlossen, das sich an das bereits für die Rahmenkonvention beschriebene Verfahren anlehnt (Art. 19 f.). Auch hier ist - mit Ausnahme der Anhänge A und B - vorgesehen, daß von der Konferenz der Vertragsparteien für alle Parteien verbindliche Entscheidungen zu den Anhängen ergehen und insoweit nur die Möglichkeit des opting out besteht (Art. 20 Abs. 5). Das Kyoto-Protokoll zeigt damit nochmals die Kombination nationaler und internationaler Umweltverwaltung zum Schutz des Klimas. Auf internationaler Ebene steht der Konferenz der Vertragsparteien und verschiedenen technischen Nebenorganen die Rechtsmacht zu, die einzelnen Verpflichtungen aus dem Protokoll zu konkretisieren, zu überprüfen und ggf. - mit Blick auf einzelne Anhänge - zu modifizieren. Auf nationaler Ebene sind die so statuierten finalen Verpflichtungen unter Anerkennung eines einzelstaatlichen Beurteilungsspielraumes umzusetzen. Diese Verpflichtung trifft die EG sowie in Deutschland

488 489

Bail, EuZW 1998,457 (460).

Zu den weiteren Verpflichtungen und Rechten mit Blick auf die Verpflichtungserfüllung siehe ausführlich Bail, EuZW 1998, 457 (460 ff.).

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

insbesondere die Exekutive im Rahmen des Erlasses einschlägiger Verordnungen zum BImSchG sowie sonstiger Maßnahmen zum Klimaschutz. 490

3. Vitaler Umweltschutz Auch im Bereich des vitalen Umweltschutzes hat sich in den letzten Jahrzehnten ein umfangreiches internationales Umweltschutzrecht herausgebildet. Ebenso wie für die Umweltmedien Wasser und Luft bereits dargestellt, sind die rechtlich gefaßten Schutzbemühungen auch hier in weiten Teilen auf internationale und internationalisierte nationale Verwaltungshandlungen ausgerichtet. Exemplarisch läßt sich dies an dem Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen (Washingtoner Artenschutzübereinkommen - CITES) 491 verdeutlichen; auf weitere Völkervertragsregime zum vitalen Umweltschutz, die ihrer Struktur nach gewisse Parallelen zum Washingtoner Übereinkommen aufweisen, sei insofern nur hingewiesen.492 Allerdings ist hervorzuheben, daß der vitale Umweltschutz durch das Übereinkommen über die biologische Vielfalt vom 5. Juni 1992 493 eine deutliche, über die rein zwischenstaatliche Schutzdimension hinausgehende Erweiterung erfahren hat. Das Übereinkommen erfaßt erstmals auf universeller Ebene auch den innerstaatlichen Ressourcenschutz im Sinne der Bewahrung eines globalen Umweltgutes. 494 Damit hat das Überein-

490 Zu den Maßnahmen der EG, die Vertragspartei der Klimaschutzrahmenkonvention ist (ABl. EG 1994 L 33/11), und zu den Maßnahmen in der Bundesrepublik Deutschland siehe ausführlich Bail, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II, § 56 Rdnr. 79 ff. und Rdnr. 98 ff.; Kloepfer, Umweltrecht, § 14 Rdnr. 14 ff. 491

Vom 3. März 1973, BGBl. 1975 II, 773.

492

Siehe insbesondere: Europäisches Übereinkommen über den Schutz von Tieren beim internationalen Transport v. 13. Dezember 1968, BGBl. 1973 II, 722, geändert durch Protokoll v. 10. Mai 1979, BGBl. 1980 II, 1154; Ramsar Übereinkommen über Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung, insbesondere als Lebensraum für Wasser- und Wattvögel, v. 2. Februar 1971, BGBl. 1976 II, 1265; Übereinkommen zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten v. 23. Juni 1979, BGBl. 1984 II, 569; Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume v. 19. September 1979, BGBl. 1984 II, 618; Europäisches Übereinkommen über den Schutz von Schlachttieren v. 10. Mai 1979, BGBl. 1983 II, 771; Europäisches Übereinkommen über den Schutz von Heimtieren v. 13. November 1987, BGBl. 1991 II, 403; im Überblick auch Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 57 Rdnr. 70 ff.; Maffei, GYIL 36 (1993), 131 ff. 493

BGBl. 1993 II, 1741

494

Ausführlich zu dem gesamten Themenkomplex Maffei,

GYIL 36 (1993), 131 ff.

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kommen zahlreiche Folgewirkungen für die innerstaatliche Rechtsordnung, u. a. das innerstaatliche Umweltverwaltungsrecht, wobei allerdings ein weiter Beurteilungsspielraum hinsichtlich der zu ergreifenden nationalen Maßnahmen besteht. Mit Blick auf den ohnehin schon gegebenen, gegenwärtigen Normenbestand im deutschen Bundes- und Landesnaturschutzrecht ergeben sich daher zunächst keine zusätzlichen Handlungspflichten, 495 auch wenn das Übereinkommen über die biologische Vielfalt nunmehr als rechtlicher Bewertungsmaßstab im Einzelfall natürlich mit zu berücksichtigen ist. Das durch das Washingtoner Abkommen begründete Rechtsregime ist aus Sicht der deutschen Rechtsordnung zunächst dadurch gekennzeichnet, daß seine Regelungsinhalte nahezu umfassend durch das europäische Gemeinschaftsrecht mit Anwendungsvorrang vor dem innerstaatlichen Recht determiniert werden. Die Gemeinschaft hat insoweit den materiellen Rechtsbestand des Washingtoner Artenschutzabkommens umfassend in die Gemeinschaftsrechtsordnung übernommen, ohne allerdings selbst Vertragspartei des Abkommens zu sein. 496 Damit trifft die Bundesrepublik Deutschland weiterhin die völkerrechtliche Verpflichtung zur Beachtung des Abkommens, auch wenn die von ihr konkret zu ergreifenden Maßnahmen vom Gemeinschaftsrecht bestimmt werden. 497 Da die Regelungen des Artenschutzabkommens weitgehend durch innerstaatliches behördliches Handeln vollzogen werden und auf EG-Ebene der Kommission eine weitreichende Rechtssetzungsbefugnis mit Blick auf das einschlägige sekundäre Gemeinschaftsrecht zusteht,498 ergibt sich so eine interessante Kombination des internationalen, europäischen und nationalen Umweltverwaltungsrechts. Die vertraglichen Verpflichtungen aus dem Washingtoner Artenschutzabkommen zielen im Kern auf Handelsverbote und Handelsbeschränkungen für vom Ausrotten bedrohte und sonstige gefährdete Tierarten ab. Dazu ist im einzelnen 495 Hierzu mit Blick auf zahlreiche Regelungen des deutschen Umweltverwaltungsrechts Wolfrum/Stoll, Der Zugang zu genetischen Ressourcen nach dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt und dem deutschen Recht, 53 ff.; Denkschrift der Bundesregierung zu dem Übereinkommen, BT-Drucks. 12/4473,39 ff.; Kloepfer, Umweltrecht, § 11 Rdnr. 99; insgesamt umfassend zu dem Übereinkommen Henne, Genetische Vielfalt als Ressource, passim; Maffei, GYIL 36 (1993), 131 (156 ff.) m. w. N. 496 Maßgeblich ist in erster Linie die Artenschutz-Verordnung Nr. 338/97, ABl. EG 1997 L 61/1; umfassend hierzu und insgesamt zum europäischen Artenschutzrecht Gellermann, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II, § 79 Rdnr. 53 ff. 497 498

Siehe auch Vedder, RIW 1985, 18 (19 f.).

Einzelheiten bei Gellermann, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II, § 79 Rdnr. 55.

6

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

detailliert vorgeschrieben, daß Ein-, Ausfuhr- und Wiedereinfuhrgenehmigungen für den Handel mit den betroffenen Tierarten erforderlich sind und unter welchen formellen und materiellen Voraussetzungen die jeweiligen Genehmigungen erteilt werden dürfen bzw. zu versagen sind (Art. III—VI). 499 Die insoweit erfaßten Tierarten sind in Anhang I (von der Ausrottung bedrohte Arten) und Anhang I I (sonstige gefährdete Arten) zu dem Abkommen aufgelistet. Die Anhänge können durch Zweidrittelmehrheit von der Konferenz der Vertragsparteien geändert werden 500 und treten dann 90 Tage später für alle Vertragsparteien in Kraft, soweit eine einzelne Vertragspartei nicht innerhalb dieser Frist von der Möglichkeit des opting out Gebrauch gemacht hat (Art. X V Abs. 1). Die innerstaatliche Inkraftsetzung der geänderten Anhänge erfolgt in der Regel durch Verordnung der EGKommission; 501 ergänzend anzuwenden ist die auf Ermächtigungen nach den §§20 ff. BNatSchG beruhende Bundesartenschutzverordnung, 502 die in ihrer Anlage 1 ebenfalls den aktuellen Bestand der geschützten und vom Aussterben bedrohten Arten auflistet. Darüber hinaus regelt das BNatSchG detailliert die für die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem EG-Recht und dem Washingtoner Abkommen notwendigen Verwaltungszuständigkeiten, die Mitwirkungspflichten und -rechte der Zollbehörden, das Verfahren bei der Ein- und Ausfuhr sowie die Beschlagnahme und Einziehung (vgl. §§ 21c ff. BNatSchG). Auf Bundesebene ist das Bundesamt für Naturschutz 503 als selbständige Bundesoberbehörde für die 499

Ausführliche Darstellung bei Bendomir-Kahlo, CITES - Washingtoner ArtenschutzÜbereinkommen, 63 ff. 500

Das gilt auch für die Änderung des Abkommens, wobei allerdings - wie üblich - eine ausdrückliche urkundliche Annahme der entsprechenden Änderung durch jede individuelle Vertragspartei vorgesehen ist (vgl. Art. X V I I Abs. 3). In der Bundesrepublik erfolgt die damit notwendige Annahme nicht zwingend durch Ratifikation mit Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG. Eine im Verfahren des Art. X V I I des Abkommens beschlossene Änderung seines Art. X I Abs. 3 wurde von der Bundesregierung ohne Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften angenommen und trat dementsprechend in Kraft; siehe die Bekanntmachung über den Geltungsbereich des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen und über das Inkrafttreten der Änderung seines Artikels X I v. 18. August 1995, BGBl. 1995 II, 771. Die im Jahre 1995 bekannt gemachte Änderung trat für die Bundesrepublik bereits am 13. April 1987 in Kraft. Inhaltlich betrifft sie eine Ausweitung der Kompetenz der Konferenz der Vertragsparteien dahingehend, auch Finanzbestimmungen treffen zu können. 501 Gellermann, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II, § 79 Rdnr. 55 m. w. N. 502

In der Fassung der Bekanntmachung v. 18. September 1989, BGBl. 19891,2011, mit Änderungen; zur Rechtslage auch Kloepfer, Umweltrecht, § 11 Rdnr. 86 ff. m. w. N. 503

Gesetz über die Errichtung eines Bundesamtes für Naturschutz v. 6. August 1993, BGBl. 1993 I, 1458.

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nach dem Washingtoner Abkommen notwendigen Vollzugsaufgaben zuständige Behörde (§ 21c Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG i. V. m. Art. I X Abs. 1 Washingtoner Abkommen); soweit es um den direkten Verkehr mit anderen Vertragsparteien und mit dem Sekretariat des Abkommens geht, ist das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zuständig (§ 21c Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG i. V. m. Art. I X Abs. 2 Washingtoner Abkommen). Hinsichtlich der sich auf internationaler Ebene vollziehenden exekutiven Maßnahmen nach dem Washingtoner Abkommen ist neben dem bereits angesprochenen Änderungsverfahren für die Anhänge darauf hinzuweisen, daß sich für den Vertrag eine komplexe institutionelle Struktur entwickelt hat. Zusätzlich zu der Konferenz der Vertragsparteien (Art. X I des Abkommens) und dem Sekretariat des Abkommens (Art. XII) existieren durch Beschluß der Vertragsparteien eingesetzt ein ständiger Ausschuß sowie verschiedene Fachausschüsse, Unterausschüsse und Arbeitsgruppen. 504 Die Aufgabe der einzelnen Ausschüsse und Arbeitsgruppen besteht u. a. darin, im Rahmen einer kontinuierlichen Arbeit zwischen den zweijährig stattfindenden Konferenzen der Vertragsparteien wissenschaftlichtechnische und rechtliche Fragen aufzuarbeiten, die dann zu einer entsprechenden Empfehlung der Konferenz führen können. Insoweit sieht Art. X I Abs. 3 lit. e) Washingtoner Artenschutzabkommen vor, daß die Konferenz der Vertragsparteien „Empfehlungen zur Erhöhung der Wirksamkeit dieses Übereinkommens aussprechen kann". Von dieser Möglichkeit zur Abgabe prima facie unverbindlicher Empfehlungen hat die Konferenz regen Gebrauch gemacht. Sie betreffen neben institutionell-organisatorischen Fragen im Schwerpunkt zahlreiche materielle Aspekte, die auf eine Konkretisierung der Regelungen des Abkommens abzielen, um so eine fortschreitende Harmonisierung der nationalen Durchführungsmaßnahmen zu erreichen. 505 Auch wenn den Empfehlungen zunächst entsprechend allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen eine Rechtsbindungswirkung nicht zugesprochen werden kann, sind doch Anhaltspunkte dafür gegeben, daß ihre Autorität deutlich höher einzustufen ist, als dies normalerweise mit Blick auf Resolutionen sonstiger internationaler Institutionen der Fall ist. Dies kommt zunächst in einer deutlichen Formalisierung der Empfehlungen 506 sowie in der Tatsache zum Ausdruck, daß die Konferenz der Vertragsparteien zwischen „resolutions" und „decisions" differenziert, ohne daß sich hierfür im Vertrag selbst Anhaltspunkte fin-

504

Hierzu im Überblick Ott, Umweltregime im Völkerrecht, 104 f.; ausführlich zur Praxis Wijnstekers, The Evolution of CITES, 440 ff. 505

Zu Einzelheiten siehe Bendomir-Kahlo, CITES - Washingtoner Artenschutzübereinkommen, 135 ff. 506

Bendomir-Kahlo, CITES - Washingtoner Artenschutzübereinkommen, 153.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

den. 507 Weiterhin zu beachten ist, daß auf der sechsten Konferenz der Vertragsparteien die Verfahrensregeln der Konferenz dahingehend geändert wurden, daß Empfehlungen, anstatt wie bis dahin üblich durch einfache Mehrheitsentscheidung, mit Zweidrittelmehrheit angenommen werden, um ihnen so eine höhere Autorität zu verleihen. 508 Vorgesehen ist auch, daß zeitlich oder inhaltlich überholte Empfehlungen förmlich aufgehoben werden. 509 Schließlich bestimmt die Entscheidung 10.13, die auf der neunten Konferenz der Vertragsparteien angenommen wurde, daß ,,[t]he recommendations contained in Resolutions and Decisions adopted by the Conference of the Parties shall be effective from the date on which they are sent by Notification to the Parties at the latest, unless otherwise specified in the recommendation concerned". In der nachfolgenden Entscheidung 10.14 heißt es dann: „Their implementation by the individual Parties is subject to the procedures required under their national legislation". 510 Nimmt man diese Aspekte zusammen, zeigt sich, daß die Vertragsparteien den Empfehlungen der Konferenz offensichtlich eine hohe Autorität zumessen, die von einer tatsächlichen Rechtsbindung kaum zu unterscheiden ist. Anders ist es nicht zu erklären, daß insbesondere ein förmliches Aufhebungsverfahren für Empfehlungen vorgesehen ist und daß spezifische Regelungen für das Wirksamwerden und die innerstaatliche Umsetzung getroffen wurden. 511 Das Washingtoner Artenschutzabkommen verdeutlicht damit geradezu idealtypisch, wie sich eine internationalisierte Umweltverwaltung im Zusammenspiel der völkerrechtlichen, gemeinschaftsrechtlichen und innerstaatlichen Ebene konstituiert: Das Abkommen selbst zielt bewußt auf die innerstaatlichen behördlichen Verfahren ab, die zum Artenschutz notwendig sind. Dementsprechend fällt auch die innerstaatliche Zuständigkeit zur Durchführung des Abkommens sowie zur Umsetzung seiner wesentlichen Vorgaben in die Zuständigkeit der Exekutive, und zwar sowohl in der nationalen Rechtsordnung als auch im Gemeinschaftsrecht. Darüber hinaus werden die allgemeinen Bestimmungen des Abkommens hinsichtlich technisch-administrativer Einzelfragen mit dem Ziel einer fortschreitenden Harmonisierung der innerstaatlichen Durchführung im Rahmen eines vereinfachten Verfahrens zur Änderung der Anhänge, durch eine intensive institutionelle Fortentwicklung des Vertragsregimes sowie durch Entscheidungsverfahren, deren 507 Diese Praxis findet sich insbesondere seit der neunten Konferenz der Vertragsparteien, siehe Wijnstekers, The Evolution of CITES, 317. 508

Wijnstekers,

509

Bendomir-Kahlo, CITES - Washingtoner Artenschutzübereinkommen, 154.

510

Abgedruckt bei: Wijnstekers,

511

The Evolution of CITES, 320. The Evolution of CITES, 320.

Im Ergebnis ähnlich Bendomir-Kahlo, CITES - Washingtoner Artenschutzübereinkommen, 157, die von einer „hohen Autorität" spricht.

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Ergebnisse sich von einer Rechtsbindung i. S. d. klassischen völkerrechtlichen Rechtsquellenlehre kaum unterscheiden lassen, fortlaufend konkretisiert.

4. Aspekte eines internationalisierten

integrierten

Umweltschutzes

Auch im Bereich des medienübergreifenden integrierten Umweltschutzes512 lassen sich Entwicklungen auf der internationalen Ebene aufzeigen, die eine unmittelbare Bedeutung für ein internationalisiertes Umweltverwaltungsrecht haben. Rechtlicher Ausgangspunkt des international geprägten integrierten Umweltschutzes ist dabei das Konzept nachhaltiger Entwicklung, das in seiner zeitlichen und sachgegenständlichen Dimension den Umweltschutz in einem umfassenden Sinne erfaßt. Zwei aktuelle Entwicklungen verdeutlichen dabei beispielhaft, wie sich dieses Konzept im internationalisierten Umweltverwaltungsrecht niederschlägt: Als erstes Beispiel eines internationalisierten integrierten Umweltschutzes sei auf die intensiven Aktivitäten auf kommunaler Ebene zur Realisierung der Lokalen Agenda 21 hingewiesen. Das Konzept der Lokalen Agenda 21 hat seine Grundlage in der auf der Rio-Konferenz für Umwelt und Entwicklung verabschiedeten Agenda 21. Auch wenn dieser Aktionsplan zunächst keinen rechtsverbindlichen Charakter hat, 513 ist sein tatsächlicher Einfluß auf die Gestaltung der internationalen und nationalen Bemühungen zum Schutz der Umwelt nicht gering. 514 In Deutschland zeigt sich dies u. a. an den zwischenzeitlich zahlreichen Aktivitäten, die von Kommunen mit Blick auf die Lokale Agenda 21 initiiert wurden. Die sogenannte Lokale Agenda 21 ist als Kapitel 28 Bestandteil der Agenda 21. 515 In ihr wird den Kommunen („local authorities") eine zentrale Rolle im Prozeß der Verwirklichung der Agenda 21 zugewiesen. Die Kommunen werden insoweit aufgefordert, eine Lokale Agenda 21 zu entwickeln, in der die Initiativen auf kommunaler Ebene zur Realisierung eines nachhaltigen Umweltschutzes niederzulegen sind. 516 In der Bundesrepublik hatten zu Beginn des Jahres 2000 ca. 512

Zur Begriffs Vielfalt und zahlreichen rechtlichen Aspekten umfassend Di Fabio, N V w Z 1998, 329 ff. m. w. N.; aus völkerrechtlicher Perspektive Beyerlin, Umweltvölkerrecht, Rdnr. 448 ff. 513

Statt vieler Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, vor § 57 Rdnr. 11.

514

Zur Bedeutung der Agenda 21 und von sonstigem „soft law" im Umweltvölkerrecht statt vieler Beyerlin, Umweltvölkerrecht, Rdnr. 134 ff.; ders./Marauhn, Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung im Umweltvölkerrecht nach der Rio-Konferenz 1992, 7 ff. m. w. N.; zur Umsetzung der Agenda 21 in der Staatenpraxis Rest, AVR 34 (1996), 145 ff. 515 516

Abgedruckt in: Johnson (Hrsg.), The Earth Summit, 423 ff. Statt vieler hierzu Hermanns, Aus Politik und Zeitgeschichte BlO-11/2000, 3 ff.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

1.300 Städte und Gemeinden durch Beschluß ihrer jeweiligen Vertretungsorgane eine Lokale Agenda 21 angenommen.517 Ohne hier auf weitere Einzelheiten zu den Aktionsprogrammen eingehen zu wollen, zeigt sich damit das Zusammenspiel von Umweltschutzaktivitäten auf internationaler Ebene und konkreten Verwaltungsmaßnahmen im kommunalen Bereich. Die allgemeine Tendenz in der Bundesrepublik, die Kommunen als wesentliche Akteure im Umweltschutz wahrzunehmen und so zu einer Rückbesinnung auf die Notwendigkeit einer Lokalisierung von Umweltschutzanstrengungen zu kommen, 518 ist damit u. a. auf Entwicklungen auf internationaler Ebene zurückzuführen. Für die konkrete Verwaltungstätigkeit der Kommunen bedeutet dies, daß sich ihre Arbeit im Umweltschutzbereich u. a. an den internationalen Vorgaben der Agenda 21 ausrichtet, auch wenn eine Rechtspflicht hierzu nicht besteht. Für die kommunale Praxis ist dies eine große Herausforderung, und zwar sowohl mit Blick auf die kommunale Verwaltung selbst als auch hinsichtlich der nationalen und internationalen Koordination entsprechender Maßnahmen.519 Insgesamt liegt damit ein wesentlicher Beitrag internationalisierter kommunaler Praxis 520 vor. Auf ganz anderer Ebene anzusiedeln ist das zweite Beispiel für einen sich internationalisierenden integrativen Umweltschutz. Hierbei handelt es sich um in der Verwaltungsrechtswissenschaft immer wichtiger werdende Standardisierungsarbeiten durch private Expertengremien, die der Harmonisierung des produkt- und produktionsbezogenen Umweltschutzes dienen. 521 In zwei Bereichen des internationalisierten Umweltverwaltungsrechts tritt dies deutlich zutage, und zwar mit Blick auf das Umweltaudit sowie hinsichtlich des Einsatzes sogenannter Umweltzeichen. Das seit einiger Zeit im Umweltverwaltungsrecht intensive Aufmerksamkeit erfahrende Umweltaudit 522 beruht auf der entsprechenden EG-Verordnung hierzu (Öko-Audit-Verordnung) 523 sowie auf dem Umweltauditgesetz (UAG). 5 2 4 Die in-

517

Hermanns, Aus Politik und Zeitgeschichte BlO-11/2000, 3 (5).

518

Hierzu Kloepfer,

Umweltrecht, § 3 Rdnr. 103 m. w. N.

519

Zu einer Beschreibung der Inhalte der Aktionsprogramme sowie zu Hinweisen auf die nationalen und internationalen Koordinationsmaßnahmen siehe Hermanns, Aus Politik und Zeitgeschichte B10-11/2000, 3 ff. 520

Hierzu umfassend aus empirischer Sicht Wessels, Die Öffnung des Staates, 261 ff.

521

Zu diesem Phänomen statt vieler Di Fabio, Produktharmonisierung durch Normung und Selbstüberwachung, passim; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 256 ff. 522

Statt vieler V. Schmid, Jura 1997, 11 ff.; Kloepfer,

523

Verordnung (EWG) Nr. 1836/93 des Rates vom 29. Juni 1993 über die freiwillige

Umweltrecht, § 5 Rdnr. 341 ff.

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soweit kraft EG-Verordnung unmittelbar in der nationalen Rechtsordnung geltenden Maßstäbe für die Durchführung des Umweltaudit finden allerdings seit August 1996 eine Entsprechung in dem internationalen Standard ISO 14001. 525 Die ISO-Norm 14001 wurde von der International Organization for Standardization (ISO) ausgearbeitet. Hierbei handelt es sich um eine privatrechtliche Vereinigung mit Sitz in der Schweiz. Mitglied von ISO ist jeweils die wichtigste nationale Standardisierungsorganisation; aus Deutschland ist das Deutsche Institut für Normung e. V. (DIN) Mitglied. 526 Die privatrechtlichen Normen der ISO haben zunächst keine öffentlich-rechtliche Rechtsverbindlichkeit, auch wenn die privaten Normenorganisationen als Mitglieder von ISO verpflichtet sind, eine internationale Norm als nationale Norm zu übernehmen. Überdies ist zu beachten, daß die ISO-Normen auf die Arbeit der europäischen Normenorganisationen einen großen Einfluß ausüben.527 Maßgebliche europäische Normenorganisation ist insoweit CEN (Comité Européen de Normalisation), eine ebenfalls privatrechtlich organisierte Institution. 528 Aus dem Zusammenspiel der drei genannten Normenorganisationen ergibt sich in der Regel eine zusätzliche Annahme eines auf internationaler Ebene ausgearbeiteten Standards durch D I N und CEN. Dies ist auch für den ISO-Standard 14001 der Fall gewesen, woraus sich der offizielle Titel „ D I N EN ISO 14001" ergibt. 529 Beteiligung gewerblicher Unternehmen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung, ABl. EG 1993 L 168/1. 524 Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EWG) Nr. 1836/93 des Rates vom 29. Juni 1993 über die freiwillige Beteiligung gewerblicher Unternehmen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (Umweltauditgesetz UAG) v. 7. Dezember 1995, BGBl. 1995 I, 1591; geändert durch Gesetz v. 19. Dezember 1998, BGBl. 1998 I, 3836. 525

Abgedruckt bei: Wohlfarth, Der Weg zum Umweltmanagmentsystem, 245 ff.; ebda., 65 ff., auch ausführlich zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Öko-Audit-Verordnung und ISO 14001; zur Bedeutung der ISO-Normen für das Umweltmanagement in der Ernährungsindustrie siehe auch Hiiwels, ZLR 1997, 1 ff.; eine völkerrechtliche Analyse bietet Roth-Arriaza, in: Brown Weiss (Hrsg.), International Compliance with Nonbinding Accords, 205 ff. 526 Zu ISO ausführlich Rönck, Technische Normen als Gestaltungsmittel des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 64 f.; Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Teil II, E 29 Rdnr. 15 f., jeweils m. w. N. 527

Hierzu Jörissen, Produktbezogener Umweltschutz und technische Normen, 40; Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Teil II, E 29 Rdnr. 19 f. 528 Einzelheiten hierzu und zu den weiteren europäischen Normenorganisationen bei Langner, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch EU-Wirtschaftsrecht, C.VI Rdnr. 12 ff.; Jörissen, Produktbezogener Umweltschutz und technische Normen, 32 ff.; Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Teil II, E 29 Rdnr. 18 f. 529

Wohlfarth,

Der Weg zum Umweltmanagementsystem, 58.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Die EG-Kommission hat durch Entscheidung vom 16. April 1997 die Internationale Norm ISO 14001 und die identische Europäische Norm EN 14001 in weiten Teilen dahingehend anerkannt, daß sie für Umweltmanagementsysteme Anforderungen enthalten, die den Anforderungen der Öko-Audit-Verordnung entsprechen 530 (vgl. Art. 12 Öko-Audit-Verordnung). Damit ergibt sich ein beachtliches Zusammenspiel hoheitlicher und privatrechtlicher Standardisierungsmaßnahmen im Bereich des integrierten Umweltschutzes, da der Bewertungsmaßstab für das Umweltaudit über die legislativen Kriterien hinausgehend, die in der ÖkoAudit-Verordnung niedergelegt sind, in einer zunächst unverbindlichen und privatrechtlichen internationalen Norm zu finden ist. Die Bedeutung, die der somit ersichtlich werdenden internationalen, unverbindlichen Standardisierung im Bereich des Umweltaudit als Bestandteil des Konzeptes eines integrierten Umweltschutzes zukommt - und nur dieser Aspekt soll hier interessieren - , zeigt sich auch bei der Verwendung von Umweltzeichen als weiterem ökonomischem Instrument des Umweltverwaltungsrechts. Die Vergabe von Umweltzeichen wie dem deutschen ,3lauen Engel" und der „Europäischen Umweltblume" 531 wirft zahlreiche Rechtsprobleme auf, die u. a. im Zusammenhang mit der regelmäßigen Anwendung des sogenannten „Cradle-to-grave-Prinzips" 532 stehen. Auf internationaler Ebene wurden von der ISO durch die Normen 14020 bis 14024 Standards entwickelt, die Einzelheiten zu der Vergabe von Umweltzeichen regeln. Obwohl auch diese Normen zunächst rechtlich nicht verbindlich sind, kommt ihnen eine mittelbare Rechtwirkung im nationalen und europäischen Umweltverwaltungsrecht zu, die sich aus den einschlägigen - bereits dargestellten 533 - Vorschriften des TBT-Übereinkommens der WTO-Rechtsordnung ergibt. Insofern ist auch von Bedeutung, daß die für die Vergabe des deutschen und des europäischen Umweltzeichens zuständigen Institutionen534 den Verhaltenskodex des TBT-Übereinkommens zu beachten haben; dieser enthält u. a. die Verpflichtung, internationale Normen, wie die von der ISO ausgearbeiteten, zu berücksichtigen. 535 530

ABl. EG 1997 L 104/37.

531

Ausführlich von Danwitz, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. I, § 40; Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Teil II, E 29 Rdnr. 108 ff., jeweils m. w. N. 532

Zu diesem umweltrechtlichen Prinzip allgemein Kloepfer,

533

Supra Teil 6, A. IV. 2. c).

Umweltrecht, § 4 Rdnr. 25.

534 In Deutschland sind dies das Umweltbundesamt sowie RAL Deutsches Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung e. V., auf Gemeinschaftsebene die EG-Kommission, siehe Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Teil II, E 29 Rdnr. 115 und Rdnr. 131 535

Siehe bereits supra Teil 6, A. IV. 2. c).

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Diese kurzen Hinweise mögen genügen, um die Relevanz der internationalen Standardisierung für das Umweltverwaltungsrecht deutlich zu machen. Das für das Umweltrecht in Teilbereichen charakteristische Zusammenwirken von Staat und Gesellschaft wird in den Bereichen des Umweltaudit und der Vergabe von Umweltzeichen insoweit durch eine privatrechtlich ausgestaltete internationale Ebene ergänzt, die tatsächlich wie rechtlich einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Konkretisierung des umweltrechlichen Kooperationsprinzips 536 hat. Für die mit dem Umweltaudit und der Vergabe von Umweltzeichen befaßten Verwaltungsbehörden bedeutet dies, daß die internationale Standardisierung einen zusätzlichen Bewertungsmaßstab bietet, der im Einzelfall ggf. zu berücksichtigen ist. Dies führt zu einer über das nationale Verwaltungsrecht hinausgehenden Perspektiverweiterung im Sinne eines internationalisierten Verwaltungshandelns.

5. Zusammenfassung: Strukturmerkmale

des internationalen

Umweltverwaltungsrechts

Die zahlreichen, insbesondere in jüngerer Zeit entstandenen Rechtsregime zum internationalen Umweltschutz belegen, daß einige zentrale Strukturmerkmale das internationale Umweltverwaltungsrecht prägen. Aufbauend auf den konvergierenden Prinzipien des nationalen und des internationalen Umweltrechts, die im Konzept nachhaltiger Entwicklung in seiner intergenerativen Dimension zusammenzufassen sind, ist das internationale Umweltverwaltungsrecht Risikoverwaltungsrecht. Dies zeigt sich neben zahlreichen Einzelaspekten an der heute durchgängigen Betonung des Vorsorgeprinzips. Damit wird zugleich die technische Stuktur des internationalen Umweltverwaltungsrechts deutlich. Angesichts der Perspektiverweiterung des internationalen Umweltrechts im Sinne eines über die Abgrenzung von Souveränitätssphären hinausgehenden Schutzes globaler Umweltgüter innerhalb und außerhalb staatlicher Jurisdiktion, bestimmen heute weniger die grundlegenden - zum Teil mit großer öffentlicher Aufmerksamkeit verfolgten politischen Entscheidungen auf internationaler Ebene das internationale Umweltrecht, sondern vielmehr die dem technischen Detail verpflichtete konkrete Sacharbeit. Sie vollzieht sich in internationalen Organisationen, Organen einzelner Vertragsregime, sonstigen internationalen Institutionen und privatrechtlichen Vereinigungen. Die zur effektiven Erledigung der Sacharbeit angewandten rechtlichen Steuerungsinstrumentarien sind ebenso vielschichtig, wie es für die vergleichbare Situation im innerstaatlichen Recht bekannt ist. Gerade in den neueren umwelt-

536

Hierzu statt vieler Kloepfer,

Umweltrecht, § 4 Rdnr. 45 ff.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

rechtlichen Rechtsregimen zeigt sich dabei, daß aufbauend auf der Erkenntnis von der Notwendigkeit einer flexiblen und dynamischen Rechtsentwicklung eine deutliche Stärkung der Rechtsposition internationaler Institutionen unterschiedlichster Art erfolgt. Hierbei kann es sich um Organe klassischer internationaler Organisationen wie im Falle der IMO handeln. In neueren Vertragsregimen wird aber auch zunehmend von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, eigenständige Vertragsorgane ohne eigene Völkerrechtssubjektivität einzurichten. Zusätzlich ist die deutliche Tendenz zu verzeichnen, öffentlich-rechtlich und privairechtlich organisierten technischen Expertengremien eine wichtige Rolle in der Vorbereitung von Entscheidungen und ihrer Durchführungsüberwachung sowie allgemein im Bereich der Standardisierung zuzuweisen. Die sich damit institutionalisierende technisch-administrative Struktur des internationalen Umweltverwaltungsrechts hat zur Folge, daß die klassische völkerrechtliche Rechtsquellenlehre deutlich relativiert wird: Technische Detailregelungen zum Umweltschutz werden mit unmittelbarer Rechtswirkung versehen entweder durch Konsens oder durch Mehrheits votum von internationalen Institutionen beschlossen.537 Darüber hinaus und wesentlich wichtiger sind die zahlreichen Rechtskonstruktionen, die zu einer mittelbaren Rechtswirkung internationaler technischer Detailregelungen führen. Dies kann z. B. durch eine vertragsrechtlich statuierte Pflicht zur Berücksichtigung der Regelungen durch die Vertragsparteien und ihre Organe oder durch Verweisvorschriften geschehen, die technische Regelungen in Bezug nehmen, die für sich nicht zwingend rechtsverbindlich sind und ihrerseits einer dynamischen Fortentwicklung unterliegen. Als weiteres Merkmal des internationalen Umweltverwaltungsrechts hat sich seine auf eine dezentralisierte Rechtsverwirklichung hin angelegte Struktur gezeigt. Entsprechend der Bedeutung, die innerstaatlich der Verwaltung im Bereich des Umweltschutzes zukommt, nimmt das internationale Umweltrecht in vielen Detailregelungen das innerstaatliche formelle und materielle Verwaltungsrecht in den Blick. Dies zeigt sich an den zahlreichen Vorgaben, die das internationale Umweltrecht für das innerstaatliche Verwaltungs verfahrensrecht und das materielle Verwaltungsrecht festlegt. Diese Vorgaben sind allerdings nicht als Detailregelungen im Sinne einer fest umrissenen Steuerung zu verstehen. Vielmehr wird zur nationalen exekutiven Umsetzung der internationalen Rechtsverpflichtungen ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, der sich am Maßstab völkervertraglicher und institutionell konkretisierter Umweltschutznormen zu orientieren hat. Besonders deutlich wird dies mit Blick auf zwingend vorzusehende behördliche Genehmi537

Zu diesem Phänomen bereits frühzeitig und umfassend Skala, Internationale technische Regeln und Standards zum Umweltschutz, passim.

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gungserfordernisse im Bereich bestimmter Umweltaktivitäten, die in ihrem materiellen Gehalt auf internationaler Ebene erarbeitete technische Standards beachten müssen. Insgesamt gesehen entspricht die Komplexität der inhaltlichen Aufgabe des Umweltschutzes damit der Komplexität der internationalen Steuerungsinstrumentarien im formellen und materiellen Sinne. Im Interesse der bestmöglichen Wahrnehmung der sachlichen und zeitlichen Herausforderungen, denen sich das Umweltrecht ausgesetzt sieht, haben sich zahlreiche Instrumentarien entwickelt, die eine flexible und dynamische Rechtsentwicklung ermöglichen. Im Zusammenspiel der internationalen, europäischen und nationalen Ebene zeigt sich dabei die zentrale Bedeutung, die in diesem Prozeß den auf der jeweiligen Ebene angesiedelten Verwaltungen autonom und in Kooperation miteinander zukommt.

IV. Internationalisiertes Verwaltungshandeln im deutschen Umweltverwaltungsrecht 1. Internationale

Verwaltungskooperation

Auch das internationalisierte nationale Umweltverwaltungsrecht ist durch eine intensive internationale Verwaltungskooperation gekennzeichnet. Diese vollzieht sich zum Teil faktisch, zum Teil erfolgt sie aber auch auf der Grundlage expliziter rechtlicher Vorgaben. Eine ausdrückliche Zuweisung einer internationalen Zuständigkeit einer deutschen Behörde findet sich z. B. in § 13 Abs. 1 AbfVerbrG, 538 wonach das Umweltbundesamt Anlaufstelle im Sinne des Artikel 5 Abs. 1 des Basler Übereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung 539 ist. Der zweiten wichtigen Bundesoberbehörde im Umweltbereich, dem Bundesamt für Naturschutz, sind ausdrückliche Vollzugsaufgaben zugewiesen, die im Zusammenhang mit dem Washingtoner Artenschutzabkommen stehen (§ 21c Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG). Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ist als oberste Bundesbehörde für den direkten Kontakt mit den Vertragsparteien und dem Sekretariat des Washingtoner Artenschutzabkommens zuständig (§ 21c Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG). Weitere, auf ausdrücklicher rechtlicher Grundlage beruhende Verwaltungskontakte ergeben sich aus den zahlreichen Vorschriften internationaler 538 Gesetz über die Überwachung und Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung von Abfällen v. 30. September 1994, BGBl. 19941, 2771, mit Änderungen. 539

BGBl. 1994 II, 2704.

6

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Umweltverträge, die einen Informationsaustausch (vgl. z. B. Art. 22 OSPAR) sowie sonstige internationale Kooperationsformen vorsehen. Beispielhaft kann insoweit auf die dargestellten Verträge zum Flußumweltschutz verwiesen werden. Im übrigen ist zu konstatieren, daß über die ausdrücklichen Zuständigkeits- und Aufgabenzuweisungen hinausgehend auf zahlreichen Gebieten informelle internationale Arbeitskontakte der Umweltverwaltungsbehörden bestehen. Auch wenn hierzu vorliegend kein gesicherter empirischer Überblick gegeben werden kann, 540 läßt sich dies doch schon mit Blick auf die beispielhaften Aktivitäten des Umweltbundesamtes vermuten. Das Umweltbundesamt ist in zahlreichen umweltbezogenen Aktionsfeldern auf internationaler Ebene aktiv und steht in einem regen bilateralen und multilateralen Kontakt mit nationalen und internationalen Umweltbehörden. 541 Ähnliches gilt für das Bundesamt für Naturschutz, dem ausdrücklich die Aufgabe zugewiesen ist, das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit u. a. bei der internationalen Zusammenarbeit zu unterstützen. 542 Darüber hinaus ist zu beachten, daß zahlreiche der hier dargestellten internationalen Umweltschutzregime bewußt auf einer institutionellen Struktur aufbauen, die durch regelmäßige Konferenzen, Expertentreffen etc. gekennzeichnet ist. Ein so geschaffener institutioneller Rahmen dient neben der Erledigung der eigentlichen Sacharbeit im Bereich der Konkretisierung und Weiterentwicklung des jeweiligen Vertragsregimes auch dazu, ein kontinuierliches Rechtsbefolgungsbewußtsein zu garantieren. Dadurch wird verhindert, daß es zu sogenannten „sleeping treaties", zu „vergessenen Verträgen" kommt, die keine tatsächliche Effektivität entfalten können. 543 Für die nationale Umweltverwaltung hat die weit ausgreifende und auf verschiedenen Leitungs- und Arbeitsebenen angesiedelte Institutionalisierung im internationalen Umweltrecht eine beachtliche Aufgabenerweiterung zur Folge. Dies gilt insbesondere für die regelmäßig zu besuchenden Konferenzen, Expertentreffen etc. sowie für den damit verbundenen Arbeitsaufwand hinsichtlich ihrer Vor- und Nachbereitung. Auch die im Zusammenhang mit der Institutionalisierung stehende zunehmende Öffentlich540 Zu den wissenschaftsmethodischen Problemen einer Datenerhebung im Bereich internationaler Behördenkontakte siehe Wessels, Die Öffnung des Staates, 10 und 302. 541

Siehe hierzu die Übersicht über die internationalen Aktivitäten und Besucherprogramme des Umweltbundesamtes in: Umweltbundesamt, Jahresbericht 1998, 27 ff. und 306 ff.; vgl. auch die Darstellung der Aufgaben des Umweltbundesamtes bei Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdnr. 99. 542

§ 2 Abs. 2 Gesetz über die Errichtung eines Bundesamtes für Naturschutz v. 6. August 1993, BGBl. 1993 I, 1458. 543 Zu diesem Problem und der als Reaktion hierauf heute für das internationale Umweltrecht charakteristischen Institutionalisierung Ott, Umweltregime im Völkerrecht, 136 ff.

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keitsarbeit sowie speziell die Koordination mit Nichtregierungsorganisationen, die zunehmend in den internationalisierten Rechtsprozeß im Umweltschutzbereich eingebunden werden, 544 stellen insoweit Herausforderungen an die nationale Verwaltung dar. 545 Insgesamt gesehen vollzieht sich damit im internationalisierten Umweltverwaltungsrecht ein ähnlicher Prozeß, wie er im Schrifttum bereits für das deutsche Umweltrecht erörtert wurde. Angesichts der inhärent grenzüberschreitenden und in vielen Bereichen globale Umweltgüter betreffenden Problemlagen, ist eine von formalen Kompetenzgrenzen geleitete isolierte Aufgabenwahrnehmung ineffektiv und sachlich nicht zu rechtfertigen. Daraus ergibt sich zwar nicht zwingend eine - ungeschriebene - Kompetenz für zentralisierte Aktivitäten auf der jeweils höchsten Regelungsebene, in der Bundesrepublik also keine Bundeszuständigkeit außerhalb des Kataloges der Art. 73 ff. GG. Auszugehen ist aber von einer Kooperationspflicht der sachlich zuständigen Einheiten. Eine solche Verpflichtung ist in der Bundesrepublik für die Kooperation der Bundesländer im Interesse des Umweltschutzes dem Grunde nach anerkannt. 546 Sie läßt sich analog auf die internationale Verwaltungskooperation übertragen. Aus dem völkerrechtlichen und durch Art. 25 GG auch verfassungsrechtlich verbürgten Rechtsprinzip internationaler Kooperation 547 ist abzuleiten, daß alle dem Staat als Völkerrechtssubjekt zurechenbaren Handlungseinheiten, also auch die nationalen Verwaltungsbehörden, zur internationalen Kooperation im Interesse eines effektiven Umweltschutzes verpflichtet sind. Die aufgezeigten konkreten Kooperationspflichten im nationalen und internationalen Recht verdeutlichen dies im Sinne der Konkretisierung eines zunächst abstrakten Rechtsprinzips. § 228 UGB-KomE nimmt die damit ersichtliche internationale Verantwortung der Umweltbehörden dann auch explizit auf. 548

544 Hierzu umfassend Riedinger, Die Rolle nichtstaatlicher Organisationen bei der Entwicklung und Durchsetzung internationalen Umweltrechts, passim. 545

Zur Bedeutung der beschriebenen Phänomene für die nationalen Verwaltungen auch Ott, Umweltregime im Völkerrecht, 138. 546 547

Kloepfer,

Umweltrecht, § 3 Rdnr. 85 m. w. N.

Siehe supra Teil 4, B. III. 1. c). 548 Siehe auch die entsprechenden Ausführungen in der Entwurfsbegründung, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 852 und 854.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns 2. Materiellrechtliche

Internationalisierungserscheinungen

a) Verordnungsgebung Wie bereits zum internationalisierten Gesundheitsverwaltungsrecht festgestellt, ist auch das deutsche Umweltverwaltungsrecht in seiner materiellrechtlichen Internationalisierungsstruktur durch eine intensive exekutive Rechtssetzung geprägt. Insoweit sind zunächst die bereits erwähnten Verordnungsermächtigungen im Zusammenhang mit dem MARPOL-, 5 4 9 OSPAR-, 550 Helsinki-, 551 und Rhein-Chlorid-Übereinkommen 552 in Erinnerung zu rufen; als weiteres Beispiel für die Umsetzung von Vertragsänderungen, die durch Annahme mit Zweidrittelmehrheit auf internationaler Ebene eo ipso - vorbehaltlich eines ausdrücklichen opting out - Verbindlichkeit erlangen, kann auch noch auf das Protokoll zu dem Übereinkommen über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen von 1972 verwiesen werden. 553 Weiterhin von Bedeutung sind die §§ 20 ff. BNatSchG mit Blick auf das Washingtoner Artenschutzabkommen sowie insgesamt für das nationale und internationale Immissionsschutzrecht § 7 (Rechtsverordnungen) und § 48 Nr. 2 BImSchG (Verwaltungsvorschriften). Weitere Verordnungsermächtigungen, die sich auf die Umsetzung internationaler Regelungen zum Umweltschutz beziehen, finden sich z. B. in § 6a WHG, § 11 AbfVerbrG sowie in §§ 37 und 39 BImSchG. In den damit im Kern das gesamte Umweltrecht durchziehenden Verordnungsermächtigungen geht es allerdings nicht nur um die Umsetzung von internationalen Rechtsverpflichtungen, die sich unmittelbar aus einem völkerrechtlichen Vertrag ergeben, sondern auch um die Umsetzung von Beschlüssen

549

Art. 2 Nr. 1 Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe und zu dem Protokoll von 1978 zu diesem Übereinkommen, BGBl. 1982 II, 2. 550 Art. 2 Nr. 2 Gesetz zu Internationalen Übereinkommen über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebietes und des Nordostatlantik v. 23. August 1994, BGBl. 1994 II, 1355. 551 Art. 2 Nr. 1 lit. b) Gesetz zu Internationalen Übereinkommen über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebietes und des Nordostatlantik, BGBl. 1994 II, 1355. 552 Art. 2 Nr. 2 Gesetz zu den Übereinkommen vom 3. Dezember 1976 zum Schutz des Rheins gegen chemische Verunreinigung und zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride (Gesetz zum Chemieübereinkommen/Rhein und Chloridübereinkommen/Rhein) v. 11. August 1978, BGBl. 1978 II, 1053. 553 Art. 2 Gesetz zu dem Protokoll vom 7. November 1996 zum Übereinkommen über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen von 1972 i. V. m. Art. 22 Abs. 2 des Protokolls, BGBl. 1998 II, 1345.

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internationaler Organisationen. Eine entsprechend formulierte Verordnungsermächtigung findet sich z. B. in § 11 Abs. 1 Nr. 5 AtG. Darüber hinaus werden einzelne Verordnungsermächtigungen auch inhaltlich durch einen Verweis auf unverbindliche Empfehlungen internationaler Institutionen konkretisiert. Dies zeigt sich z. B. an Art. 2 des Gesetzes zu den Pariser und Brüsseler Atomhaftungs-Übereinkommen, wo festgelegt ist, daß die Bundesregierung näher umschriebene internationale Vereinbarungen durch Rechtsverordnung in Kraft setzen darf, soweit diese u. a. den Anforderungen genügen, die in einer Empfehlung der Schlußakte der Internationalen Konferenz von 1960 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See in der jeweils geltenden Fassung festgelegt sind. 554 Schon die angeführten Beispiele belegen, daß das materielle Umweltverwaltungsrecht in zahlreichen Bereichen von Verordnungsermächtigungen und entsprechenden exekutiven Rechtssetzungsakten geprägt ist, die sich auf internationale Regelwerke beziehen. Inhalt und Tragweite der Verordnungsermächtigung werden dabei in der innerstaatlichen Ermächtigungsnorm zumeist nicht genau umrissen; vielmehr erfolgt regelmäßig ein schlichter Verweis auf den jeweiligen völkerrechtlichen Vertrag. Ohne an dieser Stelle auf die sich damit im Lichte des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ergebenden Rechtsprobleme eingehen zu wollen, 555 zeigt sich zumindest, daß der technische Charakter der Masse des internationalen Umweltrechts seine Entsprechung in den innerstaatlichen, die Exekutive ermächtigenden Umsetzungsregelungen findet. Dies steht in Übereinstimmung mit der intensiven exekutiven Rechtssetzung im autonomen deutschen Umweltrecht. 556 Zugleich wird damit nochmals deutlich, daß der dynamische Charakter internationaler Umweltregime nicht nur auf internationaler Ebene, sondern auch im innerstaatlichen Rechtsraum zentral auf exekutive Regelungsstrukturen abstellt. 557

554 Art. 2 Nr. 1 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie nebst Zusatz Vereinbarung zu dem Übereinkommen vom 25. Mai 1962 über die Haftung der Inhaber von Reaktorschiffen nebst Zusatzprotokoll und zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1971 über die zivilrechtliche Haftung bei der Beförderung von Kernmaterial auf See v. 8. Juli 1975, BGBl. 1975 II, 957. 555 Hierzu vertiefend infra Teil 7, A. II. 5.; umfassend jüngst hierzu Brand, Die Vereinbarkeit der Rechtsverordnungsermächtigungen des Bundes, passim. 556

Hierzu Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 201 ff. und 228 ff.

557

Zu diesem Phänomen bereits Tietje, GYIL 42 (1999), 26 (53 ff.) m. w. N.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

b) Verweisungen und sonstige internationalisierende Rechtswirkungen Aus der Perspektive des innerstaatlichen Verwaltungsrechts sind zahlreiche, unterschiedlich ausgestaltete Rechtsphänomene auszumachen, die neben der beschriebenen exekutiven Rechtssetzung eine Internationalisierung des Verwaltungshandelns bedingen. An erster Stelle zu nennen sind insoweit die beschriebenen Umweltinformationspflichten nationaler Behörden, die sich u. a. in Art. 9 OSPAR-Übereinkommen und Art. 17 f. Helsinki-Übereinkommen finden. Wie diese Regelungen zeigen, wird das deutsche Umweltinformationsrecht damit nicht nur durch die EG-rechtlichen Vorgaben 558 geprägt, sondern in wichtigen Bereichen auch durch völkerrechtliche Regelungen. Als weiteres Beispiel für die innerstaatliche Bedeutung internationaler Umweltregelungen läßt sich auf § 9 Abs. 2 AltölV verweisen, der für die Altölentsorgung der Binnen- und Seeschiffahrt auf die Einhaltung der Standards verweist, die in dem einschlägigen MAROPL-Übereinkommen 559 niedergelegt sind. Da der jeweils aktuelle Anwendungsbereich des MARPOL-Übereinkommens durch Rechtsverordnung in das innerstaatliche Recht umgesetzt wird, 5 6 0 zeigt sich auch hier die Bedeutung des internationalisierten Verwaltungshandelns. Weitere völkerrechtliche Rechtsvorgaben, die unmittelbar das innerstaatliche Verwaltungshandel bestimmen, finden sich in den zahlreichen beschriebenen vertraglichen Regelungen, die auf behördliche Genehmigungserfordernisse bei umweltrelevanten Aktivitäten verweisen. Durch diese Vorschriften tritt, soweit die sachlichen Anwendungsvoraussetzungen gegeben sind, insofern eine Internationalisierung der Genehmigungsverfahren - z. B. nach dem WHG und dem BImSchG - ein, als spezifische Detailregelungen in den einschlägigen Verträgen von der Genehmigungsbehörde als Rechtsmaßstab mit zu berücksichtigen sind. Die so zur Anwendung kommende Regelungstechnik läßt sich anhand der im OSPAR-Übereinkommen niedergelegten Vorschriften, die sich auf das inner558

Siehe die EG-Richtlinie über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt vom 7. Juni 1990, ABl. EG 1990 L 158/56; siehe in diesem Zusammenhang auch noch das Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (AarhusKonvention), abgedruckt in: NVwZ Beilage Nr. III/2001 zu Heft 3/2001. 559

Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe v. 2. November 1973, zuletzt geändert durch die 6. Änderungsverordnung v. 13. Juli 1993, BGBl. 1993 II, 993. 560

Art. 2 Nr. 1 Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe und zu dem Protokoll von 1978 zu diesem Übereinkommen, BGBl. 1982 II, 2.

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staatliche Genehmigungsverfahren beziehen, beispielhaft verdeutlichen: In der Bundesrepublik unterliegt das Einleiten von Abwasser dem Erlaubnisvorbehalt des § 7a WHG. Soweit Einleitungen vom Lande aus das Meeresgebiet erreichen oder beeinträchtigen können, ist insbesondere Art. 2 Abs. 1 der Anlage 1 zum OSPAR-Übereinkommen einschlägig, der seinerseits aufbindende Beschlüsse der OSPAR-Kommission als Maßstab verweist. Damit kommt es im Ergebnis dazu, daß im Rahmen einer Genehmigungserteilung nach § 7a WHG die Vorgaben des OSPAR-Übereinkommens sowie die Beschlußpraxis der OSPAR-Kommission zu beachten sind. 561 Über das ungeschriebene Zusammenspiel von innerstaatlichem Genehmigungsverfahren und internationalrechtlich vorgegebenen Maßstäben hinausgehend kennt das Umweltverwaltungsrecht auch Fälle, in denen ausdrücklich auf internationale Vorgaben für eine umweltrechtliche Genehmigungserteilung verwiesen wird. Ein Beispiel hierfür findet sich in § 5 Hohe-See-Einbringungsgesetz (HSEG). 562 Dort ist festgelegt, daß die für Einbringungen von Baggergut und Urnen zur Seebestattung erforderliche Erlaubnis (§ 4 Satz 2 i. V. m. § 5 Abs. 1 HSEG) u. a. dann zu versagen ist, wenn bestimmte Radioaktivitätsgrenzwerte überschritten werden, die von der Internationalen Atomenergie-Organisation ( I A E A ) 5 6 3 festgelegt und von den Vertragsparteien des Protokolls zu dem Übereinkommen über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen von 1972 564 angenommen wurden. Damit kommt es zu einer durch das deutsche Recht angeordneten Rechtswirkung der zunächst unverbindlichen, als Empfehlung an die Staaten ergangenen Standards der IAEA, ohne daß für sie ein spezifisches Annahmeverfahren i. S. d. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG vorgesehen ist. 565 Auch hier stehen dementsprechend exekutive Rechtssetzungs- und Rechtsdurchsetzungsbefugnisse im Vordergrund. 561 Allgemein zum Einfluß völkerrechtlicher Regelungen auf das Genehmigungsverfahren nach § 7a WHG Jahn, Die Behandlung der durch den Betrieb von Seeschiffen anfallenden Stoffe nach innerstaatlichem Recht, Gemeinschafts- und Völkerrecht, 56 ff. und 149 ff.; die dem Völkerrecht im Rahmen des deutschen Wasserrechts noch wenig Bedeutung beimessende Einschätzung von Breuer, in: Koch/Lagoni (Hrsg.), Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee, 205 (239), läßt sich wohl nicht halten. 562

Gesetz über das Verbot der Einbringung von Abfällen und anderen Stoffen und Gegenständen in die Hohe See v. 25. August 1998, BGBl. 1998 I, 2455. 563

Satzung der Internationalen Atomenergie-Behörde, BGBl. 1957 II, 1357.

564

BGBl. 1998 II, 1345.

565 Zur fehlenden Rechtssetzungsbefugnis der IAEA und allgemein zu ihrer Arbeit Pelzer, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 1, 646 ff.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Eine ähnliche Regelungssystematik, allerdings auf einen Gebotstatbestand bezogen, findet sich für den vitalen Umweltschutz in § 32 Abs. 3 Tierschutztransportverordnung. 566 Dort ist festgelegt, daß Säugetiere und Vögel, die unter das Washingtoner Artenschutzabkommen fallen, „entsprechend den CITES-Leitlinien für den Transport und die entsprechende Vorbereitung von freilebenden Tieren und wildwachsenden Pflanzen in der vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit bekanntgemachten Fassung (BAnz. Nr. 80a vom 29. April 1997) zu befördern und zu betreuen [sind]". Auch in dieser Vorschrift wird also einer unverbindlichen internationalen Empfehlung tatbestandliche Wirkung im deutschen Recht zugesprochen. Als weiteres Beispiel für eine vergleichbare Regelungssystematik, die allerdings Standardisierungsarbeiten einer Nichtregierungsorganisation in Bezug nimmt, kann auch noch auf § 3 Nr. 1 lit. a) ChemPrüfV 567 verwiesen werden, wo zur Bezeichnung von Chemikalien im Rahmen des Anmeldeverfahrens nach § 6 ChemG u. a. eine Stoffbezeichnung „nach dem System der Internationalen Union für reine und angewandte Chemie" gefordert wird. Bei der genannten Union handelt es sich um eine privatrechtlich organisierte Nichtregierungsorganisation. 568

3. Zusammenfassung

Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß das nationale Umweltverwaltungsrecht in zahlreichen Bereichen rechtlich internationalisiert ist. Dies belegen die aufgezeigten Entwicklungen ebenso wie die hier nicht weiter vertieften Einwirkungen auf das nationale Recht, die sich aus der Bindung der EG an zahlreiche völkerrechtliche Verträge ergeben. 569 Ergänzt werden diese rechtsnormativen Entwicklungen durch eine intensive Verwaltungskooperation der zuständigen nationalen und internationalen Stellen. In ihrer inhaltlichen Dimension zielen all diese verwaltungsrechtlichen Internationalisierungserscheinungen dabei immer darauf ab, formelle und informelle Wege zu beschreiten, um den Herausforderungen gerecht zu werden, denen das Umweltverwaltungsrecht als Risikoverwaltungsrecht 566

Verordnung zum Schutz von Tieren beim Transport (TierschutztransportVerordnung - TierSchTrV) in der Fassung der Bekanntmachung v. 11. Juni 1999, BGBl. 19991,1337. 567

Verordnung über Prüfnachweise und sonstige Anmelde- und Mitteilungsunterlagen nach dem Chemikaliengesetz (Prüfnachweisverordnung - ChemPrüfV) v. 1. August 1994, BGBl. 19941, 1877. 568 569

Informationen hierzu unter: http://www.iupac.org/general/about.html.

Zur völkerrechtlichen Praxis der EG im Umweltschutzbereich ausführlich Heintschel von Heinegg, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. I, § 22.

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gerade im Bereich sich dynamisch entwickelnder technisch-wissenschaftlicher Rahmenbedingungen unterliegt. Für das deutsche Umweltrecht wurde das sich hieraus ergebende Phänomen einer Verschiebung der Gewaltenteilungsbalance zugunsten der Exekutive und, dem nahestehend, privater Expertengremien im Schrifttum bereits umfassend analysiert. 570 Die Dominanz administrativer und nicht-staatlicher Regelungsstrukturen im Umweltrecht, die dahingehend umschrieben werden kann, daß der moderne Umweltstaat ein kooperativ ausgerichteter Umweltverwaltungsstaat ist, setzt sich, das zeigen die vorstehenden Untersuchungsabschnitte, auf internationaler und internationalisierter Ebene fort. Die deutlich administrativ-technisch geprägte Struktur des internationalen Umweltrechts führt dazu, daß den nationalen Umweltverwaltungen sowohl mit Blick auf von ihnen in internationalen Foren wahrgenommene Aufgaben als auch hinsichtlich der Anwendung und Durchsetzung internationaler Umweltstandards im innerstaatlichen Bereich eine zentrale regulative Rolle zukommt. Auch in Zukunft wird das Umweltrecht zwar Gegenstand kontroverser politischer, sich in legislativen Maßnahmen niederschlagender Entscheidungen auf nationaler und gerade auch internationaler Ebene sein. In seiner den bestehenden nationalen und internationalen Rechtsrahmen anwendenden, konkretisierenden und fortentwickelnden tagtäglichen Normalität sind es aber administrative Strukturen, die das Umweltrecht in einem internationalisierten Mehrebenensystem prägen. Dies ist die eigentliche Bedeutung, die der Analyse von Umweltregimen im Völkerrecht zukommt; 571 zugleich zeigt sich damit die dem Modell der global governance folgende Internationalisierung des nationalen Verwaltungshandelns im Interesse des Umweltschutzes. Materiellrechtlich kommt dies u. a. darin zum Ausdruck, daß die insbesondere im Wasserrecht (§ 6 WHG) und im Abfallrecht (§ 10 Abs. 4 KrW-/AbfG) entscheidende Gemeinwohlorientierung 572 über das Staatsterritorium hinausgehend internationale Umweltbelange mit erfaßt. 573 § 228 UGBKomE nimmt diese Erkenntnis ausdrücklich auf. 574

570

Zusammenfassend Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 185 ff. und passim.

571

Umfassend und überzeugend aus rechtlicher Sicht hierzu Ott, Umweltregime im Völkerrecht, passim; aus politikwissenschaftlicher Perspektive Gehring, Dynamic International Regimes - Institutions for International Environmental Governance, passim. 572 Hierzu statt vieler Kloepfer, Rdnr. 106 f.

Umweltrecht, § 1 Rdnr. 28, § 13 Rdnr. 92 und § 18

57 3 Kunig, in: Koch/Lagoni (Hrsg.), Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee, 259 (262); in diese Richtung wohl auch Lagoni, in: Becker/Bull/Seewald (Hrsg.), FS Thieme, 997 (1008). 574

Siehe auch die diesbezügliche Entwurfsbegründung in: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 854.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

C. Internationalisiertes Kommunikations- und Transportverwaltungsrecht Eine Grundvoraussetzung der menschlichen Existenz und damit auch des gesellschaftlichen Zusammenlebens ist die zwischenmenschliche Kommunikation. Sie vollzieht sich, dem Kommunikationsbegriff entsprechend, in erster Linie mit Hilfe von Sprache und Zeichen. Neben diesen Kommunikationsformen ist die zwischenmenschliche Interaktion aber seit jeher auch darauf ausgerichtet, über den Austausch von Zeichen und Sprache hinausgehend den Personen-, Waren- und Dienstleistungsverkehr in gesellschaftliche Prozesse mit einzubeziehen.575 Auch die damit angesprochenen Transportleistungen können zwar dem Kommunikationsbegriff (im weiteren Sinne) zugerechnet werden, da auch der Transport von Personen und Sachgütern zwangsläufig Elemente zwischenmenschlicher Interaktion beeinhaltet. Dies zeigt sich in einem unmittelbaren Sinne mit Blick auf die Ermöglichung des Transportvorganges und als mittelbare Funktion darin, daß die transportierten Waren oder Personen ihrerseits Bestandteil eines umfassenderen Kommunikationsprozesses sind. Allerdings wird herkömmlich zwischen kommunikations- und transportbezogenen zwischenmenschlichen Handlungen unterschieden. Die dabei auftretenden Abgrenzungsschwierigkeiten zeigen sich am Beispiel des Postdienstes, der sowohl auf die Kommunikation als auch auf einen Transportvorgang bezogen ist; die Übermittlung eines Briefes unterfällt beiden Kategorien. 576 Noch deutlicher werden die Verschränkungen zwischen Kommunikationsund Transportleistungen im Bereich des zunehmende Bedeutung einnehmenden, sogenannten elektronischen Geschäftsverkehrs (e-commerce). Soweit sich dieser in der Form des direkten elektronischen Geschäftsverkehrs nicht ausschließlich auf (elektronischen) Kommunikationswegen vollzieht, kommt es regelmäßig zu einer Kombination von kommunikationsgestützter Dienstleistung und herkömmlicher Transporterbringung (sogenannter indirekter elektronischer Geschäftsverkehr). 577 Unabhänigig von der Frage nach der zutreffenden tatsächlichen und rechtlichen Einordnung eines gesellschaftlichen Prozesses in den Kommunikations- oder Transportsektor ist damit jedenfalls die enge Verbindung der beiden Bereiche 575 Zum engen und weiten Kommunikationsbegriff Delbrück, in: Thesaurus Acroasium X V (1987), 77 (88 ff.). 576 Der Postdienst wird herkömmlich der Kommunikation zugerechnet, vgl. z. B. Hoffmann-Riem, in: R. Schmidt (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, BT 1, § 6 Rdnr. 1. 577

Zu Begrifflichkeit und entsprechenden Rechtsproblemen hinsichtlich der Abgrenzung zwischen kommunikationsgestützter Dienstleistung und transportgestütztem Warenverkehr siehe Tietje, in: Grabitz/Hilf, Teil II, E 27 Rdnr. 293 ff. m. w. N.

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nicht zu übersehen. Daher bietet es sich auch an, das spezifische internationalisierte Verwaltungsrecht der Kommunikation und des Transportes gemeinsam darzustellen. Dies läßt sich auch damit begründen, daß die beiden Rechtsbereichen zugrundeliegenden - im einzelnen noch näher darzustellenden - Prinzipien eine große inhaltliche Übereinstimmung aufweisen. Soweit auf nationaler oder internationaler Ebene Regelungen zur Kommunikation oder zum Transport getroffen werden, geht es im Kern nämlich immer um die Gewährleistung des möglichst ungestörten, reibungslosen Kommunikations- bzw. Transportvorganges. Zugleich ist darauf zu verweisen, daß die Entwicklungen im Kommunikations- und Transportsektor angesichts der ihnen innewohnenden wirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Dynamik einen stetig zunehmenden grenzüberschreitenden Bezug aufweisen. Bereits dieser empirische Befund, der im einschlägigen Schrifttum als wesentlicher Beleg für die nähere Kennzeichnung der als Globalisierung umschriebenen Phänomene dient, 578 deutet an, daß sich gerade hier ein wichtiges Referenzgebiet für ein internationalisiertes Verwaltungshandeln findet. Dies soll anhand einer Untersuchung von Einzelaspekten des internationalisierten Verwaltungshandelns in den Bereichen Telekommunikation und Postwesen sowie mit Blick auf den Schiffs- und Luftverkehr näher erörtert werden.

I. Begrifflichkeit und Grundstrukturen des nationalen Kommunikations- und Transportrechts 1. Telekommunikation

und Postwesen

Das Telekommunikations- und das Postverwaltungsrecht waren über Jahrzehnte durch die Annahme gekennzeichnet, daß die zu regelnden Sachbereiche sogenannte natürliche Monopole darstellen. Angesichts der technischen Entwicklung, insbesondere der Digitalisierung der Übertragungswege für die Telekommunikation, und hierauf reagierend den Liberalisierungsvorgaben des EG-Rechts 579 hat sich die ursprüngliche Monopolstruktur zugunsten einer marktorientierten, freiheitlichen Regulierungsstruktur gewandelt. Dies gilt im Ansatz auch für das Post-

578

Umfassende Daten und Analysen hierzu bei Beisheim/Dreher/Walter/Zangl/Ziirn, Zeitalter der Globalisierung?, 43 ff. und passim. 579 Hierzu im Überblick statt vieler Engel/Seelmann-Eggebert, buch des EU-Wirtschaftsrechts, E.V Rdnr. 12 ff.

Im

in: Dauses (Hrsg.), Hand-

6

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

wesen, auch wenn die Liberalisierungsfortschritte in diesem Bereich noch hinter den Telekommunikationsregelungen zurückbleiben. 580 Die Struktur des Telekommunikations- und Postrechts in der Bundesrepublik hat sich durch die sogenannten drei Postreformen von 1989, 1994 und 1996 581 nachhaltig gewandelt. Während ursprünglich die Monopolverwaltung im Sinne einer intensiven staatlichen Verantwortungsübernahme im Vordergrund stand, stellen sich das Telekommunikations- und das Postverwaltungsrecht heute zunehmend als Ausdruck einer staatlichen Gewährleistungsverantwortung in einem marktorientierten Wirtschaftsbereich dar; Art. 87f GG bringt dies deutlich zum Ausdruck. 582 Daraus folgt eine Struktur des Telekommunikations- und (zukünftig) des Postverwaltungsrechts, die von drei wesentlichen Merkmalen geprägt ist: Zunächst ist das Kommunikationsrecht zunehmend Kommunikationsverwaltungsrecht. Wie das Telekommunikationsgesetz (TKG) zeigt, beschränkt sich die legislative Steuerung im Kommunikationsbereich auf Rahmenregelungen, die durch Rechtsverordnungen und Einzelentscheidungen der zuständigen Verwaltungsbehörden konkretisiert werden, so daß eine dominierende exekutive Verantwortung besteht. 583 Weiterhin festzustellen ist, daß sich das Kommunikationsverwaltungsrecht gleichsam idealtypisch als europäisiertes Verwaltungsrecht darstellt, da eine enge Verzahnung nationaler und europäischer Vorgaben für die Rechtssetzung und den Rechtsvollzug besteht.584 Schließlich wird das Kommunikationsrecht immer mehr von Elementen des kooperativen Verwaltungsrechts geprägt, was sich an seiner auf „regulierte Selbstregulierung" abstellenden Zielrichtung zeigt. 585 Die Kernbereiche staatlicher GewährleistungsVerantwortung im Telekommunikationsbereich sind im TKG festgeschrieben, das sich als Rahmengesetz durch 580

Vgl. § 51 PostG und die Kommentierung von Herdegen, in: Beckscher PostG-Kommentar, § 51 Rdnr. 1 ff. 581

Hierzu im Überblick Holznagel/Bysikiewicz/Enaux/Nienhaus, Grundzüge des Telekommunikationsrechts, 26 ff.; Pfeffermann, in: Beckscher PostG-Kommentar, 26 ff. 582 Vgl. Eifert, Grundversorgung mit Telekommunikationsleistungen im Gewährleistungsstaat, passim; Hoffmann-Riem, DVBl. 1999,125 (125 f.); Urpmann, in: von Münch/ Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 3, Art. 87f Rdnr. 6 ff.; Herdegen, in: Beckscher PostG-Kommentar, VerfGrdl Rdnr. 25 ff. m. w. N. 583 Geppert/Roßnagel, Telekommunikations- und Multimediarecht, Textausgabe, XVII; Schuster, in: Beckscher TKG-Kommentar, § 1 Rdnr. 24 ff.; i. E. ebenso Holznagel/ Bysikiewicz/Enaux/Nienhaus, Grundzüge des Telekommunikationsrechts, 44. 584 Ausführlich Hoffmann-Riem, DVBl. 1999,125 ff.; ders., in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 191 ff. 585

Hoffmann-Riem,

DVBl. 1999, 125 (132),

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zahlreiche Verordnungsermächtigungen 586 und Verweisnormen, insbesondere auf Gemeinschaftsrecht, 587 auszeichnet. Entsprechend der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Telekommunikation nach Art. 73 Nr. 7 GG 5 8 8 bezieht sich das TKG nur auf die technischen Aspekte des Übermittlungsvorganges im Kommunikationsbereich; für die Regelung zu Inhalten des Übertragungsvorganges besteht keine Bundeskompetenz nach Art. 73 Nr. 7 GG. 5 8 9 Auch die technische Seite der Telekommunikation wird allerdings materiellrechtlich durch die Garantie der Kommunikations- und Informationsfreiheit geprägt, wie sie insbesondere Art. 5 Abs. 1 GG statuiert. 590 Angesichts der grundrechtlichen Verbürgung der Kommunikationsfreiheit beschränkt sich das TKG darauf, die wesentlichen Rechtsvorgaben festzuschreiben, die den technischen Kommunikationsvorgang in einem wettbewerbsgeprägten Umfeld garantieren (vgl. §§1,2 TKG). Als Regulierungsinstrumentarien sind dabei Lizenzen und die Lizenzvergabe (§§ 6 ff. TKG), die Sicherstellung des Universaldienstes (§§ 17 ff. TKG), die Entgeltregulierung (§§ 23 ff. TKG), die Regelung des offenen Netzzuganges und der Zusammenschaltung (§§ 33 ff. TKG), die Sicherung des Kundenschutzes (§§ 40 ff. TKG), die Regelung der Numerierung (§ 43 TKG), die Frequenzordnung (§§ 44 ff. TKG), Regelungen zu Wegerechten (§§ 50 ff. TKG) und zur Zulassung von Sendeanlagen und mit ihnen betrauter Personen (§§ 59 ff. TKG) sowie zum Fernmeldegeheimnis, zum Datenschutz und zu Auskunftspflichten (§§ 85 ff. TKG) vorgesehen. Mit der Wahrnehmung der sich so aus dem TKG ergebenden Aufgaben ist die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) betraut, die als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft mit Sitz in Bonn errichtet wurde (vgl. § 66 Abs. 1 TKG i. V. m. Art. 87f Abs. 2 Satz 2, Art. 86 Satz 2 GG). Ihre Aufgabe ist es, die in § 2 Abs. 2 TKG festgelegten Zielsetzungen des TKG in die Praxis umzusetzen. Dazu nimmt sie im

586 Siehe insbesondere §§ 17 Abs. 2, 27 Abs. 4, 35 Abs. 5, 37 Abs. 3,41,45 Abs. 1,48 Abs. 3, 59 Abs. 4, 61, 62, 64 Abs. 3, 87 Abs. 3, 88 Abs. 2, 89 Abs. 1 TKG. 587

Siehe insbesondere §§ 5, 23 Abs. 1, 33 Abs. 1, 34 Abs. 1, 35 Abs. 2 und Abs. 5, 41 Abs. 2,59 Abs. 3 und Abs. 4,60 Abs. 2 und Abs. 3, 62 Abs. 1 TKG; zur Problematik siehe Hoffmann-Riem, DVB1. 1999, 125 (129); ders., in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 191 (203 ff.) m. w. N. 588

Zur Reichweite des Art. 73 Nr. 7 GG statt vieler Hoffmann-Riem, (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, BT 1, § 6 Rdnr. 28 ff.

in: R. Schmidt

589

BVerfGE 12, 205 (225 ff.); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 73 Rdnr. 17; zu den Abgrenzungsproblemen ausführlich H.-J. Schütz, in: Ricker/Schiwy, Rundfunkverfassungsrecht, B Rdnr. 210 ff. und Rdnr. 236 ff. 590

Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Kommunikationsrechts statt vieler Hoffmann-Riem, in: R. Schmidt (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, BT 1, § 6 Rdnr. 9 ff. m. w. N.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

einzelnen im TKG umschriebene Überwachungs-, Gestaltungs- und Schlichtungsaufgaben wahr, 591 die, wie zu einem späteren Zeitpunkt noch näher darzustellen ist, auch von vielfachen internationalen Kooperationsformen geprägt sind. Das Postverwaltungsrecht ist seiner verfassungsrechtlichen Grundlage entsprechend (Art. 87f Abs. 1 GG) ebenfalls als Gewährleistungsrecht ausgestaltet, auch wenn die hierfür prägenden Elemente der regulierten Selbstregulierung angesichts der noch nicht abschließend verwirklichten Liberalisierung aufgrund der bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Exklusivlizenz der Deutschen Post A G ( § 5 1 PostG) noch nicht umfassend vorhanden sind. Die verfassungsrechtlichen Bedenken begegnende,592 befristete Exklusivlizenz der Deutschen Post A G ändert aber nichts daran, daß die - insoweit auf die noch zu vollziehende Liberalisierung ausgerichtete - ordnungspolitische und dementsprechend rechtlich niedergelegte Grundkonzeption des PostG in weiten Bereichen dem TKG entspricht. 593 Auch das PostG ist darauf ausgerichtet, durch staatliche Regulierung den Wettbewerb im Postwesen zu fördern und zugleich „flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu gewährleisten" (§ 1 PostG). Die Regulierungsziele (§ 2 PostG) und die Regulierungsinstrumentarien entsprechen in weiten Teilen den bereits dargestellten Mechanismen des TKG. Ähnlich wie dort vollzieht sich auch die Regulierung im Postwesen über Lizenzen und die Lizenzvergabe (§§ 5 ff. PostG), die Gewährleistung des Universaldienstes (§§ 11 ff. PostG), Entgeltregelungen (§§ 19 ff. PostG) sowie Regelungen zu Teilleistungen, Zugang zu Postfachänderungen und Adreßänderungen (§§ 28 ff. PostG) sowie zum Postgeheimnis und zum Datenschutz (§§ 39 ff. PostG). Auch das Postrecht ist durch zahlreiche Rechtsverordnungsermächtigungen 594 und einen - bislang nur pauschalen Verweis auf das EG-Recht (§ 37 PostG) gekennzeichnet. Die damit zum Ausdruck kommende Bedeutung der Exekutive im Bereich der Rechtssetzung setzt sich mit Blick auf die Überwachungs-, Gestaltungs- und Schlichtungsfunktionen fort, die der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post auch nach dem PostG zugewiesen sind (vgl. § 44 PostG i. V. m. § 66 TKG). Insgesamt ist damit auch das Postrecht in weiten Bereichen Postverwaltungsrecht mit dem Anspruch, Regulierungsstrukturen auf einem Markt zu schaffen, die dem Wettbewerbsprinzip und zugleich dem Gewährleistungsgedanken des Art. 87f GG gerecht werden. Daß

591

Zu Einzelheiten siehe Holznagel/Bysikiewicz/Enaux/Nienhaus, kommunikationsrechts, 55 ff. m. w. N.

Grundzüge des Tele-

592 Zur Diskussion Grämlich, NJW 1998, 866 (869); Herdegen, in: Beckscher PostGKommentar, § 51 Rdnr. 3 ff. 593

Zur Parallelität von TKG und PostG ausführlich Grämlich, NJW 1998, 866 ff.

594

Vgl. §§ 8, 11 Abs. 2, 18, 21 Abs. 4,41 Abs. 1,43 Abs. 2 und 55 PostG.

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dabei über Regelungen des Gemeinschaftsrechts 595 hinausgehend internationale Rechtseinflüsse und eine intensive internationale Verwaltungskooperation eine wichtige Rolle spielen, ist zu einem späteren Zeitpunkt noch näher zu erörtern. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß das deutsche Kommunikationsverwaltungsrecht in der Form des TKG und des PostG ausgehend von dem Ziel einer wettbewerbsorientierten Marktstruktur auf die Gewährleistung der möglichst umfassenden Freiheitsbetätigung miteinander kommunizierender natürlicher und juristischer Personen sowie Wirtschaftsunternehmen ausgerichtet ist. Im Rahmen der angewandten Regulierungsstrategien und -instrumentarien 596 tritt dabei als zentraler Gedanke die Verteilung und Verwaltung von knappen Gütern zutage. So sind z. B. die Regelungen zu Übertragungswegen und Wegerechten auf die Gewährleistung der technischen Infrastruktur gerichtet, um die Kommunikation überhaupt möglich zu machen. Bei der Frequenzplanung und Frequenzzuteilung geht es um die Vermeidung von Störungen, die im Rahmen eines mehrpoligen, pluralistischen und dementsprechend prima facie freien Kommunikationsvorganges auftreten können. Auch die Lizenzvergabe ist schließlich darauf ausgerichtet, die freiheitliche Kommunikation insgesamt zu gewährleisten, indem persönliche und sachliche Qualifikationsstandards eingehalten werden. 597 Trotz der in vielen Bereichen technisch-administrativ ausgerichteten Regulierungsstrategie des Kommunikationsverwaltungsrechts bleibt es dabei immer bei der zentralen Zielsetzung, die Freiheitssicherung im Rechtsstaat zu garantieren. 598

2. Luft- und Schiffsverkehr Ebenso wie das Kommunikationsrecht ist auch das Luft- und Schiffsverkehrsrecht darauf ausgerichtet, über die räumliche Distanz hinweg die zwischenmenschliche Interaktion zu ermöglichen. Während das Kommunikationsrecht jedoch 595

Zu den europarechtlichen Hintergründen des PostG ausführlich von Danwitz, in: Beckscher PostG-Kommentar, EuGrdl Rdnr. 1 ff. 596

Zur Definition des Begriffes „Regulierung" siehe Badura, in: Beckscher PostG-Kommentar, § 2 Rdnr. 7: „Regulierung im Rechtssinne ist demnach die Verhaltenssteuerung von Unternehmen durch hoheitliche Gebote und Verbote - normativ und im Einzelfall - insbes. zur Sicherung von Gemeinwohlerfordernissen, des unverfälschten und funktionsfähigen Wettbewerbs und angemessener Leistungsbedingungen, z. B. durch präventive oder repressive Preiskontrolle (Entgeltregulierung)"; umfassend zum Konzept der Regulierung auch Ruffert, AöR 124 (1999), 237 ff. m. w. N. 597 Zu diesen Regulierungsaspekten im Überblick Ruffert, (251 ff.). 598

Vgl. Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (268 ff.).

AöR 124 (1999), 237

3

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

primär die Verständigung mittels Sprache und Zeichen als Regelungsgegenstand hat, nimmt das Schiffs- und Luftverkehrsrecht den Transport von Personen und Waren in den Blick; dieser wird allerdings in der Regel auf eine vorgelagerte kommunikative Handlung zurückzuführen sein. Über diesen sachgegenständlichen Unterschied zum Kommunikationsrecht hinausgehend, ist das Schiffs- und Luftverkehrsrecht von den mit diesen Transportformen verbundenen Sicherheitsrisiken geprägt; in diesem Sinne handelt es sich zwar auch um - auf den reibungslosen Transport bezogen - Gewährleistungsrecht. Allerdings stehen im Vergleich zum Kommunikationsrecht deutlich die sicherheits-(ordnungs-)rechtlichen Aspekte im Vordergrund. Das Luftfahrtrecht in der Bundesrepublik ist im Kern Bundesrecht, und zwar sowohl mit Blick auf die Gesetzgebungs- (Art. 73 Nr. 6 GG) als auch hinsichtlich der Verwaltungskompetenzen (Art. 87d GG). Die Länder nehmen jedoch zahlreiche Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung als Auftragsverwaltung wahr (Art. 87d Abs. 2 GG i. V. m. § 31 LuftVG). Überdies ist das Luftverkehrsrecht trotz seiner primären Ausrichtung als Ordnungsrecht in erheblichem Umfange von kooperativen Verwaltungsstrukturen geprägt, die sich in der Übertragung zahlreicher hoheitlicher Aufgaben auf Private zeigen (vgl. bereits Art. 87d Abs. 1 Satz 2 GG). 5 9 9 Materiellrechtlich stellt sich das Luftfahrtrecht in weiten Teilen als exekutiv gesetztes Recht dar. Dies zeigt sich an den zahlreichen Verordnungsermächtigungen, die sich im LuftVG finden, insbesondere an § 32 LuftVG als insoweit zentraler Vorschrift, 600 und an dem Bestand der demgemäß von Bundesministerien bzw. dem Luftfahrt-Bundesamt (LBA) (vgl. § 32 Abs. 3 Satz 3 LuftVG) erlassenen Rechtsverordnungen. 601 Der exekutive Charakter des Luftrechts ist durchgängig in den wesentlichen Aufgabenfeldern, der Flugsicherung, der Luftverkehrsregelung, den das Luftfahrtgerät, das Luftfahrpersonal, die Flugplätze und die Luftfahrtunternehmen betreffenden Vorschriften sowie im Bereich des eigentlichen Linien-, Gelegenheits- und nichtgewerblichen Luftverkehrs, vorzufinden. 602 Organisatorisch werden die staatlichen Aufgaben im Bereich der Luftfahrt vom Bundesministerium für Verkehr und - in erster Linie - dem Luftfahrt-Bundesamt als Bundesoberbehörde 603 wahrgenommen. Insgesamt ergibt sich damit eine sowohl 599

Hierzu im Überblick Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 78 ff.

600

Vgl. weiterhin §§ 31 Abs. 1, 31a, 31b Abs. 1, 31c LuftVG.

601

Hierzu im Überblick Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 12 ff.

602

Umfassend hierzu Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 200 ff., 226 ff., 232 ff., 316 ff., 354 ff., 426 ff., 457 ff. 603 Gesetz über das Luftfahrt-Bundesamt v. 30. November 1954, BGBl. 19541,354; zuletzt geändert durch Gesetz v. 26. August 1998, BGBl. 1998 I, 2470, 2478.

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materiell- als auch formellrechtlich ausgesprochene Vielschichtigkeit des exekutiven Luftfahrtsrechts, die durch den zunehmenden Einfluß des EG-Rechts in diesem Bereich noch verstärkt wird. 6 0 4 Nähere Einzelheiten sollen hier nicht dargestellt werden; worauf es an dieser Stelle nur ankommt, ist festzuhalten, daß das mit beachtlicher wirtschaftlicher Relevanz versehene Luftverkehrsrecht 605 in weiten Bereichen Luftverkehrsverwaltungsrecht ist, das zudem verschiedene Elemente kooperativen Verwaltungshandelns kennt. Das auf den Wasserverkehr bezogene öffentliche Recht in der Bundesrepublik unterteilt sich prinzipiell in binnen- und seewasserbezogene Regelungen (vgl. § 1 WaStrG). 606 Für beide Regelungsgegenstände gilt als tragender materiellrechtlicher Gedanke die Gewährleistung des Gemeingebrauchs, der - im Sinne eines gesteigerten Gemeingebrauchs 607 - durch Gesetz begründet wird (§§ 5, 6 WaStrG). 608 Dies korrespondiert mit der völkerrechtlich verankerten See- und Seehandelsfreiheit, 609 so daß insgesamt die auf die Verwaltung und Bewahrung eines Gemeinschaftsgutes orientierte Zielsetzung des Wassernutzungsrechts deutlich wird. Dem Bund stehen für das Binnen- und für das Seewasserrecht weitgehende Gesetzgebungs- (vgl. Art. 73 Nr. 5, 74 Abs. 1 Nr. 11, 74 Abs. 1 Nr. 21 GG) und Verwaltungskompetenzen (vgl. Art. 87 Abs. 1 i. V. m. Art. 89 Abs. 2 GG) zu, von denen nachfolgend allerdings nur die seerechtlichen Regelungen interessieren sollen. Sie stellen sich insgesamt - ähnlich wie bereits für das Luftrecht konstatiert - als Sicherheits-(Ordnungs-)verwaltungsrecht mit Blick auf die Wahrnehmung der Rechte zur Nutzung der Wasserstraßen als Gemeinschaftsressource dar. Ausgehend von der territorialen und durch das Flaggenstaatsprinzip (vgl. Art. 92 Abs. 1 SRÜ) vermittelten personalen Jurisdiktion der Bundesrepublik befassen sich die deutschen seerechtlichen Regelungen im Kern mit der Verwaltung der deutschen Wasserstraßen (§§7 ff. WaStrG) 610 und den auf den Schiffsverkehr 604

Zum EG-Recht des Luftverkehrs ausführlich Basedow/Do Ifen, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, L Rdnr. 291 ff. 605

Angaben hierzu z. B. in: Luftfahrt-Bundesamt, Jahresbericht 1999.

606

Zur Unterscheidung von Binnen- und Seewasserstraßen siehe Beckert/Breuer, liches Seerecht, Rdnr. 140 ff.

Öffent-

607 Zur Begrifflichkeit statt vieler Papier, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 43 Rdnr. 19 ff. und Rdnr. 64 ff. 608

Beckert/Breuer,

Öffentliches Seerecht, Rdnr. 165.

609

Statt vieler Gloria, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 54 Rdnr. 2 ff.; zur Seehandelsfreiheit umfassend Hasselmann, Die Freiheit der Handelsschiffahrt, passim. 610 Zur Verwaltung der Bundes Wasserstraßen ausführlich Beckert/Breuer, Seerecht, Rdnr. 217 ff.

Öffentliches

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

bezogenen schiffahrtspolizeilichen Maßnahmen, die als Bundesaufgabe im einzelnen im Seeaufgabengesetz (SeeAufgG) 611 niedergelegt sind (vgl. § 1 SeeAufgG). 612 Die allgemeinen Zuständigkeitsvorgaben und ordnungsrechtlichen Gebote sowie Handlungsermächtigungen des SeeAufgG werden mit Blick auf die konkreten Sicherheitsanforderungen an die Seeschiffe und ihr Personal sowie hiermit im Zusammenhang stehende technische Einrichtungen durch die Regelungen des Schiffssicherheitsgesetzes (SchSG) 613 und der zu seiner Ausführung ergangenen Schiffssicherheitsverordnung (SchSV) 614 ergänzt. Das am 1. Oktober 1998 in Kraft getretene SchSG kodifiziert die Sicherheitsstandards für die der Jurisdiktion der Bundesrepublik unterfallenden Seeschiffe umfassend, wobei zunehmend kooperative Verwaltungsstrategien im Sinne einer gestärkten Eigenverantwortung der Schiffsbetreiber verfolgt werden (vgl. § 3 SchSG; § 2 SchSV). Dabei zielt das SchSG neben der Gewährleistung des notwendigen ordnungsrechtlichen Rahmens auch darauf ab, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Handelsflotte zu garantieren, indem eine verstärkte internationale Rechtsharmonisierung erfolgt. 615 Das SchSG enthält als Rahmengesetz allerdings nur die grundlegenden Vorgaben zur Einhaltung der Schiffssicherheitsstandards. Die Rechtskonkretisierung erfolgt in der SchSV und in dem umfangreichen technischen Anhang zum SchSG, der durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Verkehr geändert werden kann, um so eine jeweils aktuelle Anpassung an die dynamische technische Entwicklung zu gewährleisten (§ 15 SchSG). Die verkehrsrechtliche Seite der Seeschiffahrt wird darüber hinaus umfassend in der Seeschiffahrtsstraßen-Ordnung 616 geregelt. Zuständige Behörden zur Überwachung und zum Vollzug des SchSG und der SchSV sind die Behörden der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes, d. h. das Bundesministerium für Verkehr, die Wasser- und Schiffahrtsdirektionen und die Wasser- und Schiffahrtsämter; 617 zum Teil sind die Aufgaben auch dem 611

Gesetz über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschiffahrt (Seeaufgabengesetz - SeeAufgG) v. 24. Mai 1965, in der Fassung der Bekanntmachung v. 18. September 1998, BGBl. 1998 I, 2986. 612 Zur Definition und den Aufgaben der Schiffahrtspolizei ausführlich Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rdnr. 811 ff. 613

Vom 9. September 1998, BGBl. 1998 I, 2860, mit Änderungen.

614

Vom 18. September 1998, BGBl. 1998 I, 3013, 3023, mit Änderungen.

615

Vgl. die Begründung des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/9722, Ziff. A; sowie § 1 Abs. 1 SchSG. 616 Vom 3. Mai 1971 in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 1998, BGBl. 1998 I, 3209, ber. BGBl. 1999 I, 193. 617 Zu Einzelheiten der Behördenorganisation und -Zuständigkeiten siehe Beckert/ Breuer, Öffentliches Seerecht, Rdnr. 217 ff.

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Bundesgrenzschutz und der Zollverwaltung übertragen worden. 618 Den zuständigen Behörden obliegen u. a. die allgemeinen Aufgaben der Schiffahrtspolizei, die im Sinne der Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sowie der Verhütung von der Seeschiffahrt ausgehender Gefahren legal definiert sind (§ 1 Nr. 2 SeeAufgG). Zur Erfüllung der schiffahrtspolizeilichen Aufgaben treffen die Behörden der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung bzw. der Bundesgrenzschutz oder die Zollverwaltung die notwendigen Maßnahmen im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens (§ 3 Abs. 1 SeeAufgG). Über die Ordnungsverwaltung im Schiffahrtsbereich hinausgehende Aufgaben sind weiterhin dem Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr zugewiesen (vgl. § 5 SeeAufgG) und der See-Berufsgenossenschaft übertragen (vgl. § 6 SeeAufgG). Das Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie und die SeeBerufsgenossenschaft bedienen sich bei der Erfüllung der ihnen im einzelnen zugewiesenen bzw. übertragenen Aufgaben der Hilfe des Germanischen Lloyds (§§5 Abs. 2, 6 Abs. 1 SeeAufgG). Darüber hinaus ist im Bereich der funktechnischen Sicherheit eine Verwaltungskooperation des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie mit der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post vorgeschrieben (§ 6 Abs. 2 SeeAufgG). Schließlich werden im Rahmen der Ausbildung des Schiffspersonals juristische Personen des Privatrechts mit entsprechenden Aufgaben durch das Bundesministerium für Verkehr beauftragt (§ 7 SeeAufgG). Insgesamt ist das deutsche Seeschiffahrtsrecht damit ebenso wie das Luftrecht neben dem Gesetzesvollzug in weiten Bereichen von einer exekutiven Rechtssetzung geprägt. Dies gilt schon lange mit Blick auf die umfassenden Ermächtigungen zum Erlaß von Rechts verordnungen für alle Fragen im Zusammenhang mit der Gefahrenabwehr im Seeverkehr (§§ 9 ff. SeeAufgG). Durch das im Jahre 1998 als Rahmengesetz in Kraft getretene SchSG wird diese exekutive Struktur nochmals unterstrichen.

618 Vgl. § 3 Abs. 2 SeeAufgG i. V. m. der Verordnung zur Übertragung von Aufgaben auf dem Gebiet der Seeschiffahrt zur Ausübung auf den Bundesgrenzschutz und die Zollverwaltung (Seeschiffahrtsaufgaben-Übertragungsverordnung) v. 23. Juni 1982, BGBl. 19821, 733.

3

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

II. Internationales Kommunikations- und Transportverwaltungsrecht 1. Internationales

Telekommunikations

recht

Seit der Erfindung der Telegraphie durch Samual Morse im Jahre 1837 und des Telefons nur vierzig Jahre später hat sich die Kommunikations- und damit auch Informationstechnologie als eine der dynamischsten Technologien in der Geschichte der Menschheit erwiesen. 619 Angesichts des von Beginn an inhärenten grenzüberschreitenden Charakters der sich tatsächlich vollziehenden Kommunikation hatte diese technologische Entwicklung nicht nur nachhaltige gesellschaftliche Auswirkungen, sondern stellte auch das Recht vor zunehmende Herausforderungen mit Blick auf die Notwendigkeit internationaler Kooperation. Schon vor diesem Hintergrund war es konsequent, daß die ersten festen Formen auf universelle Wirkung ausgerichteter institutionalisierter internationaler Kooperation im Kommunikationssektor entstanden. Heute sind zahlreiche internationale und regionale Organisationen mit Aspekten des Telekommunikationsrechts befaßt, wobei durchgehend eine administrative Regelungsstruktur vorherrscht, was auf die große Bedeutung des internationalisierten Verwaltungshandelns in diesem Bereich hindeutet. Als wichtigste Kooperationsregime für die Telekommunikation soll auf die ITU, die WTO und die Europäische Konferenz der Verwaltungen für Post und Telekommunikation (CEPT) näher eingegangen werden.

a) Internationale Telekommunikations-Union (ITU) Nach der Gründung des Deutsch-Österreichischen Telegraphen-Vereins im Jahre 1850 und der Westeuropäischen Telegraphen-Union fünf Jahre später (1855) erfolgte im Jahre 1865 die Fusion der beiden Vereine zur neu konstituierten Internationalen Telegraphen-Union (ITU), der neunzehn europäische Staaten beitraten. 620 Auch wenn das materielle Recht der I T U formell gesehen durch eine strikte Beachtung des Souveränitätsgrundsatzes geprägt war, etablierten sich doch schnell bedeutende rechtliche Kooperationsformen. Ein Beispiel hierfür bietet die bereits 1865 erfolgte Einigung auf den sogenannten Morse-Code als betrieblicher Standard zur grenzüberschreitenden Übermittlung von Telegrammen. Zugleich ging man in der Praxis dazu über, die Vertretung der Mitgliedstaaten in der I T U 619

Schrogl, Vereinte Nationen 42 (1994), 97; Delbrück/Tietje, Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, 15. 620

28 ff.

Int'l Handbuch für

Ausführlich zur Geschichte Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union,

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durch ihre nationalen Telegraphenverwaltungen erfolgen zu lassen, so daß der technisch-administrative Charakter der internationalen Kooperation im Kommunikationssektor klar hervortrat. 621 Die Entwicklung funkgestützter Kommunikationsformen und des Telefons stellten das internationale Telekommunikationsrecht dann vor neue Herausforderungen. Während allerdings technisch-administrative Fragen im Zusammenhang mit dem grenzüberschreitenden Telefonverkehr im Rahmen der Telegraphen-Union behandelt wurden, entstand für den Funkverkehr zunächst ein eigenständiges Rechtsregime. Erst 1932 konnten die beiden Rechtsordnungen dann durch die Verabschiedung des ersten Internationalen Fernmelde Vertrages, der die Internationale Telekommunikations-Union als Rechtsnachfolgerin der Telegraphen-Union konstituierte, zu einem nun universellen Ordnungsrahmen für die internationale Telekommunikation vereint werden. 622 Eine neue institutionelle Grundlage verbunden mit der Einbindung in das UN-System erfuhr die I T U nach dem 2. Weltkrieg auf der Regierungskonferenz von Atlantic City im Jahre 1947. Die sich anschließende Entwicklungsphase der I T U führte zu verschiedenen weiteren materiellrechtlichen und institutionellen Reformen, die von immer neuen technologischen Herausforderungen und einer hiermit einhergehenden zunehmenden Komplexität der Regelungsmaterie, aber auch politischen Spannungen im Ost-West- und Nord-Süd-Verhältnis geprägt waren. 623 Mit der Verabschiedung der Konstitution und der Konvention der I T U am 22. Dezember 1992 in Genf und verschiedenen Änderungen hierzu vom 14. Oktober 1994624 erfolgte dann die vorläufig letzte, weitreichende Reform der I T U . 6 2 5 Der Reformprozeß innerhalb der I T U war damit zwar zunächst im Sinne einer Konsolidierung der verfassungsrechtlichen Grundlagen der Organisation abgeschlossen, innerhalb der I T U werden aber auch weiterhin Anstrengungen unternommen, sich den dynamischen gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungsprozessen in der Telekommunikation anzupassen. Von herausragender Bedeutung ist hierbei die zum Teil bereits beschlossene und weiterhin in der 621

Insgesamt zum Stand des internationalen Telegraphenrechts bis 1932 Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union, 32 ff. m. w. N. 622

Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union, 43 f.

623

Umfassend zum Entwicklungsprozeß seit der Konferenz von Atlantic City Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union, 46 ff.; zur Geschichte und den verschiedenen Reformprozessen siehe auch Codding, Denver Journal of International Law and Policy 23 (1994), 501 ff. 624 625

BGBl. 1996 II, 1308 ff.

Zu dieser Reform siehe Schrogl, Vereinte Nationen 42 (1994), 97 ff.; Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union, 78 ff.

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Diskussion befindliche zunehmende Möglichkeit der Partizipation privater Akteure in der Arbeit der ITU. 6 2 6 Der ITU gehören heute 189 Mitgliedstaaten und über 600 sektorale, zumeist nichtstaatliche Mitglieder an. 627 Materiellrechtlich gründet sich die Organisation auf ihre Konstitution und ihre Konvention. Beide Dokumente bilden zusammen das Primärrecht der Organisation, auch wenn die Konstitution normhierarchisch der Konvention vorgeht (vgl. Art. 4 Abs. 4 ITU-Konstitution). Die Konstitution enthält dementsprechend die grundlegenden materiellrechtlichen und institutionellen Bestimmungen zur ITU, während die Konvention ins Detail gehende, ergänzende Regelungen hierzu vorhält. Diese beiden Regelungsinstrumente werden durch die sogenannten Vollzugsordnungen ergänzt, die als Sekundärrecht der Organisation ebenfalls zu den „Grundsatzdokumenten der Union" gehören (Art. 4 Abs. 1 ITU-Konstitution). Die Vollzugsordnungen bilden den eigentlichen operativen Kern des materiellen ITU-Rechts. Seit 1990 sind die „Vollzugsordnung Telekom" (VO Telekom) und die „Vollzugsordnung Funk" (VO Funk) in Kraft. Die VO Telekom enthält die wesentlichen ordnungspolitischen Vorgaben für die globale Telekommunikation, die VO Funk regelt detailliert die technischen und betrieblichen Einzelheiten des internationalen Funkverkehrs. 628 Änderungen der Vollzugsordnungen werden auf den zuständigen weltweiten Konferenzen beschlossen und erlangen sodann ohne weiteres vorläufige Rechtsverbindlichkeit für die Staaten, die die ITU-Konstitution und Konvention ratifiziert haben. Es besteht allerdings die Möglichkeit, im Zeitpunkt der Unterzeichnung der geänderten Vollzugsordnung auf der weltweiten Konferenz Vorbehalte anzubringen sowie innerhalb von 60 Tagen von der Möglichkeit eines opting out Gebrauch zu machen (Art. 54 Abs. 1 ff. ITU-Konstitution). Soweit nach insgesamt 36 Monaten ab dem Zeitpunkt des vorläufigen Inkrafttretens keine im einzelnen näher umschriebene Notifikation von einem Mitgliedstaat bei der ITU eingegangen ist, in der Abweichungen von der umfassenden Rechtsverbindlichkeit angezeigt wurden, „gilt dieses Mitglied, als habe es die Revision als für sich verbindlich anerkannt" (Art. 54 Abs. 5 ITU-Konstitution). 629 626

Zu den insoweit wichtigen Ergebnissen der Konferenz von Minneapolis siehe MacLean, Telecommunications Policy 23 (1999), 147 ff. 627

Einzelheiten verfügbar unter: http://www.itu.int/members.

628

Ausführlich zur VO Telekom und zur VO Funk Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union, 164 ff. und 171 ff.; sowie Ellger, in: ders./Kluth, Das Wirtschaftsrecht der Internationalen Telekommunikation, 169 (185 ff.). 629

Zur Änderung der Vollzugsordnungen und ihrer Rechtsverbindlichkeit siehe auch Ellger, in: ders./Kluth, Das Wirtschaftsrecht der Internationalen Telekommunikation, 169 (185 f.).

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Die institutionelle Struktur der ITU spiegelt die sowohl politischen als auch technisch-administrativen Aufgaben der Organisation wieder. Als politisches Leitorgan wirkt die an oberster Stelle in der Organhierarchie stehende, alle vier Jahre stattfindende Konferenz der Regierungsbevollmächtigten (vgl. Art. 8 ITU-Konstitution). Ihr obliegen u. a. wichtige Personalentscheidungen und die Festlegung grundlegender politischer Ordnungsvorstellungen. 630 Die Konferenz kann zudem mit Zwei-Drittel-Mehrheit die Konstitution und mit einfacher Mehrheit die Konvention der ITU ändern; für das Inkrafttreten der Änderungen ist dann freilich die jeweilige Ratifikation oder sonstige völkerrechtliche Zustimmungserklärung der Mitgliedstaaten erforderlich (vgl. Art. 55 ITU-Konstitution und Art. 42 ITUKonvention). In der Zeit zwischen den Sitzungen der Konferenz der Regierungsbevollmächtigten nimmt der Rat als zweites wichtiges Organ der ITU deren Funktionen war. Im einzelnen stehen dem Rat verschiedene Überwachungs-, Kontroll- und Entscheidungskompetenzen zu, die sich auf die gesamte Arbeit der ITU beziehen (vgl. Art. 10 Abs. 4 ITU-Konstitution und Art. 4 ITU-Konvention). Von besonderem Interesse ist dabei, daß im Rat nur maximal 25 % der Mitglieder der ITU vertreten sind (Art. 4 Abs. 2 ITU-Konvention). Dies führt zu der Problematik, daß der Rat zwar inhaltlich die Regierungskonferenz vertritt, in ihm aber nicht alle ITU-Mitglieder repräsentiert sind. Als Korrektiv hat sich in der Praxis insoweit ein schriftliches Zustimmungs verfahren zwischen dem Rat und allen ITU-Mitgliedem etabliert. Auch dies ändert jedoch nichts an der grundlegenden Feststellung, daß der Rat gegebenenfalls durchaus weitreichende, bis zur nächsten Regierungskonferenz zumindest vorläufige Entscheidungen treffen kann, ohne daß die Partizipation aller ITU-Mitglieder gewährleistet ist. 631 Die damit bereits im Ansatz ersichtliche Bedeutung exekutiver Strukturelemente in der ITU tritt mit Blick auf die eigentliche Sacharbeit der Organisation vollends zutage. Sie unterteilt sich in die drei Sektoren „Radiokommunikation" (ITU-R), „Telekommunikationsstandardisierung" (ITU-T) und „Telekommunikationsentwicklung" (ITU-D). 6 3 2 Für diese drei Sektoren wurden in der I T U eigene, komplexe Organstrukturen entwickelt, wobei hier nur die Sektoren ITU-R und 630

Zu den Aufgaben der Konferenz der Regierungsbevollmächtigten siehe Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union, 99 f. 631 632

Hierzu auch Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union, 105.

Vgl. Art. 12 ff., 17 ff., 21 ff. ITU-Konstitution; die deutsche Übersetzung im BGBl. 1996 II, 1308 ff., in der vom „Funkwesen" und „Fernmeldewesen" gesprochen wird, ist ungenau. Im authentischen französischen Wortlaut (vgl. Art. 58 Abs. 2 ITU-Konstitution) heißt es zutreffend: „Secteur des radiocommunications", „Secteur de la normalisation des télécommunications" und „Secteur du développement des télécommunications".

438

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

ITU-T interessieren sollen. Die Arbeit im Bereich der Telekommunikationsstandardisierung wird durch eine weltweite Konferenz für die Standardisierung im Telekommunikationswesen, eine Studienkommission für die Standardisierung im Telekommunikationswesen und ein Büro für die Standardisierung erbracht (Art. 17 Abs. 2 ITU-Konstitution). Die alle vier Jahre stattfindende weltweite Konferenz ist dabei das oberste Beschlußorgan, während sich die eigentliche Sacharbeit in der Studienkommission vollzieht. Dem Büro obliegt die administrative Unterstützung. 633 Mitglieder des Sektors für die Telekommunikationsstandardisierung sind eo ipso die „Verwaltungen aller Mitglieder der Union" (Art. 17 Abs. 3 lit. a) ITU-Konstitution). Hierunter werden in der ITU-Terminologie die ,,staatliche[n] Dienststelle[n]" verstanden, „die für die Maßnahmen zur Erfüllung der Verpflichtungen aus der Konstitution der Internationalen Fernmeldeunion, der Konvention der Internationalen Fernmeldeunion und den Vollzugsordnungen verantwortlich [sind]". 634 Damit wird - wie in allen mit der eigentlichen Sacharbeit betrauten Gremien der ITU üblich - nicht auf die Mitgliedstaaten als Völkerrechtssubjekte abgestellt, sondern auf konkrete, einzelne Dienststellen innerhalb der Mitgliedstaaten, die mit der fraglichen Sachmaterie betraut sind. Darüber hinaus besteht auch für private Telekommunikationsunternehmen die Möglichkeit, an der Arbeit im Sektor ITU-T - sowie, mit Ausnahme der Konferenz der Regierungsbevollmächtigten, in allen anderen Sektoren der Arbeit der ITU - teilzunehmen, soweit dies von dem entsprechenden Mitgliedstaat genehmigt wurde (Art. 19 Abs. 1 lit. a) ITU-Konvention). Wenn ein Mitgliedstaat ein Betriebsunternehmen hierzu ermächtigt, kann dieses sogar im Namen des Mitgliedstaates handeln (Art. 19 Abs. 4 ITU-Konvention). In Deutschland bestimmt § 7 TKG im einzelnen, welche lizenzierten Telekommunikationsunternehmen anerkannte Betriebsunternehmen i. S. d. der ITU sind. 635 Die sich damit bereits in der Organstruktur zeigende administrative Ausrichtung des Sektors ITU-T spiegelt sich auch in der inhaltlichen Arbeit wider. Angesichts der mit großer wirtschaftlicher Bedeutung versehenen und einem dynamischen Entwicklungsprozeß unterworfenen Relevanz der Ausarbeitung weltweit anwendbarer, einheitlicher technischer Standards in der Telekommunikation - die I T U hat bereits mehr als 2.500 Standardisierungsempfehlungen abgegeben, die mehr als 55.000 Seiten füllen 6 3 6 - erwies es sich in der Praxis als ineffektiv, die 633 Zu den Einzelheiten siehe Art. 17 ff. ITU-Konstitution und Art. 13 ff. ITU-Konvention; sowie Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union, 113 ff. 634

Ziff. 1002 Anlage zur ITU-Konstitution.

635

Einzelheiten hierzu bei R. Schütz, in: Beckscher TKG-Kommentar, § 7 Rdnr. 7 ff.

636

Holznagel/Bysikiewics/Enaux/Nienhaus, Grundzüge des Telekommunikationsrechts, 213; allgemein zur technologischen und ökonomischen Bedeutung der Telekommunikationsstandards Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union, 203 ff.

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Verabschiedung von Standards der vierjährig stattfindenden weltweiten Konferenz für Standardisierung vorzubehalten. Daher entwickelte sich die Praxis, die Zustimmung durch die Mitgliedstaaten zu von der Studienkommission vorgeschlagenen Standards im schriftlichen Verfahren einzuholen. Ein Standard gilt dabei als angenommen, wenn ihm mindestens 70 % der stimmberechtigten Mitglieder im schriftlichen Verfahren zugestimmt haben.637 Ähnlich pragmatische Organisations- und Verfahrensstrukturen haben sich für die Arbeit der Studienkommission herausgebildet, damit diese die stetig wachsende Arbeit zur technischen Standardisierung bewältigen kann. 638 Die Standardisierungsbeschlüsse der ITU sind positivrechtlich betrachtet zunächst unverbindliche Empfehlungen. Ansätze für eine mittelbare Rechtswirkung der Empfehlungen finden sich allerdings in der VO Telekom, die als rechtsverbindliches Sekunkärrecht der ITU (vgl. Art. 54 Abs. 1 ITU-Konstitution) an mehreren Stellen darauf verweist, daß - soweit möglich - die Empfehlungen der ITU eingehalten werden sollten. 639 Zudem ist darauf zu verweisen, daß sich durch das bereits dargestellte TBT-Übereinkommen und andere Vorschriften der WTORechtsordnung eine nicht zu übersehende mittelbare Rechtswirkung u. a. der ITUStandards zeigt. Deutlich zum Ausdruck gebracht wird dies zunächst in Art. 2.5 TBT-Übereinkommen, der festlegt, daß für eine technische Norm, d. h. für einen durch hoheitliche Regelung zwingend vorgeschriebenen technischen Standard, die widerlegbare Vermutung der welthandelsrechtlichen Rechtmäßigkeit besteht, soweit sie mit einschlägigen internationalen Normen übereinstimmt. 640 Auch für private Normeninstitutionen enthält das TBT-Übereinkommen auf die Beachtung der internationalen Standardisierungsarbeit u. a. in der ITU verweisende Vorschriften. 641 Überdies ist in der Anlage zur Telekommunikation des GATS 6 4 2 festgelegt, daß die WTO-Mitglieder die u. a. von der ITU ausgearbeiteten technischen Normen für die weltweite Kompatibilität und Zusammenarbeit von Telekommunika637

Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union, 116.

638

Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union, 117 f.

639

Nachweise bei Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union, 165 und 167 f.; zur ,,überragende[n] Bedeutung" der Empfehlungen der Organe der ITU für die grenzüberschreitende Telekommunikation siehe auch Ellger, in: ders./Kluth, Das Wirtschaftsrecht der Internationalen Telekommunikation, 169 (191). 640

Hierzu und zu den weiteren Vorgaben des TBT-Übereinkommens, die rechtsverbindlich auf eine fortschreitende Harmonisierung technischer Normen und Vorschriften abzielen, Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Teil II, E 29 Rdnr. 84 ff. 641 642

Hierzu bereits supra Teil 6, A. IV. 2. c).

Zur Anlage zur Telekommunikation des GATS ausführlich Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Teil II, E 27 Rdnr. 239 ff. m. w. N.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

tionsnetzen in ihrer Bedeutung anerkennen und dementsprechend in den Gremien der I T U mitarbeiten werden. 643 Das sich so ergebende Zusammenspiel rechtlich verbindlicher Regeln und unverbindlicher Standardisierungsempfehlungen gewinnt im europäischen Raum für die auf Rechtsakte des Gemeinschaftsrechts zurückgehende Standardisierungsarbeit des erst im Jahre 1987 gegründeten ETSI (European Telecommunications Standards Institute) besondere Bedeutung.644 Bei der Mandatierung u. a. des ETSI zur Ausarbeitung von Telekommunikationsstandards verlangt die EG-Kommission regelmäßig, die vorliegenden internationalen Standards zu prüfen, bevor es zur Ausarbeitung spezifischer europäischer Normen kommt. 645 Schließlich ist über diesen Aspekt der rechtlichen Kombination rechtsverbindlicher und rechtsunverbindlicher Instrumentarien in der Telekommunikationsstandardisierung darauf hinzuweisen, daß den ITU-Standards auch faktisch eine hohe Wirkkraft zukommt, zumindest soweit es um technische Kompatibilitätsstandards geht. 646 Als herausragendes Beispiel hierfür läßt sich die von der ITU empfohlene und in Deutschland als Grundlage für die Numerierung gem. § 43 TKG Bedeutung erlangende, weltweit einheitliche Rufnummernstruktur anführen. 647 A l l dies verdeutlicht nochmals die auch rechtliche Relevanz, die der auf kooperativen internationalisierten Verwaltungsstrukturen beruhenden Standardisierungsarbeit in der I T U zukommt.

643

Siehe Abs. 7 lit. a) der Anlage zur Telekommunikation des GATS, abgedruckt bei Tietje (Hrsg.), Welthandelsorganisation, 218: „Die Mitglieder erkennen die Bedeutung internationaler Normen für die weltweite Kompatibilität und Zusammenarbeit von Telekommunikationsnetzen und -diensten an und verpflichten sich, solche Normen durch die Tätigkeit einschlägiger internationaler Gremien, einschließlich der Internationalen Femmeldeunion und der Internationalen Organisation für Normung, zu unterstützen". 644 Ausführlich zu den europäischen Normenorganisationen und dem Verfahren der Normung statt vieler Langner, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, C.VI Rdnr. 12 ff.; zur europäischen Standardisierung im Telekommunikationsbereich statt vieler Engel/Seelmann-Eggebert, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, E.V Rdnr. 63 ff. 645

Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Teil II, E 29 Rdnr. 20; Jörissen, Produktbezogener Umweltschutz und technische Normen, 40 m. w. N.; für die Telekommunikation vgl. auch Piepenbrock, in: Beckscher TKG-Kommentar, § 34 Rdnr. 5. 646

Siehe auch Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union, 212 f., der sogar von einer ,,hohe[n] normativen Wirkung" aufgrund faktischer Notwendigkeit spricht. 647

Zu der die Rufnummernstruktur festlegenden ITU-Empfehlung E. 164 und ihrer Bedeutung siehe Mellewigt, in: Beckscher TKG-Kommentar, § 43 Rdnr. 2 f.; Holznagel/Bysikiewicz/Enaux/Nienhaus, Grundzüge des Telekommunikationsrechts, 133 f.

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Der zweite, für das internationalisierte Telekommunikationsverwaltungsrecht wesentliche Sektor in der ITU ist dem Radiokommunikations-(bzw. Funk-)wesen gewidmet. Hier geht es in erster Linie darum, „die rationelle, gerechte, wirksame und wirtschaftliche Nutzung des Funkfrequenzspektrums durch alle Funkdienste, einschließlich derer, welche die Umlaufbahn der geostationären Satelliten nutzen, ... zu gewährleisten" (Art. 12 Abs. 1 (1) ITU-Konstitution). Ähnlich zu der Organstruktur im Standardisierungsbereich vollzieht sich auch die Arbeit im Funkwesen auf weltweiten und regionalen Funkkonferenzen, in einem Funkregulierungsausschuß, auf den Funkversammlungen, die in enger Verbindung mit den weltweiten Funkkonferenzen stattfinden, in einer Studienkommission und schließlich in dem Büro für das Funkwesen bei der ITU (Art. 12 Abs. 2 ITU-Konstitution). Ebenso wie im Standardisierungssektor sind auch im Funksektor die Verwaltungen der Mitgliedstaaten eo ipso Mitglieder; auch hier können, mit Ausnahme der weltweiten und regionalen Funkkonferenzen, anerkannte Betriebsunternehmen mit dem Recht zur Partizipation ausgestattet werden (vgl. Art. 12 Abs. 3 ITU-Konstitution und Art. 19 ITU-Konvention). Die heute weit über die klassische Telekommunikation hinausreichende Nutzung von Funkfrequenzen 648 hat zu der zunehmenden Notwendigkeit geführt, das zumindest bisher knappe Gut „Funkfrequenzen" sachangemessen zu verwalten und zu verteilen. Dies gilt sowohl für terrestrische als auch für satellitengestützte Funkübertragungen. 649 Dementsprechend komplex und technisch ausgerichtet ist die Arbeit, die sich im Funksektor der I T U vollzieht. Die letzte weltweite Funkkonferenz in Instanbul (8. Mai bis 2. Juni 2000), als oberstes Beschlußorgan im Funkwesen, war so z. B. von ca. 2.500 Delegierten besucht, die ca. 30 Millionen Seiten Dokumente zu bearbeiten hatten. 650 Der Funkkonferenz fällt die rechtliche Aufgabe zu, die Vollzugsordnung Funk (VO Funk) zu verabschieden bzw. zu revidieren; wie für alle Organe der I T U vorgesehen, kann die entsprechende Entscheidung dabei mit einfacher Mehrheit getroffen werden. 651 Bei der VO Funk handelt es sich um ein komplexes, völkerrechtlich für alle Mitgliedstaaten der ITU verbindliches Regelwerk über den 648

Beispielsweise für elektronische Garagentor- oder Autoschloßöffner.

649

Zu den technischen und ökonomischen Grundlagen im Überblick Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union, 233 ff.; siehe auch das Grünbuch zur Frequenzpolitik der EG-Kommission, K O M (1998) 596 endg. v. 9.12.1998. 650

Robert W. Jones, Global Goals, Global Challenges at WRC-2000, verfügbar unter: www.itu.int/newsroom/wrc2000/presskit/issue-overview.html . 651

Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union, 90 f., der allerdings darauf hinweist, daß in der Praxis ein starker faktischer Zwang zu Konsens-Entscheidungen besteht.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

internationalen Funkverkehr (vgl. Art. 54 ITU-Konstitution). Die jeweils aktuelle VO Funk muß zwar zunächst bei der Ratifikation der ITU-Konstitution und Konvention als verbindlich anerkannt werden. Soweit es zu einer Revision kommt, besteht allerdings die Möglichkeit, Vorbehalte zu der revidierten VO Funk anzubringen bzw. ihre Bindungswirkung ganz auszuschließen (Art. 54 Abs. 1 ff. ITUKonstitution). Zur Unterstützung der Funkkonferenz wurde im Rahmen der ITU die Funkversammlung gegründet. Ihre Aufgabe ist es, die technischen Einzelheiten des internationalen Funkverkehrs auf der Grundlage der Berichte der Studienkommission für das Funkwesen aufzuarbeiten und entsprechende Empfehlungen abzugeben (vgl. Art. 8 ITU-Konvention). Die, oftmals im Korrespondenzverfahren verabschiedeten,652 Empfehlungen der Funkkonferenz sind zwar rechtsunverbindlich, ihnen kommt aber zumindest faktisch eine den Standardisierungsempfehlungen vergleichbare Wirkkraft zu. 653 Schließlich ist kurz auf die „Weltweite Konferenz für Internationale Fernmeldedienste" der ITU hinzuweisen. Ihre Aufgabe besteht im wesentlichen darin, über Änderungen in der VO Telekom zu beraten und zu beschließen (Art. 25 Abs. 1 ITU-Konstitution). Ebenso wie die VO Funk ist auch die VO Telekom ein völkerrechtsverbindliches Übereinkommen, dessen möglichst universelle Annahme durch die ITU-Mitgliedstaaten durch verschiedene Übergangs- und Verfahrensregelungen gewährleistet wird (vgl. Art. 54 ITU-Konstitution). 654 Die VO Telekom enthält detaillierte und weitreichende Verpflichtungen für die staatlichen Fernmeldeverwaltungen und die anerkannten privaten Betriebsunternehmen. Diese Verpflichtungen beziehen sich im wesentlichen auf die Sicherstellung der Grundversorgung mit Basistelekommunikationsdiensten, auf die Bereitstellung von Mehrwertdiensten und auf ordnungspolitische Aspekte für die Bildung privater internationaler Telekommunikationsnetze.655 Insgesamt kann für die ITU festgehalten werden, daß ihre Tätigkeit - im Sinne des internationalisierten Verwaltungshandelns - durch drei zentrale Merkmale gekennzeichnet ist: Zunächst handelt es sich um eine Organisation, der komplexe technische Aufgaben zufallen; dementsprechend technisch-administrativ ausgerichtet ist die Organstruktur der ITU und ihre inhaltliche Arbeit. Weiterhin ist es 652

Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union, 125.

653

Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union, 131; umfassend zum Frequenzverteilungskonzept und -verfahren in der ITU ebda., 242 ff. 654

Hierzu auch Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union, 112.

655

Ausführlich zur VO Telekom Tegge, Die Internationale Telekommunikations-Union,

164 ff.

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eine Besonderheit in der ITU, daß bereits in ihrer Satzung (Konstitution) die Vertretung der Mitgliedstaaten durch ihre zuständigen Verwaltungsstellen festgelegt ist. Auch dies unterstreicht nochmals die administrative Ausrichtung der Organisation und zugleich die Bedeutung, die der Organisation für die Arbeit der sachlich zuständigen innerstaatlichen Verwaltungsstellen zukommt. Schließlich öffnet sich die ITU immer mehr privaten Rechtssubjekten, die insbesondere als anerkannte Betriebsunternehmen über zahlreiche Partizipationsmöglichkeiten verfügen. Damit ist, ebenso wie für den innerstaatlichen Rechtsraum bereits festgestellt, auch das internationale Telekommunikationsrecht zunehmend von kooperativen Verwaltungsstrukturen geprägt.

b) WTO-Rechtsordnung Während die ITU auf internationaler Ebene in Kooperation mit den zuständigen nationalen Verwaltungsstellen in erster Linie für die technischen Aspekte der Telekommunikation verantwortlich ist, sind in der WTO-Rechtsordnung zahlreiche, das materielle Verwaltungsrecht betreffende regulatorische Fragen geregelt. Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung ist allerdings einschränkend darauf hinzuweisen, daß das Telekommunikationsrecht der WTO-Rechtsordnung ausgesprochen komplex ist und daher hier nicht umfassend dargestellt werden kann; zu Einzelheiten sei insoweit auf an anderer Stelle veröffentlichte Abhandlungen verwiesen. 656 Spezifische, auf internationalisierte Verwaltungsstrukturen verweisende Regelungen im Telekommunikationsrecht der WTO-Rechtsordnung finden sich in drei Bereichen: In Teil I I des GATS, in der bereits genannten Anlage zur Telekommunikation des GATS sowie in dem 4. Protokoll zum GATS. Teil I I des GATS (Art. I I ff. GATS) enthält allgemeine Verpflichtungen der WTO-Mitglieder für Dienstleistungen, für die Liberalisierungsverpflichtungen übernommen wurden. 657 Da die EG und ihre Mitgliedstaaten weitreichende Liberalisierungsverpflichtungen für das Telekommunikationswesen nach dem GATS eingegangen sind, 658 sind die 656 Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Teil II, E 27 Rdnr. 209-282. 657 Zur Regelungssystematik des GATS näher F. Weiss, CMLRev. 32 (1995), 1177 ff.; Koehler, Das Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen, 86 ff.; Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Teil II, E 27 Rdnr. 224 ff. 658 Siehe hierzu die Liste der spezifischen Verpflichtungen der EG und ihrer Mitgliedstaaten nach dem 4. Protokoll zum GATS, BGBl. 1997 II, 1992 ff.; auch abgedruckt bei: Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Teil II, E 27 Rdnr. 258.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Art. I I ff. GATS insoweit auch für die Bundesrepublik Deutschland stets zu beachten. Aus verwaltungsrechtlicher Perspektive ist dabei insbesondere Art. V I GATS von Interesse. Die Vorschrift enthält Vorgaben für die verfahrensrechtliche und materiellrechtliche Ausgestaltung von Genehmigungserfordernissen, die innerstaatlich für eine Dienstleistungserbringung vorgesehen sind. Dies gilt in der Regel für Telekommunikationsdienstleistungen.659 Soweit dementsprechend ein innerstaatliches, regelmäßig verwaltungsrechtlich ausgestaltetes Genehmigungserfordernis für Telekommunikationsanbieter besteht, schreibt Art. VI: 1 GATS zunächst vor, daß bei der Entscheidung über die Genehmigung insgesamt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten ist. 660 Darüber hinaus ist verfahrensrechtlich vorgeschrieben, daß ein Genehmigungsbewerber in einer „angemessenen Frist" von der zuständigen innerstaatlichen Behörde zu bescheiden und ihm auf Antrag Auskunft über den Stand der Bearbeitung des Antrages zu erteilen ist (Art. VI:3 GATS). Nähere Einzelheiten über den materiellrechtlich anzuwendenden Genehmigungsmaßstab sollen von dem WTO-Rat für den Handel mit Dienstleistungen noch erarbeitet werden (Art. VI:4 GATS); sie treten nach der Annahme im WTO-Rat für den Handel mit Dienstleistungen in Kraft, ohne daß es eines innerstaatlichen Ratifikationsverfahrens bedarf. 661 Solange es noch nicht zur Verabschiedung von spezifischen Genehmigungsstandards für den Telekommunikationssektor gekommen ist, bleibt es zunächst bei der die zuständigen nationalen Behörden treffenden Verpflichtung, die Genehmigungsvoraussetzungen im Einklang mit einschlägigen Empfehlungen zuständiger internationaler Organisationen - hier also insbesondere der ITU - sowie unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beurteilen (Art. VI:5 GATS). Überdies ist vorgeschrieben, daß zur verfahrensrechtlichen Durchsetzung der Rechte der Genehmigungsbewerber ein entsprechendes objektives und unparteiisches Gerichts- bzw. Verwaltungsverfahren vorzusehen ist (Art. VI:2 GATS). Damit enthält Art. V I GATS insgesamt weitreichende Verpflichtungen, die das formelle und materielle Verwaltungsverfahren für die Erteilung von Lizenzen zur Anbietung von Telekommunikationsdienstleistungen bestimmen. In der Anlage zur Telekommunikation des GATS (TKAnlage) 662 ist detailliert niedergelegt, welche Rechte Anbietern von Dienstleistungen zustehen, soweit 659 Vgl. § 6 TKG und die Richtlinie vom 10. April 1997 über einen gemeinsamen Rahmen für Allgemein- und Einzelgenehmigungen für Telekommunikationsdienste, ABl. EG L 117/15 v. 7.5.1997. 660

Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Teil II, E 27 Rdnr. 231 und 234. 661

Tietje, G Y I L 42 (1999), 26 (48).

662

Abgedruckt bei Tietje (Hrsg.), Welthandelsorganisation, 215 ff.

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diese auf die Nutzung von Telekommunikationsdiensten angewiesen sind. Insoweit enthält die TKAnlage kein eigenständiges Telekommunikationsrecht, sondern ist in ihrem Anwendungsbereich davon abhängig, daß es um Dienstleistungen außerhalb des Telekommunikationsbereiches geht, für die spezifische Liberalisierungsverpflichtungen nach Art. X V I ff. GATS übernommen wurden. 663 Da zahlreiche Dienstleistungen heute auf die Nutzung effektiver Telekommunikationsdienste angewiesen sind, war es notwendig, den Zugang zu und die Nutzung von öffentlichen Telekommunikationsnetzen und -diensten zu regeln; hierunter sind alle, nicht auf einen individuell und konkret abgrenzbaren Benutzerkreis beschränkten Telekommunikationsdienste und -netze zu verstehen. 664 Ähnlich weit ist der Anwendungsbereich der TKAnlage mit Blick auf die erfaßten innerstaatlichen Regelungen, die sich auf die Nutzung von und den Zugang zu Telekommunikationsdiensten und -netzen beziehen. Nach Ziff. 2 lit. a) TKAnlage findet sie für „all measures of a Member that affect access to and use of public telecommunications transport networks and services" Anwendung. Insbesondere das Tatbestandsmerkmal „affect" verdeutlicht, daß sich jedes hoheitliche Handeln der Legislative, Exekutive oder Judikative, das sich mittelbar oder unmittelbar, tatsächlich oder potentiell auf den Zugang und die Nutzung von Telekommunikationsdiensten und -netzen auswirkt, an der TKAnlage messen lassen muß. 665 Insoweit ist es auch konsequent, daß sich die TKAnlage nicht nur auf staatlich monopolisierte Telekommunikationsunternehmen bezieht, sondern hoheitliche Verpflichtungen auch gegenüber privaten Telekommunikationsunternehmen in liberalisierten Märkten statuiert. 666 Deutlich wird die sich so ergebende Garantenpflicht der nationalen Regulierungsbehörden mit Blick auf die Verpflichtung zur Gewährung von Meistbegünstigung nach Ziff. 5 lit. a) TKAnlage. Aus dieser Vorschrift folgt, daß die staatlichen Regulierungsbehörden entsprechende Maßnahmen ergreifen müssen, um sicherzustellen, daß durch das Verhalten privater Telekommunikationsunternehmen keine Verletzung der Meistbegünstigungsklausel eintritt; damit wird eine staatliche Erfolgspflicht statuiert, die sich auf pri-

663 Hierzu und insgesamt zur TKAnlage ausführlich Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Teil II, E 27 Rdnr. 239 ff. 664

Tietje, Rdnr. 244.

in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Teil II, E 27

665

Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Teil II, E 27 Rdnr. 245; zur anerkannten Bedeutung des Tatbestandsmerkmales „affect" in Art. 111:4 GATT und damit insgesamt in der WTO-Rechtsordnung ausführlich Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATTRechtsordnung, 230 ff. m. w. N. 666

Tuthill, Telecommunications Policy 20 (1996), 89 (95).

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vatrechtliches Handeln bezieht, das zunächst keinen völkerrechtlichen Verpflichtungen unterliegt. 667 Für die Tätigkeit der nationalen Regulierungsbehörden enthält die TKAnlage eine Reihe weiterer verfahrensrechtlicher und materiellrechtlicher Vorgaben. Verfahrensrechtlich besteht die Verpflichtung, alle für die Regulierung relevanten Informationen, wie Tarifbedingungen, Schnittstellendaten, Registrierungs- und Lizenzierungsbedingungen, öffentlich verfügbar zu machen (Ziff. 4 TKAnlage). Materiellrechtlich ist detailliert geregelt, welche Möglichkeiten für die Regulierungsbehörden bestehen, ausnahmsweise Beschränkungen für den Zugang zu und die Nutzung von Telekommunikationsdiensten und -netzen auszusprechen. Die im einzelnen in Ziff. 5 lit. d) ff. TKAnlage aufgeführten legitimen Regulierungsziele unterliegen dabei insgesamt dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit als Schranken-Schranke, um so die in Ziff. 5 lit. b) und c) niedergelegten Rechte der privaten Nutzer von Telekommunikationsdiensten- und netzen zu gewährleisten. 668 Als dritter, für die nationalen Regulierungsbehörden wichtiger Baustein des Telekommunikationsrechts der WTO ist schließlich auf das sogenannte „Reference Paper" (RP) 669 hinzuweisen, das als Bestandteil des 4. Protokolls zum GATS wettbewerbsrechtliche Vorgaben für die Telekommunikationsregulierung enthält. 670 Neben den inhaltlichen Vorgaben, die sich u. a. auf die Tätigkeit der Regulierungsbehörden mit Blick auf die Gewährleistung einer fairen, wettbewerbsorientierten Marktsituation im Telekommunikationssektor ergeben, ist insbesondere auf die Hervorhebung der Regulierungsbehörden selbst im Reference Paper hinzuweisen. Nach Ziff. 5 RP müssen Regulierungsbehörden getrennt von jedem Anbieter von Basistelekommunikationsdienstleistungen eingerichtet werden und dürfen diesem nicht verantwortlich sein. Zudem ist vorgeschrieben, daß die Entscheidungen und Verfahren der regulierenden Stellen im Hinblick auf alle Marktteilnehmer unparteiisch sein müssen. Im Rahmen der Regulierung der Zusammenschaltung (vgl. §§ 33 ff. TKG) ist auch vorgesehen, daß ein Rechtsschutzverfahren bei Streitigkeiten über die Bedingungen und Entgelte für die Zusammenschaltung vorzusehen ist, das u. a. bei einer Regulierungsbehörde angesiedelt sein kann (Ziff. 2.5 RP). Die Errichtung, Organisation und Tätigkeit einer nationalen Regu667 Tietje, Rdnr. 249.

in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Teil II, E 27

668 Einzelheiten bei Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Teil II, E 27 Rdnr. 250 ff. 669

BGBl. 1997 II, 2000; auch abgedruckt bei: Tietje (Hrsg.), Welthandelsorganisation,

221 ff. 670

Ausführlich hierzu Tietje, Union, Teil II, E 27 Rdnr. 260 ff.

in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen

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lierungsbehörde, wie z. B. in Deutschland der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, muß sich demnach auch nach dem Reference Paper an verschiedenen Vorgaben des WTO-Telekommunikationsrechts ausrichten. Damit kommt es insgesamt durch das WTO-Telekommunikationsrecht zu zahlreichen Eingriffen in das nationale Verwaltungsorganisations- und -verfahrensrecht im Bereich der Telekommunikationsregulierung.

c) Europäische Konferenz der Verwaltungen für Post und Telekommunikation (CEPT) Eine dritte Organisation, der zumindest im europäischen Raum eine wichtige Rolle im Bereich des internationalisierten Telekommunikations Verwaltungsrechts zukommt, ist die Europäische Konferenz der Verwaltungen für Post und Telekommunikation (CEPT). Die CEPT wurde bereits 1959 auf der Grundlage eines Verwaltungsabkommens (Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG) gegründet; 671 heute gehören ihr 43 Mitgliedstaaten aus dem europäischen Raum an. 672 Bis zum Beginn der achtziger Jahre befaßte sich die CEPT vorwiegend mit Aufgaben des administrativen, technischen und betrieblichen Bereichs der Telekommunikation.673 Bedingt durch die fortschreitende Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte stellten sich dann jedoch neue Aufgaben für die CEPT. Mit dem Inkrafttreten einer Änderung der vertraglichen Grundlage der Organisation im September 1992 674 wurde hierauf reagiert. Heute ist die CEPT eine „Organisation der Regulierer". 675 Dies drückt sich neben ihren inhaltlichen Aufgaben darin aus, daß die Mitgliedstaaten der CEPT durch ihre jeweiligen, für Regulierungsfragen zuständigen Verwaltungen für Post und Telekommunikation in der Organisation vertreten werden (Art. 3 Abs. 1 CEPT-Vereinbarung). Inhaltlich befaßt sich die CEPT im wesentlichen mit den europäischen Raum betreffenden politischen und regulatorischen Angelegenheiten von Post und Telekommunikation sowie mit der Harmonisierung der nationalen Regelwerke (Art. 4 CEPT-Vereinbarung). Institutionell gliedert sich die CEPT dabei in eine minde671

BAnz. 1959, Nr. 2/60; Vertragssammlung des Auswärtigen Amtes, Bd. 17, A 186.

67 2

Koenig/Neumann,

673

CEPT (Hrsg.), Vademecum, Juni 1999, 1.

M M R 2000, 151 (153).

674

Die neue Vereinbarung über die Gründung der Europäischen Konferenz der Verwaltungen für Post und Telekommunikation (CEPT), Stand: 7. September 1992, ist abgedruckt in: CEPT (Hrsg.), Vademecum, Juni 1999, 3 ff. 67 5

Koenig/Neumann,

M M R 2000, 151 (153).

448

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

stens alle drei Jahre zusammentretende Vollversammlung und eine geschäftsführende Verwaltung nebst Sekretariat (Art. 6 f. CEPT-Vereinbarung). An Handlungsinstrumentarien steht der CEPT die Möglichkeit zu, unverbindliche Empfehlungen zu erlassen und „Sonderregelungen" zu treffen, „um einen höheren Grad an Verbindlichkeit zu erreichen" (Art. 8 Abs. 1 CEPT-Vereinbarung). Die entsprechenden Beschlüsse werden in der Regel in Ausschüssen vorbereitet und gefaßt (Art. 5 Abs. 3 CEPT-Vereinbarung); soweit kein Konsens erzielt werden kann, besteht dabei die Möglichkeit, mit einfacher Mehrheit zu entscheiden (Art. 8 Abs. 3 CEPT). Die CEPT verfügt über drei Ausschüsse, in denen sich die eigentliche Sacharbeit vollzieht: Das Europäische Komitee für Regulierung Post (CERP), der Europäische Ausschuß für Regulierungsfragen Telekommunikation (ECTRA) und der Europäische Ausschuß für Funkangelegenheiten (ERC). Der Ausschuß für Regulierungsfragen Telekommunikation wird durch ein eigens im Jahre 1996 gegründetes, mit Rechtspersönlichkeit ausgestattetes Europäisches Büro für Telekommunikation (ETO) und der Europäische Funkausschuß durch ein im Jahre 1993 gegründetes Europäisches Büro für Funkangelegenheiten (ERO) in der Arbeit unterstützt. Sitz beider Büros ist Kopenhagen.676 Wie insgesamt in der CEPT werden die Mitgliedstaaten auch in den Ausschüssen und Büros durch ihre Verwaltungen für Post und Telekommunikation vertreten. Insgesamt zeichnet sich die Arbeit der CEPT und der mit ihr assoziierten Büros dadurch aus, daß es sich um eine intensive institutionalisierte Form der internationalen Verwaltungskooperation handelt. Auch wenn die von der CEPT und den Büros ergriffenen Maßnahmen in der Regel rechtsunverbindlich sind, ist nicht zu übersehen, daß die rechtlichen Auswirkungen der entsprechenden Empfehlungen weitreichende Folgen haben. Dies zeigt sich z. B. an der zentralen Aufgabe von CEPT/ETO, die verwaltungsrechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß es zu einem sogenannten „One-stop-shopping"-Verfahren zur Lizenzierung und Regulierung im Bereich der Telekommunikation kommt. Auch wenn hierzu bislang noch kein abschließendes Konzept verabschiedet wurde, verdeutlicht bereits diese Aufgabenumschreibung, daß aller Voraussicht nach in absehbarer Zeit aufgrund entsprechender Arbeiten der CEPT eine Form eines über das Gemeinschaftsrecht hinausgehenden transnationalen Verwaltungsaktes677 für Genehmigungsregelungen im Telekommunikationsbereich 676

Die Übereinkommen zur Gründung der Büros sind abgedruckt in: CEPT (Hrsg.), Vademecum, Juni 1999, 23 ff. und 35 ff. 677 Hierzu mit Blick auf das Gemeinschaftsrecht Neßler, N V w Z 1995, 863 ff.; SchmidtAßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 336.

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existieren wird. Zudem ist zu beachten, daß die CEPT in ihrer Arbeit zunehmend in EG-rechtliche Rechtsakte eingebunden wird. Damit kommt den CEPTEmpfehlungen zwar noch keine Rechtswirkung im Sinne des Gemeinschaftsrechts zu, durch die Verknüpfung mit dem EG-Recht entsteht aber zumindest eine beachtliche faktische Wirkung. 678 Insgesamt verdeutlichen damit die Struktur und die Aufgaben der CEPT, daß sich auch insoweit konkrete Formen eines internationalisierten Telekommunikationsverwaltungsrecht herausgebildet haben.

2. Internationales Postrecht Die internationale Kooperation zur Gewährleistung des grenzüberschreitenden Postverkehrs ist in historischer Perspektive wesentlich älter als die Zusammenarbeit im Telekommunikationssektor. Erste Ansätze einer bilateralen Regelung des grenzüberschreitenden Postverkehrs reichen bis in das 15. Jahrhundert zurück. 679 Erst im 19. Jahrhundert kam es dann aber am 5. Oktober 1874 zur Gründung der „General Postal Union", die im Jahre 1878 ihren auch heute noch gültigen Namen „Universal Postal Union" (UPU) erhielt. 680 Die in der UPU institutionell eingebundene Rechtsordnung des internationalen Postverkehrs gründet sich heute auf die Verträge des Weltpostvereins vom 14. September 1994. 681 Für den europäischen Rechtsraum werden die Verträge des Weltpostvereins durch die bereits dargestellte Vereinbarung über die CEPT ergänzt. 682 Darüber hinaus existiert seit 1993 die Association of European Public

67 8 Koenig/Neumann, M M R 2000,151 (156); Ladeur, ArchivPT 1998,243 (249); ebda, auch weitere Einzelheiten. 679

Einzelheiten und weitere Nachweise bei Garbe, in: Thesaurus Acroasium X V (1987), 401 (405 f.); M. W. Zacher/Sutton, Governing Global Networks, 181 ff.; Neu, Marktöffnung im nationalen und internationalen Postwesen, 9 ff. m. w. N. 680

Siehe bereits supra Teil 2, B. I.

681

BGBl. 1998 II, 2085.

682 Die Satzung des Weltpostvereins (BGBl. 1998 II, 2085) räumt den Mitgliedern der UPU ausdrücklich das Recht ein, sog. „engere Vereine" regionaler Kooperation im Postsektor zu gründen (Art. 8 UPU-Satzung). Wie bei anderen Formen der institutionalisierten internationalen Kooperation kommen auch hier Gedanken einer dezentralisierten Aufgabenwahrnehmung zum Ausdruck. Hierzu auch Garbe, in: Thesaurus Acroasium X V (1987), 401 (409 f.). Zur Arbeit der CEPT im Bereich des Postwesens auch Herdegen, in: Beckscher PostG-Kommentar, § 3 Rdnr. 17; Neu, Marktöffnung im nationalen und internationalen Postwesen, 50 ff.

450

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Postal Operators (PostEurop) 683 als Kooperationsforum von heute insgesamt 41 europäischen Postunternehmen. 684 Das Weltpostrecht in der Form der Verträge der UPU zeichnen zwei wesentliche Merkmale aus, die seine Bedeutung für das internationalisierte Verwaltunghandeln belegen. Hierbei handelt es sich um den von intensiven exekutiven Handlungsstrukturen geprägten Normgehalt der Verträge sowie um die unmittelbare Einbindung der nationalen Postverwaltungen in das Weltpostrecht. Das in der UPU institutionalisierte Weltpostrecht basiert auf verschiedenen, miteinander verbundenen Rechtsquellen unterschiedlicher normhierarchischer Geltung, 685 die insgesamt von den folgenden materiellrechtlichen Prinzipien geprägt sind: Freiheit des grenzüberschreitenden Post Verkehrs; Verpflichtung zur möglichst kostengünstigen Bereitstellung des Postdienstes; Verpflichtung zur Verhinderung schädigender Handlungen von Privatpersonen im Zusammenhang mit der Nutzung des Postdienstes; im übrigen Autonomie der Staaten zur Regulierung ihres nationalen Postdienstes.686 An der normhierarchischen Spitze des Weltpostrechts steht die Satzung des Weltpostvereins (UPU-Satzung), die als „Grundvertrag des Vereins" („Acte fondamental de V Union") die wesentlichen institutionellen sowie materiellrechtlichen Fragen regelt (vgl. Art. 22 Abs. 1 UPU-Satzung) und als Verfassungsurkunde der UPU die Stabilität des Gesamtrechtssystems garantiert. 687 Dies zeigt sich insbesondere daran, daß eine Änderung der UPU-Satzung nur mit Zweidrittelmehrheit möglich ist (Art. 30 UPU-Satzung). Die UPU-Satzung wird durch die „Allgemeine Verfahrensordnung des Weltpostvereins" 688 ergänzt; sie enthält Ausführungsregelungen zu den Satzungsbestimmungen und insgesamt zur Arbeitsweise der UPU (vgl. Art. 22 Abs. 2 UPU-Satzung). Im Gegensatz zur Satzung der UPU kann die Verfahrensordnung der UPU mit einfacher Mehrheit geändert werden (Art. 129 Verfahrensordnung UPU). Dabei bedarf es auch nicht der einzelstaatli-

683

Bundesministerium für Post und Telekommunikation, Vfg. P 212/1994, Amtsblatt Nr. 21 v. 31. März 1994, 484. 684

Hierzu im Überblick Neu, Marktöffnung im nationalen und internationalen Postwesen, 53 f. 685

Hierzu im Überblick Dahm, Völkerrecht, Bd. II, 743 ff.

686

Ausführlich M. F. Zacher/Sutton, Governing Global Networks, 186 ff.; zu den Tätigkeiten der UPU im Überblick auch Neu, Marktöffnung im nationalen und internationalen Postwesen, 38 f. 687

So auch Garbe, in: Thesaurus Acroasium X V (1987), 401 (410); ähnlich Neu, Marktöffnung im nationalen und internationalen Postwesen, 44 f. 688

BGBl. 1998 II, 2104.

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chen Ratifikation; vielmehr genügt - abhängig vom nationalen Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten - für die Annahme der Verfahrensordnung und aller sonstigen Verträge der UPU, mit Ausnahme der Satzung, die einzelstaatliche Genehmigung („approbation") in sonstiger Form (Art. 25 Abs. 4 UPU-Satzung). Soweit es zu Änderungen der Übereinkommen der UPU kommt - hierzu sogleich - , hat sich jedoch die gewohnheitsrechtliche Praxis herausgebildet, die neuen Verträge schon vom Zeitpunkt ihrer Verabschiedung an de facto anzuwenden, selbst wenn die entsprechende innerstaatliche Genehmigung noch nicht vorliegt. 689 Das eigentliche materielle Recht der UPU findet sich in dem Weltpostvertrag, einer ihn betreffenden Vollzugsordnung sowie weiteren Übereinkommen zu spezifischen Postsektoren und hierzu gehörenden Vollzugsordnungen. Der Weltpostvertrag und die für ihn erlassene Vollzugsordnung sind dabei für alle UPU-Mitglieder verbindlich; die sonstigen Übereinkommen und Vollzugsordnungen sind nur für die Mitglieder verbindlich, die ihnen beigetreten sind (vgl. Art. 22 Abs. 3 und Abs. 4 UPU-Satzung). Der Weltpostvertrag 690 und seine Vollzugsordnung enthalten die gemeinsamen Vorschriften für den internationalen Postdienst und die Bestimmungen über die Briefdienste (Art. 22 Abs. 3 UPU-Satzung). In ihnen ist im einzelnen u. a. geregelt, welche konkreten Regeln für die Freiheit des grenzüberschreitenden Postdienstes (Art. 1-7 WeltpostV), das Leistungsangebot im Bereich der Briefpost (Art. 8 ff.) sowie hinsichtlich der Beziehungen zwischen den nationalen Postverwaltungen mit Blick auf die Gewährleistung und technisch-ökonomische Abwicklung des Briefpostverkehrs (Art. 42 ff.) gelten. Weitere, technisch sehr spezifische Konkretisierungen dieser Regelungen finden sich in der Vollzugsordnung zum Weltpostvertrag. 691 Der Weltpostvertrag kann mit einfacher Mehrheit geändert werden. Die Änderungen treten mit Annahme durch das zuständige Organ in Kraft. Soweit die innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines UPU-Mitglieds „mit den vorgeschlagenen Änderungen noch unvereinbar sind", besteht für dieses nur die Möglichkeit, innhalb von neunzig Tagen ab dem Tag der Notifizierung der Annahme der Änderungen gegenüber dem Generaldirektor der UPU zu erklären, „daß es ihm nicht möglich ist, dieser Änderung zuzustimmen" (Art. 59 Abs. 4

689 Magiern, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 2, 1382; Neu, Marktöffnung im nationalen und internationalen Postwesen, 46; zu dieser „ratification tacite" auch BGHZ 76, 358 (359 f.); OLG Karlsruhe, NJW 1996, 2582 f.; zur dogmatischen Einordnung des Verfahrens ausführlich Rösgen, Rechtssetzungsakte der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, 95 ff. 690

BGBl. 1998 11,2135.

691

BGBl. 1998 II, Anlageband zu Nr. 41, 3 ff.

452

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Weltpost vertrag). Diese Möglichkeit des opting out besteht auch mit Blick auf die Vollzugsordnung zum Weltpostvertrag, die durch Mehrheitsbeschluß rechts wirksam geändert werden kann (Art. 22 Abs. 5 UPU-Satzung, Art. 59 Abs. 2 WeltpostV). Neben dem WeltpostV und seiner Vollzugsordnung besteht das materielle Weltpostrecht aus dem Postpaketübereinkommen, 692 dem Postanweisungsübereinkommen,693 dem Postgiroübereinkommen 694 und dem Postnachnahmeübereinkommen. 695 Diese, nur die UPU-Mitglieder, die sie jeweils angenommen haben, bindenden Übereinkommen, werden gleichfalls durch Vollzugsordnungen als sekundärem Recht der UPU ergänzt. 696 Auch für diese Übereinkommen und Vollzugsordnungen gilt, das Änderungen durch Mehrheitsbeschluß herbeigeführt werden können. Die so erfolgten Rechtsänderungen treten für ein Mitglied nur dann nicht in Kraft, wenn es von der Möglichkeit des opting out Gebrauch macht. 697 Für die Wahnehmung der Aufgaben, die sich mit Blick auf die vereinfachten Vertragsänderungsverfahren des UPU-Rechts und insgesamt hinsichtlich der komplexen Sachmaterien des Weltpostrechts ergeben, existieren verschiedene Organe der UPU: der Kongreß, der Verwaltungsrat, der Rat für den Postbetrieb und das - hier nicht weiter behandelte - Internationale Büro 6 9 8 (vgl. Art. 13 ff. UPU-Satzung). Der Kongreß der Bevollmächtigten der Regierungen der Mitgliedstaaten der UPU ist das höchste Beschlußorgan der Organisation. Seine Aufgaben sind davon gekennzeichnet, daß das Weltpostrecht einem kontinuierlichen Rechtsanpassungsprozeß unterworfen wird. Dies kommt darin zum Ausdruck, daß der Kongreß spätestens jeweils fünf Jahre, nachdem die auf dem vorhergehenden Kongreß beschlossenen, revidierten Verträge des Weltpostrechts in Kraft getreten sind, wieder zusammentreten muß (Art. 101 Abs. 1 Allgemeine Verfahrensordnung des Weltpostvereins). Dem Kongreß obliegt es dementsprechend, mit Zweidrittelmehrheit die UPU-Satzung und mit einfacher Mehrheit die sonstigen Verträge der UPU zu ändern. Die entsprechenden Änderungsvorschläge sind dabei, 692

BGBl. 1998 11,2172.

693

BGBl. 1998 11,2196.

694

BGBl. 1998 II, 2204.

695

BGBl. 1998 II, 2214.

696

Vollzugsordnungen zum Postpaketübereinkommen, zum Postanweisungsübereinkommen, zum Postgiroübereinkommen und zum Postnachnahmeübereinkommen, BGBl. 1998 II, Anlageband zu Nr. 41, 169 ff., 263 ff., 315 ff., 349 ff. 697

Siehe Art. 42 Postpaketübereinkommen, Art. 13 Postanweisungsübereinkommen, Art. 18 Postgiroübereinkommen und Art. 9 Postnachnahmeübereinkommen. 698

Zur Tätigkeit des Internationalen Büros im Überblick Neu, Marktöffnung im nationalen und internationalen Postwesen, 43 f.

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soweit es nicht um Änderungen der UPU-Satzung oder deren Allgemeiner Verfahrensordnung geht, von den Postverwaltungen der Mitglieder vorzulegen (vgl. Art. 120 Allgemeine Verfahrensordnung des Weltpostvereins). Darüber hinaus, und dies unterstreicht den auf eine dynamische Rechtsentwicklung angelegten Charakter des Weltpostrechts nochmals, können Änderungen des materiellen Weltpostrechts in der Zeit zwischen zwei Kongressen im Umlaufverfahren vorgenommen werden; auch hier steht das Vorschlagsrecht den nationalen Post Verwaltungen zu. Die im Umlaufverfahren angenommenen Änderungen treten - vorbehaltlich der Möglichkeit des opting out - frühestens nach drei Monaten nach einer entsprechenden Notifikation an die Mitglieder durch den Generalsekretär des Internationalen Büros in Kraft (Art. 124 Abs. 2 Allgemeine Verfahrensordnung des Weltpostvereins). 699 Als zweites wichtiges Organ der UPU ist der Verwaltungsrat zu nennen, dessen Aufgabe es ist, „in der Zeit zwischen zwei Kongressen die Fortführung der Arbeiten des Vereins nach den Bestimmungen der Verträge des Vereins [zu gewährleisten]" (Art. 17 Abs. 1 UPU-Satzung). 700 Der Verwaltungsrat setzt sich aus 41 Mitgliedern zusammen, von denen 40 vom Kongreß gewählt werden; die Präsidentschaft des Verwaltungsrates steht dem Gastland des jeweiligen Kongresses zu (Art. 102 Abs. 1 und Abs. 2 Allgemeine Verfahrensordnung des Weltpostvereins). In ihrer Stellung als Mitglieder eines Organes einer internationalen Organisation üben die Mitglieder des Verwaltungsrates „ihre Tätigkeit im Namen und im Interesse des Vereins aus" (Art. 17 Abs. 2 UPU-Satzung). Von den umfangreichen Aufgaben, die in die Zuständigkeit des Verwaltungsrates fallen (vgl. umfassend Art. 102 Abs. 6 Allgemeine Verfahrensordnung des Weltpostvereins), sei neben organisationsinternen Verwaltungskompetenzen auf die Befugnisse hingewiesen, die sich auf die Rechtssetzungstätigkeiten in der UPU beziehen. So kommt es dem Verwaltungsrat z. B. zu, die Empfehlungen des Rates für Postbetrieb über die Änderung der Freimachgebühren für Briefsendungen, die in der Zeit zwischen zwei Kongressen beschlossen werden sollen, zu genehmigen (Art. 106 Abs. 6.22 Allgemeine Verfahrensordnung des Weltpostvereins). Insgesamt kennzeichnen den Verwaltungsrat dementsprechend nicht nur exekutive Vollzugsaufgaben, sondern auch Handlungsbefugnisse im Bereich der Rechtssetzung. Dies entspricht seiner Funktion als Organ, das die Arbeit des Kongresses zwischen dessen Sitzungen wahrnimmt. Zudem ist hervorzuheben, daß dem Verwaltungsrat und dem 699 Als Beispiel für eine entsprechende Notifikation über eine Änderung der Regelung des Postpaketübereinkommens zu Grundgebühren siehe das Schreiben des Weltpostvereins v. 19. Juni 1997, abgedruckt in: BGBl. 1998 II, 2219. 700 Zu den Tätigkeiten des Verwaltungsrates im Überblick auch Neu, Marktöffnung im nationalen und internationalen Postwesen, 41 f.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

sogleich darzustellenden Rat für Postbetrieb in letzter Zeit zunehmend Rechtssetzungsbefugnisse durch den Kongreß übertragen werden, damit sich dieser vermehrt auf grundlegende politische Debatten und Entscheidungen konzentrieren kann. 701 Einen noch deutlicheren exekutiven Charakter prägt den Rat für Postbetrieb, der beauftragt ist, „sich mit betrieblichen, kommerziellen, technischen und wirtschaftlichen Fragen, die für den Postdienst von Interesse sind, zu befassen" (Art. 18 UPU-Satzung). 702 Er setzt sich aus 40 Mitgliedern zusammen, die von den Postverwaltungen der entsprechenden Mitgliedstaaten der UPU bestimmt werden (Art. 104 Abs. 3 Allgemeine Verfahrensordnung des Weltpostvereins). Neben Aufgaben im Bereich der Überwachung und Koordinierung im Zusammenhang mit der laufenden Anwendung des Weltpostrechts stehen dem Rat für Postbetrieb weitreichende Rechtssetzungsbefugnisse zu. An erster Stelle ist die Kompetenz des Rates zu nennen, die Vollzugsordnungen zum Weltpostvertrag und zu den sonstigen Übereinkommen der UPU zu beschließen (Art. 22 Abs. 5 UPU-Satzung). Darüber hinaus bereitet der Rat die im Umlaufverfahren zu fassenden Beschlüsse über die Änderung der Übereinkommen der UPU vor, indem er die entsprechenden Vorschläge der nationalen Postverwaltungen prüft und mit entsprechenden Stellungnahmen versieht, bevor es zur Vorlage zur Genehmigung durch die Mitglieder der UPU kommt (Art. 104 Abs. 9.7 Allgemeine Verfahrensordnung des Weltpostvereins). Schließlich ist der Rat dafür zuständig, gegenüber den nationalen Postverwaltungen Empfehlungen über Standards im technischen und betrieblichen Bereich sowie in anderen in seine Zuständigkeit fallenden Bereichen abzugeben, soweit „eine einheitliche Praxis unerläßlich ist" (Art. 104 Abs. 9.9 Allgemeine Verfahrensordnung des Weltpostvereins). Insgesamt ist der Rat für Postbetrieb, ein aus Verwaltungsfachleuten der nationalen Postverwaltungen zusammengesetztes Organ, damit das wohl wichtigste operative Organ der UPU mit Blick auf die dynamische Fortentwicklung des materiellen Weltpostrechts. Die sich damit in der Organstruktur der UPU deutlich zeigende exekutive Dominanz, gerade im Bereich der Rechtssetzung,703 korrespondiert mit der materiellrechtlichen Rechte- und Pflichtenstruktur der UPU-Übereinkommen. Zwar sind im 701 So die Informationen der UPU, verfügbar unter: http://www.upu.int/upu/an/CG.html; hierzu auch Neu, Marktöffnung im nationalen und internationalen Postwesen, 40. 702

Zu ihm im Überblick auch Neu, Marktöffnung im nationalen und internationalen Postwesen, 42 f. 703 Umfassend zu den Rechtssetzungskompetenzen der UPU Rösgen, Rechtssetzungsakte der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, 90 ff. m. w. N.

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Einklang mit grundlegenden völkerrechtlichen Vorgaben nur einzelne Staaten Mitglieder der UPU. Die konkreten, im Detail ausgesprochen komplexen Regelungen des materiellen Weltpostrechts richten sich jedoch an die nationalen Postverwaltungen. Nachdem diese von den Mitgliedstaaten nach ihrem innerstaatlichen Recht eigenverantwortlich bestimmt wurden, 704 kommt es also dazu, daß eine völkerrechtliche Verpflichtungsstruktur entsteht, in der die betreffende nationale Verwaltungsstelle nicht mehr vom Staat mediatisiert wird, sondern in der sie selbst aus einem völkerrechtlichen Vertrag unmittelbar berechtigt und verpflichtet ist. Diese unmittelbare Erfassung der nationalen Postverwaltungen durchzieht das gesamte materielle Weltpostrecht und wird durch die bereits genannten verfahrensrechtlichen Vorschriften u. a. zum Vorschlagsrecht der Postverwaltungen für Rechtsänderungen ergänzt. Zusammenfassend läßt sich damit feststellen, daß das Weltpostrecht in seinen wesentlichen Bereichen internationales und internationalisiertes Verwaltungsrecht ist. Der aus Sicht des Verbrauchers heute unkomplizierte internationale Postverkehr ist nur möglich, indem ein detailliertes Regelwerk existiert, das fortlaufend den sich ändernden technologisch-ökonomischen Entwicklungen angepaßt wird. Neben den die UPU seit jeher beschäftigenden Fragen der technischen Standardisierung des Postverkehrs und seiner Sicherheit sowie den ökonomischen Fragen der Gebührenabrechnung gewinnen in jüngerer Zeit die Probleme an Bedeutung, die sich aus der fortschreitenden Privatisierung und damit Liberalisierung der Postdienste ergeben. Auch in diesem Bereich zeigt die auf exekutiven Regulierungsstrukturen beruhende Arbeit innerhalb der UPU, daß das Rechtssystem insgesamt erfolgreich darauf ausgelegt ist, ein Höchstmaß an Kooperation der Postverwaltungen zu garantieren. A l l diese Aspekte führen so im Ergebnis dazu, daß das Weltpostrecht sich in seiner langen Entwicklung als sehr stabiles Rechtssystem der internationalen Verwaltungskooperation erwiesen hat. 705

3. Internationales Luftverkehrsrecht Das internationale Luftverkehrsrecht ist angesichts seines inhärent grenzüberschreitenden Regelungsgegenstandes seit jeher von umfassenden Internationalisie704

Herdegen, in: Beckscher PostG-Kommentar, § 3 Rdnr. 12, unter Verweis auf die Resolution C 29/1994 des Weltpostvereins. 705 Ausführlich hierzu auch M. W. Zacher/Sutton, Governing Global Networks, 181-211; i. E. ebenso Magiern, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 2, 1382 (1385); zu aktuellen Trends in der Arbeit der UPU siehe Neu, Marktöffnung im nationalen und internationalen Postwesen, 36 ff.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

rungserscheinungen geprägt. Aufgrund der Vielzahl der heute das internationale Luftrecht prägenden bi- und multilateralen Übereinkommen kann hier nicht das gesamte internationale Luftverkehrsrecht umfassend dargestellt werden. 706 Es soll vielmehr nur darauf ankommen, in der gebotenen Kürze auf die exekutiven Regelungsstrukturen aufmerksam zu machen, die sich insbesondere in den Arbeiten der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO), der European Civil Aviation Conference (ECAC), der Joint Aviation Authorities (JAA) und EUROCONTROL zeigen. Das materielle internationale Luftverkehrsrecht wird auf universeller Ebene in erster Linie durch das Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt (ChicagoKonvention) vom 7. Dezember 1944 707 geprägt. Die Chicago-Konvention enthält einige zentrale Regelungen über die internationale Zivilluftfahrt und stellt gleichzeitig die Gründungsurkunde der ICAO dar. Ebenso wie bei vielen anderen, bereits dargestellten multilateralen Vertragswerken praktiziert, finden sich auch mit Blick auf die Chicago-Konvention die wesentlichen operativen Bestimmungen in Anhängen zu dem Vertrag. In ihnen sind die in der ICAO-Terminologie als „International Standards and Recommended Practices" (SARPS) bezeichneten Regelungen enthalten, die die technische Abwicklung des Flugverkehrs betreffen (vgl. Art. 37 f. Chicago-Konvention). Daneben haben sich in der Arbeit der ICAO weitere normative Regelungen herausgebildet, die unter den Bezeichnungen „Procedures for Air Navigation Services (PANS)", „Regional Supplementary Procedures (SUPPS)" und „Air Navigation Plans (ANP)" bekannt sind. 708 Die insgesamt 18 Anhänge zu der Konvention enthalten die sogenannten SARPS. Sie werden durch den Rat der ICAO mit Zweidrittelmehrheit angenommen (Art. 90 Chicago-Konvention) und treten frühestens nach drei Monaten nach der Übermittlung des entsprechenden Ratsbeschlusses an die Mitgliedstaaten in Kraft, ohne daß es einer weiteren Annahmeerklärung durch die Mitgliedstaaten bedarf; diese Rechtsfolge tritt nur dann nicht ein, wenn eine Mehrheit der Mitgliedstaaten den Ratsbeschluß ablehnt (Art. 90 lit. a) Chicago-Konvention). 709 Soweit es zu dem Inkrafttreten neuer oder geänderter Anhänge kommt, besteht für die Mitgliedstaaten nur die - innerhalb von 60 Tagen auszuübende - Möglichkeit des opting out (Art. 38 Chicago-Konvention). 706 Siehe insoweit den Überblick bei Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 22 ff. m. w. N. 707

BGBl. 1956 II, 411, mit Änderungen, zur Zeit in der Fassung vom 1. Oktober 1998.

708

Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 301.

709 Siehe auch Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 302 m. w. N.

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Die damit dem Rat der IC AO zugewiesene Rechtssetzungsbefugnis erfährt ihre besondere Bedeutung durch die Zusammensetzung dieses Organes. In ihm sind nämlich nicht alle Mitgliedstaaten der ICAO vertreten, sondern er besteht nur aus insgesamt 33 Mitgliedern (Art. 50 Chicago-Konvention). Im übrigen ist aber zu beachten, daß von den SARPS nur die „standards" Rechtsverbindlichkeit entfalten; bei den ebenfalls vorgesehenen „recommended practices" handelt es sich hingegen - wie der Wortlaut zeigt - um unverbindliche Empfehlungen. 710 Diese Differenzierung in der Verpflichtungsstruktur der Akte des Rates gilt für alle normativen Akte der ICAO. Zudem bestehen Unterschiede mit Blick auf die Wirkung, die den genannten Rechtsakten im innerstaatlichen Rechtsraum zukommt. Das primäre und das sekundäre ICAO-Recht kennen Vorschriften, die zum Teil unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbar sind, zum Teil aber erst noch in das nationale Recht umgesetzt werden müssen. Insgesamt gesehen zeigen sich damit im ICAO-Recht deutliche Züge einer „nationale Rechtssetzungsgewalt verdrängende[n] internationale^ Rechtssetzung".711 Dies ist nicht nur mit Blick auf die allgemeine Bedeutung internationaler Rechtssetzung von Bedeutung, sondern zudem ein weiterer Baustein in der näheren Erfassung der Grundstrukturen des internationalisierten Verwaltungshandelns. Soweit einzelnen technischen Rechtsakten der ICAO nämlich eine unmittelbare Wirkung im innerstaatlichen Rechtsraum zukommt, wirkt sich dies als normative Handlungsvorgabe unmittelbar auf die nationale Luftfahrtverwaltung aus. Darüber hinaus ist angesichts der intensiven exekutiven Handlungsstrukturen im deutschen Luftfahrtrecht 712 ohnehin in nahezu allen Regelungsbereichen des internationalen Luftrechts eine direkte Verpflichtung der nationalen Verwaltung als Teil der Staatsorganisation zu konstatieren, was sich auch an den insoweit im deutschen Recht vorgesehenen Verordnungermächtigungen und verschiedenen internationalisierten Rechts wirkungen zeigt. 713 Wie weit die sich damit ergebenden internationalen Einflüsse auf das

7,0

Kirgis, in: Schachter/Joyner (Hrsg.), United Nations Legal Order, Vol. 2, 825 (830 ff.); Cheng, The Law of International Air Transport, 70; J. Erler, Rechtsfragen der ICAO, 117; Rösgen, Rechtssetzungsakte der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, 66; Hohe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 301 m. w. N. 711 So, mit weiteren Einzelheiten, Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 302 f. m. w. N.; zur Rechtssetzungstätigkeit der ICAO umfassend auch Rösgen, Rechtssetzungsakte der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, 63 ff.; Kirgis, in: Schachter/Joyner (Hrsg.), United Nations Legal Order, Vol. 2, 825 ff. m. w. N. 712

Siehe supra Teil 6, C. I. 2.

713

Hier noch infra Teil 6, C. III. 2.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

nationale Luftverkehrs verwaltungsrecht gehen,714 kann über die technischen Detailregelungen der ICAO hinausgehend auch daran abgelesen werden, daß nach Art. 33 Chicago-Konvention Lufttüchtigkeitszeugnisse, Befähigungszeugnisse und Erlaubnisscheine für das Flugpersonal von den Vertragsstaaten gegenseitig anzuerkennen sind, so daß in diesem Sachbereich im Ergebnis transnationale Verwaltungsakte vorliegen. Im europäischen Raum setzt sich die Arbeit der ICAO in der European Civil Aviation Conference (ECAC) zwar fort, erfährt aber eine ganz andere, nämlich im Gegensatz zur Rechtssetzungstätigkeit der ICAO informelle Ausrichtung. Die ECAC wurde 1955 nach vorbereitenden Initiativen des Europarates gegründet. Heute sind 38 europäische Staaten Mitglieder der Organisation, 715 die auf der zuletzt im Jahre 1993 geänderten „ECAC-Constitution" als Rechtsgrundlage beruht. 716 Die ECAC ist mit der ICAO eng verbunden, auch wenn es sich nicht um einen sogenannten nachgeordneten Luftverkehrsausschuß auf regionaler Grundlage i. S. v. Art. 55 lit. a) Chicago-Konvention handelt. Als insoweit selbständige, in der Sacharbeit aber eng an die ICAO gebundene Organisation ist die ECAC heute auf allen Gebieten der zivilen Luftfahrt tätig. 717 Im Gegensatz zur ICAO stehen der ECAC jedoch keine Rechtssetzungsbefugnisse zu. Ihre Arbeit beschränkt sich vielmehr darauf, unverbindliche Empfehlungen an die Mitgliedstaaten abzugeben; Art. 1 Abs. 3 ECAC-Constitution bringt dies deutlich zum Ausdruck: „The functions of the Conference shall be consultative and its resolutions, recommendations or other conclusions shall be subject to the approval of governments." Trotz der damit auf den ersten Blick geringen rechtsnormativen Bedeutung der ECAC darf jedoch nicht übersehen werden, daß von diesem Forum internationaler Verwaltungskooperation wichtige Impulse für die Verkehrspolitik der EG ausgegangen sind. 718 Darüber hinaus zeigt sich die Bedeutung der ECAC für das internationalisierte Verwaltungshandeln darin, daß eines ihrer Organe neben der Vollversammlung, dem Koordinationsausschuß, dem Sekretariat und verschiedenen 714

Zu den Erfolgen der formellen und informellen Regelungsaktivitäten der ICAO im Hinblick auf die Schaffung eines harmonisierten, universell geltenden Luftfahrtrechts ausführlich M. W. Zacher/Sutton, Governing Global Networks, 81 ff. m. w. N. 715 Zu den Mitgliedstaaten siehe: http://www.ecac-ceac.org/uk/ecac/ecac-memberstates.htm. 716

Die ECAC-Constitution und ihre Verfahrensordnung sind abgedruckt in: ECAC Constitution and Rules of Procedure, ECAC.CEAC Doc No. 20,4th ed., Dezember 1996. 717

Zu den Arbeitsschwerpunkten der ECAC siehe Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 92 ff. 718 Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 93.

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Fachunterorganen die Versammlung der Leiter der nationalen Luftfahrtbehörden ist (Art. 7 ECAC-Constitution). Dieser Versammlung nationaler Verwaltungsspitzen kommen zunächst verwaltungstechnische Aufgaben mit Blick auf die Arbeit der Organisation zu. Darüber hinaus obliegt es der Versammlung der Leiter der Luftverkehrsbehörden, das inhaltliche Arbeitsprogramm der ECAC vorzubereiten, entsprechende begleitende Untersuchungen vorzunehmen sowie die notwendigen Arbeitsgruppen einzusetzen (vgl. Art. 7 Abs. 2 ECAC-Constitution). Die Arbeit der Versammlung der Leiter der Luftverkehrsbehörden vollzieht sich dabei in Kooperation mit dem Koordinationsausschuß, dem zusammen mit dem Präsidenten und Vizepräsidenten der Vollversammlung die Vorsitzenden der „associated bodies" 719 sowie maximal zehn Mitglieder der Konferenz angehören (Art. 10 Abs. 1 ECAC-Constitution). Insgesamt ist die ECAC damit eine in ihrer Sacharbeit für die europäische Luftverkehrspolitik wichtige Institution, 720 die geradezu idealtypisch durch die sich in ihr vollziehende internationale Verwaltungskooperation geprägt wird. Auch die Joint Aviation Authorities (JAA), die im Sinne von Art. 4 Abs. 2 ECAC-Constitution assoziiertes Organ der ECAC ist, 721 zeichnet sich durch eine intensive Verwaltungskooperation aus, die sich im europäischen Bereich in ihrem institutionellen Rahmen vollzieht. Ursprünglich auf gemeinsame Bauvorschriften für das Airbus-Projekt beschränkt, wurde die JAA in den achtziger Jahren institutionalisiert und zugleich ihre Arbeit umfassend auf die Ausarbeitung gemeinsamer Bauvorschriften und - in jüngerer Zeit hinzugekommen - gemeinsamer Verfahrensvorschriften für die Entwicklung, Herstellung, Instandhaltung und den Betrieb von Luftfahrzeugen sowie die Lizenzierung des Luftfahrtpersonals ausgedehnt.722 In dem von den nationalen Luftfahrtbehörden am 11. September 1990 abgeschlossenen „Arrangement Concerning Development, the Acceptance and the Implementation of Joint Aviation Requirements" haben sich die Behörden dazu verpflichtet, als Grundlage ihrer nationalen Musterzulassungen von Verkehrsflugzeugen auf die im Rahmen der JAA entwickelten Bauvorschriften zurückzugreifen. 723 Diese auch rechtlich verfestigte Kooperation der Luftfahrtbehörden bei der Baumusterzulassung wurde zwischenzeitlich durch die EG-Verordnung 3922/91 vom

719

Es handelt sich hierbei zur Zeit ausschließlich um die Joint Aviation Authorities (JAA); zu ihr Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 253. 720

Zur Bedeutung der ECAC siehe auch Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts,

90 ff. 721

Siehe Annex to the ECAC-Constitution.

722

Luftfahrt-Bundesamt, Jahresbericht 1999, 5.

723

Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 253.

460

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

1. Januar 1992 724 mit neuer Rechtsqualität versehen, da sich das relevante Gemeinschaftsrecht sachlich an die Vereinbarungen der JAA anpaßt.725 Zugleich wird die Arbeit des Luftfahrt-Bundesamtes ganz maßgeblich durch die Verwaltungskooperation im Rahmen der JAA geprägt. 726 Abschließend ist kurz auf die „Europäische Organisation für Flugsicherung" (EUROCONTROL) hinzuweisen, die durch ein Übereinkommen vom 13. Dezember I960 7 2 7 gegründet wurde. Nach dem ursprünglichen EUROCONTROL-Übereinkommen wurden der Organisation u. a. Hoheitsaufgaben mit Exekutivbefugnissen auf dem Gebiet der Flugverkehrskontrolle übertragen. 728 Diese weitreichende normative Ausrichtung von EUROCONTROL wurde zwischenzeitlich aufgehoben. EUROCONTROL steht zwar weiterhin das Recht zu, für die Mitgliedstaaten verbindliche Beschlüsse zu fassen, dies ist allerdings mit der Möglichkeit des opting out bei „zwingenden Gründen des nationalen Interesses" verbunden (Art. 7 Abs. 1 EUROCONTROL-Übereinkommen). Nach der Vertragsänderung zum 1. Januar 1986 beschränkt sich die Arbeit von EUROCONTROL daher nunmehr im wesentlichen darauf, die Tätigkeiten der nationalen Flugsicherungsdienste zu koordinieren und weiterzuentwickeln sowie im Auftrag der Vertragsparteien die Flugsicherungs-Streckengebühren festzulegen und einzuziehen.729 EUROCONTROL steht insoweit neben den genannten verbindlichen Beschlüssen, die in der Kommission von EUROCONTROL, in der alle Mitgliedstaaten vertreten sind, einstimmig zu verabschieden sind (Art. 7 Abs. 1 EUROCONTROL-Übereinkommen), die Kompetenz zu, sonstige Richtlinien und Maßnahmen, die sich auf die Tätigkeit der Agentur für Flugsicherung als Exekutivorgan der Organisation beziehen, durch Mehrheitsvotum zu beschließen (Art. 7 Abs. 3 EUROCONTROLÜbereinkommen). Die Agentur für Flugsicherung 730 hat ihrerseits die Kompetenz, im Rahmen der von der Kommission erteilten Richtlinien selbständige Kontakte mit u. a. den zuständigen nationalen öffentlichen und privaten technischen Diensten aufzunehmen; hierzu kann sie „Verträge ausschließlich verwaltungsmäßiger, 724

ABl. EG 1991, L 373/4.

725

Basedow/Dolfen,

726

Hierzu noch infra Teil 6, C. III. 1. b).

727

Die aktualisierte Fassung des Übereinkommens ist abgedruckt in: BGBl. 1984 II, 97.

in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, L Rdnr. 331.

728

Ausführlich Grämlich, ZLW 1979, 190 ff.; im Überblick auch Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 94 f. 729 Zu den Aufgaben der Organisation siehe insgesamt Art. 2 EUROCONTROL-Übereinkommen; die Festlegung und Einziehung der Flugsicherungs-Streckengebühren ist geregelt in Art. 2 Abs. 1 lit. 1) EUROCONTROL-Übereinkommen i. V. m. der mehrseitigen Vereinbarung über Flugsicherungs-Streckengebühren, BGBl. 1984 II, 109. 730

Siehe hierzu Anlage 1 zum EUROCONTROL-Übereinkommen.

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technischer oder kaufmännischer Art" abschließen (Art. 13 EUROCONTROLÜbereinkommen). Die bereits insoweit deutlich werdende Relevanz der formellen und informellen Verwaltungskooperation im Rahmen von EUROCONTROL kommt im Bereich der Festlegung und Einziehung der Flugsicherungs-Streckengebiihren nochmals deutlich zum Ausdruck. Nach Art. 22 der mehrseitigen Vereinbarung über Flugsicherungs-Streckengebühren sind die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten nämlich dazu verpflichtet, zum Zwecke der Festlegung und Einziehung der Flugsicherungs-Streckengebühren mit EUROCONTROL zusammenzuarbeiten. Auch wenn die nur begrenzten rechtsnormativen Befugnisse von EUROCONTROL unter rechtspolitischen Gesichtspunkten mit Blick auf die Notwendigkeit einer effektiven, zentralisierten europäischen Flugsicherung kritisiert werden können, 731 bleibt im Ergebnis festzuhalten, daß EUROCONTROL eine wichtige Rolle in der internationalisierten Luftverkehrsverwaltung einnimmt. Die der Organisation zugewiesenen Kompetenzen im Bereich der Rechtssetzung und der Verwaltungskooperation belegen, daß auch insoweit das Luftverkehrsrecht umfassend von exekutiven internationalen und internationalisierten Handlungsstrukturen geprägt ist.

4. Internationales Schiffsverkehrsrecht Das internationale Schiffsverkehrsrecht, das sich u. a. mit Fragen der Sicherheit und Abwicklung des Seeverkehrs sowie mit hiermit zusammenhängenden Umweltschutzaspekten befaßt, findet seine institutionelle Verankerung in der Internationalen Schiffahrts-Organisation (IMO). Sie wurde am 6. März 1948 unter dem Namen „Inter-Governmental Maritime Consultative Organization" (IMCO) gegründet; den heutigen Name erhielt die Organisation durch eine entsprechende Satzungsänderung vom 14. November 1975, die am 22. Mai 1982 in Kraft trat. 732 Als Sonderorganisation der Vereinten Nationen (vgl. Art. 59 IMO-Übereinkommen i. V. m. Art. 57 UN-Charta) ist die Organisation auf die fachlich-technische Arbeit im Bereich des Seeverkehrs beschränkt, was auch ihrem Selbstverständnis

731 Siehe die rechtspolitischen Überlegungen bei Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 99 f. 732

Statt vieler P. Seidel, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 1, 734; Gloria, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 54 Rdnr. 7 f.; aktuelle Fassung des IMO-Übereinkommens in: BGBl. 1986 II, 423.

462

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

und ihrer Praxis entspricht. 733 Schon vor diesem Hintergrund kommt der IMO eine große Bedeutung mit Blick auf Strukturen eines internationalisierten Verwaltungshandelns zu; dies wurde im Rahmen der Erörterungen zum internationalen marinen Umweltschutzrecht bereits angedeutet.734 Die zentralen Ziele der IMO bestehen darin, (1.) die internationale Kooperation bei der „staatlichen Regelung und Handhabung fachlicher Anglegenheiten aller Art der internationalen Handelsschiffahrt" zu stärken, (2.) zur Annahme möglichst hoher Sicherheits-, Leistungsfähigkeits- und Umweltschutzstandards beizutragen sowie (3.) alle hiermit im Zusammenhang stehenden „Verwaltungs- und Rechtsfragen" zu behandeln (Art. 1 lit. a) IMO-Übereinkommen). Mit der Erfüllung dieser Ziele sind die folgenden Hauptorgane der IMO betraut: die alle zwei Jahre zusammentretende Versammlung aller Mitglieder (Art. 12 ff. IMO-Übereinkommen), der aus 32 von der Versammlung gewählten Mitgliedern bestehende Rat (Art. 16 ff. IMO-Übereinkommen), die sich aus Vertretern aller Mitglieder zusammensetzenden Ausschüsse für Schiffssicherheit (Art. 27 ff. IMO-Übereinkommen), für Rechtsfragen (Art. 32 ff. IMO-Übereinkommen), für den Schutz der Meeresumwelt (Art. 37 ff. IMO-Übereinkommen) und für technische Zusammenarbeit (Art. 42 ff. IMO-Übereinkommen) sowie schließlich das Sekretariat (Art. 47 ff. IMO-Übereinkommen). Diese auf den ersten Blick für eine UN-Sonderorganisation typische Organstruktur hat in der Praxis insoweit eine gewisse Modifikation erfahren, als die wesentliche Sacharbeit der I M O nicht im Rat erfolgt, der die Aufgaben der Versammlung zwischen ihren Tagungen wahrnimmt (Art. 26 IMO-Übereinkommen), sondern in den Fachausschüssen, und hier insbesondere im Ausschuß für Schiffssicherheit und im Ausschuß für den Schutz der Meeresumwelt. 735 Neben der bedeutenden Rolle, die diesen und anderen, zusätzlich gebildeten Fachausschüssen gerade mit Blick auf rechtssetzende Aktivitäten zukommt, ist darauf hinzuweisen, daß der Versammlung die zentrale Aufgabe der Annahme von Vorschriften und Richtlinien u. a. zur Schiffssicherheit und zur Verhütung der Meeresverschmutzung zugewiesen ist (Art. 15 lit. j ) EMO-Übereinkommen). Die Rolle der I M O im internationalen Schiffsverkehrsverwaltungsrecht ist in erster Linie in ihren rechtssetzenden Aktivitäten zu sehen. Dies ist weniger auf spezifische Vorgaben des IMO-Übereinkommens zurückzuführen, als vielmehr auf die Einbindung, die die IMO in andere, für sich eigenständige Rechtsregime, 733 Zu diesem, politische Auseinandersetzungen meidenden „spirit of I M O " statt vieler P. Seidel, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 1, 734 (741). 734

Supra Teil 6, B. III. 1. a) aa).

735

Kirgis, in: Schachter/Joyner (Hrsg.), United Nations Legal Order, Vol. 2,715 (716 f.).

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die zum Teil unter dem Dach der IMO erarbeitet wurden, erhalten hat. Auf der Grundlage der der IMO zugewiesenen Aufgabe, zur Erarbeitung von völkerrechtlichen Abkommen im Bereich des Schiffsverkehrs beizutragen (vgl. Art. 15 lit. 1) IMO-Übereinkommen), ist es zur Ausarbeitung zahlreicher multilateraler Vertragswerke für den Schiffsverkehr gekommen. Von den zahlreichen Abkommen, die auf Initiative bzw. unter Begleitung durch die IMO entstanden sind, 736 weisen einige spezifische Charakteristika auf, die die mittelbare rechtssetzende Funktion der IMO verdeutlichen. Dies gilt insbesondere für das Übereinkommen zur Erleichterung des internationalen Seeverkehrs, 737 das Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe vom 4. November 1973 (MARPOL), 738 das Internationale Übereinkommen zum Schutze des menschlichen Lebens auf See (SOLAS) 739 und das Übereinkommen über die Internationalen Regeln zur Verhütung von Zusammenstößen auf See (COLREG). 740 Wie sich die angedeutete mittelbare rechtssetzende Funktion der IMO mit Blick auf diese Übereinkommen ausgestaltet, kann beispielhaft anhand des Übereinkommens zur Erleichterung des internationalen Seeverkehrs dargestellt werden. 741 Für die Bundesrepublik ist dieses Übereinkommen am 24. September 1967 in Kraft getreten; der Beitritt zum Vertrag erfolgte durch einen entsprechenden Regierungsakt, der ohne Beteiligung der gesetzgebenden Körperschaften i. S. v. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG erging. 742 Das Übereinkommen zur Erleichterung des internationalen Seeverkehrs dient dazu, das Ein- und Auslaufen von Handelsschiffen möglichst reibungslos zu gestalten. Die Einzelheiten zu den insoweit maßgeblichen Regelungen zu z. B. Art, Anzahl und Ausstellung der für das Schiff notwendigen Dokumente, zur Gleichstellung der Seemannsausweise mit einem Reisepaß, zu notwendigen Gesundheitszeugnissen und zu den Modalitäten der Schiffsabfertigung 743 sind in detaillierten Vorschriften enthalten, die sich in einer Anlage zu dem Übereinkommen finden. 736

Siehe hierzu den Überblick bei Henry, The Carriage of Dangerous Goods by Sea, Annex II. 737

BGBl. 1967 II, 2434, mit Änderungen.

738

BGBl. 1982 II, 4.

739 Verordnung zum Inkrafttreten des Übereinkommens v. 11. Januar 1979, BGBl. 1979 II, 141, mit Änderungen. 740 741

Vom 20. Oktober 1972, BGBl. 1976 II, 1017, mit Änderungen.

Insgesamt hierzu ausführlich Kirgis, Legal Order, Vol. 2, 715 (719 ff.).

in: Schachter/Joyner (Hrsg.), United Nations

742

Siehe Bekanntmachung v. 19. Oktober 1967, BGBl. 1967 II, 2434; sowie Beckert/ Breuer, Öffentliches Seerecht, Rdnr. 369/Fn. 47. 743 Zu den Regelungen des Übereinkommens im einzelnen Beckert/Breuer, Seerecht, Rdnr. 700 ff.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Wie bereits für die von der ICAO verabschiedeten Sicherheitsregelungen dargestellt, wird auch in diesem Übereinkommen zwischen „standards" und „recommended practices" unterschieden, wobei die Differenzierung mit Blick auf den Verpflichtungsgrad auch hier Anwendung findet. 744 Da sich angesichts des Detailcharakters der zahlreichen „standards" und „recommended practices" im Anhang zu dem Übereinkommen fortlaufend die Notwendigkeit einer Vertragsanpassung ergibt, sieht das Übereinkommen ein vereinfachtes Änderungsverfahren vor, das in zwei unterschiedlichen Wegen durchgeführt werden kann: Die eine Möglichkeit der Änderungen des Vertragsanhanges besteht darin, diese auf einer eigens zu diesem Zweck einberufenen Konferenz der Vertragsparteien mit Zweidrittelmehrheit zu beschließen (Art. VII:3). 7 4 5 Die angenommene Änderung tritt sechs Monate nach einer entsprechenden Notifikation für alle Vertragsparteien in Kraft, wenn nicht von der Möglichkeit des opting out Gebrauch gemacht wurde. Die Attraktivität des Opting -out-Verfahrens ist jedoch gering, da nach Art. I X des Übereinkommens mit Zweidrittelmehrheit von der Konferenz entschieden werden kann, daß eine Vertragspartei, die die Opting-out-Möglichkeit in Anspruch genommen hat und nicht innerhalb eines Jahres doch noch die Annahme der Änderung erklärt, als Vertragspartei des Übereinkommens ausscheidet. In der Praxis weitaus relevanter ist die zweite Möglichkeit der vereinfachten Vertragsänderung. Nach Art. VII:2 des Übereinkommens kann jede Vertragspartei eine Änderung des Übereinkommens vorschlagen. Der Vorschlag wird sodann in dem „Erleichterungsausschuß" der IMO behandelt. Soweit die Vertragsänderung im Erleichterungsausschuß von zwei Dritteln der anwesenden und abstimmenden Vertragsparteien angenommen wird, erfolgt eine Übermittlung an die Vertragsparteien. Fünfzehn Monate später tritt die Änderung in Kraft, wenn nicht innerhalb von zwölf Monaten eine Ablehnung durch zwei Drittel der Vertragsparteien erfolgt. Einzelne Vertragsparteien können dann aber noch von der Möglichkeit des opting out Gebrauch machen (Art. VII:2 lit. d) i. V. m. Art. VIII). Das für das Übereinkommen zur Erleichterung des internationalen Seeverkehrs vorgesehene, vereinfachte Vertragsänderungsverfahren ist in ähnlicher Form auch Bestandteil der MARPOL-, COLREG- und SOLAS-Übereinkommen. I m Detail gibt es zwar gewisse Unterschiede im Verfahren, alle genannten Übereinkommen sehen jedoch als eine Möglichkeit der vereinfachten Vertragsänderung einen Beschluß in dem sachlich zuständigen IMO-Ausschuß vor, der für alle Vertrags744

Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rdnr. 701; Kirgis, in: Schachter/Joyner (Hrsg.), United Nations Legal Order, Vol. 2, 715 (719). 745 Art. V I I in der Fassung der am 2. Juni 1984 in Kraft getretenen Änderung, siehe die Bekanntmachung v. 5. Oktober 1984, BGBl. 1984 II, 938.

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Parteien in Kraft tritt, soweit nicht von der Möglichkeit des opting out Gebrauch gemacht wurde. 746 Dies zeigt, welche wichtige Bedeutung der IMO, und hier speziell ihren Fachausschüssen, als internationale Rechtssetzungsinstitution im internationalen Seeverkehrsverwaltungsrechts zukommt. Die rechtssetzende Tätigkeit der IMO erschöpft sich jedoch nicht darin, die detaillierten Vertragsanhänge der verschiedenen Übereinkommen zum internationalen Seeverkehr zu beschließen. Zu beachten ist vielmehr auch die der IMO-Versammlung und, ihr nachgeordnet, den Fachausschüssen zugewiesene Rechtsmacht, den Mitgliedstaaten die Annahme von Vorschriften und Richtlinien zu empfehlen, die sich u. a. auf die Schiffssicherheit und die Bekämpfung der Meeres verschmutzung beziehen (Art. 15 lit. j ) IMO-Übereinkommen). Die IMO hat von dieser Möglichkeit umfassend Gebrauch gemacht und zahlreiche, technisch sehr komplexe und detaillierte Empfehlungen zu den verschiedensten Sachaspekten des internationalen Seeschiffsverkehrs abgegeben.747 Auch wenn es sich hierbei um unverbindliche Maßnahmen der IMO handelt, darf nicht vorschnell geschlossen werden, daß den Empfehlungen dementsprechend keine normative Wirkung zukommt - im Gegenteil: Die zunächst unverbindlichen Empfehlungen der IMO erlangen über ihre faktische Relevanz im Seeschiffsverkehr 748 hinausgehend vielmehr eine unmittelbare Rechtsverbindlichkeit im Zusammenspiel mit weiteren seerechtlichen Verträgen. An erster Stelle zu nennen sind insoweit Verweisnormen in den MARPOL-, COLREG- und SOLAS-Übereinkommen, die zu einer Rechtsverbindlichkeit von IMO-Empfehlungen führen. Die Übereinkommen sehen in zahlreichen Vorschriften vor, daß die Vertragsparteien u. a. mit Blick auf verschiedene Sicherheits- und Umweltschutzfragen sowie hinsichtlich der Einhaltung bestimmter Seeverkehrswege 749 an die einschlägigen Empfehlungen der I M O bzw. ihrer Fachausschüsse gebunden sind. Durch diesen Regelungsmechanismus erlangen die Empfehlungen der IMO unmittelbar rechtsnormative Wirkung als bindendes Völkerrecht, und zwar auch dann, wenn eine Vertragspartei eines der genannten Übereinkommen gar nicht Mitglied der IMO ist. 750 Eine ähnliche Wirkung erzielen auch die zahlreichen - für den Umweltschutzbereich bereits näher 746 Einzelheiten bei Kirgis, Vol. 2,715(721 f.).

in: Schachter/Joyner (Hrsg.), United Nations Legal Order,

747

Einzelheiten bei Henry, The Carriage of Dangerous Goods, passim; Kirgis, in: Schachter/Joyner (Hrsg.), United Nations Legal Order, Vol. 2, 715 (727 ff.), jeweils m. w. N. 748 Ausführlich hierzu Kirgis, in: Schachter/Joyner (Hrsg.), United Nations Legal Order, Vol. 2, 715 (727 ff.) m. w. N. 749 750

Einzelheiten hierzu bei Beckert/Breuer,

Öffentliches Seerecht, Rdnr. 609 ff.

Ausführlich zu den Einzelheiten Kirgis, in: Schachter/Joyner (Hrsg.), United Nations Legal Order, Vol. 2, 715 (723 ff.).

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

dargestellten 751 - Vorschriften im UN-Seerechtsübereinkommen (SRÜ), die in nicht immer einheitlicher Formulierung auf „generally accepted rules, standards, regulations, procedures" und/oder „practices" verweisen. 752 Die normative Reichweite der durch diese Verweisnormen in das Rechtsregime des SRÜ inkorporierten technischen Detailregelungen des internationalen Seeverkehrs- und -umweltrechts ist zwar durchaus unterschiedlich ausgestaltet und kann insoweit nur im Einzelfall abschließend bewertet werden, entscheidend ist jedoch, daß ungeachtet hier nicht weiter zu erörternder Einzelprobleme insbesondere die unverbindlichen Empfehlungen der I M O durch das SRÜ Rechtsverbindlichkeit erlangen. 753 Auch hierdurch wird nochmals verdeutlicht, daß der technischadministrativen Sacharbeit in der I M O und ihren Fachausschüsse eine weit über ihre faktische Bedeutung hinausgehende rechtsnormative Relevanz zukommt, ohne die ein sicherer und umweltgerechter internationaler Seeschiffsverkehr undenkbar wäre. Zugleich erweist sich nochmals, daß eine Kohärenz zwischen den angesichts der technischen Komplexität notwendigen exekutiven Strukturen des nationalen und des internationalen Seeverkehrsrechts besteht. Neben der dominierenden exekutiven Rechtssetzung in diesem Bereich zeigt sich dies auch daran, daß die seeverkehrsrechtlichen Detailabkommen in der Regel die im nationalen Rechtsraum sachlich zuständigen Behörden als Adressaten der völkerrechtlichen Verpflichtungen nennen. Beispielhaft kann auch insoweit auf das Übereinkommen zur Erleichterung des internationalen Seeverkehrs verwiesen werden. In der Anlage zu diesem Übereinkommen werden in nahezu allen Vorschriften die Rechte und Pflichten der „öffentlichen Behörden" der Vertragsparteien mit Blick auf das Einlaufen, den Aufenthalt und das Auslaufen von Schiffen, die Ein- und Ausreise von Schiffsbesatzungen und Fahrgästen, Gesundheits- und Quarantänevorschriften sowie sonstige mit dem Schiffsverkehr zusammenhängende Fragen geregelt. Als „öffentliche Behörde" werden dabei definiert: „Die Dienststellen oder Bedienstete in einem Staat, die für die Anwendung und Durchsetzung der Gesetze und sonstigen Vorschriften des betreffenden Staates, die sich in irgendeiner Weise auf die in dieser Anlage enthaltenen Richtlinien und Empfehlungen beziehen, verant-

75 1

Supra Teil 6, B. III. l . a ) aa).

752

Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen v. 10.12.1982, BGBl. 1994 II, 1799, insbesondere Art. 21 Abs. 2 und Abs. 4, 39 Abs. 2,41 Abs. 3, 53 Abs. 8, 60 Abs. 3, 5 und 6, 94 Abs. 2 und 5, 208 Abs. 3, 210 Abs. 6, 211 Abs. 2 und 6, 226 Abs. 1. 753 Zu Einzelheiten siehe Oxman, New York Univ. J. of Int'l L & Politics 24 (1991), 109 ff.; Kirgis, in: Schachter/Joyner (Hrsg.), United Nations Legal Order, Vol. 2, 715 (732 ff.), jeweils m. w. N.

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wortlich sind". 754 Angesichts des Detailcharakters und des sachlichen Regelungsumfanges der Vorschriften in dem Anhang zu dem Übereinkommen zur Erleichterung des internationalen Seeverkehrs, aber auch der sonstigen seeverkehrsrechtlichen Abkommen, kann damit eine umfassende Internationalisierung des Handelns der für den Seeverkehr zuständigen Behörden konstatiert werden. 755

III. Internationalisiertes Verwaltungshandeln im deutschen Kommunikations- und Transportverwaltungsrecht 1. Internationale Verwaltungskooperation Wie sich bereits im Rahmen der Darstellung der internationalen Rechtsregime für die Kommunikation und den Transport gezeigt hat, findet die technische Ausrichtung der entsprechenden Regelungsmaterien u. a. in intensiven internationalen und internationalisierten Aktivitäten der zuständigen nationalen Verwaltungsbehörden ihren Ausdruck. Diesem bislang nur aus völkerrechtlicher Perspektive erörterten Phänomen entspricht das auf gesetzlicher Grundlage beruhende bzw. sich faktisch vollziehende Engagement der zuständigen deutschen Behörden.

a) Kommunikationsverwaltungsrecht Für das Kommunikationsrecht läßt sich das Ausmaß der internationalen Verwaltungskooperation anhand der Tätigkeiten der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) anschaulich belegen. Dabei fällt jedoch zunächst auf, daß sich im TKG und im PostG keine ausdrücklichen Regelungen über die Befugnisse der RegTP mit Blick auf die institutionalisierte internationale Verwaltungskooperation finden. § 83 TKG, der auch für das PostG Anwendung findet (§ 44 Satz 2 PostG), legt vielmehr nur fest, daß die Regulierungsbehörde, soweit erforderlich, „ i m Falle grenzüberschreitender Auskünfte oder Prüfungen mit den zuständigen Behörden anderer Staaten zusammenarbeitet]". Angesichts des sachlichen Zusammenhanges zwischen § 83 TKG und Art. 32 Abs. 1 GG ist der 754

Abschnitt 1. A. Absatz 8 der Anlage zum Übereinkommen zur Erleichterung des internationalen Seeverkehrs. 755 Zu Einzelheiten der das Handeln der nationalen Seeschiffahrtsbehörden determinierenden internationalen Rechtsvorgaben siehe die ausführliche Darstellung zu den einzelnen Aspekten des Seeschiffahrtsrechts in der Bundesrepublik Deutschland von Beckert/Breuer, Öffentliches Seerecht, Rdnr. 272 ff., 414 ff., 532 ff., 605 ff., 682 ff., 745 ff.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Verweis auf „andere Staaten" aber dahingehend zu verstehen, daß hiermit alle anderen Völkerrechtssubjekte, also auch internationale Organisationen, gemeint sind. 756 Im übrigen ist anerkannt, daß die damit unmittelbar gesetzlich begründete internationale Kompetenz der RegTP nicht daran hindert, daß die Regulierungsbehörde über § 83 TKG hinausgehend weitere Aufgaben in internationalen Gremien wahrnimmt, soweit sie hierzu vom Bundesministerium für Wirtschaft (vgl. § 66 Abs. 1 TKG) 7 5 7 beauftragt wurde. 758 In der Praxis führt dieses Zusammenspiel gesetzlich und durch fachliche Weisung begründeter internationaler Aufgaben der RegTP dazu, daß diese auf nahezu allen Gebieten des Telekommunikations- und Postrechts in internationale Strukturen der Verwaltungskooperationen eingebunden ist: Im Bereich der Telekommunikation ist die RegTP in den insoweit wichtigsten internationalen und regionalen Organisationen und Gremien vertreten. Mitarbeiter der Behörde nehmen regelmäßig an den verschiedenen Arbeitstagungen z. B. in der ITU, der ICAO, der IMO und der ISO teil, soweit sie allgemeine Fragen der Telekommunikation betreffen. Auf regionaler Ebene kommt insbesondere der Verwaltungskooperation in der CEPT eine große Bedeutung in der internationalisierten Tätigkeit der Regulierungsbehörde zu. Die Behörde ist an allen Tagungen der Vollversammlung des Europäischen Ausschusses für Regulierungsangelegenheiten Telekommunikation (ECTRA) der CEPT aktiv beteiligt. Darüber hinaus arbeiten Vertreter der RegTP in den ECTRA-Projektteams „Allgemeine Genehmigungen und individuelle Lizenzierung", „Numerierung", „Abrechnungsprinzipien und Regulierung der Zusammenschaltungsangelegenheiten" sowie „Technische Regulierung und Standards für Zusammenschaltung" mit. 7 5 9 Neben diesen internationalisierten Aktivitäten in allgemeinen Angelegenheiten der Telekommunikationsregulierung ist die internationale Kooperation im Rahmen der Frequenzordnung ein wichtiger Bestandteil in der internationalen Tätigkeit der Behörde. In den Jahren 1998/1999 waren Mitarbeiter der Regulierungsbehörde in 52 Gremien des Funksektors der ITU, in 33 Projektteams bzw. Arbeitsgruppen im Rahmen der CEPT sowie bei 66 anderen internationalen Tagungen zu bi- und multilateralen

756 Zu dieser Auslegung Geppert, in: Beckscher TKG-Kommentar, § 83 Rdnr. 2; zur entsprechenden Auslegung des Art. 32 Abs. 1 GG statt vieler Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 32 Rdnr. 22 m. w. N. 757

Zum Verhältnis der RegTP zum Bundesministerium für Wirtschaft siehe Geppert, in: Beckscher TKG-Kommentar, § 66 Rdnr. 13 ff. 75 8

Geppert, in: Beckscher TKG-Kommentar, § 83 Rdnr. 4.

759

Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, Tätigkeitsbericht 1998/1999,

98 f.

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Koordinierungsangelegenheiten im Frequenzsektor vertreten. 760 Weitere internationale Arbeitskontakte vollzogen sich in verschiedenen Gremien, die sich mit Aspekten der elektromagnetischen Verträglichkeit und dem Prüf- sowie Meßdienst befaßten. 761 Überdies nahmen Vertreter der RegTP im Jahre 1998 an 279 und im ersten Halbjahr 1999 an 180 internationalen Tagungen teil, bei denen es um technische Standards, Normen und Zulassungsvorschriften für Telekommunikationsdienstleistungen, -systeme und -endgeräte ging. 762 Die internationalisierte Verwaltungskooperation der RegTP wird schließlich durch regelmäßige hochrangige Treffen der Regulierungsbehörden, der Europäischen Kommission und der nationalen Verwaltungen sowie Treffen der Präsidenten der europäischen Regulierungsbehörden komplettiert. 763 Auch im Postsektor zeigt sich eine ähnlich intensive internationalisierte Verwaltungskooperation der RegTP. In Absprache mit dem Bundesministerium für Wirtschaft arbeitet die Behörde auf allen Ebenen in internationalen Postangelegenheiten mit. So nimmt die RegTP in der UPU die Jahrestagungen des Verwaltungsrates und des Rates für Postbetrieb wahr. Im Europäischen Ausschuß für Regulierung Post der CEPT (CERP) nehmen Vertreter der RegTP an den ein- bis zweimal jährlich stattfindenden CERP-Voll Versammlungen teil und arbeiten in deren verschiedenen Arbeitsgruppen zu Einzelfragen der Postregulierung mit. In den einschlägigen internationalen und regionalen Gremien zu Standardisierungsfragen im Postsektor ist die Regulierungsbehörde ebenfalls aktiv vertreten. 764 Als Bestandteil der internationalen Verwaltungskooperation im Kommunikationssektor ist schließlich auf Entwicklungen hinzuweisen, die die zunehmende Bedeutung des kooperativen internationalen Verwaltungshandelns belegen. Die Einbindung der anerkannten Betriebsunternehmen der Telekommunikation und der nationalen Postverwaltungen in die Arbeiten der ITU bzw. UPU führt im Zeichen der Privatisierung dieser Dienste auf nationaler Ebene dazu, daß auch private Unternehmen Teil des internationalen Regulierungsprozesses werden. Im Telekommunikationssektor regelt § 7 TKG insoweit, daß Lizenznehmer, deren 760

Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, Tätigkeitsbericht 1998/1999,

761

Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, Tätigkeitsbericht 1998/1999,

99. 100 f. 762

101. 763

102. 764

168 f.

Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, Tätigkeitsbericht 1998/1999, Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, Tätigkeitsbericht 1998/1999, Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, Tätigkeitsbericht 1998/1999,

470

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Tätigkeit im einzelnen näher umschriebene internationale Bezüge aufweist, eo ipso anerkannte Betriebsunternehmen i. S. d. rechtlichen Vorgaben der I T U sind. 765 Damit erstreckt sich die Lizenzvergabe (§ 8 TKG) nicht nur auf die Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen im nationalen Rechtsraum (vgl. § 6 TKG), sondern konstituiert zugleich die Einbindung des Lizenznehmers in die Rechte- und Pflichtenstruktur, die das ITU-Recht für anerkannte Betriebsunternehmen vorsieht. Eine ähnliche internationalisierte Regelungsstruktur ist im Postrecht vorgesehen, wobei hier allerdings aufgrund der bislang bestehenden Sonderstellung der Deutschen Post A G noch gewisse Modifikationen gelten. Die nach dem UPU-Recht den nationalen Postverwaltungen zugewiesenen Rechte und Pflichten im Weltpostrecht nimmt bislang die Deutsche Post A G wahr; andere Unternehmen können zur Wahrnehmung dieser Rechte und Pflichten jedoch auf Antrag zugelassen werden. 766 Im Zuge der fortschreitenden Privatisierung des Postdienstes wird sich damit auch insoweit eine verstärkte Einbindung privater Postunternehmen in das Weltpostregime zeigen. Auch dies wird dazu führen, daß sich ebenso wie im Telekommunikationsrecht Elemente des kooperativen Verwaltungshandelns auf die internationale Ebene erstrecken. Sie zeichnen sich insgesamt dadurch aus, daß die zuständigen nationalen Verwaltungsstellen die Verantwortung dafür tragen, daß die privaten Telekommunikations- und Postunternehmen die normativen Vorgaben des ITU- und UPU-Rechts beachten. 767 Dies kann als internationalisierte Überwachungsverantwortung bezeichnet werden, die sich aus der Einbindung privater Unternehmen in die internationale Verwaltungskooperation im Kommunikationssektor ergibt.

b) Transportverwaltungsrecht Der Luftfahrtsektor ist angesichts der ihn prägenden wirtschaftlichen Notwendigkeit weltweiter Zusammenarbeit von einer intensiven internationalen Kooperation der zuständigen Behörden geprägt. Dementsprechend arbeiten Mitarbeiter des 765

Vgl. R. Schütz, in: Beckscher TKG-Kommentar, § 7 Rdnr. 7 f.

766

Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 des Gesetzes zu den Verträgen vom 14. September 1994 des Weltpostvereins, BGBl. 1998 II, 2082; siehe auch Herdegen, in: Beckscher PostG-Kommentar, § 3 Rdnr. 12. 767

Für das Telekommunikationsrecht erfolgt dies durch die Überwachungsregelungen nach dem TKG (z. B. § 61 TKG), siehe auch R. Schütz, in: Beckscher TKG-Kommentar, § 7 Rdnr. 8; für das Postwesen sind die Überwachungsbefugnisse des Bundesministeriums für Wirtschaft unter Bezugnahme auf eine Einbindung der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post in Art. 5 des Gesetzes zu den Verträgen vom 14. September 1994 des Weltpostvereins, BGBl. 1998 II, 2082, geregelt.

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Luftfahrt-Bundesamtes (LBA) in den unterschiedlichsten Arbeitsgruppen und Komitees in der JAA, der ICAO, der ECAC, EUROCONTROL und weiteren internationalen Institutionen der Luftfahrt mit. 7 6 8 Auf universeller Ebene ist insoweit insbesondere auf das von der ICAO initiierte Programm einer obligatorischen Sicherheitsuntersuchung aller 185 ICAO-Mitgliedstaaten hinzuweisen, an dem sich Mitarbeiter des LBA beteiligen. 769 Im europäischen Raum ist die JAA die wichtigste Institution, in der das Luftfahrt-Bundesamt im Wege der Verwaltungskooperation tätig ist. 770 Ohne hier umfassend auf die zahlreichen technischen Aspekte der internationalen Zusammenarbeit der Luftfahrtbehörden eingehen zu wollen, kann im Ergebnis anhand des vom Luftfahrt-Bundesamt veröffentlichten Jahresberichtes 1999 festgestellt werden, daß seine Arbeit in allen wesentlichen Tätigkeitsfeldern von der Kooperation mit anderen Luftfahrtbehörden gekennzeichnet ist. Die technisch-administrative Ausrichtung der internationalen Verwaltungskooperation kommt schließlich besonders deutlich darin zum Ausdruck, daß das Bundesministerium für Verkehr die ständige Vertretung der Bundesrepublik bei der ICAO in Montreal unterhält. 771 Damit wird das Ressortmonopol, das ansonsten für ständige Vertretungen bei internationalen Organisationen beim Auswärtigen Amt liegt, durchbrochen. Auch die Tätigkeit der deutschen Schiffsverkehrsbehörden ist von der internationalen Verwaltungskooperation geprägt. Für die Behörden, die Aufgaben der Schiffssicherheit wahrnehmen, ist dies sogar auf eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage zurückzuführen. Nach § 10 Abs. 3 SchSG arbeiten die Behörden des Bundes „zur Durchführung und Durchsetzung der internationalen Schiffssicherheitsregelungen in wirksamer Weise mit den zuständigen Behörden anderer Staaten und mit internationalen Organisationen zusammen." Entsprechend dieser Regelung arbeitet das Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie (BSH) intensiv in zahlreichen Gremien der IMO mit, die sich mit den unterschiedlichsten Schiffssicherheitsstandards befassen. Dies betrifft z. B. die Mitarbeit im Schiffssicherheitsausschuß der IMO und in dem IMO-Unterausschuß „Safety of Navigation". Hier wie auch in anderen Gremien der IMO wurden in den letzten Jahren zahlreiche Schiffssicherheitsstandards unter bedeutendem Einfluß des BSH erarbeitet. 772 Überdies ist das BSH z. B. in verschiedenen Gremien der International

768

Luftfahrt-Bundesamt, Jahresbericht 1999, 5.

769

Luftfahrt-Bundesamt, Jahresbericht 1999, 38.

770

Luftfahrt-Bundesamt, Jahresbericht 1999, 5, 11 und passim.

77 1

Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 90.

772

BSH, Jahresbericht 1998, 39 ff.

472

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Hydrographie Organization (IHO) u. a. mit Standardisierungsfragen befaßt. 773 Ein noch breiteres Bild der internationalen Verwaltungskooperation ergibt sich für die Wasser- und Schiffahrtsdirektionen des Bundes. Allein das Dezernat Verkehrstechnik der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Nord (WSD Nord) ist regelmäßig u. a. in den folgenden internationalen Institutionen und ihren Gremien, die sich mit zahlreichen Aspekten der technischen Standardisierung befassen, vertreten: 774 International Association of Lighthouse Authorities (IALA), 7 7 5 International Electrotechnical Commission (IEC), ITU, Radio Commission for Maritime Services (RTCM), 7 7 6 Northwest European Loran C-System (NELS) 777 und International Loran Association. 11*

2. Materiellrechtliche

Internationalisierungserscheinungen

a) Verordnungsgebung und schlichte Bekanntmachung internationaler Standards Die im nationalen Telekommunikationsrecht dominierende exekutive Rechtssetzung779 erfaßt auch solche Regelungsgegenstände, die sich auf internationale Rechtsvorgaben beziehen. Die wichtigste, insoweit internationalisierte Verordnungsermächtigung im Telekommunikationsrecht ist in dem Zustimmungsgesetz zur Konstitution und Konvention der ITU aus dem Jahre 1996 enthalten. Hiernach 780 ist das Bundesministerium für Post und Telekommunikation (jetzt Bundesministerium für Wirtschaft) 781 ermächtigt, die Vollzugsordnungen zur Konstitution 773

BSH, Jahresbericht 1998, 61 ff.

774

Schriftliche Auskunft der WSD Nord an den Verf. vom 20. September 2000, Az.: 114.2/13. 775

Informationen hierzu unter: http://www.beta.ialahq.org/index.html.

776

Informationen hierzu unter: http://www.rtcm.org.

777

Informationen hierzu unter: http://www.nels.org.

778

Informationen hierzu unter: http://www.loran.org.

77 9

Supra Teil 6, C. I. 1.

780

Art. 2 Gesetz zu der Konstitution und Konvention der Internationalen Fernmeldeunion vom 22. Dezember 1992 sowie zu den Änderungen der Konstitution und Konvention der Internationalen Fernmeldeunion vom 14. Oktober 1994, BGBl. 1996 II, 1306. 781

Nach der Auflösung des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation (siehe Organisationserlaß des Bundeskanzlers v. 17.12.1997, BGBl. 1998 I, 68) ist die ihm ehemals zugewiesene Zuständigkeit zum Erlaß von Rechtsverordnungen aufgrund anerkannter Grundsätze der Funktionsnachfolge auf das Bundesministerium für Wirtschaft übergegangen (vgl. § 56 Abs. 1 Zuständigkeitsanpassungsgesetz v. 18.3.1975, BGBl. 1975 I, 705);

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und Konvention der I T U und ihre Änderungen durch Rechtsverordnung innerstaatlich in Kraft zu setzen, nachdem die völkerrechtliche Verbindlichkeit der Änderungen der Vollzugsordnungen durch den entsprechenden Beschluß auf der zuständigen weltweiten Konferenz der ITU erfolgt ist (Art. 54 ITU-Konstitution). Zugleich kann das Bundesministerium „Regeln über die Verkündung der Vollzugsordnungen sowie ihrer Änderungen treffen". Daraus folgt, daß die völkerrechtlich bereits rechtsverbindlichen Vollzugsordnungen bzw. ihre Änderungen nicht zwingend im deutschen Wortlaut im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen sind, sondern vielmehr bei der innerstaatlichen Umsetzung eine Bezugnahme auf eine anderswo erfolgte Bekanntmachung möglich ist. Angesichts des weitreichenden Anwendungsbereiches der Vollzugsordnungen und ihrer Auswirkungen auf die Ausgestaltung des die grenzüberschreitende Telekommunikation erfassenden nationalen Rechts 782 zeigt sich damit die Bedeutung, die der exekutiven Rechtssetzung in diesem Bereich zukommt. Zugleich wird deutlich, daß angesichts der völkerrechtlichen Verbindlichkeit der Vollzugsordnungen der I T U kein Ermessen des Bundesministeriums für Wirtschaft dahingehend besteht, diese in das nationale Recht umzusetzen. Damit ergibt sich für die Vollzugsordnungen der I T U eine Verordnungsgebungspflicht, wie sie insbesondere im Zusammenspiel von Gemeinschaftsrecht und nationalem Verwaltungsrecht seit langem bekannt ist. 783 Die innerstaatliche Inkraftsetzung der Vollzugsordnungen der UPU erfolgt ebenso wie für das ITU-Recht durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Wirtschaft. 784 Auch hier besteht angesichts der völkerrechtlichen Verbindlichkeit der Vollzugsordnungen zu den Weltpostverträgen kein Entschließungsermessen des Bundesministeriums hinsichtlich der Verordnungsgebung. Im Gegensatz zu den ITU-Vollzugsordnungen ist allerdings nicht vorgesehen, daß eine Bezugnahme auf die anderswo bekanntgemachten Vollzugsordnungen möglich ist. Sie müssen dementsprechend gemäß Art. 82 Abs. 1 Satz 2 GG im Bundesgesetzblatt im Wortlaut verkündet werden. Dies ist auch deshalb unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten der Normklarheit zu fordern, da das Weltpostrecht zum Teil

siehe Badura, in: Beckscher PostG-Kommentar, § 8 Rdnr. 11; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines solchen Überganges der Verordnungsermächtigung kraft Funktionsnachfolge Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 80 Rdnr. 7 m. w. N. 782 Zu den Einzelheiten siehe z. B. Ellger, in: ders./Kluth, Das Wirtschaftsrecht der Internationalen Telekommunikation, 169 (185 ff.). 783 784

Siehe z. B. Lücke, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 80 Rdnr. 4.

Art. 2 Gesetz zu den Verträgen vom 14. September 1994 des Weltpostvereins, BGBl. 1998 II, 2082.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Rechtsnormen vorhält, die die Deutsche Post AG als „Postverwaltung" im Sinne der UPU unmittelbar berechtigen und verpflichten. 785 Auch im deutschen Luftverkehrsrecht zeigen sich in weiten Bereichen exekutive Rechtssetzungsstrukturen, die in einem unmittelbaren Zusammenhang zu den dargestellten internationalen Aktivitäten stehen. Im Gegensatz zu der sogleich noch darzustellenden Rechtslage im Schiffssicherheitsrecht finden sich hier jedoch keine ausdrücklichen Verordnungsermächtigungen mit Blick auf die Umsetzung internationaler Rechtsvorgaben in das deutsche Luftverkehrsrecht. Die dominierende exekutive Rechtssetzung im Luftverkehrsrecht beruht vielmehr für autonome und aus dem internationalen Recht abgeleitete Regelungsgegenstände einheitlich auf den in § 32 LuftVG enthaltenen Verordnungsermächtigungen. Aus § 32 Abs. 3 Satz 1 LuftVG folgt dabei, daß § 32 LuftVG auch dazu ermächtigt, Vorgaben des internationalen Luftverkehrsrechts in die deutsche Rechtsordnung umzusetzen, soweit die in den einzelnen Absätzen des § 32 LufVG enthaltenen Regelungen über Zweck, Inhalt und Ausmaß der erteilten Ermächtigung beachtet werden. Nach § 32 Abs. 3 Satz 1 LuftVG bedürfen Rechtsverordnungen nicht der Zustimmung des Bundesrates, „wenn sie der Durchführung von Richtlinien und Empfehlungen der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) dienen". 786 Die damit umfassend auch für die „Durchführung" der „standards" und „recommended practices" der ICAO gegebene Verordnungsermächtigung wurde von den zuständigen Behörden umfassend wahrgenommen, indem in der Regel eine Inkorporation der internationalen Richtlinien und Empfehlungen in die entsprechenden deutschen Rechtsverordnungen erfolgte. 787 Dabei wird zum Teil so verfahren, daß keine wörtliche Wiedergabe der Vorgaben der ICAO in deutscher Sprache erfolgt, sondern ein schlichter Verweis auf die englischen Originalquellen. Da es sich insoweit um nach der Rechtsprechung des B VerfG zulässige statische Verweisungen auf Rechtsnormen aus einem fremden Kompetenzbereich handelt, 788 begegnet diese Rechtstechnik zwar keinen verfassungsrechtlichen Bedenken; 789 materiell zeigt sich an ihr aber deutlich, welche weitreichende Bedeutung den ICAO Richtlinien und Empfehlungen in ihrer autonomen internationalen Qualität für das deutsche Luftverkehrsverwaltungsrecht zukommt. Dies gilt im übrigen auch für die auf 785 Zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Vorschriften nach dem Recht der UPU siehe Herdegen, in: Beckscher PostG-Kommentar, § 3 Rdnr. 46 ff. m. w. N. 786

Hierzu auch Giemulla, in: ders./Schmid, Luftverkehrsgesetz, § 32 LuftVG Rdnr. 9 ff.

787

Giemulla, in: ders./Schmid, Luftverkehrsgesetz, § 31 LuftVG Rdnr. 55.

788

Vg. BVerfGE 47, 285 (311 ff.); 64, 208 (214); 67, 348 (363); Jarass, in: ders./ Pieroth, GG, Art. 20 Rdnr. 64; zu den verfassungsrechtlichen Aspekten der Verweisung insgesamt noch infra Teil 7, B. III. 3. 789

Giemulla, in: ders./Schmid, Luftverkehrsgesetz, § 32 LuftVG Rdnr. 9 ff.

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der Grundlage des § 32 LuftVG erlassenen Rechtsverordnungen, die die im Rahmen der JAA erarbeiteten zahlreichen - und in der Praxis zunehmend wichtiger werdenden - technischen Vorschriften für Luftfahrzeuge und Luftfahrtpersonal in deutsches Recht umsetzen.790 Als Beispiel für eine solche Regelungstechnik kann auf § 9 der Verordnung zur Prüfung von Luftfahrtgerät 791 verwiesen werden, in dem auf die Bekanntmachung der Bestimmungen der JAA über Zulassungsverfahren für Luftfahrzeuge und zugehörige Produkte und Teile (JAR-21) als verbindlicher Maßstab für die deutsche Musterprüfung etc. verwiesen wird. Den wohl umfassendsten Normenbereich in der deutschen Rechtsordnung, in der sich die Bedeutung nationaler und internationaler exekutiver Rechtssetzungsstrukturen zeigt, stellt schließlich das Schiffssicherheitsrecht dar. Mit dem Inkrafttreten des Schiffssicherheitsgesetzes (SchSG) am 1. Oktober 1998 792 erfolgte eine nahezu umfassende Anpassung des deutschen Schiffssicherheitsrechts an die normativen Vorgaben, die auf internationaler Ebene insbesondere von der IMO erarbeitet wurden und die heute einen so beachtlichen Umfang und technischen Detailcharakter erreicht haben, daß die rechtsstaatlich gebotene Normenklarheit 793 kaum noch zu gewährleisten ist. Der Gesetzgeber hat diese Problematik sowie die damit zusammenhängende Erkenntnis, daß von den internationalen Vorgaben abweichende Sonderregelungen des deutschen Rechts „weitgehend ihre Funktion verloren [haben]" 794 zum Anlaß genommen, das deutsche Schiffssicherheitsrecht umfassend an den internationalen Vorgaben auszurichten. Dem entspricht es, daß nach dem SchSG die materiellrechtlichen Regelungen der technischen und umweltgerechten Schiffssicherheit nahezu ausschließlich internationalen Vorgaben, wie sie insbesondere im Rahmen der IMO erarbeitet wurden, entnommen werden. Im Einklang mit der in der IMO gebräuchlichen Differenzierung zwischen „standards" und „recommended practice" erstreckt sich auch der Anwendungsbereich des SchSG auf „internationale Schiffssicherheitsregelungen" i. S. v. in die deutsche Rechtsordnung umgesetzten, verbindlichen völkerrechtlichen Vorgaben und „Schiffssicherheitsnormen" als „in Deutschland als anwendbar anerkannte Regeln der Technik oder der seemännischen Praxis bekanntgemachten Vorschriften" (§ 1 Abs. 2 SchSG).

790

Siehe Luftfahrt-Bundesamt, Jahresbericht 1999, 9 f. und passim.

791

BGBl. 1998 I, 2010.

792

Vom 9. September 1998, BGBl. 1998 I, 2860, mit Änderungen.

793

Hierzu statt vieler Schulze-Fielitz, Rdnr. 129 ff. m. w. N. 794

in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20 (Rechtsstaat)

So ausdrücklich die Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zu dem SchSG, BT-Drucks. 13/9722, 14.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Zur Gewährleistung der für den Normanwender notwendigen Rechtssicherheit bedient sich das SchSG einer Regelungstechnik, die in der Kombination legislativer und exekutiver Rechtssetzung mit deklaratorischer und konstitutiver Wirkung erfolgt. In der Anlage zum SchSG werden erstmals in der Geschichte des deutschen Schiffssicherheitsrechts alle internationalen Schiffssicherheitsregeln und -normen, die in der Bundesrepublik anwendbar sind, umfassend aufgelistet. Bei den in der Anlage enthaltenen technischen Standards handelt es sich - abgesehen von Rechtsakten der EG - um solche Vorgaben, die von der IMO, im Rahmen der SOLAS- und MARPOL-Übereinkommen sowie aufgrund sonstiger multilateraler Vertragswerke des Schiffssicherheits- bzw. Meeresumweltrechts ergangen sind. Bislang wurden diese zahlreichen technischen Standards, die völkerrechtlich in der Regel im Wege des vereinfachten Vertragsänderungsverfahrens in Kraft getreten sind, im Bundesgesetzblatt, im Bundesanzeiger oder in anderen amtlichen Mitteilungsblättern bekannt gemacht, ohne an zentraler Stelle katalogisiert worden zu sein. Die Anlage zum SchSG wählt nunmehr den gesetzestechnischen Weg, alle relevanten Schiffssicherheitsregeln und -normen ihrem Titel nach unter Verweis auf die genaue Fundstelle aufzulisten. Damit erfolgt die Bekanntmachung des Gesamttextes eines internationalen Schiffssicherheitsstandards weiterhin in einer der genannten Publikationen. Dem Bundesministerium für Verkehr obliegt es dann, durch Rechtsverordnung „die Anlage [zum SchSG, Anm. Verf.] in Anpassung an den Gesamtbestand der völkerrechtlich als verbindlich angenommenen und aufgrund innerstaatlichen Rechts anzuwendenden oder gemeinschaftsrechtlich in Kraft getretenen schiffsbezogenen Sicherheitsregeln zu ändern" (§ 15 SchSG). Hinsichtlich der genauen Bedeutung der so durch Rechtsverordnung erfolgenden Änderung der Anlage zum SchSG ist zu beachten, daß hierdurch nicht die innerstaatliche Anwendung der völkerrechtlichen Vorgaben konstitutiv begründet wird. Diese Rechtswirkung tritt bereits mit Inkrafttreten des völkerrechtlichen Schiffssicherheitsstandards in Verbindung mit dem jeweils zugrundeliegenden, durch Regierungsakt oder Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG in die deutsche Rechtsordnung umgesetzten völkerrechtlichen Vertrag sowie aufgrund der nachfolgenden Veröffentlichung in Deutschland795 ein. Die Aufnahme einer internationalen Schiffssicherheitsregel oder -norm in die Anlage zum SchSG hat damit nur die Wirkung, den genauen Anwendungsbereich des SchSG selbst konstitutiv festzulegen. 796 Dies ändert freilich nichts an der ohnehin

795

Zur rechtsstaatlich gebotenen Veröffentlichung aller materiellen Rechtsnormen als Voraussetzung ihrer Wirksamkeit siehe nur BVerfGE 65, 283 (291); 90, 60 (85); SchulzeFielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rdnr. 189 m. w. N. 796

In der Begründung der Bundesregierung zu dem Entwurf des § 1 Abs. 2 SchSG heißt es insoweit etwas unklar, daß es sich um „Ausführungsgesetzgebung mit prinzipiell auslegender Wirkung" handele, BT-Drucks. 13/9722, 16.

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insbesondere nach Art. 94 Abs. 3 SRÜ und Art. 194 Abs. 3 SRÜ bestehenden Verpflichtung, im Rahmen der nationalen Jurisdiktion die Schiffssicherheit und den Meeresumweltschutz sicher zu stellen. Überdies wird in der Schiffssicherheitsverordnung (SchSV) vom 18. September 1998 797 auch unabhängig vom konkreten Anwendungsbereich des SchSG pauschal auf u. a. die „internationalen schiffsbezogenen Sicherheitsstandards" als Tatbestandsvoraussetzung für den Erlaß ordnungsrechtlicher Maßnahmen - Verbot des Auslaufens, der Weiterfahrt oder des Betriebs eines Schiffes - abgestellt (§11 Abs. 1 Nr. 1 SchSV). Im übrigen ist nochmals auf die unterschiedlichen Rechtswirkungen hinzuweisen, die Schiffssicherheitsregeln und -normen nach dem SchSG zukommen. Die völkerrechtlich verbindlich in Kraft getretenen und in Deutschland veröffentlichten sowie in der Anlage zum SchSG aufgelisteten Schiffssicherheitsregeln sind zwingend einzuhalten. Nähere gesetzliche Regeln hierzu sind neben § 4 SchSG in der SchSV enthalten. Das SchSG und die SchSV stellen dabei neben den klassischen ordungsrechtlichen Handlungsinstrumentarien auf kooperative Verwaltungsstrukturen hinsichtlich der Beachtung und Einhaltung der internationalen Schiffssicherheitsstandards ab, indem der Idee der Selbstkontrolle der Schiffsbetreiber eine zentrale Bedeutung eingeräumt wird (vgl. § 2 SchSV). Dieses Konzept entspricht den Vorgaben, die insbesondere im Rahmen der I M O zur verstärkten Einbindung der privaten Schiffsbetreiber mit Blick auf die Gewährleistung der Schiffssicherheit und des marinen Umweltschutzes erarbeitet wurden. 798 Schiffssicherheitsnormen als völkerrechtlich unverbindliche Empfehlungen insbesondere der IMO werden durch ihre Aufnahme in Abschnitt E der Anlage zum SchSG innerstaatlich in den Rang anerkannter Regeln der Technik bzw. der seemännischen Praxis erhoben (§ 1 Abs. 2 Satz 2 SchSG). Dabei ist als konstitutiver innerstaatlicher Akt bei Änderungen der entsprechenden internationalen Schiffssicherheitsnormen ausschließlich die Bekanntmachung im Bundesanzeiger durch das Bundesministerium für Verkehr vorgesehen (§ 6 Abs. 4 SchSG). Nach § 4 Abs. 1 SchSV sind die so die Regeln der Technik bzw. der seemännischen Praxis wiedergebenden internationalen Schiffssicherheitsnormen „zu beachten". Damit werden die internationalen Schiffssicherheitsnormen zum verbindlichen Maßstab insbesondere mit Blick auf ordnungsrechtliche Maßnahmen der für die Schiffs-

797 798

BGBl. 1998 I, 3013, 3023, mit Änderungen.

So ausdrücklich die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des SchSG, BTDrucks. 13/9722, 14.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Sicherheit zuständigen Behörden gemacht,799 wodurch sich eine weitreichende normative Wechselbeziehung zwischen unverbindlichen völkerrechtlichen Empfehlungen und innerstaatlichen Regeln des Verwaltungsrechts ergibt. Diese normative Wechselbeziehung steht in keinem Zusammenhang mehr zu den ansonsten im Schrifttum und der Rechtsprechung vertretenen Ansichten zum Verhältnis von innerstaatlichem Recht und Völkerrecht. Um die Bedeutung exekutiver innerstaatlicher Rechtssetzung mit Blick auf völkerrechtlich verbindliche Vorgaben sowie die daneben stehende Möglichkeit der schlichten exekutiven Bekanntmachung unverbindlicher internationaler Empfehlungen nochmals zu verdeutlichen, sei abschließend noch auf zwei Vorschriften aus dem SeeaufgG hingewiesen. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 7 SeeaufgG erfolgt die innerstaatliche Inkraftsetzung von Regelungen, die im vereinfachten Vertragsänderungsverfahren nach dem SOLAS-Übereinkommen in Kraft getreten sind, durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Verkehr. Gleiches gilt für die „Umsetzung von Empfehlungen internationaler Konferenzen über das Befahren innerer Gewässer", die durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Verkehr erfolgt (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SeeAufgG). Die als Empfehlungen u. a. von der I M O beschlossenen Standards, die bei einer durch die internationalen Schiffssicherheitsregeln vorgeschriebenen Baumusterprüfung zugrunde zu legen sind, werden demgegenüber von den zuständigen Behörden nur in deutscher Sprache amtlich bekannt gemacht (§ 9d SeeAufgG). 800 In ihrer Rechtswirkung unterscheiden sich die beiden Normenkategorien - Rechts verordnung und amtliche Bekanntmachung -jedoch nicht, da die sie betreffenden Regelungen insgesamt zu beachten sind. Auch hierdurch zeigt sich nochmals die Bedeutung sich ergänzender exekutiver Rechtsakte auf internationaler und nationaler Ebene.

b) Verweisungen und sonstige internationalisierende Rechtswirkungen Neben der exekutiven Rechtssetzung, die das internationalisierte Kommunikations- und Transportverwaltungsrecht prägt, finden sich zahlreiche Beispiele dafür, in welcher Weise durch Verweisungen und andere mittelbare Rechtswirkungen das nationale Verwaltungsrecht in diesen Sachbereichen durch internationalrechtliche Einflüsse bestimmt wird. 799 Dies entspricht insgesamt der Bedeutung des normativen Verweises auf den „Stand der Technik" im deutschen Verwaltungsrecht, siehe z. B. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 126 m. w. N. 800

Zur Bekanntmachung internationaler Seeschiffahrtsstandards siehe auch § 3 Abs. 3 und Abs. 4 SchSV.

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aa) Kommunikationsverwaltungsrecht Im Telekommunikationsrecht zeigt sich die Relevanz internationaler Rechtseinflüsse insbesondere bei der Standardisierung, der Rufnummernzuteilung und der Frequenzplanung als den drei Sachbereichen, ohne deren internationale Harmonisierung eine globale Telekommunikation nicht möglich wäre. Hinsichtlich der technischen Standardisierung kann insoweit auf die bereits dargestellten Rechtswirkungen verwiesen werden, die sich aus dem Zusammenspiel von ITU-, WTOund EG-Recht ergeben. 801 In Deutschland erlangen die internationalen Standardisierungsvorgaben normative Bedeutung mit unmittelbarem Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht. Dies ergibt sich aus der Bindung der EG an das WTORecht. 802 Darüber hinaus ergibt sich aus der z. B. in § 34 TKG vorgesehenen Verpflichtung zur Beachtung gemeinschaftsrechtlicher technischer Vorschriften und Normen für den offenen Netzzugang ein mittelbarer Verweis auf die Standardisierungsarbeiten in der ITU, da die mit der europäischen Normung beauftragten Institutionen (ETSI, CEN und CENELEC) ihrerseits maßgeblich die Vorgaben der ITU beachten.803 Das damit ersichtliche Zusammenspiel der rechtsnormativ relevanten Standardisierung auf der nationalen, europäischen und internationalen Regulierungsebene führt im Ergebnis zu einer umfassenden Internationalisierung der für das Telekommunikationsrecht maßgeblichen Harmonisierung technischer Vorschriften und Normen. 804 Auch die Frequenzordnung (§§ 44 ff. TKG) ist nahezu umfassend von „internationalen Abhängigkeiten" 805 gekennzeichnet. Im Grundsatz ist zwar das souveräne Recht der Staaten anerkannt, über die Frequenzvergabe frei zu entscheiden.806 Sowohl rechtlich als auch faktisch ist die der Frequenzvergabe zugrundeliegende Frequenzordnung aber in weiten Bereichen international harmonisiert. Dies hat weitreichende Auswirkungen auf die in § 45 TKG enthaltene Ermächtigung der 801

Insbesondere supra Teil 6, A. IV. 2. c). Zu den Einzelheiten der Rechtswirkung von Völkerrechtvertragsrecht, an das die EG gebunden ist, in der nationalen Rechtsordnung ausführlich noch infra Teil 7, B. II. 802

803

Piepenbrock, in: Beckscher TKG-Kommentar, § 34 Rdnr. 5.

804

Zur Bedeutung der technischen Standardisierung auf regionaler und internationaler Regulierungsebene umfassend auch Jayakar, Indiana Journal of Global Legal Studies 5 (1998), 711 ff. 805 806

So Grotelüschen/Haas,

in: Beckscher TKG-Kommentar, vor § 44 Rdnr. 35.

Siehe insbesondere Art. V I Satz 2 Vertrag über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper (Weltraumvertrag), BGBl. 1969 II, 1969; zu völkerund europarechtlichen Aspekten der Frequenzvergabe siehe auch Ladeur, ArchivPT 1998, 243 ff.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

Bundesregierung, den nationalen Frequenzbereichszuweisungsplan durch Rechtsverordnung festzulegen. Die internationalisierte Frequenzplanung vollzieht sich dabei ähnlich wie schon für die Standardisierung festgestellt auf den miteinander verbundenen internationalen, regionalen und nationalen exekutiven Regulierungsebenen:807 In der ITU erfolgt insbesondere durch die VO Funk u. a. die Zuweisung von Funkdiensten zu bestimmten Frequenzbändern, wodurch der Internationale Frequenzbereichsplan entsteht. Die Nutzung des verfügbaren Frequenzspektrums wird sodann in Europa im Rahmen der CEPT festgelegt. Innerhalb des so konstituierten Rechtsrahmens der Frequenznutzung muß sich dann der nationale Frequenzbereichszuweisungsplan bewegen, den die Bundesregierung gemäß § 45 TKG durch Rechtsverordnung aufstellt. Abweichungen von den Vorgaben der ITU sind dabei nur möglich, wenn sie auf völkerrechtlicher Ebene in der VO Funk vermerkt sind. 808 Ohne hier auf weitere Einzelheiten des komplexen Verfahrens der Frequenzordnung im internationalen, regionalen und nationalen Mehrebenensystem eingehen zu müssen, zeigt sich damit, daß die Verordnungsermächtigung des § 45 TKG und insgesamt die exekutiven Handlungsbefugnisse in den §§44 ff. TKG umfassend in internationalisierte Regulierungsstrukturen eingebunden sind. Dies gilt auch für Nebengebiete des Telekommunikationsrechts, die die Frequenznutzung betreffen. So ist nach § 6 Satz 1 Gesetz über den Amateurfunk 809 die Ermächtigung des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation (jetzt Bundesministerium für Wirtschaft, s. o.) zur Regelung der technischen und betrieblichen Rahmenbedingungen für die Durchführung des Amateurfunkdienstes durch Rechtsverordnung daran gebunden, daß u. a. einschlägige internationale Empfehlungen bei der Verordnungsgebung beachtet werden. Auch die Numerierung (§ 43 TKG) als wesentliches Element der Regulierung und damit bundeseigene Verwaltungsaufgabe im Sinne von Art. 87f Abs. 2 Satz 2 GG 8 1 0 kann sich nur in einem internationalisierten exekutiven Rechtsrahmen vollziehen. Die die weltweite Nummernstruktur bestimmenden Vorgaben der I T U wurden als Empfehlung an die ITU-Mitgliedstaaten abgegeben.811 Auch wenn 807

Ausführlich hierzu Holznagel/Bysikiewicz/Enaux/Nienhaus, Grundzüge des Telekommunikationsrechts, 146 ff.; Groteliischen/Haas, in: Beckscher TKG-Kommentar, vor § 44 Rdnr. 35 ff. 808

Dies geschieht durch Fußnoten zu den einzelnen Regelungen der V O Funk, statt vieler Holznagel/Bysikiewicz/Enaux/Nienhaus, Grundzüge des Telekommunikationsrechts, 149; siehe auch Grotelüschen/Haas, Beckscher TKG-Kommentar, § 45 Rdnr. 2. 809

Vom 23. Juni 1997, BGBl. 1997 I, 1494.

810

Mellewigt,

811

in: Beckscher TKG-Kommentar, § 43 Rdnr. 6.

Es handelt sich um den ITU-Standard E.164, Einzelheiten bei Mellewigt, in: Beckscher TKG-Kommentar, § 43 Rdnr. 2 f.; Geppert/Ruhle/Schuster, Handbuch Recht und

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damit formell keine Rechtsverbindlichkeit der weltweiten Nummernstruktur besteht, erkennt § 43 Abs. 4 Satz 1 TKG ihre Bedeutung explizit an, indem dort die Regulierungsbehörde dazu ermächtigt wird, u. a. „zur Umsetzung internationaler Verpflichtungen oder Empfehlungen ... Änderungen der Struktur und Ausgestaltung des Nummernraumes sowie die Zuteilung von Nummern vor[zu]nehmen". Daß es sich bei der Einhaltung der von der I T U empfohlenen Nummernstruktur um eine zumindest mittelbare Rechtsverpflichtung handelt, ergibt sich im übrigen aus der Bindung der Bundesrepublik an die WTO-Rechtsordnung. Die dort im TBT-Übereinkommen vorgeschriebene Beachtung internationaler Standardisierungsarbeiten, u. a. im Rahmen der ITU, betrifft auch die Numerierung, da es sich insoweit um eine technische Spezifikation handelt, die gemäß § 43 TKG rechtsverbindlich ist. 812 Schließlich ist für das Telekommunikationsrecht auf wichtige internationalisierte Strukturen kooperativen Verwaltungshandelns aufmerksam zu machen. Die nach dem ITU-Recht gegebene Möglichkeit der Partizipation privater Betriebsunternehmen der Telekommunikation, die sogar bis zur Wahrnehmung von Rechten und Pflichten des betreffenden Mitgliedstaates gehen kann (Art. 19 ITUKonvention), und deren aus Art. 45 ITU-Konstitution folgende Verpflichtung zum Betrieb von Funkstellen, so daß keine schädliche Störungen eintreten, führen dazu, daß die allgemeinen Überwachungsbefugnisse der Regulierungsbehörde nach § 72 TKG auch auf diesen Bereich Anwendung finden. Darüber hinaus besteht eine zunehmende Notwendigkeit der innerstaatlichen Koordination der internationalen Aktivitäten der zuständigen Behörden (Bundesministerium für Wirtschaft und RegTP) und der anerkannten Betriebsunternehmen, um so mögliche Konflikte mit Blick auf die Achtung des TKG zu vermeiden, die sich aus der gleichzeitigen Tätigkeit in der ITU ergeben könnten. 813 Auch im Postrecht ergibt sich die wohl bedeutendste internationalisierte verwaltungsrechtliche Rechtswirkung aus dem Zusammenspiel der völkerrechtlich durch die UPU-Satzung einzelnen nationalen Postverwaltungen zugewiesenen Rechte und Pflichten und der zugleich bestehenden Überwachungsverantwortung des Staates hinsichtlich der Tätigkeit der Postverwaltungen. Art. 5 Abs. 1 des ZuPraxis der Telekommunikation, Rdnr. 464 ff.; Holznagel/Bysikiewicz/Enaux/Nienhaus, Grundzüge des Telekommunikationsrechts, 133 ff. 812 Zur Bedeutung des TBT-Übereinkommens siehe supra Teil 6, A. IV. 2. c).; siehe auch Holznagel/Bysikiewicz/Enaux/Nienhaus, Grundzüge des Telekommunikationsrechts, 137, die mit Blick auf die Empfehlungen der ITU zur Numerierung von einer „faktischen Verbindlichkeit" sprechen. 813 Zu den Rechten und Pflichten der Betriebsunternehmen siehe auch R. Schütz, in: Beckscher TKG-Kommentar, § 7 Rdnr. 10 ff.

482

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

stimmungsgesetzes zu den Verträgen des Weltpostvereins vom 14. September 1994 814 sieht insoweit vor, daß das Bundesministerium für Wirtschaft „die Unternehmen, die [nach dem UPU-Recht, Anm. Verf.] ... für die Bundesrepublik Deutschland Rechte und Pflichten wahrnehmen" dahingehend überwacht, daß diese die Verträge der UPU und das sekundäre Weltpostrecht einhalten. Zur Erfüllung dieser Überwachungsaufgabe kann sich das Bundesministerium der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post bedienen (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 des Zustimmungsgesetzes). Damit ergibt sich - soweit das Bundesministerium für Wirtschaft von dem Recht der Delegation der Überwachungsaufgabe an die Regulierungsbehörde Gebrauch macht - eine umfassend internationalisierte Verwaltungsverantwortung der Regulierungsbehörde. Der Überwachung der Deutschen Post A G und weiterer Unternehmen, die innerstaatlich als Postverwaltung im Sinne des UPU-Rechts anerkannt wurden, 815 liegt als Maßstab nämlich nur das formelle und materielle Weltpostrecht der UPU zugrunde. Die verfahrensrechtliche Ausführung der Überwachungsfunktion richtet sich dann nach § 72 Abs. 1 bis Abs. 10 TKG (Art. 5 Abs. 2 des Zustimmungsgesetzes). Insgesamt zeigt sich so ähnlich wie für das Telekommunikationsrecht bereits angedeutet ein idealtypisches Modell dezentralisierter Verwaltungsaufgabenwahrnehmung in der das UPU-Recht prägenden Struktur einer unmittelbar aufeinander bezogenen nationalen und internationalen Postverwaltung. Mit der zunehmenden Liberalisierung des nationalen Postrechts und der damit absehbaren Zulassung weiterer Unternehmen zur Wahrnehmung der Rechte und Pflichten nach dem Weltpostrecht, wird dieser internationalisierten Überwachungsaufgabe eine wachsende Bedeutung zukommen.

bb)

Transportverwaltungsrecht

Im deutschen Luftfahrtrecht nehmen die Arbeiten der JAA eine zunehmende Bedeutung ein, so daß es konsequent ist, daß sich an zahlreichen Stellen im Luftverkehrsrecht Verweise auf von der JAA ausgearbeitete technische Regelwerke finden. So z. B. sind in der ersten Durchführungsverordnung zur Verordnung zur Prüfung von Luftfahrtgerät vom 26. Juli 1999 816 zahlreiche Verweise auf technische Regelwerke der JAA (sogenannte JARs) enthalten, ohne daß diese ihrerseits in den Rang eines nationalen Gesetzes im materiellen Sinne erhoben worden

814

BGBl. 1998 II, 2082.

815

Siehe Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 des Zustimmungesetzes.

816

BAnz. 1999, 12949.

nternationalisierte

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wären. 817 Eine ähnliche Verweistechnik ist mit Blick auf die Tätigkeit von EUROCONTROL gegeben. In der für die Erhebung von Gebühren für die Inanspruchnahme von Streckennavigations-Diensten und Streckennavigations-Einrichtungen maßgeblichen Rechts Verordnung wird hinsichtlich der Einzelheiten der Gebührenberechnung und -erhebung sowie des -einziehungsverfahrens pauschal auf die Beschlüsse der Erweiterten Kommission von EUROCONTROL verwiesen. 818 Auch § l b LuftVG kann in diesem Zusammenhang angeführt werden. Die Vorschrift enthält einen pauschalen Verweis auf die durch die ICAO erlassenen, verbindlichen Luftverkehrsregeln (Art. 37 lit. c) i. V. m. Art. 38 ICAO-Übereinkommen), die für deutsche Luftfahrzeuge auch außerhalb des Geltungsbereiches des Gesetzes einzuhalten sind. 819 Schließlich ist für das Luftverkehrsrecht auf § 56 der Betriebsordnung für Luftfahrtgerät (LuftBO) 8 2 0 hinzuweisen. Hiernach ist das Luftfahrt-Bundesamt ermächtigt, durch Rechtsverordnung die „zur Gewährleistung der Sicherheit des Luftverkehrs und der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" notwendigen Einzelheiten der Verfahrensvorschriften hinsichtlich des Verhaltens im Luftraum und am Boden, insbesondere Flugvorbereitungen, Verhalten bei Start und Landungen und die Benutzung von Flughäfen, sowie zu den Bau-, Prüf- und Betriebsvorschriften der LuftBO zu erlassen. Die sich damit auf nahezu das gesamte technische Luftverkehrssicherheitsrecht beziehende Verordnungsermächtigung steht allerdings unter dem Vorbehalt, daß „die Grundsätze internationaler Regelungen, insbesondere die Richtlinien und Empfehlungen der internationalen Zivilluftfahrt-Organisation" zu berücksichtigen sind (§ 56 Satz 2 LuftBO). Damit wird die exekutive Rechtssetzungsbefugnis des Luftfahrt-Bundesamtes nicht nur den völkerrechtlich ohnehin verbindlichen Standards der ICAO unterstellt, sondern darüber hinaus auch tatbestandlich an deren unverbindliche Empfehlungen angeknüpft. Eine Differenzierung zwischen völkerrechtlich verbindlichen und unverbindlichen Vorgaben der internationalen technischen Detailrege-

817 Siehe § 2 Abs. 2 Satz 2: „Die Instandhaltung gemäß JAR-145.75(c) bleibt hiervon unberührt 44; § 9 Abs. 1: „Für nach § 13 LuftGerPV genehmigte Betriebe gelten JAR-145.65 und 145.7044; §11: „Die Instandhaltung und Prüfung von gewerblich verwendeten Flugzeugen, Drehflüglern und Luftschiffen ... muß in gemäß JAR-145 genehmigten Instandhaltungsbetrieben durchgeführt werden 44. 818

§ 2 Abs. 2 der Verordnung über die Erhebung von Kosten für die Inanspruchnahme von Streckennavigations-Diensten und Streckennavigations-Einrichtungen der Flugsicherung v. 14. April 1994, BGBl. 1984 I, 629, mit Änderungen. 819 Die Vorschrift wurde durch Art. 1 des Gesetzes vom 11. November 1997 (BGBl. 1997 I, 2694) eingefügt; zur Begründung siehe den Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/9513 v. 18.12.1997. 820

Vom 4. März 1970, BGBl. 1970 I, 262, zuletzt geändert durch Verordnung vom 3. August 1998, BGBl. 1998 I, 2010, 2015.

484

Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

lung der Luftfahrtsicherheit findet also nicht statt, so daß im Ergebnis eine umfassende internationalisierte Eingrenzung des Beurteilungsspielraumes des LuftfahrtBundesamtes mit Blick auf die Ausfüllung des in § 56 Satz 1 LuftBO genannten sicherheits- und ordnungsrechtlichen Tatbestandes vorliegt. Auch das Schiffssicherheitsrecht bedient sich einer dem § 56 LuftBO ähnlichen Regelung, die allerdings eine Ermessensbindung der zuständigen Behörden mit Blick auf die Beachtung internationaler Empfehlungen betrifft. Nach § 12 SchSG ist die für die Schiffssicherheit jeweils zuständige Behörde verpflichtet, bei ihrer Ermessensausübung die von der IMO oder einer anderen zuständigen zwischenstaatlichen Organisation beschlossenen Empfehlungen zu berücksichtigen, soweit sie sie „an geeigneter Stelle in deutscher Sprache bekanntgemacht hat". Diese Ermessensbindung bezieht sich auf die Fälle, in denen die einschlägigen völkerrechtlich verbindlichen Schiffssicherheitsregelungen ihrerseits „die Ausfüllung eines vorgeschriebenen Standards ausdrücklich in das Ermessen der [nationalen, Anm. Verf.] Verwaltung" stellen (§12 SchSG). Im Ergebnis führt diese Regelung dazu, daß ein völkerrechtlich der zuständigen Behörde eingeräumter Ermessensspielraum in Schiffssicherheitsregelungen durch das nationale Recht dahingehend wieder eingeschränkt wird, daß sich die Ermessensausübung an unverbindlichen Empfehlungen derselben Organisation, nämlich in der Regel der IMO, ausrichten muß. Auch hier ist damit keine signifikante Differenzierung mehr zwischen verbindlichen und unverbindlichen völkerrechtlichen Handlungsvorgaben gegeben. Auch in weiteren Spezialvorschriften des Schiffssicherheitsrechts läßt sich dies beobachten. So nimmt z. B. die Festlandsockel-Bergverordnung in mehreren Vorschriften auf u. a. Empfehlungen internationaler Organisationen und Gremien als rechtsverbindlichen Maßstab Bezug. 821 Im übrigen ist auch im Schiffssicherheitsrecht die schon aus anderen Sachbereichen bekannte Rechtstechnik vorzufinden, nach der eine pauschale Rechtsverpflichtung privater Personen hinsichtlich verbindlicher und unverbindlicher Beschlüsse einer internationalen Organisation, hier der IMO, begründet wird. Beispielsweise läßt sich insoweit auf § 8 Abs. 2 der Verordnung über die Sicherung

821 Bergverordnung für den Festlandsockel (Festlandsockel-Bergverordnung - FlsBergV) vom 21. März 1989, BGBl. 1989 I, 554, zuletzt geändert durch Verordnung vom 10. August 1998, BGBl. 1998 I, 2093. Siehe insbesondere § 10 Abs. 3 FlsBergV, wo auf Regelungen der IMO und Empfehlungen der Nordsee-Anliegerstaaten zum Bau und Betrieb von Plattformen verwiesen wird. Weiterhin § 35 Abs. 1 FlsBergV, der auf Empfehlungen des Internationalen Verbandes der Seezeichenverwaltungen (AISM/IALA) als maßgebend für die Bezeichnung von Plattformen durch Schiffahrtzeichen verweist.

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der Seefahrt (SeeFSichV) 822 verweisen, der Schiffsführer umfassend dazu verpflichtet, die von der IMO angenommenen „Schiffsmeldesysteme, die für die Art oder Ladung seines Schiffs als verbindlich vorgeschrieben sind" einzuhalten. Eine Verpflichtung zur Beachtung unverbindlicher internationaler Empfehlungen findet sich in § 5 Abs. 2 SeeFSichV, wonach die Benachrichtung des Such- und Rettungsdienstes zur Hilfeleistung in Seeunfällen u. a. unter Berücksichtigung der entsprechenden Empfehlungen der IMO zu erfolgen hat. Insgesamt ist damit auch über die beschriebenen Rechtssetzungsstrukturen hinausgehend eine umfassende materiellrechtliche Internationalisierung des schiffssicherheitsbezogenen Verwaltungsrechts zu konstatieren.

I V . Zusammfassung

Faßt man die aufgezeigten Grundstrukturen des nationalen, internationalen und internationalisierten Kommunikations- und Transportrechts zusammen, so sind verschiedene Rechtsphänomene festzuhalten, die eine weitgehende Kohärenz der nationalen und internationalen Regulierungsebene belegen. Das nationale und das internationale Kommunikations- und Transportrecht sind zunächst umfassend davon gekennzeichnet, die Freiheit der Kommunikation und des Transportes unter Beachtung der notwendigen Sicherheitsaspekte zu gewährleisten. Im Kommunikationsrecht steht insoweit die Freiheitsgewährleistung im Vordergrund, was auch der verfassungsrechtlich (Art. 5 Abs. 1 GG) und völkerrechtlich übereinstimmend verbürgten aktiven und passiven Kommunikationsfreiheit entspricht. 823 Ihre Bedeutung als öffentliches Gut verdeutlicht, daß die hiermit im Zusammenhang stehenden nationalen und internationalen Verwaltungsaufgaben auf die Bewahrung und Verteilung eines Gemeinschaftsgutes ausgerichtet sind. Im Grundsatz gilt dies auch für das Transportrecht, dessen rechtsprinzipielle Grundlage ebenfalls in der Gewährleistung des möglichst freien grenzüberschreitenden Transportvorganges als Freiheitsverwirklichung zu sehen ist. Während die Verwaltungsaufgaben im Kommunikationsrecht allerdings in erster Linie - als Regulierung umschrieben auf die Verhaltenssteuerung zur Sicherung von Gemeinwohlbelangen ausgerichtet sind, stehen im Transportrecht vermehrt klassische ordnungsrechtliche Gesichts822

Vom 27. Juli 1993, BGBl. 1993 I, 1417, zuletzt geändert durch Verordnung vom 28. September 1999, BGBl. 1999 I, 1938. 823 Zur völkervertragsrechtlich und völkergewohnheitsrechtlich garantierten Kommunikationsfreiheit statt vieler Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Teil II, E 27 Rdnr. 29 ff.; Delbrück/Tietje, Int'l Handbuch für Hörfunk und Fernsehen 2000/2001, 15 (20), jeweils m. w. N.

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Teil 6: Ausgewählte Sachgebiete internationalisierten Verwaltungshandelns

punkte im Vordergrund. Angesichts der technischen Gefahren, die mit der Nutzung gerade der modernen Luft- und Seetransportmöglichkeiten verbunden sind, ist die Sicherung des freiheitlichen grenzüberschreitenden Transportes insoweit in wesentlichen Bereichen davon abhängig, die individuelle und die ökologische Integrität zu sichern. Das nationale und das internationale Transportverwaltungsrecht sind von dieser Zielsetzung ganz zentral geprägt. Neben der inhaltlichen Kohärenz hat sich auch gezeigt, daß die im Kommunikations- und Transportrecht zur Verfügung stehenden und angewandten Handlungsinstrumentarien im nationalen und im internationalen Rechtsraum weitgehende Übereinstimmungen aufweisen. In beiden Rechtsräumen dominieren exekutive Rechtssetzungsstrukturen, die durch vielfache Formen der Verwaltungskooperation ergänzt werden. Die technische Ausrichtung der Regelungsmaterien bedingt insoweit einen hohen Grad an Spezialisierung, was sich darin niederschlägt, daß die praxisrelevanten rechtlichen Fragen im nationalen Recht durch Rechtsverordnungen der Exekutive und auf internationaler Ebene durch entsprechende Akte von aus Verwaltungsvertretern der Mitgliedstaaten zusammengesetzten Gremien geregelt werden. Dabei zeigt sich ein deutlicher Trend, in den relevanten Foren der institutionalisierten internationalen Kooperation zunehmend Aufgaben an spezialisierte Organe zu übertragen, um so unabhängig von möglichen politischen Differenzen eine effektive Sacharbeit zu gewährleisten. Hieraus resultiert zugleich die für das Kommunikations- und Transportrecht durchgehend zu ziehende Erkenntnis, daß eine strikte Differenzierung zwischen rechtsverbindlichen und rechtsunverbindlichen Handlungsinstrumentarien immer schwieriger wird. Die wenn überhaupt nur graduell bestehenden Unterschiede hinsichtlich der Rechtsverbindlichkeit der internationalen Regulierungs- und Regelungsvorgaben spiegeln sich auch im deutschen Kommunikations- und Transportverwaltungsrecht wider. Signifikante Unterschiede in der innerstaatlichen Behandlung rechtsverbindlicher und rechtsunverbindlicher internationaler Harmonisierungsvorgaben sind hier kaum noch festzustellen. Schließlich sind in allen untersuchten Rechtsbereichen vermehrt Strukturen des kooperativen Verwaltungshandelns auszumachen. Angesichts der fortschreitenden Liberalisierung im Kommunikationssektor und der wachsenden Komplexität der technischen Detailregelung sowie der Entwicklung im Transportwesen wird im nationalen und im internationalen Rechtsraum verstärkt auf Konzepte der regulierten Selbstregulierung abgestellt. Dies führt mit Blick auf das internationalisierte Verwaltungshandeln dazu, daß eine Exklusivität staatlichen Handelns im internationalen System nicht mehr gegeben ist. Vielmehr werden die zuständigen nationalen Verwaltungsstellen und die relevanten privaten Akteure immer mehr un-

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mittelbar zu den Adressaten der Rechte und Pflichten des internationalen Kommunikations- und Transportrechts, was neue internationalisierte Koordinations- und Überwachungsaufgaben für die Staaten zur Folge hat.

Teil 7

Die Einbindung des internationalisierten Verwaltungshandelns in die rechtsstaatliche Ordnung

A. Internationalisiertes Verwaltungshandeln in der Kompetenzordnung des Grundgesetzes Die Kompetenzen zur Wahrnehmung und Gestaltung des internationalisierten Verwaltungshandelns ergeben sich in der föderalen Verfassungsordnung Deutschlands aus den insoweit maßgeblichen verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes. Ihre Brisanz erlangen die damit angesprochenen kompetenzrechtlichen Fragen im Bundesstaat vor dem Hintergrund der grundlegenden Entscheidung des Art. 30 GG für das bundesstaatliche System.1 Der in Art. 30 GG manifestierte und in seiner ratio gleichfalls den Gedanken der funktionalen Gewaltenteilung 2 zum Ausdruck bringende Grundsatz der Länderkompetenz im Rahmen der „Ausübung der staatlichen Befugnisse" wird durch die internationalisierte Differenzierung einer öffentlichen Aufgabenwahrnehmung in einem Mehrebenensystem ernstzunehmenden Belastungen ausgesetzt. Dies ist in erster Linie auf die prima facie vorrangigen Bundeszuständigkeiten in internationalen Angelegenheiten aus Art. 23, Art. 24 und Art. 32 GG zurückzuführen. 3 Für den Bereich des Gemeinschaftsrechts wurde dies im Schrifttum bereits intensiv diskutiert. 4 Soweit es um das internationalisierte Verwaltungshandeln im über die Europäische Gemeinschaft hinausreichenden Sinne geht, fehlen allerdings bislang entsprechende Überlegungen. 5 Ausgehend von den durch das Grundgesetz vor1

BVerfGE 12, 205 (244); 36, 342 (365 f.); Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 30 Rdnr. 15; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 30 Rdnr. 1. 2

BVerfGE 55, 274 (318); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 30 Rdnr. 1; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 30 Rdnr. 16; vertiefend infra Teil 7, II. 3. 3

Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 30 Rdnr. 9.

4

Siehe z. B. Graf Vitzthum, AöR 115 (1990), 281 (285 ff.); Pernice, DVB1. 1993, 909 (910 ff.). 5 Siehe allerdings insbesondere Graf Vitzthum, AöR 115 (1990), 281 (297 ff.), der darauf hinweist, daß die Länder ,,[m]ittels globaler Vertragspolitik ... offensichtlich [versu-

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

489

gegebenen Grundaussagen zur Verbandskompetenz im Verhältnis Bund und Länder in internationalisierten Verwaltungsangelegenheiten ist hierauf nachfolgend vertiefend einzugehen. Darüber hinaus muß aber auch erörtert werden, wie die für die Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten ohnehin problematische Organkompetenz im Bund, insbesondere im Verhältnis von Legislative und Exekutive (Art. 59 Abs. 2 GG), ausgestaltet ist. Als Leitgedanke der damit angedeuteten kompetenzrechtlichen Probleme gilt umfassend, daß es sich hierbei nicht nur um eindimensionale positivrechtliche Problemstellungen handelt, sondern sich vielmehr die übergeordnete und das gesamte Verfassungssystem betreffende Frage nach der Legitimation staatlichen Handelns stellt. Kompetenzfragen sowohl im föderalen System als auch in der Gewaltenteilungssystematik des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG sind nämlich immer und ganz zentral auf die Wahrung der demokratischen Legitimation des Staatshandelns ausgerichtet.6 Dementsprechend sind die im Zusammenhang mit dem internationalisierten Verwaltungshandeln auftretenden Kompetenzfragen im Kern Fragen nach der Legitimität des internationalisierten Verwaltungshandelns insgesamt.

I . Verbandskompetenzen

1. Grundsätze zur Verwaltungskompetenz der Länder im Verhältnis von Art. 30 GG und Art. 32 GG Soweit die öffentliche Aufgabenerledigung in Deutschland internationale Bezüge aufweist, trifft Art. 32 GG eine die Verbandskompetenz erfassende Sonderregelung zu Art. 30 GG, indem die Zuständigkeit des Bundes als Grundsatz postuliert wird. 7 Inhalt und Tragweite dieser Grundentscheidung zugunsten einer Bundeszuständigkeit in Angelegenheiten, die sich auf die „Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten" beziehen, sind allerdings alles andere als klar. Es chen], Kompetenzverluste an der supranationalen wie an der gesamtstaatlichen Flanke auszugleichen." (S. 298). 6 Zur Gewaltenteilungsstruktur des Grundgesetzes als entscheidend für die demokratische Legitimation statt vieler Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 260 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rdnr. 475 ff.; zur Legitimationsfunktion des Bundesstaatsprinzips ders., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rdnr. 223 ff.; Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, 393 ff., jeweils m. w. N. 7

Zum Lex-specialis-Chzidktzx des Art. 32 GG statt vieler Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 32 Rdnr. 8; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 32 Rdnr. 18 und 47; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 32 Rdnr. 1.

490

Teil : nternationalisierte

Verwaltungshandelns

besteht zwar weitgehende Einigkeit, daß Art. 32 GG - in Ausweitung seines zu engen Wortlautes - umfassend die Beziehungen zu Völkerrechtssubjekten erfaßt. 8 Die Frage, um welche Art der „Beziehungen" es sich hierbei handelt, hat aber immer wieder Anlaß zur Kontroverse geboten. Relevant wird die damit angesprochene Diskussion zunächst in den Sachbereichen, in denen die Länder internationale Beziehungen aufnehmen und unterhalten, die sachlich in ihre Gesetzgebungskompetenz nach Art. 30, 70 ff. GG fallen, jedoch rechtsförmlich nicht durch den Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages erfolgen (vgl. Art. 32 Abs. 3 GG). Dies betrifft insbesondere die zahlreichen internationalen Verwaltungskontakte der Länder im Rahmen der internationalisierten Verwaltungskooperation. 9 Zugleich gewinnt die Frage nach der Reichweite des Art. 32 GG aber auch in den Bereichen Bedeutung, in denen der Bund außerhalb eines völkerrechtlichen Vertragsschlusses seinerseits im Rahmen eines internationalisierten Verwaltungshandelns tätig ist, obwohl er dem ersten Anschein nach nicht über eine Verwaltungskompetenz verfügt (vgl. Art. 30, 83 GG). 10 Die Diskussion über den Anwendungsbereich des Art. 32 GG in Angelegenheiten der internationalen Beziehungen außerhalb des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge beschränkt sich bislang auf den Aspekt, ob Art. 32 GG nur ein völkerrechtlich rechtsförmliches Verhalten erfaßt. Unter Verweis auf die Notwendigkeit einer interpretatorisch eindeutigen Auslegung der Vorschrift im Sinne einer klaren, Rechtssicherheit gewährleistenden Zuordnung einzelner Handlungsakte wird dies zum Teil angenommen.11 Gegen diese enge Auslegung des Art. 32 GG wird von der wohl h. M. jedoch neben dem Hinweis auf den Wortlaut der Vorschrift insbesondere geltend gemacht, daß ihre ratio auch die Einbeziehung völkerrechtlich unverbindlicher Akte reiner Außenpolitik gebiete und damit eine umfassende Bundeskompetenz in internationalen Angelegenheiten statuiere. 12 Die diese Argumentation stützende ratio des Art. 32 GG wird darin gesehen, das einheitliche, widerspruchsfreie Handeln und Auftreten des Völkerrechtssubjektes „Bundesre8 Statt vieler Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 32 Rdnr. 22; Jarass, in: ders./ Pieroth, GG, Art. 32 Rdnr. 2. 9

Hierzu ausführlich Wessels, Die Öffnung des Staates, 274 ff. mit umfangr. Nachw.

10

Zur Verwaltungskompetenz der Länder nach Art. 30, 83 GG statt vieler Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 30 Rdnr. 20; Lerche, in: Maunz/Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 83 Rdnr. 4; Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. IV, § 101 Rdnr. 1 ff. 11

So insbesondere Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 84 ff. 12 Ausführlich Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 32 Rdnr. 3; ebenso z. B. Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 32 Rdnr. 27; Starck, in: Badura/Scholz (Hrsg.), FS Lerche, 561 (562 ff.); Grewe, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 77 Rdnr. 82; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 32 Rdnr. 12 f., alle jeweils m. w. N.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

491

publik Deutschland" im internationalen System sicherzustellen, 13 um so auch die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands insgesamt zu gewährleisten. 14 Würde man der weiten Auslegung des Art. 32 GG folgen, könnten zahlreiche, hier nicht vertiefend behandelte Sachbereiche des internationalisierten Verwaltungshandelns, in denen die Bundesländer aktiv sind, 15 im Hinblick auf bestehende Bundeskompetenzen verfassungsrechtliche Probleme bereiten. Soweit man dann sogar das internationalisierte Verwaltungshandeln der Bundesländer als verfassungswidrig einstufen würde, nähme die Disparität der Kompetenzverteilung im Bundesstaat mit Blick auf staatszentrierte (Art. 30, 83 ff. GG) und staatstranszendierende (Art. 32 GG) Verwaltungsaktivitäten erhebliche Ausmaße an. Ob sich dies rechtfertigen läßt, kann allerdings nicht nur unter Hinweis auf die faktische Situation einer umfassenden, den Staat als Einheit schon lange nicht mehr ausschließlich erfassenden Internationalisierung des öffentlichen Handelns verneint werden. 16 Denn damit ist noch nicht abschließend geklärt, ob die unstreitige ratio des Art. 32 GG - die Sicherstellung des einheitlichen Auftretens der Bundesrepublik im internationalen System - nicht genau hier eine verfassungsrechtliche Schranke zieht, die es verbietet, jedes außenpolitische Handeln außerhalb des förmlichen Vertragsschlusses i. S. d. Art. 30 GG der Länderkompetenz zuzuweisen. Worauf es vielmehr ankommt, ist eine nähere Betrachtung des Art. 32 GG als zentrale Kompetenzvorschrift für die Wahnehmung der „auswärtigen Gewalt" 17 im Bundesstaat. Methodisch muß sich die Interpretation des Art. 32 GG als Kompetenznorm dabei an den Auslegungsgrundsätzen orientierten, die insgesamt für die Auslegung von Kompetenzvorschriften in der Verfassungsordnung anerkannt sind. Dies gilt zunächst mit Blick auf die Beachtung einer grundsätzlichen, aus der föderalen Verfassungsstruktur abzuleitenden positiven Zuständigkeitsgewichtung zugunsten der Länder. Auch wenn insoweit keine Zuständigkeitsvermutung für die Länder besteht18 gilt doch insgesamt zu beachten, daß das Grundgesetz in seiner 13 Ausführlich Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 32 Rdnr. 2 f.; Grewe, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 77 Rdnr. 82 f. 14

Hierzu BVerwG, NJW 1989, 2208 (2209); zum Auftreten der Bundesrepublik als „Einheit" im völkerrechtlichen Verkehr bereits BVerfGE 2, 347 (378). 15

Hierzu umfassend Wessels, Die Öffnung des Staates, 274 ff.

16

So im Kern Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 95 ff.; durchaus anerkennend hierzu, wenngleich im Ergebnis a. A., Grewe, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 77 Rdnr. 82. 17 Zu dieser Funktion des Art. 32 unter kritischer Auseinandersetzung mit dem Begriff „auswärtige Gewalt" statt vieler Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 32 Rdnr. 17 f. m. w. N. 18 Zur Diskussion siehe Rengeling, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. IV, § 100 Rdnr. 29 f.; Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. IV, § 99 Rdnr. 22.

4 9 2 T e i l

: nternationalisierte

Verwaltungshandelns

föderalen Gesamtkonzeption auf einen weitgehenden Schutz der Eigenstaatlichkeit der Länder und damit verbunden ihrer Landesverfassungskompetenzen ausgerichtet ist. 19 Soweit einzelne konkrete Gesetzgebungskompetenzen nach Art. 70 ff. GG betroffen sind, kann zwar argumentiert werden, daß das Grundgesetz im Sinne einer lückenlosen Abgrenzung voneinander Bundes- und Landeskompetenzen als gleichwertig betrachtet. 20 Für den normstrukturell wesentlich offeneren Art. 32 GG kann diese Aussage aber keine Berechtigung haben. Ebensowenig läßt sich das Argument einer im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigenden föderalen Grundentscheidung unter Verweis auf den Lex-specialis-Charakter des Art. 32 GG gegenüber Art. 30 GG zurückweisen. 21 Das würde einer petitio principii gleichkommen, da die Lex-specialis-Wirkung des Art. 32 GG nur greift, wenn die sachliche Einschlägigkeit der Norm gegeben ist; und eben hierum geht es zunächst. Selbst wenn man den angesprochenen föderalen Gesichtspunkten bei der Auslegung des Art. 32 GG keine Bedeutung zumessen will, bleibt aber zumindest zu berücksichtigen, daß Kompetenznormen in besonderem Maße unter teleologischen Aspekten einer dynamischen und „offenen" Interpretation zugänglich sein müssen, um so eine Rechtsentwicklung zu gewährleisten, die sich ändernden Umständen anpassen kann. 22 Dies gilt - wie auch vom B VerfG praktiziert - vor allem in eher technischen Sachbereichen.23 Der Grundsatz einer entwicklungsoffenen Auslegung muß daher gerade im Hinblick auf den nur historisch zu erklärenden Gehalt des Art. 32 GG als Kompetenznorm für den Sachbereich „auswärtige Gewalt" gelten. Wie bereits dargelegt, ist die Idee einer eigenständigen verfassungsrechtlichen Verortung der „auswärtigen Gewalt" nur vor dem historischen Hintergrund einer - rechtlichen und faktischen - Verengung auswärtigen Handelns auf staatsexistentielle Sachfragen zu sehen. Ein hierüber hinausgehendes Verständnis von der heute zu konstatierenden internationalen „Interdependenz als rechtlicher 19

Vgl. BVerfGE 4,178 (189); 6,376 (382); 22, 267 (270); 41, 88 (118); 60,175 (209); 64, 301 (317); BVerfG, NJW 1998, 1296 (1299 f.); zur neueren Rechtsprechung des B VerfG, die von einer deutlich positiven Besinnung auf die Länder stärkende föderale Gesichtspunkte geprägt ist, siehe ausführlich Tietje, AöR 124 (1999), 282 ff. 20

Rengeling, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. IV, § 100 Rdnr. 30 m. w. N.

21

So wohl Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 32 Rdnr. 8 f.; ders., ebda., Rdnr. 52, geht dann allerdings doch unter Verweis auf BVerfGE 34, 9 (20) („... Kern eigener Aufgaben als ,Hausgut' der Länder") von einer eigenständigen, föderal begründeten Außenkompetenz der Länder aus. 22

Einzelheiten bei Rengeling, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. IV, § 100 Rdnr. 35 f.; ders., Gesetzgebungskompetenzen für den integrierten Umweltschutz, 59. 23 Scholz, in: Starck (Hrsg.), FS BVerfG, Bd. II, 252 (266 f.) m. w. N. aus der Rechtsprechung.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

493

Normalzustand" 24 war den Verfassungsgebern des Art. 32 GG fremd. Bereits diese Erkenntnis zwingt dazu, Art. 32 GG als Kompetenznorm einer „offenen Auslegung" 25 zugänglich zu machen. Im einzelnen ist im Lichte des Gebotes einer prinzipiell dynamischen, entwicklungsoffenen Auslegung des Art. 32 GG zunächst von Interesse, daß sich die Idee der einheitlichen Kompetenzuweisung im Bereich der auswärtigen Gewalt an den Bund mit der inhaltlichen Erfassung der „auswärtigen Gewalt" als verfassungsrechtlichem Topos insgesamt deckt. Die dem Art. 32 GG zugeschriebene Funktion der Sicherstellung des einheitlichen Auftretens des Völkerrechtssubjektes „Bundesrepublik Deutschland" im internationalen System knüpft unmittelbar an die Vorstellung an, daß das auswärtige Handeln per se staatsexistentielle Bedeutung habe. Aufgrund der völkerrechtlich unstreitig nur möglichen Rechtsbindung ausschließlich des Bundesstaates26 läßt sich dies für den völkerrechtlichen Vertragsschluß und sonstige förmliche völkerrechtliche Rechtsgeschäfte mit Bindungswirkung für die Bundesrepublik als Völkerrechtssubjekt zwar nicht prinzipiell bestreiten (vgl. auch Art. 32 Abs. 3 GG). Im übrigen ist aber in Fortführung der bereits dargelegten Gesichtspunkte zur politischen Funktion der auswärtigen Gewalt 27 zu differenzieren: Nur das staatsleitende, das gesamtgesellschaftliche Schicksal bestimmende Handeln im außenpolitischen Sinne läßt sich der Notwendigkeit des einheitlichen Auftretens der Bundesrepublik als Völkerrechtssubjekt im internationalen System zuordnen. Der Wahrnehmung der „alltäglichen" Verwaltungsangelegenheiten im Rahmen der fortlaufenden internationalen Kooperation in spezifischen Sachbereichen kommt jedoch keine staatsleitende, das Gesamtschicksal der Gesellschaft berührende Bedeutung zu. Hierbei handelt es sich eben „nur" um „Verwaltung" im bereits näher erörterten Sinne,28 also um eine typischerweise „mehr angeleitete], ausgerichtete] Tätigkeit, die der Wahrnehmung der mehr technischen und wiederkehrenden Aufgaben, des Details, des Lokalen dient". 29 Gegen diese Argumentation kann auch nicht überzeugend unter

24

Tomuschat, VVDStRL 36 (1978), 7 (16).

25

Vgl. Scholz, in: Starck (Hrsg.), FS BVerfG, Bd. II, 252 (266 f.); Rengeling, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. IV, § 100 Rdnr. 35 f. 26 Statt vieler Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 32 Rdnr. 32; zur ausschließlichen völkerrechtlichen Verantwortlichkeit des Bundesstaates Schröder, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 6. Abschn. Rdnr. 22; umfassend zur rechtlichen Position des Bundesstaates im Völkerrecht Rudolf, AVR 27 (1989), 1 ff.; Zellweger, Völkerrecht und Bundesstaat, passim. 27

Supra Teil 4, A. II.

28

Supra Teil 4, B. I.

29

Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 536.

494

Teil : nternationalisierte

Verwaltungshandelns

Verweis auf Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG vorgetragen werden, daß der nur dort genannte Sachbereich der „politischen Beziehungen" zeige, daß eben dieses Element in Art. 32 GG nicht vorausgesetzt werde. 30 Schon unter systematischen Gesichtspunkten kann diesem Einwand nicht gefolgt werden, da Art. 59 Abs. 2 GG nur Fragen der Organkompetenz, insbesondere im Verhältnis Exekutive-Legislative, regelt, und zwar nur dann, wenn dem Bund die Verbandskompetenz nach Art. 32 GG zusteht. Im übrigen wird insoweit der eigentliche Begriffskern der inhaltlichen Bedeutung der „auswärtigen Gewalt" nicht berücksichtigt, auf dessen gubernative Elemente sich auch das BVerfG in jüngerer Zeit zu besinnen scheint. In seiner Entscheidung zur Fernmeldeüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst 31 konkretisierte der Erste Senat den schon immer problematischen Anwendungsbereich des Art. 73 Nr. 1 GG 3 2 dahingehend, daß im systematischen Einklang mit Art. 32 Abs. 1 GG unter auswärtigen Angelegenheiten „diejenigen Fragen zu verstehen [sind], die für das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten oder zwischenstaatlichen Einrichtungen, insbesondere für die Gestaltung der Außenpolitik, Bedeutung haben".33 Damit, so der Erste Senat weiter, beschränke sich Art. 73 Nr. 1 GG zwar nicht auf völkerrechtsförmliche Akte, notwendig sei aber ein Ansetzen „bei dem deutschen Staat und seinen Außenbeziehungen", und zwar in dem Sinne, daß die Kompetenzordnung zwischen Bund und Ländern nicht unterlaufen werde. Nicht jeder Tatbestand mit Auslandsbezug wird also von Art. 73 Nr. 1 GG erfaßt, sondern nur, so sind die wiederholten Aussagen in dem Urteil zur Notwendigkeit einer außen- und sicherheitspolitischen Relevanz zu deuten, solche Sachverhalte, die für den Staat und die Gesellschaft insgesamt schicksalshafte Bedeutung haben.34 Aus diesem Spektrum herausfallende Angelegenheiten mit grenzüberschreitendem Bezug verbleiben in der Länderzuständigkeit. 35 Durch den Verweis des Gerichts auf den inhaltlichen Zusammenhang von Art. 73 Nr. 1 GG und Art. 32 Abs. 1 GG wird klar, daß sich seine Aussagen insgesamt auf die Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten beziehen und nicht auf den Sonderfall des Art. 73 Nr. 1 GG beschränkt sind.

30

So Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 32 Rdnr. 20.

31

BVerfG, NJW 2000, 55 ff.

32 Hierzu ausführlich Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 106 ff. m. w. N. 33

BVerfG, NJW 2000, 55 (59) (Hervorhebung vom Verf.).

34

Vgl. BVerfG, NJW 2000, 55 (59 f.).

35

BVerfG, NJW 2000, 55 (60).

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

495

Art. 32 Abs. 1 GG kann mithin nicht eindimensional und monokausal unter Bezugnahme auf den Begriffstopos „auswärtige Gewalt" ausgelegt werden. Vielmehr zeigt sich abermals, daß die Rede von der „auswärtigen Gewalt" einem verfassungsrechtlichen Denken verhaftet ist, das an der - längst überholten - Idee eines ausschließlich koordinationsrechtlich ausgerichteten internationalen Systems festhält. 36 In diesem Sinne verbleibt kein Raum, Art. 32 Abs. 1 GG insgesamt für alle öffentlichen Verhaltensweisen anzuwenden, die in Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen. Die vielmehr notwendige teleologische Reduktion des Art. 32 GG auf den Bereich auswärtiger Handlungen mit Regierungscharakter („Außenpolitik") bzw. mit gesamtstaatlicher Bindungswirkung für das Völkerrechtssubjekt Bundesrepublik Deutschland führt dazu, bei allen sonstigen öffentlichen Handlungen zur Wahrnehmung von öffentlichen Aufgaben auf Art. 30 GG als Kompetenznorm abzustellen. Damit kommt es - unabhängig vom grenzüberschreitenden Charakter einer Handlung - in technisch-administrativen Sachbereichen umfassend zu einer „Parallelität der Innenund Außenkompetenzen",37 wie sie sich aus Art. 30,83 ff. GG zugunsten der Länder ergibt. In diesem Sinne läßt sich auch die Entscheidung des BVerfG zu dem Kehler-Hafen-Abkommen 38 verstehen, die, unabhängig von ihrer begrifflichformalen Aussage zum Vertragsbegriff in Art. 32 GG, zur Begründung der Nichtanwendbarkeit u. a. des Art. 32 GG ihrer ratio nach auf ein öffentliches Verwaltungshändeln außerhalb einer Rechtsbindung für die Bundesrepublik als Völkerrechtssubjekt abstellt.39 Zugleich wird durch die dargestellte erforderliche teleologische Reduktion des Art. 32 GG deutlich, daß es keiner Argumentation „aus der Natur der Sache" bedarf, um eine wirklichkeitsgerechte Sicherung eines angemessenen Kompetenzbereiches der Länder auch mit Blick auf grenzüberschreitende Aktivitäten zu begründen. 40 Schon methodisch versagt der Verweis auf Länderkompetenzen aus der „Natur der Sache", da es in der von u. a. Art. 30 GG vorausgesetzten föderalen Ordnung aus Sicht der Länder bundesverfassungsrechtlich keine ungeregelten Sachkompetenzen geben kann; wenn über36 In dieselbe Richtung geht die wegweisende Argumentation von Bleckmann, N V w Z 1989, 311 (313 f.); explizit anders mit Blick darauf, dem Begriff der auswärtigen Gewalt „noch die Berührung einer sozusagen »hohen Außenpolitik'" abzuverlangen, Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 32 Rdnr. 20. 37

Bleckmann, NVwZ 1989, 311 ff.

38

BVerfGE 2, 347 (374); hiergegen Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 32 Rdnr. 22.

39

So auch ausdrücklich Bleckmann, NVwZ 1989, 311 (314).

40

So insbesondere Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 32 Rdnr. 52; Zulegg, in: AK-GG, Bd. 1, Art. 32 Rdnr. 23; jeweils unter Verweis auf BVerfGE 34, 9 (20) („Die Länder im Bundesstaat sind nur dann Staaten, wenn ihnen ein Kern eigener Aufgaben als ,Hausgut' unentziehbar verbleibt").

496

Teil : nternationalisierte

Verwaltungshandelns

haupt, taugt die Begründung ungeschriebener Kompetenzen nur mit Blick auf den Bund. 41 Insoweit bleibt es dabei, daß es auf die Auslegung des Art. 32 GG ankommt, um seinen Anwendungsbereich in Abrenzung zu Art. 30 GG zu bestimmen. Die eigenständige Verwaltungskompetenz der Länder mit grenzüberschreitendem Bezug unterliegt allerdings bestimmten Schranken, die ihrer ratio nach in Art. 32 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommen. Für den Abschluß von Verträgen, gleich ob Verwaltungsabkommen oder sonstige völkerrechtliche Rechtsgeschäfte mit Bindungswirkung für die Bundesrepublik insgesamt, findet prima facie umfassend das in Art. 32 Abs. 2 GG statuierte Erfordernis der Zustimmung der Bundesregierung Anwendung. 42 Für den außerhalb des Art. 32 GG liegenden Bereich einer grenzüberschreitenden Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch die Länder ist Art. 32 Abs. 3 GG - unter bestimmten Voraussetzungen analog anzuwenden. Dafür sprechen zwei Aspekte: Zunächst wird man unter Verweis auf die Bundestreue und im Sinne der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen Art. 30 GG und Art. 32 Abs. 1 GG verlangen müssen, daß es in Zweifelsfragen eines grenzüberschreitenden Handelns eines Landes, das die Bundesrepublik möglicherweise insgesamt berührt, zu einer Abstimmung zwischen Bund und Land kommen muß. 43 Darüber hinaus wurde bereits an anderer Stelle dargelegt, daß die auch hier relevante Differenzierung zwischen Verwaltungs- und Regierungshandeln nicht prinzipieller, sondern nur gradueller Natur ist. 44 In genau diesem Sinne ist auch die Kompetenzabgrenzung zwischen Art. 30 GG und Art. 32 GG nur graduell möglich, so daß abhängig vom Einzelfall die dem Art. 32 GG zugrundeliegende ratio betroffen sein kann. Anhand des Verhältnismäßigkeitsmaßstabes muß daher von Fall zu Fall beurteilt werden, ob eine Beteiligung der Bundesregierung von dem jeweils handelnden Land herbeizuführen ist und welche Form diese gegebenenfalls haben muß. 45 In der

41

Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 236.

42

Einzelheiten hierzu bei Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 32 Rdnr. 61 ff.; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Art. 32 Rdnr. 38 ff.; zu Ausnahmen im Bereich ausschließlicher Länderkompetenzen siehe noch infra Teil 7, A. I. 2. 43

In diese Richtung Zulegg, in: AK-GG, Bd. 1, Art. 32 Rdnr. 24 und Rdnr. 27 ff.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Art. 32 Rdnr. 53; ähnlich bereits Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 607 f. 44 45

Supra Teil 4, A. II. 2.

So i. E. wohl auch Zulegg, in: AK-GG, Bd. 1, Art. 32 Rdnr. 24; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Art. 32 Rdnr. 53.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

497

Regel wird dabei - wenn überhaupt - nur eine Notifizierung der Bundesregierung erforderlich sein; so scheint auch die Praxis zu verfahren. 46 Insgesamt ergibt sich damit folgendes Bild: Soweit keine Bundeskompetenz nach Art. 30, 70 ff. GG gegeben ist, bezieht sich Art. 32 GG umfassend nur auf (1.) außenpolitische Handlungen des Bundes oder der Länder, die als für die Bundesrepublik insgesamt staatsleitend einzustufen sind, sowie (2.) auf völkerrechtliche Rechtsgeschäfte, die die Bundesrepublik als Völkerrechtssubjekt insgesamt binden.47 Diese bedürfen ihrerseits, soweit sie von den Ländern ausgeführt werden, gemäß Art. 32 Abs. 3 GG völkerrechtlich und staatsrechtlich der Zustimmung der Bundesregierung. 48 Außerhalb dieser Sachbereiche findet Art. 32 GG keine Anwendung, da die ratio der Vorschrift nicht mehr greift. Dies gilt auch für die auswärtigen Kontakte und Beziehungen unterstaatlicher Handlungseinheiten wie Gemeinden, Hochschulen etc. 49 Soweit die Länder handeln, bleibt es bei einer umfassenden Anwendung des Art. 30 GG, wobei allerdings einzelfallabhängig im Interesse der Vermeidung eines Widerspruches mit Art. 32 Abs. 1 GG eine Beteiligung der Bundesregierung notwendig sein kann (Art. 32 Abs. 3 GG analog). Aus der so anhand der ratio der Art. 30 GG und Art. 32 GG zu ermittelnden Systematik folgt zugleich, daß die Länder nicht nur in den Bereichen, in denen ihnen Gesetzgebungskompetenzen nach Art. 30, 70 ff. GG zustehen, umfassend zur Wahnehmung von öffentlichen Aufgaben mit grenzüberschreitendem Bezug zuständig sind, 50 sondern darüber hinaus auch dann, wenn es um den Landesvollzug von Bundesrecht geht (Art. 84 Abs. 1 und Art. 85 Abs. 1 GG). 51 Soweit 46

Siehe die Zusammenfassung der umfassenden Auswertung von Beyerlin/Lejeune, Sammlung der internationalen Vereinbarungen der Länder, X I und XIII. 47 Zu Ausnahmen im Bereich ausschließlicher Länderkompetenzen siehe noch infra Teil 7, A. I. 2. 48

Insoweit nahezu unstreitig siehe Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 32 Rdnr. 40; ausführlich Rudolf Völkerrecht und deutsches Recht, 228 ff.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 32 Rdnr. 63 m. w. N. 49 Unstreitig, grundlegend BVerfGE 2,347 (374 ff.); aus dem Schrifttum Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 32 Rdnr. 65 ff.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 32 Rdnr. 24; Jarass, in: ders ./Pieroth, GG, Art. 32 Rdnr. 3; Grewe, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. II, § 77 Rdnr. 83; zur Praxis ausführlich Wessels, Die Öffnung des Staates, 261 ff. 50

Die einzelnen Voraussetzungen hierzu sind zumindest im Hinblick auf den Abschluß völkerrechtlicher Verträge der Länder unstreitig, statt vieler Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 32 Rdnr. 54 ff.; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 32 Rdnr. 32 ff. 51 Zu den hierzu vertretenen unterschiedlichen Ansichten umfassend Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 143 f. m. w. N.

498

Teil : nternationalisierte

Verwaltungshandelns

hiergegen eingewandt wird, es bestehe keine Parallelität einer Innen- und Außenkompetenz in Verwaltungsangelegenheiten, die für eine Landeskompetenz zum auswärtigen Handeln beim Vollzug von Bundesrecht notwendig ist, 52 kann auf die oben genannten Grundsätze verwiesen werden. Die Nichtanwendbarkeit des Art. 32 GG bei Verwaltungsangelegenheiten der Länder unterhalb der Schwelle zum völkerrechtlichen Rechtsgeschäft und die damit in diesem Fall gegebene Einschlägigkeit des Art. 30 GG zeigt, daß auch im Anwendungsbereich der Art. 84 und 85 GG eine Landesverwaltungskompetenz bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben besteht. Soweit es darüber hinaus um den Abschluß von internationalen Verwaltungsabkommen im Rahmen des Landesvollzugs von Bundesrecht geht, besteht im übrigen ohnehin eine formelle Landesgesetzgebungskompetenz zur Regelung des Verwaltungsverfahrens, die sich auch auf den Regelungsbereich des Art. 32 Abs. 3 GG erstreckt. 53

2. Die Vertragsschlußkompetenz des Bundes im Verhältnis zu Länderkompetenzen Die Tragweite der Verbandskompetenz des Bundes nach Art. 32 Abs. 1 GG zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge ist in den Fällen problematisch, in denen die fragliche Regelungsmaterie nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes zum Teil oder ausschließlich dem Verantwortungskreis der Länder obliegt (vgl. Art. 32 Abs. 3 GG). Gerade für die völkervertraglichen Regelungen, die sich auf Verwaltungsangelegenheiten beziehen, gewinnen die diesen Sachverhalt bestimmenden Rechtsprobleme Relevanz, da auch hier bei einer umfassenden Bundeszuständigkeit zumindest prima facie ein Konflikt mit Art. 30 GG bestünde. Zusätzliche Schwierigkeiten ergeben sich dann, wenn ein völkerrechtlicher Vertrag als gemischtes Abkommen des Gemeinschaftsrechts von der Bundesrepublik abzuschließen ist. Eine abschließende theoretische Lösung der alten Streitfrage zum Umfang der Vertragsschlußkompetenz des Bundes in Sachbereichen einer Länderzuständigkeit ist bekanntlich nicht vorhanden. Nahezu unversöhnlich stehen sich weiterhin insbesondere die zentralistische und die föderalistische Position gegenüber, die jeweils für eine umfassende Bundeszuständigkeit bzw. eine zwischen Bund und

52

Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 32 Rdnr. 35; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 32 Rdnr. 58, jeweils m. w. N. 53

Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 32 Rdnr. 59 f. mit weiteren Nachweisen zum Streitstand.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

499

Ländern geteilte Verbandskompetenz plädieren. 54 Das sogenannte Lindauer Abkommen vom 14. November 195755 schafft hier - zumindest für die Praxis Abhilfe, indem es eine mögliche Bundeskompetenz zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge in Länderangelegenheiten unter den Vorbehalt eines notwendigen Kooperationsverfahrens zwischen Bund und Ländern stellt. Damit wird ein sachangemessener Ausgleich zwischen der völkerrechtlich bedingten Gesamtrechtsbindung der Bundesrepublik bei einem Vertragsschluß und den auch in Art. 32 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommenden Länderinteressen in ihrem innerstaatlichen Kompetenzbereich zugehörigen Sachmaterien hergestellt. Zu betonen ist allerdings, daß sich die pragmatische Lösung durch das Lindauer-Abkommen nur auf den Abschluß völkerrechtlicher Verträge bezieht. Nicht geregelt ist hingegen, wie in Regelungsmaterien zu verfahren ist, denen außerhalb eines Vertragsschlusses völkerrechtliche Relevanz zukommt. Angesichts der beschriebenen Ausweitung völkerrechtlicher Steuerungsinstrumente gerade in technisch-administrativen Angelegenheiten56 bedarf es hier einer verfassungsrechtlichen Klärung, die sich weitgehend an den von Fastenrath herausgearbeiteten Grundsätzen orientieren kann. 57 Als tragender Grundsatz gilt dabei zunächst die Lehre von der Vertragsakzessorietät. 58 Soweit es demnach um die Ausübung von völkerrechtlichen Rechten geht, die sich gleichsam auf sekundärrechtlicher Ebene auf der Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrages bewegen, folgt die innerstaatliche Wahrnehmungskompetenz der Verbandskompetenz hinsichtlich des Vertragsabschlusses. In internationalen Institutionen, die auf der Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrages eingerichtet wurden, steht also entweder dem Bund (Art. 32 Abs. 1 GG) oder einem Land als Vertragspartner (Art. 32 Abs. 3 GG) die Wahnehmungskompetenz zu. 59 Soweit darüber hinaus der Bund Vertreter der Länder mit in die Arbeit der internationalen Institution einbindet, bestehen hier54

Zu diesem Streit statt vieler Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 32 Rdnr. 31 ff.; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 32 Rdnr. 41 ff.; Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 115 ff.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 126 ff. 55

Verständigung zwischen der Bundesregierung und den Staatskanzleien der Länder über das Vertragsschließungsrecht des Bundes, Bull. Bundesregierung 1957, 1966; auch abgedruckt bei: Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 32 Rdnr. 45; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 32 Rdnr. 35; Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 128; ausführliche Kommentierung bei Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 32 Rdnr. 49 ff. 56

Supra Teil 5.

57

Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 161 ff.

58

Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 99; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 32 Rdnr. 6. 59

Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 171 f.

500

Teil : nternationalisierte

Verwaltungshandelns

gegen keine Bedenken.60 Dies gilt auch für die sonstigen zahlreichen BundLänder-Gremien der innerstaatlichen Koordination von Angelegenheiten, die im Schnittpunkt von Bund- und Länderkompetenzen mit auswärtigem Bezug angesiedelt sind, sowie für die Beteiligung von Ländervertretern in internationalen Organisationen.61 Insgesamt zeigt sich damit eine intensive innerstaatliche Koordinationsnotwendigkeit zwischen Bund und Ländern in Angelegenheiten mit grenzüberschreitendem Bezug. Sucht man unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nach einem normativen Ansatzpunkt zur Erfassung dieser auch dokumentierten Praxis, ist auf den Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens 62 zu verweisen. Dieser gebietet, „daß sowohl der Bund als auch die Länder bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen die gebotene und ihnen zumutbare Rücksicht auf das Gesamtinteresse des Bundesstaates und auf die Belange der Länder nehmen".63 Die sich aus der Bundestreue ergebenden Pflichten insbesondere der Bundesregierung gegenüber den Ländern in grenzüberschreitenden Sachfragen werden zwar im Anschluß an das Urteil des Zweiten Senats des BVerfG vom 22. März 1995 64 in der Regel nur auf Angelegenheiten der Europäischen Union angewandt (vgl. jetzt Art. 23 Abs. 2 ff. GG). 65 Dies greift aber zu kurz. Vielmehr ist zu bedenken, daß der Grundsatz einer im Bundesstaat bestehenden reziproken Rücksichtnahmepflicht in allen Bereichen grenzüberschreitender Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben gegeben ist. 66 Das bereits erörterte Spannungsverhältnis von Art. 30, Art. 32 Abs. 1 und Art. 32 Abs. 3 GG belegt dies deutlich. In Art. 32 Abs. 2 GG wird dies mit Blick auf die Länderinteressen sogar explizit angesprochen. Auch das BVerfG verweist insoweit im Rahmen seiner Ausführungen zum bundesfreundlichen Verhalten in dem Urteil zur Fernsehrichtlinie darauf, daß das zu lösende Spannungsverhältnis bereits in der ungeklärten Kompetenz Verteilung zwischen Bund und Ländern nach

60

Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 172 m. w. N.

61

Einzelheiten auch hierzu bei Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 164 f. und 167 f. 62

BVerfGE 81, 310 (337 f.); umfassend hierzu Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 20 Rdnr. 68 ff.; H. Bauer, Die Bundestreue, passim. 63

BVerfGE 92, 203 (230).

64

BVerfGE 92, 203 ff.; hierzu Winkelmann, 581 ff. 65

DÖV 1996, 1 ff.; Pechstein, Jura 1995,

Siehe z. B. Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 20 Rdnr. 71; Pechstein, Jura 1995,

581 ff. 66

Vgl. auch Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 168 f., der insoweit allerdings nur auf das „Prinzip länderfreundlichen Verhaltens" abstellt; frühzeitig in diese Richtung Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 609.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

501

Art. 32 Abs. 1 und Abs. 3 GG angelegt ist. 67 Dementsprechend muß es im Lichte der für das föderale Verfassungssystem grundlegenden Erkenntnis einer Kooperationspflicht zwischen Bund und Ländern zumindest in sich berührenden wechselseitigen Kompetenzbereichen - und damit auch in Sachangelegenheiten, die einem internationalisierten Verwaltungshandeln zuzuordnen sind - , zu einer gegenseitigen Verhaltensabstimmung kommen. Unabhängig von der noch zu erörternden Frage, inwieweit auch Art. 24 Abs. 1 GG hier eine Rolle spielt, 68 kommt es nämlich im Anwendungsbereich der Art. 32 Abs. 1 und 32 Abs. 3 GG regelmäßig zu Bund und Länder wechselseitig betreffenden Auswirkungen auf föderal geschützte Interessen. Die dadurch bedingte Gefahr widersprüchlichen Verhaltens im Bundesstaat soll durch das Prinzip der Bundestreue soweit wie möglich eingegrenzt werden. 69 Aufgrund der strukturellen Offenheit des Art. 32 GG kann schließlich auch nicht von einer vorrangigen positiven Regelung70 des im hier interessierenden Zusammenhang auftretenden Spannungsverhältnisses gesprochen werden. Insgesamt bedarf es somit in sich überschneidenden Regelungsmaterien im Anwendungsbereich der Art. 30 und Art. 32 GG einer gegenseitigen Rücksichtnahme von Bund und Ländern. Die hierzu im einzelnen vom B VerfG postulierten prozeduralen Pflichten 71 können zwar nicht unmittelbar auf Sachverhalte außerhalb des Gemeinschaftsrechts bezogen werden, da es hierzu an einer Vergleichbarkeit der Integrationsintensität von EG-Recht und Völkerrecht fehlt, zumindest die zentrale Pflicht zu einer „bundesstaatlichen Zusammenarbeit und Rücksichtnahme", „die Pflicht von Bund und Ländern, sich im kooperativen Bundesstaat gegenseitig zu verständigen", 72 kommt aber zur Anwendung. In diesem Sinne konkretisiert sich die bundesstaatliche Kooperationspflicht gerade in Sachbereichen eines internationalisierten Verwaltungshandelns also primär prozedural, so daß auch hier eine „Legitimation durch Verfahren" 73 eintritt. Soweit es um die in Art. 32 Abs. 3 GG genannte Zustimmungspflicht der Bundesregierung bei einem Vertragsabschluß 67

BVerfGE 92, 203 (231 f.).

68

Ausführlich infra Teil 7, A. 3.

69

Zur Bundestreue als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben ausfuhrlich Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 20 IV Rdnr. 63; H. Bauer, Die Bundestreue, 38 ff.; siehe auch Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 20 Rdnr. 68. 70

Zur Nachrangigkeit des Grundsatzes der Bundestreue statt vieler H. Bauer, Die Bundestreue, 371 ff.; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 20 Rdnr. 69. 71

BVerfGE 92, 203 (235 ff.).

72

BVerfGE 92, 203 (234 f.).

73

Hierzu statt vieler Zippelius, Rechtsphilosophie, § 36 I; Alexy, Theorie der Grundrechte, 430 ff. und 444 ff.

502

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

durch ein Bundesland sowie die in Art. 32 Abs. 2 GG und dem Lindauer Abkommen angesprochenen Beteiligungsrechte der Bundesländer bei einem Handeln des Bundes geht, läßt sich die prozedurale Kooperationspflicht von Bund und Ländern in ihrem materiellen Gehalt als Kondominium der zwei staatlichen Ebenen 74 in der Bundesrepublik bezeichnen.75 Eine eigenständige verfassungsrechtliche Normierung hat die angesprochene Kooperationspflicht in Art. 23 Abs. 2 ff. GG für Angelegenheiten im Rahmen der Europäischen Union erfahren. Im hier interessierenden Zusammenhang ist allerdings noch nicht abschließend geklärt, ob die Art. 23 ff. GG auch dann Anwendung finden, wenn es um den Abschluß sogenannter gemischter völkerrechtlicher Abkommen der EG 7 6 geht. Betrachtet man allerdings die ratio des Art. 23 Abs. 2 ff. GG, spricht vieles dafür, die Verfahrensregelungen des Lindauer Abkommens auch dann als von Art. 23 GG insgesamt verdrängt anzusehen, wenn es um die Bestandteile eines gemischten Abkommens der EG geht, die in den Zuständigkeitsbereich der EG-Mitgliedstaaten fallen. 77 Gestützt wird dieses Ergebnis durch die jüngere Rechtsprechung des EuGH, nach der gemischte Abkommen wohl umfassend, ohne Differenzierung nach der geteilten Abschlußkompetenz von EG und Mitgliedstaaten, gemeinschaftsrechtlich auszulegen und anzuwenden sind. 78 Hierauf ist noch zurückzukommen. 79 Insgesamt zeichnet sich das Verhältnis von Bund und Ländern in Sachbereichen mit auswärtigem Bezug, die entweder der Länderkompetenz (Art. 30 GG), der Bundeskompetenz (Art. 23 Abs. 1, Art. 32 Abs. 1 GG) oder einer gemischten und prozedural angereicherten Bund-Länder-Kompetenz (Art. 30, Art. 32 Abs. 2, Art. 32 Abs. 3 GG) unterfallen, damit durch zahlreiche Merkmale eines „Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander" 80 aus. Angesichts der beschriebenen 74 Zur Zweigliedrigkeit des Bundesstaates statt vieler H. Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20 (Bundesstaat) Rdnr. 20 ff. m. w. N. 75 So auch, allerdings nur auf die Länderbeteiligung nach dem Lindauer Abkommen bezogen, Starck, in: Badura/Scholz (Hrsg.), FS Lerche, 561 (568). 76

Hierzu noch ausführlich infra Teil 7, B. II. 4.

77

Ausführlich Frenz, DVB1. 1999, 945 ff.; ebenso Winkelmann, (1135); a. A. Clostermeyer/Lehr, DÖV 1998, 148 ff.

DVB1. 1993, 1128

78

EuGH, Rs. C-53/96, Hermes, Slg. 1998, 1-3603 Tz. 22 ff.; wohl anders jetzt aber EuGH, verb. Rs. C-300/98 u. C-392/98, Parfüms Christian Dior SA u. a., EuZW 2001, 117 ff. 79 80

Infra Teil 7, B. II. 4.

Stern, in: Politikverflechtung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, 15 (22); ders., Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1,659; H. Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20 (Bundesstaat) Rdnr. 21; ders., Die Bundestreue, 260 ff.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

503

zunehmenden Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch bzw. im Rahmen internationaler Foren erscheint diese, die Idee eines strikt unitarischen Bundesstaates 81 ad acta legende Betrachtung zwingend. Nur im Sinne der dargelegten Auslegung der maßgeblichen Art. 30 und 32 GG läßt sich gewährleisten, daß sich die föderale Ordnung der Bundesrepublik ihrem Grundgedanken entsprechend als Möglichkeit für Wandel und Innovation im Sinne eines offen experimentierenden Bundesstaates konstituiert, 82 und zwar nicht nur auf die innerstaatlichen Verhältnisse bezogen, sondern gerade im Lichte der Entterritorialisierung öffentlicher Aufgabenwahrnehmung. 3. Art. 24 Abs. 1 GG Die Frage nach der Verbandskompetenz im Bereich des internationalisierten Verwaltungshandelns berührt auch Art. 24 Abs. 1 GG, da die Vorschrift eine Sonderregelung dahingehend statuiert, daß Hoheitsrechte an zwischenstaatliche Organisationen nur durch Bundesgesetz übertragen werden dürfen. 83 Aber auch darüber hinausgehend ist Art. 24 Abs. 1 GG im hier interessierenden Untersuchungszusammenhang von Relevanz, da sich bei der Darstellung ausgewählter Referenzgebiete des internationalisierten Verwaltungshandelns gezeigt hat, in welchem Ausmaße nationale Verwaltungshandlungen von internationalen Vorgaben determiniert werden. Hierin könnten zahlreiche Anwendungsfälle des Art. 24 Abs. 1 GG erblickt werden. Betrachtet man die aufgezeigten, in ihrer Struktur und Erscheinung ganz unterschiedlich ausgestalteten Erscheinungsformen, die das differenzierte Steuerungspotential im internationalisierten Verwaltungshandeln belegen und bei denen sich internationalisierte Einflüsse auf nationales Verwaltungshandeln zeigen, so stellt sich die Frage, inwieweit hierin im Einzelfall eine Übertragung von Hoheitsrechten i. S. v. Art. 24 Abs. 1 GG zu erblicken ist. Dies ließe sich zunächst anhand einer Einzelfallanalyse für jeden einzelnen Sachbereich des internationalisierten 81

Grundlegend Hesse, Der unitarische Bundesstaat, passim; siehe auch H. Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20 (Bundesstaat) Rdnr. 18; Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, 143 ff. 82

Häberle, in: Kramer (Hrsg.), Föderalismus zwischen Integration und Sezession, 201 (237); siehe auch H. Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20 (Bundesstaat) Rdnr. 18; Tietje, AöR 124 (1999), 282 (303 f.). Statt vieler Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 24 Rdnr. 8; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 24 Rdnr. 17; zur Funktion des Art. 24 Abs. 1 GG als Kompetenzvorschrift ausführlich auch Randelzhofer, in: Maunz/Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 24 Abs. I Rdnr. 13 f.

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Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

Verwaltungshandelns beantworten. Methodisch erscheint dieser Weg aber wenig gewinnbringend. Vielmehr soll erörtert werden, welche generellen Aussagen Art. 24 Abs. 1 GG hinsichtlich der fein differenzierten Steuerungsinstrumentarien im internationalisierten Verwaltungshandeln trifft. Soweit man dabei im Sinne der wohl h. M. im Schrifttum darauf abstellt, daß als Tatbestandsvoraussetzung für Art. 24 Abs. 1 GG stets ein unmittelbarer „Durchgriff 4 der Rechtssetzungsakte einer internationalen Organisation auf - den Staat als Ganzes transzendierende Individuen oder staatliche Organe erfolgen muß, 84 müßten einige der hier aufgeführten Fallgruppen eine Übertragung von Hoheitsrechten darstellen. Noch deutlicher würde sich dieses Ergebnis darstellen, wenn man der vom B VerfG angedeuteten85 und von Rauser 86 umfassend herausgearbeiteten Ansicht folgte, wonach neben der Durchgriffswirkung auch schlicht-hoheitliche internationale Handlungen dem Begriff der Hoheitsrechte in Art. 24 Abs. 1 GG unterfallen, soweit sie in ihren Auswirkungen den Grundsätzen der Wesentlichkeitstheorie entsprechen. Wie nämlich im einzelnen erörtert wurde, findet eine zunehmende rechtliche Interaktion zwischen internationalen Institutionen und nationalen Verwaltungsstellen statt, die oftmals zu einer faktischen oder rechtlichen unmittelbaren Berechtigung oder Verpflichtung nationaler Behörden und - zum Teil - von Individuen führt. Damit würde sich das internationalisierte Verwaltungshandeln zumindest in den hier behandelten Referenzgebieten teilweise als Vorgang der Übertragung von Hoheitsrechten i. S. v. Art. 24 Abs. 1 GG darstellen. Ob diese Konsequenz angesichts der zunehmenden „Normalität" des internationalisierten Verwaltungshandelns zu ziehen ist, erscheint aber fraglich. Insofern erweist sich einmal mehr, daß die unklare Fassung des Art. 24 Abs. 1 GG 8 7 einer interpretatorischen Konkretisierung bedarf, um zu sachangemessenen, sich in die verfassungsrechtliche Systematik harmonisch einfügenden Lösungen zu kommen. Wie von Randelzhofer überzeugend herausgearbeitet, ist die genaue Tragweite des Art. 24 Abs. 1 GG ausgehend von seiner Funktion zu bestimmen.88 Neben den insbesondere im älteren Schrifttum diskutierten Ansichten, daß es sich bei Art. 24 Abs. 1 GG um eine vorweggenommene Verfassungsänderung oder um eine Er84 Zu dem Merkmal des „Durchgriffs" internationaler Regelungen auf Individuen oder staatliche Organe als Umschreibung der in Art. 24 Abs. 1 GG genannten Hoheitsrechte statt vieler Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 24 Rdnr. 13; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 24 Rdnr. 5; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 24 Rdnr. 20, jeweils m. w. N. 85

BVerfGE 68, 1 (94 ff.).

86

Die Übertragung von Hoheitsrechten auf ausländische Staaten, 75 ff.

87

Hierzu ausfuhrlich Randelzhofer, Rdnr. 1 ff. 88

Randelzhofer,

in: Maunz/Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 24 Abs. I

in: Maunz/Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 24 Abs. I Rdnr. 3 ff.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

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mächtigung zur internationalen Verfassungsgebung, Ratifikation, Verfassungsdurchbrechnung bzw. -änderung handele,89 hat sich heute weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, daß der spezifische Gehalt der Vorschrift in der Erteilung eines besonderen innerstaatlichen Anwendungsbefehls für außerstaatliches Recht zu sehen ist. 90 Zugleich muß aber auch beachtet werden, daß Art. 24 Abs. 1 GG nicht jede Form der unmittelbaren Geltung außerstaatlichen Rechts im innerstaatlichen Rechtsraum erfaßt, sondern seiner Integrationsfunktion entsprechend 91 nur „bestimmte Formen einer besonders engen internationalen Zusammenarbeit" in den Blick nimmt. 92 Diese Erkenntnis relativiert die Rechtsanwendungsfunktion des Art. 24 Abs. 1 GG dahingehend, daß nicht jede rechtliche Vorgabe aus dem internationalen Raum, die sich innerstaatlich unmittelbar auswirkt, eine Übertragung von Hoheitsrechten voraussetzt; worauf es vielmehr ankommt, ist die besondere Qualifikation der außerstaatlichen Norm als Ausfluß einer „besonders engen internationalen Zusammenarbeit". Daß damit weniger die Frage nach der unmittelbaren Wirkung einer rechtlichen Verhaltenssteuerung aus einer internationalen Rechtsquelle im Vordergrund steht, sondern vielmehr primär darauf abzustellen ist, welche Normqualität dem außerstaatlichen Rechtsakt inhaltlich zukommt, läßt sich auch damit begründen, daß das Grundgesetz neben Art. 24 Abs. 1 GG insgesamt durch das mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsprinzip der internationalen Zusammenarbeit geprägt ist. 93 Da es sich bei dem Prinzip der internationalen Zusammenarbeit um eine bewußt dynamisch ausgestaltete Verfassungsnorm handelt, muß jeweils abhängig vom Stand der internationalen Zusammenarbeit sein Einfluß auf andere Verfassungsregelungen beachtet werden. Dies hat im Sinne des Auslegungsgrundsatzes der Einheit der Verfassung 94 Auswirkungen auf die inhaltliche Konkretisierung des Art. 24 Abs. 1 GG: Der ohnehin interpretatorisch offene Art. 24 Abs. 1 GG ist im Lichte der internationalen Zusammenarbeitsverpflichtung stets so auszulegen, daß eine Konkordanz zwischen den staatszentrierten Verfassungsvorgaben und den 89

Ausfuhrlich mit zahlreichen Nachweisen Randelzhofer, GG, Art. 24 Abs. I Rdnr. 4 ff.

in: Maunz/Dürig/Herzog u. a.,

90 Randelzhofer, in: Maunz/Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 24 Abs. I Rdnr. 12 f.; i. E. ähnlich Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 24 Rdnr. 14; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 24 Rdnr. 18. 91

Zum Begriff der Integration im Zusammenhang mit Art. 24 ausführlich D. König, Die Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses, 34 ff. 92

Randelzhofer,

93

Ausführlich supra Teil 4, B. III. 1.

in: Maunz/Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 24 Abs. I Rdnr. 30.

94 BVerfGE 19,206 (220): „Vornehmstes Interpretationsprinzip ist die Einheit der Verfassung".

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Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

staatstranszendierenden internationalen Öffnungen des Verfassungsraumes hergestellt werden kann. Für das internationalisierte Verwaltungshandeln folgt aus diesen Überlegungen, daß eine statische Reduktion des Anwendungsbereiches des Art. 24 Abs. 1 GG im Sinne eines undifferenzierten Abstellens auf die Durchgriffstheorie nicht angängig ist. Angesichts des dargestellten Wandels der völkerrechtlichen Steuerungsinstrumentarien muß vielmehr gefragt werden, wann es verfassungsrechtlich geboten ist, tatsächlich einen Rechtsanwendungsbefehl für internationales Recht explizit durch die Übertragung von Hoheitsrechten i. S. v. Art. 24 Abs. 1 GG herbeizuführen. Insofern kann es nicht genügen, unter Verweis auf einen behaupteten Ausschließlichkeitsanspruch deutscher Staatsgewalt innerhalb des Staatsgebietes95 jede unmittelbare rechtsnormative Einwirkung von außen in den Raum der deutschen Rechtsordnung mit der Frage nach der Übertragung von Hoheitsrechten in Verbindung zu bringen. Wie bereits die staatsrechtliche und staatstheoretische Erfassung des offenen Verfassungsstaates 96 zeigt, wird dabei von der nicht begründbaren Prämisse des prima facie sich internationalen Einflüssen verschließenden Staates ausgegangen.97 Ohne diesen Aspekt hier vertiefen zu müssen, zeigen im übrigen die bereits ausführlich dargelegte Entterritorialisierung des Verwaltungsrechts 98 und die verfassungsrechtliche Rolle der Verwaltung als potentieller Akteur im internationalen System,99 daß gerade für das Verwaltungshandeln kein kategorisches verfassungsrechtliches Hindernis mit Blick auf unmittelbar im innerstaatlichen Rechtsraum wirkende internationale normative Vorgaben besteht.100 Soweit Art. 24 Abs. 1 GG für das internationalisierte Verwaltungshandeln eine Rolle spielen soll, 1 0 1 müssen daher andere Gesichtspunkte zur Begründung herangezogen werden. Sie sind in der ratio zu suchen, die der Rechtsanwendungsfunktion 95

Zu dieser Theorie siehe die ausführlichen Nachweise bei Randelzhofer, in: Maunz/ Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 24 Abs. I Rdnr. 9; sowie Rauser, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf ausländische Staaten, 53 ff. 96 Hierzu umfassend Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, passim. 97

Siehe insoweit im Hinblick auf Art. 24 Abs. 1 GG auch Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 24 Rdnr. 16: „Art. 24 I GG ist die deutlichste, allgemeinste und zugleich intensivste Ausdrucksform des »kooperativen Verfassungsstaates 4, indem er vom Absolutheitsanspruch des ,allzuständigen' Staates abgeht und ihn für neuartige Mechanismen und Systeme überstaatlicher Kooperation und Integration öffnet." 98

Supra Teil 4, A. I.

99

Supra Teil 4.

100 101

Vertiefend hierzu noch infra Teil 7, B. III.

So z. B. ohne weitere Begründung angenommen von Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 24 Rdnr. 10.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

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des Art. 24 Abs. 1 GG tatsächlich zugrunde liegt: Der Verfassungsnorm geht es nicht um die Regelung einer formalistischen Kollisionsproblematik im Verhältnis von nationaler und internationaler Rechtsordnung, 102 sondern um die Sicherung demokratischer Legitimationserfordernisse im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG. 1 0 3 Dies ist der eigentliche Kern dessen, was Art. 24 Abs. 1 GG mit der „Übertragung von Hoheitsrechten" meint. Angesichts der verfassungsfesten (Art. 79 Abs. 3 GG) Garantie demokratischer Legitimation von Hoheitsgewalt, die im deutschen Verfassungsraum wirkt, muß auch die nicht unmittelbar auf Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG zurückzuführende Hoheitsgewalt „zwischenstaatlicher Einrichtungen" ihrerseits eine verfassungsrechtliche Legitimation erfahren. Diese kann durch Art. 24 Abs. 1 GG vermittelt werden, muß es aber nicht. Denn ebenso wie im innerstaatlichen Rechtsraum nicht jede Ausübung von Hoheitsgewalt unmittelbar demokratisch legitimiert sein muß, sondern es entscheidend immer auf ein hinreichendes - durchaus auf unterschiedlichem Wege zu erreichendes - Legitimationsniveau ankommt, 104 besteht auch kein Grund anzunehmen, daß dies für rechtsnormative Vorgaben für u. a. innerstaatliche Verwaltungsstellen, die außerhalb der deutschen Jurisdiktion ihre Rechtsquelle finden, anders sein sollte. Auch die Frage ihrer demokratischen Legitimation läßt sich dementsprechend nur anhand der jeweils in Frage stehenden Sachmaterie beantworten. Mithin ist auf das internationalisierte Verwaltungshandeln und seine außerhalb des Staates sich vollziehende rechtliche Determinierung bezogen danach zu fragen, ob konkret das für das Verwaltungshandeln nach dem Grundgesetz erforderliche Legitimationsniveau ohne oder nur durch eine Übertragung von Hoheitsrechten i. S. v. Art. 24 Abs. 1 GG gesichert werden kann. Diese Frage ähnelt strukturell den Überlegungen, die verfassungsrechtlich hinsichtlich der demokratischen Legitimation der Verwaltung im Verhältnis zur Legislative anzustellen sind.

102

Gegen die isolierte Deutung des Art. 24 Abs. 1 GG als Kollisionsnorm ausführlich Randelzhofer, in: Maunz/Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 24 Abs. I Rdnr. 16; sowie BVerfGE 73, 339 (375); 75, 223 (244). 103 So deutlich auch Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 24 Rdnr. 14 und 28 f.; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 24 Rdnr. 30; dies ist auch der argumentative - überzeugende - Ansatzpunkt der Überlegungen von Rauser, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf ausländische Staaten, 65 ff. 104 BVerfGE 83, 60 (72); 93, 37 (67); zusammenfassend hierzu auch Schliesky/Tietje, Der ehrenamtliche Bürgermeister im Spannungsfeld von Amt und Gemeinde in SchleswigHolstein, Rdnr. 33 ff. m. w. N.; kritisch hierzu Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 23 ff.

508

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

Die hier vertretene Auslegung des Art. 24 Abs. 1 GG im Sinne eines speziellen, auf die internationale Zusammenarbeit bezogenen Gesetzes Vorbehaltes, 105 der nicht ausschließlich danach zu beurteilen ist, ob eine unmittelbare Durchgriffswirkung in den innerstaatlichen Rechtsraum vorliegt, steht auch im systematischen Einklang mit Art. 59 Abs. 2 GG. Insbesondere der in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG enthaltene Verweis auf „Gegenstände der Bundesgesetzgebung" wird einhellig dahingehend verstanden, daß es sich um eine Umschreibung dessen handelt, was allgemein unter dem Gesetzes vorbehält verstanden wird. 106 Damit ist allerdings nicht gesagt, daß die Funktion, die dem Gesetzesvorbehalt in Art. 24 Abs. 1 GG und Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zukommt, identisch ist, so daß eine eigenständige Bedeutung der Vorschriften im Verhältnis zueinander nicht mehr feststellbar wäre. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bezieht sich vielmehr nur auf die Frage, inwieweit die innerstaatliche Umsetzung der völkerrechtlichen Verpflichtungen aus einem Vertrag nur unter Beachtung des Gesetzesvorbehaltes möglich ist. Insofern kann man von einem präventiven Verweis auf den Gesetzesvorbehalt sprechen, um eine Konkordanz in der zweistufigen rechtlichen Ausgestaltung der einzugehenden völkerrechtlichen Verpflichtung und ihrer innerstaatlichen Umsetzung herzustellen. Demgegenüber wird im Anwendungsbereich des Art. 24 Abs. 1 GG auf eine innerstaatliche Umsetzungsmaßnahme verzichtet. Der Gesetzesvorbehalt ist hier von vornherein einstufig internationalisiert ausgestaltet, indem er unter Beachtung demokratisch-rechtsstaatlicher Anforderung die Öffnung der deutschen Rechtsordnung für normative Regelungen aus außerstaatlicher Rechtsquelle, die ohne Vollzugsakt innerstaatliche Wirkung entfalten, zuläßt. 107 Diese Differenzierung belegt nochmals, daß entgegen der h. M. nicht jede unmittelbare Durchgriffswirkung unbedingt eine Übertragung von Hoheitsrechten voraussetzt, sondern dies nur dann der Fall ist, wenn der unmittelbare Durchgriff materiell als Anwendungsfall des Gesetzesvorbehaltes zu bestimmen ist. Die immer wieder hervorgehobene Durchgriffswirkung ist also zwar ein notwendiges, nicht aber ein hinreichendes Tatbestandsmerkmal des Art. 24 Abs. 1 GG. 1 0 8 Nur diese Auslegung des Art. 24 105

Vgl. BVerfGE 58,1 (35 f.); Randelzhofer, Abs. I Rdnr. 15 m. w. N.

in: Maunz/Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 24

106 Vgl. BVerfGE 90, 286 (364); Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 59 Rdnr. 32; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 59 Rdnr. 11; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 32. 107

In diese Richtung hinsichtlich der unterschiedlichen Bedeutung der Art. 24 Abs. 1 GG und Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG trotz ihres identischen Verweises auf den Gesetzesvorbehalt auch Rauser, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf ausländische Staaten, 97. 108

Anders z. B. Rauser, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf ausländische Staaten, 75 ff., der neben der Durchgriffswirkung für grundrechtsrelevantes schlicht-hoheitliches Handeln (Wesentlichkeitstheorie) von der zweiten Fallgruppe des Art. 24 Abs. 1 GG

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Abs. 1 GG entspricht der Funktion der Vorschrift im Lichte des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG und der Erkenntnis, daß die grundgesetzliche Verfassungsordnung keinen nationalen Ausschließlichkeitsanspruch deutscher Staatsgewalt kennt. Die dabei sicherlich gegebenen Abgrenzungsprobleme bzw. die zwangsläufige Aufgabe einer strikten Konturenschärfe des Art. 24 Abs. 1 GG 1 0 9 sind angesichts der weitdifferenzierten Steuerungssystematik im internationalisierten Verwaltungshandeln in Kauf zu nehmen, um Entscheidungen herbeiführen zu können, die materiell - und nicht nur formell - verfassungsgemäß sind. Für das internationalisierte Verwaltungshandeln kann damit festgehalten werden, daß die hier zum Teil zu konstatierenden unmittelbaren Durchgriffswirkungen in den nationalen Rechtsraum nur dann der Übertragung von Hoheitsrechten i. S. v. Art. 24 Abs. 1 GG unterfallen, wenn die ihnen zukommenden Rechtswirkungen dem Gesetzesvorbehalt unterliegen. Ob dies der Fall ist, kann ausschließlich anhand der unter dem Stichwort „Wesentlichkeitstheorie" bekannten Kriterien ermittelt werden. Hierauf ist im einzelnen zurückzukommen, wenn es um die entsprechende Erörterung der Wesentlichkeitstheorie im Rahmen von Art. 59 Abs. 2 GG geht. 110 An dieser Stelle kann aber bereits konstatiert werden, daß es prima facie keinen Unterschied macht, ob sich der außerstaatliche Rechtseinfluß unmittelbar durch das Setzen einer innerstaatlich rechtserheblichen Rechtsfolge vollzieht, oder ob es sich um schlicht-hoheitliches Verwaltungshandeln aus dem internationalen Rechtsraum handelt. 111 In beiden Fällen liegt nur dann eine Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 24 Abs. 1 GG vor, wenn nach der Lehre von dem Gesetzes- bzw. Parlamentsvorbehalt ein Gesetz erforderlich ist, um die hinreichende Legitimation der faktischen oder rechtlichen Rechtseinwirkung zu gewährleisten. Aus völkerrechtlicher Perspektive kommt es darüber hinaus nur darauf an, ob der entsprechende internationale Rechtsakt bzw. das fragliche schlichthoheitliche Handeln unmittelbar an Verwaltungsstellen oder Individuen innerhalb des Staates adressiert ist. Ist dies nicht der Fall, ist also nur der Staat als Völkerrechtssubjekt Adressat der rechtlichen oder faktischen internationalen Verhaltenssteuerung, kann von vornherein keine Ausübung von Hoheitsrechten i. S. v. Art. 24 Abs. 1 GG vorliegen. 112 Das gilt im übrigen auch für die zahlreichen Konspricht; dem folgend z. B. Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 24 Rdnr. 16; Randelzhof er, in: Maunz/Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 24 I Rdnr. 42. 109

Zu diesen Kritikpunkten an BVerfGE 68, 1 ff., insbesondere Bryde, Jura 1986, 363 (369); Eckertz, EuGRZ 1985, 165 (168). 110

Infra Teil 7, A. II. 2. Zur Abgrenzung bzw. Definition des schlichten Verwaltungshandelns statt vieler Erichsen, in: ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 30 Rdnr. 1 m. w. N. 111

112

Unstr., siehe nur Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 24 Rdnr. 25.

510

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

stellationen, in denen eine unmittelbare Rechtswirkung im innerstaatlichen Bereich erst dann eintritt, wenn nicht von Opting-out-Rechten Gebrauch gemacht wurde. Nach der rechtlichen Konstruktion der Opting-out- Verfahren im Völkerrecht, die dem Prinzip der stillschweigenden Zustimmung folgen, ist dem unmittelbaren Rechtsdurchgriff eine staatliche Willensentscheidung vorausgesetzt, so daß ein zweistufiges Verfahren der Herbeiführung der Rechtsgeltung vorliegt. Eine solche Zweistufigkeit des Verfahrens darf im Rahmen des Art. 24 Abs. 1 GG - im Gegensatz zu Art. 59 Abs. 2 GG - gerade nicht vorliegen. 113

I I . Organkompetenzen im Bund: Art. 59 Abs. 2 GG Die verfassungsrechtliche Bestimmung der Organkompetenzen für auswärtiges Handeln ist seit jeher ein strittiges und bis heute unbefriedigend gelöstes Thema in der staatsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur. Im Kern geht es bei den insoweit problematischen Fragen immer um die sachangemessene Konkretisierung des Art. 59 Abs. 2 GG, insbesondere im Verhältnis von Legislative und Exekutive. 114 Auf der Staatsrechtslehrertagung im Jahre 1996 in Dresden wurde diese Thematik zum wiederholten Male intensiv diskutiert. 115 Daß der Diskussion dabei in der Regel ein Vorverständnis zugrunde liegt, das von der Regierungsfunktion des auswärtigen Handelns geprägt ist, ohne die - gebotene - Differenzierung zwischen Regierungs- und Verwaltungsfunktionen vorzunehmen, wurde hier bereits ausführlich erörtert. 116 Worauf es nunmehr ankommt, ist aufbauend auf den Erkenntnissen von der eigenständigen Verwaltungsfunktion in auswärtigen Angelegenheiten und den sich tatsächlich vollziehenden internationalisierten Verwaltungshandlungen zu untersuchen, welche verfassungsrechtlichen Vorgaben sich

113

Im Ergebnis für Opting-out-Verfahren ebenso, aber mit anderer Begründung, die h. M., die auf die „Dauer und Festigkeit" der Übertragung von Hoheitsrechten abstellt und dies bei der Möglichkeit des opting out gerade nicht annimmt, siehe Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 24 Rdnr. 18 und 30; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 24 Abs. I Rdnr. 178; Tomuschat, in: Bonner Kommentar, Art. 24 Rdnr. 9 und 112b; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 24 Rdnr. 34 und 36. 114

Nicht näher erörtert werden soll die bekannte und im Schrifttum hinlänglich diskutierte Frage, wie die Rolle des Bundespräsidenten gem. Art. 59 Abs. 1 GG insbesondere in den Fällen zu werten ist, in denen es zu einem auswärtigen Regierungshandeln ohne seine Beteiligung kommt. Hierzu statt vieler Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 9 ff.; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 59 Rdnr. 20 f.; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 7 ff. 115

VVDStRL 56 (1997), 7 ff.; vorher bereits VVDStRL 12 (1954).

116

Supra Teil 4, A. II.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

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insoweit aus Art. 59 Abs. 2 GG ableiten lassen. Dabei ist, bevor dies für Einzelaspekte des internationalisierten Verwaltungshandelns geschehen kann, zunächst die ratio der Vorschrift herauszuarbeiten, da ihr die Funktion als maßgebliches Auslegungskriterium des Art. 59 Abs. 2 GG zukommt. 117 Sie ist allerdings nicht unter nur isolierter Betrachtung des Art. 59 Abs. 2 GG zu bestimmen, sondern muß im Sinne der Verfassungsentscheidung für die offene Staatlichkeit immer auch die prinzipielle verfassungsrechtliche Aufgabe in den Blick nehmen, den Eigenarten der sich dynamisch entwickelnden internationalen Vertragspraxis im Rahmen der grundgesetzlichen Vorgaben Rechnung zu tragen. 118 Schon vor diesem Hintergrund wird im Zusammenhang mit der aufgezeigten Rechtspraxis zum internationalisierten Verwaltungshandeln deutlich, welchen Herausforderungen die Auslegung und Anwendung des Art. 59 Abs. 2 GG heute gerade im Lichte des internationalisierten Verwaltungshandelns in einem differenzierten völkerrechtlichen Steuerungssystem auf vertraglicher Grundlage ausgesetzt ist. 119

1. Einleitende Überlegungen zur Funktion des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG Im staatsrechtlichen Schrifttum werden übereinstimmend zwei wesentliche Funktionen der Beteiligung der gesetzgebenden Körperschaften im Vertragsschlußverfahren nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG konstatiert. Zum einen geht es bei Verträgen, die sich „auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung" beziehen, darum, den innerstaatlichen Vollzug durch Gesetz sicherzustellen. Hierdurch soll zugleich die völkerrechtliche Vertragstreue der Bundesrepublik gewährleistet werden. 120 Da diese ratio allerdings nicht für Verträge gelten kann, „welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln" und daher - in der Regel als ausschließlich staats117

So überzeugend Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 20; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 28. 118

Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 7; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 2. 119 Zum Wandel der Regelungsstruktur völkerrechtlicher Verträge allgemein Tietje, GYIL 42 (1999), 26 ff.; zu den insoweit bestehenden Herausforderungen an den Art. 59 GG kurz auch Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 2. 120

Grundlegend BVerfGE 1,373 (390): „Die Regierung soll nicht ohne Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften völkerrechtliche Verpflichtungen übernehmen, wenn sie diese Verpflichtungen nicht auch in eigener Kompetenz ohne ein Tätigwerden der gesetzgebenden Körperschaften erfüllen kann. Sonst könnte die Erfüllung ohne Zustimmung der Legislative übernommener völkerrechtlicher Pflichten in Frage gestellt werden. Dies soll durch das Zustimmungserfordernis vermieden werden". Aus dem Schrifttum statt vieler Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 21; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 33.

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Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

zentrierte Regelungen - normalerweise keiner innerstaatlichen Umsetzung bedürfen, ist eine zweite Funktion des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG darin zu sehen, eine parlamentarische Kontrolle der Exekutive zu sichern. 121 Trotz der Anerkennung der beiden genannten Funktionen des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG erweist sich jedoch eine tiefergehende Konkretisierung der prinzipiellen ratio der Vorschrift als schwierig, da durch die genannte doppelfunktionale Ausrichtung über den Umfang der Beteiligungs- und Kontrollrechte der gesetzgebenden Körperschaften im allgemeinen Bereich der „auswärtigen Gewalt" noch keine Aussage getroffen ist. Die daher im einzelnen bestehenden Kontroversen über Inhalt und Tragweite des Zusammenspiels von Exekutive und Legislative in auswärtigen Angelegenheiten, die gerade im Anwendungsbereich des Art. 59 Abs. 2 GG Bedeutung erlangen, werden zudem durch die Rechtsprechung des BVerfG geschürt. Das Gericht hat bekanntlich in ständiger, weiterhin aktueller Rechtsprechung immer wieder betont, daß die „auswärtige Gewalt" in die grundsätzliche Zuständigkeit der Exekutive - in erster Linie verstanden als Bundesregierung - falle und die in Art. 59 Abs. 2 GG vorgesehene parlamentarische Beteiligung daher eine „Durchbrechung des Gewaltenteilungssystems"122 darstelle. Hieraus folge, so der aus der Durchbrechungsthese vom BVerfG gezogene Schluß, daß Art. 59 Abs. 2 GG mit Blick auf die legislative Beteiligung eng auszulegen sei. 123 Schon unter methodischen Gesichtspunkten muß diese Argumentation des Gerichts verwundern, da das Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG nicht als interpretatorischer Ausgangspunkt genommen wird, sondern Art. 59 Abs. 2 GG kategorisch als lex specialis angesehen wird und erst in einem zweiten Schritt seine Auslegung im Lichte des Art. 20 Abs. 2 GG erfolgt. 124 Gerade vor dem Hintergrund dieser methodischen Problematik erscheint es notwendig, über die seit den Referaten von Grewe und Menzel auf der Staatsrechtslehrertagung im Jahre 1953 in Bonn 125 wiederholten Argumente für oder gegen eine Parlamentarisierung der auswärtigen Gewalt hinausgehende Gesichtspunkte in Erwägung zu ziehen, um zumindest auf das internationalisierte Verwaltungshandeln bezogen 121

Bayer, Die Aufhebung völkerrechtlicher Verträge im deutschen parlamentarischen Regierungssystem, 111 f. und 122 ff.; Jarass, DÖV 1975, 117 (121); Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 22 m. w. N. 122

Vgl. BVerfGE 1,351 (369): „Art. 59 Abs. 2 GG durchbricht das Gewaltenteilungssystem insofern, als hier die Legislative in den Bereich der Exekutive übergreift". 123 BVerfGE 1,351 (369); 1,372 (394); 68,1 (83 ff.); 90, 286 (357); zusammenfassend z. B. auch Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 24. 124 Hierzu besonders deutlich die abw. Meinung von Mahrenholz, BVerfGE 68, 111 (129); siehe auch Kokott, DVB1. 1996, 937 (939). 125

VVDStRL 12 (1954), 129 ff. und 179 ff.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

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eine sachgerechte, den verfassungsrechtlichen Anforderungen ebenso wie den internationalen Rechtsentwicklungen entsprechende Konkretisierung des Art. 59 Abs. 2 GG vornehmen zu können. Ausgangspunkt der Überlegung zur Funktion und Reichweite des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG muß zunächst die bereits dargelegte Erkenntnis sein, daß sich unter Gewaltenteilungsgesichtspunkten ein kategorisches Prädominieren der Exekutive in auswärtigen Angelegenheiten nur mit Blick auf außenpolitische Fragen in einem staatsleitenden Sinne rechtfertigen läßt. 126 Inwieweit im allgemeinen Bereich der Staatsleitung eine parlamentarische Beteiligung verfassungsrechtlich geboten ist und wie weit sie gegebenenfalls reicht, hat insbesondere Siegfried Magiera ausführlich untersucht; hierauf sei verwiesen. 127 Um die darüber hinausgehende Frage beantworten zu können, wie sich das Verhältnis von Legislative und Exekutive in auswärtigen Angelegenheiten gestaltet, die administrativen Charakter haben, bedarf es in einem ersten Schritt einer Analyse der hierzu maßgeblichen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Vorgaben. Erst im Anschluß daran kann untersucht werden, welche Auswirkungen sich hieraus auf die Auslegung und Anwendung des Art. 59 Abs. 2 GG ergeben.

2. Wesentlichkeitstheorie

und Parlamentsvorbehalt

Zur Lösung der Auslegungsprobleme im Zusammenhang mit Art. 59 Abs. 2 GG, die in ihrer bisherigen, insbesondere durch die Rechtsprechung des B VerfG bestimmten Lösung vielfach als unbefriedigend empfunden wurden und werden, kam es verschiedentlich zu dem Versuch, die sogenannte Wesentlichkeitstheorie 128 fruchtbar zu machen. 129 In ihr und ihrer zentralen, vom BVerfG geprägten Aussage, daß der parlamentarische Gesetzgeber „in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen

126

Hierzu ausführlich supra Teil 4, A. II.

127

Magiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, passim. 128 Hierzu statt vieler Kühl, Der Kernbereich der Exekutive, 64 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rdnr. 103 ff.; Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 33 ff., jeweils mit umfangr. Nachw. 129

Insbesondere von Kokott, in: Hailbronner/Ress/Stein (Hrsg.), FS Doehring, 503 (510); dies., DVB1. 1996, 937 ff.; siehe auch Wolfrum, VVDStRL 56 (1997), 38 (41 f.); Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 26.

514

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

selbst zu treffen" hat, 130 erblickt man gerade im jüngeren Schrifttum den entscheidenden verfassungsrechtlichen Maßstab, der entgegen den Aussagen des BVerfG in der Nachrüstungsentscheidung 131 eine verstärkte Kontroll- und (Mit-)Gestaltungskompetenz der Legislative in auswärtigen Angelegenheiten, die zunehmend auf die innerstaatliche Rechtsordnung einwirken, erfordere. 132 Betrachtet man den staatsrechtlichen Siegeszug der Wesentlichkeitstheorie in der grundgesetzlichen Ordnung insgesamt sowie Andeutungen des BVerfG dahingehend, daß sich insoweit tatsächlich ein Einfluß auf die Auslegung und Anwendung des Art. 59 Abs. 2 GG ergeben könnte, 133 so kann ihrer Heranziehung auch für die Lösung der im Rahmen des Art. 59 Abs. 2 GG auftretenden Kompetenzabgrenzungsprobleme sicherlich auf den ersten Blick Sympathie gewiß sein. Ob aber der im Ergebnis doch recht einfache Schluß von der Wesentlichkeitstheorie auf die Stärkung und Ausweitung legislativer Kompetenzen in auswärtigen Angelegenheiten wirklich überzeugen kann, erscheint fraglich, wenn ein genauerer Blick auf ihre eigentliche Bedeutung im demokratischen Rechtsstaat geworfen wird. Die von Hans-Detlef Horn 134 in jüngerer Zeit überzeugend herausgearbeitete Grundproblematik der langläufigen Betrachtung der Wesentlichkeitstheorie in ihrer Anwendung im Rahmen der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes besteht darin, daß zu sehr auf das parlamentarische Gesetzgebungsrecht und einen entsprechenden Gesetzgebungszwang abgestellt wird. Im Verfassungsgefüge des demokratischen Rechtsstaates hat diese Betrachtung jedoch kaum einen eigenständigen Aussagewert, da angesichts der in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verfassungsfest normierten Legislativbefugnis des Parlaments ohnehin die kompetentielle Zuordnung des Gesetzgebungsrechts geklärt ist. Einer besonderen, auf den Vorbehalt des Gesetzes rekurrierenden Begründung des parlamentarischen Gesetzgebungsmonopols bedarf es damit, anders als noch insbesondere im Konstitutionalismus der Fall, nicht. Dies erhellt zugleich, daß die Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes auf etwas ganz anderes abzielt, als auf die Begründung legislativer Zuständigkeiten, auf die scheinbar zu sehr abgestellt wird: Worum es im Kern 130

Fielitz, 131

BVerfG 49,89 (126); 61,260 (275); 77,170 (230 f.); weitere Nachweise bei Schulzein: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rdnr. 103. BVerfGE 68, 1 (83 ff. und 108 f.).

132

Prägnant zusammenfassend Wolfrum, VVDStRL 56 (1997), 38 (41): „Je stärker das Völkerrecht oder das Europarecht Auswirkungen auf die Rechtsstellung des einzelnen gewinnt bzw. wesentliche innerstaatliche Regelungsmaterien erfaßt, umso mehr besteht unter dem Gesichtspunkt des Gesetzesvorbehaltes bzw. der Wesentlichkeitstheorie das Gebot einer parlamentarischen Mitwirkung an seiner Gestaltung". 133

BVerfGE 77, 170 (231).

134

Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 21-92.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

515

geht, ist die durch die Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes konstituierte staatsorganisatorische Zuständigkeitsverteilung zwischen Gesetzgebung und Verwaltung. 135 Deutlich wird dies, wenn man aus der konsequenten Anwendung der unstrittigen Aussage, daß der parlamentarische Gesetzgeber alle „wesentlichen" Entscheidungen selbst zu treffen hat, den Schluß zieht, daß es mithin „nichtwesentliche" Sachbereiche gibt, die nicht parlamentarisch sondern exekutiv geregelt werden können. In diesem Sinne betrachtet, entfaltet sich die Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes als Bestätigung der in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG konstituierten Eigenständigkeit der Exekutive. 136 Zugleich wird deutlich, daß es nicht um die auf einen „Gewaltenmonismus in Form eines allumfassenden Parlamentsvorbehaltes" 137 hinauslaufende Frage gehen kann, was der Gesetzgeber in Ausgrenzung der Exekutive zwingend zu regeln habe. Entscheidend ist es vielmehr, eine Abgrenzung zwischen Exekutive und Legislative vorzunehmen, 138 die die eigenständige verfassungsrechtliche Legitimation der Exekutive 139 anerkennt. Insgesamt erweist sich die Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes damit nicht als prinzipielle Einschränkung exekutiver Eigenständigkeit, sondern vielmehr als sie bestätigender Maßstab unterschiedlicher, funktional voneinander abgegrenzter Aufgabenwahrnehmungszuständigkeiten im Gewaltenteilungsmodell des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG. Die über die Frage der Funktionenzuordnung entscheidende Wesentlichkeitslehre ist demnach im Kern Funktionenlehre, 140 und zwar Funktionenlehre in einem abgewogenen staatsorganisatorischen Modell der in ihrer Selbständigkeit eigenständig legitimierten Funktionsträger Legislative und Exekutive. Im Ergebnis kann der Verweis auf die Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes zur Begründung (weiter) legislativer Kompetenzen im Rahmen von Art. 59 Abs. 2 GG damit für sich nicht überzeugen. Durch die Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes wird zunächst nur anerkannt, daß die Exekutive insgesamt und damit auch im Bereich der auswärtigen Anglegenheiten eine eigenständig legitimierte Rolle in der grundgesetzlichen Funktionenordnung einnimmt. Worauf es dementsprechend ankommt, ist unter Anwendung der Wesentlichkeitstheorie eine genaue Abgrenzung der Zuständigkeiten von Legislative und Exekutive - auch im Bereich der „auswärtigen Gewalt" - vorzunehmen, nicht jedoch von vornherein den Zustän135

Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 46.

136

Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 50 ff. und 62 ff.; hierzu deutlich auch BVerfGE 68, 1 (109). 137

BVerfGE 49, 89 (125); 68, 1 (87); 98, 218 (252).

138

Deutlich Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 62.

139

BVerfGE 49, 89 (125 f.); 68, 1 (109).

140

Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 55.

516

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

digkeitkeitsbereich der Exekutive a priori zu begrenzen, sie verstärkt aus verfassungsrechtlich determinierten staatlichen Aufgabensphären auszugrenzen. Dieses Ergebnis deckt sich mit der Erkenntnis, daß die Fremdbestimmtheit der Verwaltung eben nicht als ausschließlicher Gesetzesvollzug zu verstehen ist, sondern vielmehr als „gesetzesdirigierte", eigenständig zu interpretierende Staatsgewalt.141 Das sich im Ergebnis präsentierende Bild einer abgewogenen, funktional gegliederten Staatsorganisation muß auch das Verhältnis von Legislative und Exekutive im Rahmen von Art. 59 Abs. 2 GG bestimmen. Dogmatischer Ausgangspunkt bleibt dabei aber in jedem Fall Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG und nicht, worauf Mahrenholz in seiner abweichenden Meinung zur Nachrüstungsentscheidung überzeugend hingewiesen hat, der von der Senatsmehrheit herangezogene Art. 59 Abs. 2 GG. 1 4 2 Die entgegen einer apriorischen Ausgrenzungsdiktion gebotene Abgrenzung der Funktionsbereiche von Legislative und Exekutive muß sich im demokratischen Rechtsstaat an zwei wesentlichen Maßstäben ausrichten. Zum einen kommt der Wesentlichkeitslehre als Funktionenlehre die maßgebliche Aufgabe der sachangemessenen Funktionenabgrenzung zu. Ihre Bedeutung ist nunmehr zwar prinzipiell und unbestritten anerkannt, mit Blick auf die Probleme ihrer Konkretisierung gibt es aber auch Kritik. 1 4 3 Ihr ist zwar zuzugestehen, daß die im Ergebnis nicht abschließend zu beantwortende Frage danach, was denn nun „wesentlich" ist, nicht gelingen kann, so daß ein inhärentes Rechtsunsicherheitsproblem besteht. Auf der anderen Seite muß aber auch beachtet werden, daß die Verfassungsordnung insgesamt von dem Zusammenwirken verfassungsfester Rechts vorgaben und im übrigen bestehender Gestaltungsspielräume des parlamentarischen Gesetzgebers geprägt ist. 144 In dieses, für das lebendige, politisch pluralistisch organisierte Verfassungswesen existentielle Wirkungsgefüge kann und darf auch die Wesentlichkeitstheorie nicht einbrechen, wodurch sich ihre inhärent offene Struktur, die als positive Funktion zu werten ist, nochmals zeigt. 145 Trotzdem bleibt aber natürlich der Auftrag bestehen, in den Grenzen der anzuerkennenden Offenheit 141 Siehe insbesondere Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), 221 (231); ders., Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 160 f.; Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 174 ff. 142

BVerfGE 68, 1 (86) und 111 (129).

143

Zusammenfassung der kritischen Stimmen bei Schulze-Fielitz, parlamentarischer Gesetzgebung, 171 f. m. w. N. 144 145

Theorie und Praxis

Statt vieler Grimm, Die Zukunft der Verfassung, 307.

Siehe auch Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 163: „Die Attraktivität dieser [die Wesentlichkeitstheorie betreffenden, Anm. Verf.] Rechtsprechung gründet in der verfassungsrechtlich und sachlich außerordentlich flexiblen, in jeder Hinsicht maßstabgebenden Universalität des Wesentlichkeits-Kriteriums".

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

517

Konkretisierungen der Wesentlichkeitstheorie herauszuarbeiten. An erster Stelle steht dabei der insbesondere vom BVerfG geprägte Verweis auf die Grundrechtsrelevanz als maßgebliches Wesentlichkeitskriterium. 146 Insoweit gilt unbestritten, daß die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien zur Bestimmung der „Wesentlichkeit" einer Maßnahme „den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten" zu entnehmen sind, 147 so daß „wesentlich" „in der Regel wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte" bedeutet.148 Im Zusammenhang mit der Loslösung des Wesentlichkeitbegriffes von dem Eingriffsbegriff 149 und der weiten grundrechtlichen Schutzgewährung in der Folge der Elfes-Rechtsprechung 150 liegt dementsprechend die Gefahr nahe, daß gleichsam eine Vermutung für die Notwendigkeit parlamentarischer Regelung hoheitlicher Maßnahmen besteht. Daß dieser Schluß nicht zu ziehen ist, hat das BVerfG jedoch wiederholt deutlich gemacht, indem es der Idee eines Totalvorbehaltes eine klare Absage erteilte. 151 Schon dies erhellt, daß die Rede von der Grundrechtsrelevanz nicht im Sinne einer weiten grundrechtlichen Betroffenheit zu verstehen ist, sondern - soweit die über den grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt hinausgehende Lehre vom allgemeinen Gesetzesvorbehalt gemeint ist 1 5 2 eine einzelfallabhängige, an der jeweils relevanten Gesamtsystematik des Grundgesetzes auszurichtende Entscheidung verlangt. 153 In diesem Sinne wird auch die Aussage des BVerfG zu verstehen sein, daß es eben nicht ausschließlich auf die Grundrechtsrelevanz, sondern umfassend auf die „tragenden Prinzipien des Grundgesetzes" ankommt und darüber hinaus eine Bestimmung der „Wesentlichkeit" „nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes" möglich ist. 154

146

St. Rspr. seit BVerfGE 34, 165 (192 f.); zuletzt BVerfGE 98, 218 (251 f.); aus dem Schrifttum statt vieler Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 20 Rdnr. 117; Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 164 ff.; Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 84 ff. 147

BVerfGE 40, 237 (248 ff.); 49, 89 (126 f.); 95, 267 (307 f.); 98, 218 (251).

148

BVerfGE 47,46 (79); 83, 130 (140); 98, 218 (251).

149

BVerfGE 49, 89(126).

150

BVerfGE 6, 32 (36 ff.).

151

Zuletzt BVerfGE 98,218 (252); siehe auch Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 62 Rdnr. 18 f. 152 Zur Unterscheidung statt vieler Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 62 Rdnr. 16. 153

Ähnlich Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 62 Rdnr. 46.

154

BVerfGE 98,218 (251).

518

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

Im Ergebnis ist die Wesentlichkeitstheorie damit trotz aller Kritik ein notwendiges und hilfreiches Instrumentarium, um die Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes im Sinne einer Abgrenzung der Funktionsbereiche von Legislative und Exekutive anwenden zu können. Zu ihrer Konkretisierung muß im Lichte des fraglichen Regelungsbereiches neben der Frage nach der Intensität der Grundrechtsbetroffenheit 155 insgesamt auf die Strukturprinzipien der Verfassung abgestellt werden. Damit erweist sich die Wesentlichkeitstheorie als spezifische, der Demokratieund Gewaltenteilungsidee verpflichtete Ausprägung der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit zur Herstellung von Konkordanz im pluralistischen Funktionenmodell des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG. 1 5 6 Dies gilt es insgesamt zu berücksichtigen, wenn es um den Einfluß der Wesentlichkeitstheorie auf die Auslegung und Anwendung des Art. 59 Abs. 2 GG geht. Pauschale Aussagen zur Notwendigkeit einer verstärkten parlamentarischen Beteiligung in auswärtigen Angelegenheiten lassen sich aus dem Verweis auf die Wesentlichkeitstheorie nicht ableiten, da damit die ihr zugrundeliegende ratio der prima facie gleichberechtigt legitimierten Funktionen „Legislative" und „Exekutive" verkannt werden würde. Überdies muß beachtet werden, daß, soweit es um die Frage der Grundrechtsrelevanz geht, nach heute im Kern nicht mehr bestrittener Ansicht und ständiger Rechtsprechung des BVerfG der Grundrechtsschutz in auswärtigen Angelegenheiten eine strukturelle Relativierung erfährt. Um der grundlegenden Verfassungsentscheidung für die offene Staatlichkeit gerecht werden zu können, ist es insofern verfassungsrechtlich geboten, die Wirkkraft der Grundrechtsverbürgungen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, wie sie u. a. im Rahmen der Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 24 Abs. 1 GG und des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge gegeben sind, einzuschränken. 157 Daraus folgt zwangsläufig, daß auch die Wesentlichkeitstheorie, soweit sie auf die Grundrechtsrelevanz abstellt, eine Relativierung erfährt, die in Abwägung zur internationalen Kooperationsverpflichtung im Einzelfall zu ermitteln ist. Auch wenn insoweit als Begründung oftmals auf den die auswärtige Gewalt typusbildenden politischen Gestaltungsspielraum der Regierung verwiesen wird 1 5 8 und sich dieser Topos mit Blick auf 155

BVerfGE 58, 257 (274); 98, 218 (252).

156

Zum demokratischen Gesetzesvorbehalt und zum rechtsstaatlichen Parlamentsvorbehalt Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 62 Rdnr. 32 ff.; zur Beziehung von Gewaltenteilung und Grundrechtssicherung ausführlich Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 100 ff. 157

Zuletzt BVerfGE 92, 26 (41 f.); umfassend hierzu R. Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, passim . 158

Siehe z. B. BVerfGE 40, 141 (178 f.); hierzu auch R. Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, 105.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

519

das internationalisierte Verwaltungshandeln als problematisch erwiesen hat, 159 gilt die Grundaussage der Relativierung der grundrechtlichen Wirkkraft auch hier. Das internationalisierte Verwaltungshandeln kann zwar nicht als prinzipiell staatsleitende - politische - Handlungsform kategorisiert werden, durch den grenzüberschreitenden Bezug stellen sich aber mit der klassischen „auswärtigen Gewalt" vergleichbare Probleme. Auch das internationalisierte Verwaltungshandeln ist davon geprägt, daß eine autonome Entscheidungsfindung der den Grundrechten unterworfenen Staatsgewalt (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG) nicht möglich ist, sondern immer eine Einbindung in internationale Rechtssetzungs- und Rechtskonkretisierungsprozesse vorliegt. Diese verlangen eine zwar nicht grenzenlose, 160 aber doch zur Aufrechterhaltung der internationalen Kooperationsfähigkeit hinreichende Abstandnahme von ausschließlich staatszentrierten Rechtsvorgaben. Sie ist im Hinblick auf die Verfassungsverpflichtung auch zur internationalen Verwaltungskooperation 161 zu rechtfertigen. In ihrer grundrechtsbezogenen Dimension vermag die Wesentlichkeitstheorie damit zwar im Einzelfall Anhaltspunkte dafür zu bieten, wann die Abgrenzung von Legislativ- und Exekutivkompetenzen in auswärtigen Angelegenheiten zugunsten einer parlamentarischen Gestaltungshoheit streitet, in der Mehrzahl der auch hier als Referenzgebiete dargestellten Aktionsfelder des internationalisierten Verwaltungshandelns wird dies aber nicht der Fall sein. Dies liegt in erster Linie daran, daß grundrechtsrelevante Sachverhalte im Rahmen des internationalisierten Verwaltungshandelns ohnehin auf ein parlamentarisches Gesetz zurückzuführen sind bzw. bereits im Lichte der innerstaatlichen Rechtsordnung, wie z. B. hinsichtlich der Setzung von technischen Standards im Gesundheits- oder Umweltschutzrecht, keine abschließende parlamentarische Regelung gefordert ist. 162 Nimmt man zusätzlich die verfassungsrechtliche Erkenntnis der Relativierung der grundrechtlichen Wirkkraft in Sachverhalten mit grenzüberschreitendem Bezug hinzu, ergibt sich im Ergebnis kaum ein praktischer Gewinn aus dem Verweis auf die Wesentlichkeitstheorie in ihrer grundrechtlichen Dimension. Dies mag man vor dem Hintergrund der Forderung nach einer stärkeren Parlamentarisierung der „aus159

Supra Teil 4, A. II.

160

Siehe insoweit R. Hofmann , Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, 345, der zutreffend auf die Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 Abs. 2 GG) als absolute Grenze hinweist. 161 162

Supra Teil 4, B.

Hierzu mit Blick auf die Wesentlichkeitstheorie und die Zulässigkeit exekutiver Entscheidungen statt vieler Ossenbühl, DVB1.1999,1 (3); allgemein zu den Problemen der Verrechtlichung technischer Standards Breuer, AöR 101 (1976), 46 ff.; Gusy, NVwZ 1995, 105 ff. m. w. N.

520

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

wältigen Gewalt" kritisieren. Die Kritik kann allerdings nur dann verfangen, wenn sich nicht aus sonstigen Strukturprinzipien der Verfassung ergibt, daß das internationalisierte Verwaltungshandeln ohne bzw. mit nur geringem parlamentarischem Einfluß legitimiert ist. Insofern muß nämlich nochmals betont werden, daß die Wesentlichkeitslehre Funktionenlehre ist, so daß über die Grundrechtsrelevanz hinausgehend zu fragen ist, ob und inwieweit weitere verfassungsrechtliche Strukturprinzipien für oder gegen die Zuordnung einer staatlichen Aufgabe in den Funktionsbereich einer der in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG genannten „Gewalten" sprechen. Das BVerfG hat dies für die „auswärtige Gewalt" dahingehend beantwortet, daß „[d]ie grundsätzliche Zuordnung der Akte des auswärtigen Verkehrs zum Kompetenzbereich der Exekutive ... auf der Annahme [beruht], daß institutionell und auf Dauer typischerweise allein die Regierung in hinreichendem Maße über die personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten verfügt, auf wechselnde äußere Lagen zügig und sachgerecht zu reagieren und so die staatliche Aufgabe, die auswärtigen Angelegenheiten verantwortlich wahrzunehmen, bestmöglich zu erfüllen". 163 Angesichts des Regierungscharakters der klassischen auswärtigen Gewalt mag man dieser Argumentation zustimmen. Für das internationalisierte Verwaltungshandeln, das der Regierungstätigkeit nicht per se unterfällt, ist jedoch näher darzulegen, warum der Verweis auf die administrative funktionale Kompetenz auch insofern eine Abgrenzung im Rahmen von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG zugunsten der Exekutive rechtfertigt. Bevor hierzu auf die in Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG angelegten Verwaltungskompetenzen näher eingegangen wird, soll dies mit Blick auf die Lehre von der Funktionsgerechtigkeit geschehen. Vorweg ist dabei festzuhalten, daß ihr nicht „nur" eine heuristische, uneigenständige, selbst keine Begründungen liefernde Funktion zukommt, 164 sondern daß ganz im Gegenteil der ihr spezifische Eigenwert darin liegt, die Legitimität einer Funktionenzuordnung im Rahmen des Abgrenzungsverfahrens zu begründen, das von dem Gewaltenteilungsmodell des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG vorgegeben ist. Daraus folgt zugleich, daß die funktionsgerechte Konkretisierung des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG gerade mit Blick auf die Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten ein wesentlicher Bestandteil der vom BVerfG geforderten Beachtung der „tragenden Prinzipien des Grundgesetzes" bei der Bestimmung des Wesentlichkeitskriteriums im Sinne der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes ist. Dies ist von entscheidender Bedeutung, um konkretisieren zu können, wann „Gegenstände

163

BVerfGE 68, 1 (87).

164

So jüngst nochmals Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 60 Fn. 148.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

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der Bundesgesetzgebung" i. S. v. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG im AbgrenzungsVerhältnis von Legislative und Verwaltung betroffen sind. 165

3. Rationalität und Effektivität/Effizienz als verwaltungsaufgabenkonkretisierende Aspekte im Rahmen von Art. 59 Abs. 2 GG Neben der Diskussion zur positiven Begrifflichkeit von „Verwaltung", die sich autonom - gleichsam selbstreferierend - mit einem isolierten Untersuchungsgegenstand befaßt, ist schon bei der Erörterung potentieller Verwaltungsaufgaben resultierend aus der Staatszielbestimmung zur internationalen Zusammenarbeit 166 deutlich geworden, daß das von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG vorausgesetzte Beziehungsgefüge von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung die Rolle der Verwaltung im Staat maßgeblich bestimmt. Im wissenschaftlichen Schrifttum werden die hiermit angesprochenen Fragen zum Teil unter dem Stichwort „Verwaltungsvorbehält" 167 und dem Topos von der Verwaltung als eigenständiger Staatsgewalt168 diskutiert. Beide Aspekte wurden gerade im Hinblick auf den zu konstatierenden Perspektivwandel der Verwaltungsrechtswissenschaft, auch unter Berücksichtigung der gemeinschaftsrechtlichen Bezüge, in den letzten Jahren umfassend monographisch aufgearbeitet. 169 Ohne diese Diskussion an

165 Daß sich der Verweis auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung nicht auf formelle Gesetzgebungskompetenzen des Bundes bezieht, sondern die materielle Verfassungsrechtsfrage nach der Abgrenzung von Legislative und Exekutive im Sinne der Lehre vom Vorbehalt der Gesetzgebung betrifft, ist heute nahezu unbestritten und soll daher hier nicht weiter erörtert werden. Siehe nur BVerfGE 1, 372 (388 ff.); Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 31 f.; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 59 Rdnr. 31 f.; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 59 Rdnr. 11. 166

Supra Teil 4, B. Hierzu insbesondere die Referate von Maurer und Schnapp auf der Göttinger Staatsrechtslehrertagung 1984, VVDStRL 43 (1985), 135 ff. und 172 ff.; sowie Degenhart, NJW 1984, 2184 ff.; Schröder, DVB1. 1984, 814 ff.; Stettner, DÖV 1984, 611 ff.; W. Schmidt, NVwZ 1984, 545 ff.; im Überblick auch Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, 196 f. 167

168

Hierzu umfassend Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, passim; Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 174 ff.; Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, 197 ff. 169

Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungs verfahren; Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat; Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union; von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration; speziell zu den europarechtlichen Einflüssen auf das allgemeine Verwaltungs-

522

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

dieser Stelle im einzelnen nachzeichnen zu müssen, läßt sich feststellen, daß zumindest faktisch eine gesteigerte Eigenständigkeit der Verwaltung, insbesondere im Zusammenhang mit der konstatierten sinkenden Steuerungsfähigkeit des Gesetzes, beobachtet wird. Während dies zum Teil unter verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Gesichtspunkten kritisch bewertet wird, 1 7 0 findet die Entwicklung hin zu einer gestärkten Eigenverantwortung der Verwaltung bei anderen sowohl von ihrem verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt her als auch in ihrer aktuellen Verwirklichung gerade im Zeichen der europäischen Integration Beifall. 171 Vor diesem allgemeinen Hintergrund und insbesondere mit Blick auf die festgestellten vielfältigen administrativen Aktionsformen im Rahmen eines internationalisierten Verwaltungshandelns ist näher darzustellen, inwieweit verfassungsrechtliche Maßstäbe auszumachen sind, nach denen sich die abstrakt formulierte Gemeinwohlverpflichtung der Verwaltung in bezug auf das internationalisierte Verwaltungshandeln so konkretisieren läßt, daß sich auch für die Auslegung und Anwendung des Art. 59 Abs. 2 GG ein dogmatischer Gewinn einstellt. Dem liegt die Überlegung zugrunde, daß sich sowohl im Rahmen der dogmengeschichtlichen Untersuchung zum internationalen Verwaltungsrecht 172 als auch bei der Darstellung der aktuellen Entwicklung der internationalisierten Verwaltungstätigkeit im internationalen System173 immer wieder zeigte, daß dem zunächst nur soziologischen Topos von der Notwendigkeit zu internationaler Kooperation maßgeblich Effektivitäts- und Effizienzgesichtspunkte zugrunde liegen. Eine effektive und effiziente 174 Verwirklichung staatlicher Aufgaben ist insoweit heute in vielen Bereichen nur noch im Rahmen internationaler Kooperation möglich. Inwieweit diese zunächst empirische, zugleich aber durch die Einbindung in die Verfassungsordnung auch rechtsnormative Feststellung175 die juristische Bewertung der Rolle der Verwaltung und ihrer aus der Staatszielbestimmung „internationale Kooperation" folgenden Aufgaben im Staat betrifft, bemißt sich nach verfassungsrechtlichen Vorgaben, die in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG ihren dogmatischen Ausgangspunkt finden. Rationalität und Effektivität sowie Effizienz als auf den recht auch noch Hatje, Die gemeinschaftsrechtliche Steuerung der Wirtschaftsverwaltung; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß. 170

Insbesondere Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 200 ff., 296 f., 309 ff. 171 Insbesondere Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, 197 ff., 373 ff. 172

Supra Teil 1.

173

Supra Teil 6.

174

Zur Definition der beiden Begriffe siehe unten infra Teil 7, A. II. 3. b) bb).

175

Hierzu supra Teil 4, B. III.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

523

Rechtsinstituten Gewaltenteilung und Funktionsgerechtigkeit aufbauende Rechtsbegriffe sind hierbei die inhaltlichen Stichworte, die die dargelegte Lehre von den Staats- und Verwaltungsaufgaben ergänzen und insoweit maßgeblichen Einfluß auf die Abgrenzung von Legislative und Exekutive in der Verfassungsrechtsordnung allgemein und speziell auf Art. 59 Abs. 2 GG bezogen haben, soweit das internationalisierte Verwaltungshandeln betroffen ist.

a) Von der klassischen Gewaltenteilung zur Funktionsgerechtigkeit Die vom Grundgesetz konstituierte Verfassungsordnung geht gleichsam wie selbstverständlich in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG vom sogenannten Prinzip der Gewaltenteilung aus, das wie kaum ein anderes Verfassungsprinzip historisch geprägt ist. 176 Der ihm maßgeblich zugrundeliegende Gedanke der „Mäßigung der Staatsherrschaft" 177 erfuhr in Deutschland zur Zeit des Konstitutionalismus seine Ausprägung im Prinzip der strikten Gewaltentrennung. Dies bedingte lange Zeit eine „formalistische Erstarrung der Gewaltenteilungslehre". 178 Gewaltenteilung wurde so ausschließlich mit der Trennung verschiedener Organe im Staatsgeflige gleichgesetzt, denen jeweils für sich inhaltlich abschließende Funktionen zugeschrieben wurden. Der Verfassungsordnung des Grundgesetzes in seiner dogmatischen Gesamtheit und seiner Verfassungswirklichkeit entsprach das strikte Trennungsprinzip freilich nie. 179 Insbesondere das Verhältnis von Legislative und vollziehender Gewalt ist in dem parlamentarischen Regierungssystem Deutschlands von vielfältigen Verschränkungen und Überschneidungen gekennzeichnet.180 Die sich aus diesem Befund ergebenden Folgerungen für die dogmatische Verortung des Gewaltenteilungsprinzips kreisten in der Folge der Rechtsprechung des B VerfG lange Zeit um die miteinander verbundenen Aspekte einerseits der gegenseitigen Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Gewalten und andererseits der gebotenen Achtung und Garantie eines „Kernbereiches" der verschiedenen Gewalten. Trotz aller Ver176 Zur Geschichte statt vieler Kägi, Zur Entstehung, Wandlung und Problematik des Gewaltenteilungsprinzips; Forsthoff, in: Evangelisches Staatslexikon, Bd. 1, Sp. 1126 ff.; Kühl, Der Kernbereich der Exekutive, 106 ff.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 511 ff., jeweils m. w. N. 177

St. Rspr. BVerfGE 3, 225 (247); 95, 1(15).

178

Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, 87 m. w. N.

179

Vgl. BVerfGE 3, 225 (247); 7, 183 (188); 34, 52 (59).

180

Vgl. BVerfGE 18, 52 (59); 95, 1 (15); Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, u. a., GG, Art. 20 V Rdnr. 8 ff.

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Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

schränkungen der Gewalten muß nach gefestigter Rechtsprechung des BVerfG nämlich der Kernbereich der drei Gewalten jeweils für sich garantiert bleiben, um so die grundlegende ratio des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG - gegenseitige Kontrolle der Staatsorgane und Mäßigung der Staatsgewalt - zu wahren. 181 So begrüßenswert die Absage an die strikte Trennungsthese zunächst ist, so wenig vermag die Kernbereichstheorie des BVerfG jedoch für sich genommen überzeugen, da ihr insbesondere die inhaltliche Präzision mangels eines handhabbaren analytischen und verfassungsrechtlichen Maßstabes fehlt. 182 Um diesem Problem zu begegnen, lassen sich zwei unterschiedliche dogmatische Lösungsmöglichkeiten ausmachen. Möglich erscheint zunächst eine isolierte Funktionenbetrachtung, die lösgelöst von der Gewaltenteilungslehre eine funktionale Beschreibung der drei „Gewalten" i. S. v. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG im Rahmen des gesamten politischen Entscheidungsprozesses in der Gesellschaft vornimmt, dabei aber so weit abstrahieren muß, daß eine verfassungsrechtliche Kompetenzzuweisung nicht mehr möglich ist. 183 Dem gegenüber steht eine umfassendere Lehre von der Gewaltenteilung, die teleologisch orientiert die Ausübung rechtlicher und politischer Herrschaft in einem pluralistischen Gemeinwesen danach untersucht, ob die gegenseitige Kontrolle der Staatsorgane und die Mäßigung der Staatsherrschaft ihre Verwirklichung finden. 184 Der Vorteil und hiermit einhergehend die verfassungsrechtliche Überzeugungskraft dieses komplexen Gewaltenteilungsmodells liegt sicherlich darin, pluralistische Machtstrukturen im Herrschaftsverband „Staat" unter dem einheitlichen Maßstab „Gewaltentrennung" einer normativen Machtbegrenzungsprüfung unterziehen zu können, wie es der ratio des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG entspricht. Die Komplexität dieses Prüfungsmaßstabes führt aber auch dazu, den dogmatisch faßbaren verfassungsrechtlichen Boden kaum noch in die Betrachtung einbeziehen zu können, so daß die eigentlichen Konturen des Gewaltenteilungsprinzips verblassen. 185 Was damit bleibt, ist die Notwendigkeit, eine auf der ratio des Art. 20 Abs. 2 Satz GG aufbauende, also 181 BVerfGE 3, 225 (247); 7,183 (188); 9, 268 (279 f.); 22, 106 (111); 34, 52 (59); 95, 1 (15); hierzu umfassend Sinemus, Der Grundsatz der Gewaltenteilung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 100 ff.; Kühl, Der Kernbereich der Exekutive, 127 ff., jeweils m. w. N. 182

Zur Kritik zusammenfassend Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, 89 ff.

183

Hierzu Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, 91 f.

184

Grundlegend H. Peters und Kägi, in: Rausch (Hrsg.), Zur heutigen Problematik der Gewaltentrennung, 78 ff., 286 ff. und 313 ff.; Steffani, PVS 2 (1962), 256 ff., auch abgedruckt in: Rausch (Hrsg.), Zur heutigen Problematik der Gewaltentrennung, 313 ff.; siehe jetzt z. B. Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, 93 f. 185 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 483; ebenso wohl Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, 94.

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eine den verfassungsrechtlichen Inhalt des Gewaltenteilungsprinzips beachtende Konkretisierung vorzunehmen, die sich an der Grundidee einer „sinnvollen Kompetenzzuordnung" orientiert. 186 Diese Überlegung, die in der Rechtsprechung des BVerfG ihre Anerkennung findet, ist heute unter dem Stichwort von der Funktionsgerechtigkeit bekannt und weithin akzeptiert. 187 Das BVerfG umschreibt den Grundsatz der Funktionsgerechtigkeit mit den Worten, daß „staatliche Entscheidungen möglichst richtig, d. h. von den Organen getroffen werden [sollen], die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen". 188 So unstrittig diese Aussage dem Grunde nach auch ist, 189 so wenig Klarheit besteht jedoch über die eigentliche verfassungsrechtliche Verankerung des Prinzips der Funktionsgerechtigkeit. Vorgeschlagen wird insoweit, daß aus funktionalen Erwägungen, dem Grundsatz der Entscheidungsfähigkeit bei zugewiesener Kompetenz und dem rechtsstaatlichen Bezug zur verfahrensrechtlich abgesicherten Entscheidungsrichtigkeit heraus sich als Ziel der Anerkennung des Prinzips der Funktionsgerechtigkeit die individuelle Freiheitssicherung ausmachen lasse.190 Mit dieser eindimensionalen Begründung des Prinzips der Funktionsgerechtigkeit im Verfassungsgefüge wird aber gerade der Schritt rückwärts gegangen, der ursprünglich aus der tradierten strikten Trennungsthese hinaus führte. Es bleibt insoweit bei der konstitutionalistischen Idee der Machtbegrenzung zur Freiheitssicherung, ohne weitergehende Herausforderungen im pluralistisch-gewaltenverschränkten Staat zu berücksichtigen, die sich auch auf die Einheit „Staat" und seine Organe beziehen. Will man damit der Lehre von der Funktionsgerechtigkeit inhaltlich gerecht werden, ist nach weitergehenden teleologischen Ableitungen zu suchen. Die eigentliche ratio der Funktionsgerechtigkeit wird bereits vom BVerfG angedeutet, wenn es dort heißt, daß die Gewaltenteilung „möglichst richtige" Entscheidungen der Staatsorgane verlange. Neben der freiheitssichernden Funktion 186

Begriff von Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 530.

187

Wegweisend hierzu Küster, AöR 75 (1949), 397 (402 f. und 404 ff.); siehe auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 1. Aufl., 182 f.; ders., Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl., Rdnr. 484 ff.; Ossenbühl, DÖV 1980, 545 (548 f.); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 531 ff.; zusammenfassend von Danwitz, Der Staat 35 (1996), 329 ff.; Kühl, Der Kernbereich der Exekutive, 134 ff. m. w. N.; aus der Rechtsprechung BVerfGE 68, 1 (86); 95, 1 (15). 188

BVerfGE 68, 1 (86); 95, 1 (15).

189

Siehe nur Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 1, Art. 20 (Rechtsstaat) Rdnr. 66; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 20 Rdnr. 82 ff.; Kühl, Der Kernbereich der Exekutive, 135, mit umfangr. Nachw. in Fn. 212. 190

von Danwitz, Der Staat 35 (1996), 328 (334 ff.).

526

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

der Funktionsgerechtigkeit, die im demokratischen Verfassungsstaat schon a priori aus der „Richtigkeit" der Entscheidung folgt, wird hiermit auf die übergeordnete Frage nach der Legimitität staatlichen Handelns verwiesen. 191 Gerade für die hier interessierende Rolle der „vollziehenden Gewalt" im Verfassungsstaat erweist sich insoweit das Prinzip der Funktionsgerechtigkeit als wichtige verfassungsrechtliche Strukturentscheidung, 192 da der Perspektivwandel der Verwaltungswissenschaft, der über den klassischen Bereich der individuellen Freiheitsgarantie hinausgehend die materielle Erfassung des Verwaltungshandelns im Staatsgefüge fokussiert, sich eben auch mit der Legitimität der Verwaltung insgesamt befassen muß. Näher zu untersuchen bleiben damit die einzelnen Elemente, aus denen sich ein Legitimitätsmaßstab für staatliches Handeln unter Berücksichtigung des Prinzips der Funktionsgerechtigkeit ergibt. Dabei soll allerdings nicht umfassend auf die Legitimität staatlichen Handelns, insbesondere auf die vollziehende Gewalt bezogen, eingegangen werden. 193 Im Vordergrund des Interesses stehen vielmehr die beiden angedeuteten Aspekte „Rationalität" und „Effektivität/Effizienz" in ihrer konkreten Beziehung zur Funktionsgerechtigkeit als Legitimitätskriterium zur Abgrenzung von Legislative und Exekutive u. a. im Rahmen des Art. 59 Abs. 2 GG. 1 9 4

b) Rationalität und Effektivität/Effizienz als Elemente funktionsgerechter Legitimität aa) Legitimität und Rationalität Erörtert man die Legitimität staatlichen Handels, so geht es um die Frage nach der Rechtfertigung von Herrschaft, um die „Anerkennungswürdigkeit einer politischen Ordnung", 195 wobei zwischen dem empirisch-soziologischen und dem rechtlich-normativen Legitimitätsbegriff differenziert werden kann. 196 Auch wenn nur 191

So im Ansatz auch Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, 97.

192

Zum Begriff „Verfassungsstrukturentscheidungen" bzw. „Strukturprinzipien" umfassend Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 372 f. m. w. N. 193

Hierzu umfassend Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 ff.; Czybulka, Die Legitimation der öffentlichen Verwaltung, passim. 194

Vgl. BVerfGE 68, 1 (87 f.).

195

Habermas, in: Graf Kielmansegg (Hrsg.), Legitimationsprobleme politischer Systeme, 39.

196

Zum empirisch-soziologischen Legitimitätsbegriff insbesondere M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 16 ff. und 122 ff.; zum rechtlichen-normativen Legitimitätsbegriff insbe-

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

527

der letztere Begriff hier im Kern interessieren soll, verweist der Topos von der Funktionsgerechtigkeit doch auch auf prima facie soziologische Aspekte und verdeutlicht damit die strukturelle Verbindung der beiden Legitimitätsperspektiven. 197 Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist mit dem Legitimitätsbegriff zunächst und vordringlich die demokratische Legitimation angesprochen, die in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG ihre prägnante Normierung findet. 198 Daneben ist aber für die vollziehende Gewalt - nur um sie soll es hier gehen - das vielfache Verbindungslinien mit dem Demokratieprinzip aufweisende Rechtsstaatsprinzip von Bedeutung. Aus der Gesamtschau beider Prinzipien kann gefolgert werden, daß die Legitimität der vollziehenden Gewalt sich nicht in ihrer Rechtsgebundenheit - subjektives und objektives Recht einschließend - im streng formalen Sinne (Art. 20 Abs. 3 GG) erschöpft. 199 Schon unter Legitimitätsgesichtspunkten zeigt vielmehr die „Parallelität der Systemgedanken" der Absätze 1 bis 3 des Art. 20 GG 2 0 0 eine über den klassischen Rechtsschutzgedanken des Verwaltungsrechts i. S. d. Konstitutionalismus hinausgehende Dimension der Rechtfertigung des Verwaltungshandelns. Insoweit muß man, worauf Schmidt-Aßmann unter Verweis auf eine Formulierung Hesses hingewiesen hat, auch für die vollziehende Gewalt auf das verfassungsrechtliche Ziel der „Rationalisierung des öffentlichen Gesamtzustandes" insgesamt abstellen, um die Legitimitätsfrage zu konturieren. 201 Damit wird zugleich deutlich, daß Legitimität nicht nur im Sinne von Max Weber als formales Prinzip zu betrachten ist. Die Reduktion des Legitimitätskonzeptes auf „die Fügsamkeit gegenüber formal korrekten und in der üblichen Form zustandegekommenen Satzungen"202 kann verfassungsrechtlich nicht abschließend überzeugen, da durch sondere//. Hofmann, Legitimität und Rechtsgeltung,passim; umfassend weiterhin Würtenberger, Die Legitimität staatlicher Herrschaft, passim; ders., JuS 1986, 344 ff.; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 16. 197 Zur strukturellen Verbindung der verschiedenen Legitimitätsbegriffe Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 204. 198

Umfassend hierzu Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. I, § 22 Rdnr. 3 ff.; für die Verwaltung zusammenfassend Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (337 ff.). 199 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (332); umfassend Czybulka, Die Legitimation der öffentlichen Verwaltung, passim. 200

Begriff von Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (332).

201

Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 78; in Anlehnung an Hesse, in: ders./Reicke/Scheuner (Hrsg.), Festgabe Smend, 71 (83); siehe auch die ausführliche Absage an Legitimitätsgesichtspunkte, die ausschließlich auf die individuelle Freiheitssicherung abstellen, von H. Hofmann, Legitimität und Rechtsgeltung, 64 ff. 202

M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 19.

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Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

diese Formel nur die Legalität hoheitlichen Handelns fokussiert wird, die Frage nach der Legitimität der Legalität aber keine Beantwortung findet. 203 Soll Legitimität im verfassungsrechtlichen Sinne ihre eigentümliche Wirkkraft entfalten, muß die formale Perspektive um materielle Inhalte ergänzt werden, die positivrechtlich auch in der Verfassung, u. a. in Gestalt der Grundrechte in ihrer subjektiven und objektiven Dimension, 204 ihren Ausdruck finden. 205 Es bleibt freilich bei der Ergänzung: Formale Legitimitätsgesichtspunkte behalten hierneben ihre gleichberechtigte Bedeutung für die allgemeine Frage nach der Rechtfertigung politischer Herrschaft, da ein abschließendes Wertegefüge im materiellen Sinne, das umfassende Auskunft zu den Legitimitätskriterien geben könnte, in der pluralistischen Gesellschaft nicht existiert. 206 Dies gilt selbst dann, wenn man in Art. 79 Abs. 3 GG einen verfassungsstaatlichen Legitimitätskern sehen will: 2 0 7 Die Frage der Legitimitätsdiskussion nach der Letztbegründbarkeit der Rechtfertigung von politischer Herrschaft wird auch durch den Verweis auf die - insoweit „nur" positive - Ewigkeitsgarantie nicht abschließend beantwortet. Versucht man die Vielschichtigkeit der so grob charakterisierten Legitimitätsdiskussion in der Staatslehre zusammenzufassen, so sind es aus formaler Sicht ein konsenbildendes Verfahren, 208 politische Kontinuität und Autorität 209 sowie Ge-

203

Pitschas, VerwaltungsVerantwortung und Verwaltungsverfahren, 209; freilich läßt sich auch die Legitimität nicht einfach der Legalität als vorrangig entgegensetzen, eindringlich Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 197. 204 BVerfGE 7, 198 (205); 21, 362 (371 f.); 48, 127 (168); 50, 290 (327); 52, 131 (168 f.); 73, 261 (269); zu den Wirkungen der Grundrechte jüngst umfassend Borowski, Grundrechte als Prinzipien, passim. 205

Ganz h. M., siehe nur Würtenberger, JuS 1986,344 (348 f.); Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 206; sowie umfassend Kirchhof, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. IX, § 221. 206

Vgl. Habermas, in: Graf Kielmansegg (Hrsg.), Legitimationsprobleme politischer Systeme, 39 (43); Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 30; Würtenberger, JuS 1986, 344 (348); Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 16 1.3; umfassend aus jüngerer Zeit zu den unterschiedlichen Legitimitätsstrukturen der deutschen Verfassungsordnung die Beiträge in: Brugger (Hrsg.), Legitimation des Grundgesetzes aus Sicht von Rechtsphilosophie und Gesellschaftstheorie. 207 Würtenberger, in: Brugger (Hrsg.), Legitimation des Grundgesetzes aus Sicht von Rechtsphilosophie und Gesellschaftstheorie, 21 (32 f.); ähnlich Kirchhof in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. I, § 19 Rdnr. 5. 208 Siehe hierzu die einzelnen Beiträge in Hattenhauer/Kaltefleiter prinzip, Konsens und Verfassung. 209

G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 337 ff.; Würtenberger,

(Hrsg.), MehrheitsJuS 1986, 344 (348).

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

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sichtspunkte der Rationalität, 210 die politische Herrschaft rechtfertigen. Ergänzend hierzu sind es die verschiedenen Elemente der Gemeinwohlverwirklichung als werteorientierte Gesichtspunkte, die Legitimität begründen; zu ihnen gehören insbesondere die grundlegende Friedens- und Ordnungsgewährleistung sowie die grundrechtlich positivierten individuellen Wertegarantien. 211 Einen über diese Pluralität hinausgehenden anspruchsvollen Ansatz zu einer weitgehend einheitlichen Theorie der leitenden Verfassungsprinzipien des demokratischen Verfassungsstaates (Grundrechte, Demokratie-, Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzip) bietet schließlich die Diskurstheorie, wie sie insbesondere von Robert Alexy entwickelt wurde. 212 Die Theorie von der Funktionsgerechtigkeit als Konkretisierung des Gewaltenteilungsprinzips befaßt sich mit einem Teilausschnitt aus diesen zumeist pluralen, in jedem Fall aber unterschiedlichen Legitimitätsstrukturen: Ihr geht es um die Rationalität in ihrer konkreten Beziehung zum Gewaltentrennungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG. Der Begriff der Rationalität wird freilich gerade in der Rechtstheorie und -Soziologie mit den unterschiedlichsten Inhalten ausgefüllt. Neben der klassischen Dichotomie von Zweckrationalität 213 und Wertrationalität 214 gibt es eine kaum mehr überschaubare Anzahl verschiedener Rationalitätstypen,215 wobei in der Rechtstheorie insbesondere die Konzepte einer diskurstheoretischen {Habermas, Alexy), einer juridisch-institutionellen (Schelsky) und einer systemtheoretischen Rationalität (.Luhmann) intensiv erörtert werden. 216 Die rechtstheore210 Hierzu noch sogleich; zur Theorie des rationalen Diskurses insbesondere Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, passim. 211

Würtenberger, JuS 1986, 344 (349); Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. I, § 13 Rdnr. 62 ff.; ders., JZ 1999, 265 (271 ff.). 212

Zusammenfassend aus jüngerer Zeit Alexy, in: Brugger (Hrsg.), Legitimation des Grundgesetzes aus Sicht von Rechtsphilosophie und Gesellschaftstheorie, 343 ff. m. w. N. 213 Hierzu insbesondere Horkheimer, Zur Kritik der instrumenteilen Vernunft (instrumenteile Vernunft); ähnlich M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 12 ff., 19 f. und 122 ff. (formale Rationalität). 214

Hierzu insbesondere Kriele, Einführung in die Staatslehre, 34 ff. (materiale Rationalität); sowie Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 209 f.; umfassend zur Zweck- und Wertrationalität Buchwald, Der Begriff der rationalen juristischen Begründung, 155 ff. m. w. N. 215

Alexy, in: ders./Dreier (Hrsg.), Rechtssystem und praktische Vernunft, 11 (12); Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 454 f.; umfassend Buchwald, Der Begriff der rationalen juristischen Begründung, passim; B. Peters, Rationalität, Recht und Gesellschaft, 93 ff. und 183 ff.; von Mettenheim, Recht und Rationalität, passim. 216 Im Überblick hierzu Krawietz, JZ 1985, 706 (711 ff.); umfassend Buchwald, Der Begriff der rationalen juristischen Begründung, passim; zu Kriterien einer rationalen

530

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tischen Aspekte dieser Rationalitätstypen sollen hier nicht diskutiert werden. Hinsichtlich der verfassungsnormativen Frage nach der Bedeutung der Funktionsgerechtigkeit i. S. v. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG sowie Art. 59 Abs. 2 GG erscheint es vielmehr vertretbar, von einem prinzipiellen Rationalitätspluralismus auszugehen und in Übereinstimmung mit der Rechtstheorie die Begriffe der Effektivität sowie Effizienz als Merkmale praktischer Rationalität auszumachen.217

bb) Effektivität

und Effizienz

als Merkmale praktischer Rationalität

Die dogmatische Verbindung von Legitimität, Rationalität, Effektivität und Effizienz im Prinzip der Funktionsgerechtigkeit setzt zunächst Klarheit darüber voraus, was mit Effektivität und Effizienz in diesem Zusammenhang gemeint ist. Die nahezu in allen Wissenschaftszweigen zu beobachtende Verwendung der Begriffe „Effektivität" und „Effizienz" deutet dabei bereits an, daß ein klare Begrifflichkeit kaum zugrunde gelegt wird. Neben einer Gleichsetzung der beiden genannten Begriffe finden sich Verweise auf „Zweckmäßigkeit", „Funktionsfähigkeit", „Wirtschaftlichkeit" oder „Leistungsfähigkeit", 218 ohne daß jeweils spezifisch klar gemacht wird, welche inhaltliche Bedeutung dem jeweils gebrauchten Topos zukommen soll. Eine klare definitorische Erfassung gerade der zentralen Begriffe „Effektivität" und „Effizienz" ist jedoch notwendig, und zwar nicht nur im Interesse fundierter dogmatischer Arbeit, sondern insbesondere vor dem Hintergrund der durchaus unterschiedlichen inhaltlichen Bedeutung. In den Verwaltungswissenschaften wird dem£jQfetóv/társbegriff eine Zielerreichungsperspektive beigemessen, d. h. es wird auf einen Soll-Ist-Vergleich abgestellt. Bei der Effektivität geht es also um den Zielerreichungsgrad im Sinne der Frage nach einer Diskrepanz zwischen einem angestrebten - politisch bzw. rechtlich gesetzten - Zweck und dem tatsächlich erreichten Zustand. Demgegenüber zielt die Effizienz auf den Mitteleinsatz ab. Effizienzaussagen betreffen die Begründung von Staatszielen siehe Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 306 ff. m. w. N. 217 Zu diesen Begriffen als Merkmale praktischer Rationalität Alexy, in: ders./Dreier (Hrsg.), Rechtssystem und praktische Vernunft, 11 (12); Aarnio/Alexy/Peczenik, in: Krawietz/Alexy (Hrsg.), Metatheorie juristischer Argumentation, 9 (46 ff.); Buchwald, Der Begriff der rationalen juristischen Begründung, 58 ff. und 148 Fn. 6.; B. Peters, Rationalität, Recht und Gesellschaft, 77 ff.; zur staatlichen Verpflichtung auf das Gemeinwohl als Pflicht des Staates zur Rationalität siehe von Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 235. 218

Hierzu bereits Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, 290 ff.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

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Zweck-Mittel-Beziehung, indem danach gefragt wird, mit welchem Mitteleinsatz die angestrebten Wirkungen/Ergebnisse erreicht werden können. 219 Legt man diese Definition der Begriffe zugrunde, deutet sich bereits der Bezug zur Funktionsgerechtigkeit im Sinne der vom BVerfG begründeten Umschreibung an. Wenn es heißt, daß nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG - u. a. in Verbindung mit Art. 59 Abs. 2 GG - Entscheidungen von den Organen getroffen werden sollen, „die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen", 220 wird gleichermaßen auf die Zielerreichung und den Mitteleinsatz abgestellt: Zielerreichung ist die „Richtigkeit" 2 2 1 der Entscheidung, Mitteleinsatz ist die Funktionsadäquanz. Nimmt man beides zusammen, läßt sich hieraus die inhaltliche Bedeutung des Topos von der Funktionsgerechtigkeit im Ansatz konturieren; sie ergibt sich aus dem Bezug zur Rationalität und verweist damit im Ergebnis auf die Legitimität staatlicher Entscheidungen. Eine allgemeine Betrachtung der Effektivitäts- und Effizienzdiskussion in den Staatswissenschaften verdeutlicht dies. Erste Ansätze einer legitimistischen Betrachtung des Topos von der Effektivität staatlicher Gewalt lassen sich bereits zum Beginn des politischen Denkens in der Neuzeit ausmachen. Klaus Dicke hat in jüngerer Zeit darauf aufmerksam gemacht, daß bereits der Florentiner Fransesco Guicciardini (1483-1540) darauf abstellte, daß sich die Beurteilung einer Regierung weniger nach metaphysischen Gesichtspunkten als vielmehr nach ihren Wirkungen - ihren „effeti" - richte. Mit dieser wirklichkeitsorientierten Sichtweise sollte ein Gegenentwurf zum naturrechtlichen Denken und eine im heutigen Sinne republikanische politische Philosophie begründet werden. 222 Damit lagen schon frühzeitig Ideen vor, die in Deutschland von den staatswissenschaftlichen Lehren des 17. bis 19. Jahrhunderts wieder aufgenommen wurden. Die Entwicklung einer eigenständigen „Policey"-Gewalt ab 1648 in den deutschen Territorialstaaten wurde staatswissenschaftlich immer deutlicher mit dem teleologischen Argument des Wohlfahrtszweckes begründet. Aus der klassischen Friedens- und Ordnungsfunktion der Staatstätigkeit wurde so 219 Statt vieler Reichard/König, in: Hesse (Hrsg.), Politikwissenschaft und Verwaltungswissenschaft, 205; siehe auch Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 40; Timmermann, VerwArch 68 (1977), 311 (319); Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 284. 220

BVerfGE 68, 1 (86); 95, 1 (15).

221

„Sie [die Teilung der Gewalten] zielt auch darauf ab, daß staatliche Entscheidungen möglichst richtig ... getroffen werden", BVerfGE 68, 1 (86); 95, 1 (15). 222

Zum „Dialogo e Discorsi del Reggimento di Firenze" des Guicciardini (1512) siehe Pocock, The Machiavellian Moment, 223; ausführlich Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 29 f. m. w. N.

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zunächst die staatstheoretische Triologie Frieden-Ordnung-Wohlfahrt, die sich später dann zu einer primär am Wohlfahrtszweck orientierten Betrachtung wandelte. Die damit vollzogene Anerkennung des absolutistischen Gewaltmonopols der „Policey" als herrschaftliches Recht, aber auch als Verpflichtung der Obrigkeit, fand ihre Rechtfertigung zunächst in der lutherischen Lehre vom Fürsten als Amtsmann Gottes und der korrespondierenden Gehorsamspflicht der Untertanen in weltlichen Dingen. 223 Daneben aber trat im 17. und 18. Jahrhundert die aristotelische Sozialphilosophie als im eigentlichen Sinne dem absolutistischen „Policey"Begriff Inhalt verschaffende Lehre hinzu. Die „Glückseligkeit" als Rechtfertigung allumfassender Herrschaftsgewalt in „Policey"-Angelegenheiten erfuhr so eine eigenständige teleologische Begründung, die schon begrifflich die Effektivität und Effizienz der jeweiligen Herrschaftsausübung voraussetzte. Denn es konnte nur die effektive und effiziente Herrschaftsgewalt sein, die das Wohl der Untertanen zu sichern vermochte. 224 Effektivität und Effizienz lassen sich aber nicht nur als legitimierende Argumentationsstrukturen in der absolutistischen Polizeiwissenschaft ausmachen, sie behielten vielmehr auch im staatswissenschaftlichen Konstitutionalismus ihre rechtfertigende Wirkung. Die Beschreibung der Verwaltung als „die Wirksamkeit und die Anwendung im Staate" durch Robert von Mohl 225 belegt dies prägnant. Gerade der materielle Rechtsstaatsbegriff des staatswissenschaftlichen Konstitutionalismus stellte insoweit auf die Einheit von Effektivität und Legitimität staatlichen Handelns ab, wodurch der Gedanke von der Zweckrationalität des Staates seine zentrale Bedeutung behielt. 226 Da der Staat von seinen Zwecken her gesehen wurde, war die Frage nach der Legitimität der Tätigkeit des Staates eine Frage nach der Erreichung der staatlichen Zwecke. Welche Zwecke dies im einzelnen waren, beschäftigte die Staatswissenschaft intensiv und war abschließend kaum geklärt. Hierauf kam es aber auch nicht vordringlich an, da erst die Erreichung der 223 Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 159 f.; Lohff, in: Herzog/ Kunst u. a. (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, Bd. 2, Sp. 3353 f. 224

Siehe im Überblick G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 243; Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 161 ff.; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I, 369 ff. m. w. N. 225 226

von Mohl, Encyklopädie der Staatswissenschaften (1859), 130 f.

Auch hierzu insoweit von Mohl, Encyklopädie der Staatswissenschaften (1859), 71; deutliche Kritik hieran bei Krüger, Allgemeine Staatslehre, 197: „Letzten Endes erweist sich die instrumentale Staatsauffassung mit alledem nur als der erste Schritt auf einem Wege, durch dessen Beschreiten sich die Menschen der Staatlichkeit ihres Zusammenlebens überhaupt zu entledigen hoffen. Unter diesem Aspekt wird es verständlich, daß die liberale Theorie [Verweis auf R. von Mohl, Anm. Verf.] sich der instrumentalen Staatsauffassung verschreibt..."

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533

konstatierten Zwecke und nicht der Zweck selbst legitimierende Wirkung entfaltete. 227 Die eigentliche JLehre von den Staatszwecken konnte sich freilich mit dem Aufkommen der juristischen Methode im Staatsrecht nicht mehr halten. Damit verloren auch Effektivität und Effizienz als Legitimationskriterien immer mehr ihre Bedeutung. Mit der Hinwendung zum liberal-rechtsstaatlichen Verständnis des Staates im formalen Sinne rückte jetzt der individúale Rechtsschutz in den Vordergrund des Interesses und wurde zum zentralen Thema der Verwaltungsrechtswissenschaft. 228 Die effektive und effiziente Tätigkeit des Staates fand zwar weiterhin Beachtung; in der prägnanten Formulierung Otto Mayers, daß Verwaltung „Thätigkeit des Staates zur Verwirklichung seiner Zwecke unter seiner Rechtsordnung" ist, 229 kommt dies deutlich zum Ausdruck. Durch die ausschließliche Anbindung an die Rechtsordnung im Sinne des formalen Rechtsstaatsprinzips verlagerte sich die Legitimitätsfrage jetzt aber immer mehr vom Verwaltungsrecht hin zum Verfassungsrecht und der Staatslehre insgesamt. Eine gewisse Übergangsposition nahm insoweit Max Weber mit seiner Erfassung des Staates als „rationaler Anstalt", gekennzeichnet durch das Gewaltmonopol und seine bürokratische Organisation, ein. 230 Der Staat wurde von ihm durchaus von seinen Zwecken her begriffen: Aufgaben und Leistungen gerade der Bürokratie verschafften legitimierende Wirkung, die Bürokratie wird nachgerade zum Inbegriff der zwingenden formal-rationalen Staatstätigkeit.231 Effektivität und Effizienz hatten insoweit auch in der politischen Theorie ihre legitimierende Kraft gefunden, wobei als Legitimationsstruktur neben der auf den Staat bezogenen Rationalität die bürgerlich-liberale Perspektive hinzukam. Die Anerkennung der zweckrationalen Orientierung des Bürgers für sich selbst und damit seine Erwartungshaltung in bezug auf eine ebenso zweckrationale Verwaltung waren grundlegende Legitimationsmuster in

227

Zur Verbindung von Staatszwecklehre und Legitimation von Herrschaft siehe Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 16 1.1. 228

Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1,62; hierzu statt vieler Meyer-Hesemann, Methodenwandel in der Verwaltungsrechtswissenschaft, 24 ff. m. w. N. Die dargestellte Entwicklung stellt ohne Zweifel eine Generalisierung dar, die aufgrund ihrer groben Züge angreifbar ist, da ein wirklicher Paradigmenwechsel in der Verwaltungsrealität wohl kaum zu konstatieren ist. Aber zumindest der Schwerpunkt des wissenschaftlichen Interesses, auf den es hier ankommt, hatte sich verschoben. Zur Kritik an der angesprochenen Generalisierung siehe Wahl, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 177 (189 f.); Bachof, VVDStRL 30 (1972), 193 (207 ff.). 229

O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1,13.

230

M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 815 f.

231

M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 128 ff.

534

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

der naturwissenschaftlich-technischen Gesellschaftsentwicklung. 232 Auch Georg Jellinek übernahm diese Argumentationsstruktur in die Soziallehre seiner Allgemeinen Staatslehre und begründete so die Zweckmäßigkeitsprüfung staatlichen Handelns als politisches Legitimationskriterium. 233 Nicht zu verkennen ist aber, daß über Weber und Jellinek hinausgehend die Legitimitätsfrage aus der Verwaltungsrechtswissenschaft immer mehr ausgegrenzt wurde. Die zunehmende Dominanz des Rechtsschutzgedankens des formalen Rechtsstaatsprinzips führte zum oft beschriebenen Perspektivwechsel vom „productive state" zum „protective state" 234 und damit einhergehend zur Herausbildung eines staatsfreien individuellen Freiheitsbegriffs. Von Interesse war jetzt nicht mehr, was der Staat im Interesse der Bürger leisten kann, sondern vielmehr die Frage nach den „Grenzen der Wirksamkeit des Staates".235 In der Verwaltungsrechtswissenschaft war es insoweit der formale Rechtsstaatsbegriff, der nur noch die isolierte Betrachtung des Verwaltungshandelns ermöglichte, darüber hinausgehende Legitimitätsfragen aber unberücksichtigt ließ. Effizienz und Effektivität wurden so zum Maßstab einer Organisations- und Strukturanalyse von Verwaltung, sie verloren aber ihre eigentümliche Beziehung zur Frage nach der Legitimität politischer Herrschaft im weiteren Sinne. 236 Thomas Ellwein faßte diese Differenzierung später in den Worten zusammen, daß die Organisation des Gemeinwesens unter verschiedenen Aspekten betrachtet werde, indem es „dort ... um die Rationalität, Technizität und Leistungsfähigkeit der Organisation [geht], also um die »efficiency 4 im Sinne der Sozialwissenschaften; hier handelt es sich um die »Legitimität' des Regierungssystems, um die Ausrichtung seines Tuns an vorhandenen Wertvorstellungen, um die Bindung der jeweiligen Organe und - nicht nur in der Demokratie - darum, daß der »Wille4 des Souveräns die gesamte Organisation des Gemeinwesens durchdringt." 237 Überträgt man diese Differenzierung auf die verfassungsrechtliche Ebene, erschließt sich unmittelbar die Beziehung zur lange Zeit vertretenen strikten Tren232

Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 32; zum Rationalitäts- und damit verbunden Effizienz- und Effektivitätsdenken bei Max Weber siehe auch Siebel, ZgStW 120 (1964), 678 ff. 233

G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 236 f.

234

Würtenberger,

JuS 1986, 344 (346 f.).

235

von Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen (1792, veröffentlicht ca. 1841). 236

Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen, 33 f.; Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, 58 ff. 237

Ellwein, Einführung in die Regierungs- und Verwaltungslehre, 165; hierzu auch Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisaitonen, 34 f.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

535

nungsthese mit Blick auf die Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG). Das aus dem Konstitutionalismus kommende Verständnis der strikten Gewaltentrennung war unmittelbarer Ausdruck der an der Volkssouveränität orientierten Legitimationsfrage des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG, ohne die weitergehenden Aspekte der Leistungsfähigkeit der Organisation zu betrachten. Zugleich wird deutlich, warum - einmal unabhängig von pragmatischen Schwierigkeiten - sich über lange Zeit keine positive begriffliche Fassung von „Verwaltung" durchsetzen konnte. Auf positive Definitionselemente kam es gar nicht an, da die mit ihnen verbundenen Fragen nach der Rechtfertigung von Verwaltung, nach ihrer Legitimität, auf anderer Ebene beantwortet wurden. Die Legitimitätsfrage wurde der Staats- und Staatsrechtslehre überlassen; die Verwaltungsrechtswissenschaft setzte die Legitimität der Herrschaftsordnung voraus und konzentrierte sich auf Rechtsfragen des Gesetzesvollzuges.238 Die Trennung von Fragen nach der Effektivität und Effizienz staatlichen Handelns, insbesondere auf die Verwaltung bezogen, auf der einen Seite und nach der Legitimität von Herrschaft insgesamt auf der anderen Seite wird aber seit einigen Jahren deutlich zugunsten einer Zusammenfügung beider Aspekte wieder relativiert. Verfassungs- und verwaltungsrechtliche, 239 betriebs- und volkswirtschaftliche 240 sowie verwaltungswissenschaftliche 241 Analysen befassen sich schon seit längerem vermehrt mit der Effizienz und Effektivität öffentlicher Verwaltung als Teilaspekt aus dem normativen Konzept des demokratischen Verfassungsstaates. Intensiven neuen Auftrieb erlangte diese Diskussion im Zusammenhang mit den Debatten zum „Neuen Steuerungsmodell" und anderen „neuen" Organisationsformen der Staats- und Kommunalverwaltung 242 sowie damit einhergehend zur 238

Vgl. hierzu auch Meyer-Hesemann, Methodenwandel in der Verwaltungsrechtswissenschaft, 130 ff.; Wolff/Bachhof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 20 Rdnr. 22 ff. 239

Siehe z. B. Haberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, 290 ff.; Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, passim; von Mutius, NJW 1982, 2150 ff.; Steinberg, DÖV 1982, 619 ff.; Schwarze, DÖV 1980,581; Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 201 ff.; Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 284 ff. 240

Rahmsdorf/Schäfer (Hrsg.), Ethische Grundfragen der Wirtschafts- und Rechtsordnung, 23 ff.; Pfähler, Finanzarchiv 42 (1984), 86 ff. 241 Vgl. z. B. die einzelnen Beiträge in: PVS Sonderheft 13/1982; Timmermann, VerwArch 68 (1977), 311 ff.; H König, Die Verwaltung 13 (1980), 57 ff.; Bohret, Verwaltungsmodernisierung im funktionalen Staat: Chancen und Risiken, passim; sowie die Beiträge in: Hojfmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht. 242

Hierzu statt vieler Hill, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisation als Steuerungsressource, 65 ff.; von Mutius, in: Burmeister (Hrsg.), FS Stern, 685 ff.

536

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

zunehmenden mangelnden Steuerungsfähigkeit des Rechts. 243 Mehr oder weniger deutlich offengelegt werden bei diesen Debatten die Impulse, die von der soziologischen Systemtheorie für sie ausgingen. Gerade die zahlreichen Arbeiten Luhmanns zur Systemtheorie haben die gesamte Steuerungsdebatte nachhaltig beeinflußt und geprägt. 244 Namentlich die Vorstellung der Systembildung durch autopoietische Kommunikationszusammenhänge und damit vom System als selbstreferentiell-geschlossenes System245 stellte dabei die klassische Vorstellung der Verwaltung als fremd-, nämlich gesetzesgesteuertes Organ nachhaltig in Frage. Den generellen Zweifeln in der sozialwissenschaftlichen Diskussion an der Steuerungsfähigkeit des Rechts ist zwar nicht zu folgen, da - worauf SchmidtAßmann überzeugend hinweist - schon die Rechtswirklichkeit des täglichen Lebens sehr wohl eine Steuerungswirkung des Rechts belegt. 246 Gleichwohl wird der Blick doch deutlich über die reine Orientierung am Gesetzesbefehl hinausgehend auf Gesichtspunkte der effektiven und effizienten Verwaltungstätigkeit gelenkt, weil die Steuerungsdiskussion im Kern auf Wirkungszusammenhänge zwischen Steuerungssubjekten, -Objekten, -medien und -instrumenten abzielt. 247 Dabei darf aber nicht die Gefahr verkannt werden, ausgehend von den sozialwissenschaftlichen Ansätzen nur noch die Steuerungsaspekte des Rechts zu betrachten. Würde man rechtswissenschaftlich diesen Weg gehen, stünden nur noch isolierte Effektivitäts- und Effizienzgesichtspunkte zur Debatte. Dies würde zu einer einseitigen Ausrichtung an ökonomischen Denkvorstellungen, wie sie ins243 Statt vieler Schuppert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 65 ff.; Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 19 ff.; Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 135 ff.; Voigt, in: ders. (Hrsg.), Recht als Instrument der Politik, 14 ff.; Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 159 ff. 244

Siehe insbesondere Luhmann, Soziale Systeme, passim; hierzu statt vieler Gerecke, Soziale Ordnung in der modernen Gesellschaft, 68 ff.; weiterhin Teubner, Recht als autopoetisches System, passim; einen Überblick zum sozialwissenschaftlichen Steuerungsbegriff bietet Schuppert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 65 (68 ff.). 245 Luhmann, Soziale Systeme, 477 f. und passim; siehe im Überblick Treibel, Einführung in die soziologische Theorie der Gegenwart, 33 ff.; Gerecke, Soziale Ordnung in der modernen Gesellschaft, 68 ff. m. w. N. 246

Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 19; kritisch zu den Einflüssen der Systemtheorie auf die rechtsdogmatische Arbeit Lepsius, Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, passim . 247

Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 19 f.; Schuppert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 65 (68 ff.); ders., in: Ellwein/Hesse (Hrsg.), Staats Wissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, 73 ff.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

537

besondere die betriebswirtschaftliche Organisationslehre entwickelt hat, 248 führen. Damit wäre der Bezug zur Legitimitätsfrage nicht mehr gegeben, was eine Verletzung des aus Art. 20 Abs, 2 Satz 2 GG folgenden Prinzips der Funktionsgerechtigkeit - hier als Rationalitäts- und damit Legitimitätsmaßstab verstanden - zur Folge hätte. Damit im Zusammenhang steht auch, daß trotz des Perspektivwechsels im Verwaltungsrecht seine individuelle Rechtsschutzfunktion (vgl. Art. 1 Abs. 3,19 Abs. 4 GG) weiterhin eine wesentliche Bedeutung behält. Diese Funktion darf die Steuerungsperpektive aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht ersetzen, sie kann insoweit nur ergänzend wirken, um die im demokratischen Rechtsstaat unabdingbare Ordnungsfunktion des Rechts zu erhalten. Nimmt man dies zusammen, kann man von einer Regelungsstruktur, bestehend aus Organisations-, Prozeß-, Programm- und Personalstruktur, sprechen, um Steuerungsansätze juristisch fassen zu können. 249 Die damit erfolgende Verbindung von Effektivitäts- und Effizienzgesichtspunkten im steuerungstheoretischen Sinne mit Legitimitätsaspekten im normativen Sinne gewährleistet die Rationalität der juristisch zu treffenden Funktionsabgrenzung i. S. v. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG. Die verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Regelungsstrukturen stellen den Maßstab dar, der die rationale Bewertung von Effektivität und Effizienz des Verwaltungshandelns als Forderung des Prinzips der Funktionsgerechtigkeit determiniert. Legitimität, Rationalität, Effektivität und Effizienz erfahren damit eine dogmatische Verbindung. Sie ermöglicht es, die unterschiedlichen Organisations- und Verfahrensstrukturen der verschiedenen Staatsgewalten i. S. v. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG so in Beziehung zu setzten, daß ein Gesamtbild mit Legitimitätsanspruch entsteht. Was sich hieraus ergibt, ist ein einheitliches verfassungsrechtliches Organisationsmodell des Gewaltenteilungsprinzips, das ausgehend vom Rationalitätsmaßstab nach der Funktionsfähigkeit eines jeden Funktionsträgers fragt. 250 Vor diesem Hintergrund gewinnt dann auch

248 249

Hierzu im Überblick Kieser (Hrsg.), Organisationstheorien, passim. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 21 f.

250 Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungs verfahren, 538; Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 158; Kühl, Der Kernbereich der Exekutive, 133 ff. m. w. N.; zur Legitimation von Verwaltungshandeln gemessen an Effektivitäts- und Effizienzgesichtspunkten unter allgemeinen Gesichtspunkten des Rechtsstaatsprinzips siehe auch Trute, DVB1. 1996, 950 (963); Di Fabio, VerwArch 81 (1990), 193 (210 f.) m. w. N.; ausgesprochen kritisch zur Heranziehung des Effektivitätsprinzips Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominat Verwaltung, 590 ff., wobei seine Kritik aber wohl nur auf eine primäre Betrachtung des Effektivitätsgrundsatzes als Legitimationskriterium abstellt, sich jedoch nicht auf seine ergänzende Rolle im Gesamtverfassungsgefüge bezieht.

538

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

der Verweis des BVerfG auf die Leistungsfähigkeit der Exekutive 251 in auswärtigen Angelegenheiten an deutlicher Überzeugungskraft. Hierdurch wird über den angeführten Charakter der „auswärtigen Gewalt" als das Gesamtschicksal des Staates erfassende Handlungskategorie hinausgehend auf die anstehenden Sachaufgaben, gerade im Bereich des internationalisierten Verwaltungshandelns, abgestellt.

cc) Folgerung für die verfassungsrechtliche

Funktionenabgrenzung

Trotz der herausgestellten Bedeutung des an Rationalitätsgesichtspunkten orientierten Prinzips der Funktionsgerechtigkeit, kann dieses nicht isoliert für sich als verfassungsrechtlicher Maßstab für die gebotene Funktionenabgrenzung Anwendung finden. Insbesondere die zentrale Frage nach der „Funktionsfähigkeit" läßt sich nicht aus sich heraus abschließend bestimmen, sondern muß immer im Zusammenhang mit verfassungsrechtlichen Kompetenz- und Verantwortungsdeterminanten gesehen werden, die unmittelbar aus der Verfassung selbst folgen. 252 Dies gebietet schon der Grundsatz von der Einheit der Verfassung als „vornehmstes Interpretationsprinzip". 253 Nur in der verfassungsrechtlichen Gesamtschau kann daher eine rationale Entscheidung zur Funktionentrennung i. S. v. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG getroffen werden, die ihrerseits an praktischer Konkordanz ausgerichtet ein Legitimitätskriterium darstellt. Zur Übersteigerung funktionaler Gesichtspunkte bietet die Lehre von der Funktionsgerechtigkeit keine Ansatzpunkte - im Gegenteil: es sind zuvörderst die verfassungsrechtlichen Strukturentscheidungen, insbesondere Kompetenznormen, die über die Abgrenzung der drei Gewalten entscheiden, nie jedoch ausschließlich funktionale Gesichtspunkte im hier dargestellten Sinne. Überdies darf die Lehre von der Funktionsgerechtigkeit nicht dazu verleiten, durch ihre Anwendung eine umfassende Antwort auf die Frage nach der demokratischen Legitimation des Staatshandelns zu erwarten. 254 Hier wie insgesamt gilt, daß „die Funktionen sich nach den normativen Strukturvorgaben richten [müssen]." 255 Eine solche normative Strukturvorgabe ist - dies 251

BVerfGE 68, 1 (87).

252

Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, 97 ff.; Pitschas, Verwaltungs Verantwortung und Verwaltungsverfahren, 539; Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 158 f.; Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, 290 (301). 253

BVerfGE 19, 206 (220).

254

Zu Einzelaspekten der demokratischen Legitimation des internationalisierten Verwaltungshandelns siehe noch infra Teil 7, C. 255

Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 556.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

539

muß deutlich betont werden - in der Verfassungsentscheidung für die offene Staatlichkeit zu sehen. Sie läßt sich u. a. im Hinblick auf die Notwendigkeit eines internationalisierten Verwaltungshandelns und einer internationalen Verwaltungskooperation konkretisieren. 256 Funktionale Aspekte sind aber für sich von Bedeutung, wenn - wie z. B. im Rahmen von Art. 59 Abs. 2 GG der Fall - kompetenzrechtliche Abgrenzungsprobleme auftreten und daher keine unmittelbar abschließenden Antworten aus dem geschriebenen Verfassungsrecht gewonnen werden können. Die auslegungsbedürftige Kompetenzordnung des Grundgesetzes ist in diesen Fällen anhand einer funktionalen Betrachtung zu konkretisieren bzw. zu ergänzen, um so die Legitimität insgesamt zu sichern. 257 Die Qualität der Aufgabenerfüllung im Sinne von Effektivität und Effizienz wird damit insbesondere dann zu einem wichtigen verfassungsrechtlichen Maßstab, wenn sich aus der Dynamik der verfassungsrechtlichen und verfassungswirklichen Entwicklung heraus konkretisierungsbedürftige Fragen zur Aufgabenwahrnehmung durch die Staatsgewalten ergeben. Geht es also um neue Aufgaben des Staates oder um die Neuformulierung bekannter Aufgaben und hieraus resultierende Probleme mit Blick auf die jeweilige Aufgabenwahrnehmung durch die Staatsgewalten, kommt dem Prinzip der Funktionsgerechtigkeit eine wichtige normative Konkretisierungs- und gegebenenfalls auch Ergänzungsrolle zu. Bei der verfassungsrechtlichen Klärung von Zuordnungsproblemen im kompetenzrechtlichen Sinne, die sich aus dem Wandel der Staatsfunktionen ergeben, erlangt das Prinzip der Funktionsgerechtigkeit damit seine spezifische Bedeutung und kann, unter Beachtung der zwingend gebotenen Vermeidung von Einseitigkeiten, seine kreativ-konstruktive Kraft entfalten. 258 Zugleich wird damit deutlich, daß eine strikte Trennung der Fragen danach, ob die verfassungsrechtlichen Kompetenznormen im Lichte des Prinzips der Funktionsgerechtigkeit auszulegen sind, oder ob diesem Prinzip nur eine Lückenfunktion in Zweifelsfragen zukommt, nicht möglich ist. 259 Vielmehr verlangt die übergreifende Wirkung des Prinzips der Funktionsgerechtigkeit als Legitimationsquelle in jedem Einzelfall danach, eine am Wechsels Wirkungsgedanken orientierte

256

Supra Teil 4, B. III.

257

Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, 100 f.; Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungs verfahren, 557. 258 Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 557; Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 159 f. 259

Insoweit sind die Aussagen von Mahrenholz in seiner abweichende Meinung in BVerfGE 68, 1 (111, 128 f.) zu einseitig; vgl. auch Stettner, JöR 35 (1986), 57 (75 f.); von Danwitz, Der Staat 35 (1996), 329 (339).

540

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

praktische Konkordanz zwischen ausdrücklicher Kompetenznorm und Funktionsgerechtigkeit herzustellen. 260

c) Zusammenfassung Zur kompetenzrechtlichen Konkretisierung des internationalisierten Verwaltungshandelns im Staatsgefüge ist ausgehend von dem in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Grundsatz der Funktionsgerechtigkeit auf Effektivitäts- und Effizienzgesichtspunkte als Merkmale praktischer Rationalität abzustellen. Sie bilden den Maßstab, der bei sich aus neuen Herausforderungen ergebenden Zweifelsfragen mit Blick auf die vom Grundgesetz explizit vorgesehenen Kompetenzregelungen anzuwenden ist. Ausgehend von dem Gedanken praktischer Konkordanz ist insoweit danach zu fragen, wie sich ein im Verfassungsgefüge kohärentes Organisationsmodell zwischen ausdrücklicher Kompetenznorm und Funktionsgerechtigkeit herstellen läßt. An diesen Vorgaben hat sich die Bewertung rechtlicher Probleme zu orientieren, die sich hinsichtlich der Bedeutung u. a. des Art. 59 Abs. 2 GG für das internationalisierte Verwaltungshandeln ergeben. Es wäre insofern nicht vertretbar, die steigende Bedeutung der Verwaltung im Rahmen des internationalen Kooperationsprozesses per se als verfassungsrechtlich bedenklich anzusehen, da sich hieraus ein „Bedeutungsverlust" der Legislative ergibt. Vielmehr ist ausgehend von der Effektivität und Effizienz der internationalisierten Erledigung von Verwaltungsaufgaben anzuerkennen, daß sich der Aufgabenhorizont der Verwaltung erweitert und dies verfassungsrechtlich im Sinne des Rationalitätsgedankens dem Grunde nach keinen Bedenken unterliegt, vielmehr sogar zur Legitimität der Verfassungsordnung insgesamt beiträgt. Vor diesem Hintergrund vermag die zum Teil deutlich artikulierte Forderung nach einer verstärkten Parlamentarisierung der „auswärtigen Gewalt" 261 zwar für die - hier nicht weiter behandelten - politischstaatsleitenden Aspekte der internationalen Zusammenarbeit ihre Berechtigung haben, soweit das internationalisierte Verwaltungshandeln betroffen ist, kann ihr jedoch nicht gefolgt werden. Wie auch sonst im demokratischen Rechtsstaat, gilt hier die Erkenntnis, daß mit dem Anwachsen von Verwaltungsaufgaben zwangsläufig eine zunehmende Stärkung der Eigenständigkeit der Verwaltung eintritt, ohne daß sich hieraus kategorische verfassungsrechtliche Probleme ergeben. 262 Die konstatierte Rolle der Verwaltung als eigenständiger Akteur in internationalen 260 261

von Danwitz, Der Staat 35 (1996), 329 (339).

Aus jüngerer Zeit insbesondere Wolfrum, 1996, 937 ff. 262

VVDStRL 56 (1997), 38 ff.; Kokott, DVB1.

Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 174 ff.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

541

Angelegenheiten fügt sich mithin in ein verfassungsfestes Bild einer im Kern festgelegten, in der dynamischen Entwicklung aber legitimierten Wandlungen unterworfenen Funktionenabgrenzung zwischen Legislative und Exekutive ein. Dies ist zugleich der Ausgangspunkt dessen, was hinsichtlich der Bedeutung des Art. 59 Abs. 2 GG für Einzelaspekte des internationalisierten Verwaltungshandelns zu beachten ist.

4. Die Verwaltung zwischen Eigenständigkeit und Gesetzesabhängigkeit im Rahmen von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 GG Die kompetenzrechtliche Einordnung des internationalisierten Verwaltungshandelns im Sinne von Art. 59 Abs. 2 GG läßt sich vor dem Hintergrund der Funktionenabgrenzung von Legislative und Exekutive, die sich an Gesichtspunkten der Funktionsgerechtigkeit auszurichten hat, näher bestimmen. Wie bereits die systematische Betrachtung des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 GG andeutet, bewegt sich die Verwaltung bei der internationalisierten Aufgabenwahrnehmung im Spannungsverhältnis zwischen legislativer Fremdbestimmung im Sinne der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG) und verfassungsrechtlich garantierter und legitimierter Eigenständigkeit einer funktionsgerechten Aufgabenwahrnehmung (Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG). Neben noch zu erörternden Einzelfragen, die sich dabei hinsichtlich des Vorbehaltes des Gesetzes und internationalisierten Verwaltungshandlungen ergeben, ist zunächst darauf einzugehen, welche allgemeine Bedeutung der kompetenzrechtlich in Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG vorgesehenen Möglichkeit zum Abschluß von Verwaltungsabkommen als originärem Eigenverantwortungsbereich der Administrative in auswärtigen Angelegenheiten zukommt. Die Relevanz von Verwaltungsabkommen in der Staatspraxis ist beachtlich. Wie schon im Rahmen der Darstellung ausgewählter Referenzgebiete des internationalisierten Verwaltungshandelns erwähnt, erfolgte der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu verschiedenen internationalen Organisationen unter Anwendung der in Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG vorgesehenen Handlungsform ohne parlamentarische Beteiligung. 263 Überdies ist die internationale Vertragspraxis der 263

Dies gilt beispielsweise für den Beitritt zu folgenden, hier interessierenden internationalen Organisationen: WHO, vgl. BGBl. 1974 II, 43; FAO, vgl. BGBl. 1971 II, 1033; IMO, vgl. BGBl. 1965 II, 313; CEPT, vgl. BAnz. 1959, Nr. 2/60; zu weiteren Organisationen, denen die Bundesrepublik durch Verwaltungsabkommen beigetreten ist, siehe Tomuschat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, § 172 Rdnr. 39; Härle, JIR 12 (1965), 93 (117 f.).

542

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

Bundesrepublik Deutschland quantitativ deutlich von Verwaltungsabkommen geprägt. Über einzelne, bereits näher dargestellte Abkommen 264 hinausgehend läßt sich dies daran ermessen, daß beispielsweise allein im Bundesministerium der Verteidigung bislang bereits über 1.200 Ressortabkommen ohne parlamentarische Beteiligung i. S. v. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG geschlossen wurden. 265 Auch wenn von Mangoldt noch der Ansicht war, daß Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG eine „ i n ihren rechtlichen Auswirkungen schwer zu übersehende Bestimmung" sei, 266 lassen sich heute zumindest einige gesicherte verfassungsrechtliche Aussagen zur Befugnis der Bundesregierung zum Abschluß von Verwaltungsabkommen treffen. An erster Stelle steht insoweit die Erkenntnis, daß es sich bei den in Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG genannten „Verwaltungsabkommen" um völkervertragliche Regelungen handelt, 267 die ohne eine parlamentarische Beteiligung nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG abgeschlossen werden können. Dementsprechend sind Verwaltungsabkommen all die völkerrechtlichen Verträge der Bundesrepublik Deutschland, die nicht „die politischen Beziehungen des Bundes regeln" bzw. sich nicht „auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen" (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG). 2 6 8 Die Abgrenzungskriterien, die damit in der Systematik des Art. 59 Abs. 2 GG hinsichtlich der Zustimmungsbedürftigkeit angelegt sind, dürfen allerdings nicht nur formal gesehen werden. Sie haben sich vielmehr daran auszurichten, ob materiell-verfassungsrechtlich eine Beteiligung der gesetzgebenden Körperschaften am Vertragsabschluß notwendig ist. Insoweit ist es, worauf Grewe zu Recht hinweist, auch nicht ausgeschlossen, daß es Verträge gibt, die nicht Verwaltungsabkommen sind und trotzdem gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften bedürfen. 269 I m Regelfall jedoch, und dies entspricht wohl auch der

264

Siehe z. B. das Übereinkommen zur Erleichterung des internationalen Seeverkehrs, Bekanntmachung von 19. Oktober 1967, BGBl. 1967 II, 2434. 265

Fleck, Diskussionsbeitrag, in: Geiger (Hrsg.), Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 22. 266

von Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, Anm. 7 zu Art. 59.

267

Zur heute unstrittigen Einordnung von Verwaltungsabkommen als verbindliche völkerrechtliche Verträge siehe die ausführliche Darstellung bei Helm-Busch, Executive Agreements im US-amerikanischen Verfassungsrecht, 7 ff.; Jasper, Die Behandlung von Verwaltungsabkommen im innerstaatlichen Recht, 6 ff. 268 Unstrittig, vgl. nur Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 76; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 59 Rdnr. 50; Rojahn, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 51; kritisch, im Ergebnis aber ähnlich, Grewe, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 77 Rdnr. 67. 269

Grewe, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 77 Rdnr. 67.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

543

Staatspraxis, 270 werden sich die Verwaltungsabkommen gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG tatsächlich auf Verwaltungsangelegenheiten im an anderer Stelle bereits umschriebenen Sinne 271 beziehen. Weiterhin ist typologisch die Differenzierung zwischen unselbständigen und selbständigen272 sowie zwischen einfachen und normativen Verwaltungsabkommen hervorzuheben. Als unselbständige Verwaltungsabkommen können die in die Regelungskompetenz der Exekutive fallenden internationalen Rechtsgeschäfte bezeichnet werden, die der Ergänzung, Ausführung und Weiterentwicklung bestehender völkerrechtlicher Vertragsregime dienen. Zugleich sind unselbständige Verwaltungsabkommen in der Regel auch normative Verwaltungsabkommen. In der erstmals wohl von Härle 273 geprägten - und heute anerkannten 274 - Terminologie sind hierunter Verwaltungsabkommen zu verstehen, die eine Verpflichtung zur Rechtssetzung beinhalten und sich insoweit - aus innerstaatlicher Sicht - auf ein bestehendes exekutives Rechtssetzungsrecht in der Form einer Verordnungsermächtigung (Art. 80 Abs. 1 GG) stützen müssen. Die Mehrzahl der Rechtsinstrumentarien in den aufgezeigten Referenzgebieten des internationalisierten Verwaltungshandelns, die der innerstaatlichen Umsetzung internationaler Regelwerke dienen, die sich durch eine dynamische Fortentwicklung auszeichnen, unterfällt der Kategorie unselbständig-normativer Verwaltungsabkommen. Sie sind insofern gleichsam der Idealtypus des exekutiven Handelns im Rahmen der institutionalisierten internationalen Kooperation, weshalb auch auf die mit ihnen zusammenhängenden verfassungsrechtlichen Probleme noch näher einzugehen ist. 275 Die daneben existierenden (einfachen) selbständigen Verwaltungsabkommen finden sich in der Regel im Bereich der - hier nicht weiter untersuchten bilateralen grenzüberschreitenden Verwaltungskooperation. Sie zeichnen sich zum einen dadurch aus, „abgelöst oder nur in loser Verbindung zu bestehenden Staatsverträgen, der Erledigung kleinerer, vor allem technischer Verwaltungsaufgaben" zu dienen, die sich in erster Linie der OrdnungsVerwaltung (z. B. Fischerei, Was-

270 Siehe Fleck, Diskussionsbeitrag, in: Geiger (Hrsg.), Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht, 22. 27 1

Supra Teil 4, B. I.

272

Zu dieser Differenzierung Bülck, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3, 562. 273

JIR 12 (1965), 93 (97, 109 ff.).

274

Siehe nur Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 59 Rdnr. 52; Streinz, in: Sachs, GG, Art. 59 Rdnr. 80; Jasper, Die Behandlung von Verwaltungsabkommen im innerstaatlichen Recht, 103 ff. 27 5

Supra Teil 7, A. II. 5.

544

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

sernutzung, Rechtshilfe) zurechnen lassen.276 Zum anderen finden sich selbständige Verwaltungsabkommen im Bereich der internationalisierten lenkenden und verteilenden Verwaltung, wozu das internationale Wirtschaftsverwaltungsrecht zählt. 277 Ihre Besonderheit besteht darin, daß keine strikte normative Ableitung aus bestehenden Gesetzen im formellen Sinne vorliegt. Schon die unterschiedlichen Handlungsformen, die im Rahmen der in Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG genannten „Verwaltungsabkommen" möglich sind, verdeutlichen damit die insoweit verfassungsrechtlich vorgesehene Stellung der internationalisierten Verwaltung in einem System, das durch einerseits anerkannte Selbständigkeit und andererseits notwendige Fremdbestimmtheit gekennzeichnet ist. Vor dem systematischen Hintergrund des Art. 59 Abs. 2 GG könnte man allerdings auch heute noch der Ansicht sein, daß gerade für die in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG genannten politischen Verträge dem Grunde nach weiterhin die von Georg Jellinek geprägte Begrifflichkeit gilt, wonach sich Verwaltungsverträge auf die „inneren Staatszwecke", politische Verträge hingegen auf die „äußeren Staatszwecke" beziehen.278 Im Lichte der beschriebenen Internationalisierung der Verwaltungsaufgaben muß diese Differenzierung, die den Art. 59 Abs. 2 GG historisch maßgeblich geprägt hat, 279 heute jedoch als überwunden gelten, da sie die Verwaltungstätigkeit als per se binnenorientierte Staatstätigkeit auffaßt. Die sowohl faktisch als auch verfassungsrechtlich bestehenden, tiefgreifenden Bedenken gegenüber dieser Einschätzung wurden bereits mehrfach hervorgehoben. Worauf es dementsprechend ankommt, ist in der Differenzierung des Art. 59 Abs. 2 GG einen Verweis auf die Möglichkeit des zumindest potentiell eigenständigen internationalisierten Verwaltungshandelns zu sehen, soweit es sich nur - unabhängig von territorial festgelegten Jurisdiktionsgrenzen - um Verwaltung im materiellen Sinne handelt. 280 Daß die aus dieser Betrachtung resultierende „Gefahr" eines zunehmend schwindenden Einflusses der Legislative auf die auswärtigen Angelegenheiten besteht, läßt sich zwar im Ergebnis nicht bestreiten, kann aber nicht schon für 27 6

Biilck,

in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3, 562

(563). 27 7

Bülck, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3, 562

(563). 27 8

G. Jellinek, Die Lehre von den Staaten Verbindungen, 105 ff.; ders., Gesetz und Verordnung, 177. 279

Umfassend zur historischen Entwicklung Kesseler, Geschichtliche Entwicklung internationaler Verwaltungsabkommen im deutschen Recht, passim. 280 In diese Richtung wohl auch Bernhardt, Bd. VII, § 174 Rdnr. 10.

in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR,

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

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sich als Ansatzpunkt dafür genommen werden, eine möglichst weite Definition der in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG genannten Verträge anzustreben, um so eine parlamentarische Beteiligung zu sichern. 281 Es liegt vielmehr in der Konsequenz der Entwicklung des internationalisierten Verwaltungshandeln, daß die aus dem Verlust an territorialer Bezogenheit resultierende Erweitertung der Verwaltungsaufgaben die verfassungsrechtlich vorgesehene und legitimierte Eigenständigkeit der Verwaltung stärkt. Dies ist keine unzulässige Gewaltenverschiebung zu Lasten der Legislative, sondern ein vom Leitbild der offenen Staatlichkeit getragener und im Sinne der effektiven und effizienten Aufgabenerfüllung notwendiger sowie legitimierter Perspektivwandel. Aus der anzuerkennenden Eigenständigkeit der Verwaltung auch im Bereich des internationalisierten Verwaltungshandelns ergibt sich auch, wie der schon als klassisch zu bezeichnende Streit darüber, ob der Bundespräsident gemäß Art. 59 Abs. 1 Satz 2 GG an dem Abschluß von Verwaltungsabkommen zu beteiligen ist, bewertet werden muß. Die gegenüber der Staatspraxis, die in der Regel keine Beteiligung des Bundespräsidenten vorsieht, vorgebrachten Argumente mögen zwar unter systematischen Interpretationsgesichtspunkten eine gewisse Überzeugungskraft haben. 282 Mit der zugleich zu beachtenden internationalen Kooperationsoffenheit des Grundgesetzes und der anzuerkennenden Eigenständigkeit der Verwaltung in auswärtigen Angelegenheiten läßt sich das Verdikt einer Verfassungswidrigkeit der Nichtbeteiligung des Bundespräsidenten aber nicht vereinbaren. Auch wenn das Grundgesetz das einheitliche völkerrechtliche Auftreten der Bundesrepublik durch die zentralisierte Repräsentativfunktion des Bundespräsidenten nach Art. 59 Abs. 1 GG im Grundsatz gewährleisten will, 2 8 3 kann es doch nicht Sinn und Zweck der auf eine inhaltlich offene internationale Kooperation angelegten Verfassungsordnung sein, formelle Gesichtspunkte dem inhaltlichen Zusammenarbeitspostulat gegenüber den Vorrang zu geben. Dies ist auch keine Anerkennung eines sich wie auch immer ver-

281 Die Gefahr einer zu weitgehenden Expansion der Anwendung von Verwaltungsabkommen, insbesondere im Bereich der Außenhandelspolitik, wird im Anschluß an Grewe, VVDStRL 12 (1954), 129 (159), betont von Weiß, Auswärtige Gewalt und Gewaltenteilung, 169 ff. 282 Zusammenstellung der Argumente bei Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 9 ff.; Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 205 ff.; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 59 Rdnr. 20 f. 283

Zu diesem Argument im Hinblick auf eine behauptete Unzulässigkeit der Einschränkung des Anwendungsbereiches des Art. 59 Abs. 1 siehe Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 59 Rdnr. 20.

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Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

fassungsgewohnheitsrechtlich herausgebildeten Zustandes, 284 sondern eine zwingende Folge der umfassenden internationalen Kooperationsnotwendigkeit als Existenznotwendigkeit des demokratischen Verfassungsstaates. 285 Insgesamt betrachtet sind die in Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG genannten Verwaltungsabkommen damit das herausragende Handlungsinstrumentarium der rechtserheblichen, eigenständigen internationalisierten Verwaltung. Die in der deutschen Verfassungsgeschichte einmalige ausdrückliche Normierung der Möglichkeit der rechtlichen Gestaltung der zwischenstaatlichen Beziehungen durch Verwaltungsverträge 286 ist eine konsequente Reaktion auf die Herausbildung einer zunehmenden Entterritorialisierung des Verwaltungsrechts, wie sie in dem von Lorenz von Stein erstmals in aller Deutlichkeit geprägten Begriff des „internationalen Verwaltungsrechts' 4 schon im 19. Jahrhundert erfaßt wurde. Hartwig Biilck hat dies frühzeitig in den folgenden Worten prägnant zusammengefaßt: „Es [das Verwaltungsabkommen, Anm. Verf.] gehört zu den spezifischen Mitteln, mit denen sich die industriell-bürokratische Gesellschaft seit mehr als 150 Jahren über die einzelstaatlichen Grenzen hinweg das ihr zugeordnete Recht schafft, das von Lorenz von Stein so genannte internationale Verwaltungsrecht". 287 Ebenso wie es im innerstaatlichen Recht im Kern anerkannt ist, daß das Verwaltungsrecht seine Steuerungsimpulse nicht nur aus dem Parlamentsgesetz erfährt, sondern vielmehr daneben der abgeleiteten und der autonomen exekutiven Rechtssetzung, u. a. in der Form von Rechtsverordnungen, Satzungen und Verwaltungsvorschriften, eine große und zunehmende Bedeutung zukommt, 288 gilt dies auch für das internationalisierte Verwaltungshandeln. Das belegt Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG, auch wenn damit noch nicht geklärt ist, welchen Voraussetzungen dieses internationalisierte administrative Handeln im einzelnen unterliegt.

284 So Menzel, in: Bonner Kommentar, Art. 59 Anm. II 1; Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 59 Rdnr. 5; hiergegen insbesondere Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 7. 285 Im Ergebnis ebenso, allerdings unter Verweis auf die Repräsentativfunktion des Bundespräsidenten und der faktischen Unmöglichkeit, diese im Rahmen der in Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG genannten völkerrechtlichen Vertragsbeziehungen zu erfüllen, Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 210 ff.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 12; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 59 Rdnr. 2. 286

Zur verfassungsgeschichtlichen Entwicklung ausführlich Kesseler, Geschichtliche Entwicklung internationaler Verwaltungsabkommen im deutschen Recht, passim. 287 288

Bülck, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3, 562.

Statt vieler Ossenbühl, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rdnr. 12 ff.

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5. Die internationalisierte Verordnungsgebung als besondere Ausdrucksform des internationalisierten Verwaltungshandelns Wie sich bei der Analyse der Referenzgebiete des internationalisierten Verwaltungshandelns gezeigt hat, vollzieht sich ein Großteil der maßgeblichen exekutiven Handlungen als internationalisierte Verordnungsgebung. Der Bundesgesetzgeber wählt dabei durchaus unterschiedliche Ausgestaltungen für Rechts Verordnungsermächtigungen, die von ihm durch Gesetz an die Exekutive erteilt werden. Neben detaillierten Regelungen, die die Verordnungsermächtigung inhaltlich umreißen, sind zum Teil auch gesetzliche Vorschriften vorhanden, die schlicht auf die Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem generellen Normenprogramm des fraglichen Gesetzes verweisen (vgl. z. B. § 6a WHG). Gerade zu § 6a W H G ist in jüngerer Zeit intensiver Streit darüber ausgebrochen, ob ein solcher „pauschaler" Verweis auf völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG genügt. 289 Die diesem Streit zugrundeliegende Problematik bezieht sich im Kern auf die Frage, inwieweit eine ihrer Anlage nach etatistisch orientierte Vorschrift wie Art. 80 Abs. 1 G G 2 9 0 den sich stellenden Herausforderungen eines internationalisierten Verwaltungshandelns gerecht werden kann. Dies ist allerdings nicht das einzige Problem, das bei der Erörterung der internationalisierten Verordnungsgebung zu berücksichtigen ist. Von nicht weniger großer Bedeutung ist der ebenfalls im Rahmen der Analyse der Referenzgebiete des internationalisierten Verwaltungshandelns offengelegte Umstand, daß gerade bei der Anwendung des sogenannten vereinfachten völkerrechtlichen Vertragsänderungsverfahrens die Exekutive neue völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik eingeht, die dann zum Teil innerstaatlich durch Rechtsverordnung in Kraft gesetzt werden. Ob und gegebenenfalls inwieweit dieses Verfahren im Lichte der Art. 59 Abs. 2 GG und 80 Abs. 1 GG zulässig ist, muß daher ebenso beantwortet werden.

289 Statt vieler Kotulla, Zeitschrift für Wasserrecht 2000, 85 ff.; Nierhaus, in: Bonner Kommentar, Art. 80 Rdnr. 310 ff., jeweils m. w. N. 290

Siehe Scheuing, EuR 1985,229 (235), der konstatiert, daß Art. 80 Abs. 1 GG ohnehin auf „innerstaatliche Verhältnisse zugeschnitten" sei; ihm folgend Nierhaus, in: Bonner Kommentar, Art. 80 Rdnr. 321.

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a) Zulässigkeit der Delegation zum Abschluß und zur Änderung völkerrechtlicher Verträge In der Staatspraxis der Bundesrepublik ist es heute ein gängiges Phänomen, daß die Exekutive durch Gesetz dazu ermächtigt wird, völkerrechtlichen Verträgen sowie Änderungen von völkerrechtlichen Verträgen auf internationaler Ebene zuzustimmen und sie durch Rechtsverordnung in das innerstaatliche Recht umzusetzen.291 Die fraglichen Regelungsmaterien entstammen dabei vielfach dem technisch-administrativen Bereich, wie auch die Analyse der hier gewählten Referenzgebiete des internationalisierten Verwaltungshandelns gezeigt hat. Ob und inwieweit dieses Verfahren verfassungsrechtlich zulässig ist, wurde im Schrifttum und in der Staatspraxis z. B. im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Tiefseebergbaues 292 kontrovers diskutiert. 293 Im Zentrum der Erörterungen stand dabei die auch hier insgesamt für die internationalisierte Verordnungsgebung relevante Frage, ob die gesetzliche Ermächtigung der Exekutive zum Abschluß - bzw. zur Änderung - eines völkerrechtlichen Vertrages mit Art. 59 Abs. 2 GG vereinbar ist. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich bereits im Jahre 1952 in seiner Entscheidung zum Deutsch-Französischen Wirtschaftsabkommen mit der Frage der Ermächtigung der Exekutive zum völkerrechtswirksamen Handeln gemäß Art. 59 Abs. 2 GG zu befassen. Dabei verwarf es die vom Rechtsausschuß des Bundestages unter Verweis auf eine effektive Arbeitsteilung zwischen Exekutive und Legislative vorgeschlagene Idee, die Bundesregierung gemäß Art. 80 Abs. 1 GG zur Inkraftsetzung von Handelsabkommen durch Rechtsverordnung zu ermächtigen. Das Gericht begründete die verfassungsrechtliche Unzulässigkeit eines solchen Vorgehens damit, „daß die Zustimmung oder die Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften gemäß Art. 59 Abs. 2 GG nach Wesen und Inhalt ein Regierungsakt in der Form eines Bundesgesetzes ist, der nur unmittelbar durch förmliches Gesetz und nicht durch eine Rechtsverordnung vorgenommen werden kann". 294 Dieser Auffassung schloß sich das Schrifttum weitgehend an, soweit es um die 291

Zahlreiche Nachweise aus der Staatspraxis bei Dregger, Die antizipierte Zustimmung des Parlaments zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge, 11 ff.; jetzt auch, allerdings in erster Linie auf das EG-Recht bezogen, Brand, Die Vereinbarkeit der Rechtsverordnungsermächtigungen des Bundes, 29 ff. 292

Vom 16. August 1980, BGBl. 1980 I, 1457, dort § 14 Abs. 3.

293

Siehe insbesondere Treviranus, NJW 1983,1949; Dregger, Die antizipierte Zustimmung des Parlaments zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge, 11 ff., mit Hinweisen auf die kontroverse Diskussion im Bundestag. 294

BVerfGE 1, 372 (395) (Hervorhebung im Original); 90, 286 (357).

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Inkraftsetzung von völkerrechtlichen Regelungen geht, die die Voraussetzungen des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG erfüllen. 295 Insoweit wird im Einklang mit dem BVerfG darauf verwiesen, daß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ein „zwingender und nicht verzichtbarer Sondervorbehalt der Legislative" 296 sei, der einer Delegation im Sinne einer Rechtsverordnungsermächtigung entsprechend Art. 80 Abs. 1 GG entgegenstehe. Anders wird dies nur beurteilt, wenn es um völkerrechtliche Regelungsmaterien geht, deren innerstaatliche Durchführung kein formelles Gesetz voraussetzt, oder wenn kein Fall eines politischen Abkommens i. S. v. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG vorliegt. Entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG soll insofern das Inkraftsetzen durch Rechtsverordnung zulässig sein, soweit nur der Erlaß der Rechtsverordnung selbst ohne Beteiligung einer gesetzgebenden Körperschaft (vgl. insbesondere Art. 80 Abs. 2 GG) erfolgen kann. 297 Betrachtet man die Diskussion über das Verhältnis von legislativer Zustimmung und exekutiver Rechtssetzung i. S. v. Art. 59 Abs. 2 GG, so fällt zunächst auf, daß nahezu einhellig der These des BVerfG von dem „Sondervorbehalt der Legislative" gefolgt wird. Daraus folgt dann die Konstruktion einer antizipierten Zustimmung der Legislative zu dem durch die Exekutive herbeigeführten völkervertragsrechtlichen Rechtsakt.298 Erst hierauf aufbauend tauchen im Detail einzelne Streitfragen auf. Bevor diese näher erörtert werden sollen, bedarf es dementsprechend zunächst einer Klärung der Frage, ob der pauschale Verweis auf den Sondervorbehalt der Legislative an sich zutreffend ist. Zwei Erwägungen sprechen hiergegen: Fraglich ist zunächst, ob sich die generelle These von einem Sondervorbehalt der Legislative überhaupt begründen läßt. Sieht man einmal von den verfassungsrechtlich dem Grunde nach unumstrittenen, jeweils aber nur im Einzelfall zu prüfenden Grundsätzen zum Vorbehalt des Gesetzes ab, bietet die Verfassungsordnung keine Anhaltspunkte dafür, einen prinzipiellen Kernbereich legislativer 295

Siehe nur Härle, JIR 12 (1965), 93 (106 f.); Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 51; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 42; zahlreiche Nachweise aus dem älteren Schrifttum bei Dregger, Die antizipierte Zustimmung des Parlaments zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge, 29 Fn. 102. 296

BVerfGE 1,372 (395).

297

BVerfGE 1, 372 (390); zur hier nicht weiter behandelten, strittigen Frage, inwieweit eine notwendige Beteiligung des Bundesrates dazu führt, daß der Abschluß bzw. die Änderung eines völkerrechtlichen Vertrages nicht ausschließlich von der Exekutive vorgenommen werden kann, statt vieler Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 24 m. w. N. 298 Zu dieser Konstruktion ausführlich Dregger, Die antizipierte Zustimmung des Parlaments zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge, passim; kritisch Jarass, DÖV 1975, 117 (122); Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 239 f., m. w. N. zum Streitstand.

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Teilnahme an exekutiven Handlungen annehmen zu können. 299 Was der Legislative angesichts ihrer demokratischen Legitimation im Gewaltenteilungssystem zusteht, ist das Recht zur Gesetzgebung, wie es auch in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zum Ausdruck kommt. Dieses Recht darf nur dann nicht der Exekutive gemäß Art. 80 Abs. 1 GG überlassen werden, wenn der Vorbehalt des Gesetzes - entsprechend der weithin gebräuchlichen Terminologie als Parlamentsvorbehalt konkretisiert - einschlägig ist. Darüber hinaus bleibt es aber bei der Möglichkeit exekutiver Rechtssetzung, soweit nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt, Zweck und Ausmaß der Rechtssetzungsbefugnis legislativ bestimmt sind. Diese für sich einleuchtenden Erwägungen scheint das BVerfG jedoch nicht auf Art. 59 Abs. 2 GG beziehen zu wollen, indem es davon spricht, daß es hier nicht um „den Gegensatz Gesetz und Verordnung" gehe, „sondern um die Zuständigkeitsverteilung zwischen den gesetzgebenden Körperschaften und der Bundesregierung". 300 Wo indes der Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung und Zuständigkeitsverteilung zwischen Legislative und Exekutive im demokratischen Rechtsstaat, der sich gerade durch die verfassungsfeste Zuständigkeitsverteilung in legislativen Angelegenheiten zugunsten der Legislative auszeichnet,301 bestehen soll, bleibt unklar. Zudem, und dies ist der zweite Gesichtspunkt, der gegen die Theorie vom Sondervorbehalt spricht, konstatiert das BVerfG selbst, daß sich eine völkervertragsrechtliche Regelung dann nicht auf „Gegenstände der Bundesgesetzgebung" beziehe, wenn die innerstaatliche Durchführung durch den Erlaß einer Rechtsverordnung erfolgen kann. 302 Durch diese Aussage setzt sich das Gericht selbst in Widerspruch zu der These vom Sondervorbehalt. Diese müßte - würde man sie strikt anwenden - dazu führen, daß es gar keine Verordnungsermächtigungen im Bereich völkerrechtlicher Verträge geben darf, soweit nicht ohnehin ein Fall des Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG vorliegt. 303 Denn selbst wenn man der Exekutive kein originäres Rechtssetzungsrecht zusprechen will, 3 0 4 kann man in Art. 80 Abs. 1 GG 299 Jarass, DÖV 1975,117 (122); ob Art. 59 Abs. 2 GG insoweit ein Delegationsverbot darstellt, ist damit noch nicht entschieden, sondern bedarf weiterer, im nachfolgenden Text angestellter Erörterung. Zu für Art. 80 Abs. 1 GG relevanten Delegationsverboten siehe H. Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 80 Rdnr. 19 m. w. N. 300

BVerfGE 1,372 (390).

301

Hierzu Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 45 ff.

302

BVerfGE 1,373 (393); aus dem Schrifttum statt vieler Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, 198 f.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 36. 303 Jarass, DÖV 1975,117 (122 f.); ähnlich wohl Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 239; anders jetzt wohl Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 59 Rdnr. 12. 304 Zur Diskussion statt vieler Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 64 Rdnr. 16.

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nur eine Delegation einer Rechtssetzungsbefugnis sehen.305 Die damit nach der Rechtsprechung des BVerfG mögliche Delegation einer Rechtssetzungsbefugnis nach Art. 80 Abs. 1 GG, auch wenn es um völkerrechtliche Verträge (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG) geht, zeigt nochmals, daß hier ein prinzipieller Sondervorbehalt der Legislative nicht besteht. Zugleich wird deutlich, daß die Theorie vom „Sondervorbehalt" auf der tradierten Vorstellung von dem Sondercharakter der „auswärtigen Gewalt" beruht. Nur dann, wenn man jedem Staatshandeln in auswärtigen Angelegenheiten eine schicksalsbestimmende Funktion für das gesamte Gemeinwesen im Sinne eines Regierungsaktes zumißt, läßt es sich nämlich erklären, warum in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ein zwingendes, nicht abdingbares Partizipationsrecht der gesetzgebenden Körperschaften in politischen Sachfragen erblickt wird. 3 0 6 Erweitert man demgegenüber den Blick über die staatsleitende Funktion der „auswärtigen Gewalt" hinausgehend und erkennt die eigenständige Funktion auch der Verwaltung in auswärtigen Angelegenheiten an, läßt sich Art. 59 Abs. 2 GG kohärent in die verfassungsrechtliche Systematik einfügen. Ob und inwieweit die Exekutive eigenständig Rechtshandlungen in auswärtigen Angelegenheiten hinsichtlich der Herbeiführung der völkerrechtlichen Bindungswirkung und in bezug auf die innerstaatliche Umsetzung vornehmen darf, entscheidet sich ausgehend von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG nach den allgemeinen Grundsätzen zur Rechtssetzung im Verhältnis Legislative und Exekutive. Diese erfahren dann in Art. 59 Abs. 2 GG eine gewisse Modifikation. Im systematischen Verhältnis der Art. 59 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 GG betrachtet, besteht zunächst ein eigenständiges binnen- und außenorientiertes Rechtssetzungsrecht der Exekutive, soweit es um „nicht-wesentliche" Regelungsmaterien geht. „Wesentliche" Fragen kann die Exekutive hingegen nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1,2. Alt. GG nicht autonom regeln; hier ist sie auf die Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften angewiesen. Dabei steht es der Legislative frei, die Zustimmung vollumfänglich selbst zu erteilen, wie es in der Form des klassischen Zustimmungsgesetzes nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG erfolgt, 307 oder aber sich auf die Normierung der „wesentlichen" Regelungsaspekte zu beschränken und im übrigen der Exekutive gemäß Art. 80 Abs. 1 GG die Abgabe der notwendigen völkerrechtlichen Willenserklärung und die entsprechende Umsetzung der völkerrechtlichen Verpflichtung in das innerstaatliche Recht zu 305 Zur Diskussion statt vieler Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 64 ff. m. w. N. 306

In diese Richtung z. B. Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 42. 307 Zur Funktion und Bedeutung des Zustimmungs- bzw. Vertragsgesetzes statt vieler Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 175 ff.

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überlassen. Anders zu beurteilen ist dies nur, wenn es um politische Verträge i. S. v. Art. 59 Abs. 2 Satz 1,1. Alt. GG geht. Bei diesen Verträgen, die ihrer Natur nach zumeist keiner innerstaatlichen Umsetzung bedürfen, findet die Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes als nur auf die innerstaatliche Rechtssetzung bezogenes Verfassungsrechtsinstitut in der Regel keine Anwendung, 308 so daß von einem unmittelbar aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden, zwingenden Partizipationsrecht der Legislative im Sinne eines unabdingbaren Zustimmungsvorbehaltes gesprochen werden könnte. Für diesen Sonderfall, der freilich kaum das internationalisierte Verwaltungshandeln betrifft, erscheint die Rede vom „Sondervorbehalt" gerechtfertigt. Die Möglichkeit der Ermächtigung der Exekutive zur völkerrechtlich relevanten Rechtssetzung ist zwar im Ergebnis unstrittig, bestritten wird aber, daß es sich hierbei tatsächlich um einen Anwendungsfall des Art. 80 Abs. 1 GG im Sinne einer Delegation von Rechtssetzungsgewalt handelt. Vielmehr könne, so die bereits angedeutete, verschiedentlich vertretene These, nur von einer antizipierten Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, ausgegangen werden. 309 Begründet wird dies im Kern damit, daß eine Delegation der völkerrechtsrelevanten Rechtssetzungsbefugnis mit dem in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG normierten Kontrollrecht des Parlaments als maßgebliche ratio der Vorschrift unvereinbar sei. 310 Diese Auffassung, dies sei nochmals betont, kann nicht überzeugen, da sie die in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG enthaltene Kontrollfunktion des Parlaments ohne Grund auf jegliches Staatshandeln in auswärtigen Angelegenheiten ausdehnt. Im Ergebnis wird damit die verfassungsrechtliche Differenzierung in den zwei Alternativen des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG aufgehoben. Ein solcher Fehlschluß beruht auf der nicht zu rechtfertigenden Annahme, daß jedes auswärtige Handeln der „auswärtigen Gewalt" im staatsleitenden politischen Sinne unterfällt. Überdies scheint auch das BVerfG nunmehr davon auszugehen, daß völkervertragsrechtliche Regelungen, die nicht Verwaltungsabkommen gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG darstellen, auf der Grundlage einer Verordnungsermächtigung 308

Anders Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 239 f., der die Zustimmung zu politischen Verträgen als Ausprägung der Wesentlichkeitstheorie ansieht. 309

Hierzu insbesondere Dregger, Die antizipierte Zustimmung des Parlaments zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge, passim; siehe z. B. auch Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 42 m. w. N. 310 Dregger, Die antizipierte Zustimmung des Parlaments zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge, 70 f.

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nach Art. 80 Abs. 1 GG von der Exekutive völkerrechtlich und innerstaatlich in Kraft gesetzt werden können. Die 2. Kammer des Zweiten Senats stellte dies in einem Beschluß vom 4. Mai 1997, der die Frage nach der Zulässigkeit der Aufnahme von Suchtstoffen in die Anlagen zum BtMG durch Rechtsverordnung betraf, im Ergebnis fest. 311 Die Kammer erblickte insoweit keine verfassungsrechtlichen Bedenken, die - soweit insbesondere die Voraussetzungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG erfüllt sind - dagegen sprechen, daß eine Verordnungsermächtigung zu dem Zweck erteilt wird, „Entscheidungen eines durch völkerrechtlichen Vertrag berufenen Organs entsprechend einer Vertragspflicht Deutschlands in innerstaatliches Recht umzusetzen".312 Da in dem Beschluß ausschließlich auf die Voraussetzungen des Art. 80 Abs. 1 GG abgestellt wird, zeigt sich, daß nur nach dieser Vorschrift die Zulässigkeit der Erteilung von Rechtsverordnungsermächtigungen im Zusammenhang mit völkervertragsrechtlichen Regelungen beurteilt wird und insoweit keine spezifischen Verfassungsrechtsprobleme im Rahmen des Art. 59 Abs. 2 GG bestehen. Dies verdeutlicht nochmals, daß sich die völkerrechtliche und innerstaatliche Inkraftsetzung völkervertragsrechtlicher Regelungen durch Rechtsverordnung als Delegation einer bzw. eine eigenständige Rechtssetzungsbefugnis im Sinne von Art. 80 Abs. 1 GG darstellt. Eine dogmatische Differenzierung zwischen völkerrechtlicher (Art. 59 Abs. 2 GG) und innerstaatlicher (Art. 80 Abs. 1 GG) exekutiver Rechtshandlung in dem Sinne, daß für die völkerrechtliche Ebene von einer antizipierten Zustimmung der Legislative gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG auszugehen ist, muß daher nicht vorgenommen werden. 313 Es bleibt also dabei, daß die Exekutive in dem ihr verfassungsrechtlich kraft Delegation oder autonom zustehenden Bereich eigenverantwortlichen Handelns auch völkerrechtlichswirksame Akte vornehmen darf. Die Zulässigkeit dieses Handelns durch Rechtsverordnung bemißt sich dabei ebenso wie hinsichtlich der innerstaatlichen Umsetzung nach Art. 80 Abs. 1 GG. Die Annahme, daß sich ein Handeln der Exekutive, das auf einen Vertragsabschluß gerichtet ist, auf eine antizipierte Zustimmung des Parlaments nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG 311

BVerfG, NJW 1998, 669 (670).

312

BVerfG, NJW 1998, 669 (671). Der Beschluß betraf § 1 Abs. 3 BtMG, jetzt § 1 Abs. 4 BtMG, hierzu bereits supra Teil 6, A. IV. 2. a). 313 A. A. insbesondere Dregger, Die antizipierte Zustimmung des Parlaments zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge, passim ; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 42; auch Wolfrum, VVDStRL 56 (1997), 38 (46 f.), geht von einer antizipierten Zustimmung aus; weitere Nachweise aus dem Schrifttum bei Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 239 f.; kritisch gegenüber der Möglichkeit einer weitgehenden antizipierten Zustimmung zum Abschluß bzw. zur Änderung völkerrechtlicher Verträge Frowein, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 56 (1997), 108, der fragt, ob dies nicht „unter Umständen zu einer Gefährdung des Systems führen kann".

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stützt, kann nicht überzeugen. Sie verkennt den - abgeleiteten oder autonomen eigenständigen Charakter des exekutiven Handelns in auswärtigen Angelegenheiten außerhalb der „auswärtigen Gewalt". Vor diesem Hintergrund muß auch die Frage beantwortet werden, ob eine innerstaatliche Rechtsnorm, die die Exekutive zur Annahme bzw. Änderung völkervertragsrechtlicher Regelungen unter Beachtung der Voraussetzungen des Art. 80 Abs. 1 GG ermächtigt, einen ausdrücklichen „Auslandsbezug" aufweisen muß oder ob auch eine prima facie nur auf innerstaatliche Sachverhalte zugeschnittene Ermächtigungsnorm den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Soweit man die dargelegte, der Wesentlichkeitstheorie folgende Eigenständigkeit der Exekutive im Bereich der „nicht-wesentlichen" Rechtssetzung anerkennt, ist kein Grund dafür gegeben, einen ausdrücklichen Auslandsbezug zu fordern. Dies kann man nur dann fordern, wenn man völkerrechtswirksame Handlungen der Exekutive als antizipierte Zustimmung zum Vertragsabschluß bzw. zur Vertragsänderung durch die Legislative ansieht, so daß die antizipierte Zustimmung aus der Ermächtigungsnorm ersichtlich sein muß. 314 Soweit man demgegenüber nach hier vertretener Auffassung auf die Eigenständigkeit der Exekutive auch im internationalen System abstellt und dementsprechend auch im Rahmen von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG eine Delegation von Rechtssetzungsgewalt für zulässig hält, bleibt für die Forderung nach einem ausdrücklichen „Auslandsbezug" der Ermächtigungsnorm kein Raum. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist immer nur entscheidend, daß der Gesetzgeber die „wesentlichen" rechtsnormativen Regelungen selbst trifft. Ob sich die hierauf aufbauende Handlungsmacht der Exekutive in „nicht-wesentlichen" Fragen ausschließlich auf den innerstaatlichen Rechtsraum oder darüber hinaus auch auf grenzüberschreitende Rechtsfragen bezieht, ist demgegenüber irrelevant. Insoweit kann auch formuliert werden, daß sich das Gewaltenteilungsmodell des Grundgesetzes hinsichtlich des Auslandsbezuges staatlichen Handelns zumindest dann indifferent verhält, wenn es nicht um „politische Verträge" im Sinne von Art. 59 Abs. 2 Satz 1,1. Alt. GG geht.

b) Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Verordnungsermächtigung Wenn also die Legislative die Exekutive gemäß Art. 80 Abs. 1 GG im Sinne einer Delegation einer Rechtssetzungsbefugnis dazu ermächtigen kann bzw. der Exekutive das autonome Recht zusteht, völkervertraglichen Regelungen auf inter314

So insbesondere Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 42; siehe auch Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 36.

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nationaler Ebene zuzustimmen und diese durch Rechtsverordnung in innerstaatliches Recht umzusetzen, so bleibt noch zu erörtern, welchen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen die Ermächtigung unterliegt. Dabei soll allerdings kein weiterer Diskussionsbeitrag zur allgemeinen dogmatischen Einordnung und Konkretisierung des Art. 80 Abs. 1 GG präsentiert werden. Insbesondere die weiterhin intensiv diskutierte Frage nach dem Verhältnis von allgemeinem Parlamentsvorbehalt und Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG soll hier nicht aufgegriffen werden. 315 Dies läßt sich auch rechtfertigen, wenn man sich der heute zunehmend vertretenen Auffassung anschließt, daß - solange keine grundlegende Wende in der Rechtsprechung des BVerfG eintritt - ein maßgeblicher Erkenntnisgewinn aus der angesprochenen Diskussion nicht zu erwarten ist; im Ergebnis sind kaum Unterschiede in der verfassungsrechtlichen Bewertung einzelner Sachfragen zu erwarten, die im Zusammenhang mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG auftreten. 316 Worauf es in erster Linie bei einer Betrachtung der internationalisierten Verordnungsgebung im Lichte des Art. 80 Abs. 1 GG ankommt, ist die Erörterung spezifischer Rechtsprobleme, die sich gerade aus dem in der Staatspraxis ausgesprochen gebräuchlichen völkerrechtlichen Bezug der Verordnungsgebung ergeben. Dabei spielt insbesondere die Frage nach der Bedeutung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG bei der internationalisierten Verordnungsgebung eine entscheidende Rolle. Über die Konturen der Vorschrift besteht - unabhängig von der angesprochenen Streitfrage nach dem prinzipiellen Verhältnis zum Parlamentsvorbehalt im Kern Einigkeit: Mit der Formulierung, daß der parlamentarische Gesetzgeber „Inhalt, Zweck und Ausmaß" der Verordnungsermächtigung gesetzlich normieren muß, wird im wesentlichen, ohne daß eine strikte Differenzierung der drei Merkmale erfolgt, 317 auf materiell-inhaltliche Anforderungen im Sinne der Selbstentscheidungs-, der Vorhersehbarkeits- und der Programmformel abgestellt.318 Auch wenn das BVerfG die drei Formeln nicht zwangsläufig gleichberechtigt verwendet, bieten sie doch handhabbare Anhaltspunkte, um das verfassungsrechtlich

315 Statt vieler hierzu Nierhaus, in: Burmeister (Hrsg.), FS Stern, 717 ff.; ders., in: Bonner Kommentar, Art. 80 Rdnr. 89 ff.; Cremer, AöR 122 (1997), 248 ff., jeweils mit umfangr. Nachw. 316

Nierhaus, in: Bonner Kommentar, Art. 80 Rdnr. 133; ders., in: Burmeister (Hrsg.), FS Stern, 717 (731). 317 318

BVerfGE 38,348 (357 f.); H. Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 80 Rdnr. 28.

B. Busch, Das Verhältnis des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG zum Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt, 115; Nierhaus, in: Burmeister (Hrsg.), FS Stern, 717 (723); ders., in: Bonner Kommentar, Art. 80 Rdnr. 78; Lücke, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 80 Rdnr. 25; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 80 Rdnr. 11.

556

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

geforderte „hinreichende" Bestimmtheitsniveau319 im Einzelfall bestimmen zu können. 320 Der hierzu insbesondere von Ossenbühl vorgebrachten Kritik 3 2 1 muß entgegengehalten werden, daß sich - wie bereits dargestellt - das für Art. 80 Abs. 1 GG relevante Gewaltenteilungsprinzip 322 des Grundgesetzes von vornherein nicht auf eine starre, abstrakt-generelle und definitorisch abschließend zu fassende Formel reduzieren läßt. Daher ist es nur konsequent, wenn auch die Voraussetzungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG keiner letztbegründbaren „Bestimmtheit" unterworfen werden können, sondern es eben „nur" auf die hinreichende Bestimmtheit im Einzelfall ankommt. Ausgehend von dieser allgemeinen Erkenntnis sind die verfassungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der internationalisierten Verordnungsgebung zu bewerten. Die von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG geforderte Bestimmtheit („Inhalt, Zweck und Ausmaß") der Verordnungsermächtigung läßt sich zunächst dahingehend konkretisieren, daß es im Sinne der Vorhersehbarkeits-, Selbstentscheidungs- und Programmformel im Kern darauf ankommt, daß der parlamentarische Gesetzgeber selbst „das von der ermächtigenden Stelle im Verordnungswege abzuarbeitende Normprogramm absteckt." 323 Ob diese Voraussetzung im Einzelfall erfüllt ist, muß anhand juristischer Auslegung ermittelt werden. Diese hat sich nicht nur auf die konkrete Ermächtigungsnorm zu beschränken, sondern muß umfassend das fragliche Gesetz berücksichtigen. 324 Entscheidende Bedeutung kommt dabei der Frage zu, ob die Verordnung vom Zweck der Ermächtigung als maßgeblichem Referenzbezug in Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG gedeckt ist. 325 In diesem Zusammenhang der primär an teleologischen Gesichtspunkten ausgerichteten Auslegung können auch andere gesetzliche Vorgaben Berücksichtigung finden. Eine ausdrückliche grammatikalische oder durch - insbesondere historische - Auslegung zu ermittelnde implizite legislative Bezugnahme ist dabei allerdings nicht erforderlich. 326 Ausgehend von diesen Regeln zur Ermittlung des legislativen Normprogrammes ist im Einzelfall zu fragen, welcher Grad an Bestimmtheit der Verordnungsermächtigung zukommen muß. Angesichts der Vielschichtigkeit der Regelungs319

BVerfGE 55, 207 (226); 69, 162 (167).

320

Nierhaus, in: Bonner Kommentar, Art. 80 Rdnr. 288.

321

Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 64 Rdnr. 18.

322

Zum Zusammenhang von Art. 80 Abs. 1 GG und dem Gewaltenteilungsprinzip statt vieler Nierhaus, in: Bonner Kommentar, Art. 80 Rdnr. 71 ff. 323

So prägnant Ziekow, JZ 1999, 963 (967).

324

Vgl. BVerfGE 58,257 (277); 62,203 (210); 85,97 (105); Ziekow, JZ 1999,963 (967).

325

Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 80 Rdnr. 12.

326

Vgl. BVerfGE 78, 249 (274 f.); Ziekow, JZ 1999, 963 (967).

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

557

materien, in denen es zu exekutiver Rechtssetzung im Sinne von Art. 80 Abs. 1 GG kommt, läßt sich auch hier keine allgemeingültige Grenzziehung vornehmen; vielmehr ist immer eine einzelfallabhängige Prüfung notwendig. Aufgrund der Grundrechtsrelevanz vieler exekutiver Rechtssetzungen (Art. 2 Abs. 1 GG), ist dabei insbesondere auf die Bedeutung des jeweils betroffenen Grundrechts und die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit abzustellen.327 Zusätzlich muß auf die Eigenarten der jeweiligen Regelungsmaterie geachtet werden, 328 so daß namentlich bei vielgestaltigen Sachverhalten und bei absehbaren Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse geringere Anforderungen an die Bestimmtheit nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG zu stellen sind. 329 Bei der Anwendung der dargestellten Konkretisierungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG auf die internationalisierte Verordnungsgebung stellt sich an erster Stelle die Frage, inwieweit die Vorschrift ihrer grundlegenden ratio nach überhaupt vollumfänglich Anwendung findet, soweit eine exekutive Rechtssetzung mit internationalen Bezügen zur Debatte steht. Sieht man Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG in untrennbarer Verbindung mit dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als in erster Linie etatistische Verfassungsvorgaben, so läßt sich mit guten Gründen argumentieren, daß die von der Vorschrift erfaßte Verantwortungsverlagerung vom Parlament auf die Exekutive im Bereich der Rechtssetzung nicht oder jedenfalls nur in abgeschwächter Intensität greift, soweit die Rechtssetzungsverantwortung außerhalb der staatlichen Jurisdiktion angesiedelt ist. Vor diesem Hintergrund wird zumindest für die Umsetzung von Gemeinschaftsrecht mittels Rechtsverordnung angenommen, daß Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG eine abgeschwächte Wirkkraft entfaltet. 330 Da sich dieses Ergebnis allerdings auf Art. 23 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem anerkannten Vorrang des Gemeinschaftsrechts stützt, 331 erscheint eine unbesehene Übernahme in den Bereich der internationalisierten Verordnungsgebung problematisch. 327

Vgl. BVerfGE 56,1 (13); 58,257 (277 f.); 62,203 (210); Nierhaus, in: Bonner Kommentar, Art. 80 Rdnr. 290 f.; H. Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 80 Rdnr. 32; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 80 Rdnr. 12. 328 BVerfGE 58, 257 (277 f.); H. Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 80 Rdnr. 30 f. 329

Vgl. BVerfGE 58, 257 (278); H. Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 80 Rdnr. 31; Nierhaus, in: Bonner Kommentar, Art. 80 Rdnr. 292. 330

Scheuing, EuR 1985, 229 (235); Ehlers, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rdnr. 49; H. Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 80 Rdnr. 31; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 80 Rdnr. 12a; Collies, NVwZ 1998, 8 (12 f.); ähnlich Nierhaus, in: Bonner Kommentar, Art. 80 Rdnr. 317. 331

Statt vieler Nierhaus, in: Bonner Kommentar, Art. 80 Rdnr. 317; Pieroth, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 80 Rdnr. 12a.

558

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

Auch für die internationalisierte Verordnungsgebung muß aber im Ergebnis eine abgeschwächte Wirkkraft des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG angenommen werden. Dabei sind für die Begründung hierfür zwei - sich zum Teil überschneidende Szenarien zu unterscheiden: In eine erste Fallgruppe sind die Verordnungsermächtigungen einzuordnen, die dazu führen, daß die Exekutive völkerrechtlichen Regelungen auf internationaler Ebene mit der Folge der BindungsWirkung für die Bundesrepublik Deutschland zustimmt und sie anschließend in innerstaatliches Recht umsetzt, ohne daß im Vorfeld bereits eine völkervertragliche Rechtsgrundlage für das Handeln bestand. Eine solche Ermächtigung der Exekutive zum Inkraftsetzen völkerrechtlicher Regelungen ist nach Art. 59 Abs. 2 GG nur zulässig, wenn es sich um eine Regelungsmaterie handelt, die im Sinne der Wesentlichkeitstheorie nicht vollumfänglich von der Legislative normiert werden muß; dies sowie die in diesem Zusammenhang ohnehin zu konstatierende Begrenzung der Wirkkraft der Wesentlichkeitstheorie wurde bereits dargestellt. 332 Damit entscheidet sich die Zulässigkeit exekutiver - völkerrechtlicher - Rechtssetzung im Rahmen des Art. 59 Abs. 2 GG. Einzelne Fälle, in denen ein Konflikt mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG auftritt, wenn es um die spätere innerstaatliche Umsetzung durch Rechtsverordnung geht, sind daher kaum denkbar. Überdies muß beachtet werden, daß die Fälle exekutiver völkerrechtserheblicher Handlungen im Bereich des internationalisierten Verwaltungshandelns in der Regel dadurch gekennzeichnet sind, daß nur im Rahmen internationaler Kooperation eine Lösung der bestehenden Sachprobleme herbeigeführt werden kann. Die diesbezüglich zu konstatierende Insuffizienz nationalstaatlicher Regelungsanstrengungen bedingt per se eine nur begrenzte einzelstaatliche parlamentarische Entscheidungsgewalt. Dies führt dazu, daß der Normativität des zu regelnden Sachbereiches enge Grenzen gesetzt sind. Nach der Rechtsprechung des BVerfG zur Wesentlichkeitstheorie ist nun aber gerade auf die Normativität eines Regelungsbereiches abzustellen, um den Grad der parlamentarisch zu determinierenden Bestimmtheit zu erfassen, da der Gesetzgeber eben nur „in allen grundlegenden normativen Bereichen die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen" hat. 333 Hieraus folgt, daß mit abnehmender Normativität auch die Anforderungen an den Parlamentsvorbehalt bzw. das Bestimmtheitskriterium des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG abnehmen. Mit anderen Worten: Je komplexer und vielschichtiger und damit schwieriger eine Regelungsmaterie im parlamentarischen Prozeß zu normieren ist, desto mehr Verantwortung kommt im Gewaltenteilungsmodell des Grundgesetzes der exekutiven Rechtsset-

332 333

Supra Teil 7, A. II. 2.

BVerfG, NJW 1998, 669 (670), unter Verweis auf BVerfGE 49, 89 (126); 77, 170 (230 f.).

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

559

zung zu. 3 3 4 Dies ist verfassungsrechtlich nicht zuletzt deshalb geboten, weil andernfalls das für die Legitimität des staatlichen Handelns notwendige Maß an praktischer Rationalität nicht gewährleistet wäre. 335 Im innerstaatlichen Recht ist diese Schlußfolgerung insbesondere für das Risikoverwaltungsrecht weitgehend anerkannt. 336 Da sich auch das internationalisierte Verwaltungsrecht, wie die Darstellung der ausgewählten Referenzgebiete gezeigt hat, in weitem Maße als Risikoverwaltungsrecht darstellt, kann die anerkannte Dogmatik unproblematisch übernommen werden. Überdies ist insgesamt zu konstatieren, daß die faktische Notwendigkeit internationaler Kooperation in technisch-administrativen Detailfragen des internationalisierten Verwaltungshandelns die Normativität der Regelungsmaterien hinsichtlich der Gestaltungsmacht des nationalen parlamentarischen Gesetzgebers grundlegend in Frage stellt. Daraus ergibt sich eine weitgehende Einschränkung der Wirkkraft des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG bzw. der Wesentlichkeitstheorie. Eine auf praktische Rationalität begründete und dementsprechend legitimierte Funktionenabgrenzung im Gewaltenteilungsmodell des Grundgesetzes, wie sie auch von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG angestrebt ist, muß hierauf im Sinne einer gestärkten Verantwortungsübertragung an die Exekutive reagieren. 337 Die zweite Fallgruppe exekutiver internationalisierter Rechtssetzung nach Art. 80 Abs. 1 GG betrifft Regelungen, die auf der Grundlage eines bereits gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG mit Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften ratifizierten völkerrechtlichen Vertrages auf internationaler Ebene durch einstimmigen Beschluß oder Mehrheitsvotum - gegebenenfalls mit der Möglichkeit des opting out- getroffen werden und anschließend durch Rechts Verordnung ihre Umsetzung in das innerstaatliche Recht erfahren. Zusätzlich zu den genannten Aspekten der Normativität, die auch hier Anwendung finden, kennzeichnet diese Fallgruppe, daß in der Gestalt des parlamentarischen Zustimmungsgesetzes ohnehin schon eine legislative Entscheidung über „Inhalt, Zweck und Ausmaß" der erteilten Rechtssetzungsermächtigung an die Exekutive vorliegt. Diese deckt sich mit der Handlungsermächtigung, die das auf internationaler Ebene tätige Beschlußorgan nach dem betreffenden völkerrechtlichen Vertrag zu beachten hat. 334

Nierhaus, in: Bonner Kommentar, Art. 80 Rdnr. 297.

335

Vgl. supra Teil 7, A. II. 3. b).

336

Umfassend Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 448 ff. und passim; Nierhaus, in: Bonner Kommentar, Art. 80 Rdnr. 298. 337

Dieser Aspekt wird nicht ausreichend berücksichtigt, soweit an die internationalisierte Verordnungsgebung unbesehen dieselben Maßstäbe angesetzt werden, die außerhalb des Risikoverwaltungsrechts i. w. S. für klassische staatliche Regelungsbereiche mit hoher Normativität gelten. So aber z. B. Kotulla, Zeitschrift für Wasserrecht 2000,85 ff.; ähnlich, jedoch deutlich differenzierter in der Analyse Ziekow, JZ 1999, 963 ff.

560

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

Überschreitet es diese, liegt ein Ultra-vires- Handeln vor, das - trotz aller Schwierigkeiten, die hinsichtlich der Frage bestehen, wer unter welchen Voraussetzungen sich hierauf berufen kann - im Ergebnis grundsätzlich zur Unwirksamkeit des Organaktes führt. 338 Durch den Verweis in einer Verordnungsermächtigung auf einen von der Bundesrepublik gemäß Art. 59 GG ratifizierten völkerrechtlichen Vertrag, der seinerseits die Möglichkeit des Erlasses sekundären Vertragsrechts zuläßt, ist damit im Ergebnis eine hinreichende Bestimmtheit i. S. v. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG in der Regel gegeben.339 Problematisch ist allerdings, wie genau der Verweis in einer Ermächtigungsnorm i. S. v. Art. 80 Abs. 1 GG auf ein völkerrechtliches Normprogramm sein muß. Soweit der völkerrechtliche Vertrag und seine einzelnen Regelungen, auf die sich die durch Rechtsverordnung in das innerstaatliche Recht zu inkorporierende Normsetzung bezieht, ausdrücklich bezeichnet ist, bestehen keine weiteren verfassungsrechtlichen Bedenken.340 Das gilt auch für die sekundäre völkerrechtliche Rechtssetzung. Auch hier ist es hinreichend, wenn der ratifizierte Vertrag, der die sekundäre Rechtssetzung vorsieht, in der entsprechenden deutschen Ermächtigungsnorm genannt ist. Dabei ist auch nicht entscheidend, ob der Vertrag seinem Wortlaut nach unmittelbar erkennen läßt, welchen Voraussetzungen die sekundäre völkerrechtliche Rechtssetzung unterliegt. Wie auch für rein innerstaatliche Regelungsbereiche nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG anerkannt, genügt es insofern, wenn durch Auslegung ermittelt werden kann, welche Regelungen in welchem Ausmaß durch einen völkerrechtlichen Organakt beschlossen werden können. Die anzuwendenden Auslegungsgrundsätze ergeben sich dabei allerdings nicht aus dem deutschen Recht, sondern sind den Art. 31 f. W V K zu entnehmen. Dies folgt aus der auch vom BVerfG anerkannten Erkenntnis, daß ein völkerrechtlicher Vertrag unabhängig vom prinzipiellen Theorienstreit zwischen Vollzugs- und Transformationstheorie angesichts der völkerrechtsfreundlichen Haltung des Grundgesetzes anhand der völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze, wie sie in Art. 31 f. W V K als Gewohnheitsrecht kodifiziert sind, zu interpretieren ist. 341 Damit kommen auch die völkerrechtlich anerkannten Lehren zu implied powers und effet utile

338 Zu den problematischen Rechtsfragen im Zusammenhang mit einem Ultra-viresHandeln eines internationalen Organes statt vieler E. Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rdnr. 192 ff. m. w. N. 339

So i. E. auch BVerfG, NJW 1998, 669 (671); Ziekow, JZ 1999, 963 (968).

340

Ziekow, JZ 1999, 963 (967 ff.).

341

Vgl. z. B. BVerfGE 4, 157 (168); 46, 342 (361); siehe auch Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 443; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 64; Rojahn, in: von Münch/ Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 33.

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

561

zur Anwendung, 342 wodurch sich insgesamt eine weitgehende Verschränkung völkerrechtlicher und verfassungsrechtlicher Rechts vorgaben mit Blick auf die Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ergibt. Weiterhin zu klären bleibt, ob ein schlichter Verweis in einer Ermächtigungsnorm im Sinne von Art. 80 Abs. 1 GG auf völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik den Bestimmtheitsanforderungen der Vorschrift genügt. Soweit sich durch Auslegung des entsprechenden Gesetzes keine Anhaltspunkte dafür finden lassen, um welche konkreten völkerrechtlichen Verpflichtungen es sich handelt, wird man dies ablehnen müssen.343 Läßt sich hingegen aus dem Ermächtigungsgesetz selbst, gegebenenfalls unter Beachtung der Gesetzgebungsgeschichte, interpretatorisch ableiten, welche einzelnen völkerrechtlichen Verpflichtungen durch Rechtsverordnung umzusetzen sind, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.344 Wie konkret der intepretatorisch zu ermittelnde Verweis auf einzelne völkerrechtliche Verpflichtungen dabei sein muß, läßt sich nicht generell festlegen. Dies ist im Einzelfall zu prüfen. Als Faustregel kann aber der Grundsatz gelten, daß mit zunehmender Regelungsdichte der innerstaatlichen Ermächtigungsnorm die Anforderungen an die Bestimmtheit der spezifischen völkerrechtlichen Verpflichtung, um deren innerstaatliche Umsetzung es geht, abnehmen. Ebenfalls unbedenklich ist es, wenn der Gesetzgeber die Exekutive dazu ermächtigt, durch Rechtsverordnung völkerrechtlich unverbindliche Regelungen in das innerstaatliche Recht umzusetzen. Als Beispiel für eine solche Regelungstechnik kann auf den bereits genannten § 9 Abs. 1 Nr. 2 SeeAufgG verweisen werden. Nach dieser Vorschrift erfolgt die „Umsetzung von Empfehlungen internationaler Konferenzen über das Befahren innerer Gewässer" durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Verkehr. Da diesbezüglich jedoch keine unmittelbare völkerrechtliche Bindung der Bundesrepublik vorliegt, ist die Erfüllung des Bestimmtheitsgrundsatzes nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG zuvörderst anhand einer Auslegung des Ermächtigungsgesetzes zu prüfen. Ergänzend kann jedoch die entsprechende internationale Empfehlung herangezogen werden, da auch sie zumindest dann an den Verfassungsvorgaben zur Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung partizipiert, wenn es um die Auslegung des nationalen Rechts geht. Dies folgt aus der im Völkerrecht - als maßgeblichem 342

Hierzu statt vieler E. Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn. Rdnr. 190 f.; Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 6 Rdnr. 9 ff. 343 344

Ziekow, JZ 1999, 963 (969).

So auch Ziekow, JZ 1999, 963 (969); zu § 6a WHG grundlegend anders aber wenig differenziert Kotulla, Zeitschrift für Wasserrecht 2000, 85 (95 ff.), m. w. N. zum Streitstand.

562

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

Referenzgebiet - zu konstatierenden Relativierung der in Art. 38 Abs. 1 IGHStatut genannten Rechtsquellen.345 Die Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Verfassungsordnung gebietet es insofern, die dynamische Rechtsquellenentwicklung im Völkerrecht, insbesondere was die nicht zu übersehende Bedeutung unverbindlicher Empfehlungen im Bereich des internationalisierten Verwaltungshandelns betrifft, zu rezipieren. Überdies ist zu beachten, daß der innerstaatliche Gesetzgeber durch den Verweis auf unverbindliche völkerrechtliche Empfehlungen diese unabhängig von ihrer Bindungswirkung entsprechend dem Selbstentscheidungsgrundsatz als Maßstab des deutschen Rechts heranzieht. 346 Dadurch wird nicht nur die grundlegende ratio des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG gewahrt, sondern verdeutlicht, daß eine funktional verbundene Einheit der für das internationalisierte Verwaltungshandeln maßgeblichen Rechtserkenntnisquellen aus dem nationalen und dem internationalen Rechtsraum besteht.347 Keine Bedeutung kann dabei dem Umstand zukommen, daß die in Bezug genommene internationale Empfehlung für sich nicht in das innerstaatliche Recht „transformiert" wurde. 348 Der formalistische Verweis auf ein Transformationserfordernis ist mit der dargestellten Relativierung der völkerrechtlichen Rechtsquellenlehre sowie mit der anzuerkennenden gegenseitigen Beeinflussung der nationalen und der internationalen Rechtserkenntnisquellen unvereinbar. A l l dies gilt im wesentlichen auch für einzelne Regelungen in Ermächtigungsnormen, die durch einen Verweis auf völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik oder Empfehlungen einschlägiger internationaler Institutionen das „Ausmaß" der Verordnungsgebung im Sinne von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG begrenzen. Soweit auf völkerrechtliche Verpflichtungen als Ausmaßbegrenzung verwiesen wird, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn es sich um - gegebenenfalls durch Auslegung zu ermittelnde - konkrete rechtsnormative Vorgaben handelt, die durch Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG in das deutsche Recht umgesetzt wurden. 349 Demgegenüber wird aber zum Teil vertreten, daß anders als für das EG-Recht eine allgemeine ausmaßbegrenzende Heranziehung des Völkerrechts als solches nicht in Betracht komme, wenn keine konkrete „Transformation" erfolgt sei. 350 Dem ist entgegenzuhalten, daß die auch für die 345

Hierzu supra Teil 5, A. I.

346

Vgl. zu dieser Voraussetzung BVerfG, NJW 1998, 669 (671).

347

Hierzu noch vertiefend infra Teil 7, B. IV.

348

Auf die zwingende „Transformation 44 jeder völkerrechtlichen Regelung, auf die sich eine Verordnungsermächtigung bezieht, stellt ab Ziekow, JZ 1999,963 (969); ähnlich wohl

Czychowski, ZUR 1997, 71 (73). 349 Ziekow, JZ 1999,963 (969 f.). 350 Ziekow, JZ 1999, 963 (969).

A. Kompetenzordnung des Grundgesetzes

563

Ausmaßbegrenzung entscheidende Selbstentscheidung des Gesetzgebers unabhängig von einer konkreten „Transformation" gegeben ist, wenn auf völkerrechtliche Verpflichtungen verwiesen wird. Insoweit vermittelt das verfassungsrechtliche Gebot der Völkerrechtsfreundlichkeit, das umfassend alle Staatsorgane zur völkerrechtsfreundlichen Interpretation des nationalen Rechts verpflichtet, 351 die notwendige Legitimation für die Konkretisierung einer zunächst nur pauschal formulierten Ausmaßbegrenzung durch den Gesetzgeber. Dies ist qualitativ mit der anerkannten Erkenntnis vergleichbar, daß ein pauschaler Verweis auf das EGRecht kraft dessen Vorrang vor dem innerstaatlichen Recht im Lichte des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG unbedenklich ist. 352 Auch der Verweis auf unverbindliche Empfehlungen aus dem internationalen Rechtsraum als Ausmaßbegrenzung nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ist verfassungsrechtlich zulässig. Wenn z. B. nach § 6 Satz 1 Gesetz über den Amateurfunk 3 5 3 das Bundesministerium für Post und Telekommunikation (jetzt Bundesministerium für Wirtschaft) ermächtigt ist, zur Regelung der technischen und betrieblichen Rahmenbedingungen für die Durchführung des Amateurfunkdienstes Rechtsverordnungen unter Berücksichtigung u. a. einschlägiger internationaler Empfehlungen zu erlassen, so bringt der Gesetzgeber hierdurch zum Ausdruck, daß die genannten Empfehlungen kraft innerstaatlicher legislativer Entscheidung zum rechtserheblichen Maßstab erhoben werden. Ein qualitativer Unterschied zwischen dieser parlamentarischen Festlegung und einer ausdrücklichen Übernahme internationalen Rechts in den innerstaatlichen Rechtsraum nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ist nicht gegeben. Überdies erfolgt die Bezugnahme auf internationale Empfehlungen regelmäßig nur unter Verweis auf eine Berücksichtigungspflicht. Damit gewährleistet der Gesetzgeber, daß dem Verordnungsgeber im Rahmen seines Verordnungsermessens die Letztentscheidungsbefugnis darüber zusteht, ob und gegebenenfalls inwieweit er unverbindliche Empfehlungen berücksichtigen will. Dies entspricht der verfassungsrechtlich heute als geklärt anzusehenden Rechtslage einer als Ausmaßbegrenzung ausgestalteten Verweisung auf Entscheidungen korporativistisch verfaßter Gremien, denen als solches keine Rechtssetzungsgewalt zukommt. Diese Form der legislativen Begrenzung des Ausmaßes exekutiver Rechtssetzung im Sinne von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ist verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn gesichert ist, daß der rechtssetzenden Exekutive im Rahmen des Verordnungsgebungsermessens ein Letztentscheidungsrecht zu351 BVerfGE 63, 1 (20); Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 25 Rdnr. 4; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 24 Rdnr. 4, jeweils m. w. N. 352

Hierzu hinsichtlich des EG-Rechts Ziekow, JZ 1999, 963 (969).

353

Vom 23. Juni 1997, BGBl. 1997 I, 1494.

564

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

steht. 354 Indem in der internationalisierten Verordnungsermächtigung nur die „Berücksichtigung" unverbindlicher internationaler Empfehlungen gefordert wird, bleibt gesichert, daß die verantwortliche Letztentscheidung über die Ausrichtung einer innerstaatlichen Rechtsverordnung an internationalen Standards von der rechtssetzenden Exekutive getroffen wird. Dabei wird allerdings regelmäßig eine zumindest faktische Einengung des Ermessensspielraumes dergestalt gegeben sein, daß es zur Berücksichtigung der internationalen Empfehlungen kommt. Das sich damit ergebende Zusammenspiel von innerstaatlicher Letztentscheidung der normsetzenden Exekutive und faktischer Bedeutung von unverbindlichen internationalen Empfehlungen zeigt nochmals deutlich auf, daß sich das internationalisierte Verwaltungshandeln als dezentralisiert-kooperative Aufgabenerledigung in einem Mehrebenensystem vollzieht. Die positivistischen Grenzen der strikten Rechtsquellenbindung, wie sie idealtypisch Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut und Art. 25 GG sowie Art. 59 Abs. 2 GG zugrunde liegen, lösen sich dabei zunehmend auf.

c) Zusammenfassung und Ausblick Insgesamt kann festgehalten werden, daß sich die internationalisierte Verordnungsgebung kohärent in das verfassungsrechtliche Normenprogramm für die exekutive Rechtssetzung einfügt. Wie auch in der innerstaatlichen Rechtsordnung zu konstatieren, stellt die internationalisierte Verordnungsgebung ein wesentliches Element fremdgesteuerter und zugleich eigenverantwortlicher exekutiver Aufgabenwahrnehmung dar. Die als verfassungsrechtliche Herausforderung zu sehende Besonderheit der internationalisierten Verordnungsgebung liegt allerdings weniger in dem gegenwärtig ohnehin bestehenden Trend begründet, an eine quantitativ zunehmende exekutive Rechtssetzung graduell abnehmende Bestimmtheitsanforderungen im Sinne von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG zu stellen, 355 sondern ist vielmehr im Zusammenspiel mit Art. 59 Abs. 2 GG zu sehen. Unabhängig davon, ob man die internationalisierte Verordnungsgebung in ihrer völkerrechtlichen Dimension als antizipierte Zustimmung der Legislative zum Abschluß bzw. zur Änderung eines völkerrechtlichen Vertrages im Sinne von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, als Delegation von Rechtssetzungsgewalt oder als autonome Rechtssetzungsbefugnis gemäß Art. 80 Abs. 1 GG ansieht, steht nämlich zumindest fest, daß in diesem Bereich exekutiven Handelns das Parlament seine Stellung als „Herr der Gesetz354

Vgl. BVerfGE 28, 66 (82 ff); Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HbdStR Bd. III, § 64 Rdnr. 60 f. 355

Hierzu statt vieler Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 178 ff. m. w. N.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

565

gebung" 356 verliert. Dies ergibt sich aus der völkerrechtlichen BindungsWirkung, die mit der Zustimmung der Exkekutive zu einem Vertragsabschluß oder einer Vertragsänderung auf internationaler Ebene eintritt. Dadurch verliert das oftmals als verbleibender Kernbereich der Legislative umschriebene Rückholrecht bei der Verordnungsermächtigung 357 seine Bedeutung. Soweit man diesen Umstand verfassungsrechtlich ausschließlich binnenorientiert-etatistisch bewertet, mag hier Kritik angezeigt sein. Dabei würde jedoch verkannt werden, daß durch die verfassungsrechtlichen Verweise im Grundgesetz auf die Einbindung des Völkerrechts in die deutsche Rechtsordnung (insbesondere Art. 24, 25 und 59 Abs. 2 GG) ohnehin eine Relativierung legislativer Entscheidungsmacht innerhalb des Staates stattfindet, und zwar selbst dann, wenn keine Übertragung von Hoheitsrechten i. S. v. Art. 24 Abs. 1 GG vorliegt. Dieses Phänomen offener Staatlichkeit ist verfassungsrechtlich gewollt und kann daher nicht als solches verfassungsrechtlich kritisiert werden. Der Verlust an legislativer Macht dahingehend, der Exekutive eine erteilte Verordnungsermächtigung wieder zu entziehen, ist insoweit eine Konsequenz der anzuerkennenden funktionalen Einheit von internationalem und nationalem Recht. 358 Überdies ist der so zu konstatierende Verantwortungszuwachs der Exekutive vor dem Hintergrund der ausführlich dargestellten Legitimation staatlichen Handelns unter dem Gesichtspunkt praktischer Rationalität und unter Verweis auf die Überlegungen zu den Verwaltungsaufgaben im Sinne einer allgemeinen „Legitimation durch Aufgaben" {Dieter Grimm) auch zu rechtfertigen.

B. Das internationalisierte Verwaltungshandeln in der Diskussion über das Verhältnis von innerstaatlichem öffentlichem Recht und internationalem Recht I. Einleitende Überlegungen und grundlegende verfassungsrechtliche Vorgaben Die Völker- und staatsrechtstheoretische Grundkonzeption des Verhältnisses von innerstaatlichem und internationalem Recht geht auf die von Triepel machtvoll und stringent herausgearbeitete strikte Trennungsthese und auf die später von 356

Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rdnr. 11.

357

Statt vieler Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rdnr. 11; Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 179 f. 358

Hierzu noch vertiefend infra Teil 7, B. IV.

566

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

Verdross begrifflich präzisierte Systematik des Widerstreites von Dualismus und Monismus zurück. 359 Die dem „Streit" zwischen Monismus und Dualismus zugrundeliegenden rechtstheoretischen, vielfach von deutlichen Vorverständnissen zur prinzipiellen Rolle und Bedeutung des souveränen Staates sowie zur normativen Wirkkraft der Völkerrechtsordnung geprägten Konzepte wurden im Schrifttum schon vielfach erörtert. 360 Betrachtet man insoweit die vorgebrachten Argumente und theoretischen Konzepte, stellt sich freilich schnell die Frage, inwieweit die Diskussion heute noch einen nachhaltigen Erkenntnisgewinn bringen kann. Hinzu kommt, daß mit einiger Gewißheit davon ausgegangen werden kann, daß aufgrund sich annähernder inhaltlicher Vorstellungen und insbesondere auch im Lichte der Staatenpraxis mögliche rechtliche Divergenzen bei der Anwendung einer monistischen oder einer dualistischen Konstruktion kaum auszumachen sind. 361 Wenn es zu Unterschieden in der rechtlichen Bewertung einzelner staatsoder völkerrechtlicher Probleme kommt, ist dies in der Regel weniger auf die prinzipielle Frage nach Monismus oder Dualismus zurückzuführen als vielmehr auf einzelne konkrete Rechtssätze, die aus einer der beiden „Theorien" abgeleitet werden. Dies betrifft insbesondere die Frage nach den möglichen Formen der Umsetzung völkerrechtlicher Verpflichtungen in die innerstaatliche Rechtsordnung. Der Diskussion zu Monismus und Dualismus liegen in ihrer inhaltlichen Reichweite weitgehend rechtstheoretische und rechtsphilosophische Vorverständnisse zur Rolle des Staates in einem internationalen System, das seinen Rechtsstatus und sein konkretes Verhalten normativ determiniert, zu Grunde. Mit dieser Aussage soll freilich nicht negiert werden, daß es einen gewichtigen rechtstheoretischen Erkenntnisgewinn der Monismus/Dualismus-Disküssion gibt. Um aber den heutigen Herausforderungen gerade im internationalisierten Verwaltungshandeln gerecht zu werden, erscheint es angezeigt, über die weitgehend eingefahrenen Argumentationspfade hinausgehende Erklärungsansätze zum Verhältnis von innerstaatlichem Recht und Völkerrecht zu suchen. Dies gebietet sich insbesondere vor dem Hintergrund, daß die Monismus/Dualismus-Debatte in ihrem Kern historisch bedingt ist. 362 Die umfassende Souveränität des Nationalstaates wurde zur Zeit 359

Supra Teil 1,F. II. ff.

360

Siehe z. B. die Darstellungen bei Guggenheim, Lehrbuch des Völkerrechts I, 19 ff.; Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, 128 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rdnr. 696 ff.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 71 ff.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 98 ff. 361

Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 100; ähnlich Kunig, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Abschn. Rdnr. 28. 362 Hierzu auch der Überblick von Sperduti, m. w. N.

in: FS Miaja de la Muela, Bd. I, 459 ff.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

567

Triepels bei aller Kritik von Seiten der Vertreter des Monismus kaum in Frage gestellt. Trotz der bereits aufgezeigten fortschreitenden Interdependenz der Staaten im 19. Jahrhundert und der Herausarbeitung einer eigenständigen Lehre eines internationalen Verwaltungsrechts, u. a. bei Robert von Mohl und Lorenz von Stein, blieb es in der Staatslehre immer bei einer Betrachtung des Staates als Einheit und Ganzheit. An dieser staatsintrovertierten Sichtweise sollte sich auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wenig ändern. 363 Nur vor diesem Hintergrund läßt sich die Monismus/Dualismus-Debatte verstehen. Gleichzeitig wird deutlich, daß mit dem Wandel des Staatsbildes im ausgehenden 20. Jahrhundert 364 der Verweis auf eindimensionale dualistische oder monistische Theorien immer problematischer wurde. 365 Worauf es heute ankommt, ist nach einem adäquaten, rechtlich abgesicherten Konzept zu suchen, das die empirisch für das internationalisierte Verwaltungshandeln bereits dargelegte Verzahnung von innerstaatlichem und internationalem Recht im Interesse einer Konvergenz nationaler und internationaler Ordnungsvorstellungen 366 zutreffend erfaßt. 367 Aus deutscher verfassungsrechtlicher Sicht bestehen keine Bedenken, eine Relativierung dualistischer und monistischer Vorstellungen zum Verhältnis von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht zu begründen. Das Grundgesetz enthält sich einer klaren Position zu dieser Frage. Betrachtet man die beiden maßgeblichen Vorschriften, denen Aussagen zum Verhältnis des nationalen Rechts zum Völkerrecht zu entnehmen sind, Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG, zeigt sich eine indifferente Haltung, die nur als dogmatische Offenheit gegenüber der Dualismus/ Monismus-Debatte als auch hinsichtlich der hiermit zusammenhängenden Frage nach der Transformations- oder Vollzugslehre bezeichnet werden kann. 368 Daß sich das Grundgesetz nicht von vornherein auf ein bestimmtes und umfassendes Modell des Verhältnisses zum internationalen Recht festlegt, entspricht auch 363

Ausführlich zu den staatsintrovertierten Konzepten der Staatslehre im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 49-90 m. w. N. 364 Hierzu umfassend Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, passim. 365

Thürer, SZIER 1999, 217 ff.; zum Problem auch Fleiner-Gerster, in: Haller/Kölz/ Müller/Thürer (Hrsg.), FS Schindler, 687 ff.; Sperduti, in: FS Miaja de la Muela, Bd. 1,459 (475 f.). 366

Hierzu bereits supra Teil 4, B. III.

367

Hierzu nochmals Thürer, SZIER 1999, 217 ff.; Fleiner-Gerster, in: Haller/Kölz/ Müller/Thürer (Hrsg.), FS Schindler, 687 ff.; Sperduti, in: FS Miaja de la Muela, Bd. 1,459 (475 f.). 368

Steinberger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, § 173 Rdnr. 43; Partsch, BDGVR 6 (1964), 48 ff.

568

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

seiner völkerrechtsfreundlichen Grundhaltung. Als rechtsprinzipielle Entscheidung verlangt sie strukturell danach, sachangemessen auf neue Entwicklungen im Verhältnis Staatsrecht/Völkerrecht reagieren zu können; eine starre Festlegung auf ein monistisches oder ein dualistisches Konzept würde diesem Bild widersprechen. Auch das BVerfG folgt - zumindest in seiner neueren Rechtsprechung - einer offenen dogmatischen Position hinsichtlich des theoretischen Verhältnisses von innerstaatlichem Recht und Völkerrecht. Zu Art. 25 GG finden sich schon seit längerem keine Hinweise mehr auf eine Bedeutung als Transformationsnorm, vielmehr ist konsequent von einem allgemeinen Rechtsanwendungsbefehl die Rede. 369 Ob sich insoweit insgesamt eine Hinwendung zu eher monistischen Konzepten konstatieren läßt, mag zwar nicht abschließend nachzuweisen sein, in jedem Fall zeigt sich so jedoch eine deutliche Relativierung des vermeintlichen Widerstreits der Positionen. 370 Darüber hinaus wird auch auf Art. 59 Abs. 2 GG und seine Aussage zur Übernahme des Völkervertragsrechts bezogen zunehmend von einer dualistischen Sicht der Transformation abgewichen und nur noch eine generelle Rechtsanwendungslehre vertreten. 371 Auch wenn sich hier ebensowenig wie im Rahmen von Art. 25 GG ein eindeutiges Bekenntnis zu monistischen Konzepten ersehen läßt, muß auch insoweit zumindest eine Auflösung des lange Zeit strittigen dogmatischen Spannungsverhältnisses von Dualismus und Monismus festgestellt werden. 372

I I . Die Relativierung dualistischer und monistischer Theorien durch Übernahme des Völkerrechts in das EG-Recht Ihre rechtspositiv deutlichste Relativierung erfährt die im deutschsprachigen Schrifttum geführte Monismus/Dualismus-Debatte aber durch die Auswirkungen auf die nationale Rechtsordnung, die sich aus der Übernahme völkerrechtlicher 369

BVerfGE 46, 342 (363); siehe auch BVerfGE 6, 309 (363); 23, 288 (316); 27, 253 (274); anders noch BVerfGE 1, 397 (411); siehe auch Steinberger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, § 173 Rdnr. 42; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 25 Rdnr. 16; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 25 Rdnr. 18 ff. 370

Zu dieser Relativierung auch deutlich Steinberger, ZaöRV 48 (1988), 1 (3 ff.); Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 25 Rdnr. 18 ff. m. w. N. 371

BVerfGE 75,223 (244 f.); siehe auch E. Klein, DÖV 1999,759 Fn. 17; Steinberger, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VII, § 173 Rdnr. 42; ders., ZaöRV 48 (1988), 1 (3 ff.); Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 64 ff. m. w. N. 372

So wohl auch Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 59 Rdnr. 48.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

569

Rechtssätze in das Gemeinschaftsrecht ergeben. Die unstreitige Rechtsnatur des Gemeinschaftsrechts als Rechtsordnung eigener Art mit Vorrangwirkung gegenüber dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten - einschließlich dem nationalen Verfassungsrecht 373 - führt dazu, daß völkerrechtliche Verpflichtungen, die die EG, gegebenenfalls zusammen mit den Mitgliedstaaten, eingegangen ist, normhierarchisch dem nationalen Recht vorgehen. Dies betrifft völkergewohnheitsrechtliche Normen, 374 völkervertragsrechtliche Bestimmungen und Beschlüsse internationaler Institutionen. Der Einfluß des Völkerrechts auf die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten der EG zeigt sich dabei direkt im Rahmen der Normenhierarchie und indirekt unter Anwendung des Auslegungsgrundsatzes gemeinschafts- und völkerrechtskonformer Interpretation des nationalen Rechts. Dies hat insbesondere für das internationalisierte Verwaltungshandeln weitreichende Auswirkungen, da die Vertragsschlußkompetenzen der Gemeinschaft gerade im Verwaltungsbereich anzutreffen sind.

7. Stellung und Bedeutung des Völkervertragsrechts in der Gemeinschaftsrechtsordnung Ihren Ausgangspunkt hat die Frage nach der Bedeutung völkerrechtlicher Normen in der Gemeinschaftsrechtsordnung in der Zuerkennung völkerrechtlicher Handlungsfähigkeit der EG als Rechtssubjekt (vgl. Art. 281 EGV). 3 7 5 Die Völkerrechtssubjektivität der Gemeinschaft und die insbesondere dem Art. 300 EGV zugrundeliegende ratio verdeutlichen, daß den Organen der EG nicht nur die Befugnis zusteht, innerhalb der Gemeinschaft anwendbare Rechtsakte zu erlassen, „sondern auch gemäß den Bestimmungen des Vertrages Abkommen mit dritten Ländern und internationalen Organisationen abzuschließen".376 Soweit von dieser Befugnis Gebrauch gemacht wird, sind nach Art. 300 Abs. 7 EGV völkerrecht373

Siehe z. B. EuGH, Rs. 6/64, Costa./. ENEL, Slg. 1964,1141 ff.; Rs. 11/70, Internationale Handelsgesellschaft, Slg. 1970,1125 ff.; Rs. 106/77, Simmenthai II, Slg. 1978,629 Tz. 14 ff.; Rs. C-213/89, Factortame, Slg. 1990,1-2433 Tz. 17 ff.; BVerfGE 73,339 (375); 85, 191 (204); aus dem Schrifttum statt vieler Oppermann, Europarecht, Rdnr. 616 ff. 374

Zur hier nicht weiter erörterten Wirkung von Normen des Völkergewohnheitsrechts in der Gemeinschaftsrechtsordnung siehe EuGH, Rs. C-286/90, Anklagemyndigheden ./. Peter Michael Poulsen und Diva Navigation Corp., Slg. 1992, 1-6019 Tz. 9 ff.; Rs. C-162/96, Kacke./. Hauptzollamt Mainz, Slg. 1998,1-3655 Tz. 45 f.; Oppermann, Europarecht, Rdnr. 595 ff. m. w. N. 375 Zu Einzelheiten zur Völkerrechtssubjektivität der EG statt vieler Simma/Vedder, Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 281. 376

EuGH, Rs. 104/81, Kupferberg

I, Slg. 1982, 3641 Tz. 11.

in:

570

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

liehe Abkommen der Gemeinschaft für ihre Organe und für die Mitgliedstaaten verbindlich. 377 Der EuGH hat vor dem Hintergrund dieser Regelungen in ständiger Rechtsprechung konsequent entschieden, daß Bestimmungen eines von der Gemeinschaft geschlossenen völkerrechtlichen Abkommens „einen integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsordnung" bilden. 378 Diese in ihrem Kern nicht umstrittene Aussage erhellt, daß für die EG völkerrechtlich verbindliche Normen innergemeinschaftlich umfassend in das Gefüge der Rechtswirkungen des Gemeinschaftsrechts gegenüber den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen integriert werden. Ebenso wie dem innergemeinschaftlichen Primär- und Sekundärrecht kommt also auch dem in das Gemeinschaftsrecht integrierten Völkerrecht unmittelbare Verbindlichkeit mit Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht zu. Dabei besteht abhängig von der Erfüllung spezifischer Kritierien, die der EuGH in seiner Rechtsprechung entwickelt hat, auch die Möglichkeit, daß sich natürliche und juristische Personen auf Bestimmungen eines völkerrechtlichen Vertrages gegenüber nationalen Behörden oder Gerichten unmittelbar berufen können. 379 Die in ihrem Kern gefestigte Rechtsprechung des EuGH zur Wirkung völkerrechtlicher Abkommen der EG in der Gemeinschaftsrechtsordnung hat weitreichende Auswirkungen auf die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten und damit auch auf die Rechtsordnung der Bundesrepublik. Unabhängig von der Frage, ob die Gemeinschaftsrechtsordnung insoweit einer monistischen, dualistischen oder von diesen Kategorien abweichenden Konzeption eigener Art hinsichtlich des Verhältnisses zum Völkerrecht folgt, 380 hat die Monismus/DualismusDiskussion aus der Sicht des nationalen Rechts keine Bedeutung mehr. Über das Gemeinschaftsrecht vollzieht sich insoweit auch für die deutsche Rechtsordnung 377

Dem Wortlaut des Art. 300 Abs. 7 EGV folgend ist Voraussetzung der gemeinschaftsrechtlichen Verbindlichkeit, daß die in Art. 300 EGV vorgeschriebenen Voraussetzungen eingehalten wurden, siehe Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1718; Tomuschat, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Bd. 5, Art. 228 Rdnr. 57. 378

EuGH, Rs. 104/81, Kupferberg I, Slg. 1982,3641 Tz. 13; siehe z. B. auch Rs. 118/83 R, CMC, Slg. 1983, 2583 (2590); Rs. 12/86, Demirel, Slg. 1987, 3747 (3750); Gutachten 1/76, Stillegungsfonds für die Binnenschiffahrt, Slg. 1977,741 (757); Rs. 30/88, Griechenland ./. Kommission, Slg. 1989, 3733 (3737); Rs. C-192/89, Sevince, Slg. 1990, 1-3497 (3500); Gutachten 1/91, EWR I, Slg. 1991,1-6084 (6105); zu umfangreichen Nachweisen aus dem Schrifttum siehe Tomuschat, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), EU-/EGVertrag, Bd. 5, Art. 228 Rdnr. 57. 379

Einzelheiten hierzu bei Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1718 ff.; Tomuschat, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Bd. 5, Art. 228 Rdnr. 61 ff.; A. Peters, GYIL 40 (1997), 9 (48 ff.) m. w. N. 380

Zur Diskussion umfassend Tomuschat, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Bd. 5, Art. 228 Rdnr. 59 f.; A Peters, GYIL 40 (1997), 9 (28 ff.) mit umfangr. Nachw.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

571

eine Umsetzung völkerrechtlicher Rechtssätze, ohne daß die klassische Vorstellung staatlicher Entscheidungsfreiheit bei der Ausgestaltung der rechtlichen Beziehungen zum Völkerrecht relevant ist. Der Verzicht auf die Ausübung von Hoheitsrechten nach Art. 23 Abs. 1 GG erfaßt insofern auch die in der staatlichen Souveränität sowohl verfassungs- als auch völkerrechtlich verankerte Freiheit, über das Verhältnis zum Völkerrecht autonom entscheiden zu können. Ihrem Inhalt nach wird damit aus verfassungsrechtlicher Sicht durch Art. 23 Abs. 1 GG die Übernahme des Völkervertragsrechts in die nationale Rechtsordnung (Art. 59 Abs. 2 GG) dem in Art. 25 GG vorgesehenen Automatismus der Eingliederung des allgemeinen Völkerrechts gleichgestellt. Damit zeigt sich im Ergebnis im Zusammenspiel mit dem Gemeinschaftsrecht insgesamt eine Unterwerfung des nationalen Rechts unter die Völkerrechtsordnung. 381 Die weitreichenden Auswirkungen dieser Rechtsentwicklung lassen sich an dem materiellen Umfang der der Gemeinschaft zustehenden und in der Praxis wahrgenommenen völkerrechtlichen Befugnisse ablesen. Dem sogenannten Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung folgend (vgl. Art. 5 Abs. 1 EGV, Art. 5 Abs. 1 EUV) 3 8 2 sind die völkerrechtsrelevanten Außenkompetenzen der Gemeinschaft an das Vorliegen einer gemeinschaftsrechtlichen Rechtssetzungsbefugnis gebunden.383 Neben vereinzelten expliziten Außenkompetenzen der EG nach dem EGV 3 8 4 hat der EuGH ursprünglich im Verfahren „AETR" eine weite Auslegung der impliziten Kompetenzen zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge nach einer umfassenden Anwendung des Grundsatzes „in foro interno, in foro externo " angenommen.385 Gegenwärtig ist von dem eher restriktiveren Rechtsgrundsatz auszugehen, daß ein Rechtsgebiet „weitgehend" von Gemeinschaftsrechtsvorschriften erfaßt sein muß 386 oder aber eine völkerrechtliche Regelung zur effektiven Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts notwendig

381 So die treffende Charakterisierung zu Art. 25 GG von Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts und das deutsche Verfassungsrecht, 4. 382

Statt vieler Oppermann, Europarecht, Rdnr. 656 (Prinzip der begrenzten Einzelzuständigkeit). 383

St.Rspr., EuGH, Rs. 22/70, AETR, Slg. 1971, 263 Tz. 12 ff.; Verb. Rs. 3, 4 u. 6/76, Kramer, Slg. 1976, 1279 Tz. 16 ff.; Gutachten 1/94, WTO, Slg. 1994, 1-5267 ff.; Tomuschat, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Bd. 5, Art. 228 Rdnr. 3 ff. m. w. N. 384

Siehe z. B. Art. 111, 133, 170, 174, 181 und 310 EGV.

385

EuGH, Rs. 22/70, AETR, Slg. 1971, 263 Tz. 12 ff.; Verb. Rs. 3, 4 u. 6/76, Kramer, Slg. 1976, 1279 Tz. 16 ff. 386

EuGH, Gutachten 2/91, ILO-Übereinkommen Nr. 170, Slg. 1993,1-1064 (1080).

572

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

(„unabdingbar") ist, 387 um auch aus vorliegenden internen Gemeinschaftskompetenzen eine Außenkompetenz begründen zu können. Auch wenn die Einzelheiten der maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH alles andere als abschließend geklärt sind und sich darüber hinaus nur im jeweiligen Einzelfall anhand der infragestehenden Sachmaterie eine Aussage hinsichtlich einer konkreten Außenkompetenz machen läßt, 388 kann doch verallgemeinernd konstatiert werden, daß sich von ihrem materiell relevanten Umfang her nur geringe Unterschiede mit Blick auf die Innen- und Außenkompetenz der EG ergeben. 389 Dies zeigt auch ein empirischer Blick auf die von der Gemeinschaft mit Drittstaaten eingegangenen völkervertraglichen Beziehungen: Die EG hat rund 40 multilaterale Übereinkommen und mit über 130 Drittstaaten bilaterale Verträge geschlossen.390 Entsprechend den Binnenkompetenzen der EG betreffen sie zumeist technisch-administrative Sachfragen, so daß sich viele Aspekte des im Schrifttum bereits ausführlich erörterten europäisierten Verwaltungsrechts 391 auf die sich hier vollziehende internationalisierte Verwaltung übertragen lassen.

2. Internationale Organisationen und Vertragsorgane Neben den klassischen Außenkompetenzen der Gemeinschaft sind weiterhin die Regelungskompetenzen mit völkerrechtlichen Implikationen zu beachten, die sich aus der Mitgliedschaft der Gemeinschaften in internationalen Organisationen ergeben. Im Rahmen der laufenden Mitarbeit der Organe der EG in internationalen Organisationen, deren Mitglied sie auf der Grundlage eines entsprechenden Kompetenztitels ist, 392 besteht namentlich für die Kommission nach Art. 300 Abs. 2 387

EuGH, Gutachten 1/94, WTO, Slg. 1994,1-5267 (5413 ff.); zu weiteren Einzelheiten siehe Dörr, EuZW 1996, 39 ff.; Geiger, JZ 1995,973 ff.; Gilsdorf, EuR 1996,145 ff.; Hilf, EuZW 1995, 7 f.; ders., EJIL 6 (1995), 245 ff.; Tomuschat, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Bd. 5, Art. 228 Rdnr. 3 ff.; Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1700 ff. m. w. N. 388 Tomuschat, Art. 228 Rdnr. 3. 389

in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Bd. 5,

Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1704.

390

Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1678; genaue Angaben jährlich in: European Commission, Annotated Summary Linking the Communities with Non-Member Countries. 391

Siehe Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union; von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration; Hatje, Die gemeinschaftsrechtliche Steuerung der Wirtschaftsverwaltung; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß. 392

Nur Notwendigkeit der Anwendung der allgemeinen Grundsätze über die Außenkompetenzen der EG hinsichtlich der Mitgliedschaft in einer internationalen Organisation siehe

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

573

Satz 1 i. V. m. Art. 302 EGV die Möglichkeit, einzelne Verwaltungsabkommen als exekutive völkerrechtliche Übereinkommen zu schließen; hiervon macht die Kommission auch regen Gebrauch. 393 Die Verwaltungsabkommen der Kommission mit den entsprechenden Exekutivstellen einer internationalen Organisation sind materiell als völkerrechtliche Übereinkommen mit Rechtsbindungsgehalt für die Gemeinschaft insgesamt zu werten. 394 Damit kommt ihnen ebenso wie sonstigen völkerrechtlichen Verträgen der Gemeinschaft innergemeinschaftlich dieselbe Rechtsstellung zu, die insgesamt dem Gemeinschaftsrecht eigen ist: Auch sie sind ein integrierender Bestandteil des Gemeinschaftsrechts mit Anwendungsvorrang vor den nationalen Rechtsordnungen. Gerade für das Verwaltungsrecht von großer Bedeutung sind weiterhin die gemeinschaftsrechtlichen Rechtswirkungen, die sich für Beschlüsse internationaler Institutionen (Organisationen, Konferenzen und Konventionen) ergeben, in denen die EG mitwirkt. Der EuGH hat zunächst in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung den auf die Durchführung oder Änderung eines Assoziationsabkommens (vgl. Art. 310 EGV) gerichteten Beschlüssen sogenannter Assoziationsräte „aufgrund ihres unmittelbaren Zusammenhangs mit dem Abkommen, zu dessen Durchführung sie ergehen", Rechtswirkung als „integrierende Bestandteile der Gemeinschaftsrechtsordnung" beigemessen. Die Beschlüsse können dabei auch unmittelbare Wirkung zugunsten von natürlichen oder juristischen Personen entfalten. 395 Nach anfänglichen Unklarheiten ist nunmehr auch unstreitig, daß zumindest einstimmig gefaßte Assoziationsratsbeschlüsse keiner zusätzlichen konstitutiven Umsetzung in die Gemeinschaftsrechtsordnung bedürfen, damit ihnen die beschriebene Rechtswirkung zukommt. 396

Tomuschat, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Bd. 5, Art. 228 Rdnr. 11; Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, vor Art. 302-304 Rdnr. 4, jeweils m. w. N. 393 Näheres bei Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, vor Art. 302-304 Rdnr. 15 ff. 394

Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, vor Art. 302-304 Rdnr. 16. 395

Siehe insbesondere EuGH, Rs. 30/88, Griechenland./. Kommission, Slg. 1989,3711 (3783); Rs. C-192/89, Sevince, Slg. 1990, 1-3461 Tz. 9; aus jüngerer Zeit Rs. C-36/96, Giinaydin, Slg. 1997,1-5143 ff.; hierzu auch A. Weber, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Bd. 5, Art. 238 Rdnr. 48 ff. m. w. N. 396

St. Rspr. seit EuGH, Rs. 30/88, Griechenland ./. Kommission, Slg. 1989, 3711 (3783); Rs. C-192/89, Sevince, Slg. 1990,1-3461 (3501); Rs. C-237/91, Kus, Slg. 1992, 1-6807 (6816 f.); Rs. C-355/93, Eroglu, Slg. 1994, 1-5131 (5137 f.); a. A. noch z. B. BVerwG, DVB1. 1986, 837; BSGE 60, 230 (234); für die ganz h. M. im Schrifttum siehe Tomuschat, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Bd. 5, Art. 210

574

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

Problematisch stellt sich die Situation jedoch dar, soweit es um Beschlüsse sonstiger Institutionen internationaler Zusammenarbeit geht, in denen die EG mitwirkt und die gegebenenfalls auch durch Mehrheitsentscheidung ergehen können. Die Frage, ob insoweit eine konstitutive innergemeinschaftliche Umsetzung - im Sinne der Transformationstheorie - notwendig ist, gewinnt eine zusätzliche Relevanz dadurch, daß nach der Rechtsprechung des EuGH auch völkerrechtlich unverbindliche Beschlüsse eines internationalen Gremiums gemeinschaftsrechtlich für die Organe der EG und die Mitgliedstaaten sowie ihre Gerichte und Behörden verpflichtende Wirkung haben können. Die hierzu maßgebliche Entscheidung des Gerichtshofs erging in einem Vorabentscheidungsverfahren des Finanzgerichts Hamburg, das über eine Klage der Deutschen Shell A G gegen einen Bescheid des Hauptzollamtes Hamburg zu entscheiden hatte. Durch diesen waren der Klägerin bestimmte Modalitäten des Warenverschlusses aufgegeben worden. Der Bescheid beruhte auf einer Dienstanweisung des Bundesfinanzministeriums, die ihrerseits ihre Grundlage in „Absprachen" fand, die der Gemeinsame Ausschuß des Übereinkommens über ein gemeinsames Versandverfahren getroffen hatte. Vertragsparteien dieses Übereinkommens sind die EG und die ursprünglichen EFTAStaaten.397 Nach den einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens hatten die fraglichen „Absprachen" nur empfehlenden, unverbindlichen Charakter. Dessen ungeachtet entschied der EuGH, daß wegen des unmittelbaren Zusammenhanges zwischen dem Übereinkommen als integrierendem Bestandteil des Gemeinschaftsrechts und den fraglichen Absprachen auch sie Teil des Gemeinschaftsrechts seien. 398 Damit, so der EuGH weiter, seien „die nationalen Gerichte ... verpflichtet, sie bei der Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten zu berücksichtigen, zumal wenn sie ... für die Auslegung der Bestimmungen des Übereinkommens von Nutzen sind". 399 Nach dieser Judikatur des EuGH haben die nationalen Gerichte und Behörden 400 also auch unverbindliche Empfehlungen internationaler Gremien, in denen Rdnr. 51; A. Weber, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Bd. 5, Art. 238 Rdnr. 48 f.; Vedder, in: Randelzhofer/Scholz/Wilke (Hrsg.), GS Grabitz, 795 (798). 397

Das Abkommen ist abgedruckt in: ABl. EG 1987 L 226/2.

398

Slg.

399

Slg.

EuGH, Rs. C-188/91, Deutsche Shell AG./. Hauptzollamt Hamburg-Harburg, 1993,1-363 Tz. 17. EuGH, Rs. C-188/91, Deutsche Shell AG./. Hauptzollamt Hamburg-Harburg, 1993,1-363 Tz. 18. 400

Zur Verpflichtung „aller Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten" auf die effektive Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts nach Art. 10 EGV siehe z. B. EuGH, Rs. C-129/96, Inter-Environment Wallonie ASDB./. Wallonie, Slg. 1997,1-7411 Tz. 40; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 5 EGV Rdnr. 24.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

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die Gemeinschaft auf der Grundlage eines entsprechenden völkerrechtlichen Vertrages mitwirkt, rechtsverbindlich zu beachten. Dies steht zunächst in Übereinstimmung mit der auf Art. 249 Abs. 5 EGV beruhenden Rechtsprechung des EuGH, nach der unverbindliche Empfehlungen der Kommission zwar keine subjektiven Rechte der Unionsbürger begründen können, aber von den nationalen Organen insbesondere im Rahmen der Auslegung des innerstaatlichen Rechts oder des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen sind. 401 Unabhängig von dieser auf das ausschließliche innere Gemeinschaftsrecht bezogenen Parallele zeigt sich unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten aber ein beachtlicher Paradigmenwechsel. Bislang wurde nämlich nahezu einhellig davon ausgegangen, daß unverbindlichen Empfehlungen internationaler Institutionen bzw. von Organen internationaler Organisationen nur in Ausnahmefällen eine rechtliche Relevanz in der innerstaatlichen Rechtsordnung zukommt. 402 Zumindest für völkerrechtliche Regelungsbereiche, die einen integrierenden Bestandteil des Gemeinschaftsrechts darstellen, kann diese Rechtserkenntnis heute keine Geltung mehr beanspruchen. Wie bereits angedeutet, bestehen gewisse Unklarheiten allerdings dahingehend, ob verbindliche und unverbindliche Entschließungen internationaler Organe immer bereits mit ihrer Verabschiedung bzw. ab dem Zeitpunkt ihres völkerrechtlichen Inkrafttretens integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind, oder ob es hierfür zumindest in einigen Fällen eines konstitutiven gemeinschaftsrechtlichen Umsetzungsaktes bedarf. Obwohl sich auf völkerrechtliche Verträge und internationale Organbeschlüsse bezogen aus der Rechtsprechung des EuGH keine Anhaltspunkte für ein Transformationserfordernis ergeben, 403 wird zum Teil argumentiert, daß ein fundamentaler Unterschied zwischen der Umsetzung von völkerrechtlichen Verträgen und von internationalen Organbeschlüssen bestehe. Namentlich Tomuschat ist der Ansicht, daß es einer Transformation völkervertraglicher Regelungen nicht bedürfe, da die Gemeinschaft bereits durch den Vertragsschluß eine umfassende und abschließende Prüfung des Vertragsinhaltes hinsichtlich seiner auch innergemeinschaftsrechtlichen Akzeptanz durchgeführt habe. Bei Beschlüssen internationaler Organe sei dies zumindest dann nicht gewährleistet, wenn sie - wie in der Praxis vielfach üblich - mit Mehrheitsvotum gefaßt werden würden. Dann bestehe, anders als bei Verträgen, „nicht durchweg eine sachimmanente Gewährleistung für die sachliche Ausgewogenheit des Rege-

401

EuGH, Rs. C-322/88, Grimaldi,

Slg. 1989, 4407 ff.

402

Siehe z. B. Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 18 Rdnr. 21; hierzu bereits supra Teil 5, A. I. 4. sowie infra Teil 7, B. III. 4. 403 Zur pragmatischen Lösung der Umsetzungsfrage in der Rechtsprechung des EuGH ausführlich A. Peters, GYIL 40 (1997), 9 (21 ff.) mit umfangr. Nachw.

576

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

lungsinhalts". 404 Daher könnten solche Beschlüsse nicht als Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung im Sinne von Art. 220 EGV angesehen werden. Ausnahmen seien dementsprechend nur dort anzuerkennen, wo es sich um notwendig einstimmig zu fassende Beschlüsse internationaler Organe handele.405 Unabhängig von dem Umstand, daß sich für ein Transformationserfordernis von Mehrheitsbeschlüssen internationaler Organe keine Anhaltspunkte in der Rechtsprechung des EuGH finden, 406 vermag die Ansicht Tomuschats auch unter allgemeinen völkerrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu überzeugen. Durch den Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages, und ein solcher ist immer Voraussetzung für die Rechtsmacht eines internationalen Organes zum Erlaß von sekundärrechtlichen Beschlüssen, begibt sich ein Völkerrechtssubjekt nämlich der eigenen Rechtsmacht, die getroffene Beschlußfassung anhand der eigenen Rechtsordnung oder im Lichte eigener partikularer Interessen nochmals auf ihre Sachangemessenheit hin zu überprüfen. Ob ein entsprechender Mehrheitsbeschluß insofern ultra vires ergangen ist oder sonstigen politischen oder rechtlichen Vorgaben widerspricht, ist ausschließlich anhand völkerrechtlicher Maßstäbe zu bewerten, 407 nicht jedoch unter Anwendung partikularer Wertungen der Vertragsparteien. Darüber hinaus ist zu beachten, daß - wie bereits ausführlich dargelegt 408 - die internationale Rechtspraxis immer mehr dazu übergeht, Vertragsorgane mit der Befugnis zum Erlaß von Mehrheitsbeschlüssen auszustatten, um so den gerade im technisch-administrativen Bereich steigenden Anforderungen einer flexiblen Vertragsanpassung an sich wandelnde technologische, ökologische oder andere Umstände gerecht zu werden. 409 Soweit gegen diese sich immer mehr durchsetzende internationale Praxis Bedenken aus Sicht des innerstaatlichen Rechts oder der Gemeinschaftsrechtsordnung bestehen, muß auf die mit der Möglichkeit von Mehrheitsbeschlüssen in der Regel einhergehenden Opting-out- Verfahren verwiesen wer404

Tomuschat, Art. 210 Rdnr. 50.

in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Bd. 5,

405 Tomuschat, Art. 210 Rdnr. 50 f.

in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Bd. 5,

406

Ein Transformationserfordernis wird daher umfassend abgelehnt von Gilsdorf, EuZW 1991,459 (462); Vedder, in: Randelzhofer/Scholz/Wilke (Hrsg.), GS Grabitz, 795 (798). 407

So wohl auch Generalanwalt Van Gerven, Rs. C-188/91, Deutsche Shell AG ./. Hauptzollamt Hamburg-Harburg, Slg. 1993,1-363 (377 Tz. 11), der darauf verweist, daß die Bindungswirkung nur dann entfalle, wenn die Empfehlung „gegen das Übereinkommen oder gegen höherrangige Rechtsgrundsätze" verstoße; insgesamt zur völkerrechtlichen Unterwerfung unter die vertraglich vorgesehene Möglichkeit des Erlasses von Organbeschlüssen auch Gilsdorf, EuZW 1991,459 (461). 408

Supra Teil 5, A. I. 3. und umfassend Teil 6.

409

Hierzu zusammenfassend auch bereits Tietje, GYIL 42 (1999), 26 ff.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

577

den. 410 Im übrigen läßt sich angesichts der sachlichen Beschränkung internationaler Organbeschlußfassung auf den technisch-administrativen Bereich auch kaum davon sprechen, hier handele es sich aus Sicht der EG und ihrer Mitgliedstaaten um die Eröffung einer „verfassungsrechtlichen Dimension", die nach den einschlägigen Ausführungen des EuGH im EMRK-Gutachten 411 eine Änderung des EGV voraussetze. 412 Der Hinweis auf die „verfassungsrechtliche Dimension" im Rahmen internationaler Organbeschlüsse beruht auf einem grundlegenden Mißverständnis völkerrechtlicher Rechtskonkretisierungsprozesse im technisch-administrativen Bereich, deren Möglichkeit ausschließlich im Rahmen eines Völkervertragsregimes gegeben ist. 413 Insgesamt ist damit zu konstatieren, daß das von Tomuschat angesprochene Problem auf völkerrechtlicher Ebene zu lösen ist, nicht jedoch durch Verweis auf ein mögliches Transformationserfordernis, das der Gemeinschaftsrechtsordnung gerade fremd ist. Beschlüsse internationaler Organe bilden also ohne zusätzlichen konstitutiven Umsetzungsakt einen integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung, gleichwohl ob es sich um völkerrechtlich verbindliche oder unverbindliche, durch Mehrheits- oder Einstimmigkeitsvotum ergangene Entschließungen handelt. 414

3. Die gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zur völkerrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts Völkerrechtliche Verträge der Gemeinschaft und internationale Organbeschlüsse als integrierende Bestandteile der Gemeinschaftsrechtsordnung haben neben ihrer direkten normhierarchischen Vorrangswirkung gegenüber dem nationalen Recht auch eine mittelbare Rechtsbedeutung im Rahmen des Grundsatzes der völkerrechtskonformen Auslegung. Schon seit langem ist es ein fester Bestandteil der Rechtsprechung des EuGH, von allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten zu verlangen, dem Gemeinschaftsrecht durch eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts effektive Wirksamkeit zu ver410

1 . E. ebenso Gilsdorf,

EuZW 1991,459 (461).

411

EuGH, Gutachten 2/94, EMRK, Slg. 1996, 1-1763 Tz. 35; allgemein zu den Ausführungen des EuGH zur „verfassungsrechtlichen Dimension" Vedder, EuR 1996, 309 ff. 412

So ohne nähere Ausführungen zur völkerrechtlichen Einordnung internationaler Organbeschlüsse Schmalenbach, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 300 Rdnr. 77. 413 414

Hierzu auch Tietje, GYIL 42 (1999), 26 ff.; weiteres noch infra Teil 7, B. III. 3. und 4.

So i. E. auch Gilsdorf, EuZW 1991, 459 (462); Vedder, in: Randelzhofer/Scholz/ Wilke (Hrsg.), GS Grabitz, 795 (798 f.); ders., EuR 1994, 202 (212).

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Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

schaffen. Der Gerichtshof entwickelte die hierzu maßgeblichen Rechtsgrundsätze zwar zunächst nur für die richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts. 415 Seit einigen Jahren ist jedoch ebenso anerkannt, daß auch eine über die richtlinienkonforme Auslegung hinausgehende gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des gesamten nationalen Rechts der Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 10 EGV entspricht. 416 Der EuGH führte insoweit in konsequenter Weiterentwicklung zur richtlinienkonformen Auslegung in aller Deutlichkeit aus, daß „das nationale Gericht das nationale Recht, das es anzuwenden hat, soweit wie möglich in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen hat". 417 Aus der Auslegungsmaxime einer insgesamt dem Gemeinschaftsrecht entsprechenden Interpretation des nationalen Rechts folgt unmittelbar, daß auch völkerrechtliche Normen zu berücksichtigen sind, soweit sie einen integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung darstellen. Neben Urteilen, die sich auf die Notwendigkeit einer Interpretation des Gemeinschaftsrechts in Übereinstimmung mit den Vorgaben der EMRK beziehen (vgl. Art. 6 Abs. 2 EUV), 4 1 8 stellt der Gerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung auch in aller Deutlichkeit darauf ab, daß „Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts ... nach Möglichkeit im Lichte des Völkerrechts auszulegen [sind], insbesondere wenn sie einen von der Gemeinschaft geschlossenen völkerrechtlichen Vertrag durchführen sollen". 419 Die Verpflichtung zur „völkerrechtskonformen Auslegung" 420 gilt allerdings nicht nur hinsichtlich des Gemeinschaftsrechts, sondern ist nach Art. 10 EGV auch auf die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu übertragen. Wenn nämlich völkerrechtliche Regeln einen integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechts-

415

Siehe insbesondere EuGH, Rs. 14/83, von Colson und Kamann, Slg. 1984, 1891 Tz. 26; Rs. 79/83, Dorit Harz, Slg. 1984, 1921 Tz. 26; ausführlich Ruffert, in: Callies/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 249 Rdnr. 106; Brechmann, Dierichtlinienkonforme Auslegung, passim . 416

EuGH, Rs. 157/86, Murphy, Slg. 1988, 673 Tz. 11; Rs. C-322/88, Grimaldi, Slg. 1989, 4407 Tz. 18; ausführlich Nettesheim, AöR 119 (1994), 261 (267 ff.); Ehricke, RabelsZ 59 (1995), 598 (623 ff.); Ruffert, in: Callies^uffert (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 249 Rdnr. 113 f.; Heukels, ZEuS 2 (1999), 313 (317 ff.) m. w. N. 417

EuGH, Rs. C-165/91, Van Munster, Slg. 1994,1-4661 Tz. 34.

418

Siehe z. B. EuGH, verb. Rs. C-74/95 und C-129/95, Strafverfahren gegen X, Slg. 1996,1-6629 Tz. 25; allgemein hierzu auch Kingreen, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/ EGV, Art. 6 EUV Rdnr. 35 m. w. N. 419 EuGH, Rs. C-341/95, Bettati, Slg. 1998,1-4355 Tz. 20; Rs. C-61/94, Kommission./. Deutschland, Slg. 1996,1-4006 Tz. 52; hierzu auch ausführlich Heukels, ZEuS 2 (1999), 313 (321 f.); A. Peters, GYIL 40 (1997), 9 (71 ff.), jeweils m. w. N. 420

Heukels, ZEuS 2 (1999), 313 (319); so wohl auch Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 25 Rdnr. 10.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

579

Ordnung darstellen, müssen sie ebenso wie das sonstige Gemeinschaftsrecht nach Art. 10 EGV bei der Auslegung des nationalen Rechts Berücksichtigung finden. 421 Diese Verpflichtung trifft alle Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, also insbesondere Gerichte und Verwaltungsbehörden, unabhängig von ihrer Rechtsstellung im föderalen System.422 Zusätzlich zu der allgemeinen Erkenntnis einer gemeinschaftsrechtlich auch die Mitgliedstaaten der EG treffenden Verpflichtung zur völkerrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und des nationalen Rechts ist als Besonderheit auch zu beachten, daß diese Interpretationsmaxime subjektiv- und objektivrechtlich wirkt. Nach der Rechtsprechung des EuGH muß die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung auch dann zur Anwendung kommen, wenn eine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts nicht unmittelbar anwendbar ist, also keine subjektiven Rechte der Unionsbürger begründet. 423 Damit ist auch die völkerrechtskonforme Auslegung nicht von der unmittelbaren Anwendbarkeit einer internationalen Norm als integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung abhängig. Die gemeinschaftsrechtlich nach Art. 10 EGV gebotene völkerrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts ist also auch dann zu beachten, wenn ein völkerrechtlicher Vertrag der Gemeinschaft bzw. ein internationaler Organbeschluß unter Beteiligung der EG „nur" integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung ist, sich Unionsbürger jedoch aufgrund seiner rechtsnormativen Struktur nicht auf ihn unmittelbar berufen können. 424 Die weitreichenden Auswirkungen des gemeinschaftsrechtlich für die nationalen Hoheitsträger verpflichtenden Grundsatzes der völkerrechtskonformen Auslegung sind damit offenbar: In ihrer Eigenschaft als nicht nur dem nationalen, sondern auch dem Gemeinschaftsrecht verpflichtete Handlungseinheiten nehmen die nationalen Träger öffentlicher Gewalt umfassend auch eine Rolle ein, die der Beachtung des Völkerrechts als integrierender Bestandteil des Gemeinschaftsrechts gerecht werden muß. Die Theorien zum Verhältnis von Völkerrecht und nationalem Recht sowie zur Transformation oder sonstigen Umsetzung völkerrechtlicher Regelungen haben hierbei aus Sicht des nationalen Rechts keine Bedeutung mehr. 421

Ausführlich Heukels, ZEuS 2 (1999), 313 ff.

422

Zur Bindung ,,alle[r] mitgliedstaatlicher Behörden, seien es solche der staatlichen Zentralgewalt, eines Gliedstaats oder sonstige territoriale Behörden" an das Gemeinschaftsrecht siehe z. B. EuGH, Rs. C-188/89, Foster u. a., Slg. 1990,1-3313 Tz. 19; Rs. C-95/97, Wallonische Region ./. Kommission, Slg. 1997,1-1787 Tz. 7. 423 424

Siehe z. B. EuGH, Rs. C-91/92, Faccini Dori, Slg. 1994,1-3325 Tz. 25 ff.

EuGH, Rs. C-53/96, Hermes, Slg. 1998,1-3603 Tz. 28 ff.; von Bogdandy, NJW 1999, 2088 (2089); A. Peters, GYIL 40 (1997), 9 (71); Heukels, ZEuS 2 (1999), 313 (323).

580

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

4. Gemischte Abkommen als Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung Die Relevanz der aufgezeigten Rechtsprechung intensiviert sich in ihrem dogmatischen Umfang und ihren praktischen Auswirkungen nochmals, wenn ein Blick auf die Diskussion zur Rechtsnatur sogenannter gemischter Abkommen geworfen wird. Hierunter werden bekanntlich völkerrechtliche Verträge verstanden, die gemeinsam von der EG und ihren Mitgliedstaaten mit Drittstaaten oder internationalen Organisationen geschlossen werden, da die Gemeinschaft selbst nicht über die ausschließliche Vertragsabschlußkompetenz verfügt. 425 Der EuGH hat es bislang vermieden, ausdrücklich zu der Frage Stellung zu nehmen, ob auch die Teile eines gemischten Vertrages integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind, die der Vertragsabschlußkompetenz der Mitgliedstaaten unterfalle. Hingewiesen wurde aber immerhin in aller Deutlichkeit darauf, daß eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zur Einhaltung eines gesamten gemischten Abkommens der Mitgliedstaaten gegenüber der Gemeinschaft gegeben ist, da die Gemeinschaft aus völkerrechtlicher Sicht insgesamt die Pflicht zur Beachtung eines entsprechenden Abkommens trifft. 426 Inwieweit sich freilich die einheitliche völkerrechtliche Bindung in ihren rechtlichen Auswirkungen auch auf die Gemeinschaftsrechtsordnung auswirkt, wurde immer wieder kontrovers diskutiert. 427 Die insoweit vertretenen Ansichten zu einerseits einer Differenzierung der gemeinschaftsrechtsinternen Wirkung anhand der Aufteilung der Vertragsschlußkompetenzen zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft 428 sowie andererseits 425 Ausführlich hierzu statt vieler K D. Stein, Der gemischte Vertrag im Recht der Außenbeziehungen der EWG, passim; O'Keefe/Schermers (Hrsg.), Mixed Agreements, passim; Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1711 ff., jeweils m. w. N. 426

Siehe insbesondere EuGH, Rs. 104/81, Kupferberg I, Slg. 1982, 3641 (3662); Rs. 12/86, Demirel, Slg. 1987,3719 (3751). Es ist insofern unstreitig, daß die Gemeinschaft bei gemischten Abkommen im völkerrechtlichen Außenverhältnis insgesamt an den entsprechenden Vertrag gebunden ist, hierzu statt vieler Hilf, in: Hilf/Petersmann (Hrsg.), GATT und Europäische Gemeinschaft, 11 (32); Nolte, CMLRev. 25 (1988), 403 ff.; Neuwahl, CMLRev. 28 (1991), 717 (733 ff.); Oehmichen, Die unmittelbare Anwendbarkeit der völkerrechtlichen Verträge der EG, 77; Castillo de la Torre, Journal of World Trade (No. 1, 1995), 53 (67 f.); Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1713. Anders läßt sich die Rechtslage nur für gemischte Abkommen bewerten, bei denen die Gemeinschaft auf völkerrechtlicher Ebene die geteilten gemeinschaftsinternen Kompetenzen offengelegt und klar umschrieben hat. Hierzu mit Nachweisen zur Praxis Tomuschat, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Bd. 5, Art. 228 Rdnr. 55. 427

Zur Diskussion statt vieler Tomuschat, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), EU-/ EG-Vertrag, Bd. 5, Art. 228 Rdnr. 77; Bleckmann, EuR 1976, 301 ff. 428

So namentlich z. B. Arnold, AVR 19 (1980/81), 419 (455); Meessen, EuR 1980, 36 (47 f.); Vedder, Die auswärtige Gewalt der Neun, 226; Ehlermann, in: O'Keeffe/Schermers

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

581

einer hiervon unabhängigen, immer gegebenen Wirkung eines gemischten Abkommens als integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung 429 beziehen sich in ihrem Kern immer auf die Frage, wie weit der Souveränitätsschutz der Mitgliedstaaten bei völkerrechtlichem Handeln der Gemeinschaft reichen muß. Diesbezüglich ist zunächst zu beachten, daß durch die völkerrechtliche Vertragsbindung der Mitgliedstaaten ohnehin eine Souveränitätseinschränkung eintritt. 430 Weiterhin besteht bei einem gemischten Vertrag im Verhältnis Gemeinschaft und Mitgliedstaaten eine aus Art. 10 EGV folgende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, umfassend darauf hinzuwirken, daß die Gemeinschaft der sie treffenden völkerrechtlichen Vertragserfüllungspflicht gerecht werden kann. Der EuGH drückt dies in ständiger Rechtsprechung dahingehend aus, daß die Mitgliedstaaten bei der Beachtung der Einhaltung eines völkerrechtlichen Abkommens „ i m Rahmen der Gemeinschaftsrechtsordnung eine Pflicht gegenüber der Gemeinschaft [erfüllen], die die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Abkommens übernommen hat". 431 Weder das Gemeinschaftsrecht noch das Völkerrecht lassen den Mitgliedstaaten damit einen signifikanten Souveränitätsbereich, soweit eine völkerrechtliche Verpflichtung im Rahmen eines gemischten Abkommens eingegangen wurde. Warum dann nicht auch die dogmatische Konsequenz einer umfassenden Einordnung eines gemischten Abkommens als integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung gezogen werden kann, ist nicht ersichtlich. Als einzig möglicher Einwand ließe sich nur daran denken, daß die parlamentarische Beteiligung in den Mitgliedstaaten bei dem innerstaatlichen Zustimmungsprozeß gesichert werden muß (vgl. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG). Aber auch insoweit muß zumindest auf die deutsche Rechtslage bezogen konstatiert werden, daß eben dieses parlamentarische Beteiligungsrecht durch Art. 23 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 300 Abs. 7 und Art. 10 EGV eingeschränkt ist. Darüber hinaus kommt dem verbleibenden parlamentarischen Beteiligungsrecht in Angelegenheiten, die gemischte Abkommen betref(Hrsg.), Mixed Agreements, 3(18 f.); Tomuschat, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Bd. 5, Art. 228 Rdnr. 77 m. w. N. 429 So z. B. Pescatore, RdC 1961 II, 1 (132 f.); Bleckmann, EuR 1976, 301 (305 ff.); Groux/Manin, Die europäischen Gemeinschaften in der Völkerrechtsordnung, 118; Oehmichen, Die unmittelbare Anwendbarkeit der völkerrechtlichen Verträge der EG, 77; Castillo de la Torre, Journal of World Trade (No. 1, 1995), 53 (67 f.); A. Peters, GYIL 40 (1997), 9 (32 Fn. 109); wohl auch Oppermann, Europarecht, Rdnr. 603. 430

Zur Relativität staatlicher Souveränität im Hinblick auf völkerrechtliche Verpflichtungen siehe Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 214 ff. 431

Siehe z. B. EuGH, Rs. 104/81, Kupferberg, Slg. 1982, 3641 (3662); Rs. 12/86, Demirel, Slg. 1987, 3719 Tz. 11; so auch in aller Deutlichkeit GA Tesauro, Rs. C-53/96, Hermes, Slg. 1998,1-3603 (3617).

582

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

fen, auch materiell keine weitreichende Bedeutung zu, da die völkerrechtliche Bindungswirkung bereits durch einen Rechtsakt der Gemeinschaft begründet wird 4 3 2 und das gemeinschaftsrechtliche Gebot des einheitlichen und kohärenten Auftretens nach außen ein dem Gemeinschaftsinteresse widersprechendes Verhalten der Mitgliedstaaten verbietet (vgl. Art. 2 und Art. 3 Abs. 2 EUV). 4 3 3 Die demokratisch-rechtsstaatlich gebotene parlamentarische Partizipation an Akten, die sich auf die Begründung völkervertraglicher Pflichten der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten beziehen, wird insoweit auch für die Abkommensbestandteile vom Europäischen Parlament wahrgenommen, die nach der Gemeinschaftsrechtsordnung in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fallen. 434 Insgesamt zeigt sich damit, daß auch sogenannte gemischte Abkommen ab dem Zeitpunkt ihres völkerrechtlichen Inkrafttretens 435 für die Gemeinschaft umfassend einen integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung bilden. Nur so läßt sich im übrigen auch erklären, daß der Gerichtshof gemischte Abkommen in allen ihren Bestandteilen auslegt, um die einheitliche Anwendung in der Gemeinschaft umfassend sicherzustellen. 436 Die oben bereits aufgezeigte Verpflichtung aller Stellen hoheitlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, gemäß Art. 10 EGV bei der Auslegung des nationalen Rechts auch die völkerrechtlichen Verpflichtungen der EG zu beachten, bezieht sich mithin auch auf gemischte Verträge. 437

432 Zu den Einzelheiten mit Blick auf gemischte Abkommen siehe Tomuschat, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Bd. 5, Art. 228 Rdnr. 24 f. m. w. N. 433

Zur Verpflichtung zur „geschlossenen völkerrechtlichen Vertretung der Gemeinschaft44 siehe EuGH, Beschluß 1/78, IAEO, Slg. 1978,2151 Tz. 34 ff.; Gutachten 1/91, ILO, Slg. 1993,1-1061 Tz. 36; Gutachten 1/94, WTO, Slg. 1994,1-5267 Tz. 108; Rs. C-25/94, FAO -Fischereiübereinkommen, Slg. 1996,1-1469 Tz. 48; zum Kohärenzgebot siehe Tietje, European Foreign Affairs Review 2 (1997), 211 ff. 434

Zu den Beteiligungsrechten des Europäischen Parlaments in den Außenbeziehungen der EU umfassend Hilf/Schorkopf, EuR 1999, 185 ff. m. w. N. 435 St. Rspr., siehe EuGH Rs. 181/73, Haegeman, Slg, 1974, 449 (460); Rs. 12/86, Demirel, Slg. 1987,3747 (3750); Rs. C-192/89, Sevince, Slg. 1990,1-3497 (3500); Gutachten 1/91, EWRI, Slg. 1991,1-6084 (6105); siehe auch Tomuschat, in: Groeben/Thiesing/ Ehlermann (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag, Bd. 5, Art. 228 Rdnr. 57 f. 436 Hierzu die gründliche Analyse von GA Tesauro, Rs. C-53/96, Hermes, Slg. 1998, 1-3603 (3616 ff.) m. w. N.; weiterhin von Bogdandy, NJW 1999, 2088; Heukels, ZEuS 2 (1999), 313 (328 ff.); wohl anders jetzt aber EuGH, verb. Rs. C-300/98 u. C-392/98, Parfüms Christian Dior SA u. a., EuZW 2001, 117 ff. 437

So auch Heukels, ZEuS 2 (1999), 313 (328 ff.).

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

583

5. Internationalisiertes nationales Verwaltungshandeln als Konsequenz der „Integrationskompetenz" der Gemeinschaft Damit kann festgehalten werden, daß sich die traditionelle staatsrechtliche Frage nach der Transformation oder anderweitigen Umsetzung des Völkervertragsrechts in die nationale Rechtsordnung nicht mehr stellt, sobald eine von der EG entweder allein oder in Kooperation mit den Mitgliedstaaten erfolgte außenrechtswirksame völkerrechtliche Regelung einer Sachmaterie vorliegt. Da sich die gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur völkerrechtskonformen Anwendung bzw. gegebenenfalls Auslegung des nationalen Rechts insoweit nicht nur mit Blick auf völkerrechtliche Verträge aktualisiert, sondern auch dann, wenn verbindliche oder unverbindliche Beschlüsse eines internationalen Vertragsorganes vorliegen, kommt es gerade in vielen technisch-administrativen Sachbereichen zu einer bedingungslosen Unterwerfung des nationalen Rechts unter das Völkerrecht. Die nationalen Gerichte, aber insbesondere auch die nationalen Verwaltungsbehörden werden so durch das Gemeinschaftsrecht vermittelt in den Vollzug des Völkerrechts unmittelbar eingebunden, ohne daß eine traditionelle nationale legislative Direktive i. S. v. Art. 20 Abs. 3 GG vorliegen muß. Damit findet eine weit über das innere Gemeinschaftsrecht hinausgehende funktionelle Eingliederung der nationalen Verwaltung in ein völkerrechtlich determiniertes „internationales Verwaltungsrecht" statt. 438 Mit guten Gründen kann in einem weiteren Sinne auch davon gesprochen werden, daß sich die aufgezeigte Internationalisierung des nationalen Verwaltungshandelns im Rahmen des völkerrechtlichen Handelns der EG als ein konsequenter Bestandteil der „Integrationskompetenz" der Gemeinschaft 439 insgesamt darstellt. In gedanklicher Anlehnung an Art. 24 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG hat Vedder überzeugend dargelegt, welche weitreichenden Befugnisse der EG nach dem EGV in seiner Konkretisierung durch den EuGH dahingehend bestehen, gemeinschaftsrechtlich begründete Rechtssetzungsgewalt an internationale Institutionen zu übertragen. 440 Insbesondere die Ausführungen des EuGH in seinem Gutachten zur Vereinbarkeit des geplanten Stillegungsfonds für die Binnenschiffahrt mit dem EGV zeigen mit aller Deutlichkeit die weitreichenden Befugnisse 438

Zur funktionellen Eingliederung der nationalen Verwaltungen in die Gemeinschaftsverwaltung siehe z. B. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 311; unter Verweis auf Cassese, Der Staat 33 (1994), 25 (26): „kodependente Organismen". 439 Der Begriff wurde geprägt von Vedder, Grabitz, 795 ff. 440

Vedder,

in: Randelzhofer/ScholzAVilke (Hrsg.), GS

in: Randelzhofer/ScholzAVilke (Hrsg.), GS Grabitz, 795 ff.

584

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

auf, die der Gemeinschaft mit Blick auf die Übertragung von Rechtssetzungsbefugnissen an internationale Organe zustehen. Der EuGH führte aus, daß die EG zur Verwirklichung einer Gemeinschaftspolitik „nicht nur die Fähigkeit [besitzt],... zu einem Drittstaat in vertragliche Beziehungen zu treten, sondern auch die Befugnis, unter Beachtung des Vertrages gemeinsam mit diesem Staat eine geeignete Einrichtung zu schaffen wie die internationale öffentlich-rechtliche Anstalt, deren Gründung unter der Bezeichnung »Europäischer Stillegungsfonds für die Binnenschiffahrt 4 geplant ist. Die Gemeinschaft kann unter diesem Gesichtspunkt auch mit einem Drittstaat zusammenwirken, um die Organe einer solchen Anstalt mit angemessenen Entscheidungsbefugnissen auszustatten und in einer den verfolgten Zielen gemäßen Weise Art, Ausarbeitung, Inkraftsetzung und Wirkungen der Vorschriften zu regeln, die in diesem Rahmen erlassen sind/ 4441

Die damit der EG als Verbandskompetenz 442 gegebene Möglichkeit einer weitreichenden völkerrechtlichen Integration im Rahmen internationaler Organisationen oder anderer vertraglicher Regime ist eine konsequente Folge notwendiger internationaler Kooperation im Zeichen einer fortschreitenden Interdependenz, die sich in ökonomischen, ökologischen, sozialen und allgemein sonstigen gesellschaftlichen Bereichen vollzieht. In Fortführung der auch in den Verfassungsordnungen der EG-Mitgliedstaaten niedergelegten rechtsnormativen Öffnungen gegenüber dem internationalen System 443 zeigt sich neben der Verpflichtung der Gemeinschaft zur völkerrechtskonformen und -freundlichen europäischen Integration damit ihr normatives Bekenntnis zur internationalen institutionellen Kooperation. 444 Gleichzeitig wird deutlich, daß die Gemeinschaft als bedeutender Akteur im internationalen System ebenso wie einzelne Staaten darauf angewiesen ist, sich an internationalen Vertragsregimen zu beteiligen, die durch völkerrechtliche Rechtssetzungs- und Rechtskonkretisierungsverfahren verschiedenster Art in der Lage sind, flexibel auf neue Herausforderungen zu reagieren. 445 In ihrer allgemeinen Dimension wurde diese Entwicklung bereits für die Referenzgebiete des internationalisierten Verwaltungshandelns aufgezeigt. Hier soll nur noch einmal betont 441

EuGH, Gutachten 1/76, Stillegungsfonds

für die Binnenschiffahrt,

Slg. 1977, 741

Tz. 5. 442 Es geht insoweit nicht um die Frage, ob eine Delegation von Organ-Befugnissen stattfindet, sondern ob die Gemeinschaft insgesamt internationalen Organen eine Rechtssetzungsbefugnis übertragen kann, so überzeugend Vedder, in: Randelzhofer/Scholz/Wilke (Hrsg.), GS Grabitz, 795 (806 f.), mit Nachweisen zur Gegenauffassung. 443

Hierzu im Überblick Tomuschat, in: Bonner Kommentar, Art. 24 nach Rdnr. 209.

444

Siehe auch Tietje, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, vor Art. 302-304 Rdnr. 1; ähnlich wohl Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 25 Rdnr. 8 („Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit" im Gemeinschaftsrecht). 445 Beispiele solcher dynamischen internationalen Vertragsregime, an denen die EG beteiligt ist, finden sich bei Gilsdorf, EuZW 1991, 459 (460 ff.).

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

585

werden, daß es sich insoweit um ein internationalisiertes Phänomen handelt, das deutliche Ähnlichkeiten mit der steigenden Selbständigkeit administrativer Handlungsbefugnisse in komplexen und dynamischen Sachbereichen aufweist, wie sie aus dem innerstaatlichen Recht bekannt ist. 446 Aus Sicht der Mitgliedstaaten hat diese Entwicklung zur Folge, daß die Parallelität von Innen- und Außenkompetenzen der Gemeinschaft zumindest potentiell dazu führt, daß auch die über den Gemeinschaftsrahmen hinausgehenden völkerrechtlichen Handlungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten durch entsprechende Aktivitäten der Gemeinschaft überlagert werden. Der „für die europäische Integration und deren Fortgang geschaffene" Art. 23 GG 4 4 7 läßt sich damit nicht nur als auf das Gemeinschaftsrecht in seiner Binnenstruktur bezogene Staatszielbestimmung448 begreifen, sondern muß insgesamt als Ausdruck der auch rechtspositiv unmittelbar alle Träger öffentlicher Gewalt verpflichtenden internationalen Kooperation angesehen werden. Gerade in technisch-administrativen Bereichen, in denen die EG heute zahlreichen internationalen Vertragsregimen mit eigenständiger Rechtssetzungs- bzw. Rechtskonkretisierungskompetenz angehört, zeigt sich damit eine Dimension nationalen und europäischen Verwaltungshandelns, die sich auf das internationale System insgesamt bezieht. Ihren normativen Steuerungsgehalt erfährt diese internationale Dimension des Verwaltungshandelns aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung, ohne daß es eines territorial bezogenen Steuerungsaktes des nationalen Rechts bedarf. 449

I I I . Die Einbindung internationaler verwaltungsrechtlicher Regelwerke in die deutsche Rechtsordnung 1. Einleitende Gesichtspunkte Neben den zum Teil umfangreichen Auswirkungen, die sich aus dem Zusammenspiel von Gemeinschaftsrecht und Völkerrecht auf die unmittelbar aus dem EG-Recht folgende Einbindung internationaler verwaltungsrechtlicher Rechts446

Einführend hierzu Tietje, GYIL 42 (1999), 26 ff.

447

So BVerfGE 89, 155 (172).

448

Siehe BT-Drucks. 12/3338, 6; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23 Rdnr. 3.

449 Nicht näher eingegangen werden soll hier auf die Frage, ob zumindest die Verfassungsermächtigung des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG dieses Phänomen des internationalisierten Verwaltungshandelns determiniert. Auch diese Einschränkung gilt nur, wenn man den Geltungsgrund des Gemeinschaftsrechts in der Integrationsermächtigung des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG sieht; zur Diskussion statt vieler Oppermann, Europarecht, Rdnr. 619 ff.

586

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

vorgaben in die deutsche Rechtsordnung ergeben, zeigen sich auch für das autonome deutsche Verfassungs- und Verwaltungsrecht zahlreiche Wechselwirkungen einer gegenseitigen Beeinflussung von internationalem und innerstaatlichem Recht, soweit es um das internationalisierte Verwaltungshandeln geht. Da die internationalen Einflüsse, die für das internationalisierte Verwaltungshandeln charakteristisch sind, wie die Analyse ausgewählter Referenzgebiete des internationalisierten Verwaltungshandelns gezeigt hat, in weiten Bereichen durch die rechtsnormativ erhebliche Arbeit internationaler Organisationen oder anderer Institutionen geprägt sind, stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Form diese Rechtsvorgaben in die deutsche Rechtsordnung übernommen werden. Dies soll an dieser Stelle zunächst im Überblick dargestellt werden. Einzelaspekte, die sich auf die konkrete Relevanz internationaler Rechtsvorgaben für die innerstaatliche Verwaltung ergeben, werden im Anschluß hieran behandelt werden. In Rechtsprechung und Schrifttum besteht weitgehende Einigkeit darüber, daß die Einbeziehung einer völkerrechtlichen Norm in die deutsche Rechtsordnung außerhalb des Art. 25 GG nur erfolgen kann, wenn hierzu ein entsprechender genereller oder spezieller Umsetzungsakt vorliegt, der seine Grundlage in der innerstaatlichen Rechtsordnung findet. Wie der dabei zur Anwendung kommende Mechanismus zur Herbeiführung der innerstaatlichen Wirkung der völkerrechtlichen Norm dogmatisch zu erklären ist, wird jedoch bekanntlich unter Verweis insbesondere auf die Transformations-, Inkorporations- und Vollzugstheorie durchaus unterschiedlich beurteilt. 450 Angesichts der dogmatischen Offenheit des Grundgesetzes gegenüber den Vorverständnissen und konkreten Wertungen, die in diesen „Theorien" zum Ausdruck kommen, kann eine prinzipielle Stellungnahme zum vorzugswürdigen Mechanismus der Herbeiführung der innerstaatlichen Wirkung einer völkerrechtlichen Norm hier unterbleiben. Entscheidend ist nur, wie sich die allgemeine Erkenntnis von der innerstaatlichen Wirkung einer völkerrechtlichen Norm zu den beschriebenen Rechtsphänomenen des internationalisierten Verwaltungshandelns verhält. Dabei können zwei Szenarien unterschieden werden: Eine erste Fallgruppe betrifft die Fälle, in denen auf der Grundlage eines bestehenden und innerstaatlich dem Verfahren des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG unterworfenen völkerrechtlichen Vertrages völkerrechtlich rechtsverbindliche Beschlüsse von Organen einer internationalen Organisation oder Organen eines völkerrechtlichen Vertrages ergehen, die zu einer materiellen Vertragsänderung 450

Statt vieler Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, 104 ff.; Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, 150 ff.; Kunig, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Abschn. Rdnr. 37 ff., jeweils m. w. N.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

587

führen. Aufgrund der anerkannten Doppelnatur des Zustimmungsgesetzes nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG als Zustimmung zur Ratifikation nach Art. 59 Abs. 1 GG und Umsetzungsregelung für die innerstaatliche Rechtsordnung 451 scheint hier in jedem Fall ein weiterer Rechtsakt notwendig, der die innerstaatliche Wirksamkeit herbeiführt. Andernfalls käme es nämlich dazu, daß eine Diskrepanz zwischen der innerstaatlichen Rechtslage, die sich auf die Wirksamkeit des „alten" Vertragsinhaltes bezieht, und dem „neuen" völkerrechtlich verbindlichen Vertragsregime bestünde. Diese Situation würde der aus dem Grundgesetz abzuleitenden Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung widersprechen und dazu führen, daß die deutschen Staatsorgane an zwei unterschiedliche und inhaltlich divergierende Rechtsregime im Binnen- und Außenverhältnis gebunden wären. 452 Man kann dieser grundsätzlichen Erkenntnis, die zunächst die konkrete Form der zu fordernden erneuten innerstaatlichen Wirksamkeitsverleihung noch nicht berücksichtigt, auch nicht entgegenhalten, daß das ursprüngliche Zustimmungsgesetz möglicherweise gar keine oder nur begrenzte Teile des zugrundeliegenden völkerrechtlichen Vertrages mit innerstaatlicher Geltung versehen hat, insbesondere soweit es um institutionell-organisatorische Regelungen geht. Die im Schrifttum immer wieder vorzufindene Behauptung, daß nur die Teile eines völkerrechtlichen Vertrages durch das Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG innerstaatliche Wirksamkeit erfahren, die hierzu entsprechend den Grundsätzen zur unmittelbaren Anwendbarkeit geeignet sind, 453 ist nicht zu halten, da eine Vermengung von Aspekten der innerstaatlichen Geltung und der innerstaatlichen unmittelbaren Anwendbarkeit im Sinne der Begründung von Rechten und Pflichten des einzelnen erfolgt. 454 Ein Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bewirkt für jeden völkerrechtlichen Vertrag insgesamt und unabhängig vom Rege451

Zu dieser Doppelnatur statt vieler Schweitzer,

Staatsrecht III, Rdnr. 175 ff.

452

So überzeugend Rösgen, Rechtssetzungsakte der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, 197; im sonstigen Schrifttum wird die Zustimmungsnotwendigkeit bei der Vertragsänderung mit der ratio des Art. 59 Abs. 2 GG zu begründen versucht, vgl. z. B. Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 44; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 39 m. w. N. Bei dieser Begründung bleibt das prinzipielle Problem bestehen, daß wie auch sonst im Rahmen des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG auf den Inhalt der Vertragsänderung abzustellen wäre. Zu den hieraus erwachsenden Argumentationsschwierigkeiten und zur Diskussion z. B. Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 44. 453 So z. B. Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, 173 f.; Maunz, in: Maunz/Dürig/ Herzog u. a., GG, Art. 59 Rdnr. 24; Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 439 ff.; vgl. auch BVerfGE 29, 348 (360). 454

Kunig, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Abschn. Rdnr. 41 f.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 67; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 35 m. w. N.

588

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

lungsgegenstand seiner einzelnen Vorschriften, daß die innerstaatliche Geltung zumindest als objektives Recht, das die staatlichen Organe als solches bindet, herbeigeführt wird. Dementsprechend muß, wie bereits andeutet, jede Vertragsänderung zur Herstellung der Übereinstimmung von innerstaatlicher und völkerrechtlicher Rechtslage mit innerstaatlicher Wirksamkeit versehen werden. 455 Dieses Ergebnis darf nun aber nicht zu der Annahme verleiten, daß jede Vertragsänderung durch einen völkerrechtlichen Organbeschluß zwingend durch ein Gesetz im formellen Sinne mit innerstaatlicher Wirksamkeit zu versehen ist, soweit der ursprüngliche Vertrag auf ein Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zurückgeht. Vielmehr kann der Gesetzgeber, wie in der Staatspraxis zahlreich geschehen,456 die Exekutive dazu ermächtigen, durch Rechtsverordnung die innerstaatliche Wirksamkeit herbeizuführen. Eine solche Verordnungsermächtigung 457 stellt sich materiell als Ermächtigung zum Erlaß einer gesetzesändernden Rechtsverordnung dar. Dies ist nach Art. 80 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn sich aus der Ermächtigungsnorm die gesetzesändernde Dimension der zu erlassenden Rechtsverordnung ableiten läßt. 458 Zugleich zeigt sich hiermit, daß die innerstaatliche Geltungsanordnung durch Rechtsverordnung nach Art. 80 Abs. 1 GG eine an die Exekutive delegierte bzw. ihr ohnehin autonom zustehende Rechtssetzung ist, aus der für sich die innerstaatliche Wirksamkeit des geänderten völkerrechtlichen Vertrages erwächst. Eine Konstruktion unter Annahme einer antizipierten legislativen Transformation, Inkorporation oder Vollzugsanordnung ist dementsprechend nicht nötig 459 und überdies mit der Grundaussage des Art. 80 Abs. 1 GG nicht vereinbar, die gerade in der entweder delegierten, aber eigenständigen, oder sogar originär verwurzelten Rechtssetzungsgewalt der Exekutive liegt. 460 Soweit die Exekutive dazu ermächtigt wird, Änderungen eines völkerrechtlichen Vertrages durch Rechtsverordnung innerstaatliche Wirk455

Nicht dynamischen BVerfGE 90, Art. 59 Rdnr. 456

weiter zu erörtern ist, unter welchen Voraussetzungen in Grenzfällen einer Vertragsentwicklung von einer Vertragsänderung zu sprechen ist, hierzu 286 (361 ff. und 372 ff.); Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, 44 m. w. N.

Siehe die entsprechenden Beispiele in Teil 6.

457

Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der internationalisierten Verordnungsgebung siehe supra Teil 7, A. II. 5. 458 Zur Zulässigkeit gesetzesändernder Rechtsverordnungen nach Art. 80 Abs. 1 GG statt vieler Lücke, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 80 Rdnr. 9; H. Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 80 Rdnr. 18 m. w. N. 459

So aber Rösgen, Rechtssetzungsakte der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, 281 ff. 460

Zur Diskussion statt vieler Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 64 ff. m. w. N.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

589

samkeit zu verleihen, handelt es sich damit um eine eigenständige exekutive Rechtssetzung mit gesetzesänderndem Charakter. Als zweite Fallgruppe, bei der sich die Frage stellt, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein innerstaatlicher Wirksamkeitsakt vorliegen muß, sind die internationalen Rechtsvorgaben für das Verwaltungshandeln zu nennen, die auf eine durch einen völkerrechtlichen Vertrag vorgesehene verbindliche Beschlußfassung zurückgehen und insoweit nicht zu einer Vertragsänderung, sondern zu einer vertraglich bestimmten Fortentwicklung eines Rechtsregimes führen. Soweit ein entsprechender völkerrechtlicher Beschluß, der die Bundesrepublik Deutschland bindet, unmittelbar darauf abzielt, daß der Staat als Adressat des Rechtsaktes in Erfüllung seiner völkerrechtlichen Verpflichtung innerstaatlich Rechte und Pflichten des einzelnen begründen muß, ist in jedem Fall ein innerstaatlicher Umsetzungsakt zu fordern. Dies gebietet die Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes, die abhängig von den sich im Einzelfall ergebenden Wertungen der Wesentlichkeitstheorie 461 ein Gesetz im formellen oder materiellen Sinne für grundrechtsrelevante Hoheitsakte verlangt. Damit die Bundesrepublik ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen aus einem völkerrechtsverbindlichen Beschluß einer internationalen Organisation oder eines sonstigen Vertragsorganes erfüllen kann, muß dementsprechend eine innerstaatliche gesetzliche Grundlage gegeben sein. 462 Etwas problematischer ist die Situation, wenn der völkerrechtsverbindliche Beschluß nicht im einzelnen festlegt, welche konkreten Maßnahmen der Staat als Adressat zu ergreifen hat, damit er seiner völkerrechtlichen Verpflichtung nachkommt. Wie die Darstellung ausgewählter Referenzgebiete des internationalisierten Verwaltungshandelns gezeigt hat, beziehen sich zahlreiche internationale Rechtsvorgaben nur darauf, daß eine Mindestharmonisierung der innerstaatlichen Rechtsstandards erfolgt, ohne konkret festzulegen, wie dies durch innerstaatliche Rechtsakte im einzelnen geschehen soll. Der damit den Staaten völkerrechtlich zustehende Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der völkerrechtlich begründeten Implementierungspflicht führt dazu, daß keine generellen Aussagen zu den innerstaatlichen Umsetzungsmechanismen getroffen werden können. Abhängig vom Einzelfall kommt es auf die Vorgaben der innerstaatlichen Rechtsordnung an, um zu entscheiden, welche Umsetzungsmaßnahme der generellen 461 Hierzu z. B. Kühl, Der Kernbereich der Exekutive, 64 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rdnr. 103 ff.; Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 33 ff.; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 62 Rdnr. 7 ff., jeweils mit umfangr. Nachw. 462 Ausführlich Rösgen, Rechtssetzungsakte der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, 200 ff.

590

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

völkerrechtlichen Implementierungspflicht entspricht. Die Bandbreite der möglichen Umsetzungsakte reicht dabei von dem Erlaß eines Gesetzes im formellen Sinne, insbesondere im Bereich grundrechtsrelevanter Regelungen, bis zur Änderung der Verwaltungspraxis, z. B. durch Erlaß entsprechender Verwaltungs Vorschriften. Das Völkerrecht selbst überläßt es insoweit den Staaten, über die Wahl der adäquaten Umsetzungsmaßnahme frei zu entscheiden, da die völkerrechtliche Pflicht in der Regel nur als Erfolgspflicht statuiert ist. 463 Der so eröffnete Ermessensspielraum kann in der deutschen Rechtsordnung durch den Erlaß ausdrücklicher Umsetzungsvorschriften im Sinne der Transformation, der Inkorporation oder der Vollzugsanordnung sowie durch schlichte rechtliche oder faktische Durchführungsmaßnahmen ausgefüllt werden. Einfache Durchführungsmaßnahmen unterscheiden sich dabei von ausdrücklichen Umsetzungsregelungen dadurch, daß keine wie auch immer geartete Übernahme der völkerrechtlichen Regelung in die deutsche Rechtsordnung erfolgt, sondern die völkerrechtliche Norm nur als tatsächlicher Ansatzpunkt für den Erlaß autonomer innerstaatlicher Rechtsnormen bzw. für das Ergreifen faktischer innerstaatlicher Maßnahmen wie z. B. einer Änderung der Verwaltungspraxis dient. 464 Die im Einzelfall zu treffende Entscheidung über die anzuwendende Implementierungsmaßnahme muß aus innerstaatlicher Perspektive für das internationalisierte Verwaltungshandeln immer unter Berücksichtigung der Lehren vom Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes sowie der Notwendigkeit der Herbeiführung einer Harmonisierung von nationaler und internationaler Rechtslage getroffen werden. 465 Wie im einzelnen im Schrifttum bereits ausführlich nachgewiesen wurde und auch bei der Darstellung ausgewählter Referenzgebiete des internationalisierten Verwaltungshandeln herausgearbeitet werden konnte, vollzieht sich die Umsetzung von technisch-administrativen völkerrechtlichen Rechtsvorgaben in der Staatspraxis dementsprechend auf ganz unterschiedliche, vom Erlaß eines Gesetzes im formellen Sinne bis zur faktischen Änderung der Verwaltungspraxis reichende Weise. Der exekutiven Rechtssetzung bzw. faktischen exekutiven Durchführungsregelung kommt dabei aber eine klare Dominanz zu 4 6 6 463

Statt vieler Kunig, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Abschn. Rdnr. 43; Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 418; ausführlich Rösgen, Rechtssetzungsakte der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, 234 ff. 464

Rösgen, Rechtssetzungsakte der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen,

232 ff. 465

Ausführlich zu den Einzelproblemen Rösgen, Rechtssetzungsakte der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, 240 ff. 466

Ausführlich Rösgen, Rechtssetzungsakte der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, 251 ff.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

591

Insgesamt bestätigt sich damit das bei der Analyse ausgewählter Referenzgebiete des internationalisierten Verwaltungshandelns gewonnene Bild: Die Umsetzung internationaler, das nationale Verwaltungshandeln beeinflussender rechtlicher oder nur faktischer Vorgaben orientiert sich an dem Wechselverhältnis der nationalen und der internationalen Rechtsordnung sowie hinzukommenden pragmatischen Erwägungen. Von einer zwingenden „Transformation", der die Vorstellung der strikt zu trennenden nationalen und internationalen Rechtsräume zugrunde liegt, kann dabei keine Rede sein. 467 Die Vielfältigkeit der Instrumentarien, mit denen die nationale Rechtsordnung die Konsistenz und Kohärenz 468 der rechtlichen und faktischen Rahmenbedingungen des internationalisierten Verwaltungshandelns gewährleistet, läßt sich vielmehr nur unter funktionalen, einzelfallabhängigen Gesichtspunkten adäquat erfassen. Das entspricht der insgesamt das nationale Verwaltungsrecht prägenden Vielzahl seiner Rechtsquellen und ihrer differenzierten Abstufung nach Inhalt, Wirkungsgrad und Form. 469

2. Die materiellrechtliche Bindung der Verwaltung an verbindliche internationalrechtliche Verwaltungsregelungen a) Grundlagen Soweit eine völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik zur Beachtung von internationalen Rechts vorgaben besteht, die sich materiell auf das innerstaatliche Verwaltungshandeln beziehen, ist zunächst das Völkerrechtssubjekt „Bundesrepublik Deutschland" dafür verantwortlich, daß die entsprechende Rechtspflicht beachtet wird. Angesichts des vielfach vorzufindenden Charakters der internationalen Verwaltungsregelungen als Erfolgspflichten, die keine konkreten Vorgaben zu den zu ergreifenden Umsetzungsmaßnahmen enthalten, besteht insoweit ein weiter Ermessensfreiraum hinsichtlich der Frage, welche innerstaatliche Umsetzungsmaßnahme zu ergreifen ist. Dieses Bild ist allerdings nur idealtypisch. Wie 467

So aber noch kategorisch für die Bedeutung des Völkerrechts für das nationale Verwaltungshandeln Ossenbühl, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rdnr. 100. 468

Zur Unterscheidung und Bedeutung der Rechtsbegriffe „Konsistenz" und „Kohärenz" siehe Alexy, Juristische Begründung, System und Kohärenz, in: Behrends/Dießelhorst/ Dreier (Hrsg.), Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, Symposium zum 80. Geburtstag von Franz Wieacker, 95 ff.; Tietje, European Foreign Affairs Review 2 (1997), 211 (212 ff.) m. w. N. 469

Für das innerstaatliche Verwaltungsrecht hierzu Ossenbühl, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rdnr. 1.

592

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

schon an anderer Stelle angedeutet wurde 470 und auch anhand der Komplexität der aufgezeigten einzelnen Steuerungsinstrumentarien in den Referenzgebieten des internationalisierten Verwaltungshandelns empirisch verdeutlicht werden konnte, ist der Normalfall der internationalen technisch-administrativen Regelungsvorgaben von einer komplexen Mischstruktur genereller Erfolgs- und konkreter Handlungspflichten gekennzeichnet. Dies führt dazu, daß die materielle Bindungswirkung von völkerrechtlichen Verwaltungsregelungen nicht ausschließlich unter Verweis auf die völkerrechtliche Erfolgsverantwortlichkeit erklärt werden kann. Vielmehr ist zunehmend im Sinne der bereits erörterten Compliance-Strategie 471 darauf abzustellen, in welchen Sachbereichen welche einzelnen staatlichen Handlungsträger welche völkerrechtlichen Pflichten beachten müssen. Dies läßt sich sowohl völkerrechtlich als auch staatsrechtlich begründen: Nach anerkannten völkerrechtlichen Rechtsgrundsätzen wird einem Staat als für sich nicht handlungsfähiger juristischer Person jedes Verhalten seiner Staatsorgane zugerechnet. Als Staatsorgan ist dabei jeder mit Hoheitsgewalt ausgestattete Träger öffentlicher Belange anzusehen. Die im übrigen nach dem innerstaatlichen Recht zu bestimmende Organstellung bezieht sich aus völkerrechtlicher Perspektive umfassend auf alle Organe der Judikative, der Legislative und der Exekutive, unabhängig davon, ob dem entsprechenden Organ eine international relevante oder nur eine interne Funktion zukommt und auch ohne Berücksichtigung der hierarchischen Stellung im Staatsaufbau. 472 Dies erhellt, daß u. a. das Handeln jeder Verwaltungsbehörde die Staatenverantwortlichkeit der Bundesrepublik begründet, soweit gegen materielles Völkerrecht verstoßen wird. Auch wenn die Verantwortlichkeit dann nur das Völkerrechtssubjekt insgesamt trifft, wird man den anerkannten Zurechnungsgrundsätzen des Völkerrechts gemäß Art. 20 Abs. 3 GG eine unmittelbar die einzelne Verwaltungsbehörde treffende Bedeutung zumessen müssen, da sie als Völkergewohnheitsrecht nach Art. 25 GG insgesamt von allen staatlichen Organen zu beachten sind. Dem entspricht auch die allgemeine Aussage, daß u. a. Verwaltung und Rechtsprechung alle Völkerrechtsnormen, gleichwohl ob nur staatsgerichtet oder unmittelbar anwendbar, stets beachten müssen, um eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Bundesrepublik insgesamt zu vermeiden. 473 Diese Verpflichtung aller staatlichen Organe auf das Völkerrecht konkretisiert sich für die Verwaltung nochmals, wenn die fragliche

470

Supra Teil 5, A. II. 1.

471

Supra Teil 5, A. II. 1. Zu Einzelheiten statt vieler K. Ipsen, in: ders., Völkerrecht, § 40 Rdnr. 3 ff.

472 473

Vgl. BVerfGE 58, 1 (35); 59, 63 (89); 75, 1 (19); Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 25 Rdnr. 24.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

593

Völkerrechtsnorm ihrem Inhalt nach an die Exekutive gerichtete Verhaltensvorgaben enthält. 474 Wie die aufgeführten zahlreichen Beispiele aus dem internationalisierten Gesundheits-, Umwelt-, Kommunikations- und Transportrecht belegen, ist dies heute in vielen Sachbereichen der technisch-administrativen internationalen Kooperation der Fall. Insoweit kann verallgemeinernd konstatiert werden, daß ganz im Sinne der bereits hervorgehobenen Compliance-Strategie 475 mit zunehmender internationaler Regelungsdichte die völkerrechtlich relevante Verantwortlichkeit der nationalen Verwaltungsbehörden insgesamt zunimmt. Im übrigen ergibt sich die Bindung der Verwaltungsbehörden insbesondere an das für sie sachlich relevante primäre und sekundäre Völkervertragsrecht 476 unmittelbar aus Art. 20 Abs. 3 GG. Da, dies sei nochmals betont, im Rahmen der legislativen (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG) oder exekutiven (Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG bzw. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG i. V. m. Art. 80 Abs. 1 GG) Umsetzung völkervertraglicher Regelungen in die deutsche Rechtsordnung immer umfassend die innerstaatliche Geltung herbeigeführt wird, ohne daß es auf Aspekte der unmittelbaren Anwendbarkeit ankommt, handelt es sich immer um „Gesetze" im Sinne von Art. 20 Abs. 3 GG. Diese binden die Verwaltung in jedem Fall als objektives, in der deutschen Rechtsordnung geltendes Recht. 477 Dementsprechend sind von den Verwaltungsbehörden alle primären und sekundären völkervertraglichen Regelungen zu beachten, die durch eine Umsetzungsregelung in die deutsche Rechtsordnung übernommen wurden, auch wenn sie sich „nur" auf verwaltungsinterne, nicht unmittelbar das Staat-Bürger-Verhältnis berührende Sachmaterien, wie z. B. Berichts- oder Konsultationspflich-

474

Zu solchen „organspezifischen Verhaltensregeln" siehe Rojahn, in: von Münch/ Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 25 Rdnr. 20 ff. m. w. N. 475

Supra Teil 5, A. II. 1.

476

Dies gilt natürlich auch für die - hier nicht weiter interessierenden - „allgemeinen Regeln des Völkerrechts" nach Art. 25 GG, ausführlich hierzu Rojahn, in: von Münch/ Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 25 Rdnr. 17 ff. m. w. N. 477

Anders wohl nur Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rdnr. 84, der unter „Gesetz und Recht" nur „die Gesamtheit der materiellen Rechtsvorschriften" versteht, „die die Rechtsverhältnisse zwischen Staat und Bürger und der Bürger untereinander regeln". Diese Reduktion des Anwendungsbereiches des Gesetzesvorranges nach Art. 20 Abs. 3 GG ist unverständlich und widerspricht der z. B. im Rahmen von Art. 34 GG i. V. m. § 839 BGB weitgehend anerkannten Erkenntnis, daß jede Rechtsverletzung, zunächst unabhängig von ihrer Drittbezogenheit, eine Amtpflichtverletzung darstellt, da eine umfassende Verpflichtung der Verwaltung zur Beachtung des gesamten objektiven Rechts besteht. Hierzu statt vieler Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 34 Rdnr. 11; Bonk, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 34 Rdnr. 63. Zum Begriff „Gesetz" in Art. 20 Abs. 3 GG siehe im übrigen Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 20 Rdnr. 107 m. w. N.

594

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

ten, beziehen. 478 Jede andere Bewertung würde nicht zuletzt dazu führen, daß die für die Referenzgebiete des internationalisierten Verwaltungshandelns umfassend rechtsempirisch herausgearbeiteten und dogmatisch anerkannten ComplianceStrategien zur Lösung komplexer internationalisierter gesellschaftlicher Probleme im deutschen Verfassungsrecht keine Entsprechung finden würden. Diese Situation, die einer Rechtsverweigerung gleichkommen würde, wäre mit der Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung unvereinbar. Darüber hinaus würde die schon angedeutete Erkenntnis mißachtet werden, daß als logische Voraussetzung der Prüfung der Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit einer Norm ohnehin zunächst deren Geltung gegeben sein muß. 479 Überdies ist völkerrechtlich anerkannt, daß auch Rechtsregeln, die für sich kein abschließendes und perfektes Normenprogramm enthalten, sondern in ihrer Beachtung einem Beurteilungs- und Ermessensspielraum der Adressaten unterliegen, im Bereich von Beurteilungs- und Ermessensfehlern justiziabel sind. 480 Zumindest im Rahmen der so zu bestimmenden völkerrechtlich relevanten Grenzen bei eingeräumten Beurteilungs- und Ermessensspielräumen besteht eine auch innerstaatliche Rechtsverpflichtung der rechtsanwendenden Organe auf das Völkerrecht. Auch insoweit läßt sich die These von der mangelnden innerstaatlichen Steuerungskraft gewisser völkerrechtlicher Normen nicht halten.

b) Verwaltungsrechtliche Beurteilungs- bzw. Ermessenserwägungen und verbindliches Völkerrecht Den objektiv in der deutschen Rechtsordnung geltenden primären und sekundären Völkervertragsnormen kommt für das Verwaltungshandeln insbesondere bei der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe auf der Tatbestandsebene und hiermit zusammenhängend eventuell gegebener Beurteilungsspielräume sowie bei 478

Unklar insoweit Kunig, in: Graf Vitzthum (Hrsg.),' Völkerrecht, 2. Abschn. Rdnr. 175 ff., der zwar streng zwischen der Geltung und der unmittelbaren Anwendbarkeit u. a. völkervertraglicher Regelungen unterscheidet, dann aber doch meint, daß es der völkerrechtlichen Norm beim Fehlen der Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit an „verhaltensdirigierender Kraft" fehle, was gegebenenfalls dazu führe, „daß ihre Nichtbeachtung Rechtsfolgen nicht auslösen kann". Dies ist mit Blick auf die objektive Geltung von völkerrechtlichen Normen, auch wenn sie nicht unmittelbar anwendbar sind, nicht nachvollziehbar, da bei ihrer Nichtbeachtung als Rechtsfolge sowohl ein Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG vorliegt, als auch die Begründung einer völkerrechtlichen Verantwortlichkeit eintritt. 479

Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Art. 59 Rdnr. 67; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 35, jeweils m. w. N. 480

Ausführlich hierzu Bleckmann, Ermessensfehlerlehre, 21 ff.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

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der Ermessensausübung Bedeutung zu. Soweit es allgemein um die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe im Verwaltungsrecht geht, ist die normkonkretisierende Exekutive nach allgemeinen Grundsätzen an die herkömmlichen juristischen Interpretationsmethoden gebunden.481 Zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen gehört auch die Beachtung der Einheit der Rechtsordnung. Insofern kommt dem mit innerstaatlicher Geltung versehenen Völkerrecht eine Interpretationsbedeutung zu, die sich nicht von Auslegungsmaßstäben unterscheidet, die ausschließlich auf das autonome innerstaatliche Recht bezogen sind. Dieser Umstand erlangt gerade im Bereich des internationalisierten Verwaltungshandelns besondere Bedeutung, da sich mit zunehmender internationaler Regelungsdichte in technisch-administrativen Sachbereichen die Sachnähe zu den entsprechenden innerstaatlichen unbestimmten Rechtsbegriffen intensiviert. Dadurch erfolgt eine fortschreitende Konkretisierung zahlreicher Typenbegriffe des Verwaltungsrechts, die für unbestimmte Rechtsbegriffe charakteristisch sind. 482 Ob es sich bei den einschlägigen völkerrechtlichen Regelungen um unmittelbar anwendbare Vorschriften handelt, spielt keine Rolle, da in jedem Fall aufgrund des entsprechenden Zustimmungsaktes der Legislative oder der Exekutive ihre innerstaatliche Geltung begründet wurde. Selbst wenn man dies nicht anerkennt, bleibt es jedenfalls dabei, daß das verfassungsrechtliche Gebot der völkerrechtsfreundlichen Interpretation des gesamten nationalen Rechts 483 gerade bei der Auslegung von Generalklauseln zu beachten ist. 4 8 4 Auch wenn es sich hierbei nur um einen Aspekt aus einer Mehrzahl von gleichberechtigt zu beachtenden Rechtskonkretisierungsmaximen handelt und daher im Einzelfall eine Abwägung mit anderen, gegebenenfalls widerstreitenden normativen Wertentscheidungen geboten sein kann, 485 ist die völkerrechtskonforme Auslegung angesichts der bereits genannten typenkonkretisierenden Funktion der zunehmenden Regelungsdichte in internationalen technisch-administrativen Sachbereichen von besonderer Relevanz. Die angeführten Aspekte gelten im Grundsatz sowohl soweit es um gerichtlich nachprüfbare Rechtsfehler der Verwaltung bei der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe geht als auch bei der Wahrnehmung eingeräumter Ermessensspielräume (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Bei der richterlichen Nachprüfung be481 Allgemein zur Problematik unbestimmter Rechtsbegriffe im Verwaltungsrecht statt vieler Ossenbühl, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rdnr. 23 ff.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 31 Rdnr. 8 ff. 482

Vgl. Wolff/Bachof/Stober,

Verwaltungsrecht I, § 31 Rdnr. 11.

483

BVerfGE 63, 1 (20); Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 24 Rdnr. 4; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 25 Rdnr. 4. 484

V G Frankfurt, NJW 1993, 2067 (2068); Kühne, NJW 1986,1397 (1399 f.) m. w. N.

485

Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 24 Rdnr. 4.

596

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

stehender Beurteilungs- und Ermessensspielräume, die sich dem Grunde nach an denselben Fehlerquellen orientiert, 486 sind völkerrechtliche Regelungen als Bestandteil des von der Verwaltung stets zu beachtenden objektiven Rechts relevant. Ohne hier auf Einzelheiten der Ermessensfehlerlehre eingehen zu müssen,487 steht zumindest fest, daß die notwendige Beachtung des Zweckes der Ermächtigungsnorm nicht isoliert auf die konkrete, streitentscheidende Norm zu beziehen ist, sondern in einem umfassenderen Sinne die Vorgaben der Rechtsordnung insgesamt zu beachten hat. 488 Als maßgeblicher Referenzpunkt der Beurteilungs- und Ermessensfehlerlehre erfaßt die Zweckorientierung damit auch völkerrechtliche Regelungen, gleich ob man dies mit ihrer ohnehin gegebenen innerstaatlichen Geltung oder unter Verweis auf den Verfassungsgrundsatz der völkerrechtskonformen Interpretation begründet. 489 Eine besondere Form der Einschränkung bzw. Konkretisierung einer gegebenen Ermessensermächtigung in Fällen des internationalisierten Verwaltungshandelns stellt die Fallgruppe dar, in denen unter Bezugnahme auf völkerrechtliche Regelungen ein intendiertes Ermessen gegeben ist. Als Beispiel hierfür kann auf § 12 SchSG verwiesen werden, der die für die Schiffssicherheit jeweils zuständige Behörde verpflichtet, bei ihrer Ermessensausübung die von der I M O oder einer anderen zuständigen zwischenstaatlichen Organisation beschlossenen Empfehlungen zu berücksichtigen, soweit sie sie „an geeigneter Stelle in deutscher Sprache bekanntgemacht hat". Unabhängig von der sogleich noch näher zu erörternden Frage, inwieweit ein solcher Verweis auf unverbindliche internationale Standards verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet,490 ist dies zumindest unter verwaltungsrechtlichen Gesichtspunkten geradezu der idealtypische Fall eines internationalisierten intendierten Ermessens, das ausdrücklich gesetzlich vorgeschrieben ist. 491 Nach zwischenzeitlich gefestigter Rechtsprechung hat dies zur Folge, daß die Verwaltungsbehörde unter Verweis auf die vom Gesetzgeber festgelegte Ermessensrichtung keine weiteren Erwägungen im Sinne von § 40 VwVfG an-

486

Kopp/Schenke,

VwGO, § 114 Rdnr. 31b.

487

Siehe z. B. Ossenbiihl, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rdnr. 15 ff.; Alexy, JZ 1986, 701 ff.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 31 Rdnr. 45 ff. 488

Kopp/Schenke,

VwGO, § 114 Rdnr. 9 und 39 m. w. N.

489

Siehe z. B. BVerwGE 66, 268 (274); 91, 327 (331); Kopp/Schenke, Rdnr. 9 m. w. N. 490 491

VwGO, § 114

Infra Teil 7, B. III. 3.

Ebenso Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 31 Rdnr. 34a; zum intendierten Ermessen ausführlich und kritisch Borowski, DVB1. 2000, 149 ff.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

597

stellen muß. 492 Überdies ist im Rahmen von § 12 SchSG von Interesse, daß sich die vorgegebene Ermessensdirektive nicht nur allgemein auf die dort genannten Sicherheitsstandards bezieht, sondern auch verlangt, daß „die Ausfüllung eines vorgeschriebenen Standards ausdrücklich in das Ermessen der [nationalen, Anm. Verf.] Verwaltung" gestellt ist. Der nationale Gesetzgeber erkennt damit die innerstaatliche Bedeutung internationaler Sicherheitsstandards für die Seeschiffahrt an und verdeutlicht zugleich, daß das innerstaatlich gegebene Ermessen (§ 40 VwVfG) mit einem völkerrechtlichen Ermessenstatbestand, der sich streng positivistisch gesehen nur an den Staat als Völkerrechtssubjekt richtet, korrespondiert. 493 Damit wird die den Staat transzendierende Rolle der Verwaltung in einer gemeinwohlorientierten, technisch-administrativen internationalen Rechtsordnung, die sich hinsichtlich der effektiven Rechtsverwirklichung an umfassenden Compliance-Stralegien orientiert, deutlich herausgestellt.

c) Verwaltungsrechtliche Bedeutung von unmittelbar anwendbaren Völkerrechtsnormen Über die objektiv-rechtliche Einwirkung von primären und sekundären Rechtsnormen des Völkervertragsrechts auf Beurteilungs- und Ermessenserwägungen der Verwaltung hinausgehend ist weiterhin die Fallgruppe zu beachten, in der im Einzelfall eine unmittelbare Anwendbarkeit gegeben ist. Hierunter ist zu verstehen, daß die Völkerrechtsnorm ihrer Struktur und ihrem Inhalt nach hinreichend bestimmt ist, um, nachdem sie innerstaatliche Geltung erlangt hat, ohne weiteren Ausführungsakt in der nationalen Rechtsordnung angewandt werden zu können und gegebenenfalls sogar subjektive Rechte und Pflichten des einzelnen zu begründen. 494 Wenn die Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit und zusätzlich der Begründung subjektiver Rechte und Pflichten gegeben sind, kann sich zunächst jeder Rechtsunterworfene auf die entsprechende Norm berufen, um hieraus für sich konkrete Rechte abzuleiten. Darüber hinaus kann die Norm in jedem Fall der Verwaltung als Rechtsgrundlage für außenwirksame Maßnahmen 492 Vgl. BVerwGE 66, 19 (25); 72,1 (6); 82, 356 (363); 91, 82 (90); siehe auch Ossenbühl, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rdnr. 13; Wolff/Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht I, § 31 Rdnr. 34a; ablehnend allerdings Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rdnr. 12; weitere Nachweise bei Borowski, DVB1. 2000, 149 ff. 493 494

Zum Ermessen im Völkerrecht ausführlich Bleckmann, Ermessensfehlerlehre, 21 ff.

Statt vieler hierzu BVerfGE 29,348 (360); Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 438 ff.; zur Unterscheidung zwischen unmittelbarer Anwendbarkeit und Begründung subjektiver Rechte und Pflichten statt vieler Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 35 m. w. N.

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Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

im Subordinationsverhältnis dienen, ohne daß grundsätzlich ein weiterer innerstaatlicher Rechtsakt notwendig ist. Anders ist dies nur, wenn sich aus der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes in der Ausgestaltung der Wesentlichkeitstheorie ergibt, daß im Einzelfall eine Ermächtigungsgrundlage für das exekutive Handeln notwendig ist, die in ihrer Bestimmtheit über das Maß der unmittelbar anwendbaren völkerrechtlichen Norm hinausgehen muß. Soweit dies der Fall ist, bedarf es immer einer zusätzlichen innerstaatlichen Ermächtigungsnorm, die rechtstechnisch das völkerrechtliche Normenprogramm um die verfassungsfesten Vorgaben zum Vorbehalt des Gesetzes ergänzt. 495 In der internationalisierten Verwaltungspraxis lassen sich, wie die Darstellung ausgewählter Referenzgebiete gezeigt hat, angesichts des Detailcharakters der hier vorzufindenden primären und sekundären völkervertraglichen Regelungen zahlreiche Vorschriften ausmachen, die die Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit erfüllen. 496 Je detaillierter die völkerrechtliche Norm dabei selbst ist, desto geringere Anforderungen sind im Sinne der Wesentlichkeitstheorie an normkonkretisierende innerstaatliche Rechts vorgaben zu stellen. Insoweit kann eine inhaltlich hinreichend präzise völkerrechtliche Vorschrift in Verbindung mit dem entsprechenden allgemeinen innerstaatlichen Umsetzungsakt durchaus als verfassungsgemäße Ermächtigungsgrundlage für grundrechtsrelevante Verwaltungsmaßnahmen dienen.

d) Kollisionen von nationalem Recht und Völkerrecht Kurz zu erörtern ist weiterhin, welche Konsequenzen sich für die gesetzesanwendende Verwaltung ergeben, wenn eine völkerrechtliche, in die deutsche Rechtsordnung übernommene Norm mit innerstaatlichem Recht kollidiert. In normhierarchischer Hinsicht gilt zunächst, daß primäres und sekundäres Völkervertragsrecht innerhalb der deutschen Rechtsordnung im Rang des einfachen Gesetzes steht 4 9 7 Verfassungsrechtliche für die Verwaltung maßgebliche Vorgaben, wie die Grundrechte, gehen damit in ihrer Wirkung in jedem Fall den in die deutsche Rechtsordnung übernommenen Völkerrechtssätzen vor. Gleiches soll nach h. M. auch für einfaches innerstaatliches Recht gelten, soweit es nach der Lex-posterior-Rege\ die frühere Völkerrechtsnorm in Gestalt ihrer innerstaatlichen

495

Kunig, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Abschn. Rdnr. 178.

496

Hierzu auch ausführlich Rösgen, Rechtssetzungsakte der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, 220 ff. 497 Unstrittig, siehe Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 37; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Art. 59 Rdnr. 65.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

599

Geltung derogiert. 498 Ob dieser in der Regel nicht weiter hinterfragten Aussage in ihrer formalistischen Ausrichtung gefolgt werden kann, ist aber fraglich, wenn man die Konsequenzen in Betracht zieht, die sich hieraus im Hinblick auf den gleichsam sehenden Auges in Kauf genommenen Völkerrechtsverstoß ergeben. Angemessener erscheint es, vor Anwendung der Lex-posterior-Regel zunächst zu versuchen, eine praktische Konkordanz zwischen der divergierenden innerstaatlichen und völkerrechtlichen Rechtslage herbeizuführen, indem gegebenenfalls eine geltungserhaltende Reduktion des innerstaatlichen Rechtssatzes erfolgt. Zugleich ist es problematisch, die gesetzesanwendende Behörde auf das spätere, völkerrechtswidrige Gesetz zu verpflichten, ohne die Möglichkeit zu eröffnen, den Völkerrechtsverstoß materiell oder im Verwaltungsverfahren geltend zu machen. Auch wenn der innerstaatlichen Verwaltung nach überwiegender Auffassung wohl nicht die Befugnis zusteht, verfassungswidrige formelle Gesetze zu verwerfen, 499 ist insoweit zumindest die beamtenrechtliche Remonstrationspflicht (§38 Abs. 2 BRRG) in Erinnerung zu rufen. Die Verpflichtung des Beamten auf die Rechtmäßigkeit seines Handelns gemäß § 38 Abs. 1 BRRG ist nicht nur im Lichte der geltenden formellen und materiellen Gesetze zu sehen, sondern auch auf die Völkerrechtsgemäßheit seiner Tätigkeit zu beziehen. Damit steht zumindest im Verwaltungsverfahren die Möglichkeit offen, der Anwendung eines völkerrechtswidrigen Gesetzes durch entsprechende verwaltungsinterne Maßnahmen zu entgehen. Das entspricht der Beachtung der Grundsätze der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit, die auch durch Verwaltungshandeln begründet werden kann, sowie der Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung insgesamt.

3. Der Verweis auf verbindliche und unverbindliche internationale Regelwerke als verfassungsrechtliches Phänomen und Problem a) Einleitende Überlegungen Die unterschiedlichen Methoden, die zu einer unmittelbaren oder mittelbaren rechtlichen Beeinflussung des nationalen Verwaltungshandelns durch internationale Vorgaben führen, stellen sich aus verfassungsrechtlicher Sicht in zahlreichen Fällen als Verweise des nationalen Rechts auf außerhalb der staatlichen Jurisdiktion ihren Ursprung findende Erkenntnisquellen dar. Dies gilt gleichermaßen 498 Hierzu sowie zu möglichen Ausnahmen statt vieler Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 37 m. w. N. 499

Umfassende Nachweise zur Diskussion bei Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 196.

600

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

für Verweise auf völkerrechtlich verbindliche und unverbindliche Regelungen. Entscheidend ist insoweit immer, daß nicht unmittelbar von der deutschen Legislative determinierte Erkenntnisquellen als Tatbestandsmerkmal bzw. relevante Gesichtspunkte der Ermessensabwägung eine rechtserhebliche Bedeutung erlangen. Dies ist freilich kein Phänomen, das auf das internationalisierte Verwaltungshandeln beschränkt ist, sondern in der deutschen Rechtsordnung in den unterschiedlichsten, einen internationalen Bezug aufweisenden Regelungsbereichen anzutreffen ist. 500 Die verwaltungsrechtliche Besonderheit der Verweistechnik im internationalisierten Verwaltungshandeln besteht aber darin, daß durch sie die Kooperationsbeziehung zwischen nationalen und internationalen Regelungsanstrengungen mit Blick auf die technisch-administrative Aufgabenerfüllung in internationalisierten Gesellschaftsbereichen hervorgehoben wird. Dies entspricht der kooperativen Aufgabenerfüllungsstrategie, die insgesamt dem Global-governance-Konzept zugrunde liegt. Vor diesem Hintergrund ist näher zu erörtern, wie sich das Verfassungsrecht zu dem beschriebenen Phänomen verhält. In der Typologie internationalisierter Verweisungen im deutschen Recht können mehrere Fallgruppen unterschieden werden: An erster Stelle sind statische Verweisungen des autonomen deutschen Verwaltungsrechts auf Vorschriften zu nennen, die in ihrem feststehenden Bestand umfassend durch Gesetz oder Rechtsverordnung in die deutsche Rechtsordnung übernommen wurden. Diese Technik begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, da durch den legislativen oder exekutiven Übernahmeakt und die statische Natur der Verweisung gesichert ist, daß die im Hinblick auf das Demokratieprinzip entscheidende materielle Normverantwortung des unmittelbar oder mittelbar legitimierten rechtssetzenden Organes vollumfänglich gegeben ist. 501 Insoweit besteht auch kein Unterschied, ob der Rechtssetzer auf autonomes deutsches Recht oder auf in die deutsche Rechtsordnung übernommene völkerrechtliche Regelungen verweist. So klar damit die Verfassungsrechtslage für diese erste Fallgruppe ist, sowenig gewinnbringend ist sie im vorliegenden Untersuchungszusammenhang, da sich der Regelfall der Verweisung im internationalisierten Verwaltungsrecht gerade nicht als umfassende statische Bezugnahme auf völkerrechtliche Normen, die in die deutsche Rechtsordnung übernommen wurden, darstellt. Verweisungen im inter500 Umfassend hierzu Engel, Völkerrecht als Tatbestandsmerkmal deutscher Normen, passim . 501 Zur Zulässigkeit statischer Verweisungen, soweit das Gebot der Rechtsklarheit beachtet wird, siehe BVerfGE 26,338 (367); 47,285 (311 f.); 87,399 (407); 92,191 (197); Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 20 Rdnr. 123; Schulze-Fielitz,, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rdnr. 131.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

601

nationalisierten Verwaltungsrecht sind vielmehr regelmäßig durch ihre dynamische Struktur gekennzeichnet. Dies zeigt sich daran, daß der Gesetzgeber auf völkerrechtliche Regelungen verweist, die in ihrem Bestand im Zeitpunkt des Erlasses der Verweisnorm noch gar nicht auszumachen sind. Insoweit geht es in erster Linie um Verweisungen auf völkerrechtlich verbindliche Beschlüsse oder unverbindliche Empfehlungen internationaler Organe, die zum Teil nach ihrer internationalen Verabschiedung in das deutsche Recht übernommen werden. Verschiedentlich erfolgt aber auch gar keine ausdrückliche Übernahme in das deutsche Recht, wie es insbesondere bei unverbindlichen Empfehlungen der Fall ist. Dementsprechend muß sich die verfassungsrechtliche Erörterung internationalisierter Verweisungen darauf konzentrieren, inwieweit eine solche dynamische Verweisung insgesamt und darüber hinaus vor dem Hintergrund des erfolgten oder unterlassenen Übernahmeaktes zulässig ist. Die umfangreiche Diskussion zur prinzipiellen verfassungsrechtlichen Problematik dynamischer Verweisungen muß hier nicht neu aufgerollt werden. 502 Es genügt vielmehr zunächst festzustellen, daß heute im wesentlichen Einigkeit zu einigen Kernpunkten besteht, an denen sich die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dynamischer Verweisungen auszurichten hat. Eingedenk geäußerter, grundlegender Bedenken gegenüber dynamischen Verweisungen 503 ist dabei zwischen demokratischen und rechtsstaatlichen Fragen zu differenzieren. Hinsichtlich des grundgesetzlichen Demokratieprinzips stellen sich dynamische Verweisungen insbesondere dann als problematisch dar, wenn keine Identität der Normgeber vorliegt, was zu einer ,,unzulässige[n] Entäußerung von Rechtssetzungskompetenzen" führen könnte. 504 Dieses Problem verschärft sich nochmals, wenn auf Regelwerke verwiesen wird, denen keine Gesetzes Wirkung zukommt, weil sie z. B. von privaten Gremien erlassen werden. 505 Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten stehen dynamische Verweisungen darüber hinaus in einem möglichen Konflikt mit der 502 Siehe z. B. Ossenbühl, DVB1. 1967, 401 ff.; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, passim; Schenke, NJW 1980, 743 ff.; Sachs, NJW 1981, 1651 ff.; Brugger, VerwArch 78 (1987), 1 ff.; Clemens, AöR 111 (1986), 63 ff.; Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, 139 ff.; zahlreiche weitere Nachweise bei Engel, Völkerrecht als Tatbestandsmerkmal deutscher Normen, 39 f. 503 Siehe insbesondere Ossenbühl, DVB1. 1967, 401 ff.; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, 115 ff.; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20 (Demokratie) Rdnr. 111; Schenke, NJW 1980, 737 ff.; zahlreiche Nachweise aus dem älteren Schrifttum bei Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 390 Fn. 1. 504 505

So Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20 (Demokratie) Rdnr. 111.

Im Überblick hierzu Dreier, Rdnr. 112 m. w. N.

in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20 (Demokratie)

602

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

grundgesetzlich gebotenen Normklarheit. Diese wird allerdings in der Regel als gegeben angesehen, wenn der Normunterworfene anhand der Verweiskette und der Veröffentlichung der maßgeblichen Vorschriften die Rechtslage hinreichend präzise erfassen kann. 506 Bevor die eigentlichen Probleme der dynamischen internationalisierten Verweisung im Hinblick auf das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip zu erörtern sind, bedarf es aber zunächst einer kurzen Betrachtung des Art. 59 Abs. 2 GG. Durch den in dieser Vorschrift vorgesehenen Übernahmeakt völkerrechtlicher Regelungen in die deutsche Rechtsordnung könnte nämlich schon für sich die Zulässigkeit dynamischer Verweisungen auf innerstaatlich in ihrem Ursprungsbestand mit Geltung versehene Regelungen gegeben sein, wenn man insoweit eine Parallele zu Art. 25 GG als weitere Übernahmevorschrift des Grundgesetzes zieht. 507 Aus der Parallelität der beiden Bestimmungen ließe sich schlußfolgern, daß die dem Art. 25 GG inhärente dynamische Verweisung auf das kontinuierlich in der Entwicklung befindliche Völkergewohnheitsrecht ebenso für das Völkervertragsrecht gelten muß, so daß von abschließenden Lex-specialis-Rege\ungen für dynamische internationale Rechtsquellen, die innerstaatliche Geltung beanspruchen, auszugehen wäre. 508 Einer solchen Sicht der Dinge muß aber entgegengehalten werden, daß sich die Übernahmetechniken in Art. 25 GG und Art. 59 Abs. 2 GG insoweit voneinander unterscheiden, als durch Art. 25 GG eine verfassungsunmittelbare Herbeiführung der innerstaatlichen Geltung von Völkerrechtsnormen begründet wird, während dies nach Art. 59 Abs. 2 GG nur verfassungsrechtlich ermöglicht wird und der eigentliche Übernahmeakt sich dann durch die innerstaatliche Rechtssetzung vollzieht. Die dynamische Natur des verfassungsunmittelbaren Völkergewohnheitsrechts kann insofern nicht mit der Frage nach der Zulässigkeit einer dynamischen Verweisung durch die rechtssetzenden Staatsorgane verglichen werden. 509 Dementsprechend bleibt es bei dynamischen Verweisungen auf innerstaatlich in ihrem Ausgangsbestand nach Art. 59 Abs. 2 GG - gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 80 Abs. 1 GG - mit Wirksamkeit ver-

506

BVerfGE 47, 285 (311); Schulze-Fielitz, (Rechtsstaat) Rdnr. 132 m. w. N.

in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20

507 Zu Art. 25 GG als Verweisungsnorm siehe Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, 48 f. 508 Siehe die Überlegungen von Engel, Völkerrecht als Tatbestandsmerkmal deutscher Normen, 38 und 41. 509

1. E. ebenso, allerdings mit anderer Begründung, Engel, Völkerrecht als Tatbestandsmerkmal deutscher Normen, 38 f.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

603

sehene Regelungen dabei, daß ihre Zulässigkeit unter allgemeinen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen ist. 510 b) Bewertung anhand des Demokratieprinzips Unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten ist zunächst festzustellen, daß sich die Gefahr einer verfassungswidrigen „Entäußerung von Rechtssetzungskompetenzen" im Rahmen einer internationalisierten dynamischen Verweisung jedenfalls dann nicht stellt, wenn es zu einer Übernahme der fortentwickelten völkerrechtlichen Rechtsakte, auf die Bezug genommenen wird, in die deutsche Rechtsordnung kommt. Soweit hierbei die Voraussetzungen der Art. 59 Abs. 2 Satz 1, Art. 59 Abs. 2 Satz 2 oder Art. 80 Abs. 1 GG beachtet werden, liegt immer eine Identität des Normgebers im kompetenzrechtlichen Sinne vor. Anders könnte dies zu beurteilen sein, wenn eine dynamische Verweisung auf internationale - verbindliche oder unverbindliche - Rechtsvorgaben erfolgt, ohne daß diese ausdrücklich in die innerstaatliche Rechtsordnung übernommen werden. In diesen Fällen fehlt es tatsächlich an einer Identität der für die Konkretisierung einer Verweisnorm maßgeblichen Rechtssetzungsinstanzen. Auch wenn insbesondere in der Rechtsprechung für die Parallelsituation des Auseinanderfallens der Rechtssetzungsinstanzen bei rein innerstaatlichen Verweisnormen ohnehin kein prinzipielles Problem gesehen wird, 511 kann man die hiergegen vorgebrachte Kritik nicht vorschnell von der Hand weisen. Allerdings wird ein pauschaler und formaler Verweis auf die Nichtidentität der Rechtssetzungsinstanzen nicht ausreichen, um das Verdikt der Verfassungswidrigkeit zu begründen. Auch wenn es für sich ebensowenig überzeugen kann, den verfassungrechtlichen Bedenken gegenüber dynamischen Verweisungen insgesamt eine „rechtsrealistische" Sichtweise gegenüberzustellen und so unter Verweis auf pragmatische Gesichtspunkte ihre grundsätzliche Unbedenklichkeit zu begründen, 512 ist aber anzuerkennen, daß es eine 510 Dabei geht es, wie die analysierten Referenzgebiete des internationalisierten Verwaltungshandelns gezeigt haben, um echte Verweisungen, und nicht um „Vorbehalte zugunsten der ausländischen Gesetzgebung". Hierunter werden zum Teil die Kollisionsnormen des internationalen Privat- und Verwaltungsrechts verstanden; sie sollen von den verfassungsrechtlichen Problemen von Verweisungen von vornherein ausgeklammert sein. Siehe z. B. Clemens, AöR 111 (1986), 63 (72 ff.); hiergegen Engel, Völkerrecht als Tatbestandsmerkmal deutscher Normen, 41. 511 Siehe z. B. BVerfGE 47, 285 (311 f.); 64, 208 (215); zahlreiche weitere Nachweise bei Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 20 Rdnr. 123 Fn. 353. 512

So insbesondere Brugger, VerwArch 78 (1987), 1 (22 ff.); hiergegen überzeugend Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, 139 f.

604

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

sachliche Legitimation für diese Art der Gesetzgebungstechnik gibt. Sie ist im Zusammenhang mit rechtssetzungsökonomischen Aspekten 513 darin zu sehen, daß die Komplexität der rechtlichen Steuerung dynamischer, technisch komplexer Sachverhalte einer Regelung zugeführt wird, die sich an den Gedanken der Funktionsgerechtigkeit im Sinne von an praktischer Rationalität orientierten Legitimitätskriterien ausrichtet. 514 Dem entspricht es, wenn das BVerfG die Zulässigkeit von gesetzlichen Bedingungen für das Inkrafttreten eines Gesetzes, deren Eintritt u. a. von Maßnahmen Dritter abhängt, danach beurteilt, daß die sachlich-inhaltliche Legitimation gegeben ist, die der Bedingungsregelung zugrunde liegt. Deutlich wird dies durch den Verweis des BVerfG darauf, daß „das mit dem Gesetz verfolgte rechtliche und soziale Ziel sonst nicht sachgerecht verwirklicht werden könnte". 515 Auch wenn sich die dynamische Verweisung inhaltlich nicht unmittelbar mit gesetzlichen Bedingungsregelungen vergleichen läßt, ist das zugrundeliegende Sachproblem doch ähnlich strukturiert: Wie auch bei der dynamischen Verweisung das Problem in dem Auseinanderfallen der maßgeblichen Rechtssetzungsinstanzen gesehen wird, ist eben dies auch der wesentliche Gesichtspunkt gewesen, der das BVerfG dazu veranlaßt hat, auf funktionale Rechtfertigungsgründe für diese Besonderheit im Rechtssetzungsverfahren hinzuweisen. 516 Weiterhin zu beachten ist, daß sich die dynamische internationalisierte Verweisung von entsprechenden Regelungen im föderalen System unterscheidet. Die Aufgabenerledigung im internationalen System ist, dem Modell der global governance folgend, von vornherein kooperativistisch angelegt. Im Bundesstaat ist demgegenüber zunächst von einer strikten Kompetenzabgrenzung auszugehen (vgl. Art. 30 GG). 5 1 7 Erst hierauf aufbauend erlangen kooperative Aufgabenerledigungsaspekte, wie sie auch in der dynamischen Verweisung innerhalb des föderalen Systems zum Ausdruck kommen, 518 Bedeutung. Dementsprechend können Kompetenzabgrenzungsaspekte zwar eine Zulässigkeitsschranke für föderalisierte dynamische Verweisungen sein, nicht jedoch per se für internationalisierte Ver-

513

Hierzu z. B. Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, 11 f.

514

Zu diesem Gesichtspunkt siehe supra Teil 7, A. II. 3. b).

515

BVerfGE 42, 263 (284).

516

Auf den Zusammenhang von rechtsstaatlich-demokratischer Legitimation einer Verweisung und hiermit zusammenhängenden kompetenzrechtlichen Fragen weist auch hin Clemens, AöR 111 (1986), 63 (120 ff.). 517 518

Hierzu statt vieler Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 30 Rdnr. 15.

Zur Verweisung als Form der Bund-Länder-Zusammenarbeit siehe Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, 188 ff.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

605

Weisungen. Sie stellen vielmehr geradezu den gesetzestechnischen Idealtypus des mit Verfassungsrang versehenen Prinzips internationaler Zusammenarbeit dar. 519 Auch wenn der Hinweis auf die Verlagerung von Rechtssetzungskompetenzen als prinzipieller Einwand gegen die Zulässigkeit der dynamischen Verweisung damit nicht trägt, bleibt es dabei, daß hierüber hinausgehende demokratietheoretische Aspekte zu beachten sind. Indem nämlich durch eine internationalisierte dynamische Verweisung auf nicht ausdrücklich in die deutsche Rechtsordnung umgesetzte internationale Regelwerke, einer internationalen Instanz eine Funktion zugesprochen wird, die ihrer Struktur nach einer Rechtssetzungsgewalt nahe kommt, die in ihrem konkreten Umfang keiner Kontrolle durch den deutschen Gesetzgeber unterliegt, entsteht ein internationaler Einfluß auf nationale Rechtsnormen, der mit der herkömmlichen Vorstellung einer Exklusivität des innerstaatlichen Rechtssetzungsprozesses scheinbar in Konflikt tritt. Sucht man dieses Phänomen rechtlich näher zu erfassen, drängt sich die Parallele zur dynamischen Verweisung auf private Regelwerke auf, wie sie insbesondere im Technik- und Umweltrecht anzutreffen sind. Auch ihre Zulässigkeit wird im Kern unter Verweis auf die fehlende demokratische Legitimation privater Gremien, auf die Bezug genommen wird, als problematisch angesehen.520 Im Einklang insbesondere mit den grundlegenden Untersuchungen von Marburger und Denninger wird man aber differenzieren müssen: Soweit eine normkonkretisierende dynamische Verweisung vorliegt, die sich dadurch auszeichnet, daß z. B. im Sinne einer Generalklausel (z. B. „Stand der Technik") die wesentliche legislative Intention hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmtheit der konkretisierenden privaten Regelwerke gegeben ist, besteht im Regelfall eine ungebrochene Legitimationskette gemäß Art. 20 Abs. 2 GG. 5 2 1 Ein strengerer verfassungsrechtlicher Maßstab ist jedoch anzulegen, wenn es um normergänzende dynamische Verweisungen geht. Diese zeichnen sich dadurch aus, daß ohne weitere legislative Festlegung umfassend auf ein privates Regelwerk verwiesen wird und nur dieses daher über die Tatbestands-

519

Hierzu supra Teil 4, B. III.

520

Zur Diskussion siehe z. B. Brugger, VerwArch 78 (1987), 1 (41 ff.); Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, 141 ff., jeweils m. w. N. 521 Zur Differenzierung zwischen normkonkretisierender und normergänzender dynamischer Verweisung grundlegend Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 385 ff.; dem folgend und umfassend zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der normkonkretisierenden dynamischen Verweisung Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, 144 ff.; zusammenfassend auch Breulmann, Normung und Rechtsangleichung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 126 ff.; Klindt, DVB1. 1998, 373 ff., jeweils m. w. N.

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Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

erfüllung 522 der zugrundliegenden Verweisnorm entscheidet. Eine hinreichende demokratische Legitimation einer solchen pauschalen normergänzenden Funktion einer dynamischen Verweisung auf private Regelwerke wird mit gewichtigen Gründen verneint. 523 Dieser Differenzierung entspricht die Rechtsprechung des BVerfG, die darauf abstellt, daß der Gesetzgeber auch bei der dynamischen Verweisung auf private Regelwerke stets den Inhalt der staatlichen Rechtsnorm „ i m wesentlichen" selbst bestimmen muß. 524 Mit dieser Formulierung wird letztlich auf die Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes in der Form der Wesentlichkeitstheorie abgestellt, die als entscheidender demokratischer Maßstab für die Bewertung dynamischer Verweisungen insgesamt und insbesondere dynamischer Verweisungen auf außerstaatliche Regelwerke auszumachen ist. 525 Überträgt man die genannten Gesichtspunkte auf dynamische internationalisierte Verweisungen auf völkerrechtlich verbindliche Regelungen, die in ihrem konkreten Bestand nicht ausdrücklich in die innerstaatliche Rechtsordnung umgesetzt wurden, so sind sie in der Regel als verfassungsmäßig anzusehen. Soweit der Gesetzgeber in innerstaatlichen Rechtsnormen hinsichtlich der Tatbestands- oder der Rechtsfolgenseite auf international verbindliche Regelwerke verweist, liegt den völkerrechtlichen Normen, auf die Bezug genommen wird, nämlich grundsätzlich ein Vertrag zugrunde, dem nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG von den gesetzgebenden Körperschaften oder gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 2 bzw. Art. 80 Abs. 1 GG von der Exekutive in seinem Grundbestand zugestimmt wurde. Demnach gründet sich die völkerrechtliche Regelsetzung in den unterschiedlichen Organen der entsprechenden internationalen Organisationen bzw. verschiedenen Vertragsorgane aus innerstaatlicher Sicht auf eine demokratische Legitimation durch die maßgeblichen Rechtssetzungsorgane. Bei normkonkretisierenden internationalisierten dynamischen Verweisungen ist dies ohnehin unproblematisch. Überdies bestehen auch keine Bedenken gegenüber der internationalisierten dynamischen normergänzenden Verweisung. Auch wenn das verweisende Gesetz - im formellen oder materiellen Sinne - insoweit für sich keine hinreichend bestimmte Aussage zu dem der Verweisung zugrundeliegenden Normprogramm trifft, ergibt sich dies doch aus dem sachlichen Zusammenhang mit dem die völkerrechtliche Regelsetzung als 522

Damit ist nicht nur der Tatbestand des Gesetzes im engeren Sinne gemeint, sondern ebenso die Wirkung einer dynamischen Verweisung auf der Rechtsfolgenseite; zur Identität der verfassungsrechtlichen Probleme siehe Clemens, AöR 111 (1986), 63 (67). 523

Ausführlich Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, 142 ff.; Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 390 ff. 524

Vgl. BVerfGE 64, 208 (215).

525

Ausführlich hierzu Clemens, AöR 111 (1986), 63 (102 ff.).

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

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solche innerstaatlich legitimierenden Rechtsakt.526 Da dieser die innerstaatliche Geltung der Norm sowie die vollumfängliche Zustimmung der innerstaatlichen Rechtssetzungsorgane zu den inhaltlichen Festlegungen des völkerrechtlichen Vertrages ausspricht, legitimiert das zustimmende Organ zugleich die weitere Fortschreibung des initiierten völkerrechtlichen Prozesses der Verabschiedung von Regelungen, auf die innerstaatliche Vorschriften Bezug nehmen. Dies gilt selbst dann, wenn der ursprüngliche Zustimmungsakt nicht legislativ, sondern exekutiv getroffen wurde. Die bereits dargestellte eigenständige Rechtssetzungsgewalt der Exekutive in auswärtigen Angelegenheiten kann verfassungsrechtlich ohnehin nur in den Bereich „nicht-wesentlicher" Sachfragen reichen. Sollte sich eine internationalisierte dynamische Verweisung dementsprechend auf völkerrechtliche Regelwerke beziehen, die ihrerseits „wesentliche" Fragen betreffen, würde schon die ursprüngliche Zustimmungsbrücke nicht mehr tragen. Die Verfassungswidrigkeit dieser Situation läge also nicht in der Verweisung selbst begründet, sondern beträfe den vorgelagerten ursprünglichen Zustimmungsakt. Der legitimierenden Wirkung des innerstaatlichen Zustimmungsaktes zu völkerrechtlichen Regelwerken, die durch Verweisung Rechtserheblichkeit erlangen, steht auch nicht entgegen, daß sich das Ausmaß der Regelungsaktivitäten internationaler Organe und Institutionen oftmals nur auf weit gefaßte Generalermächtigungen in dem zugrundeliegenden völkerrechtlichen Vertrag stützt. Dies ist aus verfassungsrechtlicher Sicht zunächst schon deshalb kein Problem der innerstaatlichen Rechtsordnung, da auch aus etatistischer Sicht ein völkerrechtlicher Vertrag umfassend, also auch mit Blick auf Kompetenznormen, anhand völkerrechtlicher Maßstäbe auszulegen ist. 527 Überdies ist die internationalisierte Einbindung internationaler Regelwerke in die nationale Rechtsordnung dadurch geprägt, daß keine exklusive Einflußmöglichkeit der nationalen Rechtssetzungsinstanzen besteht. Verfassungsrechtlich ergibt sich hieraus, daß die Wirkkraft der grundgesetzlichen Ordnung in internationalisierten Sachbereichen abnimmt. Das betrifft nicht nur die Wirkkraft der Grundrechte, 528 sondern ist umfassend auf die etatistischen verfas526

Es ist insoweit irrelevant, ob es sich um unmittelbar anwendbare Vorschriften handelt, da auch nicht unmittelbar anwendbare Normen, wie dargelegt, in jedem Fall mit innerstaatlicher Geltung versehen werden. Selbst wenn man dieser Ansicht nicht folgt, bleibt es dabei, daß das Zustimmungsgesetz für sich die hinreichende demokratische Legitimation der völkerrechtlichen Regelsetzung bewirkt. Wollte man dies verneinen, käme insbesondere Art. 59 Abs. 2 GG keine Bedeutung mehr zu. Siehe Engel, Völkerrecht als Tatbestandsmerkami deutscher Normen, 204 f. 527

Vgl. z. B. BVerfGE 4, 157 (168); 46, 342 (361); siehe auch Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 443; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 64; Rojahn, in: von Münch/ Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 59 Rdnr. 33. 528

Siehe bereits supra Teil 7, A. II. 2.

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Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

sungsrechtlichen Wertentscheidungen zu beziehen, also auch auf die Staatsstrukturprinzipien des Art. 20 GG. 5 2 9 In den Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG und in Anerkennung der legitimierenden Kraft einer effektiven internationalisierten Aufgabenerledigung sind daher Abstriche an die Bestimmtheit einer Verweisung zulässig, die sich auf völkerrechtliche Regelungen bezieht. Daß dies keine rein pragmatische Erwägung ist, sondern sich für sie zahlreiche verfassungsrechtliche Rechtfertigungen finden lassen, wurde bereits mehrfach betont 530 und ist sogleich nochmals anzusprechen. Schließlich ist abermals hervorzuheben, daß die Zulässigkeit einer internationalisierten Verweisung nicht von einem ausdrücklichen Übernahmeakt hinsichtlich des internationalen Regelwerkes, auf das Bezug genommen wird, in die deutsche Rechtsordnung abhängt. Die vor dem Hintergrund einer vermeintlich notwendigen parlamentarischen Zustimmung in auswärtigen Angelegenheiten gemäß Art. 59 Abs. 2 GG geäußerten Bedenken orientieren sich zu sehr an der schlichten Formel, daß jeder grenzüberschreitende Rechtsbezug einer ausdrücklichen innerstaatlichen Ermächtigung bedürfe, für die Art. 59 Abs. 2 GG als verfassungsrechtlicher Maßstab gelte. 531 Damit wird verkannt, daß den rechtssetzenden Organen mit der Gesetzestechnik der Verweisung ein anerkanntes Mittel zur Verfügung steht, um die Rechtserheblichkeit von Regelwerken zu begründen, die gerade nicht vollumfänglich auf ihre eigene Willensentscheidung zurückgehen. Insbesondere im Verwaltungsrecht besteht insoweit kein materieller Unterschied zwischen Verweisungen auf private - innerstaatliche - Regelwerke und internationalisierten Verweisungen. In beiden Fällen kann sich der Gesetzgeber darauf beschränken, die „wesentlichen" Entscheidungen zu treffen, um dann durch eine Verweisklausel hierüber hinausgehende Regelwerke zur Rechtskonkretisierung heranzuziehen. Eben diese Möglichkeit steht auch der Exekutive zu, soweit es um „nicht-wesentliche" Regelungen geht, die ihrer Rechtssetzungsgewalt unterfallen. Wenn durch die nationale und die internationalisierte Verweisung ein abnehmender Einfluß der Legislative zu konstatieren ist, muß dies anhand des Demokratieprinzips nach Art. 20 Abs. 2 GG bewertet werden, nicht jedoch unter dem Vorzei529 Vgl. Bernhardt, in: Starck (Hrsg.), FS BVerfG II, 154 (183 f.); Engel, Völkerrecht als Tatbestandsmerkmal deutscher Normen, 52 m. w. N. 530 531

Siehe auch Engel, Völkerrecht als Tatbestandsmerkmal deutscher Normen, 50 ff.

In diese Richtung im Hinblick auf die Heranziehung völkerrechtlich unverbindlicher Regelungen zur Konkretisierung nationaler Rechtsvorschriften z. B. Hailbronner, in: von Münch (Hrsg.), FS Schlochauer, 329 (357); Engel, Völkerrecht als Tatbestand deutscher Normen, 252 (Umgehung der Schranken der Art. 24 Abs. 1, 25 und 59 Abs. 2 GG); zur Diskussion im Ansatz auch Pentzlin, Der universelle ordre public im Wirtschaftsrecht, 88 ff.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

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chen einer vermeintlichen strikten Übernahmenotwendigkeit außerstaatlicher Regelwerke in die nationale Rechtsordnung nach Art. 59 Abs. 2 GG. Nicht zu verkennen ist allerdings, daß die hier vertretene verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit von internationalisierten dynamischen Verweisungen auf völkerrechtlich verbindliche Regelwerke dazu führt, daß eine außerhalb der staatlichen Jurisdiktion tätige Rechtssetzungsinstanz Einfluß auf die innerstaatliche Rechtsordnung nimmt. Damit liegt zwar keine Übertragung von Hoheitsrechten i. S. v. Art. 24 Abs. 1 GG vor, da von einer hierfür notwendigen Durchgriffswirkung angesichts der für die innerstaatliche Rechtswirksamkeit konstitutiven Verweisnorm keine Rede sein kann. Die konkrete inhaltliche Gestaltung der durch die Verweisung erfaßten Sachverhalte entzieht sich aber trotzdem dem innerstaatlichen Zugriff. Dies ist insbesondere in den Fällen einer internationalen Regelsetzung von Relevanz, in denen eine Beschlußfassung durch Mehrheitsentscheidung, gegebenenfalls sogar ohne Beteiligung deutscher Vertreter, erfolgt. Allein dieser Umstand darf aber nicht dazu veranlassen, prinzipielle Bedenken gegenüber der internationalisierten dynamischen Verweisung anzumelden. Unabhängig von territorialen Jurisdiktionsgrenzen ist nämlich nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben nur entscheidend, daß die aufgezeigte sachlich-inhaltliche Legitimation der Verweisung unter demokratischen Gesichtspunkten gegeben ist. 532 Indem sich die verfassungsrechtliche Möglichkeit der Verweisung auf außerstaatliche Regelwerke - unter bestimmten Voraussetzungen - eröffnet, verlieren Jurisdiktionsgrenzen ihre Bedeutung. Wenn man dies kritisieren will, dann nur unter Verweis auf „puristisch-dogmatischen Rigorismus" hinsichtlich des Demokratieprinzips. 533 Den diesbezüglichen Argumenten soll sicherlich nicht ihre prinzipielle Berechtigung abgesprochen werden. Entscheidend ist aber, daß auf dem Boden der Ergebnisse der ausführlichen Diskussion im Schrifttum zur Zulässigkeit dynamischer gesetzeskonkretisierender Verweisungen auf außerstaatliche Regelwerke gewichtige Gründe für ihre bestehende Verfassungsgemäßheit im Lichte des Demokratieprinzips vorliegen. Überdies bleibt hinsichtlich der internationalisierten dynamischen Verweisung zu beachten, daß auch das Prinzip internationaler Zusammenarbeit in Verbindung mit den aufgezeigten legitimatorischen Aspekten praktischer Ra532

So i. E. auch nach ausführlicher Diskussion fremder einzelstaatlicher Rechtseinflüsse auf innerstaatliche Normen Engel, Völkerrecht als Tatbestandsmerkmal deutscher Normen, 39 ff. 533 So die Charakterisierung von Clemens, AöR 111 (1986), 63 (65), zur Notwendigkeit der Abwägung mit Bedürfnissen der Praxis. Zur prinzipiellen verfassungstheoretischen Problematik des Verhältnisses pragmatischer und streng positivistischer Gesichtspunkte bei der Bewertung dynamischer Verweisungen ausführlich Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, 139 f.

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Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

tionalität für ihre Grundgesetzkonformität streiten. Hieraus folgt zugleich, daß die internationale, öffentlich-rechtliche Regelsetzung - im Gegensatz zur privaten innerstaatlichen Normung z. B. im Umwelt- oder Technikrecht - nicht von Partikularinteressen geprägt ist, sondern entsprechend der inhaltlichen Ausrichtung des Prinzips internationaler Zusammenarbeit auf Gemein wohlgesichtspunkte zurückzuführen ist. 534 Eben dieser Aspekt zeigt auf, daß die internationalisierte dynamische Verweisung zwar gewisse Ähnlichkeiten mit der Verweisung auf private Regelwerke aufweist, qualitativ jedoch eine ganz andere Dimension, nämlich die gemeinwohlorientierte öffentlich-rechtliche, zur Debatte steht. 535 Vor diesem Hintergrund läßt sich auch bewerten, inwieweit eine Verweisung auf unverbindliche internationale Empfehlungen verfassungsrechtlich zulässig ist. Wenn der nationale Rechtssetzer explizit auf die Beachtung internationaler Empfehlungen im Tatbestand oder in der Rechtsfolge einer innerstaatlichen Norm verweist, können sich nur dann verfassungsrechtliche Probleme ergeben, wenn es sich um eine gesetzesergänzende dynamische Verweisung handelt, die in keinem Zusammenhang mit einem völkerrechtlichen Vertrag steht, dem von den zuständigen nationalen Rechtssetzungsorganen zugestimmt wurde. Nur in diesem Fall läßt sich nämlich begründen, daß es an einer hinreichenden demokratischen Legitimation der durch die Verweisung erzielten Rechtswirkung einer zunächst völkerrechtlich unverbindlichen Entschließung fehlt. Immer wenn eine gesetzeskonkretisierende dynamische Verweisung auf unverbindliche Empfehlungen vorliegt, ist dies nicht mehr der Fall, da hier die „wesentlichen" Fragen ohnehin durch den Gesetzgeber in der Verweisungsnorm im Sinne einer Programmvorgabe geklärt wurden. Damit ist der außerstaatliche Charakter des Regelwerkes, auf das Bezug genommen wird, unschädlich.536 Auf die Frage der Notwendigkeit einer Beteiligung der gesetzgebenden Körperschaften nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG kommt es aus den bereits genannten Gründen nicht an. 537 Auch hier ist nur entscheidend, daß die allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätze zu den demokratischen 534 Hierzu supra Teil 4, B. III. 1. c) cc) sowie umfassend supra Teil 6; zum fehlenden rechtlich verankerten Gemeinwohlbezug der privaten innerstaatlichen Regelsetzung als maßgeblicher Gesichtspunkt, der gegen die Zulässigkeit einer gesetzesergänzenden dynamischen Verweisung auf sie spricht, siehe Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, 143 f. 535

Zur „Gemeinwohlrichtigkeit" der Gesetzgebung als Legitimationselement im hier interessierenden Zusammenhang siehe Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, 121 f. 536 Vgl. zur diesbezüglichen Parallelproblematik der dynamischen gesetzeskonkretisierenden Verweisung auf private Regelwerke Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, 144 ff. 537

1. E. wohl ebenso Bryde, Internationale Verhaltensregeln für Private, 38.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

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Anforderungen an dynamische Verweisungen beachtet werden, insbesondere also eine Selbstentscheidung des Gesetzgebers über das wesentliche, im Rahmen der Verweisung im einzelnen zu konkretisierende Normenprogramm ergeht. Zugleich erhellt dies nochmals, daß nur dann unüberwindbare verfassungsrechtliche Schwierigkeiten bestehen, wenn es zu einer gesetzesergänzenden dynamischen Verweisung im Verwaltungsrecht kommt, die nicht auf einen völkerrechtlichen Vertrag zurückzuführen ist, dem von nationalen Rechtssetzungsinstanzen zugestimmt wurde. Diese Feststellung hat allerdings nur begrenzte praktische Relevanz, da viele der hier im Rahmen der Referenzgebiete des internationalisierten Verwaltungshandelns dargestellten Verweisungen - soweit sie nicht ohnehin auf Verträge zurückgreifen, denen durch die Legislative oder Exekutive zugestimmt wurde ein durch Auslegung zu ermittelndes Normenprogramm erkennen lassen und daher als gesetzeskonkretisierende dynamische Verweisungen zu werten sind. Angesichts der hohen technischen Sachdichte der nationalen Gesetzeswerke, in denen sich internationalisierte dynamische Verweisungen finden lassen, sind nur schwer Situationen denkbar, in denen sich nicht durch Auslegung ermitteln läßt, welchen inhaltlichen Grundvorgaben die durch Verweisung zu erzielende Rechtswirkung nach dem Willen des Gesetzgebers entsprechen soll. Selbst im Falle einer gesetzesergänzenden dynamischen internationalisierten Verweisung auf unverbindliche Empfehlungen kann aber das verfassungsrechtliche Erfordernis der demokratischen Legitimation erfüllt sein, wenn ein sachlicher Bezug zu einem völkerrechtlichen Vertrag besteht, dem innerstaatlich durch die Legislative oder Exekutive zugestimmt wurde. Soweit eine Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften im Sinne von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG vorliegt, ergibt sich hieraus unmittelbar die sachlich-inhaltliche Festlegung des relevanten Normenprogramms. Zugleich wird die verfassungsrechtliche Legitimation der zuständigen internationalen Stelle, die für die Normkonkretisierung verantwortlich ist, begründet. Dabei ist auch unerheblich, daß „nur" auf unverbindliche Handlungen des entsprechenden internationalen Organes Bezug genommen wird. Durch die Zustimmung nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bringt die Legislative zum Ausdruck, daß ein solches unverbindliches Handeln in den völkervertragsrechtlich jeweils abgesteckten Grenzen möglich und legitimiert sein soll. Dies erklärt sich auch aus völkerrechtlichen Grundsätzen: Die institutionalisierte internationale Kooperation ist umfassend von dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung gekennzeichnet. Hiernach können internationale Organisationen, ihre Organe sowie sonstige internationale Institutionen immer nur die gemeinwohlorientierten Aufgaben wahrnehmen, die ihnen von ihren Mitgliedstaaten bzw. den Vertragsparteien zugewiesen wurden. 538 Dies 538

Statt aller Schermers/Blokker,

International Institutional Law, §§ 206 ff.

612

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

gilt nicht nur für rechtsverbindliches Handeln, sondern betrifft ebenso die Kompetenz zur Abgabe unverbindlicher Empfehlungen und sonstiger Akte des „soft law". 5 3 9 Soweit dementsprechend in einem völkerrechtlichen Vertrag, dem verfassungsrechtlich nach den maßgeblichen Vorschriften zugestimmt wurde, die Ermächtigung zur Abgabe unverbindlicher Empfehlungen einer internationalen Organisation, eines ihrer Organe oder einem sonstigen Vertragsorgan erteilt wurde, wird dieses Handeln aus innerstaatlicher Perspektive formell und inhaltlich demokratisch legitimiert. Angesichts der kaum noch auszumachenden Grenzen zwischen völkerrechtsverbindlichen und -unverbindlichen Akten von Organen internationaler Organisationen oder internationalen Vertragsorganen 540 und der stetig wachsenden Bedeutung dieser Handlungsform wird man auch nicht darauf verweisen können, daß sich die innerstaatliche Zustimmung nur auf verbindliche Maßnahmen bezogen habe. Schon die quantitative Bedeutung von internationalisierten dynamischen Verweisungen im deutschen Verwaltungsrecht auf unverbindliche internationale Empfehlungen belegt, daß der nationale Gesetzgeber ihre auch zumindest mittelbare rechtserhebliche Bedeutung anerkennt und ihnen dementsprechend auch Legitimität zumißt. Im Ergebnis ergibt sich damit aus der Kombination von legislativer Verweisungsnorm und legislativer Zustimmung nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG eine hinreichende innerstaatliche demokratische Legitimation für die Rechtssetzung, die durch Verweisung erfolgt. Dies entspricht im Ergebnis der Möglichkeit der Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 24 Abs. 1 GG, ohne daß allerdings die unmittelbare Durchgriffswirkung der internationalen Regelwerke gegeben ist. Bei der normergänzenden dynamischen internationalisierten Verweisung verbleibt die Herbeiführung der endgültigen innerstaatlichen Rechtswirkung vielmehr in der Hand des nationalen Rechtssetzungsorganes, das sich hierzu der Verweisung bedient. Ob dabei auf völkerrechtlich verbindliche oder unverbindliche Regelwerke verwiesen wird, bleibt letztlich der Entscheidung des nationalen Rechtssetzers überlassen, da die normative Wirkung ohnehin erst durch die Verweisungsnorm herbeigeführt wird. Auch für internationalisierte dynamische Verweisungen, die sich in exekutiven Rechtsakten finden, ist dieses Ergebnis anzuerkennen, soweit die der Exekutive nach Art. 80 Abs. 1 GG zustehende Rechtssetzungskompetenz in „nicht-wesentlichen" Sachbereichen gewahrt ist. Die verfassungsrechtlich eigenständige demo-

539

Schermers/Blokker,

540

Hierzu bereits supra Teil 5, A. I. 4.

International Institutional Law, § 1221.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

613

kratische Legitimation der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG 5 4 1 führt dazu, daß die Verwaltung innerhalb des ihr zugewiesenen Funktionsbereiches selbständig zur Rechtssetzung befugt ist. Dies bedingt ihre Kompetenz zu autonomem (Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG; Art. 80 Abs. 1 GG) rechtserheblichen internationalen Verhalten und dementsprechend auch ihre Rechtsmacht, die für eine normergänzende und normkonkretisierende internationalisierte dynamische Verweisung notwendige demokratische Legitimation zu vermitteln. In ihrer Tragweite geht diese legitimitätsvermittelnde Funktion der Verwaltung freilich zunächst nur soweit, wie auch ihr eigenständiger Funktionsbereich reicht. Die Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes in der Form der Wesentlichkeitstheorie gibt den hierzu einschlägigen verfassungsrechtlichen Maßstab vor. Problematisch könnte allerdings sein, daß sich normergänzende internationalisierte dynamische Verweisungen durchaus auch in Sachbereichen finden, die spezielle Freiheitsrechte berühren. 542 So wird man z. B. in der in § 11 Abs. 1 Satz 2 Tierimpfstoff-Verordnung niedergelegten Verpflichtung der Hersteller von Impfstoff, im Rahmen der Buchführungspflicht zu Art und Menge der Bestandteile des Impfstoffes die internationalen Kurzbezeichnungen der WHO zu benutzen, einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG sehen müssen. Da die Erfüllung des Tatbestandes des § 11 Abs. 1 Satz 2 Tierimpfstoff-Verordnung ausschließlich davon abhängt, daß eine Übereinstimmung mit den unverbindlichen Kurzbezeichnungen der WHO in ihrer jeweiligen Fassung vorliegt, ohne daß der Gesetz- oder Verordnungsgeber hierzu nähere eigene Vorgaben gemacht hat, handelt es sich um eine gesetzesergänzende internationalisierte dynamische Verweisung. Ihre Verfassungswidrigkeit könnte sich unter Verweis auf die für die verfassungsrechtliche Verweisungsproblematik grundlegenden Entscheidung des BVerfG zu den Notargebühren (BVerfGE 47, 285 ff.) ergeben. Auch in diesem Fall ging es um einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG. Das BVerfG, das die streitgegenständliche Vorschrift aus dem Kostenrecht zwar im Ergebnis als statische und damit unbedenkliche Verweisung auslegte, machte deutlich, daß bei der Annahme einer dynamischen Verweisung nicht die Voraussetzungen der Schrankenregelung des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG erfüllt wären. Zur Begründung stellte es im Kern darauf ab, daß, „soweit die Verfassung eine Delegation von Normgebungsbefugnissen an andere erlaubt,... der zuständige Gesetz541

Ausführlich Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 64 ff.; Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 174 ff.; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 190 ff., jeweils m. w. N. 542

Zur Differenzierung zwischen allgemeinen und speziellen Freiheitsrechten und ihrer Relevanz für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Verweisungen siehe Clemens, AöR 111 (1986), 63 (102 ff.).

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Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

geber sich seiner Verantwortung für den Inhalt der Normierung jedenfalls nicht völlig entäußern [darf]". 543 Eben dies sei aber anzunehmen, wenn die maßgebliche Vorschrift „ i m Wege einer dynamischen Verweisung auf die landesrechtlichen Vorschriften in ihrer jeweiligen Gestalt Bezug nähme". 544 Ob damit allerdings auch jede normergänzende internationalisierte dynamische Verweisung, die spezielle Freiheitsrechte berührt, dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit ausgesetzt ist, muß bezweifelt werden. Läßt man zunächst die spezifischen Aspekte des internationalisierten Charakters dieser Verweisungen beiseite, spricht schon aus rein innerstaatlicher Sicht einiges dafür, daß dynamische Verweisungen auf außerstaatliche Regelwerke nicht nur an ihrer Grundrechtsrelevanz im Lichte spezieller Freiheitsrechte zu messen sind. Überdies ist vielmehr immer zu beachten, ob „nur auf einen kleinen begrenzten und im Gesamtbild nebensächlichen Regelungsbereich verwiesen [wird]". 5 4 5 Wenn dies der Fall ist, spricht einiges für die Verfassungsgemäßheit einer normergänzenden dynamischen Verweisung, die den Schutzbereich spezieller Freiheitsrechte berührt. 546 Schwierig bleibt aber natürlich bei dieser Sichtweise die Frage, wie „nebensächliche" von „hauptsächlichen", d. h. den Vorbehalt des Gesetzes aktivierende Regelungen, voneinander abzugrenzen sind. In der Gesamtschau des jeweiligen Gesetzeswerkes wird sich dies durch Auslegung zwar im Einzelfall begründen lassen, ob dies die verfassungsrechtliche Problematik befriedigend löst, soll hier aber offen bleiben. Entscheidend muß nämlich sein, welcher verfassungsrechtliche Maßstab gilt, wenn exekutive internationalisierte dynamische Verweisungen auf außerstaatliche Regelwerke zur Debatte stehen, die spezielle Freiheitsrechte betreffen. Aus innerstaatlicher Perspektive ist insoweit zunächst das hier interessierende Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 2 GG zu beachten. Wie bereits ausgeführt, erfährt dieses in Sachbereichen, die die auswärtigen Angelegenheiten betreffen, eine Relativierung, die sich aus dem Spannungsverhältnis zu dem ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgten Prinzip der internationalen Zusammenarbeit ergibt. Nun könnte man allerdings einwenden, daß die Besonderheit der internationalisierten dynamischen Verweisung darin liegt, daß der diesbezügliche Außenbezug erst durch einen legislativen bzw. exekutiven Akt herbeigeführt wird. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht abwegig, wenn man die Relativierung der Wirkkraft binnenorientierter Verfassungsprinzipien in Fällen, die in ihrem Außenbezug auf Maß-

543

BVerfGE 47, 285 (315), unter Verweis auf BVerfGE 33, 125 (157 ff.).

544

BVerfGE 47, 285 (315).

545

Clemens, AöR 111 (1986), 63 (104).

546

Clemens, AöR 111 (1986), 63 (104); a. A. wohl Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 393.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

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nahmen der Legislative oder Exekutive zurückgehen, als „Instrument zur Aushöhlung des Grundgesetzes von innen heraus" einstuft. 547 Demgegenüber ist jedoch hervorzuheben, daß die verfassungsprinzipielle Verpflichtung zur internationalen Zusammenarbeit kein abstraktes Gebilde ist, das nur das für sich ohnehin handlungsunfähige Völkerrechtssubjekt „Bundesrepublik Deutschland" bindet, sondern sich konkret an die einzelnen Staatsorgane und insofern auch an die Legislative und Exekutive im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG richtet. Ihnen obliegt die Umsetzung, Konkretisierung und tägliche Aktualisierung des Verfassungsprinzips der internationalen Zusammenarbeit, das ohne den organschaftlichen Bezug nur als verfassungsrechtliche Leerformel erscheinen würde. Zieht man dies in Betracht, kann es für die Relativierung der grundgesetzlichen Wirkkraft in verfassungstranszendierenden Sachbereichen keinen Unterschied machen, ob eine ausschließlich auf externe Beweggründe zurückgehende Einflußnahme auf die innerstaatliche Rechtsordnung erfolgt, oder ob sich der Außenbezug durch oder in Mitwirkung von innerstaatlichen Organen vollzieht. Dieses Ergebnis läßt sich im übrigen auch unter Verweis auf die legitimierende Wirkung der den internationalisierten dynamischen Verweisungen zugrundeliegenden Effektivitätsgesichtspunkte im Hinblick auf eine gemeinwohlorientierte Aufgabenerledigung in einem Mehrebenensystem rechtfertigen. 548 Auch wenn die damit angesprochene Funktionsgerechtigkeit der internationalisierten Aufgabenerledigung nicht für sich eine Abweichung von Verfassungsprinzipien wie dem Demokratiegebot rechtfertigen kann, dient sie doch dazu, Abgrenzungsprobleme im Rahmen einer dynamischen Verfassungsentwicklung lösen zu helfen. 549 Um eine solche Entwicklung handelt es sich insgesamt bei dem internationalisierten Verwaltungshandeln und seinem zentralen Merkmal der internationalisierten dynamischen Verweisung. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß sich die internationalisierte Verweisung als verfassungsrechtlich in weiten Bereichen zulässiges gesetzestechnisches Instrument darstellt. Das gilt selbst dann, wenn es um eine dynamische Verweisung auf völkerrechtlich verbindliche und unverbindliche Regelwerke geht. Ihre demokratische Berechtigung findet diese, das internationalisierte Verwaltungshandeln in zahlreichen Bereichen auszeichnende Gesetzgebungstechnik im Kern in der zweckrationalen Legitimität der Kooperation der nationalen und der internationa547

So zu einer Parallelproblematik Engel, Völkerrecht als Tatbestandsmerkmal deutscher Normen, 53. 548

Ebenso im Ansatz Engel, Völkerrecht als Tatbestandsmerkmal deutscher Normen,

56 ff. 549

Hierzu bereits supra Teil 7, A. II. 3. b) cc).

616

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

len Regelungsebene. Sie ist an gemeinwohlorientierten Effektivitätsgesichtspunkten der öffentlichen Aufgabenerledigung in einem Mehrebenensystem ausgerichtet. Damit soll nicht vorschnell technokratischen Rechtfertigungsversuchen das Wort geredet werden, 550 sondern nur zur Verdeutlichung nochmals der Hinweis darauf erfolgen, daß die Bewertung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dynamischer Verweisungen immer von komplexen Abwägungen miteinander kollidierender Verfassungsprinzipien abhängt. Anders als bei Verweisungen auf private technische Regelwerke zeichnet die internationalisierte Verweisung insofern aus, daß mit dem Gebot internationaler Zusammenarbeit ein zunehmend konkretisierungsfähiges und inhaltlich determiniertes Verfassungsprinzip vorliegt, das hier maßstabgebend ist. Dieses einer gemeinwohlorientierten ratio folgende und damit nicht nur formell zu sehende Verfassungsprinzip kann bei der Herbeiführung praktischer Konkordanz im Kollisionsfall dazu führen, daß in den Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG eine Relativierung des etatistischen Demokratieprinzips angezeigt erscheint. Überdies ist zu beachten, daß die staatliche - in erster Linie: exekutive - VerantwortungsVerankerung bei der dynamischen internationalisierten Verweisung angesichts der zahlreichen Aktivitäten nationaler exekutiver Stellen, die unmittelbaren Einfluß auf die internationale Regelsetzung haben, ungleich stärker ausgeprägt ist, als es hinsichtlich der Verweisung auf private innerstaatliche Regelwerke der Fall ist. Die prinzipielle verfassungsrechtliche Skepsis, die Verweisungen auf private technische Regelwerke gegenüber immer wieder zum Ausdruck gebracht wird, 5 5 1 kann daher nicht unbesehen auf die internationalisierte dynamische Verweisung übertragen werden. 552

c) Bewertung anhand des Rechtsstaatsprinzips Ebenso wie die demokratische Bewertung der dynamischen Verweisung nicht geringe verfassungsrechtliche Probleme bereitet, sind auch die an sie im Lichte des Rechtsstaatsprinzips zu stellenden Anforderungen wenig klar. Hierbei geht es (1.) um die Voraussetzungen, die das rechtsstaatlich verankerte Publizitätsgebot an die Veröffentlichung und Zugänglichkeit von Regelwerken stellt, auf die im 550 Zur „Technostruktur" zusammenfassend Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 387 ff. 551 Zusammenfassend hierzu aus jüngerer Zeit Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 247 ff. 552

Für die Zulässigkeit von dynamischen Verweisungen auf Sekundärrecht internationaler Organisationen spricht sich, allerdings ohne nähere Begründung, auch aus Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 20 Rdnr. 280.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

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Rahmen einer Verweisung Bezug genommen wird, ohne daß unmittelbar der Anwendungsbereich des Art. 82 Abs. 1 GG einschlägig ist, sowie (2.) um Fragen des Bestimmtheitsgebotes. Soweit es sich bei den durch Verweisung in eine innerstaatliche Rechtsvorschrift inkorporierten Regelwerken ihrer Herkunft nach nicht um Gesetze oder Rechtsverordnungen handelt, was bei der internationalisierten Verweisung regelmäßig der Fall ist, wenn keine ausdrückliche Übernahme in das deutsche Recht erfolgt ist, scheint Art. 82 Abs. 1 GG angesichts seines klaren Wortlautes als verfassungsrechtlicher Maßstab für das Publizitätsgebot auszuscheiden.553 Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, daß durch die von der Verweisung bewirkte Inkorporation eines Regelwerkes in den Wirkungsbereich der zugrundeliegenden Verweisungsnorm im Ergebnis umfassend ein Gesetz im formellen oder materiellen Sinne nach Art. 82 Abs. 1 GG vorliege, so daß die Vorschrift doch zur Anwendung komme. 554 Wollte man diese Konsequenz ziehen, verlöre die Verweisung als Gesetzgebungsinstrument, das den Rechtssetzer entlastet, seine eigentliche und anerkannte Bedeutung. Ein Unterschied zur verweisungslosen Rechtssetzung bestünde dann nicht mehr. 555 Dementsprechend ist auch eine differenzierte Lösung dahingend abzulehnen, daß die Anforderungen an die Formstrenge immer von dem Rang der verweisenden Rechtsnorm selbst abhänge.556 Ausgehend von dem allgemeinen, unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Gebot, daß Rechtsnormen insgesamt der Öffentlichkeit so zugänglich sein müssen, daß ihr „die verläßliche Kenntnisnahme von geltendem Recht" möglich ist, 557 erscheint insoweit nur eine Lösung sachgerecht, die die ratio der Verweisung beachtet. Dabei kann man sich an der weithin beachteten Formel des BVerwG orientieren, wonach ,,[d]ie Rechtsnorm erkennbar zum Ausdruck bringen [muß], daß sie die außenstehende Anordnung zu ihrem Bestandteil macht; in der ergänzenden Rechtsnorm muß die ergänzende Anordnung hinreichend bestimmt bezeichnet sein; die Verlautbarung der

553

So zur Parallelproblematik im innerstaatlichen Bereich deutlich Maurer, in: Bonner Kommentar, Art. 82 Rdnr. 106. 554

In diese Richtung noch Ossenbühl, DVB1. 1967, 401 (406 f.); relativierend schon Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, 140 ff.; jetzt wieder Lücke, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 82 Rdnr. 9; anders die h. M., siehe z. B. Brugger, VerwArch 78 (1987), 1 (9 ff.); Maurer, in: Bonner Kommentar, Art. 82 Rdnr. 105 ff.; Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, 163 ff. 555

Statt vieler Maurer, in: Bonner Kommentar, Art. 82 Rdnr. 105.

556

So ausführlich Clemens, AöR 111 (1986), 63 (86 ff.).

557

BVerfGE 90, 60 (85); 65, 283 (291); Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rdnr. 189; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 20 Rdnr. 123.

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ergänzenden Anordnung muß für den Betroffenen zugänglich und ihrer Art nach für amtliche Anordnungen geeignet sein". 558 Die in dieser Formel zumindest im Ansatz zum Ausdruck gebrachte Anforderung der „allgemeinen Zugänglichkeit" ist allerdings um eine weitere Komponente zu ergänzen, die gerade für das internationalisierte Verwaltungshandeln von Bedeutung ist: Auch wenn die verfassungsrechtliche Bedeutung von Formvorschriften in ihrer abstrakt-generellen Ausrichtung nicht zu unterschätzen ist, erscheint die zusätzliche Berücksichtigung einzelfallbezogener Gesichtspunkte notwendig. Dabei ist maßgeblich zu beachten, welche Verkehrskreise von einer internationalisierten Verweisung betroffen sind. Nur so läßt sich eine sachangemessene, dem Gebot praktischer Rationalität entsprechende Konkretisierung der rechtsstaatlichen Publizitätsanforderungen im Hinblick auf die vielschichtigen und komplexen Erscheinungen der internationalisierten Verweisungen gewährleisten. In diesem Sinne ist auch in der Rechtsprechung anerkannt, daß z. B. die Veröffentlichung von englischsprachigen technischen Vorschriften im Luftverkehrsrecht mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar ist, da die englische Sprache ohnehin die lingua franca des betroffenen Verkehrskreises ist. 559 Diese Aussage ist im Lichte der internationalen Zusammenarbeit insgesamt dahingehend zu generalisieren, daß es insbesondere unter Beachtung der Situation von Gewerbetreibenden heute unproblematisch ist, das rechtsstaatliche Publizitätsgebot auch bei der Veröffentlichung fremdsprachiger Rechtstexte als erfüllt anzusehen.560 Überdies wird zu bedenken sein, daß die Möglichkeit der Kenntnisnahme eines Regelwerkes, auf das durch Verweisung Bezug genommen wird, zwangsläufig 558 BVerwG, NJW 1962,506; zur Anerkennung dieser Formel im Schrifttum siehe z. B. Maurer, in: Bonner Kommentar, Art. 82 Rdnr. 105. 559 OVG Lüneburg, OVGE 44,365 (369): „Daß die Bauvorschriften in englischer Sprache verfaßt sind, hindert ihre Anerkennung und Wirksamkeit nicht, weil sich der betroffene spezielle Personenkreis auf diesem Gebiet ohnehin der englischen Sprache bedient und die Luftfahrtsprache generell Englisch ist". 560 Vgl. BGHZ 102, 118 (123 f.): „Das Grundgesetz schreibt nicht vor, daß alle einen Gewerbetreibenden berührenden Verhaltensnormen durchweg und in allen Einzelheiten in deutscher Sprache abgefaßt sein müssen ... Durch die Veröffentlichung der Patentansprüche europäischer Patente in deutscher Übersetzung ist dem Gebot der Rechtsklarheit hinreichend Genüge getan. Die Notwendigkeit, bei Zweifeln über die Tragweite der in deutscher Sprache mitgeteilten Patentansprüche im Einzelfall die in den gängigen Fremdsprachen Englisch oder Französisch veröffentlichte Beschreibung heranzuziehen, nötigt Sprachunkundige zwar, sich diese zuverlässig übersetzen zu lassen, um sich ein zutreffendes Bild über den Schutzbereich des europäischen Patents machen zu können. Damit ist indessen keine solche Erschwerung der gewerblichen Tätigkeit verbunden, die unter Berücksichtigung der Belange einer internationalen Zusammenarbeit im Hinblick auf den Grundrechtsschutz nicht mehr hingenommen werden könnte".

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

619

auch von dem technischen Entwicklungsstand der hierfür notwendigen Informationserlangungsmethoden abhängt. Je mehr sich gerade die Veröffentlichung maßgeblicher Dokumente im Internet durchsetzt und sich diese Informationsquelle in ihrem Nutzungspotential der gedruckten Dokumentation annähert, desto geringere verfassungsrechtliche Anforderungen sind an die Verfügbarkeit eines Regelwerkes in Papierform zu stellen. Dabei spielt auch eine Rolle, daß heute nahezu alle im Bereich des internationalisierten Verwaltungshandelns tätigen internationalen Organisationen oder sonstigen Vertragsorgane die von ihnen erarbeiteten verbindlichen oder unverbindlichen Regelwerke in das Internet einstellen. Aufgrund der völkerrechtlich festgelegten Gemeinwohlverpflichtung der entsprechenden Organisationen und Organe steht eine solche Veröffentlichung in ihrer Autorität und in ihrem amtlichen Charakter einer innerstaatlichen amtlichen Publikation in nichts nach. Insgesamt sind damit in Anlehnung an die h. M. die rechtsstaatlichen Publizitätsanforderungen für Verweisungen außerhalb des Anwendungsbereiches des Art. 82 Abs. 1 GG erfüllt, wenn unter Berücksichtigung der Besonderheiten des betroffenen Verkehrskreises und im Einklang mit dem jeweiligen Stand der Veröffentlichungstechnik eine allgemeine Verfügbarkeit des Regelwerkes, auf das Bezug genommen wird, gesichert ist; um eine amtliche Veröffentlichung in Papierform muß es sich dabei nicht handeln. 561 Soweit eine dynamische Verweisung vorliegt, müssen diese Voraussetzungen für das dem aktuellen Stand entsprechende Regelwerk gegeben sein. Eine darüber hinausgehende ausdrückliche Nennung des aktuellen Standes des Regelwerkes, auf das verwiesen wird, ist nicht erforderlich. 5 6 2 Die diesbezüglichen Probleme des dynamischen Sachstandes der Verweisung betreffen das Demokratieprinzip, nicht jedoch das rechtsstaatliche Publizitätserfordernis. 563 Für internationalisierte dynamische Verweisungen folgt aus dem dargelegten verfassungsrechtlichen Maßstab, daß sie in der Regel keinen rechtsstaatlichen Bedenken hinsichtlich des Publizitätskriteriums begegnen. Internationale Regelwerke werden regelmäßig entweder in einschlägigen amtlichen deutschen Veröffentlichungen, privaten oder öffentlichen Mitteilungsblättern sowie bekannten

561

Maurer, in: Bonner Kommentar, Art. 82 Rdnr. 108; Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, 164 f.; Brugger, VerwArch 78 (1987), 1 (14), jeweils mit weiteren Nachw. zum Streitstand. 562

Anders Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, 165. 563 So i. E. wohl auch Schulze-Fielitz, staat) Rdnr. 132.

in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 20 (Rechts-

620

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

Fachpublikationen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.564 Dies gilt auch für unverbindliche, durch Verweisung aber rechtserhebliche Empfehlungen, die, wie die Staatspraxis zeigt, in unterschiedlicher Form eine öffentliche Verbreitung finden. 565 Überdies stellen die maßgeblichen internationalen Organisationen und Vertragsorgane die von ihnen erarbeiteten Regelwerke umfassend in das Internet ein. Von den betroffenen Verkehrskreisen ist zu erwarten, daß sie hierüber informiert sind und über die entsprechenden technischen Möglichkeiten verfügen, um die Informationen abzurufen. Zusätzlich zum Publizitätsgebot ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten auch zu beachten, daß Verweisungen hinreichend bestimmt sein müssen. Der verfassungsrechtliche Maßstab des Bestimmtheitsgebotes wird vom BVerfG dahingehend umschrieben, daß der Bürger „seine Normunterworfenheit und die Rechtslage so konkret erkennen kann, daß er sein Verhalten danach auszurichten vermag". 566 Dementsprechend ist der Gesetzgeber gehalten, „seine Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Auslegungsbedürftigkeit macht eine Norm nicht unbestimmt". 567 Auf Verweisungen bezogen entfaltet das so umschriebene Bestimmtheitsgebot in zweifacher Hinsicht seine Bedeutung. Zunächst ist es notwendig, daß sich aus der Verweisung selbst hinreichend konkret entnehmen läßt, welche Regelwerke in die Verweisnorm inkorporiert werden sollen. Wenn der diesbezügliche Verweis - gegebenenfalls durch Auslegung zu ermitteln - mit hinreichender Deutlichkeit die Identifizierbarkeit der Regelwerke ermöglicht, auf die Bezug genommen wird, ist diese Voraussetzung gegeben. Probleme bereitet die Bestimmtheit von Verweisnormen allerdings, wenn sich der Gesetzgeber gesetzestechnisch Generalklauseln bedient, um eine Verweisung auszusprechen. 568 Diese Problematik besteht bei der internationalisierten Verweisung, zumindest soweit sie hier bei der Analyse ausgewählter Referenzgebiete herausgearbeitet wurde, aber kaum, da nicht die Generalklauselverweisung typisch ist, sondern immer ein Bezug auf 564

Zur Veröffentlichung internationaler Organakte siehe auch Rösgen, Rechtssetzungsakte der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, 303 ff. 565 Hierzu ausführlich mit zahlreichen Beispielen Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 125 ff. 566

BVerfGE 82, 130 (145) m. w. N.

567

BVerfGE 93, 213 (238); siehe auch 49, 168 (181); 59, 104 (114); 89, 69 (84 f.); umfassend zum Bestimmtheitsgebot aus jüngerer Zeit Papier/Möller, AöR 122 (1997), 177 ff. 568 Für Beispiele siehe Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, 160 ff.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

621

verbindliche oder unverbindliche internationale Regelwerke (Abkommen, Beschlüsse, Empfehlungen etc.) vorliegt. Überdies sind an die Identifizierbarkeit des zu beachtenden internationalen Regelwerkes nicht allzu strenge Anforderungen zu stellen. Selbst wenn der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber nur pauschal aussprechen sollte, daß eine Berücksichtigung einschlägiger internationaler Abkommen, Beschlüsse, Empfehlungen o. ä. zu erfolgen hat, wird sich in der Regel aus der amtlichen Begründung des Gesetzesentwurfes sowie aus dem sachlichen Regelungszusammenhang des Gesetzes ermitteln lassen, welche Regelwerke zumindest ihrer Herkunft nach hiermit gemeint sind. Dabei ist auch stets zu beachten, daß die von einer internationalisierten Verweisung betroffenen Verkehrskreise regelmäßig darüber informiert sind, welche internationalen Gremien für sie relevante Regelwerke beschließen. Trotz der Vielzahl internationaler Organisationen und sonstiger Vertragsorgane trägt die bereits dargestellte Organisationsstruktur der administrativ-technischen Aufgabenerfüllung im internationalen System dazu bei, daß an der jeweiligen Sachmaterie orientierte Ordnungsstrukturen deutlich erkennbar sind. 569 Als Merkmal „der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhaltes" 570 hat dies verfassungsrechtliche Bedeutung. Ebenso wie im Bereich der ausschließlich etatistischen Verweisung wird daher im Ergebnis nur in extremen Ausnahmefällen eine Verletzung des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebotes gegeben sein. 571

4. Die Bedeutung unverbindlicher internationaler Empfehlungen für das deutsche Verwaltungshandeln Die in dieser Untersuchung immer wieder hervorgehobene rechtsempirische Bedeutung von unverbindlichen Empfehlungen internationaler Organisationen bzw. ihrer Organe sowie sonstiger Vertragsorgane ist ein weiterer wesentlicher Bestandteil des internationalisierten Verwaltungshandelns. So sicher man diese Aussage vor dem Hintergrund des bislang aufgezeigten Untersuchungsmaterials und in Übereinstimmung mit ausführlichen Untersuchungen im Schrifttum 572 treffen kann, so wenig zuverlässig lassen sich allerdings abschließend verläßliche Aussagen dazu treffen, in welchem Ausmaße und unter Anwendung welcher rechtstechnischer Methoden internationale Empfehlungen die deutsche Verwal569

Siehe supra Teil 2, B. III.

570

Vgl. z. B. BVerfGE 93, 213 (238).

571

Zu solchen Ausnahmefällen siehe Clemens, AöR 111 (1986), 63 (84 f.).

572

Siehe insbesondere Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, passim; sowie im Überblick Kunig, in: Hailbronner/Ress/Stein (Hrsg.), FS Doehring, 529 ff.

622

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

tungspraxis beeinflussen. Dies hängt freilich nicht mit der Qualität internationaler Empfehlungen selbst zusammen, die zumindest im hier interessierenden technischadministrativen Bereich deutlich mehr wert sind, als das Papier, auf dem sie gedruckt sind. 573 Die Schwierigkeiten in der rechtsempirischen und rechtsdogmatischen Bewertung des innerstaatlichen Einflusses unverbindlicher Empfehlungen liegen vielmehr in der mangelnden Transparenz der internen Verwaltungsvorgänge begründet, die einen unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit dem sogenannten internationalen „soft law" aufweisen. 574 Trotz der damit angedeuteten und auch hier nicht zu lösenden wissenschaftsmethodischen Probleme ist es aber möglich, zumindest einige empirische und dogmatische Grundstrukturen zur Bedeutung von unverbindlichen Empfehlungen internationaler Institutionen aufzuzeigen, die das bereits in den vorherigen Untersuchungsabschnitten gewonnene Bild abrunden.

a) „Parallele" legislative und exekutive Verwaltungsrechtssetzung Im Bereich generell-abstrakter innerstaatlicher Regelungen ist zunächst auf verschiedene Methoden hinzuweisen, die zu einer tatsächlichen Durchführung 575 völkerrechtlich unverbindlicher Empfehlungen im innerstaatlichen Recht führen. A m weitesten reicht die „Verrechtlichung" dabei, wenn es zu einer - wie Philip Kunig es genannt hat - „Parallelgesetzgebung" kommt, wenn also innerstaatliche Rechtsnormen in Kraft gesetzt werden, die sich inhaltlich an einschlägigen internationalen Empfehlungen ausrichten. 576 Wie rechtsvergleichende Untersuchungen zeigen, finden sich hierfür zahlreiche Beispiele in der Staatenpraxis. 577 In der innerstaatlichen Praxis der Bundesrepublik Deutschland sind insbesondere im Umweltverwaltungsrecht verschiedene nationale Regelungen in der Form von Gesetzen im formellen Sinne und Rechtsverordnungen bekannt, die ihrem Inhalt nach 573 So als prinzipielles Problem internationaler Empfehlungen Kunig, in: Hailbronner/ Ress/Stein (Hrsg.), FS Doehring, 529. 574 Siehe insoweit auch die rechtspolitischen Forderungen nach vermehrter Transparenz von Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 245 ff. 575

Zur Differenzierung zwischen verfassungsrechtlich determinierter Umsetzung und tatsächlicher Durchführung internationaler Regeln siehe nur Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 867 f.; Schreuer, Die Behandlung internationaler Organakte durch staatliche Gerichte, 190 ff.; Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 78 f. 57 6

Kunig, in: Tunkin/Wolfrum (Hrsg.), International Law and Municipal Law, 59 (65).

57 7

Schreuer, ÖZöRV 34 (1983/84), 243 (248 ff.) m. w. N.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

623

auf Empfehlungen zumeist regionaler internationaler Organisationen bzw. Vertragsorgane zurückgehen. 578 Überdies haben internationale Empfehlungen zum Umweltschutz in zahlreichen Fällen unmittelbaren Einfluß auf die Formulierung entsprechender sekundärer Rechtsakte der EG. 5 7 9 Hierdurch kommt es zu einer mittelbaren Beachtlichkeit auch für das deutsche Umweltverwaltungsrecht. Als weiterer Beispielsbereich für eine intensive „Parallelgesetzgebung" kann auf die Regelung der Nummernstruktur im deutschen Telekommunikationsrecht hingewiesen werden, die durch Rechtsverordnung in Übereinstimmung mit den hierzu relevanten Empfehlungen der ITU erfolgt (vgl. § 43 Abs. 4 Satz 1 TKG). Insgesamt ist die generell-abstrakte Durchführung von „soft law" damit ein wesentlicher Bestandteil der Harmonisierung des innerstaatlichen Verwaltungsrechts und unverbindlicher internationaler Empfehlungen. Betrachtet man dabei die technisch-administrative Ausrichtung dieser Regelungstechnik, zeigt sich ihre Bedeutung gerade für das internationalisierte Verwaltungshandeln. Insofern bestehen im Ergebnis auch keine verfassungsrechtlichen Probleme, da ein rechtliches Konkurrenzverhältnis zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht, das bei der Umsetzung völkerrechtlicher Verträge durch Parallelgesetzgebung entstehen kann, 580 angesichts des völkerrechtlich unverbindlichen Charakters der Empfehlungen als kaum möglich erscheint. Auch problematische Kompetenzverschiebungen im Verhältnis von Legislative und Exekutive liegen nicht vor, da sich aufgrund des unverbindlichen Charakters der durchzuführenden Empfehlungen keine Einschränkung des legislativen Initiativrechtes (Art. 76 Abs. 1 GG) ergibt. 581 Überlegenswert ist nur, ob die autonome innerstaatliche Durchführung von unverbindlichen Empfehlungen nicht zu einer Verschleierung der - faktischen - internationalen Herkunft führt, was sich nachteilig auf die rechtsmethodische Interpretation der in Kraft gesetzten Vorschriften auswirken könnte. Auch hier hindert die völkerrechtliche Unverbindlichkeit sicherlich zunächst daran, daß es zu einer 578 Ausführlich Skala, Internationale technische Regeln und Standards zum Umweltschutz, 237 ff.; Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 81 ff. 57 9

Skala, Internationale technische Regeln und Standards zum Umweltschutz, 231 f.; zu den Beziehungen der EG zu internationalen Umweltschutzorganisationen und Einrichtungen im Überblick Heintschel von Heinegg, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. I, § 22 Rdnr. 44 ff. 580

Hierzu Delbrück, BDGVR 27 (1986), 147 ff.; Engel, Völkerrecht als Tatbestandsmerkmal deutscher Normen, 209 ff. m. w. N. 581 Ausführlich zur verfassungsrechtlichen Bewertung der generell-abstrakten Durchführung von „soft law" Engel, Völkerrecht als Tatbestandsmerkmal deutscher Normen, 249 ff.; Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 90 ff.

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Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

Verletzung von anerkannten Auslegungsregeln bei Nichtkenntnis der internationalen Herkunft kommt. 582 Im pragmatischen Interesse sollte der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber aber darauf bedacht sein, die internationale Herkunft von Normen selbst dann transparent zu machen, wenn es sich um völkerrechtlich unverbindliche Regelungsinstrumente handelt.

b) Verwaltungsvorschriften Neben der innerstaatlichen Durchführung von unverbindlichen internationalen Empfehlungen mittels Gesetz oder Rechtsverordnung sind zahlreiche Beispiele bekannt, bei denen es zum Erlaß von international inspirierten Verwaltungsvorschriften kam. Im Umweltrecht sind so im Bereich der grenznachbarlichen Beziehungen insbesondere aus den süddeutschen Bundesländern zahlreiche Verwaltungsvorschriften zum Gewässerschutz, zum Immissionsschutz, zum Abfallrecht und zum Atomrecht bekannt, die in unmittelbarer Reaktion auf einschlägige Empfehlungen zumeist regionaler Umweltschutzorganisationen bzw. entsprechender Vertragsorgane ergangen sind. 583 Auf Bundesebene sind verschiedene Verwaltungsvorschriften nach § 7a Abs. 1 Satz 2 WHG (a. F.) 5 8 4 zum Stand der Technik hinsichtlich des Einleitens von Abwasser ergangen, durch die unmittelbar entsprechende Empfehlungen der Helsinki-Kommission585 durchgeführt wurden. 586 Ein im Schrifttum bereits intensiv diskutierter Fall der Durchführung internationaler Empfehlungen entstammt schließlich dem Wirtschaftsverwaltungsrecht, wo es Mitte der 1980er Jahre im Zusammenhang mit Hermes-Bürgschaften zu einer entsprechenden Änderung der Verwaltungspraxis durch Verwaltungsvorschriften hinsichtlich der Wirtschaftsbeziehungen zu Südafrika kam. 587

582

Eingehend Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 92 ff. 583

Nachweise bei Skala, Internationale technische Regeln und Standards zum Umweltschutz, 240; Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 102 ff. 584

In der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 1986, BGBl. 19861,1529.

585

Nach Maßgabe des außer Kraft getretenen Ostseeschutzabkommens vom 22. März 1974, BGBl. 1979 II, 1229. 586

Ausführlich Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 105 f. 587 Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 106 ff.; Kunig, in: Hailbronner/Ress/Stein (Hrsg.), FS Doehring, 529 (541 f.).

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

625

Auch die innerstaatliche Durchführung internationaler Empfehlungen mittels Verwaltungsvorschrift erweist sich damit als nicht unbedeutendes Merkmal des internationalisierten Verwaltungshandelns. Die normergänzende und normkonkretisierende Funktion, die Verwaltungsvorschriften gerade im auch für das internationalisierte Verwaltungshandeln wichtigen Bereich der technischen Standardisierung (i. w. S.) zukommt, 588 zeigt damit eine internationalisierte Gestaltung der nationalen Verwaltungspraxis. Ihre rechtsnormative Bedeutung geht weit über den ursprünglich unverbindlichen Charakter der zugrundeliegenden internationalen Empfehlung hinaus. Die hiermit verbundenen Rechtsprobleme ergeben sich in erster Linie aus der nationalen Rechtsordnung, ohne daß es auf den bestehenden internationalen Einfluß ankommt. Soweit insbesondere im Lichte der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes in der Form der Wesentlichkeitstheorie der Erlaß von Verwaltungsvorschriften als originäres Administrativrecht 589 zulässig ist, 590 korrespondiert dies dann aber auch mit der Möglichkeit, entsprechende Handlungen vorzunehmen, die sich tatsächlich auf internationale Begebenheiten beziehen. Der internationalisierten Verwaltung steht so ein weitreichendes Handlungsinstrumentarium zur Seite. Dieses kann zumindest zum Teil auch dazu dienen, die Einbußen an Gestaltungsmacht zu kompensieren, die sich aus der Absage des EuGH an die Zulässigkeit der Umsetzung von Sekundärrecht der EG durch Verwaltungsvorschriften ergeben. 591 Mit zunehmender Intensität der völkerrechtlichen - unverbindlichen - Standardisierung in technischen Sachbereichen, wie sie bei der Analyse ausgewählter Referenzgebiete des internationalisierten Verwaltungshandelns deutlich wurde, stellt sich allerdings die Frage, ob nicht auch das Völkerrecht dem Einsatz von normergänzenden und normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften, die auf internationale Empfehlungen reagieren, Grenzen setzt. Dies kann sich insbesonde588 Grundlegend BVerwGE 72, 300 (320); 107, 338 (340 ff.); aus dem Schrifttum mit zahlreichen Nachweisen statt vieler Ossenbühl, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rdnr. 53; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 24 Rdnr. 26. 589

Statt vieler Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 24 Rdnr. 22; Ossenbühl, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rdnr. 51 m. w. N. 590 Zu den insoweit bestehenden Problemen im Überblick Kadelbach, Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 308 ff. m. w. N.

Allgemeines

591 EuGH, Rs. C-361/88, Kommission./. Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1991,1-2567 (2602); Rs. C-59/89, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1991, 1-2607 (2631); zum Verlust eines „wesentlichen Anwendungsbereich[es] für normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften" durch diese Rechtsprechung siehe z. B. Ossenbühl, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rdnr. 53; umfassend zum Verhältnis von EGRecht und Verwaltungsvorschriften Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 303 ff.

626

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

re aus dem Einfluß des TBT- und des SPS-Übereinkommens der WTO-Rechtsordnung ergeben. Diese Abkommen verpflichten die WTO-Mitgliedstaaten in verschiedenen Vorschriften dazu, innerstaatlich die internationale technische Standardisierung zu beachten.592 Je mehr die zunächst unverbindliche internationale Standardisierung faktisch zunimmt und dementsprechend mittelbare rechtsnormative Wirkung durch die Regelungen der WTO-Rechtsordnung erlangt, desto mehr Gründe lassen sich dafür anführen, daß nur eine außenrechtswirksame innerstaatliche Geltungsanordnung den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik genügt. Nur dann ist nämlich gewährleistet, daß die freiheitssichernde und individualschützende Funktion des WTO-Rechts 593 und damit auch der internationalen Standardisierung gebührende Berücksichtigung im innerstaatlichen Recht findet. Besonders relevant wird dies in Sachbereichen, die - wie das WTORecht - durch völkerrechtliche Verpflichtungen der EG gekennzeichnet sind, so daß für die Bundesrepublik über die völkerrechtliche Implementierungspflicht hinausgehend auch gemeinschaftsrechtliche Umsetzungsgebote zu beachten sind. 594 Die sich hieraus ergebenden Herausforderungen an die innerstaatliche Dogmatik der Verwaltungsvorschriften sind allerdings zur Zeit noch nicht abschließend zu benennen. Festgehalten werden kann aber, daß der internationalisierten Verwaltungsvorschrift gerade hinsichtlich der Harmonisierung technischer Standards eine zunehmende Bedeutung zukommt.

c) Informales internationalisiertes Verwaltungshandeln Die innerstaatliche Verwaltungsrechtswissenschaft hat in den letzten Jahren intensiv darauf aufmerksam gemacht, daß den gesellschaftlichen und rechtlichen Herausforderungen, die sich aus komplexen und einem raschen Wandel unterwor-

592

Zu Einzelheiten siehe bereits supra Teil 6, A. IV. 2. c).

593

Siehe hierzu United States - Sections 301-310 of the Trade Act of 1974, Report of the Panel v. 22.12.1999, WT/DS152/R, para. 7.73: „Many of the benefits to Members which are meant to flow as a result of the acceptance of various disciplines under the GATT/WTO depend on the activity of individual economic operators in the national and global market places. The purpose of many of these disciplines, indeed one of the primary objects of the GATT/WTO as a whole, is to produce certain market conditions which would allow this individual acitivity to flourish". Das Panel faßte die im einzelnen noch näher ausgeführten Aspekte des Individualschutzes durch die WTO-Rechtsordnung dahingehend zusammen, daß von einem „principle of indirect effect" zugunsten der privaten Wirtschaftssubjekte gesprochen werden könne, ebda., para. 7.78.; anders allerdings EuGH, Rs. C-149/96, Portugal./. Rat, EuR 2000, 62 ff. 594

Hierzu ausführlich supra Teil 7, B. II.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

627

fenen Verhältnissen ergeben, nicht mehr abschließend durch konditionale rechtliche Programmierung begegnet werden kann. 595 Als Oberbegriff für zahlreiche Handlungsformen der Verwaltung, die sich in Ergänzung bzw. alternativ zu ihrer klassischen formalen Vollzugsfunktion (vgl. Art. 20 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 GG) herausgebildet haben, wird heute nahezu einhellig der Begriff „informales Verwaltungshandeln" verwendet. 596 Das grundlegende Charakteristikum des informalen Verwaltungshandelns besteht entsprechend der Abkehr vom konditionalen gesetzlichen Programm in dem zunehmenden Einsatz von Handlungsinstrumenten des Verhandeins und der Absprache, um so auf kooperativem Wege die maßgeblichen öffentlichen Interessen effektiv zur Geltung zu bringen. Da freilich auch beim informalen Verwaltungshandeln das Gesetz der maßgebliche und zentrale Bezugspunkt des Verwaltungshandelns insgesamt bleibt (Art. 20 Abs. 3 GG), zeigt sich die kooperativ ausgerichtete Erfüllung öffentlicher Aufgaben insbesondere in den Sachbereichen, die keiner umfassenden bzw. nur einer abgeschwächten gesetzlichen Normierung unterliegen. Mit anderen Worten: Die Bedeutung des informalen Verwaltungshandelns hängt von gesetzlich zugelassenen Spielräumen ab. 597 Vor dem Hintergrund dieser zunächst evident erscheinenden, zugleich aber auch grundlegenden Erkenntnis, eröffnet sich der Blick auf die Bedeutung des informalen internationalisierten Verwaltungshandelns. Dieses spielt gerade im Bereich der völkerrechtlich unverbindlichen internationalen Sacharbeit eine wichtige Rolle, wobei zwischen der informalen internationalen Zusammenarbeit öffentlichrechtlicher Institutionen und der Kooperation im Verhältnis privater und öffentlich-rechtlicher Akteure differenziert werden kann. Die im einzelnen bereits ausführlich dargelegte internationalisierte Verwaltungskooperation hält zahlreiche Instrumentarien bereit, die auf die effektive Verwirklichung verbindlicher und

595 Siehe nur Brohm, DÖV 1987, 265 ff.; ders., DVB1. 1994,133 ff.; Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 164 ff.; ders., Staatswissenschaften und Staatspraxis 4 (1993), 647 ff.; Erichsen, in: ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32 Rdnr. 1; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 180 ff.; Scherzberg, Die Öffentlichkeit der Verwaltung, 141 ff., jeweils m. w. N. 596

Grundlegend Bohne, Der informale Rechtsstaat, passim; weiterhin z. B. Brohm, DVB1. 1994, 133 ff.; Kunig/Rublack, Jura 1990, 1 ff.; Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 269 ff.; zahlreiche Nachweise bei Erichsen, in: ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32 Rdnr. 2 Fn. 6; zu entsprechenden Entwicklungen im Verfassungsrecht siehe Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, passim. 597 Erichsen, in: ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32 Rdnr. 5; Kunig/ Rublack, Jura 1990, 1 (7).

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Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

unverbindlicher internationaler Regelwerke abzielen.598 Dies fügt sich in das allgemeine Bild der Verwaltungskooperation als Steuerungsressource ein. 599 Die darüber hinausgehende und hier näher zu erörternde internationalisierte Zusammenarbeit öffentlich-rechtlicher und privater Akteure korrespondiert insgesamt mit der wachsenden Bedeutung nichtstaatlicher Akteure im internationalen System.600 Sie zeichnet sich im Kern dadurch aus, daß sich in nahezu allen Sachbereichen des internationalen Lebens das vormals ausschließlich von den Staaten als souveränen völkerrechtlichen Akteuren dominierte internationale System zunehmend der Partizipation und kooperativen Einflußnahme nichtstaatlicher Akteure öffnet. Ausgehend von den menschenrechtlichen Verbürgungen insbesondere der Vereinigungsfreiheit bestehen heute in allen wesentlichen internationalen Organisationen mehr oder weniger klar definierte Rechte und Verfahren zur Beteiligung nichtstaatlicher Akteure im Prozeß der verbindlichen und unverbindlichen Regelsetzung. Dies dient zugleich der effektiven internationalen Rechtsverwirklichung. 601 Neben der sich aus dieser Entwicklung ergebenden Frage nach der Völkerrechtssubjektivität nichtstaatlicher Akteure 602 hat dies auch Auswirkungen auf das internationalisierte Verwaltungshandeln, insbesondere soweit es um unverbindliche internationale Regelwerke geht. Das internationalisierte Verwaltungshandeln ist zunächst gerade in den Sachbereichen, die durch unverbindliche internationale Regelwerke determiniert werden, von zahlreichen kooperativen Handlungsformen im Verhältnis staatlicher Organe und privater wirtschaftlicher sowie gesellschaftlicher Akteure geprägt. Dies wurde an verschiedenen Stellen bei der Analyse ausgewählter Referenzgebiete des internationalisierten Verwaltungshandelns bereits herausgestellt. So können im internationalisierten Postverwaltungsrecht private Postunternehmen nach innerstaatlichem Recht und Völkerrecht mit der Wahrnehmung von Rechten und Pflichten einer nationalen Postverwaltung nach dem UPU-Recht betraut 598 Ausführlich hierzu auch Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 126 ff. 599

Supra Teil 5, B.

600

Hierzu Hobe, AVR 37 (1999), 152 ff.; Hempel, Die Völkerrechtssubjektivität internationaler nichtstaatlicher Organisationen, passim ; Nowrot, Indiana Journal of Global Legal Studies 6 (1999), 579 ff. 601

Umfassend zu den menschenrechtlichen Rechtspositionen und zur Verfahrensbeteiligung Hempel, Die Völkerrechtssubjektivität internationaler nichtstaatlicher Organisationen, 83 ff. und 101 ff. 602

Siehe Hobe, AVR 37 (1999), 152 ff.; Nowrot, Indiana Journal of Global Legal Studies 6 (1999), 579 ff.; Hempel, Die Völkerrechtssubjektivität internationaler nichtstaatlicher Organisationen, passim.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

629

werden. Der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post kommt dann die Aufgabe der Überwachung dieser Unternehmen zu. 603 Ähnliche kooperative Aufgabenerfüllungsstrukturen kennt das ITU-Recht, das ebenfalls nach innerstaatlichem Recht (vgl. § 7 TKG) und Völkerrecht eine weitgehende Beteiligung anerkannter Betriebsunternehmen an der technisch-administrativen Tätigkeit der ITU vorsieht. Im internationalisierten Umweltrecht ist die kooperative Beteiligung privater Akteure insbesondere im Bereich der Standardisierung hervorzuheben. Die weitreichenden mittelbaren Rechtswirkungen, die namentlich der rechtsunverbindlichen Arbeit der ISO als privatrechtlicher Organisation zukommen, sind hier insgesamt und speziell für das Umweltaudit als idealtypischer Fall des kooperativen integrierten Umweltschutzes von Bedeutung.604 Gleiches gilt für die Standardisierung im internationalisierten Gesundheitsverwaltungsrecht. Auch hier vollzieht sich die entscheidende Arbeit in den maßgeblichen internationalen Gremien unter Beteiligung der relevanten gesellschaftlichen bzw. wirtschaftlichen Akteure. Dies zeigt z. B. die Zusammensetzung der Delegationen der Bundesrepublik Deutschland zu den Sitzungen der Codex Alimentarius Commission, der neben Mitgliedern der Ministerialbürokratie immer auch Vertreter der maßgeblichen ökologischen und ökonomischen Interessenverbände angehören. 605 Vergleichbare kooperative Beteiligungen der relevanten privaten Akteure sind in der pflanzenschutzrechtlichen Arbeit der FAO sowie insgesamt im Zusammenhang mit den vielfältigen Aktivitäten der OECD zu finden. 606 Diese wenigen Beispiele mögen verdeutlichen, daß internationale Gremien und dementsprechend die in ihnen vertretenen staatlichen Stellen sich in vielen Sachbereichen der technisch-administrativen internationalen Kooperation immer mehr der Beteiligung privater Akteure öffnen. Die diesem Phänomen zugrundeliegende strategische ratio gründet sich auf zwei wesentliche Aspekte: Durch die frühzeitige Beteiligung der interessierten und betroffenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteure an dem Prozeß der Ausarbeitung internationaler Standards z. B. im Gesundheits-, Umwelt- und Kommunikationssektor wird, erstens, sichergestellt, daß die zumeist völkerrechtlich unverbindlichen Regel-

603

Siehe Art. 3 ff. Zustimmungsgesetz zu den Verträgen des Weltpostvereins, BGBl. 1998 II, 2082. 604

Siehe supra Teil 6, B. III. 4.

605

Zur Zusammensetzung der deutschen Delegation während der dreiundzwanzigsten Sitzung der Codex Alimentarius Commission siehe Codex Alimentarius Commission, Report of the 23rd Session, Doc. ALINORM 99/37, Appendix I. 606

Ausführlich Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 129.

630

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

werke in der Praxis effektiv befolgt werden. 607 Dies führt auch dazu, daß es auf Fragen der durch innerstaatliche hoheitliche Maßnahmen zu erfolgenden ausdrücklichen Durchführung der internationalen Regelwerke nicht mehr ankommt. Ihre Beachtung ist ohnehin auf „informellem" Wege gesichert. Weiterhin ist, zweitens, zu beachten, daß die Legitimität unverbindlicher internationaler Regelwerke durch die Beteiligung privater Akteure an ihrer Ausarbeitung gesichert wird, da so eine weitgehende Garantie partizipatorischen S ach Verstandes in den technisch-administrativen Entscheidungsgremien gegeben ist. Dies ist nicht nur unter allgemeinen Gesichtspunkten der Legitimation der internationalen technischen Standardisierung zu begrüßen, 608 sondern hat konkrete Auswirkungen auf die rechtliche Wirkung internationaler Standards im innerstaatlichen Verwaltungsrecht. Ihre Eignung als „antizipierte Sachverständigengutachten" hängt nämlich ganz maßgeblich davon ab, daß sie objektiv auf der Grundlage von Sachkunde und Erfahrung erstellt werden. 609 Daraus folgt, daß mit zunehmendem Einfluß privaten Sachverstandes auf die internationale Standardisierung ihre verwaltungsprozessuale Beweiskraft zunimmt, was wiederum zu ihrer effektiven Durchführung unabhängig von konkreten hoheitlichen Umsetzungsmaßnahmen beiträgt. Zusätzlich zu den weithin praktizierten kooperativen Beteiligungsformen gibt es zahlreiche Beispiele für innerstaatliche normvertretende und normersetzende Absprachen, 610 die der Verwirklichung internationaler Regelwerke dienen. Neben den schon als klassisch zu bezeichnenden Selbstbeschränkungsabkommen im internationalen Wirtschaftsrecht 611 finden sich z. B. entsprechende Selbstverpflichtungen privater Akteure mit Blick auf die Durchführung verschiedener unverbindlicher Vorgaben zur Südafrika-Politik in den Zeiten der Apartheid, des FAO-Pestizid-Kodex, des WHO-Kodex über den weltweiten Vertrieb von Babynahrungsmitteln und des OECD-Kodex für multinationale

607 Zur Bedeutung dieser Strategie mit Blick auf die Durchführung unverbindlicher Empfehlungen internationaler Organisationen siehe auch Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 126 ff. 608 Nicht weiter erörtert werden soll die problematische verfassungsrechtliche Frage der demokratischen Legitimation administrativer Entscheidungsgremien, in denen u. a. Mitglieder mitwirken, die nicht durch ihre Stellung als Amtswalter legitimiert sind. Hierzu grundlegend der Vorlagebeschluß des BVerwG v. 17. Dezember 1997, NVwZ 1999,870 ff. 609

Kopp/Schenke,

610

Hierzu statt aller Scherer, DÖV 1991, 1 ff.

611

VwGO, § 98 Rdnr. 3a m. w. N.

Siehe umfassend W. Werner, Selbstbeschränkungsabkommen im Außenhandel, passim; Quick, Exportselbstbeschränkungen und Artikel X I X GATT, passim.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

631

Unternehmen. 612 Auch wenn man solchen Selbstverpflichtungszusagen oftmals keine Rechtsverbindlichkeit wird zusprechen können, 613 bleiben auch sie denselben verfassungsrechtlichen Zweifeln ausgesetzt, die im Schrifttum - bislang allerdings ausschließlich für den innerstaatlichen Bereich 614 - bereits ausführlich erörtert wurden und hier nicht wiederholt werden müssen. 615 Unabhängig hiervon zeigt sich aber nochmals, daß die innerstaatliche Durchführung unverbindlicher internationaler Regelwerke weder tatsächlich noch rechtlich einem „Rechtsformvorbehalt" unterliegt. 616 Der Einsatz unverbindlicher internationaler Regelwerke eröffnet daher der Verwaltung ein breites Spektrum an Handlungsmöglichkeiten, die auf die international inspirierende, aber nicht determinierende Wirkung des zugrundeliegenden unverbindlichen Instrumentariums zurückgehen. Bilanzierend kann festgehalten werden, daß der Einsatz der Instrumentarien des informalen Verwaltungshandelns, die aus dem innerstaatlichen Recht bekannt sind, auch bei der Durchführung internationaler unverbindlicher Empfehlungen, insbesondere in technisch-administrativen Sachbereichen, Anwendung findet. Auch wenn die Einzelheiten des informalen internationalisierten Verwaltungshandelns noch durch hier nicht im einzelnen zu leistende weitere Forschungsarbeit zu konkretisieren sind, zeigt sich zumindest eine fortschreitende Kongruenz der innerstaatlich und international auszumachenden Phänomene tatsächlicher und rechtlicher Natur. 617 Dementsprechend läßt sich vorhersagen, daß mit einer fortschreitenden Internationalisierung von technisch-administrativen Sachbereichen auch der Einsatz informaler internationalisierter Handlungsinstrumentarien zunehmen wird, die im Ergebnis auf eine effektive Durchführung auch unverbindlicher internationaler Regelwerke abzielen.

612 Nachweise hierzu bei Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 140 f. 613 Zu den Problemen siehe J. Becker, DÖV 1985, 1003 (1011); Scherer, DÖV 1991,1 (3 f.); Bohne, VerwArch 75 (1984), 343 (361); Di Fabio, JZ 1997,969 ff., jeweils m. w. N. 614

Einzige Ausnahme soweit ersichtlich Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 143 ff. 615

Statt vieler im Überblick Kunig/Rublack,

Jura 1990, 1 (7 ff.) m. w. N.

616

Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 271; anders Burmeister, VVDStRL 52 (1993), 190 (230 ff.). 617 Das gilt nicht nur für die verwaltungsrechtliche Ebene, sondern im Lichte der dargestellten Entwicklungen ebenso für die internationalisierte informale Praxis im Verfassungsleben, hierzu - allerdings ohne spezifische Beachtung der aufgezeigten Phänomene Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, passim .

632

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

d) Einwirkungen auf Beurteilungs- und Ermessensentscheidungen Wie sich bereits bei der Analyse ausgewählter Referenzgebiete des internationalisierten Verwaltungshandelns und den vorstehenden Untersuchungsabschnitten zu verschiedenen verfassungsrechtlichen Aspekten der materiell-rechtlichen Beziehungen zwischen innerstaatlichem Verwaltungsrecht und internationalen Steuerungsinstrumentarien gezeigt hat, verwischt das lange Zeit kaum in Frage gestellte Bild der strikt voneinander getrennten Rechtsräume „Landesrecht" und „Völkerrecht" immer mehr. Einen weiteren Sachbereich, für den sich dieses Phänomen nachweisen läßt, stellen die Einwirkungen von unverbindlichen internationalen Regelwerken auf exekutive Entscheidungen dar, die der Konkretisierung von Tatbestandsmerkmalen öffentlich-rechtlicher Normen und von Ermessensentscheidungen dienen. Angesichts der auch in der deutschen Staatsrechtslehre zwischenzeitlich artikulierten Erkenntnis, daß das sogenannte „soft law" eine wie auch immer im einzelnen zu umschreibende Bedeutung hat, die über den rein politischen Bereich der internationalen Beziehungen hinausgehen kann, 618 verwundert es nicht, daß die innerstaatliche Rechtserheblichkeit internationaler Empfehlungen zunehmend im Schrifttum diskutiert wird. 6 1 9 Auch in der verwaltungsgerichtlichen Praxis führte dies bereits zu deutlich positiven Voten. 620 Dem Grunde nach besteht heute daher auch weitgehende Einigkeit darüber, daß eine Berücksichtigung von unverbindlichen internationalen Regelwerken durch die nationale Verwaltung insbesondere bei der Konkretisierung von Tatbestandsmerkmalen und im Rahmen von Ermessensentscheidungen möglich ist, aber gewissen verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Grenzen unterliegt. 621 Wo genau diese Grenzen auszumachen sind, ist jedoch ebensowenig klar wie die Frage danach, ob nicht sogar auch ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung 622 eine Verpflichtung der nationalen Verwaltung bestehen kann, unverbindliche internationale Regelwerke bei einzelnen Entscheidungen zu berücksichtigen. 618

Siehe insbesondere Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1,476.

619

Ausführlich Kunig, in: Hailbronner/Ress/Stein (Hrsg.), FS Doehring, 529 ff.; ders., in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Abschn. Rdnr. 179; Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, passim. 620

Siehe insbesondere V G Frankfurt, NJW 1988, 3032 (3033); V G Berlin, NVwZBeilage 7/1996, 51 (54 f.); weiterhin RGSt 62, 369 (373); BGHZ 59, 83; Bleckmann, ZaöRV 34 (1974), 112 ff.; Meessen, NJW 1981, 1131 ff.; Kühne, NJW 1986, 1397 (1399 f.) m. w. N. 621

Grundlegend Kunig, in: Hailbronner/Ress/Stein (Hrsg.), FS Doehring, 529 ff.; ders., in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Abschn. Rdnr. 179; siehe auch Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 191 f. 622

So z. B. durch § 12 SchSG.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

633

Unter Anerkennung der dogmatischen Trennung zwischen möglichen verwaltungsrechtlichen Entscheidungsfreiräumen auf der Tatbestands- und der Rechtsfolgenseite einer Norm 6 2 3 ist zunächst die Bedeutung unverbindlicher internationaler Empfehlungen im Rahmen der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe 624 zu erörtern. Denn nur wenn keine „bestimmte" konditionale Progammierung durch den Gesetzgeber vorliegt, ergibt sich für die Verwaltung überhaupt die Möglichkeit, außerhalb der deutschen Rechtsordnung ihren Ursprung findende Regelwerke bei der Rechtsanwendung zu beachten. Unter Verweis auf die Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung und das geordnete Zusammenleben der Staaten und überhaupt das Funktionieren des internationalen Systems hat man insoweit immer wieder diskutiert, ob unbestimmte verwaltungsrechtliche Begriffe, wie z. B. die „öffentliche Sicherheit und Ordnung" in den ordnungsrechtlichen Generalklauseln, anhand des sogenannten internationalen „soft law" konkretisiert werden könnten. Insbesondere im Lichte der Grundrechtsrelevanz ordnungsrechtlicher Maßnahmen und dementsprechend dem Problem der Unbestimmtheit der ordnungsrechtlichen Generalklausel überhaupt geht man allgemein davon aus, daß nur in besonderen Ausnahmefällen die Verletzung einer unverbindlichen internationalen Empfehlung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellen könne. 625 Keine größeren Probleme hatte allerdings das V G Frankfurt in einer Entscheidung vom Juli 1988, internationales „soft law" zumindest als Indiz für eine bestimmte Konkretisierung der ordnungsrechtlichen Generalklausel heranzuziehen. 626 Nun mag man sicherlich im einzelnen darüber streiten, ob die Werte Vorstellung, die durch eine bestimmte unverbindliche internationale Empfehlung zumindest politisch im internationalen System zum Ausdruck gebracht wird, hinreichend konkret und gefestigt ist, um Einzelaspekte der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung" in der Bundesrepublik als verletzt anzusehen.627 Eine solche Diskussion ist indes wenig gewinnbringend, um die prinzipiellen dogmatischen Probleme der 623 Hierzu sowie zur historischen Entwicklung der Diskussion statt vieler Faber, Verwaltungsrecht, 100 ff.; zum aktuellen Stand auch Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, 363 ff. 624

Zur Problematik des Begriffes siehe Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 341 f.

625

Kunig, in: Hailbronner/Ress/Stein (Hrsg.), FS Doehring, 529 (540); Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 176 ff.; Heusei, NJW 1989, 2174 f. 626

V G Frankfurt, NJW 1988, 3032 (3033). Zu weiteren Generalklauseln und ihrer Tauglichkeit im Hinblick auf die Berücksichtigung unverbindlicher Empfehlungen siehe Kunig, in: Hailbronner/Ress/Stein (Hrsg.), FS Doehring, 529 (540 ff.); Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 176 ff. 627

634

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

Verweisung auf unverbindliche internationale Regelwerke zur Tatbestandskonkretisierung im deutschen Verwaltungsrecht zu ergründen. Dies kann nur geschehen, indem zunächst die rechtsmethodische Struktur von unbestimmten Rechtsbegriffen betrachtet wird. Dazu ist eine Differenzierung zwischen unbestimmten deskriptiven und normativen Begriffen notwendig. Während deskriptive unbestimmte Rechtsbegriffe bekanntlich „wirkliche und wirklichkeitsartige, grundsätzlich wahrnehmbare oder sonstwie erfahrbare Objekte ,beschreiben'", 628 zeichnet normative unbestimmte Rechtsbegriffe aus, daß sie „wertausfüllungsbedürftig" sind. 629 Diese im Verwaltungsrecht ebenso wie in anderen Rechtsgebieten anzutreffende Differenzierung muß Auswirkungen auf die verfassungsrechtliche Beurteilung des Einflusses von unverbindlichen internationalen Empfehlungen auf die Konkretisierung von unbestimmten Rechtsbegriffen haben. Soweit ein deskriptiver unbestimmter Rechtsbegriff zur Debatte steht, kommt es von vornherein nicht darauf an, welchem Jurisdiktionskreis die objektiven Anhaltspunkte zur Erfassung des „beschriebenen" Objektes entstammen. In ihrer verobjektivierten Ausrichtung entziehen sich deskriptive unbestimmte Rechtsbegriffe von vornherein den spezifischen normativen Fragen des Einflusses unverbindlicher internationaler Empfehlungen auf ihre Konkretisierung. Anders stellt sich die Situation bei den weitaus gebräuchlicheren unbestimmten normativen Rechtsbegriffen im Verwaltungsrecht dar. Ihre Wertausfüllungsbedürftigkeit führt zu der zentralen Frage, ob sich die wertende Entscheidung des Rechtsanwenders - der Verwaltung und der Verwaltungsgerichte - bei ihrer Konkretisierung an Maßstäben orientieren darf, die außerhalb der staatlichen Jurisdiktion in der Form unverbindlicher internationaler Empfehlungen ihren Ursprung finden. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive darf diese Frage allerdings nicht mit dem allgemeinen Problem der hinreichenden Bestimmtheit verwaltungsrechtlicher Ermächtigungsnormen sowohl in der Eingriffs- als auch in der Leistungsverwaltung vermengt werden. Ob eine Rechtsvorschrift im Sinne der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine wirksame verwaltungsrechtliche Ermächtigungsgrundlage erfüllt, ist nur anhand der Norm selbst und den entsprechenden verfassungsrechtlichen Anforderungen an ihre Bestimmtheit zu bewerten. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG kommt es insoweit bekanntlich nur darauf an, daß unbestimmte Rechtsbegriffe zumindest von den Gerichten durch Auslegung konkretisierbar sind; 630 welche

628

Engisch, Einführung in das juristische Denken, 140.

629

Engisch, Einführung in das juristische Denken, 142.

630

Vgl. z. B. BVerfGE 78,205 (212); 92,262 (272 f.); zahlreiche Nachweise bei Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 20 Rdnr. 127.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

635

Auslegungsgesichtspunkte dabei heranzuziehen sind, spielt zunächst keine Rolle. 631 Gegen die Heranziehung unverbindlicher internationaler Empfehlungen als wertungskonkretisierender Maßstab bei der Auslegung unbestimmter normativer Rechtsbegriffe wird jedoch angeführt, daß insoweit die verfassungsrechtlichen Regeln zum Verhältnis von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht und die Kontroll- und Mitwirkungsrechte des Parlaments im Bereich der auswärtigen Beziehungen (Art. 59 Abs. 2 GG) mißachtet würden sowie insgesamt eine unzulässige äußere Beeinflussung der innerstaatlichen Rechtsordnung erfolge. 632 Angesichts des prinzipiellen verfassungsrechtlichen Aufhängers dieser Gesichtspunkte mögen sie zwar auf den ersten Blick von einigem Gewicht sein, im Ergebnis wird man ihnen jedoch nur zum Teil folgen können. Was zunächst das Verhältnis von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht betrifft, so ist bereits positiv-rechtlich problematisch, ob unverbindliche internationale Regelwerke überhaupt in diese Begriffskategorien fallen können. In jedem Fall ist jedoch nicht ersichtlich, daß durch Art. 25 GG und Art. 59 Abs. 2 GG ein numerus clausus an verfassungsrechtlich zulässigen Wechselbeziehungen zwischen innerstaatlichem Recht und international ihren Ursprung findenden Rechtseinflüssen begründet ist. Überdies bleibt entscheidend, daß die rechtsverbindliche Geltungsverschaffung des unverbindlichen internationalen Regelwerkes bei seiner Heranziehung im Rahmen der Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffes auf das entsprechende innerstaatliche Gesetz zurückgeht. Der sich damit andeutende Zirkel kann nicht einfach als petitio principii aufgelöst werden, indem man dem Gesetz eben diese Befugnis abspricht. Insoweit bleibt es bei der bereits im Rahmen der Erörterungen zur internationalisierten Verweisung dargelegten grundsätzlichen Zulässigkeit der Einbeziehung internationaler Regelwerke in die deutsche Rechtsordnung auch außerhalb der Art. 25 und 59 Abs. 2 GG. Dies gilt im übrigen auch für die Frage der parlamentarischen Beteiligung. Im Schrifttum wurde zwar für das „soft law" immer wieder die Forderung nach einer analogen Anwendung des Art. 59 Abs. 2 GG erhoben. 633 Auch unabhängig von 631

So wohl auch Kunig, in: Hailbronner/Ress/Stein (Hrsg.), FS Doehring, 529 (539 f.).

632

So im einzelnen Engel, Völkerrecht als Tatbestandsmerkmal deutscher Normen, 252 ff.; Meessen, NJW 1981,1131 (1132); Hailbronner, in: von Münch (Hrsg.), FS Schlochauer, 329 (355 ff.); Kather, Der Kodex der Vereinten Nationen über wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken, 223 ff. 633

Siehe z. B. Engel, Völkerrecht als Tatbestandsmerkmal deutscher Normen, 246 f.; zum Problem auch umfassend Rosengarten, Der Begriff der völkerrechtlichen Verträge, passim .

636

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

der diesbezüglichen deutlichen Absage des BVerfG 6 3 4 ist dem aber nicht zu folgen. Schon aus grundsätzlichen Überlegungen ist zu konstatieren, daß bei einem Verweis auf einen möglichst weiten, gegebenenfalls sogar analog zu begründenden Anwendungsbereich des Art. 59 Abs. 2 GG die Funktion parlamentarischer Beteiligung in auswärtigen Angelegenheiten deutlich überschätzt wird. 6 3 5 Damit ist zwar nicht gesagt, daß es verfassungspolitisch nicht wünschenswert und eventuell sogar geboten ist, namentlich auf der Grundlage der Art. 43 und 45a Abs. 1 GG verstärkte Mitspracherechte des Parlaments in auswärtigen Angelegenheiten in der Verfassungspraxis zu verwirklichen. 636 Zumindest im hier interessierenden Bereich des internationalisierten Verwaltungshandelns greifen die geäußerten parlamentarisch-demokratischen Bedenken jedoch nicht. Soweit es nämlich um die technisch-administrative Aufgabenerledigung im internationalen System geht und damit nicht die „auswärtige Gewalt" im staatsleitenden Sinne zur Debatte steht, können „nicht-wesentliche" Sachfragen, die den auswärtigen Angelegenheiten zuzuordnen sind, durch die Exekutive in Eigenverantwortung geregelt werden. Bei umstrittenen und inhaltlich weitreichenden unverbindlichen Empfehlungen, die durch ihren in erster Linie politischen Charakter gekennzeichnet sind, mag dies anders zu bewerten sein. 637 Im Bereich der technisch-administrativen Aufgabenerledigung ist jedoch schon innerstaatlich anerkannt, daß durch Eigenhandeln der Verwaltung, insbesondere in der Form von gesetzeskonkretisierenden Verwaltungsvorschriften, eine außenrechtswirksame Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe erfolgen kann. 638 Ihre dogmatische Rechtfertigung findet dies in dem verfassungsrechtlich zulässigen Zusammenspiel einer durch Gesetz im formellen oder materiellen Sinne eingeräumten Beurteilungsermächtigung, die z. B. durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe zugunsten der Verwaltung er-

634

BVerfGE 68, 1 (85 f.).

635

Deutlich hierzu Tomuschat, VVDStRL 36 (1978), 7 (26 ff.), insbes. 34: „Der Therapievorschlag kann nicht einfach lauten, die Rechte des Art. 59 Abs. 2 auszuweiten"; anders wohl Wolfrum, VVDStRL 56 (1997), 38 (47): „Die verfahrensrechtlichen Einschränkungen parlamentarischer Mitwirkung am Abschluß völkerrechtlicher Verträge gehen weniger weit als von der herrschenden Meinung angenommen". 636 Tomuschat, VVDStRL 36 (1978), 7 (34 f.); Wolfrum, siehe auch BVerfGE 68, 1 (109 f.).

VVDStRL 56 (1997), 38 (55);

637

Das gilt z. B. für die umstrittene Praxis, die Vergabe von Hermes-Bürgschaften von der Einhaltung unverbindlicher politischer Erklärungen auf internationaler Ebene abhängig zu machen, hierzu z. B. Kunig, in: Hailbronner/Ress/Stein (Hrsg.), FS Doehring, 529 (541 ff.); ähnliche Probleme stellen sich bei unbestimmten Rechtsbegriffen im Außenwirtschaftsgesetz, hierzu Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 181 ff. 638

Jüngst nochmals in aller Deutlichkeit BVerwGE 107, 338 (340 ff.).

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

637

folgt, und der der Verwaltung ohnehin zustehenden Autonomie zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten. In diesem Sinne lassen sich, wie Di Fabio im einzelnen herausgearbeitet hat, normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften dogmatisch als ausgeübte Beurteilungsermächtigungen erfassen. 639 Auch das Bundesverwaltungsgericht folgt nunmehr dieser Einordnung. 640 Wenn also die eigentliche Bedeutung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften darin besteht, der „Ausfüllung eines der Verwaltung eingeräumten Beurteilungsspielraums" zu dienen, 641 ist anzuerkennen, daß der Verwaltung in dem ihr verfassungsrechtlich zustehenden (nicht-wesentlichen) Verantwortungsbereich die Kompetenz zukommt, durch Eigenhandlungen ihren Beitrag dazu zu leisten, daß unbestimmte Rechtsbegriffe konkretisiert werden. 642 Um einen solchen Vorgang geht es auch, wenn es zur Einbeziehung internationaler Regelwerke in die Konkretisierung normativer unbestimmter Rechtsbegriffe kommt. Soweit es sich hierbei um internationale Regelwerke handelt, die - wie regelmäßig in technischadministrativen Sachbereichen - unter Beteiligung der zuständigen nationalen Verwaltungsstellen entstanden sind, „setzt" die nationale internationalisierte Verwaltung vom Gesetzgeber autonomes „Recht", das prinzipiell geeignet ist, normative unbestimmte Rechtsbegriffe auszufüllen. Eine unzulässige Umgehung parlamentarischer Beteiligungsrechte kann hierin ebensowenig gesehen werden wie bei dem rein innerstaatlichen Phänomen der normkonkretisierenden Verwaltungs Vorschriften. Insofern können unverbindliche internationale Regelwerke, die unter Beteiligung nationaler Verwaltungsstellen zustandegekommen sind, durchaus als internationalisierte normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften bezeichnet werden. In eben dieser Weise werden sie im übrigen auch in der Verwaltungspraxis behandelt; insbesondere für das internationalisierte Umweltrecht wurde dies im Schrifttum bereits ausführlich nachgewiesen.643 Die grundsätzliche Eignung unverbindlicher internationaler Empfehlungen zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe unterliegt jedoch bestimmten Voraussetzungen, wenn man zugleich ihre bindende Wirkung für die Judikative begründen will, wie es bei normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften der Fall

639 640 641

Di Fabio , DVB1. 1992, 1338 ff. BVerwGE 107, 338 (341). BVerwGE 107, 338 (341).

642

Dies verkennt Engel, Völkerrecht als Tatbestandsmerkmal deutscher Normen, 62 und 253, der argumentiert, es liege insofern eine unzulässige Beeinflussung der nationalen Rechtsordnung durch die Bundesregierung vor. 643 Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 189 f.

638

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

ist. 644 An erster Stelle ist zu verlangen, daß die fragliche internationale Empfehlung dem zur Tatbestandskonkretisierung „wesentlichen Erkenntnis- und Erfahrungsstand Rechnung [trägt]" und dabei ,,höherrangig[e] Gebote" beachtet.645 Damit wird eine doppelte inhaltliche Zielsetzung festgeschrieben: Das konkretisierende Regelwerk muß (1.) Sinn und Zweck einer zugrundeliegenden gesetzlichen Ermächtigung entsprechen und hat sich (2.) an objektiven Kriterien des maßgeblichen Erkenntnis- und Erfahrungsstandes auszurichten. Für unverbindliche internationale Empfehlungen bedeutet dies, daß sich ihre inhaltliche Ausarbeitung an den Handlungsvorgaben zu orientieren hat, die in der völkerrechtlichen Ermächtigungsgrundlage enthalten sind. Zudem müssen objektiv-sachliche Kriterien bei der Schaffung des Regelwerkes im Vordergrund stehen. Weiterhin hat der zu konkretisierende unverbindliche Rechtsbegriff einen internationalisierten Bezug aufzuweisen, um so die notwendige demokratische Legitimation für die internationalisierte Konkretisierung durch die Verwaltung zu schaffen. Dies muß nicht explizit in der Norm ausgesprochen sein, sondern kann sich durch Auslegung im konkreten Einzelfall auch implizit ergeben. 646 Schließlich ist zur Wahrung der Objektivität des konkretisierenden Regelwerkes prozedural zu fordern, daß seine Ausarbeitung einem möglichst umfassenden Beteiligungsverfahren unterliegt, das „vorhandene Erfahrungen und den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis auszuschöpfen" geeignet ist. 6 4 7 Auch diese Voraussetzung ist zumindest hinsichtlich der hier im Rahmen der Referenzgebiete des internationalisierten Verwaltungsverfahrens untersuchten Regelwerke zumeist erfüllt, da in der Regel eine umfassende Beteiligung staatlicher und privater Stellen an der Ausarbeitung der maßgeblichen technischen Regelwerke erfolgt. 648 Auch wenn die genannten Voraussetzungen erfüllt sind, heißt dies noch nicht, daß damit jedem unverbindlichen internationalen Regelwerk die Wirkung einer internationalisierten normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift zukommt.

644

Hierzu BVerwGE 107, 338 (340 ff.).

645

Vgl. BVerfGE 54, 173 (197); BVerwGE 107, 338 (341).

646

So i. E. auch Kunig, in: Hailbronner/Ress/Stein (Hrsg.), FS Doehring, 529 (546 f.); Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 197 ff. 647 648

BVerwGE 107, 338 (342).

Siehe insoweit nochmals BVerwGE 107, 338 (342), wo darauf abgestellt wird, daß die maßgeblichen Verwaltungsvorschriften durch Fachvertreter der Behörden unter Beteiligung von Sachverständigen und nach Anhörung der zu beteiligenden Kreise erarbeitet wurden.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

639

Vielmehr ist neben der Notwendigkeit hinreichender Akzeptanz 649 zu beachten, daß bei aller „Objektivität" der internationalen Standardisierung in der Praxis Divergenzen zwischen nationalen Zielvorgaben und international im Kompromißwege zu erzielenden Ergebnisformulierungen möglich sind. Hier bedarf es einer Einzelfallbewertung, um feststellen zu können, ob das schließlich verabschiedete internationale Regelwerk noch der prinzipiellen gesetzlichen Intention entspricht, die dem unbestimmten Rechtsbegriff zugrunde liegt. 650 Dabei sind allerdings nicht nur innerstaatliche Maßstäbe anzulegen. Es kann auch erforderlich sein, völkerrechtlich verbindliche Vorgaben zu beachten, wie sie sich z. B. aus dem WTORecht für die Arbeit der Codex Alimentarius Commission und insgesamt hinsichtlich der Risikobewertung im Umwelt- und Gesundheitsrecht ergeben. 651 Insgesamt zeigt sich damit, daß unverbindliche internationale Regelwerke in hier interessierenden technisch-administrativen Sachbereichen durchaus geeignet sein können, als Maßstab zur Konkretisierung normativer unbestimmter Rechtsbegriffe des innerstaatlichen Verwaltungsrechts zu dienen. Wenn sie die genannten Voraussetzungen erfüllen und dementsprechend als internationalisierte normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften zu werten sind, liegt sogar nicht nur eine Berücksichtigungsfähigkeit vor, sondern überdies eine verwaltungsrechtliche Berücksichtigungspflicht und damit korrespondierend eine Verbindlichkeit für die Verwaltungsgerichte. 652 Eine kaum abweichende Bewertung wird man treffen müssen, wenn es um die Berücksichtigung unverbindlicher internationaler Regelwerke im Rahmen einer behördlichen Ermessensentscheidung geht. Soweit sich anhand der Zweckrichtung des zugrundeliegenden Gesetzes, die die Ermessensentscheidung maßgeblich bestimmt (vgl. § 40 VwVfG), 6 5 3 ermitteln läßt, daß eine sachgerechte Entscheidung nur ergehen kann, wenn inhaltlich einschlägige und den vorgenannten Kriterien entsprechende internationale Regelwerke beachtet werden, ist die Behörde zu ihrer Beachtung verpflichtet. Eine Nichtbeachtung führt zu einem Ermessensfehler i. S. v. § 114 Satz 1 VwGO, da hierdurch eine Ermessensunterschreitung bzw. ein

649

Hierzu Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 202 ff.; Kunig, in: Hailbronner/Ress/Stein (Hrsg.), FS Doehring, 529 (548). 650

So i. E. auch Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 200 ff. 651

Hierzu z. B. supra Teil 6, A. IV. 2. c).

652

Vgl. BVerwGE 107, 338 (341).

653 Statt vieler Ossenbühl, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rdnr. 13.

640

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

Ermessensfehlgebrauch eintritt. 654 In der Verwaltungspraxis lassen sich dementsprechend auch verschiedene Fallgruppen insbesondere aus dem Wirtschafts- und Umweltrecht nachweisen, bei denen es zu einer Ermessensberücksichtigung unverbindlicher Empfehlungen kommt. 655 Überdies kann, soweit die oben zu den internationalisierten normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften genannten Voraussetzungen erfüllt sind, unverbindlichen Empfehlungen über die bekannte Gleichbehandlungskonstruktion nach Art. 3 Abs. 1 GG 6 5 6 mittelbare Rechtsverbindlichkeit zukommen. Insbesondere in Fällen, in denen die Bundesrepublik einem unverbindlichen internationalen Regelwerk zugestimmt hat, wird man annehmen müssen, daß unabhängig von einer bereits erfolgten tatsächlichen Verwaltungspraxis schon der vorliegende Willensakt ausreicht, sofern nicht in aller Deutlichkeit die Rechtsungebundenheit zum Ausdruck gebracht wurde, um eine Selbstbindung der Verwaltung anzunehmen.657 Vor diesem Hintergrund ist zumindest dem Grunde nach auch einer Entscheidung des V G Berlin aus jüngerer Zeit zuzustimmen, in der ausdrücklich auf eine Verpflichtung einer Behörde zur Berücksichtigung von „soft law" abgestellt wird. 658

I V . Zusammenfassung und Ausblick: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im System von nationalem und internationalem Recht als funktional verbundene Einheit Eine Gesamtbetrachtung der dargelegten aktuellen Entwicklungen zum Verhältnis von nationalem und internationalem Recht, insbesondere in der das Verwaltungsrecht erfassenden Dimension, zeigt, daß eine in den Kategorien des Dualis654 Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 204; zur nicht einheitlichen Terminologie siehe Ossenbühl, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rdnr. 15 ff.; J.-D. Busch, in: Knack u. a., VwVfG, § 40 Rdnr. 9.4 ff. 655 Kunig, in: Hailbronner/Ress/Stein (Hrsg.), FS Doehring, 529 (547); Dieckert, Die Bedeutung unverbindlicher Entschließungen internationaler Organisationen, 205 ff. 656

Hierzu statt vieler Ossenbühl, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rdnr. 48 ff.; J.-D. Busch, in: Knack u. a., VwVfG, § 40 Rdnr. 9.5.1.1 ff. 657

Zur entsprechenden innerstaatlichen Selbstbindungskonstruktion schon durch den behördlichen Willensakt siehe Ossenbühl, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rdnr. 50. 658

V G Berlin, NVwZ-Beilage 7/1996, 51 (55); hiergegen allerdings V G Stuttgart, NVwZ-Beilage 4/1998, 36 (37); VGH München, NVwZ-Beilage 7/1997, 52 (53); wohl auch OVG Frankfurt/Oder, NVwZ-Beilage 2/1998, 11; offengelassen von OVG NRW, Beschluß v. 20.3.1998 - 17 B 1505/97, zitiert nach JURIS.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

641

mus/Monismus verhaftete Diskussion kaum in der Lage ist, sachangemessene Erklärungsansätze für das zunehmende Ineinandergreifen der verschiedenen Regelungen unterschiedlicher Provenienz zu liefern. Damit ist aber zugleich angedeutet, daß sich trotz der beschriebenen Entwicklung eines nicht leugnen läßt: Mit Blick auf ihre Rechtsquellen sind innerstaatliches Recht und Völkerrecht voneinander geschieden.659 Läßt man einmal die problematische Frage nach dem Geltungsgrund des Völkerrechts außer Betracht, 660 gibt Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut zwar nicht abschließend, aber immer noch in den wesentlichen Grundaussagen zutreffend die Quellen des Völkerrechts vor. 661 Das innerstaatliche Recht hingegen gründet sich auf andere Rechtsquellen, wobei insbesondere das Gesetz kein völkerrechtliches Pendant findet. 662 Allerdings ist durch den Verweis auf die Trennung der Rechtsquellen des innerstaatlichen und des internationalen Rechts nicht gesagt, daß sich die Rechtserzeugungsquellen 663 im innerstaatlichen und im internationalen Raum nicht zunehmend gegenseitig beeinflussen. Die prinzipielle Unterscheidung nationaler und internationaler Rechtsquellen664 bleibt damit zwar unstreitig zutreffend, in ihrem Aussagegehalt ist diese Feststellung aber zu formal. Gerade die Analyse einzelner Erscheinungsformen des internationalisierten Verwaltungshandelns sowie die verschiedenen Rechtsphänomene einer unmittelbaren und mittelbaren Beeinflussung des nationalen Verwaltungsrechts durch internationale Regelwerke haben dies rechtsempirisch und rechtsdogmatisch deutlich gezeigt. Betrachtet man über den engen Begriff der Rechtsquelien hinausgehend das Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht, zeigen sich beachtliche Interdependenzen. Diese konnten zunächst für die Wechselwirkungen zwischen internationalem Recht und innerstaatlicher Rechtsordnung nachgewiesen werden. Die beschriebenen Entwicklungen lösen sich aus nationaler Perspektive zunehmend von der Vorstellung eines expliziten staatlichen Übernahmeaktes. Wollte man es allerdings bei dieser Erkenntnis bewenden lassen, wäre eine über 659 660

Thürer, SZIER 1999, 217 (218 f.). Zur Diskussion siehe Dahm/Delbrück/Wolfrum,

Völkerrecht, Bd. 1/1, 34 ff. m. w. N.

661

Zur Bedeutung des Art. 38 IGH-Statut in der hier zugrunde gelegten Reichweite statt vieler Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 515 ff.; sowie supra Teil 5, A. I. 1. 662 Zu den Begriffen „Rechtsquellen" und „Gesetz" aus innerstaatlicher Perspektive Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 61 Rdnr. 1 ff. m. w. N.; zur Kritik an der zum Teil sprachlich gebräuchlichen Bezeichnung völkerrechtlicher Rechtserzeugungsprozesse als „internationale Gesetzgebung" siehe Dicke, ZG 1988, 193 ff. 663 Zum Begriff Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 61 Rdnr. 1 m. w. N. 664

Thürer, SZIER 1999, 217 (218 f.).

642

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

monistische Modelle hinausgehende Aussage nicht möglich. Entscheidend ist dementsprechend nicht nur die zunehmende „Öffnung" des innerstaatlichen Rechts gegenüber internationalen Einflüssen, sondern vielmehr die dieser Entwicklung zugrundeliegende ratio. Sie ist es auch, die Anlaß gibt, das Paradigma des Monismus/Dualismus zu überwinden. In seiner klassischen, insbesondere die Vorstellungen Triepels prägenden Funktion diente das Völkerrecht dazu, staatliche Souveränitätssphären voneinander abzugrenzen. Völkerrecht war demnach das Recht zur Koordination sich auf der Grundlage staatlicher Souveränität gleichberechtigt gegenüberstehender Rechtssubjekte. In dieser Koordinationsfunktion lag die friedenssichernde ratio des Völkerrechts, die sich damit prinzipiell von der individual- und gesellschaftsbezogenen Verfassungsordnung des territorial abgegrenzten Raumes, des Staates, unterschied. 665 Eine kategorische Trennung von Staats- und Völkerrecht war unter diesen Prämissen gerechtfertigt, da sich eine gemeinsame Wertebasis der in ihren Rechtsquellen geschiedenen Rechtsräume nicht ausmachen ließ. Genau dieses Bild bedarf heute aber der Korrektur. An anderer Stelle wurde insoweit bereits darauf aufmerksam gemacht, daß eine zunehmende Konvergenz der Zielbestimmungen des staatlichen und des internationalen Handelns auszumachen ist, die sich gleichzeitig auch als „gewisse Harmonisierung der Zielstrukturen der Staaten" selbst darstellt. 666 In ihrer inhaltlichen und normativ verankerten Ausrichtung beziehen sich die konvergierenden Zielbestimmungen nationalen und internationalen „öffentlichen" Handelns auf die bereits 1945 in der UN-Charta formulierten gemeinsamen Werte der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und humanitären Zusammenarbeit (Art. 1 Ziff. 3, Art. 55 UN-Charta). Sie können prägnant zusammengefaßt umschrieben werden als Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, orientiert an internationaler Wohlfahrt, sozialer Sicherheit i. w. S und den Menschenrechten insgesamt.667 Damit ist eine universelle Gemeinwohlorientierung des Völkerrechts insgesamt festzustellen, die die klassische Vorstellung 665 Für einen Überblick zu den Grundaufgaben der Verfassung als Grundlage der innerstaatlichen Rechtsordnung siehe z. B. Hesse, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, § 1 Rdnr. 2 ff.; Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. I, § 13. 666 667

Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 253; supra Teil 4, B. III.

Zur Konstitution des Friedens als Rechtsordnung siehe insbesondere die Abhandlungen in Delbrück, Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung; sowie ders./Dicke, in: Nerlich/Rendtorff (Hrsg.), Nukleare Abschreckung - Politische und ethische Interpretation einer neuen Realität, 797 ff.; insgesamt zur beschriebenen Entwicklung im Völkerrecht hin zu einer einzelstaatliche Souveränitätsinteressen immer mehr zurücktreten lassenden Gemeinwohlorientierung auch Tomuschat, RdC 241 (1993), 195 ff.; Simma, RdC 250 (1994), 221 ff.

B. Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem Recht

643

von der ausschließlich souveränitätsabgrenzenden Koordination staatlichen Nebeneinander weit hinter sich läßt. Im Lichte dieser Entwicklung verliert das dualistische Bild der über ihre getrennten Rechtsquellen hinausgehend insgesamt nebeneinander liegenden nationalen und internationalen Rechtsräume seine Bedeutung. 668 Die inhaltliche Konvergenz, die sich in den dargestellten zahlreichen, die Rechtsquellen und Rechtsverwirklichungsmechanismen betreffenden Entwicklungen ausdrückt, führt so im Rahmen einer holistischen Betrachtungsweise zur Erkenntnis einer „funktionell eng verbundenen Einheit" von Völkerrecht und Landesrecht. 669 Näher konturieren läßt sich das Bild der funktionellen Einheit von nationalem und internationalem Recht dahingehend, daß sich die beiden in ihren Rechtsquellen zunächst voneinander geschiedenen Rechtsräume immer mehr darauf ausrichten, eine umfassende Gemeinwohlorientierung kooperativ zu verwirklichen. 670 Das Global-governance- Modell bringt dies deutlich zum Ausdruck. Die funktionelle Einheit der Rechtsräume wird dabei inhaltlich durch eine gemeinsame Verwirklichungsaufgabe geprägt, die auf grundlegende, rechtsnormativ verankerte Wertvorstellungen zurückzuführen ist. Die dargelegten, zahlreichen völkerrechtlichen Steuerungsinstrumentarien, deren Gemeinsamkeit insgesamt darin liegt, kooperative und nicht konfrontative Rechtssetzungs- und Rechtsverwirklichungsstrategien zu verfolgen, 671 belegen dies, da Kooperation nur dann Erfolg haben kann, wenn ihr ein gemeinsames Werk als Aufgabenumschreibung zugrunde liegt. 672 Daniel Thürer hat diese gesamte Entwicklung prägnant mit den folgenden Worten zusammengefaßt: „Die alte Kluft zwischen den Werten des Staatsrechts und des Völkerrechts gibt es nicht mehr". 673 Auch wenn dies zumindest dem Grunde nach insgesamt für das internationale System gilt, wird man ergänzen müssen, daß gerade im Bereich des internationalisierten Verwaltungshandelns die

668 Thürer, SZIER 1999, 217 (219); Fleiner-Gerster, (Hrsg.), FS Schindler, 687 (697).

in: Haller/Kölz/Müller/Thürer

669 Thürer, SZIER 1999, 217 (218 f.); Sperduti, in: FS Miaja de la Muela, 459 (476), spricht auf der terminologischen und theoretischen Grundlage von Monismus und Dualismus von dem „principle of the coordination of legal systems on institutional basis"; siehe auch Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 17 f. („fortschreitende Verschränkung von Völkerrecht und Landesrecht als Folge der Interdependenz der Staaten"). 67 0

Thürer, SZIER 1999,217 (219); Delbrück, Die Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, 346 ff. und passim; ähnlich Pernice, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 32 Rdnr. 11. 671

Umfassend hierzu Chayes/Handler

672

Hierzu bereits supra Teil 4, B. III. 1. c) cc).

67 3

Thürer, SZIER 1999, 217 (220).

Chayes, The New Sovereignty, 109 und passim.

644

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

angedeutete funktionale, jurisdiktionsübergreifende Einheit in aller Deutlichkeit zutage tritt. Abschließend ist nochmals zu betonen, daß die funktionelle Einheit von Völkerrecht und Landesrecht nicht eo ipso zu einem monistischen Modell führt. Dagegen spricht bereits die in ihrem Kern nicht in Frage gestellte und vom Global-governance-Mode\\ gerade vorausgesetzte zentrale Rolle des Staates als maßgeblicher Akteur im internationalen System und dementsprechend als Dominator im Rechtserzeugungsprozeß (vgl. Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut). Insofern verlangt der Erklärungsansatz von der funktionellen Einheit von innerstaatlichem und internationalem Recht auch nicht, die einzelstaatlichen Einflußmöglichkeiten auf die Rezeption des Völkerrechts per se zu negieren. Entscheidend ist nur, daß eine zunehmende gegenseitige Beeinflussung, eine Durchdringung der in ihren Rechtsquellen getrennten Rechtsräume stattfindet; die im Lichte gemeinsamer Wertegrundlagen bestehende Abhängigkeit des staatlichen und des internationalen Rechts voneinander, ihre „gegenseitige strukturelle Bedingtheit", 674 nimmt insoweit zu. Die hiermit zusammenhängenden rechtlichen Fragen nach dem Verhältnis von nationalem und internationalem Recht lassen sich nicht mehr in einem monokausalen und eindimensionalen Modell des Monismus oder Dualismus lösen, wie es in der Nachfolge Triepels bis heute immer wieder versucht wird. Vielmehr ist über die prinzipielle Ebene des Verfassungs- und Völkerrechts hinausgehend im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, wie sich die nationale Rechtsordnung positiv in Beziehung zum internationalen Recht setzt und wie gegebenenfalls auftretende Konfliktsituationen zu lösen sind. Dabei muß es besonders zu einer verstärkten Einbeziehung verwaltungsrechtlicher Aspekte kommen, 675 da gerade das internationalisierte Verwaltungshandeln im hier dargestellten Sinne von der engen Verzahnung von internationalem und nationalem Recht nachhaltig geprägt ist.

C. Internationalisiertes Verwaltungsorganisationsrecht und Fragen der Verwaltungslegitimation Das Verwaltungsorganisationsrecht als eigenständiger Forschungsgegenstand der Verwaltungsrechtslehre und der Verwaltungswissenschaft ist im hier interessierenden Untersuchungszusammenhang durch zwei wesentliche Phänomene gekennzeichnet: Zunächst ist im Einklang mit der allgemeinen Perspektiverweiterung 67 4 675

Thürer, SZIER 1999, 217 (220).

So ausdrücklich auch Fleiner-Gerster, Schindler, 687 (688 f.).

in: Haller/Kölz/Müller/Thürer (Hrsg.), FS

C. Internationalisiertes Verwaltungsorgansationsrecht

645

der verwaltungsrechtlichen Dogmatik erst seit einigen Jahren ein wissenschaftliches Interesse an der Verwaltungsorganisation festzustellen, das über die reine Beschreibung u. a. der Organisationsformen der Verwaltung, ihrer hierarchischen Weisungsstruktur und, dem als Prämisse zumeist zugrundeliegend, der Unterscheidung von Innen- und Außenrecht hinausgeht. Die genannten Aspekte des Verwaltungsorganisationsrechts bleiben zwar zumindest zum Teil weiterhin relevant, zunehmend wird jedoch die Notwendigkeit erkannt, die eigentliche demokratischrechtsstaatliche Verankerung der Verwaltungsorganisation im Staatsgefüge zu ergründen. Mit der Überwindung der viele Sachprobleme verdeckenden These von der Einheit der Verwaltung, 676 die sich zumindest als apriorische präskriptive Feststellung im Lichte der tatsächlich vorzufindenden gegliederten Verwaltung heute so nicht mehr halten läßt, 677 ist es insgesamt möglich, die eigentliche Bedeutung des Verwaltungsorganisationsrechts in seiner Konstitutions- und Steuerungsfunktion 6 7 8 zu erfassen. Damit rückt die Frage in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses, wie die eigentliche verfassungsrechtliche Dimension des Verwaltungsorganisationsrechts, sein Beitrag zur Gewährleistung eines hinreichenden Legitimationsniveaus der Verwaltung insgesamt, dogmatisch zu erfassen ist. 679 Im Rahmen des Kontinuums von Beständigkeit und Wandel verwaltungsorganisatorischer Strukturen und der Folgeverantwortung auch des Gesetzgebers, auf entsprechende Änderungen gegebenfalls zu reagieren, 680 kommt es damit zentral darauf an, ein Legitimationsmodell der Verwaltungsorganisation insbesondere in den Sachbereichen zu entwerfen, die sich heute zunehmend weisungshierarchischen Einheitsmodellen entziehen.681 Neben dem vorstehend angedeuteten und heute weithin anerkannten Perspektivwandel in der Dogmatik des Verwaltungsorganisationsrechts ist dieses Rechtsgebiet darüber hinaus von der Tatsache seines historisch bedingten, strikten Territorialitätsbezuges geprägt. Die Entwicklung und Ausformung der Verwaltungsorganisation war in der deutschen Verwaltungsgeschichte ein weitgehend nur im Rahmen territorial umgrenzter und abgegrenzter Herrschaftsverbände interessie-

676

Hierzu insbesondere Bryde und Haverkate, VVDStRL 46 (1988), 181 ff. und 217 ff.

67 7

Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 222; Krebs, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 69 Rdnr. 22 („Trug- oder Wunschbild"); Scherzberg, Die Öffentlichkeit der Verwaltung, 80 ff. m. w. N. 678

Hierzu Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 10 ff.

67 9

Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 222 f.

680

Vgl. BVerfGE 93, 37 (74).

681 Vgl. auch Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 222 f.; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 2 f.

646

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

rendes Phänomen.682 Dies läßt sich insbesondere unter Verweis auf die Theorie vom „Innenrecht" erklären. Sie prägte das Verwaltungsorganisationsrecht über Jahrhunderte. Die der Innenrechtstheorie zugrundeliegende Vorstellung von der Impermeabilität des Staates683 entspricht in ihrer historischen Entwicklung und inhaltlichen Bedeutung dem bereits dargestellten Territorialitätskonzept im öffentlichen Recht. 684 Durch die Kombination von Impermeabilitätstheorie und Territorialitätsprinzip kam es allerdings zu einer Isolation des staatlichen Organisationsbereiches sowohl innerhalb der territorial bezogenen Rechtsordnung als auch gegenüber äußeren Einflüssen. Eine Beeinflussung der Verwaltungsorganisation durch rechtliche oder faktische Steuerungsimpulse, die außerhalb der territorial umgrenzten Jurisdiktion ihren Ursprung finden, war damit kategorisch ausgeschlossen. Erst in jüngerer Zeit sollte sich hier mit der wissenschaftlichen Durchdringung der europarechtlichen Bezüge auch des Verwaltungsorganisationsrechts eine gewisse Öffnung vollziehen. 685 Inwieweit aber auch über das EG-Recht hinausgehende internationale Rechtsentwicklungen für die Verwaltungsorganisation, namentlich hinsichtlich ihrer Legitimationswirkung, von Relevanz sind, ist bis heute nicht aufgearbeitet. Eine umfassende Analyse der damit angedeuteten Probleme kann auch hier nicht erfolgen. Auf der Grundlage der aufgezeigten Grundstrukturen des internationalisierten Verwaltungshandelns lassen sich aber einige wesentliche Aspekte hervorheben, um so zumindest den Blick für weitere Forschungsarbeit zu öffnen.

I. Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Grundlagen Das Grundgesetz verhält sich hinsichtlich der Regelung spezifischer Fragen der Verwaltungsorganisation zurückhaltend. Hieraus darf aber nicht gefolgert werden, daß es keine verfassungsrechtliche Dimension des Verwaltungsorganisationsrechts gäbe. 686 Neben den auf die Bundesverwaltung bezogenen Vorschriften des GG (insbesondere Art. 86 ff. GG) und der grundrechtlichen Dimension sind es inso682 Zur Entwicklung siehe Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. I, 366 ff.; Bd. II, 416 f.; im Überblick auch Rudolf, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 51 Rdnr. 3 ff. 683

Hierzu Krebs, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 96 Rdnr. 26.

684

Supra Teil 4, A. I.

685

Siehe z. B. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 215; Hatje, Die gemeinschaftsrechtliche Steuerung der Wirtschaftsverwaltung, 111 ff. 686

So im Ansatz noch Köttgen, AöR 90 (1965); 205 (215); hierzu Krebs, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 69 Rdnr. 51.

C. Internationalisiertes Verwaltungsorganisationsrecht

647

weit die allgemeinen Vorgaben des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips, die die Verwaltungsorganisation auf Bundes- und Landesebene inhaltlich determinieren. Dabei entsteht für die Landesverfassungsräume allerdings keine vollumfängliche bundesverfassungsrechtliche Bindung. Hier sind nur die „Grundsätze" des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats im grundgesetzlichen Sinne zu beachten (Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG). 6 8 7 Weite Bereiche aus den hier untersuchten Referenzgebieten des internationalisierten Verwaltungshandelns unterfallen der unmittelbaren Bundesverwaltung. 688 Dies gilt insgesamt für den Auswärtigen Dienst (Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG), die Luftverkehrsverwaltung (Art. 87 d GG), das Post- und Telekommunikationswesen (Art. 87 f) und die Seeschiffahrtsverwaltung (Art. 89 Abs. 2 GG). 6 8 9 Ihre steuerungsperspektivische „Verklammerung" erfahren diese Verwaltungsbereiche, wie auch die Organisation der mittelbaren Bundesverwaltung, durch die Bundesregierung. 690 Damit tritt prima facie die zentrale Bedeutung des hierarchischen Weisungsmodelles in der Bundesverwaltung insgesamt hervor. In idealtypischer Form soll die Bundesverwaltung ihre Legitimation aus der hierarchischen Weisungskette ableiten können, die sich über die Ministerverantwortlichkeit, die Richtlinienkompetenz des Kanzlers sowie insgesamt die parlamentarische Kontrolle der Bundesregierung auf das Volk als Souverän zurückführen läßt. 691 Angesichts der prinzipiellen Skepsis, die gegenüber einer eindimensionalen Bezugnahme auf das hierarchische Weisungsmodell für die Legitimation des Verwaltungshandelns angezeigt ist, 692 sowie unter Berücksichtigung der Absage an die Vorstellung gesetzlicher Konditionalsteuerung im Rahmen des verwaltungsrechtlichen Vollzugsmodells, ist es jedoch überdies erforderlich, nach weiteren Legitimationsquellen des Verwaltungshandelns insgesamt und damit auch des 687

Zur nur „grundsätzlichen" Bindung der Länder an die in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG aufgezählten Prinzipien statt vieler Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. II, Art. 28 Rdnr. 53 ff. 688 Zum Begriff z. B. Dittmann, Die Bundesverwaltung, 87 ff.; Loeser, System des Verwaltungsrechts, Bd. 2, § 10 Rdnr. 105 ff. 689 Zu diesen Bereichen der unmittelbaren Bundesverwaltung ausführlich - wenngleich zum Teil überholt - Dittmann, Die Bundesverwaltung, 113 ff., 171 ff., 193 ff. und 203 ff. 690

Vgl. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 131 ff.; Loeser, System des Verwaltungsrechts, Bd. 2, § 10 Rdnr. 101; Lerche, in: Maunz/Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 86 Rdnr. 47. 691 Umfassend hierzu z. B. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 312 ff.; Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 24 ff., jeweils m. w. N. 692 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 222; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation 184 ff. m. w. N.

648

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

Handelns der Bundesverwaltung zu suchen. Dies darf allerdings nicht in dem Sinne verstanden werden, daß Legitimationsaspekte außerhalb des Vollzugs- und Hierarchiemodells prinzipiell rechtfertigungsbedürftig sind. 693 Die Beziehung zwischen Administrative, Gubernative, Parlament und Staatsvolk ist schon von ihrer verfassungsrechtlichen Anlage her wesentlich komplexer, als es die eindimensionalen Vollzugs- und Hierarchiemodelle zu erfassen vermögen. 694 Sucht man dementsprechend nach verfassungsrechtlichen Ansatzpunkten, die die Frage der Legitimation und Legitimität der Verwaltung in ihrer organisatorischen Gestalt determinieren, ist in einem umfassenderen Sinne zu fragen, wie sich die Steuerungsstrukturen des Verwaltungshandelns darstellen und darstellen müssen. Da die Verfassung hierzu keine abschließenden Aussagen enthält, was aufgrund der notwendigen Entwicklungsoffenheit des Verwaltungsorganisationsrechts auch nicht gangbar wäre, ist dabei im Sinne einer Konkretisierung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips von der Erkenntnis auszugehen, daß das Grundgesetz auf der einen Seite einen weiten Spielraum für die organisatorische Ausgestaltung der Verwaltung läßt, auf der anderen Seite aber eine „wirkungsvolle und leistungsfähige Verwaltung" verlangt. 695 Zum zentralen verfassungsrechtlichen Maßstab wird damit das legitimationsvermittelnde, auf Erwägungen praktischer Rationalität beruhende Gebot der Funktionsgerechtigkeit. 696 Dieses ist stets in Beziehung zu den verfassungsrechtlich determinierten Verwaltungsaufgaben zu setzen.697 Schon der prinzipielle Verweis auf die Legitimationsperspektive des Verwaltungsorganisationsrechts deutet darauf hin, daß die Vielschichtigkeit des internationalisierten Verwaltungshandelns weitreichende Auswirkungen auch auf die nationale Verwaltungsorganisation haben muß. Die unmittelbare, verfassungsrechtlich als Verwaltungsaufgabe legitimierte Einbindung der Verwaltung in die gemeinwohlorientierte grenzüberschreitende staatliche Aufgabenwahrnehmung sowie die zahlreichen internationalen Steuerungsinstrumentarien, die auf eine effektive und effiziente internationale Verwaltungskooperation abzielen, belegen, daß eindimensionale Organisations- und damit auch Legitimationsmodelle im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten nicht ausreichen, um die Komplexität

693 So aber z. B. Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 65; Jestaedt, Demokratieprinzip und KondominalVerwaltung, 328 f. 694

Ausführlich Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 186 ff.

695

Vgl. BVerfGE 63, 1 (34).

696

Krebs, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. III, § 69 Rdnr. 77.

697

Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 200 f. m. w. N.

C. Internationalisiertes Verwaltungsorganisationsrecht

649

der tatsächlichen Erscheinungsformen der internationalisierten Verwaltung sachangemessen zu erfassen.

I I . Legitimatorische Probleme der nationalen Verwaltungsorganisation im Bereich des internationalisierten Verwaltungshandelns 1. Der „Auswärtige Dienst" als bundeseigene Verwaltung (Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG): Idee und Wirklichkeit der Verwaltungsorganisation in internationalisierten Sachbereichen Die Verwaltungsorganisation im Bereich der Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten der Bundesrepublik wird prima facie maßgeblich durch Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG bestimmt. Die scheinbar klare Formulierung der Verfassungsbestimmung darf allerdings nicht zu der Annahme verleiten, daß somit alle verwaltungsorganisationsrechtlichen Fragen auch des internationalisierten Verwaltungshandelns gelöst seien. Angesichts des bereits mehrfach hervorgehobenen Befundes der Vielschichtigkeit der staatlichen und nichtstaatlichen Akteure in einem internationalen System, das dem Modell der global governance folgt, bedarf es vielmehr einiger interpretatorischer Klarstellungen. Weitgehend anerkannt ist zunächst, daß Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG eine grundsätzlich obligatorische Wirkung für den Bund und seine Verwaltungsorganisation entfaltet. 698 Diese beschränkt sich jedoch nicht auf das Ressort „Auswärtiges Amt" als Behörde. 699 Aus der in Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG statuierten Aufgabenzuweisung für die gesamte Bundesverwaltung, die unabhängig von der Ressortzuständigkeit gilt, folgt indes nicht, daß dem Bund eine umfassende Verwaltungskompetenz in grenzüberschreitenden Angelegenheiten zusteht.700 Die sachlich-inhaltliche Reichweite des Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG ist vielmehr im Zusammenhang mit Art. 32 Abs. 1 und Art. 73 Nr. 1 GG zu sehen. Wie bereits dargelegt, folgt aus diesen Vorschriften, daß sich der Verweis auf die Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten durch den Bund - soweit keine Bundesgesetzgebungskompetenz besteht - nur auf staatsleitende Aspekte bezieht und insoweit nicht per se jedes 698 Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 87 Rdnr. 16; abgeschwächt auch Lerche, in: Maunz/ Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 87 Rdnr. 15; Pieroth, in: Jarass/Pieorth, GG, Art. 87 Rdnr. 2, jeweils m. w. N. 699

Lerche, in: Maunz/Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 87 Rdnr. 55; Grau/Schmidt-Bremme, GAD, § 1 Rdnr. 1; Dittmann, Die Bundesverwaltung, 118 f. 700 So wohl insbesondere Dittmann, Die Bundesverwaltung, 114 f.; ähnlich Lerche, in: Maunz/Dürig/Herzog u. a., GG, Art. 87 Rdnr. 55.

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Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

grenzüberschreitende Staatshandeln erfaßt. Die Aussage des BVerfG, daß ,,[u]nter auswärtigen Angelegenheiten i. S. von Art. 73 Nr. 1 GG ... diejenigen Fragen zu verstehen [sind], die für das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten oder zwischenstaatlichen Einrichtungen, insbesondere für die Gestaltung der Außenpolitik, Bedeutung haben", 701 bestätigt diese Auslegung nachdrücklich. 7 0 2 Außerhalb des so umschriebenen Bereiches der „auswärtigen Gewalt" angesiedelte Regelungsmaterien mit grenzüberschreitendem Bezug unterfallen dementsprechend nur dann einer Bundesverwaltungskompetenz, wenn hierfür ein entsprechender Kompetenztitel gegeben ist, der über Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG hinausgeht (Art. 83, 86 ff. GG). Dies trifft für weite Bereiche der hier untersuchten Referenzgebiete des internationalisierten Verwaltungshandelns zu. Soweit sich außerhalb des Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG eine verfassungsrechtliche Kompetenz des Bundes für internationalisierte Verwaltungshandlungen ergibt, existiert zunächst keine Verfassungsbestimmung, die eine notwendige Aufgabenwahrnehmung durch das Auswärtige Amt als Behörde begründet. Die konkrete Aufgabenzuweisung an die einzelnen Fachressorts der Bundesregierung erfolgt durch den Bundeskanzler aufgrund seiner Organisationsgewalt. 703 Sie wird entsprechend Art. 65 Abs. 1 Satz 4 GG durch die Geschäftsordnung der Bundesregierung sowie die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien konkretisiert. Abgesehen von der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzler (Art. 65 Satz 1 GG) liegen keine weiteren, expliziten organisationsrechtlichen Einschränkungen vor, die sich auf die Möglichkeit der einzelnen Fachressorts der Bundesregierung auswirken, internationalisierte Verwaltungshandlungen vorzunehmen. Zugleich zeigt sich damit, daß das auswärtige Handeln im Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung nach Art. 87 Abs. 3 GG, wie es z. B. für die Aktivitäten des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) aufgezeigt wurde, 704 keinen verfassungsrechtlichen Kompetenzproblemen begegnet. Selbst wenn man der Ansicht ist, daß Art. 87 Abs. 1 GG gegenüber Art. 87 Abs. 3 GG eine Sperrwirkung entfaltet, 705 hätte dies für internationalisierte 701

BVerfG, NJW 2000, 55 (59).

702

1. E. ebenso Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 87 Rdnr. 27; Reichel, Die auswärtige Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 173 f.; Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 110 ff. 703 Hierzu umfassend Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 129 ff.; Oldiges, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 62 Rdnr. 32 und Art. 65 Rdnr. 11; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 64 Rdnr. 1 f. 70 4 705

Supra Teil 6, A. IV. 1.

Zur Diskussion statt vieler Dittmann, Die Bundesverwaltung, 89 f.; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 87 Rdnr. 18.

C. Internationalisiertes Verwaltungsorgansationsrecht

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Verwaltungshandlungen der mittelbaren Bundesverwaltung keine Bedeutung. Hier handelt es sich nämlich trotz des auswärtigen Bezuges nicht um die Wahrnehmung von Sachaufgaben, die dem „Auswärtigen Dienst" im Sinne von Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG zuzurechnen sind. Die damit verfassungsrechtlich angelegte Pluralität der Verwaltungsorganisation im Bereich des internationalisierten Verwaltungshandelns entspricht auch der Staatspraxis. Spätestens seit Anfang der 1970er Jahre wurde in Wissenschaft und Praxis immer deutlicher registriert, daß das idealtypische Bild des „gesamt-staatlichen" Charakters des auswärtigen Dienstes als verwaltungsorganisatorische Maxime 7 0 6 immer schwerer umzusetzen ist. Im Anschluß an die wegweisenden Ausführung von Hans-Peter Schwarz aus dem Jahre 1975 707 ist dies heute anerkannt. 708 Im Gesetz über den Auswärtigen Dienst (GAD) hat auch der Gesetzgeber auf diese Entwicklung reagiert und aus der Erkenntnis heraus, daß „andere Ressorts der Bundesregierung in erheblichem Umfang internationale Aufgaben ihres Fachbereiches wahrnehmen]", 709 dem Auswärtigen Amt zur Wahrung der das „gesamtstaatliche Interesse" betreffenden „Kernbereiche der Außenpolitik" eine koordinierende Funktion zugewiesen710 (vgl. §§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 2 Satz 2 GAD). Der nur graduelle Unterschied zwischen der „auswärtigen Gewalt" im staatsleitenden Sinne, als in die Ressortzuständigkeit des Auswärtigen Amtes fallend, und administrativen auswärtigen Handlungen, die in der Ressortverantwortung des jeweils sachlich zuständigen Ministeriums liegen, kommt hier deutlich zum Ausdruck. 711 706

Zum Begriff und seiner behaupteten Bedeutung für die auswärtigen Angelegenheiten Dittmann, Die Bundesverwaltung, 117 f. 70 7

Schwarz, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der deutschen Außenpolitik, 37 ff.

708

Siehe insbesondere Wewer, in: Hartwich/Wewer (Hrsg.), Regieren in der Bundesrepublik, Bd. 5, 9 (20); K. König, in: Hartwich/Wewer (Hrsg.), Regieren in der Bundesrepublik, Bd. 5, 235 ff.; Andreae/Kaiser, in: Eberwein/Kaiser (Hrsg.), Deutschlands neue Außenpolitik, Bd. 4, 29 ff. 709 Begründung der Bundesregierung zum Gesetz über den Auswärtigen Dienst, BTDrucks. 11/6547 v. 1.3.1990, 13; zur Praxis internationalisierter Interaktionsstränge der Bundesministerien ausführlich auch Wessels, Die Öffnung des Staates, 302 ff.; sowie jetzt Eberlei/Weller, Deutsche Ministerien als Akteure von Global Governance, passim. 710 711

Ausführlich hierzu Grau/Schmidt-Bremme,

GAD, § 1 Rdnr. 10 ff.

Siehe hierzu auch die Ausführungen der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der SPD zur Reform des Auswärtigen Dienstes v. 23. März 1998, BT-Drucks. 13/10300 v. 1. April 1998,7: „,Reine4 Außenpolitik wird unter den Bedingungen der Globalisierung immer seltener - ebenso wie,reine 4 Innen- oder Ressortpolitik. Nach außen und innen tragfähige Positionen der Bundesrepublik Deutschland können sich nur aus einer Abwägung der Gesichtspunkte aller beteiligten Bereiche ergeben. Dies bedingt eine enge gegenseitige Abstimmung zwischen Auswärtigem Dienst und den Innenressorts".

652

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

Die organisatorische Pluralität des internationalisierten Verwaltungshandelns innerhalb der bundesunmittelbaren Verwaltung wirft ersichtlich ein auch vom GAD fokussiertes Koordinationsproblem auf. Ausgehend von der Koordinationsfunktion des Auswärtigen Amtes, wie sie im GAD angelegt ist, wird in der Geschäftsordnung der Bundesregierung (GOBReg) 712 und der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) 713 versucht, durch verwaltungsorganisatorische Maßnahmen ein Mindestmaß an Einheitlichkeit des auswärtigen Handelns der Bundesrepublik zu sichern. So dürfen nach § 11 Abs. 1 GOBReg „Verhandlungen mit dem Ausland" nur mit Zustimmung bzw. nur mit Mitwirkung des Auswärtigen Amtes geführt werden. Überdies sollen Mitglieder und Vertreter auswärtiger Regierungen sowie Vertreter zwischenstaatlicher Einrichtungen nur im Benehmen mit dem Auswärtigen Amt empfangen werden ( § 1 1 Abs. 1 GOBReg). Etwas konkreter und insoweit die Regelungen der GOBReg zum Teil derogierend ist die GGO, nach der die obersten Bundesbehörden „mit den Behörden und den Vertretungen fremder Staaten sowie den Organen und Dienststellen internationaler Organisationen unmittelbar nur zusammenarbeiten], wenn dies auf internationalen oder zwischenstaatlichen Vereinbarungen beruht, das Auswärtige Amt dem Direktverkehr zugestimmt oder die Bundesregierung es ausdrücklich beschlossen hat" (§ 38 Abs. 1 GGO). Die so zumindest dem Grunde nach anerkannte Möglichkeit des eigenständigen internationalisierten Handelns der einzelnen obersten Bundesbehörden in auswärtigen Angelegenheiten wird im Einklang mit dem GAD dann nochmals dahingehend konkretisiert, daß bei einer unmittelbaren Zusammenarbeit mit ausländischen Stellen das Auswärtige Amt „über Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung" zu unterrichten ist (§ 38 Abs. 2 GGO). Eine entsprechende Unterrichtungspflicht gilt auch für den spezifischen Bereich der Ausarbeitung und des Abschlusses völkerrechtlicher Übereinkünfte (§ 72 GGO). Diese Unterrichtungspflicht gilt allerdings nicht, wenn „Absprachen unterhalb der Schwelle einer völkerrechtlichen Übereinkunft" getroffen werden (vgl. e contrario § 72 Abs. 2 GGO). Dies ist von besonderer Bedeutung, da das jeweils federführende Bundesministerium stets prüfen muß, ob anstatt eines völkerrechtlichen Abkommens der verfolgte Zweck „auch mit anderen Mitteln erreicht werden kann, insbesondere auch mit Absprachen unterhalb der Schwelle einer völkerrechtlichen Übereinkunft" (§ 72 Abs. 1 GGO). Die damit nur recht allgemeinen Vorgaben des Geschäftsordnungsrechts zur Koordination des auswärtigen Handelns der Bundesrepublik haben in der Staatspraxis nur eine begrenzte Wirksamkeit. Soweit es um „hochpolitische" Fragen 712

Vom 11. Mai 1951, GMB1. 1951, 137, mit Änderungen.

713

In der Fassung vom 7. Juli 2000, Az. 01-131200/10.

C. Internationalisiertes Verwaltungsorgansationsrecht

653

geht, die von grundsätzlicher Bedeutung sind, wird zwar auf vielfältige, zumeist informelle Koordinierungsmechanismen zwischen den betroffenen Bundesministerien zurückgegriffen. 714 In der administrativen Routinearbeit kommt es jedoch immer mehr zu „transnationalen Netzen" der beteiligten Bürokratien, die unabhängig von den klassischen diplomatischen zwischenstaatlichen Beziehungen verlaufen. Dies bedingt zugleich zwischenstaatliche Entscheidungsprozesse, die auf keine zentralisierte Abstimmung im Staatsinneren zurückgehen. 715 Welche Auswirkungen dies und die Koordinationsproblematik insgesamt hat, läßt sich an der Tatsache ersehen, daß heute für mehr als 90 % der internationalen Organisationen, in denen die Bundesrepublik mitwirkt, Fachressorts der Bundesregierung außerhalb des Auswärtigen Amtes zuständig sind. Für im Jahre 1996 gezählte 270 inter- und supranationale Organisationen und andere Institutionen mit bundesdeutscher Beteiligung lag die Federführung so bei insgesamt 15 Ministerien. Daneben bestehen die Querschnittsaufgaben z. B. des Finanzministeriums hinsichtlich der finanziellen Aufwendungen der Bundesrepublik für die internationale Zusammenarbeit sowie des Innenministeriums im Rahmen des Personaleinsatzes. 716 Die Schwierigkeiten, die aus der so ersichtlichen Komplexität der Einbindung der Bundesrepublik in die internationalisierte technisch-administrative Aufgabenerledigung erwachsen, werden zudem dadurch intensiviert, daß das Auswärtige Amt über eine personelle und sachliche Ausstattung verfügt, die insbesondere im internationalen Vergleich unzureichend ist; 717 auch deshalb kann es die ihm zugewiesene Koordinationsfunktion in der Praxis kaum erfüllen. 718 Das Gesamtbild der Organisation des internationalisierten Verwaltungshandelns innerhalb der obersten Bundesbehörden entspricht damit im Ergebnis kaum der vom GAD verfolgten Idee einer wirksamen Koordinationsfunktion des Auswärtigen Amtes. Eine eingehende Untersuchung der empirisch nachweisbaren Internationalisierung der Bundesverwaltung zeigt, daß die dem Auswärtigen Amt zugewiesene Koordinierungsfunktion in weiten Bereichen leer läuft. Soweit es 714 Hierzu ausführlich Andreae/Kaiser, Außenpolitik, Bd. 4, 28 (40 ff.). 715

Ausführlich Andreae/Kaiser, politik, Bd. 4, 28 (43 ff.). 716

in: Eberwein/Kaiser (Hrsg.), Deutschlands neue

in: Eberwein/Kaiser (Hrsg.), Deutschlands neue Außen-

Wessels, Die Öffnung des Staates, 310, mit einzelnen Daten.

717

Einzelheiten zur schlechten Ausstattung des Auswärtigen Dienstes insbesondere im internationalen Vergleich bei von Ploetz, in: Eberwein/Kaiser (Hrsg.), Deutschlands neue Außenpolitik, Bd. 4, 59 (66 ff.). 718

Deutlich Andreae/Kaiser, in: Eberwein/Kaiser (Hrsg.), Deutschlands neue Außenpolitik, Bd. 4,28 (46), die davon sprechen, daß das Auswärtige Amt immer mehr Gefahr laufe, in eine „Koordinierungsfalle" zu geraten.

654

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

überhaupt zu einer Koordination der Fachressorts untereinander bzw. im Verhältnis zum Auswärtigen Amt kommt, dominieren überdies oftmals nicht sachlichinhaltliche Aspekte der effektiven Aufgabenerledigung, sondern vielmehr formale Gesichtspunkte der sogenannten „negativen Koordination". 719 Vor dem Hintergrund dieses Befundes stellt sich verfassungsrechtlich die Frage, ob und wenn ja in welchem Umfang es eine Rechtspflicht zum Ergreifen von verwaltungsorganisatorischen Maßnahmen gibt, die eine hinreichende Koordination des auswärtigen Handelns der obersten Bundesbehörden gewährleisten. Armin Dittmann hat dies zumindest dahingehend bejaht, daß ,,[d]ie grundgesetzliche Verpflichtung zu einer strikt gesamt-staatlich geführten auswärtigen Verwaltung ... [erfordert], daß die gesamt-staatliche Bindung auf der nicht-ministeriellen Ebene überhaupt durchgesetzt werden kann". 720 Auch wenn man dies im Ergebnis nicht wird bestreiten können, erscheint der Verweis auf die „gesamtstaatlich" zu führende auswärtige Verwaltung, der sich inhaltlich auf Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG gründet, nicht abschließend überzeugend. Wie bereits dargelegt, ist Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG im Bereich des internationalisierten Verwaltungshandelns nicht einschlägig, da es dort nur um die klassisch staatsleitende „auswärtige Gewalt" geht. Allerdings wird man aus allgemeinen rechtsstaatlichen Erwägungen heraus eine verwaltungsorganisatorische Koordinationspflicht begründen können. Dafür sprechen die Gebote einer „wirkungsvollen und leistungsfähigen Verwaltung" 721 sowie der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung. 722 Die Kohärenz nationaler und internationaler Regelungsanstrengungen im technisch-administrativen Bereich ist nur zu gewährleisten, wenn der konkreten Verwirklichung der funktionalen Einheit von nationalem und internationalem Recht 723 im Einzelfall ein Abwägungsprozeß vorausgeht, der sich auf widerstreitende Prinzipien bezieht, die der innerstaatlichen und der internationalen Regelsetzung eigen sein können. 724 Dieser Abwägungsprozeß muß im Staatsinneren auch prozedural abgesichert sein, was 719

Wessels, Die Öffnung des Staates, 317 und 319 ff.; zu dem Begriff „negative Koordination" siehe Mayntz, Soziologie der öffentlichen Verwaltung, 103. 72 0

Dittmann, Die Bundesverwaltung, 120.

721

Vgl. BVerfGE 63, 1 (34).

722

BVerfGE 98, 83 (97); 98, 106 (118 f.): „Das Rechtsstaatsprinzip verpflichtet ... Regelungen jeweils so aufeinander abzustimmen, daß den Normadressaten nicht gegenläufige Regelungen erreichen, die die Rechtsordnung widersprüchlich machen". 723 724

Hierzu supra Teil 7, B. IV.

Zur Herstellung von Kohärenz in der Rechtsordnung durch Abwägung ausführlich Alexy, in: Behrends/Dießelhorst/Dreier (Hrsg.), Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, Symposium zum 80. Geburtstag von Franz Wieacker, 95 ff.

C. Internationalisiertes Verwaltungsorganisationsrecht

655

sich auch aus dem Gebot der Interorgantreue 725 ableiten läßt. Wie der so gebotene Kooperations- und Koordinationsprozeß im einzelnen auszugestalten ist, läßt sich allerdings nicht abschließend umschreiben. Fest steht nur, daß die immer wieder beobachteten transnationalen Netze der sachlich zuständigen Bürokratien 726 sowie insgesamt die mangelnde interministerielle Koordination Probleme aufwerfen können. Das entspricht der allgemeinen verwaltungsorganisatorischen inner- und interministeriellen Koordinationsproblematik. 727 Die Koordinationsnotwendigkeit besteht jetzt aber nicht mehr als innerstaatliches Phänomen, sondern wird maßgeblich durch die internationalen Verwaltungsverflechtungen begründet. Indes darf auch nicht vorschnell geschlossen werden, daß eine mangelnde Koordination des internationalisierten Verwaltungshandelns schon für sich verfassungsrechtliche Probleme aufwirft. Vielmehr wird man es gerade als Gebot einer effektiven sowie effizienten, und damit verfassungsrechtliche Legitimationskriterien erfüllenden Verwaltung ansehen müssen, im Interesse der Lösung auftretender Sachprobleme den internationalen Kontakt zu suchen. Damit können die Effizienz- und Effektivitätsgebote bei der internationalisierten Verwaltungskooperation in Konflikt treten mit der innerstaatlichen Koordinierungspflicht. Dieser Konflikt läßt sich nicht lösen, indem ein Primat des nationalen Entscheidungsverfahrens postuliert wird. Dem steht die Erkenntnis entgegen, daß die aufgezeigte Problemlage auf eine Kollision von Prinzipien des innerstaatlichen Verwaltungsorganisationsrechts und der internationalen Zusammenarbeit als Verwaltungsaufgabe zurückgeht. Wie insgesamt bei Prinzipienkollisionen der Fall, gibt es hier keine normhierarchische Vorrangregelung, die per se wirkt. 7 2 8 Vielmehr kann nur durch Abwägung im Einzelfall geklärt werden, ob der Koordination im Staatsinneren oder der effektiven und effizienten internationalisierten Aufgabenerledigung ein höheres Gewicht zukommt. Um diesen Abwägungsprozeß im Sinne praktischer Konkordanz bewerkstelligen zu können, bedarf es aber wirksamer Verfahrensregelungen. Die Unwirksamkeit des gesetzgeberischen Koordinationsmodells im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten, wie es im GAD angelegt ist, liegt daher auch darin begründet, daß versucht wurde, einen inhaltlichen Vor725

Diese läßt sich aus dem Gebot der Funktionsgerechtigkeit ableiten, da bei widersprüchlichem Verhalten innerhalb eines Staatesorganes die Effektivität und Effizienz des Organhandelns insgesamt beeinträchtigt ist. Zum Gebot der Funktionsgerechtigkeit als legitimierendes Merkmal im Sinne praktischer Rationalität ausführlich supra Teil 7, A. II. 3. 72 6 Andreae/Kaiser, 28 (43 f.).

in: Eberwein/Kaiser (Hrsg.), Deutschlands neue Außenpolitik, Bd. 4,

727

Hierzu umfassend B. Becker, Öffentliche Verwaltung, 659 ff.

728

Ausführlich Alexy, Theorie der Grundrechte, 78 ff.

656

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

rang der Koordination schlechthin zu begründen, anstatt die dargelegte Prinzipienkollision anzuerkennen und effektive prozedurale Vorkehrungen zu treffen. Rechtspolitisch ist daher auch die Forderung zu erheben, verstärkt auf Koordinationstypen zurückzugreifen, die sich entgegen dem im GAD angelegten hierarchischen Modell auf prozedurale und ressourcenintensive Aspekte beziehen.729 Angesichts der empirisch belegten Situation, daß die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich eines der niedrigsten innerstaatlichen Koordinationsniveaus im Bereich des internationalisierten Verwaltungshandelns vorzuweisen hat, 730 eröffnet sich hier ein weites Feld der Verwaltungsreform. Trotz intensiver vergleichender Vorarbeiten der OECD und ihrer wiederholt deutlich artikulierten Forderung, die Verwaltungskoordination im internationalisierten Verwaltungshandeln zu einem zentralen öffentlichen Anliegen zu machen,731 hat die Bundesregierung hierauf bislang - soweit ersichtlich - nicht reagiert. In dem aktuellen Programm der Bundesregierung „Moderner Staat - Moderne Verwaltung" findet sich nur der Hinweis, daß die „Aufgaben- und Verantwortungsteilung" im Bundesstaat auch unter Beachtung internationaler Entwicklungen gestärkt werden müsse.732 An weitergehenden Konzepten zur Stärkung der Effizienz und Effektivität der Verwaltung im Lichte der beschriebenen Probleme des internationalisierten Verwaltungshandelns fehlt es. 733 Dies kann, soweit man die Verwaltungsorganisation als Bestandteil der Verwaltungslegitimität insgesamt betrachtet, die Legitimität des internationalisierten Verwaltungshandelns beeinträchtigen. Das Legitimitätsdefizit liegt dann allerdings nicht darin begründet, daß es zu internationalen Einflüssen auf das nationale Verwaltungshandeln kommt, sondern ist vielmehr in der nicht sachgerechten Organisation der nationalen Verwaltung selbst zu suchen.

729 Zur Koordination über die Hierarchie als „schwächste Problemlösung" sowie zu modernen Koordinationsmustern siehe B. Becker, Öffentliche Verwaltung, 666 ff. 730

Hierzu ausführlich Metcalfe, (1994), 271 (285).

International Review of Administrative Science 60

731

Insbesondere OECD (Hrsg.), Regulatory Co-operation for an Interdependent World, 1994; OECD, Globalisation: What Challenges and Opportunities for Governments?, Paris 1996 (http://oecd.org/puma/gvnance/strat/pubs/glo96). 732

Bundesregierung, Moderner Staat - Moderne Verwaltung, Das Programm der Bundesregierung, Kabinettsbeschluß v. 1. Dezember 1999, 3. 733

Zu verschiedenen Ansätzen aus der Verwaltungslehre ausführlich Metcalfe, International Review of Administrative Science 60 (1994), 271 ff.; ders., in: OECD (Hrsg.), Regulatory Co-operation for an Interdependent World, 49 (51 f.).

C. Internationalisiertes Verwaltungsorganisationsrecht

657

2. Die Erweiterung des Kreises der Steuerungsinstrumentarien im internationalisierten Verwaltungshandeln als Organisations- und Legitimitätsproblem Neben der binnenorientierten Problematik der Koordination des Verwaltungshandelns im Bereich internationalisierter Sachaufgaben ist zu beachten, daß die Vielfalt der Steuerungsinstrumentarien, die das internationalisierte Verwaltungshandeln kennzeichnet, verwaltungsorganisatorische und damit auch legitimatorische Probleme bereiten kann. Das ergibt sich aus den folgenden Überlegungen: Die verfassungsrechtlich fundierte Eigenständigkeit der Verwaltung führt im internationalisierten Verwaltungshandeln zunehmend zu einer Situation, in der, wie es Klaus König prägnant umschreibt, über das einheitliche auswärtige Handeln des Staates hinausgehend „politisch-administrative Teilorganisationen hinzutreten, denen aus regionalen oder fachlichen Gründen soviel Autonomie zugewachsen ist, daß sie transnationale Verhandlungsmechanismen begründen können". 734 Dieses Phänomen läßt sich sowohl mit Blick auf die zahlreichen Erscheinungsformen der internationalen Verwaltungskooperation als auch hinsichtlich der differenzierten materiellen Steuerungsinstrumentarien im internationalisierten Verwaltungshandeln belegen. Je mehr administrative Handlungseinheiten durch internationale Verwaltungskontakte und, hierauf aufbauend, exekutive internationale Regelsetzung rechtserhebliche Handlungen vornehmen, die sich in der unterschiedlichsten Form innerstaatlich auswirken, desto mehr stellt sich die Frage, ob hierfür eine hinreichende demokratische Legitimation gegeben ist. Das Problem der Legitimation des auswärtigen Handelns des Staates wird bis heute nahezu ausschließlich darauf reduziert, eine verstärkte Parlamentarisierung der „auswärtigen Gewalt" zu fordern. 735 Für die hier nicht weiter interessierenden staatsleitenden Aspekte des staatlichen Handelns im internationalen System mag man hierin eine gewisse Berechtigung sehen. Soweit das internationalisierte Verwaltungshandeln betroffen ist, droht der Verweis auf eine intensivere parlamentarische Einflußnahme aber ins Leere zu laufen. Indem ausschließlich auf die legislative Kontrolle des auswärtigen Staatshandelns abgestellt wird, kommt es im Ergebnis zu einer eindimensionalen Anwendung eines monistischen Demokratiemodells. Dieses ist von der Vorstellung getragen, daß die Legitimation des Staatshandelns umfassend und ausschließlich daran zu messen sei, ob die Rückbindung an den Volkswillen im Sinne von Art. 20

734

K. König, Verwaltungsstaat im Übergang, 139.

735

Exemplarisch aus jüngerer Zeit insoweit Wolfrum,

VVDStRL 56 (1997), 38 ff.

658

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

Abs. 2 Satz 1 GG gegeben ist. 7 3 6 Von dieser Prämisse ausgehend ist es dann konsequent, die Legitimation des Verwaltungshandelns ausschließlich von dem Vollzug parlamentarischer Gesetze sowie der weisungshierarchisch verwirklichten parlamentarischen Verantwortlichkeit der Exekutive abhängig zu machen.737 Sollte dieses Legitimationsmodell seine Berechtigung haben, wären die Forderungen nach einer stärkeren Parlamentarisierung der „auswärtigen Gewalt" gerechtfertigt, und zwar auch im Hinblick auf das internationalisierte Verwaltungshandeln. Indes hat die neuere staats- und verwaltungsrechtliche Forschung in aller Deutlichkeit herausgearbeitet, daß die Reduzierung der Frage nach der Legitimation des Verwaltungshandelns auf das Vollzugs- und Hierarchiemodell die anstehenden Sachprobleme nicht lösen kann. Auf Einzelheiten der bereits umfangreich aufgearbeiteten Frage nach der Legitimation des Verwaltungshandelns, die über das monistische Demokratiemodell hinausgehen, muß hier nicht eingegangen werden. Im Einklang mit dem gegenwärtigen Erkenntnisstand weiter Teile der staats- und verwaltungsrechtlichen Lehre läßt sich im Ergebnis konstatieren, daß sich die Legitimität des Verwaltungshandelns nur anhand einer Gesamtbetrachtung des verfassungsrechtlichen Wirkungsgefiiges, wie es insbesondere in den Art. 1, 20, 23 ff. und 28 GG angelegt ist, bewerten läßt. 738 Die vielschichtigen Elemente der Verwaltungslegitimation lösen sich dabei zwar nicht prinzipiell von der Bindung an die Volkssouveränität nach Art. 20 Abs. 2 GG, im einzelnen reicht es aber nicht, nur nach der jeweils gegebenen unmittelbaren Legitimationskette zu fragen. Vielmehr ist ebenso in Betracht zu ziehen, daß neben dem reinen Gesetzesvollzug - eine ohnehin ausschließlich idealtypische Vorstellung - und der Weisungshierarchie weitere verfassungsrechtliche Legitimationsstrukturen existieren. Diese lassen sich im hier interessierenden Zusammenhang neben der nicht weiter thematisierten Bedeutung der Grundrechte 739 in dem rechtsstaatlichen Gebot der Funktionsgerechtigkeit und der Verwaltungsaufgabe zur internationalen Zusammenarbeit finden.

736 Vgl. z. B. BVerfGE 38,258 (271); 47,253 (272); Böckenförde, (Hrsg.), HdbStR, Bd. I, § 22 Rdnr. 11.

in: Isensee/Kirchhof

737

Zu diesem Modell und notwendiger Kritik hieran ausführlich aus jüngerer Zeit Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 179 ff. mit umfangr. Nachw. 738

Umfassend aus jüngerer Zeit Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 163 ff.; Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 ff.; ders., Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 80 ff.; eine umfassende Untersuchung bietet Czybulka, Die Legitimation der öffentlichen Verwaltung, passim; anders insbesondere Jestaedt, Demokratieprinzip und KondominialVerwaltung, 301 ff. und passim. 739

Hierzu Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 209 ff.

C. Internationalisiertes Verwaltungsorganisationsrecht

659

Um die Relevanz eines pluralistischen Konzeptes der Legitimation des internationalisierten Verwaltungshandelns zu verdeutlichen, müssen zwei Aspekte beachtet werden: Zunächst hat sich in dieser Untersuchung immer wieder gezeigt, daß es keine konditionale Gesetzessteuerung internationalisierter Verwaltungshandlungen gibt. Die maßgeblichen internationalen und nationalen Regelwerke, die das internationalisierte Verwaltungshandeln inhaltlich steuern, sehen im Einklang mit dem Global-governance- Modell vielmehr weite eigenständige administrative Entscheidungsbefugnisse vor, die ihre Steuerungsimpulse aus der kooperativen Struktur im Mehrebenensystem empfangen. Dies betrifft die internationale Regelsetzung ebenso wie die innerstaatliche Umsetzung und Durchführung. Insofern ist die bereits dargestellte Compliance-Strategic im internationalen System umfassend mit der Erkenntnis der innerstaatlichen Verwaltungsrechtswissenschaft vergleichbar, daß es zur Erfassung der Fremdsteuerung der Verwaltung auf die Implementation legislativer Vorgaben, nicht jedoch auf ihren Vollzug ankommt. 740 Überdies erweist sich gerade im internationalisierten Verwaltungshandeln die Vorstellung weisungshierarchischer Legitimationsstrukturen zunehmend als Fiktion. Der kooperative Charakter des internationalisierten Verwaltungshandelns deutet vielmehr darauf hin, daß sich vermehrt „bürokratische Regime" bilden, 741 die sich kaum noch in hierarchische innerstaatliche Organisationsmodelle einpassen lassen. Das Hierarchiemodell der Verwaltung war nur auf der Grundlage relativ stabiler und abgrenzbarer Sachaufgaben im Staatsinneren zu erklären. Mit der Entwicklung komplexer, dynamischer Verwaltungsaufgaben, die nur durch internationale Kooperation zu lösen sind, verliert das Hierarchiemodell seine praktische Bedeutung und damit auch theoretische Fundierung. 742 Ihre Steuerungsimpulse erfährt die internationalisierte Verwaltung heute zunehmend aus dem internationalen Kooperationsprozeß und nicht aus innerstaatlichen hierarchischen Weisungen. Die verfassungsrechtliche Bewertung dieser Situation hat anhand einer Gesamtbetrachtung der normativ im Grundgesetz verankerten Wertegrundlagen zu erfolgen, die die Legitimität des Verwaltungshandelns insgesamt bestimmen. Dies hat auch Auswirkungen auf die Verwaltungsorganisation im internationalisierten Verwaltungshandeln. Zunächst zeigt sich, daß die demokratietheoretische Fundierung des internationalisierten Verwaltungshandelns insoweit gegeben ist, als sich das diesbe740

Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 180 ff.

741

Hierzu supra Teil 3, B. III.

742

Metcalfe, in: OECD (Hrsg.), Regulatory Co-operation for an Interdependent World, 49 (51 f.).

660

Teil 7: Internationalisiertes Verwaltungshandeln im Rechtsstaat

zügliche innerstaatliche Verwaltungshandeln auf entsprechende legislative Programme zurückführen läßt. Die innerstaatlichen Rechtsvorgaben, die für das internationalisierte Verwaltungshandeln bestimmend sind, weisen zwar zumeist keine konditionale Programmierung auf. Wie im einzelnen bei der Erörterung der verschiedenen Instrumentarien der exekutiven internationalisierten Rechtssetzung und der Einbindung internationaler verwaltungsrechtlicher Regelwerke in die deutsche Rechtsordnung nachgewiesen wurde, ist aber immer eine hinreichende demokratische Legitimation gegeben. Sie läßt sich auch damit begründen, daß im Rahmen einer Verwaltungsaufgabenperspektive nur dann eine effektive und effiziente Lösung der anstehenden Probleme gewährleistet ist, wenn es zu einer internationalen Kooperation kommt. Im Gegensatz zur Einbindung der Bundesrepublik in die EG als supranationale Organisation findet dabei keine „Übertragung" von Hoheitsrechten nach Art. 23 Abs. 1, 24 Abs. 1 GG statt. I m Bereich der Rechtssetzung und des administrativen Vollzuges folgt das internationalisierte Verwaltungshandeln vielmehr umfassend dem Kooperationsmodell der global governance . Die inhaltliche Ausrichtung dieses Prozesses wird dabei von dem Gemeinwohlbezug bestimmt, der insgesamt der internationalen Zusammenarbeit zugrunde liegt. 743 Nicht zu verkennen ist jedoch, daß mit einer zunehmenden Dezentralisierung der Entscheidungsstrukturen im internationalen Mehrebenensystem demokratische Probleme entstehen können. Die hier vertretene Legitimation des internationalisierten Verwaltungshandelns kann nur idealtypisch sein und muß damit nicht auf jeden erdenklichen Einzelfall zutreffen. Dem damit angesprochenen Demokratieproblem der global governance und, im einem weiteren Sinne, der Globalisierung insgesamt, kann von zwei Perspektiven ausgehend begegnet werden. Auf der einen Seite stehen Konzepte einer Demokratisierung der internationalen Organisationen und der internationalen Entscheidungsprozesse selbst. Dieser Aspekt beschäftigt zumindest die sozialwissenschaftliche Forschung zur Zeit sehr intensiv. 7 4 4 Wesentlich wichtiger erscheint jedoch die innerstaatliche Perspektive. Um die Effektivität und Effizienz des internationalisierten Verwaltungshandelns zu gewährleisten, sind funktionsgerechte Koordinierungsmechanismen notwendig, die sich auf den innerstaatlichen Bereich und die Kooperation zwischen der nationalen und der internationalen Ebene beziehen. Nur wenn gewährleistet ist, daß es zu keinen Wertungswidersprüchen im System der funktional verbundenen nationalen und internationalen Rechtsordnung kommt, ist es möglich, das internationalisierte Verwaltungshandeln unter Verweis auf eine „Legitimation durch Auf743

Hierzu supra Teil 4, B. III. 1, c) cc).

744

Siehe z. B. Held, Democracy and the Global Order, passim .

C. Internationalisiertes Verwaltungsorgansationsrecht

661

gaben" 745 zu bewerten. Dies setzt voraus, daß die innerstaatliche Rechtsordnung adäquate Instrumentarien der Verwaltungsorganisation vorhält. Sie müssen sich auf die Abstimmung und Koordination im Staatsinneren ebenso beziehen wie auf die Kooperation mit den zuständigen Stellen außerhalb der staatlichen Jurisdiktion. Die Legitimität des gesamten Konzeptes der global governance hängt damit davon ab, daß die Staaten durch ihre interne Verwaltungsorganisation auf die entsprechenden Herausforderungen reagieren. 746 Hierin und nicht in staatstheoretisch überhöhten Befürchtungen hinsichtlich des Verlustes an nationaler Souveränität liegt die eigentliche Herausforderung, die sich aus dem internationalisierten Verwaltungshandeln ergibt.

745 746

Grimm, in: ders. (Hrsg.), Staatsaufgaben, 771 (785).

Eindringlich hierzu Metcalfe, International Review of Administrative Science 60 (1994), 271 (276), der insoweit zu dem folgenden ernüchternden Ergebnis kommt: „Paradoxically, in view of the widespread concerns about national sovereignty, governments frequently underestimate the resources needed to manage international policy co-ordination"; zu Konzepten einer Verwaltungsorganisation, die den Herausforderungen des internationalisierten Verwaltungshandelns gerecht wird, siehe ders., in: OECD (Hrsg.), Regulatory Co-operation for an Interdependent World, 49 ff.; sowie insgesamt die Beiträge in: OECD (Hrsg.), Regulatory Co-operation for an Interdependent World.

Schlußbetrachtung

Diese Untersuchung hat deutlich gemacht, daß sich die tägliche Konkretisierung von Anliegen des Gemeinwohls durch die Verwaltung heute in zahlreichen Sachbereichen als komplexer Prozeß miteinander verbundener nationaler und internationaler Steuerungsinstrumentarien darstellt. Dies läßt sich nicht mehr als „hoheitliche" Aufgabenerfüllung bezeichnen, wenn der im demokratischen Rechtsstaat ohnehin problematische Hoheitsbegriff als apriorisch geltende territoriale Bezugsgröße verstanden wird. Gerade durch das internationalisierte Verwaltungshandeln zeigt sich, daß zahlreiche gesellschaftliche Herausforderungen ein öffentliches Handeln gebieten, das nicht an nationale Jurisdiktionsgrenzen gebunden ist. Insofern stellt sich nicht die formale Kompetenzabgrenzung im Verhältnis von Rechtsordnungen, die auf unterschiedlichen Rechtsquellen beruhen, als entscheidender erkenntnisleitender Gesichtspunkt dar. Vielmehr ist ausgehend von der materiellen Gemeinwohlorientierung der nationalen Verwaltung danach zu fragen, durch welche Kooperationsformen und -mechanismen, die über die Staatsgrenze hinausreichen, eine effektive und effiziente Aufgabenerfüllung sichergestellt werden kann. Die Erkenntnis von einem internationalisierten Verwaltungshandeln hat natürlich auch Auswirkungen auf das Verständnis vom Staat selbst. Die Kooperationsoffenheit des deutschen Verfassungsstaates findet in der internationalisierten öffentlichen Verwaltung zunächst ihre tägliche Konkretisierung. Dies erhellt zugleich, daß es keine Exklusivität staatlicher Funktionen innerhalb eines territorial abgeschlossenen Herrschaftsverbandes gibt. Weder rechtspositiv noch tatsächlich läßt sich behaupten, daß die Rechtfertigung des Staates einzig in seiner exklusiven Steuerungsfähigkeit begründet liegt. 1 Es hat sich gezeigt, daß in einigen zentralen Aufgabenfeldern der öffentlichen Verwaltung die an praktischer Rationalität zu messende Legitimität staatlicher Herrschaft überhaupt nur dann gewährleistet ist, wenn es zu einer internationalen Zusammenarbeit kommt. Nur hierdurch läßt sich nämlich sicherstellen, daß die anstehenden Sachprobleme einer effektiven und effizienten Lösung zugeführt werden können.

1

So aber noch Wendt, NWVB1. 1987, 33 (34).

Schlußbetrachtung

663

Zu betonen ist allerdings, daß die beschriebene Entwicklung nicht zu einer Absage an die Rechtfertigung der staatlichen Ordnung und damit an das Modell „Staat" insgesamt führt - im Gegenteil: Die untersuchten Phänomene eines internationalisierten Verwaltungshandelns haben in aller Deutlichkeit klar gemacht, daß die funktional verbundene nationale und internationale Rechtsordnung aufeinander angewiesen sind. Sie können ihre jeweils notwendige Wirkkraft nur dann entfalten, wenn sie sich gegenseitig unterstützende Instrumentarien bereitstellen. Dies hat schon Heinrich Triepel erkannt.2 Für ihn bestanden allerdings noch prinzipielle Unterschiede zwischen der nationalen und der internationalen Rechtsordnung, die er in ihrer jeweiligen inhaltlichen Ausrichtung und unter Berücksichtigung ihres Adressatenkreises sah. Heute lassen sich diese Unterschiede zumindest dann nicht mehr feststellen, wenn ein Blick auf die internationale technisch-administrative öffentliche Aufgabenerledigung geworfen wird. Hier konnte eine inhaltliche Konvergenz der zugrundeliegenden Wertevorstellungen belegt werden, die in aufeinander abgestimmten Rechtsinstrumentarien ihren normativen Ausdruck findet. Die funktionale Einheit von innerstaatlichem und internationalem Recht und ihre gegenseitige Bedingtheit weisen auch darauf hin, wie die Rolle der öffentlichen Verwaltung in diesem Internationalisierungsprozeß zu umschreiben ist. Wirft man zunächst einen Blick auf die administrativ strukturierten internationalen Institutionen, hat sich gezeigt, daß sie in der Regel nicht mit einer Entscheidungsoder Vollzugskompetenz ausgestattet sind, die unmittelbar im nationalen Rechtsraum ihre Wirkung entfaltet. Die weiterhin notwendige innerstaatliche Durchführung internationaler administrativer Regelwerke rechtfertigt es daher, die internationale Administrative nicht als „Entscheidungsverwaltung", sondern als „Einflußverwaltung" zu kennzeichnen.3 Inhaltlich vollzieht sich diese Einflußverwaltung in Sachbereichen, die einzelstaatlich nicht effektiv und effizient geregelt werden können. Aus den offensichtlichen Leistungsgrenzen der nationalen Administrative in Bereichen, die durch ihren inhärenten grenzüberschreitenden Bezug gekennzeichnet sind, erhellt damit, daß sich die beschriebenen Rechtsentwicklungen im internationalen System als „staatliche Leistungsdefizite ergänzende Komplementärverwaltung" darstellen. 4 2

Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, 271: „Das Völkerrecht bedarf des staatlichen Rechts, um seine Aufgabe zu erfüllen. Ohne dies ist es in vieler Hinsicht ohnmächtig. Der Landesgesetzgeber erweckt es aus der Ohnmacht. Ein Netz, über den Staaten schwebend, will es durch starke Stützen in den Staaten gefestigt sein". Hierzu auch Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 46; Gassner, Heinrich Triepel, 457. 3

So prägnant schon Bülck, Der Strukturwandel der internationalen Verwaltung, 11. Delbrück, in: Jeserich/Pohl/von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. V, 386 (390 f.). 4

664

Schlußbetrachtung

Der nationalen Verwaltung fällt die auch verfassungsrechtlich gebotene Rolle zu, die Handlungsinpulse der internationalen komplementären Einflußverwaltung aufzunehmen und innerstaatlich durchzuführen. Zur Erfüllung dieser Aufgabe bedient sie sich in der Praxis umfassend der Handlungsinstrumentarien, die ihr rechtsstaatlich zur Verfügung stehen. Damit trägt die nationale öffentliche Verwaltung nicht zuletzt dazu bei, ihre eigene Legitimität zu sichern, da diese u. a. an der Effektivität und Effizienz ihrer Aufgabenbewältigung zu messen ist. Mit anderen Worten: Es müßte zu Legitimitätseinbußen der nationalen Administrative kommen, wenn nicht auf die verschiedenen Formen der internationalen Zusammenarbeit zurückgegriffen wird. Damit ist nochmals das Bild umrissen, das bereits mit dem Begriff der global governance gezeichnet wurde: Die Internationalisierung der administrativen öffentlichen Aufgabenerfüllung vollzieht sich in einem Mehrebenensystem. Dies ist keine Hinwendung zu Modellen einer „Weltgesellschaft" oder gar eines „Weltstaates", sondern die Anerkennung einer internationalen Vernetzung und Verflechtung der öffentlichen administrativen Aufgabenerfüllung. 5 Alle administrativen Handlungsebenen, gleich ob national, europäisch oder international, sind aufeinander angewiesen. Eine Zurückdrängung oder gar Verdrängung insbesondere der nationalen öffentlichen Verwaltung läßt sich nicht feststellen. 6 Was vielmehr vorliegt, ist eine territoriale Erweiterung der Aufgabenperspektive der nationalen Verwaltung. Ihre Funktion ist nicht nur auf die Konkretisierung von rechtsnormativ zu fassenden Gemeinwohlbelangen im innerstaatlichen Bereich bezogen. Sie ist zugleich der „Verwaltung" der internationalen öffentlichen Güter verpflichtet. Dies bedingt weiterhin eine zunehmende nicht nur inhaltliche, sondern in ihrem Wirkungsbereich auch territoriale Pluralisierung der Verwaltung. Das ist indes nicht nur, wie für die nationale öffentliche Verwaltung bereits erforscht, 7 eine Folge des Wachstums und der Ausdifferenzierung der innerstaatlichen Aufgaben. Die Pluralisierung der Verwaltung ist überdies eine Konsequenz ihrer Internationalisierung. Nur wenn man einen Forschungsansatz wählt, der weniger die Rechtsquellen betrachtet und sich demgegenüber verstärkt der prinzipiellen Steuerungsfunktion des Rechts öffnet, kann diese Entwicklung rechtswissenschaftlich erfaßt werden. 8 Dabei sollte man auch nicht vorschnell darauf verfallen, das internationalisierte Verwaltungshandeln insgesamt als verfassungs5

So auch Trute, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 9 (21).

6

Aus politikwissenschaftlicher Perspektive auch Wessels, Die Öffnung des Staates, 321: Verwaltungen werden »„internationalisiert4 oder »europäisiert4, aber eben nicht ersetzt oder auf ein einheitliches Administrationsmodell hin ,zwangsharmonisiert"\ 7

Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 212.

8

Trute, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 9 (22).

Schlußbetrachtung

665

rechtlich bedenklich anzusehen. Insbesondere demokratietheoretische Probleme bereitet die aufgezeigte Entwicklung nur dann, wenn man die Eigenständigkeit der Verwaltung bei der Erledigung nationaler und internationalisierter Sachaufgaben verneint. Darüber hinaus sind der Gesetzgeber und die Verwaltung selbst gefordert, durch entsprechende verwaltungsorganisatorische Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, daß die Kohärenz des internationalisierten Verwaltungshandelns sichergestellt ist. Nicht zu verkennen ist aber, daß die beschriebenen Phänomene des internationalisierten Verwaltungshandelns Auswirkungen auf die Frage haben, wer Steuerungssubjekt der öffentlichen Verwaltung ist. Während dies in der nationalen Verfassungsordnung in erster Linie der Autor des Verwaltungsrechts, also der demokratisch legitimierte Gesetzgeber ist, 9 zeigt sich bei der internationalisierten öffentlichen Aufgabenerfüllung zunehmend, daß auch internationale Institutionen unterschiedlicher Ausgestaltung eine Rolle einnehmen, die sie als Steuerungssubjekte qualifiziert. Die Steuerungsintensität, 10 um in dieser begrifflichen Kategorie zu bleiben, die den internationalen Handlungsvorgaben zuzuschreiben ist, kann zwar nicht mit der klassischen gesetzlichen Direktive in der nationalen Rechtsordnung verglichen werden. In ihrer autonomen rechtlichen und faktischen sowie in ihrer durch innerstaatliche Rechtsnormen vermittelten Wirkung läßt sich die Steuerungsfunktion der internationalen Ebene aber kaum leugnen. Unabhängig von der hier nicht zu vertiefenden Frage, wie sich eine fortschreitende Demokratisierung internationaler Institutionen herbeiführen läßt, ist dabei zu beachten, daß internationale administrative Institutionen bereits für sich als Steuerungssubjekte in technisch-administrativen Sachbereichen legitimiert sind. Ihre Legitimität erfahren sie aus entsprechenden rechtsnormativen Vorgaben, die sich in der dominierenden internationalen Rechtsquelle, dem völkerrechtlichen Vertrag, finden. Der völkerrechtliche Vertrag übernimmt in seiner inhaltlichen Dimension insofern die Rolle, die innerstaatlich der Verfassung und dem Gesetz im Hinblick auf die Legitimation des Verwaltungshandelns zukommt. Er konstituiert die rechtliche Grundlage, auf der die internationale Verwaltung tätig wird. Dies hat zugleich Auswirkungen auf die nationale Verwaltung, die insofern in Verflechtung zu legitimierten internationalen administrativen Institutionen steht. Damit schließt sich im Modell der global governance auch der Kreis mit Blick auf das Steuerungsziel im Rahmen des internationalisierten Verwaltungshandelns. Es 9 Schuppert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 65 (69). 10 Hierzu Schuppert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 65 (71).

Schlußbetrachtung

geht hierbei nicht mehr ausschließlich um die etatistische Konkretisierung des Rechtsstaats- und des Demokratieprinzips, 11 sondern ebenso um die Verwirklichung internationaler Gemeinwohlbelange, die sich ausgehend von der UN-Charta in einzelnen völkerrechtlichen Verträgen rechtsnormativ verankert finden.

11

Zu diesem allgemeinen Steuerungsziel Schuppert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 65 (69 f.).

Zusammenfassung

Teil 1

1.

Erste Ansätze einer eigenständigen wissenschaftlichen Erfassung des Verwaltungsrechts sind erst seit dem Westfälischen Frieden von 1648 auszumachen. Das Interesse galt dabei in erster Linie den innerstaatlichen Verwaltungsstrukturen. Internationale Aspekte des Handelns der öffentlichen Verwaltung wurden kaum beachtet. Dies war u. a. darin begründet, daß sich die internationale Vertragspraxis nahezu ausschließlich auf die Regelung von Kriegs- und Friedensfragen bezog. Technisch-administrative Sachmaterien wurden kaum durch völkerrechtliche Verträge geregelt.

2.

Die natur- und vernunftrechtlichen Einflüsse auf die Rechtswissenschaften führten ab Mitte des 18. Jahrhunderts dazu, daß auch das internationale System und damit die rechtliche Ausgestaltung der internationalen Beziehungen in den Blickpunkt der staatswissenschaftlichen Forschung rückte. Dies ermöglichte es, in ersten Ansätzen eine Verbindung von nationaler und internationaler Rechtsordnung, auch auf die Verwaltung bezogen, herauszustellen. In den Bearbeitungen des „Policey"-Rechts finden sich regelmäßig kurze Ausführungen dazu, welche Bedeutung dem Völkerrecht für den damals dominierenden Topos von der „Glückseligkeit der Untertanen" zukommt.

3.

Zugleich intensivierte sich die internationale Vertragspraxis in quantitativer und qualitativer Hinsicht dahingehend, zunehmend auch technisch-administrative Sachfragen zu normieren. Wissenschaftlich wurde hierauf reagiert, indem es zur Veröffentlichung bedeutender Vertragssammlungen kam. Erst dies eröffnete der Staatswissenschaft die Möglichkeit, sich anhand des dokumentierten empirischen Materials mit den Wechselbeziehungen zwischen innerstaatlichem und internationalem Recht auseinanderzusetzen.

4.

In der Phase des aufkommenden Konstitutionalismus setzte sich immer mehr die Erkenntnis durch, daß auch das internationale System in der Kategorie einer Rechtsordnung zu erfassen ist. Damit war es möglich, aus staatswissenschaftlicher Sicht nicht nur die innerstaatliche Rechtsordnung zu beschreiben, sondern auch dogmatisch auf die rechtlichen Verbindungen einzugehen, die

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Zusammenfassung

sich im Außenverhältnis des Staates zeigten. Kaltenborn , von Mohl und insbesondere von Stein zogen hieraus die Konsequenz und erarbeiteten ein staatswissenschaftliches Programm, das die rechtlichen Verflechtungen des nationalen Verwaltungsrechts und rechtsnormative Entwicklungen im internationalen System aufdeckte. Lorenz von Stein prägte hierfür den Begriff „internationales Verwaltungsrecht". Als wesentliches Merkmal dieses „internationalen Verwaltungsrechts" galt die Erkenntnis, daß die rechtliche Ausgestaltung der internationalen Beziehungen nicht auf souveränitätsabgrenzende Aspekte beschränkt werden kann. Vielmehr stand für die genannten Autoren fest, daß internationale Rechtsentwicklungen auch die Sachbereiche betreffen, die für das Handeln der nationalen öffentlichen Verwaltung relevant sind. 5.

Die Lehre vom „internationalen Verwaltungsrecht", wie sie namentlich durch Lorenz von Stein geprägt wurde, fand im ausgehenden 19. Jahrhundert zunächst einige Beachtung und wurde in der Verwaltungs- und der Völkerrechtswissenschaft rezipiert. Mit dem Aufkommen der juristischen Methode im öffentlichen Recht, die insbesondere mit Gerber , Laband und im Verwaltungsrecht dann mit Otto Mayer zu verbinden ist, vollzog sich eine Entwicklung, die man in den Worten von Michael Stolleis als Übergang vom Internationalismus zum Nationalismus kennzeichnen kann. Die formalistische Erfassung juristischer Phänomene führte dazu, daß grenzüberschreitende rechtliche Entwicklungen aus den Darstellungen des Verwaltungsrechts verdrängt wurden. Mit der dogmatischen Fundierung des Dualismus von nationalem und internationalem Recht durch Triepel war dann die konsequente Absage an verwaltungsrechtliche Konzepte verbunden, die von einem Interdependenzgedanken getragen waren. Das „internationale Verwaltungsrecht" stellte sich jetzt ausschließlich als nationales Rechtsanwendungs- bzw. Kollisionsrecht dar. Karl Neumeyer arbeitete dies umfassend heraus. Zugleich rezipierte die deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft nahezu einhellig die erstmals von Otto Mayer formulierte Prämisse, daß Verwaltung nur „Thätigkeit des Staates, die unter seiner Rechtsordnung sich vollzieht", sei. Diese apriorische Manifestierung des Territorialitätsprinzips im Verwaltungsrecht versperrte endgültig den Blick auf rechtliche Strukturen, die durch eine Verflechtung des nationalen Verwaltungshandelns mit internationalen Rechtsentwicklungen gekennzeichnet sind. Ansätze zur Überwindung dieses Ausschließlichkeitsdenkens finden sich auch in der Verwaltungsrechtswissenschaft und der Verwaltungslehre der Bundesrepublik kaum, wenn man einmal von den Arbeiten von Erler, Biilck, Menzel und Delbrück absieht.

Zusammenfassung

Teil 2 6.

Die Zusammenarbeit der Staaten in Sachbereichen, die sich durch ihre technisch-administrative Struktur auszeichnen, erfuhr im 19. Jahrhundert eine Intensität, die in dieser Form erstmals in der Geschichte vorkam. Der Grund hierfür ist u. a. in der rasant fortschreitenden Industrialisierung sowie der relativen Stabilität im europäischen Staatensystem zu sehen.

7.

Über die ein- und mehrseitige Vertragspraxis im 19. Jahrhundert hinausgehend kam es in dieser Zeit zur Gründung der ersten Verwaltungsunionen als den Vorläuferinstitutionen der heutigen internationalen Organisationen. Damit erlangte die technisch-administrative Zusammenarbeit der Staaten ihre institutionelle Verfestigung. Die Verwaltungsunionen dienten inhaltlich dem Zweck, staatliche Insuffizienzen eigener Regelungsmacht durch die institutionalisierte internationale Kooperation zu beheben. Mit der Anerkennung der Völkerrechtssubjektivität der Verwaltungsunionen bzw. internationalen Organisationen kam es zur rechtsdogmatischen Verselbständigung dieser inhaltlichen Ausrichtung.

8.

Die Gründung des Völkerbundes durch den Versailler Friedensvertrag stellt einen weiteren, bedeutenden Schritt in der Entwicklung der institutionellen internationalen Kooperation dar. Dies drückt sich in der materiellen Konzeption der Satzung des Völkerbundes aus. Sie ist durch die Verbindung allgemeiner friedenspolitischer Anliegen mit Aspekten der technisch-administrativen internationalen Zusammenarbeit gekennzeichnet. Im Völkerbund, aber auch in anderen internationalen Institutionen, entwickelten sich bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges kaum zu überschauende Aktivitäten in Sachbereichen, die sich durch ihren technisch-administrativen Charakter auszeichnen. Dabei zeigte sich, daß die ursprüngliche Idee einer zentralisierten institutionalisierten funktionalen Zusammenarbeit nicht zu realisieren ist. Im Zusammenhang mit dem Bruce-Bericht setzte sich vielmehr in Ansätzen die Erkenntnis durch, daß sich die funktionale internationale Zusammenarbeit in einem dezentralisierten und dekonzentrierten System vollziehen muß. Insbesondere die Rolle der nationalen Verwaltung trat dabei deutlich hervor.

9.

In der Satzung der Vereinten Nationen erfuhr die Idee der funktionalen institutionalisierten internationalen Zusammenarbeit eine bis heute gültige Konzeption. Sie ist durch eine Verbindung friedenspolitischer Aspekte und der Zusammenarbeit in wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und humanitären Sachbereichen geprägt. Strukturell wird diese Zielsetzung der UN-Charta in einem komplexen System funktionaler Dezentralisation und Dekonzentration

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Zusammenfassung

verwirklicht. Dem liegt im Kern der Legitimitätsgedanke zugrunde, durch Dezentralisation und Dekonzentration die Effektivität und Effizienz der Aufgabenerledigung zu sichern. Damit findet das Mehrebenenmodell in der UN-Charta als Verfassungsurkunde der internationalen Staatengemeinschaft seine rechtsnormative Verankerung. Teil 3 10. Die sozial wissenschaftliche Forschung hat sich aufbauend auf den Erkenntnissen des Realismus, der Föderalismustheorie und des Funktionalismus in jüngerer Zeit zunehmend der Frage zugewandt, wie die funktionale internationale Zusammenarbeit über die Ganzheit und Einheit des Staates hinausgehend zu erfassen ist. Nach ersten Ansätzen, die sich in der Interdependenztheorie finden, steht heute weniger die Ziel- als vielmehr die Prozeßanalyse im Vordergrund des Interesses. Damit ist es möglich, „transgovernmental activities", u. a. im Bereich internationaler bürokratischer Verflechtungen, empirisch und wissenschaftstheoretisch zu ergründen. Mit der Regimetheorie und ihrer speziellen Konkretisierung in der Theorie bürokratischer Regime liegen jetzt umfassende theoretische Konzepte vor, die die Komplexität des Prozesses der funktionalen internationalen Zusammenarbeit erklären. Das Konzept der global governance liefert schließlich ein Bild, das die zahlreichen sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse prägnant und auch für die Rechtswissenschaft gewinnbringend zusammenfaßt. Unter global governance ist eine steuerungstheoretische Erfassung von Politik- und Verwaltungsentscheidungen im internationalen System zu verstehen, die sich kooperativ vollziehen. Dabei geht es nicht um eine hierarchische Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung. Im Vordergrund des Interesses steht vielmehr ein inhaltlicher und hinsichtlich der maßgeblichen Akteure institutioneller pluralistischer Ansatz einer kooperativen Steuerung komplexer gesellschaftlicher Prozesse. Die Bedeutung des Rechts als Steuerungsinstrumentarium greift dabei über die Zentraleinheit „Staat" hinaus und erlangt u. a. für substaatliche Akteure, wie die nationale öffentliche Verwaltung, Relevanz. Teil 4 11. Auch verfassungsrechtlich zeigt sich, daß die öffentliche Verwaltung als eigenständiger Akteur in den Prozeß der internationalen Zusammenarbeit eingebunden ist. Die von Otto Mayer begründete Ansicht, daß das Verwaltungsrecht einer strikten territorialen Bindung unterliege, ist nicht mehr zu recht-

Zusammenfassung

fertigen. Der behauptete exklusive territoriale Bezug des Verwaltungsrechts läßt sich nur geschichtlich erklären. Von zentraler Bedeutung ist dabei die historische Vorstellung, daß die Verwirklichung der staatlichen „Zwecke" im Sinne einer Ordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die seit jeher als allgemeinste Verwaltungsaufgabe angesehen wird, nur innerhalb der Staatsgrenzen erfolgen kann. Spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist jedoch eine zunächst rechtsempirische Entwicklung zu beobachten, die auf eine Durchbrechung bzw. Einschränkung der Gebietshoheit des Staates in Verwaltungsangelegenheiten hindeutet. Materiellrechtlich wird die Absage an die territoriale Exklusivität der Verwirklichung öffentlicher Aufgaben u. a. durch das völkerrechtlich anerkannte Konzept der Staatengemeinschaftsinteressen belegt. 12. Die Stellung der öffentlichen Verwaltung als zumindest potentieller Akteur in auswärtigen Angelegenheiten wird weiterhin deutlich, wenn eine nähere inhaltliche Durchdringung des verfassungsrechtlichen Begriffes „auswärtige Gewalt" erfolgt. Historisch läßt sich die funktionale Zuweisung der Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten an die Regierung, die in dem Begriff „auswärtige Gewalt" zum Ausdruck kommt, nur aus der Vorstellung erklären, daß das Völkerrecht ausschließlich ein Recht zur Koordination staatlicher Souveränitätssphären sei. Die „auswärtige Gewalt" wurde insofern apriorisch mit der Sicherung der staatlichen Selbstbehauptung als Aufgabe der Regierung verbunden. Diese Sicht der Dinge ist in Frage zu stellen, soweit es um die funktionale technisch-administrative internationale Zusammenarbeit in einem kooperationsrechtlich ausgerichteten internationalen System geht. Deshalb ist im Gewaltenteilungsmodell des Grundgesetzes hinsichtlich der Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten eine Differenzierung zwischen Gubernative und Administrative vorzunehmen. 13. Die Abgrenzung von Regierung und Verwaltung ist nicht prinzipiell, sondern nur graduell möglich. Die Regierungstätigkeit ist durch die Sicherung und gestaltende Fortentwicklung des Gemeinwesens in der Gestalt richtungsweisender Bestimmung von Grundkoordinaten gesellschaftlichen Zusammenlebens gekennzeichnet. Eine prinzipielle Zuweisung der Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten in den so konturierten Regierungsbereich ist nicht möglich. Vielmehr ist auch in grenzüberschreitenden Sachbereichen danach zu differenzieren, ob eine politische - staatsleitende - oder eine administrative Staatstätigkeit vorliegt. Hieraufhaben insbesondere Smend und Scheuner frühzeitig hingewiesen. Verwaltung kann dabei in Abgrenzung zur Regierung als die „mehr angeleitete, ausgerichtete Tätigkeit, die der Wahrnehmung der

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Zusammenfassung

mehr technischen und wiederkehrenden Aufgaben, des Details, des Lokalen dient" {Hesse) verstanden werden. Das läßt sich verkürzt auch als „tätige Verwirklichung der Staatsziele im Einzelnen und Besonderen" umschreiben {Scheuner). 14. Zusätzlich zur funktionalen Begründung einer potentiellen Rolle der Verwaltung bei der Wahrnehmung auswärtiger Angelegenheiten erfährt die öffentliche Verwaltung ihr Mandat für ein internationalisiertes Handeln aus der Staats- und Verwaltungsaufgabenlehre. Dabei ist von dem materiellen Verwaltungsbegriff auszugehen. Er ist neben der negativen Abgrenzung zu Rechtsprechung und Gesetzgebung insbesondere durch die gemeinwohlorientierte Besorgung von Angelegenheiten des Gemeinwesens gekennzeichnet. Der Gemeinwohlbegriff ist durch die Verwaltungsaufgabenlehre zu konkretisieren. Verwaltungsaufgaben lassen sich aus Staatszielbestimmungen ableiten. Sie sind als Rechtsprinzipien auch für die Verwaltung rechtsnormativ verpflichtend. 15. Für die öffentliche Verwaltung ergeben sich aus der verfassungsrechtlichen Staatszielbestimmung zur internationalen Zusammenarbeit verpflichtende Verwaltungsaufgaben. Zusätzlich zur autonomen verfassungsrechtlichen Verankerung der Verpflichtung zur internationalen Zusammenarbeit erfährt diese Zielbestimmung über Art. 25 GG als völkergewohnheitsrechtliche Norm Eingang in die deutsche Rechtsordnung. Die völkerrechtliche Kooperationsverpflichtung ist dabei gemäß Art. 25 GG mit Verfassungsrang ausgestattet. Inhaltlich bezieht sich die Verpflichtung zur internationalen Kooperation auf die in Art. 1 Ziff. 3, 55 und 56 UN-Charta verankerte Zielsetzung, die verallgemeinernd als Konstitution des Friedens als Rechtsordnung, orientiert an internationaler Wohlfahrt, sozialer Sicherheit im weiteren Sinne und den Menschenrechten insgesamt, umschrieben werden kann. Dies entspricht inhaltlich den auch in der innerstaatlichen Verfassungsordnung bekannten Staatszielen. Damit zeigt sich ein rechtlich konkretisierter Gemeinwohlbezug der völkerrechtlichen und gemäß Art. 25 GG verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur internationalen Zusammenarbeit, der in weitgehender Konvergenz zu innerstaatlichen Verfassungszielen steht. Der darüber hinausgehende Topos von der „Notwendigkeit" zur internationalen Zusammenarbeit hat für die Verwaltungsaufgabenlehre insoweit Bedeutung, als hierdurch auf die „Legitimation durch Aufgaben" {Dieter Grimm), u. a. zu verstehen als effizient und effektiv zu erfüllende internationalisierte Verwaltungsaufgaben, verwiesen wird.

Zusammenfassung

Teil 5 16. Die völkerrechtlichen Steuerungsinstrumentarien, die im Sinne des Konzeptes der global governance auch das öffentliche Verwaltungshandeln betreffen, zeigen sich heute in einer weit differenzierteren Struktur, als es der für die völkerrechtliche Rechtsquellenlehre maßgebliche Art. 38 IGH-Statut zum Ausdruck bringt. Um die internationale Steuerungsfunktion des Rechts insgesamt, über einzelne Rechtsquellenaspekte hinausgehend, erfassen zu können, sind die zahlreichen Instrumentarien im Völkerrecht zu beachten, die kooperative Rechtssetzungs- und Rechtsverwirklichungsstrukturen aufweisen. 17. Im Bereich der Rechtssetzung zeigen sich vermehrt Handlungsmuster im internationalen System, die in Abkehr von einer ausschließlich staatsorientierten Betrachtung auf die Praxis der internationalen Gemeinschaft insgesamt abstellen. Überdies sind völkerrechtliche Verträge insbesondere in technischadministrativen Sachbereichen heute regelmäßig durch eine dynamische Vertragsstruktur gekennzeichnet („dynamische Vertragsregime"). Auch dem sogenannten „soft law" kommt eine zunehmende Bedeutung gerade in technisch-administrativen Sachbereichen zu. Hierdurch wird der zunächst unverbindliche Charakter des „soft law" rechtsnormativ relativiert. 18. Unter dem Oberbegriff der völkerrechtlichen Rechtsverwirklichung sind kooperative Handlungsstrategien zu verstehen, die über den engeren Bereich der Rechtsdurchsetzung hinausgehen. Sie sind zunächst eine Folge des Wandels der völkervertraglichen Regelungsstrukturen, die sich oftmals nicht mehr unter Reziprozitätsgesichtspunkten erklären lassen. Überdies hat sich in der Staatenpraxis erwiesen, daß die konfrontative Rechtsdurchsetzung nicht den Regelfall der Sicherstellung der Rechtsbefolgung im internationalen System darstellt. Vielmehr zeigt sich rechtsnormativ und rechtstatsächlich, daß heute von differenzierten Compliance-Konzepten auszugehen ist. Diese sind u. a. im Zusammenhang mit Regelungen zur Sicherstellung von Transparenz als Kooperationsbedingung und ökonomischen Steuerungsmodellen zu sehen. 19. Schließlich erweist sich die völkerrechtlich bewußt intendierte internationale Verwaltungskooperation als ein wichtiges Steuerungspotential. Hierunter sind verallgemeinernd transnationale Verhandlungsmechanismen zu verstehen, die als administrative Beziehungsgeflechte zwischen der nationalen Exekutive und dem Exekutivorgan einer internationalen Organisation oder sonstigen Institutionen sowie auf zwischenstaatlicher exekutiver Ebene dazu beitragen, in transnationaler Kooperation öffentliche Aufgaben wahrzunehmen.

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Zusammenfassung

Die internationale Verwaltungskooperation ist dabei eine an Sachaufgaben orientierte organschaftliche Konkretisierung des allgemeinen völkerrechtlichen Kooperationsprinzips. Sucht man nach einem Oberbegriff für die empirisch belegbaren administrativen Beziehungsgeflechte, kann auf das Konzept der global governance verwiesen werden. Teil 6 20. Um einzelne Sachgebiete des internationalisierten Verwaltungshandelns dogmatisch gewinnbringend auf übergreifende Struktur- und Systemgrundsätze hin untersuchen zu können, bietet es sich an, eine Betrachtung verschiedener Referenzgebiete vorzunehmen. Als übergreifende Leitidee einer Analyse von Referenzgebieten des internationalisierten Verwaltungshandelns kann dabei von der Erkenntnis ausgegangen werden, daß es hier ebenso wie im Verwaltungsrecht insgesamt um die Bewahrung und Verteilung von Gemeinschaftsgütern geht. 21. Im internationalisierten Gesundheitsverwaltungsrecht zeigt sich aus zunächst innerstaatlicher Perspektive, daß der vorbeugende Gesundheitsschutz im Sinne des Public-health-Konzeptes als übergreifendes Strukturprinzip auszumachen ist. Dementsprechend ist das nationale Gesundheitsverwaltungsrecht in weiten Bereichen als Risikoverwaltungsrecht zu qualifizieren. Typenbildende Merkmale sind insofern u. a. der zunehmende Verweis auf die Eigenverantwortlichkeit der risikoin vol vierten Handlungssubjekte, eine wachsende Bedeutung von Grenzwertfestlegungen und vergleichbarer Standardisierung, neue Formen informalen Verwaltungshandelns im Kooperationsverhältnis Staat-Private, auf Gefahrvermeidung abzielende staatliche Handlungen wie Warnungen oder Produkthinweise sowie insgesamt eine zunehmende Differenzierung und Diversifizierung staatlicher Handlungsformen. Der damit angedeutete Wandel der verwaltungsrechtlichen Dogmatik läßt sich im Ergebnis auch im internationalen Gesundheitsverwaltungsrecht feststellen. 22. Eine zentrale Rolle im Bereich der institutionalisierten internationalen Zusammenarbeit im Gesundheitswesen nimmt die WHO ein. Ihre Aufgaben sind deutlich administrativ-technisch ausgerichtet. Weit wichtiger als die in der WHO-Satzung vorgesehenen formellen Rechtssetzungsverfahren sind die zahlreichen informalen administrativen Aktivitäten der WHO, u. a. in der Form unverbindlicher Standardisierungsempfehlungen und einer Förderung der Verwaltungskooperation. Als ein Beispiel für die effektive Standardisie-

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rungsarbeit der WHO kann auf die Ausarbeitung und ständige Aktualisierung der International Nonproprietary Names for Pharmaceutical Substances (INNs) verwiesen werden. Auch die Arbeit der zweiten wichtigen internationalen Organisation für das Gesundheitswesen, der FAO, ist durch Standardisierungsvorgaben geprägt. Ebenso wie zur WHO festgestellt, kommt auch den FAO-Standardisierungsempfehlungen keine verbindliche Rechtsqualität zu. Sie haben aber eine beachtliche faktische und mittelbare rechtsnormative Wirkung. 23. Die Codex Alimentarius Commission ist ein gemeinsames Exekutivorgan von WHO und FAO. Bislang wurden von der Codex Alimentarius Commission mehr als 200 Lebensmittelstandards, mehr als 3.000 Standards für maximale Pestizidrückstände, mehr als 40 Verfahrenkodizes und ca. 25 Richtlinien für Lebensmittelkontaminationen verabschiedet. Auch wenn bisher nur wenige Codex-Standards von den Staaten ausdrücklich angenommen wurden, um völkerrechtliche Verbindlichkeit zu erlangen, wird ihre tatsächliche und rechtliche Wirkung dadurch sichergestellt, daß die Gründe der Nichtannahme gegenüber der Codex Alimentarius Commission darzulegen sind. Überdies erlangen die Codex-Standards durch verschiedene Verweisvorschriften in Übereinkommen der WTO-Rechtsordnung rechtsnormative Bedeutung. Insgesamt kommt der Codex Alimentarius Commission damit eine herausragende Rolle im internationalen Gesundheitsverwaltungsrecht zu. 24. Gesundheitsbezogene Aspekte des Pflanzenschutzes werden in zahlreichen internationalen Institutionen bearbeitet. Besonders wichtig ist das Internationale Pflanzenschutzabkommen von 1951. Es sieht u. a. weitreichende Verpflichtungen der Vertragsstaaten vor, die sich auf die nationale Verwaltungsorganisation und das Verwaltungsrecht beziehen. Das im Jahre 1992 eingerichtete Sekretariat des Übereinkommens befaßt sich intensiv mit Standardisierungsfragen zum Pflanzenschutz. Mit dem in naher Zukunft zu erwartenden Inkrafttreten einer Änderung des Pflanzenschutzübereinkommens wird die Standardisierungsarbeit in diesem Bereich eine beachtliche institutionelle und materiellrechtliche Stärkung erfahren. 25. Das Internationale Tierseuchenamt als weitere wichtige Institution im internationalen Gesundheitsrecht zeichnet sich u. a. dadurch aus, daß es in unmittelbaren Kontakt mit den zuständigen nationalen Verwaltungsbehörden tritt, um so eine effektive internationale Tierseuchenbekämpfung zu garantieren. Neben wichtigen Informationsaufgaben werden im Internationalen Tierseuchenamt veterinärtechnische Standardisierungsvorgaben erarbeitet.

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26. Auch die Chemikalienkontrolle und die Drogenkontrolle stellen Sachgebiete dar, in denen sich die intensive internationale Kooperation im Gesundheitswesen zeigt. Zahlreiche internationale Institutionen befassen sich mit wissenschaftlichen und technischen Aspekten der gesundheitsbezogenen Chemikalienkontrolle und mit entsprechenden Standardisierungsfragen. Die Drogenkontrolle und -bekämpfung unterliegt einem universellen Rechtsrahmen, der weitreichende administrative Kooperationsverfahren und materiellrechtliche Rechtsvorgaben beinhaltet. Den zuständigen internationalen Organen kommen dabei verschiedene rechtssetzende Befugnisse zu. 27. Im deutschen Gesundheitsverwaltungsrecht lassen sich verschiedene Verwaltungsaktivitäten und Rechtsnormen nachweisen, die durch ihren internationalen Bezug gekennzeichnet sind. In zahlreichen Sachbereichen findet eine intensive internationale Verwaltungskooperation der zuständigen nationalen Behörden statt. Materiellrechtlich ist das deutsche Gesundheitsverwaltungsrecht in weiten Bereichen von internationalisierten Verordnungsermächtigungen sowie unmittelbar und mittelbar wirkenden rechtsnormativen Verschränkungen mit verbindlichen und unverbindlichen internationalen Regelwerken geprägt. 28. Das Umweltverwaltungsrecht ist aus innerstaatlicher Perspektive heute dadurch gekennzeichnet, daß der Komplexität der Aufgabe „Umweltschutz" eine Komplexität der zur Verfügung stehenden und tatsächlich eingesetzten organisatorischen und materiellen Steuerungsinstrumentarien entspricht. Die Regelungsprinzipien, die dem nationalen Umweltverwaltungsrecht dabei zugrunde liegen, finden sich ebenso im internationalen Umweltrecht. In beiden Rechtsordnungen geht es in erster Linie um den Schutz der natürlichen Umwelt als eigenständiges Rechtsgut. Völkerrechtlich ist der Umweltschutz insofern als Staatengemeinschaftsinteresse zu qualifizieren. 29. In den Einzelbereichen des internationalen Umwelt Verwaltungsrechts zum Wasser-, Luft- und Klimaschutz, zum vitalen Umweltschutz sowie in den internationalen Regelwerken zu einem integrierten Umweltschutz zeigen sich die folgenden Strukturmerkmale: Das internationale Umweltverwaltungsrecht ist in weiten Bereichen ebenso wie im innerstaatlichen Bereich Risikoverwaltungsrecht. Seine rechtsnormative Wirkkraft wird heute weniger durch prinzipielle politische Entscheidungen als vielmehr durch die dem technischen Detail verpflichtete tägliche Sacharbeit bestimmt. Diese vollzieht sich in internationalen Organisationen, Organen einzelner Vertragsregime, sonstigen internationalen Institutionen und privatrechtlichen Vereinigungen. Dabei wird auf eine Vielzahl differenzierter rechtlicher Steuerungsinstrumentarien

Zusammenfassung

zurückgegriffen. Zugleich zeigt sich eine deutliche Stärkung der institutionellen Verfestigung der Regelungsstrukturen, um so den dynamischen Herausforderungen im Umweltschutz gerecht werden zu können. Diese beiden Aspekte führen zu einer sichtbaren Relativierung der völkerrechtlichen Rechtsquellenlehre. Namentlich unverbindliche internationale Standardisierungsvorgaben erlangen immer mehr unmittelbare oder durch Verweisvorschriften bewirkte mittelbare Rechtswirkung. Zugleich zeigt sich eine ausgeprägte dezentrale Struktur des internationalen Umweltverwaltungsrechts, die dem Konzept der global governance entspricht. 30. Im deutschen Umweltverwaltungsrecht ist zunächst die internationale Verwaltungskooperation eine wichtige Internationalisierungserscheinung. Diese vollzieht sich entweder faktisch oder auf der Grundlage expliziter legislativer Regelungen zur Verwaltungskooperation. Dabei ist auch zu beachten, daß die verstärkte Institutionalisierung im internationalen Umweltrecht zwangsläufig Auswirkungen auf die nationalen Umweltbehörden hat, da diese in den entsprechenden internationalen Institutionen mitarbeiten. Die damit ersichtliche internationale Verantwortung der Umweltbehörden wird in § 228 UGBKomE ausdrücklich aufgenommen. 31. Materiellrechtliche Internationalisierungserscheinungen im deutschen Umweltrecht lassen sich an erster Stelle im Bereich der internationalisierten Verordnungsgebung nachweisen. Überdies finden sich im deutschen Umweltverwaltungsrecht zahlreiche Verweisungen auf verbindliche und unverbindliche internationale Regelwerke und ähnliche internationalisierte Rechtswirkungen. 33. Ein weiteres wesentliches Referenzgebiet für das internationalisierte Verwaltungshandeln ist schließlich das internationalisierte Kommunikationsund Transportrecht. Betrachtet man zunächst die nationalen Regelungsstrukturen in diesen Sachbereichen, zeigt sich, daß das Kommunikations- und Transportrecht in weiten Bereichen durch eine exekutive Rechtssetzung geprägt sind. Weiterhin sind zahlreiche Elemente kooperativen Verwaltungshandelns auszumachen, die insbesondere im Kommunikationsrecht durch das Konzept der „regulierten Selbstregulierung" umschrieben werden. Materiellrechtlich geht es im Kommunikations- und Transportrecht umfassend um die Bewahrung und Verteilung von Gemeinschaftsgütern, wobei allerdings im Transportrecht die sicherheitsrechtlichen Aspekte im Vordergrund stehen. 34. In der I T U als erstem wichtigen internationalen Kooperationsregime für die Telekommunikation zeigte sich schon im 19. Jahrhundert eine administrative Regelungsstruktur, indem sich die Praxis etablierte, daß die Mitgliedstaaten der I T U durch ihre jeweiligen nationalen Telegraphen Verwaltungen

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vertreten werden. Eine ähnliche Entwicklung vollzog sich in der UPU als maßgebliche institutionalisierte Kooperationsform für das Postrecht. Dem entspricht die materiellrechtliche Ausrichtung des internationalen Telekommunikations- und Postrechts. Hier ist qualitativ und quantitativ eine dominierende administrative Regelungsstruktur nachzuweisen, die von dynamischen Rechtsanpassungsmechanismen geprägt ist. Auch wenn viele administrativ bedeutende Regelwerke im institutionalisierten internationalen Telekommunikations- und Postrecht als zunächst unverbindliche Empfehlungen ergehen, ist ihre faktische und durch Verfahrens- und Verweisvorschriften bewirkte mittelbare rechtsnormative Wirkung nicht zu übersehen. Daneben ist das internationale Telekommunikations- und Postrecht daraufhin ausgerichtet, eine umfassende internationale Kooperation der zuständigen Verwaltungsbehörden zu ermöglichen. Die genannten Aspekte sind in ganz ähnlicher Ausgestaltung auch im internationalen Luftund Seeverkehrsrecht festzustellen, das heute umfassend durch internationale Regelwerke determiniert wird. 35. Auch das nationale Kommunikations- und Transport verwaltungsrecht ist als erster Aspekt seiner Internationalisierung von einer intensiven internationalen Verwaltungskooperation geprägt. Alle maßgeblichen nationalen Verwaltungsbehörden, die im Kommunikations- und Transportsektor sachlich zuständig sind, pflegen zahlreiche internationale Verwaltungskontakte. Weiterhin zeigt sich, daß die im nationalen Kommunikations- und Transportverwaltungsrecht dominierende exekutive Rechtssetzung auch eine Vielzahl von Regelungsgegenständen erfaßt, die sich auf internationale Rechts vorgaben beziehen. Als Beispiel für eine nahezu umfassende Rechtssetzung, die sich als internationalisierte Verordnungsgebung darstellt, kann auf das am 1. Oktober 1998 in Kraft getretene Schiffssicherheitsgesetz verwiesen werden. Schließlich wird das gesamte nationale Kommunikationsund Transportverwaltungsrecht von Verweisungen auf internationale Regelwerke und sonstigen internationalisierenden Rechtswirkungen durchzogen. Teil 7 36. Bei einer näheren Betrachtung der Einbindung des internationalisierten Verwaltungshandelns in die rechtsstaatliche Ordnung ist zunächst auf den kompetenzrechtlichen Maßstab des Grundgesetzes einzugehen. Dies folgt u. a. aus der Überlegung, daß kompetenzrechtliche Fragen im Kern die Legitimität des staatlichen Handelns insgesamt betreffen.

Zusammenfassung

37. Soweit es um die Verbandskompetenz zur Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten geht, ist von der grundlegenden ratio des Art. 32 GG auszugehen. Sie ist im Sinne einer teleologischen Reduktion darin zu sehen, das einheitliche Auftreten des Völkerrechtsubjektes „Bundesrepublik Deutschland" in Sachbereichen zu sichern, die durch ihren Regierungscharakter („Außenpolitik") oder ihre rechtspositive gesamtstaatliche Bindungswirkung gekennzeichnet sind. In sonstigen Bereichen des internationalisierten öffentlichen Handelns bleibt es bei der föderalen Kompetenzaufteilung, die in Art. 30 GG vorgesehen ist. Allerdings bestehen insoweit gewisse Kooperationsverpflichtungen zwischen Bund und Ländern. 38. Eine Übertragung von Hoheitsrechten im Sinne von Art. 24 Abs. 1 GG läßt sich im Rahmen des internationalisierten Verwaltungshandelns kaum nachweisen. Art. 24 Abs. 1 GG ist seinem Sinn und Zweck nach als besondere Ausprägung der Lehre vom Gesetzesvorbehalt zu verstehen. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist mithin nur eröffnet, wenn neben einer unmittelbaren Durchgriffs Wirkung eines internationalen Regel werkes im innerstaatlichen Bereich ein Parlamentsgesetz notwendig ist. Dies bemißt sich nach der sogenannten Wesentlichkeitstheorie. 39. Auch bei der näheren Bestimmung der Organkompetenzen in auswärtigen Angelegenheiten ist zu beachten, daß Art. 59 Abs. 2 GG nicht nur im Lichte der „auswärtigen Gewalt" als Regierungsdomäne gesehen werden kann. Vielmehr ist hier ebenso wie insgesamt bei grenzüberschreitendem öffentlichen Handeln darauf abzustellen, ob ein staatliches Verhalten mit Regierungsoder Verwaltungscharakter vorliegt. Das internationalisierte Verwaltungshandeln erfährt dabei insbesondere unter Rationalitätsgesichtspunkten seine verfassungsrechtliche Legitimität. Insofern kommt der Effektivität und Effizienz des Staatshandelns eine besondere Bedeutung als verfassungsrechtlicher Maßstab zu. Das zeigt ein näherer Blick auf die Lehre von der Funktionsgerechtigkeit. Insgesamt erweist sich damit, daß der Verwaltung namentlich in Abgrenzung zur Legislative eine eigenständig legitimierte Rolle in auswärtigen Angelegenheiten zukommt. Dieses Ergebnis wird durch eine nähere dogmatische Betrachtung der sogenannten Wesentlichkeitstheorie bestätigt. Sie ist im Kern als Ausprägung der verfassungsrechtlichen Funktionenlehre zu verstehen. 40. Einen ersten konkreten verfassungsrechtlichen Ausdruck erfährt die Rolle der Verwaltung zwischen Eigenständigkeit und Gesetzesabhängigkeit im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten in Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG. Die in Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG genannten Verwaltungsabkommen sind das herausragende

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Zusammenfassung

Handlungsinstrumentarium der rechtserheblichen, eigenständigen internationalisierten Verwaltung. Damit im Zusammenhang stehend ist die internationalisierte Verordnungsgebung als weitere Ausdrucksform des internationalisierten Verwaltungshandelns zu sehen. Der Verwaltung steht insofern aus Art. 59 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 80 Abs. 1 GG ein eigenständiges bzw. gesetzesdelegiertes Recht zu, völkerrechtliche Verpflichtungen einzugehen und diese innerstaatlich umzusetzen. Einer Konstruktion im Sinne einer antizipierten Zustimmung der Legislative zur Begründung der völkerrechtlichen Rechtswirkung bedarf es nicht. Entscheidend ist nur, daß die in Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei ist allerdings von einer abgeschwächten Wirkkraft des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG in auswärtigen Angelegenheiten auszugehen. 41. Über die kompetenzrechtlichen Aspekte des internationalisierten Verwaltungshandeln hinausgehend zeigt die Analyse des Untersuchungsgegenstandes der Arbeit, daß heute von einer funktionalen Einheit von nationaler und internationaler Rechtsordnung auszugehen ist. Das wird zunächst durch die Relativierung dualistischer und monistischer Theorien belegt, die sich aus der Übernahme des internationalen Rechts in das EG-Recht ergeben. Dies ist gerade für das internationalisierte Verwaltungshandeln von weitreichender Bedeutung. Die funktionale Einheit von nationaler und internationaler Rechtsordnung kommt weiterhin in den verschiedenen Techniken zum Ausdruck, die zur Umsetzung internationaler administrativer Regelwerke in die deutsche Rechtsordnung angewandt werden. Von einer immer gegebenen und zwingend vorgeschriebenen „Transformation" kann dabei keine Rede sein. Vielmehr zeigt die ausführliche Untersuchung der vielschichtigen Einbindung internationaler verwaltungsrechtlicher Regelwerke in die deutsche Rechtsordnung, der zahlreichen Verweisungen im deutschen Verwaltungsrecht auf verbindliche und unverbindliche internationale Regelwerke sowie der Bedeutung unverbindlicher internationaler Empfehlungen für das deutsche Verwaltungshandeln auf, in welchem weiten Ausmaße funktionale Wechselbeziehungen zwischen dem innerstaatlichen Verwaltungsrecht und internationalen Regelwerken bestehen. Dies ist verfassungsrechtlich weitgehend zulässig und bestärkt umfassend die Sicht von der internationalisierten öffentlichen Verwaltung. 42. Schließlich ist zu beachten, daß das internationalisierte Verwaltungshandeln weitreichende Auswirkungen auf die innerstaatliche Verwaltungsorganisation hat. Hier zeigt sich eine verfassungsrechtlich angelegte Pluralität der Verwaltungsorganisation im Bereich des internationalisierten Verwaltungshandelns,

Zusammenfassung

die effektive und effiziente Koordinationsmechanismen erfordert. Die hierzu namentlich von der OECD vorgelegten Strukturüberlegungen haben in der Bundesrepublik hingegen bislang wenig Aufmerksamkeit erfahren, obwohl sich die nationale Organisation des internationalisierten Verwaltungshandelns als wichtiges Element darstellt, um die Legitimität dieses öffentlichen Handelns insgesamt zu sichern.

Anhang

I. Institutionalisierte internationale Zusammenarbeit

685

1

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Wiedergutmachung

Deutsches Vermögen im Ausland

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1. Regelung internationaler Streitigkeiten

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Sicherung des Friedens, Schutz im Kriegsfall, Verteidigung

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6. Hilfsmaßnahmen in Notfällen

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5. Menschenrechte, Datenschutz

Gegenseitige Hilfe (Art. 3 NATOVertrag)

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Kriegsauswirkungen, Kriegsfolgen

Austausch verteidigungswichtiger Informationen, Verschlußsachen

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4. Vorrechte und Immunitäten, Konsularverträge

Verteidigung, Stationierung von Streitkräften

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3. Entspannungspolitik, Freundschaftsverträge

Kriegsverhütung, Schutz im Kriegsfalle

-

2. Regionale Organisationen

Schiedsgerichts- und Vergleichsverträge

(N

1. Weltweite Organisationen und Vereinbarungen

Internationale Zusammenarbeit

2. Äußere Aspekte

|

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1. Innere Aspekte

Deutsche Einheit

Nach der amtlichen Systematik im Fundstellennachweis B des Bundesgesetzblattes, Teil II, ausgewiesene völkerrechtliche Verträge der Bundesrepublik Deutschland - Stand: 31. Dezember 1999

Tabelle AA

II. Daten zur im BGBl, veröffentlichten Vertragspraxis der Bundesrepublik Deutschland 686 Anhang -

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