Kontrolle der Verwaltung im englischen Rechtssystem: Eine Darstellung der gerichtlichen und außergerichtlichen Kontrollen der Verwaltung. Zugleich ein Erklärungsversuch für das Fehlen eines umfassenden Systems des öffentlichen Rechts in England [1 ed.] 9783428436293, 9783428036295

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Kontrolle der Verwaltung im englischen Rechtssystem: Eine Darstellung der gerichtlichen und außergerichtlichen Kontrollen der Verwaltung. Zugleich ein Erklärungsversuch für das Fehlen eines umfassenden Systems des öffentlichen Rechts in England [1 ed.]
 9783428436293, 9783428036295

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Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel

Band 74

Kontrolle der Verwaltung im englischen Rechtssystem Eine Darstellung der gerichtlichen und außergerichtlichen Kontrollen der Verwaltung Zugleich ein Erklärungsversuch für das Fehlen eines umfassenden Systems des öffentlichen Rechts in England

Von

Eibe H. Riedel

Duncker & Humblot · Berlin

Eibe H. Riedel Kontrolle der Verwaltung im englischen Rechtssystem

VERÖFFENTLICHUNGEN DES I N S T I T U T S FÜR I N T E R N A T I O N A L E S A N DER U N I V E R S I T Ä T K I E L

RECHT

Herausgegeben v o n Prof. Dr. W i l h e l m A . K e w e n i g

74

Kontrolle der Verwaltung im englischen Rechtssystem Eine Darstellung der gerichtlichen und außergerichtlichen Kontrollen der Verwaltung, zugleich ein Erklärungsversuch für das Fehlen eines umfassenden Systems des öffentlichen Rechts in England

Von

Dr. Eibe H. Riedel, LL.B. (London)

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

Gedruckt mit Unterstützung des Landes Schleswig-Holstein

Alle Rechte, einschließlich das der Ubersetzung, vorbehalten Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet das Buch oder Teile daraus in irgendeiner Weise zu vervielfältigen © 1976 Duncker & Humblot, Berlin 41 Satz und Druck: Vollbehr u. Strobel, Kiel. Printed in Germany ISBN 3 428 03629 8

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1974 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Christian-Albrechts-Universität Kiel als Dissertation angenommen. Das Manuskript ist Ende 1973 abgeschlossen worden. Literatur, die nach diesem Zeitpunkt erschienen ist, habe i d i im wesentlichen nur nodi in den Anmerkungen berücksichtigen können. Größere Neuentwicklungen im englischen Verwaltungsrecht haben sich seither jedoch nicht ergeben, so daß die pessimistische Prognose des Schlußkapitels weiterhin zutrifft. Die Arbeit geht zurück auf Anregungen in der Vorlesung bei Herrn Professor J. A. G. Griffith an der London School of Economics and Political Science und Gespräche mit Herrn Professor Alec Chloros am King's College, London, denen ich hier meinen Dank ausspreche. Sehr herzlich möchte ich mich ferner bei Herrn Professor Dr. Eberhard Menzel und bei Herrn Professor Dr. Wilhelm Kewenig für die Betreuung der Dissertation sowie für hilfreiche Kritik bedanken. Zugleich danke ich Herrn Professor Dr. Kewenig als Herausgeber und Herrn Ministerialrat a. D. Prof. Dr. Johannes Broermann als Verleger für die Aufnahme in die Reihe: Veröffentlichungen des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel. Schließlich gilt mein Dank auch der Vermittlungsstelle für deutsche Wissenschaftler im Ausland im Deutschen Akademischen Austauschdienst, die mir einen weiteren Jahresaufenthalt in England ermöglichte, und der Universität Kiel für die Vermittlung eines großzügigen Druckkostenbeitrages des Landes SchleswigHolstein. Kiel, im März 1976 Eibe H. Riedel

Inhaltsverzeichnis Einleitung

19 Erster

Teil

Systematischer Überblick der Kontrollmaßnahmen gegen Verwaltungswillkür A. Gerichtliche Kontwllmaßnahmen Arten der gerichtlichen Klagen Kapitel

im „High

Court

of Justice a

— 22

1

I. C e r t i o r a r i u n d P r o h i b i t i o n

24

1. Rechtsnatur des· Certiorari- und Prohibitionsverfahrens a) Begriff und Einordnung in das System der Klageformen

24 . . .

b) Historischer Überblick 2. Zielrichtung von Certiorari und Prohibition a) Versuch der richterlichen Kategorisierung aa) bb) cc) dd)

Adressat Ermächtigungsgrundlage Rechtliches Interesse Die Notwendigkeit der Kennzeichnung der getroffenen Maßnahme als „ judizieren" Akt

b) Fallgruppen, die zum Erlaß von Certiorari- und Prohibitionsbefehlen führen aa) Fehlende Zuständigkeit der Behörde bb) Evidente Formfehler cc) Betrugs- und Kollusionsfälle dd) Verletzung der Prinzipien über die natürliche Gerechtigkeit c) Gründe, die Certiorari und Prohibition ausschließen aa) Verhalten des Antragstellers bb) Wirkungen anderer Rechtsbehelfe cc) Zweckvereitelung

24 26 28 28 28 29 30 33 38 38 39 41 42 42 42 43 43

3. Der Umfang dieser Verfahren

43

a) „Locus standi "-Fragen

43

b) Umfang des gerichtlichen Ermessens

45

4. Gegenwärtige Bedeutung von Certiorari und Prohibition . . . .

45

Inhaltsverzeichnis

8

Kapitel 2 II. Das Mandamus-Verfahren

46

1. Rechtsnatur des „Mandamus"-Verfahrens

46

a) Begriff und Einordnung der Mandamus-Verfahren in das System der Klageformen

46

b) Historischer Überblick

47

2. Zielrichtung der Mandamus-Verfahren a) Fallgruppen, die zum Erlaß von Mandamus führen aa) Weigerung von Tribunalen, im Rahmen ihrer gesetzlichen oder durch ministeriellen Erlaß erteilten Kompetenzen tätig zu werden bb) Weigerung von Kommunalbehörden, vorgelegte Fragen zu entscheiden oder Einsicht in öffentliche Dokumente zu gewähren b) Gründe, die Mandamus ausschließen aa) In der Person des Antragstellers liegende Umstände . . . bb) Verfahren gegen die Krone, bzw. Kronbedienstete . . . . cc) Verfahren gegen staatliche Industrien („Public Corporations") dd) Ausschließliche Zuständigkeit anderer Institutionen . . . 3. Der Umfang der Mandamus-Verfahren

50 50

50 50 52 52 52 54 54 55

a) „Locus standi "-Fragen bei Mandamus

55

b) Umfang des gerichtlichen Ermessens

56

4. Gegenwärtige Bedeutung der Mandamus-Verfahren

57

Kapitel 3 III. Habeas Corpus-Verfahren

58

1. Rechtsnatur des Verfahrens

58

2. Gegenwärtige Bedeutung des Verfahrens

60

Kapitel 4 IV. Injunction 1. Rechtsnatur der Injunction

62 62

a) Begriff und Einordnung der Injunction in das System der Klageformen

62

b) Historischer Überblick

63

Inhaltsverzeichnis 2. Zielrichtung der Injunction

64

a) Die Krone als Partei des Verfahrens

64

b) Körperschaften als Partei des Verfahrens

66

c) Der Schutz öffentlicher und privater Rechte

67

d) Die Legislative als Angriffsziel

67

aa) Parlamentsgesetze bb) Nachgeordnete gesetzliche und Verwaltungsmaßnahmen e) Das Eingreifen in schwebende Verfahren vor Gerichten . . . 3. Umfang der Injunction

67 67 67 68

a) „Locus standi "-Fragen bei Injunctions

68

b) Gerichtliches Ermessen

69

c) Wirkung von Alternativverfahren

71

aa) bb) cc) dd) ee) ff) gg)

Schadensersatzansprüche Strafrechtliche Sanktionen Sondertribunale District Auditor-Verfahren Gesetzliche Spezialzuweisungen Mandamus Declarations

4. Vergleich von Prohibition und Injunction

71 72 72 72 72 72 73 73

Kapitel 5 V. Declaration 1. Rechtsnatur der „Declaration"

74 74

a) Begriff und Einordnung des „Declaration"-Verfahrens in das System der Klageformen

74

b) Historischer Überblick

75

2. Zielrichtung der „Declaration"

78

a) Fehlen einer Klassifikation

78

b) Fallgruppen, die zum Erlaß von „Declarations" führen . . . .

78

aa) Überprüfung von Gesetzen und nachgeordneten legislatorischen Maßnahmen bb) Überprüfung von Tribunalentscheidungen cc) Uberprüfung der Rechte von Amtsträgern dd) Überprüfung von Lizenzen und Genehmigungen ee) Feststellung der Zuständigkeitsgrenzen auf eigenen Antrag der Verwaltung ff) Feststellung der Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden untereinander

78 79 79 80 80 80

10

Inhaltsverzeichnis gg) Feststellung der Existenz oder des Umfangs einer Verpflichtung der Verwaltung hh) Überprüfung von Statusfragen c) Gründe, die Declarations ausschließen

81 81 81

aa) Vom Kläger behauptetes, nicht existierendes Recht . . . bb) Fehlende Jurisdiktion cc) Unzulässige Einmischung in parlamentarische Angelegenheiten dd) Ausschließliche Zuständigkeit anderer Institutionen . . . ee) Abstrakte Rechtsprobleme 3. Der Umfang der Declaration

81 82 82 82 82 82

a) „Locus Standi"-Fragen bei Declarations

82

b) Ermessen des Gerichts

83

c) Wirkung von Alternativverfahren

83

4. Vergleich von Declaration- und Certiorari-Verfahren

84

a) Vorteile von Certiorari

85

b) Vorteile von Declaration

85

c) Ausblick auf künftige Entwicklung

85

Kapitel 6 VI. Andere Verfahren gegen die Verwaltung

86

1. Schadensersatzklagen wegen unerlaubter Handlungen aus Verletzung gesetzlicher Verpflichtungen

86

2. Strafrechtliche Sanktionen

88

3. Besondere gesetzlich vorgesehene Streitschlichtungsverfahren

. .

B. Inhalt der gerichtlichen Kontrollmaßnahmen

88

88

Kapitel 7 I. Die „Ultra Vires"-Doktrin

88

1. Begriff und Entstehung der Doktrin

89

2. Kategorien der „ultra vires"-Lehre

91

a) „Procedural ultra vires" (Verfahrensmängel) b) „Substantive ultra vires" (materiellrechtliches Fehlverhalten) aa) „Doing the wrong thing" — Subsumtionsfehler

92 94 94

Inhaltsverzeichnis bb) „Improper Purposes" — rechtswidrige Zwecke cc) „Bad faith" — Bösgläubigkeit dd) „Irrelevant considerations and Policy Limitations" — unsachliche Erwägungen und Zweckbindung des Ermessens ee) „Fettering discretion" — rechtswidrige Selbstbindung . . ff) „Unreasonableness" — Unbilligkeit 3. Die Bedeutung dieser Doktrin

96 98 99 101 102 105

Kapitel 8 II. Das Prinzip der natürlichen Gerechtigkeit — „Natural Justice"

106

1. Begriff und geschichtlicher Überblick

106

2. Kategorien der natürlichen Gerechtigkeit

107

a) Die „audi alteram partem"-Regel

108

b) Das Gebot der „Fairness"

114

c) Das Recht auf rechtliche Stellvertretung und Beratung . . . .

114

d) Die Regel „nemo iudex in causa sua debet esse"

116

e) Die „bonafides "-Regel

117

3. Die Bedeutung dieser Prinzipien für das Verwaltungsrecht

. . .

III. Ergebnis

C. Außergerichtliche

118

119

Kontrollmaßnahmen

120

Kapitel 9 I. Tribunals und Anhörverfahren

120

1. Einleitung

120

2. Begriff und Einordnung der Tribunals in das System des Rechtsschutzes

122

a) Arten der Tribunals

124

b) Funktion der Tribunals

125

c) Aufbau der Tribunals

126

d) Ernennung der Tribunalmitglieder

127

e) Handlungsspielraum der Tribunals

128

12

Inhaltsverzeichnis f) Verfahrensablauf, einschließlich rechtlicher Stellvertretung . .

129

g) Rechtskontrolle durch Gerichte

132

h) Ergebnis

133

3. Anhörverfahren

135

a) Verfahrensablauf

136

b) Rechtsnatur der Anhörverfahren

138

c) Ergebnis

141

II. Die Funktion des Tribunalrates in diesem System

143

III. Besondere Gerichte

147

1. Restrictive Trade Practices Court

148

2. Industrial Relations Court

151

Kapitel 10 IV. Parlamentarische Kontrollmaßnahmen

153

1. Briefe an Unterhausabgeordnete

154

2. Fragestunde im Parlament

155

3. Vertagungsdebatte („Adjournment Debate")

156

4. Andere parlamentarische Maßnahmen

157

5. Bedeutung dieser Kontrollmaßnahmen für den einzelnen Bürger

158

6. Der Parlamentsbeauftragte Administration")

160

(„Parliamentary

Commissioner

for

a) Entstehungsgründe dieser Institution

160

b) Die Rolle des Parlamentsbeauftragten im Verfassungssystem

163

c) Die Wirkungsweise des Parlamentsbeauftragten

165

d) Die Funktion des Unterhausausschusses über den Parlamentsbeauftragten

166

e) Kritik an dieser Institution

170

f) Ergebnis

172

Inhaltsverzeichnis Zweiter

13

Teil

Das Fehlen eines umfassenden Systems des öffentlichen Redits in England A. Politisch-historische

Faktoren

174

Kapitel 11 I. Der anfänglich öffentlich-rechtliche Rechts

Charakter des gesamten

II. öffentliches Recht in königlichen Institutionen

174 177

1. Die „curia regis"

178

2. Die „itinerant justices"

179

3. Die drei Gerichte „Exchequer", „Common Pleas" und „King's Bench"

179

4. Der „King's Council"

181

5. Verwaltungskontrolle in diesen Institutionen

186

Kapitel 12 III. Die Bedeutung des „Star Chambers"

188

1. Das Gesetz „pro camera stellata"

188

2. Das „Court of Star Chamber"

191

3. Der Niedergang des „Star Chambers"

192

Kapitel 13 IV. Die Wirkung der Wirren des 17. Jahrhunderts

195

1. Problemstellung

195

2. Der Antagonismus des Common Law und der Prärogativgerichte

196

3. Das Bündnis der Legislative mit den Common Law-Richtern gegen den König und Royalisten

202

4. Die Bedeutung des Sieges der Parlamentarier und des Common Law

204

Inhaltsverzeichnis

14

Kapitel

14

V . D i e Friedensrichter als T r ä g e r v e r w a l t u n g s g e r i c h t l i c h e r F u n k tionen

206

1. Die Wirkung der Dezentralisierung der Verwaltungsaufgaben am Ende des 17. Jahrhunderts

206

2. Die Entstehung des Amtes der Friedensrichter

207

3. Der Machtzenit und Niedergang der Friedensrichter

215

4. Die Auswirkungen der Reformgesetze von 1832—35

221

5. Die Bedeutung der Re-Zentralisierung für die Kontrolle der Verwaltung

223

Dogmatisch-juristische

225

Β.

Apologien

Kapitel

15

I. E i n l e i t u n g : D e r Einfluß der V e r f a s s u n g s d o k t r i n auf die Entw i c k l u n g des V e r w a l t u n g s r e c h t s I I . D i c e y s Rule of L a w

225 231

1. Der Inhalt des Konzeptes der „Herrschaft des Rechts"

231

2. Der Ursprung und Einfluß dieser Lehre in Theorie und Praxis . .

232

3. Kritik der „Rule of Law"

234

a) Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit von Regierungs- und Verwaltungshandeln (Willkürverbot) aa) Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns bb) Der Ausschluß von Willkür cc) Rechtskontrolle durch ordentliche Gerichte b) Die Verfassung als Konsequenz der Individualrechte

235 235 237 239

. . . .

242

c) Das Prinzip „Gleiches Recht für alle" und seine Bedeutung für das Verwaltungsrecht

242

aa) Kritik der Formel „Gleiches Recht für alle vor den ordentlichen Gerichten" bb) Negierung der Existenz des Verwaltungsrechtes durch Dicey

242 246

4. Ergebnis: Die Entbehrlichkeit der Doktrin Diceys

248

Inhaltsverzeichnis

15

Kapitel 16 III. Die Doktrinen der Suprematie des Parlamentes und der Ministerverantwortlichkeit

252

C. Reformbestrebungen

262 Kapitel 17

I. Kritik am bestehenden System nach dem 1. Weltkrieg . . . . II. Reformansätze nach 1945 III. Die Zukunft des englischen Verwaltungsrechts 1. Der Reformvorschlag der Law Commission

262 267 269 269

a) Die Rolle der Law Commission für Rechtsreformen

269

b) Die „Application for Review" (Überprüfungsantrag)

273

c) Ein Alternatiworschlag

274

d) Kritik

274

2. Verwaltungsgerichtsmodelle

276

3. Die Bedeutung des EWG-Beitritts Großbritanniens

277

Zusammenfassung und Ergebnisse

278

Schrifttumsverzeichnis

288

Personenregister

298

Sachregister

303

Abkürzungsverzeichnis a. a. ο . a. Α. Abs. Am. J. Legal History Art. A.-G. Aufl.

am angegebenen Ort anderer Ansicht Absatz American Journal of Legal History Artikel Attorney-General Auflage

Bd Bzw. BGBl. I

Band beziehungsweise Bundesgesetzblatt, Band I

C. L. J. Can. Bar Rev. c. Col. L. R. Cmd. Cmnd. (ab 1945) C. L. P.

Cambridge Law Journal Canadian Bar Review chapter (Nr. der Gesetzesrolle) Columbia Law Review Command Paper Command Paper Current Legal Problems

ders. Dise.

derselbe Dissertation

ebda. E. H. R. Ex.

ebenda English Historical Review Exchequer

f (ff) Fn.

folgende Seite (η) Fußnote

G. M. C.

General Medical Council

H. L. E. HLR H. C. Deb., Vol. H. L. H. L. Deb.

Halsbury, Earl of, und andere: The Laws of England, 3. Aufl., 1952 ff, 43 Bde nebst Ergänzungen Harvard Law Review House of Commons Debates, Bd House of Lords House of Lords Debates

ins.

insbesondere

Ir. R. — J. P. — Κ. Β.

Irish Reports Justice of the Peace, ab 1837 King's Bench Division

— L. J. Κ. B.

Law Journal Reports, neue Serie, King's Bench

J. Business Law J. S. P. T. L. J. C. P. C. J.

Journal of Business Law Journal of the Society of Public Teachers of Law Judicial Committee of the Privy Council Justice

AbkÜTZungsverzeidinis

17

Kap.

Kapitel

LQR

Law Quarterly Review

Law Reports— A. C. — AUER — B. & Aid. — Burr. — Ch. — Co. Rep. — C. B. (N. S.) — C. P. — Cox Crim. Cas. — De G. & S. — D. L. R. — Dyer — I. C. R.

Fallsammlungen Appeal Cases All· England Reports Barnewell & Alderson's Reports, King's Bendi, 1830—34 Burrow's Reports, King's Bench, 1756—72 Chancery Division Coke's Reports, English King's Bench Common Bench Reports, Neue Serie, 1856—65 Common Pleas Cox Criminal Law Cases De Gex and Smale's Reports, Chancery, 1846—52 Dominion Law Reports Dyer's Reports, King's Bench, 1513—81 Reports of the Industrial Relations Court

L. J. — L. T. R. — Mod. Rep. — M. & W . — Q. B. (D.) — WLR — Y. & C. Ex. L. R. Ltd. L. B. C. L. C. C. L. C. L. C. J. , L. J.

Law Journal Times Law Reports Modern Reports, 1669—1755 Meeson & Welsby's Reports, Exchequer, 1836—47 Queen's Bench Division Weekly Law Reports Younge & Collyer's Reports, 1846—52 Law Review Limited Liability Local Borough Council London County Council Lord Chancellor Lord Chief Justice Lord Justice

M. R. m. E. MHLG m. w. H. MLR

Master of the Rolls meines Erachtens Minister of Housing and Local Government mit weiteren Hinweisen Modern Law Review

N. S. Nr.

Neue Serie Nummer

PCA P. L.

Parliamentary Commissioner for Administration Public Law

RabelZ Rév. Int. Dr. Comp. R R. D. C.

Rabels Zeitschrift Révue Internationale de Droit Comparé Rex (Regina) Rural District Council

S. sect. s. a. s. o. St. Tr.

Seite section siehe auch siehe oben State Trials

Transactions R. H. S.

Transactions of the Royal Historical Society

2 Riedel

18

Abküizungsveizeidinis

Ubers, d. Verf. u. (&) u. a. u. s. w. U. D. C.

Übersetzung des Verfassers und unter anderem und so weiter Urban District Council

vgl. Verf. ν VerwA VwGO V. c.

vergleiche Verfasser versus Verwaltungs Archiv Verwaltungsgerichtsordnung Vice-Chancellor

WLR

Weekly Law Reports

ZRP ζ. B.

Zeitschrift für Rechtspolitik zum Beispiel

Einleitung Bei der Erörterung von Rechtsreformen wie auch allgemein in der polischen Diskussion des Tagesgeschehens wird oft auf England und seine demokratische Tradition verwiesen, und in diesem Zusammenhang wird dann auch meistens das englische Rechtssystem gelobt und die „case law "-Methode heimlich bewundert und mit den kontinentaleuropäischen Verhältnissen verglichen. Vor dem Hintergrund der Greuel des Nationalsozialismus hat vor allem Gustav Radbruchs „Geist des englischen Rechts" 1 nach dem 2. Weltkrieg diese Einstellung bestärkt. Auffällig ist dabei, daß nähere Informationen hierzu im deutschen Schrifttum nur über das Verfassungsrecht, die Gerichtsverfassung und Teilgebiete des englischen Privatrechts vorliegen. Eine systematische Darstellung des englischen Verwaltungsrechts und des Schutzsystems gegen Verwaltungswillkür fehlt bislang völlig. Um zu erfahren, wie demokratisch ein Staatswesen ist, genügt es meist, einige wenige Nahtstellen der Staatsorganisation näher zu beleuchten, insbesondere, das Verhältnis des einzelnen Bürgers zur Exekutive (Administrative) zu untersuchen. Ziel dieser Arbeit ist es, festzustellen, ob das englische Rechtssystem auch im Verwaltungsrecht das Lob rechtfertigt, demokratisch, erstrebenswert und für andere Länder richtungsweisend zu sein. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Dieses Lob scheint nicht uneingeschränkt gerechtfertigt. Eine umfassende Darstellung des englischen Verwaltungsrechts ist im Rahmen einer Monographie nicht möglich. Trotzdem soll anhand der Institutionen, der einzelnen gerichtlichen und außergerichtlichen Kontrollmechanismen dargestellt werden, daß in diesem speziellen Bereich in England Reformen überfällig sind. Im darstellenden ersten Teil der Arbeit werden zunächst die vorhandenen gerichtlichen Kontrollmaßnahmen für Verwaltungshandeln aufgezeigt. Sie sind in der Literatur wohl wegen ihrer Verworrenheit stiefmütterlich behandelt worden. Dennoch haben die ordentlichen Gerichte einige wenige, formale Prinzipien entwickelt, die eine gesonderte Betrachtung des Verwaltungsrechtes in England überhaupt erst rechtfertigen: Hierbei werden exemplarisch die „ultra vires "-Doktrin und das Prinzip der „Natural Justice" anhand der Kasuistik dargestellt. 1



5. Aufl., Göttingen, 1965.

20

Einleitung

Sodann w i r d der eigentümlich englische Lösungsversuch des Problems der Streitfälle zwischen Staat und Individuum im Wege von „Tribunals" und „Inquiries" sowie zwei in der Literatur umstrittenen Spezialgerichten dargestellt. Es folgt ein lediglich kurzer Überblick über die parlamentarischen Kontrollmaßnahmen, die von anderen bereits abgehandelt worden sind, einschließlich der neugeschaffenen Institutionen des „Ombudsman" („Parliamentary Commissioner for Administration"). Der zweite Teil der Arbeit ist ein Erklärungsversuch für das Fehlen eines umfassenden Systems des öffentlichen Rechts und, damit verbunden, des Fehlens einer separaten Verwaltungsgerichtsbarkeit. Es wäre möglich und an sich auch üblich gewesen, diese Tatsache i n einem einleitenden Kapitel historisch zu beleuchten. Hiervon wurde jedoch aus folgendem Grunde abgesehen: Ziel dieser Arbeit ist nicht nur eine reine Darstellung des englischen Verwaltungsrechtsschutzes, sondern zugleich auch, Gründe für das Fehlen eines umfassenden Schutzsystems im Verwaltungsrecht herauszuarbeiten. Die dabei gewählte Methode der Auswahl und Akzentuierung einiger weniger historisch-politischer Faktoren und deren Verknüpfung mit überlebten verfassungsdogmatischen Gesichtspunkten als Ursachen für die Verkümmerung und spätere lückenhafte und unsystematische Auswucherung des englischen Verwaltungsrechtsschutzes ist neben der systematischen Darstellung bestehender Kontrollmethoden das eigentliche Anliegen dieser Arbeit. Da eine solche Untersuchung bislang weder in England noch in Deutschland unternommen worden ist, erschien es gerechtfertigt, vom traditionellen Aufbau abzuweichen. Eine Umkehrung der Gewichte, durch skizzenhafte Darstellung der bestehenden Kontrollen, erschien ebenfalls nicht geboten, weil gerade in diesem Bereich in der deutschen Literatur ein systematischer Uberblick noch fehlt. Vor dem Hintergrunde bestehender Schutzmechanismen in all ihrer lückenhaften Vielfalt und Unübersichtlichkeit und der historisch- politischen und dogmatischen Gründe für diesen Rechtszustand werden im Schlußkapitel dann die vielen Reformbestrebungen bis 1973 dargelegt und ein Ausblick auf die künftige Entwicklung gewagt. Angesichts des Umfangs der darzustellenden Materie wurde von einer Gegenüberstellung mit dem deutschen Verwaltungsrecht abgesehen. Ein solches Unterfangen wäre angesichts des grundverschiedenen Verwaltungsrechtes beider Länder auch wenig sinnvoll gewesen, wie Riegelt in seiner Einführung zur Darstellung des amerikanischen Verwaltungsrechtes überzeugend darlegt 2 . Auch ist der Zweck der Rechtsvergleichung, Anregungen für eine Rezeption aus dem anderen Rechtssystem zu gewinnen, beim englischen und deutschen Verwaltungsrecht wenig ertragreich: Das 2

Riegert, Einleitung, S. 17.

Einleitung

englische Verwaltungsrecht hinkt hinter den deutschen und französischen Versionen um Jahrzehnte zurück und ist erheblich „rezeptionsbedürf tiger". Allenfalls einzelne Facetten des Verwaltungsrechtsschutzes, wie Tribunalverfahren oder die Erfahrungen mit den gerichtsähnlichen verwaltungsinternen Anhörverfahren, wären einer solchen Untersuchungsmethode zugänglich. Doch trotz der Beschränkung auf eine Darstellung des ausländischen Rechts wird durch die Systematisierung und Art der Darstellung letzten Endes doch rechtsvergleichend vorgegangen. Schließlich soll noch eine Prämisse erwähnt werden, die allen Ausführungen zugrunde liegt: Selbst in einer Gesellschaft, in der alle Gesetze einen optimalen Rechtsschutz normieren würden, bedürfte es einer Kontrolle durch unabhängige Gremien, um fehlerhafte Gesetzesanwendungen durch die Verwaltung bereinigen zu lassen, die selbst bei wohlwollendster Einstellung der Beamtenschaft zuweilen unvermeidlich sind. Teilte man diese Ansicht nicht, wäre das englische Verwaltungsrecht in seiner bestehenden Form mehr als ausreichend. Diese Prämisse bedingt die kritische Grundeinstellung gegenüber den gegenwärtigen englischen Verhältnissen.

ERSTER

TEIL

Systematischer Uberblick der Kontrollmaßnahmen gegen Verwaltungswillkür A. Gerichtliche Kontrollmaßnahmen im „High Court of Justice" — Arten der gerichtlichen Klagen Kapitel 1 Im englischen Recht fehlen sowohl Generalklauseln für die Uberprüfbarkeit von Verwaltungshandeln als auch besondere Verwaltungsgerichte kontinentaleuropäischer Prägung. Regelungen dieser Fragen finden sich daher, wenn überhaupt, ausschließlich im zivilrechtlichen Bereich. Dabei ist festzuhalten, daß die Bezeichnung „Zivilrecht", „Zivilgericht" oder „ordentliches Gericht" rein kontinentaleuropäisch ist und über die englische Klassifikation nichts aussagen kann, denn das englische Recht kennt eine Trennung öffentlich-rechtlicher von privatrechtlichen Streitigkeiten nicht. Dennoch w i r d im folgenden die deutsche Klassifikation zugrundegelegt, weil die Mehrzahl der Fälle im prozessualen als auch im materiellen Recht unserem Zivilrecht am ehesten zugerechnet werden können. Im folgenden sollen zunächst die „prerogative orders", die Prärogativverfahren der Krone, untersucht werden, mit deren Hilfe ein Teil der verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten vor Zivilgerichten gelöst werden. Die „prerogative orders", bis vor kurzem „prerogative writs" genannt 1 , sind klageartenähnliche Gerichtsverfahren 2 oder -befehle, die ursprünglich von einem der königlichen Gerichte, dem „Court of King's Bench", im dreizehnten Jahrhundert entwickelt wurden 3 und bei denen für einzelne materielle Ansprüche zugleich ein bestimmtes Verfahren ausschließlich feststand. Die englischen Klageformen, die dem römisch1 Ohne inhaltliche Änderungen, vgl. de Smith, Judicial Review of Administrative Action, S. 367. 2 Loewenstein2, S. 124 verwendet den Begriff: „Gerichtsbefehl 1'. Κ. A. Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 183 ff: Prärogativbefehl. 8 Vgl. Awdley ν Joy, 1226, Poph. 170; s. a. de Smith, S. 371; Jenks, 1902, 18 LQR 64—77; Macdermott, Protection from Power, S. 85 ff.

Certiorari

und Prohibition

23

rechtlichen Formularsystem ähneln, sind über Jahrhunderte hinweg langsam und meist schwerfällig entwickelt worden. Sie zeichneten sich besonders dadurch aus, daß sie, wenn sie erst einmal entstanden waren, stets in sehr engen Grenzen angewendet wurden. Einer relativ schöpferischen Phase bis zum 14. Jahrhundert, während der fast alle Klageformen entwickelt wurden, folgten fünf Jahrhunderte, in denen die Klageformen fast unverändert blieben und mit den sich ständig wandelnden sozialen Verhältnissen nicht Schritt hielten und deshalb schließlich fossilierten. Sie wurden mit der großen Rechts- und Justizreform von 1873—75 schließlich vereinheitlicht und weitgehend abgeschafft. Dennoch gilt heute noch, was Maitland vor 70 Jahren sagte: „The forms of action we have buried, but they still rule us from their graves": „ W i r haben die vielfältigen Klageformen begraben, aber sie regieren uns noch aus ihren Gräbern" 4 . Sie führen ein verdecktes Dasein im zivilrechtlichen Verfahren, sprießen umso offener dagegen in öffentlich-rechtlichen Verfahren. So ist es nach wie vor wichtig, zwei Grundformen von „writs" oder Klagearten zu unterscheiden: die sogenannten „writs of course" — oder wie Bracton sie nannte „brevia de cursu" 5 — die allgemein jedem Bürger ohne weiteres zur Verfügung standen und andererseits die „writs of grace", „prerogative writs" oder „brevia ex gratia", die dem einzelnen nicht ohne weiteres zu Gebote standen, sondern als Prärogativrecht des Königs entweder allein der Krone bei der Verfolgung ihrer Rechtsansprüche zustanden oder zumindest der Zustimmung der Krone bedurften, ehe der einzelne Bürger diese Klageform für sich in Anspruch nehmen konnte. Und da als Charakteristikum des englischen Rechts statt des „da mihi factum, dabo tibi ius" oder des „ubi ius ibi remedium" die formell-rechtliche Umkehrung „ubi remedium ibi ius" gilt, daß nur dort der Kläger sein Recht findet, wo eine Klageart besteht, w i r d deutlich, wie wichtig die genaue Bestimmung der Klageart war und auch heute noch ist®. V o n den verschiedenen königlichen Gerichten, die seit den Zeiten Wilhelm des Eroberers als Zentralgerichte über den weiterbestehenden lokalen saxonischen Gerichten entstanden waren, hatte das „Court of King's Bench" als „des Königs höchst eigene Richterbank", welches neben dem „Court of Common Pleas", dem „Court of Exchequer" und dem „Court of Chancery" bestand, einen relativ großen Handlungsspielraum und konnte am ehesten neue Klagearten entwickeln. In diesem Gericht entstanden die sogenannten „prerogative writs". Es wird noch zu prüfen 4

Maitland, The Forms of Action at Common Law, S. 1. Bracton, De legisbus et consuetudinibus Angliae, folio 413 b. 6 Vgl. hierzu Maitland, Forms of Action, S. 1 ff ; Plucknett, History S. 353 ff; Ziegenbein, S. 88 ff. 5

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sein, ob dieses Gericht nicht ursprünglich Funktionen wahrnahm, die man bei einem Verwaltungsgericht gewöhnlich antrifft 7 . In der Literatur ist umstritten, ob die Richter des „Court of King's Bench", das bis zum Gerichtsreformgesetz im Jahre 1873 bestand 8 , die „prerogative writs" anfänglich lediglich zugunsten der Krone anwendeten und zugunsten des einzelnen Bürgers erst viel später tätig wurden, oder ob von Anfang an die Prärogativbefehle auch für Individuen zu haben waren 9 . Fest steht allerdings, daß im 17. Jahrhundert diese „writs" auf jeden Fall vornehmlich dadurch bekannt wurden, daß die Rechte der Krone hiermit durchgesetzt wurden. Ganz sicher hat das „Court of King's Bench" im Interesse der Wahrung des Rechtsfriedens zu irgend einem Zeitpunkt begonnen, auch einzelnen Bürgern Prärogativbefehle zugute kommen zu lassen. V o n den heute noch bedeutsamen Prärogativbefehlen sind im folgenden lediglich „certiorari", „prohibition", „mandamus" und am Rande auch „habeas corpus ad subjiciendum" von Interesse.

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1. Rechtsnatur des Certiorari- und Prohibitionsverfahrens a) Begriff und Einordnung in das System der Klageformen M i t dem „certiorari "-Verfahren werden Fälle von unteren gerichtlichen Instanzen, untergeordneten Behörden oder von Körperschaften in das „High Court" zitiert, um dort auf Rechtmäßigkeit der jeweiligen Entscheidung überprüft zu werden. Fällt die Überprüfung negativ aus, wird die Entscheidung des Untergerichts oder der Verwaltungsbehörde für nichtig erklärt. Dem liegt konstruktiv der Gedanke zugrunde, daß alle niedrigeren Instanzen und Behörden nur einen begrenzten Zuständigkeitsbereich haben, innerhalb dessen sie sich bewegen können und dürfen. Das sieht in der Praxis dann so aus: Gewöhnlich möchte ein Bürger die Krone zum Handeln veranlassen. Der Antragsteller erbittet deshalb „ex parte", d.h. im Namen der Krone, daß das „Divisional Court of Queen's Bench", eine Abteilung des „High Court", im folgenden QBD genannt, die „Order" erläßt. Die Krone ist nominell Klägerin, die für den Betroffenen handelt. Z.B. beantragt Smith, eine Entscheidung eines „Rent Tribunals", einer 7

Vgl. den 2. Teil der Arbeit, Kapitel 11. Supreme Court of Judicature Act, 1873, 36 & 37 Vict., c. 66. 9 Loewenstein2, S. 107, ist für erstere, de Smith, S. 367 ff, für letztere Ansicht. De Smith geht davon aus, daß allein der Krone zustehende writs nur solche waren, die inzwischen obsolet sind. 8

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Mietpreisfestsetzungsbehörde, aufzuheben. Formell heißt es dann etwa: R. (egina) v. The Marylebone Rent Tribunal, ex parte Smith. Das Tribunal muß dann die QBD überzeugen, daß seine Entscheidung über die Miethöhe rechtmäßig war. Prozeßrechtlich sind drei Stufen zu erklimmen, ehe ein „ certiorari "Befehl ergeht: 1. Zunächst erfolgt der „ex parte "-Antrag „for leave to apply for the order", wörtlich ein „Antrag auf Antragsgenehmigung". Für diese Vorprüfung muß der Antragsteller unter Angabe von Beweismitteln seinen Antrag begründen. Dieser wird im Rahmen der Vorprüfung von der QBD gehört, während der langen Gerichtsferien von einem Einzelrichter — „judge in chambers". Wenn der. Einzelrichter abgelehnt hat, den Antrag auf Antragsgenehmigung zuzulassen, kann sofortige Beschwerde an eine Beschlußkammer der QBD eingereicht werden, mit weiterer Beschwerde an das „Court of Appeal", das Revisionsgericht. Das Court of Appeal kann dann auch über den ganzen materiellen Antrag entscheiden. 2. Die eigentliche Entscheidung über den Antrag und die vorgebrachten Tatsachen und Beweise ergeht im Rahmen der Hauptprüfung im Wege eines Urteils. 3. Wenn dem Antrag auf Erlaß eines Prärogativbefehls stattgegeben wurde, bedeutet dies, daß nunmehr die angefochtene Streitsache der QBD zuzuweisen ist, damit dieses Gericht die rechtswidrige Entscheidung des Untergerichts, bzw. der Verwaltungsbehörde, aufhebt, Gegen die Entscheidung des High Courts steht die Revision zum Court of Appeal offen und bei Bejahung des „besonderen öffentlichen Interesses an der Lösung einer wichtigen Rechtsfrage" die weitere Revision zum Rechtsausschuß des „House of Lords". Eine weitere Klageart ist die „prerogative order of prohibition". M i t dem Prohibitionsbefehl verbietet das Obergericht einem Untergericht oder einer Verwaltungsbehörde, eine angemaßte rechtswidrige Zuständigkeit weiter auszuüben, oder aber geplante Überschreitungen der Zuständigkeit vorzunehmen; so z.B. die Situation, daß die untere Behörde einen Fall behandelt, für den sie weder zuständig ist noch eine Ermächtigungsgrundlage besitzt. Bei certiorari nimmt das Obergericht den Fall selber auf, bei prohibition ordnet es an, wie das Untergericht zu verfahren hat. Der Hauptunterschied zwischen diesen Klagearten liegt darin, daß bei certiorari eine Rechtsverletzung bereits vorliegen muß, hingegen bei prohibition eine zukünftige, drohende Rechtsverletzung zum Einschreiten des Gerichts ausreicht. Wollte man entsprechend den deutschen Klagearten unterscheiden, so wäre certiorari der Anfechtungsklage gleichzustellen, während prohibition eine vorbeugende Unterlassungsklage darstellen würde. Doch ist

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eine solche Klassifizierung nur bedingt sinnvoll: Denn anders als i n Deutschland w i r d mit den Prärogativbefehlen nicht nur das Verwaltungshandeln im engeren Sinn, sondern auch die gesamte Tätigkeit der Justiz überprüft, soweit sie instanzenmäßig unterhalb des High Court liegt. Loewenstein 10 sieht hierin fast verfassungsgerichtliche Kompetenzen des High Court, was im Hinblick auf die Tendenz der englischen Richter aber wohl zu weit geht: diese versuchen i n Streitfällen, i n denen der Exekutive gravierende Fehler nachgewiesen werden sollen, häufiger, der Exekutive" das Fell zu waschen, ohne es naßzumachen" 11 , wie ein amerikanischer Jurist einmal treffend bemerkte. Die Kontrolle w i r d eigentlich erst richtig umfassend, je untergeordneter die infragekommende Behörde ist. In der Praxis sind die Unterschiede von certiorari und prohibition sehr gering und werden daher nicht säuberlich voneinander getrennt. Oftmals werden certiorari und prohibition sogar gleichzeitig, wahlweise, vorgebracht. Für den Antragsteller ist es ohnehin gleichgültig, ob eine rechtswidrige Maßnahme von einem Obergericht aufgehoben wird, oder ob die Entscheidungsbehörde angewiesen wird, selber den rechtswidrigen Zustand zu beenden. Entscheidend ist für ihn meistens nur, daß die rechtswidrige Maßnahme beseitigt wird. Generell ist jedoch festzuhalten, daß im Normalfall eine „Anfechtungsklage" mit dem certiorari-Befehl weitreichender ist, da bei prohibition einerseits vorwiegend zukünftige, noch nicht eingetretene Rechtsverletzungen verhindert werden sollen und zum anderen bei bereits eingetretener Rechtsverletzung lediglich die künftige Unterlassung weiterer Verletzungen bewirkt werden soll. I n einem einzigen Punkt ist — als historische Anomalie — prohibition weitreichender als certiorari: M i t dem Prohibitionsbefehl können Verfahren vor Kirchengerichten (ecclesiastical courts) durch das High Court unterbunden werden. Dies geht nicht mit certiorari 12 . Abgesehen von diesen prozeduralen Unterschieden gelten für beide Klagearten dieselben Grundsätze, so daß im folgenden lediglich certiorari als weitreichenderes Mittel dargestellt werden kann und nur bei abweichender Regelung prohibition gesondert erwähnt werden muß. b) Historischer Uberblick Certiorari und Prohibitionsverfahren entstanden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in ihrer Bedeutung als Verwaltungskontrollmaß10 Loewenstein2, S. 120; institutionalisierte Verfassungsgerichte haben bedeutend mehr Macht. 11 Vgl. Willis, 1939, 39 HLR, 251 ff, 280. 12 Vgl. R. ν Chancellor of St. Edmundsbury and Ipswich Diocese, ex parte White, 1948, 1 KB 195.

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nahmen 13 . Zu dieser Zeit unterlag die Kommunalverwaltung fast überhaupt keiner zentralen Kontrolle. Lediglich das King's Bench-Gericht nahm für sich in Anspruch, die richterlichen Funktionen der Friedensrichter zu überwachen und bei Verstößen gegen Parlamentsgesetze jene Fälle an sich zu ziehen 14 . Dabei mußte das Obergericht von Anfang an unterscheiden, ob es sich bei Handlungen der Friedensrichter um deren richterliche oder reine Verwaltungsaufgaben handelte. Nur im ersteren Falle konnte das King's Bench-Gericht im Wege der Prärogativverfahren gegen die Friedensrichter vorgehen. War eine rechtswidrige Entscheidung erfolgt, so erging ein certiorari-Befehl, der die Entscheidung aufhob und den Fall zur erneuten Verhandlung vor das King's Bench-Gericht brachte. Stand die Entscheidung noch aus, war aber zu befürchten, daß eine rechtswidrige Entscheidung ergehen würde, erließ das King's Bench-Gericht einen Prohibitionsbefehl, der dem Friedensrichter oder anderen Untergerichten (einschließlich den Kirchengerichten) ausdrücklich verbat, die geplante rechtswidrige Entscheidung zu fällen. In der Zeit von den Reformgesetzen von 1832—34 bis zum Locai Government Act, 1888 setzte jedoch eine neue Entwicklung ein: Viele der vormals von Friedensrichtern wahrgenommenen Aufgaben der Verwaltung gingen jetzt auf neugeschaffene Behörden der Zentralverwaltung über, auf Armenrechtskommissare, Rechnungsprüfer („Auditors") und andere. Teilweise sahen die konstituierenden Gesetze eine gerichtliche Uberprüfung der von diesen Behörden getroffenen Maßnahmen im Wege von certiorari und prohibition ausdrücklich vor 1 5 . W o dies nicht geschah, dehnten die Gerichte von sich aus ihre Zuständigkeit auf diese neuen Behörden aus 16 , mit der Begründung, daß nach Common Law solche Ent13 Als Begriff ist das Wort „certiorari 1' nicht klassischen Ursprungs, vgl. de Smith, S. 372, Fn. 39 mit Hinweis auf Du Cange, Glossarium Mediae et Infirmae Latinitatis, Bd 2; Das erste Beispiel, in dem dieser Begriff schriftlich als terminus technicus erwähnt wird, ist in einem Brief enthalten, den Henry I I I an den Bürgermeister von Bordeaux im Jahre 1252 schickte, in dem er seiner Bereitschaft Ausdruck verlieh, über die Sorgen und Nöte seiner Untertanen in dieser Stadt unterrichtet zu werden, siehe Close Rolls, 36 Hen. 3, m 27 d; das Wort „certificari" war in jener Zeit gebräuchlicher als „certiorari". Um 1260 gab es bereits viele „certificaris", vgl. Calendar of Inquisitions, Bd 1, S. 130 f; Heinrich I I hatte Certiorari-Befehle verwendet, um über seine Sheriffs von den Städten je einen Soldaten für seine Armee zu erhalten. Certiorari war mithin noch ein rein administratives Mittel der Krone. Schon bald wurde es jedoch dazu verwendet, um Fälle von niedrigeren Gerichten in das High Court zu bringen. Es zeigt sich hierin die Genialität der Richterschaft, ein ausschließliches Mittel der Regierung langsam auch den Untertanen zugänglich zu machen. 14 Vgl. zum folgenden de Smith, S. 386 ff. 15 Vgl. Poor Law Amendment Act, 1834, sect. 105 f; Municipal Corporations (General) Act, 1837, sect. 44. 16 R. ν Arkwright, 1848, 12 QB 960 (certiorari an Kommissare für Kirchenbau, um Schließung von Fußwegen über den Kirchhof aufzuheben); R. ν Aberdare Canal Co., 1850, 14 QB 854 (Aufhebung einer rechtswidrigen Brückenbauerlaubnis durch Kommissare).

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S c h e i d u n g e n stets überprüfbar waren, lediglich die Behörden gewechselt hätten. Er war folglich nicht länger erforderlich, daß es sich bei den Entscheidungsgremien um Gerichte im engeren Sinne handelte 17 , vielmehr kam es nun auf den Rechtscharakter der getroffenen Maßnahme an.

2. Zielrichtung von Certiorari und Prohibition a) Versuch der richterlichen Kategorisierung Es sind nunmehr im einzelnen die konstituierenden Elemente von certiorari-Befehlen zu untersuchen. Gewöhnlich wird als Ausgangspunkt für die Darstellung von certiorari das berühmte dictum von Lord Atkin in R ν Electricity Commissioners genommen, in dem er sagt, daß certiorari und prohibition immer dann in Betracht kommen, „wherever any body of persons having legal authority to determine questions affecting the rights of subjects, and having the duty to act judicially, act in excess of their legal authority . . ." 1 8 .

Diese Definition Lord Atkins kann jedoch nur Ausgangspunkt sein und wirft im einzelnen, wie noch darzulegen sein wird, schwierige Abgrenzungsprobleme auf, die diese Klageart in der Praxis mit gravierenden Unsicherheitsfaktoren versehen. Das Hauptproblem dabei ist die Neigung der Richterschaft, die von Lord A t k i n nur als grobe Kennzeichnung eines flexiblen Instruments gedachte Definition zu restriktiv und schematisch auszulegen, so als handele es sich um gesetztes Recht1®. Nun zur Definition im einzelnen: aa) M i t der Kennzeichnung „persons having legal authority" sind gemeint: a) Gerichte unterhalb des High Court und selbst Kirchengerichte, allerdings gilt dies nur für prohibition-Befehle 20 . In diese Kategorie fällt auch das „Patents Appeal Tribunal", die Revisionsbehörde in Patentsachen. Ihr sitzt zwar ein Richter des High Court vor, trotzdem wird es als Untergericht qualifiziert 21 . 17

de Smith, S. 388. 1924, 1 KB 171 (204 f); übers, d. Verf.: „wenn ein Amtsträger (Behörde), der von Rechts wegen ermächtigt ist, über Fragen zu entscheiden, die die Rechte von Bürgern betreffen, und der verpflichtet ist, dabei judiziell tätig zu werden, seine rechtlichen Kompetenzen überschreitet". 19 Vgl. etwa Lord Reid in Ridge ν Baldwin, 1964, AC 40 (74—79)? ferner R ν Criminal Injuries Compensation Board, ex parte Lain. 1967, 2 QB 864 (880 f, 890). 20 Vgl. supra, S. 25; ferner R ν Chancellor of St. Edmundsbury and Ipswich Diocese, ex parte White, 1948, 1 KB 195; ferner Gordon, 1947, 63 LQR 208 ff. 21 Vgl. ζ. Β. R ν Patents Appeal Tribunal, ex parte Champion Fibre & Paper Co., 1956, RPC 323; R ν Patents Appeal Tribunal, ex parte Baldwin & Francis Ltd., 1959, 1 QB 105, 18

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b) Ferner fallen in diese Kategorie „administrative tribunals", die Loewenstein „verwaltungsgerichtliche Behörden" 22 , Friedmann „Verwaltungstribunale" 23 nennt, sowie Kommunalbehörden 24 und andere durch Gesetz geschaffene Behörden, wie z.B. das „ M i l k Marketing Board", das Milchwirtschaftsamt 25 . Schließlich richten sich diese Prärogativbefehle auch gegen einzelne Beamte und Amtsträger 28 , Verwaltungsbehörden und Ministerien 2 7 und selbst gegen einzelne Minister 2 8 ; allerdings mit einer Ausnahme: Gegen die Krone darf generell nicht mit Prärogativbefehlen vorgegangen werden 20 . Diese Regelung mag zu einer Zeit sinnvoll gewesen sein, da der Herrscher allein das „ius repraesentationis omnimodae" besaß, heute jedoch, wo das Parlament diese Kronfunktion de facto wahrnimmt, mutet eine solche Einschränkung arbiträr und unzeitgemäß an. bb) Der Amtsträger muß ferner „von Rechts wegen ermächtigt sein", („legally authorized"). Das bedeutet, daß die Ermächtigung zum Handeln durch Gesetz erteilt worden sein muß 80 . Private Schiedsvereinbarungen und Schiedsrichterrollen fallen nicht hierunter und können deshalb nicht mit diesen Gerichtsbefehlen überprüft werden 31 . In neuester Zeit wird dieses Erfordernis jedoch weit ausgelegt, sodaß auch eine Behörde, die weder durch Gesetz errichtet, noch aufgrund gesetzlich umschriebener Ermächtigungsnormen tätig wurde, der Überprüfung mit Prärogativbefehlen für fähig erachtet worden ist. Es handelte sich hierbei um das „Criminal Injuries Compensation Board", eine Behörde, die Entschädigungen für Opfer von Straftaten festsetzt 32 . I n dem zur Entscheidung gekommenen Fall hatte die W i t w e eines getöteten Polizeibeamten und Mutter dreier Kinder von dieser Institution Hilfe beantragt 33 . Ihr war 22

Vgl. Loewenstein2, S. 76. Vgl. Friedmann, Kontrolle der Verwaltung in England, S. 185 ff. 24 R ν London County Council, 1931, 2 KB 215. 25 R ν Milk Marketing Board, ex parte North, 1934, 50 TLR 559. 26 R v Boycott, ex parte Keasley, 1939, 2 KB 651. 27 R v Local Government Board, 1882, 10 QB 309 (prohibition); Board of Education ν Rice, 1911, AC 179 (certiorari). 28 R ν Minister of Health, ex parte Davis, 1929, 1 KB 619 (prohibition); R ν Minister of Health, ex parte Yaffe, 1930, 2 KB 98 (certiorari). 29 Crown Proceedings Act, 1947, section 21. 30 Vgl. de Smith, S. 390 ff. 81 Vgl. R ν National Joint Council for the Craft of Dental Technicians, ex parte Neate, 1953, 1 QB 704; R ν Powell, ex parte the Marquis of Camden, 1925, 1 KB 641. 32 Vgl. hierzu für Bestrebungen, diese Institution in der Bundesrepublik einzuführen: Kötz, „Verbrechensopfer als Staatsrentner?in ZRP 1972, S. 139—145, der darüberhinaus für eine umfassende Neuordnung des Unfallrechtes plädiert. 33 R ν Criminal Injuries Compensation Board, ex parte Lain, 1967, 2 QB 864 (880 f, 890). 28

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zunächst eine Summe von £ 300,— als Entschädigung zugesprochen worden. Gegen die Entschädigungshöhe legte sie Protest ein. Aufgrund ihres Widerspruches wurde bei erneuter Überprüfung festgestellt, daß eine andere Quelle, aus der sie Entschädigungsgelder bezogen hatte, bei der Festsetzung der £ 300,— nicht mitberücksichtigt worden war, und folglich wurden ihr auch die £ 300,— abgesprochen. Sie stellte daraufhin den Antrag auf Erlaß eines certiorari-Befehls. Ihrem Antrag wurde im Ergebnis nicht stattgegeben. Dennoch ist dieser Fall für die Prärogativbefehle von großer Bedeutung. Das High Court befand nämlich, daß die neue Institution des „Criminal Injuries Compensation Board" ihrem Wesen nach nicht „privat" sei, sondern „öffentlichen" Charakter trüge und zumindest judiziell tätig werden müsse und schon aus diesem Grunde der Aufsicht durch das High Court unterliege. M i t diesem Fall ist der Grundsatz Lord Atkins in R ν Electricity Commissioners, 1924u entschieden erweitert worden. Es fragt sich nach alledem, weshalb heute überhaupt noch auf dem Erfordernis der Rechtsermächtigung bestanden wird, wenn in der Praxis fast alle solchen Behörden per Gesetz errichtet werden. Zweck dieser Eingrenzung ist offenbar nur, sicherzustellen, daß Akte derjenigen, die keine Rechtsermächtigung haben, von vornherein null und nichtig sind und keiner gerichtlichen Überprüfung bedürfen 85 . cc) Als weiteres Element der Definition von Lord Atkin muß der certiorari- (und prohibitions-) Befehl solche Fragen betreffen, bei denen über die Rechte von Bürgern entschieden worden ist (oder werden soll). Dabei stellt sich sogleich die Frage, was unter „Entscheidungen" und was unter „Rechte von Bürgern" hier zu verstehen ist. 1. Zunächst fallen unter „Entscheidungen" alle endgültigen Bescheide von Behörden. Es sind aber auch lediglich Berichte und Empfehlungen von Behörden Gegenstand von certiorari- Anträgen gewesen. So stand i n einem Fall zur Debatte, ob die Unterbringung einer Neunzehnjährigen i n einer Heil- und Pflegeanstalt aufrechterhalten werden sollte oder nicht 36 . Entscheidendes Gewicht kam dabei dem Report eines Gutachters zu. Der Antrag auf Erlaß eines certiorari-Befehls wurde zwar aus anderen Gründen abgelehnt, dennoch reichte der Bericht des Gutachters formell aus, um als überprüfbare „Entscheidung" gewertet zu werden. Unter „Entscheidungen" in diesem Sinne fallen auch provisorische Festsetzungen 84 1 KB 171, supra, Fn. 1? auch der Boycott-Fall, supra, I 2a bb, S. 29, wurde ausdrücklich gebilligt. 35 So R ν Barnstable Justices, ex parte Carder, 1938, 1 KB 385? Re Clifford & O'Sullivan, 1921, 2 AC 570? ferner zu dieser Frage Rubinstein, Jurisdiction and Illegality, S. 83—85. 36 R ν St. Lawrence's Hospital, Caterham, Statutory Visitors, ex parte Pritchard, 1953, 1 WLR 1158.

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von Gerichten und Behörden, die noch nicht in Rechtskraft erwachsen 87 , etwa wegen Zuständigkeitsüberschreitung. Aus alledem ein klar umgrenztes rechtliches Prinzip zu entnehmen, fällt schwer. Immerhin ist die Tendenz zu verzeichnen, daß certiorari-Befehle seltener erlassen werden, wenn es lediglich um Berichte und Empfehlungen geht; andererseits öfter zugunsten der Antragsteller bei provisorischen Entscheidungen erlassen werden, weil bei Abwarten einer Entscheidung einer übergeordneten Behörde deren endgültige Entscheidung oftmals durch Gesetz keine gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit mit certiorari oder prohibition mehr zuläßt 88 , und die QBD des High Court den gerichtlichen Schutz so weit wie möglich ausdehnen möchte, insbesondere, wenn der Trick des Gesetzgebers, die richterliche Kontrolle durch Gesetzesklauseln ausdrücklich auszuschließen, legal umgangen werden soll. 2. Welches sind nun aber die „Rechte, die die Bürger betreffen", für die certiorari und prohibition in Betracht kommen? Grundsätzlich fallen hierunter Verwaltungsentscheidungen, die subjektive Rechte für den Einzelnen schaffen, verändern oder aufheben. Als Beispiele kommen unter anderen die persönliche Freiheit 8 9 und die Berufsfreiheit 40 in Betracht. So war im Spackman-Fall 41 ein Arzt wegen standeswidrigen Verhaltens (Ehebruch) von der Arztliste gestrichen worden. Vor dem General Medical Council, der nationalen Ärztekammer, hatte er vorgebracht, daß das Scheidungsgericht die von ihm angebotenen Gegenbeweise abgelehnt hatte. Die Appellationskammer (Medical Appeals Council) entschied gegen den Arzt, ohne diese Beweismittel zuzulassen. Dies war ein ausreichender Grund, certiorari zu gewähren. Die Appellationskammer war zwar berechtigtgewesen, prima facie das Ehebruchurteil zugrundezulegen, hätte aber Gegenbeweise des Betroffenen zulassen müssen 42 . Weitere Beispiele subjektiver Rechte sind die Vertragsfreiheit 48 und der Schutz einer Amtsstellung 44 . Im vielzitierten Fall Ridge ν Baldwin, 196445 oblag es nach einer Bestimmung des Municipal Corporations Act 37 Ζ. Β. R ν Electricity Commissioners, 1924, 1 KB 171 (192, 210, 213); R ν Light Railways Commissioners, 1915, 3 KB 536. 88 Ausdrücklich im Electricity Commissioners-Fall, supra, erörtert. 89 Vgl. R ν Boycott, ex parte Keasley, 1939, 2 KB 651. 40 General Medicai Council ν Spackman, 1943, AC 627; dagegen aber Vidyodaya University Council ν Silva, 1965, 1 WLR 77: der Fall ist aber in der Literatur heftig umstritten. 41 Siehe Fn. 1. 42 G . M . C , ν Spackman, supra, S. 638, der in Board of Education ν Rice, 1911, AC 179, entwickelte Grundsatz wurde angewandt. 43 R ν Paddington & St. Marylebone Rent Tribunal, ex parte Bedrock Investments Ltd., 1947, KB 984. 44 Ridge ν Baldwin, 1964, AC 40 (74—79). 46 Siehe Fn. 44.

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von 1882 einem besonderen örtlichen Wahl- und Überprüfungsgremium („Local Watch Committee"), Polizisten einzustellen und bei mindestens fahrlässigen Rechtsverletzungen zu kündigen. Der Kläger war Polizeihauptwachtmeister, der von strafrechtlichen Vorwürfen freigesprochen worden war, trotzdem aber vom Dienst suspendiert wurde. Der Strafrichter hatte in seiner Urteilsbegründung erwähnt, daß der Hauptwachtmeister seinen untergebenen Polizisten auf jeden Fall kein „Führer und Vorbild" gewesen sei. Das „Watch Committee" entschied, daß trotz des Freispruches fahrlässiges Verhalten des Antragstellers vorgelegen habe. Genaue Gründe für die Entlassung wurden nicht gegeben. Der certiorariAntrag war hier wegen Verstoßes gegen die Grundsätze der natürlichen Gerechtigkeit 46 („audi alteram partem "-Regel, die Offenheit, Fairness und Unparteilichkeit aller Verfahren verlangt) erforderlich. Zu den geschützten Rechten der Bürger gehört ferner die Eigentumsgarantie 47 und der Anspruch eines jeden Bürgers auf gesetzliche Sozialversicherungsleistungen 48 . Darüberhinaus können jederzeit neue Kategorien von Rechten entstehen, deren Formulierung in einer Reihe von Präzedenzentscheidungen oder in Gesetzen erfolgen. Die Rechtsprechung hat dementsprechend auch die Erteilung oder Verweigerung von Genehmigungen zum Gegenstand eines certiorari- Antrages gemacht, da hierbei Rechtsansprüche des einzelnen Bürgers betroffen seien; allerdings sind die dazu ergangenen Entscheidungen uneinheitlich und reichlich verworren 4 9 . Das mag vorwiegend daran liegen, daß eine klare theoretische Durchdringung der Probleme im Bereiche der Leistungsverwaltung von der Richterschaft auch nicht in Ansätzen versucht wird, weil es ihnen auf High-Court-Ebene stets lediglich um die Einzelfallentscheidung geht. Um die Probleme zu umgehen, wird im Tenor dann einfach auf ein anderes Element der Lord Atkinschen Definition abgestellt, oder aber es ergehen schlicht ungerechte, positivistische Urteile, nur weil die Richter der Auffassung sind, die Definition Lord Atkins dürfe nicht zu sehr ausgeweitet werden 50 . Ist das Gericht aber im zur Entscheidung anstehenden Fall der 48

Zum materiell-rechtlichen Prinzip der natürlichen Gerechtigkeit, vgl. infra, Kap. 8, S. 106 ff. 47 R v Minister of Health, ex parte Davis, 1929, 1 KB 619; ferner R ν Agricultural Lands Tribunal, ex parte Davies, 1953, 1 WLR 722. 48 R v Medical Appeal Tribunal, ex parte Gilmore, 1957, 1 QB 574. 49 Vgl. R ν Woodhouse, Justices of Leeds, 1906, 2 KB 501 (certiorari kann gegenüber Entscheidungen von Richtern in Konzessionsangelegenheiten liegen); R ν Brighton Borough Justices, ex parte Jarvis, 1954, 1 WLR 203 (Schankkonzession); R ν London County Council, ex parte Entertainments Protection Association, Ltd., 1931, 2 KB 215 (Filmvorführlizenz). 50 Vgl. den heftig umstrittenen Fall Nakkuda Ali ν Jayaratne, 1951, A C 66 (78); dagegen aber R ν Manchester Area Legal Aid Committee ex parte Brand (R. A.) & Co., 1952, 2 QB 413, m. w. H., S. 427; ferner die ungerechte Entscheidung R ν Metropolitan Police Commissioner, ex parte Parker, 1953, 1 WLR 1150; dagegen zu Recht Lord Denning in Merricks ν Nott-Bower, 1965, 1 QB 57 (61).

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Meinung, daß die behördlichen Entscheidungen gerichtlich nachprüfbar sein sollten, klebt es nicht streng an der Qualifikation, daß die behördliche Entscheidung „Rechte der Bürger" betreffen muß. Im Falle des „Criminal Injuries Compensation Board" 51 war z.B. der Vertreter der Krone („Treasury Counsel·') der Auffassung, die Leistungen dieser Behörde begründeten überhaupt keine „Rechte" für den einzelnen, die durch certiorari überprüfbar wären, sondern seien lediglich ex gratia-Zuwendungen. Ohne auf diesen Einwand näher einzugehen, hängte das Gericht dann alles an einem anderen Element der Lord Atkinschen Definition auf. dd) Als viertes Element der Definition von Lord A t k i n muß das Untergericht oder die zu überprüfende Entscheidung der Behörde „judiziellen" Charakter tragen. Dabei stellt sich sogleich die Frage, was unter „duty to act judicially", zu verstehen ist. Um dieses spezifisch englische Konzept zu erfassen, ist ein kurzer historischer Exkurs erforderlich. Es mutet den Kontinentaleuropäer seltsam an, daß sich aus einer ursprünglich rein innergerichtlichen Prozeßführungsmaßnahme, die praktisch lediglich einen Fall vor Gericht „geschäftsplanmäßig" umverteilte, eine recht umfassende Kontrolle der Verwaltungstätigkeit entwickeln konnte. Die Frage ist deshalb, wie es kommt, daß sowohl „judizielle" als auch „administrative" Handlungen mit diesem Prärogativbefehl angegangen werden konnten. Die Antwort ergibt sich vor allem daraus, daß seit dem 17. Jahrhundert weite Bereiche der kommunalen Verwaltung von „Justices of the Peace", ehrenamtlichen Friedensrichtern, wahrgenommen wurden, die zusätzlich zu ihren richterlichen Aufgaben viele Verwaltungsfunktionen ausübten. Sie waren beispielsweise für kommunalen Straßenbau, Straßenüberwachung, Brückenbau, Erteilung von Schankkonzessionen sowie für die Ausführung der „Poor Laws", der Gesetze zur Bekämpfung der Armut zuständig. Schon allein ihr Richterhabitus gewährleistete, daß sie ihre Funktionen so richterlich wie möglich ausübten. Da sie im Bereich der Rechtsprechung von zentraler Kontrolle weitgehend frei und deshalb in hohem Maße ihre eigenen Herren waren, war es nur natürlich, daß judizielle Gesichtspunkte in ihren administrativen Handlungen zunächst unmerklich und dann immer bewußter auftauchten 52 . Als im 19. Jahrhundert viele Verwaltungsfunktionen von Friedensrichtern auf neue, gesetzlich errichtete Behörden der Exekutive übergingen, übernahmen diese häufig die Verhaltensnormen der „Justices of the Peace" mit, oder wie Wade sagt: „Political control was imposed but a judicial technique was inherited" 5 3 . Die Gerichte hatten sich daran ge61

Ex parte Lain, 1967, 2 QB 864, zum Sachverhalt, siehe I 2a bb, supra, S. 29. Vgl. hierzu Wade, 1. Aufl., S. 99; Maitland, Collected Papers, Bd 1, S. 478; ferner Lord Macdermott, Protection from Power under English Law, S. 88 f. 58 A. a. Ο., S. 100: „Politische Kontrolle wurde auferlegt, aber richterliche Verfahrensweisen mitvererbt", Ubers, d. Verf. 52

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wöhnt, viele Verwaltungsmaßnahmen „richterlich", „judiziell" zu nennen, einfach weil der ermächtigte Funktionsträger nach ihrer Rechtsauffassung die Grundsätze einer fairen Verhandlungsweise, d. h. formell fehlerfreies Verhalten, auch bei der Exekutive implizit voraussetzten. Diese historischen Wurzeln der Verquickung von judiziellen und administrativen Funktionen werden bei der Entscheidung über Prärogativbefehle häufig vergessen, denn anders ist die bei diesem Element der Lord Atkinschen Formel entstandene Verhedderung in aussichtslose Kasuistik nicht zu begreifen. Ist aus dem Gesagten bereits ersichtlich, daß es bei diesem Element der Definition Abgrenzungsschwierigkeiten gibt, wann „administrat i v " — und damit den Prörogativbefehlen nicht zugänglich — vorgegangen worden ist und wann „judiziell" gehandelt wurde — was eine Intervention mit certiorari ermöglicht —, so wird das Problem deutlicher, wenn man bedenkt, daß es auch darauf ankommen kann, ob es sich bei der angefochtenen Entscheidung um einen A k t der „Gubernative", einen A k t der „Legislative" oder einen solchen der „Exekutive" handelt. Bei rein gubernativen Entscheidungen („purely administrative acts") wird ein Prärogativbefehl auf keinen Fall erlassen. So wurde in einem Fall, der vom obersten kanadischen Gericht an das „Judicial Committee of the Privy Council", den mit Lordrichtern besetzten Kronrat, der für einige Commonwealthländer höchste Instanz ist, verwiesen worden war, ein certiorari-Befehl verweigert, weil die Handlung eines Verwaltungsbeamten angeblich nicht „judiziell" war 5 4 . Aber selbst in diesem Kernbereich der staatlichen Machtausübung ist die Tendenz der Gerichte zu verzeichnen, Regierungs- und Verwaltungsentscheidungen richterlich überprüfbar zu machen, zumindest mit einem Prohibitionsbefehl — wenn etwa eine Behörde tätig wurde, die inter alia „judizielle Tätigkeiten" versieht, solange sie die eigene gubernative Handlung noch nicht vollzogen hat 5 5 — oder aber „wenn die Behörde irgendwann im Verlaufe des Prozesses ihrer Entscheidungsfindung verpflichtet war, judiziell vorzugehen" 56 . Bei Akten der Legislative und Exekutive fehlen bislang eindeutige Entscheidungen. In einem Fall ist aber eine Entscheidung, die ein Preistribunal festgesetzt hatte, als legislativer A k t qualifiziert worden, und certiorari erging dennoch, weil das Tribunal eine „judizielle" Verfahrensordnung hatte 5 7 . Sowohl bei legislativen als auch exekutiven Akten von Behörden kommt es nach herrschender Auffassung heute nur noch darauf 54

Hetherington ν Security Export Co. Ltd., 1924, A. C. 988 (992). Vgl. R ν North, ex parte Oakey, 1927, 1 KB 491; R ν Chancellor of St. Edmundsbury & Ipswich Diocese, ex parte White, 1948, 1 KB 195 (215). 56 So R ν Manchester Area Legal Aid Committee, ex parte Brand (R. Α.), Co., Ltd., 1952, 2 QB 413 (429). 57 So R ν Minister of Health, ex parte Yaffe, 1931, AC 494 (532). 55

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an, ob überhaupt judizielle Elemente im Entscheidungsprozeß erkennbar sind oder waren. Die Schwierigkeiten sind damit jedoch noch nicht behoben: Die Rechtsprechung hat zwar eine recht weitgefaßte prozedurale Definition dessen geliefert, was alles unter „judicial" zu verstehen ist, nämlich: „wenn ein Gericht oder eine Behörde zwischen einem Vorschlag und seiner Ablehnung mittels angebotener Beweise zu entscheiden hat" 5 8 , doch gibt es hierzu viele Ausnahmen 59 . Bisweilen fällt es äußerst schwer, in den verworrenen Einzelfällen ein gemeinsames Prinzip zu entdecken. Im heftig umstrittenen Fall Nakkuda Ali ν Jayaratne 60 hatte die ceylonesische Regierung aus Rationalitätsgesichtspunkten Handelslizenzen für erforderlich erklärt. Der „Comptroller of Textiles", ein Regierungsbeauftragter für das Textilwesen, entzog dem certiorari-Antragsteller dessen Handelslizenz, ohne Gründe für diese einschneidende Maßnahme anzugeben. Der certiorari-Antrag wurde abgelehnt, die Entscheidung am Element der judiziellen oder exekutivischen Tätigkeit des Comptroller of Textiles aufgehängt, ohne daß klar wurde, wie eine solche Unterscheidung zu treffen war. Im Falle R ν Manchester Area Legal Aid Committee , ex parte Brand 61, der ein Jahr später entschieden wurde, hatte eine örtlich zuständige Behörde einem Konkursverwalter (Trustee — in — bankruptcy) Armenrecht bewilligt, sodaß er als Prozeßpartei in einer Zivilklage des Gemeinschuldners gegen einen Dritten auftreten konnte. Die Behörde hatte lediglich die finanziellen Verhältnisse des Konkursschuldners geprüft und die des Konkursverwalters entgegen gesetzlichen Vorschriften völlig außer Betracht gelassen. Der Beklagte der Zivilklage beantragte erfolgreich einen certiorari-Befehl wegen Zuständigkeitsüberschreitung der Armenrecht bewilligenden Behörde („Legal A i d Committee"). Zum judiziellen Charakter sagte Richter Parker, daß das Armenrechtskomitee die Verpflichtung hatte, judiziell zu handeln, daß insbesondere beide Parteien Gelegenheit haben müßten, rechtlich gehört zu werden. Dies sei ein Grundpfeiler britischer Gerechtigkeit, und er zitierte des weiteren Lord Haidane im berühmten Arlidge-Fall 62, der das judizielle Element sehr weitherzig aufgefaßt hatte: „When therefore, Parliament entrusts (the body) with judicial duties, Parliament must be taken, in the absence of any declaration to the contrary, to have 58 Vgl. R ν London County Council, 1931, 2 KB 215 (233); s. a. R ν Hendon Rural District Council, ex parte Chorley, 1933, 2 KB 696 (705 f). 59 Ζ. B. R ν Boycott, ex parte Keasley, 1939, 2 KB 651; R ν Minister of Health, ex parte Dore, 1927, 1 KB 765. 60 1951, AC 66 (78). 61 R. A. & Co. Ltd., 1952, 2 QB 413, m. w. H., S. 427 f für zustimmende Präzedenzentscheidungen. 62 Local Government Board ν Arlidge, 1915, AC 120 (H. L.).

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intended it to follow the procedure which is its own, and which is necessary if it is to be capable of doing its work efficiently" 68 .

Nur da, wo die Verwaltungsbehörde bei ihrem Entscheidungsprozeß zu keinem Zeitpunkt gerichtsähnlich vorgehe und lediglich politische Zweckmäßigkeitserwägungen treffe, komme judizielles Verhalten und damit certiorari und prohibition in Betracht 64 ; die Armenrechtsbehörde habe aber überhaupt keine politischen Fragen zu entscheiden, sondern nur darüber zu befinden, ob die angebotenen Fakten und Beweismittel es rechtfertigen, Armenrecht zu bewilligen. Kaum ein Jahr nach dieser Entscheidung wurde die soeben gründlich erweiterte Regel wieder eingeengt: Im Falle R ν Metropolitan Police Commissioner , ex parte Parker 65, war die einem Taxichauffeur erteilte Lizenz entzogen worden. Ihm war nicht Gelegenheit gegeben worden, Zeugen zu benennen, die nachweisen konnten, daß der Polizeivorwurf, er habe Prostituierte befördert und Geschlechtsverkehr im Taxi geduldet, zu Unrecht erhoben war. Nach § 30 der Londoner Taxiverordnung von 1934 mußte der Polizeipräsident den Fall selber entscheiden. Das Gericht kam zu der Auffassung, daß der Polizeipräsident keine durch certiorari angreifbare Verwaltungsentscheidung getroffen habe, sondern lediglich im Rahmen seiner Disziplinargewalt gehandelt und dabei keine „judizielle" oder „quasijudizielle" Funktionen wahrgenommen habe, die mit Prärogativbefehlen hätten angegangen werden können. Abgesehen davon, daß diese Entscheidung auch noch aus anderen Gründen angreifbar war 6 6 , trug sie sehr dazu bei, den Begriff „judiziell" zu vernebeln. Hatte Ridge ν Baldwin 67 die judizielle Komponente wieder weiter ausgelegt, so schwankte das Pendel im folgenden Jahre nochmals hin und her: Im Fall Vidyodaya University Council ν Silva 68 war einem Dozenten vom Rektor (Vice-Chancellor) der Vidyodaya-Universität gemäß einer Bestimmung des Universitätsstatut gekündigt worden. Der Dozent machte geltend, ihm sei ohne jegliche Angabe von Gründen gekündigt worden, auch habe man ihm rechtliches Gehör verweigert. Die Universität behauptete, sie sei weder judiziell noch quasi-judiziell vorgegangen, wozu sie nach dem 83 A.a.O., „Wenn daher das Parlament (der Behörde) judizielle Pflichten anvertraut, so muß in Abwesenheit entgegenstehender Erklärungen angenommen werden, daß das Parlament beabsichtigte, diese solle seine eigene Verfahrensweise befolgen, die auch notwendig ist, damit (die Behörde) in der Lage ist, ihre Arbeit effizient auszuführen", Ubers, d. Verf. 84 A.a.O.; vgl. auch Franklin ν Minister of Town and Country Planning, 1948, AC 87 (102). 85 1953, 1 WLR 1150. 88 Ζ. B. wegen Verletzung der Regeln über die natürliche Gerechtigkeit („natural justice"), infra, Kapitel 8. 87 1964, AC 40, insbes. S. 74—79 und 110. 88 1965, 1 WLR 77.

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Universitätsstatut nicht verpflichtet sei. Das oberste ceylonesische Gericht war der Ansicht, daß sie sehr wohl zumindest bei der Tatsachenermittlung „judizielle" Maßstäbe hätte anlegen müssen. Der Kronrat (Judicial Committee of the Privy Council) Schloß sich dieser vernünftigen und mit einer Kette von Präzedenzfällen zu stützenden Meinung nicht an und lehnte certiorari ab. Weder auf das Argument der Universität eingehend, noch die Verletzung der Regeln über die natürliche Gerechtigkeit (audi alteram partem-Regel) berücksichtigend, kam der Kronrat zu der Auffassung, hier handele es sich lediglich um ein „master-servant"-Dienstverhältnis rein privatrechtlicher Natur, für das Certiorari nicht bewilligt werden könne. Obwohl in mehreren Entscheidungen jüngeren Datums seither das Element „judicial" wieder zugunsten der certiorari- und prohibitionAntragsteller weiter ausgelegt wird 6 9 , fehlen nach wie vor logische oder durch Präzedenzfälle einigermaßen unzweideutig formulierte Prinzipien, anhand derer eine Grenze gezogen werden könnte zwischen Fällen, die bereits judizielle Elemente enthalten, und solchen, die rein administrativ und damit im unüberprüfbaren Ermessen der Verwaltung stehen. W o soll die Ermessensgrenze auch liegen, wenn die relevanten Präzedenzfälle von Scheidungsrichtern, Armenrechtskomittees und Lizenztribunalen einerseits und zu Ministern andererseits reichen, die etwa über Ausweisungen von Ausländern befinden oder ein Gebiet für eine projektierte Satellitenstadt freigeben. Es handelt sich hierbei immer um graduelle Ermessensfragen. Ganz allgemein kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, als hätten die Gerichte seit der Coke-Bacon Kontroverse gründlich Angst 7 0 , den Konflikt mit der ersten und zweiten Gewalt aufzunehmen, gegenüber der Exekutive in den Bereich des sogenannten „politischen Ermessens" einzugreifen, selbst wenn hierbei gegen tiefste Grundsätze des Rechtsempfindens verstoßen wird. Es liegt hingegen nach allem weitgehend im Ermessen des Gerichts, ob es certiorari oder prohibition anordnet; es braucht lediglich am Begriff „judiziell" zu drehen, wie dargelegt wurde 7 1 . Als Charakterisierung, die

69 Vgl. Merricks ν Nott-Bower, 1965, 1 QB 57 (61); R ν Paddington Valuation Officer, ex parte Peachey Property Corporation Ltd., 1966, 1 QB 380; Durayappah ν Fernando, 1967, 2 AC 337 (349 f), in dem der Kronrat langsam einer weiteren Auslegung zusteuert; R ν Criminal Injuries Compensation Board, ex parte Lain, 1967, 2 QB 864 (880 f, 890). 70 Vgl. de Smith, S. 403; vgl. infra Kap. 13. 71 Man benötigt hierfür allenfalls „an aptitude for verbal gymnastics", vgl. Willis, 1939, 39 HLR, S. 281.

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nicht unter zu großer Uberzeichnung leidet, ist de Smiths ironische Bemerkung zutreffend: „The judicial element may sometimes be as intangible as the grin of the Cheshire cat; but a commentator's attempts to expunge it are apt to be as unrewarding as the arrangements for decapitation in Wonderland" 72 .

b) Fallgruppen, die zum Erlaß von Certiorariund Prohibitionsbefehlen führen aa) Diese Gerichtsbefehle ergehen stets bei fehlender Zuständigkeit der Behörde. Die Zuständigkeit ist beispielsweise nicht gegeben, wenn ein Tribunal nicht ordnungsgemäß besetzt ist oder fehlerhaft errichtet worden ist 7 3 , ferner, wenn das Tribunal hinsichtlich der Streitparteien seine Zuständigkeit überschritten hat, oder wenn es seine funktionelle Zuständigkeit überschreitet 74 , oder schließlich, obgleich ursprünglich zuständig, eine Maßnahme außerhalb seines Ermächtigungsrahmens trifft 7 5 7 β . Insoweit besteht in der Rechtsprechung und Literatur Einigkeit. Zweifel kommen aber bei Prohibitionsbefehlen auf, weil umstritten ist, was ein Tribunal bereits alles getan haben muß, damit dieser Prärogativbefehl ergehen kann. Nach Halsbury 77 gelten folgende Kriterien: Wenn sich die mangelnde Zuständigkeit aus den Verhandlungsprotokollen und schriftlichen Unterlagen offensichtlich ergeben, dann ist der Prohibitionsantrag sofort zulässig. Ist die Zuständigkeitsüberschreitung nicht „offensichtlich" und „on the face of the record" 7 8 , d. h. durch Schriftstück belegbar, dann muß der Antragsteller solange warten, bis das Tribunal seine Zuständigkeit tatsächlich und erkennbar überschritten hat oder dies nachweislich unmittelbar bevorsteht (ζ. B. die Ankündigung des Tribunals, bestimmte 72 De Smith, S. 405: „Das judizielle Element (in einer behördlichen Entscheidung) kann manchmal so ungreifbar wie das Grinsen der Cheshire-Katze sein; aber die Versuche eines Kommentators, es zu ermitteln, sind fast so unerquicklich wie die Arrangements für Enthauptungen in Alice im Wunderland;" Ubers, d. Verf. 73 Vgl. hierzu Rubinstein, Jurisdiction and Illegality, S. 82 ff, 197—199; ferner R ν Paddington & St. Marylebone Rent Tribunal, ex parte Bell, London and Provincial Properties, Ltd., 1949, 1 KB 666. 74 Vgl. de Smith, S. 94 ff. 75 Ausführlich hierzu de Smith, Kapitel III, S. 83 ff. 76 pü r Prohibitionsbefehle ist noch festzuhalten, daß in Kirchenangelegenheiten früher noch großzügiger verfahren wurde, nach h. M. heute aber wie bei certiorari-Anträgen verfahren wird; vgl. z.B. Denaby Main Colliery Co. ν Manchester, Sheffield & Lines. Ry., 1880, 3 N. & H. Rail Cases 443; oder R ν Comptroller-General of Patents and Designs, ex parte Parke, Davis & Co., 1953, 2 WLR 760 (765). 77 78

H.E.L., 3. Aufl., Bd 11, S. 117 f. Hierzu infra, S. 63 (injunction quia timet).

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Maßnahmen ergreifen zu wollen, die außerhalb ihrer Untersuchungsermächtigung liegen) 79 . Ist nach Erlaß der Tribunalentscheidung aufgrund gesetzlicher Vorschriften eine gerichtliche Überprüfung grundsätzlich ausgeschlossen, so tendiert das Gericht bei Prohibitionsanträgen allerdings dahin, den Zeitpunkt der überprüfbarkeit im Interesse des Antragstellers weit vorzuverlegen, um einen solchen gesetzlichen Ausschluß möglichst zu verhindern 80 . bb) Ein weiterer Grund, der zum Erlaß von Prärogativbefehlen führen kann, ist eine durch schriftliche Unterlagen nachweisbare offensichtliche Rechtsverletzung, „error of law on the face of the record", also evidente Formfehler. Die Leitentscheidung, die dieses Prinzip einführte, war der Northumberland-Falì 81, in dem ein „Compensation Appeal Tribunal" ein Tribunal zur Überprüfung von Entscheidungen eines Amtes, das Entschädigungen festsetzt, mit diesem Rechtsgrund eine fälschlich berechnete Summe für eine zu Unrecht erfolgte Entfernung aus dem Amte durch Prärogativbefehl aufhob. Schon im 17. Jahrhundert war certiorari für schriftlich nachweisbare Rechtsverletzungen allgemein zugänglich geworden. Allerdings revanchierte sich das Parlament sehr bald, indem es durch Gesetz in mehreren Fällen— z.B. in Gesetzen, die „summary offences" behandelten, d.h. Strafsachen, die vor dem Einzelrichter summarisch verhandelt werden — festlegte 82 , daß künftig ausschließlich der nackte Entscheidungstenor bekanntgegeben werden sollte, jegliche Beweiswürdigung und Entscheidungsgründe hingegen fortfielen. Auf diese Weise wurde certiorari zwar nicht selber angetastet, in seiner Wirkung aber entscheidend beschnitten. Denn da „error of law on the face of the record" ja immerhin schriftliche Dokumente irgendeiner A r t voraussetzt, gab es praktisch keine Fälle mehr, in denen aus diesem Grunde certiorari-Verfahren erfolgreich waren 8 8 . „Der Schriftsatz »sprach' nicht länger, hinfort hatte er das undurchdringliche Gesicht einer Sphinx" 8 4 . Aus diesem Grunde geriet diese 79 Z. B. London Corporation ν Cox, 1867, L. R. 2 H. L. 239 (277)? R ν Electricity Commissioners, 1924, 1 KB 171; R ν Minister of Health, ex parte Villiers, 1936, 2 KB 29; Η. E. L., op. cit., S. 117 f, 121, aber einschränkend. 80 R v Minister of Health, ex parte Davis, 1929, 1 KB 619; weitere Beispiele bei de Smith, S. 394, Fn. 47. 81 Vgl. R ν Northumberland Compensation Appeal Tribunal, ex parte Shaw, 1951, 1 KB 338 (im C. A.) ; ferner R ν Medical Appeal Tribunal, ex parte Carrarini, 1966, 1 WLR 883; ferner de Smith, 14 MLR 207; 15 MLR 217; Gordon, 67 LQR 452; kritisch hierzu Rubinstein, Public Law, 1964, S. 256 (274). 82 Schließlich im Summary Jurisdiction Act, 1848, noch weitergehend. 83 Vgl. hierzu de Smith, S. 412, sowie die im Northumberland-Fall aufgeführten Beispiele, supra, Fn. 81. 84 „The face of the record ,spoke' no longer; it was the inscrutable face of a sphinx", Lord Sumner in R ν Nat Bell Liquors Ltd., 1922, 2 AC 128 (159); weitere Beispiele im Northumberland-Fall.

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mögliche certiorari-Begründung langsam aber sicher in Vergessenheit 85 , bis sie mit dem Northumberland-Fall wiedergeboren und seither in einer Reihe von Fällen befolgt und gefestigte Regel wurde 8 6 . Trotzdem gab es vor 1958 nur verhältnismäßig wenige Entscheidungen zu dieser Frage, weil nach wie vor Tribunale und Untergerichte mit summarischer Entscheidungsbefugnis selten schriftlich begründete Dicta lieferten. So waren die High Court-Richter gezwungen, mit verbaler Akrobatik Dinge als „record" anzusehen, nur damit ein certiorari-Befehl ergehen konnte, der Streitfall justiziabel wurde 8 7 . Seit 1958 gibt es jedoch den „Tribunals and Inquiries A c t " 8 8 , das Tribunal- und Anhörverfahrensgesetz, das einige grundlegende Veränderungen brachte und erstmals versuchte, gemeinsame Prinzipien aller außergerichtlichen Überprüfungsinstanzen — in Form von Tribunalen, Untersuchungs- und Anhörverfahren — aufzustellen. Einige enumerativ aufgeführte Tribunale, die bislang keine Begründungspflicht kannten (z.B. Rent Tribunals), mußten fortan alle Entscheidungen begründen und eine Berufung an das High Court wurde als Neuerung zugelassen 89 . Die Berufungsmöglichkeit gibt der rechtsuchenden Partei noch größere Mittel als certiorari- Verfahren an die Hand und machte insofern das Argument der evidenten Formfehler („Error of law on the face of the record") hinfällig 9 0 . Darüberhinaus legt section 11 des Gesetzes fest, daß i n Zukunft Klauseln, mit denen jedwede gerichtliche Überprüfung ausgeschlossen wurde, unzulässig sind 91 . Schließlich wird in section 12 des Gesetzes den durch Gesetz errichteten Tribunalen und den zur Entscheidung befugten Ministern die Verpflichtung auferlegt, in Zukunft stets schriftliche Begründungen für ihre Entscheidungen zu geben, die Bestandteil der Entscheidung und somit gerichtlich überprüfbar werden 92 . Bei Tribunalen, die nach Inkrafttreten des Tribunal- und Anhörverfahrensgesetzes entstanden sind, besteht nunmehr in aller Regel ein absoluter, mindestens jedoch ein qualifizierter Begründungszwang 98 . 85 Sodaß das Court of Appeal (C. A.) in Racecourse Betting Control Board ν Secretary of State for Air, 1944, Ch. 144, sogar die Existenz dieses Prinzips verneinen zu müssen glaubte. 88 Vgl. die bei de Smith, S. 413 Fn. 65 angegebenen Fälle. 87 R ν Medical Appeal Tribunal at London, ex parte Burpitt, 1957, 2 QB 584; R ν Medical Appeal Tribunal for South Wales District, ex parte Griffiths, 1958, 1 WLR 517. 88 6 & 7 Eliz. 2, Ch. 66; zur Entstehung dieses Gesetzes, vgl. Report of the Committee on Administrative Tribunals and Inquiries, 1957, Cmnd. 218. 80 Section 9 und Anhang, Schedule I. 90 Vgl. hierzu auch Franks Report, Cmnd. 218 (1957), § 107; ferner R ν Paddington North & St. Marylebone Rent Tribunal, ex parte Perry, 1956, 1 QB 229. 91 Hierzu ausführlich de Smith, S. 356 ff. 92 Ausnahme: dringende Fälle, namentlich, wo es im nationalen Interesse der Sicherheit geboten scheint. 93 Vgl. de Smith, S. 340—359; Jackson, Machinery of Justice, S. 355 f; ferner infra, Kapitel 9.

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Durch diesen Antragsgrund ist der Anwendungsbereich für „certiorari" ganz erheblich ausgedehnt worden, wie die folgenden Beispiele illustrieren: In einem Fall waren Auszüge aus dem Bericht eines Gutachters in die Verhandlung vor einem „Medical Appeal Tribunal" einbezogen worden. Dadurch wurde nach Ansicht des High Court der gesamte Bericht des Gutachters zum „record", einem schriftlichen Dokument, und somit justiziabel 94 . In einem anderen Fall machten Auszüge aus einer Patentspezifizierung, die in der Entscheidung des Tribunals mitverwendet worden waren, und die den Hauptstreitpunkt bildeten, die ganze Patentsache justiziabel 95 .De Smith meint, daß diese weite Auslegung des Begriffes „record" (Dokument, Urkunde) nicht nur beibehalten, sondern zu einem allgemeinen Prinzip entwickelt werden sollte, demzufolge in allen rechtlich fehlerhaften Entscheidungen von Tribunalen eine gerichtliche Überprüfung stattfinden könne: „. . . the rule that precludes a court from probing beneath the façade of the formal record has artificially inhibited judicial review" 96 .

Der erst vor wenigen Jahren entschiedene Fall Anisminic Ltd. ν Foreign Compensation Board 97 bestätigt diese neuere Tendenz. Allem Anschein nach wenden sich die Gerichte zunehmend von der veralteten, engen Regel des „Error of law on the face of the record" ab, um sie durch eine allumfassende Kategorie der überprüfbarkeit aller Kompetenzüberschreitungen zu ersetzen 98 . Schließlich mutet es höchst seltsam an, daß mit der alten Doktrin einerseits „Behörden errichtet und ihre Befugnisse definiert werden können", daß andererseits jedoch „solche Behörden das Recht brechen können und dennoch innerhalb ihrer Zuständigkeit handeln" 9 9 . cc) Obergerichte sind ferner in allen jenen Fällen zum Erlaß von certiorari und prohibition berechtigt, in denen Betrug oder Kollusion einwandfrei nachgewiesen werden können und als deren Folge die fehlerhafte Entscheidung erging 1 0 0 . In fast allen bekannt gewordenen Fällen wurde die schuldige Partei wegen Meineides („perjury") oder wegen 04

R ν Medical Appeal Tribunal, ex parte Gilmore, 1957, 1 QB 574. Baldwin & Francis Ltd. ν Patents Appeal Tribunal, 1959, AC 688 (691). 9β De Smith, S. 421: „Die Regel, die es dem Gericht verbietet, hinter die Fassade des rein formellen Dokuments zu schauen, hat die richterliche überprüfbarkeit von Verwaltungsentscheidungen künstlich inhibiert", übers, d. Verf. 97 1969, 2 AC 147. 98 S.a. Gould, Public Law 1970, S. 358 ff. 99 Gould, a.a.O., S. 361: „. . . allows that bodies are set up, and their powers defined, by law, but which allows such bodies to break the law and yet remain within their jurisdiction". 100 R ν Gillyard, 1848, 12 QB 527; R ν Fulham, Hammersmith and Kensington Rent Tribunal, ex parte Gormley, 1951, 2 All ER 1030 (1034). 95

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eines entsprechenden Geständnisses vor der Antragstellung auf Erteilung des certiorari-Befehles belangt 1 0 1 . Zweifellos gilt dies auch für Fälle von Nötigung („duress") und Erpressung („blackmail"). dd) Außer in den genannten Fallgruppen können Obergerichte auch dann certiorari- oder prohibitions-Befehle erlassen, wenn nachgewiesen werden kann, daß die Verwaltung „Prinzipien über die natürliche Gerechtigkeit" 1 0 2 verletzt hat. Hinter diesem großen Namen verbergen sich elementare Verfahrensgarantien, vor allem das Recht auf rechtliches Gehör („audiatur et altera pars") sowie das Verbot der Befangenheit („nemo iudex in causa sua debet esse" 103 ). Diese Regeln gelten in erster Linie im Verhältnis der Obergerichte zu Untergerichten, aber auch gegenüber Tribunal- und Anhörverfahren, sowie schließlich gegenüber Akten der Verwaltung selber. Selbst wenn der Weg zu den ordentlichen Gerichten normalerweise gesetzlich ausgeschlossen ist, kann mit Hilfe dieser Regeln die Zuständigkeit des Gerichtes begründet werden. Da es sich hierbei jedoch stets um formelle Fehler der Verwaltung handelt, kommt dieser Kategorie von Fällen in der Praxis auch keine allzu große Bedeutung zu. In jüngster Zeit wird diese Kategorie jedoch generalklauselartig ausgedehnt und häufig als Hebel benutzt, um überhaupt eine gerichtliche Überprüfung des Verwaltungshandelns möglich zu machen 104 . c) Gründe, die Certiorari und Prohibition ausschließen Prärogativbefehle können durch das Verhalten des Antragstellers, durch das Bestehen anderer, wirksamer Rechtsbehelfe und schließlich durch Zweckvereitelung von vornherein ausgeschlossen worden sein. aa) Für Prärogativbefehle genügt es nicht, ein Gericht oder ein durch Gesetz bestimmtes Tribunal lediglich durch Parteivereinbarung oder stillschweigende Zustimmung der gegnerischen Partei anzurufen 105 . Wer von seinem Widerspruchsrecht gegen Zuständigkeitsmängel nicht rechtzeitigen Gebrauch macht, oder wer einer einmal getroffenen Entscheidung zugestimmt hat, kann die Zustimmung nicht widerrufen 1 0 6 . Der Antrag101

R ν Gillyard, a.a.O.; ferner R ν Leicester Recorder, 1947, KB 726; ferner sect. 11, Tribunals and Inquiries Act, 1958. 102 Vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 8. 103 Vgl. etwa R ν North, ex parte Oakey, 1927, 1 KB 491; s.a. de Smith, S. 222 ff. 104 Anisminic Ltd. ν Foreign Compensation Commission, 1967, 3 WLR 382 (394 f, 397 ff). 105 Hey ting ν Dupont, 1964, 1 WLR 843. 106 R ν Comptroller-General of Patents and Designs, ex parte Parke, Davis & Co., 1953, 2 WLR 760 (764).

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steller darf schließlich auch nicht mehr als sechs Monate seit der behördlichen Entscheidung verstreichen lassen, w i l l er einen Prärogativbefehl erwirken 1 0 7 . Ist das Gericht der Auffassung, der Antragsteller hätte schon eher seinen Antrag stellen müssen, so kann es den Antrag schon vor Ablauf der Sechsmonatsfrist ablehnen 108 . bb) Bei der Entscheidung, ob das Gericht einen Prohibitionsbefehl erlassen will, braucht es nicht zu berücksichtigen, daß der Rechtsweg noch nicht erschöpft ist. Die „exhaustion of remedies "-Regel gilt hierfür nicht 1 0 9 . Wenn der Antragsteller für certiorari bereits ohne Erfolg von einer Berufungsmöglichkeit an das High Court Gebrauch gemacht hat, wird sein Antrag abschlägig beschieden, es sei denn, er kann nachweisen, seinerzeit nicht im vollen Besitz aller Fakten gewesen zu sein. Dem Antragsteller sollen nicht „zwei Bisse in eine Kirsche" zugebilligt werden 1 1 0 . Kann der Antragsteller sowohl über certiorari als auch im normalen Berufungswege vorgehen, wird das Gericht im allgemeinen der Berufung den Vorzug geben. cc) Schließlich können prohibition und certiorari nicht erlassen werden, wenn sich etwa Personen ohne jegliche Ermächtigungsgrundlage eine richterliche Funktion angemaßt haben. Solche Entscheidungen sind ex tunc nichtig. Prohibition kann ferner sinnvollerweise nicht mehr ergehen, wenn die rechtswidrig handelnde Behörde in der betreffenden Angelegenheit ihre Tätigkeit v o l l abgeschlossen hat. In allen Fällen hat das Gericht aber auch hier einen erheblichen Beurteilungsspielraum. 3. Der Umfang dieser Verfahren a) „Locus standi "-Fragen Die Prärogativbefehle certiorari und prohibition stehen allerdings nicht jedem ohne weiteres zu. Sie sind gedacht für Antragsteller, die darlegen können, höchstpersönlich eine Rechtsverletzung erlitten zu haben 1 1 1 . Bei anderen Gerichtsbefehlen kann außerdem noch der „Attorney-General" (Generalstaatsanwalt) als Vertreter des öffentlichen Interesses tätig werden 1 1 2 . 107

Rules of the Supreme Court (RSC), Order 53, rule 2 (2). De Smith, S. 441, Fn. 40. 109 R v Minister of Health, ex parte Davis, 1929, 1 KB 619; R ν Minister of Health, ex parte Vil-liers, 1936, 2 KB 29. 108

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De Smith, S. 437. Vgl. Salmon, J., in Buxton ν Minister of Housing and Local Government, 1961 1 QB 278 (282 f); ferner Gregory ν Camden Local Borough Council, 1966, 1 WLR 899; neuerdings etwas liberaler Maurice v. L. C. C., 1966, 2 QB 362. 112 Z.B. action for a declaration (Feststellungsklage), injunction (einstweilige Anordnung), infra, Kapitel 4 und 5. 111

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Die „locus standi "-Frage ist ein Problem aller Rechtssysteme. Einerseits gilt es, einen möglichst umfassenden Rechtsschutz und aktive Mitarbeit bei der Durchsetzung des Rechts zu gewährleisten, andererseits besteht die Notwendigkeit, sich vor Querulanten zu schützen. Letztere werden im englischen Recht besonders unnachgiebig behandelt, wie schon Coke bemerkte 1 1 8 : „culpa est se immiscere rei ad se non pertinenti". Aus diesem Grunde sind Popularklagen auch im englischen Redit unzulässig 114 , wie auch im deutschen, französischen und italienischen Recht 115 . Eine Ausnahme von dieser Regelung gilt allerdings bei prohibition: Wenn z. B. die fehlende Zuständigkeit eines Tribunals offensichtlich erkennbar ist, dann können sogar unbeteiligte Dritte den Prohibitionsbefehl erwirken 1 1 8 . Doch w i r d ein solcher Antrag nur bei Vortrag sehr gewichtiger Argumente Erfolg versprechen 117 . Im übrigen ist diese liberale Regelung auch nur einem historischen Relikt zu verdanken, denn ursprünglich war die Anmaßung der Zuständigkeit „contempt of the Crown" und somit Majestätsbeleidigung, bei der es gleichgültig war, wer diesen Vorwurf erhob 1 1 8 . Für certiorari galten allgemein strengere Regeln, die in letzter Zeit jedoch auch lockerer gehandhabt zu werden scheinen. So mußte vordem nach herrschender Ansicht ein direktes und unmittelbares Interesse des Antragstellers nachgewiesen werden 1 1 9 , obwohl es eine ganze Reihe von Entscheidungen gab, die an das Interesse des Antragstellers geringere Anforderungen stellten 1 2 0 . M i t dem Greenbaum-Fall 121 jedoch setzte sich eine liberalere Auffassung durch: Hier hatte eine Stadtverwaltung eine Straßenstandlizenz an X statt an Y erteilt. Y beschwerte sich beim „Magi113

Coke, Institutes, Bd 2, S. 208. Anders im römischen Recht, vgl. Bruns: „Die römischen Popularklagen", 1864, 3 Zeitschrift für Rechtsgeschichte, S. 341. 115 Vgl. Ule, V W G O , S. 133; Waline, Droit Administratif, 9. Aufl., S. 493— 501; Galeotti: Judicial Control of Public Authorities in England and in Itlay, S. 201—207. 116 So schon Coke, Institutes, Bd 2, S. 607; ferner de Haber ν Queen of Portugal, 1851, 17 QB 171 (214); R ν Comptroller-General of Patents and Designs, ex parte Parke, Davis & Co., 1953, 2 WLR 760 (764). 117 Vgl. de Smith, S. 427. 118 Vgl. Worthington ν Jeffreys, 1875, L. R. 10 C. P. 379 (382); ferner de Smith, S. 428. 119 Ex parte Stott, 1916, 1 KB 7; ferner Short & Mellor, op. cit., 2. Aufl., S. 49; Galeotti, op. cit., S. 197; a. A. Yardley, D. C. M.: certiorari and the problem of locus standi, 1955, 71 LQR, S. 388. 120 Z.B. R ν Surrey Justices, 1870, L. R. 5 QB 466 (472); R ν Grove, Wiltshire Justices, 1893, 57 JP, S. 454; R ν Nicholson, 1899, 2 QB 455 (472); nach dem Stott-Fall: R ν Butt, ex parte Brooke, 1922, 38 TLR 537/539; R ν Brighton Borough Justices, ex parte Jarvis, 1954, 1 WLR 203 (207) und Buxton Fall, a.a.O., 278 114

(286). 121

R ν Thames Magistrates Court, ex parte Greenbaum, 1957, 55 LGR, 129.

Certiorari

und Prohibition

45

strates Court", dem örtlichen Gericht, das, ohne in der Sache zuständig zu sein, den Straßenstand nunmehr Y zusprach. Das High Court billigte X „locus standi" zu, obwohl er nicht Partei bei der Entscheidung vor dem Magistratsgericht war. A n diesem Fall sieht man deutlich, wie formal diese Kriterien sind, denn dem deutschen Beobachter käme es lediglich auf das Beschwertsein des Antragstellers an, das in diesem Fall selbstverständlich bejaht würde. Für England hingegen war dies eine fast revolutionierende Neuerung, die allerdings auch jederzeit wieder rückgängig gemacht werden könnte. b) Umfang des gerichtlichen Ermessens Das gerichtliche Ermessen bei beiden Verfahrensarten ist sehr groß. Es wurde bereits dargelegt 122 , daß fast jedes der vier Elemente der Lord Atkinschen Formel schwammig und unklar abgegrenzt ist. Daraus ergibt sich für das Gericht die Möglichkeit, von Fall zu Fall zu entscheiden, ob es eine enge Kategorisierung oder aber eine weite Auslegung vornehmen will. Gegebenenfalls knüpft die Entscheidung an einem anderen Element der Formel an, wenn ein klarer Weg mittels einer Kategorie nicht gefunden werden kann 1 2 3 . Für den rechtsuchenden Bürger, der im Wege eines Prohibitions- oder Certiorari-Verfahrens sein Recht erlangen möchte, bleibt die Lösung bis zur Entscheidung durch die Richter ein großes, verwirrendes Rätsel, das kaum rationaler Ergründung fähig ist 1 2 4 . Da gerichtliche Verfahren teuer und langwierig sind, wird der mit dieser Materie selten intim vertraute Anwalt (Solicitor) seinem Mandanten daher häufig raten, auf einen Prozeß zu verzichten. Die unbeschränkten Mittel des Staates und seiner Institutionen andererseits schaffen überdies ein Ungleichgewicht, sodaß praktisch Rechtsverletzungen ohne gerichtliche Folgen bleiben können.

4. Gegenwärtige Bedeutung von Certiorari und Prohibition Nach alledem fragt sich, welche Bedeutung diesen beiden Klageformen heute noch zukommt. Beide Klageformen richten sich an Untergerichte sowie an Verwaltungstribunale, die vorwiegend öffentlich-rechtlichen Charakter haben 125 . Evidente Formfehler, Überschreitungen der gesetzlichen Kompetenzen oder Verletzung der Regeln über die natürliche 122

Supra, 2 a, S. 28. Siehe R ν Criminal Injuries Compensation Board, ex parte Lain, 1967, 2 QB 864; supra, 2 a, S. 28. 124 Vgl. a. de Smith, S. 405. 125 Vgl. R ν Aston University, ex parte Roffey, 1969, 2 QB 538; s. a. Law Com. Working Paper Nr. 40, S. 7. 123

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Gerechtigkeit können mithin zum Erlaß dieser Klagebefehle führen. Die vielen Schwierigkeiten, den genauen Inhalt dieser Verfahren zu bestimmen — wie oben nachgewiesen wurde — beweisen jedoch, daß diese Prärogativverfahren trotz ihrer potenziellen Nützlichkeit wegen zu großer prozeduraler Verworrenheit nur relativ selten zum Tragen kommen. Wenn es darum geht, Verwaltungshandeln transparenter und zugleich gerichtlich nachprüfbar zu machen, darf das Instrumentarium der Gerichte selber nicht die gleichen Mängel vorweisen. Sonst würde das Problem der Verwaltungskontrolle nur verlagert: V o n der Ermessensentscheidung der Verwaltung käme man zur Ermessensentscheidung der Gerichte, deren Aufgabe in der Überprüfung von Verwaltungsakten, nicht der Ersetzung solcher Entscheidungen liegen sollte.

Kapitel 2 II.

Das Mandamus-Verfahren

1. Rechtsnatur des Mandamus-Verfahrens a) Begriff und Einordnung des Mandamus-Verfahrens i n das System der Klageformen Mandamus-Verfahren gehören wie Certiorari- und Prohibitoinsverfahren zu der Gruppe der Prärogativbefehle. Mandamus ergeht als zwingender Gerichtsbefehl des High Court, Queen's Bench Division, der eine Behörde verpflichtet, einen bestimmten Verwaltungsakt vorzunehmen. Vorausgesetzt wird dabei, daß der Antragsteller ein hinreichendes rechtliches Interesse an der speziellen Ausführung einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung nachweist 1 . Das Mandamus-Verfahren hat auf den ersten Blick somit große Ähnlichkeit mit der Verpflichtungsklage gem. § 42 VwGO. Anders als i n Certiorari- und Prohibitionsverfahren gilt die Beschränkung auf „judizielle Funktionen" der Verwaltung 2 bei Mandamus nicht. So wird Mandamus etwa erteilt, um eine Kommunalbehörde zu verpflichten, bestimmte Satzungen zu erlassen 3 — eine rein legislative Funktion 4 . Der typische Anwendungsbereich für Mandamus sind solche Fälle, in denen es um die Ausführung gesetzlich vorgeschriebener Verpflichtungen geht. 1 Vgl. Wade, S. 119 ff; Blackstone, Commentaries, Bd 3, S. 110f; Loewenstein, Bd 2, S. 124; Holdsworth, H. E. L., Bd X, S. 156; Jenks, 1923, 32 Yale LJ, 530; Rubinstein, Jurisdiction and Illegality, S. 98 ff; Macdermott, Protection from Power, S. 86; Street, Governmental Liability, S. 135. 2 Zum Begriff „judicial functions", supra, I 2 a dd, S. 33. s „Bye-Laws". 4 Vgl. hierzu R ν Manchester Corporation, 1911, 1 KB 560.

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Diese Verpflichtungen müssen als solche eindeutig erkennbar sein. Es genügt zum Beispiel nicht, daß die Verantwortung der Behörde lediglich deklariert wird und allenfalls politische Sanktionen impliziert. Aus dem Gesetz selber muß normalerweise eindeutig hervorgehen, daß es sich um eine Verpflichtung handelt, die öffentlichen und rechtlichen Charakter trägt 5 . Die Verpflichtung wird aber auch dann angenommen, wenn das Gesetz dies zwar nicht wortwörtlich von einem Hoheitsträger verlangt, dies sich aber aus der Intention des Gesetzgebers ergibt; so kann Mandamus beispielsweise gegeben werden, wenn das Gesetz nur vorsieht, daß die Behörde eine Ermessensentscheidung treffen soll, die nicht näher eingegrenzt worden ist. Das High Court kann in einem solchen Fall die Rechtmäßigkeit des behördlichen Ermessens 6 überprüfen. Wie bei allen Prärogativverfahren kann Mandamus nur gegenüber Behörden („public bodies") geltend gemacht werden. Dementsprechend können die Mitglieder von Handelsgesellschaften nicht im Wege von Mandamus gegen ihre Gesellschaft vorgehen 7 . Auch gegen private Schiedsverfahren („arbitral tribunals") kann nicht mit Mandamus vorgegangen werden 8 ; und dies, obwohl bei Certiorari-Verfahren die strikte Unterscheidung »öffentliche Behörde' und »private Organisation' in letzter Zeit zugunsten einer weiteren Auslegung des Behördenbegriffes 9 aufgeben wurde. De Smith ist daher auch der Ansicht, dies sollte ebenfalls für Mandamus gelten 10 . b) Historischer Uberblick Jenks ist der Auffassung, daß dieses Verfahren schon sehr früh entstand und daß ursprünglich das Wort „Mandamus" ohne besondere Bedeutung in königlichen Befehlen vorkam, da „das autokratische Oberhaupt eines riesigen Verwaltungsapparates jeden Tag Gelegenheit hatte, seine Untertanen herumzukommandieren („to mandamus about") 1 1 . De Smith weist nach, daß erst 1573 ein Fall entschieden wurde, in dem Mandamus im heutigen Sinne verwendet wurde 1 2 . In dem entsprechenden 5 Vgl. z.B. Coal Industry Nationalisation Act, 1946, section 1 (1) (b); ferner Education Act, 1944, sect. 1 (1). β Vgl. R ν Vestry of St. Paneras, 1890, 24 QBD 371; Padfield ν Minister of Agriculture, Fisheries and Food, 1968, AC 997. 7 R ν Bank of England, 1819, 2 B. & Aid. 620. 8 R v Industrial Court, ex parte A. S. S. E. T., 1965, 1 QB 377 (388). 9 Vgl. R ν Criminal Injuries Compensation Board, ex parte Lain, 1967, 2 QB 864; s. a. supra, I 2 a bb, S. 29. 10 Vgl. de Smith, S. 562, aber einschränkend, Fn. 84. 11 Jenks, 1923, 32 Yale LJ, S. 530. 12 De Smith, S. 378.

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Falle waren einem Londoner Bürger die freien Stadtrechte entzogen worden 1 8 . Das Court of King's Bench hat aber erst im berühmten BaggsFall 14 von 1615 Mandamus als Rechtsbehelf zugelassen: Baggs, ein Stadtrat („capital burgess") von Plymouth, war vom Bürgermeister und dem gesamten Stadtrat rechtswidrig seines Amtes enthoben worden. Lord Chief Justice Coke befahl („commanded") die Wiedereinsetzung, es sei denn, die Stadt und der Bürgermeister könnten beweisen, ihr Verhalten sei zu Recht erfolgt. Da sie schwiegen, war Baggs mit seinem Mandamusbegehren erfolgreich und wurde durch Gerichtsbefehl automatisch in sein Amt wiedereingesetzt. Coke , der Hauptverfechter der Unabhängigkeit der Gerichte, dessen mutige Verteidigung des Common Law gegenüber der Prärogative des Königs schließlich zum Konflikt und zu seiner Demission führte 16 , war entschieden für eine Ausweitung der Kontrollbefugnisse der Gerichte über Verwaltungshandeln und damit für eine möglichst liberale Anwendung von Mandamus eingetreten 16 . Allerdings konnte oder wollte er Mandamus nicht zu den Prärogativverfahren rechnen, weil das ja das Verhältnis Prärogative-Common Law zuungunsten des Common Law und seiner Gerichte beeinflussen würde, während Coke doch stets die Vorherrschaft des Common Law über Equity und damit über Prärogativen des Königs und der Chancery propagierte. Trotzdem nannte er Mandamus des öfteren in einem Atemzug mit Prohibition, Certiorari und selbst mit Habeas Corpus. Er wurde, wie in allen seinen Ausführungen, auch hierin scharf kritisiert. Alle Nachfolger Cokes waren Royalisten und betonten daher zwangsläufig den Prärogativcharakter von Mandamus. Eines hatte sich dabei trotz aller Kompetenzstreitigkeiten herausgestellt: Mandamus war als rechtlich zulässiges, separates Verfahren sichergestellt. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts wurde dieses Verfahren immer häufiger angewendet, und zwar auf eine ganze Reihe öffentlichrechtlicher oder quasiöffentlidirechtlicher Verpflichtungen: M a l ging es um die Zulassung oder Wiedereinsetzung eines „Alderman", eines „Innungsmitglieds" in seine Innung („Corporation"), mal um das Abhalten von Wahlen, ein anderes Mal wurde es als wichtiges Mittel zur Verhinderung der korrupten Praxis der parteilichen Ämterpatronage („packing") benutzt. Seit 1688 versuchten die Whigs mit dem Mandamus-Verfahren, eigene Leute in die Stadtverwaltungen zu lancieren, die bislang von den Tories 13

Middleton's Case, 3 Dyer 332 b. Bagg's Case, 1615, 11 Co. Rep. 93bff. 15 Vgl. auch David-Grassmann, S. 340 ff. 16 Co. Inst., Bd 4, S. 71, ferner 11 Co. Rep. 98a: „This court hath not only jurisdiction to correct errors in judicial proceedings, but other misdemeanours extrajudicial tending to the breach of the peace, or oppression of the subject... or any other manner of misgovernment . . . " 14

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unrechtmäßig mit eigenen Leuten überbesetzt wurden, um eine Mehrheit zu gewährleisten 17 . Das Mandamus-Verfahren wurde nun mit der Zeit durch die Kasuistik fortentwickelt. Lord Mansfield 18 konnte bereits i n mehreren Fällen aus den Vorentscheidungen eine Zusammenfassung dieses neuen Verfahrens deduzieren 19 und verhalf damit dem Mandamus-Verfahren zur endgültigen Anerkennung. Er charakterisierte dies Verfahren als „. . . prerogative writ flowing from the King himself, sitting in his court, superintending the police and preserving the peace of this country" 20 .

Wie Mansfield charakterisierte auch Blackstone dieses neue Verfahren als anerkanntes Prärogativverfahren 21 , das von dem Court of King's Bench ausgehe. Holdsworth legt überzeugend dar, daß die Abschaffung des Court of Star Chamber im Jahre 1641 sowie die englische Revolution die Entwicklung dieses neuen Verfahrens beschleunigten, denn es war bald die einzige Möglichkeit, wie man Organe der Kommunalverwaltung überhaupt einer gerichtlichen Kontrolle unterziehen konnte 2 2 . Hatte sich das Mandamus-Verfahren im 18. Jahrhundert zunehmender Beliebtheit erfreut, so schrumpfte seine Bedeutung nach dem Erlaß der Reform Acts von 1835 stark zusammen: M i t den Reform Acts wurde die Kommunalverwaltung reformiert und das allgemeine Wahlrecht eingeführt. Auch die Kommunalbeamten wurden nunmehr in ordentlichen Wahlverfahren gewählt — die illegale Praxis der korrupten „Packings" der Kommunen hörte damit schlagartig auf. Die Zentralverwaltung in London vergrößerte zugleich ihren Kontrollapparat und schickte regelmäßig „District Auditors" (Rechnungsprüfer) sowie andere Dienstleistungsinspektoren zur Überprüfung der Kommunalverwaltung. Außerdem erging eine Unzahl von Verordnungen, die bestimmte lokale und regionale Vorhaben bis ins einzelne regelten. Für Mandamus blieben kaum noch Fallsituationen übrig, es versank fast in Vergessenheit. Konnte Mitte des 19. Jahrhunderts noch eine umfängliche Fallsammlung dem Mandamusverfahren gewidmet werden, ergehen heute MandamusBefehle nur noch ganz selten 23 . Zwischen 1964 und 1967 gab es insgesamt 17

Vgl. Kunze, S. 16 ff, ferner Jenks, 23 Yale LJ (1923), S. 530 f. Lord Mansfield war einer der berühmtesten Rechtsreformer, insbesondere des Handelsrechts. 19 Vgl. die bei de Smith, S. 379, Fn. 97 und 98 genannten Beispiele. 20 R ν Barker, 1762, 3 Burr. 1265: „Prärogativbefehl, der im Namen des Königs ergeht, und der vor des Königs eigenem Gericht (dem Court of King's Bench) verhandelt wird. Mit ihm wird die Polizei überwacht und der Frieden des Landes gewahrt"; Ubers, d. Verf. 21 Vgl. Commentaries, Bd 3, S. 110 f; s.a. Holdsworth, H. E. L., Bd X, S. 156 f. 22 Holdsworth, H.E.L., Bd X, S. 156 f; ders., Bd IV, S. 72—80; s. ferner Wade, 1. Aufl., S. 119 f. 23 Vgl. Thomas Tapping, The Law and Practice of the High Prerogative Writ of Mandamus, as it obtains both in England, and in Ireland, 1848, 242 Seiten, zit. in de Smith, S. 560. 18

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nur 51 Anträge, von denen 10 erfolgreich waren 2 4 . Mandamus-Verfahren beschränken sich heute weitgehend auf gerichtliche Anordnungen gegenüber Tribunalen, die sich rechtswidrig weigern, überhaupt tätig zu werden oder aber von ihrem gesetzlich vorgesehenen Ermessen keinen Gebrauch machen. 2. Zielrichtung des Mandamusverfahrens a) Fallgruppen die zum Erlaß von Mandamus führen W i e bei allen Prärogativverfahren, so auch bei Mandamus, ist es nicht einfach, genau abgegrenzte Kategorien oder mindestens Fallgruppierungen aufzustellen, aus denen sich Regeln für den Erlaß von MandamusBefehlen herleiten könnten 2 5 . Auffällig ist für den deutschen Beobachter zunächst, daß diese Klageform, die gewisse Ähnlichkeiten mit der Verpflichtungsklage gem. § 42 V w G O auf weist, lediglich gegenüber Untergerichten („inferior courts"), sowie Tribunalen und Kommunalbehörden zur Anwendung kommen kann. aa) Gegenüber Tribunalen kann ein Antrag auf Erlaß eines Mandamusbefehls Erfolg haben, wenn das Tribunal sich entweder weigert, im Rahmen seines gesetzlich festgelegten oder durch ministeriellen Erlaß erteilten Kompetenzrahmens tätig zu werden 2 6 , oder es überhaupt ablehnt, einen Fall dem High Court zur Entscheidung vorzulegen, falls dies rechtlich vorgesehen und gewünscht wird 2 7 , oder schließlich keine Begründung für seine Entscheidungen liefert, obwohl hierzu von Gesetzes wegen verpflichtet 28 . In vielen dieser Fälle könnte auch mit Certiorari vorgegangen werden, wie dies i n Indien und einigen amerikanischen Staaten regelmäßig praktiziert wird 2 0 . bb) Obwohl im kommunalen Verwaltungsbereich durch die „Local Government Acts" Mandamus-Verfahren nahezu überflüssig geworden waren, wie oben 30 nachgewiesen wurde, verbleiben doch noch Fallgruppen, in denen das High Court Pflichten der Kommunalverwaltung erzwingen 24

De Smith, a.a.O. Dieses Dilemma wird von de Smith treffend beschrieben: „. . . The scope of the order of mandamus . . . is not easy to rationalise or even to set out in a series of formal propositions." 26 Vgl. ζ. Β. R ν City of London Licensing Justices, ex p. Stewart, 1954, 1 WLR 1325; R ν Fraser Harrison (Judge), ex parte The Law Society, 1955, 1 QB 287. 27 R ν Watson, ex parte Bretherton, 1945, KB 96. 28 Vgl, Brayhead (Ascot) Ltd. ν Berkshire County Council, 1964, 2 QB 303 (313 f). 29 Vgl. Kieps, Certiorarified Mandamus, in 1950, 2 Stanford LR 285; ferner Markose, S. 371—382; s. a. Wade 2, S. 128, Fn. 2. 80 Supra, S. 49. 25

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kann: Zunächst besteht die Möglichkeit, daß der zuständige Minister selber das High Court anruft, um eine bestimmte Verpflichtung der Kommunalverwaltung mit Mandamus durchzusetzen 31 . Diese gesetzlich vorgesehene Anrufung des Gerichtes zum Erlaß eines Mandamusbefehls wurde von der Judikatur dann aber sogleich zum Nachteile einzelner Bürger so ausgelegt, daß in solchen Fällen ausschließlich der Minister, nicht aber betroffene Individuen ein Mandamus-Verfahren begehren können 3 2 . Selbst wenn keine gesetzlichen Vorschriften vorhanden sind, die so ausgelegt werden können, daß das Mandamus-Verfahren ausschließlich dem Minister zusteht, werden Anträge von einzelnen Bürgern stets mit größter Zurückhaltung behandelt, wohl aus Angst vor einer Flut von Klagen vor Gericht 33 . Da die klassischen Mandamus-Fälle gegen Stadt- und Grafschaftsverwaltungen heute kaum noch eingreifen 34 , bleiben in diesem Bereich praktisch nur noch zwei Fallgruppen übrig: Zum einen, wenn sich eine Kommunalbehörde überhaupt weigert, eine ihr vorgelegte Frage zu behandeln, etwa mit der Begründung, sie sei hierfür nicht zuständig, oder ohne den Einzelfall des näheren zu würdigen 35 , zum anderen, wenn eine Kommunalbehörde sich rechtswidrig weigert, einem betroffenen Bürger Akteneinsicht zu gewähren 36 . De Smith zitiert jedoch zwei alte Präzedenzfälle, aus denen sich ergibt, daß dieses Recht nur in ganz engen Grenzen gilt, wenn der Antragsteller nachweist, daß die Akten ihn höchstpersönlich betreffen 37 . Da dies häufig erst dann feststellbar ist, wenn die Akteneinsicht erfolgt ist, scheitern solche Vorhaben meist schon im Ansatz. Als Beispiel für diese merkwürdige Beschränkung der Akteneinsicht, die Geheimnistuerei und blindes Vertrauen in die Verwaltung impliziert, mag folgender Fall dienen: Einem Mandamus-Antragsteller wurde deshalb die Akteneinsicht verweigert, weil es sich im Laufe des Verfahrens herausstellte, daß er mit Hilfe der so erlangten Informationen lediglich einem anderen Bürger Munition für dessen Klage gegen den Stadtrat von Hampstead liefern wollte 3 8 . Diese krampfhaft erscheinende Praxis der Gerichte ist allenfalls 81

So etwa gem. Local Government Act 1933, Sect. 199; Education Act 1944, Sect. 99; National Health Service Act 1946, Sect. 57. 32 S. hierzu Watt ν Kesteven County Council, 1955, 1 QB 408, (Verpflichtung einer örtlichen Schulbehörde, eine ausreichende Anzahl von Schulen einzurichten, konnte nur vom Minister gem. Sect. 99 des Education Act 1944 eingeklagt werden). 33 Vgl. hierzu de Smith, S. 562 und 569. 34 Vgl. H.L.E. Bd 11, S. 87. 35 Z. B. R ν Flintshire County Council Licencing Committee for Stage Plays, ex parte Barrett, 1957, 1 QB 350. 36 Vgl. hierzu H. L. E. Bd 11, S. 88 ff. 37 De Smith, S. 570, m. w. H. in Fn. 42. 38 R ν Hampstead Borough Council, ex parte Woodward, 1917, 116 LT 213. 4*

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dadurch zu erklären, daß sie sich — wie bei allen anderen Klageformen — scheuen, die Verwaltung unmittelbar zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen und nicht zuletzt aus Furcht vor einer Prozeßflut. Folglich finden sich heute kaum nennenswerte Beispiele, in denen Mandamusbefehle ergehen; eine meines Erachtens bedauerliche Selbstbeschränkung der Gerichte gegenüber einer ständig umfangreicheren und einschneidendere Maßnahmen treffenden Verwaltung.

b) Gründe, die Mandamus ausschließen Damit erschöpfen sich auch bereits die Kategorien, die zum Erlaß von Mandamus führen können. Leichter darstellen lassen sich diejenigen Fallgruppen, denenzufolge Mandamus ausgeschlossen ist. aa) Hierzu gehören etwa die in der Person des Antragstellers liegenden Umstände, wie etwa die Behauptung, dem Kläger stehe ein Recht zu, das in Wirklichkeit nicht existiert 39 . Ferner wird sein Antrag erfolglos bleiben, wenn er durch sein eigenes Verschulden allzu lange den Antrag verzögert, obwohl keine Ausschlußfrist besteht wie etwa bei Certiorari (6 Monate) 40 . Das Gericht erläßt ferner keinen Mandamusbefehl, wenn es der Ansicht ist, daß dem Antragsteller mit einem die Behörde verpflichtenden Mandamus-Befehl nicht mehr geholfen werden kann, oder wo von vornherein klar ist, daß die Verwaltung den Befehl nicht befolgen kann, weil ζ. B. ein Amt bereits mit einem anderen Wahlbeamten besetzt worden ist: „lex non cogit ad inutilia" 4 1 . Andererseits reicht es nicht aus, daß der beklagten Behörde hohe finanzielle Belastungen entstehen würden 4 2 . W o allerdings die Grenze im Einzelfall zu ziehen ist, liegt im kaum voraussehbaren Ermessen des Gerichtes. bb) Die wohl gravierendste Beschränkung dieses Verfahrens liegt zweifellos darin, daß Mandamus sich nicht gegen die Krone oder einen Kronbediensteten richten kann, wenn dieser in Erfüllung seiner Dienstpflichten tätig wurde. Das Prinzip wurde so bereits 1891 endgültig fixiert 43. W i e bereits bei Certiorari und Prohibition dargelegt 44 , wäre es der 39

Siehe hierzu de Smith, S. 578 ff. Vgl. R ν Aston University Senate, 1969, 2 QB 538 (555, 559). Hier wurde jedoch bereits eine kaum länger als sechs Monate dauernde Verzögerung als erfolgabschneidender Umstand angesehen. 41 De Smith, S. 581 f; Law Commission, Working Paper Nr. 40, S. 25; ferner R ν L. C. C., ex parte Corrie, 1918, 1 KB 68 (74). 42 R ν Poplar Borough Council, ex parte L. C. C. (Nr. 1), 1922, 1 KB 72 (84). 43 R ν Secretary of State for War, 1891, 2 QB 326 (334) im Court of Appeal, per Charles J. 44 Supra, I 2 a bb, S. 29. 40

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Theorie der Prärogativrechte der Krone abträglich, ja sogar systemwidrig, wollten Gerichte einen Prärogativbefehl gegen die Krone selber erlassen, quasi sich selbst verpflichten 45 . Auch wäre es unvorstellbar, daß die Krone dem Risiko der Bestrafung wegen Nichtbefolgung der Gerichtsanordnungen („Contempt of Court") ausgesetzt würde, eine für Mandamus als Sanktion vorgesehene Maßnahme 46 . Die Law Commission, die alle gerichtlichen Klageformen in eine einzige verschmelzen möchte, sagte zutreffend: „The first reason depends upon the peculiar historical origins of the prerogative writs; the second seems equally unconvincing, since there is no need for the Crown to be dealt with in the same way, as for example, a disobedient local authority or tribunar 4 7 .

Das ergebe sich bereits aus der Konstruktion des Crown Proceedings Act Î947, demzufolge die Befolgung eines Gerichtsbeschlusses in Zivilsachen gegen die Krone gem. Section 25, Abs. 4 nicht erzwungen werden könne. Da jedoch das Prinzip der Kronprivilegien nach wie vor herrscht 48 , gilt dies konsequenterweise auch für die Bediensteten (vorwiegend die Beamten) der Krone. Denn „man soll nicht durch indirekte Methoden das erreichen können, was auf direktem Wege unerreichbar ist" 4 9 . Eine einzige Ausnahme wird hiervon allerdings gemacht: Wenn die Verpflichtung einem namentlich genannten Kronbediensteten auferlegt worden ist, und dieser persönlich tätig werden soll, „persona designata", und dabei nicht als Berater der Krone fungiert, dann kann ein Mandamus-Verfahren ihm gegenüber erfolgreich sein 50 . Der Kritik der Law Commissioners ist zuzustimmen, daß es ungerecht erscheint, den Erlaß eines Gerichtsbefehls davon abhängig zu machen, ob die Verpflichtung der Krone selber oder einem namentlich genannten Minister oder Beamten der Krone obliegt. Die Law Commissioners kommen hier, wie auch bei den anderen Prärogatiwerfahren, übereinstimmend zu der Auffassung, daß diese Beschränkung unbedingt überprüft und gegebenenfalls abgeschafft werden sollte. 45

Vgl. Working Paper Nr. 40, Law Commission, S. 26. So entschieden in R ν Powell, 1841, 1 QB 352 (361). 47 j Law Commission, Working Paper, Nr. 40, S. 26; de Smith, S. 575: „Die erste Begründung hängt von der seltsamen historischen Entwicklung der Prärogativverfahren ab, die zweite Begründung erscheint ebenfalls nicht überzeugend, da die Krone ohne weiteres anders behandelt werden könnte, als etwa unfolgsame Kommunalbehörden oder Tribunale"; übers, d. Verf. 48 Wenngleich auch nunmehr evtl. unter anderer Bezeichnung, vgl. Rogers ν Secretary of State for the Home Department, Gaming Board for Great Britain ν Rogers, H. L., 1972, 2 All ER 1057; insbes. S. 1060, 1066; s. a. supra, I 2 a bb, S. 29. 49 Law Commission, Working Paper Nr. 40, S. 27; ferner de Smith, S. 575. 50 Vgl. Working Paper Nr. 40, S. 27; ferner R ν Inland Revenue Commissioners, re Nathan, 1884, 12 QBD 461 (472); R ν Commissioners for Special Purposes of the Income Tax, 1888, 21 QBD 313. 48

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cc) Erscheint bereits der Bereich der justizfreien Prärogative ungewöhnlich umfangreich, so muß den Kontinentaleuropäer eine weitere Beschränkung des Mandamus-Verfahrens erstaunen. Nach dem zweiten Weltkrieg sind eine ganze Reihe von Grundindustrien verstaatlicht worden, für die die Rechtsform einer „Public Corporation" gewählt wurde 5 1 . Diese verstaatlichten Gesellschaften nehmen weitgehend nach wettbewerbsmäßigen Regeln am wirtschaftlichen Leben teil, wenngleich ihnen durch Gesetz besondere Aufgaben zugewiesen werden können, die nicht unbedingt rentabel zu sein brauchen. So muß die British Overseas Airways Corporation (BOAC) als staatliche Fluggesellschaft das Verlustgeschäft der wöchentlichen Flüge in arabische Emirate wahrnehmen, das die jährliche Bilanz der Corporation erheblich belastet. Der Vorstand dieser Gesellschaften w i r d von der Regierung bestellt und dieser muß der Regierung regelmäßig Bericht erstatten. Das Parlament hat einen ständigen Sonderausschuß zur Überprüfung der Tätigkeit der Staatsgesellschaften gegründet 52 , sodaß diese Industrien einer erheblichen staatlichen Kontrolle unterliegen. Da die Gesetze, in denen die Rechte und Verpflichtungen der Public Corporations niedergelegt sind, oft sehr vage umschriebene Ermächtigungsnormen enthalten, folgert die herrschende Lehre, daß deshalb die Gerichte in diesem Bereich machtlos sind 53 . Und selbst wenn es sich um eine klar umrissene Verpflichtung handelt und der betroffene Bürger sein höchstpersönliches Interesse nachweisen kann, besteht die Tendenz, daß solche Verfahren abschlägig beschieden werden, weil die Gerichte sonst befürchten, daß eine Prozeßflut auf sie zurollt 5 4 . dd) Da Mandamus seit jeher als außergewöhnliches Residualmittel angesehen wurde, beschränkt sich sein Anwendungsbereich auf Fälle, in denen kein anderer Rechtsweg offensteht 55 , insbesondere, wenn Alternatiwerfahren für den Antragsteller „ebensoleicht zugänglich, günstig und sinnvoll" 5 6 sind. In den vielen Fällen, in denen durch Gesetz be51 Ausführlich hierzu: Garner, 3. Aufl., S. 322—334. Hier die Hauptbeispiele Landwirtschaft, Luftverkehr, Atomenergie, Rundfunk und Fernsehen, Kohle, Stahl, Commonwealth Entwicklung, Elektrizität, Finanzen und Industrie: a) Bank von England, b) Dezimalwährungsbehörde, c) Industrieorganisation, d) Preis- und Lohnbehörde, Fischerei, Forstwirtschaft, Gas, Hospitäler, Wohnungswesen·, Nationalparks, Rassenbeziehungen, Zucker, Tourismus, Städteplanung, Transportwesen und Wasserwirtschaft. 52 Select Committee on Nationalised Industries. 58 Vgl. de Smith, S. 562; Griffith & Street, 4. Aufl., S. 308—312. 54 Griffith & Street, 4. Aufl., S. 308 ff; zu den beschränkten Möglichkeiten, im Wege von Schadensersatzklagen gegen Public Corporations vorzugehen vgl. infra, S. 86. 65 Vgl. Blackstone, Commentaries, Bd 3, S. 110; ferner R ν Inland Revenue Commissioners, re Nathan, 1884, 12 QBD 461 (478 f). 56 R ν Leicester Guardians, 1899, 2 QB 632 (639); R ν Poplar Borough Council, ex parte L. C. C. (Nr. 1), 1922, 1 KB 72 (85 ff).

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stimmte Verfahren zur Streitbeilegung normiert werden, weigern sich die Gerichte grundsätzlich, irgendwelche anderen Verfahren zu wählen. Das Gesetz w i r d dann so restriktiv ausgelegt, daß nur das speziell genannte Verfahren möglich ist; eine Selbstbeschränkung der Richterschaft, die nicht notwendig wäre 5 7 . „Actions for a declaration", Verfahren zur Feststellung der Rechte eines Antragstellers, können jederzeit anstelle von Mandamus-Verfahren eingeleitet werden. Da solche Verfahren aber ohne bestimmte Rechtsfolge bleiben, lediglich bestehende Rechte deklarieren, w i r d durch diese Verfahrensmöglichkeit Mandamus auch nicht ausgeschlossen. Beide Verfahren können aber nicht gleichzeitig eingeleitet werden. Wenn ein Berufungs- oder Revisionsverfahren möglich ist, scheidet Mandamus grundsätzlich aus 58 . Aber auch hiervon gibt es Ausnahmen: So kann Mandamus erfolgreich sein, wenn ein Richter des Untergerichtes ohne Angabe von Gründen eine Klage abgewiesen hat; in solchen Fällen braucht der Kläger nicht in die Berufung zu gehen, sondern kann sogleich ein Mandamusverfahren anstrengen 59 . Die Gerichte haben in der Praxis daher einen großen Ermessensspielraum, ob sie im Einzelfall Mandamus durchgreifen lassen wollen oder nicht.

3. Der Umfang des „Mandamus"-Verfahrens a) „Locus Standi "-Fragen bei Mandamus Die Erfordernisse für die Klagebefugnis des Antragstellers sind bei Mandamus wie bei allen Prärogatiwerfahren umstritten und keineswegs deutlich abgrenzbar. Es lassen sich im wesentlichen zwei Präzedenzfallketten nachweisen, eine liberalere und eine strengere Ansicht: Entsprechend der liberaleren Auffassung konnte ein Gemeindepfarrer mit Erfolg behaupten, daß die für die Vergabe von Lizenzen für Spirituosen zuständigen Richter („Licensing Justices") eine solche Lizenz jemandem übertragen hatten, ohne dafür zuständig zu sein 60 . Das Gericht begnügte sich mit der Feststellung, der Antragsteller habe ein hinreichendes Interesse. Was daran „hinreichend" war, wurde offengelassen. 57 Vgl. de Smith, S. 584, ferner Pasmore ν Oswaldtwistle Urban District Council, 1898, AC 387; Poplar-Fall Nr. 1, s. ο., S. 85. 58 Vgl. H.L.E., 3. Aufl., Bd 11, S. 108, Fn. b; ferner R ν City of London Assessment Committee, 1907, 2 KB 764; Stepney Borough Council ν Walker & Sons, Ltd., 1934, AC 365 (395 ff). 59 R ν Thomas, 1892, 1 QB 426; R ν Paddington Valuation Officer, ex parte Peachey Property Corporation, Ltd., 1966, 1 QB 380. 60 R ν Cotham, 1898, 1 QB 802.

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Auch im Paddington fassung vertreten.

Valuation

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Officer-Fall

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wurde diese liberale Auf-

Andererseits gibt es Fälle, die wesentlich strengere Maßstäbe anlegen: Der Hauptbeispielsfall dieser Meinung ist R ν Lewisham Union 62. Dort hatte ein städtisches Gesundheitsamt, dem der Seuchenschutz, u. a. die Pockenbekämpfung oblag, versucht, die gesetzlich eingesetzten Armenpfleger seines Distrikts durch gerichtlichen Mandamusbefehl zur Impfung aller ihrer Schützlinge zu verpflichten. Die Klagebefugnis des Amtes wurde mit der Begründung abgelehnt, daß das Interesse des Gesundheitsamtes gegenüber den Kindern hinter dem der Pfleger zurückstehen, Mandamus daher erfolglos bleiben müsse. In jüngster Zeit scheint sich jedoch die liberalere Ansicht durchzusetzen, nicht zuletzt unter dem Druck der Literaturmeinung 63 . Ausreichend sei dieser Meinung zufolge, daß der Antragsteller entweder als Einzelner oder als Mitglied einer bestimmten Gruppe ein besonderes Interesse nachweist, das weiter geht als das Interesse der Allgemeinheit 6 4 . In einem erst kürzlich entschiedenen Fall 6 5 hatte ein Antragsteller in seiner Eigenschaft als Elektroinstallateur ohne Erfolg ein Mandamusverfahren gegen die Kommunalbehörde eingeleitet. Diese hatte entgegen ihrer gesetzlichen Verpflichtung keine Ausschreibung für anstehende Elektroinstallationsarbeiten vorgenommen. In seiner Eigenschaft als Besitzsteuerzahler der Gemeinde hatte er hingegen Erfolg — eine höchst seltsame Entscheidung, die beweist, wie verworren die Frage der Klagebefugnis ist. Man kann kaum umhin, sich der Meinung de Smiths anzuschließen, der über diesen Komplex gesagt hat: „Es bleibt zu hoffen, daß sich schon bald eine Gelegenheit bieten wird, dieses ganze konfuse Rechtsgebiet zu erneuern 1166 . b) Umfang des gerichtlichen Ermessens Aus dem Dargelegten wird deutlich, daß bei allen Mandamusverfahren das Gericht ein recht freies unüberprüfbares Ermessen hat, ob es den Befehl erlassen w i l l oder nicht. Jede abweichende Meinung in einer 61

R v Paddington Valuation Officer, ex parte Peachey Property Corporation Ltd., 1966, 1 QB 380. 62 1897, 1 QB 498; ferner R ν Commissioner of Customs and Excise, ex parte Cooke and Stevenson, 1970, 1 WLR 450. 63 Vgl. insbesondere Thio, 1966, Public Law 133 (146 f); ferner im Court of Appeal: R ν Metropolitan Police Commissioner, ex parte Blackburn, 1968 2 QB 118 (145, 149). 64 Entwickelt in: R ν Manchester Corporation, 1911, 1 KB 560; s. a. Law Commission, Working Paper Nr. 40, S. 24. 85 R ν Hereford Corporation, ex parte Harrower, 1970, 1 WLR 1424. 88 De Smith, S. 574.

Mandamus

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Präzedenzentscheidung kann morgen zum tragenden Entscheidungsgrund werden. W o immer ein geringer Zweifel besteht — und bei den Prärogatiwerfahren ist fast alles kompliziert, unübersichtlich und zweifelhaft — entscheidet das Gericht völlig ungebunden, ob es dem Antrag stattgeben w i l l oder nicht. Auch aus diesem Grunde empfiehlt sich daher eine Reform der Klageformen.

4. Gegenwärtige Bedeutung der Mandamusverfahren Die Bedeutung des Mandamusverfahrens läßt sich nunmehr in wenigen Punkten zusammenfassen: a) Mandamus ist nicht — wie andere Prärogativverfahren — auf die Durchsetzung „judiziellen Verwaltungshandelns" beschränkt. b) Sein Verfahren ähnelt weitgehend den anderen Prärogatiwerfahren, wie ζ. B. Certiorari. Doch gilt für Mandamus die 6-Monats-Antragsfrist nicht. c) Hinsichtlich der Klagebefugnis herrscht nach wie vor große Unsicherheit, da zwei verschiedene Argumentationsketten in den Präzedenzfällen aufgebaut wurden. d) Darüberhinaus kann das Gericht in seinem Ermessen Mandamus ablehnen, wie bei Certiorari und Prohibition, insbesondere, wenn die begehrte Verpflichtung unsinnig wäre. e) Als gravierende Einschränkung dieses Verfahrens muß der Ausschluß der Uberprüfbarkeit von Verwaltungsakten der Krone oder von Kronbediensteten, die die Krone beraten, sowie die Zurückhaltung der Gerichte bei der Auslegung von Verpflichtungen der staatlichen Industrien („Public Corporations") gewertet werden. f) Diese Übersicht zeigt deutlich, weshalb Mandamus nur selten zum Tragen kommt (zwischen 1964 und 1967 gab es 51 Anträge, von denen nur 10 erfolgreich waren). Das Mandamusverfahren ist demnach bedauerlicherweise mit so vielen Vorbehalten und Einschränkungen versehen, daß sein Anwendungsbereich heute außerordentlich gering ist. Deshalb wohl vertrauen Antragsteller heute vorwiegend auf „actions for a declaration" — Feststellungsurteile, die übersichtlicher und leichter zugänglich sind, wenngleich ihnen eine oft gewünschte Rechtsfolge fehlt. Obgleich alle Fälle, in denen Mandamus erfolgreich war, in Deutschland mit einer Verpflichtungsklage gem. § 42 V w G O geltend gemacht werden könnten, ist es wenig sinnvoll, den Mandamusbefehl gegenwärtig als Verpflichtungsklage zu bezeichnen. Dafür ist das Verfahren zu unbedeutsam.

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Gerichtliche

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Sollten die Reformvorsdiläge der Law Commission jedoch Gesetz werden, die darauf hinauslaufen, alle Prärogativverfahren sowie „Injunctions" (gerichtliche Anordnungen) und „Declarations" (gerichtliche Feststellungen bestehender Rechte) in einer umfassenden neuen Klageform zusammenzufassen, besteht die Möglichkeit, daß auch Mandamusbefehle dann als Verpflichtungsklagen eine neue Bedeutung gewinnen 67 .

Kapitel 3 III.

Habeas Corpus-Verfahren

1. Rechtsnatur des Verfahrens W o h l das bekannteste, bedeutsame gerichtliche corpus ad subjiciendum" stone 2 hat das Verfahren

aber im Verwaltungsrecht praktisch nicht sehr Verfahren ist der Prärogativbefehl „Habeas zum Schutze der persönlichen Freiheit 1 . Blackwie folgt skizziert:

„. . . Habeas corpus ad subjiciendum, (is3) directed to the person detaining another, and commanding him to produce the body of the prisoner, with the day and cause of his caption and detention, ad faciendum, subjiciendum et recipiendum, to do, submit to or receive whatsoever the judge or court awarding such writ shall consider in that behalf" 4.

Habeas Corpus deckt sich fast völlig mit den in Artikel 104 GG i. V. m. dem Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen vom 29.6.1956 5 niedergelegten Grundsätzen. Der Ruhm dieses Verfahrens wird allgemein damit begründet, daß seine Wurzeln bereits in der 67

Vgl. Law Commission, Working Paper Nr. 40, S. 57 ff. Vgl. Macdermott, Protection from Power, S. 85; Wade & Phillips, 8 Aufl., S. 491; Jenks, The Story of the Habeas Corpus, 1902, 18 LQR 64—77; Hood Phillips, 4. Aufl., S. 448 ff; Griffith & Street, 4. Aufl., S. 246; Garner, 3. Aufl., S. 175; Foulkes, 3. Aufl., S. 189 f; für einige kritische Anmerkungen siehe ferner Jackson, Machinery of Justice, 3. Aufl., S. 37; Rubinstein, Jurisdiction and Illegality, S. 105 ff; die Law Commission, Working Paper Nr. 40, S. 113 f plädiert daher auch logischerweise für die Beibehaltung dieser Klageform, wenn alle anderen in eine „application for review" verschmelzen, siehe auch infra, Kap. 17, I I I 1 b, S. 273. 2 Commentaries, Bd 3, S. 131. 3 Anm. d. Verf. 4 Sinngemäße Ubers, d. Verf.: „Dieser Befehl richtet sich an jemanden, der einen anderen festgenommen hat (meistens an den Direktor einer Haftanstalt) und gebietet, daß die verhaftete Person dem Gericht vorzuführen ist und daß ferner der Tag der Verhaftung sowie der Grund der Festnahme und Inhaftierung angegeben wird, damit der den Befehl erlassende Richter oder das Gericht alle notwendigen Schritte in dieser Richtung unternehmen kann, ,ad faciendum, subjiciendum et recipiendum' ". 5 1956, BGBl. I, S. 599 i. d. F. des Gesetzes v. 11. 8.1961, BGBl. I, S. 1221. 1

Habeas Corpus

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Magna Carta enthalten sind: „nullus liber homo capiatur, vel imprisonetur, aut disseisietur de libero tenemento suo . . . nisi per legale judicium parium suorum, vel per legem terrae 11 e . über die genauen Einzelheiten der richterlichen Entwicklung dieser Klageformen besteht nicht letzte Klarheit. Fest steht allerdings, daß das Habeas Corpus-Verfahren ursprünglich genau den gegenteiligen Zweck verfolgte, als dies später, vor allem in den Habeas Corpus Gesetzen, niedergelegt wurde: Es hatte nämlich bis zum Ende des 12. Jahrhunderts zum Ziele, verdächtige Personen zu inhaftieren, statt sie aus der Haft zu befreien 7 . In fast allen Klagebegehren war damals als Zusatz die Aufforderung an den zuständigen Sheriff enthalten, den Angeklagten auch dem Gericht vorzuführen. Leistete dieser nicht Folge, konnte er wegen Gehorsamsverweigerung bestraft werden. War der Angeklagte krank, dann erging der Gerichtsbefehl „Habeas corpus languidus retorn'". Aber alles dies lag vor dem Ende des 13. Jahrhunderts 8 . Seit dem 15. Jahrhundert bediente sich das königliche Gericht in Westminster zunehmend dieser Klageform, um die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung zu überprüfen. Die Richterschaft hat diese Klageform daher wie alle anderen „forms of action" entscheidend mitgeprägt 0 .1627 ereignete sich dann ein Fall, der die künftige Bedeutung dieses Verfahrens erheblich beeinflußte: Sir Thomas Darnel und vier andere waren aufgrund eines von zwei Staatsräten („Privy Councillors") gezeichneten Befehles inhaftiert worden, mit der mageren Begründung: „per speciale mandatum regis" 1 0 . Dem Antrag auf Eröffnung eines Habeas Corpus-Verfahrens wurde sofort stattgegeben. Zwar scheiterte der Antrag im Court of King's Bench, doch hatte dieser Fall so großes öffentliches Interesse erregt, daß schon im folgenden Jahr in der Petition of Right , 1628, der König widerwillig der Bestimmung zustimmen mußte, daß künftig genaue Gründe für eine Inhaftierung anzugeben seien 11 . Bald darauf, im bekannten „Six Members" -Fall von 1629 beriefen sich die Angeklagten auf diese Bestimmung; das Gericht folgte aber den Ausführungen des Attorney-Generals und beließ sie weiter in Haft 1 2 . Bis zur Einsetzung des „Langen Parlamentes" von 1640 folgten 11 schwarze 6

Vgl. Coke, Institutes, Bd 2, S. 45 f ; Magna Carta, Kapitel 29. So Jenks, The Story of the Habeas Corpus, 1902, 18 LQR 64 (65). 8 Vgl. Jenks, a.a.O., S. 67 f; ferner Pollock & Maitland, Bd 2, S. 593; s.a. Maxwell Cohen, Some considerations on the origins of Habeas Corpus, 1938, 11 Canadian Bar Rev., S. 92. 9 Vgl. de Smith, S. 589 ff; Halsbury, Laws of England, 3. Aufl., Bd 11, S. 24—51; Rubinstein, Jurisdiction and Illegality, S. 105 ff, 178, 186; ders., 1964, 27 MLR 322 ff. 10 Holdsworth, HEL Bd 6, S. 32—37; Hood Phillips, 4. Aufl., S. 448 ff. 11 Vgl. Jenks, a.a.O., S. 75, Fn. 5: „And that no free man in any such manner as is before mencioned (i. e. without cause shewed) be imprisoned or detained". 12 Jenks, a.a.O., S. 76. 7

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Jahre der englischen Rechtsgeschichte, in der die W i l l k ü r des Königs nahezu unbeschränkt war. M i t den Wirren der Revolution und den ersten Jahren der Restauration rückte das Verfahren i n den Hintergrund. 1676 jedoch erregte ein neuer Fall allgemeines Aufsehen: Jenkes, ein Bürger von London, hatte im Rathaus der City von London (Guildhall) eine Ansprache gehalten, in der er die Einberufung eines neuen Parlamentes forderte. Er war deshalb aufgrund einer Anordnung des Staatsrates („Privy Councils") inhaftiert worden. Sein Habeas Corpus-Begehren scheiterte beim Lordkanzler, mit der Begründung, es seien Gerichtsferien! Das Untergericht fühlte sich schwächer als der Staatsrat und der Lord Chief Justice „machte soviele Schwierigkeiten, daß Jenkes mehrere Monate im Gefängnis lag" 1 8 . Nicht zuletzt aufgrund dieses Vorfalles erging 1679 das erste Habeas Corpus-Gesetz 14, das allerdings nur strafrechtliche oder angeblich strafrechtliche Verfehlungen betraf 15 . Die Bill of Rights 1688 und das Habeas Corpus-Gesetz von 1816 erweiterten dann den Anwendungsbereich dieses Verfahrens, das seither unangetastet weiterbesteht 16 . 2. Gegenwärtige Bedeutung des Verfahrens Die heutige Bedeutung des Verfahrens ist entgegen dem breiten Raum, der Habeas Corpus in den Büchern über Verfassungsrecht seit Diceys hohem Lob gewidmet ist, sehr gering. Alljährlich ereignen sich nur eine Handvoll Habeas Corpus-Fälle 17 . Dabei handelt es sich dann meistens um Einwanderungs- 18 oder Deportationsanordnungen 19 , illegale Festnahmen 13

Hood Phillips, 4. Aufl., S. 449 ff. 31 Car. II, c. 2. 15 Hood Philips, S. 451. 18 Zum procedere, vgl. Hood Phillips, S. 453 ff; Wade & Phillips, 8. Aufl., S. 494 ff; de Smith, S. 589 ff (Appendix 1); Cohen, Habeas Corpus cum causa — the Emergence of the Modern Writ, 1940, 18 Canadian Bar Rev., 10, 172; ders., 1938, 11 Can. Bar Rev., 92. 17 Siehe hierzu Foulkes, 3. Aufl., S. 189 f. 18 Vgl. Re Κ. (H. an Infant), 1967, 1 All ER 226; 1967, 2 QB 617; seither angewandt in Breen ν Amalgamated Engineering Union, 1971, 1 A l l ER 1148; R ν Birmingham City Justice, 1970, 3 All ER 945; R ν Gaming Board, 1970, 2 A l l ER 528; ferner Foulkes, 3. Aufl., S. 144. Sachverhalt Re Κ.: Immigrant aus Pakistan sollte zurückgeschickt werden. Er behauptete, jünger als 16 Jahre alt zu sein. Der Einwanderungsbeamte glaubte dies nicht. Der Lord Chief Justice entschied den Fall unter dem übergeordneten Gesichtspunkt der Fairness und „Natural Justice". 19 R ν Governor of Brixton Prison, ex parte Soblen, 1962, 3 All ER 641; 1963, 2 QB 243. Robert Soblen, der in den USA verurteilt war, sollte aufgrund einer Anordnung des Innenministers ausgewiesen werden. Sein Habeas Corpus-Begehren blieb erfolglos; vgl. ferner Eshinhayi Eleko ν Government of Nigeria, 1931, AC 662 (670). 14

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durch das Militär 2 0 , seltener um Fälle zum Schutz der persönlichen Freiheit, bisweilen, um zu überprüfen, ob Geisteskranke zu Recht in Anstalten untergebracht sind 2 1 und manchmal um Quarantänefragen 22 . Den breiten Raum in der Literatur rechtfertigt dieses Verfahren allenfalls deshalb, weil Habeas Corpus-Fälle meist über die Presse allgemeines Aufsehen erregen — zuletzt im Rudi Dutschke-Ausweisungsiall 23 — und weil Dice y dieses Verfahren für einen Markstein in der ungeschriebenen britischen Verfassung hielt, der die Herrschaft des Rechts („Rule of Law") entscheidend beweise 24 . Als verfassungsrechtliche Garantie mag dieses Verfahren nach wie vor Signalfunktion haben, die nicht an der Häufigkeit der zur Entscheidung kommenden Fälle gemessen zu werden braucht. Im Verwaltungsrecht nach deutscher Klassifikation dagegen ist seine Bedeutung minimal: Im Ausländerrecht wird der Exekutive eh ein sehr großes Ermessen eingeräumt, und die Gerichte beschränken ihre Kontrolle von sich aus auf formale Verfahrensfehler der Exekutive, ohne die Rechtmäßigkeit einer so getroffenen Maßnahme überhaupt zu erörtern 25 . Im Zeitalter der absoluten Herrschaftsgewalt des Monarchen oder Diktators, als ein Fingerzeig über Freiheit und Unfreiheit eines Bürgers entschied 26 , waren diese Formvorschriften große demokratische Errungenschaften. Heute gehören solche Garantien zum selbstverständlichen Grundbestand liberaler Verfassungen. V i e l wichtiger scheint heute das Problem der Kontrolle der Exekutive durch Überprüfung der Rechtmäßigkeit ihres Handelns seitens der Gerichte zu sein. Auf diesem Gebiet preschen Habeas Corpus-Verfahren jedoch keinesfalls vor. Aus diesen Gründen kann auf eine detaillierte Darstellung des Verfahrens verzichtet werden. 20

R ν Governor of Wormwood Scrubs Prison, ex parte Boydell, 1948, 2 KB 193. R ν Board of Control, ex parte Rutty, 1956, 1 A l l ER 769; 1956, 2 QB 109. 22 Garner, 3. Aufl., S. 175. 23 Der in der Literatur bislang totgeschwiegen wurde und auch in die Law Reports keinen Eingang fand. Zusammenfassender Bericht jedoch in Keesing's Contemporary Archives, 27. 2 . - 6 . 3.1972, S. 24474—76. 24 Dicey mag sich dabei nicht unwesentlich auf Blackstone, Commentaries, Bd 3, S. 131 ff (138) gestützt haben: „For it frequently happens in foreign countries (and has happened in England during temporary suspensions of the statute) that persons apprehended upon suspicion have suffered a long imprisonment, merely because they were forgotten." 25 Vgl. hierzu Azam, Khera und Sidhu ν Secretary of State for the Home Department and another, The Times, 12.6.1973: A. K. und S. waren vor Erlaß des Einwanderungsgesetzes von 1971 illegal per Boot nach Großbritannien eingereist, wurden festgenommen und beantragten Habeas Corpus. Dem 1971Gesetz wurde vom House of Lords retroaktive Wirkung durch Auslegung gegeben. Lord Salmon in abweichendem Votum hielt dies für ungerecht. Wo konstitutionelle Grundrechte betroffen sind, sollten Parlamentsgesetze ganz restriktiv ausgelegt werden. 26 S. o. vor Fn. 12, S. 59 f, Darnel's Fall. 21

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Gerichtliche

Kontrollmaßnahmen

Kapitel 4 IV.

Injunction

1. Rechtsnatur der Injunction a) Begriff und Einordnung der Injunction in das System der Klageformen Die „Injunction" ist eine gerichtliche Anordnung oder Verfügung 1 , die sich an eine Prozeßpartei richtet und die die Begehung einer Handlung verbietet oder gebietet. Man unterscheidet daher zunächst zwischen „prohibitory injunctions" und „mandatory injunctions", verbietende und gebietende Anordnungen. Des weiteren gliedern sich Injunctions nach ihrer zeitlichen Wirkungsweise: „perpetual, interlocutory, quia timet injunctions" — zeitlich feststehende, einstweilige und vorbeugende Anordnungen. W i r d am Ende eines Verfahrens eine Injunction erlassen, die die Rechte der Parteien definiert und eine bestimmte, nicht unbedingt perpetuierende Wirkungsdauer 2 aufweist, so handelt es sich um eine „perpetual injunction". V o n der Wirkung her fällt die große Elastizität dieser Klageform auf. Die „interlocutory injunction" ist mit der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 V w G O zu vergleichen. Sie ergeht gewöhnlich vor Beginn der Hauptverhandlung, um den Status quo zu erhalten, bis über den Streit endgültig entschieden worden ist. Der Kläger muß deshalb darlegen, daß er anderenfalls irreparable Rechtsverletzungen erleiden würde und prima facie die Begründetheit seines Anspruches nachweisen. Das Gericht hat hierbei im Einzelfall einen erheblichen Ermessensspielraum 8). Dieses Ermessen nutzt es eher zugunsten einer verbietenden „interlocutory injunction" aus, als zugunsten einer gebietenden einstweiligen Anordnung „mandatory interlocutory injunction". Verfügungen, die ein ganz 1

So Κ. A. Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 183 ff. Ζ. B. kann die Injunction lediglich für eine festgesetzte Zeitspanne mit Möglichkeit erneuter Festsetzung, oder für bestimmte Zeit mit auflösender Bedingung oder sogar mit aufschiebender Bedingung erwirkt werden. 8 So hat das High Court Injunctions abgelehnt, bei denen es keine Kontrolle über die Ausführung der Anordnung ausüben kann, wie ζ. B. bei Straßenreparaturarbeiten: A.-G. v. Staffordshire County Council, 1905, 1 Ch. 336 (342); oder bei Fährbetrieben: A.-G. v. Colchester Corporation, 1955, 2 QB 207; ferner A.-G. v. Ripon Cathedral (Dean and Chapter), 1945, Ch. 239; aber diese Fälle gelten nicht uneingeschränkt, denn störende Grundstückseinwirkungen („nuisances") können umfangreiche Arbeiten erfordern, die das Gericht ebensowenig überwachen könnte: Paradefall: Pride of Derby & Derbyshire Angling Association, Ltd. ν British Celanese Ltd., 1953, Ch. 149; ferner für diesen Denkansatz Morris ν Redland Bricks Ltd., 1967, 1 WLR 967. 2

Injunction

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bestimmtes, anderes Verhalten gebieten, stellen einen großen Eingriff dar und werden daher auch erst nach Passierung größerer Schranken gewährt. Enstweilige Anordnungen müssen auf jeden Fall innerhalb einer Frist von sechs Wochen beantragt werden. Ausnahmsweise werden Injunctions auch bei lediglich befürchteter oder angedrohter Rechtsverletzung „injunction quia timet" vorbeugend angeordnet. Der Kläger muß in solchen Fällen seine Rechtsposition aber äußerst schlüssig darlegen, insbesondere genügend Anhaltspunkte zur Überzeugung des Gerichts vorweisen können. Im System der Klageform nimmt die Injunction einen zunehmend wichtigeren Platz ein. W i e auch die später darzustellende „action for a declaration" 4 ist sie besonders dadurch gekennzeichnet, daß sie keine großen Formerfordernisse aufweist und keinen vergleichbaren historischen Ballast der Prärogativverfahren mit sich trägt. Die relative Informalität dieses Verfahrens ist jedoch wiederum historisch erklärbar: b) Historischer Überblick Injunctions entstanden im 16. Jahrhunderts im „Court of Exchequer". Dieses Gericht wird erstmals 1415 erwähnt 5 und übte unter anderem ähnliche Funktionen wie das Court of Chancery aus, das als Gegengewicht zu den Common-Law Gerichten anfangs Billigkeitsgesichtspunkte („equitable principles") in den Vordergrund seiner Entscheidungen stellte, im Laufe der Jahrhunderte jedoch ein eigenes Formularsystem neben dem Common Law entwickelte. 1842 wurde die Injunction durch Gesetz ausschließlich wieder dem Court of Chancery zugewiesen 6 . Ursprünglich ist die Injunction möglicherweise parallel zu einem die Krone sehr begünstigenden Verfahren, der „Information", entstanden, das im Crown Proceedings Act 1947 abgeschafft wurde 7 . Nach einigem H i n und Her wurden Injunctions seit 1854 nicht nur im Court of Chancery, sondern i n allen königlichen Gerichten gegeben 8 , und zwar in allen Fällen, in denen Injunctions gerecht und sinnvoll erschienen. Sie nahmen i n diesem Teilbereich somit die Verschmelzung von Common Law und Equity in der großen Justizreform von 1873—75 vorweg. Anfangs hatte 4

Infra, Kap. 5, S. 74 ff. Vgl. Plucknett, Concise History, 5. Aufl., S. 185 f. 6 Zur Geschichte der Injunction, vgl. A.-G. ν Hailing, 1846, 15 M. & W., 687 (694); ferner Holdsworth, H. E. L., Bd 12, S. 456—458; Robertson, Civil Proceedings by and against the Crown, S. 234 ff. 7 Vgl. Holdsworth, History of Remedies against the Crown, 1922,38 LQR 141 ff, 280 ff; Hanbury, Essays in Equity, S. 114—120. 8 Vgl. Common Law Procedure Act, 17 & 18 Vict., c. 125; vgl. Plucknett, Concise History, S. 210. 5

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erichtliche

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das Court of Chancery nur sehr wenig mit öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zu tun, außer um Common-Law Klagen zu verhindern, aufrechtzuerhalten oder durchzusetzen. Eine seiner Hauptaufgaben war es, Trusts zu überwachen. Die Anordnungen, die auf Antrag der Testamentvollstrecker, Treuhänder und Erben ergingen, wurden später auch bei Verfahren gegen kommunale Körperschaften angewendet 9 . Diese Ansätze des Court of Chancery hätten bereits Ende des 19. Jahrhunderts ausgebaut werden können: V o n einer Überwachung der Kommunalverwaltung und der Trusts hätte das Court of Chancery, und nach 1873 die Chancery Division des High Court, getreu ihrer Billigkeitsrechtstradition die überprüfbarkeit auf alle rechtswidrigen Verwaltungsakte ausdehnen können. Doch wurden diese Reformansätze von vornherein durch die rigide Handhabung der Kronprivilegsregeln, der „Doctrine of Crown Privilege" zunichtegemacht 10 . Die selbst auferlegte, keineswegs notwendige Zurückhaltung der Richterschaft, die die Probleme einer expandierenden Verwaltung schlicht verkannte, ist mindestens teilweise dafür verantwortlich, daß das öffentliche Recht heute erst dort steht, wo das Zivilrecht in England vor über 100 Jahren stand 11 . Die Entwicklung der beiden ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ging dahin, daß die Gerichte in zunehmendem Maße Injunctions erteilten. Der Ankläger der Krone (Attorney-General) kann mit Injunctions nunmehr sogar Rechtsbrüche ahnden, die ehemals nur strafrechtliche Folgen hatten. Außerdem sind Injunctions und „Actions for a Declaration" — Feststellungsklagen — immer enger zusammengewachsen und verdrängen langsam die älteren Prärogatiwerfahren.

2. Die Zielrichtung der Injunction a) Die Krone als Partei des Verfahrens Vor 1948 konnten Injunctions auch gegenüber einzelnen „Beamten der Krone" 1 2 erlassen werden, sofern es sich um privatrechtliche, höchstpersönliche Angelegenheiten handelte. Sobald die Krone in irgend einer Weise betroffen war, der Beamte amtlich oder zeitweise amtlich tätig 9 Vgl. Roscoe Pound, Visitatorial jurisdiction over Corporations in Equity, 1936, 49 Harvard LR 369. 10 Zum Crown Privilege, vgl. infra, S. 65. 11 Im Gegensatz dazu meint Wade, Einleitung zu Dicey, S. C X X V I I , der sich hierbei auf eine Meinung des Franks Committee, Cmnd. 218, stützte, daß die Anerkennung eines separaten Verwaltungsrechtes einen erneuten „Judicature Act" am Ende des 20. Jahrhunderts erfordern würde. 12 Die „Krone" umfaßt alle Ministerien der Zentralregierung in London, sowie untergeordnete Behörden dieser Ressorts, entsprechend der Bundesverwaltung in der BRD, s. Wade & Phillips, Kap. 46, S. 642 ff.

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wurde, schied jede gerichtliche Überprüfung aus, scheiterte an der Doktrin des „Crown Privilege", derzufolge materiell-rechtlich Rechtsverletzungen der Krone nicht geahndet werden können: „The King can do no wrong"! und prozeßrechtlich die Immunität der Krone vor allen Gerichten gewährleistet wird. Dies führte schon früh zu einer nahezu totalen Immunität jeglicher amtlichen Tätigkeit der Kronbediensteten 13 , denn selbst in Zweifelsfällen konnte die Krone pauschal die Einstellung jeglicher gerichtlicher Verfahren verlangen. Der Crown Proceedings Act von 1947 legte noch einmal in aller Deutlichkeit das Prinzip der Immunität der Krone und aller ihrer vielen Ämter und Amtspersonen fest; so gilt hinsichtlich der Injunctions folgendes: „Where in any proceedings against the Crown any such relief is sought as might in proceedings between subjects be granted by way of injunction . . . the court shall not grant an injunction . . . but may in lieu thereof make an order declaratory of the rights of the parties" 14 .

Auch auf indirektem Wege darf keine Injunction gegen die Krone ergehen, indem etwa Kronbedienstete oder Ministerien verklagt würden, die amtlich tätig wurden 1 5 . Der Hauptgrund für diese Regelung liegt nach de Smith 16 wohl darin, daß zu Zeiten eines Notstandes die Regierung dringende Maßnahmen ergreifen könnte, die die Rechte des Einzelnen bisweilen verletzen, und wo es dem „nationalen Interesse entschieden widerspräche" 17 , wollte man dem Einzelnen eine unmittelbare Abhilfe durch Gerichte zubilligen. Doch kann dies in Friedenszeiten wenig überzeugen 18 . Damit ist der Rechtsschutz des Einzelnen in einem wesentlichen Bereich beschnitten, und ihm können Schäden entstehen, die nicht wieder gutzumachen sind 10 . Unter dem massiven Druck der fast einhelligen Kritik der Literaturmeinungen hat das House of Lords seit 196820 diese Doktrin erheblich eingeschränkt, zuletzt im Rogers-Fall 21, bei dem der Beklagte wegen 13

Wade & Phillips, S. 642 ff; Street, Governmental Liability, S. 140, ders., Justice, S. 265 f; Glanville Williams, Crown Proceedings, S. 136, Fn. 26; Strayer, „Injunctions against the Crown Officers", 1964, 42 Canadian Bar Rev., S. 1. 14 Sinngemäße Übertragung d. Verf. von Sect. 21 (1) Crown Proceedings Act, 1947: „In allen Streitigkeiten mit der Krone, in denen Abhilfe in der Form einer Injunction beantragt wird, wie sie bei Streitigkeiten zwischen Individuen erteilt werden kann . . . darf das Gericht keine Injunction erlassen . . . darf aber statt dessen ein Feststellungsurteil erlassen, das die Rechte der Parteien feststellt". 15 S. 21 (2) Crown Proceedings Act, 1947. 16 De Smith, S. 463. 17 Eine häufig gebrauchte Leerformel: „detrimental to the public interest". 18 S. a. De Smith, S. 463; Lord Advocate in 439 H. C. Deb., Sp. 1949—1950. 19 Zum heftig umstrittenen größeren Problem des Crown Privilege, vgl. Nokes, Solicitors Quarterly, 1964, Bd 3, „Crown Proceedings"; ferner Bell, Public Law 1957, S. 28 ff; ferner de Smith, op. cit., S. 600—606 (Appendix 3) und alle Lehrbücher zum Verfassungsrecht. 20 Conway ν Rimmer, 1968, 1 All ER 874. 21 Gaming Board for Great Britain ν Rogers, 1972, 2 All ER 1057. 5 Riedel

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wichtiger Beweismittel Akteneinsicht begehrt hatte, die von der Behörde mit dem schlichten Hinweis auf „Kronprivilegien" abgelehnt wurde und i n dem Lord Reid die Doktrin endgültig beschränkte: „The ground put forward has been said to be ,Crown Privilege.' I think that expression is wrong and may be misleading . . . The real question is whether the public interest requires that the letter shall not be produced and whether the public interest is so strong as to override the ordinary right and interest of a litigant that he shall be able to lay before a court of justice all relevant evidence . . ."22.

Lord Reid fügte dann jedoch hinzu, daß in aller Regel ein Minister die „geeignete und oftmals die am besten geeignete Person" („appropriate and often the most appropriate person") sei, dieses öffentliche Interesse zu bestimmen. Daraus ergibt sich, daß die Gerichte in Zukunft eine pauschale Abwehr unter Berufung auf „Crown Privilege" ablehnen werden; es bleibt zu hoffen, daß dies nicht lediglich bedeutet, daß künftig statt „Kronprivilegien" Standardsätze verwendet werden, wie etwa „der Schutz des öffentlichen Interesses verlangt, daß Akteneinsicht nicht gewährt wird". b) Körperschaften als Partei des Verfahrens W i e viel sinnvoller, praktischer und einfacher sieht es dagegen bei Injunctions gegen andere Körperschaften, z. B. Kommunalbehörden („Local Authorities") aus. Diese Behörden haben prozessual weitgehend die gleiche Stellung wie einzelne Bürger, wenn sie Injunctions erwirken wollen. Das geht soweit, daß in einem Falle ein Gesundheitsamt („Public Health Authority") einer anderen Behörde außerhalb ihres Bezirkes erlaubt hatte, Abwässer in ihre Kläranlage fließen zu lassen und trotz dieser eigenen Zustimmung konnte es später eine Injunction erwirken, da der zugrundeliegende Vertrag „ultra vires" war, außerhalb des Ermächtigungsrahmens des Gesundheitsamtes lag 2 3 . Die Gleichstellung von Körperschaften und Individuen geht bei Injunctions so weit, daß das Gericht im Falle der Verweigerung, seiner Anordnung Folge zu leisten, 22 A.a.O., insbes. S. 1060: „Man hat sich auf ,Kronprivilegien' berufen. Ich bin der Auffassung, daß dieser Ausdruck falsch ist und irreführend sein kann . . . Die eigentliche Frage ist, ob es im öffentlichen Interesse liegt, daß der Brief nicht vorgezeigt wird und ob dieses öffentliche Interesse so stark ist, daß es die normalen Rechte und Interessen einer Streitpartei ausschaltet, alle relevanten Beweismittel einem Gericht vorlegen zu können . . .", übers, d. Verf.; mit dieser Entscheidung haben die Gerichte sich einen neuen Handlungsspielraum geschaffen, den sie sich vor allem unter dem Gesichtspunkt der Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze („Natural Justice") wie das Gebot des rechtlichen Gehörs, das die Kenntnis aller entscheidungserheblichen Fakten voraussetzt, erkämpft haben; vgl. hierzu auch Kapitel 8, I I 3, S. 118. 28 St. Mary's, Islington, Vestry, Hornsey U.D.C., 1900, 1 Ch. 695 (705f); und allgemein Pride of Derby-Fall, supra, Fn. 3; ferner J.B.D. Mitchell, Contracts of Public Authorities, S. 222 ff.

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in das Vermögen der Körperschaft und das seiner Angestellten vollstrecken kann, wie bei Individuen. c) Injunctions zum Schutze öffentlicher und privater Rechte Der einzelne Bürger kann die Gerichte nicht im Wege der Injunction zum Schutze öffentlicher oder privater, d. h. nicht seiner höchstpersönlichen Rechte, in Anspruch nehmen. Das ergibt sich bereits aus der generellen Ablehnung der Popularklage 24 . Dies obliegt allenfalls dem Attorney-General in seiner Rolle als Kronanwalt. Sobald aber ein Einzelner nachweist, von einer Verwaltungsentscheidung zumindest mitbetroffen zu sein, gelten Grundsätze, wie sie etwa im deutschen Nachbarrecht zu finden sind 25 . d) Injunctions gegen die Legislative aa) Parlamentsvorlagen können mit Injunctions ebensowenig wie Gesetze zu Fall gebracht werden, gleichgültig, ob es sich um „Public Bills" oder „Private Members Bills" handelt. Dies ergibt sich schon daraus, daß die Gerichte keine Verfassungsgerichte sind und keine Zuständigkeit in diesem Bereich besitzen. A n den Pforten des Parlaments endet jegliche Jurisdiktion des High Court. So konnte das Gericht im berühmten Fall Bradlaugh ν Gossett 26 keine Injunction erlassen, da das Unterhaus als „High Court of Parliament" im Rahmen seines allgemein anerkannten Privilegs alleinige Jurisdiktion in diesem Falle beanspruchte. bb) Bei Verordnungen („Subordinate legislation") kann das Gericht allerdings prüfen, ob der Rahmen des ermächtigenden Gesetzes eingehalten worden ist, etwa, ob einzelne Maßnahmen gegen die „Ultra-vires Doktrin" verstoßen 27 . Hierzu kann es auch Injunctions erlassen, wenn diese nach Meinung des Gerichts sinnvoll erscheinen. e) Das Eingreifen in schwebende Verfahren vor Gerichten Auch hier gelten die für zivilrechtliche Streitigkeiten üblichen Grundsätze: Ist eine Angelegenheit bereits im High Court oder Court of Appeal anhängig, so kann eine Injunction nicht mehr selbständig angeordnet werden. Fraglich erscheint, ob ein Injunction-Verfahren eingeleitet werden darf, wenn die Streitsache ansich einem Tribunal oder einem „Magistrates Court", einem erstinstanzlichen Gericht, zugewiesen ist. Zu dieser 24

Supra, Kap. 1, I 3 a, S. 43. Boyce ν Paddington Corporation, 1903, 1 Ch. 109 (114), m. ν. H.; Birmingham & Midland Motor Omnibus Co. ν Worcestershire County Council, 1967, 1 WLR 409. 26 1884, 12 QBD, 271? s. ferner Wade & Phillips, Kap. 10. 27 Siehe hierzu auch Kapitel 7, infra, S. 88 ff. 25

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Frage fehlen Präzedenzfälle. Auf jeden Fall w i r d das High Court nur in Ausnahmefällen ein solches Vorgehen unterstützen 28 , oder aber es soll mit der Injunction zugleich eine andere Rechtsverletzung geahndet werden, für die das Tribunal oder das Magistrates Court nicht zuständig sind 29 . 3. Umfang der Injunction a) „Locus standi "-Fragen bei Injunctions Normalerweise können Individuen Injunctions zum Schutze der Öffentlichkeit gegen Emissionen und Beeinträchtigungen aller A r t überhaupt nicht erwirken, wie bereits dargelegt wurde 8 0 ; dies obliegt ausschließlich dem Attorney-General, dem Generalstaatsanwalt 31 . Ein Einzelner kann nur dann ohne Intervention des Generalstaatsanwalts ein InjunctionVerfahren einleiten, wenn außer der Beeinträchtigung der Öffentlichkeit ein höchstpersönliches Recht betroffen ist. W i r d mit der Rechtsverletzung zugleich gegen strafrechtliche Normen verstoßen, so können Einzelne ohne Mitwirkung des Attorney-General keine Injunction erwirken. Der strafrechtliche Schutz w i r d hierbei für ausreichend erachtet. Anders ist es nur, wenn die Rechtsverletzung zugleich einen Eingriff i n das Eigentum des Einzelnen darstellt. Ähnliche Regeln gelten für rechtswidrige Handlungen oder Unterlassungen seitens der Verwaltungsbehörden, doch bestand bis vor kurzem die Tendenz, den Attorney-General in solchen Fällen stets einzuschalten, insbesondere, wenn größere Bevölkerungsteile betroffen waren. In Bradbury ν Enfield L.B.C., 196732 zeigte sich das Gericht bei der locus standi-Frage erstmals großzügiger: Einwohner, die örtliche Steuern („rates") entrichteten, konnten ein Injunction-Verfahren einleiten, um ein örtliches Schulamt daran zu hindern, ein mangelhaft ausgearbeitets Gesamtschulprojekt aufzubauen, ohne daß der AttorneyGeneral eingeschaltet werden mußte 33 . I n allen anderen Fällen ist der Kläger darauf angewiesen, den AttorneyGeneral zu bewegen, für den Kläger das Verfahren durchzuführen, im Wege einer sogenannten „Relator action". Es liegt im unüberprüfbaren Ermessen des Attorney-General, ob er für den Kläger („at the relation of the plaintiff") tätig wird oder nicht. Gelingt es dem Kläger, den 28

Stannard-Fall, 1882, 20 Ch. D. 190; ferner de Smith, op. cit., S. 487. Vgl. Hedley ν Bates, 1880, 13 Ch. 498. 30 Supra, I V 2 c, S. 67. 31 Halsey ν Esso PetToleum Co., 1961, 1 WLR 683. 32 1 WLR 1311: einstweilige Anordnung (interlocutory injunction) erfolgreich. 33 Reditssoziologisch wäre hier zu fragen, ob aus der konservativen Grundhaltung der Richter eine generelle Abwehrhaltung gegen Gesamtschulen abzuleiten ist, die solche Ausdehnungen der Spruchpraxis ermöglicht. 29

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Attorney-General einzuschalten, stellt das Gericht keine weiteren locus standi-Anforderungen, selbst wenn der Kläger keine höchstpersönliche Rechtsbeeinträchtigung geltend macht 84 . Dafür geht die gesamte Prozeßführungsbefugnis auf den Attorney-General über. Ohne seine Einwilligung kann der eigentliche Kläger nichts vortragen, geschweige denn vom Attorney-General gemachten Äußerungen widersprechen 85 . Gewöhnlich läßt der Attorney-General jedoch den „Relator" als eigentlichen Kläger den Fall vortragen und den Prozeßverlauf in eigener Regie verfolgen. Einen Rechtsanspruch hierauf hat der Kläger aber nicht 86 , obwohl er die Kosten solcher Verfahren und damit das Prozeßrisiko trägt. Dennoch sind solche Verfahren beliebt, besonders, wenn außer privaten Klägern ein allgemeines öffentliches Interesse an der Lösung einer bestimmten Frage besteht. Folgender Fall 3 7 ist ein gutes Beispiel für „Relator actions" : Eine private Eisenbahngesellschaft hatte sich verpflichtet, eine Kanalüberquerung mit einer Schwenkbrücke zu bauen. Die Gesellschaft wechselte vor der Durchführung dieses Baues den Eigentümer. Der neue Eigentümer wollte eine billigere, feste Kanalbrücke bauen, die den Schiffsverkehr erheblich gestört hätte. Der Attorney-General wurde von einigen Schiffseignern, die den Kanal regelmäßig benutzten, eingeschaltet und erreichte mit einer Injunction, daß dieses veränderte Bauprojekt nicht durchgeführt wurde.

b) Gerichtliches Ermessen Die Frage des richterlichen Ermessens in Injunction-Verfahren spielt in England eine verhältnismäßig wichtige Rolle. Breites Ermessen sichert zwar eine optimale Flexibilität für den Einzelfall, rückt das Gebot der Voraussehbarkeit der Entscheidungen andererseits jedoch in nebelhafte Ferne. Konnte man im 17. Jahrhundert dieses Phänomen als spezifisches Merkmal der Equity noch so stigmatisieren: „Equity varies w i t h the size of the Chancellor's foot" 3 8 so haben Equity-Richter in der Folgezeit in zunehmendem Maße versucht, die Billigkeitskriterien und moralischen Gebote, die in die Einzelfallentscheidungen einflossen, wie Common Law-Prinzipien herauszuarbeiten. Das ist in der Formulierung von Rechtsprinzipien auch weitgehend gelungen. 34 A.-G. ν Logan, 1891, 2 QB 100; A.-G. ν Crayford Urban District Council, 1962, Ch. 575 (585). 35 A.-G. ν Bastow, 1957, 1 QB 514 (520). 8e Vgl. hierzu Zamir, Declaratory Judgment, S. 265 f; Edwards, The Law Officers of the Crown, S. 288. 37 A.-G. ν North Eastern Railways, 1915, 1 Ch. 905. 38 Keeton-Sheridan, S. 55; Pettit, S. 4: Das Zitat stammt ursprünglich von John Seidon (Table Talk of John Seidon, S. 34).

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Das Ermessen des Richters bei Injunction-Verfahren ist hingegen überaus weit gefaßt und damit fast unvorhersehbar geblieben. Zu einer Zeit, als die Equity-Regeln als Ausgleich zu rigiden Formeln des Common Law von souverän handelnden Kanzlern wie More, Ellesmere oder Bacon gehandhabt wurde, mochte dies sinnvoll gewesen sein. Spätestens seit der Verschmelzung von Common Law und Equity in den Reformgesetzen von 1873—75 w i r k t sich diese Regelung als Anachronismus aus; insbesondere, da heute jede Abteilung des High Court Injunctions erteilen kann, die Common Law-Richter Equity-Prinzipien ohne weiteres mitberücksichtigen können. Das richterliche Ermessen ist größer als der Entscheidungsspielraum bei Generalklauseln, wie etwa der Grundsatz von Treu und Glauben im deutschen Recht, weil weniger genau bestimmbar. Gleichwohl ist es möglich, einige Eingrenzungen des Ermessens anhand der entschiedenen Fälle zu dieser Frage aufzuzeigen, die als grobe Maßstäbe dafür gelten können, wann das Gericht Injunctions erläßt und wann nicht. Das Ermessen muß stets „judicially", d.h. nach rechtlichen Gesichtspunkten einwandfrei begründet sein, sonst wird die gesamte Entscheidung im Court of Appeal schon aus diesem Grunde aufgehoben. Injunctions werden nicht gegeben, wenn dem Kläger ein Trivialitätsvorwurf gemacht werden kann, oder aber die beanstandete Verletzung nicht mehr besteht 89 . Injunctions werden ferner nicht erlassen, wenn nach Auffassung des Gerichts eine Schadensersatzklage ein adäquates Mittel wäre, oder wenn der Beklagte hinreichend versichert, die Rechtsverletzung sofort zu unterlassen und nicht zu wiederholen. Injunctions haben auch kaum Aussicht auf Erfolg, wenn ihr Zweck entweder überhaupt nicht erreichbar, oder die Erfüllung begehrter Auflagen unmöglich ist 4 0 . Im übrigen gilt im Injunction-Verfahren, wie bei allen Equity Regeln, der ehrwürdige Merksatz: „He who comes to equity must come w i t h clean hands" 4 1 — wer sich um die Hilfe der Equity bemüht, muß saubere Hände haben, sich einwandfrei verhalten haben. Mehr noch als bei Prärogatiwerfahren w i r d das entgegenstehende Verhalten des Klägers mitberücksichtigt: Reicht er seine Klage verspätet ein, oder ergibt sich sonstwie eine stillschweigende Zustimmung, oder hat er bereits rechtswirksam verzichtet, so ist eine Injunction nicht mehr möglich. Fraglich erscheint aber, ob diese Ermessensgrundsätze auch gegenüber dem AttorneyGeneral als Vertreter des öffentlichen Interesses gelten, wenn dieser Kläger ist. Grundsätzlich ist das zu bejahen. Hat er einmal ein Verfahren 39 Es bleibt dann aber die Möglichkeit einer declaration, der Feststellung der Rechtsverletzung. 40 Vgl. A.-G. v. Colchester Corporation, 1955, supra, I V 1 a, Fn. 3, S. 62. 41 Vgl. Keeton-Sheridan, S. 32 f; s. a. Blumenwitz, Einführung, S. 10.

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eingeleitet — was in seinem Ermessen steht — so unterliegt die weitere Behandlung dem Ermessen des Gerichtes 42 . Allerdings wird eine unterschiedliche Beurteilung zwischen Attorney-General und Gericht nur selten vorkommen, da der Attorney-General in aller Regel nur „excess of jurisdiction" — „Überschreitung des Ermächtigungsrahmens" einer Behörde wegen Verletzung der „ultra vires "-Doktrin aufgreifen wird 4 8 . Eher ausnahmsweise w i r d das Gericht einmal gegen den Attorney-General entscheiden, etwa weil der Fall zu t r i v i a l 4 4 ist oder eine Injunction mehr Schaden als Nutzen bringen würde. So hatten die Beklagten in einem Fall Bungalows gebaut, die gegen Baubestimmungen verstießen. Die Gebäude waren aber gebrauchsfähig „fit for occupation"; und falls sie niedergerissen würden, hätten sie durch Zelte oder andere Hilfskonstruktionen ersetzt werden müssen. Das Gericht war der Ansicht, daß dies eine schlechtere Lösung wäre und untersagte den Abbruch der Bauten 45 , den der Attorney-General mit einer Abbruchverfügung erreichen wollte. Normalerweise ist das Gericht aber viel eher geneigt, bei dem AttorneyGeneral als Kläger von den Formerfordernissen Ausnahmen zu gestatten als bei gewöhnlichen Klägern 4 6 , etwa einen verspäteten Antrag zuzulassen, obwohl von der Sache her die unterschiedliche Behandlung nicht gerechtfertigt erscheint. c) W i r k u n g von Alternatiwerfahren Um den Umfang des Injunction-Verfahrens genauer festzustellen, das systematisch aufgrund der Einzelfallentwicklung dieses Verfahrens bislang noch nicht gegliedert worden ist — und voraussichtlich auch erst dann einer systematischen Darstellung fähig wird, wenn dieses Verfahren von der Unsicherheit der undefinierbaren Ermessensfrage des Gerichtes befreit w i r d — bietet sich als weiterer Eingrenzungsversuch die Gegenüberstellung der Injunction mit anderen Klageformen an. aa) W i e bereits festgestellt 47 , können Injunctions nicht ergehen, wenn eine Schadensersatzanklage nach Common law möglich und sinnvoll ist 42 Vgl. A.-G. ν Birmingham, Tarne & Lea District Drainage Board, 1910, 1 Ch. 48 (61, per Farwell, L. J.) ; A.-G. ν Bastow, 1957, 1 QB 514 (520 f, per Devlin, J. (as he then was) ),· ferner A.-G. ν Reading Corporation, 1965, 2 Lloyds Reports, 374 (in dem eine einstweilige Anordnung aber wegen mangelnder Begründetheit abgelehnt wurde). 43 Vgl. etwa A.-G. ν Bastow, 1957, 1 QB 514 (520 f). 44 A.-G. ν Harris, 1960, 1 QB 31. Was aber trivial ist, mag immer fraglich erscheinen: vgl. dazu auch denselben Fall in der nächsthöheren Instanz 1961, 1 QB 74. 45 A.-G. ν Kerr and Ball, 1915, 79 J. P. 51. 46 Vgl. hierzu A.-G. ν Grand Junction Canal Co., 1909, 2 Ch. 505; einschränkend auch A.-G. ν South Staffordshire Waterworks Co., 1909, 25 TLR, 408; dagegen aber A.-G. ν Scott, 1905, 2 KB 160 (169). 47 Supra, S. 70.

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— es sei denn, außer der Sdiadensersatzklage soll eine Unterlassung als vorbeugende Maßnahme erreicht werden. bb) Kann eine Rechtsverletzung durch ein Strafverfahren geahndet werden, werden Injunctions als Zivilverfahren kaum gegeben, es sei denn, der Attorney-General beantragt dies, etwa weil die strafrechtlichen Sanktionen wegen häufiger Wiederholung nicht ausreichen 48 . cc) Ist eine Sache hingegen einem speziellen Tribunal überantwortet, wird eine Injunction des High Court in aller Regel keinen Erfolg haben, da Tribunals insoweit wie Gerichte behandelt werden, die Sache demnach bereits anhängig ist 4 0 . dd) Wenn aber ein „District Auditor" 5 0 , ein von der Zentralverwaltung eingesetzter Rechnungsprüfer 51 , der sämtliche Bilanzen eines Verwaltungsdistrikts überprüfen muß und Weisungsbefugnisse gegenüber der Kommunalverwaltung hat, in einem Streitfall eine bindende Entscheidung treffen könnte, hindert das nicht, daß ein Gericht eine Injunction erläßt, solange der „Auditor" noch nicht entschieden hat 5 2 . ee) Anders sieht es aber wieder aus, wenn ein Parlamentsgesetz vorsieht, daß zur Streitentscheidung statt der ordentlichen Gerichte ein besonderes Streitschlichtungsgremium ausschließlich zuständig sein soll. In solchen Fällen vermutet das High Court, daß eine Rechtskontrolle ausgeschaltet werden soll 5 8 und läßt Injunctions (wie auch andere Klageformen) zu, wenn gegen „ultra vires "-Regeln oder gegen den Grundsatz „audi alteram partem" verstoßen wurde. ff) In Fällen, in denen mit dem Prärogativverfahren „mandamus" vorgegangen werden kann, ein Privatmann etwa eine Behörde oder Körperschaft zu einem ganz bestimmten Handeln verpflichten möchte, w i r d das Gericht in aller Regel nur dann eine „mandatory injunction" — eine gebietende Anordnung — erlassen, wenn dies in einem Gesetz vorgesehen ist 5 4 . 48 Vgl. Richter Jessel in Cooper ν Whittingham, 1880, 15 Ch. D. 501 (507): „as regards the mode of granting an injunction, the court will grant it either when the illegal act is threatened but has not been actually done, or when it is done and is seemingly intended to be repeated". 49 Vgl. Stannard ν St. Giles' Camberwell, Vestry, 1882, 20 Ch. D. 190; Hayward ν East London Waterworks Co., 1884, 28 Ch. D. 138 (146 f). 50 Zu dieser Institution: Garner, S. 348 ff; Jennings, Principles of Local Government Law, 4. Aufl., S. 231 ff. 51 Die Abhängigkeit des Auditors von der Zentralverwaltung ist aber eher formal. Seine Entscheidungen trifft er in eigener Verantwortung. Ein Weisungs»recht der Regierung besteht nicht; vgl. Jennings, a.a.O., S. 236 f. 52 Vgl. auch de Smith, S. 457. 53 Zu dieser Frage, vgl. supra, Kap. 1, I 2 b bb, S. 39. 64 Vgl. hierzu de Smith, S. 453 und als einzige Quellen: Glossop ν Heston & Isleworth Local Board, 1879, 12 Ch. D. 102; A.-G. ν Clerkenwell Vestry, 1891, 3 Ch. D. 527 (537).

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gg) In den meisten Fällen, in denen das Gericht eine Injunction erläßt, könnte es auch eine „Declaration", eine Feststellung der Rechte des Klägers, treffen 56 . V o n sich aus wird das Gericht dies jedoch nicht tun, da der „declaration" die vom Kläger bei „injunctions" begehrte Rechtsfolge fehlt. Wenn der Kläger aber zulässigerweise sowohl ein Declarationals auch ein Injunction-Verfahren anstrengt, hat das Gericht die Wahl, welchem Antrag es stattgeben will. Hierin ähneln Injunctions und Declarations den Prärogativbefehlen „Certiorari" und „Prohibition", die auch gleichzeitig/wahlweise beantragt werden können. Die beiden Klageformpaare laufen quasi parallel.

4. Vergleich von Prohibition und Injunction Es bleibt schließlich das Verhältnis von Injunctions und Prohibition zu prüfen. Auffallend ist zunächst die zwillinghafte Ähnlichkeit beider Verfahren, die sich in fast allen Punkten decken. Der Vorteil der Prohibition liegt darin, daß dieses Verfahren auch gegenüber Tribunalen angestrengt werden kann, was bei Injunctions nicht möglich ist. Andererseits entfällt bei Injunctions die mit Zweifeln beladene und artifizielle Qualifikation der „judiziellen" Natur der Entscheidung als notwendiges Merkmal der Prohibition 56 . Schon wegen dieser Unterschiede gilt allgemein die Regel, daß man nur Prohibition oder nur Injunction beantragen kann, um eine Duplizierung der Verfahren zu verhindern: „There is no reason for changing the mode of proceeding from prohibition to injunction, where you are not compelled to decide the question on other grounds between the same parties" 57 .

Dagegen kann man aber einwenden, daß viele Fälle so gelagert sein können, daß am jeweils restriktivsten Ende der beiden Klageformen der Kläger ohne Rechtsschutz dasteht — etwa weil bei Prohibition eine Sache als „administrativ" gilt, bei Injunction sich gegen ein Tribunal richtet. Ferner ist unbefriedigend, daß die Wahl der fast identischen Klageformen gegebenenfalls allein schon den Streit entscheidet, ζ. B. ist denkbar, daß der Kläger Prohibition beantragt, weil er (und sein Anwalt) davon überzeugt ist, am judiziellen Charakter der angegriffenen Maßnahme bestünde kein Zweifel; kommt das Gericht hier zu einer anderen Auslegung, kann eine Injunction nicht mehr gegeben werden, der Kläger fällt zwischen beide Klageformen. 55

Zum Declaration-Verfahren, vgl. infra, Kap. 5, S. 76 ff. Vgl. supra, Kap. 1, I 2 a dd, S. 33. 57 Stannard-Fall, supra, Fn. 28, S. 68: „Es gibt keinen Grund, die Verfahrensart von Prohibition zur Injunction umzustellen, wenn man nicht aus anderen Gründen, die sich aus dem Vortrag derselben Parteien ergeben, zu einer solchen Entscheidung gezwungen ist11, sinngem. übers, d. Verf. 56

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Es wäre sinnvoll, wenn die beiden Verfahren kombiniert würden, deren Unterschiede nur als historische Verschnörkelung weiterbestehen. De Smith 58 ist der Meinung, daß Injunctions das Prohibitionsverfahren ablösen sollten, weil die Gerichte bei der Feststellungsklage, der „action for a declaration", auf ähnliche Weise die Certiorari- Verfahren verdrängt haben. Doch würden damit die Vorteile des Prohibitionsverfahrens verloren gehen. Die Gerichte haben sich bislang auch geweigert, eine konsequente Folgerung aus der Ähnlichkeit der beiden Verfahren zu ziehen. Statt dessen bemühen sie sich, bei Tribunals „zusätzliche" und selbständige rechtswidrige Handlungen nachzuweisen, die es rechtfertigen würden, das ganze Verfahren in das High Court zu ziehen — eine schwache Hilfeleistung, wenn man bedenkt, daß meistens nur eine rechtswidrige Handlung vorliegt 5 9 . Neuerdings hat Lord Denning , der für seine eigenwilligen, häufig abweichenden Voten berühmt ist, Injunctions auch dann gegeben, wenn es sich um Tribunalsachen handelte 60 . Die Präzedenzfälle, auf die er sich berufen zu können glaubte, stützten seine Ansicht jedoch nicht. Dennoch zeigt seine Entscheidung in die richtige Richtung. Es bleibt zu hoffen, daß im Rahmen einer umfassenden Reform mindestens diese „Zwillingsverfahren" entsprechend ihrer Rechtsnatur mit den jeweiligen Vorteilen zusammengelegt werden.

Kapitel 5 V. Declaration 1. Rechtsnatur der „Declaration" a) Begriff und Einordnung des „Declaration"-Verfahrens in das System der Klageformen Hatte der Kläger bei den Prärogativverfahren stets außer der Feststellung, daß er sich im Recht befinde, zugleich eine bestimmte Rechtsfolge im Auge — bei „Certiorari" die Aufhebung einer Entscheidung, bei „Prohibition" die Untersagung eines bestimmten vorliegenden oder zukünftigen Verhaltens, bei „Mandamus" die positive Anordnung/Verpflichtung eines bestimmten Verhaltens — und hatte der Kläger selbst bei der „Injunction" als Equitymaßnahme stets eine bestimmte Rechtsfolge, nämlich das Gebot oder Verbot eines bestehenden oder zukünftigen Verhaltens im Sinn, so verfolgt er mit der „action for a declaration" dagegen ausschließlich die Feststellung seiner Rechte. 58 59 60

S. 489. Zu dieser Tendenz, vgl. Hedley ν Bates, 1880, 13 Ch. D. 498. Vgl. Barnard ν National Dock Labour Board, 1953, 2 QB 18 (41 f).

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A u d i hier ist diese deutsche Klassifikation als „Feststellungsklage" nicht v o l l zutreffend, da die „Declaration" wesentlich großzügiger gehandhabt wird und sich aus dem Gebiet der anfechtenden Maßnahmen in neuester Zeit erhebliche Brocken einverleibt hat 1 . Außerdem sind die Grenzen zwischen allen englischen Klageformen viel flüssiger als bei den Klagearten im deutschen Recht. Andererseits deckt sich die „Declaration" i n so wesentlichen Punkten mit der Feststellungsklage, daß im folgenden der deutsche Begriff verwendet werden kann. b) Historischer Überblick Die „action for a declaration" tritt als eigenständiges Rechtsinstitut im englischen Recht mit öffentlich-rechtlichem Charakter erstaunlicherweise erst sehr spät in Erscheinung 2, obgleich „Declarations" für die Exekutive als geringster Eingriff attraktiv hätten sein müssen. Noch 1847 konnte der Lordrichter Bruce sagen: „Nakedly to declare a right, without doing or directing anything else relating to the right, does not, I conceive, belong to the functions of this court" 3 .

Wenn das Court of Chancery vor 1840 bisweilen auch Declarations als Ausnahmeerscheinung erlassen hatte, so unterließ es diese Praxis auf jeden Fall nach 18404 vollkommen. Das Court of Chancery hatte zwar stets die Möglichkeit, seine Billigkeitsrechtsprechung auszudehnen, von diesem Recht aber immer zurückhaltender Gebrauch gemacht, vermutlich aus Furcht, in einem neuen Konflikt mit den „Common Law "-Gerichten unterlegen zu sein 5 . Der Untergang des Star Chamber-Gerichtes mag als abschreckendes Beispiel gedient haben, überdies waren der Lordkanzler und sein Gericht peinlich bemüht, den Vorwurf: „Equity varies w i t h the size of the Chancellor's foot" gar nicht erst aufkommen zu lassen. V o n diesem Gericht war für die Entwicklung der Declaration daher wenig zu erwarten. 1 Hierzu Monographien: Borchard, Declaratory Judgments, 2. Aufl.; Zamir, The Declaratory Judgment, 1962; de Smith, S. 493 ff, Rubinstein, Jurisdiction and Illegality, S. 116 ff; ferner Sunderland, A modern Evolution in Remedial Rights — the Declaratory Judgment, 1917, 16 Michigan LR 69 (77); Jennings, Declaratory Judgments against Public Authorities in England, 1932, 41 Yale LJ 407 (416); Borrie, The Advantages of the Declaratory Judgment in Administrative Law, 1955, 18 MLR 138; Street, Governmental Liability, S. 131. 2 So de Smith, S. 495; a. A. Borchard, 1. Aufl., S. 62 ff, aber ohne Angabe von Gründen und Quellen. 3 Clough ν Ratcliffe, 1847, 1 DeG. & S., 164 (178 f): „Nur das nackte Recht festzustellen, ohne etwas anderes zu tun oder etwas anderes bezüglich des Rechtes anzuordnen, gehört m. E. nicht zu den Aufgaben dieses Gerichts", Ubers, d. Verf. 4 De Smith, S. 495, Anm. 6. 5 Zum Konflikt zwischen Common Law und Equity, vgl. Plucknett, Concise History, S. 685 ff; ferner supra, I V 1 b, S. 63 und infra Kapitel 13, S. 195 ff.

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Wichtiger für die Entwicklung der Declaration war das „Court of Exchequer", das ursprünglich einmal das erste Finanzmisterium Europas gewesen war: Zunächst unter Edward I I um 1160 als Exekutivbehörde gegründet, entwickelte es eine eigene Verfahrensordnung, über die bereits 1179 ein umfangreiches Werk geschrieben wurde®. Dem Exchequer oblag die königliche Buchhaltung und die Wahrung der königlichen Finanzinteressen. Zweimal jährlich beratschlagte der Justitiar des Exchequer mit allen wichtigen Persönlichkeiten des Königreichs, unter anderen dem Lordkanzler und dessen Beamten, die schon früher Einfluß auf diese Institution ausübten. Da alle führenden Staatsdiener bei diesen Gelegenheiten zusammensaßen, war es nicht verwunderlich, daß die „Exchequer meetings" stets schnelle und umfassende Maßnahmen beschließen konnten, selbst Maßnahmen, die eigentlich nicht zur Rechnungsprüfung oder Finanzverwaltung gehörten. In zunehmenden Maße waren Detailfragen, die bei diesen Treffen der Exchequer auftraten, auf besonderen „Plea Rolls" — Klageschriftrollen — eingetragen worden, um sie einer gerichtlichen Überprüfung zu überlassen. Dies geschah in einer Abteilung des Exchequer, so daß schon seit 1236 nachweislich das Exchequer als Finanzgericht tätig wurde 7 . Dieses neue Gericht bediente sich im wesentlichen der bestehenden Common Law-Verfahrensregeln, wenn auch noch formalisierter, und rivalisierte um 1300 sehr heftig mit den anderen Common Law-Gerichten. 1357 gelang es dem Exchequer durch Gesetz, ein eigenes übergeordnetes Appellationsgericht zu erhalten 8 , das „Exchequer Chamber", und damit die endgültige Anerkennung als gleichberechtigtes Gericht neben „King's Bench", „Common Pleas" und „Chancery" zu erreichen. über mannigfaltige Fiktionen — ein beliebtes Mittel zur Durchbrechung allzu starrer Klageformen 9 — gelang es dem Exchequer in der Folgezeit, eine Menge der Aufgaben des „Court of Common Pleas" an sich zu ziehen, über die Fiktion, daß eine Streitpartei zugleich Schuldner des Königs sei. Gleichzeitig war die Trennung zwischen dem Court of Chancery und dem Court of Exchequer nie genau gezogen worden, sodaß auch Equitymaßnahmen im Court of Exchequer ergehen konnten. Seit 1541 unter Henry V I I I waren Feststellungsurteile normale Vorgänge dieses Gerichts 10 . Eine ganze Reihe wichtiger Feststellungsurteile werden teilweise noch heute 6

Vgl. Tout, Place of Edward II, S. 45, zit. in Plucknett, Concise History, S. 147, Anm. 2. . 7 Vgl. hierzu Plucknett, Concise History, S. 159 ff. 8 31 Edward III, stat. 1, c. 12; vgl. hierzu auch Baldwin, The King's Council, S. 233. 9 Vgl. Kiralfy, Law Reform by Legal Fictions, Equity and Legislation in English Legal History, in Am. J. of Legal History, 1966, Bd 10, S. 3 ff. 10 Crown Debts Act, 1541,33 Hen. 8, c. 39, insbes. sect. 79 (seither aufgehoben).

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zitiert 1 1 . Durdi Gesetz von 184112 wurden alle jene Aufgaben des Exchequergerichtes, die „Equity"-Charakter trugen, wieder dem Court of Chancery zugewiesen, dessen negative oder zumindest äußerst zurückhaltende Einstellung gegenüber Declarations bereits erwähnt wurde. Als Folge dieser Umverteilung von Gerichtsaufgaben versank die Feststellungsklage in einen 70-jährigen Dornröschenschlaf, der erst im berühmt gewordenen Fall Dyson ν Attorney-General , 19111S endete. Mehrere Belebungsversuche des Gesetzgebers waren zwischenzeitlich an der Ablehnung der Chanceryrichter gescheitert 14 . Erst die „ Judicature Acts", 1873—75 ermächtigten ein Verfahrenskomitee des neubegründeten High Court of Justice, sich eine Verfahrensordnung zu geben. Order 25, Regel 5, die 1883 erging, besagte: „No action or proceeding shall be open to objection, on the ground that a merely declaratory judgment or order is sought thereby, and the court may make binding declarations of right whether any consequential relief is or could be claimed, or not" 15 .

Immerhin dauerte es fast noch 30 Jahre, ehe Dyson's Fall als Wendepunkt die „action for a declaration", nunmehr als Klageform in Streitigkeiten öffentlich-rechtlichen Charakters erneut aufbrachte. Im Dyson-Fall hatte ein Steuerzahler von dem „Inland Revenue Commissioner" — einer Finanzbehörde — ein Formular zugeschickt erhalten, in dem er aufgefordert wurde, gewisse Steuerangaben zu machen. Falls er sich weigern würde, genaue Angaben zu machen, drohe ihm eine Strafe. Dyson begehrte daraufhin mit Erfolg im High Court, Chancery Division die Feststellung, daß 1. die Strafandrohung rechtswidrig sei und daß 2. die ganze Maßnahme der Ermächtigungsgrundlage im „Finance Act" ermangele und damit „ultra vires" sei. Das Court of Appeal bestätigte die wiedergefundene Klageart einstimmig. Dabei nahm das Gericht sogar irrtümlich an, die Präzedenzfälle des Exchequergerichtes würden auch für das Chancerygericht gelten. Um jeglichen Zweifel auszulöschen, sagte Cozens-Hardy, M. R.: „The absence of any precedent does not worry me"1®. 11 Sir Thomas Cecil's Case, 1598, 7 Co. Rep. 18 b? Pawlett ν A.-G., 1668, Hardres 465; Deare ν A.-G., 1835,1 Y. & C. Ex. 197; Hodge ν A.-G., 1839,3 Y. & C. Ex. 342. 12 Court of Chancery Act 1841, 5 Vict. c. 5. 18 1 KB 410. 14 Vgl. Court of Chancery, England, Act, 1850, sect. 1 und 14; später Court of Chancery Procedure Act, 1852, sect. 50 und schließlich Judicature Acts 1873—75. 15 übers, d. Verf.: „Keine Klage oder andere gerichtliche Maßnahme ist deshalb anfechtbar, weil lediglich feststellende Urteile oder Beschlüsse begehrt werden. Das Gericht kann bindende Feststellungen über bestehende Rechte treffen, gleichgültig, ob eine darauf folgende Sanktion beansprucht wird, werden könnte, oder nicht"; seither widerrufen, aber inhaltlich unverändert als Order 15, Regel 16 neu gefaßt. 16 S. 417; s.a. Farwell, L. J., 1911, 1 KB 420; Fletcher-Moulton, L. J., 1912, 1 Ch. 168.

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erichtliche

Kontrollmaßnahmen

I n einem weiteren Fall hatte der Beklagte die Regel im Dyson-Fall angegriffen und behauptet, daß Order 25, Regel 5 selber „ultra vires" sei, weil die Verfahrensordnung des Gerichts nicht die Zuständigkeit des Gerichts erweitern dürfe 17 . Das Court of Appeal Schloß sich dieser Meinung jedoch nicht an, sondern war der Ansicht, Declarations begründeten keine neue Jurisdiktion 1 8 . Seither hat sich die Declaration als überaus flexibles und häufig angewandtes Mittel erwiesen, obgleich im Tenor der Feststellungsurteile als Lippenbekenntnis häufig von „Vorsicht bei der Anwendung von Declarations" und von „Seltenheit" und „ausnahmsweiser Anwendung" die Rede ist 1 9 .

2. Zielrichtung der „Declaration" a) Fehlen einer Klassifikation Im Gegensatz zum Certiorari-Befehl, dessen Regeln im Laufe der Zeit immer fester gefügt und damit zugleich immer schwerfälliger wurden, ist die „action for a declaration" noch im Fluß. Bislang hat sich kein genau abgegrenztes Prinzip herausgeschält, das in wenigen Worten die Grenzen dieser Klageform absteckt. Das ist jedoch zugleich ihr Vorteil, denn vage Grenzen ermöglichen, daß jederzeit neue Kategorien von Fallgruppen entstehen können, auf die „Declarations" Anwendung finden 20. In der Literatur 2 1 sind deshalb Fallgruppen zusammengestellt worden, anhand derer sich die „action for a declaration" herausbildet. b) Fallgruppen, die zum Erlaß von Declarations führten aa) Gesetze sind mit Prärogativbefehlen noch nie angreifbar gewesen. Das widerspräche der Doktrin der Souveränität des Parlamentes und würde den Gerichten verfassungsrechtliche Kompetenzen einräumen. Auch würde dann die Krone selber Befehlsempfänger sein, eine undenkbare Konstellation. Declarations sind bis heute gleichfalls nicht zur Überprüfung von Parlamentsgesetzen bemüht worden, obgleich sie nicht Ausfluß von Kronrechten sind. Allerdings finden sie in zunehmendem Maße 17

Guarantee Trust Co. of New York ν Hannay & Co., 1915, 2 KB 536. A.a.O., 563 f, 570. 19 So z.B. in Burghes ν A.-G., 1911, 2 Ch. 139 (156); Russian Commercial and Industrial Bank ν British Bank for Foreign Trade, Ltd., 1921, 2 AC 438 (445). 20 Beispiele bei Zamir, Kapitel 4 und 5; Glanville Williams, Crown Proceedings, Kap. 4; Borchard, 2. Aufl., Teil 3, Kap. 14. 21 Vgl. hierzu de Smith, Kap. 11, S. 501—524, m . w . H . 18

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Anwendung auf Verordnungen aufgrund von Gesetzen und auf ausführende Verwaltungsakte — d. h. auf die Ebene unterhalb von Gesetzen 22 . Obgleich Parlamentsgesetze durch Declarations nicht angegriffen werden können, ist die Suprematie des Parlamentes durch diese Klageform auf den legislatorischen Bereich ganz eng begrenzt worden: So reichen Berichte und Resolutionen einzelner Ausschüsse des Parlamentes nicht als Ermächtigungsnorm für das Vorgehen einer Behörde aus. Es durfte etwa in einem Fall die Bank von England Dividenden nicht mit Einkommensteuer belegen, weil hierzu eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage fehlte, lediglich eine Ausschußresolution vorlag 2 8 . bb) Ein wichtiger Bereich gerichtlicher Überprüfung mit Declarations sind Tribunalentscheidungen. Hierbei spielt es keine Rolle, ob die Verwaltungstribunale aufgrund eines Gesetzes oder anders entstanden sind — eine äußerst wichtige, wenngleich unsinnige Unterscheidung nach der Entstehungsgeschichte, statt nach der Wirkungsweise, die bei CertiorariBefehlen noch immer getroffen werden muß. M i t Declarations können alle Entscheidungen von Tribunalen überprüft werden 2 4 . cc) Declarations werden ferner zur Überprüfung der Rechte von Amtsträgern verwendet. So sind Entlassungen von Lehrern, Polizisten und Hafenarbeitern, die von der staatlichen Hafenarbeitsbehörde entlassen worden waren, mit Declarations für rechtswidrig erklärt worden 2 5 . Ferner erreichte ein Angestellter einer kommunalen Verwaltungsbehörde die Feststellung, daß eine Entschließung, die ihm eine höhere örtliche Steuerbelastung auferlegt hätte, rechtswidrig gewesen sei 26 . Ein Lehrer war mit der Feststellungsklage erfolgreich, daß er die Beiträge für Schulmahlzeiten seiner Schüler nicht selber einzusammeln brauchte 27 . Andererseits neigen die Gerichte dazu, in Fällen, in denen vertragliche Absprachen im Vordergrund stehen, keine Declarations zu gewähren, sondern verweisen dann auf Schadensersatzklagen und vertragliche Ansprüche 28 . 22 Brownsea Haven) Properties Ltd. ν Poole Corporation, 1958, Ch. 574. (Hotelbesitzer wendete sich gegen Einbahnstraßenregehing) ; Nicholls ν Tavistock U. D. C., 1923, 2 Ch. 18 (VO über Begrenzung von Auktionen auf Marktplätzen)? ferner Culldmore ν Lyme Regis Corporation, 1962, 1 QB 718 (Declaration, daß keine Küstenschutz gebühr vom Eigentümer zu zahlen sei). 23 Vgl. Bowles ν Bank of England, 1913, 1 Ch. 57. 24 Nicht durch Gesetz errichtet: Lee ν Showmen's Guild of Great Britain, 1952, 2 QB 329; durch Gesetz errichtet: Barnard ν National Dock Labour Board, 1953, 2 QB 18. 25 Hanson ν Radcliffe U. D. C., 1922, 2 Ch. 490 (Lehrer); Ridge ν Baldwin, 1964, A.C. 40 (Polizist); Barnard ν National Dock Labour Board, 1953, 2 QB 18; Vine ν National Dock Labour Board, 1957, A. C. 488 (Hafenarbeiter). 26 Field ν Poplar Borough Council, 1929, 1 KB 750. 27 Price ν Sunderland Corporation, 1956, 1 WLR 1253. 28 Vgl. z.B. den Vidyodaya-Fall, supra, Kap. 1, I 2b, S. 38 und infra, Kap. 8, I I 2 a, S. 108.

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Bedenklich dagegen erscheint folgende Einschränkung, die sich aus der Unantastbarkeit der Krone ergibt: Beamte der Krone (im Gegensatz zu Beamten der Kommunalverwaltung) haben kein einklagbares Recht, etwa eine Declaration über ihre Pensionsansprüche zu begehren, da Kronbedienstete („Crown Servants") keinen Anspruch auf Pensionen haben und jederzeit entlassen werden können — eine wesentlich schlechtere Absicherung genießen als jeder deutsche Beamte. Anderes gilt nur, wenn Gesetze dies ausdrücklich bestimmen, wie etwa der „Local Government Act" 1933, Sect. 121, der dieses Kronrecht gegenüber Kommunalbeamten ausdrücklich einschränkt 29 . Die ungünstige Rechtsstellung der Kronbeamten ist wiederum ein nachteiliges Relikt der absoluten Herrschaft, die im Laufe der Zeit i n absolute Herrschaft des Parlamentes umschlug. Die Position eines Kronbediensteten ist nicht beneidenswert, wenn man bedenkt, daß ein Beamter in Deutschland nur beim sprichwörtlichen Stehlen von Silberlöffeln entlassen wird. Andererseits stellt sich die Krone aber auch in einem den Bürger stark benachteiligenden Ausmaße vor ihre Beamten, deren fehlerhafte Akte leicht hinter „Crown Privilege" verdeckt bleiben können. dd) Ein weiterer Anwendungsbereich der Declaration ist die Überprüfung von Lizenzen und Genehmigungen. W i r d etwa grundlos die Erteilung einer Lizenz von einer Behörde verweigert, oder werden die Regeln über die natürliche Gerechtigkeit verletzt, liegt etwa Böswilligkeit der lizenzvergebenden Stelle vor, oder wurden rechtswidrige Auflagen und Bedingungen einer grundsätzlichen Genehmigung hinzugefügt, so können Declarations ergehen, die solche Akte für rechtswidrig erklären 8 0 . ee) Das Gericht kann ferner Feststellungen treffen, wenn die Verwaltung selber die Rechtmäßigkeit ihres Handelns bestätigt wissen möchte. Diese Kategorie von Fällen findet im Trustrecht seine Entsprechung, bei dem der Treuhänder („Trustee") 8 1 das Gericht anruft, um seine genauen Verpflichtungen bei der Nachlaßverwaltung feststellen zu lassen. So hat in einem Fall eine örtliche Verwaltungsbehörde eine gerichtliche Feststellung des Inhalts erreicht, daß gewisse Befehlsbauten in eine Kategorie von Bauten fiel, die die Behörde abreißen lassen konnte 8 2 . ff) Auch bei Streitigkeiten von Verwaltungsbehörden untereinander sind Feststellungsurteile ergangen: Fälle dieser Kategorie sind beispielsweise die gerichtliche Feststellung der genauen finanziellen Ausgleichs29

Vgl. hierzu ferner Nixon ν A.-G., 1931, A.C. 184. Associated Provincial Picture Houses, Ltd. ν Wednesbury Corporation, 1948, 1 KB 223. 31 Zur Problematik dieses Begriffes, siehe Kötz, Trust und Treuhand, Diss. Göttingen, 1963. 82 Ruislip-Northwood U. D. C. ν Lee, 1931, 145 L. T. 208. 80

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regelungen bei Gebietstausch, wenn zwei örtliche Behörden darüber in Streit geraten und ein gesetzlich vorgeschriebener Schiedsrichter die Angelegenheit dem High Court zur Feststellung vorlegt 8 8 . gg) In einer weiteren Fallgruppe werden Feststellungen darüber begehrt, daß die rechtlichen Grenzen des Verwaltungshandelns überschritten worden sind, oder die Ermächtigung zu einem bestimmten Verhalten überhaupt fehlt 84 , oder daß die Behörde zu einem ganz bestimmten Verhalten verpflichtet sei 85 . In diesem Bereich weist die Declaration die größte Flexibilität aller Klageformen auf und greift in den Bereich der „Prerogative Orders" über. hh) Wenngleich die Frage der Gewährung der britischen Staatsangehörigkeit an Ausländer zum „Crown Privilege" gerechnet wird, dem absoluten Ermessen der Krone und speziell dem Innenminister („Home Secretary") obliegt, so hat das High Court immerhin in Statusfragen die positive Feststellung, daß britische Staatsangehörigkeit vorliege, zugelassen und im Falle des Prinzen Ernst August von Hannover 86 auch dessen britische Staatsangehörigkeit aufgrund dynastischer Verbindung festgestellt. Aus allen diesen Fallgruppen ergibt sich, daß die „action for a declaration" einen breiten Anwendungsbereich hat. Allein schon hieraus wird deutlich, daß diese Klageform vor allen anderen ständig an Bedeutung gewinnt und die Tendenz hat, andere, insbesondere Prärogativverfahren, wegen derer prozeduraler Komplikationen zu verdrängen. c) Gründe, die Declarations ausschließen Hatten die Kategorien positiver Feststellungen den Rahmen der „action for a declaration" grob umrissen, sollen im folgenden kurz die negativen Begrenzungen der Declaration aufgezeigt werden, um eine schärfere Eingrenzung ihres Anwendungsbereiches zu erreichen. aa) Eine Feststellungsklage bleibt stets dann ohne Erfolg, wenn der Kläger sich auf ein Recht beruft, das überhaupt nicht als solches anerkannt ist. So können Beamte gegen rechtswidrige Kündigungen nichts unternehmen, weil ein solches Recht gegenüber der Krone nicht besteht, es sich um unangreifbare Ermessensentscheidungen der Krone handelt 87 . 83 Vgl. Local Government Act, 1933, S. 151 (3) und ζ. B. West Riding County Council ν Huddersfield Corporation, 1957, 1 QB 540, oder Gateshead Union Guardians ν Durham County Council, 1918, 1 Ch. 146: (ob eine Gemeinde Kinder aus einer anderen Gemeinde vom Schulbesuch ausschließen kann). 34 Vgl. Ridge ν Baldwin, 1964, A. C. 40. 85 Vgl. A.-G. ν St. Ives R.D.C., 1961, 1 QB 366 (Verpflichtung, eine Kanalisation instandzusetzen). 36 1957, A. C. 436. 87 Vgl. zu dieser bedauerlichen Anomalie: Nixon ν A.-G., 1930, 1 Ch. 566 (573—575).

6 Riedel

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bb) Eine Feststellung kann audi wegen mangelnder Zuständigkeit des Gerichtes scheitern, etwa, weil nach internationalem Privatrecht ein ausländisches Forum zuständig ist. cc) M i t einer Feststellungsklage kann ferner nicht i n die Angelegenheiten des Parlamentes eingegriffen werden. So kann das High Court nichts unternehmen, wenn das Parlament von seinem Residualrecht als Gericht Gebrauch macht 38 . dd) Wenn ausschließlich andere Spezialgerichte oder durch Gesetz bestimmte Streitschlichtungsinstitutionen vorgesehen sind, kann das High Court auch keine Declaration treffen. Allerdings w i r d das High Court solche gesetzlichen Gerichtsausschlußklauseln sehr eng auslegen, wie bereits dargelegt wurde 8 9 . ee) Schließlich haben Feststellungsklagen nur dann Erfolg, wenn der Streitgegenstand nicht „rein akademisch und abstrakt", sondern eine konkrete Streitfrage zweier Parteien ist 4 0 .

3. Umfang der Declaration a) „Locus standi "-Fragen Hinsichtlich der Prozeßfähigkeit gilt bei Declarations grundsätzlich dasselbe wie bei „Injunctions". Allerdings besteht die Tendenz, daß bei Feststellungsklagen die relativ strengen „Locus standi" — Anforderungen der Injunction großzügiger ausgelegt werden. So genügt es, daß der Kläger nachweist, wenigstens „auch mitbetroffen" zu sein 41 , ähnlich der deutschen Regelung; doch besteht ein gravierender Unterschied: Während im deutschen Recht beim Vorliegen dieser Voraussetzung ein Rechtsanspruch begründet wird, liegt es in England stets im Ermessen des Gerichtes, ob es dem Rechtsanspruch stattgibt oder nicht 42 . 88

Vgl. Bradlaugh ν Gossett, 1884, 12 QBD 271; ferner supra, I V 2 d aa, S. 67. Supra, I 2 b, S. 38; ferner zu dieser Frage Zamir, S. 69 ff. 40 Vgl. Lordrichter Sumner in: Russian Commercial and Industrial Bank ν British Bank for Foreign Trade Ltd., 1921, 2 A.C. 438 (452) „A real and not fictitious or academic question is involved . . . " 41 Vgl. Richter Porter in Stockwell ν Southgate Corporation, 1936, 2 All ER 1343 (1351); ferner Clark ν Epsom R. D. C., 1929, 1 Ch. 287 (298 ff). 42 Vgl. Prescott ν Birmingham Corporation, 1955, Ch. 210 (Declaration hatte Erfolg), dagegen in: Gregory ν Camden L.B.C., 1966, 1 WLR 899 war einem Dritten rechtswidrig ein Bauplan genehmigt worden. Der Kläger hatte mit Declaration keinen Erfolg, obwohl er davon mitbetroffen war. Für Kritik dieses Falles siehe: Bradley, 1966, Cambridge L. J. 156 und Gould, 1970, Public Law, 358 (368 ff). 39

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In Streitigkeiten mit der Krone gilt seit 1947, daß — wenn überhaupt — an Stelle aller anderen Klageformen lediglich eine Feststellungsklage zulässig ist 4 3 . b) Ermessen des Gerichtes M i t Ausnahme der Gründe, die Declarations von vornherein ausschließen 44 , hat das Gericht einen breiten Ermessensspielraum, ob eine Feststellungsklage Erfolg hat oder nicht. Dies verursacht einige Unsicherheit für den Kläger, ermöglicht andererseits, daß in neuen Fallsituationen bei Bedarf leicht Ausdehnungen der Declaration in die Domänen anderer Klageformen erfolgen können. Das Gericht muß dabei aber stets überzeugt werden, daß die Feststellung einer Rechtslage sinnvoll ist 4 5 und nicht etwa zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen anderer öffentlicher Belange führt 4 6 . In der Literatur — zuletzt von der „Law Commission", die sich die Reform des Verwaltungsrechtes vorgenommen hat — w i r d dieses große Ermessen des Gerichtes zunehmend kritisiert 4 7 . Da es aber bislang noch nicht gelungen ist, die Ermessensentscheidungen der Verwaltung transparenter zu machen, konzentriert man sich zunächst auf dieses Problem und begnügt sich mit der Tatsache, daß das Ermessen des Gerichtes zumindestens theoretisch an klare Verfahrensgrundsätze gebunden ist. In der Praxis trägt das große Ermessen des Gerichtes in diesen Fragen zu der tiefgehenden Unsicherheit des Rechtsuchenden i n Verwaltungsstreitverfahren bei. c) Wirkung von Alternativverfahren Grundsätzlich kann mit der Declaration seit der Wiederentdeckung dieser Klageart im Dyson-Fall 48 vorgegangen werden, selbst wenn andere Klageformen mit einer bestimmten Rechtsfolge auch gegeben wären. In Fällen, in denen etwa Tribunale aufgrund gesetzlicher Zuweisung entscheiden sollen, behält sich das High Court vor, dennoch Feststellungsklagen zuzulassen, wenn der Gesetzestext dies nicht ausdrücklich ausschließt oder keine andere Deutung zuläßt 40 . Das Gericht läßt Feststellungsklagen auch dann zu, wenn trotz Spezialzuweisung an andere Insti48 Vgl. Crown Proceedings Act, 1947, sect. 21 (1); siehe dazu supra, I I 2bbb, S. 52. 44 Supra, V 2 c, S. 81. 45 A.-G. ν Colchester Corporation, 1955, 2 QB 207 (217); ferner Zamir, S. 191 ff. 46 Flint ν A.-G., 1918, 1 Ch. 216. 47 Vgl. Law Commission, Working Paper Nr. 40, § 59; s. a. Wade, S. 110 f. 48 Dyson ν A.-G., 1911, 1 KB 410; ferner Burghes ν A.-G., 1911, 2 Ch. 139. 49 Vgl. Ruislip Northwood U. D. C. ν Lee, 1931, 145 L. T. 208.

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tutionen ein großes öffentliches Interesse an der Feststellung besteht, insbesondere eine Vielzahl von Personen betroffen ist. Abgesehen von diesen Ausnahmen zeigte sich das High Court bis vor kurzem aber doch sehr zurückhaltend, wenn andere Streitbeilegungsmethoden vorgesehen waren 5 0 . Im übrigen wird auf das zur „Injunction" Gesagte verwiesen 51 . Seit etwa 1960 jedoch hat das High Court eine großzügere Einstellung gegenüber Declarations bezogen, nicht zuletzt aufgrund der äußerst positiven Stellungnahmen der Literatur zur Declaration 52 . Im Pyx Granite-Fall ging das High Court sogar soweit, daß Declaration auch anstelle von Certiorari gegeben werden könne 5 8 . Damit wird auch hier eine Tendenz sichtbar, auf richterlichem Wege die historisch bedingten Beschränkungen der Prärogativverfahren langsam auszumerzen, und dieser Prozeß ist noch lange nicht abgeschlossen. 4. Vergleich von Declaration- und Certiorari- Verfahren Dies führt nun zu der Frage, ob diese Entwicklung für den einzelnen Bürger in England von Vorteil ist oder nicht. Obgleich davon ausgegangen werden soll, daß jede gesetzliche Ausdehnung der richterlichen Kontrolle im öffentlichen Recht begrüßenswert erscheint — eine von der herrschenden Meinung in England nicht getragene Prämisse — fragt sich doch, ob der eingeschlagene Weg, über die Ausweitung der „action for a declaration" andere Klageformen mit spezieller Rechtsfolge einzuschränken und zu verdrängen, auf lange Sicht sinnvoll ist. Bislang ist jedenfalls noch nicht zu befürchten, daß die Declaration Prärogatiwerfahren ersatzlos schluckt. Das wäre wegen der fehlenden Rechtsfolge bei Declarations fatal. Die Literatur der 50-er und 60-er Jahre in England stellt aber Certiorari und Declarations bewußt gegenüber, um Vor- und Nachteile beider Klageformen abzuwägen, was aus deutscher Sicht wegen der unterschiedlichen Rechtsnatur wenig sinnvoll erscheint 54 . 50

Vgl. de Smith, S. 532 ff. Supra, I V 3 b, S. 69. 52 Vgl. Schwartz: „Forms' of Review Action in English Administrative Law", 1956, Col. L.R. 203 (215—226); Borrie: „The Advantages of the Declaratory Judgment in Administrative Law", 1955, 18 MLR 138; Zamir, „The Declaratory Judgment ν the Prerogative Orders", 1958, Public Law, S. 341; de Smith, S. 536 ff. 58 So Lord Goddard in Pyx Granite Co. ν MHLG, 1960, A.C.260 (290); vgl. auch Lord Denning bereits 1952 in Lee ν Showmen's Guild of Great Britain 1952, 2 QB 329 (346) und im Barnard-Fall, 1953, 2 QB 41 ff; vgl. supra, S. 70. 54 Etwa Wade, S. 94; Borrie, 1955, 18 MLR 138 (146 f) der auf W. Friedmann, Law and Social Change in Contemporary Britain, 1951, S. 233 f verweist; oder Zamir, S. 160 ff, und ders., 1958, Public Law, S. 341, allerdings mit Einschränkungen; so auch Rubinstein, Jurisdiction and Illegality, S. 119 f; Denning, Freedom under the Law, S. 126: „Just as the pick and shovel is no longer suitable for the winning of coal, so also the procedure of mandamus, certiorari and actions on the case are not suitable for the winning of freedom in the new age. 51

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a) Vorteile von Certiorari So werden beispielsweise als Vorteile des Certioraribefehls gegenüber Declarations genannt: Die Präzedenzfälle zur „Locus standi "-Frage sind bei Certiorari für den Kläger günstiger, doch spielt das in der Praxis keine große Rolle, da bei beiden Klagearten nur dann mit Erfolg gerechnet werden kann, wenn der Kläger geltend macht, in seinen eigenen Rechten verletzt zu sein. Als weiterer Vorteil des Certioraribefehls w i r d genannt, daß Certiorari bereits bei Vorliegen einer schriftlich niedergelegten, offensichtlichen Rechtsverletzung gewährt wird („error of law on the face of the record"), während dies für Declarations nicht ausreicht 55 . b) Vorteile von Declaration Diesen Vorteilen der Certiorari- Verfahren steht eine ganze Skala von Vorteilen der Declaration gegenüber: 1. Die Antragsfrist bei Declarations beträgt sechs Jahre, bei Certiorari nur sechs Monate. 2. Bei Feststellungsklagen sind mündliche Aussagen und Kreuzverhör zugelassen, wenn es um die Freigabe von behördlichen Dokumenten geht, bei Certiorari- Verfahren ist das Gericht auf sogenannte „affidavits" — eidesstattliche Erklärungen der Behörden — angewiesen. 3. Bei Declarations gilt ferner das allgemeine Prinzip der „legal capacity", das heißt, die zu überprüfende Entscheidung muß lediglich „rechtliche Gesichtspunkte" enthalten haben, während bei Certiorari die antiquierte „judicial capacity die judizielle Natur eines Verwaltungshandelns vorgelegen haben muß. Ein Zopf widersprüchlicher Entscheidungen zu dieser Frage ist bei der Declaration abgeschnitten worden. 4. Da der Declaration überdies konkrete Rechtsfolgen fehlen, können Feststellungen über Rechte und Verpflichtungen leichter mit anderen Klageformen, etwa „Injunctions" oder Schadensersatzklagen gekoppelt werden, was bei den Prärogativverfahren grundsätzlich ausgeschlossen ist. c) Ausblick auf künftige Entwicklung Bei allen Vorteilen der „action for a declaration" darf jedoch nicht übersehen werden, daß ein Feststellungsurteil stets ohne spezielle geThey must be replaced by new and up-to-date machinery, by declarations, injunctions, and actions for negligence"; neuerdings auch von Gould, Public Law, 1971, S. 358 ff (370) vertreten. 55 Certiorari wird insbesondere von Wade, S. 107, bevorzugt, ferner Committee on Ministers' Powers, 1932, Cmd. 4060, S. 62, 99, 117.

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Kontrollmaßnahmen

richtliche Abhilfe bleibt, was in der Praxis in vielen Fällen keinen ausreichenden Schutz gewährleisten würde. Schon aus diesem Grunde ist die Tendenz der Literaturmeinungen, die „action for a declaration" allen anderen Klageformen vorzuziehen, trotz ihrer zweifellos vorhandenen Vorteile, insbesondere ihrer Flexibilität, letztlich bedenklich. M. E. sollten Vergleiche mit anderen Klageformen, wie sie vorstehend skizziert und in der Literatur erörtert wurden, nur den einen Zweck verfolgen: die umfassende Neuordnung der Klageformen im ganzen zu erreichen, mit dem Ziel, einen einheitlichen und lückenlosen Rechtsschutz in gerichtlichen Verfahren gegen die Verwaltung zu erreichen.

Kapitel 6 VI.

Andere Verfahren

gegen die Verwaltung

1. Schadenersatzklagen wegen unerlaubter Handlungen aus Verletzung gesetzlicher Verpflichtungen Neben den oben dargestellten gerichtlichen Verfahren kommen audi noch rein zivilrechtliche Verfahren in Betracht, da das „Common Law" ja gegenüber jedermann gilt. Bei Verfahren gegenüber der Verwaltung ist jedoch stets von großer Bedeutung, ob die verletzte Rechtsnorm dem betroffenen einzelnen Bürger auch Schutz bieten oder ob er auf Prärogatiwerfahren, Injunctions oder Declarations angewiesen sein sollte. Das zu ermitteln, macht regelmäßig große Schwierigkeiten 1 . Entscheidend für die Frage, ob eine Verletzung einer gesetzlich vorgeschriebenen Verpflichtung zu Schadenersatz führt oder nicht, ist der W i l l e des Gesetzgebers, der sich aus der Konstruktion der Verpflichtung ergeben muß, wobei im Gegensatz zum deutschen Recht der Richter nicht ohne weiteres verschiedene Interpretationsmethoden anwenden kann, sondern stärker an den Wortlaut des Gesetzes gebunden ist („literal interpretation rule" 2 ). Allerdings löst sich diese starre Methode im Einzelfall sehr schnell auf: bei Bedarf wird der Einzelfall zum Sonderfall erklärt, oder ein Präzedenzfall zur Auslegung w i r d unterschieden („distinguished") oder als „obiter dictum" befunden. Da das Parlament überdies häufig den Umfang einer gesetzlichen Verpflichtung überhaupt nicht absteckt, bleibt es meist dem Ermessen des Richters überlassen, ob er die gesetzliche Verpflichtung 1

Street, Law of Torts, 3. Aufl., Kap. 14; Salmond on Torts, 14. Aufl., Kap. 11; Fleming, Law of Torts, 3. Aufl., S. 126—136; Robinson, Public authorities and legal liability, S. 81, 97 ff; Glanville Williams, 1960, 23 MLR 233; Fricke, 1960, 76 LQR 240. 2 Vgl. Allen, Law in the Making, S. 503 ff; ferner Radbruch, Geist des englischen Rechts, S. 38 f.

Andere Verfahren

gegen die Verwaltung

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so weit interpretiert, daß der klagende Bürger Schadensersatz verlangen kann oder nicht 8 . Als Faustregel gilt demnach folgendes: Der Kläger muß nachweisen, daß ein Schadensersatzanspruch sich direkt aus der Verpflichtung ergibt, die der Verwaltung durch Gesetz auferlegt wurde 4 . Ferner muß der erlittene Schaden in den Schutzbereich der verletzten Rechtsnorm fallen 5 . Schließlich kann der Kläger immer dann mit Erfolg rechnen, wenn er nachweist, daß eine gesetzliche Verpflichtung nicht nur die Allgemeinheit („public at large"), sondern auch ihn persönlich, oder eine Gruppe von Personen, zu denen er zählt, betrifft·. Sieht das Gesetz eine andere bestimmte Rechtsfolge bei einer Rechtsverletzung vor, scheiden Schadensersatzklagen wegen unerlaubter Handlungen sofort aus: Die Gerichte interpretieren solche gesetzlichen Hinweise stets als gesetzlich gewollte Reduktion auf das genannte, spezielle Verfahren 7 . Handelt es sich bei dem Rechtsstreit um ein Verfahren gegen die Krone oder einen Kronbeamten, so ist zusätzlich deren Privilegierung durch den „Crown Proceedings Act" von 1947 zu beachten. Unerlaubte Handlungen der Krone oder ihrer Bediensteten können nur dann gerichtlich verfolgt werden, wenn die gesetzlich vorgeschriebene Verpflichtung, gegen die die Krone verstieß, gleichzeitig auch andere Personen als die Krone oder deren Beamte bindet 8 . W o also die Verpflichtung lediglich der Krone, und insbesondere dem zuständigen Minister auferlegt wird, scheidet eine Klage wegen unerlaubter Handlung von vornherein aus. Obgleich diese Hemmnisse nicht gegenüber den staatlichen Industrien gelten („Public Corporations"), kommen hier ähnliche Haftungsbeschränkungen in Betracht. Da die gesetzlichen Ermächtigungsnormen sowie die Verpflichtung der staatlichen Industrien oft sehr allgemein gefaßt sind — etwa die Verpflichtung der Kohlenindustrie, die „wirksame Entwicklung der Kohleproduktion sicherzustellen 9 " — scheitern Schadenersatzklagen einzelner Bürger wegen unerlaubter Handlungen oft schon auf Grund dieser allzu vagen Formulierung der Pflichten. Im übrigen gelten die allgemeinen Grundsätze der unerlaubten Handlungen, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. 8

De Smith, S. 552. Street, Law of Torts, 3. Aufl., S. 274. 5 Gorris ν Scott, 1874, L. R. 9 Ex. 125. 6 Solomons ν Gerzenstein (R.) Ltd., 1954, 2 QB 243, m. w. H. 7 Vgl. de Smith, S. 553, Fn. 26. 8 Vgl. Crown Proceedings Act, 1947, See. 2 (2); ferner Street, Governmental Liability, S. 143—152; Williams, Crown Proceedings, S. 48 ff. 9 S. Coal Industry Nationalisation Act, 1946, sect. 1 (1) (b). 4

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2. Strafrechtliche Sanktionen Strafrechtliche Sanktionen spielen in Verfahren gegenüber der Verwaltung nur noch eine ganz geringe Rolle, vor allem, weil sie dem einzelnen Bürger keine Abhilfe in Form von Schadensersatz oder Naturalrestitution geben. Sie dienen, wie überall, vorwiegend dem Schutze der Allgemeinheit, zur Bestrafung des rechtswidrig handelnden Verwaltungsbeamten 10 , nicht vorwiegend zur Genugtuung des Klägers und können deshalb außer Betracht bleiben. 3. Besondere gesetzlich vorgesehene Streitschlichtungsverfahren Neben den bereits dargestellten Verfahrensarten der gerichtlichen Kontrolle gibt es noch besondere Streitschlichtungsverfahren, die stets gesetzlich festgelegt sind und meist Vorrang vor gerichtlichen Verfahren genießen. So kann eine kommunale Verwaltungsbehörde, die sich weigert, einer gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen, statt durch Mandamusbefehl eines Gerichtes durch direkte Kontrolltätigkeit der übergeordneten zentralen Verwaltungsbehörde gemaßregelt werden, etwa durch Entsendung eines Staatskommissars, oder durch Beauftragung eines Sonderbevollmächtigten, dessen Kosten der Kommunalverwaltung auferlegt werden 11 . Alle diese Verfahren würden nach deutschem Recht jedoch als verwaltungsinterne Kontrollmaßnahmen klassifiziert werden, die sich aus der Weisungsbefugnis der Zentralverwaltung herleiten.

B. Grundkategorien des Inhalts der Kontrollmafinahmen Kapitel 7 I. Die „Ultra

Vires"-Doktrin

Die Darstellung der verwaltungsrechtlichen Klageformen vor ordentlichen Gerichten hatte gezeigt, daß bislang ein systematisch gegliederter gerichtlicher Schutzmechanismus gegen Verwaltungsfehlverhalten noch nicht besteht. Der Schutz des Individuums vor Willkürakten ist allenfalls als sporadische Abzweigung von den jeweiligen zivilrechtlichen Maßnahmen entstanden. Seit Mitte der fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts 10

Vgl. hierzu de Smith, S. 548 ff; ferner Robinson, Public Authorities and Legal Liability, S. 214—222. 11 So etwa Public Health Act, 1875, Sections 299—302; ferner Education Act, 1944, sect. 99 (1); National Health Service Act, 1946, sect. 57; Local Government Act, 1933, sect. 199.

Die „Ultra

Vires-Doktrin

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beginnt nunmehr die Verwaltungsrechtswissenschaft, diesen Rückstand gegenüber dem kontinentaleuropäischen Recht aufzuarbeiten und dabei neue Kategorien und Fallgruppen aus den fast uferlosen und widersprüchlichen Präzedenzfällen herauszuarbeiten. Dabei entsteht langsam auch das Bild des materiellen Verwaltungsrechtes. Die Lehre stützt sich neben anderen Gesichtspunkten im wesentlichen auf zwei große Pfeiler, die „ultra vires "-Doktrin und das Prinzip der „natürlichen Gerechtigkeit", die im folgenden kurz skizziert werden sollen 1 . 1. Begriff und Entstehung der Doktrin Englische Verwaltungsbehörden leiten ihre Handlungsermächtigung in aller Regel von gesetzlichen Ermächtigungsnormen ab. Handelt eine Behörde außerhalb des ihr gesetzlich zugebilligten Ermächtigungsrahmens, so ist ihr Verhalten rechtswidrig, sie handelt „ultra vires" 2 . Dieses Prinzip gilt für alle Behörden, denen die Verpflichtung obliegt, „judiziell" zu handeln, d.h., unter richterlicher Abwägung aller Faktoren zu entscheiden8. Betroffene Individuen können solche „ultra vires "-Akte der Behörden vor den ordentlichen Gerichten geltend machen. Der Kern dieser Doktrin ist damit schon umrissen, doch liegt ihre Schwierigkeit, wie stets im englischen Verwaltungsrecht, im Detail. Die „ultra vires "-Lehre hat eine lange, wechselvolle Geschichte, die hier nur angedeutet werden soll 4 . Schon bald nach der Eroberung Englands durch die Normannen haben die königlichen Gerichte, die den lokalen Gerichten übergeordnet waren, Rechtsvorstellungen der Zentralgewalt den weiterbestehenden lokalen Behörden und Gerichten aufzwingen können, indem sie bestimmen konnten, Verfahren vor Untergerichten in das King's Bench-Gericht nach Westminster zu verlegen und damit in ihre eigene Zuständigkeit zu bringen. V o n diesem Rechte machte das King's Bench-Gericht stets dann Gebrauch, wenn die durch besonderes Statut („Charter") errichteten kommunalen Einrichtungen („municipal corporations") ihre Machtbefugnisse überschritten und etwa rechtswidrige Satzungen erließen 5 . Nachdem die Kommunalverwaltung sich im 1 Als dritten Pfeiler behandelt die Lehre meist noch die Fallgruppe um das Problem des „error of law on the face of the record", der evidenten Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns, die bereits in Kapitel 1 beim CertiorariVerfahren dargestellt wurde und deshalb hier nicht näher behandelt werden soll, vgl. supra, I 2 b bb, S. 39. 2 Vgl. hierzu etwa Yardley, Source Book, S. 93; de Smith, S. 85; Foulkes, S. 125; Garner, S. 108 ff ; Wade, 1. Aufl., S. 40 ff; Griffith & Street, 3. Aufl., S. 105 ff. 3 Zu dieser Verpflichtung, s. a. I 2 a dd, S. 33. 4 Vgl. zum folgenden de Smith, S. 83 ff; Holdsworth, H. E. L., Bd 2, S. 395 ff; Bd 4, S. 70 ff; sowie Teil 2 dieser Arbeit, Kap. 11. 5 Holdsworth, H. E. L., Bd 2, S. 398 ff,

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14. und 15. Jahrhundert mehr und mehr in den Händen der Friedensrichter („Justices of the Peace") konzentrierte, war es lange Zeit Aufgabe des King's Bench-Gerichtes, das Verfahren der Friedensrichter zu überwachen. Dies wurde dadurch besonders erleichtert, daß die Friedensrichter zwar Verwaltungsfunktionen wahrnahmen, aber zugleich auch Richter waren und deshalb „richterlich" vorgehen mußten. Die Kontrolle durch das King's Bench-Gericht als Obergericht war daher eine natürliche Folge. Im 17. Jahrhundert entstand langsam die Unterscheidung zwischen Handlungen ohne Ermächtigungsgrundlage, die im Wege des „ certiorari "Verfahrens 6 für nichtig erklärt werden konnten, sowie Handlungen, die innerhalb des Ermächtigungsrahmens, aber dennoch rechtswidrig erlassen worden waren. Diese Akte konnten nur dann durch „certiorari "»Verfahren beseitigt werden, wenn der Fehler evident war, d. h., sich aus den Schriftsätzen beweisen ließ 7 . Im 16. Jahrhundert war die Zuständigkeit der von den Tudors ausgebauten Konziliargerichte, insbesondere des „Star Chamber"-Gerichtes, stark erweitert worden. Die Kontrolle der Zentralgewalt in London über die Organe der Kommunalverwaltung nahm entsprechend zu und umfaßte bald sämtliche kommunalen Akte, die rechtswidrig waren, gleichgültig, ob innerhalb des Zuständigkeitsrahmens oder außerhalb desselben entstanden, und gleichgültig, ob es sich um richterliche oder reine Verwaltungsaufgaben handelte 8 . Die erweiterte Rechtskontrolle durch — insbesondere — das Star Chamber-Gericht löste die Rechtsaufsicht des King's Bench-Gerichtes jedoch nie vollständig ab; vor allem deswegen nicht, weil der „King's Council", von dem das Star Chamber-Gericht sich einst abspaltete, große Mühe hatte, die vielen nahezu autonomen Kommunalbehörden zu überwachen: „. . . the King's Bench may have suffered a 'capitis deminutio', it was never submerged'' 9.

Als das Star Chamber-Gericht im Jahre 1641 abgeschafft wurde, blieb das King's Bench-Gericht als einziger Kontrollmechanismus erhalten. Seit der Revolution von 1688 obliegt es wieder allein den Common Law-Gerichten, rechtswidrige Akte der Kommunalverwaltung oder ihrer Amtsträger als solche aufzudecken und zu überprüfen, ob die Verwaltung ihre Befugnisse rechtsmäßig ausgeübt hat. Den Konflikt mit der Zentralverwaltung haben die Gerichte allerdings seit der berühmten Coke-Bacon Kontroverse des frühen 17. Jahrhunderts zwei Jahrhunderte lang ver6

Supra, Kap. 1, S. 1 ff. „Error of law on the face of the record"; supra, Kap. 1, I 2b bb, S. 39. 8 Holdsworth, H. E. L., Bd 4, S. 70—80, 83 ff. 9 De Smith, S. 84; s.a. Holdsworth, H. E. L., Bd 4, S. 187 f; 274 f: „Das King's Bench-Gericht hatte vielleicht eine .capitis deminutio' erlitten, wurde jedoch nie vollständig ersetzt", Ubers, d. Verf. 7

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mieden, in der die Common Law-Gerichte unterlagen 10 , und es ist niemals ein umfassendes System der Rechtskontrolle geschaffen worden. Die „ultra vires"-Lehre als solche ist daher auch erst jüngeren Ursprungs. Sie beginnt eigentlich erst am Ausgang des 19. Jahrhunderts und w i r d speziell im Verhältnis zu den gesetzlich entstehenden neuen kommunalen Verwaltungseinheiten entwickelt 1 1 . Erst im 20. Jahrhundert dehnt die Judikatur langsam ihre Rechtskontrolle auch auf Akte der Krone selber und ihrer Amtsträger aus 12 . Das House of Lords hatte frühzeitig Gelegenheit, das Prinzip zusammenzufassen, seine Anwendbarkeit jedoch sogleich wie folgt zu begrenzen: „. . . and that whatever may fairly be regarded as incidental to, or consequential upon, those things which the legislature has authorized, ought not (unless expressly prohibited) to be held, by judicial construction, to be ultra vires 1 ' 18 .

Diese Aussage bildet den Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung dieses Prinzips. 2. Kategorien der „ultra vires"-Lehre In der Lehre und Rechtsprechung ist seither versucht worden, diese Doktrin nach Fallgruppen geordnet mit klarem Inhalt zu versehen, doch besteht bislang keine Einigkeit darüber, wie die vielen Fälle, in denen aus den unterschiedlichsten Gründen ein Verwaltungshandeln für „ultra vires" befunden wurde, in ein zusammenhängendes System von Rechtssätzen zusammengefügt werden sollen. Fast jeder Autor zum Verwaltungsrecht erfindet seine eigene Kategorisierung 14 . M a l begnügt man sich mit der Unterscheidung in „ultra vires" der Ermächtigungsnormen und des Verfahrens 15 , mal zergliedert und klassifiziert man dieses Prinzip in viele Untergruppen nach der Art der fehlerhaften Handlung, wie etwa Wade 1 6 . Yardley 17 ist der Auffassung, daß hierdurch nicht viel gewonnen wird, weil es häufig unmöglich sei, festzustellen, ob eine Behörde im Einzelfall 10

Vgl. hierzu infra, Teil 2, Kap. 13. Vgl. de Smith, S. 85 ff, m. w. H. 12 Vgl. Crown Proceedings Act. 1947, 10 & 11 Geo. 6, c. 44. 13 A.-G. ν Great Eastern Railways, 1880, 5 A.C. 473 (478); „Alle Dinge, die sich bei verständiger Würdigung am Rande oder als Konsequenz von Ermächtigungsnormen ergeben, die die Legislative erlassen hat, sollten nicht durch richterliche Auslegung für »ultra vires' befunden werden, es sei denn sie seien ausdrücklich verboten"; Ubers, d. Verf. 14 Vgl. etwa am ausführlichsten de Smith, S. 84 ff; Wade, 1. Aufl., S. 40 ff; Garner, 1. Aufl., S. 108 ff; Griffith & Street, 3. Aufl., S. 105 ff; Foulkes, S. 125 ff; Yardley, Source Book, S. 93 ff; Marshall, 1973, Public Law, S. 32 ff. 15 So etwa Garner, 1. Aufl., S. 108 ff; de Smith, S. 85 ff. 16 Wade, 1. Aufl., S. 40 ff. 17 Source Book, S. 94. 11

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überhaupt keine Handlungsermächtigung hatte oder lediglich ihren Ermächtigungsrahmen überschritt 18 , überdies sei es im Ergebnis gleichgültig, ob es sich um Überschreitung oder Fehlen der Ermächtigungsgrundlage handele, denn in beiden Fällen sei die Verwaltungshandlung „ultra vires" und damit rechtswidrig und vom Gericht aufzuheben. Andererseits gibt es genügend typische Fälle, die eine Untergliederung der Doktrin zulassen und die geeignet sind, die Begrenzungslinien der Rechtsprechung aufzuzeigen. Im übrigen bildet auch Yardle y eine Untergruppe der Fälle, in denen eine Behörde zwar formal rechtmäßig, aber unbillig oder unverhältnismäßig („unreasonable") vorgegangen sei. Es soll daher im wesentlichen der ausführlichen Unterteilung Wades 19 gefolgt werden.

a) „Procedural ultra vires" — Verfahrensmängel Unter Verfahrensmängeln versteht man in diesem Zusammenhang Formfehler, die sich daraus ergeben, daß entweder falsche Adressaten, nicht zuständige oder falsch besetzte Behörden gewählt wurden, oder aber die zuständige Behörde den Streitfall an eine unzuständige Behörde weiterverwiesen hat („delegatus non potest delegare"). Zu diesen Verfahrensmängeln rechnen ferner ansich auch die Regeln über die natürliche Gerechtigkeit („natural justice"), die u.a. besagen, daß das Verwaltungsverfahren öffentlich, fair und unparteiisch abzulaufen habe. Diesen Grundregeln wird im englischen Verwaltungsrecht jedoch soviel Bedeutung beigemessen, daß sie gesondert, als gleichwertige Doktrin behandelt w i r d und deshalb auch hier erst im Anschluß an die „ultra vires"-Lehre abgehandelt werden soll. Ein Beispiel für derartige Verfahrensmängel ist etwa R ν Paddington and St. Marylebone Rent Tribunal 20, in dem eine Kommunalbehörde gesetzlich ermächtigt war, die Höhe der zu fordernden Miete einem „Miet-Tribunal" zur Entscheidung vorzulegen sowie die Mieten eines großen Gebäudekomplexes pauschal neu festsetzen lassen wollte. Das Gericht erließ einen „certiorari"-Befehl, daß dies Verhalten rechtswidrig und damit aufzuheben sei, weil jede einzelne Wohnungsmiete separat hätte festgesetzt werden müssen und dieser Verfahrensfehler nicht heilbar sei.

18 So zum Beispiel in den Fällen London and1 Westcliff Properties, Ltd., ν Minister of Housing and Local Government, 1961, 1 WLR 519 (524—529); Lee ν Showmen's Guild of Great Britain, 1952, 2 QB 329 (337 ff). 19 1. Aufl., S. 40 ff; de Smith legt noch größere Betonung auf Kompetenzfragen, S. 84 ff, die hier jedoch bei den einzelnen Klageformen bereits abgehandelt wurden. 20 Ex parte Bell London and Provincial Properties, Ltd., 1949, 1 All ER 720.

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In einem anderen Fall 2 1 wurde festgestellt, daß die Entscheidung einer Verwaltungsbehörde aufzuheben sei, wenn ein unzuständiger Beamter die Entscheidung fällen würde. Ähnlich rechtswidrig sei es, wenn ein Verwaltungstribunal nicht vorschriftsmäßig besetzt sei 22 . Große Aufmerksamkeit wird den Fällen gewidmet, in denen Behörden, anstelle rechtmäßig selber zu entscheiden, den Vorgang an eine andere unzuständige Behörde verweisen: „delegatus non potest delegare". Die Beispielsfälle, die für dieses Prinzip aufgeführt werden, richten sich oft gegen Entscheidungen der Exekutive, deren Ermessensentscheidungen materiellrechtlich selten gerichtlich überprüfbar sind, weil es sich vorwiegend um politische Fragen handelt, die von ihrem breiten Ermessenspielraum gedeckt sind 23 . Wenn überhaupt, lassen sich deren Entscheidungen nur wegen Formverletzungen gerichtlich überprüfen. So hatte in Allingham ν Minister of Agriculture and Fisheries 24 ein Minister rechtmäßig im Wege einer Verordnung Entscheidungsbefugnisse an ein Kriegslandwirtschafts-Komitee delegiert. Das Komitee beschloß, daß ein gewisses Gebiet ausschließlich zu bestimmten Anbauzwecken verwendet werden sollte. Details sollten von einem bevollmächtigten Beamten dieses Komitees ausgearbeitet werden. Der Beamte ließ sich von einem kommunalen Unterkomitee beraten und erließ dann entsprechende Anbauanordnungen. Lord Chief Justice Goddard 25 war der Ansicht, daß hier ein Fall von „delegatus non potest delegare" vorliege, denn das vom Minister ermächtigte Komitee durfte seine Befugnisse weder an den Beamten delegieren, noch dieser eine Entscheidung mit Hilfe eines Unterkomitees fällen. Die Anbauanordnung war dementsprechend völlig unwirksam. Zwei Fälle gegenüber dem „National Dock Labour Board", einer staatlichen Hafenarbeiterbehörde, zementierten dies Prinzip. Im Barnard-Fall (1953) hatte ein Hafenaufseher, im Vine-Fall (1957) 26 ein Disziplinarkomitee, eine Arbeitssuspendierung, bzw. Entlassung ausgesprochen. Beide Entscheidungen waren „ultra vires" und damit rechtswidrig und nichtig, da nur die Hafenarbeiterbehörde selber derartige Entscheidungen treffen konnte. Diese Entscheidungen sind seither aber wieder eingeschränkt worden. I n allen Fällen, in denen das zugrundeliegende Rechtsverhältnis 21 Woollett ν Minister of Agriculture and Fisheries, 1954, 3 All ER 529; 1955, 1 QB 103 (obiter dictum). 22 R ν Nat Bell Liquors, 1922, 2 AC 128. 23 Vgl. hierzu auch Willis, 21 Canadian Bar Review, 1943, S. 257. 24 1948, 1 KB 780. 25 A.a.O., S. 781. 26 Barnard ν National Dock Labour Board, 1953, 2 QB 18; Vine ν National Dock Labour Board, 1957, AC 488.

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eher als Werk- oder Dienstvertrag klassifiziert werden kann, kommt die „Delegatus"-Regel nicht in Betracht 27 . Neuerdings w i r d auch dieses Prinzip wieder extensiver ausgelegt: In Lavender ν Minister of Housing and Local Government , 1970 29 benötigten die Kläger eine Nutzungsgenehmigung, um Mineralien aus landwirtschaftlich genutzten Flächen abbauen zu dürfen. Die Genehmigung seitens des zuständigen Wohnungsbauministers wurde versagt, weil der Landwirtschaftsminister aus landwirtschaftlichen Gesichtspunkten Einwendungen gemacht hatte. Während nach deutschem Recht hier wahrscheinlich ein mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt angenommen würde, da beide Sachgebiete betroffen sind und ein Zusammenwirken dieser Behörden ermöglicht hätte, war diese ministerielle Entscheidung „ultra vires" und damit nichtig, weil der Wohnungsbauminister durch sein Verhalten dem Landwirtschaftsminister quasi ein Veto-Recht eingeräumt hatte, was einer rechtswidrigen Delegation der Entscheidungsbefugnis gleichkäme. Der Richter 20 entschied, daß selbst Ermessensentscheidungen eines Ministers gerichtlich überprüft werden könnten, vorausgesetzt, der Minister habe eine „judizielle Funktion" ausgeübt. Das „Delegatus"-Prinzip scheint daher in jüngster Zeit immer mehr ein willkommener Hebel zur Überprüfung von Ermessensunterschreitungen oder -fehlgebrauch seitens hierzu befugter Minister zu werden. Ob aber diese Tendenz weiter befolgt wird, bleibt abzuwarten, da es sich im Lavender-Fall nur um eine High Court-Entscheidung handelte. b) „Substantive ultra vires" — materiellrechtliches Fehlverhalten aa) Eine Fallgruppe ist von Wade 8 0 unter dem ungenauen Begriff „doing the wrong thing" zusammengefaßt worden. Alle von ihm zitierten Beispiele behandeln Subsumtionsfehler seitens der Verwaltung, die ansich formell zuständig war. So war in einem Fall der Stadtrat von Groß-London (London County Council) gesetzlich ermächtigt, Straßenbahnen zu erwerben, hatte diese Erlaubnis aber dahingehend extensiv ausgelegt, daß ein Omnibusdienst, der von einer aufgekauften Straßenbahngesellschaft betrieben wurde, von der Stadt weitergeführt werden konnte. Ein anderer, privater Omnibusbetrieb erwirkte hiergegen eine gerichtliche Anordnung, die es der Stadt untersagte, den Busbetrieb weiterzuführen 31 . „Omnibusse" konn27 So etwa in Barber ν Manchester Regional Hospital Board, 1958, 1 All ER 322 (insbes. S. 331); ferner Francis ν Municipal Councillors of Kuala Lumpur, (P. C.), 1962, 3 All ER 633; neuerdings auch in Hill ν Parsons, 1971, 3 All ER 1345. 28 1970, 1 All ER 871 (880). 29 Willis, a.a.O., S. 877 ff. 80 1. Aufl., S. 44. 81 London County Council ν A.-G., 1902, AC 165.

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ten nach Meinung des Gerichtes nicht unter „Straßenbahnen" subsumiert werden. Ähnlich entschied das Gericht in weiteren Fällen, i n denen ζ. B. die Ermächtigung „öffentliche Waschhäuser" zu errichten, keinen „Wäschereibetrieb" beinhalten konnte 8 2 , oder aber die Errichtung von zwei Elektrizitätsbehörden statt einer gesetzlich vorgesehenen „ultra vires" war 8 8 . In einer weiteren Leitentscheidung war eine Kommunalbehörde ermächtigt, Grundstücke zu enteignen, die nicht Teil eines privaten Parks bildeten 8 4 : Das Gericht erklärte eine Enteignungsanordnung für „ultra vires", weil die in Frage kommenden Grundstücke tatsächlich Bestandteil des Privatparks waren. Dies sei eine Tatsachenfrage, deren Auslegung gerichtlich überprüft werden könne, solange dies nicht ausdrücklich durch Gesetz ausgeschlossen sei. Die Gerichte überprüfen selbst Fragen aus dem Ausländerrecht, i n dem den Behörden ein besonders großes Ermessen eingeräumt wird, wenn eine falsche Tatsachenwürdigung vorgelegen hat, etwa, ob ein Betroffener überhaupt Ausländer ist oder nicht 85 . In einem weiteren Fall ging es um die Frage, ob gewisse Gebäude „Häuser" im Sinne eines Gesetzes seien. Diese Frage sei von einem Gericht zweifellos überprüfbar, selbst wenn die Sachentscheidung als Ermessensfrage ansich nur dem Minister zustehe 86 . Der Richter faßte die Auffassung des Gerichtes wie folgt zusammen: „Whether or not a particular building falls under that word is a mixed question of law and of fact — fact in so far as it is necessary to ascertain all the relevant facts relating to the building, and law in so far as the application of the word „houses" to those facts involves the construction of the Act" 8 7 .

Dieses Dictum zeigt, wie geschickt die Gerichte ihre Prüfungskompetenz ausdehnen können, wenn sie es nur wollen. De Smith 88 ist der Auffassung, daß die Gerichte, insbesondere diejenigen höherer Instanz, die aufgrund von Ausschlußklauseln häufig nur Rechtsfehler überprüfen dürfen, in der Praxis dann einfach Rechtsfehler (Subsumtionsfehler) annehmen, wenn sie meinen, die Entscheidung der Verwaltung sei falsch gewesen; seien sie aber zufrieden, daß die Verwal82

A.-G. ν Fulham Corporation, 1921, 1 Ch. 440. R ν Electricity Commissioners, 1924, 1 KB 171; s.a. R ν Minister of Transport, ex parte Upminster Services, Ltd., 1934, 1 KB 277. 84 White and Collins ν Minister of Health, 1939, 2 KB 838. 85 So obiter in R ν Home Secretary, ex parte Venicoff, 1920, 3 KB 72. 86 Re Camberwell (Wingfield Mews) No. 2 Clearance Order 1936, 1939, 1 A l l ER 590. 87 A.a.O., S. 597, Ubers, d. Verf.: „. . . ob ein bestimmtes Gebäude unter das Wort (,Häuser') fällt oder nicht, ist eine gemischte Rechts- u. Tatsachenfrage; Tatsachenfrage insoweit, als es notwendig ist, alle relevanten Tatsachen über das Gebäude in Betracht zu ziehen; Rechtsfrage insoweit, als die Anwendung des Wortes ,Häuser' auf die Fakten die Auslegung des Gesetzes beinhaltet." 88 S. 113 ff, m . w . H . 88

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tung korrekt gehandelt habe, würden sie deren Entscheidung als unüberprüfbare Tatsachenfrage klassifizieren 89 . I n diesem Bereich haben die Gerichte demnach ein großes Ermessen, ob sie eingreifen wollen oder nicht, ein für den rechtsuchenden Bürger nicht immer leicht überschaubarer Rechtszustand. bb) Die Gerichte bedienen sich ferner der „ultra vires"-Lehre, wenn es darum geht, festzustellen, ob Verwaltungsbehörden ihre Befugnisse für rechtswidrige Zwecke („improper purposes") mißbraucht haben. So versuchte in einem berühmten Fall eine Eisenbahngesellschaft die Stadtverwaltung der City of Westminster gerichtlich davon abzuhalten, eine Straßenunterquerung zu bauen 40 . Diese war befugt, eine öffentliche Bedürfnisanstalt zu errichten, nicht jedoch, um speziell eine Unterführung zu bauen. Das House of Lords wies die Klage der Eisenbahngesellschaft ab, stimmte aber zu, daß — was nicht bewiesen worden war — der alleinige Zweck der Errichtung einer Straßenunterführung „ultra vires" gewesen wäre. In einem weiteren Fall entschied der Privy Council, daß die Stadt Sydney „ultra vires" handelte, als sie Grundstücke zum Zwecke späterer Bebauung durch die Stadt aufkaufte, während ihre Ermächtigungsnorm nur den Grundstückskauf zu Straßenbauzwecken zuließ 41 . In den jüngsten Entscheidungen zu dieser Frage zeichnet sich immer deutlicher ab, daß die Gerichte von diesem Rechtsgrund der unzulässigen Zwecke bei der Ausübung von Verwaltungshandeln immer häufiger Gebrauch machen und diesen Grund als einen wichtigen Hebel zur gerichtlichen Uberprüfbarkeit ansehen, selbst wenn die ermächtigenden Gesetze den ordentlichen Rechtsweg speziell ausschließen. In einem Fall wollten die Beklagten die Genehmigung zur Errichtung eines Camping-Platzes für Wohnwagen erhalten 42 . Diese wurde unter erheblichen Auflagen erteilt. Die Auflagen sahen beispielsweise vor, daß die Mietgebühren mit den Klägern vereinbart werden müßten, daß ferner nur bestimmte Zulieferfirmen beauftragt werden dürften und daß Platzbenutzer wegen der Zugehörigkeit zu bestimmten politischen Parteien oder Interessenverbänden nicht ausgeschlossen werden dürften. A l l e diese Auflagen wurden für „ultra vires" befunden, da die Kommunalbehörde aufgrund des relevanten Gesetzes 48 nur Auflagen hinsichtlich der Benutzung des Grundstückes, nicht jedoch hinsichtlich der Miet- und Pachtvereinbarungen der Beklagten mit Dritten machen konnte. 8e

S. 115. Westminster Corporation ν London and North Western Railway Co., 1905, AC 462. 41 Sydney Municipal Council ν Campbell, 1925, AC 338. 42 Chertsey UDC ν Mixnam's Properties Ltd., 1965, AC 735. 43 Caravan Sites and Control of Development Act, 1960, sect. 1 (1); 5 (1). 40

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Die Entscheidung des House of Lords im Anisminic-Fall u hat dieses Prinzip bekräftigt und stellt eine bedeutsame Leitentscheidung dar. Hier waren Minengrundstücke einer britischen Gesellschaft im Werte von £ 4 Millionen von der ägyptischen Regierung nach dem Suezkrieg von 1956 beschlagnahmt und einer ägyptischen Gesellschaft namens „T.E.D.O." übereignet worden. Diese Gesellschaft Schloß mit der britischen Gesellschaft Anisminic einen Vertrag, wonach die britische Firma £ 500,000.— Entschädigung unter Wahrung sämtlicher Rechtsansprüche gegenüber irgendeiner Regierung erhalten sollte. 1959 Schloß die ägyptische Regierung mit (u.a.) Großbritannien ein Entschädigungsabkommen, demzufolge gewisse i n einem Anhang aufgeführte Firmen entschädigt werden sollten. Auch die Anisminic-Gesellschaft war hierin enthalten, jedoch sollte die Auszahlung dieser Entschädigungssummen im Ermessen der britischen Regierung liegen. Gemäß § 4 (4) des Foreign Compensation Act von 1950 war eine solche Entschädigung von einer besonderen Kommission zu treffen und gerichtlich unüberprüfbar: „Die Entscheidungen der Kommission über ihr gegenüber gestellte Anträge aufgrund dieses Gesetzes können in keinem Gericht infragegestellt werden". Im M a i 1963 entschied die britische Entschädigungskommission, daß die T.E.D.O.-Gesellschaft als Rechtsnachfolger keine britische Staatsangehörigkeit besaß und deshalb auch kein Zahlungsanspruch mehr bestand. Das Oberhaus entschied, daß dieser Spruch rechtswidrig und „ultra vires" sei, weil der Ausdruck „Rechtsnachfolger" keine besondere Bedeutung haben konnte, solange die im Anhang aufgeführten ursprünglichen Eigentümer überlebten, die Kommission mit der T.E.D.O.-Gesellschaft einen Faktor berücksichtigt hätte, der gemäß dem Abkommen mit der ägyptischen Regierung unzulässig war, und überdies in der gesetzlichen Ermächtigung der Kommission in § 4 (4) von einer „Entscheidung" die Rede war, was nur eine „echte" Entscheidung bedeuten könne, nicht jedoch eine „geplante" Entscheidung. Da die getroffene Entscheidung hinsichtlich der T.E.D.O.-Rechtsnachfolge „ultra vires" gewesen sei, hätte die Kommission den Streitfall Anisminic gegenüber auch noch nicht gerichtlich unüberprüfbar „entschieden". M i t dieser restriktiven, wörtlichen Auslegung gelang es dem Gericht (House of Lords), die Gerichtsausschlußklausel zu umgehen 45 . In einem weiteren Fall wurden Baugenehmigungen in unmittelbarer Nähe des Jodreil Bank Radioteleskops nicht genehmigt 46 . Obwohl die zu44 Anisminic Ltd. ν The Foreign Compensation Commission, 1969, 1 A l l ER 208 (H. L.); vgl. auch Gould, Public Law, 1970, S. 358. 45 Das Prinzip wurde in Westminster Bank, Ltd. ν Beverley Borough Council, 1968, 2 All ER 1199 und im House of Lords sub nomine Westminster Bank, Ltd. ν Minister of Housing and Local Government, 1970, 1 All ER 734 bestätigt, allerdings mit Einschränkungen, vgl. S. 739 f, 743. 46 Stringer ν Minister of Housing and Local Government, 1971, 1 All ER 65.

7 Riedel

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ständige Kommunalbehörde wegen Nichtbeachtung bauplanungsrechtlicher Vorschriften ansich „ultra vires" gehandelt hatte, wurde die Entscheidung nicht aufgehoben, weil der Minister als Bauaufsichtsbehörde den Fall aufgrund anderer Vorschriften de novo entscheiden konnte. Im übrigen wurde aber das dictum des Anisminic-Falles bestätigt. Diese Fallbeispiele zeigen deutlich, daß rechtswidrige Zwecke als Teil der „ultra vires "-Lehre zunehmende Bedeutung gewinnen. cc) Einige weitere Fälle befassen sich mit rechtswidrigen Zwecken, die zusätzlich „mala fides", Korruption oder Betrug implizierten. Wenn rechtswidrige Zwecke allgemein zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes führen, müssen diese Fälle, sofern hinreichendes Beweismaterial vorhanden ist, erst recht „ultra vires" nach sich ziehen. In Lazarus Estates Ltd. ν Beasley 47 faßte Lord Denning die Auffassung der Gerichte zu dieser Frage treffend zusammen 48 : „No court in this land will allow a person to keep an advantage which he has obtained by fraud. No judgment of a court, no order of a Minister, can be allowed to stand if it has been obtained by fraud. Fraud unravels everything. The court is careful not to find fraud unless it is distinctly pleaded and proved; but once it is proved, it vitiates judgments, contracts and all transactions whatsoever . . . "

In dem umstrittenen Fall Smith ν East Elloe Rural District Council 49 wurde jedoch Betrug geltend gemacht, nützte im Endeffekt dem Kläger aber wenig. Dieser hatte behauptet, daß eine Enteignungsanordnung rechtswidrig und wegen Betruges „ultra vires" sei. Das Oberhaus sah sich jedoch mit knapper Mehrheit (3 :2) außerstande, eine gesetzliche Geriditsausschlußklausel 50 zu durchbrechen, um diesen Vorwurf zu überprüfen — eine wenig überzeugende Maßnahme. Ein vielzitierter Fall wenige Jahre später 51 war wesentlich deutlicher und kam zu einer gerechteren Lösung. Dort hatte ein Generalstaatsanwalt einer Provinz eine Lizenzbehörde angewiesen, jemandem eine Alkoholausschanklizenz zu entziehen, weil dieser angeblich bei der Ver47

1956, 1 QB 702. A.a.O., S. 712; „Kein Gericht dieses Landes erlaubt es jemandem, einen durch Betrug erlangten Vorteil zu behalten. Kein Gerichtsurteil, keine ministerielle Entscheidung darf bestehen bleiben, wenn sie durch Betrug erlangt wurde. Betrug hebt alles auf. Das Gericht ist aber vorsichtig, Betrug anzunehmen, es sei denn, dies wird ausdrücklich plädiert und bewiesen; ist es aber bewiesen, so werden Urteile, Verträge und überhaupt alle Rechtsgeschäfte nichtig", Ubers, d. Verf. 49 1956, AC 736. 50 § 16, Acquisition of Land (Authorisation Procedure) Act, 1964, 1st Schedule: „. . . order shall not, either before or after it has been confirmed, made or given, be questioned in any legal proceedings whatsoever." 51 Roncarelli ν Duplessis, 1959, 16 D. L. R. (2d), 689. 48

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breitung aufrührerischer Schriften als Mittelsmann fungiert hatte. Der Kläger machte geltend, daß diese Entscheidung wegen Bösgläubigkeit „ultra vires" sei. Der Richter sagte unter anderem 52 : „Public regulation of the kind involved here does not admit of an absolute and untrammelled discretion exercisable for any purpose, however capricious or irrelevant to the nature of the statute, unless there is express language to that effect. Ordinarily, discretion implies good faith in discharging a public duty . . . The suggestion of good faith here could not be entertained because good faith must mean carrying out the statute according to its intent and purpose."

So klar und deutlich hat sich das Oberhaus bislang noch nicht zu dieser Frage geäußert 53 . Doch scheint die Ansicht Lord Dennings im LazarusFall 54 die heute herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung wiederzugeben. dd) Eine Verwaltungsentscheidung ist auch dann „ultra vires", wenn die zur Entscheidung befugte Behörde die ihrer Ermächtigung zugrundeliegenden Zwecke nicht gebührend berücksichtigt. Auch diese Kategorie von Fällen könnte in die größere Gruppe zweckwidriger Verwaltungstätigkeit eingereiht werden, doch erscheint es besser, diese Kategorie der allgemeinen Gesetzesintention als separaten Anfechtungsgrund zuzulassen, weil der Zweck der Ermächtigungsnorm im Einzelfall gewahrt sein kann und dennoch unsachliche Begründungen die Verwaltungsentscheidung „ultra vires" und damit nichtig machen können. So wurde im Padfield-Fall 55, der jüngsten Leitentscheidung des House of Lords zu dieser Frage, ein Mandamus-Befehl (Verpflichtungsurteil) ausgesprochen, in dem ein Regionalvertreter von Milchproduzenten sich dagegen wehrte, daß die Erzeugerpreise von einer Behörde festgesetzt wurden, in der seine Interessen von denen anderer, günstiger bewerteter Regionen stets überstimmt werden konnten. Es ging im einzelnen darum, höhere Transportkosten bei der Erzeugerpreisfixierung zu berücksichtigen. Der Minister hatte als Gründe für seine Ablehnung angegeben, daß diese A r t von Beschwerde sich nicht für ein solches spezielles Unter52 A.a.O., S. 705: „Die öffentliche Regelung in der hier vorliegenden Art gestattet kein absolutes und unbeschränktes Ermessen für jeglichen Zweck, wie unberechenbar oder irrelevant auch immer, gemessen am Zweck des Gesetzes, es sei denn, dies ist ausdrücklich gestattet. Normalerweise impliziert Ermessen guten Glauben bei der Ausübung einer öffentlichen Verpflichtung . . Die Berufung auf guten Glauben konnte hier nicht aufrechterhalten werden, weil guter Glaube bedeuten muß, daß das Gesetz nach seinem Sinn und Zweck angewandt wird," überd. d. Verf. 53 Obgleich Lord Somervells Dictum im Smith-Fall, 1956, AC 736 (770) diese Möglichkeit nicht ausschließt. 54 1956, 1 QB 702 (712); s.a. Padfield ν Minister of Agriculture, Fisheries and Food, 1968, AC 997, insbes. S. 1006 f. 55 1968, AC 997.

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suchungsgremium eigne, weil allgemeinere politische Fragen impliziert seien, die die allgemeine Milchpreisstruktur berühren würden. Die Beschwerde sei überdies seiner Auffassung nach genau dazu geeignet, von der demokratischen Behörde, der der Regionalvertreter selber zugehöre, entschieden zu werden. Das Oberhaus war der Ansicht, daß zwar das entsprechende Gesetz 56 dem Minister einen Ermessensspielraum eingeräumt habe, daß dieses Ermessen jedoch nicht unbegrenzt sei. Die Weigerung des Ministers, in diesem Zusammenhang ein gesetzlich vorgesehenes unabhängiges Untersuchungsgremium zu ernennen 57 , würde dem Zweck des Gesetzes widersprechen. Das sei überdies eine Frage der Auslegung des Gesetzes als Ganzes, und Auslegungsfragen seien immer Rechtsfragen, die die Gerichte überprüfen könnten: „The Minister is not at liberty to refuse it on grounds which are arbitrary or capricious" 58.

M i t diesem Fall hat das Oberhaus seinen eigenen Aktionsradius erheblich erweitert und — in einem Teilbereich — selbst auferlegte Kompetenzschranken wieder beseitigt. Die Gerichte werden künftig Ermessensfragen selbst dann überprüfen, wenn es sich um „administrative" Entscheidungen des Ministers handelt, die vormals unüberprüfbar waren. Diese wichtige Kompetenzerweiterung wurde auch überzeugend gerechtfertigt: „It is said that the decision of the Minister is administrative and not judicial. But that does not mean that he can do as he likes, regardless of right or wrong. Nor does it mean that the courts are powerless to correct him. Good administration requires that the complaints should be investigated and that grievances should be remedied. When Parliament has set up machinery for that very purpose, it is not for the Minister to brush it on one side" 59 .

Das Gericht wird auch dann eine Ermessensbestätigung für „ultra vires" halten, wenn irrelevante Faktoren berücksichtigt oder relevante Erwä56

Agricultural Marketing Act, 1958, 6 & 7 Eliz. 2, c. 47. Sect. 19, Agricultural Marketing Act, 1958: Der Minister ernennt ein Untersuchungsgremium, „which shall . . . be charged with the duty, if the Minister so directs, of considering and reporting to the Minister on any complaint made to the Minister as to the operation of the scheme". 58 A.a.O., S. 1006 f: „Dem Minister steht es nicht frei, (das Untersuchungsgremium) abzulehnen, wenn er hierfür willkürliche oder unberechenbare Begründungen gibt," Ubers, d. Verf. 59 A.a.O., übers, d. Verf., vgl. auch R ν Vestry of St. Paneras, 1890, 24 QBD 371 (375 f): „Es wird gesagt, daß die ministerielle Entscheidung eine administrative und keine judizielle sei. Aber das bedeutet weder, daß er tun und lassen kann, was er will, unabhängig davon, ob dies rechtmäßig oder rechtswidrig ist, noch bedeutet dies, daß die Gerichte machtlos sind, ihn zu korrigieren. Gute Verwaltung erfordert, daß Beschwerden untersucht und daß Rechtsverletzungen geahndet werden. Wenn das Parlament speziell zu diesem Zwecke eine Einrichtung geschaffen hat, kann der Minister dies nicht beiseite kehren", übers, d. Verf. 67

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gungen außer Acht gelassen wurden 6 0 . A u d i hierin zeigt sich die Bereitschaft der Richterschaft, neuerdings im Wege der extensiven Auslegung ihrer Zuständigkeit die gerichtliche Überprüfung von Verwaltungshandeln auszubauen. ee) Eine weitere Kategorie der „ultra vires"-Regeln besagt, daß die zur Entscheidung befugte Behörde ihr Ermessen nicht rechtswidrig selbst beschränken kann, wo das gesetzlich vorgesehene Ermessen einen gewissen Spielraum umfassen soll. So wurde in einem Fall das Vorgehen eines Beamten gerügt, der in allen Fällen, in denen ein Berufungstribunal einstimmig zugunsten von Antragstellern befinden würde, automatisch diese Entscheidung bestätigen würde 6 1 , ohne selber den Fall zu überprüfen. Hierin wurde eine rechtswidrige Aufgabe seines Ermessensspielraumes gesehen, das der „delegatus non potest delegare "-Regel nahekam 6 2 . Dabei ist es nicht rechtswidrig, überhaupt Verhaltensrichtlinien aufzustellen, sondern lediglich, die Richtlinien dazu zu mißbrauchen, den einzelnen in Betracht kommenden Fall überhaupt nicht näher zu untersuchen 68 . Ein typischer Fall dieser Kategorie ist A y r Harbour Trustees ν Oswald 9*, i n dem die Treuhänder („trustees") eines schottischen Hafens rechtmäßig Grundstücke angekauft hatten, allerdings mit der vertraglichen Auflage, dem früheren Eigentümer ein Wegerecht, Zugang zum Hafen, einzuräumen. Diese Klausel widersprach dem Sinn und Zweck der Ermächtigung zum Landkauf und war „ultra vires", weil damit eine künftige Bebauung als eigentlicher Ermächtigungszweck vereitelt würde. In einem anderen Fall war die Londoner Hafenbehörde ermächtigt, neue Dockanlagen zu errichten oder aber andere Unternehmen mit dieser Aufgabe zu beleihen 65 . Die Behörde beschloß, daß sie die Anlagen selber bauen wollte und lehnte aus diesem Grunde einen Lizenzantrag ab. Der betroffene Kläger war der Ansicht, dies käme einer Verweigerung gleich, seinen Fall überhaupt anzuhören und beantragte einen Mandamusbefehl, der jedoch abgelehnt wurde. Dennoch ist das Dictum Lord Bankes aufschlußreich, der die Auffassung vertrat, daß zu unterscheiden sei einer80 Vgl. die Leitentscheidung Associated Provincial Picture Houses Ltd. ν Wednesbury Corporation, 1947, 2 All ER 680 (683 ff) per Lord Greene, M. R.: „The court is entitled to investigate the action of the local authority with a view to seeing whether it has taken into account matters which it ought not to take into account, or conversely, has refused to take into account or neglected to take into account matters which it ought to take into account . . . " 81 Simms Motor Units, Ltd. ν Minister of Labour, 1946, 2 A l l ER 201. 82 S. ο., Β I 2 a, Kap. 7, S. 92 ff. 83 Vgl. Wade, 1. Aufl., S. 54. 84 1883, 8 AC 623. 85 R ν Port of London Authority, ex parte Kynoch, Ltd., 1919, 1 KB 176.

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seits zwischen Verhaltensrichtlinien („policies"), die zwar dem Antragsteller bekanntgegeben würden, aber ohne eine weitere Möglichkeit des rechtlichen Gehörs einzuräumen, und daß nur bei Vorliegen besonderer Umstände davon abgewichen würde, und andererseits solchen Verhaltensregeln („rules"), in denen ohne weiteres generell bestimmte Fallgruppen ausgeschlossen würden. Im Ergebnis kam er zu der Ansicht, daß kein rechtswidriges Verhalten der Hafenbehörde vorliege. Man könnte diesen Fall auch als nähere Ausgestaltung des „audi alteram partem "-Prinzips, als Gebot der natürlichen Gerechtigkeit, anführen, doch kam es in erster Linie auf das Argument der Ermessensselbstbeschränkung oder -unterschreitung an. Zwei neuere Entscheidungen beweisen jedoch, daß diese Kategorie von „ultra vires "-Fällen äußerst selten zum Tragen kommen kann. In einem Fall hatte eine Firma beim Technologieministerium einen Investitionszuschuß beantragt, der jedoch mit der Begründung abgelehnt worden war, daß das Ministerium grundsätzlich keine Anträge unter einer Mindestkostenhöhe pro Einheit berücksichtigen würde (hier £ 25.—) ββ . Eine Feststellungsklage wegen Ermessensselbstbeschränkung oder -Unterschreitung wurde abgewiesen, und das im Kynoch-Fall aufgestellte Prinzip praktisch wieder beseitigt: Solange nicht nachgewiesen werden könne — was selten gelingen wird —, daß der Minister überhaupt jegliches rechtliche Gehör unter dem Vorwande der Befolgung einer bestimmten Politik ausgeschlossen habe, käme „ultra vires" nicht i n Betracht 67 . In einem weiteren Fall hatte der Stadtrat von Birkenhead beschlossen, daß Schüler von römisch-katholischen Volksschulen außer in Ausnahmefällen nur für katholische Gymnasien in Betracht gezogen würden. Diese Politik der Stadt wurde vom Court of Appeal nicht für „ultra vires" gehalten. Lord Denning sagte unter anderem, daß nur im Falle der Auswahl nach Gesichtspunkten wie Haar oder Hautfarbe, die für ein ordentliches Erziehungssystem völlig irrelevante Erwägungen darstellen würden, die „ultra vires"-Lehre in Betracht kommen könnte 6 8 . Enger ließ sich diese Regel kaum fassen. Allerdings scheint i n diesem Falle eher die Politik der Stadt Birkenhead als die des Gerichtes beklagenswert. Aus alledem w i r d ersichtlich, daß dieser spezielle „ultra vires"Grund auf relativ schwachen Füßen steht, aber in geeigneten Fällen durchaus auch einmal zum Tragen kommen kann. ff) Es verbleibt eine Kategorie von Fällen, in denen „ultra vires"-Akte mit Unbilligkeit oder Unangemessenheit oder gar UnVerhältnismäßigkeit 66

British Oxygen Co., Ltd. ν Minister of Technology, 1971, AC 610. Diese Entscheidung wurde seither auch im Stringer-Fall, 1971, 1 All ER 65 und in Sagnata Investments, Ltd. ν Norwich Corporation, 1971, 2 All ER 1441, befolgt. 68 Cumings ν Birkenhead Corporation, 1971, 2 All ER 881. 67

Die „Ultra Vires"-Doktrin

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der Mittel angegriffen worden sind, allerdings mit wechselhaftem Erfolg 69 . Ausgangspunkt für diese Auffangkategorie ist ein Fall aus dem Jahre 189870, in dem Lord Chief Justice Russell den Begriff „unreasonable" in diesem Zusammenhang erläuterte 71 : „If (by-laws) were found to be partial and unequal in their operation as between different classes; if they were manifestly unjust; if they disclosed bad faith; if they involved such oppressive or gratuitous interference with the rights of those subject to them as could find no justification in the minds of reasonable men, the court might well say: ,Parliament never intended to give authority to make such rules; they are unreasonable and ultra vires' ".

Diese relative Klarheit wurde in einem berühmt-berüchtigten Fall jedoch bald beseitigt. In Roberts ν Hopwood 72 hatte der Stadtrat von Poplar während der deflationistischen Periode sich geweigert, Minimumlöhne an ihre Bediensteten zu zahlen und von sich aus höhere Löhne bewilligt. Der Rechnungsprüfer des Distrikts („District Auditor") verhängte eine Strafe, weil dies sparsamer Haushaltspolitik widersprach. Das House of Lords entschied, daß der Stadtrat sein Ermessen bei der Festsetzung von Löhnen nach vernünftigen und billigen („reasonable") Gesichtspunkten zu betätigen habe und daß deshalb ein Außerachtlassen bestehender Arbeitsmarktbedingungen (Hohe Zahl an Arbeitslosen) sich als Ermessensmißbrauch darstelle und deshalb „ultra vires" und die Strafe des Rechnungsprüfers demnach gerechtfertigt sei 78 . Die Entscheidung ist wohl zu Recht erheblich angegriffen worden, denn es hatte den Anschein, als ob hier das Ermessen der Behörde durch das des Gerichtes ersetzt wurde. Es wäre auch möglich gewesen, zu argumentieren, daß der Stadtrat die Arbeitsmarktlage durchaus kannte, aber dennoch die Ermessensentscheidung zugunsten besserer Arbeitsvergütungen getroffen habe. 69 Vgl. hierzu auch Allen, Law and Orders, Kap. 7, S. 206 ff (215 f): „. . . it is only when an improper administrative purpose is so manifestly dominant as to be flagrant... that our law recognises anything analogous to ,abus' or .détournement de pouvoir"'; s.a. Krause, S. 74, der den Zusammenhang mit ultra vires verkennt. 70 Kruse ν Johnson, 1898, 2 QB 91. 71 A.a.O., S. 99 f: „Wenn (Verordnungen) parteiisch oder ungleichmäßig verschiedenen Gruppen Vorteile geben; wenn sie offensichtlich ungerecht sind; wenn sie Bösgläubigkeit offenbaren; wenn sie denen, die ihnen unterworfen sind, bedrückende oder grundlose Rechtsbeschränkungen auferlegen, die nach Auffassung vernünftiger Menschen nicht zu rechtfertigen wären, dann könnte das Gericht ohne weiteres sagen: ,Das Parlament beabsichtigte niemals, die Befugnis für solche Regeln zu erteilen; sie sind unbillig („unreasonable1') und ultra vires"; übers, d. Verf. 72 1925, AC 578. 73 Dieses Prinzip ist seither in Taylor ν Munrow, 1960, 1 ALL ER 455 erneut angewendet worden.

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In einem anderen Fall während des zweiten Weltkrieges 7 4 hatte der Stadtrat von Birmingham seinen Arbeitern eine Kinderzulage als Gehaltszulage bewilligt. Der Rechnungsprüfer monierte diese Maßnahme mit der Begründung, es handele sich dabei um keine „Gehaltszulage", sondern um eine Sonderzuwendung, die sich nicht aus dem Gesetz herleiten ließe 76 . Das Gericht lehnte diese Auffassung ab und beschied, daß, solange sich die globale Erhöhung des Gehaltes in vernünftigem („reasonable") Rahmen hielt, es die Motive der Gehaltserhöhung nicht infragestellen würde. Es ist schwer, festzustellen, inwiefern hier andere Kriterien anzuwenden waren, denn die Summe der Gehaltserhöhungen waren wohl in beiden Fällen nicht exzessiv. Wenige Jahre später ging es dann darum, ob die Stadtverwaltung der Stadt Wednesbury eine Filmaufführlizenz mit der Auflage verbinden konnte, daß an Sonntagen Kinder unter 15 Jahren weder in noch ohne Begleitung Erwachsener zuzulassen seien 76 . Das Gericht entschied, daß dies kein rechtswidriger Ermessensgebrauch sei. Auch in diesem Fall, wie im katholischen Schul-Fall 77, ist eher die unsinnige politische Entscheidung der Behörde als die des Gerichtes angreifbar. Allerdings hätte unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit der Mittel, wie sie bei Ermessensentscheidungen etwa gem. § 73 Abs. 2 des Landesverwaltungsgesetzes von Schleswig-Holstein zu berücksichtigen wären, das Gericht auch zu einer anderen, „vernünftigeren" Lösung kommen können. Als die Stadt Birmingham jedoch versuchte, den Rentnern und Alten der Stadt (ca. 70,000 Personen) unentgeltliche Benutzung der städtischen Verkehrsbetriebe zu gestatten, was eine jährliche Einnahmeeinbuße von £ 50,000.— zur Folge gehabt hätte, entschied das Court of Appeal auf Antrag eines Steuerzahlers, daß dies einen Ermessensmißbrauch darstellte und daher „ultra vires" sei 78 . Eine »vernünftige' („reasonable") Verkehrspolitik würde gebieten, die Verkehrsbetriebe nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu führen, obwohl Profitmaximierung nicht erforderlich sei. Den Oberbegriff der „wirtschaftlichen Verkehrspolitik" als „vernünftiges" Kriterium erfand das Gericht. Es gab dafür keinerlei Anhaltspunkt in den ermächtigenden Normen der Stadt. Dieser Fall zeigt noch deutlicher, wie schwierig es ist, ohne theoretisches Gerüst die gerichtliche Kontrolle anhand von schwammigen Formeln „pragmatisch" ausdehnen zu wollen 7 9 . 74

In re Decision of Walker, 1944, KB 644. Local Government Act, 1933, 23 & 24 Geo. 5, c. 51, sect. 106. 78 Associated Provincial Picture Houses, Ltd. ν Wednesbury Corporation, 1948, 1 KB 223. 77 Supra, S. 102. 78 Prescott ν Birmingham Corporation, 1955, Ch. 210; vgl. hierzu auch W . Friedmann, Law in a changing Society, S. 427. 70 Siehe auch ähnliche Argumente in Evans ν Collins and another, 1965, 1 QB 580. 75

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I n einem Fall neueren Datums war eine Seedeicherhöhung mit einer neuen Zubringerstraße entlang des Deiches geplant 80 . Das Gericht entschied hier auf Antrag eines mit einer Enteignung bedrohten Antragstellers, daß die Enteignungen wegen der Seedeicherhöhung als Küstenschutzmaßnahme gerechtfertigt seien, der Deich aber ohne die Straße auf der Landseite gebaut werden könne, und daß insoweit ein normaler Kaufpreis zu entrichten sei. Auch hier muß der deutsche Beobachter glauben, daß das Ermessen der Behörden schlichtweg durch das des Gerichtes ersetzt wurde: Im englischen Recht ist nämlich bislang das Prinzip des § 73 I I I LVwG (Schleswig-Holstein) (das Gebot des mildesten Mittels bei mehreren möglichen) nicht allgemein anerkannt. Man hätte aufgrund der bekannten Tatsachen im übrigen ohne weiteres zu der Auffassung gelangen können, daß eine Zubringerstraße auf der Landseite des Seedeiches als Schutzmaßnahme dringend erforderlich sei. Ein Jahr vorher war dagegen entschieden worden, daß eine Baugenehmigung mit der Auflage, die an einer lebhaften Verkehrsader gelegene Grundstücksseite als Straßenerweiterung auszubauen, „ultra vires" war, weil es eine „ungerechte" (unjust) Abwälzung öffentlicher Straßenbauverpflichtungen auf Privatpersonen darstellen würde 8 1 . Weshalb dies ungerecht und deshalb „ultra vires" sei, wurde nicht deutlich. Das Gericht hätte sich wiederum darauf beschränken können, zu prüfen, ob diese Auflage einen Ermessensmißbrauch wegen Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Mittel darstellte, anstatt den Eindruck zu erwecken, eine eigene Ermessensentscheidung zu fällen. Diese letzte Kategorie der „ultra vires "-Lehre ist daher auch die am meisten umstrittene und zeigt i n aller Deutlichkeit die Nachteile des Fehlens einer durchdachten, umfassenden Verwaltungsaktlehre und des Fehlens systematischer Prinzipien des öffentlichrechtlichen Vertrages, wie sie seit langem etwa in Deutschland bestehen. 3. Die Bedeutung dieser Doktrin Besonders in den letzten 10 Jahren wird die Tendenz der Gerichte deutlich, mit Hilfe der „ultra vires "-Lehre der Verwaltung gerichtliche Schranken aufzuerlegen — unter Ausdehnung oder Wiederentdeckung alter Common Law-Regeln, die weitsichtige Richter im 19. Jahrhundert schufen 82. Diese Tendenz wurde sicherlich erheblich durch die zunehmend 80 Webb ν Minister of Housing and Local Government, 1965, 1 WLR 755, allerdings mit Dissenting Opinion von Lord Denning I 81 Hall & Co., Ltd. ν Shoreham — by — Sea UDC, 1964, 1 WLR 240. 82 Vgl. etwa Diplock, 1971, 24 C. L. P., S. 1 ff (17): „. . . let the development of the substantive law rest in the hands of the High Court and the appellate courts as at present. M y own belief is that they are developing it upon the right lines . . ."

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des Inhalts der Kontrollmaßnahmen

zahlreicher, lautstarker und einhelliger werdende Kritik der Literatur zum Verwaltungsrecht beschleunigt 83 . Fast jedes Werk über Staats- und Verwaltungsrecht enthält heute Kapitel über materielles Verwaltungsrecht, u. a. die „ultra vires"-Doktrin. Gleichzeitig macht sich jedoch bemerkbar, daß den Meinungen der Literatur bei weitem weniger Gewicht zukommt als auf dem Kontinent mit seiner akademischen Tradition. Zwar wird das Bemühen der Gerichte deutlich, ihre Kontrolltätigkeit auszubauen, die schlummernd als vorhanden angenommen wird, doch fehlen klar umrissene, leicht verständliche Kriterien, so daß mitunter so seltsame Entscheidungen wie die Fälle zum „unbilligen oder unvernünftigen" Ermessensgebrauch die Rechtsreform auf diesem Gebiet eher behindern als fördern. Der Vorteil dieser Lehre liegt darin, daß damit noch eindringlicher als bei den verschiedenen verschlungenen Prozeßregeln der Klageformen die Unzulänglichkeit des jetzigen Rechtszustandes bewiesen werden kann.

Kapitel 8 II. Das Prinzip der natürlichen

Gerechtigkeit

(„natural

justice")

1. Begriff und geschichtlicher überblick Das Prinzip der natürlichen Gerechtigkeit ist als zweite allgemein anerkannte Regel rein prozeduraler Natur. In herkömmlicher Kategorisierung besagt es im wesentlichen, daß niemand Richter in eigener Sache sein kann und daß die Gerichte das Recht auf Gehör (»audiatur et altera pars 1) durchsetzen 1. Der Gedanke, diese Prozeßregeln mit „Gerechtigkeit" und „natürlich" zu verbinden, beruht auf naturrechtlichen Vorstellungen, wie de Smith 2 darlegt. Eine Zeitlang während des 19. Jahrhunderts wurden für diese Regeln abwechselnd und versuchsweise andere Oberbegriffe geprägt, wie etwa „Wesen der Gerechtigkeit" „rationale", „fundamentale", „substanzielle" oder gar „universelle" Gerechtigkeit, ab 1935 etwas nationalbewußter „Prinzipien der britischen Gerechtigk e i t " 8 und schließlich gar „Gerechtigkeit ohne jegliches Attribut" 4 . Dennoch hielt sich von allen diesen Begriffen lediglich die „natürliche Ge83

Zuletzt eindringlich von Marshall, 1973, Public Law, S. 32 ff.

1 Vgl. Κ. A. Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 181 ff; ferner de Smith, S. 136ff; „rule of law", S. 31 ff; 59; s.a. Marshall, Natural Justice, S. 184. 2 De Smith, S. 136 f; Garner, S. 99. 3 Errington ν Minister of Health, 1935, 1 KB 249 (280). 4 Green ν Blake, 1948, Irish Reports, 242 (268): „Justice without any epithet".

Prinzip der natürlichen Gerechtigkeit

(„natural justice")

rechtigkeit", als Ausdruck der Verbundenheit des Common Laws mit moralischen Vorstellungen und der naturrechtlichen Tradition der Richter des Common Laws als Nachfahren von Sir Edward Coke. Schließlich spricht für diesen Begriff die angeblich „beeindruckende Ahnenreihe" f die bis zu den Griechen und Römern zurückreicht 5 . Dem Vorwurf, daß eine solchermaßen verallgemeinerte Regel kaum praktischer Abgrenzung zugeneigt ist, ist entgegengehalten worden, daß auch ein Grundrechtskatalog unveräußerlicher Rechte diesen Mangel aufweist und daß fehlende Abgrenzungskriterien noch lange nicht bedeuten, daß diese Regeln deshalb hinfällig seien 6 . Das Fallrecht zu diesem Prinzip spiegelt jedoch ebenfalls die wiederholten Zweifel an der Zweckmäßigkeit solch allgemeiner Regeln wider. Zwar wird heute von niemandem mehr vertreten, daß die Prinzipien der „natürlichen Gerechtigkeit" als rechtliche Maßstäbe ungeeignet seien 7 , doch besteht keineswegs Einigkeit darüber, wie weit naturrechtliche Gerichtigkeitsvorstellungen das procedere einer Verwaltungsbehörde bestimmen und notfalls die Nichtigkeit bereits gefällter Entscheidungen bewirken sollen. 2. Kategorien der natürlichen Gerechtigkeit Aus der Fülle des Fallrechts lassen sich außer den allgemein anerkannten Regeln „audi alteram partem" und „nemo iudex in causa sua debet esse" noch weitere Kategorien entwickeln 8 . Ob dies sinnvoll ist oder nicht, kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben, weil im Grunde alle Untergruppen dasselbe Ziel verfolgen: sie dienen dazu, der Verwaltung bei der Ausübung ihrer gesetzlich vorgesehenen Handlungsermächtigungen gewisse Verfahrensgrenzen aufzuerlegen, die aus Gedanken der Fairness, Unparteilichkeit und anderen allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen entwickelt werden. 5

De Smith, S. 136; Goodhart, English Law and the Moral Law, S. 65. Lord Reid in Ridge ν Baldwin, 1964, AC 40 (64 f). 7 Vgl. etwa Scrutton, L. J., in Holt ν Markham, 1923, 1 KB 504 (513), der dieses Prinzip für wohlgemeintes aber unsauberes Denken hielt, das sentimental statt rational an rechtliche Fragen herangehe: „. . . a well-meaning sloppiness of thought . . . a sentimental rather than a rational approach to legal issues"; vgl. Allen, Law and Orders, S. 239 ff; Marshall, Natural Justice, S. 186. 8 Vgl. etwa Elcock, Administrative Justice, S. 6; Lawson & Bentley, S. 348 ff; Donoughmore Committee, 1932, Cmd. 4060, § 3 sect. III, S. 75; Franks Report, Cmnd. 218, § 98 und § 351; Marshall, 1973 Public Law, S. 32 (33); Birtles, 1970, 33 MLR 559 (561); Akehurst, 1970, 33 MLR, 154 ff (168 f); herkömmlicherweise werden jedoch nur zwei Kategorien gebildet, so etwa Foulkes, S. 149 ff; Garner, S. 99 ff; Rubinstein, Jurisdiction and Illegality, S. 202 ff; P. Jackson, Natural Justice, S. 10 ff, 22 ff; de Smith, Const, and Admin. Law, S. 557 ff; H. W. R. Wade, 1. Aufl., S. 127 ff; Griffith & Street, 3. Aufl., S. 159 ff; Yardley, Source Book, S. 96 ff, 188 ff; Robson, S. 325 ff; Marshall, Natural Justice, S. 122. β

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a) Die „audi alteram partem "-Regel Das Gebot des rechtlichen Gehörs als elementarer Verfahrensgrundsatz ist in einer langen Kette von Präzedenzfällen ausgebaut worden 9 . Als Ausgangspunkt für dieses Prinzip wird häufig der Fall des Dr. Bentley aus Cambridge 10 genommen. Hier hatte das King's Bench-Gericht die Entscheidung der Universität Cambridge für nichtig erklärt, einem Dr. Bentley alle akademischen Grade zu entziehen. Das Gericht betonte, daß eine so gravierende Maßnahme wie die Entziehung akademischer Grade nicht ohne vorherige Anhörung aller Beteiligten getroffen werden könne. Ähnlich deutlich fiel die Entscheidung in Cooper ν Wandsworth Board of Works 11 aus. In diesem Falle hatte eine Behörde ein ohne erforderliche Baugenehmigung errichtetes Wohnhaus aufgrund einer rechtlich vorgesehenen Abbruchverfügung abreißen lassen, ohne dem Eigentümer Gelegenheit zu geben, der Behörde die Besonderheiten seines Falles darzulegen. Der Eigentümer war der Meinung, daß bei wörtlicher Auslegung der Ermächtigungsgrundlage das Verhalten der Behörde zwar rechtmäßig gewesen sei, daß diese ihn aber wengistens vorher hätte anhören müssen. Richter Byles, der dieser Ansicht folgte, faßte den Standpunkt des Gerichtes wie folgt zusammen: „. . . although there are no positive words in a statute requiring that the party shall be heard, yet the justice of the Common Law will supply the omission of the legislature" 12 .

1911 ereignete sich dann der aufsehenerregende Fall Board of Education ν Rice 1*, in dem eine örtliche Schulbehörde in Swansea sich geweigert hatte, gewissen Lehrern einer staatlich unterstützten privaten Schule entsprechend einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung Gehälter zu zahlen 14 . Aufgrund eines daraufhin stattfindenden Anhörverfahrens („inquiry"), bei dem alle Beteiligten gehört wurden, empfahl der dieses Verfahren leitende Inspektor dem zuständigen Minister, der Beschwerde der betroffenen Schule stattzugeben. Die dem Minister 9

Vgl. inter alia Marshall, Natural Justice, S. 53 ff; P. Jackson, Natural Justice, S. 10 ff; de Smith, Kap. 4, S. 135 ff. 10 R ν Cambridge University, 1723, 1 Str. 557; 8 Mod. Rep. 148. 11 1863, 14 C. Β. (Ν. S.) 180, diese Entscheidung ist seither als „landmark" anerkannt, vgl. Wade, 1951, 67 LQR, 103 (106f); s.a. Painter ν Liverpool Oil Gas Light Co., 1836, 3 Α. & E. 433 (448f): „a party is not to suffer in person or in purse without an opportunity of being heard" ; ähnlich Spackman ν Plumstead District Board of Works, 1885, 10 AC 229 (240). 12 S. 194, „. . . Selbst wenn ein Gesetz keine ausdrücklichen Bestimmungen enthält, daß die Betroffenen Anspruch auf rechtliches Gehör haben, wird die Gerechtigkeit des Common Law dieses Versäumnis des Gesetzgebers nachholen." übers, d. Verf. 18 1911, A C 179. 14 Diese Verpflichtung ergab sich aus sections 7 (3) und 16 des Education Act, 1902, 3 Edw. 7, c. 42,

Prinzip der natürlichen Gerechtigkeit

(„natural justice")

unterstehende Schulbehörde lehnte die Beschwerde ab, ohne auf die Streitfrage und das Anhörverfahren Bezug zu nehmen. Das Oberhaus entschied zugunsten der Schule und gründete seine Entscheidung auf Gesichtspunkte der natürlichen Gerechtigkeit: „. . . in such cases . . . the Board of Education must act in good faith and fairly listen to both sides, for it is a duty lying upon everyone who decides anything" 15 .

Vier Jahre später hatte das Oberhaus einen ähnlichen Fall zu entscheiden, in dem es das Prinzip des Rice-Falles jedoch wieder einschränkte: Im Arlidge-Fall iß hatte eine Kommunalbehörde aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung angeordnet, daß ein Haus wegen Unbewohnbarkeit („unfit for human habitation") zu schließen sei. Der Kläger machte geltend, daß 1. die Anordnung nicht erkennen ließ, welche Beamten über die Beschwerde zu befinden hatten und daß 2. weder eine mündliche Anhörung noch Einsicht in den Bericht des Inspektors gewährt worden war. Lordkanzler Haidane 17 sah das Problem einfach: „Here as in other cases, we have simply to construe that language and to abstain from guessing at what Parliament had in its mind, excepting so far as the language enables us to do so . . ."

Zwar dürften die Behörden, denen Fragen zur Entscheidung vorgelegt würden, nicht befangen sein und müßten jeder Streitpartei hinreichende Gelegenheit bieten, ihren Fall vorzutragen, doch könne man hieraus nicht entnehmen, daß alle solchen Behörden gleiche Verfahrensregeln beachten müßten. Wenn also ein Parlamentsgesetz einer Kommunalbehörde die Verpflichtung zu richterlicher Abwägung bei der Entscheidung von Streitfällen auferlegt habe, dann könne diese Behörde ihre eigenen Verfahrensregeln schaffen, sofern das ermächtigende Gesetz nichts anderes anordnete 18 . Der Kläger hatte demgemäß weder einen Anspruch darauf, seinen Fall dem zur Entscheidung befugten Beamten mündlich vorzutragen, noch Akteneinsicht zu erlangen und zu erfahren, wer speziell die Anordnung erlassen hatte. Das Prinzip der natürlichen Gerechtigkeit sehe lediglich vor, daß dem Kläger überhaupt die Gelegenheit geboten werde, seine Ansicht darzutun. Diese Entscheidung ist heftig angegriffen worden, doch gilt sie weiterhin als eine Leitentscheidung zum Prinzip der natürlichen Gerechtigkeit. 15 Lord Loreburn, L. C.r 1911, AC 179 (182): „. . . in solchen Fällen . . . muß die Schulbehörde gutgläubig handeln und als Gebot der Fairness beide Seiten anhören, denn das ist eine Pflicht, die jedem obliegt, der irgend etwas zu entscheiden hat", übers, d. Verf. 18 Local Government Board ν Arlidge, 1915, AC 120. 17 A.a.O., S. 130: „Hier wie in anderen Fällen müssen wir uns an den Wortlaut der Ermächtigungsgrundlage halten und uns jeglicher Spekulation über die Gedanken des Gesetzgebers enthalten, außer soweit der Wortlaut es uns erlaubt". Ubers, d. Verf. 18 A.a.O., S. 132.

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Gundkategoien

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I n R ν Housing Appeal Tribunal 19 wurde dieses Prinzip des ArlidgeFalles entsprechend angewendet. Hier hatte eine Firma erfolglos eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Filmtheaters und eines Restaurants beantragt. Das Verwaltungstribunal, welches über die Beschwerde zu entscheiden hatte, wies die Beschwerde ab, nachdem es lediglich Unterlagen der Kommunalbehörde geprüft hatte. Die Berufung zum High Court war jedoch erfolgreich, und zwar aus folgendem Grunde: Die relevanten gesetzlichen Bestimmungen erforderten, daß eine mündliche Verhandlung stattzufinden habe; dies bedeute jedoch andererseits nicht, daß dem Kläger jegliches Gehör versagt werden könne. Zumindest hätte das Verwaltungstribunal eine Stellungnahme des Klägers abwarten müssen. Eine Reihe weiterer Fälle zementierte das Verfahrensgebot des „audi alteram partem" 2 0 zum anerkannten Prinzip, das bei jeglicher Streitentscheidung mit der Verwaltung zu berücksichtigen ist. Allerdings folgten dann mehrere Entscheidungen des „Privy Councils" (Kronrats), die der allgemeinen Tendenz dieser Regel zuwiderliefen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Richter befürchteten, durch das allgemeine Prinzip der natürlichen Gerechtigkeit uferlose Beschwerdegründe heraufzubeschwören, die ein reibungsloses Funktionieren der Verwaltung behindern würden. In Nakkuda Ali ν Jayaratne 21 wurden die Regeln über die natürliche Gerechtigkeit deshalb nicht angewendet, weil nach Auffassung des Kronrats die Kündigung einer Handelslizenz in Ceylon seitens der zuständigen Behörden ein rein exekutiver Ermessensakt sei, der keiner gerichtlichen Kontrolle im Wege eines Certiorari-Befehls unterlag. Die Revision scheiterte an der Unterscheidung zwischen exekutiven oder „administrativen" von „judiziellen" Akten, obgleich sehr deutlich geworden war, daß dem Kläger keinerlei Möglichkeit gegeben wurde, seine Auffassung darzutun 22 . Diese Einschränkung des Anwendungsgebietes der „audi alteram partem"-Regel wurde vom Kronrat in einem weiteren Fall untermauert 23 . 19

1920, 3 KB 334. Vgl. etwa Errington ν Minister of Health, 1935, 1 KB 249, per Greer, L. J.: „. . . The Ministry were acting in a quasi-judicial capacity, they were doing what a semi-judicial body cannot do, namely, hearing evidence from one side in the absence of the other side . . (S. 264); oder General Medical Council ν Spackman, 1943, 2 All ER 337 (H. L.): Ein Doktor wurde wegen angeblichen Ehebruchs ohne rechtliches Gehör von der Ärzteliste gestrichen, Viscount Simon, L. C.: „. . . Due inquiry, however, does involve at least a full and fair consideration of any evidence that the accused desires to offer, and, if he tenders them, hearing his witnesses"; ferner Ong Bäk Hin ν General Medical Council, 1956, 2 A l l ER 257. 21 1951, AC 66 (P.C.). 22 A.a.O., S. 81; zu diesen Begriffen, s. ο. A I 2 a dd, Kap. 1, S. 33. 28 University of Ceylon ν Fernando, 1960, 1 A l l ER 631. 20

Prinzip der natürlichen Gerechtigkeit

(„natural justice")

Die Universität von Ceylon hatte einen Studenten Fernando von der weiteren Teilnahme an Examina aufgrund von Beschuldigungen durch eine Kommilitonin ausgeschlossen, weil dieser angeblich gemogelt hatte. Die Suspendierung von allen Prüfungen war erfolgt, nachdem eine Untersuchungskommission der Universität die Kommilitonin allein angehört hatte. Anschließend hatte sie auch den Beschuldigten vernommen. Der Kläger machte geltend, daß die Untersuchungskommission ihm aufgrund des „audi alteram partem 11 -Prinzips zumindest hätte anbieten müssen, die Belastungszeugin einem Kreuzverhör zu unterziehen. Lord Jenkins faßte die Ansicht des Gerichts dahingehend zusammen, daß der Klage schon deshalb nicht stattgegeben werden könne, weil der Kläger ein Kreuzverhör nicht einmal von sich aus beantragt hätte. Bei einer Ablehnung eines solchen Gesuches hätte das Gericht eher eine Verletzung der Regeln über die natürliche Gerechtigkeit feststellen können 24 . Diese Entscheidung war aber offensichtlich wie die im Nakkuda Ali-Fall darauf ausgerichtet, das „audi alteram partem"-Prinzip in engen Grenzen zu halten, umsomehr, als der Kronrat dabei die Entscheidungen des obersten Appellationsgerichtes von Ceylon zu überprüfen hatte und vermutlich nur aus schwerwiegenden Gründen eine Rechtsverletzung der staatlichen Institutionen eines Commonwealth-Landes feststellen würde. Dennoch kann diese Entscheidung nur wenig überzeugen; der Kläger ist jeglicher effektiven Verteidigung beraubt, wenn er nicht erfährt, welche konkreten Anschuldigungen gegen ihn vorgebracht worden sind 25 . In einem weiteren Fall kaum zwei Jahre später, Kanda ν Government oi the Federation of Malaya 26 wurde dann auch entschieden, daß die Vorenthaltung belastenden Materials praktisch der Versagung des rechtlichen Gehörs gleichkomme und somit eine Verletzung der Regeln der natürlichen Gerechtigkeit darstelle. Lord Denning faßte die Auffassung des Gerichtes treffend zusammen: „If the right to be heard is to be a real right which is worth anything, it must carry with it a right in the accused man to know the case which is made against him: he must know what evidence has been given and what statements have been made affecting him: and he must be given a fair opportunity to correct or contradict them" 27 . 24

A.a.O., S. 642. So entschieden im selben Jahre in R ν Registrar of Building Societies, 1960, 1 WLR 669. 26 1962, A C 322 (P. C.). 27 A.a.O., S. 337: „. . . wenn das Recht auf Gehör ein echtes Recht sein soll, das einen tatsächlichen Wert besitzt, dann muß es auch das Recht des Angeklagten enthalten, zu erfahren, was gegen ihn vorgebracht wird. Er muß wissen, welche Beweise angeboten u. welche Aussagen über ihn gemacht worden sind; und ihm muß angemessene Gelegenheit gegeben werden, diese zu berichtigen oder ihnen zu widersprechen"; Ubers, d. Verf. 25

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Diese Ansicht gewann in den sechziger Jahren immer mehr Gewicht 28 , insbesondere durch die Leitentscheidung des Oberhauses in Ridge ν Baldwin 29, die diese Auslegung bekräftigte. Das Pendel richterlicher Prioritätensetzung schwenkte jedoch noch einmal in die Richtung starker Einschränkung dieses Prinzips: Im Fall R ν Governor of Brixton Prison , ex parte Soblen 30 war ein „Habeas corpus "-Verfahren erfolglos geblieben, nachdem Soblen wegen Spionage in den U.S.A. zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt worden war und nach einer abenteuerlichen Flucht und Selbstmordversuchen in einem Flugzeug vom britischen Innenminister an die amerikanischen Behörden ausgeliefert werden sollte. Die Berufung auf das „audi alteram partem"Prinzip im Verlaufe der Untersuchungen des Innenministeriums blieb ebenfalls erfolglos, weil — in den Worten von Lord Pearson — dieses Prinzip nicht als stillschweigende Bedingung in die gesetzliche Ermächtigungsnorm hineinzulesen sei 81 . Ähnlich restriktiv fiel die Entscheidung des Privy Councils im Fall Vidyodaya University Council ν Silva z2 aus, in dem ein Professor entlassen worden war, ohne die Möglichkeit gehabt zu haben, sich gegenüber Anschuldigungen vor einem Universitätsgremium verteidigen zu können. Das oberste Gericht von Ceylon hatte dem Professor ein solches Recht zugebilligt, da das Universitätsgremium zumindest die Fakten, auf denen die Kündigung beruhte, durch richterliches Vorgehen, d.h. unter Beachtung der Regeln über die natürliche Gerechtigkeit festzustellen hätte. Der Kronrat war jedoch der Auffassung, das es sich in diesem Fall um ein rein privatrechtliches Dienstverhältnis („Master-Servant-relationship") handelte, auf das die „natürliche Gerechtigkeit" keine Anwendung finde. Diese Entscheidung markiert gegenwärtig das Ende allzu restriktiver Auslegung des „audi alteram partem"-Gedankens. Eine ganze Reihe weiterer Entscheidungen jüngsten Datums tendieren wieder dahin, das Recht auf Gehör extensiv auszulegen und als ungeschriebenes Prinzip in jeden Verwaltungsakt hineinzulegen, selbst wenn die gesetzliche Grund28 Vgl. Hoggard ν Worsbrough U.D.C., 1962, 2 QB 93, per Winn, J., S. 100; ähnlich R ν Deputy Industrial Injuries Commissioner, ex parte Jones, 1962, 2 QB 677 (Zwangsimpfung eines Hospitalportiers mit schweren gesundheitlichen Folgeschäden. Der Untersuchungskommissar erwirkte ein medizinisches Expertengutachten, aufgrund dessen Jones keine Entschädigung erhielt. Die inkriminierenden Fakten hätten ihm bekannt gemacht werden müssen). 29 1964, AC 40; vgl. auch P. Jackson, Natural Justice, Kapitel 1, S. 4 f. 30 1963, 2 QB 243. 31 A.a.O., S. 315 f; vgl. hierzu den ähnlichen Fall R ν Leman Street Police Station Inspector, ex parte Venicoff, 1920, 3 KB 72; s.a. de Smith, S. 144f, 276f. 32 1965, 1 WLR 77; seither ähnlich restriktiv Glynn ν Keele University, 1971, 1 WLR 487; eingeschränkt in Malloch ν Aberdeen Corporation, 1971, 1 WLR 1578 (1595), per Wilberforce, L. J.

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läge hierzu nichts enthält 83 . Vor allen Dingen scheint sich die Abschaffung der anachronistischen Unterscheidung „administrativer" von „judiziellen" oder „quasi-judiziellen" Akten der Verwaltung anzubahnen. In Re Κ. Η. (An Infant)**, in dem es um eine Einwanderungsgenehmigung eines pakistanischen Minderjährigen ging, der angeblich älter war als aus seinen Dokumenten hervorging, entschied das Gericht, daß die Regeln über die natürliche Gerechtigkeit in jedem Falle anwendbar seien, auch wenn es sich um rein „administrative" Entscheidungen der Verwaltung handeln würde 8 5 . Jegliche Zweifel an der Reichweite dieses Prinzips sind jedoch noch immer nicht auszuschließen. In R ν Gaming Board for Great Britain™, in dem es um Kasino-Lizenzen ging, schreckte das Gericht wohl aus dem ungenannten aber übergeordneten moralischen Gesichtspunkte der Verwerflichkeit solcher gesetzlich erlaubter Unternehmen zurück, auch hier der weiteren Auslegung des rechtlichen Gehörs unter Einschluß der Benennung aller relevanten Begründungen seitens der Verwaltung zu folgen. Doch w i r d diese Entscheidung höchstwahrscheinlich ein einmaliger Ausnahmefall bleiben, der inzwischen in der Literatur auch hinreichend gegeißelt wurde 3 7 . Es bleibt nach alledem der Eindruck, daß die jüngsten Entscheidungen der Gerichte, mit dieser einmaligen Ausnahme, ganz offensichtlich viel stärker unter dem Einfluß der immer massiver werdenden Kritik des geltenden Rechtes durch die Literatur stehen als jemals zuvor 8 8 und daß die Entscheidungen dem Prinzip des rechtlichen Gehörs als wesentlichem Hebel richterlicher Intervention noch breiteren Raum einräumen werden.

83 So etwa Maradana Mosque Trustees ν Badi-Ud-Din Mahmud, 1967, AC 13, insbes. S. 24 f; ferner Durayappah ν Fernando, 1967, 2 AC 337, insbes. S. 349 f; R ν Aston University Senate, ex parte Roffey, 1969, 2 All ER 964 (Zwei Studenten hatten ihre Examen nicht bestanden und verloren ihren Platz an der Universität. Die Prüfer hatten außer akademischen Leistungen auch persönliche und familiäre Angelegenheiten der Studenten berücksichtigt. Dies wäre jedoch nur nach Anhörung der Studenten statthaft gewesen). 84 1967, 2 QB 617, insbes. S. 630—632. 85 Diese Entscheidung ist seither in folgenden Fällen bestätigt worden: R ν Gaming Board of Great Britain, ex parte Benaim, 1970, 2 A l l ER 528; R ν Birmingham City Justice, ex parte Chris Foreign Foods (Wholesalers) Ltd., 1970, 3 All ER 945; Breen ν Amalgamated Engineering Union, 1971, 1 A l l ER 1148. 36 Ex parte Benaim and Khaida, 1970, 2 WLR 1009 (1016 f). 37 Vgl. Birtles, 1970, 33 MLR 559, der diese Entscheidung für „sterile Begriffsjurisprudenz " hielt, (S. 560), und statt dessen den vollen Begründungszwang aller Verwaltungsentscheidungen fordert, damit die „natural justice" überhaupt erst möglich ist; vgl. auch Akehurst, 1970, 33 MLR, 154 ff. 38 Vgl. hierzu auch Kapitel 1, A I 2 c, S. 42.

8 Riedel

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b) Das Gebot der „Fairness" Seit etwa 1969 ist überdies zu erkennen, daß in Fällen, die herkömmlidierweise als Unterfall der „audi alteram partem "-Regel galten, die Gerichte sich immer mehr auf den allgemeineren Begriff der „Fairness" berufen: Es sei ein Gebot der Fairness, beiden Seiten eines Streites rechtliches Gehör zuzubilligen 80 , und dies gelte für alle möglichen Situationen, ganz gleich, ob es sich um Judizielle', ,quasi-judizielle' oder »administrative 1 Akte der Verwaltung handele. Dabei konnte auf den Fall Board of Education ν Rice 40 verwiesen werden, was dieser Entwicklung eine notwendige historische Würde verleiht und deshalb einige Aussicht auf Bestand hat. Doch regen sich auch hier bereits Stimmen, die eine generelle Ausdehnung der Prinzipien über die natürliche Gerechtigkeit unter dem Deckmantel der noch allgemeineren Formel der „Fairness" für schädlich halten 4 1 .

c) Das Recht auf rechtliche Beratung und Stellvertretung Seit kurzer Zeit ist überdies die weitere Tendenz zu verzeichnen, dem betroffenen Bürger gegebenenfalls auch das Recht eines Rechtbeistandes und der Stellvertretung seiner Sache durch andere als Ausfluß der natürlichen Gerechtigkeit zuzubilligen. In Pett ν Greyhound Racing Asso39 Re Κ. H. (An Infant), 1967, 2 QB 617 (630 ff), per Parker, L. C.J.: m . w . H . ; s. a. Holder ν Holder, 1968, Ch. 353 (401); Pett ν Greyhound Racing Association, Ltd., 1969, 2 All ER 221 (substantive issue No. 1): „elementary principles of ,iairness' which must as a matter of necessary implication be treated as applicable . . . i. e. natural justice . . .", per Lyall, J; R v Birmingham City Justice, ex parte Chris Foreign Foods (Wholesalers), Ltd., 1970, 3 All ER 945; s.a. British Oxygen Co., Ltd. ν Minister of Technology, 1970, 3 All ER 165; 1971, AC 610; ferner Re Godden, 1971, 3 All ER 20, per Denning, M. R., S. 25; Re Pergamon Press, Ltd., 1971, Ch. 338; Hill ν Parsons & Co., Ltd., 1971, 3 WLR 995; Re Liverpool Taxi Owners Association, 1972, 2 All ER 589; Pearlberg ν Varty, 1972, 2 All ER 6, per Pearson, L. J., S, 17; durch diese Tendenz gewinnen die Argumente Wades in 1951, 67 LQR, 103 (105) wieder an Gewicht. 40 1911, AC 179, insbes, 182, per Loreburn, L. C.: . . the Board of Education must act in good faith and fairly listen to both sides . . . " (Hervorhebung d. Verf.); s.a. Maclean ν The Workers Union, 1929, 1 Ch. 602, per Maugham, J. (S. 624): „. . . The phrase ,the principles of natural justice1 can only mean, in this connection, the principles of fair play so deeply rooted in the minds of modern Englishmen. . .". 41 Vgl. etwa P. Jackson, Natural Justice, S. 79 f; ferner de Smith, Const, and Admin. Law, S. 568 und Fn. 76; s. a. Megarry, J., in Hounslaw L. B. C. ν Twickenham Garden Developments, 1971, Ch. 233 (258): „. . . the principles of natural justice are of wide application and great importance but they must be confined within proper limits and not allowed to run wild"; ähnlich ders., in Gaiman ν National Association for Mental Health, 1971, Ch. 317 (333): „. . . It may be that there is no simple test, but that there is a tendency for the court to apply the principles to all powers of decision unless the circumstances suffice to exclude them."

Prinzip der natürlichen Gerechtigkeit

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dation, Lid. 4 2 war dem Kläger zwar im Ergebnis kein Recht eines Rechtsbeistandes gegenüber einer Doping-Untersuchung seitens eines Windhundrennen-Veranstalters zuerkannt worden, weil die Sportregeln dies nicht erforderten, aber Richter Lyall machte ziemlich deutlich, was er trotz allem von den Veranstaltern hielt 4 3 : „I find 1 it difficult to say that legal representation before a tribunal is an elementary feature of the fair dispensation of justice. It seems to me that it arises only in a society which has reached some degree of sophistication in its affairs".

Noch bevor es zu einer Verhandlung im Revisionsverfahren vor dem Court of Appeal kam, einigten sich die Parteien gütlich, und zwar dahingehend, daß künftig die Parteien auch durch ihren Rechtsbeistand agieren können 44 . M i t diesem Fall wurde auch eine alte Entscheidung aus dem 19. Jahrhundert zu dieser Frage wiederbelebt 45 . Dort war gesetzlich geregelt worden, daß Bürger, die von einer Besteuerungsmaßnahme betroffen waren, das Recht haben sollten, Widerspruch geltend zu machen und diesen auch vortragen zu dürfen. Da das Gesetz nicht ausdrücklich anordnete, daß dieser Widerspruch vom Betroffenen höchstpersönlich geltend zu machen sei, mußte die Behörde auch einem beauftragten Dritten ein Anhörrecht gewähren 46 . Auch außerhalb der verwaltungsrechtlichen Streitigkeit gewinnt dieser Aspekt der „natural justice"Regeln jetzt erheblich an Gewicht. In einem familienrechtlichen Fall, in dem es um die Ersetzung einer Adoptionseinwilligung der Mutter für ihr nichteheliches Kind durch das Gericht ging, sagte Lord Justice Sachs inter alia 4 7 : „. . . that (legal aid) must in serious matters be regarded as something essential for safeguarding the interests of the person concerned, who may (as in this 42

1969, 2 All ER 221 (Nr. 1); 1970, 1 All ER 243; vgl. auch hierzu Alder, 1972, Public Law, S. 278 ff. 43 A.a.O., S. 231: „Mir fällt es schwer zu sagen, daß die Vertretung durch einen Rechtsbeistand vor einem Tribunal ein elementarer Bestandteil einer fairen Rechtspflege ist. Mir scheint, daß dies nur in einer Gesellschaft der Fall ist, die bereits einen gewissen Grad der Kultiviertheit in ihren Belangen erreicht hat"; übers, d. Verf. 44 Diese Entscheidung wurde aber durch Enderby Town Football Club, Ltd. ν Football Association, Ltd., 1971, 1 All ER 215 relativiert: Dort wurde eine Klage aus diesem Grunde abgewiesen, weil die Spielregeln ausdrücklich die Einschaltung von Anwälten verbat, per Denning, M. R.: „It may be a good thing for the proceedings of a domestic tribunal to be conducted informally without legal representation. Justice can often be done in them better by a good layman than by a bad lawyer"; s.a. Wiseman ν Borneman, 1971, AC 297 (H. L.). 45 R ν Assessment Committee of St. Mary Abbots, Kennsington, 1891, 1 QB 378 (C.A.). 48 Vgl. insbes. S. 381: „The statute provides that they are to hear and determine the objection, not that they are to hear the objector". 47 Re M., 1972, 3 All ER 321 (328): „(Die Gewährung des Armenrechts) muß in schwerwiegenden Fällen als grundlegendes Recht zum Schutze der betroffenen Person erachtet werden . . . und als Garantie dafür, daß Gerechtigkeit geschieht

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case) be someone unable to present her case adequately, and for ensuring that justice both is done and appears to be done. There may well arise cases in the future in which a rehearing might have to be ordered simply because a party was not made aware in appropriate terms of the availability of legal advice and aid" 48 .

Hieraus w i r d ersichtlich, daß sich dieses Prinzip als neue Untergruppe der natürlichen Gerechtigkeit immer schärfer herausschält. d) Die Regel „nemo iudex in causa sua debet esse" Auch die Regel, daß niemand Richter in eigener Sache sein darf, kann auf ehrwürdige Präzedenzketten verweisen, die glücklicherweise weniger umstritten und verschwommen sind als bei der „audi alteram partem "Regel 49 . Man beruft sich dabei gerne auf den Fall des Dr. Bonham, den Coke in seinen „Reports" ausführlich beschreibt und in dem er sagte, daß ein Gericht ein Parlamentsgesetz für nichtig erklären würde, das jemanden Richter i n eigener Sache machte oder „sonstwie gegen allgemeines Recht und Vernunft" verstoßen würde 5 0 . W o h l das bekannteste Beispiel für dieses Prinzip lieferte der Fall des Lord Cottenham 51. Hier hatte der Lordkanzler Cottenham eine ohne ihn getroffene Entscheidung des Vizekanzlers gebilligt, bei der nachgewiesen wurde, daß Cottenham ein Interesse an der Sache hatte, weil er mit einer der Parteien geschäftlich verbunden war. Das House of Lords mißbilligte das Verhalten des inzwischen verstorbenen Lordkanzlers scharf und verlangte, daß strenge Maßstäbe anzulegen seien, ob ein Richter ein Interesse habe oder nicht und deshalb befangen sei 52 . Eine lange, gradlinige Kette von Entscheidungen hat seither dieses Prinzip befestigt und zu einem Hauptinhalt der natürlichen Gerechtigkeit gemacht 53 . Lediglich wenn dieses Prinzip mit der dogmatischen Kontround man zugleich auch sieht, daß sie geschieht. Es mag in Zukunft sehr wohl Fälle geben, in denen ein neues Verfahren angeordnet wird, einfach aus dem Grunde, daß eine Partei nicht in angemessener Weise über die Möglichkeit aufgeklärt worden ist, rechtliche Beratung und Hilfe zu erlangen"; Ubers. Verf. 48 So auch mit vielen Argumenten Aider, Public Law 1972, S. 278 ff, der die Auffassung vertritt, daß dieses Prinzip als Gebot der natürlichen Gerechtigkeit generell bei gesetzlich errichteten Tribunalverfahren zur Anwendung komme, vgl. infra, Kap. 9. 49 Vgl. auch Allen, Law and Orders, S. 244 ff; Marshall, Natural Justice, S. 25 ff; Yardley, Source Book, S. 97 ff; 188 ff; Foulkes, S. 162 ff; de Smith, Kap. 5, S. 231 ff. 50 8 Co. Reps. 113 b (118 a). 51 Dimes ν The Proprietors of the Grand Junction Canal, 1852, St. Tr. (N. S.), Bd 8, S. 86. 52 Da die Entscheidung des Falles durch den Vizekanzler aber nicht von der Zustimmung des Lordkanzlers abhing, änderte sich für den Streitfall im Ergebnis nichts, a.a.O., S. 106 f. 53 R ν Sussex Justices, ex parte McCarthy, 1924, 1 KB 256 (Clerk des Magistrates Court war Mitglied der Anwaltspraxis, die eine Partei eines Verfahrens

Prinzip der natürlichen Gerechtigkeit

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verse um „judizielle" oder „administrative" Akte der Exekutive zusammenfällt, ist der Ausgang einer solchen Entscheidung ungewiß. Paradebeispiel hierfür ist der Stevenage-Fall, Franklin ν Minister of Town and Country Planning 54, in dem das Oberhaus die Entscheidung des Ministers über einen Bebauungsplan als „rein administrativ" und damit gerichtlich unüberprüfbar qualifizierte. Gesichtspunkte wie Befangenheit konnten deshalb nicht geltend gemacht werden. Dieser Fall ist nicht zuletzt neben der Crichel Down-Affäre für die Etablierung eines Untersuchungsausschusses, des Franks Komitees von 1956, verantwortlich gewesen und wird in Zukunft wohl nicht mehr befolgt werden. Der Kronrat hat in dem ähnlich gelagerten Fall Maradona Mosque Trustees ν Badi-Ud-Din Mahmud 55 inzwischen entschieden, daß eine Verletzung der Prinzipien der natürlichen Gerechtigkeit (sowohl der „audi alteram partem"- als auch der Befangenheitsregel) bereits dann vorliege, wenn ein Minister in einer öffentlichen Rede eine Verstaatlichungsmaßnahme ankündigte, ohne die betroffenen Kläger darauf aufmerksam zu machen, daß diese Maßnahme wegen rechtswidrigen Verhaltens erfolgen würde. Die Kläger müßten das Recht haben, sich verteidigen zu können und dies gelte sowohl bei „judiziellen" wie bei „administrativen" Akten der Verwaltung 5 6 . Auch hier zeigt sich die Ausweitung der Kategorien der natürlichen Gerechtigkeit. e) Die „bona fides^-Regel Weniger scharf umrissen, aber dennoch aus den Präzedenzfällen zu entnehmen ist die Regel, daß Beamte und Behörden bei der Ausübung ihrer gesetzlichen Aufgaben nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen dürfen. Meistens wird dieser Gedanke entweder in Verbindung mit „Fairness" oder dem „audi alteram partem "-Prinzip gemeinsam erwähnt, um der Entscheidung zusätzliches Gewicht zu verleihen 57 . Dennoch erscheint es durchaus als möglich, daß diese Regel, die in anderen Zweigen des Rechtes prominenter ist, künftig auch im Verwaltungsrecht über die Regeln der natürlichen Gerechtigkeit immer häufiger zur Anwendung kommen wird 5 8 . wegen eines· Verkehrsunfalles vertrat.); ferner R ν Hendon R. D. C., ex parte Chorley, 1933, 2 KB 696 (certiorari war erfolgreich, weil ein Stadtrat, der einem Bebauungsplan zugestimmt hatte, befangen war.); s.a. Taylor ν National Union of Seamen, 1967, 1 WLR 532; Metropolitan Properties Co. (F. G. C.), Ltd. ν Lannon, 1968, 3 WLR 694; Hannam ν Bradford City Council, 1970, 2 All ER 690. 54 1947, 2 All ER 289; 1948, AC 87, vgl. hierzu auch die ausführliche Darlegung aller Fakten bei Yardley, Source Book, S. 109—117; s. a. Griffith & Street, 3. Aufl., S. 181—184; Foulkes, S. 165 f. 55 1967, AC 13. 58 A.a.O., S. 24 f. 57 Vgl. etwa Board of Education ν Rice, 1911, AC 179 (182); Byrne ν Kinematograph Renters Society, Ltd., 1958, 2 All ER 579 (599); Hoggard ν Wors-

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3. Die Bedeutung dieser Prinzipien für das Verwaltungsrecht Aus dem oben dargestellten Fallrecht wird deutlich, wie sehr die Gerichte seit sehr kurzer Zeit bereit sind, latent vorhandene Rechtsmittel durch extensive Auslegung auszubauen und die allseits beklagte Rückständigkeit des Verwaltungsrechts im Vorgriff auf eine umfassende Verwaltungsrechtsreform Stück für Stück zu beseitigen. Die Methode, die Uberprüfbarkeit des Verwaltungshandelns über reine Verfahrensgrundsätze voranzutreiben, mag etwas eng erscheinen. Dennoch wird damit, wie das Beispiel der Behandlung der anachronistischen Unterscheidung zwischen „judiziellen" und „administrativen" Akten der Verwaltung beweist, eine graduelle Aufweichung verhärteter Standpunkte erreicht und die Verwaltungskontrolle, bislang fast ausschließlich Thema der Lehre, auf eine breitere Basis gestellt. M i t dem Katalog von Gerechtigkeitsvorstellungen, die als „natürlich" gelten, erreicht die ordentliche Rechtsprechung in Verwaltungssachen nun endgültig den Stand der Lehre seit dem Franks Komitee von 1957, daß nämlich „Offenheit, Fairness und Unparteilichkeit" als oberster Verfahrensgrundsatz „natürlicher Gerechtigkeit" bei Tribunal- und Anhörverfahren zu gelten habe 59 . Insbesondere die Entscheidung in Re Κ. Η. (An Infant) 90 weist eindeutig in diese Richtung: Lord Parker, C.J., der sowohl bei dieser Entscheidung als auch im Falle R ν Birmingham City Justice 61 mitgewirkt hatte, war im übrigen seinerzeit auch Mitglied des Franks Komitees über Tribunal- und Anhörverfahren gewesen. Das „audi alteram partem"-Prinzip, das Recht auf Vertretung durch einen Stellvertreter oder Anwalt, sowie das Gebot der „Fairness" greifen stark ineinander über, und Unparteilichkeit ist eine lediglich weitere Kategorie des Verbotes gegen Befangenheit und des Gebotes gutgläubigen Verhaltens der Verwaltung. Die Offenheit solcher Verfahren beinhaltet zum einen das mittlerweile v o l l garantierte Recht auf Gehör und angemessene Verteidigungsmöglichkeiten, d. h., volle Klarheit über Anschuldigungen und Beweise. Die „Offenheit" der Verwaltungsverfahren könnte aber noch weiter ausgedehnt werden, um in nicht allzu ferner Zukunft vielleicht auch die Akteneinsicht des Betroffenen, sowie volle Begründung aller Verwaltungsmaßnahmen, die den Bürger persönlich betreffen, zu umfassen. Bei allem Optimismus darf hierbei jedoch nicht brough U. D. C., 1962, 2 QB 93 (100); sogar in R ν Governor of Brixton Prison, ex parte Soblen, 1963, 2 QB 243 (300 if) wurde dieses Prinzip erwähnt. 58 Zuletzt per Lord Reid, in Gaming Board for Great Britain ν Rogers (H. L.), 1972, 2 All ER 1057 (1061). 59 Siehe hierzu auch Boussard, S. 136 ff. 00 1967, 2 QB 617 (630 ff). 81 Ex parte Chris Foreign Foods (Wholesalers), Ltd., 1970, 3 All ER 945.

Prinzip der natürlichen Gerechtigkeit

(„natural justice")

vergessen werden, daß trotz der neuerlichem Wiederbelebung der Prinzipien über die natürliche Gerechtigkeit, die Anfang der fünfziger Jahre noch ins Zwielicht zu geraten drohten 82 , und die heute auf der Welle einer breiten öffentlichen Zustimmung ständig an Bedeutung gewinnen, diese richterliche Rechtsfortbildung auch Gefahren in sich birgt. Solange keine allgemeine Theorie des Verwaltungshandelns besteht, insbesondere das Verfassungsproblem der Kontrolle der Verwaltung in der Doktrin dem Parlament zugewiesen und von den Gerichten ferngehalten wird, solange besteht die Gefahr, daß die behutsame Kompetenzausdehnung der Richterschaft nichts anderes beinhaltet, als die gelegentliche, schwer vorhersehbare Ersetzung des Ermessens der Verwaltung durch das Ermessen des Gerichtes. Außerdem können dann Regelungsabgrenzungen zwischen verwaltungsinternen und gerichtlichen Kontrollinstanzen noch undeutlicher werden, als sie es bereits sind und im Ergebnis dazu führen, daß eine umfassende Neuregelung in diesem Bereich eher noch erschwert wird 8 3 . IIL

Ergebnis

Diese beiden Methoden gerichtlicher Kontrolle der Verwaltung sind die am stärksten entwickelten. Zweifellos ließen sich noch weitere Kontrollmaßnahmen aufzeigen, wie etwa die beim Certiorari-Verfahren dargestellte Lehre von den evidenten schriftlichen Formfehlern „error of law on the face of the record" 8 4 , doch mögen diese beiden wichtigsten Kategorien inhaltlicher Kontrolle genügen, um zu zeigen, daß die ordentlichen Gerichte einen erheblichen Teil der Konflikte zwischen Bürger und Verwaltung überprüfen können. Die zunehmende theoretische Beschäftigung mit Prinzipien statt mit ungeordneten Präzedenzketten seitens der Literatur in den letzten Jahrzehnten 85 hat dazu geführt, daß einerseits die Gerichte zunehmend ihre Beschäftigung mit technischen Feinheiten der Klageformen zugunsten der Herausbildung allgemeiner Prinzipien einer Verwaltungslehre auf82 Vgl. H . W . R . Wade, The Twilight of Natural Justice, in 67 LQR, 1951, S. 103 ff, der diese Tendenz mit starken Argumenten bekämpfte; dagegen aber noch 1957 Macdermott, Prot, from Power, S. 93. 83 Vgl. hierzu auch Jackson, Natural Justice, S. 80 f; ferner die etwas merkwürdigen Fälle in Hochschulangelegenheiten (Ordnungsrecht): R ν University of Aston, ex parte Roffey, 1969, 2 All ER 1964, supra, Fn. 33, S. 113; dagegen Glynn ν Keele University, 1971 1 WLR 487, in dem Pennycuick, V. C., das Ordnungsrecht der Universität für gerichtlich unüberprüfbar hielt, die Verpflichtung zu fairem Verhalten sei nur eine moralische, rechtlich nicht durchsetzbare Obligation der Universität. 84 S.o. A I 2 a dd, Kap. 1, S. 33. 85 Vgl. die in Kapitel 7, Fn. 2 aufgeführten Autoren; ferner die Monographie von P. Jackson, Natural Justice.

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zugeben beginnen, andererseits hat dies aber auch die bestehende Rechtsunsicherheit auf diesem ganzen Gebiet eher erhöht als vermindert. Dem rechtsuchenden Bürger ist wenig damit gedient, wenn er statt klarer und nachvollziehbarer Regeln am Ende eines sehr teuren Klageverfahrens — möglicherweise in drei Instanzen bis zum House of Lords — lediglich mit allgemeinen, unklaren und uneinheitlich gehandhabten Auffangformeln der „ultra vires "-Doktrin oder der Prinzipien über die natürliche Gerechtigkeit bedient wird. Es entsteht dadurch auch ungewollt der Eindruck, als würde das allzu große Ermessen der Verwaltung lediglich durch das der Gerichte ersetzt, die obendrein der politischen Kontrolle nicht i n gleichem Maße wie die Verwaltung unterworfen sind. Dennoch zeigt die langsame Hinwendung der Rechtsprechung in den letzten Jahren zu den von der Lehre seit langem geforderten inhaltlichen Kontrollmethoden die Entwicklungstendenz zu einem modernen, rationaleren Verwaltungsrecht, das allerdings noch nicht erreicht ist.

C. Außergerichtliche Kontrollmaßnahmen Kapitel 9 7. Tribunals und Anhörverfahren 1. Einleitung Würde der Rechtsschutz des Bürgers in Streitigkeiten mit der Verwaltung in England ausschließlich in den Händen der Zivilgerichte liegen und stünden dafür lediglich die bislang aufgezeigten Kontrollmaßnahmen zur Verfügung, so müßte der ausländische Betrachter ohne weiteres feststellen, daß das englische Rechtssystem die Belange des Bürgers im Verhältnis zum Staat und seinen Institutionen höchst unvollkommen und undurchschaubar, keinesfalls demokratisch und allenfalls minimal geregelt hat. Ganz sicher hätte dann aber das V o l k schon lange Abhilfe geschaffen. Die ständig zunehmende Gesetzgebungstätigkeit des Parlamentes seit den Reformgesetzen von 1832—35, spätestens seit den Sozialgesetzen von 19111, und der zwangsläufig immer größer werdende Einfluß des Staates in fast allen Lebensbereichen im Interesse einer gerechten Verteilung knapper Ressourcen, auch über parteipolitische Erwägungen hinweg, hat schon bald bewirkt, daß neben der traditionellen Rechtspflege besondere Verwaltungskontrollmechanismen entstanden. 1

Vgl. Elcock, S. 3. Zur Geschichte der Tribunalverfahren nach dem 1. Weltkrieg vgl. Port, Kapitel 5, S. 188 ff.

Tribunals

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Die Rezentralisierung der Verwaltung im 19. Jahrhundert und der Niedergang der Verwaltungsaufgaben der ehrenamtlichen Friedensrichter („Justices of the Peace") 2 hatte unbeabsichtigt zunächst zur Folge, daß für die vielen Aufgaben der Leistungsverwaltung ein Kontrollmechanismus praktisch fehlte. Der gerichtliche Rechtsschutz gegen Kompetenzüberschreitungen, Böswilligkeit der Verwaltung, W i l l k ü r und Fahrlässigkeit bei Entscheidungen, sowie gegen Verletzungen elementarer Verfahrensgarantien wie ζ. B. der Prinzipien über die „natürliche Gerechtigkeit" 3 , war lückenhaft und so kompliziert, daß selbst Experten nur vage Vermutungen über die Rechtslage bieten konnten 4 . Die Gerichte haben es bis vor wenigen Jahren auch nicht verstanden, ihre latent vorhandenen Kompetenzen systematisch und überschaubar auszubauen, wie oben dargelegt wurde 5 . Es konnte daher auch niemanden verwundern, daß der Gesetzgeber dieses Rechtsgebiet praktisch ignorierte, weil es zu undurchschaubar schien. Hinzu kam in den dreißiger Jahren eine zunehmende Kritik an der Fähigkeit der Gerichte, von sich aus soziale Veränderungen zu berücksichtigen. Die Tatsache, daß sich die Richterschaft vorwiegend aus einer bestimmten Gesellschaftsschicht rekrutiert, fast alle auf privaten „Public Schools" gewesen und „Oxbridge"-Absolventen waren, erhöhte das Mißtrauen gegen sie 6 . Die weitgehende Zentralisierung der Gerichte in London begünstigte — und begünstigt auch heute noch — reiche Prozeßparteien übermäßig, sodaß für den armen Kläger der Gang zu den Gerichten und durch die Instanzen häufig ausscheidet7. Stattdessen wählte man eine andere Methode. Neben den traditionellen gerichtlichen Kontrollmaßnahmen entstanden nach dem 2. Weltkrieg eine Vielzahl von „Tribunals", mit Laien besetzte Spruchkörper zur Anhörung und Entscheidung von Beschwerden gegen Maßnahmen der Behörden, sowie Anhörverfahren durch besondere Inspektoren der Verwaltung. Laski vertrat eine interessante These, weshalb es heute so viele Tribunals gibt: Er meinte, daß die Unwissenheit und Feindseligkeit der Richterschaft gegenüber den Gewerkschaften um die Jahrhundertwende die Labour-Partei hervorgebracht hätte. Ihre Feindseligkeit gegenüber den modernen Sozialreformen hätte dann die Abwendung von den Gerichten und die Hinwendung zu Tribunals bewirkt, sonst hätte die Gefahr bestanden, daß die Richterschaft diese Gesetzgebung „zu2

Vgl. infra, Teil 2, Kap. 14, S. 206 ff. Supra, Kap. 8. 4 Vgl. de Smith, Const, and Admin. Law, S. 545 f, der als anerkannter Kenner dieses Rechtsgebietes die Auffassung vertrittt, daß die gerichtliche Kontrolle der Verwaltung selbst heute noch „extrem kompliziert", „mysteriös", „unzusammenhängend" und noch „ständig im Flusse" ist. 5 Vgl. supra, Teil 1 A I, gerichtliche Kontrollmaßnahmen, S. 1 ff. « Vgl. hierzu Jennings, 49 Harvard LR 1936, 426 ff (454); ferner Laski, S. 365 f. 7 A.a.O., S. 369. 3

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nichtegemacht hätte, indem sie die Existenz der Defekte bestreiten würde, für die die Sozialgesetze geschaffen wurden" 8 . Mittlerweile gibt es allein weit über 2000 solcher „Tribunals" 9 , ohne Berücksichtigung der Anhörverfahren, die ad hoc anberaumt werden. Eine große Anzahl von Tribunals ist demnach im Gefolge der Wohlfahrtsstaatsgesetze entstanden. Allen 10 unterschied dementsprechend mehrere Hauptgruppen. Im Bereich der Sozialgesetzgebung und insbesondere des nationalen Gesundheitswesens wurde eine Vielzahl von „Tribunals" geschaffen, die organisatorisch eng an das Gesundheitsministerium gebunden wurden, mit letzter Entscheidungskontrolle beim Minister statt vor Gerichten 11 . Diese Form der „Tribunals" ist stark kritisiert worden 1 2 , aber bislang ohne größeren Erfolg. Auch die inzwischen mehrfach geänderte Gesetzgebung zur Arbeitslosenunterstützung 13 , Familienbeihilfe und Kinderschutz zog einen Satellitenschwarm von Tribunals nach sich. Auf dem Gebiete der Bauplanung, landwirtschaftlichen Nutzung von Grundstücken, und im allgemeinen Wohnungswesen entstanden ebenfalls eine große Anzahl solcher Tribunals 14 . Weitere Kategorien von Tribunals entsprossen dem Transportwesen, auf dem Gebiet der Lizenzerteilung und Straßenbauplanung und vielen anderen Spezialgebieten. Als Anhang zur Gesetzgebung über Wirtschaftskontrolle entstanden Tribunals über Investmentgeschäfte, Industriesicherung, Monopole und Waren- und Markenzeichenschutz, sowie einer Unmenge weiterer Kategorien, die von unabhängigen Schulen bis zu drahtloser Télégraphié, Architekten, Entschädigungskommissionen für enteignete Auslandsguthaben 15 und Rechnungsprüfern der Kommunalverwaltung reichen. 2. Begriff und Einordnung der Tribunals i n das System des Rechtsschutzes Bereits nach dem 1. Weltkrieg hatte die Öffentlichkeit an den immer undurchschaubarer werdenden Entscheidungsprozessen der Verwaltung 8

Laski, S. 370. Vgl. die in Yardley, Source Book, S. 311—316 genannten Zahlenbeispiele: für Tribunale, die der Prüfungskompetenz des Council on Tribunals (Tribunalrat) unterliegen, sind das bereits über 2200. Hinzu kommen neben „domestic tribunals" noch eine große Anzahl von „tribunals", die nicht unter der Aufsicht des Tribunalrats stehen; ferner s.a. die ältere Aufstellung bei Pollard-, Appendix S. 131—144 (nach Ministerien geordnet). 10 Administrative Jurisdiction, S. 3 ff (Sozialgesetze), S. 13 ff (Bauplanung und Wohnungswesen), 23 ff (Transport), 32 f (Wirtschaftskontrolle), 33 f (Erziehungswesen sowie verschiedene andere Tribunalverfahrensarten). 11 Vgl. hierzu ausführlich Bell, Tribunals, S. 53 ff. 12 So etwa Robson, S. 143; Allen, Public Law, 1956, S. 13 (20): „it is tribunalism run mad, and it is impossible for laymen or lawyer, or indeed medical man, to resist the belief that it could be greatly simplified with advantage to all". 13 Lach, in Pollard, S. 36 ff. 9

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immer lauter Kritik geübt, weil nunmehr weite Teile der Öffentlichkeit hiervon betroffen waren 1 6 . Die Regierung setzte daraufhin 1929 eine Kommission zur Studie der „Ministers' Powers", des Ermächtigungsrahmens für Minister, ein, die in ihrem Report 193217 über „Tribunals" nur wenig zu sagen hatten, da ihre „terms of reference", ihr Untersuchungsrahmen, dieses Problem nur teilweise berührte und es überdies noch relativ wenige „Tribunals" gab 18 . Es entstand jedoch der allgemeine Eindruck, als seien Tribunals Bestandteile der Verwaltung zur Durchsetzung einer bestimmten Politik. Erst nach dem zweiten Weltkrieg, als die Anzahl der Tribunals im Gefolge der Wohlfahrtsstaatsgesetze ganz erheblich anschwoll, und im Anschluß an eine neuerliche Untersuchung durch das Franks Komitee über „Tribunals" und Anhörverfahren, die 1955 begann und 1957 berichtete 19 , wurde der Versuch unternommen, das gesamte, lawinenartig angeschwollene Tribunalwesen einheitlich zu betrachten, mit dem Ziel, sie wieder enger mit dem gerichtlichen Schutzsystem zu verbinden, was Laski in den dreißiger Jahren noch gegeißelt hatte 20 . Zu diesem Zwecke machte der Franks Report detaillierte Vorschläge, die in wesentlichen Punkten bereits 1958 gesetzlich verankert wurden. Es fragt sich sogleich, welche Rolle diese Tribunals als Satelliten der Wohlfahrtsstaatsgesetze im englischen Rechtssystem spielen: Handelt es sich um Gerichte — wie Loewenstein 21 zu glauben schien — oder aber um verwaltungsinterne Kontrollmaßnahmen, die lediglich gewissen formalen Spielregeln wie bei Gerichten folgen 22 , oder schließlich um hybride Formen der Verwaltungskontrolle 2 8 . Davon hängt auch ab, wie man diese Spruchkörper im Deutschen bezeichnen will. „Verwaltungstribunale" legt nahe, daß eine enge Bindung an die Verwaltung besteht. 14 Vgl. Allen, a.a.O.; Yardley, Public Law 1968, S. 135 ff; Anon., in Pollard, S. 67 ff; de Smith, in Pollard, S. 102 ff. 15 Vgl. Allen, Administrative Jurisdiction, S. 34 ff; vgl. auch Garner, Kap. 8, S. 178 ff; ferner die Liste der Tribunale in „rule of law" Appendix, S. 64 ff. 18 Vgl. hierzu Teil 2, Kap. 17. 17 Cmd. 4060 (1932): Committee on Ministers' Powers, Report, unter der Leitung des Earl of Donoughmore, später Sir Leslie Scott9. 18 Vgl. Cmnd. 218 (1957), Kapitel 4, S. 8, § 35. 19 Cmnd. 218 (1957), Report of the Committee on Administrative Tribunals and Enquiries, unter der Leitung von Sir Oliver Franks, Franks Report. 20 Vgl. infra, Kap. 17, C I , Fn. 27, S. 266; s. a. Marshall, 36 Public Administration 1958, S. 261 ff. 21 Loewenstein, Bd 2, S. 76; Kaiser, S. 61; Allen, zit. in Bell, Tribunals, S. 30; Jackson, Machinery of Justice, 6. Aufl., S. 455 ff, aber mit Einschränkungen; Wade, 1. Aufl., S. 197: „in substance courts of law"; Foulkes, S. 59; de Smith, Const, and Admin. Law, S. 527, Nr. 5. 22 So etwa Griffith, 1959, 22 MLR, S. 125 ff; Robson, S. 89 ff. 23 So Bell, Tribunals, S. 31, 92; Elcock, S. 10: „It is an ad hoc system meting out what often looks like justice at the gate"; unentschieden Wade & Phillips, S. 698; Garner, S. 154 f.

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Eine Einordnung als Gerichte ist nur dann sinnvoll, wenn die „Tribunals" tatsächlich als Gerichte fungieren. Im folgenden soll daher der ebenfalls unglückliche, aber neutralere Oberbegriff „Tribunals" im Original verwendet werden, obgleich damit die Unterscheidung der „administrative tribunals" von „domestic tribunals" verloren geht. „Domestic tribunals" sind jedoch ihrem Wesen nach so wenig öffentlichrechtlichen Charakters, sondern eher private Schiedsgerichte, daß die Verwendung des Oberbegriffs „Tribunals" für „administrative tribunals" gerechtfertigt scheint. Das Franks Komitee ging davon aus, daß Tribunals weder ordentliche Gerichte, noch lediglich Anhängsel der Ministerien seien 24 , und das, obwohl ein großer Teil der Stellungnahmen durch Regierungsvertreter die Ansicht vertrat, daß „Tribunals" als Bestandteil der Verwaltung anzusehen seien, für den die Regierung eine „genaue und andauernde Verantwortung behält" 2 5 . Vielmehr vertrat das Komitee die Auffassung, daß der Gesetzgeber diese Tribunals als „Maschinerie zur gerichtlichen Entscheidung statt als Teil der Maschinerie der Verwaltung" geschaffen habe. Die Frage läßt sich jedoch erst dann beantworten, wenn Arten, Funktion, Aufbau und Besetzung der Tribunals, sowie das Verfahren und die Rechtskontrolle durch weitere Instanzen näher skizziert worden ist. a) Arten der Tribunals Grundsätzlich unterscheidet man heute, wie bereits angedeutet, zwischen „administrative tribunals" 2 6 und „domestic tribunals" 2 7 , zwischen Tribunals, die aufgrund eines Gesetzes entstanden oder solchen, die freiw i l l i g von Clubs, Gesellschaften, Gewerkschaften, aufgrund vertraglicher Vereinbarungen errichtet worden sind. Im einzelnen ist die Abgrenzung schwierig, da gewisse berufsständische Organisationen auch „domestic tribunals" errichtet haben, obgleich ihnen durch Gesetz gewisse Entscheidungsbefugnisse richterlicher A r t zugewiesen werden können 28 . Allen 24 Cmnd. 218 (1957), S. 9, § 40. So auch Lord Denning, vgl. Hansard, H. L. Deb., Bd 206, Sp. 549; ferner Justice Report, S. 4, § 7. 25 A.a.O.: „should properly be regarded as part of the machinery of administration, for which the Government must retain a close and continuing responsibility". 26 Robson, Kap. 3, S. 89 ff. 27 Ders., Kap. 4, S. 317 ff; Marshall, Natural Justice, S. 96 ff. 28 Marshall, Natural Justice, S. 96, der diese Einleitung von Maugham, J., in Maclean ν The Workers Union, 1929, 1 Ch. 602 (620) übernahm: „Parenthetically I may observe that I am not confident that precisely the same principles will apply in all these cases; for it may be that a body entrusted with important duties by an Act of Parliament is not in the same position as, for example, the executive committee (of a Trade Union) in the present case"; ferner Robson, S. 336.

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„administrative tribunals" gemeinsam ist, daß sie in engem Zusammenhang mit den Ministerien der Zentralverwaltung stehen und „öffentlichen oder offiziellen Charakter" haben 29 , während die „domestic tribunals" oder freiwilligen Tribunal- oder Schiedsverfahren eine unübersehbare Vielzahl von Erscheinungsformen aufweisen, wie Robson nachweist 30 . Lediglich die von Robson den „domestic tribunals" zugerechneten Tribunals berufsständischer Organisationen, wie die der Ärzteschaft oder der Rechtsanwälte (Solicitors) 31 , können mit einiger Genauigkeit zusammengefaßt werden 32 . Im folgenden sollen lediglich die „administrative tribunals" näher untersucht werden, da sie erstens eine wesentlich größere Rolle spielen, zweitens verfassungspolitisch umstrittener und in der Literatur ausführlicher zugänglich sind. Dennoch ist es wichtig, die „domestic tribunals" als freiwillige oder als mindestens teilweise freiwillige Institutionen in ihrer großen Bedeutung nicht zu unterschätzen. Sie sind private Schiedsverfahren, die häufig außerhalb der regulären Rechtssphäre operieren und selten den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten zulassen, was von Robson und anderen scharf kritisiert wurde 3 3 . Lediglich formale Zuständigkeitsfragen können im Wege der „ultra vires "-Lehre 34 oder der Regeln über die „natürliche Gerechtigkeit" gerichtlich nachgeprüft werden 35 , und alles das stellt nur einen geringen Schutz dar: „It becomes a series of guttering candles which flicker uncertainly here and there over the confused welter of domestic tribunals" 36 .

Die „administrative tribunals" bilden jedoch auch kein einheitliches, leicht überschaubares Bild. b) Funktion der Tribunals Die Vielzahl der Tribunals, die im Gefolge der Wohlfahrtsstaatsgesetze entstanden, haben alle zur Aufgabe, aufgetretene Streitigkeiten zwischen einzelnen betroffenen Bürgern und der Verwaltung zu über29

Robson, S. 314 f. Robson, Kap. 4, S. 317 ff. Vgl. etwa Lund, in Pollard, S. 118 ff (120—125); a. A. Wade & Phillips, S. 702. 32 Robson, S. 336 ff. 33 Robson, S. 332 u. 359; de Smith, S. 212 f; der Bundesligaskandal in der BRD und die Leichtigkeit gerichtlicher Überprüfung von Entscheidungen dieser Standesorganisation markiert den großen Unterschied zur englischen Rechtslage, was bei den bestehenden Verfahrensmängeln beider privater Institutionen in England und Deutschland nur gerecht und notwendig erscheint. 34 Vgl. supra, Kap. 7 und 8. 85 Robson, S. 332, meint, daß die Doktrin der „natural justice" nur ein kleines Licht in der Dunkelheit sei. 86 Robson, a.a.O.; „Es stellt nur eine Serie tropfender Kerzen dar, die hier und dort unsicher über der verwirrenden Vielfalt der .domestic tribunals' flackert"; übers, d. Verf. 30

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prüfen. Man bedient sich dabei der unterschiedlichsten Nomenklatur: M a l werden diese Spruchkörper als Tribunals, mal als Gerichte, Ämter, Komitees, Kommissare, Schiedsrichter oder noch anders bezeichnet 87 , doch besagt der Name allein noch nicht viel. So ist das „Lands Tribunal", das Landbewertungstribunal, in seinem Aufbau und seiner Funktion wesentlich gerichtsähnlicher als die örtlichen Bewertungsgerichte („Local Valuation Courts"), deren Entscheidungen im „Lands Tribunal" als höherer Instanz überprüft werden können 88 . Allen gemeinsam ist, daß sie dem Bürger das Recht geben, vor einem solchen „Tribunal" Verwaltungsentscheidungen anzufechten, wenn das Gesetz dies vorsieht, und daß dieser Spruchkörper als vom eigentlichen Verwaltungsapparat abgesonderte Institution eine selbst Regierungsbehörden bindende Entscheidung fällen kann 8 9 . Soweit trifft diese Charakterisierung auch auf ordentliche Gerichte zu. Im Unterschied dazu behandeln „Tribunals" aber nur solche engeren Fallgruppen, die sich entweder ausdrücklich aus den Ermächtigungsnormen der Verwaltungsaufgaben ergeben, für die gleichzeitig besondere gesetzliche Tribunals geschaffen worden sind („administrative tribunals") oder aber die sich aus den vertraglichen Normen der speziellen Aufgaben der freiwilligen Tribunals, den „domestic tribunals", ergeben. Doch auch hieraus w i r d der Rechtscharakter dieser Institution noch nicht wesentlich deutlicher. Der 1950 von Pollard herausgegebenen Aufsatzsammlung eines Symposiums über die Arbeitsweise von Tribunals 4 0 ist ein Anhang beigefügt, in dem die Hauptarten von „Tribunals" als Satelliten der Ministerien erscheinen, die in engem Zusammenhang mit der Arbeit dieser Ministerien stehen 41 . Das allein besagt aber auch noch nicht viel mehr, als daß die Entstehung dieser Tribunals der Tätigkeit einzelner Ministerien zu verdanken ist. c) Aufbau der Tribunals Fast alle Tribunals entsprechen formal dem Aufbau der Gerichte. Meistens, aber nicht immer, gibt es mehrere Tribunalmitglieder, mit einem Vorsitzenden. Der Vorsitzende leitet das Verfahren, ist seit dem Tribunal- und Anhörverfahrensgesetz (1958) meistens ein Jurist und wird vorwiegend von zwei Nichtjuristen assistiert, die fast ausnahmslos Experten auf dem betreffenden Gebiet sind. Hierin liegt ein Unterschied zu den 37 38 39 40 41

Vgl. de Smith, Const, and Admin. Law, S. 527. Robson, S. 262 ff; Willsh-ire, in Pollard, S. 79 (93 ff); s. a. Garner, S. 155. So Foulkes, S. 59; S. 90. Administrative Tribunals at Work, a Symposium. Op. cit., S. 131—144.

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ordentlichen englischen Gerichten, der bei Spezialgerichten aber häufig zu finden ist 4 2 . Die Tatsache allein, daß Laien richterliche Funktionen ausüben, reicht nicht aus, die Charakterisierung als Gericht zu negieren. d) Ernennung der Tribunalmitglieder Bei den über 2000 verschiedenen Tribunals besteht kein einheitliches Ernennungsverfahren. Eine große Anzahl, wahrscheinlich die überwiegende Mehrzahl der Tribunalmitglieder, einschließlich der Vorsitzenden, werden durch den zuständigen Ressortminister ernannt 43 . Dabei handelt es sich selten um Beamte der Ministerien, sondern im allgemeinen um Laien mit Spezialkenntnissen 44 . Bei anderen ernennt der Minister lediglich den Vorsitzenden 45 und die Mitglieder aufgrund von Vorschlagslisten, die entweder vom Lordkanzler 46 (auch Mitglied des Kabinetts) oder von Fachgremien wie örtlichen Behörden oder Berufsorganisationen unterbreitet werden 47 . Dieser Zustand wurde vom Franks Komitee 48 erheblich gerügt. Dieses ging, wie bereits dargelegt wurde, davon aus, daß Tribunals primär Gerichte seien, die den regulären Gerichtsverfahren aber noch mehr angepaßt werden sollten. Sie forderten insbesondere, daß Ernennungen wie bei Richtern und Friedensrichtern durch das Ressort des Lord Chancellors erfolgen sollten, um eine größere Unabhängigkeit von Fachministerien zu dokumentieren, oder aber zumindest die Auswahl der Vorschlagslisten vom Lordkanzler und nicht von den betreffenden Ministerien vorgenommen werden sollte 49 . Dieser Vorschlag ist einer der wenigen, die nicht im Tribunal- und Anhörverfahrensgesetz von 1958 niedergelegt worden ist. Diese Tatsache spricht deshalb erheblich dafür, Tribunals im Bereich der Verwaltung als ver42 Vgl. etwa in Deutschland beispielsweise die Sozial- und Arbeitsgerichtsbarkeit oder auch die Schöffen- und Schwurgerichtsbarkeit. 43 Vgl. hierzu Anhang zu „rule of law", S. 64 ff, die folgende Beispiele fachministerieller Ernennungen als Beispiele aufzeigte: County Agricultural Committees, Agricultural Land Commission, Chief Registrar of Friendly Societies, Na tional Insurance Commissioner, Insurance Officers nach dem National Insurance (Industrial Injuries) Act, 1946, Medical Board, Medical Appeal Tribunal. 44 Wade & Phillips, S. 697. 45 London Building Tribunal (der rechtliche Qualifikation besitzen muß), Appeal Tribunal gem. National Assistance Act, 1948, Local Tribunals gem. National Insurance Act, 1946. 48 Arbitrators. 47 Local Valuation „Courts", Medical Practices Committee, Local Appeal Tribunals. 48 Cmnd. 218, § 48; s. a. Wade, Towards Administrative Justice, S. 56; ferner Marshall-Mo ο die, S. 104; Elcock, S. 42 f, der die Kritik auf die Sekretäre (Clerks) der Tribunalverfahren ausdehnte; bereits Port, S. 341, hatte 1929 alle relevanten Argumente für die Unabhängigkeit der Tribunalmitglieder aufgezeigt. 49 So auch „rule of law", S. 22.

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waltungsinternen Kontrollmechanismus anzusehen, und nicht als Gerichte oder verselbständigte gerichtsähnliche Institutionen 50 . Seit dem Gesetz von 195851 wird die Abberufung der Tribunalmitglieder fast ausnahmslos durch den Lordkanzler vorgenommen, um dem Odium ministerieller Voreingenommenheit etwas zu entgehen. Doch wird diese Regelung in Anbetracht der Tatsache, daß der Lordkanzler selber Kabinettsmitglied ist und damit der Exekutive zugehört, relativiert: Ob ein Minister selber einen unbequemen Vorsitzenden oder ein Mitglied eines Tribunals abberuft, oder dies seinen Kabinettskollegen ausführen läßt, erscheint völlig gleichgültig und reine Spiegelfechterei. Es dokumentiert aber den W i l l e n der Verwaltung, eine klare generelle Kontrolle über Tribunals zu behalten, und das in einem Bereich, von dem es zu Recht heißt, daß die Regierung kein politisches Interesse an der konkreten Fallentscheidung habe 52 . e) Handlungsspielraum der Tribunals Der Handlungsrahmen bei Tribunals ergibt sich meist aus den entsprechenden Gesetzen und ist i n der Praxis außerordentlich unterschiedlich geregelt. Vor allem der Ermessensspielraum, der diesen Verfahren eingeräumt wurde, variiert erheblich. Viele Tribunals, wie etwa das „Lands Tribunal" 5 3 , und der „Commissioner of Income Tax", führen ihre Aufgaben nach strengen richterlichen Anforderungen aus. So sind die „Commissioner for Income Tax" oft Friedensrichter, denen diese Spezialaufgabe zugewiesen wurde, die nach rechtlichen Kriterien die Subsumtion von Tatsachen unter gesetzliche Normen vornehmen 54 . Andere Tribunals, wie etwa das „Transport Tribunal", richten ihre Entscheidungen an allgemeinen Richtlinien einer bestimmten Politik aus, die sie im Einzelfall nach eigenem Ermessen für anwendbar oder ausgeschlossen halten können, und kommen damit der reinen Verwaltungstätigkeit sehr nahe 55 . Sie bedienen sich nur noch eines richterlichen Gewandes. Aus dieser Kategorie lassen sich daher wegen der Vielfalt der Tribunals 60

Griffith, 1959, 22 MLR, S. 125 (128 f); Robson, S. 89 f. Tribunals and Inquiries Act, sect. 5. 52 So etwa Wade, Towards Administrative Justice, S. 56: „All these are cases where there is no policy to argue about: all the Minister wishes is that the regulations should be correctly applied, and he is glad to be relieved of the responsibility for the decisions. The easy way out is to send them to a tribunal, which is in fact simply a local specialised law court." 53 Robson, S. 272. 54 Vgl. hierzu auch Wade & Phillips, S. 697 f (Commissioners for Income Tax) ; S. 699 f (Lands Tribunal). 55 Siehe Wade & Phillips, S. 697 f; vgl. auch Robson, S. 90 ff (Railway and Canal Commission), jetzt abgeschafft, S. 98 (London Passenger Transport Board), S. 99 f (Transport Tribunal). 51

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keine tragfähigen Schlüsse auf die Rechtsnatur der einzelnen Tribunals ziehen. f) Verfahrensablauf, einschließlich rechtlicher Stellvertretung Das Verfahren vor Tribunals zeichnet sich in erster Linie durch das Fehlen genauer Vorschriften über den Ablauf des einzelnen Verfahrens aus 56 . Es gibt auch keine allgemeinen einheitlichen Vorschriften, wie etwa in Deutschland bei den Verwaltungsgerichten in der Verwaltungsgerichtsordnung. Fast jedes Tribunal entwickelt seine eigenen Verfahrensregeln, die jederzeit geändert werden können und innerhalb derselben Kategorie von „Tribunals", etwa den Miettribunalen, von einer Stadt zur anderen völlig verschiedene Ausgestaltungen finden können. Das Verfahren w i r d weitgehend von den Mitgliedern des „Tribunals" geprägt, insbesondere durch den Vorsitzenden, dessen persönlicher Stil oft maßgebend dafür ist, ob richterliche Verfahrensweise oder „verwaltungsmäßige Erledigung" eines Falles erfolgt 57 . Für den einzelnen Bürger entfaltet sich ein unentwirrbares Labyrinth möglicher Verfahrensformen, das ganz sicherlich nicht notwendig wäre. Es ist nur daraus zu verstehen, daß Tribunals nicht als klare, festumrissene Konzeptionen entstanden, sondern ad hoc, „pragmatisch" von den Ministerien eingeführt wurden. Eine große Anzahl dieser Tribunals schließen die Stellvertretung der betroffenen Bürger durch Anwälte grundsätzlich aus 58 , weil legalistische Verfahrensstrenge den Vorteil der „Tribunals" aufheben könnte, schnell, informell-unbürokratisch, billig und einzelfallgerecht zu entscheiden 59 . Auch wäre sonst die Mehrheit der Mitglieder der „Tribunals" ohne rechtliche Vorbildung überfordert 60 und schließlich sei rechtliche Stellvertretung auch deswegen nicht unbedingt erforderlich, weil Juristen genauso zur übertreibung tendieren, wie normale Sterbliche 61 , eine wahrlich seltsame Begründung. Das Argument der Überforderung durch mangelnde Rechtskenntnisse kann jedoch kaum überzeugen. Zum einen bedient man sich seit Jahrhunderten in Strafverfahren der Juries und zum anderen zeigt die Erfahrung anderer Staaten, wie z.B. der Bundesrepublik, daß 56 Allen, Public Law, 1956, S. 13 (83 ff): „a bewildering variety and no attempt has yet been made to establish any minimum standards of uniformity". 57 Vgl. die Schilderung Yardleys über Miettribunalverfahren in 1968, Public Law, S. 135 (143 f). 58 Bell, Tribunals, S. 81: etwa bei National Insurance Local Tribunals überhaupt verboten, bei Industrial Injuries Local Tribunals dagegen zulässig. 59 Vgl. Allen, Administrative Jurisdiction, S. 73; Foulkes, S. 77. eo So etwa Wade, Towards Administrative Justice, S. 17 f. 61 A.a.O., S. 18: „Lawyers as such are no less prone to exaggeration than the rest of humanity and in advocating their own favourite techniques they often have difficulty in seeing that they may not fit the administrative process at all" ; zu diesem ganzen Problem jetzt ausführlich Alder, 1972, Public Law, S. 278 ff.

9 Riedel

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Laienrichter durchaus in der Lage sind, dem Verfahren zu folgen. Sie bewirken im Gegenteil eher, daß formaljuristische Plädoyers seltener geführt werden. Das Franks Komitee hatte immerhin vorgeschlagen, daß künftig die Verfahren vor „Tribunals" generell „offen, fair und unparteilich" sein sollten, die Entscheidung begründet 62 und eine rechtliche Beratung sowie Armenrechtsbeistand gewährleistet sein sollten. A n der nach wie vor bestehenden unnötigen Vielfalt der Verfahrensnormen, selbst bei gleichartigen Tribunals, hat sich aber auch seit dem Tribunal- und Anhörverfahrensgesetz von 1958 nichts geändert. Der Tribunalrat (Council on Tribunals), der mit dem Gesetz von 1958 eingeführt wurde, hat aber in Erfüllung seiner Beratungsfunktion in seinen jährlichen Berichten Mißstände und Anomalien der Verfahrensweise kontrolliert und aufgezeigt und damit einen erheblichen psychologischen Einfluß auf den Verlauf solcher Verfahren bewirkt. Auch hat er die probeweise Einführung von rechtlicher Stellvertretung bei gewissen Tribunals vorgeschlagen 63 . Nach wie vor ist die unnötige Vielfalt der Verfahrensweisen „bewildering", verwirrend, wie Allen 64 aufzeigte. So beschreibt er etwa unter Berufung auf einen anonymen Berichterstatter eine Sitzung des „Agricultural Lands Tribunal", eines Tribunals über landwirtschaftlich genutzte Flächen, die in einer Hotelhalle stattfand: „Cross-examination rapped keenly to and fro across a haze of cigarette smoke . . . There was a general air of good humour: laughter was frequent and an occasional aside was not rebuked; several documents and plans were admitted which had not been submitted with the statements of case".

Allen fragt dann aber mit einigem Recht: „War es vielleicht auf einer solchen jovialen Zusammenkunft, daß in Mrs. Woolletts Fall 24 Kläger ihre kleinen Grundstücke in einer Sitzung verloren?" Vor anderen „Tribunals" herrscht dagegen eine ganz förmliche Atmosphäre, man verneigt sich gar vor dem Vorsitzenden. Allen meint hierzu: 62 Insoweit sind die Forderungen der „rule of law", S. 21, erfüllt; s.a. Franks Report, § 98 u. § 351 und vorher bereits das Donoughmore Komitee, Cmd. 4060, S. 80; in der Literatur wird aber gefordert, daß solche Entscheidungen nicht lakonisch knapp, sondern stets ausführlich und umfassend begründet sein müßten, was als Gebot der natürlichen Gerechtigkeit von den ordentlichen Gerichten durchgesetzt werden sollte, so etwa Birtles, 1970, 33 MLR 559 (560); Akehurst, 1970, 33 MLR 154 ff (168), doch könnte eine solche Forderung die ordentlichen Gerichte überfordern, wie in Kap. 8 (Natürliche Gerechtigkeit), supra, S. 104 f nachgewiesen wurde. 63 Vgl. Bell, Tribunals, S. 84. 64 1956, Public Law, S. 13 (83ff): „Das Kreuzverhör ging eifrig hin und her über eine Zigarettenqualmwolke hinweg . . . es herrschte eine allgemeine gute Laune: es wurde häufig gelacht und Randbemerkungen wurden nicht gerügt; mehrere Dokumente und Pläne wurden zugelassen, die vorher nicht mit eingereicht worden waren"; übers, d. Verf.

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„Gerechtigkeit muß nicht unbedingt in einem steifen Hemd geschehen, aber auch nicht in Hemdsärmeln"® 5. Robson und das Pamphlet „Rule of Law" hatten festgestellt, daß die Tatsachenwürdigung vor den Tribunals häufig höchst mangelhaft, von „schlechter Qualität" sei 86 und dies werde dadurch begünstigt, daß die Tribunalmitglieder in aller Regel nicht gelernt hätten, Beweismaterial zu würdigen. Allzu oft könnten wichtige Zeugen nicht gehört und schriftliche Unterlagen nicht aufgefordert werden. Diese seltsame Verfahrensweise ist jedoch noch nicht das gravierendste dieser Verfahren: Elcock zitiert folgenden Bericht aus einem Leserbrief an eine Zeitung: „The proceedings (of the National Insurance Tribunal) were cosy and courteous in the smooth English way, but quite undemocratic. I was asked a few questions about dates by the Chairman, but not invited to state the reasons for my appeal. I was then excluded from the room while, as I presumed, the insurance officer put in his fourpence-worth. Later a clerk told me that my appeal had been disallowed" eea .

Die Tatsache, daß darüberhinaus eine rechtliche Stellvertretung sehr häufig ausgeschlossen ist, macht diese Form der Verfahren erheblich unattraktiver als es auf den ersten Blick erscheint, denn ein großer Teil der betroffenen Bürger ist häufig nicht in der Lage, dem routinierteren Tribunal überhaupt adäquat zu folgen. Der Vorteil der Billigkeit und Schnelligkeit solcher Verfahren relativiert sich dadurch doch beträchtlich 67 . Dementsprechend hat Aider neuerdings in einer gründlichen Analyse aller relevanten Präzedenzfälle, einschließlich derjenigen aus dem Recht der Stellvertretung („law of agency"), sehr überzeugend argumentiert, daß das Prinzip der rechtlichen Stellvertretung in Verfahren vor „Tribunals" inzwischen zum festen Bestand des Common Law gehören sollte 68 . Er faßte seine Auffassung in fünf Punkten zusammen: 1. Aus dem Recht der Stellvertretung (law of agency) ergebe sich, daß prima facie jedermann — bei gesetzlich oder durch Vertrag begründeten Tribunals — das 65 A.a.O., S. 86; s. a. Yardley, 1968, Public Law, S. 135 (143 f); ferner Elcock, S. 46; zum Woollett-FaH, vgl. „Rule of Law", S. 17—19. ββ Robson, S. 577 ff; „rule of law", S. 22. e a ® Vgl, Elcock, S. 46, zit. Shropshire Star, 18. Juli 1967: „Das Verfahren (des Tribunals) war gemütlich und höflich, in der glatten englischen Manier, aber völlig undemokratisch. Man stellte mir einige Fragen über Daten, aber man unterließ es, mich nach den Gründen für meine Beschwerde zu fragen. Anschließend wurde ich aus dem Raum geschickt, während der Regierungsvertreter nach meiner Auffassung seinen Standpunkt vortragen konnte. Später teilte mir der Sekretär mit, daß meine Beschwerde abgewiesen worden sei"; Ubers, d. Verf. 67 Allen, 1956, Public Law, S. 13 (90); Robson, S. 627; „Rule of Law", S. 22. 68 1972, Public Law, S. 278 (297 f).



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Recht habe, sich einen Anwalt zu bestellen; 2. bei freiwilligen, durch Vertrag begründeten Tribunals („domestic tribunals") könne dieses Recht aber vertraglich abbedungen werden; 3. der große Ermessensspielraum bei Tribunals umfasse jedoch nicht den Ausschluß der rechtlichen Stellvertretung (mit wesentlichen Ausnahmen); 4. vor gesetzlich errichteten Tribunals könnte die rechtliche Stellvertretung nur dann ausgeschlossen werden, wenn der Gesetzgeber dies ausdrücklich bestimmt habe, oder dies sich unzweideutig aus der Konstruktion des Gesetzes ergebe; 5. selbst wenn das Recht auf rechtliche Stellvertretung vertraglich abbedungen worden sei, könnten die Gerichte über die Prinzipien der natürlichen Gerechtigkeit intervenieren, was in der Praxis allerdings selten vorkommen würde. So weit hat bislang noch niemand dieses Prinzip ausgedehnt, und man w i r d entgegenhalten, daß die Analogie aus dem Zivilrecht im eigentlichen Sinne nicht zwangsläufig ist, doch macht dieser Beitrag deutlich, wie sehr die Frage der rechtlichen Stellvertretung i n jüngster Zeit wieder an Gewicht gewinnt. Der Verfahrensablauf und der gegenwärtig noch häufige Ausschluß der rechtlichen Stellvertretung, die nach herrschender Ansicht, wenn überhaupt, nur im Ermessen des „Tribunals" steht, spricht auch gegen die Kategorisierung dieser Verfahren als gerichtliche Spruchkörper. g) Rechtskontrolle durch Gerichte Hatten die bislang aufgezeigten Kategorien eine verwirrende Vielfalt der Tribunals gezeigt, so w i r d das Bild vollends undeutlich durch die außerordentlich unsystematische Rechtskontrolle über Entscheidungen der „Tribunals". Meist geht die Beschwerde über eine bestimmte Verwaltungsmaßnahme an ein örtliches „Tribunal", das — wie bereits dargestellt wurde 6 9 —entweder aus einem „Einzelrichter" oder „Schiedsmann" besteht, oder aber an eine „Tribunalkammer" und manchmal direkt an das High Court 7 0 . Kommt die Sache vor Gericht, eröffnet sich der übliche Instanzenweg bis hin zum „House of Lords". Kommt die Sache aber vor ein „Tribunal", stehen die Chancen weiterer Kontrolle durch Berufung und/oder Revision wesentlich schlechter: Fast jedes Tribunalverfahren hat einen anderen Instanzenzug. Einige sehen eine Rechtmäßigkeitsprüfung durch County Courts 71 (Grafschaftsgerichte) oder das High Court 7 2 oder gar 69

Supra, Kap. 9, C I, 2 c u. d, S. 126 ff. Vgl. Allen, 1956, Public Law, S. 13 (97 ff). 71 Ζ. B. vom Arbitrator nach dem Agricultural Holdings Act, 1948. 72 Ζ. B. vom Agricultural Lands Tribunal; vom Chief Registrar of Friendly Societies; vom District Auditor, wenn der Streitwert über £ 500.— liegt, sonst an den Minister oder an das High Court; vom General und vom Special Commissioner of Income Tax; vom London Building Tribunal; vom Pensions Appeal Tribunal. 70

Tribunals

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das Court of Appeal vor 7 3 , wieder andere lediglich ein Tribunal zweiter Instanz 74 oder eine Beschwerde an den Minister 7 6 und eine ganze Reihe solcher Tribunale schließt jegliche weitere Tatsachen- oder Rechtskontrolle durch höhere Instanzen ganz aus7®. Bei weit über 2000 Tribunalarten, die solchermaßen unterschiedlich fungieren, kann man kaum noch von einem „System" sprechen. Diese Arten der Kontrolle über Tribunals zeigen eindeutig, daß es sich hierbei nur in wenigen Fällen um „Gerichte" im traditionellen Sinne handelt. Das Fehlen jeglicher Kontrolle am einen Ende oder aber der abschließenden Überprüfung durch den Fachminister legt eine Einordnung in verwaltungsinterne Kontrollen nahe, während am anderen Ende der Eindruck entsteht, als handele es sich nur um Spezialabteilungen der unteren Gerichte, die von der Verwaltung weitgehend abgesondert sind. h) Ergebnis Nach alledem ergibt sich folgendes Bild: Bei Tribunals handelt es sich um mit Laien besetzte Spruchkörper zur Anhörung und Entscheidung von Beschwerden gegen Maßnahmen der Behörden, die in einer großen, flexiblen grauen Zone zwischen reiner verwaltungsinterner und gerichtlicher Kontrolltätigkeit operieren. Einige ähneln Gerichten in Aufbau, Zusammensetzung und Verfahren fast vollkommen, andere schließen die weitere Kontrolle durch ordentliche Gerichte bewußt aus und belassen es dem Fachminister, eine verwaltungsinterne Kontrolle auszuüben 77 . Allerdings fällt dem ausländischen Beobachter neben der Systemlosigkeit und Vielfalt der Verfahrensweisen positiv auf, daß bei verwaltungsinternen Kontrollmaßnahmen der Versuch unternommen wurde, ebenfalls — in abgeschwächter Form — richterliche Uberprüfungsformen durch 73

Vom Lands Tribunal, der Angelegenheiten der örtlichen Valuation Courts

hört. 74 Ζ. B. vom County Agricultural Committee in wichtigen Fällen an das Agricultural Lands Tribunal; von den Local Valuation Courts an das Lands Tribunal; vom National Assistance Board an das Appeal Tribunal; von den Insurance Officers an örtliche Tribunals oder örtliche Appeal Tribunals; vom Medical Board an das Medical Appeal Tribunal. 75 Ζ. B. vom Medical Practices Committee, dem National Health Service Tribunal, dem Medical Services Tribunal, den Pharmaceutical, Dental und Joint Services Committees, an den Minister. 78 Z.B. Agricultural Land Commission; Appeal Tribunal gem. Childrens Act, 1948; Independent Schools Tribunal; Referees gem. Family Allowances Act, 1945; Rent Tribunals; Referee gem. Import Duties Act, 1932; Appeal Tribunal gem. National Assistance Act, 1948; National Insurance Commissioner; Medical Appeal Tribunal; Tribunal of Inquiry gem. Prevention of Fraud (Investment) Act, 1921; allerdings handelt es sich hierbei in vielen Fällen um zweitinstanzliche Tribunale. 77 Diese Ansicht vertreten u.a. Garner, S. 154 f; Elcock, S. 10; Bell, Tribunals, S. 31, 92; modifiziert wohl auch Jackson, Machinery of Justice, 6. Aufl., S. 455 ff.

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Außergerichtliche

Kontrollmaßnahmen

Verwaltungsbeamte und Laien einzuführen. Das Problem hierbei besteht nur darin, daß in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wird, daß „gerichtsähnliche" Kontrollen innerhalb der Verwaltung dem Bürger hinreichenden Schutz vor Verwaltungswillkür bieten. Das kann ein verwaltungsinterner Mechanismus jedoch nicht in gleichem Maße wie ein Gericht gewährleisten. Er vermag allenfalls störende Unregelmäßigkeiten, die sich als unzweckmäßig erweisen, oder Einzelfälle, auf die es bei der allgemeinen Politik des Ministeriums nicht entscheidend ankommt, zu beseitigen 78 . Eine unabhängige selbständige „dritte Gewalt" zum Schutze des Bürgers bildet diese Kategorie der Tribunals jedoch nicht. Ein abschließendes Urteil über den Rechtscharakter aller Tribunals ist wegen ihrer verwirrenden Vielfalt, wie aufgezeigt wurde, jedoch nicht möglich. Dafür ist das vorhandene Material der Literatur zu unvollständig und vor allen Dingen fehlen ausreichende Paralleluntersuchungen von Tribunals derselben Kategorie. Vielleicht ist auch die Fragestellung nach der Rechtsnatur dieser Vertahren überhaupt unsinnig, und man sollte statt dessen unter Abwägung der Vor- und Nachteile überlegen, ob und wie diese größtenteils mit Erfolg seit vielen Jahren bestehenden Verfahrensarten vielleicht rationalisiert werden könnten. Auf der Positivseite stünden dann die niedrigen Kosten dieser Verfahren, die Schnelligkeit, mit der viele Tausende von Fällen bearbeitet werden können und schließlich, was dem kategorialen Denken der Kontinentaleuropäer etwas schwer zugänglich ist, die „harmonische" Verknüpfung der Politik mit der Gerechtigkeit, in einem Grenzbereich, wo die Verfahrensart davon abhängt, wie stark das politische Interesse der Exekutive ist, wo umgekehrt die Häufung der Merkmale richterlicher und gerichtlicher Verfahrensweise ein entsprechendes politisches Desinteresse beweist. Die Systemlosigkeit hat damit viele Zwischenstufen zwischen der verwaltungsinternen und der gerichtlichen Kontrolle ermöglicht, die ganz spezifisch englisch ist. Auf der Negativseite müßte man die Gefahr der Befangenheit der Tribunalmitglieder aufgrund ihrer Ernennungsweise und der A r t ihrer beliebigen Absetzbarkeit nennen, ferner die komplizierte Vielfalt der Verfahrensweisen und damit zusammenhängend, die Verwischung der Unterschiede zwischen Tribunals, die kaum mehr als Anhängsel der Ministerien sind und solchen, die mehr gerichtsähnlich fungieren, mit dem Effekt, daß auch „verwaltungsinterne" Tribunals den Anschein der Unabhängigkeit erwecken: schließlich das häufige Fehlen notwendiger rechtlicher Stellvertretung und Beratung und die mangelnde Voraussehbarkeit der Entscheidungen solcher Tribunals. 78 Vgl. hierzu auch Griffith, 1959, 22 MLR, 125 (129), der dies am Beispiel der Rent Tribunals nachweist; Wade, Towards Administrative Justice, S. 56.

Anhöiverfahren

(„inquiries")

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Das Franks Komitee war bemüht gewesen, diese Verfahren ganz allgemein zu judizialisieren und vernünftige Vereinfachungen und Vereinheitlichungen vorzuschlagen 79 . Sein Haupterfolg lag in der allgemeinen Anerkennung, daß künftig alle Entscheidungen der Verwaltung und der Tribunals und Anhörverfahren begründet werden müssen, sowie daß jede Partei die relevanten Texte zur Verfügung gestellt bekommt, die Verfahren offen, fair und unparteiisch ablaufen sollen. Letzteres ist nach wie vor im Zwielicht. Zwar soll damit nicht die Qualifikation der Tribunalmitglieder bezweifelt werden 80 , doch erscheint es nicht unbedingt erforderlich, daß Ressortminister weiterhin durch das Machtinstrument der Ernennung von Mitgliedern die Politik der ansonsten unabhängigen Tribunale beeinflussen können sollen. Hierfür ist m. E. nicht so sehr der W i l l e zur rigorosen Verwaltungsherrschaft maßgeblich, als die zugrundeliegende Ungewißheit, ob es sich bei Tribunals um Gerichte oder verwaltungsinterne Kontrolle handelt. Handelt es sich um gerichtliche Verfahren, ist die Forderung nach größerer Unabhängigkeit nicht nur berechtigt, sondern dringend erforderlich; betrachtet man Tribunals aber als verwaltungsinterne Kontrollmechanismen, so ist das Problem weniger dringlich, da der Minister als oberste Instanz politisch verantwortlich bleibt. Dann stellt sich aber umso schärfer die Frage nach der Notwendigkeit gerichtlicher Kontrollen jeglichen Verwaltungshandelns, denn dann wären „Tribunals" keine Gerichte, sondern Annexe der Verwaltung, die nur zur effektiveren Verwaltung gerichtliche Attribute hätten. 3. Anhörverfahren („Inquiries") Eine weitere A r t der Verwaltungskontrolle bieten in abgeschwächter Form die sogenannten Anhörverfahren („public inquiries") und ministeriellen Anhörungen („Hearings"). Hierbei handelt es sich um verwaltungsinterne Kontrollen, die in erster Linie dazu dienen, der Verwaltung eine rationale und sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen, indem den betroffenen Bürgern und kommunalen Einrichtungen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird. Es handelt sich dabei nach deutscher Klassifikation um eine detailliertere Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens. Anhörverfahren spielen hauptsächlich auf dem Gebiete des Bauwesens, 79

Insbes. Cmnd. 218, § 40. Die in der Praxis wenig Anlaß zu Klagen bieten und selten aufgrund ihrer Ansichten entlassen werden, vgl'. Allen, 1956, Public Law, S. 13 (105 ff) aber: „. . . it would be foolish to ignore possibilities of the intrusion of elements, whether personal or bureaucratic, which in other judicial spheres would be considered arbitrary or improper. And, let it be said again, such oblique influences need never come to light"; ähnlich auch „rule of law", S. 59: „. . . a man who is appointed by the Minister may have the feeling, even unformulated, that he will not be appointed again if he gives too many decisions against the Department." 80

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Außergerich tliche Kon trollmaßnahmen

des Landschaftsschutzes, der Flächennutzung, der Städteplanung und -Sanierung sowie der Enteignungsverfahren zu öffentlichen Zwecken eine große Rolle. Allerdings gibt es diese Verfahrensweise außerdem noch bei einer Vielzahl anderer Angelegenheiten, wie z. B. der Pipe-Line-Errichtung 81 , Errichtung unterirdischer Gasreservoire, i n Polizeiangelegenheiten oder Unfalluntersuchungen bei atomaren Aufbereitungsanlagen. Die größte Rolle w i r d den Anhörverfahren jedoch im Bauwesen und Planungsrecht zugedacht. Schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat der Gesetzgeber auf dem Gebiete der „Public Health", dem allgemeinen Gesundheitsschutz, tiefgreifende Reformen eingeleitet, die der Kommunalverwaltung zur effektiven Durchführung weitgehende Rechte übertrug, Straßen und öffentliche Gebäude zu errichten, sowie allgemeine sanitäre Einrichtungen zu bauen. Alles dies erforderte Enteignungsmöglichkeiten für die Verwaltung 8 2 . Ab 1890 beginnt dann die Gesetzgebung zur „Slum Clearance", der Sanierung von Arbeitervierteln aus hygienischen Gründen, die den Abriß ganzer Stadtteile und den Bau neuer Wohnungen durch die Kommunalverwaltung vorsieht 8 3 . Seit 1905 gibt es überdies die „Town and Country Planning "-Gesetzgebung, mit der das Bauwesen, die Bauplanung und Flächennutzung näher geregelt wird 8 4 . Anders als in Deutschland, das ähnliche Probleme zu lösen hatte, behielt die Regierung eine sehr viel umfangreichere zentrale Kontrolle über alle diese Maßnahmen, sodaß heute der Minister für Umweltschutz 85 die Fachaufsicht über alle kommunalen Planungsbehörden hat. Durch diese starke Zentralisierung erregen solche Verfahren auch größeres nationales Interesse, als es bei vergleichsweisen Angelegenheiten in Deutschland häufig der Fall wäre. a) Verfahrensablauf Ähnlich wie die Tribunals gibt es auch bei Anhörverfahren eine Vielzahl von Typen, die entsprechend unterschiedliche Verfahrensweisen aufzeigen 86 . Der typische Verfahrensablauf läßt sich am Beispiel des Pla81 Vgl. Foulkes, S. 103 ff; s. a. Pipe Lines Act, 1962; Gas Act, 1965; Police Act, 1964; Nuclear Installations Act, 1965. 82 Zum folgenden vgl. ausführlich Κ. A. Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 85 ff; vgl. auch Public Health Act, 1848, 11 & 12 Vict., c. 63; 1875, 38 & 39, Vict., c. 55. 83 Housing of the Working Classes Act, 53 & 54, Vict., c. 70, weitere Gesetze folgten 1936 und 1957, 26 Geo. 5 & 1 Edw. 8, c. 51; 5 & 6 Eliz. 2, c. 56. 84 Town und Country Planning Acts, ab 1905, 9 Edw. 7, c. 44, zuletzt 1971 (in Kraft seit 1. 4.1972). 85 Seit 1971, vorher der Minister für Wohnungsbau und Angelegenheiten der Kommunalverwaltung. 86 Vgl. hierzu ausführlich Boussard, S. 22 ff; Κ. A. Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 85 ff ; Griffith & Street, 3. Aufl., S. 155 ff (180 ff); Wade, 1. Aufl., S. 167 ff; Wade & Phillips, S. 704 ff; Munby, Public Administration, Bd 34, 1956, S. 175 ff.

Anhöverfahren

(„inquiries")

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nungsverfahrens darstellen. Zunächst muß die Genehmigung bei der zuständigen Kommunalbehörde beantragt werden, im Falle des Antrags seitens der Kommunalbehörde selber beim Minister für Wohnungsbau und Kommunalverwaltung. Bei Versagung der Genehmigung oder Verstreichen von acht Wochen oder bei schwierwiegenden Auflagen kann der Antragsteller bei der Aufsichtsbehörde, dem Minister, innerhalb von sechs Wochen eine Beschwerde 87 einbringen. Ehe der Minister seine Ermessensentscheidung trifft, muß er sowohl der Kommunalverwaltung als auch dem Antragsteller Gelegenheit bieten, gehört zu werden. Hierfür bieten sich drei Möglichkeiten an 8 8 : Der Minister kann entweder schriftliche Einlassungen anfordern, aufgrund derer er seine Entscheidung trifft, er kann aber auch unter Ausschluß der Öffentlichkeit einen Ministerialbeamten beauftragen, die Parteien anzuhören, ein Hearing abzuhalten, und schließlich kann der Minister stattdessen ein öffentliches Anhörverfahren („public inquiry") abhalten lassen. Letzteres Verfahren w i r d in aller Regel dann angewendet, wenn ein allgemeines örtliches Interesse gegeben ist, vor allem, wenn Nachbarn und Anlieger betroffen sind. Doch liegt es im Ermessen des Ministers, welche dieser Verfahrensweisen er wählt. Friedmann 89 macht über die Größenordnung dieser Verwaltungstätigkeit folgende interessanten Angaben: Allein im Jahre 1960 wurden circa 500.000 Planungsanträge gestellt 90 , von denen 99 % akzeptiert wurden. Etwa 5000 Antragsteller legten Widerspruch ein, bei denen der Minister dann ein öffentliches Anhörverfahren anordnete. Das weitere Verfahren soll hier nur kurz angedeutet werden, da dieses von Κ. A. Friedmann 91 anhand des Chalkpit-Falles und von anderen ausführlich und i n allen Aspekten beleuchtet worden ist 9 2 . Der Minister entsendet für dieses Verfahren einen Inspektor, der die Anhörung leitet, den Parteien sowie anderen Anliegern und Nachbarn Gelegenheit zur Stellungnahme gibt, Fragen stellt, eine Ortsbesichtigung vornimmt und schließlich in einem Bericht an den Minister die entscheidungserheblichen Tatsachen feststellt und außerdem einen eigenen Entscheidungsvorschlag macht. Der Minister trifft hierauf seine Ermessensentscheidung. Dabei 87 „Appeal": Der Begriff beinhaltet in England Berufung, Revision und Widerspruchsverfahren sowie Beschwerde gleichzeitig. 88 Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 86 f. 89 Kontrolle der Verwaltung, S. 87. 90 Dieses Zahlenverhältnis stimmte auch noch 1971, nur daß die Anzahl der Widersprüche auf 20000 pro Jahr anstieg, vgl. P. Jackson, Public Law, 1971, S. 48. 91 Kontrolle der Verwaltung, S. 85—145; siehe ferner Boussard, Kap. 2, S. 22 ff (30—40). 92 Vor allem vom Franks-Komitee, 1957, Cmnd. 218, Teil IV, S. 55—88; zum Chalkpit-Fall außer Friedmann, a.a.O., s. a. Griffith, 39 Public Administration 1961, S. 369 ff.

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Außergerich tliche Kon trollmaßnahmen

kann er von dem Vorschlag des Inspektors ohne weiteres abweichen. Die begründete Entscheidung geht dann den Parteien zu. b) Rechtsnatur der Anhörverfahren Die Anhörverfahren verdienen vor allem deshalb eine gesonderte Behandlung von den Tribunals, mit denen sie ansonsten manche Ähnlichkeiten haben, weil in der Literatur und Rechtsprechung seit dem zweiten Weltkrieg und kulminierend in der eingehenden Untersuchung des Franks-Reports von 1957 sowie alljährlicher Berichte des Tribunalrates („Council on Tribunals"), der als Folge des Franks-Reports geschaffen wurde, häufig die Frage aufgeworfen wurde, ob diese Anhörverfahren in allen Teilaspekten reine verwaltungsinterne Hilfsmittel seien, oder ob sie gerichtliche Funktionen hätten, wie ein Teil der Tribunalverfahren 9 8 . V o n der Entscheidung dieser Frage hing ab, ob diese Verfahren überhaupt gerichtlich überprüfbar waren. Die Vertreter der Regierung vertraten im Franks Komitee folglich die Ansicht, daß Anhörverfahren lediglich Hilfsmittel der Verwaltung seien, die der innerdienstlichen Meinungsbildung dienten 94 . Der Minister brauche von den Ergebnissen solcher Verfahren keinen Gebrauch zu machen, er müsse diese lediglich zur Kenntnis nehmen. Sie konnten sich insofern auf das Dictum des House of Lords in Franklin ν Minister of Town and Country Planning 95 berufen, in dem Grundstücks- und Hauseigentümer sich erfolglos gegen die Errichtung einer geplanten Gartenstadt (Stevenage) für 60000 Einwohner wandten. Die Kläger versuchten nachzuweisen, daß der Minister seine „richterliche" Funktion als Entscheidungsinstanz verletzt habe, indem er auf einer öffentlichen Versammlung bereits von dem Plan der Satellitenstadt i n Stevenage sprach. Damit hätte er seine Befangenheit bewiesen, noch ehe er die Einwände der Kläger überhaupt gehört habe. Auch habe er nach Abhaltung eines Anhörverfahrens seine endgültige Planungserlaubnis erteilt, noch ehe wichtige technische Probleme, wie die der Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung, gelöst waren. Das House of Lords lehnte diese Rechtsauffassung in allen Punkten ab und 93

Zur Entwicklung dieser Verfahren seit dem 2. Weltkrieg, vor allem seit der berühmten Crichel-Down-Affäre, die seinerzeit den eigentlichen Anstoß für die Untersuchung des Franks-Komitees gab und in deren Verlauf der Landwirtschaftsminister Sir Thomas Dugdale als verantwortlicher Minister für das Fehlverhalten mehrerer Beamter seines Ministeriums zurücktrat, weil dort nach Fortfall des Enteignungsgrundes im Rahmen einer Reprivatisierung verschiedener Grundstücke der Rechtsnachfolger eines ursprünglichen Eigentümers nicht berücksichtigt worden war, was in der Öffentlichkeit allgemein als Verwaltungswillkür aufgefaßt wurde; vgl. am ausführlichsten Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 49—84; Chester, 32 Public Administration, 1954, S. 389 ff ; Griffith, 18 MLR 1955, S. 557 ff; Jackson, 18 MLR 1955, S. 571 ff. 94 Cmnd. 218, § 275, S. 60; §§ 293 ff, 335 ff. 95 1948, AC 87 (95—106) (H.L.), per Thankerton, L. J.

Anhveahen

(„inquiries)

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entschied inter alia, daß die Regeln über unabhängige Spruchkörper („indépendant tribunals") in dieser A r t von Streitigkeit unanwendbar seien. Aus der Rolle des Ministers würde sich zwangsläufig ergeben, daß er seinem eigenen Plan zuneigen würde. Die Regeln über die Befangenheit könnten hierauf jedoch keine Anwendung finden, weil er lediglich verpflichtet sei, ein ordnungsmäßiges Anhörverfahren abzuhalten, bei dem alle Einwendungen angehört würden, und anschließend diese Einwände und den Bericht des Verfahrens zu prüfen. Seine Entscheidung sei rein administrativer Natur 9 6 . Die Gerichte hatten aber in einigen weiteren Streitfällen die Ansicht vertreten, daß zumindest in solchen Fällen, in denen der Minister als Aufsichtsbehörde zwischen betroffenen Bürgern und der Kommunalverwaltung als Planungsbehörde entscheide, „judizielle" Maßstäbe anzulegen seien, da der Minister in solchen Fällen eine richterähnliche Funktion ausübe 97 . Man müsse den ganzen Entscheidungsprozeß in drei Teile aufgliedern: In der ersten Phase, vor der Einlegung von Widersprüchen, handele es sich um reine Verwaltungsinterna 98 . In der zweiten Phase, nach Einlegung des Widerspruches bis an die Schwelle der endgültigen Entscheidung durch den Minister, müsse dieser „richterlich" vorgehen, und die Mindestgrundsätze der „natürlichen Gerechtigkeit" beachten; das bedeute, daß das Anhörverfahren unparteiisch abgehalten werden müsse und daß der Minister nicht ohne Wissen der Parteien heimlich weitere private Untersuchungen anstellen dürfe, ohne den Betroffenen Gelegenheit zur weiteren Stellungnahme zu geben 99 . In der dritten Phase, der eigentlichen, endgültigen Entscheidung durch den Minister, handele es sich wiederum um eine rein „administrative" verwaltungsinterne Entscheidung, die außerhalb der Prüfungskompetenz der ordentlichen Gerichte liege. Vergegenwärtigt man sich jedoch, daß das House of Lords in Local Government Board ν Arlidge 100 festgestellt hatte, daß auch in der zweiten Phase, dem „judiziellen" Anhörverfahren durch einen Inspektor des 96 Vgl. hierzu auch Yardley, Source Book, S. 109 ff (114, 117); de Smith, Const, and Admin. Law, S. 539; Griffith & Street, 3. Aufl., S. 180 ff. 97 Vgl. de Smith, Const, and Admin. Law, S. 540; s. a. Franks-Report, Cmnd. 218, § 249, S. 56. 98 So entschieden in Johnson (B.) & Co. (Builders), Ltd., ν Minister of Health 1947, 2 A l l ER 395 (401). 99 Vgl. Errington ν Minister of Health, 1935, 1 KB 249; ferner Robinson ν Minister of Town and Country Planning, 1947, KB 702 (723), per Somervell, L. J.: „. . . the Minister could not, after the public inquiry had been held, receive ex parte statements from the local· authority which were not communicated to the objectors dealing with the subject-matter of the objections as investigated at the inquiry." 100 1915 AC 120.

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Außergerichtliche

Kontrollmaßnahmen

Ministeriums, der Bericht des Inspektors an den Minister nicht veröffentlicht zu werden brauchte, vor allen Dingen den Widerspruchsbeteiligten vorenthalten werden konnte, so zeigt sich, daß vor 1958 diese Verfahren für den einzelnen so gut wie keine Rechtsgarantien boten, während der Verwaltung nützliche Entscheidungshilfen geboten wurden. Das FranksKomitee 101 empfahl die Aufgliederung des Reports durch den Inspektor in zwei Teile: der Darlegung des festgestellten Sachverhaltes und einen Entscheidungsvorschlag an den Minister; der Sachverhalt müßte den Beteiligten vor Einreichung des Berichtes an den Minister eröffnet werden, um den Parteien die Möglichkeit zu geben, eventuell sachliche Änderungen vorzutragen, und der Minister müsse dann neben einem begründeten Entscheidungsschreiben auch den ganzen Bericht des Inspektors beifügen. Bislang fehlt eine gesetzliche Verpflichtung des Ministers, die Zusammenfassung des Sachverhaltes im Bericht des Inspektors zu veröffentlichen, da dies angeblich den Entscheidungsprozeß zu sehr verzögern würde 1 0 2 . Seither sind die Vorschläge des Franks-Komitees bis auf diese Ausnahme befolgt worden 1 0 8 . Vor allem der durch das 1958 erlassene Tribuna1- und Anhörverfahrensgesetz geschaffene Tribunalrat hat wesentlich dazu beigetragen, das ganze Anhörverfahren „judizieller" zu gestalten. So muß heute der Minister stets seine schriftliche Entscheidung begründen, und diese Begründung muß allgemeinverständlich und schlüssig sein, sonst kann die Entscheidung durch ein Gericht aufgehoben werden 1 0 4 . Der Bericht des Inspektors einschließlich seiner Empfehlung kann im Ermessen des Ministers entweder ganz, teilweise oder zusammengefaßt beigefügt werden. Falls der Minister entweder die Tatsachenwürdigung des Inspektors bezweifelt oder neue Beweise erhält, die beim Anhörverfahren nicht behandelt wurden und aufgrund derer er vom Bericht des Inspektors abweichen will, so muß er dies heute stets den Beteiligten mitteilen und ihnen eine Stellungnahme hierzu ermöglichen, notfalls das Anhörverfahren wiederaufnehmen 105 . Der Tribunalrat hat sich überdies auch insofern durchsetzen können, als jetzt die entstehenden Kosten der Anhörverfahren den obsiegenden Parteien erstattet werden 10 ". 101

Cmnd. 218 (1957), §§ 343—345. De Smith, Const, and Admin. Law, S. 541; kritisch hierzu Allen, Law and Orders, S. 252 ff. loa vgL ^ie detaillierten Nachweise bei Jackson, Machinery of Justice, 6. Aufl., S. 514 f und den Special Report of the Council on Tribunals, Cmnd. 1787 (1962); ferner Griffith & Street, 3. Aufl., S. 206; Marshall, 1958, 36 Public Administration, 261 ff. 104 j m Fall Givaudan & Co. ν Minister of Housing and Local Government, 1967, 1 WLR 250 p i e Entscheidung ließ sich nicht mit den beigefügten Auszügen des Berichtes des Inspektors begründen). 105 De Smith, Const, and Admin. Law, S. 542. 108 Vgl. den Report on the Award of Costs at Statutory Inquiries, 1964, Cmnd. 2471, der vom Minister für Wohnungsbau und Kommunalverwaltung in Rund102

Anhövefahren

(„inquiries")

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Seit 1968 sind weitere Nachteile, vor allem zu große zeitliche Verzögerungen bei Anhörverfahren, abgeschafft worden. Dies wurde dadurch erreicht, daß jetzt die Zustimmung des zuständigen Ministers nicht mehr grundsätzlich für jede Planungsgenehmigung erteilt werden muß, sondern als Ausdrude des größeren Dezentralisierungswillens den örtlichen Behörden obliegt. Der Minister stimmt jetzt lediglich allgemeinen Strukturplänen zu. Das bedeutet, daß nunmehr die Anhörverfahren auf kommunaler Ebene ablaufen und ferner, daß die richterliche Kontrolle durch das High Court einfacher geworden ist. Die Gerichte haben traditionell — wie bei den Prärogativbefehlen nachgewiesen wurde — weniger Hemmungen, nachgeordnete Behörden zurechtzuweisen als gegenüber der Zentralregierung. Um die seit 1958 rapide angeschwollene Anzahl von Anhörverfahren effektiver abzuhalten, ist der Minister seit 1968 auch ermächtigt, dem Inspektor gewisse Planungsentscheidungen ganz zu überlassen, für die der Minister dem Parlament gegenüber nicht mehr verantwortlich ist. Stattdessen können solche Entscheidungen vor den ordentlichen Gerichten überprüft werden 1 0 7 . Gleichzeitig wurde festgelegt, daß der Minister bei sehr wichtigen Planungsangelegenheiten, die großes öffentliches Interesse erregen, ein Anhörverfahren in Form einer Anhörkommission („Planning Inquiry Commission") einsetzen kann, wie etwa im Falle des geplanten dritten Londoner Flughafens 108 . c) Ergebnis Nach alledem zeigt sich, daß Anhörverfahren seit 1958 ständig formalisierter, offener und damit justiziabler werden. Dennoch handelt es sich hierbei stets um verwaltungsinterne Maßnahmen, die entweder zur Entscheidungsfindung des zuständigen Ministers oder der entsprechenden Kommunalbehörde dienen. Fast als Nebeneffekt bieten sie dem rechtsuchenden Bürger in zunehmendem Maße Schutz. Das geschieht vor allem dadurch, daß die Gerichte inzwischen größere Klarheit über die Rechtsnatur dieser Verfahren gewonnen haben: Die Entscheidung des Ministers oder der Kommunalbehörde als politische Ermessensentscheidung liegt generell außerhalb der gerichtlichen Uberprüfbarkeit. Andererseits schützen die Gerichte das berechtigte Interesse an einem fairen und schreiben (Circular) Nr. 73/65 akzeptiert wurde; vgl. ferner, Jackson, Machinery of Justice, 6. Aufl., S. 514; Wade & Phillips, S. 707; de Smith, Const, and Admin. Law, S. 541. 107 Town and Country Planning Act, 1968; s. a. Wade & Phillips, S. 707; ferner Samuels, 1969 Public Law, S. 19 ff. los vgl· Wade & Phillips, S. 707; der Plan, diesen in Stanstead zu errichten, wurde später fallengelassen, zugunsten eines Flughafens auf einer Insel in der Themsemündung „Foulness", der mit der Errichtung einer Satellitenstadt „Maplin" gekoppelt wird; vgl. Keesing's Contemporary Archives, 18—25 Sept. 1971, S. 24830—33, ferner Okt. 1972, S. 25549—50.

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Außer ger ich tliche Kon trollmaßnahmen

„offenen" (öffentlichen) Verfahren, das im Gegensatz zum Tribunal aber nicht Unparteilichkeit umfaßt, und verlangen von den Verwaltungsbehörden selbst bei Anhörverfahren die Einhaltung der Prinzipien über die natürliche Gerechtigkeit sowie Beachtung der „ultra vires "-Grundsätze, wie oben dargelegt wurde 1 0 9 . Es ist allerdings erstaunlich, daß dieses Recht nicht allgemein auf alle Bürger ausgedehnt wird, sondern es teilweise immer noch dem Ermessen des Ministers oder seines Inspektors unterliegt, ob ein Nachbar „Betroffener" sein kann oder nicht 1 1 0 . Es fehlt eine dem subjektiven öffentlichen Recht entsprechende Konzeption, die den Nachbarschutz im Baurecht umfassen würde. Es wäre wünschenswert, wenn der gleiche Energieaufwand, der den Anhörverfahren gewidmet wurde, auch der Ausbildung eines umfassenden rechtlichen Kontrollmechanismus zukommen würde. Anhörverfahren wurden stark diskutiert, weil sie politische Entscheidungen betrafen, Fragen der Ministerverantwortlichkeit aufwarfen und last, but not least, sich vorwiegend um Enteignungsentschädigungen drehten. Seit 1961 111 werden diese großzügiger gehandhabt, so daß ein Teil der lautstarken Kritik gegenstandslos oder zumindest abgeschwächt wurde. Betrachtet man Tribunals und Anhörverfahren gemeinsam, so stellt man fest, daß diese eigenartig englischen Schöpfungen des Parlaments eine alte Tradition wiederbelebten: In ihnen spiegelt sich die Tendenz, die einst gepriesene und später verachtete — weil mißbrauchte — Verflechtung von judiziellen und administrativen Funktionen i n den Händen einer Person, dem Friedensrichter, erneut aufkommen zu lassen. Nur so ist zu erklären, daß man ohne große Schwierigkeiten eine breite graue Zone zwischen interner und externer Kontrolle der Verwaltung entstehen ließ. Der Unterschied besteht allerdings darin, daß die ordentlichen Gerichte gegen Friedensrichter wenigstens potenziell mit Prärogativbefehlen vorgehen konnten, während Tribunals oft die Rechtskontrolle durch Gerichte ganz ausschließen. Obwohl in den letzten Jahren die Gerichte solche Gerichtsausschlußklauseln eingedämmt haben, kann von einer echten verwaltungsexternen Kontrolle noch lange nicht gesprochen werden. Nur unter der Voraussetzung, daß die Verwaltung sich niemals beabsichtigt oder unbeabsichtigt etwas zuschulden kommen läßt, ist dieser Zustand für den 109

Vgl. supra, Kap. 7 und 8. Buxton ν Minister of Housing and Local Government, 1961, 1 QB 278, seither jedoch liberaler angewendet, vgl. de Smith, Const, and Admin. Law, S. 542; ferner K. A. Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 85 ff; Jackson, Machinery of Justice, 6. Aufl., S. 514f; s.a. Special Report of the Council on Tribunals, Cmnd. 1787 (1962): Der Tribunalrat war gegen eine Anerkennung eines solchen Nachbarrechts! 111 Land Compensation Act, 1961, durch den als Bewertungsgrundlage generell der Marktpreis des zu enteignenden Grundstückes infrage kam. 110

Funktion des Tribunalrates

in diesem System

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einzelnen Bürger zumutbar. Doch dem ist nicht so, wie im nächsten Kapitel bei der Funktion des Bürgerbeauftragten „Ombudsman" dargelegt werden soll.

II. Die Funktion des Tribunalrates

in diesem System

Es fragt sich, ob der „Council on Tribunals", der Tribunalrat, die Unzulänglichkeiten der Tribunals und Anhörverfahren beseitigte. Dieser Rat war als einer der Hauptvorschläge des Franks-Komitees schon im folgenden Jahr durch Gesetz errichtet worden 1 1 2 . Der Tribunalrat hat die Aufgabe, Tribunals und Anhörverfahren zu überwachen und i n einem jährlichen Bericht an den Lordkanzler 1 1 3 eventuelle Mißstände und Koordinierungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Daneben kann der Tribunalrat auch Sonderberichte zu einzelnen Tribunals oder Anhörverfahren erstellen 1 1 4 . Dem Tribunalrat gehören bis zu 15 vom Lordkanzler ernannte Mitglieder an. Für ihre Tätigkeit erhalten sie eine Aufwandsentschädigung, der Vorsitzende 1 1 5 ein Gehalt. Der Tribunalrat tagt ad hoc auf Teilzeitbasis, mindestens jedoch einmal im Monat. Zwar soll der Rat die Tribunal- und Anhörverfahren überwachen, doch kann er die Entscheidungen dieser Verfahrensarten nicht beeinflussen oder gar aufheben 118 . Seine Kontrollaufgabe ist damit zwangsläufig sehr beschränkt und erschöpft sich in der Ermächtigung, Berichte zu verfassen und Vorschläge für die Rationalisierung und Harmonisierung von Tribunals und Anhörverfahren zu machen. Die Schaffung einer solchen Institution ist deshalb von Anfang an kritisiert worden, da der Tribunalrat für den schutzsuchenden Bürger keine unmittelbare Abhilfe schaffen kann 1 1 7 . Entsprechend unbedeutend ist auch die Fallbelastung dieses Rates: Pro Jahr erhält er nur circa 40—50 Beschwerden aus der Bevölkerung, die Tribunals betreffen 118 . Das ist eine bemerkenswert niedrige Anzahl, wenn man bedenkt, daß pro Jahr mindestens 150000 Fälle von Tribunals entschieden werden 1 1 9 . Foulkes sieht hierfür zwei mögliche Ursachen: Entweder die Tribunals bieten herzlich wenig Anlaß zu Beschwerden oder aber die 112

Tribunals and Inquiries Act, 1958, 6 & 7 Eliz., c. 66, sections 1 und 2. Tribunals and Inquiries Act, 1958, sect. 2 (7). 114 Tribunals and Inquiries Act, 1958, sect. 1 (1) (c) und 2. 115 Augenblicklich Baroness Burton, vorher Viscount Tenby, davor der Marquess of Reading; vgl. Garner, Public Law, 1965, S. 321 ff. 116 Yardley, Source Book, S. 279; Boussard, S. 43 f. 117 Hauptsächlich von Griffith, 1959, 22 MLR, S, 125ff; s.a. Boussard, S. 44; dagegen vor allem Wade, 1. Aufl., S. 188 (Wade ist jedoch selber Mitglied des Council on Tribunals). 118 Vgl. de Smith, Const, and Admin. Law, S. 535, der für 1968 sogar 55 Fälle des Council on Tribunals feststellte. 119 Foulkes, S. 69; s. a. de Smith, Const, and Admin. Law, S. 535.

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Außergerichtliche

Kontrollmaßnahmen

Bevölkerung weiß nichts von der Existenz des Tribunalrates 120 . Es ist jedoch auch nicht auszuschließen, daß die Bevölkerung zwar von der Existenz des Rates weiß, zugleich aber auch dessen geringen Handlungsspielraum für den konkreten Fall kennt. Bester Beweis hierfür ist der Chalkpit-Fall 121. Hier hatte ein Unternehmer bei der zuständigen Kommunalbehörde eine Genehmigung zum Abbau von Kalk beantragt, die jedoch versagt wurde. Daraufhin beantragte dieser ein öffentliches Anhörverfahren, bei dem auch ein Nachbar des Unternehmers, ein Major Buxton erschien. Der Inspektor empfahl in seinem Bericht an den zuständigen Minister, die Beschwerde des Unternehmers wegen des großen Risikos der Staubbelästigung der Nachbargrundstücke abzuweisen; überdies gebe es in der Gegend bereits genügend Kalkgruben. Allerdings könnte der Kalk dort auch mit wirtschaftlichem Gewinn abgebaut werden. Der Minister Schloß sich dieser Empfehlung des Inspektors jedoch nicht an, sondern gab der Beschwerde statt. Buxton erhob daraufhin Klage vor dem High Court, mit dem Ziel, die Entscheidung des Ministers im Wege eines certiorari- Verfahrens für rechtswidrig und damit nichtig erklären zu lassen. Er gründete seine Klage auf die Tatsache, daß der Minister bei seiner Entscheidung nicht alle relevanten Formerfordernisse erfüllt habe, daß dadurch die Interessen des unmittelbar betroffenen Buxton außer Acht gelassen wurden und daß der Minister nach Abschluß des Verfahrens weitere Konsultationen mit dem Landwirtschaftsminister durchgeführt habe, ohne Buxton Gelegenheit geboten zu haben, hierzu Stellung zu nehmen. Das Gericht lehnte in einer allgemeines Mißfallen erregenden Entscheidung 122 diese Klage ab, mit der Begründung, Buxton sei nicht klagebefugt, ein Nachbarrecht betroffener Dritter sei nicht anerkannt 128 , und deshalb könnte über die Hauptsache auch nicht entschieden werden. Weder die anschließende Einschaltung des Tribunalrates, noch die parlamentarische Behandlung des Falles und die Publizität in der Presse verhalf Buxton zu weiterem Erfolg. Der Tribunalrat berichtete dem Lordkanzler über diesen Fall und schlug vor, daß bei Berücksichtigung neuen Beweismaterials betroffenen Bürgern das Recht der Stellungnahme zugebilligt werden sollte 1 2 4 . Der Lordkanzler ging auf diesen Vorschlag 120

Foulkes, a.a.O. Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung der Hintergründe und des Verlaufes dieses Falles vor dem öffentlichen Anhörverfahren, dem Gericht, im Parlament, in der Presse und vor dem Tribunalrat, in Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 85 ff, insbes. S. 103 f und 124 ff; ferner Elcock, S. 57; s.a. Buxton ν Minister of Housing and Local Government, 1960, 3 All ER 408. 122 Wade, Cambridge L.J. 1961, S. 5ff. 123 Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 133 f. 124 Friedmann, ebda., S. 124 f. 121

Funktion des Tribunalrates

in diesem System

145

jedoch nicht ein. Der Tribunalrat verzichtete daraufhin, in dem konkreten Fall Buxtons weiteres zu unternehmen, machte in der Folge jedoch allgemeine Verfahrensvorschläge, bei denen diese Forderung wiederholt wurde 1 2 5 und diesmal zum Erfolg führten. Für Major Buxton änderte dies jedoch nichts mehr. Dieser Fall zeigt deutlich die Grenzen des Tribunalrates. W o h l kann er als unabhängiges Gremium Ratschläge erteilen, Sonderberichte anfertigen und Gespräche mit Ministern führen, die eigentliche Entscheidung bleibt jedoch stets innerhalb der Verwaltung. Eine Verpflichtung, den Empfehlungen des Tribunalrates zu folgen, besteht nicht. Hinzu kommt, daß der Tribunalrat im Umgang mit der Ministerialbürokratie häufig zu behutsam vorgegangen ist, was seine Effektivität nicht gerade erhöhte und teilweise sogar taktische Fehler beging, die den Buxton-Fall negativ beeinflußten 126 . Als Schutzinstrument für den einzelnen Bürger ist der Tribunalrat nur von äußerst geringem unmittelbaren Wert. Wenn sich dieser Rat in den 15 Jahren seiner Existenz bisher im großen und ganzen dennoch bewährt hat, so liegt das vor allem daran, daß der Rat unter großzügiger Auslegung seiner Kompetenzen stets bemüht war, Mißstände der Tribunals und Anhörverfahren unbürokratisch schnell den entsprechenden Behörden zu melden und gegebenenfalls in Sonderberichten eigene Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. So hat der Tribunalrat wesentlich dazu beigetragen, daß der Verfahrensablauf der vielen Tribunalarten klarer und überschaubarer und zugleich voraussehbarer wurde. Zu diesem Zweck haben Ratsmitglieder aufgrund von konkreten Beschwerden einzelne Tribunals als Beobachter aufgesucht und Empfehlungen hinsichtlich ihrer Verbesserung gemacht, die häufig akzeptiert wurden. Allein die Existenz des Tribunalrates und die Möglichkeit der Untersuchung der Verfahrensweise hat ganz sicher dazu beigetragen, den Prozeß der Rationalisierung und Vereinheitlichung gleichartiger Tribunals etwas zu beschleunigen 127 . Der Tribunalrat hat beispielsweise vorgeschlagen, bei gewissen Verfahrensarten die rechtliche Stellvertretung als Experiment zuzulassen, um über längere Zeit hinweg Erfahrungen zu sammeln, wie sich eine solche Maßnahme auf die Tribunals und Anhörverfahren auswirkt. Der Tribunalrat hätte nach Meinung des Franks-Komitees aber auch mit der wichtigen Aufgabe betraut werden sollen, die Mitglieder der Tribunals 125 Friedmann, ebda., S. 129; s.a. Annual Report of the Council on Tribunals for 1961, Appendix D, S. 29; s. a. Foulkes, S. 118. 126 Vgl. hierzu Griffith, 39 Public Administration, 1961, S. 369 ff; Friedmann, a.a.O., S. 141 ff. 127 Vgl. etwa, Appendix A des Annual Report of the Council on Tribunals für 1970—71, §§ 43 u. 44; s. a. Elcock, S. 101. 10 Riedel

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Außergerich tliche Kon trollmaßnahmen

zu ernennen 128 . Diese Empfehlung wurde von der Regierung jedoch nicht akzeptiert. Die Beratungsfunktion des Tribunalrates umfaßt noch weitere Gebiete, die in diesem Zusammenhang jedoch weniger wichtig erscheinen 129 . Lediglich die weitere Bestimmung, daß der Minister den Tribunalrat vor Erlaß von Verfahrensregeln für gewisse Tribunals konsultieren muß, hat eine gewisse praktische Bedeutung erlangt 1 8 0 . Inzwischen hat er weit über 100 solcher Zusammenfassungen von Verfahrensregeln überprüft. Dabei hat sich die Auffassung des Rates in wichtigen prozessualen Fragen harmonisierend durchsetzen können. Bei der Überprüfung solcher Verfahrensregeln hat der Tribunalrat inzwischen sein eigenes Vorgehen festgelegt und prüft jetzt stets nach gewissen Sammelgesichtspunkten, u. a.f ob das rechtliche Gehör und die rechtliche Stellvertretung gewährt, sowie Fristen eingehalten werden und ob sie angemessene Zeit zur Stellungnahme bieten, wie zum Beispiel vor Einlegung eines Widerspruches, oder aber, ob Tribunals und Anhörverfahren vertrauliche Zusatzinformationen den Parteien mitteilen oder vorenthalten, ob sie ihre Entscheidungen hinreichend begründen und wie die Kostenfrage geregelt ist 1 3 1 . In der Praxis hat sich gezeigt, daß die Regierung nunmehr generell den Rat des „Council on Tribunals" zu Verfahrensregeln für Tribunals einholt, selbst für neue „Tribunals", die nach dem Tribunal- und Anhörverfahrensgesetz von 1958 an sich nicht der Überwachung durch den Tribunalrat unterliegen 1 8 2 . In Bezug auf die Überwachung von Anhörverfahren ist der Handlungsspielraum auf Drängen des Tribunalrates 1966 gesetzlich erweitert worden 1 3 8 . Auch bei Anhörverfahren können Tribunalratsmitglieder als Beobachter anwesend sein und im Anschluß daran berichterstatten. So hat der Tribunalrat beispielsweise die Frage der Kostenberechnung bei Anhörverfahren überprüft und als Hauptvorschlag gefordert, daß Parteien, deren Widerspruch gegen Enteignungen und andere Maßnahmen der Verwaltung erfolgreich waren, ihre Kosten ersetzt bekommen sollten 1 3 4 . 128 Vgl. Franks Report, Cmnd. 218 (1957), § 49; lediglich ein allgemeines unverbindliches Vorschlagsrecht wurde konzediert, vgl. Tribunals and Inquiries Act, 1958, sect. 4. 129 Siehe dazu Foulkes, S. 70. 130 Vgl. Tribunals and Inquiries Act, 1958, sect. 8. 131 Vgl. Foulkes, S. 71, s.a. Annual Report of the Council on Tribunals for 1964. 182 Doch klagt der Tribunalrat darüber, daß oft wenig Zeit zur Überprüfung bleibt, die betroffenen Ministerien häufig faits accomplis schüfen, so Annual Report for 1969—70, § 48. iss Tribunals and Inquiries Act, 1966, sowie Tribunals and Inquiries (Discretionary Inquiries) Order, 1967, S. I. Nr. 451. 134

Vgl. Cmnd. 2471 (1964) Report on the Award of Costs at Statutory Inquiries.

Besondere Gerichte

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Dieser Vorschlag wurde von der Regierung auch akzeptiert. Dieses Beispiel zeigt, daß der Tribunalrat im Rahmen seiner Kontrollmöglichkeiten nützliche Verbesserungen der Tribunals und Anhörverfahren vorgeschlagen und bewirkt hat. Doch fehlt es ihm an einem Sanktionsapparat und vor allem an einer systematischen Kontrollmöglichkeit aller Tribunals und Anhörverfahren, was einen adäquaten ständigen Mitarbeiterstab als Mindestes voraussetzen würde. Bei weit über 2000 solcher Verfahren, die theoretisch der Kontrolle durch den Tribunalrat unterliegen, ist dies für 15 nur nebenamtlich tätige Ratsmitglieder ein Ding der praktischen Unmöglichkeit. Nach alledem zeigt sich, daß der Tribunalrat kein Ersatz für ein System der Verwaltungskontrolle durch Gerichte ist, daß er auch kein „Ombudsman" sein kann, der dem schutzsuchenden Bürger Abhilfe in konkreten Streitigkeiten mit der Verwaltung bieten könnte, und daß seine praktische Bedeutung deshalb gering ist. Gleichwohl leistet er im Rahmen seiner geringen Möglichkeiten gute Dienste. Ihm ist es zu verdanken, daß die Verwaltung von sich aus bemüht ist, nunmehr alle Verfahrensregeln einheitlicher zu gestalten. Das psychologische Gewicht der sporadischen Visiten vor Tribunals und Anhörverfahren darf hierbei nicht vergessen werden; es könnte dazu führen, daß weitere Verbesserungen der Verfahrensweisen bewirkt werden. Der Tribunalrat hat demnach die löbliche, wenn auch nicht besonders eindrucksvolle Aufgabe, den wildwuchernden und verwachsenen Garten der Tribunals und Anhörverfahren etwas zu jäten und zu kultivieren. Eine echte Systematisierung und Überprüfung der Frage, ob diese Verfahren ausreichen, dem Bürger adäquaten Schutz vor Fehlverhalten der Verwaltung zu bieten, gehört nicht zu seinen Aufgaben. Der Bürger sieht sich nach wie vor einer Fülle komplizierter und unsystematischer Verfahrensarten vor Gerichten und Tribunals gegenüber, die ihm im Glücksfalle einen ausreichenden Schutz bieten, häufig jedoch auch jegliche Hilfe versagen. Man verweist ihn im Zweifel an das Parlament, das für dieses Wirrwarr zuständig ist und an die Schutzmechanismen, die im Rahmen der politischen Kontrolle der Verwaltung vom Parlamente selber geschaffen wurden. Diese weiteren Schutzmechanismen sind Gegenstand des nächsten Kapitels. III.

Besondere Gerichte

Neben Tribunals und Anhörverfahren verdienen noch zwei Spezialgerichte eine kurze Erwähnung, das „Restrictive Trade Practices Court", und das „Industrial Relations Court", die vom Gesetzgeber als obere Gerichte („superior courts") designiert wurden, d.h. als dem High Court of Justice gleichrangige Gerichte, obwohl zumindest das „Restrictive Trade Practices Court" seiner Natur nach eher den Tribunals zuzurechιο·

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Außergerichtliche

Kontrollmaßnahmen

nen wäre 1 8 5 . Es handelt sich hierbei um Experimente, in denen die gerichtlichen Komponenten von Tribunals verstärkt wurden, zugleich jedoch Bereiche ausgewählt wurden, die wegen ihres hohen politischen Stellenwertes möglicherweise für eine Judizialisierung ungeeignet sind und die sich als Versuch der Abwälzung notwendiger politischer Verantwortung durch die Exekutive erweisen könnten. 1. Restrictive Trade Practices Court Das „Restrictive Trade Practices Court", das Kartellgericht, entstand auf einer Welle der Unzufriedenheit mit wettbewerbsverzerrenden Maßnahmen ganzer Industrien. Insbesondere die Praxis der „stop lists", schwarzer Listen, die die Namen solcher Einzelhändler enthielten, die sich nicht an Preisabsprachen und empfohlene Preise halten wollten und fortan nicht weiterbeliefert wurden, erregte vor dem 2. Weltkrieg allgemeines Aufsehen 18®. Außerdem konnten geheime „Handelsgerichte" vor Wiederaufnahme der Lieferungen Geldbußen einsammeln 187 . Dies ganze System wurde in einem Testfall vor das House of Lords gebracht und erstaunlicherweise nicht beanstandet 138 . Nach dem 2. Weltkrieg widmete sich die Regierung diesem Problem, folgte aber nicht dem Beispiel anderer Staaten, wie den U.S.A., Kanada oder der Bundesrepublik, ein allgemeines Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb zu erlassen, mit einem Anklageverfahren, Geldstrafen, oder Freiheitsentzug als Sanktionen gegenüber verantwortlichen Wettbewerbssündern unter weitgehender Angleichung an strafrechtliche Verfahrensweisen. Stattdessen wählte man eine weniger formalisierte Methode der Einzelfalluntersuchungen. Zu diesem Zweck wurde 1948 eine Monopol- und Kartellkommission („Monopolies and Restrictive Practices Commission") geschaffen, die auf Antrag des Wirtschaftsministeriums Untersuchungen vornahm. Kam die Kommission in ihrem Bericht zu der Auffassung, daß etwas geschehen müsse, um Kartelle und Monopolmißbräuche zu ahnden, lag die weitere Behandlung des Falles bei der Regierung und dem Parlament. 1956 wurden dann die Untersuchungen der Kommission, die unlauteren Wettbewerb betrafen, abgespalten und dem neugeschaffenen Kartellgericht überwiesen. Die Kommission konzentrierte sich fortan ausschließlich auf Monopole (unter der Bezeichnung „Monopolies Commission") 139 . 135

Vgl. Jackson, Machinery of Justice, 6. Aufl., S. 102; Garner, S. 155. Grundlegend hierzu Wilberforce-Campbell-Elles, Law of Restrictive Trade Practices and Monopolies, 1966; ferner Stevens & Yamey, S. 10—19; Stevens, Public Law, 1964, S. 221 ff; Lever, S. 3 f; zur geschichtlichen Entwicklung vgl. die ausführliche Darstellung von Gare, insbes. Kap. 1 u. 2, S. 1—19. 137 Jackson, a.a.O. 138 Thorne ν Motor Trade Association, 1937, AC 197. 139 Zur Arbeitsweise der Monopolies Commission, vgl. Wilberforce-CampbellElles, Appendix (Zusammenfassung einzelner Berichte). 136

Besondere Gerichte

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Hinsichtlich des unlauteren Wettbewerbs war man sich in den fünfziger Jahren nicht ganz einig geworden, ob ein generelles gesetzliches Verbot mit besonderen Ausnahmen am geeignetsten schien oder ob es bei den Fall-zu-Fall Untersuchungen bleiben sollte. Man wählte die informellere Methode, setzte einen unabhängigen „Registrar" ein, der die Aufgabe hat, alle wettbewerbsbeschränkenden Absprachen zu registrieren 1 4 0 und dabei zu überprüfen, ob diese Absprachen gegen das öffentliche Interesse verstoßen 141 . In einem solchen Fall kann er das Kartellgericht anrufen. Das Kartellgericht besteht aus fünf Richtern 142 , mit einem Präsidenten, der vom Lordkanzler ausgewählt wird. Außerdem gibt es zehn Laienrichter, die für mindestens drei Jahre bestellt werden und Gehälter empfangen können. Sie können ferner vom Lordkanzler wegen Unfähigkeit, Fehlverhalten oder Erwerbstätigkeit, die mit ihren Funktionen nicht vereinbar sind, entlassen werden. Gewöhnlich werden zwei Laienrichter und ein Berufsrichter mit einzelnen Fällen beauftragt, das Gericht kann in wichtigen Fällen jedoch auch als Plenum tagen. In Rechtsfragen kann der Berufsrichter die Laienrichter überstimmen, ansonsten entscheidet die einfache Mehrheit. Als Revisionsinstanz ist das Court of Appeal vorgesehen, da das Kartellgericht im Rang neben dem High Court steht. Das Verfahren verläuft weitgehend wie vor ordentlichen Gerichten und am Ende ergeht ein begründetes Urteil. Die Rechtsgrundlage für dieses Verfahren mutet allerdings etwas seltsam an: Sobald ein Fall vor das Kartellgericht kommt, hat der betroffene Unternehmer eine doppelte Beweislast 143 : Erstens muß er nachweisen, daß seine Wettbewerbsbeschränkung eine von sieben Erfordernissen erfüllt, und zwar beispielsweise, daß die Beschränkung erforderlich ist, um die Öffentlichkeit vor Schaden zu bewahren, oder daß die Öffentlichkeit hierdurch wesentliche Vorteile erlangt, oder aber, daß es zum Schutze gegenüber anderen Wettbewerbsvereinbarungen erforderlich ist, usw. Zweitens muß der Unternehmer nachweisen, daß bei Abwägung der Vor- und Nachteile einer Wettbewerbsbeschränkung keine unbillige („unreasonable") Beeinträchtigung des freien Wettbewerbs zum Nachteile der Allgemeinheit entsteht 144 . Hieraus wird bereits deutlich, daß das 140 Seit dem Restrictive Trade Practices Act von 1968 wird das Verschweigen solcher Wettbewerbsabsprachen als rechtswidrige Handlung unter Strafe gestellt. 141 Ausführlich hierzu W . Friedmann, Law in a Changing Society, S. 299 ff. 142 3 Richter des High Courts, 1 des schottischen Court of Sessions und 1 des nordirischen Supreme Courts, vgl. Jackson, Machinery of Justice, 6. Aufl., S. 104; Wade & Phillips, S. 311 f; Foulkes, S. 61. 143 S. sect. 21, Restrictive Trade Practices Act, 1956, 4 & 5 Eliz. 2, c. 68; W . Friedmann, Law in a Changing Society, S. 306 ff; Elcock, S. 32 f; Stevens, Public Law 1964, S. 221 (240). 144 Vgl. die eingehende Darstellung bei Gare, S. 19 u. 20—50.

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Außergerich tliche Kon trollmaßnahmen

Gericht einen erstaunlich großen Ermessensspielraum hat, denn jede dieser Erwägungen hängt entscheidend von der Einschätzung des Gerichtes ab. Die Richter waren sich dieser Tatsache auch bewußt und sahen die damit verbundenen Gefahren deutlich, ohne allerdings ihren Widerstand lange aufrechtzuerhalten 145 . Vor der Einführung dieses Gerichtes oblag diese Ermessensentscheidung letztlich der Regierung und der Kontrolle des Parlamentes. Nunmehr ist das Verfahren judizialisiert worden, w i r d aber weiterhin stark kritisiert. Man sieht hierin lediglich Vorteile für die Exekutive und die Industrie, nicht jedoch für die Allgemeinheit 1 4 6 : Die Industrie befürwortet dieses Gericht, weil Gerichte die Tendenz haben, einmal entschiedene Fälle zu befolgen und man folglich bei künftigen Wettbewerbsabsprachen, „ Frühstückskartellen usw., lediglich diese Urteile beachten muß, während ministerielle Aktionen weniger überschaubar wären und weniger Handlungsspielraum belassen würden. Die Exekutive begrüßt diese Regelung, weil damit die politische Verantwortung an ein unparteiisches Gremium abgegeben wird, das stattdessen die unpopulären Maßnahmen trifft. Es handelt sich hierbei jedoch stets um politische Entscheidungen, mithin um Fragen, die soziale und wirtschaftliche Wertvorstellungen konkretisieren 1 4 7 , für die nach Meinung vieler die politische und demokratisch überprüfbare Verantwortung der Exekutive statt der Gerichte maßgeblich sein sollte 1 4 8 . A n diesen Fragen zeigen sich die großen Divergenzen der politischen Parteien, und es ist fragwürdig, ob die Gerichte in diesem Bereich mit so großem gesetzlichen Handwerkszeug die sinnvollste Lösung bieten 1 4 9 . Seit dem Restrictive Trade Practices Act von 1968 kann dementsprechend die Regierung eine Materie, die an sich der Zuständigkeit des Kartellgerichts unterliegt, wieder selber entscheiden, wenn diese Absprachen in Verbindung mit staatlichen Behörden getroffen wurden 1 5 0 . 145

S. Stevens & Yamey, S. 19, Fn. 7. Marshall, in Guest, Oxford Essays, S. 265 (282ff); ferner Stevens, 1964, Public Law, 221 ff. 147 Vgl. Hunter, S. 149, der die Auffassung vertritt, daß das Gericht nicht in der Lage ist, notwendige ökonomische Analysen adäquat durchzuführen; Griffith, Editorial Note in 1959, Public Law, S. 105 (108); Stevens, Public Law 1964, S. 255. 148 S. hierzu den Paradefalil Re Yarnspinners Agreement, 1959, 1 WLR 154 (Hier diente die wettbewerbshindernde Maßnahme dem Schutze vieler Arbeitsplätze in einer Gegend mit traditionell hoher Arbeitslosigkeit; s.a. Lever, S. 48f und 69 f. 149 Vgl. hierzu etwa die Editorial Note von Griffith, in Public Law, 1959, S. 105—109; s. a. Jackson, Machinery of Justice, 6. Aufl., S. 107 f; Hunter, S. 119 f u. 136 f; Wade & Phillips, S. 694; Marshall, in Guest, Essays, S. 265 (287); ferner Stevens, Public Law, 1964, S. 254 f. 150 Korah, 32 MLR 1969, S. 302; so etwa Empfehlungen der National Economic Development Committees oder des Prices and Incomes Board. 146

Besondere Gerichte

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2. Industrial Relations Court Dieses weitere Spezialgericht ist durch den heißumstrittenen Industrial Relations Act von 1971 151 errichtet worden, ebenfalls als oberes Gericht („superior court of record") auf derselben Stufe wie das High Court, mit Revision an das Court of Appeal. Das komplizierte Gesetz von 1971 152 , das teilweise die Materie des Tarifvertragsrechts regelt, errichtete ferner das „National Industrial Relations Court". Auf eine Übersetzung dieser Bezeichnung w i r d verzichtet, da dieses Gericht zwar gewisse Ähnlichkeiten mit den deutschen Arbeitsgerichten aufweist, aber wesentlich geringere Kompetenzen als die in §§ 2 und 3 ArbGG niedergelegten aufweist. Dieses Gericht dient vorwiegend den am Tarifvertrag beteiligten Parteien als Berufungsinstanz über bereits seit 1964 bestehenden „Industrial Tribunals". „Industrial Tribunals" entsprechen den oben dargestellten Beispielen 168 und sind praktisch heute erstinstanzliche Tribunals. Das „Industrial Court" hört in erster Linie Berufungen von „Industrial Tribunals". Daneben gilt die Faustregel, daß kollektive Angelegenheiten dem „Industrial Court", Individualbeschwerden dem „Industrial Tribunal" zugewiesen sind 1 6 4 . So kann sich ein Arbeiter, der zu Unrecht entlassen wurde oder dem die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft versagt wurde, zunächst nur an ein „Industrial Tribunal" wenden. Dieses kann gegebenenfalls Schadensersatz anordnen oder die Rechte des Klägers feststellen. Das „Industrial Court" befaßt sich nur im Falle einer Berufung mit dieser Frage. Alle jenen Fälle, in denen es um anerkannte „closed shops" geht, d.h. um Firmen, in denen nur Gewerkschaftsmitglieder eingestellt werden können, kommen jedoch automatisch vor das „Industrial Court", wie auch die Streitfälle der Gewerkschaften mit den Arbeitgebern. Die Prozedur für das Verfahren vor diesem Spezialgericht ähnelt weitgehend der des High Courts, weist aber noch eine Besonderheit auf: Nach der Grundsatzentscheidung des Gerichtes über Zuständigkeitsfragen wird eine „Industrial Relations Commission", eine Kommission zu Überprüfung arbeitsrechtlicher Streitfälle beauftragt, den Fall zu untersuchen 151 1971, c. 72. Inzwischen ist dieses Spezialgericht seitens der Labourregierung auch wieder abgeschafft worden. Auf die Darstellung wurde dennoch nicht verzichtet, weil ähnliche Probleme jederzeit erneut auftauchen können. 152 Die Kompliziertheit ergibt sich teilweise aus der langen Vorgeschichte der Vorläufer dieses Gerichtes, deren Darstellung jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde; vgl. hierzu Port, S. 216 ff und 344 f; Jackson, Machinery of Justice, 6. Aufl., S. 469 ff; Robson, S. 82 ff; s. a. die Darlegung der politischen Hintergründe von Kahn-Freund, Labour Law, in Law and Opinion in England, S. 215 ff und ihre Charakterisierung als „laissez-faire" collectivism, vgl. S. 224; s. a. Roberts, Industrial Relations, in Law and Opinion in England, S. 364 ff, insbes. S. 378 f, 381—389. 153 Supra, Kap. 9, C I 1, S. 120. 154 Foulkes, S. 83 f.

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Außergerichtliche

Kontrollmaßnahmen

und dann dem Gericht zu berichten. Als Sanktionsmittel stehen dem Gericht folgende Maßnahmen zur Verfügung: Es kann ein Feststellungsurteil („Declaration") erlassen oder Schadensersatz anordnen, oder schließlich ein Unterlassungsurteil fällen. Auch bei diesem Spezialgericht stellt sich wiederum die Frage, ob dieser Bereich in der voliegenden Ausgestaltung nicht besser der politischen Kontrolle unterliegen sollte: Gerade bei Arbeitskämpfen kann eine einzelfallgerechte, aber politisch nicht adäquate Entscheidung eher zur Anheizung als zur Abkühlung des Konfliktes führen. Paradebeispiel hierfür ist der Fall der Streikposten der Dockarbeiter im Jahre 1972 155 , aufgrund dessen es beinahe zu einem Generalstreik gekommen wäre: Es ging dabei um einen Streit zwischen Dockarbeitern und Containerfirmen, die billigere, nicht als Hafenarbeiter registrierte Arbeitskräfte zur Be- und Entladung von Containern beschäftigen wollten. Die Dockarbeiter wie auch die anderen Arbeiter gehörten derselben Gewerkschaft an („Transport and General Workers Union"). Die Dockarbeiter vertraten die Ansicht, es handele sich um Hafenarbeit, die nur von ihnen ausgeführt werden könne und stellten zur Unterstreichung ihrer Auffassung Streikposten vor die Lagerhalleneinfahrt der Containerfirmen. Die Firmen erhoben Klage gegen die Gewerkschaft 156 und drei Streikposten vor dem „Industrial Relations Court". Das Gericht erließ eine einstweilige Anordnung, daß die Streikposten zurückzuziehen seien. Diese Anordnung wurde nicht befolgt. Daraufhin wurden drei Anführer der Dockarbeiter verhaftet 1 5 7 und wegen „Contempt of Court", wegen „MißachtungderGerichtshoheit", auf unbestimmte Zeit inhaftiert. Die Gewerkschaft wandte sich daraufhin an den „Trade Union Congress", den nationalen Gewerkschaftsbund, um einen Generalstreik vorzubereiten. Mittlerweile wurde gegen die Anordnung Revision beim Court of Appeal eingelegt 158 . Gerade noch rechtzeitig vor einer dramatischen Zuspitzung wurden diese Streikposten wieder freigelassen, mit der Begründung, das Beweismaterial des „Industrial Relations Court", daß die Hafenarbeiter die Anordnung des Gerichtes mißachtet hätten, sei nicht ausreichend, um einen Freiheitsentzug wegen „Contempt of Court" zu rechtfertigen. Hierdurch wurde der Konflikt in letzter Minute beigelegt, doch fragt sich, wann dann überhaupt „Contempt" gegeben wäre. Dieser Fall zeigt ganz deutlich, daß der Sanktionsmechanismus eines Spezialgerichts in solchen Fällen verhärtete Fronten bei Arbeitskämpfen eher noch verschärfen als abbauen kann. 155 Churchman and Others ν Joint Shop Stewards' Committee of the Workers of the Port of London and others (C. Α.), 1972 I. C. R. 222. 156 Joint Shop Stewards' Committee of the Workers of the Port of London. 157 Bernard Steer, Vic Turner u. Alan Williams. 158 Unter Einschaltung des Official Solicitor, der das Einlenken der Regierung signalisieren sollte, vgl. Churchman-Fall, 1972, I. C.R. 222 (229 f).

Parlame tarische Kontrollmaßnahmen

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I n anderen Fällen ist dieses Gericht jedoch durchaus geeignet, als „Beruhigungsstelle " eine Periode der Abkühlung einzuleiten und somit Spannungen zwischen Tarifpartnern abzugleichen und vorzubeugen; immer vorausgesetzt, die Richter gehen behutsam vor. Der Sanktionsmechanismus w i r d sich auf lange Sicht jedoch möglicherweise als Bumerang erweisen, wenn unterlegene Arbeitnehmer diese Maßnahmen nicht akzeptieren und zum casus belli erheben, überhaupt scheint die Einschaltung eines Gerichtes zu sehr die Existenz eines festgefahrenen Streites vorauszusetzen, ohne genügende Berücksichtigung der Tatsache, daß in der Praxis im Wege der Vermittlung durch politische Kanäle mancher Kompromiß möglich wäre. Dennoch ist Jackson zuzustimmen, wenn er sagt, daß es immerhin besser sei, dieses Spezialgericht und Tribunals zu besitzen, als solche Angelegenheiten den ordentlichen Gerichten zuzuweisen, die damit völlig überfordert wären 1 5 9 . Die Erfahrungen mit Schlichtungsstellen auf dem Kontinent bieten vielleicht aber eine größere Gewähr für die sinnvolle Regelung solcher Dispute 160 . Unabhängig von der Frage, ob diese Spezialgerichte effektive und sinnvolle Einrichtungen sind, was im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter ausgeführt werden kann, ist auf jeden Fall festzustellen, daß diese Spezialgerichte zumindest ein wesentliches Argument gegen die Schaffung einer separaten Verwaltungsgerichtsbarkeit beseitigen: Man hat stets behauptet, die mühsam 1873—75 erlangte Einheit von Common Law und Equity ginge verloren, wollte man neben der ordentlichen Gerichtsbarkeit noch ein Verwaltungsgericht oder gar ein System von Verwaltungsgerichten schaffen. Die Einheit des Common Law ginge damit in der Tat verloren, doch dürfte dies kaum nachteilig sein, zumal die Rechtsprobleme des Wohlfahrtstaates mit den teilweise antiquierten und unzulänglichen Regeln des Common Law heute oft nur schwer zu bewältigen sind. Die Errichtung der beiden Spezialgerichte in der grauen Zone vor der Schwelle der ordentlichen Gerichte zeigt darüberhinaus eindeutig, daß der Gesetzgeber seinerseits dies verstanden hat und längst bereit ist, die Forderung nach Rechtseinheit gegebenenfalls außer acht zu lassen, wenn dies opportun erscheint.

Kapitel 10 IV.

Ρ ari amen tarische Kon trollmaßnahmen

Außer den bereits dargestellten gerichtlichen und außergerichtlichen Kontrollmaßnahmen stehen dem Abhilfe suchenden Bürger durch Einschaltung von Abgeordneten aber noch eine Reihe parlamentarischer 159

Machinery of Justice, 6. Aufl., S. 474.

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Hilfsmittel zur Verfügung, die von der traditionellen britischen Verfassungslehre als Alternative zu den justizstaatlichen Verwaltungskontrollen Kontinentaleuropas angeboten wurden. Auf eine ausführliche Darstellung dieser Maßnahmen kann verzichtet werden, da der britische Parlamentarismus in der deutschen Literatur bereits eingehend dargestellt worden ist 1 . 1. Briefe an Unterhausabgeordnete Gesetzt den Fall, der rechtsuchende Bürger hat zunächst versucht, sich brieflich an eine Behörde zu wenden, hat nach geraumer Zeit eine abschlägige Antwort erhalten, hat festgestellt, daß eine gerichtliche Überprüfung im High Court an Formalitäten scheitert, wie etwa, daß er nicht „Betroffener" sei 2 , weil es ein subjektives öffentliches Recht, das den Nachbarschutz umfassen würde, nicht in der detaillierten Ausgestaltung wie in Deutschland gibt: hat vielleicht ferner versucht, seinen Fall vor ein Tribunal zu bringen, das seine Beschwerde ebenfalls abwies und lediglich die Möglichkeit der Abhilfe durch den zuständigen Minister offenließ; doch dieser bekräftigte nur noch einmal die bereits zu Anfang getroffene Ermessensentscheidung seiner Behörde. In einem solchen Fall — und meist schon wesentlich früher — wird dieser Bürger i n England versuchen, durch seinen Unterhausabgeordneten Hilfe zu erlangen 3 . Als naheliegendste und beliebteste Methode wird er einen Brief an seinen direkt gewählten Abgeordneten senden, in dem er um Beistand in seiner Angelegenheit bittet 4 . Jeder Abgeordnete erhält Hunderte von Briefen pro Jahr. Sie halten ihn i n Kontakt mit seinen Wählern, und häufig richtet er obendrein regelmäßige Sprechstunden i n seinem Wahlkreis ein, i n denen ebenfalls Beschwerden gegen Behörden der Zentralverwaltung vorgebracht werden können. Dieser unmittelbare Kontakt ist auch ein großer Vorzug des Direktwahlsystems. Hierdurch bemüht sich der Abgeordnete, in der Zeit zwischen den Wahlen bei seinen Wählern weiteren Rückhalt zu finden. Das beflügelt sein Interesse an den Beschwerden seiner Wähler, denn er weiß, daß ein erfolgreicher Abschluß einer Streitigkeit mit der Verwaltung auf seine Initiative hin sich sehr schnell im Wahlkreis herumspricht und die Chancen seiner Wiederwahl erhöhen. Natürlich hängt der weitere Verlauf nach Empfang des Briefes seitens 1 Vgl. etwa Loewenstein, Bd 1, Parlament, Regierung, Parteien; Ritter, Parlament und Demokratie in Großbritannien, S. 330 ff; Sontheimer, Das politische System Großbritanniens, S. 81 ff; Κ. A. Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 163 ff; Sir Erskine May's Parliamentary Practice, S. 319 ff, 591 ff, 1019 ff. 2 Vgl. den Fall des Major Buxton, supra, Kap. 9, c II, S. 143 ff. 3 Vgl. hierzu auch Kersell, Public Law 1959, S. 153 ff. 4 Jährlich werden über 250000 Briefe an Abgeordnete geschrieben, vgl. de Smith, Const, and Admin. Law, S. 295.

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eines Wahlkreisbürgers entscheidend davon ab r worum es im Einzelfall geht 6 . Der Abgeordnete hat nun eine ganze Reihe von Handlungsmöglichkeiten, die Erfolg bringen, aber ebenfalls aus vielen Gründen erfolglos bleiben können. Der Abgeordnete kann sich direkt an das zuständige Ministerium wenden, manchmal sogar ein Interview mit einem Verwaltungsbeamten erwirken — vor allem, wenn er Abgeordneter der Regierungspartei ist — oder einen Regierungsvertreter im Parlament zwanglos ansprechen. Die meisten Beschwerden werden jedoch heute schriftlich dem Ministerium zugeleitet®. 2. Fragestunde im Parlament Häufig erhält der Abgeordnete aber nur eine kurze schriftliche Mitteilung, die im wesentlichen nur den Bescheid an den Bürger wiedergibt. K. A. Friedmann 7 schildert anschaulich, daß die Beantwortung solcher Anfragen für die primär auf den Schutz des zuständigen Ministers geeichten hohen Beamten häufig lediglich ein intellektuelles Spiel ist, bei dem routinemäßig die förmliche Zurückweisung jeglichen Fehl Verhaltens oder aber die geschickte Umgehung einer klaren Antwort wahlweise angewendet wird 8 . Dieses „Spiel" ist dem eigentlichen Beschwerdezweck nicht gerade förderlich, doch kaum vermeidbar, wenn man bedenkt, daß mit den schriftlichen und mündlichen Anfragen nicht nur die Lösung einer Streitigkeit herbeigeführt werden soll, sondern obendrein nach Möglichkeit auch politisches Kapital geschlagen werden soll, vor allem, wenn es sich um einen Brief eines Oppositionsangehörigen handelt. Der Angriff auf den Minister lenkt dann meist von der eigentlichen Beschwerde ab 9 . Dennoch kann dieses Hilfsmittel im Einzelfall erfolgversprechend sein. Kommt der Abgeordnete zu der Auffassung, daß das Verhalten der Verwaltung einwandfrei war, schreibt er einen höflichen Brief an seinen Wähler, dem er die Auskunft des Ministeriums beifügt. Ist der Abgeordnete jedoch der Meinung, die Auskunft der Verwaltung sei unzureichend oder lasse eine Unregelmäßigkeit vermuten, so kann 5 Zu den verschiedenen Kategorien von Streitfällen mit der Verwaltung, s. Griffith & Street, 3. Aufl., S. 208 f. 6 Vgl. K. A. Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 166; nach ChesterBowring werden heute über 50000 Briefe pro Jahr auf diesem Wege behandelt, S. 104. 7 Vgl. Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 168; s. a. May, Parliamentary Practice, S. 319 ff. 8 Vgl. Johnson, 39 Public Administration, 1961, S. 137: „Like most human beings with a skill, officials acquire some quiet pride in their mastery of the technique of drafting replies to questions . . . " ; s.a. Strauss, S. 286f; ferner Kerselli, Public Law 1959, S. 153 (159). 9 Friedmann, a.a.O., und S. 169.

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er i n der Fragestunde des Parlamentes, für die täglich von Montag bis Donnerstag eine dreiviertel Stunde bereitgestellt wird, eine entsprechende mündliche Frage an den Minister oder dessen Stellvertreter richten. Die Fragestunde ist die unberechenbarste und lebendigste Einrichtung des Parlamentes. Oft w i r d sie aber auch dazu verwendet, daß ein Abgeordneter der Regierungsfraktion eine Scheinfrage stellt, um dem Minister Gelegenheit zu bieten, eine öffentliche Erklärung abzugeben. Oft kommt es während dieser Stunde zu kalkulierten oder echten Zornesausbrüchen, Angriffen, Gegenangriffen und Zwischenrufen, aber auch zu humoristischen Beilagen: So begründete Sir Winston Churchill einmal seine Ablehnung der Loslösung des Fischereiwesens vom Ministerium für Fischerei und Landwirtschaft damit, daß es eine sehr lange Verbindung zwischen Fisch und Chips gäbe 10 . Der Regierungschef und der Oppositionsführer buhlen dann um die Gunst der Wähler, die häufig am nächsten Tag in den Meinungsumfragen ablesbar ist. Daneben hat aber auch der Abgeordnete eine Chance, sich zu profilieren. Er kann hier die Aufmerksamkeit der Parteioberen auf sich lenken, beweisen, daß er „ministrabel" ist und gleichzeitig für die Lokalpresse als Matador für seine Beschwerdeführer posieren. Paradebeispiel ist die Crichel Down-Affäre von 1954, in deren Verlauf auf Druck der Regierungsfraktion die Reprivatisierungspolitik des Landwirtschaftsministers vor einer drohenden Abstimmungsniederlage der Regierung umgestoßen wurde und der zuständige Minister zurücktrat 11 . Doch ist dies Mittel nur begrenzt anwendbar. Bei 630 Abgeordneten sind insgesamt 180 Minuten Fragezeit pro Woche herzlich wenig, um eine effektive Kontrolle der Exekutive auf diesem Wege zu ermöglichen und nur selten werden ähnliche Konstellationen der Regierungsmehrheit wie in der Crichel-Down-Affäre vorkommen. 3. Vertagungsdebatte („Adjournment Debate") Daneben gibt es aber noch andere parlamentarische Hilfsmittel, mit denen der Abgeordnete die Beschwerde weiterverfolgen kann, unter anderem die kleine Vertagungsdebatte, von der es drei Varianten gibt 1 2 . So kann ein Regierungsvertreter eine dreißigminütige Vertagung der Debatte beantragen, während der jeweils ein durch Los ermittelter Abgeordneter seine Angelegenheit vortragen kann. Hierfür stehen ihm bis zu 15 Minuten zur Verfügung. Die restlichen 15 Minuten werden meistens vom zuständigen Minister oder häufiger von dessen Stellvertreter zur Beantwortung der Vorwürfe und Fragen verwendet. 10

De Smith, Const, and Admin. Law, S. 296, Fn. 63. Vgl. Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 154 ff. Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 170 ff; May, Parliamentary Practice, S, 1019 ff; Kersell, Public Law 1959, S. 160; de Smith, Const, and Admin. Law, S. 243; für eine interessante „insider"-Darstellung im Verhältnis zu den staatlichen Industrien, vgl. Morrison, S. 271 ff. 11

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Falls die Tagesordnung vor 22 Uhr beendet ist (dem gewöhnlich vorgesehenen Beginn der Vertagungsdebatte), kann die zusätzliche Zeit für dieselbe Angelegenheit verwendet werden, mit der Möglichkeit, daß auch andere Abgeordnete zu Wort kommen. Schließlich w i r d der letzte Tag vor den Parlamentsferien traditionell ausschließlich für Vertagungsdebatten freigehalten. Aus der Form dieser Debatte w i r d bereits deutlich, daß sich die Abgeordneten um diese begehrte Redemöglichkeit drängen, allerdings auch nur wichtige Beschwerden ihrer Wähler hierfür verwenden. Da der Abgeordnete weiß, wie schwer es ist, zu den acht ausgelosten Rednern für 14 Tage zu gehören, w i r d er von sich aus nur dann an der Auslosung für diese Debatte teilnehmen, wenn sein Anliegen einigermaßen schwerwiegend ist. 4. Andere parlamentarische Maßnahmen Außer diesen Möglichkeiten kann der Abgeordnete den Streitfall seines Wählers mit der Verwaltung auch noch auf andere Weise unterstützen: Er kann z. B. eine „Early Day Motion" einbringen, einen Entschließungsantrag zur möglichst baldigen Debattierung 13 . Zwar besteht bei der Fülle der legislatorischen Debatten so gut wie keine Chance, daß dieser Antrag tatsächlich behandelt wird, doch erscheint er formell in der vorbereitenden Tagesordnung. Er dient lediglich dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen. Dieser Antrag kann im übrigen bei genügender Gewichtigkeit des Anlasses zu einer A r t Petition werden, indem der Abgeordnete möglichst viele Unterschriften anderer Abgeordneter zu seinem Antrag gewinnt. Darüberhinaus kann bei großem öffentlichen Interesse eine Spezialuntersuchung nach dem Tribunals of Inquiry (Evidence) Act, 1921, durchgeführt werden, wie etwa im Pro/umo-Skandal oder neuerdings in der Lords Lamb ton-Jellicoe-Affäre 14. Eine weitere Möglichkeit, den Fall seines Wählers parlamentarisch zu fördern, besteht darin, eine „Supply Debate" zu erwirken, durch die sich das Unterhaus in einen Ausschuß des ganzen Hauses verwandelt 1 6 . In einem solchen Fall muß es sich jedoch um eine schwerwiegende Frage handeln, die geeignet ist, dem Minister oder gar der Regierung erhebliches Unbehagen zu bereiten. Praktisch wichtiger ist die Möglichkeit der Opposition, solche Streitfälle mit der Exekutive im Rahmen ihrer 26 Tage „Supply Days" vorzu13 Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 173; ferner Kersell, Public Law 1959, S. 159 ff. 14 S. hierzu die ausführliche Darstellung der Royal Commission on Tribunals of Inquiry, 1966, Cmnd. 3121. 15 Friedmann, a.a.O.; May, Parliamentary Practice, S. 591 ff u. 1024; Kersell, Public Law 1959, S. 160.

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tragen 16 . Das setzt aber ebenfalls voraus, daß die Angelegenheit geeignet ist, allgemeines öffentliches Interesse zu erregen, um in erster Linie der Opposition die Chance zu bieten, gegenüber der Regierung Punkte zu sammeln. Schließlich gibt es auch noch das große Geschütz eines Mißtrauensoder Tadelsantrages, der vom Oppositionsführer gestellt wird. Nur ganz selten wird einer der jährlich über eine Viertelmillion Briefe an die Abgeordneten sich für diese Form der parlamentarischen Kontrolle eignen. 5. Bedeutung dieser Kontrollmaßnahmen für den einzelnen Bürger Dem mit einem lapidaren Bescheid der Verwaltung unzufriedenen Bürger öffnen sich über seinen Wahlkreisabgeordneten demnach eine Palette verschiedener Möglichkeiten, die Aufmerksamkeit der Regierung und der Verwaltung für seine Beschwerde im Parlament zu erregen. Optisch wirken diese Kontrollmittel beeindruckend, und falls es sich um wirklich große Mißstände der Verwaltung handeln würde, bestünde gute Aussicht, daß die Regierung von sich aus bereit wäre, eine Ausnahme zu machen, gegebenenfalls eine geringe Schuld einzugestehen oder gar eine neue, unabhängige Untersuchung durchzuführen. Erklärt sich die Regierung hierzu nicht bereit, kann der Abgeordnete so gut wie nichts unternehmen: Es müssen schon außergewöhnliche Vorfälle vorliegen, ehe die mit dreireihigem Abstimmungszwang („Three-Linie Whip") gesicherte Regierung nachgeben muß 1 7 ; selbst bei so wichtigen Fragen wie dem Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nützte die geballte Kontrolle der Opposition gegenüber einer entschlossenen und durch eine komfortable Mehrheit gesicherte Regierung — trotz einer großen Zahl von Dissentern in den eigenen Reihen — nichts. Die Regierung weiß auch genau, daß ihre Anhänger nicht leichthin ihr Mandat und das Regierungsamt aufs Spiel setzen, um Einzelfälle der Verwaltung zu rügen. In der Praxis hat sich nach einhelliger Meinung des Schrifttums zu dieser Frage demnach herausgestellt, daß diese Kontrollmaßnahmen im Parlament nicht viel mehr als Symbolwirkung haben und bestenfalls gelegentliche und rein zufällige Abhilfe schaffen 18. Allein die Briefe an Abgeordnete erweisen sich als praktikables und beliebtes Mittel, wenngleich ihr praktischer Nutzen auch relativ be16

May, a.a.O., S. 1021. Marshall-Moodie, S. 80, 93; s. a. die parlamentarische Situation im Verlaufe der Cridiel-Down-Affäre, vgl. auch Mitchell, VerwA Bd 64, 1973, S. 164 ff (170). 18 Vgl. Garner, S. 36; Griffith & Street, 3. Aufl., S. 212 f, zit. Lloyd George: „... Parliament has really no control over the executive? it is pure fiction"; Marshall-Moodie, S. 81; vgl. auch Franks Report, Cmnd. 218, § 10. 17

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schränkt ist. Der Parlamentarier weiß meist nichts über die Hintergründe des Falles, die traditionell geheimnisumwobene Verwaltung hütet sich davor, relevante Informationen zu erteilen, zumal wenn diese Mißstände aufdecken würden, und häufig hat der Abgeordnete auch nicht die Zeit, sich in komplizierte Details eines Wählerstreites mit der Verwaltung einzuarbeiten. Dennoch hat sich dieses Mittel des Abgeordneten als „Briefträger" oder Hilfeleistender bewährt, weil auf informellem und unbürokratischem Wege direkter Kontakt mit Ministern, Ministerialbeamten oder anderen fachkundigeren Abgeordneten aufgenommen werden kann. Die Chancen einer Abhilfe verringern sich jedoch erheblich, wenn es sich um Oppositionsanfragen handelt. Hier vermutet die Regierung nicht zu Unrecht das M o t i v der Blamierung des zuständigen Ministers und wird dementsprechend wenig Neigung zeigen, den konkreten Streitfall gütlich beizulegen. Die Fragestunde des Parlamentes und die Vertagungsdebatten sind an sich hervorragend geeignet, die Regierung unter Druck zu setzen und häufig noch vor der eigentlichen Debatte kompromißbereit zu stimmen, damit die Sache schnell erledigt wird 1 9 . Leider ist die hierfür zur Verfügung stehende Zeit zu knapp bemessen, um eine wirksame, mehr als zufällige Kontrolle über die Verwaltung zu ermöglichen 20 . Für den größten Teil der Beschwerden von Wählern sind solche Maßnahmen auch ein „zu großer Hammer für eine kleine Nuß" 2 1 . Mangelnde Sachkenntnis der Abgeordneten, zu geringe Vorbereitungszeit, gepaart mit der Geheimniskrämerei der Verwaltung und der Politisierung sämtlicher Angelegenheiten, die oft nur sehr untergeordnete Fragen der Leistungsverwaltung betreffen, machen die rein parlamentarische Kontrolle der Verwaltung unzureichend und für den einzelnen Bürger praktisch zur Illusion 2 2 . Diesen Mißstand hat das Parla19 Vgl. die ausführliche Darstellung bei Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 176—178. 20 S. hierzu Loewenstein: Zur Gegenwartslage des britischen Parlamentarismus, Recht und Staat, Heft 344/345, S. 19; s. a. Mitchell, 38 Political Quarterly 1967, 360—374 (363 f). 21 Diese Redewendung wurde von Richard Crossmann als Fraktionsführer der Labour-Partei im Zusammenhang mit der Vorlage eines Ombudsman-Gesetzes (Entwurf) verwendet, als er bestehende Institutionen, ζ. B. die Anhörverfahren nach einem Gesetz aus dem Jahre 1921 (Tribunals of Inquiry (Evidence) Act) kritisierte; vgl. H. C. Deb. vom 18.10.1966, Vol. 734, col. 44: „About the tribunal of Inquiry as a method of dealing with maladministration, all I can say is that it is a very large hammer with which to crush a nut." 22 Nach alledem muß die Ansicht Κ. Α. Friedmanns, Kontrolle der Verwaltung, S. 179, daß diese parlamentarische Kontrolle eine „legitime und eigenwertige Lösung" für dieses Problem ist, verwundern. Mochten diese Kontrollen in wenigen Paradefällen, die großes Aufsehen erregten, auch funktionieren, so lassen diese eine so optimistische Einschätzung aller Streitigkeiten mit der Verwaltung nicht zu.

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ment selber mit großer Verspätung i n den sechziger Jahren erkannt, nachdem die Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft hierauf schon lange hingewiesen hatte.

6. Der Parlamentsbeauftragte („Parliamentary Commissioner for Administration") a) Entstehungsgründe dieser Institution Die wachsende Unzufriedenheit mit den bestehenden Kontrollmechanismen des Parlamentes und die Einsicht, daß auch der mit viel Lob ausgestattete Tribunalrat als Resultat der Franks-Komifee-Untersuchung lediglich i n einem Teilbereich Ansätze einer Reformbereitschaft für eine größere Kontrolle der Verwaltung gezeigt hatte, daß aber der einzelne Bürger nach wie vor in wichtigen Fragen ohne jeglichen Anspruch auf eine Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen blieb, führte schon unmittelbar nach Beendigung der Franks-Komitee-XJnteisudmng dazu, erneut danach zu fragen, ob und wie die Kontrolle der Verwaltung effektiver gestaltet werden könnte. Das Franks Komitee konnte aufgrund seiner begrenzten Kompetenzzuweisung lediglich Tribunals und Anhörverfahren untersuchen und noch nicht einmal die von Professor Robson vorgeschlagene Errichtung einer allgemeinen gerichtlichen Appellationsinstanz für Verwaltungssachen näher untersuchen. Soweit ein solches allgemeines Appellationsgericht allerdings Tribunals beträfe, machte das Franks Komitee Bemerkungen, die darauf schließen ließen, daß sie selbst bei einem größeren Kompetenzrahmen diesen Vorschlag abgelehnt hätten: Sie meinten, daß die Berufungsmöglichkeit von Tribunalen, die stets mit berufserfahrenen Experten besetzt seien, an ein Gericht, dessen Mitglieder vergleichsweise unerfahren wären, wenig Vorteile biete 2 3 , überdies ginge damit die Rechtseinheit des Common Law verloren. Ehe das in Kauf genommen werden sollte, müßten die Protagonisten für die Veränderung hieb- und stichfeste Gründe angeben, was bislang nicht erfolgt sei 24 . Auch die Schaffung einer Kammer für Verwaltungssachen am High Court („Administrative Division") lehnte das Komitee aus diesen Gründen pauschal ab 2 5 . Der vom Komitee dann vorgeschlagene und bereits ein Jahr später errichtete Tribunalrat war das Ergebnis dieser Überlegungen. Da dieser Rat jedoch nur sehr begrenzte Kontrollaufgaben erhalten hatte und Fälle von Maladministration (wie z.B. die Crichel 23

Franks Report, Cmnd. 218 (1957), § 121, S. 28. Ebda., §§ 122 f, S. 29. 25 A.a.O., §§ 124, 125, S. 29, allerdings ohne auf die Frage eingehen zu können, ob außerhalb der Tribunal- und Anhörverfahren eine solche Institution notwendig wäre. 24

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Down-Affäre) bei Befangenheit und inkorrektem Verhalten von Beamten nicht untersuchen konnte, bestand hier weiterhin eine Lücke im Rechtsschutz des Bürgers gegen Verwaltungsfehlverhalten. Die Unzufriedenheit einer informierten Minderheit von Parlamentariern, Journalisten und engagierten Einzelpersonen fand dann auch bald ein gemeinsames Ventil: Man engagierte sich für das „Ombudsman"-Modell Skandinaviens. Bereits Ende 1957 hatte Professor Law son ein Memorandum an „Justice", die britische Abteilung der Internationalen Juristenkommission verfaßt, in dem er die Funktion des schwedischen Ombudsman schilderte und empfahl, diese Institution von „Justice" näher untersuchen zu lassen 26 . „Justice" errichtete dann ein Unterkomitee, das nach einigen vorbereitenden Sitzungen jedoch erkannte, daß die Durchführung einer solchen Untersuchung mit einem finanziellen Aufwand verbunden sein würde, den „Justice" seinerzeit nicht erbringen konnte. Im Sommer 1958 veröffentlichte dann Prof. Hurwitz, der dänische Ombudsman, einen Aufsatz über diese in Dänemark seit 1954 bestehende Institution 2 7 und hielt eine Reihe von Vorträgen im ganzen Land. Ein Jahr später besuchte ein Mitglied von „Justice" die dänischen und schwedischen „Ombudsmänner", diskutierte in Norwegen die Pläne für ein solches Amt und publizierte zwei vielbeachtete Berichte in der Sonntagszeitung „Observer" 2 8 . Im Juni 1959 beschloß „Justice" dann, eine detaillierte Studie über die Frage einzuleiten, nachdem eine Stiftung die notwendige finanzielle Unterstützung bereitgestellt hatte und Sir John Whyatt als Forschungsdirektor gewonnen werden konnte. Der Whyatt-Report wurde 1961 veröffentlicht und erregte großes Interesse im Parlament und in der Presse. Er ging davon aus, daß er den Faden dort aufnehmen würde, wo das Franks Komitee ihn liegengelassen habe 29 . Zu diesem Zwecke schlug der „Whyatt Report" vor, daß das bestehende System der Tribunalverfahren erheblich erweitert werden sollte, sodaß künftig auch Ermessensentscheidungen von Verwaltungsbeamten überprüft werden könnten 3 0 und daß obendrein ein britisches Gegenstück eines „Ombudsman" zur Uberprüfung von Maladministration geschaffen werden sollte 31 . Diese 26

Vgl. Whyatt-Report, S. xiv; zum folgenden, s. a. Stacey, S. 15 ff. Vgl. Public Law 1958, S. 236 ff ; s. a. Pedersen, Public Law 1959, S. 115—127. 28 Blom-Cooper, The Observer, 31.5. und 7.6.1959; vgl. auch dessen Aufsatz in Public Law 1960, S. 145 ff; ferner Hansen, S. 16 ff. 29 Stacey, S. 21; s.a. Bradley, Cambridge L. J. 1962, 82 ff. 80 Vgl. Whyatt-Report, S. 32 f (§ 68) u. S. 79 (§ 165); dieser Vorschlag wurde allerdings nie befolgt. 81 Whyatt-Report, S. 68 (§ 146) u. S. 80 (§ 168); Hansen, S. 22, meint fälschlicherweise, der Whyatt-Report habe zwei Alternativen neu entworfen: Die Errichtung eines dem französischen Conseil d'Etat entsprechenden Gerichtes oder die Institution des Ombudsmannes. Tatsächlich hat der Whyatt-Report jedoch die Conseil d'Etat-Lösung rundheraus abgelehnt, mit der Begründung, das britische Parlament habe mit der Schaffung des Tribunalrates diese Entscheidung 27

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Institution sollte zusätzlich zu den bereits bestehenden parlamentarischen Kontrollmitteln errichtet werden. Allerdings sollte der jeweils zuständige Ressortminister die Untersuchung des Ombudsmannes durch ein Vetorecht unterbinden können und der Ombudsman nur die Korrespondenz des Ministeriums mit den Betroffenen und nur in Ausnahmefällen verwaltungsinterne Memoranden einsehen dürfen 32 . Glücklicherweise sind die Beschränkungen in dem später ergangenen Gesetz nicht aufgenommen worden 3 3 . In der Zwischenzeit hatte sich eine weitere, weniger bekannte konservativ eingestellte Organisation dieser Frage gewidmet, die „Society for Individual Freedom" 34 . Sie veröffentlichte ein im Auftrage geschriebenes Buch über den dänischen Ombudsman, das an alle Abgeordneten und auch an die Parteizentrale der Konservativen kurz vor derem Jahreskongreß geschickt wurde 3 5 . Außerdem wurde Prof. Hurwitz 1960 zum zweiten Male zu einer Vortragsreihe eingeladen, die diesmal optimale Publizität erlangte 36 . Dr. Donald Johnson, Mitglied sowohl der „Society for Individual Freedom" als auch von „Justice" und zugleich Parlamentsabgeordneter gelang es in der Folgezeit sogar, eine Vertagungsdebatte im Unterhaus über dieses Thema zu erlangen, allerdings ohne unmittelbaren Erfolg. Die Macmiiian-Regierung lehnte die Empfehlungen des Justice-Komitees unter Sir John Whyatt jedoch in einer kurzen schriftlichen Antwort pauschal ab und verwies darauf, daß eine Erweiterung des Tribunalsystems die Verwaltungsarbeit verzögern und inflexibel machen würde und daß die bestehende Verfassungspraxis, insbesondere durch die Abhilfemöglichkeit mittels Einschaltung von Parlamentsabgeordneten, alle echten Beschwerden adäquat lösen könnte, ohne daß eine neue Institution geschaffen werden müßte 37 . bereits gefällt, vgl. Whyatt-Report, S. 7 f, §§ 13 f. Hansen übersieht, daß der Vorschlag eines „General Tribunals", Whyatt-Report, S. 32 (§ 68), nicht als Alternative zur Ombudsman-Einrichtung, sondern als Ergänzung des Tribunalsystems gedacht war. Allerdings wurde dieser Teil des Whyatt Reports sowohl von der damaligen konservativen Regierung als auch der Labour-Opposition nicht weiter beachtet. 32 Vgl. Whyatt-Report, S. 70 ff (§§ 150—153; 155). 33 Stacey, S. 22. 34 Vgl. näheres hierzu in Stacey, S. 28 ff. 35 Geschrieben von T. E. Utley, Occasion for Ombudsman, 1961. 38 Vgl. The Observer, 10. 4. I960; The Listener, 12. 5.1960 (Diskussion zwischen Prof. Hurwitz und den Professoren Griffith und Wade. Diese wurde auch im Rundfunk übertragen. Wades Schlußwort lautete: „Perhaps we shall come round to your way of thinking, Professor Hurwitz. At any rate, if we do, it will not be the first time that Denmark will have conquered England", The Listener, 12. 5. 60, S. 838, zit. in Stacey, S. 32. 37 Vgl. H. C. Deb., Vol. 666, col. 1124.

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b) Die Rolle des Parlamentsbeauftragten im Verfassungssystem Die damalige Labour-Opposition nahm dann den Vorschlag für einen „Ombudsman" unter dem Namen „Parliamentary Commissioner" in ihr Wahlprogramm 3 8 auf, nachdem Harold Wilson in zwei öffentlichen Versammlungen sich für diese Institution eingesetzt hatte 39 . Das „Justice"Komitee überprüfte darauf noch einmal seine Vorschläge unter Berücksichtigung des inzwischen geschaffenen neuseeländischen Vorbildes 4 0 und strich vor allem das vielzitierte Veto-Recht des Ministers und das Recht der Einsichtnahme des Ombudsmans in alle Ressortakten aus seinem Bericht, den es nunmehr in Form eines Gesetzentwurfes dem SchattenLordkanzler Gardiner zuschickte 41 . Es dauerte aber noch zweieinhalb Jahre, ehe während der zweiten Wilson·Regierung nach umfänglichen Debatten in beiden Häusern des Parlamentes 42 der schon vorher benannte Parlamentsbeauftragte am 1. A p r i l 1967 sein Amt aufnehmen konnte. Die W a h l fiel auf Sir Edmund Comp ton, der vorher „Comptroller and Auditor-General" und damit hoher Verwaltungsbeamter gewesen war und den Harold Wilson während seiner Zeit als Vorsitzender des „Public Accounts Committee" des Unterhauses kennengelernt hatte 4 3 . Diese Wahl wurde von vielen als glücklich empfunden, weil schon der Whyatt-Report die Parallelen der „Ombudsman"-Idee mit der Institution des „Comptroller and AuditorGeneral", des obersten parlamentarischen Rechnungsprüfers, aufgezeigt hatte 44 . Ein Vorteil der vorzeitigen Benennung Sir Edmunds für das neue A m t war, daß dieser sich gründlich auf seine neuen Aufgaben vorbereiten konnte und unmittelbar nach dem 1.4.1967 einen v o l l handlungsfähigen, vorher rekrutierten Mitarbeiterstab von 59 Personen 45 zur Verfügung hatte. Außerdem reiste er 1966 nach Neuseeland und diskutierte dort 38

„Lets go with Labour for a New Britain", Wahlmanifest 1964, S. 3. Ansprache vor der Society of Labour Lawyers, 20. 4.1964 und in einer öffentlichen Versammlung in Stowmarket, am 3. 7.1964. Vgl. hierzu auch die Rede von Richard Crossman in H. C. Deb. vom 18.10. 1966, Vol. 734, col. 42—61. 40 Vgl. Hansen, S. 19 f; Sawer, S. 25 f; Aikman, 42 Canadian Bar Rev., 1964, S. 399 ff. 41 Stacey, S. 46. 42 Vgl. hierzu die sehr ausführliche Darstellung bei Stacey, Teil 2, S. 51—234. 43 Er war 4 Jahre im Amt. Seit 1.4.1971: Sir Alan Marre, vorher Second Permanent Secretary im Ministerium für das Gesundheits- und Sozialwesen; vgl. 2. Report from the Select Committee on the P.C.A., H. C. (1970—71), S. v; ferner Foulkes, S. 253. 44 Vgl. Stacey, S. 42 und 243; Whyatt-Report, S. 68, § 146; vgl. aber die Kritik von Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 263 ff, daß durch die Wahl eines Beamten zur Kontrolle der Beamten der Handlungsspielraum unnötig eingeengt wurde. 45 Stacey, S. 272; diese rekrutieren sich ausnahmslos aus der Beamtenschaft und kehren nach einiger Zeit in die Verwaltung zurück. 39

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mit dem neuseeländischen Ombudsman Sir Guy Powles 4e, insbesondere dessen Erfahrungen mit der konkreten Fallbearbeitung sowie seines Verhältnisses zum Parlament. Ein Mitarbeiter Sir Edmunds reiste inzwischen nach Schweden und Dänemark und berichtete anschließend, daß dort die Ombudsmänner als „Verwaltungsrichter" fungierten 47 und wegen der wesentlich kleineren Bevölkerung in diesen Staaten weniger formalisierte Verfahren entwickeln konnten, als es für Großbritannien ratsam erscheinen würde. Deshalb könnten diese Modelle für die praktische Arbeit des britischen Parlamentsbeauftragten weniger hilfreich sein. Der britische Ombudsman unterscheidet sich in einem Punkt wesentlich von seinem skandinavischen, aber auch von seinem neuseeländischen Vorbild: Er kann nur dann tätig werden, wenn ihm ein Streitfall des Bürgers mit der Zentralverwaltung von einem Unterhausabgeordneten zugewiesen wurde. M i t h i n darf er Hinweise aus der Bevölkerung nicht untersuchen, eine erhebliche Einschränkung seiner Wirkungsweise. Diese Abweichung wurde seinerzeit vom Whyatt-Report vorgeschlagen und war als Konzession an die damalige konservative Regierung gedacht, die dem Prinzip der Ministerverantwortlichkeit und der Bedeutung des einzelnen Abgeordneten für Angelegenheiten seines Wahlkreises unabdingbar verpflichtet war 4 8 , wurde jedoch von der späteren Labour-Regierung ebenfalls übernommen. Auch die Tatsache, daß der Parlamentsbeauftragte nicht vom Parlamente gewählt wird, sondern vom Premierminister ernannt wird, verringert seinen Status im Vergleich zu skandinavischen Vorbildern 4 9 . Der Parlamentsbeauftragte darf im übrigen lediglich Fälle von Maladministration untersuchen. Dieser Begriff wurde absichtlich schwammig gehalten 50 , damit der Parlamentsbeauftragte mit zunehmender Fallerfahrung eigene Kriterien herausarbeiten könnte. Der damalige Minister Crossman zählte jedoch folgende Beispiele von Maladministration auf: „Voreingenommenheit, Nachlässigkeit, Unachtsamkeit, Verzögerung, Inkompetenz, Abwegigkeit, Schuldhaftigkeit, Willkür, und so weiter" 5 1 , die inzwischen allgemein verwendet werden. Der erste Ombudsman, Sir Edmund Compton 52, sagte in einer Ansprache dazu, daß das „und so weiter" eventuell der wichtigste Teil der Definition von „Maladministration" sei 58 . 46

Stacey, S. 241. Stacey, a.a.O. 48 Stacey, S. 9 f; s. a. Aris, S. 402 f. 49 Hansen, S. 64 ff; er wird jedoch damit wie ein Richter oder Auditor-General gewählt; s. Foulkes, S. 253. 50 So ausdrücklich Crossman, H. C. Vol. 734, col. 51 f. 51 Crossman, a.a.O.; vgl. hierzu auch Stacey, S. 75; P. Jackson, Public Law 1971, S. 39 (44); Marshall, Public Law 1973, S. 22 ff (33), der eine eigene Kategorisierung erstellte. 52 Gegenwärtig ist Sir Alan Marre Ombudsman. 47

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Der Parlamentsbeauftragte darf nicht selber Mitglied des Parlamentes sein, um seine Unabhängigkeit zu dokumentieren und muß bei Erreichung der Altersgrenze (65 Jahren) von seinem Amte ausscheiden. Er ist ex officio-Mitglied des Tribunalrates und hat somit einen gewissen Einfluß auf Angelegenheiten, die an sich seiner Zuständigkeit entzogen sind 54 . Für seine Tätigkeit steht ihm ein Mitarbeiterstab von gegenwärtig 59 Personen zur Verfügung. Der Zuständigkeitsbereich des Parlamentsbeauftragten umfaßt nahezu alle zentralen Regierungsbehörden, mit Ausnahme des nationalen Gesundheitsdienstes 55 . Weite Bereiche der Verwaltungstätigkeit, insbesondere die gesamte Kommunalverwaltung, die Angelegenheiten der Streitkräfte, der Beamten und der Polizei, können von ihm jedoch nicht überprüft werden 56 . Aber selbst dort, wo er an sich zuständig wäre, der betroffene Bürger jedoch eine Berufungsmöglichkeit an ein Tribunal oder Gericht hat, w i r d der Parlamentsbeauftragte gem. § 5 (2) des Gesetzes von 1967 nur in Ausnahmefällen eine Untersuchung durchführen.

c) Die Wirkungsweise des Parlamentsbeauftragten Im Rahmen dieser relativ begrenzten Aufgaben geht der Parlamentsbeauftragte wie folgt v o r 5 7 : Zunächst stellt er fest, ob der Streitgegenstand ihm von einem Abgeordneten zugeleitet worden ist oder nicht. Ist das nicht der Fall, endet bereits dort die Tätigkeit des Ombudsman. Gegebenenfalls überprüft er weiter, ob der betroffene Bürger die Untersuchung auch selber wünscht und ob die Zuständigkeit des Parlamentsbeauftragten nicht sonstwie ausgeschlossen ist 5 8 . Sodann prüft er, ob die betroffenen Personen nicht durch § 6 des Gesetzes von 1967 ausgeschlossen sind, z. B., weil es sich um Kommunalbehörden, verstaatlichte Industrien oder Regierungsbehörden handelt. Sind alle Kompetenzhürden genommen, prüft der Parlamentsbeauftragte, ob er von seinem Ermessen Gebrauch machen will, eine Untersuchung durchzuführen. Dieses Ermessen steht ihm insbesondere dann zu, wenn Fristen versäumt worden sind, 53 Compton, J. S. P. T. L., 1968, S. 101 ff (103); s. a. ders., in seiner Befragung durch den Unterhausausschuß über den Parlamentsbeauftragten, H. C. 350 (1967— 68), S. 39 (Frage 134). 54 Vgl. Boussard, S. 141 f. 55 Anhang 3 des Parliamentary Commissioner Act, 1967. 56 Vgl. P. Jackson, Public Law 1971, S. 39 ff (40). Der Whyatt-Report hatte für die Kommunalverwaltung die Uberprüfung regionaler Ombudsmänner empfohlen, vgl. S. 87 ff, Appendix A. 57 Vgl. hierzu Stacey, S. 245; ferner H. C. 6, (1967—68), First Report of the PCA; H. C. 134 (1967-68) Fourth Report of the PCA (Annual Report). 58 Etwa durch Anhang 3 des Gesetzes von 1967.

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Außergerich tliche Kon trollmaßnahmen

oder Berufungsmöglichkeiten an Tribunale oder Gerichte nicht wahrgenommen wurden 5 9 . Erst jetzt beginnt die eigentliche Untersuchung. Die Beschwerde wird dem obersten Verwaltungsbeamten des zuständigen Ministeriums mit der Bitte um schriftliche Stellungnahme übersandt. Sehr viele Untersuchungen enden in einer ausführlichen Begründung seitens des Ministeriums, die den Betroffenen vom Parlamentsbeauftragten zugeschickt wird. Ist der Parlamentsbeauftragte mit der Antwort nicht zufrieden, entsendet er einen seiner Mitarbeiter in das betreffende Ministerium, der dort alle Unterlagen einsehen und Beweise sammeln sowie Diskussionen mit Beamten führen kann, die mit der Sache zu tun hatten 60 . Unter Umständen macht das Ministerium in diesem Stadium von seinem Recht Gebrauch, die Geheimhaltung aller erlangten Informationen zu verlangen. Der Schlußbericht des Parlamentsbeauftragten wird dem Abgeordneten, allen im Bericht erwähnten Personen, sowie dem Staatssekretär des Ministeriums zugeschickt. Es ist dann Sache des Abgeordneten, der die Angelegenheit durch den Parlamentsbeauftragten untersuchen ließ, ob und wie er den Bericht weiterverwendet. Hieraus wird deutlich, wie stark die Zügel der Parlamentarier noch mit der Untersuchung durch den Ombudsman verbunden sind. Diese Prozedur ist wenig geeignet, in der Öffentlichkeit das Bild einer unabhängigen, bürgernahen und notfalls rigorosen Kontrollinstanz zu wecken 61 . Vor allem die Furcht vor einer Flut von Fällen hat diese restriktive Arbeitsmöglichkeit des Parlamentsbeauftragten bewirkt. d) Die Funktion des Unterhausausschusses über den Parlamentsbeauftragten Bereits wenige Monate nach Einführung der neuen Institution errichtete das Parlament einen Ausschuß, der die Berichte und Sonderberichte des Parlamentsbeauftragten entgegennehmen und zugleich die Arbeitsweise des Ombudsman beobachten sollte 62 . Sehr bald zeigte sich, daß dieser Ausschuß, entgegen negativer Erwartungen, daß die Berichte des Parlamentsbeauftragten i n einem relativ unbekannten, der allgemeinen Öffentlichkeit fernen Ausschuß versickern würden, vielmehr dazu führte, die neue Institution zu festigen und dem zuweilen zaghaften Parlaments59

Stacey, S. 245; Foulkes, S. 255, m. w. H. H. C. 134 (1967—68), S. 6, § 14. 61 So auch Mitchell·, VerwA, Bd 64, 1973, S. 172; ferner de Smith, S. 42. 62 Select Committee on the PCA, seit 23.11.1967; vgl. dazu ausführlich Stacey, Kap. 15, S. 259 ff. 60

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beauftragten Rückendeckung für mutigeres Vorgehen zu bieten. Außerdem kann dieser Ausschuß heute als Motor für den weiteren Ausbau der Ombudsman-Idee gewertet werden. Daneben stellt er ein weiteres parlamentarisches Mittel dar, mit dem nach Abschluß der Ombudsman-Untersuchung ein Streitfall mit der Verwaltung weiterverfolgt werden kann. Dies ist umso wichtiger, als der Parlamentsbeauftragte keinerlei Entscheidungskompetenzen sondern lediglich eine Prüfungskompetenz besitzt. Schon wenige Monate nach Einführung des Parlamentsbeauftragten ereignete sich ein berühmt gewordener Fall, der die Rolle des Ombudsmannes wie auch des Ausschusses über den Parlamentsbeauftragten sehr deutlich aufzeigte und das Interesse der Öffentlichkeit an dieser Institution förderte. Es handelte sich um den Sachsenhausen-Fall e8. 1964 hatte die Bundesrepublik Deutschland der britischen Regierung Reparationsleistungen in Höhe von £ 1 M i l l i o n für britische Staatsangehörige, die unter nationalsozialistischer Verfolgung gelitten hatten, zur Verfügung gestellt. Die A r t der Verteilung dieser Mittel sollte im Ermessen der britischen Regierung liegen. Die Regierung beauftragte hiermit das „Foreign Office", das allen Antragstellern detaillierte Richtlinien über die Verteilung dieser Mittel zuschickte. Wichtigste Bestimmung war, daß nur solche Antragsteller, die in Konzentrationslagern gewesen waren, Entschädigungen erhalten sollten 64 . Eine Reihe von Antragstellern, deren Anträge abgelehnt worden waren, weil sie in einem Sonderlager „ A " und einem Zellenblock untergebracht waren, die angeblich nicht zum eigentlichen Konzentrationslager Sachsenhausen gehörten, wendeten sich an einen Abgeordneten, der die Sache an den Parlamentsbeauftragten weiterleitete. Dieser stellte nach einer gründlichen Untersuchung aller Unterlagen und Befragungen von Beamten des Außenministeriums fest, daß der Entscheidungsfindungsprozeß des Außenministeriums deutliche Anzeichen von Voreingenommenheit („Bias") zeigte 65 . Insbesondere beruhe die Entscheidung, daß das Sonderlager ,A' und der Zellenblock außerhalb des KZs liegen sollte, auf unvollständigen Beweisunterlagen 66 und sogar 63 Ausführliche Darstellungen bei Stacey, S. 248—258; Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 220—231, sowie der erste Sonderbericht des Parlamentsbeauftragten: H. C. 54 (1967—68), Third Report of the Parliamentary Commissioner of Administration; s. a. Fry, Public Law 1970, S. 336 ff; Brown, S. 103 f. 64 „National Socialist Persecution means the infliction . . . of treatment involving detention in Germany or in any territory occupied by Germany in a concentration camp, or in an institution where the conditions were comparable with those in a concentration camp. Hardships suffered in a normal civil prison, civilian internment camp or prisoner of war camp do not constitute Nazi persecution ...", vgl. H.C. 54 (1967—68), Appendix B, S. 23. 65 H.C. 54 (1967—68), Third Report of the Parliamentary Commissioner for Administration, § 23. 68 „Partial evidence".

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Außer gei idi t li che Kon trollmaßnahmen

teilweise irrelevantem Material. Außerdem sei den Antragstellern keine Gelegenheit gegeben worden, Diskrepanzen in ihren Erfahrungsberichten unmittelbar nach ihrer Freilassung und zur Zeit der Antragstellung zu erklären, die zu ihrem Nachteil ausgelegt worden waren 6 7 . Zwar ließ der Parlamentsbeauftragte offen, ob den Antragstellern eine Entschädigung zu zahlen sei, doch machte er deutlich, daß ihr Ruf und Ansehen durch eindeutiges Fehlverhalten der Verwaltung gelitten habe 68 . Ehe der Parlamentsbeauftragte sich mit diesem Fall beschäftigt hatte, war bereits mit den herkömmlichen parlamentarischen Mitteln erfolglos versucht worden, Abhilfe zu erlangen 69 . Die weitere Entwicklung des Falles festigte die Institution des Ombudsman auch in den Augen früherer Kritiker, wie Quintin Hogg 70, der inzwischen als Lordkanzler in das Oberhaus zurückgekehrt war. Der Unterhausausschuß über den Parlamentsbeauftragten hatte dann bald Gelegenheit, sich dieses Falles anzunehmen, da das Außenministerium nach alledem keine Anstalten traf, Abhilfe zu schaffen. Außenminister George Brown hatte einer Abordnung von Parlamentariern angeblich gesagt, daß die Mittel inzwischen sowieso erschöpft seien: „The cheese has all gone; other mice have got it, and my advice to you is to forget the whole thing" 71 .

In seinem ersten Bericht an das Parlament (über den SachsenhausenFall 72), kritisierte der Ausschuß das Foreign Office scharf und unterstützte den Parlamentsbeauftragten. Der Ausschuß wolle zwar nicht die Prüfungsfunktion des Parlamentsbeauftragten verdoppeln, doch sähe er sich dazu gezwungen, den Konflikt zwischen dem Foreign Office und dem Beauftragten zu untersuchen 78 . Als wichtigste Unterstützung der Bemühungen des Ombudsmannes drohte der Ausschuß, im Falle weiterer Nichtbeachtung durch das Foreign Office den Fall ein weiteres M a l aufzurollen. In der Folge erhielten dann auch alle Antragsteller dieses Falles „ex gratia "-Zahlungen des Außenministeriums. 67

Vgl. H. C. 54 (1967-68), §§ 62 u. 63. Ebda., S. 18, § 66. Ab 1965 durch den Abgeordneten für Abington, Airey Neave (Konservative Partei): Mehrere Zusammenkünfte mit dem Außenminister, sowie eine Fragestunde im Parlament und eine „Early Day Motion", vgl. Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, a.a.O., S. 222 f. 350 Abgeordnete aller Parteien unterstützten die „Early Day Motion", was Aufsehen erregte. 70 Vgl. dessen ablehnende Haltung 1966, in H. C. Deb. Vol. 734, col. 65 ff, seit 1970 jedoch zustimmend: „I think it works extremely well, within limits'", Interview in der Sunday Times vom 19. 7.1970, zit. in Stacey, S. 338. 71 The Times, 22.12.1967, S. 6 a, zit. in K. A. Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 222: „Der Käse ist weg; andere Mäuse haben ihn bekommen und mein Rat geht dahin, die ganze Angelegenheit zu vergessen". 72 H. C. 258 (1967—68), First Report from the Select Committee on the PCA, Sachsenhausen, insbes. S. vii, § 6. 73 H.C. 258 (1967—68), S. vii, § 5; s.a. Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 228. 88

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Der Ausschußbericht über den Sachsenhausenfall war aber noch in einer anderen Beziehung bedeutsam: Auch das Verhalten des Ombudsman wurde vom Ausschuß moniert. Man war der Ansicht, daß Sir Edmund Compton ohne weiteres eine großzügigere Einstellung zur Frage, was alles „Maladministration" ausmache, einnehmen könnte 7 4 als seine Prüfung auf reine Verfahrensfehler zu beschränken, selbst wenn ganz offensichtliche Härtefälle vorlagen 75 . Er hatte sich dabei auf Stellungnahmen von Regierungsvertretern bei den Debatten um die Einführung seines Amtes berufen, in denen gesagt wurde, daß sonst das „Regieren durch die Regierung durch das Regieren des Ombudsmannes ersetzt würde" 7 6 . Im großen und ganzen gesehen unterstützen sich der Ombudsman und der Unterhausausschuß jedoch weitgehend. Seither hat der Ausschuß auch eine gewisse Technik der Berichterstattung entwickelt, bei der er nacheinander das Verhältnis des Ombudsman zu den Abgeordneten untersucht 77 , dann seine Arbeitsweise analysiert und gegebenenfalls kritisiert 7 8 , ferner die Auslegung seiner Prüfungskompetenzen 79 , seine Aufgaben hinsichtlich der Verbesserung von ministeriellen Regeln und Verordnungen, die sich als ungerecht erwiesen haben und zu „Maladministration" geführt haben, untersucht und die Wirkung seiner Untersuchungen auf betroffene Ministerien 8 0 sowie schließlich die Ratsamkeit der Erweiterung seiner Aufgaben, die bislang gesetzlich ausgeschlossen sind 81 . So schlug der Ausschuß nach eingehender Befragung aller beteiligten Ministerien insbesondere vor, dem Ombudsman auch das Krankenhauswesen und Personalangelegenheiten der Beamten 74

Vgl. Second Report from the Select Committee on the PCA, H. C. 350 (1967—68) S. vili, § 14: „... if he finds a decision which . . . appears to him to be thoroughly bad in quality, he might infer from the quality of the decision itself that there had been an element of maladministration in the taking of it and ask for its review". 75 H. C. 6 (1967—68), First Report of the Parliamentary Commissioner for Administration, S. 9, § 35: „If I find there has been a defect in these (administrative) processes, detrimental to the complainant, then I do inquire into the prospects of a remedy by way of review of the decision. But if I find no such defect, then I do not regard myself as competent to question the quality of the decision, even if, in an extreme case, it has resulted in manifest hardship to the complainant ", Hervorhebung d. Verf. 76 H. C. 350 (1967—68), S. 39, Frage 135, zit. in Stacey, S. 278; vgl. hierzu auch die kritischen Bemerkungen Friedmanns, Kontrolle der Verwaltung, S. 262 ff und H . W . R . Wade, 84 LQR 1968, S. 16 ff; zuletzt Marshall, Public Law 1973, S. 32 ff (35). 77 Etwa First Report from the Select Committee on the PCA, H. C. 240 (1970— 71), S. v. 78 Ebda.; s. a. Second Report from the Select Committee on the PCA, H. C. 513 (1970—71), S. vi ff. 79 Stacey, S. 274 ff. 80 A.a.O., insbes. S. 281 und 284 ff. 81 Stacey, S. 268 f und 291 ff.

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Außergerichtliche

Kontrollmaßnahmen

und des Militärpersonals durch Gesetzänderung zuzuweisen 82 . Auch die Tatsache, daß Beamte die gesonderte Maschinerie des „Whitle γ Council* zu ihrer Verfügung hätten, sei kein Grund, den Ombudsman einzuschalten 8 3 . Eine wichtige Ergänzung der Druckmittel des Ausschusses besteht darin, daß die Regierung sich seit 1971 bereiterklärt hat, förmlich im Wege eines „Command Papers" regelmäßig zu den aufgeworfenen Fragen des Ausschusses Stellung zu nehmen 84 . Der Effekt dieser Maßnahme läßt sich an folgendem Beispiel aufzeigen: In seinem 2. Bericht für 1970—71 hatte der Ausschuß vorgeschlagen, daß die bestehenden Richtlinien über die Gewährung rechtlicher Stellvertretung für Gefangene, die sich über fahrlässige Behandlung durch Gefängnisbeamte beschwerten, überprüft werden sollten. Der Innenminister beantwortete diesen Vorschlag damit 8 5 , daß erstens mehrere Fälle vor der Menschenrechtskommission in Straßburg überprüft würden, die nicht präjudiziert werden sollten, daß zweitens aber die bestehenden Regeln in Zukunft liberaler gehandhabt würden 8 6 und daß drittens gesetzliche Maßnahmen vorbereitet würden. Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, daß dieser Ausschuß geeignet ist, die restriktive Einstellung des Ombudsman positiv zu beeinflussen und vor allem bei Nichtbeachtung der Untersuchungen des Ombudsman durch die Regierung als weiteres parlamentarisches Druckmittel nützliche Dienste leisten kann. e) K r i t i k an dieser Institution Nach alledem fragt sich, ob der Ombudsman die Erwartungen erfüllen kann, die von der Öffentlichkeit und den parlamentarischen und sonstigen „Pressure Groups" (wie z.B. dem Justice-Komitee) in diese neue Institution gesetzt wurden. A l l e i n die Tatsache, daß die Öffentlichkeit keinen unmittelbaren Zugang zum Ombudsman hat, trug wesentlich dazu bei, daß der Parlamentsbeauftragte nicht das gleiche Maß öffentlicher Aner82 H. C. 350 (1967—68), S. xiv, § 37. (Einsdiluß des Krankenhauswesens): H. C. 127 (1969—70) Second Report from the Select Committee on the PCA, S. v, § 11: „Your Committee, having given the matter careful consideration, conclude that the exclusion of personnel matters in relation to the Crown set out in paragraph 10 of schedule 3 to the Parliamentary Commissioner Act is not justified". 83 Stacey, S. 301. 84 Vgl. H. C. 513 (1970—71), Second Report from the Select Committee on the PCA, S. ν, § 3. 85 Vgl. Cmnd. 4846, Second Report from the Select Committee on the PCA, (1970—71), Observations by the Government, S. 3, §§ 2, 3 und 6; s. a. Cmnd. 4729, Observation by the Government on the First Report from the Select Committee on the PCA (1970—71) über das Fehlen von Entschädigungsmaßnahmen für fehlerhafte Steuerberechnungen, S. 3 ff, §§ 3 ff. 86 Allerdings nur in Fällen, in denen mangelhafte medizinische Betreuung beklagt wird.

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Parlameli tarische Kon trollmaßnahmen

kennung erhielt wie seine skandinavischen Vorbilder, überdies fehlt ihm der notwendige direkte Kontakt mit der Öffentlichkeit, den Sir Edmund Compton auch nicht sonderlich suchte; er reicht die Ergebnisse seiner Untersuchungen an die Abgeordneten zurück, die damit nach Belieben verfahren können 87 . Hierin mag ein Grund für die abnehmende Anzahl der Ombudsman-Untersuchungen liegen, die von 1120 Fällen im Jahre 1968 auf 651 behandelte Streitfragen im Jahre 1970 zurückgingen 88 . Der prozentuale Anteil der Abweisungen wegen mangelnder Zuständigkeit des Parlamentsbeauftragten veränderte sich damit nicht wesentlich 89 . Wichtiger noch als diese Mängel ist der beschränkte Zuständigkeitskatalog des Parlamentsbeauftragten. Mehr als die Hälfte aller Fälle, die wegen Unzuständigkeit abgewiesen werden, betreffen Streitfälle mit der Polizei, dem nationalen Gesundheitswesen, Personalangelegenheiten von Beamten sowie andere Kategorien, die der Untersuchung durch den Ombudsman entzogen sind. Ein Großteil der Streitfälle mit der Kommunalverwaltung liegt ebenfalls außerhalb der Prüfungskompetenz des Parlamentsbeauftragten 90 . Ein weiterer Nachteil ist die restriktive Auslegungspraxis des Parlamentsbeauftragten, die dazu geführt hat, daß seine Untersuchungen in erster Linie nur Verfahrensmängel rügen 91 , was durch eine restriktive Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes „Maladministration" bewirkt wurde 9 2 . Materielle Gesichtspunkte, wie die Prüfung der Frage, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der M i t t e l gewahrt wurde, werden selten von ihm berücksichtigt und wenn überhaupt, dann unsystematisch versteckt in Jahresberichten, die dem ungeübten Leser leicht verborgen bleiben, um Publizität zu vermeiden und um die Verwaltung dadurch letztlich zu schützen 93 . Als Nachteil hat 87 Vgl. hierzu die Kritik von de Smith, S. 42; ferner Mitchell, VerwA Bd 64, 1973, S. 172; Stacey, S. 317. 88 Weitere Gründe bei Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 266. 89 Marshall-Mo ο die, S. 109; Mitchell, ebda., S. 173; Stacey, S. 308; P. Jackson, Public Law 1971, S. 39 ff:

PCA-Jahresbericht für 1967 1968 1969 1970

zugewiesene Fälle 1069 1120 761 651

mangelnde Zuständigkeit 561 727 445 391

(53%) (54 °/o) (48 °/o) (59 °/o)

Untersuchte Fälle 188 374 302 259

Maladmin. 19 38 48 59

(10%) (10%) (16%) (23%)

Beachtlich ist allerdings der prozentuale Anstieg von Fällen der „Maladministration 11. 90 Vgl. hierzu auch „Your Rights, Your Courts, Your Injuries", S. 16 f. 91 Mitchell, VerwA Bd 64, 1973, S. 172: „procedura! rectitude". 92 Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 263 f. 93 Vgl. ζ. B. First Report of the Parliamentary Commissioner of Administration, Session 1972—73, H. C. 18, S. 29, 76, 87, 109, 114, 118, 120, 146, 150, 154, 157, 193. Häufig wird Maladministration nicht einmal in den Ergebnissen erwähnt, sondern noch versteckter in anderen Abschnitten, vgl. H. C. 18, S. 128 u. 134.

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Kontrollmaßnahmen

sich im übrigen auch erwiesen, daß beide Ombudsmänner bislang Beamte waren und daß ihr gesamter Mitarbeiterstab sich aus den Reihen der Beamtenschaft rekrutiert. Das hat dazu geführt, daß der Parlamentsbeauftragte vielleicht unbewußt in seinen Berichten stets betont, daß sich das betroffene Ministerium in einem bestimmten Falle korrekt verhalten habe 94 , in einem anderen Falle etwa feststellt, daß er die Einstellung des Ministeriums sehr wohl verstehe und wisse, daß es keine andere W a h l hatte, als das Gesuch eines Antragstellers abzulehnen 95 , obwohl er dann später ausführt, daß genügend zusätzliches Beweismaterial beigebracht werden konnte, das diese Einstellung als falsch bewies. V i e l zu häufig entsteht der Eindruck, als gehe es darum, festzustellen, daß die Verwaltung im großen und ganzen korrekt und effizient handele. Dies ist jedoch bekannt und verkennt die Aufgabe des Ombudsman als Schützer des einzelnen Bürgers gegen Verwaltungswillkür. Den betroffenen Bürger interessieren solche Stellungnahmen eines Beamten-Ombudsmannes wenig 9 6 . Friedmann 97 ist v o l l zuzustimmen, wenn er sagt: „Als Folge sehen wir in seinem ganzen Verhalten die Verhaltensnormen der britischen Bürokratie: mangelnde Öffentlichkeitsarbeit aus einer hier unangebrachten formalen Hochachtung vor seinem parlamentarischen Herrn und Meister, Langsamkeit, mangelnde juristische Konzeption, exzessiver Geheimhaltungsdrang und Übertragung von bürokratischen Leistungs- und Verhaltensnormen auf die neue Institution".

f)

Ergebnis

Die neugeschaffene Institution des Parlamentsbeauftragten hat die in sie gesteckten Erwartungen nicht erfüllt. Sie hat zwar mittelbar dazu beigetragen, die Diskussion um die Verbesserung des Rechtsschutzes gegen Verwaltungshandeln zu erweitern und unmittelbar zweifellos bewirkt, daß die Zentralverwaltung, soweit sie der Kontrolle des Ombudsman unterliegt, allein durch die Möglichkeit der Kritik vorsichtiger operiert als vorher 9 8 . Statt eines dynamischen neuen Verfassungsinstrumentes — das den Schöpfern dieser Institution vorschwebte — wurde eine „Ombudsmaus" oder ein „Ombudsmanikin" geschaffen 99, das von der 94 Vgl. etwa H. C. 18 (1972—73), S. 45; 85: „Although I consider that there was nothing improper in the department's questioning the classification . . . I think that they were slow in their actions ....", ferner S. 134. 95 H. C. 18, S. 199 (Department of Trade and Industry). 9β S. a. Street, Justice, S. 123: „ . . . The emphasis is on whitewashing the civil service". 97 Kontrolle der Verwaltung, S. 265. 98 Vgl. P. Jackson, Public Law, 1971, S. 50. 99 Marshall, in Rowat, S. 94; Abel, in Rowat, S. 287; Brown, S. 100 ff (102); s. a. Stacey, S. 239, zit. The Observer, 2.4.1967: „... such a small, stunted child".

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damaligen Labour-Regierung von vornherein als Handlanger für Abgeordnete statt als echter „Grievance Man" konzipiert wurde 1 0 0 . Im Rahmen der stark begrenzten Kompetenzen leistet diese neue Institution jedoch auch gute Dienste, wie der Sachsenhausenfall bewies 1 0 1 . Der Unterhausaussdiuß für den Parlamentsbeauftragten trug seinerseits dazu bei, daß der geringe Handlungsspielraum des Ombudsman wenigstens effektiv ausgenützt wird. Die Hoffnungen, daß sich mit der Schaffung dieser Institution das Problem der Verwaltungskontrolle erledigen würde, hat sich nicht erfüllt. Allenfalls ein weiteres, kleines Stückchen Verwaltungsdomäne ist der genaueren parlamentarischen Kontrolle unterworfen worden und leidet auch an denselben Mängeln wie die rein parlamentarischen Kontrollmittel: Auch bei dieser Institution versprechen hauptsächlich solche Fälle Erfolg, bei denen — wie in der cause célèbre Sachsenhausen — politisches Interesse geweckt werden konnte 1 0 2 . Hingegen liegen die meisten Streitfälle mit der Verwaltung normalerweise im Bereich unterhalb der Schwelle politischer Relevanz. Nach wie vor fehlt jedoch ein System des Verwaltungsrechtsschutzes 108 , in dem der Ombudsman seine Aufgaben zusätzlich ausüben könnte 1 0 4 .

100 w h i t e Paper, Cmnd. 2767: „In Britain, Parliament is the place for ventilating the grievances of the citizen . . . We do not want to create any new institution which would erode the functions of Members of Parliament"; s. a. Mitchell, VerwA Bd 64, 1973, S. 171. 101 Vgl. Fry, Public Law, 1970, S. 336 (337); s.a. die positiven Bemerkungen von Ganz, Public Law, 1973, S. 84 (97). 102 „Your Rights, Your Courts, Your Injuries", S. 18. 103 Vgl. ähnlich Mitchell, VerwA Bd 64, 1973, S. 172 f: „... need to create, for example, such as that of administrative fault . . . absence of a body of law under which general administrative acts may appropriately be challenged"; „Your Rights, Your Courts, Your Injuries", S. 19 f. 104 So auch Friedmann, Law in a Changing Society, S. 441.

ZWEITER

TEIL

Das Fehlen eines umfassenden Systems des öffentlichen Rechts in England A. Politisch-historische Faktoren Kapitel 11

Wenn im folgenden versucht wird, einige historisch-politische Gründe für das Fehlen eines Systems des öffentlichen Rechts darzulegen, muß zugleich betont werden, daß damit keine chronologische Darstellung versucht werden soll. Hierfür wäre eine umfängliche historische Untersuchung erforderlich, die im übrigen bereits weitgehend geleistet worden ist 1 . Vielmehr sollen nach der synthetischen Methode einige wenige, aber charakteristische „Landmarks" näher skizziert werden, die nach Auffassung des Verfassers wesentlich dazu beigetragen haben, daß das heutige Verwaltungsrecht im Vergleich zum kontinentaleuropäischen Recht weniger entwickelt ist. Dabei w i r d weder ein Anspruch auf Vollständigkeit, noch auf erschöpfendes Detail erhoben, doch scheint es sinnvoll, einmal verschiedene, für sich allein betrachtet durchaus bekannte und i n vielen Monographien wissenschaftlich belegte Faktoren in einem neuen Kaleidoskop zusammenzuschüttein, mit dem Ziel, aus der historischen Entwicklung Schlüsse auf den heutigen Zweck mancher Einrichtungen zu ziehen. I. Der anfänglich öffentlich-rechtliche des gesamten Rechts

Charakter

Wenn man nach Gründen sucht, weshalb das anglo-amerikanische Recht bis zum heutigen Tage keine straffe Trennung des „ius publicum" vom „ius privatum" kennt, muß man zunächst die besondere Entwicklung des englischen Rechts seit der Eroberung durch die Normannen berücksichtigen. Ohne Ubertreibung läßt sich die Behauptung aufstellen, 1

Von Holdsworth, Poliiock, Maitland, Plucknett, und vielen anderen.

Zu Beginn: Recht als öffentliches

Recht

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daß am Anfang alles Recht „öffentlich" war: Auf das primitive anglosaxonische Regierungs- und Verwaltungssystem wurden normannische Vorstellungen geschickt aufgepfropft: Weder Wilhelm der Eroberer noch sein besiegter Vorgänger Harold hatten ein ausgeprägtes Regierungsund Verwaltungssystem zu ihrer Verfügung. Ihfe Herrschaft war stark personalisiert. Zunächst bedeutete daher die Eroberung nur, daß der Kopf auf dem Bild einer feudalistischen Besitzstruktur ausgetauscht wurde. Das mittelalterliche Feudalsystem, das die rechtlichen, sozialen und politischen Verhältnisse ausschließlich an der starren Landbesitzstruktur maß, ist der Schlüssel zum Verständnis der tiefgreifenden, langsamen aber unaufhörlichen Ausdehnung der normannischen Herrschaft über ein weitgehend dezentralisiert organisiertes Königreich 2 . Die Theorie, daß die Entwicklung des britischen Verfassungssystems auf nationalen Besonderheiten des Inselvolkes beruht, wird spätestens seit Maitland, Adams, Baldwin und Plucknett nicht mehr vertreten 8 . Heute w i r d die feudalistische Gesellschaftsstruktur des Mittelalters, wie sie überall i n Europa anzutreffen war, für die Entwicklung der englischen Verfassungsinstitutionen verantwortlich gemacht: Zur Zeit der Magna Carta Libertatum war England „the most perfectly logical feudal kingdom to be found in Christendom" 4 ; dessen reine Form der Feudalherrschaft sich allerdings ungestört entfalten und deshalb spezifische Institutionen hervorbringen konnte. Wilhelm und seine Nachfolger brauchten zunächst nur dafür zu sorgen, daß die von ihnen besiegten großen Landbesitzer ihre Loyalität bekundeten. Alles weitere ergab sich automatisch: Die besitzlosen Bürger waren dem kleinen Landadel verpflichtet, dieser wiederum den großen Landbesitzern, die ihrerseits dem König Loyalität und Hilfe in Krisenzeiten schuldeten. Die Eroberung hatte die konkreten Besitzverhältnisse nicht wesentlich geändert, so daß kein Leidensdruck enttäuschter Adeliger Gegenrevolutionen zu planen brauchte. Das von allen akzeptierte straffe Feudalsystem garantierte einen nahtlosen Herrschaftsübergang und bot zugleich einen bewährten Kanal der Ausdehnung zentraler Verwaltung von oben nach unten, von dem in der Folgezeit ausgiebig Gebrauch gemacht wurde. So hatten die Barone und lokalen Gerichte nach anglo-saxonischem Recht anfangs das Leben der Insulaner weitergeregelt. Sehr bald jedoch wandten sich die Bürger mit Querelen direkt an den König, um schnelle Abhilfe bei Rechtsverletzungen zu erhalten. Die den König auf seinen Reisen begleitenden Höflinge erwarben sich schon bald den Ruf, schneller, weil summarischer in ihrer Prozedur, rationaler, 2

Plucknett, Concise History, S. 141. Baldwin, King's Council, S. 2 f; Maitland, Constitutional History, S. 23 ff ; Adams, S. 149; Holdsworth, H.E.L., Bd 1, S. 24 f; Taswell-Langmead, S. 30 ff. 4 Adams, a.a.O. 8

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Politisch-historische

Faktoren

voraussehbarer und billiger Recht zu sprechen, als es die lokalen Gerichte boten 5 . Dies wiederum erforderte schon bald, daß der König einige seiner Bèrater speziell zu diesem Zwecke abordnete. Die Methode, mit der Bürger unter Umgehung des Rechtsweges in ihrer Grafschaft die Gerechtigkeit des Königs erlangen wollten, bestand darin, daß ein „Bruch des königlichen Friedens" behauptet wurde, des Königs höchst eigene Interessen verletzt seien. Dies eröffnete den Weg in die bald spezialisierter und umfänglicher organisierten königlichen Gerichte i n Westminster®. War das Interesse des Königs anfangs stets ein reales gewesen, so entwickelte es sich in der Folgezeit schon bald zu einer häufig gebrauchten reinen Fiktion, daß nämlich jede Rechtsverletzung letzten Endes Unfrieden erzeuge, die den Interessen des Königs widerspreche. Auf diese Weise und mit ähnlichen Fiktionen entstanden und entwickelten sich die königlichen Gerichte und vor allem die Vielzahl der Klageformen 7 . Jeder Streit war mithin real oder fiktiv ein Streit der Staatsgewalt gegen den Rechtsbrecher und damit seinem Wesen nach öffentlich-rechtlichen Charakters. Wenn auch im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts die „zivilen" Streitigkeiten über die Fiktion des königlichen Interesses mit Hilfe der schnell entstehenden Klageformen in den Vordergrund traten, so blieben doch genügend Fälle übrig, i n denen der König tatsächlich seine eigenen, hauptsächlich finanziellen Ansprüche durch seine Ratgeber (später Richter) geltend machte. Diese ursprüngliche Verquickung eigner königlicher und privater Interessen der Untertanen mit Hilfe von Fiktionen bleibt als wesentliches Charakteristikum des englischen Rechts bis heute erhalten und ist zum Teil verantwortlich dafür, daß Klagen des Königs 8 , oder später der „Krone" gegen einzelne Bürger und schon frühzeitig auch umgekehrt, der Bürger gegen die Krone 9 , einge5

Maitland, Constitutional History, S. 18. Dies war anfangs ein Verfahren strafrechtlicher Natur, doch sollte die „action for trespass vi et armis contra pacem regis" schon bald die Entwicklung des Law of Torts und des Vertragsrechts einleiten; s. hierzu Plucknett, Concise History, S. 156, 455 ff; Maitland, Constitutional History, S. 111—114; Adams, Origin of the English Constitution, S. 97 ff. 7 Vgl. etwa die Geschichte des Law of Contract, über Trespass vi et armis contra pacem regis, trespass on the case, Assumpsit, in Maitland, Forms of Action, S. 53 ff ; ferner Plucknett, Concise History, S. 353 ff, 628 ff ; s. a. Kiralfy, Am. Journal of Legal History, Bd 10, 1966, S. 3 ff ; Potter, S. 141 ff. 8 So Baldwin, King's Council, S. 271; ferner z.B. Calendar of Close Rolls, 21 Edw. Ill, 241. 9 Vgl. Plucknett, Concise History, S. 173, 394 f; ferner die im Kapitel über Certiorari, Prohibition und Mandamus genannten Autoren; Baldwin beweist, daß bereits seit Edward I Klagen gegen Beamte des Königs wegen Machtüberschreitung der Sheriffs oder Vollzugsbeamte des Königs („Escheators") möglich waren: Baldwin, King's Council, S. 264. 6

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bettet in das System der Common Law-Klageformen liegen und bislang jedem Versuch zweckgerichteter Aussonderung wegen ihrer unterschiedlichen Prämissen widerstanden haben. Alle Klageformen, wie auch die Prärogativrechte der Krone, die Festlegung der Rechte und Pflichten der landbesitzenden Barone oder die Erhebung von Steuern und Abgaben, hatten von Anfang an, typisch für ein reines Feudalsystem, an den Landbesitz angeknüpft. Damit hing das öffentliche Recht, als Rechtsbeziehung zwischen Krone und Untertanen i n England auf das engste mit Landbesitz zusammen 10 . Hierin liegt ein weiterer Grund dafür, daß sowohl das rudimentäre öffentliche wie auch das reine Privatrecht im „Common Law of the Land" ihren Ausdruck fanden. Das „gemeine Recht" war in England daher zugleich „gemeines" oder „allgemeines Landrecht" 11 . W i l l man den Hauptunterschied des englischen vom kontinentaleuropäischen Recht darlegen, so muß die zentrale Bedeutung der rechtlichen Regelung feudaler Strukturen für die gesamte Rechtsentwicklung i n England hervorgehoben werden 1 2 . Nur ein Verständnis der Grundprinzipien des englischen „Land Law" ermöglicht beispielsweise die sinnvolle Einordnung der an den Besitz oder die Residenz eines „freeholders", „leaseholders", etc., geknüpften Wahlrechts 18 , das zweifellos dem öffentlichen Recht zugeordnet werden muß. Aus alledem wird deutlich, daß die Eigentümlichkeit der englischen Rechtsentwicklung im Rahmen des spätmittelalterlichen Feudalsystems daher den Ausgangspunkt für die Abwesenheit eines separaten Systems des öffentlichen Rechts im Sinne des europäischen Festlands bildet. Wenn man jetzt einen Augenblick lang einen 800-jährigen Sprung in der englischen Rechtsentwicklung macht, so stellt man fest, daß im überleben der Prärogativbefehle: „certiorari", „mandamus" oder „prohibition", diese ursprüngliche, vom Feudalsystem diktierte Einheit des privaten und öffentlichen Rechts weiterbesteht, und das, obgleich die geschichtliche Entwicklung deutliche Alternativen vorgezeichnet hatte, die jedoch nicht ausreifen konnten, sondern abgeschafft wurden oder verkümmerten. IL

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Hatte einerseits die Richterschaft bis zum 13. Jahrhundert das einheitliche „Common Law" weitgehend unabhängig von königlichen Direktiven entwickeln können, weil der König häufig außer Landes weilte und die 10 11 12 13

Plucknett, Concise History, S. 141. Maitland, Constitutional History, S. 111—114. Gneist, History, Bd 1, S. 115 ff. Maitland, Constitutional History, S. 23.

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Richter als seine Vertrauten neben den anfallenden Regierungs- und Verwaltungsaufgaben zwangsläufig immer häufiger Klagebegehren einzelner Bürger bearbeiten mußten und schon bald aufgrund ihres Fachwissens unentbehrlich waren, so erwies sich andererseits doch bald, daß ihre richterliche Tätigkeit hauptsächlich privatrechtliche Streitigkeiten betraf. Für die Interessen des Königs und für Streitigkeiten mit der Krone entwickelten sich deshalb funktionsteilig andere Institutionen aus derselben Quelle, dem Hofe des Königs. 1. Die „curia regis" Ausgangspunkt der institutionellen Gliederung der Regierungs- und Verwaltungstätigkeit, aus der sich Ansätze eines separaten öffentlichen Rechtes entwickeln sollten, war der Haushalt des Königs selber, die ihn umgebenden Höflinge 14 . Aus ihm war nach der normannischen Eroberung zunächst die „curia regis" entstanden 15 , wobei diese Bezeichnung vieldeutig war: Sie bezeichnete entweder den Ort der Zusammenkunft des Königs mit seinen Vasallen oder den Innenhof seines Palastes, oder gar den »Hof', seine Entourage 16 . Hinzu kommt, daß für einige Zeit nach der Eroberung durch die Normannen Begriffe wie „consilium regis" und „curia regis" offenbar als Synonyme verwendet wurden 1 7 . Erst viel später werden dem „consilium" konsultative Funktionen, der „curia regis" ausschließlich judizielle Funktionen zugewiesen. Nach Baldwin 18 scheint der „Council" Ursprung aller königlichen Institutionen, von dem die Common Law-Gerichte Exchequer, Common Pleas und King's Bench sich abzweigten. Maitland 19 dagegen sieht in der „curia regis" den Ausgangspunkt. Dieser Streit erscheint jedoch reichlich akademisch. Entscheidend dürfte sein, daß zunächst alle Regierungsgewalt, Verwaltungstätigkeit, legislatorische Gewalt und richterliche Macht vom Hofe des Königs ausgeht, von Beamten des Hofes und des königlichen Haushalts. Der Lordkanzler und der Schatzmeister (Treasurer) waren immer dabei, wie ein Beispiel aus der Zeit Edward I I beweist: „Edward, etc. A noz chers et foialx l'onorable piere en Dieu I'evesque d'Exestre, nostre Tresorier, et Mestre Robert de Baldoke nostre Chauncellier, Saluz. 14

Chrimes, Administrative History, S. 3—5; Plucknett, Concise History, S. 139 f; Baldwin, King's Council, S. 15: „Alles entspringt dem allgemeinen unspezialisierten Hofe einer Feudalmonarchie " ; s. a. Taswell-Langmead, S. 95 ff; Petit-Dutaillis/ Lefebvre, S. 348 ff. 15 Zur Verwandtschaft mit dem anglo-saxonischen „Witan", vgl. Maitland, Constitutional History, S. 32 ff; Plucknett, Concise History, S. 143 f. 16 Plucknett, Concise History, S. 142 f; Baldwin, King's Council, S. 38 ff; Maitland, S. 32. 17 Baldwin, King's Council, S. 15; Round, Peerage and Pedigree, Bd 1, S. 348. 18 Baldwin, King's Council, S. 69; ähnlich auch Plucknett, Concise History, S. 139 ff. 19 Constitutional History, S. 32 ff.

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Nous vous enveoms ci dedeinz enclose une bille que nous feust baille par nostre diere cousine la countesse de Pembroke; et vous maundons que, regardee la dite bille, et eu sur ce pener et bon avisement od ceux de nostre conseil, nous conseillez et avisez selonc ce que vous verrez que mielz fait a faire a nostre profite" 20 .

2. Die „itinerant justices" Typisch für das mittelalterliche Leben war, daß der König ständig kreuz und quer durch das Königreich reiste, begleitet von seinem „Hof". Zum Eintreiben von Steuern und zur Verwaltung des Landes schickte er deshalb besondere Beamte aus, die unter Karl dem Großen „missi dominici" hießen 21 . Auch in England bedienten sich die Könige schon bald nach der Eroberung dieses praktischen Mittels. Sie schickten eine Gruppe Beamter unter Leitung eines sogenannten „Justiziars" aus, die als persönliche Repräsentanten des Königs dessen Interessen wahrnehmen sollten, wobei der Begriff „Justiziar" zunächst keineswegs nur richterliche Funktionen nahelegte. Unter Henry I I jedoch wurde für sie der Begriff „Justices in Eyre" oder „itinerant Justices" (Wandernde Richter) geprägt. Auf diese Weise konnte der König gleichzeitig an mehreren Orten regieren 22 , und der Bevölkerung schneller beweisen, daß die Praxis des „King's Court" den alten, lokalen Gerichten weitaus überlegen war. Vor allen Dingen aber konnte der König seine Schuldner effektiver unter Druck setzen. Die „curia regis" begleitete derweil den König, wo immer er Hof hielt. Die neuen Zuständigkeiten der „Eyre" änderte aber wenig daran, daß nach wie vor das eigentliche Machtzentrum der königliche Hof, die „curia regis", blieb. 3. Die drei Gerichte „Exchequer", „Common Pleas" und „King's Bench" Schon unter Henry I wurde deutlich, daß innerhalb der „curia regis" eine gewisse Spezialisierung notwendig war: Obwohl diese Arbeitsteilung nicht nach strikten funktionellen Gesichtspunkten durchgeführt wurde, ergab sich am Ende eine Aufgabenverteilung, wodurch finanzielle Angelegenheiten dem Exchequer, Gesetze dem Parlament, die Rechtsprechung den Gerichten und Verwaltungsaufgaben dem „King's Coun20 Hall, S. 100: „Edward, etc. Unserem teuren und treuen Ehrenwerten Stein Gottes, den Bischof von Exeter, unserem Schatzmeister sowie dem Meister Robert de Baldoke, unserem Kanzler, Willkommen. W i r schicken Ihnen beiliegendes Schreiben, das Uns unsere sehr teure Kusine, die Komtesse von Pembroke, unterbreitete, und Wir weisen Sie an, bezüglich des besagten Schreibens, daß Sie Uns entsprechend dem guten Rat oder dem Unseres Staatsrates, beraten und vorschlagen, was Sie als beste Maßnahme zu Unserem Wohle ansehen", sinngem. Ubers, d. Verf. 21 Plucknett, Concise History, S. 144, m. w. H. 22 Plucknett, Concise History, S. 144.

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cil" zugewiesen wurden. Dodi wurde diese Klassifikation niemals rigoros eingehalten 28 . So entwickelte sich aus dem für finanzielle Angelegenheiten zuständigen Exchequer, dem ersten separaten Regierungsressort in Europa 24 , mit dem „Chancellor of the Exchequer" als „Ressortleiter" später das Exchequer-Gericht. Die Hauptaufgabe des Exchequer bestand natürlich darin, die Finanzen des Hofes zu regeln und Steuern und Abgaben einzuholen. W i e so häufig bei königlichen Einrichtungen, die zunächst ausschließlich darauf gerichtet waren, den Nutzen der Krone zu mehren, ergab sich auch hier schon bald eine Methode, mit der angeblich oder zu Recht übervorteilte Bürger sich über das Verhalten königlicher Abgesandter und der Sheriffs beschweren konnten. Zunächst erhielt das Exchequer die Zuständigkeit für die Überprüfung der Finanzen der Sheriffs, wodurch deren oft willkürliche und korrupte Praxis gewisse Beschränkungen erfuhr. Die von der Bevölkerung oftmals gefürchteten Sheriffs muß ten einmal jährlich mit dem Exchequer abrechnen, zur Genugtuung der lokalen Steuerzahler, denn bei dieser Gelegenheit „zitterten die örtlichen Tyrannen i n ihren Schuhen" 25 . Unter Henry I I I konnten Bürger dann bereits selber die Sheriffs vor dem Exchequer-Gericht verklagen, wenn diese sich Unregelmäßigkeiten zuschuldenkommen ließen 26 . Hieraus w i r d deutlich, daß sich aus den königlichen Hilfseinrichtungen stets zugleich ein gewisser erhöhter Rechtsschutz gegen Verwaltungswillkür als Seiteneffekt herauskristallisierte. 1178 schuf Henry I I dann ein neues Gericht zur Anhörung der Klagen der Bevölkerung, das später den Namen „Court of Common Pleas" erhielt, und in dem die Common Law-Klageformen zuerst entwickelt wurden 27 . Da die „Justices in Eyre" sich zum Teil als rigorose Geldeintreiber des Königs erwiesen hatten, und deshalb den rechtsuchenden Bürgern und Gemeinden häufig suspekt waren, wurde die Schaffung des „Court of Common Pleas", das mit fünf Richtern (2 Priestern und 3 Laien) aus der Umgebung des Königs besetzt war und mit dem König herumreiste, allgemein begrüßt. Erst in der Magna Carta König Johns 28 und König Henry I I I 2 0 wurde festgelegt, daß das Court of Common Pleas einen festen Tagungsort erhalten sollte, der dann Westminster wurde. Das dritte der Common Law-Gerichte entstand, als sich Klagebegehren häuften, die vom „Common Pleas" dem König und seinen ihn begleitenden 23

Plucknett, Concise History, S. 146. Plucknett, Concise History, S. 147, m. w. H., s. a. supra, S. 63 ff. 25 Plucknett, Concise History, S. 102; s.a. Petit-Dutaillis/Lefebvre, S. 357 ff. 26 Plucknett, Concise History, S. 160, 196. 27 Plucknett, Concise History, S. 147 ff; Holdsworth, HEL Bd 1, S. 51, Fn. 6; Adams, S. 136 ff; Petit-Dutaillis/Lefebvre, S. 369 ff. 28 Magna Carta, 1215, c. 17. 29 1225, c. 11. 24

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Ratgebern direkt vorgelegt wurden, oder die den König direkt betrafen. Diese Fälle wurden von einer kleinen Gruppe von Ratgebern behandelt, die eine eigene Verfahrensweise und mit der Zeit ein eigenes Gericht entwickelten, das „Court of King's Bench", mit dem vollen Titel „The Justices assigned for the holding of Pleas before the King himself", „coram rege ipso", wobei allerdings der König (wie im Falle des abwesenden Richard I) nicht selber anwesend zu sein brauchte 30 . Lange Zeit jedoch bestand eine enge Verbindung zwischen diesem jüngsten von der „curia regis" abgezweigten Gerichte und den rein politischen Beratern des Königs, die als „King's Council", „consilium regis" fungierten 81 . Die somit entstandenen Common Law Gerichte widmen sich im Laufe der Zeit immer mehr den zivilrechtlichen Angelegenheiten, obgleich der König jederzeit in „seinen Gerichten" auch Prärogativrechte und Privilegien der Krone mit Hilfe von „prerogative writs" durchsetzen konnte, wie bei der Entwicklung der Prärogatiwerfahren dargelegt wurde 3 2 . 4. Der „King's Council" Die eigentliche Regierungsgewalt wurde indessen von einer losen, flexiblen Mannschaft ausgeübt, die ständig um den König versammelt war und als „consilium regis" fungierte. Aus dieser erst sehr spät präzise Konturen gewinnenden Institution 8 3 entwickelte sich in der Folgezeit mit dem „Star Chamber" ein Kontrollmechanismus, der ansatzweise Ähnlichkeiten mit dem Rechtsschutz durch Verwaltungsgerichte nach französischem oder deutschem Muster aufweist, und deshalb in seiner Entwicklung und Gestalt näher beleuchtet werden soll, obgleich er in den Wirren des 17. Jahrhunderts weitgehend wieder verloren geht. Der King's Council hatte durch die Abspaltung des Court of King's Bench von der „curia regis" schon während der Regierung von Edward I stark an Bedeutung gewonnen. Die King's Bench verlor den größten Teil ihres ursprünglich freien Ermessens und beschränkte sich bald nur noch auf das Klageformensystem des Common Law. So konzentrierte sich alles auf den Council. Dieser reservierte sich schon bald wichtige Entscheidungen für besondere, häufig abgehaltene „parlements" des Councils, zu der die Magnaten und Kirchenfürsten geladen wurden, aber auch häufig Vertreter der Landgemeinden, später „Commons", oder auf französisch „communes" genannt, sowie Vertreter („Proctors") des niederen Priester80

Plucknett, Concise History, S. 150, m. w. H. Fn. 2 u. 3. Baldwin weist nach, daß King's Bench und Council erst mit Edward I I I getrennt werden? (S. 64). 82 Supra, Teil 1, Kap. 1, A I 1 b und Kap. 2, A I I 1 b, S. 26 u. 47. 88 Die Differenzierung von consilium regis und curia regis geschieht nur sehr langsam und bleibt letztlich obskur, vgl. Baldwin, King's Council, S. 38 ff; Maitland, Constitutional History, S. 105; Holdsworth, HEL, Bd 1, S. 477 ff. 31

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standes 84 . Alles dies waren lediglich administrative Hilfsmittel des Königs, keinesfalls jedoch politisch-emanzipatorische Einrichtungen, wie in sehr viel späterer Zeit. Plucknett sagt treffend, daß die „parlements" zur Zeit Edward I hauptsächlich dazu dienten, königliche Stärke, nicht königliche Schwäche zu demonstrieren, was dadurch bewiesen werden kann, daß die schwächeren Könige große Schwierigkeiten hatten, überhaupt ein „parlement" des Councils einzuberufen 85 . Aus dem Gesagten w i r d ersichtlich, daß der King's Council, „die lose, flexible Mannschaft" von Beratern, die sich um den König versammelte und teilweise aus ständigen Mitgliedern, teilweise aus häufig teilnehmenden und schließlich aus solchen, die nur gelegentlich anwesend waren, bestand, im Grunde lange Zeit wegen dieser Informalität jeglicher genauen Definition entging. Baldwin 86 weist nach, daß fast während des ganzen Mittelalters eine Unzahl von Begriffen für dieses Beratergremium wechselnder Mitglieder kursierte, von „privatum" oder „secretum consilium", „magnum consilium", „consilium ordinarium", zu idealisierten Formen wie „bonum consilium, sapiens, totum, plenum, commune consilium". Aber alle stellten nur Beschreibungen verschiedener Autoren für ein und dieselbe Einrichtung dar 8 7 . Dieser „consilium regis" kann während der Herrschaft des Hauses von Lancaster als die Keimzelle späterer Kabinettregierungen angesehen werden 88 . Die Wirksamkeit des Councils hing weitgehend davon ab, ob der König stark oder schwach war: Die Verwaltungs- und Regierungsarbeit und damit auch die Kontrolle untergeordneter Exekutivfunktionen wurde immer dann differenzierter und mit „checks and balances" versehen, wenn der König körperlich oder geistig krank, bzw. minderjährig war. Diese Persönlichkeitsmerkmale des Herrschers begünstigten dann stets — vorübergehend — den Ausbau der Institutionen zum Schutze der Bürger gegenüber dem Staat. Erwies sich der König hingegen als stark, dann war der Council devotes Machtinstrument und verlor selbst jene Privilegien, die zu Zeiten schwacher Herrscher errungen worden waren. England kann sich glücklich wähnen, daß im Laufe des turbulenten Mittelalters nicht weniger als acht Perioden solcher schwachen Herrschaft 84 Plucknett, Concise, History, S. 152 ff; s.a. zur Entwicklung des Parlamentes Adams S. 169 ff m. w.H., S. 191; Gneist, Englisch Constitution, Bd 1, S. 320 ff, weist nach, daß bereits unter Henry I I I (1242) ein besonderer Council nach London einberufen wurde, zu dem „omnes Angliae magnates" geladen wurden, „ad tractandum nobiscum una cum caeteris Magnatibus nostri® quos similiter fecimus convocari de arduis negotiis, statum nostrum et totius regni nostri specialiter tangentibus." 35 Plucknett, Concise History, S. 154. 36 King's Council, S. 103 ff. 37 Baldwin, King's Council·, S. 114. 38 Stubbs, Constitutional History, Bd 3, § 367.

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bestanden, deren Gründe i n der Person des Herrschers lagen: Henry III, Edward III, Richard I I und Henry V I kamen als Minderjährige auf den Thron, Richard I I und Henry V I litten unter Wahnsinnsanfällen, Henry I V war in seinen letzten Jahren zu schwach zum Regieren und Henry V schlug Schlachten in Frankreich. Diese Umstände begünstigten die Entwicklung des King's Council ungemein. 1. Als Henry I I I 1216 neunjährig auf den Thron kam, hielten die mächtigen Barone in Bristol ein Treffen ab, um die Regentschaft für Henry zu beraten. Sie setzten W i l l i a m Marshall, Earl of Pembroke, als „Guardian of the King", „rector regis et regni" ein 3 9 , und dieser regierte mit den Großen des Reiches, dem Justiziar, Kanzler, Schatzmeister, einigen Richtern der „curia regis", sowie einigen Bischöfen, Baronen und anderen im „consilium regis". Insbesondere galt es zu dieser Zeit, Modifikationen an der Magna Carta Libertatum des Jahres 1215 zu unternehmen und den minderjährigen König vor zu großen Nachteilen gegenüber dem Papst Innozenz I I I zu schützen 40 , der aus der Fehde mit König John siegreich hervorgegangen war. Der Earl of Pembroke benutzte den King's Council vor allem deshalb, um sich später gegenüber dem König stets rechtfertigen zu können. Dieser Umstand kam daher der Institution sehr zugute. 2. Edward I I I kam 1327 ebenfalls als Minderjähriger vierzehnjährig auf den Thron. Wiederum wurde der Versuch gemacht, den King's Council zu stärken, aber ohne dauernden Erfolg 41 . I n dieser Zeit w i r d erstmals diskutiert, auf welche A r t und Weise dem King's Council Gestalt verliehen werden könnte. Die einen wollten einen permanenten Council 4 2 , die anderen betonten den inoffiziellen Charakter des Councils, daß dieser vorwiegend aus den Mitgliedern des königlichen Haushalts bestünde. Deshalb sei es einzig und allein Sache des Königs, wen er als Councillor wählen würde, und eine genaue Zusammensetzung des King's Council sei daher nicht zu benennen 48 . 3. In Edwards 50-j ährige Regierungszeit fallen große soziale Unruhen, ausgelöst durch eine Reihe von Hungersnöten, gefolgt dann von der schwarzen Pest der Jahre 1348—49, die die Bevölkerung dezimierte. Er hinterläßt seinem zehnjährigen Nachfolger große Probleme. Wieder w i r d der King's Council während der Minorität des Königs Regentschaftsrat, nunmehr mit einer festbestimmten Anzahl von Councillors: Zwei 39

Baldwin, King's Council, S. 16 ff; Maitland, Constitutional History, S. 69 f; Scofield, Star Chamber, S. xxiv. Taswell-Langmead, S. 504 ff. 40 Plucknett, Consice History, S. 23 ff. 41 Baldwin, King's Council, S. 98; Gneist, History, Bd 2, S. 64 ff. 42 Vgl. Jolliffe, History Medieval England, S. 457 ff, 43 Jolliffe, a.a.O.

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Bischöfe, zwei Earls, zwei Barone, 2 Freiherrn (Baronets) und 4 Ritter 4 4 . Der König reduziert den Council jedoch gleich nach seiner Volljährigkeit wieder zum servilen Handlanger seiner eigenen Wünsche. 4. Als Richard I I in den Jahren 1397—99 immer herrschsüchtiger und willkürlicher regierte und wahrscheinlich unter Wahnsinnsanfällen litt, erstarkte der Council wieder. Doch waren die von Richard eingesetzten Councillors korrupt und ebenfalls herrschsüchtig. M i t der Revolution von 1399 wird Richard I I abgesetzt und die von ihm eingesetzten Councillors werden bestraft. Aus diesen Konflikten ergeben sich jedoch auch positive Aspekte: Der King's Council ist jetzt eine kleine definierte Gruppe, die bestimmte Aufgaben auszuführen hat und aus hohen Würdenträgern besteht 45 . 5. Unter dem Nachfolger von Richard II, Henry IV, wurde der Council eine feste Institution, die allerdings wegen willkürlicher Praktiken berüchtigt war. Niemand wagte während seiner tyrannischen Herrschaft Kritik am König zu üben. So kritisierte man seinen Council. Der König gab daraufhin scheinbar nach, um dann andere Freunde als Councillors zu berufen 46 . Während seiner letzten Jahre war Henry I V schwach und kränklich und stritt sich häufig mit dem Prince of Wales, dem Kronprinzen. Die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der königlichen Familie verhalfen dem Council zu einer gewissen unerhofften Stabilität als Institution, wenn auch nicht zu klaren Machtbefugnissen 47 . Hinzu kam, daß die Magnaten des Reiches Henry als eigene Kreation empfanden, und Henry sich Widersachern mit größerem Anrecht auf die Krone gegenübersah 48 . Fortan war der König auf die Großen des Reiches und ihre Zustimmung angewiesen, was auch dem Council zugute kam. 6. Henry V kämpfte die meiste Zeit in Frankreich und hinterließ zur Regierung und Verwaltung seines Königreiches den Herzog von Bedford als „Guardian of the Realm", der sich des Councils als Verwaltungsmittel bediente. Dies war wieder eine Zeit, in der die legislatorische, judizielle und Regierungsarbeit des Councils i n ungetrennter Gemeinschaft sich entfalten konnte, fast sich selber überlassen und mit dem Bestreben, die größer werdenden Verwaltungs- und Regierungsgeschäfte möglichst funktionsgerecht in einem wirksamen und flexiblen Council wahrzunehmen. 44

Baldwin, King's Council, S. 120; Gneist, History, Bd 2, S. 67 f. Baldwin, King's Council, S. 145 f; Taswell-Langmead, S. 168 ff. 46 Jolliffe, History Medieval England, S. 466 ff; Baldwin, King's Council, S. 153 f. 47 Baldwin, King's Council, S. 164. 48 Gneist, History, Bd 2, S. 69 ff. 45

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7. Der unerwartete Tod des Henry V bewirkte, daß Henry V I als neunmonatiges Kind mit angeborener Geistesschwäche für lange Jahre einen starken Council benötigte, der jetzt kein echter Regentschaftsrat mehr war, von dem aber de facto alle Regierungsgewalt ausging 49 . Diese Zeit war die Blütezeit des mittelalterlichen Council. Nun entfaltete er die höchste Macht und Verantwortung in seiner Geschichte50. Das Amt des King's Councillor war jetzt sehr begehrt und hochbezahlt. 8. Ab 1437 bestimmte dann wieder der König selber alle Regierungsgeschäfte, während der Council erwartungsgemäß zwar als Institution gesichert, in seinen Aufgaben aber auf servile Zureicherdienste beschränkt wurde. Bereits 1453 jedoch erlangt der Council seine Vormachtstellung zurück, weil der König vollends geisteskrank wird 6 1 . Dieser kurze Überblick zeigt bereits, daß der King's Council sich im Mittelalter im Spannungsverhältnis der Krone zum Hochadel als unentbehrliche Institution herausgebildet hat. Die Tatsache, daß der King's Council auch zu Zeiten extremer Schwäche des Königs wenigstens formal als loyale Gruppe von Beratern fungierte, und erst sehr spät genau umrissene Konturen gewinnt, erklärt die wachsende Bedeutung dieser flexiblen Institution. Jede verselbständigte und institutionell festgelegte Einrichtung mit derart großen Regierungsbefugnissen wäre bei nächster Gelegenheit wegen Usurpation königlicher Prärogativen abgeschafft worden. So kommt es, daß der King's Council sich im Laufe der Zeit im Rahmen seiner äußerst losen Struktur doch erheblich spezialisiert: Bereits unter Henry I V konnte man den „Council (privy seal)" und den "Council in Chancery" unterscheiden. Der „Council of the Privy Seal" wird später zum „Council in Star Chamber" und noch später (unter den Tudors) zum Star Chamber-Gericht und Privy Council 5 2 , während die Chancery als Kanzlei mächtig anwächst und das Equity-Recht entwickelt, als Ausgleich zum Common Law, das eine Zeitlang in den komplizierten und unvollkommenen Klageformen erstarrte 58 . Fortan wird das „Privy Seal" für politische Angelegenheiten, die Chancery als Büro für andere hauptsächlich juristische Angelegenheiten verwendet. Das Verhältnis des King's Council zu den von ihm abgesonderten Common Law-Gerichten 54 w i r d besonders deutlich im Konflikt des Hauses Lancaster mit dem Hause York. 1460 hatte der Herzog von York 49 Jolliffe, History Medieval England, S. 474: er beschränkte sich nicht, wie vorgesehen auf „pur conseillers assdstentz a la governanz". 50 Baldwin, King's Council, S. 177 ff; Jolliffe, History Medieval England, S. 466. 51 Baldwin, King's Council, S. 196 ff ; Gneist, History, Bd 2, S. 72 ff. 52 Holds worth, HEL, Bd 1, S. 479. 53 Baldwin, King's Council, S. 260 f. 54 Wenn man Baldwin's These zustimmt, s. a. S. 172.

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endgültig den Thron für sich gefordert, den das Parlament dann auch bestätigte 55 . Die Lords wollten hierbei nicht nur den Rat der politischen King's Councillors einholen, sondern alle Councillors, mithin auch die königlichen Richter, befragen. Diese lehnten jedoch ab, in den dynastischen Streit verwickelt zu werden, mit der Begründung, sie seien nur des Königs Berater in Rechtsfragen und diese Frage falle daher nicht in ihren Zuständigkeitsbereich. Baldwin sieht hierin ein gutes Beispiel für die endgültige Trennung des King's Council von der King's Bench 56 . 5. Verwaltungskontrolle in diesen Institutionen Hatte die endgültige Zuweisung der Streitigkeiten „zivilrechtlicher" Natur an die drei Common Law-Gerichte die graduelle Spezialisierung einiger Councillors der „curia regis 11 bewirkt, sodaß diese hinfort zu politischen oder reinen Verwaltungs- und Regierungsgeschäften nicht mehr hinzugezogen wurden, so konzentrierte sich diese Arbeit in den Händen der kleinen Schar von Beratern um den König. Obwohl sie an sich für alle Aufgaben, seien es legislative oder exekutive Funktionen, vom König eingesetzt werden konnten und auch wurden, ist doch bemerkenswert, daß bereits unter Edward I der Council auch eine Vermittlerrolle zwischen König und Untertanen zu spielen begann, gelegentlich selbst „judizielle" Funktionen wahrnahm: Der King's Council beschäftigte sich bereits zu dieser Zeit mit angeblichen Machtüberschreitungen der im Namen des Königs handelnden Sheriffs oder auch der „Escheators" — Vollzugsbeamten des Königs — die an einzelne Councillors herangetragen wurden oder dem König berichtet worden waren. Zwar konnte man den König selber nicht verklagen, aber es gab die Möglichkeit der Petition, die dem Exchequer oder der Chancery übergeben wurde 5 7 . Bisweilen waren auch die Gerichte zu langsam, und Kläger wandten sich direkt an den Council. In solchen Fällen untersuchten die Councillors die Tatsachen, entschieden den Fall aber selten selber. Sie sahen ihre Aufgabe eher darin, die Prozeßführung anderer Gerichte zu überwachen und gegebenenfalls zu korrigieren, sowie den Gerichten Hilfestellung zu leisten. Selbst wenn sie Zeugen angehört hatten und eine volle Beweisaufnahme stattgefunden hatte, reichten sie den Fall meistens im Befehlswege an eines der königlichen Gerichte weiter, ließen dabei jedoch erkennen, zu welchem Ergebnis sie gekommen waren.. Die Entscheidung überließen sie jedoch den Gerichten. Unter Edward I I I ereignete sich beispielsweise ein Fall, in dem die Veräußerung von Ländereien wegen absoluter Geschäftsunfähigkeit einer Erbin wegen Geisteskrankheit an55 56 57

Vgl, Gneist, History, Bd 2, S. 75 ff. King's Council, S. 205. Baldwin, King's Council, S. 264, s. a. supra, Kap. 11 I I 3, S. 179.

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gefochten wurde. Die King's Councillors stellten selber fest, daß die Erbin geisteskrank war, ehe sie den Fall an die King's Bench weiterreichten 58 . Anfangs waren solche Anhörverfahren des Councils selten und Baldwin legt dar, daß der Council solche Aktivitäten nur ungern auf sich nahm 59 . Die wenigen Fälle dieser A r t erhielten aller Wahrscheinlichkeit nach auch nur deshalb das Ohr des Councils, weil die Kläger berühmt oder angesehen waren. Erst als sich die Common LawGerichte für bestimmte Streitigkeiten als ungeeignet erwiesen, dehnte der Council seine richterliche Tätigkeit aus. Aufgrund der Gewaltdelikte, die während des Mittelalters zeitweilig jegliche Kontrolle unmöglich machten, muß te der Council diese Straftaten selber ahnden, umsomehr, als sogar Justizbeamte einschließlich Sheriffs, Richter und Juries, häufig entweder korrumpiert oder eingeschüchtert wurden. Landfriedensbruch, Aufstände, bewaffnete Angriffe, Raubüberfälle, Entführungen, Erpressungen und viele andere Straftaten machten zentrale Bekämpfungsmaßnahmen dringend notwendig 6 0 . Neben sich häufenden Betrugsfällen 61 beschäftigte sich der Council i n zunehmendem Maße mit Spionagefällen, Steuervergehen und ähnlichen Delikten, die den König unmittelbar betrafen. Gleichzeitig nahmen aber auch die Petitionen an den Council rapide zu 6 2 , da das Common Law zu rigide geworden war und die Kläger keine Aussicht auf Erfolg hatten, wenn die Prärogativrechte der Krone dabei in irgendeiner Weise betroffen waren. Die Behandlung von Fällen, in denen Bürger Schutz vor der W i l l k ü r königlicher Beamter suchten, spielten jedoch noch keine große Rolle. In diese Zeit fällt dagegen die Vergrößerung der Chancery und die Herausbildung des Equity-Rechtes als Ausgleich zum Common Law.

58 Close Roll, 47 Edw. III, m. 29, mit folgendem Befehl: „We command you cause the aforesaid Joanna to come personally before you to be diligently examined, and if it shall be evident to you, as she surely seems to us and our Council, then . . . do you cause to be done what in justice and according to the law and custom of our realm should be done." 59 King's Council, S. 265. 60 Baldwin, a.a.O. 81 Vgl. ζ. Β. Close Roll, 49 Edw. Ill, m. 13 d, in der ein taubstummes Mädchen von angeblichen Pflegern ihrer Habseligkeiten beraubt worden war, indem die Pfleger geltend machten, diese seien von ihr selber übereignet worden. Der Council verurteilte sie zu Gefängnisstrafe, als er entdeckte, daß das Mädchen diese Rechtshandlung wegen ihres Zustandes niemals hätte durchführen können; ferner Cal. Patent Rolls, 22 Edw. III, 131; Cal, Close Rolls, 24 Edw. III, 225; Close Roll, 42 Edw. III, m. 8 d. (Urkundenfälschungen); Cal. Patent Rolls 24 Edw. III, 595 (Falschgeld). 62

Baldwin, King's Council, S. 281.

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Kapitel 12 III.

Die Bedeutung des Star Chambers

M i t dem Sieg des Hauses Tudor über den Usurpator Richard I I I beginnt eine neue Ära, in deren Verlauf der King's Council noch weiter und spezialisierter ausgebaut wird 1 . Bereits 1487 ergeht das später Berühmtheit erlangene Gesetz mit dem Randtitel „pro camera stellata" 2 , i n dem die bis dahin formlose Prozedur des King's Council festgeschrieben wird. Das spätere Star Chamber-Gericht wird häufig, vor allem in der Literatur, auf dieses Gesetz zurückgeführt. W i e alle vorherigen Abzweigungen vom King's Council entstand das Star Chamber-Gericht jedoch graduell, aufgrund zunehmender Arbeitsbelastung des Councils 8 . Im übrigen wird nirgends in dem Gesetz „pro camera stellata" dieser Begriff expressis verbis verwendet 4 . Wahrscheinlicher ist daher, daß spätere Juristen und Historiker sich nur deshalb auf diese Quelle als Anfangspunkt beriefen, weil die Entstehungsgeschichte des „Council in the Star Chamber" zu verschwommen war. Daß eine lange Vorgeschichte bestand, steht außer Zweifel. Schon 1343 w i r d vermerkt, daß ein neuer Sitzungssaal an der Themse gebaut wurde 5 , für den der Begriff „Star Chamber" von Anfang an erwähnt wird®. Aber auch noch 1453, während der Regierungszeit Henry VI, ergeht ein Gesetz, das substantiell die gleiche Materie wie das berühmt gewordene Gesetz „pro camera stellata" 7 enthält. 1. Das Gesetz „pro camera stellata" Der nun folgende kurze Uberblick über den Inhalt und den Zweck des Gesetzes von 1487 soll zeigen, daß schon vor der eigentlichen Etablierung des Star Chamber-Gerichtes eine Rechtsmaterie entstand, die es verdient, als „öffentliches Recht" kontinentaleuropäischer Auffassung gekennzeichnet zu werden. 1 Chrimes, S. 149 ff; Pollard, 37 E.H.R. 1922, s. 342 ff; Gneist, History, Bd 2, S. 177 ff. 2 3 Hen. VII, c. 1, 1487, das 1529 erweitert wird (21 Hen. V I I I , c. 20, abgedruckt in Tanner, S. 258 f. 8 Baldwin, King's Council, S. 439. 4 Scofield, Star Chamber, S. 9. Pollard hat Scofield's Dissertation in einem Exemplar des King's College, London, mit Randbemerkungen versehen und festgestellt, daß dieser Titel weder aus der Zeit stammt noch offiziell vermerkt wurde; vgl. das Exemplar der King's College History Library, S. 10; s. a. Tanner, S. 249. 5 Cal. Close Rolls, 17 Edw. III, 233. β Scofield, Star Chamber, S. Iii und 1. 7 Scofield, Star Chamber, Einleitung S. xxix; Statute 31 Hen. VI, c. 2, allerdings war unter Henry V I noch deutlich erkennbar, daß bei der Erwähnung des Wortes: „Star Chamber" oder „chambre d'estoillee" lediglich der Versammlungsort der King's Councillors gemeint war.

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Die Präambel des Gesetzes von 1487 stellt einen erstaunlich freimütigen Kommentar über die desolaten Verhältnisse am Ausgang des 15. Jahrhunderts dar. Sie beklagt die allgemeine Rechtlosigkeit des Königreiches, die Korruption der Sherriffs und Juries, die Aufstände und rechtswidrigen Zusammenrottungen, durch die „Politik und gute Herrschaft dieses Königreiches fast unterdrückt" worden ist 8 . Weiter führt die Präambel aus, daß die bestehenden Rechtsbehelfe des „Common Law of the Land" hierfür nicht ausreichen, um der zunehmenden Anzahl von Morden, Raubüberfällen und Unsicherheiten Herr zu werden, die überhandnehmen, zum Schaden „of all men living and losses of their lands and goods to the great displeasure of Almighty God" 9 . Der Zweck dieses Gesetzes ergibt sich demnach bereits eindeutig aus der Präambel. „Pro camera stellata" sollte als erneute Warnung an Missetäter aller Art dienen, daß in Zukunft von Seiten der Exekutive härter und wirksamer durchgegriffen würde, um Straftaten von Unruhestiftern und andere rechtswidrige Handlungen zu ahnden. Das Gesetz richtete sich insofern in gleichem Maße gegen die Magnaten des Reiches, die bislang zum Teil mitverantwortlich für diese unruhigen Verhältnisse gewesen waren. Es ging demnach in erster Linie darum, die rapide zunehmende Gewaltkriminalität einzudämmen. Zu diesem Zwecke erhielt der Council — der zu dieser Zeit bereits seit langem rechtliche Angelegenheiten im „Star Chamber" verhandelte — einen großen Ermessensrahmen, der die Zuständigkeit des Councils nahezu unbegrenzt erscheinen ließ. Aus dieser generalklauselartigen Kompetenzzuweisung ergab sich die große Flexibilität des Councils, der somit jeglicher politischen Entwicklung zumindest theoretisch gewachsen war. Allerdings hatte der King's Council auch schon vorher diesen weiten Ermächtigungsrahmen, vor allem während der Minorität der Herrscher, doch hier wurde er definitiv festgeschrieben. Um möglichst effekt i v auf ausbrechende Wellen von Gewaltkriminalität anworten zu können, wurde die bereits vorher lose entwickelte Verhandlungsform des „Council in the Star Chamber" statuiert: Als größten Vorteil gegenüber den königlichen Common Law-Gerichten wies der Council eine summarische Prozeßführung auf, die ohne die komplizierten Regeln des Common Law entwickelt worden war. Diese vereinfachte Prozedur ermöglichte schnelle und vor allen Dingen abschreckende Urteile „in terrorem populi" 1 0 . 8

Scofield, Star Chamber, S. 10; Tanner, S. 258; Taswell-Langmead, S. 226. Scofield, Star Chamber, a.a.O.; „zum Schaden aller Lebenden und Verlust ihres Landbesitzes und anderen Güter, sowie zum großen Mißfallen des Allmächtigen"? Ubers, d. Verf. 10 Scofield, Star Chamber, S. 40 ff, die aber erst unter Henry V I I I wegen ihrer Grausamkeit berüchtigt wurden. 0

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M i t diesen Aufgaben wurde eine weitgehende Spezialisierung der rechtlichen Angelegenheiten innerhalb des Councils angestrebt. Der Council war groß und damit eine schwerfällige Maschinerie. Ein kleines, effektives Forum zur sorgfältigen Vorprüfung weitgehend technischer Rechtsfragen bot sich daher fast von selber an 1 1 . Damit wurde das zeitweise umstrittene Verhältnis des Lordkanzlers zum „Council in the Star Chamber" jetzt dergestalt geregelt, daß Strafsachen dem Star Chamber, Equityangelegenheiten der Kanzlei („Chancery") zugewiesen wurden. Vor allen Dingen erlangte der Council jetzt durch dieses Gesetz die volle Anerkennung der Lords im Parlament und wurde dadurch erheblich gestärkt sowie verfassungsmäßig abgesichert. Außerdem sollte durch die festgelegte Zahl der Mitglieder des Councils und der Anwesenheitspflicht die Stabilität und Regelmäßigkeit der Institution gesichert werden. Der Hauptvorteil des „Council in Star Chamber" und auch des späteren Star Chamber-Gerichtes lag neben den strafrechtlichen Kompetenzen, die seine Schaffung hauptsächlich verursacht hatten, später aber auch seinen Untergang einläuten sollten, in einer nie genau umschriebenen, aber extensiv ausgelegten Zuständigkeit für „Zivilsachen", zu denen auch die Kontrolle der Sheriffs und Juries sowie der „Justices of the Peace", der Friedensrichter 12 gehörte, wenn diese ihre Kompetenzen überschritten oder korrupt waren 1 3 . Der Council und auch das Star Chamber-Gericht waren unter den Tudors sehr populär, da schwache Bürger vor Willkürakten mächtiger Landbesitzer beschützt wurden. Die Angst vor dem Star Chamber beflügelte einerseits die Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte, an die sich einfache Bürger ohne Angst vor Repressalien durch reiche Nachbarn wenden konnten, (wenn sie sich das Verfahren finanziell leisten konnten). Andererseits brauchten auch Juries sich nicht länger zu fürchten, gegen mächtige Nachbarn, „Squires", vorzugehen, die als Friedensrichter häufig ihre eigenen Interessen über die der Kläger stellten und dafür vor das Star Chamber-Gericht in Westminster zitiert werden konnten 1 4 . Im Ganzen betrachtet war der Council jetzt hochangesehen und die Councillortätigkeit entsprechend begehrt 15 . Das Vertrauen der Bevölkerung in diese Einrichtung wuchs, nur war es nicht lange gerechtfertigt.

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Scofield, a.a.O.? Baldwin, King's Council, S. 439 ff? Chrimes, S. 166 ff. Siehe Moir, Justices of the Peace, S. 63, 70 f. 13 Vgl. Hallam 2 , S. 27? Elton, S. 11 ff? Plucknett, Concise History, S. 182 ff? Scofield, Star Chamber, S. 45? Baldwin, King's Council, S. 298. 14 Vgl. Trevelyan. History, S. 276 ff? Maitland, Constitutional History, S. 262 ff. 15 Chrimes, Introductory Essay, in Holdsworth HEL, Bd 1, S. 59? ferner Plucknett, Concise History, S. 196. 12

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2. Das Star-Chamber-Gericht Unter Henry V I I I hielt sich das Star Chamber, das jetzt zum Gericht wird, wenig an die Gesetzesvorlage: Der King's Council hatte sich endgültig in drei Teile verzweigt: Den Kanzler oder „Bewahrer des geheimen Siegels" im Star Chamber, die Richter der King's Bench sowie den König und die engsten Berater des „Privy Councils", des Geheimen Kronrats 16 . Während die Councillors des „Privy Councils" als engste Vertraute des Königs alle dem Adel entstammten, wurde das Star Chamber zum „Council zweiter Klasse" 1 7 und schon bald mit weniger einflußreichen Noblen und Beamten besetzt. Dennoch verdient dies Gericht zu dieser Zeit noch nicht den schlechten Ruf, den es unter späteren Herrschern erwarb. Das „Court of Star Chamber" ermöglichte Abhilfe in Fällen, in denen das Common Law wegen starrer Fixiertheit auf bestehende Klageformen versagt hatte. Es war unparteiisch und konnte von den Reichen nicht bestochen werden. Seine informelle Verhandlungsweise, die jeglicher schwerer, umständlicher Technikalitäten wie im Common Law entbehrte, machte es zum begehrten Forum 18 . Das Verfahren begann meist mit einer Beschwerde an das Gericht „to the King's Majesty". Um Querulanten abzuhalten, wurden falsche Beschuldigungen „pro falso clamore" unter Strafe gestellt. Wenn der Beklagte nicht antwortete, erging ein Haftbefehl, den der betreffende Grafschaftssheriff zu vollstrecken hatte 19 . Erschien der Beklagte vor Gericht, mußte er binnen acht Tagen seine Verteidigung vortragen. Der Kläger hatte darauf vier Tage Zeit für eine Replik. Unter Umständen gab es dann noch „Rejoinders" und „Rebuttals", erneute Stellungnahmen beider Parteien. Das weitere Verfahren bestimmten dann die Richter des Star Chamber-Gerichtes. Ein Urteil erging häufig schon, wenn der Kläger glaubte, einen Funken eines Eingeständnisses im Vorbringen des Beklagten entdeckt zu haben. Um ein Urteil hic et nunc zu erreichen, schnitt der Kläger dann alle weiteren Prozeßhandlungen ab und plädierte für ein „secundum allegata et probata". Ein Urteil erging auch „super confessionem", wenn der Beklagte seine Schuld eingestand. Das Schweigen des Beklagten wurde als Eingeständnis gewertet und ein Urteil „pro confesso" wurde daraufhin gegeben 20 . 16

Baldwin, King's Council, S. 461. Baldwin, a.a.O. 18 Elton, S. 15. 19 Gelang es dem Sheriff nicht, den Beklagten festzunehmen, um ihn dem Gericht vorzuführen, erging ein „non est inventus"-Zertifikat. Dies hatte zur Folge, daß ein Haftbefehl wegen Rebellion erlassen wurde; vgl. Scofield, Star Chamber, S. 73 ff. 20 Nähere Details bei Scofield, Star Chamber, S. 73 ff; Tanner, S. 255—257. 17

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Einer der Hauptvorteile des Star Chamber-Gerichtes war die Möglichkeit der ausführlichen Vernehmung von Zeugen, was dem Common Law fast unbekannt war 2 1 . Holdsworth 22 gibt mehrere Beispiele für den großen Kompetenzrahmen des Councils und Star Chambers in der Tudorzeit, aus denen ersichtlich wird, daß das Star Chamber durchaus schon eine Menge von Fällen behandelte, die der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle kontinentaleuropäischer Prägung entsprachen: So hatten sich im Jahre 1600 in einem Falle die Kaufleute der Stadt London an das Star Chamber-Gericht gewandt. Hierbei ging es um das Recht der Stadt Newcastle, gewisse Abgaben für Blei und Kohle zu fordern. Andere Beispiele behandeln Klagen gegenüber Beamten der zentralen Regierung oder der örtlichen Verwaltung, und das Star Chamber urteilte zu Recht, „daß der König selber entehrt werde, wenn seine Unterthanen auf diese Weise unterdrückt würden" 2 8 . Auch die Beamten selber konnten sich ohne weiteres an den Council wenden, ein Privileg, um das sie mancher britische Beamte des 20. Jahrhunderts beneiden würde 2 4 . Aus diesen Beispielen wird ersichtlich, daß ein System des Verwaltungsrechts in Ansätzen durchaus schon bestand. Holdsworth sagt sogar, daß i n Fällen zweifelhafter Kompetenz der Council die Zuständigkeiten eines „Tribunal des Conflits" beanspruchte 25 . Nur leider begründete dieser weite Zuständigkeitsrahmen auch den Niedergang und schließlich den Untergang des Star Chamber-Gerichtes. Hieraus w i r d ersichtlich, daß das Star Chamber und später das Star Chamber-Gericht nicht nur eine in seiner Blütezeit segensreiche Funktion ausübte, um das durch Revolutionen und Aufstände zerrüttete und demoralisierte Land zu befrieden, sondern zugleich in Ansätzen alle Möglichkeiten bot, um ein System des öffentlichen Rechts auszubilden, wie es nach der französischen Revolution von 178926 und im 19. Jahrhundert mit den unteren Instanzen der Verwaltungsgerichte in Preußen 27 entstand. Auch auf dem Kontinent hatte der Rechtsschutz des Individuums gegen Staatswillkür in Einrichtungen der Exekutive begonnen. 3. Der Niedergang des Star Chambers Genau jene Gründe, die das Star Chamber-Gericht zunächst unter den Tudors zum beliebten und effektiven Instrument der Herrschaft, verbun21

Elton, S. 16. HEL, Bd 4, S. 79 f. 23 HEL, Bd 4, S. 85. 24 Ebda., S. 86. 25 Ebda., S. 87. 28 Dies hat sogar Dicey (S. 267 u. 371) gesehen, doch für ihn war das Star Chamber nur der Sitz willkürlicher Herrschaft, was sich jedoch erst später erwies. 27 Ule, VwGO, S. 2. Nur das preußische OVG war mit unabhängigen Richtern besetzt, besaß daher zu Recht den Titel „Gericht". 22

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den mit erhöhter Rechtskontrolle machte, führten jedoch schließlich zur Perversion der Einrichtung 28 . Anfangs hatten verurteilte Schuldner relativ milde Strafen erhalten, verglichen mit den barbarischen Sanktionen der anderen Gerichte, doch innerhalb kurzer Zeit wurden diese auch im Star Chamber-Gericht immer maßloser. Unter den Stuarts waren dann Geldstrafen, die das Vermögen des Beschuldigten oft weit übertrafen, zusammen mit Folterungen an der Tagesordnung. Den Verurteilten wurden häufig die Ohren abgeschnitten, Brandmale zugefügt, sie wurden ausgepeitscht, die Nasen aufgeschnitten, und als mildere Bestrafung rücklings auf Pferden mit Schandtafeln in Westminster herumgeführt. Lediglich die Todesstrafe wurde vom Star Chamber-Gericht nicht verhängt 29 . Das hatte zur Folge, daß viele armselige Beschuldigte lieber die grausamen Folterungen auf sich nahmen, insbesondere die „peine forte et dure" Beschwerung mit Gewichten, die zum Tode führte, nur um den Familienmitgliedern wenigstens das Vermögen zu erhalten, welches bei einer Todesstrafe als Folge eines Geständnisses an die Krone gefallen wäre. Viele der so Gefolterten werden unter den grauenvollen Marterungen falsche Geständnisse abgelegt haben, und dann doch noch Hab und Gut verloren haben. Im Anfang waren Geldbußen absichtlich „ i n terrorem populi" weit überhöht festgesetzt worden, um die Bevölkerung abzuschrecken. Nach einer gewissen Zeit wurde die Strafe dann aber regelmäßig im Gnadenwege erlassen 80 . Erst unter den Stuarts pervertiert das Gericht zu einem berüchtigten Handlanger einer absolutistischen Regierungsgewalt. Dasselbe Gericht, das Rechtsverletzungen feststellen sollte, setzt nun selber im Wege von Proklamationen Verordnungen, deren Ungerechtigkeiten den Niedergang des Gerichtes beschleunigen 81 . Hallam weist nach, daß die W i l l k ü r des Star Chambers so weit ging, Verurteilungen mit hohen Strafen auszusprechen, wenn die Verordnung, gegen die verstoßen worden sein sollte, erst nach Beginn der Verhandlung erlassen wurde: I n einem Beispielsfall aus dem Jahre 1599 hatten Vermieter den Ärmsten der Armen in London Wohnraum geschaffen und eine Wohnung in mehrere Parzellen aufge28

Vgl. hierzu Holdsworth, HEL, Bd 4, S. 72 ff. Scofield, Star Chamber, S. 76 f; ferner Phillips, in Transactions R.H.S., 1939, S. 103 ff. 30 Scofield, Star Chamber, S. 48 ff. 31 „Thedr fynes are usually imposed upon delinquents secundum quantitate delicti, but not according to ye estate of ye partie, because they bee in terrorem populi, but nevertheless the lords very honourably are pleased to mitigate them againe twice yearly, vizt. at the end of Trinity terme & the terme of Hillary terme", Harleian Manuscripts im British Museum, Nr. 6448, folios 45, 46 (1636), zit. in Scofield, S. 79; s.a. Tanner, S. 258. 29

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teilt. Die Vermieter wurden bestraft, weil ihr Verhalten gegen eine — der Sache nach wohl gerechtfertigte — erst später erlassene Abbruchverfügung verstieß 32 . Kurz vor der Abschaffung des Gerichtes ereigneten sich dann vier aufsehenerregende Fälle: 1630 wurde ein Alexander Leigh ton zu £10,000.— Geldstrafe verurteilt, ausgepeitscht, in den Schraubstock gelegt, ein Ohr abgehackt, die Nase gespalten, die Backe gebrandmarkt und lebenslänglich eingesperrt. Seine Zuwiderhandlung: Er war Verfasser der Schrift: ,An Appeal to Parliament 1 . 1637 wurde der Barrister William Prynne zu £ 5000.— verurteilt, ebenfalls degradiert, die Ohren abgeschnitten, in den Schraubstock gelegt und lebenslänglich eingesperrt. Sein Vergehen: Er war Verfasser eines Buches, das angeblich die Queen beleidigte. 1638 wurde ein zukünftiger Held der Parlamentarierarmee, John Lilburne, ausgepeitscht, in den Schraubstock gelegt und zu drei Jahren schweren Kerker verurteilt. Er hatte sich geweigert, in einem Verhör auszusagen, bei dem es um die Verbreitung antiklerikaler Pamphlete ging. Im selben Jahre erhielt Sir Thomas Wiseman £ 17,000.— Strafe, nebst Degradierung, Schraubstock und Kerker, „solange es dem König beliebt" („during the King's pleasure"). Er hatte angeblich das Gericht beleidigt 3 3 . Diese vier Beispiele von den vielen ähnlichen mögen genügen, um den Untergang des Gerichtes als Folge des Sieges des Unterhauses gegenüber Charles I als Befreiung von einer tyrannischen Last zu empfinden. A m Ende war es ein fataler Schicksalsschlag für jeden, in die Zuständigkeit des Star Chambers zu fallen, „. . . where those who inflicted the punishment reaped the gain, and sat, like famished birds of prey, with keen eyes and bended talons, eager to supply for a moment, by some wretch's ruin, the craving emptiness of the exchequer . . ," 8 4 .

Es war nur natürlich, daß dieses öffentliche Tribunal, zusammen mit dem Council herkömmlicher Art, aufgrund der am 3. Dezember 1640 begonnenen Untersuchung durch ein Parlamentskomitee schließlich 1641 ersatzlos abgeschafft wurde und der Privy Council seiner politischen 32 Hallam 2 , S. 29. Gegen die Bekämpfung der üb erhandnehmenden Parzellierung ist damit nichts gesagt. 33 Alle Fälle aus Curzon, S. 180; Vgl. auch Tanner, S. 297 f, zit. Rushworth (1680); vgl, auch Phillips, Transactions R.H.S., Bd 21, 1939, S. 103 (120 ff). 34 Hallam 2 , S. 31: „wo jene, die die Strafe festsetzten, den Gewinn zogen und wie gierige Raubvögel mit lüsternen Augen und gebogenen Klauen, für die Dauer eines Augenblicks die gähnende Leere des Exchequer durch den Ruin eines Armseligen auffüllten", Ubers, d. Verf.; s. a. Scofield, Star Chamber, S. 46 ff.

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Vormachtstellung, die er unter den Lancasters und Tudors erlangt hatte, verlustig ging. Das Lange Parlament begründete dies damit, daß Verfahren, Zensurmaßnahmen und Verordnungen des Star Chambers eine unduldbare Last für alle Bürger und ein Mittel zur Einführung willkürlicher Macht dargestellt hatten 35 . Dennoch kann nicht genug betont werden, daß im Star Chamber lange Zeit „royal justice" im Sinne der Bürger gesprochen wurde und auch schon eine effektive Kontrolle der untergeordneten Regierungs- und Verwaltungsbehörden entwickelt wurde, die mit der Abschaffung des Star Chamber-Gerichtes und der Beschneidung der Befugnisse des Privy Councils 36 ersatzlos mit unterging 37 . Es ist zwar verständlich, aber bedauerlich, daß die Demokraten des Langen Parlamentes dieses nicht erkannten und aufgrund der Terrorexzesse des Gerichtes statt seiner Reform die Abschaffung beschlossen38. Doch sind das ex post facto-Rationalisierungen, die vor dem Hintergrund der Wirren des 17. Jahrhunderts nicht möglich waren. Hierzu bedurfte es erst der philosophischen Anstöße durch Locke, Montesquieu und andere, die ab Mitte des 17. Jahrhunderts jene Gedanken in politische Realität verwandelt wissen wollten. Die Abschaffung des Star Chamber-Gerichtes ist aus den genannten Gründen daher ein Hauptfaktor für das Fehlen einer getrennten Verwaltungsgerichtsbarkeit und überhaupt eines Systems des Verwaltungsrechts in England. Kapitel 13 IV.

Die Wirren des 17. Jahrhunderts 1. Problemstellung

Der Sieg oder der Verlust von Institutionen allein kann auf die Dauer jedoch kaum so einschneidende Wirkungen zeigen, daß dabei eine rudi35 Scofield, Star Chamber, S. 79; s.a. Adams, S. 308ff; Gneist, History, Bd 2, S. 245. 36 Zur weiteren Entwicklung des Privy Councils, s. Holdsworth, HEL, Bd 1, S. 516 ff. 37 Siehe hierzu auch Carr, Concerning, Administrative Law, S. 125 f. 38 Vgl. hierzu auch Mitchell·, P. L. 1962, S. 24 ff; ferner Tanner, S. 284—298 der eine illustre Reihe von Autoritäten zitiert, die das Star Chamber-Gericht lobten; so etwa Sir Thomas Smith: „. . . this court hath been in more estimation, and is continued to this day" (1565); ferner Francis Bacon, Viscount St. Albans, der als Anhänger der Krone selbstverständlich dies Prärogativgericht lobte: „This court is one of the sagest and noblest institutions of this kingdom" (1621); Coke, als Hauptgegner Bacons, findet noch 1628 sehr lobenswerte Eigenschaften im Star Chamber; Hudson, der selber Mitglied des Star Chamber war:. . . this court being surely in honour, state, and majesty, learning, understanding, justice, piety, and mercy, equal and in many exceeding the Roman Senate. . . . Let this then suffice for the dignity of the Court, that in the same it matches with the highest that ever was in the world".

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mentäre Verwaltungsgerichtsbarkeit endgültig, selbst als Desideratum, verloren geht. Erst im Zusammenspiel einflußreicher Wortführer, Politiker, Richter und rivalisierender politischer Fraktionen konnte das Fehlen einer systematischen institutionellen Absicherung vor Maladministration zu einem bis heute dauernden Zustand werden. Für die Wirren des 17. Jahrhunderts können neben machtpolitischen Faktoren viele Gründe hervorgehoben werden: wirtschaftliche, soziale, religiöse und territoriale Fragen. V o n Bedeutung für die Verkümmerung des englischen Verwaltungsrechts sind jedoch verhältnismäßig wenige, allerdings dramatische Ereignisse: zum einen der wachsende Antagonismus zwischen dem Common Law und vor allem seines Verherrlichers Sir Edward Coke und den Prärogativgerichten, einschließlich des „Court of Chancery", zum anderen der Kampf der Legislative im Bündnis mit der Common Law-Richterschaft gegen die absolutistische Herrschaft der Stuarts, mit ihren royalistischen Anhängern und den Prärogativgerichten. 2. Der Antagonismus des Common Law gegen Prärogativgerichte Gegen Ende der Tudorzeit und unter Elizabeth I wächst langsam eine Rivalität zwischen dem Common Law und seinen Hauptexponenten einerseits und den mittlerweile zahlreichen Prärogativgerichten, die von der italienischen Renaissance und dem römischen Recht stark beeinflußt waren. Solche Einflüsse waren den Common Law-Richtern nur suspekt 1 . Aus dem King's Council hatte sich die Chancery und das mächtige Star Chamber-Gericht, das „Court of Requests", das „Court of Admirality", der „Council of Wales" und der „Council of the North", sowie das „Court of High Commission" für Kirchenangelegenheiten 2 entwickelt, die alle mit den bestehenden Common Law-Gerichten in häufig überschneidender Kompetenz rivalisierten. Lediglich die Tatsache, daß die Prärogativgerichte stets u. a. mit Common Law-Juristen besetzt waren, hatte unter Elizabeth I noch eine gewisse Harmonie der gesamten Richterschaft garantiert. Hinzu kam, daß das „Court of Chancery" dringend erforderliche Billigkeitsregeln entwickelt hatte, um starre legalistische Formen des Common Law i n Einzelfallentscheidungen zu durchbrechen. Diese Praxis wurde von der Bevölkerung und den Beratern der Krone keineswegs als Machtusurpation der Chancery empfunden, sondern als willkommener Ausgleich zu dem „numerus clausus" der Common Law-(Sachenrechts-) Regeln 3 geschätzt und häufig beansprucht. Die sich mehr und mehr ver1

Trevelyan, History, S. 277 f. Als Schöpfung königlicher Reformation unter Henry V I I I entstanden, vgl. Trevelyan, History, S. 277 f. 3 Das gesamte Equity-System kann m. E. als Ausnahme zu den inflexibel geschlossenen Kategorien des Common Law betrachtet werden, die den Hauptun2

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selbständigenden Gerichte und persönliche Querelen unter den Beratern am Hofe der alten Queen Elizabeth I leiteten dann Entwicklungen ein, die unter James I zum Eklat führten. Einer der Schlüsselfiguren in dieser Zeit war Sir Edward Coke. Anhand seiner Karriere lassen sich die folgenschweren Ereignisse leicht skizzieren: 1593 war er „Solicitor General", 1594 „Attorney-General" geworden und danach zunächst Royalist und Befürworter der Prärogativrechte 4 . Er war ein ehrgeiziger Jurist, der in seinen jungen Jahren ohne weiteres als Einschmeichler bezeichnet werden konnte, doch schon bald aufgrund seiner bedeutenden historischen Rechtsstudien das Common Law über alles lobte und als einziges für wichtiger als seinen persönlichen Erfolg hielt 5 . Sicherlich wider besseres Wissen, aber um James I zu gefallen, hatte Coke Sir Walter Raleigh angegriffen, der sein Leben lang gegen Spaniens Vorherrschaft der Meere gekämpft hatte und gesagt: „Du hast ein spanisches Herz und bist die Viper der Hölle" 8 . Sein späterer Einfluß ist nur mit dem Savignys in Deutschland zu vergleichen. Noch als Attorney-General, kurz nach Elizabeths Tod, entdeckte er in zunehmendem Maße die Qualitäten des Common Laws und den Anspruch seiner Vorherrschaft und ließ dies in seine Ratschläge einfließen, selbst wenn er wußte, daß dies den Interessen König James I widersprach. Zunächst jedoch richtete sich sein Zorn nur indirekt gegen den König: 1605 beklagte sich Erzbischof Bancroft beim König, daß die Common Law-Gerichte und vor allem Sir Edward Coke die Kirchengerichtsbarkeit unterhöhlten, indem sie im Wege von Prohibitionsbefehlen dort anhängige Verfahren dem King's Bench-Gericht zuführten, weil sie angeblich nach ihrer Auffassung zum Common Law gehörten. Der König unterstützte die Ansicht des Erzbischofs vor allem, weil er damit bezeugen konnte, daß Prärogativgerichte, wie alle Gerichte, seiner Machtvollkommenheit entspringe und keinen Common Law-Beschränkungen unterworfen seien. So zitierte er die Common Law-Richter nacheinander zu sich, sagte ihnen, sie seien seine Delegierten, „Löwen unter dem Thron", keineswegs ihm gegenüber unabhängig und bestimmte, daß er im Streitfalle zu entscheiden habe, welchem Gericht die Materie zuzuweisen sei 7 . Als einziger Richter hatte Coke dieser Ansicht widersprochen. Den bemerkenswerten terschied zum deutschen Sachenrecht ausmachen: So ist z.B. das englische TrustKonzept als Equity-Sdiöpfung eine solche Durchbrechung, die dem deutschen Recht weitgehend fehlt, mit allen Vor- und Nachteilen. 4 Vgl. Holdsworth, Some Makers of English Law, S. I l l ff. 5 „Coke was an ambitious, pushing lawyer, a bully, and in his early days a sycophant", Trevelyan, History, S. 391. 6 Trevelyan, History, S. 391: „Thou hast a Spanish Heart and thyself art a viper of hell", Ubers, d. Verf. 7 Vgl. Maitland, Constitutional History, S. 268 ff.

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D i s p u t zwischen K ö n i g u n d Coke beschrieb er i n seinen „ R e p o r t s " selber8: „The king said that he thought the law was founded upon reason, and that he and others had reason as well as the judges. To which it was answered by me that true it was that God had allowed His Majesty excellent science and great endowments of nature; but His Majesty was not learned dn the laws of his realm of England and causes which concern the life or inheritance or goods or fortunes of his subjects; they are not to be decided by natural reason but by the artificial reason and judgment of law, which law is an act which requires long study and experience before that man can attain to the cognizance of it; and that the law was the golden met-wand and measure to try the causes of the subjects, and which protected His Majesty in safety and peace. With which the King was greatly offended, and said then he should be under the law, which was treason to affirm, as he said. To which I said that Bracton saith quod Rex non debet esse sub homine sed sub deo et lege" 9 . C o k e bezeugte h i e r m i t seinen unerschrockenen G l a u b e n an die V o l l k o m m e n h e i t des C o m m o n L a w , der v o r d e m H i n t e r g r u n d einer Herrschaft ohne Schranken durch die Stuarts berechtigt erscheinen muß. Er w o l l t e für das C o m m o n L a w eine eigene Existenz begründen, ü b e r d e m K ö n i g u n d ü b e r dessen U n t e r t a n e n u n d n u r z u r U n a b h ä n g i g k e i t b e i Streitigk e i t e n zwischen K ö n i g u n d U n t e r t a n e n verpflichtet. D e r K ö n i g solle Gesetze n u r ü b e r sein Parlament e r h a l t e n k ö n n e n u n d Prärogativgerichte seien I m p o r t e „ f r e m d e r Z i v i l i s a t i o n " 1 0 . D i e glorreiche eigene V e r g a n g e n h e i t liefere g e n ü g e n d Präzedenzfälle zur L ö s u n g a l l e r Probleme. I m Z w e i f e l k ö n n t e das C o m m o n L a w das Recht w e i t e r e n t w i c k e l n . M i t w e l cher L e g i t i m a t i o n insbesondere die F o r t e n t w i c k l u n g der Rechtsregeln durch die Richterschaft erfolgen sollte (außer daß sie so seit l a n g e m v e r fahren hatten) v e r s c h w i e g er geflissentlich. Trotz dieser M e i n u n g s v e r s c h i e d e n h e i t e n u n d Coke's wachsender O p p o s i t i o n gegenüber d e m K ö n i g w u r d e er 1606 z u m „ C h i e f J u s t i c e " des 8 Coke Reports, Bd 12, S. 65, zit. in Maitland, a.a.O.: „Der König war der Ansicht, daß das Recht auf Vernunft beruhe und daß er und andere, wie auch die Richterschaft Vernunft besäßen. Worauf ich antwortete, daß es wahr sei, daß Gott seiner Majestät ausgezeichnetes Wissen und Gaben der Natur beschert habe, daß seine Majestät in den Gesetzen seines englischen Reiches und den Präzedenzfällen, die das Leben oder das Erbe oder Waren oder Reichtümer seiner Untertanen betreffen, aber nicht gelehrt sei; daß diese nicht durch natürliche Vernunft, sondern künstliche Begründungen und Rechtsurteile entschieden würden und daß die Kenntnis dieses Rechtes erst durch ein langes Studium und Sammeln von Erfahrung erworben wird, ehe ein Mann es erkennen kann, daß ferner das Recht der goldene Stab und das Maß sei, mit dem die Streitigkeiten der Untertanen beurteilt würden und der seiner Majestät Sicherheit und Frieden böte. Der König war hierüber sehr beleidigt und erwiderte, daß er dann ja unter dem Recht stünde, welche Behauptung Verrat darstellen würde, wie er meinte. Hierauf entgegnete ich, daß Bracton bereits gesagt hätte: ,quod Rex non debet esse sub homine sed sub deo et lege', Ubers, d. Verf. 9 10

Weil das Recht den König gemacht habe: „quia lex facit regem". Trevelyan, History, S. 391.

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Common Pleas-Gerichtes befördert. Ein neuer Streit ließ jedoch nicht lange auf sich warten: 1611 befanden Coke und seine Amtsbrüder, daß das „Court of High Commission" kein Recht habe, Geldbußen zu verhängen und Gefängnisstrafen auszusprechen. Wiederum zitierte James I die Richter einzeln vor seinen Council und ließ sie Stellung nehmen. Coke gab auch diesmal als einziger den Loyalitätspressionen nicht nach. Der König versprach schließlich eine Kompromißlösung, setzte eine gemischte Untersuchungskommission ein und ernannte Coke zum Mitglied dieses Gremiums, in der trügerischen Hoffnung, ihn dadurch zum Schweigen zu bewegen. Coke jedoch blieb dieser Kommission aus Protest fern. Seine Opposition gegenüber Maßnahmen der Exekutive wurde immer grundsätzlicher, wohlgemerkt immer gemessen am Prinzip der Vorherrschaft des Common Law. So wollte er Zölle, die das „Court of Exchequer" (Finanzgericht) für rechtmäßig hielt, nur dann gelten lassen, wenn es „zum Wohle der Öffentlichkeit" geschah, nicht lediglich zur Vermehrung der Staatseinnahmen diente. Beurteilen sollte ein solches Problem die Richterschaft des Common Law, nicht das Parlament oder die Exekutive 1 1 . Die Praxis der Rechtsetzung durch königliche Proklamation statt durch Gesetz des Parlamentes hielt er ebenfalls für rechtswidrig und bekämpfte vor allem die Ansicht, daß auf diesem Wege neue Straftaten geschaffen werden könnten, wie es das Star Chamber-Gericht in zunehmendem Maße getan hatte 12 . 1613 wurde Coke schon wider aller Erwarten zum Präsidenten des King's Bench-Gerichtes (Chief Justice) ernannt. James I erhoffte sich damit zweifellos, daß dieses hohe Ehrenamt den unbequemen Dissidenten zumindest nachgiebiger stimmen würde. Doch von nun an wehrte sich Coke erst recht gegen die Praxis der Einzelbefragung von Richtern vor dem King's Council, einer Praxis, der er als Attorney-General selber noch sehr aufgeschlossen gegenübergestanden hatte. Die Frage scheint berechtigt, ob eine weniger stürmische und untaktische Verhaltensweise der Sache selber, der Stärkung der Vorherrschaft des Rechtes nicht mehr genutzt hätte. 1615 stürzte sich Coke dann in seine Privatfehde gegen das „Court of Chancery", aus der er als deutlicher Verlierer hervorging: Seit einiger Zeit hatte das Chancery-Gericht die Zuständigkeit für solche Fälle beansprucht — und auch dementsprechend gehandelt — in denen ein Kläger zwar in einem Common Law-Gericht gewonnen hatte, aber nur aufgrund von Betrug oder auf anderem unbilligen Wege. Das Chancery-Gericht mischte sich damit keineswegs in die Prozeduren des Common Law und seiner Urteile ein, sondern verhandelte aufgrund neuer Tatsachen, wie Betrug, „Breach of Trust" (Bruch einer fiduziarischen Testamentverpflich11 12

Maitland, Constitutional History, S. 269 ff. Supra, Kap. 12, I I I 3, S. 192.

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tung f die nach dem Common Law seit Erlaß des ,Statute of Uses' 1535 nicht einklagbar war) und ähnlicher Einzelfälle. Coke war diese Rechtsprechung neben dem Common Law ein Dorn im Auge und berief sich auf alte Gesetze 18 , die aber leider eine andere Materie regelten, als Coke im Eifer des Gefechtes vorgab 14 . James I entschied natürlich für das Chancery-Gericht und sah darin den Beweis, daß der König sehr wohl bei Streit zwischen Richtern als letzter und höchster Arbiter fungiere. Die Privatfehde Coke's richtete sich vor allen Dingen gegen seinen Rivalen Sir Thomas Egerton, den späteren Lord Ellesmere 15. Ellesmere war von 1596 bis 1617 Lordkanzler. Während der letzten Jahre von Elizabeth I war es noch nicht notwendig gewesen, für oder gegen Prärogativrechte Partei zu ergreifen. Nach ihrem Tode, unter James I, entschied er sich bedingungslos für die Partei der königlichen Prärogative, der Royalisten, und damit gegen Cokes Ansichten 16 . Auch Ellesmere war ein Mann starker Ansichten und häufig eigenwillig. Als Beispiel dafür möge folgender Vorfall dienen. Richard Mylward hatte eine 120 Seiten lange Replik angefertigt und dem Gerichte vorgelegt. Daraufhin hatte Ellesmere folgendes angeordnet 17 : „It is therefore ordered that the Warden of the Fleet shall' take the said Richard Mylward . . . into his custody, and shall bring him unto Westminster Hall on Saturday next . . . and there and then shall cut a hole in the myddest of the same engrossed replication . . . and put the said Richard's head through the same hole, and so let the same replication hang about his shoulders with the written side outward; and then, the same so hanging, shall lead the same Richard, bare headed and bare faced, round about Westminster Hall, whilst the courts are sitting, and shall shew him at the bar of every of the three courts within the Hall"".

Andererseits war Ellesmere stets bemüht, darzulegen, daß das Equityrecht ebenfalls Recht und nicht lediglich Ermessensentscheidungen bein13 „Praemunire", 28 Edw. III, st. 1; vgl. Maitland, Constitutional History, S. 270; Plucknett, Concise History, S. 328; ausführlich Gardiner, History, Bd 3, S. 1—25. 14 „Praemunire" richtete sich gegen Kläger, die gegen Urteile der königlichen Gerichte den Papst in Rom anriefen, vgl. Gardiner, History, Bd 3, S. 10 f. 15 Holdsworth, Some Makers, S. 100 ff. 18 Plucknett, Concise History, S. 689. 17 Ursprünglich Sitz der königlichen Gerichte, heute Kongreßhalle gegenüber der Westminster Abbey: „. . . Mylward soll in die Westminster Hall gebracht werden . . . und dort soll ein Loch in die riesige Replik geschnitten werden . . . und Mylwards Kopf soll durch selbiges Loch gesteckt werden, damit die genannte Replik um seine Schulter hängt, mit der geschriebenen Seite nach außen gekehrt; und dann soll das so Hängende den barhäuptigen und -füßigen Richard Mylward rund um Westminster Hall führen, während die Gerichte tagen und soll sich vor den Schranken jeder der drei Gerichte innerhalb der Halle zeigen"; übers, d. Verf. 18 Holdsworth, HEL, Bd 5, S. 233, zit. Monroe, Acta cancellaria; Ubers, d. Verf.

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halte, daß es seine eigenen Gebräuche und Prozeduren zur Verfahrensregelung geschaffen habe 19 . Zwei so eigenwillige Antagonisten wie Coke und Ellesmere mußten den schwelenden Konflikt zwischen Common Law and Equity nahezu zwangsläufig anheizen. Coke ging schließlich dazu über, den streitenden Parteien zu verbieten, das Equityrecht anzurufen. Ellesmere seinerseits erließ einstweilige Verfügungen, die die Vollstreckung von Common Law-Urteilen hinderten. Das Resultat war gelindes Chaos. James I richtete eine neue Untersuchungskommission unter der Leitung Sir Francis Bacons ein, die empfahl, daß dem Chancery-Gericht Vorrang gebühre 20 . Gegen Ellesmere, Bacon und James I mußte der einsame Vorkämpfer des Common Law, Coke, unterliegen. Für die weitere Entwicklung des englischen Rechtes ist diese Niederlage ein Gewinn gewesen, obgleich dies auf Kosten einer Rechtseinheit geschah. A m Ende seiner Karriere versuchte Coke sogar, das Recht des Königs auf Erteilung besonderer Privilegien und Benefizgüter zu bestreiten. Im berühmten Fall der „Commendams" 21 hatte der Bischof von Lincoln neben seinen Amtseinkünften von James I zwei solche Benefizgüter erhalten. Zwei hiervon betroffene Bürger bestritten das Recht des Königs, eine solche Zuteilung vorzunehmen und wandten sich an das King's Bench-Gericht. Als James 1 erfuhr, daß der Vertreter der Kläger das königliche Privileg bestreiten würde, „commendams" verteilen zu dürfen, erhielten Coke und seine Amtsbrüder den ausdrücklichen Befehl, die Verhandlung sofort abzubrechen und zwar generell für alle Fälle, in denen Prärogativrechte des Königs betroffen seien. Sie antworteten unter Cokes Anleitung, daß sie sich an einen solchen Befehl nicht halten würden, weil er ihrem Richterschwur widerspräche. Wieder wurden die Richter wie bei Friedrich II im Müller von Sanssouci-Fall einzeln vor den zornigen König zitiert. Alle, bis auf Coke, taten im Interesse ihrer eigenen Karriere Abbitte. Dieser sagte lediglich, daß er bei Erlaß eines solchen Befehles so handeln würde, wie ein ehrlicher und gerechter Richter handeln müsse. Er wird daraufhin 19

Plucknett, Concise History, S. 699. Bacon, später als Lord Verulam und Viscount St. Albans selber Lordkanzler, war ein weiterer Royalist und als solcher gegen Cokes Ansichten eingestellt. Seine Rivalität zu Coke mag auch persönliche Gründe gehabt haben: Eine Enkelin Lord Burleighs war als gute Partie für ihn vorgeschlagen worden, doch hatte sie dann Coke geheiratet! Siehe Plucknett, Concise History, S. 699, Fn. 1. 21 Gardiner, History, Bd 3, S. 13 f; Maitland, Constitutional History, S. 271; Taswell-Langmead, S. 350 ff. 22 „. . . he take into consideration his books of Reports, wherein (as his Majesty is informed) there may be exorbitant and extravagant opinions set down and published for positive and good law . . . Amongst other things His Majesty was not well pleased with the title of that book, wherein he styled himself Chief Justice of England, whereas he could challenge no more than Chief Justice of the King's Bench", zit. in Gardiner, History, Bd 3, S. 23. 20

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zunächst suspendiert und auf Ratschlag Bacons an James I soll er seine Reports von angeblichen „exorbitanten und extravaganten" Meinungen reinigen, die darin enthalten sein sollten 22 . Nach drei Monaten vermeldete der so gedemütigte Coke nur fünf unwesentliche Veränderungen und wird daraufhin am 15. November 1616 endgültig entlassen und aller Ämter enthoben. Gardiner faßt den Niedergang Cokes treffend zusammen: Vier ,P's haben ihn gestürzt: „Pride, Prohibitions, Praemunire and Prerogative" 28 . So endet der große Streit zwischen Prärogativgerichten und dem Common Law unter James I mit einem Sieg der Royalisten und sichert den z. T. stark pervertierten Prärogativgerichten ein weiteres Vierteljahrhundert ihrer Existenz, die zugleich eine rationale Entwicklung eines Systems des öffentlichen Rechts vereiteln. 3. Das Bündnis der Legislative mit den Common Law-Richtern gegen den König und Royalisten 1620 taucht Coke als Anführer der bürgerlichen Seite im Parlament auf, und bis zu seinem Tode im Jahre 1634 verlieh er der großen Auseinandersetzung zwischen dem König und dem Parlament seinen besonderen Charakter als Kampf vor allem des Common Law gegen den König 2 4 . Auch nach seinem Tode lebt seine Rechtsansicht als unbestrittene Forderung des Parlamentes weiter fort: 2 5 James I wie auch sein Sohn Charles I „. . . identified the monarchy with the party which magnified the king at the expense of Parliament, which was prepared to accept his absolute control over the law courts" 26 .

Diese absolutistische Auffassung eines Königs, der als höchster Richter und Herrscher über dem Recht steht und nur Gott gegenüber verantwortlich ist, spaltete die Nation in Royalisten und Parlamentaristen und begründete die Allianz der Common Law-Richterschaft mit der Sache des Parlamentes. Die Opposition der Parlamentarier-Partei war von Bacon nach seinem leichten Sieg über Coke erheblich unterschätzt worden, denn jetzt war es nicht länger ein eigenwilliger Chief Justice, sondern ein großer Teil des Parlamentes, das sich demokratisches Gedankengut als angebliches Common Law-Erbe zu eigen machte: Die Parlamentarier und Common Law-Richter forderten lauter denn je den Schutz der persön28

Gardiner, History, Bd 3, S. 25 ff. Maitland, Constitutional History, S. 271 f. 25 Trevelyan, History, S. 403, vgl. a. S. 278. 26 Holdsworth, Some Makers of English Law, S. 117 ff, ders. HEL, Bd 6, S. 13 ff: „identifizierten die Monarchie mit der Partei, die den König auf Kosten des Parlamentes erhöhte und bereit war, seine absolute Kontrolle über die Gerichte anzuerkennen"; Ubers, d. Verf. 24

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liehen Freiheit aller Untertanen, Kontrolle des Parlamentes über Steuern und Gesetzgebung, sowie die Suprematie des Rechtes über alle Bürger, ganz gleich, ob es sich um Minister handelte oder nicht. Dieser Konflikt gipfelte 1627 im „Fünfritterfall" oder Darnel's Fall, und 1628 in der „Petition of Right", die von Coke inspiriert und angeblich formuliert worden war 2 7 . Das Parlament hatte die Petition für fünf zusätzliche Subsidien zur Kriegsfinanzierung von Charles I ertrotzt. Es folgen die elf schwarzen Jahre Herrschaft ohne Parlament, in denen Charles I in Überschätzung der wahren Machtverhältnisse mit seinen berüchtigten Ratgebern Erzbischof Laud und Wentworth (später Lord Strafford) willkürlich herrschte und damit dem Bürgerkrieg entgegenarbeitete 28 . Der berühmte Fall Hampden von 1637—38 brachte den schwelenden Konflikt dann zum offenen Brand: Die Öffentlichkeit sympathisierte ganz eindeutig für Hampden, der sich geweigert hatte, die ohne Parlamentszustimmung erhobene Schiffsteuer zur Reorganisation der Marine zu bezahlen und deshalb von den Richtern des Exchequer-Gerichtes mehrheitlich verurteilt worden war. Das Ergebnis konnte kaum verwundern, da die Richter von Charles I wegen ihrer uneingeschränkten Loyalität und Unterstützung seines absoluten Herrschaftsanspruches ausgewählt worden waren 2 9 . Als dann die Schotten 1640 unter Anführung von Montrose den Tweedfluß überquerten und Charles I dringend Gelder für seine Verteidigungsarmee benötigte, berief er unter diesem Drude das „Kurze Parlament" von 1640 ein. Statt das Geld zu bewilligen, zeigte das Parlament sich aber widerspenstig und wurde nach wenigen Monaten wieder aufgelöst, nicht ohne vorher den Anspruch der Parlamentarier laut und vernehmlich dokumentiert zu haben: daß nämlich „die Macht des Parlamentes sich zur politischen Herrschaft verhalte wie die Gaben der Vernunft der Seele zum Menschen" 30 . Von nun an ist der Vormarsch des Unterhauses unaufhaltsam. Im „Langen Parlament" fallen als erstes die Prärogativgerichte, wie bereits dargelegt wurde 3 1 . Das Common Law als Streitgenosse des Parlamentes gilt während der Bürgerkriegs jähre und des Commonwealth als Sieger neben dem Parlament gegenüber der Krone und ihrer usurpierten Macht. Die Tatsache, daß die Ansätze einer Verwaltungskontrolle durch Gerichte in Form einer sich aus den Exekutivbehörden allmählich herausschälen27

Holdsworth, Some Makers of English Law, S. 118; Trevelyan, History, S. 390; Taswell-Langmead, S. 366 ff. 28 Vgl. hierzu Trevelyan, History, S. 390 ff, insbes, S. 395 f. 29 Trevelyan, History, S. 392. 30 Trevelyan, a.a.O. 31 Supra, Kap. 12, I I I 3, S. 192.

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den Verwaltungsgerichtsbarkeit scheinbar untrennbar mit Tyrannei und W i l l k ü r der Prärogativmacht des Königs verbunden war, besiegelt ihr Schicksal. Auch über die Restauration von 1660 hinaus hat die Schreckensvision der Strafgerichtsbarkeit im Star Chamber die potenziell segensreiche Funktion als Verwaltungsgerichtsbarkeit überschattet und alsbald durch weitere Entwicklungen bestärkt, selbst als Konzept endgültig verkümmern lassen. A m Ende der Revolution von 1688—89 hatte somit das Parlament nicht nur die „Bill of Rights" erkämpft, die despotische Herrschaft der Stuarts überwunden, sondern graduell eine Verfassungslage geschaffen, die in ihren wesentlichen Zügen noch heute gilt. 4. Die Bedeutung des Sieges der Parlamentarier und des Common Law Zieht man eine kurze Bilanz der Jahre von 1616—1689, so stellt man fest, daß zunächst das Common Law gegenüber den Prärogativgerichten, aber vor allem gegenüber der Chancery zurückstecken muß. 1641 geht zwar die Herrschaft der Prärogativgerichte zu Ende, doch Equityrecht im Chancery-Gericht bleibt bestehen 82 . V o n nun an existieren Common Law und Equity bis 1875 nebeneinander als sich ergänzende Systeme. Hauptverlierer von 1642 bis 1660 ist der König und sein absoluter Herrschaftsanspruch, doch nur für kurze Zeit. Die ungeduldige Herrschaft der Republikaner und ihr völliges Versagen, das Verhältnis der Zentralregierung zur Selbstverwaltung der Grafschaften zu verstehen, beschleunigt die Restauration der Royalisten und negiert einen guten Teil der mühsam im Bürgerkrieg erworbenen Freiheiten. Der König kommt zurück, sieht sich allerdings einem gestärkten Parlament gegenüber, das seinen Versuch im Jahre 1662, ein dem Star Chamber nachgebildetes Gericht wiederzubegründen, ablehnt 38 . Charles II versucht dann auf andere Weise, seine Herrschaft zu festigen. V o n 1660—1688 werden Richter ausschließlich aus politischen Gesichtspunkten ernannt; einzige Qualifikation ist blinde Königstreue 34 . Die Revolution von 1688—89 beseitigt die Willkürherrschaft des Königs und bestärkt das Unterhaus i n seiner Vorherrschaft, allerdings mit dem Schönheitsfehler der „rotten Boroughs", Wahlbezirken, die von Jahr zu Jahr unrepräsentativer werden. Die Idee eines Wahlkreises im Verhältnis zur Bevölkerungsdichte starb mit Cromwell 35 auf lange Zeit. Gleich32 Nicht zuletzt aufgrund der versöhnlichen und konfliktvermeidenden Politik Bacons während seiner Zeit als Lordkanzler, vgl. Holdsworth, Some Makers of English Law, S. 106. 33 Holdsworth, HEL, Bd 6, S. 216, Fn. 2; s. a. Hallam 2 , S. 304. 34 Holdsworth, HEL, Bd 6, S. 504 ff, vgl. ζ. Β. seine berüchtigten Richter Scroggs und Jeffreys. 35 Trevelyan, History, S. 378; s. a. Kunze, S. 16 ff.

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zeitig aber hinterläßt die Revolution den Zentralstaat schwächer denn je zuvor, während die landbesitzenden Lords der Grafschaften das Land beherrschen. Ursprünglich hatten diese Lords im Bestreben, die örtliche Unabhängigkeit gegen die Zentralverwaltung zu bewahren, im Streite des Parlamentes gegen die Krone die Parlamentarier unterstützt, als Rebellion der „Squires" gegen den königlichen Hof und den Privy Council. Sie wurden ihrerseits von der Landbevölkerung bestärkt, weil diese sich Hilfe vom Parlamente ausrechnete. Der Sieg des Parlamentes bedeutete einerseits, daß England geeint und handlungsfähig nach außen auftreten konnte, andererseits entglitt die Verwaltung der Grafschaften fast jeglicher zentralen Kontrolle. Bemerkenswert bleibt die Tatsache, daß das Chancery-Gericht nicht abgeschafft wird. Plucknett ist der Ansicht, dies sei darauf zurückzuführen, daß ein Strafgericht wie das Star Chamber leicht abgeschafft werden könne, und ebenso leicht bei Bedarf zur Verurteilung politischer Gefangener wiederbelebt oder neugeschaffen werden könne. Die Abschaffung eines Zivilgerichtes sei jedoch eine andere Sache. Hätte man 1689 die Equityhilfsmittel abgeschafft, wäre ein unbeschreibliches Wirrwarr die Folge gewesen. Die Common Law-Regeln bedurften nach Auffassung aller des Regulativs der inzwischen gefestigten Billigkeitsregeln 8 ®. Der Streitgenosse des Parlamentes in all diesen Jahren, das Common Law und seine Richterschaft, muß als zufälliger Verlierer oder Pyrrhussieger angesehen werden: Der Niedergang der Macht des Königs führt nicht zu einer Stärkung der Macht des Common Law als Dritter Gewalt, sondern real nur zur Stärkung des Parlamentes. Dies wird jedoch nicht betont und statt dessen gefolgert: schließlich hätte sich ja das Parlament der Sache des Common Law verpflichtet, so daß formal gesehen auch das Common Law siegte, was auch der Verfassungslehre Diceys zugrundeliegt. Späte Folge dieser Entwicklung bleibt, daß das Verhältnis des Common Laws zum Parlament zum Schaden des Common Laws nie genau zu Ende gedacht worden ist und in Ermangelung genauer Grenzen sehr bald zur absoluten Vorherrschaft des Parlamentes führt 8 7 '. Das Unterhaus hatte somit, unterstützt von einer relativ ängstlichen Richterschaft, die sich von der Niederlage Cokes gegen Bacon und Ellesmere nie ganz erholte, fast die absolute, unbegrenzte Herrschaft geerbt, die vorher in den Händen des Königs lag. Dieser Zustand blieb 36

Plucknett, Concise History, S. 193 ff. Statt vieler als Beispiel Taswell-Langmead, S. 418 ff, der als Folge der Revolutionsjahre bis 1660 lediglich die Rettung des monarchischen Prinzips, die Vorherrschaft des Parlamentes, die veränderte Lage im Kirchenstreit, die Antipathie gegenüber einem stehenden Heer, sowie psychologische Spätfolgen, wie etwa die Herausbildung des Parteisystems sieht, die FTage des Verhältnisses des Common Laws zum Parlament übergeht; andeutungsweise aber später, S. 465 f und 538 ff; s. a. Wade, Einführung zu Dicey, S. ,c\ Fn. 1. 37

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bis heute erhalten, und das, obgleich die unbeschränkte Macht des Parlamentes durchaus Probleme mit sich bringt. Es ist bedauerlich, daß die gerichtliche Kontrolle willkürlicher Exekutivakte im Kampfe gegen die absolute Herrschaft der Stuarts nur als royalistisches Terrorinstrument betrachtet und deshalb abgeschafft wurde. Statt Prärogativgerichte abzuschaffen, hätten Reformen erfolgen müssen, unter demokratischen Gesichtspunkten, die für das Verhältnis des Parlamentes zum König akzeptiert worden waren. Die Tatsache, daß dies nicht geschah, weil weder die Bevölkerung noch Richter und Parlamentarier dieses Problembewußtsein hatten, kann m. E. jedoch nicht ex post factum bewertet werden: Die Zeit des Bürgerkrieges und der nachfolgenden Restaurationsperiode war dafür viel zu turbulent, und vor allen Dingen waren diese Reformen 100 Jahre zu früh gekommen. Es fehlte die klare Begründung demokratischer Gewaltenkontrolle der späteren rationalistischen Epoche. Der Machtkampf verharrte in einem Wechselspiel zwischen König und Landbesitzern, und statt die Verfassungsprobleme zu lösen, wurden sie nur verlagert vom Zentrum in die Grafschaften, vom absolutistischen König auf absolutistisch sich gerierende Landbesitzer. Das als Zeiterscheinung nahezu notwendige Verkennen des wahren Machtkonfliktes und seiner Kontrollmöglichkeiten hat neben der Abschaffung des Star Chambers m. E. als weiterer Faktor erheblich zur Verkümmerung eines systematischen Rechtes beigetragen. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, daß dieses Bild lediglich aus heutiger Sicht entsteht. Die historischen Zufälle, die die Konflikte der verschiedenen Parteien während der Jahre 1640—1689 bestimmten, boten kaum Gelegenheit, verwaltungsrechtliche Institutionen entstehen zu lassen. Dazu bedarf es Perioden relativer innerer Sicherheit, verbunden mit großem Reformeifer und entsprechender Ausdauer.

Kapitel 14 V. Die Friedensrichter („Justices of the Peace") als Träger verwaltungsgerichtlicher Funktionen 1. Die Wirkung der Dezentralisierung der Verwaltungsaufgaben am Ende des 17. Jahrhunderts Die Dezentralisierung der Regierungs- und Verwaltungstätigkeit war am Ende der Revolution von 1688—89 abgeschlossen und für fast 150 Jahre bestimmte das berühmte „Seif government" der Grafschaften die Innenpolitik Englands. Kein anderes Land Europas hatte ein so ausgeprägtes Selbstverwaltungssystem, und England galt vielen Reformern

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— u. a. in Preußen — als höchst erstrebenswertes Vorbild, selbst wenn — wie noch gezeigt werden soll — dieses Vorbild iur auf der Herrschaft einer kleinen oligarchischen Minderheit beruhte. Angelpunkt dieser Selbstverwaltung der Grafschaften waren jene „freiheitliebenden Tyrannen", die Friedensrichter („Justices of the Peace") 1 , „the most thorough English of all English Institutions"^, denen als einer der ersten Rudolf von Gneist in seiner auch in England große Beachtung findenden englischen Verfassungsgeschichte breiten Raum widmete 2 . Nach der Niederlage der absolutistischen Königsmacht konzentrierten sich in ihren Händen die effektiven Regierungsmittel, mit denen die Friedensrichter weitgehend zügellos verfahren konnten. Folglich muß auf der Fährte nach Gründen für die weitere Verkümmerung der Verwaltungskontrolle den Friedensrichtern zwangsläufig eine große Rolle zukommen 3 . Dadurch, daß sich die Regierungsgewalt weitgehend dezentralisiert, wird zugleich das Problem der Verwaltungskontrolle zersplittert, regionalisiert und damit auf lange Zeit bagatellisiert. Für 150 Jahre — und in mancher Beziehung bis heute — verliert sich das allgemeine Anliegen einer gerechten Gewaltenkontrolle, propagiert u. a. von Locke, Rousseau und Montesquieu, in den dezentralisierten Verhältnissen der Grafschaften. Mißstände können dann in der Folgezeit nicht als Systemmängel sondern lediglich als örtliche, nur einzelne Grafschaften betreffende und kaum großes Aufsehen erregende Ausnahmefälle qualifiziert werden. Das wiederum verhindert einen genügenden Druck der Öffentlichkeit als wesentlichsten Motor jeder Veränderung. Es soll im folgenden kurz dargestellt werden, wie es dazu kam, daß den Friedensrichtern nach bescheidenden Anfängen eine so überaus zentrale Rolle zuwuchs. 2. Entstehung des Amtes der Friedensrichter Friedensrichter entstanden auf einer Welle zunehmender Kriminalität im 14. Jahrhundert. Zu der Zeit war eine zentrale Gerichts- und Verwaltungsorganisation bereits v o l l ausgebildet 4 . Der König, sein Kronrat, das Parlament und die drei königlichen Gerichtshöfe bildeten ein gut funktionierendes Gespann zentraler Kontrolle der Staatsgeschäfte 6. Insbesondere das Exchequer-Gericht hatte enge Beziehungen zu den kommunalen Einheiten, da die Grafschaften alljährlich ihre Steuern und Ab1

Hill, S. 222.

Maitland, Collected Papers, Bd 2, S. 470; ders., Justice and Police, S. 79: die englischste aller englischen Institutionen". 2 Gneist, History, Bd 1, S. 368 ff; Bd 2, S. 219, 363 ff. 3 Vgl. supra, Kap. 13, I V 4, S. 204; ferner Wade, 3. Aufl., S. 100. 4 Supra, Kap. 11, II, S. 177 ff. 5 Zum folgenden, vgl. insbesondere Moir, S. 15 ff; Holdsworth, HEL, Bd 1, S. 288 ff.

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gaben im Exchequer abzuliefern hatten und Rechnung legen mußten. Die Verwaltung i n den Gemeinden und Grafschaften wurde bei regelmäßigen Visiten wandernder königlicher Richter („itinerant justices") kontrolliert, die zweimal pro Jahr, im Frühjahr und Sommer, örtliche Gerichtstage „Assizes" abhielten®. Unter der inkompetenten Regierung Edward I I war die allgemeine Rechtlosigkeit außerhalb Londons so erschreckend angestiegen, daß die wenigen, hochbezahlten „itinerant justices" aus Westminster bei weitem nicht mehr ausreichten, um der wachsenden Kriminalität Herr zu werden. Als einziger Ausweg bot sich —bei einer chronisch leeren Staatskasse — die Einschaltung der örtlichen Barone und Landbesitzer an, die in ihrer eigenen Grafschaft als Herren und reiche Arbeitgeber einen gewissen Respekt genossen7. Sie wurden zu ehrenamtlichen „Keepers of the Peace" 8 , Friedensschützern, ernannt, denen die Ausführung königlicher Befehle und die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung mit militärischen Mitteln hinfort obliegen sollte. Man war sich zunächst noch nicht sicher, welche Form der Machtbefugnisse diesen Friedensschützern eingeräumt werden sollte. So wies man ihnen zunächst nur eng umgrenzte Aufgaben zu: Sie konnten Verdächtige festnehmen, Verbrechen und Vergehen untersuchen, das Verfahren also einleiten, nicht jedoch selber urteilen. Um 1320 war der auf ein Jahr gewählte „Sheriff" noch ein wesentlich angesehenerer Würdenträger der Grafschaft, dem alle möglichen Aufgaben oblagen 9 . Putnam 10 ist der Ansicht, daß diese „conservatores pacis" im Vergleich zu den „High Sheriffs" zunächst wenig angesehen und noch ohne Machtbefugnisse waren. Sie konnten ein Verfahren nur mit Zustimmung der Sheriffs einleiten und schienen i n der Tat lediglich ein Experimentierfeld künftiger Machtdelegation zu sein 11 . Dies änderte sich jedoch schon bald, als 1348 der „schwarze Tod", eine verheerende Pestepidemie ausbrach, die das V o l k dezimierte. Sie hatte nicht nur Trauer und Entsetzen zurückgelassen, sondern außerdem das gesamte soziale Gefüge stark erschüttert und zu Aufständen und einer neuen Welle krimineller Delikte geführt. So kam es, daß um 1350 den Friedensschützern neben der militärischen „Wahrung des Landfriedens" eine Reihe weiterer Kompetenzen zugewiesen wurde, unter anderem Untersuchungsverfahren gegen fahr6

Moir, S. 49. „Conservatores pacis", vgl. Gneist, History, Bd 1, S. 368. 8 Gneist, a.a.O. 9 Vgl. hierzu insbesondere Webb, ELG Bd 1, S. 287 ff; Maitland, Justice and Police, S. 69; Holdsworth, HEL Bd 1, S. 166, 286 ff; Gneist, History, Bd 1, S. 368. 10 Putnam, in English Government at Work, Bd 3, S. 215; s. a. Moir, S. 18. 11 Die Friedensrichter sollten in allen Grafschaften aus der herrschenden Klasse rekrutiert werden, als „bonnes gens et loyaux assignées à la garde de la paix", vgl. Gneist, History, Bd 1, S. 368. 7

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lässig handelnde Graf schaftsbeamte 12 durchzuführen. 10 Jahre später, nach weiterer Unsicherheit über die künftige Ausgestaltung dieses Amtes, erging dann 1361 unter Edward I I I ein Gesetz 13 , durch das die „conservatores pacis" neben einer beträchtlichen Aufgabenerweiterung erstmals zu ehrenamtlichen Friedensrichtern „Justices of the Peace" werden, die hinfort Verbrechen und Vergehen aburteilen können 1 4 . A u d i die nichtstrafrechtlichen Kompetenzen werden von nun an kontinuierlich erweitert, und eine Vielzahl reiner Verwaltungsaufgaben der Grafschaft wird ihnen auferlegt, da sie sich als effektives und äußerst billiges lokales Verwaltungsinstrument unter der Kontrolle der Krone erweisen. Die Landedelleute, aus denen sich das Parlament zusammensetzte, erkannten sehr schnell die potentielle Bedeutung dieser neuen Institution und sicherten das Amt des Friedensrichters und damit auf lange Sicht die Macht der örtlichen Selbstverwaltung für sich selbst. Allein die Existenz dieses ehrenamtlichen Richteradels verhindert in der Folgezeit die Entwicklung einer permanenten, bezahlten, zentralgelenkten Bürokratie wie in Frankreich. Das bewirkt einerseits eine relativ schwache politische Kontrolle der Grafschaften von oben, andererseits werden die Landedelleute, die „Squirearchy", im Mantel der Beteiligung an der Verwaltung an die Zentralregierung gebunden. Die Aufgaben der Friedensrichter nehmen vom Ende des 14. Jahrhunderts an ständig zu. So haben sie Löhne, Lebensmittel- und selbst Wollpreise festzusetzen und überwachen sogar die Zünfte 15 . Zum Beginn der Tudorzeit haben daher die Friedensrichter schon eine große Verwaltungserfahrung. Im Rahmen dieser Verwaltungstätigkeit wird ihnen bald eine erhebliche Kontrolle über alle anderen Grafschaftsbeamten eingeräumt, selbst wenn diese, wie der Lordlieutenant und „High Sheriff" 16 nominell zunächst noch Vorgesetzte blieben. Zusammen mit anderen Friedensrichtern ihrer Grafschaft verhandelten sie die größeren Angelegenheiten in „Quarter Sessions" 17 , vierteljährlich angehaltenen Zusammenkünften, bei denen mehrere Friedensrichter als Kollegium zusammenwirkten 1 8 . Sie interrogierten und bestraften gegebenenfalls Bürgermeister, Gerichtsvollzieher, Gefängnisaufseher, Hilfspolizisten und alle die12

Page, S. 20. 34 Edw. III, c. 1. 14 Beard, S. 33 f; Gneist, History, Bd 1, S. 369. 15 Page, S. 22. 16 Ab 1461 wird den Friedensrichtern vor den Sheriffs der Vorrang gegeben, vgl. Moir, S. 18; Jennings, Local Government Law, S. 25 ff. 17 Jolliffe, Constitutional History, S. 413. Mindestens einer der Richter des Quorum mußte „learned in the law" sein. 18 Ihre vierteljährlichen großen Sitzungen datieren von 1388, vgl. Adams, S. 261; Maitland, Constitutional History, S. 492 ff; Page, S. 24, ist der Ansicht, daß bereits 1351 Quarter Sessions abgehalten wurden. 13

14 Riedel

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jenigen, die die vom Parlament erlassenen Gesetze über Arbeiter, Bettler und Vagabunde mißachteten 19 . Hier entstand auf lokaler Ebene, allerdings im Namen der Krone, ein Ansatz einer Verwaltungskontrolle, auf die am Ende des 17. Jahrhunderts fast sämtliche Kontrollbefugnisse der Zentralregierung überging. Während des ganzen 15. Jahrhunderts nahm die Bedeutung der Friedensrichter zu. Wollte man alle ihrer Funktionen beschreiben, müßte man, wie Beard sagte, die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte dieser Epoche schreiben 20 . Wichtig war, daß nicht nur Landadelige, sondern auch landbesitzende „Squires" und „Gentlemen" Friedensrichter werden konnten. Seit 1439 mußten diese jedoch Landbesitz im Werte von £ 20.— besitzen, um das Amt antreten zu können. Im 16. Jahrhundert, unter den Tudors, nahmen die Aufgaben der Friedensrichter noch einmal explosionsartig zu: A m Ende der Regierung Elizabeths I wurden die Friedensrichter in 309 Gesetzen erwähnt 2 1 . Trotz der vermehrten Arbeitsbelastung unter den Tudors, die in den Friedensrichtern ein ideales Instrument zur effektiven Kontrolle des Landes sahen, ohne dabei selber eingreifen zu müssen, war das Amt des Friedensrichters sehr begehrt. Das hatte gewichtige Gründe: Bereits 1569 beklagte ein Chronist, daß viele Landedelleute „nur Friedensrichter werden wollten, um ihre eigenen Interessen oder die ihrer Freunde und Anhänger zu fördern, ihre Feinde zu stürzen oder einen Freund, Diener oder Pächter finanziell zu versorgen" 22 . Das Amt konnte einem streit- und rachsüchtigen Edelmann endlose Variationsmöglichkeiten von Schikane bieten. Um ihre kontinuierlichen Bestrebungen nach größerer Staatskontrolle und damit erweiterter Zentralisierung nicht zu beeinträchtigen, duldeten die Tudors selbst Bestechungen und Streitigkeiten der Landedelleute untereinander, wohl wissend, daß dadurch ihre absolutistische Macht eher gestärkt würde. Zusammen mit den königlichen Sycophanten im Kronrat und loyalen Richtern in der Provinz konnte sich die starke Regierungsgewalt in London unter den Tudors soweit entfalten, daß schließlich das gesamte Leben des Volkes wie nie zuvor nach den Vorstellungen der Zentralregierung geregelt wurde 2 3 . Die Tudors wollten nur einen einzigen verantwortlichen Beamten für die örtliche Verwaltung haben und designierten dafür ausschließlich den 19

Beard, S. 57. S. 58 ff. 21 Moir, S. 33 f; Maitland, Constitutional History, S. 493, zit. Lambard's Eirenarcha, daß die Friedensrichter mit Arbeit überlastet seien, „not loads, but stacks of statutes" enthielten Aufgabenzuweisungen für sie. 22 Moir, a.a.O. 23 Beard, S. 73; Tanner, S. 452 ff; 20

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Friedensrichter. Folglich verkümmerten die anderen örtlichen Würdenträger zu Sinekurverwaltern. Dennoch waren die Friedensrichter nicht restlos frei in ihren Entscheidungen. Sie unterstanden sinnvollerweise einer zentralen gerichtlichen Kontrolle ihrer Tätigkeiten. V o r allem mußten sie mit dem Exchequer alle finanziellen Fragen besprechen, die sich aus der Verwaltung vieler verschiedener örtlicher Belange ergaben. Die Reglementierung des gesamten Lebens spiegelte sich nunmehr in den Aufgaben der Friedensrichter wider: Sie verhandelten Mordfälle, Körperverletzungen, Raubüberfälle, Diebstähle, Hexerei, Wilderei und viele andere Straftaten, die für diese Epoche bezeichnend waren 2 4 . Die verhängten Strafen waren entsprechend brutal: Stockschläge und Auspeitschungen waren an der Tagesordnung, für geringe Vergehen wurde die Todesstrafe durch Hängen bestimmt, Landstreicher wurden gebranntmarkt und Eltern illegitimer Kinder ausgepeitscht. Die Angst vor Armut und Arbeitslosigkeit trieb die Armen häufig in die Straffälligkeit und bildete einen der Hauptgründe für die Bedrohung des Lebens und des nahezu geheiligten Eigentums der besitzenden Klassen. Aus diesem Grunde wurden unter Elizabeth I Armengesetze erlassen, die die Armen hinfort gänzlich zur Verantwortung der Gemeinden machte. Jeder Haushalt muß te jetzt eine Armenabgabe („Poor Rate") leisten und die Ausführung dieses Gesetzes oblag den Friedensrichtern 25 . Auch die Regelung der Einkommen und der Arbeitsverhältnisse wurde den Friedensrichtern auferlegt. Einmal jährlich setzte der Friedensrichter die Höhe der zu zahlenden Löhne fest und band Lehrlinge für sieben Jahre an einen Meister. Sie hatten über sämtliche Streitigkeiten in diesen Angelegenheiten zu entscheiden. In Krisenzeiten oblag ihnen auch die Festsetzung der Lebensmittelpreise und sie mußten — wie eine Kartellbehörde — Spekulationen in Zeiten eines Minderangebots verhindern. I n echten Hunger jähren wurde diese Aufgabe so komplex, daß die Friedensrichter Assistenten ernannten, die Scheunen durchsuchten, um festzustellen, wieviel jeder Farmer tatsächlich an Korn geerntet hatte. Eine wahrlich unerfreuliche Aufgabe, der sich die Krone nur allzu gern entzog. Eine weitere wichtige Aufgabe der Friedensrichter war die Aufsicht über den Straßen- und Brückenbau. Der Straßenzustand war mit dem beginnenden Wagenverkehr nahezu katastrophal geworden. So mußten die Richter nun von Gesetzes wegen darüber wachen, daß die Gemeinden ihre Teilstrecken reparierten 26 . Außerdem erteilten sie Lizenzen und Schankkonzessionen an Gaststätten. 24

Moir, S. 37 ff. Moir, S. 37. Tanner, S. 469—473, 481—484, 488—494; ausführlich hierzu Taswell-Langmead, S. 687 ff. 26 Moir, S. 42; Tanner, S. 495 ff. 25

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Damit hatten die Tudors ein vollständiges nationales Verwaltungssystem ohne direkten Zwang von oben geschaffen, das sogar schon gerichtliche Differenzierungen aufwies: Auf der untersten Ebene oblagen den Gemeinden Verwaltungsaufgaben, die von den Friedensrichtern der Grafschaften administrativ und richterlich überwacht und angeleitet wurden. über den Friedensrichtern lag als weitere Instanz das Star ChamberGericht und der „Privy Council" 2 7 . „ I n dieser sorgfältig artikulierten Hierarchie waren die Friedensrichter wichtiges Bindeglied zwischen der Krone und der Bevölkerung" 2 8 . A m Ende der Tudorzeit existiert somit in England ein gut ausgebautes Verwaltungssystem, das bereits sinnvolle gerichtliche Kontrollmechanismen entwickelt hatte: Auf nationaler Ebene im Star Chamber und Privy Council, auf lokaler Ebene i n Form der Friedensrichter. A m Ende der langen Regierung Elizabeths I und unter den Stuarts verstärkt sich der Anspruch der Krone auf absolute Herrschaftsgewalt und im Parlament und in der Common Law-Richterschaft sammelt sich eine verschärfte Opposition, wie bereits dargelegt wurde 2 9 . Die Friedensrichter als örtliche ,Minityrannen 1 hatten ihre Position mittlerweile erheblich festigen können. Ihre Spruchpraxis hatte allerdings mit dem Anschwellen ihrer Gesamtzahl gelitten: Korruption, Bestechung und Patronage zur Erlangung dieses Amtes hatten sich unter Elizabeth I gehäuft und unter James I und Karl I bis zum Bürgerkrieg noch vermehrt 3 0 . Da die Friedensrichter unter diesen beiden Königen die Interessen des Parlamentes vertraten, weil sie selber oft Abgeordnete waren, wurden sie vom Unterhaus gedeckt und konnten ihre lokalen Belange nahezu unbehelligt regeln. Nur in krassen Fällen griff das Star Chamber oder vorher der Privy Council (Kronrat) ein, da solche Verfahren für den klagenden Bürger oft zu teuer waren. Gleichwohl scheuten sich die royalistischen Richter des Star Chambers nicht, Friedensrichter, die sie als Angehörige der besitzenden Parlamentarierklasse sehr wohl einzuordnen verstanden, anzuklagen und zu verurteilen, wenn es zu einer Anklage kam. Im Streit gegen die Krone standen die Friedensrichter, obgleich auf den König vereidigt, von ihm beliebig absetzbar und austauschbar, schon deshalb natürlich auf Seiten der Parlamentarier. Hinzu kam, daß die Einholung der berüchtigten Schiffsteuer, die zum Fall Hampden 31 führte, den Friedensrichtern ohne parlamentarische Sanktion auferlegt worden war und ihren erbitterten

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Gneist, History, Bd 2, S. 219, spricht sogar davon, daß dies schon ein Verwaltungsgericht höherer Instanz gewesen sei. 28 Beard, S. 85 ff; übers, d. Verf. 29 Supra, Kap. 13, IV, S. 195 ff. 30 Webb, ELG, Bd 1, S. 343 u. 383. 31 Supra, Kap. 13, I V 3, S. 202 f.

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Widerstand herausforderte 32 . Während des Bürgerkrieges allerdings brach das Friedensgerichtswesen nahezu zusammen. Kaum ein örtlicher Friedensrichter wagte, politische Gegner zu verurteilen, weil nicht abzusehen war, ob die Parlamentarier oder die Royalisten mit ihrem örtlichen Anhang gewinnen würden. Cromwell hatte erhebliche Schwierigkeiten mit den Friedensrichtern, die seine straffe Regierungsform als ungewohnt und ihre Privilegien tangierend ablehnten. Moralische Appelle während des Interregnums, daß sie ihr Amt gewissenhafter ausüben sollten, fruchteten wenig 3 3 . Hatten die Friedensrichter sich während des Bürgerkrieges noch sehr zurückhaltend verhalten, so erstarkten sie mit der Restauration in ungewöhnlichem Maße: Der royalistische Kontrollmechanismus, oder wie Gneist 34 es nannte, die Verwaltungsgerichtsbarkeit höherer Instanz, war endgültig fortgefallen und der Versuch, eine ähnliche Kontrolle 1662 wieder einzuführen, war gescheitert 35 . So konnten die Friedensrichter nun nach freiem Belieben handeln und auch die ihnen nach der Revolution von 1689 gesetzlich auferlegten Pflichten vernachlässigen, ohne gravierende Sanktionen befürchten zu müssen. Wenn sie eine Gesetzespflicht verletzten, drohte ihnen allenfalls eine Strafe von £ 5.—, eine für die damalige Zeit an sich hohe Strafe, die bezeichnenderweise jedoch, soweit bekannt, niemals verhängt worden ist 3 6 . Während der Restaurationszeit bis 1688 herrschte überdies unter den Friedensrichtern eine kaum überbietbare Vetternwirtschaft 37 , die dadurch begünstigt wurde, daß unter James I I jeder Friedensrichter bedingungslos seine Katholikenfreundlichkeit unterstützen mußte 3 8 3 9 . Friedensrichter waren noch beliebig austauschbar, ihre Unabhängigkeit „quamdiu se bene gesserint", während ihres W o h l Verhaltens, noch nicht garantiert. Das änderte sich erst mit der Revolution von 1688—89. Jetzt hatte das Parlament praktisch einen doppelten Sieg errungen: Auf nationaler Ebene war der An32

Moir, S. 70 ff. So forderte der Bürgermeister von Salisbury die Friedensrichter auf: „You are posting to the grave every day, you dwell upon the borders of eternity. How dreadful will a dieinge bed be to a negligent magistrate", vgl. Moir, S. 75. 34 History, Bd 2, S. 219. 35 Supra, Kap. 13, I V 4, S. 204; vgl. auch Moir, S. 81. 36 Webb, ELG, Bd5, S. 17 f. 37 Webb, ELG, B d l , S. 383. 38 Nachweise über die häufige Auswechslung der Friedensrichter aus politischreligiösen Gründen bei Hill, S. 140: fast die Hälfte aller Friedensrichter wurden so ausgewechselt. 39 Der Versuch James II, die unter den Tudors mit großem Taktgefühl gepflegten Beziehungen zwischen den zentralen und lokalen Behörden mit Brachialgewalt nach seinem Glaubensbekenntnis auszurichten, ist Hauptgrund für den endgültigen Niedergang der absoluten Herrschaft des Monarchen, vgl. Trevelyan, History, S. 513. 33

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sprach absolutistischer Herrschaft ein für allemal abgewehrt worden, auf lokaler Ebene gewannen die Parlamentarier in ihrer Rolle als Friedensrichter vollkommene Autonomie, ohne jegliche zentrale Kontrolle durch den König. Allein, die von Beatrice und Sydney Webb in ihrer vielbändigen Studie über die Kommunalverwaltung Englands mehrfach geäußerte Meinung, daß jetzt jegliche zentrale Kontrolle fehlt 4 0 , ist nur teilweise zutreffend. Das Common Law, der „Pyrrhussieger" des Bürgerkrieges, hatte während des Interregnums damit begonnen, ehemalige Aufgaben der Prärogativgerichte nunmehr vor Common Law-Gerichten wahrzunehmen, insbesondere die Prärogativbefehle „Certiorari" und „Mandamus" weiterentwickelt, um den Bürger gegen Machtmißbrauch zu schützen 41 . Nur wurden diese Hilfsmittel sehr sporadisch angewandt und außerdem war das Verfahren vor den königlichen Gerichten so teuer, daß von vornherein nur reiche Leute ein solches Verfahren anstrengen konnten 4 2 . Während der 28 Jahre Restauration wollten die zentralen Gerichte (King's Bench und Common Pleas) eh keinen Konflikt mit dem König und seiner Verwaltung eingehen. Diese Umstände verhalfen den Friedensrichtern zu ständig wachsender praktischer Unabhängigkeit, wie Webb und Hill zu Recht feststellen, trotz theoretisch bestehender Kontrollmöglichkeiten 48 . Schon bald nach der Revolution entwickelten sich die „Quarter Sessions", die vierteljährlichen großen Sitzungstage der Friedensrichter, als „Ersatz" für eine fehlende zentrale Kontrolle. Sie wurden unter anderem auch als Appellationsinstanz gegen Einzelentscheidungen der Friedensrichter benutzt 44 . Damit wurde die Macht der „landed gentry", der landbesitzenden Klasse, endgültig zementiert, denn alle Berufungen gingen von nun an zunächst an die Quarter Sessions, die lokale, kollegiale Versammlung von Friedensrichtern, sodaß die weitere Berufungsmöglichkeit an die Zentralgerichte lediglich theoretisch weiterbestand und fast in Vergessenheit geriet. Umsomehr, als das oft weit entfernte Common Law-Gericht überlastet war und die von den ehemaligen Prärogativgerichten 1641 übernommenen Befugnisse der Verwaltungskontrolle nur allzu vorsichtig anwendete, ja fast als Fremdkörper im Common Law auffaßte. Diese Entwicklung hat entscheidend dazu beigetragen, daß von nun an jede systematische Kontrolle der Verwaltung fehlt. Die Prärogativbefehle und die in der Folge vom Equityrecht übernommenen Kontrollmechanismen 46 führen aus diesen historischen Gründen eine spora40

Vgl. auch Hill, S. 144, allerdings mit Hill, S. 144. 42 Dawson, S. 143 ff ; Webb, ELG, Bd 1, 43 Webb, ELG, Bd 1, S. 550ff; Hill, S. S. 379 u. 513; Jennings, Local Government 44 Beard, S. 153.

Einschränkungen; Beard, S. 153.

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S. 533 ff (538). 140f u. 144; s.a. Trevelyan, History, Law, S. 29 ff.

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dische, bescheidene Existenz 46 , zum Schaden des Schutzes des Individuums vor Verwaltungswillkür. 3. Der Machtzenit und Niedergang der Friedensrichter A m Ende des 17. Jahrhunderts erreichen die Friedensrichter somit eine unangefochtene Machtstellung. Die Grafschaften waren ganz geprägt von den vierteljährlich mit großem Prunk einberufenen „Quarter Sessions", die formal vom „High Sheriff" einberufen wurden und mit den Juries der Gemeinden zusammenarbeiteten 47 . Die Arbeit dieser Sitzungstage wurde von einem rechtskundigen Sitzungsbeamten protokolliert und konnte, wie gesagt, im Zentralgericht überprüft werden, was aber selten geschah. Die Friedensrichter wurden jetzt im 18. Jahrhundert zwar von der Krone bestellt und vom Lordkanzler mit Unterstützung des Lord-Lieutenant der Grafschaft ausgewählt 48 , waren aber unabhängiger denn je; dies vor allem deshalb, weil sie ihre Aufgaben unentgeltlich ausführten und deshalb schlecht kontrollierbar waren 4 9 . Dadurch, daß sie reiche Landbesitzer waren, genossen sie den notwendigen Respekt der armen Landbevölkerung und konnten zugleich sicher sein, daß die Zentralregierung der „Whigs" ihre Privilegien nicht antasteten, um an der Macht zu bleiben 50 . Dies hatte schon bald auf die Qualität des Friedensrichteramtes erhebliche Auswirkungen: Da nach 1660 jegliche zentrale Kontrolle praktisch aufgehört hatte, konnten die Friedensrichter jetzt willkürlich entscheiden und sich obendrein auf eine schier unübersehbare Menge von Gesetzen berufen, deren Interpretation endgültig ihrem Orakel unterlag. Sie konnten damit sogar behaupten, keine Neuerungen vorgenommen zu haben, sondern lediglich bereits bestehende Rechte auszuüben 51 . Die Doppelfunktion der Richtertätigkeit und der reinen Verwaltungsaufgaben führte schon bald dazu, daß willkürlich festgesetzte Verwaltungsakte von denselben Friedensrichtern obendrein eingesegnet wurden. Dieser Versuchung waren während des gesamten 18. Jahrhunderts viele erlegen. Die Webbs schildern eindringlich, wie die Friedensrichter 45

Injunctions und Declarations; Supra, Teil 1, Kap. 4 u. 5, S. 62 ff und 74 ff. Wohl um die Notwendigkeit einer umfassenden Verwaltungskontrolle für Deutschland transparent zu machen, widmet Gneist den Prärogativbefehlen noch weniger Raum als sie in der Praxis hatten, und vergißt Prohibitionsbefehle ganz zu erwähnen, vgl. History, Bd 2, S. 364 ff. (369). 47 Webb, ELG, Bd 1, S. 550; s. a. Maitland, Justice and Police, S. 80; Gleason, S. 122. 48 Wie auch heute noch. 49 Webb, ELG, Bd 1, S. 556; Trevelyan, History, S. 611. 50 Trevelyan, History, S. 503 u. 513. 51 Dawson, S. 143. 48

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diese Macht ausnutzten: Es ging soweit, daß die Richter ein bestimmtes von ihnen gemißbilligtes Verhalten in ihrer Grafschaft praktisch verbieten konnten, indem sie öffentlich in „Quarter Sessions" bekanntgaben, daß sie künftig jeden ihnen nicht genehmen A k t als strafbare Handlung ansehen würden 5 2 . Da nur die wenigsten das Geld hatten, eine Berufung an eine höhere Instanz zu bezahlen, hatte dieses richterliche Diktum der „Squirearchy" quasi Gesetzeskraft. Als erstaunliches Beispiel für den Umfang der Willkürherrschaft dieser „örtlichen Tyrannen" mag die von Hill 53 geschilderte Befugnis der Friedensrichter gelten, derzufolge sie den Armen der Grafschaft verbieten konnten, aus ihrer Gemeinde fortzuziehen, eine die arme Landbevölkerung nahezu versklavende Maßnahme. Das hatten selbst die absolutistischen Tudors und Stuarts nie gewagt. Seit der Restauration von 1660 beanspruchten die Friedensrichter für sich das Recht, verurteilte Gefangene in die Kolonien zu deportieren und wandten dieses Mittel selbst gegenüber freigesprochenen Personen an, die keine Kaution aufbringen konnten. In Bristol bedrohten die Friedensrichter kleine Sünder mit der Todesstrafe, damit sie „gnadenweise" in eine Deportation nach Amerika einwilligten. Zu dieser Zeit betrieben viele Friedensrichter wie auch die übrigen Landbesitzer einen schwunghaften Menschenhandel mit den amerikanischen Kolonien 5 4 . Innerhalb eines knappen Jahrhunderts seit 1688 hatten die Friedensrichter die eigentliche Macht des Landes übernommen. Wenn auch die vielbewunderten Freiheitsrechte des Parlamentes in London gegenüber dem Monarchen einzigartig in der Welt dastanden, so hatte sich für den größten Teil der ländlichen Bevölkerung das Los eher verschlechtert als verbessert. Einem an seinem Wohnorte in seiner Bewegungsfreiheit behinderten Arbeiter, der aus materieller Not Mundraub beging und dafür deportiert werden konnte, nützten diese demokratischen Errungenschaften wenig. Außerdem halfen sie allenfalls den Landbesitzern, reichen Kaufleuten und den von ihnen abhängigen Günstlingen und Friedensrichtern. Unter diesen Umständen relativiert sich auch das Bild von England als der Wiege der Demokratie, insbesondere, wenn man bedenkt, auf welche Weise Abgeordnete gewählt wurden 5 5 . Mehr und mehr verquickten die Friedensrichter ihnen passende Verwaltungsaufgaben mit richterlichen Sanktionsdrohungen, um die Bevölkerung einzuschüchtern, zu erpressen oder einfach persönlich zu übervor52

Webb, ELG, Bd 1, S. 533 ff (538). Hill, a.a.O. 54 Kapitel V, S. 178. 55 Vgl. Kunze, S. 16 ff (Unterhauswahlen im Zeichen von Patronage und Korruption), m. w. H. 53

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teilen 5 6 . Es ist keine übertreibung, zu behaupten, daß sie, wie die Webbs sagten, sowohl eine örtliche Legislative als auch eine Exekutive bildeten, die sich mit eigenen Günstlingen umgaben 57 . Ihre Treffen waren jetzt meistens geheim und niemand kontrollierte, wer sie beriet. Ihre Anordnungen wurden von ihnen selber am häufigsten gebrochen, je nachdem, ob sie für die Richter vorteilhaft waren oder nicht. Kurzum, jegliche Rechtssicherheit ging verloren. Vor diesem Hintergrund relativiert sich auch die Aussage von Everitt: „If the Revolution had proved anything at all, then the need to use the services of the landed gentry in governing the country" 5 8 . Dennoch ist sie berechtigt, denn die Revolution betraf im Kern nicht das V o l k als Ganzes, sondern den Konflikt zwischen verschiedenen Machtträgern, deren Kompetenzen lediglich umverteilt wurden. Entscheidend war jedoch, daß nunmehr die Zentralregierung in London ihre Verwaltungskompetenzen für die Grafschaften nahezu vollständig verlor. A n ihre Stelle traten die Landedelleute („landed gentry") und Grundbesitzer, die fortan die Geschicke der Grafschaft in Selbstverwaltung regelten. Die uneingeschränkte Aufmerksamkeit des Kampfes gegen die Krone hatte als Nebeneffekt von den Verhältnissen in den Grafschaften abgelenkt. Dort bewirkte die neugewonnene Selbstverwaltung, daß die Landedelleute als Friedensrichter nahezu unumschränkte Macht genossen, und diese war „never greater than between the beginning of the House of Hanover and the end of the Napoleonic Wars" 5 9 . Diese Machtvollkommenheit und damit verbundene Unbekümmertheit beim Angriff neuer Probleme legte jedoch zugleich die Saat für den Niedergang der Friedensrichter: Die Politik der Armengesetze war während des ganzen 18. Jahrhunderts zu einem heillosen Wirrwarr entartet. 1500 Gemeinden und Städte versuchten jede für sich herauszufinden, was am besten geeignet wäre, der ständig wachsenden Heerschar der Armen Einhalt zu gebieten. Selbstherrlich experimentierten die Friedensrichter mit verschiedenen Methoden, um das Armenproblem in ihrer 56

Milton, S. 14 ff. Webb, ELG, Bd 1, S. 550 ff. 58 S. 323: „Wenn die Revolution überhaupt etwas bewiesen hätte, dann die Notwendigkeit, bei der Regierung des Landes sich des Landadels zu bedienen", übers, d. Verf. 59 Webb, ELG, Bd 1, S. 556: „nie größer als zwischen dem Beginn des Hauses Hannover und dem Ende der napoleonischen Kriege", übers, d. Verf.; Maitland, Constitutional History, S. 494, verteidigt diese Tatsache damit, daß es nur natürlich sei, wenn ein Parlament der Landbesitzer den Friedensrichtern als Mitgliedern dieser herrschenden Klasse alle möglichen Pflichten und Befugnisse überträgt. Gerade diese Pflichtverteilung löste aber im folgenden erhebliche Verwaltungsprobleme aus, s. a. Milton, S. 17; vgl. auch Moir, S. 106, die ebenfalls die Friedensrichter in Schutz nimmt: („It is) „still the informal world of personality, not yet the impersonal world of institutions"; angesichts der Masse von Belegen, die die Webbs vorlegten, müssen Moirs positive Bemerkungen aber eher als Ausnahmen gewertet werden. 57

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Grafschaft zu lösen. Selten ließen sie sich dabei von Fachleuten beraten, geschweige denn durch negative Beispiele anderer Grafschaften beeindrucken, sondern probierten ihre eigenen Eingebungen durch, die stets ihre persönliche, materielle Situation als Landbesitzer am wenigsten schädigte. Jede wirksame Lösung auf lange Sicht war damit vor vornherein ausgeschlossen. „Zwischen 1660 und 1780 hat die Armengesetzverwaltung nichts erbauliches an sich" 60 . Und dann kam 1795 das Speenhamiand-Experiment 61 : In den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts hatten einige aufeinander folgende Mißernten eine große Hungersnot bewirkt. Viele Landarbeiter waren jetzt von den Armengesetzen abhängig. Obwohl die „Squirearchy" der Landbesitzer keineswegs Philanthropen waren, setzten sie sich doch für Minimumlöhne für die Ärmsten der Armen und für Armenhilfe bei denen, die überhaupt nicht arbeiten konnten, ein. In der kleinen Ortschaft Speenhamland in der Grafschaft Berkshire hatten die Friedensrichter sich ein Subsidiensystem ausgedacht, das an die Brotpreise geknüpft war. Die Richter hatten eine Skala errechnet, mit der sie, unter Berücksichtigung der Familienanzahl der Armen, sowie der in Krisenzeiten stark überhöhten Weizenpreise eine Armenunterstützung errechneten. Dies sollte ein Existenzminimum für die Armen der Gemeinde garantieren. Das System schien zunächst human zu sein und breitete sich blitzartig fast im ganzen Lande aus. Die Mittel für diese Subsidien, die zusätzlich zu den Farmlöhnen gezahlt wurden, kamen aus der Armensteuer, die die Landbesitzer und Händler der Gemeinden zu entrichten hatten. Die Wirkung dieser Maßnahme war katastrophal: Schon bald pauperisierte und demoralisierte sie große Teile der Bevölkerung; Farmer hielten die Löhne absichtlich niedrig, sodaß die unabhängigen Arbeiter, die bislang stets ein bescheidenes Auskommen gehabt hatten, von der Armenhilfe abhängig wurden — und auch blieben — und nicht in die Städte abwanderten. Nur in ihrer Gemeinde stand ihnen überhaupt Armenhilfe zu. Auf diese Weise waren Arbeitskräfte vollkommen gebunden, und jederzeit bei Bedarf einsetzbar, doch in Gebieten mit großem Arbeitskräftemangel nicht verfügbar. Als das System 1833 aufgegeben wurde, waren £ 7 Millionen ausgegeben worden, mit dem Erfolg, daß eine Massenarmut ohnegleichen ausbrach 62 , die Malthus zu seinen düsteren Prognosen über die Bevölkerungsexplosion veranlaßte. Diese Verwaltungsaufgabe bereitete den Friedensrichtern große Schwierigkeiten und sie hätten sie nur zu gerne abgegeben, da sie bald erkannten, wie schädlich sie für ihren Ruf war. V o n sich aus und aus Zweckmäßigkeitserwägungen hatten die Friedensrichter in den 50 Jahren vor den Reformgesetzen dann damit be60 81 62

Sagt selbst Moir, S. 97. Zum folgenden, vgl. Moir, S. 108 ff; Hobsbawm, S. 104 f. Moir, S. 108 ff.

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gönnen, wenigstens formal ihre richterlichen von den Verwaltungsaufgaben zu trennen und in verschiedenen Versammlungen zu beraten. Sechs Faktoren ihrer umfassenden Tätigkeiten beschleunigten aber auch den Verfall ihrer Macht und die graduelle Übernahme derselben durch die Zentralregierung in Westminster 63 . A n erster Stelle muß hier die Verwaltung der Armengesetze, besonders in ihrer Zerrform nach dem Speenhamland-Modell genannt werden. Wohlgemerkt, nicht die Friedensrichterverwaltung der Armengesetze per se wurde angegriffen, denn diese war ihnen seit den Arbeitergesetzen Elizabeths I ausdrücklich zugewiesen und als notwendiger Armenschutz empfunden worden. Erst die nicht beabsichtigten Folgen des Speenhamland-Modells erweckten den Haß auf die Friedensrichter 64 . Diesen waren selbst bei gutem Willen, wie Moir immer wieder betont 65 , oft die Hände gebunden, weil jede Alternative direkt gegen die Interessen ihrer landbesitzenden Nachbarn und Kollegen verstoßen hätte. Ihr Fehler war vor allem, das Modell nach Beendigung der Versorgungskrise der neunziger Jahre weiterverwendet zu haben. Ein weiterer Faktor ihres Niedergangs waren korrupte Vorfälle in zwei Grafschaften, Middlesex und Surrey. Bis 1781 war der Vorsitzende der Friedensrichter von Middlesex, Sir John Hawkins gewesen, ein Freund Dr. Johnsons und ein überaus fähiger und gewissenhafter Administrator. Ab 1781 gelang es der Mainwaring-Familie, eine Bankiersfamilie, binnen kurzem eine Mafiasituation zu schaffen, die erst 1822 im Verlaufe sensationeller Enthüllungen beendet wurde. Mainwaring Senior hatte nicht nur regelwidrig heimlich eine Bezahlung für sein Ehrenamt vom Schatzamt der Regierung für sich erwirkt, sondern dieses Amt mit Hilfe seiner zahlreichen Familie als profitables Geschäft aufgebaut. Schmiergelder waren an der Tagesordnung; Richter, von Mainwaring erpreßt und abhängig, konnten mit großen Geldsummen bestochen werden, doch nach außen schien alles höchst respektabel und moralisch zuzugehen: 1784 etwa verkündete Mainwaring, daß in Zukunft der Tag des Herrn christlicher und damit ruhiger und gesetzter begangen werden müsse, wozu die Friedensrichter alle notwendigen Maßnahmen ergreifen würden 6 6 . Trotz allem brach die Bank Mainwarings 1814 zusammen. Aber erst 1822 kommt die volle MißWirtschaft der Familie ans Tageslicht. 63

Zum folgenden, s. Webb, ELG, Bd 1, S. 558—607, in umfassender Darstellung. Webb, ELG, Bd 1, S. 591 ff. Einer der tieferen Gründe für die unsinnige Regelung von 1795 war gewesen, daß die liberalen Thesen Adam Smiths zugunsten totaler Arbeitsmarktfreiheit, die mit Arbeitgeberfreiheit gleichgesetzt wurde, gerade allgemein diskutiert und akzeptiert wurden. Ein Minimumlohn für Arbeitnehmer blieb deshalb als systemwidriger Vorschlag unerörtert. 65 S. 118 ff. ββ Webb, ELG, Bd 1, S. 562. 64

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Ähnliches hatte sich in Surrey zugetragen. Hier hatten die Friedensrichter Schmiergelder und Geschenke angenommen. So wurde bekannt, daß Bierbrauer, um Lizenzen behalten zu dürfen, häufig vorbeugend riesige Wildbraten als Geschenke anboten 67 . Diese Korruptionsfälle hätten für sich alleine kaum den Niedergang der Friedensrichter im ganzen Land beschleunigt, wenn sie sich nicht i n Middlesex, also in der Hauptstadt selber und ihrer unmittelbaren Umgebung ereignet hätten. Als erstes wurde deshalb den Londoner Richtern die Polizeikontrolle entzogen, und stattdessen Räte („Boards") eingerichtet, mit bezahlten Beamten. Ein weiterer Faktor des schwindenden Vertrauens in die Institution des Friedensrichters war die Tatsache, daß es in vielen Grafschaften einfach zu wenig Friedensrichter gab, weil die „Squirearchy" wegzog, sobald Fabriken in ihrer Nachbarschaft aufschössen und Arbeiter sich ansiedelten. Daneben attackierte eine kleine, aber umso wortreichere Lobby der Gastwirte die Friedensrichter, meist zu Unrecht, aber der Unterstützung ihrer Stammgäste sicher. Auch dies unterminierte den Ruf der Friedensrichter 68 . Die Handhabung der Wildschutzgesetze brachte die Position der Friedensrichter dann vollends in Verruf 6 9 : Die Gesetze wurden von den selber jagdfreudigen Richtern arbitär ausgelegt, um alle anderen außer Landbesitzer von der Jagd auszuschließen. In den Städten erregten die Friedensrichter die Gemüter der Bevölkerung, indem sie Wegerechte, die jahrhundertelang bestanden hatten, plötzlich in Wegfall brachten. Dies hatte das Parlament 1815 erlaubt, sich quasi selbst zugebilligt, da es vorwiegend aus Vertretern der landbesitzenden Edelleute bestand. Schon vorher hatten sie provisorisch und unrechtmäßig Verbotsschilder mit Strafandrohung durch Friedensrichter aufgestellt, ohne jegliche gesetzliche Grundlage. Alles dies zusammen schürte die wachsende Unzufriedenheit mit der lokalen Selbstverwaltung durch Friedensrichter. Aber statt nun eine umfassende Reform des Kommunalwesens vorzunehmen, beschränkte man sich während der acht bilderstürmerischen Jahre von 1828—35 auf die Entmachtung der Friedensrichter. Erst 50 Jahre später wurde die Verwaltung des Landes im „Local Government Act" von 1888 umfassend reformiert.

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Webb, ELG, Bd 1, S. 570. Webb, ELG, B d l , S . 587. Moir, S. 126 f; Webb, ELG, Bd 1, S. 599 f; Page, S. 25.

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4. Auswirkungen der Reformgesetze von 1832—35 1835 hatten die Friedensrichter als Folge dieser Ereignisse die meisten ihrer Verwaltungsaufgaben abgeben müssen, vor allem die Kontrolle über die Armengesetze, Gaststättenerrichtung und Reparaturarbeiten an Landstraßen. Bei der Überwachung der Gefängnisse, geschlossenen Krankenanstalten und der Organisation der Polizei mußten sie sich ihre Befugnisse mit Vertretern der Londoner Regierung teilen. Gleichwohl hörten die Klagen wegen Maladministration seitens der Friedensrichter noch lange nicht auf, weil jetzt die öffentliche Meinung durch die Presse und fortschrittlich gesinnte Schriftsteller auf weiterbestehende Anachronismen und Mißstände aufmerksam gemacht wurde. Das Parlament bemühte sich, mit dieser Welle des Reformeifers Schritt zu halten: Die Armengesetzreform von 1834 führte zum ersten Male bezahlte Beamte für die Kommunen ein, die von der Zentralregierung ausgesucht wurden. Verwaltungsmäßig war die Abschaffung des SpeenhamlandSystems und die Verpflichtung der Gemeinden, Armenhäuser zu errichten, ein Erfolg. Landstreicher konnten jetzt aufgegriffen und in Arbeitshäuser gesteckt werden, und ganz allgemein fanden sich weniger Bettler und Verhungernde unter den Brücken der Flüsse und auf den Straßen. Vom sozialen Standpunkt aus betrachtet, entstand neues Leid, das Dickens im Oliver Twist und den Pickwick Papers vehement beklagte 70 . Die Armenarbeitshäuser waren düster und wie Gefängnisse gebaut, lagen außerhalb der Städte und trennten somit häufig Ehepaare und Familien. M i t der Einsetzung von „Boards of Guardians", Räten zum Schutze der Armen auf Gemeindeebene, die einer zentralen Dreierkommission mit großen Machtbefugnissen und direktem Weisungsrecht unterstand, endete ein Großteil der tyrannischen Verwaltungsarbeit der Friedensrichter. Moir legt dar, daß deren Schlacht gegen die zunehmende Zentralisierung 7 1 verloren ging, weil die patriarchalischen Einstellungen der landbesitzenden Ehrenrichter einer nüchternen Einschätzung der Probleme einer industrialisierten Gesellschaft krass im Wege standen. Als Beispiel nennt sie die Kohlenmine von Flockton 72 : Die Bemühungen der Eigentümer und ihrer Frauen, die Lage der Arbeiter zu verbessern, waren zum Scheitern verurteilt: Zwar stellten sie Sonntagsschulen, Freizeitclubs und kleine Sportfelder zur Verfügung, unter Tage herrschten jedoch weiterhin Verhältnisse krasser Ausbeutung 73 . 70

Vgl. Una Pope-Hennessy's Biografie über Dickens, S. 191 ff; s. a. Fieldings Tom Jones und Kiplings „Village that voted the Earth was flat". 71 Historisch betrachtet handelte es sich um eine Re-Zentralisierung. 72 Moir, S. 133 f. 73 Vgl. auch Marx u. Engels berühmt gewordene Analyse der Lage der Arbeiterschaft in England, sowie ihre Stellungnahme in der Neuen Rheinischen Zeitung v. 1.8. 1848, vgl. MEW, Bd 5, S. 284 ff.

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Aus diesem Grunde griff die Zentralverwaltung mit den Fabrikgesetzen in eine weitere Sphäre der Friedensrichter ein. Ein offener Konflikt mit den Friedensrichtern wurde vermieden, weil die Regierung die Institution der Inspektoren erfand, die häufig als Mittler zwischen den Interessen der Regierung und der Kommunalverwaltung oder Fabrikeigentümer auftraten. Ende der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts gab es Fabrikinspektoren, Armenrechtskommissare und Gefängnisinspektoren, sowie eine staatliche Polizeibehörde in London. Der verhältnismäßig reibungslose Übergang von Verwaltungsfunktionen der Friedensrichter auf Inspektoren im Solde der Regierung wurde durch die Arbeitsweise der Inspektoren begünstigt; Sie machten zunächst „Berichte" über alle möglichen Zustände, wie z.B. den Bergbau, das Armenrecht, Fabriken, sanitäre Einrichtungen, Gefängnisse, das Erziehungswesen, usw. Ihre Berichte glänzten durch Sachlichkeit, statistische Untermauerung und erklärten den zuständigen kommunalen Adressaten neue Regelungen. Nur so ist zu verstehen, daß die Friedensrichter sich lediglich verbal gegen diese „Usurpation" der Macht durch die Regierung wehrten. Oft genug wandten sie sich jetzt selber ratsuchend an ein Ministerium oder an Inspektoren. Einzig auf dem Gebiete der Fabrikgesetzgebung klammerten sie sich nach wie vor an alte Privilegien. Die Heftigkeit der daraus entstehenden Meinungsverschiedenheiten belegt folgender Ausspruch: „Now if the law of the land . . . is to be disregarded . . . it becomes my duty, as the guardian of the factory children, to enquire whether, in the eye of the law of England, their lives or your spindles are the most entitled to the law's protection" 74 .

Noch 1844 wurde das Fabrikgesetz von Spinnereibesitzern, die Friedensrichter waren, dadurch umgangen, daß bei Verletzungen des Gesetzes lächerlich geringe Geldbußen festgelegt wurden. Auf ähnliche Weise wurde das Zehnstunden-Gesetz umgangen 75 . Dennoch befanden sich die Friedensrichter erkennbar kurz vor dem Ende ihrer despotischen Verwaltungsausübung und mit dem „Local Government Act" von 1888, der die gesamte Selbstverwaltung des Landes reformierte, verloren die Friedensrichter ihre letzten Bastionen der Verwaltungskontrolle. Fortan beschränkte sich ihre Aufgabe auf richterliche Aufgaben und Residualien, wie die Erteilung von Schanklizenzen für Gaststätten 76 .

74 Oastier, zit. in Moir, S. 141 ff. (144): „Wenn das Recht des Landes nicht beachtet wird (von den Friedensrichtern, die Spinnereibesitzer sind, Anm. d. Verf.), dann Wird es meine Verpflichtung, als Beschützer der Fabrikkinder zu ermitteln, ob in den Augen des englischen Rechts ihr Leben oder eure Spindeln größeren Schutz verdienen" ; übers, d. Verf. 75 Roberts, S. 324. 76 Die als quasi-judizielle Aufgaben angesehen wurden und noch heute werden.

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5. Die Bedeutung der Rezentralisierung für die Kontrolle der Verwaltung Vom Standpunkt des Befürworters einer systematischen Verwaltung mußte die langsame, unzusammenhängende Ausdehnung zentraler Kontrolle über die Verwaltung mittels Inspektoren und zentral eingesetzter Kommissionen als organisatorisches Fiasko anmuten: I n den Jahren nach 1870 waren so viele ineinander verzahnte, aber oft widersprüchliche Gesetze ergangen, die die kommunalen Belange regeln sollten, daß es schwer war, den Überblick zu behalten. Fast jede Behörde hatte einen anders gegliederten Verwaltungsunterbau. Das Hauptanliegen der Reformer war in all diesen Jahren nur gewesen, daß überhaupt etwas geschah. über das ,Wie 4 machte man sich keine großen Gedanken: In einer Grafschaft (Wiltshire) gab es sieben gewählte Stadtratsversammlungen, sechs städtische Sanitätsbehörden, 17 Armenrechtsunionen, 10 Landstraßenbehörden, 20 oder 30 Begräbnisbehörden und eine ähnlich große Zahl von Schulbehörden 77 , alle mit unterschiedlichem Einzugsbereich. Aus alledem w i r d deutlich, daß die Institution der Friedensrichter, ursprünglich als segensreiche Erfindung einer schwachen Zentralgewalt zur Regierung der Landbevölkerung von großem Nutzen 7 8 , im Laufe einer 700-jährigen Geschichte durch die fatale Verknüpfung von strafrichterlichen mit Verwaltungsaufgaben, wie zuvor das Star Chamber, sich pervertierte und im 18. und 19. Jahrhundert für ein Gutteil der Maladministration des Landes verantwortlich war. Aus diesem Blickwinkel betrachtet muß man ihren Niedergang begrüßen und in ihrer Ersetzung durch gewählte Grafschafts-, Stadt- und Kreisräte eine wesentliche Verbesserung sehen. Aus der Sicht der Entwicklung einer systematischen und umfassenden Kontrolle gegenüber Fehlverhalten der Verwaltung ergeben sich jedoch weniger positive Konsequenzen, die nach Ansicht des Verfassers ganz erheblich zur Verkümmerung der Verwaltungskontrolle beigetragen haben. Die der Zentralregierung im 17. Jahrhundert entglittene Kontrolle der Verwaltung des Landes durch die „Squirearchy" war nach den Reformgesetzen Schritt für Schritt von der Regierung zurückgewonnen worden. Im 17. Jahrhundert war man sich allgemein darüber im klaren gewesen, daß die Verwaltungsaufgaben Akte der Exekutive waren, die von der Legislative und der Judikative — wenn sie sich nicht gegen die 77

Moir, S. 151. Wie Coke, zit. in Webb, ELG, Bd 1, S. 301, noch zu Recht behaupten konnte: „It (die Friedensrichter) is such a form of subordinate government for the tranquility and quiet of the realm as no part of the Christian world hath the like, if the same be duly exercised." Der letzte Halbsatz ist wohl der entscheidende. 78

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Interessen des Monarchen richteten — kontrolliert werden konnten. Niemand dachte daran, die Exekutivaufgaben mit dem Mantel der Richtertätigkeit zu behängen, denn dafür war das Star Chamber seit 1641 ein abschreckendes Beispiel. Die Richterschaft der Zentralgerichte nahm spezialisierte Aufgaben wahr, die sich frühzeitig aus den Exekutivaufgaben herausgeschält hatten. Doch wurden die Exekutiv- und Judikativfunktionen von den Friedenrichtern gemeinsam wahrgenommen, mit der oben dargestellten, katastrophalen Wirkung. Erstaunlich ist, daß im 19. Jahrhundert, nachdem die Aufklärung den Gedanken der Gewaltenkontrolle und -hemmung weltweit verbreitet hatte, Englands Exekutive, die Zentralregierung in London, eine genau gegenläufige Entwicklung einleitete, unter der das Verwaltungsrecht heute noch leidet. M i t der Rückführung der Verwaltungsaufgaben der Friedensrichter in den Schoß der Regierung übernahmen die Zentralbehörden auch die Tradition der Friedensrichter. Diese hatten ihre Verwaltungsaufgaben nie restlos von ihren Richterfunktionen getrennt verstanden, selbst wenn sie diese zu unterschiedlichen Zeiten wahrnahmen. Ob sie eine Lizenzerteilung erwogen, eine Einweisung in ein Gefängnis anordnen wollten, oder einen Angeklagten wegen Diebstahls verurteilen sollten, stets sahen sie sich — idealiter — als Richter, die zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu entscheiden hatten. Lange Zeit haftete ihren Ermessensentscheidungen in Verwaltungssachen in den Augen der Bevölkerung der Charakter des rechtlich Richtigen, des vom Gesetzgeber Gewollten an. Dieser Ruf, der in der Praxis eigentlich, von Ausnahmen abgesehen, kaum gerechtfertigt scheint, angesichts des vorliegenden negativen Tatsachenmaterials, ging auch während der Zeit großer Mißstände von 1780—1835 nicht verloren, zumindest für die Verwaltungsaufgaben, die nicht mißbräuchlich gehandhabt wurden. Statt nun bei der indirekten Rückübernahme der Verwaltungsaufgaben 7 9 eine wirksame gerichtliche oder außergerichtliche Kontrollinstanz wiedereinzuführen oder zu erfinden, beanspruchte die Regierung von nun an für ihre so gewonnenen Verwaltungsaufgaben die gleiche Qualität des nicht nur zweckmäßigen, sondern zugleich des rechtlich richtigen Verwaltungshandelns. Die Regierungsbehörden gaben sich folglich nicht nur mit der Erbschaft der Verwaltungsaufgaben der Friedensrichter zufrieden, sondern beanspruchten zugleich die richterliche Aura um ihre reine Ermessensentscheidung. Und diese nur historisch verständliche Ver79 Indirekt deshalb, weil die direkte Übertragung auf gewählte Selbstverwaltungskörperscbaften erfolgte, die aber sehr starker zentraler Kontrolle unterliegen, s. hierzu auch Trevelyan, History, S. 637; Jennings, Local Government, S. 215 ff; Cross, Local Government Law, S. 166 ff.

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knüpfung von administrativen mit judiziellen Funktionen der Verwaltung, die mit der Trennung dieser Aufgaben spätestens 1888 hätte aufhören müssen, blieb als Anmaßung der Verwaltung bestehen und erhärtete sich bald als zulässige Fiktion in der Rechtsprechung der Zivilgerichte, die mit Verwaltungsproblemen befaßt wurden und dogmatisch überfordert waren 8 0 . Abschließend zu dieser historischen Darstellung muß jedoch noch einmal betont werden, daß sämtliche in Kapitel 11—14 geschilderten Institutionen nahezu zwangsläufig in einem negativen Licht erscheinen; das liegt daran, daß für die Zwecke dieser Arbeit lediglich jeweils ein kleiner Ausschnitt der gesamten Tätigkeit dieser Einrichtungen relevant ist. Dies gilt in besonderem Maße für die Institution der Friedensrichter. Akzeptiert man etwa die Dezentralisierung der Verwaltung nach 1689 und die damit sich entfaltende kommunale Selbstverwaltung als politisches Faktum, und bedenkt man die Schwäche der Zentralverwaltung als Folge der Revolutionsjahre, so erweist sich die Tätigkeit der Friedensrichter — im Ganzen betrachtet — als sehr viel weniger angreifbar, als es hier zum Ausdruck kommt 8 1 . Der negative Eindruck gründet sich ausschließlich auf die Verwaltungsaufgaben und die Verwaltungsorganisation, die in Gesamtdarstellungen über Friedensrichter stets weniger Aufmerksamkeit finden. Gerade aber weil in Gesamtschauen dieser Institutionen in der Vergangenheit ein eher positives Bild entstand, das sich auf die Verwaltungsaufgaben übertrug, konnte die Notwendigkeit einer umfassenden Reform des Verwaltungsrechtes nie klar hervortreten. Hierin liegt m. E. auch ein wesentlicher Grund dafür, daß ein umfassend ausgebildetes, separates Verwaltungsrecht sich in England nicht entfalten konnte.

B. Dogmatisch-juristische Apologien Kapitel 15 I. Einleitung: Der Einfluß der Verfassungsdoktrin auf die Entwicklung des Verwaltungsrechts Bislang wurden historische Faktoren aufgezeigt, die i n unterschiedlichem Maße zunächst die Existenz einer rudimentären Verwaltungsgerichtsbarkeit belegten und in der Institution des „Star Chamber "-Gerichtes mündeten. Als dieses Gericht jedoch 1641 wegen seiner straf gerichtlichen Exzesse abgeschafft wurde, begann eine gegenläufige Entwicklung: Es 80 81

Supra, Teil 1, Kap. 1, I 2 a dd, S. 33. Vgl. dazu auch Maitland und Moir, supra, Anm. 59.

15 Riedel

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wurde gezeigt, daß aus dem Konflikt des Königshauses der Stuarts gegen Parlament und Richterschaft das Parlament als großer Sieger hervorging. Die mit ihm verbündeten „Common Law "-Richter erreichten zwar die Abschaffung des „Star Chamber"-Gerichtes und mit ihm dessen Verwaltungsgerichtsbarkeit, aber ihre eigene Unabhängigkeit als dritte Gewalt blieb zumindest ungeklärt, wenn man von der Garantie persönlicher Unangefochtenheit — „quamdiu se bene gesserint" — absieht. Als dann die Friedensrichter auf einer Welle der Dezentralisation der Verwaltung nach 1688 an Bedeutung gewannen, verlagerte sich das meiste dessen, was vorher im Rahmen des „Common Laws" das Verhältnis Bürger-Staat betraf, in die Grafschaften. Erst mit den Reformgesetzen ab 1832 beginnt wieder eine gegenläufige Entwicklung: Die Verwaltung rezentralisierte sich. M i t dem Zuwachs an Verwaltungsmacht der Exekutive in Whitehall nahmen jedoch die Kontrollmaßnahmen gegenüber der Exekutive nicht in gleichem Maße zu. Immerhin hatten die Friedensrichter auf lokaler Ebene einen großen Teil dessen geregelt, was mit der Institution eines Verwaltungsgerichtes verbunden wird. Die Rezentralisation der Verwaltung Mitte des 19. Jahrhunderts führte demnach zu einer Verlagerung von Verwaltungskompetenzen von den Grafschaften nach London, ohne daß die Kontrollfunktion der Friedensrichter auf zentraler Ebene nachgebildet wurde. Dies führte zu einer Entwicklungsverzögerung eines gesonderten Verwaltungsrechtsschutzes. Stattdessen begann die Richterschaft, im Rahmen des „Zivilrechts" alte, fast vergessene Klageformen („writs") wieder anzuwenden, um i n Einzelfällen Verfahrensverstöße der Verwaltung rügen zu können. Vor diesem historischen Hintergrund kommt auch der Lehre eine besondere Bedeutung zu. Es wäre durchaus möglich gewesen, daß ab Mitte des 19. Jahrhunderts Verfassungsrechtler und Richter die seit den Reformgesetzen lawinenartig anschwellenden Staatsaufgaben im Verhältnis zur Bevölkerung überdacht und neu formuliert hätten. Eine nähere Analyse des sich rapide wandelnden Verhältnisses des Staates zum Bürger hätte schon bald wie auf dem Kontinent dazu geführt, ein System des Schutzes gegen die Allmacht der Staatsgewalt zu fordern. In der Tat hat Maitland 1 i n seiner berühmten Verfassungsgeschichte dieses Problem als einziger v o l l erkannt. Er warnte davor, das Verfassungsrecht lediglich als Organisationsrecht der Hauptinstitutionen des Staates (ζ. B. des Parlamentes, des Privy Councils, der Friedensrichter, Armenrechts- und Schulverwalter oder der Gerichte) 1 Constitutional History, S. 501—506? ferner ders., „Shallows and Silences of Real Life", Collected Papers, Bd 1, S. 478: „It is curious that some political theorists should have seen their favourite ideal, a complete separation of administration from judicature, realized in England . . . The mistake comes of looking just at the surface and the showy parts of the Constitution; s. a. Robson, S. 28 ff.

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anzusehen. Das sei zwar einfacher und attraktiver darzustellen, aber man müsse sich davor hüten, „to take a part for the whole or suppose that matters are unimportant because we have not yet had the time to explore them thoroughly" 2 . Maitland erkannte deutlich, daß die Regierungstätigkeit von Jahr zu Jahr anschwoll, wie auch die von ihr abhängige Tätigkeit der Lokalverwaltung. Seine Analyse gipfelt in dem häufig zitierten Satz: „We are becoming a much governed nation, governed by all manner of councils and boards and officers, central and local, high and low, exercising the powers which have been committed to them by modern statutes"3.

Es ist bedauerlich, daß Maitland diese Erkenntnis aus seinen profunden rechtshistorischen Studien nicht dadurch verwertete, daß er eine verfassungssystematische Studie verfaßte. Den institutionellen Rahmen hatten seine Arbeiten bereits abgesteckt. Eine solche Studie hätte, aufbauend auf dem bereits damals zugänglichen historischen Material, ein Gesamtbild der britischen Verfassung einschließlich des Verwaltungsrechtes aufzeichnen können. Hierzu ist es allerdings nicht gekommen. Das Interesse der noch sehr jungen englischen Rechtswissenschaft 4 wandte sich im Zuge des stürmischen Aufstiegs der Viktorianischen Epoche staatspolitischen und verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu. Dies wurde begünstigt durch das Anschwellen der staatlichen Behörden, — wie oben, Kapitel 14 nachgewiesen wurde, — und damit verbunden, das Bedürfnis nach rationaler Erklärung dieser Institutionen. Den wohl bedeutendsten Beitrag auf diesem Gebiet leistete ein Nachfolger auf dem Lehrstuhl Blackstones, Albert Venn Dice y, i n seinem Werk: „Introduction to the Study of the Law of the Constitution das 2 Op. cit., S. 501: „Teile für das Ganze zu halten oder anzunehmen, daß gewisse Materien unwichtig seien, nur weil wir bislang noch nicht die Zeit hatten, sie näher zu analysieren", übers, d. Verf.; ferner S. 505: „If you take up a modern volume of the reports of the Queen's Bench Division you will find that about half the cases reported have to do with rules of administrative law . . .". 3 A.a.O.: „Wir sind auf dem Wege, eine vielregierte Nation zu werden, regiert durch alle möglichen Arten von Räten, Behörden und Beamten auf zentraler und lokaler Ebene, die die Ausübung ihrer Macht aus den modernen Gesetzen herleiten"; übers, d. Verf. 4 Vgl. hierzu Plucknett, History, S. 285—287; Sir William Blackstone (1723— 1780) hatte 1758 den ersten Lehrstuhl für englisches Recht erhalten, den „Vinerian Professor of English Law" an der Universität Oxford. Vor ihm war die Juristerei fast ausschließlich Domäne der Praktiker, vor allem der Richterschaft. Lediglich eine kleine Zahl Privatgelehrter, die ihre Erkenntnisse aus der Gerichtspraxis zusammenfaßten, hatten seit Glanvils „Leges Henrici Primi" im Jahre 1187 — vgl. Holdsworth, Some Makers, S. 12 ff — das englische Recht kommentiert. An den Universitäten bestanden daneben allerdings seit alters her Lehrstühle für kanonisches und römisches Recht. Erst 1800 wurde auch in Cambridge der erste Lehrstuhl für englisches Recht („Downing Professor") besetzt und London folgte fast 30 Jahre später mit der Berufung des Rechtsphilosophen John Austin.

15*

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1885 zuerst erschien und sogleich als Meisterwerk gefeiert wurde 5 . Nur wenige einzelne Werke haben bis zum heutigen Tage einen vergleichbar großen Einfluß auf die künftigen britischen Juristengenerationen gehabt wie dieses Buch. Nicht zuletzt mag das an dem klaren und geschliffenen Stil des Autors gelegen haben, der in den Worten Warfes 6 die Lesergenerationen stets von Neuem überzeugte und zeitweilig sogar dazu verführte, seine Ansichten als einzig wahr und axiomatisch zu betrachten. Fast fünfzig Jahre nach dem Erscheinen dieses Buches wurde vom Lordkanzler eine Enquête-Kommission eingesetzt, die das Schutzsystem gegen Maßnahmen der Verwaltung untersuchen sollte 7 , und deren Richtlinien ausdrücklich erwähnten, daß die gesamte Untersuchung unter dem Blickwinkel zu erfolgen habe, welche Sicherungen wünschenswert seien, um die — von Dice y beschriebenen — Prinzipien der Souveränität des Parlamentes und der »Herrschaft des Rechts' zu gewährleisten. Dicey war es gelungen, von juristischer Warte eine soziologische Beschreibung der britischen Verfassung zu umreißen, die den Ausgangspunkt für detaillierte Studien bilden konnte. Der methodologische Ansatz, anstelle eines idealtypischen Modells ähnlich dem Montesquieus von der Gewaltenteilung 8 die vielfältigen Erscheinungen staatlicher Tätigkeit in knappen Worten lediglich zu beschreiben und sodann in einem geschlossenen Kategoriensystem zusammenzufassen, ist sein größter Verdienst. Hierdurch wurde im Staatsrecht die Möglichkeit einer Alternative zu den Lehren von Locke und Montesquieu aufgezeigt. Wenn aus heutiger Sicht ein solches Unterfangen mit Skepsis betrachtet wird, so darf dabei nicht vergessen werden, daß Dice y das Scheitern der Versuche vor Augen hatte, die Gewaltenteilungslehre in anderen Teilen Europas in die Praxis umzusetzen 9 . Außerdem hatte die Lektüre des Werkes „De L'Esprit des Lois 1J ihm gezeigt, daß Montesquieu seine Theorie auf teilweise falsche Vorstellungen von der englischen „Gewaltenteilung" stützte. Dice y war davon überzeugt, daß historische Studien des Rechts für die Lösung der Gegenwartsprobleme wenig erbringen könnten 10 . Vordringlich sei stattdessen, die gegenwärtige Verfassung i n ihrer Wirkungsweise zu umreißen. Gerade dieser Ansatzpunkt wurde von seinen Zeitgenossen als relevant und für die Praxis nützlich empfunden. Er widmete den ersten Teil seines Buches der Lehre von der Souveränität des 5 Die letzte von ihm bearbeitete Auflage erschien 1915, es folgten bislang fast 20 Nachdrucke. 6 E. C. S. Wade, Einleitung zu Dicey, S. xxi. 7 Report of the Committee on Ministers' Powers, Cmd. 4060, 1932. 8 Vgl. Radbruch, Geist des englischen Rechts, S. 24 f. 9 Vgl. Dicey, S. 130. 10 Vgl. Dicey, S. 15.

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Parlamentes. Hier legte er zunächst die Rolle des Parlamentes als souveränen Gesetzgeber dar (Kap. I), verglich die Parlamentstätigkeit sodann mit der anderer rechtsetzender Institutionen (Kap. II), wie etwa Körperschaften oder Verwaltung in den Kolonien und stellte die wichtige Frage, ob die Rigidität einer geschriebenen Verfassung ihr Dauerhaftigkeit und ihren Institutionen praktische Unumstößlichkeit verleihen könne. Er kam zu dem Ergebnis, daß die Geschichte hierfür keine eindeutige Lösung parat habe 11 . Ihm schien es von unbestreitbarem Vorteil, daß in England quasi eine politische Revolution, wie der Erlaß der Reformgesetze von 1832—34, in der Verkleidung einer Rechtsreform stattfinden konnte. Die Rigidität einer geschriebenen Verfassung erweise sich häufig als Hemmschuh gradueller Erneuerungen und werde deshalb im ungünstigsten Fall selber eine Revolution auslösen 12 . Er untersuchte ferner die Frage, welche Kontrollinstrumente eine geschriebene Verfassung für verfassungswidrige Gesetze vorsehen kann und unterschied dabei zwei Arten von Verfassungen: solche, wie die französische von 1848, die weitgehend von der Macht der öffentlichen Meinung und der Ausbalancierung der politischen Macht abhingen, und damit letztlich eine moralische Sanktion darstellen, sowie solche, wie die der USA, die verfassungswidrige Gesetze nicht so sehr zu verhindern trachteten, sondern durch Einschaltung von Gerichten ihren Effekt verharmlosen würden, was bedeutete, daß ein solches System letztlich von der Autorität der Richterschaft abhinge 13 . Im dritten Kapitel verglich Dice y das in England herrschende Prinzip der Souveränität des Parlamentes mit den verschiedenen Konstruktionen in föderativen Staaten. Seine Schlußfolgerung — als soziologisches Faktum — hat auch heute noch nicht an Bedeutung verloren: „All the power of the English State is concentrated in the Imperial Parliament, and all departments of government are legally subject to Parliamentary despotism"14.

Der zweite große (und umfangreichste) Hauptabschnitt wurde der ,Herrschaft des Rechts' gewidmet (Kap. IV—XIII). Der dritte behandelt Verfassungskonventionalregeln („Conventions of the Constitution") (Kap. X I V — X V ) . Die »Herrschaft des Rechts' erläutert er ausführlich an einigen Verfassungsgrundrechten, wie dem Recht der persönlichen Freiheit, der Meinungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit (Kap. V—VII) und zeichnet dann die Grundzüge des Kriegsrechtes, der Rechtsstellung 11

Dicey, S. 128. Dicey, S. 130 f. 13 Dicey, a.a.O. und S. 137. 14 Dicey, S. 156: In England ist die politische Macht letzten Endes im Parlament konzentriert und alle Ministerien unterliegen rechtlich dem parlamentarischen Despotismus". 12

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der Armee und des Steuerrechts auf (Kap. VIII—X). Diese umfangreiche Darstellung der seinerzeit vorhandenen Institutionen der ungeschriebenen Verfassung begründeten Diceys Ruhm und seine lange unangefochtene Stellung im britischen Staatsrecht. Aus diesen Verfassungsinstitutionen und Freiheitsrechten abstrahiert Dice γ dann seine Lehre von der »Herrschaft des Rechts'. Wenn man bedenkt, daß Dice y im Rahmen seiner Studien nur wenige Freiheitsrechte genauer untersuchte und auch seine Schilderung der Verfassungsinstitutionen nur einen Teil der Verfassungswirklichkeit widerspiegelte und überdies fast 100 Jahre seither vergangen sind, so ist ein Großteil seiner Arbeit heute nur noch von historischem Interesse. Dennoch hat seine Lehre als abstraktes Prinzip weitergelebt, auch über seinen Tod hinaus. Das lag vor allem daran, daß sie deutlich und lehrreich die Frage nach den Machtquellen, ihrer Legitimation und der Verteilung der staatlichen Aufgaben stellte, die auch für eine ungeschriebene Verfassung dringend geboten war. Diese Theorie leistete deshalb für die Staatsrechtslehre insoweit Pionierdienste. Diceys Interesse konzentrierte sich auf den großen institutionellen Rahmen und die für seine Lehre beweisträchtigsten Freiheitsrechte, die „showy parts of the Constitution", wie Maitland einmal das Verfassungsrecht im engeren Sinne gekennzeichnet hat. Bei der Formulierung seiner Theorie hat Dice y dagegen die praktisch ständig zunehmende Verwaltungsmacht des Staates nicht deutlich genug hervorgehoben. Das entsprach auch nicht dem Zweck seines Werkes, so daß ihn insoweit kein Vorwurf treffen kann. Unbeabsichtigt hatte aber die fHerrschaft des Rechts1 die Konsequenz, daß die Entwicklung eines modernen Verwaltungsrechts innerhalb der Verfassungslehre vernachlässigt wurde. Zwei Generationen von Praktikern und Akademikern haben Diceys Thesen über die ,Herrschaft des Rechts' widerspruchslos übernommen und seinen Anspruch, daß diese Thesen lediglich eine getreue Wiedergabe des bestehenden geltenden Rechts seien, weiterverbreitet. Erst nach dem ersten Weltkrieg beginnt eine Serie detaillierter, höchst unterschiedlicher Kritiken, die in den dreißiger und fünfziger Jahren zu einer wahren Flut anschwellen und von der ursprünglichen Lehre kaum noch etwas belassen. Im Verlaufe dieser Kritik w i r d deutlich, daß die »Herrschaft des Rechts1 am Ausgang des 19. Jahrhunderts auf der Höhe des britischen Empires getreulich die Strömungen der Zeit und den politischen Glauben an eine Gesellschaftsform widerspiegelte, die auf dem „Laissez-faire"-Gedanken beruhte, was Dicey ex post factum kaum zum Vorwurf gereichen kann. Die Kritik der Verwaltungsrechtslehre richtet sich deshalb auch nicht primär gegen Diceys Lehre, sondern vielmehr gegen die Auswirkungen, die diese Lehre heute noch hat, nachdem ihre Bedingungen weitgehend verändert oder fortgefallen sind.

Diceys „Rule of Law "

II.

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Diceys Rule of Law

1. Der Inhalt des Konzeptes der „Herrschaft des Rechts" Zunächst einmal Diceys Lehre in seiner eigenen Zusammenfassung: „That ,rule of law', then, which forms a fundamental principle of the constitution, has three meanings, or may be regarded from three different points of view. It means, in the first place, the absolute supremacy or predominance of regular law as opposed to the influence of arbitrary power, and excludes the existence of arbitrariness, of prerogative, or even of wide discretionary authority on the part of the government. Englishmen are ruled by the law, and by the law alone; a man may with us be punished for a breach of law, but he can be punished for nothing else. It means, again, equality before the law, or the equal subjection of all classes to the ordinary law of the land administered by the ordinary law courts; the ,rule of law' in this sense excludes the idea of any exemption of officials or others from the duty of obedience to the law which governs other citizens or from the jurisdiction of the ordinary tribunals; there can be with us nothing really corresponding to the „administrative law" („droit administratif 1') or the „administrative tribunals" („tribunaux administratifs") of France. The notion which lies at the bottom of the „administrative law" known to foreign countries is, that affairs or disputes in which the government or its servants are concerned are beyond the sphere of the civil courts and must be dealt with by special and more or less official bodies. This idea is utterly unknown to the law of England, and indeed is fundamentally inconsistent with our traditions and customs. The ,rule of law', lastly, may be used as a formula for expressing the fact that with us the law of the constitution, the rules which in foreign countries naturally form part of a constitutional code, are not the source but the consequence of the rights of individuals, as defined and enforced by the courts; that, in short, the principles of private law have with us been by the action of the courts and Parliament so extended as to determine the position of the Crown and of its servants; thus the constitution is the result of the ordinary law of the land" 15 . 15 „Die »Herrschaft des Rechts', die ein Grundprinzip der Verfassung darstellt, hat drei Bedeutungen, oder kann von drei verschiedenen Gesichtspunkten her betrachtet werden: sie bedeutet erstens die absolute Suprematie oder Vorherrschaft der ordentlichen Gesetze anstelle des Einflusses willkürlicher Gewalt und schließt die Existenz von Willkür oder Prärogativen und selbst von großem Ermessensspielraum seitens der Regierung aus. Die Engländer werden durch das Recht regiert und nur durch dieses; ein Mann kann bei uns wegen einer Rechtsverletzung bestraft werden, aber aus keinem anderen Grunde. Sie bedeutet ferner Gleichheit vor dem Gesetz, oder die gleichmäßige Unterwerfung aller Klassen unter das allgemeine Recht (Law of the Land), das von den ordentlichen Gerichten angewendet wird; in dieser Bedeutung schließt die ,Herrschaft des Rechts' die Idee aus, daß Beamte oder andere von der Verpflichtung befreit sind, der andere Bürger unterliegen, dem Gesetze oder der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte Gehorsamkeit zu leisten. (Deshalb) kann es bei uns eigentlich nichts dem französischen „Verwaltungsrecht" (droit administratif) oder den „Verwaltungsgerichten" (Tribunaux administratifs) Entsprechendes geben. Dem Verwaltungsrecht anderer Staaten liegt die Idee zugrunde, daß Angelegenheiten

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Die hierin skizzierten drei Grundpfeiler der Doktrin, daß 1.) Regierung und Verwaltung gesetzmäßig handeln müssen (Ausschluß jeglicher W i l l kür) und Rechtsverletzungen vor ordentlichen Gerichten entschieden werden, daß 2.) jedermann, ohne Ansehung der Person gleiche Behandlung vor dem Gesetz erfährt (Gleichheitssatz), was ein auf Ungleichheit basierendes separates Verwaltungsrecht ausschließen muß, und 3.) die britische Verfassung Ergebnis des durch die Gerichte angewendeten ordentlichen Rechts (law of the land) ist (Spiegel der Grundrechte) 16 , sollen im folgenden kritisch beleuchtet werden.

2. Der Ursprung und Einfluß dieser Lehre in Theorie und Praxis Es stellt sich vor jeder Kritik jedoch zunächst die Frage, worauf Dice γ diese Lehre gründete. Er selber kritisierte anschaulich die philosophischen Betrachtungen Burkes und Hallams, die „überall dort, wo Fakten fehlten, bewundernd den Glauben an ihre Stelle setzten" 17 . Doch ist auch Dice y hiervon nicht ganz frei: Er beruft sich auf Coke, der durch unhistorische Begründung James I zur Aufgabe seiner Versuche veranlaßte oder zwang, den Gerichten Fälle zur eigenen Entscheidung zu entziehen 18 . Die auf diese Weise gewonnenen Fiktionen, derer sich Richter wie Sir Edward Coke bedienten, hätten damit zugleich die Gerechtigkeit und Freiheit der Bürger garantiert. Wie bereits dargelegt 19 , konnte Coke sich jedoch nicht nur zu seinen Lebzeiten nicht mit seinen Ansichten durchsetzen, sondern sein Anspruch der Vorherrschaft des Common Laws ging nach der Revolution und dem großen Sieg des Parlamentes auch de facto ver-

oder Streitigkeiten, bei denen die Regierung oder deren Bedienstete (Beamte) betroffen sind, außerhalb der Sphäre der Zivilgerichte bleiben und von besonderen, mehr oder weniger offiziellen Stellen (official bodies) behandelt werden. Diese Idee ist dem englischen Recht vollständig unbekannt und widerspricht unseren Traditionen und Gewohnheiten in der Tat grundlegend. Die »Herrschaft des Rechts' kann schließlich als Formel verwendet werden, um der Tatsache Ausdruck zu verleihen, daß das Verfassungsrecht, die Regeln, die in anderen Staaten einen natürlichen Bestandteil einer Verfassungsurkunde bilden, bei uns nicht die Quelle, sondern die Konsequenz der Rechte der Individuen ist, wie sie von den Gerichten definiert und durchgesetzt werden; daß, kurzgesagt, bei uns die Prinzipien des Privatrechts durch die Tätigkeit der Gerichte und des Parlaments so ausgedehnt worden sind, daß auch die Stellung der Krone und ihrer Bediensteten (Beamten) davon mitbestimmt wird; deshalb ist die Verfassung das Ergebnis des allgemeinen, ordentlichen Rechts"; übers, d. Verf. 16

Dicey, S. 202—203. Law and Constitution, S. 1 ff; Hood-Phillips, S. 35 f, führt die Lehre auf W. E. Hearn, The Government of England, 1867, zurück, die eine Kurzfassung der ,rule of law' enthält. 18 Op. cit., S. 18. 10 Supra, Kap. 13, S. 204 ff. 17

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loren, trotz entgegenstehender Lippenbekenntnisse. Nur ein sehr flüchtiger Blick auf den Streit zwischen Coke und den Beratern des Königs James I (Bacon, Ellesmere) konnte Dice y zu seiner idealisierten Auffassung führen 20 . Dice y selber hat auch nie behauptet, seine Lehre der ,Herrschaft des Rechts' in den Rechtsquellen vor Coke verifiziert zu haben. Erst seine zahllosen Anhänger haben versucht, die „rule of law" als oberstes Verfassungsprinzip bis auf Magna Carta Libertatum zurückzuführen und Bradons berühmten Ausspruch, daß der König zwar über seinen Untertanen, aber unter der Herrschaft Gottes und der des Rechtes stünde 21 , als Quelle und Beleg für eine seit 700 Jahren bestehende Lehre und angebliche Verfassungsrealität zu nehmen. Loewenstein 22 nennt des weiteren die Ansicht Fortescues, demzufolge die „rule of law" bedeute, daß Steuern nur mit Zustimmung des Parlamentes auferlegt werden dürften, was beiwese, daß das vom Parlament erlassene Recht Vorrang habe. Weder Dice y noch seine Anhänger haben erkannt, daß diese Quellen allenfalls den Vorrang des Parlamentes gegenüber dem König, nicht jedoch den des Common Laws stützen können; und das, obgleich Dice y der Doktrin der Suprematie des Parlamentes ein Drittel seines Buches widmete. Allein die Ideen des scholastischen und des späteren rationalistischen Naturrechts hätten den Anspruch des Common Laws auf Vorherrschaft stützen können, wie dies mit Lockes Lehren und ihrer Rezeption in den Vereinigten Staaten auch geschah. Doch haben Dice γ und sämtliche Autoren zum englischen Verfassungsrecht den Verzicht auf unveräußerliche, überpositive Freiheitsrechte als lobenswerte Besonderheiten hervorgehoben. Diese seien durch das ordentliche Recht, das in den Gerichten von unabhängigen Richtern gesprochen werde, hinreichend geschützt. Eine Reihe von Verfassungslehrern, die noch heute Diceys Lehre als integralen Bestandteil der Verfassungsinterpretation verteidigen, haben dennoch Erklärungsversuche unternommen, gewissen Verfassungsdokumenten einen höheren Rang kraft Gewohnheitsrechtes einzuräumen, die aufgrund ihrer ungebrochenen Antiquität und allgemeinen Wertschätzung als rechtlich besonders bindende Grundsätze anzusehen seien 23 . Dagegen läßt sich jedoch vorbringen, daß jedes Gesetz und mithin jede Verfassungsnorm mit einfacher Mehrheit des Parlamentes geändert wer20 Vgl. im übrigen hierzu Jennings, Law and the Constitution, Appendix III, S. 318 ff, „Was Lord Coke a heretic?". 21 Bracton, folio 5 b, Nr. 5: „Ipse autem rex non debet esse sub homine sed sub Deo et sub lege, quia lex facit regem . . . attribuai igitur rex legi quod lex attribuit ei, videlicet dominationem et potestatem, non est enim rex ubi dominatur voluntas et non lex". 22 Bd 1, S. 74 ff; vgl. hierzu auch Hood-Phillips, S. 33; ferner Mitchell, 1965 Public Law, S. 95 ff. 23 Vgl. hierzu Wade, Cambridge L. J. 1955, S. 172 (174), m.w.H.; Heuston, Essays, Kapitel 1.

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den kann; ein Unterschied zwischen materiellem und formellen Verfassungsrecht ,wie es ihn in fast allen anderen Staaten der Welt mit geschriebenen Verfassungsdokumenten gibt, nicht besteht. Die Aufzählung von Gesetzen etwa bei Loewenstein, orientiert am materiellen Verfassungsrecht einer geschriebenen Verfassung, die belegen, daß auch i n England große Teile des Staatsorganisationsrechtes und der Grundrechte statuarisch niedergelegt sind 24 , können doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß ihre Bestandskraft jederzeit ohne Schwierigkeiten beseitigt werden kann. So haben in den letzten 100 Jahren beispielsweise 7 grundlegende Verfassungsänderungen stattgefunden, deren wichtigste die Beschneidung der Rechte des Oberhauses im Jahre 1911 und die Umwandlung des Empire in ein Commonwealth, sowie der Beitritt Englands zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sind 25 . Ziel solcher und ähnlicher Darstellungen ist es, der Lehre eine weitere Lebensspanne zu erhalten. Die sieben Verfassungsänderungen der letzten 100 Jahre zeigen jedoch, daß eine Aufzählung von Gesetzen die in anderen Staaten zu Gesetzen mit Verfassungsrang und damit mit besonderen Bindungswirkungen gezählt werden, für die britischen Verhältnisse wenig praktische Bedeutung haben. Eine ausführlichere Kritik der Diceyschen Lehre ist schon deshalb erforderlich, weil heute nach wie vor jedes Lehrbuch des Verfassungsrechtes ein Kapitel über die „Rule of Law" enthält. Wade bezeichnet es sogar als besonderes Zeichen ihrer Güte, daß alle, selbst Kritiker, diese Lehre abhandeln. 3. Kritik der „Rule of Law" Alle drei Elemente der Lehre von Dicey sind aus den verschiedensten Gründen angegriffen worden. Obgleich das zweite Element im Rahmen der vorliegenden Untersuchung das wichtigste ist, soll im folgenden auch das erste und dritte Element näher beleuchtet werden, weil in der deutschen Literatur trotz einzelner Kritikansätze durchweg die ganze Doktrin letztlich positiv beurteilt worden ist. 24 Loewenstein, Bd 1, S. 45 f; Parlament: Trienniel Act, 1641, 16 Ch. 1, c. 1; Septenniel Act, 1715, 1 Geo. 1, st. 2, c. 38; Parliament Act, 1911, 1 & 2 Geo. 5, c. 13; Abgeordnete: House of Commons Disqualification Act, 1957, 5 & 6 Eliz. 2, c. 20; Wahlen: Representation of the People Acts, 1832, zuletzt 1949; 12, 13, 14 Geo. 6, c. 68; Verhältnis Oberhaus zu Unterhaus: Parliament Ac, 1911; Minister: Ministers of the Crown Act, 1937,1 Edw. 8 & 1 Geo. 6, c. 38; Staatsangehörige: British Nationality Act, 1948; 11 & 12 Geo. 6, c. 56; Grundrechte: Habeas Corpus Act, 1679 31 Ch. 2, c. 2; Bill of Rights, 1688, 1 Will. & Mary, sess. 2, c. 2; Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten mit Protokollen, 1950; Unabhängigkeit der Richter: Act of Settlement, 1700, 11 & 12 Will. 3, c. 2; überseeische Territorien: Statute of Westminster, 1931, 22 & 23 Geo. 5, c. 4. 25

Bailey, S. 7; Punnett, S. 160.

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a) Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit von Regierungs- und Verwaltungshandeln (Willkürverbot) Das erste Element hat lange Zeit die größte Aufmerksamkeit der Kommentatoren auf sich gezogen: Die Feststellung, daß die Regierung und die Verwaltung gesetzmäßig handeln müßten und Rechtsverletzungen vor ordentlichen Gerichten abgeurteilt würden, was mithin jegliche W i l l k ü r ausschließe, bot auch allzu leicht Angriffsflächen. aa) Diceys Formulierung, daß die Regierung und die Verwaltung gesetzmäßig handeln müßten, wird inzwischen von fast allen Kommentatoren als Skizzierung betrachtet, die allenfalls Diceys Wünschen Ausdruck verlieh. Seine Charakterisierung wird als mangelhaft empfunden, weil das Problem der Gesetzmäßigkeit der Legislative, des allmächtigen Parlamentes, dabei völlig unerwähnt bleibt. Nur durch die Ausklammerung der Legislative läßt sich der Anspruch der Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns überhaupt vertreten. Durch die Auslassung dieser wichtigen Komponente entsteht der Eindruck, als sei in England die ,Herrschaft des Rechts' garantiert, während die »Herrschaft des Rechts' jedoch entscheidend davon abhängt, ob die Parlamentsgesetze rechtens sind oder nicht. Erst auf dieser Ebene, die zu der Frage führt, ob das positive Recht ungeprüft akzeptiert werden muß, wovon viele auszugehen scheinen 2 6 , oder ob das positive Recht der zwar außerrechtlichen aber überpositiven Kontrolle ethischer, naturrechtlicher oder religiöser Wertvorstellungen unterliegt, kann diese Frage beantwortet werden. Wahrscheinlich folgt Dice y hier unbewußt der positivistischen Lehre John Austins 27, der seinerseits insoweit Hobbes' Linie vertritt 2 8 . Für Austin und seine Anhänger ist das positive gesetzte Recht der einzige rechtliche Maßstab und Legitimationsgrundlage. Dieses gesetzte Recht w i r d überdies in der sehr engen Bedeutung von Befehl- und Gehorsamsaufforderungen aufgefaßt — eine Verengung auf Befehls- und Gehorsamsketten, auf eine 28

Vgl. etwa die ungleich größere Bedeutung der positivistischen Rechtslehre in England, exemplifiziert durch Kelsens ,Reine Rechtslehre', der nirgendwo sonst ein derart breiter Raum gewidmet wird als in der englischen Rechtsphilosophie. Der Hang zur formalistischen Klarheit der Gesetze ist als natürliches Gegengewicht zur Ungenauigkeit der „verschlungenen Pfade des Common Law" psychologisch verständlich, während auf dem Kontinent die Grenzen des kodifizierten Rechtes umso deutlicher zu einer Ablehnung posivistischer Lehren geführt hat. Dies beruht nicht zuletzt auf der inhärenten Beliebigkeit des Inhalts der positiven Gesetze, wenn man sie nicht „metajuristischen" oder überpositiven Gerechtigkeitsvorstellungen unterwirft. Die Rechtspraxis faschistischer Regime im 20. Jahrhundert hat den Glauben an „effiziente", positive Gesetze ein für allemal erschüttert. Dennoch lebt der Positivismus und seine verwandte Form der „analytischen" Jurisprudenz stärker denn je in England fort. 27

1790—1859, Hauptschrift: ,The Province of Jurisprudence Determined', insbes. 5. Vorlesung, S. 118 ff. 28 Vgl. etwa die „Command Theory" im Leviathan, Teil 1, Kap. 14, insbes. S. 71.

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Hierarchie der Ordnung von oben nach unten, die allenfalls im Bereich des Strafrechts bei Vorherrschaft von Schuld-Sühne-Vorstellungen einigermaßen zutreffend ist. Da zumal die oberste Stufe der positivistischen Normenleiter außerhalb der Gesetze steht, als „Gesetze im nicht-juristischen Sinne" („Laws improperly socalled") zu verstehen ist, öffnet sich hier die Lehre einem beliebigen Geltungsgrund. Austin war als Anhänger der utilitaristischen Schule Jeremy Benthams und John Stuart Mills andererseits für einen Ausbau des Gesetzesrechts, das zu kodifizieren sei, eingetreten. Das größte Glück der Bevölkerung sei seiner Meinung nach nur durch einen systematischen Ausbau der Gesetze zu gewährleisten, was zugleich eine entschiedene Ablehnung der Naturrechtslehre bedeutete, deren Vertreter Kodifikationsbemühungen vereitelten 29 . Dice γ dagegen stützte seine Lehre von der ,Herrschaft des Rechts1 nicht so sehr auf das gesetzte Recht, sondern auf das Common Law. Seine Lehre von der Souveränität des Gesetzgebers besagte eindeutig, daß für Parlamentsgesetze keine weiteren Kontrollen bestünden, außer denen der öffentlichen Meinung und allgemeinen Wertvorstellungen der Bürger. Seit den Reformgesetzen von 1832—34 war jedoch eine wahre Flut von Parlamentsgesetzen verabschiedet worden, die in immer stärkerem Maße Belange der Öffentlichkeit regelten und das Verhältnis der einzelnen Bürger zum Staat in vielen Bereichen zum Teil entscheidend veränderten. Dicey begnügte sich bei der Frage nach der Legitimation solcher Gesetze mit der Feststellung, daß die absolute Macht des Parlamentes ein Faktum sei. Die Richter könnten deshalb formal zustandegekommene Gesetze nicht einmal aus moralischen Erwägungen für unrechtmäßig erklären 80 . Da Dicey jedoch in seiner Theorie von der »Herrschaft des Rechts1 davon ausging, daß de facto Willkürherrschaft in England ausgeschlossen sei 81 , behandelte er das Problem der Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns auf der obersten Ebene nicht weiter und konzentrierte sich stattdessen auf die Bedeutung des Common Laws für die Freiheitsrechte des Individuums. Gerade die erst wenige Jahre vor Erscheinen seines Buches eingeleitete Rezentralisierung der Verwaltung hätte Dice y jedoch veranlassen können, den Machtzuwachs der Exekutive auf „checks and balances" hin zu überprüfen. Hierfür ist seine Lehre später auch häufig kritisiert worworden. Lawson verteidigt Dicey damit, daß dieser zu seinen Lebzeiten auf dieses Problem nicht aufmerksam gemacht worden sei 82 . Im übrigen hatte sein Buch eine andere Zielrichtung, nämlich die Darstellung der 29 30 31 32

S. a. H. L. A. Hart, Einführung zu Austin, S. X ff. Dicey, S. 62 f. S. o. S. 231. Dicey Revisited, 7 Political Studies, 1959, S. 214.

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tatsächlichen Verhältnisse. Dice y wird man deshalb das Verkennen dieses Problems nicht anlasten können, obgleich einige seiner Zeitgenossen vorausschauender waren, wie etwa Maitland 33. Da jedoch Diceys Epigonen nach wie vor seine Lehre akzeptierten, muß die Aussparung dieses Problems als Mangel der Lehre empfunden werden. bb) Die Betonung des Ausschlusses von W i l l k ü r hat insbesondere Heuston 84 kritisiert, indem er feststellte, daß es in England nahezu unmöglich sei, zwischen Willkürakten und solchen erlaubten Ermessens zu unterscheiden. Das liegt jedoch vor allem daran — und dies scheint Heuston zu verkennen — daß es an dogmatischen Begründungsversuchen schlicht mangelt. In den letzten 10 Jahren beginnen die Gerichte allerdings, im Rahmen der „Ultra vires "-Lehre auch Ermessensentscheidungen einer gründlicheren Uberprüfung zu unterziehen: Wenn sich nachweisen läßt, daß Bösgläubigkeit seitens der Verwaltungsbehörde 35 oder unsachliche Erwägungen vorlagen 36 , oder gar Ermessensunterschreitung 37 , dann sind die Gerichte bereit, einzuschreiten. Als letzte Möglichkeit bietet sich ihnen das Prinzip der „Unreasonableness", der Unbilligkeit, Unangemessenheit oder gar UnVerhältnismäßigkeit der Mittel an 38 . Doch handelt es sich hierbei stets um Einzelfallentscheidungen, die ein überschaubares und vorhersehbares Gerüst nicht deutlich werden lassen, zumal die Richter, die heute die „Ultra vires "-Lehre ausdehnen, morgen schon subtile Unterscheidungen („Distinctions") herausbilden können, die das einmal gefundene Prinzip wieder stark einschränken. Auch in der Lehre herrscht auf diesem Gebiet Unsicherheit: Wann immer das Problem der Legitimation von Exekutivakten in England auftaucht, greift man auf die Diceysche Lehre zurück. Sehr viele Autoren gehen ohne nähere Nachweise davon aus, daß in England als freiem Land Willkürakte ausgeschlossen seien. In dieser allgemeinen Formulierung ist die Behauptung sicher richtig. Doch kann dies i n gleicher Weise von den Vereinigten Staaten, der Bundesrepublik Deutschland oder Frankreich behauptet werden. In allen diesen Staaten einschließlich Großbritanniens, stellt sich gleichwohl die Frage, wie ein effektiver Schutz gegen W i l l k ü r am besten gewährleistet werden kann. Die briti88

Vgl. oben, S. 225. Essays, S. 40; Jennings verteidigt Dicey insofern, als er diese These für ein politisches Desideratum ansieht, vgl. Law and the Constitution, S. 308. 35 S. o. Kap. 7, I 2 b cc, S. 98. 38 Vgl. etwa den Padfield-Fall, 1968, AC 997; vgl. supra. S. 99. 87 R ν Port of London Authority, ex parte Kynoch, Ltd., 1919, 1 KB 176; supra, Kap. 7, I 2 b ee, S. 101. 38 Supra, Teil 1, Kap. 7, I 2 b ff, S. 102. 34

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sehen Autoren gehen häufig aber einen Schritt weiter und behaupten, daß W i l l k ü r dadurch ausgeschlossen werde, daß die ungeschriebene Verfassung und die Freiheitsrechte der Bürger als einschränkende Korrektive zu einer generellen Handlungsermächtigung der Exekutive dienten. Dadurch entsteht der Eindruck, als sei das Problem der Machtkontrolle gerade und besonders i n England zufriedenstellend gelöst 39 , als sei die Abwesenheit von W i l l k ü r Produkt der ungeschriebenen Verfassung und der Freiheitsrechte. Heuston beschreibt im Gegensatz dazu dann die Verfassungen des Kontinents, die oft eine Polizeiermächtigungsklausel hätten, die es der jeweiligen Regierung erlaube, zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung allgemein tätig zu werden: „Das Common Law kennt eine solche Doktrin nicht" 4 0 . Diese Aussage kann im Zusammenhang mit den vorherigen Ausführungen zur britischen Situation leicht den Eindruck erwecken, als seien die kontinentalen Regelungen polizeistaatlicher Natur oder zumindest weniger geeignet, W i l l kürakte der Exekutive auszuschließen, als in England. Daneben enthält Heustons Gegenüberstellung der britischen und kontinentalen Verhältnisse in dieser Frage aber noch eine Unklarheit: Wenn in England die Exekutive eine generelle Handlungsermächtigung im Rahmen des ungeschriebenen Rechts hat, auf dem Kontinent eine Polizeigeneralklausel als Gegenstück wirkt, wo bleibt dann noch ein Unterschied? Wenn etwa in London am Trafalgar Square eine Protestversammlung von Anarchisten stattfindet, zu der zum Schutze vor Ausschreitungen eine Hundertschaft Polizei beordert wird, fragt sich, ob darin ein Unterschied zur kontinentalen Praxis liegt. Der mögliche Einsatz von Wasserwerfern, vorübergehende Festnahmen und alle von der Einsatzleitung vorgesehenen Maßnahmen bedürfen in England wie auf dem Kontinent der Legitimation. Tatsache ist jedoch, daß es in England schwieriger ist, die Handlungsermächtigung für solche Polizeiaufgaben zu finden 41, und, wichtiger noch, die Grenzen rechtmäßigen Eingreifens festzustellen 42 . Dem Demonstranten auf dem Kontinent steht in einer solchen Situation etwa i n der BRD eine Skala festumrissener Schutzvorschriften zur Verfügung, angefangen bei den Grundrechten über die Begrenzungen der 39

Heuston, Essays, S. 34. Heuston, a.a.O. 41 Ein Großteil ist jedoch im Police Act 1964 geregelt. Doch auch nach der Reorganisation der Polizei bleibt der Status des verantwortlichen Chief Constable, der von der Kommunalbehörde gewählt wird, umstritten. So wird nicht deutlich, wer ihm Weisungen hinsichtlich seiner Dienstpflichten erteilen kann, und ob der Innenminister, dem nur der Londoner Polizeipräsident untersteht, für Maßnahmen der örtlichen Polizeichefs im Parlament verantwortlich ist, vgl. de Smith, Const, and Admin. Law, S. 382. 42 Vgl. de Smith, Const, and Admin. Law, S. 380 f, der jedoch darauf hinweist, daß die Praxis der britischen Polizei besonnen ist und selteneren Anlaß zu Klagen der Bevölkerung gibt als in vielen großen Städten des Kontinents (S. 386). 40

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polizeilichen Generalklausel — etwa Artikel 171, 173 schleswig-holsteinisches Landesverwaltungsgesetz — und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der angewendeten Polizeimittel bis hin zum Gebot der Wahl des mildesten, am wenigsten beschränkenden Mittels von mehreren möglichen — etwa Art. 73 Absatz 2 und 3 des schl.-holst. LVwG. Der englische Demonstrant hat zwar die Aussicht, daß ein verwaltungsinternes Verfahren Abhilfe schafft 43 oder daß gegebenenfalls der Richter die Prinzipien der „Ultra vires "-Lehre — deren Anwendung in Ermangelung begrenzender Handlungsvorschriften problematisch ist — oder die Kategorien der „natürlichen Gerechtigkeit" extensiv auslegt. Eine klare Vorschrift der Begrenzung polizeilicher Aufgaben ersetzt insbesondere das formelle, von den Gerichten entwickelte Prinzip der „natürlichen Gerechtigkeit" nicht. Hieraus ergibt sich, daß der Schutz vor Willkürakten der Exekutive i n England zumindest nicht größer ist als auf dem Kontinent. Dennoch ist der Standpunkt der britischen Autoren verständlich. Da die Polizei — die bis vor ganz kurzer Zeit sogar gänzlich unbewaffnet war und mit Ausnahme von wenigen Spezialeinheiten auch heute noch ist — in der Bevölkerung wegen ihrer Besonnenheit und Hilfsbereitschaft ein außerordentliches Vertrauen und große Achtung genießt 44 , nimmt es nicht wunder, daß die britischen Autoren die Abwesenheit von Willkürakten voraussetzen und damit keine Notwendigkeit sehen, diese soziologischen Faktoren auf ihre rechtlichen Implikationen näher zu überprüfen. Damit wird aber andererseits eine kritische Auseinandersetzung mit der Ansicht, daß die britische Lösung Vorzüge gegenüber anderen Rechtssystemen habe, wegen fehlender Beispiele schwierig und es entsteht vielleicht unbeabsichtigt der Eindruck, daß das britische System größeren Schutz vor Willkürakten biete, als die kontinentalen Rechtssysteme und daß die polizeilichen Ermächtigungsklauseln polizeistaatlichen Verhältnissen Vorschub leisteten. cc) Aber noch in einem anderen Punkt ist Diceys erste Proposition falsch: Er behauptete, daß die Regierungs- und Verwaltungstätigkeit nicht nur gesetzmäßig sei, sondern obendrein der Kontrolle der ordentlichen Gerichte unterliege. Tatsache ist jedoch, daß zu Diceys Zeit die Prärogativrechte der Krone sehr weit reichten und in vielen Fällen den Gang zu den Gerichten ausschloß. Wade 4 5 sagt daher zu Recht, daß nirgends, auch nicht in der Bill of Rights, stehe, daß es fortan keine 43 De Smith, S. 386 ff, op. cit., sagt zu dieser verwaltungsinternen Kontrolle: „It is impossible to evaluate the quality of the informal type of investigation. Nevertheless, the process is not calculated to enhance public confidence." (S. 387). 44 Vgl. Radbruch, Geist des englischen Rechts, S. 14. 45 Einleitung zu Dicey, S. ,xcix' f.

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königlichen Prärogativrechte mehr geben sollte, die den Rechtsweg ausschließen. Lediglich einige speziell aufgeführte Akte, die vormals reine Ermessensache des Herrschers waren, sollten fortan parlamentarischer — nicht richterlicher — Kontrolle unterliegen. Und etwas später führt Wade dann aus: „Thus there has always remained a residue of discretionary power in the Crown" 4 6 , aber das sei nicht weiter schlimm, da dieses Ermessen von den Regeln des Common Laws und des Gesetzesrechts umschrieben worden sei, die es ermöglichten, zu behaupten, daß die Exekutive in England nicht länger mit absoluter Handlungsmacht umgeben sei. Das ist jedoch nicht das Problem. Es geht vielmehr darum, ob die ordentlichen Gerichte im Konfliktfall einen Ermessensakt der Krone, d. h., der Exekutive, für nichtig erklären können oder nicht, wenn ein Gesetz, das den Ermessensrahmen festlegen würde, fehlt. In einem solchen Falle kann die „Ultra vires "-Lehre nichts nützen. Als Beispiel nehme man Verträge von Bürgern mit der Krone, die erst seit dem „Crown Proceedings Act" von 1947 überhaupt einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen oder den Fall einer Kündigung eines Beamten der Krone oder schuldhaftes Handeln von Militärpersonal oder Polizisten, für die es keinen ausreichenden Rechtsschutz gibt 4 7 . Wade erkennt an, daß Coke und seine Anhänger für die Kampfbrüderschaft mit dem Parlament gegen die Stuarts mit dem Verzicht der Common Law-Kontrolle bezahlte 48 und kritisiert die restriktive Praxis der Richterschaft, jeglichem Konflikt nach Möglichkeit aus dem Wege zu gehen, was unter anderem bewirkt, daß die Richter sich zuweilen den zugrundeliegenden Gedanken einer Institution oder von Situationen verschließen, die sich aus dem Zusammenhang der Gesetzgebung ergeben, oftmals nur deshalb, weil sie altehrwürdigen Institutionen per se vertrauten 49 . Die Zurückhaltung der Richterschaft hat ihrerseits aber auch Vorzüge, die nicht außer Betracht bleiben dürfen: Sie dient vornehmlich dazu, das Prinzip der Rechtssicherheit an den gesetzlichen Normen zu orientieren und es der Legislative zu überlassen, neue Entwicklungen im Gesetzgebungsverfahren zu berücksichtigen, überdies kann eine solche konservative Einstellung der Richterschaft auch eine Schutzfunktion für den einzelnen Bürger haben, wenn gesellschaftliche Veränderungen ohne neue gesetzliche Ermächtigungsgrundlage eintreten und die Richter dann im Interesse der Rechtssicherheit an alten Normen und Entscheidungen festhalten. Außerdem zeigt das Beispiel der Entscheidungen von Richtern in Staaten mit Verfassungsgerichten, daß ein größerer Handlungsrahmen 48 A.a.O, S. ,c': „immer ein Rest an Ermessensspielraum für die Krone übrigblieb". 47 Zum „Crown Privilege", vgl. supra, Kap. 4, I V 2, S. 64 ff. 48 Einleitung zu Dicey, S. ,c\ 49 A.a.O., S. ,c\ Fn. 1.

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der Richterschaft nicht immer eine bessere Konfliktlösung bietet. Dort kann möglicherweise das Gewicht der Entscheidung von den demokratisch gewählten und überprüfbaren Volksvertretern auf eine Richterschaft verlagert werden, deren Dicta geringeren Kontrollen unterliegen und bei denen auch nicht garantiert werden kann, daß ihre Entscheidung i n jedem Fall die optimale Lösung für das Gemeinwohl darstellt 50 . Die Kritik richtet sich deshalb auch nicht an der Verhaltensweise der Richter, sondern an dem großen Bereich freien Ermessens der Exekutive aus, wenn konkrete Ermächtigungsnormen fehlen. Das gewichtigste Argument gegen Diceys These ist jedoch die Praxis der ordentlichen Gerichte selber: Die anachronistisch verworrenen Klageformen, die selbst Experten Tücken bereiten, und die weit davon entfernt sind, einen umfassenden Rechtsschutz zu gewährleisten, wie im systematischen Teil der Arbeit nachgewiesen wurde, sprechen ein deutliches, negatives Urteil. Schließlich hätte auch das Entstehen vieler Verwaltungstribunale und Anhörverfahren im 20. Jahrhundert, die bis 1958 weitgehend einen Rekurs zu den ordentlichen Gerichten ausschlossen, diesen Teil der Diceyschen Lehre endgültig überflüssig machen können, was aber nicht geschah. Selbst heute noch hat der Bürger bei vielen Anhörverfahren lediglich die Möglichkeit der Beschwerde („Appeal") an den zuständigen Minister, nicht jedoch an die Gerichte 51 . Dieser Teil der Lehre kann also nur mit erheblichen Einschränkungen bestehen bleiben, die überdies so gravierend sind, daß es wenig sinnvoll erscheint, von einer fast lückenlosen Gerichtskontrolle — vgl. etwa mit Artikel 19 Absatz 4GG — zu sprechen. Nicholson, ein konservativer Kritiker, hat deshalb auch zu recht gesagt 52 : „It can now be said without serious exaggeration that the courts remain only as a protection for those segments of the Englishman's constitutional liberties of which he has not been already at least potentially deprived by collusion between Parliament and the Executive." 50 Vgl. etwa die problematische Entscheidung des BVerfG zu den Ostverträgen, v. 31. Juli 1973, Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung des Gesetzes zum Vertrag vom 21.12.72 zwischen der BRD und DDR über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der BRD und der DDR v. 6. Juni 1973, Az. 2 BvF 1/73. 51 Der Begriff „appeal" wird für Beschwerde, Berufung und Revision gleichermaßen verwendet. 52 Nicholson, System, S. 199 f: „Es kann jetzt ohne ernsthafte Ubertreibung gesagt werden, daß die Gerichte nur Schutz für diejenigen Segmente der Verfassungsfreiheiten eines Engländers bieten, die ihm nicht schon vorher potentiell entzogen worden sind, durch Kollusion zwischen dem Parlament und der Exekutive . . ."; Ubers, d. Verf.; im Ansdxluß hieran sagt er jedoch: „No political tyrant would have dared, or could have hoped, to get away with using ,reasons of state' as they (Parlament und Exekutive) are used today to deprive citizens of their historic liberties and rights. „Er negiert damit die von Laski, S. 352 ff u. a. als höchst notwendig erachtete Wohlfahrtsstaat-Gesetzgebung, und statt einen effektiven Kontrollmechanismus für diese neuen Aufgaben

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b) Die Verfassung als Konsequenz der Individualrechte Der dritte Pfeiler der ,Herrschaft des Rechts', daß die britische Verfassung nicht die Quelle, sondern das Ergebnis des durch die Gerichte angewendeten ordentlichen Rechts (law of the land) ist 5 3 , wird als weniger wichtiger Bestandteil der Lehre meist übergangen 54 . Dennoch enthält auch dieser Pfeiler eine widerlegbare Behauptung: Schon zu seiner Zeit hätte Dice y erkennen können, wie in anderem Zusammenhang bereits dargelegt wurde 5 5 , daß durchaus nicht alle Rechte der Bürger originärer Natur sind, sondern vielfach erst durch Gesetz entstanden sind. Heuston 56 sagt zutreffend, daß Dice y offensichtlich nur an das Common Law dachte, dem er wohl die Bürgerrechte gleichsetzte 57 . Anderenfalls hätte er erkennen können und müssen, daß es inzwischen gesetzliche Pensionsansprüche, Krankheitsschutzvorschriften, ein Recht auf Ausbildung, das allgemeine Wahlrecht und andere erst durch Gesetz geschaffene „Grundrechte" gab. Diceys Definition ist in diesem Punkte deshalb schon zu seinen Lebzeiten unhaltbar und spiegelt allenfalls seine Wunschvorstellung wider, die Verfassung als Spiegel von Grundrechten zu sehen. Lawsons umfangreiche Apologie kann hierüber nicht hinwegtäuschen 58 . Tatsache ist, daß mindestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein Großteil der Rechte des Individuums gerade als Konsequenz gesetzgeberischer statt richterlicher Tätigkeit entstanden ist.

c) Das Prinzip „Gleiches Recht für alle" und seine Bedeutung für das Verwaltungsrecht Hatte die Betrachtung des 1. und 3. Pfeilers der Lehre Diceys bereits gezeigt, wie entleert diese Doktrin seit ihrer ursprünglichen Formulierung war, so soll im folgenden der für die Entwicklung des Verwaltungsrechtes wichtigste zweite Pfeiler näher beleuchtet werden. aa) Dicey ging davon aus, daß jedermann vor dem Gesetze gleiche Behandlung erfährt, was seiner Meinung nach ein auf Ungleichheit beruhendes separates Verwaltungsrecht ausschließen muß. Dice y war davon überzeugt, daß der Gleichheitsgrundsatz wirklich bestehe: zu fordern, begnügt er sich mit der Feststellung des Verlustes von Individualrechten, was den Eindruck erweckt, als plädiere er für den Abbau staatlicher Kontrolle zugunsten größerer Individualrechte. 53 Dicey, S. 195 u. 203. 54 Eine gute Kritik findet sich jedoch bei Jennings, Law and the Constitution, S. 313 f. 55 Supra, Kap. 15, Β I, S. 225 ff. 58 Essays, S. 49, zit. Jennings, Law and the Constitution, 4. Aufl., 1952. 57 Ähnlich Lawson, Dicey Revisited, 7 Political Studies, 1959, S. 220. 58 Dicey Revisited, 7 Political Studies, 1959, S. 109 ff u. 207 ff.

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„. . . in dieser Bedeutung drückt die .Herrschaft des Redits' die Idee aus, daß Beamte oder andere von der Verpflichtung befreit sind, der andere Bürger unterliegen, dem Gesetze oder der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte Gehorsamkeit zu leisten" 59 .

Als Beweise für diese Auffassung zitiert er Urteile, von denen die Fallsammlungen v o l l seien, in denen Beamte persönlich verantwortlich gemacht worden seien 00 . Marshall 61 greift aus der Fülle der Präzedenzfälle jedoch Beispiele heraus, die genau das Gegenteil dessen belegen, was Dice γ beweisen wollte. So zitiert er den berüchtigten Fall des Richard Rose, Koch des Bischofs von Rochester, der zum Tode durch Verbrühen verurteilt worden war und dem durch Parlamentsgesetz das allgemein übliche „Benefit of Clergy" — kirchenrechtliche Strafmilderungsmöglichkeit durch Rezitieren eines bestimmten Psalmes — versagt worden war 6 2 und aus der jüngsten Vergangenheit den Fall Bur mah Oil Company ν Lord Advocate™, in welchem das rechtswidrige Handeln der Exekutive vom House of Lords bestätigt wurde, durch anschließendes Indemnitätsgesetz der Anspruch des Klägers jedoch rückwirkend ausgelöscht wurde (War Damage Act, 1965). Zwar handelt es sich bei solchen Fällen um Ausnahmesituationen, doch zeigen sie, daß ein genereller Anspruch auf gleiches Recht für alle zweifellos nicht besteht. Die von Dice y zitierten Beispiele, die seine Auffassung stützen sollen, konnten überdies nur deshalb vor ordentlichen Gerichten entschieden werden, weil es sich um „ultra vires"-Akte handelte, die Gerichte mithin Gesetze als begrenzende Maßstäbe zur Verfügung hatten. Weite Bereiche der Exekutiv- und Administrativakte sind der gerichtlichen Kontrolle zum Teil notwendigerweise entzogen. Dazu gehören beispielsweise Verträge mit anderen Staaten, die Handlungen der Diplomaten des „Foreign Office", des Militärs sowie alle diejenigen Angelegenheiten, in denen die Regierung oder Verwaltung sich auf die öffentliche Ordnung oder die Abwehr von Gefahren im Interesse der nationalen Sicherheit beruft 64 . Diese Beschränkungen finden sich natürlich i n allen Staaten, in mehr oder weniger großem Umfang, ohne daß damit der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt zu sein braucht. Selbst wenn 59 Supra, Anm. 15; ferner: „With us every official, from the Prime Minister down to a constable or a collector of taxes, is under the same responsibility for every act done without legal justification as any other citizen", (Dicey, S. 193). 60 Mostyn ν Farbrigas, 1774, 1 Cowp. 161; Musgrave ν Pulido, 1879, 5 A. C. 102; Governor Wall's Case, 1802, 28 St. Tr. 51; Entick ν Carrington, 1765, 19 St. TR. 1030. "Constitutional Theory, S. 138. 62 22 Hen. 8, c. 9: „it is ordained and enacted by authority of this present Parliament that the said Richard Rose shall be therefore boiled to death . . . 88 1964, 2 All ER 348. 64 „Public policy and reasons of national security".

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man ihn nicht nur als Gleichheit in ungleichen Bedingungen auffaßt, läßt er sich heute noch vertreten 65 . Abgewandelt müßte er lauten, daß alle staatlichen Handlungen, wie die der einzelnen Bürger, rechtmäßig legitimiert — und das bedeutet, auf rechtliche Normen im weitesten Sinne gestützt — sein müssen, und daß rechtswidrige Handlungen natürlicher wie juristischer Personen, privater wie öffentlich-rechtlicher Institutionen gleichermaßen von einer unabhängigen Kontrollinstanz überprüft werden können. Gemessen selbst an dieser modifizierten Form des Gleichheitssatzes, wie er zum Beispiel im A r t i k e l 3 Absatz 1 und 20 Absatz 3 des Grundgesetzes zum Ausdruck kommt, besteht in England keine echte Gleichstellung aller Bürger, da der Bereich der unüberprüfbaren Machtreservate der Exekutive wesentlich größer ist. Marshall hat deshalb den Gleichheitssatz bei Dice y dahingehend modifiziert, daß er lediglich als Richtschnur diene, als Gegensatz zum Chaos und der Rechtlosigkeit 66 . Reduziert auf diesen Grad der Allgemeinheit läßt sich in der Tat jeder Satz der Lehre von Dice y verteidigen, denn ein Rechtsystem, in dem nur eine einzige Rechtsnorm Geltung beanspruchte, wäre danach schon kein „Chaos" mehr. Heuston 67 ist der Meinung, daß der Gleichbehandlungssatz, wie Dice y ihn formulierte, heute noch insoweit Gültigkeit habe, als die Gerichte den wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Status der Individuen, die vor die Schranken des Gerichtes treten, völlig außer Acht lassen müßten. Abgesehen davon, daß eine genaue rechtssoziologische Untersuchung der Spruchpraxis der Richter möglicherweise ein anderes Bild ergeben würde 6 8 , nützt eine solche Formulierung kaum mehr als die Marshalls. Der Gleichbehand65 Zu den vielen Möglichkeiten der Ausfüllung der Gleichheitsidee als Gebot der Gerechtigkeit, vgl. Perelman, S. 53 ff und Kelsen ,What is Justice?', in Collected Essays, S. 1—24. ββ „Equality before the law, understood as the equal subjection of all classes to a common rule, might at least be contrasted significantly with chaos or lawlessness, but it does not in itself imply any qualitative sort of law to which all are subject" (S. 137 f); ähnlich auch Heuston, Essays, S. 46, der die Regel so umformuliert, daß „das Recht, das für die einen gilt, anders sein kann, als das, dem andere unterworfen sind" (Zitat von Lord Wright), übers, d. Verf. Er bleibt damit fast bei Diceys eigener Formulierung, S. 194. 67 Essays, S. 44 ff, u. vgl. dazu Diceys Formulierung, S. 194; ähnlich auch Hood-Phillips, S. 38 f. 68 Vgl. etwa die vom gleichen Autor bearbeitete 15. Aufl. des Salmond, Law of Torts, S. 292, den dort zitierten Fall Stone ν Bolton, 1951, A. C. 850; s. a. Goodhart 1951, 67 LQR, 460 ff (463); für diese Tendenz ferner R. v. Bradshaw, 1878, 14 Cox Crim. Cas. 83: In diesem Fall war ein Fußballspieler nach einem Zusammenstoß mit einem anderen Spieler der gegnerischen Seite am folgenden Tage an inneren Blutungen gestorben. Der andere Spieler wurde wegen Totschlags („manslaughter") angeklagt. In seiner Zusammenfassung für die Jury sagte der Richter u. a., daß das Fußballspiel zweifellos ein rauhes sei, aber daß er nicht willens sei, die Sportarten für ganze Männer („manly sports") zu verdammen, die ohne Zweifel mit mehr oder weniger Gefahr verbunden seien (S. 85).

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lungssatz, wie Dice y und andere ihn verstehen, impliziert ja gerade, daß jedermann, also auch diejenigen, die erst gar nicht vor die Schranken des Gerichtes zitiert werden können, eine gleiche Behandlung erfahren. Heuston stützt sich ebenfalls auf die von Dice y genannten Fälle 6 9 , zusätzlich schildert er den irischen Fall des Wolfe Tone 70, der im Wege des Habeas Corpus-Verfahrens 71 unter dramatischen Umständen vor der Exekution durch das Militär — doch letztlich vergeblich — geschützt werden sollte, und aus neuerer Zeit nennt er den Criminal Justice Act von 1948, durch den die strafrechtlichen Privilegien der Oberhausmitglieder abgeschafft wurden. Sodann nennt er zwei Beispiele aus den Jahren 1950 und 1951, i n denen Earl Peel, Lord-Lieutenant von Lancashire, wegen Mißachtung von Bauauflagen zu £ 25.000,— Strafe und das Elektrizitätsamt von Yorkshire wegen rechtswidriger Überschreitung gemachter Bauauflagen zu £ 20.000,— Strafe und der Vorsitzende des Amtes zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt wurden 7 2 . W i e in allen anderen Beispielsfällen für dieses Prinzip, die von Dice γ und anderen vorgebracht werden, handelte es sich dabei aber ausnahmslos um Fälle, in denen rechtswidriges Verhalten der betroffenen Beamten eindeutig aus Gesetzen abgeleitet werden kann. Der Test des Gleichbehandlungssatzes steht und fällt aber mit solchen Situationen, in denen die Regierung oder Verwaltung unter Berufung auf das Interesse der Allgemeinheit, Staatsinteressen oder aus Sicherheitsgründen den Rekurs zu den ordentlichen Gerichten nicht zuläßt oder aber durch Gesetz regelt, daß der Rechtsweg ausgeschlossen ist. Die Verfasser der Schrift „Rule of Law" haben eine eindrucksvolle und bei weitem nicht vollständige Liste solcher Rechtswegabschneidungen aufgestellt 78 : So gibt es kein Appelationsrecht von einer großen Anzahl von Verwaltungstribunalen an die ordentlichen Gerichte 74 oder in solchen Fällen, in denen der Minister als letzte Entscheidungsinstanz von Anhörverfahren vorgesehen ist 7 5 . 89

Insbesondere Entick ν Carrington, Essays, S. 45. 1798, 27 St. Tr., 614. 71 Supra, Teil 1, Kap. 3, I I I 1, S. 58. 72 Essays, S. 45. 78 Vgl. Rule of Law, Appendix, S. 64 ff. 74 Ζ. Β. Agricultural Land Commission; Appeal Tribunal nach dem Childrens Act, 1948; Indépendant Schools Tribunals nadi dem Education Act, 1944, sect. 72; Referees nach dem Family Allowances Act, 1945; Rent Tribunal, nach dem Furnished Houses (Rent Control) Act, 1946; Referee, nach dem Import Duties Act, 1932; Appeal Tribunal nach dem National Assistance Act, 1948; Medical Practices Committee und National Health Service Tribunal sowie andere Committees nach dem National Health Service Act, 1946; Local Tribunals und National Insurance Commissioner nach dem National Insurance Act, 1946 und Verordnungen hierzu. Statutory Instrument Nr. 1144; Medical Appeal Tribunal nach dem National Insurance (Industrial Injuries) Act, 1946; National Assistance Board nach dem Old Age Pensions Act, 1936; Tribunal of Inquiry nach dem Prevention of Fraud (Investment) Act, 1939; Referee nach dem Safeguarding of Industries Act, 1921; alle diese Beispiele aus Rule of Law, Appendix, S. 64 ff. 75 S. hierzu Teil 1, Kapitel 9 über Anhörverfahren, Supra, S. 135 ff. 70

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Hieraus ergibt sich bereits, daß auch dieser Teil des zweiten Grundpfeilers der Diceyschen Lehre wenig hilfreich ist, um das Wesen der britischen Verfassung zu charakterisieren. bb) Keines der bisher analysierten Elemente der „Rule of Law" ist von essentieller Bedeutung für das britische Verfassungsrecht. Der zweite Teil des Gleichbehandlungssatzes enthält jedoch eine weitere Proposition, die auf die Entwicklung eines englischen Verwaltungsrechtsschutzes einen nachhaltig negativen Einfluß ausgeübt hat und eine eminent praktische Wirkung auf die Verfassungsrealität hatte: Dieses Element der Doktrin besagt, daß der Gleichbehandlungsgrundsatz die Existenz eines auf Ungleichheit basierenden, separaten Verwaltungsrechtes i n England ausschließen müsse 76 . Fast sämtliche Autoren zum Verwaltungsrecht haben darauf hingewiesen, daß Diceys Lehre insoweit falsch sei, insbesondere auch E. C. S. Wade in seiner umfangreichen Einleitung zur 10. Auflage des Buches von Dicey 17, Dicey hat mit diesem Teil seiner Lehre nicht nur das Verwaltungsrecht als solches für England negiert, sondern zugleich das „Droit administratif" Frankreichs verkannt, indem er es ursprünglich als Tyrannei der Verwaltungsmacht mißverstand 78 . In seinem 12. Kapitel über den Vergleich der „Rule of Law" mit dem „Droit administratif" bleibt er trotz aller Hinweise auf die Vorzüge des französischen Systems der Verwaltungskontrolle 79 bei einer ablehnenden Haltung, als er den „Conseil d'Etat" kritisiert. Die zunehmende Autorität des „Conseil d'Etat" muß seiner Meinung nach die Würde und den Respekt vor den ordentlichen Gerichten untergraben 80 , was er für einen gravierenden Fehler des Systems hält. Obwohl Dicey zu seinen Lebzeiten durch seine Freundschaft mit dem berühmten Verwaltungsrechtler Jèze auf die tatsächliche Funktion und Wirkungsweise des Verwaltungsrechtes und seiner Kontrolle hingewiesen worden war 8 1 , sagt er dann, daß er einfach nicht glauben könne, daß Verwaltungsgerichte denselben Grad an indi76

S. Dicey, S. 193 ff, 203, 328 ff, 389 ff. Einleitung zu Dicey, S. ^xiii'ff; ferner inter alios Hood-Phillips, S. 32 ff; Garner, S. 17; H . W . R . Wade, 1. Aufl., S. 7 f ; Mitchelil, Public Law, 1965, S. 95 ff; Heuston, Essays, S. 48; de Smith, Const, and Admin. Law, S. 509 ff; LawsonBentley, S. 77 f; Foulkes, S. 7; Robson, S. 28; ders., in Law and Opinion in England, S. 193 ff; Morgan, in Robinson, Public Authorities and Legal Liability, S. 49 ff, insbes. S. 53; Jennings, Law and the Constitution, S. 313; Alien, Law in the Making, S. 532 ff; W . Friedmann, Law in a changing Society, S. 378 ff; Laski, S. 355; Carr, S. 22 f. 78 Vgl. hierzu auch Wade, Einleitung zu Dicey, S. ,cxiv'f; ferner Gaudemet, in Dicey, S. 475—492. Chloros, RabelZ Bd 36, 1972, S. 601 (612). 79 Vgl. S. 374 ff, insbes. S. 398 ff. 80 Dicey, S. 401 f. 81 Vgl. Lawson, Dicey Revisited, 7 Political Studies, 1959, S. I l l und, Wade, Vorwort zur 10. Aufl. von Dicey, S. ,x'; ferner Gaudemet, in Dicey, S. 475 ff. 77

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vidueller Freiheit zu schützen vermögen als es in englischen Gerichten der Fall ist 8 2 . Er vergißt dabei die Tatsache, daß selbst in England jahrhundertelang die zwei Systeme der Common Law-Gerichte und des Equity-Rechts der Prärogativgerichte und -behörden nebeneinander existierten und erst 1875 amalgamiert wurden. Er mißverstand das Wesen des Verwaltungsrechts, indem er annahm, daß es lediglich die Funktion habe, Beamte von der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte auszuschließen und fernzuhalten 88 . Dieses MißVerständnis Diceys läßt sich rekonstruieren: Er zitiert als Quelle Hauriou 84, der das Prinzip der „Garantie des fonctionnaires" beschreibt. Das Prinzip — die Amtshaftung gem. Art. 34 GG in Verbindung mit § 839 BGB im deutschen Recht — bewirkt aber genau das Gegenteil dessen, was Dicey darunter versteht. Es erweitert den finanziellen Schutz für den geschädigten Bürger, keineswegs soll es den Staat und seine Beamten von der Haftung freistellen. Auf diesen grundlegenden Fehler ist Dice γ oft hingewiesen worden. Dennoch hat er dieses spezielle Argument nie aus seinem Buche gestrichen 85 . Lawsons Versuch, Dicey in diesem Punkte zu verteidigen 86 , kann aus den genannten Gründen nicht überzeugen. Seine Behauptung, daß Diceys Aussage faktisch stimme: „For it is the absence of any ultimate control of administration by the ordinary courts that constitutes the particularity of the French system" 87 ,

läßt den Zusammenhang, in dem dieser Satz steht, außer Betracht. Auch Wades Apologie, Dicey habe 1915 in einem Aufsatz zugegeben, daß es in England mittlerweile eine große Anzahl von Gesetzen gebe, die de 82

Dicey, S. 403. A.a.O.: . . . „it is certain that the distinction between ordinary law and administrative law . . . implies the general belief that the agents of the government need, when acting in bona fide discharge of their official duties, protection from the control of the ordinary law courts"; ferner, auf S. 404: „But turn the matter which way you will·, the personal immunities of officials who take part . . . in any breach of the law, though consistent even with the modern ,droit administratif' of France, are inconsistent with the ideas which underlie the common law of England. 84 Précis de Droit administratif, 3. Aufl. 1897, S. 170 f. zit. in Dicey S. 405: „. . . pour la victime d'un méfait, de s'en prendre à l'auteur immédiatement visible" . . . (Il y a des législations) "qui s'efforcent de faire couvrir le fonctionnaire par l'Etat, de le protéger, de le Tassurer contre les conséquences fâcheuses de ses erreurs. Les législations des pays centralisés et notamment celle de la France sont de ce dernier type . . .". 85 Obwohl er inzwischen eingesehen hatte, daß der f Conseil d'Etat' mindestens so angesehen wie die ,Cour de Cassation' war, vgl. S. 35. 88 Dicey Revisited, 7 Political Studies, 1959, S. 208, zit. Letourneur. 87 A.a.O., S. 115. „Denn es ist die Abwesenheit einer höchsten Kontrolle der Verwaltung durch ordentliche Gerichte, die die Besonderheit des französischen Systems ausmachen"; übers, d. Verf. 83

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facto dem französischen Verwaltungsrecht stark ähnelten 88 , und daß solche Gesetze einige wesentliche Vorzüge aufwiesen, kann nicht überzeugen, wenn man bedenkt, daß das 12. Kapitel in seiner 8. Auflage von 1915 in diesem wesentlichen Punkte dennoch unverändert blieb. 4. Ergebnis: Die Entbehrlichkeit der Doktrin Diceys Nach alledem fragt sich, was von Diceys Lehre der ,Herrschaft des Rechts1 heute noch übrig geblieben ist: Die Abwesenheit von W i l l k ü r erwies sich als Postulat, das in Großbritannien keine besondere rechtliche Absicherung erfahren hat, allenfalls als politische Realität in seiner allgemeinen Formulierung zutreffend ist; die Verfassung ist im wesentlichen nicht Spiegel der Grundrechte, sondern schöpft umgekehrt selber eine Vielzahl von Rechten; der Gleichbehandlungssatz findet nur in dem Maße Anwendung, wie dies auch für Staaten mit geschriebenen Verfassungen der Fall ist und weist i n der Praxis erhebliche Lücken durch Rechtswegabschneidungen auf. Dadurch wird häufig von vornherein verhindert, daß eine formale Gleichheit vor den Gerichten garantiert werden könnte. Die von Marsh, Hood-Phillips und anderen 89 vorgenommene Neuformulierung der ,rule of law', basierend auf der Delhi-Deklaration über die Herrschaft des Rechts' (1959), bildet heute einen angemessenen Ausgangspunkt für die Darstellung der gegenwärtigen britischen Verfassung und sollte längst die veraltete Doktrin Diceys endgültig ersetzt haben 90 . Im einzelnen kann sie wie folgt zusammengefaßt werden 9 1 : 1. Legislative: Eine durch freie Wahlen legitimierte und verantwortliche Regierung 92 , Mindeststandards des Rechts müßten gewährleistet werden, wie sie in der universellen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen vom 12. Dezember 1948 und der Europäischen Menschenrechtskonvention niedergelegt sind, insbesondere die Glaubens-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie das Verbot rückwirkender Strafgesetze. 2. Exekutive: Verordnungen und nachgeordnete Gesetzgebung müßten der unabhängigen richterlichen Kontrolle unterliegen. Bürger, die durch Verschulden von Behörden oder Beamten Unrecht erlitten haben, müßten ein Rechtsmittel gegen den Staat oder die Regierung haben. 88 Wade, Einleitung zu Dicey, S. ,cxlvü'; vgl. ferner Dicey, Appendix, II, S. 493 ff (495, 499). 89 Marsh, in Oxford Essays, S. 223 ff; ders., 1959, 75 LQR, S. 530; HoodPhiUdps, S. 20; Foulkes, S. 8; Yardley, Source Book, S. 4 f. 90 Zu dieser Konsequenz kann sich Jennings, Law and the Constitution, S. 60 ff jedoch noch nicht durchringen, obwohl er die „rule of law" als „bockiges Pferd" bezeichnete. 91 Vgl. Yardley, Source Book, S. 4 f. 92 Im weiteren Sinne.

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3. Strafprozeß: Ein fairer Prozeß müßte garantiert werden, die Unsdiuldsvermutung gewährleistet sein, angemessene Festnahmeregeln, Anklage- und Haftregeln bestehen, hinreichende Ladefristen gegeben werden, die Öffentlichkeit des Prozesses, das Recht der Berufung, die Abwesenheit grausamer und ungewöhnlicher Strafarten garantiert sein. 4. Richterschaft und Juristenstand: Die Unabhängigkeit der Richter müßte gewährleistet sein·, sie dürften nur aus triftigen Gründen (on proper grounds) absetzbar sein. Der Juristenstand schließlich müßte das Recht haben, sich frei und selbständig zu organisieren. Der Nachteil dieser Deklaration besteht darin, daß sie so weit gefaßt ist, daß im einzelnen höchst unterschiedliche Staatsverfassungen unter ein Dach gepreßt werden, und daß sie letztlich unverbindlich ist. Für England allerdings hat sie den Vorteil, daß sie dem Namen nach an der Lehre Diceys anknüpft und für eine ungeschriebene Verfassung angenehm vage formuliert ist. So bleibt am Ende von der „Rule of Law" nicht viel mehr als ein Grundrechtskatalog übrig 9 8 , ein Katalog, der nach der herrschenden Doktrin überdies lediglich den Rang einfacher Gesetze hat, und den das Parlament in seiner unbeschränkten Macht jederzeit mit einfacher Mehrheit abändern kann. Die vielen Versuche der britischen Lehre, Diceys Doktrin von der »Herrschaft des Rechts' trotz aller ihrer Mängel zu erhalten, scheinen von dem Gedanken getragen zu sein, daß trotz der umwälzenden Veränderungen im 20. Jahrhundert die von Dice γ konstatierten demokratischen Bedingungen auch heute noch in gleichem Maße gewährleistet sind. Diesen Glauben an die Unerschütterlichkeit der Grundbedingungen ihrer ungeschriebenen Verfassung vertritt unter dem prägenden Einfluß von Dice γ mit wenigen Ausnahmen die gesamte britische Staatsrechtslehre. In der deutschen Literatur — soweit sie sich mit diesem Problem befaßt — überwiegen bei aller Einzelkritik ebenfalls die lobenden Stellungnahmen bei weitem. Hier zeigt sich der späte Einfluß von Radbruchs Aufsatz „Vom Geist des englischen Rechts "(insbesondere S. 24ff), der unter dem unmittelbaren Eindruck der Katastrophe des 3. Reiches entstand und die praktischen Vorzüge des britischen Systems in den Vordergrund stellte, die lückenhafte theoretische Untermauerung aber überging und die Nachteile im öffentlichen Recht als vergleichsweise wohl unbedeutend völlig unerwähnt ließ. So zählt Loewenstein, der dieses Problem am ausführlichsten vom verfassungsrechtlichen Standpunkt aus untersuchte, zunächst Fehler der Doktrin auf, um dann jedoch stets ohne Begründung Sätze zu 93

Vgl. Prophet, S. 8; Bailey, S. 7.

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v e r w e n d e n , w i e : „ I m Großen u n d Ganzen h a t Diceys erste These d e m Z a h n der Z e i t w i d e r s t a n d e n " 9 4 , oder zur z w e i t e n These: „Wenn Richter in ihrer Amtstätigkeit, Diplomaten in ihrer Person und Parlamentsmitglieder in ihrer repräsentativen Stellung immun sind, in allen Fällen müssen sie es sein, um ihre Funktionen frei von äußerem Zwang und Druck auszuüben — so entsprechen diese und ähnliche Privilegien eben den Anforderungen einer zivilisierten Gesellschaftsordnung, ohne der Gleichheit vor dem Gesetz irgendwie Abbruch zu tun" 05 . Dagegen w e n d e t sich per se n i e m a n d . Loewenstein v e r d e c k t aber durch diese A k z e n t u i e r u n g das eigentliche Problem, d e n Ausschluß des Rechtsweges b e i A n h ö r v e r f a h r e n , die d e n M i n i s t e r a l l e i n als letzte Instanz v o r s e h e n u n d n u r i n s p e k t a k u l ä r e n Einzelfällen ü b e r das Parlament nachgeprüft w e r d e n k ö n n e n 9 6 , u n d i n denen der „ O m b u d s m a n " nicht w e i t e r h e l f e n darf, w e i l gesetzlich d a r a n g e h i n d e r t 9 7 . I n seiner z w e i b ä n d i g e n Schrift ü b e r V e r f a s s u n g u n d V e r w a l t u n g i n G r o ß b r i t a n n i e n f o l g t Loewenstein d a m i t der englischen T r a d i t i o n , e i n e n so w i c h t i g e n Bereich w i e die V e r w a l t u n g s k o n t r o l l e u n t e r z u b e w e r t e n . Stattdessen m e i n t er, auch die 2. These habe i h r e „zeitliche B e w ä h r u n g s p r o b e " b e s t a n d e n 9 8 . L e d i g l i c h v o n der 3. These m e i n t er, daß Dicey „ h i e r e i n O p f e r der n a t i o n a l - b r i t i s c h e n M y t h o l o g i e n " g e w o r d e n sei. Doch auch h i e r f ü r grenzt er seine K r i t i k e i n : „Wenn die Engländer selber damit zufrieden sind, darf der ausländische Betrachter nicht päpstlicher sein als der Papst" 09 . A u c h Κ . A. Friedmann, der i n seinen F a l l s t u d i e n „ K o n t r o l l e der V e r w a l t u n g " diesem P r o b l e m k r i t i s c h e r als Loewenstein gegenübersteht, b e m e r k t i n n e r h a l b w e n i g e r Seiten: „Der britische Bürger hat keinen solchen einheitlichen und systematischen Rechtsschutz. Trotzdem scheint er sich einer ebenso großen, wenn nicht größeren Freiheit zu erfreuen" 100 . 94 Bd 1, S. 79; vgl. ferner seine Minimalisierung der Bedeutung des Hauptmißverständnisses Diceys, des »droit administratif 1, S. 79, Fn. 2. 95 A.a.O. 98 Vgl. Κ. A. Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 190 f. 97 Parliamentary Commissioner Act, 1967, 15 & 16 Eliz. 2, c. 13, Anhang 3, ausgeschlossen sind insbesondere der nationale Gesundheitsdienst und die Krankenhausverwaltung, die Strafverfolgung, vertragliche und wirtschaftliche (fiskalische) Transaktionen der Verwaltung, alle Beamtenangelegenheiten, sowohl der Militär- als auch der Zivilverwaltung. Die weiteren in Anhang 3 befindlichen Aussdilußklauseln, z. B. betreffend die Kommunalverwaltung, sind unter diesem Aspekt weniger wichtig, da dort der ordentliche Rechtsweg gegeben ist. Vgl. ferner Hamson, S. 52: „. . . the entity which today wields the most vast power — the Minister and his Department — is in England subject to a merely formal legal control and is beyond all effective judicial supervision; ferner Κ. Α. Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 209 f. 98 Bd 1, S. 80. 99 A.a.O. 100 Kontrolle der Verwaltung, S. 181.

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Wenig später heißt es dann jedoch: „Etwa seit dem 1. Weltkrieg befindet sich Großbritannien in einer bis heute noch nicht ganz gelösten Verfassungskrise um das Problem der Machtkontrolle" 101.

Diese Verfassungskrise betrifft eben jene zuvor gelobte Freiheitssphäre, zum Beispiel das gerichtlich zu schützende Recht auf angemessene Entschädigung bei Enteignungen. Sontheimer 102 und Ritter 108 vertreten gar die Ansicht, daß die „Rule of Law" dem deutschen Rechtsstaatsprinzip entspricht und daß sie besage: „. . . daß alles Handeln der öffentlichen Gewalt auf einer gesetzlichen Ermächtigung oder auf dem Common Law beruhen muß". Dies stimmt im ersten Fall für das deutsche Recht. Für das englische Recht läßt sich diese Behauptung jedoch leicht widerlegen, wie oben 1 0 4 gezeigt wurde. Fetscher 105 beruft sich auf Hatscheks Staatsrecht aus dem Jahre 1914, wo dieser von den englischen Gerichten behauptete, daß sie „über alle Streitigkeiten entscheiden können, mögen diese ihre Wurzeln im öffentlichen oder privaten Recht haben" 1 0 6 , und vervollständigt dies — selbst 1914 falsche — Bild, indem er sagt: „Es gibt keine Verwaltungsbehörde, die einem Gericht die Kompetenz streitig machen könnte. Es gibt keine Verwaltungsakte, die rechtlich als einem Gerichtsurteil ebenbürtig angesehen werden können . . . Die staatliche Bürokratie, die sich in England ja erst relativ spät entwickeln konnte, besitzt gegenüber den Gerichten keine originäre, eigenständige Macht, sondern kann solche nur indirekt auf dem Wege über Kabinett und Unterhaus ausüben".

Als Beispiel sei nur die verwaltungsinterne, gerichtlich unüberprüfbare Entscheidung von Anhörverfahren genannt. Im übrigen verkennt diese A r t der Darstellung die Probleme der delegierten Kommunalverwaltung und der „Public Corporations", der nach dem 1. und 2. Weltkrieg entstandenen halbstaatlichen Anstalten. Dies kann man Hatschek nicht vorwerfen, doch Fetscher hätte sich davon leicht überzeugen können. Abschließend stimmt Fetscher i n das Lob Loewensteins ein, daß die „Rechtspflege den Anforderungen einer gesitteten Gesellschaft so nahe (kommt), wie es menschenmöglich i s t " 1 0 7 . Lediglich Rass würdigt das eigentliche Problem, wenn er über die „Rule of Law" sagt: „Diese aus dem Geist des Liberalismus geborene Interpretation, die sich so sehr auf die Rechte des Einzelnen stützt, ist durch die Ausdehnung der Regie101 102 103 104 105 106 107

Op. cit., S. 199. Sontheimer, S. 22 f. Ritter, Quellenbuch, S. 19. Vgl. dies Kap., I I 2, S. 232. S. 189 ff. Hatschek, Staatsrecht des Vereinigten Königreichs, S. 258. Fetscher, S. 190, zit. Loewenstein, Bd 2, S. 67 ff.

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rungskompetenzen fragwürdig geworden. Für den einzelnen Staatsbürger, der mit Entscheidungen der Behörden nicht zufrieden ist, ist sie schlechthin unzureichend"^108.

Aus alledem ergibt sich, daß die Doktrin der „Rule of Law" heute wenig praktischen Nutzen hat. Sie bildet aber den Ausgangspunkt für einen Grundrechtskatalog, der sich in jüngster Zeit hiervon selbständig gemacht hat. Als Theorie des Rechtsstaates war die ,Herrschaft des Rechts' schon zu Diceys Zeit hauptsächlich ein politisches Programm der Whigs und mißinterpretierte zum Teil die tatsächlichen Verhältnisse, wie nachgewiesen wurde. M i t großer Beharrlichkeit haben mehrere Juristengenerationen die Lehre gleichwohl weitervertreten. Jackson hat die ganze Problematik sehr zutreffend zusammengefaßt: „The ,rule of law' ought now to be regarded as a high-sounding phrase, to be put alongside such principles as . . . human rights and all the other slogans of Mankind on the march" 109 .

Dem ist noch die Schlußbemerkung Loewensteins 110

hinzuzufügen:

(Engländer sagen) „. . . in -einem Land . . . wo der Volksgeist die Freiheit verkörpert, bedürfe man keiner formulierten Rechteerklärung oder eines formellen Bekenntnisses zur Rechtsstaatlichkeit. Der ausländische Betrachter muß dazu bemerken: Glückliches Albion, Amen."

Allein, die Feststellung, daß von der ,rule of law 1 nur wenig übriggeblieben ist, verdeckt die Folgerungen, die aus dem Weiterleben der Doktrin zu ziehen sind: Die ,Herrschaft des Rechts1 hat die Juristengenerationen sehr lange in dem Glauben gewiegt, der Rechtsschutz des Bürgers gegenüber der Verwaltung sei i n England hinreichend gewährleistet. Das wiederum hat keinen allgemeinen Reformeifer in diesem Rechtsgebiet aufkommen lassen, so daß alle begründeten Argumente der relativ kleinen Schar von Verwaltungsrechtsspezialisten jahrzehntelang ungehört verhallten. Aus den genannten Gründen ist Diceys ,Herrschaft des Rechts1 deshalb neben den historischen Ursachen als ein entscheidender Faktor für die verzögerte Entwicklung eines Systems des Rechtsschutzes im öffentlichen Recht anzusehen. Kapitel 16 III.

Die Doktrinen der Suprematie des Parlamentes und der Ministerverantwortlichkeit

Neben Diceys „Rule of Law" haben aber auch weitere Verfassungslehren die Entwicklung eines umfassenden Schutzsystems des Verwal108

Rass, S. 124. Machinery of Justice, 3. Aufl., S. 341: „Die ,rule of law' sollte jetzt als eine wohlklingende Phrase angesehen werden, die man neben Prinzipien wie . . . Menschenrechte und all die anderen Slogans der Menschheit auf dem Marsch stellt"; übers, d. Verf. 110 Bd 1, S. 83. 100

Parlamentssuprematie

und Ministerverantwortlichkeit

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tungsrechtes behindert. Die einzelnen Verfassungslehren bilden für sich alleine lediglich Facetten der ungeschriebenen Verfassung, die eine verfassungsrechtliche und -politische Bedeutung erst durch ihr Zusammenwirken gewinnen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann eine nähere verfassungsrechtliche Analyse der Zusammenhänge dieser Lehren allenfalls angedeutet werden. Es soll daher auch lediglich versucht werden, schwerpunktmäßig weitere Lehren auf ihren Einfluß für die Entwicklung des Verwaltungsrechts in England näher zu untersuchen. In Betracht kommen außer der „Rule of Law" ferner die Doktrinen der Suprematie des Parlamentes und der Ministerverantwortlichkeit sowie die Lehre von den Kronprivilegien. Letztere kann hier außer Betracht bleiben, weil ihre Bedeutung in den letzten Jahren durch richterliche Interpretationen immer mehr eingeengt wurde. Wichtig ist vor allem, daß diese Lehre statt vom Blickwinkel der Krone nunmehr vom öffentlichen Interesse her gesehen wird 1 . Sie war bislang die Hauptangriffsfläche aller Kritiker der englischen Verfassungs- und Verwaltungspraxis. Im Mittelpunkt der britischen Lehre steht die Doktrin der Vorherrschaft, Allmacht oder Souveränität des Parlamentes, die besagt, daß im Verhältnis zum einzelnen Bürger wie auch zu den Gerichten das gesetzte Recht absolute Geltung beanspruchen kann 2 . Dieses Recht bindet jedoch nur das gegenwärtige Parlament, ein künftiges kann jederzeit hiervon derogieren 3 . Die Gesetze, die rechtmäßig Zustandekommen sind, unterscheiden sich nicht voneinander: Eine Unterscheidung nach Grundrechten und einfachen Gesetzen gibt es nicht. Jedes Gesetz kann mit einfacher Mehrheit aufgehoben werden. Hieraus folgt bereits, daß ein Verfassungsgericht entsprechend dieser Doktrin überflüssig wäre 4 . Sehr deutlich hat Dice y diese Doktrin beschrieben, die auch heute noch der Verfassungspraxis entspricht 5 . Er widerlegte zunächst verschiedene Theorien, die eine Beschränkung der Allmacht des Parlamentes beinhalten: Dem von Blackstone vorgetragenen naturrechtlichen Argument, daß 1 Vgl. hierzu ausführlich Gaming Board for Great Britain ν Rogers (Η. L.) 1972, 2 ALL ER 1057 (1060); ferner Conway ν Rimmer, 1968 1 ALL ER 874; einen Uberblick über diese Doktrin bietet Loewenstein, Bd 1, S. 499ff; s.a. supra, Teil 1, Kap. 4, I V 2, S. 64. 2 S. Loewenstein, Bd 1, S. 63 ff; Ritter, S. 14; Wade, 1. Aufl., S. 8 ff; Jennings, Law and the Constitution, S. 170: „Parliament can legislate for all persons and all places. If it enacts that smoking in the streets of Paris is an offence, then it is an offence"; s.a. Marshall, Constitutional Theory, S. 35ff; Chloros, RabelZ Bd 36, 1972, S. 601 ff. 3 Punnett, S. 168 ff; Loewenstein, Bd 1, S. 69. 4 Chloros, a.a.O., S. 603; s.a. Liversidge ν Anderson, 1942, AC 206 (261): „The safeguard of British liberty is in the good sense of the people and in the system of representative and responsible government which has been evolved". 5 Law of the Constitution, Kap. 1, S. 39 ff.

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moralische Prinzipien als überpositives Recht die Grenze der Parlamentssouveränität markierten 6 , entgegnete Dicey, daß zwar die Richter bei der Auslegung von Gesetzen moralische Regeln in ihre Entscheidungen mit einfließen lassen würden, doch sei es eine Tatsache, daß „unsere Gerichte ganz einheitlich nach dem Prinzip vorgehen, daß ein angeblich schlechtes Gesetz als Gesetz dennoch die Befolgung durch die Gerichte beanspruchen kann" 7 . Teilweise ist versucht worden, die Souveränität des Parlamentes dadurch zu widerlegen, daß bestimmte Prärogativrechte durch das Parlament nicht angetastet werden könnten 8 . Zu Recht stellte Dicey fest, daß zwar theoretisch diese Prärogativrechte von der Krone gehandhabt würden, praktisch die meisten jedoch von der Exekutive ausgeübt würden und nichts hindere ein Parlament daran, bei Bedarf Prärogativen zu streichen 9. Ein weiterer Versuch der Begrenzung dieser Doktrin ließe sich aus der Formulierung von einzelnen Gesetzen konstruieren, die —scheinbar — implizierten, daß künftige Parlamente ein bestimmtes Gesetz nicht abschaffen könnten 1 0 . Als Beweis ließen sich etwa die „Acts of Union" mit Schottland und Irland anführen, die langdauernde Wirkung haben sollten und jedenfalls gewichtiger als einfache Gesetze seien. Dicey lehnte diese Ansicht strikt ab und gab gute Beispiele dafür 11 . Die Protagonisten dieser Idee haben auch versucht, den EWG-Beitritt Großbritanniens oder vorher die europäische Menschenrechtskonvention oder den Beitritt zur N A T O als höherrangiges, auch künftige Parlamente bindendes Recht zu klassifizieren, die dann auch als Schranke der Allmacht künftiger Parlamente wirken würden 1 2 . Nichts hindert das Parlament oder künftige Parlamente verfassungsrechtlich jedoch daran, sich aus diesen Verpflichtungen wieder zu lösen 13 . In der Praxis mag dies 6 Commentaries, Bd 1, S. 41: „ . . . the law of nature being coeval with mankind, and dictated by God himself, is of course superior in obligation to any other. It is binding over all the globe, in all countries, and at all times: no human laws are of any validity if contrary to this?. . ." 7 S. 60 f u. 62 f. 8 So etwa Stubbs, Constitutional History of England, Bd 2 (1875), S. 239, 486, 513 ff. zit in Dicey, S. 63. 9 Dicey, S. 64. 10 Dicey, S. 64 f. 11 Dicey, a.a.O. 12 Zuletzt Denning, M. R., in Blackburn ν A. G., 1971, 1 WLR 1037 (1040): „Freedom once given cannot be taken away. Legal theory must give way to practical politics". Dicey, S. 70, zeigte deutlich, daß diese Ansicht schon seit Oliver Cromwelils „Instrument of Government" von 1653 diskutiert wurde, doch nie geltendes Recht darstellte. 13 Chloros, RabelZ Bd 36, 1972, S. 601 (604); daß diese Situation einer absolutistischen Machtusurpation Tür und Tor öffnet und deshalb verfassungsrechtliche Schranken wie sie in den USA oder der BRD bestehen, auch in England wünschenswert wären, hat Marshall, Constitutional Theory, S. 42 ff, überzeugend

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als verfassungspolitisches Faktum unwahrscheinlich sein 14 . M i t Dice γ kann man die Auffassung durchaus auch heute noch vertreten, daß die Rechtsetzungsgewalt des Parlamentes nach wie vor unbeschränkt ist: „If a legislature decided that all blue-eyed babies should be murdered, the preservation of blue-eyed babies would be illegal; but legislators must go mad before they could pass such a law, and subjects be idiotic before they could submit to it" 1 5 .

Diese politisch-soziologischen Fakten limitieren die Allmacht des Parlamentes in der Praxis erheblich. A n diesem Punkte stellt sich die Frage, wo in einem Staatswesen die Staatsgewalt letzlich angesiedelt werden soll. Die Vereinigten Staaten und viele kontinentaleuropäische Staaten haben für eine Gewaltenteilung optiert, die sich in der Praxis auch vielfach gewandelt und an Trennungsschärfe verloren hat; lediglich im Verhältnis der Judikative zu den anderen „Gewalten" bleibt sie bestehen. England hat stattdessen spätestens seit 1688 lediglich das Parlament selbst zum Wächter der Verfassung bestimmt. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig und beruhen nicht zuletzt auch auf dem Gedanken, daß es vorteilhaft ist, wenn alle Staatsgewalt, die vom Volke ausgeht, letztlich in einem demokratisch legitimierten und nach dem Repräsentationsprinzip operierenden Gremium wie dem Parlamente konzentriert wird, zumal es hierbei nur um den Geltungsgrund der Verfassung geht, die „Grundnorm" im Sinne Kelsens. Unterhalb dieser Grundnorm besteht auch in Großbritannien eine Funktionsverteilung zwischen Unterhaus, Oberhaus, Regierung, Verwaltung und Judikative. Außerdem w i r d aufgrund einer speziell britischen jahrhundertealten Tradition der Rolle des Parlamentes als „Grand Inquest of the Nation", als höchster Gerichtshof der Nation, selbst heute noch großes Gewicht beigemessen. Dahinter steht ferner die Erkenntnis, daß selbst geschriebene Klauseln über ein „verfassungsfestes Minimum" in anderen Staaten in der Vergangenheit nur einen relativen Schutz boten. Gegenüber einer Machtusurpation durch Diktatoren in Kridargelegt und zugleich eine ausführliche Darstellung der verschiedenen Richtungen dieser Lehre geboten; in diesem Sinne auch Jennings, Law and the Constitution, Kap. 4; Heuston, Essays, Kap. 1; Wade, Einleitung zu Dicey, S. xxxivff; per contra und damit insoweit strikte Anhänger Diceys jedoch H. W. R. Wade, Cambridge L. J., 1955, S. 172 ff und de Smith, Const, and Admin. Law, S. 91 f; s. a. Dailey, S. 7. 14 Vgl. etwa de Smith, Const, and Admin. Law, S. 92 ff. 15 Dicey, S. 81, zit. Leslie Stephen, Science of Ethics, 1882, S. 143: „Wenn ein Gesetzgeber beschließen würde, daß alle blauäugigen Babies ermordet werden sollten, so wäre das Lebenlassen von blauäugigen Babies rechtswidrig; doch Gesetzgeber müssen erst verrückt werden, ehe sie ein solches Gesetz erlassen würden und Bürger der Idiotie verfallen, ehe sie sich ihm unterwürfen"; Ubers, d. Verf., ähnlich Port, S. 336, zit. de Lohne; ferner Jennings, Law and the Constitution, 4. Aufl., S. 144 f.

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senzeiten bieten auch sie keinen größeren Schutz als die britische Verfassung. Viele britische Autoren haben jedoch den Gegenschluß gezogen und gemeint, die britische, ungeschriebene Verfassung biete größeren Schutz vor W i l l k ü r und Totalitarismus als geschriebene Verfassungen. Der Hinweis auf die Vergangenheit, in der Großbritannien selbst in Krisenzeiten von radikalen Umstürzen verschont blieb, könnte sich wegen stark veränderter wirtschaftlicher und politischer Faktoren in der Zukunft jedoch als trügerischer Beweis darstellen: Zu einer Zeit, als zum Beispiel Deutschland dem dritten Reich verfiel, war trotz der Wirtschaftskrisen und Massenarbeitslosigkeit der dreißiger Jahre England nach wie vor Weltmacht, die von einer weltweit verzweigten ungebrochenen eigenen Finanzkraft getragen wurde. Seit dem zweiten Weltkrieg hat sich zumindest aus wirtschaftspolitischer Sicht vieles hieran geändert. Kann also zumindest in der Theorie die Doktrin der Souveränität des Parlamentes nicht schlüssig widerlegt werden, so fragt sich dennoch, ob das Vertrauen des Bürgers gegenüber den Verfassungsinstitutionen unterhalb ihrer „Grundnorm", der „Queen in Parliament" in vollem Maße gerechtfertigt ist, vergleichbar dem Rechtsschutz, wie er in kontinentaleuropäischen Staaten wie Frankreich oder der BRD gewährt wird. Tatsache ist, daß sich gegenüber der formidablen Institution des britischen Parlamentes andere Verfassungsinstrumente zum Schutze des Bürgers nicht in gleichem Maße entwickeln konnten. Die britische Verfassungslehre hat stets die überragende Bedeutung des Parlamentes betont und fast einhellig gemeint, daß im Konzert mit Diceys „Rule of Law" und vor allem mit der im folgenden darzustellenden Ministerverantwortlichkeit ein umfassender Rechtsschutz vor Verwaltungsfehlverhalten gewährleistet ist 1 6 . Uneingeschränkt kann dieser Auffassung zugestimmt werden, soweit wichtige Fragen der Nation, große politische Anliegen zur Debatte stehen. Problematisch erweist sich auch diese Doktrin im Bereiche der „kleinen Fische", der Vielzahl relativ unbedeutender einfacher Verwaltungsentscheidungen. W i e bereits i n Kapitel 10 dargelegt wurde 1 6 a , würde das Parlament außer als „ultima ratio" für Verwaltungsentscheidungen wegen der Masse der Fälle schlicht überfordert. Tribunals und Anhörverfahren bieten hier einen Ausweg, doch bleibt dennoch ein erheblicher Bereich, in dem überhaupt kein oder nur ein 16 Von der Johnson in seiner Buchbesprechung von Ritter, Parlament und Regierung in Großbritannien, Public Law, 1972, S. 325 f sagte: „It is surprising that a German writer does not devote more space to reflecting on the peculiar fact that arguments about British Constitutional rules have in the past half-century or so tended to evaporate, yielding at best some vague generalisations about political practices". 1β * Supra, Kap. 10, I V 1, S. 154.

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unvollkommener Schutz gewährt wird. Schon aus diesem Grunde setzte man den Tribunalrat i e b und später den Parlamentsbeauftragten 160 ein. Selbst ohne die Grundnorm der Verfassung anzutasten, wäre es möglich, Verfassungsinstrumente zu schaffen, die ähnlich der Exekutive Handlungsermächtigungen vom Parlamente zugewiesen bekämen. Daß dies sich auch mit der Verfassung vertragen würde, beweisen die in Kapitel 9 geschilderten Spezialgerichte, die für Bereiche geschaffen wurden, in denen teilweise hochpolitische Fragen behandelt wurden 1 6 0 . Das Prinzip der Ministerverantwortlichkeit wird von der Verfassungslehre stets als ein weiteres wesentliches Bollwerk gegen Verwaltungswillkür dargestellt. Es ist als Schlagwort in aller Munde, bei näherer Betrachtung jedoch heftig umstritten 17 .Das beginnt bereits bei der Definition dieser Doktrin. Einigkeit besteht darüber, daß hiermit eine Kontrolle des Verwaltungsapparates durch das Parlament bewirkt werden soll. Dies sei wegen der ständig zunehmenden Aufgaben der Leistungsverwaltung und der Daseinsvorsorge dringend erforderlich. Im Zusammenhang mit der Doktrin der Souveränität des Parlamentes bedeutet dies, daß eben nur das Parlament theoretisch Willkürakte als Gesetz erlassen könnte. Keine andere staatliche Institution habe diese Befugnis und das Parlament beanspruche daher eine eingehende Kontrolle der nachgeordneten Gesetzgebung und der Verwaltung. Selbstverständlich könne nicht jede der zentralen Verwaltung in London unterstehende Kommunalbehörde oder jeder Beamte in Whitehall durch das Parlament direkt kontrolliert werden. Hierzu bediene sich das Parlament des zuständigen Ministers der Regierung, der für sämtliche Akte der Verwaltung in seinem Zuständigkeitsbereich „die Veranwortung trage". Spätestens hier endet die Klarheit dieser Doktrin. Unklar bleibt, was unter „Verantwortlichkeit" in diesem Sinne konkret zu verstehen ist. Marshall und Moodie haben verschiedene Deutungsmöglichkeiten herausgearbeitet 1 8 : So kann es bedeuten, daß es keine rechtsfreie Verwaltung gibt, oder aber, daß die „Veranwortlichkeit" aus der Konventionairegel folgt, daß die Regierung dem Parlamente untersteht. Des weiteren kann dieser Begriff beinhalten, daß die Minister für schuldhafte Handlungen mora-

ie

b Supra, Kap. 9, II, S. 143. c Supra, Kap. 10, I V 6, S. 160. ie d Supra, Kap. 9, I I I 1 u. 2, S. 148 ff u. 151 ff. 17 Vgl. Marshall, Constitutional Theory, S. 10 f; s. a. Wade & Phillips, S. 590 f; Wade, Towards Administrative Justice, S. 19 ff; ders., Administrative Law, 1. Aufl.. S. 10 ff: Punnett. S. 166 ff und 178 ff; ferner Local Government Board ν Arlidge, 1915, A C 120 (133). 18 Marshall-Moodie, Kap. 4, S. 52 f; s.a. Finer, Public Administration, Bd 34, 1956, S. 377 (378 f). ie

17 Riedel

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lisch verantwortlich sind. Er kann ferner besagen, daß der Minister die Konsequenzen von Verwaltungsfehlverhalten persönlich zu tragen habe, oder aber lediglich dem Parlamente Rede und Antwort stehen müsse: „responsible" im Sinne von „to respond", nicht „verantworten" sondern lediglich „beantworten". In der Verfassungspraxis haben sich zwei Untergruppen dieser Doktrin entwickelt. Man unterscheidet zwischen kollektiver und individueller Ministerverantwortlichkeit : Die kollektive Verantwortlichkeit besagt, daß für alle Regierungstätigkeit primär das Kabinett als Ganzes verantwortlich ist. Dies ergibt sich aus der Entstehung des Kabinettsystems in England und der starken Rolle des Premierministers, der seine Regierung bildet, zwar einzelne Regierungsämter verteilt, die Grundzüge der Politik aller Ressorts jedoch im Kabinett beschließen läßt 10 . In der Praxis bedeutet nun die kollektive Ministerverantwortlichkeit nicht viel mehr als daß die Regierung ihr Programm und ihre Vorlagen im Parlament debattieren und verteidigen muß und zurückzutreten hat, wenn sie in einer Vertrauensfrage unterliegt oder, was diesem gleichkommt, in einer wichtigen Gesetzesvorlage unterliegt 2 0 . Eine Niederlage bei der Schlußabstimmung über den Beitritt zur EWG hätte demnach die Demission der Regierung Heath zur Folge gehabt. Selbst wenn einzelne Minister andere Auffassungen vertreten, unterliegen sie in diesem Sinne der kollektiven Verantwortlichkeit 2 1 . Dies Bild der kollektiven Verantwortung als Geduldetsein der Regierung vom Parlament, solange eine Mehrheit die Regierungsmaßnahmen unterstützt, mag in früheren Zeiten eine wirksame Kontrolle gewesen sein, als Abgeordnete ihre Bindungen an Gruppen noch nicht streng nach Parteien organisierten. Die Entstehung der Parteisolidarität läßt die ganze Doktrin fragwürdig erscheinen 22 . Sie besagt insoweit nicht viel mehr als daß im Normalfalle die Regierung wegen ihrer Parlamentsmehrheit von Parteiangehörigen nichts zu befürchten hat, sondern lediglich zurücktritt, wenn wegen Ablaufes der Wahlperiode oder vorher die Bestätigung durch den Wähler erfolglos gesucht wurde. Wegen einer Programmfrage 19

Marshall-Mo ο die, S. 54 f; Punnett, S. 182 ff. Marshall-Moodie, S. 56 ff, argumentieren überzeugend, daß die künstliche Regel zumindest im Falle von Abstimmungen in Ausschüssen außer Acht gelassen werden könnte. 21 Marshall-Mo ο die, S. 55, zeigen jedoch, daß im Einzelfall auch hier keine rigide „Kollektivhaftung" gilt: So wurde Churchill 1940 von beiden Parteien gewählt, obwohl er als Marineminister für das britische Scheitern der Norwegeninvasion kollektiv verantwortlich war, wohl weil seine Warnungen nicht beachtet worden waren; s.a. Jennings, Cabinet Government, 3. Aufl., S. 27. 22 S. Finer, Public Administration, Bd 34, 1956, S. 377 (389 f); s. a. Ritter, S. 15. 20

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w i r d die Regierung nur selten zurücktreten. Die Möglichkeiten, daß eine Regierung ihre Mehrheit im Parlament verliert, sind schmal. Es müssen schon außergewöhnliche politische Fragen zur Debatte stehen, ehe eine Regierungsmehrheit verloren geht 23 . Droht eine solche Situation, kann das Kabinett eh vorbeugende Maßnahmen treffen, z.B. eine geplante Reform, die parteiinternen Widerspruch erregte, wieder streichen oder aber einen Minister für alleinverantwortlich erklären und nur ihn zum Rücktritt zwingen, wie etwa Sir Samuel Hoar e im Jahre 193524. Finer, Marshall und Moodie ist deshalb zuzustimmen, wenn sie diesen Teil der Doktrin über die Ministerverantwortlichkeit für obsolet erachten und eine „Limboexistenz" führen sehen 25 . Die individuelle Ministerverantwortlichkeit ist nach wie vor der Kern dieser Doktrin. Idealiter besagt sie, daß das Parlament einen Minister bestraft, wenn dieser oder sein Ressort „gefehlt" hat. Finer und Marshall & Moodie 29 haben jedoch nachgewiesen, daß eine nähere Analyse der tatsächlich erfolgten Rücktritte von Ministern dieses Bild nicht bestätigt. So kann die individuelle Verantwortung durch eine rechtzeitige geschickte Umverteilung der Ressorts umgangen werden, oder aber durch kollektive Solidarität des Kabinetts vor Attacken der Opposition geschützt werden 27 . Lediglich wenn es sich um Attacken der Regierungspartei handelt, rückt die Möglichkeit eines erzwungenen Rücktrittes näher. Hier vermengen sich dann häufig individuelle und kollektive Verantwortlichkeit, wie etwa in der berühmten Crichel Down-Affäre von 195428, in der Sir Thomas Dugdale als Landwirtschaftsminister angeblich, um ein Exempel zu statuieren, wegen Fehlverhaltens ihm unterstellter Beamter zurücktrat 2 9 , tatsächlich jedoch wohl eher dem Druck der eigenen konservativen Partei weichen mußte, weil er staatlichen Eingriffen in das Privateigentum nicht unbedingt abgeneigt war und die Regierung als Ganzes eher 23 Vgl. bereits dde heftige Kritik von Hewart, S. 19: „. . . once the mischief has been done, the whole force of the parliamentary majority tends to be directed, not so much to undoing it, as to preventing a defeat in a parliamentary division". 24 Finer, Public Administration, Bd 34, 1956, S. 377 ff; Marshall-Moodie, S. 61. 25 Marshall-Moodie, S. 59: „The sanction envisaged in the principle of accountability . . . is for all practical purposes simply not in operation. Its existence is a kind of limbo-existence". 26 Finer, a.a.O., u. 388 f; Marshall-Moodie, S. 61 ff; vgl. auch „Rule of Law", S. 19 ff. 27 Insoweit überlappen kollektive und individuelle Ministerverantwortlichkeit; vgl. Punnett, S. 183. 28 Vgl. Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 49—84, 150—153; MarshallMoodie, S. 61; Finer, Public Administration, Bd 34, 1956, S. 377 ff; Ritter, S. 326; Jennings, British Constitution, S. 152 f. 29 Die Unsinnigkeit dieser Verantwortung für jeden Verwaltungsakt wurde im Fulton Komitee-Report, Cmnd. 3638 (1966—68), Bd 1, Report of the Committee, §§ 277—284 dargelegt; s. a. Brown, S. 99.

17*

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die einmal gegebene Zustimmung zu dieser Ressortpolitik opferte als den Konflikt mit der Regierungspartei zu forcieren 30 . Finer hat dies treffend charakterisiert 31 : „. . . i f the Minister is yielding, his Prime Minister unbending and his party out for blood — no matter how serious or trivial the reason — the Minister will find himself without Parliamentary support".

Doch solche Fälle ereignen sich höchst selten. Lediglich wenn sich ein Minister persönlich etwas zuschulden kommen ließ, wird er unter Umständen zurücktreten müssen. Beispiele hierfür sind Hugh Dalton, der als Chancellor of the Exchequer wegen trivialer, unbeabsichtigter, vorzeitiger Bekanntgabe von Budgetvorschlägen 1947 zurücktrat, ferner John Profumo (1963) und die Lords Lamb ton und Jellicoe (1973) wegen persönlicher Verfehlungen 32 . Abgesehen von diesen letzten spektakulären Fällen ist die Doktrin der Ministerverantwortlichkeit keine in der Verfassungspraxis tatsächlich gefestigte Kontrolle der Regierung durch das Parlament und nur in Ausnahmefällen wie der Crichel Down-Affäre wird ein Minister die Verwaltungsakte seiner Beamten parlamentarisch „verantworten" müssen 33 . Sehr viel häufiger braucht er lediglich Fragen zu solchen Verwaltungshandlungen zu beantworten 34 . Die Kunst der wortreichen Nichtbeantwortung solcher parlamentarischen Fragen wurde bereits dargestellt 35 . Dennoch gehen viele davon aus, als bedeute „Ministerverantwortlichkeit" tatsächlich mehr, nämlich rigorose parlamentarische Kontrolle mit Rücktrittssanktion 38 . 30

So auch Marshall & Moodie und Finer, a.a.O. Public Administration, Bd 34, 1956, S. 377 (394),: „Wenn der Minister nachgibt, sein Premierminister unnachgiebig und seine Partei blutrünstig ist — wie wichtig oder trivial der Grund auch immer sein mag — wird der Minister sich ohne parlamentarische Unterstützung finden" ; übers, d. Verf. 32 S. a. die Liste von Finer, Public Administration, Bd 34, 1956, S. 377 (383 f): 19 Beispiele in 100 Jahren. 33 Dafür hat das Parlament oft weder hinreichende Detailkenntnisse noch Zeit, vgl. „Rule of Law", S. 20. 34 Wie etwa George Brown im Sachsenhausen-Fall, vgl. Friedmann, Kontrolle der Verwaltung, S. 230; ferner H. C. 350 (1967—68), Frage 546, S. 72 f;MarshallMoodie, S. 61; Jennings, British Constitution, S. 152 f. 35 Vgl. supra, Teil 1, Kap. 10, S. 153 ff. 36 So etwa Morrison, S. 320 ff; insbes. S. 329 ff; Whyatt-Report, § 155, S. 74; George Brown als Außenminister im Sachsenhausen-Fall konnte, wie viele seiner konservativen Landsleute, im Brustton der Überzeugung sagen: „I think we have the best Parliamentary democratic system in the world and one of the reasons for this is that our ministers are responsible to Parliament. If things are wrongly done, then they are wrongly done by Ministers and I think that it is tremendously important to hold to that principle," zit. in Stacey, S. 257; ferner Richard Crossman, H. C. Deb., Vol. 734, 18.10.1966, col. 42; kritisch hierzu Fry, Public Law, 1970, S. 336 (350ff); vorher bereits Finer, Public Administration, Bd 34, 1956, S. 377 (393 f). 31

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Hieraus ergibt sich für die Kontrolle der Verwaltung, daß trotz der Möglichkeit einer effektiven parlamentarischen Kontrolle Verwaltungsakte der Ministerien in der Praxis weitgehend unüberprüfbar bleiben 37 . Die Verwaltung zeigt ihrerseits auch keine große Neigung, ihr Verhalten offenzulegen, wohl um den Minister vor unbequemen Fragen im Parlament zu schützen und um den Nimbus fairer und gerechter Verwaltungstätigkeit unüberprüfbar aufrechterhalten zu können. Die Doktrin der Ministerverantwortlichkeit erweist sich daher als relativ stumpfes Schwert, soweit die Kontrolle ministerieller Akte betroffen ist, für die das Kabinett und die Regierungsmehrheit im Parlament eintreten und als Ausnahme, soweit es um die individuelle Verantwortung des Ministers für ihm unterstellte Beamte geht. In der Verfassungslehre mag diese Diskussion geringe Auswirkungen haben. Der Schaden, den diese Doktrin anrichtet, wird — wie bei der „Rule of Law" — jedoch erst im Verwaltungsrecht sichtbar: Unter dem Vorwande adäquater parlamentarischer Verwaltungskontrolle als Alternative zur kontinentaleuropäischen Amtshaftung wird der Bürger in einem wichtigen Bereich der Verwaltungskontrolle weitgehend schutzlos gelassen. Da mit diesen Doktrinen von Zeit zu Zeit politische Affären aufgedeckt und geahndet werden, entsteht der Eindruck, als sei alles abschließend geregelt. Doch geht es im Verwaltungsrecht nur selten um spektakuläre Affären, sondern meist so untergeordnete, aber für den betroffenen Bürger eminent wichtige Fragen wie etwa eine Fluchtlinie und einen Bauwich beim Hausbau, eine Sondergenehmigung für einen Straßenstand oder die Festsetzung einer Steuerklasse. Für alle diese Fälle ist das Parlament ein denkbar ungeeignetes Forum 88 . Im Bereich der politisch relevanten Aktivitäten der Verwaltung ist der Wert der parlamentarischen Kontrolle unbestritten, im rein ausführenden Verwaltungsbereich hingegen gering. Das beweisen nicht zuletzt die Berichte des Parlamentsbeauftragten 89 , der im Rahmen seiner sehr engen Zuständigkeitsgrenzen immerhin schon weit über 100 Fälle von Maladministration festgestellt hat.

87

Vgl. die Kritik bei Wade, 1. Aufl., S. 11. So auch „Rule of Law", S. 20, zit. Lord Silkin, einen früheren Wohnungsbauminister der Labourregierung, H. L. Deb. ν. 17.2.1954 col. 981. 89 Vgl. Fry, Public Law, 1970, S. 354. 88

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Reformbe strebung en

C. Reformbestrebungen Kapitel 17 /. Kritik

am bestehenden System nach dem 1. Weltkrieg

Die historisch-politischen Faktoren und vor allem die dargestellten Verfassungsdoktrinen hatten sich somit als überaus langlebige Bollwerke gegen jegliche Reformbestrebungen im Verwaltungsrecht erwiesen. Und an solchen Bestrebungen hat es durchaus nicht gemangelt. Bereits kurz nach dem 1. Weltkrieg, in dessen Verlauf die staatlichen Regelungskompetenzen zwangsläufig erheblich zunahmen, kritisierte Prof. Morgan die Lethargie von Verfassungsrechtlern und Politikern und geißelte den britischen Rechtsschutz gegen Akte der Exekutive als den am meisten veralteten in der ganzen Welt 1 . Insbesondere setzte er sich mit Diceys „Rule of Law" auseinander und schilderte anschaulich, daß der Rechtsschutz des Bürgers gegen Verwaltungsfehlverhalten in Frankreich, aber mehr noch in Deutschland, sehr viel umfassender, systematischer und gerechter sei und daß es in England nichts der Amtshaftung oder dem „faute de service" und „faute personelle" Entsprechendes gebe. Sein hohes Lied auf das preußische Oberverwaltungsgericht, und die Leichtigkeit, mit der Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Verwaltungs- und Zivilgerichten gelöst würden, erscheint allerdings im Nachhinein etwas zu optimistisch 2 . In seiner Schlußbemerkung stellte er fest, daß es spätestens seit Beginn dieses Jahrhunderts ein umfängliches öffentliches Recht auch in England gebe, nur fehlten die dafür erforderlichen Institutionen und Gesetze, so daß die Verwaltung in vielen Bereichen quasi nach Belieben schalten und walten könne. Er untersuchte dann eingehend viele Fälle, in denen sich auch die Richterschaft hierüber beklagt hatte 8 . Seine Schlußempfehlung verdient es, im Wortlaut wiedergegeben zu werden: 1

Morgan, in Robinson, Public Authorities and Legal Liability, 1925, S. lxxix. Morgan a.a.O., ferner S. lvii, lxi, lxxi. 3 S. Scrutton, L. J., in Marshall Shipping Co. ν Board of Trade, 49 TLR 417; Regierungsbehörden „take prompt action without nice considerations as to whether it is legal or not" und „oppose 'annoying and irritating' obstruction to the subjects 'access to the courts'," abuse their power for 'collateral objects' (per Rowlatt, J., in 41 TLR 285, Marshall Shipping Co. ν R) „and put forward claims which are grotesque" (Atkinson, L. J., in Food Comptroller ν Cork, 1923, AC 662) . . . „and of a hardihood in support of what was wrong seldom surpassed in a court of Justice", alle bei Morgan, in Robinson, S. lxxxi f. Er schließt diese Aufzählung mit der Bemerkung, daß man ein dickes Buch mit solchen Auszügen anfüllen könnte, unter der Rubrik „Distempers of the Bureaucracy". 2

Kritik

am bestehenden System nach dem Î. Weltkrieg

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„We need feel under no obligation to imitate it, but we should at least be at some pains to understand it before we congratulate ourselves on our immunity from it" 4 .

Ende der zwanziger Jahre wurden dann gleich eine ganze Reihe von Monografien zur Frage des Verwaltungsrechtes in England veröffentlicht. A m gründlichsten untersuchte Prof. Robson dieses Gebiet. In seinem Buch „Justice and Administrative Law" (1928)5 beschäftigte er sich vor allem mit der seit der ersten Labour-Regierung von 1924 rapide zugenommenen Anzahl von Tribunals, die „. . . appeared to be a part of the Socialist juggernaut which threatened, as they believed, to extinguish Liberty under a blanket of regulation and control" 6 .

Er forderte, daß als wenigstes und in Ermangelung einer umfassenden Verwaltungsgerichtsbarkeit die Entscheidungen dieser Tribunals voraussehbarer und homogener ausfallen sollten, daß sie von den Ministerien unabhängig sein und daß die Tribunalmitglieder ausschließlich Tribunalfunktionen ausüben sollten. Ferner sollten Tribunalmitglieder Beweise erheben und Zeugen vernehmen können, und bei Anhörverfahren sollte nicht der Minister, sondern der bearbeitende Inspektor den Fall entscheiden. M i t h i n forderte er, daß diese Spezialforen weitgehend den ordentlichen Gerichten angepaßt werden sollten. Größeres Aufsehen erregte 1929 das sehr polemisch geschriebene Buch von Lord Hewart of Bury: „The New Despotism", das ähnliche Anklagen wie Morgan und Robson erhob, nur dramatischer abgefaßt war 7 . Ein Großteil des Buches befaßte sich mit einer K r i t i k an Verordnungen und Erlassen. Er verkannte dabei, daß die ständig zunehmende Staatstätigkeit zwangsläufig war und per se kein nationales Desaster darstellte. Er hingegen wollte die Suprematie des Rechts — getreu der Diceyschen Lehre — retten und plädierte dafür, daß die Richter der ordentlichen Gerichte eher berufen seien, Verwaltungsentscheidungen zu überprüfen als Verwaltungsbeamte. Gleichzeitig kritisierte er jedoch die bestehende Verwaltungskontrolle: Auch er beschrieb kontinentaleuropäische Verwaltungsgerichte, die er bewunderte, und brandmarkte das britische System dann als „Verwaltungsrechtslosigkeit" 8 , dem man weder solche Attribute wie „Recht" oder „Gerechtigkeit" bescheinigen könne. Die 4 Ebda., S. lxxii: „Wir brauchen (das deutsche und französische Recht) nicht zu imitieren, aber wir sollten es zumindest verstehen, ehe wir uns selber für seine Abwesenheit bei uns gratulieren": übers, d. Verf. 5 3. Aufl., 1951. 8 Elcock, S. 3: „sozialistische Ungetüme aufgefaßt wurden, die das Licht der Freiheit unter einer Decke von Regeln und Kontrollen auzulöschen drohten". 7 Lord Hewart war bis 1940 18 Jahre lang Lord Chief Justice gewesen. 8 New Despotism, Kap. 4, S. 43 ff.

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Reformb e streb ung en

englische Regelung sei zwar billig, aber wenn dafür Gerechtigkeit geopfert würde, entschieden zu teuer 9 . Der „neue Despotismus", den es zu besiegen gelte, anästhetisiere das Parlament, umgehe die Gerichte und sichere der Exekutive unbeschränkte Macht 10 . Lord Hewarts Vorschläge lauteten, daß erstens ein Sonderausschuß des Parlamentes geschaffen werden sollte, der die ständig zunehmende nachgeordnete Gesetzgebungstätigkeit überprüfen sollte 1 1 und daß zweitens als Mindestreform ein „Crown Proceedings Act" — ein Gesetz über Verfahren mit der Krone — erlassen werden sollte. Eine Untersuchungskommission hatte bereits 1924 gefordert, daß die Krone dem Bürger vor Gericht weitgehend gleichgestellt werden sollte, daß sie ferner vor unteren ordentlichen Gerichten (County Courts) erscheinen müßte und daß die Krone auch für Unerlaubte Handlungen wie normale Bürger haften müßte. Diese Minimalforderung Lord Hewarts erfüllte sich erst 18 Jahre später. Als Reaktion auf dieses Buch, das zunächst von der Beamtenschaft totgeschwiegen werden sollte, dann aber — vielleicht deswegen — zu einem Bestseller wurde, setzte die Regierung ein Untersuchungs-Komitee unter der Leitung des Earl of Donoughmore 12 ein, das die Ermächtigungsnormen ministerieller Entscheidungen und zugleich die komplizierte Unterscheidung zwischen „judiziellen" und „quasi-judiziellen" Akten der Verwaltung 1 8 untersuchen sollte. Dieses Komitee tagte drei Jahre lang. Inzwischen erschien noch das Buch von Sir Carleton Allen: „Bureaucracy Triumphant", das die Kritik der bisher erwähnten Autoren aufgriff 1 4 und zunächst nachwies, daß die Verwaltung in England ebenso viel Macht ausübte wie auf dem Kontinent und daß auch ein „Verwaltungsrecht" trotz Diceys Negation bereits bestünde, sodaß es wünschenswert wäre, daraus die folgerichtigen Schlüsse zu ziehen, um dem Bürger den gleichen Rechtsschutz wie in Frankreich oder Deutschland zu bieten 15 . 9

Ebda., S. 76. New Despotism, S. 17, oder auch S. 77, wo er Dunnings Resolution gegen George I I I zitierte: „The power of the Crown has increased, is increasing, and ought to be diminished"; Hewart meinte, man brauchte nur die Krone durch die Exekutive zu ersetzen, dann treffe dies Zitat auch auf die heutigen Verhältnisse zu; s. a. S. 96, wo er Allen, Law in the Making, das 1927 erschien und ähnliche Kritik übte, zitierte. 11 Ebda., S. 148. 12 Committee on Ministers' Powers, Report, Cmd. 4060, 1932. 13 Vgl. supra, Teil 1, Kap. 1, I 2 a dd, S. 33. 14 Und die von Dr. Port, Administrative Law, 1929, gemachte Kritik übernahm und erweiterte, vgl. etwa Port, S. 189, 349 u. 358, der für die Errichtung eines Spezialgerichtes plädierte, das aus Richtern und Verwaltungsbeamten zusammengesetzt sein sollte und Rechtsfragen überprüfen sollte, oder als Alternative vorschlug, einem High Court-Richter Assessoren mit Spezialkenntnissen wie in Seereditsfällen beizuordnen. 15 Bureaucracy Triumphant, S. 61, zit. Lord Sankey (Lord Kanzler); ders.; s.a. Law in the Making, S. 591 ff. 10

Kritik

am bestehenden System nach dem Î. Weltkrieg

265

Nochmals wiederholte er eindringlich die Forderungen Robsons sowie die provozierenden Formulierungen Lord Hewarts und Schloß seine Untersuchung mit der Forderung, ein System des öffentlichen Rechts, nicht nur ein Appellationsgericht, zu schaffen 16. Nach alledem wurden an das Donoughmore-Komitee große Erwartungen geknüpft, die sich nur leider nicht erfüllten. Das Komitee lehnte zunächst die von Robson und anderen gemachten Vorschläge einer umfassenden Reform des Verwaltungsrechts ab, insbesondere die Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit. Diese Vorschläge seien zwar interessant, würden jedoch gegen das Prinzip der Souveränität des Parlamentes und der Vorherrschaft des Rechts verstoßen 17 . In ihrer Fixiertheit auf Diceys Lehre, einschließlich seiner offensichtlich falschen Propositionen, warfen sie die Entwicklung des englischen Verwaltungsrechtes um Jahrzehnte zurück. Zur Begründung ihrer Ablehnung der Vorschläge von Robson reichte ihnen die lapidare und unschlüssige Feststellung, daß bei Einführung von Verwaltungsgerichten die Überwachungsfunktion der ordentlichen Gerichte verloren gehen würde 1 8 . Sinnigerweise bescheinigten sie dann Kritikern vom Kontinent, daß deren Kritik durchaus berechtigt, der Bürger tatsächlich im Verhältnis zum Staat in England benachteiligt sei 19 . Als Lösung bot das Donoughmore-Komitee dann lediglich die „Crown Proceedings Bill" an, die im übrigen noch 15 Jahre bis zu ihrer Durchsetzung warten mußte. Die antiquierte und verhedderte Kasuistik zum Problem der „judiziellen" und „quasi-judiziellen" Akte der Verwaltung wurde von ihnen folglich auch nicht gelöst. Wenn man einmal die Prämisse akzeptiert, daß in England die Herrschaft des Rechts mit allen ihren Implikationen gegeben ist und eine gerichtliche Kontrolle der Exekutive nur im Rahmen der bereits entwickelten Klageformen möglich ist, um nicht mit der Doktrin der Souveränität des Parlamentes zu konfligieren, dann kann es nicht verwundern, daß dieses Problem vom Donoughmore-Komitee nicht gelöst wurde 2 0 . Als minimaler Ausweg bot sich ihnen dann die Forderung nach einer Verbesserung der bestehenden Tribunals und Anhörverfahren an. Dies, so hofften sie, könne dadurch erreicht werden, daß die Prinzipien über die natürliche Gerechtigkeit beachtet würden 2 1 ; daß niemand Richter in eigener Sache sein dürfe, niemand ohne rechtliches 16

Bureaucracy Triumphant, S. 105. Cmd. 4060, S. 110, § 19; vgl. auch am ausführlichsten hierzu Robson, Kap. 6, S. 419 ff. 18 A.a.O. 19 Ebda., S. 112, zit. H. Barthélémy „sur les pratiques administratives anglosaxonnes comparées au droit administratif français". 20 S. kritisch hierzu Robson, S. 466 ff. 21 Vgl. supra, Teil 1, Kap. 8, S. 106 ff. 17

266

Reiormbestrebungen

Gehör verurteilt werden dürfte, stets begründete Entscheidungen der Tribunalverfahren gegeben werden müßten und daß bei Anhörverfahren die Berichte der Inspektoren stets zu veröffentlichen seien 22 . Nach den großen Erwartungen, die i n dieses Komitee gesetzt worden waren, kreißte der Berg schließlich nur eine Maus. Es ist daher auch kaum verwunderlich, daß diese Empfehlungen ungehört verhallten und alles beim alten blieb 2 3 . Mittlerweile hatten Sozialisten gefordert, allen voran Prof. Harold Laski, der auch Mitglied des Donoughmore-Komitees gewesen war, daß das Tribunalsystem ausgebaut werden sollte, da den konservativen Richtern nicht zu trauen sei; sie seien traditionell gegen soziale Reformen eingestellt 24 . Lord Hewarts Klagen seien nicht gerechtfertigt, er wolle nur die Fiktion der „Rule of Law" retten, nicht Maladministration beseitigen 25 . Wenn Lord Hewart beklagte, daß die Beamten der Exekutive zu viel Macht hätten, könne man dem entgegenhalten, daß dies für die Verbesserung des Lebensstandards breiter Bevölkerungsschichten immer noch vorzuziehen sei, statt dem individualistischen Richterermessen ausgeliefert zu sein 26 . Laski unterstellte Lord Hewart jedoch zu Unrecht, daß dieser gegen das Parlament eingestellt sei 27 . In Wirklichkeit richtete sich der „New Despotism" nicht gegen das Parlament, sondern gegen dessen Betäubungsmittel, die schrankenlose Exekutive. Laskis allzugroßes Vertrauen in die Beamtenschaft war jedoch ebensowenig gerechtfertigt, wie die Berichte des Parlamentsbeauftragten über Maladministration zur Genüge beweisen 28 . Doch noch zwei Jahrzehnte vertraten Labour-Intellektuelle der Fabian Society diese Auffassung; gleichwohl schlug auch Laski vor, entweder eine Revisionsmöglichkeit an das House of Lords zu schaffen oder eine Abteilung des High Court sich ausschließlich mit Verwaltungsstreitigkeiten befassen zu lassen oder schließlich ein sepa22

Cmd. 4060, S. 75 ff, § 3. Vgl. Robson, S. 467, zit. Keeton, s.a. Griffith, 22 MLR 1959, S. 145: „But what they fought each other for, I could not well make out; but everybody said" quoth he "that 'twas a famous victory". 24 Parliamentary Government in England, S. 372; Laski illustrierte dies am Beispiel der richterlichen Verzerrung des Trade Disputes Act 1906, S. 359 ff; s. a. Griffith, 22 MLR 1959, S. 125 (144 f); per contra Blom-Cooper/Drewry, S. 255 ff, die die Ansicht vertreten, Laski habe Belege für diese Behauptung fehlen lassen, auf S. 257 f jedoch konzedieren, daß Roberts ν Hopwood (der Fall der Minimumlöhne während der Deflation) „did little to enhance the image of the judiciary as paragons of social enlightenment". 26 Laski, S. 352. 26 Ebda., S. 359: „The rule of law, in the sense in which Lord Hewart and his supporters use the term, would destroy the prospect of affording great bodies of citizens opportunities for a better life whidi Parliament, in its discretion, has seen fit to confer upon them." 27 Ebda., S. 368. 28 Vgl. supra, Teil 1, Kap. 10, S. 153 ff. 23

Refoimansätze nach 1945

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rates Appellationstribunal über allen Tribunals zu errichten. Diese letzte Möglichkeit würde er bevorzugen, meinte jedoch, daß die beiden anderen Vorschläge systemkonformer seien 29 . Während des 2. Weltkrieges erschien dann noch Sir Cecil Carrs „Concerning Administrative Law" 3 0 , das noch einmal die Forderungen des „Committee on Ministers' Powers" aus dem Jahre 1932 wiederholte 31 , doch ging dieser Ruf wegen vorrangiger Kriegsprobleme verloren. II.

Reformansätze nach Î945

A m Ende des zweiten Weltkriegs war der Stand des Verwaltungsrechts folgender: Alle Literaturmeinungen, die das Verwaltungsrecht näher und eingehend behandelt hatten, waren sich einig, daß Reformen mehr als überfällig waren. Die herrschende Ansicht der Politiker und der reinen Verfassungsrechtler teilten diese Ansicht aus den unterschiedlichsten Motiven jedoch nicht, sondern beschränkten sich auf Pauschalurteile und ungeprüfte Wiedergaben von Fiktionen der Diceyschen Lehre. Robson, Allen und viele andere Verwaltungsrechtsexperten ließen jedoch nicht locker — trotz der Niederlage von 1932 im DonoughmoreKomitee. Ihre Kritik wurde dadurch erleichtert, daß die Kriegsfolgemaßnahmen der Regierung noch einschneidendere Beschränkungen der Bürgerrechte erforderten, die Kontrolle des „Leviathans" mithin noch dringlicher wurde. Das 1947 endlich erlassene „Crown Proceedings" -Gesetz war dann ein erster Schritt auf dem Wege konkreter Reformen. Es mußten aber noch eine Reihe von ungerechten Gerichtsentscheidungen wegen mangelnder Kompetenzen ergehen und die Crichel Down-Affäre von 1954 passieren 32 , ehe sich das Parlament entschloß, eine erneute große Untersuchung einzuleiten, das Frank-Komitee von 1955, das 1957 berichtete 3 3 . Es sollte diesmal die Arbeitsweise aller Tribunals untersuchen, sowie die Prozedur der Anhörverfahren überprüfen 34 . Eine umfassende Untersuchung des gesamten öffentlichen Rechts, einschließlich der Möglichkeit radikalerer Reformen wurde somit von vornherein ausgeschlossen. Da überdies die Herrschaft des Rechts und die Souveränität des Parlamentes durch das Donoughmore-Komitee ausdrücklich nochmals bestätigt worden war, wurde jeglicher gründlichen Analyse der Weg ver29

Laski, S. 357 f. Oxford, 1941. 31 Carr, S. 122 ff. 32 Supra, Teil 1, Kap. 10. 33 Report of the Committee on Administrative Tribunals and Enquiries, 1957, Cmnd. 218. 34 Terms of Reference, S. iii, Cmnd. 218. 30

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Refoimbestiebungen

sperrt. Das Franks-Komitee wiederholte dann auch im wesentlichen die Forderungen des Donoughmore-Komitees, nur detaillierter, und schlug die Errichtung des Tribunalrates vor. M i t ungewöhnlicher Schnelle wurden die bescheidenen Forderungen des Franks Reports erfüllt, wohl auch, um in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, daß nunmehr alles zum Besten stünde. Konservative und sozialistische Abgeordnete hatten inzwischen jedoch erkannt, daß diese A r t der Problemlösung nur an der Oberfläche blieb, der Rechtsschutz des Bürgers gegen Willkürakte der Verwaltung jedoch nach wie vor minimal blieb 3 5 . Die Schrift „Rule of Law" der konservativen Juristen geißelte die parlamentarischen Kontrollen, untersuchte den Conseil d'Etat sowie das amerikanische Verwaltungsverfahrengesetz von 1946 und verglich diese Lösungen mit der unsystematischen britischen Regelung. Ihr Vorschlag lautete, daß ein Verwaltungsgericht als Berufungs- und Revisionsinstanz beim High Court of Justice errichtet werden sollte. Dieser Reformvorschlag praktizierender Gerichtsanwälte wurde durch die restriktive Untersuchungskompetenz des Franks-Komitees jedoch unterlaufen und versickerte wie alle solchen Vorschläge daher im Sande. Als die Öffentlichkeit merkte, daß das Tribunal- und Anhörverfahrensgesetz und insbesondere der neugeschaffene Tribunalrat keine großen Veränderungen gebracht hatte, die Abneigung gegen alle kontinentaleuropäischen Modelle des öffentlichen Rechts aber ungebrochen waren, griff man erleichtert — nach anfänglichem Zögern — die skandinavische Ombudsman-Idee als vermeintliche Alternative auf, die von der britischen Abteilung der internationalen Juristenkommission propagiert wurde 8 ·. Wichtiger noch als dieser Vorschlag war ihre pauschale Ablehnung des Conseil d'Etat-Modells, durch die die Chance weiterer Erörterung einer umfassenden Verwaltungsreform für viele Jahre wiederum auf Eis gelegt wurde 8 7 . Fast 10 Jahre vergingen, ehe 1967 das Gesetz über den „Parliamentary Commissioner for Administration" erging. Reformanhänger wie Mitchell" und andere waren zunächst gegen diese Institution eingestellt, da sie wußten, daß dann eine umfassendere Reform in weite Ferne rücken 85 Vgl. etwa „Rule of Law", 1956, ferner „Your Rights, Your Courts, Your Injuries" (1970) — Vorschlag eines Verwaltungsgerichtes —, S. 14 ff; und Crossman, Socialism and the New Despotism, 1956, Fabian Tract Nr. 298, S. 24: „The modern state, with its huge units of organisation is inherently totalitarian, and its natural tendency is towards despotism". Dies markiert die Kehrtwendung von Laskis und Bernard Cricks Position vor dem 2. Weltkrieg. 38 Vgl. supra, Teil 1, Kap. 10. 87 Vgl. Whyatt-Report, S. 8, § 14, unter Berufung auf Hamson, S. 94; s. a. ders., S. 213; hierzu ferner Friedmann, Law in a Changing Society, S. 435. 38 The Ombudsman Fallacy, Public Law 1962, S. 24 ff.

Die Zukunft

des englischen Vewaltungsr edits

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würde 8 9 . Das Bild einer allgemeinen Taktik der Verwaltung hatte sich herausgestellt: Auf große öffentliche Debatten hin würde ein Komitee oder eine Studienkommission berufen, die mehrere Jahre tagte, und deren geringste Vorschläge bereitwillig verwirklicht würden, um eine echte, umfassende Reform zu vermeiden. Durch die Errichtung des „Ombudsmannes" sind die Tribunals und Anhörverfahren keineswegs verbessert worden und nach wie vor besteht nur ein lückenhafter, in Einzelheiten verwirrender, anachronistischer Rechtsschutz gegen Verwaltungshandlungen im Zivilrecht. Gegenwärtig geht der Trend der Entwicklung sogar noch weiter in Richtung der Erweiterung der Ombudsman-Idee. So plant man Ombudsmänner für die Polizei, regionale Beauftragte für die Kommunalverwaltung, für das Gesundheitswesen und sogar für das Gerichtswesen 40 . Selbst Mitchell vertritt heute — folgerichtig — die Ansicht, daß Ombudsmänner als zusätzliche Institutionen selbst in Ländern mit einer Verwaltungsgerichtsbarkeit gute Dienste leisten können 41 . Diese Entwicklung hat den Vorteil, daß grundlegende, notwendige Reformen auf die lange Bank geschoben werden können und daß obendrein die Ombudsman-Idee gut zu den britischen Institutionen des „Comptroller and Auditor-General" sowie der personalisierten Verwaltungsprüfung durch Inspektoren paßt. In den sechziger Jahren hat gleichwohl die einhellige Kritik der Verwaltungsrechtslehre und auch vereinzelt der Rechtsprechung dazu geführt, daß unter der Labour-Regierung von 1964 ein neuer Anlauf für eine umfassende Rechtsreform gemacht wurde.

III.

Die Zukunft des englischen Verwaltungsrechts 1. Der Reformvorschlag der Law Commission

a) Die Rolle der Law Commission für Rechtsreformen Nachdem die Klageformen, insbesondere die Prärogativbefehle, während der sechziger Jahre immer stärker kritisiert wurden und zuletzt von allen Verwaltungsrechtlern und selbst von hohen Richtern wegen ihrer technischen Subtilitäten und Undurchschaubarkeiten mit zunehmen89 Die Kritik Hansens an Mitchells Position ist aus diesem Grunde oberflächlich, vgl. Hansen, S. 141, Fn. 709. 40 Vgl. etwa Second Report from the Select Committee on the Parliamentary Commissioner for Administration, Session 1970—71, H. C. 513, S. 77 ff (Health Commissioner) ; Foulkes, S. 263 ff ; Stacey, S. 333 ff. 41 VerwA Bd 64, 1973, S. 164 ff (171—173).

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Reformbe strebung en

d e m M i ß b e h a g e n betrachtet w u r d e n 4 2 , k o n n t e auch d i e d a m a l i g e LabourR e g i e r u n g nicht u m h i n , zumindest eine Untersuchung des ganzen K o m plexes einzuleiten. Durch Gesetz v o n 1965 w u r d e eine L a w Commission, bestehend aus e i n e m V o r s i t z e n d e n u n d v i e r anderen K o m m i s s a r e n , d i e v o m L o r d C h a n c e l l o r eingesetzt w e r d e n 4 8 , berufen, die Rechtsreformen vorschlagen sollten. I h r B e t ä t i g u n g s f e l d umfaßt das gesamte englische Recht 4 4 . I m Unterschied z u f r ü h e r e n K o m m i s s i o n e n , Enquêten u n d Untersuchungsausschüssen 4 5 e r h i e l t e n sie erstmals A u f g a b e n zugewiesen, d i e Radbruch i n seinem „ G e i s t des englischen Rechts" noch als t y p i s c h u n e n g l i s c h bezeichnen k o n n t e 4 6 u n d d i e auf d e n ersten Blick geradezu r e v o l u t i o n ä r anmuten: So s o l l e n sie das ganze englische Recht i m H i n b l i c k auf seine systematische E n t w i c k l u n g u n d Reform untersuchen u n d selbst die K o d i f i k a t i o n b e s t i m m t e r Rechtsgebiete vorschlagen k ö n n e n , w a s b i s l a n g l e d i g l i c h einm a l geschah, u n d d a n n auch eher als K o n s o l i d a t i o n bestehenden Fallrechts d e n n als echte K o d i f i k a t i o n v e r s t a n d e n w u r d e 4 7 . Sie s o l l e n ferner A n o m a l i e n i m Recht, obsolete u n d u n n ö t i g e Gesetze zur A u s m e r z u n g 42 Vgl. dazu die instruktive Liste der Personen, die der Law Commission auf ihr Arbeitspapier Nr. 13 (abgedruckt in Law Com. Nr. 20, Cmnd. 4059, S. 6 ff) antworteten, Appendix B, Law Com. Nr. 20, S. 9; und statt vieler Schwarz & Wade, S. 216 ff: „One of the best features of administrative law in Britain is the range and effectiveness of the remedies. Its worst feature, by general consent, is the thicket of technicality and inconsistency which surrounds them." 43 Law Commissions Act, 1965 c. 22, sect. 1 (1); zur parlamentarischen Debatte über die Einführung einer Law Commission, siehe 706 Pari. Deb. H. C. (5. Serie) 47—158 (1964—65) ; 706 Pari. Deb. Standing Committee A 2, 4, 9,11 ; 709 Pari. Deb., H. C. (5. Ser.) 181—279 (1964—65); 264, Pari. Deb. H. L. (5. Ser.) 1140—1223 (1964 —65); 265 Pari. Deb, H. L. (5. Ser.) 399—477, 516—589, 830—845, 847—852, 1029— 1031 (1964—65); 714 Pari. Deb., H. C. (5. Ser.) 157—185, 293 (1964—65); ferner Chorley & Dworkin, 28 MLR (1965), 675; Schmitthoff, Journal of Business Law, 1965, 219; Gardiner, 9 J. S. P. T. L., 1966,19; Graveson, 19 Révue Int. Dr. Comparé, 1967, 353; Scarman, 19 New Law Journal, 1966, 1283; ders., 19 Current Legal Problems, 1966, 1; Marshall, 20 Current Legal Problems, 1967, 64; Marsh, 21 Rév. Int. Dr. Comparé, 1969, 485; ders., 13 William and Mary Law Review, 1971, 263; Devlin, 63, Law Society Gazette, 1966, 453; Yardley, 1 Irish Jurist (NS) 1966, 66. Stacey, S. 322 f; Jackson, Machinery of Justice, S. 528 ff. 44 Für Schottland wurde gem. sect. 2 eine separate Scottish Law Commission eingerichtet, deren Mitglieder vom Minister für schottische Angelegenheiten und dem Lord Advocate ernannt werden. 45 Zum früheren Mechanismus der Rechtsreform, vgl. E. C. S. Wade, 1961, 24 MLR, 3; ferner Marsh, 13 William and Mary Law Rev., 1971, 263; Chorley & Dworkin, 28 MLR 1965, 675. 46 S. 12 ff und die er allenfalls als Excess der damaligen Labour-Regierung empfand, als blinde Herrschaft der Gesetzgebung über das Common Law selber (S. 40 f). Es wird noch darzustellen sein, daß die von Radbruch beklagte, wasserfallähnliche Herrschaft der Legislative schon lange vorher bestand — was auch Radbruch unschwer hätte erkennen können. 47 Vgl. Law of Property Act, 1925, der große Teile des vorher kasuistisch verworrenen Sachenrechts gesetzlich regelte.

Die Zukunft

des englischen Verwaltungsr

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vorschlagen, und ganz allgemein die Vereinfachung und Modernisierung des Rechts vorschlagen können 48 . Dieser Aufgabenkatalog kennzeichnet das Bestreben der Engländer, fast 100 Jahre nach der großen Rechtsreform von 1873—75 nicht nur ad hoc überfällige Reformen in aller Eile durch das Parlament zu schleusen, sondern stattdessen eine ständige und systematische Erneuerung des Rechts in Angriff zu nehmen. Bislang war Rechtsreform stets Privileg der gewählten Volksvertreter und verschiedener Interessengruppen, die mit Spezialstudien oder einfach durch das Gewicht ihrer Mitgliederzahl oder ihres gesellschaftlichen Einflusses das Parlament zum Handeln veranlassen wollten. Rechtsreformen unterlagen dem Zufall parteipolitischen Engagements. Die Richterschaft sah ihre Aufgabe vornehmlich in der Konservierung hergebrachter Grundsätze des Common Law und der vorsichtigen Anpassung an die Intention der Wohlfahrtsstaatsgesetze und der sich rapide verändernden sozialen Lage. Die Einrichtung der Law-Commission markiert eine deutliche Kehrtwendung von dieser Praxis. Damit gewinnt eine Strömung an Einfluß, die bislang nur ein Schattendasein im englischen Recht fristete: die Rolle der akademischen Lehre bei der Rechtsetzung. Bislang begnügten sich die Gerichte, akademische Meinungen, wenn überhaupt, nur am Rande zu erwähnen oder aber nur dann, wenn der Autor vor einigen Dekaden verstorben war und die Autoren sahen ihr höchstes Lehrziel verwirklicht, wenn sie in Vorworten zu ihren Büchern dokumentieren konnten, daß mehrere Passagen in gerichtlichen Urteilen zitiert worden waren. Die Fülle der Materie, die von der Law Commission nun überprüft wird, deutet darauf hin, daß den Meinungen der Lehre zwangsläufig erheblich größeres Gewicht zugestanden wird, um die rationale Durchdringung der oftmals verworrenen Kasuistik überhaupt erst zu ermöglichen. Man kann deshalb der Meinung Jacksons zustimmen, der gesagt hat, daß die letzten 6 Jahre für das englische Rechtssystem von monumentaler Bedeutung gewesen sind, weil in diesen Jahren mit der Einführung der Law Commission und der neuen Gerichtsorganisation im Courts Act, 1971 mehr erreicht worden ist, als in irgend einer anderen Epoche seit den Judicature Acts von 1873—75 49. Neben den allgemeinen Reformvorschlägen sieht das Law Commissioner-Gesetz vor, daß die Commissioners auch spezielle Untersuchungen auf Wunsch der Regierung vornehmen 50 und gegebenenfalls auch alle notwendigen Informationen über die Rechtssysteme anderer Staaten einholen soll 5 1 . Schließlich soll sie der Regierung Ratschläge und Informa48 49 50 61

Sect. 3 (1). Jackson, Machinery of Justice, 6. Aufl., S. 558 f. Sect. 3 (1) (d). Sect. 3 (1) (f).

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Refombe streb ungen

tionen vorlegen können, um spezielle Rechtsreformen vorzuschlagen. V o n Zeit zu Zeit sollen sie dem zuständigen Minister (in England dem Lord Chancellor) das von der Kommission geplante Feld ihrer Untersuchungen unterbreiten 52 . Leider wird dieses großzügig aufgezählte Betätigungsfeld erheblich beschränkt durch ein relativ verklausuliertes Vetorecht der Regierung. Dieses Vetorecht beinhaltet, daß die Law Commission zunächst die Regierung informiert, auf welchem Gebiet sie Reformvorschläge unterbreiten möchte 53 . Erst wenn der Lord Chancellor (oder für die schottische Law Commission der Minister für schottische Angelegenheiten 54 ) zugestimmt hat, kann die Kommission ihre eigentliche Untersuchung aufnehmen. Selbst das Recht der Kommission, beliebige Äußerungen in ihren Jahresbericht an das Parlament aufzunehmen, die ihrer Meinung nach öffentlich diskutiert werden sollten und die nicht dem Vetorecht unterliegen, erscheint i n diesem Zusammenhang nur als schwacher Trost 55 . In Anbetracht der Tatsache, daß die Kommissare ein Gehalt erhalten, wird dieses Kontrollrecht der Regierung akzeptiert, obwohl dadurch dringend notwendige Reformen auf Gebieten, die der Regierung aus politischen Gründen unbequem erscheinen, effektiv verhindert werden können. Damit wird unter dem publikumswirksamen Mantel der Reformfreudigkeit letztlich doch fast alles beim alten gelassen: Unter weitester Auslegung ihrer Befugnisse haben die Kommissare auch bald versucht, im Schwünge des Anfangs eine umfassende Reform des gesamten Verwaltungsrechts einzuleiten und zu diesem Zweck die Einrichtung einer „Royal Commission on Administrative Law" vorgeschlagen5®. W i e zu erwarten, lehnte der Lordkanzler diesen Vorschlag ab, mit der Begründung, die Zeit sei dafür noch nicht reif. Stattdessen sollten die Law Commissioners lediglich die bestehenden Klageformen untersuchen, um ein einfacheres und wirksameres Verfahren zu erreichen 57 . Sie durften dabei nicht einmal wünschenswerte Ausdehnungen der richterlichen Überprüfung von Verwaltungshandeln im Rahmen der bestehenden Klageformen empfehlen 58 . So konnte ihr 120-seitiges Arbeitspapier Nr. 40 auch kaum mehr als eine prozedurale Vereinfachung vorschlagen 59 . Obwohl die Law Commissioners mehrmals darauf hinwie62

Sect. 3 (1) (b). Sect. 3 (1) (b). 54 Sect. 4 (3) i. V. m. Sect. 2 (1). 65 Die Einschätzung von Marsh erscheint etwas optimistisch, 13 William and Mary Law Review, 1971, 263. 56 Law Commission, Law Com. Nr. 20, Administrative Law, Cmnd. 4059, insbes. § 10, S. 4. Vgl. hierzu auch Stacey, S. 323. 57 Law Commission, Working Paper Nr. 40, S. 1, Einleitung. 58 Vgl. Frage B, Law Com. Nr. 20, Cmnd. 4059, S. 2, § 3, sowie S. 2 f. Working Paper Nr. 40. 59 Remedies in Administrative Law, published Working Paper Nr. 40, 11. Oktober 1971 ; kritisch hierzu insbesondere Mitchell, Verw. Archiv., Bd. 64, 1973, S. 162 (180). 53

Die Zukunft

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sen, daß nur eine gründlichere Reform des Verwaltungsprozesses alle Mängel des bestehenden Schutzsystems beseitigen würde, schlugen sie im Rahmen ihrer Kompetenz vorläufig vor, sämtliche Prärogatiwerfahren und die „action for a declaration" (Feststellungsklage) sowie die „Injunction" (einstweilige Anordnung) abzuschaffen und statt dessen eine einzige, generalklauselartige Klageart zu schaffen, die alle prozeduralen Nachteile der jeweiligen alten Klageformen abschaffen und die bestehenden Vorteile zusammenfassen würde. Weitergehende Vorschläge, eine große Verwaltungsrechtsreform vorzunehmen, wie sie etwa im Arbeitspapier Nr. 13 unterbreitet worden waren, und dabei insbesondere zu erörtern, ob ein separates System von Verwaltungsgerichten einzuführen wäre und das materielle Verwaltungsrecht auszubauen sei, scheiterten am Veto des Lord Chancellors 60 , obwohl sämtliche Stellungnahmen seitens der Rechtswissenschaft dies befürworteten. b) Die „Application for Review" Die neuzuschaffende Auffang-Klageform wollen die Kommissare „Uberprüfungsantrag" („application for review") nennen. Sie folgen hier kanadischem Vorbild 6 1 . Der amerikanische Begriff „petition for review" wurde abgelehnt, weil mit der Petition ein nichtgewollter Bittgang zum Gericht impliziert werden könnte. Die neue umfassende Klageart sollte sich nicht nur — wie die alten Klageformen — gegen Verwaltungshandeln richten, sondern zugleich („collaterally") auch vertragliche Regreßansprüche und Ansprüche aus unerlaubten Handlungen („torts") 6 2 gegenüber der Verwaltung zulassen. Bislang schlossen die Prärogatiwerfahren zumindest Schadensersatzklagen aus 68 . Die neue Klageart hätte im Wesentlichen 4 verschiedene Funktionen zu erfüllen: Sie könnte benutzt werden, um 1. Verwaltungsentscheidungen aufzuheben („to quash"), 2. Anordnungen zu treffen, die die Unterlassung rechtswidriger Handlungen der Verwaltung fordern („to enjoin"), 3. die Verwaltung zu einem bestimmten Verhalten zu verpflichten („to command") und schließlich 4. um Feststellungen zu treffen, („to declare") daß ein bestimmtes Verwaltungshandeln rechtswidrig und damit nichtig ist, oder daß der Kläger bestimmte Rechte oder Privilegien 60 Vgl. Law Commission, Working Paper Nr. 20, mit Appendix A, zu Law Commission published Working Paper Nr. 13, und Einleitung Working Paper Nr. 20: „The Lord Chancellor decided that the time was not ripe for such a full-scale inquiry." 61 Ontario Royal Commission: Inquiry into Civil Rights, Report Nr. 1, Bd. 1, S. 326—329; ähnlich Neuseeland, 4. Report, Public and Administrative Law Reform Committee, 1971; s.a. Working Paper Nr. 40, S. 58, Fn. 158. 62 Entsprechend §§ 823 ff BGB. 63 Vgl, §§ 76—82, Working Paper Nr. 40, S. 59—63.

18 Riedel

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Reformbe strebung en

beanspruchen kann 6 4 . Damit wäre der Katalog der deutschen Klagearten im Verwaltungsrecht erreicht. Die „application for review" mit allen ihren Spielarten könnte sich auch gegen die Krone richten und würde deren historisch bedingte Sonderstellung abschaffen 65. Für alle Unterfälle der „application for review" würden auch die gleichen Fristen und Prozeßvoraussetzungen gelten. Allerdings bliebe das „Habeas Corpus "»Verfahren, als besonderes Verfahren zum Schutze der persönlichen Freiheit, bestehen. Außerdem blieben die vorhandenen gesetzlichen Streitschlichtungsverfahren von dieser Reform unberührt. Deren Eingliederung hätte den Rahmen der Arbeit der Kommission gesprengt 66 . c)

Alternativlösung

Eine Alternativlösung zu diesem engeren Problemkreis sieht vor 6 7 , daß lediglich die Prärogativverfahren überholt zu werden bräuchten, deren historisch bedingte prozedurale Komplikationen ausgemerzt werden könnten. Diese Lösung schließt nahtlos an die Vorschläge des Committee on Ministers' Powers aus dem Jahre 1932 an 68 . Das hieße, daß Mandamus, Certiorari, Prohibition, Declaration und Injunction weiter nebeneinander bestünden. Allerdings wäre das einleitende Verfahren bei allen Klageformen — die dann auch Klagearten wären — gleich zu gestalten, sodaß ohne weiteres auch von einer Klageart in die andere übergewechselt werden könnte. Die Mehrheit der Law Commission ist der Meinung, daß selbst bei dieser Alternative das Problem der bestehenden Unterschiede in den Prozeßvoraussetzungen und den Antragsfristen einheitlich gelöst werden müßte. Andererseits blieben die klangvollen traditionellen Namen erhalten. d) K r i t i k Wenngleich in der Fachliteratur grundsätzlich Einigkeit darüber besteht, daß das englische Verwaltungsrecht der umfassenden Neuregelung bedarf, so ist das Ergebnis der vorläufigen Arbeit der Law Commission in der Verwaltungsrechtsreform letztlich doch enttäuschend. Die 5 Law Commissioners, assistiert von einem aus Richtern, Anwälten, hohen Regierungsberatern in Rechtsfragen und Akademikern zusammengesetzten Beirat („Consultative Panel") 69 haben sich darauf eingelassen, einen geringeren — wenngleich allgemein als besonders verworren und kompliziert empfundenen — Bereich des Verwaltungsverfahrensrechts zu untersuchen und zu reformieren. Die Folge davon ist bereits abzusehen: 64 §§ 89—90, Working Paper Nr. 40, S. 68 ff. 85 §§ 91 f, Working Paper Nr. 40, S. 70 f. ββ §§ 118—120, Working Paper Nr. 40, S. 88 ff. 67 §§ 139—144, Working Paper Nr. 40, S. 105 ff. 68 Vgl. Committee on Ministers' Powers, 1932, Cmd. 4060, S. 117 f. 69 Mitgliederliste, Vgl. Working Paper Nr. 40, S. 120.

Die Zukunft

des englischen Verwaltungsrechts

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Vergleicht man die gegenwärtige Situation etwa mit dem berühmten Bericht des Donoughmore-Committee im Jahre 1932 über Fragen der Ermächtigungsgrundlagen ministerieller Entscheidungen 70 und speziell die Vorschläge zur Eingrenzung der Doktrin der Kronprivilegien („Crown Privilege") in Verwaltungsstreitverfahren, die erst 1948 stark eingeschränkt gesetzlich niedergelegt wurden, und vergegenwärtigt man sich ferner, daß Mitte der fünfziger Jahre schon einmal eine umfassende Verwaltungsreform gefordert worden war, nachdem einige Musterskandale die Öffentlichkeit erregt hatten 71 , die dann zur Einsetzung eines mit vielen Hoffnungen besetzten Komitees führten, des Franks-Committees über Verwaltungstribunale und -anhörverfahren 72 , das dann aber nur Änderungen im Tribunalverfahren und allgemeine Grundsätze wie „openness, fairness and impartiality" bei Anhörverfahren postulierte, mit dem Erfolg, daß für über 10 Jahre die Diskussion über eine allgemeine Verwaltungsrechtsreform erstarb, so ist leicht abzusehen, wie die Entwicklung der Reformbestrebungen verlaufen wird: Wahrscheinlich wird die Regierung im Laufe des Jahres 1973 zu den Vorschlägen der Law Commission Stellung nehmen. Da es sich bei diesen Fragen fast ausschließlich um wert -„neutrale", die Verwaltungsmacht nicht wesentlich beschränkende Maßnahmen handelt, die überdies den Vorteil haben, bei künftigen Streitigkeiten das Ergebnis judizieller Überprüfung auch für die Verwaltung durchsichtiger zu machen, kann in naher Zukunft damit gerechnet werden, daß entweder eine neue Klageart oder aber ein verbessertes System der Prärogatiwerfahren eingeführt werden w i r d 7 2 a . Die eigentliche Verwaltungsrechtsreform rückt damit aber wohl in beachtliche Ferne; und das, obwohl die Harmonisierung der Rechtssysteme in der erweiterten EWG ein vordringliches Anliegen darstellt. Es mag sein, daß dies gerade der Grund ist, weshalb nach Ansicht der gegenwärtigen Regierung die Zeit für eine grundlegende Reform noch nicht reif ist. Eine reform-freudigere Regierung könnte sich aber auch auf den Standpunkt stellen, daß ein Großreinemachen im eigenen Hause auf keinen Fall vergeudete Zeit bedeuten, sondern den Harmonisierungsprozeß wesentlich erleichtern würde. Doch solche Überlegungen sind angesichts der tatsächlichen Entwicklung müßig.

70 Committee on Ministers' Powers, Report, unter dem Vorsitz des Earl of Donoughmore (zunächst) später Sir Leslie Scott. April 1932, Cmd. 4060. 71 Insbesondere die Crichel-Down-Affäre, vgl. hierzu, supra, Teil 1, Kap. 7, Β I 2 ff, und Kap. 10, Β I V 5, S. 102 u. 158. 72 Cmnd. 218, Report of the· Committee on Administrative Tribunals and Enquiries, 1957, unter dem Vorsitz von Lord Franks. 72a Bis 1976 ist auf diesem Gebiet jedoch nichts passiert, was die These noch bestärkt.

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Reformbe strebung en

2. Verwaltungsgeriditsmodelle A m Ende des zweiten Drittels dieses Jahrhunderts läßt sich nur feststellen, daß eine notwendige umfassende Reform des Verwaltungsrechts noch lange nicht in Sicht ist, und das, obgleich sämtliche Fachleute auf diesem Gebiet die Dringlichkeit dieser Reformen ausgiebig und beharrlich propagieren. Gleichwohl wird für eine künftige institutionelle Reform fast ausschließlich das französische Vorbild skizziert, wenn die Einführung eines englischen Verwaltungsgerichtes gefordert wird, entweder als Apellationsmöglichkeit zum House of Lords 73 oder zum Rechtskomitee des Kronrats („Judicial Committee of the Privy Council") in Anlehnung an das historische Vorbild des King's Council oder Star Chamber-Gerichtes 74 , oder eine Stufe tiefer als Appellationsinstanz über erweiterten Tribunals im Range des Court of Appeal 7 5 , oder schließlich als weitere Abteilung des „High Court of Justice" — „Administrative Division" 7 6 oder gar als völlig selbständiges Verwaltungsgericht 77 . Bislang fehlt eine Studie, die von einer königlichen Kommission erarbeitet werden müßte, die sämtliche sich bietenden Alternativen, einschließlich des wesentlich umfassenderen Schutzsystems der Bundesrepublik, gründlich prüfen würde. Der Grund für die Bevorzugung des französischen Modells des Conseil d'Etat ist zum einen die case-law-Methode des französischen Verwaltungsrechtes, die der englischen Mentalität mehr entspricht als deutsche Dogmatik, zum anderen schlicht die Tatsache, daß der Conseil d'Etat in jüngster Zeit besser abgehandelt worden ist. Die hervorragende Darstellung Morgans aus dem Jahre 1925 über das deutsche Verwaltungsrecht ist weitgehend vergessen 78 . Die Zahl derer, die solche Modellstudien für verfrüht und halbherzig halten, nimmt indes zu. Was nützt ein Verwaltungsgericht, gleichgültig in welcher Besetzung, wenn das materielle Verwaltungsrecht nach wie vor sporadisch, unvollkommen, unübersichtlich und auf reine Verfahrensfehler zentriert bleibt. England befindet sich hier am Scheidewege: Vor hundert Jahren bereits vertrat Rudolf von Gneist eine der (gegenwärtigen, englischen) justizförmlichen Kontrolle ähnliche Auffassung, die nur in 78

So etwa Laski, S. 357 f. So Mitchell, Public Law, 1965, S. 95 ff; ders. 38 Political Quarterly 1967, 360 ff. 75 So etwa Robson, S. 459; Allen, zit. in Robson, S. 464 und Laski, S. 357 f, 2. Alternative, ferner Port, S. 349 u. 358. 76 So „Rule of Law", § 124, ausführlicher mit Gesetzentwurf „Your Rights, Your Courts, Your Injuries", Teil 1; ferner Laski, S. 357 f, 3. Alternative. 77 So Wade, Einleitung zu Dicey, S. cxlv; ferner Jennings, zit. in Robson, S. 460. 78 Mitchell, in VerwA, Bd 64, 1973, S. 176, sagt von der deutschen Lösung: „It is true that to an outsider it is sometimes difficult to see how a lawyer escapes being a judge in Germany"; s. a. ders., 38 Political Quarterly, 1967, 366 ff. 74

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des englischen Verwaltungsr ets

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letzter Instanz eine Rechtskontrolle durch ein Gericht vorsah, während Otto von Sarwe y besondere Verwaltungsgerichte mit allen Konsequenzen vorschlug 79 und dessen Lösung sich letztlich durchsetzte. Die seither kontinuierlich erfolgte Ausformung des öffentlichen Rechts in Deutschland, von einer Lehre über den Verwaltungsakt und subjektiv-öffentlicher Rechte bis hin zu einem umfassenden Entschädigungs- und Schadensrecht sowie klarer Prinzipien spezieller Verwaltungsgebiete, unterstützt von einer festen Hierarchie von Verwaltungsgerichten, bietet nach Ansicht des Verfassers gegenwärtig den umfassendsten Rechtsschutz in Europa. Es wäre wünschenswert, i n den Worten von Morgan 80, diese Alternativlösung ausgiebig zu prüfen, ehe man sie für England als Menetekel upharsin abtun würde. Ein Teil der Literaturmeinungen hat deshalb die Schaffung eines Verwaltungsverfahrensgesetzes 81 und die Herausbildung inhaltlicher Regeln des Verwaltungsrechtes als vorrangige Reformaufgabe gefordert 82 . Doch alle diese Überlegungen sind angesichts der fiktiven dogmatischen und realen politischen Hindernisse, wie dargelegt wurde, zum gegenwärtigen Zeitpunkt verfrüht, „noch nicht reif", und deshalb wie schon so oft vorher, der Möglichkeit totalen Vergessens ausgesetzt. 3. Die Bedeutung des EWG-Beitritts Großbritanniens Wenn zuweilen gesagt wird, daß der Beitritt Englands zur EWG die Verwaltungsrechtsreform beschleunigen wird, so kann dem nicht v o l l zugestimmt werden 88 , erscheint dies als weiteres Scheinargument gegen notwendige Reformen: Es ist fraglich, ob die Verordnungen, die unmittelbar geltendes Recht in England wie in allen Mitgliedstaaten werden, sowie die Richtlinien, Entscheidungen und Empfehlungen auf den noch relativ beschränkten Sektoren der Integration bereits ein so starkes Eigengewicht haben, um aus transnationalen Gesichtspunkten eine Revidierung des englischen öffentlichen Rechts zu erfordern. Innerhalb der 79 Vgl. hierzu von Sarwey, S. 133 ff, 155 ff r 158, 162 f, ferner Obermayer, S. 108 ff, m. w. H.; Ule, 4. Aufl., S. 2 ff; im übrigen vertreten sowohl Gneist als auch Sarwey ab 1875 eine Rechtskontrolle durch besondere Verwaltungsgerichte. 80 S. Morgan in Robinson, S. lxxii. 81 W i e den Administrative Procedure Act, 1946, der U.S.A. 82 Vgl. Nicholson, S. 433, der zusätzlich einen parlamentarischen Sonderausschuß für Verwaltungsrecht forderte; ferner Allen, Bureaucracy Triumphant, S. 61; Morgan, a.a.O., S. xlviii—lvii; zuletzt Chloros, RabelZ, Bd 36, 1972, S. 601 ff (612), m. w. H.; a. A. jedoch insbesondere Diplock, 24 Current Legal Problems 1971, 1 ff (17): „. . . given the procedural tools I would let the development of the substantive law rest in the hands of the High Court and the Appellate courts as at present. M y own belief is that they are developing it upon the right lines and should be allowed to continue". 88 So etwa Chloros, RabelZ, Bd 36, 1972, S. 601 (612 f).

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Zusammenfassung und Ergebnisse

Vereinigten Staaten etwa besteht nach wie vor das auf französischem und spanischem Vorbild basierende Recht des Staates Louisiana ungehindert weiter fort, während alle anderen Staaten dem Common LawSystem angehören. Es wäre durchaus denkbar, daß notwendige Gemeinschaftsaufgaben außer im Verordnungswege innerstaatlich unterschiedlich transformiert oder aber mit unterschiedlichem Rechtsschutzapparat versehen würden. Dennoch könnten aber Bürger, die in Nachbarländern auf dem Kontinent gegebenenfalls einen größeren Rechtsschutz entdeckten, die englische Schlechterstellung eines Tages als konkreten Anlaß für lautstärkere Reformwünsche benutzen. Doch sind solche Anzeichen bislang nicht zu verzeichnen und damit noch Sandkastenspiele.

Zusammenfassung und Ergebnisse Im englischen Recht fehlt eine Verwaltungsgerichtsbarkeit und ein ausgebildetes System des öffentlichen Rechts. Der schutzsuchende Bürger ist auf den lückenhaften Kontrollmechanismus durch ordentliche Gerichte und eine unbefriedigende politische Kontrolle durch das Parlament angewiesen. Im deutschen Schrifttum sind den verworrenen gerichtlichen Klageformen für Verwaltungsstreitigkeiten bislang kaum mehr als jeweils ein paar Sätze gewidmet worden. Eine nähere Analyse der Prärogatiwerfahren „certiorari", „prohibition", „mandamus" und „habeas corpus ad subjiciendum" sowie der „injunctions" und „actions for a declaration" zeigte, daß diese Klageformen den deutschen Klagearten nur unvollkommen entsprechen, eine umfassende Rechtsweggarantie wie die des Artikel 19 I V GG nicht besteht. Eine umfängliche, in sich häufig widersprüchliche Kasuistik hat die Herausbildung klarer Kategorien behindert, die es dem betroffenen Bürger erlauben würde, relativ schnell sein Recht feststellen zu lassen. Kein anderes englisches Rechtsgebiet ist gleichermaßen verworren. Kapitel 1 „Certiorari" und „Prohibition" sind Gerichtsbefehle, die sich an Untergerichte sowie an Verwaltungstribunale, die vorwiegend öffentlichrechtlichen Charakter haben, richten. Evidente Formfehler, gesetzliche Kompetenzüberschreitung oder die Verletzung der Regeln über die natürliche Gerechtigkeit können zum Erlaß dieser Klageformen führen. Im einzelnen besteht weitgehende Unsicherheit über den Anwendungsbereich dieser Verfahren. Das hat zur Folge, daß der Eindruck entsteht, als würde häufig das Ermessen der Verwaltung durch das des Gerichtes ersetzt.

Zusammenfassung und Ergebnisse

Kapitel 2 „Mandamus"-Verfahren entsprechen, grob betrachtet, den Verpflichtungsklagen und ähneln weitgehend „certiorari". Für sie gelten jedoch weniger strenge Formerfordernisse. Die Klagebefugnis ist bei diesem Verfahren sehr mit Unsicherheit belastet, da von der Rechtsprechung zwei verschiedene Argumentationsketten in Form von Präzedenzfällen aufgebaut wurden. Als gravierende Einschränkung dieses Verfahrens muß der Ausschluß der Überprüfbarkeit von Verwaltungsakten der Krone oder von Kronbediensteten, sowie die Zurückhaltung der Gerichte bei der Auslegung von Verpflichtungen staatlicher Industrien („Public Corporations") gewertet werden. I n der Praxis ergehen daher nur selten Mandamusbefehle. Kapitel 3 Das „Habeas Corpus "-Verfahren spielt im Verwaltungsrecht nur eine sehr untergeordnete Rolle und wurde deshalb auch nur grob skizziert. Als verfassungsrechtliche Garantie kommt ihm allerdings nach wie vor eine Signalwirkung zu, die nicht an der Häufigkeit der entschiedenen Fälle gemessen zu werden braucht. Kapitel 4 und 5 Die von dem „Equity"-Recht entwickelten Klageformen der „Injunction" (einstweilige Anordnung) und „action fo a declaration" (Feststellungsklage) entsprechen schon mehr der deutschen Klassifikation. Vor allen Dingen werden diese Klageformen großzügiger gehandhabt. Teilweise können diese Klageformen jedoch nicht kombiniert werden. W i r d die Klage abgewiesen, kann in derselben Sache nur noch bei Änderung des Sachverhaltes erneut geklagt werden. Hierin liegt ein Hauptmangel der englischen Klageformen. Die „declarations" als Feststellungsklagen erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Den Gerichten w i r d die unangenehme Aufgabe folgenschwerer Verurteilungen abgenommen, wenn sie lediglich die Rechtslage feststellen. So wird ein direkter Konflikt mit der Exekutive vermieden. Der Bürger ist jedoch häufig nicht nur an der Feststellung seiner Rechte, sondern zugleich an einer wirksamen Remedur interessiert. Forderungen der Literaturmeinungen, diese Klageform generalklauselartig auszubauen, sind wegen der fehlenden Rechtsfolge deshalb abzulehnen. Kapitel 6 Neben diesen Klageformen kann der Bürger gegebenenfalls auch seit 1948 Schadensersatzklagen wegen unerlaubter Handlungen von Kronbediensteten, aus Verletzung gesetzlicher und vertraglicher Verpflichtungen

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Zusammenfassung und Ergebnisse

geltend machen, strafrechtliche Sanktionen anstrengen sowie besondere Streitschlichtungsgremien anrufen. A l l e diese Klageformen bestehen autonom nebeneinander und behindern sich häufig. Im Verwaltungsrecht hat sich die Abschaffung der Klageformen und Ersetzung durch eine allgemeine Klageart, die alle Klageformen enthalten würde, bis heute noch nicht bewerkstelligen lassen, wie es im Zivilrecht bereits vor 100 Jahren erfolgte. Kapitel 7 und 8 Die Lehre und neuerdings auch die Rechtsprechung hat i n den letzten Jahren zunehmend inhaltliche Kontrollmaßnahmen entwickelt, bzw. ausgebaut. Hauptkategorien sind dabei die „ultra vires"-Lehre und die Verfahrensregeln über die natürliche Gerechtigkeit, (daß niemand Richter in eigener Sache sein darf und jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör habe). Sie wurden anhand von Präzedenzfällen langsam verfestigt und schälen sich in jüngster Zeit in immer größerer Differenzierung heraus. Nachteilig für den Bürger bleibt jedoch die Tatsache, daß nichts die Gerichte daran hindert, den gegenwärtigen Trend extensiver Ausdehnung der inhaltlichen Kontrollmaßnahmen wieder umzukehren. Auf diesem ganzen Gebiet tasten sich die Gerichte langsam voran. Dennoch hat die zunehmende theoretische Beschäftigung der Literatur mit Prinzipien statt mit untergeordneten Präzedenzketten dazu geführt, daß nunmehr auch die Gerichte ihre vormals übermäßige Beschäftigung mit formalistischen Details der Klageformen aufzugeben beginnen. Andererseits hat dies die bestehende Rechtsunsicherheit auf diesem ganzen Gebiet eher erhöht als vermindert. Dem rechtsuchenden Bürger ist mit einer unvorhersehbaren Anwendungspraxis der Gerichte wenig gedient, wenn er in sehr teuren Verfahren in mehreren Instanzen sein Recht sucht. Trotzdem ist die langsame Loslösung von veralteten Klageformen einer anderen Epoche und die Hinwendung zu rationalen inhaltlichen Kategorien ein erster wichtiger Schritt auf dem Wege zu einem modernen Verwaltungsrecht. Kapitel 9 Seit dem ersten Weltkrieg hat die Tätigkeit der Verwaltung lawinenartig zugenommen. Die alten Klageformen erwiesen sich als schwerfällige, inflexible und lückenhafte Kontrollmechanismen. Statt ein System von Verwaltungsgerichten und damit verbunden Verwaltungsverfahrensbestimmungen zu schaffen, ging England einen anderen Weg. Anstelle von Verwaltungsgerichten wurden weit über 2000 verschiedene Tribunal- und Anhörverfahren errichtet. „Tribunals" sind in einer grauen Zone zwischen reiner verwaltungsinterner und gerichtlicher Kontrolle

Zusammenfassung und Ergebnisse

anzusiedeln. Einige ähneln Gerichten in Aufbau, Zusammensetzung und Verfahren fast vollkommen, andere schließen die weitere Kontrolle durch ordentliche Gerichte bewußt aus und überlassen es dem Ressortminister, eine verwaltungsinterne Kontrolle auszuüben. Ein abschließendes Urteil über den genauen Rechtscharakter der ungemein vielfältigen Erscheinungsformen von Tribunalverfahren ist mangels ausreichender Detailstudien und Paralleluntersuchungen von Tribunalverfahren derselben Kategorie bislang nicht möglich. Gleichwohl trugen diese Verfahren dazu bei, daß die Verwaltung heute stets begründete Entscheidungen erlassen muß und daß betroffene Bürger sich an ein Gericht oder ein Tribunalverfahren wenden können. Das Franks-Komitee über Tribunalund Anhörverfahren hatte in den fünfziger Jahren größere „Offenheit (Publizität), Fairness und Unparteilichkeit" für diese Verfahren gefordert. Nach wie vor ist die Unabhängigkeit der Tribunalmitglieder nicht völlig gewährleistet und rechtliche Stellvertretung nur selten möglich. Anhörverfahren („Inquiries") sind rein verwaltungsinterne Kontrollen, die der Verwaltung eine rationale und sachgerechte Entscheidung aufbereiten, indem betroffenen Bürgern und kommunalen Einrichtungen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird. Es handelt sich dabei nach deutscher Klassifikation um eine detailliertere Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens, auf das allerdings kein Anspruch besteht. Fast als Nebeneffekt bieten sie dem Bürger in zunehmendem Maße Schutz, wenn sie einmal angeordnet worden sind. Nur die Entscheidung des Ministers unterliegt keiner gerichtlichen Kontrolle. Unterhalb dieser Schwelle schützen die Gerichte das berechtigte Interesse an einem fairen und öffentlichen Verfahren unter Einhaltung der „ultra vires "-Prinzipien und der Regeln über die natürliche Gerechtigkeit. Tribunal- und Anhörverfahren setzen in anderer Form die Verwaltungskontrolle der Friedensrichter fort, nur unterliegen sie häufig geringerer Uberprüfung durch ordentliche Gerichte. Obwohl die ordentlichen Gerichte Gerichtsausschlußklauseln bei solchen Verfahren sehr restriktiv auslegen, kann von einer lückenlosen verwaltungsexternen Kontrolle noch lange nicht gesprochen werden. Das Franks-Komitee über Tribunal- und Anhörverfahren schlug die Errichtung eines Tribunalrates vor, der bereits ein Jahr später errichtet wurde. A n diese Kontrollinstanz über Tribunal- und Anhörverfahren wurden große Hoffnungen geknüpft, die jedoch nicht erfüllt werden konnten. Bei fünfzehn nebenamtlich tätigen Ratsmitgliedern für Tausende von höchst verschiedenen Tribunalverfahren und einer Unmenge von Anhörverfahren ist eine „Überwachung" illusorisch. Dennoch hat der Tribunalrat im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten gute Dienste geleistet, insbesondere hilfreiche Anregungen für eine Vereinheitlichung der vielfältigen Verfahrensabläufe gemacht. Eine echte Systematisierung

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Zusammenfassung und Ergebnisse

dieser Verfahrensarten und Überprüfung der Frage, ob sie dem Bürger adäquaten Schutz vor Verwaltungsfehlverhalten bieten, vermag dieses Gremium nicht zu leisten. Neben Tribunal- und Anhörverfahren entstanden noch besondere Gerichte, von denen zwei, das „Restrictive Trade Practices Court" und das „Industrial Relations Court" näher skizziert wurden. Sie wurden vor allem deshalb geschildert, weil sie zeigen, daß alle Argumente, die eine Verwaltungsgerichtsbarkeit wegen der damit verbundenen „Zerstörung der Rechtseinheit des Common Law" ablehnen, durch die Praxis längst widerlegt sind. Obendrein erwies sich, daß diese Spezialgerichte für Kartell- und Tarifvertragsangelegenheiten eingerichtet wurden, obgleich bei den politisch vielfach wesentlich brisanteren Streitfällen eine demokratisch legitimierte Kontrolle durch das Parlament und die Exekutive einer politischen Entscheidung durch Richter vorzuziehen wäre. Kapitel 10 V o n der englischen Verfassungslehre wird die Kontrolle der Verwaltung durch das Parlament noch heute als ausreichender Schutz für den Bürger, im Konzert mit den Klageformen der ordentlichen Gerichte, sowie den Tribunal- und Anhörverfahren empfunden. Briefe an Unterhausabgeordnete, die Fragestunde im Parlament, Vertagungsdebatten und andere parlamentarische Kontrollmaßnahmen würden eine ausreichende Skala von Schutzmechanismen bieten. Es wurde nachgewiesen, daß diese Ansicht in dieser Allgemeinheit falsch ist, daß die parlamentarische Kontrolle nur für brisante politische Streitfälle einigermaßen erfolgversprechend ist, daß für das Gros der politisch uninteressanten, für den Bürger gleichwohl wichtigen Verwaltungsstreitfälle diese Form der Verwaltungskontrolle wenig Schutz bietet. Als Ausweg verfiel man auf eine Rezeption der skandinavischen „Ombudsman"-Idee. Nach umfänglichen Debatten im Parlament und in der Öffentlichkeit wurde 1967 ein Parlamentsbeauftragter für die Verwaltung geschaffen, der allerdings nur noch wenig mit seinen skandinavischen Vorbildern gemeinsam hat. Weite Bereiche der Verwaltungstätigkeit unterliegen seiner Kontrolle nicht, er darf nicht selbständig tätig werden, sondern ist praktisch nur ein Hilfsorgan des Parlaments, der auf Verlangen von Abgeordneten tätig wird. Der „Ombudsman" beschränkt seine Untersuchungen weitgehend auf Verfahrensfehler; eine Prüfung der Frage, ob Ermessensfehler vorliegen, fällt außerhalb seiner Kompetenz. Der mit dem Ombudsman errichtete Unterhausausschuß über den Parlamentsbeauftragten hat die restriktive und übervorsichtige Arbeitsweise des ersten Beauftragten (Sir Edmund Compton) mehrfach gerügt, was bei der Besetzung dieses wichtigen Amtes mit einem hohen Beamten, der der

Zusammenfassung und Ergebnisse

Verwaltung zwangsläufig näher steht als dem schutzsuchenden Bürger, allerdings nicht verwundern durfte. Die jährlichen Berichte des „Ombudsman" weisen dennoch stets eine ganze Reihe Fälle von Maladministration auf, die die Apologeten der Verwaltung und Argumente, daß weitere Verwaltungskontrolle in England nicht erforderlich ist, am besten widerlegen. Bedenkt man dabei, daß weite Bereiche der Verwaltungstätigkeit keiner solchen überprüfbarkeit unterliegen, so wird deutlich, wie sehr ein umfassender Rechtsschutz im öffentlichen Recht in England erforderlich ist. Die Darstellung der bestehenden gerichtlichen und außergerichtlichen Verwaltungskontrollen ergab deshalb, daß in England trotz seines Rufes als Wiege der Demokratie unterhalb des mit einigem Eigenlob ausgezeichneten Parlamentes an der Basis des Verwaltungsrechtes erhebliche Mängel bestehen, die bewirken, daß der Bürger häufig schutzlos einer ständig mächtiger werdenden anonymen Verwaltungsmacht gegenübersteht. Es ist an der Zeit, daß England im Interesse der eigenen Arbeitserleichterung der Verwaltung, der Übersichtlichkeit und rationalen Durchdringung erkennt, wie dringend erforderlich Reformen im öffentlichen Recht sind. Hier hinkt England um mehr als 100 Jahre hinter Frankreich und fast genauso lange hinter Deutschland her. Heute hat der Bürger in Bordeaux oder Frankfurt gegenüber der Verwaltung im Verhältnis zu Großbritannien einen umfassenden, klar geordneten und billigen Rechtsschutz, wo in England häufig kein Schutz, oder unvollständige, zweifelhafte und bestenfalls in zahllosen und verschiedenen Stellen verstreute Abhilfemöglichkeiten bestehen. Im zweiten Teil der Arbeit wurde versucht, einige Gründe für das Fehlen eines Systems des öffentlichen Rechts in England aufzuzeigen. Dabei konnten nach Meinung des Verfassers einige wenige historische und verfassungsdogmatische Faktoren herauskristallisiert werden, die jeder für sich alleine die Verkümmerung des englischen Verwaltungsrechtsschutzes kaum bewirkt hätten, in ihrer Gesamtheit jedoch die Unterentwicklung des englischen Verwaltungsrechts im Vergleich zu anderen Staaten Europas entscheidend verursachten. Kapitel 11 M i t der ersten These wurde gezeigt, daß im Anfang alles Recht öffentlich war, die mittelalterliche, stark zentralisierte Feudalstruktur einen separaten Kontrollmechanismus der Verwaltung nicht zuließ, und daß dadurch eine Trennung des privaten vom öffentlichen Recht nicht erfolgte. Die zweite These zeigte die langsame Entwicklung des öffentlichen Rechts in königlichen Institutionen, wie die Gerichte anfänglich nur zur Durchsetzung königlicher Ansprüche fungierten und erst langsam auch

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Zusammenfassung und Ergebnisse

Ansprüche des Bürgers gegenüber der Verwaltung mittels einfallsreicher Fiktionen durchsetzten. Sodann wurde gezeigt, daß der Rechtsschutz des Bürgers gegen Verwaltungswillkür stets dann — vorübergehend — institutionalisierter, differenzierter und mit „checks und balances" versehen wurde, wenn der König schwach, schwachsinnig oder minderjährig war. England hat im Laufe des turbulenten Mittelalters nicht weniger als acht Perioden solcher schwachen Herrschaft gehabt. Dies begünstigte die Entwicklung des King's Council vom anfangs losen, flexiblen Beraterstab um den König zu einem mächtigen Verwaltungsapparat, von dem sich eine Reihe spezieller Prärogativgerichte abspalteten. Kapitel 12 Die dritte These schilderte den Einfluß des aus dem King's Council entstandenen Star Chamber-Gerichtes unter Henry V I I und es wurde die Ansicht vertreten, daß dieses Gericht, das sich vorwiegend mit strafrechtlichen Streitigkeiten befaßte, anfangs segensreich war, das Land befriedete, und obendrein einen rudimentären Schutz gegen Mißbräuche der unteren Verwaltungsbehörden bot. Erst der tyrannische Mißbrauch der strafgerichtlichen Kompetenzen unter Charles I führte zur völligen Abschaffung des Star Chamber-Gerichtes. Hierdurch wurde die Verwaltungskontrolle weitgehend mitbeseitigt und künftig mit dem Stigma tyrannischer Herrschaft behaftet. Die ersatzlose Abschaffung dieses Gerichtes ist nach Auffassung des Verfassers ein Hauptfaktor für das Fehlen einer getrennten Verwaltungsgerichtsbarkeit und überhaupt eines Systems des Verwaltungsrechtes in England. Kapitel 13 Sodann wurde als vierte These gezeigt, daß daneben die Wirren des 17. Jahrhunderts einen weiteren Faktor zur Verkümmerung des Verwaltungsrechts lieferten. Der wachsende Antagonismus zwischen den Common Law-Gerichten und den Prärogativgerichten und damit dem StuartHerrscherhaus führte zu einer Allianz des Unterhauses mit den Vorkämpfern der Common Law-Gerichte, nachdem die Common Law-Gerichte im Kampf mit der Exekutive zunächst unterlagen. Die Waffenbrüderschaft der ordentlichen Gerichte mit dem Parlament gegen König und Prärogativgerichte führte langfristig zum Erfolg der Parlamentarierallianz. Die Common Law-Gerichte hatten nach Auffassung des Verfassers jedoch einen Pyrrhussieg errungen: Der Niedergang der Macht des Königs führte nicht zu einer Stärkung der Macht des Common Laws als dritter Macht, sondern real nur zur Stärkung des Parlamentes. Späte Folge dieser Entwicklung bleibt, daß das Verhältnis des Common Laws zum Parlament zum Schaden des Common Laws nie genau zu Ende

Zusammenfassung und Ergebnisse

gedacht wurde und in Ermangelung genauer Grenzen sehr bald zur absoluten Vorherrschaft des Parlamentes führte. Damit hatte sich lediglich der Träger der unbeschränkten Macht verschoben — vom König auf das Parlament. Als Folge wurde auch das im Verwaltungsrecht stärker sichtbare Machtverhältnis der Exekutive zur Judikative i n England nie deutlich und belastete somit indirekt die Entwicklung eines separaten Verwaltungsrechtes bis heute. Kapitel 14 Als fünfte These wurde dargelegt, daß die Abschaffung zentraler Kontrollmechanismen im Verlaufe des 17. Jahrhunderts ein Vakuum hinterließ, das den seit langem bestehenden Friedensrichtern fast völlig freie Hand ließ. Da diese ehrenamtlichen Richter stets die Interessen der Landbesitzer und damit der Parlamentarier vertraten, verkümmerte das Verwaltungsrecht noch weiter. Die Friedensrichter hatten neben zivil- und strafrichterlichen Aufgaben auch reine Verwaltungsaufgaben zu erfüllen, die bei Interessenkollision stets zugunsten der Landbesitzer entschieden wurden. Die enge Verknüpfung von judiziellen und exekutivischen Aufgaben blieb auch erhalten, als die „Reform Acts" von 1832—35 die Verwaltungsaufgaben der Friedensrichter wieder zentralisierten Behörden übertrugen. Statt nun zugleich eine wirksame gerichtliche oder außergerichtliche Kontrollinstanz wiedereinzuführen oder zu erfinden, beanspruchte die Zentralregierung von nun an für die zurückgewonnenen Verwaltungsaufgaben zugleich die richterliche Aura um ihre reinen Ermessensentscheidungen. Diese nur historisch verständliche Verknüpfung von administrativen mit judiziellen Funktionen der Verwaltung blieb als Anmaßung der Exekutive bestehen und erhärtete sich schon bald als zulässige Fiktion i n der Rechtsprechung der Zivilgerichte, die gelegentlich mit Verwaltungsproblemen befaßt wurden und dogmatisch überfordert waren. Kapitel 15 Sodann wurde im dogmatisch-juristischen Teil der Arbeit die Auffassung vertreten, daß die Verfassungslehre der „Herrschaft des Rechts" („Rule of Law") und andere Verfassungsdoktrinen entscheidende Faktoren für das Fehlen eines klaren Systems des Verwaltungsrechtsschutzes sind. Diceys „Rule of Law" besagte, daß 1.) die Regierung und Verwaltung rechtmäßig handeln müssen (Ausschluß jeglicher Willkür) und Rechtsverletzungen vor ordentlichen Gerichten entschieden werden, daß 2.) jedermann ohne Ansehung der Person gleiche Behandlung vor dem Gesetz erfährt (Gleichheitssatz), was ein auf Ungleichheit basierendes separates Verwaltungsrecht ausschließen muß, und daß 3.) die britische

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Zusammenfassung und Ergebnisse

Verfassung Ergebnis des durch die Gerichte angewendeten ordentlichen Rechts („law of the land") ist (Spiegel der Grundrechte). Es wurde gezeigt, daß diese Lehre teilweise falsch war, teilweise auf falschen Prämissen beruhte und soweit sie heute noch Gültigkeit hat, nur sehr bescheidene Anwendung finden kann.

Kapitel 16 Die starre Anwendung der Doktrin der Souveränität des Parlamentes sowie der individuellen und kollektiven Ministerverantwortlichkeit wurden als weiterer Faktor für die Verkümmerung des Verwaltungsrechtsschutzes angesehen. Die Ministerverantwortlichkeit erwies sich nach Auffassung des Verfassers als stumpfes Schwert, soweit die Kontrolle ministerieller Akte betroffen ist, für die das Kabinett und die Regierungsmehrheit im Parlament eintreten und als Ausnahme, soweit es um die individuelle Verantwortung des Ministers für ihm unterstellte Beamte geht. Der Schaden dieser Lehre zeigte sich wiederum erst im Verwaltungsrecht: Unter dem Vorwande adäquater parlamentarischer Verwaltungskontrolle als Alternative zur kontinentaleuropäischen Amtshaftung („fautes de service" und „fautes personelles" im französischen Recht) w i r d der Bürger in einem wichtigen Bereich der Verwaltungskontrolle weitgehend schutzlos gelassen. Lediglich im Bereich politisch relevanter oder brisanter Aktivitäten der Verwaltung mag die parlamentarische Kontrolle ausreichen, im reinen ausführenden Verwaltungsbereich reicht sie nicht. Das beweisen nicht zuletzt die Berichte des Parlamentsbeauftragten, der im Rahmen enger Kompetenzen immerhin schon weit über 100 Fälle von Maladministration aufgedeckt hat.

Kapitel 17 Im abschließenden Kapitel wurden Reformbestrebungen seit dem 1. Weltkrieg geschildert. Dabei zeigte sich, wie schwer sich die Hypothek der Verfassungslehren im Verwaltungsrecht abtragen läßt. Seit über 50 Jahren bemühen sich Verwaltungsrechtler, die sich diesen Fragen ausführlich gewidmet haben, die negativen Auswirkungen der „rule of law" zu beseitigen und für den Bürger einen umfassenden Rechtsschutz i n Verwaltungsstreitverfahren zu erlangen. Nach 50 Jahren und zwei Juristengenerationen ist Diceys Lehre nur mehr ein Schatten, doch schwinden die Widerstände gegen umfassende Reformen nur sehr langsam. Unter dem Mantel des „Pragmatismus" werden kleinste, schrittweise Verbesserungen der Öffentlichkeit als Neuerungen offeriert, die zusammen mit einer i n den letzten Jahren vorsichtig wagemutigeren Rechtsprechung den Eindruck erwecken können, als stehe alles zum Besten.

Zusammenfassung und Ergebnisse

Tatsächlich ist der gerichtliche Rechtsschutz jedoch nach wie vor lückenhaft und ein nahezu undurchdringlicher Dschungel richterlicher Kasuistik, der Rechtsschutz durch Tribunals unsystematisch, ebenfalls lückenhaft und mit weiteren Mängeln der Konstitution und Funktion versehen, die Anhörverfahren ersetzen kein geordnetes verwaltungsinternes Widerspruchsverfahren, auf das der Bürger stets Anspruch hätte und die vielgelobte parlamentarische Kontrolle — einschließlich der durch den „Ombudsman" — ist ebenfalls nur unvollkommen und wenig geeignet, die Verwaltungsprobleme einer Massengesellschaft adäquat zu lösen. Englands Bewunderer haben die englischen parlamentarischen Verhältnisse und den Freiheitsgeist jedes einzelnen Bürgers und das unerschrockene Auftreten seiner obersten Richter in Krisenzeiten stets hervorgehoben und darin den Ruf Englands als Wiege der Demokratie begründet gefunden. In dieser Wiege liegt heute aber ein antiquiertes Schutzsystem gegen Verwaltungswillkür, das dringend ausgebaut und in ein klares, übersichtliches System des öffentlichen Rechts verwandelt werden sollte. Die Chancen für eine solche Reform i n absehbarer Zeit stehen trotz aller Bemühungen durch die Verwaltungsrechtswissenschaft jedoch schlecht.

Sdirifttumsverzeidinis

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Personenregister

Abel 172 Adams 175, 176, 180, 182, 195, 209 Aikmann 163 Akehurst 107, 113, 130 Aider 115, 116, 129, 131 Allen 86, 103, 107, 116, 122, 123, 129, 130, 131, 132, 135, 140, 246, 264, 267, 276, 277 Atkin 28, 30, 32, 33, 45 Austin 227, 235, 236 Bacon (Verulam, St. Albans) 37, 70, 195, 201, 202, 204, 205, 233 Bailey 234, 249, 254 Baldoke 179 Baldwin 76, 175, 176, 178, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 190, 191 Bancroft 197 Bankes 101 Barthélémy 265 Beard 209, 210, 212, 214 Bedford 184 Bell 65, 122, 123, 129, 130, 133 Bentley, D.J. 107, 246 Bentley, Dr. 108 Bentham 236 Birtles 107, 113, 130 Blackstone 46, 49, 54, 58, 61, 227, 253 Blom-Cooper 161, 266 Blumenwitz 70 Borchard 75, 78 Borrie 75, 84 Boussard 118, 136, 137, 143, 165 Bracton 198,233 Bradley 82, 161 Brown, G. 168, 260 Brown, R. G. S. 167, 172, 259 Bruce 75 Bruns 44 Burke 232 Burton 143 Buxton 144, 145, 154 Byles 108

Campbell 148 Carr 195, 267 Charles I 202, 203, 212 Charles II: 204 Chester 138, 155 Chloros 246, 253, 254, 277 Chorley 270 Chrimes 178, 188, 190 Churchill 258 Cohen 59, 60 Coke 37, 44, 48, 59, 107, 116, 195, 196, 197, 198, 199, 200, 201, 202, 203, 205, 223, 232, 233, 240 Compton 163, 164, 165, 169, 171 Cottenham 116 Cozens-Hardy 77 Crick 268 Cromwell 204, 213, 254 Cross 224 Crossman 159, 163, 164, 260 Curzon 194 Dalton 260 Darnel 59, 203 David 48 Dawson 214 Denning 74, 84, 98, 99, 102, 105, 115, 124, 254 Devlin 270 Dicey 60, 61, 192, 227, 228, 229, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 237, 241, 242, 243, 244, 245, 246, 247, 249, 250, 252, 253, 254, 255, 256, 264, 285, 286 Dickens 221 Diplock 105, 277 Donoughmore 123, 264, 265, 266, 268, 274, 275 Drewry 266 Dugdale 138, 259 Dunning 264 Dutschke 61 Dworkin 270

111,

230, 239, 248, 262,

267,

299

Personenregister Edward I 176, 181, 182, 186 Edward I I 76, 178, 208 Edward I I I 76, 181, 183, 186, 209 Edwards 69 Elcock 107, 120, 123, 127, 131, 133, 144, 145, 149, 263 Elizabeth I 196, 197, 200, 210, 211, 212, 219 Elles 148 Ellesmere (Egerton) 70, 200, 201, 205, 233 Elton 190, 191, 192 Engels 221 Ernst August von Hannover 81 Everitt 217 Exeter 179 Fetscher 251 Fielding 221 Finer 257, 258, 259, 260 Fleming 86 Fortescue 233 Foulkes 58, 60, 89, 91, 107, 116, 123, 126, 136, 143, 144, 145, 146, 163, 164, 166, 246, 248, 269 Franks 64, 123, 267, 268, 275 Fricke 86 Friedmann, Κ. A. 22, 29, 62, 106, 137, 138, 142, 144, 145, 154, 155, 157, 159, 163, 167, 169, 171, 172, 251, 259, 260 Friedmann, W . 84, 104, 149, 173, 268 Friedrich I I 201 Fry 167, 173, 260, 261 Fulton 259

117, 151,

136, 156, 250, 246,

Galeotti 44 Ganz 173 Gardiner, G. 163, 270 Gardiner, S. 200, 201, 202 Gare 148, 149 Garner 54, 58, 61, 72, 89, 91, 106, 107, 123, 126, 133, 143, 148, 158, 246 Gaudemet 246 George I I I 264 Glanvil 227 Gleason 215 Gneist 177, 182, 183, 184, 185, 186, 188, 195, 207, 208, 209, 212, 213, 215, 276, 277 Goddard 93

Goodhart 107, 244 Gordon 39 Gould 41, 82, 85, 97 Grassmann 48 Graveson 270 Griffith 54, 58, 89, 107, 117, 123, 128, 134, 136, 137, 138, 139, 140, 143, 145, 150, 155, 158, 162, 266 Grossmann 268 Guest 150 Hailsham (Hogg) 168 Haldane 35, 109 Hall 179 Hallam 190, 193, 194, 204, 232 Halsbury 38, 39, 51, 59 Hampden 203, 212 Hamson 268 Hanbury 63 Hannover 217 Hansen 161, 162, 163, 164, 269 Harold 175 Hart 236 Hatschek 251 Hauriou 247 Hawkins 219 Hearn 232 Heath 258 Henry I 179 Henry I I 27, 179, 180, 182 Henry I I I 27, 180, 183 Henry I V 27, 184, 185 Henry V 183, 184, 185 Henry V I 183, 185, 188 Henry V I I 188 Henry V I I I 76, 189, 191, 196 Heuston 233, 237, 238, 242, 244, 246, 255 Hewart (Bury) 259, 263, 264, 265, 266 Hill 207, 213, 214, 216 Hoare 259 Hobbes 235 Hobsbawm 218 Holdsworth 46, 49, 59, 63, 89, 90, 174, 175, 180, 181, 185, 190, 192, 193, 195, 197, 200, 202, 203, 204, 207, 208, 227 Hood Phillips 58, 59, 60, 232, 233, 244, 246, 248 Hudson 195 Hunter 150 Hurwitz 161, 162 Innozenz I I I

183

300

Personenregister

Jackson, P. 40, 58, 107, 108, 112, 114, 119, 137, 164, 165, 171, 172 Jackson, R. M. 123, 133, 138, 140, 141, 142, 148, 150, 151, 153, 252, 270, 271 James I 197, 199, 200, 201, 212, 232, 233 James I I 213 Jeffreys 204 Jellicoe 157, 260 Jenkes 60 Jenkins 111 Jenks 22, 46, 47, 58, 59 Jennings 72, 75,121, 209, 214, 224, 233, 237, 242, 246, 248, 253, 254, 255, 258, 259, 260, 276 Jèze 246 John (König) 180, 183 Johnson 155, 162, 256 Jolliffe 183, 184, 185, 209 Kahn-Freund 151 Kaiser 123 Karl der Große 179 Keesing 61, 141 Keeton 69, 70, 266 Kelsen 235, 244, 255 Kersell 154, 155, 156, 157 Kipling 221 Kiralfy 76, 176 Kieps 50 Kötz 29, 80 Korah 150 Krause 103 Kunze 49, 204, 216 Lach 122 Lamb ton 157, 260 Laski 121, 122, 123, 241, 246, 266, 267, 268, 276 Laud 203 Lawson 107, 161, 236, 242, 246, 247 Lefebvre 178, 180 Leighton 194 Lever 148,150 Lilburne 194 Lloyd-George 158 Locke 195, 207, 228, 233 Loewenstein 22, 24, 26, 29, 46, 123, 154, 159, 233, 234, 249, 250, 251, 252, 253 Lund 125

Lyall

115

Macdermott 22, 33, 46, 58, 119 Macmillan 162 Mainwaring 219 Maitland 23, 33, 59, 174, 175, 176, 178, 181, 183, 190, 197, 198, 199, 201, 202, 207, 208, 209, 210, 215, 225, 226, 227, 230, 237 Malthus 218 Mansfield 49 Markose 50 Marre 163, 164 Marsh 248, 270, 272 Marshall 91, 106, 107, 108, 116, 124, 127, 140, 150, 158, 164, 169, 172, 243, 244, 253, 254, 257, 258, 260, 270 Marx 221 Maugham 124 May 154, 155, 156, 157, 158 Mellor 44 Mill 236 Milton 217

177, 200, 217,

123, 171, 259,

Mitchell 66, 158, 159, 166, 171, 173, 195, 233, 246, 268, 269, 272, 276 Moir 190, 207, 208, 209, 210, 211, 213, 219, 220, 221, 222, 223, 225 Montesquieu 195, 207, 228 Montrose 203 Moodie 127, 158, 171, 257, 258, 259, 260 More 70 Morgan 246, 262, 263, 276, 277 Morrison 156, 260 Munby 136 Mylward 200 Neave 168 Nicholson 241, 277 Nokes 65 Oastler 222 Obermayer 277 Page 209, 220 Parker 35, 118 Pearson 112 Pedersen 161 Peel 245 Pembroke (Lady) 179 Pembroke (Lord) 183

301

Personenregister Perelman 244 Petit-Dutaillis 178, 180 Pettit 69 Phillips, G. 58, 60, 64, 65, 67, 123, 125, 127, 128, 136, 141, 150, 257 Phillips, H. 193, 194 Plucknett 23, 63, 75, 76, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 182, 183, 190, 200, 201, 205, 227 Pollard 122, 123, 126, 188 Pollock 59, 174 Pope-Hennessy 221 Port 120, 127, 151, 255, 264, 276 Potter 176 Pound 64 Powles 164 Profumo 157, 260 Prophet 249 Prynne 194 Punnett 234, 253, 257, 258, 259 Putnam 208 Radbruch 19, 86, 228, 239, 249, 270 Raleigh 197 Rass 251, 252 Reid 28, 66 Richard I 181 Richard I I 183, 184 Richard I I I 188 Riegert 20 Ritter 154, 251, 253, 258, 259 Roberts 151,222 Robertson 63 Robinson 86, 88, 246, 262, 277 Robson 107, 122, 123, 124, 125, 126, 128, 131, 151, 160, 226, 246, 263, 265, 266, 267, 276 Rose 243 Round 178 Rousseau 207 Rowat 172 Rubinstein 30, 38, 39, 46, 58, 59, 75, 84, 107 Russell 103 Sachs 115 Salmon 43, 61 Salmond 86, 244 Samuels 141 Sankey 264 Sarwey 277 Savigny 197

Sawer 163 Scarman 270 Schmitthoff 270 Schwartz 84, 270 Scofield 183, 188, 189, 190, 191, 193, 194, 195 Scott 123, 275 Scroggs 204 Seiden 69 Sheridan 69, 70 Short 44 Silkin 261 Smith, A. 219 de Smith 22, 24, 27, 28, 29, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 47, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 56, 59, 60, 65, 68, 72, 74, 75, 78, 84, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 95, 106, 107, 108, 112, 114, 116, 121, 123, 125, 126, 139, 140, 141, 142, 143, 154, 156, 166, 171, 238, 239, 246, 254 Smith, Sir Th. 195 Soblen 60, 112 Sontheimer 154, 251 Stacey 161, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 168, 169, 170, 171, 172, 260, 269, 272 Stephan 255 Stevens 148, 149, 150 Strafford (Wentworth) 203 Strauss 155 Strayer 65 Street 46, 54, 65, 75, 86, 87, 89, 91, 107, 117, 136, 139, 140, 155, 158, 172 Stubbs 182, 254 Sumner 39 Sunderland 75 Tanner

188, 189, 191, 193, 194, 195,

210, 211

Tapping 49 Taswell-Langmead 175, 178, 183, 184, 189, 201, 203, 205, 211 Tenby 143 Thio 56 Trevelyan 190, 196, 197, 198, 202, 203, 204, 213, 214, 215, 224 Ule 44, 192, 277 Utley 162 Wade, E. C. S. 58, 60, 64, 65, 67, 123, 125, 127, 128, 136, 141, 150, 205, 228,

302

Personenregister

234, 239, 240, 246, 247, 248, 255, 257. 270, 276 Wade, H. W . R. 33, 46, 49, 50, 84, 85, 89, 91, 92, 94, 101, 107, 108, 114, 119, 123, 127, 128, 129, 134, 136, 143, 144, 162, 169, 207, 233, 246, 253, 255, 257, 261, 270 Waline 44 Webb, B. u. S. 208, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 219, 220, 223 Whyatt 161, 162 Wilberforce 148 William (Conqueror) 23, 175

Williams 65, 78, 86, 87 Willis 26, 37, 93, 94 Willshire 126 Wilson 163 Wiseman 194 Wolfe Tone 245 Yamey 148, 150 Yardley 44, 89, 91, 92, 107, 116, 117, 122, 123, 129, 131, 139, 143, 248, 270 Zamir

75, 78, 82, 84

Sachregister

Abbruchverfügung s. Baurecht Abgaben s. Steuern Abgeordnete s. Parlament Abschreckung 189, 193 Abstimmungszwang 158 Abweichendes Votum s. dissenting opinion Action for a declaration s. declaration Actions, forms of s. forms of action Act of Parliament s. Parlament adjournment debate s. Parlament Administrative 19 Administrative tribunals s. Tribunals Adoption s. Familienrecht Ämterpatronage 48, 49, 212, 216 Ärzte 31, 110, 125 Affidavits 85 Agency, law of 131 Agricultural Lands Tribunal s. Tribunals Akteneinsicht 51, 66, 109, 118, 163 Alderman 48 Allianz, Parlament und Common Law 202—206

Amt 39, 65, 126, 165, 169, 209, 210, 245 — senthebung 48 — shaftung 247, 261, 262 — sstellung 31 — sträger 29—30, 79, 90, 91 Anfechtung 25, 99 s. a. Certiorari Anfechtungsklage 25, 26 s. a. Certiorari Anhörung 108, 109, 115, 133, 137

Anhörverfahren s. Inquiries Ankläger der Krone s. Attorney-General Anordnung, einstweilige s. Injunction Antagonismus, Common Law-Equity

63, 196—202 Antrag 25, 43, 59, 105, 137 Antragsteller 26, 44, 45, 55, 102, 105, 137, 167, 168, 172 Anwälte 45, 73, 116, 118, 125, 129, 132 Appeal 137, 241 Appellationskammer 31 — gericht 76, 111, 160, 265 — instanz 160, 214, 266, 267 — recht 245 Application for Review s. Forms of action Arbeitskampf 152—Î53 Arbitral Tribunals 47, 127 Architekten 122 Armengesetze 211, 217—220, 221 — pfleger 56 — recht s. Legal Aid — rechtskommissare 27, 222, 226 Assizes 208 Assumpsit s. forms of action Attorney-General 43, 59, 64, 67—72, 98, 197, 199 audi alteram partem 32, 37, 42, 72,

102, 107—113 Auditors 27, 49, 72, 76, 103—104, 122, 132 — General 163, 164, 269 Auflagen 70, 80, 96, 104, 105, 137, 245 Aufsichtsbehörden 137, 139 Aufwandsentschädigung 143 Ausländerrecht 61, 81, 95, 113 Auslegung

304

Sachregister

— durch Gerichte 73, 95, 97, 99, 100, 101, 108, 109, 118, 237, 253, 254 — smethoden 86, 109, 118 — durch Parliamentary Commissioner 171 Aussagen 85 Ausschluß richterlicher Kontrolle 31, 57, 82, 95, 98, 142, 240, 245, 250 — rechtlicher Stellvertretung s. Stellvertretung — der Öffentlichkeit 137 Ausschüsse s. Parlament Ausweisung von Ausländern 37 Barrister s. Anwälte Baurecht 71, 98, 105, 108, 117, 122, 135, 136, 144, 194, 245 Beamte 21, 29, 34, 53, 64—67, 76, 80, 81, 87, 88, 93, 109, 117, 127, 138, 155, 161, 163, 165—167, 169, 171, 192, 210, 247, 257, 266 — der Krone s. Kronbedienstete Bedingung 62, 80 —, auflösende 62 —, aufschiebende 62 —, stillschweigende 112 Befangenheit 42, 116—118, 134, 138, 139 Behördenerrichtung 41, 223, 227 Behördenbegriff 47 Beitritt zur EWG 158, 254, 258, 275, 277 Benefit of clergy 243 Berufung 40, 43, 55, 132, 137, 151, 160, 165, 166, 214, 216, 241 Beschwerde 25, 99, 108, 109, 110, 121, 132, 133, 137, 143, 145, 154, 155, 158, 159, 162, 166, 191, 241 Besonderes öffentliches Interesse 25, 83 Bestechung 210, 212, 219 Betrug 41, 98, 187 Beurteilungsspielraum 43, 70 Beweisaufnahmen 186 — last 149 — mittel 25, 31, 35, 36, 66, 111, 118, 131, 140, 144, 166, 167, 172 — Würdigung 39, 131 Bias 167

Billigkeitsrecht s. Equity Bill of Rights 60, 204, 239, Blackmail s. Erpressung Board of Guardians 221 Bona fides s. Treu und Glauben Bösgläubigkeit s. mala fides Breach of King's Peace 176 Brevia de cursu 23 — ex gratia 23 British Overseas Airways 54 Brückenbau 27, 33, 211 Bürgerbeauftragter s. Parliamentary Commissioner Bürgerkrieg, englischer 203, 204, 206, 212, 213 Bürgermeister 48, 209, 213 Bundesverwaltung 64 by-laws 103 Certiorari 22—48, 50, 52, 57, 73, 74, 79, 84, 85, 89, 90, 92, 110, 119, 144, 177, 214, 274 —, Rechtsnatur 24 —, Begriff und Einordnung 24 —, historischer Überblick 26 —, Zielrichtung 28 Chalkpit-Fall s. Inquiries Chancery 185, 186, 187, 190, 196, 204 Coke-Bacon Kontroverse 37, 90, 197—202 Commendams 201 Commissioner for Income Tax s. Tribunals Committee on Minister's Powers s. Donoughmore Komitee Commonwealth (17. Jh.) 203 Common Law, Antagonismus s. Antagonismus — Gerichte 75, 90, 91, 185, 187, 189, 196, 199, 214, 247 — regeln 105, 189, 191, 205 — Richter 196—202, 212, 226, 240 Comptroller-General s. Auditors Conseil d'Etat 161, 246, 247, 268, 276 Conservative Party 162, 164, 168, 259, 268

Sachregister — Government 164 Contempt of Court 53, 152 Contempt of the Crown 44 Conventions 257 Corporations, Public 24, 66, 72, 87, 165, 229, 251 —, Municipal 89 Council on Tribunals 122, 130, 138, 140, 143—147, 160, 161, 165, 257, 268 Courts (einzelne Gerichte) s. a. Gerichte; Spezialgerichte — Council of the North 196 — Council of Wales 196 — County C. 132 — Ecclesiastical C. 26, 27, 196, 197 — High Court of Justice 26—28 —, Divisional Court of Queen's Bench 24, 46, 227 —, Chancery Division 64, 77 —, „Administrative Division" 160, 276 — High Court-Richter 28, 40 — Magistrates C. 44, 45, 67, 68, 116 Court of Admiralty 196 — of Appeal 25, 67, 70, 77, 78, 102, 104, 115, 133, 149, 151, 276 — of Chancery 23, 48, 63, 64, 75, 76, 77, 190, 196, 197, 199, 200, 204, 205 — of Common Pleas 23, 76, 178, 179—181, 199, 214 — of Exchequer 23, 63, 76, 77, 178, 179—181, 199, 203, 207, 208 — of High Commission 196, 199 — of King's Bench 22-24, 27, 48, 49, 59, 76, 89, 90, 108, 178, 179—181, 186, 201, 214 — of Requests 196 — of Star Chamber s. Star Chamber Crichel Down-Affäre 117, 138, 158, 160, 161, 259—260, 267 Criminal Injuries Compensation 29, 30, 33 Crown 22, 23, 24, 27, 29, 53, 57, 64—67, 78, 80, 81, 83, 91, 176, 177, 180, 181, 185, 203, 205, 209, 211, 212, 215, 217, 240, 253, 264, 274 Crown Privilege 23, 24, 53, 64—65, 78, 80, 81, 181, 187, 240, 253, 254, 275 Crown Proceedings Act 1947 53, 63, 65, 87, 240, 264, 267 20 Riedel

305

— Bill 265 — Servants 52, 53, 64—67, 80, 87, 240 Curia regis 178—179, 181, 186 Déclaration 55, 57, 63, 64, 73, 74—86, 102, 152, 272, 274 Delegatus non potest delegare 92, 93, 101 Delhi-Deklaration 248—249, s. a. Menschenrechte Demission 48, 258 Demonstranten 238, 239 Deportation 60, 216 „Despotismus, parlamentarischer" 229, 263—267 Detention 58 s. Habeas Corpus Dezentralisierung 141, 225—226 Dicey s. Rule of Law Dissenting opinion 56, 61, 74, 105 Distinguishing s. Auslegung Donoughmore-Komitee 123, 228, 265— 267, 268, 274, 275 Droit administratif s. Rule of Law Duty to act judicially 30, 33—38, 73, 89, 94, 110, 113, 114, 117, 118, 265 Einwanderung 60, 113 Einzelrichter 25, 39, 132 Enteignung 95, 98, 105, 122, 138, 142, 146, 251 — s verfahren 136 Entfernung aus dem Amte 39 Entschädigungen 29, 30, 39, 97, 112, 142, 168, 170, 277 — sabkommen 97 — skommissionen 122 Equity 63, 64, 69, 70, 74, 75, 76, 77, 131, 153, 185, 187, 190, 196, 200, 204, 205, 214, 247 Erbrecht 187 s. a. Trusts Ermessen —des Attorney-Generals 71 — der Friedensrichter 224 — des Gerichts 37, 45—46, 52, 55, 62, 69—71, 82—83, 86, 96, 103, 105, 119, 120, 150 — des Inspektors 142

306

Sachregister

— der Krone 81, 240 —, politisches 37, 110, 137, 140, 141, 142, 150, 167, 241 — sgrenze 37, 100, 189 — von Tribunals 50, 128—129, 131 — sfehlgebrauch 94, 104 — smißbrauch 103, 104, 105 — sunterschreitung 94, 102, 237 — der Verwaltung 37, 46, 47, 93, 94, 95, 100, 103, 105, 119, 120, 229, 237 — des Parliamentary Commissioner 165 —, Umfang des 56—57, 240 Erpressung 42, 187 Error on the face of the record 38—41, 85, 89, 90, 119 Escheators 176, 186 Europäische Gemeinschaften s. Beitritt Exchequer 76, 208, 211 s. a. Court of Exchequer Chamber 76 Ex gratia-Zuwendungen 33, 168 Ex parte-Antrag 24 Experten 121, 126, 160 Eyre s. Itinerant Justices Fabian Society 266 Fabrikgesetze 222 Fachaufsicht 136 Fairness s. Natural Justice Fair Play s. Natural Justice Familienrecht 115 Feststellungsklage s. Declaration Feudalsystem 175, 177, 178 Fiktionen 76, 176, 225 Finanzverwaltung 76, 77, 80, 81, 179— 180 Folterungen s. Star Chamber Formerfordernisse 63, 71, 144 — fehler 38—40, 45, 89, 90, 91, 93, 144 Forms of action 23, 59, 62, 72, 73, 75, 77, 79, 81, 83, 86, 106, 119, 176, 177, 181, 186, 191, 226, 272—275 —, „Application for Review" 273— 275

Franks Komitee 117, 118, 123—124, 127, 130, 135, 140, 143, 145, 160, 161, 267, 268, 275 Franks Report 138 Freiheit der Person 31, 58, 61, 202, 274 s. a. Habeas Corpus Freiheitsentziehung 58, 112, 148, 152 Friedensrichter s. Justices of the Peace Fristen 43, 57, 63, 85, 137, 146, 166, 274 Gegenbeweis 31 Gehälter 104, 108, 143, 149 Geheimhaltung 166, 172 Gehorsamsverweigerung 59 Geisteskranke 61, 186 Genehmigung 32, 80, 94, 96, 113, 137, 141, 144 Generalklauseln 22, 42, 70, 189, 239 Gerichte —, Geschäftspläne 33 —, königliche 23, 59, 63, 175—187 —, Konziliar 90 —, lokale saxonische 23, 89, 175 —, Selbstbeschränkung 52, 54, 64 —, Unabhängigkeit 48, 190 —, s. a. Courts, Common Law Gerichtsausschlußklauseln s. Ausschluß — ferien 25, 60 Gesundheitswesen 56, 66, 112, 122, 136, 165, 169, 170, 171, 221, 250 Gewaltenteilung 206, 224, 228, 255 Gewerkschaften 121, 124, 151, 152, 153 s. a. Arbeitskampf Gewohnheitsrecht 233 Gleichheitssatz s. Rule of Law Gnadenentscheid 193 Grafschaftsverwaltung 51, 204, 205, 206—220, 223, 226 — sgerichte s. Courts Grievance Man s. Parliamentary Commissioner Grundrechte 107, 234, 238, 242, 248— 249, 252 Grundstückseinwirkung s. Nuisances — snutzungen 96

Sachregister Habeas Corpus ad subjiciendum 48, 58—61, 112, 274 Haft 58, 59, 191, 221, 222 Haftungsbeschränkungen 87 Hafenbehörde 93, 101, 102 Hearings s. Anhörung, Inquiries Herrschaftsgewalt 61 —, königliche 182—186 Hoheitsträger 47 House of Lords s. Parlament

24,

Industrial Relations Court s. Spezialgerichte Immunität 65 Impartiality s. Natural Justice Impfung 56, 112 Improper purposes 96—98 Injunction 58, 62—74, 82, 85, 86, 152, 272, 274 —, interlocutory 62, 68 —, mandatory 62, 72 —, perpetual 62 —, prohibitory 62 — quia timet 63 Inland Revenue Commissioner 77 Inquiries 20, 40, 42, 108, 118, 120, 121, 122, 135—143, 147, 241, 245, 250, 251, 256, 265, 266, 267, 269, 275 — ad hoc 122 Inspektoren 49, 108, 109, 121, 137— 141, 144, 222, 266, 269 Itinerant Justices 178—180, 208 lus repraesentationis omnimodae 29 Judicial functions s. Verwaltung Judikative 223, 249, 255 Judicature Acts 1873—75 77, 271 Judge in Chambers 25 Jury 129, 187, 189, 190, 244 Justice of the Peace 27, 33, 89, 90, 121, 128, 142, 190, 206—225, 226 Justiziabilität 40, 41, 141 Justizreform 63, 64, 77 Kabinett 127, 128, 182, 258, 259, 261 Kartellgericht s. Spezialgericht

King's Council 90, 178, 179, 181—186, 188, 189, 276 Kirchenrecht 26—28 Klageformen s. Forms of action Klassifikation der Begriffe 22, 26, 75, 78, 96, 135, 180 Kodifikation 270 Körperschaften s. Corporations Kommunalbehörden 29, 46, 50, 51, 79, 88, 90, 92, 95, 96, 98, 109, 110, 137, 141, 144, 257 Kompetenzrahmen 50, 119, 145, 160, 189, 192 Kompetenzüberschreitung 28, 41, 45, 121, 190 Konkursverwalter s. Trustee in bankruptcy Korruption 98, 189, 212, 216, 220 Kosten 140, 146 Kreuzverhör 85, 111, 130 Krone, Kronbedienstete s. Crown Kronrat s. Privy Council Kündigung 81, 110, 112, 240 Labour Party 121, 159, 162, 173, 268 — Regierung 151, 164, 263, 269, 270 Laien s. Richter Lancaster 185, 195 Land Law 177, 196, 270 Lands Tribunal s. Tribunals Law Commission 53, 58, 83, 269—275 Law Commission, Scottish 270, 272 Law Commissioner 53, 269—275 Leasehold s. Land Law Legal advice 114—116 s. a. Anwälte, redhtlidhe Beratung Legal Aid 35, 36, 115, 116 Legal Aid Committees 35, 36, 37 Legislative 34, 46, 67, 108, 196, 223, 240, 248 Leistungsverwaltung 32, 121,' 159 Lex non cogit ad inutilia 52 Licensing Justices 55 Literal Interpretation Rule s. Auslegung

308

Sachregister

Natural justice 19, 32, 35, 36, 37, 42, 46, 60, 66, 80, 89, 92, 102, 106—120, 121, 125, 129, 130, 139, 142, 239, 265 Nationales Interesse 65 Naturalrestitution 88 220, 222 Naturrecht 106, 107, 233, 236, 253 Local Watch Committees 32 Negligence 85 Locus standi 43—45, 55—56, 68—69, 82—83, 85 Nemo iudex in causa sua debet esse Lord Chancellor 60, 69, 70, 75, 76, 116, 42, 107, 116—117 Î27, 128, 143, 144, 149, 163, 168, 178, Nichtigkeit von Entscheidungen 30, 190, 204, 215, 228, 264, 270, 271, 272 43, 107, 108 Lord Chief Justice 60, 198, 202 Nötigung 42 Lord Lieutenant 209, 215, 245 Normannen 174, 175, 178 Notstand 65 Nuisance 62 Magna Carta libertatum 59, 175, 180, Nutzungsgenehmigung 183, 233 s. Genehmigung Maj estätsbeleidigung s. Contempt of the Crown Obiter dictum 86, 95 Maladministration 160, 161, 164, 165, öffentliches Interesse 25, 59, 66, 69, 169, 171, 196, 221, 223, 261, 266 70, 141, 149, 158, 253 s. a. Parliamentary Commissioner Ombudsman Mala fides 98, 99, 103, 121, 237 s. Parliamentary Commissioner Mandamus 24, 46—58, 74, 84, 88, 99, Openness 101, 177, 214, 274 s. Natural Justice Meineid Opfer von Straftaten 29 s. Perjury Opposition 155, 157, 158, 159, 163, 202, Menschenrechte 248—249, 252 259 Menschenrechtskonventionen 170, 234, Ordnungsrecht 254 s. Universitäten Mietrecht 24, 40, 92, 109, 193, 194 Militär 27, 61, 165, 170, 240, 243 Parlament 153—173, 198—199, 202— Ministers' Powers 207, 250—261 s. Donoughmore Komitee —, Abgeordnete 153—173, 216, 234, Ministerverantwortlichkeit 142, 164, 250, 258, 271 253—261 —, Early Day Motion 157, 168 —, kollektive 258—259 —, Fragestunde 155—156, 168 —, individuelle 259—261 —, Grand Inquest of the Nation 255 missi dominici 179 —, Gesetzgebungstätigkeit 120, 124 Mißachtung des Gerichtes —, House of Commons 67, 181, 194, s. Contempt 204, 205 Monopole 122, 148 —, House of Lords 25, 61, 65, 91, 96, 97, 98, 99, 103, 109, 116, 117, 120, 132, 138, 139, 148, 168, 190, 243, 266, Nachbarschutz 67, 137, 142, 144, 154 276 Nachlaßverwaltung 80 —, kurzes (1640) 203 National Economic Development —, langes (1640) 59, 195, 203 Committee 150 —, Mißtrauensantrag 158 National Health Service —, Petition 157, 187 s. Gesundheitswesen —, sausschüsse 79 National Insurance Tribunal —, ssouveränität 78, 228, 229, 253— s. Tribunals 261, 265 Nationalsozialismus s. a. Suprematie s. Sachsenhausen-Fall Lizenzen 55, 80, 98, 104, 110, 113, 122, 211, 220, 224 Lizenzantrag 101 Local Government Acts 27, 50, 80,

Sachregister —, Supply Days 157 —, Supply Debate 157 —, svorherrschaft 79, 80, 233, 266 —, svorlagen 67 Parlamentarier 202—206, 213 Parliamentary Commissioner for Administration 20, 143, 147, 159, Î 60—173, 250, 257, 261, 268, 269 Parteien, politische 96, 150, 205, 258 —, Politik 120 Partial Evidence 167 Peine forte et dure 193 s. a. Star Chamber Perjury 41 Persona designata 53 Per speciale mandatum regis 59 Petition s. Parlament Petition of Right, 1628 59, 203 Planning Inquiry Commission s. Inquiries Planungsverfahren s. Inquiries Polizei 29, 32, 36, 49, 79, 136, 165, 171, 220, 221, 222, 238, 239, 240, 269 Poor Laws 33, 222 Popularklagen 44, 67 Positivismus 32, 235, 236 Prärogative des Königs 23, 48, 239 Prärogativverfahren —, allgemein 22—46, 47, 49, 57, 63, 64, 74, 81, 85 —, historisch 22, 63—64 Premierminister 164, 243, 258, 260 Prices and Incomes Board 150 Privy Council 34, 37, 59, 60, 96, 110, 111, 112, 117, 185, 191, 194, 205, 207, 210, 211, 212, 226, 276 Pro camera stellata s. Star Chamber Prohibition 22—46, 48, 52, 73, 74, 177, 197, 274 Prozeßführungsbefugnis 69 —, handlungen 191 —, maßnahmen 33, 186 —, risiko 69 Prüfungskompetenz 95, 139, 167, 169, 171 Public Bills 67 Public Corporations 54, 57 s. a. Corporations

Quarter Sessions 209, 214, 215, 216 quasi-judicial f mictions s. duty to act judicially Querulanten 44, 191

Reasonableness 103, 104 Rechnungsprüfer s. Auditors Rechte Dritter 44, 96 Rechte, subjektive öffentliche 31 Rechtliche Beratung 114—116, 129, 131—132, 134 Rechtliches Gehör s. Natural Justice Rechtmäßigkeitsprüfung 24, 31, 47, 61, 80, 132 Rechtsnachfolger 97, 138 Rechtsstaatsprinzip 251—252 Rechtssystem 44, 91, 120, 239 Rechtswegerschöpfung 43 Rechtsweg 125 Reformen 19, 20, 83, 106, 118, 206 — ansätze 64, 74, 267—278 — bestrebungen 221, 262—278 Reformgesetze (1832—35) 27, 49, 70, 120, 221—222, 223, 226, 229, 236 Regentschaft 183, 184 Regierung 27, 65, 123, 126, 128, 136, 141, 147, 148, 153—173, 184, 185, 221, 222, 224, 258—261, 271 — spartei 155, 259 Relator action 68—69 Reprivatisierung 138 Restauration (1660) 60, 204, 206, 213, 214, 216 Restrictive Trade Practices Court s. Spezialgerichte Revision 25, 55, 115, 132, 137, 149, 151, 241, 266 Revolution, englische 49, 60, 90, 204, 205, 206, 213, 214, 217, 225, 232 Rezeption 20, 21 Richter —, Ernennung 127, 204 —, Habitus 33 —, in eigener Sache 116—117 — Laien 127, 130, 133, 134, 149 —, Rekrutierung 121 Royal Commission on Administrative Law 272 Royalisten 48, 197—202, 204, 213

310

Sachregister

Rule of Law 61, 106, 199, 205, 225— 252, 256, 261, 262, 266

Stadtverwaltung 48, 51, 94, 96, 102, 103, 104, 117, 223 Star Chamber 49, 75, 90, 181, 186, 188—195, 196, 199, 204, 205, 206, 212, 223, 224, 225, 276 Statusfragen 81 Stellvertretung, rechtliche 114—116, 129—132, 134, 145, 146, 170 Steuern 68, 79, 115, 170, 177, 180, 187, 192, 203, 207, 218, 233, 261 — zahler 77, 180 Straßenbau, -Überwachung 33, 62, 96,

Sachenrecht s. Land Law Sachsenhausen-Fall Î67 —168, 173, 260 Satellitenstädte 37, 138, 141 Satzungen 46, 89 Schadenersatzklagen 54, 70, 71, 72, 79, 85, 86—87, 88, 273 Schankkonzessionen 33, 98, 211, 222 122, 211, 221 Schatzmeister Streik 152, 153 s. Treasurer Streitschlichtung 72, 82, 88, 274 Schiedsgerichte 124 Stuarts 193, 196, 204, 206, 212, 216, Schiedsrichter 81, 126 226, 240 Schiedsverfahren 47, 125 Subjektive öffentliche Rechte 31, 142, Schlichtungsstellen 153 154, 278 Schulangelegenheiten 68, 79, 81, 102, Subordinate Legislation 67 104, 108, 109, 122 Subsumtion 128 Selbstbeschränkung der Richter Subsumtionsfehler 94, 95 s. Gerichte Subventionen 102 Selbstverwaltung Summary offences 39 s. Selfgovernment Suprematie des Parlamentes 203, 204, Select Committee on the PCA 166—170 205, 229, 233, 249, 252—261 s. a. Parliamentary Commissioner Suspendierung 32, 93, 111 Selfgovernment 206—207, 220, 222, 224, 225 Sheriffs 27, 59, 176, 180, 186, 187, 189, Tatsachenvortrag 25, 36, 43, 66, 95, 96, 190, 191, 208, 209, 215 112 Solicitor — Würdigung 112, 131, 140 s. Anwälte Tenor — General 197 s. Entscheidungen Souveränität des Parlamentes Testamentvollstrecker s. Parlament s. Trustee Sozialgesetze 120, 121, 122 Todesstrafe 193, 211, 216 — reformen 121 Torts 176, 273 — Versicherung 32 Town and Country Planning Speenhàmland-Modell 218—219, 221 s. Baurecht Spezialgerichte 20, 82, 127, 147—153, Treasurer 178 257, 264 Treasury Counsel 33 Spionage 112, 187 trespass vi et armis contra pacem regis Squirearchy 209, 216, 218, 220, 223 s. Breach of King's Peace Squires 190, 205—206, 210 Treuhänder Staatsangehörigkeit 81, 167, 234 s. Trustee Staatsgewalt 176, 226 Treu und Glauben 70, 109, 114, 117 Staatsrat Tribunal des Conflits 192 s. Privy Council Tribunalrat s. Courts s. Council on Tribunals Stadtrechte 27, 48, 192 Tribunals 20, 21, 25, 34, 38, 39, 40, 41, — planung 136 42, 44, 50, 53, 67, 68, 72, 73, 74, 83, — Sanierung 136 115, 116, 118, 120—135,138, 143, 147,

Sachregister 153, 154, 157, 160, 165, 166, 241, 245, 256, 263, 265—267 , 269, 275 —, Administrative 29, 45, 79, 93, 110, 123—125, 126 —, Arten 124—125 —, Aufbau 126—127 —, Begriff und Einordnung 112—124 —, Domestic 122, 123—125, 126, 132 —, Funktion 125—126 — Gerichtskontrolle über 132—133 —, Mitglieder 127—128 —, Verfahren 129—132 Tribunals and Inquiries Act, 1958 40, 123, 126, 128, 130, 140, 143, 146, 268 Trust 64, 80, 196, 197 —, Breach of 199, 200 Trustee 64, 80, 101 Trustee-in-bankruptcy 35 Tudors 90, 185, 188, 190, 192, 195, 209, 210, 212, 213, 216 Ubi remedium ibi ius 23 Ultra vires-Doktrin 19, 66, 67, 71, 72, 77, 78, 88—106, 120, 125, 142, 237, 239, 240, 243 Universitäten 36, 37, 108, 111, 112, 119, 227 Unparteilichkeit 32, 139, 142 Unreasonableness 92, 103, 106, 149, 237 Unterhaus s. Parlament Untersuchungsverfahren 40, 100, 111, 112, 117, 148, 169, 194, 201 Verfahren —, Schwebendes 67 — von Tribunals s. Tribunals — sfehler 61, 92, 169 — sgarantien 42, 66 — smängel 125, 171 — Ordnung 76, 78 —, sregeln 76, 83, 109, 146, 147 Verfassimg 228, 229 —, Britische 229, 256 — sänderung 234 — sgerichte 26, 67, 240 — sinterpretation 233 — swidrigkeit von Gesetzen 229

Verhältnismäßigkeit 102, 104, 105, 171, 237 Verhandlung, mündliche 110 Verkehrswesen 94, 95, 104, 117, 122 Verordnungen 67, 103, 169, 193, 195 Verpflichtung, öffentlich-rechtliche 46—58 Verpflichtungsklage 46—58 Verstaatlichung 54, 117 Vertrag, öffentlich-rechtlicher 105 Vertreter des öffentlichen Interesses 43, 70 Verwaltung —, Administrative Funktionen 33—38, 110, 113, 114, 117, 118, 142, 225 —, Judizielle Funktionen 142, 225, 265 —, Rezentralisierung 121, 221, 223— 225, 226 — sakt 46, 57, 64, 105, 112, 260, 278 — saufgaben 27, 126, 178, 219, 225 — sgerichte 22, 24, 192, 268, 276—277 — sgerichtsbarkeit 20, 153, 196, 204, 213, 262 — smodelle 276—277 srechtswissenschaft 89, 91, 106, 160, 273 — sverfahrensgesetz 227 Vorbeugender Rechtsschutz 26 s. a. Injunction Voreingenommenheit s. Bias Vorführung, gerichtliche 59 Wahlen 48, 154, 216, 234 — beamte 52 — kreise 154, 155, 158, 204 — recht 49, 154, 177, 242 Weisungsbefugnis 72, 88 Wettbewerb, unlauterer 148—150 Whigs 48, 215, 252 Whitley Council 170 Whyatt Report s. Parliamentary Commissioner Widerspruch 30, 42, 115, 137, 139, 146 — sverfahren 135, 139, 140 Wirtschaftskontrolle 122 Witan 178 Wohlfahrtsstaat 122, 123, 125, 153, 241, 271 Writs (Klagearten) 23, 24 — of course 23

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Sachregister

— of grace 23 s. a. forms of action Zensur 195 Zentralverwaltung 27, 49, 64, 72, 88, 90, 125, 154, 164, 172, 175, 204, 205, 209, 215, 225, 257 Zeugen 36, 131, 186, 192 Zuständigkeit

—, Fehlende 38, 44, 67, 82, 92, 171 —, Gerichtliche 27, 78, 89, 125, 247 — süberschreitung 25, 31, 35, 38 —, Verweigerung 51 Zustimmung, stillschweigende 42 Zweckmäßigkeit 36, 107, 218 Zweckvereitelung 42 Zweckwidrigkeit 99