Konkretisierung der deliktsrechtlichen Generalklauseln: Eine rechtsvergleichende Untersuchung am Beispiel des französischen, polnischen, schweizerischen und spanischen Rechts [1 ed.] 9783737010405, 9783847110408

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Konkretisierung der deliktsrechtlichen Generalklauseln: Eine rechtsvergleichende Untersuchung am Beispiel des französischen, polnischen, schweizerischen und spanischen Rechts [1 ed.]
 9783737010405, 9783847110408

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Schriften zum Internationalen Privatrecht und zur Rechtsvergleichung

Band 45

Herausgegeben im European Legal Studies Institute / Institut für Europäische Rechtswissenschaft / Institut pour le droit en Europe der Universität Osnabrück von Professor Dr. Dr. h. c. mult. Christian von Bar, FBA, MAE, Professor Dr. Christoph Busch, Professor Dr. Hans Schulte-Nölke, MAE, und Professor Dr. Dr. h. c. Fryderyk Zoll

Piotr Kwiatkowski

Konkretisierung der deliktsrechtlichen Generalklauseln Eine rechtsvergleichende Untersuchung am Beispiel des französischen, polnischen, schweizerischen und spanischen Rechts

V& R unipress Universitätsverlag Osnabrück

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber https://dnb.de abrufbar. Verçffentlichungen des UniversitÐtsverlags Osnabrþck erscheinen bei V& R unipress.  2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-7041 ISBN 978-3-7370-1040-5

Inhalt

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kritik der funktionalistischen Orthodoxie . . . . . . . . . . . II. Unbrauchbarkeit des Funktionalismus für die Untersuchung der Systembildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Negative Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Systematischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Grenzen der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begrenzung der Untersuchung auf die Generalklauseln der Haftung für eigenes Fehlverhalten . . . . . . . . . . . . . . 2. Begründung der Länderauswahl . . . . . . . . . . . . . . . § 3 Deliktsrechtliche Generalklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff der Generalklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Generalklausel als Grundnorm des Deliktsrechts . . . . . III. Formulierung von deliktsrechtlichen Generalklauseln . . . . . 1. Typische Generalklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Code civil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Cjdigo civil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Polnisches ZGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Untypische Generalklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Generalklauseln in Entwürfen eines gemeineuropäischen Deliktsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundnorm der PETL . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundnorm des DCFR . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6 Erster Teil: Traditionelle Systembildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4 Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff des Verschuldens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verschuldensdimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verschulden als Fehlverhalten . . . . . . . . . . . . . . b) Verschulden als Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . c) Verschulden als Urteil über ein Verhalten . . . . . . . . d) Zusammenspiel der Dimensionen . . . . . . . . . . . . 2. Verschuldenselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Moralisches Element . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Materielles Element . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Normatives Element . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung des Verschuldens für die Haftungseingrenzung in den einzelnen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verschulden als zentrales Mittel der Haftungseingrenzung (Frankreich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vermeintlicher Bedeutungsrückgang des Verschuldens (Spanien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bedeutungsrückgang des Verschuldens (Polen) . . . . . . . 4. Verschulden im Schatten der Rechtswidrigkeit (Schweiz) . . III. Kriterien für die Beurteilung des Verschuldens . . . . . . . . 1. Urteilsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unerheblichkeit der Urteilsunfähigkeit . . . . . . . . . b) Starre Grenzen der Urteilsunfähigkeit . . . . . . . . . . c) Relative Grenzen der Urteilsunfähigkeit . . . . . . . . . 2. »Objektiver« Maßstab – »appr8ciation in abstracto« . . . . a) Verletzung einer geschriebenen Norm . . . . . . . . . . b) Verletzung der erforderlichen Sorgfalt . . . . . . . . . . aa) Bonus pater familias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verletzung eines subjektiven Rechts . . . . . . . . . . . 3. »Subjektiver« Maßstab – »appr8ciation in concreto« . . . . 4. Vorwerfbarkeit des objektiven Verschuldens . . . . . . . . a) Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Möglichkeit der Schadensvermeidung . . . . . . . . . . c) Wahrscheinlichkeit und Ausmaß des Schadens . . . . . d) Andere Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verschuldensgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 5 Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff der Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

II. Bedeutung der Rechtswidrigkeit für die Haftungseingrenzung in den einzelnen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtswidrigkeit als eigenständige Voraussetzung . . . . . 2. Rechtswidrigkeit als eine negative Voraussetzung . . . . . . 3. Rechtswidrigkeit als keine eigenständige Voraussetzung . . III. Theorien der Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erfolgsunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Handlungsunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bedeutung des Grundsatzes neminem laedere . . . . . aa) Normenquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Programmnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Keine Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzesverstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verstoß gegen andere Normen . . . . . . . . . . . . . . aa) Liberaler polnischer Normenkatalog . . . . . . . . . . bb) Restriktiver schweizerischer Normenkatalog . . . . . . cc) Vorschlag zur Liberalisierung des schweizerischen Normenkatalogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gemischte Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Relative Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6 Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff der Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung der Kausalität für die Haftungseingrenzung in den einzelnen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kausalität als das zentrale Mittel der Haftungseingrenzung (Polen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verlagerung einiger Kausalitätsfragen in die Rechtswidrigkeit (Schweiz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bedeutungsrückgang der Kausalität (Spanien) . . . . . . . 4. Begrenzte Bedeutung durch eine sehr liberale Auffassung der Kausalität (Frankreich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kriterien der juristischen Kausalität . . . . . . . . . . . . . . 1. Adäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Übernahme der Adäquanztheorie in den einzelnen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterschiede in der Formulierung des Adäquanztests . aa) Die traditionelle Adäquanz (Spanien) . . . . . . . . . . bb) Normalität einer Folge (Polen) . . . . . . . . . . . . . . cc) Geeignetheit einer Ursache (Schweiz) . . . . . . . . . . 2. Schutzzweck der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

3. Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sachliche, zeitliche oder räumliche Nähe . . . . . . . . . . 5. Richterliches Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Unterbrechung des Kausalzusammenhangs . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 7 Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff des Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Schaden als juristischer Begriff . . . . . . . . . . . . . a) Juristischer Schaden (pr8judice) . . . . . . . . . . . . . b) Rechtlich relevanter Schaden . . . . . . . . . . . . . . . c) Normativer Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schadensdimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unterscheidung zwischen der Haftungsbegründung und Haftungsausfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schaden als Begriff der Haftungsbegründung (Rechtsgutverletzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schaden als Begriff der Haftungsausfüllung . . . . . . . aa) Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung des Schadens für die Haftungseingrenzung in den einzelnen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schaden als wichtiges Mittel der Haftungseingrenzung (Frankreich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geringe Bedeutung des Schadens für die Haftungseingrenzung (Polen, Schweiz, Spanien) . . . . . . III. Schadensmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Direkter Charakter des Schadens (dommage direct) . . . . a) Dritt- bzw. Reflexschaden . . . . . . . . . . . . . . . . b) Causa proxima . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Folgeschaden und mittelbarer Schaden . . . . . . . . . 2. Gewissheit des Schadens (dommage certain) . . . . . . . . a) Hauptkriterium im französischen Recht . . . . . . . . b) Perte d’une chance als Hauptanwendungsfall . . . . . . 3. Persönlicher Charakter des Schadens . . . . . . . . . . . . 4. Unfreiwilligkeit des Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung . . . . . . . . . . § 8 Vom Scheitern der traditionellen Systembildung . . . . . . . . . . I. Zur Subsumtionsfähigkeit der einzelnen Generalklauseln . . . 1. Annahmen der Subsumtionstechnik . . . . . . . . . . . . . 2. Subsumtionsunfähigkeit der französischen Generalklausel . 3. Versuche andere Generalklauseln subsumierbar zu machen II. Begrenzte Leistungsfähigkeit der Subsumtionstechnik gemessen an den Aufgaben des juristischen Systems . . . . . 1. Überschneidungen zwischen den Voraussetzungen als Beweis der gescheiterten Einordnung . . . . . . . . . . . . a) Verschulden und Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . b) Verschulden und Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . c) Verschulden und Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schaden und Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Schaden und Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . f) Kausalität und Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . 2. Fehlende Verdeutlichung des Gerechtigkeitsgehalts durch die abstrakt-allgemeinen Voraussetzungen . . . . . . . . . a) Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fehlendes Lösungspotenzial bezüglich der weiteren Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 9 Reformentwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Nationale Reformentwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Rolle der traditionellen Haftungsvoraussetzungen . . . a) Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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10 dd) Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Harmonisierungsentwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) DCFR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) PETL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Systembildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) DCFR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) PETL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Rolle der traditionellen Haftungsvoraussetzungen a) Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) PETL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) DCFR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) DCFR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) PETL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) PETL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) DCFR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) DCFR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) PETL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 10 Vorschläge für eine leistungsfähigere Systembildung . . . . . I. Die Grundnorm als bewegliches System . . . . . . . . . 1. Das bewegliche System . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesamtbetrachtung der Zurechnungskriterien . . b) Die Rolle des Richters . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewegliche Denkweise im Deliktsrecht . . . . . . . . . 3. Beweglichkeit der Grundnorm . . . . . . . . . . . . . 4. Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Bewegliche Denkweise in den untersuchten Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Objektive Zurechnung (Spanien) . . . . . . . . . . . . b) Vorgeschlagene Beweglichkeit der Rechtswidrigkeit (Schweiz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verdeckte Beweglichkeit der Kausalität (Polen) . . . . . d) Verdeckte Beweglichkeit des Verschuldens (Frankreich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bildung von Einzeltatbeständen anhand der rechtlichen Strukturtypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Annahmen des topischen Systems . . . . . . . . . . . . . . a) Typisierung der abstrakt-allgemeinen Rechtsbegriffe . b) Entwicklung der rechtlichen Strukturtypen . . . . . . . c) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Topische Denkweise im Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . 3. Fokus auf die rechtlichen Strukturtypen . . . . . . . . . . . 4. Topische Denkweise in den untersuchten Rechtsordnungen a) Typisierung der Haftungsvoraussetzungen . . . . . . . aa) Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Typisierung der Haftungsnormen . . . . . . . . . . . . 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Rolle der einzelnen Haftungsvoraussetzungen . . . . . . . 1. Loslösung von Verschulden und Rechtswidrigkeit . . . . . 2. Stattdessen: Fokus auf die beweglichen Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Typisierung und Kontextualisierung der Voraussetzungen . 4. Untrennbarkeit der Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ergebnisse und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 11 Begrenzte Leistungsfähigkeit der traditionellen Dogmatik . . . . . § 12 Vorschläge für eine leistungsfähigere Strukturbildung . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Danksagung

Die vorliegende Arbeit wurde zum Promotionsverfahren an der Universität Osnabrück im Dezember 2017 angenommen. Sie berücksichtigt die Rechtslage und den Stand der Novellierungsarbeiten bis einschließlich November 2017. Zum Gelingen meiner Doktorarbeit haben viele Personen beigetragen. Ihnen gilt mein aufrichtiger Dank: Meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Hans Schulte-Nölke danke ich für die Unterstützung meines Promotionsvorhabens und die zahlreichen inhaltlichen Anregungen zu meiner Untersuchung. Besonders dankbar bin ich meinem Doktorvater dafür, dass ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der spannenden Forschungsarbeit des European Legal Studies Institute beteiligt sein durfte. Zu aufrichtigem Dank bin ich meinem Zweitgutachter Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Fryderyk Zoll verpflichtet. Meinen ganz herzlichen Dank ausdrücken, möchte ich meinen Kollegen und Freunden aus dem European Legal Studies Institute in Osnabrück Frau Dr. Aneta Wiewijrowska-Domagalska, Herrn Egil Nordqvist, Frau Franziska Mürmann, Frau Anne-Katrin Suilmann und Frau Imke Tuma für Ihre anregenden Hilfestellungen und besonderes für die wunderbare Zeit. Für das Korrekturlesen und die meisterhafte Führung durch die Mäandern der deutschen Sprache bedanke ich mich herzlich bei Frau Rebekka Wagener und Frau Franziska Michel. Frau Dr. Joanna Rupa gebührt mein besonderer persönlicher Dank. Sie hat diese Arbeit nicht nur durch zahlreiche Denkanstöße geprägt, sondern auch zum Gelingen des Projekts wesentlich beigetragen, indem Sie mich während der gesamten Promotionszeit durchgehend motivierte.

14

Danksagung

Szczegjlne podzie˛kowania nalez˙a˛ sie˛ moim Rodzicom Aleksandrze ZapolskiejKwiatkowskiej oraz dr. Andrzejowi Kwiatkowskiemu, a takz˙e mojej siostrze Joannie Ma˛czyn´skiej za ich nieustaja˛ce wsparcie i inspiracje˛ do pracy naukowej. Niniejsza˛ publikacje˛ dedykuje˛ Wam oraz Danielowi. Meiner Familie und Dir, Daniel, widme ich diese Arbeit. Dr. Piotr Kwiatkowski Münster, November 2019

Abkürzungsverzeichnis

a. A. aaO ABGB Abs. AC ACM AcP ADC AJCL AJP/PJA Anm. AP AppG Art. Aufl. Az. Bd. BG BGE Biul. SN Bull. civ. bzw. Cass. Cass. ass. pl8n. Cass. civ. Cass. com.

andere Auffassung am angegebenen Ort Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch v. 1. 6. 1811 Absatz Actualidad Civil (zitiert nach Jahr und Seite) Aranzadi civil–mercantil. Revista doctrinal (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) Archiv für die civilistische Praxis (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) Anuario de Derecho Civil (zitiert nach Jahr und Seite) American Journal of Comparative Law (zitiert nach Jahr und Seite) Aktuelle Juristische Praxis/Pratique Juridique Actuelle (zitiert nach Jahr und Seite) Anmerkung Audiencia Provincial (Spanien) Appellationsgericht (Polen) Artikel Auflage Aktenzeichen Band Bezirksgericht. Sa˛d Okre˛gowy (Polen) Bundesgericht (Schweiz) Biuletyn Sa˛du Najwyz˙szego (Polen) Bulletin des arrÞts de la Cour de Cassation rendus en matiHre civile (zitiert nach Teil, Nummer und Seite) beziehungsweise Cour de cassation (Frankreich) Cour de cassation, Assembl8e pl8niHre. Vollversammlung des Kassationshofes (Frankreich) Cour de cassation, Chambre civile. Zivilkammer des Kassationshofes (Frankreich) Cour de cassation, Chambre commerciale. Kammer für Handelssachen des Kassationshofes (Frankreich)

16 Cass. crim. Cass. mixte CC CCJC CP CPC D. DCFR ders. dies. Diss. D.J.T. EBLR ERPL ff. Fn. fra. FS Gaz. Pal. Gbl. Harv. Int’ L.J HarvLRev HAVE/REAS Hrsg. i. d. F. Indret insb. IntCompLQ IntEncCompL i. S.v. ita. i. V. m. J. Bl. JCP JCLS J. Comp. L.

Abkürzungsverzeichnis

Cour de cassation, Chambre criminelle. Strafkammer des Kassationshofes (Frankreich) Cour de cassation, Chambre mixte. Große Kammer des Kassationshofes (Frankreich) Code civil. Zivilgesetzbuch (Frankreich v. 21. 3. 1804), Cjdigo civil (Spanien v. 24. 7. 1889) Cuadernos C&vitas de Jurisprudencia civil (zitiert nach Jahr und Seite) Cjdigo penal (Spanien v. 14. 9. 1973) Code de proc8dure civile (Frankreich v. 5. 12. 1975) Recueil de jurisprudence Dalloz (zitiert nach Jahr und Seite) Draft Common Frame of Reference derselbe dieselbe Dissertation Deutscher Juristentag European Business Law Review (zitiert nach Jahr und Seite) European Review of Private Law (zitiert nach Jahr und Seite) folgende Fußnote französisch (-e, -er, -es) Festschrift Gazette du Palais: Recueil bimestral (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) Gesetzblatt Harvard International Law Journal (zitiert nach Jahr und Seite) Harvard Law Review (zitiert nach Nummer des Bandes und Seite) Haftung und Versicherung/Responsabilit8 et Assurances (zitiert nach Jahr und Seite) Herausgeber in der Fassung Indret: Revista para el An#lisis del Derecho (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) insbesondere International and Comparative Law Quarterly, (zitiert nach Jahr und Seite) International Encyclopedia of Comparative Law im Sinne von Italienisch (-e, -er, -es) in Verbindung mit Juristische Blätter (zitiert nach Jahr und Seite) Juris-Classeur p8riodique (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) Journal of Civil Law Studies (zitiert nach Jahr und Seite) Journal of Comparative Law (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite)

Abkürzungsverzeichnis

JETL JZ Kap. KPP La Ley LRCSCV m. Anm. NJW NP Nr. OG OR

OR 2020 OSAB OSNAPiUS

OSNC OSNCP OSP OSPiKA PETL PiM PiP poln. Pos. Prok. i Pr. PS RabelsZ RJ RLDC

17

Journal of European Tort Law (zitiert nach Jahr und Seite) Juristenzeitung (zitiert nach Jahr und Seite) Kapitel Kwartalnik Prawa Prywatnego (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) La Ley. Revista jur&dica espaÇola de doctrina, jurisprudencia y bibliograf&a (zitiert nach Jahr und Seite) Ley sobre responsabilidad civil y seguro en la circulacijn de veh&culos a motor v. 29. 10. 2004 mit Anmerkung Neue Juristische Wochenschrift (zitiert nach Nummer des Bandes und Seite) Nowe Prawo (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) Nummer Oberster Gerichtshof (Polen) Obligationenrecht (Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs: Fünfter Teil: Obligationenrecht, v. 30. 3. 1991, Schweiz) Huguenin/Hilty (Hrsg.) Schweizer Obligationenrecht 2020. Entwurf für einen neuen allgemeinen Teil, 2013 Orzecznictwo Sa˛du Apelacyjnego w Białymstoku (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) Orzecznictwo Sa˛du Najwyz˙szego Izba Administracyjna, Pracy i Ubezpieczen´ Społecznych (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) Orzecznictwo Sa˛du Najwyz˙szego Izba Cywilna (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) Orzecznictwo Sa˛du Najwyz˙szego Izba Cywilna/Pracy (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) Orzecznictwo Sa˛djw Polskich (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) Orzecznictwo Sa˛djw Polskich i Komisji Arbitraz˙owych (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) Principles of European Tort Law Prawo i Medycyna (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) Pan´stwo i Prawo (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) polnisch (-e, -er, -es) Position Prokuratura i Prawo (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) Przegla˛d Sa˛dowy (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (zitiert nach Jahr und Seite) Repertorio Aranzadi de Jurisprudencia (zitiert nach Jahr und Seite) Revue Lamy Droit Civile (zitiert nach Nummer des Bandes, Jahr und Seite)

18 Rn. recht Resp. civ. et assur. RPEiS RRJ RTD civ. RTFD S. schw. SJZ span. SP SPiE SPP st. Rspr. STS TBd. TS u.A. Urt. v. VE OR z. B. ZEuP ZGB ZSR

Abkürzungsverzeichnis

Randnummer Recht. Zeitschrift für juristische Ausbildung (zitiert nach Jahr und Seite) Responsibilit8 civile et assurance (zitiert nach Jahr und Seite) Ruch Prawniczy, Ekonomiczny i Socjologiczny (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) Revue de la Recherche Juridique (zitiert nach Jahr und Seite) Revue trimestrielle de droit civil (zitiert nach Jahr und Seite) Revista Telem#tica de Filosof&a del Derecho (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) Seite, Satz schweizerisch (-e, -er, -es) Schweizerische Juristenzeitung (zitiert nach Jahr und Seite) spanisch (-e, -er, -es) Studia Prawnicze (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) Studia Prawnicze i Ekonomicze (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) Studia Prawa Prywatnego (zitiert nach Jahr, Nummer des Bandes und Seite) ständige Rechtsprechung Sentencia del Tribunal Supremo. Urteil des Obersten Gerichtshofs (Spanien) Teilband Tribunal Supremo. Oberster Gerichtshof (Spanien) unter Anderem Urteil von Widmer/Wessner, Vorentwurf des Bundesgesetzes für Revision und Vereinheitlichung des Haftpflichtrechts, Bern 2000 zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (zitiert nach Jahr und Seite) Zivilgesetzbuch (Schweiz v. 10. 12. 1907) (Polen v. 23. 4. 1964) Zeitschrift für schweizerisches Recht (zitiert nach Band, Jahr und Seite)

Einführung

§1

Problemstellung

(1) Ziel dieser Arbeit ist es zu überprüfen, ob die traditionellen Voraussetzungen Verschulden, Rechtswidrigkeit, Kausalität und Schaden ein taugliches Instrument sind, um die Haftung für eigenes Fehlverhalten1 hinreichend einzugrenzen. Die Eingrenzung der Haftung ist besonders in den Rechtsordnungen wichtig, die von einer Generalklausel ausgehen. Auf den ersten Blick stellt insbesondere das französische Recht, das als Archetyp einer solchen Rechtsordnung gilt, keine Instrumente bereit, die die Haftung in vernünftigen Grenzen halten könnten.2 Die französische Grundnorm des Deliktsrechts fasst die Haftungsvoraussetzungen in zwei Sätzen zusammen: Tout fait quelconque de l’homme, qui cause / autrui un dommage, oblige celui par la faute duquel il est arriv8 / le r8parer. Chacun est responsable du dommage qu’il a caus8 non seulement par son fait, mais encore par sa n8gligence ou par son imprudence. Die Haftung für eigenes Fehlverhalten wird grundsätzlich nicht tatbestandlich eingeschränkt. (2) Das Deliktsrecht muss jedoch das Übermaßverbot achten.3 Um eine Uferlosigkeit der Haftung zu vermeiden, müssen Rechtsprechung und Lehre haftungseingrenzende Tatbestandsmerkmale herausarbeiten.4 Das gleiche Konkretisierungsbedürfnis haben auch andere Rechtsordnungen, die die deliktsrechtliche Generalklausel des Art. 1382 fr. CC (nunmehr :

1 Angesichts der Verobjektivierung des Verschuldens und der deutlichen Unterschieden in der Bedeutung des Verschuldens in den nationalen Rechtsordnungen wird der systemneutrale Begriff »Haftung für eigenes Fehlverhalten« und nicht »Verschuldenshaftung« verwendet, nach dem Beispiel von von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 209. 2 Rogers/Spier/Viney, Preliminary observations, in: Spier (Hrsg.), The Limits of Liability : Keeping the Floodgates Shut, S. 3. 3 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 1. 4 Walther, Die Konkretisierung von Generalklauseln am Beispiel der französischen deliktischen Haftung, in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.), Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht, S. 72.

20

Einführung

Art. 1240 fr. CC)5 übernommen haben.6 Zu diesen Rechtssystemen zählen insbesondere das polnische und spanische Recht. Die Grundnorm des schweizerischen Deliktsrechts basiert ebenfalls auf dem Gedanken ihrer französischen Inspirationsquelle. Die Haftungsgrenzen werden durch die Rechtsprechung im Wege der Auslegung der sowohl semantischen als auch wertungsmäßig offenen Begriffe wie Schaden, Verschulden und Kausalität formuliert.7 Auch in der kulturellen Postmoderne vor dem Hintergrund rasanter technischer und ökonomischer Entwicklungen werden die Grenzen der Haftung für eigenes Fehlverhalten immer noch mit Hilfe dem aus dem römischen Recht stammenden Zusammenspiel von Voraussetzungen8 gezogen. Die Voraussetzungen werden zudem noch immer mit den aus der Spätantike stammenden, Begriffen Schaden, Kausalität und Verschulden bezeichnet.9 Zusätzlich verlangen einige Systeme eine eigenständige Prüfung der Rechtswidrigkeit.10 In den untersuchten Rechtsordnungen überwiegt die Überzeugung, dass sich diese Voraussetzungen abstrakt und allgemein für den gesamten Bereich der Haftung für eigenes Fehlverhalten formulieren lassen. Auf diese Weise wird versucht, die deliktsrechtliche Generalklausel subsumierbar zu machen. (3) Zweifelhaft ist aber, ob das aquilianische System der Voraussetzungen im digitalen Zeitalter immer noch das leistungsfähigste Instrument ist, um die Haftung einzugrenzen. Die Reformbedürftigkeit des europäischen Deliktsrechts wird in der Rechtsvergleichung nahezu einheitlich angenommen.11 Die umfassende rechtsvergleichende Untersuchung der deliktsrechtlichen Systeme hat gezeigt, dass insbesondere die Verhältnisse zwischen der Rechtswidrigkeit, der 5 Die Nummerierung des Artikels wurde mit der Verordnung 2016–131 vom 10. 2. 2016 geändert. Über 200 Jahre trug die französische Generalklausel die Nummer 1382. 6 Machnikowski, in: Olejniczak, System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 18. 7 Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, in: Zimmermann (Hrsg.) Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, S. 213. 8 Ranieri, Europäisches Obligationenrecht3, S. 1409. 9 Frankreich: Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 175 unterscheidet zwischen allgemeinen Voraussetzungen der Deliktshaftung pr8judice und causalit8 und dem variablen fait g8n8rateur, der eine Form von fait personell fautif haben kann. Polen: Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.), Kodeks cywilny I8, Art. 415, Rn. 2 nennt als Voraussetzungen der Verschuldenshaftung den Schaden, verschuldetes Verhalten und die Kausalität. Spanien: de ]ngel Yagüez, Tratado de responsabilidad civil, S. 93 fordert für die Verschuldenshaftung »accijn u omisijn culposa, produccijn de un daÇo y relacijn de causalidad entre aqu8lla y 8ste.« Schweiz: Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 1, Rn. 145ff nennt als Voraussetzungen der Verschuldenshaftung: Existenz des Schadens, Kausalzusammenhang, Widerrechtlichkeit der Schädigung und Verschulden. 10 Art. 41 OR nennt die Rechtswidrigkeit sogar ausdrücklich als eine Haftungsvoraussetzung. 11 Busnelli, The European Frontiers of Tort Liability, in: Koziol/Spier (Hrsg.) Liber Amicorum Pierre Widmer, S. 18 sagt sogar vom »the chorus of those claiming the inadequacy of national dams to restrain the expansion of liability«.

Problemstellung

21

Fahrlässigkeit und dem Verschulden ein »unglückseliges Nebeneinander« darstellen.12 Die Bedeutung der Haftungsvoraussetzungen ist darüber hinaus in den einzelnen Rechtsordnungen sehr unterschiedlich. Die systematische Verortung der Eingrenzungskriterien ist nicht nur relativ, sondern auch missverständlich und manchmal willkürlich. Die Begriffe, welche die Haftung eingrenzen, bilden häufig eine Fassade.13 Die tatsächlichen Gründe der Schadensersatzeingrenzung bleiben hinter diesem verwirrenden äußeren Erscheinungsbild der Öffentlichkeit und sogar dem Rechtsanwender verborgen. Um zu beweisen, dass die Verortung der Eingrenzungskriterien beliebig ist, werde ich die Haftungsvoraussetzungen rechtsvergleichend untersuchen. Meine Kritik bezieht sich zum großen Teil auf die Systembildung und weniger auf die tatsächlichen durch die Rechtsprechung formulierten Grenzen der Schadensersatzpflicht. Die abstraktallgemeinen Rechtsbegriffe, die sich teilweise völlig von ihrer umgangssprachlichen Bedeutung losgelöst haben, sind nicht das ideale Instrumentarium, um die Grenzen der Ersatzfähigkeit zu bestimmen. Angesichts der Funktionsänderung des Deliktsrechts sind diese Voraussetzungen wenigstens teilweise als Instrumente der Konkretisierung unangemessen.14 (4) In Bezug auf das französische Recht wird die Kritik an den Eingrenzungsstrategien wie folgt formuliert: »les techniques de limitation sont, nous l’avons constat8, nombreuses et diversifi8es, mais elles sont employ8es de maniHre assez anarchique, sans vue d’ensemble.«15 Als potenzielle alternative Faktoren, welche die Haftung für eigenes Fehlverhalten in vernünftigen Grenzen halten können, werden insbesondere folgende Instrumente vorgeschlagen16 : (i) duty of care und Schutznormgedanke, (ii) Kausalität, (iii) differenzierte Behandlung der unterschiedlichen Schadensarten, (iv) Haftungshöchstgrenzen, (v) besondere Herabsetzungsgründe, (vi) Verschuldensgrad, (vii) finanzielle Situation des Geschädigten, (viii) Haftpflichtversicherung des Schädigers. Abgesehen von den Haftungshöchstgrenzen beziehen sich alle genannten Instrumente sowohl auf Haftungsbegründung als auch Haftungseingrenzung. In dieser Arbeit wird jedoch nur die eingrenzende Rolle der allgemeinen Voraussetzungen der Haftung 12 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 228, ähnlich Jansen, Principles of European Tort Law? Grundwertungen und Systembildung im europäischen Haftungsrecht, RabelsZ 2006, S. 769, der die Begriffe der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens als »dysfunktional« beschreibt. 13 Infantino, Causation theories and causation rules, in: Bussani/Sebok (Hrsg.) Comparative Tort Law, S. 290 mit Bezug auf die Kausalität. 14 Jansen, Principles of European Tort Law? Grundwertungen und Systembildung im europäischen Haftungsrecht, RabelsZ 2006, S. 745. 15 Viney, Mod8ration et limitation des responsabilit8s et des indemnisations, in: Spier (Hrsg.) The Limits of Liability : Keeping the Floodgates Shut, S. 127. 16 Rogers/Spier/Viney, Preliminary observations, in: Spier (Hrsg.) The Limits of Liability : Keeping the Floodgates Shut, S. 3.

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Einführung

untersucht. Laut der Grundannahme jedes Haftungssystems sollten schließlich diese Begriffe die Haftung ausreichend eingrenzen. Die Einführung zusätzlicher besonderer Ausnahmen ist womöglich lediglich ein Eingeständnis, dass die Voraussetzungen ihre ursprüngliche Rolle nicht genügend erfüllen. (5) Dank der Arbeiten der Study Group on European Civil Code und der European Group on Tort Law ist das Thema der Deliktshaftung in den europäischen Rechtsordnungen systemübergreifend gründlich erforscht. Beispielhaft, aber auch ziemlich alleinstehend für eine isolierte Untersuchung der Eingrenzungsstrategien der Deliktshaftung ist etwa das Band herausgegeben von Spier.17 Die zeitweilige Einstellung der Harmonisierungsarbeiten im Rahmen des europäischen Deliktsrechts begründet eine erneute Fokussierung der Rechtsvergleichung auf die strukturellen Probleme der nationalen Rechtsordnungen. Dabei kann und muss auf den Ergebnissen dieser Gruppen aufgebaut werden. Sie ermöglichen vor allem ein besseres Verständnis der nationalen Systeme, die oft auf ausländischen und inzwischen auch übernationalen Konzepten beruhen. (6) Die Harmonisierungsprojekte sind eine Inspirationsquelle für die potenziellen Reformarbeiten der nationalen Rechtsordnungen. Gemeinsamer Ansatz und gemeinsames Ergebnis sind eine Gesamtbetrachtung der Haftungsvoraussetzungen und ihre weitere Konkretisierung. Die in Bezug auf den Schadensbegriff formulierte Aussage: »Due to multifarious nature of modern (social and economic) life, those varied and infinite sets of circumstances do not allow for any exhaustive description«18 sollte auf alle Voraussetzungen der Haftung für eigenes Fehlverhalten Anwendung finden. Insbesondere das Potenzial der juristischen Datenbanken ermöglicht nicht nur eine stärkere Typisierung der Deliktshaftungskonstellationen, sondern zwingt möglicherweise angesichts der zunehmenden Diversität der Gesellschaft dazu. Eine deliktsrechtliche Generalklausel schließt die Idee der Typisierung nicht aus, sondern erfordert diese sogar.19 Eine allumfassende Regelung des Deliktsrechts durch die höchst abstrakten Begriffe in einer Generalklausel verdeckt nur die Komplexität des Deliktsrechts.20 (7) Um zu prüfen, ob die traditionellen Eingrenzungen der Deliktshaftung strukturell geeignet sind, wird zuerst die Verortung typischer Eingrenzungsstrategien bei den Voraussetzungen der französischen, schweizerischen, spanischen und polnischen Generalklauseln geschildert (Erster Teil). Diese rechtsvergleichende Gegenüberstellung dient als Grundlage einer kritischen Untersuchung. Kritisiert werden vor allem die Versuche, eine Generalklausel 17 18 19 20

Spier (Hrsg.) The Limits of Liability : Keeping the Floodgates Shut. PEL/von Bar, Liab. Dam., Chapter 2, Introduction, A, 3. Sacco, Einführung in die Rechtsvergleichung2, S. 94. Dufwa, Complexity of Tort Law. A Swedish Point of View, FS Koziol, S. 591ff.

Methode

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subsumierbar zu machen. Eine Grundnorm der Haftung für eigenes Fehlverhalten lässt sich nicht in eine Gleichung aus allgemein-abstrakt formulierten Voraussetzungen schreiben. Formuliert werden darüber hinaus Postulate zur möglichen Weiterentwicklung der untersuchten Deliktsrechtssysteme. Einerseits wird die Einführung eines beweglichen Systems für die Zwecke der Auslegung deliktsrechtlicher Generalklausel postuliert. Eine bewegliche Grundnorm würde für die Flexibilität sorgen. Andererseits wird für die Entwicklung der Einzeltatbestände plädiert, welche die Rechtssicherheit gewährleisten könnten (Zweiter Teil).

§2

Methode

(8) Die Systembildung des Deliktsrechts ist kritisch zu untersuchen. Das Ziel dieser Arbeit ist die systematischen Fragen der Haftungseingrenzung darzustellen und auszuwerten. Die traditionelle21 funktionelle Methode der Rechtsvergleichung ist dagegen für diese Arbeit nicht angemessen. Der Funktionalismus versucht die Unterschiede in der Dogmatik von der rechtsvergleichenden Forschung auszuklammern. Die Auseinandersetzung mit der funktionalen Methode erfordert die Orthodoxie ihrer Vertreter, welche den anderen Ansätzen jede Nützlichkeit absprechen. Zunächst wird aus diesem Grund die beanspruchte Ausschließlichkeit des Funktionalismus kritisiert (dazu unter I). Für die Untersuchung der strukturellen Anforderungen an das moderne Deliktsrecht ist der funktionale Ansatz unbrauchbar (dazu II). Es ist vielmehr erforderlich, die negative Rechtsvergleichung anzuwenden. Als kritischer und systematischer Ansatz ermöglicht sie es, die bestehenden Strukturen der Haftung zu überprüfen (dazu III). Schließlich wird die Begrenzung der Untersuchung auf die Generalklauseln sowie die Auswahl der zu untersuchenden Rechtsordnungen begründet (dazu IV).

I.

Kritik der funktionalistischen Orthodoxie

(9) Der Funktionalismus genießt den Status der Hauptmethode in der Rechtsvergleichung.22 Autoren eines der bedeutsamsten Handbücher auf diesem Gebiet beschreiben den Funktionalismus sogar als die einzige Methode der 21 Siems, Comparative Law, S. 11. 22 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung3, S. 31ff; Wendehorst, Rechtssystemvergleichung, in: Zimmermann (Hrsg.) Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung, S. 30.

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Einführung

Rechtvergleichung.23 Um diesen Ansatz zu beschreiben, sprechen die Kritiker sogar von einer funktionalistischen Orthodoxie.24 Diese offenbart sich dadurch, dass die Funktionalisten alle anderen Methoden der Rechtsvergleichung heftig bestreiten. (10) Der Anspruch der Vertreter des Funktionalismus an die Ausschließlichkeit ist unbegründet. Keine Methode hat ein Monopol im Rahmen der rechtsvergleichenden Forschung.25 Die Auswahl der Methode soll jeweils den Anforderungen der Klienten der Rechtsvergleichung dienen und den Kontext der Untersuchung berücksichtigen.26 Die Nützlichkeit der funktionalen Rechtsvergleichung für die juristische Praxis lässt sich zwar nicht bestreiten. Schließlich hat die Frage nach den Ergebnissen der Rechtsanwendung die größte Bedeutung. Der Funktionalismus unmittelbar der juristischen Praxis.27 Der funktionale Ansatz, verstanden als Untersuchung der Lösungen konkreter gesellschaftlicher Probleme, ist jedoch für einige Aufgaben der Rechtsvergleichung unbrauchbar.28 Die Rechtsvergleichung sollte nicht nur die Ergebnisse der Rechtsanwendung, sondern auch ihre Methoden untersuchen. Kritisiert wird deswegen nicht der funktionale Ansatz an sich, sondern sein Anspruch der Ausschließlichkeit. Die Rechtsvergleichung sollte ebenfalls die Systembildung des Rechts untersuchen.

II.

Unbrauchbarkeit des Funktionalismus für die Untersuchung der Systembildung

(11) Für die Zwecke dieser Arbeit ist der Funktionalismus nicht brauchbar. Es liegt nämlich kein gesellschaftliches Problem vor, dessen rechtliche Betrachtung in den nationalen Rechtsordnungen untersucht werden soll. Die Systembildung des Deliktsrechts ist eine Frage der juristischen Methodenlehre. Es handelt sich daher nicht um ein gesellschaftliches Problem, sondern um eine Methode, sol23 Markesinis, Rechtsvergleichung in Theorie und Praxis, S. 86. In einer Tabelle präsentiert der Autor, wie häufig Zweigert und Kötz im wissenschaftlichen Schrifttum zitiert werden. Die Anzahl der Zitierungen ist bei beiden Autoren fast gleich, was beweist, dass fast alle Verweise ihr gemeinsames Werk betreffen. 24 Gerber, Sculpting the Agenda of Comparative Law : Ernst Rabel and the FaÅade of Language, in: (Hrsg.) Riles, Rethinking the Masters of Comparative Law, S. 190; Legrand, Negative Comparative Law, J. Comp. L. 2015, Nr. 2, S. 406ff. 25 Basedow, Comparative Law and its Clients, AJCL 2014, S. 856; Kischel, Rechtsvergleichung § 3, Rn. 31; Siems, Comparative Law, S. 40. 26 Basedow, Comparative Law and its Clients, AJCL 2014, S. 821ff. 27 Rabel, Aufgabe und Notwendigkeit der Rechtsvergleichung, S. 22. 28 Michaels, The Functional Method of Comparative Law, in: Reimann/Zimmermann (Hrsg.) The Oxford Handbook of Comparative Law, S. 380.

Methode

25

che Probleme zu lösen. Der Funktionalismus klammert die Zusammenhänge zwischen den Rechtsbegriffen der nationalen Systeme von der Untersuchung aus.29 Seine Vorgehensweise ist daher punktuell.30 Sie mag für die Praxis besonders effektiv sein. Für eine strukturelle und dogmatische Untersuchung ist dieser Ansatz aber nicht geeignet. Insbesondere vernachlässigt der Funktionalismus die Systembildung und die Terminologie des Rechts.31 Zwar postuliert er hinter die Fassade der juristischen Begriffe hineinzureichen, fokussiert jedoch die Bedeutung der Rechtsbegriffe und ihr Zusammenspiel nicht.32 Der Funktionalismus stellt die Systematik der nationalen Rechtsordnungen nicht in Frage, sondern geht von ihrer Rationalität und Kohärenz aus.33 Die systemübergreifende Gleichheit der Lösungen soll die Systembildung der nationalen Rechtsordnungen zusätzlich unterstützen. Es ist jedoch gerade die Rechtsvergleichung, welche die Mängel und Widersprüche einer nationalen Systembildung enthüllen kann.34 Anders als beim orthodox funktionalistischen Ansatz sollte ein Rechtsvergleicher die Vergangenheit wiedererleben, um die Gegenwart zu verstehen und sich für die Zukunft besser vorzubereiten.35 Diese Ziele kann nur ein kritischer Ansatz erreichen.

III.

Negative Rechtsvergleichung

(12) Um die Systembildung des Deliktsrechts zu untersuchen, ist es notwendig den Begriffen der einzelnen Rechtsordnungen zunächst treu zu bleiben und sie kritisch gegenüberzustellen. Eine geeignete Methode dafür ist die negative Rechtsvergleichung. Deswegen wird statt einer problemorientierten, eine systemorientierte Methode angewandt (dazu 1). Im Ersten Teil dieser Arbeit wird daher die traditionelle Systembildung der Haftung für eigenes Fehlverhalten 29 Frankenberg, Critical Comparisons: Re-thinking the Comparative Law, Harv. Int’ L.J, 1985, S. 440. 30 Gerber, Sculpting the Agenda of Comparative Law : Ernst Rabel and the FaÅade of Language, in: (Hrsg.) Riles, Rethinking the Masters of Comparative Law, S. 204ff. Die Gegenargumente von Markesinis vermögen nicht zu überzeugen. 31 Einige Autoren schreiben dem Funktionalismus auch eine systematisierende Funktion zu: Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung3, S. 43ff. In diesem Bereich ist die rabelsche Methode jedoch dadurch begrenzt, dass die dogmatischen Fragen auf den nationalen Rechtsordnungen aufbauen: Michaels, The Functional Method of Comparative Law, in: Reimann/Zimmermann (Hrsg.) The Oxford Handbook of Comparative Law, S. 373. 32 Gerber, Sculpting the Agenda of Comparative Law : Ernst Rabel and the FaÅade of Language, in: Riles (Hrsg.) Rethinking the Masters of Comparative Law, S. 208. 33 Frankenberg, Critical Comparisons: Re-thinking the Comparative Law, Harv. Int’ L.J, 1985, S. 446. 34 AaO, S. 448. 35 Legrand, Negative Comparative Law, J. Comp. L. 2015, Nr. 2, S. 430.

26

Einführung

geschildert. Ein kritischer Ansatz hat demgegenüber das Ziel, Postulate für eine moderne Strukturbildung des Deliktsrechts herauszukristallisieren (dazu 2). Diese kritische Methode wird im Zweiten Teil der Arbeit angewandt.

1.

Systematischer Ansatz

(13) Die Problemstellung dieser Arbeit erfordert eine systemorientierte Vorgehensweise. Die untersuchten Begriffe des Verschuldens, der Rechtswidrigkeit, der Kausalität und des Schadens werden von ihrer jeweiligen nationalen Bedeutung nicht befreit, um ihre Relativität zu beweisen.36 Trotz der gleichen Begriffe und zahlreichen methodologischen Übernahmen gibt es keine gemeineuropäische Morphologie des Deliktsrechts. Diese Diversität im Verständnis der Grundbegriffe bedeutet nicht, dass die Entwicklung einer paneuropäischen Systematik unmöglich wäre. Dazu ist es jedoch notwendig, über die traditionellen Strukturen des Deliktsrechts hinauszublicken, um die tatsächlichen Argumentationsmodelle zu entdecken.37 Diese Modelle sind das Wesen des Deliktsrechts.38 Es handelt sich nicht nur um den Vergleich der in den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen vorfindlichen Theorien, um die »beste« Regel auszuformulieren.39 Angestrebt wird, die Plausibilität der gemeineuropäisch vorherrschenden Systembildung des Deliktsrechts zu überprüfen.

2.

Kritischer Ansatz

(14) Das eigentliche Ziel dieser Arbeit ist allerdings nicht, lediglich die traditionellen Begriffe und Strukturen des Deliktsrechts als Instrumente der Haftungseingrenzung zu hinterfragen, sondern vor allem, nach methodologischen Alternativen zu suchen. Die negative Rechtsvergleichung ermöglicht durch ihre Dekonstruktion der Systembildung auch eine darauffolgende Rekonstruktion.40 Versucht wird, das Deliktsrecht zu dekonstruieren, um die traditionellen Begriffe als widersprüchlich zu entlarven. Dafür ist es notwendig, sich von der 36 AaO, S. 433. Es handelt sich um die in der negativen Rechtsvergleichung postulierte singularity of the foreign. 37 Markesinis/von Bar, Richterliche Rechtspolitik im Haftungsrecht: eine methodenvergleichende Untersuchung, S. 51ff sprechen in diesem Zusammenhang von dem »policy approach«, was zum Ausdruck bringt, dass die nationalen Begriffe »lediglich verbale Formulierungsmöglichkeiten eröffnen, mit denen Richter ihre Wertentscheidungen zum Ausdruck bringen können.« 38 Schulz, A Swedish critique of Principles of European Tort Law, EBLR 2007, S. 1315. 39 Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, in: Zimmermann (Hrsg.) Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, S. 339. 40 Legrand, Negative Comparative Law, J. Comp. L. 2015, Nr. 2, S. 411.

Methode

27

bisherigen Dogmatik zu distanzieren.41 Die Dekonstruktion ist die Hauptmethode der Postmoderne in der Rechtsvergleichung.42 Dieser Ansatz ist sehr nah am skandinavischen Pragmatismus, der strikte Definitionen der Hauptkonzepte des Deliktsrechts vermeidet.43 Nach dem kritischen Ansatz soll die Rechtsvergleichung aufhören, das Recht als Ersatz für die Realität zu kontzeptualisieren.44 (15) Die deliktsrechtliche Generalklausel dient zwar als ein Paradebeispiel für ein legal transplant.45 Selbst im engen Bereich der deliktsrechtlichen Eingrenzungsstrategien unterscheiden sich jedoch die untersuchten Rechtsordnungen grundsätzlich. Vor allem die Methode der Haftungseingrenzung und nicht die Haftungsgrenzen sind verschieden. Die Postmodernisten behaupten, dass legal transplants an sich unmöglich sind,46 weil die Unterschiede zwischen den Sprachen einfach zu groß seien.47 Die in dem ersten Teil dieser Arbeit dargestellten Unterschiede in dem nationalen Verständnis der deliktsrechtlichen Generalklausel bestätigen diese These. (16) Die Kritiker des Postmodernismus werfen seinen Vertretern vor, realitätsfremd zu sein. Die negative Rechtsvergleichung sei weder für die Judikatur noch für den Gesetzgeber nützlich.48 Mit dem Verzicht auf den Funktionalismus geht die Praxisrelevanz jedoch nicht verloren. Die Rechtsvergleichung sollte ebenfalls die Strukturen des Rechts und nicht lediglich die Lösung konkreter gesellschaftlichen Probleme untersuchen. Die strukturellen Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsordnungen können zur Modernisierung der nationalen Systembildung beitragen. Diese Aufgabe ist für die Praxis ebenfalls relevant, weil sie die Qualität der Rechtsanwendung verbessern kann. Eines der Hauptpostulate der negativen Rechtsvergleichung: »All the law needs, then, is to improve, shape up, and be more in touch with reality«49 scheint im Deliktsrecht besonders aktuell zu sein.

41 Frankenberg, Critical Comparisons: Re-thinking the Comparative Law, Harv. Int’ L.J 1985, S. 448. 42 Kischel, Rechtsvergleichung, § 3, Rn. 27. 43 Schulz, A Swedish critique of Principles of European Tort Law, EBLR 2007, S. 1321. 44 Frankenberg, Critical Comparisons: Re-thinking the Comparative Law, Harv. Int’ L.J 1985, S. 447. 45 PEL/von Bar, Liab. Dam., Chapter 2, Article 2:101, Notes, V, 39 beschreibt die spanische Generalklausel als ein legal transplant von Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC). 46 Legrand, Negative Comparative Law, J. Comp. L., 2015, Nr. 2, S. 438f. 47 AaO, S. 443: »The abyss across languages is unbridgeable.« 48 Markesinis, Rechtsvergleichung in Theorie und Praxis. Ein Beitrag zur rechtswissenschaftlichen Methodenlehre, S. 51ff. 49 Frankenberg, Critical Comparisons: Re-thinking the Comparative Law, Harv. Int’ L.J, 1985, S. 446.

28

Einführung

IV.

Grenzen der Untersuchung

1.

Begrenzung der Untersuchung auf die Generalklauseln der Haftung für eigenes Fehlverhalten

(17) Die Systembildung des Deliktsrechts wird nur am Beispiel der Generalklauseln der Haftung für eigenes Fehlverhalten untersucht. Die Verschuldenshaftung ist immer noch der wichtigste Teil des Deliktsrechts und ihr Bedeutungsrückgang ist nicht in Sicht.50 Die Schlussfolgerungen dieser Arbeit sind jedoch auf die anderen Bereiche des Deliktsrechts,insbesondere auf die Gefährdungshaftung, anwendbar. (18) Der Grund für die Begrenzung des Forschungsgegenstandes auf die Generalklauseln ist, dass das hohe Abstraktionsniveau der Gesetzgebung eine vertiefte Untersuchung der eigentlichen Argumentationsmuster, welche über die Ersatzfähigkeit entscheiden, ermöglicht. Dabei lässt sich die Relativität der abstrakt-allgemeinen Grundbegriffe des Deliktsrechts enthüllen. Die Ergebnisse der Untersuchung im ersten Teil dieser Arbeit werden beweisen, dass die Strukturbildung der Deliktshaftung in den ausgewählten Rechtsordnungen nur scheinbar ählich ist. 2.

Begründung der Länderauswahl

(19) Die Deliktsrechtssysteme, welche eine Generalklausel enthalten, sollen eine eigenständige Gruppe bilden. Es wird behauptet, dass die Einzeltatbestände einer ständigen Ergänzung bedürfen, während die offenen Generalklauseln eine restriktive Auslegung verlangen.51 Dennoch sind die Unterschiede zwischen den nationalen Generalklauseln nicht zu unterschätzen. Das hohe Abstraktionsniveau und die knappe Formulierung dieser fundamentalen Regeln des Deliktsrechts führen dazu, dass selbst kleinste Wortlautabweichungen die Auslegung grundsätzlich ändern können. Sogar gleichlautende Begriffe werden in den einzelnen nationalen Rechtsordnungen sehr unterschiedlich ausgelegt. Diese Unterschiede zu erkennen, könnte den wissenschaftlichen Austausch erleichtern. Letztlich erlangen selbst die aus den anderen Rechtsordnungen übernommenen Begriffe und Theorien mit der Zeit eine differenzierte Bedeutung, die sich an die Erfordernisse des eigenen Rechtssystems anpasst. (20) Diese Arbeit setzt sich mit dem französischen, polnischen, schweizerischen und spanischen Recht auseinander. Die Hauptvoraussetzung bei der 50 Wagner, Comparative Tort Law, in: Reimann/Zimmermann (Hrsg.) The Oxford Handbook of Comparative Law, S. 1041. 51 Koziol, Generalnorm und Einzeltatbestände als Systeme der Verschuldenshaftung: Unterschiede und Angleichungsmöglichkeiten, ZEuP 1995, S. 361.

Methode

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Länderauswahl war eine deliktsrechtliche Generalklausel als Grundnorm der Haftung für eigenes Fehlverhalten. Die Berücksichtigung von sogar vier Rechtsordnungen hat die Tiefe der Untersuchung der einzelnen Systeme zwar deutlich reduziert. Ziel dieser Arbeit ist es jedoch nicht, die nationalen Deliktsrechte umfassend zu beschreiben. In diesem Bereich gibt es bereits umfangreiches, teilweise auch deutschsprachiges Schrifttum.52 Die Zahl der Rechtsordnungen ist damit begründet, dass die Relativität der Grundbegriffe nur durch die Gegenüberstellung von mehreren Systemen ausreichend zur Geltung kommen kann. Das französische Recht ist ein Beispiel für eine Rechtsordnung, in der das Verschulden die Hauptrolle bei der Haftungseingrenzung spielt. Das polnische Recht legt dagegen den Hauptfokus auf den Kausalzusammenhang, das schweizerische Recht wiederum auf die Rechtswidrigkeit. Im spanischen Recht gibt es eine Tendenz, für die Zwecke der Haftungseingrenzung neue Rechtsbegriffe zu entwickeln. (21) Bei der Länderauswahl wurden zudem die europäischen Rechtskreise53 berücksichtigt. Vor allem auf dem Gebiet des Deliktsrechts lässt sich kein homogener kontinental-europäischer Rechtskreis54 feststellen. Als Vertreter des romanischen Rechtskreises55 wurden das französische und das spanische Deliktsrecht untersucht. Dabei spielt die französische Generalklausel eine Musterrolle und die spanische Generalklausel erweist sich als eine Rezeption. Das schweizerische Recht vertritt den deutschsprachigen Rechtskreis.56 Besonders im Rahmen des Deliktsrechts sind die Einflüsse der deutschen Dogmatik auf die durch das französische Recht inspirierten Rechtsnormen sehr ersichtlich. Ferner ist die eidgenössische Kodifikation dank ihrer Verständlichkeit Gegenstand zahlreicher Rezeptionen.57 Die polnische Kodifikation wurde wiederum insbesondere im Bereich des Deliktsrechts durch alle vier in der zweiten polnischen Republik geltenden Rechtsordnungen beeinflusst.58 Zwar wird behauptet, das französische Recht habe mit der Übernahme der Generalklausel auf dem Gebiet des Deliktsrechts das Gefecht gewonnen.59. Jedoch ähnelt die Gesamtregelung

52 U.A. von Bar, (Hrsg.) Deliktsrecht in Europa: systematische Einführungen, Gesetzestexte, Übersetzungen, Köln 1994, und neulich Koziol, (Hrsg.) Grundfragen des Schadenersatzrechts aus rechtsvergleichender Sicht, Wien 2014 mit Länderberichten zum französischen und polnischen Recht. 53 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung3, S. 62ff. 54 Rheinstein, Einführung in die Rechtsvergleichung2, S. 83ff. 55 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung3, S. 73ff. 56 AaO, S. 166ff. 57 Rheinstein, Einführung in die Rechtsvergleichung2, S. 87. 58 Zoll/Liebscher, Einführung in das polnische Recht, S. 105f. 59 Mazeaud, Kilka nowych postanowien´ w polskim Kodeksie zobowia˛zan´, Nowy Kodeks Zobowia˛zan´ 1936, S. 30ff.

30

Einführung

der unerlaubten Handlungen eher den detaillierten Lösungen des deutschsprachigen Rechtskreises.

§3

Deliktsrechtliche Generalklauseln

(22) Die Einstufung einer deliktsrechtlichen Grundnorm als eine Generalklausel ist nicht unproblematisch. Deswegen wird zunächst geschildert, wie der Begriff der Generalklausel in den nationalen Rechtsordnungen verstanden wird (dazu unter I). Danach wird die Rolle einer Generalklausel als deliktsrechtliche Grundnorm beschrieben (unter II). Schließlich werden die zu untersuchenden Generalklauseln vorgestellt (unter III).

I.

Begriff der Generalklausel

(23) Der Generalklauselbegriff wurde in der deutschen Rechtswissenschaft entwickelt.60 Bei Generalklauseln handelt es sich um präzisierungsbedürftige gesetzliche Vorschriften61, die nur einen vagen Richtliniengehalt enthalten.62 In den untersuchten Rechtsordnungen dagegen ist der Begriff der Generalklausel entweder unbekannt oder es werden lediglich juristische Begriffe und nicht Rechtsnormen so genannt. (24) Die Norm des Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC) wird in der deutschsprachigen rechtsvergleichenden Lehre zwar fast allgemein als Generalklausel eingestuft. Der Begriff der »clause g8n8ral« ist im französischen Recht aber fast unbekannt.63 Die Grundnorm des Deliktsrechts wird allerdings als

60 Walther, Die Konkretisierung von Generalklauseln am Beispiel der französischen deliktischen Haftung in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.) Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht, S. 63ff. 61 Haubelt, Die Konkretisierung von Generalklauseln, S. 5: »unmittelbar geltende, aber inhaltlich präzisierungsbedürftige rechtliche Anordnungen«; Werner, Zum Verhältnis von gesetzlichen Generalklauseln und Richterrecht, S. 197. 62 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2, S. 582. 63 Walther, Die Konkretisierung von Generalklauseln am Beispiel der französischen deliktischen Haftung in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.) Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht, S. 63. Der Begriff wird aber gelegentlich zur Bezeichnung von Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC) verwendet: R8my, R8flexions pr8liminaires sur le chapitre Des d8lits, in: Terr8 (Hrsg.) Pour une r8forme du droit de la responsabilit8 civile, S. 36. Viney/ Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 439 beschreiben Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC) als clausula generalis.

Deliktsrechtliche Generalklauseln

31

Prinzip bezeichnet.64 Es wird ferner von der rHgle de la r8paration civile65 gesprochen. (25) In Spanien wird der Begriff »cl#usula general« in Anführungszeichen gesetzt66 und überwiegend im rechtsvergleichenden Kontext angewandt.67 Die in Art. 1902 span. CC formulierte Generalklausel wird in der Lehre als principio general del derecho bezeichnet.68 Der Tribunal Supremo stuft die Regel des alterum non laedere als allgemeinen Rechtsgrundsatz ein.69 Es handelt sich hier um eine Regel im Sinne von Art. 1 Abs. 4 span. CC: »Los principios generales del derecho se aplicar#n en defecto de ley o costumbre, sin perjuicio de su car#cter informador del ordenamiento jur&dico.«70 (26) Angesichts der Tatsache, dass die eidgenössische Grundnorm die Voraussetzung der Rechtswidrigkeit ausdrücklich formuliert, erscheint es besonders fraglich, ob Art. 41 OR eine Generalklausel ist. Dennoch wird dieser allgemeine Haftungstatbestand als Generalklausel der Haftung für eigenes Fehlverhalten qualifiziert.71 Weiter heißt es, dass Generalklauseln für das schweizerische Privatrecht typisch seien.72 (27) Im polnischen Recht wird der Begriff »Generalklausel« grundsätzlich nur für juristische Begriffe und nicht für Rechtsnormen verwendet. Als Paradebeispiel einer Generalklausel gelten die Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Sie spielen die gleiche Rolle wie die Gute-Sitten-Klausel im deutschen Recht. Ähnlich wie in Frankreich und in Spanien wird Art. 415 poln. ZGB lediglich beim Vergleich mit dem BGB als Generalklausel der deliktischen

64 Walther, Die Konkretisierung von Generalklauseln am Beispiel der französischen deliktischen Haftung in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.) Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht, S. 63; Lalou, Trait8 pratique de la responsabilit8 civile6, Rn. 11. 65 Colin/Capitant, Cours 8l8mentaire de droit civil franÅais II, S. 355. 66 Pantaleon Prieto, in: Paz-Ares Rodr&guez, D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Bercovitz, Salvador Coderch (Hrsg.) Comentario del Cjdigo Civil, Ministerio de Justicia II 2, S. 1994. 67 Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: (Hrsg.) Dom&nguez Luelmo, Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2047. 68 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, in: Paz-Ares Rodr&guez, D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Bercovitz, Salvador Coderch (Hrsg.) Comentario del Cjdigo Civil, Ministerio de Justicia II 2, S. 10; Gulljn Ballesteros, in: Sierra Gil de la Cuesta (Hrsg.) Comentario del cjdigo civil I, Art. 1, S. 355; Mac&as Castillo, El daÇo causado por el ruido y otras inmisiones, La Ley 2004, S. 272. 69 Urt. TS v. 15. 6. 1981, RJ 1981, 2524. 70 »Die allgemeinen Rechtsgrundsätze werden bei Fehlen eines Gesetzes oder Gewohnheitsrechst angewendet, unbeschadet ihres die Rechtsordnung erklärenden Wesens.« Übersetzung nach: Peuster, Das spanische Zivilgesetzbuch, Köln 1979. 71 Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und besonderer Teil, Rn. 1843; Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 1: clause g8n8rale de responsabilit8 pour faute. 72 Posch, Grundzüge fremder Privatrechtssysteme, S. 60.

32

Einführung

Haftung bezeichnet.73 Generalklausel meint dabei nicht, dass die Regelungsdichte unvollständig ist, sondern dass alle Schadensarten durch die Rechtsnorm gedeckt sind.

II.

Die Generalklausel als Grundnorm des Deliktsrechts

(28) Als deliktsrechtliche Grundnorm steht eine Generalklausel traditionellerweise einem System der Einzeltatbestände gegenüber. Bei den Einzeltatbeständen wird vom Enummerationsprinzip bzw. -system gesprochen.74 Die Systeme des Deliktsrechts werden jedoch viel adäquater in Regel- und Prinzipienmodelle aufgeteilt, wobei der unterschiedliche Generalisierungsgrad der Systeme das Aufteilungskriterium bildet.75 Charakteristisch für eine deliktsrechtliche Generalklausel ist die allgemeine Geltung und das Fehlen von deskriptiven Tatbestandsmerkmalen.76 Was sie von den Einzeltatbeständen unterscheidet, ist vor allem ihre allgemeine Geltung. Die allgemeine Geltung ist in den einzelnen Rechtssystemen von unterschiedlichem Umfang.77 Der Grund dafür ist, dass auch die Einzeltatbestände präzisierungsbedürftige Begriffe enthalten. Deswegen eignet sich die Bezeichnung als »allgemeines Prinzip der Haftung für eigenes Fehlverhalten« für die Beschreibung einer deliktischen Grundnorm nach dem Muster des Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC) viel besser als »Generalklausel«. (29) Eine Generalklausel soll den Rechtsanwender von detaillierten Merkmalen befreien.78 In einem auf eine Generalklausel gestützten System sei es nicht notwendig, bestimmte Verhaltensweisen, welche die außervertragliche Haftung begründen, vorherzusehen oder zu definieren.79 Deswegen definiert der Gesetzgeber die Haftungsvoraussetzungen in diesen Rechtsordnungen nicht. Eine echte Generalklausel ist dadurch charakterisiert, dass die Gerichte ausschließlich aus ihr die Regeln der Haftung für eigenes Fehlverhalten konstruieren würden.80 So wird die Aufgabe, Merkmale zu formulieren, vom Gesetzgeber an 73 Machnikowski, System Prawa Cywilnego VI2, § 15, Rn. 18. 74 Börgers, Von den »Wandlungen« zur »Rekonstruierung« des Deliktsrechts, S. 46ff. 75 Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, in: Zimmermann (Hrsg.) Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, S. 199. 76 Börgers, Von den »Wandlungen« zur »Rekonstruierung« des Deliktsrechts, S. 48. 77 Allen vier Rechtsordnungen gemeinsam ist, dass die deliktsrechtliche Generalklausel grundsätzlich für den ganzen Bereich der Haftung für eigenes Fehlverhalten gilt. 78 Walther, Die Konkretisierung von Generalklauseln am Beispiel der französischen deliktischen Haftung, in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.) Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht, S. 65. 79 Gaudemet/Desbois/Gaudemet, Th8orie g8n8rale des obligations, S. 301. 80 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht I, Rn. 14.

Deliktsrechtliche Generalklauseln

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die Rechtsprechung und teilweise an die Lehre weitergereicht. Die Haftung in diesen Rechtsordnungen unterliegt »mannigfachen« Einschränkungen81, die durch die Rechtsprechung und Lehre entwickelt werden. Dass anders als in den Rechtssystemen, die auf dem Enummerationsprinzip beruhen, die geschützten Rechtsgüter nicht eingegrenzt sind, muss durch die Schaffung anderer Voraussetzungen kompensiert werden. (30) Die Anwendung von Generalklauseln im Rahmen des Deliktsrechts wird häufig kritisiert. Die Kritiker sagen, der Gesetzgeber würde in die Generalklauseln fliehen.82 Angesichts der Tatsache, dass sich die Grundnormen abstrakt-allgemeiner Begriffe wie »Verschulden« oder »Schaden« bedienen, ist ihre Konkretisierung natürlich erforderlich. Deswegen sei eine Generalklausel für die Harmonisierung des Deliktsrechts nicht nützlich. Sie könne ihre Funktion lediglich in den nationalen Rechtsordnungen erfüllen, in denen die Rechtsprechung die Interessen schon entsprechend abgewogen hat.83 Diese Kritik ist jedoch nicht überzeugend. Denn in den Systemen der Einzeltatbestände sind ebenfalls Tatbestandselemente zu finden, die noch einer Wertung bedürfen .84 (31) Zu den positiven Seiten der Generalklausel zählt demgegenüber vor allem, dass sie sich den Änderungen in der Gesellschaft anpassen und vom Gesetzgeber nicht vorhergesehene Sachverhaltskonstellationen regulieren kann.85 Laut den Befürwortern der Generalklausel als Grundnorm des Deliktsrechts kommen in den kasuistischen Systemen die Wertungen des Deliktsrechts letztlich nicht genug zur Geltung, weil die Rechtsprechung bei der Ausfüllung der Regelungslücken diese Grundwertungen häufig missachte.86

III.

Formulierung von deliktsrechtlichen Generalklauseln

(32) Eine Musterrolle für alle deliktsrechtlichen Generalklauseln spielt Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC). Es sind aber nicht alle untersuchten Grundnormen genau nach diesem Muster gebaut. Während sowohl die spanische als auch die polnische Generalklausel vergleichsweise treue Kopien ihrer Inspirationsquelle sind (dazu unter 1), beinhaltet die eidgenössische Grundnorm ein zusätzliches ausdrücklich formuliertes Kriterium der Ein81 Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, in: Zimmermann (Hrsg.) Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, S. 200. 82 Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 593. 83 Koziol, Ein europäisches Schadenersatzrecht – Wirklichkeit und Traum, J. Bl. 2001, S. 33. 84 Börgers, Von den »Wandlungen« zur »Rekonstruierung« des Deliktsrechts, S. 49. 85 R8my, R8flexions pr8liminaires sur le chapitre Des d8lits, in: Terr8 (Hrsg.) Pour une r8forme du droit de la responsabilit8 civile, S. 36. 86 Koziol, Ein europäisches Schadenersatzrecht – Wirklichkeit und Traum, J. Bl. 2001, S. 33.

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Einführung

grenzung: die Rechtswidrigkeit. Dadurch verliert sie den Charakter einer typischen Generalklausel (unter 2). 1.

Typische Generalklauseln

(33) Als typisch werden die Generalklauseln eingestuft, die im Vergleich zur Musterklausel des Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC) keine zusätzlichen Eingrenzungskriterien formulieren. Zwischen diesen Normen bestehen jedoch grundsätzliche Unterschiede. Während die spanische Generalklausel nicht vom Gesetzgeber konkretisiert wird, werden im polnischen Recht in der Kodifikation ausdrücklich einige Eingrenzungsstrategien formuliert. Unterschiedlich ist außerdem die Rolle der Rechtsprechung bei der Haftungseingrenzung. a) Code civil (34) Die knappe Formulierung der französischen Generalklausel ist eine Folge der Überzeugung des revolutionären Gesetzgebers, dass die Gesetze »ne peuvent gouverner que par des principes g8n8raux, constants et absolus«.87 Eine solche allgemeine Regel, die überzeitlich und absolut sei, sei das Verschulden – la faute. Das Verschulden spielt in Art. 1382f. fr. CC (nunmehr : Art. 1240f. fr. CC) die wichtigste Rolle.88 Der Wortlaut der französischen Generalklausel entspricht der Formel des neminem laedere89 und somit dem aquilianischen Haftungssystem.90 Das Verschulden war jedoch in den ersten Kodifikationsentwürfen in der Formulierung der deliktsrechtlichen Formel nicht mit inbegriffen. Der Entwurf von Olivier (1786) sah für die Generalklausel nur die Voraussetzung des persönlichen Verhaltens als Eingrenzungskriterium vor. So lautete Art. IV des Entwurfs: »On ne r8pond que de son propre fait et non du fait d’autrui (…)«.91 Formuliert wurde eine Ausnahmeregel: »On n’est point responsable d’un conseil donn8 de bonne foi mais on l’est d’un mauvais conseil donn8 par malice.«92 Dieser

87 Descamps, Les origines de la responsabilit8 pour faute personnelle dans le code civil de 1804, S. V: Vorwort von Anne Lefebvre-Teillard; Mazeaud/Mazeaud/Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle6, Rn. 43 sprechen von der Regel susceptible d’applications illimit8es. 88 Gazzaniga, Introduction historique au droit des obligations, S. 255. 89 Sacco, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 94. Descamps, Les origines de la responsabilit8 pour faute personnelle dans le code civil de 1804, S. 463. 90 Gazzaniga, Introduction historique au droit des obligations, S. 255. 91 Descamps, Les origines de la responsabilit8 pour faute personnelle dans le code civil de 1804, S. 444. 92 AaO, S. 444.

Deliktsrechtliche Generalklauseln

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Entwurf regulierte das ganze Deliktsrecht in nur vier Artikeln. Der Schädiger sollte grundsätzlich verschuldensunabhängig haften.93 Die von Cambac8rHs (1793) vorgeschlagene Formulierung: »Tout homme qui a caus8 du dommage / un autre, dans sa personne ou dans ses biens, est oblig8 / le r8parer.« zählte die rechtlich geschützten Interessen auf, ohne das Verschulden vorauszusetzen.94 Sein zweiter Entwurf aus 179495 und dritter Entwurf aus 1796 setzten ebenfalls kein Verschulden voraus.96 Es handelte sich daher um eine reine Kausalhaftung, die entsprechend eingegrenzt werden musste.97 Diese Eingrenzung erfolgte im dritten Entwurf durch eine zusätzliche Kompetenznorm für die Richter : »Le dommagement est r8gl8 par les juges, selon les circonstances et sur un rapport d’experts.«98 Der verschuldensunabhängige Charakter der Haftung entsprach der Rechtslage im Mittelalter99 und im Ancien R8gime100. Die Eingrenzung der Haftung in diesen Epochen fand dadurch statt, dass die Geltendmachung der Schadenersatzansprüche nur im Rahmen des Strafprozesses möglich war.101 Die Emanzipierung der Deliktshaftung vom Strafrecht erforderte die Entwicklung einer neuen Eingrenzungsstrategie. Diese Rolle hat das Verschulden übernommen.102 Im letzten Entwurf aus 1800 wurde zunächst folgende Generalklausel vorgeschlagen: »Tout fait quelconque de l’homme, qui cause / autrui un dommage, oblige celui par la faute duquel il est arriv8 / le r8parer, encore que la faute ne soit point de la matiHre de celle qui expose / des peines de police ou correctionnelles.«103 Zudem enthielt dieser Entwurf die Klarstellung, dass die Haftung nicht nur durch die Verletzung von strafrechtlichen Rechtsnormen begründet werden kann. Somit wurde die Rechtswidrigkeit in der deliktsrechtlichen Grundnorm negativ definiert. Letztendlich ist jedoch diese Klar-

93 AaO, S. 445. 94 AaO. 95 Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 202; Auzary-Schmalz, Liability in Tort in France before the Code Civil, in: Schrage (Hrsg.) Negligence. The Comparative Legal History of the Law of Torts, S. 337. 96 Descamps, Les origines de la responsabilit8 pour faute personnelle dans le code civil de 1804, S. 445. 97 Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 202. 98 Descamps, Les origines de la responsabilit8 pour faute personnelle dans le code civil de 1804, S. 450f. 99 L8vy/Castaldo, Historie du droit civil, Rn. 637. 100 Auzary-Schmalz, Liability in Tort in France before the Code Civil, in: Schrage (Hrsg.) Negligence. The Comparative Legal History of the Law of Torts, S. 337. 101 L8vy/Castaldo, Historie du droit civil, Rn. 637. 102 Viney, Introduction / la responsabilit82, Rn. 12. 103 Descamps, Les origines de la responsabilit8 pour faute personnelle dans le code civil de 1804, S. 453.

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stellung eliminiert worden.104 Im Laufe der gesetzgeberischen Arbeiten brachte die Einführung des Verschuldensprinzips keine erheblichen Zweifel auf.105 Die Mitglieder des Corps l8gislatif haben die Formel des Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC) »une des premiHres maximes de la soci8t8« und »grand principe d’ordre public« genannt.106 Die endgültige und immer noch geltende Fassung proklamiert laut der französischen Lehre den Grundsatz: »une faute est n8cessaire, mais une faute quelconque est suffisante.«107

b) Código civil (35) Die spanische Generalklausel: »El que por accijn u omisijn causa daÇo a otro, interviniendo culpa o negligencia, est# obligado a reparar el daÇo causado« basiert direkt auf der französischen Grundnorm.108 Außerdem verbindet sie den Wortlaut von Artt. 1382 und 1382 fr. CC (nunmehr : Artt. 1240 und 1241 fr. CC), indem sie Vorsatz- und Fahrlässigkeitshaftung gemeinsam reguliert. Somit ist die spanische Grundnorm noch knapper formuliert als ihr Muster. Schon im ersten Entwurf des span. CC von 1851 wurde eine Generalklausel vorgeschlagen. Art. 1900 lautete: »Todo el que ejecuta un hecho en que interviene algun g8nero de culpa j negligencia, aunque no constituya delito j falta, est# obligado # la reparacion del perjuicio ocasionado # tercero.«109 Als Quellen dieser Grundnorm wurden die französische Generalklausel, das römische Recht und die spanische Siete Partidas genannt. Aus der letzten Rechtssammlung stammt insbesondere die folgende Norm: »Tenudo es de fazer emienda, porque, como quier que el non fizo # sabiendas el daÇo al otro, pero acaecij por su culpa«.110 Der Autor des Entwurfs Garcia Goyena bezeichnete die deliktsrechtliche Generalklausel als ein Prinzip der allgemeinen Jurisprudenz.111 Ferner wurde unterstrichen, dass die Deliktshaftung nicht nur im Falle der Verletzung einer strafrechtlichen Norm entsteht. Charakteristisch ist vor allem die Behauptung von Garcia Goyena, dass das Verschulden bzw. die Fahrlässigkeit tatsächlich unde104 Mazeaud/Mazeaud/Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle 6, Rn. 47. 105 Auzary-Schmalz, Liability in Tort in France before the Code Civil, in: Schrage (Hrsg.) Negligence. The Comparative Legal History of the Law of Torts, S. 336. 106 L8vy/Castaldo, Historie du droit civil, Rn. 638. 107 Mazeaud/Mazeaud/Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle6, Rn. 44ff. 108 Santos Briz, in: Albaladejo (Hrsg.) Comentarios al cjdigo civil y compilaciones forales XXIV, S. 100; ders., in: Alb#car Ljpez (Hrsg.) Cjdigo civil. Doctrina y Jurisprudencia VI4, S. 1351. 109 Garc&a Goyena, Concordancias. Motivos y comentarios del cjdigo civil espaÇol III, S. 252. 110 Ley 6 t&tulo 15 Partida 7; Garc&a Goyena, Concordancias. Motivos y comentarios del cjdigo civil espaÇol III, S. 253. 111 Garc&a Goyena, Concordancias. Motivos y comentarios del cjdigo civil espaÇol III, S. 253.

Deliktsrechtliche Generalklauseln

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finierbar sind und es unmöglich sei, eine erschöpfende Liste der unerlaubten Handlungen zu formulieren, egal wie detailliert sie wäre.112 Die Generalklausel wurde in den 27 Grundsätzen des neuen Gesetzbuchs in La Ley de Bases del Cjdigo Civil aus dem Jahre 1888113 aufgelistet. Nach Erwägungsgrund 21 sollte ein Verschulden eine Haftung »siempre que sobrevenga perjuicio a tercera persona« begründen. Während der parlamentarischen Arbeiten verursachte die deliktsrechtliche Generalklausel keine Kontroversen. Ein Vertreter der legislativen Kommission hat sie ausdrücklich gelobt: »Me parece excelente y sobresale en claridad, en precisijn y en prudencia y oportunidad # todas los dem#s«.114 c) Polnisches ZGB (36) Das polnische System des Deliktsrechts basiert unmittelbar auf den Vorschriften des poln. Obligationengesetzbuchs aus 1933115. Die Generalklausel des Art. 415 poln. ZGB: »Wer einer anderen Person schuldhaft einen Schaden zugefügt hat, ist zum Schadenersatz verpflichtet«, ist fast identisch mit Art. 134 des poln. Obligationengesetzbuchs (1933). Die Typisierung der rechtlich geschützten Interessen wurde von den Verfassern des poln. ZGB von 1964 gar nicht erwogen.116 Die Gründe für die Formulierung der polnischen Generalklausel sind daher in der Begründung des Entwurfs des poln. Obligationengesetzbuchs (1933) zu suchen. Die Kodifikationskommission hatte die Aufgabe, ein einheitliches polnisches Recht zu verfassen und hat sich dabei von allen in dieser Zeit in Polen geltenden Rechtsordnungen inspirieren lassen. Wegen der Teilungen Polens galten auf dem Staatsgebiet nach 1918 gleich fünf verschiedene Rechtsordnungen.117 Die Mitglieder der Kodifikationskommission standen vor der Wahl, die Aufzählung der rechtlich geschützten Interessen nach dem Muster von § 823 Abs. 1 BGB oder die Generalklausel im Sinne des Art. 1382 fr. CC (nun112 AaO, S. 253. 113 Ley de bases de 11 de mayo de 1888 por la que se autoriza al gobierno para publicar un cjdigo civil con arreglo a las condiciones y bases establecidas en la misma. 114 El Cjdigo civil. Debates Parlamentarios 1885–1889. Band I, S. 440. Die Aussage von Salvador Albacete (Vertreter der Kodifikationskommission). 115 Obligationengesetzbuch. Verordnung des Präsidenten der Republik Polen v. 27. 10. 1933 (GBl. 1933, Nr. 82, Pos. 598 mit späteren Änderungen) (»Rozporza˛dzenie Prezydenta Rzeczpospolitej z dnia 27. 10. 1933 Kodeks zobowia˛zan´ Dz. U. 1933, Nr. 82, Poz. 598 ze zm.«). Die Vorschriften über die unerlaubten Handlungen wurden mit der Einführung des poln. ZGB mit Wirkung von 1. 1. 1965 aufgehoben. 116 Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 18. 117 Bardach/Les´niodorski/Pietrzak, Historia Ustroju i Prawa Polskiego5, Kap. 6, Rn. 78: (i) das deutsche und preußische Recht, das österreichische Recht, das ungarische Recht, das französische Recht und das russische Recht.

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mehr : Art. 1240 fr. CC) zu übernehmen.118 In den Gründen des poln. Obligationengesetzbuchs wird ausdrücklich die französische Generalklausel als Muster für Art. 134 poln. Obligationengesetzbuch (1933) genannt.119 Die Vertreter der französischen Lehre lobten sogar die Übernahme des Stils vom Code civil in das polnische Recht.120 Sie behaupteten, dass sowohl die französische Lehre als auch die Rechtsprechung bei der Auslegung der polnischen Generalklausel von Bedeutung sein könnte. Dies sollte aber nicht für Kausalitätsfragen und das Prinzip von non-cumul gelten.121 Die Generalklausel als Grundregel des polnischen Deliktsrechts wird sehr positiv bewertet. Als Vorteile dieser Lösung werden vor allem die Vollständigkeit und Flexibilität des Systems erwähnt.122 Selbst die Unklarheit des Schadens- und des Verschuldensbegriffes wird als ein Vorteil gesehen, weil sie Auslegungsänderungen ermöglicht.123 Kritik an der deliktsrechtlichen Generalklausel ist demgegenüber im polnischen Recht nicht ersichtlich. 2.

Untypische Generalklauseln

(37) Typische Generalklauseln setzen – zumindest ausdrücklich – keine Rechtswidrigkeit für die Haftungsbegründung voraus. Deswegen werden Grundnormen, die die Rechtswidrigkeit voraussetzen, in dieser Arbeit als »untypische« Generalklauseln bezeichnet. Zu dieser Kategorie gehört insbesondere die schweizerische Grundnorm. (38) Das eidgenössische Recht kennt gleich zwei deliktsrechtliche Grundnormen. Die erste bezieht sich auf die allgemeine Verschuldenshaftung: Art. 41 Abs. 1 OR »Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zur Ersatze verpflichtet.« Unterschiedlich zu den typischen Generalklauseln nach dem französischen Muster ist, dass die Rechtswidrigkeit ausdrücklich erwähnt wird. Diese Voraussetzung hat der eidgenössische Gesetzgeber jedoch nicht definiert, sondern diese Aufgabe vor allem der Judikatur überlassen. Die herrschende Meinung in der Lehre und Rechtsprechung geht von einem deutschen Verständnis der Rechtswidrigkeit aus. Die zwiespältige Formulierung des eidgenössichen Rechtswidrigkeitsbe118 Gjrnicki, Prawo cywilne w pracach Komisji Kodyfikacyjnej Rzeczypospolitej Polskiej w latach 1919–1939, S. 425ff. 119 Begründung des Entwurfs des Obligationengesetzbuchs (»Uzasadnienie Kodeksu zobowia˛zan´ z uwzgle˛dnieniem ostatecznego tekstu kodeksu«) in Bearbeitung von Prof. Roman Longchamps de Berier, Kodifikationskommission, Warschau 1934, S. 193. 120 Mazeaud, Kilka nowych postanowien´ w polskim Kodeksie zobowia˛zan´, Nowy Kodeks Zobowia˛zan´ 1936, S. 30 mit Verweis auf die Meinung von Capitant. 121 Lackoron´ski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 415, Rn. 37. 122 Machnikowski, in: Olejniczak, System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 18. 123 AaO.

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griffes ähnelt dem Erfolgsunrecht von § 823 Abs. 1 BGB und dem Handlungsunrecht von § 823 Abs. 2 BGB stark.124 Die schweizerische Grundnorm des Deliktsrechts kann also als Mischung aus der französischen Generalklausel und dem deutschen Pandektismus betrachtet werden.125 Überwiegend wird Art. 41 OR jedoch als Abbild der deliktsrechtlichen Generalklausel des Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC) gesehen.126 Die zweite deliktsrechtliche Grundnorm eliminiert die Voraussetzung der Rechtswidrigkeit beim sittenwidrigen und absichtlichen Verhalten. Art. 41 Abs. 2 OR lautet: »Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise absichtlich Schaden zufügt.« Er wird als eine Vorschrift ohne größere Bedeutung und als eine schlichte Übernahme von § 826 BGB klassifiziert und deshalb als kleine Generalklausel betitelt.127 Der Grund, warum die eidgenössische Grundnorm keine echte Generalklausel ist, ist die gesetzliche Auffächerung128 der in der Musterklausel enthaltenen faute in Verschulden und Rechtswidrigkeit. Schon der Entwurf des schweizerischen OR von 1869 enthielt die Voraussetzung der Rechtswidrigkeit: »§ 97 Wer aus Absicht oder Fahrlässigkeit einem Andern durch eine widerrechtliche Handlungsweise, die nicht in der bloßen Nichterfüllung eines Vertrages besteht, einen Schaden zufügt, ist zum Ersatz desselben verpflichtet.«129 Der nächste Entwurf von 1871 war noch präziser, indem die Arten der ersatzfähigen Schäden aufgelistet wurden: »§ 90 Wer absichtlich oder fahrlässig durch eine widerrechtliche Handlungsweise einem anderen an seiner Person oder an seinem Vermögen einen Schaden zufügt, ist zum Ersatz desselben verpflichtet.«130 Der Begriff des Vermögens ist jedoch so breit, dass darin keine wesentliche Haftungseingrenzung zu sehen ist. In den zwei nächsten Entwürfen aus den Jahren 1875 und 1877 wurde auf die Aufzählung der Schadensarten verzichtet.131 Die Begründung des Entwurfs durch den Bundesrat 1879 bezeichnet die Grundnorm als eine neue, auf der französischen Generalklausel basierende

124 Siehe, Rn. 187ff. 125 Winiger, Le code suisse dans l’embarras entre BGB et Code civil franÅais, in: Dunand/ Winiger (Hrsg.) Le Code civil franÅais dans le droit europ8en, S. 160. 126 Schönenberger, Kurzkommentar zum Obligationenrecht, Art. 41, Rn. 1; Oser/ Schönenberger, Kommentar zum schweizerischen Zivilgesetzbuch V-12, Art. 41, Rn. 1. 127 Gabriel, Die Widerrechtlichkeit in Art. 41 Abs. 1 OR unter Berücksichtigung des Ersatzes reiner Vermögensschäden, S. 184f. 128 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht I, Rn. 15. 129 Fasel, Handels- und obligationenrechtliche Materialien, S. 526, Entwurf von Walter Munzinger. 130 AaO, S. 568, Entwurf von Walter Munzinger. 131 AaO, S. 713: Art. 84 »Wer absichtlich oder fahrlässig durch eine widerrechtliche Handlungsweise einem Andern Schaden zufügt, ist zum Ersatze desselben verpflichtet.«

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Lösung.132 Ähnlich zur französischen Musterklausel sei die mangelnde Definition des Schadens und die fehlende Auflistung der rechtlich geschützten Interessen.133 Zwischen den Literaturmeinungen ist eine Behauptung zu finden, dass die Quelle der schweizerischen Grundnorm nicht Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC), sondern das naturrechtliche Gedankengut des früheren 19. Jahrhunderts sei.134 Da die französische Generalklausel dem damals verbreiteten naturrechtlichen Gedankengut entsprach, hat das Naturrecht bei der Entwicklung der eidgenössichen abstrakt-allgemeinen Grundnorm des Deliktsrechts eine wesentliche Rolle gespielt.

3.

Generalklauseln in Entwürfen eines gemeineuropäischen Deliktsrechts?

(39) Von enormer Bedeutung bei der Untersuchung der Systembildung des Deliktsrechts sind die gemeineuropäischen Harmonisierungsentwürfe. Beide Projekte sollen eine ähnliche strukturelle Lösung für die deliktsrechtliche Grundnorm gewählt haben.135 Sowohl im DCFR als auch in den PETL verweist die Grundnorm lediglich auf die besonderen Regime des Deliktsrechts: die Haftung für eigenes Fehlverhalten, die Gefährdungshaftung und die Haftung für andere. Die Grundnorm an sich ist keine vollendete Anspruchsgrundlage.136 Diesen Charakter kann sie erst in Verbindung mit besonderen Vorschriften gewinnen. Insofern können die Grundnormen der beiden Entwürfe weder als typische noch als untypische Generalklauseln eingestuft werden. Fraglich ist aber, ob sich die Generalklauseln der Haftung für eigenes Fehlverhalten nicht durch Einbeziehung der besonderen Vorschriften beider Harmonisierungsentwürfe rekonstruieren lassen. 132 Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung zu einem Gesetzentwurfe, enthaltend Schweizerisches Obligationen- und Handelsrecht v. 27. 11. 1879, S. 37ff. Die Einführung dieser Lösung wurde folgendermaßen begründet: »Die praktische Tragweite dieses neuen Prinzips ist eine ausserordentlich weitgehende. Nach demselben wird derjenige, welcher über einen Anderen etwas Unwahres, die Ehre, den guten Namen und den Kredit desselben Beeinträchtigendes, ohne die Absicht, zu beleidigen, und ohne das Bewusstsein der Unwahrheit behauptet hat, den dadurch verursachten Schaden ersetzen müssen, sofern er bei gehöriger Aufmerksamkeit die Unwahrheit seiner Behauptung hätte kennen sollen.« 133 Winiger, Le code suisse dans l’embarras entre BGB et Code civil franÅais, in: Dunand/ Winiger (Hrsg.) Le Code civil franÅais dans le droit europ8en, S. 160. 134 Bucher, Der Einfluss des französischen Code Civil auf das Obligationenrecht, in: Caroni (Hrsg.) Das Obligationenrecht 1883–1983, S. 162f. 135 Winiger, Les int8rÞts prot8g8s par la responsabilit8 civile. Les clauses g8n8rales dans les projets europ8ens, in: Le droit franÅais de la responsabilit8 civile confront8 aux projets europ8ens d’harmonisation, S. 137; Machnikowski, System Prawa Cywilnego VI2, § 15, Rn. 17. 136 PEL/von Bar, Liab. Dam., Chapter 1, Introduction.

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a) Grundnorm der PETL (40) Gemäß der Grundnorm der PETL in Art. 1:101. Abs. 1 hat »eine Person […] den Schaden eines anderen zu ersetzen, wenn ihr dieser Schaden auf Grund des Gesetzes zuzurechnen ist«. Die Norm bezieht sich nicht nur auf die Verschuldenshaftung (Art. 1:101. Abs. 2a PETL), sondern umfasst ebenfalls die Gefährdungshaftung (Art. 1:101. Abs. 2b PETL) und die Haftung für Hilfspersonen (Art. 1:101. Abs. 2c PETL). Ferner ist nach Art. 1:101. Abs. 2a PETL ein Schaden insbesondere derjenigen Person zurechenbar, die den Schaden durch ihr schuldhaftes Verhalten verursachte. Folglich handelt es sich bei Art. 1:101 PETL i. V. m. Art. 1:101. Abs. 2a PETL um eine typische Generalklausel der Haftung für eigenes Fehlverhalten. Im Unterschied zum französischen Recht werden die allgemeinen Voraussetzungen der Haftung in besonderen Vorschriften jedoch konkretisiert. b) Grundnorm des DCFR (41) Ebenfalls ist fraglich, ob der DCFR eine Generalklausel der Haftung für eigenes Fehlverhalten enthält. Gemäß Art. VI.-1:101 Abs. 1 DCFR hat eine Person, die einen rechtlich relevanten Schaden erleidet, einen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Person, die den Schaden vorsätzlich oder fahrlässig verursacht hat oder die anderweitig für die Verursachung des Schadens verantwortlich ist. Entscheidend für die Eingrenzung der Haftung nach dieser Norm ist die Voraussetzung des »rechtlich relevanten Schadens«. Ohne diese Voraussetzung wäre die Grundnorm eine typische Generalklausel. Die Norm ist aber nicht »selbständig« und auch laut der Kommentierung zu diesem Artikel handelt es sich bei ihr folgerichtig nicht um eine Generalklausel.137 Eine Generalklausel der Haftung für eigenes Fehlverhalten könnte demgegenüber Art. VI.-1:101 i. V. m. Art. VI.-2:101 Abs. 1 DCFR bilden. Gemäß der zweiten Norm ist: »(1) Ein materieller oder immaterieller Verlust oder eine Verletzung […] ein rechtlich relevanter Schaden, wenn: (a) eine der folgenden Regeln dieses Kapitels dies vorsieht; (b) der Verlust oder die Verletzung auf den Eingriff in ein anderweitig von der Rechtsordnung gewährtes Recht zurückzuführen ist; oder (c) der Verlust oder die Verletzung auf den Eingriff in ein schutzwürdiges Interesse zurückzuführen ist.« Aus der Verbindung der beiden Vorschriften folgt jedoch eindeutig, dass der DCFR im Unterscheid zur den PETL weder eine typische noch eine untypische Generalklausel enthält. Eigentlich genügt nicht mal die Verbindung der beiden Normen, um eine eigenständige deliktsrechtliche Haftungsgrundlage zu formulieren. Keine der Alternativen aus Art. VI.-2:101 Abs. 1 DCFR formuliert allgemein geltende Voraussetzungen der Haftung für eigenes Fehlverhalten. Die Buchstaben a) und b) 137 PEL/von Bar, Liab. Dam., Chapter 1, Introduction, A, 3.

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Einführung

verweisen lediglich auf weitere Normen, die die Haftungsregeln zusätzlich konkretisieren, während die Buchstabe c) den deliktsrechtlichen Schutz auf die schutzwürdigen Interessen begrenzt.

Erster Teil: Traditionelle Systembildung

(42) Die rechtsvergleichende Darstellung der traditionellen Systembildung wird nach den Voraussetzungen der Haftung für eigenes Fehlverhalten gegliedert. Diese Aufteilung ist jedoch kein Eingeständnis, dass das in den untersuchten Rechtsordnungen vorherrschende System des Deliktsrechts leistungsfähig sei. Vielmehr ermöglicht diese Vorgehensweise, eine kritische Untersuchung durchzuführen und die Relativität der Grundbegriffe des Deliktsrechts zu beweisen. (43) Die deliktischen Generalklauseln werden grundsätzlich anhand der abstrakt-allgemeinen Begriffe des Verschuldens (dazu unter § 4), der Rechtswidrigkeit (unter § 5), der Kausalität (unter § 6) und des Schadens (unter § 7) eingegrenzt. Nur wenn diese Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind, besteht die Schadenersatzpflicht. Daher hat jeder von diesen Begriffen ein Eingrenzungspotential. (44) Schon der erste Blick auf die Auslegung der Voraussetzungen in den untersuchten Rechtsordnungen zeigt jedoch, dass sich die Bedeutung der einzelnen Begriffe deutlich unterscheidet. Einigkeit besteht nicht mal bezüglich des Voraussetzungskatalogs. Streitig ist diesbezüglich, ob die Rechtswidrigkeit eine eigenständige Voraussetzung der Haftung darstellen soll. Die Berücksichtigung der Rechtswidrigkeit als Voraussetzung beeinflusst allerdings das Verständnis des Verschuldens, der Kausalität und des Schadens. In allen Rechtsordnungen wird jedoch versucht, die Deliktshaftung grundsätzlich mittels derselben Voraussetzungen einzugrenzen. Dass die Begriffe nur scheinbar homogen sind, lässt sich nur durch eine treue Darstellung der jeweiligen nationalen Bedeutungen der Begriffe beweisen. (45) Im Falle jeder Voraussetzung wird zunächst das Verständnis des abstrakt-allgemeinen Begriffes geschildert. Untersucht wird ferner die Bedeutung der einzelnen Voraussetzungen für die Haftungseingrenzung in den vier Rechtsordnungen. Herauszukristallisieren sind schließlich die wahren Kriterien nach denen das Verschulden, die Rechtswidrigkeit, die Kausalität und der Schaden beurteilt wird.

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§4

Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Verschulden

(46) Nach den liberalen Ideen des Naturrechts war das Verschulden ursprünglich nicht nur Haftungsgrund, sondern auch die wichtigste Haftungseingrenzung. Die ursprüngliche Fassung des napoleonischen Deliktsrechts wurde sogar als ein Beispiel der Laissez-faire-Ideologie bezeichnet.138 Niemand sollte zur Haftung herangezogen werden, wenn er einem anderen ohne Verschulden Schaden zugefügt hat. Der Schädiger musste die Folgen eines schadensverursachenden Ereignisses nur dann tragen, wenn sein Verhalten rechtlich missbilligt wurde. Dem wird in der französischen Lehre die verschuldensunabhängige Haftung gegenübergestellt, welche Menschen dazu bewege, keine riskanten Handlungen vorzunehmen, also die Untätigkeit fördere.139 Die französische Generalklausel in Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC), die für viele andere Rechtsordnungen als Muster diente, setzt Verschulden, Kausalität und Schaden voraus, wobei aber ursprünglich, was im Folgenden noch näher zu erläutern sein wird, nur das Verschulden die Funktion hatte, die Haftung einzugrenzen. (47) Jede deliktsrechtliche Generalklausel nach dem Muster von Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC) schreibt dem Verschulden – jedenfalls dem Wortlaut nach – die Hauptrolle bei der Haftungseingrenzung zu. Neben dem Schaden ist es auch die einzige Haftungsvoraussetzung, die in allen Generalklauseln von den Gesetzgebern ausdrücklich geregelt wird.140 Aus diesem Grund wird bezüglich der Haftung aus der deliktsrechtlichen Generalklausel auch von der verschuldensabhängigen Haftung oder Haftung aus Verschulden gesprochen: responsabilit8 pour faute, responsabilidad por culpa, odpowiedzialnos´c´ na zasadzie winy141. Seit der Entstehung der verschuldensunabhängigen Haftung haben diese Begriffe vor allem die Funktion, die Verschuldenshaftung von der Gefährdungshaftung abzugrenzen. Sie wurden jedoch schon vorher verwendet, um unmissverständlich zu zeigen, dass das Verschulden das zentrale Tatbestandsmerkmal zur Bestimmung der Haftung und damit auch ihrer Eingrenzung war. Zudem wird das Verschulden in allen Rechtsordnungen grundsätzlich immer noch als das wichtigste Haftungsprinzip angesehen.142 138 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 35, ähnlich auch Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 23: »La responsabilit8 subjective, li8e qu‹elle est / la libert8, facilite l’esprit d’initiative et pousse / l’action.«. 139 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 23. 140 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 101. 141 Die polnische Generalklausel von Art. 415 poln. ZGB trägt sogar in der juristischen Datenbank Legalis den Titel »Verschulden«. 142 Widmer, Comparative Report on Fault as a Basis of Liability and Criterion of Imputation, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, Rn. 2; Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 438; Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und besonderer Teil, Rn. 1971, S´mieja, in: Olejniczak, System Prawa Prywatnego VI2, § 14, Rn. 12;

Verschulden

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(48) Es gibt jedoch kein gemeineuropäisches Verständnis zum Begriff des Verschuldens.143 Gemeinsam ist nur, dass keine der untersuchten Rechtsordnungen das Verschulden als ethisch-moralische Kategorie versteht, obwohl dies wahrscheinlich noch im 18. Jahrhundert stark mitschwang. Deswegen wird zunächst das Verständnis des Begriffes Verschulden in den einzelnen Rechtsordnungen näher dargestellt (unter I). Wesentliche Unterschiede bestehen darüber hinaus bei der Bedeutung des Verschuldens für die Haftungseingrenzung (unter II). Grundsätzlich besteht Einigkeit darüber, dass das Verschulden sowohl subjektive als auch objektive Elemente enthält. Wie diese zu verstehen sind und vor allem, in welchem Umfang die subjektiven Elemente des Verschuldens haftungseingrenzend wirken, wird jedoch unterschiedlich bewertet (unter III).

I.

Begriff des Verschuldens

(49) Keine der untersuchten Rechtsordnungen enthält eine gesetzliche Definition des Verschuldens. Sie verwenden alle etymologisch ähnliche Begriffe wie la faute, wina und culpa.144 Der Versuch, den Inhalt dieser Begriffe etwas näher zu bestimmen, beschränkt sich hier auf das Verschulden als Voraussetzung der deliktischen Haftung und umfasst dabei alle Verschuldensformen vom Vorsatz bis zur leichten Fahrlässigkeit. Dabei geht es nicht darum, einen gemeinsamen Begriff zu erarbeiten, sondern lediglich um das Herausheben von Unterschieden. Hervortreten soll aber, dass das Verschulden für sich genommen in all diesen Rechtsordnungen kaum als taugliches Kriterium für eine Haftungseingrenzung wirkt. 1.

Verschuldensdimensionen

(50) Es gibt drei Hauptauffassungen zum Wesen des Verschuldens, die jeweils unterschiedliche Folgen für seine Funktion als Kriterium zur Haftungseingrenzung haben. Die erste Auffassung geht davon aus, dass das Verschulden ein Pantal8on Prieto, Como repensar la responsabilidad civil extracontractual, in: Moreno Mart&nez (Hrsg.) Perfiles de la Responsabilidad Civil en el Nuevo Milenio, S. 465, a. A. Reglero Campos, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 247ff. 143 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 226, der deshalb auf der gemeineuropäischen Ebene den Begriff der »Vorwerfbarkeit« anwendet. Auch die Lehre der untersuchten Rechtsordnungen verwendet diesen Begriff. Bisher ist er aber weder in der Gesetzgebung noch in der Rechtsprechung dieser Rechtssysteme zu finden. 144 Die Verschuldensvoraussetzung wird im Art. 1902 span. CC als culpa o negligencia beschrieben. In diesem Kontext ist die culpa als Vorsatz und die negligencia als Fahrlässigkeit zu verstehen.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Fehlverhalten an sich ist. Es ist also nicht nur eine rechtlich missbilligende Qualifikation einer unerlaubten Handlung, sondern die unerlaubte Handlung selbst (dazu unter a). Die zweite Auffassung beschreibt das Verschulden als eine Pflichtverletzung und unterscheidet somit einerseits das Verschulden von der unerlaubten Handlung und führt andererseits den Begriff einer außervertraglichen Pflicht ein (dazu unter b). Die dritte Auffassung definiert das Verschulden auf eine abstrakte Weise als ein Urteil über ein Verhalten (dazu unter c). Darüber hinaus sind die einzelnen Auffassungen des Verschuldens nicht strikt trennbar. Die meisten Definitionen des Verschuldens verbinden die Aspekte des Fehlverhaltens, der Pflichtverletzung und der Beurteilung (dazu unter d). a) Verschulden als Fehlverhalten (51) Diese Betrachtungsweise ist besonders im schweizerischen und französischen Recht vorhanden. In beiden Rechtsordnungen beschreibt das Verschulden ein Verhalten des Menschen und umfasst daher die unerlaubte Handlung an sich. Verschulden wird in der Schweiz gebräuchlich als ein menschliches Verhalten, das als tadelnswert qualifiziert werden kann145 beschrieben. In seiner Rechtsprechung verwendet das Bundesgericht das Wort »Fehlverhalten«.146 (52) In der französischen Lehre wird trotzt der herrschenden pflichtbezogenen Definition des Verschuldens eine Meinung vertreten, die das Verschulden als ein Fehlverhalten ansieht und die Notwendigkeit, das Konzept einer obligation pr8existante zu entwickeln, kritisiert.147 Das Verschulden wird durch diesen Teil der Lehre direkt als ein Fehlverhalten definiert: »une erreur de conduite«.148 Die Grundlage für diese Erweiterung des Verschuldensbegriffes ist die Behauptung, dass es der verschuldete Charakter des Verhaltens sei, der die Pflicht begründet, und nicht umgekehrt.149 Andere verhaltensbezogene Definitionen beschreiben das Verschulden als »un comportement que l’on peut juger d8fectueux«150 oder »une d8faillance ou une erreur de conduite«.151 Es handelt sich jedoch immer noch um eine Mindermeinung in der französischen Lehre. 145 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil. Band I5, § 5, Rn. 13; Urt. BGE v. 27. 6. 1990, 116 Ia 162 S. 169 mit Verweis auf Oftinger/Stark. Eine ähnliche Definition beschreibt das Verschulden als »rechtlich negativ zu qualifizierende menschliche Verhaltensweise« – Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht1, Rn. 805. 146 Urt. BGE v. 23. 10. 1990, 116 II 519, S. 524. 147 Dejean de la B.tie, in: Ponsard/Fadlallah (Hrsg.) Aubry& Rau, Droit civil franÅais VI-28, Responsabilit8 d8lictuelle, Rn. 22; Mazeaud/Mazeaud/Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle6, Rn. 392; Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 294. 148 Mazeaud/Mazeaud/Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle6, Rn. 439. 149 Dejean de la B.tie, in: Ponsard/Fadlallah (Hrsg.) Aubry& Rau, Droit civil franÅais VI-28. Responsabilit8 d8lictuelle, Rn. 22. 150 AaO.

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(53) Im spanischen Recht wird das Verschulden ebenfalls gelegentlich als ein Fehlverhalten definiert: »La culpa o negligencia consiste en la falta de adopcijn de la medidas de seguridad y cuidado que se hubiesen empleado por una persona ideal diligente (buen padre de familia)«.152 Das Fehlverhalten bedeutet eine Abweichung vom erforderlichen Standard: »la conducta que se desv&a del est#ndar de conducta«.153 Der Begriff »c#nones o est#ndares« für die Maßstäbe des korrekten Verhaltens wird auch in der Rechtsprechung der spanischen Gerichte häufig verwendet.154 (54) Der auf das Fehlverhalten gerichtete Fokus in einer Verschuldensdefinition führt zur Verobjektivierung des Verschuldens und verringert damit seine haftungseingrenzende Funktion. Denn die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten vorgeworfen werden kann, also ob der Schädiger für sein Verhalten »etwas kann«, ist für das Vorliegen des Fehlverhaltens unerheblich.155 b) Verschulden als Pflichtverletzung (55) Sehr verbreitet ist die pflichtbezogene Definition des Verschuldens nach dem Muster des Fahrlässigkeitsbegriffes von § 276 BGB.156 Keine der untersuchten Rechtsordnungen hat jedoch diese Definition für den Bereich des Deliktsrechts gesetzlich verankert. (56) Dem französischen Recht war der Begriff der außervertraglichen Plichten zunächst unbekannt. Planiol war der Erste, der im französischen Deliktsrecht das Verschulden mit dem Begriff der Rechtswidrigkeit und der Pflichtverletzung verbunden hat.157 Die am meisten zitierte158 Definition des Verschuldens stammt von ihm und besagt kurz, dass Verschulden: »la violation 151 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 295. 152 Rodr&guez-Cano, Comentarios al Cjdigo Civil2, S. 2181. 153 Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: (Hrsg.) Dom&nguez Luelmo, Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2050. 154 Urt. TS v. 6. 9. 2005, RJ 2005/6745: kein Fehlverhalten ist das Unterlassen der Sicherung eines Schwimmbeckens einer privaten Immobilie; Urt. TS v. 17. 11. 2010, RJ 2010/9161: kein Fehlverhalten eines psychiatrischen Krankenhauses beim Sturz eines Patienten von einer Terasse; Urt. TS v. 19. 12. 2006, RJ 2006/9240: kein Fehlverhalten beim Vermieten eines Bootes an eine Person, die behauptet, dass sie Erfahrung mit Navigieren hat; Urt. TS v. 11. 9. 2006, RJ 2006/8541: kein Fehlverhalten beim Sturz in einem Restaurant, wenn nicht geprüft werden kann, ob der Boden sauber war. In all diesen Fällen haben sich die Kläger erfolgslos auf die verschuldensunabhängige responsabilidad por riesgo berufen. 155 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 209. 156 Widmer, Comparative Report on Fault as a Basis of Liability and Criterion of Imputation, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, Rn. 16. 157 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 443, Mor8teau, Grundfragen des Schadenersatzrechts aus französischer Sicht, in: Koziol (Hrsg.) Grundfragen des Schadenersatzrechts aus rechtsvergleichender Sicht, Rn. 1/144. 158 Buffelan-Lanore/Larribau-Terneyre, Droit civil. Les obligations12, Rn. 1852.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

d’une obligation pr8existante« sei159. Planiol hat auch die Formulierung der »manquement / une obligation« verwendet, um das Verschulden zu beschreiben.160 Andere Autoren, die das Verschulden pflichtbezogen definieren, sprechen insbesondere von der »inex8cution d’un devoir que l’agent pouvait conna%tre et observer«.161 Die moderne französische Definition des Verschuldens ist also pflichtbezogen. Der Pflichtenkatalog ist von den Richtern zu formulieren, was Planiol als »remarquable« für ein kodifiziertes System angesehen hat.162 Die pflichtbezogene Definition des Verschuldens und das Fehlen einer eigenständigen Voraussetzung der Rechtswidrigkeit verlagern die Aufmerksamkeit von der Situation des Opfers hin zum schädigenden Verhalten.163 Das pflichtbezogene Konzept des Verschuldens kommt auch in der Rechtsprechung zum Ausdruck. Die Cour de cassation spricht in diesem Bezug etwa von »l’obligation g8n8rale de prudence et de diligence«.164 Kritisiert wurde die Definition von Planiol vor allem wegen ihrer Unbestimmtheit. Der Grund dafür ist, dass sie keine Kriterien formuliert, nach welchen ein Verhalten als schuldhaft qualifiziert werden könnte.165 Trotzt dieser Kritik ist sie immer noch die herrschende Auffassung des Verschuldens im französischen Recht.166 (57) Im schweizerischen Recht beschreibt eine für das französischsprachige Schrifttum traditionelle Definition das Verschulden ebenfalls teilweise als eine Pflichtverletzung: »un manquement de la volont8 au devoir impos8 par l’ordre juridique«.167 Dabei handelt es sich offensichtlich um eine Übernahme der französischen Dogmatik. Die deutschsprachige Lehre bedient sich des Begriffs der Sorgfaltspflichtverletzung, der eine Anspielung auf den Fahrlässigkeitsbegriff von § 276 BGB ist. Es wird von außervertraglichen Pflichten gesprochen, deren Verletzung Voraussetzung des Verschuldens sei.168 Statt jedoch zwischen der inneren und äußeren Sorgfalt zu unterscheiden, schlägt ein Teil der eidge159 Mor8teau, Grundfragen des Schadenersatzrechts aus französischer Sicht, in: Koziol (Hrsg.) Grundfragen des Schadenersatzrechts aus rechtsvergleichender Sicht, Rn. 1/144 schlägt als Übersetzung ins Deutsche: »die Verletzung einer bestehenden Verpflichtung« vor. 160 Esmein, Trait8 pratique de droit civil franÅais IV2, Rn. 477. 161 Savatier, Trait8 de la responsabilit8 civile I2, Rn. 4. 162 AaO, Rn. 505. 163 Sacco, Einführung in die Rechtsvergleichung2, S. 100. 164 Urt. Cass. civ. 3 v. 10. 11. 1992, Az. 90-19944, Bull. Civ. 3, Nr. 292, S. 179, Urt. Cass. civ. 2 v. 25. 10. 1973, Az. 72-12808, Bull. civ. 2, Nr. 278, S. 223: spricht von der obligation g8n8rale de prudence. 165 Mazeaud/Mazeaud/Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle6, Rn. 392. 166 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 6705. 167 Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 56. Deschenaux/ Tercier, La responsabilit8 civile2, § 7, Rn. 3. 168 Oswald, Analyse der Sorgfaltspflichtverletzung im vertraglichen wie ausservertraglichen Bereich, S. 79.

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nössischen Lehre vor, die Unterscheidung zwischen Verschulden und Rechtswidrigkeit schon im Rahmen der inneren Sorgfalt vorzunehmen. Laut dieser Auffassung würde das Verschulden am Standardmaß der Sorgfalt und die Rechtswidrigkeit am Höchstmaß der Sorgfalt gemessen.169 (58) Im spanischen Recht wurde das Verschulden im Sinne einer Sorgfaltspflichtverletzung mit Art. 1104 span. CC gesetzlich lediglich im Bereich der vertraglichen Haftung definiert.170 Dieser Verschuldensbegriff ist jedoch nach der allgemein herrschenden Meinung im Deliktsrecht anwendbar.171 Dabei wird zwischen rechtswidrigkeits- und verschuldensbegründenden Pflichtverletzungen unterschieden.172 Bei den Letzteren handelt es sich um subjektive Verhaltenspflichten (deber subjetivo de conducta).173 Diese sind mit der inneren Sorgfalt gleichzusetzen und werden im Rahmen der Verschuldensprüfung untersucht. Im neuen spanischen Schrifttum wird sogar die Notwendigkeit hervorgehoben, bei der Verschuldensprüfung immer eine Pflicht des Schädigers (duty situation) festzustellen.174 (59) Im polnischen Recht wird das Verschulden dagegen grundsätzlich nicht als eine Pflichtverletzung definiert. Wenn der Maßstab der erforderlichen Sorgfalt verwendet wird, dann lediglich als ein Beurteilungskriterium der Fahrlässigkeit. Nur in der Lehre wird gelegentlich in diesem Zusammenhang von einer allgemeinen Pflicht des sorgfältigen Verhaltens gesprochen.175 (60) Die Pflichtverletzung als Hauptproblem des Verschuldens einzuordnen, verringert die haftungseingrenzende Funktion dieser Voraussetzung. Es führt – genauso wie die verhaltensbezogene Auffassung – zur Unterberücksichtigung der subjektiven Aspekte des Verschuldens. Fokussiert wird hier ebenfalls nicht das, was der Schädiger machen konnte, sondern das, was er machen musste. c) Verschulden als Urteil über ein Verhalten (61) Viele Definitionen tendierten schließlich dazu, das Verschulden als eine Beurteilung des schadensverursachenden Verhaltens zu beschreiben. Beurteilt wird hier, ob dem Schädiger bezüglich des konkreten schadenverursachenden 169 AaO, S. 91. 170 »La culpa o negligencia del deudor consiste la omisijn de aquella diligencia que exija la naturaleza de la obligacijn y corresponda a las circunstancias de las personas, del tiempo y del lugar. Cuando la obligacijn no exprese la diligencia que ha de prestarse en su cumplimiento, se exigir# la que corresponder&a a un buen padre de familia.« 171 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Derecho de DaÇos, S. 354. Reglero Campos, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 281. 172 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 293. 173 AaO. 174 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, La culpa en la responsabilidad civil extracontractual, in: Luis D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Ensayos Jur&dicos II, S. 2913. 175 Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn 40.

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Verhaltens ein Vorwurf gemacht werden kann. Besonders typisch ist diese Vorgehensweise für das polnische Recht. (62) Nach der am stärksten verbreiteten Definition im polnischen Recht ist das Verschulden eine negative Beurteilung des Verhaltens des Schädigers. Dieser Ansatz basiert auf der Möglichkeit, dem Schädiger anhand einer Untersuchung seines psychischen Zustands und der Rechtsnorm einen Vorwurf zu machen.176 Einige urteilsbezogene Definitionen bringen zum Ausdruck, dass die Beurteilung nur den psychischen Aspekt des Verhaltens betreffe (die subjektive Seite), während die Rechtswidrigkeit sich auf die Verletzung der Verhaltensnormen beziehe (die objektive Seite).177 Das Verschulden betreffe dann lediglich die Vorwerfbarkeit des Verhaltens und nicht die Verletzung der Rechtsnorm.178 Nach der herrschenden normativen Theorie des Verschuldens ist das Verschulden eine negative Beurteilung des Verhaltens des Schädigers. Der Vorwurf wird anhand der Untersuchung seines psychischen Zustands und der vorhandenen Norm gemacht.179 Es ist aber nicht klar, welche Elemente des psychischen Zustands eine Rolle bei der Vorwerfbarkeit spielen sollen. Hervorgehoben wird lediglich, dass das Verschulden durch die Beurteilung festgestellt werden müsse.180 (63) Im spanischen Recht wird ebenfalls manchmal vom Verschuldensurteil (juicio de culpabilidad) gesprochen, obwohl dieser Begriff in Spanien eher für die strafrechtliche Dogmatik charakteristisch ist.181 Die Einflüsse der strafrechtlichen Lehre sind ferner bei der Bezeichnung des Verschuldens als imputacijn subjetiva182 deutlich zu erkennen. (64) Im schweizerischen Recht wird das Verschulden häufig als eine »eine Missbilligung enthaltende Qualifikation menschlichen Verhaltens« definiert183, 176 Lewaszkiewicz-Petrykowska, Wina jako podstawa odpowiedzialnos´ci z tytułu czynjw niedozwolnych, SPiE 1969, Nr. 2, S. 87f; Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn 34; Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.), Kodeks cywilny I8, Art. 415, Rn. 32. 177 Dubis, in: Gniewek/Machnikowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz7, Art. 415, Rn. 12. 178 Lackoron´ski/Raczkowski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 415, Rn. 72ff. 179 Machnikowski, in: Osajda (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 34. 180 AaO. 181 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 289. 182 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Derecho de DaÇos, S. 351; Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: Dom&nguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil1, S. 2050; Reglero Campos, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 280ff. Dieser Begriff wird auch in der Rechtsprechung für das Verschulden verwendet: Urt. TS v. 30. 5. 2007, RJ 2007, 4338; Urt. TS v. 9. 10. 2008, STS 798/2008, RJ 2008, 6042; Urt. TS v. 21. 11. 2008, STS 6443/ 2008, RJ 2009, 144. In all diesen Urteilen wurde das Vorliegen des Verschuldens verneint. 183 Oswald, Analyse der Sorgfaltspflichtverletzung im vertraglichen wie ausservertraglichen Bereich, S. 36.

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also ebenfalls als ein Urteil. Nach einer anderen Definition ist das Verschulden mit der Vorwerfbarkeit gleichzusetzen. Dieses sei dann gegeben, wenn der Schädiger objektiv vorsätzlich oder fahrlässig handelt und urteilsfähig im Sinne von Art. 16 ZGB ist. Verschulden solle bedeuten, dass das unerlaubte Verhalten des Schädigers vorwerfbar ist.184 (65) Die urteilsbezogene Auffassung des Verschuldens macht eine weitere haftungseingrenzende Funktion des Verschuldens deutlich und stärk dadurch die Rolle dieser Voraussetzung bei der Haftungseingrenzung. Das Verhalten des Schädigers muss nicht nur objektiv fehlerhaft bzw. pflichtwidrig, sondern dem Schädiger auch vorwerfbar sein. d) Zusammenspiel der Dimensionen (66) Die unterschiedlichen Dimensionen des Verschuldens werden in den Definitionen häufig gleichzeitig verwendet. Die Vorwerfbarkeit soll zum Beispiel im schweizerischen Recht darauf beruhen, dass der Schädiger sich pflichtwidrig verhalten hat.185 Daneben kann nach einigen Auffassungen die Vorwerfbarkeit auch die Fehlerhaftigkeit des Verhaltens betreffen.186 Ein Beispiel für das Zusammenspiel dieser drei Elemente findet sich in der schweizerischen Lehre: »Das Verschulden ist eine menschliche Verhaltensweise (…), welche deshalb als unzulänglich qualifiziert wird, weil sie gegen eine von der Rechtsordnung statuierte Pflicht verstösst.«187 Auch die Begründung des poln. Obligationengesetzbuchs (1933) spricht von einem verschuldeten Verhalten, wenn eine Person »sich (absichtlich oder fahrlässig) nicht so verhält, wie sich eine vorsichtige und die Rechte der anderen respektierende Person verhalten sollte, unabhängig davon, ob diese Pflicht aus gesetzlichen Vorschriften oder dem Wesen des gesellschaftlichen Zusammenlebens stammt.«188 Die Hauptunterschiede zwischen den einzelnen Definitionen, die verschiedene Dimensionen verbinden, betreffen zum einen die Frage, ob der Begriff der außervertraglichen Sorgfaltspflichten notwendig ist, und zum anderen die Frage, ob das Verschulden das schadensverursachende Verhalten an sich beschreibt oder nur ein negatives Urteil über das Verhalten darstellt.

184 Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und besonderer Teil, Rn. 1970; Schönenberger, Kurzkommentar zum Obligationenrecht, Art. 41, Rn. 29. 185 Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und besonderer Teil, Rn. 1971. 186 Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 34. 187 Müller : in Furrer/Schnyder (Hrsg.) Handkommentar zum Schweizer Privatrecht2, OR, Art. 41, Rn. 7. 188 Begründung des Entwurfs des Obligationengesetzbuchs (»Uzasadnienie Kodeksu zobowia˛zan´ z uwzgle˛dnieniem ostatecznego tekstu kodeksu«) in Bearbeitung von Prof. Roman Longchamps de Berier, Kodifikationskommission, Warschau 1934, S. 195.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Verschuldenselemente

(67) Die Struktur des Verschuldens wird am Beispiel des französischen Verständnisses dieser Voraussetzung beschrieben, weil es die weiteste Auffassung ist und dadurch die Möglichkeit bietet, alle denkbaren Eingrenzungsaspekte des Verschuldens darzustellen. Im französischen Recht ist zwischen drei Elementen des Verschuldens zu unterscheiden: (i) einem materiellen, (ii) einem moralischen und (iii) einem juristischen.189 Alternativ vorgeschlagen wurde ferner eine Aufteilung in das (i) materielle, (ii) menschliche und (iii) soziologische Element.190 Sie ist jedoch für die Zwecke der Rechtsvergleichung weniger geeignet, weil die Differenzierung zwischen den sog. »menschlichen« und »soziologischen« Aspekten des Verschuldens in den anderen Rechtsordnungen unbekannt ist. Die Triade der Verschuldenselemente ist eine Konsequenz des weiten Verständnisses des Verschuldens, das (i) das schadensverursachende Verhalten, (ii) das Verschulden sensu stricto, und (iii) die Rechtswidrigkeit enthält. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das französische Deliktsrecht von anderen Rechtsordnungen, die das Verschulden hauptsächlich als eine Beurteilung des Verhaltens durch das Zusammenspiel von subjektiven und gegenwärtig vor allem objektiven Kriterien verstehen. a) Moralisches Element (68) Das Verschulden wurde traditionell subjektiv verstanden, als Beschreibung der persönlichen Einstellung des Schädigers gegenüber der Tat.191 Im römischen Recht wurde das Verschulden als eine tadelnswerte Einstellung des Schädigers gegenüber dem schadensverursachenden Verhalten verstanden.192 Das Verschulden war mit einer sozialen Missbilligung gleichzusetzen.193 Der Begriff des Verschuldens hat seine moralische, mit einem persönlichen Vorwurf verbundene Prägung auch in den untersuchten Rechtsordnungen bewahrt.194 Diese Auffassung ist schließlich dem alltagssprachlichen Verständnis des Verschuldens nahe. Der Verschuldensbegriff ist aus diesem Grund immer noch deutlich negativ besetzt: »nous pensons d’ailleurs qu’il n’est personne pour 189 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 297ff; Terr8/Simler/Lequette, Les obligations11, Rn. 717ff. 190 Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 220. 191 Machnikowski, in: Olejniczak, System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 34; PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 11ff. 192 Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 415, Rn. 30. 193 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, La culpa en la responsabilidad civil extracontractual, in: Luis D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Ensayos Jur&dicos II, S. 2909. 194 Jansen, Principles of European Tort Law? Grundwertungen und Systembildung im europäischen Haftungsrecht, RabelsZ, 2006, S. 741, mit Verweis auf Koziol, Objektivierung des Fahrlässigkeitsmaßstabes im Schadensersatzrecht?, AcP 196 (1996), S. 593ff.

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qui le mot faute n’ait un contenu 8motionnel (…)«195. Es wurde sogar behauptet, dass die Schwierigkeiten beim juristischen Verständnis des Verschuldens mit der alltagssprachlichen Bedeutung des Begriffes verbunden sind, die seine Auslegung manchmal sogar unbewusst beeinflusst.196 Trotz der moralischen Prägung des Begriffes ist die subjektive Entschuldbarkeit eines schädigenden Verhaltens heutzutage grundsätzlich unerheblich.197 Ersichtlich ist eine gemeineuropäische Tendenz, das Verschulden als Voraussetzung der Haftung für eigenes Fehlverhalten zu verobjektivieren.198 Diese Entwicklung vom moralisch geprägten Verschuldensbegriff hin zum Verschulden als Instrument der Sozialpolitik führt schrittweise zur ethischen Neutralität des Verschuldens.199 Der Bedeutungsverlust des moralischen Elements reduziert die ursprüngliche, vom liberalen Gedanken geprägte, haftungseingrenzende Funktion des Verschuldens. b) Materielles Element (69) Grundsätzlich beinhaltet das Verschulden kein materielles Substrat und beschreibt das schadensverursachende Verhalten an sich nicht. Es handelt sich nur um ein abstraktes Urteil über das Verhalten. Zu trennen ist das Verschulden daher von der unerlaubten Handlung an sich. Anders ist es im schweizerischen und französischen Recht, wo das Verschulden bzw. la faute, auch die unerlaubte Handlung selbst und nicht nur die Beurteilung des Verhaltens bedeutet: »La faute civile est un comportement (…)«.200 Die Hervorhebung des materiellen Elements des Verschuldens ist vor allem für das französische Recht charakteristisch. Das zurechenbare Verhalten (comportement r8pr8hensible)201 ist das materielle Element des Verschuldens (8l8ment mat8riel de la faute)202. Das Verschulden wird folglich als »le fait g8n8rateur de la responsabilit8«203 beschrieben. Deswegen spricht die Lehre von »la faute 195 Esmein, Trait8 pratique de droit civil franÅais IV2, Rn. 477. 196 Santos Briz, in: Albaladejo (Hrsg.) Comentarios al cjdigo civil y compilaciones forales XXIV, S. 112. 197 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 5, Rn. 84. 198 Siehe, Rn. 379ff. 199 Für Spanien: Santos Briz, in: Albaladejo (Hrsg.) Comentarios al cjdigo civil y compilaciones forales o XXIV, S. 123; Für Frankreich: Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 at des contrats6, Rn. 6706; Für Polen: Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 415, Rn. 33. 200 Dejean de la B.tie, Dejean de la B.tie, in: Ponsard/Fadlallah (Hrsg.) Aubry& Rau, Droit civil franÅais VI-28, Rn. 22. 201 Terr8/Simler/Lequette, Les obligations11, Rn. 719. 202 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 305; Terr8/Simler/Lequette, Les obligations11, Rn. 719; Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 220. 203 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 438.

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commisse«204, was in den anderen untersuchten Rechtsordnungen wegen der separaten Betrachtung der unerlaubten Handlung und des Verschuldens grundsätzlich falsch wäre. Als eine mögliche Übersetzung von der faute ins Deutsche wurde »das verschuldete Unrecht« vorgeschlagen.205 Dieser Vorschlag bringt jedoch das materielle Element des französischen Begriffes nicht genug zum Ausdruck. Es handelt sich eher um ein »verschuldetes Verhalten«. In der Rechtsvergleichung wird der Begriff der faute sogar nicht als »Verschulden«, sondern nur als »der sprachlich nächste Parallelbegriff« beschrieben.206 Im eidgenössischen Recht wird das Verschulden ebenfalls als das Verhalten an sich qualifiziert,207 ohne jedoch das Verhalten als materielles Element des Verschuldens gesondert hervorzuheben. Teilweise wird auch im spanischen Recht der Verschuldensbegriff unter Einbezug des materiellen Elements definiert: »la culpa, en el Cjdigo civil, consiste en un comportamiento negligente (…).«208 c) Normatives Element (70) Das Verschulden hat seine ursprüngliche moralisch geprägte Bedeutung fast vollständig verloren, was zur Verminderung seiner haftungseingrenzenden Rolle führt. Im schweizerischen Recht habe sich der heutige Verschuldensbegriff sogar zum Gegenteil seiner ursprünglichen Bedeutung entwickelt.209 Eine Hauptrolle in allen untersuchten Rechtsordnungen spielt die normative Auffassung des Verschuldens und insbesondere der Fahrlässigkeit.210 So soll nach den modernen Verschuldensdefinitionen die Verletzung einer Pflicht oder das Fehlverhalten als eine Normverletzung zu verstehen sein und sogar die Vorwerfbarkeit grundsätzlich nach objektiven Kriterien beurteilt werden. Diese Tendenzen werden als die Verobjektivierung des Verschuldens bezeichnet. Das normative Element des Verschuldens hat mit seiner ursprünglichen und alltagssprachlichen Bedeutung wenig zu tun. Es führt die Problematik der Rechtswidrigkeit in die Verschuldensfrage ein, was besonders im französischen Recht ersichtlich ist. Wie breit der Begriff des Verschuldens verstanden wird, zeigt die Tatsache, dass das Verschulden teilweise die Problematik des Schutzzwecks (la relativit8 aquillienne) umfasst. Ausdrücklich wird gesagt, dass es sich 204 Terr8/Simler/Lequette, Les obligations11, Rn. 716. 205 Mor8teau, Grundfragen des Schadenersatzrechts aus französischer Sicht, in: Koziol (Hrsg.) Grundfragen des Schadenersatzrechts aus rechtsvergleichender Sicht, Rn. 1/1. 206 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 226. 207 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 5, Rn. 13. 208 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 283f. 209 Widmer, Comparative Report on Fault as a Basis of Liability and Criterion of Imputation, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 357. 210 Koziol, Rechtsvergleichende Schlussbemerkungen, in: Grundfragen des Schadenersatzrechts aus rechtsvergleichender Sicht, Rn. 8/219.

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hier nicht um die Kausalität, sondern um die Natur des Verschuldens handelt.211 Um die Relevanz des Schutzzwecks der Norm im französischen Recht zu verneinen, wird das Verschulden folglich als ein absolutes Konzept beschrieben.212 Die steigende Bedeutung des normativen Elements reduziert die haftungseingrenzende Rolle des Verschuldens.

II.

Bedeutung des Verschuldens für die Haftungseingrenzung in den einzelnen Rechtsordnungen

(71) Bei der Darstellung der unterschiedlichen Bedeutung des Verschuldens wird mit dem französischen Rechtssystem begonnen, in welchem diese Voraussetzung die größte Rolle bei der Haftungseingrenzung spielt (dazu unter 1). Eine deutlich geringere Bedeutung für die Eingrenzung der Haftung hat das Verschulden in Spanien, wo von einem Bedeutungsrückgang dieser Voraussetzung gesprochen wird (unter 2). Das Spiel gegen die Rechtswidrigkeit hat das Verschulden deutlich im helvetischen Recht verloren, wo die Haftung vor allem mit Hilfe der Rechtswidrigkeit eingegrenzt wird (unter 3). Ähnlich ist es im polnischen Recht, in welchem sich die Verschuldensrolle mittels der Anerkennung der eigenständigen Voraussetzung oder wenigstens separaten Prüfung der Rechtswidrigkeit durch einen Teil der Rechtsprechung und der Lehre reduziert hat (unter 4). 1.

Verschulden als zentrales Mittel der Haftungseingrenzung (Frankreich)

(72) Die wichtige Rolle des Verschuldens bei der Schadenersatzeingrenzung ist die Besonderheit der französischen Generalklausel: »lorsque la responsabilit8 est fond8e sur une faute, c’est dans la notion mÞme de celle-ci qu’on trouve le fondement d’une limitation des cons8quences dont on r8pond«.213 Die eingrenzende Funktion des Verschuldens wird dadurch stärker, dass der Begriff nicht nur die Fragen der Vorwerfbarkeit, sondern sämtliche Kriterien des Fehlverhaltens umfasst. Die konkretisierende Funktion des Verschuldens realisiert sich in der Ausformulierung des Pflichtenprogramms. Insbesondere wurde die Bedeutung des Verschuldens für die Eingrenzung bei reinen Vermögensschäden verdeutlicht: Anders als im Falle der absoluten Rechte, wo die allgemeine Sorgfaltspflicht (le devoir de prudence et de pr8cautions) gilt, solle im Falle der reinen

211 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 441. 212 AaO. 213 Esmein, Trait8 pratique de droit civil franÅais IV2, Rn. 541.

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Vermögensschäden ein Verstoß gegen die Prinzipien der loyaut8, honnÞtet8 et bonne foi vorausgesetzt werden.214 Die haftungseingrenzende Funktion des Verschuldens wird jedoch durch die Verobjektivierung des Begriffes gemildert. Teilweise wird sogar behauptet, dass das subjektive Element der imputabilit8 im Laufe dieses Prozesses eliminiert wurde.215 Diese Feststellung ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass das Verschulden, anders als in den anderen untersuchten Rechtsordnungen, die größte haftungseingrenzende Rolle bei den Voraussetzungen der Haftung für eigenes Fehlverhalten spielt, selbst wenn der Begriff in anderen Rechtsordnungen restriktiver formuliert wird. 2.

Vermeintlicher Bedeutungsrückgang des Verschuldens (Spanien)

(73) Im spanischen Recht wird das Verschulden traditionellerweise ebenfalls als eine Kernvoraussetzung der Deliktshaftung beschrieben. Es habe das: »car#cter nuclear en el sistema de Derecho de daÇos«216 oder spiele die Rolle des »factor decisivo de la responsabilidad civil«217. In der Formulierung culpa o negligencia sollen sich die Grenzen der Ersatzfähigkeit befinden.218 Über die genaue Position des Verschuldens, seinen Umfang und das Verhältnis zu den anderen Haftungsprinzipien besteht jedoch weder in der Lehre noch in der Rechtsprechung Einigkeit.219 Zu beobachten ist ein Bedeutungsrückgang des Verschuldens, der vom Tribunal Supremo direkt angesprochen wurde. In der Rechtsprechung wird von einem »desplazamiento de la culpa al nexo causal« gesprochen.220 In der Lehre sogar von »culpa sin culpabilidad«221. Was darunter zu verstehen ist, wurde 214 Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, in: Zimmermann (Hrsg.) Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, S. 226. 215 Mazeaud/Mazeaud/Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle6, Rn. 390; Dejean de la B.tie, in: Ponsard/Fadlallah (Hrsg.) Aubry& Rau, Droit civil franÅais VI-28, Rn. 26; Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 at des contrats6, Rn. 6706. 216 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 103f. 217 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Derecho de daÇos, S. 351. 218 AaO, S. 352. 219 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 102. 220 Urt. TS v. 29. 6. 2001, RJ 2002, 1470 in dem die Kausalität zwischen der bloßen Installation einer Rolltreppe im Einkaufszentrum und dem Schaden eines 2-jährigen Kindes, das seine Hand verloren hat, verneint wurde. In der Begründung behauptete der TS, dass die mangelnde Kausalität das Fehlen des Verschuldens beweist: »Tampoco puede darse culpabilidad, si falta la relacijn de causalidad entre la actividad de una persona«. Das Urteil wurde im Urt. TS v. 18. 3. 2004, STS 1898/2004, RJ 2004, 1823 zitiert, das eine bakterielle Infektion betraf, die während eines chirurgischen Eingriffs eingetreten ist und zur Entwicklung einer Spondyloszitis führte. 221 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 253.

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folgendermaßen erklärt: »eine Handlung oder Unterlassung, sollte sie in einem Kausalzusammenhang mit dem Schaden stehen, macht diese Handlung oder Unterlassung notwendigerweise fahrlässig (culpa), denn wenn diese nicht vorsätzlich (dolo) ist, würde dieser Schaden ohne Fahrlässigkeit nicht entstehen.«222 Laut dem Tribunal Supremo sind die Gründe dafür, dass das Verschulden an Bedeutung verliert, die Veränderungen in der Gesellschaft und die steigende Ausgleichsfunktion des Deliktsrechts.223 Ein schädigendes Verhalten, welches mit einem Schaden in Kausalzusammenhang steht, soll dann selbst das Verschulden, nach dem Prinzip des alterum non laedere, beweisen. Als Gründe dieser Entwicklung wurden genannt: 1) der Grundsatz pro damnato, 2) die Idee der »sozialen Wirklichkeit der Zeit« aus Art. 3 span. CC.224 und 3) der Grundsatz cuius commoda, eius incommoda.225 Dadurch verliert das Verschulden überwiegend seine haftungseingrenzende Rolle. Ein weiterer Grund für diese Entwicklung ist, dass im spanischen Recht die Gefährdungshaftung im Unterschied zum französischen Recht aus der allgemeinen deliktsrechtlichen Generalklausel hergeleitet wird. Die Annahme, dass die Voraussetzungen der Haftung unabhängig von der Natur der Streitigkeiten einheitlich ausgelegt werden sollen, führt zur Verobjektivierung des Begriffes. Der Begriff muss auch in der Gefährdungshaftung angewandt werden, solange diese nicht gesondert reguliert wird.226 Diese Entwicklungen in der Rechtsprechung stoßen auf harte Kritik in der Lehre.227 Laut den Kritikern resultiert diese Praxis daraus, dass die Gerichte das 222 Urt. TS v. 29. 6. 2001, RJ 2002, 1470 zitiert im Urt. TS v. 18. 3. 2004, STS 1898/2004, RJ 2004, 1823. 223 Urt. TS v. 4. 2. 1997, STS 5378/1998, RJ 1997, 677 in dem es um die Haftung der Bahngesellschaft für einen tödlichen Unfall Fahrgastes ging, der aus dem Zug gefallen war. Für diese Haftung wird in den anderen Rechtsordnungen grundsätzlich kein Verschulden vorausgesetzt. Diese Rechtsprechung wurde jedoch durch den TS im Urt. v. 16. 12. 2008, RJ 2009, 1353 ausdrücklich kritisiert: »Este pronunciamiento infringe la doctrina de la Sala sobre la interpretacijn de los arts. 1902 CC y 1 LRCSCV, preceptos que establecen que en los supuestos de colisijn de veh&culos donde, adem#s, se reclaman los daÇos materiales derivados del accidente de circulacijn no es aplicable la doctrina del riesgo.« Die verschuldensunabhängige Haftung aus Art. 1 LRCSCV betrifft nur Personenschäden. 224 Art. 3 Abs. 1 span. CC: »Normen werden gemäß der eigenen Bedeutung ihrer Worte unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, der historischen und gesetzgeberischen Vorgeschichte sowie der sozialen Wirklichkeit der Zeit, in der sie angewendet werden müssen, ausgelegt, wobei grundsätzlich Sinn und Zweck jener Gesetze zu beachten ist.« 225 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Derecho de daÇos, S. 124f. mit Verweis auf Cavanillas Mfflgica, La transformacijn de la responsabilidad en la jurisprudencia, S. 28ff. 226 Reglero Campos, in: (Hrsg.) Reglero Campos, Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 283ff. 227 Pantalejn Prieto, Como repensar la responsabilidad civil extracontractual, in: Moreno Mart&nez (Hrsg.) Perfiles de la Responsabilidad Civil en el Nuevo Milenio, S. 439 ff; D&ezPicazo y Ponce de Lejn, La culpa en la responsabilidad civil extracontractual, in: Luis D&ezPicazo y Ponce de Lejn, Ensayos Jur&dicos II, S. 2904 ff; Reglero Campos, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 283ff.

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Deliktsrecht fälschlicherweise als ein Instrument der Sozialpolitik betrachten, was zu einer Ausuferung der deliktischen Haftung führt.228 Die Autoren fordern, die Zurechnungsproblematik aus dem Feld der juristischen Kausalität zurück auf das Feld des Verschuldens zu verschieben.229 Pantal8on Prieto hat vorgeschlagen und versucht, den Schwerpunkt der Haftungseingrenzung vom Verschulden in die Problematik der objektiven Zurechnung zu verschieben. Er selbst hat zuvor die Theorie der objektiven Zurechnung entwickelt und die Zurechnung in das Kriterium der juristischen Kausalität eingebettet. Mit seinen neuen Vorschlägen, qualifizierte er seine ursprüngliche Meinung damit als falsch230 und erkannte das Verschulden als das wichtigste Zurechnungskriterium an: »Das Primat des Verschuldens als ein Zurechnungskriterium in der besagten Haftung hat eine exzellente Bedeutung (…)«.231 Das Konzept des Verschuldens sei im spanischen Recht nicht deutlich genug und benötige eine zusätzliche Untersuchung.232 Pantal8on Prieto und andere Befürworter der These, dass die Bedeutung des Verschuldens gesteigert werden sollte, schlagen vor, diese Voraussetzung nach dem Vorbild des Common Law aus der Perspektive der Pflichten (duties of care) des Schädigers zu betrachten.233 Dabei soll auch die konsequente Anwendung der in Art. 1104 span. CC formulierten und pflichtbezogenen Verschuldensdefinition im Rahmen des Deliktsrechts gesichert werden. Die Postulate, die Verschuldensbedeutung zu stärken, werden mit der Hauptfunktion der deliktischen Haftung begründet. Der Sinn und Zweck der deliktischen Haftung ist, vor allem die Tauschgerechtigkeit (justicia conmutativa) zu sichern und den Schaden gerecht entweder bei dem Geschädigten zu lassen oder dem Schädiger aufzuerlegen.234 Die Deliktshaftung ist demgegen-

228 Pantalejn Prieto, Como repensar la responsabilidad civil extracontractual, in: Moreno Mart&nez (Hrsg.) Perfiles de la Responsabilidad Civil en el Nuevo Milenio, S. 465. 229 AaO, S. 465, a. A. ]lvarez Olalla, Imputacijn objetiva y causalidad jur&dica versus criterios de imputacijn subjetiva, ACM 2012, Nr. 8, S. 102ff. das 20. Jahrhundert als ein Jahrhundert des Verschuldens und das 21. Jahrhundert als ein Jahrhundert der Kausalität sowohl in der Lehre als auch in der Rechtsprechung bezeichnet. 230 Pantalejn Prieto, Como repensar la responsabilidad civil extracontractual, in: Moreno Mart&nez (Hrsg.) Perfiles de la Responsabilidad Civil en el Nuevo Milenio, S. 465: »Tras m#s de veinte aÇos de estudio sobre la responsabilidad civil extracontractual, cometiendo alguno de los errores que he criticado en estas p#ginas, he alcanzado convicciones muy sjlidas al respecto.« 231 AaO. 232 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, La culpa en la responsabilidad civil extracontractual, in: Luis D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Ensayos Jur&dicos II, S. 2904; Reglero Campos, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 285f. 233 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, La culpa en la responsabilidad civil extracontractual, in: Luis D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Ensayos Jur&dicos II, S. 2911. 234 Pantalejn Prieto, Como repensar la responsabilidad civil extracontractual, in: (Hrsg.) Moreno Mart&nez, Perfiles de la Responsabilidad Civil en el Nuevo Milenio, S. 465.

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über weder zur Prävention noch zur Umverteilung der öffentlichen Mittel geeignet.235 3.

Bedeutungsrückgang des Verschuldens (Polen)

(74) Auch im polnischen Recht vermindert sich die haftungseingrenzende Rolle des Verschuldens. Für diese Entwicklung gibt es zwei Gründe. Einerseits kommt es genauso wie in den anderen Rechtsordnungen zur Verobjektivierung des Verschuldens. Andererseits verselbständigt sich die Rechtswidrigkeit als Voraussetzung der Haftung für eigenes Fehlverhalten. Durch die Verobjektivierung wird die haftungseingrenzende Funktion des Verschuldens begrenzt. Die Lehre unterscheidet zwischen der psychologischen und der normativen Theorie des Verschuldens.236 Die psychologische Theorie, welche die subjektive Vorwerfbarkeit des schadensverursachenden Verhaltens verlangt und die Einstellung des Schädigers als maßgeblich betrachtet, war ursprünglich herrschend.237 Die normative Theorie basiert auf dem nach objektiven Kriterien formulierten Vorwurf des Fehlverhaltens. Die erste Theorie wird als typisch für das deutsche Recht und die zweite als die Entwicklung der französischen Lehre qualifiziert.238 Die normative Theorie ist heute herrschend und wird vom Obersten Gerichtshof239 vertreten.240 Die Verobjektivierung des Verschuldens hat die haftungseingrenzende Funktion dadurch eingeschränkt, dass die persönlichen Eigenschaften des Schädigers den Sorgfaltsmaßstab nicht verringern. Dagegen erhöhen die überdurchschnittlichen persönlichen Eigenschaften den Sorgfaltsmaßstab. Der zweite Grund dafür, dass das Verschulden für die Haftungseingrenzung eine geringere Rolle spielt, liegt im polnischen Recht– genauso wie in den anderen Rechtsordnungen – vor allem in Verhältnis des Verschuldens zur Rechtswidrigkeit. Die polnische Generalklausel setzt die Rechtswidrigkeit, wenigstens dem Wortlaut nach, nicht voraus. Im Laufe der Entwicklung des polnischen Deliktsrechts hat sich jedoch die Prüfung der Rechtswidrigkeit im Rahmen der Verschuldensprüfung verselbständigt und die haftungseingrenzende Bedeutung des Verschuldens dadurch verringert.

235 236 237 238 239 240

AaO. Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 1, Rn. 41. Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 34. Dubis, in: Gniewek/Machnikowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz 7, Art. 415, Rn. 6. Urt. OG v. 18. 03. 1999, Az. I CKN 1057/97, Legalis 327957. Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 1, Rn. 41.

60 4.

Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Verschulden im Schatten der Rechtswidrigkeit (Schweiz)

(75) Nach der traditionellen Konzeption des eidgenössischen Deliktsrechts kam dem Verschulden eine zentrale Rolle zu.241 Durch die Eigenständigkeit der Rechtswidrigkeit werden verliert das Verschulden Bedeutung und Aufmerksamkeit.242 Ungeachtet dessen, spielt auch in der Schweiz das Verschulden noch immer eine wichtige haftungseingrenzende Rolle.243 Seine Bedeutung kommt vor allem bei der Verletzung der absolut geschützten Rechte zum Vorschein. Der Grund dafür ist, dass die Rechtsgutverletzung die Rechtwidrigkeit automatisch begründet, womit die Rechtswidrigkeit die Haftung nicht eingrenzen kann.244 Darüber hinaus spielen die Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit als Voraussetzungen der Vorwerfbarkeit eine wichtige Rolle bei der Haftungseingrenzung. Ein Teil der Lehre fordert, das Verschulden bei gleichzeitiger Erweiterung der verschuldensunabhängigen Haftung zu resubjektivieren.245 Dadurch soll vermieden werden, dass der verobjektivierte Verschuldensbegriff in den Fällen, in denen die Schadensabwälzung nicht begründet ist, zur Haftung führt. Zudem soll nach dieser Ansicht der Gesetzgeber eine Generalklausel der Gefährdungshaftung formulieren und somit die Grenzen der Deliktshaftung erweitern und klar zeichnen.

III.

Kriterien für die Beurteilung des Verschuldens

(76) Das Verschulden kann subjektiv oder objektiv beurteilt werden, je nachdem, ob bei der Beurteilung der erforderlichen Sorgfalt die persönlichen Eigenschaften des Schädigers mitberücksichtigt werden oder nicht.246 (77) Die Mehrheit der europäischen Rechtsordnungen verwendet einen objektiven Verschuldensstandard.247 Bei der Formulierung des Sorgfaltsmaßstabs ziehen jedoch alle Rechtsordnungen auch einige persönliche Eigenschaften des Schädigers hinzu. Dies geschieht grundsätzlich, um die Haftung zu verschärfen. 241 242 243 244 245 246

Roberto, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Rn. 217. Gauch, Grundbegriffe des ausservertraglichen Haftpflichtrechts, recht 1996, S. 234. AaO, S. 235 mit Verweis auf Keller, Haftpflicht im Privatrecht I5, S. 75f. Roberto, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Rn. 217. Widmer, Fault under Swiss Law, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 285. Widmer, Comparative Report on Fault as a Basis of Liability and Criterion of Imputation, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 347ff; Koziol, Rechtsvergleichende Schlussbemerkungen, in: Grundfragen des Schadenersatzrechts aus rechtsvergleichender Sicht, Rn. 8/219. 247 Widmer, Comparative Report on Fault as a Basis of Liability and Criterion of Imputation, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 348.

Verschulden

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Dabei wird versucht, im Falle der Anerkennung einer selbständigen Voraussetzung der Rechtswidrigkeit zwischen der objektiven Seite des Verschuldens und der Rechtswidrigkeit sauber zu unterscheiden. Die Verobjektivierung des Verschuldens führe dazu, dass die Trennung zwischen der Verschuldens- und Gefährdungshaftung schwer ersichtlich ist.248 (78) Als Ausgangspunkt der Verschuldensbeurteilung gilt die Urteilsfähigkeit, die über zwei Fragen entscheidet. Einerseits geht es darum, ob der Schädiger einen schadensverursachenden Vorgang nicht erfassen konnte, also um den Verstandsdefekt.249 Andererseits geht es um den Willensdefekt, also ob sich der Schädiger trotz der richtigen Erkenntnis, nicht entsprechend verhalten konnte.250 In Spanien wird die Urteilsfähigkeit als imputabilidad bezeichnet.251 Auch in Frankreich252 und Polen253 wird die Urteilsfähigkeit im Rahmen des Verschuldens geprüft. Deswegen ist zunächst die Urteilsfähigkeit als eine haftungseingrenzende Vorfrage des Verschuldens zu untersuchen (dazu unter 1). Bei der Festsetzung des außervertraglichen Pflichtenprogramms in allen untersuchten Rechtsordnungen wird zwischen zwei Methoden unterschieden. Die appr8ciation in abstracto entspricht dem deutschen objektiven Fahrlässigkeitsmaßstab. Die Verwirrung bei der Terminologie wegen der Aufteilung des Verschuldens in objektive und subjektive Elemente ist so groß, dass z. B. im schweizerischen Recht Vorsatz und Fahrlässigkeit teilweise als die »objektiven Komponenten«254 und teilweise als Formen der faute subjective255 qualifiziert werden. Das objektive Element wird sehr unterschiedlich verstanden, basiert aber grundsätzlich auf dem Konzept der Verletzung einer verobjektivierten Sorgfaltspflicht (unter 2). Die andere Methode appr8ciation in concreto postuliert, die konkreten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (unter 3). Trotz der Postulate für die Aufspaltung des Verschuldensbegriffes wird auch die Vorwerfbarkeit traditionellerweise unter der Problematik des Verschuldens diskutiert. Verschulden liegt vor, wenn das Verhalten dem Schädiger vorwerfbar ist, was insbesondere nach den Kriterien der Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit beurteilt wird (dazu 4). Auch der Verschuldensgrad spielt in einigen Rechtsordnungen eine gewisse Rolle bei der Haftungseingrenzung (dazu 5). 248 AaO, S. 357f. 249 Oswald, Analyse der Sorgfaltspflichtverletzung im vertraglichen wie ausservertraglichen Bereich, S. 40. 250 AaO. 251 Gjmez Calle, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 960. PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 295ff. 252 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 444. 253 Dubis, in: Gniewek/Machnikowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz7, Art. 415, Rn. 6. 254 Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und Besonderer Teil, Rn. 1975 ff im Unterschied zu der Urteilsfähigkeit, die als subjektive Komponente des Verschuldens bezeichnet wird. 255 Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code de obligations I2, Art. 41, Rn. 63.

62 1.

Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Urteilsfähigkeit

(79) Eine klar haftungseingrenzende Rolle spielt die Urteilsfähigkeit, weil sie als subjektivierter Korrekturfaktor die rein objektive Beurteilung des Verhaltens ausschließt256 und deshalb zum Haftungsausschluss führen kann. Jedoch nicht mal bezüglich der Frage, ob die Urteilsunfähigkeit die Deliktshaftung ausschließen soll, besteht Einigkeit zwischen den vier Systemen. Während das französische Recht die Urteilsfähigkeit nach herrschender Meinung gänzlich außer Acht lässt (dazu unter a), schließen die anderen Rechtsordnungen die Haftung bei fehlender Urteilsfähigkeit aus. Die Kriterien, die über die Urteilsunfähigkeit entscheiden, sind jedoch unterschiedlich. Einerseits werden gesetzlich starre Grenzen festgesetzt (unter b). Andererseits wird die Beurteilung dem richterlichen Ermessen überlassen (unter c). a) Unerheblichkeit der Urteilsunfähigkeit (80) Paradoxerweise ist es in der französischen Lehre trotz der schon weitgefassten Grenzen der Verschuldenshaftung besonders streitig, ob die Zurechenbarkeit (imputabilit8), die ein subjektives Element des Verschuldens ist, überhaupt vorausgesetzt werden soll. Zurechenbarkeit bedeutet, dass der Schädiger bei vollem Bewusstsein und mit der Möglichkeit, sein Verhalten zu erkennen (»en plein conscience et avec la capacit8 de comprendre ce qu’il faisait«), gehandelt hat.257 Es geht um die Wahrnehmung des Täters von seinem eigenen Verhalten.258 In diesem Bereich wird zwischen der traditionellen subjektiven und der modernen objektiven Verschuldenslehre unterschieden. Die subjektive Auffassung schlägt vor, die Urteilsfähigkeit weiter vorauszusetzen. Dagegen hält die objektive Auffassung diese Voraussetzung für entbehrlich. Teilweise wird vorgeschlagen, dass die Urteilsfähigkeit unabhängig vom Verschulden als eine eigenständige Voraussetzung der deliktischen Haftung geprüft werden soll, was die Unterscheidung zwischen verschiedenen Schädigern, möglichen Sanktionen und zwischen Verschulden und Mitverschulden ermöglichen würde.259 Gemäß dem 1968 eingeführten Art. 489-2 fr. CC (nunmehr : Art. 414-3 fr. CC) schließt selbst eine psychische Störung die Haftung nicht aus: »Celui qui a caus8 un dommage / autrui alors qu’il 8tait sous l’empire d’un trouble mental n’en est pas moins oblig8 / r8paration.« Angesichts der Novellierung und der darauf folgenden Rechtsprechung wird teilweise von »la disparition de l’8l8ment volon256 Oswald, Analyse der Sorgfaltspflichtverletzung im vertraglichen wie ausservertraglichen Bereich, S. 70. 257 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 444. 258 Mor8teau, Grundfragen des Schadenersatzrechts aus französischer Sicht, in: Koziol (Hrsg.) Grundfragen des Schadenersatzrechts aus rechtsvergleichender Sicht, Rn. 1/151. 259 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 444-1.

Verschulden

63

taire« gesprochen.260 Auch die urteilsunfähigen Kinder sind von der Verschuldenshaftung umfasst. Die Rechtsprechung hat die Urteilsfähigkeit beim Mitverschulden für unerheblich erklärt.261 Die damit verbundenen praktischen Probleme haben sogar zu dem Lösungsvorschlag geführt, eine Haftpflichtversicherung der Urteilsunfähigen zu gründen.262 In der französischen ist die Meinung herrschend, dass das Verschulden eine Zurechenbarkeit des Verhaltens nicht verlangt.263 Die Minderjährigkeit kann aber eine Rolle bei der Herabsetzung des objektiv erforderlichen Sorgfaltsmaßstabs spielen. b) Starre Grenzen der Urteilsunfähigkeit (81) Starre Grenzen für die Urteilsunfähigkeit sind eher die Ausnahme. Art. 426 poln. ZGB schließt die deliktsrechtliche Haftung bei Minderjährigen, die das dreizehnte Jahr nicht vollendet haben, aus. Gegen den klaren Wortlaut dieser Rechtsnorm handelt es sich hier lediglich um den Ausschluss der Verschuldenshaftung. Die Gefährdungshaftung und vor allem die Billigkeitshaftung aus Art. 428 poln. ZGB bleibt unberührt.264 c) Relative Grenzen der Urteilsunfähigkeit (82) Im schweizerischen Recht sind keine starren Grenzen der Urteilsunfähigkeit vorgesehen. Es ist von Fall zu Fall zu entscheiden, ob der Schädiger deliktsrechtlich haften kann, die Grenzen der Urteilsfähigkeit sind also relativ.265 Gemäß Art. 16 schw. ZGB ist jede Person urteilsunfähig, der »wegen ihres Kinderalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln.« Die Formulierung »ähnliche Zustände« soll als eine Auffangnorm für alle Schwächezustände dienen.266 Das subjektive Verschulden, wie die Urteilsfähigkeit genannt wird, beschreibt die Zurechenbarkeit des objektiven Verschuldens.267 260 Fabre-Magnan, Les obligations, Rn. 279. 261 Urt. Cass. ass. pl8n. v. 9. 5. 1984, Az. 79-16612, 80-14994, 80-93481, 82-92-934, Bull civ. ass. pl8n. Nr. 1–5, D. 1984 jur. S. 525: »n’8tait pas tenue de v8rifier si le mineur 8tait capable de discerner les cons8quences de son acte, a pu estimer sur le fondement de l’article 1382 du Code civil que la victime avait commis une faute qui avait concouru« bekannt als die Entscheidung Derguini et Lemaire. 262 Terr8/Simler/Lequette, Les obligations11, Rn. 732; PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 305. 263 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 444. 264 Dubis, in: Gniewek/Machnikowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz7, Art. 426, Rn. 1; Borysiak, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 426, Rn. 18. 265 Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und Besonderer Teil, Rn. 1990; Oswald, Analyse der Sorgfaltspflichtverletzung im vertraglichen wie ausservertraglichen Bereich, S. 40. 266 Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und Besonderer Teil, Rn. 1994. 267 Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 64.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

(83) Die spanische gesetzliche Regelung der deliktischen Haftung setzt die Urteilsfähigkeit nicht voraus.268 Der Wortlaut der Generalklausel scheint sogar zu suggerieren, dass es unmöglich sei, Schädiger ungleich zu behandeln und die Haftung im Falle besonderer Schädiger auszuschließen.269 Die Lehre und die Rechtsprechung nehmen jedoch einstimmig an, dass die Urteilsfähigkeit eine Voraussetzung des Verschuldens darstellt und bei psychisch Kranken oder Minderjährigen fehlt.270 Der Schädiger muss imputable civilmente sein271 oder anders formuliert capacidad de discernimiento o capacidad de culpa haben.272 Dafür sollen die folgenden Gründe sprechen273 : (i) die Urteilsfähigkeit bildet die zwingende Voraussetzung der allgemeinen Wirksamkeit jedes rechtlich relevanten Verhaltens, (ii) nur dann kann das Deliktsrecht seine präventive Rolle erfüllen, (iii) die Kohärenz der Rechtsordnung erfordert sie, weil die Urteilsfähigkeit eine Voraussetzung der deliktischen Haftung nach Art. 118 span. CP darstellt und (iv) sie ist aus rechtsvergleichender Sicht notwendig. Die volle Haftung der Urteilsunfähigen im französischen Recht wurde als ein System bezeichnet, das auf »en el absurdo y en la desigualdad« basiert.274 In einigen Fällen wird die deliktische Haftung des Minderjährigen jedoch angenommen.275 Dabei ist es nicht ersichtlich, ob die Urteilsfähigkeitsprüfung als überflüssig angesehen wurde oder ob diese so eindeutig war, dass es keiner besonderen Prüfung bedurfte.276 Es gibt keine starren Grenzen der deliktsrechtlichen Urteilsfähigkeit, sondern sie hängt von den persönlichen Eigenschaften eines Minderjährigen ab.277 Dezidierter wird die Urteilsfähigkeitsprüfung in der Lehre vorausgesetzt. Die herrschende Meinung lässt sogar die Anwendung der in Art. 118 i. V. m. Art. 20 span. CP formulierten Haftungsausschlüsse wegen feh-

268 Gjmez Calle, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 960; D&ezPicazo y Ponce de Lejn, Derecho de DaÇos, S. 364; PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 297. 269 Gjmez Calle, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 960f; PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 297. 270 Mart&n-Casals/Sol8 Feliu, Fault under Spanish Law, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 245. 271 Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: Dominguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2051; Gjmez Calle, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 959. 272 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Derecho de DaÇos, S. 364f; Gjmez Calle, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 960. 273 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 297ff. 274 AaO, S. 305. 275 Urt. TS v. 10. 4. 1988, RJ 1988, 3116; Urt. TS v. 22. 1. 1991, RJ 1991, 304; Urt. TS v. 8. 3. 2002, RJ 2002, 1912. 276 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 301. 277 Gjmez Calle, in: (Hrsg.) Reglero Campos, Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 960.

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lender Urteilsfähigkeit im Deliktsrechts zu.278 Die Lehre zählt darüber hinaus die folgenden typischen Beispiele eines Urteilsunfähigen279 auf: (i) ein Kind vor der Vollendung des 7. Lebensjahres, (ii) eine Person mit geistiger Behinderung, (iii) eine taubstumme Person, die Analphabet ist. (84) Der Ausschluss der Urteilsfähigkeit aus anderen Gründen als der Minderjährigkeit erfolgt im polnischen Recht ebenfalls nach relativen Kriterien. Von besonderer Bedeutung ist hier die in Art. 425 § 1 poln. ZGB regulierte deliktsrechtliche Urteilsunfähigkeit: »Wer sich aus irgendwelchen Gründen in einem die bewusste oder freie Willensbestimmung oder -äußerung ausschließendem Zustand befindet, haftet nicht für einen in diesem Zustand verursachten Schaden.«280 Der Katalog der haftungsausschließenden Gründe ist offen und umfasst z. B. einen andauernden pathologischen Zustand, d. h. psychische Erkrankung, Demenz, substanzgebundene Abhängigkeiten, einen vorübergehenden pathologischen Zustand wie Alkoholrausch, im Sterben liegen oder sehr hohes Fieber.281 Besonders fraglich ist die Urteilsfähigkeit älterer Personen, wenn die Unmöglichkeit der Verhaltenssteuerung durch begrenzte Beweglichkeit verursacht wurde. Die Lehre vertritt, dass obwohl der Wortlaut von Art. 425 § 1 poln. ZGB die physischen Beeinträchtigungen, genauso wie physische Behinderungen sowie Taubheit oder Blindheit ausdrücklich nicht umfasst, auch diese bei der Beurteilung der Urteilsfähigkeit berücksichtigt werden sollen.282 Die relative Beurteilung der Urteilsfähigkeit betrifft insbesondere Minderjährige, die das 13. Lebensjahr vollendet haben.283 In diesem Bereich werden die Urteilsfähigkeitsgrenzen durch die Rechtsprechung festgesetzt.284 Die Beweislast der Urteilsfähigkeit des Schädigers, der das 13. Lebensjahr vollendet hat, trägt der Geschädigte.285 Bei der Entscheidung, ob der Minderjährige urteilsfähig war, spielen sein Alter im Moment des schadensverursachenden Verhaltens und seine Lebensverhältnisse eine wichtige Rolle, wie zum Beispiel eine berufliche Tätigkeit trotz des jungen Alters.286 Die Kriterien der Beurteilung der Urteilsfähigkeit 278 Rodr&guez-Cano, Comentarios al Cjdigo Civil2, S. 2184; Pantalejn, in: Paz-Ares Rodr&guez, D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Bercovitz, Salvador Coderch (Hrsg.) Comentario del Cjdigo Civil, Ministerio de Justicia II 2, S. 1975. 279 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 323ff. 280 Übersetzung nach: Elbers/Siwik, Polnisches Zivilgesetzbuch mit Einführung. 281 Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 37. 282 AaO; Borysiak, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 425, Rn. 25ff. 283 Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 37. 284 Dubis, in: Gniewek/Machnikowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz7, Art. 426, Rn. 3. 285 Urt. OG v. 16. 5. 1973, Az. I CR 203/73, Legalis 17133; Urt. OG v. 11. 1. 2001, Az. IV CKN 1469/ 00, OSNC 2001, Nr. 9 Pos. 129, OSP 2002, Nr. 1, Pos. 2, OSP 2002, Nr. 6, Pos. 81; Banaszczyk, O odpowiedzialnos´ci deliktowej osoby małoletniej za czyn własny na zasadzie winy, FS Szpunar, S. 105ff; Dubis, in: Gniewek/Machnikowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz7, Art. 426, Rn. 3. 286 Urt. OG v. 13. 2. 2004, Az. IV CK 269/02, Legalis 66921.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

sind nicht abschließend, sondern stellen ein bewegliches System dar. Auch in diesem Bereich wird von der Verobjektivierung der Haftung von Minderjährigen gesprochen.287

2.

»Objektiver« Maßstab – »appréciation in abstracto«

(85) Eine weitere Möglichkeit, die Haftung einzugrenzen, kann bei der Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabs ansetzen. Dies ist freilich nur bei fahrlässig begangenen Delikten möglich, nicht bei Vorsatz. Bei der Beurteilung, ob das schädigende Verhalten fahrlässig war, nutzen alle Rechtsordnungen einen eher objektiven Maßstab. Wie bereits erwähnt, wird sogar häufig behauptet, dass subjektive Kriterien gänzlich außer Acht gelassen werden können. Eine Besonderheit des französischen Rechts ist, dass die erforderliche »faute« durch bloße Verletzung einer geschriebenen Norm (dazu unter a) oder eines subjektiven Rechts begründet werden kann (unter b). Die anderen Rechtsordnungen verlangen hingegen immer eine Verletzung der erforderlichen Sorgfalt (unter c). In Frankreich kommt es auf eine Sorgfaltspflichtverletzung (»n8gligence«) nur dann an, wenn keine Norm des geschriebenen Rechts verletzt wurde. a) Verletzung einer geschriebenen Norm (86) Während in der Regel das Verschulden eine Verletzung der erforderlichen Sorgfalt voraussetzt, wird im französischen Recht angenommen, dass die bloße Verletzung einer Norm des geschriebenen Rechts den schuldhaften Charakter des Verhaltens begründet.288 Es wird also nicht geprüft, ob die erforderliche Sorgfalt verletzt wurde. (87) Bekanntlich schließt das Verschulden im französischen Recht die Rechtswidrigkeit ein. Es werden dabei zwei verschiedene Formen der Rechtswidrigkeit unterschieden. Differenziert wird nach den Quellen der Verhaltenspflichten: (i) les devoirs explicit8s par des textes 8crites und (ii) les devoirs qui ne sont explicit8s par aucune disposition 8crite.289 Als widerrechtlich gilt also ein Verstoß gegen gesetzliche Regeln (rHgles l8gales) oder Regeln des breit ver287 Machnikowski, Obiektywizacja odpowiedzialnos´ci deliktowej małoletnich we Francji i w Polsce, PiP 1999, Nr. 8, S. 88ff. Der Autor hebt jedoch hervor, dass die Verobjektivierung im französischen Recht viel weitgehender ist. 288 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 6717: »la seule violation d’un texte imp8ratif entra%ne la responsabilit8 de son auteur, sans avoir besoin de relever une quelconque n8gligence ou imprudence de sa part«; Galand-Carval, Fault under French Law, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 92. 289 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 446ff; Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 6716, der bei der Feststellung der gewohnheitsrechtlichen Pflichten die Rolle des richterlichen Ermessens hervorhebt.

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standenen Gewohnheitsrechts (rHgles coutumiHres)290, wobei unter Gewohnheitsrecht les usages, les bonnes mœurs, la sagesse moyenne und la morale 8l8mentaire fallen.291 Zu den außergesetzlichen Regeln, deren Verstoß die faute begründen kann, gehören auch die berufsständischen (»deontologischen«) Regeln. In diesem Zusammenhang wird in der Rechtsprechung von der faute d8ontologique gesprochen.292 (88) Paradoxerweise sei also im französischen Recht ein Verschulden, verstanden als eine Möglichkeit der persönlichen Vorwerfbarkeit, keine zwingende Voraussetzung der faute. Diese Auffassung wird von dem Teil der französischen Lehre vertreten, der die subjektiven Elemente der Verschuldensprüfung ganz eliminieren will. Die Ansicht gewinnt an Bedeutung.293 Das zeigt insbesondere die folgende Definition des Verschuldens: »la faute est tout comportement illicite qui contrevient / une obligation ou / un devoir impos8 par la loi ou par la coutume«.294 Für die Erfüllung der Voraussetzung der faute solle nur die Verletzung einer Norm genügen, selbst dann, wenn das Verhalten des Schädigers weder vorsätzlich noch fahrlässig war.295 Dies soll auch dann gelten, wenn die Rechtsnorm nicht dem Schutz des Geschädigten dient.296 Das Hauptargument für diese Vorgehensweise ist der Schutz des Geschädigten vor dem Verhalten von Personen, die die Folgen ihrer Handlungen nicht erkennen können.297 Eine so weitgehende Verobjektivierung des Verschuldens war nur möglich, weil das französische Recht nicht die Rechtswidrigkeit als eigenständige Voraussetzung der Deliktshaftung erfordert.298 In anderen Rechtsordnungen würde das Verschulden seine Rolle dann gänzlich an die Rechtswidrigkeit verlieren. In Frankreich wird die Rechtswidrigkeit höchstens als ein objektives Element des Verschuldens angesehen299 und häufig mit dem Verschulden gleichgesetzt.300 Der 290 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 6716. 291 Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 231. 292 Urt. Cass. com. v. 18. 4. 2000, Az. 97-17719; Urt. Cass. comm. v. 12. 7. 2011, Az. 10-25386, D. 2011, S. 2782 (Wirtschaftsprüferhaftung) sprechen von der m8connaissance des rHgles d8ontologiques. 293 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 444; Mor8teau, Grundfragen des Schadenersatzrechts aus französischer Sicht, in: Koziol (Hrsg.) Grundfragen des Schadenersatzrechts aus rechtsvergleichender Sicht, Rn. 1/151 spricht sogar von einem Rückzug des subjektiven Elements. 294 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 6705. 295 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 448; Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 6717; Terr8/Simler/Lequette, Les obligations11, Rn. 718; Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 231. 296 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 6717. 297 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 444. 298 AaO, Rn. 443. 299 AaO, Rn. 443; Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 231ff. 300 Galand-Carval, Fault under French Law, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 92.

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Rückgang der Bedeutung der persönlichen Vorwerfbarkeit hat dazu geführt, dass im französischen Deliktsrecht die illic8it8 die wichtigste Rolle bei der Verschuldensprüfung spielt. b) Verletzung der erforderlichen Sorgfalt (89) Alle vier Rechtsordnungen erfordern grundsätzlich, die Feststellung der Verletzung der erforderlichen Sorgfalt, um ein Verhalten als fahrlässig zu qualifizieren. Der Sorgfaltsmaßstab wird entweder nach dem Muster des bonus pater familias konstruiert oder hängt von der im jeweiligen Lebensbereich erforderlichen Sorgfalt ab (dazu unter aa). Dieser Maßstab muss konkretisiert werden, wobei die Art und Weise sowie der Umfang der Konkretisierung umstritten ist (unter bb). aa) Bonus pater familias (90) Das schon im römischen Recht entwickelte Leitbild des guten Familienvaters ist in Frankreich und Spanien der grundlegende Maßstab der erforderlichen Sorgfalt. Im eidgenössischen Recht gibt es dieses Leitbild auch, freilich ist seine Bedeutung als Haftungseingrenzungskriterium geringer. In Polen wird dieser Maßstab sogar gänzlich abgelehnt. Maßgeblich im polnischen Recht ist nur die im Verkehr erforderliche Sorgfalt. (91) Im französischen Recht spielte der Maßstab des bon-pHre-de-famille eine besonders wichtige Rolle bei der Feststellung der nicht gesetzlich geregelten Pflichten.301 Er wurde nachträglich im Code civil durch den geschlechtsneutralen Begriff raisonnablement ersetzt.302 Durch die Novellierung des Code civil sollte sich der Maßstabs nicht ändern. Als Prüfungsstandard gilt weiterhin der Maßstab des bon pHre de famille, der schon von der Novellierung mit dem des reasonable man des englischen Rechts gleichgesetzt wurde.303 Denkbar ist, dass diese Änderung in Zukunft zu einer Annäherung der im französischen und im Common Law verwendeten Maßstäbe führt. (92) Beim Leitbild des bon pHre de famille wird nahezu einheitlich der objektive Fahrlässigkeitsmaßstab angenommen.304 Mazeaud und Tunc definieren die Fahrlässigkeit als einen Verhaltensirrtum, der durch eine informierte Person 301 Esmein, Trait8 pratique de droit civil franÅais IV2, Rn. 517; Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 463; Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 6706. 302 Art. 26 des Gesetzes Nr. 2014-873 v. 4. 8. 2014 pour l’8galit8 r8elle entre les femmes et les hommes. 303 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 308; Mor8teau, Grundfragen des Schadenersatzrechts aus französischer Sicht, in: Koziol (Hrsg.) Grundfragen des Schadenersatzrechts aus rechtsvergleichender Sicht, Rn. 1/149. 304 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 463; Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 6706.

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unter gleichen äußeren Umständen nicht begangen worden wäre.305 Der objektive Maßstab gilt aber nicht im Falle des Vorsatzes. Denn es sind keine Umstände denkbar, in denen ein bonus pater familias einen Schaden vorsätzlich verursachen könnte.306 Bei der personne raisonnable handelt es sich nicht um einen perfekten, sondern einen durchschnittlichen Menschen (homme de capacit8 moyenne).307 Diese Gleichsetzung des bon pHre de famille mit dem objektive Fahrlässigkeitsmaßstab wird jedoch teilweise als nicht zutreffend kritisiert, weil das französische Recht aus Gründen des Opferschutzes und für Präventionszwecke einen höheren Sorgfaltsmaßstab verwende.308 Andere drücken dies durch den Maßstab eines homme prudent, raisonnable et avis8 aus.309 (93) Das spanische Deliktsrecht verwendet einen objektiven und abstrakten Sorgfaltsmaßstab, bei dem die individuellen Fähigkeiten des Schädigers außer Acht gelassen werden.310 Die Verobjektivierung des Verschuldens im spanischen Recht verlief parallel zur Entwicklung in Frankreich.311 Art. 1104 span. CC hat den Maßstab des bonus pater familias vom französischen Recht übernommen.312 Es handele sich um ein objektives Kriterium, das auf das Verhalten einer normalen und durchschnittlichen Person abstelle.313 Dies sei eine normative 305 Mazeaud/Mazeaud/Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle6, Rn. 439: »La faute quasi d8lictuelle est une erreur de conduite telle qu’elle n’aurait pas 8t8 commisse par une personne avis8e plac8e dans les mÞmes circonstances » externes « que l’auteur du dommage«. 306 Starck/Roland/Boyer, Obligations I5, Rn. 297; Terr8/Simler/Lequette, Les obligations11, Rn. 727. 307 Esmein, Trait8 pratique de droit civil franÅais IV2, Rn. 517; Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 308. 308 Giliker, Can 27 (+) ›Wrongs‹ Make a Right? The European Tort Law Project: Some Special Reflections, King’s Law Journal 2009, S. 272. 309 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 463. 310 Mart&n-Casals/Sol8 Feliu, Fault under Spanish Law, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 247. 311 Reglero Campos, in: (Hrsg.) Reglero Campos, Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 284f; Rodr&guez-Cano, Comentarios al Cjdigo Civil2, S. 2181; Urt. TS v. 5. 11. 2014, STS 4688/2014, RJ 2014, 5672: »la responsabilidad por culpa extracontractual o aquiliana, aunque basada en el elemento subjetivo de la culpabilidad, segffln impone el art&culo 1902 del Cjdigo Civil ha ido evolucionando […] hacia un sistema que sin hacer plena abstraccijn del factor moral o psicoljgico o del juicio de valor sobre la conducta del agente, acepta soluciones cuasi objetivas, demandadas por el incremento de actividades peligrosas consiguientes al desarrollo de la t8cnica y el principio de ponerse a cargo de quien obtiene el provecho la indemnizacijn del quebranto sufrido por el tercero«. 312 De ]ngel Y#güez, in: Sierra Gil de la Cuesta (Hrsg.) Comentario del Cjdigo Civil IV, S. 353; Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: Dom&nguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2051; Rodr&guez-Cano, Comentarios al Cjdigo Civil2, S. 2181; Reglero Campos, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 281f. 313 Mart&n-Casals/Sol8 Feliu, Fault under Spanish Law, in: Widmer (Hrsg.) Unificiation of Tort Law : Fault, S. 242; Reglero Campos, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 281.

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Theorie des Verschuldens.314 Die in der Rechtsprechung entwickelte Formel der »diligencia socialmente exigible« bringe jedoch die ethischen Elemente in das normative Kriterium hinein.315 (94) Im eidgenössischen Recht wird im Rahmen der Verschuldensprüfung gefragt, ob in vorsätzlicher oder fahrlässiger Weise vom Durchschnittsverhalten abgewichen wurde.316 Das traditionelle subjektive Verständnis des Verschuldens wird kritisiert, weil es auch die individuellen Fähigkeiten des Schädigers berücksichtigt und dadurch die Interessen des Geschädigten nicht ausreichend schützt.317 Fraglich ist, wie das Durchschnittsverhalten zu definieren ist. Es wird vom Verhalten einer vernünftigen Person unter gleichen äußeren Umständen gesprochen318 oder einem »Roboterbild des »bonus (oder »diligens«) paterfamilias»«.319 Der Maßstab soll unabhängig vom Täter und außerhalb von dessen Sphäre formuliert werden.320 Wie der Sorgfaltsmaßstab zu formulieren ist, wird aber weniger diskutiert als in Frankreich. (95) Im polnischen Recht ist die Anwendung des Leitbildes des guten Familienvaters umstritten. Schon die Verfasser des poln. Obligationengesetzbuchs (1933) haben die Anwendung dieses Maßstabs stark kritisiert.321 In der Begründung eines Gegenentwurfs wurde der bon pHre de famille ein »zusammenaddiertes Gespenst«322 (in deutscher Sprache) genannt. Stattdessen hat der Gegenentwurf das Kriterium der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt vorgeschlagen, wobei in der Begründung auf § 276 BGB verwiesen wurde.323 Letztendlich wurde der Begriff des bonus pater familias nicht in das poln. Obligationengesetzbuch (1933) übernommen. Die Formulierung eines Maßstabs im außervertraglichen Bereich sei unnötig oder sogar unmöglich, weil der Maßstab immer von den Umständen des Einzelfalles und den Eigenschaften des Täters abhänge und es immer dem Richter obliege, festzustellen, ob von der be-

314 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 283ff. 315 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Derecho de daÇos, S. 358. Die Rechtsprechung verwendet den Begriff des bonus pater familias zwar nicht, spricht aber von diligencia socialmente exigible (Urt. TS v. 2. 12. 2004, STS 7845/2004, RJ 2004, 7909) einer öffentlich-rechtlichen Behörde. Sie haftet aus Verschulden für den Tod eines Minderjährigen wegen nicht genügender Sicherung eines Stromkabels, obwohl alle technischen Vorschriften eingehalten wurden. 316 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 5, Rn. 40. 317 Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 59. 318 AaO, Rn. 61. 319 Brehm, Berner Kommentar VI 1/3/1, OR, 41, Rn. 184. 320 AaO. 321 Begründung des Entwurfs des Obligationengesetzbuchs (»Uzasadnienie Kodeksu zobowia˛zan´ z uwzgle˛dnieniem ostatecznego tekstu kodeksu«) in Bearbeitung von Prof. Roman Longchamps de Berier, Kodifikationskommission, Warschau 1934, S. 197. 322 Till, Polskie prawo zobowia˛zan´ (Cze˛´sc´ ogjlna). Projekt wste˛pny z motywami, S. 100f. 323 AaO, S. 101.

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stimmten Person eine höhere Sorgfalt verlangt werden konnte.324 Herrschende Ansicht bleibt, dass der Maßstab des bonus pater familias keine Rolle spielt.325 Nach dieser Auffassung sind die Sorgfaltspflichten des Schädigers nach dem in Art. 355 poln. ZGB formulierten Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt zu beurteilen.326 Es handelt sich um ein Sorgfaltsmodell, das durch Rechtsnormen, Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens, Bräuche, deontologische Normen und z. B. auch Sportregeln gestaltet wird.327 Dafür hat sich auch der Oberste Gerichtshof ausgesprochen: »Bei der Beurteilung des Verhaltens des Schädigers sollen nicht seine persönlichen psychischen und physischen Eigenschaften berücksichtigt werden, sondern nur die Gesamtheit der Umstände, in denen es zur Schadensverursachung kam.«328 Maßgeblich ist dabei die durchschnittliche und nicht die höchste oder besondere Sorgfalt.329 Es handelt sich aber nicht um das übliche Verhalten in gegebenen Umständen, weil dieses auch negativ von der Erwartungen der Gesellschaft abweichen kann.330 Der Maßstab soll objektiver und äußerlicher Natur sein.331 Obwohl weder die polnische Lehre noch die Rechtsprechung das Leitbild des guten Familienvaters ausdrücklich verwenden, gelten ähnliche Kriterien wie in den Rechtsordnungen, die diesen Maßstab als das Beurteilungskriterium des Verschuldens anerkennen. bb) Konkretisierung (96) Die jeweiligen Sorgfaltsmaßstäbe erfordern Konkretisierung.332 Zwischen einem rein objektiven Maßstab und z. B. dem subjektiven Maßstab der apreciacijn in concreto gibt es viele Zwischentöne333, die sich vor allem darin unterscheiden, inwieweit persönliche Eigenschaften des Schädigers berücksichtigt werden. Konkretisierung kann insbesondere durch Fallgruppenbildung und Individualisierung erfolgen.334 (97) Im spanischen Recht wird der objektive Maßstab durch die in Art. 1104 span. CC genannten persönlichen, zeitlichen und örtlichen Umstände 324 Begründung des Entwurfs des Obligationengesetzbuchs (»Uzasadnienie Kodeksu zobowia˛zan´ z uwzgle˛dnieniem ostatecznego tekstu kodeksu«) in Bearbeitung von Prof. Roman Longchamps de Berier, Kodifikationskommission, Warschau 1934, S. 197. 325 Kondek, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci odszkodowawczej, S. 199. 326 Zelek, in: Gutowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I, Art. 415, Rn. 28. 327 Dubis, in: Gniewek/Machnikowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz7, Art. 415, Rn. 18. 328 Beschluss OG v. 15. 2. 1971, Az. III CZP 33/70, OSNCP 1971, Nr. 4, Pos. 59. 329 Machnikowski, in: Olejniczak, System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 40; Borysiak, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 355, Rn. 45ff. 330 Borysiak, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 355, Rn. 48. 331 AaO, Rn. 22. 332 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 457. 333 Oswald, Analyse der Sorgfaltspflichtverletzung im vertraglichen wie ausservertraglichen Bereich, S. 65. 334 AaO, S. 65ff.

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des Einzelfalles korrigiert.335 Sie sollen jedoch nicht zur apreciacijn in concreto führen, sondern nur das Modell des bonus pater familias korrigieren.336 Diese Umstände werden als der subjektive Teil der Verschuldensprüfung bezeichnet und können die an den durchschnittlichen Bürger gestellten Sorgfaltsanforderungen über- oder unterschreiten.337 Die Entwicklung einer allgemeinen Verschuldensformel sei unmöglich, weil sich der Sorgfaltsmaßstab durch keine normative Kriterien festschreiben lasse.338 Auch im französischen Recht wird gefordert, den allgemeinen objektiven Maßstab durch einige subjektive Elemente zu korrigieren.339 Man solle nicht vergleichen, was unvergleichbar ist.340 Laut der polnischen Lehre schließt die Tatsache, dass der Sorgfaltsmaßstab einen objektiven und äußerlichen Charakter haben soll, die Berücksichtigung der vom Schädiger unabhängigen Umstände nicht aus.341 Deswegen könnten die objektiven Kriterien angesichts der jeweiligen Lage des Schädigers konkretisiert werden.342 Über den erforderlichen Sorgfaltsmaßstab entscheidet auch, ob sich der Schädiger in einer typischen Situation befand, die besondere Anforderungen an ihn stellte.343 (1) Niveau der Konkretisierung (98) Im französischen Recht wird klassisch zwischen den äußeren Umständen circonstances externes und inneren Umständen circonstances internes unterschieden.344 Die Konkretisierung soll alle äußerlichen Umstände des Verhaltens betreffen345, während die inneren Umstände grundsätzlich außer Acht gelassen 335 Reglero Campos, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 282; PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 460ff; Mart&nCasals/Sol8 Feliu, Fault under Spanish Law, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 242; Santos Briz, in: Albaladejo (Hrsg.) Comentarios al cjdigo civil y compilaciones forales XXIV, S. 114. 336 De ]ngel Y#güez, in: Sierra Gil de la Cuesta (Hrsg.) Comentario del Cjdigo Civil IV, S. 353; PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 478. 337 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 471. 338 Reglero Campos, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 282f mit Verweis auf Urt. TS v. 20. 12. 1930, RJ 1930–31, 1365. 339 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 308; Mor8teau, Grundfragen des Schadenersatzrechts aus französischer Sicht, in: Koziol (Hrsg.) Grundfragen des Schadenersatzrechts aus rechtsvergleichender Sicht, Rn. 1/149. 340 Starck/Roland/Boyer, Obligations I5, Rn. 295. 341 Borysiak, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 355, Rn. 27. 342 AaO. 343 Lewaszkiewicz-Petrykowska, Wina jako podstawa odpowiedzialnos´ci z tytułu czynjw niedozwolnych, SPiE 1969, Nr. 2, S. 99. 344 Mazeaud/Mazeaud/Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle6, Rn. 431. 345 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 464; Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 6707; Wilejczyk, Dlaczego nie nalez˙y chodzic´ w tłumie ze szpilka˛ wystaja˛ca˛ z re˛kawa?, SPP 2013, Nr. 1, S. 65.

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werden sollen.346 Streitig ist jedoch, wo genau die Grenze zwischen den beiden Kategorien zu ziehen ist. Nicht zu berücksichtigen sind Eigenschaften, durch die »on entend celles qui tiennent / l’individualit8 propre du d8fendeur, / ses particularit8s physiques ou morales«.347 (99) In der Schweiz soll der Maßstab einige subjektive Eigenschaften des Schädigers wie sein Alter, Geschlecht, Beruf und sogar seine psychische Stabilität berücksichtigen.348 Streitig ist, wie stark diese subjektiven Kriterien den Maßstab beeinflussen sollen. In diesem Bereich wird dem richterlichen Ermessen ein breiter Spielraum gelassen.349 Rein subjektive Faktoren wie Angst, Bedrücktheit, Zorn oder Übermüdung werden nicht berücksichtigt.350 Unwesentlich sind weiterhin beispielweise die Übung und die Gewohnheiten des Schädigers.351 Von Bedeutung sind andererseits äußere Umstände einer Handlung, weil die Sorgfalt den Verhältnissen anzupassen ist.352 Eine besondere Rolle bei der Feststellung der Sorgfaltspflichten wird auch den polizeirechtlichen und technischen Vorschriften zugesprochen. Ein Verstoß indiziert die Fahrlässigkeit.353 Unterschieden wird auch zwischen Faktoren, die alle Personen betreffen, wie das Alter oder das Geschlecht, und Faktoren die nur Mitglieder spezieller Gruppen betreffen, wie Berufsausübung, Fachwissen oder die Vornahme bestimmter Tätigkeiten.354 Der Grund für eine solche Differenzierung ist, dass die letzten Faktoren grundsätzlich die ersten überlagern und bei der Feststellung der erforderlichen Sorgfalt entscheidende Bedeutung haben.355 (100) Ebenfalls streitig ist die Bedeutung der persönlichen Eigenschaften des Schädigers für den Sorgfaltsmaßstab im polnischen Recht.356 Der Oberste Gerichtshof hat in dem Bereich der Arzthaftung folgende Leitlinie formuliert: »Das richtige Niveau der Professionalität wird mit Hinblick auf die Qualifikationen (Spezialisierung, wissenschaftlicher Grad), die allgemeine Erfahrung sowie Erfahrungen bei Vornahme bestimmter medizinischer Prozeduren, den Charakter 346 Mazeaud/Mazeaud/Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle6, Rn. 431. 347 AaO, Rn. 437. 348 Brehm, Berner Kommentar VI 1/3/1, OR, Art. 41, Rn. 184. 349 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 5, Rn. 95. 350 Oswald, Analyse der Sorgfaltspflichtverletzung im vertraglichen wie ausservertraglichen Bereich, S. 67. 351 Brehm, Berner Kommentar VI 1/3/1, OR, Art. 41, Rn. 184. 352 Oswald, Analyse der Sorgfaltspflichtverletzung im vertraglichen wie ausservertraglichen Bereich, S. 67. 353 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 5, Rn. 98; Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und besonderer Teil, Rn. 1984. 354 Oswald, Analyse der Sorgfaltspflichtverletzung im vertraglichen wie ausservertraglichen Bereich, S. 69. 355 AaO, S. 70. 356 Borysiak, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 355, Rn. 28.

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und Umfang der Fortbildung zwecks Vertiefung des medizinischen Wissens und die Kenntnis neuer Behandlungsmethoden festgestellt«.357 Unwesentlich sind dagegen alle Persönlichkeitseigenschaften.358 (101) Die Kriterien der Konkretisierung des Sorgfaltsmaßstabs können sowohl der Schadenersatzeingrenzung durch seine Herabsetzung (les facteurs d’inf8riorit8) als auch der Schadenersatzausweitung durch seine Verschärfung (les facteurs d’sup8riorit8) dienen. (2) Herabsetzung des Sorgfaltsmaßstabs (102) Eine haftungseingrenzende Rolle spielt die Herabsetzung des Sorgfaltsmaßstabs, wenn es um die unterdurchschnittlichen Eigenschaften des Schädigers geht. In diesem Fall werden die Anforderungen an die erforderliche Sorgfalt abgeschwächt.359 Alle untersuchten Rechtsordnungen weisen aber die Tendenz auf, Verschärfungsgründe stärker zu berücksichtigen als Herabsetzungsgründe. (103) In Spanien wird postuliert die folgenden Herabsetzungsgründe zu berücksichtigen: körperliche Einschränkungen im Alter, körperliche Behinderungen oder Krankheiten gleicher Art sowie psychologische oder bildungsbezogene Herabsetzungsgründe wie Analphabetismus oder mangelndes technisches Wissen.360 Die spanische Rechtsprechung und Lehre wenden die Herabsetzungsgründe eher zurückhaltend an.361 Denn die spanische Verfassung dem allgemeinen Schutz der Person eine bedeutsame Rolle zuschreibe. Deshalb gibt es eine Neigung, die Herabsetzungsgründe nicht zu berücksichtigen, um die Schutzrolle des Deliktsrechts zu gewährleisten. Dabei wird oft außer Acht gelassen, dass die Schadenersatzpflicht auch den Schädiger stark betreffen kann und ihm der verfassungsrechtliche Schutz deshalb ebenfalls zusteht.362 Für die Berücksichtigung der Herabsetzungskriterien spreche die Möglichkeit, dass Aufsichtspersonen haften, und dass der Schädiger haftet, wenn er eine seine Fähigkeiten übersteigende Tätigkeit ausübt und damit das Risiko potentieller Schäden übernehmen muss (culpa por asuncijn).363 (104) Auch im polnischen Recht wird die Anwendung von Herabsetzungsgründen eher skeptisch betrachtet. Rein subjektive Faktoren wie Angst, Bedrücktheit, Zorn oder Übermüdung werden bei der Konkretisierung nicht in 357 Urt. OG v. 10. 2. 2010, Az. V CSK 287/09, OSP 2012, Nr. 10, Pos. 95. 358 Wilejczyk, Dlaczego nie nalez˙y chodzic´ w tłumie ze szpilka˛ wystaja˛ca˛ z re˛kawa?, SPP 1/2013, S. 65. 359 Oswald, Analyse der Sorgfaltspflichtverletzung im vertraglichen wie ausservertraglichen Bereich, S. 67. 360 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 491. 361 AaO, S. 485. 362 AaO, S. 486f. 363 AaO, S. 488ff.

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Betracht gezogen. In der Lehre hat man sich dafür ausgesprochen, eine körperliche Behinderung bei der Konkretisierung des Maßstabs zu berücksichtigen.364 Teilweise wird die Berücksichtigung dieser Umstände dann gefordert, wenn die Vornahme eines bestimmten schadensverursachenden Verhaltens notwendig war.365 Vorgeschlagen wurde auch, nur die Eigenschaften des Schädigers einzubeziehen, die von der Gesellschaft nicht missbilligt werden.366 Nach anderer Auffassung sollen die Eigenschaften des Schädigers einschlägig sein, die für das Umfeld sichtbar und dauerhaft sind, wie das Alter oder sichtbare geistige oder physische Behinderungen.367 Gegen diese Meinung kann eingewendet werden, dass diese Eigenschaften nicht den Sorgfaltsmaßstab beeinflussen sollen, sondern nur über die Möglichkeit der Vorwerfbarkeit entscheiden.368 Sie sind also für die Haftungseingrenzung bedeutend, aber nicht auf dem Niveau der Konkretisierung des Sorgfaltsmaßstabs. (105) Die französische Lehre hebt hervor, dass die persönlichen Eigenschaften des Schädigers einen Entschuldigungsgrund darstellen können.369 Als haftungseingrenzende Kriterien sind vor allem ein hohes Alter, psychische oder physische Krankheiten und die Konfession zu nennen.370 Die Ausdehnung des Umfangs der Deliktshaftung auf alle Personen unabhängig von ihrem Alter hat zur Korrektur des Maßstabs des bonus pater familias geführt: »on compare d8sormais le comportement incrimin8 / celui d’un modHle abstrait du mÞme .ge, 8ventuellement du mÞme sexe, etc.«371 Als Beispiele für diese Konkretisierung wurden die unterschiedlichen Maßstäbe für Kinder und Erwachsene sowie für Einwohner von Städten und Dörfern angegeben.372 Die Rechtsprechung setzt insbesondere die an die Kinder gestellten Erfordernisse herab.373 Die Eliminierung der Voraussetzung der Urteilsfähigkeit hat folglich dazu geführt, dass die Eigenschaften des Schädigers beim erforderlichen Sorgfaltsmaßstab stärker berücksichtigt werden.

364 Borysiak, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 355, Rn. 28. 365 Wilejczyk, Dlaczego nie nalez˙y chodzic´ w tłumie ze szpilka˛ wystaja˛ca˛ z re˛kawa?, SPP 2013, Nr. 1, S. 65. 366 Borysiak, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 355, Rn. 28. 367 Wilejczyk, Dlaczego nie nalez˙y chodzic´ w tłumie ze szpilka˛ wystaja˛ca˛ z re˛kawa?, SPP 2013, Nr. 1, S. 65. 368 Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 40. 369 Starck/Roland/Boyer, Obligations 15, Rn. 296. 370 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 466ff. 371 Fabre-Magnan, Les obligations, Rn. 278 so auch Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 6707. 372 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 6707. 373 Urt. Cass. civ. 1 v. 7. 3. 1989, Az. 87-13693, Bull. civ. 1, Nr. 116, S. 75; Urt. Cass. Civ. 2 v. 4. 7. 1990, Az. 89-15177, Bull. civ. 2, Nr. 167, RTD civ. 1991, S. 123.

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(3) Verschärfung des Sorgfaltsmaßstabs (106) Viel häufiger verschärft die Berücksichtigung der persönlichen Eigenschaften des Schädigers den Sorgfaltsmaßstab. Eine besondere Rolle spielen dabei die professionellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Schadensverursachers. (107) Im polnischen Recht wird der verschärfte Sorgfaltsmaßstab ausdrücklich in Art. 355 § 2 poln. ZGB geregelt: »Die erforderliche Sorgfalt bei der durch ihn ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt sich unter Berücksichtigung des beruflichen Charakters dieser Tätigkeit.« Es ist umstritten, ob diese vertragsrechtliche Norm auch für die deliktsrechtlichen Pflichten Anwendung findet. Die Rechtsprechung beruft sich auf sie auch im Rahmen der deliktsrechtlichen Generalklausel.374 In der Lehre kann diese Meinung ebenfalls als herrschend bezeichnet werden.375 Selbst ohne Art. 355 § 2 poln. ZGB analog anzuwenden, verschärft der professionelle Charakter des schadensverursachenden Verhaltens den Sorgfaltsmaßstab. Es wird vom Sorgfaltsmaßstab einer bestimmten Profession gesprochen, beispielsweise eines Rechtsanwaltes376 oder Arztes377. Grundsätzlich kann der verschärfte Sorgfaltsmaßstab nur dann angewendet werden, wenn das schadensverursachende Verhalten im Rahmen der beruflichen Tätigkeit ausgeübt wird. Er gilt allerdings auch dann, wenn der Schädiger über das professionelle Wissen oder die professionellen Fähigkeiten nicht verfügt. Als Verschulden im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit wird also nicht nur fehlende Sorgfalt, sondern auch mangelndes Wissen, Unfähigkeit, Ungeschicklichkeit oder Unaufmerksamkeit angesehen.378 (108) Auch im spanischen Recht sind die relevantesten haftungsverschärfenden persönliche Eigenschaften die professionellen Kenntnisse des Schädigers,. Andere physische oder psychische Eigenschaften werden selten in der Rechtsprechung berücksichtigt.379 Es ist eine direkte Konsequenz der Anwendung von Art. 1104 span. CC. In diesem Zusammenhang wird von den Regeln der Kunst (leges artis) der bestimmten Profession gesprochen, die den Sorg-

374 Urt. OG v. 9. 7. 2015, Az. I CSK 445/14, OSNC 2016 Nr. D, Pos. 75; Urt. OG v. 10. 2. 2010, Az. V CSK 287/09, OSP 2012, Nr. 10, Pos. 95. 375 Lewaszkiewicz-Petrykowska, Wina jako podstawa odpowiedzialnos´ci z tytułu czynjw niedozwolonych, SPiE 1969, Nr. 2, S. 93ff. 376 Borysiak, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 355, Rn. 28. 377 Urt. OG v. 10. 2. 2010, Az. V CSK 287/09, OSP 2012, Nr. 10, Pos. 95. 378 Dubis, in: Gniewek/Machnikowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz7, Art. 415, Rn. 18. 379 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 475ff; D&ezPicazo y Ponce de Lejn, Derecho de daÇos, S. 361; Mart&n-Casals/Sol8 Feliu, Fault under Spanish Law, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 242.

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faltsmaßstab festsetzen.380 Insbesondere wurde der Sorgfaltsmaßstab bei der Tätigkeit von Ärzten381, Architekten382 und Wirtschaftsprüfern383 verschärft. (109) Die französische Lehre spricht von les facteurs de sup8riorit8, wobei hervorgehoben wird, dass die Rechtsprechung alle persönlichen Charakteristiken berücksichtigt, die dem Schädiger besondere überdurchschnittliche Fähigkeiten geben.384 Die außervertragliche Haftung für professionelle Tätigkeiten spielt eine kleinere Rolle als in den anderen Rechtsordnungen, weil sie aufgrund des Prinzips von non-cumul grundsätzlich nur die Haftung gegenüber Dritten betrifft.385 Der verschärfte Sorgfaltsmaßstab findet insbesondere bei Dienstleistungen von Banken, die schädliche Folgen für Kontrahenten eines Kunden haben, oder bei Versicherern, die einen Dritten nicht vollständig über den Umfang der abgeschlossenen Versicherung informiert haben, Anwendung.386 (110) Im schweizerischen Recht verschärfen nicht nur die besonderen Kenntnisse oder Fähigkeiten des Schädigers den Sorgfaltsmaßstab, sondern auch die Gefährlichkeit und die Schwierigkeit der ausgeübten Tätigkeit.387 Keinen Einfluss auf den Sorgfaltsmaßstab hat dagegen die potenzielle Nutzlosigkeit einer Tätigkeit.388 (111) Grundsätzlich lässt sich sagen, dass alle untersuchten Rechtsordnungen bei der Feststellung des Sorgfaltsmaßstabs die persönlichen Eigenschaften des Schädigers weitestgehend außer Acht lassen. Die Beurteilung des Verhaltens soll abstrakt erfolgen. Wenn die persönlichen Eigenschaften ausnahmsweise berücksichtigt werden, verschärft dies normalerweise die Haftung. 380 Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: Dominguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2051; Reglero Campos, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 282. 381 Urt. TS v. 24. 11. 2016, STS 5161/2016, RJ 2016, 5649. 382 Urt. TS v. 26. 11. 1990, RJ 1990, 9047: »tal conducta del Arquitecto director de la obra ha de calificarse de negligente al no haberse adoptado las prevenciones que las circunstancias de tiempo y lugar requer&an y que sus conocimientos profesionales le exig&an para evitar esos previsibles daÇos«; Urt. TS v. 17. 7. 1987, RJ 1987, 5802: »que el Arquitecto era responsable por los vicios del suelo o de la direccijn, si8ndole exigible la diligencia, no ya de un hombre cuidadoso, sino la derivada de sus conocimientos especiales y preparacijn t8cnico-profesional«. 383 Urt. TS v. 9. 10. 2008, STS 798/2008, RJ 2008,6042 bezüglich der Wirtschaftsprüferhaftung: »no cabe hacer responsable al auditor por no detectar todos los errores o fraudes que puedan cometer los administradores, directivos o personal de la entidad auditada -algunos realizados con la intencijn de mantenerlos ocultos a toda investigacijn ajena sino no sjlo aquellos que con una correcta ejecucijn de su prestacijn profesional deber&a haber descubierto«. 384 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 471. 385 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 6808. 386 AaO, Rn. 6809f. 387 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 5, Rn. 86ff. 388 AaO, Rn. 90.

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c) Verletzung eines subjektiven Rechts (112) Einige Autoren nehmen an, dass – zusätzlich zur Normverletzung und zur Verletzung der erforderlichen Sorgfalt als Verschuldensformen – eine dritte Form des Verschuldens besteht: die Verletzung eines subjektiven Rechts (l’atteinte / un droit subjectif).389 Diese erfolgsbezogene Auffassung wird als die Konsequenz bestimmter, vom Gesetzgeber gewährleisteter subjektiver Schutzechte angesehen.390 Insbesondere sind dies die Persönlichkeitsrechte (droits de la personnalit8)391 und das Eigentum.392 Die Cour de cassation hat ausdrücklich festgestellt, dass eine Eigentumsverletzung als »suffisant / caract8riser la faute« anzusehen ist.393 Auch in der polnischen Rechtsprechung gab es jedenfalls in den 1960er Jahren eine Tendenz, das Verschulden mit der Schadensverursachung gleichzusetzen.394 3.

»Subjektiver« Maßstab – »appréciation in concreto«

(113) Der subjektive Maßstab als Beurteilungskriterium des Verschuldens wird im Deliktsrecht weitgehend abgelehnt.395 Deswegen können rein subjektive Eigenschaften des Schädigers bei der Eingrenzung der deliktischen Haftung keine Rolle spielen. Was der Schädiger tatsächlich nicht vorhersah, ist bedeutungslos. Dass der Schädiger den Schaden vorhersieht, kann die deliktische Haftung lediglich ausweiten, wenn er über zusätzliche Informationen verfügt, die über den korrigierten Maßstab des bonus pater familias hinausgehen. Die appr8ciation in concreto führt also nie zur Haftungseinschränkung, sondern nur zur Haftungsausweitung. (114) Unter dem poln. Obligationengesetzbuch (1933) wurde eine Gegenmeinung vertreten. Im Gegensatz zur Vertragshaftung sollte der erforderliche Sorgfaltsmaßstab im Deliktsrecht die persönlichen Eigenschaften des Schädigers berücksichtigen.396 Diese Auffassung wurde in der Lehre jedoch kritisiert397 und nie durch die Rechtsprechung übernommen. 389 Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 231. 390 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 449. 391 AaO. Insbesondere in der Rechtsprechung bezüglich Art. 9 fr. CC: Urt. Cass. civ. 1 v. 5. 11. 1996, Az. 94-14798, Bull. civ. 1, Nr. 378, S. 265: »la seule constatation de l’atteinte / la vie priv8e ouvre droit / r8paration«; Urt. Cass. Civ. 1 v. 17. 9. 2003, Az. 00-16849; Urt. Cass Civ. 2 v. 24. 3. 2016, Az. 14-29519: »qui suffisait / rendre compte d’une atteinte / la vie priv8e de l’int8ress8e, et de ce seul fait, ouvrait droit / r8paration«. 392 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 449. 393 Urt. Cass. Civ. 3 v. 10. 11. 1992, Az. 90-19944, Bull. Civ. 3, Nr. 292, S. 179, in dem es sich um einen Überbau auf dem Grundstück des Geschädigten handelte. 394 Da˛browa, Wina jako przesłanka odpowiedzialnos´ci deliktowej, S. 206ff. 395 Lewaszkiewicz-Petrykowska, Niedbalstwo jako podstawa odpowiedzialnos´ci cywilnej, NP 1956, Nr. 3, S. 65. 396 Longchamps de Berier, Zobowia˛zania3, S. 245.

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(115) In spanischem Recht wird die konkrete Situation des Schädigers bei der Verschuldensprüfung gelegentlich berücksichtigt. In diesen Fällen wird von inexigibilidad (»Unverlangbarkeit«) des bestimmten Verhaltens gesprochen, welche die Haftung ausschließt.398 Die exigibilidad bezeichnet die in einem gewissen Fall erforderliche Sorgfalt.399 Der Tribunal Supremo bezieht die inexibilidad auf die Vorhersehbarkeit der Schädigung.400 Die inexibilidad wird daher als subjektives Element der Verschuldensbeurteilung angesehen und bezieht sich auf die Umstände, welche die Entscheidungsfreiheit des Schädigers begrenzen.401 Viel mehr als um apreciacijn in concreto geht es aber um die Berücksichtigung von äußerlichen Umständen, die das Verhalten des buen padre de familia beeinflussen. 4.

Vorwerfbarkeit des objektiven Verschuldens

(116) Verschulden erfordert nicht nur einen Verstoß gegen den Sorgfaltsmaßstab, sondern auch, dass das schadensverursachende Verhalten dem Schädiger vorwerfbar ist. Die Frage, ob das Verhalten gegen den Sorgfaltsmaßstab verstößt, wird auf gemeineuropäischem Niveau als die Vorwerfbarkeit behandelt. Dabei geht es um die Frage, ob der Schädiger sein Verhalten erkennen und vermeiden konnte.402 In der Lehre der untersuchten Rechtsordnungen wird ebenfalls gelegentlich postuliert, dass die Frage, welcher Maßstab festgesetzt wird von der Frage, ob dieser Maßstab vom Schädiger erfüllt wurde, getrennt werden soll.403 Die Frage der Vorwerfbarkeit wird jedoch nicht immer präzise genug von der Festsetzung des Sorgfaltsmaßstabs unterschieden. Die Terminologie in diesem Bereich sorgt ebenfalls für Verwirrung. In diesem Zusammenhang wird teilweise von der inneren Sorgfalt gesprochen, die den Erkenntnisprozess und die Umsetzung des Verhaltens beschreibt.404 Bei der Zurechnung des Verschuldens sind grundsätzlich folgende Kriterien zu berücksichtigen: die Vorhersehbarkeit (dazu unter a), die Möglichkeiten der Schadensvermeidung (unter b), die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß des

397 Lewaszkiewicz-Petrykowska, Niedbalstwo jako podstawa odpowiedzialnos´ci cywilnej, NP 1956, Nr. 3, S. 66. 398 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 286. 399 Reglero Campos, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 281. 400 Urt. v. TS 8. 2. 1991, RJ 1991, 1157; Urt. TS v. 7. 5. 2007, RJ 2007, 3553. 401 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 284. 402 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 227. 403 Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 40. 404 Oswald, Analyse der Sorgfaltspflichtverletzung im vertraglichen wie ausservertraglichen Bereich, S. 48f.

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Schadens (unter c).405 Die Liste dieser Faktoren ist jedoch nicht erschöpfend (unter d). a) Vorhersehbarkeit (117) Eine haftungseingrenzende Rolle hat eindeutig die Vorhersehbarkeit der Folgen für den Schädiger. Es geht nicht nur um das, was der Schädiger tatsächlich vorhergesehen hat (bewusste Fahrlässigkeit), sondern auch um das, was er vorhersehen konnte (unbewusste Fahrlässigkeit)406.407 (118) Am deutlichsten wird die Problematik des Sorgfaltsmaßstabs und der Zurechnung im schweizerischen Recht unterschieden. Verschulden setzt voraus, den Kausalablauf zu erkennen.408 Auch die Rechtsprechung wendet dieses Kriterium bei der Verschuldensprüfung an.409 Hervorgehoben wird, dass nicht nur die Fehlerhaftigkeit des Verhaltens410, sondern auch die Schädigung vorhersehbar sein muss.411 Für die Folgen, die außerhalb des vorhersehbaren Bereiches liegen, kann der Schädiger nicht haften, weil diese Folgen nicht zur Willensbildung beitragen können und daher keinen Einfluss auf das Verhalten haben.412 Er haftet nur für die vorhersehbaren Eingriffe in das verletzte Rechtsgut.413 Dieses Erkennen hat dadurch eine eingrenzende Funktion, dass es sich auf eine bestimmte Situation beziehen muss und nicht auf die Tatsache abzustellen ist, das ein menschliches Verhalten generell anderen Schäden zufügen könnte.414 In der Lehre wird behauptet, dass die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit immer größerer Verobjektivierung unterliegen.415 405 406 407 408 409

410 411

412 413 414 415

Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 61. Zelek, in: Gutowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz Art. 1–44911 I, Art. 415, Rn. 28. Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 5, Rn. 69. AaO, Rn. 16ff. Urt. BGE v. 18. 6. 1963, 89 II 239, S. 248: »Die Ausstellung einer wissentlich falschen Erklärung, die Dritte irreführen kann, ist widerrechtlich, auch wenn der Aussteller eine solche Täuschung nicht beabsichtigt, und bedeutet bei Vorhersehbarkeit dieses Erfolgs ein Verschulden.« Urt. BGE v. 18. 9. 1973, 99 II 176, S. 180: erfordert Fahrlässigkeit, dass das schädigende Ereignis für den Schädiger voraussehbar gewesen sei. Das bedeutet indessen nicht, er habe seines Eintrittes sicher sein müssen. Es genügt, wenn er sich nach der ihm zuzumutenden Aufmerksamkeit und Überlegung hätte sagen sollen, es bestehe eine konkrete Gefahr der Schädigung.« Roberto, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Rn. 228. Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 5, Fn. 23, a. A. Brehm, Berner Kommentar VI 1/3/1, OR, Art. 41, Rn. 185, der behauptet, dass das Unwissen bezüglich der Handlungsfolgen keinen Entlastungsgrund darstellt, sondern die Erkennbarkeit des antisozialen Charakters des Verhaltens genügt. Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 5, Rn. 22. Oswald, Analyse der Sorgfaltspflichtverletzung im vertraglichen wie ausservertraglichen Bereich, S. 50. Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 5, Rn. 18. AaO, Rn. 69ff.

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(119) Die Vorhersehbarkeit wird auch im polnischen Recht vorausgesetzt. Es ist jedoch umstritten, ob das Verschulden nur das Bewusstsein des schädigenden Verhaltens oder auch das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit erfordert.416 Ferner besteht keine Einigkeit über die Frage, ob sich das Verschulden nur auf das schadensverursachende Verhalten oder auch auf den Schaden beziehen muss.417 Eigentlich handelt sich hier um die Entscheidung, was genau für den Schädiger vorhersehbar sein muss, damit ein Verschulden bejaht werden kann. Als herrschend kann die Auffassung bezeichnet werden, dass der Schädiger lediglich für die Folgen seiner verschuldeten Handlung haftet, die er vorhersehen konnte.418 (120) Die Vorhersehbarkeit bildet eine zentrale Idee des Verschuldens im spanischen Recht419 und wird sogar als die »idea central de la culpa« qualifiziert.420 Sowohl die spanischen Gerichte421 als auch die Lehre422 verlangen für das Verschulden die Vorhersehbarkeit des Schadens. Gemäß Art. 1105 span. CC haftet niemand »für solche Ereignisse, die nicht vorhergesehen werden konnten«. Diese Norm ist auch im Rahmen der Haftung für eigenes Fehlverhalten anwendbar.423 (121) Demgegenüber ist die Rolle der Vorhersehbarkeit bei der Verschuldensbeurteilung im französischen Recht gering. In der Lehre wurde früher vertreten, dass die Zurechnung des Schadens die Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des Schadens erfordert.424 Art. 1150 fr. CC (nunmehr : Art. 12313 fr. CC) findet jedoch nach heute herrschender Meinung bei der Deliktshaftung keine Anwendung.425 Der Schädiger haftet also nach der französischen Generalklausel auch für unvorhersehbare Schäden.426 Die Lehre behauptet jedoch teilweise, dass die Rechtsprechung bei der Beurteilung des Verschuldens die

416 417 418 419 420 421

422 423 424 425 426

Kondek, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci odszkodowawczej, S. 198f. Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 1, Rn. 42. AaO. Santos Briz, in: Albaladejo (Hrsg.) Comentarios al cjdigo civil y compilaciones forales XXIV, S. 113; Rodr&guez-Cano, Comentarios al Cjdigo Civil2, S. 2181. Santos Briz, in: Albaladejo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil y Compilaciones Forales XXIV, S. 113. Mart&n-Casals/Sol8 Feliu, Fault under Spanish Law, in Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 249; Urt. TS v. 11. 3. 1995, RJ 1995/3133 in dem ein Selbstmord durch einen Sturz vom offenen Fenster in einem psychiatrischen Krankenhaus als vorhersehbar eingestuft wurde. D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Derecho de daÇos, S. 361; Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: (Hrsg.) Dom&nguez Luelmo, Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2051; Reglero Campos, in: (Hrsg.) Reglero Campos, Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 286ff. Reglero Campos, in: (Hrsg.) Reglero Campos, Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 286. Esmein, Trait8 pratique de droit civil franÅais IV2, Rn. 517. Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 1034. AaO, Rn. 2523.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Vorhersehbarkeit berücksichtige.427 Gelegentlich wird die Vorhersehbarkeit von der Cour de cassation sogar ausdrücklich als ein Beurteilungskriterium des Verschuldens verwendet.428 In diesem Fall handelt sich aber nicht um ein Ausschlusskriterium, sondern um eines von vielen beweglichen Elementen, die für die Feststellung des Sorgfaltsmaßstabs einschlägig sind. b) Möglichkeit der Schadensvermeidung (122) Die Vermeidbarkeit wurde auf gemeineuropäischer Ebene als Teil der Vorwerfbarkeit qualifiziert.429 Sie wird jedoch nicht in allen untersuchten Rechtsordnungen ausdrücklich als Kriterium verwendet. (123) Genauso wie im Falle der Vorhersehbarkeit wird die Vermeidbarkeit am deutlichsten im schweizerischen Recht vorausgesetzt. Die Vermeidbarkeit meint nach der typischen eidgenössischen Definition die »Steuerungsfähigkeit des sachgemäßen Verhaltens«.430 In den schweizerischen Verschuldensdefinitionen kommt die gleichrangige und eigenständige Bedeutung der Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit aber sehr selten zur Geltung, sondern die Voraussetzungen werden häufig vermischt.431 Die Vermeidbarkeit wird auch gelegentlich mit der Vorhersehbarkeit gleichgesetzt.432 Ein Teil der Lehre postuliert, die Vermeidbarkeit bei der Verschuldensprüfung nicht zu berücksichtigen. Der objektivierte Sorgfaltsbegriff solle auch dann gelten, wenn der Schädiger keine Möglichkeit hat, pflichtgerecht zu handeln.433 (124) Teilweise wird die Vermeidbarkeit des Schadens auch im polnischen Recht als Element der Verschuldensbeurteilung eingestuft. Das Verschulden ist ausgeschlossen, wenn es keine Möglichkeit gab, sich sorgfältig zu verhalten.434 Dies betrifft nicht nur die physische Möglichkeit eines gewissen Verhaltens,

427 Galand-Carval, Fault under French Law, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 94. 428 Urt. Cass. civ. 2 v. 10. 6. 1998, Az. 96-19343: »a omis de prendre la pr8caution de fermer / cl8 le portillon donnant accHs / sa propri8t8, que la piscine, qui se voyait de la rue, n’8tait s8par8e de l’entr8e que par trois marches d’escalier, et qu’il n’8tait pas impr8visible qu’un enfant de cet .ge cherche / s’en approcher«. 429 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 227. 430 Oswald, Analyse der Sorgfaltspflichtverletzung im vertraglichen wie ausservertraglichen Bereich, S. 51. 431 AaO. 432 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil. Band I5, Sachregister, S. 752 verweist bei dem Begriff der Vermeidbarkeit auf die Vorhersehbarkeit. 433 Roberto, Schweizerisches Haftplichtrecht, Rn. 230. 434 Dubis, in: Gniewek/Machnikowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz7, Art. 415, Rn. 17; Zelek, in: Gutowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I, Art. 415, Rn. 28.

Verschulden

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sondern auch Fälle wie einen entschuldbaren Irrtum oder eine Motivationsstörung.435 (125) Im spanischen Recht wird die Voraussetzung der Vermeidbarkeit (evitabilidad) ausdrücklich in Art. 1105 span. CC für die Vertragshaftung geregelt: niemand haftet »für solche Ereignisse, die (…) zwar vorausgesehen wurden, jedoch unvermeidbar waren«. Im Deliktsrecht wird die Vorhersehbarkeit ebenfalls vorausgesetzt.436 Die Vermeidbarkeit wird also nur dann geprüft, wenn Vorhersehbarkeit gegeben ist.437 Die Kriterien werden aber auch häufig zusammen angewendet, um die Haftung zu beurteilen.438 Ein Teil der Lehre behauptet demgegenüber, dass die Vermeidbarkeit auf dem Niveau der erforderlichen Sorgfalt von Art. 1104 span. CC zu beurteilen sei.439 Im Unterschied zur Vorhersehbarkeit handele es sich hier um eine viel greifbarere Voraussetzung, die anhand der äußeren Verhältnisse zu beurteilen sei.440 In diesem Zusammenhang verwendet der Tribunal Supremo den Begriff der prestacijn exorbitante, um die Haftung auszuschließen.441 (126) Im französischen Recht wird die Vermeidbarkeit gelegentlich in den Verschuldensdefinitionen berücksichtigt: »La faute quasi d8lictuelle de l’agent, commise sans intention m8chante, par m8garde ou m8prise, qu’il 8tait possible d’8viter par une attention plus grande.«442 In diesem Zusammenhang wird von der Durchführbarkeit der Vermeidungsmaßnahmen gesprochen.443 Genauso wie im spanischen Recht wird dann hervorgehoben, dass die Vermeidbarkeit in abstracto zu beurteilen ist.444 Typischerweise wird die Unvermeidbarkeit (ir435 Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 40; Zelek, in: Gutowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz Art. 1–44911 I, Art. 415, Rn. 28. 436 Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: Dom&nguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2051; Rodr&guez-Cano, Comentarios al Cjdigo Civil2, S. 2181; Reglero Campos, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 290. 437 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Derecho de daÇos, S. 363f; Reglero Campos, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 290; Urt. TS v. 3. 6. 2016, STS 2577/ 2016, RJ 2016, 2316: »es culpa no evitar todo lo que sea previsible, sino no evitar lo que, siendo previsible, sea evitable adoptando medidas de cuidado exigibles; y que sjlo precisando qu8 medidas de cuidado se contemplan como aptas para evitar lo previsible, cabr# valorar fundadamente (su efectiva aptitud para evitarlo y) si eran exigibles o no.«. 438 Urt. TS v. 5. 11. 2014, STS 4688/2014, RJ 2014, 5672, als vorhersehbar und vermeidbar wurde die Möglichkeit eingestuft, in eine Lücke zwischen dem Wagen und der Bahnsteigkante zu fallen. 439 Llamas Pombo, in: Dom&nguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil, S. 1216. 440 AaO, S. 1216. 441 Urt. TS v. 3. 6. 2016, STS 2577/2016, RJ 2016, 2316 verneint wurde die Haftung eines Unternehmens, das für die Instandhaltung der Autobahn verantwortlich war, für die Schäden die aus einer Kollision eines Kfzs mit einem Wildschwein folgten. 442 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 6705. 443 Galand-Carval, Fault under French Law, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 94. 444 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 1807f.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

r8sistibilit8) auf die cause 8trangHre im Bereich der Kausalitätsprüfung behandelt.445 Die Vermeidbarkeit betrifft jedoch dann nicht den Schaden an sich, sondern eine alternative Ursache des Schadens, für die der Schädiger nicht haftet, wenn sie für ihn irr8sistible war.446 c) Wahrscheinlichkeit und Ausmaß des Schadens (127) Im eidgenössischen Recht wurden auch die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß des Schadens als Kriterien der Vorwerfbarkeit vorgeschlagen.447 Dieser Ansicht wird vorgeworfen, dass es unmöglich sei, festzustellen, wie wahrscheinlich der vorhersehbare Schaden sein muss, um das Verschulden zu begründen.448 Die Verortung dieses Kriterium im Verschulden ist falsch, weil die Wahrscheinlichkeit einen Maßstab für die juristische Kausalität darstellt. Demgegenüber wird besonders im französischen Recht hervorgehoben, dass die Gerichte bei der Beurteilung des Verschuldens das Ausmaß des Schadens berücksichtigen.449 In den anderen Rechtsordnungen bilden die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß des Schadens keine Kriterien der Vorwerfbarkeit. d) Andere Kriterien (128) Die Liste der Zurechnungskriterien im objektiven Verschulden ist nicht erschöpfend. In keiner der untersuchten Rechtsordnungen wird versucht, so eine Liste zu formulieren. Andere Kriterien sind zum Beispiel die Natur und die Gefährlichkeit der durch den Schädiger vorgenommenen Aktivität.450 Hingewiesen wird auch auf traditionellerweise nicht zum System der Deliktshaftung gehörende Kriterien, wie die Lage des Geschädigten oder die Versicherung.451

5.

Verschuldensgrad

(129) Die Frage, ob der Verschuldensgrad bei der Haftungseingrenzung eine Rolle spielen soll, wird in den untersuchten Rechtsordnungen unterschiedlich beantwortet. Grundsätzliche Einigkeit besteht darüber, dass jeder Grad des Verschuldens, selbst die leichte Fahrlässigkeit, die Schadenersatzpflicht auslösen kann. Nur in Spanien wird gelegentlich postuliert, die deliktische Haftung im 445 446 447 448 449

AaO, Rn. 1808. Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 395ff. Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 61. Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 5, Rn. 72. Mor8teau, Grundfragen des Schadenersatzrechts aus französischer Sicht, in: Koziol (Hrsg.) Grundfragen des Schadenersatzrechts aus rechtsvergleichender Sicht, Rn. 1/197. 450 Galand-Carval, Fault under French Law, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 94. 451 Rodr&guez-Cano, Comentarios al Cjdigo Civil2, S. 2181.

Verschulden

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Falle der culpa lev&sima auszuschließen.452 Umstritten ist dagegen, ob der Verschuldensgrad den Umfang des Schadensersatzes beeinflussen soll. (130) Im polnischen Recht hat der Verschuldensgrad keinen Einfluss auf den Umfang der Schadenersatzpflicht.453 Im französischen Recht spielt der Verschuldensgrad ebenfalls keine Rolle.454 In der Lehre wird diese einheitliche Behandlung von Vorsatz und Fahrlässigkeit teilweise kritisiert.455 Daneben wurde behauptet, dass bei Personen- und Sachschäden ein anderer Verschuldensgrad vorausgesetzt werden solle, als bei reinen Vermögensschäden und immateriellen Schäden.456 In Spanien haben die Rechtsprechung und die Lehre dazu keine Stellung bezogen.457 (131) Das schweizerische Recht agiert gegenteilig. Das Verschulden sei nicht nur Zurechnungs-, sondern auch Bemessungskriterium.458 Es ist sogar der wichtigste Faktor der Schadensersatzbemessung.459 Gemäß Art. 43 Abs. 1 OR bestimmt der Richter die Höhe des Schadenersatzes, indem er sowohl die Umstände als auch den Grad des Verschuldens zu berücksichtigen hat. Ein leichtes Verschulden ist folglich immer ein potenzieller Reduktionsgrund.460 Streitig ist, ob auch im Falle des normalen Verschuldens eine Reduktion möglich ist, wobei die Haftung bei grober Fahrlässigkeit zweifellos nicht beschränkt wird.461

IV.

Zwischenergebnis

(132) Obwohl das Verschulden nicht nur eine Haftungsvoraussetzung, sondern auch ein Haftungsgrund ist, unterscheiden sich die Rechtsordnungen schon beim ontologischen Verständnis. Das Verschulden wird sowohl als ein Fehlverhalten und eine Pflichtverletzung als auch als ein Urteil qualifiziert. Unterschiedlich ist auch die Bedeutung der einzelnen materiellen, moralischen und normativen Elemente des Verschuldens. 452 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, La culpa en la responsabilidad civil extracontractual, S. 2915ff. 453 Dybowski, in: Czachjrski (Hrsg.) System Prawa Cywilnego III-1, S. 199f; Zelek, in: Gutowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I, Art. 415, Rn. 29; Dubis, in: Gniewek/Machnikowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz7, Art. 415, Rn. 17. 454 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 595. 455 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 41. 456 Starck/Roland/Boyer, Obligations 15, Rn. 305ff. 457 Mart&n-Casals/Sol8 Feliu, Fault under Spanish Law, in: Widmer (Hrsg.), Unification of Tort Law : Fault, S. 251. 458 Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und Besonderer Teil, Rn. 1972. 459 Müller, in: Furrer/Schnyder (Hrsg.) Handkommentar zum Schweizer Privatrecht2, OR, Art. 43, Rn. 8. 460 Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und Besonderer Teil, Rn. 1888. 461 Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 43, Rn. 17.

86

Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Die Fragen des Fehlverhaltens und der Vorwerfbarkeit werden grundsätzlich dogmatisch nicht voneinander getrennt. Bezüglich der Beurteilung der Fehlerhaftigkeit des Verhaltens stellt nur die Vorobjektivierung des Verschuldens eine gemeinsame Tendenz dar. Diese hat jedoch in den untersuchten Rechtsordnungen nicht das gleiche Niveau erreicht. Am meisten objektiviert ist das Verschulden im französischen Recht, in welchem die Urteilsfähigkeit keine Voraussetzungen der Deliktshaftung ist. In allen Rechtsordnungen wird der objektive Sorgfaltsmaßstab verwendet. Unterschiedlich ist nur die Berücksichtigung subjektiver Korrekturkriterien. Keine Einigkeit besteht bezüglich der Kriterien der Vorwerfbarkeit. Während im französischen Recht die Vorhersehbarkeit beim Verschulden theoretisch keine Bedeutung haben soll, setzen die anderen Deliktsrechtssysteme diese ausdrücklich voraus. Diese Tendenz ist auch in der französischen Rechtsprechung ersichtlich. Welche anderen Kriterien die Beurteilung der Vorwerfbarkeit beeinflussen, wird ebenfalls unterschiedlich gehandhabt. Umstritten ist auch die Bedeutung des Verschuldensgrades für die Haftungseingrenzung. Zwar besteht Einigkeit darüber, dass jeder Grad des Verschuldens die Haftung für eigenes Fehlverhalten auslöst. Fraglich ist jedoch, ob der Verschuldensgrad die Schadenersatzbemessung beeinflussen soll.

§5

Rechtswidrigkeit

(133) Die Haftungsvoraussetzung »Rechtswidrigkeit« wird zunächst nicht in allen untersuchten Rechtsordnungen einheitlich bezeichnet. Dies hat seinen Grund wohl vor allem darin, dass der Begriff etymologisch auf Rechtsnormen verweist und damit scheinbar Verstöße gegen ethische oder gesellschaftliche Normen von vornherein von der Deliktshaftung ausschließt (unter I). Es besteht überdies keine Einigkeit in der Frage, ob die Rechtswidrigkeit überhaupt eine eigenständige Voraussetzung der Deliktshaftung ist (unter II). Soweit Rechtswidrigkeit zum Deliktstatbestand gehört, wird diese Voraussetzung sehr unterschiedlich verstanden. Traditionelle Auffassungen verorten sie beim Handlungs- oder Erfolgsunrecht. Demgegenüber versuchen andere, die Rechtswidrigkeit auf Grundlage von Sorgfaltspflichten oder einer Interessenabwägung zu definieren. Weitere Versuche, die Haftung für eigenes Fehlverhalten einzugrenzen, setzten auf die Relativierung der Rechtswidrigkeit (unter III). I.

Begriff der Rechtswidrigkeit

(134) Die Terminologie zur Bezeichnung der Rechtswidrigkeit unterscheidet sich erheblich. Im schweizerischen Recht, wo es im Gesetzestext in Art. 41 OR,

Rechtswidrigkeit

87

»widerrechtlich« heißt, werden im Schrifttum die Ausdrücke »rechtswidrig«, »unrechtmäßig« und »unbefugt« gleichbedeutend verwendet.462 Im spanischen Recht existieren zwei Begriffe parallel – überwiegend »antijuridicidad« aber vor allem in der Rechtsprechung auch »ilicitud«. Einige Autoren nehmen eine breitere Bedeutung der »ilicitud« an, die auch die Verletzung von ethischen oder gesellschaftlichen Moralnormen umfassen soll.463 Dies können Einflüsse der italienischen »illiceit/«464 sowie der französischen »illic8it8« sein. Die herrschende Meinung behauptet demgegenüber, dass die beiden Termini die gleiche Bedeutung haben.465 Der Tribunal Supremo verwendet die beiden Begriffe als Synonyme.466 (135) Schon diese terminologischen Unterschiede zeigen, dass das Hauptproblem die Frage ist, ob nur die Verletzung von Rechtsnormen oder auch die Verletzung anderer Normen Rechtswidrigkeit begründen kann. Rechtswidrigkeit hat – anders als Schuld, Kausalität und Schaden – kaum eine allgemeinsprachliche Bedeutung. Die Bedeutung dieses Begriffes hängt streng von der Antwort auf die Frage ab, welchen Inhalt das Recht hat. Wortwörtlich könnte Rechtswidrigkeit einen Verstoß gegen das Gesetz voraussetzen. Die untersuchten Systeme sind sich jedoch grundsätzlich einig, dass auch ein Verstoß gegen Normen ethischer oder sozialer Natur die Rechtswidrigkeit begründen kann, wenn diese Normen deliktsrechtlich geschützt sind.467 Im polnischen Recht wurde deswegen vorgeschlagen, die Rechtswidrigkeit als »die objektive Unrichtigkeit«468 des schadensverursachenden Verhaltens zu bezeichnen. Diese Bezeichnung sollte den Begriff von dem Bezug auf die Rechtsnormen befreien. Die Rechtswidrigkeit soll also nicht nur ein Verhalten gegen das Recht beschreiben, sondern ebenfalls eine gegen andere Normen verstoßende Schadensverursachung. Ein vergleichbarer Versuch in der französischen Lehre ist der Vorschlag die illic8it8 durch den Begriff »l’8cart de conduite« zu ersetzen.469 Somit würde die Rechtswidrigkeit von ihrem etymologischen Bezug auf das Recht befreit. Statt als einen Verstoß gegen das Recht würde der neue Begriff 462 Raschein, Die Widerrechtlichkeit im System des Schweizerischen Deliktsrechts, S. 201. 463 Busto Lago, La antijuridicidad del daÇo resarcible en la responsabilidad civil extracontractual, S. 46 mit Verweis auf die argentinische strafrechtliche Lehre. 464 AaO, S. 47. 465 de ]ngel Yagu[z, Tratado de Responsabilidad Civil, S. 258; Busto Lago, La antijuridicidad del daÇo resarcible en la responsabilidad civil extracontractual, S. 47. 466 Urt. TS v. 10. 12. 1962, RJ 1962, 5060 spricht von: »la ilicitud o antijuridicidad del acto originador del daÇo«; Urt. TS v. 26. 9. 1989, RJ 1989, 6379; Urt. TS v. 29. 12. 1997, RJ 1997, 9602; Urt. TS v. 23. 1. 2004, RJ 2004, 1. 467 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 214. 468 Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 25; Urt. OG v. 24. 10. 2013, Az. IV CSK 64/13, Legalis 877730. 469 Mazeaud/Mazeaud/Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle6, Rn. 416ff.

88

Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Rechtswidrigkeit als ein Fehlverhalten beschreiben. Diese Entwicklung erweist sich als eine gemeinsame Tendenz in den untersuchten Rechtsordnungen.

II.

Bedeutung der Rechtswidrigkeit für die Haftungseingrenzung in den einzelnen Rechtsordnungen

(136) Zwischen den Rechtsordnungen besteht keine Einigkeit bei der Frage, ob die Rechtswidrigkeit eine eigenständige Voraussetzung der Haftung für eigenes Fehlverhalten ist. In der spanischen Lehre gibt es drei Hauptmeinungen zur Rolle der Rechtswidrigkeit.470 Nach der ersten Meinung spielt die Rechtswidrigkeit als eine positive Voraussetzung eine wichtige Rolle bei der Haftungseingrenzung.471 Diese Eigenständigkeit der Rechtswidrigkeit ist auch typisch für das schweizerische Recht und gewinnt im polnischen Recht ebenfalls an Bedeutung (dazu unter 1). Die zweite Meinung geht davon aus, dass jedes schadenverursachende Verhalten nach dem Prinzip des alterum non laedere grundsätzlich rechtswidrig ist. Dies limitiert die Rolle der Rechtswidrigkeit nur auf eine negative Voraussetzung, nämlich das Fehlen von Rechtsfertigungsgründen472 (dazu 2). Im Gegensatz dazu halten die Vertreter der dritten Auffassung die Rechtswidrigkeit als Voraussetzung der deliktischen Haftung für gänzlich entbehrlich.473 Diese Auffassung entspricht der im französischen Recht überwiegend vertretenen Sicht (dazu 3). 1.

Rechtswidrigkeit als eigenständige Voraussetzung

(137) Eine Besonderheit des eidgenössischen Deliktsrechts ist die zentrale Rolle der Rechtswidrigkeit für die Haftungseingrenzung. Im Unterschied zu den anderen Generalklauseln wird die Rechtswidrigkeit in Art. 41 Abs. 1 OR ausdrücklich vorausgesetzt. Darüber hinaus ist sie in den Fokus von Rechtsprechung und Lehre474 gerückt. Dies zeigt sich daran, dass – während die Bedeutung 470 Busto Lago, La antijuridicidad del daÇo resarcible en la responsabilidad civil extracontractual, S. 186f. 471 Rodr&guez-Cano, Comentarios al Cjdigo Civil2, S. 2180f. 472 Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: Dom&nguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2052 beschreiben diese Meinung als herrschend. 473 Pantalejn Prieto, in: Paz-Ares Rodr&guez, D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Bercovitz, Salvador Coderch (Hrsg.) Comentario del Cjdigo Civil, Ministerio de Justicia II 2, S. 1993. 474 Als wichtigste Monographien sind zu nennen: Bosshard, Neuere Tendenzen in der Lehre zum Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, Zürich 1988; Raschein, Die Widerrechtlichkeit im System des schweizerischen Haftungsrechts, (Diss. Bern) 1986; Gabriel, Die Widerrechtlichkeit in Art. 41 Abs. 1 OR unter Berücksichtigung des Ersatzes reiner Vermögensschäden, (Diss. Freiburg in der Schweiz) 1987.

Rechtswidrigkeit

89

der anderen Haftungsvoraussetzungen weitgehend außer Streit steht – stets neue Theorien zur Rechtswidrigkeit vorgeschlagen werden. Die zentrale Rolle der Rechtswidrigkeit schränkt die Bedeutung der anderen Voraussetzungen ein. Die Rechtswidrigkeit kommt im schweizerischen Recht sowohl bei der Haftungsbegründung als auch bei der Haftungseingrenzung zur Geltung. Zur Haftungsbegründung wird der folgende Satz von Jhering zitiert: »Nicht der Schaden oder die Schuld, sondern die Pflichtwidrigkeit begründet die Schadenersatzpflicht«.475 Die Hauptrolle der Rechtswidrigkeit ist jedoch die Eingrenzung der Haftung.476 Die Tatbestandsmerkmale Kausalität und Verschulden gelten demgegenüber als weniger geeignet, die Deliktshaftung einzugrenzen.477 (138) Eine geringere Rolle spielt die Rechtswidrigkeit im polnischen Recht. Sie wird jedoch überwiegend als eine eigenständige Voraussetzung der Haftung für eigenes Fehlverhalten anerkannt.478 Die Haftung ohne Rechtswidrigkeit wäre undenkbar.479 Die polnische Generalklausel erwähnt die Rechtswidrigkeit jedoch nicht. Der Verzicht auf die Rechtswidrigkeit wurde durch den Verfasser des poln. Obligationengesetzbuchs (1933) damit begründet, dass diese Voraussetzung fälschlich andeuten könnte, dass nur das gegen formelles Recht verstoßende Verhalten die Haftung begründen kann, obwohl der Gesetzgeber den Katalog haftungsauslösender Verhaltensweisen breiter fassen wollte.480 Dabei haben sich die Autoren auf die französische Generalklausel berufen und die objektive Seite des Verschuldens als ausreichend angesehen, um die Haftung angemessen einzugrenzen. Darüber hinaus sei das französische System flexibler und verständlicher für die Allgemeinheit.481 Der erste, erfolglose Versuch, die Rechtswidrigkeit in der polnischen Generalklausel als Haftungsvoraussetzung ausdrücklich einzuführen, fand schon 1960 im Laufe der Arbeiten am poln. ZGB statt. Einer der Entwürfe formulierte die Voraussetzung ausdrücklich.482 In die Endfassung der polnischen Generalklausel wurde die Rechtswidrigkeit nicht

475 Bosshard, Neuere Tendenzen in der Lehre zum Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, S. 115. 476 Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht1, Rn. 666f. 477 Bosshard, Neuere Tendenzen in der Lehre zum Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, S. 42. 478 Machnikowski, in: Olejniczak, System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 25. 479 Lewaszkiewicz-Petrykowska, Wina jako podstawa odpowiedzialnos´ci z tytułu czynjw niedozwolnych, SPiE 1969, Nr. 2, S. 90. 480 Begründung des Entwurfs des Obligationengesetzbuchs (»Uzasadnienie Kodeksu zobowia˛zan´ z uwzgle˛dnieniem ostatecznego tekstu kodeksu«) in Bearbeitung von Prof. Roman Longchamps de Berier, Kodifikationskommission, Warschau 1934, S. 195. 481 AaO. 482 Ohanowicz, Odpowiedzialnos´c´ za czyny niedozwolone w projekcie kodeksu cywilnego PRL, RPEiS, 1961, Nr. 4, S. 56.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

übernommen, um den in der Rechtsprechung herausgearbeiteten weiten Begriff des Verschuldens zu bewahren.483 (139) Sehr lange wurde eine zweischichtige Betrachtung des Verschuldens vertreten, wonach die Rechtswidrigkeit nur die objektive Seite des Verschuldens sei.484 Es wird auch heute noch behauptet, dass die Rechtswidrigkeit lediglich die objektive Seite des Verschuldens bezeichne und keine eigenständige Voraussetzung der Deliktshaftung sei.485 Hervorgehoben wird auch die gegenseitige Abhängigkeit der subjektiven und objektiven Seite des Verschuldens.486 Als Beispiel für diese Wechselbeziehung wird auf die Tatsache hingewiesen, dass der Vorsatz an sich die Rechtswidrigkeit eines schadensverursachenden Verhaltens begründet.487 In besonderen Fällen könne sogar die Fahrlässigkeit die Rechtswidrigkeit des Handelns begründen.488 Deswegen sei auch die Trennung der beiden Voraussetzungen künstlich. Die Rechtswidrigkeit im Rahmen des Verschuldens zu prüfen, entspreche der wechselseitigen Abhängigkeit der beiden Begriffe viel besser.489 Die Rechtsprechung folgt überwiegend immer noch dieser Auffassung.490 (140) Unter dem Einfluss der strafrechtlichen Lehre hat die striktere dogmatische Trennung zwischen dem Verschulden und der Rechtswidrigkeit im Laufe der Zeit mehr Befürworter bekommen.491 Die wohl herrschende Meinung in der Lehre betrachtet die Rechtswidrigkeit als eine eigenständige Vorausset-

483 Garlicki, Czyny niedozwolone w kodeksie cywilnym, NP 1965, Nr. 12, S. 1392. 484 Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 415, Rn. 1; Lackoron´ski/ Raczkowski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 415, Rn. 21. Rn. 40. 485 Lewaszkiewicz-Petrykowska, Wina jako podstawa odpowiedzialnos´ci z tytułu czynjw niedozwolonych, SPiE 1969, Nr. 2, S. 89; dies., Prawo do wynagrodzenia szkody wyrza˛dzonej przez niezgodne z prawem działanie władzy publicznej, in: Zubik (Hrsg.) Ksie˛ga XX-lecia orzecznictwa Trybunału Konstytucyjnego, S. 520; Urt. OG v. 24. 10. 2013, Az. IV CSK 64/13, Legalis 877730. 486 Kondek, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci odszkodowawczej, S. 201. 487 AaO. 488 Urt. OG v. 7. 10. 2009, Az. III CZP 68/09, OSP 2010, Nr. 7–8, S. 545. 489 Kondek, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci odszkodowawczej, S. 215. 490 Urt. OG v. 7. 5. 2008, Az. II CSK 4/08, Legalis 164722; Urt. OG v. 20. 1. 2009, Az. II CSK 423/08, Legalis 235147; Urt. OG v. 21. 5. 2015, Az. IV CSK 539/14, Legalis 1310270; Urt. OG v. 9. 2. 2017, Az. IV CSK 237/16, Legalis 1587606: »Der Begriff des Verschuldens im Deliktsrecht umfasst ein objektives und ein subjektives Element. (…) Das objektive Element bedeutet ein Verstoß des Verhaltens gegen die geltenden Normen bzw. objektiven Verhaltensmuster, d. h. eine breit verstandene Rechtswidrigkeit. Das subjektive Element betrifft das Verhältnis des Willens und des Bewusstseins des Handelnden zu seinem Verhalten.« 491 Zunächst hat eine strikte Trennung der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens Sos´niak noch unter dem Obligationengesetzbuch (1933) postuliert: Sos´niak, Bezprawnos´c´ zachowania jako przesłanka odpowiedzialnos´ci za czyny niedozwolone, S. 78ff; Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 415, Rn. 1.

Rechtswidrigkeit

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zung der deliktischen Haftung.492 Die Rechtswidrigkeit sei eine Eigenschaft des Verhaltens, während sich das Verschulden auf die psychische Sphäre des Schädigers beziehe.493 Dies brachte den Vorschlag hervor, die Rechtswidrigkeit in der Generalklausel gesetzlich zu verankern.494 (141) Umstritten ist die Rolle der Rechtswidrigkeit im spanischen Recht.495 Die herrschende Lehre setzt die Rechtswidrigkeit als eigenständige Voraussetzung der Deliktshaftung voraus.496 Nach der traditionellen Auffassung ist die Rechtswidrigkeit ein Mittel der Zurechnungseingrenzung.497 Diese relativ restriktive Vorgehensweise, die über das alterum non laedere hinausgeht, wurde von der deutschsprachigen und italienischen498 Lehre übernommen. So werden die Definitionen von Gschnitzer und Nipperdey zitiert.499 Die Befürworter der eigenständigen Rechtswidrigkeitsprüfung berufen sich dabei auf: (i) den Wortlaut von Art. 1089 span. CC, der unter den Grundlagen der Schuldverhältnisse »los actos y omisiones il&citos« erwähnt, (ii) den Ursprung der spanischen Generalklausel, die genau wie im französischen Recht die Rechtswidrigkeit voraussetzen sollte, (iii) die Tatsache, dass die Schadensabwälzung nur durch einen Verstoß gegen die Rechtsordnung begründet werden kann, und (iv) das Voraussetzen der Rechtswidrigkeit im deutschen, italienischen, schweizerischen, niederländischen und portugiesischen Recht.500 Diese Meinung ist ebenfalls in der Rechtsprechung des Tribunal Supremo zu finden.501 492 Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 25; Zelek, in: Gutowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz do art. 1–44911 I, Art. 415, Rn. III, 2. a. A. Ludwichowska-Redo, in: Koziol (Hrsg.) Grundfragen des Schadenersatzrechts aus rechtsvergleichender Sicht, Rn. 3/97. 493 Zelek, in: Gutowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz do art. 1–44911 I, Art. 415, Rn. III, 2. 494 Siehe, Rn. 416. 495 Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: Dom&nguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil1, S. 2052. 496 Santos Briz, in: Albaladejo (Hrsg.) Comentarios al cjdigo civil y compilaciones forales XXIV, S. 106; ders., La responsabilidad civil I7, S. 34; Busto Lago, La antijuridicidad del daÇo resarcible en la responsabilidad civil extracontractual, S. 180 ff; D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Derecho de daÇos, S. 290ff; PeÇa Ljpez, in: Rodr&guez-Cano (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil2, S. 2180f; Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: Dom&nguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil1, S. 2052. 497 Santos Briz, in: Albaladejo (Hrsg.) Comentarios al cjdigo civil y compilaciones forales XXIV, S. 104. 498 Busto Lago, La antijuridicidad del daÇo resarcible en la responsabilidad civil extracontractual, S. 206ff. 499 Santos Briz, in: Albaladejo (Hrsg.) Comentarios al cjdigo civil y compilaciones forales XXIV, S. 104. 500 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 259, Fn.1. 501 Vor allem auf Grund des Richteramtes ihres Hauptvertreters Santos Briz in der höchsten Instanz, Urt. TS v. 17. 3. 1981, RJ 1981, 1009: »nuestro C. Civ., siguiendo al franc8s, no menciona expresamente la nota de antijuridicidad en su art. 1902, no cabe duda que ha de verse la misma no sjlo en la actuacijn il&cita caracterizada por la falta de diligencia

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

(142) Jedoch besteht selbstunter den Befürwortern der wichtigen Rolle der Rechtswidrigkeit keine Einigkeit darüber, wie diese zu verstehen ist. Die Rechtswidrigkeit wird als (i) eine Rechtsnormverletzung, (ii) die Verletzung eines subjektives Rechts oder (iii) die Verletzung von allgemeinen Pflichten des gesellschaftlichen Verhaltens »los deberes generales de correccijn social« verstanden.502 Der Tribunal Supremo hat die Voraussetzung einer Rechtsnormverletzung als »completamente errjnea« bezeichnet.503 Die Rechtswidrigkeit wird jedoch vom Tribunal Supremo nicht konsequent vorausgesetzt. Es gibt höchstrichterliche Rechtsprechung, welche die Rechtswidrigkeit als Teil der Verschuldensprüfung ansieht.504 Dem Tribunal Supremo wurde sogar vorgeworfen, dass es, obwohl es die Voraussetzung der Rechtswidrigkeit formuliert, nicht weiß, was diese eigentlich ist.505 Die haftungseingrenzende Funktion der Rechtswidrigkeit hat ferner mit der Einführung der Voraussetzung der objektiven Zurechnung an Bedeutung verloren.506

2.

Rechtswidrigkeit als eine negative Voraussetzung

(143) Zu finden ist diese Betrachtung der Rechtswidrigkeit im spanischen Recht. Als negative Voraussetzung wird die Rechtswidrigkeit nur auf das Fehlen von Rechtsfertigungsgründen reduziert.507 Bildhaft beschreibt diese dogmatische Stellung der Rechtswidrigkeit die folgende rhetorische Frage: »Ist es nicht so, dass die Rechtswidrigkeit, herausgeworfen durch die Tür des Gebäudes der zivilrechtlichen Dogmatik, durch das Fenster einiger Rechtfertigungsgründe zurück kommt?«508 Die Ausschlusstatbestände werden in der Rechtsprechung mit dem direkten Verweis auf die mangelnde Rechtswidrigkeit verwendet.509

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505 506 507 508 509

contraria a una disposicijn legal, sino tambi8n en consecuencias de actos l&citos no realizados con la prudencia que las circunstancias del caso requer&an«. Das Urteil betraf Schäden im landwirtschaftlichen Anbau, die durch von einer Fabrik produzierten Staub entstanden sind (Eine Entscheidung von Santos Briz). de ]ngel Y#güez, Tratado de responsabilidad civil3, S. 366f. Urt. TS v. 23. 12. 1952, RJ 1952, 1869. Urt. TS v. 24. 12. 1992, RJ 1992, 10656: »para que la conducta del agente pueda ser calificada de diligente y exenta, por tanto, de toda connotacijn de antijuridicidad, no basta con que se haya adaptado a las exigencias que reglamentariamente le vengan impuestas, sino que ha de atemperarse a las medidas de prudencia y precaucijn que le vengan impuestas por las circunstancias (de personas, tiempo y lugar) concurrentes en cada caso concreto para evitar la produccijn del resultado daÇoso.« Garc&a-Ripoll Montijano, Ilicitud, culpa y estado de necesidad, S. 31. Salvador Coderch, Recensijn a ’Derecho de daÇos’, de Luis D&ez-Picazo, Indret 2002, Nr. 1, S. 12. Urt. TS v. 28. 6. 1996, STS 3938/1996, RJ 1996, 4905. Salvador Coderch, Recensijn a ’Derecho de daÇos’, de Luis D&ez-Picazo, Indret 2002, Nr. 1, S. 12. Urt. TS v. 5. 5. 2008, RJ 2008, 2947.

Rechtswidrigkeit

93

Obwohl der Tribunal Supremo die Rechtswidrigkeit formell voraussetzt, schließt er in seiner Rechtsprechung die Haftung wegen mangelnder Rechtswidrigkeit nur aus, wenn Rechtfertigungsgründe vorliegen. Die mangelnde Rechtswidrigkeit schließt die Haftung nur bei den Rechtsfertigungsgründen aus. Die Rechtswidrigkeit hat daher in der Praxis nur bei den Rechtsfertigungsgründen eine haftungseingrenzende Funktion. (144) Im schweizerischen Recht sprach die heutzutage nicht mehr vertretene subjektive Rechtswidrigkeitstheorie dieser Voraussetzung ebenfalls nur eine negative Funktion zu.510 Nach dieser Theorie ist grundsätzlich jede Schadensverursachung rechtswidrig, es sei denn, dass der Schädiger dazu aus besonderen Gründen befugt ist.511 haftungseingrenzende Funktion haben dann lediglich die Rechtfertigungsgründe.512 Es werden grundsätzlich drei Kategorien von Rechtfertigungsgründen unterschieden513 : (i) die Rechtfertigung aufgrund des Willens des Geschädigten, (ii) die gesetzliche Rechtfertigung und (iii) die Rechtfertigung aufgrund des überwiegenden privaten oder öffentlichen Interesses. Die subjektive Theorie wurde jedoch überwiegend sowohl in der Rechtsprechung als auch im Schrifttum abgelehnt.514 Ein Hauptargument gegen die subjektive Theorie ist, dass das Recht ein System von Verboten und Geboten ist und nicht als System von Berechtigungen wahrgenommen werden darf.515 Ferner wird kritisiert, dass die postulierte Beweislastumkehr bezüglich der Rechtswidrigkeit zur Ausdehnung der Haftung führen würde. Deswegen müssten andere Haftungsvoraussetzungen die eingrenzende Rolle übernehmen.516 Die subjektive Rechtswidrigkeitslehre lähme die wirtschaftliche und persönliche Entfaltung des Einzelnen.517 Deswegen wurde sie auch in der Rechtsprechung ausdrücklich abgelehnt.518 510 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 4, Rn. 10 weist darauf hin, dass die Ausnahmen der subjektiven Rechtswidrigkeit grundsätzlich die Gegenseite der Voraussetzungen der objektiven Rechtswidrigkeit sind. 511 Gabriel, Die Widerrechtlichkeit in Art. 41 Abs. 1 OR unter Berücksichtigung des Ersatzes reiner Vermögensschäden, Rn. 281. 512 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 4, Fn. 15 a. A. Cartier, Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, Rn. 17, der behauptet, dass auch im Falle der subjektiven Rechtswidrigkeitstheorie die Prüfung der Rechtswidrigkeit der Untersuchung der Rechtfertigungsgründe vorausgeht. 513 Gabriel, Die Widerrechtlichkeit in Art. 41 Abs. 1 OR unter Berücksichtigung des Ersatzes reiner Vermögensschäden, Rn. 339. 514 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 32; Raschein, Die Widerrechtlichkeit im System des schweizerischen Haftungsrechts, S. 231. 515 Bosshard, Neuere Tendenzen in der Lehre zum Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, S. 46. 516 Gabriel, Die Widerrechtlichkeit in Art. 41 Abs. 1 OR unter Berücksichtigung des Ersatzes reiner Vermögensschäden, Rn. 841, 853. 517 Cartier, Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, Rn. 68.

94 3.

Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Rechtswidrigkeit als keine eigenständige Voraussetzung

(145) Von den untersuchten Rechtsordnungen spricht nur das französische Recht der Rechtswidrigkeit die Rolle der eigenständigen Haftungsvoraussetzung eindeutig ab. Nach der herrschenden Meinung ist die Rechtswidrigkeit lediglich ein Element des Verschuldens.519 (146) Einige Autoren bestreiten die Notwendigkeit der Rechtswidrigkeitsprüfung sogar im Rahmen des Verschuldens. Der Begriff sei missverständlich, weil er den Anschein erwecke, dass ein rechtmäßiges Verhalten nie eine Haftung begründen könnte.520 Die Kritiker dieser Ansicht verstehen die illic8it8 nur als eine Verletzung von Rechtsnormen und schlagen vor, diesen Begriff durch »8cart de conduite« zu ersetzen.521 Der Unterschied zwischen den beiden Meinungen ist jedoch nur terminologischer Natur522, weil die illic8it8 die Verletzung von außerrechtlichen Normen (devoir g8n8ral de prudence et de diligence)523 nach der ganz herrschenden Meinung ebenfalls umfasst. Die Rechtswidrigkeit wird als »contrairement au droit, injustement« definiert, was sowohl die Rechtsnormen als auch moralische bzw. andere gesellschaftliche Normen umfasst.524 (147) Die haftungseingrenzende Rolle der Rechtswidrigkeit im französischen Deliktsrecht ist jedoch paradoxerweise erheblich. Durch die Verobjektivierung des Verschuldens hat die Rechtswidrigkeit die subjektive Seite des Verschuldens fast vollständig zurückgedrängt. Deswegen wird die Rechtswidrigkeit sogar häufig mit dem Verschulden verwechselt.525 Es sind vor allem die Kriterien der Rechtswidrigkeit, die die Haftung für eigenes Fehlverhalten im Rahmen des Verschuldens eingrenzen. (148) Im spanischen Recht wird ebenfalls eine Mindermeinung vertreten, welche die Notwendigkeit der gesonderten Rechtswidrigkeitsprüfung bestreitet. 518 Urt. BGE v. 28. 2. 1989, 115 II 15, S. 18f. 519 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 443; Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 6705f; Nicod, Le concept d’illic8it8 civile / la lumiHre des doctrines franÅaises et suisses, S. 19. 520 Mazeaud/Mazeaud/Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle6, Rn. 389; Marty, Illic8it8 et responsabilit8, in: FS Julliot de la MorandiHre, S. 339ff; Dejean de la B.tie, in: Ponsard/Fadlallah (Hrsg.) Aubry& Rau, Droit civil franÅais VI-28, Rn. 22; Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 6705f. 521 Mazeaud/Mazeaud/Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle6, Rn. 389; Marty, Illic8it8 et responsabilit8, in: FS Julliot de la MorandiHre, S. 339ff. 522 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 443. 523 Galand-Carval, Fault under French Law, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 92. 524 Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 231. 525 Galand-Carval, Fault under French Law, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 92; Mor8teau, Grundfragen des Schadenersatzrechts aus französischer Sicht, in: Koziol (Hrsg.) Grundfragen des Schadenersatzrechts aus rechtsvergleichender Sicht, Rn. 1/141.

Rechtswidrigkeit

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Ein Hauptvertreter dieser Auffassung ist Pantal8on Prieto, der sich selbst als Gegner der herrschenden Meinung beschreibt.526 Seine Ausführungen wurden dennoch in der Lehre teilweise als »brillantes« angesehen.527 Gegen die Eigenständigkeit der Rechtswidrigkeit sollen die folgenden Argumente sprechen:528 Erstens brauche ein System, das auf dem Prinzip vom alterum non laedere basiert, keine Prüfung der Rechtswidrigkeit, weil es sich bei dem Prinzip um keine Rechtsnorm handele. Zweitens erfordere die deliktsrechtliche Generalklausel keine Verletzung eines subjektiven Rechts. Drittens werde die Verletzung der rechtlich geschützten Interessen von einer Generalklausel nicht vorausgesetzt. Behauptet wurde ferner, dass der strafrechtlichen Rechtswidrigkeit im Deliktsrecht die Verletzung von den »deberes de precaucijn, deberes mayormente extralegales« entspricht.529 In der Rechtsprechung wird die Rechtswidrigkeit manchmal ebenfalls im Sinne des Mangels der erforderlichen Sorgfalt verstanden und sogar als »negligencia« bezeichnet.530 Der Fokus auf die Pflicht verschiebt die Rechtswidrigkeitsprüfung auf das Verschulden, was die folgende Aussage zeigt: »die Deliktshaftung (…) setzt nicht eine unentschuldbare Verletzung der Normen voraus, sondern nur ein Verhalten, das mit der erforderlichen Sorgfalt nicht zu vereinbaren ist.«531 So verliert die Rechtswidrigkeit ihre eigenständige Rolle. Den Vorschlag, bei der Rechtswidrigkeitsprüfung auf das Handlungsunrecht abzustellen, fand Pantal8on Prieto ebenfalls nicht nützlich, weil dadurch die Entschädigung als Hauptfunktion des Deliktsrechts außer Acht gelassen werde.532

526 Pantal8on Prieto, in: Paz-Ares Rodr&guez, D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Bercovitz, Salvador Coderch (Hrsg.) Comentario del Cjdigo Civil, Ministerio de Justicia II 2, S. 1993ff. 527 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, La responsabilidad civil extracontractual, Fundamentos del derecho civil patrimonial V, S. 298, der die von Busto Lago, La antijuridicidad del daÇo resarcible en la responsabilidad civil extracontractual, Madrid (1998) vertretene Rechtswidrigkeit als eine eigenständige Haftungsvoraussetzung »apodiktisch« nennt. 528 Pantalejn Prieto, in: Paz-Ares Rodr&guez, D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Bercovitz, Salvador Coderch (Hrsg.) Comentario del Cjdigo Civil, Ministerio de Justicia II 2, S. 1994f. 529 Salvador Coderch, Recensijn a ’Derecho de daÇos’, de Luis D&ez-Picazo, Indret 2002, Nr. 1, S. 12. 530 Garc&a-Ripoll Montijano, Ilicitud, culpa y estado de necesidad, S. 31. 531 Urt. TS v. 12. 5. 1998, RJ 1998, 3576: »La responsabilidad extracontractual o aquiliana sancionada en uno de los m#s emblem#ticos preceptos del Cjdigo Civil, como es el art&culo 1.902 (…) segffln doctrina jurisprudencial constante y pac&fica de esta Sala, no consiste o supone la omisijn de normas inexcusables, sino en el actuar no ajustado a la diligencia exigible (…)«. 532 Pantalejn Prieto, in: Paz-Ares Rodr&guez, D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Bercovitz, Salvador Coderch (Hrsg.) Comentario del Cjdigo Civil, Ministerio de Justicia II 2, S. 1995.

96 III.

Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Theorien der Rechtswidrigkeit

(149) Weil es an einer gemeineuropäischen Systematik fehlt, ist es schwierig, die nationalen Theorien der Rechtswidrigkeit darzustellen.533 Für unterschiedliche Auffassungen werden die gleichen Bezeichnungen verwendet. Als Beispiel können hier die Formulierungen »objektive« und »subjektive« Rechtswidrigkeit dienen. In Spanien wird von der »objektiven« Rechtswidrigkeit gesprochen, um die erfolgsorientierte Rechtswidrigkeitslehre zu beschreiben. Von der »subjektiven« Rechtswidrigkeit ist die Rede, wenn die handlungsorientierte Rechtswidrigkeitslehre gemeint ist.534 Demgegenüber beschreiben die gleichen Termini in der Schweiz zwei Haupttheorien der Rechtswidrigkeit, die allerdings beide erfolgs- und handlungsorientierten Elemente verbinden. Die schweizerische subjektive Theorie ist mit dem subjektiven Verständnis des Rechts verbunden, auf welches sich die Rechtswidrigkeit in Art. 41 Abs. 1 OR nach den Vertretern dieser Auffassung bezieht.535 »Widerrechtlich« wird als »wider« oder »gegen das Recht« verstanden. Das Recht wird hier im subjektiven Sinn als »Berechtigung, Befugnis oder Anspruch« und nicht als Normen verstanden.536 Selbst die Vertreter der subjektiven Rechtswidrigkeitstheorie haben die Bezeichnung »subjektive« als »irreführend« beschrieben, weil sie den Eindruck erwecken kann, dass die subjektive Theorie den Schadenersatzanspruch auch ohne Verstoß gegen die Rechtsordnung annehme.537 Die Bezeichnung wurde auch als »unglücklich und ziemlich nichtssagend« kritisiert.538 Sie wird aber im eidgenössischen Recht allgemein angewandt. Trotzdem gibt es Versuche, sie mit der Gegenüberstellung von »negativer« und »positiver«539 oder »relativer« und »absoluter«540 Rechtswidrigkeit zu ersetzen. (150) Die terminologischen Probleme machen es unmöglich, eine der nationalen Aufteilungen der Theorien für die Zwecke dieser Arbeit zu verwenden. Zwar ist die eidgenössische Dogmatik am reichsten, jedoch nicht übersichtlich und vor allem irreführend. Daher ist es praktikabel, die Rechtswidrigkeitskon533 Koziol, Principles of European Tort Law. Text and Commentary, Chapter 2. Introduction, Rn. 2. 534 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 264ff. 535 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 4, Rn. 9ff; Gabriel, Die Widerrechtlichkeit in Art. 41 Abs. 1 OR unter Berücksichtigung des Ersatzes reiner Vermögensschäden, Rn. 391ff. 536 Gabriel, Die Widerrechtlichkeit in Art. 41 Abs. 1 OR unter Berücksichtigung des Ersatzes reiner Vermögensschäden, Rn. 384ff. 537 AaO, Rn. 281. 538 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 4, Rn. 11. 539 Gabriel, Die Widerrechtlichkeit in Art. 41 Abs. 1 OR unter Berücksichtigung des Ersatzes reiner Vermögensschäden, Rn. 283. 540 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 4, Fn. 20.

Rechtswidrigkeit

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zepte in erfolgs- (dazu 1) und handlungsorientierte (dazu 2) aufzuteilen. Eine große Bedeutung haben zudem die gemischten Systeme, welche wie im deutschen Deliktsrecht die Elemente des Handlungs- und Erfolgsunrechts verbinden (dazu 3). Weitere Versuche, die Haftung für eigenes Fehlverhalten einzugrenzen, setzten auf die Relativierung der Rechtswidrigkeit (dazu 4). 1.

Erfolgsunrecht

(151) Angesichts der Tatsache, dass die Generalklauseln keinen Katalog absoluter Rechte formulieren und von der grundsätzlichen Ersatzfähigkeit aller Schäden ausgehen, sollte die Erfolgsunrechtlehre bei den untersuchten Systemen keine Rolle spielen. Dennoch wird sie teilweise vertreten. Ihre Anwendung hat jedoch eher negative Wirkungen auf die Kohärenz der Haftungssysteme, die auf einer Generalklausel basieren.541 (152) Nur im spanischen Recht ist die rein erfolgsorientierte Auffassung (antijuridicidad del resultado) herrschende Meinung.542 Für die erfolgsorientierte Lehre sollen die folgenden Argumente sprechen543 : (i) das Deliktsrecht hat vor allem eine Ausgleichs- und nicht Präventionsfunktion, welche besser mit dem Erfolgsunrecht erfüllt werden kann, (ii) das Erfolgsunrecht lässt sich auch im Rahmen der Gefährdungshaftung anwenden und (iii) die Kenntnis des Handlungsunrechts (el conocimiento de la ilicitud del acto auch la mala fe genannt) ist eine Voraussetzung des Verschuldens im Sinne von Art. 1107 span. CC, der auch im Rahmen der Deliktshaftung gilt. Nach dieser Theorie soll die Rechtswidrigkeitsprüfung zweistufig ablaufen. Im ersten Schritt soll geprüft werden, ob ein rechtlich geschütztes Interesse verletzt wurde (die positive Seite der Rechtswidrigkeit). Im zweiten Schritt folgt die Prüfung, ob diese Rechtsverletzung nicht ausnahmsweise gerechtfertigt ist (die negative Seite der Rechtswidrigkeit).544 Die Rechtswidrigkeit wird grundsätzlich als Verletzung eines rechtlich geschützten Interesses verstanden.545 Inbegriffen sind nicht nur

541 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 213. 542 Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: Dom&nguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2052; PeÇa Ljpez, in: Rodr&guez-Cano (Hrsg.), Comentarios al Cjdigo Civil2, S. 2180f; Garc&a-Ripoll Montijano, La antijuridicidad como requisito de la responsabilidad civil, ADC 2013, S. 1533; PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 277 ff; D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Derecho de daÇos, S. 290ff. 543 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 265ff. 544 AaO, S. 272f. 545 Garc&a-Ripoll Montijano, Ilicitud, culpa y estado de necesidad, S. 29; Rodr&guez-Cano, Comentarios al Cjdigo Civil2, S. 2180.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Verletzungen subjektiver Rechte, sondern auch Verletzungen eines legitimen Interesses (un inter8s leg&timo).546 (153) Kritisiert wird die erfolgsorientierte Auffassung wiederum mit den folgenden Argumenten547: (i) die Annahme des Erfolgsunrechts führe zu einigen fraglichen Ergebnissen, weil die durch die Natur verursachten Einbußen auch als rechtswidrig zu klassifizieren wären; (ii) die Rechtsfertigungsgründe beziehen sich auf die Handlung und nicht auf den Erfolg, daher wäre es inkonsequent die Hauptregel auf den Erfolg zu beziehen, und (iii) die Rechtswidrigkeit des Schadens ginge ins Leere, weil Einigkeit darüber besteht, dass alle finanziellen, materiellen und psychischen Schäden ersatzfähig sind. Ein Beweis für die Nutzlosigkeit des erfolgsorientierten Rechtswidrigkeitsbegriffes ist, dass kein Katalog der durch das Deliktsrecht geschützten Rechtsgüter formuliert wurde. (154) Das erfolgsbezogene Konzept der Rechtswidrigkeit spielt ebenfalls im schweizerischen Recht sowohl in der objektiven als auch der subjektiven Rechtswidrigkeitstheorie eine bedeutsame Rolle. Das Erfolgsunrecht ist Teil der herrschenden Theorie der objektiven Rechtswidrigkeit. Diese verbindet die Elemente des Verhaltens- und Erfolgsunrechts nach dem deutschen Beispiel und wird als gemischte Theorie eingestuft. (155) Rein erfolgsbezogen ist demgegenüber eine der zwei Hauptauffassungen der subjektiven Rechtswidrigkeitslehre. Vor der Darstellung dieser Auffassung ist zunächst die subjektive Theorie zu schildern. Nach dieser Lehre sind alle Schädigungen an sich rechtwidrig548, es sei denn, der Schädiger war zu einem gewissen Verhalten befugt.549 Die subjektive Theorie basiert auf dem Prinzip des neminem laedere. Sie führt zu einer Ausdehnung der Haftung dadurch, dass sie das Erfordernis einer Rechtsgutverletzung oder eines Schutznormverstoßes eliminiert.550 Die subjektive Theorie wurde von dem Wortlaut der französischen Version von Art. 50 OR a.F. gestützt, wo »widerrechtlich« ursprünglich als »sans droit« übersetzt wurde.551 Die neue Fassung enthält eine auf Französisch zutreffendere Übersetzung: »d’une maniHre illicite«. Ganz im Sinne der subjektiven Theorie scheint darüber hinaus immer noch die Definition der Rechts546 Busto Lago, La antijuridicidad del daÇo resarcible en la responsabilidad civil extracontractual, S. 206, insbesondere handelt es sich dabei um die Anwartschaften; PeÇa Ljpez, in: Rodr&guez-Cano (Hrsg.), Comentarios al Cjdigo Civil2, S. 2180. 547 Garc&a-Ripoll Montijano, La antijuridicidad como requisito de la responsabilidad civil, ADC 2013, S. 1533ff. 548 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 4, Rn. 9. 549 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 32. 550 Gabriel, Die Widerrechtlichkeit in Art. 41 Abs. 1 OR unter Berücksichtigung des Ersatzes reiner Vermögensschäden, Rn. 364. 551 Bosshard, Neuere Tendenzen in der Lehre zum Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, S. 46; Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5 § 4, Rn. 10.

Rechtswidrigkeit

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widrigkeit von Art. 28 S. 2 schw. ZGB zu sein: »Eine Verletzung ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist«. Sie gilt jedoch lediglich für Persönlichkeitsrechtsverstöße. (156) Die Tatsache, dass die subjektive Rechtswidrigkeit keine Rechtsgutverletzung verlangt, könnte andeuten, dass die Theorie auf dem Verhaltensunrecht basiert. Schließlich wird geprüft, ob der Schädiger eine haftungsausschließende Befugnis hatte. Die subjektive Theorie wird aber nicht einheitlich verstanden. Deren Vertreter gehen entweder von dem verhaltens- oder erfolgsbezogenen Rechtswidrigkeitsbegriff aus.552 Überwiegend wird die Theorie sogar trotzt ihres verhaltensorientierten Ursprungs erfolgsorientiert verstanden.553 Im Unterschied zu der verhaltensbezogenen erfordert die erfolgsbezogene Rechtswidrigkeit den Schadenseintritt. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich erst aus der Schädigung. Deswegen realisiert sie das Prinzip des neminem laedere mittels Anerkennung des allgemeinen Schädigungsverbots.554 Geschützt werden dabei alle möglichen Interessen des Geschädigten, unabhängig davon, ob es sich um absolute Rechte oder andere Rechtspositionen handelt.555 Problematisch erscheint bei der erfolgsorientierten Auffassung die präventiven Ansprüche des Geschädigten zu wahren, weil die Beurteilung der Rechtswidrigkeit erst mit dem Schadenseintritt möglich wird.556 (157) In polnischem Recht wird hervorgehoben, dass die deliktsrechtliche Rechtswidrigkeit nicht erfolgsbezogen zu verstehen ist.557 Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs deutet darauf hin, dass die Gleichsetzung der Rechtsverletzung mit einer unerlaubten Handlung den Sinn der schuldrechtlichen Systematik und gewissermaßen auch die Bedeutung des Verschuldens als Haftungsvoraussetzung eliminieren würde.558 Insbesondere ist die unrechtmäßige Fortsetzung des Besitzes nach dem Verlust des Besitztitels an sich keine unerlaubte Handlung.559 Die »materielle« Rechtswidrigkeit560, wie die polnische Lehre den erfolgsorientierten Begriff bezeichnet, kann jedoch das Handlungsunrecht ergänzen. So wird die Rechtswidrigkeit im Falle der Verletzung der absoluten Rechte und Persönlichkeitsrechte vermutet. In diesen Fällen muss der 552 553 554 555 556 557 558 559

Cartier, Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, Rn. 18. Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 4, Rn. 13. Cartier, Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, Rn. 48. AaO. AaO, Rn. 50. Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 1, Rn. 22. Urt. OG v. 21. 5. 2015, Az. IV CSK 539/14, Legalis 1310270. Urt. OG v. 9. 6. 2000, Az. IV CKN 1159/00, Wokanda 2000, Nr. 10, S. 8: das Unterlassen der Herausgabe einer Immobilie ist keine unerlaubte Handlung. Mit Verwies auf OG Urt. v. 4. 12. 1980, II CR 501/80, OSNCP 1981, Nr. 9, Pos. 171. 560 Kondek, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci odszkodowawczej, S. 79ff.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Schädiger beweisen, dass er das Recht hatte, ein Rechtsgut des anderen zu verletzen.561 Eine gesetzliche Rechtswidrigkeitsvermutung bei Verletzungen der Persönlichkeitsrechte sieht Art. 24 § 2 i. V. m. § 1 poln. ZGB562 vor.

2.

Handlungsunrecht

(158) Grundsätzlich bedienen sich die Rechtsordnungen, die auf einer Generalklausel basieren, eines handlungsorientierten Rechtswidrigkeitsbegriffs.563 Das ist vor allem im polnischen Recht der Fall.564 Das Verhaltensunrecht wird als »formeller Aspekt«565 der Rechtswidrigkeit bezeichnet. Die französische Lehre, welche die Rechtswidrigkeit im Rahmen des Verschuldens verortet, versteht sie ebenfalls überwiegend im Sinne des Handlungsunrechts. (159) Trotz der Tatsache, dass im schweizerischen Recht die herrschende objektive Rechtswidrigkeitslehre die Elemente des Erfolgs- und Handlungsrechts verbindet und im spanischen Recht die Rechtswidrigkeit erfolgsbezogen verstanden wird, verstehen auch in diesen zwei Ländern einzelne Stimmen die Rechtswidrigkeit als Handlungsunrecht. (160) Im schweizerischen Recht ist die verhaltensbezogene Variante der subjektiven Rechtswidrigkeitstheorie rein handlungsorientiert formuliert. Diese Lehre geht von einem System der Berechtigungen aus und folgt damit dem Grundsatz: »was nicht erlaubt ist, ist verboten«.566 Der Schädiger haftet, es sei denn, er beweist, dass er zur Schadensverursachung ausnahmsweise befugt war.567 Die Prüfung der Rechtswidrigkeit nach dieser Theorie erfolgt zweistufig. Als erstes ist zu prüfen, ob die subjektive Berechtigung überhaupt gegeben ist. Zweitens ist zu bestimmen, ob die Ausübung des Rechtsfertigungsgrundes nicht schikanös war.568 (161) Auch in der spanischen Lehre wird die Rechtswidrigkeit teilweise verhaltensbezogen definiert. Dies wird in der folgenden Definition der Rechtswidrigkeit von Gschnitzer deutlich: »infraccijn de una norma, ya de ley, ya del 561 AaO, S. 85. 562 Art. 24 § 1 S. 1 Wenn jemandes höchstpersönliches Rechtsgut durch eine fremde Handlung bedroht wird, so kann diese Person die Unterlassung dieser Handlung verlangen, es sei denn, dass diese nicht rechtswidrig war. Art. 24 § 2 Ist infolge der Verletzung eines höchstpersönlichen Rechtsgutes ein Vermögensschaden entstanden, kann der Geschädigte Schadenersatz nach den allgemeinen Vorschriften verlangen. 563 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 213. 564 Dybowski, in: Czachjrski (Hrsg.) System Prawa Cywilnego III-1, S. 533f. 565 Kondek, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci odszkodowawczej, S. 85. 566 Cartier, Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, Rn. 37. 567 Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und besonderer Teil, Rn. 1943. 568 Cartier, Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, Rn. 46.

Rechtswidrigkeit

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contrato, ya infrinja la norma expresa, ya atente a la finalidad que la misma persigue, o ya lesione principios jur&dicos superiores.«569 Der Tribunal Supremo unterstreicht jedoch, dass die zivilrechtliche Rechtswidrigkeit keine besondere Normverletzung voraussetzt. Insbesondere findet das in Art. 25 Abs. 2 span. Verfassung formulierte strafrechtliche Erfordernis der Typisierung keine Anwendung im Deliktsrecht.570 (162) Sollte die Rechtswidrigkeit im Sinne des Handlungsunrechts verstanden werden, stellt sich die Frage, gegen welche Normen ein Verstoß die Rechtswidrigkeit begründet. Erstens kann eine Generalklausel als Quelle einer Pflicht dem anderen keinen Schaden zuzufügen – neminem laedere – eingestuft werden (dazu a). Zweitens ist es möglich den Pflichtenkatalog auf die gesetzlichen Normen zu begrenzen (dazu b). Drittens können sich die Sorgfaltspflichten auch aus anderen Normquellen ergeben (dazu c). Schließlich wird gefordert, den Schutzzweck der verletzten Norm im Rahmen der Rechtswidrigkeit zu prüfen ( dazu d). a) Bedeutung des Grundsatzes neminem laedere (163) Eine deliktsrechtliche Generalklausel kann als Kundgabe der allgemeinen Pflicht, einem anderen keinen Schaden zuzufügen – neminem laedere – verstanden werden. In den untersuchten Rechtsordnungen wird diese opferfreundliche Behauptung gelegentlich nur im spanischen und neulich im polnischen Recht formuliert (dazu aa). Stärker verbreitet in den beiden Rechtsordnungen ist jedoch die Meinung, dass neminem laedere eine Programmnorm ist. Die Verletzung des Prinzips an sich begründet die Rechtswidrigkeit nicht. Sie soll jedoch bei der Auslegung des Pflichtenkatalogs berücksichtigt werden (dazu bb). Demgegenüber hat das Prinzip im französischen und schweizerischen Recht keine Bedeutung (dazu cc). aa) Normenquelle Die spanische Rechtsprechung beruft sich gelegentlich auf das Prinzip von alterum non laedere, um die Rechtswidrigkeit zu begründen.571 Insbesondere wird 569 Santos Briz, in: Alb#car Ljpez (Hrsg.) Cjdigo civil. Doctrina y Jurisprudencia VI4, S. 1352. 570 Urt. v. TS 26. 12. 1995, STS 6675/1995, RJ 1995, 9209: »el art. 1902 del C.c. sjlo exige que en la conducta daÇosa intervenga culpa o negligencia, por lo que su consideracijn como antijur&dica, m#s bien il&cita -alterum non laedere-, no precisa violacijn de un precepto concreto ya que, como tiene declarado el Tribunal Constitucional, »la tipicidad y la legalidad no tienen que actuar de manera tan estricta« como en los supuestos previstos en el art. 25–1 de la Constitucijn (Sa de 2 de Diciembre de 1982)« mit Verweis auf das Urt. des Tribunal Constitutional v. 2. 12. 1982, Az. 73/82. 571 Urt. TS v. 18. 03. 2002, STS 1936/2002, RJ 2002, 2413 es ist rechtswidrig, das Abwasser des Olivenöls in einen Tank zu schütten, der sich zwischen zwei Fußwegen befindet, ohne diesen Bereich abzugrenzen.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

der Beweis, dass ein Verhalten gegen eine bestimmte gesetzliche oder gesellschaftliche Norm verstößt, nicht vorausgesetzt.572 Hervorgehoben wird ferner, dass die deliktsrechtliche Rechtswidrigkeit nicht restriktiver als das Prinzip der alterum non laedere sein kann.573 Daher wird die allgemeine Pflicht angenommen, einem anderen keinen Schaden zuzufügen. Diese ergebe sich aus Art. 1902 span. CC: »deber gen8rico de no daÇar los derechos, propiedades y situaciones ajenas (alterum non laedere).«574 Fokussiert werden die außervertraglichen Pflichten des Schädigers, die aus diesem Grundsatz folgen. Es soll sich um eine Liste der Pflichten handeln, die jede Person gegenüber anderen Personen zu beachten hat. Jede Person soll demnach mit jener erforderlichen Sorgfalt agieren, die notwendig ist, um den persönlichen sowie materiellen Bereich eines anderen nicht zu verletzen.575 Diese These wird mit dem Argument begründet, dass der Cjdigo civil das Verschulden als eine Hauptvoraussetzung der Deliktshaftung formuliert. Dadurch lautet die Hauptfrage nicht, ob der Geschädigte einen Schaden tragen soll, sondern was der Schädiger hätte machen müssen.576 Die Einstufung von Art. 1902 span. CC als eine Pflichtenquelle wurde jedoch kritisiert. Ein Hauptargument dieser Kritik ist, dass so ein allgemeiner Grundsatz keine positiven Verpflichtungen begründen kann, sondern nur die negative Pflicht einer anderen Person keinen Schaden zuzufügen.577 (164) Die polnische Lehre hat sich kürzlich gründlich mit der Problematik der Geltung und Rolle des neminem laedere befasst.578 Der Grundsatz soll das Verbot begründen, einem anderen einen Schaden zuzufügen.579 Teilweise wird behauptet, dass sich die deliktsrechtliche Rechtswidrigkeit aus diesem Verbot ergibt.580 Schon unter dem poln. Obligationengesetzbuch (1933) wurde eine Meinung formuliert, dass dieser Grundsatz die Quelle der allgemeinen Sorgfalts572 Urt. TS v. 11. 2. 1993, STS 577/1993, RJ 1993, 1459: »la antijuridicidad no penal se funda en la violacijn del principio »alterum non laedere« y no precisa la infraccijn de norma concreta«. Die Übergabe der Musterbücher und Kundenlisten an ein konkurrierendes Unternehmen. 573 Urt. TS v. 29. 12. 1997, RJ 1997, 9602: im Rahmen des Deliktsrechts »no se puede hablar de tipicidad, y que en el tema de la antijuridicidad no se puede ir m#s lejos del principio »alterum non laedere««. 574 Urt. TS v. 11. 5. 2010, STS 2402/2010, RJ 2010, 5027: die mehrfache Veräußerung einer Immobilie ist somit rechtswidrig. 575 Concepcijn Rodr&guez, Derecho de daÇos2, S. 62. 576 Garc&a-Ripoll Montijano, Ilicitud, culpa y estado de necesidad, S. 38. 577 Roca i Tr&as, El riesgo como criterio de imputacijn subjetiva del daÇo en la jurisprudencia del Tribunal Supremo espaÇol, Indret 2009, Nr. 4, S. 27 mit Verweis auf Urt. TS v. 16. 07. 1991, RJ 1991, 5393. 578 Vor allem Lackoron´ski, Odpowiedzialnos´c´ cywilna za pos´rednie naruszenia djbr, S. 46ff; Wilejczyk, Dlaczego nie nalez˙y chodzic´ w tłumie ze szpilka˛ wystaja˛ca˛ z re˛kawa?, SPP 2013, Nr 1, S. 61f. 579 Lackoron´ski/Raczkowski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 415, Rn. 21. 580 Dubis, in: Gniewek/Machnikowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz7, Art. 415, Rn. 8.

Rechtswidrigkeit

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pflicht sei.581 Die Pflicht, das Leben und die Gesundheit des anderen Menschen nicht zu gefährden, kann sich nach dieser Meinung nicht nur aus Rechtsnormen ergeben. Ihre Quelle ist auch, unterstützt durch die Regeln der Erfahrung, die Vernunft. Diese Regeln verpflichten eine Person nicht nur dazu, ein unnötiges Risiko zu vermeiden, sondern auch verschiedene Maßnahmen vorzunehmen, um die Gefahr für das Leben und die Gesundheit eines anderen auszuschließen. Der Grundsatz kann jedoch nur ausnahmsweise eine positive Pflicht zum Handeln begründen.582 Die positive Pflicht ist gegeben, wenn sie durch die Umstände des Falles und der allgemeinen Sorgfalt begründet ist.583 Die Anerkennung des neminem laedere als Pflichtenquelle führt zweifellos zur Ausdehnung der Haftung. Um den Grundsatz aufrechtzuerhalten, wird in der Lehre nach Eingrenzungskriterien gesucht. Als Eingrenzungskriterium wurde das Verschulden vorgeschlagen.584 Der Grundsatz der neminem laedere soll nach dieser Ansicht nur eine schuldhafte Schadensverursachung verbieten. Diese Lösung würde die Rechtswidrigkeit als eine Voraussetzung der Haftung für eigenes Fehlverhalten eliminieren. Andere vertreten, dass die Rechtswidrigkeit bei fehlender Rechtsnormverletzung durch die Verletzung einer »Vorsichtspflicht« begründet wird. Die »Vorsichtpflicht« sei kein Verschuldenskriterium und das Verschulden selbst sei nur auf die Prüfung der persönlichen Vorwerfbarkeit begrenzt.585 Diese Meinung verschiebt also die Prüfung der Sorgfaltspflichtverletzung vom Verschulden in die Rechtswidrigkeit. Somit wird die Rechtswidrigkeit als Fehlverhalten und das Verschulden als Vorwerfbarkeit verstanden. (165) Die herrschende Meinung lehnt es jedoch ab, die Rechtswidrigkeit des Verhaltens als Verstoß gegen eine allgemeine Pflicht, die sich aus dem Prinzip des neminem laedere ergeben würde, zu verstehen.586 Aus dem Grundsatz des neminem laedere können demnach keine Rechtsnormen abgeleitet werden – weder Gebote noch Verbote.587

581 Longchamps de Berier, Zobowia˛zania3, S. 244f. 582 Wilejczyk, Dlaczego nie nalez˙y chodzic´ w tłumie ze szpilka˛ wystaja˛ca˛ z re˛kawa?, SPP 2013, Nr 1, S. 61f. 583 Lackoron´ski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 415, Rn. 22. 584 Wilejczyk, Dlaczego nie nalez˙y chodzic´ w tłumie ze szpilka˛ wystaja˛ca˛ z re˛kawa?, SPP 2013, Nr 1, S. 61f. 585 AaO, S. 58f. 586 Dybowski, in: Czachjrski (Hrsg.) System Prawa Cywilnego III-1, S. 534; LewaszkiewiczPetrykowska, Wina jako podstawa odpowiedzialnos´ci z tytułu czynjw niedozwolnych, SPiE 1969, Nr. 2, S. 91; Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 415, Rn. 24; Kondek, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci odszkodowawczej, S. 74. 587 Kondek, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci odszkodowawczej, S. 74.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

bb) Programmnorm (166) Weniger radikal ist die Behauptung, dass neminem laedere nicht eine Normenquelle, sondern eine Programmnorm bzw. ein allgemeiner Rechtsgrundsatz ist. Es wird von einem Rechtsprinzip gesprochen, im Unterschied zu einer Rechtsnorm. Diese Meinung wird ebenfalls teilweise im spanischen und im polnischen Recht vertreten. (167) Im spanischen Zivilrecht hat die Unterscheidung zwischen Rechtsnormen und Rechtsprinzipien sogar eine gesetzliche Grundlage. Der Normrang der positiven Rechtsnormen wird eingestuft.588 Diese Einstufung ist in dem Katalog von Art. 1 Abs. 4 span. CC formuliert.589 Die Geltung des Rechtsgrundsatzes des neminem laedere begründe zusätzlich Art. 24 Abs. 1 span. Verfassung590.591 Die Regel alterum non laedere wird darüber hinaus in den Urteilen des Tribunal Supremo als Principio General del Derecho592 qualifiziert. Die Lehre stuft auch die deliktsrechtliche Generalklausel an sich als allgemeinen Rechtsgrundsatz ein.593 Fraglich ist, welche Konsequenzen diese Einstufung für die Auslegung der spanischen Generalklausel haben kann. Davon ist insbesondere die Rechtswidrigkeit betroffen. Es wurden drei verschiedene Weisen vorgeschlagen, wie der allgemeine Rechtsgrundsatz auszulegen sei. Erstens soll er nur einen informativen Charakter haben. Zweitens könnte sich die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens aus der bloßen Verletzung des Prinzips alterum non laedere ergeben.594 Drittens soll eine Rechtsnorm, die in einem allgemeinen Rechtsgrundsatz eingebettet ist, weit ausgelegt werden.595 Die Qualifizierung der Regel alterum non laedere als ein principio general del derecho spricht nach der letzten, am stärksten verbreiteten Meinung für eine weite Auslegung der Generalklausel, was

588 Gulljn Ballesteros, in: Sierra Gil de la Cuesta (Hrsg.) Comentario del cjdigo civil I, Art. 1, S. 356. 589 Siehe, Rn. 35. 590 Art. 24 Abs. 1 der span. Verfassung: »Todas las personas tienen derecho a obtener la tutela efectiva de los jueces y tribunales en el ejercicio de sus derechos e intereses leg&timos, sin que, en ningffln caso, pueda producirse indefensijn.« 591 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 276. 592 Urt. v. TS 15. 6. 1981, RJ 1981, 2524. 593 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, in: Paz-Ares Rodr&guez, D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Bercovitz, Salvador Coderch (Hrsg.) Comentario del Cjdigo Civil, Ministerio de Justicia II 2, S. 10; Gulljn Ballesteros, in: Sierra Gil de la Cuesta (Hrsg.) Comentario del cjdigo civil I, Art. 1, S. 355; Mac&as Castillo, El daÇo causado por el ruido y otras inmisiones, La Ley 2004, S. 272. 594 de ]ngel Y#güez, Tratado de responsabilidad civil3, S. 365. 595 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, in: Paz-Ares Rodr&guez, D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Bercovitz, Salvador Coderch (Hrsg.) Comentario del Cjdigo Civil, Ministerio de Justicia II 2, S. 10.

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die Rechtswidrigkeit als positive Voraussetzung der Haftung ausschließt.596 Die übrigen Haftungsvoraussetzungen wären dann ebenfalls weit auszulegen. (168) Auch in der polnischen Lehre wurde das neminem laedere teilweise als ein allgemeines Prinzip des Deliktsrechts angesehen.597 Als Quelle dieses Grundsatzes gilt Art. 31 Abs. 2 S. 1 poln. Verfassung.598 Nach dieser Norm ist jedermann verpflichtet, die Freiheiten und Rechte der anderen zu beachten.599 Eine praktische Rolle dieses Prinzips sollte in der »Abdichtung« des Deliktssystems durch Absicherung dessen Flexibilität liegen.600 Aus dem allgemeinen Prinzip ergebe sich das Verbot, die Rechtsgüter der anderen Person zu verletzen. Das Verbot soll allgemein gelten, solange es nicht durch ein anderes Rechtsprinzip, eine besondere Rechtsnorm oder eine Rechtsnormengruppe wie das Lauterkeitsrecht ausgeschlossen wird.601 Diese Auffassung ist mit der schweizerischen subjektiven Rechtswidrigkeitslehre vergleichbar, wonach die Schadenszufügung grundsätzlich verboten ist, es sei denn, dass der Schädiger über ein besonderes Befugnis verfügt. Eine Gegenmeinung hebt hervor, dass die Verletzung des Rechtsgrundsatzes die Haftung nicht begründen kann, sondern einen Ausgangspunkt für die weitere Untersuchung der Schadenersatzpflicht darstellt.602 Wie das neminem laedere diese Entscheidung beeinflussen solle, ist jedoch unklar. (169) Letztendlich stößt die Einstufung des neminem laedere als Programmnorm in der polnischen Lehre überwiegend auf Kritik. Argumentiert wird, dass die Annahme dieses Prinzips der Rechtswidrigkeit jegliche Bedeutung raubt, weil jede Schadenszufügung als rechtswidrig qualifiziert werden müsste.603 Diese Behauptung ist jedoch insoweit falsch, als die Befürworter des 596 Mac&as Castillo, El daÇo causado por el ruido y otras inmisiones, La Ley 2004, S. 272: »no creemos que nuestro ordenamiento (…) necesite de la antijuridicidad como requisito«. 597 Lackoron´ski/Raczkowski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 415, Rn. 9ff; ders., Odpowiedzialnos´c´ cywilna za pos´rednie naruszenia djbr, S. 46ff; Lewaszkiewicz-Petrykowska, Prawo do wynagrodzenia szkody wyrza˛dzonej przez niezgodne z prawem działanie władzy publicznej, in: Zubik (Hrsg.), Ksie˛ga XX–lecia orzecznictwa Trybunału Konstytucyjnego, S. 503, die aber darauf hinweist, dass dieser Rechtsgrundsatz nur die rechtswidrigen Schäden umfasst. 598 Lackoron´ski, Anm. zum Urt. OG Az. V CSK 282/11, OSP 2013, Nr. 5, Pos. 48; Lackoron´ski/ Raczkowski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 415, Rn. 10; Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 415, Rn. 24. 599 Art. 31 Abs. 2 der poln. Verfassung: »Jedermann ist verpflichtet, die Freiheiten und Rechte der anderen zu beachten.« 600 Lackoron´ski/Raczkowski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 415, Rn. 14. 601 AaO. 602 Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 415, Rn. 24. 603 Kalin´ski, Anm. zum Urt. OG Az. V CSK 282/11, OSP 2013, Nr. 5, S. 336: »Die Annahme solcher Denkweise reduziert weitgehend die Notwendigkeit juristische Konzepte anzuwenden. Sie fördert auch die allgemeine Streitsucht in unserem Land nach dem Motto – sollte ein Schaden entstehen, muss der Schädiger den ersetzen.«

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Prinzips die Schadenszufügung gerade nicht als genügend für die Rechtswidrigkeit des Verhaltens ansehen. Die Unterstützer des Prinzips gehen vielmehr davon aus, dass die Rechtswidrigkeit die Verletzung einer Rechtsnorm oder einer Norm des gesellschaftlichen Zusammenlebens erfordert.604 Bei dem neminem laedere handelt es sich nur um eine Programmnorm, die gegen die Erforderlichkeit der Schutzzweckprüfung spricht. Sie begründet die Entschädigung, anstatt eine Quelle der Pflichten zu sein.605 cc) Keine Bedeutung (170) Die hervorgehobene Rolle der Rechtswidrigkeit in der Schweiz bewirkt, dass das neminem laedere untauglich ist. Das Prinzip formte die Grundlage der subjektiven Rechtswidrigkeitstheorie, die jedoch nicht mehr vertreten wird. Dem Prinzip wird vorgeworfen, dass606 : (i) es unbrauchbar ist, weil die Konkretisierung der Gebote und Verbote sowieso notwendig ist, (ii) indem es alle Rechtsgutverletzungen umfasst, es auch Naturzustände einschließt und deswegen »völlig denaturiert« ist, (iii) es das Verhältnis zwischen der Verletzung einer Verhaltensnorm und eines subjektiven Rechts ungeklärt lässt. Soweit ersichtlich berief sich das Bundesgericht auf das Prinzip, ohne aber dessen Inhalt und Bedeutung zu erklären, nur in einem Urteil.607 (171) Auch im französischen Recht spielt das Prinzip des neminem laedere keine Rolle, obwohl die Rechtswidrigkeit nicht vorausgesetzt wird. Die Rechtsprechung beruft sich nicht auf eine allgemeine Pflicht anderen keinen Schaden zuzufügen, sondern auf einzelne außervertragliche Pflichten. (172) Sogar im polnischen und im spanischen Recht überwiegt die Meinung, dass das Prinzip des neminem laedere keine erhebliche Rolle spielt. Die Behauptung, dass die deliktsrechtliche Generalklausel eine eigenständige Quelle der allgemeinen Sorgfaltspflicht ist, wird im polnischen Recht grundsätzlich abgelehnt.608 Laut der herrschenden Meinung kann der Verstoß gegen dieses Prinzip auch keine Rechtswidrigkeit begründen.609 Letztere würde dann ihre Bedeutung verlieren, weil jedes schadensverursachende Verhalten rechtswidrig 604 Lackoron´ski/Raczkowski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 415, Rn. 42. 605 Kondek, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci odszkodowawczej, S. 75. 606 Bosshard, Neuere Tendenzen in der Lehre zum Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, S. 37f. 607 Urt. BGE v. 26. 9. 2006, 133 III 6, S. 10: »La responsabilit8 civile de l’appel8e en cause / l’8gard de la demanderesse est engag8e, sur la base de l’art. 41 CO, en raison de la cr8ation d’un 8tat de fait dangereux (violation du principe neminem laedere)«. 608 Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, Rn. 25; Lewaszkiewicz-Petrykowska, Wina jako podstawa odpowiedzialnos´ci z tytułu czynjw niedozwolonych, SPiE 1969, Nr. 2, S. 97; Kalin´ski, Szkoda na mieniu i jej naprawienie2, S. 35ff. 609 Zelek, in: Gutowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I, Art. 415, Rn. 15.

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wäre.610 Zudem behaupten einige Autoren im spanischen Recht, dass statt alterum non laedere das Prinzip casum sentit dominus gelten solle, was aber mit der herrschenden Rechtsprechung und der Lehre nicht zu vereinbaren ist.611 b) Gesetzesverstoß (173) Alle untersuchten Rechtsordnungen sind sich einig, dass ein gegen Gesetz verstoßendes Verhalten die Haftung für eigenes Fehlverhalten begründen kann. Einigkeit besteht darüber, dass es sich dabei nicht um das Gesetz im formellen, sondern im materiellen Sinne handelt. Unterscheide bestehen zwischen den Rechtsordnungen bezüglich der Frage, wie das Gesetz in dem deliktsrechtlichen Kontext zu verstehen ist. Im französischen Recht wird von der »devoirs extracontractuelles explicit8s par des textes 8crites« gesprochen.612 Die polnische Lehre deutet auf die Quellen des allgemein geltenden Rechts im Sinne von Art. 87 poln. Verfassung hin.613 Gemeint sind damit die Verfassung, Gesetze, ratifizierte völkerrechtliche Verträge, Rechtsverordnungen und lokal geltende Vorschriften. In diesem Zusammenhang wird von der Verletzung von Rechtsnormen gesprochen, die der Verletzung von Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens gegenüber gestellt wird.614 Im schweizerischen Recht wird hervorgehoben, dass auch ein Verstoß gegen ungeschriebene Rechtsnormen die außervertragliche Haftung begründen kann.615 Im spanischen Recht wird diesbezüglich von der violacijn del derecho positivo gesprochen.616 Der Katalog der allgemein geltenden Rechtsquellen wurde breit formuliert. Nach Art. 1 Abs. 1 span. CC gehören zu diesen Quellen nicht nur die Gesetze im materiellen Sinne, sondern auch das Gewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze.

610 AaO. 611 Garc&a-Ripoll Montijano, Ilicitud, culpa y estado de necesidad, S. 34. 612 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 447ff; Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contracts6, Rn. 6717 spricht von der loi au sense large, die nicht nur die nationalen, sondern auch supra- sowie internationalen Rechtsnormen umfasst. Esmein, Trait8 pratique de droit civil franÅais IV2, Rn. 521; Carbonnier, Droit Civil IV21, Rn. 231 deutet neben toute rHgle l8gale auch auf die Verletzung der Verwaltungsakte – rHglement administratif hin; Terr8/Simler/Lequette, Les obligations11, Rn. 860. 613 Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 25. 614 AaO Rn. 25; Lackoron´ski/Raczkowski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 415, Rn. 42; Dubis, in: Gniewek/Machnikowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz7, Art. 415, Rn. 8. 615 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 4, Rn. 42f; Urt. BGE v. 27. 6. 2010, 116 Ia 162, S. 169. Dabei handelt es sich um die allgemein geltenden Vorschriften, beispielsweise kommunale, kantonale oder eidgenössische Verhaltensnormen. 616 Busto Lago, La antijuridicidad del daÇo resarcible en la responsabilidad civil extracontractual, S. 51.

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Zu den Letzteren zählt nach der herrschenden Meinung sogar auch das Prinzip der neminem laedere.617 c) Verstoß gegen andere Normen (174) Herrschend in der Rechtsprechung aller vier Länder ist die Auffassung, dass der Katalog der Sorgfaltspflichten nicht nur Rechtsnormen umfasst. Die Heranziehung anderer Normen wird in den Systemen der Generalklauseln genauso benötigt wie bei den Einzeltatbeständen.618 Der Normenkatalog ist jedoch unterschiedlich gestaltet. Die Problematik des Normenkatalogs wird für diejenigen Rechtsordnungen untersucht, welche die eigenständige Rechtswidrigkeitsprüfung klar anerkennen. Die Verhaltensnormen werden im französischen und weitgehend im spanischen Recht unter dem Begriff des Verschuldens eingestuft. Deswegen werden nur die Normenkataloge des polnischen (dazu unter aa) und schweizerischen Rechts (unter bb) geschildert. Dabei spielt die Konkretisierung der außergesetzlichen Verhaltensnormen in Polen eine größere Rolle als in der Schweiz. Der Grund dafür ist die im polnischen Recht fehlende Berücksichtigung des Erfolgsunrechts im Falle der Verletzungen von absoluten Rechten. Schließlich wird auch die Sorgfaltspflichttheorie als Vorschlag zur Liberalisierung des schweizerischen Normenkatalogs geschildert (dazu cc). aa) Liberaler polnischer Normenkatalog (175) Im polnischen Recht ist die Feststellung, gegen welche Normen ein Verstoß die Rechtswidrigkeit nach Art. 415 poln. ZGB begründen kann, von grundlegender Bedeutung.619 Die Generalklausel setzt durch die Formulierung »aus eigenem Verschulden« keine Grenzen für den Normenkatalog.620 Die Mitglieder der Kodifikationskommission haben sich bewusst dazu entschieden, die Rechtswidrigkeit nicht vorauszusetzen, um deutlich zu machen, dass auch ein Verstoß gegen außerrechtliche Normen die Haftung begründen kann.621 Aus den Gründen des poln. Obligationengesetzbuchs (1933) folgt, dass »aus Verschulden jeder handelt, der sich (vorsätzlich oder fahrlässig) nicht so benimmt, wie ein vorsichtiger und auf die Rechte der anderen achtender Mensch sich benehmen sollte, unabhängig davon, ob so eine Pflicht aus den ausdrücklichen Vorschriften 617 Siehe, Rn. 167. 618 Mayer-Maly, Bewegliches System und Konkretisierung der guten Sitten, in: Bydlinski/ Krejci/Schilcher/Steininger (Hrsg.) Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, S. 117. 619 Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 25. 620 AaO. 621 Kondek, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci odszkodowawczej, S. 51.

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des Gesetzes oder aus dem Wesen des gesellschaftlichen Lebens stammt.«622 Sowohl in der Lehre623 als auch in der Rechtsprechung624 ist die Meinung herrschend, dass es sich hier nicht nur um die Normen des positiven Rechts handelt. Das Recht ist weder das älteste noch das meist akzeptierte oder perfekte System von Verhaltensnormen, die in einer Gesellschaft gelten.625 Deswegen kann die Haftung für eigenes Fehlverhalten nicht auf die Fälle begrenzt werden, in denen der Gesetzgeber ein potenziell schadenverursachendes Verhalten vorgesehen und verboten hat.626 Vorgeschlagen wurde sogar, die Rechtswidrigkeit umzubenennen und den Begriff der »objektiven Unrichtigkeit« des Verhaltens zu verwenden, um den Bezug auf das positive Recht entfallen zu lassen.627 (176) Neben dem Gesetzesverstoß begründet auch ein Verstoß gegen die Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens die Rechtswidrigkeit. Diese Prinzipien können auch als gute Sitten bezeichnet werden.628 Diese herrschende Meinung beschreibt die folgende Aussage des Obersten Gerichtshofs: »Der Begriff der Rechtswidrigkeit soll als ein Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung breit verstanden werden. Die Rechtsordnung ist nicht nur die Gesetzgebung, sondern auch die in der Gesellschaft geltende Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens.«629 Unter den Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens sind insbesondere die moralischen und aus den Sitten stammenden Normen zu verstehen.630 Dabei handelt es sich insbesondere um631: (i) die deontologischen Normen, welche die Ausübung professioneller Tätigkeiten regeln, (ii) Normen, welche die Ausübung der einzelnen Sportarten betreffen, (iii) gute unternehmerische Praktiken sowie (iv) venire contra factum propium. (177) Fraglich ist, ob auch die erforderliche Sorgfalt i. S.v. Art. 355 poln. ZGB Pflichten begründen kann, die zu diesem Katalog gehören. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs spricht in diesem Zusammenhang von »allgemein

622 Begründung des Entwurfs des Obligationengesetzbuchs (»Uzasadnienie Kodeksu zobowia˛zan´ z uwzgle˛dnieniem ostatecznego tekstu kodeksu«) in Bearbeitung von Prof. Roman Longchamps de Berier, Kodifikationskommission, Warschau 1934, S. 193. 623 Kondek, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci odszkodowawczej, S. 52ff; Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 25; Lackoron´ski/Raczkowski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 415, Rn. 42; Dubis, in: Gniewek/Machnikowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz7, Art. 415, Rn. 8. 624 St. Rspr, zuletzt: Urt. OG v. 21. 05. 2015, Az. IV CSK 539/14, Legalis 1310270. 625 Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 25. 626 AaO. 627 Siehe, Rn. 135. 628 Zelek, in: Gutowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I, Art. 415, Rn. 16. 629 Urt. OG v. 23. 01. 2015, Az. V CSK 189/14, Legalis 1186795. 630 Urt. OG v. 21. 05. 2015, Az. IV CSK 539/14, Legalis 1310270. 631 Zelek, in: Gutowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I, Art. 415, Rn. 16.

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anerkannten Regeln des sorgfältigen Verhaltens«632, gegen die ein Verstoß die Rechtswidrigkeit begründet. Grundsätzlich könne die Verletzung der erforderlichen Sorgfalt ohne eine Verletzung des Gesetzes die Deliktshaftung begründen.633 Die Sorgfaltsnormen werden in der Rechtsprechung sogar gelegentlich als ein Kriterium der Rechtswidrigkeit eingestuft.634 Diese Meinung bezog sich auf die verschuldensunabhängige Haftung aus Art. 417 § 1 poln. ZGB.635 Die Übertragung dieser Auffassung in die Verschuldenshaftung wäre aber falsch.636 Es ist nicht so, dass jedes unsorgfältige Verhalten eine deliktsrechtliche Rechtswidrigkeit begründen kann. Diese Annahme würde der Rechtswidrigkeit im Rahmen der Haftung für eigenes Fehlverhalten jegliche Bedeutung nehmen. (178) Eine Mindermeinung in der polnischen Rechtsprechung behauptet, dass die Rechtswidrigkeit nach Art. 415 poln. ZGB immer einen Verstoß gegen eine zwingende Rechtsnorm voraussetze.637 Ein Verstoß gegen die Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens könne nach dieser Auffassung die Haftung für eigenes Fehlverhalten nicht auslösen. In einem Urteil hat der Oberste Gerichtshof zwei Gründe für diese Feststellung genannt. Erstens wurde Art. 135 poln. Obligationengesetzbuchs (1933): »Wer vorsätzlich oder fahrlässig bei der Ausübung seiner Rechte einem anderen Schaden zufügt, ist verpflichtet den zu ersetzen, sollte er die Grenzen der Ausübung dieses Rechtes, die 632 Urt. OG v. 27. 4. 2016, Az. II CSK 528/15, Legalis 1472306. »Rechtswidrig handelt ein Architekt, der die ihm bekannten geologischen Bodenverhältnisse, auf dem das Gebäude errichtet sein sollte, nicht berücksichtigt. Die vorgetragenen Vorschriften legen jedem Architekten eine Pflicht auf, dass der Entwurf eines Gebäudes – mit Berücksichtigung seiner voraussichtlichen Nutzungszeit – vorschriftengemäß, sowie gemäß den Regeln des technischen Wissens und der Sicherheit der Konstruktion und der Nutzung zu erstellen ist.« 633 Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.), System Prawa Prywatnego VI2, § 15, IV Rn. 25. 634 Urt. OG v. 29. 10. 2003, Az. III CK 34/02, OSP 2005, Nr. 4, Pos. 54: »Das Verhalten eines Staatsfunktionärs ist dann rechtswidrig, wenn es gegen die geltende Rechtsordnung verstößt. Als diese Rechtsordnung werden sowohl die geltende Gesetzgebung als auch die geltenden Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens verstanden. Zu den Letzteren gehört die Durchführung der operativen Eingriffe gemäß der ärztlichen Kunst und des Höchstmaßstabs an Sorgfalt, die von einem Professionellen zu erwarten ist.« 635 Art. 417 § 1 poln. ZGB regelt eine verschuldensunabhängige Staatshaftung, deren Hauptvoraussetzung die Rechtswidrigkeit des schädigenden Verhaltens ist: »Für einen Schaden, der durch ein rechtswidriges Tun oder Unterlassen bei der Ausübung öffentlicher Gewalt entstanden ist, haftet der Fiskus oder die Einheit der territorialen Selbstverwaltung bzw. eine andere juristische Person, die diese Gewalt kraft Gesetzes ausübt«. 636 Urt. OG v. 21. 5. 2015, Az. IV CSK 539/14, Legalis 1310270, so aber : Urt. OG v. 10. 2. 2010, Az. V CSK 287/09, OSP 2012, Nr. 10, Pos. 95. 637 Urt. OG v. 19. 10. 2012, Az. V CSK 501/11, Biul. SN 2013, Nr. 12. Die Entscheidung betrifft die Forderungen eines Anlegers gegen den Verwalter eines geschlossenen Investmentfonds nach der Insolvenz des Emittenten. Das Gericht hat keine Verletzung der Vorschriften des Investmentfondsgesetzes festgestellt und die Prüfung der Verletzung der Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens ausgeschlossen.

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aus dem guten Glauben oder dem Zweck dieses Rechtes stammen, überschritten hat.« nicht in das poln. ZGB übernommen. Zweitens enthält die polnische Kodifikation keine Norm mehr, welche die Bürger zur Beachtung der Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens verpflichtet.638 Symptomatisch ist, dass es sich in diesem Urteil um einen reinen Vermögensschaden in der Form des Investitionsschadens handelt. Es liegt daher nahe, dass das Gericht die Haftung tatsächlich eher aufgrund der Schadensart und nicht wegen fehlender Rechtswidrigkeit verneint hat. Da jedoch die Unterscheidung zwischen den einzelnen Schadensarten im polnischen Recht unbegründet wäre, war die Verneinung der Rechtswidrigkeit erforderlich, um die Haftung einzugrenzen. Darüber hinaus wiederholt die Urteilsbegründung Argumente, die der Vorsitzende und zugleich Berichterstatter in einer früheren Veröffentlichung formuliert hat.639 Die Entscheidung kann also viel mehr als Ausdruck der persönlichen Meinung von einem der Richter angesehen werden. Der Oberste Gerichtshof hat sich in einer späteren Rechtsprechung von diesem Urteil distanziert: »In einem System der Deliktshaftung gemäß Art. 415 ZGB (anders als bei Art. 417 ZGB) ist ein Verhalten rechtswidrig, das gegen die geltende Rechtsordnung verstößt. Durch diese Rechtsordnung werden die in den Rechtsnormen formulierten Gebote und Verbote auch als die moralischen und sittlichen Normen verstanden, d. h. die Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens (gute Sitten).«640 Die ordentlichen Gerichte folgen der Mindermeinung ebenfalls nicht.641 Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass der Katalog der Verhaltensnormen in Bezug auf die Haftung für eigenes Fehlverhalten im polnischen Recht äußert liberal formuliert ist. bb) Restriktiver schweizerischer Normenkatalog (179) Dagegen spielen die außergesetzlichen Normen in der Schweiz grundsätzlich keine Rolle bei der Begründung der Rechtswidrigkeit. Unter der herrschenden objektiven Rechtswidrigkeitstheorie ist der Verstoß gegen eine Schutznorm nur dann eine Voraussetzung der Rechtswidrigkeit, wenn es sich nicht um die Beeinträchtigung absoluter Rechte handelt. Deswegen wird in

638 So eine Norm war Art. 90 der poln. Verfassung aus dem Jahre 1952. 639 Pietrzykowski, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci deliktowej a zasady wspjłz˙ycia społecznego, FS Szpunar, S. 179. 640 Urt. OG v. 21. 5. 2015, Az. IV CSK 539/14, Legalis 1310270; ähnlich Urt. OG v. 19. 11. 2015, Az. IV CSK 788/14, Legalis 1402775 und Urt. OG v. 27. 4. 2016, Az. II CSK 528/15, Legalis 1472306. 641 Urt. AppG Lublin (»Sa˛d Apelacyjny w Lublinie«) v. 9. 4. 2014, Az. I ACa 812/13, das das Urt. OG v. 19. 10. 2012, Az. V CSK 501/11, Biul. SN 2013, Nr. 12 als »vereinzelt und folgerichtig kritisiert« beschreibt.

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diesem Zusammenhang auch von Vermögensschutznormen gesprochen.642 Welche Rechtsnormen die handlungsorientierte Rechtswidrigkeit begründen können, ist jedoch im eidgenössischen Recht umstritten. (180) Das Bundesgericht hat in seiner früheren Rechtsprechung die Begründung der Rechtswidrigkeit durch eine Verletzung des ungeschriebenen Rechts zugelassen. Als Quellen dieser nicht ausdrücklich im Gesetz formulierten Pflichten hat das Bundesgericht die folgenden aufgezählt643 : (i) »Grundsatz des ungeschriebenen Rechts ist, dass derjenige, der einen gefährlichen Zustand schafft oder unterhält, für die nötigen Schutzmassnahmen zu sorgen hat« (»Gefahrensatz«), (ii) Verbot des Handelns wider Treu und Glauben (Art. 2 Abs. 1 schw. ZGB) und (iii) Verbot des rechtsmissbräuchlichen Handelns (Art. 2 Abs. 2 schw. ZGB). In der Lehre wird in diesem Zusammenhang von der »richterlichen Regelbildung« gesprochen.644 So eine Vorgehensweise ähnelt generell der polnischen Lösung. Das Gebot von Treu und Glauben ist, wie bereits erwähnt, das Äquivalent der polnischen Prinzipien des sozialen Zusammenlebens. Darüber hinaus wurde auch die Frage gestellt, ob die Pflicht zur Rücksichtnahme und Loyalität, die einen Grund für die lauterkeitsrechtliche Haftung bildet, nicht ein Ausdruck der allgemeinen Grundschutznorm des Verhaltens nach Treu und Glauben in jedem zwischenmenschlichen Verkehr ist.645 Als ein Sonderfall des Handelns gegen Treu und Glauben wurde Art. 1 schw. UWG, also das Lauterkeitsrecht, eingestuft.646 Dieses »Recht auf Loyalität« sollte ein Äquivalent zu den absoluten Rechten sein.647 Die Loyalitätsverpflichtung wird aus der besonderen Nähe der Betroffenen abgeleitet.648 (181) Es wurde ferner versucht, dem Gebot von Treu und Glauben von Art. 2 schw. ZGB die Eigenschaft eines absoluten Rechts zuzuschreiben.649 Diese Vorschrift enthält gemäß dieser Mindermeinung eine Schutznorm, die beim Vorliegen einer Sonderverbindung die Rechtswidrigkeit begründen könne. Demnach kann eine Verletzung von Art. 2 schw. ZGB beim Vorliegen einer Sonderverbindung zur Rechtswidrigkeit i. S.v. Art. 41 OR führen.650 Zu solchen Verbindungen gehören hauptsächlich Verhandlungen und Auskunft- und 642 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 34ff. 643 Urt. BGE v. 27. 6. 1990, 116 Ia 162, S. 169. 644 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 32a. 645 Widmer, O tempora, o mores!, FS Koziol, S. 954. 646 Gabriel, Die Widerrechtlichkeit in Art. 41 Abs. 1 OR unter Berücksichtigung des Ersatzes reiner Vermögensschäden, Rn. 241. 647 Widmer, O tempora, o mores!, FS Koziol, S. 954. 648 AaO, S. 959. 649 Rey, Rechtliche Sonderverbindungen und Rechtsfortbildung, FS Max Keller, S. 234ff. 650 AaO, S. 242.

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Empfehlungserteilungen aufzuzählen.651 Es liegt nahe, dass die Ausdehnung des Spektrums der absolut geschützten Rechte vor allem dem Schutz reiner Vermögensinteressen dienen soll. (182) Die ursprüngliche Rechtsprechung wurde jedoch durch das Bundesgericht in den späteren Entscheidungen als »überholt« qualifiziert.652 Die höchstrichterliche Instanz hat ausdrücklich festgestellt, dass der Gefahrensatz für sich allein keine Schutznorm bildet.653 Die herrschende Lehre und die Rechtsprechung sprechen dem Gebot von Treu und Glauben die Eigenschaft als absolutes Recht ebenfalls ab.654 Die Rechtsprechung bestreitet darüber hinaus die Rolle von Art. 2 schw. ZGB als eine Schutznorm.655 Nur ausnahmsweise könne der Grundsatz von Treu und Glauben eine eigenständige Quelle der außervertraglichen Pflichten sein.656 Argumentiert wurde mit dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 schw. ZGB657, der an bereits bestehende Pflichten anknüpft und von daher an sich keine Pflichten begründen kann.658 Das Bundesgericht bindet diese Haftung aber nicht in das System der Deliktshaftung ein.659 Sie wird auch als Vertrauenshaftung beschrieben und gesondert untersucht.660 (183) Ein weiteres Argument gegen die Annahme der Rechtswidrigkeit beim Verstoß gegen Treu und Glauben ist Art. 41 Abs. 2 OR: »Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise absichtlich Schaden zufügt.« Sollte die Rechtswidrigkeit in Abs. 1 auch durch Sittenwidrigkeit begründet werden können, würde Abs. 2 jede normative Bedeutung verlieren. Alle sittenwidrigen Verstöße würden die Haftung ohnehin nach der Generalklausel auslösen. Als sittenwidrig gilt das Verhalten, das »sans transgresser une norme de comportement ou violer un droit subjectif d8fini, heurtent tout de mÞme le sens moral et sont incompatibles avec les bons usages de 651 652 653 654 655 656 657 658 659 660

AaO, S. 235. Urt. BGE v. 16. 4. 1998, 124 III 297, S. 300. AaO, S. 301. Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und Besonderer Teil, Rn. 1954; Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 36. Urt. BGE v. 8. 6. 1982, 108 II 305, S. 312; Urt. BGE v. 10. 10. 1995, 121 III 350, S. 354; Urt. BGE v. 16. 4. 1998, 124 III 297, S. 300f. Urt. BGE v. 16. 4. 1998, 124 III 297, S. 301 mit Verweis auf Urt. BGE v. 8. 6. 1982, 108 II 305, S. 311; Urt. BGE v. 23. 11. 1990, 116 Ib 367, S. 376; Urt. BGE v. 10. 10. 1995, 121 III 350, S. 354. Art. 2 Abs. 1 schw. ZGB Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. Urt. BGE v. 8. 6. 1982, 108 II 305, S. 311; Urt. BGE v. 16. 4. 1998, 124 III 297, S. 301. Urt. BGE v. 15. 11. 1994, 120 II 331, S. 335: »Erwecktes Vertrauen in das Konzernverhalten der Muttergesellschaft kann jedoch unter Umständen auch bei Fehlen einer vertraglichen oder deliktischen Haftungsgrundlage haftungsbegründend sein.« Urt. BGE v. 8. 6. 1993 120 II 331; Sommer, Vertrauenshaftung, Anstoss zur Neukonzeption des Haftpflicht- und Obligationenrechts?, AJP/PJA 2006, S. 1031ff.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

la vie en soci8t8.«661 Der Begriff der Sittenwidrigkeit soll genau wie die in Art. 20 Abs. 1 OR genannte Grenze der vertraglichen Freiheit ausgelegt werden.662 Der Begriff der Sittenwidrigkeit von Art. 41 Abs. 2 OR ähnelt also den polnischen Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Auch in diesem Fall geht es um die Sozialnormen, d. h. die Normen der »sozialen (moralischethischen) Werthierarchie«.663 Die Haftung nach dem Sittenwidrigkeitsprinzip stellt eine Ausnahmeregelung dar und soll insofern nicht weit ausgelegt werden.664 Ferner wird behauptet, dass die Entwicklung des Rechtswidrigkeitsbegriffes (d8veloppement de l’illic8it8) den Anwendungsbereich von Art. 41 Abs. 2 OR begrenzt hat.665 Diese Norm wird nur ganz selten angewandt. Anwendungsfälle sind die Verleitung zum Vertragsbruch, Abreden im Zusammenhang mit einer Versteigerung oder die unaufgeforderte Erteilung eines falschen Rates.666 Auch hier hat die Anwendung von Art. 41 Abs. 2 OR einen Ausnahmecharakter.667 Der Grund dafür ist, dass die Sittenwidrigkeit nicht dazu dienen darf, die Rechtswidrigkeit auszuhöhlen.668 Ferner wolle das Recht nur ein ethisches Minimum gewährleisten.669 Vorausgesetzt werden besondere Umstände, welche die Ausdehnung der Haftung im Vergleich zu Art. 41 Abs. 1 OR rechtfertigen. Ein Beispiel dafür ist, wenn die Vertragsverletzung in Schädigungsabsicht des Drittens stattgefunden hat,670 insbesondere wenn der Schädiger keine eigenen Interessen an dem Verhalten hat.671 Art. 41 Abs. 2 OR wurde sogar wegen der Begrenzungen seines Anwendungsbereichs als »Blinddarm« des Deliktsrechts bezeichnet.672 661 Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 100. 662 AaO. Identisch ist die Rechtslage im polnischen Recht, in dem die Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens die Grenzen der vertraglichen Freiheit mitgestalten (Art. 3531 poln. ZGB). 663 Huguenin/Meise, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 19/20 OR, Rn. 33f. 664 Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 101. 665 AaO. 666 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 43 mit Verweis auf Urt. BGE v. 24. 3. 1988, 114 II 91, S. 97ff (Verleitung zum Vertragsbruch); Urt. BGE v. 12. 7. 1983, 109 II 123, S. 124ff (Abreden im Zusammenhang mit einer Versteigerung); Urt. BGE v. 8. 6. 1982, 108 II 305, S. 312 (unaufgeforderte Erteilung eines Rates). 667 Urt. BGE v. 16. 4. 1998, 124 III 297, S. 302. 668 AaO. 669 So schildert Widmer die Argumentation des BGE: Widmer, O tempora, o mores!, FS Koziol, S. 949. 670 Urt. BGE v. 24. 3. 1998, 114 II 91, S. 98 mit Verweis u.A. auf Urt. BGE v. 8. 6. 1982, 108 II 305, S. 312. 671 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 43. 672 Widmer, O tempora, o mores!, FS Koziol, S. 950.

Rechtswidrigkeit

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(184) Fraglich ist, womit sich der Unterschied zwischen dem polnischen und schweizerischen Normenkatalog erklären lässt. Die polnischen Gerichte sind schließlich bei der Ausgestaltung des Normenkatalogs deutlich liberaler als die schweizerischen. Letztere verlangen grundsätzlich eine Rechtsnormverletzung. Verständlich wird dieser Unterschied erst, wenn berücksichtigt wird, dass die Verletzung absoluter Rechte im eidgenössischen Recht immer die Rechtswidrigkeit begründet. Demgegenüber ist im polnischen Recht in diesem Fall wie bei der Verletzung reiner Vermögensinteressen eine verhaltensbezogene Rechtswidrigkeitsprüfung erforderlich. Die Übernahme des schweizerischen restriktiven Rechtswidrigkeitsbegriffes würde daher im polnischen Recht zu einer zu großen Einschränkung der Ersatzfähigkeit bei Verletzungen absoluter Rechte führen. cc) Vorschlag zur Liberalisierung des schweizerischen Normenkatalogs (185) Eine Antwort auf den restriktiven Charakter der objektiven Rechtswidrigkeit im eidgenossenschaftlichen Recht liefert die »dritte« Rechtswidrigkeitstheorie.673 Sie soll die ungerechten Folgen des unterschiedlichen Schutzniveaus von absoluten Rechten und von reinen Vermögensinteressen beseitigen. Die Unterscheidung zwischen Erfolgs- und Handlungsunrecht sei unnötig.674 Nach dieser Lösung ist ein Verhalten rechtswidrig, wenn es gegen die objektive Sorgfaltspflicht verstößt.675 Fraglich ist, wie die objektive Sorgfaltspflicht zu definieren ist. Einige Autoren wollen auf das Verhalten einer vernünftigen Person abstellen.676 Ein unvernünftiges Verhalten (comportement d8raisonnable) ist ein Handeln oder Unterlassen, bei welchem der Schädiger das Risiko des exzessiven Schadens in Kauf nimmt.677 Unbeachtlich ist dagegen die Art des eingetretenen Schadens.678 Ein sorgfaltspflichtbezogener Rechtswidrigkeitsbegriff entspreche nach dieser Ansicht der gemeinen Tendenz der auf einer Generalklausel basierenden Systeme, sich bei der Begrenzung der Haftung mehr an den Pflichten des Schädigers als an den Rechten des Geschädigten zu orientieren.679 Die genaue Auffassung dieser Lehre ist jedoch nicht einheitlich. Teilweise wird die Verletzung einer Sorgfaltspflicht und teilweise die Verletzung einer 673 Die Bezeichnung verwendet Schönenberger, Die dritte Widerrechtlichkeitstheorie, HAVE/ REAS 2004, S. 3. 674 Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 87. 675 Werro, Die Sorgfaltspflichtverletzung als Haftungsgrund nach Art. 41 OR, ZSR 116/1997, S. 347. 676 AaO. 677 Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 88. 678 Werro, Die Sorgfaltspflichtverletzung als Haftungsgrund nach Art. 41 OR, ZSR 116/1997, S. 347. 679 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 215.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Schutzpflicht gefordert.680 Für den letzten Vorschlag spricht das Argument, dass die Sorgfaltspflichten bereits im Rahmen der objektiven Seite des Verschuldens untersucht werden und somit die Rechtswidrigkeit ihren eigenständigen Charakter verlieren würde.681 (186) Die Sorgfaltspflichttheorie wurde jedoch in der eidgenössischen Lehre überwiegend kritisiert.682 Gegen diese Theorie sollen die folgenden Gründe sprechen. Erstens berücksichtigt die pflichtbezogene Vorgehensweise nur die Interessen des Schädigers.683 Selbst einige Autoren, die die Sorgfaltspflichttheorie vertreten, gehen davon aus, dass der Schadenersatz bei besonders schwerwiegenden Schäden, trotz eines objektiv sorgfältigen Handelns, im Ergebnis mittels Interessenabwägung gewährt werden muss.684 Zweitens wird die Rechtswidrigkeit unvermeidlich mit dem Verschulden vermischt, weil beide Voraussetzungen pflichtbezogen definiert werden. Bisher hat sich diese Theorie weder in der Lehre noch in der Rechtsprechung durchgesetzt.685 3.

Gemischte Theorien

(187) Einige nationale Theorien der Rechtswidrigkeit verbinden die Elemente des Erfolgs- und Handlungsunrechts. Ein Beispiel dafür ist die schweizerische objektive Rechtswidrigkeitstheorie, die fast einstimmig anerkannt wird.686 Das Bundesgericht definiert die Rechtswidrigkeit folgendermaßen: »Danach ist die Schadenszufügung widerrechtlich, wenn sie gegen eine allgemeine gesetzliche Pflicht verstösst, sei es, dass ein absolutes Recht des Geschädigten verletzt (Erfolgsunrecht) oder eine reine Vermögensschädigung durch Verstoss gegen eine einschlägige Schutznorm bewirkt wird (Verhaltensunrecht).«687 Gemäß dieser Theorie ist ein Verhalten rechtswidrig, das gegen eine allgemeine gesetzliche Pflicht verstößt, sei es durch (i) die Verletzung eines absoluten Rechts des Ge-

680 Schönenberger, Kurzkommentar zum Obligationenrecht, Art. 41, Rn. 1. 681 AaO. 682 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 32c; Loser-Krogh, Kritische Überlegungen zur Reform des Haftpflichtrechts – Haftung aus Treu und Glauben, ZSR 2003, S. 144ff; Cartier, Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, Rn. 332. 683 Cartier, Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, Rn. 288ff. 684 Werro, Die Sorgfaltspflichtverletzung als Haftungsgrund nach Art. 41 OR, ZSR 116/1997, S. 347. 685 Schönenberger, Kurzkommentar zum Obligationenrecht, Art. 41, Rn. 26; Cartier, Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, Rn. 314ff. 686 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 31ff. 687 Urt. BGE v. 28. 2. 1989, 115 II 15, S. 18, zitiert in: Urt. BGE v. 12. 9. 1997, 123 II 577, S. 581.

Rechtswidrigkeit

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schädigten oder (ii) den Verstoß gegen eine Schutznorm.688 Das schweizerische Konzept der Rechtswidrigkeit ist daher »zweispurig«.689 (188) Als absolut werden die Rechte im eidgenössischen Recht eingestuft, die erga omnes gelten und deren Schutz von der Rechtsordnung in ihrer Allgemeinheit gewährleistet wird.690 Keine Zweifel bestehen darin, dass das Leben, der Körper, die Gesundheit, die persönliche Freiheit und das Eigentum geschützt werden.691 Das Gesetz gewährt den deliktischen Schutz paradoxerweise ausdrücklich nur den Persönlichkeitsrechten gemäß Art. 28 schw. ZGB.692 Es wurde vorgeschlagen, die absoluten Rechte in drei Kategorien aufzuteilen: (i) Persönlichkeitsrechte, (ii) dingliche Rechte und (iii) Immaterialgüterrechte.693 (189) In den Fällen, bei denen es an einer Verletzung der absoluten Rechte mangelt, kann die Rechtswidrigkeit nur durch eine Schutznormverletzung begründet werden. Es handelt sich überwiegend um den Schutz der reinen Vermögensinteressen.694 Das Handlungsunrecht setzt die Verletzung einer Schutznorm voraus, die dem Schutz vor Schädigungen konkreter Art dienen soll.695 Als eine Leitentscheidung in diesem Bereich gilt das Urteil des Bundesgerichts vom 29. 12. 1904.696 Der Geschädigte wurde beim Fällen eines Baumes verletzt, wobei das Unglück von seinem Dienstherrn verursacht wurde. Das Fällen des Holzes wurde unter Verletzung der forstpolizeilichen Vorschriften durch die Gemeinde zugelassen. Die höchstrichterliche Instanz hat entschieden, dass die Gemeinde trotz des Verstoßes gegen die Vorschriften nicht rechtswidrig gehandelt hat, weil diese Rechtsnormen dem Schutz des Waldes und nicht dem Schutz des Lebens oder der Gesundheit dienen. Eigentlich handelt es sich hier jedoch nicht um eine Frage der Rechtswidrigkeit, sondern um fehlende Kausalität. Das Leben des verunglückten Forstarbeiters stellt schließlich ein absolutes Recht dar.697 Trotzdem wird diese Entscheidung immer noch als die Grundlage der objektiven Rechtswidrigkeitstheorie zitiert. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass sie den 688 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 31. 689 AaO. 690 Werro, Die Sorgfaltspflichtverletzung als Haftungsgrund nach Art. 41 OR, ZSR 116/1997, S. 358f. 691 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 4, Rn. 26; Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 33. 692 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 4, Rn. 26. 693 Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und Besonderer Teil, Rn. 1944. 694 AaO, Rn. 1950; Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 34. 695 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 34. 696 Urt. BGE v. 29. 12. 1904, 30 II 567. 697 Raschein, Die Widerrechtlichkeit im System des Schweizerischen Deliktsrechts, S. 279.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

ursprünglich nicht angewandten Schutznormgedanken in das eidgenössische Recht eingeführt hat. (190) Die Schutznormen sind sowohl im Privatrecht als auch im öffentlichen Recht zu finden.698 Von besonderer Bedeutung sind zudem die Vorschriften des Vermögensstrafrechts.699 Die Einschränkung der deliktischen Haftung durch die Schutznormlehre erfolgt auf drei Ebenen: (i) der geschützten Person, (ii) der geschützten Rechte und (iii) der zu vermeidenden Gefahr.700 In der Rechtsprechung des Bundesgerichts wird die Tatsache, dass eine Handlung außerhalb vom Schutzzweck einer Norm liegt, gelegentlich mit der fehlenden Adäquanz gleichgesetzt.701 Diese Vermischung der Voraussetzungen wurde in der Lehre kritisiert.702 Sogar die Leitentscheidung des Bundesgerichts vom 29. 12. 1904 konstatiert, dass es in diesem Fall keinen Kausalzusammenhang zwischen dem Handeln der Gemeinde und dem Unfall gab.703 (191) Der restriktive Ansatz der objektiven Rechtswidrigkeitstheorie führte zu vielen Ausweichmechanismen, welche den Schadenersatz gegen die ursprüngliche Auffassung der Lehre doch ermöglichen sollen.704 Einerseits wird versucht, den Katalog der absoluten Rechte zu erweitern. Andererseits werden Ausnahmen kreiert, bei denen der Schadenersatz gewährt wird, selbst wenn weder ein absolutes Recht noch eine Schutznorm verletzt wurde. In diesem Zusammenhang wird sogar von »anderen Formen« der Rechtswidrigkeit gesprochen.705 Die Erweiterung des Katalogs betrifft vor allem den Besitz und das Prinzip von Treu und Glauben aus Art. 2 schw. ZGB.706 Deren Einstufung ist jedoch umstritten. Zum Charakter des Besitzes gibt es drei unterschiedliche Meinungen. Die erste Meinung spricht dem Besitz allgemein den Charakter des absoluten Rechts ab, weil der Besitz nur eine bloße Herrschaft über eine Sache ist.707 Die Zwischenmeinung stuft den Besitz als ein absolutes Recht nur bei

698 Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und Besonderer Teil, Rn. 1953. 699 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 35. 700 Cartier, Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, Rn. 191. 701 Raschein, Die Widerrechtlichkeit im System des Schweizerischen Deliktsrechts, S. 279. 702 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 4, Fn. 50. 703 Urt. BGE v. 29. 12. 1904, 30 II 567, S. 572: »Auch, wenn im Vorgehen der beklagten Gemeinde die Übertretung forstpolizeilichen Vorschriften läge, so könnte doch diese Übertretung unmöglich als zum Schadenersatz verpflichtendes, mit dem Unfall (…) in Kausalzusammenhang stehendes Handeln der Beklagten angesehen werden.« 704 Werro, Die Sorgfaltspflichtverletzung als Haftungsgrund nach Art. 41 OR, ZSR 116/1997, S. 363. 705 Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 74. 706 Siehe, Rn. 173ff. 707 Müller : in Furrer/Schnyder (Hrsg.) Handkommentar zum Schweizer Privatrecht2, OR, Art. 41, Rn. 44.

Rechtswidrigkeit

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Vorliegen eines besonderen Vertrauens- und Treueverhältnisses ein.708 Die letzte und herrschende Meinung gewährt dem Besitz den deliktsrechtlichen Schutz ohne Begrenzung.709 (192) Die objektive Rechtswidrigkeitstheorie wird trotz ihrer Geltung kritisiert. Dieser Kritik unterliegt vor allem die Anwendung des von Deutschland übernommenen »zweispurigen« Rechtswidrigkeitsbegriffes. Der soll mit einer Generalklausel unvereinbar sein und auf einer »verunglückten« und »reformbedürftigen« Deliktsrechtskonzeption basieren.710 Der deutsche Gesetzgeber wollte mit dieser zu engen Definition den Richter beschränken und die Rechtssicherheit erhöhen.711 Das sei mit der Natur der schweizerischen Generalklausel und insbesondere in Verbindung mit Art. 4 schw. ZGB kaum zu vereinbaren. Das Hauptargument gegen das Erfolgsunrecht ist, dass ein Erfolg als solcher nach gesundem Menschenverstand nicht rechtswidrig sein kann.712 Darüber hinaus scheint auch der Unterlassungsanspruch in so einem Fall nicht zulässig.713 Aus diesen Gründen soll auf das Konzept des Erfolgsunrechts im Ganzen verzichtet werden.714 (193) Der Meinungsstreit zwischen der subjektiven und objektiven Rechtswidrigkeit wird nahezu einheitlich als praktisch wenig relevant eingestuft. Sowohl die Rechtsprechung715 als auch die Lehre716 gehen davon aus, dass die beide Theorien trotz der unterschiedlichen Ansätze sehr ähnliche Ergebnisse bringen. Der Grund dafür ist, dass während die Vertreter der subjektiven Rechtswidrigkeit einerseits ständig neue Rechtsfertigungsgründe entwickeln, ihre Gegner andererseits versuchen möglichst viele Schutznormen zu finden. Wenn es um die Strategien der Haftungseingrenzung geht, unterscheiden sich die Theorien jedoch grundsätzlich. Der Unterschied liegt in der Methode der Haftungseingrenzung und nicht im Ergebnis. (194) In den anderen untersuchten Rechtsordnungen werden ebenfalls Theorien formuliert, welche die handlungsorientierte Auffassung der Rechtswidrigkeit mit einigen erfolgsorientierten Elementen verbinden. Im polnischen 708 Rey, Außervertragliches Haftpflichtrecht1, Rn. 692. 709 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 4, Rn. 26; Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und Besonderer Teil, Rn. 1947; Kessler, in: Honsell/ Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 31. 710 Roberto, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Rn. 3. 711 AaO, Rn. 18. 712 Portmann, Erfolgsunrecht oder Verhaltensunrecht? Zugleich ein Beitrag zur Abgrenzung von Widerrechtlichkeit und Verschulden im Haftpflichtrecht, SJZ 1997, S. 275. 713 AaO. 714 AaO, S. 277. 715 Urt. BGE v. 28. 2. 1989, 115 II 15, S. 19 unter Verweis auf Raschein, Die Widerrechtlichkeit im System des Schweizerischen Deliktsrechts. 716 Raschein, Die Widerrechtlichkeit im System des schweizerischen Haftungsrechts, S. 233.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Recht vertritt eine Mindermeinung die gemischte Theorie. Behauptet wird, dass ein Verhalten, das die Rechtsgüter eines anderen verletzt und dabei auch einen Schaden zufügt, generell rechtswidrig ist, es sei denn, dass eine Rechtsnorm oder allgemein anerkannte Prinzipien die Haftung ausschließen.717 Ähnlich zur Auffassung der schweizerischen objektiven Rechtswidrigkeit wird behauptet, dass der Beweis der Rechtswidrigkeit im Falle der Verletzung eines absoluten Rechts einfacher sei und die Rechtswidrigkeit indiziert werde.718 Anders ist es nur bei Unterlassungen, bei denen eine allgemeine Handlungspflicht vorliegen muss.719 Sogar im französischen Recht wird teilweise eine erfolgsorientierte Auffassung bei der Verletzung der absoluten Rechte vertreten, jedoch im Rahmen des Verschuldens.720 Eine Definition der Rechtswidrigkeit, welche die handlungs- sowie erfolgsbezogenen Elemente verbindet, formulierte auch der Tribunal Supremo: »ilicitud ampliamente entendida por haber transgredido el agente las reglas de conducta, faltando al cuidado y diligencia exigibles y daÇado bienes jur&dicamente protegidos«.721

4.

Relative Rechtswidrigkeit

(195) Die Vertreter der relativen Rechtswidrigkeit (relativit8 aquilienne) meinen, dass die Schadensverursachung nur dann als rechtswidrig bezeichnet werden kann, wenn die verletzte Norm den Schutz der verletzten Person und des verletzten Rechtsgutes als Ziel hatte.722 Deswegen hat die relative Rechtswidrigkeit eine klar haftungseingrenzende Rolle. Die Berücksichtigung des Schutzzwecks der verletzten Norm wird zwar in keiner Generalklausel ausdrücklich vorausgesetzt. Trotzdem versuchen einige der untersuchten Rechtsordnungen unter dem Einfluss der deutschen Lehre, diese Voraussetzung anzuwenden. Das gilt insbesondere für das schweizerische und polnische Recht. Der Schutzweck der verletzten Norm hat demgegenüber im französischen Recht keine Bedeutung723, wobei sich diese Aussage aufgrund der fehlenden Eigenständigkeit der Rechtswidrigekit auf die Verschuldensprüfung bezieht. 717 Lackoron´ski/Raczkowski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 415, Rn. 43, die sich auf die Verfasser des poln. Obligationengesetzbuchs (1933) berufen. 718 Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 25. 719 AaO, Rn. 25 mit Verweis auf das Urt. OG v. 17. 12. 2004, Az. II CK 300/04, OSP 2006, Nr. 2, Pos. 20. 720 Siehe, Rn. 112. 721 Urt. TS v. 16. 7. 1991, RJ 1991/5393. 722 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 441; Limpens, La th8orie dite de la relativit8 aquilienne, FS Savatier, S. 559ff; Philippe, La th8orie dite de la relativit8 aquilienne, FS Dalcq, S. 467. 723 Viney, Le »Wrongfulness« en Droit FranÅais, in: Koziol (Hrsg.) Unification of Tort Law : Wrongfulness, S. 57.

Rechtswidrigkeit

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(196) Ursprünglich wurde die Einführung der relativen Rechtswidrigkeit auch im spanischen Recht postuliert. Ein relatives Konzept sollte den Schutzzweckgedanken in das spanische Recht einführen.724 Seit der Übernahme der Theorie der objektiven Zurechnung wird dieses Postulat durch eine neue Voraussetzung erfüllt. Der Schutzzweck ist eines der Kriterien der objektiven Zurechnung und wird regelmäßig in der Rechtsprechung verwendet, um die Haftung einzugrenzen.725 (197) Im schweizerischen Recht erregt es keine Zweifel, dass die Rechtswidrigkeit nach der objektiven Theorie im Falle der reinen Vermögensverletzungen relativ zu verstehen ist.726 Daher bildet die relative Rechtswidrigkeit einen Teil der herrschenden objektiven Rechtswidrigkeitslehre, obwohl der Begriff »relative Rechtswidrigkeit« in der Schweiz nicht gebräuchlich ist. (198) Demgegenüber ist sowohl in der polnischen Lehre als auch in der Rechtsprechung streitig, ob die deliktsrechtliche Rechtswidrigkeit relativ zu verstehen ist. Die Formulierung »relative Rechtswidrigkeit« wurde zuerst in einer Anmerkung zu einem Urteil des Obersten Gerichtshofs von 1956 erwähnt.727 Der Oberste Gerichtshof interpretiere laut dieser Anmerkung die Adäquanz zu restriktiv, anstatt zu erkennen, dass die Rechtswidrigkeit nur einen relativen Charakter hat. Ersatzberechtigt sei nur die Person, deren Interessen die verletzte Norm schützen sollte.728 Diese Meinung fand positive Resonanz in der Lehre.729 Die Anwendung der Bezeichnung »relative Rechtswidrigkeit« wurde jedoch kritisiert, weil die deliktsrechtliche Rechtswidrigkeit an sich einen objektiven Charakter habe.730 Der Oberste Gerichtshof prüft ebenfalls in einigen

724 Santos Briz, in: Albaladejo (Hrsg.) Comentarios al cjdigo civil y compilaciones forales XXIV, S. 105. 725 Siehe, Rn. 478ff. 726 Konsequenterweise wird aber nicht von der »relativen Rechtswidrigkeit«, sondern vom Schutzzweck der Norm gesprochen. Das trifft auch im Falle der französischsprachigen Lehre zu: Deschenaux/Tercier, La responsabilit8 civile2, § 6, Rn. 9ff; Werro, in: Th8venoz/ Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 72. 727 Szpunar, Anm. zum Urt. OG v. 3. 3. 1956, OSPiKA 1959, 197. In diesem Urteil hat der OG die adäquate Kausalität zwischen dem Anschluss eines Kabels an die Hochspannung und der Schließung des Stromkreises durch das Hineinstecken eines Drahtnetzes auf dem anderen Ufer des Wassers und einem tödlichen Stromstoß eines Geschädigten, der am Wasser stand, verneint. 728 Szpunar, Anm. zum Urt. OG v. 3. 3. 1956, OSPiKA 1959, 197. 729 Lewaszkiewicz-Petrykowska, Wina jako podstawa odpowiedzialnos´ci z tytułu czynjw niedozwolonych, SPiE 1969, Nr. 2, S. 91; Koch, Zwia˛zek przyczynowy jako podstawa odpowiedzialnos´ci, S. 113. Sie wurde jedoch das erste Mal gründlich durch Kasprzyk, Bezprawnos´c´ wzgle˛dna, SP 1988, S. 149ff untersucht. 730 Jastrze˛bski, O granicach kompensacji, in: Jastrze˛bski (Hrsg.) Odpowiedzialnos´c´ odszkodowawcza, S. 20.

122

Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Entscheidungen den Schutzzweck der verletzten Norm im Rahmen der Rechtswidrigkeit.731 Die Theorie der relativen Rechtswidrigkeit wurde folgendermaßen definiert732 : »Nach dieser Konzeption schützt jede Rechtsnorm bestimmte Interessen. Deswegen verstößt nur so ein Verhalten gegen diese Norm, und ist folglich rechtswidrig, welches gegen die von ihr geschützten Interessen verstößt.« In diesem Urteil hat die polnische höchstrichterliche Instanz diese Theorie als sehr verbreitet beschrieben.733 Ein anderer Teil der Rechtsprechung kritisierte jedoch die Berücksichtigung des Schutzzwecks der verletzten Norm bei der Feststellung der Rechtswidrigkeit.734 Gegen diese Vorgehensweise wurden folgende Argumente formuliert735 : (i) die relative Rechtswidrigkeit befasst sich eigentlich mit den Kausalitätsfragen736 ; (ii) sie ist nicht mit dem Verständnis der Rechtswidrigkeit im Sinne von Art. 415 poln. ZGB zu vereinbaren, welcher einen Verstoß gegen die allgemein geltenden Verhaltensnormen fordert; (iii) es gibt keine Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Schäden. Folglich wird angenommen, dass alle in einem normalen Kausalzusammenhang stehenden Schäden ersetzt werden sollen, unabhängig davon, ob der Geschädigte vom Schutzzweck der verletzten Norm erfasst worden ist oder nicht.737 Auch in der Lehre wurde die Übernahme der relativen Rechtswidrigkeit kritisiert.738 Diese Theorie sei mit dem System 731 Urt. OG v. 14. 2. 2013, Az. II CNP 50/12, Biul. SN IC 2014, Nr. 10, m. Anm. Kalin´ski, Kondek, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci deliktowej, S. 112. 732 Urt. OG v. 24. 9. 2008, Az. II CSK 177/08, OSNC 2009, Nr. 10, Pos. 142. 733 Mit Verweis auf die folgenden Entscheidungen: Urt. OG v. 3. 3. 1956, Az. 2 CR 166/56, Beschluss OG v. 27. 4. 2001, Az. III CZP 5/01, OSNC 2001, Nr. 11, Pos. 161, und Urt. OG v. 14. 1. 2005, Az. III CK 193/04, OSP 2006, Nr. 7–8, Pos. 89, so auch Urt. OG v. 13. 2. 2009, Az. II CNP 67/08, Legalis 240868 mit Verweis auf die folgenden Entscheidungen: Urt. OG v. 14. 1. 2005, Az. III CK 193/04, OSP 2006, Nr. 7–8, Pos. 89; Urt. OG v. 21. 11. 2003, Az. I CK 323/02, OSNC 2004, Nr. 6, Pos. 103; Urt. OG v. 13. 10. 1987, Az. IV CR 266/87, OSNCP 1989, Nr. 9, Pos. 142, und Beschluss OG (7 Richter) v. 20. 4. 1970, Az. III CZP 4/70, OSNCP 1970 Nr. 9, Pos. 146. 734 Insb. Urt. OG v. 22. 2. 2006, Az. III CZP 8/06, OSNC 2006, Nr. 7–8, Pos. 123: »Diese Theorie soll abgelehnt werden, weil sie keine normative Grundlage hat.« 735 Urt. OG v. 22. 6. 2012, Az. V CSK 282/11, OSP 2013, Nr. 5, Pos. 48. 736 so auch Lackoron´ski, Anm. zum OG Urteil v. 24. 9. 2008, II CSK 177/08, OSP 2009, Nr. 10, Pos. 108, S. 753, der behauptet: »Nach dem Beispiel der anderen zu der polnischen ähnlichen Rechtsordnungen kann die Frage nach der vernünftigen Eingrenzung der Schadenersatzhaftung, welche die Theorie der relativen Rechtswidrigkeit beantworten sollte, mittels der Kausalität gelöst werden.« mit Verweis auf Cousy, Wrongfulness in the Belgian Tort Law, S. 33f. 737 Urt. OG v. 22. 6. 2012, Az. V CSK 282/11, OSP 2013, Nr. 5, Pos. 48. 738 Safjan, Problematyka bezprawnos´ci wzgle˛dnej oraz zwia˛zku przyczynowego na tle odpowiedzialnos´ci za niezgodne z prawem akty normatywne, FS Pazdan, S. 1325ff; Owczarek, Problem bezprawnos´ci wzgle˛dnej w systemie odpowiedzialnos´ci deliktowej, S. 42; Kondek, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci odszkodowawczej, S. 102ff.

Rechtswidrigkeit

123

einer Generalklausel unvereinbar, weil die polnische Rechtsordnung keine deliktsrechtlichen Normen wie § 823 Abs. 2 BGB vorsieht, die eine Schutzzweckverletzung voraussetzen würden.739 Überzeugender ist das Argument, dass in einem solchen Fall die Schutzzweckprüfung auch auf die Verletzung der absoluten Rechte Anwendung finden müsste, da die polnische Generalklausel zwischen den einzelnen Schadensarten nicht unterscheidet. Ein weiteres Argument ist, dass die Schutzzweckprüfung nur in den Systemen stattfindet, die wie § 823 Abs. 2 BGB eine solche eine Prüfung explizit vorsehen.740 Diese Behauptung ist jedoch unbegründet, weil sowohl im eidgenössischen als auch spanischen Recht die Schutzzweckprüfung ohne gesetzliche Grundlage vorgenommen wird. Kritisiert wird auch, dass die Problematik der Kausalität und Rechtswidrigkeit durch die relative Rechtswidrigkeit vermischt wird.741 Ferner würden die Befürworter der relativen Rechtswidrigkeit einfach den Adäquanztest falsch formulieren. Die Kausalität sollte zwischen dem Schaden und jenem Element des Vorgehens geprüft werden, welches das Merkmal der Rechtswidrigkeit in sich trägt.742 Dadurch wird der Schutzzweckgedanke im Rahmen der Kausalitätsprüfung berücksichtigt. Die Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte ist nicht konsequent. Einerseits sind Urteile zu finden, welche die relative Rechtswidrigkeit ausdrücklich bestreiten: »Das Modell der Rechtswidrigkeit, das auf so einer Annahme basiert, ist im polnischen Deliktsrecht nicht akzeptabel« und somit den Schadenersatz zusprechen.743 Andererseits gibt es auch Urteile, welche die relative Rechtswidrigkeit anwenden, um die Haftung auszuschließen.744 Keine der Meinungen kann als herrschend bezeichnet werden. Behauptet wurde, dass die Vertreter der relativen Rechtswidrigkeit den Streit zu gewinnen vermögen.745 Unabhängig davon wird der Schutzzweckgedanke im polnischen Deliktsrecht häufig auch in der Prüfung der Kausalität eingebaut.746 Zu befürchten ist jedoch, dass die Rechtsprechung die Theorie der relativen Rechtswidrigkeit instrumentalisiert, um die Haftung in den 739 Lackoron´ski, Anm. zum OG Urteil v. 24. 9. 2008, Az. II CSK 177/08, OSP 2009, Nr 10, Pos. 108, S. 753. 740 AaO. 741 Safjan, Problematyka bezprawnos´ci wzgle˛dnej oraz zwia˛zku przyczynowego na tle odpowiedzialnos´ci za niezgodne z prawem akty normatywne, FS Pazdan, S. 1326. 742 Kondek, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci odszkodowawczej, S. 103, der mit Verweis auf Owczarek, Problem bezprawnos´ci wzgle˛dnej w systemie odpowiedzialnos´ci deliktowej, Palestra 2004, Nr. 5–6, folgendes Beispiel anführt: Wenn der Fahrer eines nicht registrierten Fahrzeugs in einen Unfall verwickelt ist, muss die Kausalität nicht zwischen der Bewegung des Fahrzeugs und dem Schaden geprüft werden, sondern zwischen der fehlenden Registrierung und dem Schaden. 743 Urt. BG Breslau (»Sa˛d Okre˛gowy we Wrocławiu«) v. 15. 03. 2010, Az. I C 1004/06. 744 Urt. AppG Warschau (»Sa˛d Apelacyjny w Warszawie«) v. 6. 12. 2013, Az. I ACa 226/13. 745 Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 25. 746 AaO.

124

Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Fällen auszuschließen, in denen sie den Haftungsausschluss für billig hält, er jedoch anhand der anderen Voraussetzungen nicht möglich wäre.

IV.

Zwischenergebnis

(199) Es besteht nicht einmal Einigkeit darüber, ob die Rechtswidrigkeit eine eigenständige Voraussetzung der Verschuldenshaftung sein soll. Sogar in den einzelnen Rechtsordnungen ist diese Frage umstritten. Auch bei der Frage, ob die Rechtswidrigkeit erfolgs- oder handlungsbezogen formuliert sein sollte, bestehen zwischen den nationalen Deliktsrechtssystemen deutliche Unterschiede. Zwar entspricht der handlungsorientierte Begriff der Rechtswidrigkeit im Rahmen einer Generalklausel besser. Dennoch jedoch wird das Erfolgsunrecht teilweise vertreten. Eine Kernfrage der Rechtswidrigkeit in allen untersuchten Rechtsordnungen ist, gegen welche Normen verstoßen werden muss, um die Haftung auszulösen. Dass die Verletzung einer Rechtsnorm deliktsrechtliche Rechtswidrigkeit begründet, kann keine Zweifel erregen. Problematisch in allen Systemen ist die Beurteilung der Rechtswidrigkeit, wenn keine r Rechtsnorm verletzt wurde. Die Gestaltung des Katalogs der außergesetzlichen Normen, die die deliktsrechtliche Rechtswidrigkeit begründen können, entscheidet über die Grenzen der Haftung für eigenes Fehlverhalten. Für die Haftungseingrenzung dient schließlich der Begriff der »relativen Rechtswidrigkeit«, der das Kriterium des Schutzzwecks der Norm einführt. Die Übernahme dieser Theorie soll die Ausuferung der Haftung verhindern.

§6

Kausalität

(200) Die Kausalität gilt in der Rechtsvergleichung als typisches Mittel der Haftungseingrenzung.747 Die Zurechnungskriterien, welche die Haftung eingrenzen, werden häufig in die Kausalitätsprüfung mit einbezogen.748 Die untersuchten Rechtsordnungen sind sich darüber einig, dass die Kausalität eine Rechtsfrage ist und daher im Deliktsrecht nicht naturwissenschaftlich definiert werden kann.749 Eine Zurechnung der Haftung erfordert zusätzliche normative Kriterien, die ungerechte Ergebnisse der natürlichen Kausalität verhindern 747 van Dam, European Tort Law, Rn. 1103. 748 Koziol, Rechtsvergleichende Schlussbemerkungen, in: Koziol (Hrsg.) Grundfragen des Schadenersatzrechts aus rechtsvergleichender Sicht, Rn. 8/290. 749 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 414.

Kausalität

125

(dazu unter I). Unterschiedlich ist dagegen die Bedeutung der Kausalität für die Haftungseingrenzung in den einzelnen Rechtsordnungen (unter II). Das unterschiedliche Verständnis des Kausalzusammenhangs führt zur unterschiedlichen Gestaltung seiner Kriterien. Obwohl in den einzelnen Rechtsordnungen die gleichbenannte Theorien Anwendung finden, werden sie unterschiedlich verstanden (unter III).

I.

Begriff der Kausalität

(201) Zwischen den untersuchten Rechtsordnungen besteht Einigkeit, dass die Kausalität nicht nur anhand naturwissenschaftlicher Kriterien geprüft wird.750 Die Kassationsgerichte heben dies besonders hervor, um die Eingrenzungskriterien eigenständig ausformulieren zu können.751 Der Grund dafür ist, dass die höchstrichterliche Kontrolle auf Rechtsfragen begrenzt ist. Während die »natürliche« Kausalität eine Tatfrage ist, handelt es sich bei der »juristischen« Kausalität um eine Rechtsfrage. Der Begriff »juristische Kausalität« ist in der deutschen Rechtslehre nicht geläufig, jedoch in der deutschsprachigen Rechtsvergleichung etabliert.752 Darüber hinaus ist diese Formulierung in der Lehre der untersuchten Länder sehr verbreitet. In Spanien wird von »causalidad jur&dica«753 und in Frankreich von »causalit8 juridique«754 gesprochen. Sogar das französischsprachige Schrifttum in der Schweiz bedient sich des Adjektivs »juristisch«, um die deliktsrechtliche Kausalität zu beschreiben (»limite juridi750 Spier/Haazen, Comparative on Tort Law : Causation, in: Spier (Hrsg.) Unification of Tort Law : Causation, S. 130. 751 Rechtsvergleichend: Honor8, in: Tunc (Hrsg.) International Encyclopedia of Comparative Law XI, Kap. 7, Nr. 41f. Frankreich: Urt. Cass. civ. v. 7. 8. 1895, DP 1896, 1, S. 82; Esmein, Trait8 pratique de droit civil franÅais IV2, Rn. 555; Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 248. Polen: Urt. OG v. 21. 10. 2015, Az. III CSK 456/14, Legalis 1361484 mit Verweis auf Urt. OG v. 25. 4. 1997, Az. I CKN 60/97, OSNC 1997, Nr. 11, Pos. 173. Schweiz: Schönenberger, Kurzkommentar zum Obligationenrecht, Art. 41, Rn. 15, mit Verweis auf Urt. BGE v. 28. 8. 2006, 132 III 715, S. 718 und Urt. BGE v. 4. 2. 1997, 123 III 110, S. 111. Spanien: Urt. TS v. 6. 2. 1999, RJ 1999, 1052 beschreibt die adäquate Kausalität als eine Rechtsfrage; Urt. TS v. 23. 3. 2006, RJ 2006, 1826; Urt. TS v. 21. 4. 2008, RJ 2008, 4606, Urt. TS v. 4. 6. 2014, RJ 2014, 4362 beschreibt die juristische Kausalität als eine Rechtsfrage, die das Kassationsgericht überprüfen darf. Unter juristischer Kausalität versteht der Tribunal Supremo die Kriterien der objektiven Zurechnung. 752 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 413ff. 753 Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: Dom&nguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2050. 754 Brun, Causalit8 juridique et causalit8 scientifique, RLDC Suppl8ment 2007/40, S. 15ff; Viney, Conclusion prospective, RLDC Suppl8ment 2007/40, S. 101; Qu8zel-Ambrunaz, Essai sur la causalit8 en droit de la responsabilit8 civile, Rn. 293 ff; Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 293.

126

Erster Teil: Traditionelle Systembildung

que«).755 Nur die deutschsprachigen schweizerischen Autoren bevorzugen die Formulierung »rechtlich relevante Ursachen«.756 Aus diesen Gründen eignet sich der für einen deutschen Juristen besser verständliche Begriff »normative« Kausalität für die Zwecke dieser Untersuchung weniger. (202) Sogar das französische Recht, welches der Kausalität eine relativ geringe Bedeutung bei der Haftungseingrenzung beimisst, unterscheidet klar zwischen den naturwissenschaftlichen und juristischen Facetten dieser Voraussetzung. Als »causalit8 mat8rielle« oder »scientifique« wird die simple Feststellung qualifiziert, dass ein Ereignis zur Verursachung einer Folge beigetragen hat. Demgegenüber dient »causalit8 juridique« dazu, die Rolle dieses Ereignisses beim Schadenseintritt zu beurteilen.757 Die deliktsrechtliche Kausalität umfasst deswegen ein »m8lang8 de fait et de droit«.758 Hervorgehoben wird darüber hinaus im französischen Recht die Notwendigkeit, zwischen den zahlreichen Kausalitätstheorien und der im positiven Recht geltenden Auffassung zu unterscheiden.759 (203) Auch im polnischen Recht wird die Kausalität als Haftungsvoraussetzung nach ganz herrschender Meinung rechtlich bewertet.760 Der Oberste Gerichtshof hat demgegenüber ursprünglich gelegentlich argumentiert, dass der Kausalzusammenhang eine reine Tatsachenfrage sei.761 Die herrschende Rechtsprechung geht jedoch davon aus, dass es sich bei der Kausalität um eine Rechtsfrage handelt.762 (204) Die haftungseingrenzende Rolle der juristischen Kausalität wird ebenfalls im schweizerischen Recht verdeutlicht.763 So ist auch die Adäquanz nicht eine reine Kausalitätsfrage, sondern »eine zusätzliche Voraussetzung von Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 43. Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 3, Rn. 12ff. Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 231. Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 349. AaO, Rn. 214. Longchamps de Berier, Zobowia˛zania3, S. 243; Dybowski, Przyczynowos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci, NP 1962, Nr. 2, S. 29. 761 Urt. OG v. 10. 12. 1952, Az. C 584/52, PiP 1953, Nr. 8–9, Pos. 366: »Der normale Kausalzusammenhang ist eine objektive Tatsache, präziser formuliert, die Anerkennung der Kausalität zwischen zwei Tatsachen bedeutet die Feststellung, dass gemäß der empirisch erkundigten Naturgesetzen eine Tatsache eine Folge einer anderen Tatsache ist.« Diese Aussage wurde in den folgenden Urteilen zitiert: Urt. OG v. 10. 4. 2000, Az. V CKN 28/00, Legalis 278199, Urt. AppG Lodz (»Sa˛d Apelacyjny w Łodzi«) v. 28. 10. 2014, Az. I ACa 824/14, Legalis 1163475, Urt. AppG Stettin (»Sa˛d Apelacyjny w Szczecinie«) v. 8. 6. 2016, Az. I ACa 210/16, Legalis 1508861. 762 Urt. OG v. 21. 10. 2015, Az. III CSK 456/14, Legalis 1361484 mit Verweis auf Urt. OG v. 25. 4. 1997, Az. I CKN 60/97, OSNC 1997 Nr. 11, Pos. 173. 763 Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 43; Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 16.

755 756 757 758 759 760

Kausalität

127

kausalen Zusammenhängen«764, die zu der Zurechnungsproblematik gehört und aus diesem Grund rechtlich zu bewerten ist. (205) Die Unterscheidung zwischen den naturwissenschaftlichen und juristischen Aspekten der Kausalitätsprüfung spielt die vergleichsweise größte Rolle im spanischen Recht. Die juristische Kausalität hat sich als eine neue Voraussetzung der objektiven Zurechnung (»imputacijn objetiva«) von den naturwissenschaftlichen Kriterien gelöst. Diese neue Voraussetzung spielt eine herausragende Rolle bei der Haftungseingrenzung. Zunächst wurde in der spanischen Lehre der Vorschlag eingebracht, streng zwischen den »natürlichen« (causa natural) bzw. »materiellen« (causa de hecho)765 und »juristischen« (causa jur&dica) Ursachen zu unterschieden.766 Mit dem Übergang zur juristischen Kausalität, die nicht mehr durch eine bloße Observation zu bestimmen ist, soll die Zurechnung anfangen.767 Ein bahnbrechendes Werk zum Wesen der deliktsrechtlichen Kausalität ist Pantalejn Prieto zu verdanken. Diese Koryphäe der spanischen modernen Deliktsrechtsdogmatik hat vorgeschlagen, die strafrechtliche Voraussetzung der imputacijn objetiva für die Zwecke der Eingrenzung der deliktsrechtlichen Generalklausel zu übernehmen. Die Kausalitätsfrage solle sich dagegen auf die naturwissenschaftliche Prüfung begrenzen.768 Die nicht naturwissenschaftlichen Kriterien der Kausalität seien ausschließlich im Rahmen der anderen Haftungsvoraussetzungen zu prüfen.769 Sogar die Adäquanz wird in der neuen spanischen Lehre im Rahmen der objektiven Zurechnung untersucht.770 Die Rechtsprechung hat diese Vorgehensweise – nach anfänglichem Zögern – übernommen.771 Die ob764 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 3, Rn. 14. 765 Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: Dom&nguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2050. 766 De Coss&o y Corral, La causalidad en la responsabilidad civil: Estudio de Derecho espaÇol, ADC 1966, S. 530 ff; Puig Brutau, Fundamentos de derecho civil II-3, S. 92f. 767 De Coss&o y Corral, La causalidad en la responsabilidad civil: Estudio de Derecho espaÇol, ADC 1966, S. 533; D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Derecho de daÇos, S. 340ff. 768 Pantalejn Prieto, Causalidad e imputacijn objetiva: criterios de imputacijn, in: Centenario del cjdigo civil II, S. 1565. 769 AaO, S. 1565; Arcos Vieira, Responsabilidad Civil: Nexo Causal e Imputacijn Objetiva en la jurisprudencia, S. 18ff. 770 Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: Dom&nguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2050. 771 Urt. TS v. 1. 12. 2008, STS 6678/2008, RJ 2009/1111: »Para que la conducta daÇosa sea determinante de la responsabilidad civil del agente no es suficiente que exista una relacijn de causalidad f&sica o fenomenoljgica entre su accijn y el resultado producido, sino que es necesario que con arreglo a los mandatos positivos del legislador y a los principios extra&dos del ordenamiento jur&dico pueda inferirse la existencia de un criterio en virtud del cual ese resultado le sea objetivamente imputable, frente a otros factores concurrentes, por razones de proximidad, relevancia, frecuencia y aptitud de la conducta para originar el resultado daÇoso en relacijn con las circunstancias y con el fin o bien jur&dico protegido por la norma

128

Erster Teil: Traditionelle Systembildung

jektive Zurechnung betrifft jedoch nicht nur die traditionellen Fragen der juristischen Kausalität. Zusätzlich umfasst sie Kriterien, die üblicherweise unter anderen Haftungsvoraussetzungen geprüft werden. Dieser Begriff bricht also mit der traditionellen Systembildung des Deliktsrechts, die auf einer Drei- bzw. Vierteilung der Voraussetzungen basiert. Deswegen wird die spanische objektive Zurechnung im Zweiten Teil dieser Arbeit untersucht: Als ein Beispiel einer modernen beweglichen Systembildung des Deliktsrechts.772

II.

Bedeutung der Kausalität für die Haftungseingrenzung in den einzelnen Rechtsordnungen

(206) Die Bedeutung der Kausalität für die Haftungseingrenzung unterscheidet sich in den einzelnen Rechtsordnungen. Im polnischen Recht ist diese Voraussetzung das Hauptkriterium der Eingrenzung. Die relativ kleinste Bedeutung hat sie im französischen Recht, in welchem es keine allgemeine Prüfung der juristischen Kausalität gibt. Eine interessante Entwicklung fand im schweizerischen und findet neulich im spanischen Recht statt. In beiden Rechtsordnungen wurden einige Kausalitätsfragen in andere Voraussetzungen verschoben. 1.

Kausalität als das zentrale Mittel der Haftungseingrenzung (Polen)

(207) Im polnischen Deliktsrecht spielt die Kausalität eine besonders prägnante Rolle bei der Haftungseingrenzung. Das Hauptziel der deliktsrechtlichen Kausalität ist, die Haftung einzugrenzen.773 Es ist auch nur die polnische Kodifikation, die die Anforderungen an die Kausalität ausdrücklich regelt. Art. 361 § 1 poln. ZGB ist zu entnehmen: »Wer zum Schadenersatz verpflichtet ist, haftet nur für die üblichen Folgen des Tuns oder der Unterlassung, aus dem der Schaden folgt.« Die in dieser Norm eingeführte Voraussetzung des »normalen« Kausalzusammenhangs ist restriktiver als die traditionelle Adäquanztheorie. Die normale Kausalität berücksichtigt nicht nur die quantitativen, sondern auch die qualitativen Aspekte des Kausalzusammenhangs.774 Es werden daher grundsätzlich nicht nur eine bloße Wahrscheinlichkeitserhöhung des Schadensein-

con arreglo a la cual aqu8lla es exigible. Este requisito constituye una quaestio iuris [cuestijn jur&dica] revisable en casacijn (SSTS 30 de abril de 1998, 2 de marzo de 2001, 29 de abril de 2003, 22 de julio de 2003, 17 de abril de 2007, rec. 1007/2007, 11 de junio de 2008, rec. 458/2001).« 772 Siehe, Rn. 478ff. 773 Kalin´ski, Szkoda na mieniu i jej naprawienie2, S. 362. 774 Siehe, Rn. 230ff.

Kausalität

129

tritts, sondern zusätzlich weitere rechtspolitisch motivierte Kriterien vorausgesetzt, die der Haftung vernünftigen Grenzen setzten sollen. 2.

Verlagerung einiger Kausalitätsfragen in die Rechtswidrigkeit (Schweiz)

(208) Die Bedeutung des Kausalzusammenhanges im schweizerischen Deliktsrecht wird durch die Aussage deutlich, er sei die wichtigste Grundlage dieses Rechtsgebiets.775 Die Aufgabe der Kausalität sei es, »der Haftpflicht Grenzen zu setzen«.776 Die schweizerische Kodifikation enthält zwar anders als das poln. ZGB keine Formel der Kausalität. Die Voraussetzung wird jedoch direkt aus dem Wortlaut der Generalklausel in Art. 41 Abs. 1 OR hergeleitet.777 Trotz der relativ restriktiven Auffassung des Kausalzusammenhanges wurden einige Fragen, welche in den anderen Rechtsordnungen traditionell als Kausalitätskriterien eingestuft werden, in die Rechtswidrigkeit verlagert. Das betrifft insbesondere den Schutzzweck, der im Falle der reinen Vermögensinteressen in der Rechtswidrigkeitsprüfung berücksichtigt wird. 3.

Bedeutungsrückgang der Kausalität (Spanien)

(209) Im spanischen Recht wurde die Kausalität traditionell als eine Kernvoraussetzung der Deliktshaftung betrachtet. Sie sollte laut der Rechtsprechung eine besondere Rolle bei der Haftungseingrenzung spielen.778 Hervorgehoben wurde die haftungseingrenzende Rolle der Kausalität auch in der Lehre.779 Weil der Cjdigo civil keine Kausalitätsformel enthält, mussten die Lehre und die Rechtsprechung die Kriterien der Kausalität herausarbeiten.780 Die traditionelle Kausalitätsvoraussetzung hat erst mit der Einführung der objektiven Zurechnung an Bedeutung verloren. Diese neue Voraussetzung der Deliktshaftung sollte insbesondere die Kriterien der Adäquanz und des Schutzzwecks übernehmen. Dadurch wird die die Prüfung der Kausalität im spanischem Deliktsrecht grundsätzlich auf naturwissenschaftliche Kriterien begrenzt. 775 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 3, Rn. 3. 776 Widmer/Wessner, Erläuternder Bericht: Revision und Vereinheitlichung des Haftpflichtrechts, S. 110. 777 Lauri, Kausalzusammenhang und Adäquanz im schweizerischen Haftpflicht- und Versicherungsrecht, S. 47. 778 Urt. TS v. 18. 3. 2004, STS 225/2004, RJ 2004, 1823 mit Verweis auf Urt. TS v. 3. 5. 2000, RJ 2000, 3923; Urt. TS v. 21. 3. 2001, RJ 2001, 4747 und Urt. TS v. 18. 3. 2002, RJ 2002, 2413. 779 Santos Briz, in: Albaladejo (Hrsg.) Comentarios al cjdigo civil y compilaciones forales XXIV, S. 267 eine Übersetzung von Geigel, Der Haftpflichtprozess mit Einschluss des materiellen Haftpflichtrechts, S. 2. 780 Santos Briz, in: (Hrsg.) Albaladejo, Comentarios al cjdigo civil y compilaciones forales XXIV, S. 267.

130 4.

Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Begrenzte Bedeutung durch eine sehr liberale Auffassung der Kausalität (Frankreich)

(210) Die Anforderungen an den Kausalzusammenhang im französischen Deliktsrecht sind im Vergleich zu den anderen untersuchten Rechtsordnungen sehr gering. Grundsätzlich wird nur der Conditio-sine-qua-non-Test durchgeführt,781 insbesondere im Rahmen der Haftung für eigenes Fehlverhalten.782 Es wird aus diesem Grund auch von einer »schwindenden« Rolle783 der Kausalität im französischen Recht gesprochen. (211) Viele Autoren meinen aber, dass die Kausalität bei der Haftungseingrenzung entgegen der herrschenden Auffassung nach wie vor von großer Bedeutung ist.784 Dass die Kausalität immer noch wichtiges Eingrenzungskriterium der Haftung für eigenes Fehlverhalten ist, beschreibt auch folgende Aussage: »lorsque l’on a voulu chasser la causalit8 par la porte, elle est r8entr8e par la fenÞtre.«785 Es sei immer noch die Kausalität, welche die Haftungsgrenzen zeichnet.786 In einer umfassenden Studie der juristischen Kausalität wurde sogar die These aufgestellt, dass der Kausalzusammenhang im französischen Recht nicht nur eine haftungseingrenzende Voraussetzung, sondern sogar ein Haftungsgrund (»cause de la cr8ance de r8paration«) sei.787 Die Kausalität sei »/ l’origine de la cr8ance de r8paration, pour d8terminer son existence et sa mesure«.788 Sogar die unerlaubte Handlung an sich soll in den Begriff der Kausalität integriert werden.789 Es müsse außerdem anerkannt werden, dass die Kausalität in erster Linie der Risikoaufteilung diene.790 (212) Eine solche Beschreibung der Kausalitätsrolle im französischen Recht kann jedoch nur als ein Postulat de lege ferenda angesehen werden. In der ständigen Rechtsprechung und der herrschenden Lehre ist die haftungseingrenzende Rolle der Kausalität immer noch gering.

781 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 353; Urt. Cass. civ. 2, v. 27. 3. 2003, Az. 01–00850, Bull. civ. 2. 2003, Nr. 76, S. 66. 782 Flour/Aubert/Savaux, Les obligations II11, Rn. 162. 783 Qu8zel-Ambrunaz, Essai sur la causalit8 en droit de la responsabilit8 civile, Rn. 197. 784 Puill, Gravit8 ou causalit8 de la faute de la victime en droit de la responsabilit8 civile, D. 1984, Chron., S. 58: »La causalit8 (…) elle est pourtant l’un des moments essentiels de l’appr8ciation de la responsabilit8 civile.«; Qu8zel-Ambrunaz, Essai sur la causalit8 en droit de la responsabilit8 civile, Rn. 2: »une notion centrale dans la responsabilit8 civile«. 785 Durry, Rapport introductif, RLDC Suppl8ment 40/2007, S. 5. 786 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 230. 787 Qu8zel-Ambrunaz, Essai sur la causalit8 en droit de la responsabilit8 civile, Rn. 358ff. 788 AaO, Rn. 358. 789 AaO, Rn. 659. 790 Borghetti, Peut-on se passer de la causalit8 en droit de la responsabilit8?, in: Laquette/ Molfessis (Hrsg.) Quel avenir pour la responsabilit8 civile?, S. 22.

Kausalität

131

(213) Dennoch überwiegt die Überzeugung, dass der conditio-sine-qua-nonTest sogar gegenwärtig nicht das einzige Kausalitätskriterium ist.791 Begründet wird diese Behauptung mit Beispielen aus der Rechtsprechung, die die Haftung gelegentlich ausschließt, obwohl eine unerlaubte Handlung nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Schaden entfiele. Es wurden folgende Fallgruppen gebildet792 : (i) Missverhältnis zwischen dem Verschuldensgrad der zwei unerlaubten Handlungen; (ii) Nähe einer anderen adäquaten Ursache; (iii) Relativität des Verschuldens, d. h. der Schaden wird zwar durch eine rechtswidrige Tätigkeit verursacht, die Rechtswidrigkeit ist jedoch für den Schaden nicht kausal; und (iv) »aktive Beteiligung der Sache« bei der Schadensverursachung. In der Rechtsvergleichung wird manchmal behauptet, dass diese Entscheidungen eine Übernahme der Adäquanz in das französische Deliktsrecht beweisen.793 Die französische Lehre bestreitet jedoch einstimmig die Geltung der Adäquanztheorie de lege lata. Die abweichenden Entscheidungen werden eher als Ausnahmen von der herrschenden Äquivalenztheorie angesehen.794 (214) Bislang hat die Cour de cassation die Kausalität weder definiert795 noch eine Kausalitätstheorie anerkannt.796 Sie schließt die Haftung trotzdem manchmal aufgrund mangelnder Kausalität aus. Formulierungen, mit denen die höchste französische Instanz die fehlende Kausalität beschreibt, sind insbesondere797: »l’acte n’a 8t8 que l’occasion et non la cause du dommage«, »un cons8quence indirecte« oder im Falle der Mehrheit der Ursachen, dass ein Verhalten einer anderen Person die »cause exclusive du dommage« ist. Die Voraussetzung sei demgegenüber erfüllt, wenn eine »relation directe de cause / effet«798 vorliegt. Die Kausalität grenzt somit die Haftung ein. Es wurde sogar die These formuliert, im französischen Recht sei die eingrenzende Rolle des Erfordernisses einer Rechtsgutverletzung durch die schadensbezogene Kausalität ersetzt worden.799 Begründet wird diese Behauptung mit dem Begriff des dommage par ricochet, der in Deutschland und in den Ländern, welche die Generalklausel mit der Rechtswidrigkeit eingrenzen, unbekannt ist. Der Begriff 791 Qu8zel-Ambrunaz, Essai sur la causalit8 en droit de la responsabilit8 civile, S. 169; Viney/ Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 356. 792 AaO, Rn. 357f. 793 Spier/Haazen, Comparative conclusions on causation, in: Spier (Hrsg.), Unification of Tort Law : Causation, S. 137. 794 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 356: »v8ritables concessions aux doctrines de la causalit8 ad8quate«. 795 Viney, Mod8ration et limitation des responsabilit8s et des indemnisations, in: Spier (Hrsg.) The limits of liability, S. 131. 796 Qu8zel-Ambrunaz, Essai sur la causalit8 en droit de la responsabilit8 civile, Rn. 4. 797 Esmein, Trait8 pratique de droit civil franÅais IV2, Rn. 541, Fn. 1. 798 Urt. Cass. civ. 3 v. 19. 2. 1992, Az. 89-21009, Bull. civ. 3, Nr. 51 S. 31; Urt. Cass. civ. 3, v. 5. 6. 1996, Az. 94-11103; Urt. Cass. civ. 3 v. 11. 2. 1998, Az. 96-10257, Bull. civ. 3, Nr. 34, S. 24. 799 Ranieri, Europäisches Obligationenrecht3, S. 1534.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

schließt vor allem die Ersatzfähigkeit der reinen Vermögensinteressen aus. Die Bedeutung des dommage par ricochet sollte jedoch nicht überschätzt werden, weil die Ersatzfähigkeit der indirekten Schäden im französischen Recht grundsätzlich nicht ausgeschlossen ist. Sie wird nur manchmal durch einen höheren Beweismaßstab limitiert.800 (215) Damit lässt sich nicht abstreiten, dass der Kausalitätsbegriff im französischen Deliktsrecht unklar ist. Beschrieben wurde dieser Zustand als »un constat d’8chec«.801 Genau diese Unklarheit wird durch die Cour de cassation genutzt, um sich die Möglichkeit zu bewahren, Schadenersatzgrenzen zu bestimmen. Die Richter folgen dem Äquivalenzprinzip streng in Fällen, in denen sie eine Entscheidung zugunsten des Geschädigten treffen möchten. Dagegen »spielen« sie in anderen Fällen mit der Adäquanz, um den Schädiger vor der Haftung zu befreien.802

III.

Kriterien der juristischen Kausalität

(216) Erschöpfend lassen sich die Kriterien der juristischen Kausalität nicht auflisten.803 Die wichtigsten von ihnen werden hier in der Reihenfolge ihrer systemübergreifenden Bedeutung dargestellt: die Adäquanz, der Schutzzweck, die Vorhersehbarkeit, die sachliche, zeitliche oder räumliche Nähe sowie das richterliche Ermessen.804 Wie die rechtsvergleichende Untersuchung noch zeigen wird, sind diese Kriterien bei Weitem nicht unabhängig voneinander. Alle Theorien sind nicht rein wissenschaftlich zu erfassen und hängen insbesondere vom richterlichen Ermessen ab. Darüber hinaus werden die gleich genannten Kriterien in einzelnen untersuchten Rechtsordnungen unterschiedlich verstanden. Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 359. Flour/Aubert/Savaux, Les obligations II11, Rn. 162. Durry, Rapport introductif, RLDC Supplement 40/2007, S. 5. Spier/Haazen, Comparative on Tort Law : Causation, in: Spier (Hrsg.) Unification of Tort Law : Causation, S. 136f listen als Kriterien: remoteness/proximity, adequacy, policy, degree of fault, disproportionate loss, nature of loss, directness und foreseeability auf. Die Frage des Verschuldens und des Schadens sowie deren Einfluss auf den Kausalzusammenhang werden in dieser Arbeit in § 3 Verschulden und § 7 Schaden behandelt. 804 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 448ff nennt als Zurechnungskriterien der Kausalität: (i) Wahrscheinlichkeit, (ii) Vorhersehbarkeit, (iii) grobes Verschulden, (iv) Art, Umfang und Vermeidbarkeit des Schadens, (v) Schutzzweck und (vi) policy considerations. Dabei handelt es sich um die tatsächlichen Kriterien der Zurechnung, die beweisen, dass die Kausalitätsfrage sich von den anderen Haftungsvoraussetzungen nicht trennen lässt. Die in dieser Arbeit gewählte Aufteilung hat demgegenüber als Ziel, die in den einzelnen Rechtsordnungen verwendeten dogmatischen Kriterien zu schildern.

800 801 802 803

Kausalität

1.

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Adäquanz

(217) Die Emanzipierung der Töchter der französischen Generalklausel ist am Beispiel der Anwendung der Adäquanztheorie zu beobachten. Außer im französischen Recht wird die adäquate Kausalität in allen untersuchten Rechtsordnungen für die Zwecke der Haftungseingrenzung eingesetzt. (218) In den Worten des Begründers dieser Theorie von Bar lässt sich die juristische Kausalität folgendermaßen definieren: »(…) ein Mensch ist im rechtlichen Sinne Ursache einer Erscheinung, insofern er als die Bedingung gedacht wird, durch welche der sonst als regelmäßig gedachte Verlauf der Erscheinungen des menschlichen Lebens ein anderer wird.«805 Das Revolutionäre an der Formel war der Fokus auf den »regelmäßig gedachten Verlauf der Erscheinungen«.806 Als Erster hat von Kries den Begriff einer »adäquaten« Ursache zur Beschreibung der juristischen Kausalität verwendet. Er hat die Theorie weiterentwickelt und zugleich modifiziert.807 Innovativ an seiner Theorie war, dass er die objektive Wahrscheinlichkeit (in seiner Terminologie »Möglichkeit«) als Kriterium der Regelmäßigkeit der Folgen eingeführt hat. Die beiden Auffassungen unterscheiden sich genau in den Kriterien der Regelmäßigkeit, die sich bei von Bar gerade nicht nur auf die Wahrscheinlichkeit beschränkten. Dieser Unterschied führt gelegentlich zu abweichenden Ergebnissen der Kausalitätsprüfung.808 (219) Die von Barsche Theorie der Adäquanz dient als Haupteingrenzung der rechtlich relevanten Kausalität in Polen809, in der Schweiz810 und in Spanien811. Gemeinsam in diesen drei Ländern ist, dass sie – vor allem in der Rechtsprechung – mehr auf die offene Formel von Bars, als auf die wissenschaftliche Theorie von Kries zusteuern. Aus diesem Grund beeinflussen neben der Erhöhung der objektiven Wahrscheinlichkeit der Folgen noch andere Kriterien die Adäquanzbeurteilung. Dazu gehören insbesondere rechtspolitische Argumente. Dieses flexible Verständnis der Adäquanz wurde im rechtsvergleichenden Kontext am Beispiel des schweizerischen Rechts bestätigt.812 Im deutschen 805 806 807 808 809

von Bar, Die Lehre von Causalzusammenhange im Rechte, besonders im Strafrechte, S. 11. Hart/Honor8, Causation in the Law2, S. 466f. AaO, S. 467ff. Hart/Honor8, Causation in the Law2, S. 471. Dybowski, in: Czachjrski (Hrsg.) System Prawa Cywilnego III-1, S. 251ff; Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System prawa cywilnegoVI2, § 3, Rn. 104. 810 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 3, Rn. 15; Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 16; Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 43. 811 Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: Dom&nguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2050. 812 Spier/Haazen, Comparative on Tort Law : Causation in: Spier (Hrsg.) Unification of Tort Law : Causation, S. 133.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Rechtskreis sind die rechtspolitischen Kriterien demgegenüber nicht bei der Adäquanz, sondern bei der Schutzzweckprüfung entscheidend. (220) Nicht übernommen wurde die Adäquanzlehre dagegen im französischen Recht.813 Sie habe jedoch das französische Verständnis der Kausalität beeinflusst.814 Es wird wie bereits erwähnt sogar behauptet, dass die Kausalitätskriterien in der französischen Rechtsprechung der Adäquanz ähneln.815 Darüber hinaus soll die Rechtsprechung teilweise die Adäquanztheorie anwenden, ohne sich auf diese Theorie zu berufen.816 Die herrschende Lehre lehnt diese These jedoch ab.817 Der Grund dafür ist, dass die Rechtsprechung die Wahrscheinlichkeit der Folge gerade nicht prüft.818 Dass die Kausalität verneint wird, obwohl eine Ursache äquivalent kausal ist, bedeutet freilich nicht immer, dass die Adäquanztheorie angewendet wurde.819 a) Übernahme der Adäquanztheorie in den einzelnen Rechtsordnungen (222) Im polnischen Recht ist die Adäquanz als ein Kausalitätskriterium sogar gesetzlich vorgeschrieben. Die polnische Kodifikation erwähnt den Adäquanztest zwar nicht ausdrücklich, die Arbeiten am poln. Obligationengesetzbuch (1933) lassen jedoch keine Zweifel, dass der polnische Gesetzgeber die adäquate Kausalität eingeführt hat. Art. 361 § 1 poln. ZGB lautet: »Wer zum Schadenersatz verpflichtet ist, haftet nur für die üblichen Folgen des Tuns oder der Unterlassung, aus dem bzw. der der Schaden folgt.«820 Diese Formel basiert direkt auf dem Wortlaut von Art. 157 § 2 poln. Obligationengesetzbuchs (1933): »Wer zum Schadenersatz verpflichtet ist, haftet nur für die üblichen Folgen des schadenstiftenden Tuns oder der Unterlassung.«821 Die Umformulierung der Norm hat keine materielle Bedeutung und aus diesem Grund spielt die Gesetzesbegründung der ersten polnischen Kodifikation des Schuldrechts eine be813 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 1716; Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 216; Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 238. 814 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 340–1. 815 Galand-Carval, Fault under French Law, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 54f. 816 Terr8/Simler/Lequette, Les obligations11, Rn. 860; Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 1717, der insbesondere auf die Anwendung des Adäquanztests im Falle der verschuldensunabhängigen Haftung hinweist. 817 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 233. 818 AaO, Rn. 238. 819 So aber : Galand-Carval, Fault under French Law, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 54. 820 »Zobowia˛zany do odszkodowania ponosi odpowiedzialnos´c´ tylko za normalne naste˛pstwa działania lub zaniechania, z ktjrego szkoda wynikła.« 821 »Zobowia˛zany do odszkodowania odpowiada tylko za normalne naste˛pstwa działania lub zaniechania, ktjre spowodowało szkode˛.«

Kausalität

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sondere Rolle bei der Auslegung der Kausalitätsformel.822 Die Verfasser des poln. Obligationengesetzbuchs (1933) haben sich in der Gesetzesbegründung ausdrücklich für die adäquate Kausalität entschieden: »In § 2 bestimmt das Obligationengesetzbuch den Begriff des Kausalzusammenhanges, der zwischen einem schadensbegründenden Tun oder einem haftungsbegründenden Ereignis und dem Schaden, der von dieser Haftung umfasst ist, existieren muss, im Geiste der Theorie des normalen Kausalzusammenhanges (adäquate Kausalität)«.823 Besonders markant ist, dass der Begriff »adäquate Kausalität« in der Begründung sogar auf Deutsch vorgebracht wurde, um die Übernahmequelle zu verdeutlichen. Art. 157 § 2 poln. Obligationengesetzbuchs (1933) war insoweit innovativ, als dass zum ersten Mal eine allgemeine – sowohl für vertragliche als auch für deliktische Haftung geltende – Kausalitätsformel kodifiziert wurde.824 Die kommunistische Rechtslehre und vor allem die Verfechter der Theorie der »notwendigen« Kausalität kritisierten im Laufe der Kodifikationsarbeiten nach dem zweiten Weltkrieg die gesetzliche Einführung der Adäquanz.825 Die Autoren warfen ihr vor, dass sie dem Richter einen zu großen Ermessensspielraum gewähre und dadurch eine Reminiszenz des Imperialismus darstelle.826 Die Mehrheit des Schrifttums hat sich jedoch für die Beibehaltung der Adäquanz ausgesprochen.827 (223) Die spanische und eidgenössische Kodifikation verweist dagegen nicht auf die Adäquanzprüfung. Zur Zeit der Entstehung des Obligationenrechts (1881) sowie des Cjdigo civil (1889) war die Theorie noch nicht mal in Deutschland herrschend. Die beiden Rechtsordnungen haben jedoch im Laufe des letzten Jahrhunderts die Adäquanz übernommen. Obwohl sie inzwischen in beiden Ländern kritisiert wird, formt sie einen Teil der Kausalitätsprüfung. (224) Im schweizerischen Recht tauchte der Begriff erstmals in einem Urteil des Bundesgerichts von 1915 mit Verwies auf die vorherige, nicht gesondert

822 Koch, Zwia˛zek przyczynowy jako podstawa odpowiedzialnos´ci, S. 123. Der Unterschied zwischen den beiden Formulierungen ist so klein, dass der Wortlaut von Art. 361 § 1 poln. ZGB genau gleich ins Deutsche übersetzt wird wie Art. 157 § 2 poln. Obligationengesetzbuchs (1933), siehe: Elbers/Siwik, Polnisches Zivilgesetzbuch mit Einführung. Gesetz vom 23. April 1964 (Gbl. Nr. 16, Pos. 63 mit Änderungen). Gesetzestand 1. 1. 2012 unter Berücksichtigung der Änderungen v. 28. 4. 2012. 823 Begründung des Entwurfs des Obligationengesetzbuchs (»Uzasadnienie Kodeksu zobowia˛zan´ z uwzgle˛dnieniem ostatecznego tekstu kodeksu“) in Bearbeitung von Prof. Roman Longchamps de Berier, Kodifikationskommission, Warschau 1934, S. 227. 824 Koch, Zwia˛zek przyczynowy jako podstawa odpowiedzialnos´ci, S. 119. 825 Ohanowicz, Odpowiedzialnos´c´ za czyny niedozwolone w projekcie kodeksu cywilnego PRL, RPEiS 1961, Nr. 4, S. 56. 826 AaO. 827 Dybowski, Adekwatny czy konieczny zwia˛zek przyczynowy, Palestra 1961, Nr. 7, S. 35f; ders., in: Czachjrski (Hrsg.) System Prawa Cywilnego III-1, S. 252f.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

bezeichnete, Rechtsprechung auf.828 Die grundlegende Bedeutung der Adäquanz wurde jedoch mehrfach kritisiert.829 Der größte Kritiker der Adäquanz war Lanz, der die Adäquanzformel für entbehrlich hielt.830 Seine Behauptungen trafen teilweise auf Unterstützung in der Lehre831 jedoch nicht in der Rechtsprechung. Darüber hinaus wird teilweise behauptet, dass die Adäquanz keine vom Verschulden und von der Rechtswidrigkeit unabhängige Rolle hat, weil sie zur objektiven Vorhersehbarkeit reduziert werden kann.832 (225) Seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts bildete die Adäquanz die wichtigste Formel der Kausalität im spanischen Recht.833 Durch die Einführung der objektiven Zurechnung und besonders ihrer Übernahme vom Tribunal Supremo hat die Adäquanz die besondere Bedeutung des einzigen haftungseingrenzenden Kriteriums der Kausalität verloren. Obwohl ihre Nützlichkeit in Frage gestellt wurde, wird sie weiterhin als ein Kriterium der objektiven Zurechnung verwendet.834 b) Unterschiede in der Formulierung des Adäquanztests (226) Obwohl die Adäquanz ein legal transplant aus der deutschen Lehre ist, weisen die Formulierungen dieser Theorie in den nationalen Rechtsordnungen deutliche Unterschiede auf. So verwendet das spanische Recht eine ex ante Prognose, während die polnischen und schweizerischen Adäquanzformeln eine Beurteilung ex post vorsehen. Außerdem ist in Spanien nur die Wahrscheinlichkeit für die Adäquanzfrage entscheidend. In Polen und in der Schweiz umfasst die Prüfung der Adäquanz nicht nur quantitative, sondern auch qualitative 828 So Oswald, Analyse der Sorgfaltspflichtverletzung, S. 23, Fn. 15 mit Verweis auf Urt. BGE v. 6. 2. 1915, 41 II 90, S. 94: »En effet, d’aprHs la th8orie de la causalit8 ad8quate, / laquelle le Tribunal f8d8ral para%t se rallier dans le dernier 8tat de sa jurisprudence, on ne doit regarder comme la »cause« d’un dommage que les actes qui, d’aprHs les donn8es de l’exp8rience, 8taient g8n8ralement propres / amener le r8sultat dommageable et l’on doit d8nier la qualit8 de cause (au sens juridique de ce mot) aux conditions qui ont contribu8 il est vrai, a la survenance de l’effet, mais qui objectivement, dans le cours ordinaire des choses, n’8taient pas de nature / le produire.« 829 Lanz, Alternativen zur Lehre von adäquaten Kausalzusammenhang, Bern 1974; Deschenaux/Tercier, La responsabilit8 civile2, § 4, Rn. 44. Die Hauptkritiker listet Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht1, Rn. 545ff. auf. 830 Lanz, Alternativen zur Lehre von adäquaten Kausalzusammenhang, S. 3 beschreibt die Adäquanz als »weltfremd, impraktikabel, oft nichtssagend«. 831 Roberto, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Rn. 195. 832 Oswald, Analyse der Sorgfaltspflichtverletzung im vertraglichen wie ausservertraglichen Bereich, S. 27; Roberto, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Rn. 195. 833 Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: Dom&nguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2050; PeÇa Ljpez, in: (Hrsg.) Rodr&guez-Cano, Comentarios al Cjdigo Civil 2, S. 2180. 834 Arcos Vieira, Responsabilidad Civil: Nexo Causal e Imputacijn Objetiva en la Jurisprudencia, S. 80ff.

Kausalität

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Kriterien.835 Einen qualitativen Charakter haben die Kriterien, die nicht nur die Wahrscheinlichkeit der Folgen berücksichtigen, sondern zusätzlich andere, überwiegend rechtspolitische Argumente anwenden. Deswegen ist die Adäquanz im polnischen und schweizerischen Recht vor allem ein Werturteil. aa) Die traditionelle Adäquanz (Spanien) (227) Im spanischen Recht ist der Adäquanztest deutlich liberaler als in den anderen untersuchten Rechtsordnungen ausgeformt. Die spanische Formel basiert auf der aus dem Deutschen übersetzten Formulierung von Traeger : »no se puede imputar objetivamente un concreto resultado daÇoso a la conducta del autor cuando la produccijn de este evento hubiera sido descartada como extraordinariamente improbable por un observador experimentado, que hubiera contado con los especiales conocimientos del autor y hubiese enjuiciado la cuestijn ex ante, es decir, en el momento en que el autor se dispuso a realizar la conducta que desembocj en el resultado daÇoso de cuya imputacijn se trata.«836 Diese Formel berücksichtigt eindeutig nur die Wahrscheinlichkeitsfragen und stimmt mit dem deutschen Verständnis der Adäquanz überein. Der Adäquanztest soll – anders als im polnischen und schweizerischen Recht – aus der objektiven ex ante Perspektive stattfinden. (228) Umstritten war, ob die Adäquanz um das Kriterium der Normalität der Folgen erweitert werden soll.837 Einige Kausalitätsdefinitionen berücksichtigen dieses Kriterium: »un comportamiento es causa jur&dicamente relevante de un daÇo cuando segffln las reglas del criterio humano de ese comportamiento se sigue normalmente la produccijn de aquel daÇo«.838 Es soll sich um eine regularidad causal handeln. Rechtlich relevant wäre nur eine Ursache, bei der die konkrete Folge eine regelmäßige Konsequenz ist: »la condicijn que normalmente concurre, es decir. La que configura la estructura ordinaria de una cosa, para que se produzca el efecto«.839 Diese qualitative Auffassung der Adäquanz schien bis zu der Einführung der objektiven Zurechnung eine wichtige Rolle bei der Haftungseingrenzung zu spielen. Die Befürworter der objektiven Zurechnung qualifizieren die Adäquanz demgegenüber als einen reinen Wahrscheinlich-

835 Die Unterscheidung zwischen den quantitativen und qualitativen Kriterien wurde eingeführt von Lauri, Kausalzusammenhang und Adäquanz im schweizerischen Haftpflicht- und Versicherungsrecht, S. 92ff. 836 de ]ngel Y#güez, Tratado de responsabilidad civil3, S. 413 nach Traeger, Der Kausalbegriff im Straf- und Zivilrecht: zugleich ein Beitrag zur Auslegung des BGB (1904). 837 Arcos Vieira, Responsabilidad Civil: Nexo Causal e Imputacijn Objetiva en la Jurisprudencia, S. 86. 838 PeÇa Ljpez, in: Rodr&guez-Cano (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil2, S. 2180. 839 de Cuevillas Matozzi, La relacijn de causalidad en la jrbita de derecho de daÇos, S. 92f.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

keitstest840 oder sprechen sich sogar ausdrücklich gegen die Erweiterung des Adäquanztests auf rechtspolitische Kriterien aus841. Häufig wird die Auffassung von Larenz zitiert, um die Wahrscheinlichkeit als das einzige Kriterium der Adäquanz darzustellen.842 Die Kritiker der Adäquanz formulieren ihre Kriterien so weit, dass die Ergebnisse unbillig sind und die Probleme der Haftungseingrenzung nicht lösen. Das macht die Adäquanz angreifbarer. (229) Der Tribunal Supremo berücksichtigt bei der Adäquanzprüfung jedoch nicht immer nur die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit.843 Die meist zitierte richterliche Definition der Adäquanz fordert die generelle Eignung einer Ursache zur Schadensverursachung: »Exige la determinacijn de si la conducta del autor del acto, concretamente la conducta generadora del daÇo, es generalmente apropiada para producir un resultado de la clase dada«.844 Diese Definition erwähnt die Wahrscheinlichkeit nicht als ein Kriterium der Adäquanz. Sie ähnelt darüber hinaus dem eidgenössischen auf der Geeignetheit der Ursache basierenden Adäquanztest845. Es gibt Fälle, in welchen der Tribunal Supremo trotz der Wahrscheinlichkeitserhöhung die adäquate Kausalität bestreitet. Begründet werden diese Entscheidungen mit dem Argument, dass die Ursache zur Herbeiführung einer bestimmten Folge nicht genug geeignet war. Ein gutes Beispiel dafür ist die Entscheidung, in welcher der Tribunal Supremo hervorhebt, dass ein rechtlich relevanter Kausalzusammenhang einen solchen Charakter haben muss, »que haga patente la culpabilidad que obliga a repararlo«.846 Das zusätzliche Kriterium, das auch als Geeignetheit bezeichnet werden kann, wir jedoch in der Rechtsprechung nicht näher definiert. Bei der Anwendung der 840 Infante Ruiz, La responsabilidad por daÇos: Nexo de causalidad y »causas hipot8ticas«, S. 193f. 841 Arcos Vieira, Responsabilidad Civil: Nexo Causal e Imputacijn Objetiva en la Jurisprudencia, 86. 842 Puig Brutau, Fundamentos de derecho civil II-3, S. 97. 843 Arcos Vieira, Responsabilidad Civil: Nexo Causal e Imputacijn Objetiva en la Jurisprudencia, S. 88ff. 844 Urt. TS v. 31. 1. 1992, STS 12507/1992, RJ 1992/535, zitiert von u. a.: Urt. TS v. 4. 7. 1998, STS 4482/1998, RJ 1998, 5414, in dem durch Bergbauarbeiten zwei Gebäude auf einer Immobilie beschädigt wurden. Die Adäquanz wurde nur im Falle des Gebäudes verneint, das nach dem Beginn der Bergbauarbeiten konstruiert wurde. Urt. TS v. 6. 10. 2005, STS 5934/2005, RJ 2005, 8763; Urt. TS v. 5. 4. 2006, STS 1858/2006, RJ 2006/2081; Urt. TS v. 29. 10. 2008, STS 5541/2008, RJ 2008, 5801; Urt. TS v. 31. 03. 2010, STS 1452/2010, RJ 2010, 2539; Arcos Vieira, Responsabilidad Civil: Nexo Causal e Imputacijn Objetiva en la Jurisprudencia, S. 86; Infante Ruiz, La responsabilidad por daÇos: Nexo de causalidad y »causas hipot8ticas«, S. 194. 845 Siehe, Rn. 236ff. 846 Urt. TS v. 1. 4. 1997, STS 2312/1997, RJ 1997, 2724: Die schlechte Verriegelung, die es einem Bankkunden unmöglich macht, die Tür des Raumes mit dem Geldautomaten von innen zu verriegeln, ist für die durch einen Räuber, der in den Raum gelangen konnte, verursachten Personenschäden nicht adäquat kausal.

Kausalität

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Adäquanztheorie wirft die Lehre dem Tribunal Supremo teilweise »Laxheit und Inkohärenz«847 vor. bb) Normalität einer Folge (Polen) (230) Obwohl die Verfasser des polnischen schuldrechtlichen Kausalitätsbegriffes den Adäquanztest einführen wollten, hat sich das polnische Verständnis der Kausalität deutlich von der traditionellen Adäquanzlehre von Kries entfernt. Der Begriff der Adäquanz wird zwar weiterhin von der polnischen Rechtsprechung und Lehre verwendet. Es wäre in einem rechtsvergleichenden Kontext aber präziser, einen anderen Terminus für die Beschreibung des polnischen Kausalitätstests zu nehmen. Das polnische Kriterium der »üblichen« bzw. »normalen« Folgen ist restriktiver als der in der deutschen Rechtsprechung angewandte Adäquanztest. (231) Die polnische Auffassung der Adäquanz wird nahezu allgemein als eine vernünftige Eingrenzung der Haftung akzeptiert.848 In dieser Hinsicht unterscheidet sich Polen von den anderen untersuchten Rechtsordnungen, in welchen die Adäquanzlehre als überwiegend unzureichend für die Schadensersatzeingrenzung gilt. Dieser Unterschied in der Wahrnehmung der Adäquanz ist mit der restriktiven Auffassung der Theorie im polnischen Recht zu erklären. (232) Die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes definiert die adäquate Kausalität folgendermaßen: »Der normale Kausalzusammenhang i. S.v. Art. 361 § 1 poln. ZGB zwischen einem bestimmten Ereignis und einem Schaden ist dann gegeben, wenn in der gegebenen Konstellation der Verhältnisse und Bedingungen und mit dem üblichen und normalen Lauf der Dinge, ohne besonderen Zufall, der Schaden eine normale Folge eines solchen Ereignisses ist.«849 Im Unterschied zum spanischen und schweizerischen Recht muss die Ursache nicht nur für die Herbeiführung der Folge geeignet sein, sondern auch eine »normale« Folge sein. Das Kriterium ist restriktiver als die Eignung der Ursache und Begünstigung der Folge im eidgenössischen Test. Fraglich ist jedoch, was genau unter dem unbestimmten Begriff der »normalen Folge« zu verstehen ist. Bezüglich der Auslegung dieses Begriffes sind drei Meinungen ersichtlich, welche auf folgende Kriterien abstellen850 : (i) Vorhersehbarkeit durch den bestimmten Schädiger, (ii) objektive Vorhersehbarkeit (verstanden 847 Salvador Coderch/Fern#ndez Crende, Causalidad y responsabilidad, Indret 2006, Nr. 1, S. 8. 848 Dybowski, in: Czachjrski (Hrsg.) System Prawa Cywilnego III-1, S. 259f; Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System prawa cywilnego VI2, § 3, Rn. 105. 849 Urt. OG v. 2000.4.10, Az. V CKN 28/00, Legalis 278199. 850 Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System prawa cywilnego VI2, § 3, Rn. 105; Zagrobleny, in: Gniewek/Machnikowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz7, Art. 361, Rn. 8; Dybowski, in: Czachjrski (Hrsg.) System Prawa Cywilnego III-1, S. 256 spricht von einer (i) subjektiven, (ii) gemischten und (iii) objektiven Auffassung der Adäquanz.

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nach der traegerischen Formel) und (iii) üblicher und alltäglicher Charakter der Folgen. Nach der letzten eindeutig herrschenden Meinung spielt die Vorhersehbarkeit für die Normalität der Folgen also keine Rolle. (233) Im Unterschied zum spanischen Recht findet der Adäquanztest ex post also durch eine objektive nachträgliche Prognose statt.851 Bei der Feststellung des normalen Kausalzusammenhanges sind alle Ereignisse bis zum Zeitpunkt der Beurteilung der Schadenersatzpflicht zu berücksichtigen.852 Erheblich ist dabei das Wissen des Gerichts bei der Entscheidung.853 Unwesentlich ist dagegen, ob der Schädiger das Ereignis vorhersehen konnte, da die Vorhersehbarkeit ein Kriterium des Verschuldens und nicht der Kausalität ist.854 Es gibt jedoch Rechtsprechung, welche diese Unterscheidung zwischen der Adäquanz und der Vorhersehbarkeit nicht klar durchzieht.855 Sogar der Oberste Gerichtshof hat bestätigt, dass seine eigene Rechtsprechung in der Frage der Vorhersehbarkeit der Folge nicht besonders konsequent ist.856 Zu finden sind sogar Urteile, welche die traegerische Adäquanzformel und eine Perspektive: »eines anständigen, vernünftigen und vorsorglichen Menschen« anwenden.857 (234) In der Lehre wird gelegentlich hervorgehoben, dass Adäquanz bei »üblichen« bzw. »typischen« Folgen in einer gegebenen Sachverhaltskonstellation gegeben ist.858 Diese Formulierung wird auch in der Rechtsprechung verwendet.859 Dass die Folgen üblich sein müssen, bedeutet jedoch nach herrschender Rechtsprechung weder, dass die Folgen für eine gewisse Ursache charakteristisch sein müssen, noch dass sie häufig vorkommen müssen.860 In einem Fall, in dem ein Kunde einem Bankkassierer eine gefälschte Kopie einer Einzahlungsbestätigung vorgelegt hat und dieser sie durch seine Unterschrift bestätigt hat, verneinte das Gericht die Adäquanz hinsichtlich des dadurch ermöglichten Betruges. Die Bank haftete nicht, weil die Unterzeichnung einer sonst automatisch erstellten Unterlage normalerweise nicht zum Betrug führt.861 851 Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System prawa cywilnego VI2, 3 §, Rn. 105. 852 Urt. OG v. 15. 10. 2008, Az. II PZP 10/08, OSNAPiUS 2009, Nr 9–10, Pos. 112, S. 354; Zagrobleny, in: Gniewek/Machnikowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz7, Art. 361, Rn. 9. 853 Dybowski, in: Czachjrski (Hrsg.) System Prawa Cywilnego III-1, S. 258; Sobolewski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 361, Rn. 14. 854 Siehe, Rn. 249. 855 Dybowski, in: Czachjrski (Hrsg.) System Prawa Cywilnego III-1, S. 256f; Banaszczak, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 361, Rn. 6. 856 Urt. OG v. 15. 10. 2008, Az. II PZP 10/08, OSNAPiUS 2009, Nr 9–10, Pos. 112, S. 354. 857 Urt. OG v. 10. 4. 2000, Az. V CKN 28/00, Legalis 278199. 858 Koch, in: Gutowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I, Art. 361, Rn. 16. 859 Beispiele solcher Urteile wurden in der Begründung von Urt. OG v. 15. 10. 2008, II PZP 10/08 aufgelistet. 860 Urt. OG v. 15. 10. 2008, Az. II PZP 10/08, OSNAPiUS 2009, Nr. 9–10, Pos. 112, S. 354. 861 Urt. OG v. 20. 09. 2013, Az. II CSK 657/12, Legalis 924883.

Kausalität

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Sonst müsste der Kassierer einen Kunden immer als einen potenziellen Betrüger behandeln. Der polnische Adäquanztest wurde nicht erfüllt, obwohl die Ursache geeignet war, die Folge herbeizuführen, diese offensichtlich auch begünstig hat sowie die Wahrscheinlichkeit der Folgen erhöht hat. In einigen Urteilen behauptet der Oberster Gerichtshof sogar, dass die Folge charakteristisch für eine bestimmte Ursache sein muss.862 Der Adäquanztest im polnischen Recht basiert daher nicht auf einer festen Formel, die auf alle Fälle der Haftung für eigenes Fehlverhalten Anwendung finden kann.863 (235) In der Lehre wird die Meinung vertreten, dass das Kriterium der Normalität der Folgen nur auf die haftungsbegründende und nicht die haftungsausfüllende Kausalität angewendet werden sollte.864 Das Kriterium der Normalität bei der haftungsausfüllenden Kausalität führe zur Verobjektivierung des Schadensbegriffes, weil nur die »normalen« Schäden und nicht die tatsächlich eingetretenen berücksichtigt werden.865 Die Rechtsprechung wendet den Adäquanztest jedoch konsequent ebenfalls auf die haftungsausfüllende Kausalität an: »Der adäquate Kausalzusammenhang ist nicht nur die Voraussetzung der Schadensersatzhaftung, sondern bestimmt auch ihren Umfang.«866 cc) Geeignetheit einer Ursache (Schweiz) (236) Die detaillierteste Theorie der Adäquanz wurde im schweizerischen Recht entwickelt. Der Adäquanztest wird vor allem in der Lehre sehr ausführlich dogmatisch untersucht und aufgespalten. Es wurden folgende Elemente des Adäquanztests aufgelistet: (i) Erfolg, (ii) Ursache, (iii) natürlicher Zusammenhang, (iv) Eignung und (v) Begünstigung.867 Die tatsächliche Haftungseingrenzung und ein Werturteil finden beim Tatbestandselement der Eignung statt.868 Bei der Untersuchung dieses Elements werden Fallgruppen gebildet.869 Eine große Rolle bei der Adäquanzprüfung spielen das Vorwissen, die Lebenserfahrung und die Einstellung des Richters.870 (237) Ebenfalls sehr dogmatisch wird die Adäquanz in der eidgenössischen Rechtsprechung geprüft. Besonders ausführlich wurde diese Theorie im folgenden Urteil des Bundesgerichts871 beschrieben: »Adäquat ist der Kausalzu862 Urt. OG v. 18. 5. 2000, III CKN 810/98, Legalis 315818. 863 Dybowski, in: Czachjrski (Hrsg.) System Prawa Cywilnego III-1, S. 260. 864 Kalin´ski, O wadliwej obiektywizacji szkody, Studia Iuridica 2007, S. 101ff; Sobolewski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 361, Rn. 13. 865 Kalin´ski, O wadliwej obiektywizacji szkody, Studia Iuridica 2007, S. 102. 866 Urt. OG v. 15. 11. 2012, Az. V CSK 541/11, Legalis 577261. 867 Ackermann, Adäquanz und Vorhersehbarkeitsregel, S. 40. 868 AaO, S. 73. 869 AaO, S. 99f. 870 AaO, 100. 871 Urt. BGE v : 26. 04. 2005, Az. 5 C 61/2004.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

sammenhang, wenn das fragliche Verhalten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet war, eine Folge wie die tatsächlich eingetretene zu bewirken.« Diese Formel wird in der Lehre als herrschend angesehen.872 Rechtspolitischer Zweck der Adäquanz ist die Haftungseingrenzung873 : »Beabsichtigt wird durch die Berücksichtigung der Adäquanz eine Begrenzung der Haftung: Die Adäquanz dient als Korrektiv zum naturwissenschaftlichen Ursachenbegriff, der unter Umständen der Einschränkung bedarf, um für die rechtliche Verantwortung tragbar zu sein (…).«874 Der Grund für die Annahme der Adäquanztheorie ist die Notwendigkeit, für die Plausibilität des Deliktsrechts zu sorgen, die sich durch den Schadenersatzausschluss bei inadäquaten Bedingungen verwirklicht.875 Bei der Prüfung der Adäquanz geht es vor allem darum, ob die Folge nach der Lebenserfahrung gewöhnlich ist.876 Bedeutsam für den Test ist nicht die Frage der statistischen Wahrscheinlichkeit, sondern die Eignung einer Ursache, den eingetretenen Erfolg zu bewirken.877 (238) Das eigentliche richterliche Ermessen liegt bei der Einschätzung der Eignung, die durch den »gewöhnlichen Lauf der Dinge« und die »allgemeine Erfahrung« zu bestimmen ist.878 Genau an dieser Stelle zeigt sich, dass der Adäquanzbegriff im schweizerischen Recht qualitativ und nicht nur quantitativ zu verstehen ist.879 Deswegen wird das Kausalitätstest als ein »Werturteil«880 oder ein »Billigkeitsentscheid«881 bezeichnet. Daraus folgt, dass entschieden werden muss, ob »eine unfallbedingte Störung billigerweise noch dem Schädiger oder Haftpflichtigen zugerechnet werden darf«.882 Der Richter prüft die Adäquanz nach seinem freien Ermessen.883 Der adäquate Kausalzusammenhang wird

872 Lauri, Kausalzusammenhang und Adäquanz im schweizerischen Haftpflicht- und Versicherungsrecht, S. 89. 873 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 3, Rn. 21; Schönenberger, Kurzkommentar zum Obligationenrecht, Art. 41, Rn. 15. 874 Urt. BGE v. 26. 04. 2005, Az. 5 C 61/2004. 875 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 3, Rn. 21. 876 Urt. BGE v. 26. 04. 2005, Az. 5 C 61/2004. 877 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 3, Rn. 16f; Lauri, Kausalzusammenhang und Adäquanz im schweizerischen Haftpflicht- und Versicherungsrecht, S. 90; Urt. BGE v. 26. 04. 2005, Az. 5 C 61/2004. 878 Ackermann, Adäquanz und Vorhersehbarkeitsregel, S. 83. 879 AaO, S. 113; Lauri, Kausalzusammenhang und Adäquanz im schweizerischen Haftpflichtund Versicherungsrecht, S. 89ff. 880 Ebenso, auch Urt. BGE v. 4. 2. 1997, 123 III 110, S. 112: »Die Beantwortung der Adäquanzfrage beruht somit auf einem Werturteil.« 881 Ackermann, Adäquanz und Vorhersehbarkeitsregel, S. 111. 882 Urt. BGE v. 4. 2. 1997, 123 III 110, S. 112. 883 Urt. BGE v. 30. 10. 1940, 66 II 165, S. 174.

Kausalität

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darüber hinaus als eine Generalklausel im Sinne von Art. 4 schw. ZGB eingestuft, deren Ausfüllung nach Recht und Billigkeit dem Richter obliegt.884 (239) In den weiteren Ausführungen versucht die schweizerische höchstrichterliche Instanz die genauen Prüfungskriterien der Adäquanz herauszukristallisieren: »Der Richter geht die Frage rückwärts an, vom eingetretenen Schaden ausgehend bis zur als Ursache eingeklagten Handlung, und beantwortet die Frage, ob eine solche Folge noch zu jenen zu zählen sei, die vernünftig und objektiv vorauszusehen waren.«885 Es handelt sich also um eine nachträgliche und objektive Prognose.886 Eine relevante Folge sollte für eine unabhängige Drittperson objektiv vorhersehbar werden.887 Teilweise wurde die ex post Betrachtung in der Lehre kritisiert. Es sei unmöglich, mit dieser Methode die inadäquaten Ursachen zu eliminieren, weil die retrospektive Prognose nach dem Erfolgseintritt stattfindet und aus dieser Perspektive alle tatsächlichen Folgen adäquat sind.888 (240) Bei der Adäquanzprüfung sind die Umstände des konkreten Falles zu berücksichtigen: »es ist von den konkreten Umständen des Einzelfalles her rückwärts zu bestimmen, ob die fragliche Ursache immer noch als für den Schaden massgebend betrachtet werden kann«.889 Es liegt im Ermessen des Gerichts, wie detailliert die Umstände eines konkreten Falles berücksichtigt werden.

2.

Schutzzweck der Norm

(241) Da es unmöglich sei, die Haftung für eigenes Fehlverhalten nur mittels der Adäquanzlehre ausreichend einzugrenzen, wurde versucht, unter Verwendung anderer Theorien qualitative Kriterien einzubringen. Hier spielen die Übernahmen aus dem deutschen Rechtskreis ebenfalls eine prägnante Rolle. Es wird 884 Urt. BGE v. 4. 2. 1997, 123 III 110, S. 112: »Beim adäquaten Kausalzusammenhang im Sinne der genannten Umschreibung handelt es sich um eine Generalklausel, die im Einzelfall durch das Gericht gemäss Art. 4 ZGB nach Recht und Billigkeit konkretisiert werden muss.«; Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und Besonderer Teil, Rn. 1922; Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht1, Rn. 528; Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 44. 885 Urt. BGE v. 26. 4. 2005, Az. 5 C 61/2004. 886 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 16; Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 43; Lauri, Kausalzusammenhang und Adäquanz im schweizerischen Haftpflicht- und Versicherungsrecht, S. 90. 887 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 16. 888 Roberto, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Rn. 194. 889 Urt. BGE v. 26. 4. 2005, Az. 5 C 61/2004.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

insbesondere versucht, die Lehre des Schutzzwecks der Norm in den Bereich der Kausalitätsprüfung zu übernehmen. (242) Im schweizerischen Recht grenzt die Schutzzweckprüfung die Haftung im Rahmen der Rechtswidrigkeit ein. Sie betrifft jedoch nur die Ersatzfähigkeit der reinen Vermögensinteressen. Angesichts der nicht immer befriedigenden Ergebnisse des Adäquanztests, hat eine Mindermeinung in der Lehre vorgeschlagen, das Kriterium des Schutzzwecks allgemein für alle Schadensarten anzuwenden.890 Die Schutzzweckprüfung soll auch bei der Verletzung von absoluten Rechten durchgeführt werden. Dieser Vorschlag wurde mit dem Argument kritisiert, dass die Adäquanz ein Werturteil ist und durch keine objektiven Kriterien wie den Schutzzweck beschrieben werden kann.891 Darüber hinaus sei die Normzwecktheorie im schweizerischen Recht nur auf der Ebene der Rechtswidrigkeit anzuwenden.892 Die Rechtsprechung ist dieser Mindermeinung nicht gefolgt. (243) Wegen des restriktiven Verständnisses der Adäquanz und der Theorie der relativen Rechtswidrigkeit893 sind die Schutzzwecküberlegungen für die Kausalitätsprüfung im polnischen Recht weniger relevant. In einem Urteil, in welchem der Oberste Gerichtshof die relative Rechtswidrigkeit bestreitet, hat er sich dafür entschieden, die Delikthaftung ausschließlich durch die Voraussetzung des normalen Kausalzusammenhangs einzugrenzen. Lediglich hilfsweise können andere Kriterien die Kausalitätsprüfung ergänzen.894 Der Oberste Gerichtshof hat jedoch nicht erklärt, was für Kriterien das sein können. (244) Im spanischen Recht ist der Schutzweck der verletzten Norm keine Kausalitätsfrage. Die Schutzzweckprüfung gehört zu den Kriterien der objektiven Zurechnung.895

3.

Vorhersehbarkeit

(245) Ein potenzielles Kriterium der juristischen Kausalität ist die Vorhersehbarkeit. Sie wird jedoch überwiegend nicht für maßgeblich für die Kausalität gehalten. Der Grund dafür ist, dass sie nach der systemübergreifend herrschenden Auffassung über das Verschulden und nicht über die Kausalität entscheidet. Die Vorhersehbarkeit bei der Kausalitätsprüfung zu berücksichtigen, würde deswegen zur unnötigen doppelten Anwendung führen. Einig sind sich 890 Lanz, Alternativen zur Lehre von adäquaten Kausalzusammenhang, S. 166. 891 Müller : in Furrer/Schnyder (Hrsg.) Handkommentar zum Schweizer Privatrecht2, OR, Art. 41, Rn. 37. 892 Ackermann, Adäquanz und Vorhersehbarkeitsregel, S. 200. 893 Siehe, Rn. 198. 894 Urt. OG v. 22. 06. 2012, Az. V CSK 282/11, OSP 2013 Nr 5, Pos. 48. 895 Siehe, Rn. 483ff.

Kausalität

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die untersuchten Rechtsordnungen demgegenüber darüber, dass nur die objektive Vorhersehbarkeit eine haftungseingrenzende Rolle in der Haftung für eigenes Fehlverhalten spielen kann. (246) Im französischen Recht dient die objektive Vorhersehbarkeit als Kriterium der Ersatzfähigkeit in der Vertragshaftung. Nach herrschender Auffassung ist Art. 1150 fr. CC (nunmehr : Art. 1231-3 fr. CC) auf die Deliktshaftung nicht anwendbar.896 Die Vorhersehbarkeit beeinflusst die Kausalitätsprüfung bei der Haftung für eigenes Fehlverhalten im französischen Recht daher nicht. (247) Weniger eindeutig als im französischen Recht ist die Bedeutung der Vorhersehbarkeit bei der Kausalitätsprüfung im spanischen Recht. Dieser Unterschied besteht, obwohl die entscheidende und die Vorhersehbarkeit voraussetzende Rechtsnorm Art. 1107 S. 1 span. CC direkt von Art. 1150 fr. CC (nunmehr : 1231-3 fr. CC) übernommen wurde. Art. 1107 span. CC definiert den Kausalzusammenhang im Rahmen der Vertragshaftung.897 Laut dieser Norm soll der gutgläubige Schuldner nur für die Schäden haften, »die vorhergesehen wurden oder zum Zeitpunkt der Begründung der Verbindlichkeit vorhergesehen werden konnten und die notwendige Folgen der Nichterfüllung sind«898, und der bösgläubige Schuldner für die Schäden, »die sich bekannterweise aus der Nichterfüllung der Verbindlichkeit ergeben.«899 Die herrschende Meinung in der Lehre bestreitet die Erheblichkeit der Vorhersehbarkeit für die Kausalitätsprüfung im Deliktsrecht.900 Demgegenüber beruft sich der Tribunal Supremo bei der Kausalitätsprüfung im Deliktsrecht gelegentlich auf Art. 1107 span. CC.901 Darüber hinaus wird die objektive Vorhersehbarkeit teilweise auch als Teil des Adäquanztests angesehen.902

896 Viney/Jourdain/Carval, Les effets de la responsabilit84, Rn. 329. 897 de ]ngel Y#güez, Tratado de responsabilidad civil3, S. 277. 898 Art. 1107 S. 1 spa. CC: »Los daÇos y perjuicios de que responde el deudor de buena fe son los previstos o que se hayan podido prever al tiempo de constituirse la obligacijn y que sean consecuencia necesaria de su falta de cumplimiento.« 899 Art. 1107 S. 2 spa. CC: »En caso de dolo responder# el deudor de todos los que conocidamente se deriven de la falta de cumplimiento de la obligacijn«. 900 de ]ngel Y#güez, in: Paz-Ares Rodr&guez, D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Bercovitz, Salvador Coderch (Hrsg.) Comentario del Cjdigo Civil, Ministerio de Justicia II-2, S. 54; Llamas Pombo, in: Dom&nguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil, S. 1221; Gjmez Pomar, Previsijn de daÇos, incumplimiento e indemnizacijn, S. 130 ff; ders., Hacer pagar al mensajero. Comentario a la STS 1a, 28. 1. 2002, Indret 2003, Nr. 1, Fn. 5 beschreibt die Nichtanwendung von Art. 1107 span. CC im Bereich der Deliktshaftung als die herrschende Meinung. 901 Urt. TS v. 29. 12. 2007, STS 8692/2006, RJ 2007, 1714: »Aun cuando se ha discutido, ha de aplicarse el art&culo 1107 CC a la responsabilidad extracontractual.« Urt. TS v. 20. 6. 1989, RJ 1989, 4702. 902 Salvador Coderch/Fern#ndez Crende, Causalidad y responsabilidad, Indret 2006, Nr., S. 8 übersetzen sogar Adäquanz ins Englische als foresight test.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

(248) Im schweizerischen Recht wird die objektive Vorhersehbarkeit ebenfalls gelegentlich als ein Adäquanzkriterium angewandt.903 Adäquat sollen nur die objektiv vorhersehbaren Folgen sein. Die herrschende Lehre verneint dies jedoch.904 Der Richter sollte sich weder fragen, ob der Schädiger den Schaden vorhergesehen hat, noch ob er ihn vorhersehen konnte.905 Dies soll die erforderliche Trennung zwischen der Kausalität und dem Verschulden gewährleisten.906 Diese Vorgehensweise sei darüber hinaus unvereinbar mit der Adäquanztheorie. Sie bezieht sich im schweizerischen Recht nicht auf die objektive Vorhersehbarkeit der Folgen, sondern auf die Eignung und Begünstigung. Insbesondere ist die Adäquanztheorie eine ex post Prognose. Hierbei sollen die subjektiven Eigenschaften des Schädigers und die für ihn erkennbaren Mitbedingungen unberücksichtigt bleiben.907 (249) Die polnische Rechtsprechung und die Lehre heben hervor, dass die Vorhersehbarkeit nur ein Kriterium des Verschuldens und nicht der Kausalität ist.908 Diese Meinung bezieht sich sowohl auf die subjektive als auch auf die objektive Vorhersehbarkeit.909 Die herrschende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sagt: »Für die Beurteilung des normalen Kausalzusammenhanges ist die Frage ohne Bedeutung, ob ein gewisses Ereignis durch den Schädiger vorausgesehen werden konnte, weil die Vorhersehbarkeit eine Frage des Verschuldens und nicht der Kausalität ist.«910 Die Rechtsprechung berücksichtigt die objektive Vorhersehbarkeit aber gelegentlich dennoch bei der Kausalitätsprüfung.911 903 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 3, Fn. 27; Müller : in Furrer/Schnyder (Hrsg.) Handkommentar zum Schweizer Privatrecht2, OR 41, Rn. 37 und auch in der Rechtsprechung: Urt. BGE v. 29. 4. 1975, 101 II 69, S. 73; Urt. BGE v. 31. 10. 2003, Az. 5C 125/2003: »/ cet 8gard, ce n’est pas la pr8visibilit8 subjective mais la pr8visibilit8 objective du r8sultat qui compte.« 904 Oswald, Analyse der Sorgfaltspflichtverletzung, S. 26ff; Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 3, Rn. 22; Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht1, Rn. 533; Urt. BGE v. 6. 2. 1915, 41 II 90, S. 93; Urt. BGE v. 8. 7. 1916, 42 II 362, S. 365; Urt. BGE v. 11. 5. 1922, 48 II 145, S. 151, a. A. Widmer, Causation under Swiss law, in: Spier (Hrsg.) Unification of Tort Law : Causation, S. 131. 905 Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 43. 906 Ackermann, Adäquanz und Vorhersehbarkeitsregel, S. 138; Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 3, Fn. 27. 907 AaO, S. 138. Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 3, Rn. 22. 908 Urt. OG v. 10. 12. 1952, Az. C 584/52; Sobolewski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 361, Rn. 16. 909 Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System prawa cywilnego VI2, § 3, Rn. 105; Koch, in: Gutowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I, Art. 361, Rn. 37. 910 Urt. OG v. 12. 2. 1998, Az. I CKU 111/97, Legalis 345494 zitiert in: Urt. OG v. 20. 10. 2011, Az. III CSK 351/10, Legalis 465605. 911 Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 361, Rn. 10 mit Verweis auf Urt. OG v. 9. 2. 2001, Az. III CKN 578/00, OSNC, 2001 Nr. 7–8, Pos. 120.

Kausalität

4.

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Sachliche, zeitliche oder räumliche Nähe

(250) Ein haftungseingrenzendes Kriterium der juristischen Kausalität kann die Nähe (proximity oder directness) der Folgen sein. Zu unterscheiden ist zwischen zwei Bedeutungen dieses Begriffes.912 Einerseits kann es sich um zeitliche bzw. räumliche Nähe handeln (causa proxima, directness). Andererseits werden unter dem Begriff der sachlichen Nähe (proximity) eher abstrakte und weder auf zeitliche noch auf räumliche Kriterien begrenzte Merkmale der Unmittelbarkeit (imm8diate) oder Direktheit (direct) verstanden. Hierzu zählen nicht nur die tatbestandliche Nähe, sondern auch andere Kriterien, die in den einzelnen Rechtsordnungen deutlich voneinander abweichen.913 (251) Im französischen Recht wird die Theorie der proximit8 de la cause stark kritisiert, weil sie sich nur an der zeitlichen Nähe orientiert.914 Dabei setzt Art. 1151 fr. CC (nunmehr : Art. 1231-4 fr. CC) die sachliche Nähe im Bereich der Vertragshaftung ausdrücklich voraus: »Dans le cas mÞme oF l’inex8cution de la convention r8sulte du dol du d8biteur, les dommages et int8rÞts ne doivent comprendre / l’8gard de la perte 8prouv8e par le cr8ancier et du gain dont il a 8t8 priv8, que ce qui est une suite imm8diate et directe de l’inex8cution de la convention«. Diese Rechtsnorm erfordert eindeutig nicht nur die bloße zeitliche bzw. räumliche Nähe.915 Genauso wie Art. 1150 fr. CC (nunmehr : Art. 12313 fr. CC) betrifft diese Vorschrift ausdrücklich nur die Vertragshaftung. Die herrschende Meinung wendet sie jedoch – im Unterschied zum Art. 1151 fr. CC (nunmehr : Art. 1231-4 fr. CC) – auch im Bereich des Deliktsrechts an.916 Das formulierte Kriterium der »unmittelbaren und direkten Folgen« sei jedoch zu vage, um die Haftung hinreichend einzugrenzen.917 Nähe sei auch nicht im Sinne der Theorie der causalit8 efficiente ou direct zu verstehen, die die relative Wichtigkeit einer Ursache für die schädliche Folge als Kriterium anwendet.918 912 Spier/Haazen, Comparative Conclusions on Causation, in: Spier (Hrsg.) Unification of Tort Law : Causation, S. 131 unterscheiden im rechtsvergleichenden Kontext zwischen directness, die reine tatbestandliche zeitliche bzw. räumliche Nähe bedeutet, und proximity, die auf anderen, flexibleren Kriterien beruht. 913 Im Common law wird die Vorhersehbarkeit zum Bestandteil des proximity Tests und ist sogar sein wichtigstes Kriterium. Spier/Haazen, Comparative Conclusions on Causation, in: Spier (Hrsg.) Unification of Tort Law : Causation, S. 131. 914 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 1714; Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 216 bezeichnet diese Auffassung als »critHre simple, mais simpliste«; Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 234, Fn. 14; Buffelan-Lanore/Larribau-Terneyre, Droit civil. Les obligations12, Rn. 1689. 915 Spier/Haazen, Comparative Conclusions on Causation, in: Spier (Hrsg.) Unification of Tort Law : Causation, Fn. 56. 916 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 348; Buffelan-Lanore/ Larribau-Terneyre, Droit civil. Les obligations12, Rn. 1695. 917 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 348. 918 Buffelan-Lanore/Larribau-Terneyre, Droit civil. Les obligations12, Rn. 1690.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Die in Art. 1151 fr. CC (nunmehr : Art. 1231-4 fr. CC) formulierten Kriterien der Unmittelbarkeit und Direktheit der Folgen bleiben undefiniert und beziehen sich auf keine bestimmte Kausalitätstheorie.919 Darüber hinaus wird das Erfordernis der Nähe zusätzlich typischerweise mit dem Schadensbegriff (dommage indirect bzw. dommage imm8diate et direct oder dommage directe et n8cessaire) verbunden.920 (252) Die Verfasser der polnischen Kodifikation haben es abgelehnt, das französische Kausalitätskriterium der Nähe zu übernehmen. Ein Gegenentwurf, der die Entschädigung auf die »direkten und einfachen Folgen« des schadensverursachenden Ereignisses nach der Formulierung von Art. 1151 des fr. CC (nunmehr : Art. 1231-4 fr. CC) begrenzte, wurde vehement kritisiert.921 Die Begründung lautet, dass eine solche Begrenzung den Geschädigten benachteiligen würde.922 Diese Kritik der Kodifikatoren bezog sich auf die Nähe im zeitlichen und räumlichen Sinne. Paradoxerweise ist jedoch das in Art. 1151 fr. CC (nunmehr : Art. 1231-4 fr. CC) enthaltene abstrakte Kriterium viel günstiger für den Geschädigten als die polnische Adäquanz. Der Oberste Gerichtshof beruft sich gelegentlich trotzdem auf die Nähe bei der Kausalitätsprüfung. Diese Rechtsprechung hat mit der folgenden Entscheidung angefangen: »Die in Art. 415 ZGB verwendete Formulierung »den anderen« meint die Person, die durch die unerlaubte Handlung geschädigt wurde und begrenzt die Haftung des Schädigers. Er haftet nur gegenüber den Personen, gegen die sich sein Verhalten gerichtet hat, mit Ausnahme der Fälle, in denen besondere Vorschriften etwas anderes regeln, z. B. Art. 446 § 2 und § 3 ZGB.«923 Als gesetzliche Grundlage für das Kriterium der Nähe gilt also die in der Generalklausel verwendete Formulierung »den anderen«. Somit wird die Nähe aus der Perspektive des Schädigers beurteilt. Darüber hinaus versucht der Oberste Gerichtshof die Nähe in die Prüfung des normalen Kausalzusammenhanges aufzunehmen.924 Diese Rechtsprechung stoß teilweise auf Kritik, welche unterstreicht, dass die polnische 919 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 1776: »Au demeurent, les expressions usuelles de pr8judice direct ou de dommage direct ne prennent une sens v8ritable que si, au pr8alable, un choix a 8t8 op8r8 sur la th8orie de la causalit8 retenue, 8quivalence des conditions ou causalit8 adequate.« 920 Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 213; Terr8/Simler/Lequette, Les obligations11, Rn. 860. 921 Laut der Begründung des Entwurfs des Obligationengesetzbuchs (»Uzasadnienie Kodeksu zobowia˛zan´ z uwzgle˛dnieniem ostatecznego tekstu kodeksu«) in Bearbeitung von Prof. Roman Longchamps de Berier, Kodifikationskommission, Warschau 1934, S. 228 handelte es sich um eine Übersetzung der Formel: une suite imm8diate et directe. 922 AaO. 923 Urt. OG v : 11. 12. 2008, Az. IV CSK 349/08, Legalis 589239. 924 AaO, a. A. Urt. OG v. 19. 5. 2016, Az. III CZP 20/16, Legalis 1460567, das sich auch auf dieses Urteil und die Formulierung »den anderen« beruft, jedoch sie mit der Eingrenzung der Haftung nur zu den direkt Geschädigten und mit der Theorie der sog. relativen Rechtswidrigkeit verbindet.

Kausalität

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Kodifikation den französischen Art. 1151 fr. CC (nunmehr : Art. 1231-4 fr. CC) und die englische Theorie (proximity rule) der direkten Kausalität gerade nicht übernommen hat.925 Eine Gegenmeinung bewertet diese Rechtsprechung durchaus positiv und sieht in ihr eine richtige Alternative zur Schutzzweckprüfung.926 (253) Das Kriterium der causa prjxima wird auch in der spanischen Rechtsprechung bei der Kausalitätsprüfung verwendet.927 Dieses Kriterium wird aber nicht als eine allgemeine Voraussetzung der Kausalität, sondern als Bezeichnung einer rechtlich relevanten Ursache im Falle mehrerer potentieller Ursachen gesehen.928 Unter dem Einfluss der PETL ist im spanischen Recht die zeitliche und räumliche Nähe zwischen der schädigenden Aktivität und deren Folgen wichtig bei der Feststellung des Haftungsumfangs.929 Dies ist aber nicht das einzige Kriterium. (254) Im schweizerischen Recht wird das Kriterium Nähe angesichts der doch sehr großen Rolle der Adäquanz nur sehr selten und in einem rechtsvergleichenden Kontext in der Lehre erwähnt. Als Beispiel kann das Postulat dienen, die bei der Haftung des Eigentümers aus Art. 679 schw. ZGB930 in der Rechtsprechung entwickelte Voraussetzung des Nachbarschaftsverhältnisses in der Deliktshaftung analog anzuwenden. Diese Behauptung wurde rechtsvergleichend mit Hinweis auf Donoghue v. Stevenson und das in diesem Urteil formulierte

925 Kalin´ski, Anm. zu Urt. OG Az. V CSK 338/11, PiP 2013, Nr. 2, S. 129ff. und PiP 2015, Nr. 11, S. 124ff. 926 Lackoron´ski, Anm. zu Urt. OG Az. V CSK 338/11, Glosa 2014, Nr. 1, S. 48ff. 927 Urt. TS v. 31. 1. 2012, STS 274/2012, RJ 2012, 2031: »no hay causalidad jur&dica porque no ha sido la actuacijn de la empresa demandada la causa prjxima o inmediata, ni la causa adecuada, pues si se crej el riesgo del resultado es porque siendo previsible o probable de una forma objetiva el corte del suministro de agua durante un tiempo, la demandante no tomj las medidas de seguridad pertinentes para evitar el daÇo pudiendo hacerlo, por lo que no concurren las condiciones imprescindibles para que nazca la obligacijn de resarcir el daÇo, conforme al art&culo 1902 CC.« Das Urteil betraf einen Schadensersatzanspruch gegen ein Energieversorgungsunternehmen, der entstanden ist, weil Forellen auf Grund unzureichender Sauerstoffsättigung erstickt sind, als während einer Pause in der Energielieferung die Systeme der Sauerstoffversorgung ausgefallen sind. 928 Urt. TS v. 31. 10. 1991, STS 10475/1991, RJ 1991, 7248: »Una relacijn causal apreciada en la doble vertiente de: causa prjxima (la conducta del conductor y del dueÇo de la m#quina), y remota (la deficiente instalacijn de la l&nea telefjnica), sin que la concurrencia de culpas suponga una ruptura de la relacijn de causalidad, aunque pueda ser apreciable a la hora de la compensacijn de responsabilidades.« 929 Bisher nur in der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte: Urt. AP Madrid v. 31. 3. 2014, AC 2014, S. 1381. 930 Art. 679 Abs. 1 schw. ZGB Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.

150

Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Kriterium der proximity begründet.931 Auch hier war aber nicht nur die zeitliche oder räumliche Nähe gemeint.

5.

Richterliches Ermessen

(255) Eine wesentliche, aber nicht entscheidende Rolle bei der Kausalitätsprüfung spielt das richterliche Ermessen. Gemeint sind die policy reasons, die sich unter den einzelnen Theorien der juristischen Kausalität verbergen.932 Das richterliche Ermessen ist daher als Kriterium nicht selbstständig, sondern befreit den Kausalitätstest von der wissenschaftlichen Stringenz. Keine der Generalklauseln schreibt den Richtern einen bestimmten Kausalitätstest vor. Die Wahl der herrschenden Kausalitätstheorie wurde mit Ausnahme des polnischen Rechts der Rechtsprechung überlassen. Jedoch haben sich sogar die polnischen Richter von der ursprünglich durch das poln. Obligationengesetzbuch (1933) vorgeschriebenen deutschen Adäquanz weitgehend befreit. Einen besonderen Spielraum erkämpften sich die französischen Richter, die sich für keine der Kausalitätstheorien entschieden haben und dadurch große dogmatische Freiheit erlangen konnten. (256) Wegen des großen Entscheidungsspielraums der französischen Gerichte schlagen viele Autoren vor, weder die Äquivalenz- noch die Adäquanztheorie als herrschende Lehre zu bezeichnen. Die Entscheidungen der Rechtsprechung seien lediglich mit dem richterlichen Rechtsgefühl (sentiment des juges)933 oder Billigkeit (8quit8)934 zu begründen. Es ließen sich keine präzisen Kriterien der Kausalitätsprüfung herauskristallisieren.935 In diesem Zusammenhang wird von der causalit8 moral gesprochen.936 Die Vorgehensweise der französischen Richter wird als »empirisch«937 bzw. »pragmatisch«938 bezeichnet. Der Grund für die Ablehnung der typischen Kausalitätstests sei, dass sich diese außerjuristischer Kriterien bedienen, während die Richter rein juristische 931 Widmer, O tempora, o mores!, FS Koziol, S. 958. 932 van Dam, European Tort Law, Rn. 1103. 933 Esmein, Trait8 pratique de droit civil franÅais IV2, Rn. 541 mit Bezug auch auf andere Rechtsordnungen; Flour/Aubert/Savaux, Les obligations II11, Rn. 183. 934 Buffelan-Lanore/Larribau-Terneyre, Droit civil. Les obligations12, Rn. 1685. 935 Esmein, Trait8 pratique de droit civil franÅais. Tome IV2, Rn. 541-1; Brun nennt diese Einschätzung jedoch »trHs sceptique et fataliste«: Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 234, Fn. 13. 936 Esmein, Trait8 pratique de droit civil franÅais IV2, Rn. 541-1; Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 213. 937 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 1717; Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 213; Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 246. 938 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 1717.

Kausalität

151

Theorien verwenden würden.939 Das richterliche Ermessen kommt besonders prägnant bei mehreren potenziellen Ursachen zum Vorschein.940 Die Richter sollen zu lose oder zu außerordentliche Kausalzusammenhänge außer Acht lassen und nur die besonders tadelswerten schadensverursachenden Ereignisse berücksichtigen.941 (257) Eine ähnliche Einstellung haben die spanischen Richter, die zwar unterschiedliche Theorien der Kausalität in ihrer Argumentation verwenden, sich jedoch an keine von diesen dogmatischen Auffassungen gebunden fühlen.942 Die Hauptkriterien der Kausalitätsprüfung seien die reglas de la sana cr&tica943 oder der buen sentido.944 Der zweite Begriff kann als gesunder Menschenverstand übersetzt werden. (258) Das eidgenössische Recht hebt die Rolle des richterlichen Ermessens gesetzlich hervor. Gemäß Art. 4 schw. ZGB, der das Gericht auf sein Ermessen, auf die Würdigung der Umstände oder auf wichtige Gründe verweist, haben die Richter ihre Entscheidungen nach Recht und Billigkeit zu treffen. Die Prüfung der adäquaten Kausalität wird als Ausfluss dieses Ermessensspielraums gesehen. Das Bundesgericht hat in diesem Zusammenhang das richterliche Ermessen verdeutlicht: »es soll aufgrund sämtlicher Umstände im Einzelfall (Art. 4 ZGB) entschieden werden, ob eine Schädigung billigerweise noch dem Haftpflichtigen zugerechnet werden kann.«945 Bei dem adäquaten Kausalzusammenhang handelt es sich also um eine Zurechnungsfrage, die nach dem Ermessen des Richters zu entscheiden ist.946 (259) Die polnische Rechtsprechung macht ebenfalls deutlich, dass das richterliche Ermessen oder sogar die Vernunft Kriterien der Kausalität festlegt. Das Richterermessen soll eine besondere Rolle bei der Kausalität spielen, wenn es um indirekte Folgen einer unerlaubten Handlung geht.947 Hingewiesen wird, genauso wie im schweizerischen Recht, auf den unscharfen Charakter der Adäquanz. Zwar qualifiziert das polnische Recht die Adäquanz nicht als eine Generalklausel. Der Oberste Gerichtshof bekräftigt jedoch, dass in Grenzfällen nur 939 Qu8zel-Ambrunaz, Essai sur la causalit8 en droit de la responsabilit8 civile, Rn. 197; Brun, Causalit8 juridique et causalit8 scientifique, RLDC Suppl8ment 40/2007, Rn. 38. 940 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 254ff. 941 Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 213. 942 PeÇa Ljpez, in: Rodr&guez-Cano (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil2, S. 2180. 943 Urt. TS v. 22. 11. 2006, STS 7593/2006, RJ 200, 297. 944 Urt. TS v. 3. 7. 1998, STS 4457/1998, RJ 1998, 5411 zitiert in Urt. TS v. 16. 5. 2001, STS 4039/ 2001, RJ 2001, 6213. 945 Urt. BGE v. 22. 3. 2011, Az. 4 A 444/2010. 946 Widmer, Cuasation under Swiss law, in: Spier (Hrsg.) Unification of Tort Law : Causation, S. 131 mit Verweis auf Urt. BGE v. 4. 2. 1997, 123 III 110. 947 Urt. OG v. 11. 12. 2008, Az. IV CSK 349/08, Legalis 589239 mit Verweis auf Urt. OG v. 18. 3. 2008, Az. II CSK 336/07, Legalis 539734.

152

Erster Teil: Traditionelle Systembildung

das richterliche Ermessen entscheidend ist. Grund dafür sei, dass das Hauptziel der Adäquanz die gerechte Gestaltung der Haftungsgrenzen ist.948

6.

Unterbrechung des Kausalzusammenhangs

(260) Eine klar haftungseingrenzende Rolle spielt der Begriff der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs. Es handelt sich dabei natürlich um kein allgemeines Kausalitätskriterium. Obwohl der Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem Schaden den Kausalitätstest erfüllt, kann die Haftung ausgeschlossen werden, wenn die Kausalität durch eine andere Ursache unterbrochen wird. (261) Im französischen Recht wird von der rupture du lien de causalit8 in den Fällen von force majeure gesprochen.949 Der in Art. 1147 fr. CC (nunmehr : Art. 1231-1 fr. CC) im Bereich der Vertragshaftung formulierte Begriff »cause 8trangHre non imputable« findet auch in der Deliktshaftung Anwendung.950 Manche Autoren behaupten sogar, dass dieses Konzept eine Hauptrolle bei der Haftungseingrenzung spiele.951 Es ist jedoch problematisch die cause 8trangHre präzise zu definieren.952 Vorgeschlagen wird, nur eine haftungsausschließende cause 8trangHre als force majeure zu beschreiben.953 Die französische Definition von force majeure ist sehr breit. Nach der traditionellen Definition handelt es sich um ein »8v8nement impr8visible et irr8sistible qui, provenant d’une cause ext8rieure au d8biteur d’une obligation ou / l’auteur d’un dommage (force de la nature, fait d’un tiers, fait du prince), le libHre de son obligation ou l’exonHre de sa responsabilit8«.954 Hervorgehoben wird aber, dass die Bedeutung der cause 8trangHre im Bereich der Haftung für eigenes Fehlverhalten geringer ist als im Falle der verschuldensunabhängigen Haftung.955 Der Grund dafür soll die Tatsache sein, dass in den meisten Anwendungsfällen der cause 8trangHre die Haftung schon aufgrund des fehlenden Verschuldens ausgeschlossen werden kann.956 Die cause 8trangHre

948 949 950 951 952 953 954 955 956

Urt. OG v. 18. 4. 2002, Az. II CKN 1216/00, OSNC 2003, Nr. 4, Pos. 58. Fabre-Magnan, Les obligations, Rn. 270. Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 214. Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 383 sprechen von »un moyen de la port8e trHs large«. Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 272. AaO. Vocabulaire juridique8, Cornu (Hrsg.), S. 421. Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 404; Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 275. Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 275.

Kausalität

153

spiele deswegen keine Rolle im Bereich der Verschuldenshaftung.957 Als Formen der cause 8trangHre werden typischerweise (i) höhere Gewalt (force majeure), (ii) Selbstverschulden (faute de la victime) und (iii) Drittverschulden (fait d’un tiers) aufgelistet.958 Zu den traditionellen Kriterien der force majeure zählen die Unvermeidbarkeit (irr8sistibilit8), Unvorhersehbarkeit (impr8visibilit8) und die ext8riorit8959.960 Die neue Rechtsprechung scheint die Anforderungen an die force majeure zu reduzieren. Insbesondere wird die Unvorhersehbarkeit nicht mehr vorausgesetzt.961 (262) Weniger verbreitet ist die Idee der Unterbrechung des Kausalzusammenhanges im spanischen Recht. Hervorgehoben wird, dass der caso fortuito bzw. fuerza mayor nur im Bereich der verschuldensunabhängigen Haftung ein autonomer Rechtfertigungsgrund sei.962 Bei der Haftung für eigenes Fehlverhalten haben diese Begriffe keine eigenständige Bedeutung, weil das Verschulden in diesen Fällen sowieso nicht gegeben ist.963 (263) Im schweizerischen Recht spricht sowohl die Lehre als auch die Rechtsprechung von der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs.964 Sie ist als »Wegfall der Adäquanz« bekannt.965 Bei Alternativursachen vergleicht das Bundesgericht insbesondere »die Intensität der beiden Kausalzusammenhänge«.966 Darüber hinaus grenzen die Unterbrechungsgründe die Adäquanz die Haftung ein.967 Als Unterbrechungsgründe werden (i) höhere Gewalt, (ii) grobes Selbstverschulden und (iii) grobes Drittverschulden genannt.968 Von den ge957 Mazeaud/Mazeaud/Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle6, Rn. 630 dargestellt als eine Meinung von Tunc. 958 Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 214. 959 Das Ereignis muss unabhängig vom Willen desjenigen eintreten, der sich darauf beruft. Definition der ext8riorit8 auf Deutsch nach dem EuGH Urt. v. 10. 4. 2003, Az. C-167/99. 960 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 1806. 961 Roynette, Drawing the Line of the Scope of the Duty of Care in American Negligence and French Fault Based Liability, JCLS 2015, S. 56. 962 Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: Dom&nguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2053. 963 AaO. 964 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 3, Rn. 154; Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 20. 965 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 20 bzw. Unterbrechung des adäquaten Kausalzusammenhanges; Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht1, Rn. 551ff. 966 Urt. BGE v. 23. 10. 1990, 116 II 519, S. 524 mit Verweis auf: »OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 4. Aufl. 1987, Band II/1, S. 70 Rz. 223; STARK, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 2. Aufl. 1988, S. 54/5 Rz. 218ff.; BREHM, N 132ff. zu Art. 41 OR; DESCHENAUX/TERCIER, La responsabilit8 civile, 2e 8d. 1982, S. 63ff. Rz. 60ff.« 967 Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und Besonderer Teil, Rn. 1926ff. 968 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 21.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

nannten Fällen hat nur das Selbstverschulden eine gesetzliche Grundlage in Art. 44 Abs. 1 OR.969 Entgegen der Rechtsprechung und herrschenden Lehre behaupten einige Autoren, dass in diesen Fällen nicht die Adäquanz, sondern die natürliche Kausalität unterbrochen wird, bzw. die Kausalität lediglich hypothetisch ist.970 (264) Die polnische Rechtsprechung spricht bei mehreren Ursachen gelegentlich ebenfalls von der Unterbrechung des Kausalzusammenhanges.971 In diesen Fällen sei die Voraussetzung der Adäquanz nicht erfüllt.972 Die Lehre spricht wiederrum von nova causa interveniens.973 Nach der herrschenden Meinung schließt die Unterbrechung des Kausalzusammenhanges die Haftung des ursprünglichen Verursachers nur dann aus, wenn für die unterbrechende Ursache keine andere Person verantwortlich ist.974 Sonst greift die gesamtschuldnerische Haftung aus Art. 441 § 1 poln. ZGB ein.

IV.

Zwischenergebnis

(265) Einigkeit besteht zwischen den einzelnen Rechtsordnungen darüber, dass die Kausalität ein juristisches Kriterium darstellt, welches sich mit keiner wissenschaftlichen Formel beschreiben lässt. Demgegenüber sind die Kriterien zur Beurteilung der juristischen Kausalität sehr verschieden. Keines der Systeme hat es geschafft, einen Kausalitätstest so zu formulieren, dass er für den ganzen Bereich der Haftung für eigenes Fehlverhalten anwendbar wäre. Sogar die gemeineuropäisch herrschende Adäquanztheorie wird nicht nur vehement kritisiert, sondern auch sehr unterschiedlich ausgelegt. Eine wichtige Rolle bei der Kausalitätsprüfung spielt das richterliche Ermessen. Auch bei der Frage des Ermessensspielraums bestehen zwischen den einzelnen Rechtsordnungen deutliche Unterschiede. Während die französischen Gerichte über eine unbegrenzte dogmatische Freiheit verfügen, begründen die polnischen und spanischen höchstrichterlichen Instanzen ihre Entscheidungen mit Kausalitätstheorien, die jedoch nicht immer streng eingehalten werden. 969 Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht1, Rn. 556. 970 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 20. 971 Urt. AppG Białystok (»Sa˛d Apelacyjny w Białymstoku«) v. 17. 6. 2003, Az. ACa 53/03, OSAB 2003, Nr. 4, S. 3. 972 Urt. OG v. 18. 5. 2000, Az. III CKN 810/98, Legalis 315818. 973 Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.), Kodeks cywilny I8, Art. 361, Rn. 13; Sobolewski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 361, Rn. 23f; Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.), System prawa cywilnego VI2, § 3, Rn. 105 spricht auch von cause 8trangHre. 974 Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System prawa cywilnego VI2, § 3, Rn. 121.

Schaden

155

Relativ groß ist demgegenüber die dogmatische Bindung der Rechtsprechung im schweizerischen Recht.

§7

Schaden

(266) Bei einem System der Haftung für eigenes Fehlverhalten, das auf einer Generalklausel basiert, soll die Art des eingetretenen Schadens keine haftungseingrenzende Rolle spielen. Als Grundsatz gilt, dass alle Schäden, unabhängig von ihrer Art, den gleichen Ersatzregeln unterliegen. Dennoch grenzt der Schadensbegriff die Haftung in allen untersuchten Rechtsordnungen ein. Um diese Haftungseingrezung zu schildern, werden zunächst die nationalen Schadensdefinitionen aufgeführt (dazu unter I). Skizziert wird daraufhin die Bedeutung des Schadens bei der Haftungseingrenzung in den einzelnen Rechtsordnungen (unter II). Besonders wichtig für die Eingrenzung der Haftung durch die Anforderungen an den ersatzfähigen Schaden sind die vorausgesetzten Schadensmerkmale (unter III).

I.

Begriff des Schadens

(267) Keine der Generalklauseln versucht den Schaden zu definieren. Stattdessen haben die Rechtsprechung und die Lehre die Ausformulierung des Schadensbegriffes übernommen.975 Dadurch unterscheidet sich der Begriff des Schadens zwischen den untersuchten Rechtsordnungen erheblich. Streitig ist zunächst, ob der Schaden umgangssprachlich zu verstehen ist, oder ob es notwendig ist, eine besondere juristische Definition dieses Begriffes zu entwickeln (dazu unter 1). Unterschiedelich sind zudem die ontologischen Auffassungen dieser Voraussetzung (unter 2). 1.

Der Schaden als juristischer Begriff

(268) Entgegen der herrschenden Meinung, dass der Schaden im Deliktsrecht ein juristisches Konzept ist, wird die Notwendigkeit, einen juristischen Schadensbegriff auszuformulieren, gelegentlich bezweifelt (dazu unter a). In den untersuchen Rechtsordnungen werden regelmäßig die Begriffe des rechtlich relevanten (unter b) und normativen (unter c) Schadens verwendet. 975 Magnus, Comparative Report on the Law of Damages, in: Magnus (Hrsg.) Unification of Tort Law : Damages, S. 191.

156

Erster Teil: Traditionelle Systembildung

a) Juristischer Schaden (préjudice) (269) Exemplarisch für die Erforderlichkeit, den Schaden juristisch zu definieren, erweist sich das französische Recht. Dieses kennt zwei Begriffe, welche den Schaden beschreiben. Der Code civil verwendete bis zur Novelle von 2016 des nur den Begriff dommage. Das Wort pr8judice führte der Gesetzgeber erst mit der Novellierung im dritten Kapitel des deliktsrechtlichen Teils (»La r8paration du pr8judice 8cologique«) zur Beschreibung der ökologischen Schäden ein. Bis zu diesem Zeitpunkt hat die französische Kodifikation nicht zwischen pr8judice und dommage unterschieden.976 Einige Autoren haben jedoch seit geraumer Zeit vorgeschlagen, zwischen den beiden Begriffen zu differenzieren.977 Der Grund für die Einführung diese Differenzierung war, die Erforderlichkeit zwischen dem allgemeinen und juristischen Schadensbegriff zu unterscheiden. Während es sich beim dommage um eine Tatsachenfrage handele, sei der pr8judice ein Rechtsbegriff, welcher den Schaden im Rechtssinne beschreibt.978 Für dommage wurde folgende Definition vorgeschlagen: »est un fait: c’est toute atteinte / la int8grit8 d’une chose, d’une personne, d’une activit8, d’une situation.«979 Als pr8judices wurden demgegenüber »les diverses cons8quences d’coulant du dommage / l’8gard de la victime de celui-ci« beschrieben.980 Besonders bedeutsam für diese Begriffsfrage ist der neue Art. 1251 fr. CC: »Les d8penses expos8es pour pr8venir la r8alisation imminente d’un dommage, pour 8viter son aggravation ou pour en r8duire les cons8quences constituent un pr8judice r8parable«. Somit unterstützt die neue Regelung der ökologischen Schäden die Unterscheidung zwischen den tatsächlichen und juristischen Aspekten des Schadensbegriffes im französischen Recht. Angesichts der Einführung dieser Unterscheidung im Code Civil ist es nicht mehr richtig, die beiden Facetten mit einem Begriff zu verbinden. Der Rechtsbegriff des pr8judice kann die Haftung für eigenes Fehlverhalten in den Zeiten ihrer Ausweitung eingrenzen.981 Genauso wie im Falle der juristischen Kausalität bekommt die Cour de cassation somit die Möglichkeit, die Ersatzfähigkeit bestimmter Schadensarten zu überprüfen.982

976 Buffelan-Lanore/Larribau-Terneyre, Droit civil. Les obligations12, Rn. 1593. 977 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 1303; Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle3, Rn. 215. 978 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 176; Molfessis, La psychologisation du dommage, in: Laquette/Molfessis (Hrsg.) Quel avenir pour la responsabilit8 civile?, S. 54; Borghetti, Les int8rÞts prot8g8s et l’8tendue des pr8judices r8parables en droit de la responsabilit8 civile extracontractuelle, FS Viney, S. 153. 979 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 1305. 980 AaO. 981 Pradel, Le pr8judice dans le droit civil de la responsabilit8, Rn. 18. 982 Esmein, Trait8 pratique de droit civil franÅais IV2, Rn. 554.

Schaden

157

(270) In der Schweiz haben die Rechtsprechung und die Lehre ebenfalls eine Definition des Schadens herausgearbeitet.983 Der deliktsrechtliche Schadensbegriff wird dem natürlichen bzw. wirtschaftlichen984 Begriff des Schadens gegenüber gestellt. Letzterer umfasst jegliche Einbuße an Lebensgütern egal welcher Art, während der Schaden im Rechtssinne sich nur auf den ersatzfähigen Schaden bezieht.985 (271) Die spanische Generalklausel definiert den Schaden ebenfalls nicht.986 Versuche, den Schaden zu definieren, seien sogar zu unterlassen, weil sie dem Willen des Gesetzgebers widersprechen würden.987 Es solle nämlich keine Schadensart von der Ersatzfähigkeit ausgeschlossen werden. Statt den Schadensbegriff auszuarbeiten, sollen die Kriterien der Ersatzfähigkeit in anderen Voraussetzungen klarer formuliert und der ersatzfähige Schaden auf diese Weise eingegrenzt werden.988 Die Lehre plädiert für ein möglichst breites und offenes Schadenskonzept.989 (272) Im polnischen Recht sei eine gesetzliche Definition des Schadens überflüssig, da jede Formel zur übermäßigen Einschränkung der Haftung führen würde.990 Der Grund dafür seien insbesondere der abstrakte Charakter und die grundlegende Bedeutung des geltenden Schadensbegriffes. Letztere sei im polnischen Deliktsrecht natürlich und nicht normativ.991 Hingewiesen wird auf das umgangssprachliche Verständnis des Schadens.992 Er wurde schon von den Verfassern des poln. Obligationengesetzbuchs (1933) in dieser Weise verstanden. Die Mitglieder der Kodifikationskommission haben den Schaden im umgangssprachlichen Sinne definiert.993 Nach dieser Definition handelt es sich um einen materiellen oder immateriellen Nachteil, der ohne rechtlichen Grund zugefügt worden ist.994 Eine gesetzliche Beschränkung des Schadens sei zudem 983 984 985 986 987 988 989 990 991

992 993 994

Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und Besonderer Teil, Rn. 1846. Brehm, Berner Kommentar VI 1/3/1, OR, Art. 41, Rn. 69. Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil5, § 2, Rn. 1. Vicente Domingo, in: (Hrsg.) Reglero Campos, Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 311; Santos Briz, Tratado de la responsabilidad civil, S. 457. Vicente Domingo, in: (Hrsg.) Reglero Campos, Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 311. AaO, S. 315. AaO. Kalin´ski, Szkoda na mieniu i jej naprawienie2, S. 168. Longchamps de Berier, Zobowia˛zania, S. 239; Szpunar, Ustalenie odszkodowania według przepisjw kodeksu cywilnego, S. 333f; Kalin´ski, Ograniczenie indemnizacji do podmiotjw bezpos´rednio poszkodowanych – w zwia˛zku z nowelizacja˛ art. 446 Kodeksu cywilnego, PS 2014, Nr. 3, S. 8. Zagrobleny, in: Gniewek/Machnikowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz7, Art. 361, Rn. 32. Dybowski, in: Czachjrski (Hrsg.) System Prawa Cywilnego III-1, S. 213. Begründung des Entwurfs des Obligationengesetzbuchs (»Uzasadnienie Kodeksu zobowia˛zan´ z uwzgle˛dnieniem ostatecznego tekstu kodeksu«) in Bearbeitung von Prof. Roman Longchamps de Berier, Kodifikationskommission, Warschau 1934, S. 191.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

überflüssig, weil der Schaden an sich noch keine Haftung begründen kann. Die Haftung könne durch andere Voraussetzungen hinreichend eingegrenzt werden.995 Gegen diese umgangssprachliche Auffassung des Schadens spricht jedoch, dass er auch in der Umgangssprache keine eindeutige Bedeutung hat.996 Darüber verweist der Zusatz »ohne rechtlichen Grund« in der Begründung des Entwurfs des poln. Obligationengesetzbuchs (1933) klar auf die Rechtswidrigkeit des Schadens und führt somit ein juristisches Kriterium in die Schadensdefinition ein. b) Rechtlich relevanter Schaden (273) Unter den Einflüssen der deutschen Dogmatik wird in allen untersuchten Rechtsordnungen versucht, die Ersatzfähigkeit bestimmter Schadensarten zu differenzieren. Die Unterscheidung kann insbesondere durch die Einführung eines restriktiven Schadensbegriffes erfolgen. Als Paradebeispiel für eine solche Vorgehensweise dient das italienische Deliktsrecht, in dem der Begriff des danno ingiusto eine Kernrolle spielt.997 Die italienische Generalklausel enthält die Voraussetzung des rechtlich relevanten bzw. ersatzfähigen Schadens.998 Die Hauptfunktion dieses Begriffes ist, die Deliktshaftung einzugrenzen. Demgegenüber ist in keiner der untersuchten Rechtsordnungen eine rechtliche Relevanz des Schadens gesetzlich vorgeschrieben. (274) Die Versuche, dieses Konzept in die anderen Rechtsordnungen zu übernehmen, sind bisher erfolgslos geblieben. Zwar wird sogar im französischen Recht gelegentlich vom dommage r8parable999 oder pr8judice r8parable1000 gesprochen. Es handelt sich dabei jedoch nicht um ein schadensbezogenes Eingrenzungskriterium, sondern nur um die bloße Feststellung, dass nicht alle tatsächlich erlittenen Schäden ersatzfähig sind.1001 (275) Am bedeutsamsten ist der Einfluss des italienischen Konzepts im spanischen Recht. Diese Entwicklung ist mit der herrschenden erfolgsorientierten Rechtswidrigkeitslehre zu erklären. Der Schaden ist nach dieser Lehre ein juristisches Konzept (nocijn jur&dica del daÇo).1002 Folglich könne nur ein rechtlich relevanter Schaden ersatzfähig sein. Zu unterscheiden ist zwischen den Begriffen des daÇo indemnizable (ersatzfähiger Schaden) und daÇo antijur&dico 995 AaO, S. 191f. 996 Dybowski, in: Czachjrski (Hrsg.) System Prawa Cywilnego III-1, S. 213; Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System prawa cywilnego VI2, § 2, Rn. 68. 997 Vicente Domingo, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 313. 998 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 4, 217. 999 Terr8/Simler/Lequette, Les obligations11, Rn. 697. 1000 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 176. 1001 Terr8/Simler/Lequette, Les obligations11, Rn. 697. 1002 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Derecho de daÇos, S. 307.

Schaden

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(rechtswidriger Schaden). Der Begriff des daÇo indemnizable enthält keine besonderen Anforderungen an die Ersatzfähigkeit. Vielmehr geht es wie im französischen Recht um die bloße Feststellung, dass die anderen Voraussetzungen die Haftung ausschließen können.1003 Daher ist ein Schaden nur dann ersatzfähig, wenn »concurran los presupuestos establecidos por la ley en considerar la lesijn como un daÇo«.1004 Dieser Begriff hat also keine selbständige haftungseingrenzende Funktion. Erst mittels der Begriffe des daÇo antijur&dico1005 bzw. daÇo injusto wird nach dem italienischen Muster versucht, die Problematik der Rechtswidrigkeit aus der Perspektive des Schadens zu veranschaulichen. Der juristische Begriff des Schadens soll nach einer Mindermeinung in der Lehre auch die Rechtswidrigkeitsprüfung umfassen.1006 Gegen diese Auffassung spreche jedoch nach der herrschenden Auffassung die Notwendigkeit, die Rechtswidrigkeit und den Schaden strikt zu trennen. Die Rechtswidrigkeit sei nur aus der Perspektive des schadensverursachenden Verhaltens zu prüfen.1007 Die herrschende Meinung verstößt zwar gegen die spanische erfolgsorientierte Auffassung der Rechtswidrigkeit. Angesichts der Tatsache, dass nach spanischem Recht alle Schäden von sich aus rechtlich relevant sein können, würde eine Voraussetzung der Rechtswidrigkeit des Schadens die Haftung jedoch sowieso nicht eingrenzen.1008 Die Rechtswidrigkeit als Mittel, den rechtlich relevanten Schaden zu definieren, wird entsprechend überwiegend abgelehnt.1009 Selbst die Vertreter der erfolgsorientierten Rechtswidrigkeit lehnen die Theorie des rechtwidrigen Schadens mit dem Argument ab, dass sogar die durch die Natur verursachten Schäden als rechtswidrig qualifiziert werden müssten.1010 (276) Genauso wie im spanischen Recht schlägt die polnische Lehre vereinzelt vor, den Begriff des rechtlich relevanten Schadens einzuführen.1011 Das juristische Konzept des Schadens sei, wie in Italien und Spanien, der »rechtswidrige Schaden«.1012 Das Konzept, den Schaden durch die zusätzliche Voraussetzung der Rechtswidrigkeit zu begrenzen, ist von Art. 2043 ita. CC inspiriert.1013 Dabei wird klargestellt, dass die Rechtswidrigkeit des Schadens sich gerade auf den 1003 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Derecho de daÇos, S. 307ff. 1004 Busto Lago, La antijuridicidad del daÇo resarcible en la responsabilidad civil extracontractual, S. 42 ähnlich auch D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Derecho de daÇos, S. 314f. 1005 Busto Lago, La antijuridicidad del daÇo resarcible en la responsabilidad civil extracontractual, S. 45. 1006 Santos Briz, Tratado de la responsabilidad civil, S. 457. 1007 Garc&a-Ripoll Montijano, Ilicitud, culpa y estado de necesidad, S. 36. 1008 AaO, S. 32. 1009 Vicente Domingo, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 324ff. 1010 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 276ff. 1011 Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.), System prawa cywilnego VI2, § 2, Rn. 73. 1012 Ders., Szkoda na mieniu i jej naprawienie2, S. 63f. 1013 AaO, S. 62.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Erfolg und nicht auf das Verhalten bezieht.1014 Daher begründet ein rechtswidriges Verhalten keine Haftung, wenn die verletzten Interessen nicht schutzwürdig bzw. der Schaden nicht rechtswidrig ist.1015 Befürwortet wird von diesen Autoren darüber hinaus die Einführung des Kriteriums der rechtlichen Relevanz nach dem Muster des DCFR.1016 (277) In der polnischen Rechtsprechung taucht zwar der Begriff des »rechtswidrigen Schadens« als allgemeine Haftungsvoraussetzung auf, jedoch ohne Erklärung, auf was sich die Rechtswidrigkeit des Schadens beziehen sollte.1017 Die juristische Schadensdefinition wird gelegentlich durch das Erfordernis ergänzt, dass der Nachteil rechtlich nicht gerechtfertigt sein soll.1018 (278) Die Kritiker dieser Auffassung deuten darauf hin, dass nur das schadensverursachende Verhalten und nicht der Schaden selbst als rechtswidrig qualifiziert werden kann.1019 Die zusätzliche Anforderung ist für die Schadensdefinition nicht erforderlich, weil die eigenständige Voraussetzung der Rechtswidrigkeit die Haftung bereits entsprechend eingrenzt.1020 Ferner wird darauf hingewiesen, dass nicht jede Beeinträchtigung der absolut geschützten Interessen als rechtswidrig qualifiziert werden kann, was bei den durch die Natur verursachten Schäden besonders deutlich wird.1021 Die Rechtswidrigkeitsprüfung kann deswegen nicht innerhalb der Voraussetzung des Schadens stattfinden.1022 Darüber hinaus bezeichnet der Gesetzgeber auch die Einbußen als Schäden, die ausnahmsweise nicht ersatzfähig sind, und unterscheidet nicht zwischen den einzelnen Schadensarten.1023 Daher gibt es nach der herrschenden Meinung keinen Grund, eine zusätzliche und vom Gesetzgeber nicht vorgesehene Voraussetzung einzuführen.

1014 Jastrze˛bski, Anm. zum OG Urt. v. 17. 12. 2004, Az. II CK 300/04, PS 2006, Nr. 9, S. 179. 1015 Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 415, Rn. 4. Als Beispiel wird der Profitverlust eines Zuhälters als Folge der Brandstiftung an der für diese Tätigkeit genutzten Wohnung genannt. 1016 Kondek, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci odszkodowawczej, S. 195. 1017 OG Urt. v. 18. 6. 2010, V CSK 443/09, Legalis 392594: »Sowohl im System der Vertrags- als auch Deliktshaftung gehören zu den Haftungsvoraussetzungen: der rechtswidrige Schaden, das Ereignis, mit dem das Gesetz die Haftung auslöst, der Kausalzusammenhang zwischen diesem Ereignis und dem Schaden.« 1018 Longchamps de Berier, Zobowia˛zania3, S. 239; Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, S. 85. mit Verweis auf die st. Rspg des OG. 1019 Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 2, Rn. 72. Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 415, Rn. 4. 1020 Sinkiewicz, Poje˛cie i rodzaje szkody w polskim prawie cywilnym, Rejent 1998, Nr. 2, S. 63. 1021 Kondek, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci odszkodowawczej, S. 191. 1022 AaO, S. 191ff. 1023 Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 2, Rn. 73. Als Beispiel werden hier die Schadenersatzausschlüsse des Beförderungsrechts genannt.

Schaden

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c) Normativer Schaden (279) Der Begriff des normativen Schadens ist im schweizerischen Recht geläufig.1024 Er spielt jedoch keine eingrenzende Rolle, sondern versucht, die Eingrenzungen des traditionellen Schadensbegriffes zu überwinden. Bei normativen Schäden wird die Schadensberechnung entgegen der Annahmen der Differenztheorie pauschalisiert.1025 Die Rechtsprechung hat den Begriff des normativen Schadens von der Lehre übernommen. Hiermit wurde die Ersatzfähigkeit derjenigen Einbußen anerkannt, die nicht auf einer Vermögensverminderung basieren.1026 Beim normativen Schaden handelt es sich also um keine allgemeine Definition des Schadens, sondern um die Anerkennung der Ersatzfähigkeit bestimmter kasuistisch formulierter Schadensarten, die sonst nach der Differenztheorie nicht ersatzfähig wären. Streitig ist beispielsweise, ob ein Kommerzialisierungsschaden, der auf einem abstrakten Nutzungsausfall basiert, ein ersatzfähiger Schaden ist.1027 Die herrschende Rechtsprechung1028 und die Lehre lehnen die Ersatzfähigkeit solcher Schäden mit der Begründung ab, dass nach der Differenztheorie kein Schaden entstanden ist.1029 Im polnischen Recht wird ebenfalls gelegentlich vom »normativen Schaden« gesprochen.1030 Dieser Begriff ist als Gegenteil des »natürlichen Schadens« gemeint und soll den ersatzfähigen Schaden im Allgemeinen umschreiben.1031 Im Unterschied zum schweizerischen Recht sind dabei nicht die Ausnahmen von der Differenztheorie gemeint, die nach polnischem Recht ausnahmslos gilt.

1024 Schönenberger, Kurzkommentar zum Obligationenrecht, Art. 41, Rn. 8; Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht1, Rn. 176ff; Stoessel, Schadensberechnung nach der Differenztheorie sowie kritische Bemerkungen zum »normativen Schaden«, in: FS Schweizerische Gesellschaft für Haftpflicht- und Versicherungsrecht, S. 601ff. 1025 Schönenberger, Kurzkommentar zum Obligationenrecht, Art. 42, Rn. 5. 1026 Urt. BGE v. 8. 1. 2003, 129 II 145, S. 147f: »Gemäß Art. 45 Abs. 3 OR hätten Personen, die durch die Tötung eines Menschen ihren Versorger verloren haben, Anspruch auf Ersatz des dadurch erlittenen Schadens. Dieser umfasse auch die Beeinträchtigung in der Führung des Haushalts, unabhängig davon, ob sie sich in zusätzlichen Aufwendungen niederschlage oder überhaupt eine Vermögensminderung eintrete. Es handle sich insoweit um einen sog. normativen Schaden, der sich nicht konkret, sondern nur abstrakt berechnen lasse.« 1027 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 4. 1028 Urt. BGE v. 19. 12. 2005, 132 III 379, S. 386. 1029 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 4. 1030 Kalin´ski, Szkoda na mieniu i jej naprawienie2, S. 168. 1031 Dybowski, in: Czachjrski (Hrsg.) System Prawa Cywilnego III-1, S. 214ff; Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 361, Rn. 7.

162 2.

Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Schadensdimensionen

(280) Die untersuchten Rechtsordnungen sind nicht darüber einig, ob sich der Schadensbegriff auf die Rechtsgutverletzung oder ihre Folgen beziehen soll. Traditionellerweise wird die haftungsbegründende Rechtsgutverletzung bei einer Generalklausel nicht gesondert geprüft. Der Grund dafür ist, dass grundsätzlich die Verletzung jedes Rechtsguts ersatzfähig ist. Zu sehen ist dennoch eine gemeinsame Entwicklung: Immer häufiger unterscheidet die Lehre zwischen der Rechtsgutverletzung und dem daraus entstehenden Schaden (dazu unter a). Diese Unterscheidung wird aber nicht immer klar durchgeführt. Die traditionellen Schadensdefinitionen berücksichtigen typischerweise nur einen von beiden Aspekten. Der Schaden wird einerseits als eine Verletzung von Rechtsgütern bzw. Interessen definiert, was dem haftungsbegründenden Aspekt entspricht (dazu b). Andererseits stellen viele Schadensdefinitionen auf die Beeinträchtigung bestimmter Rechtsgüter aufgrund der unerlaubten Handlung ab, also auf den haftungsausfüllenden Aspekt (dazu c). a) Unterscheidung zwischen der Haftungsbegründung und Haftungsausfüllung (281) Die für einen deutschen Juristen selbstverständliche Unterscheidung zwischen der Rechtsgutverletzung und dem daraus entstehenden Schaden ist einer deliktsrechtlichen Generalklausel fremd. Sind alle Einbußen in jeglichen Rechtsgütern bzw. Interessen gleich geschützt, ist es – wenigstens auf den ersten Blick – nicht notwendig, die Rechtsgutverletzung gesondert zu prüfen. So eine Prüfung wird traditionellerweise nur in den Rechtsordnungen vorausgesetzt, in welchen die erfolgsbezogene Rechtswidrigkeit eine selbständige Voraussetzung ist. Das ist bei den auf einer Generalklausel basierenden Rechtsordnungen gerade nicht der Fall.1032 (282) Ersichtlich ist jedoch eine Tendenz, die Rechtsgutverletzung gesondert als einen Teil der Schadensproblematik zu prüfen. Diese Entwicklung ist vor allem für das spanische Recht charakteristisch. Die Unterscheidung zwischen der Interessenverletzung (daÇo evento) und dem ersatzfähigen Schaden (daÇo consecuencia) sei sogar in der neuesten Rechtsprechung des Tribunal Supremo zu sehen.1033 Die spanische höchstrichterliche Instanz unterscheidet zwischen der lesijn de los intereses und den consecuencias patrimoniales y no patrimoniales. Die Begriffe »daÇo evento« und »daÇo consecuencia« hat der 1032 Das spanische Deliktsrecht verwendet zwar einen erfolgsbezogenen Rechtswidrigkeitsbegriff (Siehe, Rn. 152), die Bedeutung dieser Voraussetzung für die Haftungseingrenzung ist jedoch gering (Siehe, Rn. 141ff). 1033 Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: Dom&nguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2047. Die Autoren weisen auf das folgende Urt. hin: Urt. TS v. 27. 7. 2006, STS 5866/2006, RJ 2006, 6548.

Schaden

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Tribunal Supremo, soweit ersichtlich, jedoch bisher nicht verwendet. Der Grund für die Versuche, diese Unterscheidung in das spanische Deliktsrecht einzuführen, ist die vergleichsweise geringe Rolle der Rechtswidrigkeit bei der Haftungseingrenzung. Daher soll der Schadensbegriff teilweise die für die Rechtswidrigkeit typischen Kriterien übernehmen. (283) Gelegentlich wird auch in der polnischen Lehre zwischen der haftungsbegründenden Interessenverletzung und dem daraus entstehenden Schaden unterschieden.1034 Der Schaden könne nach dieser Auffassung entweder eine Rechtsgutverletzung oder die Folgen dieser Verletzung bezeichnen.1035 Demgegenüber unterscheidet die Rechtsprechung zwischen diesen Aspekten des Schadensbegriffes nicht. Die Interessenverletzung unterliegt nicht mal einer gesonderten Prüfung. (284) Ebenfalls nicht unterschieden wird zwischen den beiden Schadensdimensionen im eidgenössischen Recht. Dies tritt hier sogar noch deutlicher als im polnischen Recht hervor, weil der Schaden sich genauso wie im deutschen Recht ausschließlich auf die Haftungsausfüllung bezieht.1036 Die Tatsache, dass der deliktsrechtliche Schadensbegriff die Rechtsgutverletzung nicht umfasst, beruht auf der eigenständigen Prüfung der Verletzung von absoluten Rechten bei der Rechtswidrigkeit. (285) Im französischen Recht wird beides unter dem Begriff des pr8judice geprüft. Der pr8judice ist zwar die Folge des dommage.1037 Der letzte Begriff, welcher als reine Tatsachenfrage angesehen wird, betrifft jedoch nicht die Rechtsgutverletzung, die erst im Rahmen vom pr8judice untersucht wird. Der pr8judice umfasst deswegen sowohl die haftungsbegründende Rechtsgutverletzung als auch den daraus entstehenden Schaden. Dies zeigt die folgende Definition: »le terme pr8judice d8signe toute l8sion d’un int8rÞt d’ordre patrimonial ou extrapatrimonial (…) pouvant consister en une perte ou en un gain manqu8«.1038 Der französische Schadensbegriff umfasst daher sowohl Aspekte der Haftungsbegründung als auch der Haftungsausfüllung. b) Schaden als Begriff der Haftungsbegründung (Rechtsgutverletzung) (286) Gegen die Natur einer Generalklausel wird in den untersuchten Rechtsordnungen manchmal versucht, haftungseingrenzende Anforderungen an die deliktsrechtlich geschützten Güter und Interessen einzuführen. Diese Eingrenzung erfolgt jedoch nicht durch eine Auflistung bestimmter Güter oder Interessen, sondern indem besondere Anforderungen an diese Rechtspositionen 1034 1035 1036 1037 1038

Dybowski, in: Czachjrski (Hrsg.) System Prawa Cywilnego III-1, S. 224ff. Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 2, Rn. 81. Siehe, Rn. 294. Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 1305. Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 176.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

gestellt werden. Umstritten ist, welche Kriterien den Begriff des deliktsrechtlich geschützten Interesses bzw. Rechts eingrenzen sollen. Von den untersuchten Rechtsordnungen hat nur das schweizerische Recht keine Anforderungen in diesem Bereich formuliert. Die Rechtsgutverletzung wird in der Schweiz ausschließlich als Frage der erfolgsbezogenen Rechtswidrigkeit behandelt. aa) Frankreich (287) Das französische Deliktsrecht ordnet die haftungsbegründende Problematik dem juristischen Begriff des Schadens – pr8judice – zu. Er wird als die Verletzung eines Interesses (la l8sion d’un int8rÞt)1039 oder Rechts (un droit l8s8)1040 definiert. Nach der herrschenden Auffassung gibt es jedoch keine Hierarchie der geschützten Interessen.1041 (288) Ein Beispiel hierfür ist das französische Konzept des rechtlich geschützten Interesses (l’int8rÞt l8gitime juridiquement prot8g8). Die Frage, ob die Deliktshaftung für die Ersatzfähigkeit des Schadens eine Verletzung von rechtlich geschützten Interessen verlangt, ist immer noch umstritten.1042 Obwohl der Code civil die rechtlich geschützten Interessen nicht auflistet, soll es Interessen geben, die deliktsrechtlich nicht geschützt werden.1043 Die Cour de cassation hat diese zusätzliche Voraussetzung erst im Jahr 1937 ausformuliert1044 : »le demandeur d’une indemnit8 d8lictuelle ou quasi d8lictuelle doit justifier, non d’un dommage quelconque, mais la l8sion certaine d’un int8rÞt l8gitime, juridiquement prot8g8.«1045 Sie wurde von der Cour de cassation verwendet, um die Haftung einzugrenzen. Die Einführung dieser zusätzlichen Voraussetzung wurde teilweise als »une technique dangereuse, (…) injustifi8e et f.cheuse« kritisiert; die Eingrenzung der Ersatzfähigkeit sollte nur durch das Erfordernis der Gewissheit des Schadens stattfinden.1046 Charakteristisch ist darüber hinaus, dass die Rechtsprechung diese Voraussetzung bei der Schadensprüfung nicht konsequent gefordert hat. Sie wurde nur in bestimmten Arten von Streitigkeiten 1039 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 249ff. 1040 Lalou, Trait8 pratique de la responsabilit8 civile6, Rn. 135. 1041 Viney, Pour ou contre un principe g8n8ral de responsabilit8 pour faute?, OULR 2002, Nr. 49, S. 42. 1042 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 189ff. 1043 Mazeaud/Mazeaud/Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle6, Rn. 275ff; Mazeaud, La l8sion d’un »int8rÞt l8gitime juridiquement prot8g8«, condition de la responsabilit8 civile, D. 1954, Chr., S. 39f; Dejean de la B.tie, in: Ponsard/Fadlallah (Hrsg.) Aubry& Rau, Droit civil franÅais VI-28, § Rn. 10. 1044 Pradel, Le pr8judice dans le droit civil de la responsabilit8, Rn. 25; Mazeaud/Mazeaud/ Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle6, Rn. 277–8. 1045 Urt. Cass. civ. v. 27. 7. 1937, Bull civ. 1938, S. 5. 1046 Mazeaud/Mazeaud/Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle6, Rn. 277–8.

Schaden

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angewendet, um die Haftung punktuell zu verneinen.1047 Fast ausschließlich ging es dabei um die Forderungen nichtehelicher Lebensgefährten nach dem Tod ihres Partners.1048 Diese Rechtsprechung wurde mit dem Urteil Dangeroux verworfen,1049 das eine grundlegende Bedeutung für das französische Deliktsrecht hat.1050 Die höchstrichterliche Instanz hat in einer für sie dogmatisch überraschend klarer Weise erklärt: »l’article 1382 C. civ. (…) n’exige pas, en cas de d8cHs, l’existence d’un lien de droit entre le d8funt et le demandeur en indemnisation (…)«.1051 Die Voraussetzung der Rechtmäßigkeit des geschützten Interesses verlor an Bedeutung1052 und wurde fast einstimmig als »condition 8quivoque et controvers8e«1053 beschrieben. Laut der inzwischen herrschenden Rechtsprechung enthält Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC) diese Voraussetzung nicht.1054 Teilweise wird jedoch behauptet, dass ein Haftungsausschluss aus diesem Grund dennoch bei Forderungen, die sich aus kriminellen oder sittenwidrigen Handlungen ergeben, möglich wäre.1055 (289) Die Voraussetzung der Legitimität des Interesses wird darüber hinaus in Art. 31 fr. CPC formuliert: »L’action est ouverte / tous ceux qui ont un int8rÞt l8gitime au succHs ou au rejet d’une pr8tention (…)«. Einige Autoren sehen diese Voraussetzung als die Folge der allgemeinen verfahrensrechtlichen Regel an.1056 Teilweise wird sogar von einer Unwürdigkeit (indignit8) des Geschädigten als negative Voraussetzung des Schadensersatzes gesprochen.1057 Die Rechtsprechung scheint die Rechtsverletzung ebenfalls zu verneinen, wenn sich der Geschädigte in einer rechtswidrigen (illicite) Situation befindet.1058 Dies gilt insbesondere dann, wenn er sich an einer rechtswidrigen Handlung beteiligt.1059 Diese Rechtsprechung bedeutet aber nicht, dass ein subjektives Recht verletzt werden muss.1060 Die Voraussetzung der Legitimität zeigt nur, dass das Interesse an sich weder gegen das Recht noch gegen die guten Sitten verstoßen darf.1061 Sie 1047 1048 1049 1050 1051 1052 1053 1054 1055 1056 1057 1058 1059 1060 1061

Jourdain, Le pr8judice et la jurisprudence, Resp. civ. et assur. 2001, Nr. 6, S. 50. Carbonnier, Droit civil VI21, Rn. 205; Urt. Cass. civ. 2 v. 25. 6. 1965, Bull. Civ. 2, Nr. 570. Urt. Cass. mixte v. 27. 02. 1970, Az. 68–10276, Bull. mixte, Nr. 1, Pos. 1. Pradel, Le pr8judice dans le droit civil de la responsabilit8, Rn. 47. Urt. Cass. mixte v. 27. 02. 1970, Az. 68–10276, Bull. mixte, Nr. 1, Pos. 1. Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 271ff; Galand-Carval, Damages under French Law, in: Magnus (Hrsg.) Unification of Tort Law : Damages, S. 80. Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 189. Urt. Cass. civ. 2 v. 5. 1. 1973, Bull. civ. 2, Nr. 5, S. 4. Galand-Carval, Damages under French Law, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Damages, S. 80 mit Bezug auf Straftaten oder Prostitution. Le Tourneau, La responsabilit8 civile, Rn. 523. Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 195. AaO. Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 274. Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 205. AaO.

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hat folglich nur einen negativen Aspekt. Es wird behauptet, dass die Voraussetzung des rechtlich geschützten Interesses der Begrenzung des Schadenersatzes bei reinen Vermögensschäden dient, dass den Gerichten die Arten des Schadens also nicht gleichgültig sind.1062 Die herrschende Lehre geht jedoch davon aus, dass nicht zwischen den einzelnen Schadensarten differenziert wird und der Schadensbegriff »unique et indiff8renci8« ist.1063 (290) Von besonderer Bedeutung für den Schadensbegriff im französischen Recht ist die Rechtsprechung zur Kind-als-Schaden-Problematik. Die höchstrichterliche Instanz hat zuerst bestätigt, dass eine Mutter kein Schmerzensgeld für den immateriellen Schaden, der durch die Geburt eines Kindes entstanden ist, bekommen kann. Der Grund dafür ist, dass kein rechtlich ersatzfähiger Schaden (pr8judice juridiquement r8parable) vorliege.1064 Ersatzfähig wäre nur der immaterielle Schaden der Mutter im Falle besonderer Schmerzen, insbesondere durch die Geburt eines durch eine Vergewaltigung gezeugten Kindes.1065 Anders gestaltet sich die Rechtsprechung bezüglich der Schadenersatzansprüche von Eltern von ungewollten behinderten Kindern bzw. der Kinder selbst. Von besonderer Bedeutung ist die Entscheidung in der Sache Perruche.1066 In diesem Fall ging es um die Ansprüche des Kindes. Diesen hat die Cour de cassation stattgegeben, mit der Begründung, dass nicht das Leben, sondern die Behinderung der ersatzfähige Schaden ist.1067 Die Kritiker dieser Entscheidung haben grundsätzlich nicht die Feststellung, dass eine Behinderung ein Schaden ist in Frage gestellt, sondern die Kausalität oder die Rechtmäßigkeit (l8gitimit8) des verletzten Interesses verneint.1068 Die letzte Auffassung scheint an den Begriff des int8rÞt l8gitime juridiquement prot8g81069 anzuknüpfen. bb) Spanien (291) Nach einigen Autoren erfordere Art. 1902 span. CC weder die Verletzung eines Rechts noch eines Interesses.1070 Der materielle Schaden werde zwar manchmal als lesijn de un inter8s valorable de dinero definiert. Dabei handele es 1062 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 195. 1063 Viney, Le »Wrongfulness« en Droit FranÅais, in: Koziol (Hrsg.) Unification of Tort Law : Wrongfulness, S. 56. 1064 Urt. Cass. civ. 1 v. 25. 06. 1991, Az. 89-18617, Bull. civ. 1, Nr. 213, S. 139 zitiert in: FabreMagnan, Les obligations, Rn. 261. 1065 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 249-2. 1066 Urt. Cass. ass. pl8n. v. 17. 11. 2000, Az. 99-13701, Bull. ass. pl8n., Nr. 9, S. 15 das als le c8l8brissime bezeichnet wird: Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 249-6. 1067 Urt. Cass. ass. pl8n. V. 17. 11. 2000, Az. 99-13701, Bull. ass. pl8n., Nr. 9, S. 15. 1068 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 249–6. 1069 Siehe, Rn. 288. 1070 Pantalejn Prieto, in: Paz-Ares Rodr&guez, D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Bercovitz, Salvador Coderch (Hrsg.) Comentario del Cjdigo Civil, Ministerio de Justicia II-2, S. 1994.

Schaden

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sich aber nicht um ein »objektiv-typisiertes« rechtlich geschütztes Interesse, sondern um ein »subjektiv-historisches« Interesse des gewissen Geschädigten an der Integrität der Sache.1071 Der Begriff des Interesses wird für den Wert verwendet, den eine geschädigte Sache für den Geschädigten hat.1072 Die in Spanien herrschende Meinung der Lehre fordert jedoch eine Verletzung des rechtlich geschützten Interesses. Dies sei mit dem System einer Generalklausel kompatibel.1073 Die Basis dafür, welche Interessen geschützt seien, bilden nach dieser Auffassung insbesondere die verfassungsrechtlichen Grundrechte. Den Katalog der rechtlich geschützten Interessen zu formulieren, wird sogar als eine Aufgabe der spanischen Verfassung angesehen.1074 Diese Auflistung ist jedoch nicht erschöpfend und der Schutz von bestimmten Interessen kann sich aus der gesamten Rechtsordnung ergeben.1075 Die Rechtsprechung des Tribunal Supremo verwendet nicht den Begriff »inter8s jur&dicamente protegido«1076, sondern »inter8s protegido«.1077 Der Tribunal Supremo weist in seiner neuesten Rechtsprechung ferner darauf hin, welche deliktsrechtlich geschützten Interessen verletzt sein müssen, um die Haftung zu begründen.1078 Manchmal wird die Voraussetzung der Verletzung eines Rechts oder eines rechtlich geschützten Interesses als Frage der Rechtswidrigkeit bezeichnet1079, was mit der herrschenden erfolgsorientierten Theorie der Rechtswidrigkeit zu erklären ist. cc) Polen (292) Auch nach der herrschenden Meinung im polnischen Recht umfasst der deliktsrechtliche Schadensbegriff nur die Einbuße von rechtlich geschützten

1071 AaO, S. 1991. 1072 Santos Briz, in: (Hrsg.) Alb#car Ljpez, Cjdigo civil. Doctrina y Jurisprudencia VI4, S. 1358. 1073 Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: Dom&nguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2047. 1074 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 199. 1075 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Derecho de daÇos, S. 297. 1076 Obwohl die Formulierung inter8s protegido por el Derecho auch gelegentlich zu finden ist: Urt. TS v. 2. 12. 2009, STS 8187/2009, RJ 2010, 267. 1077 Urt. TS v. 5. 11. 2014, STS 4688/2014, RJ 2014, 5672 mit Verweis auf Art. 4:102 Abs. 1 PETL und nicht als Kriterium des Schadens; Urt. TS v. 10. 12. 2010, STS 7549/2010, RJ 2011, 139 und Urt. TS v. 15. 6. 2010, STS 4384/2010, RJ 2010, 5151 verwenden inter8s protegido tatsächlich als eine Voraussetzung des Schadenseintritts: »exigen tener en cuenta criterios de imputacijn objetiva, entre los cuales debe figurar el criterio de la relevancia del daÇo, pues solo aplicando 8stos podr# admitirse la lesijn de un inter8s protegido por el Derecho.« Im rechtsvergleichenden Kontext wurde der Begriff auch im Urt. TS v. 21. 11. 2008, STS 6443/2008, RJ 2009, 144 verwendet. 1078 Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: Dom&nguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2047. 1079 Rodr&guez-Cano, Comentarios al Cjdigo Civil2, S. 2180.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Gütern und Interessen.1080 Die Formulierung »die Güter des Geschädigten« hat jedoch an sich keine eingrenzende Wirkung. Es soll sich um alle Güter und Interessen handeln, die der Befriedigung der materiellen und immateriellen Bedürfnisse und Ziele des Geschädigten dienen.1081 Die Formulierung, dass der schuldrechtliche Schaden nur die rechtlich geschützten Güter und Interessen umfasst, ist demgegenüber restriktiver. Daneben soll es auch »außerrechtliche Einbußen« geben, bei denen es unmöglich sei, eine Norm zu finden, die vor dieser Einbuße schützt.1082 Als Paradebeispiel dient der entgangene Gewinn aus einer rechtwidrigen Tätigkeit.1083 Postuliert wird ferner, die Rechtmäßigkeit des Interesses zu vermuten, so dass der Schädiger die Beweislast trägt.1084 Umstritten ist dagegen, ob die einfache Rechtsgutverletzung ohne Einbuße in den Gütern des Geschädigten ein Schaden ist. Nach einer Meinung entsteht ein deliktsrechtlicher Schaden nur dann, wenn die Rechtsgutverletzung bestimmte negative Folgen für die Güter des Geschädigten hat.1085 Es gibt jedoch keine Rechtsprechung, welche die Ersatzfähigkeit des Schadens aufgrund fehlender Schutzwürdigkeit eines verletzten Interesses verneint. Im polnischen Recht wird nicht gesondert diskutiert, welches Interesse rechtlich geschützt ist. Deliktsrechtlich schutzwürdig sind insbesondere sowohl das Vermögen des Geschädigten als auch seine Persönlichkeitsrechte.1086 Die Versuche, die Unrechtmäßigkeit (»brak prawnego uzasadnienia«) als eine Voraussetzung des Schadens einzuführen, wurden nicht angenommen.1087 c) Schaden als Begriff der Haftungsausfüllung (293) Viele Schadensdefinitionen sind auf die Dimension der Haftungsausfüllung begrenzt. Diese Auffassung überwiegt in den Rechtsordnungen, die die Rechtsgutverletzung als eine Frage der erfolgsbezogenen Rechtswidrigkeit ansehen. Somit wird die Rechtsgutverletzung von dem als ihre Folge verstandenen Schaden getrennt. In diesem Sinne wird der Schaden vor allem als Vermögensminderung definiert. 1080 Sobolewski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 361, Rn. 45; Zagrobleny, in: Gniewek/Machnikowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz7, Art. 361, Rn. 33. Nur von Gütern spricht Koch, in: Gutowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz. Art. 1–44911 I, Art. 361, Rn. 47; Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 2, Rn. 68. 1081 Sinkiewicz, Poje˛cie i rodzaje szkody w polskim prawie cywilnym, Rejent 1998, Nr. 2, S. 63. 1082 Zagrobleny, in: Gniewek/Machnikowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz7, Art. 361, Rn. 33. 1083 Sobolewski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 361, Rn. 45. 1084 AaO, Rn. 47. 1085 Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 2, Rn. 81. 1086 AaO, Rn. 83. 1087 AaO, Rn. 72.

Schaden

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aa) Schweiz (294) Am stärksten ist diese Vorgehensweise im schweizerischen Recht. Die Lehre definiert den Schaden grundsätzlich als »eine Vermögensverminderung«.1088 Somit bezieht sich der Begriff eindeutig lediglich auf die Haftungsausfüllung. Um den Schaden noch mehr zu konkretisieren, wird er folgendermaßen definiert: »eine unfreiwillige Verminderung des Vermögens, die in einer Abnahme der Aktiven, einer Zunahme der Passiven oder in einem entgangenen Gewinn besteht.«1089 Das Vermögen in dieser Definition ist jedoch weit zu verstehen und bezieht sich auf alle »wirtschaftlich bedeutsamen und messbaren Güter«.1090 Insbesondere ist die Verletzung der Persönlichkeit, der Ehre und der wirtschaftlichen Freiheit umfasst, solange diese Verletzung messbare wirtschaftliche Folgen hat.1091 Kritiker behaupten aber, diese Definition sei lediglich eine Berechnungsmethode.1092 Es sei nicht mehr und nicht weniger als die Bekenntnis zur Differenztheorie.1093 Die Natur des Schadens werde durch diese Formel nicht näher erläutert. Besonders stark kritisiert wird, dass die Definition lediglich die Vermögenseinbuße umfasst.1094 Folglich kann eine Körperverletzung als solche, die zu keiner Vermögensverminderung führt, nicht als Schaden qualifiziert werden.1095 bb) Spanien (295) In Spanien ist der Schaden ebenfalls die schädlichen Folgen einer Rechtsgutverletzung und nicht die Verletzung als solche. Anders als im schweizerischen Recht beruht diese Entwicklung weniger auf der doch begrenzten Rolle der Rechtswidrigkeit, sondern mehr auf den Einflüssen der deutschen Lehre. Die am häufigsten zitierte Schadensdefinition ist die von La-

1088 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 2, Rn. 4; Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 3; Raschein, Die Widerrechtlichkeit im System des schweizerischen Deliktsrechts, S. 109; Schönenberger, Kurzkommentar zum Obligationenrecht, Art. 41, Rn. 4. 1089 Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und Besonderer Teil, Rn. 1845 ähnlich Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht1, Rn. 151. 1090 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 2, Rn. 5. 1091 AaO. 1092 Bosshard, Neuere Tendenzen in der Lehre zum Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, S. 24. 1093 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 3. 1094 Bosshard, Neuere Tendenzen in der Lehre zum Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, S. 23f. 1095 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 3 mit Verweis auf Urt. BGE v. 21. 6. 2001, 127 III 403.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

renz1096 : »die Einbuße, die jemand infolge eines bestimmten Vorganges oder Ereignisses, sei es an seinen natürlichen Lebensgütern, sei es an seinem Eigentum oder sonst an seinem Vermögen, erleidet«.1097 Genauso wie im schweizerischen Recht umfasst die traditionelle Definition nur die materiellen Schäden. Neuere Definitionen beziehen auch die immateriellen Schäden ein: »el daÇo es cualquier menoscabo o deterioro de un bien patrimonial o personal«.1098 Sie betreffen jedoch weiterhin überwiegend die Haftungsausfüllung. Eine Ausnahme bilden die Stimmen, welche die schon erwähnte Unterscheidung zwischen daÇo evento und daÇo consequencia fordern.1099 cc) Polen (296) Die polnische Lehre definiert den Schaden im Sinne der Differenztheorie als »eine Einbuße in den Gütern des Geschädigten«.1100 Häufig wird die Berechnungsmethode zugleich zum Teil der Definition: »eine Einbuße in den Gütern des Geschädigten, die aus dem Unterschied zwischen dem Zustand, der infolge des schadensverursachenden Ereignisses eingetreten ist, und dem Zustand, der ohne dieses Ereignis bestünde, besteht.«1101 Diese Vorgehensweise wird mit dem Wortlaut von Art. 361 § 2 poln. ZGB begründet.1102 Es handelt sich jedoch genauso wie bei der schweizerischen Formel bloß um eine Berechnungsregel. Sie besagt lediglich, dass sowohl damnum emergens als auch lucrum cessans ersatzfähig sind. Dieser Schadensbegriff hat eine haftungseingrenzende Rolle. Beispielsweise ist der Bonitätsverlust an sich kein direkter Schaden, weil er zu keiner Vermögensverminderung führt, sondern nur eine Ursache für künftige Schäden.1103

1096 Vicente Domingo, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 311; Santos Briz, in: Albaladejo (Hrsg.) Comentarios al cjdigo civil y compilaciones forales XXIV, S. 156. 1097 Larenz, Derecho de obligaciones, trad. esp. y notas Santos Briz I, S. 193 und zitiert in: D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Derecho de daÇos, S. 307. 1098 PeÇa Ljpez, in: Rodr&guez-Cano (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil2, S. 2179. 1099 Siehe, Rn. 282. 1100 Sinkiewicz, Poje˛cie i rodzaje szkody w polskim prawie cywilnym, Rejent 1998, Nr. 2, S. 62. 1101 Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 2, Rn. 68; ählich Dybowski, in: Czachjrski (Hrsg.) System Prawa Cywilnego III-1, S. 214f. 1102 Art. 361 § 2 poln. ZGB: »Der Schadenersatz umfasst mangels einer abweichenden Vorschrift des Gesetzes oder Vertragsbestimmung innerhalb der vorstehend genannten Grenzen die Schäden, die der Geschädigte erlitten hat, sowie die Vorteile, die er hätte erzielen können, wenn ihm kein Schaden zugefügt worden wäre.« 1103 Sobolewski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 361, Rn. 41 mit Verweis auf Urt. OG v. 12. 2. 2003, Az. I CKN 6/01, Legalis 58643.

Schaden

II.

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Bedeutung des Schadens für die Haftungseingrenzung in den einzelnen Rechtsordnungen

(297) Unter allen Voraussetzungen der Haftung für eigenes Fehlverhalten sollte der Schaden die geringste Rolle bei der Eingrenzung spielen. Ein Grundprinzip jeder deliktsrechtlichen Generalklausel ist schließlich die Annahme, dass alle Schadensarten gleich ersatzfähig sind. Trotzdem trägt auch der Schadensbegriff zur Konkretisierung der Haftungsregeln in allen untersuchten Rechtsordnungen bei. Als Mittel der Haftungseingrenzung dient der Schaden vor allem im französischen Recht (dazu unter 1). In den anderen Rechtsordnungen ist die haftungseingrenzende Bedeutung des Schadens geringer (unter 2). 1.

Schaden als wichtiges Mittel der Haftungseingrenzung (Frankreich)

(298) Im französischen Recht hat der Schaden die Eingrenzung wenigstens aus terminologischer Sicht teilweise übernommen. Zu erklären ist diese Entwicklung mit der begrenzten Rolle der Kausalität. Der Schaden stand zwar lange im Schatten der anderen Voraussetzungen.1104 Es sei sogar das Desinteresse der Rechtsprechung und der Lehre bezüglich des Schadens, welches zur Ausuferung der Haftung geführt habe.1105 Einige Autoren behaupten demgegenüber, dass das Verschulden als tatbestandsbezogener Begriff besser als der Schaden an psychologische und philosophische Entwicklungen angepasst werden könne.1106 Die Rechtsprechung ist bei der Schadensfeststellung ebenfalls immer noch sehr liberal.1107 So gibt es keine Schadensarten, die pauschal von der Ersatzfähigkeit ausgeschlossen werden. Durch die Einführung des Begriffes Pr8judice par ricochet zeigt sich sogar eine Erweiterung des Schadensbegriffes.1108 Die allgemeine Tendenz zur Ausweitung der Ersatzfähigkeit1109 mündete in einer weiteren Liberalisierung der Anforderungen an diese Voraussetzung der Haftung: »d8sint8gration progressive du concept«.1110 (299) Es ist jedoch nicht der Begriff des Schadens, welcher die Haftung eingrenzt, sondern die an ihn gestellten Anforderungen. Gemeint sind die für das französische Recht typischen Merkmale des ersatzfähigen Schadens: actuel, 1104 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 176; Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 1303. 1105 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 1306. 1106 Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 210. 1107 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 248. 1108 Dejean de la B.tie, in: Ponsard/Fadlallah (Hrsg.) Aubry& Rau, Droit civil franÅais VI-28, Rn. 14. 1109 R8my, R8flexions pr8liminaires sur le chapitre Des d8lits, in: Terr8 (Hrsg.) Pour une r8forme du droit de la responsabilit8 civile, S. 22. 1110 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 178.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

direct et certain. Sie wurden von der Rechtsprechung entwickelt und stufenweise konkretisiert. Diese Kriterien übernehmen insbesondere die Haftungseingrenzung für reine Vermögensschäden, was im schweizerischen Recht demgegenüber durch die Rechtswidrigkeit erfolgt.1111

2.

Geringe Bedeutung des Schadens für die Haftungseingrenzung (Polen, Schweiz, Spanien)

(300) In den anderen untersuchten Rechtsordnungen spielt der Schadensbegriff keine wesentliche Rolle bei der Konkretisierung der Generalklausel. Im schweizerischen Recht wird der Begriff des Schadens nicht einmal gesondert diskutiert.1112 Wegen des eigenständigen Charakters der Rechtswidrigkeit ist eine weitergehende Eingrenzung durch den rechtlich relevanten Schaden nicht erforderlich. Es sei die Rechtswidrigkeit, welche die Hauptrolle bei der Feststellung des deliktsrechtlichen Schutzbereichs spiele.1113 Im polnischen Recht ist die Bedeutung des Schadens für die Haftungseingrenzung ebenfalls gering. Der Schadensbegriff ist weit1114 und seine Grenzen relativ deutlich.1115 Der Oberste Gerichtshof behauptet dennoch, dass »der Schaden die Hauptvoraussetzung der Deliktshaftung ist«.1116 Diese Behauptung bezieht sich jedoch mehr auf die Reihenfolge der Prüfung der Voraussetzungen als auf die haftungseingrenzende Rolle des Schadens. Die spanische Lehre versucht teilweise den Begriff des Schadens durch die Unterscheidung zwischen daÇo evento und daÇo consecuencia zu konkretisieren. In all diesen Rechtsordnungen spielt der Schaden bei der Haftungseingrenzung aber immer noch die geringste Rolle.

III.

Schadensmerkmale

(301) In einigen Rechtsordnungen wird die Haftung nicht nur durch die jeweilige Schadensdefinition, sondern auch durch die besondere Voraussetzung der »Ersatzfähigkeit« des Schadens begrenzt. Unter diesem Begriff werden z. B. Tatbestandsmerkmale wie das Erfordernis eines »direkten« oder »gewissen« 1111 Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, in: Zimmermann (Hrsg.) Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, S. 227. 1112 Bosshard, Neuere Tendenzen in der Lehre zum Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, S. 23. 1113 Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, in: Zimmermann (Hrsg.) Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, S. 219. 1114 Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.), Kodeks cywilny I8, Art. 361, Rn. 37. 1115 AaO. 1116 Urt. OG v. 18. 6. 2010, Az. V CSK 443/09, Legalis 392594.

Schaden

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Schadens gefasst. Die Zuordnung dieser Merkmale zu der Voraussetzung des Schadens hat eine gewisse Beliebigkeit, da derartige Anforderungen auch als Bestandteil einer Kausalitätsprüfung angesehen werden könnten. (302) Das französische Recht zeichnet sich, wie bereits erwähnt, dadurch aus, dass die Schadensmerkmale die wohl wichtigste Rolle für die Haftungseingrenzung spielen.1117 Statt eine allgemeine Definition des Schadens zu formulieren, konkretisieren Lehre1118 und Rechtsprechung1119 die einzelnen Schadensmerkmale. Der Schaden soll actuel, direct et certain sein.1120 Kritiker finden diese Merkmale missverständlich und lückenhaft.1121 Bei ihrer Auslegung gebe es »des incertitudes th8oriques non n8gligeables«.1122 Die Rechtsprechung verwendet sie dennoch regelmäßig.1123 (303) Nach dem Beispiel der französischen Lehre versuchen einige spanische Autoren den Begriff des Schadens ebenfalls durch die Anwendung von Schadensmerkmalen einzugrenzen.1124 Hierzu gehören folgende Merkmale: (i) die Gewissheit des Schadens (la certeza del daÇo oder la realidad de los daÇos)1125 ; (ii) der direkte Charakter (daÇo directo) und (iii) der persönliche Charakter (daÇo personal).1126 Die letzten zwei Merkmale sind nach herrschender Meinung jedoch ein Teil der Kausalitätsproblematik. Sie sind deshalb für die Eingrenzung des Schadensbegriffs ungeeignet.1127 (304) Das polnische Recht befasst sich vor allem mit dem Begriff des direkten Schadens (szkoda bezpos´rednia).1128 Eine vergleichsweise ähnlich geringe Rolle spielen die Schadensmerkmale im schweizerischen Recht. Hier wird zur Haftungseingrenzung vor allem der Begriff des Dritt- bzw. Reflexschadens heran1117 Galand-Carval, Damages under French Law, in: Magnus (Hrsg.) Unification of Tort Law : Damages, S. 79. 1118 Vergeblich ist die Suche nach einer allgemeinen Definition des Schadens beispielsweise bei: Esmein, Trait8 pratique de droit civil franÅais IV2, Rn. 542ff; Terr8/Simler/Lequette, Les obligations11, Rn. 697ff. 1119 Galand-Carval, Damages under French Law, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Damages, S. 79f. 1120 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 179. 1121 AaO. 1122 Grare, Recherches sur la coh8rence de la responsabilit8 d8lictuelle, Rn. 239. 1123 Urt. Cass. civ. 1 v. 3. 6. 2015, Az. 14-10424; Urt. Cass. civ. 1 v. 4. 6. 2014, Az. 13-19669 »seul est sujet / r8paration le pr8judice direct, actuel et certain«, ähnlich Urt. Cass. civ. 1 v. 30. 5. 2012, Az. 11-19202. 1124 Vicente Domingo, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 316 mit Verweis auf Urt. Cass. civ. 2, 16. 4. 1996, Az. 94-13613, Bull. 1996 II Nr. 94, S. 59. 1125 Santos Briz, La responsalibilidad civil7, S. 152ff. 1126 Vicente Domingo, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 315ff. 1127 AaO, S. 323ff. 1128 Mit diesem Begriff befasst sich ausführlich Lackoron´ski, Odpowiedzialnos´c´ cywilna za pos´rednie naruszenia djbr, Diss. Warschau 2013.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

gezogen.1129 Als weitere haftungseingrenzende Voraussetzung kennt das polnische Recht, wie auch das schweizerische, das Merkmal der Unfreiwilligkeit des Schadens. (305) Im Folgenden werden diejenigen Schadensmerkmale untersucht, welche die größte Bedeutung für die Eingrenzung der Haftung aufgrund einer deliktsrechtlichen Generalklausel haben. Keine nähere Untersuchung erfordert das Merkmal der »Aktualität« eines Schadens. Es hat keinen wesentlichen Einfluss auf die Ersatzfähigkeit. Die herrschende Meinung in der französischen Lehre hält diese Voraussetzung sogar für falsch. Grundsätzlich seien auch künftige Schäden ersatzfähig, so lange sie die Voraussetzung der Gewissheit erfüllen.1130 Die Aktualität wird in den anderen untersuchten Rechtsordnungen ohnehin nicht vorausgesetzt. Merkmale, die in mehreren der untersuchten Rechtsordnungen zur Haftungseingrenzung beitragen, sind aber der direkte Charakter des Schadens (dazu unter 1), die Gewissheit des Schadens (unter 2), der persönliche Charakter des Schadens (unter 3) sowie die Unfreiwilligkeit des Schadens (unter 4).

1.

Direkter Charakter des Schadens (dommage direct)

(306) In keiner der untersuchten Rechtsordnungen besteht Einigkeit darüber, wie der direkte Charakter des Schadens zu verstehen ist. Im polnischen Recht werden drei mögliche Bedeutungen dieser Schadensvoraussetzung vorgeschlagen.1131 Erstens wird auf die Person des Geschädigten abgestellt. Als direkte Schäden gelten die Einbußen, welche der »direkt« an seinen Rechtsgütern Verletzte in seinem Vermögen erleidet, selbst wenn sie eine indirekte Folge des schadenverursachenden Ereignisses sind. Demgegenüber werden die Einbußen Dritter als indirekte Schäden bezeichnet. In diesem Zusammenhang wird typischerweise von »Dritt- oder Reflexschäden« gesprochen (dazu unter a). Zweitens sollen nur Schäden ersatzfähig sein, die in einem »direkten Kausalzusammenhang« stehen. Dieses Erfordernis wird mit dem Begriff »causa proxima« bezeichnet (unter b). Drittens wird unter dem direkten Charakter die Verbindung zwischen der Rechtsgutverletzung und ihren Folgen verstanden. »Folgeschäden« sind nach dieser Auffassung alle Schäden, die mittelbar durch die Rechtsgutverletzung entstehen, selbst wenn sie im Vermögen des direkt Verletzten entstanden sind (unter c). 1129 Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und Besonderer Teil, Rn. 1873. 1130 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 1410. 1131 Kalin´ski unterscheidet fünf verschiedene Bedeutungen der Begriffe »direkter« und »indirekter« Schäden: Kalin´ski, Szkoda na mieniu i jej naprawienie2, S. 320; Stecki, Problematyka odpowiedzialnos´ci za szkode˛ pos´rednia˛, FS Radwan´ski, S. 291.

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a) Dritt- bzw. Reflexschaden (307) Die Ersatzfähigkeit von Dritt- bzw. Reflexschäden ist nicht nur im polnischen, sondern auch im schweizerischen Recht umstritten. In beiden Rechtsordnungen gibt es Gesetzbestimmungen, welche die Ersatzfähigkeit von Drittbzw. Reflexschäden in besonderen Fällen zulassen. Aus diesen Vorschriften wird der Umkehrschluss gezogen, dass diese Schäden grundsätzlich nicht ersatzfähig sind. (308) Im eidgenössischen Recht sind Drittschäden nur in einem einzigen Fall ersatzfähig: Art. 45 Abs. 3 OR gewährt dem Unterhaltsberechtigten Schadensersatz nach dem Tod der unterhaltspflichtigen Person (sog. Versorgerschaden).1132 In allen anderen Fällen ist die Ersatzfähigkeit von Dritt- bzw. Reflexschäden ausgeschlossen.1133 Der indirekt Geschädigte ist nicht anspruchsberechtigt, weil es keinen rechtswidrigen Eingriff in seine Rechtsgüter gab.1134 Diese Lehre gibt zwar zu, dass der fehlende Ersatz anderer Reflexschäden zu unbilligen Ergebnissen führen kann. Der im deutschen Recht zur Abhilfe erfundenen Konstruktionen Drittschadensliquidation und Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wird jedoch mit Skepsis begegnet.1135 Der grundsätzliche Ausschluss der Ersatzfähigkeit von Drittschäden im schweizerischen Recht wird als zu weitgehende Begrenzung der Haftung kritisiert, weil die Rechtswidrigkeitsprüfung die Haftung bei reinen Vermögensschäden genügend eingrenze.1136 Teilweise plädiert die Lehre daher dafür, dass auch derartige Drittbzw. Reflexschäden ersatzfähig sein sollten.1137 (309) Die herrschende Meinung im polnischen Recht schließt die Ersatzfähigkeit von Reflexschäden grundsätzlich aus.1138 Begründet wird dies damit, dass die polnische Generalklausel von der Schädigung »einer anderen Person« und 1132 Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht1, Rn. 358. 1133 Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und Besonderer Teil, Rn. 1873. 1134 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 8 mit Verweis auf Urt. BGE v. 26. 2. 2009, Az. 4 A 408/2008, Schönenberger, Kurzkommentar zum Obligationenrecht, Art. 41, Rn. 11; Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und Besonderer Teil, Rn. 1873; Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht1, Rn. 356. 1135 Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und Besonderer Teil, Rn. 1875. 1136 Schönenberger, Kurzkommentar zum Obligationenrecht, Art. 41, Rn. 11. 1137 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 8 mit Verweis auf Urt. BGE v. 11. 3. 1986, 112 II 118, S. 125; Gauch, Grundbegriffe des ausservertraglichen Haftpflichtrechts, recht 1996, S. 227. 1138 Urt. OG v. 11. 12. 2008, Az. IV CSK 349/08, Legalis 589239; Urt. OG v. 28. 12. 1972, Az. I CR 615/72; OSPiKA 1974 Nr. 1, Pos. 7; Jastrze˛bski, O granicach kompensacji, in: Jastrze˛bski (Hrsg.) Odpowiedzialnos´c´ odszkodowawcza, S. 13ff; Grenich, Rekompensata utraty szansy, in: Jastrze˛bski (Hrsg.) Odpowiedzialnos´c´ odszkodowawcza, S. 34ff. Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 2, Rn. 88 bezweifelt demgegenüber, dass diese Unterscheidung für die Praxis von Bedeutung ist.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

nicht bloß von »jemandem« spricht.1139 Wortwörtlich lässt sich die in Art. 415 poln. ZGB verwendete Formulierung »drugiemu« als »den Zweiten« übersetzen. Nur auf den ersten Blick hat die sprachlogische Folge, dass mit dem Zweiten ja nicht der Dritte gemeint sein kann, Überzeugungskraft. Die höchstrichterliche Rechtsprechung schließt in der Tat die Haftung für Reflexschäden mit dieser Begründung aus.1140 Die Lehre spricht in diesem Zusammenhang von einer normativen Definition des Geschädigten.1141 Sie begründet die fehlende Ersatzfähigkeit von Reflexschäden damit, dass die Adäquanztheorie nicht ausreichend geeignet sei, die Haftungsgrenzen gerecht zu gestalten.1142 Darüber hinaus wird, wie im eidgenössischen Recht, auf den Umkehrschluss aus den gesetzlichen Regeln zur Ersatzfähigkeit von Dritt- und Reflexschäden hingewiesen. Dies ist insbesondere Art. 446 § 2-4 poln. ZGB, der die Schadenersatzpflicht gegenüber Familienangehörigen eines Verstorbenen vorsieht.1143 Diese Rechtsnorm müsse als Ausnahme verstanden werden, da die grundsätzliche Ersatzfähigkeit von Drittschäden zur Ausuferung der deliktischen Haftung führen würde.1144 Der Schädiger hafte für einen Reflexschaden nur, wenn er ihn vorsätzlich verursacht hat. Voraussetzung dafür ist, dass der Vorsatz auch die indirekte Schadensverursachung umfasst.1145 Die herrschende Meinung wird aber nicht allgemein akzeptiert. Für die Ersatzfähigkeit von Drittschäden soll schon der Wortlaut der polnischen Generalklausel sprechen. Die Formulierung »eine anderen Person« (genauer übersetzt: »eine zweiten Person«) reiche für so einen weitgehenden Ausschluss nicht aus,1146 sondern meine einfach irgendeinen anderen.1147 Ob die Rechtsgutverletzung mittelbare oder unmittelbare Folge des Verhaltens ist, entscheide sich daran, ob die Art und Weise der Wirkung mittelbar oder unmittelbar war, und 1139 Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 415, IV, Rn. 2; Kalin´ski, Ograniczenie indemnizacji do podmiotjw bezpos´rednio poszkodowanych – w zwia˛zku z nowelizacja˛ art. 446 Kodeksu cywilnego, PS 2014, Nr. 3, S. 10. 1140 Urt. OG v. 19. 5. 2016, Az. III CZP 20/16, Biul. SN 2016, Nr. 5; Urt. OG v. 11. 12. 2008, Az. IV CSK 349/08, Legalis 589239; Urt OG v. 28. 12. 1972, Az. I CR 615/72; OSPiKA 1974 Nr. 1, Pos. 7. 1141 Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.), Kodeks cywilny I8, Art. 415, Rn. 27. 1142 Kalin´ski, Anm. zum Urt. OG v. 22. 06. 2012, Az. V CSK 338/11, PiP 2013, Nr. 2, S. 129 und PiP 2015, Nr. 11, S. 124. 1143 Ders., Ograniczenie indemnizacji do podmiotjw bezpos´rednio poszkodowanych – w zwia˛zku z nowelizacja˛ art. 446 Kodeksu cywilnego, PS 2014, Nr. 3, S. 7ff. Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 415, Rn. 27. 1144 Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 415, Rn. 27. 1145 Kalin´ski, Ograniczenie indemnizacji do podmiotjw bezpos´rednio poszkodowanych – w zwia˛zku z nowelizacja˛ art. 446 Kodeksu cywilnego, PS 2014, Nr. 3, S. 11. 1146 Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 415, Rn. 29. 1147 Lackoron´ski/Raczkowski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 415, Rn. 31ff.

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nicht daran, gegen wen die Handlung gerichtet war.1148 In der Rechtsprechung wurde teilweise der Gedanke entwickelt, dass es nicht um die Abgrenzung direkt oder indirekt Geschädigter gehe, sondern darum, ob eine »unmittelbare« oder nur eine »mittelbare Verletzung der Rechte bzw. Interessen der Subjekte des Zivilrechts« vorliegt.1149 Diese Auffassung hat in der Lehre Zustimmung gefunden.1150 Der Begriff »mittelbarer Schaden« ist laut einiger Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs eine zu weitgehende Vereinfachung.1151 Nach einer anderen Meinung in der Lehre bedeutet die Formulierung »eine anderen Person« nur, dass das Verhalten gegen die Interessen des Geschädigten gerichtet sein muss.1152 Daher sei auch der Begriff des »mittelbaren Schadens« irreführend.1153 Diese Meinung hat die Rechtsprechung teilweise aufgegriffen. Der Oberste Gerichtshof hebt jedoch hervor, dass es letztlich eine Frage der Kausalität und nicht der Rechtswidrigkeit oder des Schadens sei.1154 Wie das Erfordernis des direkten Schadens zu verstehen sei, bleibt jedoch in der polnischen Rechtsprechung umstritten. (310) Im französischen Recht wird in diesem Zusammenhang vom dommage par ricochet1155 oder pr8judice par ricochet1156 gesprochen. Die Prüfung dieser Voraussetzung erfolgt anhand des Merkmals des persönlichen Charakters des Schadens.1157 Die Ersatzfähigkeit solcher Schäden wird immer großzügiger gesehen. Es wird aber nach Grenzen gesucht.1158 Um die Haftung für Reflexschäden auszuschließen, verwendet die Cour de cassation typischerweise die Kausalitätsprüfung. Die Haftung ist ausgeschlossen, wenn die Kausalität nicht direkt genug ist.1159 Deswegen ist der Begriff »pr8judice ricochet« kein allgemeines

1148 1149 1150 1151 1152

1153 1154 1155 1156 1157 1158 1159

Lackoron´ski, Anm. zum Urt. OG v. 22. 06. 2012, Az. V CSK 338/11, Glosa 2014, Nr. 1, S. 48. Urt. OG v. 22. 06. 2012, Az. V CSK 338/11. Lackoron´ski, Anm. zum Urt. OG v. 22. 06. 2012, Az. V CSK 338/11, Glosa 2014, Nr. 1, S. 48. Urt. OG v. 22. 06. 2012, V CSK 338/11. Safjan, Problematyka bezprawnos´ci wzgle˛dnej oraz zwia˛zku przyczynowego na tle odpowiedzialnos´ci za niezgodne z prawem akty normatywne, FS Pazdan, S. 1322f. Banaszczyk, Szkody bezpos´rednie i pos´rednie a podmiotowy zakres odpowiedzialnos´ci odszkodowawczej, PiP 2016, Nr. 2, S. 44ff. Banaszczyk, Szkody bezpos´rednie i pos´rednie a podmiotowy zakres odpowiedzialnos´ci odszkodowawczej, PiP 2016, Nr. 2, S. 47. Urt. OG v. 11. 12. 2008, Az. IV CSK 349/08, Legalis 589239. Viney, Le dommage indirect ou par ricochet en droit franÅais, in: Guillod (Hrsg.) D8veloppements r8cents du droit de la responsabilit8 civile, S. 249ff. Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 179. Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 304ff. Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 185. Urt. Cass. civ. 2 v. 21. 2. 1979, Az. 77-13951, Bull. civ. 2, Nr. 56, S. 42, D. 1979, IR, S. 344, RTD. civ. 1979, S. 612 bezüglich der Ansprüche des Gläubigers gegen den Verursacher eines Autounfalls, in dem der Schuldner verunglückte, ähnlich Urt. Cass. civ. 1 v. 27. 6. 1973, Bull. civ. 1, Nr. 218, S. 192: Fehlen der cause direct et certaine zwischen einem

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

Kriterium zur Haftungseingrenzung. Vielmehr wird er in besonderen Sachverhaltskonstellationen verwendet, um die Haftung mit der Begründung zu verneinen, dass es an der Kausalität fehle. (311) In der spanischen Lehre werden Dritt- bzw. Reflexschäden meist unter dem Begriff daÇos indirectos behandelt. Der Begriff bezeichnet Schäden von Personen, die durch das schadensverursachende Verhalten nicht direkt betroffen sind. Das schadensverursachende Verhalten hat daher nur indirekte Auswirkungen.1160 Unter dem Einfluss der französischen Lehre wird auch der Begriff »el daÇo reflejo o por rebote« verwendet.1161 Darüber hinaus wird versucht, diese Voraussetzung auf den Geschädigten zu beziehen. So spricht die spanische Lehre von victimas primarias und secundarias.1162 Von der spanischen Rechtsprechung wurden einige Fallgruppen festgelegt, in denen Reflexschäden ausnahmsweise ersatzfähig sind. Die Grenzen der Ersatzfähigkeit dieser Schäden sind breiter als im polnischen und schweizerischen Recht. Schockschäden sind beispielsweise sowohl im Falle der Tötung als auch bei einer schweren Körperverletzung ersatzfähig.1163 Zum Schadensersatz sind letztlich nicht nur Familienangehörige oder Erben berechtigt, sondern alle Personen, die mit dem direkt Geschädigten durch eine gewisse Zuneigung verbunden waren.1164 b) Causa proxima (312) Wie der Begriff bereits zeigt, handelt es sich bei der causa proxima um eine Kausalitätsfrage. Aus einer rechtsvergleichenden Perspektive gilt es daher als dogmatisch falsch, sie im Rahmen der Schadensproblematik zu verorten.1165 Auch in der französischen Lehre wird die Frage nach dem direkten Charakter des Schadens als eine Kausalitätsfrage angesehen.1166 Die Voraussetzung des dommage direct schließe die Ersatzfähigkeit mittelbarer Schäden i. S. d. der causa proxima nicht aus.1167

1160 1161 1162 1163 1164 1165 1166

1167

Autounfall, bei dem eine Schauspielerin verunglückte und den Gewinnverlusten eines Filmunternehmens. Santos Briz, in: Alb#car Ljpez (Hrsg.) Cjdigo civil. Doctrina y Jurisprudencia VI4, S. 1360. Vicente Domingo, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 323. Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: Dom&nguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2049. AaO, S. 2049f. AaO, S. 2049. Magnus, Comparative Report on the Law of Damages, in: Magnus (Hrsg.) Unification of Tort Law : Damages, S. 193. Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 359; Terr8/Simler/Lequette, Les obligations11, Rn. 703; Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 1410; Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 205; Grare, Recherches sur la coh8rence de la responsabilit8 d8lictuelle, Rn. 239. Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 1410; Terr8/Simler/Lequette, Les obligations11, Rn. 703.

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(313) Der Versuch, den Begriff des indirekten Schadens in dem Sinne von causa proxima für die Zwecke der Haftungseingrenzung in das polnische Recht einzuführen, wurde als Manipulation des Kausalzusammenhangs kritisiert.1168 Die Verfasser des poln. Obligationengesetzbuchs (1933) haben sich ausdrücklich gegen diesen Begriff ausgesprochen, indem sie die Übernahme von Art. 1151 fr. CC (nunmehr : Art. 1231-4 fr. CC) für das polnische Schuldrecht abgelehnt haben.1169 Folglich ist die causa proxima im polnischen Deliktsrecht kein Kriterium der Ersatzfähigkeit. Das gleiche gilt für das schweizerische und spanische Recht. c) Folgeschaden und mittelbarer Schaden (314) Ein mittelbarer Schaden liegt vor, wenn ein Ereignis zunächst einen (unmittelbaren) Schaden verursacht hat und dieser einen anderen (mittelbaren) Schaden hervorruft. Obwohl diese Kategorie der Schäden manchmal gesondert untersucht wird, schließt keine der vier Rechtsordnungen ihre Ersatzfähigkeit aus. Im polnischen Recht ist für die Ersatzfähigkeit der Folgeschäden nur das Vorliegen einer normalen Kausalität entscheidend.1170 Hervorgehoben wird, dass reine Vermögensschäden nicht immer Folgeschäden sind, sondern auch direkte Schäden sein können, weil auch die Integrität des Vermögens durch das Deliktsrecht geschützt wird.1171 Im schweizerischen Recht spricht man von mittelbaren Schäden, wenn das Schadensereignis weitere Schäden herbeiführt.1172 Diese Unterscheidung erfolgt im Rahmen der Kausalität1173 und ist manchmal im Zivilrecht von Bedeutung. So haftet der Verkäufer im Rahmen der Gewährleistung beim Rücktritt verschuldensunabhängig für unmittelbare Schäden (Art. 208 Abs. 2 OR) und aus Verschulden für mittelbare Schäden (Art. 208 Abs. 3 OR).1174 Keinen Unterschied gibt es dagegen bei der Ersatzfähigkeit von unmittelbaren und mittelbaren Schäden im Deliktsrecht.1175 Die Ersatzfähigkeit der mittelbaren Schäden hängt Kalin´ski, Anm. zum Urt. OG v. 22. 06. 2012, V CSK 338/11, PiP 2013, Nr. 2, S. 129. Siehe, Rn. 252. Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 2, Rn. 88. Ders., Szkoda na mieniu i jej naprawienie2, S. 320. Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 7; Giovannoni, Le dommage indirect en droit suisse de la responsabilit8 civile, ZSR 1977, Nr. 1, S. 31ff. 1173 Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht1, Rn. 334. 1174 Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und Besonderer Teil, Rn. 2669. 1175 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 7 mit Verweis auf Urt. BGE v. 29. 4. 1992, 118 II 176, S. 180; Schönenberger, Kurzkommentar zum Obligationenrecht, Art. 41, Rn. 9; Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 2, Rn. 26; Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht1, Rn. 343.

1168 1169 1170 1171 1172

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

nur davon ab, ob die Schäden in einem adäquaten Kausalzusammenhang mit dem schadensverursachenden Ereignis stehen.1176 2.

Gewissheit des Schadens (dommage certain)

(315) Als Kriterium der Haftungseingrenzung hat die Gewissheit des Schadens die größte Bedeutung im französischen Recht (dazu unter a). Den anderen Rechtsordnungen ist dieses Merkmal grundsätzlich fremd. Aus der rechtsvergleichenden Perspektive sei deutlich, dass die französische Gewissheit des Schadens eine Frage des Beweisrechts sei.1177 Eine systemübergreifende Karriere hat nur der Begriff der perte d’une chance gemacht, der im französischen Recht als Frage von dommage certain eingestuft wird (unter b). a) Hauptkriterium im französischen Recht (316) Die Gewissheit (certitude) des Schadens ist in Frankreich das wichtigste haftungseingrenzende Merkmal. Es wird sogar behauptet, dass sie im französischen Recht die Hauptrolle bei der Eingrenzung spiele.1178 Sie ist nicht einfach zu definieren1179(»la certitude n’est pas de ce monde«) und wird deswegen als ein relatives Konzept qualifiziert1180. Daher gibt es keine allgemeine Definition dieser Voraussetzung. Stattdessen werden Situationen aufgelistet, in welchen die Rechtsprechung die Haftung ausschließt. Fallgruppen sind1181: (i) der Eintritt des Schadens ist nicht sicher (le dommage affect8 d’un al8a – die Gewissheit im engeren Sinne), (ii) der Schaden wurde schon wiedergutgemacht (le dommage d8j/ r8par8), und (iii) der Geschädigte hat einen anderen schuldrechtlichen Anspruch, mit dem sein Schaden ersetzt werden kann (l’action en responsabilit8 civile susceptible de r8tablir la situation de la victime). (317) Die erste Gruppe betrifft die Schäden, die als »hypothetisch« oder »eventuell« (dommage purement »hypoth8tique« ou »8ventuel«) bezeichnet werden.1182 Als »une simple 8ventualit8« wurde zum Beispiel ein immaterieller Schaden beschrieben, der sich aus einer potenziellen künftigen chirurgischen Intervention ergeben würde, wenn die erforderliche Operation infolge des ärztlichen Fehlers bei dem operativen Eingriff nicht durchgeführt wurde.1183 Die 1176 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 2, Rn. 26. 1177 Magnus, Comparative Report on the Law of Damages, in: Magnus (Hrsg.) Unification of Tort Law : Damages, S. 204. 1178 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 179. 1179 Mazeaud/Mazeaud/Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle6, Rn. 219. 1180 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 1411. 1181 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 275ff. 1182 AaO, Rn. 276. 1183 Urt. Cass. civ. 1 v. 28. 06. 2012, Az. 11-19265, Bull. civ. 1, Nr. 148.

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Grenze zwischen dem Schaden, der trotz seines potenziellen Charakters certain ist und einem dommage purement »hypoth8tique« ou »8ventuel« ist sehr schwer zu ziehen.1184 Ein ersatzfähiger potentieller Schaden ist ein Schaden, »qui existe en puissance dans l’acte incrimin8, qui comporte en soi toutes les conditions de sa r8alisation«.1185 (318) Die beiden anderen Gruppen haben eine geringere Bedeutung bei der Haftungseingrenzung. Beim dommage d8j/ r8par8 handelt es sich um den Ausschluss der Überentschädigung. Hiernach müssen soziale und ähnliche Leistungen bei der Schadensberechnung berücksichtigt werden.1186 Ein Beispiel für die dritte Fallgruppe ist die Rechtsprechung der Cour de cassation im Bereich der Notarhaftung. Die Richter haben die Gewissheit eines Schadens durch die mangelhafte Registrierung des Pfandes verneint, solange der Gläubiger sich aus einem anderen Anspruch befriedigen kann.1187 Das gilt aber nicht, wenn diese anderen Rechtsmittel nur eine Folge des schadensverursachenden Ereignisses sind.1188 (319) Auch die spanische Lehre setzt teilweise die Gewissheit des Schadens voraus: Der Schaden muss cierto sein.1189 Die Gewissheit des Schadens ist nur gegeben, wenn sein Eintritt bewiesen ist.1190 Die Gewissheit des Schadens gehört also zum Prozessrecht. b) Perte d’une chance als Hauptanwendungsfall (320) Der Begriff der verlorenen Chance ist nicht nur im französischen Recht zu einem »cas c8lHbre«1191 geworden. Als Beispiele der ersatzfähigen pertes d’une chance wurden in der französischen Rechtsprechung insbesondere folgende Situationen anerkannt1192 : (i) die verlorene Chance eine Immobilie zu erwerben durch einen Fehler des Notars oder aufgrund der Verletzung seiner Auskunftspflichten, die preisbezogene Informationen betreffen1193, (ii) die verlorene Chance an einem Sportwettbewerb teilzunehmen1194 und (iii) die entgangene Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung. Die perte d’une chance kann sowohl 1184 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 276; Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 1414. 1185 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 1414. 1186 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 285ff. 1187 Urt. Cass. civ. 1 v. 2. 04. 1997, Az. 94-20352, Bull. civ. 1, Nr. 116, S. 78. 1188 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 1413. 1189 PeÇa Ljpez, in: Rodr&guez-Cano (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil2, S. 2179; Santos Briz, La responsalibilidad civil, S. 152. 1190 Santos Briz, La responsalibilidad civil7, S. 152. 1191 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 1410. 1192 Terr8/Simler/Lequette, Les obligations11, Rn. 701. 1193 Urt. Cass. civ. 1 v. 17. 06. 2015, Az. 14-17440. 1194 Urt. Cass. civ. 2 v. 16. 09. 2010, Az. 09-16843.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

ein aktueller als auch ein künftiger Schaden sein.1195 Eigentlich handelt es sich hier also um eine Ausweitung des Schadensbegriffes.1196 Dadurch hat die Voraussetzung der Gewissheit des Schadens an Bedeutung verloren, auch wenn die Anforderungen an die perte d’une chance berücksichtigt werden.1197 Der Cour de cassation drückte dies so aus: »la perte certaine d’une chance mÞme faible, est indemnisable«.1198 Um die Ausuferung der Haftung zu vermeiden, muss dieser Begriff deshalb eingegrenzt werden: Um ersatzfähig zu sein, muss eine verlorene Chance r8elle et s8rieuse sein.1199 (321) Die spanische Lehre und Rechtsprechung übernahmen den Begriff der verlorenen Chance unter dem Terminus »p8rdida de oportunidad«.1200 Teilweise wird diese Problematik jedoch bei der Kausalität behandelt.1201 In der spanischen Lehre wurde postuliert, die verlorene Chance an sich als einen Schaden1202 bzw. immateriellen Schaden zu qualifizieren.1203 Die Ersatzfähigkeit dieser Schäden wird einerseits durch die anderen Haftungsvoraussetzungen, andererseits durch das Erfordernis, dass der Verlust real y serio sein muss, begrenzt.1204 Darüber hinaus wird vom Erfordernis der realidad des Schadens gesprochen.1205

1195 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 1412. 1196 Mart&n Casals, Some introductory and Comparative Remarks to the Decision of the Swiss Federal Court BGE/ATF 133 III 462 and to the ›Loss of Chance‹ Doctrine, ERPL 2008, S. 1048. 1197 Grare, Recherches sur la coh8rence de la responsabilit8 d8lictuelle, Rn. 234. 1198 Urt. Cass. civ. 1 v. 16. 01. 2013, Az. 12-14439, Bull. civ. 1, Nr. 2. 1199 Urt. Cass. civ. 2 v. 22. 01. 2009, Az. 08-10673: »ne peut Þtre indemnis8e qu’une perte de chance pr8sentant un caractHre r8el et s8rieux«; Terr8/Simler/Lequette, Les obligations11, Rn. 701. 1200 Urt. TS v. 10. 10. 1998, STS 5788/1998, RJ 1998, 8371; Sol8 Feliu, Spanish Case Note. The Reception of the Loss of a Chance Doctrine in Spanish Case-Law, ERPL 2008, S. 1113ff; Vicente Domingo, in: (Hrsg.) Reglero Campos, Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 319ff. Für eine umfassende Darstellung der Theorie: Medina Alcoz, La teor&a de la p8rdida de oportunidad: estudio doctrinal y jurisprudencial de derecho de daÇos pfflblico y privado, 2007. 1201 Reglero Campos/Medina Alcoz, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 780ff. 1202 Bagin´ska, Kompensacja utraconej szansy – problem zwia˛zku przyczynowego czy szkody? in: Olejniczak, Haberko, Pyrzyn´ska, Sokołowska (Hrsg.) Wspjłczesne problemy prawa zobowia˛zan´, S. 63f. 1203 Gjmez Pomar, Hacer pagar al mensajero. Comentario a la STS 1a, 28. 1. 2002, Indret 2003, Nr. 1, S. 6f. 1204 Vicente Domingo, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 321f. 1205 Santos Briz, in: Alb#car Ljpez (Hrsg.) Cjdigo civil. Doctrina y Jurisprudencia VI4, S. 1358f.

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(322) Im polnischen Recht ist die Kategorie der verlorenen Chance relativ unbekannt.1206 Stärker verbreitet ist der Begriff des eventuellen1207 bzw. hypothetischen1208 Schadens. Allgemein überwiegt die Meinung, dass eine verlorene Chance als eventueller Schaden grundsätzlich nicht ersatzfähig ist.1209 Die Rechtsprechung ist jedoch vor allem bei den verwendeten Begriffen nicht konsequent. In einigen Judikaten unterscheidet der Oberste Gerichtshof in diesem Zusammenhang zwischen dem entgangenen Gewinn, der ersatzfähig ist, und einer verlorenen Chance, die nicht ersatzfähig ist. Das criterium divisionis ist in diesem Fall der Wahrscheinlichkeitsgrad. Sollte sich dieser Grad an die Gewissheit annähern, so liegt ein entgangener Gewinn im Sinne von Art. 361 § 2 poln. ZGB vor.1210 In anderen Entscheidungen lässt der Oberste Gerichtshof die Ersatzfähigkeit der verlorenen Chancen unter der Voraussetzung zu, dass die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts groß genug ist.1211 Art. 444 § 2 poln. ZGB1212, der Beschränkungen in der Erwerbstätigkeit und die Verringerung der Erfolgsaussichten für die Zukunft für ersatzfähig erklärt, hat deshalb Ausnahmecharakter.1213 In der Lehre wurde zudem vorgeschlagen, die verlorene Chance als eine Art des immateriellen Schadens zu qualifizieren.1214 Die Höhe des Scha-

1206 Ludwichowska-Redo, Grundfragen des Schadenersatzrechts aus polnischer Sicht, in: Koziol (Hrsg.) Grundfragen des Schadenersatzrechts aus rechtsvergleichender Sicht, Rn. 3/86. Die Autorin nennt als Beispiel das Urt. OG v. 17. 6. 2009, Az. IV CSK 37/09, OSP 2010, Nr. 9, Pos. 93, das den Begriff verwendet, jedoch keinen besonderen Schadenersatz für die verlorene Chance an sich bejaht. 1207 Urt. OG v. 12. 2. 2016, Az. II CSK 172/15, Legalis 1461030; Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 2, Rn. 87; Sobolewski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 361, Rn. 62; Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.), Kodeks cywilny I8, Art. 361, Rn. 49. 1208 Urt. OG v. 22. 4. 2015, Az. III CSK 256/14, Legalis 1310206 auch im Urt. OG v. 11. 10. 2001, Az. II CKN 578/99, OSNC 2002, Nr. 6, Pos. 83, in dem der OG den hypothetischen Schaden als einen Schaden, dessen Eintritt fast sicher ist, definiert. 1209 Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 2, Rn. 87; Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 361, Rn. 49; Zagrobelny, in: Gniewek/ Machnikowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz7, Art. 361, Rn. 42; Sobolewski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 361, Rn. 62 a. A. Grenich, Rekompensata utraty szansy, in: Jastrze˛bski (Hrsg.) Odpowiedzialnos´c´ odszkodowawcza, S. 23ff. 1210 Urt. OG v. 21. 6. 2011, Az. I CSK 598/10, Legalis 442112. 1211 Urt. OG v. 31. 1. 2002, Az. IV CKN 642/00, Legalis 278037. 1212 Art. 444 § 2 poln. ZGB »Hat der Geschädigte seine Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise eingebüßt oder haben sich seine Bedürfnisse erhöht oder seine Erfolgsaussichten für die Zukunft verringert, so kann er von dem Ersatzpflichtigen eine entsprechende Rente fordern.« 1213 Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 2, Rn. 87. 1214 Grenich, Rekompensata utraty szansy, in: Jastrze˛bski (Hrsg.) Odpowiedzialnos´c´ odszkodowawcza, S. 55ff.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

denersatzes soll dann anhand des Wertes der verlorenen Chance kalkuliert werden.1215 (323) Im helvetischen Recht ist der Verlust einer Chance nicht ersatzfähig.1216 Das schweizerische Bundesgericht hat die Ersatzfähigkeit der perte d’une chance verneint.1217 Die Ersatzfähigkeit solcher Schäden würde gegen die Differenzhypothese verstoßen. Die Lehre kritisierte diese Entscheidung überwiegend.1218 Lediglich eine Mindermeinung in der Lehre begrüßte den Haftungsausschluss.1219 3.

Persönlicher Charakter des Schadens

(324) Die Voraussetzung des persönlichen Charakters des Schadens hat das Ziel, die Geltendmachung des Schadens durch andere Personen oder Organisationen als den Geschädigten auszuschließen. Dadurch werden vor allem die Forderungen von Organisationen wie beispielsweise Verbrauchervereine, welche den Geschädigten vertreten, ausgeschlossen.1220 Dieses Merkmal des Schadensbegriffes wird nur im französischen Recht verwendet. Eine besondere Bedeutung hatte der persönliche Charakter bei Umweltschäden. Weil er fehlte, wurde ihre Ersatzfähigkeit verneint.1221 Mit der Einführung von Art. 1248 fr. CC1222 hat dieses Merkmal im Bereich der ökologischen Schäden aber an Bedeutung verloren, weil die Norm die Schadenersatzberechtigten klar auflistet. 4.

Unfreiwilligkeit des Schadens

(325) Teilweise wird behauptet, dass nur »unfreiwillige« Schäden ersatzfähig sind. Der Grund dafür sei, dass freiwillige Einbußen zur Problematik der Ge1215 AaO, S. 55ff. Ludwichowska-Redo, Grundfragen des Schadenersatzrechts aus polnischer Sicht, in: Koziol (Hrsg.) Grundfragen des Schadenersatzrechts aus rechtsvergleichender Sicht, Rn. 3/86. 1216 Schönenberger, Kurzkommentar zum Obligationenrecht, Art. 41, Rn. 7. 1217 Urt. BGE v. 13. 6. 2007, 133 III 462. 1218 Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 17. 1219 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 6a. 1220 Galand-Carval, Fault under French Law, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 80. 1221 Grare, Recherches sur la coh8rence de la responsabilit8 d8lictuelle, Rn. 237. 1222 Art. 1248 fr. CC: »L’action en r8paration du pr8judice 8cologique est ouverte / toute personne ayant qualit8 et int8rÞt / agir, telle que l’Etat, l’Agence franÅaise pour la biodiversit8, les collectivit8s territoriales et leurs groupements dont le territoire est concern8, ainsi que les 8tablissements publics et les associations agr88es ou cr88es depuis au moins cinq ans / la date d’introduction de l’instance qui ont pour objet la protection de la nature et la d8fense de l’environnement.«

Schaden

185

schäftsführung ohne Auftrag gehören.1223 Die Unfreiwilligkeit wird jedoch in keiner der untersuchten Rechtsordnungen im Rahmen der Definition des Schadens vorausgesetzt. (326) Gefordert wird die Unfreiwilligkeit des Schadens lediglich gelegentlich im schweizerischen Recht.1224 Es wird dann von einer »ungewollten Vermögensverminderung« gesprochen.1225 Die herrschende Lehre ist dennoch der Meinung, dass der rechtlich relevante Schaden auch freiwillig herbeigeführt werden kann.1226 Beim freiwilligen Schaden sollen die übrigen Haftungsvoraussetzungen die Haftung eingrenzen. Die Entschädigung entfällt nicht mangels Schadens, sondern wegen des mangelnden Kausalzusammenhangs, Selbstverschuldens oder fehlender Rechtswidrigkeit auf Grund der Einwilligung.1227 (327) Wie im schweizerischen Recht fordert die polnische Lehre teilweise, die Unfreiwilligkeit als Voraussetzung des Schadens einzuführen.1228 Dies wird wiederum mit der Behauptung kritisiert, dass das Merkmal in Grenzfällen nicht operativ sei.1229 Darüber hinaus können die Ziele dieser Voraussetzung viel besser durch das Kriterium der objektiven Nachteiligkeit erreicht werden.1230 Deutlich wird dieses Problem bei der Ersatzfähigkeit der vorgerichtlichen Anwaltskosten oder Kosten des privaten Gutachters in einem Rechtsstreit. Der Geschädigte trägt solche Kosten immerhin freiwillig. Der Oberste Gerichtshof entscheidet in diesen Fällen mit der Anwendung der besonders restriktiven Auffassung des Adäquanztests.1231

IV.

Zwischenergebnis

(328) Trotz der Hauptidee einer deliktsrechtlichen Generalklausel, sämtliche Schadensarten gleich zu behandeln, werden in den untersuchten Rechtsordnungen eingrenzende Kriterien in den Schadensbegriff eingebaut. Die Haftungseingrenzung erfolgt jedoch nicht durch den Ausschluss der Ersatzfähigkeit bestimmter Schadensarten, sondern durch die Formulierung allgemeiner Schadensmerkmale. Diese Tendenz zur Eingrenzung des Schadensbegriffes ist vor allem im französischen Recht ersichtlich, in welchem die Bedeutung der 1223 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 4. 1224 Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 7. 1225 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 3. 1226 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 2, Rn. 8. 1227 AaO, Fn. 11. 1228 Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 2, Rn. 71. 1229 AaO; Dybowski, in: Czachjrski (Hrsg.) System Prawa Cywilnego III-1, S. 215ff. 1230 Kalin´ski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 2, Rn. 71. 1231 Beschluss OG v. 13. 3. 2012, Az. III CZP 75/11, OSNC 2012, Nr. 7–8, Pos. 81.

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Erster Teil: Traditionelle Systembildung

anderen Voraussetzungen relativ gering ist. Zwischen den einzelnen Rechtsordnungen als auch binnen der nationalen Systeme des Deliktsrechts bestehen hier jedoch beträchtliche Unterschiede. Nicht mal über die Frage, welche Merkmale die Ersatzfähigkeit des Schadens eingrenzen sollen, besteht Einigkeit. Beim Verständnis der eingrenzenden Schadensmerkmale unterscheiden sich die untersuchten Rechtsordnungen ebenfalls deutlich.

Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

(329) Die im ersten Teil der Arbeit durchgeführte Untersuchung der Haftungsvoraussetzungen zeigt, dass die vier Rechtsordnungen zwar die gleichen Begriffe verwenden. Die Bedeutung dieser Termini ist jedoch unterschiedlich. Sie ist fast unbegrenzt austauschbar und verändert sich mit der Zeit. Die Voraussetzungen der Haftung für eigenes Fehlverhalten sind lediglich theoretische Vehikel für die Kriterien der Eingrenzungsstrategien. (330) Angesichts der Relativität des Verschuldens, der Rechtswidrigkeit, der Kausalität und des Schadens wird im zweiten Teil der Arbeit untersucht, ob die traditionelle Eingrenzung der Generalklauseln mittels dieser Begriffe leistungsfähig ist. Alle untersuchten Rechtsysteme versuchen an der römischen Dogmatik des Deliktsrechts festzuhalten. Auf diese Weise sollen die Grundnormen der Haftung für eigenes Fehlverhalten subsumierbar gemacht werden. Diese traditionelle Systembildung ist jedoch nur begrenzt leistungsfähig. Der Grund dafür ist, dass zwischen den Voraussetzungen zahlreiche Überschneidungen bestehen. Die ursprünglich tatbestandsorientierten Merkmale haben sich weitgehend von ihrer alltäglichen Bedeutung losgelöst. Die traditionelle Systembildung scheitert daher in ihrem Versuch, eine leistungsfähige Methode der Haftungseingrenzung im Deliktsrecht anzubieten. (dazu unter § 8). (331) Das Scheitern der traditionellen Systembildung begründet die Reformbedürftigkeit des Systems der Haftung für eigenes Fehlverhalten. Diese wurde bereits innerhalb der einzelnen Rechtsordnungen sowie in der Rechtsvergleichung erkannt. Beim Versuch, die strukturellen Anforderungen an das moderne Deliktsrecht festzulegen, werden nationale sowie gemeineuropäische Reformentwürfe untersucht. Die Untersuchung wird sich auf die strukturellen Fragen, insbesondere auf die Rolle der einzelnen Voraussetzungen begrenzen (dazu § 9). (332) Die moderne Strukturbildung der Haftung für eigenes Fehlverhalten sollte »ein Maximum an Konkretisierung und Rechtssicherheit mit der not-

188

Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

wendigen Anpassungsfähigkeit und Entwicklungsoffenheit« verbinden.1232 Eine deliktsrechtliche Generalklausel sorgt für die Flexibilität des Systems. Für die Gestaltung der Grundnorm ist das wilburgsche bewegliche System und nicht die Subsumtionsmethode am besten geeignet. Dadurch werden die eigentlichen Eingrenzungskriterien offengelegt. Für die Rechtssicherheit sollen wiederum die besonderen kontextualisierten Haftungsnormen sorgen. Diese sind mit Hilfe der topischen Denkweise zu formulieren. Anhand dieser zwei Postulate wird die Strukturbildung des modernen Deliktsrechts geschildert. Das vorgeschlagene System basiert auf dem Zusammenspiel einer beweglichen Grundnorm, welche die Kriterien der Konkretisierung auflistet und eine Auffangnorm ist, mit topisch formulierten Einzeltatbeständen. Es handelt sich dabei jedoch nicht um einen Reformentwurf, sondern zunächst um eine Aufforderung, die deliktsrechtliche Dogmatik im Bereich der Haftung für eigenes Fehlverhalten umzudenken (dazu § 10).

§8

Vom Scheitern der traditionellen Systembildung

(333) In allen hier untersuchten Rechtsordnungen versucht die Lehre eine ausdifferenzierte Dogmatik zu formulieren, die auf traditionellen Begriffen wie Verschulden, Rechtswidrigkeit, Kausalität und Schaden beruht. Ähnliches versucht die Rechtsprechung, freilich mit Ausnahme der französischen Gerichte. Diese Versuche scheitern allesamt, wie im Folgenden noch näher zu zeigen sein wird, letztlich daran, dass die Subsumtionsmethode für die Konkretisierung deliktsrechtlicher Generalklauseln schon vom Ansatz her ungeeignet ist. Wie bereits im Ersten Teil im Einzelnen dargelegt, hat keine der Rechtsordnungen diese traditionellen Haftungsvoraussetzungen so formuliert, dass sie auf alle Fälle der Haftung für eigenes Fehlverhalten angewendet werden können. Darüber hinaus zeigten sich signifikante Unterschiede im Verständnis dieser Begriffe, so dass jegliche Annahme einer gemeineuropäischen Terminologie verfehlt wäre.

I.

Zur Subsumtionsfähigkeit der einzelnen Generalklauseln

(334) Die herrschende dogmatische Grundlage des Deliktsrechts ist immer noch die Überzeugung, dass sich die Verschuldenshaftung durch die Anwendung einer erschöpfenden Liste allgemein geltender Haftungsvoraussetzungen kon1232 Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, in: Zimmermann (Hrsg.) Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, S. 248.

Vom Scheitern der traditionellen Systembildung

189

kretisieren lässt.1233 Die semantisch offenen und wertungsoffenen Begriffe: dommage, causalit8 und faute gelten als ausfüllungs- und konkretisierungsfähig.1234 Es wird nach Definitionen dieser Begriffe gesucht, die ein allgemein anwendbares Prüfungsschema für die Verschuldenshaftung bilden sollen. Diese Versuche haben das Ziel, die deliktsrechtlichen Generalklauseln subsumierbar zu machen. Nicht nur deutsche Juristen haben die Neigung »sich an irgendwelche abstrakte Richtlinien oder Leitsätze zu klammern.«1235 Dass diese traditionelle Auffassung systemübergreifend ist, zeigt auch die Arbeitsmethode der European Group on Tort Law, die ihre Arbeitsgruppen nach den üblichen Haftungsvoraussetzungen aufgeteilt hat1236, anstatt die Haftungsregeln mit den Methoden der funktionalen Rechtsvergleichung zu untersuchen.

1.

Annahmen der Subsumtionstechnik

(335) Subsumtionsfähig sind in solchem Maß konkretisierte Normen, dass die Zuordnung des Sachverhalts zu den Tatbestandsmerkmalen durch eine rein logische Operation erfolgt.1237 Demgegenüber ist für eine Generalklausel charakteristisch, dass die Subsumtion wegen der Ausfüllungsbedürftigkeit der Begriffe unmöglich ist.1238 Der Grund dafür ist, dass abstrakt formulierte Tatbestandsmerkmale fehlen, welche den Vergleich mit dem Lebenssachverhalt ermöglichen würden. Jedoch wird auch im Falle der deliktsrechtlichen Generalklauseln die Subsumtionsfähigkeit angestrebt. Dies geschieht typischerweise, indem die abstrakt-allgemeinen Voraussetzungen ausformuliert werden. Sowohl die Lehre als auch in geringerem Maße die Rechtsprechung konkretisieren die Generalklauseln, indem sie allgemein geltende Definitionen für alle Voraussetzungen formulieren. Der ständige Drang, eine deliktsrechtliche Generalklausel subsumtionsfähig zu machen, führt aber nie zur vollständigen Sub1233 Winiger, Les int8rÞts prot8g8s par la responsabilit8 civile. Les clauses g8n8rales dans les projets europ8ens, in: Le droit franÅais de la responsabilit8 civile confront8 aux projets europ8ens d’harmonisation, S. 135 spricht von der »matrice de la responsabilit8 civile«. 1234 Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, in: Zimmermann (Hrsg.) Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, S. 213. 1235 Larenz, Diskussionsbeitrag auf dem 43. D.J.T., in: Verhandlungen des dreiundvierzigsten Juristentags, München 1960 II, S. C 54. 1236 Busnelli (Hrsg.) Unification of tort law : wrongfulness, Den Haag 1998; Spier (Hrsg.) Unification of tort law : causation, Den Haag 2000; Magnus (Hrsg.) Unification of tort law : damages, Den Haag 2001; Koch (Hrsg.) Unification of tort law : strict liability, Den Haag 2002; Spier (Hrsg.) Unification of tort law : damage caused by the others, Wien 2003; Magnus (Hrsg.) Unification of tort law : contributory negligence, Den Haag 2004; Rogers (Hrsg.) Unification of tort law : multiple tortfeasors, Den Haag 2004; Widmer (Hrsg.) Unification of tort law : fault, Den Haag 2005. 1237 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2, S. 395f. 1238 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht I, Rn. 14.

190

Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

sumtionsfähigkeit, weil die Generalklauseln ausfüllungsbedürftig bleiben und die Zuordnung zum Sachverhalt grundsätzlich im Wege der Analogie und nicht der Subsumtion stattfindet. (336) Für die Subsumtionsfähigkeit ist nicht nur der Gesetzestext entscheidend, sondern auch, inwieweit die Rechtsprechung und die Lehre Tatbestandsmerkmale konkretisieren. Dies kann eine ursprünglich subsumtionsunfähige Norm wenigstens teilweise subsumtionsfähig machen.1239 Subsumtionsfähigkeit einer Rechtsnorm und insbesondere einer Generalklausel kennt daher Abstufungen. Während die französische Musternorm wegen des Verbots, die allgemeinen Regeln in der Rechtsprechung zu formulieren, zur Subsumtion nicht geeignet ist, haben die anderen untersuchten Rechtsordnungen eine größere Subsumtionsfähigkeit erreicht.

2.

Subsumtionsunfähigkeit der französischen Generalklausel

(337) Die Generalklausel des Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC) ist subsumtionsunfähig.1240 Die Technik der Subsumtion ist der französischen Methodenlehre fremd und, wie in der französischen Lehre hervorgehoben wird, eine für den deutschen Rechtskreis charakteristische juristische Argumentationsmethode. Sehr konsequent bei der Ablehnung der Subsumtion ist der Cour de cassation. Die Definitionen der Tatbestandsmerkmale der deliktischen Generalklausel in seiner Rechtsprechung zu suchen, ist vergeblich. Bei der Feststellung der Haftungsgrenzen gewährt sich die französische höchstrichterliche Instanz eine fast grenzenlose dogmatische Freiheit. In diesem Zusammenhang ist die Behauptung der Lehre zu sehen, dass sich das Schuldrecht im Allgemeinen nicht durch »raisonnement purement logique, sur la base de quelques principes 8l8mentaires« beschreiben lässt.1241 Das französische Deliktsrecht ist ein Beispiel dafür, dass die Rechtsanwendung keineswegs rein deduktiv ist.1242 (338) Trotzdem formulieren die Vertreter der Lehre angeblich allgemein geltende Definitionen der Haftungsvoraussetzungen aus. Die französische Lehre versucht – wenn auch stillschweigend – ein logisches System des Deliktsrechts aufgrund der doch sehr unscharf formulierten Voraussetzungen zu entwickeln. Ein Teil der Autoren sieht ihre Aufgabe in der Konzeptualisierung und Systematisierung des Schuldrechts.1243 Teilweise wird behauptet, dass dadurch ver1239 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft3, S. 96, der sogar behauptet, dass möglicherweise alle Rechtssätze schon dermaßen konkretisiert wurden, dass sie subsumtionsfähig sind. 1240 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht I, Rn. 14. 1241 Esmein, Trait8 pratique de droit civil franÅais IV2, Rn. 2. 1242 Perelman, Juristische Logik als Argumentationslehre, Rn. 91ff. 1243 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 16.

Vom Scheitern der traditionellen Systembildung

191

sucht wird, die Normen subsumierbar zu machen.1244 Ob der Schädiger die Haftung trägt, solle von der Überprüfung der erschöpfend aufgelisteten Voraussetzungen abhängen. Diese Versuche beziehen sich auf die Begriffe der faute (als ein Typ des fait g8n8rateur), der Kausalität und des Schadens, die conditions constantes de la responsabilit8 sind.1245 In diesem Zusammenhang wird von der g8n8ralisation de faute gesprochen, die im ganzen Deliktsrecht die gleiche Bedeutung haben soll.1246 Die Hauptidee einer deliktsrechtlichen Generalklausel ist, eine allgemein für das ganze Deliktsrecht geltende Haftungsregel zu formulieren. Die durch die Autoren der Kodifikation angestrebte Generalisierung sollte sowohl das Verschulden als auch den Schaden betreffen.1247 Auch die Cour de cassation hebt hervor, dass die Geltung der faute in keinem Bereich der Haftung für eigenes Fehlverhalten begrenzt werden kann.1248 Genau diese übertriebene Abstraktheit der Begriffe macht jedoch die schlichte Subsumtion unmöglich. Die universelle Anwendung der Haftungsvoraussetzungen ist lediglich wegen ihres hohen Abstraktionsniveaus möglich. Diese unbestimmten Begriffe werden notions floues genannt. Sie erhalten durch ihre Flexibilität sowie Dauerhaftigkeit une forte normativit8.1249 Eine weitgehendere Konkretisierung würde angesichts der Unterschiedlichkeit der regulierten Sachverhalte zu falschen Ergebnissen führen. (339) Ein großer Nachteil des Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC) ist die Tatsache, dass die Generalklausel den Gerichten keine Instrumente zur Haftungseingrenzung bereitstellt.1250 Die Gerichte dürfen die Regeln darüber, welcher Schaden ersatzfähig ist, nicht den einzelnen Schadensarten anpassen. Die Generalklausel enthält außerdem keine Kriterien für die juristische Kausalität, sodass die Rechtsprechung ebenfalls keinen allgemeinen Kausalitätstest 1244 Boudot, Le dogme de la solution unique. Contribution / une th8orie de la doctrine en droit priv8, Rn. 215. 1245 Viney/Jourdain, Les conditions de la responsabilit83, Rn. 246, die aber fait g8n8rateur als mehr complexe et diversifi8 beschreibt. In der 4. Aufl. dieses Werkes haben die Autoren auf die Bezeichnung conditions constantes de la responsabilit8 verzichtet und sprechen stattdessen von der Begriffe »qui sont d8nifis de maniHre analogue pour tous les types de responsabilit8«: Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 246. 1246 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 24; Arhab-Girardin, Les nouveaux territoires de la faute, Resp. civ. et Ass. 2003, Nr. 6, S. 48f. 1247 Descamps, Les origines de la responsabilit8 pour faute personnelle dans le Code civil de 1840, S. 464ff. 1248 Urt. Cass. civ. 2 v. 24. 1. 1996, Az. 93-17156, Bull. civ. 2, Nr. 14, S. 10: »la port8e g8n8rale de l’art. 1382 ne peut pas Þtre limit8e (…).« Die Entscheidung betrifft die Pressehaftung, in der die Anwendung von der allgemeinen Verschuldenshaftung durch das Gesetz v. 29. 7. 1881 limitiert ist. 1249 Fortier, La fonction normative de notions flues, RRJ 1991, S. 755. 1250 Viney, Pour ou contre un principe g8n8ral de responsabilit8 pour faute? OULR 2002, Nr. 49, S. 41ff.

192

Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

wegen des Verbots von Art. 5 fr. CC formulieren darf: »Il est d8fendu aux juges de prononcer par voie de disposition g8n8rale et r8glementaire sur les causes qui leur sont soumises«. Diese Regel ist ein klarer Ausdruck der strengen Gewaltenteilung, nach welcher das Gericht nur »die Worte des Gesetzes« aussprechen solle.1251 Deswegen findet die Systematisierung und Konzeptualisierung des Deliktsrechts fast ausschließlich in der Lehre und nicht in der Rechtsprechung statt. (340) Trotz der Tatsache, dass die Generalklausel keine Instrumente zur Haftungseingrenzung bereitstellt, hat die französische Rechtsprechung ein höchst differenziertes System der Deliktshaftung entwickelt. Dieses basiert jedoch nicht auf der Subsumtionstechnik. Die Rechtsprechung lehnt die Entwicklung abstrakt-allgemeiner Voraussetzungen der Haftung ab. Vielmehr nimmt sie eine Gesamtbetrachtung der zurechnungsrelevanten Kriterien vor. Ebenfalls charakteristisch ist die Entwicklung der kasuistisch formulierten Normen, die bestimmte deliktsrechtliche Konstellationen regeln. Weniger wichtig ist demgegenüber, welche Voraussetzung die Haftung für eigenes Fehlverhalten in einem bestimmten Fall eingrenzt.

3.

Versuche andere Generalklauseln subsumierbar zu machen

(341) Unabhängig von der gemeinsamen Neigung der untersuchten Rechtsordnungen, sich bei der Konkretisierung der Generalklausel abstrakt-allgemeiner Begriffe zu bedienen, unterscheiden sie sich im Bereich der Konzeptualisierung und Systematisierung deutlich. Die Rechtsprechung der drei Länder bedient sich erschöpfender Auflistungen der Voraussetzungen.1252 Der systematisierende Aufwand des polnischen, schweizerischen und spanischen Rechts ist dabei viel größer als in Frankreich. In diesen Rechtsordnungen formulieren sowohl die Lehre als auch die Rechtsprechung relativ starre Definitionen der Haftungsvoraussetzungen, welche die Generalklauseln weitgehend subsumierbar machen sollen. Plädiert wird darüber hinaus für eine strikte Trennung zwischen den einzelnen Begriffen.1253 In Polen und in der Schweiz erreichte die Konkretisierung – durch die Einführung des Adäquanztests in Art. 361 § 1 poln. 1251 Kötz, Die Begründung höchstrichterlicher Urteile, in: Nederlandse vereiniging voor rechtsvergelijking, Nr. 32, S. 9. 1252 Polen: Urt. OG v. 24. 11. 2016, Az. I PK 260/15, Legalis 1549970; Schweiz: Urt. BGE v. 19. 12. 2005, 132 III 379, S. 383; Spanien: Urt. TS 12. 7. 2007, STS 4882/2007, RJ 2007, 5590 »unos (la accijn y el daÇo causado) tienen naturaleza f#ctica; y otros (la culpa y la relacijn de causalidad) tienen marcado matiz jur&dico« mit Verweis auf Urt. TS v. 26. 10. 2006, STS 6530/2006, RJ 2006, 6699. 1253 Safjan, Problematyka bezprawnos´ci wzgle˛dnej oraz zwia˛zku przyczynowego na tle odpowiedzialnos´ci za niezgodne z prawem akty normatywne, FS Pazdan, S. 1326.

Vom Scheitern der traditionellen Systembildung

193

ZGB und der Rechtswidrigkeit in der schweizerischen Generalklausel – Gesetzesniveau. (342) Am stärksten ist die Konzeptualisierung und Systematisierung im schweizerischen Recht. Dies ist mit den Einflüssen der deutschen Begriffsjurisprudenz zu erklären. Ein Beweis dafür ist etwa die dogmatische Aufspaltung der Rechtswidrigkeit und des Adäquanztests. Mithilfe von vier deliktsrechtlichen Haftungsvoraussetzungen soll sich »ein System der allgemeinen Lehren des Haftpflichtrechts aufbauen«.1254 Die Voraussetzungen sollen streng getrennt werden und zugleich alle haftungsrelevanten Kriterien einschließen. Hervorgehoben wird, dass diese Begriffe im ganzen Deliktsrecht einheitlich zu verstehen sind.1255 Ein interessantes Beispiel solch einer Aufspaltung der Tatbestandsmerkmale ist ein Kommentar, der den Wortlaut der Generalklausel minutiös in einzelne Haftungsvoraussetzungen zerlegt: »Wer (Subjekt der Haftpflicht) einem andern (Aktivlegitimation) widerrechtlich (Widerrechtlichkeit) Schaden (Schaden) zufügt (Kausalzusammenhang), sei es mit Absicht sei es aus Fahrlässigkeit (Verschulden)«.1256 Bemerkenswert ist auch, dass die französischsprachige helvetische Literatur unter dem Einfluss der französischen Lehre eine Dreiteilung und nicht die sonst übliche Vierteilung der Voraussetzungen verwendet, in der »le fait g8n8rateur de responsabilit8« sowohl das Verschulden als auch die Rechtswidrigkeit umschließt.1257 Die durch die schweizerische Lehre und Rechtsprechung geleistete Konkretisierung von Art. 41 OR führt zu einer mit § 823 BGB vergleichbaren Subsumtionsfähigkeit. (343) Der Drang, deliktsrechtliche Generalklauseln subsumtionsfähig zu machen, lässt sich mit der Natur dieser Normen nicht vereinbaren. In der polnischen Lehre wurden solche Versuche mit Bezug auf alle Generalklauseln kritisiert.1258 Es sei falsch, die allgemein geltende Auslegungsregeln im Bereich der einzelnen Generalklauseln auszuformulieren. Diese Vorgehensweise schränke die Kompetenz der ordentlichen Gerichte unberechtigt ein, weil ihre Freiheit in der Anwendung der Generalklauseln dadurch begrenzt wird.1259

Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 1, Rn. 152. AaO, Rn. 72. Brehm, Berner Kommentar VI 1/3/1, OR, 41, Rn. 2ff. Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41 OR, Rn. 6. Łe˛towska, Interpretacja a subsumpcja zwrotjw niedookres´lonych i nieostrych, PiP 2011, Nr. 7–8, S. 17ff. 1259 AaO, S. 20ff.

1254 1255 1256 1257 1258

194 II.

Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

Begrenzte Leistungsfähigkeit der Subsumtionstechnik gemessen an den Aufgaben des juristischen Systems

(344) Die Deduktionsmethode ist für die Rechtsgewinnung natürlich nicht unbrauchbar. Jedoch ist die Annahme der Begriffsjurisprudenz, dass die Rechtsgewinnung immer aus »rein logisch« formulierten Sätzen und Begriffen möglich sei, im Falle einer deliktsrechtlichen Generalklausel falsch.1260 Es handelt sich hier um ein deterministisches Konzept der Subsumtion, bei dem die zur Entscheidung des Falles benötigte Norm schon vorgegeben ist und nicht erst durch den Rechtsanwender hergestellt werden muss.1261 Aus dem Blickpunkt der juristischen Technik geht es hier darum, den Sachverhalt dem Tatbestand unterzuordnen und insbesondere die einzelnen Tatbestandsmerkmale horizontal aufzufächern.1262 Demgegenüber kann »von mathematischer Sicherheit (…) nicht die Rede sein«1263, wie Larenz zutreffend gemahnt hat. Die Begriffe und die abstrakten Regeln sind wichtig für die Lösung der Probleme des alltäglichen Lebens, in denen der Sachverhalt »in den Begriffskern der Tatbestandsbegriffe« fällt.1264 Sie vermögen jedoch bei untypischen Sachverhaltskonstellationen zu versagen. Selbst wenn ein Rechtssatz im Normalfall subsumtionsfähig erscheint, wird er diese Eigenschaft in besonders komplexen Einzelfällen verlieren.1265 In dieser Situation zeigen sich die Grenzen der Subsumtionstechnik. Besonders deutlich ist das bei den Generalklauseln, die auch die untypischen Fälle lösen sollen. (345) Die für eine Generalklausel typische Zuordnung eines Sachverhalts zum Sinnbereich eines ausfüllungsbedürftigen Maßstabes ist dagegen keine Subsumtion.1266 Eine deliktsrechtliche Generalklausel beruht auf Kriterien, die ausgefüllt werden müssen. Beispielsweise sind hier die Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens im polnischen Recht zu nennen. Nur durch die Zuordnung des Sachverhalts zum Tatbestand kann eine deliktsrechtliche Generalklausel nicht angewendet werden. Während die Subsumtion auf Deduktion basiert, ist die Zuordnung einen Fall der Analogie.1267 Demgegenüber bestätigt 1260 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2, S. 113. 1261 Neumann, Subsumtion als Regelorientierte Fallentscheidung, in: Gabriel/Gröschner (Hrsg.), Subsumtion: Schlüsselbegriff der juristischen Methodenlehre, S. 312. 1262 von Schlieffen, Subsumtion als Darstellung der Herstellung juristischer Urteile, in: Gabriel/Gröschner (Hrsg.) Subsumtion: Schlüsselbegriff der juristischen Methodenlehre, S. 400. 1263 Larenz, Grundformen wertorientierten Denkens in der Jurisprudenz, FS Wilburg, S. 228. 1264 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2, S. 113. 1265 Neumann, Subsumtion als Regelorientierte Fallentscheidung, in: Gabriel/Gröschner (Hrsg.) Subsumtion: Schlüsselbegriff der juristischen Methodenlehre, S. 330. 1266 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft3, S. 95. 1267 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2, S. 396f.

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die im ersten Teil dieser Arbeit durchgeführte rechtsvergleichende Untersuchung die in der Rechtsvergleichung bereits formulierte These, dass eine deliktsrechtliche Generalklausel wenn überhaupt nur eigeschränkt subsumtionsfähig ist.1268 (346) Die streng verstandene Subsumtionsmethode, welche den Sachverhalt unter getrennte Tatbestandsmerkmale unterordnet, basiert auf zwei Hauptannahmen. Die erste ist, dass die Merkmale allgemein für den ganzen Anwendungsbereich der Haftung für eigenes Fehlverhalten gelten. Zweitens seien diese Voraussetzungen logisch sauber voneinander zu trennen. Es handelt sich um die Postulate der Allgemeinheit und der systematischen Ordnung, die für jede wissenschaftliche Theorie charakteristisch sind.1269 Die wissenschaftliche Methode ist jedoch für die Eingrenzung einer Generalklausel nicht geeignet. Viel wichtiger sind die Konsistenz und die Prüfbarkeit des Systems, welche die wissenschaftlichen Theorien ebenfalls aufweisen sollen.1270 Somit ist die Freiheit von Wertungswidersprüchen bei den normativen Theorien wichtiger als die logische Widerspruchsfreiheit.1271 (347) Es ist von einer Krise der Deliktshaftung die Rede, die durch eine normative und funktionelle Hypertrophie des Systems gekennzeichnet ist. Dadurch begrenzt sich die deliktsrechtliche Dogmatik auf die exegetische Auslegung und Systematisierung.1272 Auch in der Rechtsvergleichung wurde Kritik an der nationalen deliktsrechtlichen Systembildung geübt: Keine der nationalen Deliktsrechtssysteme sei auf europäischer Ebene verallgemeinerungsfähig.1273 Eine umfassende rechtsvergleichende Untersuchung hat gezeigt, dass insbesondere die Verhältnisse zwischen der Rechtswidrigkeit, der Fahrlässigkeit und dem Verschulden ein »unglückseliges Nebeneinander« sind.1274 Oberflächlich betrachtet mag das Deliktsrecht ein homogenes Bild darstellen, da in der Generalklausel der Haftung für eigenes Fehlverhalten stets die Begriffe Rechtswidrigkeit, Verschulden und Schaden enthalten sind.1275 Diese Homogenität 1268 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht I, Rn. 14. 1269 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft3, S. 277 mit Verweis auf Popper, Logik der Forschung9, S. 31. 1270 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6, S. 450 mit Verweis auf Dreiers, Zur Theoriebildung in der Jurisprudenz, in: Recht – Moral – Ideologie, S. 77ff. 1271 AaO, S. 450 mit Verweis auf Dreiers, Zur Theoriebildung in der Jurisprudenz, in: Recht – Moral – Ideologie, S. 83. 1272 PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 92. 1273 Zimmermann, Wege zum europäischen Haftungsrecht, in: Zimmermann (Hrsg.) Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, S. 213. 1274 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 228. 1275 Jansen, Principles of European Tort Law?, RabelsZ 2006, S. 741; Winiger, Les int8rÞts prot8g8s par la responsabilit8 civile. Les clauses g8n8rales dans les projets europ8ens, in: Le droit franÅais de la responsabilit8 civile confront8 aux projets europ8ens d’harmonisation, S. 135 nennt zusätzlich die Kausalität und die unerlaubte Handlung an sich.

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erlischt jedoch sobald die einzelnen Begriffe untersucht werden. Die Konkretisierung einer deliktsrechtlichen Generalklausel durch die Anwendung der abstrakt-allgemeinen Haftungsvoraussetzungen ist nur begrenzt möglich und scheitert vor allem dann, wenn der Sachverhalt nicht in den Kern dieser Begriffe fällt. (348) Ob die deliktsrechtliche Systembildung leistungsfähig ist, wird im Lichte der Aufgaben eines juristischen Systems geprüft. Bei diesem System handelt es sich um das »äußere System des Rechts«, dessen Aufgaben vor allem die Gewährleistung der (i) Übersichtlichkeit des Rechts, (ii) Praktikabilität seiner Anwendung und (iii) Rechtssicherheit im Sinne der Vorhersehbarkeit der Entscheidung sind.1276 Als Aufgaben einer juristischen Theorie wurden ferner1277 (i) die begriffliche und dogmatische Einordnung der Problemlösungen, (ii) das Lösungspotenzial bezüglich zukünftiger Probleme, (iii) die Vereinbarkeit mit dem geltenden Rechtssystem und (iv) die Verdeutlichung des Gerechtigkeitsgehalts genannt. Untersucht wird, inwieweit die gegenwärtige Systembildung der Haftung für eigenes Fehlverhalten die Aufgaben eines äußeren Systems des Rechts erfüllt. Die begriffliche und dogmatische Einordnung der Problemlösungen ist besonders problematisch, was die zahlreichen Überschneidungen zwischen den Voraussetzungen beweisen (dazu unter 1). Eine weitere Kritik folgt aus der Sinnentleerung der Voraussetzungen, die dadurch ihren Gerechtigkeitsgehalt weitgehend verloren haben (unter 2). Schließlich sind die Ausnahmen so zahlreich, dass die Rechtssicherheit gefährdet ist, vor allem bei der Lösung neuer deliktsrechtlicher Probleme (unter 3). 1.

Überschneidungen zwischen den Voraussetzungen als Beweis der gescheiterten Einordnung

(349) Die Übersichtlichkeit eines juristischen Systems wird durch die richtige begriffliche und dogmatische Einordnung der Problemlösungen gewährleistet. Ob die dogmatische Einordnung richtig ist, lassen die zahlreichen Interferenzen zwischen den Haftungsvoraussetzungen bezweifeln. Die Eingrenzung der deliktischen Generalklausel durch angeblich streng getrennte Tatbestandsmerkmale ist wenig durchsichtig. Nicht selten werden die gleichen Eingrenzungskriterien bei zwei unterschiedlichen Begriffen berücksichtigt. Die deliktsrecht-

1276 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprundenz2, S. 19. 1277 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft3, S. 277, die Aufgaben einer juristischen Theorie hat Larenz schließlich auf die Verdeutlichung der rechtlichen Zusammenhänge verallgemeinert, die ein logisches und wertungsmäßig widerspruchloses System bilden sollen: Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6, S. 451.

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lichen Haftungsvoraussetzungen sind »miteinander verflochten.«1278 Im Folgenden werden die Überschneidungen der Voraussetzungen untersucht. a) Verschulden und Rechtswidrigkeit (350) Wie stark die Überschneidungen zwischen dem Verschulden und der Rechtswidrigkeit sind, zeigt die Tatsache, dass Letztere im französischen Recht keine eigenständige Voraussetzung der Haftung ist. Die Rechtswidrigkeit ist ein Teil des Verschuldens. Für Verwirrung sorgt vor allem die Meinung, die das subjektive Element des Verschuldens gänzlich außer Acht lassen will. Somit wird paradoxerweise die Rechtswidrigkeit, die keine selbständige Voraussetzung der Haftung ist, zum alleinigen Element des Verschuldens.1279 Es handelt sich jedoch um ein rein theoretisches Problem, da die Rechtsprechung das Verschulden nie in das subjektive und objektive Element unterteilt. In der Rechtsprechung wird nur der in Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC) formulierte Begriff der faute verwendet, aber nie das dem Wortlaut der Generalklausel fremde Konzept der illic8it8. (351) Deutlicher ist die Trennung zwischen den beiden Voraussetzungen im polnischen Recht. Das Verhältnis zwischen Verschulden und Rechtswidrigkeit ist jedoch sehr umstritten.1280 Die herrschende Meinung fordert, Rechtswidrigkeit und Verschulden begrifflich strikt zu trennen, selbst wenn die Rechtswidrigkeit eine Voraussetzung des Verschuldens ist.1281 Ein Grund für diese Trennung sei, dass die Bedeutung der strafrechtlichen und zivilrechtlichen Begriffe vereinheitlicht werden soll. Außerdem sei die Trennung eine notwendige Konsequenz aus der systematischen Auslegung des poln. ZGB und insbesondere des Titels über unerlaubte Handlungen.1282 Eine Mindermeinung räumt demgegenüber ein, dass die strikte Trennung zwischen diesen Voraussetzungen unmöglich sei. Die beiden Voraussetzungen seien nicht unabhängig voneinander.1283 Sie könnten nicht getrennt werden, es sei aber auch nicht möglich, ihr Verhältnis zueinander genau zu definieren.1284 Der Grund dafür ist, dass die Verschuldensprüfung genau wie in den anderen untersuchten Rechtsordnungen 1278 von Bar, Konturen des Deliktsrechtskonzeptes der Study Group on a European Civil Code. Ein Werkstattbericht, ZEuP 2001, S. 522. 1279 Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 6716f; Mor8teau, Grundfragen des Schadenersatzrechts aus französischer Sicht, in: Koziol (Hrsg.) Grundfragen des Schadenersatzrechts aus rechtsvergleichender Sicht, Rn. 1/141. 1280 Siehe, Rn. 138 ff. 1281 Lewaszkiewicz-Petrykowska, Wina jako podstawa odpowiedzialnos´ci z tytułu czynjw niedozwolnych, SPiE 1969, Nr. 2, S. 91. 1282 Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.), Kodeks cywilny I8, Art. 415, Rn. 21. 1283 Kondek, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci odszkodowawczej, S. 212. 1284 AaO, S. 214f, der in diesem Zusammenhang auf die deutsche Lehre (Zweigert/Kötz und van Dam) hinweist, die akzeptiert haben soll, dass die strikte Trennung unmöglich ist.

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nach objektiven Kriterien verläuft, die auch für die Feststellung der Rechtswidrigkeit entscheidend sind. Rechtswidrigkeit und Verschulden sollen daher immer gemeinsam untersucht werden.1285 Ein Teil der Rechtsprechung setzt dies um, indem sie die Kriterien der erforderlichen Sorgfalt ebenfalls bei der Rechtswidrigkeitsprüfung berücksichtigt.1286 Die herrschende Lehre kritisiert demgegenüber die Verwendung der gleichen Kriterien bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens in der Rechtsprechung.1287 (352) Überschneidungen zwischen den beiden Voraussetzungen sind auch im schweizerischen Recht ersichtlich. Das resultiert daraus, dass die geltende objektive Rechtswidrigkeitstheorie teilweise den handlungsorientierten Begriff der Rechtswidrigkeit verwendet. Fraglich ist vor allem, wie das Verhältnis zwischen Sorgfalt und Rechtswidrigkeit ist.1288 In diesem Bereich wurde sogar die Meinung vertreten, dass sowohl die handlungs- als auch die erfolgsbezogene Rechtswidrigkeit abhängig von einer Sorgfaltsverletzung sei.1289 Die herrschende Lehre fordert jedoch, die Rechtswidrigkeit und das Verschulden bei der Haftung für eigenes Verschulden strikt zu trennen.1290 Die spanische Lehre postuliert ebenfalls, zwischen der Rechtswidrigkeit und dem verobjektivierten Verschulden klar zu unterscheiden.1291 Dies ist kompliziert, weil der Verschuldensbegriff in Spanien stark verobjektiviert ist. Eine Trennlinie zu ziehen, ist nur wegen der begrenzten Rolle der Rechtswidrigkeit möglich. Weil die Rechtswidrigkeit überwiegend erfolgsorientiert verstanden wird, kann die Konkretisierung der Sorgfaltspflichten grundsätzlich nur durch das Verschulden erreicht werden. Dennoch werden die beiden Voraussetzungen in einigen Gerichtsentscheidungen vermischt.1292 b) Verschulden und Kausalität (353) In der Rechtsvergleichung wird hervorgehoben, dass sowohl beim Verschulden als auch bei der Kausalität die Vorhersehbarkeit berücksichtigt wird.1293 Sie ist die Hauptschnittstelle. Eine weitere Überschneidung ist der potenzielle Einfluss des Verschuldensgrades auf die Kausalitätskriterien. 1285 1286 1287 1288 1289 1290 1291 1292 1293

Kondek, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci odszkodowawczej, S. 215. Urt. OG v. 10. 2. 2010, Az. V CSK 287/09, OSP 2012, Nr 10, Pos. 95. Granecki, Obiektywizacja odpowiedzialnos´ci deliktowej, PiM 2005, Nr. 1, S. 54. Oswald, Analyse der Sorgfaltspflichtverletzung im vertraglichen wie ausservertraglichen Bereich, S. 81ff. AaO, S. 95. Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 1, Rn. 53. Mart&n-Casals/Sol8 Feliu, Fault under Spanish Law, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 243. AaO. Widmer, Comparative Report on Fault as a Basis of Liability and Criterion of Imputation, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, S. 337.

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(354) Im polnischen Recht wird trotzdem eine strikte Trennung zwischen dem Verschulden und der Kausalität gefordert.1294 Problematisch ist die Verortung der Vorhersehbarkeit des Schadens. Die herrschende Meinung in der Rechtsprechung und in der Lehre geht davon aus, dass es sich bei der Vorhersehbarkeit um eine Problematik des Verschuldens handelt.1295 Folglich ist die Vorhersehbarkeit kein Kriterium der Kausalität. Die Rechtsprechung ist bei der Festsetzung der Trennungslinie jedoch nicht immer konsequent. Dies zeigt ein Urteil, in dem der Oberste Gerichtshof den normalen Kausalzusammenhang anhand der Vorhersehbarkeit der Folgen und sogar unter Zuhilfenahme des Maßstabs des bonus pater familias geprüft hat.1296 Zugegeben wird ferner, dass in einigen Situationen die Überschneidung der Kriterien des Verschuldens und der Kausalität so weitgehend sein kann, dass die Voraussetzungen gemeinsam untersucht werden müssen.1297 (355) Im schweizerischen Recht ist die Vorhersehbarkeit ebenfalls eine Schnittstelle zwischen beiden Voraussetzungen. Die Versuche, sie ausschließlich in einer von beiden Voraussetzungen zu verorten, blieben bisher erfolglos.1298 Vor allem der Adäquanztheorie wird eine Verquickung der Verschuldens- und Kausalitätsfragen vorgeworfen.1299 Die Rechtsprechung bedient sich gelegentlich bei der Beurteilung der Adäquanz des Kriteriums der objektiven Vorherseh1294 Jastrze˛bski, Interferencje adekwatnej przyczynowos´ci oraz winy przy odpowiedzialnos´ci za szkode˛ maja˛tkowa˛, PS 2004, Nr. 7/8, S. 44. 1295 Urt. OG v. 17. 2. 2011, Az. III CSK 136/10, Legalis 422579; Urt. OG v. 13. 11. 2003, Az. I CK 430/02, Legalis 62810; Urt. OG v. 12. 2. 1998, Az. II CKU 111/87, Prok. i Pr. 1998, Nr. 9 S. 26; Koch, Zwia˛zek przyczynowy, S. 130; Koch in: Gutowski (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz. Art. 1–44911 I, Art. 361, Rn. 38; Sobolewski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 361, Rn. 16. 1296 Urt. OG v. 10. 4. 2000, Az. V CKN 28/00, Legalis 278199: »der normale Kausalzusammenhang i. S.v. Art. 361 § 1 ZGB zwischen einem gewissen Ereignis und dem Schaden, ist dann gegeben, wenn in einer gewissen Sachverhaltskonstellation und im normalen Lauf der Dinge, ohne besonderer Zufälligkeit, der Schaden eine normale Folge dieser Art der Ereignisse ist. Bei der Anwendung dieser Kriterien zu den festgestellten Fakten und den von dem Beschwerdeführer geplanten und vorgenommenen Handlungen, zählen zu diesen Folgen die, die der Kläger voraussehen könnte und mit denen auf Grund der allgemeinen Lebenserfahrung und der bloßen Vorhersehbarkeit zu rechnen wäre. Maßgeblich ist dabei nicht die subjektive Vorstellung des Beschwerdeführers, sondern ein Blickpunkt und Maßstab eines redlichen, vernünftigen und vorsorglichen Menschen.« Das Urt. wurde in der darauffolgenden Rechtsprechung zitiert, aber ohne das Fragment der Vorhersehbarkeit. 1297 Jastrze˛bski, Interferencje adekwatnej przyczynowos´ci oraz winy przy odpowiedzialnos´ci za szkode˛ maja˛tkowa˛, PS 2004, Nr. 7/8, S. 30; Kalin´ski, Szkoda na mieniu i jej naprawienie2, S. 407. Vor allem ist es der Fall beim Mitverschulden des Geschädigten (Art. 362 poln. ZGB) oder Mehrheit der Schädiger (Art. 441 § 2 poln. ZGB). 1298 Widmer, Causation under Swiss law, in: J. Spier (Hrsg.) Unification of Tort Law : Causation, S. 112. 1299 Lanz, Alternativen zur Lehre vom adäquaten Kausalzusammenhang, S. 70.

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barkeit,1300 die aus dem Blickpunkt eines bonus pater familias beurteilt wird.1301 Die herrschende Lehre und Rechtsprechung kritisieren jedoch die Berücksichtigung der Vorhersehbarkeit bei der Kausalitätsprüfung und fordern, die Vorhersehbarkeit nur als Verschuldenskriterium einzuordnen.1302 (356) In Frankreich wird ebenfalls hervorgehoben, dass das Verschulden die Kausalitätsprüfung beeinflussen kann. Die französische Dogmatik des Verschuldens ähnelt darüber hinaus gewissermaßen den Kausalitätstheorien der anderen Länder. Vorgeschlagen wurde sogar, ein Kriterium des »kausalen Verschuldens« (faute causale) einzuführen, wonach der Schädiger nur dann haftet, wenn die Art und Weise des Verschuldens einen gewissen Schaden »erklären« kann.1303 Der Einfluss des Verschuldens auf die Kausalitätsprüfung zeigt sich in (i) der Wahl des Kausalitätstests, (ii) der Prüfung des caractHre certain du lien de causalit8 und (iii) den Anforderungen an den Kausalitätsbeweis.1304 Erstens wird behauptet, dass die fehlende Berücksichtigung der Adäquanz bei der Haftung für eigenes Fehlverhalten mit den hohen Anforderungen an das Verschulden zu verbinden sei.1305 Das Verschulden übernehme also teilweise die haftungseingrenzenden Kriterien, die in anderen Rechtsordnungen bei der Adäquanzprüfung verortet sind. Dabei sei die Kausalitätsprüfung bei der verschuldensunabhängigen Haftung strenger. Zweitens soll der Verschuldensgrad die Kausalitätsprüfung und insbesondere die Anforderungen an das caractHre certain du lien de causalit8 beeinflussen.1306 Drittens wird behauptet, dass das Verschulden die Kausalität sogar ersetzen kann, so dass die Haftung ohne Kausalität möglich sei. Dabei gilt als Beispiel die Entscheidung in der Sache Perruche.1307 (357) Besonders ersichtlich sind die Interferenzen zwischen dem Verschulden und der Kausalität bei der cause 8trangHre. In der Lehre ist umstritten, ob sie eine Verschuldens- oder Kausalitätsfrage ist.1308 Üblicherweise wird die cause 8trangHre unter dem Begriff der Kausalität untersucht.1309 Die Rechtsprechung 1300 Brehm, Berner Kommentar VI 1/3/1, OR, Art. 41, Rn. 122, mit Verweis auf Urt. BGE v. 24. 3. 1937, 63 II 111, S. 114. 1301 AaO, Rn. 122, mit Verweis auf Urt. BGE v. 22. 2. 1955, 85 II 350, S. 354. 1302 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 3, Rn. 22. 1303 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 358 mit Verweis auf Dejean de la B.tie, in: Ponsard/Fadlallah (Hrsg.) Aubry& Rau, Droit civil franÅais VI-28. Responsabilit8 d8lictuelle, Rn. 72. 1304 Grare, Recherches sur la coh8rence de la responsabilit8 d8lictuelle, Rn. 260. 1305 AaO, Rn. 261f. 1306 AaO, Rn. 263ff. 1307 AaO, Rn. 266ff. 1308 Tunc, Force majeure et absence de faute en matiHre d8lictuelle, RTD civ. 1946, S. 171; Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 1802f. 1309 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 271ff spricht in diesem Kontext von der n8gation du lien de causalit8. Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, besprechen diese Problematik in ihrem Werk im Teil über Kausalität.

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behauptet teilweise ausdrücklich und teilweise konkludent, dass im Falle der haftungsausschließenden cause 8trangHre das Verhalten des Schädigers nicht als schuldhaft qualifiziert werden kann.1310 Es wird sogar vorgeschlagen, beide Aspekte doch nicht strikt zu trennen, weil die cause 8trangHre sowohl darauf hinweist, dass das Verhalten des Schädigers eine nur unwesentliche Rolle bei der Schadensverursachung spielt, als auch, dass sein Verhalten nicht tadelnswert ist.1311 In der Rechtsvergleichung wurde die cause 8trangHre weder als ein Problem des Verschuldens noch als eine Frage der Kausalität qualifiziert, sondern als ein Rechtsfertigungsgrund, der sich keiner der Haftungsvoraussetzungen zuordnen lässt.1312 (358) Auch im spanischen Recht überschneiden sich die Begriffe der Kausalität und des Verschuldens. Der Tribunal Supremo betrachtet den Kausalzusammenhang nicht einzeln, sondern als ein Zurechnungselement.1313 Die Vermischung der Kausalitäts- und Verschuldensfragen ist besonders stark, seitdem die Voraussetzung der objektiven Zurechnung eingeführt wurde. Dieser Begriff soll sämtliche Kriterien der juristischen Kausalität umfassen. Eine Mindermeinung behauptet sogar, dass es sich um die gleichen Kriterien handele wie bei der Verschuldensbeurteilung.1314 c) Verschulden und Schaden (359) Angesichts der Tatsache, dass das Verschulden handlungs- und der Schaden erfolgsbezogen ist, soll es zwischen den beiden Begriffen keine Überschneidungen geben. Der Verschuldensgrad kann jedoch beeinflussen, welche Schadensarten ersatzfähig sind. (360) Der Grad des Verschuldens kann vor allem im helvetischen Recht bei der Schadensprüfung und bei der Feststellung des ersatzfähigen Schadens eine Rolle spielen. Dieses Verhältnis wurde durch Art. 43 OR anerkannt, nach welchem das Verschulden das wichtigste Kriterium bei der Bemessung der Entschädigung 1310 Urt. Cass. civ. 2 v. 24. 5. 1973, Az. 72-11735, D. 1973, IR, S. 195; Urt. Cass. civ. 2 v. 18. 2. 1976, JCP 1976, IV, S. 125. 1311 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 403. 1312 von Bar, Gemeineuropäisches Sachenrecht II, Rn. 487f vor allem in Bezug auf das belgische Recht. Für das französische Recht nennen Mazeaud/Mazeaud/Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle6, Rn. 625 und Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle, Rn. 274 cas fortuit bzw. cause 8trangHre als Rechtsfertigungsgrund. Buffelan-Lanore/Larribau-Terneyre, Droit civil. Les obligations12, Rn. 1715ff untersuchen sogar cause 8trangHre als Rechtsfertigungsgrund, der unabhängig von den conditions positives der Haftung ist. 1313 Santos Briz, in: Alb#car Ljpez (Hrsg.) Cjdigo civil. Doctrina y Jurisprudencia VI4, S. 1364 mit Verweis auf Urt. TS v. 22. 2. 1946, RJ 1946, 253. 1314 PeÇa Ljpez, Dogma y Realidad de Derecho de DaÇos: Imputacijn Objetiva, Causalidad y Culpa en el Sistema EspaÇol y en los PETL, S. 92ff.

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ist.1315 Denn die Verschuldensgrenzen seien »fließend« und eine all or nothing Regel deshalb ungerecht.1316 Die schweizerische flexible Lösung ist freilich eine Ausnahme. (361) In der französischen Rechtsprechung sei der Einfluss des Verschuldens auf die Ersatzfähigkeit besonders bei immateriellen Schäden sichtbar.1317 In diesem Bereich spiele der Schadenersatz die Rolle einer »verdeckten Privatstrafe«: la peine priv8e clandestine.1318 Da jedoch die Entscheidungen, wie bereits angesprochen, keine umfassende rechtliche Begründungen enthalten, ist der Ausmaß dieser Entwicklung schwer einzuschätzen. Die Lehre hat dieses Phänomen bemerkt und postuliert, die Einflusskriterien zu untersuchen und zu strukturieren statt lediglich die Vorgehensweise der Richter zu kritisieren.1319 Neulich wurde zudem in einem rechtsvergleichenden Kontext behauptet, dass die Art des Schadens die Verschuldensprüfung beeinflussen kann, wobei das Leben und die Gesundheit in der Praxis einen größeren Schutz genießen.1320 (362) Im polnischen Recht gibt es keine Interferenzen zwischen dem Schaden und dem Verschulden. Das Verschulden als ein Kriterium für den rechtlich relevanten Schaden zu verwenden, wäre nach der herrschenden Meinung falsch.1321 Als unbegründet wurde die Forderung angesehen, dass das Verschulden den konkreten Schaden umfassen soll, vor allem weil das polnische Recht den Haftungsumfang nicht vom Verschuldensgrad abhängig macht und solch eine Vorgehensweise die Rolle des normalen Kausalzusammenhanges verzerren würde.1322 d) Schaden und Kausalität (363) Die Schnittstelle zwischen Schaden und Kausalität als Voraussetzungen der Haftung für eigenes Fehlverhalten ist der sog. »hypothetische Schaden« und insbesondere die Ersatzfähigkeit der verlorenen Chancen. Während die Mehrheit der Autoren diese Frage der Kausalitätsproblematik zuordnet, sehen andere hier eine besondere Art des immateriellen Schadens. Ein anderer Überschneidungspunkt ist die Frage, ob die Art des Schadens die Kausalitätsprüfung beeinflussen kann. In den jeweiligen Rechtsordnungen wird diese Frage grundsätzlich verneint. Im rechtsvergleichenden Kontext wird demgegenüber be1315 1316 1317 1318 1319 1320

Brehm, Berner Kommentar VI 1/3/1, OR, Art. 43, Rn. 72. AaO, Rn. 26. Grare, Recherches sur la coh8rence de la responsabilit8 d8lictuelle, Rn. 219ff. AaO, Rn. 248. AaO, Rn. 258. Mor8teau, Grundfragen des Schadenersatzrechts aus französischer Sicht, in: Koziol (Hrsg.) Grundfragen des Schadenersatzrechts aus rechtsvergleichender Sicht, S. Rn. 1/165. 1321 Kalin´ski, Szkoda na mieniu i jej naprawienie2, S. 63. 1322 Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 415, Rn. 22.

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hauptet, dass die Natur und Höhe des Schadens die Kausalitätsprüfung durchaus beeinflussen.1323 (364) Interferenzen zwischen Schaden und Kausalität sind vor allem im französischen Recht ersichtlich. Der Schaden hat weitgehend die Eingrenzungsfunktion der juristischen Kausalität übernommen. Die Rechtsprechung verwendet austauschbar die Formulierungen »dommage direct et certain« und »cause direct et certain«, um das Ergebnis der Kausalitätsprüfung zu beschreiben, obwohl die Lehre eindeutig darauf hinweist, dass es sich nicht um ein Schadens-, sondern um ein Kausalitätsproblem handelt.1324 Diese Vorgehensweise hängt mit der Entwicklung des Begriffes der perte d’une chance zusammen. (365) Auch im polnischen Recht ist umstritten, unter welcher Voraussetzung die Ersatzfähigkeit der verlorenen Chancen untersucht werden soll.1325 Die herrschende Meinung schlägt vor, diese Problematik im Bereich des Schadens und nicht der Kausalität zu verorten.1326 (366) Im schweizerischen Recht wird teilweise hervorgehoben, dass das Problem der hypothetischen bzw. überholenden Kausalität eine Frage der Schadensberechnung sei.1327 Diese These ist jedoch nicht mit der Annahme verbunden, dass der hypothetische Schaden eine besondere Art des immateriellen Schadens sei, sondern nur mit der Trennung der haftungsbegründenden und –ausfüllenden Kausalität. Bei der Schadensberechnung handelt es sich um eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität.1328 Der Schaden und die Kausalität sind daher im helvetischen Recht strikt zu trennen, wobei die klare Trennlinie aus der deutschen Dogmatik des Deliktsrechts übernommen wurde. e) Schaden und Rechtswidrigkeit (367) Relativ häufig sind die Überschneidungen zwischen Schaden und Rechtswidrigkeit. Zu diesen Interferenzen kommt es vor allem beim erfolgsorientierten Verständnis der Rechtswidrigkeit. 1323 Infantino, Causation theories and causation rules, in: Bussani/Sebok (Hrsg.) Comparative Tort Law, S. 285f. 1324 Galand-Carval, Damages under French Law, in: Magnus (Hrsg.) Unification of Tort Law : Damages, S. 80. 1325 Bagin´ska, Kompensacja utraconej szansy – problem zwia˛zku przyczynowego czy szkody? in: Olejniczak, Haberko, Pyrzyn´ska, Sokołowska (Hrsg.) Wspjłczesne problemy prawa zobowia˛zan´, S. 43ff. 1326 Siehe, Rn. 322. 1327 Weber, Zurechnungs- und Berechnungsprobleme bei der konstitutionellen Prädisposition, Anmerkungen zu BGE 113 II 86, SJZ 1989, 76f. Andere Autoren sehen in der hypothetischen bzw. überholenden Kausalität besondere Kausalitätsformen: Brehm, Berner Kommentar VI 1/3/1, OR 41, 145ff. 1328 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 6, Rn. 11a.

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(368) Obwohl in der Schweiz die rechtliche Relevanz des Schadens nicht vorausgesetzt wird, beeinflusst die Art des Schadens genauso wie im deutschen Recht die Rechtswidrigkeitsprüfung. Bei der Verletzung absoluter Rechte wird die Rechtswidrigkeit nach der herrschenden objektiven Theorie vermutet.1329 Es ist möglich, die Rechtswidrigkeit in einer Rechtsgutverletzung an sich zu sehen, weil der Schaden grundsätzlich nur als eine Vermögensdifferenz definiert wird.1330 Demgegenüber ist bei reinen Vermögensschäden eine Schutznormverletzung erforderlich.1331 Die Art des Schadens beeinflusst daher die Prüfung der Rechtswidrigkeit. (369) Aufgrund des handlungsorientierten Rechtswidrigkeitsbegriffes im polnischen Recht kommt es grundsätzlich zu keinen Überschneidungen zwischen Schaden und Rechtswidrigkeit. Die herrschende Meinung in der polnischen Lehre behauptet, dass die Rechtswidrigkeit mit dem Schaden nicht verbunden ist, weil erstere eine Beurteilung des schadensverursachenden Verhaltens und nicht seiner Folge ist.1332 Dagegen wurde argumentiert, dass die Rechtswidrigkeit sich in diesem Sinne auf den Erfolg beziehe und deshalb Voraussetzung der Rechtswidrigkeit des Schadens einzuführen sei.1333 Die Rechtswidrigkeitsprüfung würde dann an zwei Stellen stattfinden.1334 Bei der erfolgsorientierten Auffassung der Rechtswidrigkeit handelt es sich jedoch um eine Mindermeinung. Sie wird in der Rechtsprechung nicht vertreten. (370) Einige spanische Schadensdefinitionen enthalten ebenfalls das Kriterium der Rechtswidrigkeit. Der Schaden sei »todo menoscabo material o moral causado contraviniendo una norma jur&dica, que sufre una persona y del cual haya de responder otra«.1335 Der Autor dieser Definition hebt hervor, es sei notwendig, eine nota de responsabilidad in den Schadensbegriff hineinzubringen.1336 Demgegenüber postuliert die Mehrheit der Lehre, trotz der herrschenden erfolgsbezogenen Auffassung der Rechtswidrigkeit die beiden Vorausset-

1329 Siehe, Rn. 187f. 1330 Bosshard, Neuere Tendenzen in der Lehre zum Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, S. 25, der diese Meinung kritisiert und fordert, die Rechtsgutverletzung im Rahmen der Schadensvoraussetzung zu prüfen sowie die Rechtswidrigkeit rein verhaltsbezogen zu definieren fordert. 1331 Siehe, Rn. 189f. 1332 Kondek, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci odszkodowawczej, S. 190ff; Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 415, Rn. 23 ohne eine Stellung zu dieser Frage zu beziehen. 1333 Kalin´ski, Szkoda na mieniu i jej naprawienie2, S. 62. 1334 Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 415, Rn. 23. 1335 Santos Briz, in: Albaladejo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil y Complicaciones Forales. XXIV, S. 157 zitiert von Puig Brutau, Fundamentos de derecho civil II-3, S. 179. 1336 Santos Briz, in: Albaladejo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil y Complicaciones Forales. XXIV, S. 157.

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zungen strikt zu trennen.1337 Hingewiesen wird ferner darauf, dass der Cjdigo civil die Rechtswidrigkeit des Schadens im Gegensatz zu der italienischen Kodifikation nicht voraussetzt.1338 f) Kausalität und Rechtswidrigkeit (371) Eine Schnittstelle zwischen der Kausalität und der Rechtswidrigkeit ist die Schutzzweckprüfung. Sie wird teilweise unter der Kausalität und teilweise unter der Rechtswidrigkeit verortet. In der Rechtsvergleichung wurde deswegen gesagt, dass der Kausalität häufig stillschweigend eine Voraussetzung der Rechtswidrigkeit unterstellt wird.1339 (372) Die Verortung der Schutzzweckprüfung verursacht Probleme in der schweizerischen Lehre. Als verschwommen bezeichnen einige Autoren die Grenze zwischen Kausalität und Rechtswidrigkeit.1340 Die herrschende objektive Rechtswidrigkeitslehre erfordert die Untersuchung des Schutzwecks der verletzten Norm nur im Falle des Handlungsunrechts, d. h. bei der Verletzung reiner Vermögensinteressen. Eine Gegenmeinung postuliert, die allgemeine Schutzzweckprüfung im Rahmen der Kausalität unabhängig von der Art der verletzten Rechtsgüter einzuführen. Nach dieser Meinung sind »die Kausalität und die Rechtswidrigkeit (…) konnexe und komplementäre Begriffe«.1341 (373) Im polnischen Recht wird die Frage der Schutzzweckprüfung typischerweise im Bereich der sog. »relativen Rechtswidrigkeit« untersucht.1342 Jedoch hat sogar die Rechtsprechung zugegeben, dass die relative Rechtswidrigkeit in den Bereich der Kausalfragen eindringt und deswegen dogmatisch falsch sei.1343 Ob eine gesonderte Schutzzweckprüfung stattfinden soll und unter welcher Voraussetzung sie zu verorten wäre, ist umstritten. Keine Meinung in diesem Bereich kann als herrschend qualifiziert werden.1344 Indem die polnische 1337 Busto Lago, La antijuridicidad del daÇo resarcible en la responsabilidad civil extracontractual, S. 66ff. 1338 de ]ngel Y#güez, in Sierra Gil de la Cuesta (Hrsg.) Comentario del Cjdigo civil VIII, S. 274. 1339 Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, S. 3. 1340 Widmer, Causation under Swiss law, in: Spier (Hrsg.) Unification of Tort Law : Causation, S. 112. 1341 Widmer/Wessner, Erläuternder Bericht: Revision und Vereinheitlichung des Haftpflichtrechts, S. 111. Die Einführung der allgemeinen Schutzzweckprüfung im Rahmen der Kausalität ist das Hauptpostulat von Lanz, Alternativen zur Lehre vom adäquaten Kausalzusammenhang, Bern 1974. 1342 Siehe, Rn. 198. Banaszczyk, in: Pietrzykowski (Hrsg.) Kodeks cywilny I8, Art. 415, Rn. 23; Urt. OG V. 24. 9. 2008, Az. II CSK 177/08, OSNC 2009, Nr. 10, Pos. 142, S. 67. 1343 Urt. OG v. 22. 6. 2012, Az. II CSK 282/11, OSNC 2013, Nr. 5, Pos. 48, S. 326. 1344 In einer der neusten Entscheidungen, die sich mit dieser Materie befasst, konnte der OG aus formellen Gründen keinen Beschluss erlassen. In den Erwägungsgründen wurden jedoch die Argumente beider Seiten detailliert dargestellt: Urt. OG v. 19. 5. 2016, Az. III CZP 20/16. Biul. SN 2016, Nr. 5.

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höchstrichterliche Instanz diesen theoretischen Streit nicht entscheidet, schafft sie sich faktisch die Möglichkeit, sich auf die relative Rechtswidrigkeit nur in den Fällen zu berufen, in denen ihr der Haftungsausschluss gerecht erscheint. (374) Eine interessante Entwicklung fand im spanischen Recht statt. Sowohl die Kausalität als auch die Rechtswidrigkeit haben den Kampf um die Verortung der Schutzzweckprüfung verloren. Durch die Einführung der Voraussetzung der objektiven Zurechnung in das spanische Deliktsrecht wurde die haftungseingrenzende Funktion sowohl der Rechtswidrigkeit als auch der typischen Kausalitätskriterien deutlich reduziert. Der Schutzzweck gehört zu den Kriterien der objektiven Zurechnung.1345

2.

Fehlende Verdeutlichung des Gerechtigkeitsgehalts durch die abstrakt-allgemeinen Voraussetzungen

(375) Der Verlust der ursprünglichen Bedeutung und die übertriebene Abstraktheit der Rechtsbegriffe führt zur mangelnden Verdeutlichung des Gerechtigkeitsgehalts. Die historische Entwicklung des Deliktsrechts ist ein ständiger Kampf zwischen Generalisierungs- und Konkretisierungstendenzen.1346 Mit der allgemeinen deliktsrechtlichen Generalklausel des Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC) wurde ein Höchstmaß an Generalisierung erreicht. Das gleiche gilt für die Bausteine dieser Norm. Abstrakte Begriffe eines juristischen Systems weisen eine allgemeine Tendenz zur Sinnentleerung auf.1347 Die noch aus dem römischen Recht stammenden Voraussetzungen der Haftung für eigenes Fehlverhalten haben sich bereits von ihrer ursprünglichen Bedeutung weitgehend losgelöst. Entwicklungstendenzen sind die Verobjektivierung des Verschuldens, die Herauskristallisierung des juristischen Begriffes der Kausalität sowie die Aufspaltung des Schadensbegriffes. Deswegen ist die These begründet, dass die Voraussetzungen der deliktischen Haftung jegliche objektive Bedeutung verloren haben und – genauso wie Ross es in seinem T0-T0 Aufsatz bezeichnet hat – der »Logik einer primitiven Magie« ähneln.1348 (376) Darüber hinaus verdecken sie die tatsächlichen Gründe der Haftungszurechnung und -eingrenzung. Diese Entwicklung im Bereich des Deliktsrechts beschreibt zutreffend eine im rechtsvergleichenden Kontext bezüglich des schweizerischen Rechts formulierte Aussage: »le dommage est devenu toujours plus normatif, l’illic8it8 plus confuse, la causalit8 toujours plus ad8quate et la 1345 1346 1347 1348

Siehe, Rn. 483ff. Granecki, Obiektywizacja odpowiedzialnos´ci deliktowej, PiM 2005, Nr. 1, S. 43ff. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6, S. 453. Ross, T0-T0, HarvLRev, 70, S. 818.

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faute toujours plus objective et plus m8connaissable.«1349 Natürlich betrifft diese bildhafte Aussage die Besonderheiten des eidgenössischen Rechts. Sie lässt sich aber für alle hier untersuchten Rechtsordnungen verallgemeinern, selbst wenn die genauen Tendenzen in den einzelnen Ländern nicht identisch sind. In der französischen Lehre wird beispielsweise von der »multiplication de pr8judices r8parables, 8lasticit8 de la causalit8 et transformation du rile de la faute« gesprochen.1350 (377) Während die deliktsrechtliche Generalklausel das Postulat der Flexibilität völlig erfüllt, erscheint die Verständlichkeit und Zugänglichkeit des Systems problematisch. Eine der Hauptargumente für die Reform des Deliktsrechts ist genau die fehlende Verständlichkeit und Zugänglichkeit des Gesetzes.1351 Diese zwei Anforderungen an das Rechtssystem richten sich jedoch nicht nur an den Gesetztext, sondern an alle juristischen Formanten, insbesondere an die Rechtsprechung. Es handelt sich um die Verständlichkeit der Argumentationsmuster, die aktuell für einen durchschnittlichen Bürger wegen der Abstraktheit der juristischen Begriffe unzugänglich sind. Die fehlende Zugänglichkeit betrifft nicht nur die Laien, sondern sogar ausländische Juristen, was die Entwicklung des gemeinsamen europäischen Deliktsrechts deutlich erschwert. Eine deliktsrechtliche Generalklausel nach dem Muster von Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC) erfüllt die Postulate der Verständlichkeit und Zugänglichkeit nicht. (378) Ein Hauptgrund für die Unverständlichkeit und Unzugänglichkeit des Deliktsrechts sind darüber hinaus die zahlreichen Inkohärenzen des Systems. Im Bereich der Kausalität im französischen Recht wird beispielsweise von den »solutions jurisprudentielles erratiques« gesprochen.1352 Die fehlende Kohärenz des Systems führt darüber hinaus zu Unvorhersehbarkeit der richterlichen Entscheidungen. Eine Generalklausel der Haftung für eigenes Fehlverhalten genügt an sich nicht, um die Risiken zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten gerecht zu verteilen.1353 Deswegen muss das Deliktsrecht besser strukturiert werden, was durch die Einführung des relativen, d. h. spezialisierten Systems der Deliktshaftung erfolgen kann. In diesem System würden spezifische

1349 Widmer, Le projet suisse (mort-n8) de r8forme, in: Winiger (Hrsg.) Europäisches Haftungsrecht morgen, Nationale Revisionsentwürfe und europäische Haftungsprinzipien, S. 70. 1350 Lequette, Propos introductifs, in: Lequette/Molfessis (Hrsg.) Quel avenir pour la responsabilit8 civile?, S. 7. 1351 Mekki, Le projet de r8forme du droit de la responsabilit8 civile: maintenir, renforcer et enrichir les fonctions de la responsabilit8 civile, Gaz. Pal., 2016, Nr. 3, S. 1512ff. 1352 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 246. 1353 Roynette, Drawing the Line of the Scope of the Duty of Care in American Negligence and French Fault Based Liability, JCLS 2015, S. 73.

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und klare Kategorien der Haftung für eigenes Fehlverhalten formuliert, um public policy und eine gerechte Risikoverteilung zu erreichen.1354 (379) Als Beweis für die fehlende Verständlichkeit des Systems der Haftung für eigenes Fehlverhalten wird im Folgenden dargestelt, wie die einzelnen Haftungsvoraussetzungen ihre ursprüngliche Bedeutung verloren haben. Um die These zur fehlenden Verdeutlichung des Gerechtigkeitsgehalts zusätzlich zu begründen und zu veranschaulichen, werden die einzelnen Voraussetzungen mit ihrem alltäglichen Verständnis verglichen. a) Verschulden (380) Problematisch ist schon die Hauptvoraussetzung einer deliktsrechtlichen Generalklausel. Abgesehen von der Tatsache, dass sich das Verschulden als ein allgemeines Prinzip der Deliktshaftung mit der Einführung der verschuldensunabhängigen Haftungsgrundlagen als ungenügend herausstellte, ist es schon für die Kernbereiche der Haftung für eigenes Fehlverhalten nicht immer effizient. Dieser Begriff ist viel zu abstrakt, um klare Ergebnisse in allen in den Bereich der Haftung für eigenes Fehlverhalten fallenden Fällen zu kreieren.1355 Grundsätzlich ist das Verschulden an sich in seinem ursprünglichen und alltäglichen moralischen Verständnis keine Voraussetzung der Haftung für eigenes Fehlverhalten mehr.1356 Ferner ist dieser Begriff missverständlich und führt zur »Tarnung« der eigentlichen Zurechnungskriterien.1357 Trotz der fehlenden Adäquanz des Verschuldens als Kriterium der Deliktshaftung, ist der Begriff immer noch die Grundlage der deliktsrechtlichen Dogmatik.1358 (381) Eine gemeineuropäische Tendenz, die zur Unverständlichkeit des Verschuldens führt, ist die Verobjektivierung dieses Begriffes.1359 Die Verschärfung der Haftung für eigenes Fehlverhalten, die dadurch geschieht, wurde anschaulich als »Austreibung des Teufels mit dem Beelzebub« bezeichnet.1360 Diese Tendenz in der nationalen Rechtsprechung soll eine Manipulation darstellen, die

1354 AaO, S. 69. 1355 Ibbetson, Harmonisation of the Law of Tort and Delict: A Comparative and Historical Perspective, in: Zimmermann (Hrsg.) Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, S. 103. 1356 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 231. 1357 Widmer, Comparative Report on Fault as a Basis of Liability and Criterion of Imputation, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Fault, Rn, 68. 1358 Ibbetson, Harmonisation of the Law of Tort and Delict: A Comparative and Historical Perspective, in: Zimmermann (Hrsg.) Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, S. 103. 1359 Granecki, Obiektywizacja odpowiedzialnos´ci deliktowej, PiM 2005, Nr. 1, S. 41ff. 1360 Koziol, Außervertragliche Schuldverhältnisse im CFR, in: Schmidt-Kessel/Dierks (Hrsg.) Der gemeinsame Referenzrahmen: Entstehung, Inhalte, Anwendung, S. 98.

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durch die Unbestimmtheit der Regelung der Verschuldenshaftung ermöglicht worden ist.1361 (382) Besonders weitgehend ist die Verobjektivierung des Verschuldens im französischen Recht. Die französische Lehre spricht sogar von der d8naturation de la faute.1362 Zu dieser Denaturierung trägt zusätzlich die schrittweise Reduktion der Urteilsfähigkeitsprüfung im Rahmen des Verschuldens bei.1363 Als Hauptgründe für die Verobjektivierung des Verschuldens und dadurch auch die Haftungsverschärfung wurden am Beispiel des polnischen Rechts (i) die zu weite Subjektivierung der Haftung durch die Einführung einer Generalklausel; (ii) die Schwierigkeiten bei der Feststellung der Kausalzusammenhänge und (iii) die Professionalisierung der Gesellschaft genannt.1364 Im spanischen Recht hat die Rechtsprechung die Verobjektivierung der Haftung ausdrücklich zugegeben.1365 Erst am Anfang dieses Jahrhunderts wurde dieser Prozess in Spanien teilweise angehalten.1366 In diesem Zusammenhang hat sich der Tribunal Supremo gegen die Verobjektivierung des Verschuldens ausgesprochen.1367 Kritisiert wurde diese Entwicklung ebenfalls in der helvetischen Lehre, die auch von der Denaturierung der Verschuldenshaftung spricht.1368 Es wird in Anbetracht der Verobjektivierung des Verschuldens vom Paradox der »Verschuldenshaftung ohne Verschulden« gesprochen, seitdem das Verschulden keinen persönlichen Schuldvorwurf voraussetzt.1369 Die Verobjektivierung des Verschuldens als gemeinsame Entwicklung in den untersuchten Rechtsordnungen und die damit verbundenen Kontroversen zeigen, dass der Verschuldensbegriff stetig schwieriger zu erfassen ist.

1361 AaO. 1362 Buffelan-Lanore/Larribau-Terneyre, Droit civil. Les obligations12, Rn. 1840; Wessner/Winiger, SynthHse des travaux du GRECA, in: Le droit franÅais de la responsabilit8 civile confront8 aux projets europ8ens d’harmonisation, S. 782. 1363 Siehe, Rn. 80. 1364 Granecki, Obiektywizacja odpowiedzialnos´ci deliktowej, PiM 2005, Nr. 1, S. 43ff. 1365 Das erste Mal im Urt. TS v. 16. 3. 1983, STS 54/1983, RJ 1983, 1480. 1366 Xiol R&os, La moderna doctrina jurisprudencial en torno a la culpa y responsabilidad en el #mbito de la responsabilidad contractual y extracontractual, in: S#nchez Ruiz de Valdivia/ Ljpez y Garc&a de la Serrana (Hrsg.) Cuestiones actuales sobre responsabilidad civil, S. 206. 1367 Urt. TS v. 7. 5. 2007, STS 4241/2007, RJ 2007, 3553: »No es aceptable la objetivacijn de la responsabilidad en un sistema de responsabilidad subjetiva o por culpa, como el que establece el art&culo 1902 CC«. 1368 Widmer/Wessner, Revision und Vereinheitlichung des Haftpflichtrechts. Erläuternder Bericht, Bern 2000, S. 119f. 1369 Gauch, Grundbegriffe des ausservertraglichen Haftpflichtrechts, recht 1996, S. 235.

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b) Rechtswidrigkeit (383) Eine besondere Rolle bei der Verdeutlichung des Gerechtigkeitsgehalts spielt die Rechtswidrigkeit, die im Unterschied zu den anderen Haftungsvoraussetzungen keine alltägliche Bedeutung hat und ein reiner Terminus technicus ist. Deswegen ist der Bedeutungsverlust nicht so offensichtlich wie im Falle des Verschuldens. Die Rechtswidrigkeit weist jedoch in ihrem alltäglichen Sinne auf die Verletzung von Rechtsnormen hin,1370 vor allem, weil der Begriff nicht nur im Bereich des Deliktsrechts verwendet wird.1371 Die Rechtswidrigkeit erscheint auf den ersten Blick als eine allgemeine Voraussetzung der Haftung für eigenes Fehlverhalten nicht geeignet, weil sie bei fehlender Verletzung von Rechtsnormen zum Haftungsausschluss führen sollte.1372 Diese zu restriktive Bedeutung des Rechtswidrigkeitsbegriffes begründet die Kritik seiner Anwendung im Deliktsrecht.1373 Die Rechtsordnungen, welche die Rechtswidrigkeit im Rahmen der Haftung für eigenes Fehlverhalten voraussetzen, wenden deswegen eine differenziertere Bedeutung dieses Begriffes an. Die Rechtswidrigkeit bedeutet nie nur ausschließlich eine Verletzung von Rechtsnormen.1374 Dies führt jedoch zur weiteren Technisierung und Unverständlichkeit des Begriffes. (384) Besonders deutlich ist die Realitätsfremdheit dieses Begriffes im schweizerischen Recht, wo die Rechtswidrigkeit je nach Art des verletzten Rechtsguts ihre Kriterien ändert. Mit dem Wortlaut von Art. 41 OR lässt sich diese doch herrschende Auslegung kaum vereinbaren.1375 Der Grund für diese Entwicklung sei, dass das Verständnis der schweizerischen Rechtswidrigkeit strikt funktionsbedingt ist.1376 (385) Zusammenfassend ist zweifelhaft, ob die Rechtswidrigkeit aus terminologischer Sicht einen Mehrwehrt bei der Konkretisierung der deliktsrechtlichen Generalklauseln darstellt. Es handelt sich schließlich nicht um die Frage der Verletzung von Rechtsnormen, sondern um ein Zurechnungskriterium. Selbst wenn in vielen Fällen auf eine Rechtsverletzung abgestellt werden kann, spielen bei der Rechtswidrigkeitsprüfung auch wertungsoffene Begriffe wie das Treu1370 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 4, Rn. 18; Pietrzykowski, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci deliktowej a zasady wspjłz˙ycia społecznego i dobre obyczaje, FS Szpunar, S. 167. 1371 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 214. 1372 Mazeaud/Mazeaud/Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle6, Rn. 389. 1373 AaO; Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 25. 1374 Siehe, Rn. 174ff. 1375 Cartier, Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, Rn. 237. a. A. Bosshard, Neuere Tendenzen in der Lehre zum Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, S. 13, der behauptet, dass angesichts der fehlenden Legaldefinition der Rechtswidrigkeit, keine Theorie als falsch bzw. richtig qualifiziert werden darf. 1376 Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil I5, § 4, Rn. 20.

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und-Glauben-Prinzip eine wichtige Rolle. Wie realitätsfremd die Rechtswidrigkeit ist, zeigt die Feststellung, dass es sich hier um eine am wenigsten in der Rechtsprechung und am meisten in der Lehre thematisierte Voraussetzung der Deliktshaftung handelt.1377 c) Kausalität (386) Einigkeit besteht darüber, dass die Kausalität ein juristisches Kriterium ist.1378 Die juristische Kausalität ist keine Kausalitätsfrage im wissenschaftlichen Sinne, sondern eine Zurechnungsfrage.1379 Diese Einstufung an sich bringt jedoch keinen Mehrwert.1380 Sie bestätigt vielmehr die These, dass die deliktsrechtliche Kausalität mit der alltäglichen Bedeutung des Begriffes nicht viel zu tun hat. (387) Es wird dennoch versucht, einen allgemein geltenden Test der Kausalität zu formulieren. Bildhaft wurden die Versuche als »la recherche de la vraie causalit8« beschrieben.1381 Sie bleiben erfolglos, weil die Vielfalt der Kriterien es unmöglich macht, eine allgemeine Formel zu konstruieren. So muss auch die immer noch gemeineuropäisch herrschende Adäquanztheorie zahlreiche Ausnahmen zulassen. In der Rechtsvergleichung wurde hervorgehoben, dass es sich bei der Adäquanz und der Schutzzwecktheorie eigentlich um die Fragen der Zumutbarkeit und Billigkeit handelt.1382 Die beiden Lehren seien sogar gemeinsam nicht in der Lage, die Deliktshaftung hinreichend einzugrenzen.1383 Dies bestätigt die tatsächliche Unmöglichkeit, eine allgemeine Definition der deliktsrechtlichen Kausalität zu formulieren. (388) Durch die Voraussetzung des Kausalzusammenhanges werden die Zurechnungsfragen hinter einem wissenschaftlichen Begriff versteckt. Die terminologische Inkonsequenz führte in der spanischen Lehre zur Verlagerung der rein juristischen Kriterien der Kausalität in eine neue Voraussetzung der objektiven Zurechnung.1384 Eine Mindermeinung behauptet sogar, dass auch die materielle Kausalität der conditio sine qua non ein juristisches Kriterium sei und die von Pantalejn Prieto formulierte Unterscheidung der wissenschaftlichen 1377 Widmer, O tempora, o mores!, FS Koziol, S. 944. 1378 Siehe, Rn. 201ff. 1379 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 411ff, der diese Feststellung auch auf die materielle Kausalität i. S.v. conditio sine qua non bezieht. 1380 Brun, Causalit8 juridique et causalit8 scientifique, RLDC Suppl8ment 40/2007, S. 23. 1381 AaO. 1382 Wilburg, Referat am 43. D.J.T., in: Verhandlungen des 43. D.J.T., S. C8f, mit Verweis auf von Cammerer, Problem des Kausalzusammenhangs, S. 19. 1383 Wilburg, Referat am 43. D.J.T., in: Verhandlungen des 43. D.J.T., S. C9. 1384 Pantalejn Prieto, Causalidad e imputacijn objetiva: criterios de imputacijn, in: Centenario del cjdigo civil II, S. 1565.

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und juristischen Kausalitätsfragen doch nicht wirklich konsequent sei.1385 Die spanische Entwicklung hat bisher einen Ausnahmecharakter. Grundsätzlich wird in den anderen Rechtssystemen immer noch angestrebt, einen allgemeinen Kausalitätstest für die Zwecke des Deliktsrechts auszuformulieren. Das Eingeständnis, dass es sich bei der juristischen Kausalität um eine Zurechnungsfrage handelt, deren Beantwortung auch durch die anderen Haftungsvoraussetzungen beeinflusst wird, ist durchaus positiv zu bewerten. d) Schaden (389) Der Schadensbegriff hat sich ebenfalls vom allgemeinen Sprachgebrauch entfernt. Viele Einbußen, die in einem nichtjuristischen Kontext Schäden genannt werden, sind keine deliktsrechtlich relevanten Schäden.1386 Andererseits, wie die Einführung des Begriffes des normativen Schadens im schweizerischen Recht zeigt1387, gewährt das Deliktsrecht in einigen Fällen Schadenersatz, in denen kein Schaden im allgemeinen Sinne eingetreten ist. Im französischen Recht wird daher von der d8sint8gration progressive des Schadensbegriffes gesprochen.1388 (390) Genauso wie bei den anderen Haftungsvoraussetzungen wird bezüglich der Schadensdefinition die übertriebene Abstraktheit des Begriffes und die ständigen Bestrebungen, eine allgemeine Formel zu finden, kritisiert. In Frankreich ist man der Meinung, die Konstruktion des droit subjectif sei für die Ausuferung der Deliktshaftung verantwortlich. Sie sei »trop g8n8rale pour rester, soit utile, soit exacte«.1389 Der spanische Schadensbegriff wurde wegen seiner Abstraktheit als kaum begreiflich beurteilt.1390 (391) Die Schwierigkeiten, eine allgemeine juristische Schadensdefinition zu formulieren, resultieren daraus, dass die Zurechnungsfragen bei den einzelnen Schadensposten verschieden sind. Am besten ist das an den Unterschieden in der Ersatzfähigkeit der materiellen und immateriellen Schäden zu sehen.1391 Diese Unterschiede bestehen zudem eindeutig zwischen einzelnen Posten der materiellen Schäden. Zweifellos bestimmt sich die Ersatzfähigkeit von Eingriffen in die absoluten Rechte nach anderen Kriterien als die von reinen Vermögensinteressen.1392 Darüber hinaus verändert sich die Hierarchie der verschiedenen 1385 PeÇa Ljpez, Dogma y Realidad de Derecho de DaÇos: Imputacijn Objetiva, Causalidad y Culpa en el Sistema EspaÇol y en los PETL, S. 41ff. 1386 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 3. 1387 Siehe, Rn. 279. 1388 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 178; Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et de contrats6, Rn. 1306. 1389 Savatier, Trait8 de la responsabilit8 civile II 2, Rn. 534. 1390 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Derecho de daÇos, S. 307. 1391 AaO, S. 307f. 1392 Was sogar für das französische Recht zugegeben wird. Siehe, Rn. 112.

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Rechte und Interessen ständig.1393 Trotz der Annäherung an die Bedeutung der absoluten Rechte, wie das Eigentum und der Vermögensinteressen, kann nicht vom gleichen Gewicht dieser gesprochen werden. Genauso wie im Falle des Verschuldens wird ebenfalls bezüglich des Schadens von der fehlerhaften Verobjektivierung des Begriffes besprochen. Ein Beweis dafür ist die Zulässigkeit der fiktiven Abrechnung von materiellen Schäden.1394 3.

Fehlendes Lösungspotenzial bezüglich der weiteren Probleme

(392) Keine der untersuchten Rechtsordnungen verfügt über eine Dogmatik des Deliktsrechts, die eine problemlose Lösung der neuen Fragestellungen im Rahmen der Haftung für eigenes Fehlverhalten ermöglichen würde. Daraus resultiert eine ständige Entwicklung oder Übernahme neuer Konzepte, die der Haftungseingrenzung dienen sollten. Das mangelnde Lösungspotenzial führt auch zu gesetzgeberischen Interventionen, welche die neuen Bereiche der Haftung für eigenes Fehlverhalten eigenständig regulieren sollen. Ein Hauptbeispiel für die mangelnde Lösungsfähigkeit einer Generalklausel als alleinige Haftungsgrundlage im Rahmen des Deliktsrechts ist natürlich die Entwicklung der verschuldensunabhängigen Haftung im Laufe des 20. Jahrhunderts. Dass eine Generalklausel auch im Bereich der Haftung für eigenes Fehlverhalten inoperabel ist, zeigt die Entwicklung der zahlreichen Sonderregelungen. Die ursprüngliche Annahme von Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC), dass das Verschulden ein allgemeiner Haftungsgrund sein kann, war falsch. Die immer komplizierter werdenden Lebensverhältnisse stellen nicht nur die traditionellen deliktsrechtlichen Begriffe in Frage, sondern erschweren zusätzlich die Aufgabe der Bildung eines logisch geschlossenen Systems. Dadurch zeigt sich, dass die deliktsrechtliche Generalklausel nur begrenzt leistungsfähig ist, um die Haftung für eigenes Fehlverhalten einzugrenzen und die neuen gesellschaftlichen Probleme zu lösen.

III.

Zwischenergebnis

(393) Die auf einer Generalklausel basierenden Rechtsordnungen passen sich zwar den gesellschaftlichen Veränderungen relativ gut an. Darunter leidet jedoch die Kohärenz des Systems der Haftung für eigenes Fehlverhalten und die Vorhersehbarkeit der richterlichen Entscheidungen. Um die Rechtssicherheit zu 1393 Cadiet, Les m8tamorphoses du pr8judice, in: Les m8tamorphoses de la responsabilit8, S. 37ff. 1394 Kalin´ski, O wadliwej obiektywizacji szkody, Studia Iuridica 2007, S. 110.

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gewährleisten, versucht die Lehre und teilweise die Rechtsprechung ein subsumtionsfähiges System aufzubauen. Aus diesem Grund werden die abstraktallgemeinen Haftungsvoraussetzungen der Generalklausel fokussiert. Versucht wird, die Haftung für eigenes Fehlverhalten ausschließlich durch die Auslegung dieser Begriffe einzugrenzen. Die Eingrenzung der deliktsrechtlichen Generalklausel mittels strikt getrennter und allgemein für den ganzen Bereich der Haftung für eigenes Fehlverhalten geltender Voraussetzungen ist jedoch nicht leistungsfähig. Sie führt vor allem zur normativen Hypertrophie des Systems, die durch die Entwicklung stets neuer Theorien gekennzeichnet wird. Diese Vorgehensweise ist erforderlich, um die allgemeine deliktsrechtliche Dogmatik an die neuen Sachverhaltskonstellationen anzupassen. Was dabei verloren geht, sind die eigentlichen Wertungen, die über die Haftungsfrage entscheiden. Sie verschwinden im Schatten des ständigen Begriffsspiels.

§9

Reformentwürfe

(394) Die Unzulänglichkeit der subsumtionsorientierten Konkretisierung fordert Alternativen zur traditionellen Systembildung. Potenzielle Lösungen, welche die Aufgaben eines Deliktshaftungssystems effizienter erfüllen könnten, bieten nationale Reformentwürfe sowie europäische Harmonisierungsprojekte. Um den innovativen Charakter dieser Regelungswerke zu verdeutlichen, wird die Rolle der traditionellen Haftungsvoraussetzungen in diesen Entwürfen untersucht. Insbesondere ist zu prüfen, ob die Projekte gemeinsame Entwicklungstendenzen aufweisen, welche die Grundlage einer modernen Dogmatik der Haftung für eigenes Fehlverhalten bilden könnten.

I.

Nationale Reformentwürfe

(395) In allen untersuchten Rechtsordnungen wurden bereits umfassende deliktsrechtliche Novellierungsentwürfe formuliert. Keine von diesen Reformen wurde jedoch bisher umgesetzt. Am weitesten fortgeschritten ist die französische Deliktsrechtsreform. Bei ihr gibt es im Gegensatz zu den anderen Ländern Aussichten auf eine baldige Umsetzung der reformatorischen Vorschläge. Zunächst wird der Stand der Novellierungsarbeiten in den einzelnen Ländern kurz geschildert.

Reformentwürfe

1.

215

Frankreich

(396) Erst zwei Jahrhunderte nach dem Inkrafttreten des Code civil hat sich der französische Gesetzgeber entschieden, das Schuldrecht umfassend zu reformieren. Der erste Entwurf stammt von Pierre Catala aus dem Jahr 2005 (»Entwurf Catala«).1395 Dabei handelt es sich um den Versuch, die bisherige Rechtsprechung der Cour de cassation zu kodifizieren, ohne dabei das geltende Deliktsrecht wesentlich zu novellieren.1396 Der durchaus konservative Entwurf Catala wurde im Jahre 2010 als Gesetzesentwurf im Senat vorgelegt.1397 Er ist jedoch zunächst gescheitert. Revolutionärer war der Entwurf aus dem Jahr 2011 von FranÅois Terr8 (»Entwurf Terr8«). Er versucht, das französische Deliktsrecht unter Berücksichtigung der europäischen Rechtsangleichungsprojekte zu rekodifizieren.1398 Bei den Entwürfen handelte es sich daher um eine Rekodifikation des Richterrechts einerseits und um eine umfassende Reform des Deliktsrechts andererseits. Der französische Gesetzgeber hat sich für die konservative Lösung entschieden. Am 10. 2. 2016 wurde der erste Teil der Reform des französischen Schuldrechts verabschiedet.1399 Durch die Reform wurden Vorschriften über unerlaubte Handlungen neu strukturiert und nummeriert. Der ursprüngliche Wortlaut der Artt. 1382 bis 1386-18 fr. CC ist jedoch wortgleich in die neuen Artt. 1240 bis 1245-17 fr. CC übernommen worden. Besondere Fragen der vertraglichen und deliktischen Haftung wurden von dieser Novellierung ausgenommen. Angesichts ihres sozialen und politischen Gewichts sind sie Gegenstand eines weiteren Projekts.1400 Der im Jahr 2016 veröffentlichte Reformentwurf (»Entwurf des Ministeriums«)1401 verbindet zwar die Lösungen der beiden akademischen Entwürfe, hat sich aber deutlich mehr am Entwurf Catala 1395 Entwurf des Schuld- und Verjährungsrechts: Avant-projet de r8forme du droit des obligations et du droit de la prescription: http://www.ladocumentationfrancaise.fr/rapportspublics/054000622/index.shtml. 1396 Mor8teau, The Draft Reforms of French Tort Law in the Light of European Harmonisation, FS Magnus, S. 79. 1397 Entwurf des Gesetzes über die Schuldrechtsreform vom 9. 7. 2010 Proposition de loi portant r8forme de la responsabilit8 civile, Nr. 657. 1398 Mor8teau, The Draft Reforms of French Tort Law in the Light of European Harmonisation, FS Magnus, S. 80. 1399 Verordnung Nr. 2016–131 vom 10. 2. 2016 über die Reform des Vertragsrechts, der allgemeinen Regeln und Beweisregeln des Schuldrechts: Ordonnance n8 2016-131 du 10 f8vrier 2016 portant r8forme du droit des contrats, du r8gime g8n8ral et de la preuve des obligations. 1400 Bericht des Presidenten bezüglich der Verordnung Nr. 2016-131: Rapport au Pr8sident de la R8publique relatif / l’ordonnance n8 2016–131 du 10 f8vrier 2016 portant r8forme du droit des contrats, du r8gime g8n8ral et de la preuve des obligations. 1401 Entwurf des Gesetzes über die Schuldrechtsreform vom 29. 4. 2016: Avant-projet de loi R8forme de la responsabilit8 civile: http://www.textes.justice.gouv.fr/art_pix/avpjl-respon sabilite-civile.pdf.

216

Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

orientiert.1402 Darüber hinaus hat der Gesetzgeber ebenfalls im Jahr 2016 die Umweltschäden detailliert geregelt (neue Artt. 1246-1252 fr. CC).1403 2.

Polen

(397) Der polnische Reformentwurf des ZGB ist eine bloße Rekodifikation. Die Kodifikationskommission hat zwar vorgeschlagen, die deliktsrechtlichen Vorschriften neu zu formulieren.1404 Der Entwurf kodifiziert dennoch größtenteils lediglich die in der Rechtsprechung erarbeiteten Änderungen des Deliktsrechts. Hierzu gehört insbesondere die Einführung der Rechtswidrigkeit als eigenständiger Voraussetzung der Haftung für eigenes Fehlverhalten. Einen tatsächlich reformatorischen Charakter hat die Beweislastumkehr bezüglich der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens, die den Forderungen der Lehre entspricht.1405 Klar war aber, dass das neue polnische Deliktsrecht weiterhin auf einer Generalklausel basieren soll.1406 Insgesamt ist der Entwurf nicht revolutionär und ändert die Strukturbildung des polnischen Deliktsrechts kaum. Angesichts der Auflösung der Kodifikationskommission durch den Justizminister, ist jedoch mit einer baldigen Verabschiedung des Projekts nicht zu rechnen.1407 3.

Schweiz

(398) Die längste Geschichte haben die deliktsrechtlichen Novellierungsarbeiten in der Schweiz. Schon im Jahr 1988 wurde eine Studienkommission einberufen, 1402 Mekki, Le projet de r8forme du droit de la responsabilit8 civile: maintenir, renforcer et enrichir les fonctions de la responsabilit8 civile, Gaz. Pal. 2016, Nr. 3, S. 1512. 1403 Gesetz Nr 2016-1087 vom. 8. 8. 2016 über die Rückeroberung der Artenvielfalt, der Natur und der Landschaften LOI n8 2016-1087 du 8 ao0t 2016 pour la reconquÞte de la biodiversit8, de la nature et des paysages. 1404 Karczewska-Kamin´ska, Dostosowanie polskiego prawa czynjw niedozwolonych do zasad europejskiego prawa deliktjw zawartych w PETL i DCFR (w zwia˛zku z projektem nowego kodeksu cywilnego), in: Olejniczak/Haberko/Pyrzyn´ska/Sokołowska (Hrsg.) Wspjłczesne problemy prawa zobowia˛zan´, S. 273. 1405 S´mieja, O potrzebie modyfikacji wybranych instytucji rez˙imu deliktowego, FS Ignatowicz, S. 452ff. 1406 S´mieja, Odpowiedzialnos´c´ deliktowa za własne i cudze czyny – uwagi de lege ferenda, in: Nesterowicz (Hrsg.) Czyny niedozwolone w prawie polskim i prawie porjwnawczym, S. 545. 1407 Der Justizminister hat die Kodifikationskommission des Zivilrechts am 15. 12. 2015 aufgelöst. Die ehemaligen Mitglieder der Kommission führen jedoch die Arbeiten am Entwurf eines neuen ZGB weiter fort. Das geschieht im Rahmen eines akademischen Forschungsprojekts: »Akademicki projekt kodeksu cywilnego«. Informationen zum Entwurf und zu den Arbeiten dieser Gruppe sind auf der Internetseite: http://www.projektkc.uj. edu.pl/ zu finden.

Reformentwürfe

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um die Gesamtrevision des Haftpflichtrechts vorzubereiten.1408 Die Aufgaben der Studienkommission waren insbesondere, die Voraussetzungen der Deliktshaftung zu untersuchen sowie Möglichkeiten der materiellen und formellen Vereinheitlichung von Regelungen vorzuschlagen.1409 Drei Jahre später hat diese Studienkommission einen Bericht veröffentlicht.1410 Von besonderer Bedeutung sind darüber hinaus der im Jahr 2000 veröffentlichte Vorentwurf des Bundesgesetzes zur Revision und Vereinheitlichung des Haftpflichtrechts (VE OR)1411 und der im Jahr 2013 veröffentlichte Entwurf »Schweizer Obligationenrecht 2020« (OR 2020).1412 Der eidgenössische Bundesrat hat jedoch auf die gesetzliche Umsetzung der Revisionspläne des Deliktsrechts im Jahre 2009 verzichtet.1413 4.

Spanien

(399) Die Reformbedürftigkeit der Haftung für eigenes Fehlverhalten im spanischen Recht steht weitgehend außer Frage.1414 Die Kodifikationskomission hat eine »Propuesta de modernizacijn del cjdigo civil en materia de obligaciones y contratos« veröffentlicht. Sie beschäftigte sich jedoch nicht mit dem Deliktsrecht.1415 Im Jahr 2016 wurde aber ein akademisches Projekt veröffentlicht, das die unerlaubten Handlungen umfasst.1416 Der Entwurf ist sehr revolutionär und übernimmt viele Lösungen nahezu direkt von den PETL. Insbesondere wurde die bewegliche Denkweise bei den Zurechnungsfragen übernommen. Die Inspirationsquelle für Art. 5191-5 des Entwurfs war Art. 3:201 PETL. Beide Normen tragen sogar die gleiche Überschrift: »Alcance de la responsabilidad«. Die Autoren versuchen jedoch, die in den PETL vorgeschlagene Strukturbildung in die spanische Deliktsrechtsdogmatik einzubetten.

1408 Widmer/Wessner, Revision und Vereinheitlichung des Haftpflichtrechts. Erläuternder Bericht, Bern 2000, S. 15. 1409 Bericht der Studienkommission für die Gesamtrevision des Haftplichtrechts, Bern 1991, S. 1f. 1410 Bericht der Studienkommission für die Gesamtrevision des Haftplichtrechts, Bern 1991. 1411 Widmer/Wessner, Revision und Vereinheitlichung des Haftpflichtrechts. Vorentwurf eines Bundesgesetzes, Bern 2000. dies., Revision und Vereinheitlichung des Haftpflichtrechts. Erläuternder Bericht, Bern 2000. 1412 Huguenin/Hilty (Hrsg.) Schweizer Obligationenrecht 2020. Entwurf für einen neuen allgemeinen Teil, Zürich/Basel/Genf 2013. 1413 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I 6, Art. 41, Rn. 62. 1414 Reglero Campos, in: (Hrsg.) Reglero Campos, Tratado de Responsabilidad Civil I 4, S. 286. 1415 Mart&n-Casals, La »modernizacijn« del derecho de la responsabilidad civil, in: Cuestiones actuales en materia de responsabilidad civil, S. 14. 1416 PeÇa Ljpez/]lvarez Lata/Arcos Vieira/Colina Garea/Busto Lago, Propuesta de Cjdigo Civil. Libros Quinto y Sexto, Asociacijn de Profesores de Derecho Civil (Hrsg.), S. 319ff.

218 5.

Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

Die Rolle der traditionellen Haftungsvoraussetzungen

(400) Im Folgenden wird untersucht, welche Rolle die einzelnen Haftungsvoraussetzungen in den jeweiligen Reformentwürfen haben. Zu beantworten ist vor allem die Frage, ob die nationalen Rechtsordnungen auf diesem Feld gemeinsame Tendenzen aufweisen. a) Verschulden (401) Bezüglich der Bedeutung und der Kriterien des Verschuldens im Rahmen der Haftung für eigenes Fehlverhalten lassen sich in den untersuchten Rechtsordnungen keine gemeinsamen Tendenzen herauskristallisieren. Während einige Entwürfe für die Resubjektivierung des Begriffes werben, sprechen sich andere für eine weitere Verobjektivierung aus. aa) Frankreich (402) Die französischen Novellierungsentwürfe definieren den Hauptbegriff des französischen Deliktsrechts: faute, was an sich schon revolutionär ist. Während jedoch der Entwurf Catala die herrschende verobjektivierte Auffassung des Verschuldens lediglich wiederholt, unterscheidet der Entwurf Terr8 zwischen den objektiven und subjektiven Aspekten des Verschuldens. Der konservativere Entwurf Catala definiert das Verschulden folgendermaßen: Art. 1352 S. 2 »Constitue une faute la violation d’une rHgle de conduite impos8e par une loi ou un rHglement ou le manquement au devoir g8n8ral de prudence ou de diligence.« Somit bezieht sich die faute nur auf die illic8it8. Die einfache Rechtswidrigkeit begründet also das Verschulden. Die Nützlichkeit dieser Definition wird in Frage gestellt, da sie lediglich eine Klarstellung sei.1417 Letztlich bricht jedoch die Verschuldensdefinition im Entwurf Catala mit der dogmatischen Aufteilung dieser Voraussetzung in die objektive illic8it8 und subjektive imputabilit8. Dieser Aufteilung bleibt die Mehrheit der Autoren immer noch treu.1418 Erkennbar ist jedoch die Tendenz die Bedeutung der Vorwerfbarkeit als Voraussetzung des Verschuldens zu reduzieren.1419 Somit wird das Verschulden in Einklang mit der herrschenden Lehre derart verobjektiviert, dass die subjektive Seite des Begriffes gänzlich eliminiert wird. (403) Im Entwurf Terr8 werden demgegenüber die subjektiven Kriterien hervorgehoben. Art. 5 S. 1 bestimmt: »La faute consiste, volontairement ou par

1417 Giliker, Codifying Tort Law : Lessons From The Proposals For Reform Of The French Civil Code, IntCompLQ, 2008, S. 569. 1418 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 442. 1419 Entwurf Catala, S. 155.

Reformentwürfe

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n8gligence, / commettre un fait illicite.«1420 Die Definition unterscheidet folglich klar zwischen dem objektiven fait illicite und dem als subjektiv angesehenen Vorsatz sowie der Fahrlässigkeit. Dadurch wurde die im Entwurf Catala hervorgehobene Möglichkeit beseitigt, das Verschulden mittels der einfachen Rechtswidrigkeit zu begründen. Der Entwurf Terr8 bestätigt die imputabilit8 als ein erforderliches Element der Verschuldensprüfung. Die Beibehaltung dieser Voraussetzung wird damit begründet, dass sie – im Unterschied zur abstrakten Rechtswidrigkeit – die äußeren Umstände und die Eigenschaften des Schädigers berücksichtigt.1421 Somit hat dieser Teil der Verschuldensprüfung eine eindeutig haftungseingrenzende Funktion. (404) Der Gesetzgeber tendiert zu der völlig verobjektivierten Verschuldensdefinition aus dem Entwurf Catala. Der Entwurf des Ministeriums übernimmt in Art. 1241 die Grundnorm und in Art. 1242 die Verschuldensdefinition des Entwurfs Catala fast wortgleich. Die gesonderte Prüfung der imputabilit8 im Rahmen des Verschuldens entfällt somit. Es bleibt also die Möglichkeit, die faute durch eine bloße Verletzung einer geschriebenen Norm zu begründen.1422 Das Verschulden wird weiterhin anhand eines objektiven Sorgfaltsmaßstabs beurteilt.1423 bb) Schweiz (405) In den eidgenössischen Reformentwürfen gibt es ebenfalls zwei unterschiedliche Tendenzen bezüglich der Bedeutung der subjektiven Aspekte des Verschuldens. Während das VE OR eine Resubjektivierung des Verschuldens postulierte, schlugen die Autoren des OR 2020 vor, einen rein objektiven Verschuldensbegriff einzuführen. (406) Dem Verschulden seinen subjektiven Charakter zurückzugeben, ist eines der Hauptpostulate des VE OR. Laut dem Bericht der Studienkommission sollen bei der Beurteilung der erforderlichen Sorgfalt die Kenntnisse sowie die anderen persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des Schädigers berücksichtigt werden.1424 Zum Ausschluss der Haftung könnten daher auch andere als die in Art. 16 schw. ZGB formulierten Kriterien führen. Der vorgeschlagene individualisierte Verschuldensbegriff wurde von einigen Autoren positiv be1420 Bloch, D8finition de la faute, in: Terr8 (Hrsg.) Pour une r8forme du droit de la responsabilit8 civile, S. 101. 1421 Bloch, D8finition de la faute, in: Terr8 (Hrsg.) Pour une r8forme du droit de la responsabilit8 civile, S. 110. 1422 Siehe, Rn. 86. 1423 Mekki, Le projet de r8forme du droit de la responsabilit8 civile: maintenir, renforcer et enrichir les fonctions de la responsabilit8 civile, Gaz. Pal. 2016, Nr. 3, S. 1513. 1424 Bericht der Studienkommission für die Gesamtrevision des Haftpflichtrechts, Bundesamt für Justiz (Hrsg.) Bern 1991, S. 57.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

wertet.1425 Den gleichen Gedanken formuliert Art. 48a VE OR1426 : »1Fahrlässig handelt die Person, welche die ihr nach den Umständen und nach ihren persönlichen Verhältnissen obliegende Sorgfalt missachtet. 2Die erforderliche Sorgfalt beurteilt sich nach dem Alter, der Bildung, den Kenntnissen sowie nach den übrigen Fähigkeiten und Eigenschaften der Person, die den Schaden verursacht hat.« Bei der Norm handelt es sich um eine »Verabschiedung des objektiven Fahrlässigkeitsbegriff«.1427 Ein Argument gegen die Resubjektivierung ist demgegenüber, dass das Ziel des Deliktsrechts nicht die Missbilligung des Verhaltens, sondern die Abgrenzung von Risikosphären ist.1428 (407) Einen rein objektiven Sorgfaltsmaßstab schlagen dagegen die Autoren des Entwurfs OR 2020 vor. Der Vorschlag enthält zwar keine Verschuldensdefinition. Er bestimmt aber, dass nur der Tatbestand des Art. 16 schw. ZGB das Verschulden ausschließen kann.1429 Entschuldigungsgründe sind hiernach: das Kinderalter, geistige Behinderung, psychische Störung, Rausch oder »ähnliche Umstände«. In diesen Fällen kann dem Schädiger das Verhalten objektiv nicht zugerechnet werden.1430 Wegen des starken Einflusses der französischen Lehre auf den Entwurf OR 2020 gebe es zwischen dem Verschulden und der Rechtswidrigkeit keinen Unterschied mehr.1431 cc) Spanien (408) Die Autoren des spanischen Entwurfs haben auf einen einheitlichen Begriff des Verschuldens verzichtet. Schon Art. 5191-2 des Entwurfs als Zurechnungsnorm enthält die eigenständigen Termini »dolo« und »culpa« im Sinne des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit.1432 Letztere wird als die Verletzung der erforderlichen Sorgfalt definiert. Der Entwurf verwendet den Verschuldensbegriff daher klarer als die jetzige spanische Generalklausel. Art. 1902 span. CC sieht die Haftung für »culpa o negligencia« vor. Diese Formulierung ist fehlerhaft, weil sowohl die »culpa« als auch die »negligencia« ausschließlich die Fahrlässigkeit beschreiben. Der Entwurf wurde auch bei den Verschuldensfragen deutlich von 1425 Kuhn, Gesamtrevision Haftpflichtrecht, SJZ 1997, S. 136. 1426 Widmer/Wessner, Vorentwurf eines Bundesgesetzes über die Revision und Vereinheitlichung des Haftpflichtrechts, 2000. 1427 Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, in: Zimmermann (Hrsg.) Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, S. 259. 1428 Schwenzer, Der schweizerische Entwurf zur Reform des Haftpflichtrechts, in: Winiger (Hrsg.) Europäisches Haftungsrecht morgen, Nationale Revisionsentwürfe und europäische Haftungsprinzipien, S. 85. 1429 Fellmann/Müller/Werro, in: Huguenin/Hilty (Hrsg.) Schweizer Obligationenrecht 2020, Art. 46, Rn. 11. 1430 AaO. 1431 AaO, Rn. 12. 1432 PeÇa Ljpez, ]lvarez Lata, Arcos Vieira, Colina Garea, Busto Lago, Propuesta de Cjdigo Civil. Libros Quinto y Sexto, Asociacijn de Profesores de Derecho Civil (Hrsg.), S. 319.

Reformentwürfe

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den PETL beeinflusst. Die Grundnorm der Haftung für eigenes Fehlverhalten übernimmt fast wortgleich die Formulierung des Art. 4:101 PETL. Der spanische Entwurf verzichtet lediglich auf den Sammelbegriff des Verschuldens. Darüber hinaus definiert er in Art. 5191-8 Abs. 1f.1433 die erforderlichen Sorgfalt nach dem Muster von Art. 4:102 PETL. Zusammenfassend sorgt das Projekt für die bisher mangelnde terminologische Klarheit und steht unter dem Einfluss von den PETL. Die Autoren des Entwurfs folgen dabei der an der Rechtsvergleichung orientierten Rechtsprechung, die sich bei der Formulierung der Sorgfaltsanforderungen ebenfalls der in den PETL formulierten Kriterien bedient. dd) Polen (409) Der polnische Entwurf enthält keine Verschuldensdefinition. Durch die Einführung der Rechtswidrigkeit als eigenständige Voraussetzung wird jedoch das Verschulden auf die bisher in der Lehre als »subjektiv« bezeichneten Aspekte des Begriffes reduziert. Zwar wurde in der Lehre vorgeschlagen, die Haftung für eigenes Fehlverhalten weiter zu verobjektivieren, weil dies der Automatisierung und Technisierung des modernen Lebens gerecht werde.1434 Der Entwurf berücksichtigt diese Tendenzen jedoch nicht. Folglich beschreibt das Verschulden im Entwurf lediglich die Verletzung der erforderlichen Sorgfalt. Diese Voraussetzung wird also weiterhin in Einklang mit der herrschenden Lehre als ein missbilligendes Urteil bezüglich eines schadensverursachenden Verhaltens verstanden. b) Rechtswidrigkeit (410) In der Rechtsvergleichung wird die Rechtswidrigkeit als eine Voraussetzung der Haftung für eigenes Fehlverhalten vehement kritisiert. Diese Kritik spiegelt sich jedoch in den nationalen Reformentwürfen nicht wieder. Die Autoren der polnischen Rekodifikation schlagen sogar vor, die Rechtswidrigkeit als eine eigenständige Voraussetzung einzuführen. Mit der Abschaffung dieser Voraussetzung ist im schweizerischen Recht ebenfalls nicht zu rechnen. Der Entwurf Terr8 wollte die Rechtswidrigkeit in das französische Deliktsrecht einführen. Aus der Perspektive der nationalen Rechtsordnungen hat die Rechtswidrigkeit daher nicht an Bedeutung verloren, sondern gewonnen.

1433 AaO, S. 320. 1434 Machnikowski, Prawo zobowia˛zan´ w 2025 roku. Nowe technologie. Nowe wyzwania, in: Olejniczak/Haberko/Pyrzyn´ska/Sokołowska (Hrsg.) Wspjłczesne problemy prawa zobowia˛zan´, S. 394.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

aa) Schweiz (411) Die für das eidgenössische Recht charakteristische Hauptrolle der Rechtswidrigkeit behalten beide Reformentwürfe bei. (412) Im VE OR wurde der Begriff der Rechtswidrigkeit jedoch deutlich erweitert. Der Entwurf basiert zwar auf der herrschenden objektiven Rechtswidrigkeitstheorie. Art. 46 Abs. 2 VE OR1435 sieht jedoch ausdrücklich vor, dass sich die Rechtswidrigkeit – entgegen der herrschenden Auffassung der Lehre und der Rechtsprechung – auch aus dem Verstoß gegen Treu und Glauben ergeben kann. Dadurch sollen auch Fälle erfasst werden, in denen der Schädiger einen anderen Menschen nicht auf eine ihm drohende Gefahr aufmerksam macht oder ihn zur Verletzung oder Auflösung eines mit einem Dritten abgeschlossenen Vertrags auffordert.1436 Der Grundsatz von Treu und Glauben solle eine Schlüsselrolle bei der Suche nach den Grenzen der Deliktshaftung spielen.1437 Dass auf das Prinzip von Treu und Glauben abgestellt wird, wird als ein Zugeständnis an das bewegliche System gesehen.1438 Die Grenzen des Treu-und-Glauben-Prinzips sollen im Wege der Interessensabwägung festgelegt werden.1439 Diese Aufgabe obliegt jedoch nicht dem Gesetzgeber, sondern der Rechtsprechung.1440 Bewegliche Kriterien der Rechtswidrigkeit können zum Beispiel die in Art. 2:102 PETL aufgelisteten Elemente sein.1441 Es ist jedoch schwer nachvollziehbar, warum die Autoren des VE OR auf die Aufzählung der Abwägungskriterien verzichtet haben. In Art. 2:102 PETL soll es ebenfalls um die Rechtswidrigkeit – wenigstens im schweizerischen Sinne – gehen.1442 Im Großen und Ganzen hält sich der VE OR aber an die in der Schweiz geltende, aus dem deutschen Recht übernommene, zweispaltige Auffassung der Rechtswidrigkeit. Es wurde vor diesem Hintergrund kritisiert, dass die bisherige Lehre und Rechtsprechung zementiert wurde, ohne dabei die Pflichtwidrigkeit als Kriterium der Rechtswidrigkeit ausreichend zu berücksichtigen.1443

1435 Vorentwurf eines Bundesgesetzes über die Revision und Vereinheitlichung des Haftpflichtrechts: »Besteht die Schädigung im Verhalten einer Person, so ist dieses dann widerrechtlich, wenn es gegen ein Gebot oder Verbot der Rechtsordnung, gegen den Grundsatz von Treu und Glauben oder gegen eine vertragliche Pflicht verstösst.« 1436 Widmer/Wessner, Revision und Vereinheitlichung des Haftpflichtrechts, S. 102. 1437 Widmer, O tempora, o mores!, FS Koziol, S. 946. 1438 Busnelli, The European Frontiers of Tort Liability, FS Widmer, S. 20; Widmer, O tempora, o mores!, in: FS Koziol, S. 955. 1439 Widmer, O tempora, o mores!, FS Koziol, S. 954. 1440 AaO. 1441 AaO, S. 955. 1442 AaO, S. 956. 1443 Schwenzer, Der schweizerische Entwurf zur Reform des Haftpflichtrechts, in: Winiger (Hrsg.) Europäisches Haftungsrecht morgen, Nationale Revisionsentwürfe und europäische Haftungsprinzipien, S. 70.

Reformentwürfe

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(413) Für eine andere Auffassung der Rechtswidrigkeit haben sich die Autoren des OR 2020 entschieden. Die Rechtswidrigkeit wird zwar in dem Entwurf nicht erwähnt. Die Haftungseingrenzung soll jedoch, ohne terminologische Bindung an die Rechtswidrigkeit oder das Verschulden, im Sinne der Sorgfaltspflichttheorie erfolgen. Art. 46 OR 2020 regelt: »Wer ohne Rechtfertigung eine allgemeine Verhaltenspflicht verletzt, ist zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet.« Der Entwurf führt also die Kategorie einer allgemeinen Verhaltenspflicht »devoir g8n8ral de comportement« ein. Dabei berufen sich die Autoren bezüglich der ursprünglichen Voraussetzung der Rechtswidrigkeit auf die Sorgfaltspflichttheorie.1444 Zum Schadensersatz soll »tout comportement contraire / un devoir de prudence statu8 par l’ordre juridique (express8ment ou non)« führen.1445 Der Verzicht auf den Begriff der Rechtswidrigkeit wird mit der Kritik an der herrschenden objektiven Rechtswidrigkeitstheorie begründet.1446 Der Entwurf übernimmt die französische Dogmatik. Markant ist darüber hinaus, dass er auf die Begriffe des Verschuldens sowie der Rechtswidrigkeit verzichtet. bb) Frankreich (414) Angesichts der gemeineuropäischen Kritik an der Rechtswidrigkeit war es überraschend, dass die französische Lehre im Entwurf Terr8 dennoch versucht hat, die Rechtswidrigkeit als eine eigenständige Haftungsvoraussetzung einzuführen. Die Rechtswidrigkeit wurde folgendermaßen definiert: Art. 5 S. 2 »Un fait est illicite quand il contrevient / une rHgle de conduite impos8e par la loi ou par le devoir g8n8ral de prudence et de diligence.«1447 (415) Der Entwurf Catala sowie der neueste Entwurf des Ministeriums enthalten diese Haftungsvoraussetzung nicht. Mit der Einführung der Rechtswidrigkeit als eigenständige Voraussetzung ist somit nicht zu rechnen. Den einzigen Bezug zu diesem Begriff enthält Art. 1340 S. 1 Entwurf Catala, der die Formulierung »fait illicite ou anormal«1448 verwendet, um eine unerlaubte Handlung zu beschreiben. Das Kriterium des anormalen Charakters verwischt jedoch die Konturen der Rechtswidrigkeit und reduziert ihre Bedeutung. Jedoch lässt sich fragen, ob die erfolgsbezogene Rechtswidrigkeit nicht durch die Hintertür über die Definition des Schadens eingeführt wird. Diese setzt die Verletzung eines 1444 Fellmann/Müller/Werro, in: Huguenin/Hilty (Hrsg.) Schweizer Obligationenrecht 2020, Art. 46, S. 157. 1445 AaO. 1446 AaO, S. 152. 1447 Bloch, D8finition de la faute, in: Terr8 (Hrsg.) Pour une r8forme du droit de la responsabilit8 civile, S. 101ff. 1448 Entwurf Catala, S. 152.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

»int8rÞt licite« voraus.1449 Die Formulierung hat Art. 1235 des Entwurfs des Ministeriums übernommen: »Est r8parable tout pr8judice certain r8sultant d’un dommage et consistant en la l8sion d’un int8rÞt licite, patrimonial ou extrapatrimonial, individuel ou collectif.« Im Unterschied zum Projekt Terr8 wird die Rechtswidrigkeit jedoch nicht restriktiv verstanden. Somit wird nur die bisherige Bedeutung der illic8it8 bestätigt. Art. 1235 des Entwurfs des Ministeriums soll lediglich das Ursprungsmodel des Art. 1382f. fr. CC (nunmehr: Art. 1240f. fr. CC) übernehmen.1450 cc) Polen (416) Die Mehrheit der polnischen Lehre fordert, die Rechtswidrigkeit als eigenständige Haftungsvoraussetzung einzuführen.1451 Laut des akademischen Novellierungsentwurfs des poln. ZGB soll die neue Generalklausel folgendermaßen lauten: »Wer durch eine rechtswidrige Handlung einer anderen Person einen Schaden zugefügt hat, ist zum Schadenersatz verpflichtet.« Die Erwähnung der Rechtswidrigkeit als eigenständige Voraussetzung der Verschuldenshaftung ist neu. Die kritischen Stimmen in der Lehre heben hervor, dass die objektive Seite des Verschuldens die Voraussetzung der Rechtswidrigkeit bereits einschließt. Darüber hinaus würde eine dogmatische Änderung die über 50 Jahre gefestigte Rechtsprechung zur deliktsrechtlichen Rechtswidrigkeit hinterfragen.1452 So würde das traditionelle Verständnis der deliktsrechtlichen Rechtswidrigkeit hinterfragt. Insbesondere würde damit die Frage gestellt, ob der Begriff nicht ausschließlich eine Gesetzesverletzung umfasst.1453 Hingewiesen wird zudem darauf, dass die gemeineuropäischen Harmonisierungsentwürfe auf die Rechtswidrigkeit verzichten.1454 Die Autoren des akademischen Entwurfs sind sich über die Einführung der Rechtswidrigkeit als selbständige Haftungsvoraussetzung jedoch weitgehend einig.1455

1449 Winiger/Wessner, SynthHse des travaux du GRECA, in: Le droit franÅais de la responsabilit8 civile confront8 aux projets europ8ens d’harmonisation, S. 772. 1450 Viney, Les int8rÞts prot8g8s par le droit de la responsabilit8 civile. SynthHse, in: Le droit franÅais de la responsabilit8 civile confront8 aux projets europ8ens d’harmonisation, S. 153. 1451 S´mieja, Odpowiedzialnos´c´ deliktowa za własne i cudze czyny – uwagi de lege ferenda, in: Nesterowicz (Hrsg.) Czyny niedozwolone w prawie polskim i prawie porjwnawczym, S. 546f. 1452 Karczewska-Kamin´ska, Dostosowanie polskiego prawa czynjw niedozwolonych do zasad europejskiego prawa deliktjw zawartych w PETL i DCFR, in: Olejniczak/Haberko/Pyrzyn´ska/Sokołowska (Hrsg.) Wspjłczesne problemy prawa zobowia˛zan´, S. 273. 1453 AaO, S. 273f. 1454 AaO, S. 274. 1455 Alle Versionen des Entwurfs sehen die Voraussetzung der Rechtswidrigkeit vor.

Reformentwürfe

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dd) Spanien (417) Nicht vorausgesetzt wird die Rechtswidrigkeit im spanischen akademischen Entwurf. Diese Entwicklung ist ebenfalls zunächst mit dem Einfluss der PETL zu erklären. Darüber hinaus ist sie damit zu erklären, dass einige für die Rechtswidrigkeit typische haftungseingrenzende Kriterien in die Voraussetzung der objektiven Zurechnung übernommen wurden. Aus diesen zwei Gründen wird die Rolle der Rechtswidrigkeit durch die objektive Zurechnung nach dem Muster von Art. 3:201 PETL ausgefüllt. Die Zurechnungsnorm des spanischen Entwurfs Art. 5191-51456 wiederholt Art. 3:201 PETL fast wortwörtlich. Der Vorschlag spiegelt zudem die neusten Tendenzen in der Rechtsprechung, welche sich rechtsvergleichend auf die PETL beruft, wider. c) Kausalität (418) Bezüglich der juristischen Kausalität halten sich die nationalen Reformentwürfe an die jeweils herrschenden nationalen Auffassungen. Die Hauptargumente dafür sind (i) die Gültigkeit der bisherigen Rechtsprechung zu erhalten sowie (ii) die Kausalitätsfragen dem richterlichen Ermessen zu überlassen. Die Ausformulierung eines allgemeinen Kausalitätstests sei weder möglich noch wünschenswert.1457 Der Verzicht, die Gerichte an eine bestimmte Kausalitätstheorie zu binden, ist eine gemeinsame Tendenz. aa) Frankreich (419) Im französischen Recht wurde zunächst versucht, die Kausalität zu definieren. So haben die Verfasser des Entwurfs Terr8 haben den Äquivalenz- und Adäquanztests gesetzlich vorgeschrieben.1458 (420) Keine Definitionen der Kausalität enthalten dagegen der Entwurf Catala und der Entwurf des Ministeriums. Begründet wird der Verzicht auf die gesetzliche Wahl einer der Kausalitätstheorien mit der Notwendigkeit, das juristische Ermessen zu bewahren.1459 Sie würde die Richter zu sehr begrenzen. Der Entwurf des Ministeriums setzt die Kausalität in Art. 1239 S. 1 lediglich voraus, ohne dabei ihre Kriterien zu bestimmen: »La responsabilit8 suppose la d8monstration d’un lien de causalit8 entre le fait imput8 au d8fendeur et le dommage«.

1456 PeÇa Ljpez, ]lvarez Lata, Arcos Vieira, Colina Garea, Busto Lago, Propuesta de Cjdigo Civil. Libros Quinto y Sexto, Asociacijn de Profesores de Derecho Civil (Hrsg.), S. 319. 1457 Sinde Monteiro, D8finition de la causalit8 dans les projets nationaux, in: Le droit franÅais de la responsabilit8 civile confront8 aux projets europ8ens d’harmonisation, S. 380. 1458 Borghetti, De la causalit8, in: Terr8 (Hrsg.) Pour une r8forme du droit de la responsabilit8 civile, Paris 2011, S. 145. 1459 Mekki, Le projet de r8forme du droit de la responsabilit8 civile: maintenir, renforcer et enrichir les fonctions de la responsabilit8 civile, Gaz. Pal., 2016, Nr. 3, S. 1512ff.

226

Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

Dass der Kausalitätstest nicht definiert wurde, wird in der Lehre teilweise kritisiert, weil dies die Rechtssicherheit außer Acht lasse.1460 bb) Polen (421) Der polnische Entwurf bleibt in Art. 113 bei der bisherigen juristischen Theorie der normalen Kausalität. Sehr ausführlich wird demgegenüber der Kausalzusammenhang bei mehreren Ursachen reguliert. Insbesondere wurde die alternative Kausalität (Art. 112 § 3) und die unbestimmte anteilige Kausalität (Art. 112 § 4) ausdrücklich geregelt. Die vorgeschlagenen Normen sind eine Übernahme von Art. 3:103 Abs. 1 PETL und Art. 3:105 PETL. cc) Schweiz (422) Die schweizerischen Novellierungsentwürfe enthalten keinen ausdrücklichen Verweis auf die Adäquanz. Der sehr französisch geprägte OR 2020 thematisiert die Frage der Kausalität gar nicht. Demgegenüber wurde die Kausalität sehr ausführlich in dem Bericht zur VE OR untersucht. Gemäß Art. 47 VE OR ist eine Person nur ersatzpflichtig, soweit der ihr zuzurechnende Sachverhalt in einem rechtlich bedeutsamen Kausalzusammenhang zum Schaden steht. Die Gründe für die mangelnde Erwähnung des Adäquanztests waren die Kritik an der Adäquanztheorie und vor allem die Behauptung, dass das Gesetz die Richter nicht fest an eine Theorie binden solle.1461 Der VE OR enthält in Art. 47a eine gesetzliche Definition der entlastenden Unterbrechung des Kausalzusammenhanges. dd) Spanien (423) Der spanische Entwurf reduziert die Rolle der Kausalität auf den conditiosine-qua-non-Test (Art. 5191-4).1462 Einerseits entspricht diese Vorgehensweise der spanischen Lehre der objektiven Zurechnung: wie bereits dargelegt, begrenzt sie die Kausalitätsfragen auf naturwissenschaftliche Kriterien. Andererseits übernimmt der Entwurf das Verständnis der Kausalität aus den PETL, die ebenfalls streng zwischen der natürlichen Kausalität und der Zurechnung unterscheiden.

1460 Bicheron, Les dispositions communes aux responsabilit8s contractuelle et extracontractuelle, in: Mekki (Hrsg.) Avant-projet de r8forme du droit de la responsabilit8 civile: l’art et la technique du compromis, S. 74. 1461 Widmer/Wessner, Revision und Vereinheitlichung des Haftpflichtrechts, S. 111. 1462 PeÇa Ljpez, ]lvarez Lata, Arcos Vieira, Colina Garea, Busto Lago, Propuesta de Cjdigo Civil. Libros Quinto y Sexto, Asociacijn de Profesores de Derecho Civil (Hrsg.), S. 319.

Reformentwürfe

227

d) Schaden (424) Trotz der offenen Natur einer Generalklausel wird in vielen Novellierungsentwürfen vorgeschlagen, den Schaden für den Bereich der deliktischen Haftung zu definieren. Versucht wird vor allem, die in der Rechtsprechung auftretenden Probleme der Haftungseingrenzung durch eine restriktive Schadensdefinition zu lösen. Eine gemeinsame Tendenz der nationalen Entwürfe ist die stärkere Konkretisierung des Schadensbegriffes. Diese Voraussetzung soll immaterielle Schäden umfassen und kollektive Interessen ausdrücklich schützen. Parallel zu diesen opferfreundlichen Entwicklungen führen die Entwürfe zugleich haftungseingrenzende Kriterien ein. Diese betreffen jedoch nur bestimmte Schadensarten. Somit lässt sich die zweite Tendenz feststellen, die Regeln der Ersatzfähigkeit je nach Schadensart unterschiedlich zu gestalten. aa) Schweiz (425) Beide Reformvorschläge des schweizerischen Deliktsrechts sehen eine Erweiterung des Schadensbegriffes vor. (426) Der VE OR regelt den Schaden sehr ausführlich. Die allgemeine Definition des Art. 45 S. 1 VE OR (»Der Schaden umfasst den Vermögensschaden und den immateriellen Schaden.«) wird durch die detaillierten Regelungen zum Vermögensschaden (Art. 45a-Art. 45d VE OR) und zum immateriellen Schaden (Art. 45e VE OR) ergänzt. Bemerkenswert ist zudem die Verschiebung der Grenzen des ersatzfähigen Schadens nach der Art der Haftung gemäß Art. 45 S. 3 VE OR: »Im Bereich der Gefährdungshaftung ist unter Vorbehalt anderslautender Bestimmungen nur der Schaden ersatzfähig, der durch Tötung, durch Einwirkung auf die körperliche oder geistige Unversehrtheit, auf Sachen oder auf die Umwelt entsteht.« (427) In Art. 47 OR 2020 wird demgegenüber eine liberalere Definition vorgeschlagen: »Der Schaden besteht in einem Vermögensschaden oder einer anderen Einbusse.« Sie erweitert den Schadensbegriff1463 und ist sogar noch weiter als die des VE OR. Andere ersatzfähige Einbußen sind: (i) dommage de commercialisation, (ii) dommage environnemental pur, (iii) dommage m8nager und (iv) perte d’une chance1464. bb) Frankreich (428) Im französischen Recht ist ebenfalls eine Ausweitung der Schadensdogmatik zu sehen. Eine Definition des Schadens enthalten der Entwurf Catala: »Art. 1343 Est r8parable tout pr8judice certain consistant dans la l8sion d’un 1463 Fellmann/Müller/Werro, in: Huguenin/Hilty (Hrsg.) Schweizer Obligationenrecht 2020, Art. 46f., Rn. 1. 1464 AaO, Rn. 5.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

int8rÞt licite, patrimonial ou extrapatrimonial, individuel ou collectif.« sowie der Entwurf Terr8: »Art. 8 Constitue un dommage toute atteinte certaine / un int8rÞt de la personne reconnu et prot8g8 par le droit.« Der Grund für die Formulierung einer allgemeinen Definition des Schadens war vor allem die Schwierigkeit dieser Problematik im französischen Recht.1465 Die Berücksichtigung des kollektiven Interesses soll zugleich den Ersatz von ökologischen Schäden ermöglichen. (429) Der Entwurf des Ministeriums hat die Definition des Schadens vom Entwurf Catala übernommen (Art. 1235). Die traditionellen Voraussetzungen des »aktuellen« und »direkten« Charakters des Schadens wurden im Einklang mit der herrschenden Lehre außer Acht gelassen. Vorausgesetzt wird nur die »Gewissheit« des Schadens. Fraglich ist, was unter dem Begriff »licite« zu verstehen ist. Die im Entwurf Terr8 formulierte Voraussetzung »un int8rÞt de la personne reconnu et prot8g8 par le droit« soll die Hierarchie der geschützten Interessen mit einfließen lassen. Damit werden die Kriterien der Rechtswidrigkeit in den Schadensbegriff eingeführt.1466 Beide Entwürfe unterscheiden darüber hinaus zwischen dommage und pr8judice. Ferner enthält Entwurf Catala besondere Normen zu (i) Schadensabwendungs- und Schadensminderungskosten, (ii) zukünftigen Schäden und (iii) »perte d’une chance«, die in den Entwurf des Ministeriums aufgenommen wurden. Sowohl die Voraussetzungen für den Ersatz von zukünftigen Schäden als auch die Voraussetzungen für den Ersatz der pertes d’une chance basieren auf der Rechtsprechung der Cour de cassation.1467 Es ist also eine Ausweitung des Spektrums der ersatzfähigen Schadensarten und die Konkretisierung sowie Spezialisierung der Normen, die sich auf bestimmte Schadensarten beziehen, ersichtlich.1468 cc) Polen (430) Auch der polnische Entwurf enthält eine Definition des Schadens. In Art. 111 § 1 des Entwurfes wird der Schaden als »die Einbuße in schutzwürdigen Rechten und Interessen« definiert. In dieser Definition scheint die Voraussetzung der »Schutzwürdigkeit« der Rechte und Interessen eine haftungseingrenzende Rolle zu spielen. Wie diese Voraussetzung zu verstehen sei, ist nicht klar. Eine zusätzliche Eingrenzung der Haftung auf der Ebene des Schadens würde den Postulaten von Teilen der Lehre entsprechen. Als Antwort auf die Auswei1465 Entwurf Catala, S. 153. 1466 Grare-Didier, Du dommage, in: Terr8 (Hrsg.) Pour une r8forme du droit de la responsabilit8 civile, S. 133. 1467 Entwurf Catala, S. 154; Bicheron, Les dispositions communes aux responsabilit8s contractuelle et extracontractuelle, in: Mekki (Hrsg.) Avant-projet de r8forme du droit de la responsabilit8 civile: l’art et la technique du compromis, S. 70. 1468 Entwurf Catala, S. 154.

Reformentwürfe

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tung der Haftung durch die Verobjektivierung des Verschuldens wurde gefordert, die Haftungsgrenzen neu zu regeln. Insbesondere soll die Haftung für eigenes Fehlverhalten gegenüber bestimmten Rechtssubjekten eingegrenzt werden.1469 Ersatzfähig sollen nur Schäden der direkt Geschädigten sein. Als nicht direkt Geschädigte gelten dabei die Personen, welche von der jeweiligen Schutznorm nicht umfasst werden.1470 Vielleicht ist die Schutzwürdigkeit in diesem Sinne zu verstehen. In einem der ersten Entwürfe wurde demgegenüber vorgeschlagen, die verlorene Chance ausdrücklich als ersatzfähigen Schaden anzuerkennen.1471 Die späteren Entwürfe des Kodifikationskommissions enthalten diese Lösung nicht. dd) Spanien (431) Der spanische Entwurf definiert den Schaden ebenfalls. Die Definition ist genau wie im polnischen Projekt sehr knapp formuliert: Art. 5191-3 »DaÇo es cualquier lesijn o menoscabo de un bien jur&dico, ya sea un derecho o ya sea un inter8s jur&dicamente protegido«.1472 Die einzelnen Interessen werden daher gleich stark geschützt. Somit weicht der spanische Entwurf in diesem Punkt von seinem Vorbild – den PETL – ab. Das gemeineuropäische Harmonisierungsprojekt, das den akademischen Entwurf sonst eindeutig inspiriert hat, sieht eine sehr detaillierte Hierarchie der geschützten Interessen vor. Das Ausmaß des Schutzes hängt in den PETL direkt von der Schadensart ab. Der spanische Entwurf unterscheidet erst bei der Berechnung des immateriellen Schadens in Art. 5192-10 zwischen den verletzten Interessen.1473

II.

Harmonisierungsentwürfe

(432) Sowohl der DCFR als auch die PETL bilden ein innovatives System des Deliktsrechts. Zu den Gemeinsamkeiten der beiden Projekte zählen vor allem die 1469 Machnikowski, Prawo zobowia˛zan´ w 2025 roku. Nowe technologie. Nowe wyzwania, in: Olejniczak/Haberko/Pyrzyn´ska/Sokołowska (Hrsg.) Wspjłczesne problemy prawa zobowia˛zan´, S. 393. 1470 Kalin´ski, Ograniczenie indemnizacji do podmiotjw bezpros´rednio poszkodowanych – w zwia˛zku z nowelizajca˛ art. 446 Kodeksu cywilnego, PS 2014, Nr. 3, S. 7ff. 1471 Bagin´ska, Kompensacja utraconej szansy – problem zwia˛zku przyczynowego czy szkody? in: Olejniczak, Haberko, Pyrzyn´ska, Sokołowska (Hrsg.) Wspjłczesne problemy prawa zobowia˛zan´, S. 64f mit Verweis auf Art. 5 § 2 des Entwurfs der Kodifikationskommission v. 18. 11. 2009: »Der Schadenersatz umfasst auch die verlorene Chance einen Vorteil zu erlangen, in dem Umfang, welcher der Wahrscheinlichkeit des Erlangens entspricht.« 1472 PeÇa Ljpez, ]lvarez Lata, Arcos Vieira, Colina Garea, Busto Lago, Propuesta de Cjdigo Civil. Libros Quinto y Sexto, Asociacijn de Profesores de Derecho Civil (Hrsg.), S. 319. 1473 AaO, S. 323.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

Verbindung der verschuldensabhängigen und –unabhängigen Haftung in einer Grundnorm und der Verzicht auf die Rechtswidrigkeit. Deutliche Unterschiede bestehen dagegen in der Terminologie (dazu unter 1), in der Systembildung (unter 2) und in der Rolle der traditionellen Voraussetzungen der Haftung (unter 3). 1.

Terminologie

a) DCFR (433) Der deliktsrechtliche Teil des DCFR gilt als terminologisch sehr innovativ.1474 Es wurde vor allem ein neuer Kernbegriff eingeführt: »rechtlich relevanter Schaden«.1475 Einer der Gründe für die Einführung der neuen Voraussetzung war, die wechselseitige Abhängigkeit von Schaden, Zurechnung und Kausalität zu verdeutlichen.1476 Sie soll die bisher strikt getrennten Begriffe teilweise verbinden. Zu der im DCFR angewandten Terminologie lassen sich jedoch einige kritische Stimmen finden. Die Gegenargumente sind sehr unterschiedlich und schließen sich teilweise gegenseitig aus. Einerseits wurde dem DCFR vorgeworfen, dass der Entwurf verhältnismäßig unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet.1477 Hier ist zum Beispiel »reasonability« als Kriterium der erforderlichen Sorgfalt gemeint.1478 Die Aufhebung der traditionellen Differenzierung der nationalen Rechtsordnungen soll zudem zur Ausuferung der Haftung führen.1479 Andererseits wird im Schrifttum vertreten, dass die Terminologie zu sehr auf die nationalen Rechtsordnungen fokussiert sei. Unberücksichtigt bliebe vor allem die funktionelle Vorgehensweise der Rechtsprechung, die die traditionelle Dogmatik des Deliktsrechts in den nationalen Rechtsordnungen durch ihren funktionellen Ansatz bereits gesprengt habe.1480 Insbesondere wird die vermeintliche Ähnlichkeit zum deutschen Deliktsrecht kritisiert.1481 1474 1475 1476 1477

Jansen, Principles of European Tort Law? RabelsZ, 2006, S. 769. PEL/von Bar, Liab. Dam., Chapter 1, Introduction, C, 22. AaO. Koziol, Außervertragliche Schuldverhältnisse im CFR, in: Schmidt-Kessel/Dierks (Hrsg.) Der gemeinsame Referenzrahmen: Entstehung, Inhalte, Anwendung, S. 94ff; Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, Der Gemeinsame Referenz-rahmen für das Europäische Privatrecht, JZ 2008, S. 540. 1478 Koziol, Außervertragliche Schuldverhältnisse im CFR, in: Schmidt-Kessel/Dierks (Hrsg.) Der gemeinsame Referenzrahmen: Entstehung, Inhalte, Anwendung, S. 94ff. 1479 Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, Der Gemeinsame Referenzrahmen für das Europäische Privatrecht, JZ 2008, S. 539. 1480 Jjzon, Non-contractual Liability Arising out of Damage Caused to Another, in: Antoniolli/ Fiorentini (Hrsg.) A Factual Assessment of the Draft Common Frame of Reference, S. 247.

Reformentwürfe

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b) PETL (434) Die Verfasser der PETL haben sich eher für eine traditionelle Terminologie entschieden.1482 Der Grund dafür ist, dass das Regelwerk mit Hilfe der nationalen Berichte verfasst wurde. Die Fragebögen wurden wiederum nach der traditionellen Systembildung des Deliktsrechts strukturiert. Die wichtigste Rolle der einzelnen Themenbereiche spielten die abstrakt-allgemeinen Voraussetzungen Rechtswidrigkeit, Kausalität, Schaden und Verschulden.1483 Es wurde kritisiert, dass die Form der Fragestellungen die Antworten vorherbestimmt habe.1484 Die Verwendung der traditionellen Gliederung der Voraussetzungen hat die Referenten gezwungen, ihre Antworten in der vorgegeben Terminologie zu geben. Statt dieser dogmatischen Methode zu folgen, hätten sich die Fragen auf die in der Praxis angewandten materiellen Argumentationsmuster fokussieren sollen.1485 Eine getrennte Untersuchung der einzelnen Voraussetzungen vernachlässige die Wechselwirkungen, die von grundlegender Bedeutung sind.1486 2.

Systembildung

(435) Ferner weisen die Harmonisierungsprojekte grundsätzliche Unterschiede in der Systembildung auf. Während der DCFR den rechtlich geschützten Interessen die Hauptrolle zuschreibt, orientieren sich die PETL mehr an der französischen Generalklausel.1487 Unbegründet ist die Behauptung, dass die beiden Projekte ausschließlich unter Zugrundelegung der traditionellen aus dem römischen Recht stammenden Haftungsvoraussetzungen konstruiert sind.1488 Eigentlich brechen die Entwürfe mit dieser Systembildung und führen bewegliche sowie topische Denkweisen in das Deliktsrecht ein.

1481 Berg, Le dommage r8parable dans les projets europ8ens, in: Le droit franÅais de la responsabilit8 civile confront8 aux projets europ8ens d’harmonisation: recueil des travaux du Groupe de Recherche Europ8en sur la Responsabilit8 Civile et l’Assurance (GRERCA), S. 612. a. A. Schulze, Non-contractual liability arising out of damage caused to another in the DCFR, in: Sagaert/Storme/Terryn (Hrsg.) The Draft Common Frame of Reference: national and comparative perspectives, S. 223f. 1482 Jansen, Principles of European Tort Law? RabelsZ, 2006, S. 769. 1483 Spier¸ Principles of European Tort Law. Text and Commentary, General Introduction, Rn. 15. 1484 Schulz, A Swedish critique of Principles of European Tort Law, EBLR 2007, S. 1313. 1485 AaO, S. 1315. 1486 AaO, S. 1317f. 1487 Mart&n-Casals, La »modernizacijn« del derecho de la responsabilidad civil, in: Cuestiones actuales en materia de responsabilidad civil, S. 40. 1488 So Winiger, Les int8rÞts prot8g8s par la responsabilit8 civile. Les clauses g8n8rales dans les projets europ8ens, in: Le droit franÅais de la responsabilit8 civile confront8 aux projets europ8ens d’harmonisation, S. 137ff.

232

Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

a) DCFR (436) Der DCFR verschiebt den Fokus des Deliktsrechts vom Schädiger auf den Geschädigten.1489 Diese Entwicklung wurde in der Rechtsvergleichung positiv bewertet.1490 Charakteristisch für den DCFR ist die Aufteilung nach tatsächlichen Gesichtspunkten anstelle von bestimmten dogmatischen Kategorien.1491 Darüber hinaus ist es dem DCFR gelungen, die allgemeinen und besonderen Normen klar und logisch zu verbinden.1492 Die kritischen Stimmen sind auch bezüglich der Systembildung nicht einheitlich. Einerseits wird dem DCFR ein Mangel an allgemeinen wertungsorientierten Normen vorgeworfen.1493 Trotz des Perspektivwechsels zum Geschädigten sei die dogmatische Struktur des DCFR immer noch zu traditionell.1494 Eine Systembildung anhand der sachverhaltsbezogenen Einzelregelungen (»Exemplifikationen«) – angeblich ohne generelle wertungsorientierte Normen – sei für die notwendige Rechtsfortbildung nicht genügend.1495 Dem DCFR wurde daher eine zu große Fokussierung auf Detaillösungen in einzelnen Bereichen der Deliktshaftung vorgeworfen. Andererseits wird dem Regelwerk des DCFR vorgeworfen, dass die Grundnormen nicht ausreichend konkretisiert seien.1496 b) PETL (437) Die Systembildung der PETL wurde als innovativ gelobt.1497 Der Leitgedanke der PETL ist das wilburgsche bewegliche System.1498 Immer dann, wenn die Rechtslage in den nationalen Rechtsordnungen unklar war, haben sich die Autoren für eine Auflistung der Beurteilungskriterien anstelle von starren Definitionen entschieden.1499 Die detaillierten Kommentierungen zu den einzelnen 1489 PEL/von Bar, Liab. Dam., Chapter 1, Art. 1:101, Comments, A, 4. 1490 Jjzon, Non-contractual Liability Arising out of Damage Caused to Another, in: Antoniolli/ Fiorentini (Hrsg.) A Factual Assessment of the Draft Common Frame of Reference, S. 245. 1491 PEL/von Bar, Liab. Dam., Chapter 5, Art. 5:101, Comments, A, 2. 1492 Schulze, Non-contractual liability arising out of damage caused to another in the DCFR, in: Sagaert/Storme/Terryn (Hrsg.) The Draft Common Frame of Reference: national and comparative perspectives, S. 224f. 1493 Koziol, Außervertragliche Schuldverhältnisse im CFR, in: Schmidt-Kessel/Dierks (Hrsg.) Der gemeinsame Referenzrahmen: Entstehung, Inhalte, Anwendung, S. 98. 1494 Jjzon, Non-contractual Liability Arising out of Damage Caused to Another, in: Antoniolli/ Fiorentini (Hrsg.) A Factual Assessment of the Draft Common Frame of Reference, S. 246. 1495 AaO, S. 245. 1496 Koziol, Außervertragliche Schuldverhältnisse im CFR, in: Schmidt-Kessel/Dierks (Hrsg.) Der gemeinsame Referenzrahmen: Entstehung, Inhalte, Anwendung, S. 95. 1497 Jansen, Principles of European Tort Law? RabelsZ 2006, S. 769. 1498 Spier¸ Principles of European Tort Law. Text and Commentary, General Introduction, Rn. 22. 1499 AaO, Rn. 23.

Reformentwürfe

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Vorschriften sollen die Anwendung der beweglich formulierten Normen erleichtern.1500 Dies ist eindeutig positiv zu bewerten. 3.

Die Rolle der traditionellen Haftungsvoraussetzungen

(438) Beide Harmonisierungsprojekte sehen eine Dreiteilung der Voraussetzungen vor. Der DCFR setzt den Schaden (Kapitel 2.), die Zurechnung (Kapitel 3.) und die Kausalität (Kapitel 4.) voraus. Auf diese Dreiteilung weisen die Autoren ausdrücklich hin.1501 Eine ähnliche Struktur enthalten die PETL. Neben dem Schaden (Kapitel 2.) und der Kausalität (Kapitel 3.) wird eine »Grundlage der Haftung« (Kapitel 4.) vorausgesetzt. Um die strukturellen Änderungen zur bisherigen Systembildung deutlicher zu zeigen, wird die Rolle der traditionellen Voraussetzungen in den beiden Regelungswerken skizziert. a) Verschulden (439) Die beweglichen Kriterien der erforderlichen Sorgfalt wurden in beiden Regelungswerken ähnlich formuliert. Die gleichen Kriterien bestimmen den Maßstab der erforderlichen Sorgfalt in den untersuchten Rechtsordnungen. Keine der Rechtsordnungen formuliert sie jedoch ausdrücklich oder verpflichtet den Richter, sich auf bestimmte Kriterien zu berufen. Daher tragen die beiden Harmonisierungsprojekte durch die Ausformulierung der Zurechnungskriterien zur Verständlichkeit und Überprüfbarkeit der Haftung für eigenes Fehlverhalten bei. Die Frage, ob das Verschulden als Sammelbegriff für den Vorsatz und die Fahrlässigkeit für die Systembildung der Haftung notwendig ist, hat demgegenüber eine geringe Bedeutung. Es wurde behauptet, dass die beiden Harmonisierungsprojekte die Verschuldenshaftung als allgemeines Prinzip der Deliktshaftung behandeln.1502 Genau das ist jedoch nicht der Fall. Die gemeineuropäischen Regelungswerke dekonstruieren vielmehr den abstrakten Verschuldensbegriff. Sie konzentrieren sich auf die tatsächlichen Zurechnungskriterien und nehmen dadurch dem Verschulden den für eine deliktsrechtliche Generalklausel typischen Charakter des allgemeinen Prinzips. aa) (440) PETL Der Begriff des Verschuldens wird nur in den PETL verwendet. Hier bildet es die erste Haftungsgrundlage nach Art. 4:101 PETL. Das Verschulden sei jedoch nur »scheinbar« die wichtigste Haftungsgrundlage.1503 Wegen der Verobjektivierung 1500 AaO, Rn. 24. 1501 PEL/von Bar, Liab. Dam., Chapter 1, Introduction, C, 17. 1502 Carval, Notion et rile de la faute dans les projets europ8ens, in: Le droit franÅais de la responsabilit8 civile confront8 aux projets europ8ens d’harmonisation, S. 196. 1503 Widmer¸ Principles of European Tort Law, Chapter 4, Introduction, Rn. 1.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

sowie der Entwicklung der verschuldensunabhängigen Haftung verliere es an Bedeutung.1504 Die PETL verwenden das Leitbild eines modernen bonus pater familias.1505 Eine ausführliche Aufzählung der möglichen Beurteilungskriterien des Sorgfaltsmaßstabs enthält Art. 4:102 PETL, der auf die Perspektive einer vernünftigen Person abstellt. Als wesentliche Kriterien werden die folgenden aufgelistet: (i) die Natur und der Wert der geschützten Interessen, (ii) die Gefährlichkeit der Aktivität, (iii) die zu erwartende Sachkunde, (iv) die Vorhersehbarkeit des Schadens, (v) die Nähe sowie (vi) die Möglichkeiten der Schadensanwendung. Die Nähe steht auch hinter dem Konzept des duty of care.1506 Darüber hinaus zeichnen die PETL in Art. 4:102 Abs. 2 einen allgemeinen Rahmen für die Berücksichtigung der subjektiven Aspekte bei der Feststellung des Sorgfaltsmaßstabs. Dabei haben die Autoren jedoch darauf verzichtet, starre Kriterien für die Minderung des Sorgfaltsmaßstabs festzulegen.1507 bb) DCFR (441) Der DCFR verzichtet auf den allgemeinen Begriff des Verschuldens und listet Vorsatz und Fahrlässigkeit in der Grundnorm separat als Zurechnungsgründe auf. Diese Verschuldensformen werden in Art. 3:101 DCFR und Art. 3:102 DCFR definiert. Bei der Haftungseingrenzung spielt der pflichtbezogene Fahrlässigkeitsbegriff eine besondere Rolle. Fahrlässig handelt nach Art. 3:102 DCFR, wer nicht der besonderen Sorgfalt genügt, die eine gesetzliche Vorschrift verlangt und deren Zweck der Schutz der geschädigten Person vor dem erlittenen Schaden ist. Auch handelt fahrlässig, wer der Sorgfalt, die von einer angemessen umsichtigen Person in den Umständen des Einzelfalles erwartet werden kann, in anderer Weise nicht genügt. Maßgebliche Sorgfaltskriterien sind unter anderem: (i) Art und Umfang des drohenden Schadens, (ii) eine besondere Nähe- oder Vertrauensbeziehung und (iii) ob das jeweilige Risiko bekannt war oder erstmalig auftrat.1508 Diese Auflistung ist laut den Autoren des DCFR jedoch nicht erschöpfend.1509 Somit wurde der Verschuldensbegriff konkretisiert, was seine Anwendung deutlich erleichtern und die Argumentationsmuster in der Rechtsprechung verständlicher machen kann.

1504 1505 1506 1507

AaO, Rn. 7f. AaO, Rn. 1. Widmer, O tempora, o mores!, FS Koziol, S. 957. Koch, Die Grundsätze des europäischen Deliktsrechts, in: Winiger (Hrsg.) Europäisches Haftungsrecht morgen, Nationale Revisionsentwürfe und europäische Haftungsprinzipien, S. 213. 1508 PEL/von Bar, Liab. Dam., Chapter 3, Art. 3:102, Comments, C, 19. 1509 AaO, 18.

Reformentwürfe

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b) Rechtswidrigkeit (442) Keines der beiden Harmonisierungsprojekte verwendet den Begriff der Rechtswidrigkeit. Dadurch werden die Probleme vermieden, die sich aus den terminologischen Unterschieden der einzelnen nationalen Rechtsordnungen ergeben.1510 In den nationalen Systemen des Deliktsrechts sind vor allem die Kataloge der Normen unterschiedlich, gegen die ein Verstoß die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens begründen kann. aa) DCFR (443) Laut den Autoren des DCFR habe die Rechtswidrigkeit der Überprüfung ihrer Nützlichkeit nicht standgehalten.1511 Der Grund dafür ist, dass das Deliktsrecht eigene, und nicht lediglich zu dem allgemeinen Rechtswidrigkeitsbegriff akzessorische, Wertungen beinhaltet.1512 Daher kann die Rechtswidrigkeit nicht nur handlungsbezogen als schlichte Verletzung der Rechtsnormen der anderen Rechtsgebiete verstanden werden. Ferner ist es unmöglich, eine abschließende Liste der deliktsrechtlich geschützten Interessen aufzustellen.1513 Das von Barsche Projekt verzichtet deshalb darauf, die besonderen deliktsrechtlich geschützten Interessen aufzulisten. Dem DCFR wurde diesbezüglich vorgeworfen, dass dieser Verzicht die Problematik der Grenzen des deliktsrechtlichen Schutzbereichs unterschätzt.1514 Allerdings entspricht genau die kontextualisierte Methode des DCFR den eigentlichen richterlichen Konkretisierungsstrategien. Letztere beziehen sich nicht auf abstrakte Interessen, sondern auf ihre konkretisierte Abwägung in dem jeweiligen Anwendungsfall sowie die Ersatzfähigkeit bestimmter Schadensarten in den jeweiligen Teilbereichen der Haftung. bb) PETL (444) Von den Autoren der PETL wurde die Rechtswidrigkeit demgegenüber als eine systemübergreifende »foundation of tort liability« beschrieben.1515 Zugleich hat die Wiener Gruppe jedoch eingeräumt, dass es unmöglich ist, ein gemeineuropäisches Verständnis dieses Begriffes zu finden.1516 Bezüglich des Begriffsinhalts gehen die PETL davon aus, dass die Rechtswidrigkeit stets sowohl er1510 Carval, Notion et rile de la faute dans les projets europ8ens, in: Le droit franÅais de la responsabilit8 civile confront8 aux projets europ8ens d’harmonisation, S. 188. 1511 PEL/von Bar, Liab. Dam., Chapter 1, Introduction, C, 17. 1512 von Bar, Konturen des Deliktsrechtskonzeptes der Study Group on a European Civil Code. Ein Werkstattbericht, ZEuP 2001, S. 521. 1513 AaO, S. 521. 1514 Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, in: Zimmermann (Hrsg.) Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, S. 242. 1515 Koziol¸ Principles of European Tort Law, Chapter 2, Introduction, Rn. 2. 1516 AaO, Rn. 3.

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folgs- als auch handlungsbezogene Aspekte enthält. Zunächst ist nach den PETL zu prüfen, ob die geschützten Rechte oder Interessen verletzt wurden. Erst danach erfolgt die Prüfung, ob die objektive Sorgfalt eingehalten wurde.1517 Eine eigenständige Voraussetzung der Rechtswidrigkeit enthalten die PETL jedoch nicht. Die in den nationalen Rechtsordnungen angewandten Kriterien der Rechtswidrigkeit wurden unter den anderen Voraussetzungen der Haftung aufgeteilt. Die erfolgsbezogene Rechtswidrigkeit gestaltet den Schadensbegriff in Art. 2:102 PETL mit. Bemerkenswert ist, dass die Einleitung des Kommentars zu Art. 2:101 PETL, welcher den Schaden definiert, vor allem die Rechtswidrigkeit fokussiert.1518 Die handlungsbezogene Rechtswidrigkeit ist demgegenüber Teil der Verschuldensprüfung (Art. 4:102 Abs. 3 PETL). Sowohl im ersten1519 als auch im zweiten Schritt1520 werden die Interessen der beiden Parteien abgewogen. Die Aufteilung zwischen den erfolgs- und verhaltensbezogenen Aspekten ist jedoch nicht strikt. c) Kausalität (445) Auf den ersten Blick gestalten die beiden Entwürfe die Bedeutung der Kausalität bei der Haftungseingrenzung sehr unterschiedlich. Während die PETL die Kriterien der juristischen Kausalität ausführlich beschreiben, überlässt der DCFR die Ausarbeitung grundsätzlich der nationalen Rechtsprechung. Die beiden Harmonisierungsprojekte unterscheiden sich jedoch viel weniger als die unterschiedliche Regelungsdichte der Kausalitätsfragen vermuten lässt. Schließlich berufen sich beide Projekte auf die gleichen Beurteilungskriterien des Kausalzusammenhanges: die PETL im Regelungswerk, der DCFR in der Kommentierung. Von besonderer Bedeutung ist, dass beide Regelungswerke die Beweglichkeit dieser Kriterien anerkennen.1521 Es ist schließlich für die Systembildung des Deliktsrechts nicht sehr bedeutsam, ob die doch nicht erschöpfende Liste der Beurteilungskriterien in dem Regelungswerk formuliert wird oder der Rechtsprechung überlassen wird. Die Ausarbeitung der beweglichen Argumentationsmuster ist ohnehin Aufgabe der Rechtsprechung. aa) PETL (446) In den PETL spielt die Voraussetzung der »Verursachung« eine grundsätzliche Rolle bei der Haftungseingrenzung. Es wird klar zwischen der natür1517 1518 1519 1520 1521

Koziol, Conclusions, in: Koziol (Hrsg.) Unification of Tort Law : Wrongfulness, S. 130f. Koziol¸ Principles of European Tort Law, Chapter 2, Introduction, Rn. 2. Koziol, Conclusions, in: Koziol (Hrsg.) Unification of Tort Law : Wrongfulness, S. 131ff. AaO, S. 133ff. Wester-Ouisse, D8finition de la causalit8 dans les projets europ8ens sur le droit de la responsabilit8, in: Le droit franÅais de la responsabilit8 civile confront8 aux projets europ8ens d’harmonisation, S. 401.

Reformentwürfe

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lichen (Abschnitt 1 des Kapitels 3) und juristischen (Abschnitt 2 des Kapitels 3) Kausalität unterschieden. Wobei Letztere als »Haftungsumfang« beschrieben wird. Darüber hinaus formulieren die PETL viele detaillierte Lösungen für Fälle, in denen eine Vielzahl von Ursachen den Schaden herbeigeführt hat. Die Lösungen richten sich nach dem Gedanken der Risikoverteilung.1522 Der Begriff der juristischen Kausalität ist beweglich, was die nicht erschöpfende Liste seiner Kriterien in Art. 3:201 PETL bestätigt. Genannt werden: (i) die Vorhersehbarkeit des Schadens für eine vernünftige Person zum Zeitpunkt der Aktivität, wobei insbesondere die zeitliche und räumliche Nähe zwischen der schädigenden Aktivität und deren Folgen sowie die Größe des Schadens im Verhältnis zu den gewöhnlichen Folgen einer solchen Aktivität zu berücksichtigen sind, (ii) die Natur und der Wert der geschützten Interessen, (iii) der Haftungsgrund, (iv) das Ausmaß des allgemeinen Lebensrisikos und (v) der Schutzzweck der verletzten Norm. bb) DCFR (447) Der Abschnitt zur Kausalität im DCFR ist viel kürzer als die Abschnitte zu den beiden anderen Haftungsvoraussetzungen. Zwischen der natürlichen und der juristischen Kausalität wird nicht unterschieden.1523 Die Kommentierung zum DCFR erklärt sogar ausdrücklich, dass die Kriterien der Kausalität nicht erschöpfend aufgelistet werden können und dass das Harmonisierungsprojekt sich für keine der bisherigen Kausalitätstheorien entscheidet.1524 Als Kausalitätskriterien werden lediglich beispielsweise die Wahrscheinlichkeit, die Vorhersehbarkeit, die Art und Weise der Ursache und des Schadens sowie der Schutzzweck und allgemeine policy reasons aufgelistet.1525 Der Verzicht auf die Ausformulierung des Kausalitätstests stieß überwiegend auf Kritik. Die Definition aus Art. VI. – 4:101 DCFR sei für die Rechtsanwendung durch die Judikatur nicht nützlich.1526 Tatsächlich ist das Fehlen der Kausalitätskriterien nur das Eingeständnis, dass die Kausalitätsprüfung im richterlichen Ermessen steht.

1522 Koch, Die Grundsätze des europäischen Deliktsrechts, in: Europäisches Haftungsrecht morgen, Nationale Revisionsentwürfe und europäische Haftungsprinzipien, S. 212. 1523 PEL/von Bar, Liab. Dam., Chapter 4, Art. 4:101, Comments, B, 11. 1524 AaO, 13. 1525 AaO. 1526 Jjzon, Non-contractual Liability Arising out of Damage Caused to Another, in: Antoniolli/ Fiorentini (Hrsg.) A Factual Assessment of the Draft Common Frame of Reference, S. 245f; Mart&n-Casals, La »modernizacijn« del derecho de la responsabilidad civil, in: Cuestiones actuales en materia de responsabilidad civil, S. 44 beschreibt die Definition von Art. 4:101 als »fast tautologisch«.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

d) Schaden (448) Die Rolle des Schadens als Haftungsvoraussetzung unterscheidet sich in den beiden Projekten deutlich. Beide Harmonisierungsentwürfe schlagen jedoch eine Typisierung des Schadens vor. Die Autoren des DCFR sprechen ausdrücklich von dem »context-dependant« Schadensbegriff, wonach der gleiche Nachteil abhängig von der konkreten Situation einen rechtlich relevanten Schaden darstellen kann oder auch nicht.1527 Was der Schaden ist, »lässt sich nicht ein für allemal definieren.«1528 Der Schadensbegriff in den PETL ist ebenfalls nicht rein abstrakt im Wege der Aufzählung der Interessen nach dem Muster von § 823 Abs. 1 BGB formuliert, sondern durchaus kontextualisiert. aa) DCFR (449) Im DCFR spielt der Schaden eine zentrale Rolle. Der Begriff ist sehr restriktiv1529 und übernimmt deswegen die tatsächliche Haftungseingrenzung1530. Eine Inspirationsquelle für diesen modernen Schadensbegriff war der italienische danno ingiusto.1531 Der DCFR enthält keine »once-and-for-all, all-purpose« Definition des Schadens.1532 Die im zweiten Abschnitt des Buches VI aufgelisteten »Einzelne(n) rechtlich relevante(n) Schäden« sind zwar keine vollendeten Tatbestände (torts)1533, zusammen mit den Normen zu den anderen Voraussetzungen bilden sie aber doch sehr detaillierte Einzeltatbestände. Es geht weitgehend nicht nur um den Schaden an sich, sondern auch um seine Ersatzfähigkeit.1534 So listen die Normen nicht nur die Verluste und Verletzungen auf, sondern beschreiben die Umstände, in denen sie ersatzfähig sind. Beispielsweise enthält Art. 2:207 (a) DCFR eindeutig ein handlungsbezogenes Tatbestandsmerkmal: Der Vertrauensschaden ist nur dann ersatzfähig, wenn der Rat oder die Information im Rahmen der Ausübung des Berufes oder Gewerbes erteilt worden ist. Im DCFR führt die Typisierung des Schadens daher dazu, dass Einzeltatbestände ausformuliert werden. Ob ein Schaden rechtlich relevant ist, hängt nicht nur von der Art des Schadens ab, sondern vor allem von den Um1527 PEL/von Bar, Liab. Dam., Chapter 2, Introduction, A, 7. 1528 von Bar, Konturen des Deliktsrechtskonzeptes der Study Group on a European Civil Code. Ein Werkstattbericht, ZEuP 2001, S. 522. 1529 Schulze, Non-contractual liability arising out of damage caused to another in the DCFR, in: Sagaert/Storme/Terryn (Hrsg.) The Draft Common Frame of Reference: national and comparative perspectives, S. 225. 1530 Claeys, The draft tort rules of the DCFR: a Belgian law perspective, in: Sagaert/Storme/ Terryn (Hrsg.) The Draft Common Frame of Reference: national and comparative perspectives, S. 232. 1531 PEL/von Bar, Liab. Dam., Chapter 2, Introduction, A, 4. 1532 AaO, 3. 1533 AaO, 2; von Bar, Deliktsrechtskonzept der Study Group, ZEuP 2001, 525f. 1534 Koziol, Außervertragliche Schuldverhältnisse im CFR, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.) Der Gemeinsame Referenzrahmen. Entstehung, Inhalte, Anwendung, S. 96.

Reformentwürfe

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ständen der Schadensverursachung. Zutreffend ist deswegen die Behauptung, dass die Definition einen allgemeinen Charakter hat und dadurch der Tradition einer Generalklausel folgt.1535 Anders als in den PETL ist lediglich, dass die Festlegung der haftungseingrenzenden Kriterien stärker der Rechtsprechung überlassen wird.1536 Der rechtlich relevante Schaden im DCFR gestaltet die anderen Haftungsvoraussetzungen mit. Einige Fragen, die in den PETL unter anderen Voraussetzungen verortet worden sind, gehören zu dem Begriff des rechtlich relevanten Schadens. Als Beispiel kann hier die verlorene Chance dienen, die gemäß Art. VI-2:101 Abs. 1 DCFR ein schutzwürdiges Interesse ist.1537 Darüber hinaus ist der Schadensbegriff typisiert, indem besondere Definitionen für einzelne Schadensarten eingeführt werden. Die Tendenz, den Schadensbegriff zu kontextualisieren, entspricht den Novellierungstendenzen in den nationalen Rechtsordnungen. Die Verfasser des DCFR heben hervor, dass es keine erschöpfende Liste der rechtlich geschützten Interessen gibt.1538 Diese Kategorie genügt daher nicht als Mittel der Haftungseingrenzung und erfordert eine weitere Konkretisierung. Die Kritiker werfen dem DCFR jedoch vor, dass der Entwurf keine Kriterien dafür nennt, wann die nicht ausdrücklich aufgelisteten Interessen rechtlich relevant sind.1539 bb) PETL (450) Demgegenüber bieten die PETL eine breite Definition des Schadensbegriffes.1540 Die Definition ist traditionellerweise interessensbezogen und teilweise abstrakt formuliert. Die Grundlage für den Schadensbegriff in den PETL formen die allgemein deliktsrechtlich geschützten Interessen. Nach Art. 2:101 PETL setzt der Schaden einen vermögenswerten oder ideellen Nachteil an einem 1535 Winiger, Les int8rÞts prot8g8s par la responsabilit8 civile. Les clauses g8n8rales dans les projets europ8ens, in: Le droit franÅais de la responsabilit8 civile confront8 aux projets europ8ens d’harmonisation, S. 137, a. A. Schulze, Non-contractual liability arising out of damage caused to another in the DCFR, in: Sagaert/Storme/Terryn (Hrsg.) The Draft Common Frame of Reference: national and comparative perspectives, S. 224. 1536 Winiger, Les int8rÞts prot8g8s par la responsabilit8 civile. Les clauses g8n8rales dans les projets europ8ens, in: Le droit franÅais de la responsabilit8 civile confront8 aux projets europ8ens d’harmonisation, S. 137. 1537 Bagin´ska, Kompensacja utraconej szansy – problem zwia˛zku przyczynowego czy szkody? in: Olejniczak, Haberko, Pyrzyn´ska, Sokołowska (Hrsg.) Wspjłczesne problemy prawa zobowia˛zan´, S. 63f. 1538 von Bar, Konturen des Deliktsrechtskonzeptes der Study Group on a European Civil Code. Ein Werkstattbericht, ZEuP 2001, S. 521; Schulze, Non-contractual liability arising out of damage caused to another in the DCFR, in: Sagaert/Storme/Terryn (Hrsg.) The Draft Common Frame of Reference: national and comparative perspectives, S. 223. 1539 Mart&n-Casals, La »modernizacijn« del derecho de la responsabilidad civil, in: Cuestiones actuales en materia de responsabilidad civil, S. 41. 1540 Koziol, Principles of European Tort Law. Text and Commentary, Art. 2:101, Rn. 1.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

rechtlich geschützten Interesse voraus. Darüber hinaus gehen die PETL von unterschiedlicher Wichtigkeit der geschützten Interessen aus und teilen sie in drei Gruppen auf. Die erste Gruppe genießt ausdrücklich den »größten« Schutz, die zweite einen »weitgehenden« Schutz und die letzte nur einen »geringen«. Die PETL scheinen also wenigstens nach ihrem Wortlaut eine abstrakte Hierarchie der rechtlich geschützten Interessen aufzubauen. Die Autoren der PETL wollten jedoch laut der Kommentierung genau so eine absolute Hierarchie nicht erstellen.1541 Dies zeigen Art. 2:101 Abs. 5 und 6 PETL deutlich, welche das Ausmaß des Schutzes beweglich gestalten. Dies zeigt, dass sich die Haftungsgrenzen nicht abstrakt für bestimmte Schadensarten festsetzen lassen. Erst durch eine Interessensabwägung kann entscheiden werden, ob ein bestimmtes Interesse deliktsrechtlich geschützt wird.1542 Die Abwägung der Interessen betrifft die tatsächliche und nicht eine abstrakte Interessenlage. Sie umfasst gemäß Art. 2:101 Abs. 6 die Interessen des Schädigers sowie die der Allgemeinheit. Daher ist der Schadensbegriff in den PETL nicht rein abstrakt im Wege der Aufzählung der Interessen nach dem Muster von § 823 Abs. 1 BGB formuliert. Der Begriff des Schadens in Art. 2:101 PETL ist durchaus kontextualisiert. Anders als im DCFR werden die typischen Anwendungsfälle dieser Kontextualisierung jedoch nicht ausdrücklich genannt. Es fehlen daher Richtlinien, wie die Interessen abzuwägen sind. Art. 2:101 Abs. 5 und 6 PETL formuliert nur Intentionen, aber keine Mechanismen der Haftungseingrenzung.1543

III.

Zwischenergebnis

(451) Die nationalen Reformentwürfe spielen bei der Entwicklung moderner Konkretisierungsstrategien nur eine geringe Rolle. Der Grund dafür ist ihre konservative Vorgehensweise. Sie versuchen, die bisherige Dogmatik der Haftung für eigenes Fehlverhalten zu behalten. Die Novellierungen übertragen größtenteils nur die in der Rechtsprechung erfolgte Konkretisierung in den Gesetzestext. Die nationalen Rechtsordnungen weisen zwar viele Gemeinsamkeiten in der Entwicklung des Deliktsrechts auf.1544 Diese betreffen jedoch überwiegend nur die Ersatzfähigkeit bestimmter Schäden in bestimmten Sachverhaltskonstellationen. Demgegenüber sind keine gemeinsamen Entwicklungstendenzen in der Strukturbildung des Deliktsrechts ersichtlich. 1541 Koziol, Principles of European Tort Law, Chapter 2, Introduction, Rn. 5. 1542 AaO, Rn. 12ff. 1543 Alpa, ›Principles of European Tort Law‹: A Critical View from the Outside, EBLR 2005, S. 966. 1544 Bagin´ska, Projekt unifikacji europejskiego prawa czynjw niedozwolonych, PiP 2004, Nr. 6, S. 33.

Vorschläge für eine leistungsfähigere Systembildung

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(452) Innovativer sind die Harmonisierungsprojekte, die auf die strukturellen Probleme der Deliktshaftung reagieren. Aus dogmatischer Perspektive lassen sich zwei Tendenzen jeweils in beiden Projekten feststellen. Erstens bedienen sich beide Regelungswerke der beweglichen Denkweise. Zweitens konkretisieren sie die Haftungsregeln. Das Ergebnis dieser beiden Tendenzen ist eine starke Kontextualisierung der Haftungsregeln. Einer der Hauptvorteile der PETL sei die Tatsache, dass die Regeln klare Lösungen für viele detaillierte deliktsrechtliche Konstellationen bieten.1545 Dem DCFR wurde sogar vorgeworfen, dass die Regeln der außervertraglichen Haftung zu detailliert seien, und sich der Text aufgrund seiner – insbesondere deutschen – Wissenschaftlichkeit besser als Lehrbuch als Werkzeugkasten für einen Gesetzgeber eigne.1546 Die beiden Tendenzen sind nicht nur für die Zwecke der Harmonisierung begrüßenswert. Die Beweglichkeit und Konkretisierung der Haftungsregeln sollen auch in den nationalen Rechtsordnungen die Hauptpostulate für die moderne Systembildung der Haftung für eigenes Fehlverhalten.

§ 10 Vorschläge für eine leistungsfähigere Systembildung (453) Eine leistungsfähige Systembildung für die Deliktshaftung muss gleichermaßen die notwendige Flexibilität wie Rechtssicherheit gewährleisten. Dafür ist es notwendig, eine Generalklausel mit Einzeltatbeständen zu verbinden. In solch einem System würden die Einzeltatbestände in vielen Fällen Rechtssicherheit gewährleisten. Die Generalklausel würde für Flexibilität sorgen. Erforderlich dafür ist aber, das Dogma abzulehnen, dass eine Generalklausel und Einzeltatbestände entgegengesetzte unvereinbare Alternativen für eine Systembildung sind. Zwar besteht eine grundsätzliche Einigkeit, dass weder eine alleinstehende konkretisierungsbedürftige Generalklausel noch eine starre Regelung in Einzeltatbeständen diese Ziele optimal verwirklichen können.1547 Die Rechtsvergleichung weist jedoch auf eine Spannung zwischen dem System einer Generalklausel und Einzeltatbeständen hin.1548 Generalklausel und Einzeltatbestände sind aber Lösungen, die sich ergänzen. Ein modernes System der 1545 Graziano, Les »Pr&ncipes du droit europ8en de la responsabilit8 d8lictuelle«, in: Europäisches Haftungsrecht morgen, Nationale Revisionsentwürfe und europäische Haftungsprinzipien, S. 231. 1546 Schulze, Non-contractual liability arising out of damage caused to another in the DCFR, in: Sagaert/Storme/Terryn (Hrsg.) The Draft Common Frame of Reference: national and comparative persperctives, S. 224. 1547 Koziol, Außervertragliche Schuldverhältnisse im CFR, in: Schmidt-Kessel/Dierks, Der gemeinsame Referenzrahmen: Entstehung, Inhalte, Anwendung, S. 95f. 1548 Wessner/Winiger, SynthHse des travaux du GRECA, in: Le droit franÅais de la responsabilit8 civile confront8 aux projets europ8ens d’harmonisation, S. 787.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

Haftung für eigenes Fehlverhalten sollte deshalb einen Mittelweg wählen. Es handelt sich um eine in der deutschen Dogmatik vorgeschlagene zweispurige Konkretisierung von Generalklauseln. Die Entwicklung einer beweglichen Grundnorm würde dem Postulat der unmittelbaren Konkretisierung der durch eine Generalklausel zu vermittelnden Wertungsgesichtspunkte entsprechen. Die vermittelte Konkretisierung erfolgt wiederum durch topische Fallgruppenbildung.1549 Gewagt wird hier der Versuch, in Anlehnung insbesondere an rechtsvergleichende Arbeiten, eine moderne, »bewegliche« und »typisierende« Systembildung, die die beiden Formen der Konkretisierung verbindet, zu skizzieren. (454) Der Gedankengang ist folgender : Zunächst wird vorgeschlagen, die Tatbestandsmerkmale der Grundnorm als bewegliches System zu verstehen (dazu unter I). Es folgt das Postulat, die erforderlichen Einzeltatbestände anhand der im Fallrecht erkennbaren rechtlichen Strukturtypen zu bilden (unter II). Schließlich muss die Funktion der klassischen Haftungsvoraussetzungen Verschulden, Rechtswidrigkeit, Kausalität und Schaden neu bestimmt werden (unter III).

I.

Die Grundnorm als bewegliches System

(455) Um die Flexibilität eines modernen Systems zu gewährleisten, muss eine Grundnorm eine selbständige und wertungsoffene Anspruchsgrundlage für die Deliktshaftung sein. Im Unterschied zu den bestehenden Generalklauseln sollte sie jedoch die wichtigsten Kriterien für die richterliche Entscheidung bereitstellen. Dies würde die Verständlichkeit des Systems verbessern. Gegenüber einer Generalklausel nach dem Muster von Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC) hätte eine bewegliche Grundnorm also den Vorteil, dass sie dem Rechtsanwender die Entscheidungskriterien bereitstellen würde.1550 Dies lässt sich am besten mit der beweglichen Denkweise Wilburgs erreichen. 1.

Das bewegliche System

(456) Eine methodologische Antwort auf die Probleme, die durch die strikte Trennung der Haftungsvoraussetzungen entstehen, ist das bewegliche System. Zu den entscheidenden Merkmalen dieses Systems gehören die Gesamtbetrachtung der Zurechnungskriterien (dazu unter a) und der Fokus auf die Rolle 1549 Haubelt, Die Konkretisierung von Generalklauseln, S. 160ff beschreibt die Notwendigkeit, die Generalklauseln zweispurig zu konkretisieren. 1550 Larenz, Grundformen wertorientierten Denkens in der Jurisprudenz, FS Wilburg, S. 227.

Vorschläge für eine leistungsfähigere Systembildung

243

des Richters bei der Rechtsanwendung (unter b). Die Kritiker der beweglichen Lehre werfen ihr vor allem mangelnde Rechtssicherheit vor (unter c). a) Gesamtbetrachtung der Zurechnungskriterien (457) Das wichtigste Postulat des beweglichen Systems ist es, eine Gesamtbetrachtung der Zurechnungskriterien vorzunehmen. Statt eines rein deduktiven Denkmodells, welches aus strikt getrennten allgemein-abstrakten Tatbestandsmerkmalen besteht, soll das Recht aus einem Zusammenspiel von anerkannten Wertungsgesichtspunkten (»Elementen«) folgen.1551 Die Erfüllung der einzelnen Elemente sei abstufbar und ihr Einfluss auf die Rechtsfolge erfolge nach dem Muster : »Je mehr …, umso mehr…« und nicht »entweder … oder…«1552. Während also die Subsumtion eine Rechtsnorm als eine Gleichung mit voneinander unabhängigen Voraussetzungen betrachtet, bedeutet die Beweglichkeit eine übergreifende Abwägung der haftungsrelevanten Kriterien. Letztere haben daher nicht den Charakter traditioneller allgemein-abstrakter Tatbestandsmerkmale. (458) Bei den Elementen handelt es sich um Zurechnungskriterien.1553 Als Elemente der außervertraglichen Haftung hat Wilburg genannt: »1. Eine Inanspruchnahme fremden Rechtsgebiets durch Eingriff oder Gefährdung, 2. Veranlassung des Schadensfalles durch Umstände, die sich in der Sphäre des Haftenden ereignen, 3. Der Vorwurf eines Mangels, der in Fällen 1 und 2 die Sphäre des Haftenden trifft und 4. Die wirtschaftliche Kraft des Haftenden und die Zumutbarkeit, sich gegen Haftung zu versichern.«1554 Die ersten drei Elemente, die Wilburg »Entstehungsgründe des Schadens«1555 nennt, entsprechen den üblichen Haftungsvoraussetzungen. Das Element der »Inanspruchnahme 1551 Nach der Niederschrift von Wilburgs Wiener Ehrenpromotionsrede nach Bydlinski, Die »Elemente« des beweglichen Systems: Beschaffenheit, Verwendung und Ermittlung, in: Schlicher/Koller/Funk, Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 24, Fn. 29. 1552 Larenz, Grundformen wertorientierten Denkens in der Jurisprudenz, FS Wilburg, S. 227. 1553 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz2, S. 75, kritisiert die von Wilburg verwendete naturwissenschaftliche Terminologie der »Elemente« bzw. »bewegenden Kräfte« und schlägt vor, die Kriterien als »Bewertungsprinzipien« bzw. »Gerechtigkeitskriterien« zu bezeichnen. Da aber der Begriff des Prinzips gerade für diese Kriterien im rechtsvergleichenden Kontext ungeeignet ist, weil die deliktsrechtliche Generalklausel typischerweise als Prinzip bezeichnet wird, und der Begriff der Gerechtigkeitskriterien das allgemeine Kriterium der Gerechtigkeit indiziert, scheint es plausibler, von Zurechnungskriterien zu sprechen. Von einem Prinzip sollte eher die Rede bei einer Grundnorm sein, die komparative Elemente verwendet und auf die Abwägung mit anderen gleichartigen Normen angelegt ist. So Bydlinski, Die »Elemente« des beweglichen Systems: Beschaffenheit, Verwendung und Ermittlung, in: Schlicher/Koller/Funk, Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 19. 1554 Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, S. 28f. 1555 AaO, S. 29.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

fremden Rechtsgebiets« enthält Aspekte des Erfordernisses eines rechtlich relevanten Schadens. Das nach Wilburg zu prüfende Element »Veranlassung« enthält Aspekte der Kausalität. Er hat dieses Element sogar als die »Intensität der Verursachung«1556 oder »Nähe des Kausalzusammenhangs«1557 definiert. Das Element »Vorwurf eines Mangels« ist wiederum in der für das Verschulden typischen Vorwurfsperspektive formuliert. Von den traditionellen Voraussetzungen der Haftung für eigenes Fehlverhalten unterscheiden sich die Elemente in zweifacher Sicht. Erstens entsprechen die Elemente nur teilweise den einzelnen Haftungsvoraussetzungen des klassischen Deliktsrechts. Dies bedeutet natürlich nicht, dass im Denken Wilburgs die klassischen Tatbestandsmerkmale für die Haftungsbegründung unwesentlich sind. Ohne Schaden an sich bzw. jegliche kausale Verbindung zwischen Ursache und Folge gibt es keine Haftung. Wilburg trennt diese Tatbestandsmerkmale jedoch von den Kriterien der Zurechnung, den Elementen.1558 Zweitens enthält jedes Element auch Aspekte, die andere Elemente betreffen. Beispielsweise ist in der Formulierung: »Eine Inanspruchnahme fremden Rechtsgebiets durch Eingriff oder Gefährdung« fast eine vollständige deliktsrechtliche Generalklausel zu sehen. Neben dem schadensbezogenen Hauptkriterium der »Inanspruchnahme« gibt es das Kausalitätskriterium »durch«. Zwar ist die Verschuldensproblematik klar im dritten Element angesprochen, jedoch könnte der Begriff des »Eingriffs« im ersten Element für sich gesehen auch Verschuldensaspekte einschließen. (459) Der Hauptunterschied zwischen den traditionellen Tatbestandsmerkmalen und den wilburgschen Elementen besteht jedoch darin, dass die Haftung nicht das Zusammentreffen aller Elemente voraussetzt, sondern sich aus beliebigen Verbindungen zwischen diesen ergeben kann.1559 Bei hoher Intensität können sogar allein die »Inanspruchnahme« oder der »Vorwurf eines Mangels« die Haftung begründen, ohne dass weitere Elemente vorliegen.1560 Im Rahmen der Elemente »Veranlassung« und »soziale Abwägung« ist jedoch die Erfüllung eines der anderen Elemente notwendig.1561 In diesem Zusammenhang wird von

1556 Wilburg, Zusammenspiel der Kräfte im Aufbau des Schuldrechts, AcP 163 (1963), S. 346. 1557 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz2, S. 74 mit Verweis auf die Wilburgs Grazer Rektoratsrede. 1558 Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, S. 69. In Bezug auf die Beweislast spricht er vom Beweis der einzelnen Haftungselemente (Zurechnungskriterien) einerseits und dem entstandenen Schaden sowie erforderlichen Zusammenhang andererseits. 1559 AaO, S. 29. 1560 AaO. 1561 AaO.

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einer »kombinatorischen« Auslegung gesprochen.1562 Die Rechtsanwendung besteht also nicht darin, die Erfüllung der einzelnen Tatbestandsmerkmale als Haftungsvoraussetzungen zu prüfen, sondern darin, die Elemente in einer Gesamtbetrachtung zu prüfen und zu gewichten. b) Die Rolle des Richters (460) Ein bewegliches System hebt die Rolle des Richters hervor. Vor allem bei der Wertung der einzelnen Elemente bleibt dem Richter ein großer Ermessensspielraum.1563 Im klassischen System der isolierten Tatbestandsmerkmale hat der Richter zwar ebenfalls große Spielräume. Das bewegliche System verdeutlicht sie jedoch, indem es die rein logische Überprüfbarkeit des Ergebnisses nicht beansprucht. Zutreffend wurde die Funktion dieses Systems als eine »Bilanz der Argumente«1564 bezeichnet und mit dem Bild einer Schwelle veranschaulicht.1565 In einem beweglichen System kommt das Ermessen nicht nur bei der Feststellung des Vorliegens einzelner Elemente ins Spiel, sondern auch und gerade bei der Entscheidung über ihre Gewichtung in einem konkreten Fall. (461) Abgesehen davon ist das richterliche Ermessen in einem beweglichen System nicht viel größer als in einem klassischen System der strikten Trennung der Tatbestandsvoraussetzungen. Der Grund dafür ist die Erwartung an den Richter, sich bei den Ermessensentscheidungen an klar formulierten Kriterien zu orientieren. Eine bewegliche Haftungsordnung ist keine »allgemeine Billigkeitsjudikatur«.1566 Sie kann jedoch nur dann überzeugend funktionieren, wenn der Richter in seiner Entscheidung die Gründe für die Abwägung der einzelnen Kriterien deutlich erklärt. Dies ist nicht nur erforderlich, um die Entscheidung überprüfbar zu machen, sondern auch, um zur weiteren Konkretisierung dieser Elemente beizutragen. Ein bewegliches System entspricht ferner dem Prozess der richterlichen Entscheidung besser.1567 Die Beantwortung der Haftungsfrage ist vielmehr ein Ergebnis der Abwägung verschiedener Kriterien als eine Überprüfung einer Liste streng getrennter Tatbestandsmerkmale. In der Rechtsanwendung könnte es wegen der technischen Entwicklung heutzutage sogar einfacher sein, ein bewegliches System anzuwenden. Die juristischen Datenbanken erleichtern die 1562 Bydlinski, Bewegliches System und juristische Methodenlehre, in: Bydlinski (Hrsg.) Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, S. 35. 1563 Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, S. 101. 1564 Bydlinski, Bewegliches System und juristische Methodenlehre, in: Bydlinski (Hrsg.) Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, S. 29. 1565 Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 599. 1566 Bydlinski, Bewegliches System und juristische Methodenlehre, in: Bydlinski (Hrsg.) Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, S. 32. 1567 AaO, S. 28.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

Abwägung der Elemente. Die Computerlinguistik ermöglicht ein besseres Auffinden der Präjudize und stellt dadurch Beispiele für bereits durchgeführte Abwägungen bereit. Das hohe Abstraktionsniveau des Deliktsrechts ist eine Frucht des 19. Jahrhunderts. Die künftige Deliktsrechtsdogmatik kann nicht nur, sondern sollte diese Abstraktheit verlassen.

c) Kritik (462) Gegen die Einführung des beweglichen Systems wird vor allem auf die mangelnde Rechtssicherheit hingewiesen. Die Kritiker des beweglichen Systems werfen dieser Denkweise die vermeintliche Einführung der Einzelfallgerechtigkeit vor.1568 Dieser Vorwurf ist jedoch unbegründet, weil das bewegliche System die Ausformulierung der genauen Zurechnungskriterien fokussiert und dadurch die Rechtssicherheit fördert. Falsch wäre deswegen diese Methode mit einem »vielfältigen, verschiedenartigen, unvergleichbaren pro und contra« zu vergleichen.1569 Eine erhebliche Rolle bei der Anwendung der beweglich formulierten Normen spielt die Begründung der richterlichen Entscheidung. Die Rechtssicherheit wird durch die Konkretisierung der beweglichen Normen in richterlichen Entscheidungen erreicht. (463) Ferner verstoße das bewegliche System gegen die Gewaltenteilung.1570 Vom Gesetzgeber werde erwartet, dass er den Regelfall reguliert.1571 Das richterliche Ermessen ist jedoch im einen Tatbestandsmodell, in dem die Merkmale getrennt untersucht werden, ebenfalls nicht zu beseitigen.1572 Im Bereich der Haftung für Fehlverhalten bestätigt dies die im ersten Teil der Arbeit durchgeführte Untersuchung. In den einzelnen Rechtsordnungen wird das richterliche Ermessens lediglich in verschiedenen Tatbestandsmerkmalen verortet. In Frankreich enthält die wertungsoffenen Kriterien grundsätzlich das Verschulden, in Polen die Kausalität, in der Schweiz die Rechtswidrigkeit, in Spanien die objektive Zurechnung. Zugleich weisen andere Voraussetzungen der Haftung für eigenes Fehlverhalten in allen Rechtsordnungen abwägungsbedürftige Kriterien auf. Dies zeigt auch, dass die einzelnen Kriterien der Abwägung nicht zwangsweise an bestimmte Tatbestandsmerkmale gebunden sind. 1568 Reinschauer, in: Rummel (Hrsg.) Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch II-13, vor §§ 1293ff. 1569 Bydlinski, Die »Elemente« des beweglichen Systems: Beschaffenheit, Verwendung und Ermittlung, in: Schlicher/Koller/Funk (Hrsg.) Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 14. 1570 Reinschauer, in: Rummel (Hrsg.) Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch II-13, vor §§ 1293ff. 1571 AaO. 1572 Schilcher, Der Regelfall als Verbindung von Tatbestandsmodell und Beweglichem System, FS Koziol, S. 860ff.

Vorschläge für eine leistungsfähigere Systembildung

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(464) Die Kriterien der Interessensabwägung werden in einem Tatbestandsmodell ebenfalls nicht durch den Gesetzgeber, sondern durch die Rechtsprechung oder sogar die Lehre formuliert.1573 Hier ist beispielsweise auf das spanische Konzept der objektiven Zurechnung hinzuweisen. In der Lehre entwickelt, wurde es von der Rechtsprechung übernommen und modifiziert. Der Gesetzgeber spielte bei dieser Entwicklung keine Rolle. Ein weiteres Beispiel dafür ist die helvetische Theorie der objektiven Rechtswidrigkeit. In diesem Fall haben die Rechtsprechung und die Lehre eine gesetzesfremde Unterscheidung zwischen Handlungs- und Erfolgsunrecht eingeführt. Ferner ist die Übernahme der Schutzzwecktheorie in das schweizerische, spanische und teilweise polnische Recht mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu vereinbaren. Die Entscheidungen des Gesetzgebers werden daher in einem Tatbestandsmodell ebenfalls ersichtlich durch die Rechtsanwender korrigiert. (465) Die Kritik am beweglichen System lässt sich nur mit der klaren Ausformulierung der Zurechnungskriterien abweisen. Die Klarheit und vor allem Überprüfbarkeit der Kriterien ist notwendig, um Rechtssicherheit zu gewährleisten. Unausweichlich ist darüber hinaus, kontextualisierte Einzeltatbestände zu erarbeiten, die Beispiele für die Anwendung des beweglichen Systems liefern würden. Die Frage, ob die Aufgabe der Ausformulierung solcher besonderen Haftungsnormen durch den Gesetzgeber oder durch die Rechtsprechung erfüllt werden soll, darf zunächst hintenanstehen. 2.

Bewegliche Denkweise im Deliktsrecht

(466) Die Geeignetheit des beweglichen Systems für das Deliktsrecht zeigt allein die Tatsache, dass es zunächst für dieses Gebiet entworfen wurde.1574 Die wilburgsche Untersuchung der Kriterien der verschuldensunabhängigen Haftung hat gezeigt, dass es im Bereich des Deliktsrechts keine einheitliche Lösung gibt.1575 (467) Die Behauptung, dass »das Haftungsrecht von künstlich erscheinendem systematischem Denken durchgedrungen«1576 ist, gilt nicht nur für das deutsche Recht. Das in den untersuchten Rechtsordnungen angewandte Tatbestandsmodell ähnelt »aus der Geologie übernommener Schichtvorstellung.«1577 Die übertriebene Dogmatisierung betrifft ebenfalls die in dieser Arbeit untersuchten Rechtsordnungen. 1573 1574 1575 1576

AaO, S. 876. Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, 1941. AaO, S. 27. Deutsch, Die Elemente des Schadensrechts und das Bewegliche System: in Bydlinski (Hrsg.) Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, S. 43. 1577 AaO.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

(468) Das Ausmaß dieses Problems ist jedoch verschieden. Von dem künstlichen systematischen Denken ist zum Beispiel die französische Rechtsprechung weitgehend frei. Die mangelnde Dogmatisierung in Frankreich hat zur Entwicklung reinen Richterrechts geführt. Das französische Deliktsrecht ist deswegen weitgehend nicht systematisierbar. Das liegt vor allem daran, dass die französischen Gerichte ihre Urteile gar nicht oder sehr knapp begründen. Der Nachteil dieser Lösung ist die fehlende Formulierung der tatsächlichen Kriterien der Haftungseingrenzung. (469) Besonders gut geeignet ist das bewegliche System für ein rund um eine Generalklausel gebautes System des Deliktsrechts. Es gewährleistet, neuartigen und atypischen Fällen Rechnung zu tragen. Zu den »quantitativ abstufbaren Tatbestandsmerkmalen«, für die sich die Anwendung des beweglichen Denkens besonders gut eignet, zählen etwa Verschulden und Adäquanz.1578 Genau bei diesen ausfüllungsbedürftigen Begriffen soll das bewegliche System in Problemfällen dem Rechtsanwender Grenzen setzen. Ein Mittel dafür ist die klare Ausformulierung der Eingrenzungskriterien. Von einer Rechtsunsicherheit kann folglich nicht gesprochen werden, weil die Entscheidung nicht der globalen Eigenwertung des Rechtsanwenders überlassen wird.1579 Für das Gesamtbild des deliktsrechtlichen Systems spielt die Elementenlehre jedoch nur eine ergänzende Rolle. Die Subsidiarität der beweglichen Auslegungsmethode resultiert daraus, dass die Mehrheit der Rechtsnormen grundsätzlich subsumtionsfähig ist.1580 Die bewegliche Grundnorm soll nur das System abdichten, wobei die typischen Sachverhaltskonstellationen durch die Einzeltatbestände zu regulieren sind.1581 3.

Beweglichkeit der Grundnorm

(470) Das bewegliche System kommt auf der Ebene einer Grundnorm, welche die grundsätzlichen Wertungen enthält, zur Anwendung. Der wilburgsche Gedanke hat grundsätzlich eine besondere Bedeutung auf der Ebene der Rechtsprinzipien.1582 Eine beweglich formulierte Grundnorm gewährleistet die Flexibilität des Systems, indem sie die Entscheidungskriterien bereitstellt. Einerseits bietet sie eine Haftungsgrundlage für Grenzfälle, andererseits ist sie eine Auslegungsnorm für die Einzeltatbestände. (471) Als Auffangnorm muss die Grundnorm durchaus eine unabhängige Haftungsgrundlage sein. Für diesen normativen Charakter ist jedoch die Form 1578 1579 1580 1581 1582

Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2, S. 535. AaO, S. 537. AaO. Siehe, Rn. 498ff. Larenz, Grundformen wertorientierten Denkens in der Jurisprudenz, FS Wilburg, S. 227.

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eines subsumtionsfähigen Tatbestands nicht erforderlich. In der Rechtsvergleichung wird auch von einer begrenzten normativit8 der deliktsrechtlichen Grundnormen gesprochen.1583 Um die Flexibilität zu gewährleisten, muss jeder deduktive Automatismus ausgeschlossen werden. (472) Ferner können die in einer Grundnorm formulierten Zurechnungskriterien zur Auslegung der besonderen Tatbestände in Grenzfällen beitragen. Aus dem Blickpunkt des materiellen Rechts ist die Aufgabe einer Grundnorm, die Kriterien der Interessenabwägung zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger auszuformulieren. Ziel des Deliktsrechts ist der Ausgleich der gegenläufigen Interessen, der durch Verteilung der Schadensrisiken vollgezogen wird.1584 Deswegen ist es erstaunlich, dass keine Einigkeit darüber besteht, bei welcher Voraussetzung die Interessenabwägung stattfinden soll. Unzweifelhaft findet sie heutzutage bei allen Voraussetzungen statt. Die Ausspaltung dieses Prozesses ist jedoch für die Kohärenz der Rechtsanwendung nicht optimal. Es geht ein Gesamtbild der einschlägigen Kriterien verloren.

4.

Zurechnungskriterien

(473) Die Aufgabe dieser Arbeit ist nicht, die Zurechnungskriterien der Haftung für Fehlverhalten zu erforschen. Sie wurde in der europäischen Rechtsvergleichung bereits größtenteils erfüllt. Dabei handelt es sich im Rahmen der Haftung für eigenes Fehlverhalten um die Zurechnungskriterien, die in Art. 4:102 PETL aufgelistet und in Art. 3:102 (b) DCFR gemeint sind. Beide Harmonisierungsprojekte schreiben diesen Kriterien einen beweglichen Charakter zu. (474) Die Einführung eines beweglichen Systems setzt die Formulierung von Zurechnungskriterien voraus, die stärker tatsachenbezogen sind, als die immer noch sehr abstrakt formulierten Elemente. Die Realitätsnähe der Zurechnungskriterien ist von besonderer Bedeutung. Das System soll keine unnötigen doktrinären Konzepte verwenden.1585 (475) Behauptet wird, dass es angesichts der Vielschichtigkeit des Deliktsrechts unmöglich sei, feste Regeln zu entwerfen.1586 Dies betrifft vor allem die Beurteilungskriterien der einzelnen Elemente der Zurechnung. Das Deliktsrecht bilde kein umfassend bewegliches System.1587 Einerseits lasse sich die Bedeutung der einzelnen Kriterien nicht im Voraus bestimmen. Andererseits sei ihre er1583 Winiger, Discussion g8n8rale, in: Winiger (Hrsg.) Europäisches Haftungsrecht morgen, Nationale Revisionsentwürfe und europäische Haftungsprinzipien, S. 252. 1584 Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 587. 1585 Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, S. 102. 1586 Koziol, Außervertragliche Schuldverhältnisse im CFR, in: Schmidt-Kessel/Dierks (Hrsg.) Der gemeinsame Referenzrahmen: Entstehung, Inhalte, Anwendung, S. 96. 1587 Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 600.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

schöpfende Auflistung gar nicht möglich. Jede genaue Formel würde darüber hinaus die Flexibilität des Systems beeinträchtigen. (476) Als eine Lösung dieses Problems wurde vorgeschlagen, einige Anwendungsbeispiele der Grundnorm gesetzlich zu regeln. Sie würden die Wertungen des Gesetzgebers zum Ausdruck bringen.1588 Im Laufe der Geltung eines solchen Systems würde die Rechtsprechung die Aufgabe der Konkretisierung übernehmen. Dadurch wäre eine praktisch brauchbare Beschreibung von Zurechnungskriterien möglich.1589 Sogar Wilburg war kein Fundamentalist und hat die Existenz von kasuistisch formulierten Normen ausdrücklich zugelassen.1590 Die Methode der Kontextualisierung der Rechtsnormen, indem typische Fälle gesetzlich geregelt werden, wird in beiden Harmonisierungsprojekten verwendet.1591 Die Entwicklung solcher Einzeltatbestände kann insbesondere in der Rechtsprechung stattfinden, die besonders bei der Auslegung der Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe das bewegliche System anwendet.1592 Insbesondere wäre die Lösung offener Fragen durch analoge Anwendung der gesetzgeberischen Entscheidungen, die schon anhand der geltenden Prinzipien getroffen wurden, möglich.1593 Die Einzeltatbestände zeigen Beispiele der durch den Gesetzgeber betätigten Interessenabwägung auf. 5.

Bewegliche Denkweise in den untersuchten Rechtsordnungen

(477) Die Haftung wird schon heutzutage in den untersuchten Rechtsordnungen mit beweglichen Argumentationsmustern eingegrenzt. Zum einen zeigt sich dies an der Gesamtbetrachtung der Haftungsvoraussetzungen. Zum anderen ist die Auslegung der einzelnen Voraussetzungen beweglich. Deren Vorliegen hängt von dem Zusammenspiel zahlreicher Kriterien, die sich nicht immer in eine subsumierbare Formel einbauen lassen, ab. Die wilburgsche Denkweise wird vor allem im Rahmen derjenigen Voraussetzungen verwendet, die die größte Be1588 Bydlinski, Bewegliches System und juristische Methodenlehre, in: Bydlinski (Hrsg.) Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, S. 30. 1589 Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 602. 1590 Bydlinski, Die »Elemente« des beweglichen Systems: Beschaffenheit, Verwendung und Ermittlung, in: Schlicher/Koller/Funk (Hrsg.) Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 17. 1591 Die PETL formulieren zu den einzelnen Normen Beispiele (illustration), z. B. für die Anwendung der Kriterien der erforderlichen Sorgfalt; Widmer¸ Principles of European Tort Law, Chapter 4, Art. 4:102 Comments, Rn. 24. Die gleiche Methode wurde im DCFR angewandt, z. B. PEL/von Bar, Liab. Dam., Chapter 3, Art. 3:102, Comments, A, 2ff. 1592 Mayer-Maly, Bewegliches System und Konkretisierung der guten Sitten, in: Bydlinski (Hrsg.) Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, S. 126. 1593 Bydlinski, Die »Elemente« des beweglichen Systems: Beschaffenheit, Verwendung und Ermittlung, in: Schlicher/Koller/Funk (Hrsg.) Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, S. 17 mit Verweis auf Flume, Gewohnheitsrecht und Römisches Recht, S. 38.

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deutung bei der Haftungseingrenzung haben. Im spanischen Recht ist das die objektive Zurechnung (dazu unter a). Im schweizerischen Recht wurde das bewegliche System für die Rechtswidrigkeitsprüfung vorgeschlagen (unter b). Bewegliche Argumentationsmuster sind auch in der polnischen Kausalitätsprüfung zu entdecken (unter c). Letztlich wird die These gewagt, dass sogar das französische Recht, wenn auch verdeckt, die bewegliche Denkweise bei der Verschuldensprüfung anwendet (unter d). a) Objektive Zurechnung (Spanien) (478) Eine Besonderheit im spanischen Recht ist die Übernahme der strafrechtlichen Voraussetzung der objektiven Zurechnung (imputacijn objetiva) für die Zwecke der Haftungseingrenzung im Deliktsrecht. Sie wird überwiegend als eine Theorie der juristischen Kausalität eingestuft.1594 Vielmehr handelt sich aber bei der imputacijn objetiva um ein bewegliches Konzept, das nicht nur Kausalitätsfragen umfasst. (479) Die Übernahme der Theorie der objektiven Zurechnung in das Deliktsrecht hat das spanische Recht einer Person zu verdanken: Pantal8on Prieto.1595 Seine Lösung fand relativ schnell viele Befürworter in der Lehre1596 und wird als eine »adäquate Methode für die Probleme der Selektion zwischen den möglichen Ursachen«1597 beschrieben. Ausnahmsweise können die Kriterien der objektiven Zurechnung die Grenzen der deliktischen Haftung zwar erweitern.1598 Grundsätzlich aber führt ihre Anwendung zur Haftungseingrenzung. (480) Nach der Lehre hat die Rechtsprechung die Theorie der imputacijn objetiva übernommen,1599 allerdings erst im 21. Jahrhundert.1600 Das erste Mal 1594 Rodr&guez-Cano, Comentarios al Cjdigo Civil2, S. 2180; Mart&n Casals/Sol8 Feliu, in: (Hrsg.) Dom&nguez Luelmo, Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2050; Mart&n-Casals, La »modernizacijn« del derecho de la responsabilidad civil, in: Cuestiones actuales en materia de responsabilidad civil, S. 44; PeÇa Ljpez, Dogma y Realidad de Derecho de DaÇos: Imputacijn Objetiva, Causalidad y Culpa en el Sistema EspaÇol y en los PETL, S. 20. 1595 de ]ngel Y#güez, Tratado de responsabilidad civil3, S. 411 mit Verweis auf Pantalejn Prieto, Causalidad e imputacijn objetiva: criterios de imputacijn, in: Centenario del cjdigo civil II, S. 1566ff. 1596 D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Derecho de daÇos, S. 340 ff; Arcos Vieira, Responsabilidad Civil: Nexo Causal e Imputacijn Objetiva en la Jurisprudencia, S. 15, a. A. de Cuevillas Matozzi, La relacijn de causalidad en la jrbita de derecho de daÇos, S. 15 formulierte jedoch noch vor der Übernahme der Theorie der objektiven Zurechnung durch den TS. 1597 Infante Ruiz, La responsabilidad por daÇos: Nexo de causalidad y »causas hipot8ticas«, S. 149. 1598 Xiol R&os, La imputacijn objetiva en la jurisprudencia reciente del Tribunal Supremo, AC 2010, S. 141ff. 1599 Xiol R&os, La imputacijn objetiva en la jurisprudencia reciente del Tribunal Supremo, AC 2010, S. 123ff. Xiol R&os war bis 2013 Vorsitzender der Sala primera vom Tribunal Supremo.

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wurde die objektive Zurechnung im Urteil des Tribunal Supremo vom 23. 2. 2001 erwähnt.1601 Noch am Anfang diesen Jahrhunderts wurde die fehlende Unterscheidung zwischen natürlicher Kausalität und objektiver Zurechnung durch die höchstrichterliche Instanz bemängelt.1602 Danach hat der Tribunal Supremo angefangen, zwischen der natürlichen und juristischen Kausalität konsequent zu unterscheiden.1603 Die umfassend formulierte Theorie der objektiven Zurechnung mit all ihren Kriterien wurde erst im Urteil vom 21. 10. 20051604 angewendet. Diese Entwicklung ist jedoch keine Proklamation der Theorie der objektiven Zurechnung. Vielmehr ist sie ein Beweis dafür, dass der Tribunal Supremo vermeidet, sich an eine bestimmte Kausalitätstheorie zu binden. (481) Wie die spanische höchstrichterliche Instanz die Idee der imputacijn objetiva versteht, hat der Vorsitzende der Sala primera geschildert.1605 Als Kriterien der objektiven Zurechnung, die die Haftungsbegrenzung ermöglichen, listet er (i) causalidad adecuada (Adäquanz), (ii) prohibicijn de regreso (Regressverbot) und (iii) el #mbito de proteccijn de la norma infringida (Schutzzweck)1606 auf. Trotzdem soll die Adäquanz auch die fehlende Nähe (la falta de proximidad), die fehlende Kontrolle seitens des Verursachers, das Dazwischentreten eines Drittens, die fehlende Risikosteigerung, das allgemeine Lebensrisiko und die Zustimmung des Geschädigten umfassen.1607 Im Vergleich zur traditionellen Adäquanz ist enthält die objektive Zurechnung deutlich mehr haftungseingrenzende Kriterien. Ursprünglich wurde die objektive Zurechnung genau wegen der Anzahl der zu berücksichtigenden Kriterien als kompliziert in der praktischen Anwendung angesehen.1608 Angesichts der neuen Entwicklungen in der Rechtsprechung scheint diese Behauptung unbegründet. Für die Anwendung der objektiven Zurechnung spreche, dass sie sich »einer absurden Ausuferung der auf der zivilrechtlichen Haftung basierten Klagen aufgrund der

1600 Mart&n-Casals, The Impact of the Principles of European Tort Law (PETL) in Spanish Case Law, JETL 2010, S. 321. 1601 Urt. TS v. 23. 02. 2001, STS 1335/2001, RJ 2001, 2549. So Urt. TS v. 30. 11. 2006, RJ 2006, 9491: »Desde la sentencia de 23 febrero 2001 (RJ 2001, 2549), esta Sala viene aplicando la doctrina de la imputacijn objetiva«. 1602 Infante Ruiz, La responsabilidad por daÇos: Nexo de causalidad y »causas hipot8ticas«, S. 156. 1603 Arcos Vieira, Responsabilidad Civil: Nexo Causal e Imputacijn Objetiva en la Jurisprudencia, S. 17ff. 1604 Urt. TS v. 21. 10. 2005, STS 6400/2005, RJ 2005, 8547. 1605 Xiol R&os, La imputacijn objetiva en la jurisprudencia reciente del Tribunal Supremo, AC 2010, S. 123ff. 1606 AaO, S. 127. 1607 AaO. 1608 Yzquierdo Tolsada, Responsabilidad civil m8dica, CCJC, 26/1991, S. 402.

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sonst mechanischen Anwendung der Kausalität und der subjektiven Zurechnung entgegensetzt.«1609 (482) Bei der Auslegung der objektiven Zurechnung verwendet der Tribunal Supremo die rechtsvergleichenden Argumente mit besonderer Berücksichtigung der PETL. Der Grund dafür ist, dass die beweglich formulierte Zurechnung auch in Art. 3:201 PETL die Hauptvoraussetzung der Haftung für eigenes Fehlverhalten ist.1610 Diese Ähnlichkeit der Systembildung ist sehr nützlich bei der Auslegung der neuen Voraussetzung im spanischen Deliktsrecht. Der Tribunal Supremo hat in einer Entscheidung1611 die Kriterien der imputacijn objetiva mit dem in Art. 3:201 PETL enthaltenen Katalog der Zurechnungskriterien verglichen. Auch die Lehre weist ausdrücklich auf die Ähnlichkeiten zwischen imputacijn objetiva und der Zurechnung in den PETL hin.1612 Der Tribunal Supremo hat sich insbesondere bei der Feststellung des Haftungsumfangs auf die in Art. 3:201 PETL erwähnte zeitliche und räumliche Nähe zwischen der schädigenden Aktivität und deren Folgen berufen.1613 (483) Die spanische Lehre verwendet ähnliche Kriterien der objektiven Zurechnung wie das deutsche und spanische Strafrecht. Schon Pantal8on Prieto hat vorgeschlagen, folgende Kriterien im Deliktsrecht anzuwenden1614 : (i) adecuacijn (Adäquanz), (ii) riesgo general de la vida (allgemeines Lebensrisiko), (iii) prohibicijn de regreso (Regressverbot), (iv) provocacijn (Herausforderung), (v) el fin de proteccijn de la norma (Schutzzweck), (vii) incremento del riesgo (Risikoerhöhung). Diese Auflistung wird in der Lehre häufig bestätigt und mit einem zusätzlichen Kriterium der competencia de la v&ctima vervollständigt.1615 Die Kriterien verbreiten sich in der Rechtsprechung. (484) Die Trennung zwischen den einzelnen Kriterien wird jedoch in der richterlichen Praxis nicht immer dogmatisch sauber durchgehalten. Ausgeschlossen wird die Haftung, wenn der Schaden eine Folge der allgemeinen Le1609 Xiol R&os, La imputacijn objetiva en la jurisprudencia reciente del Tribunal Supremo, AC 2010, S. 143. 1610 So hängt es von Faktoren wie den Folgenden ab, ob und in welchem Umfang Schäden einer Person zugerechnet werden können: a) die Vorhersehbarkeit des Schadens (…) b) die Natur und der Wert der geschützten Interessen, c) der Haftungsgrund, d) das Ausmaß des allgemeinen Lebensrisikos und e) Schutzzweck der verletzten Norm. 1611 Urt. TS v. 2. 3. 2009, STS 1255/2009, RJ 2009, 3287. 1612 Mart&n Casals, The Impact of the Principles of European Tort Law (PETL) in Spanish Case Law, JETL 2010, S. 322; PeÇa Ljpez, Dogma y Realidad de Derecho de DaÇos: Imputacijn Objetiva, Causalidad y Culpa en el Sistema EspaÇol y en los PETL, 2011. 1613 Urt. TS v. 2. 3. 2009, STS 1255/2009, RJ 2009, 3287. 1614 Pantalejn Prieto, Causalidad e imputacijn objetiva: criterios de imputacijn, in: Centenario del cjdigo civil II, S. 1566ff; ders., in: Paz-Ares Rodr&guez, D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Bercovitz, Salvador Coderch (Hrsg.) Comentario del Cjdigo Civil, Ministerio de Justicia II 2, S. 1985ff. 1615 de ]ngel Y#güez, Tratado de responsabilidad civil3, S. 411f.

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bensrisiken darstellt.1616 Zum Ausschluss der Haftung führt auch das Regressverbot. Der Tribunal Supremo wendet dieses Kriterium an, um die Haftung auszuschließen, wenn die Schadensverursachung durch eine spätere Entwicklung beeinflusst wird. Unerheblich ist, ob es sich um ein Verhalten eines Dritten handelt. Das Kriterium des Regressverbots beschreibt daher die Unterbrechung des Kausalzusammenhanges.1617 Auch die Fälle der Herausforderung unterliegen der Prüfung im Rahmen der objektiven Zurechnung. Sehr ausgeprägt ist die Rechtsprechung bezüglich der Schutzzweckprüfung1618 sowie des rechtmäßigen Alternativverhaltens.1619 Letztendlich wird sogar das Selbstverschulden des Geschädigten zu den Ausschlusskriterien der objektiven Zurechnung gezählt.1620 Ursprünglich wurde es bei dem Adäquanztest berücksichtigt.1621 Demgegenüber behauptet ein Teil der Lehre, dass das Selbstverschulden kein Kriterium der objektiven Zurechnung darstelle, weil es sich hier um eine Haftungskonkurrenz handele.1622 Diese erfordert die Prüfung der subjektiven Zurechnung, der Kausalität und der objektiven Zurechnung bezüglich des Verhaltens des Geschä1616 Urt. TS v. 5. 1. 2006, STS 40/2006, RJ 2006, 131: Die Haftung ist aufgrund des Kriteriums des allgemeinen Lebensrisikos dann ausgeschlossen, wenn der schlechte technische Zustand eines Gebäudes, dessen Instandsetzung für den Eigentümer nicht mehr wirtschaftlich rentabel ist, die Fortsetzung eines Mietvertrags unmöglich macht. Weder der Eigentümer des Gebäudes, noch die architektonische Überwachungsbehörde haftet für die dadurch ausgelösten Umzugskosten. 1617 Urt. TS v. 17. 11. 2010, STS 6114/2010, RJ 2010, 9161: Die Haftung wurde mit dem Argument des Regressverbots auch im Falle des Selbstmordes eines Patienten einer psychiatrischen Klinik ausgeschlossen. In diesem Urteil schloss jedoch das Gericht die Haftung zusätzlich aufgrund des fehlenden Verschuldens aus. Tatsächlich untersuchte der TS die Frage, ob im konkreten Fall die Auferlegung einer Überwachungspflicht des Patienten gerechtfertigt wäre; Urt. TS v. 7. 5. 2007, STS 4241/2007, RJ 2007, 3553: das Kriterium des Regressverbots schließt die Arzthaftung für die zum Zeitpunkt der Diagnostik unbekannten Risiken aus. 1618 Urt. TS v. 27. 2. 2006, STS 925/2006, RJ 2006, 694: wendet den Schutzzweck – zwar nicht ausdrücklich – an, indem die Haftung einer Eisenbahngesellschaft für den Tod eines Reisenden, der vor den einfahrenden Zug infolge eines epileptischen Anfalls stürzte, ausgeschlossen wird. Die Sicherheitsmechanismen an den Bahnhöfen haben nicht das Ziel, Unfälle dieser Art zu verhindern; Urt. TS v. 9. 10. 2008, STS 5445/2008, RJ 2008, 6042: das schadensverursachende Verhalten eines Wirtschaftsprüfers hat gegen eine Rechtsnorm verstoßen, deren Zweck nicht der Schutz der Investoren war. Deswegen haftet er für die Investitionsschäden der Investoren nicht. 1619 Urt. TS v. 4. 3. 2009, STS 1132/2009, RJ 2009, 1873 geht davon aus, dass der Zigarettenhersteller für die Tabakschäden nicht haftet, weil selbst wenn das Fehlen der Warnungen über die Gesundheitsschädlichkeit des Rauchens schuldhaft wäre, diese die Verbraucher vom Rauchen nicht abhalten würden. Die Haftung wurde zusätzlich aufgrund des fehlenden Verschuldens ausgeschlossen. 1620 So ausdrücklich: Urt. TS v. 6. 2. 2015, STS 205/2015, RJ 2015, 249. 1621 Urt. TS v. 6. 9. 2005, STS 650/2005, RJ 2005, 6745. 1622 Mart&n-Casals/Sol8 Feliu, in: Dom&nguez Luelmo (Hrsg.) Comentarios al Cjdigo Civil, S. 2053.

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digten. Eine neue und noch begrenzte Tendenz in der Rechtsprechung ist, das Kriterium der Adäquanz begrifflich durch die objektive Zurechnung zu ersetzen.1623 In der Rechtsprechung werden die Kriterien der imputacijn objetiva nicht als klar getrennt angesehen, sondern als ein bewegliches System, in welchem das Vorliegen der neuen Voraussetzung ein Ergebnis der Abwägung ist.1624 (485) Der Theorie der objektiven Zurechnung wurde vorgeworfen, dass sie nicht genug Kriterien berücksichtigt. Die Kausalität soll »ein Resultat des komplizierten Prozesses der juristischen Evaluation« sein. Daher seien zusätzlich folgende Aspekte zu berücksichtigen: 1) Art des Schadens, 2) la diligencia exigida ya sea en concreto (in einem bestimmten Fall erforderliche Sorgfalt) oder en abstracto (diligencia del buen padre de familia) (Sorgfaltsmaßstab des bonus pater familias), 3) la valoracijn del comportamiento de los sujetos implicados (Bewertung des Verhandelns der Parteien).1625 Dieses Verständnis der Kausalität würde einerseits eine alleinige Voraussetzung der Deliktshaftung schaffen, welche die sämtlichen juristischen Kriterien der Kausalität, der Rechtswidrigkeit, des Verschuldens und des Schadens beinhalten würde. Andererseits würde so eine Zurechnungsvoraussetzung, die sowohl objektive als auch subjektive Aspekte berücksichtigt, ein bewegliches System eo ipso sein. (486) Die Anwendung der PETL bei der Auslegung der Kriterien der objektiven Zurechnung führt zur Berücksichtigung einiger anderer Normen dieses Harmonisierungsprojekts. Die spanische höchstrichterliche Rechtsprechung beruft sich bei der Feststellung des Maßstabs der erforderlichen Sorgfalt insbesondere auf die beweglichen Kriterien von Art. 4:102 Abs. 1 PETL.1626 Art. 4:102 Abs. 1 PETL hat den Vorteil, dass er die Kriterien, die bei der Feststellung des Sorgfaltsmaßstabs hilfreich sind, auflistet.1627 (487) Somit wird die bewegliche Denkweise nicht nur im Rahmen der objektiven Zurechnung, sondern auch bei der Verschuldensprüfung verwendet. In Spanien ist die wilburgsche Lehre zur Hauptmethode der Rechtsanwendung im 1623 Urt. TS v. 24. 2. 2017, STS 717/2017, JUR 2017, 53253 »la teor&a de la imputacijn objetiva intenta superar la teor&a de la causalidad adecuada«. 1624 Urt. TS v. 1. 12. 2008, STS 6678/2008, RJ 2009/1111 laut welchem, die objektive Zurechnung »frente a otros factores concurrentes, por razones de proximidad, relevancia, frecuencia y aptitud de la conducta para originar el resultado daÇoso en relacijn con las circunstancias y con el fin o bien jur&dico protegido por la norma con arreglo a la cual aqu8lla es exigible« beurteilt werden soll. 1625 Delgado de Miguel/von Wichmann Rovira, in: Delgado de Miguel (Hrsg.) Instituciones de derecho privado III-1, S. 1032f. 1626 Mart&n-Casals, La »modernizacijn« del derecho de la responsabilidad civil, in: Cuestiones actuales en materia de responsabilidad civil, S. 59 mit Verweis auf: Urt. TS v. 17. 7. 2007. STS 5043/2007, RJ 2007, 4895; Urt. TS v. 21. 11. 2008, STS 6443/2008, RJ 2009,199. In der neueren Rechtsprechung auch: Urt. TS v. 5. 11. 2014, STS 4688/2014, RJ 2014/5672. 1627 Urt. TS v. 17. 7. 2007, STS 5043/2007, RJ 2007, 4895: »tales criterios pueden tomarse como referencia para integrar la lacjnica formulacijn del art. 1902 CC«.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

Deliktsrecht geworden. Die Übernahme der Theorie der objektiven Zurechnung durch den Tribunal Supremo ist ein Beweis für das Erfolgspotenzial des beweglichen Systems in den Rechtsordnungen, die über eine Generalklausel der Haftung für eigenes Fehlverhalten verfügen. b) Vorgeschlagene Beweglichkeit der Rechtswidrigkeit (Schweiz) (488) Im schweizerischen Recht wurde eine bewegliche Auslegung der Rechtswidrigkeit vorgeschlagen. Es handelt sich um die Interessentheorie.1628 Die Befürworter dieser Auffassung schlagen vor, die Rechtswidrigkeit nicht mehr wortwörtlich als »Verstoß gegen eine Rechtsnorm«, sondern nach dem Gebrauch des Begriffes zu interpretieren.1629 Dieses Postulat stehe auch mit der wilburgschen These, dass der Unrechtsbegriff »[f]ür den Schadenersatz (…) nur in geringem Maße Einfluß nehmen« kann, im Einklang.1630 (489) Einen Ausgangspunkt der Interessentheorie stellt nicht nur die Kritik an der Unterscheidung zwischen Handlungs- und Erfolgsunrecht dar, sondern genauso die Kritik an der Sorgfaltspflichttheorie1631, die lediglich die Situation des Schädigers berücksichtigt, ohne die rechtlichen Interessen des Geschädigten ausreichend wahrzunehmen. Aus dem Blickwinkel der Interessentheorie ist die Rechtswidrigkeit das Ergebnis der Interessenabwägung. Das geschädigte Interesse muss gewichtiger als das Interesse an der schädigenden Handlung sein.1632 Zu berücksichtigen sind sowohl die Interessen des Geschädigten und des Schädigers als auch die Interessen der Öffentlichkeit. Rechtswidrig ist ein Verhalten dann, wenn das Integritätsinteresse des Geschädigten das Aktivitätsinteresse des Schädigers übersteigt.1633 Auch in der Rechtsvergleichung wird die Abwägung zwischen den Interessen des Geschädigten und des Schädigers als Kernfrage der Rechtswidrigkeit eingestuft.1634 Die Theorie ist nach einem beweglichen System aufgebaut, bei dem insbesondere die folgenden Kriterien der Rechtswidrigkeit zu berücksichtigen sind: (i) der Wert des betroffenen Rechts und (ii) der Wert und Zweck der schadensverursachenden Tätigkeit.1635 Der Katalog ist aber nicht abschließend. (490) Die Interessenabwägung muss in jedem Fall im Einzelfall erfolgen. Im Vergleich zur herrschenden objektiven Rechtswidrigkeitstheorie geht die In1628 Ausführlich untersucht diese Theorie Cartier, Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, Diss. St. Gallen 2007. 1629 Perrig, Über den Begriff der Widerrechtlichkeit, SJZ 1959, S. 326. 1630 Wilburg, Die Elemente des Schadenrechts, S. 10. 1631 Siehe, Rn. 185. 1632 Perrig, Über den Begriff der Widerrechtlichkeit, SJZ 1959, S. 326. 1633 Cartier, Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, Rn. 346ff. 1634 van Dam, European Tort Law, S. 715. 1635 Cartier, Begriff der Widerrechtlichkeit nach Art. 41 OR, Rn. 363ff.

Vorschläge für eine leistungsfähigere Systembildung

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teressentheorie mit einer höheren Begründungspflicht der richterlichen Entscheidungen einher.1636 Sonst würde das bewegliche System zu einer großen Rechtsunsicherheit führen. Die ausgebaute Begründungspflicht sorgt darüber hinaus für die Verständlichkeit der Entscheidungen. Die Flexibilität der beweglichen Denkweise gewährleistet wiederum, dass diese Theorie neuen gesellschaftlichen Entwicklungen und damit neuen Haftungsbedürfnissen besser gerecht werden kann.1637 (491) Die Interessentheorie ist jedoch am wenigsten verbreitet. Es ist keine Rechtsprechung ersichtlich, die diesen Ansatz anwenden würde. Grundsätzlich wird diese Meinung nicht einmal in den neusten Kommentaren zum Art. 41 OR erwähnt.1638 Eine Funktion der Interessensabwägung wurde aber dem Prinzip des Treu und Glauben als Kriterium der Rechtswidrigkeit gemäß Art. 46 Abs. 2 VE OR zugeschrieben.1639 Die schweizerische Lehre postuliert jedoch teilweise wie im spanischen Recht, die strafrechtliche objektive Zurechnung zu übernehmen.1640 Als ein Beispiel dieser Übernahme wird folgende Aussage des BGE qualifiziert1641: »Unter Berücksichtigung aller Umstände, aber auch des Zwecks der einschlägigen Haftungsnorm ist danach zu fragen, ob der Eintritt des Schadens bei wertender Betrachtung billigerweise noch dem Haftpflichtigen zugerechnet werden darf.«1642 Während das Gericht selber die Frage des Schutzzwecks unter der Problematik der Adäquanz prüft, kritisiert die Lehre diese Vorgehensweise teilweise und verlangt ein enges Verständnis der Adäquanz und die klare Formulierung der anderen Kriterien der objektiven Zurechnung. Genauso wie in Spanien solle die objektive Zurechnung die juristische Dimension der Kausalität betreffen.1643 c) Verdeckte Beweglichkeit der Kausalität (Polen) (492) Einige bewegliche Züge weist auch der polnische Test der »normalen Kausalität« auf. Die Gerichte berufen sich bei der Kausalitätsprüfung auf viele Kriterien, die nicht als ein subsumtionsfähiges System verstanden werden 1636 AaO, Rn. 505. 1637 AaO, Rn. 507. 1638 Kein Hinweis insb. bei Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 30ff; Schönenberger, Kurzkommentar zum Obligationenrecht, Art. 41, Rn. 21ff. 1639 Busnelli, The European Frontiers of Tort Liability, in: Koziol/Spier (Hrsg.) Liber Amicorum Pierre Widmer, S. 21. 1640 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 16a. 1641 AaO, Rn. 16a. 1642 Urt. BGE v 4. 2. 1997, 123 III 110, S. 112. 1643 Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 16a.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

können. Es handelt sich nicht nur um die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit. Der polnische Oberste Gerichtshof hat in einer Entscheidung sogar ausdrücklich festgestellt, dass die Haftungseingrenzung die Anwendung anderer Kriterien im Rahmen der Kausalitätsprüfung erfordern kann.1644 (493) Ferner werden die Kausalitätsanforderungen durch die Art des Schadens beeinflusst. Ein Beispiel dafür ist, dass die vorgerichtlichen Anwaltskosten vor allem in Falle der Geltendmachung des Schadenersatzes wegen körperlichen Schäden ersatzfähig sind.1645 Von der Schadensart hängt auch ab, ob der typische Charakter der Folge für die Adäquanz vorausgesetzt wird.1646 Grundsätzlich tendieren die Gerichte bei den Vermögensschäden dazu, einen typischen Charakter der Folgen vorauszusetzen, um die untypischen Folgen nicht zu ersetzen.1647 Demgegenüber wird bei Personenschäden normalerweise hervorgehoben, dass die Adäquanz nur eine Erhöhung der Wahrscheinlichkeit und keinen typischen Charakter der Folgen erfordert.1648 Diese Unterscheidung zwischen den Kriterien der Kausalität je nach Art des zu ersetzenden Schadens wird weder in der Lehre noch in der Rechtsprechung angesprochen. Nicht nur der Schaden, sondern auch der Verschuldensgrad beeinflusst die Kausalitätskriterien. Be-

1644 Urt. OG v. 22. 06. 2012, Az. V CSK 282/11, OSP 2013, Nr. 5, Pos. 48. 1645 Urt. OG v. 13. 03. 2012, Az. III CZP 75/11, OSNC 2012, Nr. 7–8, Pos. 81, S. 1 laut der Begründung ist der Aufwand der anwaltlichen Tätigkeiten bei körperlichen Schäden typischerweise höher, was die professionelle Vertretung erforderlich macht. 1646 Der OG hat ausdrücklich zugegeben, dass die Rechtsprechung bei der Anwendung der Voraussetzung des typischen Charakters der Folgen inkonsequent ist: Urt. OG v. 15. 10. 2008, Az. II PZP 10/08, OSNAPiUS 2009, Nr. 9/10, Pos. 112. 1647 Urt. OG v. 20. 5. 2004, Az. IV CK 395/03, Legalis 80986: »Als adäquate bzw. typische Auswirkung eines bestimmten Verhaltens kann nur eine solche Folge angesehen werden, die sich im normalen Lauf der Dinge voraussehen lässt, also – unter Berücksichtigung der Regeln der Lebenserfahrung – charakteristisch für eine bestimmte Ursache ist, als eine normale Folge eines bestimmten Verhaltens, insbesondere einer verschuldeten unerlaubten Handlung. Es kann nicht festgestellt werden, dass ein Versuch ein Kfz einem Dritten zu veräußern, verbunden mit der vorgenommenen Bezahlung des Kaufpreises durch die Klägerin, eine normale Folge der verschuldeten und rechtswidrigen Übertragung des Kfz-Scheins an eine unberechtigte Person ist.« Auch Urt. OG v. 21. 3. 2003, Az. III CZP 6/03, OSNC 2004, Nr. 1, Pos. 4, S. 42. 1648 Urt. OG v. 17. 11. 2016, Az. IV CSK 27/16, Legalis 1544285: »Der adäquate Kausalzusammenhang, der eine Voraussetzung der Schadenersatzhaftung darstellt und diese Haftung eingrenzt, ist dann nicht gegeben, wenn der Schaden eine vereinzelte, ungewöhnliche und atypische Folge eines bestimmten Ereignisses ist und üblicherweise im normalen Lauf der Dinge nicht vorkommt und grundsätzlich unvorhersehbar ist; wenn die Folge nur auf Grund eines besonderen Zufalls vorkommt, den durchschnittlich niemand in Kauf nehmen würde.«

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hauptet wird, dass im Falle des Vorsatzes eine natürliche Kausalität ausreichend sei.1649 (494) Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das polnische Deliktsrecht über keine feste Formulierung der Kausalitätskriterien verfügt. Die einzelnen Kriterien werden je nach der Art des Schadens und dem Grad des Verschuldens angewandt. Um eine Klage abzuweisen, beruft sich das Gericht auf den mangelnden typischen Charakter der Folgen. Sollte das Gericht der Klage stattgeben wollen, unterstreicht es, dass die statistische Häufigkeit bzw. der typische Charakter der Folgen für die Erfüllung des Adäquanztests nicht erforderlich sind. Somit ist die Beurteilung der Kausalität im polnischen Recht ein Ergebnis der beweglichen Interessensabwägung, bei der sowohl die Schadensart als auch der Charakter des Verschuldens Bedeutung haben.

d) Verdeckte Beweglichkeit des Verschuldens (Frankreich) Die Beweglichkeit der Argumentationsmuster im französischen Recht wird nicht ausdrücklich zugegeben. Die Zurechnungsfragen im französischen Recht fokussieren sich jedoch beim Verschulden. Neben der ursprünglichen Rolle einer Haftungsvoraussetzung hat das Verschulden mit der Zeit eine zusätzliche konkretisierende Rolle der Haftungseingrenzung bekommen. Die Natur und der Grad des Verschuldens sind bei der Eingrenzung der Haftung entscheidend.1650 (495) Erst unter dem Einfluss der Harmonisierungsprojekte wurden die beweglichen Aspekte des französischen Deliktsrechts erkannt und ansatzweise untersucht. Als ein Ausdruck des beweglichen Denkens kann die Behauptung qualifiziert werden, dass das Prinzip der Totalreparation in Frankreich trotz der herrschenden Meinung nicht gelte, weil der Umfang des Schadensersatzes in den meisten Fällen von dem Verschuldensgrad abhängig sei.1651 Darüber hinaus beeinflusst der Grad des Verschuldens die Kausalitätsanforderungen. Insbesondere im Falle der Mehrheit der Ursachen spielt der Grad des Verschuldens eine entscheidende Rolle bei der Zurechnung.1652 Hervorgehoben wird zudem, dass das französische Recht Fälle der kausalitätsunabhängigen Verschuldenshaftung kennt.1653 1649 Dybowski, Przyczynowos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci, S. 30. Obwohl der Autor unterstreicht, dass dadurch keine Interferenzen zwischen den Haftungsvoraussetzungen entstehen, gibt er zu, dass diese Voraussetzungen gemeinsam betrachten werden sollen. 1650 Viney, Pvolution de la signification et du rile de la faute en droit de la responsabilit8 civile, in: Laquette/Molfessis (Hrsg.) Quel avenir pour la responabilit8 civile? S. 32. 1651 Mor8teau, Grundfragen des Schadensrechts aus französischer Sicht, in: Koziol (Hrsg.) Grundfragen des Schadensrechts aus rechtsvergleichender Sicht, Rn, 1/198ff. 1652 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 357. 1653 Borghetti, Peut-on se passer de la causalit8 en droit de la responsabilit8?, in: Laquette/ Molfessis (Hrsg.) Quel avenir pour la responsabilit8 civile? S. 14f.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

(496) Für wahrscheinlich wird sogar gehalten, dass die französischen Richter bei der Beurteilung des Verschuldens die beweglichen Zurechnungskriterien des Art. 4:101 PETL im Hinterkopf haben.1654 Der bewegliche Charakter des Systems der Haftung für eigenes Fehlverhalten zeigt sich vor allem in problematischen Sachverhaltskonstellationen. Trotz der Tatsache, dass die Beweglichkeit der Voraussetzungen ersichtlich ist, bleiben die Kriterien der Zurechnung völlig verdeckt. Darunter leidet die Verdeutlichung des Gerechtigkeitsgehalts.1655 6.

Zwischenergebnis

(497) Die moderne Systembildung der Deliktshaftung erfordert eine beweglich formulierte Grundnorm der Haftung für eigenes Fehlverhalten. Diese Norm soll die Flexibilität des Systems gewährleisten. Im Unterschied zu den untersuchten Generalklauseln muss sie jedoch die Zurechnungskriterien klar formulieren. Diese Kriterien lassen sich nicht erschöpfend auflisten und sollen gemeinsam betrachtet werden. Viele der nationalen Konkretisierungsstrategien weisen bereits bewegliche Elemente auf. Vor allem betrifft das die Haftungsvoraussetzungen, die jeweils die Hauptrolle bei der Haftungseingrenzung spielen. Die mangelnde Anerkennung der Beweglichkeit des Systems führt jedoch dazu, dass die tatsächlichen Kriterien der Konkretisierung verdeckt bleiben. Nur das spanische Recht ist auf dem Weg die beweglichen Zurechnungskriterien klar zu formulieren und anzuwenden.

II.

Bildung von Einzeltatbeständen anhand der rechtlichen Strukturtypen

(498) Während eine bewegliche Grundnorm als Auffangtatbestand die Flexibilität des Systems gewährleisten würde, könnten die topisch formulierten Einzelnormen zu einer größeren Rechtssicherheit beitragen. Durch ihre Realitätsnähe würden sie zudem für die Verständlichkeit des Systems sorgen. Bei der Entwicklung der besonderen Haftungsnormen bietet sich die Anwendung der topischen Denkweise an. Im Vorfeld der genauen Untersuchung der Leistungsfähigkeit der topischen Jurisprudenz für das Deliktsrecht werden zunächst die Annahmen dieser Methode skizziert.

1654 R8my, R8flexions pr8liminaires sur le chapitre Des d8lits, in: Terr8 (Hrsg.) Pour une r8forme du droit de la responsabilit8 civile, S. 51. 1655 Siehe, Rn. 375ff.

Vorschläge für eine leistungsfähigere Systembildung

1.

261

Annahmen des topischen Systems

(499) Die von Theodor Viehweg wiederbelebte1656 topische Jurisprudenz hat eine brillante, aber sehr kurze Karriere gemacht. Besondere Beliebtheit genoss die juristische Typologik in den 60er Jahren und ist sogar zu einem Modebegriff geworden.1657 Sie wurde auch in der Lehre der untersuchten Rechtsordnungen thematisiert.1658 (500) Die Kernbotschaft der Topik ist die Orientierung am Problem.1659 Es geht jedoch nicht darum, das Systemdenken an sich abzulehnen, sondern die Akzente auf das Problem zu verlagern.1660 Der Kernbegriff der Topik ist der Typus.1661 Der Begriff des »Typus« hat im Bereich der Rechtswissenschaft unterschiedliche Bedeutungen. Die topische Denkweise betrifft sowohl die Typisierung der einzelnen abstrakt-allgemeinen Begriffe (dazu unter a) als auch die Entwicklung der rechtlichen Strukturtypen auf dem Niveau der Rechtsnormen (dazu unter b). a) Typisierung der abstrakt-allgemeinen Rechtsbegriffe (501) Die juristische Topik findet zunächst bei der Auslegung der einzelnen Rechtsbegriffe Anwendung. Dabei ist zwischen abstrakt-allgemeinen Rechtsbegriffen und der Topoi ihrer Anwendung zu unterscheiden. Letztere bezeichnen die Bedeutung eines Begriffes im konkreten Anwendungsfall.1662 Diese konkretisierte Bedeutung unterscheidet sich von der allgemeinen Definition. Beispielsweise ist der Begriff der Willenserklärung von der Idee des Vertrauensschutzes abhängig. Er lässt sich ohne Berücksichtigung dieser Idee nicht richtig auslegen.1663 Die Bedeutung dieses Begriffes unterscheidet sich zwischen den einzelnen Anwendungsfällen. Dies zeigt, dass die Auslegung problemorientiert ist. Sie setzt immer eine weitere Konkretisierung des abstrakt-allgemeinen Rechtsbegriffes voraus. Somit erhalten die einzelnen Rechtsbegriffe einen Topoicharakter.1664 Das bedeutet, dass ihre Auslegung von einem bestimmten 1656 Viehweg, Topik und Jurisprudenz (1954). 1657 Leenen, Typus und Rechtsfindung: die Bedeutung der typologischen Methode für die Rechtsfindung dargestellt am Vertragsrecht des BGB, S. 17; Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen im Zivilrecht, S. 16. 1658 Degadt, Litt8ratures contemporaines sur la »topique juridique« (1981); Cyrul, Topika i prawo (krytyczna analiza topicznej wizji dyskursu prawnego), PiP 2004, Nr. 6, S. 47ff, Sanz Bayjn, Sobre la tjpica jur&dica en Viehweg, RTFD 2013, Nr. 16, SS. 83–108. 1659 Viehweg, Topik und Jurisprudenz5, S. 31. 1660 AaO, S. 32. 1661 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6, S. 461. 1662 Zum Unterschied zwischen dem allgemeinen Begriff und dem Typus, der »konkreter als der Begriff« ist: Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6, S. 463. 1663 Viehweg, Topik und Jurisprudenz5, S. 101f. 1664 AaO, S. 104.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

Anwendungsbereich abhängt. Statt einer logischen Subsumtion ist die Auslegung daher vielmehr ein Interessenurteil.1665 (502) Bei den juristischen Definitionen des Verschuldens, der Rechtswidrigkeit, der Kausalität und des Schadens handelt es sich um solche abstraktallgemeinen Begriffe. Mithilfe dieses Instrumentariums sollen zwar die funktionsbestimmten Begriffe der Rechtswissenschaft subsumtionsfähig gemacht werden.1666 Die Bedeutung solcher abstrakt-allgemeiner Begriffe ist jedoch mit Blick auf die vermittelte normative Wertung bzw. ihre Funktion »in dem jeweiligen Regelungszusammenhang« zu bestimmen.1667 Die Gegenüberstellung von dem abstrakt-allgemeinen Begriff und dem Typus zeigt die Notwendigkeit der Konkretisierung.1668 Der Typus in diesem Sinne beschreibt eine konkretisierte und spezifische Bedeutung des abstrakt-allgemeinen Begriffes. (503) Fraglich ist natürlich, auf welchem Regelungsniveau die Unterschiede in der Bedeutung des abstrakt-allgemeinen Rechtsbegriffes noch begründet sind. Bei der Beantwortung dieser Frage bestehen zwischen den untersuchten Rechtsordnungen deutliche Unterschiede. Eines der Postulate dieser Arbeit ist eine größere Typisierung der abstrakt-allgemeinen Voraussetzungen der Haftung für eigenes Fehlverhalten. Bei der Typisierung in diesem Sinne handelt es sich um die Fokussierung der funktionsbestimmten Typen der abstrakt-allgemeinen Rechtsbegriffe, die ihren typischen Anwendungsfällen entsprechen. (504) Als Beispiel eines Systems, das von der Typisierung der deliktsrechtlichen Haftungsvoraussetzungen ausgeht, kann der skandinavische Pragmatismus dienen. Das skandinavische Deliktsrecht hat die Voraussetzungen der Haftung für eigenes Fehlverhalten nicht kodifiziert, so dass es keine allgemeinen Definitionen der juristischen Kausalität oder Kriterien des Verschuldens gibt.1669 Die Ausformulierung allgemein geltender Haftungsgrundsätze anhand einer Handvoll von Grundbegriffen sei unmöglich.1670 b) Entwicklung der rechtlichen Strukturtypen (505) Die topische Denkweise betrifft nicht nur die einzelnen Begriffe, sondern auch die Rechtsnormen. Von besonderer Bedeutung für die Systembildung sind die »rechtliche Strukturtypen«.1671 Sie konkretisieren die Normen für die einzelnen Arten von Sachverhaltskonstellationen. Der Ursprung jedes rechtlichen 1665 1666 1667 1668

AaO, S. 103. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6, S. 486. AaO, S. 483. Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit2, S. 262. 1669 Schulz, A Swedish critique of Principles of European Tort Law, EBLR 2007, S. 1321. 1670 AaO, S. 1321. 1671 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6, S. 466.

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Strukturtyps ist in einem empirischen Typ zu suchen.1672 Die empirischen Typen dienen dann als Bezugspunkte für die gesetzlichen Wertungen, daraus entstandene Gesetzesnormen sind jedoch schon begriffslogisch.1673 Sie sind nicht nur für die gesetzgeberischen, sondern, besonders im Falle der Deliktshaftung, auch für die gerichtlichen Entscheidungen maßgeblich. Der Grund, die einzelnen Arten der Rechtsverhältnisse als Typen zu beschreiben, ist die Tatsache, dass die begriffliche Abgrenzung versagt.1674 Ein Paradebeispiel solcher Strukturtypen sind die Vertragstypen.1675 Hier wird der Typus als ein »ganzheitliches Gebilde« verstanden und was »typisch« ist, ist die besondere Verbindung der konkreten Eigenschaften.1676 (506) In diesem Sinne können ebenfalls Strukturtypen der Haftung für eigenes Fehlverhalten entwickelt werden. Zu unterscheiden ist insofern beispielsweise zwischen der Arzthaftung, der Pressehaftung und der Wirtschaftsprüferhaftung. Die Unterschiede betreffen nicht nur die Bedeutung der Haftungsvoraussetzungen, sondern auch die Verhältnisse zwischen diesen. Postuliert wird, besondere Haftungsnormen für die einzelnen rechtlichen Strukturtypen der Haftung für eigenes Fehlverhalten zu entwickeln. Bei der Ausformulierung der rechtlichen Strukturtypen sollten insbesondere Fallgruppen, welche die Rechtsprechung entwickelt hat, berücksichtigt werden.1677 Dadurch zeigt sich die Realitätsnähe der topischen Jurisprudenz.1678 c) Kritik (507) Die Kritiker der topischen Denkweise heben vor allem hervor, dass sie als Hauptmethode der Jurisprudenz ungeeignet sei.1679 Denn die Topik könne die Rechtsgewinnung nur bei einem schon bestehenden Konsens bezüglich einer Rechtsfrage erfüllen.1680 Daher sei die topische Methode für die Jurisprudenz grundsätzlich verfehlt.1681 (508) Die erklärende Rolle ist jedoch nicht zu unterschätzen. Das topische Denken erleichtert die Rechtsanwendung genau in den typischen Fallkonstel1672 Leenen, Typus und Rechtsfindung: die Bedeutung der typologischen Methode für die Rechtsfindung dargestellt am Vertragsrecht des BGB, S. 86f. 1673 AaO, S. 80ff. 1674 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6, S. 466. Als Parabeispiel dafür dienen die Mischverträge. 1675 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6, S. 467f. 1676 Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit2, S. 248ff. 1677 Pawlowski, Methodenlehre für Juristen3, Rn. 150. 1678 Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit2, S. 241. 1679 Diederichsen, Topisches und systematisches Denken in der Jurisprudenz, NJW 66, 697ff. 1680 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2, S. 144. 1681 Canaris, Systemdenken und Systembegriff2, S. 144.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

lationen. Es befreit den Rechtsanwender von den Schranken und Labyrinthen der Begriffsjurisprudenz. Sollte ein Rechtssystem keine gesetzlichen Topoi bereitstellen, fordert die topische Jurisprudenz die wert- statt systemorientierte Argumentation zu fokussieren und ermöglicht dadurch die Verdeutlichung des Gerechtigkeitsinhalts. Unbegründet ist also der Vorwurf, dass die Lehre bei Fehlen von eindeutigen Lösungen nur auf »irgendwelche Diskussionen« verweisen würde.1682 (509) Der juristischen Topik wurde darüber hinaus vorgeworfen, dass sie sich dem Problem- und Systemdenken scharf entgegensetze.1683 Die Vertreter der topischen Jurisprudenz kritisieren jedoch nicht jegliche Systembildung, sondern lehnen ein System ab, das ausschließlich auf allgemein-abstrakten Rechtsbegriffen basiert. Der Grund dafür ist, dass so ein System die untypischen Verbindungen zwischen bestimmten Eigenschaften nicht berücksichtigt. Somit beansprucht die topische Jurisprudenz keine Ausschließlichkeit.1684 Es handelt sich um eine Ergänzungsmethode, welche die Rechtsanwendung in typischen Fällen erleichtern soll. Die ergänzende Rolle der topischen Denkweise erkennen sogar einige ihrer Kritiker an.1685 (510) Die Vertreter der topischen Jurisprudenz haben ihre Verwandtschaft mit der beweglichen Denkweise Wilburgs verdeutlicht. Schon die Koryphäe der juristischen Topik hat sich ausdrücklich auf das bewegliche System berufen.1686 Die Gemeinsamkeit soll die Wertorientierung der beiden Denkweisen sein.1687 Viehwegs Übernahme des beweglichen Systems für die Zwecke der Topik wurde jedoch von den Vertreter der beweglichen Lehre vehement kritisiert.1688 Im Unterschied zum systematischen Schaffen des beweglichen Systems, sei die topische Jurisprudenz durch ihre Fixierung auf den Einzelfall völlig unwissenschaftlich und für eine Systembildung nicht brauchbar.1689 Demgegenüber könnten die topisch formulierten Regelfälle eine Verbindung zwischen dem beweglichen System und dem Tatbestandsmodell ermöglichen.1690 Die bewegliche und topische Denkweise sind daher durchaus komplementär.

1682 So aber Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2, S. 146. 1683 AaO, S. 144ff. 1684 Viehweg, Topik und Jurisprudenz5, S. 44, der sogar behauptet, dass »die Topik weitgehend verabschiedet« sei, wenn es mit Hilfe der logischen Denkweise gelingen sollte, ein Ableitungssystem zu entwickeln. 1685 Canaris, Systemdenken und Systembegriff2, S. 149ff. 1686 Viehweg, Topik und Jurisprudenz5, S. 105ff. 1687 Larenz, Grundformen wertorientierten Denkens in der Jurisprudenz, FS Wilburg, S. 228. 1688 Weinberger, Über die Offenheit des rechtlichen Normensystems, FS Wilburg, S. 439. 1689 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2, S. 546. 1690 Schlicher, Der Regelfall als Verbindung von Tatbestandsmodell und Beweglichem System, FS Koziol, S. 878ff.

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(511) Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Kritiker der topischen Jurisprudenz, um die Argumente dieser juristischen Methodenlehre zu entkräften, häufig die topischen Postulate übertreiben. Die Topik stellt jedoch die Notwendigkeit der Systembildung nicht in Frage. Sie postuliert nur die Anerkennung der topischen Denkweise für die Zwecke der Rechtsgewinnung. Das Problem- und Systemdenken müssen sich daher ergänzen.1691

2.

Topische Denkweise im Deliktsrecht

(512) Die topische Jurisprudenz kann einen Beitrag zu einer effizienteren deliktsrechtlichen Dogmatik leisten. Vor allem eine Generalklausel der Haftung für eigenes Fehlverhalten stimmt mit der Idee der Typisierung überein.1692 Die bisherige Systembildung des Deliktsrechts berücksichtigt jedoch die topische Natur des Rechts nicht. Angesichts der zu großen Abstraktion der von den Generalklauseln verwendeten Begriffe ist es erforderlich, die Grundnorm des Deliktsrechts durch Entwicklung von rechtlichen Strukturtypen zu konkretisieren. In der Rechtsprechung werden bereits Fallgruppen gebildet, die »kleinen Generalklauseln« ähneln.1693 Diese Fallgruppen dienen als Orientierungsmuster für den Rechtsanwender, weil die Zuordnung zu den Tatbestandsmerkmalen einer deliktsrechtlichen Generalklausel wegen ihrer Allgemeinheit wenig hilfreich ist.1694 (513) Im Bereich des Deliktsrechts bleibt das topische Denken immer noch im Schatten des ständigen Drangs nach Systematisierung. Der Grund dafür ist, dass die topische Methode als »eine Deduktionsstörung«1695 erscheint. Zur Systemstörung führen jedoch vielmehr die Versuche die Deliktsrechtsdogmatik zu verallgemeinern. Dies führt dazu, dass die Besonderheiten der einzelnen deliktsrechtlichen Strukturtypen außerhalb der jeweiligen Problembereiche berücksichtigt werden. Um die Systembildung zu verbessern, ist es demgegenüber erforderlich, die einzelnen rechtlichen Strukturtypen zu fokussieren. Dafür müssen Fallgruppen gebildet werden, aus denen sich Leitlinien feststellen lassen.1696 (514) Noch vor zehn Jahren hieß es, rechtskulturell wäre die Einbeziehung von Sonderdelikten in das Gesetz in Frankreich undenkbar oder zumindest unele1691 Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen im Zivilrecht, S. 16f. 1692 Sacco, Einführung in die Rechtsvergleichung2, S. 94. 1693 Walther, Die Konkretisierung von Generalklauseln am Beispiel der französischen deliktischen Haftung, in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.) Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht, S. 73. 1694 Ohly, Generalklausel und Richterrecht, AcP 201 (2001), S. 31. 1695 Viehweg, Topik und Jurisprudenz5, S. 105. 1696 Widmer, O tempora, o mores!, FS Koziol, S. 957.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

gant.1697 Heutzutage verfügt der Code civil über eine sehr detaillierte Regelung der Ersatzfähigkeit von ökologischen Schäden. Diese Entwicklung kann nur als ein Eingeständnis davon verstanden werden, dass es erforderlich ist, die Haftung für eigenes Fehlverhalten zu typisieren. Die am Anfang des 19. Jahrhunderts formulierte Grundformel der Deliktshaftung ist over-generalised.1698 Deswegen ist die deliktsrechtliche Generalklausel nach dem Muster von Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC) mit einem einheitlichen Interpretationsmuster nicht zu erfassen. Genauso wie im Falle der Guten-Sitten-Klausel ist es notwendig, die Suche nach einer allgemeinen Lösung zu verwerfen und differenzierende Ansätze zu erarbeiten.1699 Postuliert wird eine Abkehr von Einheitstheorien. 3.

Fokus auf die rechtlichen Strukturtypen

(515) Die Untersuchung der deliktsrechtlichen Strukturtypen ist nicht mit dem Vorschlag gleichzustellen, diese gesetzlich festzuschreiben. Was angestrebt wird, ist den Fokus der deliktsrechtlichen Methodenlehre zu ändern. Die Strukturbildung des Deliktsrechts soll die in der Rechtsprechung ausformulierten und kontextualisierten Normen als Teil Deliktsrechtsdogmatik wahrnehmen. Diese Einzelnormen haben gegenüber einer abstrakt-allgemeinen Generalklausel bedeutsame Vorteile.1700 Sie sind schneller auffindbar und einfacher in der Anwendung. (516) Dank der juristischen Datenbanken könnte ein typisiertes und in Einzeltatbestände aufgeteiltes System des Deliktsrechts einfacher funktionieren.1701 Die Rechtsbegriffe sind relativ und ändern ihre Bedeutung ständig. Die juristischen Datenbanken können dazu beitragen, die Verfolgungsjagd nach der gegenwärtigen Bedeutung der Begriffe zu erleichtern. Die Computerlinguistik kann nicht nur helfen, Präjudize aufzufinden, sondern auch die gegenwärtigen Definitionen der Rechtsbegriffe zu formulieren. (517) Wie ein typisiertes System gestaltet werden kann, zeigt der deliktsrechtliche Teil des DCFR. Vor allem das Kapitel über den rechtlich relevanten 1697 Walther, Die Konkretisierung von Generalklauseln am Beispiel der französischen deliktischen Haftung, in: Baldus/Müller-Graff (Hrsg.) Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht, S. 76. 1698 Ibbetson, Harmonisation of the Law of Tort and Delict: A Comparative and Historical Perspective, in: Zimmermann (Hrsg.) Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, S. 86. 1699 Teubner, Standards und Direktiven in Generalklauseln, S. 115 formuliert dieses Postulat am Beispiel der Gute-Sitten-Klausel. 1700 Gjmez Pomar, Ventajas e inconvenientes de la codificacijn en Europa y EspaÇa, in: Roca Tr&as (Hrsg.) Codificaciones del derecho privado en el s. XXI, S. 133ff. 1701 Genauso wie im Fall eines beweglichen Systems, siehe, Rn. 461.

Vorschläge für eine leistungsfähigere Systembildung

267

Schaden regelt »einzelne faktische Situationen«, welche für die Rechtsanwendung »vorarbeiten« sollen.1702 Gerade diese Vorgehensweise ist für den innovativen Charakter der von barschen Konzeption des Deliktsrechts entscheidend. Es handelt sich jedoch nicht um ein System einzelner Torts.1703 Vielmehr geht es um die Überbrückung zwischen einer Generalklausel und einem System der Einzeltatbestände. Dem Rechtsanwender werden dabei mehr sachverhaltsbezogene Kriterien der Ersatzfähigkeit bereitgestellt. Dies trägt zu einer größeren Verständlichkeit des Systems bei. Der Präzision der problemorientierten Normen sorgt darüber hinaus für mehr Rechtssicherheit.

4.

Topische Denkweise in den untersuchten Rechtsordnungen

(518) Das Deliktsrecht der untersuchten Rechtsordnungen ist gegenwärtig schon weitgehend typisiert. Keine der Generalklauseln ist auf alle Tatbestandskonstellationen der Haftung für eigenes Fehlverhalten anwendbar. Im Vergleich zu den Systemen der Einzeltatbestände besteht jedoch ein wichtiger Unterschied. Im Falle einer Generalklausel versucht die Rechtsprechung, die kasuistischen Normen dem Tatbestand einer Generalklausel anzupassen. Die Rechtsprechung heranzuziehen, um Einzeltatbestände zu formulieren, ist insoweit problematisch, als sich die richterlichen Argumentationsmuster nach der Subsumtionstechnik steuern. (519) Bei der Neigung zur Systematisierung bestehen zwar zwischen den untersuchten Rechtsordnungen wesentliche Unterschiede. Selbst jedoch, wenn wie in der französischen Rechtsprechung die Subsumtionstechnik nicht verwendet wird, fehlt die Ausformulierung der Eingrenzungskriterien. Nötig wäre, hinter die Fassade der deliktsrechtlichen Dogmatik zu schauen, um die eigentlichen Kriterien der Eingrenzung zu entdecken. Die bisherige Rechtsprechung soll eine Hauptrolle bei der Entwicklung der rechtlichen Strukturtypen spielen. Genau dafür ist die topische Denkweise erforderlich. Aus diesen Gründen wird in Frankreich die übertriebene Generalisierung des Systems der Deliktshaftung kritisiert.1704 In der Rechtsvergleichung wird von einem Übergang von traditionellen allgemeinen Haftungsregeln zur Entwicklung besonderer Haftungsmechanismen gesprochen.1705 1702 von Bar, Konturen des Deliktsrechtskonzeptes der Study Group on a European Civil Code. Ein Werkstattbericht, ZEuP 2001, S. 524. 1703 AaO, S. 525. 1704 R8my, Critique du systHme franÅais de responsabilit8 civile, Revue juridique de l’USEK, 1997, Nr. 5, S. 52ff. 1705 Busnelli, The European Frontiers of Tort Liability, in: Koziol/Spier (Hrsg.) Liber Amicorum Pierre Widmer, S. 26.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

(520) In den untersuchten Rechtsordnungen ist die topische Denkweise sowohl auf dem Niveau der einzelnen juristischen Begriffe (dazu unter a) als auch der Rechtsnormen (dazu b) zu finden. a) Typisierung der Haftungsvoraussetzungen (521) Je größer die Bedeutung einer bestimmten Voraussetzung bei der Haftungseingrenzung ist, desto weitgehender ist ihre Typisierung. Sehr differenziert ist daher in allen untersuchten Rechtsordnungen das Verschulden typisiert. Die Rechtsprechung entwickelt Sorgfaltspflichten, welche den Haftungsumfang bestimmen. Die Typisierung betrifft jedoch ebenfalls die übrigen Voraussetzungen. In der Rechtsprechung werden sachverhaltsorientierte Tatbestände entwickelt, die durch ein eigenständiges Verständnis der Voraussetzungen geprägt sind. Es wird daher von den Modalitäten der Deliktshaftung gesprochen.1706 Diese Entwicklung zeigt die natürliche Methode, die Generalklauseln zu konkretisieren. Die Konkretisierung in der Rechtsprechung findet grundsätzlich nicht durch eine immer genauere Umschreibung der abstrakten Voraussetzungen, sondern durch ihre typisierte Anpassung an die jeweilige Sachverhaltskonstellation statt. Die Voraussetzungen der Haftung für eigenes Fehlverhalten werden dadurch relativiert. Sie sind lediglich Hülsen für die haftungseingrenzenden Kriterien. Daher sind diese Begriffe für den ganzen Bereich der Haftung für eigenes Fehlverhalten nur begrenzt definierbar. aa) Verschulden (522) Charakteristisch ist die Typisierung des Verschuldens für das französische Recht, welche die eingrenzenden Kriterien grundsätzlich in diese Haftungsvoraussetzung einbaut. Die Hauptgründe dafür sind das Fehlen der eigenständigen Rechtswidrigkeit und die mangelnde Entwicklung der Kriterien der juristischen Kausalität. Sogar in seinem Ursprung hatte das deliktsrechtliche Verschulden einen typisierten Charakter. Der Begriff war bei den einzelnen Delikten unterschiedlich.1707 Gegenwärtig findet eine erneute Typisierung des Verschuldens statt. Teilweise wird sogar bezweifelt, dass es überhaupt möglich ist, das Verschulden zu definieren. Der Begriff sei zu polymorphisch und hat zu unterschiedliche Designate.1708 Es wird von einer »fluidit8 de la notion de faute«1709, »sp8cialisation des modHles«1710 oder »diversification des significaSantos Briz, in: Alb#car Ljpez (Hrsg.) Cjdigo civil. Doctrina y Jurisprudencia VI4, S. 1515. Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 227. Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 296. Mazeaud/Mazeaud/Tunc, Trait8 th8orique et pratique de la responsabilit8 civile d8lictuelle et contractuelle VI, Rn. 417. 1710 Jacques, Anm. zum Urt. Cass. civ. 2 v. 28. 12. 1996, Gaz. Pal. 1997, Nr. 1, S. 86ff. 1706 1707 1708 1709

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tions«1711 gesprochen. Dies liegt vor allem daran, dass die Verschuldensprüfung stark vom richterlichen Ermessen beeinflusst wird. Daher lässt sich das Verschulden in keinem Algorithmus festschreiben.1712 Die außervertraglichen Pflichten sind zu unterschiedlich und komplex, um sie in wenigen Worten zu beschreiben.1713 (523) Statt die genauen Kriterien des Verschuldens zu formulieren, soll das Pflichtenprogramm anhand der bisherigen Rechtsprechung etabliert werden.1714 Die Formulierung des Pflichtenprogramms sollen »les grands r8pertoires de jurisprudence« ermöglichen.1715 Die Rechtsprechung spielt im französischen Recht die Hauptrolle bei der Auflistung der außervertraglichen Pflichten.1716 Die französische Lehre versucht anhand der Rechtsprechung eine Liste der außervertraglichen Pflichten aufzustellen. Die Pflichten werden nach der Art ihrer Quellen aufgeteilt. Die erste Kategorisierung unterscheidet zwischen den Pflichten, welche aus den geschriebenen Normen stammen und diesen, welche sich direkt aus den moralischen Grundsätzen wie »bonne foi, loyaut8, honnÞtet8« oder »respect d’autrui« oder »consid8rations d’utilit8 sociale« ergeben.1717 Eine andere Einteilung unterscheidet zwischen den Normenverletzungen einerseits und den »comportements d8raisonnables« andererseits.1718 Die Letzteren werden nach ähnlichen Kriterien wie die erforderliche Sorgfalt festgestellt. Ersichtlich ist daher eine Tendenz zur Spezialisierung in der Anwendung von Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC).1719 Es gebe keine negative Pflicht, einem anderen keinen Schaden zuzufügen.1720 Das Verbot des schadenverursachenden Verhaltens betrifft nur den comportement anormal und ist mit einem devoir g8n8ral de prudence et de diligence gleichzustellen.1721 Die Haftung für eigenes Fehlverhalten basiere auf der Entwicklung einer Verhaltensnorm, die in gewissen Umständen zu beachten sei.

1711 Viney, Pvolution de la signification et du rile de la faute en droit de la responsabilit8 civile, in: Laquette/Molfessis (Hrsg.) Quel avenir pour la responsabilit8 civile? S. 37. 1712 Carbonnier, Droit civil IV21, Rn. 228. 1713 Bloch, La cessation de l’illicite: recherche sur une fonction m8connue de la responsabilit8 civile extracontractuelle, S. 292. 1714 Nicod, Le concept d’illic8it8 civile / la lumiHre des doctrines franÅaises et suisses, S. 55; Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 473. 1715 Nicod, Le concept d’illic8it8 civile / la lumiHre des doctrines franÅaises et suisses, S. 56. 1716 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 482-1. 1717 AaO, Rn. 473ff. 1718 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 321ff. 1719 AaO, Rn. 321, Fn. 146. 1720 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 473, a. A. Savatier, Trait8 de la responsabilit8 civile I2, Rn. 35ff. Siehe, Rn. 171. 1721 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 473.

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(524) Die französische Lehre versucht darüber hinaus umfangreiche Auflistungen der agissements fautifs zu erstellen.1722 Besonders bildhaft ist die Feststellung, dass »les vari8t8s de fautes sont innombrables«.1723 Die einzelnen Punkte der Liste enthalten eine kurze Beschreibung des Sachverhalts mit der Angabe der Rechtsprechung und Feststellung, ob ein Verhalten »fautif« ist. Beispielsweise ist ein übermüdeter Taxifahrer fautif, der das Lenkrad an seinen Passagier übergibt, obwohl der andere genauso übermüdet ist und dadurch ein Unfall verursacht.1724 Als »non-fautif« wurden demgegenüber (i) der Bruch einer nicht registrierten Lebenspartnerschaft1725 und (ii) die negative Begutachtung für die Aufzeichnung eines Arztes durch die Ärztekammer1726 angesehen. Charakteristisch ist, dass sich die Rechtsprechung in diesen Konstellationen mit dem allgemeinen Verschuldensbegriff nicht befasst. Das Gericht stellt nur fest, ob ein Verhalten fautif oder non-fautif sei. Bei der Beurteilung des Verhaltens werden die äußeren Umstände des Einzelfalles berücksichtigt. Durch diese Vorgehensweise entwickeln sich detaillierte Einzeltatbestände. (525) Die Ausformulierung der einzelnen Pflichten und die haftungseingrenzende Anwendung der anderen Voraussetzungen relativiert den französischen Verschuldensbegriff. Die Lehre spricht sogar gelegentlich von der »relativit8 de la faute causale«.1727 Vorgeschlagen wurde, die Relativität des Verschuldens und die Haftungseingrenzung aufgrund der policy reasons in Frankreich anzuerkennen.1728 Diese Postulate dürften für einen französischen Jurist häretisch erscheinen, sie spiegeln jedoch die Realität der Haftung für eigenes Fehlverhalten nach Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC) wider. (526) Im spanischen Recht werden die Sorgfaltspflichten ebenfalls immer stärker kasuistisch formuliert.1729 Die Aufgabe der Konkretisierung der einzelnen Sorgfaltspflichten erfüllt die Rechtsprechung.1730 Dazu trägt die Ausführlichkeit der spanischen Urteile bei. Die Sammelbände der Rechtsprechung sind nach den Typen der schadensverursachenden Tätigkeiten aufgegliedert.1731 1722 1723 1724 1725 1726 1727 1728 1729 1730 1731

Le Tourneau, Droit de la responsabilit8 et des contrats6, Rn. 6716ff. AaO, Rn. 6715. AaO, Rn. 6818 mit Verweis auf Cass. crim. v. 22. 12. 1960, D. 1961, 42. AaO, Rn. 6834. AaO, Rn. 6745 mit Verweis auf Cass. civ. 25. 1. 2001, RCA 2001, Nr. 102. Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 358; Roynette, Drawing the Line of the Scope of the Duty of Care in American Negligence and French Fault Based Liability, JCLS 2015, S. 68. Roynette, Drawing the Line of the Scope of the Duty of Care in American Negligence and French Fault Based Liability, JCLS 2015, S. 68. D&ez-Picazo y Ponce de Lejn, Derecho de daÇos, S. 121. PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 518. O’Callaghan MuÇoz, Ckdigo Civil comentado y con jurisprudencia6, S. 2005ff unterteilt Arzthaftung, Arbeitsunfälle, Straßenverkehrsunfälle, Schienenverkehrsunfälle, Produkthaftung, Haftung der Minderjährigen, Corridaunfälle und pirotechnische Unfälle, Ver-

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Diese Konkretisierung ermöglicht eine einfachere Einschätzung der Anforderungen und reduziert die Kosten vieler wirtschaftlicher Tätigkeiten.1732 Sehr wichtig ist die Durchsichtigkeit dieser Prozesse für die Öffentlichkeit. Wenn die Sorgfaltspflichten nicht ausformuliert wären, hätte das folgende negativen Auswirkungen1733 : (i) Steigerung der Versicherungskosten, (ii) seltenere Vornahme sozial nützlicher Tätigkeiten und (iii) Unvorhersehbarkeit der Gerichtsentscheidungen. Die Kritiker behaupten jedoch, dass die Typisierung nicht weit genug geht. Die spanische Rechtsprechung erfülle ihre Aufgabe der Formulierung des Katalogs der Pflichten nicht genügend und stelle aufgrund des verobjektivierten Verschuldensbegriffes eine Sorgfaltspflichtverletzung in zu vielen Fällen fest.1734 Auch die Rechtsprechung hebt die Notwendigkeit der Typisierung des Verschuldens hervor und fordert eine Berücksichtigung der besonderen Umstände des jeweiligen Tätigkeitsbereiches.1735 (527) Interessant ist der polnische Versuch, anhand der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs eine Typologie der »empirischen« Delikte zu entwerfen. Die Autoren listen die einzelnen in der Judikatur entwickelten Tatbestände auf.1736 Vorgeschlagen wurde die Aufteilung der deliktsrechtlichen Sachverhalte in die Sachverhalte, welche keine Zweifel in der Rechtsprechung erregen und die, welche problematisch sind.1737 Als problematische Fälle wurden folgende beispielsweise folgende aufgelistet: (i) Tätigkeiten des falsus procurator (ii) Verweigerung des Schwangerschaftsabbruchs, (iii) Produzentenhaftung vor der Implementierung der Produkthaft-RL und (iv) verschuldetes Einleiten eines Vollstreckungsverfahrens aufgrund eines nicht rechtskräftigen Mahnbescheids.1738 Postuliert wird ferner, Sorgfaltsmaßstäbe anhand insbesondere deontologischer Regeln für die einzelnen Gesellschaftsgruppen zu formulieren.1739 Die Generalklausel der Haftung für eigenes Fehlverhalten ermöglicht eine ständige Entwicklung neuer Kategorien der unerlaubten Handlungen.1740

1732 1733 1734 1735 1736 1737 1738 1739 1740

waltungshaftung, responsabilidad derivada de la interposicijn de interdictos, Brandunfälle, Schwimmbadunfälle, Sportunfälle, Aufzugunfälle und Sturzunfälle; Santos Briz, in: Alb#car Ljpez (Hrsg.) Cjdigo civil. Doctrina y Jurisprudencia VI4, S. 1515ff. PeÇa Ljpez, La culpabilidad en la responsabilidad civil extracontractual, S. 519. AaO, S. 519f. AaO, S. 520. Urt. TS v. 3. 7. 1998, STS 4457/1998, RJ 1998, 5411. Lackoron´ski/Raczkowski, in: Osajda (Hrsg.), Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 415, Rn. 79ff. AaO, Rn. 80. AaO, Rn. 82. Machnikowski, in: Olejniczak (Hrsg.) System Prawa Prywatnego VI2, § 15, Rn. 40. Bagin´ska, Tendencje rozwojowe odpowiedzialnos´ci deliktowej w Europie w kon´cu XX i na pocza˛tkach XXI wieku, in: Nesterowicz (Hrsg.) Czyny niedozwolone w prawie polskim i prawie porjwnawczym, S. 61.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

(528) Im schweizerischen Recht wird von Sorgfaltspflichten in den jeweiligen Verkehrskreisen gesprochen. Diese werden beispielsweise nach Alter oder Erfahrung des Schädigers gebildet.1741 Die Methode basiert auf einer Fallgruppenbildung.1742 Anders jedoch als in anderen Rechtsordnungen werden im schweizerischen Recht die Sorgfaltspflichten typischerweise nicht aufgelistet. Diese vergleichsweise geringe Typisierung des Verschuldens resultiert aus der prägnanten Rolle der Rechtswidrigkeit und der Adäquanz bei der Haftungseingrenzung. Vor allem im Falle der reinen Vermögensschäden werden die Sorgfaltsanforderungen – zumindest teilweise – unter der Rechtswidrigkeit geprüft. Typisch ist auch die Auflistung der Folgen in der Voraussetzung der adäquaten Kausalität.1743 bb) Rechtswidrigkeit (529) Die Systeme, welche der Rechtswidrigkeit eine bedeutende Rolle zusprechen, gehen von der Polymorphie des Begriffes aus. Dies ist im schweizerischen und polnischen Recht der Fall. (530) Das schweizerische Recht unterscheidet nach der herrschenden Theorie der objektiven Rechtswidrigkeit zwischen der Verletzung der absoluten Rechte und der Verletzung der anderen Interessen.1744 Bei der Sorgfaltspflichttheorie ist ebenfalls kein einheitlicher Rechtswidrigkeitstest zu finden. Die »Vernünftigkeit« des Verhaltens soll anhand der Verhaltensnormen, des voraussehbaren Risikos, der Wahrscheinlichkeit und des Ausmaßes des Schadens sowie der Möglichkeiten der Schadensvermeidung beurteilt werden.1745 Die Kriterien sind den Zurechnungskriterien des Verschuldens sehr ähnlich. Deswegen soll sich die Rechtswidrigkeit nur auf die schadensverursachende Handlung beziehen und die objektive Seite des Verschuldens beschreiben, was auch mit der gemeinsamen europäischen Terminologie in Einklang stünde.1746 (531) Das polnische Recht unterscheidet demgegenüber nach der Art der Normen, deren Verletzung die Rechtswidrigkeit begründet. Feststellbar sind darüber hinaus gewisse Tatbestandssituationen, in welchen die mangelnde Rechtswidrigkeit die Ersatzfähigkeit ausschließt. In diesem Zusammenhang wird die Generalklausel vor allem durch die Prinzipien des gesellschaftlichen

1741 1742 1743 1744 1745 1746

Huguenin, Obligationenrecht. Allgemeiner und Besonderer Teil, Rn. 1981. Oswald, Analyse der Sorgfaltspflichtverletzung, S. 65ff. Siehe, Rn. 535. Siehe, Rn. 187ff. Werro, in: Th8venoz/Werro (Hrsg.) Code des obligations I2, Art. 41, Rn. 88. Ders., Die Sorgfaltspflichtverletzung als Haftungsgrund nach Art. 41 OR, ZSR 116/1997, S. 357.

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Zusammenlebens konkretisiert.1747 Auch die immer wieder spezialisierten deontologischen Normen tragen zur Konkretisierung der Rechtswidrigkeit bei.1748 Selbst wenn die Rechtswidrigkeit nur als eine Verletzung von gesetzlichen Normen angesehen wird, spricht die Lehre von einer Polymorphie des Begriffes, weil bestimmte Vorschriften auf die außergesetzlichen Wertungen verweisen.1749 cc) Kausalität (532) Eine einheitliche Kausalitätstheorie ist in keiner der Rechtsordnungen zu finden. Zudem sind die Grenzen zwischen den einzelnen Theorien weder stabil noch klar.1750 Die Theorien können nur im Kontext der tatsächlichen deliktsrechtlichen Konflikte gesehen werden.1751 Bereiche des Deliktsrechts, die eine besondere Regelung der Kausalität benötigen, sind beispielsweise die Arzt- oder die Rechtsanwaltshaftung. Besondere Probleme weisen zudem einzelne Verhaltensmodalitäten auf, insbesondere bei der Beteiligung mehrerer Personen. Die Polymorphie des Begriffes beruht auf der Vielfältigkeit seiner Funktionen.1752 Dies bedeutet natürlich nicht, dass die Versuche, den Kausalzusammenhang für die Zwecke des Deliktsrechts zu definieren, verfehlt sind. Es ist trotzdem notwendig, die genauen Kausalitätskriterien zu konzipieren.1753 Dafür müssen jedoch besondere Regeln für bestimmte Fallgruppen ausgearbeitet werden.1754 (533) Dass ein einheitliches Kausalitätskriterium unmöglich zu formulieren ist, beweist nicht nur die mangelnde Einigkeit bezüglich der Kausalitätsdefinition binnen der nationalen Rechtsordnungen, sondern auch die Tatsache, dass kein Harmonisierungsprojekt eine abstrakt formulierte Lösung des Problems geliefert hat. Viele Kausalitätsfragen können durch abstrakt formulierte Regeln nicht gelöst werden.1755 Dieser Verzicht, die Kausalitätskriterien gesetzlich zu 1747 Lackoron´ski/Raczkowski, in: Osajda (Hrsg.) Kodeks cywilny. Komentarz16, Art. 415, Rn. 48; Siehe, Rn. 176. 1748 Nesterowicz, Tendencje rozwojowe odpowiedzialnos´ci deliktowej w kon´cu XX i pocza˛tkach XXI wieku a ochrona poszkodowanego w prawie polskim, in: Nesterowicz (Hrsg.) Czyny niedozwolone w prawie polskim i prawie porjwnawczym, S. 35. 1749 Pietrzykowski, Bezprawnos´c´ jako przesłanka odpowiedzialnos´ci deliktowej a zasady wspjłz˙ycia społecznego, FS Szpunar, S. 179. 1750 Infantino, Causation theories and causation rules, in: Bussani/Sebok (Hrsg.) Comparative Tort Law, S. 285. 1751 AaO. 1752 Viney, Conclusion prospective, RLDC Supplement 40/2007, S. 101. 1753 AaO, S. 106. 1754 Mart&n-Casals, La »modernizacijn« del derecho de la responsabilidad civil, in: Cuestiones actuales en materia de responsabilidad civil, S. 51 mit Verweis auf die kasuistische Gestaltung der Kausalitätsregeln in den PETL. 1755 PEL/von Bar, Liab. Dam., Chapter 4, Art. 4:101, Comments, B, 13.

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regeln, wird deswegen teilweise in der rechtsvergleichenden Lehre gelobt.1756 Dagegen ist durchaus erwünscht, die Kausalitätskriterien in den einzelnen Teilbereichen der Haftung für eigenes Fehlverhalten herauszukristallisieren. (534) Sogar im polnischen Recht, in welchem die Adäquanztheorie für das ganze Schuldrecht ein vernünftiges Eingrenzungskriterium sein soll, weist der Kausalitätstest in besonderen Bereichen wesentliche Unterschiede auf. Charakteristisch ist die Schutzzweckprüfung, die grundsätzlich nur bei reinen Vermögensschäden vorausgesetzt wird.1757 Als ein weiteres Beispiel können die Voraussetzungen der Ersatzfähigkeit der vorgerichtlichen Anwaltskosten dienen.1758 Das in diesem Bereich formulierte Kriterium der »Notwendigkeit der Kostentragung« liegt außerhalb der typischen Adäquanzfragen. Dennoch wird versucht, zusätzliche Kriterien in diese Theorie hineinzuinterpretieren. (535) Im schweizerischen Recht wird hervorgehoben, dass das Adäquanzkriterium grundsätzlich ein Billigkeitsurteil ist. Dieses wird je nach der individuellen und konkreten Interessenlage kasuistisch gefällt. Das steht im Gegensatz zur Schutzzweckprüfung, bei welcher es sich um eine Subsumtion unter eine generelle und abstrakte Regel handelt.1759 Typisch sind die Auflistungen der Rechtsprechung, welche die Adäquanz bejaht oder verneint.1760 Diese Auflistungen ähneln der französischen Kasuistik bezüglich des Verschuldens.1761 dd) Schaden (536) Die Typisierung des Schadensbegriffes ist auf den ersten Blick mit der Idee einer Generalklausel nicht zu vereinbaren. Die Tendenz, die einzelnen Schadensarten unterschiedlich zu behandeln, ist jedoch gemeineuropäisch.1762 Sie ist

1756 Schulze, Non-contractual liability arising out of damage caused to another in the DCFR, in: Sagaert/Storme/Terryn (Hrsg.) The Draft Common Frame of Reference: national and comparative persperctives, S. 227. 1757 Siehe, Rn. 243. 1758 Urt. OG v. 13. 3. 2012, Az. III CZP 75/11: »In einem normalen Kausalzusammenhang ist die Beauftragung der Rechtshilfe dann erforderlich, wenn der Gesundheitszustand, die persönliche Qualifikationen oder die Lebenslage des Geschädigten die Notwendigkeit der Rechtshilfe zwecks des effektiven und ökonomisch rentablen Verlaufs des Liquidationsverfahrens begründen. Solche Kosten sind in Übereinstimmung mit dem Willen des Geschädigten zu tragen, denn die Entscheidung über die Notwendigkeit der Kostentragung ist nicht frei, sondern durch das schadensursächliche Ereignis erzwungen (…)«. 1759 Lauri, Kausalzusammenhang und Adäquanz im schweizerischen Haftpflicht- und Versicherungsrecht, S. 113f. 1760 Brehm, Berner Kommentar VI 1/3/1, OR, Art. 41, Rn. 129 und Rn. 144; Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht. Allgemeiner Teil. Band I5, § 3, Rn. 28ff. 1761 Siehe, Rn. 524. 1762 Magnus, Comparative Report on the Law of Damages, in: Magnus (Hrsg.) Unification of Tort Law : Damages, S. 191ff.

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sogar im französischen Recht ersichtlich.1763 Eigentlich ist für eine Generalklausel der Haftung für eigenes Fehlverhalten die grundsätzliche Ersatzfähigkeit aller Schadensarten charakteristisch. Diese Eigenschaft setzt die einheitliche Formulierung der Voraussetzungen jedoch nicht voraus. Die Grenzen der Ersatzfähigkeit werden auch von der Art des Schadens beeinflusst. (537) Sogar im französischen Recht wird vorgeschlagen, trotz des einheitlichen Charakters des Schadensbegriffes, die einzelnen Schadensarten gesondert zu behandeln.1764 Als Grundsatz bleibt zwar, dass alle Schadensarten nach den allgemeinen Regeln des Deliktsrechts ersatzfähig sind.1765 Die steigende Zahl der ersatzfähigen Schadensarten erfordert jedoch eine Kategorisierung.1766 Zur Entwicklung der besonderen Ersatzfähigkeitsregeln kann insbesondere der schwerwiegende Charakter einiger Schadensarten führen.1767 Relativ zu verstehen ist insbesondere die Voraussetzung der Gewissheit des Schadens.1768 Diese Differenzierungstendenzen zwischen den einzelnen Schadensarten sind darüber hinaus in den Reformentwürfen sichtbar.1769 Vor allem im Entwurf Terr8, der eine detaillierte Regelung der besonderen Deliktstatbestände enthält, ist dies der Fall.1770 Der Entwurf Catala sieht eine Sonderstellung der Personenschäden vor.1771 Zu den Schadensarten, deren Ersatzfähigkeit eingegrenzt wird, zählen vor allem die reinen Vermögensschäden und die immateriellen Schäden. Eine gesonderte Regelung wurde im Falle der ökologischen Schäden bereits durch die 1763 Starck, Essai d’une th8orie g8n8rale de la responsabilit8 civile consid8r8e en sa double fonction de garantie et de peine priv8e, 1947. a. A. Galand-Carval, Damages under French Law, in: Magnus (Hrsg.) Unification of Tort Law : Damages, S. 80f. 1764 R8my, R8flexions pr8liminaires sur le chapitre Des d8lits, in: Terr8 (Hrsg.) Pour une r8forme du droit de la responsabilit8 civile, S. 38. Als erster hat die Notwendigkeit der Typisierung des Schadensbegriffes Starck formuliert : Starck, Essai d’une th8orie g8n8rale de la responsabilit8 civile consid8r8e en sa double fonction de garantie et de peine priv8e, 1947. 1765 Viney, Pour ou contre un principe g8n8ral de responsabilit8 pour faute? OULR 2002, Nr. 49, S. 36 beschreibt aber den Einfluss dieser Idee in der französischen Lehre als sehr unbedeutsam; Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 248; Galand-Carval, Damages under French Law, in: Widmer (Hrsg.) Unification of Tort Law : Damages, S. 80. 1766 Brun, Responsabilit8 civile extracontractuelle4, Rn. 208. 1767 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 248. 1768 Galand-Carval, Damages under French Law, in: Magnus (Hrsg.) Unification of Tort Law : Damages, S. 84; Siehe, Rn. 316ff. 1769 Bicheron, Les dispositions comunes aux responsabilit8s contractuelle et extracontractuelle, in: Mekki (Hrsg.), Avant-projet de r8forme du droit de la responsabilit8 civile: l’art et la technique du compromis, S. 71 spricht von der diversit8 des pr8judices r8parables; Siehe, Rn. 429. 1770 Viney/Jourdain/Carval, Les conditions de la responsabilit84, Rn. 248. 1771 Giliker, Codifying Tort Law : Lessons From The Proposals For Reform Of The French Civil Code, JCLQ 2008, S. 578 spricht sogar von »viktimophilen Intentionen« der Autoren des Entwurfs.

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Novellierung von 2016 eingeführt. Typisch ist dabei, im Unterschied zu der Generalklausel von Art. 1382 fr. CC (nunmehr : Art. 1240 fr. CC), die Fokussierung auf die Schadensart und nicht auf das Verschulden. (538) Die spanische Lehre hebt demgegenüber hervor, dass die Generalklausel von Art. 1902 span. CC nicht von einer Typisierung (typicidad) des Schadensbegriffes ausgeht.1772 Der Begriff der Typisierung wurde von der italienischen Lehre übernommen und bezieht sich auf die Rechtsordnungen, die bestimmte Schadensarten von der Ersatzfähigkeit im Deliktsrecht ausschließen.1773 Der in dieser Arbeit vorgeschlagene Begriff meint demgegenüber nicht den Ausschluss der Ersatzfähigkeit bestimmter Schadensarten, sondern die unterschiedliche Gestaltung der Haftungsvoraussetzungen. In diesem Zusammenhang wird im spanischen Recht ebenfalls für die Einführung eines differenzierten Schadensbegriffes plädiert. Charakteristisch sind Aussagen, welche die Unterschiedlichkeit der Schadensarten hervorheben: »el daÇo no puede darse un concepto unitario por la diversidad de matices que abarca«.1774 Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung besondere Regeln der Ersatzfähigkeit entwickelt, was sogar als case law bezeichnet wird.1775 (539) Das Erfordernis zwischen einzelnen Schadensarten zu unterscheiden, wird auch im helvetischen Recht anerkannt. Es ergibt sich schon aus der objektiven Rechtswidrigkeitslehre, die einen stärkeren Schutz der absoluten Rechte vorsieht. Durch die Anwendung des Rechtswidrigkeitsbegriffes des deutschen Deliktsrechts kommt es zur Typisierung des Schadens nach dem Muster von § 823 Abs. 1 BGB. Weitere Gründe für die Typisierung bilden die unterschiedlichen Methoden der Schadensberechnung sowie die Eingrenzung der Haftung auf bestimmte Schadenskategorien in den Spezialgesetzen.1776 b) Typisierung der Haftungsnormen (540) Bei der Typisierung der Haftungsnormen handelt es sich um die gesonderte Behandlung der deliktsrechtlichen Strukturtypen. In allen untersuchten Rechtsordnungen gibt es Rechtsnormen, die Teilbereiche der Haftung für eigenes Fehlverhalten betreffen. Eine besondere Rolle bei der Entwicklung dieser Normen spielt die Rechtsprechung. Darüber hinaus werden einige besondere Tatbestände gesetzlich geregelt. 1772 1773 1774 1775 1776

Vicente Domingo, in: Reglero Campos (Hrsg.) Tratado de Responsabilidad Civil I4, S. 309. Alpa, Il problema della atipicit/ dell’illecito, 1979. Santos Briz, in: Alb#car Ljpez (Hrsg.) Cjdigo civil. Doctrina y Jurisprudencia VI4, S. 1358. Puig Brutau, Fundamentos de derecho civil. II-3, S. 76. Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht1, Rn. 192ff; Kessler, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hrsg.) Basler Kommentar zum schweizerischen Privatrecht I6, Art. 41, Rn. 10 deutet auf den Ausschluss von reinen Vermögensschäden im Rahmen von Art. 58 Abs. 1 Strassenverkehrsgesetz hin.

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(541) Die topische Denkweise wurde beispielsweise bei der Entwicklung der beweglichen Kriterien der imputacijn objetiva im spanischen Recht angewendet.1777 In der Rechtsprechung haben sich Fallgruppen entwickelt, welche den Kriterien eine für das spanische Deliktsrecht besondere Bedeutung geben. So soll sich zum Beispiel laut der spanischen Rechtsprechung das Kriterium des Regressverbots aus der »topoi [leyes] del razonamiento pr#ctico« ergeben.1778 Es handelt sich um praktische und sachverhaltsbezogene Argumente, welche die richterliche Entscheidung beeinflussen. (542) Sogar im französischen Recht wurde eine Typisierung der deliktsrechtlichen Haftungsnormen vorgeschlagen. Einen Grundsatz der Typisierung (un principe de typicit8) der besonderen Einzeltatbestände formulierte der Entwurf Terr8. Gemäß Art. 19 S. 2 »sauf disposition contraire, il n’est pas possible, pour un mÞme fait dommageable, du cumuler le b8n8fice des rHgles propres aux diff8rents d8lits sp8ciaux pr8vus / la pr8sente section.« Der Grund für die Einführung der Einzeltatbestände war die Tatsache, dass die Haftungskriterien sich nach der jeweiligen Interessenabwägung unterscheiden.1779 Unter den einzelnen besonderen Tatbeständen enthält der Entwurf Terr8 vor allem verschuldensunabhängige Grundlagen. Angesichts ihrer Bedeutung wurde jedoch die Haftung für Gesundheitsschäden gesondert geregelt.1780 Zwar haben sich die Autoren mit ihrem Projekt nicht durchgesetzt, jedoch enthält der Entwurf des Ministeriums ebenfalls einige typisierte Normen.1781 (543) Im schweizerischen und polnischen Recht ist die topische Denkweise in einigen gesetzlichen Regelungen erkennbar. Einen solchen Charakter hat beispielsweise der kasuistisch formulierte Art. 59a OR. Die Norm reguliert die

1777 Garc&a-Ripoll Montijano, Imputacijn objetiva, causa prjxima y alcance de los daÇos indemnizables, S. 222; PeÇa Ljpez, Dogma y Realidad de Derecho de DaÇos: Imputacijn Objetiva, Causalidad y Culpa en el Sistema EspaÇol y en los PETL, S. 84. 1778 Urt. TS v. 7. 5. 2007, STS 4241/2007, RJ 2007, 3553: »infringiendo la prohibicijn de regreso que imponen los topoi [leyes] del razonamiento pr#ctico.« zitiert in Urt. v. TS 10. 6. 2008, STS 4313/2008, RJ 2008, 4246 und Urt. TS v. 29. 1. 2010, STS 291/2010, RJ 2010, 418. 1779 R8my/Borghetti, Pr8sentation du projet de r8forme du droit de la responsabilit8 d8lictuelle, in: Terr8 (Hrsg.) Pour une r8forme du droit de la responsabilit8 civile, S. 72. 1780 Borghetti, Des principaux d8lits sp8ciaux, in: Terr8 (Hrsg.) Pour une r8forme du droit de la responsabilit8 civile, S. 183. 1781 Abschnitt 2 (»RHgles particuliHres / la r8paration des pr8judices r8sultant de certaines cat8gories de dommages«) des Kapitels IV (»Les effets de la responsabilit8«) regelt in den einzelnen Unterabschnitten die Ersatzfähigkeit: 1) der Personenschäden (»RHgles particuliHres / la r8paration des pr8judices r8sultant d’un dommage corporel«) Art. 1267ff; 2) der Sachschäden (»RHgles particuliHres / la r8paration des pr8judices r8sultant d’un dommage mat8riel«) Art. 1278ff ; 3) der Umweltschäden (»RHgles particuliHres / la r8paration des pr8judices r8sultant d’un dommage environnemental«) Art. 1279-1 und 4) der Schäden aufgrund des Zahlungsverzugs (»RHgles particuliHres / la r8paration des pr8judices r8sultant du retard dans lepaiement d’une somme d’argent«) Art. 1280.

278

Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

Haftung des Inhabers des Signaturschlüssels.1782 Von Anfang an enthielten die polnische und schweizerische Kodifikation darüber hinaus besondere Regeln zur Ersatzfähigkeit des Schadens bei Körperverletzungen.1783 (544) Bei der Ausformulierung der Vertragstypen spielte der Rechtsverkehr die Hauptrolle.1784 Für die Ausformulierung der deliktsrechtlichen Strukturtypen ist vor allem die Rechtsprechung entscheidend. In diesem Sinne wird von richterlichen Normen gesprochen, die »unverzichtbare Zwischenschritte auf dem Weg von der Generalklausel zur konkreten Fallnorm« bilden.1785 Die schon bestehenden deliktsrechtlichen Strukturtypen umfassen sowohl gesetzliche als auch gerichtliche bzw. dogmatische Lösungen. Aus der Kasuistik der einzelnen Bereiche sollten Topoi herauskristallisiert werden, die einen adäquaten Übergang zwischen dem individuellen Fall und der begrifflichen Regelbildung ergeben.1786 (545) Statt die topische Struktur der Haftung für eigenes Fehlverhalten einzugestehen, verwendet die Lehre und die Rechtsprechung im Rahmen der jeweiligen Teilbereiche besondere Begriffe, welche die Haftung eingrenzen bzw. ausweiten. Als Beispiel dafür kann der französische terminus technicus des l’int8rÞt l8gitime juridiquement prot8g8 dienen.1787 Der Begriff wurde nur dazu verwendet, die Ansprüche der Konkubinen nach dem Tod ihres Lebensgefährten auszuschließen. Würde in diesem Falle die topische Denkweise angewandt, wäre die Entwicklung eines abstrakt-allgemeinen Begriffes, der angeblich für das ganze Deliktsrecht gelten sollte, nicht notwendig. Die Cour de cassation müsste sich dann eher die Frage stellen, ob im Lichte der Interessensabwägung ein Anspruch begründet ist oder nicht. Ähnliche Probleme verursacht im polnischen Recht die Theorie der relativen Rechtswidrigkeit. Es wird stets versucht, sie für den ganzen Bereich der Deliktshaftung anerkennen oder abzulehnen. Dies führt zu einer widersprüchlichen Rechtsprechung des polnischen Obersten Gerichthofs. Dadurch führen die Versuche, untypische Fälle mit Hilfe der angeblich allgemein geltenden abstrakten Rechtsbegriffe zu lösen, zu begrifflichen und systematischen Unstimmigkeiten.

1782 Abs. 2 dieser Rechtsnorm definiert die besonderen Sorgfaltsanforderungen an den Inhaber des Signaturschlüssels: »Die Haftung entfällt, wenn der Inhaber des Signaturschlüssels glaubhaft darlegen kann, dass er die nach den Umständen notwendigen und zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat, um den Missbrauch des Signaturschlüssels zu verhindern.« 1783 Art. 444 poln. ZGB und Art. 46 OR. 1784 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6, S. 466. 1785 Ohly, Generalklausel und Richterrecht, AcP 201 (2001), S. 47. 1786 Leenen, Typus und Rechtsfindung: die Bedeutung der typologischen Methode für die Rechtsfindung dargestellt am Vertragsrecht des BGB, S. 70. 1787 Siehe, Rn. 288.

Vorschläge für eine leistungsfähigere Systembildung

5.

279

Zwischenergebnis

(546) Die Haftung für eigenes Fehlverhalten weist topische Strukturen auf. Eine moderne Systembildung soll daher anerkennen, dass die Entwicklung einer allgemein geltenden subsumtionsfähigen Haftungsformel unmöglich ist. Eine beweglich formulierte Generalklausel soll als eine Programmnorm angesehen werden. Wegen des großen Spektrums der Anwendungsbereiche erfordert sie eine weitere Konkretisierung im Rahmen der einzelnen rechtlichen Strukturtypen. Diese Anpassung der Haftungsregeln sollte durch ihre Typisierung erfolgen. Sie findet aktuell einerseits dadurch statt, dass eine besondere Bedeutung der Voraussetzungen entwickelt wird, andererseits dadurch, dass besondere Haftungsnormen für einzelne Sachverhaltskonstellationen geregelt werden. So wird die Anpassung der deliktsrechtlichen Normen an die Erfordernisse der einzelnen Lebensbereiche gewährt. Die Lehre und die Rechtsprechung in den untersuchten Rechtsordnungen berücksichtigt die topische Denkweise bis dato nicht genügend. Es wird vorgeschlagen, das auf einer Generalklausel basierende System der Haftung für eigenes Fehlverhalten durch die topisch formulierten Einzeltatbestände zu ergänzen.

III.

Die Rolle der einzelnen Haftungsvoraussetzungen

(547) Um ein leistungsfähigeres System der Haftung für eigenes Fehlverhalten zu entwickeln, ist es erforderlich, die Nützlichkeit und die Bedeutung der einzelnen Haftungsvoraussetzungen zu überprüfen. Der Katalog der Voraussetzungen wird kritisiert, was die nationalen Reformentwürfe und die Harmonisierungsprojekte zeigen. In den nationalen Entwürfen sind jedoch keine gemeinsamen Tendenzen bezüglich der Bedeutung der einzelnen Voraussetzungen feststellbar. In den Harmonisierungsprojekten gibt es demgegenüber gewisse Gemeinsamkeiten in diesem Bereich: Die Loslösung vom Verschulden und von der Rechtswidrigkeit (dazu unter 1), die Herauskristallisierung der tatsächlichen Zurechnungskriterien (unter 2), die Flexibilisierung und Kontextualisierung (unter 3) sowie die Untrennbarkeit der Haftungsvoraussetzungen (unter 4). 1.

Loslösung von Verschulden und Rechtswidrigkeit

(548) Die Rechtsvergleichung hebt hervor, dass die Grenzen zwischen der Rechtswidrigkeit und dem Verschulden in den nationalen Rechtsordnungen

280

Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

nicht klar sind.1788 Diese beiden Voraussetzungen betreffen Fragen, die sich nicht sauber trennen lassen. Es wird von der Verabschiedung der Rechtswidrigkeit gesprochen.1789 Deswegen wurden alternative dogmatische Lösungen der Zurechnungsfrage vorgeschlagen. Koziol schlägt vor, diese Problematik in die Tatbestandsmäßigkeit, Sorgfaltswidrigkeit und subjektive Vorwerfbarkeit aufzuteilen.1790 Von Bar unterscheidet dagegen zwischen dem Fehlverhalten und der Vorwerfbarkeit.1791 Die Abschaffung des Verschuldens und der Rechtswidrigkeit erfordert, die unter diesen Haftungsvoraussetzungen verorteten Zurechnungsfragen auf die anderen Voraussetzungen zu übertragen. Die Harmonisierungsentwürfe lösen dieses Problem verschieden. Die PETL fokussieren die Formulierung der allgemein geltenden und beweglich gestalteten Zurechnungskriterien. Diese sind insbesondere in Art. 3:201 PETL aufgelistet. Der DCFR demgegenüber flexibilisiert und kontextualisiert die Haftungsvoraussetzungen durch die Ausformulierung von Einzeltatbeständen für bestimmte Schadensarten. (549) In den nationalen Rechtsordnungen wird ebenfalls gelegentlich gefordert, auf das traditionelle Verständnis des Verschuldens zu verzichten. Im spanischen Recht soll die Einführung der imputacijn objetiva zu einer »amputacijn del concepto cl#sico de culpa« geführt haben.1792 Von einem gemeinsamen Trend in den nationalen Rechtsordnungen zu sprechen, wäre aber falsch. Sowohl im französischen1793 als auch im helvetischen Recht1794 wird eine Resubjektivierung des Verschuldens und der Wiederaufbau seiner ursprünglichen Rolle postuliert. Das Verschulden soll verstärkt werden, weil es erforderlich sei, die Haftung einzugrenzen. So solle die Haftung für eigenes Fehlverhalten ihre ursprüngliche Bedeutung wiedererlangen. (550) Diese gegenläufigen Tendenzen zeigen, dass der Streit um die Rolle des Verschuldens und der Rechtswidrigkeit in den nationalen Systemen noch nicht entschieden worden ist. Angesichts der Ergebnisse der Harmonisierungsprojekte ist eine Rückkehr zu dem traditionellen Verständnis des Verschuldens jedoch nicht gerechtfertigt. Eine erneute Fokussierung des subjektiven Verschuldens wäre eine Flucht vor den tatsächlichen Problemen der Haftungseingrenzung. 1788 Koziol, Rechtsvergleichende Schlussbemerkungen, in: Grundfragen des Schadenersatzrechts aus rechtsvergleichender Sicht, Rn. 8/219. 1789 Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, in: Zimmermann (Hrsg.) Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, S. 214f. 1790 AaO, Rn. 8/223. 1791 von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, Rn. 209. 1792 PeÇa Lopez, Dogma y Realidad de Derecho de DaÇos: Imputacijn Objetiva, Causalidad y Culpa en el Sistema EspaÇol y en los PETL, S. 142ff. 1793 Siehe, Rn. 403. 1794 Siehe, Rn. 406.

Vorschläge für eine leistungsfähigere Systembildung

2.

281

Stattdessen: Fokus auf die beweglichen Zurechnungskriterien

(551) Statt der ständigen Versuche die abstrakt-allgemeinen Voraussetzungen genauer zu definieren, sollten sich die nationalen Rechtsordnungen auf die Suche nach den beweglichen Zurechnungskriterien der Haftung für eigenes Fehlverhalten konzentrieren. Zur Enthüllung dieser Kriterien haben die Harmonisierungsprojekte beigetragen. Trotz der unterschiedlichen dogmatischen Verortung dieser Kriterien weisen die beiden Projekte viele Gemeinsamkeiten auf. (552) Zu den Zurechnungskriterien im DCFR gehören sowohl die Voraussetzungen der rechtlichen Relevanz des Schadens als auch die Kriterien der erforderlichen Sorgfalt. Als Kriterien der rechtlichen Relevanz der Schadensarten listet Art. 2:101 Abs. 3 DCFR (i) den Haftungsgrund, (ii) die Art und die kausale Nähe des Schadens, (iii) die vernünftigen Erwartungen des Geschädigten und (iv) policy reasons auf. Ferner nennt die Kommentierung zum Art. 3:102 DCFR als maßgebliche Kriterien der erforderlichen Sorgfalt (i) die Art und en Umfang des drohenden Schadens, (ii) eine besondere Nähe- oder Vertrauensbeziehung zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten und (iii) die Bekanntheit des Risikos.1795 (553) In den PETL erfüllen diese Rolle nicht nur die ausdrücklich so bezeichneten Zurechnungskriterien, sondern auch die Beurteilungsfaktoren der erforderlichen Sorgfalt. Die PETL listen unter anderem folgende Zurechnungskriterien in Art. 3:201 auf: (i) die Vorhersehbarkeit des Schadens, (ii) die Natur und der Wert der geschützten Interessen, (iii) den Haftungsgrund, (iv) das Ausmaß des allgemeinen Lebensrisikos und (v) den Schutzzweck der verletzten Norm. Als Kriterien der erforderlichen Sorgfalt wurden (i) die Natur und der Wert der betroffenen geschützten Interessen, (ii) die Gefährlichkeit der Aktivität, (iii) die Sachkunde, (iv) die Vorhersehbarkeit des Schadens, (v) das Näheverhältnis oder die besondere Beziehung zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten und (vi) die Verfügbarkeit und Kosten vorbeugender oder alternativer Verhaltensweisen genannt. Die beiden Kataloge sind offen und enthalten teilweise die gleichen Beurteilungskriterien. (554) Eine gemeinsame Tendenz der beiden Harmonisierungsprojekte ist daher die Ausarbeitung der beweglichen Zurechnungskriterien der Haftung und der Verzicht auf die abstrakt-allgemeinen Begriffe. Dies ist natürlich mit dem fehlenden gemeineuropäischen Verständnis der Hauptbegriffe des Deliktsrechts zu erklären. Diese neue Vorgehensweise kann jedoch einen Impuls für das Umdenken der nationalen dogmatischen Systeme des Deliktsrechts setzen.

1795 PEL/von Bar, Liab. Dam., Chapter 3, Art. 3:102, Comments, C, 19.

282 3.

Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

Typisierung und Kontextualisierung der Voraussetzungen

(555) Ein Hauptvorteil der typisierten und kontextualisierten Voraussetzungen ist ihr Bezug zu den tatsächlichen Problemen des Lebens. Bei der Typisierung geht es um das Eingeständnis, dass die Voraussetzungen, abhängig von der regulierten Sachverhaltskonstellation, unterschiedliche Bedeutung haben können. Die Kontextualisierung meint die Anwendung der sachverhaltsbezogenen Kriterien, um die Voraussetzung zu definieren. (556) Ein Paradebeispiel für ein System, das auf typisierten und kontextualisierten Haftungsvoraussetzungen basiert, ist der DCFR. Im Unterschied zu § 823 Abs. 1 BGB handelt es sich bei den Tatbeständen von Art. 2 DCFR nicht um eine allgemein-abstrakte Auflistung der Interessen, sondern um ein bewegliches1796 und topisch formuliertes System. Dies ist deutlich am Beispiel des »rechtlich relevanten Schadens« zu sehen. Statt einer abstrakt-allgemeinen Definition des Begriffes gibt es eine lange und nicht abgeschlossene Auflistung der Anwendungsfälle. Darüber hinaus sind die einzelnen Teildefinitionen durch die Einbeziehung der sachverhaltsbezogenen Kriterien kontextualisiert. Der topische Charakter der einzelnen Schadensarten in Art. 2 DCFR ergibt sich daraus, dass die einzelnen Normen typische Situationen betreffen.1797 Die Feststellung, ob ein verletztes Interesse einen rechtlich relevanten Schaden ergeben kann, hängt strikt von den jeweiligen Umständen der Schadensverursachung ab.1798 Der in der Rechtsvergleichung häufig formulierte Vorwurf, die Systematik des DCFR würde das System des BGB widerspiegeln1799, ist deswegen falsch. Diese Kritik übersieht die Innovation des Werkes, die aus der Typisierung und Kontextualisierung der Normen des Deliktsrechts besteht. (557) Ein Eingeständnis davon, dass es notwendig ist, die schadensbezogenen Einzeltatbestände auszuformulieren, ist die französische Regelung der ökologischen Schäden. Paradox ist nur, dass gerade diese in der Praxis eher wenig relevante Schadensart gesetzlich reguliert wurde. Zudem ist diese gesetzliche Regelung bedeutsam ausführlicher als der gesamte allgemeine Teil des Deliktsrechts. Diese doch merkwürdigen Unterschiede in der Regelungsdichte der französischen Kodifikation beweisen, dass die auf den allgemeinen Prinzipien basierende Regelungstechnik des Code civil nicht mehr zeitgemäß ist.

1796 1797 1798 1799

PEL/von Bar, Liab. Dam., Chapter 2, Introduction, B. AaO, A, 3. AaO, A, 7. Mart&n-Casals, La »modernizacijn« del derecho de la responsabilidad civil, in: Cuestiones actuales en materia de responsabilidad civil, S. 41.

Vorschläge für eine leistungsfähigere Systembildung

4.

283

Untrennbarkeit der Voraussetzungen

(558) Die einzelnen Voraussetzungen überschneiden sich im Rahmen der einzelnen Rechtsordnungen.1800 Ein System mit klar getrennten Haftungsvoraussetzungen zu bilden, ist gar nicht möglich. Auch die Autoren der Harmonisierungsentwürfe unterstreichen die Untrennbarkeit der Voraussetzungen. Die Begriffe der Zurechnung, des Schadens und der Kausalität im DCFR sind »tightly interwoven«.1801 Die Interferenzen zwischen den Voraussetzungen der Haftung kommen zum Beispiel in Art. 2:101 Abs. 3 DCFR zur Geltung. Diese Norm definiert Kriterien der Billigkeit und Angemessenheit, welche über die rechtliche Relevanz des Schadens entscheiden: »Bei der Entscheidung, ob die Gewährung eines Anspruchs auf Schadensersatz oder auf Schadensabwendung billig und angemessen wäre, sind der Grund der Verantwortlichkeit, die Art und die kausale Nähe des Schadens oder des drohenden Schadens, die vernünftigen Erwartungen der Person, die den Schaden erleidet oder erleiden würde, und allgemeine Gerechtigkeitsüberzeugungen zu berücksichtigen.« Bei der Definition des Schadens wurden also Beurteilungskriterien der anderen Voraussetzungen angewendet. Einerseits hängt die Einstufung des Nachteils als Schaden von dem Charakter des Verschuldens ab.1802 Andererseits gestaltet auch die Nähe als Kausalitätskriterium die Schadensdefinition mit.1803 Zudem beeinflussen andere Haftungsvoraussetzungen wie die Natur und Höhe des Schadens oder das Niveau der Fahrlässigkeit die Kausalitätsprüfung.1804

IV.

Zwischenergebnis

(559) Ein modernes System der Haftung für Fehlverhalten sollte aus einer beweglich formulierten Grundnorm einerseits und topisch formulierten Einzeltatbeständen andererseits bestehen. Dabei handelt es sich um eine neue dogmatische Perspektive, die keine Eingriffe in das positive Recht erfordert. Vielmehr geht es um die Anerkennung der beweglichen und topischen Denkweisen im Deliktsrecht. Neben dem System einer Generalklausel, das für Flexibilität sorgt, und dem System der Einzeltatbestände, das die Rechtssicherheit ge-

1800 1801 1802 1803 1804

Siehe, Rn. 349ff. PEL/von Bar, Liab. Dam., Chapter 1, Introduction, C, 23. PEL/von Bar, Liab. Dam., Chapter 2, Art. 2:101, Comments, E, 18. AaO, 21. Infantino, Causation theories and causation rules, in: Bussani/Sebok (Hrsg.) Comparative Tort Law, S. 285f; Slim, Le lien de causalit8: approche comparative, RLDC Suppl8ment 40/ 2007, S. 66.

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Zweiter Teil: Vorschläge zur modernen Systembildung

währleistet, befindet sich ein polymorphes System, dessen Gestalt die deliktsrechtlichen Harmonisierungsprojekte bereits skizziert haben.

Ergebnisse und Ausblick

§ 11 Begrenzte Leistungsfähigkeit der traditionellen Dogmatik (560) Nach über zwei Jahrhunderten der Versuche, die Begriffe »Verschulden«, »Rechtswidrigkeit«, »Kausalität« und »Schaden« zu konkretisieren, ist es offensichtlich, dass eine für den gesamten Bereich der Haftung für eigenes Fehlverhalten taugliche Definition nicht möglich ist. Das traditionelle System der abstrakt-allgemeinen Voraussetzungen der Deliktshaftung erweist sich damit als nur begrenzt leistungsfähig, um eine deliktsrechtliche Generalklausel subsumierbar zu machen und gleichzeitig einzugrenzen. Die im ersten Teil der Arbeit durchgeführte Untersuchung hat gezeigt, dass diese vier Voraussetzungen nur Hülsen für die tatsächlichen Eingrenzungsstrategien sind. Die Verortung der denkbaren Sachgesichtspunkte für eine Haftungseingrenzung bei jeweils einzelnen dieser Voraussetzungen ist weitgehend beliebig. Die abstrakt-allgemeinen Begriffe haben sich von ihrer ursprünglichen Bedeutung teilweise gelöst. Die Relativität der traditionellen Haftungsvoraussetzungen zeigt sich darüber hinaus in zahlreichen Überschneidungen. (561) Daher verwundert es nicht, dass in den untersuchten Rechtsordnungen die Liste der allgemeinen Haftungsvoraussetzungen nicht ganz deckungsgleich ist. Besonders prominent ist das Fehlen der »Rechtswidrigkeit« in Frankreich. Unterschiedlich ist auch die Funktion der einzelnen Begriffe für die Haftungseingrenzung. Das Verschulden als ursprünglich wichtigste Voraussetzung hat seine Bedeutung nur in Frankreich bewahrt. Doch selbst im französischen Recht hat die Verobjektivierung des Verschuldens die haftungseingrenzende Funktion dieser Voraussetzung deutlich reduziert. In den anderen Rechtsordnungen findet die Eingrenzung der Haftung häufiger mit Hilfe der Voraussetzungen Kausalität und Rechtswidrigkeit statt. (562) Die Relativität der Haftungsvoraussetzungen führt für sich genommen noch nicht dazu, dass das System wenig leistungsfähig ist. Sie zeigt nur, dass der Haftung für eigenes Fehlverhalten kein rechtsordnungsübergreifendes natürliches System zugrunde liegt. Es wird dennoch meist versucht, neue Eingren-

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Ergebnisse und Ausblick

zungsstrategien in den abstrakt-allgemeinen Begriffen zu verorten. Diese Entwicklung trägt weiter zur Verwässerung der ursprünglichen Bedeutung der deliktsrechtlichen Haftungsvoraussetzungen bei. Erst dies verringert die Subsumierbarkeit der traditionellen Voraussetzungen der Haftung für eigenes Fehlverhalten soweit, dass das System insgesamt seine Leistungsfähigkeit einbüßt.

§ 12 Vorschläge für eine leistungsfähigere Strukturbildung (563) Das Scheitern der traditionellen Systembildung erfordert die Suche nach möglichen dogmatischen Alternativen. Auf Grundlage der hier angestellten Untersuchung der Eingrenzungsstrategien lassen sich zwei Hauptpostulate für ein modernes System der Haftung für eigenes Fehlverhalten formulieren. Erstens muss ein allgemeiner Auffangtatbestand beibehalten werden. Der Grund dafür ist, dass die Flexibilität des Systems gewährleistet werden muss. Da aber viele der denkbaren neuen deliktsrechtlichen Sachverhalte komplex sind, lässt sich die Grundnorm der Haftung für eigenes Fehlverhalten nicht in eine subsumierbare Formel bringen, sondern muss nach dem Prinzip eines beweglichen Systems gestaltet werden. Um aber für möglichst viele Fälle Rechtssicherheit zu schaffen, sollte, zweitens, ein modernes Deliktsrecht über eine Reihe von konkreteren Einzeltatbeständen verfügen, in denen charakteristische Fälle von Fehlverhalten typisiert werden. (564) Vor allem bei der Grundnorm zeigt sich ein weiteres Erfordernis, das nicht eine Gesetzesänderung, sondern nur ein Umdenken verlangt. Die Tatbestandsmerkmale »Verschulden«, »Rechtswidrigkeit«, »Kausalität« und »Schaden« sollten nicht als einzelne selbständige und voneinander trennbare Voraussetzungen verstanden werden. Diese Trennung existiert ohnehin nur vor allem in der Lehre und kaum in der Praxis. Ohne dies ausdrücklich zu sagen, lassen viele Urteilsbegründungen erkennen, dass die Haftungsvoraussetzungen der deliktsrechtlichen Grundnorm eher als Elemente eines beweglichen Systems denn als subsumierbare Tatbestandsmerkmale angesehen werden. Die Trennung in einzelne Tatbestandsmerkmale erweist sich als dogmatischer Ballast, der abgeworfen werden sollte. (565) Die Modernisierung sollte zweispurig verlaufen. Einerseits geht es um das genaue Herausarbeiten der tatsächlich angewendeten Sachgesichtspunkte für eine Haftungseingrenzung. Solche Gesichtspunkte lassen sich nicht erschöpfend auflisten. Evidente Kandidaten sind insbesondere die Vorhersehbarkeit, die Art und das Ausmaß des drohenden Schadens sowie dessen Vermeidbarkeit. Andererseits gilt es, durch vertiefte Untersuchung der schon in der Rechtsprechung anklingenden typischen Konstellationen einer Haftung für

Vorschläge für eine leistungsfähigere Strukturbildung

287

Fehlverhalten rechtliche Strukturtypen zu bilden, auf deren Grundlage der Gesetzgeber Einzeltatbestände der Haftung für eigenes Fehlverhalten formulieren kann. Auf diese Weise würde ein System entstehen, das Flexibilität mit Rechtssicherheit verbindet. Die gemeineuropäischen Harmonisierungsprojekte der Wissenschaft halten dazu zahlreiche Vorbilder bereit und sind deshalb eine wichtige Inspirationsquelle für die nationalen Rechtsordnungen.

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