Kommentar zur ›Crône‹ Heinrichs von dem Türlin 9783110926347, 9783110185959

The commentary closes a gap in the Crône research to date. It is devoted to the textual analysis of the Arthurian novel,

209 32 27MB

German Pages 858 [860] Year 2006

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Kommentar zur ›Crône‹ Heinrichs von dem Türlin
 9783110926347, 9783110185959

Citation preview

Gudrun Felder Kommentar zur >Crone< Heinrichs von dem Türlin

W G DE

Gudrun Felder

Kommentar zur >Crone< Heinrichs von dem Türlin

Walter de Gruyter · Berlin · New York

@ G e d r u c k t auf s ä u r e f r e i e m Papier, das die U S - A N S I - N o r m ü b e r Haltbarkeit erfüllt.

ISBN-13: 978-3-11-018595-9 1SBN-10: 3-11-018595-4 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die D e u t s c h e Bibliothek verzeichnet diese Publikation in d e r D e u t s c h e n Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische D a t e n sind im I n t e r n e t ü b e r h t t p : / / d n b . d d b . d e a b r u f b a r .

©

C o p y r i g h t 2006 by Walter d e G r u v t e r G m b H & Co. K G , 10785 Berlin.

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich g e s c h ü t z t . J e d e V e r w e r t u n g a u ß e r h a l b d e r e n g e n G r e n z e n d e s U r h e b e r r e c h t s g e s e t z e s ist o h n e Z u s t i m m u n g d e s Verlages unzulässig u n d strafbar. D a s gilt i n s b e s o n d e r e für Vervielfältigungen, Ü b e r s e t z u n g e n , Mikrov e r f i l m u n g e n u n d die E i n s p e i c h e r u n g u n d Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in G e r m a n y E i n b a n d g e s t a l t u n g : C h r i s t o p h e r Schneider, Berlin D r u c k u n d b u c h b i n d e r i s c h e Verarbeitung: H u b e r t & Co. G m b H & Co. K G , G ö t t i n g e n

Für Annemarie Zander Trier

(„Awa"),

Vorwort Der vorliegende Stellenkommentar zur >Crone< Heinrichs von dem Türlin wurde 2005 von der Neuphilologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde er nur noch geringfügig überarbeitet. Die erste Begegnung mit dem Roman geht auf ein Hauptseminar bei Paul Sappler im WS 1993/94 zurück; damals wurden mir zuerst die Schönheit, aber auch die vielfältigen Probleme des Romans bewußt. Paul Sappler gab schließlich auch die entscheidende Anregung, einen Stellenkommentar zu Heinrichs Roman zu verfassen — und über die vielen Jahre der Entstehung hinweg hat er mich in vielfältiger Form unterstützt: in der Diskussion grundsätzlicher Fragen zur Kommentarerstellung, in fruchtbaren Gesprächen über zahllose Einzelstellen bis hin zur selbsdosen Hilfe beim Umgang mit TUSTEP. Besonders dankbar bin ich ihm zudem für den gelungenen Satz des vorliegenden Buchs! Für hilfreiche Gespräche und Impulse danke ich ebenso herzlich Anna Mühlherr, die die aufwendige Arbeit als Zweitgutachterin freundlicherweise sehr gründlich übernommen hat. Ebenso verbunden für manch hilfreichen Rat fühle ich mich Burghart Wachinger und Derk Ohlenroth; zudem den Mitgliedern des Tübinger Mediävistischen Nachwuchsforums für anregende Gespräche. Besonders nennen möchte ich hier Cordula Michael und Nicola Zotz, die geduldige Antworten auf viele laienhafte Fragen zum Altfranzösischen gaben, und auch Henrike Lähnemann und Sandra Linden für praktische Unterstützung vielerlei Art. Auch der Austausch mit >CroneCrone< war, wie die meisten dieser Romane, daher selten Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung;7 wenn überhaupt, 2

Vollständig in der Heidelberger Handschrift Cpg 374, datiert 1479 (Sigle P); die erste Hälfte (mit Lücken) in den beiden zusammengehörenden Fragmenten V und D: die Verse 1-12281 im Codex 2779 der Österreichischen Nationalbibliothek Wien (Sigle V) sowie die Verse 12898-13503 und 14116-14721 (mit weiteren Fehlversen durch Beschnitt) in dem Fragment Linz, Oberösterreichisches Landesarchiv Sch. 3 II/4e (Sigle D), die Hs. wird datiert in das erste Viertel des 14. Jh. Zur Beschreibung und den kleineren Fragmenten vgl. ZATLOUKAL 1982 sowie die Einleitungen der Editionen KNN, S. IX-XI und EK, S. IX-XI.

3

V g l . BLEUMER 1 9 9 7 , S . 1 5 6 , A n m . 1 3 .

4

Vgl. den K o m m e n t a r zu —»9314—9425, zur Rezeption allgemein GUTWALD 2 0 0 0 , S. 3 1 2 -

314; zur Mittelalterrezeption bei Arno Schmidt vgl. auch REDEKER 1993. 5

GERVINUS 1 8 5 3 , S . 4 6 0 .

6

GRABER 1 9 4 9 , S. 2 7 4 .

7

Zusammenfassend zu diesem forschungsgeschichtlichen Problem ROSSNAGEL 1996, S. 8 ff., jetzt auch WENNERHOLD 2005, S. 252 f., der nachweist, daß der Roman immer gegensätzlich beurteilt wurde und positive Aussagen des 19. Jahrhunderts negativen des späten 20. Jahrhunderts gegenüberstellt.

Rezeptions- und Forschungsgeschichte

3

wurden vor allem quellenkritische Untersuchungen angestellt, die im Blick auf Abhängigkeiten häufig genug das negative Bild verstärkten.8 Abgesehen von der häufig zu pauschal verurteilten Edition, die Gottlob H.F. SCHOLL von Heinrichs >Crone< 1 8 5 2 vorgelegt hatte, blieben so auch die Bemühungen überschaubar, sich dem Werk Heinrichs auf textkritische Weise weiter zu nähern. Es wurden von einzelnen Forschern mehr oder minder lange Sammlungen textkritischer Überlegungen zusammengestellt;9 stil- und quellenkritische Untersuchungen wie v.a. von REISSENBERGER 1 8 7 9 , GÜLZOW 1 9 1 4 , HELLER 1 9 4 2 und KLARMANN 1 9 4 4 blieben aber ähnlich wie das Reimwörterbuch von PFOSER 1 9 2 9 vereinzelte Beiträge zur >CroneCröne< fragen und sich ihr von verschiedenen Seiten zu nähern versuchen. Neben zahlreichen Aufsätzen sind vor allem die folgenden (meist auf Dissertationen zurückgehenden) Monographien zu nennen: JILLINGS 1 9 8 0 über „The Attempted Emancipation of Secular Narrative";11 KEEFE 1 9 8 2 zur Landschaftsdarstellung und MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 über „Artusbild, Fortuna- und Gralskonzeption" (mit einem stark textkritisch orientierten Ansatz). Ebenfalls 1 9 8 9 legte THOMAS eine englische Übersetzung vor, 1990 folgte das Motivregister zu möglichen altfranzösischen Quellen von ZACH. GOUEL 1 9 9 3 widmet sich „Untersuchungen zu Prolog, Epilog und Edelsteinsymbolik", WAGNER-HARKEN 1 9 9 5 den Märchenelementen in der >Cröne< als Merkmal nachklassischer Artusepik. BLEUMER 1 9 9 7 8 9 10

11

Vgl. zuletzt noch den vom Epigonali tätsvorwurf geprägten Vergleich der >Cröne< mit Wolframs >Parzival< bei SCHRÖDER 1 9 9 2 . S o v . a . SINGER 1 8 9 4 ; EHRISMANN 1 8 9 5 ; SCHÖNBACH 1 9 0 8 ; GRABER 1 9 1 0 ; GÜLZOW

1914

und L E I T Z M A N N 1 9 2 5 ; vgl. die Zusammenstellung bei K N N , S . XXf. Vgl. die Aufsätze von EBENBAUER 1 9 7 7 zum „Sinn der >CröneParzival< möglichst zu überbieten) in dem Band „Osterreichische Literatur zur Zeit der Babenberger". Außerdem den 1981 erschienenen Tagungsband „Die mittelalterliche Literatur in Kärnten" mit den ein breites Spektrum abdeckenden Beiträgen von B U S C H I N G E R (ein Vergleich von Salye und Gral), EBENBAUER (zum Novum des verheirateten Gawein), J I L L I N G S (zur biographischen Forschung), K N A P P („Literarische Beziehungen und mögliche Auftraggeber"), S C H N E L L (zum Gerichtszweikampf), W A L L B A N K (über mögliche Parallelen zu irischem Sagengut), Wrss (zu den Wunderketten) und ZATLOUKAL (über den reflektierenden Helden). Der wiederholt zur Erklärung herangezogene Ironieverdacht wird der Vielschichtigkeit des Romans allerdings nicht immer gerecht.

4

Einleitung

untersucht „die Dialogbeziehung zwischen dem Rezipienten und der Form dieses Textes"12 in seiner Studie über „Formerfahrung und Konzeption" der >CroneCrone< noch einmal mit >ParzivalCrone< S. 1 8 2 - 2 5 3 und 3 2 1 - 3 5 3 ) . Auch die textkritische Bearbeitung des Romans hat in den letzten Jahren Fortschritte gemacht: Nach den 1996 von SCHRÖDER publizierten „Herstellungsversuchen" zu Prolog, Epilog und den beiden großen Tugendproben ist 2000 der erste Teil der kritischen Neuedition erschienen (hg. von F.P. KNAPP und M. NIESNER auf Basis der Wiener Hs. V, die die Verse 1-12281 umfaßt, Sigle KNN). Der zweite Teil (hg. von A. EBENBAUER und F. KRAGL mit den Versen 12282—30041 auf Basis der Heidelberger Hs. P, Sigle EK) ist nun im Herbst 2005 herausgekommen. Geplant ist zudem eine nhd. Ubersetzung des Romans durch A. EBENBAUER und F. KRAGL. Der vorliegende Stellenkommentar soll nun seinen Teil zur Erschließung des Romans beitragen und die kommentierenden Untersuchungen fortfuhren, die mit den knappen Anmerkungen in SCHRÖDERS „Herstellungsversuchen" angefangen wurden sowie mit einigen Erläuterungen im zweiten Apparat der neuen kritischen Ausgabe (KNN und EK), die über die Diskussion textkritischer Entscheidungen hinausgehen. Nicht zuletzt, weil es sich um die erste derartige und ausführliche Untersuchung zur >Crone< handelt, wurde dem Kommentar keine Beschränkung durch die Auswahl nur eines Teils des Romans13 oder durch eine thematische 12 13

Vgl. entsprechend sein Vorwort Anders als es z.B. die zu >Parzival< oder >Willehalm< in den vergangenen Jahren erschienenen Teilkommentare tun, die sich jeweils auf ein Buch beschränken (vgl. z.B. die Kommentare von N O L T Z E 1 9 9 5 zum I., H A R T M A N N 2 0 0 0 zum II., B A C K E S 1 9 9 9 zum V . sowie G A R N E R U S 1 9 9 9 zum V I . Buch des >Parzival< oder S C H M I D T 1 9 7 9 zum I X . Buch des

Biographische Forschung

5

Begrenzung auferlegt. Er vereint textkritische und stilistische Überlegungen zu Einzelstellen, Gliederungs-, Übersetzungs- und Verständnishilfen (teilweise in Form von Paraphrasen), Verweise auf innertextliche Zusammenhänge, Hinweise zu möglichen Quellen und Parallelen, Erläuterungen zu Realien und Hinweise auf Forschungsstandpunkte. Durch die Bemühung um ein elementares Verständnis der einzelnen Stellen soll Heinrichs Erzählabsicht deutlicher werden: was ist durch die Uberlieferung unverständlich geworden, welche Aussage verband der Erzähler mit den zahlreichen Bildern, Sentenzen oder sentenzhaft formulierten Passagen, wie lassen sich verrätselte Aussagen deuten? Vorrangiges Ziel des Kommentars ist es, zur Verständlichkeit des Romans im sachlichen Sinn beizutragen. Auch wenn sicherlich nicht alle Probleme zu klären sind, zeigt sich bei genauerer Betrachtung doch eine erstaunlich kohärente Erzählweise Heinrichs, der es nachzuspüren gilt. Die Einordnung der einzelnen Beobachtungen in eine Gesamtdeutung sehe ich nicht als Aufgabe des Stellenkommentars; sie scheint hauptsächlich in kurzen Forschungsberichten durch. Alle diese Aspekte sollen dazu beitragen, die Erzählung Heinrichs lebendiger werden zu lassen, auf der unmittelbaren Textebene ebenso wie in dem dazugehörigen Verständnishorizont, soweit dieser sich durch den Blick auf zeitgenössische Literatur, Kunst und Lebenswelt erschließen läßt. Daß sich dieses Vorgehen nicht gleichmäßig und lückenlos realisieren läßt, wird man zugestehen; es ist aber dem Anliegen verpflichtet, manche der bluomen und bilde Heinrichs auch dann noch erkennbar zu machen, wenn sie tief ergraben erscheinen (29923, 29927).

Biographische Forschung Die Frage nach der historischen Persönlichkeit Heinrichs von dem Türlin, der sich insgesamt immerhin viermal im Roman nennt,14 hat die Forschung lange intensiv beschäftigt, dabei kam es zu mancherlei Spekulationen: Nicht nur Beobachtungen zur Sprache, sondern auch die Wappenbeschreibungen sollten Heinrichs Umfeld bestimmen helfen. Der sogenannte „OsterherrenExkurs" (2938-2988) sollte sein Geheimnis preisgeben, wo hie lande (2980)

14

>WillehalmCröne< (in einen gelungenen ersten und einen nachträglich angehängten zweiten Teil) sollte zudem kein weiterer Vorschub durch einen Teilkommentar geleistet werden (vgl. auch zu —>13902). Vgl. das Akrostichon 182-201, daneben 246 f., 8774 und 10443 f.

6

Einleitung

zu finden sei, auch der mittlerweile als Schreiberanhang identifizierte Romanschluß (30000-30041) wurde wörtlich genommen.15 Das recht fest umrissene Bild des Autors als eines gebürtigen Kärntners (z.B. G R A B E R 1 9 1 0 und O R T NER 1912) bzw. eines „verwienerten Adoptivkärntners" ( K R A N Z M A Y E R 1956, S. 66), das sich dabei herauskristallisiert hatte, hat K R A T Z 1976 vehement kritisiert, allerdings ohne Alternativen anzubieten. Die Ergebnisse, die seither v. a. JILLINGS, K N A P P und WIESINGER 1 6 vorgetragen haben, bestätigen auch weiterhin, daß Heinrich von dem Türlin „sehr wohl einen südostdeutsch-oberitalienischen Hintergrund im Raum Steiermark — Kärnten — Südtirol — Friaul - Istrien besitzt, keinerlei Verbindungen zum Babenbergerhof in Wien erkennen läßt und seine ausgezeichneten Kenntnisse der französischen Literatur wahrscheinlich in Frankreich selber erworben hat."17 WIESINGER stützt diese Annahmen durch seine Untersuchungen zur Reimgrammatik, er weist Heinrichs Sprache der „mittelbairisch-wienerisch geprägten oberschichtigen Herrensprache" (S. 88) zu. Damit wird eine Herkunft aus Kärnten weder bestätigt noch ausgeschlossen. Der Sprachgebrauch des Autors entspricht der Praxis auch der anderen zeitgenössischen Dichter, sich unabhängig von ihrer Herkunft an dieser vor allem an Wien orientierten, „von der sozialen Oberschicht getragenen Verkehrssprache" (S. 89) zu orientieren. Zuletzt hat K N A P P 1994 (Bd. 1, S. 544 f.) zur biographischen Forschung mit einem Urkundenfund beigetragen: Im Tiroler Urkundenbuch findet sich eine Brixener Urkunde von 1217/1220, in der ein Geistlicher als dominus Hainricus de Hostiolo (= de Ostiolo, „von dem Türlein") innerhalb einer Zeugenreihe genannt ist. K N A P P zieht daraus den Schluß, Heinrich müsse dann „aber wohl seinen geistlichen Beruf zugunsten der unsicheren Dichterexistenz wieder aufgegeben haben"; für ihn ist Heinrich ein „auf Adelsgunst angewiesener gelehrter Fahrender" (S. 545). Unter anderem wegen der Erzählmotive, die die >Crone< mit >Laurin< und >Wolfdietrich< teilt (Rosengarten, Zwergenkönig und Drachenkampf in der Drachenhöhle),18 lokalisiert K N A P P den Roman im Tiroler Raum; als mögliche Gönner verweist er auf die Andechser, die als einzige über die nötigen Beziehungen zu Frankreich verfügten, die Heinrich offenbar hatte. 15

Vgl. v.a. die Beiträge von DIEMER 1854, REISSENBERGER 1879, SCHÖNBACH 1908, GRABER

1910 (S. 154—162 trägt er Ergebnisse der Vorgänger zusammen), GRABER 1948 und GRABER 1949 sowie KRANZMAYER 1950 und KRANZMAYER 1956. Vgl. auch zusammenfassend 16 17 18

den Forschungsbericht v o n WENNERHOLD 2005, S. 1 8 3 - 1 8 6 . Vgl. JILLINGS, Biogr. 1981 und KNAPP 1981, z u d e m WIESINGER 1991. S o die Z u s a m m e n f a s s u n g v o n WIESINGER 1991, S. 70. Vgl. dazu KRATZ 1 9 6 9 und KRATZ 1972

Gliederung von Roman und Kommentar

7

Falls Heinrich -wirklich mit dem Geistlichen der Brixener Urkunde zu identifizieren ist, hängt die Frage nach seinem Stand beim Abfassen des Romans stark von dessen Interpretation ab. K N A P P liest die >Crone< wiederholt als betont säkulares Werk, besonders im Blick auf Wunderketten und Gralskonzeption.19 Stärker die religiösen Gehalte des Romans berücksichtigende Interpretationen (v.a. des Gralsgeschehens) wie die von MENTZELREUTERS 1989 oder G U T W A L D 2000 lassen hingegen durchaus vorstellbar erscheinen, daß Heinrich seinem geistlichen Beruf treu geblieben sein könnte (vgl. den Forschungsbericht zu —>28991—29660). Seine umfassende Bildung verweist auf jeden Fall auf eine entsprechende Ausbildung, wie sie vorzugsweise in Klosterschulen geboten wurde. Die lange Zeit postulierte Autorschaft Heinrichs für das Ambraser >MantelCrone< das einzige überlieferte Werk Heinrichs.20

Gliederung von Roman und Kommentar Einziger Gliederungshinweis, den Heinrich selbst für seinen Roman vorgibt, sind die Dreireimabschnitte: eine durch Dreireimabschlüsse voneinander abgesetzte Unterteilung des Erzählflusses in Abschnitte von durchschnittlich 30 Versen Länge (die aber zwischen 11 und 97 Versen variieren können, bevorzugt sind Abschnitte zwischen 15 und 30 Versen).21 Diese Technik findet sich auch im >Wigalois23502-23505.

21

V g l . GLASSNER 1 9 9 1 , S. 8 6 .

22

Vgl. G L A S S N E R 1991, S . 87 ff., die weitere Werke mit entsprechender Gliederung aufzählt (jeweils mit ungefährer Entstehungszeit): >Rheinauer Paulus< (vor 1130); >Millstätter Sündenklage< (um 1130); >Priesterleben< des sog. Heinrich von Melk (1150/1160); >Marienmirakel von Bischof Bonus< (Ende 12.Jh.), einige weitere frühmhd. Werke, deren Uberlieferung die Dreireimtechnik jedoch nicht eindeutig belegt (>Vom RechteDie HochzeitJulianeVorauer SündenklageWigalois< (um 1204); das Ambraser >MantelEdolanz< (um 1250); Ulrich von dem Türlin: >Willehalm< (um 1250); Heinrich von Kröllwitz: >Vaterunserauslegung< (1252-1255) und >Thomas von Kandelberg< (um 1250).

8

Einleitung

ßen. Dabei wird auf der Ebene der Großgliederung bereits die enge Verzahnung und Verknüpfung der einzelnen Abschnitte untereinander deutlich, ein Bauprinzip des Romans, das sich auch bei Details immer wieder nachweisen läßt (vgl. die Gliederungsübersicht im Anhang). Von der Forschung -wurden bereits zahlreiche Vorschläge für eine Großgliederung angeboten und diskutiert, vgl. zuletzt die Zusammenfassung bei GUTWALD 2000, S. 24 ff., auch V^NNERHOLD 2005, S. 190 ff. Sie reichen von dem Gedanken der Zweiteiligkeit (SINGER, WALLBANK, KRATZ) über die Unterteilung nach den vier Hoffesten (HELLER, CORMEAU) bis zur Orientierung an der jeweils in der Handlung aufscheinenden Freude oder Trauer (so MENTZEL-REUTERS, er konstatiert einen zweimaligen Kursus von Verdunkelung, Wiederherstellung und (Schein-)Synthese). THOMAS 2002, S. 4 ff. unterteilt den Roman in acht Abschnitte, denen er Entwicklung und Festigung des Artusreichs sowie des Charakters Gaweins zugrunde legt. Dem entgegen steht die Feststellung der „Fragwürdigkeit jeglicher Suche nach einfachen romanbestimmenden Kompositionsprinzipien"23 bzw. die Hervorhebung einer „auf betonte Episodenhaftigkeit gestützten Darstellungsform".24 Hilfreich die Übersicht bei GLASSNER 1991, S. 236—248, die die älteren Vorschläge vergleicht; dort zeigt sich bereits eine gewisse Relativität all dieser Versuche. Sicherlich könnte auch die dem Kommentar zugrunde gelegte Gliederung an vielen Stellen anders angesetzt werden, im Blick auf ihre vorrangig praktische Aufgabe wird das aber nicht jeweils diskutiert. Die unterste Gliederungsebene des Kommentars orientiert sich an den Dreireimabschnitten Heinrichs, faßt aber auch mehrere solche Einheiten zusammen, wenn wenig Erläuterungsbedarf besteht, und setzt sich über diese Abschnitte hinweg, wenn es von der Handlungslogik her geboten erscheint. Diese Dreireimabschnitte werden der besseren Übersicht halber durch weitere Überschriftsebenen in größere Handlungseinheiten zusammengefaßt. Den einzelnen Kapiteln des Kommentars werden bei Bedarf mehr oder weniger ausführliche Einleitungen vorangestellt. Diese geben Hinweise auf weiterführende Literatur zu dem jeweiligen Handlungsabschnitt und zu einzelnen Motivkomplexen. Sie gehen auf den Ort einer Episode im Gesamtgeschehen ein und sprechen Interpretationsprobleme an; in diesem Zusammenhang werden auch die wichtigsten Positionen der Forschungsliteratur skizziert.

23

Vgl. WAGNER-HARKEN 1 9 9 5 , S . 2 6 .

24

GUTWALD 2 0 0 0 , S . 2 8 .

Vorgehensweise und Ergebnisse des Stellenkommmentars

9

Vorgehensweise und Ergebnisse des Stellenkommentars Im Bereich der Neuedition KNN ist deren Text Grundlage des Kommentars, der der Edition teilweise mitgegebene Kommentar wird vorausgesetzt und nur noch darüber Hinausgehendes besprochen. Für die übrigen knapp 17800 Verse liegt der Text in der Fassung von SCHOLL zugrunde. Die Neuedition, die mir die Herausgeber Alfred EBENBAUER und Florian KRAGL freundlicherweise in einer Arbeitsfassung zur Verfugung gestellt hatten, konnte aber mit herangezogen werden, so daß sich die Anmerkungen auch auf deren vorläufige Textfassung und Apparat beziehen; in der knappen Zeit zwischen Erscheinen der Edition und Drucklegung des Kommentars wurden alle Hinweise nochmals abgeglichen. Die Auswahl der kommentierten Stellen hat zwangsweise subjektiven Charakter,25 sie orientiert sich an Uberlieferungs- oder Verständnisproblemen, an auffalligen Wendungen oder Begriffen sowie an Bemerkungen der Forschungsliteratur zu Einzelstellen. Grundsätzlich stehen der Blick in die Handschriften und der Vergleich der Editionen jeweils am Ausgangspunkt der Überlegungen. Da die Editionen vielfach stark voneinander abweichen, stellt sich häufig die Frage, wie der Text wohl am besten zu verstehen sein dürfte. Für den gesamten Kommentar werden Lesarten und textkritische Anmerkungen sowie die Interpunktion der Herausgeber dann diskutiert, wenn dadurch die Verständlichkeit des Textes berührt wird. Im Zweifelsfall werden auch eigene Vorschläge gemacht. Im Bereich ab Vers 12282 werden verstärkt Lesartenabweichungen dokumentiert (aus der Perspektive eines Nutzers der Edition von SCHOLL), sofern sie Einfluß auf das Verständnis haben. EK verzeichnet die Textüberlegungen der Forschung weitgehend; der Kommentar verweist aber dann auf die Lesarten von SCHOLL, wenn diese zur Deutung beitragen (z.B. bei Langvokal oder ungebräuchlichen Schreibweisen). Untersuchungen zu Worten und Begriffen behalten die Uberlieferungssituation der >Cröne< im Blick; Parallelbelege in anderen Texten werden daher immer auch daraufhin untersucht, ob es sich um einen zu Beginn des 13. Jahrhunderts gebräuchlichen Begriff handeln könnte, oder ob er zu jung scheint, also mit einem Eingriff des Schreibers des 15. Jahrhunderts gerechnet werden muß. Bei diesen Studien zum Wortschatz fallt auch immer wieder auf, daß Heinrich viele Neologismen benutzt hat. Häufig wandelt er einen bekannten Stamm ab, indem er ihn mit ungewöhnlichem Präfix oder Suffix 25

In diesem Sinne z . B . auch die entsprechende Feststellung bei ähnlich HEINZLE 1 9 7 2 , S. IX.

HARTMANN 2 0 0 0 ,

S.

16;

vgl.

10

Einleitung

verbindet, er bildet aus Adjektiven neue Verben, oder er fugt neue Komposita zusammen.26 Aber nicht nur für das Mittelhochdeutsche zeigen die Wortuntersuchungen eine sprachschöpferische Neigung Heinrichs. Neben einer wohl nicht zu unterschätzenden klassischen Bildung (die sich vor allem in zahlreichen Anspielungen auf mythologische Motive manifestiert, daneben in wenigen lateinischen Einsprengseln)27 verfügte Heinrich vor allem über eine ausgezeichnete Kenntnis der französischen Sprache, mit der er recht souverän umzugehen verstand. So finden sich (neben zahlreichen Belegen für seine stupende Vertrautheit mit der frz. Literatur) viele in den Text eingefügte Begriffe französischen Ursprungs, die teilweise in der Überlieferung durch Unverständnis verstümmelt wurden. Dabei geht Heinrich über die üblichen französischen Termini bei Mode- und Rüstungsbeschreibungen weit hinaus; so, wenn er bei bereits „eingedeutscht" existierenden Lehnwörtern den dem Original näherstehenden Begriff bevorzugt,28 vor allem aber, wenn er auch in anderen Textzusammenhängen unvermittelt frz. Wörter einfließen läßt.25 Besondere Kreativität verwendet Heinrich zudem auf die Gestaltung von Eigennamen, die häufig zu afrz. Sprachspielen geraten. Dabei stattet er nicht nur die von Chretien namenlos übernommenen Figuren, sondern auch die von ihm eingeführten Personen (und Orte) mit klangvollen Namen aus, die oft auf die Funktion in der Handlung verweisen und darüber hinaus zugleich als mehr oder weniger humorvolle Charakterisierung dienen können. Vgl. so z.B. Amuifina zu afr2. fin'amors als Hohe Minne sowie ihre Schwester Sgoydamur zu joie d'amor, der „Liebes freude", die als Niedere Minne interpretiert

26

27 28 29

So z.B. in den Analogiebildungen unhelfesam und heffesam (—>9613) oder undewendic (—>23800), auch umrworden und umrwordenlich (zu dem Verb enverden, —»242, 244). Daneben bildet er z.B. giten und girden zu gitec bzw. girde (—>24530 und —>24537) oder ^wischeln (—>23147); sonst nicht belegte Komposita sind z.B. goltgruo% (—>2016 ff.), varslac (—>27136), misseschiht und missegeschiht (—>5274) oder die phalnt^rounde (—>1889). Vgl. die zahlreichen Mythologie-Zitate in der großen Klage um Ginover 11519-11607, daneben auch zu ->11596 f., ->17269 oder ->17473. Vgl. z.B.paille stattphelle (513, ->507-515), onicle statt onichius oder onix (->15690 ff.), τυηφ (afrz. mitari) statt des (z.B. bei Wolfram) häufigen run-Qt (—>19605). Vgl. z.B. die ma^aaen zu afrz. mace, mafue („Keule, Prügel", —>777); die boie, „Fessel" (—>9805); die moie als Wappenzeichen zu afrz. moie („Garbe", —>10035); eisieren zu afrz. asier, „es sich bequem machen" (—>3375); die bnisiere zu afrz. brasier, „Kohlenglut" (—>3673 f.). Daneben vgl. auch den sonst nirgends belegten phisicin („Arzt", —>3378); dise tempiren zu afrz. destremper bzw. lat. distemperare („mischen, stören", —>12528); das petit mangiere, eine kleine Zwischenmahlzeit (—>6467), und ein gramangier, die große Abendmahlzeit (—>7649 ff.), beide Begriffe sind sonst nirgends zu finden. Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Zu Wortschatz und Stil Heinrichs vgl. die Untersuchungen von R E I S S E N B E R G E R 1879, G Ü L Z O W 1914 sowie S U O L A H T I 1929 und S U O L A H T I 1933.

Vorgehensweise und Ergebnisse des Stellenkommmentars

11

wurde,30 oder auch die Figur der ¥lursensephin, afrz. fleur san^ epine (die „Blume ohne Dornen", die allerdings ihre Schwester blutig schlägt). Auch die langen Namenkataloge enthalten zahlreiche Namen, die ihren Trägern jeweils kleine Geschichten mitzugeben scheinen. Um das reichhaltige Material der vielen Namen besser erschließen zu können, ist dem Kommentar im Anhang ein Namenregister beigegeben, das nicht nur Versangaben enthält, sondern auch auf weitere Erläuterungen im Kommentar verweist und die Rolle der Figur bzw. des Orts im Roman skizziert. Der Bereich der Namen bei Heinrich ist bislang noch wenig erschlossen,31 lediglich die aus der Tradition und besonders aus den >Erec14618).39 Neben den schon erwähnten Literaturhinweisen und Forschungsberichten zu Beginn der größeren Abschnitte wird die Sekundärliteratur schließlich an Einzelstellen aufgegriffen, wenn sie Verständnis- oder Interpretationshilfen zu diesen Partien bietet, als Hinweis auf weiterfuhrende Lektüre, aber auch mit kritischer Stellungnahme, wenn sie zu Mißverständnissen fuhrt. Forschungsliteratur wird mit Namen und Jahreszahl abgekürzt bzw. mit dem Titel eines Sammelbandes zitiert, sie läßt sich durch das Literaturverzeichnis erschließen. Häufig verwendete Textausgaben werden mit Siglen abgekürzt, die im Abkürzungsverzeichnis nachgewiesen sind, ebenso wie häufig herangezogene Nachschlagewerke. Die Abkürzungen für Zeitschriften und Periodika folgen der Vorgehensweise des Verfasserlexikons (2. Auflage), die der biblischen Bücher der der Vulgata. Ein Pfeil (—») vor einer Versangabe verweist auf weitergehende Informationen im Kommentar zu der jeweiligen Stelle. Für Übersetzungen der altfranzösischen Zitate zeichnet, soweit nicht anders angegeben, die Verfasserin verantwortlich.

38

39

Vgl. H A R T M A N N 2000, S. 17, der zudem zu Recht darauf verweist, daß es völlig unzulässig wäre, aus der Art der Darstellung und aus möglichen „historischen Unstimmigkeiten" etwa Rückschlüsse auf die dichterische Kompetenz des Autors zu ziehen; im Blick auf die „narrative Funktion" muß immer die „Einbettung in den literarischen Zusammenhang" im Bück bleiben. In diesem Sinne geht der vorliegende Kommentar bewußt interdisziplinär vor und berücksichtigt nicht nur Sachbeschreibungen zeitgenössischer Werke, sondern auch die Ergebnisse anderer mediävistischer Disziplinen, vor allem der Kunstgeschichte und Burgenforschung.

Stellenkommentar

Zu Titel und Schreibervorspann Lit.: MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S . 5 4 f.; READ 1 9 7 4 , S. 1 3 1 f.; WORSTBROCK 1 9 6 6 .

Der Titel >Cröne< für den Roman geht auf Heinrich von dem Türlin selbst zurück; vgl. die Aussagen im Epilog, wo er die Edelsteinmetaphern des Prologs wieder aufgreift und mit der nun beendeten krone (29967) die Frauen krönen will, die nach werde lebent (29990). Wieweit dieses Bild als Titel seines Romans gedacht war, läßt sich schwer beurteilen; einige Jahre später wird das Werk Heinrichs im >Alexander< des Rudolf von Ems1 in der Art eines Titels als Crone bezeichnet: Allr Aventiure Krone/ treit ouch ir namen schone./ si diu also meisterlich/ so s/ ir meister Heinrich/ von dem Türline hte%/ der dim aventiure üf stie^J ein vgl übr elliu mare,/ si disiu rede geware,/ so lassen wir der Krone/ den namen stan ml schone (3219—3228).3 Sich offenbar bewußt abgrenzend von dem im 13. Jahrhundert beliebten Zusammentragen alles Erreichbaren eines Wissensbereichs zur summa, betont Heinrich im Epilog aber, er habe nicht einfach alle auffindbaren Episoden zusammengeführt, sondern sehr wohl nur die wirklich edlen Steine ausgewählt und für seine Krone verarbeitet (29911 ff.). Der ausführliche Schreibervorspann in P, der diesen Titel zitiert {dis buch das da genant ist der abentüre Grone) steht in derselben Tradition wie der >Alexander163: Artus), vgl. ähnlich z.B. >IweinErecParzivalDer Hahn und die PerleWigalois67), dem glimmenden Feuer (92 ff., 104) und dem Glas (im Gegensatz zum Diamanten, 94 ff.), —»92—105. 3 8 : Die Lesart vilanie ( P / S C H ) ist nur hier belegt; vgl. afrz. vila(i)nie, vilenier. „Gemeinheit, Schlechtigkeit".31 28-31:

40-88 Gutes und Schlechtes sind oft vermischt, Neid und Mißgunst strafen sich selbst Lit. zur Edelsteinmetaphorik: GOUEL 1993, S. 133 ff.; 32 MENTZEL-REUTERS 1989, S. 8 7 94; ENGELEN 1978; 33 GÜLZOW 1914, S. 1 7 7 - 1 8 0 (Zusammenstellung vieler Einzelstellen aus der >CroneCröne< zu Wirnts >Wigalois< —>2942.

31

Vgl. SUOLAHTI 1 9 2 9 , S. 2 8 6 .

32

GOUEL 1993, S. 70 u.ö. betont, der „Herausgeber" setze vor 40 einen Abschnitt und wertet dies als Indiz für ihre Gliederung: Ist ihr das innere Gliederungssystem der >Cröne< mit ihren Dreireimabschnitten gar nicht bewußt geworden? Vgl. ebd. S. 88 zu 29965 und 30000).

33

Bezieht sich auch an schwierigen Stellen nur auf SCHOLL.

40-88 Gutes und Schlechtes sind oft vermischt

25

allgemein gehalten, so ist der Gegner hier in allerdings verrätselter Weise als Kritiker beschrieben. mvnt, P/SCH funt, V bleibt näher am Vorgang des Dichtens. In den zahlreichen Parallelen zu dieser Anspielung auf eine Sentenz in ShRM (dort wird zudem verwiesen auf 43 f., 140-144 und 20415) ist das Bezugsobjekt immer der Mensch selbst, nie nur ein Teil bzw. ein Werk. Dieser Abschluß der vorangegangenen Bescheidenheitsbeteuerungen könnte auf Horaz zurückgehen, der in der >Ars poeticaWigalois20415 f.35 45 f.: Wohl Aussage Heinrichs im Stil einer Sentenz (keine Parallelen bei ShRM): Der Verstand bzw. die Kunstfertigkeit eines Menschen wird nach menschlichem Ermessen beurteilt; damit bleibt immer eine starke Ungewißheit, da dieses kaum sunder wandet sein kann (40 ff.). 4 7 : Vgl. Lesart Ρ power statt V / K N N paser. afrz. povre, „arm" findet sich wieder ->8798. 49: Die bair. Variante Wan für Man schreibt V konsequent bei Stellung am Versbeginn,36 einmal auch im Versinneren (1789). 4 9 - 5 2 : ShRM verweist für die Sentenz auf 53 und 5310 ff. Zu den Eigenschaften des smareise vgl. Marbod von Rennes, Lap 140: Quorum luce virens vidnius tingtur aer („And tinge with green the circumambient light"), ebenso Konrad von Megenberg, BdN VI,67 („l/ό» dem smaragden"): der alkrpest under den selben steinen ist der durchsihtich ist und von des grüene der nahste lufi grüen wirt;37 der Gedanke ist im übertragenen Sinn auf den guten Einfluß anzuwenden. Ähnliche Vorstellungen: 68 ff. Rubin und 104 ff. erloschene Kohlen und 40-42: V/KNN

34 Wig 4 ff.: der sol genäde an mir hegen,/ ob iht wandels an mir st,/ da% er mich doch lä^e im/ valscher rede: da% eret in./ ich wei\ ml da% ich niene hin/ geliutert undgerihtet. 35

36

37

Zu Heinrichs dichterischem Selbstbewußtsein vgl. J I L L I N G S 1 9 8 0 , S. 142 ff., auch —>9. 49, 151, 303, 496, 574, 633, 639, 668, 739, 804, 894, 1386, 1693, 1789, 2025, 2712, 2765, 2909, 3010, 3486, 3664, 4156, 4603, 5151, 5184, 5523, 5919, 6329, 6741, 7290, 7459, 7483, 7630, 7649, 7685, 8285, 8716, 10081, 10122, 10406, 10435, 10535, 10538, 10778, 11389, 12042. Kein Beleg in Fragment D. Vgl. Mhd. Grammatik § 116, Anm. 1; auch BMZ 111,492; KnN, S. XIV. Diese bereits auf Plinius zurückgehende Vorstellung findet sich im 9. Jh. bei Haimo von Auxerre, im 13. Jh. noch im >Rheinischen Marienloh« 4524 ff. (vgl. D R A G S T E D 1972, S. 259; M E I E R 1977, S. 206); ähnlich wieder DWb 16,1336 und W A N D E R , DSL 4,589 das Sprichwort: „Was beim Smaragd liegt, wird grün", d.h. es scheint wenigstens grün.

26

1-456 Prolog

Diamant. Mit seiner Einschätzung des Bergkristalls als minderwertig neben den anderen Edelsteinen entspricht Heinrich den heutigen Kenntnissen der Mineralogie, steht in seiner Zeit allerdings eher allein: Seine Zeitgenossen betonten lieber Reinheit und schönen Glanz, der Wert spielte für sie eher eine untergeordnete Rolle. In Heinrichs Metapher ist der unterschiedliche Wert jedoch wichtig: Der wertvolle Smaragd steht für den begnadeten Dichter (bzw. die gelungene Dichtung), der swache cristalle daneben für den weniger begabten Autor (bzw. das weniger kunstvolle Werk), dessen Werke durch Zufall nahe daneben plaziert {gevallen) sein können. Heinrich zählt sich hier zunächst bescheiden zu den Kristallen, hofft aber selbstbewußt, daß er vom Glanz der anderen profitieren werde. Wie groß sein Selbstvertrauen allerdings wirklich ist, zeigt sich zum einen daran, daß er im weiteren Verlauf seines Romans dem Kristall einen gar nicht so armseligen Charakter zuschreibt (vgl. den kostbaren Kristallpalast 14272; 14754 ff. ist das gralsartige Gefäß bei Gaweins erstem Besuch auf der Gralsburg aus Kristall). Geradezu verdächtig wirkt Heinrichs behauptete Bescheidenheit zudem, wenn man sieht, als wie kostbar der Kristall in der sonstigen mittelalterlichen Literatur angesehen wird; dieser Kontext, in dem Heinrichs Darstellung verstanden wurde, führt dazu, daß Heinrichs Behauptung indirekt die gegensätzliche Aussage enthält. Zurückgehend auf die Wertschätzung in der >Apocalypse< (Apc 4,6; 21,11; 22,1) steht der Bergkristall u.a. für die Reinheit Marias;38 er hebt besonders kostbare Einrichtungsgegenstände oder Gebäudeteile hervor.3' ENGELENS Argument, daß Heinrichs Bescheidenheit auch noch durch die für seine Inspiration stehenden Rubin- und Saphirmetaphern in ein anderes Licht gerate (67 ff., 1726 f.), hängt an textkritischen Entscheidungen (—>67).40 53: Der weise „hiesz der grosze edelstein in dem hinteren felde der deutschen kaiserkrone, ein milchweiszer opal, den der sage nach herzog Ernst aus dem morgenlande mitgebracht hat [...] dieser edelstein wird lat. als orphanus, pupillus oder unio bezeichnet und der name waise allgemein so erklärt, 38 39

So u. a. beim Priester Werner, >Maria< 1153 f. So im >Straßburger Alexander 5973 ff. (Kristalleuchter), im >Alexander< des Rudolf von Ems (5361 ff. als Kristallknopf auf dem Zelt des Darius), für ein Gefäß in Wig 10361 ff., die Fenster im Gralstempel JTit 3 5 4 sowie JTit 4 3 7 den estrich-, ebenfalls in Gebäuden Wig 4598 ff., En 8282 ff. In der allegorischen Verwendung sei nur noch auf Gottfrieds Minnegrottenbeschreibung verwiesen mit der hervorstechenden Rolle des reinen Kristalls, sowie auf seinen Dichterkatalog und die Beschreibung Hartmanns von Aue mit seinen cristallinen wortelin (Tr 4 6 2 8 ff.). Vgl. ENGELEN 1 9 7 8 , S. 334—343. Hauptsächlich die medizinischen Qualitäten des aus Gletschereis entstandenen cristallus beschreibt Lap 5 5 0 - 5 6 1 ; ähnlich

40

Vgl. ENGELEN 1 9 7 8 , S. 3 4 3 .

BdN VI,19.

40-88 Gutes und Schlechtes sind oft vermischt

27

dasz er nirgends seines gleichen hat. doch sind auch andere erklärungen versucht worden" (DWb 27,1052f.). Vgl. z.B. auch WvdV L. 9,15 (C. 2, 11,24): Philippe, set^e den weisen uf, als pars pro toto; L. 19,2 f. (C. 9,1,11): der schouwe, wem der weise ob sime nacke ste:/ der stein ist aller fürsten leitesteme. Hier wird der Gedanke des Nebeneinanders von Wertvollem und weniger Wertvollem aus 49-52 in ein neues Bild gebracht: Der unbestrittene Wert der Reichskrone legitimiert den Anspruch des weniger Bedeutenden auf Anerkennung neben dem kostbaren weisen.41 Fortgeführt wird dieser Gedanke in dem Büd 57-60. 54: Der Begriff chrone, der hier in der Bedeutung „Reichskrone" innerhalb des Bescheidenheitstopos steht, verknüpft den Prolog — ähnlich wie das Bild der g/mme (—>26) — mit dem Epilog, wo die Krone Heinrichs Werk symbolisiert.42 57 ff.: In diesem Bild wird die Reihe der Beispiele für die selbstverständlich erscheinende Vermischung wertvoller und minderer Materialien fortgesetzt. Ähnliche Bilder z.B. Frdk 125,23 f. (Ohe silber, enmitten %in,/ da §t ein stück da% ander bin) oder >Renner< 6743 f. (U%en golt und kupfer inne,/ Betriuget tumber liute sinne) ^ 64: entleiben mit Dat. deutet Lex 1,575 hier als „einhalt thun", vielleicht besser im Sinne von „zugestehen"? Sonst häufiger als „schonen, verschonen" (10695, 11155, 11957, 24671) bzw. „einhalt tun" (3272). 67: Die Lesung saphir (KNN, SCH, P) fuhrt zu mühsamen Deutungsversuchen um die Wertigkeit von Saphir und Rubin sowie zu Heinrichs womöglich vorgetäuschter Bescheidenheit, wenn er sich anstelle vom Saphir „nur" vom Rubin erleuchten lasse.44 Folgt man der Lesung schaffers in V 41

42 43

44

Vgl. ENGELEN 1978, S. 381. Er interpretiert, daß alle vom Glanz des Waisen profitieren und dadurch besonderen Wert erhalten. Vgl. auch HERKOMMER 1976. Gegensätzlich interpretiert GOUEL 1993, S. 71 f.: Sie sieht den weisen unter schlechtem Einfluß seiner ungeno^ durch die sein Wert gemindert werde. Das Vermischte enthalte nicht mehr die reine Verdes chraft (63). Heinrich beziehe das auf seine „unreinen, bösen und dunklen" Seiten, die durch den später erwähnten Rubin erhellt würden. Zu diesen Verbindungen MERTENS 1990, vgl. auch MEYER 1994, S. 69 (dort weitere Lit. in Anm. 33). SCHMID 1994, S. 270 f. liest Heinrichs Bilder als Kontrast zu Wolframs Plädoyer für wahre Frauenschönheit als innerer Qualität (Pz 3,11 ff.); Heinrich verlagere innen und außen stattdessen auf die Nachbarschaft, weil nichts Menschliches vollkommen sei. In dem folgenden Bild vom Rubin werde „die Wolframsche Echtheitsmetaphysik verhöhnt", indem das Leuchten des Rubins, des muots der Damen, auf Heinrich selbst gelenkt werde. So v.a. ENGELEN 1978, S. 331, 343, 364 f. Vgl. die mittelalterliche Steinlehre, die den Rubin im Wert über den Saphir stellt, da der Rubin aus sich selbst heraus zu leuchten vermag; u. a. K o n r a d v o n Megenberg, B d N VI,13; vgl. MEIER 1977, S. 246 ff., ENGELEN 1978, S. 324 ff.

und S. 364, Anm. 33; auch —»8236 ff. Entsprechend dieser Hierarchie wäre das Bild in Ρ nur mit Ironie zu erklären. Zudem ist der Abstand zwischen Rubin und Saphir nur gering,

28

1-456 Prolog

(zu safer, „blauer glasfluss aus kobalt", vgl. Lex 11,569 auch für diese Stelle, —>1726 f.) und nimmt den Vers noch zu dem vorangegangenen Satz hinzu,45 zieht sich das einmal begonnene Bild durch: Heinrich, der sich vorher zurückhaltend in die Reihe der weniger wertvollen Edelsteine gestellt hatte, die sich neben dem hervorragenden Waisen der Reichskrone befinden, bleibt bei seiner Bescheidenheitsbeteuerung, sieht sich in seinem Selbstbewußtsein zugleich aber gestärkt durch die Erleuchtung, die ihm vom Rubin zuteil wird. Offen bleibt jedoch die Frage, was oder wer durch diesen Rubin bezeichnet wird, der solchen Anlaß zur Freude bietet (vgl. 72): Es könnte das Werk selbst sein, „dessen Vollkommenheit die Unvollkommenheit seines Schöpfers aufhebt",44 bzw. die tugent, „die ethische Zielsetzung, durch deren Kraft das Gebilde [...] zur untadeligen Krone werden kann";47 es könnte aber auch eine Vorlage oder ein Gönner sein, durch die sich Heinrich ermutigt fühlt, seinen Kritikern zu begegnen. GOUEL schlägt hingegen eine „theologisch-symbolische" Interpretation des Rubins als Gotteswort vor.48 Zur Metaphorik um Edelsteine und Halbedelsteine, edle und unedle Metalle vgl. auch Pz 3,11—24, wo Wolfram den Vorrang des inneren Wertes betont: safer in Goldfassung wird verworfen, Rubin in Messing hingegen gelobt.49 73-88: Die folgende Passage über den Kritiker ist schwierig (vgl. die zahlreichen Konjekturvorschläge in Anm. KNN); das Pron. er bezieht sich abwechselnd auf den Kritiker und auf den den Ich-Erzähler schützenden Rubin. In der Fassung KNN ist sie womöglich so zu deuten: „Wenn mich jemand böswillig schilt, so ist [durch den Rubin erhellt] ein kluger Sinn da [im Werk, wendet sich gegen den Kritiker]. Wenn er [= der durch den Rubin erhellte Sinn] •qveier ^vngen wahrnimmt [also die verleumderische Sprache, vgl. Lex 111,1178], bietet er seinen Schild und schlägt den Kritiker schnell zurück, so daß dieser Gift und Eiter behalten muß,50 die der Kritiker [er 81] nach Schlangen Art in seinem Schwanz versteckt hat \p(agel bezeichnet die Waffe

45 46 47

Heinrich würde also eher untypisch mit sehr feinen Nuancen jonglieren, nachdem er in den vorangegangenen Versen deutliche Kontraste gesetzt hat (Kupfer und Blei gegen Silber, Messing gegen Gold). Satzende erst nach 67, nicht schon 66 wie in KNN und SCH. MENTZEL-REUTERS 1989, S. 92, unter Berufung auf Parallelen zur >Aurea GemmaParzival< (ed. NELLMANN), Bd. 2 , S. 450 f.). Vgl. Lex 11,1667 „bewahren"; MENTZEL-REUTERS 1989, S. 93 deutet übertragen hingegen im Sinne von „reflektieren": Der Rubin reflektiert das vom Kritiker ausgesprühte Gift und lenkt es zurück in das Maul des Neiders.

50

89-139 Der wehselstreit zwischen Gutem und Schlechtem

29

des Kritikers, hat als hinterstes Ende hier wohl auch eine pejorative Konnotation]. So bleibt ihm der Giftstachel \nagel\ in seinem Innern [slouch als „Schlangenhaut", vgl. Lex 1 1 , 9 8 9 ] und er muß, wie es seinem Rang entspricht, in der Falle [drüch, Lex 1 , 4 7 0 , auch Anm. K N N ZU 8 5 ] stumpf und matt werden;51 seine Mißgunst wird ihm [dem Kritiker] nun selbst zur Schmach." 89-139 Der wehselstreit zwischen Gutem und Schlechtem Statt Eingangssentenz steht hier ein weiterer Bescheidenheitstopos zu Beginn des Abschnitts — allerdings hat Heinrich bisher schon unter Beweis gestellt, daß ihm allen Beteuerungen zum Trotz Der sin, der diu wort gieret, ganz und gar nicht tivr ist. Im gesamten Roman finden sich sowohl der leichte, unterhaltende Schmuck wie bei Hartmann und Gottfried, als auch schwer verständliche, dunkle Bilder im Stile Wolframs. Die Bilderwelten, aus denen Heinrich seine Beispiele diesmal bezieht, sind leicht variiert: Zu den Edelsteinen kommen Glas und Feuer, der Kampf scheint zwar noch im wehselstreit auf, ist aber ansonsten dem Vergleich von Farben und %weir hande gruo^ gewichen. Hauptgedanken des wehselstreits (108) sind die Frage nach wirklichem und nur scheinbarem Sein ( 9 3 — 1 0 7 ) , die Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen als menschlicher Grundkonstante ( 1 0 8 — 1 2 1 ) , sowie das daraus resultierende Schwanken zwischen Gut und Böse ( 1 2 2 — 1 3 9 ) . 89 ff.: Der sin dürfte Heinrichs „verstand, Weisheit, kunst" (Lex 1 1 , 9 2 7 ) bezeichnen, der seine mangelnden rhetorischen Fähigkeiten bedauert. Zu den Anforderungen der Rhetorik vgl. Matthieu de Vendöme, der in der >Ars Versificatoria< 11,9 drei Ebenen der Redekunst benennt: als Basis den Gegensatz von Form und Inhalt, darauf den rhetorischen Schmuck (das florieren) und schließlich die angemessene Wortwahl im Blick auf Klarheit und Reinheit der Sprache, die K N A P P dem vieren zuordnet.52 Die Betonung des Inhalts in der Rhetorik, dessen Unzulänglichkeit durch die schönste Form nicht auszugleichen sei, ist auch Heinrich nicht fremd; das zeigt sich in den folgenden Versen, in denen er den Anspruch erhebt, am ethischen Gehalt seiner >Crone< gemessen werden zu wollen. 51

52

Durch das eigene Gift geschwächt - Smlhm V / K N N , Siemen P/SCH; slewen heißt ebenso wie swelktn als mundartliche Nebenform zu V (vgl. auch Anm. K N N ) „stumpf, matt werden", swelhen bedeutet „schlucken" (Lex 11,1356). MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 9 3 interpretiert: „Den Abschluß bildet ein Wortspiel mit svelken, das sowohl 'werden' wie 'schlucken' heißen kann." Hier dürfte er Lex 1 1 , 1 3 5 6 mißverstanden haben {srnlken·. „swelc werden"). Vgl. KNAPP 1 9 8 1 , S. 1 5 3 f.

30

1-456 Prolog

Den Ausdruck florieren scheint Heinrich als erster gebraucht zu haben, bevor er von Rudolf von Ems, Konrad von Würzburg u.a. übernommen wurde.53 92-105: Der Kontrast zwischen dem einfachen, billigen glas und dem kostbaren, schönen und mit Tugend assoziierten adamas könnte kaum größer sein, dabei sind sie sich auf den ersten Blick ähnlich. Sie symbolisieren das tvmbe bzw. das vruote (III).54 Die Konjektur leich KNN bzw. liehe SCH („Aussehen") statt V/P lieht in 100 ergibt eine gute Opposition zu tvgend (105): Innere und äußere Erscheinung werden gegenübergestellt. Das prehend, „leuchtende, glänzende" Glas (98) zeigt seine Qualitäten im äußerlichen Glanz, sein Wert besteht in seiner Fähigkeit zur imitatio: Indem es das Licht des Diamanten reflektiert, leuchtet es wie dieser. Der zunächst eher unscheinbar wirkende adamas hat seinen Wert in sich verholn (103), er wird erst bei der Verarbeitung sichtbar. Die Passage wäre also zu deuten: „Schaut euch das schwelende Feuer an, das zwar brennt, aber kein Licht gibt; so ist ein Glas häufig hell scheinend, das sonst keine weiteren guten Eigenschaften zu bieten hat, sobald sein Glanz zergeht. So sind ein guter Diamant und dieses glänzende Glas kaum miteinander zu vergleichen, was Tugend und Aussehen betrifft. Während das Glas nur helles Licht gibt, hat der Diamant seine Natur in sich versteckt." Zu überlegen wäre, ob anstelle von sam (94) ursprünglich ein adversatives so gestanden haben könnte (wie z.B. 102). Heinrich kontrastiert Schwelfeuer55 und Diamant mit Glas: Die beiden ersten zeichnen sich durch ein unaufälliges Äußeres aus, das jedoch eine große Kraft im Inneren birgt, das Glas hingegen ist äußerlich zunächst ansprechend, bei genauerem Hinsehen jedoch völlig wertlos. Allerdings führt er den konkreten Vergleich nur fur Glas und adamas durch; das Schwelfeuer, dem er sich selbst vergleicht (ab 104 ff.),56 entspricht jedoch dem vom Diamant Gesagten (106 f.). Der Verweis auf die bedeutenderen inneren Werte nimmt somit wieder Bezug auf die einleitende Bescheidenheitsformel vom mangelnden gieren und florieren seiner Worte (88 ff.). 53

54

55 56

Vgl. die Belege aus der mittelalterlichen Lit. bei BOESCH 1 9 3 6 , S. 1 9 8 - 2 0 5 ; vgl. auch WAND-

HOFF 1999 (zur „Poetik der Sichtbarkeit"). Vgl. E N G E L E N 1978, S. 297 ff. zum Diamanten. Der Name adamas geht auf gr. άδάμας, „Stahl", zurück (später mit der Deutung „Diamant"); vgl. DRAGSTED 1972, S. 226. Dementsprechend die Symbolik ->2855 f., ->8677; vgl. zudem ->15704 und ->16938 f. Daß der selbst unzerstörbare Diamant auch seinen Träger unbezwingbar mache, geht auf Plinius zurück und ist wichtigste Eigenschaft (vgl. Lap 43 ff., BdN VI,3), daß er durch Bocksblut zu erweichen sei, gehört ebenfalls zur Tradition, vgl. Lap 30, BdN VI,3. Ahnlich dem touben viur (92) formuliert 104 toube choltr, die Wörterbücher kennen sonst keine Belege fur die Verbindung von toup mit Feuer. Zu dem Bildgehalt vgl. auch die Kerzenmetapher um Licht und Asche AH 101 ff.

89-139 Der wehselstreit zwischen Gutem und Schlechtem

31

1 0 6 : Dise semblance (P/SCH) ist interessanter als V / K N N den sinen/selben glant% vgl. afrz. semblance, „Ähnlichkeit", sonst nur noch Tr 16323 (samblan-

108 ff.: Der wehselstreit zwischen dem prehend glas einerseits, dem völlig andersgearteten Glanz von Diamant und touben choln andererseits, betont die Unvereinbarkeit zweier verschiedener Naturen und damit Arten des Dichtens, die sich gegenüberstehen. Während das Glas offenbar für eine auf Äußerlichkeit gerichtete Dichtung steht, betont Heinrich, er gleiche den touben choln, die durch den Zusatz, sie entsprächen verborgen tugend gant% (105), hervorgehoben werden. Damit wird der vermeintliche Mangel, den Heinrich zu Beginn des Abschnitts für sein Dichten konstatiert (Der sin, der diu wort gieret/ Vnd die redflorieret,/ Der ist mir laider tivr 89 ff.), selbstbewußt zu einer Qualität umgewertet — die gezierte Rede entbehrt der inneren tugent, Heinrich hingegen beansprucht diese für sein Werk, auch wenn es auf den ersten Blick nicht durch Glanz auf sich aufmerksam macht. Die folgenden Parallelismen tvmb gegen jruot und valsch gegen guot (111 f.) verstärken dieses Urteil; wer beides zu vereinen wüßte, wäre ein vil salig man, dabei betont salig noch die im Konj. war angelegte Unmöglichkeit. Die Gegenüberstellung wird 122 ff. mit neuen Bildern fortgesetzt. 115 ff.: Der hinter dieser Anspielung auf ein Sprichwort stehende Gedanke, nicht zwei Herren zugleich dienen zu können, geht auf Mt 6,24 und Lc 16,13 zurück und wurde immer wieder aufgegriffen: vgl. u.a. >Tatian< 37,1, >Kaiserchronik< 2121, Frdk 50,6 f. oder Oswald von Wolkenstein 115,1,15 ff. (Und wer qwain herren dienen sol, Und die ungüstlich sein in ain, Zwar der bedarf gelückes wol).5i Ausführlich zu dem Problem auch Tr 5647—5712 (Tristan zwischen Rual und Marke). 122 ff.: In den beiden qualitativ sehr verschiedenen Farben, dem aus Lehm hergestellten ögger''3 sowie la^ure, ein aus dem Edelstein Lapislazuli gewonnenes Blau, das so kostbar wie Gold war, wird nun ein neuer Kontrast aufgebaut. Der Logik der bisher betonten verborgenen Werte zufolge muß dabei die ganz und gar durchgefärbte Erdfarbe der positiven Reihe, die empfindliche und nur oberflächlich glänzende Edelsteinfarbe der negativen zugeordnet werden — im Gegensatz zu der mittelalterlichen Vorstellung.60 57

Vgl. zu den Lehnwörtern und Neologismen v. a. die Untersuchungen von 1 8 7 9 , G Ü L Z O W 1 9 1 4 , SUOLAHTI 1 9 2 9 u n d SUOLAHTI

58 59

60

REISSENBERGER

1933.

Vgl. ShRM (viele Belege zur Verwendung); S I N G E R 1944, 111,18. Der Umlaut für die Farbe ist wohl nur hier belegt, häufiger zu finden ist er bei dem Homonym ocker in der Bedeutung „Penis" (nur in den Fasnachtsspielen belegt, vgl. Lex 11,140; DWb 13,1140). Demzufolge war Blau die Farbe des Himmels, des Firmaments, die Farbe des Mantels der Jungfrau Maria und die der Treue; Braun hingegen die Farbe des Herbstes, der Erde, der

32

1-456 Prolog

Der Aufbau der Aussage entspricht dem in der verbreiteten Sentenz —»6302 ff. vorgegebenen Schema, das Heinrich auch —>1509 ff. produktiv aufgegriffen hat. 128: Die beiden Parteien des wehselstreits erscheinen wie Dienstherren (vgl. auch 116 f.); so gewähren sie obdacb („Unterkunft") von allerdings verschiedener Qualität (die sich im gruov^ ausdrückt, 129 f.), sowie ebenfalls sehr verschiedenen Ion (131). Vgl. im weiteren Roman die häufiger behandelte Frage nach guten und schlechten Wirten (—>6231-6250). 132 ff.: Der Gedanke der Bipolarität, der zunächst im Blick auf literarische Qualitäten ausgeführt worden war (—>89 ff.), schlägt schließlich den Bogen zu den höchsten Dingen: Auch um die Herrschaft (chron) über die Welt streiten zwei entgegengesetzte, nicht deutlicher benannte Parteien. Deren eine sollte man, nach Meinung des Autors, fliehen, um sich dem site anzuschließen, der allein werd verleihen kann und demgemäß der leitstab der Tugend ist. In den unausgesprochenen Details der Passage stecken diverse Interpretationsmöglichkeiten; so z.B. in der doppelten symbolischen Bedeutung der chron: Die Herrscherkrone repräsentiert die weltliche Ehre und Macht, daneben werden aber auch Tugendhaftigkeit, Vollendung etc. durch eine Krone dargestellt.61 139 f.: Der sit als leitstab der Tugend greift noch einmal das Bild aus WvdV, L. 19,4 (C. 9,1,12) auf, wo der Waise (->53) als aller forsten leitesteme bezeichnet wird. Die Tugendproblematik spielt im Roman immer wieder eine Rolle: Wie Heinrich ist auch Artus von früh an der Tugend verbunden (vgl. 182 f. und die Klage um Uterpandagron), geprüft wird sie v.a. in den beiden Tugendproben und der Handlung um Ginovers möglichen Liebhaber Gasoein.

61

Armut und Demut (vgl. z.B. die Kutten mancher Bettelorden). Vgl. HEINZ-MOHR 1998, S. 106 ff. GOUEL 1993, S. 74 verweist darauf, daß Ocker im >Sachsenspiegel< zur Kennzeichnung der Friedensbrecher und Gerichteten, der Diebe und Räuber sowie des Strafrichters verwendet worden sei. Vgl. die Krone des Lebens, die Maria, dem vollendeten Christus (vgl. auch Apc 14,14), den Märtyrern und Aposteln etc. verliehen wird; die Darstellung der Tugenden als gekrönte Frauengestalten u.a. in Notre-Dame, Paris (Caritas in der Westrose, Perseverantia in der mitderen West-Vorhalle.). Vgl. LdMA 5,1546; allgemein die entsprechenden Artikel in LCI (v.a. Bd. 2, 659 ff. zu Krone und Krönung, Bd. 4, 364ff. zu Tugenden); HEINZ-MOHR 1998, S. 181 ff. Auch I Cor 9,25: omnis autem qui in agone contendit ab omnibus se absänet/ et tili quidem ut compHbilem coronam acapiant/ nos autem incormptam (.Jeder Wettkämpfer lebt aber völlig enthaltsam; jene tun dies, um einen vergänglichen, wir aber, um einen unvergänglichen Siegeskranz zu gewinnen.").

1 4 0 - 1 6 0 Bescheidenheitstopos

33

140-160 Bescheidenheitstopos Ähnlich wie Wirnt üjgenäde dichtet (Wig 4 f.), greift Heinrich hier nochmals seine Bescheidenheitsbeteuerungen vom Beginn des Prologs auf, —»41 f. Allerdings zeigt sich zugleich sein ausgeprägtes Selbstbewußtsein. Er kann sich zwar vorstellen, daß es einzelne nicht gelungene Stellen geben könnte, deutet aber in einem Bild gleich an, daß er seinen Roman nicht Vmb ein vngevüegen Spruch als völlig mißraten anzusehen bereit ist: So macht ein Webfehler oder Riß nicht gleich den gesamten Seidenstoff unbrauchbar (149 f.). 145: Daß der Dichter sein Tun als arebeit bezeichnet und damit auf seine Mühen verweist, steht in der Tradition, vgl. nur Tr 45 und 71 unmiie^ekeit, Rudolf von Ems, Wilhelm von Orlens< 125 aerbaete.62 In derselben Vorstellung bleibt dann auch das Bild vom Schmieden der krone —>29966 ff. 151 f.: Diese Sentenz (vgl. auch ShRM) vom wachenden Unverstand und dem schlafenden Können geht auf Horaz zurück (Indignor·, quandoque bonus dormitat Homerus, enstprechend dem heute noch geläufigen „Dann und wann schläft sogar der gute Homer"),63 eine Entschuldigung fur nicht ganz gelungene Arbeit, die sich hier in die Bescheidenheitsbeteuerungen Heinrichs einfugt (wobei der vorangegangene Vergleich mit dem leicht fehlerhaften purpur auch zugleich wieder sein Selbstbewußtsein zeigt). Der von Heinrich hinzugefügte wachende Vnwit^ bringt eine erste Gegenwartsklage, die Heinrich später in seinem Dichterkatalog noch ausführt (2360 ff., 2403-2455).64 Daneben läßt sich hier auch eine Verbindung zum ab 161 ff. ausführlicher aufgegriffenen >IweinIwein< angelegten Dichotomie von were und man agieren und zeige in Ciaweins Tatkraft die „Überlegenheit der Tatenwelt" (RINGELER 2000, S. 250). Vgl. dazu z . B . MÜLLER 1 9 9 8 , v.a. Kap. I (von den „Umschriften der Sage"), S. 5 5 ff.

161-181 Erste Nennung von Artus

35

Zur Figur des Artus vgl. T H O M A S 2002; S T E I N 2000; T H O M A S 2000; „Medieval Heroes", S . 32-44; M E Y E R 1994 (zur >Cröne< S . 147-152); G R U B M Ü L L E R 1991; RoLOFF 1990; S C H I R O K 1989; M E R T E N S 1984; G Ü R T T L E R 1976; LdMA 1,1074 ff.

Zur Deutung des Namens wird darauf verwiesen, „Arthur" sei die „Welsh form of the Roman Artorius, convincing as the name of a Briton born in the fifth century or not much later";68 vgl. dazu gr. άρκτος, „Bär" (und lat. arcturus).m 164—174: Heinrich kündigt hier an, über die Anfänge des Königs Artus schreiben zu wollen (168 dar vnder, „räuml. u. zeitl. in der mitte, zwischen" Lex 11,1778), besonders über seiner tugent anegeng in seinen kinttagen (170). Durch das Verständnis der kinttage im nhd. Sinn mit deutlicher Altersbeschränkung wurde Heinrich immer wieder vorgeworfen, sein Vorhaben nicht umgesetzt und die beabsichtigte Kindheits- und Jugendgeschichte nicht geschrieben zu haben. Zudem würde durch diese Ankündigung, die, gänzlich ungewöhnlich für die Gattung, Artus als Protagonisten erwarten ließe, der Wechsel zu Gawein, der die längsten Handlungsteile bestreitet, zum Konzeptionsproblem. Aus der Nichtrealisierung wurde sogar schlechtes Erzählen abgeleitet.70 E B E N B A U ER hat bereits 1977 darauf hingewiesen, daß Gawein als Hauptheld zu wählen auch heiße, „den Artushof selbst ins Zentrum zu rücken".71 Diesen Gedanken greift v. a. M E Y E R wieder auf, der sich intensiv mit den Anfechtungen auseinandersetzt, denen die Artusidee im Roman ausgesetzt ist und die Festigung des Reichs als Ziel des Romans herausstellt. Artus und Gawein als wichtigste Repräsentanten vertreten dieses Reich in den verschiedenen Auseinandersetzungen.72 Die von der genauer betrachteten Wortbedeutung kint ausgehenden Beobachtungen von T H O M A S stützen dieses Verständnis und tragen zur weiteren Erklärung bei: Demzufolge ist der Terminus kint hier in seiner sehr umfassenden Bedeutung zu verstehen, die auch noch den bereits zum Ritter geschlagenen und verheirateten jungen Mann einschließt (vgl. Lex 1,1575 f., BMZ 1,817 mit Hinweis auf Wig 1816 ff. und 3021, NL 267,1 u.a.).73 Demzufolge wäre Heinrichs Ankündigung schlüssig mit dem Romangeschehen in 68

„The Arthurian Handbook", S. 305.

69

Vgl. GRIMM 1875, Bd. 2, S. 556 zur Darstellung „als bär und gott".

70

Z u s a m m e n f a s s e n d ROSSNAGEL 1 9 9 6 , S. 9 0 ; vgl. u.a. CIESLIK 1 9 9 0 , S. 9 2 ; CORMEAU in: V L 2 , B d . 3 , 8 9 7 (auch CORMEAU 1 9 8 4 , S. 1 2 3 ) ; JILLINGS 1 9 8 0 , S. 2 3 2 ; HERZOG 1 9 7 1 , S. 1 1 9 ; GÜLZOW 1 9 1 4 , S. 2 f.; auch - > 1 8 9 2 - 1 9 2 5 .

71

EBENBAUER 1 9 7 7 , S. 3 3 .

72

Vgl. MEYER 1 9 9 4 .

73

Vgl. THOMAS 2 0 0 2 , S. 2 9 , A n m . 1 8 .

36

1-456 Prolog

Einklang zu bringen: Artus ist zu Romanbeginn seit mer dann siiben iar (4806) mit Ginover verheiratet; die Hochzeit hatte nach fünft^ehen iaren (422) stattgefunden (je nach Verständnis des nach also mit 15 Jahren,74 bzw. 15 Jahre nach dem Tod des Uterpandragon, bei dem Artus niht sehs iar alt war (314), Artus wäre also bei Romanbeginn Anfang oder Ende Zwanzig). So liest THOMAS den Roman als Geschichte der Anfinge des Artusreichs, mit einem unerfahrenen König, der sich im Romanverlauf erst Ansehen und Durchsetzungsvermögen erwerben muß; erst am Ende der aus der Tradition übernommenen, aber neu arrangierten Wirrungen erreiche Artus schließlich „his present (literary) preeminence".75 Vgl. auch MEYER: „Indem die Jugendgeschichte avisiert wird, wird Artus nicht als bloßes Ideal dargestellt, sondern es wird Prozeßhaftigkeit und damit letzlich Historizität suggeriert."76 174: geit V / K N N ist die kontrahierte Form zur 3. Pers. Sg. Präs. von geben (so auch git P/SCH). 182-216 Die Tugend des Königs Artus, Akrostichon Lit.: BARTSCH 1880; K R A T Z , Zweites Akrostichon 1989 (->13988-13996). Zum Ausdruck des dichterischen Selbstbewußtseins in der Namensnennung v.a. J I L L I N G S 1980, S. 149 ff. und MENTZEL-REUTERS 1989, S. 107 ff.;77 auch GOUEL 1993, S. 1 0 2 132 (mit dem Versuch, weitere Akrosticha im Epilog nachzuweisen, —>29872 ff.).

Zu Heinrichs Ausfuhrungen über die Tugend des Königs Artus vgl. die Aussagen des >IweinIwein 1 6 1 ff.; z u d e m MERTENS 1 9 9 0 , S . 8 6 f.; MENTZEL-REUTERS

1989, S. 104 f.; GÜRTTLER 1976, S. 195 f.; zum >IweinIweinDer guote Gerhart< 6907, Wig 137. Vgl. JILI.INGS 1980, S. 147 ff., dort auch weiterführende Literatur. Horaz, >Ars poetica< 333; vgl. auch B O E S C H 1936, S. 63-67; K N A P P 1981, S. 154 f. Vgl. auch die Formulierungen im Hartmann-Nachruf 2373 ff. Vgl. z.B. Wolframs ähnliche Bitte Pz 827,25 ff., ebenso erhofft sich WvdV (L. 91,9 f., C. 60,V,1), daß Reim« wip und guote man seiner gedenken sollen. Zu der Stelle auch S C H W I E TERING 1 9 2 1 , S .

88

11.

Vgl. die Lit. zu 161 f.; auf anonyme frz. Quellen beruft er sich auch 8146, 18156, 23260; daneben nennt er auch Chretien als Gewährsmann 16940 f., 23045 f., 23983.

217-313 Intention des Dichters, Horoskop des Artus

39

Aufgabe der Rezipienten, beides voneinander zu trennen und die lügenhaften Gestalten nicht zum Vorbild zu nehmen." (S. 110). Dagegen verweist KNAPP 1993, S. 165 f. auf den Kontext der Passage und lehnt eine Ersatzfunktion ab. Stattdessen schreibt er diese Aufgabe den Versen —»17425— 17436 zu, denen er ein „zweideutiges Votum zur poetologischen Wahrheitsproblematik entnehmen möchte" (S. 166).89 Dagegen nimmt RINGELER 2000 gleich den gesamten Roman als Auseinandersetzung mit Wahrheit und Lüge, was er bereits in seiner Kapitelüberschrift ausdrückt: „Nichts als die reine Lüge. Die 'dialektische Wahrheit' der >CröneKaiserchronik< (vgl. Lex 1,1554). 224 f.: Zu der Selbstbeschreibung des Dichters Wan er so geleret was/ Da% er die sprach chvnde vgl. AH 1 ff.: Ein ritter so geleret was/ da% er an den buochen las/ swa% er dar an geschriben vant. Zum Problem der biographischen Forschung vgl. die Einleitung. 227: Zu eifunde vgl. 249: Oer vant dit% mar«·, in dem Bedeutungsfeld zwischen ervinden (Lex 1,690 „ausfindig machen, erfahren") und finden (Lex III, 354 u.a. „dichten, componieren") erstreckt sich Heinrichs Arbeitstechnik, die das in den Quellen Vorgefundene oftmals um Eigenes erweitert hat.90 231—245: Diese Widmung an die Frauen hat zahlreiche Parallelen, vgl. zu 231 ff. die Angaben zu 217—259 (mit Anm.). Die Grundaussage, daß die Achtung durch Frauen, verdeutlicht im Erringen ihres gruoξ, einen Mann glücklich macht, ist weit verbreitet, vgl. z.B. Wh 248,1, Wig 2091 f., 23882393, 5408 ff., 9700 ff., 10463 ff., MF 115,19 f. (Bernger von Horheim) oder Bruder Wernher (Minnesinger II, 228b (= 6,9)). So wie Heinrich seinen Frauendienst hier formuliert, sieht er ihn offensichtlich als eine fast vergessene Tugend an, dementsprechend apostrophiert er sich als Hüter eines Schatzes, 89 90

Eine ausfuhrlichere Diskussion dieser Stelle: KNAPP 1981, S. 156 ff. Vgl. auch MEYER 1994, S. 71 f.

1-456 Prolog

40

der auf den mittlerweile verklungenen Minnesang alter Schule 2uriickgeht. Solche bewahrenden Tenden2en finden sich gerade in der jüngeren Epik häufiger, so z.B. Konrad von Würzburg, >Engelhard< 138 ff., JTit 5965 f., ebenso noch Heinrich von Hesler in seiner >Apokalypse< 1378-1435." 237: Die Form sei für das Pronomen sie, si ist eine Besonderheit der Hs. V (vgl. Lex 11,908), so auch in D.92 Die meisten Belege stehen hierbei für einen Akk. Sg. fem.; einmal findet sich Akk. PI. fem. (5222), dreimal Akk. PI. mask. (11832, 12202, 13222). Einige Ausnahmen bezeichnen den Nom. Sg. (10938 und 14171), davon jedoch zwei Konjekturen (8028, 11658) bzw. eine Stelle mit Überlieferungsschwierigkeiten (11416) sowie eine Negation (8171). 242, 244: vnerwordenlich, vnerworden ist den Wörterbüchern zufolge nur in der >Crone< belegt (noch 828, 15389, 23078), „unverdorben, unvergänglich", wohl auch im Sinne von „standhaft"; gebildet zu erwerden „verderben, zunichte werden" (Lex 1,699). 246 f.: Im Anschluß an die versteckte Namensnennung im Akrostichon nennt sich Heinrich hier noch einmal offen; weitere Selbstnennungen finden sich 8774 und 10443 f.; die Namensnennung 30011 (heinrich wolgemuot) ist Schreiberzusatz und daher wohl nicht auf Heinrich zu beziehen.93 Zur biographischen Forschung vgl. die Einleitung (S. 99). 249 ff.: dit\ more hatte Heinrich 164—173 bereits angekündigt. Zu 251 f. vgl. Iw 5 f.; zu 253 f. Iw 8 f.: künec Artus derguote,/ der mit liters muote/ nach lobe künde striten./ Er hat bt sinen %}ten/ gelebet also schone (Iw 5—9). 256 f.: Die beiden Verse erläutern, wie Artus nah eren ie strebt (254): Er fing bereits frühzeitig damit an und verfolgte es bis zu seinem Ende. 260 ff.: Hier zeigt sich Heinrichs Umgang mit der Tradition besonders deutlich: Bislang war Artus fest mit dem Monat Mai verbunden, da seine traditionellen Hoffeste an Pfingsten stattfanden.94 Heinrich verlegt nun auch den sonst nirgends bezeugten Geburtstag in den Mai; die Astrologie betont zusätzlich den Topos vom meienbceren Artus (Pz 281,16). Lit.: K E R N 1 9 9 8 , S. 2 8 8 f.; W A G N E R - H A R K E N 1 9 9 5 , S . 1 9 8 f f . ; K E R N 1 9 9 3 ; MENTZELREUTERS

91 92

93 94

1989.

—»151 f. und 2403-2411; BOESCH 1936, S. 60-63, 235 ff. Auch 1641, 3091, 3368, 3431, 3538, 3548, 3900, 4943, 5072, 5093, 5100, 5104, 5124, 5222, 7643, 7678, 7739, 7749, 7791, 7939, 7989, 8028, 8065, 8171, 8596, 9246, 9318, 9439, 9526, 9665, 10938, 11224, 11254, 11271, 11276, 11289, 11416, 11437, 11454, 11459, 11610, 11658, 11766, 11815, 11832, 11850, 12084, 12089, 12202; in D 13222, 14171, 14535. SCHOLL zählt diese Erwähnung zu den Selbstnennungen (Namenregister, S. 505). Neben Pz 281,16ff. vgl. z.B. den Pfingsttermin Iw 34 nährichergewonheit,ähnlich >Gärel< 5-8, 14-16, JTit 1440, >Lohengrin< Str. 3812 f.; in der frz. Tradition neben Chretien auch z.B. 1. Cont. Bd. 1, Τ 8500 ff., >Du manteau mautaille< 62.

2 1 7 - 3 1 3 Intention des Dichters, Horoskop des Artus

41

Die mit der Maigeburt einhergehende Jahreszeitenschilderung entspricht den aus dem Minnesang bekannten Topoi, die dort v.a. in den Natureingängen zu finden sind: Die im Winter von Kummer gebeugten Herzen finden durch die wiederkehrende Wärme und die sprießenden Blumen Freude. Diese Allegorie bis 285 bespichent die milde (274) des Artus, der sein Leben lang ebenso freigebig wie der Wonnemonat Freude geschenkt habe. Gegen Chretien und Hartmann, bei denen vor allem das traditionelle Hoffest an Pfingsten nicht fehlen durfte, hatte sich auch Wolfram eher lakonisch über diese Tradition geäußert: Artus der meienbare man,/ swa% man ie von dem gesprach,/ seinen pftnxten da^ geschach,/ odr in des meien bluomen^t (Pz 281,16 ff.).95 Heinrich übernimmt den Topos von Artus, dem maienbaren man, aber wie Wolfram distanziert: Es sei eben eine gewonheit (262), das hervorzuheben. Zudem verlegt er das traditionelle Hoffest zu Beginn des Romans auf Weihnachten (vgl. 457—917), zu Pfingsten wird erst nach Abschluß der Krisen des ersten Romanteils gefeiert (12601 ff.). Das mit diesem Fest eingeführte Wintermotiv wird im ganzen ersten Romanabschnitt in die Handlung integriert. 274-285: Die Betonung der milde (wieder 309, 438-456) findet sich ähnlich im (ebenfalls >Iwein< verbundenden) Prolog zu >Wigalois< (vgl. Wig 145— 171, 210f., 216—221).96 In die Handlung eingefügt zeigt sie sich v.a. Fahrenden und Gästen gegenüber (z.B. Lanz 5594ff., Wig 1680ff., >Wigamur< 2520 ff. oder im Ambraser Man 163 ff.). 285: Das Präs. in V wirf manger vro entspricht der Idee des Weiterlebens des Königs im Nachruhm (—»199 f.). 286—295: Chloto, Lachesis und Atropos sind drei Moiren aus der griechischen Mythologie. Sie verkörpern die Anteile eines Menschen am Lebensschicksal (gr. μοίρα, „Anteil") und entwickelten sich später zu Schicksalsgöttinnen: Klotho („die Spinnerin, Weberin"), die den Lebensfaden spinnt, Lachesis („die Zuteilerin"), die den Faden durch alle Wirrungen des Schicksals hindurchgeleitet, sowie Atropos, die „Unabwendbare", die den Faden abschneidet und so den Tod herbeiführt. Heinrich verwechselt Chlotho und Lachesis. Bei Hesiod sind sie die Töchter von Zeus und Themis; die Römer haben sie später mit den Parzen identifiziert.97 K N A P P verweist auf eine Erwähnung der drei in dem afrz. Roman >Amadas und YdoineTres Mythographi Vaticank „In der

95

Vgl. dazu

96

Vgl. KERN, C r ö n e 1 9 9 9 , S. 2 0 2 .

97

V g l . LURKER 1 9 8 9 , S . 2 7 6 .

98

KNAPP

SCHIROK

1989.

1982, S 45 f.; auch

KNAPP

1977, S. 264, Anm. 45.

1-456 Prolog

42

deutschen höfischen Literatur und zu diesem Zeitpunkt (1220/30) ist der Parzenbeleg der >Crone< singular."99 298 f.: Die Rolle Fortunas in Heinrichs Roman wurde schon viel diskutiert. Lit. zu Fortuna/Sselde in der >CröneLa Mort le Roi Artu< § 172,49 f. an: Tu me fusjadis mere, or m'ies tu devenue marrastre, vgl. entsprechend >Prosa-Lancelot< (KLUGE, 111,715,12 ff.): Du bist mir hievor ein müter gewest [...] und bist mir nü ein stiejmiitter worden. Ahnlich nochmals >La Mort le Roi Artu< § 192,21 f.; KLUGE, 111,763,10 f. Vgl. KNAPP 1977, S. 256, dazu ANDERSEN 1 9 8 7 , S . 3 9 f.; KERN 1 9 9 8 , S . 2 9 1 , A n m . 5 2 5 .

102 Was als Hinweis auf die eher säkulare Ausrichtung des Romans gelesen wird, vgl. z.B. CORMEAU 1995, S. 32 f. Hingegen betont MENTZEL-REUTERS 1989, S. 236 ff. den durchaus religiösen Charakter der Saeldenallegorie entsprechend christlicher Typologie; vgl. auch die stark voneinander abweichenden, abschließenden Deutungen der Gralserlösung (—>2899129660).

103 LdaG, 257; vgl. dazu DE BOOR 1975; CORMEAU 1995, S. 26.

104 Hingegen wird ihre Schwester Garanphiel als Verkörperung der negativen Seite der Sselde

217-313 Intention des Dichters, Horoskop des Artus

43

kussion, vgl. die genannte Literatur. THOMAS sieht den Verlust von Fortunas Gunst im afrz. >Lancelot en prose< als Anlaß für Heinrich, Gawein die Zuwendung der Saside erneut gewinnen zu lassen.105 Der Hinweis auf den fehlenden erben Fortunas muß wohl im Zusammenhang mit der Darstellung Fortunas 15823 ff. gelesen werden, wo sie ir kint, daZ Hei.I (15853) auf dem Schoß hält.106 Der Einfluß der Fortuna auf die gesamte Handlung wird unterschiedlich bewertet. So wird die poetologische Bedeutung der in den Mittelpunkt gerückten Glücksgöttin betont: Heinrich thematisiere damit „Grundprinzipien der arthurischen Romangattung"107 (vgl. Iw 1—3). Dies manifestiere sich im Disput über das Verhältnis von Virtus und Fortuna ( 5 8 4 9 - 6 2 2 3 , — » 5 7 6 7 6 2 5 6 ) , in der Allegorisierung (Besuch bei Saside 1 5 6 4 9 - 1 5 9 3 1 ) sowie in der um Dingsymbole kreisenden Handlung (Gewinn, Raub und Wiedererwerb des Rings der Fortuna und des Fimbeus-Gürtels).108 Ganz anders aber z.B. die Einschätzung bei ERTZDORFF: „Frau Saslde, die Fortuna, und Frau Minne lenken das unvorhersehbare und unberechenbare Geschehen." Alle Ordnungsprinzipien seien in der >Crone< aufgegeben „zugunsten des Unerwarteten, Staunenswerten und Zufalligen."10' Diesem postulierten Chaos stehen die neueren Forschungsergebnisse zur Konzeption des Romans entgegen (bereits MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 ; v g l . v . a . MEYER 1 9 9 4 ; BLEUMER 1 9 9 7 ; THOMAS 2 0 0 2 u.a.). Bereits EBENBAUER 1 9 7 7 hatte Heinrichs Fortuna in einer neuen Rolle als Garantin von Artusidee und -hof gesehen, eben nicht mehr als launische Glücksgöttin, das aber zugleich als „Sackgasse"110 apostrophiert (S. 3 7 f., ähnlich KNAPP 1 9 7 7 ) . In ihrer Unbeständigkeit habe Fortuna eine betrachtet, so EBENBAUER 1977, S. 29; THOMAS 2002, S. 68 spricht von einer ,jortuna adversa"·, ähnlich zuerst WALLBANK 1965, S. 306 f. Weitere Lit KERN, Cröne 1999, S. 209, Anm. 47; - » 4 8 8 5 .

105 THOMAS 2002, S. 31. Er geht so weit zu überlegen, ob Heinrich einen ähnlich versöhnlichen Schluß zu dieser afrz. Tragödie habe schreiben wollen wie es >Diu Klage< im Blick auf das >Nibelungenlied< tut, vgl. ebd. S. 32. 106 KNAPP 1977, S. 255 f. möchte Artus mit dem erben und somit auch mit dem Heil identifizieren. Dagegen WALLBANK 1987, S. 131 f.; MENTZEL-REUTERS 1989, S. 111 f. Neben der über Hartmann hinausgehenden Betonung der „Historizität des Artus" und die für die „nachklassische Literatur" typische Verbindung von Zeitklage (Fortunas erbenloser Thron) und Lob des Vergangenen (vgl. 151 ff. u.ö., KERN 1998, S. 288 ff., Zitat S. 291) wird auf die besondere Ausgestaltung der „mythischen Geschichte" der ebenso mythischen ArtusErzählwelt durch Heinrichs „Thronfolger"-Regelung sowie die Schutzmacht Fortuna verwiesen (vgl. EBENBAUER/WTSS 1985, S. 522).

107 KERN, Cröne 1999, S. 204. 108 Vgl. KERN, Cröne 1999, S. 204-210. 1 0 9 ERTZDORFF 1 9 9 1 , S. 3 5 1 .

110 Unter der Voraussetzung, daß die Gattungsentwicklung hin zu einer immer religiöseren Motivation habe gehen müssen, entsprechend der Chretien-Deutung bei KÖHLER 1970.

44

1-456 Prolog

Neigung zur manheit, wovon v.a. Gawein profitiere.111 So vermutet T H O M A S „an attempt to portray the goddess as a Christian guardian angel functionally equivalent to Christian Providence", wofür es viele literarische Vorbilder gebe — allerdings erscheint ihm Heinrichs Darstellung so vielschichtig, „that we might suspect parody."112 300: diu Lvne als Personifikation des Mondes (vgl. zugleich auch die gr. Mondgöttin Selene) steht für die Veränderlichkeit und Launenhaftigkeit des Glücks; hier wird sie gleichgesetzt mit Fortuna, die in ihrer Beziehung zu Artus allerdings von ungewöhnlicher Beständigkeit ist (Diu in der salicheit beriet, 301).113 Zur Verbindung Fortunas mit dem Mond vgl. auch das Carmen Buranum Nr. 17.1: Ο Fortuna, velud luna/ statu variabilis/ semper cnsäs aut decrescis/ vita detestabilis!.xu „Eine ähnliche Vorstellung liegt in [>Der heilige Georg< von Reinbot von Durne, 4497] vor, hier wird außerdem die astrologische Deutung der antiken Götter plastisch greifbar" (LdaG, 365). VOLLMANN (>Carmina BuranaHohes Lied< 1437 ff.; zit. nach LdaG). 114 „O Fortuna, veränderlich/ wie die Phasen des Mondes,/ nimmst du immer zu oder ab,/ verabscheuungswürdig in deinem Wandel!" (Übersetzung V O L L M A N N ) . Vgl. K N A P P 1 9 7 7 , S. 262, Anm. 35. 115 Vgl. auch K L U G E 1995, S. 506 zur nhd. Bedeutung von „Laune", die „auf der Auffassung der mittelalterlichen Astrologie [beruhe], daß der Mondwechsel die Gemütsstimmung beeinflusse." 116 So hat sich z.B. schon der Mailänder Bischof Philastrius (f vor 397) gegen solche Zuordnungen gewandt, was deren Existenz voraussetzt, vgl. LCI 4,377; Kl. Pauly, Bd. 4,736.

314-346 Tod des Uterpandagron

45

Schriftsteller, wie v.a. der auch im Mittelalter noch viel gelesene Origenes mit einer versöhnlichen Sicht zur Wegbereitung einer christianisierten Astrologie bei. Die Übersetzungen islamischer Traktate zur Himmelskunde seit dem 12. Jh. führten schließlich dazu, daß die Astrologie in den Lehrstoff der Universitäten aufgenommen wurde. Wichtiges Zentrum war dafür Toledo (auch —>1091). Welche phylosophein Heinrich hier heranzieht, muß wohl unbestimmt bleiben; bis ins Mittelalter hinein bedeutend blieben v. a. die Schriften des Martianus Capella sowie Isidors von Sevilla.117 304: in den selben tagen — im Mai (vgl. 260 f.). 314—346 Tod des Uterpandagron 314-346: Uterpandagrons118 Ansehen und Machtbereich, die auf seinen Sohn Artus vererbt werden, zählt Heinrich in einem für die Artusliteratur sonst nicht bezeugten Lob Uterpandagrons auf. 315: Die Anrufung Gottes ist die erste einer ganzen Reihe im Romanverlauf, vgl. die Zusammenstellung im Namensverzeichnis. Sie bleiben meist floskelhaft und oberflächlich, anders als z.B. im >Wigalois332—335 zu Gal. Engelaut findet sich auch Pz 663,17; 735,16; 761,27; vgl. auch 5702 f.: Der Bote des bedrängten Königs Flöis läuft Ze Britanie vnd ^Engellant/ Dem chünig Artuse. 338: überchrafi („überlegene kraft, Übermacht", Lex 11,1634) auch 669, 9972, 15992, 29888. 344: Jn siges reht ist eine ungewöhnliche Formulierung, im Sinn von „in sieghafter Weise, mit gutem Grund siegreich".

122 Für weitere Belege bei Heinrich vgl. das Namenregister. Die Unterscheidung, ob Britannien oder die Bretagne gemeint ist, muß jeweils neu getroffen werden; zu diesem Problem in der afrz. Lit. vgl. auch WEST 1969, S. 25 f. 1 2 3 Vgl. auch Tr 4 3 0 und 4 3 6 Gäles\ OKKEN 1 9 8 5 , S . 6 6 verweist auf die auf die >Etymologiae< des Isidor von Sevilla zurückgehende Herleitung Engelant aus En-gal-lant und die dazugehörige Ableitung -gal- aus Gales. 124 KNAPP 1993, S. 168 möchte die Angabe 467 als „Gallien" lesen können, um die Unverbindlichkeit von Heinrichs Fiktion zu wahren - wenn man diese Forderung auf die vorliegende Stelle ausdehnt, spräche auch die ausdrückliche Nennung von Wales 3 3 5 (Walois) dafür. 125 CdG 229; 237; 465; 567; 573; 4069; auch ErC 6641, Yv 7 und Cli 1453; 1472; 1786; 2327; 2385.

347—411 Totenklage des jungen Artus um seinen Vater

47

347—411 Totenklage des jungen Artus um seinen Vater 354: Die feste Formel mag vnd man findet sich wieder 10925. Das Verständnis als „Verwandte und Lehnsleute" (bei SCH/KNN)126 erscheint sinnvoller als MENTZEL-REUTERS Konjektur maget fur V mag und Ρ möge,127 361: Vterpandagron (in dieser Form schreiben beide Hss. den Namen durchgängig, vgl. 1 0 0 9 , 1 3 1 8 4 , 1 3 5 7 4 , 1 8 7 4 6 , 2 0 3 9 1 , SCHOLL hat allerdings normalisiert) wurde schon bei Geoffrey als Vater des Artus eingeführt, entsprechend von Chretien, Hartmann und Wolfram übernommen. Er spielt in der höfischen Literatur keine besondere Rolle. Geoffrey übersetzt den Namen Pandragon als „Drachenhaupt", eher dürfte er aber als „Hauptdrache", „oberster Anführer" zu deuten sein.128 368: Tinfagve ist bei Geoffrey der Ort der Zeugung des Artus; ansonsten z.B. in Chretiens >Erec< Residenz des Artus; daneben aber auch Sitz König Markes (Tr 478; 541 u.ö. Tintajel/ Tintajdl). Seit Hartmann von Aue hat sich Karidol als wichtigste Artusresidenz durchgesetzt (—>372). In der >Cröne< spielt das wenig gattungstypische Weihnachtsfest auf Tintaguel, später zieht der Hof nach Karidol um und bleibt dort, mit Ausnahme der Hirschjagd in Karadigan 16714—17311. Die Lokalisierung 467 f. Jn Cornowalle in dem se entspricht exakt den geographischen Gegebenheiten der nur durch einen schmalen Felssteg mit dem Festland verbundenen Insel an der Nordküste Cornwalls. 369 f.: Liuns läßt sich mit dem bei Nennius erwähnten Schlachtort Linnius identifizieren, das ASHE 1993, S. 90 f. mit „Lincoln" überträgt;129 Yascun dürfte identisch sein mit Jaschune 3210 und 5746 (dem Ort des Turniers, zu dem die Tafelrunder nach dem Weihnachtsfest ohne Wissen des Königs aufbrechen). KNN deutet die Namen hingegen als Lyon und die Gascogne, passend dazu Tischun (370) als Dijon (vgl. Anm. KNN). Gisors ist der Name einer großen Burg in der Normandie, die im 11. und 12. Jh. auf den Resten einer Motte erbaut wurde und u.a. 1145-1161 dem frz. König Louis VII und ab 1161 Henri II Plantagenet gehörte. 372: Karidol ist die traditionelle Burg des Artus (bei Chretien noch eine neben anderen), seit Hartmanns >Iwein< als Tradition festgeschrieben, wie 126 Vgl. die entsprechenden Formulierungen NL 49,1; 162,4; 438,3 u.ö.; AH 1464; Greg 201; Wh 9,7; Wig 4197; Gau 281. 127

MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S . 3 0 2 .

1 2 8 Vgl. ASHE 1 9 9 3 , S. 2 3 ; zu Parallelen etc. SCHRÖDER 1 9 8 2 , S. 1 2 3 f. Z u den Verwandschaftsbeziehungen SCHMID 1 9 8 6 .

129 Im Calvados (Normandie) gibt es einen Ort Lions-sur-mer, dessen Name auf lat. Lugdunum zurückgeführt wird, woraus die Varianten Leones, Lions oder Liuns abzuleiten sind. Reste einer großen Burg des 11.Jh. bestehen bis heute. Vgl. COGNY 2001.

48

1-456 Prolog

sich bei Wolfram zeigt; spätere Artusromane greifen darauf ganz selbstverständlich zurück.130 Hier findet der größte Teil der Artusszenen des Romans statt.131 Daß es sich um die angestammte Residenz handelt, zeigt auch —>21813 f. Könnte 1yntasion eine Variante von Tintaguel (368) sein? 377: Die bei KNN aus Ρ konjizierte Form ist deutlich interessanter als V der selben stunde, sind die außergewöhnlichen Objekte der Fluchrede doch Macht und Reichtum des Vaters, die der junge Artus nun erbt. Zudem ist der Genitiv in V nicht sinnvoll erklärbar. Zur Figur der Saide —>298 f., als Personifikation des Glücks wird vrou Saide zuerst von Hartmann von Aue genannt (ErH 3460, 9899).132 380 f.: Für übervanch, das mit mer nur in der >Crone< verbunden wird (auch sonst selten, vgl. Lex 11,1671), bietet BMZ III,210b nur „Oberfläche, decke"; am sinnvollsten erscheint „umkreis" (Lex), denn gemeint ist wohl die kriegerische Eroberung der am Meer gelegenen Länder (ebenso 5475). 384 ff.: Die aufgezählten Völker lassen keine klare Logik erkennen: Türken, Sarazenen, Waliser und Parther, Franzosen, Normannen und Engländer (die Uterpandagron mit seinen Pritanoys, „Bretonen" (BMZ 1,258) bekämpft). Ebenso wie in den ab 368 genannten Ortsnamen geht es lediglich um die qualitative Bestimmung des Herrschaftsbereichs, wie sie auch in der Aufzählung 332 ff. intendiert war. 395: %agel hier als Nachhut des Heeres? 396: Partonope, der veinde hagel, ist eine der unteritalischen Sirenen, nach der in der Antike die Stadt Neapel benannt wurde.133 Sie wird von Heinrich als Unglück {hagel) der Feinde bezeichnet. Die Redewendung der vinde hagel verwendet Heinrich nochmals 5199 und 10519; sie findet sich vorher Greg 1997134 V g l a u c h d e n e n t S p r e c henden Ausdruck schüre ->1521, ->17202 f., ->25538 und ->26726. 3 9 8 — 4 1 1 : Zur Klage des Sechsjährigen, sein Vater habe bereits alles erobert, so daß er nun nicht wisse, wie er sich erdigen solle (401), vgl. die ähnlich gelagerte Beschwerde des jungen Alexander d. Gr. bei Plutarch: Als 130 Vgl. >WigaloisGaurielDanielWigamurErec< übernommenen Jagd auf den weißen Hirsch 16714—17311. 1 3 2 Vgl. DE BOOR 1 9 7 5 , S. 3 1 4 .

133 Vgl. Kl. Pauly, Bd. 4,532. Gegen die alternative Überlegung, den Namen auf den afrz. Roman >Partonopeus de Blois< (anonyme Vorlage für Konrads von Würzburg >Partonopier und MeliurAlexander< 5,4).135 408 ff.: Diese Verse sind wohl als Abschluß der Klage zu verstehen, daß Artus keine Möglichkeit zur Bewährung bleibe, so daß er vnwirde und schände dulden zu müssen glaubt, wenn er erst einmal erwachsen sein wird: „Zu Recht bin ich diesem Land wenig wert, denn mein Schwert hat es nicht bezwungen, ich habe kein Lob verdient."136 412—456 Artus wächst unter Obhut von Frau Saelde heran 412: Vrowe Saide ist im Roman identisch mit Fortuna (—>298 f.). 421: gunde zu gunt (stM.), „Gunst, Wohlwollen"; für die >Crone< typisch weich auslautende Form, so auch 2128, 2567, 4270, 4883, 5827, 8426,10644, 12485, 16108, 16556, 18739, 21911, 22301, 22562, 25740, 26459, 27181, 27272, 27780, 29599, 29801, 29821.137 Sonst kaum belegt, stärker verbreitet ist gunst (vgl. Lex 1,1120), das auch Heinrich kennt.138 423: Die Altersangabe ßinft^eheti iarert für die Regierungsübernahme des jungen Artus stimmt mit den Berichten Geoffreys von Monmouth überein, der allerdings nichts vom frühen Tod des Vaters berichtet; in der >Historia< wird Artus' Vater später von den Sachsen vergiftet.139 443-446: Uber den von Heinrich häufig thematisierten Kontrast zwischen guten und schlechten Wirten —>6231-6250. 456: Lies er im Sinne von „Ehre".

135 Einen historischen Reflex auf zeitgenössische Sorgen, der Kulturimport aus Frankreich könne die Stärke der vorherigen Generationen schwächen, vermutet hingegen THOMAS 2002, S. 95 als Hintergrund dieser Klage. Zum Motiv der Klage bei Heinrich vgl. auch —»7150-7223. 136 Im Sinne von TH; vgl. dagegen Anm. KNN. 137 Vgl. auch die Zusammenstellung bei REISSENBERGER 1879, S. 33. 138 Im Bereich der Hs. V erscheint es allerdings nur zweimal, jeweils in Reimstellung (10 im Reim zu kunst, 6739 im Reim auf urbunst), der Beleg im „Osterherrenexkurs" 2979 ist nur in Ρ überliefert. In Ρ finden sich vier Belege in Reimstellung (zu kunst bzw. unkunst·. 23727, 25186, 26550, 27249), nur zwei im Binnenreim (19105, 25972). 1 3 9 V g l . ASHE 1 9 9 3 , S . 2 4 .

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe Lit.:

RINGELER

2 0 0 0 , S. 2 3 0 f.;

ZACH

1 9 9 0 , S. 3 4 5 - 3 4 8 ; zur Becherprobe - > 9 1 8 - 2 6 3 1 .

457-917 Das Hoffest 457-568 Überleitung; Vorbereitungen für das Fest 458: chranch V, trang P: Dieselbe Lesartenvarianz findet sich 2016. 467 f.: Zu der zunächst realitätsgetreu wirkenden Lokalisierung der Artusburg Tintaguel - » 3 3 2 ff., ->368. 469: Der traditionelle Termin für das Hoffest zur Präsentation des Artushofs ist Pfingsten, denn die „Freude des höfischen Lebens, seine Jugendlichkeit und Sommerzeit gehören zusammen."1 So erscheint die Nennung dieses Termins bei Chretien und Hartmann verselbständigt; entsprechend häufig wird er übernommen (vgl. Pz 216,5 ff.; Lanz 5580 ff., 5679 ff.; Man 109 ff.; Tr 523 ff.; Wig 1625 ff.; >Wigamur< 30 ff.).2 Heinrich setzt sich bewußt von dieser gewonheit (262, auch —>260 f.) ab, indem er das erste Hoffest seines Romans, dem ein besonderer Stellenwert in der Wahrnehmung zukommt, an Weihnachten stattfinden läßt. Somit erhält der Glanz der Hofgesellschaft keinerlei Unterstützung durch die Natur, sondern ist ganz auf sich gestellt; im Gegensatz leidet der Hof unter des winters herten twanchsal (279). Sowohl das schlechte Abschneiden der Gesellschaft bei der Becherprobe, als auch die dem Fest folgende, gattungsfremde Darstellung des frierenden Königs, der in Schnee und Eis dem vorgeblichen Liebhaber seiner Frau auflauert, zeigen, wie es zu Beginn des Romans um diesen Glanz bestellt ist (—>10159— 10168).3 Erst nach der Überwindung der Krisen des ersten Teils kann der Artushof zum gewohnten Frühjahrstermin feiern — diese Zeitebene wird dann auch nicht mehr verlassen. Die großteils exakten Zeitkonstruktionen4 1

WAGNER-HARKEN 1 9 9 5 , S. 9 5 .

2

Eine Ubersicht zu arthurischen Festen insgesamt in der mhd. Lit. bei LICHTBLAU 1989, S. 289 f.

3

Dazu MENTZEL-REUTERS 1989, S. 1 1 7 f., WAGNER-HARKEN 1995, S. 9 4 f. Bereits Wolfram

hatte Artus aber im Schnee auftreten lassen und dieses Phänomen kommentiert, vgl. Pz 281,16-22. 4

Vgl. z.B. das Schema bei WAGNER-HARKEN 1 9 9 5 , S. 2 0 7 .

457-568 Überleitung; Vorbereitungen für das Fest

51

zeigen so ihren bedeutungstragenden Charakter.5 Mutmaßliche Quelle für Heinrichs Terminwahl dürfte eine Bemerkung ErC 6510 f. sein, derzufolge sich Artus zwanzig Tage vor Weihnachten in Tintajeul befand; ErH 4629.9 ff. ist Artus in der Nähe von Tintajöl auf Jagd. Tintaguel wird als Artusresidenz im Mhd. sonst nur noch im >Erec< genannt (4629.10).6 Der Ablauf des sich über mehrere Tage erstreckenden Festes entspricht der vielfach überlieferten Tradition: Die Gäste werden durch Boten eingeladen, nach der Ankunft begrüßt und mit verschiedenen Aktivitäten unterhalten: mit Spielen, Musik, kostbaren Geschenken, ritterlichen Gesprächen und vor allem mit Kampfspielen. Im Anschluß daran findet dann das Festessen statt, das hier um eine Tugendprobe erweitert ist.7 488 f.: Hier zeigt sich das Bedeutungsspektrum von hof. zum einen die Versammlung der Fürsten, die einberufen wird; zum anderen steht der Begriff für die Institution Artushof, die diese Versammlung anberaumt. Beide Möglichkeiten enthalten sind z.B. 10119 f.: die Pürsten alle warn chomen,/ Die den hof heten vemomen. 490: Der senetscbas bzw. seneschas (24357, 24498), zu mlat. senescalcus, afrz. seneschal,8 ist ursprünglich der Altknecht und Titel des obersten Hofverwalters; der Terminus wurde „in nachkarol. Zeit [...] durch den Begriff des Truchsessen bzw. dapifer abgelöst [...] bes. in Frankreich und England behauptete sich aber die Bezeichnung S.".9 Keie, der Seneschall und Truchseß (—>1438) des Artushofes,10 ist neben Artus und Gawein eine der tragenden Figuren dieses Romans und gehört zur klassischen Kerngesellschaft des Artusromans.11 Sein Charakter entspricht in der >Crone< zunächst dem aus den Vorgängerromanen bekannten Bild;12 seine 5

Vgl. auch MEYER 1994, S. 172.

6

Vgl. STEIN 2 0 0 0 , S . 1 8 f.

7 8 9 10 11

Vgl. BUMKE 1990, Kap. IV (und weiterfuhrende Literatur S. 825 ff.). Vgl. zur Wortgeschichte auch SUOLAHTI 1929, S. 234. LdMA 7,1751 f. Diese Funktion wird von Heinrich wiederholt betont, anders als die eher zurückhaltenden Hinweise in anderen Artusromanen. Vgl. dazu DAIBER 1999, S. 163 f. So bereits der Seneschall Cajus in Geoffreys >HistoriaVon Arthurs Geburt und wie er König ward< in: „Keltische Erzählungen", Bd. 2, S. 143-

12

Vgl. STEIN 2 0 0 0 , S. 2 6 6 ff., bes. 2 6 8 ; GUTWALD 2 0 0 0 , S . 1 6 2 ff.; DAIBER 1 9 9 9 , S. 1 6 3 - 1 8 5 ;

157.

allgemein zur Figur Keies: „Medieval Heroes", S. 154 ff.; GOWANS 1988 (zur >Cröne
24741; ebenso Iw 2193: grä, härmin, unde bunt,; Wig 9077: härmin, bunt unde grä (wieder Dan 6574, Gau 981). 548: London wird auch Pz 313,10 und Wh 154,26 als Ursprung kostbarer Kleinodien genannt; vgl. auch Cli 1051, 1060. 551: Die Königin Ginover, die hier ganz nebenbei zum ersten Mal genannt wird, gehört wie Keie und Gawein zum engsten Kern der Artusgesellschaft. Sie wird bereits erwähnt bei Geoffrey von Monmouth und in Waces >Roman de Brut3273-5468 und —>11037). Im Vergleich zu der Selbstverständlichkeit, mit der ihr Name von Heinrich genannt wird, fällt auf, wie selten sie in anderen Artusromanen namentlich genannt wird (gar nicht in >IweinWigaloisParzivalGärel 1 1 0 3 7 - 1 2 6 0 0 ;

MÜLLER/SPRINGETH

30

Vgl. Mhd. Grammatik § 1 5 5 ;

31

V g l . BRÜGGEN 1 9 8 9 , S . 6 0 .

2001;

WALTERS

1996;

KORREL

1984.

SUOLAHTI 1 9 2 9 , S . 2 1 6 .

32

V g l . BRÜGGEN 1 9 8 9 , S . 2 1 1 , 2 2 0 , 2 5 7 f.

33

Ausführliche Belege vgl. WEST 1 9 6 9 , S . 8 1 ; CHANDLER 1 9 9 2 , S . 1 0 8 f. CHANDLER zitiert eine Übersetzung des kymrischen Namens Gwenhwyvar als „Lady of the Vast Extension".

34

V g l . ACHNITZ ZU G a u 3 7 4 1 ( S . 5 6 9 ) .

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

56

552 ff.: Geographische Angaben haben auch hier keinen Anspruch auf Exaktheit: Die Königin von Alexandria (522 f.) schickt Preziosen aus ir lant (= Ägypten?) bzw. sinnvoller irlant Ρ (zu Irlant vgl. auch —>8276); Lecester dürfte mit dem mittelenglischen Leicester zu identifizieren sein. 567: bezeichnet das chleinot (554), der Sg. hat dabei kollektive Bedeutung. 569-617 Ankunft der Gäste 575: Das Substantiv herbergerie ist als Lehnwort dem afrz. herbergier „beherbergen, übernachten" noch näher als das verbreitete Verb herbergerr, auch 908, 22257, ansonsten nur noch in >Flore und Blanscheflur1. Continuation und >2. Continuation. 43 Angiron ist wohl eine freie Variante zu den Alliterationen der vorigen Verse. Zur Deutung heranziehen ließe sich vielleicht afrz. angin(g), „List, Tücke" und guerre, „Krieg", oder aber guerredon für „Lohn, Vergeltung". 595: Zu Von der hand Otgojllos zu afrz. orguel („Stolz, Ubermut, Kühnheit" etc.) vgl. ErC 2171 und CdG 3751 (u.ö.): Orgoilleus de la lande (ebenfalls CdG 3 7 5 1 ff.); Pz 1 2 9 , 2 7 u.ö. in der Form Orilus (Herzog von Lalander). Wieder 5980.

5 % : Zu Miliance ly ros vgl. 6 4 2 8 Belian% Ii rus (Konjektur SCH/KNN): ZU afrz. ros, rous, „rot, rothaarig".44 Chretien nennt einen Ritter Melians^ de Li£ (ErC 1 6 9 4 , CdG 4 7 5 5 u.ö., wieder Pz 3 4 4 , 1 5 u.ö., zahlreiche Nennungen bei WEST 1 9 6 9 , S. 1 1 4 ) ; im Vulgate Lancelot^ 5 findet sich ein Melians Ii Rus de la Marche d'Escoce; daneben auch im >Lancelot en prose< (MICHA, 11,122, § 3 4 u. ö.) Meliadus Ii Noirs. 597: chunk Arab Ii nains zu afrz. nain, „Zwerg", vgl. auch 1603: Neini diu tiverginne. 598: roys Yllec a dvre mains ist ohne Parallelen, afrz. „König Yllec (zu mhd. ilenT) mit den harten Händen" ( - > 1 6 0 7 ) .

39

Vgl.

CORMEAU

1977, S. 209, Anm. 72.; dazu die Stammbäume der Artussippen bei

SCHMID

1 9 8 6 u n d CHANDLER 1 9 9 2 , S . 1 1 2 .

40 41 42

Zu der häufig verwendeten afrz. Phrase jyl Ii roys, „Sohn des Königs" (u. a. auch 587, 600, 848, 2155, 2312, 2322, 24542) vgl. auch SUOLAHTI 1929, S. 286. BLEUMER 1997, S. 38 deutet den Namen, er stehe „für das, was er verursacht: Gotegrin bewirkt Ginovers 'greinende' Anrufung Gottes". Falls Heinrich wirklich afrz./)«/- bzw.pui- mitpho- oderphu- wiedergibt (—>983), könnte der zweite Namensteil in Verbindung mit pooir; „Macht, Gewalt, Vermögen" (FOERSTER 1973, S. 198) etc. gebracht werden?

43

V g l . WEST 1 9 6 9 , S. 8.

44

TL 8,1469; vgl.

45

V g l . CHANDLER 1 9 9 2 , S . 2 0 1 .

SUOLAHTI

1929, S. 216.

58

4 5 7 - 3 2 7 2 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

599: Von dem Grüenen Werd Floys spielt später (5582 u.ö.) die auslösende Rolle in der Assiles-Handlung, wenn der König der Grünen Insel von dem Riesen belagert wird und Gawein um Hilfe ruft. Flois vielleicht zu afrz. flo, floie mit der Deutung „schwach, kränklich". 600 ff: Der Blick auf mögliche Parallelfiguren läßt vermuten, daß nur zwei statt der durch die Interpunktion und Konjunktionen bislang gelesenen drei Ritter gemeint sein könnten: In der >1. Continuation findet sich ein Blandigan, Graf oder König von Yslande bzw. Wände·* zur Wiederherstellung dieser Namensform wäre das Vnd 602 zu tilgen und die Interpunktion zu ändern, um Blant aus dem vorigen Vers wieder zu seiner Herrschaft zu verhelfen (zu afrz. blant, -de, „schmeichlerisch"?). Die Alvern („Auvergne", als Alvergne z.B. im >Roman de Brut< 1568.)47 wäre dann das Land des Eumedis (zur Lesart in Ρ vgl. den Namen eines der Zöllner des Assiles, Eumenides —>6449). 5698 kommt Ywanet aus Alverne von König Flois gelaufen - die Besitzverhältnisse bleiben unklar. 603: Der sprechende Name Kiinic Noyrs von Ethiopia dürfte eine Erfindung Heinrichs sein: afrz. noirs „schwarz"; ähnlich 1602 f.: Moret div marin tie. Ethiopia im Sinne des lat. allgemeinen Ausdrucks für „Mohrenland". Er ist auch Teilnehmer der Becherprobe 1962. 605: Bei Repaire ist das Schloß Blanchefleurs (CdG 2326 u.ö.), vgl. Pelrapeire Pz 180,25 u. ö. Zu Jorant% vgl. die Parallelen Pz 770,29 Jurans, Jorans im afrz. >Rigomer18819 ff.) sind oft überliefert; mijle (P) bzw. meile (V) ist ungeklärt.62 Heinrich dürfte es aus Chretiens Spiel mine (ErC 356, ChCh 1642, 2703) übernommen haben, dessen Bedeutung als Würfelspiel allerdings auch nur vermutet wird.63 In dem (früher Heinrich zugeschriebenen) >MantelCrone< leiten ließ. In der Ambraser Handschrift scheint die Stelle verderbt (auch der folgende Vers), das im Apparat angegebene Vale und alt konjiziert SCHRÖDER in seiner Neuedition zu val aide wutfipbels. Als Verb findet sich milen ebenfalls im Zusammenhang mit Brettspielen bei Eilh 6365 (allerdings mit der Variante spile) im Reim zu tlen.M 649 f.: Eine ausführliche Schilderung, wie man sich solche Männergespräche über die Damen vorzustellen hat, bietet z.B. Man 334—362.65

60

Vgl. DALBY 1965, S. 153: „annual moult, of a hawk (the term is thus used as a measurement of age)". Mit jeder Mauser steigern sich Erfahrung und damit Wert des Vogels.

61

Allgemein dazu TAUBER 1987; SCHOLKMANN 1982.

62 63

Vgl. auch die Anm. bei KNN. Die Herausgeber erklären es als „variete [...] de jeux de des" (S. 71), später etwas ausführlicher als „petit bassin ou plateau metallique oü l'on jetait les des. Le mot designe soit le recipient, soit le jeu lui-meme" (S. 578). Vgl. auch SUOLAHTI 1929, S. 160, der ebenfalls nur Vermutungen in diese Richtung anstellen kann. Beide Belege nicht in BMZ und Lex. Gn>z was der ritter schouwen/ an den gemeiten vrouwen./ gro^ was ir loben und ir prisen:/ nu die tumben, nu die wisen;/ nu die gebebede, nu die genge;/ nu die kiir^ nu die lenge;/ nu von ir fügende, nu von ir state:/ diu lie^e, wa% diu täte;/ nu von der schane, nu von der geschiht./ Der eine vraget, der ander spricht;/ der sprach sin liep, jener spehet./ ein ander sprach da bi >nu sehet/ dort lachende ougen unde gra,/ hie brune ougenbradit\ ist daζ schaneste wipnihtsihestu jene?/ diu ist die schonest under im./ mein, dich triuget din sin./ siehstu jene in dem samitit (ed. SCHRÖDER). EITSCHBERGER 1999, S. 84 interpreaert 649-652 als Streit der Frauen selbst, die gleichzeitig durch Fidelspiel geehrt würden. Das mag für ihre Belege aus anderen Werken gelten, hier jedoch dient das Fidein innerhalb der Aufzählung männlicher Vergnügungen lediglich der Unterhaltung.

64 65

659-917 Turniervorbereitungen und -durchfuhrung

61

659—917 Turniervorbereitungen und -durchführung 6 6 0 : Z u parat ( „ H a n d e l , K u n s t " ) vgl. ANM. K N N ZU - > 8 7 9 8 .

665: Zu weit vgl. Anm. KNN; durch Ausschütteln von Rost und Staub werden die Rüstungen für das Turnier hergerichtet. 667: critialen auch 732, sonst nirgends belegt; aus mlat. Crinale, das eigentlich mhd. schapel, kran% entspricht, hier abweichend für den Helmschmuck.66 674: schant^ynen auch 3720, zu afrz. ώαηςοη, „Gesang, Lied"; vgl. sonst nur Tr 2294, 3625 u.ö. 676: hoh^eitpersonalisierend fur die Festgesellschaft, vgl. z.B. hof—>488 f. 682: not sorgen sonst nicht belegte Formulierung „sich um das Notwendige kümmern"; nochmals 703 (KNN 741). 685: etesleicher slaht ist w o h l A n a l o g b i l d u n g zu maneger slaht („mancherlei").

695 ff.: behendenie („fertigkeit, geschicklichkeit")67 nochmals 1171; ebenso wie die aus dem afrz. ostel („Herberge") gebildete osteite (697) 68 eine Neubildung Heinrichs (parallel dazu verwendet er aber auch das allgemein bekannte behendekeit, u.a. 2 5 9 7 V / P , 13356 in Ρ und D). Die in Ρ hier eingesetzte, üblichere banehfe, „erholung durch leibesübung, erlustigung" (Lex 1,121 f.) verwendet Heinrich aber auch ( - > 2 9 9 3 in P / K N N , 13724 banchenye, 2 5 8 7 5 banchenije, 2 9 1 6 3 panthanij).69

743-780, 698-742: Für die in KNN durchgeführte Umstellung der beiden folgenden Dreireimabschnitte70 sprechen v.a. inhaltliche Argumente, so die Reihenfolge der Turniervorbereitungen, die förmliche Einführung Ginovers 751 (705) vor der neuerlichen Nennung 710 (748) sowie die ab 742 (780) eingeschobenen Kampfaufforderungen, die das Turniergetümmel illustrieren und erst 810, 823, 871 weitergeführt werden. Der in Ρ offensichtlich nachträglich eingefügte Vers 780 (735) zeigt zudem auch auf Überlieferungsbasis, daß hier eine Störung vorliegt (P beginnt den darauffolgenden Abschnitt ab 781 zwar wie V mit Initiale, hat allerdings nur zwei Paarreime mat^uwen: blürnn und schawen: frawen); dabei steht Vers 780 (735) im Sinnzusammenhang isoliert, die schönen Frauen als Hintergrund für die Horde der Kipper sind nicht überzeugend). Für die Umstellung plädierten bereits

66 67 68

Wahrscheinlich aus dem Italienischen übernommen, vgl. SUOLAHTI 1929, S. 132. So Lex 1,154 für behendeceit. REISSENBERGER 1879, S. 2 7 sieht es aus dem Ital. gekommen und stellt es zu ital. osteria, das „heute in dem slawischen Sprachgebiet Innerösterreichs ganz eingebürgert" sei. Vgl. auch Anm. K N N .

69

A u c h Tr 4 1 2 , 8057, 11659, 17152 u n d 17269.

70

Die Zählung im folgenden orientiert sich an KNN: zunächst die Versangaben SCHÖLLS, in Klammern die durchgezählten Verse entsprechend KNN.

62

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

und GRABER 1 9 1 0 , S . 2 9 6 f., dagegen zuletzt GLASSNER 1 9 9 1 , S. 3 3 Anm. 4 und S . 101. 769 (724): Die Form sgmivre (P/V) ist hier reimbedingt, sonst verwendet Heinrich die Normalform qmierfde), ,,(Helm-)Schmuck" (2828, 14158, 22121, 22995). 770 ff. (725 ff.): Zur gemeinsamen Nennung von floite und tambure vgl. auch — » 1 6 9 2 6 - 1 6 9 3 0 ; „es ist auffällig, daß [...] die Flöte explizit während des Reitens geblasen wird: Ihre Aufgabe ist das Spielen der Marschmelodie {reisenote) [...] Man hat offensichtlich gezielt die aufreizende Wirkung benutzt, um das Selbstvertrauen und die Angriffslust der Tiere im Kampf oder Turnier zu steigern."71 Zur reisenote vgl. den Einzug Gahmurets zum Turnier von Kanvoleiz Pz 63,9. 776 (731): cbippem wurden die Knechte und Knappen genannt, die mit Hilfe von Stöcken und Keulen ihre Herren auf eher unritterliche Weise im Kampfgetümmel unterstützten und vor allem auf Beute aus waren; manchmal wurde vor einem Turnier ausdrücklich der Verzicht auf solche Schlägertrupps vereinbart.72 Erwähnt werden sie z.B. auch ErH 2344ff.; Pz 75,6f.; Wig 8440; vgl. auch die garv^une 18539 ff, die harte sluogen mit kolben ungevuogen. 777 (732): mayawen ist nirgends sonst belegt, zu afrz. mace bzw. ma^ue, „Keule, Prügel".73 SIN

699 (737): praerie auch 7 6 5 und 1 0 5 6 8 zu afrz. prarie („Wiese"), sonst nur noch >Tristan< 1 7 1 5 1 und 1 7 3 8 6 belegt. 701 (739): Erste Nennung Gaweins; der Neffe des Königs tritt über weite Strecken des Romans als Protagonist auf. Er ist der ander Artus (8741), und sein vermeintlicher Tod ruft eine Existenzkrise des Artushofs hervor. Die in Ρ und V gleichermaßen durchgehaltene Schreibform auf —ein steht dem französischen Gauvain näher als Wolframs Gawan. Die Tradition hat zwei divergierende Gawein-Büder ausgeformt: Neben dem vorbildlichen und minnebestimmten Musterritter bei Chretien, übernommen von Hartmann und Wolfram (vgl. z.B. Yv 2400ff., ErH 1619 ff. und 2 7 3 0 ff., Pz 3 0 1 , 7 f., 5 8 5 , 1 1 ff., 5 8 6 , 1 2 ff.)74 steht der auch als Mörder und Vergewaltiger gezeichnete Gawein z.B. der >1. Continuations Heinrich hat sich auch dieser negativen Seite der Tradition angenommen, wodurch seine Gaweinfigur einen eher ambiguen Charakter erhält. 71

EITSCHBERGER 1 9 9 9 , S. 2 7 1 .

72

Vgl. BUMKE 1 9 9 0 , S. 3 5 5 f.

73

Vgl. SUOLAHTI 1 9 2 9 , S. 1 5 9 ; A n m . K N N .

74

Dazu z.B. GARNERUS 1999, S. 183. Zur Figur Gauvains bei Chretien vgl. auch NITZE 1952.

659-917 Turniervorbereitungen und -durchfuhrung

63

Dt.: Über den Protagonisten äußern sich die meisten Interpreten; bes. ausführlich zur Figur u.a.: KAMINSKI 2005, v.a. S. 19-40, 1 4 0 - 1 4 9 ; THOMAS 2000, v.a. S. 754 ff.; DAIBER 1999 (zur >Cröne< S. 185-226); HERZOG 1971 (zur >Cröne< S. 106-120); HOMBERGER 1969 (mit ersten Ansätzen zur Untersuchung der reihenimmanenten Figurenentwicklung); ebenfalls eher allgemein „Medieval Heroes", S. 1 1 3 - 1 2 0 ; demnächst zudem die Dissertation von Bernhard SCHMITZ: Gauvain, Gawein, Walewein. Die Emanzipation des ewig Verspäteten. Eine Untersuchung zu Funktion und Interaktionsmuster einer Figur in arthurischen Versromanen des 12. und 13. Jahrhunderts (Universität Amsterdam, Johan Winkelman).

Den mittlerweile viel zitierten und diskutierten „präformierten Charakter" von Heinrichs Gawein-Darstellung hat C O R M E A U herausgearbeitet.73 Die von C O R M E A U zur Stützung seiner Theorie v. a. herangezogenen Hystera-Protera innerhalb der Tatenkataloge sieht K E L L E R hingegen als Indiz für die „grundlegende Offenheit in der Biographie Gaweins".76 Gegen ein rein statisches Verständnis der Figur wandten sich bereits Z A T L O U K A L 1981, S. 309; G R A N T 1991, S. 96 f. Die Offenheit der Biographie wird auch von weiteren Interpreten betont, die eine Entwicklung konstatieren.77 So charakterisiert THOMAS den zunächst jungen Gawein entsprechend den „typical images of anarchic young aristocratic males, possibly of the sort dubbed iuvenes by George Duby."78 Durch die Hilfe gegen Assiles und die Begegnung mit Amurfina reife er zum „mature, married knight"79 und werde zum andern Artus (8741), der die diplomatische Lösung von Konflikten anzustreben lerne (v.a. auf Karamphi). Als wichtigste Charaktereigenschaften erscheinen Gaweins Tapferkeit sowie sein Sinn für Pragmatismus, der notfalls nach dem Prinzip „der Zweck heiligt die Mittel" verfahre (z.B. im Gürtelraub oder in der Verlobung Sgoydamurs mit Gasoein, um diesen Gegner an den Hof zu binden; als Taktiker zeige er sich bei der Integration des Angaras oder auf Gralssuche).80 Von einer doppelten Zeitrechnung mit einem jungen Gawein, der in der 75

CORMEAU 1977, S. 124 ff. Wieder beispielsweise als der „perfekte Held" HAUG 1992, S. 265; die Theorie des krisenfreien, unangefochtenen Helden greift u.a. auch FUNCKE 1985 auf, der mit dem Fehlen der Krise die Betonung der „antiarthurischen Aventiuren-Welt" (S. 40) begründet Vgl. bereits WALLBANK 1965, S. 315 über Gawein: „he ends as he began". Eher oberflächlich die Darstellung bei BROGSITTER 1984, S. 20.

76

KELLER 1 9 9 7 , S. 4 3 , Antn. 32.

77

Vgl. u.a. ROSSNAGEL 1 9 9 6 , S. 14, v.a. 8 9 - 1 0 5 ; THOMAS 2 0 0 2 , S. 4 3 - 5 7 ; SHOCKEY 2 0 0 2 ,

78

S. 208 (Anm. 52). THOMAS 2002, S. 43 f. Er gibt auch Hinweise auf ähnliche jugendliche Gawein-Darstellungen in den >Enfances GauvainDe ortu Waluuanii< u.a. Ausführlich zu den möglichen Verbindungen mit diesen Texten jetzt KAMINSKI 2005, S. 162 ff.

79

THOMAS 2 0 0 2 , S. 4 7 .

80

Vgl. THOMAS 2002, S. 103. In seiner vorherigen Untersuchung zur >Cr6ne< (THOMAS, Camelot 1992, v.a. S. 104 ff.) hatte sich THOMAS v.a. auf die Einflüsse des >Wigalois< auf die Gawein-Rolle konzentriert.

64

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

Begegnung mit Amurfina mit seinem dreißig Jahre älteren alter ego konfrontiert wird, geht KAMINSKI 2005 aus, die dadurch die im Roman immer wieder aufscheinende Divergenz zwischen Betonung der Jugend einerseits und intensiv aufgegriffener Figurenvergangenheit andererseits zu erklären versucht. Zusammenfassend zur Figur auch EBENBAUER 1981. RINGELER 2000 charakterisiert die Figur vor allem durch ihre „Tatenvergangenheit" und kontrastiert Gawein mit dem in sich ruhenden Artus. Die bei Heinrich eher zwiespältig wirkende Darstellung des Helden thematisieren WALLBANK 1993 und STEIN 2000 (v.a. Kap. 3). Sehr ausfuhrlich, v.a. im Vergleich mit Wolframs Gawan, auch SHOCKEY 2002, S. 329-383 und 395-411. Einen eigenen Weg schlägt G A N T E R 1999 ein, die eine Entwicklung Gaweins „vom erfolgreichen Artusritter zum Artus- und Gralsritter und zu einer unheldenhaften Marionette" (S. 92) als Grundstruktur des Romans ausmacht; von „Marionette" spricht bereits KELLER 1997, S. 291 u.ö. Die schillernde Figurenzeichnung bei Heinrich hat zu der Überlegung geführt, ob sie Grund für die Spaltung Gaweins in zwei verschiedene Figuren im >Gauriel< sein könnte.81 706 (743): Das v.a. dem Bereich der Heldensage entstammende reke nutzt Heinrich sehr häufig,82 er deutet es 25838 als Synonym für den schevalier errantP Gar nicht findet es sich bei Hartmann und Gottfried, bei Wolfram nur sechsmal; vgl. HEINZLE 1972, S. 164, dort auch weitere Lit. 718-723 (756-761): ( 7 1 9 - 7 2 3 = G T 3 ) Die an eine Sentenz gemahnende Rede84 ist übergangslos an die Kampfbeschreibung des Hauptsatzes angefügt. Sie kommentiert, welche Folgen das Zuschauen der Damen für die Kampfteilnehmer haben kann: „Wer sich tapfer schlägt, hat Saelde zur Seite, wer jedoch ohne Können und verzagten Mutes kämpft, für den war es [i.e. die Anwesenheit der Frauen] ein harter Schlag." 729—738 (767—776): Die Häufung frz. Lehnwörter in der Beschreibung der Ausrüstung der Ritter zeigt die Vorrangstellung der französischen Mode und höfischer Sitten (—>951-956). Neben den verbreiteten („Feldzeichen", —> 878) finden sich so die Pferdedecke bzw. Bugdecke85 chropier (vgl. 81

84

So ACHNITZ in >GaurielCröne24532. 748, 771, 2026, 2311, 2313, 2316, 2740, 3007, 3267, 4397, 4584, 5164, 6536, 6574, 7904, 9731, 10542 u.ö. Vgl. BMZ 11,1,592f.: „der ausserhalb seiner heimath [...] kriegsdienste suchende abenteurer [...] einzelne, herumziehende krieger". Vgl. TPMA 4, „Furcht" 2.2.16: „Furcht ist der Ehre abträglich."

85

S o BUMKE 1 9 9 0 , S. 2 3 8 .

82 83

65

659-917 Turniervorbereitungen und -durchführung

Anm. K N N , sonst nur noch Wig 1 9 8 0 gmpiere), die Helmzier arinal (—>667), sowie die beiden Stoffe timeit ( — > 5 0 7 - 5 1 5 ) und %endal (bzw. cendal 2 8 5 3 , ein leichter Seidentaft, der v.a. für Kleiderfutter, Pferdedecken und Banner verwendet wurde).86 Das afrz. feitivre für „Ausrüstung, Machart, Putz" (wieder 2 4 7 8 4 ) schließlich ist auch Tr 4 5 7 9 belegt, armiure findet sich nur hier, zu afrz. arm(e)ure, „Rüstung".87 Das Farbadjektiv blanch in der afrz. weiblichen Form (zu feitiure) zeigt ebenfalls frz. Einfluß, auch 2 0 5 4 . Auch das in Turnierund Kampfschilderungen verbreitete groiren/crojieren („rufen") 740 (778) ist frz. Ursprungs. 735 (773): gevieret zu afrz. fier, „stolz, stattlich", als Verb noch bei Frauenlob und in Albrechts >Jüngerer Titurel< (vgl. BMZ 111,306); vgl. auch Anm. K N N ZU 8 2 4 8 .

781—858: Zu den peu ä peu eingeführten Turnierteilnehmern vgl. die Anmerkungen zu den Gästen 584 ff. 784: Quinotfiers, der „stolze Quinot" von Bahanz tritt nur hier auf, zu fiers —>735, im Namen auch —>2307. 785: herte hier abweichend von den Wörterbüchern in der Bedeutung „Kampfplatz, Ebene" o.ä. verwendet: ein Turnier benötigt eine ebene Fläche, das chastel wird 755 (710) als höher liegend beschrieben; im Kampf Keies gegen den Boten wird der Turnierplatz vor Karidol als eben bezeichnet ( 2 8 6 8 ) . Vgl. 6 8 2 0 f.: Nv chom er auf di herte/ Jn ein schcen eben·.Ζ lant, vgl. auch 10566.

795: Erste Erwähnung Iweins, der im Roman lediglich im Rahmen der beiden Tugendproben ausführlichere Erwähnung findet; in Anspielung auf seine von Chretien und Hartmann berichtete Geschichte wird er auch kurz der lerne genannt (—>1330). Zur Herleitung seines recht verbreiteten Namens (wohl aus dem Lateinischen) vgl. CHANDLER 1 9 9 2 , S . 1 3 5 f.; daneben WEST 1969, S. 163 f.; zur Figur auch „Medieval Heroes", S. 305 ff. 810, 822: Vgl. 742 (P). Entsprechende Imperativbildungen mit Rufsuffix —ä, die als Interjektionen Unmittelbarkeit suggerieren, verwendet auch Wolframs Beschreibung des Turniers vor Kanvoleis, vgl. Pz 7 4 , 2 6 : wetä hem, wetä weil; auch Wig 3 0 0 0 : wichä, herre wichä. Wieder 1 8 3 5 3 . 828: Zu vnerworden („unverdorben, unvergänglich") —>242 ff. 832: Die Formulierung nah nckerunge sprach, „Unterwerfung verlangen", ist nach Auskunft der Wörterbücher eine Besonderheit der >CroneParzival< (ed. N E L L M A N N ) , Bd. 2 , 6 6 5 ) .

76

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

1109: Das Adj. unbehert, „nicht beraubt" (Lex 11,1755) zu behern (im Sinne von „berauben", so 19330,19821, 22594 und 22781) nochmals 21146, sonst nur noch Wig 8633 und MF 111,7 (bei Heinrich von Rugge, den Heinrich —>2442 nennt). 1114: Zu feitivre ->737. 1119: Die über das Lateinische ursprünglich aus dem Griechischen entlehnte geometrie, eine der Septem artes liberales (des Quadriviums), findet sich selten in mhd. Literatur. Pz 312,23 nennt sie als eine von Cundrie studierte arr, daneben findet sich En 9404 u.ö. ein Architekt namens Geometras (den Wolfram Pz 589,14 übernommen hat). 1142: mit alle („gänzlich, ganz und gar") ist der alte Instrumental von al, der häufig auch mit bet/bit gebildet wird120 und v. a. in der >Crone< sehr oft verwendet wird (vgl. Lex 1,37). Ρ schreibt meist gant^ vndgar.m 1171: Zu behendenye („fertigkeit, geschicklichkeit")122 auch ->695.

1179—1630 Becherprobe der Frauen 1179-1272 Einladung der Frauen, Probe der Königin von Lanphut Der Aufbau der Probe entspricht immer dem gleichen Schema: Die jeweilige Probandin bzw. der Proband scheitert bei dem Versuch, aus dem Becher zu trinken, Keie kommentiert daraufhin spöttisch die Verweigerung des Bechers und fugt (vor allem bei den bereits aus der Tradition bekannten Figuren) entsprechende Verweise auf Fehlverhalten als Begründung für das Versagen ein,123 im Rahmen der Ritterproben wird das jeweils durch einen Erzählerkommentar ergänzt. Durch diese „Revuetechnik"124 entsteht ein reizvolles Spiel mit der literarischen Tradition, das Heinrich in der Handschuhprobe wieder aufgreift. Daß die Probe am Ende keinerlei Konsequenzen für die Teilnehmer hat, führt G U T W A L D darauf zurück, daß die gesamte Probe wie ein Spiel gestaltet sei. Dazu brauche es einen abgegrenzten Spielbezirk, ein klares Regelsystem, die freiwillige, Vergnügen bereitende Teilnahme, ein „unkalkulierbares Moment, welches den Ausgang im Ungewissen hält" sowie ein „gewisses Risi120 Mhd. Grammatik § 387. 121 VgJ. die ausfuhrliche Zusammenstellung bei LEITZMANN 1925, S. 447, der es als ein „lieblingswort Heinrichs" bezeichnet (S. 446) und vielfaltige Konjekturvorschläge daraus ableitet. 122 So Lex 1,154 für behendecat. 123 Zur Rolle Keies als „einer Art Schlüsselfigur für das Geschehen der Becherprobe" vgl. ausfuhrlich GUTWM.D 2000, S. 1 6 2 - 1 6 7 . 124 KRATZ 1977, S. 5.

1179—1272 Einladung der Frauen, Probe der Königin von Lanphut

77

ko", das häufig an einen Spieleinsatz gebunden ist. Der Bote fungiere als Spielleiter, der die Regeln festsetzt und den Sieger ermittelt, zudem brauche es den den Zuschauern jeweils gegenüber gestellten Probanden und den spöttischen Kommentator. Der Becher als Spielobjekt sei wegen seiner Bedeutung wichtig, seine materielle Kostbarkeit rücke erst nach dem Spiel in den Vordergrund, wenn er wieder zur Siegerprämie werde.125 Indem sich der Artushof auf das Spiel des Boten einlasse, behalte er seine Entscheidungsfreiheit: Er wandle die Spielregeln in seinem Sinne ab (v. a. durch die Beiträge Keies) und gehe trotz aller Risiken schließlich gestärkt aus dem Spiel hervor: „Vom Boten zum Abschied noch mit der Bestätigung der arthurischen Idealität versehen, kann die Gemeinschaft das Hoffest unbekümmert fortsetzen."126 Im Rahmen der Damenproben kommt es zu keinerlei Kommentaren des Erzählers, lediglich Keie äußert sich zu den einzelnen Prüfungen. G U T W A L D betont hierbei, daß die Erzählerkommentare, die die Vergehen der Männer regelmäßig erläutern, ernster zu nehmen seien als die des notorischen Spötters Keie; daß er auf solche Kommentare im Rahmen der Damenprobe verzichte, wodurch konkrete Schuldzuweisungen unmöglich würden, stehe „den vielen Misogynitätsvorwürfen gegen den Dichter entgegen", er würde sich „sehr gut jenen auch sonst feststellbaren Tendenzen des Erzählers zum emphatischen Frauenpreis zuordnen lassen".127 1182: Der PI. vernamen bezieht sich auf Artus und die Gesellschaft, vgl. auch Anm. KNN. 1220: Weder Lanlfruht noch Lanphut lassen sich durch Parallelen sichern.128 1224: Die „bildliche Verstärkung der Negation"129 findet bei Heinrich verschiedene Ausdrücke. Neben grau^/grü^ (vgl. Anm. KNN) verwendet er nadel (2743), prot (7272), bmrnen (17111, 24690), siehe (21273) und kicher (25007) als seltenere Formulierungen; sehr häufig steht daneben das sehr konventionelle bar, die geläufigste Verstärkung überhaupt, die sich bis heute erhalten hat.130 Allen Bildern ist gemeinsam, daß es sich bei den Vergleichs125 Vgl. GUTWALD 2000, S. 178 ff.

126 GUTWALD 2000, S. 187. 127 GUT WALD 2000, S. 150. 128 Zu V vgj. Anm. KNN. Sollte hier auf Landshut, den 1204 gegründeten Zentralort des wittelsbachischen Herzogtums angespielt werden, der 1225 Hauptstadt des Unterlandes wurde? Vgl. LdMA 5,678. 129 Vgl. den entsprechenden Aufsatz von ZINGERLE 1862. 130 So 5845, 12341, 14657, 14788, 15988, 16688, 16813, 17357, 17552, 20039, 20333, 20790, 2 1 6 2 6 , 2 3 1 5 7 , 2 5 0 2 6 , 2 7 7 3 8 , 2 8 3 3 5 , 2 9 0 0 4 , 2 9 8 5 7 . Vgl. auch ZINGERLE 1 8 6 2 , S. 4 3 8 - 4 5 2 , 476.

457-3272

78

H o f f e s t an Weihnachten:

Becherprobe

Objekten um als wert- und bedeutungslos erachtete Dinge des Alltags handelt, die in ihrer Nichtexistenz der Verneinung entsprechen. Besonders auffällig ist die inhaltliche Kongruenz einiger Verstärkungen mit der Situation, in der sie angewendet werden, Heinrich hat sie offenbar sehr gezielt gewählt: vgl. — > 2 7 4 3 (Nadeln), - > 7 2 7 2 (Brot), - > 1 7 1 1 1 (Dornen), - > 2 1 2 7 3 (Schlehe), — > 2 5 0 0 7 (Erbse). 1241 ff.: Metapherrede ohne tiefere Bedeutung. 1250: amen zu „Ohm", eine größere Maßeinheit für Flüssigkeiten.131 1255: (= GT 3b) Die Sentenz ist das knappe Fazit Keies zu dem ersten Ergebnis der Becherprobe: „Schwäche verursacht häufig ein Unglück." So wendet er sich v.a. an Ginover, die die Probe als nächste zu bestehen hat: ganz auf den sensus Htteralis der mehrdeutigen Aussage konzentriert, gibt er ihr den Rat, sie solle den Becher nur gut festhalten, dann werde es ihr schon gelingen. Vgl. auch 2 0 1 6 ; dazu auch M E N T Z E L - R E U T E R S 1 9 8 9 , S. 1 2 2 . 1257: la^en mit an hier im Sinne von „sich nicht kompromittieren lassen", vgl. L e x

1,1844.

1271 f.: Ginover soll sich die geschiht ihrer Vorgängerin eine Warnung sein lassen. 1273-1317 Ginover und Flori (Freundin Gaweins) Ginovers Versagen bei der Tugendprobe bietet eine erste Motivation für die auf die Probe folgende Gasoein-Handlung: sie des Ehebruchs zu verdächtigen, wird immerhin vorstellbar, — > 5 5 1 , — > 3 2 7 3 - 5 4 6 8 . 1278 fF.: Zum auf Ginovers Schoß spritzenden Wein vgl. Pz 1 4 6 , 2 2 ff., wo Ither während seiner Herausforderung des Königs ebenfalls Wein auf Ginovers Schoß verschüttet. 1284: Die im Kontext sinnvolle Textänderung in gachheit (V) in KNN verlangt die Revision der auf S C H basierenden Interpretation bei M E N T Z E L REUTERS: Vagheit sei eine Anspielung auf Ginovers Verhalten im Roman, vor allem ihre Zögerlichkeit und Unentschiedenheit bei der Wahl zwischen Artus und Gasoein. Diese Szene ( 1 1 6 6 6 - 1 1 7 0 0 ) wird ihr auch in der Handschuhprobe ( 2 3 6 4 7 ff.) vorgehalten, was in der Abfolge plausibel erscheint; als Vorgriff ist die yagheit hier jedoch eher mit Vorsicht zu betrachten. 1294: Flori ist Wig 1317 ff. die Frau Gaweins und Mutter des Wigalois. Daneben findet sich der Name noch bei Wolfram: Florie von Kanadic, die Geliebte des Ilynot (Pz 586,4 ff.) und Florie von Lunel, eine Gralsjungfrau 132

131

DWb

132

V g l . MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S . 1 2 5 .

13,1200.

1318-1360 Laudine

79

(Pz 806,15). Der Name ist gebildet zu dem afrz. Part. Präs. flon („mit Blumen geschmückt"). Falls Heinrich die Figur aus >Wigalois< übernommen hat, könnte ihr Versagen in der Probe darauf zielen, den Platz für Gaweins zukünftige Ehefrau Amurfina zu räumen (die bei der späteren Handschuhprobe allerdings auch nicht glanzvoll abschneidet, vgl. 23746—23772). 1 3 0 2 - 1 3 1 1 : Wie in der Ankündigung des Boten 1131 ff. beschrieben, wird hier der (innerliche) Fehler des Herzens äußerlich (im Verschütten des Weins sowie im Erröten) sichtbar; vgl. dazu GUTWALD 2000, S. 134: „Diese letztere Reaktion bestätigt somit nur den Anspruch des magischen Objekts, Innen und Außen in ein zuverlässiges spiegelbildliches Analogieverhältnis zu überführen, und offenbar ist also das geglückt, was seit jeher stets ein Traum der Menschheit war: nämlich die Unwägbarkeiten und Gefährdungen, die in Interaktionsprozessen durch verborgene psychische Dispositionen einzelner Subjekte bestehen, zu eliminieren mittels einer augenscheinlichen und eindeutigen Zeichengebung." 1318-1360 Laudine 1 3 1 9 : Die Lesart lachten P/SCH entspricht der im Schreiberanhang kulminierenden Neigung zur burlesken Übertreibung und Vereinfachung. Zu den beiden Lesarten siehe die ausführliche Studie über Komik in der >Crone< von GUTWALD 2000, hier S. 16. 1 3 2 9 : Laudeitini ist bei Hartmann die Frau Iweins, hier allerdings als seine amieXM apostrophiert. 1 3 3 0 : Der von Iwein aus der Gewalt eines Drachen befreite lewe blieb aus Dankbarkeit bei seinem Retter und half ihm mehrmals bei Aventiuren; die Personalunion der beiden Unzertrennlichen ist hier so weit getrieben, daß Iwein selbst gar nicht mehr genannt wird (ebenso —>2012).135 133 Der Name findet sich nur in drei der 2ehn Manuskripte von >YvainIwein< (ed. Cramer), S. 199). 134 Mit dem Unterschied zwischen amie und wip nimmt es Heinrich insgesamt nicht sehr genau, so ist Galaida z.B. zunächst als Geliebte (1437), dann als Frau Keies (1470) bezeichn e t ; a u c h —>8897.

135 Vgl. auch den Löwen als Attribut des Hl. Hieronymus: Diese Zuordnung „bezieht sich auf eine [...] ihrer Herkunft nach vorchristliche Geschichte von der Heilung und Zähmung eines durch einen Dorn in der Pfote kläglich leidenden wilden Löwen" (HEINZ-MOHR

80

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

1336: reit (riten) hier sehr allgemein im Sinne von „sich bewegen", vorzustellen als „abrutschen".136 1343-1349: Der Kern von Keies Aussage ist: Hätte Laudine den unsichtbar machenden Zauberring (den ihre Dienerin Lunete Iwein gegeben hatte, um ihn vor der Verfolgung zu schützen), so hätte ihr auch der Becher nichts antun können, weil ihre Schmach unsichtbar geblieben wäre. Eine zusätzliche Pointe liegt darin, daß Laudine ihrerseits Iwein einen Ring geschenkt hatte, der jedoch keine solchen praktischen Fähigkeiten hatte; vielleicht sollen beide Ringe hier gegeneinander ausgespielt werden.137 1350-1360: Die zweite Anspielung bezieht sich auf Laudines Strenge, mit der sie den zu spät zurückgekehrten Iwein strafte; nachdem sie ihren Ring zurückgefordert hatte, war er in Liebeswahnsinn verfallen und ziellos durch die Gegend geirrt (Yv 2 7 6 7 ff., Iw 3 2 0 1 ff.). Die Charakterisierung ihrer Reaktion als gaben %om zeigt die Parteinahme des Erzählers für Iwein.138 1361-1397 Enite 1361: Enite (afrz. Enyde) ist seit Chretien Partnerin Erecs, als solche hier und später in der Handschuhprobe erwähnt; vgl. „Medieval Heroes", S. 95 ff. CHANDLER 1 9 9 2 , S. 8 2 zitiert als mögliche Deutungen des Namens walisisch enid, „woodlark" oder enydd, „the seat of the intellect"; vgl. auch SCHRÖDER 1 9 8 2 , S. 3 0 ; WEST 1 9 6 9 , S. 5 5 f.

1368-1388: Die Rede Keies zitiert zunächst die beiden Auszeichnungen, die Enite in zwei Kernszenen der Erec-Tradition erhalten hatte: Den sparware als Preis für die schönste anwesende Dame hatte Erec beim Turnier für sie gewonnen (ErC 807 ff., ErH 1376 ff.); den Kuß des Siegers bei der Jagd auf den weißen Hirsch (= König Artus) hatte sie sich ebenfalls durch ihre Schönheit erworben.139 Keies Einschätzung zufolge wäre es daher zwingend, daß Enite auch hier den Preis über ihre Geschlechtsgenossinnen erringen müßte. In Keies durchweg spöttischen Kommentaren wirkt diese Tradition allerdings ironisiert und als Theaterstück entlarvt, das nach fest vorgegebe-

136 137 138 139

1998, S. 206); vgl. auch das Bild des Gottesreichs Is 11,6 f.: ein Junge, der Löwen und Kälber miteinander weiden wird. Vgl. SCHR: „irrte der Becher von ihrem Munde ab". Laudines Ring: Yv 1021 ff., Iw 1202 ff. ; Lunetes Ring: Yv 2600 ff., Iw 2954 f. Zur Interpretation vgl. auch CORMEAU 1977, S. 173-178. Die Jagd auf den weißen Hirsch ist eine der „Kennszenen" (CORMEAU 1977, S. 14) der Artusliteratur, eine traditionelle Vergnügung der Artusgesellschaft, bei der der Sieger (normalerweise Artus) dann die schönste Dame durch einen Kuß auszeichnen darf. Die Jagd ist Eingangsszene von ErC 27-76, bei Hartmann verloren; den Kuß erhält Enite nach ihrer Ankunft am Artushof (ErC 1 7 7 3 - 1 8 3 4 ; ErH 1 1 0 4 - 1 1 2 3 ,

1 7 5 0 - 1 7 9 6 ) . Vgl. a u c h ZACH

1990, S. 49, 54, 324. Heinrich führt diesen Topos selbst 16714 ff. aus.

1398-1485 Perchye und Galaydi

81

nen Regeln verläuft. „Die Komik liegt im Abbrechen der konstruierten Serie".140 1398-1485 Perchye und Galayda 1398: Zu dem Namen Perchye vgl. KNN, auch die offenbar identische Parkte in der Handschuhprobe (—>24025). Angesichts der drastischen Charakterisierung ihrer Verfehlungen liegt diese Namensfassung näher als P/ SCH; in Anlehnung an afrz. percier („löchern") könnte sie als deftiger erotischer Scherz verstanden werden. Diese Freundin eines ungenannten Ritters hat sonst keine literarische Funktion und keinen Anteil an der vorgestellten Tradition; ihre Probe erscheint lediglich als unterhaltend gedachtes Zwischenspiel. 1413 f.: Die abweichende Formulierung V beurteilt GUTWALD als andere Inszenierung der Ironie: „Auch dort wird ein gelungener Trinkversuch fingiert, verbunden jedoch mit der Aufforderung, noch mehr zu trinken".141 1428: Vhderlachen für „gegenseitig, unter einander lachen" ist nur hier belegt (Lex 11,1789). Zur (seltenen) Darstellung des Lachens im Artusroman vgl. a u s f ü h r l i c h GUTWALD 2 0 0 0 , S . 1 6 9 f.

1437: Galayda, die Freundin Keies, erhält hier, wie auch später in der Handschuhprobe (23892—23910), den negativen Preis: der Becher verweigert sich ihr gänzlich. Namensähnlichkeiten finden sich in der >Crone< mit Calades (1613), vrowe Galat (1620) und dem Artusritter Gales (2316 u.ö.). Entweder zu afrz. galer, „sich freuen, feiern" oder aber vielleicht zu der Nereide Galatea (—»1613 und 1620).142 Der Grund für ihre besondere Auszeichnung wird gleich einleitend genannt: Sie muß die Schmähreden ihres Gefährten büßen (1445 ff.). 1438: Der trugsasg ist Keie; mit dieser Amtsbezeichnung auch 1 7 0 1 , 5 4 2 4 , 20628 u.ö. genannt; vgl. BMZ 11,2,341 f. für Belege aus anderen Artusromanen. truhtsa^e wird gedeutet als „derjenige, der die speisen aufsetzt" (so BMZ) bzw. der „Vorsteher einer Schar, eines Gefolges" zu ahd. truhtsa^o (LdMA 8,1069; OKKEN 1993, S. 44); es ist eines der vier höchsten Hofämter (neben kamerare, schenke und marschalc). Das Amt des Truchsessen ist immer verbunden mit dem des Seneschall (—>490), er hat die Verantwortung für die

140

CORMEAU 1 9 7 7 , S . 1 6 9 .

141 GUTWALD 2000, S. 171, Anm. 116. 142 Vgl. KOLLITSCH 1979, S. 46 f.; wieder LdaG, 260. Galatea war die Geliebte des Acis und wurde gegen ihren Willen von Polyphem begehrt, vgl. Ovids >Metamorphosen< 13,738, erwähnt auch bei Albrecht von Halberstadt. Eine Nachbenennung findet sich wohl auch bei Herbort von Fritslar. Zur Antikenrezeption Heinrichs vgl. auch KERN 1998.

82

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

Hof- und Güterverwaltung, das Personal und die königliche Tafel; daneben hatten die Truchsessen Aufgaben im Reichsdienst. Die hervorgehobene Position als erster Diener seines Herrn führte sicherlich nicht immer zu allgemeiner Beliebtheit, was sich in der literarischen Figur Keie spiegeln dürfte. 1439 f.: Statt S C H / K N N Landrie dürfte mit V Slandrie bzw. Siandne zu lesen sein: In der Handschuhprobe 23895 wird sie als Schwester der her^ogn Leimas von Siandne (P: syandrie) bezeichnet; die Verwechslung von -/- und -i- ist nicht weiter auffällig. Entgegen Anm. KNN erscheint der Name also nochmals; eine Deutung und damit Entscheidung für eine der beiden Varianten ist aber schwierig. 1464: Ein Ritter Greingradvan wird nur hier erwähnt; vgl. 2319 den Probenteilnehmer Gradoans. Der Name dürfte wohl aus den in einer Variante Chretiens nebeneinanderstehenden Grains und Gordeuains/Gornevains entstanden sein (vgl. ErH 1660: Glangodoans).ui Grein- gehört möglicherweise zu afrz. grain „traurig, besorgt", die Schlußsilbe vielleicht zu afrz. doage bzw. doer („geben, Gabe") oder zu afrz. doine („geizig"). 1470 ff.: Die Auswertung von Galaidas Probe läuft auf einen Vorwurf an Keie hinaus: Er habe seine Freundin angestiftet, den anderen Frauen eine Falle zu stellen (%e vare). Dabei solle sie auf solche Weise trinken, daß sie sich nicht befleckt, sich die anderen aber im Vergleich nur blamieren könnten. Deshalb habe sie sich gar nicht zu trinken getraut. 1486-1544 Erzählerexkurs: Verteidigung Keies Den traditionell zwiespältigen Charakter Keies (—>490, —>1438) haben auch Chretien, Hartmann und Wolfram aufgegriffen und eine sehr ambivalente Figur gestaltet, die Ziel von Schmähungen wie von Verteidigungen wird. Vgl. v.a. die entsprechenden Partien Yv 69 ff., ErH 4634-4664, Iw 151 ff., 206 ff., 2565-2574, Pz 296,13-297,29.144 1486-1520: (= G r 4) Die aus der Schmährede Kalocreants gegen Keie in >Yvain< und >Iwein< bekannten Bilder hat Heinrich aufgegriffen und um das des bellenden Hundes ergänzt. Auch die Gesamtaussage geht in dieselbe Richtung: Keies Spott und Haßtiraden sind zwar nur schwer zu ertragen, aber er hat auch gute Seiten, die seine Existenz am Artushof legitimieren, und die von Heinrich stark betont werden (1539 f.). Es entsteht der Eindruck, daß der Seneschall hier die Rolle eines Hofnarren übernimmt, der ungestraft unliebsame Wahrheiten aussprechen darf (zur Figur Keies —>490). 143 Vgl. CHANDLER 1992, S. 114.

144 Dazu auch SCHIROK 1989, S. 68 ff.; HAUPT 1971.

1486-1544 Erzählerexkurs: Verteidigung Keies

83

In der Passage zeigt sich besonders deutlich Heinrichs Vorgehensweise, wenn er Bilder und Sentenzen aus seiner Vorgängerliteratur übernimmt, sie aber zugleich auch abwandelt und zu etwas eigenem weiterentwickelt; dabei stammen die identisch wirkenden Bildwelten sogar aus verschiedenen Traditionen (vgl. die Belege in ShRM). 1486 ff.: „Wer in Dreck und Mist rührt, die verfault sind, findet nichts als Gestank." Ein verbreitetes Sprichwort über die sinnlose Beschäftigung mit Unverbesserlichem, das Heinrich aus dem Kontext der Vorgänger übernommen hat; vgl. Yv 116: Tous jours doit putr Ii furnierst Iw 207 f.: ouch ist reht da£ der mist/ stinke swä der ist.1*6 1491: Zu wefse und den homü% vgl. Yv 117: tahons poindre, et malos bruire"'1 (ähnlich Iw 206 ff.: der humbel der sol stechen [...] der homü^ der sol diesen). Ihrer Natur zufolge müssen diese Insekten immer brummen und summen bzw. stechen, so wie Kei immer %e den vrumen hat (Iw 150). Die Sentenz verbindet die beiden Sprichwörter vom Mist und vom Hund (1493 ff.) miteinander: Jede Kritik an Keie ist nutzlos, da man seine Gewohnheiten nicht ändern kann; im Gegenteil tut man gut daran, seine Aggressivität nicht noch weiter herauszufordern. 1493-1498: Das Sprichwort vom bellenden Hund, den man besser besänftigen solle, statt ihn zu schlagen und so sein Gebell noch zu verstärken (Parallelen vgl. ShRM) fuhrt die beiden vorangegangenen Bilder von der Zwangsläufigkeit mancher natürlicher Vorgänge fort; Keies Spotten ist ebenso unabänderlich wie das Bedürfnis der Hunde zu bellen.148 Sowohl in der folgenden moralischen Auslegung, als auch in den weiteren Bildern wird dieser Gedanke noch verstärkt: Keie ist einfach so wie er ist, im Umgang mit ihm muß man das berücksichtigen und ihn gewähren lassen, Reizpunkte möglichst vermeiden (vgl. auch die Bilder von Nest und Topf —>1514 ff.). 1497: stundelicben ist in dieser Form nur für diese Stelle nachzuweisen, im Sinn von „immer wieder"; es ist gebildet zu stundec („stündlich, immerwährend"), das in dieser Bedeutung nur noch bei Frauenlob belegt ist (Lex 11,1269).

145 „Mist muß immer stinken". 146 Für zahlreiche Parallelen vgl. ShRM (verweist auch auf 6298 ff., 17802-17809); TPMA 2, „Dreck" 2.2.2.1: ,Je mehr man im Dreck rührt, um so mehr stinkt er"; ZINGERLE 1864, S. 2 6 u n d SINGER 1 9 4 4 , 1,40 f., 11,73 f. u n d 11,145.

147 TL 10,99 f. täon „Bremse", TL 5,998 f. malot „Hummel, Bremse": „die Bremse [muß immer] stechen, und die Hummel lärmen". 148 Entsprechende Bilder verwendet Heinrich 12284 f. und 17802 ff. Vgl. auch TPMA 6, „Hund" 39.6: „Man beschwichtige den Hund, damit er nicht mehr bellt (knurrt)".

84

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

1505-1508: Durch die Konjektur argen (statt andern P/SCH) ergibt sich eine im Zusammenhang sinnvolle sentenzartige Rede (nicht in ShRM): „Wer einen Bösewicht dazu bringen möchte, sich den weltlichen Tugenden entsprechend zu verhalten, dem sei dieses Vorhaben ohne eiter vergeben, denn es wird niemals gelingen." 1507: Im Kontext gemahnt die Formulierung ane eiter an Ginovers Vorwurf an Keie: wan du bist bitters eiters vol (Iw 156, vgl. Yv 89: Du venin dont vous estes plains),149 im übertragenen Sinn für „Gift, Neid" o.ä.; vgl. bereits Act 8,23. Vgl. auch ->2653. 1509-1513: Diese von Heinrich entsprechend dem Schema aus 6302 gebildete Sentenz (vgl. ähnlich 122 ff., ShRM) greift anhand der Bilder von Wasser und Wein sowie Tag und Nacht unüberbrückbare Gegensätze und Unterschiede auf (vgl. das entsprechende Verfahren 6003 ff.), die die Diskrepanz zwischen dem argen und dem nah tugent Lebenden illustrieren. Vgl. Friedrich von Sonnenburg 86,1 f.: Der beste tranc, der ie gewart, daζ ist der guote win,/ dar umbe enmac da% wavger niht dem wine geliche sin. 1514—1518: teste zu afrz. test, lat. testa, testu(m), „Brenntiegel, Topf, irdenes Feuergeschirr, Zielscheibe". Ansonsten nur noch bei Heinzelin von Konstanz und im >Renner< überliefert.150 „Welcher Vogel in einem Nest wohnt, und was zuerst in ein Gefäß kommt, ihr Geruch verliert sich niemals mehr" ist ein vielfach belegtes Sprichwort, dessen Kernaussage über die Unveränderlichkeit von früh erworbenen Gewohnheiten in der darauffolgenden Sentenz zugespitzt wird. Es geht wohl auf Horaz zurück und wurde häufig in Predigten aufgegriffen. Vgl. zudem Frdk 108,15 f. oder das >NarrenschiffDer Jüngling< 1165:152 gwonheit ist diu ander nature·, vgl. auch ShRM, wo zudem auf 22523, 23000 ff., 23276 f. und 23451 verwiesen wird. Die Vorstellung von Gewohnheit als Natur des Menschen oder gar als stärker denn diese Natur153 leitet im Blick auf Keie bereits die folgende Verteidigungsrede des Erzählers ein: Wenn Keies aggressive Spotdust eine Gewohnheit ist, die er nicht mehr 149 „von dem Gift, von dem ihr erfüllt seid". 1 5 0 Vgl. SUOLAHTI 1 9 2 9 , S. 2 5 8 ; KNN A n m . zum Vers.

151 Parallelen vgl. ShRM (mit Verweis auf 22523); TPMA 4, „Gefäss" 5.5: „Das Gefäss riecht nach seinem (ersten) Inhalt". 152

V g l . ZINGERLE 1 8 6 4 , S . 5 4 f.

153 Auch in den von WANDER gesammelten Sprichwörtern zum Stichwort (z.B. DSL 1,1680 Nr. 30: „Die gewonheit ist der Natur Meister").

1545-1589 Blanscheflor

85

beeinflussen kann, so darf ihm dafür auch nicht die Verantwortung gegeben werden. 1521: Zu schaure im übertragenen Sinn füir „Leid, Verderben" vgl. Pz 678,22 (Cundrie als derfreudenschür)·, wieder ->25538. Die auf 1521 ff. folgende Verteidigung Keies findet sich ähnlich Iw 2566-2574.

1545-1589 Blanscheflor 1545: Heinrich übernimmt die Freundin Parcevals von Chretien (Bhncheflor, „weiße Blume" CdG 2357, 2852; bei Wolfram stattdessen Condwtramürs Pz 177,30; 187,21 u.ö.). Bei beiden handelt es sich um die Herrin von Bei Repaire (CdG 2326 u.ö.) bzw. Pelrapeire (Pz 283,21 u.ö.), die von Parceval/Parzival aus den Händen des Belagerers Clamadeu (CdG 2335 u.ö.) bzw. Clamide (Pz 178,3 u.ö.) befreit wird, nachdem sie ihren Gast nachts an seinem Bett aufgesucht und um Hilfe gebeten hat. Auf diese Szene spielt Keie 1582-1589 an; CdG 1922-2030 schlafen sie nach der Unterredung boche et boche, bra% a bra% („Mund an Mund, Arm in Arm", CdG 2026) zusammen in Percevals Bett, Wolfram (192,1-196,8) betont hingegen ausdrücklich die Keuschheit und Unwissenheit der beiden.154 Namenlos muß sie sich 23863-23891 der Becherprobe unterziehen, die Vorwürfe Keies gehen dort in dieselbe Richtung. Zu den möglichen Quellen vgl. CORMEAU 1977, S. 189-198, Z A C H 1990; zur Tradition der Figur auch EBENBAUER 1 9 8 8 .

1547: Der prominente Artusritter Parceval wird hier zum ersten Mal genannt, ebenfalls in der auf Chretien verweisenden frz. Form seines Namens.155 Er tritt, wie auch Erec oder Iwein, nur in den beiden Tugendproben in Erscheinung, daneben wird einige Male v. a. auf seinen vergeblichen ersten Besuch auf der Gralsburg verwiesen (—>2207, zu Heinrichs Auseinandersetzung mit Wolfram -»6375-6393, ->6380). Zur Figur vgl. z.B. „Medieval Heroes", S. 191—201; zum Namen CHANDLER 1992, S. 227 f.; SCHRÖDER 1982, S. 92-96; WEST 1969, S. 130 f. 1560: niuwan (Adv.) elliptisch mit Nom. für „wäre nicht gewesen", hier also „wären nicht ihr Schoß und ihre Kleider naß gewesen" (Lex 11,91).

154 Pz 192,2-13; 193,3-14; 193,29-194,3; später noch einmal im Zusammenhang mit der Hochzeitsnacht 201,19-21; 202,19-203,1. Heinrichs Darstellung dürfte sich an Chretien orientieren. 155 Dabei ist das Erscheinungsbild in den Hss. uneinheitlich; Ρ schreibt konsequent mit -c(Parcifal oder Parcefal)·, V wechselt zwischen -ξ-, -Λζ- und -c- (Parceval, Parcefal, einmal Perschevaiie).

Parcefal und

86

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

1590-1630 Katalog weiterer Probandinnen Die folgende Aufzählung vieler weiterer Frauen beendet Heinrich schließlich dem Bescheidenheitstopos entsprechend, indem er sie als ein ungevuoch (bzw. vnfig P) (1625) bezeichnet, den er nicht weiter treiben wolle. Die Liste steht in einer Reihe mit der ebenfalls frei zusammengestellten Aufzählung der Gäste ab 584 und unterscheidet sich so von der der männlichen Probanden ab 2291. Heinrich hat hier in Anlehnung an die Vorbilder der >ErecLanzelet6728, 11563, wo der Bezug auf den Tristan-Stoff deutlicher ist als hier. 1600: Zu der chiinign von Cley findet sich in der >Vengeance Raguidel< ein Castiel de la Cloie,m afrz. cloie, clete „Hürde, Flechtwerk" (daneben ein Beleg für „Rose", TL 2,494). Vgl. den Turnierteilnehmer Cleir von der Voie in 18143 (nur dort, nicht durch Reim gesichert), außerdem die mhd. Formen Clyes und Kitas für Chretiens Cliges}^ 1601: Morgve dürfte für die Schwester des Artus, Morgain la fee, zu lesen sein, vgl. ErC 1953 u.ö., Yv 2953 (dort auch die Lesart Morgue*)·™ ErH 5156 u.ö. Feimurgän. 1602: Zu Moret div mcerinne vgl. afrz. more, „Mohr, Maure" (TL 6,263), ähnlich ->603. 1603: Neyn div twerginne zu afrz. nain, „Zwerg", vgl. auch —>597.

156 Dort werden nur Ginover, Enite und Iblis namentlich aufgeführt, alle anderen sind lediglich vriuniin eines jeweils genannten Ritters. Es gibt keinen Hinweis, daß Heinrich diese kurze Liste benutzt haben könnte - die auffälligeren Namen der >LanzeletCrone< nicht vor. 157 KOLLITSCH 1979, S. 45 vermutet Schreiberimum für den Stabreim. 158

Vgl. WEST 1 9 6 9 , S. 3 6 .

159

CHANDLER 1 9 9 2 , S . 1 6 2 .

160 Vgl. das Namensverzeichnis zur zitierten Edition, S. 1275. Zur Figur auch HARF-LANCNER 1984.

1590-1630 Katalog weiterer Probandinnen

87

1604: Der Eigenname der Vrowe Belyn von Danoys ist zu afrz. bei, „schön" gebildet; die Hss. bilden dabei das Suffix jeweils parallel zum vorigen Vers; afrz. danois, „dänisch". 1605: ErC 317 u.ö. nennt einen Ritter G(u)if(ßle^ bzw. Giijlet, zu Tane als Eigennamen bietet sich die antike Gestalt der Dana'e als Vergleich an.161 1606: Landet bzw. Laudet (P) klingt an eine Reihe von Namen aus >Yvain< bzw. >Iwein< an, ohne direkt von einem hergeleitet werden zu können (vgl. Landuc, Landudet, Laudine, Lunete). lande ist afrz. belegt für „bewaldete Landschaft", laude ist afrz. „Lob". Gymele ist die Freundin Isaldes in Eilharts >TristrantGerbert-Continuation< 13490,165 wo zwei Mägde genannt werden: Eine heißt Violete, die zweite Joliete. Während Ρ eher auf „Veilchen" deutet, ist V zu jolivete „Heiterkeit, Leichtfertigkeit etc." zu stellen. 1613: Ähnlich der Name von Keies Freundin Galaida (1437), auch Galat 1620. Vgl. die Meernymphe Galatea, z.B. >Metamorphosen1607. 1618: Zu Elyc vgl. den Frauennamen Ali^e Pz 67,26. ErC 1701 erscheint ein Artusritter Esli^ (mit der Variante Elis)^% vgl. hier auch 2330 Elys. 1619 f.: Blonde zu afrz. blond („blond"); Cressia wohl als Variante zu Creusa, der ersten Frau des Eneas im Trojaroman (>Roman de Troie< 1180; namenlos bei Heinrich von Veldeke). Zu Galat —>1613. 1631—2631 Becherprobe der Männer 1631—1814 Auseinandersetzung zwischen Keie und Artus 1632: Der Begriff gestin gilt als Beleg für die bair. Sprache Heinrichs.169 1 6 4 4 — 1 6 4 9 : ( = G T 4a) Womöglich als Sentenz zu verstehen (vgl. auch ShRM), ist eine solche Handlungsanweisung auch Gegenstand zahlreicher Rechtssprichwörter. Vgl. TPMA 7, „König" 3.3.4: „Der König soll nicht lügen (sondern die Wahrheit sagen)", ebd. 3.3.5: „Der König soll sein Wort halten"; z.B. >Salomon und Markolf< 343: Eines koniges wort, sicherlich,/ ensal nummer me gewandeln sich-, Ulrich von Etzenbach, >Alexander< 27985: Kiinges wort suln wesen war. Vgl. dazu die entsprechende afrz. Tradition; wieder in >Gärel< 457, 11315 und >Meleranz< 12623. Vgl. die Einleitungsworte des Boten, der 1033 ff. bereits klare Anforderungen an die ideale Verhaltensweise eines Königs formuliert hat. Der Bote besteht nun darauf, Artus müsse sein gegebenes Versprechen vollständig erfüllen und sich selbst der Probe unterziehen (vgl. auch 10996 f.). In seiner Replik 1666 ff. greift Artus denselben Gedanken auf, daß Könige ihr einmal gegebenes Wort halten müssen. 1666 if.: (= GT 4b) Die Antwort des Königs lehnt sich an Rechtssprichwörter an, ebenso —>1644 ff. 1683 ff.: Die von dem Boten benannte lantsit, derzufolge es sein reht sei, vor seinem Herren zu trinken, lehnt Artus ab. Allerdings wird die von ihm herbeigesehnte Probe (1766-1777) durch die Auseinandersetzung mit Keie hinausgezögert, er trinkt erst 1892-1896. 1699: Zu der Redewendung Ein angel, der var stach vgl. Anm. KNN; %e var die Art und Weise bezeichnend (analog zu beispielsweise ^e strife für „im Wettstreit", vgl. Lex 111,1036), hier wohl: „mit Hinterlist". Die Darstellung Keies als „Stachel" fuhrt in den folgenden Konflikt zwischen dem Truchseß und Artus; vgl. auch die entsprechende Übersetzung bei TH. Sehr frei SCHR: 168

Vgl. WEST 1 9 6 9 , S. 58.

169

REISSENBERGER 1 8 7 9 , S . 2 7 .

1631-1814 Auseinandersetzung zwischen Keie und Artus

89

„fand einer ein Haar in der Suppe und fischte es heraus."170 Das Bild des angels wurde —>153—160 fur den Kritiker verwendet, wieder 3459 füir Keie. 1709: erwenden wohl mit SCHR im Sinne von „umdrehen, umkehren".171 1723: Daß Artus Keie kaum ausreden läßt, zeigt ihn von einer Heftigkeit, die dem klassischen (chretien'schen) Bild von Artus als Muster der ma%e entgegensteht. Bereits 1486—1544 war das Thema der Schmähungen gegen Keie gründlich ausgebreitet worden. Hier handelt es sich also um eine verstärkende Wiederholung, deren Brisanz daraus entsteht, daß es Artus selbst ist, der die Beschimpfungen äußert (vgl. auch Keies erstaunt freche Reaktion 1785 f.).172 Heinrich ist hier weit entfernt vom feierlichen Artuslob des Prologs. Wie vorher der Katalog der Frauennamen ist auch diese Passage im mündlichen Vortragsstil gehalten (auch —>918-2631). 1726 f.: Heinrich beginnt die Tirade von Schimpfwörtern mit einem Bild, das dem Bereich der bereits im Prolog vielfach verwendeten Edelsteine und -metalle entnommenen ist; die Aussage ist in Form eines klassischen Chiasmus formuliert. Statt Saphir muß wohl analog zu der handschriftgestützten Stelle im Prolog (—>67) safer gelesen werden, um eine klare Kontur für das Bild zu gewinnen; vgl. auch Pz 3,11 ff., wo Wolfram den Safer dem Rubin gegenüberstellt.173 Artus' Vorwurf lautet dann, Keie verdrehe die Wertigkeiten, indem er Wertvolles als wertlos darstelle, er nehme „anstelle von Gold schlechtes Zinn, Glasfluß anstelle eines Rubins".174 Üblicher als die Gegenüberstellung Gold und Zinn war die von Gold und Kupfer, wie sie in sprichwortartigen Redeweisen überliefert ist. Vgl. 11385 f.: So het ich vür daz^ galt gelesen/ Da% chupfer vnd den messinc, daneben z.B. WGast 8121: Du bist gewinnunge holt/ und gist doch umbe kupfer golt, ebd. 959: Valsch schceniu wip man ahten sol/ kupher iiberguldet ml,/ da£ an im lüt^el goldes hat, >Engelhard< 3704 f.: Ir hat mir gegen golde/ kupfer unde bligewegen. 170 Zu dem Bild vgl. auch z.B. Bruder Wernher, Minnesinger II, 228b (=6,4):

sprichet suesju wort, da doch der angel stichet dar.

Manik Rurige

171 Vgl. dagegen den nur zu dieser Stelle eingetragenen Beleg erwarten, „leer machen" in Lex 1,696. 172 Zur Figur Keies ->490. 173 Entsprechend auch GUTWALD 2000, S. 121, Anm. 267. 174 ENGELEN 1978, S. 331 und 364 f. liest hier wie 67 Saphir und sieht darin einen weiteren Beleg für die Wertverkehrung Saphir - Rubin. Seine Argumentation basiert auf P / S C H für diesen Vers, safer bildet in beiden Fällen jedoch einen deutlicheren und damit sinnvolleren Kontrast, der den mühsamen Spitzfindigkeiten zum Verhältnis von Rubin und Saphir vorzuziehen ist. In Artus' Vergleich (in P/SCH) stimmt die postulierte Reihenfolge der Wenigkeiten (1. Rubin, 2. Saphir) wenigstens mit mittelalterlicher Steinkunde überein, 67 (P/SCH) ist es umgekehrt, würde Heinrich den Rubin (ironisch?) unter den Saphir stellen.

90

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

1730-1737: Diese stilistisch einheitliche Reihe von Beschimpfungen, von denen einzelne bereits im Zusammenhang mit Keie genannt wurden, ist teilweise nicht ganz leicht zu deuten (auch ->1486-1520). Jeder Vers beginnt mit ein, darauf folgen ein oder zwei Attribute, die entweder einen trügerischen oder einen verletzenden Aspekt in sich tragen, teilweise sogar beide in sich vereinigen. Insgesamt läßt sich ein Zunehmen der Abstraktion feststellen. Die Reihe beginnt mit ha£ und nett sowie den dafür traditionellen Bildern gift und eiter. Die Gegenüberstellung mit dem Morgenrot 1732 verweist im Kontext der Scheltrede auf die schon bei Mt 16,2 erwähnte Bauernregel vom trügerischen Schein eines schönen Morgens.175 SINGER 1944, 11,48 bietet einige Belege für die Verbreitung dieser sprichwörtlichen Aussagen zum Wetter, bis hin zu Morgenrotjallt in Kot}16 Zu dem folgenden Hagel vgl. WvdV L. 29,13 (C. I,lla,10): sin wolkenlose^ lachen bringet scharpfen hagel. In demselben Bildbereich bleibt 1734 mit dem zerstörerischen Hagel, der plötzlich über die Natur hereinbricht (DSL 2,260 Nr. 11: „Wenn der Hagel alles erschlagen hat, ist das Wetterläuten zu spät"). Die Versumstellung in KNN rückt den Bildgehalt zusammen, ohne sie sind es zwei parallel gebaute Dreiergruppen: So wie die Wetterphänomene die beiden verletzenden Tierglieder Skorpionstachel und Schlangenschwanz177 umschließen, so rahmen die beiden Verse mit Tierfallen das eher allgemeine besmich („Betrug, Schaden") an allem lobe (1736) ein. Dieser zweite Dreierblock verstärkt den im morgenrot zuerst aufgenommenen Aspekt des Betrugs, indem sich ein vordergründig schöner Schein als sehr gefährlich herausstellt: die Lockspeise (rei^el, Lex 11,400), die den Vogel in die aus einem gespaltenen Holzstück bestehende Falle lockt (chlobe, Lex I,1628).178 Parallel gebaut ist der abschließende Vers, wenn man kort, korder zu afrz. querder, „Köder" versteht,179 die angelsnuor für die Fische entspricht dem chlobe für die Vögel. Die Bildung angelsnuor weist BMZ 112,454 nur für das >Melker Marienlied< 29 nach. 175 Die Konjektur Cein bei SCHR/KNN unterbricht hingegen die stilistisch einheitlichen Verseingänge zugunsten eines abweichenden Verständnisses. 176 Vgl. DSL 3,732 Nr. 21; weitere negative Konnotationen zum Morgenrot ebd. unter Nr. 18, 19 und 25. 177 Vgl. hierzu das Bild des Kritikers im Prolog 80 ff., der mit Gift auf den Roman schießt, das er in slangen listen in seinem Schwanz verbirgt. 178 Vgl. auch 11054 reisgluoder. Ein reisglklobe als Schimpfwort findet sich z.B. bei Neidhart 82,16 (WL 28 II: siinden schänden rei^elklobe) und bei dem Marner, Lied 27, Str 1: Do minne menschen mut besa%/ ir wunder waren tiii/ so we dir, arge% lügeva^/ du reiyelklobe unde eitgespiel!/ eiterliche giße, sich,/ der hastu sie besksgen vi!.·, ähnlich ebd. Str. 6: rvi^elklobe, sündenstifi. Zitiert nach: „Das deutsche Kirchenlied", II 98 ff.; wieder in: „Mhd. Spruchdichtung", S. 119 und 122. 179 Vgl. die Konjektur bei SIN; wieder bei GÜLZOW 1914, S. 49.; auch SUOLAHTI 1929, S. 128; Anm. K N N .

1631-1814 Auseinandersetzung zwischen Keie und Artus

91

Alle diese Beschimpfungen illustrieren denselben Vorwurf des Königs, der Keie seine ehrverletzenden, bissigen Kommentare über die einzelnen Probenteilnehmer übel nimmt. 1740 f.: Das Bild vom Weg auf Eis fuhrt die diversen Metaphern für Keies Charakter fort, in dem Sinne: „Wenn man sich mit euch einläßt, fällt man hin".180 1756 f.: Anspielung auf eine womöglich dem frz. Sprachraum zugehörende Sentenz,181 die durch ihre Nähe zu moderner Psychologie erstaunt. Aus dem Rahmen der sehr direkten bildhaften Beschimpfungen, die Artus Keie entgegenschleudert, fallt sie durch den völlig anderen inhaltlichen Charakter heraus. 1762: „Spott nach Schaden tut weh." Artus begründet mit dieser Sen182 tenz noch einmal seine vorangegangene Schimpfrede: Keie soll sich mäßigen und denen, die durch die Probe schon Schaden erlitten haben, nicht noch zusätzliche Schmerzen zufügen. Fast wörtlich findet sich die Sentenz z.B. im >Apollonius< 19217 f. und im >Rat der Vögel< 64 (zit. nach ShRM). 1764: Der Adressatenwechsel in Artus' Rede von Keie zum Boten dürfte mit diesem Vers anzusetzen sein (unklar bei SCH). 1780: Vgl. das auf Keie bezogene Bild vom bellenden Hund —* 1493— 1504. 1784: Beide Lesarten (verre oder sere) unterstellen eine tiefgreifendere Wirkung von Keies fortgesetzter Schmährede auf Artus, als sie sich im Text erkennen ließe. 1799: Lvcans der schenche fand sich mit demselben Hofamt ErC 1525 beiläufig erwähnt, danach recht häufig im afirz. Bereich,183 im dt. ErH 1516. Der Mundschenk war für die Getränke an der königlichen Tafel zuständig, das Amt ist seit der Völkerwanderungszeit nachweisbar, —>490 (senetschas), —»1438 (trugsaZe)m 1802: trinchen mit refl. Dat. der Begünstigung, im bezieht sich auf herr 1801. 180 Vgl. allgemein auch TPMA 2, „Eis" 1: „Auf dem (Über das) Eis gehen, laufen". Vgl. auch RÖHRICH 2 0 0 0 , S. 1 4 6 1 (Druck: Bd. 2 , 3 7 1 ) , der den Gedanken schon für das 12. J h . in

181 182

183 184

einem lat. Sprichwort belegt: Qui currit glaaem, se non monstrat sapientem („Wer auf das Eis läuft, zeigt sich nicht weise"). Vgl. die Belege TPMA 7, „Liebe" 7.3.1: „Wer sich selbst nicht liebt, den liebt niemand"; daneben auch die biblische Parallele Sir 14,5. Vgl. TPMA 11, „Spott" 1.3: „Der Spott ist nach (nebst) dem Schaden schlimm und schmerzhaft", ebd. „Spott" 2: „Schmerzhafte Wirkung von Spott"; weitere Belege auch ShRM, wo auch auf 2532 und 3180 ff. verwiesen wird. Vgl. WEST 1969, S. 107; so z.B. Lucans Ii bouteilliers im >Lancelot en prose< (MICHA, VH,261, § 1, Z. 15). Vgl. LdMA 6,908; 5,67 ff.

92

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

1815-1925 Verunsicherung des Hofes, Artus besteht die Probe Lit.: Zur Probe des Königs vgl. die Analyse bei

GUTWALD

2000, S. 157-162.

1815-1853: Die Reaktionen der Hofgesellschaft, exemplarisch von zwei Teilnehmern ausgesprochen, schwanken zwischen Ironie, die Keies eigene Sprechweise karikiert, und der Angst vor einem unerfreulichen Ende der Feierlichkeiten durch die Bloßstellungen in den Spottreden. 1854: dem spil (komen) im Sinn von „aus Spiel wird Ernst";185 vgl. >Rolandslied< 1644: ich bringe ίζ deme spile, das Lex 11,1091 überträgt: „ich mache ernst mit der Sache"; ähnlich auch En 21,8: do gieng «ζ u^er deme spile. Vgl. auch 10611: was in chomen au^em spot.m 1860 f.: Ausführliche Umschreibung zur Erfassung wirklich aller Anwesenden. 1865: sich inge^ogen ist ein singulärer Beleg; vgl. sich spo einem ziehen, „sich jmd. anschließen" (Lex 111,1103). 1889: Das Kompositum phalnt^rounden (analog zu phalen^grave, phalensgerihte, Lex 11,224) ist nur hier und 1932 belegt und nach dem Muster der tavelrunde gebildet (phaln% mit synkopiertem -e wieder 8713). Die Doppelung neben der Tafelrunde soll wohl die gesamte Festgesellschaft von dem engeren Kreis der Ritter der Tafelrunde unterscheiden. 1890: Brisa% tritt nur hier in der Becherprobe auf; vgl. den vielfach bezeugten Zunamen für Caradoc Briebras, Briesbras (v.a. >1. Continuation^.187 1892—1896: Nach dem langen Vorgeplänkel wird nun in gerade fünf knappen Versen beschrieben, wie Artus als einziger die Becherprobe besteht, er somit eine erste Anfechtung seiner Herrschaft abwenden kann. Auch in dem >Lai du Cor< 281—296 trinkt Artus als erster, versagt allerdings.188 Zur Bedeutungsvielfalt von spil in der >Cröne< vgl. auch die Belege bei GÜLZOW 1 9 1 4 , S. 1 9 3 f. 186 Vgl. dazu GUTWALD 2000, der seine Analyse der gesamten Becherprobe unter dieses Motto stellt (S. 123-194, bes. S. 167 ff. zum spil)·. „Die Heiterkeit, die der Hof bis zu diesem Zeitpunkt bewahrt hat, der 'spielerische' Charakter der Tugendprobe, dies alles droht in gefahrlichen Ernst umzuschlagen, sobald die Idealität und die Makellosigkeit des Königs selbst in Zweifel gezogen werden. [...] Der Bestand des Artushofes ist existentiell gefährdet und droht auseinanderzufallen, wenn dem arthurischen Herrschertum als der einheitsstiftenden Gewalt der Boden entzogen wird [...]. Erst aus dieser Perspektive ist dann die anschließende Tugendprobe des Königs angemessen zu beurteilen, da nur ihr Bestehen den weiteren Erhalt der Artuswelt zu gewährleisten vermag" (S. 159). Vgl. auch ebd. die Ausfuhrungen zum mittelalterlichen Verständnis des Herrschers als Haupt der Gemeinschaft, das für die Einheit des staatlichen Körpers einstehe. 185

1 8 7 WEST 1 9 6 9 , S. 2 6 f.

188 Da das Versagen der Männer dort auf die moralische Schwäche ihrer Partnerinnen zurückgeführt wird, gerät Artus daraufhin Ginover gegenüber in Rage.

1926-1993 König Brisaz und der König von Äthiopien

93

Gattungstypisch ist das Bestehen der Tugendprobe immer dem Protagonisten vorbehalten. Daß es hier Artus ist, in der Handschuhprobe dann Artus und Gawein bestehen, zeigt ihr gemeinsames Erfüllen dieser Rolle.189 1 8 9 7 — 1 9 0 5 : Die erste sprachlose Reaktion der Anwesenden, sich huob ein stille, div was^gmi (1902), wird erzähltechnisch durch den Verzicht auf eine ausfuhrlichere Darstellung umgesetzt. Darauf folgt allerdings erwartungsgemäß doch noch ein Kommentar Keies, in dem er das Versagen Ginovers und die nachgewiesene Tugendhaftigkeit des Königs ironisch gegeneinander ausspielt. 1926-1993 König Brisaz und der König von Äthiopien 1932: Zu pfalntyrounde ->1889. 1955: (= GT 4C) Wenn stift (allgemeiner als in den Wörterbüchern) im Sinn von „Gabe" gedeutet wird, zudem giß wohl in derselben Bedeutung (vgl. BMZ 1,510), läßt sich die Sentenz verstehen, mit der Keie den König Brisaz verspottet: Das Salden chint verfügt über die Gaben des Glücks, es läßt hingegen die Gaben des Unglücks (hier den Wein im Becher) nicht an sich herankommen.190 1962: Als Künic Noyrs von Ethopia hat er bereits am Weihnachtsfest teilgenommen (—>603). 1973: werltsachen nochmals 15900, vgl. auch 264 werltschanden. Das Kompositum könnte Heinrich aus ErH 7252 kennen (der einzige weitere Beleg).191 1989 ff.: da·.ζ trinchen wird personalisiert: Er hat es an sich gewöhnt, nun ist es von solcher Sehnsucht nach dem äthiopischen König erfüllt, daß es ihm bereits entgegenkommt. 1994-2069 Gawein Das Versagen des sonst hervorragendsten Artusritters Gawein scheint dazu gedacht, die besonders hervorgehobene Stellung des Königs im Kontrast zum gesamten Hof besonders zu betonen.192 Auffallig ist, wie sehr sich der Erzähler bemüht, dieses Versagen herunterzuspielen: zum einen durch die direkt gelieferte Begründung (wobei das übersprechen (—>2003) wohl als leichtes Kavaliersdelikt einzustufen sein dürfte), zum anderen in einem ausführlichen, von Sentenzen durchsetzten Erzählerkommentar, der das Scheitern 1 8 9 Vgl. JILLINGS 1 9 8 0 , S . 2 3 2 .

190 Sehr frei die Übersetzung SCHR: „Wer das Glück hat, fuhrt die Braut heim." 191 Vgl. Lex 111,785; auch LEITZMANN 1925, S. 450. 192 Vgl. in diesem Sinne zuletzt GUTWALD 2000, S. 154.

94

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

zu relativieren versucht (2016—2069). Zudem fehlt hier die übliche Spottrede Keies, wodurch Gaweins schände nicht vor der Hofgesellschaft vertieft wird. 2003: Gawein mißlingt die Becherprobe, da er einmal damit geprahlt hatte (sich übersprach), die Gunst einer Dame genossen zu haben; ein männliches Fehlverhalten gegen die Ehre. Schlimmer ist sein Fehlverhalten Wig 1511—1517: Dort versagt Gawein bei der Probe mit dem magischen Stein, denn eine maget ml getan/ die greif er über ir willen an,/ so da\ si weinde unde schre (Wig 1511 ff.).1,3 Die Vorstellung der in gemütlicher Runde zusammensitzenden und erzählenden Artusritter gemahnt an das entsprechende Zusammensein zu Beginn der Iwein-Romane. 2 0 0 4 : Vgl. Anm. KNN; die afrz. Form favele ist (reimbedingte) Alternative zu afrz. und mhd. Jabel, das Heinrich sonst schreibt (z.B. 8835 (V und P), 10506 (V und P), 18113 (P) \i.ö.)m favele ist im Mittelalter ein „seltenes Fremdwort" und „meint [...] keine Gattung, nicht immer eine Erzählung und niemals eine Fabel".195 Hier im Sinne bloßer Unterhaltung zu verstehen, vgl.fauelie und manige seltsene rede im vergleichbaren Zusammenhang >Rolandslied< 1753 ff. 2 0 0 5 : Die zuerst bei Wace erwähnte runtauel ist wohl eine poetische Idee, traditionell waren in Westeuropa eher eckige Tische im Gebrauch. Die Rundform verwischt alle Rangunterschiede; zugleich wäre sie „Bild des Kosmos", der Herr dann der Weltherrscher.196 Daß die Ritter der Tafelrunde „die besten der Welt" seien, berichtet ErC 1685 f. (De ceus de la Table Reonde,/Qui Ii meillor furent dou monde), von der tavelrunde spricht u.a. ErH 1616, Iw 4534. Vgl. auch die Idee der Runde in phalnt^rounden (—>1889).

193 Vgl. zur Interpretation der Gaweinprobe C O R M E A U 1977, S. 144 f., v.a. Anm. 6; G U T W A L D 2000, S. 154 ff. (vgl. ebd. S. 338 die knappe Übersicht einiger Stellen zum über sprechen). Zum Motiv der maßlosen Rede vgl. auch den Exkurs —>3528-3553, daneben 3434 oder 11204 ff. 194

Vgl. SUOLAHTI 1 9 2 9 , S. 2 7 6 ; G Ü L Z O W 1 9 1 4 , S. 5 4 .

195

DE BOOR 1 9 6 6 , S . 4 f f .

196

Vgl. O R K E N 1 9 9 3 , S . 6 0 f.

1994-2069 Gawein

95

2012 ff.: Von den in Anm. KNN zitierten Möglichkeiten197 erscheint die Deutung des Löwen als Iwein, analog zu 1330, die wahrscheinlichste;198 könnte die Vorstellung als Reittier, die hinter 2015 steht, auf das Unverständnis eines früheren Schreibers zurückzufuhren sein? Oder ist setzen im spielerischen Sinn zu verstehen: Der gewin der Aventiure war auf Gawein gesetzt (in der Lesart P)P Daß Iwein Gawein ermahnt, entspräche deren in den Iwein-Romanen besonders beschworenen Freundschaft, auch —>23593 ff. 2016 ff.: (2016-2024 = GT 5) Die auf Gaweins Scheitern bezogene Sentenz 2016 (vgl. 2058 ff.) wird in den Bildern 2017-2024 und 2050-2059 ausgemalt: Etwas Kostbares, Schönes wird durch eine häßliche, wertlose Sache entstellt und unkenntlich gemacht — die Schande sucht sich den bequemen Weg (vrones weges), der Nebel bricht das Licht, das Goldkorn199 wird durch einen Tropfen Ruß verborgen: Schon kleinste Verfehlungen (Gaweins übersprechen 2003) haben äußerst unangenehme Konsequenzen. 2028—2030: Der Dreireimabschluß, mit dem der Autor eine Zwischenbilanz zu Gaweins schlechtem Abschneiden zieht (die den Helden in Schutz nehmen soll) kündet auch stilistisch von dessen Besonderheit, indem zunächst zwei Verse als Parallelismus zusammenstehen (Baumuster: 1. Das Gute, 2. Das Schlechte, das es verdeckt), denen ein dritter chiastisch zugeordnet ist (1. Das Schlechte, 2. Das Gute). 2050-2069: (= GT 6) Diese Folge von Exempla steht in umittelbarem Zusammenhang mit der Passage —>2016 ff.: Dieselbe Argumentationsweise wie oben verwendet 2052 f. das Bild von der klaren Quelle, die bereits von wenig Schmutz getrübt wird. Daneben stehen weitere Bilder, die nach einem abweichenden Schema gestaltet sind: etwas grundsätzlich Gutes hat eine negative Wirkung. Die Sonne nimmt der höfischen Dame ihre vornehme Blässe, die Krähe wird umso schwärzer, je mehr man sie wäscht.200 Die Beobachtung, daß umso größere Schönheit umso anfalliger für Makel ist (so das Sprichwort vom Schimmel, der viel schneller schmutzig aussieht als ein dunkles Pferd), verweist bereits auf die Schlußaussage dieser Passage 197 Vgl. auch das Motiv „sprechender Löwe" bei ZACH 1990, S. 125, ebenso MENTZEL-REUTERS 1989, S. 128. Der Vollständigkeit halber sei auch auf eine Artus mit einer Katze verbindende Erzähltradition verwiesen: In >Le Livre d' Artus< findet sich die Beschreibung eines Kampfes von König Artus gegen die Katze von Lausanne mit einem siegreichen König Andres >Romanz des Franceis< (vor 1204) erwähnt die Tötung des Königs durch die Katze Capalu, die wohl auf bretonisch-kymrische Sagen zurückgeht. In der Kathedrale von Otranto findet sich ein entsprechendes Mosaik aus dem 12. Jh.; vgl. dazu HAUG 1977; BIRKHAN 1 9 7 6 , S. 6 2 - 6 6 .

198 So auch STEIN 2000, S. 25, aber ohne Blick auf 2015. Er vermutet eine Anspielung auf die Aventiurefahrt aus Iw 2956-70. 199 goltgrou^ ist Neologismus Heinrichs, auch 15728, 18116, vgl. Lex 1,1048. 200 Zu dem Sprichwort vgl. auch DWb 14,5.

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

96

2058 f., die die Bilder nochmals theoretisierend zusammenfaßt.201 Der Erzähler schließt die Partie mit dem Wunsch ab, die besten müsse Gott schützen und vor die Tür der Saside bringen, damit ihnen nur noch er („Ehre") und gevüer, alles zu ihrem Besten, widerfahre. Vgl. zu 2054 f. und dem Sprichwort 2056 f. die von SINGER 1944, 1,125 bzw. 109 f. zitierten Parallelen bei Egbert von Lüttich (11. Jh.).202 Der salden türals sprichwörtliche Tür zum Glück findet sich wieder 7218 und 15959. 2070-2153 Lanzelet Die Namensform „Lanzelet" deutet zwar auf Ulrich von Zatzikhoven, der Zuname von Arlach auf ErH 1631;203 allerdings verwendet Heinrich die Form „Lanzelet" auch für Anspielungen auf eindeutig von Chretien übernommene Episoden.204 Während seine Beschreibung als p f a f f e (2076) seiner durch die Dame du lac im >Prosa-Lancelot< vermittelten Bildung entspricht,205 ist das Attribut der um die Mittagszeit wachsenden Körperkraft traditionell Gawein zugeschrieben206 und hier auf Lanzelet übertragen.207 2073: Arlach ->610, auch 849. 2097: Die Redewendung in den stric Valien mit der Bedeutung „in die Falle gehen" findet sich ähnlich 7745 f., 20313 f. 201 Zu Parallelen der einzelnen Sentenzen und Sprichwörter vgl. ShRM, sowie die jeweiligen Stichwörter in TPMA. 202 Weitere Belege auch SINGER 1944, 111,104. Vgl. u.a. Colmarer Hs. 144,42; Der Teichner 558,45 ff.; Wiltener Hs. 1,1 Germania V; daneben mit einem Rappen anstelle der Krähe >Liedersaal< 243,43; auch BEZZENBERGER ZU Frdk 142,15 f. Vgl. auch das Bild vom Ziegelwaschen im Prolog (—>22 f.) als Ausdruck für ein sinnloses Bemühen gegen natürliche Gegebenheiten. 203 ChCh 3660, 5144 u.ö. Lancelot del Lac. 204 Vgl. die Zusammenstellung bei CORMEAU 1977, S. 178-184. 205 Vgl. KLUGE, 11,399,7 ff., Parallele MICHA, IV,346, § 1 (Z.16 f.: Lancelot schreibt einen Brief an Ginover, als Grund für seine Schreibfähigkeit heißt es lapidar das er ml kund, wann synen glichen nit enwas). BUMKE 1990, S. 682 f. verweist darauf, daß p f a f f e als deutsches Gegenwort zu lat clericus stärker auf den Bildungsgrad denn auf das Amt ausgerichtet war, so daß auch ein gebildeter Laie problemlos als p f a f f e bezeichnet werden konnte. Dementsprechend bezeichneten sich auch die ersten Autoren weltlich-höfischer Epen als solche: „Pfaffe Lamprecht" und „Pfaffe Konrad". Vgl. auch die Bezeichnung Gansguoters als p f a f f e wol gelert (13025).

206 So >MeraugisL'Atre PerilleusEscanorGogulorLancelot en prose< erklärt dieses Attribut als Taufgeschenk an Gawein (vgl. ANDERSEN 1987, S. 39). Heinrich dürfte es wohl aus der für die Becherprobe Pate stehenden >1. Continuation übernommen haben. 13379 ff. läßt er diese Fähigkeit Gaweins der Tradition gemäß anklingen. 207 Z u r Interpretation der Lanzeletprobe CORMEAU 1977, S. 1 7 8 - 1 8 9 ; GUTWALD 2000, S. 152;

er glaubt nicht an Heinrichs Kenntnis des >Lanzelet< (vgl. ebd., Anm. 71).

2070-2153 Lanzelet

97

2102 ff.: Zu dem Motiv der Entfuhrung Ginovers durch Miliantz vgl. u.a. Yv 3702-3711, 3914-3935, Iw 4285-892, 4520-4729, ChCh 43-267; ausfuhrlich ->11037. 2105 f.: Heinrichs Begründung für Lanzelets Karrenfahrt ist v.a. praktisch orientiert; ähnlich dient ChCh 320-394 die Notwendigkeit des schnellen Vorwärtskommens als Motiv, getrieben von der Liebe, die über die auf Ehre bedachte Vernunft siegt (welche vom Besteigen des Schandkarrens abrät). Im frz. >Lancelot en prose< springt Lancelot ohne jedes Zögern auf den Karren, nachdem ihm der karrenführende Zwerg Neuigkeiten über die Königin versprochen hat (MICHA, 11,11 f., § 24 f.), die deutsche Übertragung läßt Lancelot ebenso wie >Chevalier de la Charette< zunächst zögern, bevor er sich der Notwendigkeit beugt (KLUGE, 1,604,11—28). enmoht (zu miigen) „bezeichnet im allgemeinen die objective möglichkeit: [...] vermögen" (Lex 1,2219), demzufolge wäre es als Ausdruck des Nichtkönnens zu verstehen; THOMAS hingegen interpretiert gemäß der Nebenbedeutung „der möglichkeit gemäss wollen" (Lex 1,2219) Nichtwollen, Lanzelet sei zu bequem gewesen, um zu Fuß durch die Dornen zu laufen.208 2109: urkünde ( V / S C H / K N N ) im Sinne von „zeichen, merkmal, Zeugnis" (Lex 11,2006); Ρ vnkunde, „fremdes land, unbekannte gegend" (Lex 11,1905) erscheint aber im Kontext verständlicher (so auch EHR; SCHR und TH). Vgl. Anm. K N N . 2111—2126: Heinrichs Begründung, warum das Aufsitzen auf den Karren eine große Schande bedeutet, steht am nächsten zu ChCh 321—344. >Lancelot en prose< behandelt das Problem nur noch knapp (MICHA, 11,12, §24 f. (Z.7-11); vgl. die Parallele KLUGE, 1,604,20-24).209 Allerdings findet sich bei Chretien kein Hinweis darauf, daß die auf dem Karren sitzenden Übeltäter mit Steinen etc. beworfen worden wären. Er spricht lediglich davon, daß man sich mit einem Kreuz bezeichnen solle, wenn man einem solchen Karren begegne, um sich selbst vor diesem Schicksal zu schützen (ChCh 341 ff.); Lancelot wird zudem von den Passanten geschmäht (le huient ChCh 405, ähnlich wieder 1666 ff.). Gewalttätigkeiten wie bei Heinrich beschreibt die Prosafassung: Im dt. >Prosa-Lancelot< wirft das volck mit den bruch hantvollecht auf Lancelot und wuchten u f f y r ? w (KLUGE, 1,605,15 f.); im afrz. >Lancelot en prose< heißt es ähnlich, si commencent totes les gens Lancelot a huer et le mesaament et arochent (MICHA, 11,12, §26, Z.27f.). 211 Die ausführlichen Er208 THOMAS 2002, S. 36. 209 Die Bedeutung der Schande für Lancelot wird dort aber um so ausführlicher diskutiert. V g l . REIL 1 9 9 6 , S. 4 1 - 4 9 .

210 Vgl. DWb 30,1734: „Wuchzen, vb., laut schreien, brüllen." 211 „und alle Leute begannen, Lancelot zu schmähen und ihm ihre Mißachtung zu zeigen und Steine nach ihm zu werfen."

98

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

klärungen zur Biographie Lanzelets an dieser Stelle deuten darauf hin, daß Heinrich sie nicht als dem Publikum selbstverständlich präsent ansah, anders als >Iwein< und >Erec12608 f.), sonst nur noch in der >Weltchronik< des Rudolf von Ems und in Albrechts >Jüngerer Titurel2070-2153. 2153: (= GT 6a) Sprichwort mit biblischem Hintergrund, so auch Ecl 3,1: omnia tempus habent („Alles hat seine Stunde"); zur intensiven Rezeption vgl. ShRM, z.B. WGast 2197 f. und Frdk 117,18f.215 2154—2257 Erec, Iwein, Kalocreant und Parzival 2159: an den reif übersetzt S C H R sinngemäß „bis zur Neige". Der reif dürfte wohl den häufig ringförmigen Abschluß des Sockels unter dem Becherboden meinen. 2163 ff.: Der Grund für Erecs Versagen ist sein extrem unhöfisches Verhalten nach Enites Warnungen; das wird als spontaner zeitgenössischer Rezeptionsbeleg gewertet, der „Zeugnis ablegt über die Irritation, welche Erecs herabwürdigendes Verhalten beim Publikum anscheinend hervorgerufen hat."216 T H O M A S sieht hingegen Erecs Bequemlichkeit als Hauptkritikpunkt: Er „had made things easy for himself by listening to the warnings of Enite".217 2 1 2 Vgl. SUOLAHTI 1 9 2 9 , S. 142.

213 Vgl. A n m . KNN, SCHR; SCHÖNBACH 1908, S. 371. Vgl. auch C d G 6347, w o v o m

Riehe

Pescheor gesagt wird, daß er Lu% m lamproies ne salmon („Nicht Hecht, Lamprete, noch Lachs") esse, sondern lediglich von der sole hoiste („Hostie") lebe, die man ihm im Gral bringe. 214 Vgl. Lex 11,570; REISSENBERGER 1879, S. 30.

215 Das fehlende Reimwort guot 2153 bei SCH ist offenbar Druckfehler. 2 1 6 GUTWALD 2 0 0 0 , S. 153; vgl. s c h o n CORMEAU 1 9 7 7 , S. 169 f.

217 THOMAS 2002, S. 36.

2154—2257 Erec, Iwein, Kalocreant und Parzival

99

2174: Im >Erec< waren es erst drei, dann fünf Räuber; daß Heinrich von %welf roubarn spricht, ist entweder eine absichtliche Übertreibung oder ein Irrtum.218 5512 schreibt Heinrich dem Riesengehilfen Galaas die Kraft von sgvelf manne zu, ähnliches wird von Baingranz gesagt (—>26555). In der Zahlensymbolik kommt der Zwölf besondere Bedeutung zu, da in ihr Drei als Zahl Gottes und Vier als Zahl des irdischen Universums vereint sind, so daß sie einen besonders umfassenden Charakter erhält.219 2189: Keie spielt auf die Episode um den Riesen Harpin an (Yv 3831 ff.; Iw 4453-4527, 4916-5084, 5469-10112). Die Kritik an Iwein bleibt insgesamt sehr zurückhaltend und knapp, sie zielt auf die Hilfe, die ihm durch seinen Löwen zuteil geworden war.220 Wie schon in der Verurteilung Laudines (1343 ff.) zeigt sich darin eine Parteinahme des Erzählers für Iwein.221 2195 ff.: Kalocreants Mißerfolg in der Becherprobe wird von Keie noch verschärft durch die Anspielung auf sein Versagen im Kampf gegen den Brunnenherren Ascalon (wieder aufgegriffen in der Handschuhprobe 24638— 24651). Diese Episode ist zugleich die einzige, die die Tradition mit diesem Ritter verbindet (vgl. die Einleitungsteile der Iwein-Romane). Heinrich verhilft Kalocreant schließlich zu neuer Ehre, wenn er ihn mit Keie und Lanzelet Gawein auf der Gralsfahrt begleiten läßt (22973 ff., 25951 ff.).222 2204—2206: Ρ und V beginnen 2207 Parcefal mit einer Initiale, allerdings ist der vorausgehende Dreireim verderbt: Ρ endet mit einem überlangen dritten Vers (1/J den stein gegussent/ λ/nd des so wol genussent/ Er mag wolfro sin der sin so genüsset), der in seinem Wiederholungscharakter nach einem Schreiberfehler klingt; V trennt diesen letzten Vers (Er mag vil wol fro sein/ Der so wol genv^et·), was S C H / K N N ZU ihrer Variante veranlaßt haben dürfte, einen zweiten Paarreim durch Hinzufügen von sin/sein zu ergänzen. Allerdings wird der Abschnitt dadurch unverhältnismäßig lang (2154—2257), daher wäre die Wiederherstellung des Dreireims durch einfache Kürzung des dritten Verses eine akzeptable Lösung, unklar bleibt aber das originale Reimwort (vgl. Anm. KnN).223 218 STEIN 2000, S. 44, Anm. 88 erwägt einen Zusammenhang mit dem in der Heldenepik geläufigen Zwölfkampf (>RosengartenWaltharius6 f.); vgl. auch ShRM. 2228 f.: Cvliantξ und Leden gehen zurück auf die bei Chretien namenlosen, bei Wolfram Antanor und Cunneware genannten Figuren, die durch ihr Verhalten bei Parzivals erstem törichten Auftritt am Artushof zeigen, daß sie als einzige dessen wahren Qualitäten erkannt haben, dafür aber von Keie schwer gerügt und gestraft werden. Cvliant% ist 2577 Hofnarr am Artushof. Ρ reimt leden: beyden, V leden: beden, weshalb GÜLZOW 1914, S. 232 leide: beide emendiert und vermutet, das Mädchen solle „die Häßliche" heißen, analog 224 Der Hinweis, er habe das Schwert von seinem oheim erhalten, zeigt hier Wolfram als Quelle, bei Chretien erhält er das Schwert von der niece (= Wolframs Sigune).

2154—2257 Erec, Iwein, Kalocreant und Parzival

101

zu dem Ritter Ii LaiZ Hardtζ (ErC 1693, ErH 1634 zu afrz. laid, „häßlich").225 Auch LdaG, 358 f. versteht Heinrichs Lede als afrz. sprechenden Namen. 2244 f.: Ähnlich dem Fazit 1989 ff., wo Da% trinchen personalisiert worden war, geschieht es hier mit dem wein, dem die Zeit im Goldbecher zu lang wurde. 2249-2257: (2249 f. = GT 6b; 2253 ff. = GT 6C) „Häufiges Treten macht den Weg grasfrei, ebenso wie man auch gewohnte Wege leicht gehen kann. Tugend ist bei euch gewöhnt [= Ihr habt Tugend] und die Schande wird deshalb schmutzig. Wessen Herz verdorben ist wie Erz (oder dupple (P)?)226 oder gefälschtes Gold, der wird geschmäht werden; die Schande verfolgt die Falschheit, und die Tugend der Treue ist ihr zuwider" (vgl. Anm. KNN). 2252 selwet in V / K N N ist schwer verständlich (vgl. Anm. KNN), vielleicht in slerven zu ändern (—>87): „Wo Tugend etwas Selbstverständliches ist, da wird die Schande matt und krafidos." Keie wirft Parzival Bequemlichkeit vor: Indem man sich an Gewohntes hält, geht man kein Riskio ein. Daß Parzival als tugendhaft erscheint, liegt demzufolge lediglich daran, daß er Risiken vermeidet (auf das Frageversäumnis gemünzt): Indem er sich still im Hintergrund hielt, ging er jeder risikobehafteten Anteilnahme am Geschehen aus dem Weg und hielt sich zugleich an die von Gurnemanz vorgegebene %uht. Der Vorwurf der Hartherzigkeit zielt dementsprechend auf den Mangel an Mideid mit dem siechen Gralsherrn.227 Das Bild 2249 läßt an das Sprichwort „Steter Tropfen höhlt den Stein" denken; zur gewonheit vgl. auch die 1519 f. gegen Keie gerichteten Sentenzen. Zum Vergleich des verhärteten Herzen mit ert% oder gunterfeit vgl. auch I Cor 13,1 {si Unguis hominum loquar et angelorum/ caritatem autem non habeam/ factus sum velut aes sonans).m

225 Wieder bei CORMEAU 1977, S. 197; JILLINGS 1980, S. 30. REISSENBERGER 1879, S. 15 stellt

Ledert ohne Konjektur zu dem antiken Namen Leda. Leda war mit dem König Tyndareus von Sparta verheiratet und wurde von Jupiter geschwängert, der sich in einen Schwan verwandelt hatte; sie ist v.a. Mutter Helenas. 2 2 6 SCHADE 1 9 6 9 , Bd. 1, S. 1 1 4 kennt nur einen Stoff namens düblet, DWb 2 , 1 5 6 6 bietet duplet bzw. dopkt (Sp. 1258 f.) zu frz. doublet für einen doppelten Becher, aus dem zwei Leute trinken können, daneben (ebd. 1 2 5 9 ) doppel, duppel für „zwiefältig" (schon Wh 4 1 0 , 2 1 dubliri). Unklar ist, seit wann der in der Juwelierskunst benutzte Ausdruck double für eine goldartige Legierung gebräuchlich ist, der hier sinnvoll erscheinen würde. 227 Das Argument von SCHR für ein bereits nach 2248 anzusetzendes Ende der Rede Keies, dieser gebe keine Sentenzen von sich (vgl. Bd. 2, S. 138), steht auf schwachen Füßen; vgl. nur Keies Rede 1255, 2153, 2687 ff., 2762ff., 3474 f. u.ö.

228 „Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete,/ hätte aber die Liebe nicht,/ wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke."

102

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

225S-2290 Erzählereinschub: Wünsche des Publikums 2269-2279: (= GT 7) Sentenzenfolge (vgl. auch ShRM mit Verweis auf 2049): Mit dem Hinweis auf der werlde site, immer nach Neuem zu verlangen, begründet Heinrich die vorangegangene Paralipse. Allerdings gerät auch der Erzähler in die Gefahr, sich schmutzig zu machen, denn „bei einem kleinen (ungünstigen) Fall (der Würfel)229 kann man viel verlieren, so wie man sich leicht für das Schlechtere entscheidet, wenn man die Wahl hat. Schließlich kommt der Listige genauso schnell zu Fall230 wie der, dem das aus Torheit widerfährt." Der Erzähler ist sich also der Janusköpfigkeit der niive bewußt — einerseits ist sie das, was die werlde verlangt, andererseits birgt sie unbekannte Risiken und kann sich leicht als da% arge herausstellen. Spiele finden sich häufiger innerhalb von Sentenzen und Bildreden, vgl. —>7853 ff., —>9847 (Würfel), ->10813, ->25192 ff. 2291-2347 Katalog weiterer Probanden Heinrich hat das folgende Namensverzeichnis bis 2327 sehr exakt aus der Gästeliste ErC 1688 ff. übertragen; die meisten in dieser Partie auftretenden Abweichungen dürften auf Probleme seiner Vorlage zurückzuführen sein. Für die Aufzählung ab 2328 läßt sich die liste der Turnierteilnehmer ErC 1919 ff. als Quelle identifizieren (Parallele ErH 1902 ff.).231 Der Vergleich mit Hartmanns Namensverzeichnis (ErH 1629 ff.) zeigt zu wenige Übereinstimmungen, als daß diese Liste als Arbeitsgrundlage gedient haben könnte, zumal sie in der einzigen Hs. vielfach verderbt überliefert ist.232 Der unmittelbare Vergleich von Heinrichs Verzeichnis mit den Handschriften, dem Text Chretiens und Hartmanns >Erec< läßt sich dem Apparat von KNN entnehmen, im folgenden werden nur darüber hinausgehende Informationen aufgenommen.

229 In dieser Deutung wohl zu Recht SCHR. 230 Oder ist zum einen valt (vgl. Anm. KNN), zum anderen an kunsl zu lesen? Dann würde der karge ohne kunst sich ebenso irren, etwas verfehlen. 231 Zuerst bei BARTSCH 1862, S. 152; KLARMANN 1944. Gegenüberstellungen dann bei KOLLITSCH 1979, S. 48 ff. und STEIN 2000, S. 35—41 (mit Hinweisen zur Forschungsgeschichte S. 35); zuletzt ausfuhrlicher Vergleich der Listen bei MÜLLER 2003, S. 180-193 (auf Basis der Ausgabe SCH, dementsprechend ohne Berücksichtigung der Anmerkungen KNN). 2 3 2 Vgl. auch A n m . K N N ZU 2 2 9 2 ; FRIEDLÄNDER 1 9 0 2 . KLARMANN 1 9 4 4 , S. 8 2 legt die dt. und

die frz. Liste zugrunde; CORMEAU 1977, S. 210 und JILLINGS 1980, S. 35, Anm. 30 ver-

muten zusätzliche Quellen.

2291-2347 Katalog weiterer Probanden

103

2292: Zu Lanval vgl. den >Lai de LanvalRappoltsteiner Parzifal< 8 1 , 2 6 ) . 2294: Miliant^ de Lys zählt seit ErC 1694 ebenfalls zu den sehr häufig genannten Figuren,234 womöglich identisch mit dem Weihnachtsgast Miliance ly ros —>596 u n d 7 9 9 .

2295: Mal- ist afrz. Präfix, das ein negatives Urteil über den damit verbundenen Stamm verhängt (DAF, 360); -duv^ zu afrz. duit, „unterrichtet, gebildet, gelehrt"235 oder aber in dem Sinne von „unhöfisch, ohne %uht"? Auch als der wise MaldüΞ Lanz 6 0 5 2 ; zur möglichen Identifikation mit Malducken, dem tfouberare/ von dem Genibeleten se (Lanz 6 9 9 0 f.) vgl. CHANDLER 1 9 9 2 , S. 191. 2296: Der Zuname grise dürfte von Heinrich reimbedingt geändert sein; als der wilde bzw. Ii sauvage tritt Dynodes/Dodines sehr häufig auf, vgl. Iw 87, 4 6 9 5 ff.; ErH 1 6 3 7 ; Lanz 7 0 9 8 , 7 1 0 7 ; Pz 2 7 1 , 1 3 ; Wig 4 5 8 ; Gau 1 3 3 9 ff. „His adventures consist solely of being unhorsed by other knights, usually the hero of the romance in which he occurs".236 Vgl. afrz. dodin, „täuschend, betrügend" (DAF, 181: „trompeur") bzw. „töricht, kindisch" (TL 2 , 1 9 8 2 ) . 2297: CHANDLER 1 9 9 2 , S. 9 7 zitiert eine mögliche Namensdeutung bei BARTSCH: zu provenpalisch gandir („fliehen") und lut% („Licht"). Neben >Erec< erscheint der Name auch Pz 4 2 9 , 2 0 . 2298 f.: Der sonst unbekannte Fliez von Janduz führt den gleichen Herkunftsnamen wie Layn 1595; der Name von chvnich Bryen ist sehr verbreitet, vgl. Bryan 2 3 4 2 , Brians 18163. 2 3 7 2300: Zu Urien von Love ->586. 2301 f.: Die beiden Ritter stünden in der Abfolge der Listen parallel zu ErC 1705 Yvain de Cavaliot und ErC 1703 Yvains de Loenel, allerdings wäre dann sehr starke Kontamination anzunehmen; dabei wäre die zu Lachems führende durch Verwechslung von Namen und Herkunftsbezeichnung erklärbar.238 Der Name Lochenis findet sich zudem nochmals im Roman in der

233

Vgl. ZACH 1 9 9 0 , S. 3 8 2 .

234

Vgl. WEST 1 9 6 9 , S. 1 1 4 ; CHANDLER 1 9 9 2 , S. 2 0 1 .

235 Vgl. DAF, 186: „savant". 2 3 6 CHANDLER 1 9 9 2 , S. 70. Vgl. WEST 1 9 6 9 , S. 5 0 f. f ü r Belege aus frz. Romanen. 237

Vgl. CHANDLER 1 9 9 2 , S. 5 8 ; WEST 1 9 6 9 , S. 2 7 f.

238 Vgl. daneben den Vater Tristans: Riwalin, König von Lohneis (bzw. Lohnois), Tr 75 f. u.ö.; Pz 73,14 ff.; vgl. auch 3212.

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

104

Figur des Frauenschänders und Pferdediebs Lohenis von Raharz (vgl. 11767, 19366 ff.). 2303: Brant Rimers „muß eine weiter verbreitete bezeichnung für einen mordbrenner gewesen sein, denn Hugo vTrimberg führt diesen namen in der liste der bösewichter mit auf, Renner ν 1735".239 Er wurde hier von Heinrich womöglich zum Füllen der Lücke eingesetzt, die durch das Auslassen des später noch wichtigen und deshalb aus spannungstechnischen Gründen hier wohl nicht erwünschten Gorsoeitt d'Estrangot (ErC 1706) entstanden ist (zur Rolle Gasoeins —>3395-3427). Die Besonderheit der Figur Gasoeins liegt unter anderem darin begründet, daß er aus einer völlig artusfernen Welt aufzutauchen scheint, deshalb mußte Heinrich ihn hier aussparen (anders z.B. der später wiederkehrende Bruder Ginovers, Gotegrin, der 589 und 2318 als Festteilnehmer genannt wird, was durch seine verwandtschaftliche Stellung völlig normal erscheint). Ebenfalls nicht übernommen hat Heinrich Tristans^ der bei Chretien auf Gorsoeitt folgt (ErC 1709); Hartmann hält sich hier an die Reihenfolge seiner Vorlage (ErH 1647 ff.), allerdings mit der Variante, daß er zwei weitere Namen einfügt, die in der deutschen Literatur des 13. Jh. noch größere Bekanntheit erlangt haben: Gärel und Titurel. 2304: Bkos ist seit der ersten Nennung bei Chretien ein immer wieder in verschiedenen Namensvarianten aufgenommener Ritter der Tafelrunde, vgl. die Belege bei \XfcsT 1969, S. 20 f.; CHANDLER 1992, S. 54. 2305: Senpite Brvns (wieder 17599 Senpitebrun als Bruder von Gaweins Turniergefährten Quoikos), in der Handschuhprobe 24653 als Bruner Sempite·, im Fabliau >Du manteau mautaille< 415 als Bruns san^pitie, Man 887 Bruns Senpite. Seine Nennung im >Rappoltsteiner Parzival< 447,6 f. als Bruns one erbermekeit bestätigt die Deutung als „Brauner ohne Erbarmen".240 2306: Zu Gantiyiers vgl. ErC 1712 Granderies (in Ms. V des afrz. >Erec2295. 2310 f.: Durch das Mißverständnis der noch auf Karados Briesbra^ ErC 1715 bezogenen Apposition ErC 1716: uns chevaliers de grant so/a% („ein Ritter von großem Trost") und den darauf genannten, sonst nirgends übernommenen Caverrons de Rebedic (ErC 1717) erhält Heinrich gleich zwei Ritter. 2314: Hysdos von Montdoyl, afrz. „der Schreckenerregende vom Berg der Trauer" (vgl. Anm. KNN, doI, duel, DAF, 182), ist verfremdet aus ErC 1720: Ydiers dou Mont Doloroux bzw. ErH 1657: Isder von mun dolerous,244 2315: Aus den beiden ErC 1721 genannten Galerie^ et Keus d'Estraus mißverstanden; Gaherie^»gehört wiederum zu den häufig auftretenden Artusrittern, sei es als Bruder (CdG 8059) oder Cousin Gaweins (so Pz 673,2).245 2316: Gales lj chaus („der Kahle", —>1437) spielt im Roman eine Rolle als einer der drei mit Artus zurückbleibenden Ritter, die nachts Gasoein an der Furt auflauern. 2317: Auch der rot Avmagwin (bei Chretien ohne das Attribut „rot")246 gehört zu den drei Rittern, die den König nachts an die Furt begleiten (—>2316).247 2318: Zu Graym vgl. Anm. KNN, zur Deutung afrz. graim, grain·. „Chagrin, soucieux, triste, furieux" (DAF, 297). Gotegrin (—>589) hat Heinrich offenbar gegen seine sonst konsequent der Vorlage folgende Ordnung aus der zweiten Namensliste hierhergeholt (ErC 1939: Godegrains), an der entsprechenden Stelle hat er ihn ausgespart. Zu afrz. goder („lustige, spöttische Reden fuhren" TL 4,411) und grain „Kummer, Sorge" (TL 4,516), bzw. grim „zornig" (TL 4,667)? 2 3 1 9 : Zu Gradoans — > 1 4 6 4 zum ähnlichen Namen Greingradvan. 2 3 2 1 : Gofrei ist wohl zu identifizieren mit Giffle% lifil.Ζ Do (ErC 1 7 2 5 ) , 2 4 8 mit verschiedenen Varianten seines Namens eine der wichtigeren Figuren der gesamten Tradition: Im >Prosa-Lancelot< erhält er als letzter Überlebender schließlich das Schwert des sterbenden Artus, um es in den See zu werfen.245 2 3 2 2 : Loes, Uüt der milde (Lanz 6 8 9 1 ) oder Iiinot (Pz 3 8 3 , 4 ff.) ist Sohn des Artus, der aus einer Verbindung vor der Heirat mit Ginover stammt.250 243 Zahlreiche weitere Belege bei WEST 1969, S. 32 f.; CHANDLER 1992, S. 150 f. 2 4 4 Vgl. CHANDLER 1 9 9 2 , S. 1 3 2 . 2 4 5 Vgl. SCHRÖDER 1 9 8 2 , S. 3 7 ; CHANDLER 1 9 9 2 , S. 92.

246 „Mißverständnis oder falsche Lesart" zu ErC 318 Amaugins Ii rois, bzw. „Analogiebildung Heinrichs zur Bezeichnung des Gales"? STEIN 2000, S. 31, Anm. 60. 247 Zu möglichen Parallelfiguren vgl. WfcsT 1969, S. 7. 2 4 8 Vgl. die A u s f ü h r u n g e n bei CHANDLER 1 9 9 2 , S. 1 0 9 f.

249 In der Namensform Giftet, vgl. KLUGE, 111,764,10 ff. 2 5 0 Vgl. CHANDLER 1 9 9 2 , S. 1 8 4 f.

106

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

2323: Zu ErC 1729 Sagremors und ErC 1731 Ne Bedoiers (Verneinungspartikel mit Eigennamen kontaminiert). Segremors zählt ebenfalls zu den häufig auftretenden Rittern der Artusrunde (auch im Mhd. immer mit dem afrz. Nominativ -s, vgl. 9042, 25865). Gemäß seinem Zunamen Ii Desree% („der Unbändige, Ungezügelte") bei Chretien (ErC 1729) hat er einen ungestümen Auftritt in der Blutstropfenszene Pz 285,1—290,2, später ist er sogar Protagonist eines Romanfragments.251 Der bereits bei Geoffrey von Monmouth und im >Roman de Brut< vertretene Bedoiers/Beduwiers gehört ebenfalls zum festen Stamm der Artusritter.252 2324: Braynons zu ErC 1733 Braavains, beide Figuren sind sonst nirgends überliefert. 2326: Zur Figur des Galarantis vgl. WEST 1969, S. 66. 2327: Gronosis ist der Sohn Keies (ErC 1735 f.). Von hier an läßt sich nun die Liste der Teilnehmer am Hochzeitsturnier ErC 1919 ff. als Vorlage Heinrichs identifizieren (-»2291-2347).253 2328: Der Namen dürfte aus ErC 1931 (Brandains de Loecestre, ErH 1907: grave Brandes von Doleceste) abgeleitet sein, womöglich mit dem Zunamen einer anderen, sehr populären Figur (Brandalis bzw. Brand de Us) vermengt.254 2331: Indem Heinrich hier zwei Figuren Chretiens zu einer zusammenzieht, übergeht er den bei Chretien dazwischenstehenden, bereits —> 2318 genannten Godegrains. Die Herkunft von Treueren/De Treverain könnte Trier meinen (frz. „Treves"); WEST 1969, S. 154 zitiert hingegen „similiarities with elements of Scottish names". Vgl. ebd. S. 116 zu einer möglichen Verbindung zwischen Maloans und Meleagant. 2332 f.: Die Brüder Gaumerans und Gvingamiers stehen in der Abfolge parallel zu ErC 1948—1950 Graislemiers und Guilemers (mit Lesart Guingamars, unter diesem Namen ist er Protagonist eines Lais).255 2334: Dauelon lifiers beruht auf einem Mißverständnis der Herkunft Guilemers, des Herrn der Insel Avalon ErC 1951: De l'ile d'Avalon fu sire. Zu fiers —»2307. 2335: Die sagenumwobene Burg Tintaguel in Cornwall ist vor allem als Sitz des Königs Artus bekannt (—>368), wurde aber auch zahlreichen anderen Rittern zugeschrieben, vgl. u.a. WEST 1969, S. 152.

2 5 1 Vgl. V L 2 , Bd. 8 , 1 0 4 5 f f . Vgl. auch STEIN 2 0 0 0 , S. 2 9 f.; CHANDLER 1992, S. 2 5 6 .

252 Vgl. die zahlreichen Belege bei WEST 1969, S. 15; CHANDLER 1992, S. 47. 253 So auch neuerdings MÜLLER 2003, S. 185. 2 5 4 Vgl. WEST 1 9 6 9 , S. 2 2 f. 2 5 5 Vgl. WEST 1 9 6 9 , S. 1 1 4 und 1 1 7 .

2291-2347 Katalog weiterer Probanden

107

2336: Das Attribut Ii isnel zu afrz. isnel, „schnell, tapfer, rasch"2'6 stammt von Heinrich, die Vorbildfigur in >Erec< heißt „vom hohen Wald" (Ii dux de Haut Bois ErC 1957 bzw. Der Hohe bois ErH 1938). 2337: Gartaζ von Omeret entweder zu dem der Reihenfolge entsprechenden Garras de Corque (ErC 1961, vgl. Anm. KNN), oder zu ErC 1968 Cadre£ Der Zuname stammt wohl von Heinrich. 2338 f.: Bei den beiden auffälligen Bildungen Qyinoqvoys und Qverqvojs drängt sich die Frage auf, ob Heinrich hier statt einer Umformung seiner Vorlage257 eher einen humoristischen Autorkommentar eingesetzt haben könnte (ähnlich bereits 2325 Quadoqueneis)·. womöglich -voys zu afrz. veoir, „sehen", qui, „wer"; quer entweder zu quel, „was für ein, welch" oder zu querre, „suchen". Hartmann nennt ErH 1975—77 noch drei Teilnehmer: genant was einer Coin,/ und der ander Goasilroet,/ und kiinec Beals von Gomoret. Damit beendet er die Aufzählung der Turnierteilnehmer und wendet sich anderen Schilderungen zu. 2341 f.: Der König der Antipoden (gegen vnd in V, vgl. auch die Parallelen Anm. KNN) wird von Chretien als König und zugleich kleinster aller Zwerge eingeführt (De to% nains fu Belins Ii meindres ErC 1993, das Attribut überträgt Heinrich 2342 fälschlich auf dessen Bruder Bryan). Er läßt sich von seinem Bruder und zwei weiteren Zwergenkönigen begleiten, Grigoras et Glecidalan (ErC 2001, vgl. 2343). Diese beiden bilden zugleich den Abschluß von Chretiens Liste. Bryan bietet als kleinster am Hof 2896 seine Rüstung dem Boten des Meerkönigs an; der gleichnamige Gefährte Arams 18163 dürfte ein anderer sein (vgl. Anm. KNN), dort findet sich kein Hinweis auf die Körpergröße. 2344: Der letzte Proband Qyinas könnte entweder aus einer Entstellung der Präp. Quant ErC 2003 entstanden sein (dafür würde die strenge Abfolge sprechen), oder aber er ließe sich zu dem vorher ausgesparten Aguisie% (ErC 1966) stellen.258

2 5 6 Vgl. FOERSTER 1 9 7 3 , S . 143; SUOLAHTI 1 9 2 9 , S. 1 1 0 ; A n m . K N N .

257 Dementsprechend steht Qyinoqvoys Chretiens Aguisie^ d'Escoceä [...] ses Cadret et Coi gegenüber, Qverqvoys Daiyel hingegen dem Kerrins de Riel. 258 STEIN 2000, S. 40 f. verwahrt sich ausdrücklich dagegen, es könne sich um eine Erfindung Heinrichs handeln, sein Verweis auf den mens Guinables ChCh 213 bzw. >Prosa-Lancelot< Gmnans (KLUGE, 1,198,9) erscheint aber auch nicht die naheliegendste Erklärung.

108

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

2 3 4 8 - 2 4 5 5 Erzähler: Nachruf auf Hartmann von Aue, Dichterkatalog (2348-2455 = GT 8) Der als Exkurs eingeschobene Dichterkatalog unterstreicht den Charakter der Becherprobe als „Dichtung über Dichtung".255 Heinrich verweist im folgenden explizit auf den Ursprung der vorangegangenen Namensliste: Hartmanns >ErecLeich< WvdV L. 3,3 (C. 1,3): sin, fiirgedanc mit rate,267 2399 ff.: Zu dieser sentenzartigen Anspielung auf eine biblische Aussage vgl. Mt 10,22 und 32; Lc 12,8; v.a. die Abschiedsrede Jesu Io 15,4, 7 ff. und 18; auch Prv 29,25; Idt 13,17; daneben aus der höfischen Literatur v.a. Greg 697 f., ErH 2495 ff., Wig 8156 ff., Frdk 2,14 f. Dazu auch TPMA 5, „Gott" 263 Vgl. auch STEIN 2000, S. 57 f., dort auch Vergleichsstellen aus anderen Werken (Anm. 114 und 115). 264 In diesem Sinne ist sie auch das Wappentier der Wolfram'schen Gralsritter, vgl. Pz 474,5; vorher in diesem Sinne auch auf Belakane bezogen (Pz 57,11 ff., vgl. dazu NOLTZE 1995, S. 207). 265 Vgl. KOLB 1969, S. 70, er nennt als Quellen Isidor, Hraban und das >Speculum Ecclesiae7150—7223. Heinrich nimmt auf Hartmann in vielfaltiger Weise Bezug: direkt auf den Autor (2352-2374; 2406-2415); durch die Erwähnung von Figuren (11565 f. Iwein und Laudine als Exempelfiguren) bzw. deren spezifisches Handeln (—>8731 und 10106f. v.a. Erecs verligen, allerdings ohne Namensnennung); vor allem aber, indem Hartmanns Helden auch in der >Crone< eine Rolle spielen: so v.a. Kalocreant, der Gawein im letzten Abschnitt begleitet, außerdem Iwein, Erec, Laudine und Enite als Probanden in den beiden Tugendproben.270 Zu weiteren Autornennungen —>2360. 2416: Reimar bzw. Reinmar hießen mehrere Minnesänger; hier ist wohl Reinmar der Alte gemeint, der bereits verstorben gewesen sein dürfte, und der schon im Mittelalter hohes Ansehen besaß. Vgl. den Nachruf auf die nahtegalen [...] von Hagenouwe Tr 4774 ff. sowie die Totenklage WvdV L. 82, 24 ff. (C. 55,11,1—13).271 2438 f.: Dietmar von Eist zählt zu der ältesten Generation der mhd. Minnesänger; das Geschlecht derer von Aist ist im 12. Jh. im oberösterreichischen Raum bezeugt (die Namensform wird durch den Reim bei Heinrich gesichert). Die ihm zugeordneten Lieder zählen zu dem sog. donauländischen Minnesang (1150-1180), zusammen mit dem Kürenberger, Meinloh von Sevelingen u.a.272 268 Vgl. eine Reihe von Belegen bei BOESCH 1936, S. 244 ff., darunter Zitate von Gottfried von Straßburg, Wirnt von Gtafenberg, Rudolf von Ems, Rumelant, Ulrich von Eschenbach, Johann von Würzburg, Ulrich Fuetrer u.a. 2 6 9 Vgl. JILLINGS 1 9 8 0 , S. 1 5 1 f. 2 7 0 Vgl. CORMEAU 1 9 7 7 , S. 1 6 6 - 1 7 8 ; WAGNER-HARKEN 1 9 9 5 , S . 3 3 (in den Zuordnungen aber

nicht immer klar, z.B. ist die von ihr als Namensnennung erwähnte Stelle 9001 f. nicht auf Hartmann zu beziehen). 271 Vgl. VL2, Bd. 7,1180 ff.; KROHN, Kommentar zu >Tristan14. 2569 ff.: Als mit eigenem Willen begabt wurden das trinchen bzw. der Wein auch vorher schon dargestellt (—>2244). 2581: dunch bzw. dune („das Bedünken") kommt nur dieses eine Mal im Roman vor; neben einem Beleg bei Ulrich von Singenberg dürfte es sich um die älteste der bei BMZ 1,359 und Lex 1,475 genannten Stellen handeln. 2591: gegeben bezieht sich auf das Gewähren der zu Beginn der Probe ausgesprochenen Bitte, vgl. die Botenrede 1008-1039, 1068-1178. 2596 ff.: Die list und behendecheit (auch —>695) des Bechers, der jeden nur einmal testet (so daß Artus ihn unauffällig nutzen könnte, um Besucher des Hofs zu prüfen) wird nicht aufgegriffen; der Becher wird im gesamten Roman nicht mehr erwähnt. 2632—3176 Zweikampf Keies gegen den Boten 2632-2704 Keie fordert den Boten 2643 f.: Er sattg sich auf di wage als Bildrede: „es auf einen Kampf ankommen lassen". Vgl. -»2910, 3852, 4460, 4686, ->6563 u.ö.;277 auch Albrecht von Halberstadt 1,15: umb die wäge striten\ ebd. 29,54: do e^gienc an strifes wäge. 2651 f.: Hier wird Keies klägliche Niederlage gegen den Boten vorweggenommen (Keie will heimlich fliehen, wird von dem Boten aber eingefangen und auf Bitten Ginovers freigelassen, —>3028 ff.). Auch in der folgenden Gasoein-Episode wird Keie vom Pferd gestochen, nachdem er zuvor prahlerische Reden gefuhrt hat (3653-4000). Zur Figur Keies ->490. 2653 f.: Das Bild vom eiter fand sich als Anspielung —>1507. Was Ginover dort unterstellt, wird hier als Tatsache ausgesagt. 2 6 8 7 - 2 6 9 1 : (= GT 10a) „Mancher Mann schenkt im Überfluß vom Kostbarsten, wenn sein Herz und sein widerwilliger Mut verstockt sind, so handelt er wie ein Feigling." Keie wirft dem Boten vor, den Becher aus Feigheit zu verschenken, statt um ihn zu kämpfen. 2695 f.: Zu dem sonst nicht nachweisbaren Bild vom grünenden lop vgl. lobes kran% (Pz 260,8) und lobes ris (Pz 221,26).

277 Zusammenstellung weiterer Stellen bei GÜLZOW 1914, S. 199 f.

2705-2744 Artus lehnt den Kampf ab

113

2705-2744 Artus lehnt den Kampf ab Lit.: Zu dieser Auseinandersetzung zwischen Artus und Keie vgl. auch die Interpretation bei GUTWALD 2000, S. 188 ff.

2706f.: „Solche Rede ist frei [im Sinne von nicht strafbar, erlaubt], und doch ist sie Sache der Herrschaft". Das Adv. vrey im Bezug auf rede verwendet Heinrich auch 4818 und 25260 ff.; Vhd als Überleitung im adversativen Sinne von „und doch, aber auch" (Lex 11,1775). Bereits vorher hatte Artus Keie zurechtgewiesen, vgl. —>1631-1814, auch —>1486-1544. 2710: Der hier angedeutete Zusammenhang von gelüke und Erfolg im Kampf wird später detailliert ausgeführt im Dialog Gaweins mit Ywalin, vgl. —>5767-6256. 2712 f.: (2712-2714 = GT 10b) Weit verbreitetes Sprichwort von der Tugend des rechten Maßes; vgl. z. B. WGast 722 ff.: man sol die mä^e wol ersehen/ an allen dingen, da% istguot/ an ma^e ist niht wol behuot.·, Frdk 114,9 f.: swer schöne in siner mä%e kan/ geieben, derst ein salic man. Für weitere Belege vgl. ausfuhrlich ShRM; TPMA 8, „Mass (Mässigkeit)" 2.3: „Mass muss (bei allem) herrschen und angewendet werden". Hier als Mahnung des Königs an Keie verwendet, kommt sie passenderweise aus dem Munde dessen, der traditionell als Personifikation der mä%e anzusehen ist. Vgl. ->7281 ff., auch 3096 ff., 19900. 2 7 2 5 ff.: In KNN fehlt ein Hinweis, wie der (auch bei SCH) überzählige Vers bis 2730 gezählt werden soll; nach 2726 wäre vielleicht 2726a anzusetzen (Dar vmb). 2731 ff.: trowen zu triuwen, „zutrauen" (vgl. Lex 11,1521, der einzige Beleg dort (>Münchner Oswald6424) findet sich nur noch Lanz 1385 und bei Wolfram (Wh 408,4; Pz 44,4; 260,12; 575,17; zudem in >Athis und Prophilias< Β 52; vgl. BMZ 111,325). Der „Entwicklungssprung", dem Helm ein Visier anzufügen, fand erst um 1200 statt und führte u.a. zur Helmzier als Erkennungszeichen.280 2852: Zum französischen Einfluß auf Mode und Rüstungstechnik auch —>729—738, vgl. zudem 953 die nah derfran^oiser sit geschnittene Kleidung des Boten. 2854: Die goltmak finden sich im Roman nur hier, mal mit der Nebenbedeutung „schmuck, zierrat bes. an der rüstung" (Lex 1,2014, auch ebd. 1048); vgl. En 4554 und 160,32; weitere Belege in >ParzivalLanzelet und >Nibelungenlied92—105 zu den Eigenschaften des Edelsteins); erst gunertiu heidensch wit^e (Pz 105,16) gelang es, ihn mit Hilfe von Bocksblut so zu erweichen,281 daß Gahmuret im Kampf erschlagen werden konnte. Allerdings deutet der Diamant dort auch zugleich auf Gahmurets state hin und ist nicht nur wegen seiner Materialeigenschaften genannt (auch —>14385 ff.). Für den nicht gerade seiner state wegen bekannten Keie wählt Heinrich ein einfacheres Material, hert als ein vester adamas ist eine stehende Redewendung (wieder 15249, ErH 8427, >Gärel< 7971, Troj 25088, >Partonopier und Meliur< 6340, Gau 3536). 2 8 0 Vgl. KÜHNEL 1 9 9 2 , S. 1 0 7 ; auch BUMKE 1 9 9 0 , S. 2 1 4 ff.

281 In der Tradition des >PhysiologusWillehalm< 1 3 2 , 1 7 und 3 1 4 , 5 (koufen(t)). Zu afrz. coife, c o i f f e , „Harnischkappe unter dem Helm", die enganliegend aus Leder gefertigt wurde (sonst auch als hersenier bezeichnet, vgl. 7372).288 Allerdings scheint die Begrifflichkeit bei Heinrich nicht ganz so exakt bestimmt; 18195 spricht er 282 Vgl. SUOLAHTI 1929, S. 147; Lex 1,1879.

283 In diesem Sinne v.a. Kommentar zu >Parzival< (ed. NELLMANN), S. 726; KOLB 1989, S. 236; BRÜGGEN 1 9 8 9 , S. 2 7 1 .

284 Sehr ausführlich zu beiden Möglichkeiten, mit Bevorzugung des arab. Ursprungs barrakän, KUNITZSCH 1974, S. 22 f., Anm. 52. SUOLAHTI 1929, S. 73 übersetzt als „festes und doch durchlässiges Wollzeug, Loden". 285 Vgl. BUMKE 1990, S. 226, Anm. 23. Das Pfälzische Wörterbuch kennt Buckskin als eine „ältere Stoffart mit kräftigem Gewebe" (Bd. 1, 1328 f.), sowie das Adj. buchen für aus Leinen hergestellte Kleidung (Bd. 1, 1316). Das Rheinische Wörterbuch belegt ebenfalls buckskin (Bd. 1, 1099), außerdem die Verben buken für „Flachs brechen" (Bd. 1, 1109) und bauchen, bauchen für „waschen", mit dem Substantiv bauche für „Wäsche" (Bd. 1, 526 ff.; angegeben zu Mosfränkisch boux und ripuarisch byx. Im selben Sinn verzeichnet auch DWb 1,1166 bauchen, bäucheri). 286 Weitere Nennungen 6408, 18193, 28589 und 29731. 287 Ebenfalls den ganzen Oberkörper bedeckend deutet ihn Lex 1,1156; DWb 10,257 f. (als Gegensatz zu den beinbergeri). 288

Vgl. KÜHNEL 1 9 9 2 , S . 56; REISSENBERGER 1 8 7 9 , S. 3 0 ; SUOLAHTI 1 9 2 9 , S. 1 2 4 .

2827-2937 Vorbereitung auf den Kampf

117

davon, daß sie gestrickt werde, was vielleicht eher auf die Ringelpanzerkapuze, den halsperc hinweisen würde (—>2865). 26127 sagt er zudem von einer coiphe, sie sei ungestricket, was die Existenz einer gestrickten Version voraussetzt. 2872: Das schiliier (auch 18189 schellier) ist sonst nur Pz 155,23, 157,13 {schinneher) und 261,18 (schiliier) überliefert. Entweder zu afrz. genoilliere, „Kniescheibenschutz, Kniepanzer" {zagenoil, „Knie");289 oder aber zu schin, „Schienbein".290 2 8 8 8 ff.: Das Motiv des ungleichen Kampfes, in dem der Ungerüstete trotzdem siegt, verarbeitet Heinrich nochmals ausfuhrlich in den nächtlichen Kämpfen gegen (den ebenfalls ungerüsteten) Gasoein (3428—4320). 2 9 0 9 - 2 9 2 0 : ( 2 9 1 5 - 2 9 2 0 = GT 11) Das Büd der Waage, bezogen auf den Kampf zwischen Keie und dem Boten, wurde schon —»2643 f. eingeführt; die Problematik der Deutung zeigt u.a. Anm. KNN. zu 2912. Das Bild war v.a. in der Vorstellung der zu den Weltgerichtsdarstellungen gehörenden Seelenwägung durch den Erzengel Michael verbreitet. Diese kannte aber verschiedenste Varianten und Auslegungen, so in dem zu Wiegenden (die Seele selbst bzw. ihre Taten), als auch in der Interpretation von „leicht" und „schwer".291 Heinrich hat die Vorstellung zugrunde gelegt, daß das Schwere den Sieg davon trägt: Der kleine und ungerüstete Bote hat gegen den großen und schwer gerüsteten Keie nichts in seine Waagschale zu legen, „sie [i. e. die Waage] hebt sich ganz langsam, fast leer auf der Seite des Gastes, wenn Unheil es nicht unterbleiben läßt, denn sein Gewicht ist kleiner" (2911— 2 9 1 4 ) . Die folgende Aussage des Autors, er wisse wohl, „daß keine list der Welt so stark sei", bekräftigt den offenbar eindeutigen Vorteil Keies, der den bevorstehenden Kampf unter solch ungleichen Bedingungen nur gewinnen kann: ein (von Natur aus sehr schweres) Streitroß {march) hat ein anderes Gewicht als ein zarter Seidenstoff.292 Alternativ könnten, weniger bildintensiv, eine Mark und der Bruchteil eines Lots einander gegenübergestellt sein.293 289 Die Formen mit / dürften durch Assimilation von π und l zu erklären sein; vgl. SUOLAHTI 1929, S. 231; FOERSTER 1973, S. 133.

290 Vgl. Lex 11,752 {scbiniei) und ebd. 746; Anm. KNN.

291 Vgl. LCI 4,144 f.: „Was die Symbolik der Gewichte anlangt, so sind 3 Var. zu unterscheiden: Die Schale des Guten wiegt schwerer (vgl. Dn 5, 27 [...]), die Schalen sind ausgewogen [...], die Schale des Guten wiegt leichter [...]". 292 Vgl. A n m . KNN; L e x 11,616.

293 Vgl. GUTWALD 2000, S. 326, der „Mark" ansetzt; REISSENBERGER 1879, S. 30 verweist auf

eine Lesart zu setin (Lex 11,894) als „der halbe oder vierte teil eines lotes", was ungefähr vier bis acht Gramm entspräche. Als Bild für den zart und vornehm geschilderten Boten erscheint der Seidenstoff jedoch passender, ebenso das kräftige Streitroß für den eher derben Keie.

118

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

Das Bild der Waage verwendet Heinrich auch 6562 ff., 15717 f., 17249 f. und 25851 f. 2928: Die für erwachsene Männer eher ironisch scheinende Bezeichnung ivngelinge findet sich z.B. auch 8698 f. {schon ivnglinge/ Wol von dreiste iaren). 2938-2988 „Osterherrenexkurs" Diese Partie, die nur in Ρ überliefert ist, wird als „Osterherrenexkurs" bezeichnet. V setzt den Bericht über die Kampfvorbereitungen ohne erkennbare Störung fort. Der Exkurs hat die Forschung v.a. im Blick auf seine Echtheit, den Bezug auf Wirnt sowie auf mögliche biographische Hintergründe Heinrichs beschäftigt. Lit.: SCHÖNBACH 1908, S. 363-370; K R A T Z 1976, S . 150-156; CORMEAU 1977, S . 214 ff.; MENTZEL-REUTERS 1989, S. 18-25; STEIN 2000, S . 128-142 (dort auch weitere Literatur in Anm. 385). Für die Autorschaft Heinrichs hat zuerst E H R I S M A N N plädiert, v.a. wegen Stü und Vokabular,254 so auch noch G L A S S N E R , derzufolge sich diese Meinung durchgesetzt habe; so auch die Anm. K N N ZU 2 9 3 8 - 2 9 9 0 . 2 9 5 In V sei die Partie ausgelassen worden.296 M E N T Z E L - R E U T E R S versucht sogar eine Datierung aufgrund zeitgenössischer politischer Geschehen zwischen 1226 und 1234; da sich die politische Landschaft danach zu sehr verändert habe, sei der Exkurs in V nicht mehr aufgenommen worden.297 Für eine spätere Interpolation hat sich zuerst SINGER ausgesprochen; zuletzt wurde der Exkurs von STEIN einer kritischen Revision unterworfen, mit dem Fazit, daß er nicht auf Heinrich zurückgehe.298 Neben dem Überlieferungsproblem zieht er die mangelnde Einbindung in den Kontext (der Exkurs handelt vom Massenkampf, hier geht es jedoch um einen Einzelkampf) und die als stolpernd empfundene Uberleitung heran, daneben die Tatsache, daß es sich um die einzige Passage im Roman handelt, die Bezug auf die Gegenwart nimmt.299 Er verweist auch darauf, daß die geschmähte Kampftechnik 833 ff. von Heinrich selbst erwähnt worden war (zudem schildert Wirnt die osterberren bei weitem nicht so kritisch, wie es der Exkurs vermuten läßt). Daneben stützt sich STEIN auf die Beobachtung, daß es sich hier um den einzigen konkreten Bezug auf Wirnt handelt; alle übrigen möglichen Verbindungen

294 Dazu ausführlich und kritisch STEIN 2000, S. 137 f., Anm. 395. 2 9 5 Vgl. EHRISMANN 1 8 9 5 , S. 6 8 ; GLASSNER 1 9 9 1 , S. 8 5 . CORMEAU 1 9 7 7 , S . 2 1 4 ff. zur Inter-

pretation, die ebenfalls Heinrich als Autor voraussetzt. 296 So z.B. SARAN 1895, S. 151, der einen ,,patriotische[n] österreichische[n] Schreiber" für den Verzicht verantwortlich macht; ähnlich SCHÖNBACH 1908, S. 368. 2 9 7 MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 2 5 . 2 9 8 SINGER 1 8 9 4 , S. 2 5 5 ; STEIN 2 0 0 0 , S . 1 4 0 ff.

299 CORMEAU 1977, S. 215 schließt daraus gar auf eine „Wechselwirkung" zwischen höfischem Roman und der Realität, die „zu sozialen Sanktionen führte".

2938-2988 „Osterherrenexkurs"

119

zwischen >Wigalois< und >Cröne< seien zu unspezifisch,300 Heinrich habe Wirnts Roman wohl doch nicht gekannt.301 An der fraglichen Stelle spricht Wirnt von den Freuden des riterspil (Wig 8434) und schiebt eine Passage über die Kampftechniken der osterherren ein: würde genomen ein turnei/ von den osterherren üf da\ Sant,/ da würde gevaterschaft entrant/ so sich die poinder νIahten/ und nach gewinne dahten./ Ich hän ir sliche wol ersehen,/ wie sie nach guote kunnen spehen/ so sich der poinder wirret/ und si diu stat niht irret./ da mac Verliesen wol ein man/ der niht mit riterschefte kan/ swa% er Velde bringet (Wig 8446—8457). Sowohl die postulierte Lokalisierung dieses Turniers auf dem Sand bei Nürnberg (—>2968) als auch die Frage, wer die osterherren sind, gehören zu den ungeklärten Problemen der Stelle. Bei Wirnt werden sie aus Böhmen, von jenseits der Saale oder noch aus einem anderen, östlich gelegenen Land vermutet;302 für Heinrich wurde analog zu osterlant (vgl. Lex 11,177) „Österreicher" angenommen, was die biographischen Herleitungen unterstützte.303 Zu Spekulationen über Heinrichs Herkunft bzw. Lebensraum hat daneben auch die Formulierung Hie land (2980) geführt; ähnlich wie die Wappenbeschreibungen beim Turnier von Sorgarda (—>18069 ff.).304 Die Passage aus >Wigalois< wurde seit SCHÖNBACH v.a. als Kritik Wirnts an der auf Beute ausgerichteten Kampfhaltung der osterherren interpretiert, was aber wohl als Mißverständnis bewertet werden muß: materieller Gewinn wurde immer wieder als ein Turnierziel beschrieben (vgl. nur die chipper —>776 (auch ->18539 ff.); daneben z.B. ErH 2619 f., 2705, 2751 f., 2764ff.; Pz 78,11 f.).305 Typisch für den Stil Heinrichs erscheint die Länderliste; vgl. die ähnliche, kürzere Liste —>332 ff., daneben die Namenskataloge im Rahmen der Tugendproben und die Turnierteilnehmer auf Sorgarda (18029-18180).306 2938: Der nur bei Wirnt und Heinrich vorkommende Begriff osterherren bezeichnet zunächst einfach jemanden „aus einem östlich gelegenen Lande" 300 So die möglichen Parallelen der Prologe, gemeinsames Personal (die Figur Flories (—>1294) und das an Ruel erinnernde wilde Waldweib, —>9314 ff.), das Gürtelmotiv (—>4858), sowie das in beiden Romanen vorkommende Rad der Sselde. Als eines „der wichtigsten literarischen Vorbilder der >CröneSteirische Reimchronik< 17218 f.: do wart diu gevaterschaft/ %wischen den Tiutschen entrant (hier eindeutig auf die Auflösung eines Bündnisses bezogen). Der Ausdruck umfaßt also die ganze Bandbreite zwi313 Diese war 952 aus den Grafschaften Verona, Treviso und Friaul gegründet worden und an Herzog Heinrich von Bayern und Kärnten gegeben worden; auch wenn sich die Herrschaftsverhältnisse in der Folgezeit deutlich änderten, „scheint die Bezeichnung Marke den historischen Bezeugungen nach auch für dieses Gebiet der ottonischen Grafschaft Friaul im 13. Jahrhundert noch geläufig und bestimmend gewesen zu sein" (HAGES-WEISSFLOG 1998, S. 353, Anm. 26; vgl. auch U L M E R 1999, S. 9, der von der „Mark Friaul" spricht). Die räumliche und politische Nähe zu Osterreich sowie die für Heinrich festgestellte geistige Nähe zu Norditalien (vgl. u.a. WORSTBROCK 1966, S . 186 über den Einfluß italienischer Rhetorik v. a. auf den südostdeutschen Raum) ließen diese Deutung auch für die konjizierte Marth annehmen; zudem war der Patriarch Wolfger von Erla (1204—1218), der zuvor Bischof von Passau gewesen war, offenbar literarisch interessiert (in seinem Rechnungsbuch findet sich das einzige außerliterarische Lebenszeugnis Waithers von der Vogelweide, vgl. LdMA 9,308; VL 2 , Bd. 10,669 f.). Ausführlich zu den diversen Verflechtungen u.a. KNAPP 1 9 8 1 , S. 1 5 0 ff. 314

V g l . PUTZGER, S . 5 0 f .

315 Im Blick auf die folgenden, sehr detailliert aufgezählten französischen Provinzen kann auch die mittelfrz. Grafschaft Marche erwähnt werden, die allerdings bis zum 14. Jh. keine Verbindungen zum deutschsprachigen Raum hatte; vgl. LdMA 6,223 f. 3 1 6 SCHREIBER 1 9 3 3 , S. 2 1 4 f. mit den dem Aufsatz vorangestellten Stammbäumen; K R A T Z 1 9 7 6 , S. 1 5 5 . 317 M E N T Z E L - R E U T E R S 1989, S. 21 ff. über die Händel zwischen Kaiser Friedrich, dem Dänenkönig Waldemar und Herzog Otto von Meranien zwischen 1214 und 1227, in die auch der Papst eingeschaltet worden wan „Wirnts melde über die osterherrliche Raubgier swi si sint φ velde wirkte in allen Landen [...] wie ein Rufmord. Gelangt sie nun gar zu den Dänen, kommt wohl noch der Vertrag mit dem Kaiser ins Wanken, wenn sie merken, woher diese Praxis stammt" (S. 22).

122

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

sehen dem Übergang vom noch eher freundlichen Vorgeplänkel eines Turniers zum ernsthaften Kampf318 bis hin zur Aufhebung politischer Verträge-319 2956—2964: Die folgende Liste der Länder, in denen Wirnt Turniererfahrung gesammelt haben soll, entspricht anderen Namenslisten des Romans (auch in der Mischung aus leicht zuzuordnenden und unklaren Namen). Auf den ersten Blick scheint kein klares geographisches Konzept erkennbar; wenige Eingriffe lassen jedoch eine Liste französischer und (darauffolgender) deutscher Provinzen deutlich werden.320 Vgl. auch Greg 1573—1578: ich enwart nie mit gedanke/ ein Beter noch ein Vranke:/ swelch ritter Henegouwe,/ Brabant und Haspengouwe/ orse ie aller beste gesa%/ so kan ich^ mit gedanken baa\ Karlingen bezeichnet das Frankreich Karls des Großen (—>223), Britanie steht hier offenbar für die Bretagne (die nicht zu Karls Reich gehörte).321 Brie ist die frz. Landschaft um Meaux, Provins, Sezanne, Chateau-Thierry, die seit der 2.Hälfte des 12. Jh. Lehen der Grafen von Champagne war;322 die politisch übergeordnete Grafschaft Champagne war als literarisches Zentrum Frankreichs (u.a. Heimat Chretiens und der Marie de France) eine feste Größe (genannt z.B. Wh 366,16 u.ö., Pz 47,17). Gal\st wohl wie ->332 als Gallien zu verstehen (und fällt so aus der Liste der Provinzen heraus); Norwein erscheint daneben rätselhaft. Die Endung -wein deutet aber auf einen frz. Namen hin (der Reim zu Lohrein, afrz. Loherainne bzw. Lorraine für Lothringen,323 ließe z.B. die Grafschaft Maine konjizieren, genannt ErC 6642).324 Das v.a. wegen seiner Tuchproduktion weithin bekannte Flandern wird häufig genannt.325 Auf das Herzogtum Normandie folgt mit England der einzige sicher nicht auf dem Kontinent zu lokalisierende Namen. Hennegau und Brabant befinden sich in direkter Nachbarschaft Ze Flandern vnd %e Lohrein. Das Hespelgou ist als die Landschaft Haspengau im midieren Ostbelgien zu identifizieren, also ganz in der Nähe des Hennegau. Mit Hessen, Breisgau 318 In diesem Sinne 319

STEIN

2000,

S.

139, Anm. 398.

S o z . B . MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 1 9 .

320 Vgl. ->332-335; K E E F E 1982, S. 32 ff. 321 Zur Problematik der jeweiligen Unterscheidung zwischen Brittanien und Bretagne vgl. —>332-335, W E S T 1969, S. 25 f. 322 LdMA 1,1681 f. TH übersetzt hingegen „Brescia". 323 Vgl. Wh 126,15, 437,19; je nach Lesart ErC 5384; weitere Belege W E S T 1969, S. 105. 324 Die gesamte Aufzählung konzentriert sich auf die nördlichen Gebiete, die Maine grenzt an die Normandie. Daß zudem aus Μ ein W wird, mit Schreiberergänzung wegen Unverständnis, ließe sich noch nachvollziehen; andere Regionen auf -aim, wie z.B. die Touraine, sind sprachlich zu weit entfernt. TH deutet „Norway"; allerdings wird das sonst als Notwage bezeichnet, es ist bei Wolfram das Reich Lots und Gawans (Pz 66,11, 651,10 u.ö., vgl. SCHRÖDER 1982, S . 87); auch Tr 2151, 3765. 325 Vgl. WfesT 1969, S. 63.

2938-2988 „Osterherrenexkurs"

123

(südlicher Schwarzwald), Thüringen, Schwaben und Sachsen werden wesentliche Gebiete des staufischen Herrschaftsgebietes genannt; 2970 folgen dazu noch Westfalen und Franken, 2973 Bayern. 2965: Der Vers ist wohl auf es (2954) bzw. dasritterlichegeschehen (2955) zu beziehen, dann ist aber lediglich ein da einzufügen: Das da ist gewahserr?21' die als normal angesehenen Turniersitten, die Wirnt in den aufgezählten Gegenden beobachtet hat, sind eben dort entstanden. KNN bezieht den Vers hingegen auf die Unsitten der osterhemn. MENTZEL-REUTERS hält sich an Ρ und versteht gewahsen als „offenbar geworden"; er deutet „Was Wirnt über die Osterherren sagte, hat sich als nur zu wahr erwiesen".327 2968: Die hemn von dem Sande zitieren Wig 8447; die Deutung als Namen einer Landschaft bei Nürnberg scheint allerdings nicht wirklich gesichert.328 2969: Westerlande wird als „witzige Eigenprägung gegen 'Osterland'"329 verstanden, der womöglich Westfalen und Franken als exaktere Bestimmung beizufügen seien.330 KRATZ nimmt diese Wortschöpfung eher als Argument, osterlant deutlicher nach Osten zu schieben, um den Kontrast der beiden zu verstärken und zugleich die herkömmliche Identifizierung der osterhemn mit den Österreichern zu vermeiden.331 Aus den exakten geographischen Angaben, die der Exkurs bisher gemacht hat, fallt eine solche erfundene Namensgebung heraus. Daher ist zu überlegen, ob nicht erst ein späterer Eingriff aus einem vielleicht originalen „Osterland" (dem Namen der Landschaft zwischen Saale und Elbe, östlich von Thüringen, vgl. LdMA 6,1517), das Westerland gemacht hat, um den vermeintlich verderbten Kontrast zu dem Osterman zu rekonstruieren. 2982: Vrigiule bzw. Ρ virgüle gibt Rätsel auf; die Konjektur KNN geht auf EHR zurück332 und wird als Friaul gedeutet. Dagegen hatte KNAPP eingewandt, Friaul heiße sonst aber im Mhd. Frr«/.333 Spekulativ bleibt auch das Verständnis als Abwandlung des lat. Ortsnamens Vergeyum, des heutigen Vergy bei Dijon (Burgund) im Blick auf Kämpfe der Meranier in Burgund, an denen auch der Graf von Brie und Champagne beteiligt war.334 326 Oder Das ist da, die direkte Folge das da erklärt aber eher einen Schreiberfehler. 327

MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 20.

328 Vgl. KRATZ 1976, S. 152. Der auf eine Landschaftsform zurückgehende Name war wohl weit verbreitet; so finden sich heute noch neun Ortsbezeichnungen mit „Sand" im Postleitzahlenbereich „9", fünf im Bereich „8", entsprechende Flurnamen nicht gezählt. 3 2 9 MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 2 1 .

330 Bekräftigt von WAGNER-HARKEN 1995, S. 36, Anm. 66, die sogar Heinrichs Heimat am Rhein sieht (gestützt auf 2986 mit uns und bi dem Rin). 331

KRATZ 1 9 7 6 , S. 1 5 6 .

332

Wieder SCHÖNBACH 1 9 0 8 , S. 3 6 5 ff. Ü b e r n o m m e n u.a. v o n JILLINGS, Biogr. 1981, S. 9 0 .

333 KNAPP 1981, S. 176 Anm. 30; in der Edition scheint er nun aber von „Friaul" überzeugt. 3 3 4 VgJ. MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 2 4 f.

124

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

2989-3088 Zweikampf, Keies Niederlage 2989 f.: Die Überleitungsformel, mit der der Exkurs abgebrochen und zur Handlung zurückgekehrt wird, entspricht zahlreichen ähnlichen Formulierungen im Roman; vgl. 2456 f., 3190 f., 13048 f. (mit dem Begriff rede und Überleitung); 7324, 7334, 8695, 10111, 10457, 13655, 15161, 27339 (Abbrechen der rede) und viele mehr.335 2993: Durchaus interessant erscheint Gvnpenye (V): gumpenie zu gumpen, „springen", das Lex 1,1118 zufolge sonst nur bei Neidhart 59,25336 belegt ist. Zu banekye („erholung durch leibesübung") —>695 ff. 2995: Der Audruck samen für den Kampfplatz wieder 4601 in Ρ und V; vgl. auch Iw 7086, Pz 60,19 (Lex 11,592). 3006 f.: Die Doppelung von guot tritt auch in mehreren sentenzartigen Formulierungen auf, vgl. 4059, 4066, 6084, —>29679; vgl. zudem das doppelte arc 4177. 3010: Zum schildes rant auch —>6401. 3028 ff.: Die Niederlage des hochmütigen Keie zieht sich als Topos durch die Artusliteratur, vgl. nochmals gegen Gasoein —>3987 ff.; entsprechende Szenen ErH 4664 ff. (gegen Erec), Iw 2575 ff. (gegen Iwein) und 4671 ff. (gegen Meljaganz), Lanz 2889 ff. (gegen Lanzelet), Wig 451 ff., Gau 1268—1320 sowie Dan 3229 ff. (vom Riesen gegen einen Baum geschleudert). 3038: Zu molte („Erde, Staub") ->6508. 3045 ff.: Auch das Motiv der Feigheit Keies greift Heinrich nochmals auf: In der Maultierzaum-Episode kehrt er an der Schwertbrücke unverrichteter Dinge wieder um (12739-12865); ->3028 ff. 3065: Zu der euphemistischen Umschreibung für „sterben" vgl. ähnlich 7509: des leibes ein gast, auch 11128 f. und 22661, 25802, 26765. 3075 ff.: Während Ginover hier schließlich nur übr danch (3087), also gegen ihren Willen (vgl. Lex 1,408) um Keies Freilassung bittet, ruft der Erzähler zu Ende des Romans gleich alle süe^e, stelege, reine wtp (29068) auf, für den in einer Kapelle Gefangenen zu bitten: ein weiteres Indiz für die Wandlung, die die Figur im Romanverlauf durchläuft (—>490).

335 Eine ausführliche Zusammenstellung bei GÜLZOW 1914, S. 210 f. 336 Ed. HAUPT; in der aus dem 15. Jh. stammenden Handschrift c.

3089-3176 Abschied des Boten 3089-3176

125

Abschied des Boten

3118: Die Überguide (zu gelten) bezeichnet etwas, das „mehr wert ist als alles andere, das höchste"; z.B. auch Neidhart WL 22,VIII, >König Rothen (v.a. jüngere Belege bei Lex 11,1621). 3132: Die Initiale D umfaßt in G fünf Zeilen und sticht damit deutlich hervor; für einen größeren Einschnitt bietet die Handlung an dieser Stelle allerdings keinen Anlaß.337 3157 ff.: Brach und war (3158 f.) sind mit G als Konj. zu verstehen (vgl. Anm. K N N ZU 3 1 5 8 ) : Wäre Diogenes dabei, er wäre versucht, sein Gelübde zu brechen.338 Anders als 11596 ('Thiesti) hält Heinrich hier für Diogeny die lat. Dekl. des Namens nicht bei: Die vorliegende Form ist ein Dat. der III. Dekl., die Heinrich aber als Genitiv verwendet (an die o-Dekl. angepaßt).339 Die Anekdote vom Becher des Zynikers Diogenes wurde von mittellateinischen Autoren mehrfach gemäß der Überlieferung des Hieronymus zitiert,340 in der deutschen Literatur findet sie sich sonst nirgends.341 Das gebrochene Gelübde (atithai^) steht für die bewußt gelebte Armut des Philosophen. Die Aussage von Keies Ironie scheint offensichtlich: Selbst Diogenes, der beim Anblick eines aus der hohlen Hand trinkenden Knaben sogar auf sein hölzernes Trinkgefaß verzichtet hatte, wäre durch den kostbaren Becher in Versuchung zu fuhren.

337 Vgl. a u c h GLASSNER 1991, S. 35, A n m . 5.

338 So schon KNAPP 1982, S. 46 f. Die ebd. erwogene Konjektur von guot 3159 durch giude („Verschwendung") oder goufe („hohle Hand"), womit der anthei^ genauer bestimmt würde, greift KNN nicht wieder auf. 339 A n d e r s KNAPP 1981, S. 161.

340 Hieronymus: >Adversus Jovinianum< 2,14 (MPL23, 305 A): Quodam t/ero tempore (sal. Diogenes) habeas ad potandum caucum ligneum, vidit puerum manu concava bibere, et etisisse illud fertur ad terram, dicens: Nesciebam, quod et natura haberet poculum. (zit. nach KNAPP 1981, S. 181, Anm. 84; „Aber einstmals als er (Diogenes) zum Trinken eine hölzerne Trinkschale hatte, sah er einen Knaben aus der gewölbten Hand trinken, und man berichtet, er habe sie auf den Boden geworfen und gesagt: Ich wußte nicht, daß die Natur einen Becher zur Verfugung habe"). Bei KNAPP 1981, S. 181, Anm. 84 finden sich auch mittellat. Quellen; ebenfalls berichtet bei Diogenes Laertius (vgl. LEITZMANN 1925, S. 450). 341 Vgl. LdaG, 223; KNAPP 1981, S. 161. Der Kyniker Diogenes wird nochmals erwähnt >Renner< 8455.

126

457-3272 Hoffest an Weihnachten: Becherprobe

3177-3272 Abschluß des Hoffests 3177-3207 Ende der Festlichkeiten 3180-3189: (= GT 13) Ein geübter Spötter wie Keie kann mit Schmach gut umgehen und läßt sich auch durch eine Niederlage nicht vom Spotten abhalten; vgl. z.B. ->2529-2537, auch 1762, 5181 ff. In G findet sich zu 3180-3183 die Randnotiz Ciceronis Sententiae. Es lassen sich aber keine auf Cicero zurückgehende Parallelen nachweisen (auch nicht aufgenommen in ShRM). Vgl. auch TPMA 10, „Scherz" 4, aufgenommen unter 4.2.3. 3208—3272 Heimlicher Aufbruch zum Turnier von Jaschün Einen von seinen Rittern unter Federführung Gaweins zurückgelassenen Artus kennt auch die >Gral-Queste< im >Prosa-Lancelot5639. 3237: Die auch kritisch lesbare Anmerkung über die Schlafgewohnheiten des Königs finden ihre Parallele in Chretiens >YvainCröne< beschreibe den Weg des noch jungen und unerfahrenen Artus zu dem repräsentierenden Souverän der anderen Artusromane. Diese zunächst ungefestigte Herrschaft werde den verschiedenen Bewährungsproben der Tradition unterworfen, wobei die Entführung Ginovers sowie der (nie ausgeräumte) Verdacht auf Ehebruch an die Bedrohung wie in der >Mort Artu< aus dem >Lancelot en prose< denken lassen.10 In ihrer Funktion für den gesamten Roman lassen sich die beiden Teile der Gasoein-/Artushandlung insofern parallel sehen, als Artus und Ginover auf vergleichbare Weise ihren Beitrag zur Integrität des Artusreichs leisten müssen. So stellt Artus im Zweikampf seine Verteidigungsfähigkeit unter Beweis, während Ginover ihre Ehe bestätigen muß.11 Daneben zeigt sich in dem Gasoein-Ginover-Komplex die Artuswelt immer wieder durch die Diskrepanz von Wort und Tat erschüttert, in der präsentierten höfischen Welt bringt „der sprachliche Akt vorwiegend Verwirrung [...] und Gefahren mit sich [...]; die Wahrheit ans Licht zu bringen fallt dagegen außerordentlich schwer."12 Lediglich Zweikampf und andere ritterliche Taten, die unabhängig von Wort und Zauberdingen bestehen, können wieder zur höfischen vröude führen, v. a. gegen Ende des Romans.

3273—3427 Ginovers Provokation Daß Ginover ihrem Mann in der >Crone< nicht unkritisch gegenübersteht, hat sich zuerst 838 ff. gezeigt, wo sie ihn wegen seines zögerlichen Eingreifens ins Turnier tadelt. Hier kommt es nun zu einer ernsthaften Provokation, die Auslöser für die folgende Episode ist. Anders als z.B. im >Lanzelet3395—3427), läßt sich deren Gestaltung als eine Verbindung der Lancelot/Lanzelet-Figur (Liebhaber und/ bzw. Befreier der Königin) mit der Figur Valerins (Entführer Ginovers) erklären und verstehen. Hinzu kommen Anklänge an die Tristanfigur (—>10523 ff.). Durch die Vereinigung der eigentlich widersprüchlichen Konzepte entstehen die Brüche in Gasoeins Verhalten: der Liebhaber, der zum Entführer und Vergewaltiger wird, von Gawein aber als gleichberechtigter Gegner im Kampf um die Königin akzeptiert und schließlich ehrenvoll am Artushof aufgenommen wird.20 Eine moralische Bewertung von Gasoeins Handlungsweise21 erscheint demnach die falsche Methode zur Beurteilung dieser Figurenmontage, da sie nicht als stringenter Charakter angelegt ist. Die Frage „ob nun Ginover und Gasozein ein Verhältnis hatten oder nicht" erübrige sich, „als Rollenträger hatten sie es (analog zu Tristan und Isolde, Lancelot und Ginover), sie hatten es aber auch nicht (wie Meljaganz und Ginover, Lanzelet bzw. Gawein und Ginover oder Minnediener und Minneherrin). Man könnte also auf die eben formulierte Frage lediglich antworten 'Sowohl - als auch', womit man den Paradoxien des Textes vielleicht am ehesten gerecht würde."22 Ahnlich werden auch Ginover und Artus im Laufe der Episode mit literarischen Rollen identifiziert: Artus erhält Züge des betrogenen, zweifelnden Marke,23 die das traditionelle Artusverständnis verfremden; Ginover zeigt zusätzlich zu der Zwischenstellung zwischen der treuen Ginover im >Lanzelet< und der ehebrechenden reine im Lancelot-Roman Chretiens auch noch Merkmale Isoldes (—>5092 ff.). Die gesamte Gasoeinhandlung erweist sich also als ein Konstrukt, um die traditionelle Artusehe mit den bekannten Ehebruchsgeschichten zu verbinden. 19

S T E I N 2000, S . 224-232, hier 230 f. Von dem vollzogenen Ehebruch geht auch 2002, S. 95 aus.

20

V g l . BLEUMER 1 9 9 7 , S . 4 1 f f . ; S C H U 1 9 9 9 , S . 3 4 2 .

21

So z.B. bei

22

SCHU 1 9 9 9 , S. 3 5 3 , A n m .

23

So zuletzt auch

SAMPLES

1995; dazu auch 60.

THOMAS 2 0 0 2 ,

S.

95.

GUTWALD

2000, S. 62f., Anm. 99.

THOMAS

3273-3333 Artus auf der Jagd im Winter

133

3273-3333 Artus auf der Jagd im Winter War der Weihnachtstermin bereits füir das Hoffest genannt worden (—>469), so spielen Winter, Schnee und Frost nun eine ausdrückliche Rolle in der Handlung; zahlreiche Erwähnungen ziehen sich durch das Geschehen um Gasoein, Assiles und Amurfina (bis zum Pfingstfest 12532 f.); das auf die Handlung bezogene Jahreszeitenkonzept bleibt so deutlich präsent (vgl. auch —>11623-11633).24 Die Landschaftsschilderung Heinrichs zeigt besonders in den Winterszenen ihren — durch die schroffe Gebirgswelt verstärkt — eigenartig-realistischen Charakter, der sich von den Schilderungen der Zeitgenossen deutlich abhebt. „Winterliches ist Unarthurisches; doch werden in der >Crone< echt empfundene Winterverhältnisse aufs konkret-realistischste evoziert, und zwar auf vielfache Weise."25 Verstärkt wird die realistische Darstellungsweise dadurch, daß das Erzählpersonal unter den winterlichen Bedingungen leidet. 3304: Die Ortsangabe Gornomant wird wieder —>13998 genannt, dort in der Nähe der Gralsburg. 3308: V versteht hier und öfter (3389, 4247,10215,10849, 12156) einen Eigennamen Gavdyn. Mit dem Begriff gavdyn bezeichnet Heinrich nur im Rahmen der Gasoeinhandlung den Ort der Furthandlung 3389, 3413, 3721, 4247, auch in der Zusammenfassung vor dem vereinbarten Gerichtszweikampf 10215 und 10849; zudem noch einmal im Kampf zwischen Gawein und Gasoein 12156. 12635 steht er vereinzelt im Rahmen des beginnenden Pfingstfestes, der Kontext dort dürfte zu der Annahme G R A B E R S geführt haben, es sei nicht nur der Wald, sondern auch ein „saal mit holz ausgetäfelt"26 gemeint. Gegen Lex 1,744, der durchgängig „freude, freudengelage" übersetzt,27 liegt den Belegen der >Crone< afrz. gaudirn, „Gehölz, waldige Gegend" zugrunde.28 Vgl. ErC 3998 f.: Li rots Artus et la royne/ Sont apres en une 24

Den winter erwähnt der Roman ausdrücklich 279, 3314, 4503 und 12618. Als Konkretum findet

sich sne 3 3 1 3 , 3 3 9 9 , 3 6 6 8 , 4 1 0 9 , 4 3 2 7 , 7 5 1 8 , 9 1 9 3 , 9 2 0 1 , 9 3 2 4 , 9 4 7 4 , 1 0 1 9 0 , 1 1 2 7 5 ,

und 12390, nochmals 16382 im Rahmen der Unwetterschilderungen der 2. Wunderkette. V o n frost s p r i c h t H e i n r i c h 3 4 0 2 , 3 7 1 9 , 4 0 1 8 , 4 0 2 4 , 4 2 4 2 , 4 3 0 4 , 4 3 2 4 , 5 3 7 0 , 5 3 7 7 , 5 4 4 3 , 6 9 2 5 , 6 9 2 9 , 1 0 1 7 6 , 1 2 1 9 8 u n d 1 2 3 8 1 ; v o n is 3 3 9 9 , 3 6 6 8 , 4 3 2 9 , 6 8 1 6 , 1 0 1 9 0 u n d 1 2 1 9 8 .

25

KEEFE 1982, S. 251. Vgl. ebd. S. 38-52 auch die Zusammenstellung der Winter-Belege.

26

GRABER 1910, S. 3 2 4 .

27

So auch REISSENBERGER 1879, S. 28; zu Belegen, die auf afrz. gaudie, „Freude, Scherz" zurückgehen, vgl. SUOLAHTI 1929, S. 93.

28

Vgl. T L 4 , 2 1 7 f.; ANM. KMN z u 3 3 8 9 ; a u c h GRABER 1 9 1 0 , S. 3 2 4 ; KRATZ, E n f a n c e s 1972, S. 3 5 2 .

134

3273-5468 Gasoein I

gaudinef ebenso Y V 3342: Tatit qu'il vint en une gaudine.W KRATZ sieht in der Beschränkung dieses Begriffs auf die Gasoeinhandlung einen wichtigen Hinweis auf deren Verbindung zur angenommenen Vorlage, den >Enfances Gauvain< Η3587-5386). 31 3326: reher zu rech, re („Reh", Lex 11,358). Die genannten Beutetiere deuten auf eine wenig repräsentative Jagd; „die Jagd auf wilde Tiere, auf kleinere Tiere wie Hasen oder Kaninchen [gilt] als rückständig oder unfein."32 Rehe werden als Beute nur selten in der mhd. Literatur genannt, so Iw 3897, im >Prosa-Lancelot< und in Ulrichs von Türheim >Tristan92ff., —>6350ff., —>7311), 29 30

„König Artus und die Königin sind nahe von hier in einem Wald". „Bis zu dem Moment, als er in den Wald kam".

31

Vgl. KRATZ, Enfances 1 9 7 2 , S. 352.

32

BRACKERT 1 9 9 7 , S. 3 7 4 .

33

Vgl. DALBY 1 9 6 5 , S. X V I , A n m . 2 9 .

34

J I L L I N G S 1 9 7 5 , S . 2 2 f.

35

V g l . M E Y E R 1 9 9 4 , S . 9 4 f.

36

GUTWALD 2 0 0 0 , S. 1 0 0 f.

37

Vgl. >Buch der AbenteuerDe Partibus Animalium< 112,648a schreibt Aristoteles von der Überordnung des heißen, dünnen und klaren Blutes über alle anderen, woraus er eine Superiorität des Mannes über die Frau sowie der rechten über die linke Körperseite ableitet Vgl. JILLINGS 1975, S. 23; wieder JILLINGS 1980, S. 38; Parallelen in Aristoteles >De Generatione Animalium< IVl,765f. und >De Longitudine et Brevitate Vitae< V,466b. Die >Problemata physica< IV,25 [879 a 30 ff.] zitiert zuerst MENTZEL-REUTERS 1989, S. 158; wieder GUTWALD 2000, S. 100, Anm. 208. Die >Cause et cure< Hildegards (in der Edition von P. KAISER, Leipzig 1903, Bd. 2, S. 76, Z. 17 ff.; 25 ff.) fuhrt KNAPP 1981, Anm. 72 als mögliche Quelle an; über deren Authentizität wird jedoch diskutiert: Die Neuedition von MOULINIER geht von einem ursprünglichen Kerntextbestand aus, der erst im 13. Jh. deutlich auf den vorliegenden Umfang erweitert wurde. Weitere mögliche Quellen für eines der „Grundprinzipien naturphilosophischer und medizinischer Überlegungen zur menschlichen Sexualität", demzufolge die „wärmste Frau [...] immer noch kälter [ist] als der kälteste Mann" finden sich bei SCHNELL 2002, S. 323-338, v.a. S. 324 (Zitat).

136

3273-5468 Gasoein I

Krankheit als eine Gleichgewichtsstörung im Säftesystem galt,4' gehörten Grundkenntnisse dieses Systems zum allgemeinen Wissen, was konkrete Quellenbestimmungen erschwert. Vgl. auch Ywalins Untersuchung des verletzten Gawein —>6663 ff. Der Vorwurf der Kälte wird auch als provokative Anspielung auf das Sexualleben des Königs verstanden, dem der hitzige Minneritter als Kontrast gegenübergestellt werde.42 Daß Heinrich diese Kenntnisse auf die Figur Ginovers überträgt, mag ein Hinweis auf die Verbindungen mit Isolde sein (->5092-5125). 43 3378: phisicin findet sich wieder 12510 (P: visicine); es ist eine sonst nirgends belegte Übernahme aus afrz. fisicien, „Arzt" (DAF, 268). Die theorica nimmt offenbar Bezug auf den Begriff der „Theorica medicinae"; die zugrundeliegende, gängige Gliederung der Heilkunde in Theorie und Praxis ist bereits bei Al-Färäbi (f 950) belegt und zieht sich durch die scholastischen Schriften.44 3388: Der Vers bezieht sich auf die Kleidung (3386), nicht auf den Mangel an Wärme (3387). 3389: Zu gavdin („waldige Gegend") -»3308. 3393 f.: Daß Ginover der Versuchung des Feuers widersteht, soll wohl gerade der Beweis ihrer Behauptungen sein; die beiden Verse sollten daher besser nur durch Doppelpunkt oder Komma getrennt werden. 3395-3427: Der ritter, den ich ivei%/ Des ich niht nennen ml, erscheint in Ginovers Beschreibung als eine Rolle des Minnesangs, die in eine Romanfigur umgesetzt wurde: der Minnesänger, der allen Widrigkeiten trotzt, um seine Dame singend zu preisen. Die Figur des Sängers, der im Hemd sogar dem Frost widersteht, schildert ein Lied des Bernart de Ventadorn (Nr. 44,

41

42 43

Vgl. z.B. W A C H I N G E R 2001, S. 6: „Die mittelalterlichen Lehren von gesunder Lebensweise [...] nach den [...] sechs nicht angeborenen, nicht körpereigenen Dingen: 1. Luft, 2. Speise und Trank, 3. Bewegung und Ruhe, 4. Schlafen und Wachen, 5. Endeerung und Füllung, 6. die accidentia animae [...]. Für alle sechs Bereiche galt als Ziel, die Extreme zu meiden und die Harmonie der vier Körpersäfte (Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle) und der ihnen je kombinierten vier Primärqualitäten (heiß, kalt, trocken, feucht) zu sichern. Denn dies war die Voraussetzung für gute Gesundheit" Vgl. auch B O R S T 1983, S. 492 f. Vgl. zuletzt G U T W A L D 2000, S. 99. Einzelne Interpreten bewerten dieses Wissen der Königin als Hinwegsetzen über Geschlechterrollen, wodurch Ginover „zum bösen und in seiner Gelehrtheit wohl auch bedrohlichen Eheweib" herabgesetzt werde ( G U T W A L D 2 0 0 0 , S. 9 8 ) , die Vergewaltigung sei schließlich Sanktion und Verweis in ihre Schranken; vgl. entsprechend J I L L I N G S 1 9 8 0 , S . 3 7 f., 2 5 9 f.; SAMPLES 1 9 9 5 , S . 1 9 6 .

44

Vgl. ausführlich LdMA 8,673 f. zur „Theorica medicinae"; auch Anm. 72.

KNAPP

1981, S. 180,

137

3334-3427 Kaminszene: Ginover provoziert Artus

13-16: Anarpose ses vestidura,/ nut^ ett ma chami^a,/ carfin'amors m'asegura/ de la freja bi^a)* Der erst 4775 genannte Name dieses Ritters,44 Gasoein de Dragoz, stammt wohl aus der Namensliste der Erec-Romane (ErC 1706: Gorsoein d'Estrangot und ErH 1647 Gasolin von Strangot, vgl. auch 2291-2347).47 Er wird auch im >Prosa-Lancelot< genannt Gosoain von Strangot (KLUGE, 1,126, 3-7) bzw. Gasoains d'Estragot ( M I C H A , VII,261, § 1 (Z.9) und 346,§ 4 f. (Z.7 f., 23)) ;48 in einer anderen Episode finden sich dort auch Parallelen zum ungerüsteten Auftreten nur im Hemd: Die frischgebackenen Bräutigame Melidun Ii Envoisiez und Agncol Ii Biais kündigen an, sie wollten zur Ehre ihrer Bräute einen Monat lang nur im Hemd auf Aventiure ausreiten.49 Das Motiv des eingerüsteten Kampfes findet sich auch Pz 27,15; vgl. auch Ulrichs von Liechtenstein >Frauendienst< 181,1—8.50 Neben der Identifikation als personifizierter Minnesangtypus wurden Gasoein auch vielfach Züge der Anderwelt attestiert: So wird seine Beschreibung als „extravagant pastiche of otherworld characteristics" bezeichnet;51 45

46

47

„Ohne Kleidung kann ich gehen, nackt in meinem Hemde, denn echte Liebe schützt mich vor dem kalten Nord" (ed. APPEL, S. 260). Auf die Parallele verweist zuerst JILLINGS 1980, S. 47, Anm. 15. Die leichte Kleidung mitten im Winter interpretiert dieser als „parodistic treatment of the motif that love protects against the cold". Zur Ausgestaltung der Minnesangrolle vgl. MEYER 1994, S. 94; BLEUMER 1997, S. 42. Eine ausfuhrliche Gegenüberstellung der Figur Gasoeins und des Gedichts von Bernart unternimmt jetzt KAMINSKI 2005, S. 181 ff. Bereits in Chretiens Konzeption der Yvain-Figur zeigt sich eine solche Übernahme einer gattungsfremden Rolle: Auch Yvain läßt sich als Typus des Minnesängers verstehen, der seiner hohen Dame in unbedingter Liebe ergeben ist und ihre Bedingungen zu erfüllen versucht, um ihre Liebe zu behalten; dazu z.B. ERTZDORFF 1991, S. 341. Daß der Ritter aus Ginovers Erzählung mit Gasoein identisch ist, wird allgemein vorausgesetzt; wäre es denkbar, daß Ginover lediglich ein literarisches Ideal erträumt, dessen Verkörperung Gasoein dann zufallig Artus begegnet? Solche zufälligen Treffen gibt es noch häufiger, vgl. nur Gaweins Begegnung mit dem Knappen Ywanet (—>5673) oder zuerst Gasoeins, dann Gaweins zufälliges Auftauchen bei der entführten Ginover (11253 ff. und 11748 ff.). Vgl. FRIEDLÄNDER 1902, S. 23.; STEIN 2000, S. 32, A n m . 64.; auch WEBSTER 1951, S. 6 5 f.,

Anm. 3. 48 49

Vgl. KNAPP 1986, S. 4 9 f. MICHA, 11,190 f., § 8; vgl. ZACH 1990, S. 5 9 - 6 1 ; ebenso die Ritter Melden

der Hoffelich

und

Gertel der Schonsprecher in der dt. Parallele (KLUGE, 11,75,32-76,19). Bei den Vorsätzen der insgesamt zwölf frisch Verlobten scheint übrigens auch ein weiteres Gasoein-Motiv auf: die Entführung Ginovers, die von einem der Männer geplant wird. Es gibt also, entgegen der Behauptung von STEIN 2000, S. 32, Anm. 60, doch Berührungspunkte und handelt sich nicht nur um reine Namenskompilationen in der Erec-Nachfolge. 50

Vgl. JILLINGS 1980, S. 4 4 und 47, A n m . 15; dazu BLEUMER 1997, S. 59, A n m . 58.

51 JILLINGS 1975, S. 24, der die Schilderung zugleich als „satirical portrait of the courtly lover" (ebd.) verstanden wissen will.

138

3275-5468 Gasoein I

spricht wiederholt vom „otherworldly Gasozein".52 Auch G R U B MÜLLER sieht in dieser Figur das „Element des Jenseitig-Bedrohlichen, [...] das in der >Cröne< immer wieder hervorbricht und dessen Bändigung an die mythischen Grundlagen des Artusromans heranreicht." In Gasoeins Auftreten und in seinen Ansprüchen „geraten nicht nur Wertmaßstäbe durcheinander, sondern Erfahrungswelten: Weder Artus noch Ginover können sich weiterhin sicher sein."53 Diese Einschätzung wird z.B. dadurch unterstützt, daß Heinrich Gasoeins Schwester Calamit als ein reiche f e y (10500) bezeichnet. Wegen der Verbindung von Namensnennung und Ginoverforderung in der Begegnung mit Artus sieht RUBERG schließlich „einige Züge Valerins aus dem >LanzeletVita Gildae< (entstanden vor 1129) durch König Melvas aus der „aestivo regio"; vgl. auch WEBSTER

56

Vgl. nur SCHÖNBACH 1908, S. 359: „Gasozein, diese für uns so unsympathische persönlichkeit". Hingegen sieht ihn KRATZ 1973, S. 151 als „Lieblingsfigur" Heinrichs; für JILLINGS 1980, S. 44 ist er der eigentliche Held der gesamten Handlung um die Entführung Ginovers. Vgl. zuletzt ausfuhrlich zur Figur KAMINSKI 2005, S. 151-174, die aus ihren Beobachtungen folgert „Gawein 'ist' Gasoein" (S. 161). Zusammenfassend zu den Deutungsversuchen zu dieser Figur MEYER 1994, S. 94, ANM. 119, sowie die Interpretation der Gasoeinhand-

1951.

57

lung bei BLEUMER 1997, S. 2 3 - 7 0 .

3428-5378 Nächtliche Lauer auf Gasoein

139

dieser Stelle) zu deuten (und nicht als Fehlen der klanggebenden Obertöne). Die siebte cheln wäre dementsprechend als „mühelos, geläufig" zu übersetzen: Gasoeins Gesang ist geschmeidig und kunstvoll. Zur Kehle als Sitz des Gesangs vgl. auch DWb 11,397. 3422: Zu dem afrz. Adj.>r („stolz, stattlich") -»2307 f. 3424: Die Furt von Noirespine (afrz. „Schwarzer Dorn") ist als Name der streitenden Schwestern aus Iw 5629 (Yv 4699) bekannt,58 daneben verweist der Name auf den >Lai de l'Espine 3428-5378).55

3428-5378 Nächtliche Lauer auf Gasoein Die Literatur kennt eine Reihe von Parallelen für das Motiv des nächtlichen Furtkampfs, in dem gegen einen unbekannten Gegner gestritten wird, meist um eine Frau.60 Allen gemeinsames Vorbild dürfte der Kampf Jakobs mit dem Unbekannten (Jahwe) an der Furt des Jabbok sein (Gn 32,22—29), bei dem auch die Frage nach dem Namen eine große Rolle spielt; die Frau als Kampfanlaß ist erst mit der Säkularisierung des Motivs dazugekommen. Im Mittelalter finden sich Kämpfe an einer Furt relativ häufig; auffällig viele Ubereinstimmungen finden sich v.a. zu den >Enfances Gauvain< und dem >Lai de l'Espine«.61 In den >Enfances Gauvain< ist die Furtkampfszene nicht überliefert, dafür jedoch in der lat. Erzählung >De ortu Waluuanii< (entst. um 1280), die mit zwei überlieferten Fragmenten der afrz. Erzählung von den >Enfances Gauvain< so eng verbunden ist, daß vermutet wird, die entsprechende Szene dürfte ebenfalls in den >Enfances Gauvain< enthalten gewesen sein.62 Die Handlungsparallelen sind deutlich: Nach einer Provokation durch Ginover, die Artus von einem Ritter erzählt, der besser sei als er, reitet der König mit 58

59

Dieser Schwesternstreit wird in abgewandelter Form im Streit zwischen Amurfina und Sgoydamur aufgegriffen und führt schließlich zur Integration Gasoeins in die Artusgesellschaft, vgl. 7890-7963 und 12601-12890. Vgl. JILLINGS 1980, S. 38. Den Namen hat auch Albrecht von Scharfenberg nochmals verwendet (JTit 2 0 7 1 : innerhalb eines Kämpferkatalogs heißt einer Der von dem swar^en

dorne).

60

Eine Übersicht bei WEBSTER 1951, S. 74 ff.

61

Vgl. ZACH 1 9 9 0 , S. 2 7 5 f.

62

Vgl. KRATZ, Enfances 1972, S. 354 f. Er sieht als weiteren Hinweis auf Heinrichs Kenntnis der >Enfaces Gauvain< die Verwendung des Begriffs gaudin (—>3308) und des Namens Morcades/Orcades (20967 u.ö.) für Gaweins Mutter. Beide werden ebenfalls in den Enfances Gauvain< genannt, sind sonst aber selten; ähnlich auch JILLINGS 1975, S. 22., auch ->20967.

140

3273-5468 Gasoein I

Kay in einer stürmischen und regnerischen Nacht dem geheimnisvollen Unbekannten entgegen, den sie an einer Furt treffen. Nach einem Wortgefecht kommt es zum Kampf, in dessen Verlauf Artus und Kay vom Pferd gestochen werden — der Fremde ist Gawein (= Walwein), wie sich später herausstellt. Mit der Furthandlung enden die Parallelen, weder das angebliche Minneverhältnis zwischen dem Fremden und Ginover noch die spätere Entführung finden sich in der afrz. Erzählung bzw. ihrer Nachdichtung. Auch sein kritisches Artusbild hat Heinrich nicht aus dieser Quelle abschauen können. Die Parallelen mit dem >Lai de l'Espine< sind weniger spezifisch: Der nächtliche Furtkampf gegen einen übernatürlichen Gegner hat eine Frau als Kampfpreis (der Gegner droht bei einer Niederlage die Freundin des Helden mitzunehmen), außerdem sind mehrere Personen am Kampf beteiligt. 3428-3652 Nächtlicher Ausritt 3428—3586 Artus und seine Gefährten beratschlagen Die Zweifel an Ginovers Treue, die diese mit ihrer Provokation selbst ausgelöst hat (—>3273—3427), und die durch ihre spontane Reue noch verstärkt zu werden scheinen,63 fuhren bei Artus zu Betroffenheit, Verteidigung Ginovers (3525 f.), Schwanken zwischen Zweifel und Spott (über die Schwächen der Frauen, 4332-4381), und schließlich zu konkret begründeter Eifersucht, nachdem Gasoein Ansprüche auf Ginover erhoben hat (4889 ff.). In der Rolle des betrogenen Ehemanns wird er König Marke vergleichbar Η 5092 ff.). 3429 ff.: Der zusammengesunkene und erschrockene Artus ist hier auch bildlich auf dem Tiefpunkt angekommen, von dem er sich im weiteren Romanverlauf erst langsam und mühevoll wieder hocharbeitet. 3434: übersprechen war —>2003 der Grund fur Gaweins Versagen in der Becherprobe. 3439-3445: (= GT 15) Diese dialektische Rede im sentenzhaften Stil thematisiert wibes guot, die Güte der Frauen. Diese manifestiere sich auch in Schimpfreden, und sie habe keine Scheu, auch dann noch einen Spruch von sich zu geben, wenn leit als Folge zu befürchten sei. Sie leitet die Problematik des Königs in der gesamten folgenden Gasoein-Handlung ein: die Frage 63

So folgert THOMAS aus ihrer Reue, wir seien genötigt „to conclude that she had meant what she had said, and that the motif of the provoking spouse is here made to compound the theme of Guinevere's emotional defection" (THOMAS 2002, S. 39).

3428-3586 Artus und seine Gefährten beratschlagen

141

nach der wirklichen Haltung und Liebe Ginovers, an der Artus trotz aller Widerstände festhält. Zur weibes guot bzw. wibes güete vgl. v. a. den großen Monolog des Königs 4321 ff., daneben den Erzählerexkurs zu wibes güete ->13888-13920, die Sentenz ->22449, den Exkurs zu wibes süe^e ->2812128164 und die Widmung 29989 f.; zudem Pz 248,1 sowie Wig 2097 ff., 23882395, 5393-5412, 9700-9715 und 10459-10473. 3459 f.: Zu dem Bild vom angel („Stachel"), bezogen auf Keie, —>1699; zu Keies Charakterisierung zudem —>490. 3474 f.: (= GT 15a) Der aus der Becherprobe bekannte negative Blick Keies auf die Frauen wird in dieser sentenzartigen Rede wieder aufgegriffen: „Wer eine Frau zu weit gehen läßt, hat davon keinen Gewinn" (und bekommt die Folgen zu spüren). 3480 ff.: Zur Tradition, derzufolge es Frauen besser anstünde zu schweigen, vgl. z.B. Sir 26,18, I Cor 14,34; Erasmus von Rotterdam: Mulierem ornat silentium (>Adagia7222 f. und —>7278-7284; zum Verhältnis von Trost und Klage v.a. ->7309, ->73157323. Zu 3499 f. vgl. Wig 1207 f.: do teter als der biderbe man,/ der sich des wol getmsten kan\ auch Wig 8329 ff.: si taten als die wisen tuont,/ die äne helfe mit leide lebent/ und sich dem %wivel gar ergebend 64

65

Vgl. ShRM; aufgenommen in TPMA 3, „Fragen" 2.3: „Mancher fragt, was er nicht wissen will". Vgl. auch das moderne Sprichwort: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß" (erster Beleg laut R Ö H R I C H 2000, S. 7059 f. (Druck: Bd. 5,1739 f.) bei Sebastian Franck). Vgl. auch ShRM; TPMA 11, „Trost" 3: „Man sollte sich selbst trösten können." Auch S T E I N 2000, S . 262, Aran. 711.

3273-5468 Gasoein I

142

3512 ff.: Die alte site Keies, wenn immer möglich zu schelten, hatte Heinrich im Streit zwischen Keie und Artus während der Becherprobe ausführlich dargestellt; vgl. ->1486-1544 und v.a. ->1631-1814. Ähnlich wie in der Verteidigung Keies 1486 ff. ergreift Heinrich auch im folgenden die Partei des Truchsessen, wenn er von vndanch (3532) bzw. engelten (3552) spricht. 3528—3553: (= GT 18) Der Erzählerexkurs kommentiert Artus' Reaktion auf Keies Auslassungen: Die maßlose Rede fuhrt zu vndanch·, auch ein Mann, der selbst negativ über seine Frau spricht, läßt nicht zu, daß andere dasselbe tun. 3529 erscheint verwarnet (V), „hüten" (Lex 111,295), passender als verwanen P / S C H / K N N („vermuten, erwarten", Lex 111,294): „einer hütet sich nicht davor, zu viel zu sagen, er tut es und handelt sich sofort starke Ablehnung ein." 3541 ist borgen mit Dat. zu deuten im Sinne von: „habe nachsicht mit ihm, schone ihn" (BMZ I,163a), also auch als: „es jmd. hingehen lassen" oder gar „mitmachen". 3545 f. auf si borgen valsch ist wohl ähnlich zu verstehen als: „sich zurückhalten, unterlassen" (anders KNN, Anm. zu 3541). Ab 3535 wäre also zu deuten: „Mancher hat seine Frau bezichtigt, es wäre ihm aber leid, wenn jemand anderes ihr mit Anschuldigungen entgegengetreten wäre, ihm selbst [im = maniger 3535, also dem Ehemann] zur Schande. Darauf [auf das besagen des Ehemanns? — oder meint es das Reden des Verleumders?] fallt manch einer herein, der mit demjenigen keine Nachsicht hat, der seine [eigene] Frau verleumdet, die ihm doch so lieb ist wie er selbst, was aber vor uns verborgen ist:66 der unterläßt es, ihr Böses anzuhängen, wenn er herausfindet, welche Meinung die Welt [dadurch] von ihr hätte/hatte. Wen die Rede verriet [wer sich durch seine Rede als Verleumder offenbarte], so daß er [der Ehemann] Grund hat, mit ihm zu schelten, wenn dann also er [der Verleumder] das entgelten mußte, wie Keie jetzt entgelten mußte, das lag doch in jenes [des Ehemanns] Macht." Zur Übersetzung vgl. auch Anm. KNN. Zum übersprechen —>2003; vgl. auch den Exkurs über die reinen weiben 10402—10456. 3556 ff.: Nach 3556 wäre ein Punkt zur besseren Gliederung angebracht; dagegen gehört der Satz 3557 f. mit der darauffolgenden Aussage zusammen (Komma nach 3558): „Wenn er auch je (hie und da) mit Erlaubnis des Königs gesprochen hatte, wurde das [jetzt] an ihm gestraft, wie ihr vernommen habt." Normalerweise durfte Keie reden, aber nach der Beleidigung Ginovers wurde er getadelt (anders Anm. KNN). 3565 f.: Zu dem auf Gasoein bezogenen troges bilde vgl. auch —> 14384 die Lesart getrouch in D. 3570: pris suochen hier im Sinne von „Kampf suchen"; wieder 3574.

66

Vgl. Anm. KNN ZU 3542 f.

3571-3652 Rat des Aumagwin, nächtlicher Aufbruch

143

3571-3652 Rat des Aumagwin, nächtlicher Aufbruch geverte zu vam\ „erscheinung, benehmen" (Lex 1,960). gebullert zu hellen, „zustimmen" (Lex 1,1235 f.). 3 6 0 9 - 3 6 1 2 : „Sorglosigkeit hat kein gutes Ende, das wißt ihr sicherlich. So fuhrt sie manchen in die Irre, dem das dabei schadet." Unsicher ist das Subjekt zu werren, bezieht sich da^ auf das dinch (3604) oder das state ende (3610)? Zum unbedachten Handeln vgl. -»21080 f.; Frdk 92,1 f. {unverdahüu mcere/ sint dicke wandelbare)·, vgl. den Beleg Lex): Swer unverdähtgro^ dinc bestat, ein trüric ende dicke hät{MONE in AnzfKdVz 4,318,60). Vgl. TPMA 4, „Gedanke" 7.1: „Man soll zuerst denken, dann handeln", ebd. 7.2: „Gedanken nach der Tat kommen zu spät"; auch TPMA 12, „Tun" 1.5.1: „Man bedenke bei seinem Tun das Ende". Diese sentenzhafte Bemerkung leitet über in den Rat des Königs. 3579:

3595:

3 6 3 0 : Die Ortsangabe Algve wird sonst nicht mehr erwähnt. Heinrich scheint die welsche Meile zu benutzen, vgl. —>9218 und die Nennung wälhisch meile 11465. Diese ist deutlich kürzer als eine deutsche Meile und umfaßt 500 Schritt (1 Schritt = 5 Fuß; 2 Fuß entsprechen 1 Elle, ->9349), je nach Länge der Elle also zwischen knapp 500 m und etwas mehr als 1 km (vgl. die Angaben LdMA 6,471 f.). 3 6 3 9FIF.:Zur Problematik der Sprecher-Verteilung in SCH/P vgl. Anm. KNN ZU 3639-3644, auch 3653 f. 3 6 4 4 — 3 6 4 7 : In der mhd. Wegterminologie ist eine strafe normalerweise viel begangen, während ein stic oder phat wenig benutzt und meist dem wilden Wald zugeordnet wird (und damit der Aventiuren-Sphäre, die außerhalb der Ordnung des Artushofs steht).67 Hier ist es jedoch eine verlassene stra^ die schließlich zum Ort der Begegnung und Auseinandersetzung mit Gasoein wird.68 Artus verteilt seine Ritter so, daß ihm der strategisch wichtigste Punkt vorbehalten bleibt: An der von ihm bewachten alten Straße wird der Ritter auf jeden Fall vorbeikommen, so daß er ihn nicht verfehlen kann. Die Angabe 3 6 4 8 , ein creutΞ si aber geiget, bezeichnet wohl ein Wegkreuz (so die Deutung bei THOMAS und KEEFE).69 Vgl. vielleicht Pz 1 8 0 , 3 (krittle unde stüden stric [...] sine waltsträ^en meif). Solche Wegzeichen waren z.B. als Wegheiligtümer gebräuchlich,70 daneben fanden sich auch Kreuze als Rechtszei67 Vgl. z.B. den Weg zum Baumgarten {burcweg ErH 8 6 8 5 , der in ein enge^phat mündet 8 7 1 3 ) , darin dann der stic 8 8 8 3 , der wol ein halp jär oder me (ErH 8 4 9 5 ) nicht mehr begangen wurde; vgl. auch den stic äne huofslac Greg 3 2 3 4 ff. 68 69

70

Vgl. zu den Wegbezeichnungen auch TRACHSLER 1 9 7 9 , S. 7 5 . K E E F E 1 9 8 2 , S. 4 9 ; TH: „it is marked with a cross". Dazu LdMA 8,2091 ff., vgl. z.B. den „Bonifatiusweg": An jeder Übernachtungsstätte auf dem Weg von Friesland über Mainz nach Fulda, über den der Leichnam des ermordeten Heiligen 754 gebracht worden war, wurde ein Kreuz errichtet.

144

3273-5468 Gasoein I

chen.71 Vgl. zur möglichen Alternative als Straßenkreuzung DWb 11,2186: „eine stelle, wo sich straszen kreuzen, heiszt kurz das kreu^ [...] es stand oft dort ein kreuz". Die Plastizität von Heinrichs Landschaftsdarstellung in dieser Szene würdigt K E E F E als „eines der Stilelemente [...], das seine Dichtung von der anderer Autoren der mittelhochdeutschen Zeit unterscheidet."72 3653-4000 Keie und Gasoein Die Begegnung zwischen Keie und Gasoein wiederholt Motive der vorausgegangenen Auseinandersetzung zwischen Keie und dem Boten des Königs Priure (2632—3176): Keies großsprecherische Ankündigungen, den Kampf gegen einen ungerüsteten Gegner sowie Keies schnelle und schmähliche Niederlage. 3653—3697 Keie auf der Lauer 3673: breisiere zu afrz. brasier, „Kohlenglut" (TL 1,1127),73 nur hier belegt. 3674: eisiere ist wohl reimbedingte Substantivbildung Heinrichs zu eise, „Gemächlichkeit" (Lex 1,534), vgl. afrz. aise, „Behagen, Wohlgefühl, Bequemlichkeit" (TL 1,256 ff.); vgl. auch ->3375 eisieren. 3698—3781 Gasoein reitet vorbei, Keie verfolgt ihn 3702-3714: Die Kleidung Gasoeins entspricht höfischen Modevorstellungen, auch wenn sie in dieser Form normalerweise nicht zum Ausreiten und Kämpfen getragen wurde: Er trägt ein schappel, einen „kranzartigen Haarschmuck",74 der von Männern und Frauen gleichermaßen geschätzt wurde, zu einer sommerlichen Minimalausstattung: Hemd und eine modisch geschlitzte Hose, durch die man seine Beine sehen konnte (meistens waren die Schlitze andersfarbig unterfüttert; wohlgeformte Beine waren aber eines der wesentlichen männlichen Schönheitsattribute, die gerne zur Schau gestellt wurden).75

71

Vgl. LdMA 5, v.a. Sp. 1494 zu Kreuzen als Grenzzeichen; auch DWb 11,2180.

72

KEEFE 1 9 8 2 , S. 4 9 f f .

73 74

Als

75

Vgl. BRÜGGEN 1 9 8 9 , S. 104.

brfse

bei FOERSTER 1 9 7 3 , S. 4 8 . Anm. K N N deutet dagegen „Brauerei". BRÜGGEN 1 9 8 9 , S. 9 5 .

145

3698-3781 Gasoein reitet vorbei, Keie verfolgt ihn

3710: Die hosen von rotem Scharlach sind zusammen mit der Nennung —>6833 ein wichtiger Beleg für die in der Forschung häufig bestrittene rote Farbe des Scharlachs.76 scharlat auch 954, wieder 7719. 3713: stahel belegen die Wörterbücher für „Stahl", vgl. die Ubersetzung von TH („gold spurs that had steel points for sharpness"). Vgl. jedoch — > 5 5 3 2 zur Frage der Deutung als „Stachel". Die Präzisierung „um der Schärfe willen" bezieht sich also entweder auf das Material (Gold ist sehr weich) oder aber auf die Existenz des Stachels. Die Angabe vorn verzichtet wohl reimbedingt auf technische Exaktheit; die Schärfe des Sporns mußte nach hinten wirken, dort war der Stachel (bzw. ab dem 13. Jh. das Zackenrad) befestigt.77 3717 ff.: Nach 3717 wäre besser ein Semikolon anzusetzen, vndergen wirkt im Kontext eigenwillig (vgl. Anm. KNN); ähnlich wie „unterlaufen" oder „hintergehen" (Lex 1 1 , 1 7 8 4 ) drückt es wohl ein Abweichen vom normalen Gang der Dinge aus: Er entgeht dem Frost. 3720: Zu schan^yn („Lied") - > 6 7 4 . 3721: Zu gaudin („waldige Gegend") ->3308. 3736: Zu der Imperativbildung vgl. —>810. 3740: In der Formulierung, ein Ritter der ivch wil („der euch fordert") fällt das in beiden Hss. fehlende Verb auf; wellen mit Akk. ist in dieser Form sonst nicht belegt.78 3750 ff.: Keie droht in metaphorischer Rede: Er spricht Gasoein in dessen Rolle als Liebhaber an; dieser könne jedoch gar nicht so sehr Minnender sein, daß er sich nicht trotzdem zum Kampf bequeme. Als zweite Sprachebene kommt dabei das Spiel mit den Begriffen ho und nider hinein, das die Hohe und Niedere Minne evoziert. Als angeblicher Liebhaber der Königin (Keie weiß um Ginovers Provokation) ist die Fallhöhe für den Hochmütigen eine beträchtliche. 3 7 5 3 mit Anm. K N N ist plausibel; der Komparativ ungemer in Ρ betont den temporalen Aspekt von so, verbunden mit hivte: „Ihr kehrt heute noch zurück, [zu einem Zeitpunkt,] wenn es euch viel schwerer fällt." 3767: hakt zu heln, „verstecken, verbergen" (Lex 1,1242 f.). 3776: sprechen mit Dat. der Pers.: „von einem sprechen" (Lex 11,1112). 3781: vertarnen, „sich verbergen, -hüllen" ist nur hier belegt (vgl. Lex 111,266; BMZIII,16), zu dem ebenfalls seltenen tarnen, „zudecken, verhüllen, verbergen" (Lex 11,1406). Vgl. auch getam ->23587. 76

Ausführlich zu möglicher Etymologie, den verschiedenen Forschungspositionen und zur Herstellung des Scharlachstoffs der Exkurs bei BRÜGGEN 1989, S. 282-285.

77

Vgl. KÜHNEL 1 9 9 2 , S . 2 4 0 .

78

Vgl. lediglich Lex 111,753: „die person, von der man etwas Nib. 2026,3. hört waZ id üwer welle Albr. 31,53)."

ml, im Gen.

(ζ. B.

ναζ weit ir min

3273-5468 Gasoein I

146

3782-4000 Wechselrede und Zweikampf Die folgende Streitrede ist gekennzeichnet durch den Kontrast zwischen Keies Spottrede, einem „Kabinettstück des Sarkasmus"75 und der höfisch gewandten Replik seines Gegenübers. 3791-3795: (= GT 19) „Ein unbescholtener Mann antwortet freundlich auf Böses. Sich durch Schimpfen für Schimpf zu rächen, ist die Art, wie die schwachen Frauen streiten." Die erste Sentenz entspricht einem Gedanken der Bergpredigt (vgl. Mt 5,38 f.; Rm 12,21 noli vinä a malo sed vince in bono malurrP ); vgl. - > 4 0 5 8 ff., - > 4 0 6 5 ; auch Frdk 1 0 7 , 2 - 7 . 8 1 Zu der darauffolgenden Aussage über die Frauen vgl. —>3502 ff.; Iw 5 0 1 2 lät schelten unge^ogeniu wijö; N L 2 3 4 5 : da% envgmt niht beide lip,/ da£ si suln schelten sam diu alten mp? Zu dem Gedanken der Vergeltung durch Gleiches u. a. Frdk 62,24—63,3; vgl. TPMA 10, „Schelten" 10.1: „Wer Tadel mit Tadel beantwortet, will mit Schand (Schaden) vergelten".82 Durch die Verwendung von Sprichwörtern oder sentenzhafter Rede charakterisiert der Erzähler Gasoein als ehrbaren Mann, kontrastiert durch das Verhalten Keies, das so zugleich verurteilt wird (—>3819 ff.). Zu der Kontraktion geit ( 3 7 9 4 , normalisiert git) zu geben vgl. Mhd. Grammatik § 109. 3819: ( 3 8 1 9 - 3 8 3 1 = G T 2 0 ) Die beiden Lesarten P / S C H Gaher muot bzw. Hoher muot (V/KNN) lassen zwei voneinander abweichende Aussagen entstehen. Die folgenden Bilder illustrieren wohl eher den hohen muot, zu beiden Varianten gibt es reichlich Parallelen. Zu dem gaben muot vgl. z.B. —>3904 f., auch —>6141 f.; zu der Sentenz vom überstürzten Handeln vgl. u.a. Frdk 1 1 6 , 2 1 f.: Utirehtiu geehe schaden tuot,/ rehtgebite diu istguot, Frauenlob, >Sprüche< 2 7 0 , 1 3 : Ze gäch wil afternuive. Vgl. TPMA 2 , „Eile" 3 . 3 : „Zu grosse Eile schadet". Zum Hochmut vgl. ErH 1229 ff.: unrehter hochmuot/ Dem manne lihte schaden tuot, ebenso >Meleranz< 6 5 6 7 : Wan da% großer übermuot/ Dicke den liuten schaden tuot·, vgl. TPMA 6, „Hochmut" 5.5: „Hochmut tut nichts Gutes, sondern schadet nur". 3820-3831: Die Bilderfolge dient als Exempel für die sprichwörtliche Mahnung vor hohem muot, der nur zu leicht betrogen werden kann, solange er 79

MEYER 1 9 9 4 , S . 9 5 .

80 81 82

„Laß dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!" Vgl. ShRM; TPMA 10, „Schlecht" 6.11.3: „Böses mit Gutem vergelten". Diese Stelle kommentiert M E Y E R 1994, S. 95: „Die zwischen Spottrede und höfischer Antwort des Ritters eingeschobene Didaxe [...] wirkt redundant. [...] Die Sentenz ist also nicht Ziel der Darstellung, sondern Füllsel: Versatzstück aus einem Sentenzenkatalog, das bei passendem szenischen Anlaß eingeschoben wird. Dies mag noch ein Reflex des Erzählmusters mare sein, hat bei Heinrich jedoch Methode. Die Grammatik des gattungstypischen Erzählens gerät so ins Bild."

3782-4000 Wechselnde und Zweikampf

147

sich seiner sterch zu sicher ist: So läßt sich der Löwe von einer Katze (bzw. der Löwin?) kratzen und erschrecken, so widersetzen sich viele Wildvögel dem Uhu, und es ist kein Frevel, wenn die Meise auf den Reiher losgeht, auch wenn sie seine Stärke und Wehrhafügkeit sonst nicht abwehren kann. Ironische Zusammenfassung dieser Bilder ist die Vorstellung, daß ein Mann ein unbewaffnetes Heer wohl schlagen könnte. Vgl. zu der zugrundeliegenden Sentenz z.B. Iw 2477 f. ist vehtenneguot/ da niemen den widerslac tuof), weitere Parallelen ShRM. 3 8 3 6 - 3 8 3 8 : ( = G T 2 1 ) „Wieso sollte sich einer ( - Keie), der sich selbst grundlos betrügt, beklagen, daß er Schaden davonträgt?" Mit dieser rhetorischen Frage betont der Erzähler ein weiteres Mal, daß Keie die folgende, für ihn unangenehme Situation selbst verursacht hat. 3852 f.: Das Bild der wage findet sich in ähnlichem Kontext — > 2 6 4 3 f. 3854 ff.: Keie stellt als erster die Frage nach Gasoeins Namen, die auch die weiteren Begegnungen durchzieht und regelmäßig zum Kampf fuhrt. Das Schema „Namensfrage — Weigerung — Kampf findet sich z.B. auch in dem Kampf Gawein-Parzival in >ParzivalErec< in den Kämpfen Erecs gegen Mabonagrin und Guivreiz; der Besiegte muß sich jeweils offenbaren. 3856 f.: Zur Argumentation vgl. Ps 144,9 (suavis Dominus universis et miserationes eius super omnia opera eius);83 TPMA 11, „Sünde"8.3.1: „Der Tod ist die Strafe der Sünde", Nr. 272 f., 276-282: „Die Gnade Gottes ist das ewige Leben" 3858-3866: (= GT 22) Die beiden Bilder von der starken Eiche, die sich vom lauen Wind nicht irritieren läßt,84 sowie vom Hagel, der nicht weiter stört, wenn er an einer Stelle niedergeht, an der er keinen Schaden anrichten kann, sind dem Mann zu vergleichen, der zwar viel redet, aber wenig handelt. Vgl. Mt 23,3: secundum opera vero eorum nolite facere/ dicunt enim et non faciunt,85 ebenso Frdk 1 2 3 , 1 6 f.: Schaniu wort enhelfent niht,/ so man der werke niht ensiht, Lanz 2 4 5 2 : wan mich nie nihtes so verdroß/ so guoter rede äne were. Der Topos findet sich z.B. wieder 4 1 6 6 ff. in der Forderung zum Kampf, ebenso 2 5 2 6 0 25263.

3873 ff.: Mit dieser geradezu pathetischen Replik weist Gasoein die Drohungen Keies zurück — indem er in der 1. Pers. PI. spricht, stellt er sich in eine Reihe mit den ehrenhaften, den Codex befolgenden Rittern. Heinrich 83 84 85

„Der Herr ist gütig zu allen, sein Erbarmen waltet über all seinen Werken". Vgl. die Parallelen in ShRM; dagegen allerdings TPMA 2, „Eiche", 4: „Die große Eiche wird (vom Wind) eher gefallt als kleine, biegsame Pflanzen." „Aber richtet euch nicht nach dem, was sie tun; denn sie reden nur, tun selbst aber nicht, was sie sagen".

3273-5468 Gasoein I

148

zeichnet in der gesamten Furtepsiode Gasoein als höfischen Idealritter, der den Artusrittern und selbst Artus (—>4407) überlegen zu sein scheint. 3882-3887: Die sehr allgemeine Aussage, daß zum Kampf Sieg und Niederlage gleichermaßen gehören, findet sich sehr häufig, vgl. —>6163 ff., —>7853-7866; daneben Tr 369 ff, JTit 2035 f , Pz 597,6, Dan 5400 ff, >Girel< 13108; >Tandareis< 13848. Vgl. auch TPMA 6, „Kampf 2.3: „Gewinnen und verlieren gehören zum Krieg"; TPMA 4, „Ritter" 2.6: „Ritterschaft bedeutet Gewinn und Verlust". 3 9 0 1 — 3 9 0 9 : ( = G T 23) „Oft entscheidet man sich im wan für etwas, das man danach gerne wieder los würde, wenn man könnte. Wer es mit einer Sache zu eilig hat, den kann es gereuen; denn niemand sollte sich auf die triwe zu Beginn verlassen, sondern immer erst abschätzen, wie das Ende dazu aussehen wird." Zu der in diesem Erzählerkommentar zu Keies Kampfbegeisterung enthaltenen Sentenz 3904 ff. vgl. —>3819 und —>6141. ShRM verweist zudem auf 5801 f , 6141 ff, 7560 f , 17978 ff, 26322 f. und 26476 ff. Vgl. auch Frdk 116,21; TPMA 2, „Eile" 3: „Zu grosse Eile ist unangebracht und bringt Nachteil", ebd. 3.5: „Zu grosse Eile bringt Reue". Zu 3906 ff. vgl. —>3609-3612, 6147 f , ->8362 ff, ->14824-14832 und ->19172-19177; die Stelle ist aufgenommen in TPMA 2, „Ende" 1.3.3: „Man bedenke bei allem das Ende". 3951 f.: „Wenn man durch Drohungen sterben könnte, hätte ich nicht so lange gelebt." Zu dieser Anspielung auf eine Sentenz vgl. —>26959 f.; ErH 8693 ff.: und Wolde er immer vertagen/ von basen geheimen, von starker dm,/ so ware er vertaget do. Vgl. auch >Tandareis< 5683, 9278; TPMA 2, „Drohen" 10: „Drohungen verletzen und töten nicht". Mit dem Vorwurf 3963 f. und der abschließenden ironischen Bemerkung, Keies Schläge würden ihm wohl den gewissen Tod bringen (3973 ff.), fordert Gasoein diesen nun endgültig zum Kampf, der nach einer kurzen beleidigten Replik Keies stattfindet. 3963 f.: Der Vergleich der Zunge mit einem Schwert (wegen ihrer flachen und spitzen Form) ist konventionalisiert, vgl. Sir 28,22 (dt. 28,18), Ps 56,5 und Prv 25,18 die Aussagen über die lingua gladius acutus·, positiv gewertet findet sich der Vergleich in Is 49,2 (Verteidigung der Wahrheit gegen den Irrtum). Wieder aufgegriffen wurde das Bild u. a. von Neidhart, WL 32, VII,11 (von Wankelbolt, der dem Sänger michel ungemach zugefügt hat, heißt es: er snidet mit der %ungen)\ Muskatblut verwendet das Bild in Lied 79 mehrfach: 79,1,11 und 1,13 (dyne vgtnge die snjdet durch das ferch die lenge und twerch), ebenso 111,41 f.: die %unge die sticht, die %unge die bricht beide stal vnd da^jsen.*6 Vgl. ShRM; TPMA 13, „Zunge" 7.6: „Die Zunge verletzt schlimmer, ist und schneidet 86

Vgl. auch RUBERG 1 9 7 8 , S. 83.

4001—4236 Gales und Gasoein

149

schärfer als (scharf wie) ein Schwert (ein Messer, eine Lanze)"; TPMA 13, „Wort" 34,31: „Worte schlagen und verletzen mehr als Schwerter (Messer)"; ebd. 31,32: „Messerhiebe heilen im Gegensatz zu bösen Worten". 3987—4000: Gasoein sticht Keie innerhalb von vierzehn Versen vom Pferd, diesen sind hingegen ca. 200 Verse Streitgespräch vorangegangen. Zur Differenz von Worten und Werken vgl. —>3858 ff. 4001—4236 Gales und Gasoein 4013: Die Passage drückt die Ungeduld und Unzufriedenheit des Gales aus; dementsprechend läßt sich vielleicht die Lesart V beibehalten, wenn er in Vers 4013 auf Gales bezogen wird. Gales wünscht (vgl. Anm. KNN), der Ritter möge kommen, oder aber er selbst könne schnell (fort-)reiten (vgl. Lex 1 1 , 4 6 3 „sich fortbewegen, aufmachen"), entsprechend dem Anschluß IVan

(4014).87

4026 ff.: Es wird „ein zweiter Schauplatz evoziert, der von dem ersten aus nicht sichtbar ist, der aber mittels des Schalls gleichsam ins Leben gerufen wird."88 Diese Vorgehensweise verwendet Heinrich mehrfach, vgl. u.a. 9211 ff., 9261-9272, 9329-9332, 13517 f., 20819 ff. 4058-4061: „Das sind zwei gleiche Löhne, wenn Gutem Gutes zuteil wird; doch geschieht es manchem, daß ihm Böses auf Gutes zufällt." Vgl. u.a. —>3006f., —>3791-3795, 4065, 4177, ->6083 f., ->29679f.; Frdk 107, 2-7; ShRM; TPMA 5, „Gut (Adj.)" 7.17.1: „Man soll Gutes mit Gutem vergelten". Die Sentenz verweist auf den weiteren Verlauf der Begegnung zwischen Gales und Gasoein: Gales erhofft sich, seinen Auftrag durch Schmeicheln erfüllen zu können {guot wider guot, des gert er 4065), Gasoein jedoch reagiert mit Kampf, in dem der Tafelrunder schmählich unterliegt. Das Mittel der reduplicatio, das Heinrich 4059—4066 in den insgesamt sieben Nennungen von guot verwendet, um das höfliche Auftreten des Gales zu unterstreichen, nutzt er z.B. ähnlich —>7514ff. 4065 f.: Die Sentenz 4065 wiederholt den Gedanken aus ->4058 ff.; vgl. —>3791-3795, auch 6084 Guot prüevet nuor guot, 29679 Ein guot suochet ander guot. 4066 gehört zu einem aus dem romanischen Sprachraum stammenden Sprichwort; vgl. ShRM, TPMA 5, „Gut (Adj.)"4.3.6: „Eine Wohltat ruft die andere hervor (verlangt nach Vergeltung)". Vgl. auch —>4177 f. 4070: gehofi zu hoven, „höfisch erziehen u. bilden" (Lex 1,1364 f.). 4093 ff.: Zu Namensfrage und Weigerung ->3854 ff. 87 88

Dagegen Anm. KNN, reiten verlange ein Akkusativobjekt. Zu diesem Gestaltungsmittel KEEFE 1982, S. 217-234, Zitat S. 223. Die angeführten Belege sind wohl nicht alle stichhaltig.

150

3273-5468 Gasoein 1

4109: Das Farbadjektiv snegreise ist ansonsten nur noch einmal belegt, möglicherweise ein Neologismus Heinrichs.89 Vgl. auch —>976. 4144 f.: (= GT 24a) „Das Glücksrad ist beweglich und rund". Zu dem zugrunde liegenden Sprichwort vgl. u.a. TPMA 5, „Glück" 3.1.2.1: „Das Glücksrad dreht sich, und Fortuna dreht das Rad und sich mit ihm", ebd. 3.2: „Das Glück ist rund (wie ein Ball, eine Kugel)"; vgl. die ausfuhrlichen Belege bei ShRM; interpretierend MEYER 1994, S. 96.90 Zu den Vorstellungen von Saide im Roman vgl. v.a. 5965-6094 (->5965 ff.), 15823-15931, auch —>25192-25223. Vgl. auch die Beschreibung des Rads Wig 1040-1047; Gau 4982 f. gelücke ist oft sinewel,/ hiute nider, morgen hoch. 4152 ff.: Die Deutung in ANM. KNN bezieht jenen auf den %agen, dagegen steht alternativ die in Sentenzen verbreitete Vorstellung, den Feind durch zu viele Drohungen noch zu stärken; vgl. T P M A 2, „Drohen" 12: „Wer dem Feind droht, warnt ihn." 4156-4161: (= GT 24b) „Den Feigling erkennt man an seiner lauten Antwort. Wenn ein Jäger das Wild nicht rechtzeitig an seiner Spur erkennt, muß er lange hinter ihm herlaufen, bis es gefangen wird." Die Sentenz ist herausfordernde Beleidigung des Gegners. Vgl. zum Drohen als Ausdruck von Feigheit —>3864f., —>3951 f., sowie die Fortführung des Gedankens 4162 ff. Auch ErH 9061 f.; >Roman de Brut< 4148: Ε tel ad poür ka manace;" vgl. ShRM; TPMA 2, „Drohen" 2: „Drohungen zeugen von Furcht". Daneben bezieht sich das Bild vom Jäger auf die folgende Aussage, daß man besser gleich handeln solle, statt erst lange zu warten (vgl. —>3858 ff.). 4162-4167: Hinter diesen Aussagen steht ebenfalls eine Sentenz; vgl. TPMA 2, „Drohen" 6: „Drohende fechten und beissen nicht immer"; auch —>3858-3866, ->4568 f., WGast 13385-13394, Frdk 123,20 ff. 4177: (= GT 24c) „Böses reizt nur zu Bösem". Zu der möglicherweise Heinrich zuzuschreibenden Sentenz vgl. ShRM (ohne Parallelen), auch die beiden Umkehrungen ->4066 ff. und ->29679. 4229: Ein spann (Handspanne) entspricht ca. 20-25cm (—>9445).

89 90 91

Vgl. Lex 11,1028; ZfdA 7(1849), S. 325: In „Altdeutsche Beispiele, III: Die Blume und der Reif' spricht der Erzähler vom Altern als dem Werden einem snegrisen man. Allerdings spricht hier Gasoein, nicht Gales, wie M E Y E R für seine Interpretation voraussetzt. „Und derjenige hat Angst, der droht".

4237—4320 Aumagwin und Gasoein

151

4237-4320 Aumagwin und Gasoein Die Begegnung des dritten Artusritters mit Gasoein verläuft nach demselben Schema wie die beiden vorhergegangenen; Aumagwin verhält sich offenbar ähnlich höflich wie Gales. Die Episode wird stark gerafft berichtet und verzichtet auf Dialog und direkte Rede. 4244—4246: Aumagwin selbst war es, der Artus zu dem nächtlichen Ausflug geraten hatte (3571-3625). 4247: Zu gavdin („waldige Gegend") ->3308. 4278: Die Ortsangabe bei dem Swarben Dorn ist exakte Übersetzung von Noirespine (->3424). 4292 ff.: In einem Gewässer landet auch Galaas im Kampf gegen Gawein (9908 ff.); allerdings vermag sich dieser aus eigener Kraft zu retten. 4303 ff.: Zu der realitätsnahen Beobachtung, daß Aumagwin nur deshalb nicht erfroren sei, weil er vom Kampf erhitzt war, vgl. v. a. die Ausführungen über des toumes nesgen 6682 (—>6663 ff.).

4321-5080 Artus und Gasoein Die gesamte Begegnung zwischen Artus und Gasoein läßt sich charakterisieren als „eine auffällig mißlingende Kommunikation": 92 Beide haben sich gegenseitig gesucht, erkennen sich aber nicht. Durch Artus' Vorwurf, Gasoein habe die Pferde durch Diebstahl erbeutet, ergibt sich von Anfang an eine Schieflage der Situation, die durch Gasoeins Anrede des Königs als Zögling eines vilan (4413) verstärkt wird. Die unterschiedliche Einschätzung des „Erfahrungswissens" der Kontrahenten sowie des Publikums deutet RINGELER als „Heinrichs 'Relativitätstheorie' der Wahrheit". 93 So wie Artus hier als aktiver Kämpfer auftritt, kämpft er auch selbst Dan 2969-3071, Gau 2071-2093, >Flordimar< 35 ff.; vgl. auch die Frage, ob er als schevalier errant ausziehen solle, um die geraubten Kleinodien zurückzuerobern (—>25836 ff.).

92

Vgl. RINGELER 2 0 0 0 , S. 2 3 2 .

93

RINGELER 2000, Überschrift zu S. 232 ff.

152

3273-5468 Gasoein I

4321—4633 Wechselrede I: Namensfrage 4321-4381 Artus auf der Lauer: Nachdenken über Ginover 4330 f.: Die Terminologie, mit der der in die Nacht lauschende Artus beschrieben wird, gemahnt an das Bild eines Hundes, der seine Ohren in die verschiedenen Richtungen stellt - der frierende König wird so verstärkt zu einem karikaturartigen Gegenbild des perfekten Minneritters. Sein Zweifeln an Ginovers Treue setzt sich ab 5081 ff. fort. 4 3 3 5 - 4 3 3 7 : ( = G T 24d) „Man sagt, der Mann gewinne hohes Ansehen aus seinen Mühen" - mit dieser Anspielung auf eine Sentenz versucht sich Artus zu trösten. Vgl. ErH 2527 f. (wer bejagete noch ie/ mit släfe deheitt ere?) und 4101, Wig 72, 2873 f., 2880 ff. (swer sich an eren wil erholn,/ der muoζ benamen kumber doln/ und underwilen arbeit), >Meleranz< 2640; Frdk 92,5-7; >Frauendienst< 1069-1076. Weitere Parallelen ShRM; TPMA 2, „Ehre" 5.4: „Ehre und Arbeit"; TPMA 9, „Ruhe": „Wer ruht, kann keine Ehre erlangen". 4336-43Φ4: Diese Aussagen über die Art der Frauen, die ihre Gedanken nicht für sich behalten können, stehen in engem Kontext mit denen in —>3439 ff., —>3474 f. und ->3483 ff. 4346: nature wird noch häufiger für bestimmte Eigenschaften verantwortlich gemacht (—>7913). 4 3 5 2 ff.: Der Gedanke „denn von ihnen kommt alle Freude, deshalb soll man ihnen ihre Reden nachsehen" spielt auf eine Sentenz an, vgl. TPMA 3, „Frau" 3.1.5: „Die (gute und schöne) Frau ist der Inbegriff der Quelle der Freude (für den Mann)". Vgl. auch ähnliche Aussagen —>231 ff., 4374 f.; zudem Wig 2097 f. (wan swa% diu werlt vreude hat,/ diu kumt uns von den wiben), ähnlich ebd. 2392 f., 5400 ff., 9702 ff, 10463 ff.; Frdk 106,4-7; JTit 1953. 4 3 6 4 — 4 3 6 6 : Ähnlich wie z.B. im >Tristan< wird hier ein Schwanktyp verwendet, und zwar der der „Ehelichen Kraft- und Treueproben", entsprechend FISCHERS Themenkreisen.94 Interessant erscheint dabei die thematische Verschiebung durch die Verharmlosung, die mit dem vorliegenden Ablauf einhergeht: Artus ist wohl gefoppter Ehemann, der Betrugsvorwurf gegen Ginover bleibt jedoch auch später in der Schwebe.95 4 3 7 4 f.: ( = G T 24e) „Viele Frauen mühen sich, ihren Freunden die Freude zu zerstören" — eine weitere Aussage über wtbes art, die zu Artus' Versuchen zählt, sich mit Hilfe von Sentenzen über Ginovers Beweggründe klar zu werden (vgl. ->231 f,-> 4338 ff., ->4352 f.). 94

Vgl. FISCHER 1 9 8 3 .

95

MEYER 1994, S. 96 f. sieht hier eine Anleihe an die Gattung Maere, das scheint recht weit gegriffen.

4382-4573 Herkunft der Pferde, Namensfrage

153

4382-4573 Herkunft der Pferde, Namensfrage 4384 f.: Die von KNN (Anm. zu 1617) vorgeschlagene Anpassung von montanye an die afrz. Form montaigne („Gebirge", wie in 1617 montayne) wird hier auch vom Reim gestützt: lies 4 3 8 5 plaine zu afrz. plain („Ebene", auch 2 0 1 0 6 ) . Zu dem ans Publikum gerichteten Imperativ Nv seht —>7081. 4407: Der Vorwurf des Diebstahls als Begrüßung rückt die ganze folgende Unterhaltung in ein schiefes Licht; anstelle von Artus ist es der fremde Ritter, der besonnen und maßvoll reagiert. 4413: Den ehrenrührigen Vergleich mit einem Bauern zur Kränkung des Gegners nutzt Heinrich auch 5175, 5756 f., ->10757 ff. 4416: nachtroub und nachtroubcere 4421 sind nur hier belegt, vgl. Lex 11,26 f. 4432: Das Pron. seu (= siu, 3. Pers. PI. neutrum im Akk.) weist bereits die nhd. Diphthongierung auf; vgl. Mhd. Grammatik § 77. 4435-4437: Mit diesem Richtspruch kommt der König dem Verlangen seines Gegners nach, der von Artus gerichtet werden will (4422 ff.); da dieser den König jedoch nicht erkennt, erscheint die Aussage als weitere Anmaßung und Provokation. 4460 ff.: Zu wage —>2643 f. Die folgenden, väterlichen Unterweisungen über rechtes Fragen, verbunden mit den Ausfuhrungen über mißratene Zöglinge 4464—4473, gemahnen durch Thema und Geduld des Lehrers u.a. an die Ritterlehre, die Perceval/Parzival durch Gornemant/Gurnemanz erhält, vgl. CdG 1597—1651 (die praktische Unterweisung ging voran) bzw. Pz 170,10-173,6, v.a. 171,17ff.; CdG 1499ff. fragt Perceval in diesem Zusammenhang auch nach dem Namen seines Lehrers. In der Mischung aus dem Vorwurf mangelnder %uht und bäuerlichem Umfeld (4409 ff.) zusammen mit der (rhetorischen) Frage, ob Artus jemals Ritter gesehen habe, klingt zudem die erste Begegnung Parzivals mit den Rittern in Soltane an (vgl. auch —>6375-6393). 4468: Zu widerbruhtig („widersetzlich, ungehorsam") —>3372. 4531—4534: „Man gibt zu Recht, was man so gewinnt, wenn er [= der Bittende] es freundlich und als Geschenk jemand anderem zugedacht hat." Eine weitere Variation zu dem Thema des beteleichen biten, vgl. —>1033 ff. Zu geit (= „gibt") auch ->3791-3795. 4544 f.: Während sich Gasoein hier, dialektisch geschult, mit einer spitzfindigen Leerformel als Scherzantwort aus der Affäre zu ziehen versucht, wehrt er später den Vorschlag, gelerten herren (10791) die Entscheidung zu überlassen, mit seinem Mißtrauen gegenüber eben dieser Dialektik ab (vgl. 10803 ff.). 4552: Zu widerbruht („widersetzlich, ungehorsam") —>3372.

154

3273-5468 Gasoein I

4568 f.: (= GT 24f) „Drohen und lautes Reden ziemt sich nur für Frauen". Vgl. die Parallele ->3791-3795, auch 4338 ff. zu der weip sinne. Vgl. TPMA 2, „Drohen" 1: „Drohungen zeugen von Torheit und kindischem (weibischem) Verhalten". Gasoein greift hier die Feigheitsvorwürfe gegen die Artusritter auf, die bisher gemacht wurden (vgl. —>3858 ff., —>3951 f., —>3963 f., ->4156 f., ->4162 ff.). 4574-4633 Zweikampf Zu der Tatsache, daß sich Artus nun tatsächlich auf einen Zweikampf mit dem ihm völlig Unbekannten einläßt, vgl. u.a. JILLINGS 1 9 7 6 ; SCHNELL 1 9 8 1 . 4600 f.: schiel für „Splitter" ist neben der >Crone< (auch 5529, 6789, 9750, 11908, vielleicht auch 21456) vor allem für die Heldenepik belegt; vgl. Lex 11,725. Zu samen als Bezeichnung des Kampfplatzes —>2995. 4614: Da erst 4620 f. die Schwerter gezogen werden, muß diese Beschreibung wohl auf den ausklingenden Speerkampf bezogen werden, was recht ungewöhnlich ist: Das von den Helmen stiebende Feuer ist ein Topos des Schwertkampfs, woran sich Heinrich im weiteren Romanverlauf auch hält (so 7884, ->11902ff., 15540 und 28041 ff.). Vgl. z.B. >Rolandslied< 4812 f. ( d i f i u r e s funchen den helmen Sprüngen)·, Pz 537,21 (helmes fiur). 4615 ff.: Mit ähnlichen Worten werden die Folgen des Speerkampfes z.B. —>9885 ff. beschrieben. 6424: Die afrz. Bezeichnung barbier (zu barbe, „Bart", also ein Kinnschutz) nennt Heinrich nochmals 6433; daneben findet sich für den Gesichtsschutz des Helms der Ausdruck fintaille (—>2846). 4626 ff.: Daß Artus mit Gottes Hilfe dieser ernsten Gefahr entrinnt, wird sogleich relativiert — es ist auch seiner eigenen Geschicklichkeit zu verdanken (4630 ff.). 4630 ff.: ern bzw. in 4632 bezeichnen noch den slak 4623. 4634—5080 Wechselrede II: Artus und Gasoein als Rivalen 4634—4700 Erneute Frage nach dem Namen 4634 ff.: Es bleibt eine Besonderheit der Figur Gasoeins, daß seine Qualitäten als Kämpfer nie ohne Vorbehalt zum Ausdruck kommen: In den nächtlichen Furtkämpfen erscheinen seine Gegner durch seine fehlende Rüstung gehemmt (bzw. Keie wird als Gegner nicht wirklich ernst genommen); dem Gerichtszweikampf weicht er aus, und Gawein nimmt schließlich ebenfalls übertriebene Rücksicht auf ihn und versucht, den Schein der Ebenbür-

4701—4778 Gegenseitige Vorstellung

155

tigkeit zu wahren. Im Unterschied zu den Artusrittern bleibt die Figur Gasoeins dadurch recht unbestimmt. 4678: in bezeichnet den riter 4676. 4686: Zum Bild der wage -»2643 f. 4696 ff.: Die Orientierungslosigkeit Gasoeins in der Artuswelt verstärkt den Befund der Gattungsfremdheit; als Personifikation einer Minnesangsrolle erscheint Gasoein somit als Figur aus einer anderen Welt (auch —> 3395— 3427). 4701-4778 Gegenseitige Vorstellung 4701 f.: (= GT 25) „Wer findet, was er sucht, dem hat Fortuna gut geholfen." Sentenzkommentar des Erzählers (vgl. ShRM): Die Fahrt der beiden Männer ist an ein Ende gekommen, beide haben den gefunden, den sie gesucht haben. Saelde hat Gasoein bereits selbst erwähnt (—>4144 ff.), auch Artus nennt sie 4712. 4703: Die Lesart V ist gut verständlich („so wie sie es den beiden widerfahren ließ, denn es war beider Wunsch, daß sie einander finden möchten"); das unspezifische dise red wird in den beiden folgenden Versen erläutert. Der Einwand Anm. KNN erscheint schwer nachvollziehbar; für die Konjektur KNN müßte wohl zusätzlich das Demonstrativpronomen dise an den Dat. PI. angepaßt werden (dise» rekeri). 4714 ff.: Gemäß dem Schema von Namensfrage — Weigerung — Kampf (—>3854 ff.) wäre die Namensnennung des Königs als Eingeständnis seiner Niederlage zu werten; der offene Kampfausgang deutet jedoch eher auf ein Abweichen Heinrichs vom Schema hin. 4749 ff.: Die sonst nirgends überlieferte Stirnnarbe als Erkennungszeichen für Artus96 hat eine Parallele in der Identifikation des irren Iwein anhand einer Narbe durch die Dienerin der Dame von Noroison (Yv 2892 ff.; Iw 3378 ff.). Vgl. auch den 23. Gesang der >Odyssee3395-3427. Aufgrund der dort aufgeführten Parallelen ist der Form Gasoein eindeutig der Vorzug zu geben. 4779^4888 Gasoein beansprucht Ginover für sich 4779-4793: Das aufscheinende Rash-Boon-Motiv hatte Heinrich zuerst im Rahmen der Becherprobe sentenzhaft behandelt (—>1033-1039). Diese bedingungslose Zusage des Artus, eine wie auch immer geartete Bitte zu erfüllen, erscheint hier im Zusammenhang mit der schließlich folgenden Ginoverentführung in ihrem angestammten Kontext, allerdings geht es abgeschwächt um die Bitte um freie Rede, ähnlich Lanz 4980-91. Iw 45304610 hingegen führt diese Blankozusage zur Herausgabe Ginovers an ihren Entfuhrer.100 4785: Die Formulierung hin 37ν sprechen erscheint untypisch umständlich für V; wäre hint/heint („heute nacht") statt hin zu lesen (so auch 3767, 3957, 4087, 5239 u.ö.)? 4818: Zu der Formulierung der rede vrei —>2706 f. 4820 ff.: Daß Gasoein der Tradition so fern steht, daß er nicht die Absurdität seines Vorwurfs gegen Artus erkennt, verwirrt diesen offenbar so sehr, daß er an seiner Einzigartigkeit zu zweifeln beginnt. 4839 ff.: Das Argument der Verlobung im Kindesalter, das Gasoein anführt, um seinen Anspruch auf Ginover zu untermauern, bringt auch der Entführer Valerin Lanz 4992 ff. zur Geltung: Er kommt an den Artushof und behauptet, er solde/ Ginoveren billicher hän/ danne Artüs äne wan,/ wan siu im gemehelt ware,/ e siu wurde htbcere (Lanz 4992 ff.). 4840: Die nahtweiden, „nächtliche Jägerinnen",101 sind wohl den gebräuchlicheren nahtvarn, „Nachtfahrerinnen", zuzuordnen, die „gewissermaßen die volkstümlichen Parzen" sind.102 Entgegen der Angabe Lex 11,29 sind sie auch 99

„Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht." 100 Grundlegend zu diesem Motivkomplex FRAPPIER 1969. Vgl. auch BRANDT 1990. 101 weide zu ahd. weidön, „weiden, jagen", altn. veiöa „fangen, jagen, erlegen"; vgl. nhd. „Weidmann". 102 Vgl. KERN 1998, S. 436; auch der Artikel „Nachtfahren und Nachtfrau" in HWdA 4.

4779—4888 Gasoein beansprucht Ginover fur sich

157

noch bei Ulrich von dem Türlin bezeugt (>Arabel< CLXIII.3 f.). -»9529 bildet Heinrich analog waltweiden. Auffällig ist „das Motiv der Schicksalsprophetie, derer diese Hexen fähig sind (Macbeth-Motiv), oder vielmehr eben das der Schicksalsinstanzen, das sie darstellen."103 MEYER versteht den Begriff als Anspielung auf die Jugend Lancelots bei den Feen,104 MENTZEL-REUTERS beurteilt Gasoeins Argumentation als ein Abgleiten in mythische Bereiche, in denen juristisches Argumentieren unmöglich sei.105 4843: Cupido, Amor (4953) und Venus (10830) werden als „Götter" Gasoeins vorgestellt, sie illustrieren das ungehiure seiner Liebe zu Ginover. Vgl. ähnlich Pz 532,1—6: Manec min meister sprichet sS,/ da^Amor unt Cupido/ unt der %weier muoter Venus/ den liuten minnegebn alsus,/ mit geschähe und mit fiure./ diu minne ist ungehiure. Vgl. auch Amurfinas Klage gegen diese Instanzen 17251 ff. Die antiken Minnegötter dienen zur Rechtfertigung der Gasoeinliebe, deren literarische Gestaltung Züge aufweist, die nicht zur Deckung kommen können (Minnesänger und Vergewaltiger).106 Die Brüder Amor und Cupido finden sich als Söhne der Minne auch in >Der wilde Alexander und >Die Minneburg< (vgl. LdaG, 61). 4858 ff.: Der hier zum ersten Mal genannte Gürtel dient als wichtige Klammer zwischen den verschiedenen Handlungssträngen des Romans. Er verknüpft die Handlung um Gasoein, Sxlde und Garanphiel/Fimbeus, damit zugleich auch Artus- und Gaweinaventiuren miteinander. Diese Konstruktion zeigt einerseits die durchgängige Planung und Ausfuhrung des Romans, hat aber auch einige Schwachstellen - nicht nur, weil sie teilweise eher schwach motiviert ist, sondern auch, weil Brüche in der Logik bleiben.107 In den Gürtel hatte Garanphiel für Fimbeus einen wunderkräftigen Stein eingearbeitet, der seinen Träger unbesiegbar macht und ihm eine unwiderstehliche Ausstrahlung verleiht.108 Im Auftrag Ginovers hatte Gawein den Gürtel 103

KERN 1 9 9 8 , S. 4 3 6 , A n m . 7 9 2 .

104

V g l . MEYER 1 9 9 4 , S. 9 8 , A n m . 1 2 9 .

105

MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S . 1 6 1 .

1 0 6 Vgl. auch KERN 1 9 9 8 , S. 4 3 7 f.

107 Trotzdem legt WALLBANK 1965, S. 306 die Gürtelhandlung sogar ihrer Gliederung zugrunde. 108 GOUEL 1993, S. 156 assoziiert den Stein mit dem „Stein der Weisen", den die Alchimisten künstlich herzustellen versuchten. Dabei zitiert sie GLANZENMÜLLER 1977, S. 183, der eine Reihe von Wirkungen aufzählt, die diesem lapis philosaphorum zugeschrieben wurden, und die sich in der Handlung um den Gürtel wiederfinden lassen: „Wer den Stein bei sich trägt, dem kann niemand widerstehen. [...] Während einer Gerichtsverhandlung unter der Zunge gehalten, bringt er den Prozeßgegner zum Schweigen. [...] Wird er, in ein dünnes Tuch genäht, um den Leib getragen und fest an den Körper gedrückt, so daß er warm wird, so trägt er den Menschen hoch in die Luft, wohin er will, will er wieder niedersteigen, so zieht er nur den Stein vom Körper wieder weg" (vgl. den schwebenden Ritter auf dem Bock

3273-5468 Gasoein I

158

Fimbeus v o r Romanbeginn im K a m p f abgenommen, seither wird er v o n Garanphiel mit Haß verfolgt, was sich in zwei Handlungsteilen niederschlägt: 1 4 9 2 7 - 1 5 9 3 1 der Besuch G a w e i n s bei Garanphiel und Fimbeus sowie bei Saelde, sowie 2 2 5 0 2 - 2 8 2 6 1 Verlust und Wiedereroberung der Sxldenkleinodien. Dadurch daß das G ü r t e l m o t i v zwar häufig erwähnt wird, jedoch v.a. durch Rückgriffe auf G e s c h e h e n v o r Beginn des Romans sowie durch teilweise unklare Besitzverhältnisse f ü r Verwirrung sorgt, hat es w o h l wesentlich dazu beigetragen, w e n n d e m R o m a n ungeordnetes Erzählen v o r g e w o r f e n wurde. Die Rolle des riemen im Romanverlauf: 109 Vor dem Einsetzen der Romanhandlung: 1. Die Schwestern Garanphiel und Saelde verfertigen den Gürtel mit Stein für Fimbeus, den Liebhaber Garanphiels (berichtet 4 8 8 5 ^ 8 8 8 , 14990-15000, 2 3 2 2 3 23279). 110 2. Fimbeus präsentiert den Gürtel am Artushof und bietet ihn Ginover unter offenbar zweifelhaften Bedingungen als Geschenk an (23357-61, v.a. 23347: sie wolte in niht minnen), das sie nicht annimmt (berichtet 23280-23377). 3. Ginover will den Gürtel trotzdem haben; Gawein erringt ihn in ihrem Auftrag im Einen tac unde eine naht währenden Kampf gegen Fimbeus (berichtet 14937-14989, 23378-23417, erwähnt außerdem in Gaweins Tatenkatalog 9039 ff., 24362 von Keie als stra^enroup bezeichnet). Während des Kampfs wird der Stein aus dem Gürtel getrennt; es bleibt unklar, ob Gawein den Gürtel mit oder ohne Stein an Ginover weitergereicht hat. 4870 ff. beschreibt Gasoein die wunderbaren Kräfte des Gürtels, so daß der Stein noch im Gürtel sein müßte; 14976 f. wird hingegen von Gawein gesagt: Den stein hat er alle tvege/ Βί ime in gewisser p f l e g e t Nicht berichtet wird, wie der Gürtel in Gasoeins Besitz gekommen ist, einzige Aussage ist die Gasoeins 4868 ff. 25507 ff.). An anderer Stelle identifiziert sie den Stein allerdings wegen der ihm zugeschriebenen Eigenschaften mit einem Opal, ohne nochmals auf ihre erste Deutung einzugehen (GOUEL 1993, S. 224 f.). 109 Vgl. auch die knappen Ubersichten bei EBENBAUER 1977, S. 45, Anm. 29 und THOMAS 2002, S. 79, A n m . 26. Jetzt ausfuhrlich KAMINSKI 2005, S. 2 2 7 - 2 4 6 zur Bedeutung der

Gürtelhandlung; für sie ist der Gürtel „Ur-Movens der >Krone4888) deutet, 123 vgl. garte für „Garten" (Lex 1,740).

Garanphiel ist die Schwester der Saside (14999), eine reichiv fey (4885) und gotinne (14990)124 und im zweiten Romanteil treibende negative Kraft in ihrem 116 Vgl. JILLINGS, Sisters 1981, S. 252.

117 Vgl. MARZOLPH, „Gürtel", in: EM 6,311-315. Sp. 311 fuhrt er diese Zuschreibungen auf die ursprüngliche „Funktion des Gürtels als Schutz der Zeugungsorgane" zurück, verbunden „mit dem Glauben an die magische Wirksamkeit des Kreises [...] sowie allg. an die Krafterfiilltheit von Dingen". Er verweist zudem auf den Gürtel als „deutliches erotisches Symbol, 'denn die Jungfrau bliebe unfruchtbar ohne den den Gürtel lösenden Mann'. Belege für die verschiedenen Aspekte finden sich in den unterschiedlichsten Zeiten und Kulturen" (ebd. Sp. 312). 118 TL 4,100 f. 119 TL 3,1853 f. bzw. 1819; vgl. in diesem Sinne auch MENTZEL-REUTERS 1989, S. 142 f. und 312 f. 120 Damit wird sie trotz aller gegen Gawein gerichteten Intrigen schließlich zum Auslöser für einen auführlichen Preis der mbes süe^e, vgl. 28121-28164. 121 γϋρος „Rundung, Kreis", άμφί „auf beiden Seiten, ringsum". 122

V g l . EBENBAUER 1 9 7 7 , S . 2 9 .

123

MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 3 1 3 .

124 Wobei dieser Terminus nicht unbedingt mit nhd. „Göttin" gleichzusetzen ist, sondern sich auch als „Fee" o.a. deuten läßt - „in the sense of a woman of power" (THOMAS 2002, S. 69). So bezeichnet Heinrich auch Gansguoters Schwester sowie Enfeidas (die Tante des Artus) als gotinne. Im Mhd. gibt es den aus dem romanischen Sprachraum stammenden Begriff „Fee" als feie, er ist aber nicht sehr weit verbreitet (vgl. Lex 111,45; DWb 3,1411; zugrunde liegen afrz. fee (DAF, 263) bzw. lat. Fata fur die Schicksalsgöttin etc.). Heinrich verwendet ihn 1601, 4885, 7740 und 10500. Zu Feenglauben und dessen erzählerischer Ausgestaltung vgl. u.a. WOLFZETTEL, „Fee, Feenland", in: EM 4,945-963; auch HARFLANCNER 1 9 8 4 .

4779—4888 Gasoein beansprucht Ginover für sich

161

Rachewunsch gegen Gawein. In diesem Sinne ließe sie sich auch als die Verkörperung der (sonst ausgesparten) negativen Seite Fortunas interpretieren.125 Zur Rolle der Figur vgl. auch WALLBANK 1993, die sie im Sinne einer „Irish fay" beschreibt (S. 293). Als identisch mit der Fee Morgan sieht sie THOMAS126 und verweist auf Parallelen mit dem >Huth-Ai«r//«CröneBuch der Abenteuer< zu einem Ritter Giramphiel umgestaltet, der mit seinem Gefährten Fimbeus gegen Gawein auszieht und schließlich im Kampf gegen Keie stirbt.128 4888: Der Name von Garanphiels Freund variiert in der Uberlieferung; die Version V / K N N dürfte dem Original am nächsten kommen. Neben Fin(von SCH bevorzugt) bzw. Fimbeus129 kommt es auch zu mehreren Formen seines Zunamens.130 Zur Deutung des Namens vgl. u. a. MENTZEL-REUTERS, der nur die Endsilbe -beus deutet und sie auf das im 13. Jh. gebildete frz. Schimpfwort beuse zu mhd. base bezieht.131 GOUEL verweist daneben auf afrz. beu bzw. bieu als blasphemische Umdeutung von Dieu,n2 sowie auf das afrz. Adj. beteus, „perfide".133 Ihr Vorschlag, die Vorsilbe Fim- auf afrz. fim „Atem, Hauch" („respiration, haieine")134 zu beziehen, erscheint im Blick auf die Überlieferung plausibler als der von SCHÖLLS Schreibweise zunächst nahegelegte Zusammenhang mit fin („Ende" bzw. „fein"). Der Zuname sgardin zeigt Heinrichs Wiedergabe von a f r z . j durch sg- (z.B. auch in Sgoydamur; Sgaypega%) und läßt 135 sich zu afrz. jardin, „Garten" stellen. Damit dürfte Heinrich auf die joie-dela-court-Ejpisode in >Erec< anspielen (vgl. ErC 6021: en cestjardiri)·. Dort wurde der schließlich von Erec besiegte Ritter Mäbonagrin von seiner eifersüchtigen Dame zum beschützten Leben in einem verzauberten Liebesgarten verpflichtet (ErH 9442 ff.), ähnlich eifersüchtig und ängstlich müht sich Garan125

126 127 128 129 130

So zuerst WALLBANK 1 9 6 5 , S. 3 0 6 f.; zu weiteren Forschungspositionen vgl. die Literaturhinweise bei KERN, Cröne 1999, S. 209, Anm. 47. T H O M A S 2002, S. 75, Anm. 15; er bezieht sich auf R. S. LOOMIS. Vgl. THOMAS 2002, S. 121 f. Vgl. dazu z.B. G U T W A L D 2000, S. 313. Die Überlieferung spricht deutlich für Fimbeus·. V schreibt in allen drei Nennungen Fim-, Ρ achtmal Fin- und 20 mal Fim-. Ρ kennt neben karlin 4888 noch 15137 fimbeus% von gardin, 27858 fimbeus von Sardin, 28051 und 28165 Fimbeus von sgardin.

131

Vgl. D A F , 6 5 ; MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 3 1 2 , A n m . 1 7 .

132

Vgl. D A F , 6 6 ; GOUEL 1 9 9 3 , S. 2 2 0 , A n m . 1 5 8 .

133 Vgl. DAF, 65. 134 DAF, 267. 135 TL 4,1580 f.

162

3273-5468 Gasoein I

phiel um Fimbeus. Der böse und schädliche Hauch des Gartens, den der Name demzufolge bedeuten würde, läßt sich so der verderblichen Wirkung dieses abgeschlossenen Liebeslebens im hortus conclusus zuordnen. Ebenso wäre aber Fimbeus als „böses Ende" verständlich; es würde dabei bereits seine Niederlage gegen Gawein 28165—28261 angedeutet. Zu einem weiteren möglichen Zunamen —>23223 f. 4889—5027 Artus lehnt ab; Gasoein verlangt Kampf um Ginover 4 8 9 7 - 4 9 1 6 : (= GT 26) Erzählerkommentar: „Wenn man über eine geliebte Frau Schlechtes hören muß, bereitet das viel Kummer; eine geliebte Frau bringt viel Freude, aber auch viel Leid." Diese Aussagen dürfen als topisch angesehen werden, so lassen sich zahlreiche Parallelen finden; z.B. Bruder Wernher (Minnesinger II, 228b (=6,9)): ein schatte wip mit reinen siten/ git mrdern manne hohen muot. Zur Sentenz 4908 f. vgl. —>6971 weibes gewinnen [P: grüe^eri] lieb speht. ansagen, „anklagen" ist nur noch für JTit 5645 (an sagende) belegt (Lex 11,572); vgl. auch das stM. ansager, „denunciator" (Lex 1,76). 4 9 5 3 : Zu Amor ->4843. 4 9 7 2 ff.: Zu dem Gedanken der Einheit des Mannes mit seiner Frau vgl. auch —>3542 ff. 4 9 7 9 f.: Daß Amors Pfeil aus primitivem Blei statt aus edlem Gold ist (so z.B. En 10110 f.), soll die Falschheit der minne zwischen Artus und Ginover bekräftigen;136 der König ist aus Sicht seines Rivalen lediglich einem Irrtum aufgesessen. So ist die gesamte Folge 4969—4984 (= GT 26a) als Invektive gegen Artus zu verstehen: das Bedauern über einen Mann, der sein Leben auf den valschen gruo% einer Frau baut, ohne von ihr getriwen widergelt zu erhalten. Einziger gönnerhafter Trost: Artus ist nicht allein mit seinem Schicksal, auf dem Feld der Minne stehen viele zweifelhafte Zelte (ein etwas eigentümliches Bild). 5 0 0 8 ff.: Das Versprechen Gasoeins, sich jedem Zweikampf um Ginover zu stellen, entspricht dem des Meljaganz Iw 4599—4607. Ginover ein „Übergangsjahr" lang nicht anzurühren (5016 ff.), korrespondiert mit der Zusage Valerins, Ginover nicht gegen ihren Willen anzufassen (Lanz 6804 ff.).

136 Zu dem Pfeil vgl. auch LdaG, 200: „Wichtig für die volkssprachige Literatur wurde hingegen das in Ovids >Metamorphosen< an dieser Stelle [= zu Dafnes] entwickelte Motiv vom goldenen, Liebe bewirkenden und vom bleiernen, Liebe verhindernden Pfeil Amors. Es wird im ma. Aeneasroman verarbeitet und ausgehend von Heinrich von Veldeke in einigen dt. Texten aufgegriffen."

5028-5080 Absprache des Gerichtszweikampfes

163

5028-5080 Absprache des Gerichtszweikampfes So wie hier wird auch im >Lanzelet< (—>4779 ff.) die Entscheidung über die Forderung des Valerin in einen Gerichtszweikampf verlagert, der allerdings von Lanzelet stellvertretend für den König ausgefochten und gewonnen wird. Neben dem hier verabredeten Zweikampf finden sich noch andere Kämpfe in der >Crone1519 f. und —>22523 ff. Obwohl Artus die Möglichkeit zum Mißbrauch seiner milte

1 3 7 Vgl. auch SCHNELL 1 9 8 1 .

138 Ein Angebot für einen gerichtlichen Zweikampf als Beweismittel (vergleichbar der Absprache zwischen Artus und Gasoein) belegt GOEZ 1967, S. 144 u.a. fiir Kaiser Heinrich III. von 1056.

164

3273-5468 Gasoein I

selbst erwähnt, wird er auch hier schließlich zum Opfer, dem die Gattin geraubt wird — sein Mißtrauen ist nicht ausgeprägt genug. 5041: biet (SCH: het) ist bair. Form zu dem Konj. von haben (vgl. Mhd. Grammatik § 288, v.a. Anm. 4). Nochmals 5159, 5252, 5275. 5046: hengen hier im Sinne von „zugeben, gestatten" (Lex 1,1248); ebenso z.B. 19075, 23500. 5050: endetac im Sinn als „Schlusstermin einer gerichtl. Verhandlung" belegt Lex 1,552 sonst nur noch in einem Urkundenbuch (>Monumenta ZolleranaDe civitate Dei< bedeutet die Vierzig das diesseitige Leben der Plage, Wanderschaft und Erwartung."140 Auf der als Austragungsort gewählten Burg Karidol findet in der Vorgängerliteratur ansonsten nur der Kampf anläßlich des Schwesternstreits Iw 5742 ff. statt. Der Bezug zu >Iwein< zeigt sich auch im Zitat der Furt von Noirespine (->3424). 5 0 8 1 - 5 3 7 8 Rückkehr an den H o f 5081—5125 Artus in Gedanken versunken Lit.: Zur Form des Gedankenmonologs vgl.

ZATLOUKAL

1981, bes. S. 302 ff.

5092-5125: So wie Artus hier den Vorwurf der Untreue gegen Ginover reflektiert, entspricht er weniger den bekannten Reaktionsweisen innerhalb der Artusliteratur, denn König Marke aus Gottfrieds >TristanParzival< (ed. NELLMANN), Bd. 2, S. 620). 140

HEINZ-MOHR 1 9 9 8 , S. 3 4 2 .

5126-5334a

165

Artus trifft seine Ritter wieder

Gebet vor dem Gerichtstag auf Karidol 5419 Wis mir gncedich, herre christ!, wieder 1 0 3 9 4 - 1 0 4 0 1 ; dazu Tr 1 5 5 4 8 - 1 5 5 5 6 Isoldes Hoffen auf gotes höfscheit vor dem Gottesurteil). Artus zeigt sich im Bewußtsein seiner (literarischen) Reputation: Was würde aus seiner werdecheit namen ( 5 1 1 1 ) , falls sich die Vorwürfe als falsch herausstellen sollten und Gasoein gelogen hätte? Einerseits gibt es die konkreten Indizien, daß Ginover von dem Minneritter erzählt hatte, sowie den strik, jenen Gürtel, den Gasoein von ihr als Liebespfand erhalten haben will (—>4858); dem stehen Erscheinung und Gewährsleute des Gasoein (nahtweiden und Minnegötter) als wenig vertrauensbildend gegenüber. So bleibt ihm der konventionelle Weg zur Wiederherstellung seiner Ehre durch Bestrafung Ginovers verwehrt; er kann nur zwischen den beiden Positionen schwanken ( 5 1 2 6 , 5 1 0 6 ) . 1 4 1 5122: steut zu stöuwen, „anklagen, schelten" (Lex 11,1217). 5126-5334a

Artus trifft seine Ritter wieder

Lit.: Ausfuhrliche Interpretationen der Szene bei G U T W A L D

2000,

S. 8 0 - 8 8 ;

BLEUMER

1 9 9 7 , S. 6 4 - 6 8 .

5126: Zur Wendung muot gewinnen — > 1 5 2 0 6 . 5151 f.: (= GT 27) „Nach großen Unannehmlichkeiten findet man häufig angenehmen Trost." Zu dieser Sentenz vgl. v.a. — > 2 2 1 5 1 ff., auch — > 5 3 3 4 und — > 7 3 0 9 f., dazu ShRM. Zu der „puren Ironie" der folgenden Passage auch GUTWALD 2 0 0 0 , S. 8 1 f. 5159: Zu biet - > 5 0 4 1 . Hier fällt der Unterschied der Hss. auf: Während V im Konj. formuliert, bleibt Ρ im Ind. 5 1 7 3 - 5 1 7 6 : Diese Sentenz (vgl. auch Anm. KNN) ist offenbar dem französischen Sprachraum zuzuordnen, vgl. die ausschließlich afrz. Belege in TPMA 1 , „Bauer" 3 . 1 . 3 . 1 : „Wer einem Bauern Gutes tut, hat Hass und Rache zu erwarten". 5177 ff.: Zu sichrung —> 832. Die vorangegangene Sentenz wird von Artus in eine ritterliche Verhaltensanweisung umgesetzt: „Wer einem (besiegten) Ritter das Recht nimmt, Sicherheit zu leisten, und ihn statt dessen mordet, hat keine Ehre verdient." Vgl. 3877 ff. 5181-5187: (= GT 28) „Wenn jemand Spott austeilt, aber nicht bereit ist, selbst solchen anzunehmen, ist das zu schelten. Selten hört man von einem Spötter, daß er sich durch Spott beeinträchtigen ließe." Ähnliche Aussagen zum Spotten, mit fast leitmotivischem Bezug auf Keie, finden sich z.B. —>2529 ff., —>3180 ff.

5199: Zu der Formulierung der veint hagel —>396. 141 Vgl. die Überlegungen von G U T W A L D 2000, S. 79 ff.

166

3273-5468 Gasoein 1

5200 f.: Die Wendung an dem %agel anerheben ist auffällig; der %agel wird von Heinrich häufiger als Bild für das Letzte, Hinterste verwendet (vgl. —>82, —>395 (mit gleichen Reim), 7 3 1 8 ) ; erheben im Sinne von „beginnen, anheben" (Lex 1,635). Keie bezieht diese Aussage über das Ende, das die Frage des Artus an den Anfang stelle, offenbar auf Gales und Aumagwin, die nach ihm Gasoein begegnet sind. Seine eigene Niederlage gesteht er offen ein, erschlagen haben können Gasoein daher nur die beiden anderen. 5215: Die Straße, die Gasoein niht ma%e chümt, hat nicht die rechten Maße für ihn; durch die Intervention der beiden anderen Ritter sollte er sie von nun an meiden. Zur Betonung der Straße, die stellvertretend für die auf ihr zu bestehenden Aventiuren zu sehen ist, vgl. auch die Wendung die stra% bowen - > 8 7 3 5 f. und 8 7 9 9 . 5243: vnlivnde bzw. unliumund („schlechter r u f Lex 11,1908) ist sonst nur noch für wenige Chroniken und in einem mystischen Text belegt. 5252: Zu hiet —>5041; zu Sicherheit —>832 (erstmals hier in der üblichen Form Sicherheit, die gleichberechtigt neben der außerhalb der >Crone< nur selten belegten Form Sicherung steht). 5274: Die Bildungen misseschiht („misgeschick", auch 2 3 5 5 9 , 2 3 9 4 5 und 2 4 4 8 6 ) bzw. missegeschiht ( 2 3 1 8 2 , 2 3 6 5 9 , 2 6 0 5 8 ) sind nur für die >Crone< belegt. 1 « 5275: Zu hiet - > 5 0 4 1 . 5277—5285: (= GT 29) „Wem es gelingt, seinen Zorn in Scherz zu verwandeln, kann seinen Kummer damit häufig verringern; wo das möglich ist, soll man froh sein." Der Unterschied zwischen dem schimpfenden Aumagwin und der Besonnenheit des Königs wird zusätzlich zum erzählten Dialog hervorgehoben. Dieser sentenzhaft formulierte Erzählerkommentar (zu dem es aber wohl keine Parallelen gibt, nicht aufgenommen in ShRM) entspricht anderen Aussagen über die Mäßigung in Zorn und Kummer, vgl. z.B. —>3499 ff., - > 7 2 2 2 f., - > 7 2 7 8 - 7 2 8 4 . 1 4 3

5286-5293: Diese Charakterisierung von König Artus entspricht der literarischen Tradition weitaus mehr als sein Auftreten im Roman; die Passage erscheint als Zitat, das sich zu den Aussagen des Prologs fügt (—>161—216). 5309-5316: (= GT 29a) Artus gemahnt den zornigen Aumagwin, an seine durch das Schimpfen verborgenen Qualitäten zu denken: „Wollt ihr das Gold mit Zinn überziehen, den Edelstein mit dem Glasstein zusammen auf 142 Vgl. Lex 1,2164; REISSENBERGER 1879, S. 30. 1 4 3 Interpretierend G U T W A L D 2 0 0 0 , S . 8 4 ff.: Indem die „beteiligten Figuren ihr Engagement auf das Feld der Komik verlagern", setze Artus einen „Sublimationsakt" in Gang; dadurch gelinge es, die Verletzung ritterlicher Normen im Kampf gegen den Ungewaffneten auszusprechen, ohne Konsequenzen ziehen zu müssen.

5334b-5378 Heimkehr nach Tintaguel

167

dem Markt anbieten, so wird ihm die Wertschätzung verweigert, die ihm angemessen wäre". 5315 f. scheinen in der überlieferten Form problematisch, weil verhorn eigentlich eine positive Konsequenz erwarten ließe; allerdings ist ttider /igen nur negativ als „zu falle kommen, unterliegen, umkommen" zu deuten (Lex 11,68). schat im Sinne von „Schatten" (so eindeutig 8318 und 11634 im Reim zu stat) erscheint rätselhaft: „Wenn ihn der Schatten des Falschen verschont, so liegt er darnieder." Auch die Überlegung, ob schat mit Auslautverhärtung zu schade zu lesen sein könnte,144 ergibt keine besonders schlüssige Deutung. Hingegen würde eine Konjektur von verheer zu verherc Sinn stiften: Der kostbare Edelstein wird auf dem Markt durch den falschen Stein verborgen, wodurch er unterliegt. G U T W A L D interpretiert „die Bildlichkeit primär als allgemeine Funktionsbeschreibung von Komik [...]: In diesem Sinne wäre dann das Verschwinden der echten Werte hinter Belanglosem nicht mehr als unerwünschter Vorfall zu lesen, sondern entspränge vielmehr einer zweckgerichteten Vorgehensweise. [...] Angesichts der Niederlagen der drei Artusritter, angesichts auch von Artus' Dilemma, einem Ehrverlust vorerst nicht definitiv ausweichen zu können, würde somit einsichtig, warum die einzig angemessene Reaktion auf die von Gasoein initiierte Provokation in der Produktion von Komik bestehen kann."145 Zur Edelsteinmetaphorik vgl. v.a. die entsprechenden Passagen in Prolog (->26, ->40-88) und Epilog (->29946 ff.), daneben v.a. —>1726f. 5334b-5378 Heimkehr nach Tintaguel 5334b—5338: (= GT 30) „Leid sucht Trost wie ein kranker Leib den Arzt; wem ein Leid widerfährt, der befleißigt sich gern dessen, was ihm dagegen hilft." Sentenzenfolge, 5334 f. mit biblischem Hintergrund (Mt 9,12), vgl. ShRM. Vgl. auch TPMA 1, „Arzt" 1.1.2: „Der Arzt wird vom Kranken benötigt (und nicht vom Gesunden)". Zur Metaphorik vgl. Iw 1551 ff.: wan swer von wäfen wirf wunt,/ der tvirt schiere gesunt,/ ist er stnem ar^te ht. Der Wunsch der drei von Gasoein besiegten Ritter, den vereinbarten Kampf anstelle von Artus auszufechten, um Genugtuung zu erfahren, soll als Medizin verstanden werden. Über den Wechsel von Freud und Leid auch —>5151 f., zu Sentenzen zum Raten —>6140 ff. 5360: verdeit ist Partizip von verdagen, „verschweigen". 5378: keche zu quec, „frisch, munter" (Lex 11,318). Zum Motiv des Feuers vgl. auch —>3335 ff., dort ist es Auslöser für die gesamte Furthandlung. 144 Das ist aber sonst nirgends belegt, vgl. lediglich die apokopierte Form schad im Reim auf rat 297 f. 1 4 5 GUTWALD 2 0 0 0 , S. 8 6 f.

168

3273-5468 Gasoein I

5379—5468 Ginovers Sorgen; Aufbruch nach Karidol 5380: In diesem dem Tagelied entnommenen Wächtertopos spiegelt sich noch einmal die von Gasoein verkörperte Sphäre des Minnesangs, bevor die Erzählung wieder ganz in die Artuswelt zurückkehrt. 5383: Die none ist die neunte Stunde des Tages (ab 6 h morgens gerechnet), also 15 h nachmittags; sie ist eine der Gebetszeiten des Stundengebets (auch Todesstunde Jesu, vgl. Mt 27,45 f.). 5398-5419: Ginovers sorgenvolles Gebet wiederholt sich nochmals vor dem Gerichtszweikampf 10394-10401, vgl. auch ->5092 ff. 5417: mitmst, mitewist wieder 8979, beide Male in der Nebenbedeutung „zustand, läge" (vgl. Lex 1,2184). 5435 ff.: Diese Passage über die Nöte der Hofleute bei einer Reise durch die winterlichen Berge dürfte sicherlich dem Erleben von Heinrichs Publikum entsprochen haben (auch —>11829—11836).14i Aber neben diesem Realitätsbezug dient die kurze Episode auch der Charakterisierung des Königs: Das Ansinnen, erst später zu reisen, geht ihm gegen seinen Willen (über willen), ->161 ff. und ->164-174.

146 Zur Problematik des Reisens im Winter vgl. ausfuhrlich OHLER 1988, S. 30-34; v.a. zu „Reisen im Hochgebirge" S. 165-171.

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina Lit.: WENNERHOLD 2 0 0 5 , S. 2 0 9 - 2 1 5 (Forschungsbericht); SHOCKEY 2 0 0 2 , S. 1 8 9 - 2 1 4 ; BLEUMER 1 9 9 7 , S. 7 1 - 1 1 5 (zu Assiles und Armufina), S. 1 1 6 - 1 3 4 (Zaumgeschichte); ROSSNAGEL 1 9 9 6 , S. 9 0 - 9 6 ; WAGNER-HARKEN 1 9 9 5 , S. 2 9 2 ff.; MEYER 1 9 9 4 , S. 7 8 - 9 3 ; EBENBAUER 1 9 8 1 ; JILLINGS 1 9 8 0 , S. 4 8 - 6 1 (zu Assiles), S. 6 2 - 7 5 (zu A m u r f i n a und

dem Schwesternstreit).

In der folgenden Romanpartie sind zwei verschiedene Handlungen ineinander geschoben und werden konsequent doppelsträngig erzählt, der Befreiungskampf gegen den Riesen Assiles sowie die Begegnung Gaweins mit Amurfina. Während der Artushof nach Karidol umzieht, begegnet Gawein nach den ersten Abenteuern um den Riesen Assiles (5469—7852) seiner künftigen Frau Amurfina (7853-9128); auf den Abschluß der Assiles-Handlung (9129—10112) folgt nun der wohl zeitgleich anzusetzende zweite Teil der Gasoein-Geschichte, die am Artushof spielt und Gawein schließlich dorthin zurückholt (10113—12600); von dort zieht er aus, um den Streit der Schwestern Amurfina und Sgoydamur zu schlichten (12601-13934). Eine solche Doppelhandlung ist zwar aus >Parzival< bekannt, aber dort nicht in zeitlich paralleler Abfolge, wie auch die Artus- und Danielhandlung im >Daniel< des Strickers nicht zeitgleich verlaufen; vergleichbar erscheint hingegen die Technik des entrelacement im >Prosa-Lancelot332-335. 5709: wider in bezieht sich auf den risen 5700 (bzw. den valant 5711). 5725 ff.: Zu den Zeitangaben —>5632. 5730-5766 Gawein sagt seine Hilfe zu 5730 ff.: Die Auskunft, Ywanet werde am Artushof niemanden antreffen, der ihm helfen könne, entspricht dem schon bei Hartmann thematisierten Problem des nicht helfen könnenden Artus. Dort hatte ein vom Riesen Harpin bedrohter König keine Hilfe gefunden, weil Artus und sein Hof nach der Entführung Ginovers ausgezogen waren, um Gawein zu suchen (Iw 4530-4739). 5744 ff.: Zu dem Turnier von Yaschune und dem heimlichen Aufbruch der Artusritter vgl. —>3208-3272. War Gawein dort noch volleist, Anstifter dieses unloyalen Aktes, so dürfte die Begegnung mit Ywanet und die Erkenntnis der Hilflosigkeit des Artushofs ausschlaggebend für seine Selbstbesinnung und Hinwendung zur Hilfe für andere sein. Allerdings verzichtet Heinrich auf entsprechende Ausführungen. 5767-6781 Gawein bei Ywalin: Erste Zöllner-Aventiure 5767-6256 Ywalin als Gastgeber: Virtus und Fortuna Die Funktion des Abschnitts begründet K E R N in dem theoretischen Disput über das Verhältnis von manheit (6090) und glüch/gelük (5965, 5978 u.ö.) zwischen Ywalin und Gawein, der nicht von Ungefähr direkt vor einem Kampf plaziert sei.30 Dieser Disput reflektiere „grundsätzlich die Bedeutung der salde innerhalb der Konstruktion des Artusromans".31 Diese Auseinandersetzung Heinrichs mit der Glücksgöttin steht in einer Reihe mit der Allegorisierung im Besuch bei Saelde und den Dingsymbolen Fimbeus-Gürtel und Saelde-Ring; vgl. auch ihre Funktion als Ziehmutter des Artus (—>298 f., 412-456).

30

31

Vgl. KERN, Cröne 1999, S. 2 0 4 - 2 0 6 ; vgl. auch die Auseinandersetzung mit manheit und state in der zweiten Wunderkette. Zum Verhältnis Gaweins zu Sielde, das hier thematisiert wird, vgl. auch DAIBER 1999, S. 1 9 3 - 1 9 8 . KERN, Cröne 1999, S. 206.

5767-5848 Ankunft bei Ywalin

177

5767-5848 Ankunft bei Ywalin Der Pförtner Ywalin ist ein Gefangener des Assiles und von diesem beauftragt, Fremde ins Reich zu locken und freundlich zu bewirten. Statt dessen versucht Ywalin allerdings, alle Neugierigen in der Art eines antiken Unterweltwächters durch Schimpfen abzuschrecken und zu vertreiben (vgl. 58255836),32 ähnlich dem stellare vor Burg Salye (20562 ff.).33 Da sich Gawein aber nicht abschrecken läßt, erweist er ihm schließlich sehr zuvorkommend seine Gastfreundschaft und bereitet ihn auf den bevorstehenden Kampf mit den Zöllnern des Assiles vor. Das Motiv des unfreundlichen Empfangs findet sich ebenfalls Iw 6085— 6182 (von Seiten der Stadtbewohner als Schutz vor zu erwartenden Schwierigkeiten gedacht). 5 7 8 0 : Der Begründung in Anm. K N N für die Konjektur ist entgegenzuhalten, daß der Ablauf der beiden „Eintrittskämpfe" gegen Zöllner des Assiles bei Ywalin und bei Blandochors ähnlich genug ist, um diese beiden aufeinanderfolgenden Episoden als zwei Pforten anzusehen, auch wenn dieser Terminus bei Blandochors nicht ausdrücklich genannt wird. Demzufolge wäre die Lesart ersten von V hier durchaus begründet; der PI. di portenar (5777) bezöge sich auf Ywalin und Blandochors, von denen Gawein jeweils vil vrömdiv mar erfährt.34 5 8 4 5 : Zu der Formulierung niht vmb ein har auch —>1224.

5849-5901 Erklärung der Zöllner-Aventiure Die vier Zöllner fordern im Auftrag des Assiles von jedem in das Reich gekommenen Ritter seine Rüstung oder den Kampf, den bislang noch keiner bestanden hat (5866 ff.). Dieser Tribut kann, ähnlich wie die Pförtnerfigur Ywalin, der Unterweltcharakterisierung des Riesenreichs zugeordnet werden: vgl. z.B. den Obulus, den die Griechen Verstorbenen in den Mund legten, damit diese den Fährmann Charon bezahlen konnten;35 ähnlich glaubten die Germanen an einen Totenfergen, der Körperteile forderte.36 Die Forderung nach der für einen Ritter lebenswichtigen Rüstung läßt sich einer solchen Amputation vergleichen. Womöglich sind auch die mittelalterlichen Ehren32

35

Vgl. KÜHN: „Fährmann", in: EM 4,786. Dessen Vorbild wiederum bei Chretien der Jenseitswelt zuzurechnen ist; vgl. BUSCHINGER 1981, S. 10 f. Für Vergleiche siehe u.a. ZINGERLE 1 8 6 4 , S. 1 8 9 ; auch Spervogel, MF 2 1 , 1 8 . Vgl. KÜHN: „Fährmann", in: EM 4,786 f.

36

V g l . BRACHES 1 9 6 1 , S . 2 1 .

33 34

178

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

strafen mitzudenken, die sich häufig auf die Kleidung der Delinquenten bezogen.37 5898: Zu der ungewöhnlichen Formulierung (einer bete) base stat tuon vgl. 10836 das korrespondierende (einem des vehtens) guot stat tuon im Sinne von „gute Gelegenheit bieten, annehmen" (DWb 17,992) - hier also: „übel aufnehmen, ablehnen". 5902-5958 Gawein will die Aventiure auf sich nehmen 5907 f.: Einmal ist Gawein im weiteren Romanverlauf seines harnasches an: nach dem Kampf gegen einen Drachen, bei dem seine Rüstung und Waffen von dem feurigen Atem verbrennen (15206 ff., dort erhält er von Siamerac von Lembil neue Kleidung). 5919-5922: (= GT 31a) Zu der sentenzhaften Formulierung vom angemessenen Gewähren und Verweigern vgl. z.B. WGast 1293 ff. (ein man der ist niht sinnic ml/ der da gtt da er niht ensoL·/ so ist der än erge niht/ dem niht geben geschiht/ da er% von rehte solde geben), >Renner< 8288 f. (Wieget, der ist ein salic man,/ Der rehte halten und geben kanti)\ auch ShRM. 5923 ff.: Zu dem immer wieder aufgegriffenen Motiv des richtigen Bittens —>1033-1037. 5930: Die Formulierung vürba% treiben (vgl. auch Anm. KNN) scheint in der Deutung „forttreiben, vertreiben" zunächst klar; der Kontext ließe jedoch auch eine (nicht belegte) Deutung im Sinne von „hinhalten" vertretbar erscheinen, womit der Blick auf die Sentenzenrede 5932 ff. gelenkt würde. 5932-5948: (= GT 31b) „Eine versprochene Gabe, die aber lange Zeit herausgezögert wird, ist wenig zu loben und beschämt Geber und Empfanger, die milte des Gebers leidet darunter. Die Wunden, die weiches Blei hartem Stahl zufügen kann, sind leicht zu heilen." Zu der Aussage über das sofortige Gewähren dessen, was man versprochen hat, —>2795 ff. (was zugleich bekräftigt, daß das, was versagt wird, auch später nicht gewährt wird). Das Bild von Blei und Stahl ist Ausdruck für Gaweins Kampfesmut: Er wird 37

Eine Gleichsetzung von Zoll und Tod sowie die Grundkonstellation der beiden Zöllnerepisoden findet sich auch in Wolframs >Wi]lehalmWillehalm< bei Heinrich voraus und plädiert für eine späte Datierung der >Cröne8077 ff.). 5959-6007 Ywalin rät vom Kampf ab (Fortuna mit dem Rad) In den beiden folgenden Dreireimabschnitten entfaltet Heinrich ausfuhrlich die beiden verschiedenen Fortuna-Konzepte: die Glücksgöttin mit dem Rad sowie die Fortuna ancepr, später fuhrt er sie zu einer Einheit zusammen Η15823, auch ->298). 5959: Gaweins Gastgeber, der portenar von 5781, wird hier erstmals namentlich genannt. Entgegen der klaren Unterscheidung in Ywalin hier, sowie Riwatin für den Veranstalter des Turniers von Yaschune (—>3212) in V (6465 in Κ gestützt), schreiben P / S C H auch für Gaweins Gastgeber Riivalin (und dem gemäß die nach SCH zitierende Literatur).38 Wahrscheinlich hatte der Schreiber von Ρ die Form von 5747 noch im Gedächtnis (zumal dieser Name als der des Vaters von Tristan auch allgemeiner bekannt gewesen sein dürfte) und hat diese einfach weitergeführt. 5965 fif.: (5965-6000 =GT31C) „Das Glück ist unbeständig (= rund) und hilft dem Bösen wie dem Guten." Diese (hier recht fatalistisch konnotierte) Vorstellung ist, vor allem im Bild der Fortuna mit dem Rad, sehr weit verbreitet; so formuliert sie Heinrich in einem Sprichwort und einer daran anschließenden Sentenzanspielung. Vgl. so auch —>4144 f. (dort eher Ausdruck einer wagemutigen Haltung gegenüber Saside) und 25204 f.; vgl. die wörtlichen Parallelen >Kudrun< 649,2 und Wh 246,28.39 Die v.a. ikonographisch geprägte,40 seit Boethius traditionelle Verbindung der Fortuna mit der Rundform greift Heinrich neben der Darstellung der Saslde auf dem Rad (15823-15869) auch in der Architektur ihres Palasts (15722 ff.) wieder auf; zudem ist ihre Gabe an Artus ein Ring (15909 ff.). Die folgenden Exempelfiguren aus der Artustradition sollen die Unwägbarkeiten des Glücks illustrieren. Dabei wird immer die Perspektive der Ritter der zweiten Garde gewahrt, denen Ywalin offenbar seinen Gast zurechnet. 38

39

40

1994, S . 80 deutet so die vermeintliche Übereinstimmung mit >Tristan< als „Markierungsfunkdon nicht nur für die motivische Herkunft der Riesenbedrohung aus dem >TristanHeidin< (vgl. Lex 1,558). Hier müßte im Blick auf die vnstat allerdings eher der Aspekt der Entfremdung im Sinne von „sich entziehen" im Vordergrund stehen. 5980: Die erste Beispielfigur Orgoylos de la Lande hatte —» 595 als Gast am Weihnachtsfest teilgenommen. Die hier erzählte Begegnung mit Parzival findet sich weder bei Chretien noch bei Wolfram, sie dürfte wohl auf ungenaue Erinnerung Heinrichs zurückgehen.41 Durch die Wechsel der mit den Pronomina bezeichneten beiden Ritter kommt es zu verschiedenen Deutungen der Episode; allerdings gibt 5979 ff. die Richtung vor: Orgoylos widerfuhr von Parcevalle die schände. So muß er 5982 Parzival bezeichnen, im folgenden Vers ist es Orgoylos, der mit neide sluocb, weil Parzival {er 5985) ihn offenbar unbeabsichtig verbal beleidigt hatte.42 5987 ff.: Die Erwähnung dieser Variante der Ginover-Entfuhrung zeigt, daß Heinrich auch die in Chretiens >Chevalier de la Charette< beschriebene Lancelot-Tradition kannte. Miliantz entspricht Chretiens Meleagant, die Angabe an der fluot dürfte Heinrich aus den beiden Brückenzugängen zur Burg des Entfuhrers abgeleitet haben43 (zu Heinrichs eigener Entfuhrungsversion und den Vorgängern ausführlich —>11037 ff.). Die Aussage, daß Miliantz Lantzelet bestuont (zu bestän, „stand halten, entgegentreten", vgl. Lex 1,224) verweist auf den letzlich unentschieden vertagten Kampf der beiden Kontrahenten; daß Meleagant dabei am Verlieren war und schließlich im Wiederholungskampf getötet wird, verlangt dementsprechende Textkenntnis des Publikums, um den betrogenen hohen muot zuzuordnen.44 5992 ff.: Das letzte der drei Exempel erscheint eindeutig in der Rollenverteilung: Der boes Lochnys hat sich verdaht bei seinem Versuch, Gawein zu betrügen; er wurde schließlich selbst dar an betrogen,45 Die Begegnung mit Lochnys/Lohenis schildert Heinrich ausführlich ab 19346. 41 JILLINGS 1980, S. 50 vermutet „some source romance not known to us." Vgl. auch zur Übernahme von Namen CORMEAU 1977, S. 208 ff. 42 In dieser Richtung gedeutet bei TH; ZACH 1990, S. 340. Als typisch für die „glücklose" Darstellung Parzivals insgesamt in der >Cröne< deutet MEYER 1994, S. 80 den Verlauf genau umgekehrt. 43

Vgl. a u c h ZACH 1990, S. 341; MENTZEL-REUTERS 1989, S. 209.

44

Zu den Quellen ZACH 1990, S. 265; S. 341 paraphrasiert sie diese Stelle unter Einbezug dieser ungenannten Zusatzkenntnisse. Ebenso liest TH das Ende mit in seine Übersetzung hinein („Pride also brought down Milianz when he challenged Sir Lanzelet"). MEYER 1994, S. 80 formuliert so neutral, daß keine Deutung enthalten ist. So ist es unklar, warum MEYER 1994, S. 80 dieses Exempel daraufhin liest, daß Gawein die einzige der drei Figuren sei, die anfängliches Unglück schließlich in Glück zu verwandeln vermöge - die vom hohen muot und dem Glück zugleich betrogene Figur ist Lochnys (in der Reihe mit Orgoylos und Miliantz), nicht Gawein; auch Lanzelet und Parzival konnten sich behaupten.

45

5959-6007 Ywalin rät vom Kampf ab (Fortuna mit dem Rad)

181

Es handelt sich hier um das erste Hysteron-Proteron des Romans, ein Phänomen, das in den beiden Tatenkatalogen Gaweins noch mehrfach auftritt (vgl. zu —>6083-6139 und ->8986-9054, dort wird auch Lohenis noch einmal erwähnt). Die Deutung dieses Phänomens ist wohl noch nicht abgeschlossen; vgl. KNAPP: „Will der Erzähler einen bloßen Motivkatalog seiner Quelle(n) geben, den Leser verwirren oder gar die Zeitperspektive aufheben? Am ehesten zeugen die Stellen doch von einer älteren Schaffensphase, die noch einen geringeren Umfang des Romans vorsah und deren Spuren in der Endfassung nicht alle getilgt wurden."46 Als Element der frühzeitigen Anbindung des zweiten Romanteils an den ersten liest MENTZEL-REUTERS die Vorausgriffe, „die sorgfältige Anlage der Vorausdeutungen besonders auf die Chretien-Sequenz" sollte dem Eindruck entgegenwirken, nach der Doppelhochzeit mit der Einbindung Gasoeins sei der Roman schon zu Ende.47 Weniger handwerklich bedingt erklärt sich MEYER 4 8 diese Partien: Sie würden „innerfiktional zur Prädestination, strukturell zum Autorkommentar über den Bauplan des Romans, was sich innerfiktional wieder in den hellseherischen Fähigkeiten Riwalins niederschlägt." Es zeige sich ausdrücklich Heinrichs Selbstverständnis als Autor, der seine Macht über die Fiktion immer wieder deutlich herausstelle,49 hier in der Form, daß der Erzähler mit der Figur Gaweins zu verschmelzen scheine.50 Auf die besondere Eigenart dieser Figur rekurrieren auch CORMEAU, 5 1 J ILLINGS und ROSSNAGEL. 52 Auf eine andere Fährte lockt DICK,53 der diese Art des Umgangs mit der Zeit als lediglich in der fantastischen Literatur üblich und verständlich beschreibt. Im Blick auf die bizarren Erscheinungen v.a. der Wunderketten und der Gralshandlung rechnet er Heinrichs Roman dieser Literatur zu. 46

KNAPP 1994, Bd. 1, S. 553. Vgl. HELLER 1942, S. 69, der von einer „Nachlässigkeit" Hein-

richs spricht; ähnlich BUSCHINGER 1981, S. 9. Als Motivregister deutet das Phänomen z.B. MENTZEL-REUTERS

1 9 8 9 , S. 4 0 f f . ; a u c h J I L L I N G S 1 9 8 0 , S . 2 4 1 . EBENBAUER 1 9 7 7 , S. 4 1

erwägt eine ursprüngliche Konzeption als „Antilanzelot", in den die anderen Möglichkeiten der Gefährdung des Artushofs bereits eingebunden wurden, bevor Heinrich sich dann doch noch ausdrücklich diesen Problemen zugewandt habe. 47

Vgl. MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 1 8 7 f.

48

MEYER 1 9 9 4 , S. 81 f.; auch schon MEYER 1 9 9 3 , S. 1 9 8 .

49

Besonders z.B. 6253f., 22186ff., 22229-22241.

50

MEYER 1 9 9 4 , S. 8 1 .

51

Vgl. VL 2 , Bd. 3,897, wo er das Phänomen als Folge der Konstruktion deutet, daß „Gawein immer schon als bekannte Figur vorausgesetzt ist"; entsprechend CORMEAU 1977, S. 131 f. Auf diese Argumentation stützt sich zuletzt MÜLLER 2003, S. 248 f., der die „anomalen Vorgriffe in Vergangenheitsform" als eine „wohl einmalige Neuverwendung der Katalogform" ansieht. Vgl. JILLINGS 1980, S. 51: Ziel sei es „to build up the reputation of a hero by exploiting the cyclic nature of the Arthurian genre." Entsprechend ROSSNAGEL 1996, S. 91.

52 53

Vgl. DICK, Tradition 1986, S. 8 7 ff.

182

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

5998-6000: Mit dem aus der Ornithologie entnommenen Bild von babech und reiger* schließt Ywalin die Exempelreihe zur Unberechenbarkeit des Glücks (5965 ff.) ab.55 Er greift damit seine Eingangswarnung wieder auf: Gawein braucht Glück, um dem tatlichen slac der Übermacht der vier Zöllner zu entgehen (5961 ff.). Anders als in den vorigen Beispielen könnte es aber zu einem glücklichen Ausgang kommen: Ebenso wie der Reiher könnte er heil haben und ihnen entrinnen. Es wird noch einmal deutlich, daß Ywalin seinen Gast nicht kennt, denn der vertraut als Saeldenschützling auf das heil [...] Da% ie Gaweins phlak (6077 f.).56 Der babech dient ErH 1863 als Bild für das Minneverlangen Erecs und Enites. 6008-6082 Gawein: Exkurs über das gelücke (Fortuna anceps) Dieser Exkurs Gaweins über die Unberechenbarkeit Fortunas ist in Form einer Reihe von Antithesen gestaltet, die dem Glück jeweils konträre Eigenschaften zuschreiben. Die deutlichen Gliederungselemente (syntaktischer Gleichlaut, Alliterationen) sind durch die Uberlieferung teilweise in Mideidenschaft gezogen, so daß einige Stellen gebessert werden müssen. Zudem sind nicht alle Gegensatzpaare gleich deutlich ausgeprägt, manche der Kontraste erscheinen recht bemüht. Ähnlich den Namenskatalogen erweckt auch diese Reihe den Eindruck eines auf mündlichen Vortrag ausgerichteten Textes; Heinrich spielt mit den Stilmitteln der Parallelbildung, Reihung und der Kontrastierung, die laut gesprochen erst richtig zur Geltung kommen (auch —>918-2631). Eine Reihe von Gegensätzen zur Illustration der Widersprüchlichkeit Fortunas verwendet auch Alanus ab Insulis in seinem >Anticlaudianus< (Acl VIII, 13-30, entst. 1182/83).57 Die Gegenüberstellung der entsprechenden Ausdrücke58 zeigt erstaunliche Übereinstimmungen nicht nur in der Begrifflichkeit, sondern auch in der Konzeption Fortunas, die entgegen ihrer Natur einwilligt, dem homo perfectus (von dessen Erschaffung das Werk des Alanus handelt) ein Geschenk zu machen: Ihr Rad wird in seinem Lauf gehemmt — 54

55 56

Vgl. DALBY 1965, S. 73 ff.: Der Habicht diente fur die Beizjagd auf Reiher, Kraniche, Trappen und andere große Vögel, immer dann, wenn es auf die Beute ankam. Zum Vergnügen beizte man hingegen mit Falken. Ohne Parallelen aufgenommen in TPMA 9, „Reiher" 3. Vgl. auch 14454: da% Heil, da% sin dicke pflac.

57

Vgl. zu den Parallelen DE BOOR 1975, S. 324 f.; KNAPP 1977, S. 260 ff. Ausführlich zum

>Anticlaudianus< im Blick auf >Cröne< und >Wigalois< SCHOUWINK 1977, S. 112-125; wieder HUBER 1988, S. 370ff. (v.a. zu Gaweins Besuch bei Frau Sselde). 58

Als Übersicht bei KNAPP 1977, S. 261.

6008-6082 Gawein: Exkurs über das geliicke (Fortuna

anceps)

183

vgl. ähnlich die Begegnung zwischen Gawein und Sselde 15823 ff.55 Während Alanus in seiner Oppositionenreihe stärker den trügerischen Aspekt Fortunas hervorhebt, betont Heinrich eher ihre Unzuverlässigkeit. Neu sind bei ihm u.a. die Bildbereiche Temperatur, Gesundheit und Sauberkeit. 6008-6012: (= GT 32) Der Erzähler leitet auf sentenzhafte Weise über, wobei die Lesarten der Handschriften je gegensätzliche Aussagen ergeben. Während V / K N N die Unbelehrbarkeit desjenigen herausstellt, der selbst fähig ist, die beste Handlungsweise zu erkennen, und Κ die Einfachheit der Aufgabe betont (LJhte mac man de geleren 6 0 0 8 ) , zielt P/SCH darauf, daß man denjenigen, der es nicht selbst kann, auch nicht belehren könne (vgl. auch ShRM). In seinen Ausfuhrungen über Fortunas Wechselhaftigkeit bestätigt Gawein die Warnungen Ywaüns, fügt jedoch zugleich die Perspektive des Saeldenschützlings hinzu und bleibt fest zum Kampf entschlossen. 6013 ff.: da% man in nant bezieht sich auf 5994 ff., wo Ywalin eine Aventiure Gaweins berichtete. Die „Situationskomödie"60 um Gaweins Inkognito, die sich durch das gesamte Wechselgespräch bis zu Gaweins Selbstnennung 6213 zieht, zählt zu den häufiger aufgegriffenen Motiven des Romans. So genießt er ζ. B. seine Unbekanntheit 9638 ff. bei Mahardi und Belahim, die ihn herbeiwünschen, während er zu Gast ist; 21060 ff. auf Burg Salye, wo er Mutter und Schwester zunächst im Ungewissen über seine Identität läßt, sowie 27743 bei der Ankunft bei Garanphiel und Fimbeus. Innerhalb der Assiles-Amurfina-Handlung könnten sich dieses Motiv sowie seine Übersteigerung 7128—7136 auf den folgenden Identitätsverlust Gaweins bei Amurfina deuten lassen, für den gesamten Roman auch auf den vermeintlichen Tod Gaweins in der Aamanz-Episode. 6017 f.: Vgl. Acl VIII,22: pauper/ Et diues („rieh and poor"). TPMA 5, „Glück" 3.7: „Das Glück erhöht und erniedrigt, macht reich und arm" kennt keine direkten Parallelen. 6022: Vgl. Acl VIII,44: pariter uelox et lentus eundo („at once fast and slow on her feet"). 6024-6027: Die Attribute dieser Verse verweisen auf die bildliche Darstellung der zweigeteilten Fortuna, wie sie sowohl Alanus ab Insulis als auch Heinrich beschreiben, vgl. 15853-15864, Acl VIII,31 ff. 6029: Die Vorstellung der vielen Namen für Fortuna unterstreicht deren wechselhaften Charakter; vgl. den auf Plautus zurückgehenden Spruch: nomen

59

Dazu

60

MEYER 1 9 9 4 , S . 8 0 .

KNAPP

1977, S. 261 f.;

DE BOOR

1975, S. 327 ff.; MENTZEL-REUTERS 1989, S. 230-240.

184

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

est omen und die dahinterstehende Idee, daß der Name Kraftträger sei, „der seinen Besitzer mit Namenseigenschaften ausstattet oder mit ihm wesensgleich" sei.61 6030: Vgl. Acl VIII,24: ceca uidendo („is blind as she sees"); auch ΤΡΜΑ 5, „Glück" 5.1.: Glück ist blind. 6031 f.: Die verschiedenen Winde, die Alanus in die Beschreibung des Fortuna-Hauses integriert (Acl VIII,4 f.), nutzt Heinrich später ganz praktisch: Der winster wint treibt das Rad Fortunas an, die in ihren Armen ir kint, da% Heil hält, so daß sie das Rad nicht mit der Hand bewegen kann (15830 ff.).62 6033 f.: Zur unstate des Glücks vgl. 5968 u.ö. Ahnlich wurde Fortuna schon von Boethius charakterisiert: Ihre constantia ist ihre mutabilitas.a Entsprechend Acl VIII,30: Hoc solo stabilis quod semper mobilis erret („She keeps this constant rule — that she is not constant"), ebd. 13 ff.: Hie est Fortune sua mansio, si tarnen usquam/ Res manet instabilis, residet uaga, mobilius heret [.. .].M Vgl. auch Carmen buranum 17,1 (->300); TPMA 5, „Glück" 3.1: „Das Glück ist kurz, veränderlich und immer in Bewegung"; auch ShRM. In der Rolle, die Frau Saside in der >Crone< spielt, steht sie in Kontrast zu dieser traditionellen Vorstellung: Ihr Verhältnis zu Artus und Gawein ist geprägt von erstaunlicher state, greifbar auch in dem herrschaftsgarantierenden Ring für Artus (vgl. 15901 ff., 15912 ff.). 6036 f.: Das eher seltene Adj. gelouch ist in der Opposition zu aufwachsen wohl als „geschwollen, aufgedunsen" (gegenüber „lang und dünn gewachsen") zu deuten; vgl. die weiteren Belege 19659 und 19715, sowie den Art. „glauch" in DWb 7,7921 ff., bes. Abs. 4. 6038 ff.: Die hier beschriebene stetige Auf- und Abbewegung gemahnt an das Rad Fortunas, das Heinrich 15830-15848 beschreibt; ähnlich Wig 1044 f.: hie sigen diu mit dem rade nider,/ so stigen d'andern üf wider, vgl. auch Acl VIII,55 ff. Das Bild hat auch Niederschlag in Sentenzen gefunden, vgl. TPMA 5, „Glück" 3.7: „Das Glück erhöht und erniedrigt, macht reich und arm". 61

RÖHRICH 2 0 0 0 , S. 4 2 8 0 ( D r u c k : B d . 3 , 1 0 7 4 ) .

62

Zu den abweichenden Lesarten der drei Hss.: Ein subjektiver Durchgang durch einige klassische Werke sowie die Auswertung der Wörterbücher fuhrt zur Beobachtung, daß wint normalerweise mit stark verbunden wird; snell steht v.a. bei der Bedeutung „Windhund" (vgl. auch Lex 111,914 f.), selten aber auch bei dem Wind (Pz 58,4, später auch bei Ulrich Boner, vgl. BMZ 11,2,445b). gäch und gnb^ erscheinen in dieser Verbindung sonst nicht. Boethius, »Consolatio Philosophiae< II, L.p.28-31 (zit. nach KERN, Cröne 1999, S. 205). „Here is Fortune's abode, if indeed the unstable ever abides, the wandering takes up residence, the moving becomes fixed."

63 64

6008-6082 Gawein: Exkurs über das gelückt (Fortuna

ancepi)

185

6039: Zugunsten des klangvollen Binnenreims verzichtet Heinrich in diesem Vers auf die sonst konsequent durchgezogenen Oppositionen innerhalb der Verse, beide Verben drücken eine Abwärtsbewegung aus. 6041: vlahet muß im Sinne von „in die Flucht schlagen" zu verstehen sein, um gegen den Gedanken, etwas in Sicherheit zu bringen {bergen), einen Gegensatz zu behalten (vgl. Lex 1,190 und Lex 111,411). 6042: Glück macht arm und reich: vgl. ->6017 f., Acl VIII,22 f. und 39 f. Vgl. auch TPMA 5, „Glück" 3.7: „Das Glück erhöht und erniedrigt, macht reich und arm." 6043: Der Kontrast besteht wohl zwischen „vorwärts bringen, helfen" (Lex 111,595) und „verderben lassen, betrügen" (Lex 11,1371 zu smchen) bzw. einem (nicht sonst belegten) trans. stV. bestrichen im Sinne von „matt machen, zum Verschwinden bringen" (vgl. das intrans. beswichen Lex 1,233). 6044: Die Vorstellung des gebenden und nehmenden Glücks führt auch Acl VIII,39 ausführlich aus; sie ist auch sprichwörtlich gefaßt: „Das Glück nimmt wieder, was es gibt" (TPMA 5, „Glück" 3.6). Im Roman scheint der von Sxlde geschickte Bote auf dem Bock, der den herrschaftsgarantierenden Ring entfuhrt, diese Aussage zu illustrieren, auch —>24727. Vgl. auch (allgemeiner) zum verwirrenden Treiben der Saslde 25210 ff. 6046 f.: Zur ungleichmäßigen, allerdings immer vorwärts gerichteten Bewegung Fortunas vgl. Acl VIII,42 ff. über das ständige Vor und Zurück ihrer Schritte, auch ebd. w . 16 und 24. 6053 f.: Vgl. Acl VIII,24: Ridendo plorans („She weeps as she smiles"). 6055: leinen im Sinne von „angelehntes Stehen/ Aufrechtsein". 6059: ieit kontrahiert zu jagen. 6060: J-wellen mit Lex 111,1357 bildlich als „hemmen" gelesen, bildet einen Gegensatz zu „helfen, durch Rat befördern" (vgl. 6043). 6062: „Es bringt zum Ende und es verzögert/läßt andauern". 6063: räumet zu rümem „freien räum worin schaffen, räumen" (Lex II, 535). 6067: melden und stillen im Sinne von „verraten" und „geheim halten" (Lex 1,2094 f. und Lex 11,1197); vgl. Acl VIII,25 f.: in lapsu firma, fidelis/ In falso („true to falsehood, false to truth"). 6073 f.: Das Fazit dieses Exkurses ist die als Sentenz65 formulierte Beobachtung Gaweins, daß derjenige, der die Unterstützung Fortunas ausschlägt, keinen Erfolg haben kann; Ywalins Warnung, vom Glück etwas zu erhoffen, wird in Gaweins Mund zur Zuversicht. Heinrich stellt damit die beiden verschiedenen Konzepte der Fortuna mit dem Rad und der Fortuna 65

Vgl. TPMA 5, „Glück" 15.6: „Man verschmähe das Glück nicht"; auch ShRM.

186

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

anceps (der janusköpfigen Fortuna) einander als Gegensätze gegenüber; in seiner eigenen Fortuna-Darstellung ( 1 5 8 2 3 - 1 5 8 6 9 ) unternimmt er hingegen den Versuch einer Verschmelzung der beiden Vorstellungen. Vgl. dazu ausfuhrlich DE BOOR 1 9 7 5 . 6077 f.: Die Frage nach Gaweins Verhältnis zum Glück zieht sich durch; während Gawein sich hier als Schützling sieht, um den sich das Heil ie, also immer sorgte (vgl. z.B. 1 2 1 3 3 - 1 2 1 3 7 ) , verweist Ywaün auf dessen manheit ( 6 0 9 0 ) , die ihm mehr geholfen habe als das Heil, auch wenn dieses dem Tapferen wohl eher zur Seite stehe. In diesen Fragen klingt an, was im Laufe der zweiten Wunderkette und der großen Aventiuren-Kette zu Ende des Romans noch weiter thematisiert wird: die Frage nach manheit und state sowie die Überlegenheit von Gaweins reiner manheit im abschließenden Kampf um die Saeldenkleinodien, die durch die zauberabweisende Rüstung Gansguoters garantiert wird ( - > 2 7 3 4 3 - 2 7 3 6 8 ) . 6083-6139 Ywalin: Gaweins manheit (Erster Tatenkatalog) Lit.: CORMEAU 1977, S. 130 ff.; zu den einzelnen Episoden jeweils ZACH 1990.

Heinrich bringt zwei Listen von Gawein-Taten, die aus der Vorgängerliteratur bekannte, nur hier erwähnte sowie erst im folgenden Romanverlauf erzählte Aventiuren gleichberechtigt nebeneinander stellen und von allen gleichermaßen in der Vergangenheitsform berichten. Der zweite sogenannte „Tatenkatalog" findet sich 8 9 8 6 - 9 0 4 6 im Rahmen von Gaweins Selbstfindungs-Monolog. Schon bei den Beispielen für die Unberechenbarkeit Fortunas hatte Ywalin 5 9 9 2 ff. eine Gawein-Aventiure eingefügt; hier berichtet er nun 6102 f. aus dem Vorfeld der >Crone< von Gaweins erstem Sieg über Fimbeus ( — > 4 8 5 8 ff.), von sonst nicht bekannten Episoden 6 1 2 2 — 2 6 , sowie zwei weitere Hystera-Protera (zu diesem Problem — > 5 9 9 2 ff.): Die Salden bluomen — > 6 1 0 5 ff. und das castel a lit marveillds — > 6 1 1 9 ff. Gawein wird von Ywalin auf seine (in der Literatur verbürgte) ruhmreiche Tatenvergangenheit verwiesen; durch die spielerische Nachfrage, ob diesem Gawein wohl die bevorstehende Aufgabe gelingen könnte, kann er Ywalin zu einer positiven Aussage bringen und daraufhin das Spiel mit seinem Inkognito beenden. Vgl. den von CORMEAU postulierten „präformierten Charakter" Gaweins: „Daß dem Protagonisten sein eigener Ruhm so extensiv entgegengebracht wird, er mit seiner Identität spielen und die Bewertung der Situation von einem 'aussichtslos' zu einem 'bedingt erfolgversprechend' ändern kann, ist nur möglich, weil der Protagonist hier eine wohldefinierte Pers. unabhängig vom Romanverlauf ist. Die im Bewußtsein aller zur Gesellschaft zählenden Mithandelnden präsente Erwartung von Gawein be-

6083-6139 Ywalin: Gaweins manheit (Erster Tatenkatalog)

187

stimmt den Handlungsverlauf mit."66 Ähnlich formuliert MÜLLER, der Katalog sei „funktional in Analogie zu Wolframs Feirefiz- und Parzival-Listen, die ebenfalls eine nicht erzählte Handlung andeuten," zu lesen.67 6083 f.: (= GT 33) „Die Hilfe des Heils gibt treuen Sinn ein, Gutes bringt nur Gutes hervor." Der Erzähler betont den guten Charakter Ywaüns mit zwei Sentenzen (vgl. ShRM); vgl. (auch stilistisch) 4177: Arch niht wan arch schvndet sowie die Zusammenstellung beider Gedanken 6308 ff. Vgl. auch 3006 f., —>4065 f. und ->29679 f. 6086 ff.: Die ehrliche Empörung Ywalins über die scheinbare Anmaßung seines Gastes, sich mit Gawein zu vergleichen, leitet über zu dem Tatenkatalog, durch den er demonstrieren will, daß Gawein nicht nur durch die Gunst der Saside, sondern vor allem durch seine manheit zum überragenden Ritter geworden ist. Dabei bleibt Ywalin seiner skeptischen Haltung der Glücksgöttin gegenüber treu, die er bereits 5959-6007 formuliert hat. 6 0 9 2 - 6 0 9 4 : (= GT 33a) wage (V/KNN), „überlegen", möchte BMZ III, 647 bessern zu weegern. Diese Sentenz ist antiken Ursprungs, vgl. Sallust: Fortuna meliores sequitur,68 Terenz: Fortes fortuna adiuvaf u.ö. (vgl. ShRM). Damit wird die Fortuna-Vorstellung des Boethius nicht widerlegt, aber auch das Verdienen des Glücks durch manheit ist korrekt und wird im folgenden Tatenkatalog Gaweins mit Beispielen belegt; vgl. 7289 ff., 20684, 22619 und 26548 ff. Die Rolle der Sselde als Schutzherrin des Artusreichs, die Heinrich ihr im Roman zuerkennt, bestätigt diese Sentenz, wenn die state Fortunas in ihrer Zuwendung zu Artus und Gawein betont wird; vgl. 15870—15931. 6102 ff.: Zur Geschichte um den Gürtel des Fimbeus —>4858 ff. 6 1 0 5 - 6 1 1 7 : Diese ausfuhrlich berichtete Aventiure um die zu brechenden Blumen der Sselde greift die später berichtete Episode um die Blumen des Giremelanz (21285-21405) vom Handlungsablauf her auf 0 (inklusive der Selbstverletzung) und ist so als Hysteron-Proteron zu werten; zugleich variieren aber wichtige Details: später findet sich kein Hinweis auf einen Bezug zu Sselde; die meide, in deren Auftrag Gawein handelt, heißt Mancipicelle und ist von Gaweins Gegner Lochnys angestiftet worden. Gemeinsam ist aber der Name des Blumenwiese Corlurment (6106) bzw. Colurmetn (21768, 24460); vgl. afrz. coillir, „pflücken, sammeln". Der Mädchenname Leygormon wird nur hier genannt. Während dieser Raub wie selbstverständlich als ein Beweis für 66

CORMEAU 1 9 7 7 , S. 1 3 6 .

67

MÜLLER 2 0 0 3 , S. 2 4 7 f.

68

„Fortuna folgt den Besten"; Sallust, >Oratio Philippi in Senatu< 21 (zit. nach KERN, Cröne 1 9 9 9 , S. 2 0 6 ) . „Den Starken kommt Fortuna zu Hilfe"; >Phormio< 203. Die Aventiure ist bereits bekannt aus CdG 8394 ff., Pz 600,20 ff.

69 70

188

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

Gaweins Kühnheit und Mut berichtet wird, wird später der Erwerb des magischen Gürtels verurteilt und sogar als strä^enroup bezeichnet (—» 24362). Wenn Ywalins Lobrede darauf hinausgeht, daß Gawein sich durch Pragmatik und Tapferkeit auszeichne, ist der Gürtelraub vielleicht auch moderater zu be- bzw. verurteilen.71 6119 ff.: Die als bereits bestanden beschriebene Aventiure vom lit merveillos ist ein weiteres Hysteron-Proteron (—>5992 ff.). In der ausfuhrlichen Darstellung der Episode 20268 ff. nennt Heinrich die Zauberburg Salye und erklärt sie als eine Konstruktion Gansguoters. Die Bezeichnung kastei a lit merveillos läßt Chretien durchscheinen, der nur das Bett Ut de la Merveille (CdG 7723 u.ö.) nennt, die Burg jedoch Chastel Orgoilleus (CdG 4619, 4653) bzw. la Roche de Chanpguin (CdG 8686,41). Der 13587 genannte Burgnamen Schastel Mervillos entspricht den gran% mervoilles (CdG 7465), die bei Wolfram zum Eigennamen der Burg geworden sind (Pz 318,19 u.ö.). Das Motiv der verlorenen Rippe entspringt offenbar der Phantasie des Erzählers. 6122 ff.: Die beiden Aventiuren um Gandroy und Ascurant sind unbekannter Herkunft und wohl üblichen Aventiuremustern entsprechend von Heinrich erdichtet; ein Verfahren, das im zweiten Tatenkatalog (8997—9044) verstärkt zum Einsatz kommt. 6138: Mit dem Sprichwort „Zwei sind stärker als einer" (vgl. Ecl 4,11 f.) bleibt Ywaün bei seiner Warnung vor Gaweins allzu großer Selbstsicherheit. Vgl. Iw 4329 f., 5350, 6619 und 6636; >Wolfdietrich< A 374,2; Gau 923; weitere Belege ShRM; TPMA 2, „Ein" 4.7.1: „Mehrere sind stärker als einer". 6140-6186 Erzählerexkurs: Das Wesen von Ratschlägen Der gesamte Exkurs (— Gr 34) ist geprägt von sentenzhafter Rede; er markiert den Ubergang von dem das Inkognito Gaweins umspielenden Dialog hin zu dessen Selbstnennung, die das Gespräch abschließt und zu Taten überleitet. 6140-6166: Die einleitende grundsätzliche Aufforderung, auf Rat zu hören, ist eine Sentenz, die biblische Vorläufer hat (vgl. Prv 11,14; Sir 32,24); sie findet sich z.B. auch Iw 2153 f., Dan 6020 ff. oder >Wigamur< 822.72 Der Blick auf das Ende wird von Heinrich mehrfach angeführt (vgl. 3906 ff., 7555 ff., 14824 ff, 19172 ff., 25130 ff.), als Sentenz findet der Gedanke häufig Verwendung, vgl. z.B. >Partonopier und Meliur< 13974f, Troj 18314ff. Vgl. ShRM sowie TPMA 2, „Ende" 1.3.3: „Man bedenke bei allem das Ende". 71 72

Vgl. auch T H O M A S 2002, S. 103 zu manheit als oberster Tugend. Viele weitere Parallelen vgl. ShRM.

6140-6186 Erzählerexkurs: Das Wesen von Ratschlägen

189

Zugleich weist Heinrich aber auf zahlreiche Einschränkungen hin, um vor schlechtem Rat zu schützen: Der Rat soll nicht zu eilig gegeben werden, weil er dann das Ende nicht mitbedenkt (6147 f.) und Streit hervorruft (vgl. dazu TPMA 8, „Rat" 2.3: „Rat darf nicht übereilt sein."). Ein weiser Ratgeber hat immer im Blick, was an Gutem und Schlechtem herauskommen kann, das viele nicht erkennen können (Sprichwort mit biblischem Hintergrund, vgl. Sir 7,40). 6156 ff. schließlich erfolgt der Hinweis für Ratgeber, sich gründlich mit einer Angelegenheit zu befassen, bevor sie dazu Stellung nehmen. Zum Raten auch ->6008-6012, ->6173ff. und ->6186. Vgl. z.B. Burckart von Hohenvels (KLD XIII 3,6—9): swer selbe enkan, der suoche wise rate./ wiser rät vil volge bat;/ swer volget wisen, der muo% mit eren grisen; Spervogel, MF 20,17: Swer suochet rät und volget des, der habe danc. Das Adv. seine, „langsam", nochmals —>27714. 6163 ff.: Zu diesem Gedanken auch —>3882, ->7853 ff. Versinnen wird 6164 im positiven Sinn verwendet („besinnen auf": Der Kluge, hier wohl Gawein, kann sich leicht auf Verlieren und Gewinnen verstehen), 6167 hingegen im negativen Sinn („sich irren": Ywalin hat sich in seinem Gast getäuscht). 6 1 6 9 - 6 1 7 2 : Exempel für einen vielleicht gutgemeinten, aber fehlgehenden Rat: Statt zu helfen verwundet er, genauso wie die Haut blutig wird, wenn man die Haare zu kurz abschert.73 Dieses Bild und die darauffolgende sentenzhafte Rede leiten zur Selbstnennung Gaweins über: Ihm werden die in bester Absicht gegebenen Ratschläge Ywalins zuviel, er verliert die Geduld. So fragt er ab 6187 ff. nach, ob Gawein wohl die Aventiure bestehen könne, das Zugeständnis seines Wirts läßt ihn dann sein Inkognito lüften. 6 1 7 3 - 6 1 7 9 : „Wer durch seinen Rat einen anderen schädigt, der lädt ihm mehr auf, als er ihm an Bürde nehmen konnte; so bringt ihm dieser Rat eine deutliche Warnung [vielleicht: einen beständigen Schutz?], nachdem er umgekehrt wurde" (6179 noch zu dem Satz dazugenommen, vgl. Interpunktion SCH). Diese verschlüsselte Aussage ist wohl so zu deuten, daß Gawein zum Richtigen aufgefordert wurde, indem er den Rat Ywalins, sich vor Gefahr zu schützen, ins Gegenteil verkehrt hatte. Sentenzhafte Rede, jedoch ohne Parallelen. Zum Raten —>6140 ff. 6 1 8 3 - 6 1 8 6 : „Wenn Rat so antreibt, würde er besser unterbleiben. Der Rat eines Freundes bringt oft Zorn hervor, was man häufig feststellen kann." Das Fazit des Exkurses unterstellt, daß Ywalin Gawein womöglich eher vom Kämpfen hätte abhalten können, wenn er auf seine Ratschläge verzichtet hätte. Zu 6185 vgl. auch ShRM. 73

Vgl. auch TPMA 10, „Scheren" 12.

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

190

6187-6223 Gawein nennt seinen N a m e n Zu dem die ganze bisherige Begegnung mit Ywalin durchziehenden Spiel mit Gaweins Inkognito —»6013 ff. Die nun folgende, äußerst selbstbewußte Nennung (6213: Jch bin selb, Gawein) korrespondiert z.B. mit 17632ff., auch 21593-21609. Vgl. daneben u.a. seinen ihm vorauseilenden Ruf -wie bei Siamerac von Lembil 15229 f.: sines namen er da genot^/ der ml mite was bekant (auch 12879 ff., 16520 ff., 19299 ff., 26556 ff.). Diese Vorgehensweise Heinrichs hat selbst bereits Tradition: So wird Gawein z.B. in den >ErecCrone< bestreiten wird (gegen Assiles 10039-10077 und gegen Baingranz 26886—27182, auch gegen Galaas und Reimambram). Vgl. die Erwähnung seines Kampfes gegen den Riesen Chalangelle von Clintester im zweiten Tatenkatalog 9003 f. 6218 ff.: Das Bild vom Abwägen beschreibt das Übermaß der vreude reich, die beide Ritter empfinden. Die beiden, die gewogen werden sollen, sind wohl diese Freude einerseits, das reichlich unbestimmte dehein übergeno% andererseits. 6224—6256 Gastfreundschaft Ywalins 6231-6250: (6237-6250 = GT 35) Die perfekte Bewirtung durch Ywalin bietet die Kontrastfolie für einen kleinen Exkurs über geizige Gastgeber, in dem vielleicht Realitätserfahrung des Erzählers durchscheint?75 Zu den häufig aufgegriffenen Themen Gastfreundschaft und milte vgl. auch 443—446, 7782 f., v.a. den Exkurs 8741-8794 zu Gawein als Gastgeber, 13864-71, 18906-12, 18935 f., 20346 ff., 20620-33, 22739 f , daneben finden sich auch kurze Bemerkungen wie z.B. 14738.76 74

Zu der „Erwartung der Mitakteure gegenüber Gawein", „Gaweins Selbstbewußtsein", zur „Gaweinfigur in den vorausgehenden Romanen" sowie der „Priorität der Funktion Gaweins vor der konsistenten Sage" (so die Kapitelüberschriften) vgl. CORMEAU 1977, S. 132-

75

Zur Verbindung von Realität und Fiktion hier und an anderen Stellen vgl. CORMEAU 1977, S. 229-241; MEYER 1994. Dazu JILLINGS 1980, S. 163-169. Zur idealen Gastfreundschaft vgl. auch ORKEN 1993,

143; a u c h - > 7 0 1 .

76

6257-6616 Kampf mit den Zöllnern I

191

6239-6244: den hagel diken 6241 ist als adverbialer Akk. zu verstehen, ähnlich z.B. dem Akk. der Strecke (vgl. malt unde steine lief er (>Kaiserchronik< 1708); der vuor wat^er unde wege Pz 826,23; vgl. Mhd. Grammatik §353 ff.). Vgl. TPMA 9, „Regen" 7.1: „Sich nicht vom Regen abhalten lassen, wenn man gehen muss". 6253 f.: Mit dieser Verabschiedung des Protagonisten zur Nachtruhe erweist sich der Erzähler als seiner Macht über die Fiktion bewußt, er unterstreicht aber auch die Distanz zu ihr. Die Frage nach der Fiktion war in dem gesamten Abschnitt um Ywalin prägend.77 Zugleich ist damit eine Art Rollenspiel mit dem Publikum vorstellbar: Im Stil eines Fortsetzungsromans wird es auf den nächsten Tag vertröstet und mit dem Helden zu Bett geschickt. Diese Technik findet sich z.B. Pz 552,29f. Hinweise auf einen mündlichen Vortrag des Romans bieten auch andere Passagen (—>918—2631). 6257-6616 Kampf mit den Zöllnern I Die folgende Kampfdarstellung weist in manchen Einzelheiten schon auf den großen, bis zum Absurden getriebenen Kampf zwischen Gawein und Gasoein voraus und läßt eine kritische Distanz des Erzählers zum absoluten Kampfwillen der Kontrahenten erahnen. Die Tiervergleiche ( 6 5 2 0 , 6 5 2 7 ) , einzelne Begriffe, darunter der Ausdruck molte 6508,78 sowie den Fußstoß — > 6 5 9 2 ff. deutet MEYER als Hinweis auf eine Nähe der Heldenepik.79 6257—6301 Ankunft der Zöllner, Provokation durch Gomeranz 6270-6274: (6272-6274 = GT 35b) „Leben und Tod gehören zusammen; wahrhaftig, der wäre unklug, der den Tod kauft [alternativ: verkauft (dann aus Sicht von Gaweins Gegner)], solange das Gut Leben bewahrt."80 Zum ersten Gedanken, der der Aufforderung zur widersinnigen Wahl zwischen Leben und Tod entgegnet, vgl. TPMA 11, „Tod" 1.3.1: „Was geboren ist, muß sterben." Gawein antwortet zunächst auf der gedanklichen Ebene der Zöllner; wäre er ein Kaufmann, würde er seine Habe geben, um sein Leben zu retten. Da er aber kein Händler ist, ist das nicht seine Denkweise, er hat dafür nur Spott übrig, was seinen Gegnern vngemach ist (6283). S. 2 5 8 f . (zu I w 2 8 0 - 3 8 0 ) , d e r u . a . d i e B e n e d i k t i n e r r e g e l z i t i e r t (>Benedicti RegulaCrone< belegt.87

6375-6393: Zu dem folgenden Exkurs über Wolframs >Parzival< vgl. u . a . DAIBER 1 9 9 9 , S . 2 0 6 - 2 2 6 ; SCHRÖDER 1 9 9 2 ; REINITZER 1 9 7 7 , S . 1 7 8 f f . ;

„Dichter über Dichter", S. 83; GÜLZOW 1 9 1 4 , S. 3 f.; ZINGERLE 1860.

Ausgehend von Gaweins bestens vorbereitetem Einzug auf den Kampfplatz, den der Erzähler mit eins engels bilde vergleicht, schließt er eine kritische Anmerkung auf Parzival an, der Gawein, so wie die drei Ritter in der Einöde von Soltane, mit göttlichen Erscheinungen verwechselt haben würde: Anlaß, auf Parzivals bäuerliche Jugend und Torheit zu verweisen. Der Abschnitt war Auslöser dafür, die >Crone< als „Anti-Par2ival" in die Forschung einzuführen.88 Die Vorstellung, Heinrich habe Wolfram ausstechen wollen, haben viele weitere Interpreten aufgegriffen.89 CORMEAU betont hingegen den Charakter als ironisches Zitat, durch das der Fiktionscharakter unterstrichen werden solle.90 Eher wertneutral liest BLEUMER die Stelle als Feststellung der unterschiedlichen Charaktere der beiden Protagonisten: Parzival müsse eine starke Entwicklung durchlaufen, Gawein besitze bereits einen festgelegten Charakter.91 Ähnlich moderierend der Hinweis STEINS, daß es sich um eine vollkommen in Ubereinstimmung mit den Vorlagen stehende Beschreibung von Parzivals Begegnung mit den Rittern handle, die daher nicht überbewertet werden dürfe.92 Die Stoßrichtung Heinrichs geht dahin, daß Parzival ohne Wolfram bei seiner Mutter geblieben wäre und ihr beim Bestellen des Hofs geholfen hätte, wie es dem Milieu seiner Kindheit und seinem Namen (in Heinrichs Deutung, die von Wolfram abweicht)93 entsprochen hätte (vgl. Pz 117,16 f.).94 86

Der Eintrag küchen, „hauchen" zu dieser Stelle Lex 1,1761 erscheint weniger sinnvoll.

87

Vgl. Lex 111,650; D W b 27,1215; REISSENBERGER 1879, S. 30. Z u r Herkunft verweist Lex

88

auf ahd. wäla aus wadala oder zu ιvajen\ vgl. SCHÜTZEICHEL 1989, S. 279: niderwallon fur „sich hinabbewegen", üfivallon für „sich hinaufbewegen". DWb 27,1215: „zu wehen, mhd. wajen. nur in der älteren spräche:ßabellum, Wala [...] das wort wird durch sich enger an wehen anschlieszende bildungen (s. wehel, weher) und besonders wedel verdrängt." Zuerst GÜLZOW 1914, S. 4.

89

Vgl. READ 1974, S. 133 f.; REINITZER 1977, S. 185 f., der die Passage als „Mittel der Glo-

rifizierung für Gawein" versteht (S. 188); JILLINGS 1980, S. 131 f. (der es als Parodie versteht); SCHMID 1994, S. 269 liest eine „Attacke" auf den „Gralhelden Wolframscher Observanz"; auch MEYER 1994, S. 80; ROSSNAGEL 1996, S. 93. 90 91 92

CORMEAU 1977, S. 195 ff. BLEUMER 1997, S. 77 f. STEIN 2000, S. 60 ff.

93

Während Wolframs rthte inmitten durch (Pz 140,17) eher im Sinne der geradelinigen, auf die göttliche Ordnung hin ausgerichtete Lebensführung gedeutet wird, verweist Heinrich ausdrücklich auf die bäuerliche furch (6391); vgl. auch REINITZER 1977, S. 186. Sie richtet sich vielleicht gegen die religiöse Überhöhung, die dieser durch seine Behänd-

94

194

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

6376: Das engels bilde zitiert vielleicht Pz 308,1 ff.95 STEIN verweist auf zwei weitere Stellen: neben Iwein, der einmal in engels wis gelieret erscheint (Iw 2554), v.a. auf den Ausruf Percevals: Ce sont ange que je vois d"' bei der Begegnung mit den Rittern.97 6380: Zur Nennung Wolframs auch —>16940 (Berufung auf Chretien). Es ist umstritten, ob Heinrich den gesamten >Parzival< oder aber nur dessen erste Bücher gekannt hat; zuletzt ausführlich dazu STEIN 2 0 0 0 (der für eine Kenntnis lediglich der Bücher I—VI argumentiert); mit Verweis auf 24607— 2 4 6 1 5 9 8 geht zuletzt THOMAS von der Kenntnis des gesamten Romans aus.99 Vgl. aber bereits GOLTHER: „Ein Vergleich zwischen Kristian, Wolfram und Heinrich lehrt, daß sich dieser mehr an Kristian anschließt, aber auch Wolfram in einzelnen Punkten folgt. Heinrich vereinfacht die Erzählung [...] In Wolframs Art erfindet Heinrich für die Personen neue wunderliche Namen, die in den Vorlagen nicht vorkommen." Enge Bezüge zu Chretien stellt er v.a. für die gesamte sog. Chretien-Sequenz fest.100 Der für den vorliegenden Kommentar durchgeführte detaillierte Vergleich verschiedener Romanpartien mit >Le Conte du Graal< bestätigt diese Aussage. 6381 f.: Das Bewußtsein für Fiktionalität, das daraus spricht, daß Wolfram für das Schicksal seiner Figur verantwortlich gemacht wird, findet sich vergleichbar in Wolframs direkter Anrede Hartmanns, Pz 143,21 ff. bei Parzivals Ankunft am Artushof, also genau in der Episode, auf die Heinrich hier anspielt.101 6390 f.: Vgl. afrz. percier, „durchstossen, durchdringen" sowie afrz. val, „Tal".102 Vgl. zur Namensdeutung und -findung Wolfram: der nam ist rehte enmitten durch./gro% liebe ier solch herben furch/ mit diner muoter triuwe:/ dm vater lie% ir riuwe (Pz 1 4 0 , 1 7 - 2 0 ) . Heinrich nimmt Wolframs Namendeutung auf, interpretiert sie sprachlich aber etwas genauer: er bezieht den Namen auf die Rodungstätigkeit im Wald seiner Kindheit (vgl. CdG 73 la gaste forest soutaine, Pz 1 1 7 , 8 f. in einen wait,/ %er waste Soltane); durch ein Komma nach 6 3 8 8 lung des Gralsstoffes in den Artusroman eingebracht hat; in diesem Sinne CORMEAU 1977, S. 2 1 4 , S. 2 2 7 f. 95

Dementsprechende Interpretationen bei BLEUMER 1997, S. 77 f.; SCHMID 1994, S. 268; REINITZER 1977, S. 187 f.; gegen diese Parallele STEIN 2000, S. 60; J ILLINGS 1980, S. 4.

96

CdG 132: „Das sind Engel, die ich hier sehe"; zuerst zitiert bei REINITZER 1977, S. 185 (mit Anm. 27). STEIN 2000, S. 60. Keies Bemerkung, der reife Parzival habe für seine Jugendsünden gebüßt; allerdings bleibt sie in ihrer Unverbindlichkeit auch aus >Conte du Graal< herleitbar.

97 98 99

Vgl. THOMAS 2002, S. 21.

1 0 0 Vgl. GOLTHER 1 9 2 5 , S. 2 2 0 f.

101 Vgl. STEIN 2000, S. 61. 1 0 2 Vgl. D A F , 4 5 3 und 6 1 0 ; SUOLAHTI 1 9 2 9 , S . 1 7 8 bzw. 2 7 7 .

6415-6448 Zweikampf Gawein - Belianz

195

würde das noch deutlicher (vgl. SCH). Zur Diskussion um die (ungesicherte) Vorbildfunktion einer Stelle der >Gerbert-Continuation< vgl. zusammenfassend SCHMID 1994, S. 286, Anm. 9. 6401 f.: Die Formulierung sich in di schiltrende vlechten ist auffällig und ohne Parallelen. Offenbar handelt es sich noch um eine der kampfvorbereitenden Maßnahmen; der rant steht auch alleine füir den Schild (vgl. 19199, Lex 11,342; auch 3010, 20519), schiltrende steht offenbar als pars pro toto für den ganzen Schild und nicht nur für den Rand, vlehten dürfte beschreiben, wie der Schild ergriffen wird, der mit Hilfe eines Riemens am Hals getragen und zusätzlich mit der linken Hand gefaßt wurde (DWb 15,112 ff.; daß Heinrich ein solches Schildmodell gekannt haben muß, legt hant 11910 nahe, vgl. auch 18216 f.). Der PI. rende greift die entsprechenden Pluralformen von sporn, womöglich auch ors auf — beide Kämpfer werden gleichzeitig beschrieben. 6408: Zu dem halsperch -»2865. 6409: Der Anschluß Do in Κ erscheint stilistisch angemessener, mit einem Komma vor 6410 (vgl. SCH). 6415-6448 Zweikampf Gawein - Belianz 6416: Die Syntax gibt gewisse Rätsel auf. Das Pronomen Jn könnte Gawein als Akkusativobjekt bezeichnen, wobei toten Verschreibung aus taten sein muß, die Voranstellung des Akkusativobjekts ir pruoder als emphatische Verstärkung und Hervorhebung beurteilt werden dürfte: „Als sie ihn ihren Bruder töten sahen, ganz in der Nähe [...]". Alternativ ließe es sich aber auch zu dem intrans. Verb toten lesen („sterben, absterben" Lex 11,1472),/» wäre dann auf Gomeranz bezogen: „Als sie ihren Bruder sahen, ihn sterben, ganz in der Nähe [...]" (so offenbar KNN). 6428: Der Name Belian^ enthält afrz. bei.\ „schön", das in vielen Namen verwendet wurde,103 verbunden mit dem ebenfalls verbreiteten Suffix -an% (—>6284 zu Gomeranz).104 Zu dem konjizierten Zunamen Ii rus vgl. 596 die Form Miliance ly ros, zu afrz. ros, rous (vgl. auch Anm. KNN). 6449-6476 Kampfpause, Klage der Brüder 6449: Bemerkenswert erscheint im Übergang der beiden Dreireimabschnitte das Enjambement des letzten Reimverses, der inhaltlich eindeutig zum neuen Sinnabschnitt gehört; womöglich soll mit diesem singulär angewendeten Stilmittel die enge Verknüpfung der Handlung betont werden. 103 VgJ. in der >Cröne< noch Bei Repeire, 104 W E S T 1969, S. 15 verzeichnet lediglich

Belahim, Belyti (siehe das Namenregister). Behaut als Variante zu dem Ortsnamen Bethleem.

196

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

Demgemäß ist die offensichtliche Verwirrung der Schreiber von V und Κ zu deuten, die die Initiale vor den letzten Vers des Dreireims setzen (konsequenterweise auch KNN); Ρ und SCH setzen sie dem Reimschema entsprechend. Zu den Namen: Ein Eumenidus findet sich im afrz. >Roman d'Alexandre< Bd. 2, 588 u.ö. (—>600 ff.); aufgegriffen nur im >Alexander< des Ulrich von Etzenbach; vgl. LdaG, 248 („Möglicherweise liegt ein Reflex der antiken Namensform vor"). Vgl. auch die Eumeniden, gr. „die Wohlgesonnenen", v.a. ein Euphemismus für die Erinnyen (die Rachegöttinnen).105 Die erste Silbe in Bandarab entspricht offenbar dem afrz. Namensbestandteil Baud(z.B. in den beiden Schreibweisen für Banderous und Bauderons 2328);106 wohl zu afrz. baut, „froh, kühn, keck".107 6457: Das zweite si (nach P) ist auf die beiden toten Brüder ( 6 4 5 2 ) bezogen; so auch die Pluralformen Jr und si 6 4 6 2 f. 6467: petit mangiere zu afrz. mangier („Mahlzeit") und petit („klein"), hier zur Mittagszeit eingenommene Zwischenmahlzeit, ein imbi% (vgl. 15939: imbi^ zur Mittagszeit); auch —>7649 zu gramangir. 6477-6616 Kampf gegen die Brüder, Selbstmord des Eumenides Lit. zum Motiv Selbstmord: MATEJOVSKI 1 9 9 1 ; K N A P P 1979. Vgl. auch die Exempelreihe 1 1 5 1 9 - 1 1 6 0 7 .

6508: Der Begriff molte für Erde, Staub, bei Heinrich auch 3 0 3 8 und 1 2 0 2 1 , wird hauptsächlich in der Heldenepik verwendet (vgl. Lex 1 , 2 1 9 5 ) . 6509: Der unterlegene gestreit ist Bandarap, wie sich aus dem weiteren Ablauf ergibt. 6520: ber könnte sowohl Bär (her) als auch Eber (bei) sein. Für „Bär" spricht, daß der Eber sonst wilde^swein bzw. eber genannt wird (—>6527); für den Eber hingegen, daß er ebd. wieder aufgegriffen würde. Zudem bietet PFOSER 1 9 2 9 , S. 1 8 5 mehrere Belege für den Reim e: e. Allerdings ist fraglich, ob Gawein und seine beiden Gegner durch dasselbe Tier repräsentiert werden sollen, oder ob das Bild im Hintergrund einen Kampf zwischen Bär und Wildschwein meint. 6527: gewuot bzw. gewüeten ist nur für die >Crone< belegt (wieder 1 0 3 2 9 ) . Der Vergleich der Gegner mit einem eber wiederholt sich in Gaweins Traum während des Kampfes gegen Gasoein, den er mit einem Wildschwein gleichsetzt {wilde^ swein 1 2 1 5 7 , eber 1 2 1 7 0 ) ; zur Symbolik - > 1 2 1 5 7 . 105 In dieser Umschreibung z.B. in Ovids >MetamorphosenCröne< von der Gattungsnorm"), bes. S. 238. Seine Logik, der folgende Selbstmord sei auch Reaktion auf diese Schmach, entbehrt jedoch der Textgrundlage. Die Mühe mit solchen Stellen zeigt der immer wieder Ironie ins Spiel bringende Ansatz von JILLINGS 1 9 8 0 , der S. 5 1 f. diese Stelle als ein „wholly alien element of comedy" sieht. Er verweist auch auf Parallelen der Heldensage: So >Wolfdietrich< Β 362,1 f. (Er stie^ in üf die brüst, zum Wecken); >König Rothen 4283 f. und >Ortnit< 3 3 7 , beide Male wird der am Boden Liegende in den Mund getreten. Dazu auch MEYER 1 9 9 4 , S. 8 2 . 110

KNAPP 1 9 7 9 , S. 1 1 4 ff.

111 Vgl. u.a. die Schilderung der medizinischen Versorgung des Anfortas durch Trevrizent Pz 481,1 ff. oder Gaweins Erste Hilfe für den betrügerischen Urjäns Pz 506,7 ff. u.ö.

198

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

6617-6715 Gawein ist schwer verwundet 6650: Zu kojfe („Harnischkappe") ->2871. 6660 f.: bewaren zu bewaren, „erproben" (Lex 1,252); zur nicht umgelauteten Form vgl. Anm KNN zu 943. 6663, 6668, 6672: Zu den drei wohl auf Hildegard von Bingen zurückgehenden Adern cephalica, median, epaticam (vgl. Anm. KNN) vgl. auch die womöglich aus derselben Quelle stammenden Ausfuhrungen Ginovers zur Wärme von Männern und Frauen —>3376 ff.112 Auch die Interpretation Ywalins 6681 f., Gawein schlafe aus Erschöpfung und wegen des „feuchten Dunstes" (des toumes nesgen 6682,113 vgl. den houbtsweiζ 6676), wird auf >Cause et cure< zurückgeführt.114 6685: Zu malen („fächeln") - > 6 3 5 4 . 6708 f.: Gaweins Angst um seine Rüstung greift die Forderung der Zöllner 5869 auf (-».5849-5901). 6714: Gaweins Nichterkennen korrespondiert mit dem Spiel um sein eigenes Inkognito im Gespräch mit Ywalin am Vortag (—>6013 ff.), vgl. seine Selbstnennung 6213: Jch bin selb, Gawein. 6716-6781 Gawein gesundet, Abschied von Ywalin 6721: Der Name A^anguse ist rätselhaft, es finden sich keine Parallelen. Das Präfix findet sich in den Namen Azet und Azinde; allerdings beginnen deutlich mehr Namen mit Ans-, vgl. CHANDLER 1992, S. 23.115 Zu -anguse vielleicht afrz. angoisse, „Angst, Schmerz, Aufregung". 6722 ff.: Das aus edeln wurden gesoten phlaster war Wundabdeckung und Heilmittel in einem; diese Pflaster bestanden aus Mischungen von Harzen, Fetten und Wachsen als Trägermaterial, das im weichen, erwärmten Zustand auf der Haut haften blieb, sowie verschiedensten Heilpflanzen.116 6728: Daß Ysolde von Irland Lehrerin der Azanguse gewesen sei, scheint literarisches Spiel; die Figur zitiert Heinrich auch in der Becherprobe 1598 und in der Begegnung Gaweins mit Amurfina (vgl. den Minnetrank 8632 ff.). Zum Motiv der heilkundigen Frau vgl. HAUPT 1991, v.a. S. 106. 112 Als „Kopf- Mittel- und Leberader" bei WAGNER-HARKEN 1995, S. 264, mit Anm. 372, die zudem zitiert, daß an diesen Venen der Puls gar nicht kontrolliert werden könne, Heinrichs medizinisches Wissen nur angelesen sei. 113 Wieder 9321 f. und 12167 f. 114 Kap. „De somno"; vgl. KNAPP 1981, S. 180, Anm. 74. 115 Dabei sind die mit Ansg- beginnenden Belege aus der >Crone< jedoch mit Anj- gleichzusetzen, entsprechend Heinrichs Angewohnheit, afrz. -j- durch -sg- zu ersetzen. 116 Vgl. LdMA 1,1094 ff. zu „Arzneiformen".

6782-7852 Gawein bei Blandochors: Zweite Zöllner-Avenriure

199

6738: V/P vrbunst für „missgunst, neid" verwendet Heinrich auch 7389 und 27334; alle anderen Belege bei Lex 11,2002 sind offenbar deutlich jünger (Ende 13. Jh. und später).117 6739-6746: (=Gt40) Sentenzenfolge: „Daß Wunsch und Erfüllung gleich sind, geschieht selten, aber man hört häufig, was ich auch glauben will: daß die Hausgenossen [P/SCH; V / K N N zufolge die Hüter, Pfleger(?)] den Willen der Herren wohl beachten und gerne dementsprechend handeln. Das Rind sehnt sich nach der Futterkrippe, das Lamm fürchtet die Räuberei des Wolfs." Diese Stellungnahme zur Qualität des Hausgesindes steht in einer Reihe mit den Bemerkungen zu guten und schlechten Gastgebern (—»62316250); zu Parallelen auch ShRM. In dem Tierbild zeigt sich das Bedürfnis der Schwachen und Abhängigen nach Gewohnheit und Sicherheit; es scheint zugleich die Schutzpflicht des Hausherren seiner gesamten Hausgemeinschaft gegenüber durch.

6782-7852 Gawein bei Blandochors: Zweite Zöllner-Aventiure Neben der Nähe zur gerade abgeschlossenen Begegnung mit Ywalin zeigen sich in der Blandochors-Episode Verbindungen zu >IweinParzivalCrone13935—14926. Das Motiv steht in Verbindung mit der Tradition des Schlachthorns, „das noch meilenweit gehört wird und Kampfgenossen zu Hilfe ruft", im Märchen wird daraus häufig ein „Wunderhorn, das übernatürliche Helfer herbeibläst."133 In der >Crone< werden Gawein und seine Gefährten ein weiteres Mal 27416 ff. durch ein selbsttönendes Horn angekündigt. 6985: Zu der Formulierung von Wunders geschihte —>5673. 6997: Das Rad, auf dem die hornblasende Figur steht, deutet wohl auf ein pneumatisches System zur Tonerzeugung hin: Rotation verursacht den nötigen Wind, um das Horn zum Klingen zu bringen (vgl. auch den Schild Gasoeins 10548). Der pavm als ein tanne, auf dem sich die Figur befindet, entspricht womöglich den künstlichen Edelmetallbäumen, auf denen häufig ebenso künstlich singende Vögel beschrieben werden.134 7006 ff.: Im Unterschied zur ersten Zöllneraventiure (vgl. 5849 ff.) wird der zweite Kampf nicht vorher erklärt. Es bleibt bei vagen Andeutungen von Seiten der Gastgeber Gaweins, erst auf seine Fragen nach dem Grund ihrer großen Klagen erfährt er von Blandochors, daß ein Kampf auf Leben und Tod zu bestehen sein wird (7395 ff.). Anders als gegen die vier Zöllner bei Ywalin geht es in dem bevorstehenden Kampf nun nicht nur um die Rüstung des in das Land des Riesen eingedrungenen Ritters, sondern um dessen Leben, das als „Zoll" abzuliefern ist — das offenbart sich allerdings erst im Kampf selbst, der unerbittlich wütet, bis einer der beiden Zöllner tot ist (7518) und der andere um sein Leben bettelt (7593 ff.). 7009: Zu Α ηsgivre vgl. z.B. die Personennamen Ansgü und Ansgie; im Blick auf Heinrichs Angewohnheit, afrz.y durch ^wiederzugeben, könnte es zu afrz. jurer, („schwören") zu stellen sein, allerdings ist das Präfix An- unklar; Bezug könnte der Unterwerfungseid des Blandochors gegenüber Assiles sein?135 Uberlegt wurde auch die Gleichsetzung mit dem Herkunftsnamen des ΜίίαΓζ von Ansgewen (18141 f.), der eine moie („Garbe", ->10035) als 132 JILLINGS 1980, S. 53 verweist daneben auf die „copper figures" in >Perlesvaus< S. 254, V. 5927 f. 133 RACHEWILTZ: „Horn", in: EM 6,1254. 134 Belege bei EITSCHBERGER 1999, S. 294 und 303. 135 Nicht ganz mit dem Reim in Einklang zu bringen ist afrz. anjomer, „tagen", das auf den morgendlichen Kampf gemünzt sein könnte (vgl. 7144, 7364 ff.).

7041—7149 Das Horn ertönt, allgemeine Klage um Gawein

205

Wappen trägt; dasselbe Wappen tragen die von Gawein aus der Gewalt des Assiles befreiten Ritter 10031 ff., zu denen auch der Sohn des Blandochors gehört.136 7012: Die Berufsbezeichnung njgromanticus findet sich nur hier, die nigromanage ist hingegen weiter verbreitet, vgl. 1090, 8307, 20404, Lex 11,82 f. Der guot nygromanücvs verfugt über eine ähnliche „Technik", wie sie Gansguoter für seine Burgen verwendet hat; MAKSYMIUK erwägt daher eine Identifikation mit dem Onkel Amurfinas.137 Da Assiles jedoch der Gegner-Seite zuzurechnen ist, erscheint eine Beteiligung des Artushelfers unwahrscheinlich. 7025 ff.: Die Geschichte des Blandochors entspricht den schon berichteten Schicksalen des Königs Floys und des Ywalin; die Wiederholung betont die Gefahr, die von Assiles ausgeht. 7035: Der Name Eygrvn ist weder in dieser Schreibweise, noch in den verschiedenen Varianten mit anderen vergleichbar; allerdings fällt die mögliche Verbindung zwischen -grvn, grüene und dem Herkunftsnamen des Königs Floys ν%em Grüenen Wert auf (5699 u.ö.). 7036 ff.: Die Interpunktion legt nahe, 6038 inhaltlich zum vorhergehenden Vers zu ziehen: „Damit er Macht hätte, ihn zu blenden"; das setzt aber einen eigenwilligen Gebrauch von Vnd voraus. Besser wohl „Und daß er darüber Gewalt hätte, daß er (Blandochors) sich von niemandem anraten ließe, etwas gegen den Riesen zu unternehmen" (vgl. SCH). 7041—7149 Das Horn ertönt, allgemeine Klage um Gawein 7060 ff.: Heinrich hat in seinen Roman gleich mehrere auf Gawein bezogene Klageszenen eingebettet, vgl. die Zusammenstellung —>7150—7223. 7081: Passend zu dem Imperativ 7085 mag V auch hier eine direkte Anrede ans Publikum beabsichtigen; vgl. die Aufforderung: Nv hart (1445, 9487, 11287, 13142, 25016, 25035, 26289), ebenso: Nv seht (92, 4385, 7046, 9340, 14092, 15473 u.ö.), Da^ merch 11249.138 7088 ff.: Die Vermutung Gaweins, war ein man [...] auf den povm [...] gestigen, zeigt, daß es dem Erzähler um die Rationalisierung seines Motivs gegangen sein dürfte, ähnlich dem Nagel im Burgtor der MaultierzaumEpisode (—»12980 ff.).139 Die Konstruktion des Automaten verlangt, daß das lufterzeugende Rad in Bewegung versetzt wird (—>6997). Mit dem Bedürfnis 136 Vgl. auch JILLINGS, Biogr. 1981, S. 91 f. 137

MAKSYMIUK 1 9 9 6 , S . 1 4 1 , A n m . 1 .

138 Vgl. weitere Publikumsanreden bei GÜLZOW 1914, S. 207. 139 Ähnliche Details finden sich noch häufiger, vgl. —»6794 ff. (Glasberg), das Unwetter im Wunderwald (->9261 ff.), die Erklärung der Drehmechanik 12963 ff. oder das Trinkverbot am Gral, um dem Schlaf vorzubeugen.

206

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

nach Rationalisierung steht Heinrich in derselben Tradition wie Wolfram, der sich ebenfalls immer wieder darum bemüht, die kryptischen Vorgaben seiner Vorgänger realistisch zu deuten.140 Zu Gaweins gedachtem Monolog 7099 ff. vgl. auch Zatloukal 1981.

7113-7303: Heinrich nutzt diese gesamte Szene zu einer ausfuhrlichen Charakterisierung Gaweins, jeweils durch in die Handlung eingebettete Sammlungen von Sentenzen und Bildern. Insgesamt kristallisieren sich v. a. folgende Eigenschaften seines Protagonisten heraus: Er gewinnt durch jede Prüfung neue Qualitäten (7113 ff.), er akzeptiert sein Schicksal ohne Murren und versucht, immer das Beste aus einer Situation zu machen, statt sich in Klagen zu verlieren (7177—7223), er hält sich an die Herrschertugend der maye (7277 ff.), er ist so rechtschaffen, daß Saelde ihm ihre Unterstützung nicht verwehrt (7289 ff.). 7113-7120: (= Gt 42) Diese bildhafte Sentenz über die vergebliche Fälschung (—>29934 f.), durch die statt der angestrebten Wertminderung eine Verbesserung der Qualität erreicht wird, wird auf den kiienen angewendet. Dieser gewinnt aus Preise [nur] starchy hert\ vnd Pesten muot, so daß der Erzähler mit dem Sprichwort abschließt: Also da^golt tivrt digluot Gawein wird durch Herausforderungen immer noch besser. Dieses Sprichwort geht auf Prv 17,3 und Sir 2,5 zurück, vgl. auch ErH 6785 f., Pz 614,12 ff. 7121 ff.: Hier folgt nun die eigentliche Anwendung: Natürlich ist Gawein, der vnerschraht, mit dem kiienen gemeint,141 dessen lewen muot unter einem lambes vel versteckt ist, ein aus Sprichwörtern bekanntes Bild. Von 7272 an läßt Heinrich noch eine sehr viel ausführlichere Charakterisierung Gaweins folgen. vnerschraht ist womöglich reimbedingte Bildung Heinrichs zu unerschrekket.ul Zu dem lewen auch -»2012. 7128—7136: Daß die klagenden vrowen vnd meide den anwesenden Gawein ganz übersahen, läßt sich vielleicht als Übersteigerung des Motivs vom Nichterkennen Gaweins bei Ywalin deuten (->6187-6223). 7148: entsagen muß hier im Sinne von „sich entziehen" gelesen werden, es ist wohl rhetorische Formel, denn der Text bietet keine konkreten Hinweise, wie sich Gawein wirklich von dem Kampf befreien könnte. 140 Vgl. z.B. das Detail der Gralslanze, die bei ihm blutig ist, weil sie als medizinisches Instrument benutzt wurde (Pz 489,30 ff.), während Chretien einfach sagt, sie blute (CdG 3136). 141 Gaweins Unerschrockenheit in Gefahr stellt Heinrich immer wieder deutlich heraus, vgl. 9723 f.; 15281 f.; 16391 ff.; 16485 ff.; 18781 ff.; 18791; 21494; 26697. 142 Vgl. BMZ 11,2,212 und Lex 11,1824, die die Form noch einmal nachweisen für >Des Landgrafen Ludwigs des Frommen Kreuzfahrt< (vollendet 1301); das „Findebuch" belegt es daneben für den wohl ebenfalls später entstandenen >Alexander< Rudolfs von Ems.

7150-7223 Gawein: Exkurs über das Klagen

207

7150-7223 Gawein: Exkurs über das Klagen Der folgende Exkurs behandelt auf theoretischer Ebene das Motiv der Klage, das sich durch den gesamten Roman zieht. Neben den beiden hervorgehobenen großen Hofklagen um die entführte Ginover (11462—11607) und um den totgeglaubten Gawein (16804—17311) werden zahlreiche kleinere Klagemomente eingeschoben. Vgl. gleich zu Romanbeginn die Klage des sechsjährigen Artus um seinen Vater 347 ff. und den Nachruf auf Hartmann von Aue 2348-2455. Die Klage bei Blandochors (v.a. 7041-7268) ist die erste auf Gawein bezogene, der weitere folgen: durch die Magd Belahims (9471 ff.), durch Gaweins Gefährten (nur knapp erwähnt 14930 ff.), nach der großen Hofklage dann noch auf Salye (nach der Nacht im Wunderbett 20721 ff. und vor der Aventiure um die Blumen des Giremelanz 21219 ff.) und die in der Bergfalle des Baingranz 26501 ff. Zudem klagen die Zöllner des Assiles um ihre gefallenen Brüder (6449-6476 und 6584-6616), Belahim um ihren Bruder und ihr Schicksal (9612—9652), die Gefährten Gotegrins um Ginover (11167 ff.), darauf folgt die große Hofklage um die Königin. Die Bilder der ersten beiden Wunderketten bringen gleich mehrere Klagemomente; die Episode um den Schwarzen Ritter beginnt mit einer Klageszene (18934—18996); schließlich klagt der Artushof drei Tage lang um die verlorenen Saeldenkleinodien (25560 ff.) und noch einen Tag um Keie (29852 ff.). Das Motiv spielt also eine wichtige Rolle in Heinrichs Erzählen, wodurch die folgenden ausfuhrlichen, theoretischen Erörterungen gerechtfertigt erscheinen. Strukturell entsprechen sie dem Diskurs über Saelde und manheit bei Ywalin, zwei Aspekte, die ebenfalls von großer Bedeutung für den gesamten Roman sind. 7177—7182: (= GT 42a) Mit dieser tröstenden, sentenzartigen Rede (vgl. auch ShRM) beginnt Gawein seinen ausführlichen Exkurs über das Wesen der Klage, der er zutiefst kritisch gegenübersteht. Klage ist unproduktiv, sie spendet keinen Trost und auch sonst keine Hilfe, sie ist nur Widersacherin der Freude. Damit sind bereits die Schwerpunkte der weiteren Ausführungen genannt. Ohne die durchaus auch positiven, kathartischen Aspekte der Klage zu diskutieren, läßt sich hier eine weitere Facette in der Charakterisierung Gaweins sehen (—>7113 ff.): Er ist ein Mensch der Tat, er fürchtet die bevorstehenden Kämpfe nicht (7162 f.); vorsorgliches Klagen ohne echten Anlaß hilft ihm nicht weiter. 7187: ^uhtbare ist nur noch Pz 343,18 belegte Adjektivbildung zu %uht „auf %uht hindeutend, mit ^/verbunden" (Lex 111,1171); also etwa: „daß Glück und Klugheit euer Leben reich gemacht haben an Ehren, die mit

208

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

richtigem Verhalten verbunden sind."143 Vgl. auch die Parallelbildungen ratpar/ratbare 7206 und kussebare 16734, daneben auch blindenbare (—>23908). 7188-7201: (7188-7223 = GT 42b) Die Überlegung, daß der Unwissende einen Weisen wenig lehren könne (7198 ff.), illustriert Gawein mit den Bildern von der Nachteule, die einem Adler nicht das Fliegen in großer Höhe beibringen, sowie von dem Flechtzaun, der keine Mauer ersetzen könne. 7202-7213: Die Fortsetzung der Didaxe handelt nun von der Unsinnigkeit der Klage in Anbetracht unabwendbarer Vorkommnisse: In einer solchen Situation verliert man durch Klagen nur die Möglichkeit, sich über den Zuspruch von Freunden zu freuen (7205 ff.) und tröstlichen Rat zu genießen (7212 f.). Der Gedanke der Sinnlosigkeit war direkt zu Beginn des Exkurs benannt worden (7177 ff.). Gawein betont seinen Wunsch, zumindest den Lauf der Dinge zu beeinflussen, auch wenn er sie nicht aufhalten kann.144 7206: ratpar ist neben diesem Beleg nur in einem Urkundenbuch bezeugte Adjektivbildung; Lex 11,348 übersetzt „rat bringend, sich aufs ratgeben verstehend"145 (vgl. auch quhtbar —>7187 und kussebeere —>16734). Im Vergleich mit unratbare Tr 12427 („hilflos") ist hier im Sinne von Anm. KNN „hilfreich" zu deuten. 7216: Das Sprichwort Swas^ geschehen sol, da^ geschiht^ das sich wieder —>11037 und leicht abgewandelt —>19315 f. findet, könnte als fatalistisches Leitmotiv der >Crone< gesehen werden.147 Hier kulminiert die Rede Gaweins gegen die Klage seiner Wirtsleute darin, später leitet es die Entfuhrung Ginovers ein, im dritten Fall kommentiert es die Geschichte eines verfluchten Geschlechts, die der Gralsgeschichte vorausgreift. Es wirkt allerdings zugleich ironisch, daß Gawein jedes Mal in der Lage ist, das als unabänderlich Gedachte zum Besseren zu wenden. Hier tröstet Gawein seine Gastgeber und erhofft sich der Salden helfe (7200). Vgl. Iw 6567: dir geschiht da% dir geschehen sol·, ErH 4801 und 5985, Wig 2295 und 6839, Lanz 6955. 7217—7223: „Wer mit Klagen seine Zeit verlöre, während ihm die Tür der Sajide freudvolle Einfahrt gönnte [...]": Gawein faßt die vorher geäußerten Gedanken noch einmal zusammen; vgl. auch schon 2177 ff. oder —>3499 ff. Zur Sentenz 7222 f. vgl. ShRM. Die Salden tür auch ->2067 und 15959. 143

PRETZEL 1 9 8 2 , S . 1 2 8 .

144 Vgl. dazu RINGELER 2000, S. 243; BLEUMER 1997, S. 80 f. 145 PRETZEL 1982, S. 125: „die Pflicht helfenden Trostes". 146 Vgl. zahlreiche Belege ShRM; TPMA 4, „Geschehen" 4.1: „Was geschehen muss und vom Schicksal bestimmt ist, geschieht auch", ebd. 4.2: „Was geschehen muss, kann man nicht verhindern"; Z I N G E R L E 1864, S. 5 0 f. 1 4 7 So zuletzt M E Y E R 2 0 0 1 , S. 5 5 3 : „fatalistischer Leitvers".

7224-7268 Klage des Wirts Blandochors

209

7224-7268 Klage des Wirts Blandochors 7224—7228: (= GT 43) Die Interpunktion von KNN rechnet diese Bildrede noch den Ausführungen Gaweins zu, derjenige der löschen hilft, wäre also der Wirt, der sich Sorgen um Gaweins Schicksal macht. Alternativ wäre ein Erzählerkommentar annehmbar, der die gerade abgeschlossene Rede Gaweins mit der Mühe desjenigen vergleicht, der beim Löschen des Hauses hilft. Dessen Arbeit ist nicht vergeblich — und im weiteren Verlauf zeigt sich auch, daß Gaweins Mahnung schließlich fruchtet: Nach einer erklärenden Rede des Wirtes geht man schließlich doch wieder zu Essen und Erzählen über (7269 ff., 7 3 2 6 ff.). Zur Formulierung vgl. auch 7 1 1 3 ff. 7 2 3 1 - 7 2 3 6 : (= GT 43a) Blandochors beruft sich auf allgemeine Sitte: Wenn es einem Freund schlecht geht, verlangt die Treue, daß man das beklagen muß. 7269—7303 Erzählereinschub: Charakterisierung Gaweins Bereits ab 7113 ff. war eine Partie eingeschoben, die sich mit Gaweins Charakter beschäftigte, auch seine Haltung gegenüber der Klage läßt sich in diesem Sinne lesen. Hier geht der Erzähler noch einmal ausdrücklich auf dieses Thema ein. 7272 f.: Die Formulierung niht vmb ein prot ist eine bildliche Verstärkung der Verneinung (zu anderen Bildern bei Heinrich —>1224); Gawein achtete also nicht im geringsten, was man ihm an Sorgen verhieß. Das Brot zählt neben dem bei anderen Autoren ebenfalls häufig verwendeten Ei zu den gewöhnlichsten Lebensmitteln; im Kontext einer Negation findet es sich z. B. auch AH 1082, Pz 226,22, Tr 8669, >Kudrun< 843,2, Frdk 123,25. 1 4 8 Hier paßt das gewählte Bild gut in den Kontext des Abendessens. 7 2 7 8 - 7 2 8 4 : (= GT 44) „Er handelte wie ein Weiser, der nicht aus Freude übermütig wird und nicht das Leid bemerkt [eigentlich doch wohl in dem Sinne, daß er das Leid nicht über sich bestimmen läßt?], sondern der in allem den Mittelweg wählt, wie es den Besten geziemt." Das topische Lob dieser beiden zugrunde liegenden Sentenzen über die Herrschertugend ma%e fand sich u.a. —>2712ff., 3499ff.; vgl. >Wolfdietrich< A,397,2f.; zu Parallelen vgl. auch ShRM; TPMA 3, „Freude" 9.4: „Man freue sich mit Mass und ohne Ubermut" sowie ebd. 7, „Leid" 10.1: „Man gebe sich nicht zu sehr dem Leid hin (sondern vertreibe es)". 148 Vgl. ZINGERLE 1862, S. 430 f. für weitere Belege.

210

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

45) War es im Prolog Artus gewesen, der als besonderer Schützling der Saelde vorgestellt wurde, so wird dieses Attribut nun ein weiteres Mal Gawein, dem andern Artus (8741) zugeschrieben (vgl. zuerst den Diskurs mit Ywalin). So wird Gaweins späterer Besuch bei der Glücksgöttin vorbereitet (15664—15931). Die Beschreibung der Sselde, die nur mit den Guten sei, nicht aber mit den argen, wird von Heinrich mit der Formel Wan seit ouch eingeleitet, als ob es sich um ein altes Sprichwort handle (jedoch nicht in ShRM aufgenommen). Es bleibt bei der auch von Gawein selbst 6017 ff. geschilderten Vorstellung der Fortuna, die sich Günstlinge erwählt und diese besonders auszeichnet, so wie Artus und Gawein im Roman immer wieder von ihr herausgehoben werden.149 7 3 0 0 - 7 3 0 3 : Paraphrase des >Iwein20823, 22055 ff., 22128 f., 22151 ff., 22873 f. Daneben Dietmar von Eist: liep äne leit mac niht sin (MF 39,24) oder Der von Kürenberg: Leit machet sorge, ml liebe rninne (MF 7,19); WvdV L. 90,15 (C. 60,1,1): Arn liep so manic leit, Tr 204 ff.: swem nie von liebe leitgeschach,/ demgeschach ouch liep von liebe nie./ liep unde leit diu wären ie/ an minnen ungescheiden.15° 7 3 0 5 - 7 3 0 8 : „Oft verfehlt ein Dieb das, von dem er glaubt, es bereits in der Hand zu haben; was hilft ihm sein Graben, wenn er nichts Wertvolles findet?" Dieses in eine Sentenz gekleidete Exempel erscheint im Kontext rätselhaft. Das Bild des grabenden Diebs ist unklar (gräbt er nach Beute, gräbt er seine Beute ein, oder hat er sein Erbeutetes vergraben und findet es nicht wieder?); der Bezug zur Handlung läßt sich nur vermuten: Vielleicht ist 149 Vgl. auch DWb 8,251. 150 Eine ganze Reihe von Parallelen finden sich z.B. bei ZTNGERLE 1864, S. 88 ff.; vgl. auch ShRM. Zur literarischen Tradition des Begriffspaares liebe-Ieit u.a. DE BOOR 1973, S. 37 f. Vgl. auch die weiterführenden Literaturhinweise von A C H N I T Z zu Gau 3032: liebe äne leit (S. 551 ff.).

7304—7375 Stimmungsumschwung; Kampfvorbereitungen

211

es auf Blandochors zu beziehen, der denkt, er habe Grund zur Klage, obwohl dem noch gar nicht so ist. Vgl. TPMA 2, „Dieb" 21 („Verschiedenes"), auch ShRM. 7309f.: Die Klage, ausführlich behandelt ->7150-7223 (vgl. auch den vergleichbaren Gedanken —>5334 sowie die Parallelen in ShRM), läßt sich von Gaweins bestimmtem Auftreten besiegen. Die Kausalfolge der Sentenzen — vestermuot tröstet, Trost wiederum vertreibt die Klage — findet sich z.B. ähnlich bei Frauenlob, >Sprüche< 335,21 f.: Muot/ erwecket smnden zu Trost und Klage vgl. auch Wig 2775 ff. 7311: Ob Vivr vnd holt.£ oder Dürre^ hol^ (P/SCH), die Aussage der Sentenz bleibt in beiden Hss. gleichermaßen schlicht, wenn man rost als „Feuer, Feuersbrunst" deutet.151 Im Kontext soll es wohl die Alltäglichkeit der Aussagen zu Liebe und Leid bestätigen. 7312-14: Zu den Sentenzen vgl. ->7304. 7315—7323: Auf die positiven Aussagen zum Erfolg des Trostes über das Leid läßt Heinrich nun noch das Gegenbeispiel in Sentenzenform folgen: Kummer, dem Trost vorenthalten wird, kann schlimme Folgen haben und Herz und Leib töten (vgl. ErH 6232 ff., auch Prv 17,22: animus gaudens aetatem flondam facit spriritus tristis exsiccat ossa)}i2 Vgl. auch ShRM und TPMA 7, „Leid" 7.5: „Leid verzehrt Leib und Herz, Leben und Gesundheit". Heinrich hätte hier sicherlich noch eine lange Reihe von Exempelfiguren aus der Literatur bringen können (vgl. z.B. die Reihe der tragischen Gestalten in der Klage um Ginover ->11549 ff.). Zur auf das bezogenen Hagel-Metapher —>1734; zerstörerisch war auch der sggel des Kritikers im Prolog (82). 7327 ff.: Die Vorstellung der Rivalität von naht und tag ist noch stärker ausgeprägt im Bild der Kämpfer im Ring —> 8696 f., vgl. auch die entsprechenden Bilder 10458 f. und 28889 f. Hier und 28889 f. gewinnt die Nacht über den Tag, die beiden anderen Stellen lassen hingegen den Tag obsiegen. 7335: Tische und Bänke werden nach dem Essen wieder abgeschlagen, daher wird über sie auch wenig in der Dichtung berichtet (anders als über Betten und Wandschmuck).153 7372: Zu dem härscheniere bzw. hersenier („Harnischkappe") vgl. auch das gleichbedeutende koiphe —>2871.

151 Vgl. Lex 11,499 f., zu Parallelen ShRM; TPMA 6, „Holz" 3.6: „Trockenes und dürres Holz macht (gutes) Feuer". 152 „Ein fröhliches Herz tut dem Leib wohl, ein bedrücktes Gemüt läßt die Glieder verdorren". 1 5 3 Vgl. BUMKE 1 9 9 0 , S. 159.

212

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

7376-7624 Kampf mit den Zöllnern II 7376-7441 Ankunft der Zöllner; Gawein verläßt die Burg 7381: Der Ortsname Dahilet wird von beiden Hss. gestützt, sonst jedoch nicht mehr erwähnt. 7383: veltwal ist ein tautologischer Neologismus Heinrichs aus den Begriffen wal: „Schlachtfeld, walstatt, kampfplatz, dann auch allgemeiner feld" (Lex 111,647) und velt „feld, fläche, (lager-, kämpf-, turnierplatz)", vgl. Lex 111,57. 7389: Zu V/P vrbunst („missgunst, neid") vgl. -»6738. 7425 ff.: Zur Charakterisierung Gaweins als exzellenter Ritter, der an Stegreif auf sein Pferd springt, vgl. ebenso Parzival Pz 215,21 f. 7442-7510 Zweikampf Gawein - Salmanide 7451: Ähnlich wie diese Interjektion ινα, im Sinne von „wohlan" (Lex 111,621 f.), verwendet Heinrich Kampfrufe in der Schilderung des Weihnachtsturniers (v.a. 871). 7465: Zum Namen Salmaneide finden sich keine Parallelen; Salman ist als eine Form fur „Salomon" bekannt (vgl. z.B. das Spielmannsepos >Salman und Morolf2269-2279).155 7495 f.: Das kint als Bild für mangelnde Einsicht verwendet Heinrich des öfteren, so ->8459 ff., 8691, 17780 ff. und 20248 ff. 7499: verfem hier in der Nebenbedeutung „durch Überanstrengung schaden leiden, zu gründe gehn" (Lex 111,318). 7509: Die auffällige Formulierung des leibes ein gast zeigt wieder Heinrichs Vorliebe für ausgefallene Bilder, die er v. a. im Prolog ausgiebig unter Beweis gestellt hatte; vgl. auch 3065: des leibes werden vrei.

1 5 4 Vgl. WEST 1 9 6 9 , S. 1 4 4 f.; CHANDLER 1992, S. 251 f. Eine mögliche Deutung für Sal- ist lat.

salus, „Heil". 155 Zur Wortgeschichte von mat und Verwendungsbeispielen SUOLAHTI 1929, S. 156 ff.

7511-7624 Zweikampf Gawein - Ansgafein

213

7511—7624 Zweikampf Gawein - Ansgafein 7512: gyel zu giel, „maul, rächen, Schlund" (Lex 1,1011). 7513: brach ist hier wohl eher zu brechen, „brechen, gewaltsam oder plötzlich dringen" (Lex 1,343 f.) zu stellen und im Sinne von „hervorbrechen" zu verstehen. Der Verweis auf „schallen" (zu breheri) in ANM. KNN erscheint als Widerspruch zu dem tot, der Mit iamerlicher stimme spricht; 10540 handelt es sich hingegen wirklich um ein lautes Geräusch. 7514 ff.: Die insgesamt sieben Belege für bruoder bzw. bruoderlich innerhalb von acht Versen betonen die Berechtigung der Racheforderung auf intensivst mögliche Weise; besonders nachdrücklich in der direkten Rede des Sterbenden, die das Stilmittel der Reduplicatio gleich doppelt verwendet.156 7518: Die Erwähnung des Schnees zeigt, daß Heinrichs chronologisches Konzept präsent war und auch umgesetzt wurde (—>3273—3333): Der Kampf gegen die zwei Zöllner steht zu Beginn der für Januar anzunehmenden Aventiuren-Kette, die Gawein nach Weihnachten erlebt.157 7520: Gemäß Heinrichs Gewohnheit, afrz. -j- durch -sg- zu ersetzen (vgl. Sgoydamur, joie d'amur) ist der Name Ansgafein zu afrz. angevin zu verstehen, also als ein Herr aus Anjou (Angers). Vgl. den Beinamen Gahmurets und des Feirefiz Anschevin Pz 6,26, 11,1 u.ö.158 7526-7530: (= GT 47) Diese Sentenz (in der auf Ansgafein bezogenen Deutung von KNN) bietet eine Verkehrung des biblischen Gedankens: „der Herr gibt es den Seinen im Schlaf (Ps 126,2: sie dabit diligerttibus se somnum). Vgl. auch TPMA 1, „Aufstehen" 1.3: „Nutzlosigkeit frühen Aufstehens" und 1.3.6 „Verschiedenes", ShRM. 7555-7564: (= GT 48)159 „Wer es (die ärztliche Behandlung) zu Beginn zunächst aufschiebt, handelt nicht klug: Bald schon hilft ihm seine ganze Heilkunst nichts mehr, und wenn die Krankheit andauert und ihn verdirbt, ist auch alles Eilen umsonst." Im Kampf ist die Metapher dementsprechend zu deuten, daß eine gute Ausgangsposition wichtig ist. Damit motiviert sich Gawein gleich zu Beginn zur Höchstleistung und entscheidet den Kampf direkt im ersten Anritt für sich. 7573: Die Formulierung chlein gesteh ist wohl zu deuten, daß Ansgafein genau zu dem toten Bruder {enem toten) paßte („genau" für klein, Lex 1,1615; „passen" für gediehen, Lex 1,1002) — er liegt bei diesem und kann sich nicht mehr wehren. 156

V g l . LAUSBERG 1 9 9 0 , § 6 1 5 .

157 WAGNER-HARKEN 1995 dauert den Kampf auf den 14.1., vgl. ihr Schema S. 207. 158 Vollständige Belege bei SCHRÖDER 1982, S. 8. 159 Mit irreführender Inhaltsangabe: „Wer ungestüm am Anfang ist, verliert bald sein Heil".

214

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

7578: liden zu lit, „glied, gelenk" (Lex 1,1938). 7584 f.: „Das wäre des Mannes Schaden, wenn er sich zwei Leiden anstelle von einem erwählte." Das ungeviier dieser Feststellung hat Ansgafein bereits erlitten: in seiner ser und in der schände ( 7 5 8 1 ) . 7 6 2 4 : Alternativ zu der Konjektur in K N N wäre auch zu überlegen, ob die beiden letzten Verse des Dreireimabschnitts zusammen zu lesen sind: Er moht sich niht verspaten,/ Den gotes schergen latent „Derjenige, der von den Schergen Gottes geladen wird, sollte sich nicht verspäten". Diese Lesart würde in den Anfangsgedanken des folgenden Abschnitts überleiten. Sinnvoll wäre aber auch das Verständnis der Version SCH als läten — lat in. 7625-7852 Gestörte Festfreude 7625-7694 Siegesfeier: Ankunft der Botin Aclamet 7625 ff.: (= GT 49) Der erste Vers dieser Sentenzenrede ist Mt 8,22 entnommen: et dimitte mortuos sepelire mortuos suor"'x die daran anschließende Auslegung im Sinne der Lebensfreude ist nicht biblisch, aber aus der Rede Jesu ableitbar und so auch mehrfach aus dem Mittelalter überliefert. Vgl. u. a. Tr 1 8 6 9 - 1 8 7 4 zu den lebenden-, weitere Belege ShRM; TPMA 9, „Tod" 11.1.1: „Die Toten lässt (lasse) man bei den Toten". Mit Berufung auf die Bibel legitimiert der Erzähler den abrupt anmutenden Übergang von dem Kampf auf Leben und Tod zur Festfreude. 7644 f.: Der kurze Einschub über die %agen, denen die vrowen nicht so bereitwillig die Riemen lösen, betont einmal mehr Gaweins herausragende Stellung. 7649 ff.: ein gramangyer ist in dieser Form sonst nirgends bezeugt, zu afrz. grant mangier, die Hauptmahlzeit, die üblicherweise abends eingenommen wird.162 Die frz. Nasalierung ist unbezeichnet, oder es liegt eine Assimilation von « a n » vor.163 Vgl. —>6467 zu petit mangiere. enias ist verneintes Prät. zu jesen. Vgl. die Diätverordnung 12514-12529, auch Pz 551,22-24 (über einen Salat).

160 Zu scherte im religiösen Kontext vgl. die Belege BMZ 11,2,156. 161 „Laß die Toten ihre Toten begraben!" 162 Vgl. DAF. 365. 163 Vgl. SUOLAHTI 1929, S. 9 9 f.

7695-7772 Beschreibung der Botin

215

7695-7772 Beschreibung der Botin 7671 ff.: Hier wird ein spannungsreicher Kontrast aufgebaut in der Ankunft der meit wol getan, die zum Personal höfischer Freude gehören sollte, und der damit jedoch verbundenen Ankündigung von vngewin und zerstörter vrade. 7711: Zu aventivr ->918. 7712 f.: Dieser knappe Hinweis auf die Lebensumstände des Erzählers, der nicht über die nötigen Mittel verfüge, eine meit ähnlich auszustatten, entpuppt sich in der märchenhaften Reichhaltigkeit der folgenden Beschreibung als topisch und nicht geeignet, Rückschlüsse auf Heinrichs materiellen Hintergrund zu ziehen. Ähnlich z.B. Pz 1 8 4 , 2 7 - 1 8 5 , 8 1 6 4 ( - > 1 0 4 4 9 f.). 7714 ff.: Die folgende Beschreibung Aclamets steht in einer Reihe mit den anderen ausfuhrlichen Personendeskriptionen des Romans: der Bote des Königs Priure ( 9 4 6 - 1 0 0 2 ) , Blandochors ( 6 8 2 8 - 6 8 8 5 ) , Amurfina ( 8 1 5 4 - 8 3 1 6 ) , das wilde Waldweib ( 9 3 4 0 - 9 4 2 5 ) , Gasoein ( 1 0 4 9 6 - 1 0 5 6 9 ) sowie der kneht mit seiner Mähre ( 1 9 6 1 8 ff.).'65 7718 ff.: Die Kleidung Aclamets ist von schwer zu überbietender Kostbarkeit: Das ober\ chleit, ein Überwurf (der als chappe, Reiseumhang, die kostbare Kleidung darunter vor Staub etc. schützen soll) besteht aus Scharlach,166 gefüttert mit Zobel, einem solch teuren Pelz, daß sonst nur Besätze an den Säumen aus ihm gefertigt wurden — deshalb vielleicht die Wahrheitsbeteuerung in V/KNN 7722? 167

7724—7728: Die Stoffbezeichnung sarantel (V und P) ist sonst nirgends belegt, dürfte aber mit dem mehrfach belegten saranthasme verbunden sein. Sie geht wohl zurück auf mlat. exarentasma, gr. έξαραντισμός für ein „sechsfach gesprenkeltes Gewebe"; vgl. dazu Wolframs falsche Auflösung und Erklärung des Worts sarantasme.m BRÜGGEN zitiert die Herleitung aus mlat. sarantasmum, „ein sarazenisches kostbares Seidenzeug".169 Die Umschreibung Bleyvar mit gold erweben läßt an einen brokatartigen Stoff denken. Das Ober-

164 Dazu NELLMANN, Kommentar zu >Parzival< (ed. NELLMANN), Bd. 2, S. 554: „Die dürftige wirtschaftliche Lage ist ein typischer Zug der Erzählerrolle bei Wolfram; biographische Rückschlüsse sind unsicher, trotz der prononcierten Namensnennung." 1 6 5 Vgl. BRÜGGEN 1 9 8 9 , S . 10.

166 Aus demselben Stoff war auch die chapp des Boten, der den Becher an den Artushof brachte (954), zum Stoff->3710. 167 Vgl. z.B. den Mantel Isoldes Tr 10917 ff.; dazu BRÜGGEN 1989, S. 60f. 1 6 8 Pz 6 2 9 , 1 7 - 2 7 : in der Stadt Thasme vom meister Sirant gefertigter Stoff, wieder Pz 7 5 6 , 2 8 (dazu: NOLTZE 1 9 9 5 , S. 2 4 4 ) . Vgl. SUOLAHTI 1 9 2 9 , S. 2 2 0 ; Lex 11,607. 169

BRÜGGEN 1 9 8 9 , S. 2 8 1 .

216

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

gewand aus diesem federleichten sarantel ist mit weißem Hermelin gefuttert.170 Zu 7 7 2 7 svrcot - > 6 9 2 7 . 7729 ff.: Zu plyalt —>515. Die goldgestickten Tiere und bild heben sich plastisch hervor {auf erhaben).171 7739 f.: Mit dem auf Äußerliches bezogenen Vergleich mit Eittr f e y hat der Erzähler geschickt die Feenwelt in diesen Zusammenhang hineingeholt; als Traditionshintergrund ist sie wohl in der Fernliebe Gaweins zu Amurfina sowie in seiner Minnegefangenschaft auf Serre mitzudenken ( — > 7 8 5 3 - 9 1 2 8 ) . 7743: Zur Verantwortung der natur für Aclamets Schönheit —>7913. 7745 ff.: Der Aclamets Schönheit erliegende Engel läßt die bereits im Alten Testament thematisierte Vorstellung der gefallenen Engel anklingen, v. a. die Aussagen Gn 6,2 über die filii Dei, die sich mit den Töchtern der Menschen verbunden hatten; am bekanntesten war der (allerdings durch Stolz, nicht durch sexuelle Verfehlungen) verursachte Sturz Luzifers.172 stric im Sinne von „Falle" auch 2 0 9 7 , 2 0 3 1 3 . 7758: Den aus afrz. panel bzw. mlat. panellum/-us übernommenen Terminus banel bzw. panel (vgl. Anm. KNN) für ein „sattelkissen" (satelpalster, vgl. Lex 11,201) hat davor nur Hartmann im >Erec< verwendet. Die Bevorzugung afrz. Begriffe zieht sich bei Heinrich durch, vgl. z.B. die Schilderung des Weihnachtsturniers 659 ff., - > 7 2 9 - 7 3 8 .

7765: porten zu borten, „Band, Borte, aus Seiden-, Gold-, Silberfäden, häufig mit Perlen- und Edelsteinschmuck verziert".173 7767: Sursgngel zu afrz. sorcengle, mlat. supraängulum. Dieser „Obergurt" wurde über Sattel und Bauchgurt gelegt, um dem Sattel besseren Halt zu verschaffen.174 7773-7852 Amurfina befiehlt Gawein zu sich; er nimmt Abschied 7782 f.: (= GT 50) In den Kontext eingebettete Handlungsanweisung: Wer freundlich empfangen wird, muß sich dafür bedanken. Vgl. zu den Qualitäten von Gastgebern die Ausführungen — > 6 2 3 1 - 6 2 5 0 . Das entspricht wohl den Gepflogenheiten; gestützt auf P / S C H , die 7 7 2 7 under statt über lesen, hatte BRÜGGEN 1 9 8 9 , S. 7 8 f. diese Stelle als Ausnahme verstanden; zur Textkritik Anm. K N N . 171 Parallelen bei BRÜGGEN 1989, S. 214. 172 Zur Interpretation der filii Dei vgl. z.B. den Jerusalemer Kommentar zu Gn 6,1-4; zur im 13. Jh. zum theologischen „Hauptstück der Spiritualität" gewordenen Angelologie LdMA 3,1905 ff. 170

173

BRÜGGEN 1 9 8 9 , S. 2 0 7 .

174

Vgl. SUOLAHTI 1 9 2 9 , S . 2 4 9 .

7773-7852 Amurfina befiehlt Gawein zu sich; er nimmt Abschied

217

7796: Der Name der hier zum ersten Mal genannten Amvifina ist ebenso wie der ihrer später genannten Schwester Sgoydamur (—»7926) französischen Ursprungs, auch wenn Heinrich sie lateinisch dekliniert:175 amor fine oder fin amors, entsprechend der hohen minne, dem Ideal des provenpalischen Minnesangs.176 Es wurde überlegt, ob Amurfina als Überbietung von Wolframs Condwiramurs konzipiert sei, was schon im Namen ausgedrückt würde.177 Zur Rolle Amurfinas -»7853-9128; ->23746-23772. 7797: Amurfinas Herkunftsname Sem wohl zu afirz. serre, „Schloß, Gewahrsam, Verschluß, Bedrängnis, Gefängnis" (TL 9,544 ff.).178 Zu Parallelen vgl. Anm. KNN; als Zuname der %er Sem Wohnenden (Amurfina, ihr Vater, später auch Gawein), auch —>12884. Der sprechende Name weist auf Gaweins Minnegefangenschaft bei Amurfina voraus.

7800 ff.: Die Formulierung bitet, gebivtet vnd mant,/ Svnder Widerrede dehein

bietet eine Steigerung von allgemeiner Höflichkeit zur Forderung des bedingungslosen Gehorsams — ein rhetorisches Mittel, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Den Höhepunkt erreicht die Drohrede in der Ankündigung von vivr vnd swert und in der Aussage, das Wild werde schließlich den Besitz des Blandochors bowen, „bewohnen" (Lex 1,404, —>8735). Gawein greift das in den verschiedenen Möglichkeiten auf, eine Bitte vorzubringen {gebieten, bitten, geraten, 7822 f.) und reagiert mit dem freundlichen Verweis 7832, er wolle die Bitte minnecleichen ane dro gewähren; seine höfisch-korrekte Zustimmung verhindert damit zugleich einen Eklat. Amurfina wird diese unhöfliche Forderung in der Handschuhprobe zum Vorwurf gemacht (23746-23772). In ihrem aktiv drängenden Werben läßt sie sich mit Wolframs Belakane und Herzeloyde vergleichen. 7839: Das Adj. toup als Ausdruck von Trauer belegt Lex 11,1484 sonst nur noch bei Reinbot von Durne — vgl. auch die drastischen Gesten der Klagen um Hartmann von Aue —>2403-2411 und Ginover 11535 ff.

175 Vgl. 9200, 13551 Genitiv -e, 8611, 8621, 9086, 13678 Akk. -am und 13565 Ablativ -a; vgl. KRATZ 1978, S. 239.

176 VgJ. REINITZER 1977, S. 190; auch KRATZ' Versuch einer allegorischen Deutung: die Hohe Minne (Amurfina) in ihrer abgelegenen Burg, die unwidersprochen Gawein zu sich ruft, den vollkommenen Ritter und Liebenden, der gerade mit der Tochter der Amurelle (der Diminutivform zu amor) in eine „oberflächliche Liebelei verwickelt ist" ( K R A T Z 1 9 7 8 , S. 239).

177 Vgl. R E I N I T Z E R 1977, S. 190, der das in der Beziehung richtungsweisende afrz. Wolframs Namen dem Idealnamen Heinrichs unterlegen sieht; auch —>9194. 178

V g l . a u c h SUOLAHTI 1 9 2 9 , S . 2 3 5 .

conduir in

218

5 4 6 9 - 1 0 1 1 2 Gawein: Assiles und Amurfina

7853-9128 Amurfina I: Minnegefangenschaft Lit.: KAMINSKI 2 0 0 5 , v. a. S. 2 S M 0 ,

57 ff.; BLEUMER 1 9 9 7 , S. 9 0 - 1 0 5 ; WAGNER-

HARKEN 1 9 9 5 , S. 2 7 4 - 2 7 9 , 3 3 9 - 3 4 9 ; MEYER 1 9 9 4 , S. 7 8 - 8 9 ; DAIBER 1 9 9 9 , S. 1 8 6 1 9 0 ; MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 1 6 7 - 1 7 9 ; SCHMID 1 9 8 6 , S. 2 1 5 f f . (mit starker Be-

tonung der Verbindungen zur Gralswelt); EBENBAUER 1981; JILLINGS, Sisters 1981; J ILLINGS 1 9 8 0 , S. 6 4 - 6 8 ; CORMEAU 1 9 7 7 , S. 1 4 7 f f .

Die beiden Handlungsabschnitte um Amurfina (7853-9128 und 1260113924) werden unterbrochen vom Abschluß der Assiles-Kampagne sowie dem Ende der Auseinandersetzungen mit Gasoein. Die erpresserische Art, wie Gawein zu Amurfina gerufen wurde, kaschiert Heinrich zwar mit dessen Fernliebe zu der Unbekannten (7851 f., 8055 ff., 8116 ff.), zugleich kündigt sich darin jedoch bereits die Minnegefangenschaft auf Serre (—>7797) an, die die erste Fahrt zu Amurfina prägt. Die zweite Fahrt fuhrt zur Klärung des Erbschaftsstreits und zu der Freundschaft mit dem später noch sehr hilfreichen Gansguoter. Indem der Schwesternstreit schließlich zugunsten der jüngeren Sgoydamur entschieden wird, kann Gawein Amurfina heiraten, die in den Artushof aufgenommen wird. So kommt es zu dem Novum des fest gebundenen Gaweins: Anders als in der sonstigen Artusliteratur ist er somit als Stellvertreter des Königs zuverlässig dagegen abgesichert, sich außerhalb des Artushofs zu verlieben und den Hof womöglich zu verlassen. Damit ist eine der größten möglichen Bedrohungen für den Fortbestand des Artusreichs abgewendet.179 In der Handlung um Amurfina treffen zwei verschiedene Traditionen aufeinander: im ersten Teil die Verlockung durch eine schöne Fee und damit verbundene Weltvergessenheit, wie sie v. a. in den Lais vorkommt,180 im zweiten Teil dann der Schwesternstreit um die Herrschaft, wie er aus >Yvain< bzw.

179

V g l . d a z u u . a . EBENBAUER 1 9 8 1 ; M E Y E R 1 9 9 4 ; T H O M A S 2 0 0 2 .

180 Im Unterschied zu z.B. dem >Lai de Graelenfc oder dem >Lai de Lanval< entscheidet sich Gawein mit der Liebe zu seiner „Fee" aber nicht dafür, die höfische Welt gänzlich zu verlassen, stattdessen wird Amurfina schließlich selbst in den Artushof integriert. Vgl. zu dem Motiv ZACH 1990, S. 357 f., die neben der möglichen Verwandtschaft zum >Bel Inconnu< (der als erster die Integration von Hof und Feenminne versucht) noch die Verfuhrung Lancelots durch die Tochter des Königs Pelles anfuhrt (>Lancelot en proseIwein< und der ca. 1200 entstandenen Erzählung >La Mule sans freinCrone< nimmt daher einen interessanten Platz in der Entwicklung der Romantechnik im XIII. Jahrhundert ein."183 Offensichtlich erscheint die Verbindung zum Schwesternstreit in >IweinIwein< der Integration der Ubernahmen aus >La Mule sans freinLa Mule sans frein< berichtet allerdings nur die Maultierfahrt, ohne auf die Vorgeschichte des Schwesternstreits einzugehen. Daher ist ihre Rolle als Quelle Heinrichs umstritten: Für >La Mule sans frein< als direkte Vorlage u.a. KLARMANN 1944, S. 25 ff., die Herausgeber JOHNSTON und OWEN („TWO Old French Gauvain Romances") und zuletzt ZACH 1990,

S. 384; für eine gemeinsame, verlorene Quelle der beiden Werke v.a. ORLOWSKI in >La Mule sanz FrainLa Mule sans frein< gearbeitet. KRATZ 1978 folgert aus seinen Beobachtungen, daß Heinrich selbst „der Mule eine Vorgeschichte gegeben hat" (S. 237). Vgl. auch BLEUMER 1997, S. 118, Anm. 8 und 9. - Die vergleichende Lektüre der Zaumzeugepisoden zeigt auf jeden Fall deutliche Ubereinstimmungen einzelner Passagen, wie z. B. der Schilderung des Wegs durch den wilden Wald, bis hin zu ähnlichen sprachlichen Wendungen. 182 Vgl. KRATZ 1978, S. 229 zur möglichen Identität Paiens de Maisieres mit Chretien de Troyes. 183 KRATZ 1 9 7 8 , S. 2 3 6 f. 1 8 4 Vgl. EBENBAUER 1 9 8 1 , S. 4 6 .

220

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

Als ein „perfides Spiel mit dem zugrundeliegenden Strukturelement des >IweinWigaloisParzival< und Chretiens >Conte du Graal< (9193 ff.); 6. ein wildes Waldweib wie im >Wigalois< Wirnts von Grafenberg (9340 ff.)"; entsprechend auch EHENBAUER 1 9 8 1 , S. 3 9 .

7853-7900 Unterwegs; Exkurs: Ritter und Frauen auf der Reise

221

in die Sentenz, daß jeder das Seine tun müsse. Vgl. zu dem Würfelbild Pz 2 8 9 , 2 4 : Riterschaft ist topelspil·, Heinrich der Teichner 2 8 4 - 2 8 6 : Man muoζ wägen vlust und gewin./ ist rehte ein gelicber sin/ topelspil und ritterleben\ Winsbeke 20,9: Guot ritterschafi ist topelspil (vgl. TPMA 9, „Ritter" 2,5; „Die Ritterschaft ist ein Würfelspiel"). Zu Gewinn und Verlust vgl. zahlreiche afrz. Belege in TPMA 12, „Verlieren" 8.2: „Der eine verliert, der andere gewinnt und findet (dadurch)". Zu 7 8 6 6 vgl. auch ShRM. 7870-7883: Ausführlicher vom gemeinsamen Reisen handelt Heinrich in dem Exkurs — > 1 9 3 8 6 - 1 9 4 4 6 ; dabei nimmt er wohl Bezug auf die ChCh 1302 ff. erläuterten costumes im reaume de Logrer. Wenn ein Mann bereit ist, eine Frau unterwegs zu begleiten, darf er ihr demzufolge nichts tun, ohne seine Ehre zu verlieren; er muß sie aber zugleich unter Einsatz seines Lebens gegen Ubergriffe anderer verteidigen. Daneben könnte hier auch eine Replik auf Iw 6 5 7 4 ff. gelesen werden, wo Hartmann die Standhaftigkeit seines Helden preist, der sein Nachtlager mit einem hübschen Mädchen teilt, ohne dieses anzurühren.'89 Wirnt nutzt daneben Wig 2 3 5 8 - 2 3 8 6 das Beispiel einer alleinreisenden Frau für eine laudatio temporis actd (die der fiktiven Welt der Erzählung entsprechen).190 7874: Erste Nennung der vrowe Minnem - ähnlich wie Frau Saslde ist sie deutlich als Personifikation auszumachen, im Unterschied zu Heinrichs nature oder aventiure. Die auf Frau Venus zurückgehende Verkörperung der Liebe hat seit dem 12. Jh. in der mhd. Literatur ihren festen Platz. Zum Teil nur als Minne angesprochen (so bei Heinrich von Veldeke, En 1 0 2 3 6 , 1 0 2 4 6 u.ö., >Tristan< (z.B. im Minne-Exkurs 1 2 1 8 7 - 1 2 3 5 7 ) ) , kommt seit Eilhart die Anrede wrou/froM Minne in Gebrauch (Eilh 2 6 1 7 ) , so auch Iw 1 5 3 7 , 2 9 7 1 , Pz 2 9 1 , 1 - 2 9 3 , 1 8 , vor allem 291,19ff. 1 9 2 und WvdV L. 4 0 , 1 9 f f . (C. 17,1,8) u.ö. Allgemein zum Phänomen der Personifikationen vgl. z.B. KIENING 1994; auch BMZ 111,1,182. 7 8 8 2 : Vgl. Anm. KNN; auch TH übernimmt die Deutung SIN und übersetzt „poor jouster". 7883: Dieses Sprichwort, im Sinne von „Soviele Länder, soviele Sitten", verweist auf das reaume de Logres (—>7870—7883). Vgl. teilweise wörtliche Parallelen in TPMA 1 0 , „Sitte" 2.1.4, ShRM. 7887: gereise für „der oder die mitreisende" ist fast ausschließlich für die >Crone< belegt, vgl. auch 8 6 3 6 , 2 1 6 7 1 und 2 4 9 1 8 (Lex 1,876). 1 8 9 Vgl. JILLINGS 1 9 8 0 , S . 7 3 , A n m . 12. 1 9 0 D a z u CORMEAU 1 9 7 7 , S. 2 3 3 ff.

191 Weitere Belege im Namensverzeichnis. 192 Vgl. dazu BUMKE 2001, S. 123 f. (mit weiterführender Literatur); GARNERUS 1999, S. 102 ff.; NELLMANN, K o m m e n t a r z u >Parzival< (ed. NELLMANN), B d . 2, S. 6 0 7 .

222

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

7899: vürst dürfte die gerundete Form von virst sein, in der Nebenbedeutung „Gebirgskamm" (Lex 1 1 1 , 3 6 8 ) , 1 9 3 P / S C H schreiben hingegen das gängigere forest („Wald, Forst", vgl. Lex 1 1 1 , 4 6 6 ) .

7901-7963 Vorgeschichte: Der Streit der Schwestern von Serre 7906: Die Verbindung der auentivr mit dem Verb swem weist darauf hin, daß es sich wohl um die Personifikation der Erzählung handeln soll (—>918). 7907: Der Name Forey Verl (zu afrz. „grüner Wald") mag die Lesart Ρ —»7899 begünstigt haben. 7911: Zu Serre —>7797; 8864 wird der cbünig mit dem Vornamen Lattiure angesprochen. 7913: Vrowe Natarp94 steht als Personifikation neben Frau Saside und vrowe Minne. Sie wird verantwortlich gemacht für weibliche Schwäche und Begierde, für Schönheit und Häßlichkeit sowie dafür, daß Laniure der gewünschte Sohn versagt blieb. Sie wird von Heinrich in die deutsche Literatur eingeführt,195 nachdem sie von ihren Ursprüngen in antiker Philosophie Eingang in die christliche Theologie und volkssprachliche Literatur gefunden hatte.196 Während Wolfram und Gottfried den neutraleren und unpersönlicheren Begriff art (vgl. BMZ 1,50) bevorzugen, greift Heinrich direkt auf die natura formatrix der lateinischen Tradition zurück, wodurch Gott in größerem Abstand von seiner eher mechanistisch verstandenen Schöpfung gehalten wird.197 Zur „Göttin Nature" ausfuhrlich M O D E R S O H N 1 9 9 7 ; C U R T I U S 1 9 6 7 , S.

116-137.

7918: Das Motiv des herrschaftsgarantierenden Zaums (das „Kopfgestell eines Pferdes",198 in das die Zügel eingehängt werden) hat Heinrich wohl aus >La Mule sans frein< bzw. der gemeinsamen Vorlage entnommen ( — » 7 8 5 3 — 9 1 2 8 ) , sonst sind keine Parallelen zu finden. Warum es gerade ein Zaum ist, der die Herrschaft symbolisiert (und erhält, vgl. 7919 ff.), wird in der >Crone
3 3 9 5 - 3 4 2 7 ) . 7932-7943: Die Ankunft Sgoydamurs bei Artus schildert Heinrich ab 12601.

7938 f.: Lies mit Ρ Amurfina, vgl. zum Namen —>7796. 7948: Das Pron. si bezieht sich auf Sgoydamur - beide Schwestern haben die Geschichte vom Kampf gegen Gawein gehört (ir 7 9 4 9 ist dementsprechend PI.). 7949 ff.: Der hier erwähnte Kampf zwischen Amurfinas Vater Laniure und Gawein ist auf der Bildschüssel dargestellt, die Gawein zur Wiedererlangung seiner Identität verhilft ( - » 8 8 4 7 ff., - » 8 8 5 3 ff.). 7951: Torrivre mit französisierender Endung zu lat. torrens, „Bergstrom, Wildbach", vgl. auch Anm. KNN. Hier, 12884 und 13532 offenbar als Ei-

genname im Zusammenhang mit Amurfinas Burg Serre genannt,201 in den anderen Stellen 8 0 1 1 , 8 8 7 9 und 8 9 2 5 bezeichnet der Begriff einfach den 7 9 7 1 — 7 9 9 4 beschriebenen Felsstrom, dar innen div burch leit ( 7 9 9 5 ) , in der Amurfina auf Gawein wartet.202 199 Vgl. zu dem Problem KRATZ 1978, S. 231, der auf das handlungsauslösende Brackenseil in >Titurel< verweist; zudem S. 237 zu (hier aber unergiebigen) Zaum-Motiven in Märchen und Aberglauben. 200 KRATZ 1978, S. 239; vgl. auch ->7796. EBENBAUER 1981, S. 63 betont darauf aufbauend den Kontrast zwischen den Freuden der niederen Minne und der Hohen Minne, die Vrowe Minne für Gawein vorgesehen habe. 201 Die konsequente Großschreibung in KNN, die die Lesung als Eigennamen festlegt, ist nicht von den Hss. vorgegeben, lediglich 8925 schreibt V groß. 202 TL kennt keinen Beleg für das aus dem lat. stammende torrent, das französische Etymologische Wörterbuch< Bd. 13, 107 bietet einen afrz. Beleg torrent de mit abweichendem Kontext („ce qui se produit abondamment (de delices)" und verweist darauf, daß es „im Frz. erst seit dem 15. Jh. gebräuchlich" sei. Aufgrund der mangelnden afrz. Belege versucht SUOLAHTI 1929, S. 261 für 12884 eine Verformung aus torn %er serriure, „Turm mit Riegel" abzuleiten, eine Annahme, die zumindest durch die nachweisliche Textstörung im vorangegangenen Vers gestützt wird. Allerdings hilft das wenig zur Deutung von 8879 und 8925.

224

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

7952: er bezieht sich auf Gawein. 7956: Mit div ist nun wieder Amurfina bezeichnet, die ihrer Schwester zuvorzukommen hofft. 7959 ff.: Die Betonung der liste Amurfinas deutet noch nicht auf die folgende Liebesbegegnung: Zunächst geht es nur darum, den einzigen Mann, vor dem sie sich furchtet, davon abzuhalten, ihrer Schwester zu helfen. Der letzte Vers des Abschnitts betont, daß es ein Fehler wäre, die Gelegenheit (Gawein ist in der Nähe) ungenutzt zu lassen. 7964—8041 Der Felsstrom; Ankunft auf der Burg Serre 7 9 7 2 ff.: flaume (phlüm, vlüm zu lat. flumen, Lex 11,256) findet sich häufig bei Heinrich.203 Zu dem Motiv des Felsstroms vgl. DICK 1980, S. 171 ff.; KEEFE 1982, S. 2 1 0 urteilt: der Strom sei eine auffallige Mischung „aus märchenhaften und normalen Verhältnissen. So haben wir hier ein ganz plastisches Bild davon, wie das Wasser dem Pferd die unteren Teile der Beine umspült [...]; dabei ist der Fluss ein sonderbares Produkt von Heinrichs Phantasie." Wan (7975) ist exzeptiv als „außer" zu verstehen:204 „in dem Fluß konnte man kaum irgendein Wasser wahrnehmen, außer daß dort viele Haufen nasser Steine übereinander flössen"; die Steine nehmen den Platz des wavgers ein. 7978 f.: Das 13. Jh. gilt als „die eigentliche Epoche des Brückenbaus",205 daher könnte bogen einen Brückenbogen bezeichnen (DWb 2,219); vgl. Lanz 3891 f.: Ein Brunnen wurde mit wahen swibogen/ harte ml überwogen. Lex II, 1682 übersetzt die Stelle jedoch: „mit einem bogen hinüberschiessen", was eine Möglichkeit zur Abmessung von Entfernungen bietet. 7 9 8 3 : Zu der Formulierung in [...] stuontvgl. 19303: injämer gestanden, was Lex 11,1135 deutet: „fortbestehn, dauern, sich verhalten" etc. Dementsprechend ist hier wohl gemeint: „der Fluß verursachte einen dauernden Lärm" ileute ist diphthongierte Form zu Bute). 7 9 8 9 , 8 0 2 8 : sets kontrahiert aus sie es bzw. sie des (vgl. Anm. K N N ZU 8028); zu sei („sie") ->237. 7 9 9 0 : betrage nochmals 1 2 1 4 5 („verdriessen" Lex 1,239). 8011: Zu Torrivm ->7951. 8012 ff.: Die magische Bändigung dieser Naturgewalt findet eine Parallele in der Rettung Gaweins durch Gener von Karris; hier ist allerdings nicht einmal ein Hilfsmittel wie das magische Glas der Wunderkette nötig (vgl. 203 Als flaume auch 7981, 9145; 12223 phlovme. Daneben 12814, 14435 (D: fluni), 20271, 22259, 2 6 3 6 3 , 2 6 3 6 8 , 2 6 8 7 7 , 27547.

204 Anm. KNN deutet es hingegen kausal. 2 0 5 SCHUBERT 2 0 0 2 , S. 80; s o a u c h OHLER 1988, S. 154.

8042-8694 Minnebegegnung mit Amurfina

225

14488 ff.). Urbild mag der Durchzug der Israeliten durch das Rote Meer gewesen sein (Ex 14,21 f.); die Unbegreiflichkeit des Geschehens drückt Heinrich gleich doppelt in entsprechenden Formulierungen aus (8022, 8024). 8 0 4 2 - 8 6 9 4 Minnebegegnung mit Amurfina 8042-8466 Kennenlernen 8042-8115 Gaweins Sehnsucht nach der Unbekannten 8042: Das Pron. bezeichnet da^getwerch (8032). 8048: Zu dem Kaminfeuer -»3335 ff. 8050: Zu der Stoffbezeichnung sigelat —>513. 8057: Nach dem Vers sollte ein Komma stehen, der folgende Vers schließt den Gedanken 8055 ab. 8067: haß erscheint im Blick auf die folgenden Ereignisse als Signalwort, das schon auf die Minnegefangenschaft verweist; zu chriech vgl. die Bilder der kriegerischen Minne 8102—8115. 8071 f.: Die kurze Ansprache Minnes wird ausgeführt in den beiden Minneexkursen 8102-8115, 8430-8466, vgl. daneben ->8334 f. 8077 f.: (8071-8078 = GT 52) Dieses Bild gibt sowohl in seiner direkten Deutung, als auch in seinem Bezug zum Kontext Rätsel auf, was sich bereits in den abweichenden Lesarten P/SCH und V / K N N zeigt. „Wer je Stahl an Blei [Blei an Stahl, P/SCH] geschliffen hat, dem mangelte es an der 'herumschwingenden Bewegung'" (Lex 11,1742 für umbesweij)·. Die schwungvolle Bewegung, die beim Schleifen eines Messers mit einem Schleifstahl nötig ist, ist hier nicht möglich, weil das Blei zu schwer und weich ist. Diese Aussage schließt die erstaunte Beobachtung 8071 ff. ab, daß Mann und Frau so stark und jäh voneinander angezogen sein können, wie es nun Gawein geschieht (sogar ohne einander gesehen zu haben).206 Das Bild von dem mangelnden vmbsweif, das Elemente einer bekannten Sentenz aufgreift,207 scheint diese schnelle Bewegung kontrastieren zu sollen. In anderem Zusammenhang vgl. auch die Verbindung von Blei und Stahl ->5932-5948. 8079 ff.: „Wenn einer mit einem Falken schnelle Beute machen will, muß er ihm den Vogel nur oft genug zeigen; wenn man diesen dann hinaus bringt und ihn sich aufschwingen läßt, kann man den Falken dazu werfen." Die Verwendung der im Minnesang beliebten Falkenmetapher208 erinnert hier v. a. 206 Zum Motiv der Fernliebe vgl. auch WENZEL 1983. 207 Vgl. TPMA 2, „Blei" 6: „Mit Blei harten Stein (Edelstein) oder Marmor durchbohren (behauen)" (mehrere Belege). 208 Vgl. v.a. Der von Kürenberg, MF 8,33 ff., Dietmar von Eist, MF 37,4 ff.

226

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

an ErH 1861 ff. und das drängende Verlangen der Liebenden Erec und Enite nacheinander - das verligen Gaweins —> 8731 greift die Anklänge dieser Episode an >Erec< erneut auf. Ebenso läßt sich in dem vederspil-Topos aber auch Tr 10994 ff. mitlesen,20® an die Grottenallegorese gemahnen auch die Ausdeutung von Amurfinas Kopfbedeckung sowie der Minnetrank. Das Bild wird hier sofort aufgelöst: Gaweins Gedanken schwingen sich nach der schatten meide, und das (durch das Hingehaltenwerden) gut gezämte vederspil Gawein wird das Wild bald fangen (8090 f. =GT 53). Heinrich verwendet das Bild der Falkenjagd nochmals 10572 f. und 15473 ff.; vgl. auch das Bild von Habicht und Reiher ->5998 ff. 8086-8098: Gegen K N N (vgl. Anm. zu 8 0 9 8 ) dürfte zu interpungieren sein: nach 8086 ein Doppelpunkt, nach 8088 ein Komma. 8089 ist Hauptsatz, von dem folgenden Objektsatz 8090 f. hängt der Temporalsatz 8092 f. ab; von bat 8 0 9 4 schließlich die beiden ώ^-Sätze 9 0 9 5 und 9 0 9 8 . Die Voranund Nachstellung je eines temporalen ώ-Satzes 9087 und 9092 ist nicht anstößig. 8102—8115: (= GT 54) Das ungeduldige Betteln Gaweins, Aclamet möge ihn endlich zu Amurfina bringen, das als brode, (v.a. weibliche) Schwäche verurteilt wird, hinter der sich sein mannhafter Mut verberge, fuhrt nun zu einer allgemein gehaltenen Reflexion über die Macht der Minne. Darin entschuldigt der Erzähler dieses unritterliche Gebaren mit dem Hinweis darauf, daß diese sogar zu töten imstande sei, wobei er v.a. kämpferische Minnemetaphern bemüht: Im Bild des Minnepfeils (vgl. Amor, auch den Pfeil aus Blei —>4979 f.) und der streitbaren Frau Minne findet Gawein einen durchaus angemessenen Widerpart. Vgl. TPMA 7, „Liebe" 1.3.6; auch >Salomon und Markolfi 573 f.: Von minnen lidet mancher not,/ Da% er lit krank bi% in den dot. 8116-8153 Amurfina läßt Gawein rufen 8117: (8116 f. = GT 55) „Heil entsteht aus gleichem Verlangen"; eine sentenzhafte Aussage, die die folgende Liebesbegegnung von vorneherein unter einen günstigen Stern stellt. Vgl. Frdk 124,5 (ein minne dandern suochet); TPMA 7, „Liebe" 6.1: „Liebe ist auf Gegenseitigkeit angelegt". Hier wird zum ersten Mal vorausgesetzt, daß auch Amurfinas Handeln von Liebe geleitet sei; bislang war ihr Wunsch, Gawein zu sehen, nur mit ihrem Machtanspruch begründet worden (—>7959 liste). 8129 ff.: Eine ausführliche Beschreibung des Bettes erfolgt —>8302 ff. Die Bemerkung, es was von der erd enbor, betont die Kostbarkeit des Bettes: 209 Vgl. die Beschreibung Isoldes, die ebenso dem Schema folgt wie die Amurfinas; auch dort werden schließlich einige Edelsteine ihres Kopfschmucks genannt, allerdings ohne Allegorese.

8154-8316 Beschreibung Amurfinas

227

Normale Betten waren erdnahe Konstruktionen (während die einfache Bevölkerung auf schlichten Strohsäcken schlief).210 8137: Das mit kostbarem Balsam gefüllte Glas als tivrer lieht hat eine Parallele JTit 6230 — eigentlich wurde das häufig ölhaltige und duftende Sekret der balsamliefernden Pflanzen eher wegen seiner desinfizierenden und konservierenden Eigenschaften geschätzt (z.B. Wh 451,19 zur Wundbehandlung, ansonsten auch zum Balsamieren von Leichen).211 8146: Zur Berufung auf eine (fiktive) frz. Quelle —>217 ff. 8153: siechen ist ein erster Hinweis auf die während der folgenden Begegnung häufiger verwendete Arztmetaphorik (—>8476—8483). 8154—8316 Beschreibung Amurfinas lit.:

KERN

1998, S. 109 ff.; P A S T R E 1991, auch ->946-1002.

In der Beschreibung Amurfinas zeigt sich Heinrich als Rhetoriker, der Techniken und Stilmittel dieser sehr verbreiteten Textart souverän beherrscht. Das zeigt der Vergleich von Amurfinas Portrait mit den klassischen Schönheitsdarstellungen der Antike sowie deren Rezeption in anderen mittelalterlichen Werken.212 Dem Ideal entspricht v. a. die Betonung des rechten Maßes (z.B. bei Nase 8159 f. und Hals 8199 ff.). Andererseits schert Heinrich aber bei vielen Details aus der klassischen Tradition aus: so mit der in Deutschland unüblichen Beschreibung von Augenbrauen (8183), Kehle (8197 f.) und Brüsten (8213 ff.) oder mit Hinweisen auf die erotische Ausstrahlung, die wiederum gerade der deutschen Literatur eigen sind (v.a. in den Mären), so in der Beschreibung der Augen (8181—8186), des zum Küssen einladenden Mundes (8187 ff.) und der Arme und Hände (8203 ff.). In ihrem Detailreichtum wird diese Beschreibung nur noch von der des ackerknehts und seines Pferdes übertroffen (19618-19949), die in ihrer Häßlichkeit das genaue Gegenteil darstellt.213 210 211 212 213

Vgl. LdMA 1,2087. Vgl. LdMA 1,1389. Dazu ausfuhrlich PASTRE 1991. Vgl. die Einschätzung bei PASTRE 1991, S. 100 ff.: Die Ausführlichkeit der Beschreibung diene der Würdigung der „objektiven Gegebenheiten der Natur, die das Schöne darstellt [...] Diese neue Länge bei den Porträts erschien deshalb [...] als Resultat der Präzision, die selber ein Attribut der intellektuellen Klarheit war. Genau wie die gotische Baukunst wollte diese Ästhetik, daß alles gesehen wird, [...] was in der Dichtkunst eine diskursive Kenntnis bedeutet". So zeige das Portrait Amurfinas den „neuen Geschmack für die Anmut, die der Harmonie der Körperteile anhaften muß [...], den Geschmack der lateinischen Gedichte". In ihrer Eleganz werde Amurfina erst durch die Helena im >Trojanerkrieg< übertroffen, die „als erste das gotische Ideal überhaupt literarisch umsetzt."

228

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

In der intensiven Ausschmückung mit Edelsteinen läßt sich z.B. die Beschreibung Irekels aus >Partonopier und Meliur< 8638-8762 vergleichen. 8161: biet ist bair. Form 2u hate, hete etc. (Konj. zu haben), vgl. Mhd. Grammatik § 288, Anm. 4. 8167: Nature ist hier eindeutig als Personifikation zu verstehen (—>7913). 8171: Zu (dem hier mit der Verneinung verbundenen) sei statt sie —>237. 8178: Die auf die Bibel zurückgehende214 topische Verbindung von stcet rot und lauter wei% findet sich u. a. auch in den Schönheitsbeschreibungen von Enite (ErH 1701 ff. mit Lilie und Rose), Condwiramurs (Pz 188,11 ff.), Larie (Wig 9291), später z.B. von Dulcefluor (>Wigamur< 4451—4520) sowie der Königin Dinifrogar/Nyfrogar (>Wigamur< 4905-4976). Vgl. auch das Motiv der drei Blutstropfen im Schnee (—>9194). 8180: Das Detail der sorgfältig über marwe% vleisch gezogenen Haut erscheint im Rahmen der Schönheitsbeschreibung recht eigenwillig; vleisch kann allerdings auch den menschlichen Leib als Ganzes bezeichnen (Lex 111,394), deuten ließe sich dann „der zarte Leib". Eine ähnliche Verbindung findet sich Troj 12962 ff. {der kiinic ein tohter lie^J so glani^undalso reine,/ von vleisch noch von heine/ nie schaner bilde wart bekant, zit. nach Lex 111,395). 8190 ff.: Nach der Nennung der Farben Rot und Weiß ->8178 erwähnt Heinrich nun auch die traditionellen Blumen Rose und Lilie in seiner Beschreibung. 8195: Zu piige vgl. Anm. KNN; die langen blonden Haare reichen also bis zur Achsel (so Lex 1,385 für bouc). 8220 f.: Zur problematischen Deutung von pamlione vgl. Anm. KNN; BRÜGGEN 1989, S. 273. Im Blick auf 8221 wäre auch eine Verbindung zu poue femine (afrz. für „weibl. Pfau") vorstellbar; JTit 1691,1 u.ö. findet sich dessen Umformung zu pauffemin oder povfemin gleich mehrfach als Bezeichnung für einen schillernden Seidenstoff.215 Vgl. auch lat. pavo, „Pfau". 8236 ff.: Der rvbin war wegen seiner ihm zugeschriebenen endogenen Leuchtkraft seit der Antike beliebt.216 So befindet sich in der Chanson de Roland< ein Rubin am Schiffsmast (2632 ff.), >Rolandsüed< 1587 ff. erwähnt einen Rubin als Helmzier, dessen Leuchten mit dem Tod des Trägers erlischt.217 Heinrich unterscheidet offenbar zwischen Rubin und Karfunkel, vgl. deren Nebeneinander 15698 und 15784; ebenso halten es Konrad von Me2 1 4 Vgl. Sir 5 0 , 8 (Rose und Lilie), Ct 5 , 1 0 (Candidus et rubicundus, „weiß und rot"). 2 1 5 Vgl. SUOLAHTI 1 9 2 9 , S. 1 9 1 ; SUOLAHTI 1 9 3 3 , S. 2 1 7 . Vgl. auch ACHNITZ ZU G a u 4 6 4 0

pamlürn bzw. P/jiamm (S. 588).

216 Daneben wurden ihm auch wundheilende Kräfte zugeschrieben, vgl. Pz 482,24-483,3. 217 Vgl. auch ZIOLKOWSKI 1961, S. 305; zahlreiche Belege für das Leuchten des Karfunkels in der Einleitung Karl Bartschs zum >Herzog ErnstGaurielPartonopier und Meliur< 8734 f.), Willehalm (>Der guote Gerhart< 4480 ff.) und die Freunde Sekureiz und Schionatulander (JTit 3648 ff.) solche Ketten; letztere als Erkennungszeichen im Kampf, was zur Katastrophe fuhrt, nachdem Sekureiz seinen Rubin verloren hat und Schionatulander den Unerkannten erschlägt. Heinrich verwendet den Stein nicht nur in den Bildern —>67 ff. und —»1726 ff., sondern auch für Konkreta: —>14385 ff. als Krone eines Zwergs und —>15784 als Fensterfullung im Palast der Saelde. 8244 ff.: Das schappel, ein Kranz aus Blumen oder Bändern, der oft kostbar verziert war,220 wurde vor allem zu besonderen Gelegenheiten und zum Kirchgang getragen; hier hat es über die schmückende Bedeutung hinaus noch die Funktion eines Schutzes, da eine Reihe zauberkräftiger und medizinisch wirksamer Edelsteine eingearbeitet sind: Smaragd (8250), der vor Zorn schützen und Glück verleihen soll;221 paleis (—>8254), dessen Wirkung, vor Neid zu bewahren, sonst nirgends beschrieben ist; Topas (8258), der Amurfina vor Zauber behüten soll, wirkt Konrad zufolge gegen %orn und unkäusch (VI^T);222 schließlich findet sich noch ein Saphir (—>8261 ff.). 8245: Dost ist die jüngere Form der Enklise dest, deist aus da^ ist.223 218 BdN VI, 13: Carbunculus ist der ediist under allen steinen und hat aller stain kreft [...] der erst ist der wirdigst, der hai^t carbunkel der ander hai^t rubein, der ist auch feurvar, aber niht so gar lieht sam der carbunkel. 219 Marbod de Rennes machte hingegen noch keinen Unterschied, er nennt nur den carbunculus (Lap 341—348) und charakterisiert ihn durch seine Leuchtkraft. Beim Stricker hingegen erscheint der Karfunkel bereits unter seinem seit ca. 1200 aus dem Α frz. übernommenen neuen Namen „Rubin" (zu lat. rubeus, „rötlich"), der die alte Bezeichnung carbunculus schließlich verdrängt. Vgl. ZIOLKOWSKI 1961, S. 313, Anm. 65: „Es geht aus allen Quellen deutlich hervor, daß es sich beim Rubin nicht um einen anderen Stein handelt; Rubin ist nichts weiter als ein neuer, vorläufig weniger bevorzugter Name für den carbunculus". Vgl. auch MEIER 1977, S. 246; ENGELEN 1978, S. 324. 220 Vgl. L e x 11,659; L d M A 7,1440; auch ENGELEN 1978, S. 125 ff.

221 —>49-52. Direkt zu Glück und Zorn finden sich keine Parallelen: Konrad schreibt ihm zu, er würde zur Mehrung des Reichtums beitragen, Menschen genam machen und v. a. sei er der Stein der Keuschheit (BdN VI,67); ähnlich beschreibt ihn Marbod und verweist zudem auf die Verbesserung der Sehfähigkeit (ind. dem Blick in die Zukunft), vgl. Lap 150-159; MEIER 1977 nennt Belege für die ihm zugeschriebene Kraft, Dämonen zu vertreiben (S. 417), Traurigkeit abzuwenden (S. 426 f.) und geschlechtliches Verlangen zu bekämpfen (S. 429 ff.). Wegen seiner grünen Farbe wurde er mit Fruchtbarkeit und Frühjahr verbunden, er war „Glückstein fur den Monat Mai", er erquickte müde Augen, wirkte beruhigend, „vertrieb Furcht und böse Geister und löste epileptische Krämpfe. Außerdem wirkte er vielen Krankheiten entgegen, indem er dem Bösen Einhalt gebot" (DRAGSTED 1972, S. 259). 222 So auch Belege bei MEIER 1977, S. 429. Lap 205-213 weiß davon nichts. 223 Vgl. Mhd. Grammatik § 105, Anm. 5.

230

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

8249: illuminieret ist einziger mhd. Beleg für die Übernahme aus lat. illuminare, afrz. illuminer. „erleuchten, einer Sache Glanz verleihen".224 8254: Der pakis erscheint noch einmal im Palast der Saelde (15678), er wird auch bei der Beschreibung von Anfortas' Bett genannt (Pz 791,26). Vgl. Anm. KNN; sprachlich gehört er ursprünglich zu arab. balakhs, einem Edelsteinnamen, der zu ital. balascio, afrz. balais wurde.225 Vgl. auch die Definition „Balas-Rubin: Aus dem Mittelalter stammende Bezeichnung für roten Spinell".226 8261 ff.: Der saphir.; einer der beliebtesten Edelsteine, wird z.B. ausführlich geschildert bei Konrad, BdN VI,66 (vgl. auch Lap 103-128). Er soll Amurfina gegen eiter, „Gift" schützen, vgl. auch die Zuschreibung: „er entmachtet schwarze Magie und hilft seinem Träger, Falschheit und Verrat zu durchschauen."227 Die Varianten 8264 stiegen (V) bzw. kuschen (P) sind sehr gegensätzlich: V betont eher Amurfinas verführerischen Charakter, während Ρ auf die Keuschheitsprobe durch das /wo/e-Schwert hinzudeuten scheint (ab 8500). 8271—8275: Zu der Kraft des weit verbreiteten Jaspis, Krankheiten vor allem der Frauen abzuwehren, vgl. Lap 97-102, wieder BdN VI,44: ist der mensch käusch der den stain tregt, so schäucht er die fiber und die wa^ersuht von im. er hilft auch den frawen in der gepurt und macht seinen tragcer sicher und genam, ist er gesegent mit der stain segen, und vertreibt diu schedleichen gesiht in dem slaf oder sunst.228 In der Beschreibung durchsichtig hat sich Heinrich allerdings vertan, Jaspis (der • ·· auch in grüner Färbung existiert) zeichnet sich gerade durch seine OpaZitat aus.

8276: Die qualitativ besten und daher beliebtesten Gürtel kamen aus Irland (—>553) und aus London.230 8277: iochant zu mlat. jacinctus, „Hyazinth" wird häufig genannt (Lex 1,1465 f.). Dieser alte Name bezeichnete die orange bis rotbraunen Varianten des Zirkon.231 2 2 4 Vgl. Lex 1 , 1 4 2 1 ; REISSENBERGER 1 8 7 9 , S. 12; SUOLAHTI 1 9 2 9 , S. 1 0 9 . 2 2 5 Vgl. SUOLAHTI 1 9 2 9 , S. 5 7 . 2 2 6 ROTHMÜLLER 1 9 7 8 , S . 2 6 . 2 2 7 DRAGSTED 1 9 7 2 , S. 2 6 9 . Vgl. auch ENGELEN 1 9 7 8 , S . 3 6 0 f.; MEIER 1 9 7 7 , K a p . II.8.b, bes. S . 4 2 8 ff. 228 Vgl. dazu ältere Belege bei MEIER 1977, Kap. II.8.a, u.a. S. 387 f. zum Fieber, 389 f. zur Wassersucht, 402 f. zur Geburt. 229

Vgl. DRAGSTED 1 9 7 2 , S. 2 8 1 ff.

nemen aus Jberne genannt (u.a. ErH 1558, Lanz 5798, Wig 10557), was ORKEN als Irland, Georgien oder aber als „Ausdruck für 'von weit her'" deutet (ORKEN 1 9 9 3 , S. 5 5 ff.), vgl. auch lat. Hiberia, „Spanien" (wo bis heute viele Lederarbeiten angefertigt werden). 231 Vgl. DRAGSTED 1972, S. 254 f. und 268. Zu den zahlreichen positiven Eigenschaften 2 3 0 So BRÜGGEN 1 9 8 9 , S. 9 1 . In anderen Romanen werden vor allem

8154—8316 Beschreibung Amurfinas

231

8280: Der nochmals 15721 genannte ceraunivs findet sich auch Pz 791,6 (—>15649—15789 zur möglichen gemeinsamen Quelle Marbod von Rennes); nachweisen läßt er sich außerdem bei Arnoldus Saxo, wo ihm wie hier die Fähigkeit zugeschrieben wird, Unwetter abzuwenden.232 Vgl. dazu auch BdN VI,21: Ceraunus hattet donrstain. der ist gelvar und velt %e stunden mit dem himelplat^en. man spricht auch, an mlher stat der stain sei, da schad kain donr noch kain himelplatvgn niht. der stain ist dick gar scharpf an ainer seilen. Vgl. ähnlich Lap 401—419. DRAGSTED verzeichnet Belemniten als „Donnerstein"; dabei handelt es sich um bräunliche, versteinerte Kalkablagerungen aus Tintenfischen, die sowohl geschliffen als auch im Naturzustand für Schmuck verwendet wurden.233 8285—8301: Mit einem gerechten Richter (rehtem rihtare 8301 — womöglich Heinrich selbst?) hätte Amurfina Venus um ihren Sieg gebracht, wäre sie bei dem Schönheitswettbewerb der drei ursprünglich griechischen Göttinnen dabeigewesen: Paris war von Hermes zum Richter ernannt worden, um den Streit um einen goldenen Apfel zu schlichten, den die schönste erhalten sollte.234 Dieser „komplexeste Beleg für das Mythologem"235 neben der Behandlung durch Heinrich von Morungen geht auf die lateinische Tradition zurück; die griechischen Göttinnen sind durch ihre römischen Pendants ersetzt: Statt Aphrodite verspricht Venus Paris die schönste Frau (durch ein wort, da% si sprach, 8295), die schöne Helena, und besticht zudem durch ihr nacktes Auftreten. Juno die reiche vertritt Hera, die mit Königsherrschaft lockt, und Pallas die weise verspricht kriegerische Ehre. „Pallas" ist ein Zuname der Athene, der sich verselbständigt hat.236 Heinrich von Veldeke erwähnt im Zusammenhang nur Juno (En 156) und Venus (En 161), er beruft sich auf Vergil (En 165). Als Quelle vermutet KERN das >Excidium Troie< sowie vielleicht den 16. Brief aus Ovids >Heroides520-538. 235

KERN 1 9 9 8 , S. 110.

236 Vgl. Kl. Pauly, Bd. 1,682 ff., auch Kl. Pauly IV,514 ff. 237

KERN 1 9 9 8 , S. 111.

238

Amurfinas „unschuldig-verführerisches Wesen" in der Begegnung mit Gawein zeige sich als Erbe der Vorgängerin Venus. KERN 1 9 9 8 , S. 1 5 5 :

232

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

gepriesenen Kleidung deutlich; ihre erotische Ausstrahlung zeigt sich in der folgenden Minnebegegnung mit Gawein. Der Vergleich Amurfina - Venus wird als fast ebenbürtig gesehen zu Gottfrieds Opposition aus Sonne von Mykene (= Helena) und Sonne von Dublin (= Isolde, vgl. Tr 8263 ff.).239 Das Paris-Urteil findet sich neben den Antikenromanen auch in >Flore und Blanscheflur< auf einem Pokal, bei Frauenlob (Lied 2, XIV. 10,5)240 und in der >Weltchronik< des Jans Enikel (vgl. LdaG, 329 ff. und 466-475 zu Paris; zur >Crone< S. 332). Ausfuhrliche Kenntnis der antiken Mythologie stellt Heinrich v.a. noch —>11550-11603 in der Klage um Ginover unter Beweis. 8302 ff.: Zahlreiche Beispiele für die Schilderung kostbarer Betten, die als Repräsentationsobjekte dienten, bietet L E R C H N E R 1 9 9 3 ; Amurfinas Bett wird jedoch nicht erwähnt.241 Von dem bet Salye {Salye wohl zu lat. salus, „Heil"), das Heinrich hier als Vergleich heranzieht, wird 20438 ff. und 20685 ff. noch ausführlich berichtet: Es ist dem lit de la merveille (CdG 7609 ff., Pz 566,11 ff., auch ChCh 473 ff.) nachgebildet. In der >Crone< befindet es sich auf Burg Salye, die dem Zauberer Gansguoter gehört, dem Onkel Amurfinas. So erscheint 8311 als versteckte Anspielung auf dessen Namen, wenn es heißt, auf dem wundertätigen Bett könne weder guoter noch vnguoter eine Nacht verbringen, es sei denn, er sei vollkommen tugendhaft (8313 f.).242 Während jedoch das Wunderbett auf Salye die Tugend seiner Benutzer erprobt, ist das Bett Amurfinas nicht unmittelbar als Tugendprobe anzusehen; erst das über ihm hängende huote-Schwert macht etwas Vergleichbares aus ihm. Durch die Vermischung von hohen Ansprüchen an die state des Bewerbers und Amurfinas kühlen Machtkalkulationen bleibt es zudem von unklarem moralischem Wert. 8308: Der p f a f f ist Gansguoter, der Onkel Amurfinas und Sgoydamurs, der später als Helfer Gaweins noch eine wichtige Rolle im Roman übernimmt (->13004-13102, ->13034 f.). 8315 f.: Der Temporalsatz schließt an 8310 an, si bezeichnet die Mutter des Artus. Die genaueren Umstände ihrer Beziehung zu Gansguoter berichtet 13036 ff. 2 3 9 S o KEHN 1 9 9 8 , S. 1 3 1 f.

240 Dort findet sich v.a. auch die revocatio des Paris-Urteils, wie Heinrich es hier formuliert. Dieser eigene Typus „rhetorischer Poetik im Frauenpreis" (LdaG, 459) wird auch aufgegriffen bei Heinrich von Morungen (MF 137,9 ff.) und in der >Minnelehre< des Johann von Konstanz. 241

Vgl. daneben auch BUMKE 1 9 9 0 , S. 1 5 9 f.; ACHNITZ zu G a u 1 8 3 - 2 1 6 (S. 4 9 7 f.).

242 Vgl. auch die Interpretation bei SCHMID 1986, S. 222 f.

8317-8390 Minnegespräch zwischen Gawein und Amurfina

233

8317—8390 Minnegespräch zwischen Gawein und Amurfina 8322: Der Name der Magd, die Gawein bei Blandochors abgeholt hatte, scheint ihrer Funktion zu entsprechen: vgl. lat. acclaman, „zurufen". Vgl. entsprechend die Schreibweise Acclamet 24228 in P. 8334 f.: ( 8 3 3 4 - 8 3 3 9 = GT 56) „Wie auch immer sich Minne verhält, wer kann ihr etwas entgegensetzen?" Das große Thema von der Allmacht der Minne wird hier lediglich auf das Alleinsein der beiden Liebenden bezogen; erst später kommen die negativen Auswirkungen mit in den Blick (—> 8 4 3 3 8448).

8356 ff.: Die büke gehören zum festen Repertoire einer Minnebegegnung, vgl. z.B. ErH 1486-1492, 1861-1869, 9469-9480; Iw 1331-1337, 2341-2355, 3794-3799. 8362 ff.: Zu dem Gedanken des dem Anfang überlegenen Endes auch —>3906 ff., 6145 ff.243 8367: sovm zu dem stM. sum, „das säumen, zögern" (Lex 11,1295). 8371: si muß die minne meinen (zuletzt 8367). 8391-8429 Abendessen als Unterbrechung 8419: div vünfte beim Abendessen ist Frau Minne, neben Gawein und Amurfina, der Magd Aclamet und dem Zwerg. Heinrich greift diese Zahlenspiele —>8512—8516 und —>8553 nochmals auf. Ähnliche Rechenkünste bemüht Gottfried im >Tristan8102-8115 begonnenen Überlegungen über die Allgewalt Minnes fort. In dem Gedanken, daß sich niemand ihrer Macht widersetzen könne, bereitet er auf den völligen Bewußtseinsverlust vor, den Gawein im folgenden erleben wird. Illustriert werden diese Behauptungen anhand mehrerer Exempelfiguren, wobei Salomon als topische Personifikation des Weisen zu dem humoristischen Abschlußbeispiel 8459 ff. überleitet. Sowenig über Totan be243 Vgl. auch die verschiedenen Varianten, die TPMA belege TPMA 1, „Anfang" 3.1: „Zum Anfang gehört das Ende"; 3.3: „Über den Anfang entscheidet das Ende"; 3.4: „Mehr als den Anfang muß man das Ende bedenken". 244 Vgl. JILLINGS 1980, S. 65 f., der auf Tristans Kampf gegen Morolt verweist. Dieser wird als Kampf zweier Scharen beschrieben (Tr 6866-6892): Tristans Mitstreiter sind got, das reht und tvillegr muot, er kämpft gegen Morolt, dem die Kraft von vier Männern zugeschrieben wird. Daneben wäre auch das „Gesellschaftswunder" der Minnegrotte zu erwähnen (Tr 16846-16908).

5469—10112 Gawein: Assiles und Amurfina

234

kannt ist (—» 8449), wäre möglich, daß in seiner Figur der ritterliche Gawein, in der Figur des alttestamentlichen Königs hingegen der vernünftige, weise Gawein verkörpert werden soll. Den topischen Charakter dieser Aussagen zeigen zahlreiche Parallelen, vgl. ErH 3691 ff, 6340; Iw 1335 ff.; Pz 289,17; Wig 4162 ff, 9658 f.; Heinrich von Veldeke, MF 56,19 ff. Vgl. auch TPMA 7, „Liebe" I.6.2.245 8439: Die Wendung schacb sein übernimmt das afrz. eschac, eschiec für einen schachbietenden Zug im übertragenen Sinn (vgl. auch —»24158); vgl. die Verwendung von mat —>7493, 10837.246 Die tumben, also diejenigen, deren Weisheit Minne hat in Vergessenheit geraten lassen, empfinden keinen Kummer (ihr Kummer wird besiegt?), wenn Minne sie in ihre Fesseln schlägt; sie folgen ihr zum Guten wie zum Schlechten. 8449: Der nur in der >Cröne< erwähnte Totan, der von liebeswütigen Frauen unter Bettdecken erstickt wurde (so die Parallelstelle 11572 f.), ist schwer einzuordnen; es muß offen bleiben, ob Heinrich eine antike oder andere Tradition im Sinn gehabt hat, oder ob er sich gar einen „ähnlichen Scherz erlaubte wie vielleicht der Tannhäuser mit seiner Avenant im vierten Leich".247 8451-8454: Basierend auf dem Bericht III Rg 11,1-8, wie sich der weise König Salomon von den Frauen seines Harems zur Anbetung anderer Götter verleiten ließ, entwickelte sich die mittelalterliche Erzähltradition von >Salman und Morolfi bzw. >Salomon und Markolfc. Vor allem die erste Gestaltung des Stoffes in dem Spielmannsepos zeigt Salman sehr unkritisch und nachgiebig seiner treulosen Frau gegenüber248 (vgl. auch die bildliche Darstellung Salomos als Minnesklaven),249 worauf Heinrich hier anspielen mag. 245 Zu der schon in der Antike verbreiteten Vorstellung von Liebe als Krankheit vgl. LOWES 1914. 246

Vgl. SUOLAHTI 1 9 2 9 ,

S.222F.

247 KERN 1998, S. 298; daneben bietet er noch die Vermutung, Heinrich könne das Schwankmotiv vom versteckten Liebhaber aufgegriffen und mit einem willkürlich gewählten Namen versehen haben. Eher unwahrscheinlich seine weitere Idee S. 301 f., Aran. 544. LEITZMANN 1925 ordnet Totan der höfischen Tradition zu; KNAPP 1982, S. 43 denkt über eine mögliche Verformung des antiken Schönlings und Frauenlieblings Adon/Adonis nach, von dem allerdings kein entsprechender Tod berichtet ist. Für die von GOUEL 1993, S. 170 ohne Angabe von Belegen vorgenommene Gleichsetzung mit dem „Sonnengott Titan" läßt sich keinerlei Bestätigung finden. Auf Titanes verweist auch nochmals LdaG, 619 f., erwägt daneben aber zugleich eine Verbindung mit Tridanz von Tinodonte aus Pz 770,5. Auch aus der Anordnung der Exempelfiguren innerhalb Heinrichs Katalogs 11549 ff. ergibt sich kein Hinweis darauf, ob Totan der höfischen oder der antiken Tradition zuzuordnen ist. 248 Vgl. VL2, Bd. 8,515-523; auch 530-542, daneben FRENZEL 1992, S. 697 ff. 249 Zu dem Motiv LCI 3 , 2 6 9 f. (mit Stellen aus der höfische Literatur), auch LCI 4, 22; OTT 1987.

8467-8694 Beginn der Minnegefangenschaft

235

8459 ff.: Zu dem Exempel des Weisen, der sich von Frau Minne dazu bringen läßt, mit einem Kind ein Ei im Feuer zu suchen, vgl. das Bispel >Das gebraten Eic250 So, wie ein Kind die Augen schließt, um nicht ertappt zu werden, wenn es ein gebratenes Ei aus dem Herd stehlen will, sich dabei aber an der Glut verbrennt, so handelt auch manches driqgteriges kint/ da^ sich im selben machet blint,/ unde almeist von minne. Dieses humoristische Bispel schließt die bisherigen Aussagen Heinrichs über die Macht Minnes ab, der Gawein seit Beginn der Amurfina-Handlung unterworfen wurde (vgl. v.a. 8102 ff.), und es illustriert nachträglich die Eingangspassage des Exkurses —>8433 ff. Die allgemeinen Aussagen über den Verstandesverlust werden in dem erinnerungstilgenden Zaubertrank in konkrete Handlung umgesetzt (->8673-8689). 8463 ff.: Das Bild von Gawein und Amurfina, die sich freiwillig in die Spur stellen und das Joch Minnes auf sich nehmen, leitet über zur Minnegefangenschaft Gaweins. In der Bezeichnung gast drückt sich eine gewisse Distanz des Erzählers seinem Protagonisten gegenüber aus, dessen Handlungsweise er mit Unverständnis begegnet (wie der hier endende Exkurs gezeigt hat). 8467—8694 Beginn der Minnegefangenschaft 8467—8503 Schlaftrunk, Ankündigung der huote 8469: Das slaftrinchen, das Gawein serviert wird, facht dessen Minnegier noch stärker an: Es handelt sich um einen Nachttrunk, wie er wegen der tragischen Vertauschung v.a. aus dem Tristan-Stoff bekannt ist. Doch bevor Gawein die Erfüllung seiner Sehnsucht zuteil wird, wird er einer Freierprobe unterzogen, in der er die Ernsthaftigkeit seiner Absicht unter Beweis stellen soll. Nach dem Minnevollzug (8626-8631) berichtet Heinrich von einem weiteren, nun als posavn bezeichneten Trank (—>8638 und 8650). Dessen Wirkung ist deutlich stärker als die des ersten: Als Folge muß Gawein entweder minnen, sterben oder sein Gedächtnis verlieren, ihn ereilt letzteres (8655—8676). Auch wenn die Alternative minnen etwas verwirrend erscheint, da dieses Ziel ja schon vor dem ersten Trunk erreicht wurde, handelt es sich wohl um zwei verschiedene Getränke; dafür spricht neben dem Ablauf der Handlung und der verschiedenen Bezeichnung und Wirkung auch die allgemeine Vorliebe Heinrichs für Doppelungen.251 250 Abgedruckt bei PFEIFFER 1849, S. 368-370. Überiiefert in Wien cod. 2705; vgl. auch ZIEGELER 1 9 8 5 , S. 4 6 8 (E 15).

251 Für zwei Tränke auch KRATZ 1978, S. 234, JILLINGS 1980, S. 66 ff., ZACH 1990, S. 360; nur

einen einzigen Trank sieht EBENBAUER 1981, S. 57, Anm.33; wieder KAMINSKI 2005.

236

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

Das später ausgesprochene Trinkverbot in der Gralsszene mag im Zusammenhang mit diesen Tränken gesehen werden (—>28501 ff., —>29334 ff.). 8476-8483: Die in den Begriffen geseret, wunden, aryt, geheiln, ertpiei enthaltene Wund- und Arztmetapher für Liebesschmerz und -heilung findet sich bereits 8153, wieder 8543-8559 und 8839 ff., jeweils im Zusammenhang mit Amurfina. In sehr knapper Form vgl. die ähnliche Bildersprache in der ersten Nacht Gaweins mit Orgeluse, allerdings ist der Ritter dort wirklich verletzt. Vgl. Pz 643,28-644,1: er vant die rehten hirywur^/ diu im half da% er genas. Vgl. zum Motiv ausfuhrlich H A U P T 1991, S. 97-104. 8484: Der knappe Verweis auf Sgqydamuor, die Gawein von Frau Minne nicht bekommt, bezieht sich auf die spätere Maultierzaumepisode (12601— 13934). 8492 f., 8500, 8506: Die huote ist ein Zentralbegriff der Minne-Theorie und bezeichnet die gesellschaftliche Aufsicht, die v.a. von Ehemann oder Eltern ausgeübt werden sollte, um eine Frau vor Versuchungen zu schützen. Vgl. v.a. den j6»oi?-Exkurs Tr 17817ff.; im Bereich des Minnesangs z.B. Heinrich von Veldeke (MF 65,21) oder Heinrich von Morungen (MF 131,27; 137,4).252 8494 ff.: Die Metaphern von Brand und Stroh spielen auf ein Sprichwort an, vgl. Troj 15990 ff., Frdk 121,3 f.; für weitere Parallelen ShRM und TPMA 9, „Stroh" 7,4. 8504—8577 Das Zauberschwert (iö»oA?-Schwert) Die Konstruktion des frei schwebenden Schwertes, das Amurfina vor Zudringlichkeiten schützen soll, zeigt die Sorge des Onkels um seine Nichte (ebenso z.B. das rotierende Schloß, das er für beide Schwestern gebaut hat, um Eindringlinge fernzuhalten, vgl. 13040 ff.). Zugleich fungiert das Schwert als Tugendprobe für mögliche Freier; Gaweins Treueschwur —>8600 ff. läßt ihn diese Probe schließlich bestehen. 8509 ff.: Magische Schwerter als Tugendprobe sind recht häufig;253 sehr ähnlich im Handlungsablauf ist der >Chevalier a l'epee5673. 8545-8559: Zur Arztmetaphorik ->8476-8483. 8553: Die Bezüge in diesem Vers erscheinen unklar: si [...] alle drei, die da jmd. begehren, könnten entweder Gawein, Amurfina und Minne sein, wenn sein der art^t ist; alternativ könnte Gawein Objekt des Begehrens sein, das dann von Amurfina, Minne und Fortuna ausginge (daß Amurfina ebenfalls verwundet ist, wird erst zwei Verse später erwähnt; unklar bleibt bei der ersten Deutungsmöglichkeit auch, warum Minne selbst einen Arzt braucht). Vgl. das Zahlenrätsel ->8419. 8560 f.: Zu der Aussage über Gaweins erprobte state vgl. sein Dilemma in der zweiten Wunderkette, wo er zwischen manheit und state schwankt und sich schließlich für erstere entscheidet (->15931-17311, bes. 16295-16342). 8571: Zu der Formulierung minne reht leisten, „tun, was die Minne fordert", vgl. Wh 252,15: ir habt der minne reht getan-, >Titurel< 68,4: tuo der minne ir reht. 8578-8616 Gaweins Treueschwur 8598 ff.: Daß der Treueschwur erzwungen ist, der schließlich zur Heirat mit Amurfina führt, hat Parallelen im Roman: So gibt es ebensowenig eine wirkliche Alternative bei der Verpflichtung zur Gralssuche durch Angaras (—>18913—18927); ähnlich wird Gawein in den ersten beiden Wunderketten zum Nichthandeln gezwungen (durch Gener von Kartis 14475—14559 und Aanzim 15980 ff.). Zur Auswirkung auf die Figurenkonzeption vgl. auch —>701. 8600 ff.: Der Schwur, mit dessen Hilfe sich Gawein aus der Umgürtung durch das Schwert befreit, ist raffiniert gestaltet: Die einleitende traditionelle Sterbemetapher Sei, nv var hin wird auf Amurfina hin umgelenkt und somit aus dem ursprünglich religiösen Kontext herausgerissen. Darauf folgt eine ausgefeilte Trennung in Gaweins Leib, der durch die Not des Schwertes dem Tod ausgeliefert scheint, und seine Seele, die nun aufgefordert wird, den Treueschwur stellvertretend für die ganze Person zu leisten: wis ir immer, der ich bin (vgl. ähnlich 2455). Wan dv ir mit mir bist (8605) formuliert schließlich elliptisch den Gedanken, der schon aus Du bist min, ich bin din (MF 3,1) bekannt ist.255 Vgl. auch den Herztausch bei Iweins Abschied von Laudine (Iw 2990 ff.). 255 Vgl. Anm. KNN, die dort genannte Konjektur von SIN würde die Zusammenhänge vereinfachen; V/P/SCH/KNN bieten jedoch übereinstimmend die lectio difficilior.

238

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

8617-8659 Minneerfüllung und Zauber-/Minnetrank 8632-8635: Aus dem gast (8420, 8463 etc.) ist durch die Liebe zu Amurfina nun der wiert (wirtte P), der Hausherr geworden. Gawein entspricht als „Wirt" nicht mehr dem Ideal des chevalier errant (das in den Zentralbegriffen vehten, streiten, lant suoheti konstituiert wird), wie u. a. in dem Bild von Fliege und sottuoch (—>8789 ff.) noch deutlich gemacht wird. Heinrich betont den Kontrast der beiden Lebensformen auch —>18672 f. (dort wird Quoikos als Ehemann qualifiziert mit dem Hinweis, er bete bürge unde lant/ Und ware state an einer stat) sowie —>25836 ff. (Gawein lehnt das Angebot des Königs ab, mit ihm die Sasldenkleinodien zurückzuerobern, weil das Leben als schevalier errant nicht mit dessen Aufgaben als Herrscher vereinbar erscheint). 8636-8638: Zu diesen Versen vgl. Heinrich von Veldeke, MF 58,35 ff.: Tristan muose sunder stnen danc/ staete sin der küneginne,/ wan in da^poisun dar yuo twanc/ mere danne diu kraft der minne./ Des sol mir diuguote sagen danc,/ wisgen, da% ich sölhen tranc/ nie genam}^ Das afrz. poison (zu lat.potio) ist sonst nicht für den mhd. Wortschatz belegt (posavn 8638, 8650 und 8727).257 Zum Motiv des magischen Tranks —>8469; zu gereise („der oder die mitreisende") —>7887. 8660-8694 Wirkung des Zaubertranks Der völlige Verlust von Identität und Zeitgefühl durch die Verbindung mit einer Frau der Anderwelt gehört zu den Charakteristika der Feenliebe (vgl. z.B. >Melusine< oder den >Lai de GuingamorWolfdietrich< B: Dort verzaubert die ruhe Else den sie verschmähenden Wolfdietrich, so daß er ein halbes Jahr als Waldmensch lebt. Durch einen Jungbrunnen entzaubert, finden sich beide schließlich als Liebespaar (>Wolfdietrich< Β 317-342). Das Motiv der Minnegefangenschaft hängt ebenfalls eng mit dem Stoffkreis der Feenliebe zusammen, vgl. die Gefangenschaft des Odysseus bei 256 Vgl. Öhmann 1924, S. 137 f. 257 Vgl. Suolahti 1929, S. 190.

8660-8694 Wirkung des Zaubertranks

239

Circe, den >Prosa-LancelotFriedrich von Schwaben< und die Tannhäuser-Sage. Anders als die Krisen Erecs und Iweins ist der Identitätsverlust Gaweins nicht selbstverschuldet (vergleichbar dem des Wigalois), so daß er nach seiner Erlösung derselbe wie vorher ist und seine Aventiuren weiterverfolgen kann.258 8672: Übertreibende Zeit- bzw. Mengenangaben wie die drei^ech iar finden sich häufiger, dabei scheint die Dreißig Heinrichs bevorzugte Zahl zum Ausdruck einer großen Menge zu sein: Vgl. die schan ivnglinge/ Wol von dreiste iaren (8698 f.), 9389 die dreißig Zentner schweren Brüste des Waldweibs, 15310 wird die Kraft von 30 Männern gebraucht, um gegen Laamorz zu bestehen, 20198 bleibt das alte Pferd nach drei Schritten für jeweils 30 stehen, Gawein fallt 21380 dreißigmal hin, Artus küßt den Boten aus Freude me wan dn\ec stunt (21944), 29287 spielen 30 Geiger. Vgl. daneben auch die zehnmalige Ohnmacht Garanphiels 28211, das zehnfache Bergbeben 26317, den ganzen Monat, den Gawein auf Gralssuche umherreitet (271195) und schließlich das halbe Jahr, das Gawein und seine Gefährten für ihren letzten Heimweg brauchen (29747 ff.). Solche Angaben haben wohl auch die Aussage des Schreiberanhangs inspiriert, Gott möge den Schreiber von seiner achtzigjährigen Frau erlösen (30030). 8673 ff.: Der Name verbürgt die Identität; dessen Verlust geht einher mit dem Vergessen der Taten, die Gaweins Persönlichkeit bestimmen.259 Dementsprechend gewinnt Gawein seine Identität wieder, als er sich seiner Taten erinnert (8933—9054). Vgl. z.B. Parzival, der seine Identität erst durch Sigunes Namensnennung erhält - bei ihm ist es ein mündliches, bei Gawein ein schriftliches Zeugnis.260 Zu dem von beiden Hss. gestützten Reim nam: vernam (mit verkürztem Akk. nameri) vgl. ebenso 21590 ff. (nam: ge^am: vernam). 8677—8680: Zu dem Vergleich des Herzens mit einem Diamanten, der durch Amurfinas Vergessenstrank seine state verliert (auch —>92-105), vgl. Iw 3249 ff. über den wahnsinnigen Iwein (ab 3257): der ie ein rehter adamas/ riterlicher tagende was,/ der lief nü harte balde/ ein tore in dem walde. Der Verstandesverlust durch Minne wurde schon im Exkurs —» 8430-8466 thematisiert. 8681: Die durch die Liebe bewirkte wandelunge Gaweins ähnelt der Erecs: ein wandelunge an im geschach (ErH 2984). Beide verlieren ihre „ständische

258 Dazu ROSSNAGEL 1996, S. 93; EBENBAUER 1981, S. 44; 259 VgJ. CORMEAU 1977, v.a. S. 124-143. 2 6 0 Vgl. auch S C H M I D 1 9 8 6 , S . 2 1 5 f.

KERN,

Cröne 1999, S. 210 f.

240

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

Identität" als fahrende Ritter, weil ritters name nur in der kontinuierlichen Umsetzung erhalten bleibt.261 8692: Die Formulierung arc nemen ist sonst offenbar nicht belegt; vgl. lediglich Tr 17814 arge jehen, NL 763,1 arge verstau (BMZ 1,55), daneben 2275 f.: swa qweir dinge div mal,/ da nimt man liht das,[ arge. Zu deuten muß wohl sein: „Derjenige, der es Minne als böse anrechnet (übel nimmt), daß er als Preis für die Liebe seinen Verstand verliert, dünkt mich dümmer als ein Kind." Dabei geht es nicht um den Gedanken einer irgendwie gearteten Wahlfreiheit (vgl. Anm. KNN), sondern um die unvermeidliche Kopplung von Minne und Verstandesverlust — das eine ist ohne das andere nicht zu haben (—>8693). Zu kint (8691) vgl. das Bild vom Weisen und dem Kind —» 8459 ff., auch 7495 f. 8693 f.: (8690-8694 = GT 58) Der Parallelismus „Minne ist wohlgefällig, die Unvernunft unangenehm" (stm. unvruot auch 1807, für das „unbesonnene Wesen", Lex 11,1980) schließt die Aussagen über die Wirkungen des Zaubertranks ab. Er bestätigt den Gedanken, daß das Gute der Minne nur um den unangenehmen Preis des Verstandesverlustes — und der damit einhergehenden Unfreiheit - zu haben ist. 8695—9128 Gawein als Gatte und Landesherr 8695—8831 Gaweins neues Leben Daß Gawein von Amurfinas Gefolgsleuten sofort als neuer Landesherr akzeptiert wird, erinnert an die entsprechenden Situationen z.B. in >Parzival 8672 mit weiteren Beispielen für die Verwendung der Zahl Dreißig. 8713: Zu phaln^ bzw. pfalt^^ 1889 (phalnt^rounde). 8731: verlegen ist ein deutlicher Anklang an die Problematik des >Erec< (Er 2971),264 die auch in anderen höfischen Romanen wieder aufgegriffen wurde, vgl. Iw 2790 ff. (Gawein zitiert Erec als mahnendes Beispiel, um Iwein zu neuen Aventiuren zu überreden), wieder Iw 7171—7174, sowie Wig 1301 und 2871 ff.265 Gawein bleibt jedoch in seiner Idealität intakt, da seine Selbstvergessenheit durch den posvn begründet ist, nicht durch seine eigenen Verfehlungen. Im weiteren Romanverlauf wird noch einmal auf das verligenMotiv angespielt: 10107 lehnt Gawein die angebotene Herrschaft über die von ihm befreite Burg des Flois ab, denn er will sich so nibt ban verlegen.266 8734—8794 Ereähler: Gawein als der ander Artus, Exkurs über wirte (8757-8794 = GT 59) Der gesamte Abschnitt parallelisiert Gawein und Artus: So wie der König wegen seiner milte gerühmt und als Gastgeber beliebt ist (vgl. 443 ff.), wird nun auch sein Neffe wegen derselben Eigenschaften gewürdigt. Die Frage nach der rechten Gastfreundschaft treibt Heinrich immer wieder um, vgl. die Belege bei —>6231-6250. 8735 ff.: di stra% bowen, (bürven wohl durchaus in seiner Grundbedeutung „bewohnen", vgl. Lex 1,404; auch —>28580) umschreibt die Suche nach Aventdure, an der Gawein nun nicht mehr teilnehmen kann, weil er die Lebensform des chevalier errant abgelegt hat (wieder 8795 ff.). Schon —>8634 f. hatte Heinrich das Tun der fahrenden Ritter beschrieben: Nach vehten vnd nah streiten/ Da% lant suocht mit preise (—>25836 ff.). In den beiden bowen-Stellen (hier und 8799) betont der Erzähler das Fehlen Gaweins im ritterlichen Wettstreit; wer jetzt auf Aventiure auszieht, muß auf Gaweins gruo% verzichten, den er vorher erhalten hätte. 263 Vgl. Lex 11,442. 264 Vgl. K E R N , Cröne 1999, S. 210 f.; BLEUMER 1997, S. 99 f.; K N A P P 1986, 1980, S. 65 ff. 2 6 5 Vgl. zu >ErecErec7951. Laniure stieß offenbar auf Gawein, als dieser gerade die Furt zu seinem Land (Serre?) überquerte; die Torrivre ist also offenbar als Grenzfluß zu verstehen. 8886: vmbilde zu unbilde, „was nicht zum vorbilde taugt" (Lex 1 , 1 7 7 1 ) . 8891: Wegen der Verwendung des von Heinrich ansonsten im Umfeld des Grals gebrauchten Begriffs dopljere (vgl. Anm. K N N , auch —>29367), sowie der %weiti tischmessern, mit denen sie aufgetragen wird ( 8 8 4 7 ff.), sieht JILLINGS die Passage als Erlösungsszene (Gaweins Befreiung aus der Minnegefangenschaft) und eine Art „Grail parody".278 8 8 9 4 : den wert ist schwierig, vgl. Anm. KNN. Alternativ zu der dort angedachten, sinnvoll erscheinenden Konjektur deu wert (als Apposition für Amurfina), ließe sich vlL auch wert (stm.) als „insel, halbinsel, erhöhtes wasserfreies land zwischen sümpfen" (Lex 111,795) als Bezeichnung für den Kampfplatz verstehen. 8897: Die Verbindung Gaweins und Amurfinas bleibt zunächst offen: Auch wenn Gawein als Landesherr eingeführt und als solcher von den Untertanen akzeptiert ist, wird eine Hochzeit der beiden doch erst 1 3 8 6 1 - 1 3 9 2 4 am Artushof gefeiert. Die Ausdrücke amys/amye bzw. vriunt werden unabhängig von irgendeinem rechtlichen Status im Sinne von „Geliebte/r" gebraucht; so für die mittlerweile verheirateten Gawein und Amurfina auch noch 1 6 2 7 1 , 1 7 2 3 0 , 1 7 2 7 4 , 1 7 2 8 7 , 2 8 5 1 4 u.ö. {vriunt bzw. amye)·, ähnlich auch im Fall der jeweils bereits verheirateten Ritter Giremelanz, Gasoein und Quoikos 2 3 6 8 4 f., 2 3 7 9 6 und 2 3 9 9 7 ; - > 1 3 2 9 . 275 Massiert findet sich dieses Motiv in den ersten drei Ehen Lanzelets im Roman Ulrichs von Zatzikhoven, der zweimal die Tochter, einmal die Nichte eines erschlagenen Gegners heiratet. 276

CORMEAU 1 9 7 7 , S . 1 2 5 .

277

V g l . EBENBAUER 1 9 8 1 , S . 4 4 .

278

JILLINGS

1980, S. 67, die Messer bezieht er auf Wolframs Gralsprozession.

246

5 4 6 9 - 1 0 1 1 2 Gawein: Assiles u n d Amurfina

8906—8944 Amurfina stellt Gawein als Landesherren vor 8907: So wie es Amurfinas Initiative war, die Gawein zu ihr brachte, so ist es nun wiederum sie, die durch ir hochvart („Hochgestimmtheit") das Ende der gemeinsamen Zeit verursacht. 8925: Zu Tomvre ->7951. Vgl. die Kampfbeschreibung 8860 f.: Laniure wurde im Kampf ins Wasser abgedrängt. 8936 f.: Gawein ist des Lesens kundig, vgl. auch —>14529 ff. Der hier einsehende Prozeß der Selbstfindung ist „zunächst ein hermeneutischer Akt, denn Gawan (sie!) erschließt den Sinn der Inschrift, ihren Platz innerhalb seiner Biographie, zunächst nur durch meditative Betrachtung der abgebildeten Kampfszene".279 M E N T Z E L - R E U T E R S verweist hierbei auf die Rangfolge, die Thomasin von Zirklxre zwischen Bild und Schrift ansetzt: die bilden sind fur Kinder und Bauern, die schrift ist für Gelehrte, die p f a f f e n (WGast 1097 ff.). Durch Minne wird der Weise zum Kind (8459 ff. über Gawein); „Gawein steigt also bei der Betrachtung des Gefäßes über die Stufen der Bildung, wie sie das Mittelalter sah".280 8945-9054 Selbsterkenntnis Gaweins (Tatenkatalog II) Lit.: MATEJOVSKI 1 9 9 6 , S . 1 5 1 f.; ZATLOUKAL 1 9 8 1 .

Der lange Monolog Gaweins, in dessen Verlauf er zu sich selbst zurückfindet, verweist auf den Monolog des aus dem Wahnsinn erwachenden Iwein (Iw 3505—96), geht aber zugleich noch über diesen hinaus: Während Iwein sich seiner Identität von Anfang an bewußt ist und sein bisheriges Leben wie einen Traum zu rekapitulieren vermag, steht sich Gawein zunächst gänzlich fremd gegenüber und braucht einige Zeit, bis er die Figur des auf der Schüssel dargestellten Gawein mit sich selbst identifizieren kann. Die Selbstfindung verläuft in mehreren Etappen: Zunächst erkennt sich Gawein als Aventiureritter, von dem er, wie von einem Bekannten, in der dritten Person spricht (8950-8979). Auf die 8981 f. wiederholte Frage nach seiner Identität (vgl. seine ersten Überlegungen 8948 ff.) folgt der Tatenkatalog, in dem er die Erinnerung an frühere Kämpfe mit Namen verbindet, schließlich erinnert er sich an Gawein zugeordnete Kämpfe aus der >Crone< und der Tradition, bevor er im Blick auf die noch unbeendete letzte Aventiure schließlich folgert: Do, wan, ich Gawein hie·.ζ (9046). Erst in diesem Moment gelingt es ihm, „Gawein-Rolle und Gawein-Ich"281 zusammenzuführen und sich aus der 2 7 9 MATEJOVSKI 1 9 9 6 , S. 1 5 1 . 2 8 0 MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 1 7 7 . 281

MEYER 1 9 9 4 , S. 89.

8945-9054 Selbsterkenntnis Gaweins (Tatenkatalog II)

247

Minnegefangenschaft zu befreien. „Seine eigene, im Denkmal abgebildete Vergangenheit holt den Protagonisten ein und in die Realität zurück".282 MENTZEL-REUTERS 1989, S. 177 weist für die Gliederung des Monologes eine Art doppelten Kursus nach: Der allgemeinen Auflistung der Tugenden im ersten Abschnitt lassen sich jeweils konkrete Taten im zweiten zuordnen, die zur Selbstgewißheit führen.283 8963: ιvaltswende auch 10087 und 18498; Heinrich dürfte den „Witz, daß der Held durch Verbrauch vieler Lanzen den Wald abholzt"284 von Wolfram übernommen haben, vgl. Pz 57,23; daneben auch als Verbkonstruktion den wait wenden Pz 73,7; 79,22 f.; 81,9; 290,24; 427,3; 665,15; 769,11; Wh 389,30; >Titurel< 102,1. Als Imperativische Namensbildung bei Ulrich von Liechtenstein, >Frauendienst< 1498,4: er moht wol beiden swende'n wait:/ wart von siner %eswen hant/ des waldes harte vil verswant (mit falscher Quelle in BMZ 11,2,800). Vgl. auch HEINZLE 1972, S. 155 f. 8979: Zu mitwist („Zustand, Lage, Dabeisein") ->5417. 8986-9054: Der zweite Tatenkatalog Gaweins steht parallel zur Aufzählung seiner Heldentaten durch Riwalin —>6101-6126. „Mit registerartiger Detailgenauigkeit verfügt der selbstvergessene Held über seine Biographie, als furchte er, daß das Auslassen auch nur einer Begebenheit oder eines Namens zum Scheitern des Prozesses der Selbstvergewisserung führen könnte."285 Hier kommt es zu einem Hysteron-Proteron (—> 5992 ff.) in der Erzählung vom Gralsbesuch 9023-9030 (ausfuhrlich im Handlungsverlauf 2915329443).286 Auf vor Romanbeginn Geschehenes beziehen sich zum einen die Bestrafung des Lohenis 9005 f.,287 zum anderen der erste Sieg über Fimbeus (vgl. 14937-14989 und 23378-23417). Beide Episoden sind im weiteren Romanverlauf handlungsauslösend: für den Betrug des Lohenis (19346-20320) bzw. für die gesamte Kontroverse mit Garanphiel und Fimbeus (—>4858 ff.). Ansonsten mischt der Katalog typische Aventiuren eines höfischen Ritters (Kampf um manig wilde chlvse, Hilfe im Erbstreit, Rache füir den erschlagenen Freund, Hilfe für eine von Entführung bedrohte Frau) mit (vorgeblichen) Aventiuren der Artustradition (so die Erwähnung Lanzelets und Segremors) 2 8 2 CORMEAU 1 9 7 7 , S . 1 2 6 .

283 Vgl. die detaillierte Gegenüberstellung MENTZEL-REUTERS 1989, S. 177. 2 8 4 K o m m e n t a r z u P z 5 7 , 2 3 (>Parzival< (ed. NELLMANN), B d . 2, S. 4 8 7 ) . 2 8 5 MATEJOVSKI 1 9 9 6 , S . 152.

286 Zu diesen „Zeitzerrungen" auch MEYER 1994, S. 88. 287 Vgl. Pz 524,9-529,1; CdG 6999-7058; in der >Cröne< bereits erwähnt 5992 ff., ausführlich wiederholt 19346-19482.

248

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

und mit Aventiuren mit mythologischer Färbung (v. a. den Sonnenfresser Sarand und den Jungbrunnen). 8997 ff.: Der erste Kampf Gaweins und seiner Gefährten auf dem Weg zur Rückeroberung der Sasldenkleinodien gilt einer cluse (26110), dabei wird Keie verwundet. Vgl. auch Dan 440, 2173 u.ö. den Eigennamen Cluse für das umkämpfte Land Matürs, das Daniel später erhält. Der Reim Artvse: chlvse ist singulär, ansonsten reimt Artus immer mit hus, wie auch sonst meist in der Artusepik. In der >Cröne< finden sich dafür 24 Belege,288 Hartmann reimt Artus ausschließlich auf häs(e) (jeweils 17 Belege in >Iwein< und >ErecParzival< reimt in 20 Fällen Artus·, bäs,290 im >Lanzelet< finden sich 12 Belege,291 >Wigalois< schließlich reimt 19 Mal Artus: hüs?2 9001 f.: Zur Identität Janpbyefn mit der Freundin Lanzelets in der Handschuhprobe vgl. Anm. K N N , auch —>24074 ff. Der hier erwähnte Schwesternstreit, in den Gawein eingegriffen habe, ist nicht bekannt, das Motiv hingegen ist relativ geläufig: vgl. in der >Crone< die Streitigkeiten zwischen Amurfina und Sgoydamur, zwischen Quebeleplus und Flursensephin (als Übernahme von Chretien und Wolfram), aber auch indirekt zwischen Saside und Garanphiel (die hinter den verfeindeten Seiten im Gürtelstreit bzw. in dem Raub der Saddenkleinodien stehen); daneben z.B. Iweins Eingreifen in den Streit der Schwestern vom Schwarzen Dorn. 9003 f.: Der Kampf gegen den Riesen mit dem sprechenden Namen ChalangeUe von Clintester (zu afrz. chalengier; „herausfordern") hat keine Vorläufer in der literarischen Tradition, qualifiziert Gawein aber ebenso wie die Erwähnung eines anderen Riesenkampfes 6200-6206 für die Kämpfe v.a. gegen Assiles und Baingranz. 9007 f.: Ahnlich wie in der erfüllten Racheforderung der (unbekannten) Andochlys hilft: Gawein auch sonst bedrängten Frauen, z.B. der von dem 2 8 8 Vgl. PFOSER 1 9 2 9 , S. 3 1 0 .

289 Vgl. Iw 31 f., 2573 f., 2653 f., 2695 f., 2759 f., 2969 f., 2975 f., 3531 f., 4165 f., 4543 f., 4555 f., 4639f., 5659f., 5717f., 5757f., 6895f., 7777f. (.mchhüs); ErH 1098f., 1202f., 1510f., 1810f., 1890 f., 2064 f., 2114 f., 2862 f., 4629.9 f., 4682 f., 4782 f., 4948 f., 7800 f., 9832 f., 9874 f., 9910 f., 9978 f. 290 Pz 123,7f., 135,13f., 143,23f., 147,21 f., 152,7f., 161,27f., 206,7f. (iveidebäs), 220,11 f., 221,15 f., 280,1 f., 310,21 f., 449,7 f., 524,15 f., 548,23 f., 654,29 f., 667,19 f , 674,17., 699,21 f., 700,5 f., 759,23 f. (warthüs)), daneben aber auch Artuse •. Janfise 314,15 f., Artus: alsus 320,21 f., 610,13 f., Artuse: cläse 382,23, Artus ·. Liddamus 421,13 f. 291 Lanz 2283f., 5063f., 5385f., 5573f., 5883f., 6945f., 7137f., 7399f., 7563f., 8471 f., 8801 f., 8997 f.), daneben süs •. Artus 6725 f. sowie Artivre: äventiure 5361 f. und Artivrt •. vngehmre 6741 f. 292 Wig 149 f , 1132 f., 1213 f., 1449 f., 1468 f., 1699 f. (muoshüs), 2081 f., 2141 f., 2179 f., 3097 f., 3361 f., 3582 f., 4016 f., 4036 f. (vogelhäs), 4801 f., 8308 f. (bethüs), 11420 f., 11445 f., 11491 f.). 293 Die Getrenntschreibung KNN ist Druckfehler.

8945-9054 Selbsterkenntnis Gaweins (Tatenkatalog II)

249

Wassermann gefangenen Magd im wilden Wald (9129-9531), Belahim im Kampf gegen Reimambram (9612-9767) oder der Witwe in der Erlösungsepisode um den Schwarzen Ritter (18934-19345). Hingegen erfüllt er nicht die Forderung der magt im Rahmen der zweiten Wunderkette (16076-16125). Der Frauenname auf -lys ist wohl mit afrz. Iis, „Lilie" zu deuten (—»1590 Blanli^), deren genauere Bestimmung (Andoch-) ist unklar. Ist Jasin aus dem antiken Helden Jason abgeleitet (vgl. Herborts >Liet von TroyeTrojanerkriegCrone< mehrfach als Drachenkämpfer dargestellt, vgl. noch 13440-13513, 15071-15196 sowie 26680-26764. Von den lintracken in der wilden Schlucht auf dem Weg zu Gansguoter läßt er sich zudem nicht schrecken (12778 ff.) Dadurch werden solche Kämpfe zu einer „beinahe alltäglichen Erfahrung des Artusritters. Eine exponierte Stellung wird ihnen nicht mehr zugewiesen, ihre Bedeutung nicht mit Bezug zur Gesamtstruktur entfaltet."296 9011 f.: Der Kampf bei dem mythologisch anmutenden „Wasser in der Sonne" (vgl. Anm. K N N ) gegen die wilde Mackide gemahnt an die 9 3 1 4 — 9 4 6 3 zu bestehende Auseinandersetzung mit dem wilden Weib, die in einem jenseitsartigen Wunderwald stattfindet (der wiederum durch einen Fluß von der zivilisierten Welt getrennt ist). Mythologie scheint in diesem Katalog v.a. 9 0 3 1 ff. auf. 9016-9022: Zu der Episode vom Zauber zu Chladet vgl. ->27413 ff. die Geschichte von dem berc Agnmonttn, die hier gemeint sein könnte. Das rätselhafte stN. da%ris9021 müßte dann als stF. zu rise („Kopftuch, Schleier", BMZ 11,1,727, so auch 560, 19054) gebessert werden. Dieses Tuch besteht aus dem sagenumwobenen Stoff, den die Salamander aus Feuer weben.297 9023-9030: Der Verweis auf den bereits gefundenen Gral ist ein Hysteron-Proteron (—»5992 ff.). Heinrich schildert zwei Gralsbesuche Gaweins (14560-14926 und 28991-29660). Katharach ist als Ortsangabe nur hier belegt, ansonsten werden im Zusammenhang mit dem Gral Gornomant und Illes als Ortsnamen genannt. Heinrich hatte offenbar kein völlig klares Ortskonzept. Heinrichs Vorstellung von dem hier erstmals genannten gral entspricht der französischen Tradition, die damit ein Gefäß verbindet (dagegen Wolf2 9 4 Vgl. CHANDLER 1 9 9 2 , S. 138.

295 KRATZ, Wolfd. 1972, S. 402 erwägt eine mögliche Verbindung mit Ortnits Rache. 2 9 6 UNZEITIG-HERZOG 1 9 9 8 , S . 4 8 .

297 Vgl. dazu BRÜGGEN 1989, S. 53 f.; GERHARDT 1989; weitere Lit. auch ACHNITZ ZU Gau

3066 (S. 555).

250

5 4 6 9 - 1 0 1 1 2 Gawein: Assiles und Amurfina

rams Stein lapsit exillis Pz 469,7), vgl. die Bezeichnung kefse —>29385. Zur umstrittenen Etymologie des Wortesgralvgl. z . B . HEINZLE 1972, S. 11 f., der die drei wichtigsten Thesen ausfuhrt: zu crater („Mischgefäß"), zu gradus („Stufe", im Blick auf eine die Speisen stufenartig präsentierende Schüssel) oder zu crafts, („Flechtwerk"). 9029 f.: Zu den Blutstropfen ->29418 ff. 9032: Der Riese Sarand fällt als Figur aus der „primitive mythology" auf, die in dem Motiv des Sonne-Fressens kurz und knapp herbeizitiert wird.298 Gawein wird dabei in seiner traditionellen Rolle als Bezwinger von Riesen bestätigt (vgl. Assiles und Baingranz im weiteren Handlungsverlauf). Der Namen des Aventiureortes läßt sich nicht klären, er scheint den märchenhaften Charakter zu unterstreichen. 9035 ff.: Das mythische Motiv des Jungbrunnens299 wiederholt sich bei Gaweins Besuch auf der Jungfraueninsel (—>17325); ewige Jugend verleihen zudem die Blumen des Giremelanz (21094—21675). 9039 f.: Zu dem Kampf um den Gürtel des Fimbeus —>4858 ff. 9042: Zu dem Artusritter Segremors —>2323. 9051 ff.: Zur Geschichte des bedrängten Königs Flois —>5469-5613. 9055—9128 Aufbruch Gaweins, Abschiedsgeschenke 9055: Gaweins Essensverweigerung im Rahmen seiner Selbstbesinnung ist eine Variation des traditionellen Motivs in Erwartung einer Aventiure, das Heinrich auch in herkömmlicher Form verwendet (—>925—932, auch 12627 ff., —>29855 ff.). 9058 ff.: Die Selbstverletzung markiert den Abschluß von Gaweins Minnegefangenschafit; sie wirkt einerseits wie ein dramatischer finaler Weckruf, zugleich, als wolle er sich eine bleibende Erinnerung an diese Erfahrung zufügen. Das Motiv wiederholt sich auf der Blumenwiese des Giremelanz (21381 ff.), wo sich Gawein den Speer durch den Fuß sticht, um der einschläfernden Wirkung des Blumendufites entgegenzuwirken. Pz 301,10 ff. (ohne Parallele CdG) kennt das Motiv als'Verweis auf die Gawein-Tradition: Gawein habe sich wegen minnen kraft durch einen Messerstich in seine Hand 298 Vgl. DICK, Tradition 1986, S. 81. Er interpretiert: „Gawein presents himself as the victorious protagonist of cosmic order by overcoming the destroyer of the Sun." Daneben werde Gawein in frz. Romanen mit seiner im Tagesverlauf zunehmenden Kraft (wieder —>13379 ff., von Heinrich —>2070-2153 auch Lanzelet zugeschrieben) als „solar hero" charakterisiert. 299 Vgl. z.B. ZACH 1990, S. 150ff.; auf die Nähe zu den vier dem Paradies entspringenden Flüssen verweist HEINZ-MOHR 1998, S. 60. Ausfuhrliche literaturhinweise bei RÖHRICH 2 0 0 0 , S. 3 1 1 6 P r u c k : Bd. 3 , 7 8 8 , A r t i k e l . J u n g b r u n n e n " ) .

9055-9128 Aufbruch Gaweins, Abschiedsgeschenke

251

zur Vernunft bringen müssen. Vielleicht empfand Heinrich dieses Motiv, das vor der Erwähnung bei Wolfram nirgends nachweisbar ist, als klärungsbedürftig und hat es daher in die Amurfina-Erzählung integriert?300 Während sich die psychologische Krise bei Iwein und Wigalois in äußerlicher Verwilderung manifestiert, markiert sich Gawein zumindest durch den slak mit dem Messer. Vgl. auch das Motiv der drei Blutstropfen —>9193 ff. 9077 if.: Daß Gawein seiner Existenz als chevalier errant den Vorzug gegenüber seinem Dasein als Landesherr gibt, entspricht den Bedingungen der Konvention: „Nur auf dem Weg erschließt und verwirklicht sich dem Artusritter der Sinn seines Daseins."301 Zum schevalier errant —>25836 ff. 9093: Die lautliche Nähe zwischen dem Namen Garanphied (karamphid in P/SCH) und dem Namen der Burg Karamphl\ auf der Gawein zur Gralssuche verpflichtet wird (18765 u.ö.), hat keine inhaltliche Grundlage. Zum Namensbestandteil Garan—>4885 zum Namen Garanphiel/Gyramphiel. Die Figur eines Zwergs als Diener findet sich häufiger, vgl. z.B. den Zwerg Maliclisier ErH8ff., den Diener der Nereja Wig 1720 ff. und den Zwerg Lanz 5498 f. 9094 ff.: Das kostbare swert, das Gawein als Abschiedsgeschenk erhält, läßt sich als Entsprechung sehen zu der Waffe, die er schließlich auf der Gralsburg geschenkt bekommt (->29555 ff.).302 9097: Der Vergleich sam weichen bleyen ist auf die 9099 genannte hert zu beziehen: Der stal des Schwertes schneidet alles noch so Harte als sei es weich wie Blei. 9102: Zu dem Vergleich des Schildes mit einer maure vgl. 5537 f. die steinmaure, die Gaweins Gegner Assiles als Schild benutzt. 9104 ff.: Zu dem Schloß als Schildzier, das für den Verlust seiner ritterlichen Freiheit und das Gefangensein von Gaweins Gefühlen in der minne zu Amurfina steht, vgl. auch die Fesseln —>9805.303 9127 f.: (= GT 61) „Wer viel Arbeit hat, übersieht kleine Erleichterungen." Diese Sentenz ist auf Gawein gemünzt, der die Hilfe der neugewonnenen Untertanen ablehnt (ohne Parallelen, vgl. ShRM).

300 VgJ. daneben z.B. das Schließen der Lücke um Artus' Jugend, die er sich im Prolog zur Aufgabe gemacht hatte (->164-174). Vgl. auch GARNERUS 1999, S. 184; CORMEAU 1977, S. 141 f.; KLARMANN 1944, S. 42 f. zu dem Wolfram-Zitat. 3 0 1 TRACHSLER 1 9 7 9 , S. 169.

302 Zu Parallelen zwischen Amurfina- und Gralsreich vgl. MEYER 1994, S. 89. 303 Zu einem historischen Wappenbild mit Vorhängeschloß siehe SCHÖNBACH 1908, S. 358.

252

5 4 6 9 - 1 0 1 1 2 Gawein: Assiles und Amurfina

9 1 2 9 - 1 0 1 1 2 Assiles II 9129-9531 In dem wüden Wald Lit.: BLEUMER 1997, S. 105-115; Z I N K 1969 (sucht v.a. Quellen im Bereich der Mythologie). Zum „wilden Wald" allgemein vgl. S C H M I D - C A D A L B E R T 1989; BERNHEIMER 1952 zu „Wild Men". M E Y E R 1994, S. 90 f. deutet die Episode als Weg Gaweins durch „die als ungeordnet dargestellte Heldenepik", wo er „seine Kompetenz beweisen" müsse (S. 90 f.). Die Häufung an Häßlichem, der Gawein auf seinem Weg durch den Wald begegnet, charakterisiert den Weg in die Unterwelt, wie er z.B. En 3002 ff. geschildert wird; vgl. ähnlich den Weg zu Gansguoters Burg in der Maultierzaumepisode. Der Gestaltung der Landschaft in dieser Episode attestiert K E E F E 1982, S. 248 f. „einen Grad von [...] Kohärenz, der wohl einen Höhepunkt zusammenhängender Landschaftsdarstellung im Artusroman darstellt" (ausfuhrlich ebd. S. 1 9 0 200).

9129-9202 Die Spur des Wassermanns; drei Blutstropfen im Schnee 9132: Der stich winster hant mag „eine Vorausdeutung kommenden Unheils" sein;304 vgl. zur linken Seite als der des Bösen auch —>12261. 9145: Zu flaume („Strom") ->7972 ff. 9148: barchencere („Führer einer Barke") in Ableitung von barke, sonst nur noch für >Ortnit< 250,4 und 252,2 belegt (Lex 1,128). 9152: Das ιvüere (zu wuor, „das wehr, der dämm zum abhalten, ableiten des wassers erbaut", Lex 111,1004; BMZ 111,825) kann hier wohl nicht in diesem technischen Sinne gemeint sein — eher ist es das Wasser selbst, das einen Damm bildet und Gaweins Weg unterbricht; vgl. DWb 30,1751 zu „Wuhr 2": „das gestaute, von einem wuhr eingefaszte wasser". 9163 ff.: Für die Konjektur %en 3eben (vgl. Anm. KNN) spricht auch, daß bereits mehrere Wahrnehmungsbeschreibungen stehen: 9154 wardgewar, 9157 tiiht bechande, 9161 erchennen. Ein Hund als Vergleichsobjekt innerhalb einer Häßlichkeitsdarstellung findet sich auch 9578 f. und 19654 ff. Auch die Beschreibung des hinteren Teils der Spur birgt Rätsel: blo% („nackt") als Attribut der spor ist zumindest nicht selbstverständlich; leich nur für die Füße oder Fußabdrücke ist sonst nicht belegt, es meint immer den ganzen Körper bzw. dessen Aussehen (vgl. Lex 1,1896 f.; DWb 12,612 ff.). Vielleicht stich, „leise gleitender gang" bzw. „spur" (Lex 1,973)? Zu ellich vgl. auch das ahd. Adj. alles/ellies mit der Bedeutung „anderes" sowie das entsprechende Adv. alles/ elles, „sonst, anders" (bei Otfrid, Tatian und im >Weißenburger KatechismusPartonopier und Meliur< 12462 ff.308 Perlen waren u.a. Symbol der Unschuld und Reinheit (hier auf das Mädchen zu beziehen).305 Es klingt der aus Trauer ausgerissene Zopf Sigunes mit (Pz 138,17 ff.), ebenso daß später Ginover an ihren Haaren gepackt und entfuhrt wird (11110). Das Bild der Blutstropfen und des Mädchenzopfes deutet in seinem Surrealismus auf die Wunderketten hin. 9188: %efiieret zu ^ervüeren, „auseinander bringen" (Lex 111,1093). 9193 ff.: Das prominente Motiv der bluotes tropfen drei (vgl. CdG 4121 ff., Pz 282,10 ff.)310 hat Heinrich gänzlich abgewandelt:311 Die Blutstropfen stammen nicht mehr von einem verwundeten Tier, sondern von einer brutal entführten Jungfrau; nicht Parzival ist der pensif im Gedenken an seine Frau, sondern Gawein hält in Erinnerung an Amurfina inne. Daß Gawein allerdings „nicht in Minnetrance verfällt, zeigt seine Wiederherstellung als Ritter, zeigt, daß er die Minne integriert hat, aber nicht von ihr beherrscht wird."312 Anders als bei Wolfram und Chretien hat die Szene hier aber keine Funktion 305 Die übrigen Nennungen Christi befinden sich ebenfalls entweder im Klagekontext oder in floskelhaften Wendungen des Erzählers bzw. Gansguoters, vgl. das Namensverzeichnis. 306 TH übersetzt „a high dike". Zur Interpretation der Ortsangaben SHOCKEY 2002, S. 205. 3 0 7 KEEFE 1 9 8 2 , S . 1 9 3 . 3 0 8 Vgl. ENGELEN 1 9 7 8 , S . 1 2 5 , 3 5 4 ff. 3 0 9 Vgl. DRAGSTED 1 9 7 2 , S . 2 0 6 ; HEINZ-MOHR 1 9 9 8 , S . 2 5 4 . U p 6 2 7 - 6 4 7 b e t o n t h a u p t s ä c h -

lich den dekorativen Aspekt; Konrad von Megenberg hat sie nicht unter seine Edelsteine aufgenommen. 310 Dazu ausführlich der Stellenkommentar von GARNERUS 1999, S. 44-53; umfassende Interpretation BUMKE 2001, vgl. dort S. 1, Anm. 1 die Zusammenstellung einschlägiger Literatur. 311 Das zeigt sich bereits am Umfang; Während Wolfram der Episode fast 700 Verse widmet, faßt der sonst zur Ausführlichkeit neigende Heinrich sie in 10 Versen zusammen. Zur Interpretation vgl. ROSSNAGEL 1996, S. 94.

312 MEYER 1994, S. 90. Dagegen versteht EBENBAUER 1981, S. 45 die Szene als Beleg dafür, daß Gawein zwar den Minnetrank, nicht aber die minne überwunden habe, dort auch weitere Forschungsliteratur.

254

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

mehr im Erzählkontext, sie bleibt Zitat.313 Womöglich hat Heinrich das Bild als Reaktion auf Pz 301,7 f. eingefügt, wo von Gawein gesagt wird, er habe einst dieselben Nöte wie Parzival durchlitten314 (vgl. auch die Übernahme des Motivs der Selbstverletzung aus Pz 301,10 ff. —>9058 ff.). Ein weiterer zu betrachtender Aspekt wäre der womöglich beabsichtigte Vergleich der beiden Erinnerungsanlässe Condwiramurs und Amurfina: Parzivals Frau wird als Exempel für eine ideale Ehefrau in einer idealen Minnebeziehung zitiert, Heinrich „gibt sich Mühe, dieses Ideal in Amurfina nicht zu erreichen, sondern zu überbieten."315 Die Dreizahl der Blutstropfen findet sich wieder im Gralsritual -»29418 ff. 9203—9239 Der Wassermann und seine Geisel 9208: Der Zeitangabe Nv was derabent %uogesigen zufolge finden sämtliche Begegnungen im Wald in der Dämmerung statt, wodurch „eine Atmosphäre von Gefahr heraufbeschworen" wird.316 Auf dem Weg wieder aus dem Wald heraus wird noch einmal explizit auf die hereinbrechende Nacht verwiesen (9555 ff.). Die „genaue Zeitstrukturierung"317 entspricht somit der Exaktheit der landschaftlichen Schilderungen. 9211 ff.: Zu der Einbeziehung eines weiteren Handlungsraumes durch akustische Signale —>4026 ff. 9216: V vnd erscheint mit dem aus Ρ konjizierten dem nicht völlig sinnlos. 9218: Das aus dem römischen Reich übernommene Streckenmaß der Meile „ist örtlich so ungleich wie jedes masz. gegenübergestellt werden mhd. die diutsche oder grosse der welschen mile" (DWb 12,1907). Heinrich läßt offen, welche Meile er meint (—>11465 spricht er hingegen ausdrücklich von wälhisch meile). Eine deutsche Meile entsprach 5400 Schritt (neben 500 Schritt für eine welsche Meile, vgl. LdMA 6,471 f.). Da Gawein die Schreie schon hört, ist hier wohl ebenso wie —>3630 und —>11465 die kürzere welsche Meile anzusetzen, falls es Heinrich überhaupt um eine konkrete Angabe gegangen ist. 313

Vgl. d a z u CORMEAU 1 9 7 7 , S . 2 1 1 f.; z u r B e w e r t u n g v g l . REINITZER 1 9 7 7 , S. 1 8 8 f f . ; MEYER

1994, S.90F. im positiven Sinne. BESCH 1962 beklagt den „Schwund der sinnbildlichen Aussagekraft" parallel zum „Schwund der 'idealischen' Konzeption des Artushofes" (S. 100) und damit für dieses Symbol, daß Heinrich „nur das Bild, nicht aber seine verwandelnde Kraft" gebe (S. 101). Auch SCHRÖDER 1992, S. 150 sieht hier eine schlechte Kopie Wolframs, eine „Karikatur". 314 Keine direkte Parallele in >Le Conte du Graal24530. 9302: aleip (V/P) ist selten für „Überbleibsel", die Wörterbücher verzeichnen nur zwei Belege aus dem 12. Jh. (BMZ I,969b; Lex 1,36); vielfach bezeugt hingegen ahd. äleiba („Rest, die Überlebenden" etc. bei Notker, Otfrid und Tatian, vgl. SCHÜTZEICHEL 1989, S . 64). 9314-9425 Das wilde Weib Lit.: —>918-1214, ->9230 ff., H A B I G E R - T U C Z A Y , Frau 1999; 83 („L'homme sauvage"); Z A C H 1990, S. 116, 283.

LECOUTEUX

1999,

S. 7 7 -

Die Beschreibung des anstürmenden wilden Weibs, die sich bei aller publikumswirksamen Übertreibung an das klassische Schema der Kopf-bis-FußReihenfolge hält, weist zahlreiche Parallelen auf mit der Schilderung der Rüel (Wig 6363 ff.).322 Während W I S B E Y beide Episoden wegen Differenzen in Details als unabhängig voneinander ansieht, versteht SCHRÖDER Heinrichs „Übersteigerung weiblicher Häßlichkeit" als „Leihepisode" in direkter Abhängigkeit von Wolframs Cundrie und Wirnts Ruel.323 Im Ablauf sind beide Entführungen ähnlich: das plötzliche Auftauchen des Wesens, seine Beschreibung, das Herfallen über den überraschten Helden und schließlich dessen Selbstbefreiung dank äußerer Einflüsse (Ermüdung bzw. das Erschrecken der Wilden). Die Elemente der Häßlichkeit sind topisch und greifen auf volkstümliche Sagen zurück: stark herabhängende Brüste, mit „ellenbreitem Haupt, ebergleichen Stoßzähnen, roten Augen und über die Ohren herabhängenden rußfarbenen Haaren; häßlichen Angesichts; ganz behaart; nackt; die Schamteile sind mit Laub bekränzt; sie haben lange Nägel an den behaarten Fingern; sie laufen barfuß [.. .]".324 Diese Beschreibung bezieht sich zwar auf Riesen der Alpenländer, trifft aber auch hier zu, ähnlich wie auf Details Kundries oder Ruels, auf den Bauern 19618 ff. oder den Riesen Assiles 5470 ff. Ebenfalls volkstümlichen Ursprungs ist das Motiv der Entführung durch solche wilde Wesen,325 das hier gleich doppelt auftritt: zunächst in der Verschleppung des Mädchens durch den Wassermann, dann in der Entführung Gaweins durch das wilde Weib.326 322

Vgl. SEITZ 1 9 6 7 ; WISBEY 1 9 7 5 , S . 3 2 f.; ein P a r a l l e l a b d r u c k bei SCHRÖDER 1 9 9 2 , S . 1 5 1 f.

323 324 325 326

Zu Heinrichs >WigaloisCröne< in der Neuzeit zugrunde zu liegen; Arno Schmidt beschreibt in >Seelandschaft mit Pocahontas< (S. 70) eine Zugbegleiterin in entsprechender Bildlichkeit, bevor er direkt auf die >Cröne< zu sprechen kommt. Vgl. dazu auch GUTWALD 2000, S. 313 f. mit Anm. 96.

9314-9425 Das wilde Weib

257

9321 f.: Zu dem toume des sweisgs vgl. —>6663, 6682 f. 9331: Der Bezug von ir erscheint rätselhaft: ein galm ist stM. Sg., ebenso laut, wäre statt was 9330 warn zu lesen? Zu der Raumwirkung des Schalls (galm) —>4026 ff. 9333: verdrießen mit Gen. im Sinne von „lästig werden" (vgl. Lex 111,98). 9343: Zur Farbe Schwarz als Häßlichkeitstopos —>976. 9345: gelanch (zu lenken, „biegen") findet sich nochmals in der Beschreibung der Barthaare des ackerknehts —>19686, sonst ist es nirgends bezeugt. Die Bedeutungsangabe „gelenke" (Lex 1,805) paßt nicht wirklich, besser ist „Krümmung" (vgl. Anm. KNN) oder „Locke". Der Körper des Wilden Weibs ist offenbar von harten, großen, schwarzen Haaren bedeckt, lang wie Schweineborsten327 und mit ebensowenig Locken wie die gewachsene Haut des Igels. Vgl. dagegen die Haare, die als reit („gelockt, gekräuselt" Lex 11,397) beschrieben werden (9367). 9349: Das Maß einer Elle schwankt regional zwischen 371 und 835 mm, u.a. maß die Wiener Elle 765-802 mm, die bair. Elle 835 mm (vgl. LdMA 3,1845 f.). Das wilde Weib wäre also als Riesin gedacht (deren Größe je nach Verständnis der Elle zwischen 4,5 und 10m beträgt). 9356: Mit dem Ei eines Straußes wurden auch die Augen des Boten —>966 verglichen. 9371: Nicht nur beim Mund, sondern bei der gesamten Beschreibung scheint die Vorstellung eines überdimensionierten Wildschweins im Hintergrund zu stehen (vgl. auch 9418). 9375: Zu der rätselhaften Bezeichnung als valinne hilft durch die reimbedingte Endung auch das afrz. vilain/ne als Schimpfwort für eine garstige Person kaum weiter.328 9389: Zu der Mengenangabe dreißig vgl. —>8672. 9394: chreul zu kröuwel, „Kralle" (Lex 1,1752). 9402: Vor komat hat V Sofortkorrektur kemnat. Im Zusammenhang erscheint der Vergleich mit einem „halsgeschirr der zugthiere"32' rätselhaft. Diu im folgenden Vers (P und V) läßt die Korrektur des Schreibers von V anzweifeln (komat ist stN. oder stM.), allerdings kann diu auch auf div stat bezogen sein, komat hat offenbar noch andere, unbekannte Deutungsmöglichkeiten, vgl. auch S C H M E L L E R 1872 Bd. 1,2,1246 zu „Komet", wo ein 327 Die im Mittelalter gehaltenen Schweinerassen sahen den Wildschweinen noch sehr ähnlich, hatten also deutlich längere Borsten als die heute verbreiteten Hausschweine; vgl. z.B. S C H U B E R T 2002, S . 99. 328

V g l . FOERSTER 1 9 7 3 , S . 2 6 2 ; D A F ,

329 BMZ 1,858; DWb 11,2610 f.

620.

258

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

Beleg im obszönen Sinn verzeichnet ist („Da stieß er ihr das körnet in die taschen"). 9410: Ρ bore (nochmals 25679 bore) ist interessant als lectio difficilior. Die böre als „höhe, erhebung" zu bor (aus in bor entwickelte sich enbor, vgl. Lex 1,326, DWb 2,238) ist jedoch mit Umlaut nur für die beiden Stellen belegt. 9417: wen ist sicherlich auf lat. vena zurückzufuhren (vgl. Anm. KNN), das auch im Afrz. zu Heinrichs Zeit bereits als veine gebräuchlich war.330 Heinrich wollte offenbar die Unebenheit der Haut beschreiben, die durch hervortretende Adern verursacht ist. 9418: eben %en sind „häufigstes und konstantestes Merkmal"331 der Tiermetaphorik zur Beschreibung menschlicher Häßlichkeit (—>9371). 9424: Zur Verantwortung von Frau Natur für diese Häßlichkeiten vgl. auch —>7913. 9426-9463 Das wilde Weib entführt Gawein Neben der bereits erwähnten Entführung des Wigalois durch die wilde Ruel finden sich gerade in den späteren Artusromanen noch weitere Entführungsgeschichten: So wird in >Daniel< Artus von dem Vater zweier Riesen auf einen Berg verschleppt, ebenso fängt dieser Parzival, der den König retten will; Daniel befreit beide durch eine List. Im >Prosa-Lancelot< wird Gauvain durch den Riesen Caradoc entführt und schließlich von Lancelot gerettet. Im Unterschied dazu vermag Gawein sich selbst zu befreien, sobald seine Entfüihrerin ermüdet. Eine weitere Entführung findet sich schließlich im >Wigamur 7060 ff.) oder der Hoftrauer um Gawein (16797-17311), vgl. zusammenfassend zur Klage ->7150-7223.

330 T L 9,139 ff. veine·. „Ader, Puls, Halsschlagader". 331

SEITZ 1967, S. 49.

9532-9767 Kampf gegen Reimambram von Zadas

259

9485 f., 9491 f.: Sein ors hatte Gawein 9273 an eine Linde gebunden; mit der barche (mit der die Jungfrau in den wilden Wald gekommen war, vgl. 9538) wollte er 9147 ff. übersetzen, war dann aber von der Spur abgelenkt worden. Er ist nun also an den Ausgangspunkt seiner Aventiure zurückgekehrt.332 Mit dem Übersetzen über den Fluß verlassen Gawein und das Mädchen den Einflußbereich der wilden Waldwesen; der Fluß gemahnt an die antike Vorstellung von der Abtrennung des Jenseitsreichs (auch —»5767— 5848). Ähnlich durch Wasser abgetrennt sind später die Herrschaftsgebiete Saeldes und Levenets, ebenso auch Burg Salye. 9517 f.: Zu gullen —>9282, galm auch 9329, sonst nicht in der >Crone9218. 9529: Die Bezeichnung waltweiden ist eine Neubildung Heinrichs,333 analog zu nahtweiden (vgl. —>4840, auch zur Wortbildung), den nächtlichen Jägern; es sind also im Wald ihr Unwesen treibende Gestalten. 9532—9767 Kampf gegen Reimambram von Zadas Die folgende Episode um den Riesen Reimambram, der das Mädchen Belahim für sich erzwingen will, verbindet Motive der sie umgebenden Passagen miteinander: den Riesen, der wie Assiles seine Nachbarn terrorisiert und Menschen für sich fordert, die Entfuhrung (bzw. Vergewaltigung) eines Mädchens durch eine außerhöfische Gestalt (Wassermann bzw. Riese), die Klage wie bei Blandochors (hier aber nicht um Gawein) und schließlich Gaweins Sieg über Reimambram, der ihn zugleich als für den bevorstehenden Kampf gegen Assiles qualifiziert zeigt. Die Handlung zeigt enge Gemeinsamkeiten mit >Iwein 6722. 9555 ff.: Zu dem Einbruch der Nacht —»9208, wo schon der Abend angekündigt wird. 9575: Zu dem hohen bet ->8129 ff. 9578: Der Name Belahim verwendet das afrz. Adj. bei, „schön",335 Personennamen auf -im sind z.B. auch auch Aanzim, Graym. 9579: Zur Erwähnung des Feuers —>3335 ff. 9588: Zu dem risen Reimambram von Zadas (9592) finden sich keine namentlichen Parallelen, auf -am vgl. z.B. den Namen Aram. 9593: gestehet zu gucken, in den Wörterbüchern mit dem Bedeutungsspektrum „schnell an sich reissen, rauben" etc.;336 hier wohl gemäß dem Substantiv ver^uckunge auf den sexuellen Raub zu erweitern.337 9613: vnhelfsam („ohne helfen zu können") ist ein Neologismus Heinrichs nach dem Muster von unkbesam, unheilsam, unvorhtsam138 mit der Negation unund dem Suffix -sam zur Bezeichnung der Vereinigung oder des Besitzes; mit ähnlicher Bedeutung wie unhelfelich oder unhelfebare (vgl. Lex 11,1897). Vgl. auch helfesam 2 6 8 8 6 und 27698 (nicht in Lex). 9638: Der Ausruf vund ich Gawein da spielt wiederum mit dem Gawein vorauseilenden Ruf als Ritter; während er bei Ywalin schließlich sein Inkognito klärt (6213, vgl. 5992 ff., ->6013 ff., 6086 ff.), wird in dieser Episode nicht berichtet, ob er sich schließlich zu erkennen gibt. 9641 ff.: Die Absicht Belahims, sich lieber selbst zu töten als dem Riesen zuzufallen, entspricht z.B. der Haltung Blancheflurs (CdG 1984f.) bzw. Condwiramurs (Pz 194,27 f.), bevor Perceval/Parzival sie von ihren Bedrängern befreit. 9653—9767 Gawein kämpft gegen Reimambram 9659: Die bare üf machen ist als Wendung nicht belegt; vgl. aber trans, üf machen für „errichten, bauen" (Lex 11,1697). Hier wird knapp zusammengefaßt, daß die Bahre bereitet und der Verstorbene aufgebahrt wird. 9677: törst ist Konj. Prät. zu turren, „wagen" (vgl. getorst 1316, 9729). 9695 f.: (= GT 62) Die Sentenz über den Trost faßt den Stimmungswandel der Burgbewohner zusammen; vgl. TPMA 11, Trost 7 (ohne direkte 335 Vielleicht zusammen mit der Interjektion ahi (Ausdruck der „douleur morale", DAF, 15; auch FOERSTER 1973, S. 8) als sprechender Name gedacht? 336 Vgl. Lex 111,1165 f.; BMZ 111,932. 337 Vgl. BMZ III,933b. 338 Vgl. „Findebuch", S. 571.

9653—9767 Gawein kämpft gegen Reimambram

261

Parallelen, ebenso ShRM). Ausfuhrlich zu Klage und Trost v.a. —>71507223, vgl. auch 7 3 0 4 - 7 3 2 2 , 2 2 1 5 1 ff.

9704: Der Begriff leichleit für eine Beerdigung ist nur hier belegt (Lex offenbar war sie mit einem Essen verbunden (vgl. das Aufheben der Tafel 9 7 1 1 ) . 9710: Der Name des Verstorbenen Machardei bzw. Machardi (P) enthält das auch als Beiname verwendete afrz. Adj. hardi „tapfer"; —>2293 sowie die Namen Berhardis und Hardifius. Das Präfix Ma- könnte auf das afrz. malbzw. mau- zurückgehen, das ein Negativurteil über die folgende Wurzel verhängt, vgl. DAF, 3 6 0 (auch - > 2 2 9 5 ) . 9720 f.: Der Reim auf -alden ist singulär (vgl. PFOSER 1 9 2 9 , S. 66; dagegen mehrere Belege für -alten ebd. S. 70). Ohne Konjekturen bleibt die Stelle in beiden Hss. unverständlich; möglich wäre auch ein rührender Reim halten : halten (in der Bedeutung „Viehweide", Lex 1 , 1 1 6 0 , allerdings unklar belegt). Das Phänomen des identischen Reimwortes, sei es als grammatischer oder als rührender Reim, findet sich bei Heinrich zwar nicht sehr häufig, aber doch so oft, daß die Möglichkeit nicht von vorneherein auszuschließen ist.339 PIPER behauptet hingegen, daß „das häufige Vorkommen des rührenden Reims eigentümlich" sei für Heinrichs Metrik, bringt aber keine Belege.3" 9732 f.: In der falschen Einschätzung seines Gegners Gawein gleicht Reimambram dem Dummen, der große Ziele hat, aber scheitert. Die Formulierung spielt auf ein verbreitetes Sprichwort an, vgl. TPMA 3, „Fall" 3.20.4: „Wer zu hoch (schnell) steigt (hinauswill), fällt tief (schnell, leicht, hart) oder muß den Fall gewärtigen" (ebenso TPMA 6, „Hoch" 4.3); vgl. für Parallelen ShRM. 9747 ff.: Zu dem Helmvisier fintaille —>2846; zur koife („Harnischkappe") 1,1898);

—>2871.

9766: Woldes Konj. Prät. zu wellen, „wollte sie". 9771: gert ist kontrahiert aus geert.

339 Eine Stichprobe von 9000 Versen (2500-5500, 12500-15500, 22500-25500) enthält zehn eindeutige rührende Reime, daneben 21 Reime, deren Gleichlautung durch abweichende Präfixe etc. zumindest variiert ist (z.B. sich namwemam 3745 f.; wirdet ·. unwirdet 4341 f.; überwunden: frische wunden 13743 f.; beringen: dingen : ringen 23055 ff.). 340

PIPER 1 8 9 2 , S . 2 4 5 .

262

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

9 7 6 8 - 1 0 1 1 2 Sieg über Assües 9768-9798 Abschied; der Weg nach Eigrun 9773 ff.: Das Angebot von Heirat und Landesherrschaft, das Gawein ausschlägt, ist das erste dieser Art im Roman. Gawein lehnt im folgenden noch häufiger solche Belohnungen ab: die Herrschaft des Flois ( 1 0 0 9 7 ff.), die Heirat mit Sgoydamur ( 1 3 7 6 7 ff.), die Heirat mit Levenet auf der Jungfraueninsel ( 1 7 4 7 7 ff.), mit Flursensephin ( 1 8 6 5 9 ff.) sowie die mit seiner Schwester Clarisanz ( 2 1 0 1 8 ff.). Zu Parallelen in anderen Artusromanen vgl. u.a. LICHTBLAU 1 9 8 9 , S. 2 9 4 f.; auch ZACH 1 9 9 0 , S. 6 4 . 9783: Der rise, um den es jetzt wieder geht, ist Assiles, nicht mehr Reimambram. 9 7 9 0 : rouch könnte sowohl Rauch (vgl. Anm. KNN),341 als auch das auf afrz. rocher zurückgehende ratsch in Ρ für eine Felswand (—>17373 ff.) bezeichnen (vgl. die übrigen Landschaftsbeschreibungen, z.B. die steinwant 9179, 9434). Daneben könnte es aber auch zu räch, riuhe zu stellen sein, vgl. des rvaldes riuhe (>Virginal< 172,8, zit. nach Lex 11,469). 9799-9872 Kämpferischer Empfang durch Galaas 9802, 9807: Zu änsar („der als Zins Gegebene") - > 5 5 7 0 . 9 8 0 5 : Die bate bzw. bote ( 1 0 0 3 4 und 1 8 1 0 2 , vgl. Anm. K N N ; ZU afrz. boie, buie, „Fesseln" (DAF, 70)) ist das Wappenzeichen der Gefangenen des Galaas; daß Gawein sie nicht trägt, obwohl er als ein änsare angesehen wird, fällt den Burgbewohnern auf. 18102 findet sie sich wieder als Wappen des Aschalon von Syrien, der offenbar jedoch keine Verbindung zu dieser Episode hat (auch 1 8 4 3 0 , 1 8 4 5 9 , 1 8 4 6 8 und 2 1 8 5 6 ) . Die Fessel als Wappen der Gefangenen ist ebenso ein sprechendes Bild wie das Schloß auf dem Schild, den Gawein von Amurfina erhält (9100 ff.).342 9812 ff.: Zu den überragenden Kräften des Galaas vgl. auch seine Vorstellung 5511 ff. 9834 ff.: Die sit, auf die sich Galaas beruft, wurde —> 5477 ff. ausführlich erklärt. 341 Entsprechend auch die Interpretation bei KEEFE 1982, S. 164 f.: „Weiteres Detail ist der Rauch, der über der Szene hängt. Ein solcher Pinselstrich lässt den Leser innehalten [...]; er weiss nicht, ob der Rauch, ein Zeichen der Zivilisation, von der Burg stammt, auf welche Gawein zustrebt, oder etwa von einem in der Nähe liegenden Haus; oder vielleicht ist damit Heiderauch gemeint." Das naturgetreue Bild stehe „nur der Anschaulichkeit halber im Text." 342 Lt. KRATZ 1976, S. 146 ein in der mhd. Literatur häufig erscheinendes Wappenbild (dort auch weiterfuhrende Literatur). Vgl. auch SCHÖNBACH 1908, S. 358.

9873-9997 Zweikampf Gawein - Galaas

263

9842 f.: Zu der provokanten Alternative, wenn Gawein nicht kämpfen wolle, müsse er als Küchenjunge bei Galaas arbeiten (auch 9851, 9868 f.) vgl. Iw 4920 ff., wo die unwürdige Kleidung der vier gefangenen Ritterssöhne mit der eines kiichenkneht verglichen wird.343 Vgl. auch Yv 4108 ff., wo der Riese Harpin ein Mädchen seiner garchonnaille überlassen will.344 9847 f.: Das Bild ist wohl zu Recht auf das Würfelspiel (mit drei Würfeln zu jeweils sechs Augen) zu beziehen (vgl. Anm. KNN); „der fall (wurf) der •würfel versinnbildlicht den austrag schicksalhafter entscheidungen (vgl. Caesars ausspruch beim überschreiten des Rubikon 49 v.Chr.: iacta alea est!)" (DWb 30,2162). Allgemeiner auf das Würfelspiel zu deuten sein dürfte auch —>25212 (Nach großem wurf ein kleiner kumf). 9852: reich muß hier im Sinne von „Herrschaft" verstanden werden, vgl. 2706 f.: solch rede diu ist vrey/ Vhd beeret %em reiche. Die bildhafte Formulierung soll ausdrücken, daß das Ansinnen des Galaas zu weit geht, vgl. sinnentsprechend die Übersetzung TH: „That would be more than an Emperor could expect". 9855-9863: (= GT 62a) „Wer sich selbst lobt und preist, hat niemanden, der ihn lobt, wenn die Schande an ihm obsiegt" (wie bei Galaas momentan auch): „Lob aus eigenem Mund fault und verdirbt. Wer als ein Ritter stets tapfer nach Anerkennung strebt, dem wird Lob nicht versagt." Gaweins Antwort verbindet zwei Sentenzen als Rahmen um das verbreitete Sprichwort (9859 f.), das heute noch als „Eigenlob stinkt" o.ä. verbreitet ist; vgl. Prv 27,2 laudet te alienus et non os tuum, extraneus et non labia tuaj345 vgl. Iw 2472, 2498; Pz 338,11; Frdk 60,23 f.346 9873-9997 Zweikampf Gawein - Galaas 9875: Zu der Maßangabe %veir mifvgl. DWb 30,2138: „die strecke, die ein stein im wurf überfliegt, gilt seit alter zeit als längenmasz"; bereits biblisch (Lc 22,41; Mt 26,39), wieder 10625, daneben z.B. Iw 3896 ff. 9885 ff.: Von dem Schwung des Zusammenpralls können sich beide nur mühsam im Sattel halten; „Brustriemen" (Lex 111,592) und Obergurt der beiden Pferde fallen zu Boden. 3 4 3 Vgl. JILLINGS 1 9 8 0 , S. 5 6 .

344 Von FOERSTER 1973, S. 132 gedeutet als „Gesindel", vgl. aber ebd. „Küchenjunge"(u.A.) für garfon. Die Paraphrase der beiden Belege bei ZACH 1 9 9 0 , S . 2 5 9 ist mißverständlich. 345 „Rühmen soll dich ein anderer, nicht dein eigener Mund, ein Fremder, nicht deine eigenen Lippen". 346 Vgl. ShRM; TPMA 8, „Lob" 1.1: „Man lobe sich (und sein Tun und Wissen) nicht selbst", ebd. 1.5: „Eigenlob ist (ohne fremde Zustimmung) wertlos und entehrend", ebd. 1.6: „Eigenlob ist dreckig, besudelt und stinkt". Weitere Parallelen in BEZZENBERGERS Kommentar zu dem Frdk-Beleg; ZINGERLE 1864, S. 93 f.

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

264

9906: im be2ieht sich auf Galaas. 9908 ff.: Ebenfalls in einem Gewässer endete der Kampf zwischen Gasoein und Aumagwin (4292 ff.), dieser vermochte sich allerdings nicht aus eigener Kraft zu retten. 9911 ff.: Ähnlich korrekt verhält sich Gawein (in überzeichneter Form) gegenüber Gasoein, vgl. den langen Kampf der beiden —>11822—12506, v.a. 11966 ff. 9933: Zu änstm („der als Zins Gegebene") —>5570. 9938: er bezeichnet Gawein. 9980 f.: Die Rückkehr der Gefangenen in ihre Heimat ist ein Vorausgriff; zunächst ziehen sie mit Gawein in den Kampf gegen Assiles. 9988: \erbitten zu verstehen als erbitten (= erbitten). 9990: Der takstern ist der Planet Venus, vgl. DWb 12,2582 zu „Morgenstern". 9996: div helf sind die Ritter, die Flois noch bei sich versammelt hat (vgl. aber die widersprüchliche Aussage 10002, Assiles habe die helfe gar erschlagen — einige Ritter scheinen noch übrig zu sein). Die Vorausdeutung entspricht der verknappten Erzählweise der gesamten Passage; vgl. den Hinweis 9999, Heinrich wolle sein Publikum nicht langweilen. 9998-10038 Aufbruch nach Enfyn zu König Flois 10003: er bezeichnet Gawein. 10008 ff.: Daß Gawein erst am letzten Tag der Frist bei Assiles ankommt, entspricht dem Termindruck Iweins, der ebenfalls erst im letzten Moment bei dem Gerichtskampf für Lunete erscheint. 10034: Zu dem Wappenzeichen der boten —>9805. 10035: Zu dem nur in der >Crone< belegten moie gibt Lex 1,2194 „name eines tieres". Statt des „Wasservogels" (vgl. Anm. KNN) wäre aber auch afrz. moie „Garbe" (DAF, 391) in Betracht zu ziehen, ein übliches Wappenbild.347 Zu den von Gawein befreiten Rittern gehört auch der Sohn des Blandochors (7034 ff.), bei dem Gawein zuvor auf seiner Burg Ansgiure zu Gast gewesen war. Das Wappen der moie (10035), das die befreiten Ritter neben der boie führen, legt die Verwandtschaft mit dem beim Turnier des Leigamar genannten Mitar% von Ansgemn (18142 f.) nahe, der ebenfalls die moie führt (vgl. auch die Ähnlichkeit der Herkunftsnamen Ansgiure und Ansgeweri).

3 4 7 Vgl. KRATZ 1 9 7 6 , S. 147; FENSKE 1 9 8 5 , S . 9 3 ; JILLINGS, Biogr. 1 9 8 1 , S. 9 5 ist gegen jede

Fesdegung.

10039-10077 Gawein erschlägt Assiles, Kampf der Heere

265

10039-10077 Gawein erschlägt Assiles, Kampf der Heere Als Bezwinger eines Riesen wird Gawein wieder im Kampf gegen Baingranz (26983-27182), dem Bruder des Assiles geschildert. Ähnlich werden auch die meisten anderen Artusritter als Sieger gegen Riesen dargestellt; vgl. Erec (ErH 5500 ff.), Iwein (Iw 5025 ff. und 6780 ff.), Lanzelet (Lanz 1918 ff.), Daniel P a n 2751 ff. und 3814 ff.) und Wigalois (Wig 2109 ff.), ebenso Tristan (Tr 15967 ff.). 10050: Die durch Wh 3 1 1 , 2 1 gestützte Bedeutung „blieb verborgen" für sich verbarch (vgl. Anm. K N N , Lex 111,72) erscheint durchaus plausibel: „dabei versteckte sich manch einer, dem Sielde vergönnte, daß er entrinnen konnte"; vgl. auch die Aussagen 1 0 0 8 1 - 1 0 0 8 5 . 10058 ff.: Die Abfolge der Pronomina in der Beschreibung des Kampfes ist sehr dicht: 10058 steht er für Gawein, in für Assiles; 10059 ist er der Riese; 10060 und 10061 ist er jeweils Gawein; 10063 ist er wiederum Gawein, im hier und im folgenden Vers Assiles. Die knappe Weise, in der das Ende des mächtigen Riesen beschrieben wird, steht in Kontrast zu seiner ausführlichen Präsentation 5469 ff. 10062 ff.: Daß Gawein den Riesen nur in die chnyescheiben treffen kann, mag an dessen Größe liegen (vgl. die Beschreibung als ein großer tvrn 10041). Im Kampf gegen solche Gegner gelten die höfischen Regeln nicht, die eine entsprechende Vorgehensweise nicht billigten (vgl. Iw 7139 ff. zum Kampf Iweins gegen Gawein, in dem beide jeweils den Schild des anderen attackieren: sine geruochten des nie/ daζ si niderhalp der knie/ deheiner siege taten war).34* Ähnlich z.B. der Kampf zwischen Hiltebrant und Sigenot (>Älterer Sigenot< 24), wo Hiltebrant dem Riesen zunächst die linke Hand abschlägt und ihn dann so am Bein verletzt, daß der Riese wart üf den kniewen vunden, dann kann er ihn töten. Tristan sticht Urgan zunächst in die Augen, danach durch die Schenkel (Tr 16045 ff.).

348 Vgl. hingegen Erec, der dem Riesen die Augen ausstechen kann - dieser Riese ist offenbar eher einem Ritter entsprechend gedacht (ErH 5508 ff.); vgl. auch WAGNER-HARKEN 1995, S. 293.

266

5469-10112 Gawein: Assiles und Amurfina

10078-10112 Abschied von König Flois 10087: Zu waltswende ->8963. 10090: heilhaft ist sonst nur für >Titurel< 44,4 belegt, dort als „die Glücklichen", „die Begnadeten".349 Hier wohl näher an ahd. heilhafte mit der Bedeutung „heilbringend"350 (vgl. die vereinfachende Lesart in P): „mit heilbringendem Sieg" kommt Gawein zu König Flois. 10097 ff.: Gawein lehnt auch sonst angebotene Herrschaftsübernahmen oder Heiratsmöglichkeiten ab (—>9773 ff.). 10101: seins bezieht sich auf seins landes 10099. 10107: Zu dem Motiv des Verlegens —>8731.

3 4 9 Vgl. HEINZLE 1 9 7 2 , S. 77. 3 5 0 SCHÜTZEICHEL 1 9 8 9 , S. 1 3 9 .

10113-12600 Gasoein II Lit.: Vgl. die oben genannte Literatur —>3273-5468; zusätzlich: MEYER 1994, S. 93112; J ILLINGS 1980, S. 3 6 - 4 7 .

Nach dem ausführlichen Block von Gawein-Aventiuren kehrt die Handlung zu Artus zurück: Die vierzig Tage währende Frist bis zum Gerichtskampf gegen Gasoein ist verstrichen. Der Hof ist von Gal md Tintagve/ Jtt Cornowalle (467 f.), dem Ort des Weihnachtsfests, nach Karidol umgezogen, wo sich nun die vürsten alle versammeln (10119). Fürstenversammlung, Zweikampf und schließlich Ginovers Entscheidung für Artus münden in die Entführung der Königin; befreit wird sie von dem zufällig vorbeireitenden Gawein, der so wieder zum Artushof zurückgeführt wird.1 Seine versprochene Rückkehr zu Amurfina wird dadurch hinausgezögert. Anders als für den von den >Enfances Gauvain< beeinflußten ersten Teil der Gasoein-Episode (—> 3587—5386) lassen sich für den zweiten Teil keine eindeutigen Quellen bestimmen, zum verbreiteten Motiv der Ginoverentführung —>11037—12600.

10113-11036 Gerichtstag auf Karidol 10113-10456 Ratsversammlung der Fürsten 10113-10331 Artus' Rede vor der Ratsversammlung: Überblick „Gasoein I" Diese in die Gerichtsverhandlung integrierte Rekapitulation der bisherigen Ereignisse der Gasoein-Handlung hilft, wieder in diesen Erzählstrang hineinzufinden. Dabei wird das bislang eher private Geschehen um Gasoein durch die Präsentation vor der Fürstenversammlung zu einer Reichsangelegenheit. Zu 10159-10168 vgl. 457-3272; 10169-10212 berichtet 3273-3427; 1021310288 faßt 3428-4633 zusammen und schließlich 10289-10331 die Passage 4634-5080.

1

Zu den zeitlichen Abläufen vgl. u.a. WAGNER-HARKEN 1995, v.a. die Schemata S. 207 und Anhang.

268

1 0 1 1 3 - 1 2 6 0 0 Gasoein II

10113-10153 Vergebliches Warten auf Gawein 10115: erwenden mit Gen. deutet Lex 1,699 „wovon abwendig machen, abbringen"; hier also im Sinne von „fernhalten". 10119 f.: Zum Bedeutungsspektrum von hof —>488 f. 10127 ff.: Die Konjektur sin 10127 muß nicht sein (vgl. Anm. KNN); si bezogen auf div beit ist gut, der darauffolgende da%-Satz, der vielleicht besser durch ein Semikolon zu trennen wäre, kann zu dem Hauptsatz 10130 gelesen werden (Komma nur 10129). Die Verdrossenheit der Fürsten korrespondiert mit dem heimlichen Aufbruch nach dem Weihnachstfest und mit der Stimmung am Schluß des ersten Teils der Gasoeinhandlung, wo sowohl die Ritter, die mit Artus nachts auf Lauer waren, als auch die Hofgemeinschafit vor dem Umzug nach Karidol nicht mit ihrem König einverstanden sind. Zu dem „Schaden" für den namen des Königs (10130) vgl. auch THOMAS 2002, der in der >Cröne< die Entstehungsgeschichte des legendären Artusbildes sieht (—>164—174). 10133: phaltξ als Bezeichnung eines eigenen Gebäudes innerhalb einer Burganlage ist sonst nicht nachgewiesen; es benennt im Rahmen des königlichen Wohnsitzes immer die Gesamtanlage.2 LdMA 6,2005 verweist jedoch auf einen Wandel des Begriffs im 12. und 13. Jh. v.a. im französischen Raum: „Der Begriff des 'palatium' weist nicht mehr auf die 'curia' hin, sondern kann nun das Bauwerk bezeichnen, in dem Gerichtssitzungen (Finanzen, Rechtsprechung) stattfinden" (auch -»1889). 10154-10212 Ginovers Provokation 10154 ff.: (10157 = GT 62b) Zu der formelhaften Begrüßung, mit der Artus seinen Bericht einleitet, vgl. ähnlich 10925 (auch —>354). 10186: Der für Artus beleidigende Charakter von Ginovers Aussage über den anderen minnar wird auch ohne das aus Ρ konjizierte ich deutlich. 10199: Zu dem Swart^ Dom ->3424. 10202: —>3415 hatte Ginover den Gesang Gasoeins als flacher stimme und siebter kein gelobt; hier beschreibt Heinrich ihn als hei\ ebenso war bereits der Gesang des Boten des Meerkönigs charakterisiert worden (-»935 f.). SCH bei ist nicht von den Handschriften gedeckte Konjektur; es wäre zu dem auch in >Tristan< belegten frz. Adjektiv belle („schön") zu sehen. 10205: Offenbar ist bereits der Schreiber von V über die nicht gerade glückliche Häufung von vuort er gestolpert (vgl. 10203, 10207; Anm. KNN).

2

Vgl. Lex 11,224; D W b 13,1601.

10213-10288 Nächtliches Warten; Zweikampf Artus - Gasoein

269

10213-10288 Nächtliches Warten; Zweikampf Artus - Gasoein 10215: Zu gavdm („waldige Gegend") ->3308. 10216: huoten zu hiieten mit der Nebenbedeutung „auflauern" (Lex 1,1375 nur belegt als uf einen h.). 10219: verreiten muß unabhängig von den Angaben Lex 111,205 als „reitend verfehlen" zu deuten sein; vgl. sinngemäß TH: „he could not escape us". 10234: verseinen ist eine seltene Verbbildung zu seine („langsam, träge"), nur bei Heinrich (auch 25270: seinen) belegt; ansonsten noch in der >Hohenfurter Benedictinerregel< (1. Hälfte 13. Jh.)3 und in zwei Texten des 14. Jh. überliefert. Zu deuten als „verspäten".4 10289-10331 Gasoein als Rivale des Königs, Kampfabsprache 10292, 10298: Das ^eichen ist eine Stirnnarbe (-44749 ff.). 10317: Der Ind. in V kann als Feststellung des Königs verstanden werden; die Wechselrede 4634—5080 berichtet keine solche Aussage Gasoeins. 10328-10331: (= GT 62C) Die nur heimlich geäußerte Kritik der Fürsten an Artus zieht die huote ins Lächerliche: „Es sei ein großer Uninn: Wer immer so dumm sei, seine Frau hüten zu wollen, der setze sich in die Glut" (als Bild vergleichbar: „sich in die Nesseln setzen", vgl. RÖHRICH 2000, S. 4328 f., Druck: Bd. 3,1088 f.). Zur huote -»8492 f. Im Blick auf die Marke-Parallele (—>5092 ff.) erinnert diese Aussage an den hohen Stellenwert, den die huote bei Gottfried einnimmt, vgl. v.a. den A«ö/e-Exkurs Tr 17821-18118 (v.a. 17872); daneben auch Iw 2890 ff., Lanz 5874 ff. Über die Unmöglichkeit, Frauen zu beaufsichtigen, vgl. z.B. auch >Renner< 12887 f.: Werne man sprichet, swer frouwen hüete/ Und hasen %eme, da£ der wüete. Vgl. dazu TPMA 3, „Frau" 1.13: „Unkontrollierbarkeit, Ungebundenheit und Unbeeinflußbarkeit der Frauen". Das nur bei Heinrich belegte Verb gewüeten („wüten") auch 6527 (vgl. Lex 1,998). 10332-10456 Der Ratsbeschluß 10332-10401 Rat der Fürsten, Ginovers Ängste 10338: Die Formulierung seins tages betten (Artus soll den für ihn entscheidenden Tag abwarten, wie es üblich ist) ist so nirgends sonst belegt. 10352-10354: Durch Unklarheiten der Überlieferung und der Wortstellung sind diese Verse schwierig zu deuten, minnen %e seiner e ist seltsam, „zu3

Vgl. NELLMANN 1 9 9 7 , S . 28.

4

Vgl. Lex 11,858 f. und Lex 111,223.

10113-12600 Gasoein II

270

sätzüch zu seiner Ehe" (Anm. KNN) paßt zudem nicht recht in den Kontext — es geht bei Gasoein ja nicht um etwas neben der Artusehe Bestehendes, sondern um die Frage nach den älteren Rechten. Vielleicht eher als gewinnen %e seiner e (so zwar nicht belegt, vgl. aber liebe gewinnen (Hartmann von Aue, >Klage< 851), ^e wibe gewinnen (NL 2189,4: da von ich feinem wibe iuwer tohter mir gewan\ auch NL 1144,2: weit ir immer gewinnen edel wip), vgl. BMZ 111,709 f.). Insgesamt erscheint die Lesung bei Ρ besser verständlich: fürst als Sg., er solt minnen (auf den Fürsten bezogen) sowie weibs kebs (oder kebswip, vgl. Lex 1,1534). V dürfte 10352 die Geschlechter vertauscht haben, ist bei kebs mit der Umdeutung gescheitert und hat das Wort weggelassen (Deutung Paul Sappler, Tübingen). Um die Wendung gewinnen %e seiner e zusammenzufuhren, ist ein Komma nach kebs nötig; div 10352 schließlich ist wohl für die Frau zu setzen, die der Fürst zur Ehefrau gewinnt. Sinngemäß würde es also heißen, daß es einen Fürsten, der eine Frau zur Ehe gewinnt, die ein „Kebsweib" sei, immer schmerzen müsse. Abweichend TH: „If the king were to suffer the disgrace that can befall a ruler, who makes love to another's mistress on his wedding night, it would grieve him the rest of his life." Die Verse 10349—10355 werden als ausdrücklicher Texthinweis auf das „eigentliche Thema des Gasoein-Ginover-Komplexes, die existentielle Gefahrdung des Artusreiches" gelesen.5 10394-10401: Zu Ginovers Gebet vgl. die Parallele 5419, vgl. auch —>5092 ff. 10402-10456 Exkurs: Das Sprechen über die reinen weihen (= GT 63) Dieser Exkurs unterstreicht Ginovers Rolle als ihren Ruf verteidigende Unschuldige, die ihr in diesem Teil der Episode zugeschrieben wird. „Der Autor bringt Ginover erst in die Situation, die ihm dieses heroische Auftreten ermöglicht; die für die Konstruktion benötigte Doppelfunktion der Ginoverrolle bringt erst das Zwielicht, in dem sie plötzlich steht."6 Die Passage steht in enger Beziehung zu dem Exkurs über das übersprechen —>3528—3553, zu der Verteidigung der Frauen —>24254—24341 sowie dem Exkurs über wibes süe^e 28121-28164; vgl. auch ->13889 f., ->22449 oder 24281 ff. Die vierte Namensnennung Heinrichs (10443 f.) verleiht dem Exkurs ein besonderes Gewicht: „Im Gestus stärkster Anteilnahme erfolgt die Solidaritätsbekundung gegenüber all denen, die sich zum Ziel gesetzt haben, Frauen vor Verleumdungen tatkräftig zu schützen."7 5

So

6

MEYER 1 9 9 4 , S. 1 0 2 f.

7

GUT W A L D

GUTWALD

2000, S. 65 f.

2000, S. 119.

10402-10456 Exkurs: Das Sprechen über die nimti weihen

271

10407-10411: Die Entstehung von Gerüchten vergleicht Heinrich mit einem Ballspiel; Spiele wie Schlagball oder „Jeu de Paume", bei denen ein Ball entweder mit der Hand oder einem Schlagholz über ein Spielfeld getrieben wurde, waren schon vor der Völkerwanderungszeit verbreitet.8 10416: Zu der Formulierung auf weibes vgl. die verbreitete, ebenfalls einen Zweck (bzw. eine Erwartung) ausdrückende Formel üfgenade\ alternativ wäre eine Verschreibung aus ü^/ou^ annehmbar (langes -s- wurde zu -f-).9 10425 ff.: Das stM. vriunt wird auch häufig für die „freundin, geliebte" nachgewiesen (vgl. Lex 111,526): Der Erzähler würde also den Namen der Freundin nicht nennen, anders als jene, die sich mit ihrer Eroberung brüsten und den Damen damit schaden. 10428-10436: Diese sentenzhafte Rede thematisiert die Angreifbarkeit und Schuldlosigkeit der Frauen und motiviert so die folgende Erklärung Heinrichs, er wolle schermen weibes nam (10438). Er positioniert sich als Freund und Helfer der Damen, der mit seinen Waffen für ihre Rechte einzustehen bereit ist; dabei bleibt er im Rahmen der Ankündigungen im Prolog (v.a. 231 ff.) bzw. der Widmung im Epilog (29989 ff.). Im Kontrast zu eher kritischen Aussagen über Frauen, wie sie über den Roman verstreut zu finden sind (z.B. 3439 ff., 3480ff., 3490 f., 4338-4355, 4374f., 4908 ff., 10328 ff., 24101 ff.),10 zeigt sich ein offenbar flexibles Rollenspiel Heinrichs, der sich nicht auf eine bestimmte Position fesdegen läßt. 10444: Die Formulierung Oer werlt kint findet sich wieder bei Konrad von Megenberg (BdN ΙΙΙ,Α (S. 114,21): diser weit kint), >Barlaam und Josaphat 40,56 sowie in einer Predigtsammlung (vgl. BMZ III,579b); sie betont den Kontrast zwischen „weltlichem, sündigem Leben im Gegensatz zum geistlichen und himmlischen Leben" (vgl. Lex 111,783). Diese Selbstdarstellung Heinrichs wurde oft dahingehend verstanden, daß sie einen höheren geistlichen Stand ausschließen würde. Vgl. hingegen die Einleitung zu Fragen der Person und Biographie Heinrichs (v.a. die von KNAPP 1994, Bd. 1, S. 544 f. herangezogene urkundliche Nennung eines dominus Hainricus). Womöglich ist die Formulierung nicht konkret auf einen bestimmten Stand hin zu lesen, sondern eher allgemein auf die Lebenseinstellung. Falls Heinrich wirklich Geistlicher war, so war er doch trotzdem sehr lebensnah, wie es immer wieder durchklingt. Zur Namensnennung vgl. auch —>182-216. Als 8 9 10

Vgl. LdMA 1,1388 f. Die Schreibweise aus mit langem -s- kennt V z.B. 547 und 1013, sie scheint also nicht völlig unmöglich. Manche Interpreten sehen auch die Darstellung der Vergewaltigung Ginovers oder den möglicherweise ambivalent zu lesenden Exkurs —»29060-29096 als Hinweis auf misogyne Intention.

10113-12600 Gasoein II

272

bewußt gesetzten Kontrast gegen Wolframs schildes ambet ist min rät Pz 115,11 liest die Stelle SCHMID 1994, S. 270. 10449 f.: Die Aussage über Heinrichs Waffe ist als metaphorische Umschreibung seiner dichterischen Parteinahme für die Frauen zu lesen, denen er sein Werk widmet (vgl. 231 ff., ->29989 ff.). Als Waffe bezeichnet er also seine Möglichkeit zur öffentlichen Bloßstellung: seine Zunge (—>3963)," seinen Griffel12 oder allgemein sein Sprachvermögen, „die Kraft der Worte".13 Zur Bildlichkeit vgl. auch die Abwehr des Kritikers —>73—88. 10457-10920 Der Gerichtskampf Artus - Gasoein L i t . : S C H U 1 9 9 9 , S . 3 4 6 f . ; BLEUMER 1 9 9 7 , S. 3 4 f f . ; SCHNELL 1 9 8 1 ; GÜRTTLER

1976,

S. 2 0 3 - 2 0 8 .

Der Gerichtskampf soll der Absprache (vgl. 5028-5080) gemäß stattfinden, um zu klären, welchem der beiden Kontrahenten Ginover zusteht. Er entspricht so den Gottesurteilen, denen die Vorstellung zugrunde lag, daß Gott als oberster Rechtshüter in zweifelhaften Fällen Hinweise gebe: „Der Ausgang des vor Gericht ausgetragenen Waffengangs erweist die Wahrheit".14 Gottesurteile, und darunter auch die Form des Zweikampfs, wurden vom IV. Laterankonzil 1215 untersagt, in der Praxis jedoch noch lange weitergeführt;15 als literarisches Beispiel vgl. v.a. Isoldes Feuerprobe Tr 15266— 15764. Auffalligstes Moment der Handlung ist schließlich der Verzicht auf einen Kampf, obwohl alle Vorbereitungen getroffen sind, und die Suche nach Alternativen, die schließlich darin mündet, Ginover selbst entscheiden zu lassen. Im Durchspielen „der Frage von Gleichheit und Ungleichheit der Kontrahenten" nimmt die Diskussion Bezug auf die ungleiche Kampfsituation an der Furt;16 daneben wurde sie auch als Stellungnahme gegen die „Verritterlichung" des Königtums gelesen17 oder sogar als Basiskritik ritterlicher Le11

JILLINGS 1 9 8 0 , S . 1 6 0 .

12

GOUEL 1 9 9 3 , S . 1 2 4 .

13

So MEYER 1994, S. 103, Anm. 139. G R A B E R 1910, S. 160 hatte diese Stelle als Beweis gelesen, daß Heinrich als Ministeriale selbst Waffenträger gewesen sei. Die MinisterialenTheorie (diesmal auf Aquileia bezogen) findet sich zuletzt noch bei GOUEL 1993, S. 23 f. Sie möchte S. 125 zudem einen Anlaß für Heinrichs deutliche Parteinahme für die Frauen gefunden haben: eine Eifersuchtsgeschichte im bayerische Herzogtum von 1256 - eine durch die unumstrittene Datierung der >Cröne< vor dem >Alexander< des Rudolf von Ems unwahrscheinliche Annahme. LdMA 4,1594. Vgl. LdMA 4,1595.

14 15 16

V g l . BLEUMER 1 9 9 7 , S . 3 6 f.

17

Vgl.

GÜRTTLER

1976, S. 203-208.

10457-10495 Vorbereitungen des Königs für den Kampf

273

bensgrundlage.18 Zur Problematik des kämpfenden Königs vgl. auch die Diskussion um Artus' Teilnahme an der Gralssuche —>25836 ff. Anders als in der ähnlich gelagerten Situation in >Lanzelet< will Artus hier selbst um seine Frau kämpfen, bei Ulrich von Zatzikhoven überläßt er diese Aufgabe dem Titelhelden; während er dort später jedoch alles unternimmt, um die entführte Königin selbst zurückzuerobern, bleibt er bei Heinrich in derselben Situation völlig passiv. 10457—10495 Vorbereitungen des Königs für den Kampf 10457: Zu ähnlichen Überleitungsformeln ->2989 f. 10458 f.: Bilder füir den Sieg des Tags über die Nacht verwendet Heinrich mehrmals (->7327 f.). 10461: Der Ortsname Gerunge ist rätselhaft; vgl. z.B. den Aventiurenort Trevrizents Gauriuoti (Pz 496,6)." 10476 ff.: Zu samit und sigelat —> 507—515. Die Krone als Wappenzeichen unterstreicht die Stellung des Königs, ist allerdings eher ungewöhnlich im Blick auf reale Wappenzeichen; Könige trugen vor allem Adler20 oder (v.a. steigende) Löwen (—>10510 ff.). Die Krone wirkt als „sinnfälliges Zeichen für den offiziellen Charakter des Zweikampfes, in den der König erklärtermaßen als Herrscher und Repräsentant seines Reiches tritt, und nicht nur als beschuldigter Ehemann."21 10496-10573 Rüstung Gasoeins 10499: Die Schwester Gasoeins, Calamit von Lansgey, wird sonst nirgends erwähnt. Vgl. lat. calamitas „Schaden, Verlust, Unheil, Unfall, Niederlage"; der von ihr gerüstete Bruder geht nicht als der erhoffte strahlende Held aus der Gerichtsbegegnung hervor.22 10510 ff.: Der zugeschnittene Waffen muß sich auf das Wappenkleid beziehen (vgl. Anm. KNN); alle Flächen, die nicht mit großen goldenen Löwen besetzt sind, schillern (scheinen) in den Farben des Pfauenschwanzes (also in verschiedenen Blau- und Grüntönen, passend zu der Erklärung des blialt als zweifarbigem Stoff ( - > 5 0 7 - 5 1 5 ) ; abweichend Anm. K N N ZU 1 0 5 4 2 ff.).23 18

Vgl. JILLINGS 1 9 8 0 , S. 39 f., 2 5 3 - 2 5 8 .

19

Im nordspanischen Kastilien gab es ein Bistum Gerona (bzw. Jerunda, Gerundensis), das mehrfach Tagungsort überregional bedeutender Synoden war, vgl. LdMA 4,1351 f. So v.a. die staufischen Kaiser. GUT WALD 2000, S. 112.

20 21 22

Vgl. auch KOLLITSCH 1979, S. 63.

23

Vgl. z.B. die Farbbezeichnungpaonnache Yv 233 (übersetzt als „couleur bleu-paon"). Hin-

274

10113-12600 Gasoein II

Das Wappen eines einzelnen steigenden Löwen auf dem Schild Gasoeins wird 10541 ff. noch ausfuhrlich beschrieben. Dabei handelt es sich nicht nur um das Wappen der Kärntner und Babenberger (vgl. Anm. KNN ZU 10511), sondern um ein im 12. und 13. Jh. allgemein sehr beliebtes Wappenmotiv, u.a. mehrerer englischer Könige seit Richard Löwenherz, der bayrischen Herzöge, der Weifen, Graf Philipps von Flandern, der Staufer, der Landgrafen von Thüringen und zahlreicher Fürstengeschlechter am Niederrhein und in Norddeutschland.24 Als Bildbeleg vgl. z. B. die Darstellung des Herrn Walther von Klingen im Codex Manesse (fol 52"); dieser hat einen Löwen auf seinem Schild, auf der Pferdedecke sind eine ganze Reihe von Löwen abgebildet, ebenso auf seinem Waffenrock.25 In der Literatur findet sich das Herrschaftszeichen des Löwen u.a. >Rolandslied< 3985f., Lanz 4418 (auf Pferdedecke und Schild des Iweret) und 6 2 9 4 , >Turnier von Nantes< 3 7 4 f., 4 6 8 f. 4 8 1 , 510, 5 5 6 f. sowie Troj 12090. 2 6 Unabhängig von historischen LöwenWappen deutet GUTWALD das Wappen Gasoeins vor allem wegen der Drohgebärde als Bild für „das Wesen der Minne, wie sie über die Artuswelt hereinbricht" (im Blick auf 1 0 5 4 6 f.).27 10519 f.: Zu der Formulierung der veind hagel —>396. tüchen zu tue, hier als „(schnelle) bewegung" bzw. „benehmen" (Lex 11,1555). 10522 und 10528: ring ist wohl als Adj. „leicht, bequem" (Lex 11,446) zu verstehen, ein besonderes (und durch die Wiederholung betontes) Qualitätsmerkmal der schweren Eisenrüstung. gegen nahm SCHÖNBACH 1908, S. 359 an, das Wappen (er geht von einer Beschreibung des Schildes an dieser Stelle aus) sei mit „pfauenspiegeln" besteckt. Es gibt wohl Hinweise auf Pfauenfedern als Helmzier, nicht jedoch auf Schildschmuck aus Federn, vgl. FENSKE 1985, S. 138 ff. sowie die Darstellung des Grafen Ulrich von Görz sowie Ottos von Lengenbach im >Frauendienst785. 10572 f.: Zur Metaphorik auch ->8079 ff. 10574-10686 Artus verbietet jedes Eingreifen, abgebrochener Zweikampf 10611: Zu der Wendung au^em spot kommen vgl. —>1854 au^ dem spil komen („da wurde es ernst"). Ebenso Strickers >Karl der Große< 11580: dd gie dem spotte (vgl. Lex 11,1108). 10625: Zu der Entfernungsangabe vier würf lancb —>9875. 10636-10641: (= GT 64) Die Anweisungen zu ritterlichem Verhalten im Kampf erhöhen die Spannung auf den bevorstehenden Kampf, indem sie schreckliche Folgen bei mangelnder Tapferkeit androhen. Dadurch, daß die tjost schließlich gar nicht stattfindet, erscheinen diese Aussagen jedoch ironisch gebrochen. 28

V g l . BLEUMER 1 9 9 7 , S . 5 1 ( m i t L i t . i n A n m . 4 5 ) ; S C H U 1 9 9 9 , S . 3 4 5 , A n m . 3 6 v e r w e i s t a u f

die Darstellung Ulrichs von Lichtenberg im Codex Manesse (Folio 237r) mit Frau Minne als Helmzier, die in einer Hand einen Pfeil, in der anderen eine Fackel hält. Zur TristanStelle und dem Motiv des sträles vgl. auch den Kommentar von K R O H N zu >Tristan1723 ff.); hin- und hergerissen zwischen Wut und Vergebungsbereitschaft erscheint er Ginover gegenüber im ersten Teil der Gasoein-Handlung. Zu Heinrichs Artus-Darstellung —>161 ff., —>164— 174 und —>260 ff. 10692 ff.: Ausgangspunkt für die Argumentation des Königs ist die kostbare Ausrüstung Gasoeins: Weil er eine solch wertvolle sarwat habe, traue er sich nicht, sie im Kampf zu gefährden (zu entliben, „schonen", —>64); vor allem nicht den 10542 ff. ausführlich beschriebenen Schild mit dem brüllenden Löwen, den Gasoein vielleicht nur ausgeliehen habe (10703). Denn von dem Mut eines Löwen sei seinem Träger nichts anzumerken, statt dessen habe sich der Löwe den Mut des selbst vor einer Maus fliehenden Hasen zu eigen gemacht. Zum sprichwörtlichen hasen muot vgl. TPMA 5, „Hase" 1.1 („Die Furchtsamkeit des Hasen") und 1.2 („Die Feigheit des Hasen"). 10722 f.: (= GT 64a) „Wer feige handelt, kommt sehr leicht zu Schaden": Mit dieser allgemeingültigen Sentenz zur Feigheit beendet Artus seinen Wutanfall wegen Gasoeins Kampfabbruch. Vgl. ->6799 ff.; ShRM; TPMA 4, „Furcht" 2.2.4: „Furcht tötet"; Wig 10201 ff.: sterben [m]wan die veigen, [...], da^ si niht schiuhen dise not. Eben dieser kostbare Schild muß es aber wohl sein, der im Kampf gegen Gawein in swache schiein zerschlagen wird (11905 ff.). 10724-10762 Gasoeins Rechtfertigung 10757-10762: Für die sentenzhafte Formulierung läßt sich keine Tradition nachweisen. Der Transfer des Gerichtskampfes auf die Ebene der Bauern und das daraus resultierende Argument, ein Kampf zur Lösung ihres Streites sei unter ihrer Würde, stehen einmalig in der höfischen Tradition, in der der Zweikampf selbstverständlicher Ausdruck ritterlicher Tugend ist.

10763-10881 Diskussion: Wer soll Richter sein?

277

Daß abgesprochene Herrscherduelle doch nicht stattfanden, ist nicht nur ein literarisches, sondern auch ein geschichtliches Phänomen und kam häufiger vor.32 JILLINGS verweist im Zusammenhang mit Gasoeins Ablehnung des Zweikampfs zum einen darauf, daß eine solche Haltung erst wieder in Wittenweilers >Ring< zu finden sei,33 zum anderen auf die durchgängig unernste Behandlung von Kämpfen in der gesamten >Crone8285-8301 erwähnten Paris-Urteils gewonnen hat?

10113-12600 Gasoein II

278

darauf, Ginover selbst wählen zu lassen, welcher der beiden ihr Partner sein soll. 10774: Zu der auf Gasoeins Forderung nach Ginover bezogenen Formulierung sein nie dehein bilde wart vgl. Pz 2 3 8 , 1 8 : esn wurde nie kein bilde, „so etwas habe es nie gegeben" (BMZ 1,120). 10806 ff.: Auch wenn Heinrich den Begriff p f a f f e —>2076 in einem lediglich den Bildungsgrad kennzeichnenden Sinn verwendet, dürfte er hier wohl auf die Geistlichen bezogen sein. Vgl. den Rat der Fürsten Tr 1 5 3 0 8 und 1 5 3 1 1 , Marke solle seinen Fall der pfaßeite im Rahmen des geistlichen Gerichts in London vorlegen. Die Passage wurde von der Forschung als Beleg für Heinrichs Haltung zur Religion gelesen. J ILLINGS sieht dabei nicht nur einen Angriff auf die geistliche Autorität in juristischen Fragen, sondern zugleich einen Schlag gegen die Kritik der Geistlichen an weltlicher Literatur.39 KNAPP möchte diesen v.a. gegen Thomasin von Zirklaere gerichtet sehen, verweist aber selbst auf das Problem, daß diese kritische Äußerung ausgerechnet von einer selbst sehr zwiespältigen Figur stammt, und von daher sehr vorsichtig sein müsse, wer daraus auf Heinrichs persönliche Haltung schließen möchte.40 Die Frage nach Heinrichs Haltung diesen Fragen gegenüber bedarf wohl weiterer Klärung, v.a. im Blick auf seine mögliche Identifizierung mit einem Geistlichen (vgl. KNAPP 1994, Bd. 1, S. 545; auch die Einleitung zum vorliegenden Kommentar). 10811 ff.: Die Dialektik, eine der sieben freien Künste, wird sonst in der höfischen Literatur nur Pz 3 1 2 , 2 3 genannt. Zu an fallant^e (vgl. Anm. K N N ) vgl. auch die afrz. Redewendung san^Jaillance, „zweifelsohne";41 an wäre dann mit Länge zu lesen („ohne"). TH stellt es zum mehrfach von Heinrich verwendeten valant, „teufel, satan" (Lex 111,7, u.a. 1 0 0 5 5 , 2 6 5 1 3 ) und übersetzt „devils". Zu dem Würfelbild (entspr. Anm. K N N ) - > 2 2 6 9 - 2 2 7 9 u.ö. 10818: Zu dem namenlosen mtnne got Amor vgl. —>4843; 10830 nennt Gasoein die Göttin Venus. 10827 ff.: Die Aussage, daß durch Gerichtsurteile keine Angelegenheit vorangebracht werde, weder freundschaftlich noch im Bösen, ist sentenzmäßig formuliert, es läßt sich aber keine solche Tradition nachweisen. Abweichend die Deutung in Anm. KNN. 39

40

JILLINGS 1980, S. 213 ff. So auch schon SCHWIETERING 1921, S. 81, der die Passage als einen Racheakt eines wahrheitsbewußten säkularen Dichters liest, der sich gegen die Attacken der Geistlichen zur Wehr zu setzen versuche. KNAPP 1981, S. 158. Auch ->14650 ff., zur Diskussion der bisherigen Forschung MEYER

41

Vgl. SUOLAHTI 1 9 2 9 , S . 2 7 7 .

1 9 9 4 , S . 1 0 4 f.; THOMAS 2 0 0 2 , S . 8 1 .

10882-10920 Rückkehr auf die Burg

279

10830: Zu der italisch-römischen Göttin Venus als „Schutzgöttin" Gasoeins —»4843.42 Das Attribut der Minnegöttin könnte auch auf Ginover gemünzt sein, die 10855 als Richterin vorgeschlagen wird. 10836 f.: Zu der Formulierung tuon [...] guot stat („gute Gelegenheit bieten") —>5898; zu dem auf das Schachspiel zurückgehende an dem mat beleihen (im Sinne von „verlieren") —>7493. 10849: Zu dem Begriff gaudin —>3308; Gasoein fühlt sich nach den nächtlichen Kämpfen gegen die Artusritter überlegen und bietet Artus eine Alternative zum Kampf an, um ihm die Niederlage zu ersparen. 10877-10881: (= GT 64b) „Durch spätere Reue wird eine Angelegenheit oft wieder aufgegriffen und so die abschließende Entscheidung hinausgezögert. So rät das falsche Herz, aber so ist es nicht gut entschieden." Mit diesem sentenzhaften Redeabschluß überzeugt Gasoein Artus, daß Ginover die Entscheidung treffen solle. Vgl. DSL 3, „Reue" Nr. 46. 10882-10920 Rückkehr auf die Burg 10895 f.: Die auf den Kopf gestellte banier als Zeichen des Friedenswillens erschließt sich aus der häufig beschriebenen Geste der aufgerichteten Lanze als Ausdruck der Kampfbereitschaft, ist aber sonst nicht nachweisbar. Verbreitet ist hingegen das verkehrt herum getragene Wappenschild als Zeichen der Trauer, vgl. z.B. Pz 91,10 f. 10920: (= GT 65) Die Deutung von gart als „Stachel" (vgl. Anm. KNN) ließe sich verstehen: Ein Augenstachel (= etwas, das das Auge zum Schauen verlockt, hier also Ginovers Schönheit) bringt Kummer hervor — in diesem Fall die Verwicklungen um Gasoein.

42

Zur Figur der Venus in der höfischen Literatur des Mittelalter vgl. KERN 1998, mit weiterfuhrenden Hinweisen; grundlegend der Artikel „Venus" in Kl. Pauly, Bd. 5,1173-1180.

280

1 0 1 1 3 - 1 2 6 0 0 Gasoein II

10921-11036 Ginovers Entscheidung Die folgende Szene fuhrt zum ersten Mal die drei bestimmenden Figuren der gesamten Gasoeinhandlung zusammen: Artus, Ginover und Gasoein stehen gemeinsam vor dem hof, wobei sich der Erzähler jedoch aller Kommentare enthält. 10921-10964 Artus fordert die Königin zur Entscheidung auf Artus muß jetzt zum dritten Mal über den Verdacht des Ehebruchs sprechen; zum ersten Mal seinen drei Rittern gegenüber (3428-3586), zum zweiten Mal vor der Fürstenversammlung (10113-10331); hier, vor der gesamten Hofgemeinschaft, faßt er sich sehr kurz. 10925: Zu der festen Formel mag vnd man —>354. 10965-10997 Ginovers Zögern Diese Passage wird charakterisiert als einer „der eindringlichsten Schwebezustände [...], der in der Gattung Artusroman denkbar ist". Zwar sei Artus „strukturell sicher", Gasoein als Angreifer habe aber „eine beherrschende Position, die nicht nur durch die Inszenierung im Winter ins Bild gesetzt und durch die Zweifel sowohl von Artus als auch von der Hofgesellschaft gestärkt wird, sie ist auch durch intertextuelle Bezüge zum Minnesang und zum Lancelotstoff gestützt."43 Ähnlich die Einschätzung, Ginovers Zögern in dieser Szene, mit dem sie ihre Schuld einzugestehen scheint und schließlich die Entführung durch ihren Bruder provoziert, verleihe „der Forderung Gasozeins ein gewisses Maß an Plausibilität, das notwendig sein mag, damit die Forderungen dieses Ritters nicht von vorneherein am Idealbild der Königin abprallen", nur dadurch könne die Bedrohung entstehen.44 Als Weigerung, öffentlich Rede zu stehen, hatte hingegen DE BOOR das Schweigen interpretiert; RUBERG betont die Mühe des Erzählers, „den eigentlichen Sachverhalt im dunkeln zu lassen".45 Die Tatsache, daß sich Ginover entscheiden muß, sowie Details des Ablaufs vergleicht SCHNELL mit dem im deutschen Recht verbreiteten Stabgang;46 verwiesen wird auch auf formale Ähnlichkeiten mit der Eheschließung im Ring.47 43

MEYER 1 9 9 4 , S . 1 0 5 .

44

V g l . BLEUMER 1 9 9 7 , S . 3 7 .

45

RUBERG 1 9 7 8 , S . 2 3 2 ; DE BOOR 1 9 7 9 , B d . 2 , S . 1 8 7 .

46

SCHNELL 1 9 8 1 , S . 2 2 4 .

47

MEYER 1 9 9 4 , S . 1 0 6 , A n m .

147.

10998-11036 Ginovers Entscheidung, Gasoeins Abschied

281

10986: Mit neitlichen wird erstmals ein (wenn auch auf die konkrete Szene beschränktes) negatives Attribut für den bisher vorbildlich dargestellten Gasoein verwendet. Damit setzt eine Wendung in seiner Charakterisierung ein, die zumindest ansatzweise sein völlig unhöfisches Verhalten der Vergewaltigungsszene vorbereitet. 10998-11036 Ginovers Entscheidung, Gasoeins Abschied 11003 ff.: erbleichen und gahes rot sind im Sinne Ovid'scher Liebessymptomatik deutbar als Topos fiir Verliebtheit und innere Bewegtheit {verborgen herben not) und bestätigen Heinrichs Absicht, die gesamte Geschichte um Ginover und Gasoein in der Schwebe zu lassen. Der Text legt sich nicht fest, ob und was sich möglicherweise zwischen beiden zugetragen haben könnte; Ginovers Entscheidung fiir Artus resultiert nicht zuletzt aus ihrer Angst, offen zu zeigen, ob sie iht tougenleichen hal (10976). Die Interpreten schwanken zwischen verschiedenen Positionen. So glaubt man der Königin, daß sie Gasoein nicht kenne,48 oder aber eine heimliche Verbindung wird vorausgesetzt.49 Ausführlich zu Schuld oder Unschuld Ginovers —>3273—3427. Aus dem strukturellen Blickwinkel heraus wird die Entscheidung für Artus als Signal gesehen gegen „den Verfallsmythos, der in der Liebe der Königin zu Lanzelot gründet";50 ähnlich die Einschätzung, Ginovers Verhalten sei „ironischer Reflex der Gattungskonventionen": Als Königin gehöre sie an die Seite ihres Mannes, in ihrer Rolle als Minneherrin (gegenüber dem Minnesänger Gasoein) dürfe sie die Erfüllung des Werbens versagen. Danach bleibe dem abgewiesenen Minneritter nur noch die Flucht vom Hof.51 11007 f.: Ginovers Gedanken (vgl. 10970 f.) sind sogar dem Erzähler verborgen. 11019: Auch wenn Ginovers Behauptung, bei Gasoein handle es sich um einen Mann, Des ich nie chündgewan, im Blick auf ihre Provokation in der Kaminszene fragwürdig erscheinen muß (vgl. aber Anm. zu —»3395-3427), hält sie sich damit doch an höfische Konvention: Die umstehende Hofgemeinschaft weiß nichts von der Szene am Kamin und soll offensichtlich auch nichts davon erfahren. 48

S o z . B . MENTZEL-REUTERS 1989, S. 1 6 3 f .

49

So zuletzt STEIN 2000, S. 224-232. Seinem Urteil zufolge gebe sich der Erzähler „alle Mühe, Ginover [...] in den entscheidenden Szenen zu kompromittieren" (S. 225), in der Reue nach ihrer Provokation, in ihrem Zögern vor der Entscheidung („Das Bild einer treuen Gattin, die im Bewußtsein ihrer Unschuld eine ungerechtfertigte Verleumdung zurückweist, zeichnet der Erzähler auf diese Weise sicherlich nicht", S. 226), oder aber in ihrer Unparteiischkeit den beiden Kämpfern Gasoein und Gawein gegenüber.

50

MEYER 1994, S. 106.

51

SCHU 1999, S. 347. So auch MEYER 1994, S. 106: „der in Ungnade gefallene Sänger hat am Hof nichts mehr zu suchen".

282

10113-12600 Gasoein II

11037-12600 Die Entfuhrung Ginovers Lit.: KAMINSKI 2005, S. 2 1 3 - 2 2 1 ; THOMAS 2002, S. 39 ff.; GUTWALD 2000, S. 3 2 - 1 2 2 ; WYNN 1 9 9 8 (nur handlungsbeschreibend); BLEUMER 1997, S. 2 8 - 7 0 ; SAMPLES 1 9 9 5 (in der Tradition der Gender Studies)·, GRAVDAL 1985; GRUBMÜLLER 1 9 9 1 ; ANDERSEN 1987; BUSCHINGER 1984; JILLINGS 1980, S. 3 6 - 4 7 ; WALLBANK 1 9 8 1 ; JILLINGS 1975; WEBSTER 1 9 5 1 .

Das häufig verwendete Motiv der Entführung Ginovers dient jeweils als Indikator für die Stabilität und Integrität der Artusgesellschaft, da es als härteste Prüfung angesehen werden darf, dem diese unterzogen wird. Dabei wird besonders der König in den Vordergrund gerückt, dessen grundsätzliche Haltung getestet wird - ähnlich den Prüfungssituationen, denen sich ansonsten seine Ritter zu unterziehen haben.52 Da die Entführung in den verschiedensten Strängen der Artustradition vorkommt, wurde sogar vermutet, daß Ginover vor ihrer Hochzeit mit Artus Gattin eines anderen gewesen sein könnte; die vielen Motive der keltischen Mythologie werden dabei als Verweis auf einen Zusammenhang mit der der höfischen Welt feindlich gegenüberstehenden „Anderwelt" verstanden, die ihre verlorene Angehörige zurückholen möchte. 53 Die Besonderheit von Heinrichs Variante besteht in der doppelten Entführung: Zunächst wird Ginover von ihrem Bruder Gotegrin entführt, der sie töten will, um die durch ihr Zögern befleckte Familienehre zu rächen. Der zufallig vorbeikommende Gasoein rettet Ginover und entführt sie seinerseits. Als er bei einer Rast versucht, die Königin zu vergewaltigen, kommt Gawein vorbei und rettet Ginover im letzten Moment; nach einem langen Kampf der beiden Männer kehren alle nach Karidol zurück. Auch wenn es nicht möglich ist, eine abschließende Aussage darüber zu treffen, welche Entführungsgeschichten Heinrich gekannt und verarbeitet hat, scheinen in seiner Version die möglichen Vorlagen als ein enges Geflecht von gemeinsamen Motiven und Versatzstücken auf. Auffallig ist die strukturelle Parallele der doppelten Entführung in der >Crone< zu der im >Livre de Caradoc< (1. Cont. Bd. 1, Τ 3668 ff. bzw. Bd. 2, Ε 7561 ff.),54 die als eine der wichtigsten Quellen Heinrichs für seinen Ro52

Zusammenfassend

53

V g l . WEBSTER 1 9 5 1 , S . 1 2 4 f.; JILLINGS 1 9 7 5 , S . 1 6 .

54

Vgl. W E B S T E R 1 9 5 1 , S . 7 6 : „The structural resemblance between this account and that in the >Crone< is extraordinary. Here we have the maid Guimer (= Guinevere), seized from her brother Cador ( - Gotegrin), by an otherworld lover Aalardin (= Gasoein), and rescued by the hero Caradoc (= Gawein)."; vgl. wieder J I L L I N G S 1 9 8 0 , S . 4 1 f. Die Gemeinsamkeiten erstrecken sich zudem auf einen vergleichbaren Zweikampf zwischen Retter und Entführer und den gemeinsamen Heimweg zu Artus.

GUTWALD

2000, S. 35, mit Anm. 5.

11037-11241 Gotegrin entfuhrt seine Schwester

283

man angesehen wird.55 Zudem hat Heinrich sicherlich die Tradition um Ginover und Lancelot gekannt und weiterverarbeitet.56 Ähnlichkeiten gibt es auch zur Entführung der Königin in >Yvain< und >IweinL'Atre PerilleusGärelChevalier de la charrette< und Ulrichs von Zatzikhoven >Lanzelet7216, sinngemäß auch —>19315 f. Hier, als Einleitung zur Ginoverentfüihrung, nimmt dieses fatalistische Motto einen besonderen Stellenwert ein. So empfand es wohl auch der Schreiber der Handschrift V, die hier ihre einzige große Schmuckinitiale aufweist: Auf Folio 166v steht die S-Initiale mittig in der rechten Spalte, ein verziertes Band zieht sich die gesamte Textspalte entlang nach beiden Richtungen zum Rand, wo es oben in einer Knospenspirale, unten in einer weiteren Schmuckform endet; das S selbst ist durch Herzblätter im freien Raum vor der Textspalte hervorgehoben.59 Die aus der Tradition heraus zu erwartende Ginoverentfuhrung kann nun stattfinden, das Sprichwort erscheint als ironischer Hinweis des Erzählers auf die Gattungserwartung. 11040-11042: „Wenn Heil wüten möchte, findet das Unglück Platz, um sich niederzulassen." Diese sentenzartige Aussage wird im folgenden durch das Schicksal Ginovers illustriert: Statt sich der Versöhnung mit Artus zu erfreuen, erleidet sie noch größeres Unglück. In seinem Fatalismus fuhrt das Bild vom tobenden Glück das Eingangssprichwort 11037 fort. Vgl. TPMA 5, „Glück" 9.5: „Glück wird von Schaden und Unheil abgelöst"; ähnlich DSL 1, „Glück" 473. Vgl. auch die Ausführungen über Fortuna —>5767—6256 und —>19105—19118; —>5987 ff. wird die Ginoverentführung zudem als ein Beispiel für die Unwägbarkeit des Glücks herangezogen. 11046 ff.: Ginovers Bruder, Graf Gotegrin, wurde zuerst als Teilnehmer an Weihnachtsfest und Becherprobe genannt (—>589 und 2318). JILLINGS betont Motiwerbindungen mit der Figur Keies: das Züchtigen einer jungen Frau (vgl. Pz 151,21 ff.) und das Hängenbleiben in einem Baum (bei der Verfolgung der entführten Königin Iw 4673 ff., ähnlich im Kampf gegen Meljacanz, bei dem dieser Keies Pferd an sich nahm, Pz 357,23 f.).60 11054: Die tautologische Neubildung Heinrichs aus reibet und luodezu rei^luoder bzw. rei^eluoder (SCH) beschreibt die Gasoein-Ginover-Geschichte als Lockmittel für den „Falken" Gotegrin. 11057: Die halspergen sind als pars pro toto für Ritter zu verstehen, die mit einem halsperc (->2865) gerüstet sind; so nur hier belegt (Lex 1,1156). 11072: Den rechtssprachlichen terminus technicus teidink (für eine Gerichtsverhandlung) verwendet Heinrich nur noch einmal für Gaweins Drachenkampf bei Gansguoter 13436. 59

Vgl. auch MEYER 1 9 9 4 , S. 107.

60

Vgl. JILLINGS 1 9 8 0 , S. 42.

61

Beides ,Lockspeise", vgl. Lex 11,400 f., Lex 1,1985; auch Anm. KNN.

1 1 0 7 6 - 1 1 1 2 2 Bericht des Boten, Entfuhrung Ginovers

285

11076-11122 Bericht des Boten, Entführung Ginovers 11080 ff.: Für das Fazit des Botenberichts, Ginover hätte sich lieber Gasoein zugewendet, bietet die Darstellung der Gerichtsszene keinen konkreten Anhaltspunkt. 11102: Auch Wig 2064 ff. wird vor Karidol eine junge Frau entfuhrt: Zwei Riesen beten si gestehet (Wig 2080), um sie zu vergewaltigen; Wigalois hört ihre Hilferufe im Wald und befreit sie. Vgl. auch das vom Wassermann entführte Mädchen (->9532-9767). 11110 ff.: Daß Gotegrin Ginover kurzerhand bei den Haaren ergreift, scheint als Parallele zu der Entführung durch den Wassermann: Dieser hatte seinem Opfer den Zopf ausgerissen (—>9182 ff.). 11123-11241 Flehen um Gnade, Gotegrin bleibt unerbittlich 11128 f.: Zu der eigenwilligen Formulierung vgl. Anm. KNN; euphemistische Umschreibungen für das Sterben finden sich z.B. auch —>3065 und 7509. 11132 ff.: Das Gebet Ginovers zeigt sie guten Gewissens, sie ist sich keiner Schuld bewußt;62 ähnlich die Ahnungslosigkeit der beiden kurzen vorhergegangenen Gebetsszenen (5408 ff., 10394 ff.). Die Ankunft Gasoeins scheint Erhörung ihrer Bitte um einen Boten (11134), erst Gawein schließlich ist aber der wirkliche Retter. 11140: Zu der Formulierung muot gewinnen —>15206. 11152 ff.: laugen muß hier wohl als sonst nicht belegtes Verb „weinen, tränen" zu huge, „Lauge" (Lex 1,1969) zu lesen sein; vgl. 11542 ir ougen biter louge für die Tränen. Das auf Gotegrin bezogene Personalpronomen im dürfte auf den Schreiber zurückgehen (und zu streichen sein), der das Verb als „läugnen" gedeutet hat, vgl. Ρ im ursprünglichen Sinne. Zu entleiben („verschonen") auch —>64. 11158 ff.: Zur drastischen Beschreibung der Trauer —>2403-2411. 11167 ff.: Diese erste Klage um Ginover findet ihre Fortsetzung in der großen Hoftrauer 11519 ff.; Gotegrins Gefährten klagen nochmals 11217— 11229 und 11471-11474 um Ginover. 11189 ff.: Die Saddenschelte greift die Eingangsverse —>11037 ff. wieder auf. Zu der Argumentation, daß all ihre Tugendhaftigkeit Ginover jetzt nicht helfe, vgl. auch die ausführlichen Auslassungen zu Gaweins Versagen in der Becherprobe, wo ihm ebenfalls seine gro% manheit und tugend nicht geholfen hatten (1994—2069). Allerdings wird dort auch der Makel seines einmaligen 62

Ein wesentliches Argument für die Annahme ihrer Unschuld bei GUTWALD 2000, S. 116 f.

286

10113-12600 Gasoein II

Übersprechens ausdrücklich genannt (—>2003, vgl. 3434, wo Ginovers Provokation ebenfalls als übersprechen bezeichnet wird; sie selbst führt sie als einziges Vergehen 11204 ff. selbst an). 11204 ff.: Das nuor ein wort, das Ginover widern chünich sprach bezieht sich auf die Kaminszene —>3334—3427. Zu der Konjektur K N N vreiden („Übermut") statt vivuden vgl. auch GUTWALD 2 0 0 0 , S. 117 (mit Anm. 117). 11229 f.: Zu barmecheit —>14264; zu der Entfernungsangabe ein meil vgl. —>3630, auch ->9218. 11233 f.: Das Ergreifen bei den Zöpfen korrespondiert mit —>11110. 11242—11461 Gasoein rettet und entfuhrt Ginover 11242-11284 Gasoein befreit Ginover Die hochartifizielle Konstruktion der gesamten Geschichte zeigt sich deutlich in der Doppelung der Zufalle: hier im rechtzeitigen Erscheinen Gasoeins im letzten Augenblick (Ginovers Hals ist schon entblößt), kurz darauf durch Gaweins Dazwischentreten im letzten Moment vor der endgültigen Vergewaltigung (11747ff.). Ähnlich zufallig war z.B. die Begegnung Gaweins mit Ywalin (—>5673); vgl. auch 16588 ff. die Rettung des Zedoech oder die Begegnung mit Lohenis von Rahaz 19488 ff. 11242-11247: (= GT 67) In der sentenzartigen Überleitung greift Heinrich das v. a. durch Wolframs Bogengleichnis (Pz 241) bekannte Bild aus der >Ars poetica< von Horaz auf: Nec semper feriet, quodcumque minabitur arcus.63 Er bezieht es aber erläuternd auf die Handlung: Selbst wenn der Bogen schon gespannt ist, kann es noch geschehen, daß sich das Ziel bewegt und man es deshalb nicht trifft. So wird der Auftritt Gasoeins in diesem höchst spannungsgeladenen Moment hoffnungsvoll eingeleitet, obwohl seine den ersten Auftritt als fröhlicher Minnesänger kontrastierende Haltung (11259 ff.: Ein wölken totvinstet) bereits den Rollenwechsel zum Entfuhrer ankündigt. 11249: Zu dem an das Publikum gerichteten Imperativ merch vgl. —>7081 zu entsprechenden Stellen. 11252: Oer als Genitiv zu Gjnevern (zu vergeben mit Genitiv vgl. Lex 111,114). 11261: Den nur hier belegten Ausdruck vrade winster bezeichnen die Wörterbücher als „bildlich", ohne weitere Deutung (BMZ 111,714; Lex 111,913, 63

„Und es trifft der Bogen nicht immer, was er bedroht". Darauf nimmt Heinrich noch einmal Bezug ->17425 ff. Zu weiteren Belegen vgl. TPMA 2, „Bogen" 2: „Der Bogen kann drohen, ohne zu treffen".

11285-11344 Gasoein entführt die Ohnmächtige, sein Triumph

287

DWb 30,418). Vgl. einen Beleg die winsterin kint für die beim Jüngsten Gericht Verdammten, die zur Linken Gottes zu stehen kommen. Der Gegensatz Rechts (positiv, steht für Osten, Tag, Sonne, Leben, Christus) gegen Links (negativ, für Nacht, Mond, Tod, Teufel) geht auf vorchristliche Zeit zurück, vgl. LCI 3,511 ff. Gasoeins vrade winster wäre demzufolge als Gegenteil von vröude zu deuten, als „Leid, Trauer". 11279 f.: Daß Gotegrin im Kampf gegen Gasoein ebenso an einem Ast hängen bleibt, wie es Keie durch den Entfuhrer Meljaganz im >Iwein< ergangen war, markiert den Übergang Gasoeins aus der Rolle des Befreiers in die des Entfuhrers (-»11242-11247).64 11285-11344 Gasoein entführt die Ohnmächtige, sein Triumph 11285 f.: Vgl. die Gebete Ginovers 11134 ff. und 11207 ff.; aus der unmittelbaren Todesgefahr ist sie nun wirklich erlost, auch wenn ihr weitere Prüfungen bevorstehen. Vgl. die Ankunft des Oringles, der Enite zunächst vom Selbstmord abhält, schließlich aber zur Ehe zwingen will (ErH 6115— 6124): nü kam geriten ein man/ der si es erwande,/ den got dar gesandt./ [...] den hate got dar erkom/ da% er si solde bewarn. 11307: Lex 1,977 f. deutet gewarheit hier als „sicherer ort". Im Kontext ist wohl eher eine Deutung wie gewar anzunehmen: „aufsieht, obhut, gewarsam" (Lex 1,976); Gasoein bringt die Ohnmächtige mit list (11305) in seine Gewalt. 11333 f., 11341 fF.: Gasoein begründet seine Forderung, Ginover solle ihn in sein Reich begleiten, damit daß sie es ihm zu verdanken habe, daß sie noch am Leben sei, zudem habe er so viel um sie gelitten. Dadurch rückt er vom Idealbild des Ritters ab, der einer Frau uneigennützig Hilfe leistet (nochmals 11399 ff., vgl. auch ->10986 und 11259 ff.).65 11345-11410 Ginover möchte zurück nach Karidol, Gasoein droht ihr 11358 f.: Dieses Bild aus dem Bereich der Edelsteine und -metalle steht in einer Reihe mit ähnlichen Aussagen, vgl. v.a. —>1726 f., auch ->67. 11360 ff.: Frau Sadde wird in der Entführungsgeschichte wiederholt verantwortlich gemacht, vgl. ->11037, ->11040 ff.

64 65

Vgl. auch SCHU 1999, S. 349; zu Parallelen auch WEBSTER 1951, S. 68, Anm. 1. Als ein solcher Idealritter wird Gawein hingegen im gesamten Roman dargestellt; er ist konsequenter Helfer der Frauen, der eingreift, wie es der ritterliche Ehrbegriff verlangt, ohne Lohn zu nehmen.

288

10113-12600 Gasoein II

11388: glübs als Kontraktion aus geliibes/gelübedes auch 9591 (mit Anm. KnN), 11619. 11395: Mit gesiget (und 11407 chrieges) klingt erstmals die für die Vergewaltigung bestimmende Kampfmetaphorik an, —>11640, v.a. —>11683 ff. 11408: weibes gäete zählt zu den bevorzugten Gegenständen des Erzählers, vgl. —» 3439—3445 für weitere Belege. 11409 f.: Dar an bezieht sich auf weibes güete; von dieser erhofft man sich Wohlwollen, auch wenn es gegen ihren Willen geschieht.66 Die mit Gasoeins Aussage verbundene offene Drohung wirkt entsprechend einschüchternd auf Ginover, die nun ohne weitere Widerrede folgt. 11411-11461 Ginover folgt aus Angst vor Vergewaltigung 11411: P/SCH schreiben hier Initiale und beginnen einen neuen Abschnitt; V / K N N ohne Initiale, obwohl ein vollständiger Dreireimabschluß vorausgeht. 11414-11437: Der Erzähler begründet ausführlich, warum Ginover nachgibt und Gasoein folgt; dabei betont er ihre Unschuld: Alleine ist sie zu schwach (11414 f.), es ist niemand da, der ihr helfen könnte (11416 f.), es fällt ihr nicht ein, wie sie ihn dazu bringen könnte, sich wieder ehrenhaft zu verhalten (11418 ff.), zudem fürchtet sie die Wut ihres Mannes und ihres Bruders (11423 ff.). Vor allem hat sie jedoch Angst vor Gasoeins Liebesrasen und daß er ihr noch im Wald Gewalt antun könnte (11428-11436) - sie hat verstanden, daß seine Bitte ein Befehl war (11439 f.). Deshalb, betont der Erzähler, solle es nun niemandem (aus dem Publikum) mißfallen, daß sie sich fügt (11441). 11434: Lies Komma nach bewarn. 11444-11459: (= GT 68) An seine Reihe von situationsbedingten Gründen für Ginovers Folgsamkeit schließt der Erzähler eine theoretische Beweisführung an (11444 bewcereri), in der die weibliche Nature für Ginovers Handeln verantwortlich gemacht wird. Trotz ihrer Knappheit kommt dieser Passage wohl eine gewisse Schlüsselstellung für die Beurteilung der Rolle Ginovers zu; allerdings sind v.a. ab 11452ff. die Bezüge nicht wirklich eindeutig. „Die Natur [der Frau] richtet ihr Begehren auf das aus, was für sie am besten ist, besonders wenn sich Furcht dazugesellt, denn Niederlage [= Schwäche die dazu führt] und Heil/Rettung der Frauen sind von geringfu66

TH übersetzt hingegen: „give up a resistance that ill befits woman's kindness, from which one expects happiness when it prevails", er bezieht den letzten Vers also auf die güete, die sich durchsetzen soll.

11462-11607 Hoftrauer um Ginover

289

gigen Dingen abhängig." swachen 11451 scheint weibes bmd noch einmal als Wortspiel zu zitieren. „Die Natur verlangt danach, wo auch immer sie etwas an Freuden erwartet, sobald sie die huote verläßt, die ihr eigentlich verwehren sollte, wonach sie in ihrer Schwäche verlangt."67 Die Argumentation wirkt in sich widersprüchlich: Eigentlich liege es in der Natur der Frauen, daß sie der huote zu entkommen versuchen; nun ist aber Furcht dieser Wirkung der Natur dazwischen gekommen (so daß sie wohl nichts gegen die huote einzuwenden hätte). Zu nature als „zentralem, unwandelbarem Konstituens seelisch-charakterlicher Ausprägung"68 vgl. das entsprechende Verständnis, das auch dem huote-Exkurs des >Tristan< zugrundeliegt (Tr 17817-17924).69 Auch dieser vieldiskutierte Exkurs äußert sich kritisch über die huote, allerdings mehr in dem Sinne, daß diese das Begehren nach dem, wovor sie schützen soll, erst recht anfache. Zu nature vgl. auch die beiden Sentenzen —>22 f. und —>1519 f., zu huote auch ->8492 f. 11459: sets = sie es (Lex 11,941, auch —>237); also: „sie dazu". 11462—11607 Hoftrauer um Ginover 11462-11518 Gotegrin wird nach Karidol gebracht 11463: Die beiden Genitive gevildes und der heide sind Adverbialbestimmung des Ortes, vgl. Mhd. Grammatik § 366. 11465: Zur Entfernungsangabe vierwälhisch meile —>3630. 11466: Die Nennung des grauen, Graf Gotegrin, markiert den Perspektivwechsel; während Gasoein mit Ginover tiefer in den Wald hinein reitet, kehrt die Handlung mit Gotegrin nach Karidol zurück. 11478: Die unbestimmte Form eiw^ das sich beklagt, erscheint als Kompromiß zwischen den beiden möglichen Klagenden: eine (= Ginover) bzw. einer (= Gotegrin). Damit wird der Perspektivwechsel zu den Rittern unterstützt, aus deren Erleben das Schreien leicht zu mißdeuten ist; erst als sie den Kampfplatz erreichen, können sie den richtigen Sachverhalt erkennen. Zur erzählerischen Nutzung des Schalls, um weitere Handlungsräume entstehen zu lassen, vgl. ->4026 ff., KEEFE 1982, S. 229 ff.

67 68 69

MENTZEL-REUTERS 1989, S. 309 überlegt, enhat anstelle von enstat zu lesen. KROHN, Kommentar zu >Tristan4696 ff.), Gotegrin weiß von der Gerichtsversammlung nur durch seinen spehar (11059 ff.). 11505: gebaret zu baren, „auf die bahre legen" (Lex 1,128). 11506: kol ist bair. mundartlich für quäle (Ausfall des w-Lauts aus qu-, verbunden mit Verdumpfung; vgl. Mhd. Grammatik §116); wieder 19068, 24056. 11510: Artus hatte seinen Gast Gasoein aus Höflichkeit ein Stück begleitet (vgl. 11033 ff., 11105 f.). 11519-11607 Klage um Ginover: Exempelreihe Lit.: STEIN 2 0 0 0 , S. 5 5 ; K E R N 1998, S. 2 9 4 ff.; K Ü S T E R S 1 9 9 1 , S. 9 ff. (mit vielen Literaturhinweisen allgemein zur Klage S. 10, Anm. 1); K N A P P 1 9 7 9 , S. 1 1 7 f.; N E U MANN 1 9 3 3 ; LEITZMANN 1 9 2 5 ,

S. 4 5 1 ^ 5 4 ;

GÜLZOW 1 9 1 4 , S. 1 6 8 ;

REISSENBERGER

1879, S. 12-16 (unvollständig und nicht immer ganz korrekt); allgemein zur Totenklage: LEICHER 1 9 2 7 ; zu Troja-Motiven LIENERT 1 9 9 0 . Zum Themenkomplex Selbstmord und seinem Niederschlag in der Literatur: M A T E J O V S K I 1 9 9 1 ; K N A P P 1 9 7 9 . Zu den zahlreichen Klageanlässen der >Cröne< vgl. auch zu —>7150-7223.

Die außerordentliche Klage um die entführte Ginover steht in ihrer Form weitgehend allein:70 Heinrich stellt der Trauer des nun völlig freudlosen Artushofs (11528: Jr vrced was %'ergangen) diverse Klageanlässe aus der Literatur gegenüber, um zu folgern: Noh was der iamer greener hie (11605). Im Vergleich zu der von Heinrich gestalteten Klageszene mutet z.B. die Hofklage um die von Valerin entführte Ginover Lanz 6844 ff. geradezu nüchtern an. In der Literatur werden weitere Vergleichstexte genannt: Der afrz. >YderReinfried von Braunschweig< (entst. nach 1291) sowie der vierte Leich des Tannhäusers (entstanden zwischen 1255 und 1265).72 Eine Reihe antiker Selbstmörderinnen nennt auch Gottfried in der Minnegrotte (Tr 17182-17199). 70

71

So zeigen z.B. die von LEICHER 1927 untersuchten Beispiele alle eine direkte Sprechweise der klagenden Personen, die von einer Reihe feststehender Klagemotive geprägt ist (dieser Form entspricht die Hofklage um Gawein 16797-17311). Vgl. LEITZMANN 1 9 2 5 , S . 4 5 3 . >Yder< 2 5 6 4 ff., dort werden genannt: D'eianirra, Canace, Eeo, Cilla, Fillis, Pronne, Ero, Biblis, Dido, Mira, Tysbe, Hypermnestra, zudem des autres mil e („und weitere tausend und fünfhundert"). Als Quelle Heinrichs ist der Roman wohl auszuschließen, vgl. dazu KERN 1998, S. 302, Anm. 545.

72

Vgl. KEHN 1 9 9 8 , S. 2 9 5 f f .

eine cens^

11519-11607 Klage um Ginover: Exempelreihe

291

Interessant ist die Partie durch ihren poetischen Überbietungsgestus, durch die mythologischen Kenntnisse sowie durch ihren Charakter als „eine Art Enzyklopädie der literarischen Klage",73 den sie in der Liste der Klagegebärden und in ihrem literar- und mythengeschichtlichen Uberblick manifestiert. Heinrichs Exempla entstammen zum größten Teil der Antike, einige wenige dem Bereich des höfischen Romans. Die Reihe beginnt mit den geläufigsten Beispielen: Trojaroman (Helenas Entführung, Dido), Tristanroman (Tristan, Gralant, vgl. —>11564), Artusroman (Iwein). Darauf folgt eine lange Kette weiterer aus der Antike stammender Figuren, die zum größeren Teil nicht im höfischen Roman aufgegriffen wurden. In ihrer Abfolge läßt sich nur schwer eine klare Systematik erkennen, sie gehören zu den verschiedensten Stoffbereichen. Nur das erste Beispiel ist vom Anlaß her vergleichbar (Entfuhrung), alle anderen stehen allgemein für Liebesleid und Wahnsinn.74 Auf sozial-ständischer Ebene erscheint der Text jedoch klar gegliedert, ein Phänomen, das in den Romanen des 12. und 13. Jahrhunderts immer deutlicher ausgeprägt erscheint und ein „geschlossenes Hofmilieu" aufscheinen läßt:75 So beginnt die Klage damit, daß sie die Anwesenheit des Königs konstatiert (11509 ff.). Zunächst klagen die adligen Fürsten (11515 ff.), dann „weitet sich die Klage auf die gesamte familia des Hofes (des hoves ingesinde) mit allen in ihr versammelten ordiner. Alte und Junge, Ritter und Damen, Knappen und Mädchen, aus" (11519-11527).76 K Ü S T E R S beobachtet darin „Ansätze eines protokollarischen Ablaufs", die leidenschaftliche Trauer werde dadurch in die „reglementierte Lebensordnung des Hofes" integriert und so „hierarchisch lizensiert, ja delegiert und zugleich in eine Repräsentationsform höfischer Etikette überfuhrt."77 Als Parallele verweist er auf die Hofklage um den totgeglaubten Gawein Wig 581—591, in der sich ebenfalls die Herrschaftsstruktur des Hofes abbilde. Nach dem ersten Exempelfigurenpaar, Helena und Paris, erfolgt eine Einbindung in den Erzählkontext: englichet sich niht dirre klage (11557), wodurch die Vorgehensweise verdeutlicht wird. Die darauffolgende dichte 73

KÜSTERS 1 9 9 1 , S. 10.

74

Die mythographischen Fehler, die Heinrich in seiner Exempelreihe unterlaufen sind, wertet KERN 1998, S. 517, daß nicht die Korrektheit der Wiedergabe für den Roman wichtig gewesen sei, sondern daß es die Plausibilität der Beispiele für den Text sei, die über deren Wahrheit entscheide. Vgl. KÜSTERS 1991, hier S. 32; er arbeitet dieses Phänomen anhand verschiedener Beispiele heraus.

75 76

KÜSTERS 1991, S. 3 3 .

77

KÜSTERS 1 9 9 1 , S. 3 3 .

10113-12600 Gasoein II

292

Reihe weiterer Figuren ist wiederum im Stil eines mündlichen Vortrags gehalten (—>918-2631). Im Romanverlauf kommt es noch ein weiteres Mal zu großer Hoftrauer (16804—17311), dort um den vermeintlich toten Gawein. Bis zur Klärung des Irrtums verharrt die Artusgesellschaft in freudloser Starre, deren Auflösung in einer eindrucksvollen Oppositionenreihe verbildlicht wird (vgl. 22042— 22083). Im Stil unterscheiden sich beide Klageszenen allerdings deutlich: Wird die Trauer hier in der Erzählerrede auf indirekte Weise dargestellt, kommt es dort zu ausführlichen Klagereden und -handlungen der Romanfiguren um Gawein. 11527: senetich erscheint neben dem konkreten Handlungsbezug auch als Signal für die folgende Sammlung von senemaren. 11528: Die Aussage, die Freude des Artushofs sei 3-ergangen, signalisiert die grundlegende Bedeutung, die dieser Partie zuzuschreiben ist — ähnlich wie später in der Klage um den totgeglaubten Gawein (16797—17311) manifestiert sich darin die höchstmögliche Bedrohung der Artusidee, für die die vrad existentielle Bedingung ist. Vgl. ebenso 11546 ff. 11533—11548: Um dieser „Klage aller Klagen" den nötigen Nachdruck zu verleihen, „listet der Autor ein umfassendes Register aller nur erdenklichen Klagegebärden auf. 78 Zu diesen drastischen, teilweise geradezu karikierenden Ausdrucksformen der Trauer vgl. auch 2408 f. und 11158 f. Eine umfassende Liste von Klagegebärden findet sich z.B. in Rudolfs von Ems Wilhelm von Orlens< 1216-1234. 11550 ff.: Die Entführung Helenas durch Paris ist Ausgangspunkt aller Konflikte in Homers >Ilias< und Gegenstand unzähliger Darstellungen, ebenso der daraus resultierende Krieg um Troja; vgl. auch die Erwähnung 525 f. Das Schicksal Trojas wird z.B. zu Beginn von Heinrichs von Veldeke >Eneit< dargestellt; vgl. auch Cli 5235.79 11558 f.: Heinrich betont selbst, daß die das Ausmaß der Trauer verstärkende „Revue"80 diverser Klagen und Klageanlässe ihm und dem Publikum aus anderen literarischen Texten bekannt sind. 11560: Der Selbstmord Didos nach der Abreise des Aeneas wurde durch die Darstellung in Vergils >Aeneis< weithin bekannt; die Geschichte findet sich ausführlich im ersten Teil der >Eneit< (bis Vers 2528). Thema ist Didos Tod 78

KÜSTERS 1 9 9 1 , S. 9.

79

Zur Verbreitung der Figuren in mhd. Epik vgl. die jeweiligen Artikel in LdaG, zudem die Zusammenstellung bei KERN 1998, S. 550; auch LIENERT 1990.

80

KÜSTERS 1 9 9 1 , S. 9.

11519-11607 Klage um Ginover: Exempelreihe

293

u.a. auch ErH 7553 ff., Pz 399,12 und >Reinfried von Braunschweig< (vgl. LdaG, 16 ff., auch LdaG, 218-222). Auch genannt ->530 f. 11562 f.: Der Tod Tristans fehlt zwar in dem Heinrich möglicherweise bekannten Roman Gottfrieds, gehörte aber zum Allgemeinwissen (auch bei Eilhart berichtet). Ysalde erwähnt Heinrich auch 1598 (wohl eher als Namenszitat) und 6728 (im Blick auf ihre Heilkunst). 11564: Die Figur Gralants ist ebenfalls der höfischen Sphäre zuzuordnen und erscheint auch im >TristanLai de Graelent< von einer Feenliebe, er hat keine Beziehung zum Motiv vom Gegessenen Herzen. In Gottfrieds >Tristan< finden sich beide Traditionen in den Liedern von Gralant und Gurun nahe beieinander: Der Harfner trägt Tr 3526 ff. das Lied von Gurun vor (der afrz. >Lai de Guiron< ist nicht überliefert, erschließt sich aber aus Isoldes Lied im >Tristan< des Thomas von Bretagne: Der betrogene Graf gibt seiner Frau das Herz ihres Liebhabers Gurun zu essen). Tristans Lied berichtet danach von Gralant (Tr 3584 ff.), wobei aber nicht zu entscheiden ist, ob es sich um die Geschichte der Feenliebe oder um eine Version des Gegessenen Herzens handelt, zumal die Passage nur bei Gottfried überliefert ist.82 11565 f.: Der Hinweis auf Iweins Wahnsinn nach seiner Verstoßung durch Laudine ist hier der einzige Beleg aus dem Bereich der Artusliteratur; Heinrich hatte auf das Motiv bereits im Rahmen der Becherprobe angespielt (-»1350-1360). 11567: Leander war auf dem Weg zu der ihm versagten Geliebten in den Tod geschwommen, Hero hatte sich daraufhin ins Meer gestürzt. Die Geschichte war im Mittelalter v.a. durch Ovids >Heroides< bekannt, sie findet 81

Belege für weitere Nennungen Gralants in der mhd. Literatur bei KERN 1998, S. 297, Anm. 533; vorher bei WACKERNAGEL, Liebe 1848, S. 295, (Anm.) und HAUPT 1872, S. 259. Dementsprechend: Strickers >Der Weinschwelg< 334-336: Grälanden sluoc man unde söt/ und gab in den frouwen eigen,/ want si sin niht wolden vergeben, von der Hagen, Minnesinger, 1, 108b: Gralant den man gar versöt wart nie großer not beschert (auch in: „Altdeutsche Wälder", Bd. 3, S. 33 f.). Allgemein zum Motivkomplex QUAST 2000.

82

Vgl. FRENZEL 1 9 9 2 , S . 3 3 0 ff.; KROHN, K o m m e n t a r zu >TristanDer Weinschwelg< und dem >Lai d'IgnaureArs amatoriaAlexanderroman12280 ff.).88 Zur Figur und der Verbreitung vgl. LdaG, 38 ff. 11580 f.: Zu der in dieser Form unbekannten Adriachnes gliedern sich die Forschungspositionen in zwei Parteien: Einerseits bietet sich die Identifikation mit der lydischen Arachne an, die sich auf einen Wettkampf im Spinnen und Weben mit Minerva einläßt, unterliegt und in eine Spinne verwandelt wird;89 andererseits ist die Deutung als Ariadne zu erwägen: Ihre unglückliche Liebe zu dem bereits genannten Theseus würde sich besser in die Reihe der traurigen Minne-Exempel einfügen. Ariadne wird sowohl in den >Metamorphosen< als auch in den >Heroides< erwähnt.90 11582 iff.: Die folgende Geschichte um Hercules (den „wichtigsten Heros der antiken Mythologie", vgl. dazu LdaG, 294—298), Yoles und Deianira (vgl. auch Anm. KNN) erscheint durch den Rollentausch der beiden Frauen entstellt. Herakles war in zweiter Ehe mit Deianira verheiratet; er entführte Iole, um die er vergeblich geworben hatte; seine betrogene Ehefrau tötete ihn mit einem vergifteten Gewand (dem „Nessoshemd") und brachte sich selbst um; vom Tod Ioles ist nichts überliefert.51 Der Lesart beider Hss. Deydamia entspräche in der Tradition die Jugendgeliebte Achills, von deren Tod man aber auch nichts weiß.92 87 88

89 90

91

92

Vgl. dazu KL. Pauly, Bd. 1,243. Für 12280 ff. vermutet KNAPP 1982, S. 183, Anm. 98 den >Roman d'Alexandre< als Quelle (vgl. zur Stelle), ansonsten könnte Heinrich auch das >Alexanderlied< des Pfaffen Lamprecht gekannt haben. Zu den Quellen vgl. LdaG, 103 f. und 108 ff. (unentschieden, ob hier Arachne oder Ariadne gemeint ist); Anm. KNN; vorher schon LEITZMANN 1925, S. 452. S o schon SCHÖLLS Namenregister und REISSENBERGER 1 8 7 9 , S. 13; zuletzt KERN 1 9 9 8 ,

S. 298 f., bes. Anm. 538 mit einer ausführlichen Diskussion der Argumente. Vgl. Ovids >MetamorphosenHeroides< findet sich ein Brief Deianiras. Vgl. auch Sophokles >TrachinierinnenMetamorphosen 1 0 9 2 0 ; Anm. K N N . 11593: Für die Identifizierung von Daffnes bieten sich wieder zwei verschiedene Deutungen an, wobei die besten Argumente wohl für die Jungfrau Daphne sprechen;97 die Namens form ließe sich analog zu den anderen weiblichen Nominativen auf -es (Ariachnes 11581, Jöles 11585) verstehen.98 Die 93

KNAPP 1982, S. 42 schlägt alternativ eine Verwechslung mit Laodamia vor. Die Begründung „la confusion phonetique serait encore plus proche avec Laodamia" (statt mit Deianira) erscheint fraglich; die Tatsache, daß Laodamia von der eifersüchtigen Artemis ermordet wurde, nachdem sie Mutter eines Sohnes des Zeus geworden war, paßt noch weniger zur angegebenen Todesart. Vgl. KERN 1998, S. 300, Anm. 539; KL. Pauly, Bd. 1,1425 und 3,478; hier scheint eine bereits in der Antike verwurzelte Verwechslung der beiden auf. Vgl. auch KNAPP 1979, S. 117.

94 95 96 97 98

Vgl. Kl. Pauly, Bd. 4,837; LdaG, 509 f.; berichtet in Ovids >Heroides< und den >Eclogen< Vergils. Später findet sie noch im >Reinfried von Braunschweig< und in Konrads >Trojanerkrieg< Erwähnung. Vgl. Ovids >MetamorphosenMetamorphosenEcloge< 5,20 f. im Zusammenhang mit Daphnis von crudeli funen, was je nach Kontext nicht nur „Begräbnis" bedeutet, sondern auch eine Anspielung auf einen gewaltsamen Tod sein kann.101 Anm. KNN nimmt hingegen einen „Irrtum" an, da von keinem der beiden ein Selbstmord bekannt sei.102 11594: Zum Verständnis dieses Frauennamens (vgl. die entsprechenden anderen weiblichen Formen auf -es) gibt es eine Reihe von Überlegungen, die aber alle zu unbefriedigenden Ergebnissen führen, da sich der von SCH und KNN nahegelegte Zusammenhang mit Agamemnon nicht erklären läßt, vgl. Anm. KNN; LdaG, 227. Auch die aus der Antike überlieferte Flußnymphe namens Dirke trägt nicht zum Verständnis bei.103 Zu überlegen wäre, die beiden bislang im Zusammenhang gelesenen Verse 11594 f. zu trennen: Mit einer Konjektur zu Kirces/Circes ließe sich eine knappe Aussage über das Leid erkennen, das Kirke zu tragen hatte, nachdem

99

V g l . L d a G , 2 0 0 ; FRENZEL 1 9 9 2 , S . 1 4 6 f.

100 Das Gedicht θύρσις (Nr.l in der Sammlung θερισταί, vgl. Kl. Pauly, Bd. 1,1382). 101 Vgl. GEORGES 2002, S. 24387 (Druckausgabe: Bd. 1,2879) die Nebenbedeutung zu funestus·. „Unheil, Verderben bringend, todbringend, mordsüchtig". Zu den Gegenargumenten auch KERN 1 9 9 8 , S. 3 0 0 , A n m . 5 4 0 . 102

Vgl. KNAPP 1 9 8 1 , S. 1 6 2 m i t A n m .

91.

103 Vgl. Kl. Pauly, Bd. 2,99. Dirce ist LdaG, 227 zufolge nur hier erwähnt, „Ob tatsächlich D. gemeint ist, ist höchst unsicher, da D. mit der Atridensage in keiner Verbindung steht. Angesichts der unbeschwerten 'Mythographie' an dieser Stelle ist an eine bewusste Entstellung ebenso zu denken wie an ein völlig willkürliches Spiel mit bekannten und unbekannten Namen."

298

10113-12600 Gasoein II

sie von Odysseus verlassen wurde;104 ebenfalls kurz gefaßt, aber verständlich, bliebe der Hinweis, daß auch aus dem Mord an Agamemnon Leid entstand.105 Dieser wird nochmals im >Reinfried von Braunschweig< erwähnt; Kirke und Agamemnon stammen aus der >OdysseeThyestes< des Seneca, sowie in der 88. Fabel des Hyginus.107 Erwähnt wird das Thyestes-Mahl auch in den >Metamorphosen17269; daß dabei nicht unbedingt eine schriftliche Vorlage angenommen werden sollte, zeigt der Fehler —>3158). Das Motiv des Thyestes-Mahls ist im Mittelalter belegt, „in der volkssprachlichen Mythenrezeption aber kaum bekannt. Umso bemerkenswerter ist der Beleg [bei Heinrich]. Was über T. gesagt wird, trifft weitgehend zu" (LdaG, 615 f., mit weiteren Belegen). 11598 ff.: Letzte der antiken Exempelfiguren ist Hippolytos, der von seinen Pferden am Strand zu Tode geschleift wurde, nachdem er durch das Begehren seiner Stiefmutter Phädra schon ins Unglück gestürzt worden war (er hatte sie abgewiesen, weswegen sie ihn vor ihrem Selbstmord der Vergewaltigung bezichtigte und so seine Verbannung verursachte). Überliefert ist die Geschichte bei Ovid (>MetamorphosenHippolytos< von Euripides und in Vergils >AeneisMetamorphosenAeneis< 7,761: qui (= Nep/unuij agitanti currum Hippolyte immisitphocam in litore, qua equi terriü, eum distraxerunt. „Falls Heinrich die ihm unbekannte pboca [Seehund] bei Isidor gesucht haben sollte, so fand er sie [...] unmittelbar vor den delphines (12, 6, 11) und könnte sie gleichgesetzt haben" (ebd. Anm. 88). Ob Heinrich wirklich bei Isidor nachgeschlagen hat, bleibt fraglich, auch KERN 1998, S. 300 f., Anm. 542 spricht sich eher für eine freie Ausgestaltung Heinrichs aus. Zu phoca vgl. auch —>983.

110 Ausfuhrlich zu dem angenommenen mnemotechnischen Entstehungsprozeß und den möglichen Vorlagen KERN 1998, S. 301 ff. 111 Paris und Helena, Dido und Leander in den >HeroidesMetamorphosen< und in den >HeroidesMetamorphosenMetamorphosenMetamorphosenHeroidesMetamorphosenReinfried von BraunschweigMetamorphosen< durch Albrecht von Halberstadt gekannt haben könnte, deren Überlieferung sehr spärlich ist und daher nicht gerade für eine weite Verbreitung spricht (1190 bzw. 1210 entstanden; vgl. STACKMANN in VL 2 , Bd. 1,187 ff.). So auch KNAPP 1979, S. 117. Vgl. auch den offenbar großen Einfluß römischer Literatur, den OKKEN 1993 in seinem Kommentar zu Hartmanns Romanen herausarbeitet.

300

1 0 1 1 3 - 1 2 6 0 0 Gasoein II

11608-11743 Vergewaltigung Ginovers Die folgende Episode hat in der Forschung viel Anstoß erregt, „die freche Schilderung von Gasozeins Angriff auf die entführte Ginevra",117 „eine empörend plumpe, handgreifliche Schilderung"118 sind Beispiele der sittlichen Entrüstung, die die Passage ausgelöst hat.119 Ähnlich kritisch beurteilt heute noch z.B. SAMPLES die Passage, sie stellt v.a. die misogynen Aspekte der Szene heraus (die die klerikale Bildung Heinrichs zeigten).120 Vgl. auch JILLINGS, der „an anti-feminist note" in diesem Abschnitt sieht und die Vergewaltigung als „as explicit and lascivious as any in courtly literature" einschätzt; er sieht Ginover als die von Heinrich Beschuldigte (11697 ff.) und vermißt „a word of blame" gegen Gasoein.121 Hingegen wertet KNAPP die Szene als „einen einsamen Höhepunkt erotischer Metaphorik im Höfischen Roman"; die Darstellung, die er im Einflußbereich lateinischer Vagantendichtung, französischer Schwankerzählungen und der Wolfram'schen UrjansGeschichte sieht, sei „auf dem Gebiet der Epik ähnlich revolutionär wie Neidharts Neuerungen in der Lyrik."122 Zusammenfassend zur Wertung zuletzt G U T W A L D 2000, S. 62 f. Als mögliche Quelle wurde auf Wolframs Erzählung vom Vergewaltiger Urjans verwiesen, der von Gawein ertappt und seiner gerechten Strafe zugeführt worden war (Pz 524,9—29),123 bzw. die entsprechende Szene um den Vergewaltiger Greorreas CdG 7023—7045 (zur Diskussion um Heinrichs >Parzival6380). Auf diese Episode spielt Heinrich zunächst 5992 ff. und 11767 ff. an, 19346-20099 führt er sie ausführlich aus. Vergewaltigung als Motiv ist aber auch sonst geläufig,124 Parallelen sind zwischen Urjans/Greorreas und Heinrichs Darstellung kaum auszumachen. Verglichen wurde die Szene auch mit der >1. Continuation^ wo der Entführer ebenfalls Vergewaltigungsabsichten hegt und auch der Neffe des Königs als 117

GERVINUS 1 8 5 3 , S. 4 6 0 .

118

EHRISMANN 1 9 3 5 , S. 13.

119 Weitere Belege z.B. bei BLEUMER 1997, S. 48, Anm. 36. 120 Vgl. SAMPLES 1995; KNAPP 1994, Bd. 1, S. 556 macht diesen Einfluß insgesamt für Schilderungen von Frauen als Sexualobjekte verantwortlich. SAMPLES 1995, S. 200 f. geht im Rahmen ihres recht emotionalen Beitrags auch noch einmal auf das in der Forschung teilweise vertretene Bild ein, demzufolge Heinrichs Darstellung darauf schließen lasse, Ginover habe die Vergewaltigung selbst verschuldet. 121

JILLINGS 1 9 8 0 , S. 4 2 .

122 KNAPP 1994, Bd. 1, S. 556. Früher hatte er schon die „relative Dezenz von Heinrichs Ausdrucksweise und Beschreibungsmethode" hervorgehoben, vgl. KNAPP 1981, S. 169. 123

Vgl. KNAPP 1 9 8 1 , S. 1 6 9 .

124 Vgl. BUSCHINGER 1984; zahlreiche Beispiele aus der afrz. Tradition auch bei ZACH 1990, S. 85 ff.

11608-11743 Vergewaltigung Ginovers

301

Retter dazwischentritt.125 Daß Heinrich ausgerechnet die Königin zum Opfer einer Vergewaltigung werden läßt, erscheint „singulär und unerhört", ein „Tabubruch", „ein vollkommen neuartiges episches Experiment".126 Während Vergewaltigung in Literatur und Realität sonst ausdrücklich bestraft wurde, fallt hier der milde Umgang mit Gasoein auf.127 So gibt ihm Gawein die Möglichkeit eines nach übertrieben fairen Regeln verlaufenden ritterlichen Zweikampfs, schließlich wird er ehrenvoll in den Artushof aufgenommen (12584 ff.) und mit Gaweins Schwägerin verheiratet (13828 ff.). E B E N B A U E R verweist daher auf den (Frauen gegenüber nicht zimperlichen) Babenberger Friedrich den Streitbaren, auf den Gasoeins Wappen bezogen sein könne, und gegen den Heinrich möglicherweise polemisiere.128 Auf struktureller Ebene begründet M E Y E R die erstaunliche Versöhnung, Gasoein stehe „für die Integration der lyrischen Modelle" in den Artushof,129 entsprechend der Eingliederung Amurfinas, deren Minne verschiedene, für den Artushof gefahrliche Minnekonzepte verbinde, deren Sprengkraft es zu bändigen gelte.130 B L E U M E R argumentiert schließlich mit der festgelegten Rollenverteilung des Romans: Da Artus nicht nur die Position des Ehemanns, sondern auch die des Geliebten einnehme, bleibe für eine Minneverbindung zwischen Ginover und ihrem Befreier Gasoein in der >Crone< kein Platz neben dem „arthurischen Ehemodell"; da sich für Gasoeins Position in der Handlung „kein Spielraum" biete, bleibe „dem Herausforderer nur noch, seinen Anspruch aufzugeben."131 Unversöhnlich interpretiert S A M P L E S 1995 den verharmlosenden Umgang mit Ginovers Vergewaltiger als Indiz für die moralische Leere, die sich der früheren Artusidealität bemächtigt habe. Statt wie in den älteren Werken die Vergewaltigung als grundsätzlich unhöfisch zu verfolgen, werde sie von den Männern möglichst schnell abgetan und verwischt, so daß das unge1 2 5 Vgl. v.a. JILLINGS 1 9 8 0 , S. 41 f., S. 46, A n m . 11 und 12. 1 2 6 STEIN 2 0 0 0 , S. 2 5 9 f.

127 Pz 524,27 f., 527,19 f. setzt die Todesstrafe voraus, die auf Fürsprache Gaweins zum befristeten Aufenthalt im Hundezwinger (cbetle) umgewandelt wird; bei Chretien und Heinrich ist diese Zeit bei den Hunden bereits die korrekte Strafe (vgl. 19424 ff.; CdG 7023-7045). Ebenfalls die Todesstrafe verlangen >Schwabenspiegel< und >Sachsenspiegel3273-3333). Die Forschung hat sich immer wieder bemüht, diesen vermeintlichen Einschnitt in Heinrichs Jahreszeitenkonzept zu erklären. So hat JILLINGS ein Problem mit den potentiellen Quellen vermutet.137 MEYER und SCHU interpretieren diesen Bruch als Gattungssignal für den Wechsel zur Pastourelle und die „auch im Rahmen der höfischen Literatur mögliche Liebesbegegnung. Dieser Sommerort ist auch mit dem absoluten (und in Ansätzen zumindest mythischen) Kampf verknüpft. Diese Ausgliederung macht ihn zu einem möglichen ausgegrenzten Jenseitsort, die Ereignisse werden gleichzeitig herausgehoben, erhalten aber einen anderen Status, was die Folgen angeht."138 Innerhalb der Gattung der Pastourelle wäre Gasoeins Drängen als nur konsequent zu verstehen, da sich dort „die Frau oft als zum Liebesspiel bereit [erweist], auch wenn sie dies zuvor geleugnet hatte".139 BLEUMER ver134 Vgl. die botanische Fachsprache, die den Begriff „Blatt" für alle Auswüchse aus dem Ast verwendet, selbst für die Blüten und Früchte, und davon ausgehend näher bestimmt; z.B. auch das Weihnachtslied „O Tannenbaum [...] wie grün sind deine Blätter". 135 Er wird von SCHU 1999, S. 349, Anm. 49 als Hinweis auf den Sommer verstanden. 136 Der Gerichtskampf war sechs Wochen nach Weihnachten terminiert, vgl. —>5078 f. 137 Vgl. JILLINGS 1980, S. 43: In >De ortu Waluuanii< spielt die (der Entführung vorausgegangene) Furtszene im Winter, im >Lai de l'Espine< spielt sich die entsprechende Episode im Hochsommer ab (als mögliche Quelle also nicht erst von ZACH herangezogen, vgl. ZACH 1 9 9 0 , S. 3 7 3 und 3 8 1 ) . 138

MEYER 1 9 9 4 , S. 1 0 9 ; v g l . SCHU 1 9 9 9 , S. 3 4 9 f . , v . a . A n m . 4 9 .

139

SCHU 1 9 9 9 , S. 3 5 0 .

Zur Verbindung von Pastourelle und Vergewaltigung mit dem

amoenus vgl. GRAVDAL

1 9 8 5 ; PADEN 1 9 8 9 .

locus

304

10113-12600 Gasoein II

weist schließlich auf die Verstärkung, die der „abrupte und kurzzeitige Bildwechsel" für die Darstellung des gescheiterten Minnedienstgedankens mitbringe,140 während WAGNER-HARKEN schlicht erklärt, Heinrich ,,benötig[e] die Kulisse des locus amoenus" für die Vergewaltigungsszene und baue sie daher auf, die winterliche Jahreszeit werde einfach „weggeschoben und durch eine neue, brauchbare ersetzt." Diese Vorgehensweise entspreche dem „flächenhaften" Darstellungsprinzip der Märchen.141 Die folgende Schilderung eines locus amoenus erhält jedoch eine völlig neue Qualität, wenn es nicht zum Wechsel der Jahreszeit kommt:142 Auf den ersten Blick entspricht die Landschaftsdarstellung dem Topos, mit beide und linde, deren Äste ein abgeschirmtes Plätzchen bereiten; das später erwähnte wa^er ist allerdings zu weit entfernt, um Teil des locus amoenus sein zu können (—>12069 f.).143 Als gesellschaftsferner Ort, an dem traditionell Begegnungen mit Feen, nicht zur höfischen Gesellschaft gehörenden Frauen oder aber auch Vergewaltigungen stattfinden, scheint er der geeignete Platz für die folgende Szene, die sich nur weit entfernt von der Ordnung des Artushofs abspielen kann. Der genauere Blick zeigt diesen Platz nun aber im Winter, Sichtschutz bilden Tannen, die Äste der Linde sind kahl, die Heide wohl schneebedeckt (vgl. 12390). So bleibt es lediglich bei der Idee des sommerlichen Minneortes, so wie auch die folgende Szene zwischen Ginover und Gasoein nur als eine in ihr Gegenteil verkehrte Minnebegegnung zu lesen ist; Kahlheit und Kälte des Ortes dürften der Lieblosigkeit der Vergewaltigung entsprechen. Zur Metaphorik —>11640. 11640: Der Terminus chriec verweist auf die folgende, häufig als Metapher verwendete Minnekampfthematik. Heinrich bedient sich dieser Bildwelt, um die gesamte Vergewaltigungsszene zu gestalten (v.a. ab —>11683); durch die reale Bedrängung verliert diese jedoch ihren metaphorischen Charakter und wird Teil der Handlung. So kommt es zu einem literarischen Spiel mit der harmlos gemeinten und weit verbreiteten Metaphorik einerseits, der erzählten Wirklichkeit der Vergewaltigungsszene andererseits. 11645 ff.: Als kräftemäßig Schwächere versucht Ginover noch einmal, an Gasoeins höfische Erziehung und Anstand zu appellieren (vgl. ihren ähnlichen ersten Versuch 11347-11379 sowie die darauffolgende Sprachlosigkeit 11418-11422). Dabei beruft sie sich auf die Versprechungen, die er ihr 11324 ff. gemacht hatte (zuvor schon 11288-11295 der Ohnmächtigen ge140

BLEUMER

141

WAGNER-HARKEN 1 9 9 5 , S. 1 9 9 .

1997, S. 48; ähnlich

GUTWALD

2000, S. 110 f.

142 So zuerst, allerdings nicht völlig schlüssig, vorausgesetzt bei K E E F E 1982, S. 166 ff. 1 4 3 Vgl. K N A P P 1 9 8 1 , S. 1 6 9 , dort auch zu literarischen Vorbildern. Zum Topos des locus amoenus vgl. z . B . THOSS 1 9 7 2 ; CURTIUS 1 9 6 7 , S. 2 0 2 f f . ; GRUENTER

1961.

11666-11700 Ginover erlaubt aus Angst vor Gewalt Berührungen

305

genüber). Gasoein ist jedoch nicht mehr willens, sich auf dieser Ebene höfisch geprägten Handelns zu bewegen — vielleicht ein Hinweis auf seine Stellung zwischen höfischer Welt und Anderwelt (vgl. —>3395-3427). 11660 ff.: Der „kühne Griff" ist z.B. aus Neidharts Winterliedern bekannt (WL 20,111,9 und IIIa,3). Vor Wolfram (-> 1 1 7 0 6 ff.) findet er sich im höfischen Roman bei Herbort von Fritzlar >Liet von Troye< 706 ff.144 1 1 6 6 6 - 1 1 7 0 0 Ginover erlaubt aus Angst vor Gewalt Berührungen 11683 ff.: ( 1 1 6 8 4 - 1 1 6 9 4 = G T 6 9 ) Die Metaphorik von Belagerung und Eroberung einer Burg als Umschreibung der Vergewaltigung greift: das Motiv der Minneburg auf, das sich nicht nur in der Literatur, sondern auch auf vielfältigen bildlichen Darstellungen des Mittelalters findet. Daß Heinrich das Gewaltpotential erkennt und ausfuhrt, das dieser Verbindung von minne und Kampf innewohnt, den beiden Konstituenten ritterlichen Lebens, unterscheidet diese Darstellung deutlich von der Tradition.145 Vgl. die ähnliche Metaphorik —»8795—8831 und 2 3 9 3 6 ff. Lit. zur Minneburg-Thematik: BRINKER-VON DER HEYDE, Mütter 1996; BARTZ 1994, S. 34 f.; KÖNIG 1992; SCHLECHT WEG-JAHN 1992; JANSSEN 1989; KNAPP 1981, S. 168 ff.; VANCE 1972; KOHLER 1935.

11688: Das hamit (vgl. afrz. ham, hamel, hameau, hamelet, frz. hameau für „kleines D o r f , TL 4 , 8 6 1 ff.; Lex 1,1164; auch wieder 1 8 0 6 9 : amit) dürfte mit dem Bereich der Vorburg zu identifizieren sein, wo sich der Wohnbereich von Handwerkern und Bediensteten außerhalb der Hauptburg befand — hatten Feinde diesen ersten Burgbering eingenommen, stiegen ihre Chancen deutlich, auch das Hauptgebäude zu erobern. Ginovers Kleid wird in dieser Metaphorik also der äußeren Burgmauer gleichgesetzt. Vgl. hingegen auch —>18069, wo der Begriff den Sicherheitsbezirk in einem Turnier bezeichnet. 11691: Die offene baniere unterscheidet wohl den direkten Angriff unter vorangetragener Fahne von Versuchen, eine Burg durch das heimliche Einschleusen von Kämpfern zu erobern (z.B. durch unter der Mauer durchgetriebene Stollen oder andere Listen). 11693: ir vtisin ist die Dummheit der burgar.

144

Vgl. KNAPP 1 9 8 1 , S . 1 8 5 f., A n m . 1 3 1 .

145 Problematisch erscheint hingegen der Versuch bei GUTWALD, der Verbindung von „Minnebereich und Kampfbereich" eine „komische Wirkung" zu attestieren und sie dem Schwankbereich zuzuordnen. Vgl. GUTWALD 2000, S. 102 ff., Zitat S. 103.

1 0 1 1 3 - 1 2 6 0 0 Gasoein II

306

11701-11743 Gasoein wird handgreiflich 11706 ff.: Zu der folgenden Passage vgl. Pz 407,2 ff.: er greif ir undem mantel dar./ Ich wane, er ruort ir% hüffelin./ des wart gemeret sin pin./ von der liebe alsölhe nötgewan/ beidiu mag und ouch der man,/ da% da nach was ein dincgeschehen,/ heten% übel ougen niht ersehen. Der Unterschied besteht in der Freiwilligkeit, mit der Antikonie Gawan entgegenkommt. 11722 ff.: Die Bildfolge fuhrt das 11683 begonnene Bild vom Kampf um eine Burg konsequent fort. Das Burgtor als Metapher im sexuellen Kontext benutzt Heinrich nochmals 23888 f. in der Handschuhprobe (Parzivals Freundin wolle, dat^ ir bürgetor/ Ware alle wege entslosgeri). KNAPP146 versucht einige mögliche Quellen zu bestimmen, aus denen Heinrich geschöpft haben könnte: Cli 3322 wird von Alis gesagt, der sich vergeblich um den Vollzug seiner Ehe mit Fenice bemüht, von einem Zaubertrank verwirrt aber glaubt, zum Zug gekommen zu sein: Qu'il ait la forteresce prise („er habe die Festung genommen"). Im Carmen Buranum 185,9,3 wird die Defloration umschrieben: errante mir in da^purgelin;147 von einem kleinen Tor (guichet), durch das es einzudringen gilt, sprechen der >Roman d'Eneas< 8575 sowie das Carmen Buranum 72,3a, v.5: nec ianua pudoris reservatur („die Pforte der Scham bleibt verriegelt"), vorher hieß es in Str. 2b, v.5: solvere uirguncula („Riegel der Scham lösen").148 Für den palas/ Des vrowe Minne einphliget (11722 f.) führt KNAPP die Veneris deliciosa domus und die cella pudoris bei Matthieu de Vendome an.149 11724: Die Schreibung in Ρ verweist zunächst auf den mons veneris, eher im Bild bleibt aber das Verständnis als „Versteck" (berc (Lex 1 , 1 8 5 ) bzw. geberc (Lex 1,751), vgl. A n m . KNN).

11726 f.: Für die beiden Verse wechselt die Bildebene, anstelle der Belagerungsmetaphorik kommt die Natur ins Bild: Der knospende, aufblühende Zweig (bro%) ist Umschreibung für das männliche Geschlecht, die „buschige Wiese" (brüel) für die weibliche Scham (womöglich nochmals in der Handschuhprobe, vgl. —>24161). 11730: Der Bezug von sein erscheint unklar; da es sich wieder um die Kampfmetaphorik handelt, muß es sich wohl um Feinde o. ä. handeln, die er zu Fall bringt: er dringt weiter vor. Für das brv% liest es KAMINSKI 2005, S. 217, Anm. 722. 146

KNAPP 1 9 8 1 , S. 1 7 1 f .

147 Im Rahmen einer Vergewaltigung bei einer linde mlgetan, von der das Mädchen erzählt. 148 Der Kontext des Liedes berichtet aus Sicht des Mannes von der Überwindung des Widerstands der Frau gegen den Liebesvollzug, eine ausgeprägte Kampfsituation, aber ohne weitere Burgmetaphern o.ä. 149 >Ars Versificatoria< 1,57, V.5 f.

11744—11821 Gawein kommt dazwischen

307

1 1 7 3 2 : Gegen V bzw. für P/SCH spricht das feminine Pron. im folgenden Vers, das in beiden Hss. steht: und mit si han ervohten. 11735: Der jgel ist eine Belagerungsmaschine, die aus einem „balken mit stachlichten eisen" besteht (DWb 10,2045). 11736: Zur Problematik des Fachterminus antwerch vgl. Anm. KNN, auch LdMA 1,736 („alte Bezeichnung für das gesamte techn. Kriegsgerät, das vor dem allgemeinen Gebrauch der Feuerwaffen beim Angriff und bei der Verteidigung fester Plätze verwendet wurde. Das Wort bedeutet Gegenwerk und hat mit dem in zeitgenöss. Berichten vereinzelt falschlich verwendeten hantwerk (Handwerk) nichts zu tun."). Hingegen kennt die Burgenforschung den Begriff „Vorwerk" (vgl. dazu lat. ante, „vor") bzw. „Barbakane" für ein dem Haupttor vorgelagertes Verteidigungswerk. Ein solches Vorwerk ist „bereits auf dem Teppich von Bayeux erkennbar (Motte von Bayeux mit hölzernem Torvorbau), danach kontinuierliche Verstärkung des Tores [...]", schließlich konnte es „als Wehrbau ein fast isoliertes Außenwerk darstellen [...] mit Außentor, Zungenmauern und langer Torpassage",150 um den Einsatz von Belagerungsmaschinen zu erschweren. So z.B. die entsprechenden Anlagen der Burg Trifels (das besonders große Vorwerk ist eine eigene Burg, Burg Münz) oder der Burg Wildenstein (Donautal), deren Vorwerk über zwei Burggräben verfügte. Es dürfte also anzunehmen sein, daß Heinrich den dt. Begriff „Vorwerk" halb ins Lateinische übersetzt hat; ob es sich um eine Verwechslung handelt, oder ob Heinrich lieber einen gebildeter klingenden Terminus nutzen wollte, läßt sich nicht mehr feststellen. Vgl. die beiden anderen Belege 26226 (beide Deutungen möglich) und 27640 (ebenso als „Vorwerk" zu verstehen). 11738: belochen zu belüchen, „zuschließen, einschließen" (Lex 1,175).

11744—11821 Gawein kommt dazwischen 11744—11792 Gawein stellt Gasoein zur Rede 11744 ff.: Nachdem Gasoein mit den Mitteln der Verfuhrung nicht ans Ziel gelangt, geht er zu Gewalt über; dem entspricht das Verlassen der metaphorischen Sprachebene und die unmittelbare Beschreibung des Sachverhalts. 11747 f.: Zu dem überraschenden Hinzukommen Gaweins als Deus ex machina gerade im rechten Augenblick vgl. auch —>11242-11284. Zu dem Überlieferungsproblem vgl. Anm. KNN; alternativ zu der refl. Verwendung von riten wäre auch die Lesung Ρ mit einem ans Publikum 150 „DBV-Burgenlexikon", Bd. 1, S. 250.

308

10113-12600 Gasoein II

gerichteten Imperativ sich (zu sehen) zu erwägen. Vgl. entsprechende Aufforderungen wie Nu seht 4 3 8 5 beim ersten Auftritt Gasoeins, —>7081 für weitere Belege. 11752: Der rise verweist auf Gaweins letzte Aventiure, den Sieg über den Riesen Assiles ( 9 1 2 9 - 1 0 1 1 2 ) , und unterstreicht nochmals die Gleichzeitigkeit der beiden Handlungsstränge (—>3273—5468). 11767: Die Erwähnung des Lochneis, bzw. Lohenis von Rahas (—>5992), verweist auf 1 9 3 4 6 - 2 0 3 2 0 , wo dieser versucht, Gawein um sein Pferd zu betrügen, aus Rache für dieselbe Geschichte, auf die auch hier angespielt wird: Gawein hatte ihn bei einer Vergewaltigung ertappt und für seine Bestrafung gesorgt, die in einer mehrwöchigen Inhaftierung im Hundezwinger [chelk 11768) 1 5 1 bestand ( - > 1 1 6 0 8 - 1 1 7 4 3 und - > 1 9 4 5 6 ff.). Diese vor Romanbeginn gemachte Erfahrung könnte Grund sein, daß sich Gawein von Gasoein nicht verwirren läßt, sondern daß er die Situation richtig und konsequent zu deuten vermag.152 11773—11792: Im Diskurs zwischen Gawein und Gasoein fallt die feine Abstufung auf, die Heinrich dadurch erreicht, daß er Gawein selbstbewußt in direkter Rede sprechen läßt, Gasoeins Replik jedoch nur als indirekte Rede dazwischen schiebt. 11789g: Der Ausdruck spehar für die Augen ist ungewöhnlich; in der Bedeutung „kundschafter, spion" auch 10022, 11061.153 Vgl. Hartmanns von Aue >Klage< 553: \diu ouge«,] des bergen spehare. 11790: sprach für den Gegenstand der Unterhaltung, also die eigentliche Vergewaltigungshandlung, wird hier entsprechend dem Begriff rede verwendet, der auch sonst für „Sache, Handlung" gebraucht wurde, vgl. 3 6 7 1 , 3 9 8 7 , 2 1 3 8 9 u . Ö . ; auch P R E T Z E L 1 9 8 2 , S. 3 2 f. 1 1 7 9 3 - 1 1 8 2 1 Ginover bittet Gawein um Hilfe 11795: vielt zu valten, hier konkret „sich einhüllen", im übertragenen Sinn nochmals 26909, vgl. auch 16372.

11799-11801: (= GT 71) Diese allgemeine Aussage über Frauen, die ihre Kleidung als Schutz vor Schmähung (laster) empfinden, korrespondiert mit zahlreichen ähnlichen Anmerkungen über weibliches Verhalten, vgl. z.B. 3 3 6 9 f., 3 3 4 3 f., 3 4 6 7 f f , 3 4 9 0 f. etc. 151 Lex 1,1540 f. gibt die Belege aus der >Cröne< (noch 12578, 19378, 19428, 19457, 20012) mit der Deutung „verächd. gefangnis für menschen"; allerdings legt 19457 ff. nahe, daß Heinrich wirklich die Hundehütte im Sinn hatte: Gawein warf Lohenis in die kelle,/ Wo er der

hmde geselle/ Durch die un^uht ware.

1 5 2 S o RINGELER 2 0 0 0 , S. 2 4 2 .

153 Lex 11,1074; BMZ 11,2,497 f.

309

11822-12506 Zweikampf Gawein - Gasoein, Heimkehr

11816-11821: Die Zusammenfassung der Gasoeinhandlung, die Gawein hier erhält, ist die einzige Information, die er über das gesamte Geschehen hat; es bleibt dem Publikum überlassen, den Umfang von Ginovers Erzählung zu erraten. Auf jeden Fall dürfte es sich bei der Kürze um reine Erzählökonomie handeln; der Vorwurf, Heinrich wolle Ginovers Sicht als Opfer nicht deutlich werden lassen, scheint überinterpretiert.154 11822-12506 Zweikampf Gawein - Gasoein, Heimkehr Lit.:

KAMINSKI

2005, S. 2 0 1 - 2 1 3 ;

STEIN

2000, S. 235-242;

BLEUMER

1997, S. 48 ff.;

MEYER 1 9 9 4 , S. 1 1 0 f.

Der folgende Zweikampf über mehrere Etappen ist die längste Kampfbeschreibung in der >CroneLancelot en prose< findet sich ein Kampf zwischen Gawein und Gasoein d'Estragot, dort hatte Gasoein Gawein des Verrats beschuldigt (vgl. K L U G E , 1,126,3-7; ebenso MICHA, VII,261, § 1). Zu weiteren Kämpfen mit Entführern Ginovers vgl. Z A C H 1990, S. 265 f.

Hause zu bringen (12181 ff.); als alle Waffen zerstört sind, kämpfen sie mit Lanzenresten weiter, von denen Gawein seinem Gegner besser drum überläßt (12215 f.); 12370-405 schließlich läßt Gawein den anderen die größten Teile reiten und läuft selbst schwer verwundet zu Fuß, weshalb er größere Probleme mit der Genesung hat (12541—44). 159 Im Blick auf eine mögliche religiöse Deutung der abschließenden Gralserlösung (—>2899129660) könnten solche Handlungsweisen aber auch als erster Hinweis auf Gaweins diesbezügliche Eignung gelesen werden: Er handelt dem Gebot der Nächstenliebe entsprechend? 1 6 0 MEYER 1 9 9 4 , S . 1 1 0 f. 161

BLEUMER 1 9 9 7 , S . 5 3 .

162 Ebd. S. 49.

11822-11892 Gasoein fordert Gawein, Kampfbeginn

311

11822-11892 Gasoein fordert Gawein, Kampfbeginn 11829-11836: Statt sich länger mit Ginovers Erzählungen zu beschäftigen, akzeptiert Gawein sie und drängt auf Aufbruch; seine realitätsnahe Warnung vor den Gefahren des nächtlichen Reitens entspricht z.B. den Ausfuhrungen —>5435 ff. 11853: Der Verweis auf die vier Ritter bezieht sich auf die vier Gegner der Furtkämpfe, denen Gasoein sogar blov^ (11839) überlegen (gegen Keie, Aumagwin und Gales) bzw. zumindest gewachsen war (gegen Artus).163 11875: Das Adj. milde ist in der Deutung „reichlich, ausgiebig" (Lex 1,2139) sonst nur noch bei Konrad von Megenberg belegt; alternativ wäre das allerdings viel konventionellere wilde denkbar. 11887: übertragen auch 13174 und 26944 im Sinne von „schützen, schonen" (vgl. Lex 11,1667). 11893-11925 Beide werden verwundet 11902 ff.: Zu dem Topos der flammen plike vgl. —>4614; zudem auch Lanz 2066 f. und 4494; Pz 742,12; Reinbots >Der heilige Georg< 5359-5365; Troj 25872 f.164 11910: Heinrich beschreibt den seit dem 11. Jh. gebräuchlichen Schildtyp, „aus Holz mit Lederbezug bestehend, der mit heraldischen Motiven bemalt ist", sowie mit einer Schildfessel, mit der er am Hals getragen wurde.165 Ein solcher Schild kann in schiele zerschlagen werden, bis der Kämpfer nur noch das fei«/zurückbehält; auch ->6401 f., ->10530, 13360 f. 11926-11948 Kampfpause, erneuter Angriff 11943: si ist Akk. PL: die beiden Kämpfer sind so geschwächt, daß die Pferde sie nicht mehr zu tragen vermögen, das heißt, sie können sich nicht mehr auf den Pferden halten. 11948: gedigen zu gedihen, „gedeihen, geraten" (Lex 1,770), wieder 22131. 11949-11987 Schwertkampf, zweite Kampfpause 11957: Zu entliben („verschonen") auch —>64. 11966 ff.: Zu Gaweins Fairness vgl. die Situation 9910 ff., auch 15619 ff. Im weiteren Kampfverlauf kommt es nun zu einer Häufung übertrieben rücksichtsvoller Reaktionen, vgl. 12002 ff., ->12023 ff., 12181 ff., 12215 f. 163 Dazu auch BLEUMER 1997, S. 34. 164 Vgl. auch ACHNITZ ZU Gau 1 1 1 5 - 1 1 1 8 (S. 523). 165

Vgl. KÜHNEL 1 9 9 2 , S . 2 2 6 .

10113-12600 Gasoein II

312

11975: Den außer Wig 3 5 9 4 sonst nicht im Artusroman geläufigen Begriff walstat für den Kampfplatz166 verwendet Heinrich nur innerhalb dieser Kampfbeschreibung, noch 1 2 0 4 3 und 1 2 1 4 1 . Daneben schreibt er einmal veltwal ( 7 3 8 3 ) und einmal wal ( 2 7 3 9 9 ) . Ähnlich auf eine Episode begrenzt bleibt die Verwendung weiterer auffälliger Begriffe wie z.B. —>3308 (gaudin), — • 9 2 8 2 (geilen), oder - > 2 4 5 3 0 (gijteri). 11988-12032

Beide töten ihre Pferde

12002: Anspielung auf ein weit verbreitetes Sprichwort mit biblischem Hintergrund (Prv 2 6 , 2 7 : quifodit foveam inädet in eam;167 vgl. auch Ps 7 , 1 6 und Ps 9 , 1 6 , Ecl 1 0 , 8 , Sir 2 7 , 2 9 ) . Ähnlich z.B. Spervogel MF 2 2 , 3 2 f.; >Kaiserchronik< 7512 f.; vgl. TPMA 5, „Grube" 1: „Wer (anderen) eine Grube gräbt, fällt (selbst) hinein"; DSL 2 „Grube", Nr. 5 1 6 und RÖHRICH 2 0 0 0 , S. 2 3 5 0 f. (Druck: Bd. 2 , 5 8 7 f.). Vgl. auch 1 5 2 8 0 und - > 1 6 8 2 7 ff. Gaweins Bemühungen, den stark geschwächten Gasoein in den Kampf zurückzuholen, werden für ihn zur Grube, da er selbst nur schwer verwundet aus dem Kampf hervorgeht. Vgl. das ähnliche Bild vom Strick —>20313 f. 12009 ff.: im bzw. er 12014 beziehen sich auf Gasoein. 12017: Der Blick auf die vrivndin erinnert noch einmal an die Rolle des Minneritters, die Gasoein vorher verkörpert hatte (vgl. auch den stärkenden Blick auf Garanphiel im Kampf zwischen Gawein und Fimbeus mit dem dazugehörigen Erzählerexkurs —>28108 ff.); die sinnlose Tötung seines Pferdes zeigt zugleich aber Gasoeins Entfernung von diesem Ideal. 12021: Zu molte („Staub, Erde") - > 6 5 0 8 . 12023 ff.: Hier wird das Bemühen Gaweins um ein ausgewogenes Kräfteverhältnis im Kampf gegen Gasoein vom Erzähler besonders hervorgehoben, es dient sogar als Rechtfertigung für die Tötung des Pferdes, die sonst vngevüege wäre. BLEUMER betont, daß dieser Kampf um Ginover den Furtkampf zwischen Gasoein und Artus fortführe, bei dem der vermeintliche Anspruch Gasoeins auf die Königin bekannt geworden war; waren dort die Bedingungen von völliger Ungleichheit charakterisiert (was Gasoein 11839 ff. hervorhebt: war ich blo£ und ob iwer vier waren), so scheint die hier bestehende Gleichheit „bedeutsam zu sein, da jede Verschiebung im ausgewogenen Kräfteverhältnis bis zur Übertreibung ausgeglichen -wird."168 Als Funktion dieser übertriebenen Gleichheit sieht BLEUMER die äußere Verklammerung mit dem Furtkampf durch die „komplementäre Anlage der beiden Kämp166 Vgl. Lex 111,657; BMZ 11,2,602. 167 „Wer eine Grube gräbt, fallt selbst hinein". 168

BLEUMER 1 9 9 7 , S . 3 3 .

12033-12094 Dritte Kampfpause, Ginovers Vermittlungsversuche

313

fe";169 dieses Verständnis steht Verurteilungen als lächerlich oder absurd170 oder der Vermutung parodistischer Absichten171 entgegen. 12033-12094 Dritte Kampfpause, Ginovers Vermittlungsversuche 1 2 0 3 3 : Konjektur und Anm. K N N sind sehr bedenkenswert; allerdings irritiert der etwas unvermittelte Erzählereinschub (der aber Parallelen hat). Durch Streichen von nah wäre die Lesung V zu halten: Do si in einem wan. Gawein und Gasoein haben in gleicher Absicht ihre Pferde verloren; damit würde die enge Übereinstimmung, die 12029 ff. herausstellt, nochmals betont — auch wenn es im folgenden trotzdem keine Gemeinsamkeit zwischen den beiden geben kann. 12041: Die Bildung blügen zu dem Adj. blue, bliue („verschämt, bedenklich") ist sonst nur noch Pz 411,29 belegt, im Sinne von „schüchtern werden, ermatten" (Lex 1,314, BMZ 1,215). 12042 f.: Zu walltet ->11975. 1 2 0 5 0 : Die Adjektive b/o% und bar, bezogen auf chraft und bluot (12045), evozieren noch einmal den Furtkampf, jetzt sind jedoch beide Kämpfer im übertragenen Sinne ungewaffnet (vgl. auch 11839 ff.). 12069 f.: Zu der Entfernung meil —>3630, das waiter ist mindestens 500 m entfernt. 12072: Die teilweise bis auf den Boden herabhängenden langen Ärmel {stouchen) waren häufig mit Knöpfen oder Nesteln an der Kleidung befestigt und dienten nicht nur der Zierde, sondern auch als Handtuch (so 12259)172 oder Minnepfand (so z.B. 18015).173 12094: Die Aussage, die beiden Kämpfer könnten die durch den Kampf verursachten Schäden nicht einfach im Bad abwaschen, bezieht sich wohl auch auf die Sitte, v.a. Turnierteilnehmern nach dem Kampf ein Bad zu bereiten; vgl. z.B. ->910f.

169

BLEUMER 1 9 9 7 , S . 3 4 .

170

S o z . B . WEBSTER 1 9 5 1 , S . 6 9 .

171 So bei J I L L I N G S 1975, S. 32, wieder J I L L I N G S 1980, S. 41 ff.; M A R T I N 1984, S. 118f. M E Y E R 1994, S. 110 bezeichnet die Darstellungsweise als „grotesk". Die „verzerrende Optik des Schwanks", die es erlaube, „existentielle Konflikte zu behandeln, dabei aber die mögliche tragische Konsequenz solcher Konflikte außer Acht zu lassen", kommt hier auch für G U T W A L D zum Tragen, sie sei in den „Bereich des Grotesken" übergehend ( G U T W A L D 2000, S. 104 f.). 172 Vgl. z.B. auch >Ortnit< 467: si wischte in mit ir stächen und mit ir wi^en hant (zit. nach Lex 11,1259). 173 Vgl. auch die Belege bei BRÜGGEN 1989, S. 252 f.

314

10113-12600 Gasoein II

12095-12139 Ringkampf 1 2 0 9 9 ff.: Den Ringkampf beherrscht Gawein auch Pz 538,9 (im Kampf gegen Lischoys Gwellius); Erec hatte es in England gelernt (ErH 9283 ff. im Kampf gegen Mäbonagrin erwähnt).174 Vgl. B U M K E 1990, S. 232: „Manchmal folgte auf den Schwertkampf als letzte Phase ein Ringkampf, der damit endete, daß der eine dem anderen das Knie auf die Brust setzte und ihn zum Aufgeben zwang. Der Ringkampf war ein typisches Motiv der Heldenepik und ist von den höfischen Dichtern nur gelegentlich aufgenommen worden." 1 2 1 0 0 : swieffen (Prät. zu sweifen), „schweifen, bogenförmig gehen, schwanken" etc. (Lex 11,1351), hier wohl „umfangen, umschlingen". 1 2 1 0 6 : Für einen besonderen wälhischen Einfluß auf die Kampftechnik fehlen Hinweise; vielleicht geht der Erzähler entsprechend der französischen Vorreiterrolle in Turniertechnik, Mode und anderen Bereichen der höfischen Kultur auch hier von einer solchen Dominanz aus.175 1 2 1 0 6 — 1 2 1 3 1 : Die sehr lebendige Kampfdarstellung steht stilistisch z.B. neben der Turnierbeschreibung 831 ff. oder der Oppositionsreihe in Gaweins Exkurs über das gelücke (6008 ff.); ähnlich gedrängt erscheinen auch die Namenslisten während der Becherprobe (1590-1630 und 2291-2347). 1 2 1 0 8 : burt zu bürn, „erheben" (Lex 1,397), wieder 15526 und 16378. 1 2 1 2 9 : Alternativ zur Konjektur K N N wäre vielleicht das geläufigere lent(e) zu lenen, leinen zu erwägen: „sich stützen, lehnen a u f als Kontrast zu „dehnen, auseinanderziehen". 1 2 1 3 0 : Das durch den Reim gestützte spent stellt Lex 11,1079 zu spenen, „abspenstig machen", was in der Verbindung mit auf sonst nicht belegt ist. Im Kontext müßte ein Sinn wie „sich auf den anderen stützen" o.ä. zu erwarten sein; allerdings gibt es in diesem Sinne keine Belege. Am nächsten vielleicht noch spennen, „spannen, dehnen" (Lex 11,1080)? 12133 ff.: Zur Rolle Vrowe Saides im Kampf vgl. v. a. den ausführlichen Diskurs über gelük und manheit —» 5767-6256. Ihr besonderes Verhältnis zu ihren Schützlingen Artus und Gawein betont 12136 f. (vgl. 412-456, 60086012, 6077, 7289-7303 u.ö.).

174 Die Behauptung von GRABER, Carinthia 1948, S. 281, beim Ringen handle es sich um einen ausschließlich von kärntnerischen Bauern ausgeübten Sport, dessen Erwähnung deshalb auch die Lokalisierung der >Cröne< gewährleisten soll, ist schwer aufrecht zu erhalten; vgl. auch KRATZ 1 9 7 6 , S . 1 5 8 .

175 Ein negativer „gefuhlswert" für den Begriff wälsch findet sich auch bei WvdV L. 34,11 (C. 12, VIII,8), wirklich verbreitet aber erst ab dem 16. Jh. (vgl. DWb 27,1336). Ebenso kann tvch, tue neutral („schlag, stoss, schnelle bewegung" etc.) oder aber negativ „arglist, tücke" verstanden werden (Lex 11,1555 f.); die Deutung ist also Ermessenssache.

12140-12174 Vierte Kampfpause, Gaweins Traum

315

12140-12174 Vierte Kampfpause, Gaweins Traum Lit. zu den beiden Träumen: K A M I N S K I 2005, S. 187 f., 225; BLEUMER 1997, S. 49 ff.; K R U G E R 1992; eine Übersicht über zahlreiche Träume in mhd. Romanen bietet F I SCHER 1978, S . 1 6 0 - 1 6 4 (ohne >CroneProsa-Lancelot6527 (Gaweins Gegner als eher). In der Tristan-Tradition wird der Held mehrfach mit dem Eber assoziiert, der eine recht ambivalente Symbolkraft in sich trägt. So erscheint er einerseits als nahezu unbezwingbar, was ihn als Wappentier qualifiziert (Tr 6605—21), andererseits wird mit ihm eine starke erotische und auch zerstörerische Triebkraft verbunden, die Gottfried ebenfalls im Rahmen eines Traums auf Tristan bezieht (Tr 13511 ff. träumt Marjodoc vom Eber, der Markes Bett zerwühlt, infolgedessen wird die Liebesbeziehung von Tristan und Isolde entdeckt).178 Ein weiterer Warntraum findet sich NL 921 ff.: Kriemhild versucht Siegfried von der unheilvollen Jagdteilnahme abzuhalten, indem sie von einem Traum erzählt, in dem ihn %u>ei wildtu swin/ jageten über beide, da wurden bluomen rot. Die Eber stehen hier für Gunther und Hagen.179 Einen deutlichen Einfluß der Tristan-Thematik auf die Ginover-GasoeinHandlung, die sich in der Ebersymbolik manifestiere, betont B L E U M E R . 180

176 Zu möglichen Verbindungen der Gasoein-Handlung mit >Tristan< —>3273-3427, —»50925125, ->12157 ff. 177

Vgl. HEINZ-MOHR 1 9 9 8 , S. 3 3 3 und 2 8 3 .

178 Zur Ebersymbolik in der Tristan-Tradition vgl. ausführlich ZIPS 1972; allgemein SCHOUWINK 1 9 8 5 , bes. S. 6 1 f f .

179 Diverse Eber-Erwähnungen in der mhd. Literatur trägt SPECKENBACH 1975 zusammen, vgl. v. a. S. 468—476 zu weiteren Eberträumen. 180 BLEUMER 1997, S. 49 ff.: „Wenn nun auch Gasoein im Traum als Ebersymbolisiert wird und dies zugleich die um die Dreieckskonstellation kreisende Handlung abschließt, verdichten sich die Übereinstimmungen zur Tristan'-Reminiszenz" (ebd. S. 51). „Gegen eine Überbewertung dieser Parallele" spricht sich hingegen STEIN 2000, S. 20 f., bes. Anm. 29 aus.

1 0 1 1 3 - 1 2 6 0 0 Gasoein II

316

Der Sieg Gaweins in diesem Traum erscheint als Wendepunkt zur Rückkehr in die klassische Rollenverteilung des Artusromans und damit als Ende des Spiels mit den verschiedenenen literarischen Konzepten, das bisher in der Gasoeinhandlung beobachtet wurde;181 dabei bestätigt der Traum die Überlegenheit, die Gawein im Ringkampf gezeigt hatte (dort von Frau Sadde unterstützt, vgl. 12132 ff.). Diese Erzählweise, die zwischen konkreter Handlung und der Bildebene wechselt, findet sich in abgewandelter Form wieder in den drei Wunderketten. 12167 f.: Zu dem toume des pluotes vgl. ähnlich 6682 (—>6663 ff.) und 9321 f. 12175-12209 Gawein sucht Ersatz für die zerbrochenen Waffen 12181 ff.: Gawein hat seine Überlegenheit im Ringkampf offenbar nicht bewußt wahrgenommen, deshalb empfindet er den Kampf mit Gasoein noch nicht als entschieden und wehrt sich vehement dagegen, den Gegner einfach liegen zu lassen (—>11966 ff.). 12198 f.: Hier wird wieder ausdrücklich die winterliche Jahreszeit geschildert, ohne Hinweis darauf, daß dieser Hintergrund je ausgesetzt worden wäre ( - > 1 1 6 2 3 - 1 1 6 3 3 ) . Die realistische Qualität dieser Detailbeschreibung, die das Landschaftliche mit dem Epischen verflicht, indem die festgefrorenen Aste Einfluß auf die Erzählsituation haben, betont KEEFE 1 9 8 2 , S . 4 6 . 12208 f.: (= GT 73) Sentenzartiger Kommentar zu Gaweins Waffensuche: „Nichts übersieht derjenige, der irgend eine Verteidigung nötig hat". Vgl. auch die improvisierte Bewaffnung mit einem Schachspiel auf Burg Karamphi (18868 ff.). 12210—12256 Gasoeins Traum, erneuter Angriff, fünfte Kampfpause 12214: Vgl. die Situation —>6590-6594, wo Gawein seinen erschöpften Gegner schließlich mit einem Fußstoß weckt. 12219 ff.: Ahnlich wie beispielsweise die Träume Herzeloydes in >Parzival< bildet auch der Traum Gasoeins „ein Reservat der Erfahrung und der Darstellung von Ängsten".182 Ein Schiffbruch ist sonst nicht als Traummotiv überliefert, anders als Gaweins Ebertraum. Die Fahrt mit einem Schiff wurde seit der Antike dem Menschenleben verglichen, das sich seinen Weg durch 181 Vgl. SCHU 1999, S. 351. BLEUMER 1997, S. 52 f.: „Gasoein gibt seinen Anspruch nicht auf, weil es in der Handlungslogik dafür einen Grund gäbe, sondern weil die figurale Gegenüberstellung zu einem Ende gekommen ist." 182

LEHMANN 1 9 9 1 , S . 2 2 4 .

12257-12289 Ginover schlägt vor, den Kampf zu vertagen

317

das stürmische Meer der Welt bahnen muß; der Schiffbruch entspricht dem Scheitern dieses Weges (in christlicher Tradition dem Glaubensabfall, so bereits bei Paulus (I Tim 1,19) vorgegeben).183 1 2 2 2 1 : Zu der Ortsbezeichnung Garadigas vgl. Anm. K N N . 1 2 2 2 3 : Zu phlovme („Ruß") ->7972 ff. 12257-12289 Ginover schlägt vor, den Kampf zu vertagen 1 2 2 5 8 : Die Farbbezeichnung bluotvar (auch 14068, 14083) findet sich hauptsächlich in der Heldenepik, aber auch ErH 5589; später >Gärel< 12986 und 14808 sowie Gau 4482.184 1 2 2 5 9 : Zu stauchen („langer Ärmel") -»12072. 1 2 2 6 1 : chriege bzw. kriege (Adj.), „widerstrebend, störrisch, streitbar" (Lex 1,1729). 1 4 2 6 6 : jeit zu jagen, MENTZEL-REUTERS 1989, S. 46 möchte stattdessen bessern zu seit. 1 2 2 7 2 : Zu der Form weinvnd -»12143. 1 2 2 8 0 ff.: Alexander wird von Ginover als vorbildhaftes Exempel genannt, weil er seinen Gegner Poros, einen indischen König,185 solange schonte, bis diesem ein neues Pferd anstelle seines im Kampf getöteten gebracht wurde (so auch Ulrichs von Etzenbach >Alexander< 20044). Als mögliche Quelle bestimmt KNAPP den >Roman d'AlexandreDietrichs Flucht< 3853 f. im gleichen Reim (vgl. Lex 1,1199).

320

10113-12600 Gasoein II

1 2 4 7 4 ff.: Die Ankunft der drei auf einem Pferd löst am Artushof beträchtliches Befremden aus, wie der Bericht der Magd gezeigt hat. Keies spöttischer Kommentar setzt nun die unwahrscheinlichste Erklärungsmöglichkeit voraus: Ginover sei so manlich, daß sie ohne Rüstung beide Ritter besiegt habe; sie habe damit mehr als nur die Aufgabe ihres Ehemanns erfüllt, der Gasoein nicht bezwingen konnte (12479 ff.). GUTWALD interpretiert diese Aussagen Keies über den Rollentausch der Eheleute als Flucht in Komik als Mittel, um die Situation zu bewältigen. Zugleich werde auf die die gesamte Handlung auslösende Kaminszene angespielt, in der Ginover Zweifel an der Männlichkeit des Königs geäußert und den ungerüsteten Ritter als überlegen dargestellt hatte (3373 ff., 3395 ff.).188 Kampfmetaphorik zur Beschreibung sexueller Begegnungen verwendet Heinrich allerdings bereits in der Begegnung Gaweins mit Amurfina (—>8795-8831) sowie, besonders ausgeprägt, im Rahmen der Vergewaltigungshandlung (—>11683 ff.); sie dürfte demzufolge auch hier als Interpretationshintergrund anzunehmen sein. Vgl. ähnlich z.B. Pz 504,6-30. 1 2 4 9 0 : Der ungewöhnliche Name Augintester (in Ρ kleingeschrieben) ist nur an dieser Stelle genannt. Wer dieser vierte Ritter ist, den Ginover alleine seit dem Vortag zusätzlich zu Gotegrin, Gasoein und Gawein besiegt haben soll, geht nicht aus der Handlung hervor. Unklar bleibt auch, ob es sich um einen Fehler in der Uberlieferung handeln könnte. 124%: Lies mit SCH sihte, „nicht tief (Lex 11,920) für P/EK sichte. 1 2 5 0 1 : Anders als in der Becherprobe wird der Zorn des Königs über Keies Spott nicht weiter ausgeführt (vgl. —>1723—1762).

1 2 5 0 6 - 1 2 6 0 0 Versöhnung 12506-12544 Genesungszeit bis Pfingsten Lit.: Zur medizinischen Versorgung z.B. SCHIPPERGES 1 9 9 0 ; B O R S T 1 9 8 3 , S. 488—497; H A U P T 1 9 9 1 ; Z I J L S T R A - Z W E E N S (zum >Tristan 7 6 4 9 ff., auch 2 0 3 3 2 - 2 0 3 4 5 . Vgl. auch die medizinischen Fachkenntnisse 3 3 7 6 ff. und — > 6 6 1 7 — 6 7 1 5 ( — > 6 6 6 3 ff.), dort auch zur Frage nach möglichen Quellen.192 12516: entriben ist nur für diese Stelle belegt, BMZ 1 1 1 , 8 8 und Lex 1 , 5 8 0 stellen es zu triben und geben „auseinander treiben" als Bedeutung. Das Essen soll die Patienten weder zwingen (SCH twüngeri) noch entriben (P nach, vgl. aber Anm. EK). So ist twüngen wohl im Sinne von „einschränken" zu verstehen, entriben (oder vielleicht besser antriben?) wohl als „antreiben, in Bewegung versetzen", gemäß dem von der Säftelehre gesuchten Ausgleich ( — > 1 2 5 2 8 ) . Vgl. in diesem Sinne auch TH: „such foods as neither constrained nor stimulated them", antriben ist ebenso wenig belegt wie entriben-, vgl. dazu auch DWb 1 , 5 0 5 . 12522: Zu dem toume vgl. 6682 f. (->6663). 12528: Dise tempirte wohl zu lesen als distempierte, zu lat. distemperare·. „einrühren, anrühren, gehörig mischen", afrz. destremper. „mischen, stören"; in diesem einzigen mhd. Beleg wohl in der Bedeutung „stören".193 Das ist im Blick auf die Lehre der Körpersäfte zu verstehen, die im Genesungsprozeß nicht noch zusätzlich durcheinandergebracht werden sollten. Auf die Säfte190 Vgl. SUOLAHTI 1929, S. 78. Afrz. diete belegt DAF zuerst 1256; da Heinrich eine gewisse Vertrautheit mit lat. medizinischen Termini zeigt, dürfte er es vielleicht eher aus dieser Richtung gekannt haben (vgl. v.a. 6663 ff.). Hingegen verzeichnet Lex 1,430 die Stelle zu diet bzw. dit als „volk, leute"; entsprechend Anm. EK. 191

HAUPT 1 9 9 1 , S. 88.

192 KNAPP 1981, S. 160 und Anm. 76 verweist auch hier auf Hildegards von Bingen >Cause et cure3376 ff. (mit Anm.): In seiner Darstellung von der Versorgung der beiden Verwundeten finden sich hier gleich mehrere der in diesem Zusammenhang wichtigen res non naturales (Luft, Speise und Trank, Entleerung und Füllung; weniger ausdrücklich genannt auch Bewegung und Ruhe sowie Schlafen und Wachen).194 12530: Die Zeitangabe das gan^ejärisi eine offensichtliche Übertreibung; sie umfaßt den Zeitraum von Februar (die Entführung war sechs Wochen nach Weihnachten) bis Mai (üblicher Pfingsttermin); vgl. ähnlich —>29747. 12531: Zu dem Zusammenklang Siech unde blade (wieder 27153: blade unde krani) vgl. nhd. „krank und schwach"; mit vergleichbarer Bedeutung (im Sinne von „schwach") z.B. ErH 902 und 908: blade auf vehten bezogen, ähnlich Pz 93,16 blade oder bait, ebd. 96,16 pladiu herben.™ 12532 f.: Zu dem traditionellen Pfingsttermin für das arthurische Hoffest —>469. 12541 ff.: Anders als Gasoein, der nach dem Kampf völlig erschöpft war, hatte sich Gawein noch einen Rest seiner Ritterlichkeit bewahrt (vgl. ->12377 ff, —>12389 f.); jetzt muß er den Preis zahlen, daß er dabei keine Rücksicht auf seine Gesundheit genommen hat, wie der Erzähler ihm hier bestätigt. 12545-12600 Gasoein gesteht, daß alles Lüge war; Versöhnung Die folgenden Verse bieten die erstaunliche Lösung der konfliktträchtigen Handlung um Gasoein und haben entsprechend die Interpreten herausgefordert, vgl. dazu ausführlich die Einleitungen zum ersten Handlungsteil —>3273-5468 und zur Vergewaltigung —>11608-11743. Einen vergleichbaren Versöhnungsvorschlag hatte Gawein 12309 ff. gemacht, er war dort aber von Gasoein brüsk zurückgewiesen worden. Der von seinen Wunden geheilte Gasoein tritt vor Artus, gesteht, daß alle Ansprüche erlogen gewesen seien, bittet um Verzeihung und unterwirft sich: Er ist sogar bereit, für sein Vergehen in der kelle zu büßen. Artus zeigt darauf, wie schon in der uneingeschränkten Versorgung des Verletzten, seine sprichwörtliche milte und vergibt; anders als bei Chretien, in >Lanzelet< und >Prosa-Lancelot< wird der Entführer in den Hof integriert und nicht getötet.196 Der Kampf gegen Gawein legitimiert ihn gattungskonform als würdigen 194

V g l . W A C H INGER 2 0 0 1 , S . 6 .

195

Vgl. PRETZEL 1 9 8 2 , S. 8 3 .

196 Zu dieser Wendung vgl. JILLINGS 1980, S. 44 f., der darin allerdings zugleich ein „vigorous satirical undermining of Arthur and his court" sieht. Vgl. auch SAMPLES 1995; —»11608— 11746.

1 2 5 4 5 - 1 2 6 0 0 Gasoein gesteht, daß alles Lüge war; Versöhnung

323

Ritter der Tafelrunde (vgl. die entsprechenden Kämpfe in >Iwein< und >Parzival11767, auch -»19346 ff. 12592: Lies sicher zu siech, „krank" (vgl. Anm. EK).

197 Vgl. entsprechend zuletzt

RINGELER

198

MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S . 1 6 6 f.

199

V g l . SCHRÖDER 1 9 9 2 , S . 1 4 3 .

2000, S. 238 f.

12601-13924 Hoffest zu Pfingsten: Der Maultierzaum (Amurfina II) Lit.: Vgl. die bereits genannte Literatur —>7853-9128 (Amurfina I); zusätzlich: WENNERHOLD 2005, S. 2 1 5 - 2 1 9 (Forschungsbericht); SHOCKEY 2002, S. 2 1 4 - 2 1 9 ; BLEUMER 1997, S. 1 1 6 - 1 3 4 ; MEYER 1994, S. 1 1 2 - 1 1 8 ; SCHMID 1986, S. 2 1 1 ff.; JILLINGS 1980, S. 6 8 - 7 5 ; BOLL 1929; GOLTHER 1925, S. 2 1 7 ff.

Der inhaltliche Einschnitt nach 12600, der die Kapiteleinteilung hier begründet und mit den meisten Gliederungsvorschlägen der Forschung übereingeht,1 entspricht offensichtlich nicht Heinrichs Strukturempfinden, da er sich mitten im Dreireimabschnitt befindet. T H O M A S schließt den Handlungskomplex um Gasoein erst mit 12610 ab; er faßt die Zaum2eugepisode mit der ersten Wunderkette und dem ersten Gralsbesuch zusammen, die er beide als Vorbereitung auf die abschließende Gralserlösung versteht.2 Handlungstechnisch hat der Abschnitt seine Funktion im Zusammenführen und in der abschließenden Klärung der bisher offen gebliebenen Handlungsstränge: Der schon angekündigte Erbstreit der Schwestern wird geschlichtet; Gasoein wird durch die Hochzeit mit Sgoydamur dem Artushof verpflichtet und damit endgültig für Artus und Ginover ungefährlich; Gawein wird dadurch, daß er den Zaum für Sgoydamur gewinnt und ihr so die Herrschaft Amurfinas (und damit seine eigene) überträgt, ebenfalls noch fester an den Artushof gebunden.3 Zudem wird die Figur Gansguoters eingeführt, der als Helfer in der zweiten Romanhälfte noch eine wichtige Rolle spielt. Der Gewinn des Zaums ist zugleich mit einer Erlösungsaufgabe ver1

V g l . W A L L B A N K 1 9 6 5 ; C O R M E A U 1 9 7 7 ; HOMBERGER 1 9 6 9 ; G Ü R T T L E R 1 9 7 6 ; J I L L I N G S MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 u n d WAGNER-HARKEN

2 3

1980;

1995.

Vgl. T H O M A S 2002, S. 5. Entsprechend das Fazit bei B L E U M E R 1 9 9 7 , S. 1 3 2 : „Die Zaumgeschichte füllt [...] formal wie inhaltlich die Lücke des ausgefallenen Entscheidungskampfes am Ende der GinoverEntführung." In den beiden abschließenden Hochzeiten werden die „männlichen und weiblichen Gegenspieler" miteinander verheiratet; es kommt zu einem Ausgleich in der „Verbindung von perfekt funktionierendem Rittertum und Minne", der „gesellschaftlichen Normvorstellung", die in Gawein und Gasoein jeweils Extreme gefunden hatte: Der Musterritter schien nicht fähig, Minne dauerhaft in seinen Aventiurenweg zu integrieren, während der Minneritter die gesellschaftliche Institution Ehe bedrohte. Gawein bringt nun „Minne und Ritterschaft über die Ehe in ein vorbildliches Gleichgewicht [...] In der Ehe hat Gawein seine eigene, aber auch Gasozeins ritterliche Omnipotenz domestiziert."

12601-12890 Sgoydamur erbittet Hilfe von Artus

325

bunden, die nur Gawein zu erfüllen vermag; er profiliert sich damit erstmals als Erlöser, wie später wieder in der Episode um den Schwarzen Ritter, als Drachenbezwinger bei Baingranz und abschließend am Gral. 12601-12890 Sgoydamur erbittet Hilfe von Artus Während in der mutmaßlichen Quelle >La Mule sans frein7890-7963. 12601-12626 Das Hoffest 12602 f.: Die gewonheit verweist deutlich auf die literarische Tradition: Vgl. die liehe gewonheit Iw 34, als die das arthurische Pfingstfest dort bezeichnet wird, aufgegriffen wieder Wig 1643, Dan 6514, >Wigamur< 47 und Gau 52 (alle auf Karidol), in Karadigan ErH 1901 und Lanz 5678 ff.; in Diana^drün schließlich Pz 216,14; vgl. auch die Romane des Pleier. Zur Bedeutung des Pfingsttermins —>469; hier kommt es nun zur Wiederherstellung der im vergangenen Winter beschädigten Ehre des Königs. 12604: Die kurze Bemerkung über Gawein, der um das Einberufen des Hoffestes gebeten habe, erstaunt insofern, als Gawein sonst nie als Mitverantwortlicher für die arthurischen Feste in Erscheinung tritt; sie erinnert an seine Stellvertreter-Funktion und betont zugleich seinen Genesungsprozeß. 12608 f.: Eine Erklärungsmöglichkeit für den gestörten Reim vilde: willen bietet die Konjektur vilkn (vgl. Anm. EK, auch —>2119). Da vilde aber besser zu den üblichen Gepflogenheiten paßt, bei Platzmangel in der Burg auf Zelte auszuweichen,5 wären alternativ zwei (oder mehr) Fehlverse zu vermuten. 4

Die Übereinstimmungen zeigen sich vor allem im Anfang bis in einzelne Formulierungen hinein (vgl. zuletzt Bleumer 1997, S. 118 ff.; Kratz 1978, S. 231), ebenso im Handlungsverlauf: Eine demoisele kommt an den Artushof und verlangt einen Ritter, der einen ihr gestohlenen Zaum zurückholen soll. Keu versucht es, schreckt aber vor den Abenteuern unterwegs zurück und kehrt um. Gauvain ist dann erfolgreich und bringt den Zaum der Jungfrau, die sich bedankt und nach Hause zurückkehrt. Ausführliche Darstellung bei

5

Vgl. z . B . Bumke 1990, S. 286 ff., der auch auf das Repräsentationsbedürfnis verweist; diesem würde in Dörfern sicherlich nicht Genüge getan.

Boll 1929.

326

12601-13924 Hoffest zu Pfingsten: Der Maultierzaum (Amurfina II)

12611: Heinrich hatte 7902 ff. ausfuhrlich über den Erbschaftsstreit der beiden Schwestern berichtet, dessen Ausgang noch offen ist (—>7890-7963). Im folgenden greift er nun den gesamten Handlungskomplex um Amurfina erneut auf und bringt ihn zum Abschluß. 12613 ff.: Heinrich kündigt die Schwester Amurfinas an, die die nächste Aventdure an den Hof bringen wird. Daß diese den herten winter gar (12618) nach Artus gesucht hat, verbindet sie mit ihrem zukünftigen Ehemann Gasoein (vgl. dessen Suche nach Artus 4696 ff.). 12621 f.: Zu der Formulierung wäge gesat^t —>2643. 1 2 6 2 4 : S C H liest Mit wiu statt P / E K Mit wem, den Instrumental zu wer.; „womit" (Lex 111,766; Mhd. Grammatik § 223, § 387); eher vielleicht noch Ze wiu, „weshalb". 12627-12666 Sgoydamurs Ankunft am Hof 12627 ff.: Zum Motiv der Essensverweigerung in Erwartung einer Aventiure —>925-932. 12631 f.: Beim Seitenwechsel hat der Schreiber offenbar einen Vers vergessen, vgl. Anm. EK. 12635: Zu gaudin —>3308; die Beschreibung des Ausblicks auf die beide, den Artus und seine Gäste genießen, ist im Blick auf reale Bedingungen zwar eher unwahrscheinlich, erzähltechnisch aber für die schnellstmögliche Entdeckung der heranreitenden Sgoydamur motiviert. 12657: Die weiße Farbe des Maultiers ist eine weitere Gemeinsamkeit Sgoydamurs mit Gasoein (—>12613 ff.), der in Ginovers Beschreibung und beim Gerichtskampf ein Urs harmblanch reitet (—>12459). Weiße Pferde oder Maultiere als Reittier einer Jungfrau verweisen häufig auf die Tradition „des fees qui viennent chercher un etre humain".6 Maultiere bzw. -esel waren v.a. in Südeuropa verbreitet, daneben wurden sie v.a. im Bereich der Alpen als Lasttiere genutzt; nördlich der Alpen waren sie seltener (vgl. LdMA 7,1405). W A G N E R - H A R K E N verweist auf ein österreichisches Märchen, in dem von einem Fohlen berichtet wird, „das weiß, was sein Reiter will, und so schnell läuft wie der Wind oder der Gedanke", zudem erzählt dieses Märchen von einem Zauberzaum und den an der Burgmauer hängenden Köpfen der erfolglosen Vorgänger.7 12659 ff.: Das exakt sitzende (vil nahe gesniten) Reitzeug ist mit Gold verziert; erschienen in diesem Sinne nur für Heinrich belegt (Lex 1,668), nicht 6 7

„Les Lais Anonymes des ΧΙΓ et XIIF siecles", S. 62 f. die Verbindung der Motive vom wunderbaren Reittier und der gepfählten Köpfe weist sie ebd. als märchentypisch nach. WAGNER-HARKEN 1 9 9 5 , S. 2 8 7 ;

12667-12738 Bitte um Hilfe, Keie bricht auf

327

nachgewiesen bei BRÜGGEN 1989.8 Der fehlende Zaum verweist auf das Ziel der folgenden Aventiure: den Gewinn des herrschaftsgarantierenden Zaumzeugs. Im Vergleich mit der Darstellung anderer Boten und Jungfrauen erstaunt die äußerst knappe Beschreibung Sgoydamurs, mit der sich Heinrich hier begnügt (Jr lip was gar lobesam)·, um so mehr, als sie sich sogar selbst als Preis für den Gewinner ihres Zaums aussetzt. 12666: Die Konjektur trüwen (SCH) anstelle von truren erscheint unnötig; Sgoydamur zeigt Trauer (vgl. auch Anm. EK). 12667-12738 Bitte um Hilfe, Keie bricht auf 12670 f.: Die riebe krone ist pars pro toto für den König; hier also für Gott als König über Himmel und Erde. 12672: magenkraft findet sich wieder 14008, 15826, 16989, 19259, 22863, 23008, daneben häufiger bei Konrad von Würzburg und Frauenlob, kaum in der Artusepik. In Zusammensetzungen verstärkt magert („Kraft") den Begriff (Lex 1,2006), hier also tautologisch. 12687 ff.: Daß sich eine Frau selbst als Preis für den Gewinner ihrer Aventiure anbietet (wieder 13767 ff.), hat zahlreiche Parallelen in der Literatur, vgl. —>9773 ff. zu den Heiratsangeboten an Gawein. So auch Iw 6602 ff.; Pz 44,20 ff., 52,9 ff., 199,26 ff.; >Titurel< 165 ff., 210 ff.; Tr 8913 ff.; Lanz 3884 ff., 5444 ff.; Dan 1264 ff., 6203 ff. sowie Wig 3786 ff. und 8786 ff.9 Vgl. auch —>17578 ff. zum Motiv einer Frau als Turnierpreis. 12711: winden in der Bedeutung „eine Richtung geben" (Lex 111,901): Das Maultier führt nur dann zum Gewinn des Zaums, wenn es nicht von seinem Weg abgebracht wird. 12715 f.: Sit ist konjiziert aus Sint, dieses präpositionale Verständnis wird gestützt durch den folgenden Reim sit (2. Pers. PI.) auf φ (bei SCH fehlt 12716 die Länge in sit). 12719: Zu Keies launiger Erwähnung der Hölle vgl. das „Höllental", das er 12779 ff. durchqueren muß. 12730: niht ist wohl zu streichen: Keie schämt sich 12738 gerade dafür, daß Sgoydamur ihm den Kuß erst nach dem Gewinn der Aventiure zugestehen will. Der Konjekturvorschlag SIN (vgl. Anm. EK), küssent für kiesent 12724 zu lesen, ist dabei hilfreich. „Keie zieht wegen Sgoydamurs MinneAngebot aus, aber auf die zeichenhafte Bekräftigung des damit geschlossenen Kontraktes wird von Anfang an verzichtet. Ganz ähnlich verläuft das 8 9

Vgl. auch die erst im 18. Jh. verlorene, ursprünglich Bedeutung „gedeihen, geraten" (DWb 3,961 f.). Vgl. auch LICHTBLAU 1989, S. 294 f. und 331 f.

328

12601-13924 Hoffest zu Pfingsten: Der Maultierzaum (Amurfina II)

Fabliau, wo dann Gawein zum Zeichen für seinen sicheren Erfolg vor dem Ausritt einen und bei seiner erfolgreichen Rückkehr [...] hundert Küsse erhält."10 Bei Heinrich wird Gawein nicht geküßt. 12739-12814 Keies Weg - Wald der wilden Tiere, Drachental 12754-12771: Die Ehrerbietung, die die wilden Tiere und Drachen, mit denen Gansguoter den Wald um sein Reich herum zum Schutz bevölkert hat,11 dem Maultier Sgoydamurs zeigen, hebt deren untergeordnete Stellung dem Zauberer gegenüber hervor: Sgoydamurs Onkel ist Herr dieser Tiere und steht damit in einer langen erzählerischen Tradition.12 >La Mule sans frein< ist im Ablauf sehr ähnlich (vgl. v.a. Msf 129—155), die Tiere sind dort Uons et tigres et liepart (135), grarn^ coluevres et sarpen·.5/ Escorpions et autres bestes,/ Qui feu gtoient par les testes (182 ff.).13 Heinrich schmückt die Beschreibung zusätzlich mit „aufgesperrten Rachen" (12760), v.a. in der Darstellung der Drachen. Vgl. auch den von würmen manicvalden (Lanz 5046) bewachten Weg zu König Valerin von dem Verworrenen tan (Lanz 4981), diese lassen sich von Valerin gebieten, si komen (Lanz 5053). Als „typical insignia of the Otherworld" liest SHOCKEY die Schilderung des Waldes und später der drehenden Burg Gansguoters.14 12782: Vgl. Keies großspurige Reden ->12719. 12788ff.: Die beiden lintracken sind v.a. durch Feuer und Gestank gekennzeichnet, ähnlich wie auch die Drachen bei Gansguoter (vgl. 13404 ff.) sowie der Drachen in Aufrate (15111 ff.). Lediglich der brunnenhütende Drachen 26703 ff. wird auch ohne Feuer als große Bedrohung charakterisiert, allerdings schlägt er mit seinem Schwanz als ein viurwilder hagel (26726) Gaweins Pferd tot. Diese Darstellung entspricht den Gepflogenheiten, vgl. die Zusammenstellung wichtigster Charakteristika bei UNZEITIG-HERZOG: Größe, Stärke, Schwanz als Waffe, Maul, das Gegner verschlingt, Rachen mit Feueratem, Gift und Gestank, schreckliches Gebrüll, kaum verwundbar, abscheuliche Häßlichkeit.15 10

BLEUMER 1 9 9 7 , S. 1 2 5 .

11

Wohl wahrscheinlicher als die von Ρ nahegelegte Möglichkeit, Sgoydamur habe das Getier versammelt; vgl. Anm. EK zu 12756 (dort schreibt Ρ sie). Vgl. dazu LICHTBLAU 1995, S. 339 f., auch die Figur des Meerkönigs Priure —>1013. „Löwen und Tiger und Leoparden", „große Nattern" (TL 2,575 f. fur coluevre) „und Schlangen, Skorpione und andere wilde Tiere, die aus ihren Köpfen Feuer spien".

12 13 14

Vgl. SHOCKEY 2 0 0 2 , S . 2 1 5 .

15

Vgl. UNZEITIG-HERZOG 1 9 9 8 , S . 4 2 ; LECOUTEUX 1 9 9 9 , S. 5 4 f f . und 2 1 1 f.; GILOY-HIRTZ

1991, S. 185; zahlreiche literarische Belege auch bei LICHTBLAU 1989, S. 4 ff.; LECOUTEUX 1 9 8 2 ; RÖHRICH, „ D r a c h e " in: E M 3 , 7 8 7 - 8 2 0 .

12815-12890 Keie gibt auf; Sgoydamur bittet um Gawein

329

12793 ff.: Daß Keie sich beim Anblick der lintracken und der anderen Tiere vil nähe tot fühlt, zeigt ihn als Gegenfigur zu Gawein, der im Roman gleich dreimal als Drachenbezwinger auftritt (—>9009 f.). 1 2 8 0 6 ff.: Der Kontrast zwischen Wald und Tal einerseits, dem Ruheplatz andererseits wird durch zahlreiche Oppositionen herausgearbeitet: dem Tal korrespondiert die eben, der Finsternis die sunne, dem Gestank der Tiere die Quelle luter unde gesunden. Die Kontrastreihe hatte mit den durchzustehenden Extremtemperaturen eingesetzt (12796 ff., 12800 ff.). 1 2 8 1 2 : sevenboum zu lat. sabina, (Juniperus Sabina), eine Wacholderart (vgl. auch Anm. EK); so auch Msf 221 (genoim). Ihm wurden antidämonische Kräfte zugeschrieben, was die Ruhe des Platzes noch unterstreichen würde.16 12815-12890 Keie gibt auf; Sgoydamur bittet um Gawein 12823 f.: (12824 =GT74) Vgl. die Formulierung div örs begieng 664 im Sinne von „versorgen". Die Fürsorglichkeit Keies unterstützt das differenzierte Bild, das der Erzähler immer wieder von dem Truchsessen zu zeichnen bemüht ist (—>490). Abweichend die Bewertung der Szene bei KEEFE, der Keies Tun „an einer Stelle, die als literarisch fixierter Ort von Ruhe, Kühle und Erquickung gilt" als eine „ziemlich lächerliche unarthurische Tätigkeit" abtut: Keie „steht da und schrubbt ein Maultier mit einem Sevenbaumzweig ab."17 1 2 8 3 7 ff.: Zu der Situation vgl. die fast identische Lage Gaweins 9136 ff., nochmals im Rahmen der ersten Winderkette 14421 ff. 1 2 8 4 2 ff.: SCH noch ist jeweils aus Ρ nach sinnvoll gebessert; zu überlegen wäre zudem, enspurt er statt enspurte zu lesen, um die Syntax zu glätten. 1 2 8 4 4 : barn („Kind") auch 9539 (tieveis barn) und 27322 {üuvels barn), offenbar von Heinrich also eher nicht für menschliche Kinder gebraucht. 12848 ff.: Die Schwertbrücke ist eine beliebte Aventiure; vgl. neben Msf 402 ff. (wo sie aber nur als schmaler Steg beschrieben wird) auch ChCh 668 ff. (der Pont de PEspee führt ins Reich des Bademagu).18 Wieder ChCh 3003 ff., daneben die vergleichbare Situation im ^Lancelot en prose< (MICHA, 16

17 18

Vgl. HWdA 9, 1-14, v.a. 5-8. Zu einer möglichen Parallele zu >Yvain< in der auf keltische Motive zurückgehenden Abfolge von wilden Tieren und Brunnen vgl. B L E U M E R 1997, S. 119, Anm. 10. K E E F E 1982, S. 168; er vergleicht die Situation mit dem Kontrast von locus amoenus und Vergewaltigung 11617 ff. Alternativ kann man dorthin über eine Unterwasserbrücke gelangen, den Pon% Evages (ChCh 656), über und unter dieser Brücke steht das Wasser exakt gleich hoch, die Brücke selbst ist nur anderthalb Fuß breit und ebenso dick. Vgl. die ähnliche Brückenaventiure 2751 Off.

330

12601-13924 Hoffest zu Pfingsten: Der Maultierzaum (Amurfina II)

II,58 f., § 45-49).19 12850 ecken erscheint doppeldeutig: Als Teil der Brückenarchitektur im Sinne von „ecke, kante, winkel" entspricht es zugleich der vorherrschenden Bedeutung „schneide einer waffe" (Lex 1,507). Zur möglichen Deutung als Jenseitsbrücke vgl. DINZELBACHER 1973, S. 116. 12855: Keie widersetzt sich der Anweisung aus - 4 1 2 7 1 1 und zwingt das Maultier zur Umkehr {wider iwingen ist so nicht belegt; wider für „zurück", Lex III,825; vgl. auch Anm. EK). 12857—12865: Zu der Erzählform der „gedachten Alleinrede", die hier typischerweise in einer Entscheidungssituation stehe, vgl. ZATLOUKAL 1 9 8 1 , S. 294 ff. Auch wenn die Aussicht auf Sgoydamurs Minne Anreiz für Keie war, die Aventiure zu versuchen, ist sie nicht stark genug, daß sie ihn sein Leben riskieren ließe. 12875: Ein Kämpfer nach der miete ist ein Ritter, der den ausgesetzten Lohn wert ist, also die Jungfrau selbst. 12877 f.: Lanzelet kommt in >La Mule sans frein< nicht vor; stattdessen wird die Reihenfolge der Helfer aus der Ginoverentführung in Chretiens >Chevalier de la charette< zitiert: Dort folgt auf Keies mißglückten Versuch Lancelot. Durch das Erlösungskonzept kann es nun aber nur Gawein sein, der die Schwertbrücke überquert, was zuvor Lancelots Aventiure war.20 12879-12886: Im Blick auf das schon Erzählte dürfte Sgoydamurs Forderung nach Gawein ebenso auf dessen Sieg über ihren Vater Laniure zurückgehen, wie sich Amurfina deshalb darum bemüht hatte, ihn für sich als Landesherrn und Beschützer zu sichern, vgl. — > 7 9 4 9 ff., - > 8 8 5 3 ff. Zudem betont Heinrich mehrmals den Gawein vorauseilenden Ruf ( — > 6 1 8 7 — 6 2 2 3 u.ö.). Innerhalb der eigentlichen Maultierzaum-Erzählung zeigt sich aber, daß der Grund tiefer zu suchen ist: Es steht eine Erlösungsaufgabe bevor ( — > 1 3 6 4 3 ff.), die Gawein vorbestimmt ist; deshalb bittet Sgoydamur explizit um ihn. 12883: Der Satz ist unvollständig, zu bessern wäre wohl im Sinne von: Den man mir nam Anjrun?x Der Name muß wohl als Ansgun (so SIN) O. ä. gelesen werden, passend zu Ansgiure (—>7009): Von der Burg des Blandochors hatte Aclamet Gawein zu Amurfina geholt (vgl. auch TH: he „was taken from me at Ansgiure by the rapids of the Serre"). 12884: Zu Serre ->7797; zu tomure ->7951. 19

Vgl. auch ZACH 1 9 9 0 , S. 127; WAGNER-HARKEN 1 9 9 5 , S. 2 8 6 mit A n m . 4 8 6 ; DINZELBA-

20 21

CHER 1973, S. 107-123. VgJ. auch die Darstellung von Lancelot auf der Schwertbrücke auf einem Kapitell des 13. Jh. in St. Pierre in Caen (Normandie); Abb. z.B. bei „Medieval Heroes", S. 164. Dazu auch BLEUMER 1997, S. 126 f. Vgl. SIN; Anm. EK zu 12883 und 12884.

331

12891-13689 Gawein bei Gansguoter

12887 ff.: Artus läßt sich überreden und Gawein von der Forderung berichten; 12890 ist nochmals rede o.a. mitzudenken: Gawein läßt sich von einer solchen Herausforderung nicht einschüchtern (swinen: „abnehmen, dahinschwinden". Die Deutung „bewussdos werden, in ohnmacht fallen", die Lex 11,1377 speziell für diese Stelle gibt, ist wohl zu stark auf Gaweins Krankheit ausgerichtet). Vgl. auch Anm. EK zu 12890.

12891-13689 Gawein bei Gansguoter Die Aufgaben, die Gawein im folgenden zu erfüllen hat, sind durch eine gewisse Passivität und damit verbundene Spannungslosigkeit gekennzeichnet, die zu harscher Kritik an der Epsiode gefuhrt haben.22 Zunächst gilt es, sich der Führung des Maultieres anzuvertrauen; das Kopfabschlagen erweist sich als eine Mutprobe, bei der Gawein nie ernstlich in Gefahr gerät. Die folgenden Kämpfe gegen Löwen, Drachen und den Ritter Berhardis sind zwar gefährlich, werden aber durch Gansguoters Unterstützung zu leicht zu bewältigenden Aventiuren. „Alles scheint hier auf ein triviales Funktionieren der Handlungsabläufe berechnet, in denen die Herausforderung ritterlicher Leistungsfähigkeit zur spannungslosen, in ihrem Ausgang bereits feststehenden Demonstration wird. Diese Entwertung der Kausalität weist vom Ziel auf den Weg zurück. Das 'Warum' der Erlösung entdeckt sich erst im 'Wie' des Weges."23 Während in >La Mule sans frein< der Erweis der Tapferkeit eindeutiges Darstellungsziel ist, scheint hier schon die Ausgangskonstellation schwierig: Gawein als Protagonist ist durch seine Wunden geschwächt, zudem erscheint er als Partner Amurfinas eher ungeeignet, um den Streit der Schwestern zu schlichten. Auf der Zauberburg profiliert er sich jedoch als erwarteter Erlöser, was seinen Weg rechtfertigt. Indem er Zaum und Amurfina mit an den Artushof bringt, kommt der Schwesternstreit erst dort zur abschließenden Klärung.

22

Vgl.

SCHRÖDER

1992, S. 154: „Zirkusvorstellung";

HOMBERGER 1 9 6 9 , S . 1 5 6 f . ) . 23

BLEUMER 1 9 9 7 , S . 1 2 1 .

HARMS

1963,

S.

143: „Farce" (dagegen

332

12601-13924 Hoffest zu Pfingsten: Der Maultierzaum (Amurfina II)

1 2 8 9 1 - 1 3 1 8 5 Wechselseitiges Kopfabschlagen 12891-12966 Gawein gelangt zu der Zauberburg 12898: Mit diesem Vers beginnt die Parallelüberlieferung des in Linz liegenden, zu V gehörenden Fragments D, das abschnittsweise nur noch schwer zu lesen ist (v.a. durch späteren Beschnitt und starke Flecken). Es umfaßt das dritte und vierte, beidseitig beschriebene Doppelblatt aus der fünften Lage der >CroneErec< (ErC 5772 ff., ErH 8787-8792); daneben in >La Vengeance Radiguek, >Lancelot en prose< (MICHA, VII,331, § 31), >Bel Inconnu< und >Le Chevalier aux deux Epees< (vgl. Z A C H 1990, S. 136). Vgl. zudem das ursprüngliche Vorkommen des Motivs in der frühmittelalterlichen Hildesage, die im Hildeteil der >Kudrun< weiterlebt, dort aber nur noch die besondere huote des Mädchens Hilde erwähnt (>Kudrun< 228,30 u.ö.),31 es 27 28

Hingegen spricht ZACH 1990, S. 136 und 198 von einem Glasschloß. KEEFE 1982, S. 150 f. betont die reihende Darstellungstechnik, die den Eindruck „ungegliederter, sammelnder Vielfalt" erwecke, ähnlich der Beschreibung von Burg Salye 20114— 20149. Die Burg sei gekennzeichnet durch „phantastische Elemente".

29

ZACH 1 9 9 0 , S. 1 3 6 .

30

Vgl. z.B. den orientalischen Turandot-Stoff oder die >Gesta Danorum< des Saxus Gramaticus; vgl. FRENZEL, Motive 1992, S. 187.

31

Vgl. FRENZEL, S t o f f e 1 9 9 2 , S. 187; VL 2 , Bd. 5,416.

334

12601-13924 Hoffest zu Pfingsten: Der Maultierzaum (Amurfina II)

findet sich auch in >Ortnit< und >OswaldLa Mule sanz FrainLanzelet13036) seit dem Tod Uterpandagrons sozusagen Stiefvater von Artus, zudem als Onkel der zerstrittenen Schwestern Amurfina und Sgoydamur geschickt in die Verwandtschaftsbeziehungen und das Handlungsgeflecht des Romans eingebunden.37 Zudem ist seine Schwester Gralsträgerin und Herrin der Gralsburg, so daß Gansguoter „zum Angelpunkt der genealogischen Eingliederung der Gaweingattin und des Gralbereichs in die Artusfamilie wird".38 Durch seine Hilfe bei der Wiedergewinnung des Fimbeus-Gürtels und der Saddenkleinodien stellt er sich für W A G N E R - H A R K E N „als der Kristallisationspunkt dar, in dem alle Fäden, die im Zusammenhang mit der Programmatik des Werkes stehen, zusammenlaufen." Gawein dient dabei als „'Medium', das zwischen dem Zauberer und dem Artushof die entscheidenden Verbindungen herstellt".39 Zugleich hängt Gaweins Erfolg in den Aventiuren um Fimbeus in hohem Maße von den Zaubergaben Gansguoters ab (Rüstung, Schwert und die Zauberlade).

36

Vgl. BLEUMER 1 9 9 7 , S. 120.

37

Vgl. die Ubersicht bei SCHMID 1986, S. 205; zu ergänzen wäre dort die Heirat zwischen Gasoein und Sgoydamur.

38

EBENBAUER 1 9 8 1 , S. 50.

39

WAGNER-HARKEN 1995, S. 347 f., vgl. dort auch das Schema zu Gansguoters Beziehungsgefiige (S. 347).

336

12601-13924 Hoffest zu Pfingsten: Der Maultierzaum (Amurfina II)

So ist Gansguoters Bedeutung für Gawein verglichen worden mit der Trevrizents für Parzival: „As Parzival depends on Trevrizent's help to his spiritual education, Gawein needs Gansguoter to become a true knight"40 (vgl. auch —>6380). Gansguoter hat drei wundersame Burgen erbaut: diejenige, auf der Gawein Amurfina kennenlernt (mit dem huote-Schwert), das Drehschloß, in dem sich Gawein momentan befindet, sowie die für Igerne bestimmte Burg Salye, auf der Gawein im Rahmen der Chretien-Sequenz das Abenteuer des Wunderbettes besteht. Durch den Wechsel zwischen den Rollen als hilfreicher Verwandter einerseits und als prüfender Zauberer andererseits (er hat die Aventiuren des Drehschlosses genauso initiiert wie die auf Salye; in der Zaumzeugepisode klärt er Gawein später über deren Sinnlosigkeit auf, auf Salye bereitet er Gawein ausführlich vor) kommt es allerdings zur gegenseitigen Neutralisierung dieser Funktionen; „die Briichigkeit in der Konzeption" werde deutlich.41 Es gibt eine Reihe von Herleitungsversuchen für diese Figur des äußerst wandlungsfahigen Zauberers Gansguoter, der „zugleich Magier (im Sinne einer erlernten Zauberkunst) und dämonische Figur"42 ist. So sehen ihn WAGNER-HARKEN und THOMAS als einen Nachfolger Merlins, der in der >Vita Merlini< ebenfalls behilflich ist, Artus' Herrschaft zu festigen; dabei nimmt Gansguoter deutlich mehr Platz im Roman ein, als es Merlin im >ProsaLancelot< tut (nach seinem Verschwinden kommt es dort zum Niedergang des Artusreichs).43 JILLINGS führt die Figur auf den irischen Riesen Curoi in >Bricriu's Feast< zurück;44 eine Geschichte, die der Tradition zugrunde liegen soll, die in >Sir Gawain and the Green Knight< ihren Höhepunkt findet. Deutlich ist außerdem die Vorbildfunktion von Chretiens Figur des in Astronomie gebildeten clers, der Igerne zu Diensten ist (CdG 7463 ff.); ob Heinrich 40

DICK, D a r k F i g u r e s 1 9 8 6 , S. 144; vgl. a u c h SCHMID 1 9 8 6 , S. 2 1 2 ; WAGNER-HARKEN 1 9 9 5 ,

S. 351. Letztere zieht daraus den Schluß, Heinrich habe wirklich einen 'Anrigralsroman' verfassen wollen, sein Wunsch, „möglichst viele christlich-religiöse Gehalte in seiner Graldichtung zu eliminieren und zu profanisieren" nehme im Ersetzen des tiefgläubigen Einsiedlers durch einen höfischen Zauberer „groteske Züge einer unerhörten Persiflage an." Daneben verweist WAGNER-HARKEN auf den märchenhaften Aspekt dieses Abhängigkeitsverhältnisses „zwischen dem Helfer mit seinen wunderbaren Fähigkeiten und dem Helden" (ebd. 281). 41

WAGNER-HARKEN 1 9 9 5 , S. 3 4 8 ; v g l . SCHMID 1 9 8 6 , S . 2 0 7 .

42

LICHTBLAU 1 9 9 5 , S. 3 4 8 .

43

Vgl. WAGNER-HARKEN 1 9 9 5 , S . 2 7 9 , A n m . 4 4 2 ; THOMAS 2 0 0 2 , S . 7 5 ff.; e r v e r w e i s t a u c h a u f

44

eine Parallele mit dem sogenannten >Huth-M«r/«i< (vgl. ebd. S. 121 f.): Dort finden sich als Gegenspieler zu Artus die Fee Morgan sowie deren Geliebter Accolon, die durch eine Intervention Ginovers verärgert sind (vgl. THOMAS 2002, S. 76). JILLINGS 1980, S. 70, allerdings ohne weitere Angaben zu Quelle.

13004—13102 Gansguoters Gastfreundschaft

337

Wolframs Clinschor gekannt hat, der erstmals Pz 548,5 auftritt, ist unklar.45 MAKSYMIUK 1994 sieht vor allem die historischen Magier etc. als Hintergrund, die an den Höfen vorwiegend als Berater anzutreffen waren, und deren Rolle er ausfuhrlich untersucht. Auf ganz anderer Ebene argumentiert MEYER, der den defensiven Charakter des unparteiisch bleibenden Gansguoter betont und ihn als „die zaubernde Personifizierung des Aventiure-Elements der Artuswelt" sieht, als die er sogar über Saside stehe.44 Die auch „mörderische Seite des Zauberers" betont KELLER, der sich u.a. gegen das „Wunschbild eines freundlichen und wohlgesinnten Helfers" wendet.47 GANTER 1999, S. 93 u.ö. geht dann sogar so weit, Gansguoter als eigentliches Zentrum des Romans zu sehen, als das er sich im Handlungsverlauf erweise, während Gawein immer stärker wie eine Marionette geführt und damit bedeutungslos werde. Vgl. auch SCHMID 1986, S . 207 ff. 1 3 0 0 7 — 1 3 0 2 4 : Zu der eigentümlichen Verwandlung Gansguoters vom wol schamn man zu einem Ausbund an Häßlichkeit vgl. die Beschreibungen des Boten des Priure (->918-1214), des Waldweibs (->9314-9425) und des ackerknehts (->19618-19948). 48 1 3 0 1 1 : Statt so lies mit D sa, was den unerwarteten und plötzlichen Charakter der Verwandlung besser ausdrückt; vgl. Anm. SCH und Anm. EK; ähnlich 13081. 1 3 0 2 0 : Ρ ungestalt, D ungetan: vgl. 6 0 2 6 und 9 4 2 2 ungetan in Ρ und V , 14131 in Ρ und D; ungestalt kommt im Bereich der Parallelüberlieferung sonst nirgends vor. Für D auch MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 1 8 3 . 1 3 0 2 5 : Zu Gansguoters Bezeichnung als p f a f f e wol gelert (so auch 8308) vgl. auch 2076 die entsprechende Charakterisierung Lanzelets, in der p f a f f e offenbar nicht als Hinweis auf einen geistlichen Stand, sondern nur im Blick auf die Bildung zu verstehen ist (-»2070-2153). 49 1 3 0 2 7 : Lies syntaktisch flüssiger mit D : Da% tet er.

45

—»6380. DICK, Dark Figures 1986 setzt Heinrichs Kenntnis dieser Figur voraus, wenn er eine Entwicklung konstatiert, die von einer abgekapselten Episode bei Chretien über Wolframs ausgedehntere Darstellung zur Integration Gansguoters in den gesamten Romanverlauf bei Heinrich führe (S. 139).

46

MEYER 1 9 9 4 , S. 158.

47

KELLER 1997, S. 311 ff., Zitat S. 314, Anm. 87. Er verweist auf 13023 f., wo es heißt, Gansguoter habe manic man erslagen,/ Der aventiun mit bejagm und spricht von dem Zauberer als einem „Massenmörder". WAGNER-HARKEN 1995, S. 282, Anm. 452 verweist auf vergleichbare Gestaltwechsel von Hexen in Märchen. Hingegen versteht SHOCKEY 2000, S. 98 Gansguoter als Geistlichen: Dieser „cleric makes ample use of nigromancie (sorcery)".

48 49

338

12601-13924 Hoffest zu Pfingsten: Der Maultierzaum (Amurfina II)

13034 f.: Vers 13034 fehlt in D. Hier wird Gansguoter von Micholde zum ersten Mal namentlich erwähnt, vgl. zur Figur die Einleitung zum Abschnitt 13004—13102. Es handelt sich wohl um einen sprechenden Namen mit Betonung des guoten Charakters, dazu passend der Zuname michel holde. Die erste Silbe Gans- bleibt unklar.50 Die Betonung seiner hövescheit zeigt das Schillernde der Figur — er ist gelehrt, ein erfahrener Ritter, höfisch gebildet (und so adäquater Partner der Königsmutter), aber zugleich erfahren in njgromancye (8307), wie er mit seiner Verwandlung zur Begrüßung unter Beweis stellt. 13036 f.: Hier zeigen sich deutliche Abweichungen der verschiedenen Versionen — bei Chretien folgt der namenlose clers saiges Igerne auf das Schloß (CdG 7462 ff.); Pz 66,3 ff. entfuhrt Clinschor Arnive; Heinrich läßt Igerne freiwillig folgen. Vgl. auch —>13180. 13040 ff.: Zur Schutzfunktion der selbstdrehenden Burg, die für Amurfina und Sgoydamur gebaut wurde, vgl. auch das ebenfalls von Gansguoter konstruierte huoie-Schwert über dem Bett Amurfinas (—>8504—8577). Wer in die Burg gelangt, muß sich in den diversen Kämpfen bewähren, wenn er unterliegt, wird sein Kopf auf eine Zinne gespießt; der Gewinner hingegen erhält Zaum und Jungfrau. Die von Gansguoter gestellten Aufgaben fuhren also die huote-Funktion des Schwertes fort und stellen sich damit in die erzählerische Tradition der Freierproben.51 Im Kontext wird hingegen nicht wirklich deutlich, warum die Burgbewohner Gaweins Sieg schließlich als Erlösung feiern; zudem forciert die Konstruktion den Streit der Schwestern, da nur eine der beiden den Gewinner heiraten kann. 50

51

MENTZEL-REUTERS 1989, S. 179 f. verweist auf die nicht exakte Einhaltung sprachgeschichtlicher Regeln bei der Herleitung von gans aus g a n f y sieht die Deutung als „ganzlich Guter" aber trotzdem durch den Beinamen von Micholde gestützt; er verweist zudem auf die Übernahme bei Ulrich Fuetrer in der Form Gansguter bzw. Gantigutter. Als zu eng empfindet diese Kritik u.a. MAKSYMIUK 1996, S. 141, Anm. 2. Eher unwahrscheinlich im Blick auf Heinrichs Vorliebe für sprechende Namen scheint der Deutungsversuch bei KELLER 1997, S. 411, Anm. 309, der eine anagrammatische Verbindung mit „Artus" und „guoter sanc" gegeben sieht. Für eine Ableitung aus dem Afrz. spricht sich STÖRMER-CAYSA 2003, S. 213, Anm. 13 aus (mit Verweis auf Vorgänger), die Lesung von -sg- als frz. -j- stellt den Namen zu den zahlreichen anderen Varianten zu anjou (vgl. Ansehet, Angus, Ansgafein, Ansgie, Ansgewe), vielleicht verbunden mit tem („Land, Erde") für -ter. Warum der Name dann mit Gbeginnt, bleibt allerdings offen, es paßt nicht zu Heinrichs sonstigen Namensschöpfungen. Zuletzt ausführlich zu den einzelnen Herleitungsversuchen KAMINSKI 2005, S. 254 ff. mit eigenen Vorschlägen: zum einen, Gansguoter anagrammatisch mit Uter, Artus und Gasoein zu verbinden (S. 254), zum anderen, den Namen aus afrz. gent/gant und ajouter herzuleiten mit der Deutung: „derjenige, der es unternimmt, [...] das Geschlecht, die Sippe, die Familie in sich zu versammeln" (S. 256). Vgl. dazu FRENZEL, Stoffe 1992, S. 185 ff.

13004-13102 Gansguoters Gastfreundschaft

339

13043 ff.: Vgl. die Beschreibung der sich drehenden Burg 12963 ff.52 13050: er meint Gansguoter, vgl. -»13007-13024. 13052: Die helmbarte (auch 13146, 13264), „Hellebarte" bzw. „gestielte Barte", ist eine „stich- und hiebwaffe des 13. bis 17. jahrh." (DWb 10,969). Vgl. „Helm" als „stiel an axt, beil, hammer" (DWb,977); „Barte" ist „wie das poln. broda der spitze oder schneidende theil des Werkzeugs mit einem bartähnlichen Widerhaken" (vgl. auch den Schlüsselbart). Mit der Barte wurde gehauen oder geworfen, „sie diente dem zimmermann wie dem krieger" (DWb 1,1143 f.). 13057: Im Kontrast zu den zahlreichen Inkognito-Auftritten Gaweins (—>6013 ff.) gehört Gansguoter zu einem Aventiuren-Bereich, in dem Gawein ebenso wie am Gral und in den Wunderketten bereits bekannt ist, ohne daß er sein Gegenüber kennen würde; vgl. die Begegnung mit Gener von Kartis (14475) oder mit dem Pförtner der ersten Gralsburg —>14610 f. (vgl. dort die Anm. für weitere Belege). 13058 f.: Gawein antwortet mit demselben Dankesgruß wie der Zwerg 12998, allerdings mit vorsichtiger Einschränkung. 13060: D liest Ja swar, „Ja, wahrhaftig", ohne dazwischengeschobenes ich (P/SCH/EK). 13067 f.: Vgl. die Köpfe auf den Zinnen der Burg (->12951 ff). 13073: Lies mit D ohne vil lihte·. Der dir einr den tod geit. Gawein wird angekündigt, er habe mehrere Kämpfe zu bestehen, von denen einer ihn sein Leben kosten wird. Das relativierende „vielleicht" (P/EK) entspricht aber nicht Gansguoters Einschüchterungs-Strategie, die in dem Enthauptungsspiel gipfelt. 13077: Die Frage nach dem Zaum stellt Gawein im Verlauf der Bewährungskämpfe mehrfach, jeweils im Anschluß an eine bestandene Probe, so daß sie wie ein Refrain wirkt: 13186 ff. nach dem Enthauptungsspiel, 13305 f. nach dem Sieg über die Löwen und 13395 f. nach dem Sieg über Berhardis. Nach dem Drachenkampf kommt Gansguoter hingegen selbst darauf zu sprechen, die Proben sind vorbei (13555). 13081: Lies mit D sa (->13011). 13084: Ρ ein schcen gemach bezeichnet wohl eher den Raum, D micheln gemach hingegen die gute Behandlung, die Gawein dort zuteil wird (vgl. Lex 1,832 f.). 13087: anderthalben sin ist wohl auf die tafel bezogen: Auf der anderen Seite des Tisches sah er ein Bett (Lex 1,56). 52

Vgl. die Zitate bei ZACH 1990, S. 136 f. zur möglichen Symbolik als Himmelsgewölbe bzw. zum Jenseitscharakter des durch die gefährliche Brücke fast unerreichbaren Schlosses.

340

12601-13924 Hoffest zu Pfingsten: Der Maultierzaum (Amurfina II)

13089: cyclas/dclas bzw. sigelat zu afrz. siglas, —>507-515 (auch Anm. EK). 13096: D riht statt kost kennt Heinrich auch sonst (vgl. u.a. 7331, 8406, 26476, 29350). Auffällig ist, daß hier Gansguoter als Diener fungiert, nicht der Zwerg, der Gawein bei seiner Ankunft begrüßt hatte. Vgl. die Situation bei Amurfina, wo ein Zwerg mit der Magd Aclamet das Essen servierte, das dann beide Diener zusammen mit Gawein und Amurfina einnahmen (8392 ff., —>8419). 13098: er bezeichnet Gansguoter. 13103-13185 Enthauptungsspiel als Mutprobe Das Enthaupten des Gegners unter dem Versprechen, nach einer Frist sich selbst ebenfalls köpfen zu lassen, ist eine beliebte Mutprobe, die sich auch Msf 551-633 in sehr ähnlicher Form findet, außerdem in der 1. Cont., Bd. 1, Τ 3332-3583 (hier sind es Vater und Sohn, die ihre verwandtschaftliche Beziehung im Laufe des Spiels entdecken) und im >Perlesvaus< S. 90 f. Der Einfluß von >La Mule sans frein< und >1. Continuation scheint offensichtlich, J I L L I N G S Plädoyer für >Perlesvaus< diskutabel.53 Zum Gegenstand einer eigenen Erzählung wurde das Motiv in >Sir Gawain and the Green Knight< (entstanden um 1390). Durch dieses Spiel „demonstriert der Zauberer seine Macht, da er — indem er sein abgeschlagenes Haupt wieder aufsetzen kann — als unsterblich und damit unbesiegbar erscheint."54 Als „Abbild der Befindlichkeit der Gralswelt" versteht K E L L E R das spil; der „Tod Gansguoters entpuppt sich als Schein, der die Situation der weißen Ritter und des althemn erahnen läßt", Gawein bleibt hingegen „der Zustand Gansguoters und der hinter ihm verborgenen Gralswelt verborgen".55 13103 f.: Die Konjektur des Versbeginns DEr (P) bei S C H / E K in Do er ist wichtig (vgl. D: Ε er): Gansguoter möchte den ersten Teil des Enthauptungsspiels sofort vollziehen (vgl. zu seinem Drängen D noch 13108); die bevorstehende Nacht wird damit zu einer zusätzlichen Bewährungsprobe für Gawein, der am nächsten Morgen enthauptet werden soll. Im folgenden Vers nim zu nemen, im Sinn von „prüfend nehmen, wählen" (Lex 11,53): Gawein darf wählen, ob er oder Gansguoter als erster zuschlägt. 13105: Msf 565 spricht ebenfalls von einem jeu, „Spiel". 13109, 13125: Zu der Waffe ->13052. 53

JILLINGS 1980, S. 63; vgl. ZACH 1990, S. 226 ff.

54

WAGNER-HARKEN 1995, S. 282; ihr zufolge ist lediglich das Motiv des wieder aufgesetzten, abgeschlagenen Hauptes in Märchen nachweisbar. KELLER 1997, S. 311. In dieselbe Richtung verweise dann auch der Ritter Berhardis.

55

13103-13185 Enthauptungsspiel als Mutprobe

341

13119: Lies mit D/EK ich sei vermaßen·, die rhetorische Selbstverfluchung bestätigt Gaweins Wahl. 13124: vürdern, Ρ fudern, („vorwärts bringen, helfend tätig sein" etc.)56 u. a. auch 6043, 22187 (Jch envürder), 28135, refl. 3848. Hier wohl noch am ehesten im Sinne von: einen %uo dem tddfördern (>Schwabenspiegel< 345,159, zit. nach Lex 111,596) oder: diu wellen mich beide/ vürdern hin grabe (Heinrich von Morungen, MF 129,34 f.). 13136: geneic als Prät. von genigen muß wohl ebenso wie das swV. geneigen auch bedeuten können: „eine richtung geben" (Lex 1,854); mit dem Interrogativpronomen war („wohin") also: „ich weiß nicht, in welche Richtung er ging". Vgl. die ähnliche Bemerkung des Erzählers über den Verbleib einer Figur 7890: War si [= Aclamet] chom, des wei% ich niht. 13146, 13164: Zu helmbarte —>13052; hier wie dort bestehen die Handschriften auf ihrer Unterscheidung: In Ρ trägt Gansguoter sie Vber sine achsagl, in D ]/ber seinen ruk. 13153: Ein Adv. abent (D) entsprechend nehten (P) ist nicht überliefert; wenn nicht eine Neuschöpfung angenommen werden soll, fehlt in D eine Präp. (z.B. am). 13167: verschertet („schartig machen, verwunden" Lex 111,215) in D ist interessanter als das geläufige verserte in P/SCH (vgl. Anm. E K ) . 13168: Die Wendung, daß die Aventiure ihnen beiden, also Gawein und Gansguoter, sage, wozu das Spiel geschehe, erscheint eigentümlich (D und P); vielleicht zu ergänzen: von in beiden? 13174: Zu übertragen („schützen, schonen") auch —>11887. 13175 ff.: sin 13175, 13176 und 13179 bezieht sich jeweils auf Gawein. 13179: Heinrich verwendet den Begriff muome hier synonym für ane, „Großmutter" (nochmals 13577),57 sonst bezeichnet muome jedoch eine Cousine mütterlicherseits bzw. eine Nichte.58 13180 ff.: Der Name Igerne ist übernommen aus CdG 8652Ygueme^ Zur Beziehung Igernes zu Gansguoter und dem Motiv des fiddelns (nochmals 23706 ff.), das womöglich auf eine altirische Erzähltradition zurückgeht, in der eine Königin durch einen Spielmann entführt wird,60 vgl. die Unter56 57 58 59

Lex 111,595, vgl. auch Anm. EK. Dort könnte aber auch Gaweins Mutter gemeint sein, von der Gansguoter 13588 ff. spricht. So der Befund bei SCHMID 1986, S. 223, Anm. 15. Lex 1,2239 gibt als Hauptbedeutung „mutterschwester", daneben „weibl. verwandte überh." Wolframs Arnive ist vielleicht ein Anagramm der Variante heme, vgl. SCHRÖDER 1 9 8 2 , S. 11. Zu anderen Ableitungsmöglichkeiten und den womöglich keltischen Ursprüngen der Namen vgl. CHANDLER 1992, S. 129.

60

Vgl. auch Pz 65,29 ff., ebenso die Darstellung Tristans als Spielmann.

342

12601-13924 Hoffest zu Pfingsten: Der Maultierzaum (Amurfina II)

suchungen von MIKLAUTSCH; 6 1 BUSCHINGER 1981, S. 10 interpretiert Igernes Gehen mit Gansguoter als Jenseitsfahrt. 13184 f.: Zum Tod Uterpandagrons vgl. den Bericht im Prolog 314-411; daß Igerne daraufhin Gansguoter in dessen Land Madarp folgt (auch als Land um Salye genannt, vgl. 22249), erklärt womöglich, warum sich Frau Saelde als Ersatzmutter um den kleinen Artus kümmerte (412-456). 1 3 1 8 6 - 1 3 5 1 3 Bewährungskämpfe Die Reihe von Bewährungskämpfen, die Gawein zu bestehen hat, entspricht mehr oder weniger exakt dem Handlungsverlauf in >La Mule sans frein12106—12131. 13279 f.: Daß der Löwe auf den Tod seines Artgenossen reagiert, verbindet ihn mit menschlichen Kampfgegnern Gaweins; vgl. die Klagen der Zöllner-Brüder (6449-6476, 6584-6616) oder das Rachebedürfnis Ansgafeins —>7514 ff. 13295: Bei allen Abweichungen im Wortlaut ist beiden Handschriften gemeinsam, daß es streng durchgezählt eigentlich erst der sechste Schild ist (und nicht der letzte), den Gawein nun zur Hand nimmt, ihm also noch zwei übrig bleiben müßten.66 13298: Zu balsperc ->2865. 13300: Entsprechende Verstärkungen (P über bzw. D gro^v) für „höchste Zeit" sind sonst nicht nachgewiesen; vgl. BMZ 111,912a: da^ ist an der vgt (NL 1480,1) bereits im Sinne von „dazu ist jetzt hohe zeit", oder: helfent an der „ehe es zu spät wird" (WvdV L. 74,10 (C. 50,V,1)). 13305 f.: Zu Gaweins Bitte um den Zaum —>13077. 1 3 3 1 2 : Alternativ zur Interpunktion bei SCH und E K könnte dieser Vers auch als Frage verstanden werden; Gansguoter dürfte ob der wiederholten Frage nach dem Zaum die Geduld verlieren. 13314: Ρ es% und D isge wirken beide auffällig, daher der Adhortativ eigen in SCH und EK. Im Blick auf die beiden anderen Aufforderungen Gaweins zum Essen, bei denen Gansguoter selbst nichts ißt (vgl. 13093 ff., 13204), ist aber zu überlegen, ob hier aus D ein an Gawein gerichteter Imperativ zu retten sein könnte: Ist das epithetische -e von isge womöglich ein nach Versschluß nicht mehr ausgestrichenes gedoppeltes e/er, das der Schreiber nicht deutlich von abgesetzt hat (vnd isg (e) da ein lüt^el e)? 13320 ff.: Die eigentümliche Figur des halbtoten Ritters Berhardis, der zum Kampf jeweils seine Kräfte wiederfindet, um danach auf sein Kranken-

66

Der erste Schild wird Gawein 13250 entrissen, der zweite 13263 zerstört, der dritte 13267, unmittelbar darauf besiegt Gawein den ersten Löwen. Der vierte Schild wird 13285 von dem zweiten Löwen entrissen, der fünfte (der von beiden Hss. bereits als dritter in dem zweiten Löwenkampf gezählt wird) bleibt 13294 auf der Strecke. Der sechste Schild übersteht offenbar das Ende des zweiten Kampfes. Pro Löwenkampf würde also der Verlust je eines Schildes nicht geschildert, falls die Aussage über den letzten Schild zutreffen sollte. Zuerst zum Problem des Zählens M E Y E R 1994, S. 115, der die Ursache in einem Fehler der von Heinrich übersetzten Vorlage vermutet.

13186-13344 Kampf gegen die beiden Löwen; der wunde Ritter

345

lager zurückzusinken, geht auf >La Mule sans frein< zurück.67 Bei Heinrich paßt sie zu den ebenfalls halb- bzw. scheintoten Gestalten der Wunderketten und der Gralsburg und zeigt damit eine weitere Verbindung zwischen Gansguoter und dem Gralsreich (-»13004-13102, ->13057).68 Zudem zeigen sich Gemeinsamkeiten mit der Episode von dem Schwarzen Ritter 18934-19345. Durch ihren Bezug zur Anderwelt unterscheidet sich die Epsiode von den übrigen Kämpfen dieses Erzählabschnitts; Gaweins abschließendes Enthaupten des Gegners ohne jedes Zögern paßt hingegen in die Reihe der eher mechanischen Erlösungsaventiuren. Der mit dem Ritter verbundene Kampfzwang ist ein verbreitetes Motiv; in der >Crone< findet es sich auch in Gaweins Begegnungen mit Galaas (9799—9997) und mit Laamorz von Janfrüege Η 1 5 3 2 1 ff.) sowie in Keies Kapellenabenteuer (29010-29059, 29719 ff.). Vgl. daneben die entsprechenden Konstellationen in >Erec< (Guivreiz ErH 4325 ff., Mabonagrin ErH 8008 ff.) und Wig 1932 ff.; ebenso die Figur des Malgiers Ii Gris in >Bel Inconnuc Der Sieg über ihn ist zugleich die Befreiung der Pucele as Blances Mains.69 Die Funktion des Ritters wurde in ihrer Entsprechung zu Gawein gedeutet: „In Berhardis prompter und mechanischer Aventiurebereitschaft tritt Gawein seine eigene, jede Aventiure fraglos bejahende Existenz entgegen." Demzufolge sei der Sieg über den Ritter „im figuralen Sinn [...] als Sieg über das Eigene" zu sehen.70 1 3 3 2 8 : seelege (P/SCH) erscheint unsinnig, lies mit D sölich (vgl. auch Anm. EK). Ebenso auch ->15407, ->21467 f., -»21632. 1 3 3 3 2 : Die Varianten in Ρ und D erscheinen gleichwertig: Ρ gelingen (mit Akk. „drängen, zwingen", besser würde aber Dat. passen: „einem gewachsen sein, ihm gewalt antun", vgl. Lex 1,953), D gemnen („überwinden; durch sieg wozu gelangen", Lex 1,991 f.). 1 3 3 3 3 : gedingen hier wohl abweichend von den Wörterbüchern zu dem stN. gedinge („versprechen einer Zahlung, die schuld od. Zahlung selbst" Lex 1,771) als: „seine Schuld begleichen" (vgl. auch >Kudrun< 1687: gedingen mit den vinden, „mit jemand unterhandeln", Lex 1,772 f.). 13335: Daß der wunde ritter keine andere sicherunge akzeptiert als den Kopf des Gegners (bzw. in Konsequenz dann seinen eigenen), verbindet ihn mit dem andern Gawein Aamanz (—»16619 ff.). Die leere Zinne zeigt von vorneherein, daß der bevorstehende Kampf auf Leben und Tod ausgelegt ist. Gawein führt „den Aventiure-Mechanismus konsequent zu Ende", er bringt 67 68

„Daß Gawein für die Zaumhandlung über seine Wunden hinwegsieht, hat in Berhardis' Genesung sein wundersames Pendant" (BLEUMER 1997, S. 129 f.). Vgl. zu diesen Verbindungen auch KELLER 1997, S. 311 f.

69

Vgl. ZACH 1 9 9 0 , S. 2 3 4 ; LICHTBLAU 1 9 8 9 , S. 2 6 5 .

70

BLEUMER 1 9 9 7 , S . 1 3 0 .

346

12601-13924 Hoffest zu Pfingsten: Der Maultierzaum (Amurfina II)

sie zum „geforderten, letztgültigen Abschluß und hebt sie dadurch auf', 71 anders als Msf 830 ff., wo der Ritter geschont wird.72 Grundsätzlich auf Leben und Tod kämpfen auch Wolframs Gralsritter (vgl. Pz 492,1 ff.); vgl. ebd. auch die Figur des von Gawan besiegten Lischoys, der lieber sterben möchte als sich unterwerfen (Pz 538,20 ff.).73 13340: Die Abweichung in D Wart von im deheittr ist zweifelhaft, richtig Ρ ir. Es muß einer der Gegner sein, er im vorhergehenden und im folgenden Vers ist jeweils Berhardis. 13344—13383 Kampf gegen den Ritter Berhardis 1 3 3 4 6 f.: Eine eben so zügige Verwandlung hatte Gansguoter vor Gaweins Begrüßung durchlaufen (vgl. 13007—13024). 1 3 3 5 2 fif.: Zu dem Kampfzwang -»13320 ff. 1 3 3 5 8 : Berhardis (D Beuhardes), ist afrz. der „schöne Tapfere" (zu bel/biaus und hardi); zur Figur —>13320 f. 1 3 3 6 0 f.: Zu den um den Hals gehängten Schilden —»6401 f., —»10530, —»11910. 13365: Lies mit D cyngel, „Sattelgurt" (%ingel.\ zu lat. dngula, Lex 111,1124), so 19928 auch in P. 13372: Ρ schrieten zu schroten („zerhauen", Lex 11,804 f.) ist interessanter als das herkömmlichere htwen in D. Die Konjektur SCH enden aus henden Ρ (D liest der hant) erscheint sinnvoll; besser vielleicht aber renden bzw. rant, entsprechend schiltrende —»6401 f. 1 3 3 7 8 : Lies mit D/SCH sich statt P / E K sie; die Gegner dürften sich gegenseitig, nicht die Schläge suchen (vgl. in diesem Sinne auch Anm. EK). 1 3 3 7 9 fif.: Daß Gawein den Ritter gerade zur Mittagszeit besiegen kann, geht auf das traditionelle Motiv der im Laufe des Vormittags zunehmenden Kraft Gaweins zurück, —»2070 ff. (dort wird diese Eigenschaft jedoch Lanzelet zugeschrieben).74 Vgl. auch die Betonung der Mittagszeit Msf 872 und 88975 (—»13320 ff.). 71

BLEUMER 1 9 9 7 , S. 130.

72

Zu Heinrichs Abwandlungen gerade dieser Passage im Vergleich zur Vorlage >La Mule sans frein< vgl. BOLL 1929, S. 27; MEYER 1994, S. 115. AHRENDT 1923, S. 26 ordnet den Kampf

gegen Berhardis in die Rubrik „Riese und Tapferkeitsprobe" ein, er vergleicht Gaweins Gegner mit Mabonagrin und führt Lanz 1689 ff. und Pz 569,28 ff. in derselben Gruppe an. 73 74

Vgl. auch LICHTBLAU 1989, S. 232. Vgl. auch JILLINGS 1980, S. 34, Anm. 25.

75

BLEUMER interpretiert: in dem Sieg über den allzeit zur Aventiure bereiten Ritter habe Gawein auch seine eigene „stets zu jeder beliebigen Aventiure bereite Existenzform überwunden und gelangt zur Minnebindung, die jetzt in den Zustand der Ehe überfuhrt und fixiert werden kann" (BLEUMER 1997, S. 131).

13384—13439 Kampfende; Vorbereitung auf Drachenkampf

347

13384—13439 Kampfende; Vorbereitung auf Drachenkampf Die Kämpfe gegen die beiden Drachen stehen in einer Reihe mit denen gegen die Löwen und den siechen Ritter (zu Gawein als Drachenbezwinger auch —>9009 f.). Anders als in den Drachenkämpfen auf dem Weg zu Saside (15051 ff.) und am Zauberbrunnen (26680-26764) läßt sich hier keine deutliche Verbindung zur Heldenepik feststellen; Heinrich folgt weiterhin Paien de Maisieres >La Mule sans freinLa Mule sans frein< vorgegebene) Enthauptung des seltsamen Ritters kann auch als „Erlösung zum Tod"78 verstanden werden, entsprechend der Erlösung der Gralsgesellschaft; beiden Episoden ist auch die Befreiung der jeweils in der Burg lebenden Frauen gemeinsam. 1 3 3 8 8 : %olntm (P/SCH) als Bezeichnung für Gansguoter erscheint als Reminiszenz an die Assiles-Geschichte. Dort ist der Begriff jedoch negativ besetzt, was nicht der sonstigen Charakterisierung Gansguoters entspricht. D schreibt ^ouberar. 13389: Die leere Zinne war schon 12953 erwähnt worden. 13395: Die beiden Hss. weichen voneinander ab: Gansguotern er aber bat (P/SCH); Gawein in aber bat (D). Womöglich ist der Name Gansguoters aus dem übernächsten Vers hinaufgerutscht, der Schreiber hat es aber noch rechtzeitig bemerkt und den Satzbau entsprechend verändert. Zur erneuten Frage nach dem Zaum vgl. —>13077. 1 3 4 0 2 ff.: Zur Darstellung der Drachen vgl. auch ->12788 ff. 1 3 4 1 2 : SCH veste, P/D vester. Der Komparativ bezieht sich wohl auf die soeben abgelegte sarwat, in der Gawein den Kampf gegen Berhardis bestritten hatte (13394). 13385:

76

Vgl. KRATZ, W o l f d . 1 9 7 2 , S. 4 0 2 ; MEYER 1 9 9 4 , S. 1 1 5 f.

77

Vgl. auch MCCONNELL 1999; LECOUTEUX 1982; Z u r r 1980.

78

S o ZACH 1 9 9 0 , S. 2 3 4 .

348

12601-13924 Hoffest zu Pfingsten: Der Maultierzaum (Amurfina II)

13417: Hier scheint, ebenso wie —>13395, D die ursprüngliche Syntax bewahrt zu haben: Gawein sprach h' vriunt mein\ Ρ hat womöglich wiederum den falschen Namen durch Anpassung des Folgenden aufgefangen (vgl. auch Anm. EK). 13418: gruselicher (P) bzw. grüsenlicher (SCH) ist als Adv. noch Wig 2999, sonst jedoch nicht vor 1300 belegt (vgl. Lex 1,1107 f.); D wirser ist womöglich als älteres der beiden Wörter zu bevorzugen.79 13422 ff.: Gaweins klare Anforderungen an die sarwat reagieren offenbar auf die Beschreibung der feuerspeienden Drachen: Weite und Dicke dienen als Isolation gegen den Feueratem. 13430 f.: Das Adj. gewar hier im gleichen Sinne wie das stF. gewar. Die sarwat ist ein „sicherer aufenthalt" (Lex 1,976). gart (P/SCH/EK) zu geraten/ garwen („sich rüsten", Lex 1,892 f.), vgl. D garwet. 13436: teidinc sonst nur noch einmal —>11072 bei Heinrich, dort für den Gerichtszweikampf gegen Gasoein. Hier soll offenbar der besondere Prüfungscharakter der Kämpfe hervorgehoben werden. 1 3 4 3 9 : schier ist das einzige temporale Adv., das in diesem Dreireimabschnitt beide Hss. gemeinsam benutzen; zuvor sind sie konsequent voneinander abgewichen, wobei D nie das von Ρ offenbar geschätzte geringe benutzt80 ( 1 3 4 2 5 gering P, ^ehant D; 1 3 4 2 9 gering P, snelle D; 1 3 4 3 2 bald P, schier D; 1 3 4 3 7 gering P, snelle D). 13440-13513 Kampf gegen die beiden Drachen 1 3 4 5 3 : Die datierbaren Belege für wedel (P/SCH/EK) als Tierschwanz sind wohl kaum früh genug anzusetzen (vgl. Lex 111,628; der Beleg aus >Wolfdietrich26680-26764). Anders als ζ. B. in >Tristan< oder >Daniel< spielt liste bei Heinrich keine besonders wichtige Rolle; sie wird v.a. den Gegenfiguren unterstellt (Gasoein 11305, Lohenis 19495, auch Gigamec und Mancipicelle); vgl. ebenso 7959 ff. Amurfinas Vorgehensweise, um Gawein an sich zu binden. 14144 bezeichnet die list eher neutral Gaweins Nicht-Eingreifen in das Geschehen der ersten Wunderkette. Vgl. auch —>16497—16796, wo die geradezu naive Gutgläubigkeit Gaweins dramatische Konsequenzen hat.83 13514—13689 Amurfinas Familie 13514—13603 Erklärung der Verwandtschaftsbeziehungen Mit dem Abschluß der Drachenkämpfe enden die Parallen zu >La Mule sans freinCroneLa Mule sans frein< auf die beiden Schwestern verteilt wurde: Sgoydamur übernimmt sie zu Beginn, Amurfina am Ende der Aventiuren-Reihe.

13514—13603 Erklärung der Verwandtschaftsbeziehungen

351

berers, Gawein habe da mite bejeit/ So rechten lobelichen prts,/ Da-ζ es dich deheinen ms/ An dem schaden Httwen mac (13557—13560).85 Mit Gansguoters Erklärung der verwandtschaftlichen Verbindungen zur Artussippe, zu den Bewohnern dieser Burg sowie von Burg Salye hat sich der ursprüngliche Schwerpunkt der Handlung nun endgültig verschoben. Sie hatte wie in >La Mule sans frein< als traditionelle Aventiure begonnen, die durch die Aussicht auf die Minne Sgoydamurs motiviert war. Bei Gaweins Ausritt war die Minne dem Aspekt der vorherbestimmten Erlösung gewichen; nun zeigt sich, daß die Episode v. a. in der Wiedergewinnung der Verwandtschaft des Artus weiterwirken soll: Gansguoter stellt Gawein in Aussicht, nicht nur seine Tante Igerne, sondern auf Schastel Mervillos (13587) auch seine Mutter wiederzufinden (13587 f.).86 13517 f.: Zu der Vorgehensweise, durch schall einen weiteren Handlungsraum zu erschließen, vgl. —>4026 ff. 13523: Zu sihest enbi^en vgl. auch JTit 423,4: sin husgenos^ enbi^en ware, „gespeist haben" (Lex 1,545). 13524 ff.: Die genauere Identität und Geschichte der von Gawein befreiten meiden bleibt seltsam unbestimmt; wichtig scheint lediglich, daß Gawein sich als Drachentöter und Erlöser profilieren konnte. 13531 ff.: Der Grund für den Ion Frau Minnes bleibt ungenannt, im unmittelbaren Kontext des ersten Treffens mit Amurfina gab es keinen entsprechenden Anlaß. Aventiure hatte Gawein %uo der Serren vor Romanbeginn gesucht, als er den Vater der Schwestern im Kampf besiegt hatte (vgl. —>8853 ff.); die Argumentation Gansguoters weicht insofern vom Romangeschehen ab. 13532 ff.: Zu der Angabe torriure —>7951, zu Amurfinas Herkunftsnamen Sern —>7797. 13544 ff.: Die Erläuterungen Gansguoters zum Kampfausgang lassen sich zusammenfassen: Gawein hat durch seinen Erfolg den Zaum für Sgoydamur gewonnen (13555 f.) und zugleich die Herrschaft über die Burg und die meiden errungen (13528). Deren vrouwe ist Amurfina, die Freundin Gaweins, so daß es also ihr Besitz war, den Gawein für die Schwester erobert hat. Der schaden, von dem Gansguoter hier spricht, bezieht sich also nicht nur auf die erschlagenen Tiere und den Tod des Berhardis, sondern greift unaus85

86

Vgl. die ähnliche Logik am Schluß der Iwein-Handlung: Iwein, der offizielle Herr der Quelle, fordert Laudines Reich heraus, um seine Frau wiederzugewinnen. Allerdings tut er dies wissentlich, ein zweites Mal die List Lunetes nutzend, um sich als idealer Beschützer anzudienen. Vgl. zur Vielschichtigkeit des Abschnitts auch B L E U M E R 1997, S. 129 ff.

352

12601-13924 Hoffest zu Pfingsten: Der Maultierzaum (Amurfina II)

gesprochen viel tiefer: Gawein verliert durch seine Bindung an Amurfina allen mit dem Zaum verbundenen Besitz, den er 13840 ff. ausdrücklich als Mitgift Sgoydamurs an deren zukünftigen Ehemann Gasoein übergibt. Im folgenden Wiedersehen mit Amurfina fällt auf, daß diese den Verlust nicht anspricht; ähnlich Gansguoter, der den Gewinn an Ehre weit über den Verlust an Habe stellt (13557 ff.). 13564: Gansguoter bestätigt hier, daß Sgoydamur von Anfang an Gawein als Kämpfer haben wollte, Keies Auszug eigentlich überflüssig war. Allerdings hatte sie erst nach dessen erfolgloser Rückkehr ausdrücklich um Gawein gebeten (12880 ff.). 13566 ff.: Der Name Ansgie von Ilern (P Ansgye) wird nur hier genannt; sie ist Schwester Gansguoters und die Mutter Amurfinas und Sgoydamurs. Vgl. den ganz ähnlichen Namen Ansgü (Geselle des Lohenis) 20185 u.ö. Auch mit dem Blick auf Heinrichs Gewohnheit, afrz. -j- durch -sg- zu ersetzen (—>6721, —>7520), läßt sich keine sinnvolle Deutung des Namens herleiten, abgesehen von der Nähe zu dem Landesnamen Anjou (z.B. Anschoi 18547). 13570: Zur Figur der Igerne bzw. Ρ Ysgem und ihrer Bindung an Gansguoter ->13180 ff., auch ->13184. 13576: mich merken hier im Sinne von „mich erkennen" (Lex 1,2113): Gansguoter setzt offenbar voraus, daß Gawein von seiner Verbindung mit Igerne weiß, jetzt soll er die dazugehörigen Personen kennenlernen. 13583—13601: Die Beschreibung der versprochenen gäbe ist eigentümlich auseinandergezogen, womöglich zur Spannungssteigerung: Auf die Ankündigung des Geschenks folgt zunächst die Voraussage von Gaweins Besuch auf Salye und dem Wiedersehen mit seiner Mutter; die Erklärung, worum es sich eigentlich handelt, wird noch einmal hinausgezögert —>13592 ff., erst ab 13595 werden dann sarwät und swert beschrieben. 13586: under wegen für „auf der reise", „unterwegs" (vgl. den entsprechenden Chronik-Beleg Lex 111,720). Am Ende des Verses könnte auch ein Punkt stehen. 13587: In der Ankündigung der Aventiure von Schastel Mervillos verwendet Heinrich die afrz. Bezeichnung der Burg, die Chretien als chastel benennt, und auf der sich das Li% de la Merveille befindet (CdG 7723 u.ö.); bei Wolfram heißt sie ebenfalls Schastel Marvale/Marveile.87 Heinrich berichtet die Episode ausführlich ab 20268 ff. (vgl. auch —>6119 ff.), sonst nennt er die Burg Salye (—>8306). 13592: Die Einschränkung, Gawein müsse seiner selbst getriuwe sein, spielt wohl schon auf die zauberabweisende Kraft der sarwät an, die Gawein 87

Vgl. dazu SCHRÖDER 1982, S. 107.

13604-13689 Wiedersehen mit Amurfina, Rückkehr nach Karidol

353

aber erst 27344 ff. wirklich erhält - im folgenden wird keinerlei Übergabe berichtet, zudem würde sie sonst bereits im Kampf gegen den Drachen 15071-15196 zerstört. Erst als Vorbereitung auf die Rückeroberung der Saeldenkleinodien wird Gawein schließlich tatsächlich mit sarwät und Schwert beschenkt (27369 ff.); die Rüstung unterbindet jeden Zauber und verweist die Kämpfer auf ihre eigentliche manheit Gawein muß sich also den Verzicht auf jede Art von Magie zutrauen. 13604-13689 Wiedersehen mit Amurfina, Rückkehr nach Karidol 13605 ff.: Die Einladung des Zwergs entspricht Msf 896 ff. 13615: Zu dem Freudenschall ->13517 ff., auch ->13524 ff. 13634 ff.: Der Erkennungskuß ist ein typisches Märchenelement, dessen Verwendung bei Heinrich erstaunt, da Gawein sonst als eher komplexer Charakter angelegt ist, der seine amye auch ohne Kuß erkennen müßte.88 Daß „aus der einst so aktiven Fee Amurfina [...] anscheinend eine 'Erlösungsbedürftige' geworden ist", die ihre Macht verloren hat und deren „magische Ausstrahlungskraft" sich nunmehr auf den Kuß beschränkt, sieht ZACH als Voraussetzung für Amurfinas Eingliederung in den Artushof.89 13637 f.: Die Wiederherstellung des Versschemas durch SCH erscheint sinnvoll, das Komma am Ende von 13637 jedoch besser erst hinter Vrou Minne 13638. 13642: (= GT 75) Dieser sentenzhaft wirkenden Formulierung liegt keine entsprechende Tradition zugrunde; sie ist weder in ShRM noch im TPMA aufgenommen. 13643-13654: Hier wird nun ausdrücklich die Erlösungsqualität von Gaweins siegreichem Handeln thematisiert; allerdings wird dabei nur auf den Drachenkampf verwiesen, die Löwen und der sieche Ritter werden nicht mehr erwähnt. Vgl. —>13517, —>13524 ff. und 13615, wo der Freudenschall schon zu vernehmen war; auch —>13514—13603. Nicht ganz eindeutig erscheint nicht nur der Hinweis auf die unterirdischen holn (13650), in denen wohl eher die Drachen denn die Burgbewohner lebten (vgl. auch Anm. EK zu 13651),90 sondern die gesamte Konstruktion der Episode: Warum läßt Gansguoter als menschenfreundlicher Zauberer zu, daß die Drachen, die er 88

Vgl. dazu WAGNER-HARKEN 1995, S. 289; sie vermutet, der Dichter habe sich „von der eindeutigen Märchenhaftigkeit der Motive in den Episoden auf Gansguoters Burg [...] mitreißen lassen."

89

Vgl. ZACH 1 9 9 0 , S . 2 3 4 .

90

Um die Bezüge dementsprechend lesbarer zu machen, wäre Und 13651 in Sie zu ändern: Die liute trauten sich nicht (aus ihren Häusern) herauszukommen; dementsprechend wäre nach 13650 ein Punkt zu setzen, um die Aussage über die Drachen abzutrennen.

354

12601-13924 Hoffest zu Pfingsten: Der Maultierzaum (Amurfina II)

mühelos zum Kampf herbeibringen konnte, die Burgbewohner dermaßen terrorisieren? Es zeigt sich offenbar wiederum die Problematik der Verbindung verschiedenster Erzähltraditionen mit dem eigentlichen Erzählanliegen der >Crone28305 ff. 13686 ff.: Die Interpunktion von SCH ist irritierend, vgl. wohl besser EK (Punkt nach 13686, Komma nach 13687; vgl. auch Anm. EK).

13690-13924 Abschluß des Hoffestes 13690-13751 Empfang des Paares auf Karidol Lies mit E K kam statt P/SCH nam. 13713 f.: Die man sind der Besuch Gaweins bei Amurfina (7853—9128), gleichzeitig dazu hatte auch Sgoydamur nach Gawein gesucht (7930-7944, —>12613 ff.). 1 3 7 1 8 — 1 3 7 2 1 : Ahnliche Formulierungen im Rahmen einer höfischen Begrüßungsszene z.B. Lanz 6335-6339 (Do si die unkunden/ grüe^en begunden,/ ritter unde vroumn,/ do mohten si wol schouwen/ da% si stofy wären unde starc.). Vgl. auch >Der guote Gerhart< 2146-2150, 4885-4888 und Gau 3223-3226 (mit Kommentar S. 558). 13724: Zu banekie („erholung durch leibesübung") —>695 ff. 1 3 7 4 6 - 1 3 7 5 1 : Daß Keie den Zaum nicht gewinnen konnte, wird mit der besonderen Schwierigkeit der Aventiure entschuldigt, weshalb ihn niemand der Feigheit zeihen dürfe; vgl. auch —>490 zur Erzählersympathie für Keie. 13699:

13752—13827 Verlobungsverhandlungen 13753: Er bezeichnet Gawein, der hier die Führungsrolle übernimmt. besament („versammeln") aus Ρ besamelent. 13768—13784: Gawein beruft sich auf Sgoydamurs Aussagen 12682— 12691 und 12872—12890, wo sie demjenigen, der ihr den Zaum erobert, mines libes minne (12689) als Lohn bietet. 13787: Bei SCH ist die Verteilung der Sprecher nicht eindeutig; ab hier ist es wieder Gawein, der das Wort ergreift (so auch EK). 1 3 7 6 0 : SCH

13828-13860 Verlobung Sgoydamurs mit Gasoein

355

13802 ff.: Der Text gibt keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, woher Sgoydamur wissen kann, daß Gawein sie nicht für sich beansprucht; allerdings wird vielleicht vorausgesetzt, daß entsprechende klärende Gespräche während der Zeit stattgefunden haben, die die Schwestern mit Ginover verbracht haben (13721-13751); vgl. die kritische Anm. E K zu 13806. Vürwn Gawein den Zaum an den Hof gebracht habe (13802), deutet also wohl schon auf denjenigen, an den sie nun verheiratet werden soll; entsprechend bittet Sgoydamur darum, es möge kein %age sein (13806). Vgl. auch das Turnier von Sorgarda, wo Gawein die beim Turnier gewonnene Flursensephin an seinen Kampfgenossen Quoikos abtritt (18659 ff.); zum Ausschlagen eines Gewinns auch —>9773 ff. 13810: Lies mit EHR und EK bete statt P/SCH beide-, es ist wieder Gawein, der spricht. 13828-13860 Verlobung Sgoydamurs mit Gasoein 13831: SCH konjiziert in aus Ρ yme\ es ist Interpretationssache, ob Gawein nur Gasoein oder alle Umstehenden anspricht. Vgl. zudem auch Anm. E K , ob 13832 bedeutet, daß Gawein seine Beziehung zu Amurfina erklärt, oder ob 13830 besser Amurfina einzusetzen wäre, der nun das weitere Schicksal Sgoydamurs bekannt gemacht wird. 13833 sie bezeichnet auf jeden Fall Sgoydamur. 13849: Lies mit P / E K gem („begehren, verlangen", Lex 1,885) statt SCH gerne. 13857 ff.: Daß Ginover ihrem Entführer einen Ring als Minnepfand überreicht, mit dem dieser die Verbindung mit Sgoydamur besiegelt, schließt den Kreis symbolisch, hatte doch ein angebliches Minnepfand (der FimbeusGürtel)'1 am Beginn der gesamten Verwicklungsgeschichte gestanden. 13861-13924 Doppelhochzeit und wtbes güete In der abschließenden Doppelhochzeit werden die diversen Stränge der bisherigen Handlung zu einer „Ende gut, alles gut"-Lösung92 geführt, die nicht alle Interpreten zufrieden gestellt hat.93 Die Frage nach der Vereinbarkeit von Rittertum, Minne und Ehe, die den größten Teil der Romanhandlung bisher charakterisiert hat, wird in einer Art beantwortet, die sich Wolframs Eheideal 91

Und nicht ein Ring, wie BLEUMER 1997, S. 133 schreibt, auch wenn ein solcher die „zirkuläre Verbindung" von Anfang und Ende natürlich noch viel bildkräftiger hervorheben würde.

92

EBENBAUER 1981, S. 4 6 und 48.

93

Vgl. zusammenfassend z . B . BLEUMER 1997, S. 117 f.

356

12601-13924 Hoffest zu Pfingsten: Der Maultierzaum (Amurfina II)

zumindest annähert. Die Ehebruchsminne der Lancelot- und Tristan-Tradition wird hingegen in ihrem Widerspruch gegen die gesellschaftlichen Bedürfnisse abgelehnt: „Die >Crone< holt mit Amurfina das fin' amor Ideal in die Artuswelt hinein. Eingebunden in die Ehe, wird es hier praktisch möglich."94 Vgl. auch die Einleitung zu -»12601-13924. 13863: Die brutlouften werden nicht weiter ausgeführt, es bleibt unklar, ob und welche Formalia Heinrich als zur Eheschließung zugehörig ansah; vgl. auch Anm. zu ->8695-8831. 13864-13871: Zu kaufen an („erwerben durch") vgl. Anm. EK; 13871 liest SCH dar aus P/EK der. Die Großzügigkeit gegenüber der varnden diet variiert die übrigen Feststellungen des Erzählers über gute und schlechte Wirte (—>6231-6250). 13884: 37Vischel., „zweifach" (Lex 111,1220) hier einfach im Sinne, daß beide das Gleiche tun; vgl. hingegen den %mscheln muot 445 sowie das (nur dort belegte) Verb ^wischeln 23147, wo beide Male ein trügerischer Charakter damit verbunden ist. Nach dem endgültigen Abschluß der Wirren um Gasoein wird hier die Zusammengehörigkeit und Einmütigkeit der Eheleute Artus und Ginover unter Beweis gestellt. 13888-13920: (13886-13920 = GT 761 und II) Der Erzähler schiebt einen ausführlichen, durch Selbstermahnung und neuen Dreireimabschnitt seltsam unterbrochenen Exkurs (—>13902) über rnbes gieti^ ein, vgl. auch den Exkurs zu rnbes süe^e 28121—28164. Im ersten Teil bewertet er diese sehr positiv; sie ist es, die u. a. Artus zu seiner Milde anspornt. Ahnlich wie in den knappen Ausfuhrungen zu demselben Thema —>3439—3445 werden aber sofort auch die negativen Aspekte mit ins Spiel gebracht, für die der Erzähler eigene Erfahrung als Beweis heranzieht. Seine im Minnewerben empfangenen Wunden (während die der Dame schon verheilt seien) 13889-13901 erscheinen allerdings als literarischer Topos, nicht als biographischer Hinweis. 13892 ff. spielt auf eine verbreitete Sentenz an, vgl. 22449, 28108 ff., 28144 ff., 29991 f.; so auch Frdk 106,4 ff.; Wh 248,1 {diu mpliche gäete/ git dem man hohgemüete)·, Pz 248,1; Wig 2097, 2392, 9698, 9704 ff., 10463 ff. Vgl. TPMA 3, „Frau" 3.1.5: „Die (gute und schöne) Frau ist der Inbegriff der Quelle der Freude (für den Mann)", ebd. 3.1.6: „Die (gute und schöne) Frau ist der Trost und Beistand des Mannes". Zu dem im zweiten Teil des Exkurses thematisierten Leid vgl. v.a. die ausführlichen Betrachtungen über 94

BLEUMER 1 9 9 7 , S . 1 3 4 .

95

Neben den Nennungen im Exkurs vgl. die zahlreichen weiteren Belege: 2429, 3439, 8383, 10430, 17017, 23777, 24281, 24317, 28108, 28117, 28124, 28132.

13861-13924 Doppelhochzeit und wibes güete

357

Klage und Trost —>7150—7223 im Rahmen des Diskurses mit Blandochors. Zu der sentenzhaften Formulierung 13910 f. gibt es offenbar keine unmittelbaren Parallelen (vgl. ShRM; TPMA 7, „Leid" 3.4); erzähltechnisch dient sie als Begründung, warum Heinrich seine Ausführungen nicht weiter forsetzen möchte. 13902: An dieser Stelle setzte zuerst SINGER 1895, S. 21 f. eine entstehungsgeschichtlich begründete Zweiteilung des Romans an (WALLBANK setzt den Beginn des zweiten Teils für —>13925 an) 96 : Auf einen guten ersten Teil sei nachträglich ein schlechterer zweiter Teil gefolgt. Diese These wurde mehrfach übernommen; GÜLZOW 1914 sah sie u.a. durch seinen Befund gestützt, aufwendigere Metaphern etc. seien nur im ersten Teil zu finden.97 In der neueren Forschung wird dieser Ansatz nicht mehr widerspruchslos akzeptiert, da ein konsequenterer Aufbau des Romans erkannt wurde.98 Zuletzt begründet THOMAS die enge Verknüpfung der einzelnen Romanabschnitte über diese Partie hinweg mit dem Auftreten Gansguoters, der sich ab dem Wunderschloß als Helfer Gaweins positioniert; er geht so weit, die Zaumzeugepisode und die ersten Wunderkette mit Gralsbesuch (12611—14926) zu einer einzigen großen Gliederungseinheit zusammenzufassen.99 Der Dreireimabschnitt 13902—13934 greift gleich eine ganze Reihe von wesentlichen Themen nochmals auf (Fest, rede von den wiben, Vorgriff auf das Turnier und Gaweins Vereinzelung) und erscheint so als ein bewußt gestaltetes Scharnier zwischen den Zeiten des angreifbaren und denen des gefestigteren Artusreichs nach Ginoverentfuhrung und Einbindung Gasoeins.100 13920: in ist das wibes Dichter 13913 hinsetzt.

96

lop

(stN./stM.), zu dessen Beschreibung sich der

WALLBANK 1 9 6 5 , S . 3 0 4 .

97

Für die Teilung auch ZATLOUKAL 1 9 8 2 , S. 6 ; KRATZ 1 9 7 3 , S. 1 4 2 und GRABER 1 9 1 0 , S. 1 5 4 .

98

Zuerst von HELLER 1942, S. 70, der auch einen ersten Gliederungsversuch unternahm; ausführlich begründet z.B. auch bei MENTZEL-REUTERS 1989, S. 187f.

99

Vgl. THOMAS 2002, S. 5. Vgl. entsprechend auch den Ansatz von GANTER 1999.

100 Vgl. zu diesem Problem zusammenfassend JILLINGS 1980, S. 231 ff., v.a. Anm. 41; MEYER 1994, S. 1 1 7 f . ; KELLER 1997, S. 29 f., v.a. Anm. 46.

13925-14926 Erste Wunderkette: Gaweins Gralsfahrt I Lit. zur Gralsthematik und den Winderketten in der >CröneCrone< als „the first major piece of fantastic narrative in German literature".23 Die Einzelheiten der Wunderketten werden im Roman nicht erklärt und aufgelöst. So lag es für die Forschung nahe, einen Deutungshorizont aus der Struktur zu entwickeln. Eine erste detaillierte Gliederung der Wunderketten hat WYSS vorgenommen. In der ersten Kette sieht er die wundersamen Waffen als einen Rahmen (zu Beginn in dem Kampf gegen die 600 Ritter, abschließend in der Burg, in der Gawein Schwert und Lanze wiederfindet). Den Hauptteil sieht er als „Triptychon um Todesbilder".24 KELLER greift diese Gliederung, in vielerlei Hinsicht erweitert, wieder auf und vergleicht den Aufbau der ersten Wunderkette dem eines Theaterstücks. Die „Einleitung" besteht demzufolge aus „Vorspiel" (Sigunefigur) und „Exposition" (600 Ritter); darauf folgt das „Triptychon aus Doppelbildern" (gefesselter Riese und Frau auf Dreihorn; roter und schwarzer Ritter und blutiges Stilleben; Kristallpalast und Rosenheide). Als „Nachspiel" bezeichnet er schließlich die Begegung mit Gener von Kartis. Den Besuch auf der Gralsburg klammert er als eigenen Abschnitt aus dem „Theaterstück" aus.25

WAGNER-HARKEN,

„Filmstreifen"20

Neben diesen Gruppierungen der einzelnen Bilder läßt sich auch eine Gliederung durch die Angaben von Tageszeiten erkennen. Heinrich verteilt die Begegnungen auf insgesamt vier Tage: Am Abend des ersten Tages (an dem die Artusritter zum Turnier aufgebrochen waren) erlebt Gawein die gesamte Einleitung, die Reihe endet mit dem Feuerschein der verbrennenden 600 Ritter. Die Nacht reitet er durch, am folgenden Tag erlebt er fünf der Aventiuren des Triptychons; der Tag endet wiederum mit Feuer, diesmal nach der Zerstörung des Kristallpalastes. Gawein reitet eine weitere Nacht durch; der dritte Tag beginnt mit dem letzten Bild des Triptychons (Rosenheide) und endet auf der Gralsburg. Gawein schläft schließlich bis weit in den Morgen des vierten Tages, beim Erwachen ist die Burg verschwunden. 20

WAGNER-HARKEN 1995, S. 178.

21

WAGNER-HARKEN 1 9 9 5 , S. 3 3 1 .

22 23 24 25

DICK, Tradition 1986, S. 83 ff. DICK, Tradition 1986, S. 92. Wrss 1981, S. 275. KELLER 1997, vgl. v.a. die Übersicht im Anhang. Die vorliegende Gliederung des Kommentars orientiert sich weitgehend daran und übernimmt die Terminologie.

13925-14926 Erste Wunderkette: Gaweins Gralsfahrt I

363

Der offenbar in vielerlei Hinsicht überlegte Aufbau der Wunderkette (Anordnung, Zeitrahmen, Motivverweise) ist ein starker Anreiz, sich um eine tiefere inhaltliche Deutung dieser Bilder zu bemühen. Die Einmaligkeit dieser drei Bilderketten innerhalb der höfischen Literatur betonen alle Interpreten. Das mag bestätigen, daß sie Heinrichs Phantasie zuzuordnen sind. Anregungen könnte er aus den bereits genannten christlichen Texten bezogen haben, zu denen die >ApocalypseWigalois< bezogen.27 Daneben stehen die von BLEUMER beobachteten Verbindungen zur Form irischer Erzählungen.28 Der Versuch, einzelne Bilder der Wanderkette direkt auf eine biblische Vorlage — vor allem auf die >Apocalypse< — zurückfuhren zu wollen, scheitert an Heinrichs zu starken Umgestaltungen fähiger Phantasie. Trotzdem läßt sich wohl nur schwer von der Hand weisen, daß ihm die Visionen des Johannes ein anregendes Beispiel gewesen sein dürften, wie eine solche Bilderreihe gestaltet werden kann. Johannes wie Gawein werden reihenweise mehr oder weniger schreckliche Bilder vorgeführt, ohne daß sie direkt in die Handlung eingebunden wären. Die Bilder der Offenbarung werden von dämonischen, himmlischen und sonstigen phantastischen Figuren (v.a. diversen Tieren) bevölkert; die Wunderketten von einem abgewandelten Personal der Artusdichtung. Johannes ist zu Beginn dadurch in das Geschehen eingebunden, daß er mehrmals eine Stimme hört und den Auftrag bekommt, alles aufzuschreiben (Apc 1,10 f.). Diesem Auftrag kommt er gewissenhaft nach, vgl. Apc 9,4 f., wo er gebremst wird, weil er etwas nicht protokollieren darf; Gawein merkt sich die Erscheinungen, um sie später erzählen zu können (—>14229).29 Beide sind also lediglich in Gesichts- und Hörsinn angesprochen sowie in ihrer Zeugenfunktion. Schließlich folgt in beiden Texten auf die Reihe der Schreckensbilder ein deutlicher Kontrast: bei Johannes die Vision des Himmlischen Jerusalems, bei Heinrich der Besuch bei Saelde, 26

MENTZEL-REUTERS 1989 (S. 258) hat versucht, die alte Frau auf dem Dreihorn als Übernahme der Hure Babylon nachzuweisen; KELLER 1997, S. 73 f. hingegen müht sich um Relativierung dieser Parallelen. THOMAS 2002, S. 58 stellt wiederum fest, die „rather macabre 'Wunderketten' appear to resemble Biblical apocalyptic more closely".

27

Vgl. W i g 4 5 3 9 ff.; s o z u e r s t EBENBAUER 1 9 7 7 , S. 41; MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 2 5 4 ; HAUG

28

1992, S. 266; Knapp 1994, S. 554; zurückhaltend KELLER 1997, S. 55 f. u.ö.; gegen jede direkte Beziehung der beiden Romane zuletzt STEIN 2000, S. 128-142. Vgl. BLEUMER 1997, S. 252, Anm. 24 verweist dabei auch auf weitere Spuren dieser Erzählungen u.a. in den Motiven des schwimmenden Rasens (vgl. 17329-17358) und des Zaub e r k n ä u e l s ( 1 3 5 4 2 - 1 3 5 6 1 , 1 3 6 5 2 ff.).

29

Vgl. auch KELLER 1997, S. 80.

364

13925-14926 Erste Wunderkette: Gaweins Gralsfahrt I

deren Schloß deutliche Anklänge an die biblische Stadt aufweist (—»1564915931). Neben diesen Übereinstimmungen der Gesamtkonzeption gibt es erstaunlich viele Motive in beiden Texten, die ähnlichen Bildquellen verhaftet sind. Dabei sind es nie die exakten Beschreibungen, sondern immer Einzelheiten, die sich bei Heinrich wiederfinden lassen, mit Phantasie umgestaltet oder mit aus anderen Quellen stammenden Details verbunden. So gemahnt verschiedenes in der Perikope Apc 19,11—21 an den Kampf der 600 Ritter gegen Lanze und Schwert sowie den gefesselten Riesen (der zugleich wiederum die antike Figur des Prometheus heraufbeschwört): In der ersten eschatologischen Schlacht trifft ein Reiter auf einem weißen Pferd, in seinem Mund ein zweischneidiges Schwert, auf die Könige der Erde und ihre Heere und besiegt sie, unterstützt von den himmlischen Heeren auf weißen Pferden; schließlich fressen sich die Vögel an den Getöteten satt. Die zahlreichen Unwetter der >Apocalypse< (vgl. Apc 6,12 f.; 8,5 ff.; 11,19; 16,18) spiegeln sich in den Naturkatastrophen der zweiten Wunderkette; sie sind dort Gliederungselement (und zitieren die Mischung aus Hagel, Gewitter und Feuerregen der >Apocalypse13925-14926.39 36

Vgl. TRACHSLER 1979, S. 155 f., der auch auf CURTIUS 1967, S. 207 f. verweist. Vgl. auch KEEFE 1 9 8 2 ; ROLOFF 1 9 8 4 ; SCHMID-CADALBERT 1 9 8 9 ; ZACH 1 9 9 0 , S. 169; KELLER 1 9 9 7 ,

S. 35 f. 37

Vgl. auch KAMINSKI 2 0 0 5 , S. 1 7 6 u.Ö.; SHOCKEY 2 0 0 2 , S. 2 3 8 .

38

„und mein Herr Gavain ist in Gedanken, und ihm kommt in seinem Denken solch große Freude, daß er sich an nichts erinnert außer an Gott."

39

Vgl. MEYER 1 9 9 4 , S. 1 2 0 f f .

13972-14021 Die klagende Jungfrau 13949:

367

getriben (part.) von einem Weg: „viel gebraucht, geebnet" (vgl. Lex

11,1509). 1 3 9 5 7 : Die vesper %it ist die (vor allem in Klöstern praktizierte) Gebetszeit um 18 Uhr. Nach Pfingsten ist es um diese Zeit noch lange hell; dementsprechend spricht Heinrich erst 14103 von naht, sowie davon, daß Gawein die ganze Nacht hindurch reitet, ohne auszuruhen. Den nächsten Aventiuren begegnet Gawein erst am folgenden Morgen; eine zweite Nacht reitet er 14322 ff. durch.40 1 3 9 6 4 — 1 3 9 7 8 : Der Turnierlärm, dem Gawein hier folgt, und der ihn auch nach der folgenden Begegnung mit einer klagenden Jungfrau wieder lockt, ist Grund für das Dilemma, in das er in der ersten Wunderkette gerät: entweder kann er den Geräuschen folgen, oder er greift in das sich ihm präsentierende Geschehen ein. Auf diese Weise gestaltet sich auch der Entscheidungszwang zwischen manheit und state in der zweiten Wunderkette; vgl. auch Iweins Dilemma in der Harpin-Episode. Durch das refrainartig zwischen die Bilder geschobene Agens der Furcht, die aventiure [^e] Verliesen, betont Heinrich dieses Problem Gaweins immer wieder aufs Neue, vgl. 14145, 14196 f., 14230 ff., 14327 ff. und 14417-14430. Daß der Schall einer Stimme den Weg zu einer Aventiure weist, erscheint als typische Situation des Artusromans, vgl. ähnlich z.B. 9211 ff., 16395 ff., 18685 ff., 28741 if.41 1 3 9 7 1 : SCH hat den hier endenden Dreireimabschnitt übersehen. Er ist in Ρ durch ein Capitulumzeichen markiert; vgl. so auch EK mit Anm.

13972-14021 Die klagende Jungfrau Vorbilder für die Figur der über Parcifaln (P) klagenden Jungfrau finden sich mehrere; so zunächst die namenlose Cousine CdG 3369 ff., die Wolframs Sigune entspricht; zudem finden sich zwei entsprechende Situationen im >Didot-PercevalDidot-Perceval 1 4 3 4 5 - 1 4 4 0 6 ) , legt die Klage dieser Jungfrau, der Artushof habe sich durch die Aufnahme des schuldigen Parzival mitschuldig gemacht (13991—14008), auch eine positive Deutung von Gaweins stater Verfolgung der beiden Pferde nahe: Er möchte diesen Makel Parzivals von der Tafelrunde nehmen und verfolgt deshalb die Lanze, die Wegweiser zum Gral ist. Dabei läßt er sich von den „Versuchungen" am Wegrand nicht aufhalten. 13982 f.: Die weiße Farbe des casteläns entspricht der weißen Farbe der Pferde —>14051; vgl. auch zu Gasoeins Pferd —>12549 und Sgoydamurs Maultier —>12657. Auch bei Wolfram sind die Pferde der Gralsritter weiß, —>14035 ff. Die Länge auf swan bei SCH ist wohl Druckfehler.45 1 3 9 8 8 - 1 3 9 9 6 : KRATZ liest hier ein weiteres Akrostichon: NIUWVELSE,46 vgl. das Akrostichon der Namensnennung (—>182 ff.). KRATZ sieht die Passage als Einleitung zum zweiten Romanteil und vermutet ursprünglich ein vollständiges Akrostichon, das eine befreundete Familie oder vielleicht sogar die Auftraggeber benennen sollte. Als mögliche Namensgeber nennt er Neuenfels bei Mühlheim (Baden) oder Neufels über Kupfer-Tal bei Oehringen. Ρ als Alleinzeuge bietet kein Argument für oder gegen eine gestörte Umgebung der genannten Verse, durch die der Rest des Akrostichons zu klären wäre; das durch den Aufbau des Romans bedingte Argument ist davon abhängig, ob man von einer Zweiteilung des Werks ausgeht (—>13902). Vgl. auch die zahlreichen Akrosticha, die GOUEL 1 9 9 3 gefunden haben will (—>29872 ff.). 13991 f.: Die direkte Anrede vür dich richtet sich an den toten Freund; der Wunsch, anstelle des Geliebten gestorben zu sein, entspricht dem mittelalterlichen Trauertopos. Vgl. auch Belahims Klage 9 6 2 0 , Amurfinas Wunsch 1 7 2 9 1 ; außerdem die entsprechende Äußerung der klagenden Jungfrau CdG 3380-3391.47 44

HEMPEL 1 9 6 7 , S. 1 2 9 .

45 46 47

Vgl. die zahlreichen Reime a : ä bei PFOSER 1929, S. 125-133. KHATZ, Zweites Akrostichon 1989; vgl. auch Anm. EK. Womöglich sollte mit SCH Punkt nach 13989 gelesen werden, um den Adressaten deutlicher zu machen. Die Paraphrase von Wrss 1981, S. 272, der Gawein angesprochen sieht, ist irreführend; vgl. auch BLEUMER 1 9 9 7 , S. 2 4 3 ; KELLER 1 9 9 7 , S. 41 f.

13972-14021 Die klagende Jungfrau

369

13995 f.: Die /ara^ wünscht Parzival endlich einen guten Tag, nachdem er so viel Unglück verursacht hat. Diese Deutung, die SCH in der Lesung an Varrival (mit kurzem an) gibt, erscheint auch angesichts des Cundrie-Zitats plausibel (vgl. 14007 mit Pz 315,8). K E L L E R erwägt hingegen Lesung mit Länge (an) als „ohne" im Sinne einer weiteren Verwünschung Parzivals.48 13998: Der hier in Verbindung mit dem Gral genannte Name Gornomant erscheint zuerst 3304 als Ortsangabe, dort reitet Artus gen Gornomant auf Jagd. Ursprünglich ist der Name für den Erzieher des jungen Perceval bekannt (vgl. CdG 1506: Gomemant de Goort); vgl. auch —>607, wo ein Turniergast des Namens auftritt, ebenso 25935."' K E L L E R möchte die Angaben der magt so verstehen, daß der Gral nun im Reich des Artus zu suchen sei, sich die beiden Sphären jetzt miteinander verbunden hätten.50 Die Präp. gegen/gen (3304) drückt aber nur eine Richtung aus, nicht „in" o.a.; Artus hat demzufolge wohl kaum im Gralsland gejagt (vgl. Lex 1,778). Vgl. z.B. auch die doppelte Verwendung des Namens Karadas als Orts- und Personennamen. 14001 f.: Der Verweis auf den „Fischerkönig" der Tradition51 bleibt hier ein auf die Quelle verweisendes blindes Motiv, der alte Gralsherr wird bei Heinrich nirgends mit diesem Attribut belegt. Lediglich im Blick auf Parzivals Versagen wird der Gralskönig 2213 so genannt. Εζ 14002 bezeichnet άαχ sper und den gräl (13997). 14004: Entweder ist der Vers als Apokoinu zu lesen: Nicht nur die vorausgehenden ίώ^-Sätze, sondern auch der folgende scheinen auf ihn bezogen — oder die Verse 13997—14003 sind als eigenständiger Ausruf zu verstehen; 14004 ff. wäre ein neuer Satz anzusetzen: „Ebenso schmerzt mich ...". Der Gedanke, der Artushof habe sich durch die Aufnahme Parzivals geschändet, entspricht Cundries Verwünschungen Pz 314,23—318,4. 14008: Zu magenkrafi ->12672.52 14009: Neuer Abschnitt und Initiale sind sinnvolle Konjektur SCH, die Handschrift geht über den vorausgehenden Dreireim hinweg.

48 49

KELLER 1997, S. 42; vgl. auch Anm. E K . Vgl. auch CORMEAU 1977, S. 198.

50

K E L L E R 1 9 9 7 , S . 4 3 f.

51

Vgl. lo riebe Roi Pescheor (CdG 3433), Ii Rais Peschierre (CdG 3458 u.ö.), der tmrge vischare (Pz 315,28), auch der vischare (Pz 225,13; 226,1 und 26; 227,3; 229,20). Für SHOCKEY 2002, S. 224 evoziert der Begriff hier „Arthurian stability, and projects the summative body o f orders into the functions o f a restorative viator, one who, by his thoughts, words, and deeds, should seek stability and continuity".

52

370

13925-14926 Erste Wunderkette: Gaweins Gralsfahrt I 14022-14084

Ein Schwert und ein Speer töten 6 0 0 Ritter

14035 ff.: Die kämpfenden 600 Ritter sind einheitlich mit weißem gewafen (P gewapen) ausgerüstet. Daß auch die Pferde weiß sind,53 läßt sich dem Text nicht unmittelbar entnehmen; zumindest ihre Decken sind aber offensichtlich weiß. Die als Symbol u. a. für Tod und Trauer verstandene weiße Farbe54 ist im Zusammenhang mit Waffenausrüstungen bei Wolfram den Gralsrittern zugeordnet (Pz 4 4 3 , 9 ) . Diese Parallele wird in den Interpretationen der Szene immer wieder vorausgesetzt. 55 Vgl. auch den Hinweis, ein Traum von einem weißen Pferd sei ein Todesomen gewesen. 56 Ritter und kämpfende Waffen auf den weißen Pferden rechnet KELLER der Gralssphäre zu.57 Einen Kampf der Artusritter gegen die Gralswaffen und somit eine grundlegende Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Welten sieht hingegen MENTZEL-REUTERS in der Szene.58 Während beide Interpreten die Identifizierung der Waffen darauf stützen, daß diese in der Gralsburg wieder auftauchen, bezieht sich KELLER bei den Rittern vor allem auf deren Waffenfarbe und auf die Anbindung an die vorhergegangene Szene, um sie dem Gral zuzuordnen; 59 MENTZEL-REUTERS hingegen beruft sich auf 1 3 9 6 8 f., wo Gawein den in der Ferne erklingenden Kampflärm seinen Gefährten zuschreibt. So zeigt sich für ihn als Kernaussage der Szene, daß „Gaweins Versagen [...] deshalb gefahrlich ist, weil es dem Artusreich jenen Schaden antun könnte, der dem Gralreich schon geschehen ist"60 und der von dem Ritter auf dem Bock sogar mit dem Ringverlust verknüpft wird ( 2 5 4 5 2 - 2 5 4 6 6 ) . Für KELLER ist hingegen vor allem die Verbindung von Gral und Tod wichtig, die sich hier bereits zeige, und die sich bis in die Erlösung der Gralsgesellschaft zum Tod durchziehe. So finde sich eine völlig von Wolfram verschiedene Gralsgesellschaft, die nicht eine helfende Dynastie ist (wie von Trevrizent geschildert), sondern eine, die Mord und Terror verbreitet, eine Einschätzung, die er in seiner Interpretation der abschließenden Gralserlösung allerdings nicht so drastisch aufrecht erhält.61 53

S o ZACH 1 9 9 0 , S. 1 6 3 .

54

56

Vgl. HEINZ-MOHR 1998, S. 107. Zu abweichenden Bedeutungen in anderem Kontext auch —>14627. Zu der Frage, ob Heinrich diesen Teil des >Parzival< überhaupt gekannt habe, zuletzt STEIN 2000 (->6380). So SHOCKEY 2002, S. 240; HwdA 6,1620.

57

Vgl. KELLER 1 9 9 7 , S . 5 2 , A n m . 5 6 ; S. 5 6 ff.

55

58

MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 2 5 4 f.

59

Auch die klagende Jungfrau mit ihrem toten Ritter sitzt auf einem weißen castelän (13982 f.); sie selbst stellt zudem eine Verbindung zwischen ihrem Leid und dem des Fischerkönigs her.

60

MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S . 2 5 5 .

61

Vgl. KELLER 1997, S. 61: es „geht vom Gral eine tödliche Bedrohung aus".

14085-14121 Gawein folgt den Waffen in ein wüstes Land

371

14043: Die Angabe sehshundert umschreibt eine große Menge; allerdings gibt es keinen bedeutenden symbolischen Hintergrund für diese Zahl. Die Sechs war als „Zahl der Tage des Schöpfungswerkes ein Hinweis auf übermenschliche Kraft"62 und zudem „Zahlzeichen der in sechs Weltalter gegliederten ird. Zeit (mit dem 6. Zeitalter der Passion Christi und der Erlösung)" (LdMA 9,446). 14048 ff.: Wider (SCH/EK) aus Ρ Sider. Selbsttätige Waffen verwendet Heinrich nochmals auf Burg Salye (20709 ff.), vgl. auch das huote-Schwert über Amurfinas Bett —>8509 ff. Zu ähnlichen geheimnisvollen Waffen im >Lancelot en prose< vgl. ZACH 1990, S. 163 f. 14051 f.: Die ors, diu wären blatte findet Gawein schließlich im Stall der Gralsburg bei seinem eigenen Pferd wieder (14869) — Da von gewan er manec gedanc (14870). sie (14052) bezieht sich auf die Waffen, die über den Pferden des vorigen Verses schweben {dar obe, Ρ Darob, „darüber"). 14057: Zu schehen („schnelles dahinfahren, jagen, rennen") —>876. 14068 und 14083: Zu bluotvar 12258. 14072: Zu der Entfernung vier mile (mindestens 2000 m) —>3630. 14085-14121 Gawein folgt den Waffen in ein wüstes Land 14088 f.: Die Frage nach der Bedeutung des Gesehenen ist schließlich auch die Frage, die zur Erlösung der Gralsgesellschaft führen wird, vgl. 29434-29437, ->29476 f. 14099 ff.: Das Motiv der Selbstentzündung findet sich wieder im Drachenkampf —>15199 ff. sowie in der Erlösungsgeschichte um den Schwarzen Ritter (18934—19345), die ebenfalls dem Gralsbereich zuzurechnen ist. Feuer spielt in der Szene auf der Rosenheide ein Rolle, vgl. daneben auch die feurigen Erscheinungen auf dem Weg zu Gansguoter 27384 ff. sowie auf dem Weg zu dessen Schwester 28383 ff., schließlich auch die feurigen Unwetter der zweiten Wunderkette sowie den durch ein wundersames Glas verursachten Waldbrand in der dritten Wunderkette (28679 ff.).63 Zur Erwähnung der naht vgl. die Vesperzeit —>13957 und den nächsten Tag 14114; auch —>14323. 14105: Zu Gaweins merken ->13944 ff. und 14229. 14106 f.: Einziger Beleg für die Verbindung sterben üj, vgl. Lex 11,1180. 14116 f.: Mit 14116 setzt die Parallelüberlieferung im zweiten Teil von Fragment D ein (—>12898); sie reicht mit Lücken bis 14721. 62

HEINZ-MOHR 1 9 9 8 , S . 3 3 8 .

63

Zur Vieldeutigkeit des Feuers im Roman vgl.

KELLER

1997, S. 335-363; auch ->3335 f.

372

13925-14926 Erste Wunderkette: Gaweins Gralsfahrt I

Die Beschreibung des die Gralsburg umgebenden Landes als allev^ verbrant [...] unde wüeste entspricht der Darstellung der 1. Cont., Bd. 1, Τ 13563, die von einem roialmes destruis spricht.64 Daneben wird CdG 6095 ff. von der Grals-Lan2e gesagt, daß sie das Königreich Logres (das Reich des Artus) zerstören werde.65 Zur motivlichen Verbindung von Verfluchtem (entsprechend die Erlösungsbedürftigkeit der Gralsgesellschaft) mit der Vorstellung von ödem Land und dürren Pflanzen vgl. Ier 17,5 f.66 14121: Die für das wüste Gralsland typische Vegetation hecken unde dorn fand sich auch schon unmittelbar nach Gaweins Vereinzelung (13973).67

14122-14406 Triptychon Die folgenden drei Bildgruppen lassen sich jeweils durch ihren Charakter zu Paaren zusammenstellen: die ersten beiden bleiben außerhalb des höfischen Bereichs (Riese, nackte Jungfrau, alte Frau, Dreihorn und Mohr). Das zweite Paar zitiert ritterliche Motive: Ritter auf Verfolgungsjagd, das blutige Stilleben mit Rüstung. Das dritte Paar mischt Erscheinungen der höfischen und außerhöfischen Welt, allerdings verbindet sie der Aspekt der trügerischen Schönheit: der zerstörte Kristallpalast mit den Mädchen sowie die eigentümliche Gruppe aus Jüngling, Jungfrau, Zwerg und Ritter. Während die Eingangsszenen (klagende Jungfrau und die kämpfenden Waffen) ebenso wie die anschließende Episode um Gener von Kartis Gawein jeweils mit einbeziehen (er wird gegrüßt, er folgt den Waffen, er gerät in direkte Interaktion mit Gener), sind die dazwischenliegenden Bilder gänzlich von ihm distanziert und lassen sich so als eigentlicher Kernbestand der Wunderkette sehen.

64

Die von KELLER 1997, S. 64 zitierte Stelle aus dem >Conte du Graal< bezeichnet den Wald, in dem Perceval seine Mutter wiederzufinden hofft (CdG 2897), nicht das Gralsland.

65

Vgl. a u c h ZACH 1 9 9 0 , S. 1 6 4 f.

66 67

Zu dem Motiv des „Waste Land" im >Perlesvaus< vgl. auch KENNEDY 1987. Zur Variante in D hagm vnd dorn vgl. den hagendom, „Weissdorn, hagedorn", der auch als „teufelsname" belegt ist (Lex 1,1143), es wäre ein schönes Wortspiel, hagen ist „dornbusch, dorn" (Lex 1,1142).

14122-14194 Erstes Doppelbild: Tod und Quälerei im außerhöfischen Bereich

373

1 4 1 2 2 - 1 4 1 9 4 Erstes Doppelbild: Tod und Quälerei im außerhöfischen Bereich Die beiden Bilder sind durch das der außerhöfischen Aventiuren-Welt entnommene Personal miteinander verbunden, daneben aber auch durch die Handlungskonstellation: Im ersten Bild handelt die Frau zugunsten des Mannes, im nächsten gegen ihn; im ersten stirbt der Mann, während im zweiten die alte Frau tot zu sein scheint.68 14122-14148

Angeketteter Riese und nackte Jungfrau

14126: P: Steig er v f f , D: Streich er. 14129: Die schone magt bid(D nur maget bloerregt Gaweins Aufmerksamkeit; den mißhandelten Mann sieht er erst auf den zweiten Blick. Soll ihre Unfähigkeit, den Riesen gegen die Vögel zu schützen, Gawein aus seiner Passivität herausreißen? Oder zeigt das Bild nur die Erfolglosigkeit einer guten Absicht?69 14129 ff.: SCH schreibt Einem statt Einen ( P / D ) 1 4 1 3 1 ; zudem versteht Ρ den risen als Subjekt und läßt ihn sich selbst gegen die Vögel verteidigen ( 1 4 1 3 5 f.: Dem geßgel begund er mit einem klobben wehren/ Vnd moht sich doch nit emereti). SCH entspricht demzufolge weitgehend D (ohne Kenntnis der Hs.), wo die Magd den Riesen zu verteidigen versucht.70 14131: Die Figur des risen läßt manche Interpreten an Prometheus als mögliches Vorbild denken,71 der allerdings keine Helferin zur Seite hatte und die Qualen zudem unendlich ertragen mußte. Daraus leitet MENTZEL-REUTERS seine Interpretation als typus Christi ab, „der das Leiden der Menschheit abbildet", worin das „Paradoxon vom Leben durch den Tod verwirklicht" werde, das auch Gawein als stellvertretender Tafelrunder gerade durchlaufe.72 68 69

70

71

Vgl. NXVss 1981, S. 273. KELLER 1997, S. 67 billigt ihr lediglich zu, sie sei als Kontrast zur Häßlichkeit des Riesen gedacht, die Auskünfte, die sie vielleicht geben könnte, würden von Gawein nicht abgefragt. Zu den Details vgl. den Wortlaut der Hss. bei EK, mit Anm. zu 14131-14135. KELLER 1997, S. 66 beharrt auf der Lesung P, da zuviele Eingriffe nötig seien, um das Subjekt zu ändern; D bezeichnet er allerdings kurzerhand als „unleserlich" (ebd. Anm. 91). Die Hs. ist zwar stark verfleckt, aber durchaus zu entziffern. Auf die handlungslogische Frage, wie sich der Riese trotz seiner Fesseln zu wehren vermag, geht er nicht ein. Bereits bei AHRENDT 1923, S. 33, der aber eher mündliche Tradition vermutet; wieder HOMBERGER 1 9 6 9 , S . 1 5 2 .

72

MENTZEL-REUTERS 1989, S. 258. Allerdings beruht diese angebliche Prometheus-ChristusTypologie wohl auf einem Mißverständnis der einzigen dementsprechenden Stelle bei Tertullian, das sich seit dem 17. Jh. in der Wissenschaft eingenistet hat, vgl. FRENZEL 1992, S. 6 5 4 .

374

13925-14926 Erste Wunderkette: Gaweins Gralsfahrt I

betont das Sterben des risen, das exakt in dem Moment stattfinde, in dem Gawein dieses „Schauspiel"73 betrachtet. Das ist allerdings stark interpretiert, aus dem Text geht nicht eindeutig, ob es sich wirklich um den Tod des Riesen handelt. Das Fegefeuer und Höllenqualen nahelegende Motiv der Menschenfleisch fressenden Vögel findet sich Ez 39,17-20 (im Rahmen des Strafgerichts sollen sich Vögel und wilde Tiere am Fleisch der Helden, Fürsten, Krieger sättigen; ähnlich am Ende der ersten eschatologischen Schlacht KELLER

in A p c

19,21).74

14142: Hier wird womöglich das Motiv des Frageversäumnisses aufgegriffen. 14144: list zeigt an, daß Gaweins Nichteingreifen nicht unmotiviert, sondern genau überlegt ist. Obwohl der Begriff hier eher neutral scheint (auch — » 1 3 5 0 8 f.), möchte KELLER ihn ausdrücklich positiv verstehen, um damit dem Erzähler ein Parteiergreifen für Gaweins Nichthandeln zuzuschreiben.75 14149-14194 Alte Frau auf Dreihorn und Mohr Die Diskrepanz zwischen der höfischen Kleidung der alten Frau und ihrer Häßlichkeit erinnert an die Figur Cundries (Pz 312,7-314,9; 780,11-28), ähnlich ambivalent gestaltet Heinrich auch den Boten Priures (vgl. 946 ff.) Realistisch wirkende Altersbeschreibungen finden sich selten, vgl. die BaarlamLegende76 oder Heinrich von Neustadt (>Apollonius< 17917—22).77 Die Szene wurde u.a. als Pervertierung der Eingangssequenz des >Erec< interpretiert;78 daneben steht der Versuch, die Frau als Hure Babylon aus der >Apocalypse< zu verstehen (Apc 17,3 ff.).79 Das gesamte Bild fällt durch seine ausdrückliche Farbigkeit auf: das Tier ist grüene als an gas, die Decke rot als ein bluot; die Haare der Frau sind isgrä, ihr schappel ist von golde, ihre Augen sind gel und brennen zugleich wie viure, dazu gesellt sich schließlich noch der nackte schwarze Mann.

73

KELLER 1 9 9 7 , S. 6 9 .

74

KELLER verweist auf die >Apokalypse des PetrusLaubacher BarlaamBarlaam und Josaphat), vgl. zu Details SEITZ 1967, S. 70 f.

77

Vgl. SEITZ 1 9 6 7 , S. 56.

78

Vgl. MEYER 1 9 9 4 , S. 122.

79

Vgl. MENTZEL-REUTERS 1989, S. 258; wieder bei GOTTZMANN 1988, S. 301.; vgl. die Über-

legungen zur >Apocalypse< als Quelle der Wunderkette .

14149-14194 Alte Frau auf Dreihorn und Mohr

375

14156 f.: Lies mit D / E K den in P/SCH fehlenden Reimvers: Vnd %wei da enneben/ Div warn höh vnd eben. 14159: D liest gereite statt geyuc (P/SCH); vgl. 7752. 8 0 14163: D liest das ältere und verstechnisch glattere ausen. 14169: Zu der seltenen Farbbezeichnung isgrä —>976. 14171 f.: Die alte Frau trägt als Kopfputz lediglich einen Goldreif statt des Haar, Stirn und Wangen zumindest teilweise verhüllenden gebendes der Alteren. Da ein schapel sonst hauptsächlich im Zusammenhang mit jugendlicher Schönheit erwähnt wird,81 verstärkt dieses Detail den Eindruck der Normenfreiheit im außerhöfischen Bereich, zumal in dem des Todes (vgl. 14173 ff.). Vergleichbar erscheint die Damoisele de Grant Age im >Lancelot en prose< (MICHA, 11,273, § 11, Z. 4 ) , eine ebenfalls mit Goldkranz und vielen Ketten geschmückte (ca.) Siebzigjährige.82 D liest 14171 gemäß der Gewohnheit von V sei (sie), —>237. 14173 ff.: Heinrich betont die scheintote Erscheinung der Frau durch gelbunterlaufene Augen und die Beschreibung als gar totliche getän\ daß zugleich von ir ougen bran/ D' schein alsam ein viur (so die Lesung in D) unterstreicht den Schwebezustand zwischen Tod und Leben. Daher versteht sie KELLER als Abgesandte der Gralswelt, die ebenso erlösungsbedürftig ist wie die Bewohner der Gralsburg, die Gawein schließlich zum Tod befreit.83 Auffällig ist aber, daß auf der Burg nur die Männer scheintot sind, die Frauen nach der Erlösung weiterleben. 14182: In D ist der Mohr nicht nur häßlich und groß (griuwelich und gro%), sondern eislich gro%. also ausdrücklich ein Riese wie der des ersten Bildes. 1 4 1 9 2 ff.: Der Dreireimabschluß des Abschnitts ist in P/SCH durch Fehlverse verderbt; D liest ab 14190 gut verständlich (so auch EK): Vnd het im gern gewegen/ Nur da% er vnder wegen/ Niht wol moht beleiben/ Vnd wolt sih ouch mit weiben/ Mit niht ^war beweren/ Wan im moht da^gewerren/ Vnd sein lop von im verren.

80

81

82 83

LEITZMANN 1925, S. 448 möchte hier und in allen folgenden Fällen gereite lesen (20559, 25957, 26102, 26925, 27174, 27374, 29111, 29739; vgl. Anm. EK zu 14159); allerdings ist nur 20559 ausdrücklich die Ausstattung des Pferdes gemeint, in den übrigen Fällen handelt es sich sehr allgemein um ritterliche Ausrüstung. So 8244 bei der Beschreibung Amurfinas, vgl. zahlreiche Belege aus anderen Werken bei BRÜGGEN 1989, S. 95, die S. 217 auch vermutet, daß ein Gebende „in der Regel eine Kopfbedeckung der verheirateten Frau war". Vgl. Z A C H 1990, S. 166. Zur Diskussion um Heinrichs Kenntnis des >Prosa-Lancelot< vgl. STEIN 2000, S. 274-282. Vgl. KELLER 1 9 9 7 , S . 7 3 f f .

376

13925-14926 Erste Wunderkette: Gaweins Gralsfahrt I

1 4 1 9 5 - 1 4 2 6 6 Zweites Doppelbild: Angst und Tod im Ritteralltag Die beiden folgenden Erscheinungen entnehmen ihre Motive der höfischen Welt: erst zwei Ritter, danach die pervertierte Einkehr an einem locus amönus. Eine Verbindung stellen u.a. die abgeschlagenen Köpfe her: im ersten Bild der einer Frau, im zweiten der eines Ritters. Der Text läßt offen, ob das blutige Stilleben, das auf die Verfolgungsjagd folgt, deren Ursache oder Fortsetzung ist, oder ob die Bilder unabhängig sind; auch der Verbleib der von Gawein verfolgten Waffen bleibt ungeklärt. 14195-14229 Schwarzer und roter Ritter auf Verfolgungsjagd 14201: Die mehrfache Erwähnung des Fliehens hier, 14213 sowie 14221 verstärkt den raschen Charakter der Episode: Kaum daß die beiden Ritter in Gaweins Blick gekommen sind, ist der Spuk auch schon wieder vorüber. Die Temposteigerung im Vergleich zu den vorhergegangenen Bildern wird dadurch aufgefangen, daß eher statische bzw. nur gering bewegte Szenen folgen. Die unergiebige Verfolgung des schwarzen Ritters (durch den Frauenkopf als Mörder charakterisiert) bildet eine Parallele zu Gaweins ebenso fruchtlosem Bemühen, die mörderischen Waffen einzuholen. Eine ähnliche Verfolgungsjagd liefern sich später im Roman Aamanz und Gigamec (der Mörder von Aamanz' Bruder, vgl. 16497—16796). 14203: Statt gewäfent wol lies mit D yehamascb ml (21423 auch in Ρ überliefert, vgl. auch Anm. EK), die ungewöhnlichere Formulierung, die wohl auf Hartmann von Aue zurückgeht (ErH 16; Greg 1725), auch Wig 6550. 14204: Schwarze Ritter finden sich nochmals in der Szene auf der Rosenheide (14354—14406) sowie in Gaweins Erlösungsaventiure 18934—19345; das Attribut schwarz zeichnet daneben auch den Mohren 14179 ff., den Bauern am Kristallpalast (14287 ff.) sowie den Brückenwächter bei Gansguoter (27517) aus. Zu Schwarz als Häßlichkeitsattribut vgl. auch —>976. 14206: D liest 3eseweti hant-, rehte im Sinne des nhd. „rechts" belegt DWb 14,388 erst ab dem 15. Jh. Ρ schreibt selbst %eswe 22875, vgl. auch 14383, 15854, 15874. 14207 f.: Der abgeschlagene Frauenkopf hat mehrere Entsprechungen im Roman, vgl. den ausgerissenen Zopf der Blutstropfenszene im wilden Wald sowie die versuchte Enthauptung Ginovers durch ihren Bruder; zu abgeschlagenen Männerköpfen —»14255.84

84

Zu einer möglichen Parallele im »Lancelot en prose< (Enthauptung einer CHA, IV,316-319, §41-43) vgl. Z A C H 1990, S. 166.

demoisele,

MI-

14230-14266 Stilleben mit blutiger Rüstung

377

1 4 2 0 9 : Rot gewappnete Ritter begegnen häufiger in der Literatur, der bekannteste ist wohl Parzival (vgl. Pz 383,23 ff. und 679,8 ff.), der die Rüstung des von ihm erschlagenen Ither führt (vgl. Pz 145,16 ff.). ErH 9010 ff. ist Mabonagrin rot gewappnet; Wig 260 ff. erscheint König Jöram als roter Ritter am Artushof. 14211 ff.: Lies mit D erstreichen (P/EK herstrijcheri) für „laufend einholen" (Lex 1,678), vgl. 9219 und 26875. 14213 ist der mit D/EK zu streichen; statt des eigenwilligen ime vliehen liest D schließlich 14213 schlicht: Da% tet er mit vliehen. 1 4 2 2 0 f.: P/SCH/EK verstehen als Verb, D als Substantiv: Vür sich in ein' ma^e/ Vloh so er best chvnde. 14226: Statt manicvalt (P/EK: manigfelticlicheii) liest D h't^enkichen. 1 4 2 2 9 : Die Begründung Da% er vür war möhte gejehen für Gaweins Trauer, die Ritter nicht mehr sehen zu können, erstaunt: Nicht Anteilnahme am Geschehen löst diese Klage aus, sondern unbefriedigte Neugier, die eine Geschichte erzählen möchte und dafür Fakten sammelt. So wird auch ausdrücklich darauf verwiesen, daß sich Gawein das Gesehene einprägt, vgl. 14105,14408 f. u.ö. (auch ->13944 ff.) Dieses Erzählbedürfnis steht im Kontrast zu seiner sonstigen Schweigsamkeit während der Wunderkette. 22629— 22633 erwähnt er die wundersamen Begebenheiten Artus gegenüber, führt sie aber nicht weiter aus. KELLER geht davon aus, daß er aufgrund seiner Passivität und seines Unverständnisses gar nicht in der Lage wäre, mehr zu berichten. Zugleich interpretiert er diese „angedeutete Erzählfiktion" dahingehend, daß Heinrich seinen Protagonisten als Gewährsmann einsetze: Seine fragmentarische und schwer verständliche Schilderung der Szenen beruhe auf Gaweins mangelhaftem Verständnis.85

14230-14266 Stilleben mit blutiger Rüstung 1 4 2 3 0 ff.: Gawein verliert die beiden wundersamen Waffen aus dem Blick, kann aber zugleich den beiden Pferden weiter folgen. Es bleibt unklar, ob die verschwundenen Waffen etwas mit dem folgenden Bild zu tun haben könnten, das zwischen den Uberresten eines Kampfes ein Schwert und eine Lanze zeigt, auf der ein Ritterkopf steckt. 14237 ff.: Zunächst zeichnet Heinrich eine regelrechte Idylle, alles weist auf eine angenehme Rast hin: der abgelegte Schild, das angebundene Pferd, der abgesetzte Helm mlgetän, das /«A?r-farbene Schwert, die kostebare sarw&t. Erst der zweite Blick zeigt den Horror der Szene: Die Kleider sind blut-

85

KELLER 1 9 9 7 , S. 8 0 f.

378

13925-14926 Erste Wunderkette: Gaweins Gralsfahrt I

überströmt, auf dem banter steckt der Kopf eines Ritters, zu Füßen liegt ein toter leithunt, dazu ertönen klagende Stimmen. MEYER spricht bei dieser Verbindung von locus amoenus und Vernichtung vom „surrealistischen Höhepunkt" der Wunderkette.86 Vgl. ähnlich trügerisch den verkehrten locus amoenus in der Vergewaltigungsszene —>11623—11633. 1 4 2 4 4 : einhalp (P/SCH) bzw. dishalben (D) ist auf hienc zu beziehen: Das Schwert hing bar (aus der Scheide gezogen) auf einer Seite des satelbogen. 1 4 2 4 6 : Statt P / S C H / E K kostebare lies mit D reichiv, das Heinrich auch sonst zu bevorzugen scheint (vgl. 501, 503, 2844 jeweils V und P), 14617 D reich, Ρ kostlich. Ρ und D lesen zudem beide Vhd wa^ ein. 1 4 2 5 1 : Ρ beros^en (zu beriefen, „es begiessen" Lex 1,191; vgl. auch Lex 11,518 roeyen „welk, bleich, faul werden" mit der Variante „blut vergiessen"); D schreibt begoßen. Nicht ganz klar ist, was mit Blut begossen ist: KELLER bezieht die Aussage auf das Schwert, was allerdings dessen ausdrücklicher Beschreibung als lütervar (14245) entgegensteht.87 Vgl. aber 4595 da·^ schilt in Ρ und V: Demzufolge könnte sich die vorliegende Stelle auf den ausnahmsweise als stN. verwendeten schilt beziehen, in dem sarwät und hosen liegen. 1 4 2 5 5 : D/EK da% si daht (da% ist das houbt, si die banier) ist besser als SCH der. Der abgeschlagene, aufgespießte Kopf gemahnt v.a. an den von Gawein geköpften Ritter Berhardis, dessen Haupt Gansguoter auf die letzte freie Burgzinne gesteckt hatte (—»12951 ff., —>13386 f.). Vgl. zudem den Frauenkopf des vorangegangenen Bildes, das Enthauptungsspiel bei Gansguoter (—>13103 ff.), die rachesuchende Jungfrau, die in der zweiten Wunderkette mit dem Kopf ihres Geliebten auf Gawein zureitet (16079 ff.), sowie die Geschehnisse um den abgeschlagenen Kopf von Gaweins Doppelgänger Aamanz (->16497-17311). 14256 ff.: D/EK verh wunt ist interessanter als P/SCH qv sere wunt. Der schwer verwundete, offenbar tote leithund, der auf gestörte Jagdfreuden deutet, erinnert vielleicht wie die klagende magt —>13972-14021 an die Figur Sigunes, deren Leid von der Jagd nach einem brackenseil ausgelöst worden war. 1 4 2 6 0 ff.: Das Klagen der zunächst zwei, dann plötzlich drei unsichtbaren Frauen ist die einzige Aktion der ansonsten statischen Szene. 1 4 2 6 4 : P / S C H / E K bitterkeit, D schreibt barmicheit, im Sinne von „was mideid erregt" (Lex 1,129;, sonst nur noch V/P 11229).88 1 4 2 6 6 : jeit (P und D), kontrahiert aus jaget (z.B. wieder 14332 in D), ist ein starker Ausdruck dafür, daß sich Gawein von dem her^eleit forttreiben 86

MEYER 1 9 9 4 , S. 1 2 2 .

87

KELLER 1 9 9 7 , S . 8 3 ; v g l . A n m .

88

KELLER 1997, S. 84, Anm. 124 liest D als barmicheit.

EK.

14267-14406 Drittes Doppelbild: Zerstörung des Schönen von außen und innen

379

läßt.85 Vom Verständnis des da^ 14265 hängt ab, ob Gawein vor den Klagen flieht, oder ob die Stimmen beklagen, daß Gawein die Szene gleich verlassen wird, so wie er die anderen Bilder ebenso sich selbst überlassen hatte.

14267-14406 Drittes Doppelbild: Zerstörung des Schönen von außen und innen Die beiden folgenden Bilder sind deutlich komplexer als die bisherigen, außerdem sind sie durch eine Nacht und die Verfolgung der beiden Pferde über eine schöne Rosenheide klarer voneinander getrennt als die beiden ersten Paare. Das Personal der beiden Bilder ist aus höfischem und unhöfischem gemischt, der Schwerpunkt liegt auf Vergänglichkeit und trügerischem Charakter von Schönheit und Idylle. 14267—14322 Schwarzer Bauer zerstört Kristallpalast 14272 ff.: D schreibt ein schonspalas, entsprechend dem darauf bezogenen Pron. (P/D) 14278. Die Motiwerbindung von Feuer und Palast findet sich auch Wig 4592 ff., wo die von Roaz erschlagenen Ritter nachts im Schloß Korntin (das aus lütern kristallen besteht und durch dessen Mauern man ml sach/ alle£ da^ dar inne was, Wig 4601 ff.) im Feuer für ihre Sünden büßen müssen.90 Ansonsten finden sich im Bereich des höfischen Romans wohl keine Entsprechungen; das Motiv des Kristallpalasts ist allerdings im Märchen verbreitet." Innerhalb der >Cröne< besteht der Palast der Saelde aus cristalle (15679) und vielen weiteren Edelsteinen; daneben berichtet die dritten Wunderkette von einem Haus als ein glas (->28979 f.). Vgl. auch ->12947 f. und ->6794 f. 14277: Ein kläfter als Maßeinheit entsprach der Größe eines Mannes bzw. dessen Armspanne, vgl. DWb 11,903. 14287 ff.: Die Beschreibung des gebüren entspricht anderen Häßlichkeitsdarstellungen Heinrichs, vgl. die Bewohner des wilden Waldes (Wassermann, wildes Weib) sowie den ackerkneht (19618-19786). Als nackter schwarzer Mann korrespondiert er mit dem von der alten Frau geführten mor 14181 ff.92 89

MENTZEL-REUTERS

90 91

Zur Frage nach Heinrichs >Wigalois2938-2988; STEIN 2000, S. 128-142. Vgl. WAGNER-HARKEN 1995, S. 248. Weder ZACH 1990, noch LICHTBLAU 1989 kennen

92

1989, S. 46 möchte stattdesen seit lesen; KELLER 1997, S. 84 übersetzt entsprechend als „wahrnehmen", in diesem Sinne die darauf aufbauende Interpretation (vgl. auch Anm. EK).

weitere Parallelen im höfischen Roman.

Zur schwarzen Farbe als Häßlichkeitstopos —>976; vgl. SEITZ 1967, S. 74; OSTHEEVEN 1 9 7 1 , S. 39

ff.

380

13925-14926 Erste Wunderkette: Gaweins Gralsfahrt I

Auch Riesen (—>14289) finden sich noch häufiger bei Heinrich, vgl. u.a. Assiles, Baingranz, Reimambram, das wilde Waldweib oder die „Prometheus"-Figur zu Beginn der ersten Wunderkette. MEYER interpretiert den gebüren als „grotesk übersteigerten" Waldmenschen aus dem >Iwein14336 ff.) und dem des verdorrten Landes (—>14116 ff.). Außerdem folgt er Wrss in der Einschätzung, daß der geblendete Jüngling Gawein gegenübergestellt sei, der dies allerdings nicht wahrnehmen wolle und deshalb auch jede Frage vermeide. Die Gemeinsamkeit zeige sich darin, daß der Jüngling state in seinem Zerstörungswerk fortfahre, Gawein hingegen ungeachtet aller Probleme am Wegrand den Pferden hinterherjage - fruchtlose Aktivitäten, da das Mädchen von dem Fächeln nicht wieder lebendig werde, die Pferde nicht einzuholen seien.105 1 4 3 2 3 : Trotz der Surrealität der Szenen bleiben die Angaben zu den Tageszeiten präzise: So hatte —»13957 die vesper %ft angefangen, bei der Verfolgung der beiden Pferde mit den Waffen ist Gawein eine Nacht durchgeritten (vgl. 14103, 14114) und hat am neuen Tag den größten Teil der Wunderkette hinter sich gebracht. Am zweiten Morgen begegnet er der nun folgenden Aventiure: Heinrich vermeidet also offenbar bewußt den Eindruck einer nächtlichen Gespensterwelt. 1 4 3 2 7 : Der Begriff aventiure meint hier die Pferde mit den Waffen, denen Gawein seit 14085 ff. folgt. 1 4 3 3 6 ff.: Mit der Wahrnehmung des Rosenduftes wird erstmals ein weiterer Sinn neben Sehen und Hören angesprochen, wodurch eine weitere Steigerung und Einbeziehung Gaweins in das Geschehen stattfindet. Im Blick auf mystische Erfahrungen und die stärkende Wirkung von Duft bzw. Gral (bei Wolfram) sieht KELLER im schmecken der Rosen die zweite Gralszeremonie „präfiguriert".106 Der hier kraftspendende Blumenduft steht im Gegensatz zu den Blumen des angers von Colurmein mit ihrer einschläfernden und damit schwächenden Wirkung (21355—21388). Die auf Colurmein zu suchenden vier Blumen versprechen hingegen ewige Jugend, in dem damit verhinderten Kraftverlust entsprechen sie also in gewisser Weise den Rosen dieser Heide. 1 4 3 4 8 : D : Do gie in von dem luft an. P/SCH geruch ist tautologisch mit gesmac im folgenden Vers, was der Schreiber von Ρ möglicherweise falsch verstanden hat, da er ausdrücklich eine Reihung bildet. 1 0 4 KELLER 1 9 9 7 , S. 1 0 4 . 105

KELLER 1 9 9 7 , S. 9 6 ff.

106 KELLER 1997, S. 97. Tatsächlich ist die Gralsburg bei beiden Besuchen mit Blumen, zunächst allgemein mit duftenden Blumen (14618 ff.), beim zweiten Mal explizit mit rosen (29213) geschmückt.

14323-14406 Auf der schönen Heide: Jüngling, Jungfrau, Zwerg und Ritter

383

14351: Zum problematischen Verständnis von berochen vgl. Anm. EK. Zu deuten ist es womöglich als etwas mühsames Bild zusammen mit gelac im vorigen Vers: Die Schwäche {unkraß) wurde von dem kraftspendenden Duft nicht nur niedergeworfen, sondern auch gleich verscharrt: bernhen zu rechen (stV.), „scharren, häufeln" (Lex II,360).107 Alternativ wäre sonst auch das von Heinrich häufig benutzte beruochen zu erwägen: „sich einer person od. sache annehmen" (Lex 1,198), dann wohl auf Gawein zu beziehen. 14368-14374: Zu wäle und walen - » 6 3 5 4 , Anm. EK 14378: Die unvermittelte Quellenberufung erscheint ebenso fiktiv wie die übrigen solchen Stellen; vgl. die Belege bei GÜLZOW 1 9 1 4 , S. 2 1 2 ff. 14383: Zu den Varianten P / S C H / E K rehtem bzw. D %eswen — » 1 4 2 0 6 . 14384: Statt getwerc schreibt D getrüch, zu getroc bzw. getrügede, beide in der Bedeutung „Blendwerk, von bösen Geistern ausgehende Täuschung, Trugbild".108 3 5 6 6 wird im Blick auf Gasoein überlegt, ob got/ War oder troges bilde, also auch im Sinne des teuflischen Blendwerks. Diese Variante wurde bislang bei den Interpretationen über den Zwerg nicht weiter berücksichtigt. Hingegen wurde versucht, den Zwerg im Rosengarten mit der Dichtung vom Zwergenkönig Laurin zusammenzubringen.109 Die zum Stoffkreis um Dietrich von Bern gehörende Dichtung, die wohl erst gegen Ende des 13. Jh. entstanden sein dürfte,110 verbindet mit Heinrichs Roman allerdings nur der angenommene Entstehungsraum sowie das Bild des Zwergenkönigs im Rosengarten: genug, um vielleicht eine gemeinsame volkstümliche Quelle anzunehmen, zu wenig, um eine deutlichere Abhängigkeit zwischen beiden anzusetzen. 14385 £f.: Das Motiv einer Krone, die aus einem einzigen Edelstein besteht (hier einem Rubin), findet sich häufiger; dabei sprengt die nötige Größe der Ausgangs)uwelen meist alle realistischen Dimensionen. Pz 24,12 f. trägt Belakane eine Krone aus einem Rubin, Wh 22,26 f. ist in den Helm des Heiden Noupatris eine Rubinkrone integriert; vgl. auch den aus einem Diamanten gefertigten Helm Isenharts, den Gahmuret später trägt, und der nach seinem Tode an dem aus einem Smaragd gefertigten Grabkreuz befestigt wird (Pz 5 3 , 3 ff., 5 8 , 1 2 f., 1 0 5 , 1 8 ff., 1 0 7 , 1 0 - 1 0 8 , 2 8 ) . 1 1 1 Zur Interpretation des Motivs auch -»14323-14406. 107 So auch TH: „His weariness was defeated and buried on the spot". Vgl. vielleicht das Bild vom grabenden Dieb, dessen Einordnung in seinen Kontext eher unklar erscheint, —»7305— 7308. 108 Vgl. BMZ 111,106; Lex 1,948 f. 109

Vgl. K R A T Z 1 9 6 9 , S. 2 6 f.

110 Vgl. HEINZLE in VL2, Bd. 5,625 ff. 111 Zahlreiche weitere Belege für an Edelsteinen reiche Kronen bei ENGELEN 1978, S. 125 ff. Zum Rubin - » 8 2 3 6 ff. (Anm.) sowie -»15784.

13925-14926 Erste Wunderkette: Gaweins Gralsfahrt I

384

14387: D schein lauht schone kann sich auf Stein oder ein reich chrone beziehen, Ρ präzisiert mehr als nötig. 14397: Der Ritter, swar.ζ als ein mdr, erinnert an den Mohren des zweiten Bildes, der von der alten Frau geschlagen wird (14181), ebenso an den schwarz gerüsteten Ritter, der offenbar als Mörder verfolgt wird (14204). 1 1 2 14400: SCH eine wohl Druckfehler, lies mit D und Ρ eilen·, zu der Maßein-

heit-» 9349. 14401 ff.: Zuletzt war Gawein durch das Turnier zu Beginn der Wunderkette zu intensiverem Nachdenken angeregt worden, die darauffolgenden Bilder hatten nur sehr flüchtig beschriebene Emotionen ausgelöst. Hier wird er nun wieder als pensif geschildert; zugleich deutet der Erzähler an, daß er es nicht zu bereuen gehabt hätte (und het sin niht betraget), hätte er zu fragen gewagt. KELLER interpretiert diese Andeutung, daß Gawein durch Fragen seine „spiegelbildlich gezeigten Fehler" hätte überwinden können; in einer Vernachlässigung der eher übertriebenen state bei der Verfolgung der aventiure hätte er zum rechten Maß an Flexibilität finden können. Sein Schweigen vor dem Gral sei in der Stille dieser Szene vorausgenommen, zugleich bleibe die Szene wegen seines Frageversäumnisses unverstanden; das reine Betrachten biete keinen Schlüssel.113 14405: Ρ betraget scheint besser als die Wiederholung von gevraget in D.

14407-14926 Abschluß der Wunderkette: die Gralsburg 14407-14559 Auf dem Weg zur Gralsburg: Gawein in Gefahr Als vorläufiger Abschluß oder „Nachspiel"114 läßt sich auch dieser Handlungsabschnitt dreiteilen, ähnlich dem „Vorspiel" (das aus Gaweins Abkommen vom Weg, der Begegnung mit der klagenden Jungfrau und dem Kampf der beiden Waffen gegen das weiße Heer besteht). Gawein verfolgt weiter die beiden Waffen, gerät bei der Überquerung eines Flusses in Todesgefahr und wird von einer wundersamen vrouwe gerettet. Schließlich erhält er das Verbot, sich um die mit einem blutigen Waffenrock verbundene Aventiure zu kümmern. Bei dieser Gliederung würde das Triptychon seinerseits ebenfalls von zwei Dreiergruppen eingerahmt.

112 Die Idee, die beiden schwarzen Ritterfiguren zu einer einzigen zusammenzufassen, ist schwer zu halten, wie KELLER 1997, S. 98, Anm. 155 schließlich selbst zugesteht. 113

Vgl. KELLER 1 9 9 7 , S. 105.

1 1 4 I n der Terminologie von KELLER 1 9 9 7 .

14407-14439 Gawein verliert Schwert und Speer aus dem Blick

385

14407-14439 Gawein verliert Schwert und Speer aus dem Blick f.: Zu Gaweins Beobachten und Merken ->13944 ff. und 14229. Die vluot als Grenze zu einer anderen Welt findet sich auch in der Episode im Wunderwald, aus dem Gawein die vom Wassermann entführte Jungfrau rettete (9129-9551). Hier dürfte das Wasser wohl ähnlich wie CdG 2924, Pz 225,2 und v.a. zur 1. Cont. (Bd. 1, Τ 13099 ff.) die Grenze zum eigentlichen Gralsreich bezeichnen.115 Nach den vielen Todesbildern deutet auch dieser Grenzfluß darauf hin, daß die Gralsburg als im Jenseits gelegen verstanden wird. 1 4 4 1 5 : D/EK en^elt (Adv.), „den paßgang gehen" (Lex 1,602) ist interessanter als P/SCH einölt. 14421 ff.: Vgl. die entsprechenden Situationen im Wald des Wassermanns 9138 ff. und vor der Schwertbrücke 12837 ff. 1 4 4 2 7 : In D findet er weder vurt noh banhen, in P/SCH/EK weder vurt noch brücke (vgl. aber 9139 suoht brvk oder furt, 12842 f. weder brücke noch stec/ Noch barken varri). 1 4 4 3 8 : SCH unden ist Druckfehler, lies mit Ρ und D fanden bzw. vunden. 14408

14410:

14440-14515 Gawein in Not; Rettung durch Gener von Kartis War die Begegnung mit dem Tod in den vorangegangenen Bildern für Gawein ungefährlich und damit eher theoretisch verlaufen, gerät er nun bei der weiteren Verfolgung der beiden Pferde selbst in ernste Gefahr. Vergleichbare Motive zur wundersamen Rettung Gaweins bietet v. a. das geheimnisvolle Anhalten des Felsstroms durch Aclamet (—»8012ff.). Die Uberquerung des Flusses zum Blumenanger des Giremelanz (21321—21339) hingegen wird durch den im Wasser liegenden Steinpfad entzaubert. Magische Hilfsmittel kommen auch auf dem Weg zu Saside (Zauberknäuel) und zu Levenet (der schwimmende Rasen) zum Einsatz. In Anbetracht der Gefahr, in die Gawein hier gerät, sowie des Jenseitscharakters des wafers scheint die Beurteilung als einer aus lauter bekannten Motiven bestehenden „parodistic inversion of the Perilous Ford"116 zu kurz zu greifen. Als ein drohendes Zugrundegehen „an der Diskrepanz zwischen Schein und Sein", die in der ausführlichen Schilderung des Flusses gespiegelt seien, interpretiert KEEFE die Szene; außerdem betont er die „grosse Rolle, [die] das magische Element bei der Ineinanderverflochtenheit von Handlung

115 Vgl. die Zusammenstellung bei KELLER 1997, S. 109, A n m . 172. 1 1 6 JILLINGS 1 9 8 0 , S. 1 0 8 .

386

13925-14926 Erste Wunderkette: Gaweins Gralsfahrt I

und Landschaft spielt, vor allem wenn die Landschaft handlungsbedingend wirkt."117 Eine Reihe von Gründen sprechen für eine unmittelbare Verbindung dieser Begegnung mit der bisherigen Wunderkette: Das Aventiure-Verbot erscheint als direkte Reaktion auf Gaweins bisher ausgebliebenes Handeln, es greift zugleich auf die zweite Wunderkette vor. Nachdem er bislang nur nachdenklich reagiert hat, fragt Gawein jetzt zum ersten Mal nach (14538 f.). Ebenso wie später auf der Gralsburg (14610 f.) wird er mit Namen begrüßt, was im Kontrast zur sonstigen Aventiuren-Welt steht, in der er oft genug als Unbekannter auftritt (vgl. zu seinem Inkognito bei Ywalin, —>6013 ff.). Die Helferfigur der Gener von Kartis läßt sich schließlich der Abgesandten der Saslde und dem Ratgeber Aanzim in der zweiten Wunderkette vergleichen. Im Unterschied zu diesen eindeutig wohlwollenden Figuren erscheint sie allerdings als schillernde Gestalt, was sich schon in ihrem seltsamen Auftritt mit Sperber und nach Flöten klingendem Hündchen zeigt, dann auch in dem Racheverbot für einen getöteten Ritter.118 Auch Symmetrie-Gründe ziehen die Episode zur Wunderkette hinzu: So wie es die Worte einer Frau waren (die Sigunefigur 13979 ff.), die Gawein in die Wunderkette hineingeführt hatten, so wird er nun auch von einer Frau herausgeleitet, die ihn aus seiner Isolation befreit.119 Auch die im Rahmen des Bildes vom rubingekrönten Zwerg (14354— 14406) aufgegriffene Verbindung zu Amurfina bietet sich hier wieder an: Noch einmal befindet sich Gawein in einer Situation höchster Not, in der ihm ein Versprechen abgenommen wird; er erscheint wiederum als ein fremdbestimmter Ritter.120 Zudem doppelt sich das Motiv der den Felsstrom stillenden Aclamet auf dem Weg zu Amurfina in der Gewalt Geners über den Sumpf. 14444: Daß Gawein fast ertrinkt, findet sich auch bei seinem Versuch, die Unterwasserbrücke ChCh 5108 ff. zu überqueren; dort wird er von den am Ufer gebliebenen Rittern mit Hilfe von Stöcken gerettet.121 14454: Zu Gaweins Beziehung zu Saside und dem Heil vgl. —>6077 f. heil [...]/ Da% ie Gaweins phlak). 117

V g l . KEEFE 1 9 8 2 , S . 2 1 2 f .

1 1 8 Vgl. auch KELLER 1 9 9 7 , S. 1 1 2 f f . 119

V g l . MEYER 1 9 9 4 , S . 1 2 2 .

120 Deutlich thematisiert wird dieses Problem dann nochmal im Handlungsverbot der zweiten Wunderkette, außerdem in der Notsituation, in der er auf Gralssuche geschickt wird (1869— 18934). 121

Vgl. auch SHOCKEY 2 0 0 2 , S. 2 3 7 ; ZACH 1 9 9 0 , S. 1 5 7 f.

1 4 4 4 0 - 1 4 5 1 5 Gawein in Not; Rettung durch Gener von Karris

387

14455: Dieser Vers ist in Ρ extrem lang: Dwijle er sich anders niht den dem tode wag. D ist zu Versbeginn in Film und Kopie mehr oder weniger unleserlich, faßt sich aber deutlich kürzer: [N.. a..e] %em tode wach (vielleicht Nun alse; EK liest Nv alle). 14460 ff.: Mit dem sperwer auf der Hand und dem Hund an der Seite scheint die vrouwe auf Jagd reiten zu wollen. Der Sperber ist kleiner als die meisten anderen Beizvögel und daher leichter zu handhaben; so wurde er von den Damen bevorzugt.122 Die beliebte Form höfischer Jagd wurde gerne abgebildet, vgl. z.B. die entsprechenden Darstellungen im Codex Manesse.123 14462 ff.: Der Hund ist ein beliebtes Attribut der höfischen Dame, vgl. nur die zahlreichen bildlichen Darstellungen von Frauen mit Schoßhündchen.124 Der rot-weiße, auf die Vogeljagd abgerichtete vogelhunt erinnert in seiner Mehrfarbigkeit an das Hündchen Petitcreiu (Tr 15797 ff.) sowie den weißen Hund mit gelbem und rotem Ohr, den Wigalois für Nereja fängt (Wig 2207 ff.). Der Vergleich seiner Stimme mit dem Klang einerßoite ist als Auszeichnung zu sehen, wurde der Ton der Flöte doch oft genug mit dem Attribut süe^e (z.B. 16924) verbunden.125 Die auf die Stimme bezogene Einschränkung 14466 Niwan das^sie kleine was (sinnvoll im Kontrast zu 18398, wo Heinrich die flotte als lute bezeichnet), geht auf SCHOLL zurück, Ρ schreibt auf die Körpergröße des Hundes bezogen: Anders denn das er klein was (ebenso D). 14467: Ein solches wundersames glas, dessen ungenannter Inhalt Macht über Naturgewalten hat, findet sich wieder in der dritten Wunderkette, dort allerdings mit zerstörerischer Wirkung: Es setzt Menschen und einen Wald in Brand (28666-28698). 14477 f.: Die Abfolge der beiden Verse ist in D vertauscht, zudem sind die Verse kürzer (SCH hat gekürzt) und enden auf einen anderen Reim: Welt ir mir ritters triwe swem/ Jch wil ivch von dem tod nern. Zu entsprechenden Notsituationen, in denen Gawein Zusagen machen muß, vgl. —>14440-14515.

122 Vgl. DALBY 1965, S. 210-213. Zu weiteren Sperberfräulein vgl. ZACH 1990, S. 157. 123 Fol 7' reitet König Konrad der Junge mit einem Gefährten, zwei Falken und zwei Bracken auf Jagd; fol 69' reitet der Minnesänger Herr Wernher von Teufen mit seiner Dame auf Beize, diese hält den Falken auf der Hand; 394' schließlich ist Kunz von Rosenheim zu Fuß mit seinem Falken und zwei Hunden auf Jagd. Vgl. auch BRACKERT 1997, S. 373 f., 377 ff., 384 (mit Anm. 59) mit Bezug auf die vorliegende Stelle (und weitere Belege) über alleine jagende Frauen. 124 Z.B. ebenfalls in der Großen Heidelberger Liederhandschift fol 64' (Dietmar von Eist), 197V (Herr Goesli von Ehenheim), 319' (Herr Niune auf Bootsfahrt mit der Dame, deren Schoßhündchen zugleich eine A»e/e-Funktion übernimmt), 371' (Johannes Hadlaub). 125 Weitere Belege bei EITSCHBERGER 1999, S. 270.

388

13925-14926 Erste Wunderkette: Gaweins Gralsfahrt I

14482 f.: Gawein macht in seiner Zusage Einschränkungen, womit diese sich von entsprechenden uneingeschränkten Zusagen Königs Artus unterscheidet; vgl. 2um Rash-Boon-Motiv auch ->1033-1039, -»4779-4793. 14488 ff.: Macht über Naturgewalten hatte auch Aclamet, die den Felsstrom zum Anhalten bewegte (—>8012 ff.). 1 4 4 9 0 : Das seltene Verb erglasen („zu glas werden", Lex 1,631), findet sich nochmals 19818. 1 4 4 9 6 : Sie (SCH/EK) gemäß D gebessert aus Ρ HJe. 14506: grund scheint aus 14504 heraufgekommen, lies mit D (zudem kürzer): Gebogen aus dem mur. 1 4 5 0 7 : Die leitsnuor (P/D) ist ein Neologismus Heinrichs, analog zu leitseil (vgl. Lex 1,1876). 14509: D liest aus statt ü f . 14516-14559 Rache-Verbot 1 4 5 1 6 : SCH schoc („häufe", Lex 11,765 nur fur diese Stelle). P/D/EK schreiben sto(c)k\ vgl. dazu nfrz. stock („Quantite (de marchandises en reserve)"),126 engl, stock für „Vorrat"; nhd. entspricht noch am ehesten DWb 19,37 Nr. 5g: „Stock" für „grundbestand, grundstock" im Sinne einer Mengenangabe. Vgl. auch Anm. EK. 14520 ff.: Zu glavie ->13223; statt In den valten (P/SCH/EK) 14522 liest D Jn der valt% Die Version Ρ erweckt den Eindruck, die Aufschrift befinde sich in den Falten des Gewandes; D hingegen plaziert die Schrift auf die Waffe, wo sie sinnvoller erscheint.127 Vgl. >Virginal< 37,10 f. (so warn im sine velmit buochstaben durchgraben guot) oder das Prunkschwert Konrads von Winterstetten (f 1243) mit einer vierzeiligen Inschrift in der Blutrinne.128 Bei der glavie handelt es sich offenbar um eine zweischneidige große Lanze, auf der genügend Platz für eine Aufschrift war (vgl. auch 18966 ff. die Beschreibung des schwarzen Ritters).129 14523 f.: Während in P/SCH die Identität des Sprechers unklar bleibt, spricht in D/EK eindeutig das Opfer Jch bin hie von tot beltben/ Swers aus mir wil brechen/ Der mv% mich ouch rechen.

126 In dieser Bedeutung allerdings erstmals nachgewiesen 1656, zu der offenbar nicht eindeutig geklärten germanischen Herkunft vgl. Dictionnaire historique Bd. 2, S. 2021. 127 Vgl. Lex 111,16 zu val%. „dierinnenartigeVertiefung längs der fläche oder dem rücken des Schwertes ('das durch einen falz zusammengefügte zweischneidige schwert")". 128 Im Dresdner Historischen Museum, vgl. Bumke 1990, S. 220 f. 129 K e l l e r 1997, S. 117, Anm. 190 versucht, dessen Waffe ebenso wie die hier beschriebene mit der Gralslanze zusammenzubringen.

14516-14559 Rache-Verbot

389

14529 ff.: Wie bei Amurfina 8936 f. zeigt Gawein auch hier, daß er lesen kann, wie es sonst v. a. Lanzelot und Tristan zugeschrieben wurde und nicht zwangsweise zum Wissen eines Ritters gehörte.130 14533: si ist die glavie (stF. oder swF.) aus 14520, die 14524 in D / E K jedoch als stN. behandelt wird (es). 14535 f.: Lies mit D: Vhd da% er sei irgab wert/ Da mit d' si het gegert („Sie bat ihn, das bleiben zu lassen, und daß er ihr damit ihre Gabe gewährte, nach der sie verlangt hatte"), vgl. auch Anm. E K zu 14535. Damit wird der für den Roman untypische rührende Reim (—»9720 f.) werte: gewerte vermieden, zudem bleibt die Gewährung einer unbekannten Bitte (—»14482 f.) nicht nur blindes Motiv. 14540: Daß Gener in D Gawein plötzlich duzt {ichn getar dir), fällt auf, da sie ihn ansonsten auch in D irzt. 1 4 5 4 3 : Rahin de Gart ( P / S C H ) heißt in D Kahin degahart.™ Diese Form eröffnet Raum für Spekulationen: soll dieser Ritter mit sin gro^e bochvart auf den alttestamentlichen Kain anspielen, der seinen Bruder aus Neid erschlagen hat? Dann wäre offensichtlich, warum die Aventiure nicht für Gawein bestimmt sein kann.132 Sein Zuname gahart (D) entspricht dem Namen von Garanphiels Burg 15017 {Gahart), was eine Verbindung mit diesem Aventiurenkomplex nahelegt; vgl. zudem die Nähe zu den anderen auf einen Garten anspielenden Zunamen: sgardin für Fimbeus (—>4888) und Ordohort als Land Söldes (—>15244). 14547 f.: Die Erbschaftsgeschichte erscheint in D verständlicher: Vnd twanc ims ab mit gewalt (vgl. auch Anm. EK). Der erschlagene Rahin/Kahin hat Geners Bruder gefangengenommen, um dessen Erbe an sich zu reißen, deshalb wurde er getötet. Den folgenden Vers hat SCHOLL ganz im Wortlaut von D konjiziert und damit den ausufernden Ausführungen in Ρ Einhalt geboten (Das er sollichs bis^jit^o mit dem libe vergalt). Als mögliche Vorlage für die Racheforderung sieht ZACH die 1. Cont. Τ 14119-14286 (Bd. 1, S. 384 ff.), in der ein toter Ritter in einem Schwanenboot an den Artushof getrieben wird, beigefügte Briefe erklären, daß derje130 KELLER 1997, S. 114, Anm. 186, interpretiert das poetologisch: Gawein sei als „Garant" fiir den Erzählstoff eingesetzt und werde daher „in eine dem Autor verwandte Position" gedrängt. 131 E K liest Rabirr, die Initiale scheint nicht eindeutig, allerdings sehr ähnlich der 14557 folgenden in Karttjs. 132 VgJ. auch die Erklärungen des Gralsherren zu dem Brudermord, der der Erlösungsbedürftigkeit des Grals zugrunde liegt —»29498 f.; auch dort drängt sich der Urtypus von Kain und Abel in den Blick.

390

13925-14926 Erste Wunderkette: Gaweins Gralsfahrt I

nige ihn rächen solle, der ihm das Lanzenstück aus der Brust zieht. Ähnliches findet sich außerdem in >Lancelot en prose< und der >Vengeance Raguidek133 1 4 5 5 0 : Die Zeitangabe sit hiute (D/P/SCH) erscheint rätselhaft, daher streicht EK sit (vgl. auch Anm. EK). 14552: D liest ebenfalls sinnvoll: Vhd hart da% ml angewert, vgl. Anm. EK. 1 4 5 5 7 : Gener von Kartis (P/SCH) heißt in D Genet von Kartqs. Vgl. afrz. gent bzw. jant, „schön, hübsch, zart, anmutig".134 Eine Interpretation des Zunamens Kartis als verballhorntes afrz. cortois, mhd. kurtois, kurteis, auch kurtis, „höfisch" (Lex 1,1796) ist im Blick "auf den offenbar ebenfalls gestörten Abschluß des Dreireims vielleicht nicht ganz von der Hand zu weisen? 1 4 5 5 9 : Humildis (P/SCH/EK), hilmidis (D), wird von SCH und E K als Namen des Bruders gedeutet. Zu denken wäre evtl. eine lateinische Schlußformel humilis·. Der Bruder ist hoch zu preisen wegen seiner demütigen Ritterschaft?135 Oder stand hier einfach ein reimbedingt ungewöhnlich formulierter Ausdruck wie hie mit dis (Lex 1,440: dis = dises) o.ä., bezogen auf die vorliegende Aventiure? 14560-14926 Erster Besuch auf der Gralsburg Lit.: Zur Quellenfrage: Eine ausfuhrliche Übersicht über die Parallelen der afrz. Gralserzählungen mit der >Cröne< bis hin in die Details der Abläufe der Gralsprozession, sowie die Diskussion von Abhängigkeiten und Forschungsmeinungen bietet Z A C H 1990, S. 185-197 und 363-365. Vergleich mit der 1. Cont. (E 3631-3969 und MQU 17122-17152) auch bei B U S C H I N G E R 1981, S. 13 ff.; auch G O L T H E R 1925, S. 226 ff. Interpretationen: B L E U M E R 1997, S. 243 ff.; K E L L E R 1997; B U S C H I N G E R 1994, S . 93-95; M E Y E R 1994, S . 123 f.; S C H M I D 1994, S . 281 ff.; S C H R Ö D E R 1992, S . 156f.; G O L T H E R 1925. Allg. zur Gralstradition u.a. K N A P P 1996; B L A N K 1989; HEMPEL 1 9 6 7 ; BURDACH

1938.

Aufgrund der engen motivlichen Verknüpfung wird dieser Handlungsabschnitt mehr oder weniger direkt zu der ersten Wunderkette gezählt.136 Die Verbindung von Wunderkette und erstem Gralsbesuch ist formal durch den Rahmen gegeben: Gawein findet auf der Burg die Waffen und die beiden Pferde wieder, die er den ganzen Weg lang verfolgt hat, und die ihn gleichsam als „Wegweiser"137 zu der Burg geführt haben. Zudem lassen sich gemeinsame Motive, in beiden Handlungsteilen finden: Vor allem Gaweins 133

ZACH 1 9 9 0 , S . 1 0 1 f. Vgl. a u c h KELLER 1 9 9 7 , S. 1 1 5 , A n m . 1 8 7 .

134

D A F , 2 9 0 ; FOERSTER 1 9 7 3 , S . 1 4 4 .

135 In diesem Sinne EBENBAUER 1981, S. 63, Anm. 83, der das aber als Deutung des Eigennamens versteht. 136

W r s s 1 9 8 1 ; MEYER 1 9 9 4 ; BLEUMER 1 9 9 7 ; KELLER 1 9 9 7 .

137

ZACH 1 9 9 0 , S. 1 6 3 .

14560-14926 Erster Besuch auf der Gralsburg

391

durchgehend passive Haltung (weswegen die Gesamtszene auch als Traum interpretiert wird)138 sowie die konsequente Nennung von Blut bzw. der Farbe Rot sowie von Tod/Leichen, was zu der Schlußfolgerung führte: „Der Gral [...] ist der Tod."13' Auch wenn der Gral in der gesamten Episode kein einziges Mal genannt wird, finden sich doch genügend Anspielungen auf dessen Tradition, um sie als Besuch auf der Gralsburg anzusprechen, vgl. zu dem Problem schon GOLTHER 1925, S. 226. Durch die Position in der Mitte des Romans wird diese ^««»mr-Aventiure Gaweins aus der Reihe der ähnlichen Episoden besonders hervorgehoben.140 Als Quelle für Heinrichs Darstellung von Gaweins Gralserlebnissen dürfte v.a. die >1. Continuation in Frage kommen, wo Gauvains zweiter Besuch auf der Gralsburg im Ablauf vergleichbar ist: Erst besucht er eine Kapelle (allerdings außerhalb des Gralsbereichs), dann erlebt er die Gralszeremonie. In dem französischen Text stellt Gauvain zwar beide Male die Frage, schläft aber danach ein, ohne die Erklärungen seines Gastgebers zu hören — dementsprechend wird er bei Heinrich vor seinem zweiten Besuch vor dem Schlafen gewarnt, das dort mit dem Trinken in Zusammenhang gebracht wird.141 Der Vergleich zwischen Gaweins unvollkommenem Handeln in der gesamten Wunderkette (mit Gralsbesuch) und dem souveränen Auftritt beim zweiten Gralsbesuch wird als Hinweis für die um Offenheit bemühte Anlage seines Charakters gewertet.142 Die gesamte Szene erscheint durchdacht gegliedert, was als Hinweis auf die „Schlüsselstellung dieser Ereignisse" zu deuten sein dürfte.143 Um einen exakt symmetrischen Aufbau der Gralepisode nachweisen zu können, läßt KELLER allerdings den letzten Abschnitt weg, in dem Gawein sich von seinem Schrecken über die verschwundene Burg erholt, sein Pferd sattelt und

138

Vgl. MEYER 1 9 9 4 , S. 1 2 0 f f .

139 Wrss 1981, S. 289. 140 Es lassen sich sehr viele seiner Erlebnisse mit Jenseits-Erfahrungen in Verbindung bringen: die Zöllner-Kämpfe bei Assiles, der Identitätsverlust bei Amurfina und der Aufenthalt in dem Zauberwald; später folgen die beiden weniger bedrohlichen Wunderketten, der Tod seines Doppelgängers sowie die Besuche bei Sadde und auf der Jungfraueninsel, die Episode vom Schwarzen Ritter und die Gralserlösung. 141 Diese Erklärung dürfte wieder mit dem Bedürfnis nach realistischer Ausgestaltung zu erklären sein, wie es sich beispielsweise in der Rationalisierung der magischen Pforte gezeigt hat (->12980 ff.). 142 Eine Entwicklung innerhalb der Wunderketten stellte bereits ZATLOUKAL 1981 fest (vgl. S. 309: „Gawein ist vom Dichter nicht statisch gesehen."). Gegen das starre Rollenverständnis eines vorgeformten Charakters wendet sich auch GRANT 1991, S. 96 f. Zur Diskussion um den „präformierten Charakter" ->701. 143

KELLER 1 9 9 7 , S. 1 2 1 .

392

13925-14926 Erste Wunderkettc: Gaweins Gralsfahrt I

losreitet (14904 ff.). So erhält er jeweils zwei Abschnitte für Einleitung und Abschluß.144 14560-14598 Ankunft auf der Burg 14563 ff.: Das Gralsland ist durch das nun wieder fließende und dadurch unüberwindbar gewordene Wasser konsequent als Land ohne Wiederkehr gestaltet. Zur Raumdarstellung der Szene vgl. K E E F E 1982, S. 245 ff.; K E L L E R 1997, S. 327 ff. zum Gralsland. 14565: D liest: Wider worden alsam -e·. 14575: Die Zeitangabe, die als „gegen Abend" zu übersetzen sein dürfte (tme bezogen auf den tac), fügt sich in die Reihe solcher Beschreibungen, die über die ganze Wunderkette verteilt waren (—>13957, 14323). Wenn Gawein zu Beginn des Sommerabends auf die Gralsburg gelangt, bleiben noch einige Stunden Tageshelle. So ist die Finsternis in der Kapelle wohl eher den übernatürlichen Erscheinungen entsprechend als Sonnenfinsternis zu deuten (14655 f.),145 nach dem Kapellenbesuch schließt sich recht bald das Abendessen an (14729 ff. wird die hereinbrechende Nacht erwähnt). Nachdem Gawein dann eine halbe Nacht auf die Rückkehr der Burgbewohner gewartet hat, schläft er bis weit in den nächsten Tag hinein, bei seinem Erwachen ist die Burg verschwunden (auch —>14710). 14576-14595: Heinrichs Burgbeschreibung zeigt Verbindung zur Burgenarchitektur der Stauferzeit, die hier prächtig und phantasievoll ausgestaltet wird. Zwei oder drei große Bergfriede lassen sich häufiger nachweisen, mehrere Palasse finden sich vor allem in Ganerbenburgen.144 Zinnen waren alternativ zu Scharten Teil der Verteidigungsanlage, die zusätzlich Schmuckfunktion haben konnte, und die von Heinrich erwähnte Rundform war v.a. bei Wasserburgen anzutreffen.147 Von Ordnung und Regelmäßigkeit geprägte Grundrisse waren typisch für die Stauferzeit, allerdings ließen die natürlichen Gegebenheiten selten die Verwirklichung geometrischer Ideale zu.148 Eine genauere Betrachtung der Burgen mit mehreren großen Türmen149 zeigt je1 4 4 KELLER 1 9 9 7 , S. 1 2 0 f.

145 Vgl. die entsprechene Erscheinung in der zweiten Wunderkette —»16160 ff. 146 Prototyp dieser Form ist Burg Eitz, die acht meist wohnturmartige Gebäude umfaßt, die einen Innenhof umschließen, allerdings keine besonders daraus hervorragenden Türme. 147 Betraf aber auch nur ca. zehn Prozent dieser Anlagen, vgl. KRÄHE 2000, S. 20. „Regelmäßige Wasserburgen mit Ecktürmen sind jung [...]", es gibt „vor 1200 faktisch keine Anlagen" (ebd., S. 39). 1 4 8 KRÄHE 2 0 0 0 , S. 2 2 .

149 Vgl. z.B. die Burg Münzenberg (Wetterau, zwei Bergfriede und zwei Palasse, einigermaßen ovale Anlage, 12. Jh.), Hoch Egisheim (Elsaß, Gruppe aus drei Burgen mit je eigenem Bergfried aus dem 11. und 12. Jh.), Schönburg (Oberwesel, drei Bergfriede, 12. Jh.), Lüt-

14560-14598 Ankunft auf der Burg

393

doch, daß die von Heinrich beschriebene Verbindung von Rundform, Wasserburg, vier Türmen und vier Palassen in ihrer idealisierten Pracht selbst noch die staufischen Reichsburgen in den Schatten zu stellen vermag.150 14577: Als sinewel, also als Rundbau, wird auch der Palast der Saside dargestellt (vgl. 15723). 14584 ff.: Die beiden Burgtore mit Fallbrücken sind vielleicht als gelegentlich vorkommende Kombination aus breitem Fahrtor und schmalerem Fußgängertor vorstellbar; eine Alternative zum sogenannten „Mannloch" im großen Tor, um die schweren Torflügel nicht zu häufig bewegen zu müssen. Diese Lösung gab es offenbar auch mit zwei getrennten Zugbrücken, vgl. die Beschreibung, daß eine der beiden Brücken für Gawein niedergelassen wird (14598).151 14586: D bürg statt brug ist offenbar Schreiberfehler, aus metrischen Gründen ist div bruk in D auch 14597 apokopiert. 14587: Zu den smbogen ->15765. 14589: Die mhd. Verwendung von schaft als Maß, Meßstab findet sich auch ErH 2802, Wig 6813 ff., En 4181.152 Vgl. auch die Bedeutung: „in der baukunst eine art pfeiler, der zwischen den pfeilern in die höhe geht [...]. auch steht es für das stück mauer, welche zwischen zwei fenstern oder einem fenster und der hausthür in die höhe geht" (DWb 14,2050). 14590 f.: D gevestent ml mit gaben läßt den wehrtechnischen Aspekt deutlicher werden. D/P erhaben scheint eigenwillig (vgl. Anm. EK), vgl. aber DWb 3,833: „erhaben, in der bedeutung von ergraben, getrieben, caelatus, sculptus" (allerdings hauptsächlich im kunstgewerblichen Kontext belegt). Der Eindruck von Höhe könnte auch mit dem häufig vor dem Burggraben aus dem Aushub aufgeworfenen Wall verbunden sein, der den Weg zur Brükke zunächst nach oben fuhrt.153 14594: D liest knapp: Da% mans druber. zelburg (Moselle, Frankreich, drei Bergfriede, 12. Jh.), Burg Runkel (Lahn) mit drei Bergfrieden ist zu jung. Vier Bergfriede besitzt die aus drei Burgen bestehende Asseburg (Wolfenbüttel, um 1220 erbaut); Bergfried, zwei Wohntürme und einen repräsentativen Torturm umfaßt die Salzburg (Kreis Rhön-Grabfeld, Bayern, Ganerbenburg vom Ende des 12. Jh., die aus mindestens vier Burgen besteht). Vier Wohntürme um einen Bergfried schart schließlich Burg Friedberg bei Innsbruck (Tirol, im 13. Jh. als Ganerbenburg erbaut). Alle Grundrisse in K R Ä H E 2000. 1 5 0 Zur ausführlichen Beschreibung der Burg vgl. auch (hauptsächlich bewertend) K E E F E 1982, S. 170. 151

„Solche doppelten Eingänge sind allerdings selten." Vgl. 11D.

152 Vgl. Lex 11,634 f.; DWb 14,2049. 153 Zu Wallgräben vgl. u.a. K R Ä H E 2000, S. 23 f.

K R Ä H E 2000,

S. 2 4 f., mit Abb.

13925-14926 Erste Wanderkette: Gaweins Gralsfahrt I

394

14597 f.: CdG 3 0 0 4 ff. und 1. Cont. Bd. 1, Τ 1 2 3 8 ff. sind die Tore weit geöffnet; Pz 2 2 6 , 1 3 ff. muß sich Parzival auf die Einladung des Fischers berufen, damit ihm geöffnet wird. Heinrich wählt den Mittelweg: die Tore sind offen, aber die Brücken sind hochgezogen. Bei Gaweins Ankunft wird jedoch eine der beiden sofort niedergelassen. Der Erzählerkommentar {ich enwei% wes er da gend%) versucht offenbar bewußt, Distanz zu der Gastfreundschaft in den Quellen zu wahren. Gawein wurde als Erlöser bereits erwartet,154 worauf auch die namentliche Begrüßung durch den portenare hinweist ( 1 5 6 0 8 ff.).

14599—14641 Begrüßung durch den alten Burgherren 14610 f.: Gleich ein zweites Mal äußert sich der Autor Ich enrniζ (vgl. Heinrich scheint sich kritisch mit seiner Vorlage auseinanderzusetzen. Ähnlich dem namentlichen Gruß durch den porterum war schon bei Gener von Kartis aufgefallen, daß sie Gawein kannte (14475). 1 5 5 14612 ff.: Auch das Innere der Burganlage beschreibt Heinrich plastisch und realitätsgetreu156 — den Weg durch den Burghof, den Stall (der wohl nur bei großen Anlagen Platz in der Nähe des Palas fand, sonst in die Vorburg ausgelagert war) und die Stiege, die in den im ersten Obergeschoß gelegenen Repräsentationssaal hinauffuhrt.157 14613 verwendet sal synonym für den palas bzw. das Herrenhaus. 14614: D liest synkopiert Da engen (für engegeri). 14617: Zu kostlich (P/SCH) bzw. D reich vgl. - > 1 4 2 4 6 . 14618: Statt clüglich liest D schon. Die Blumen erinnern mit ihrem süe^en smac an die schöne Heide, die Gawein auf dem Weg hierher durchquert hat, 14598):

154 Vgl. die Entsprechung beim zweiten Gralsbesuch S. 2 3 8 .

29161

ff.; dazu z.B.

SHOCKEY 2 0 0 2 ,

155 Solche namentliche Nennungen durch Unbekannte ziehen sich ebenso durch den Roman, wie Gaweins bewußte Selbstoffenbarungen, mit denen er selbst seine literarische Bekanntheit auszuspielen scheint. Weitere namentliche Anreden durch Unbekannte: 1 3 0 7 5 durch Gansguoter, 1 4 6 3 7 durch den Gralsherren, 1 5 8 8 3 f. Frau Saide, 1 6 0 9 1 und 1 6 1 0 3 durch eine klagende Jungfrau in der zweiten Wunderkette, 1 6 1 9 4 durch einen Ritter und 1 6 3 5 7 durch die von Sarfde geschickte Jungfrau (beide ebenfalls in der zweiten Wunderkette), 1 9 0 2 5 (wieder 1 9 3 2 3 ) durch die hilfesuchende Frau des vom Schwarzen Ritter Erschlagenen. Vgl. auch die ähnliche Beobachtung bei KELLER 1 9 9 7 , S. 3 5 2 , Anm. 169. 156 Zur Beschreibung der Burg vgl. KEEFE 1982, S. 109-112, der die außergewöhnliche Präzision der Darstellung auf den Versuch zurückführt, etwas Rätselhaftes aufzuklären, weswegen Gawein im Laufe seines Aufenthalts die gesamte Burg erforsche; daher beschränke sich Heinrich nicht auf „das übliche, typisierende Empfangszeremoniell, das mit einem Minimum an Raumangaben auskommt" (ebd. S. 112). Vergleichbar die leere Burg der dritten Wunderkette 28772-28928. 157

Vgl. z . B . KOCH 1 9 9 0 , S. 3 0 2 .

14599-14641 Begrüßung durch den alten Burgherren

395

und an deren kraftspendenden Duft (—>14336 ff.). Im Blick auf die häufig mangelhaften hygienischen Verhältnisse in den Burgen, in denen der Boden meist mit Stroh, Dreck und Unrat bedeckt war,158 wird mit der duftenden Blumenstreu ein idealisiertes Gegenbild gezeichnet (wieder 29213). 14622 ff.: Der altherre entspricht den Gralsherren im >Conte du Graal< oder im >Didot-Perceval14001). Wrss 1981, S. 287 f. kommt zum Abschluß seiner Beobachtungen zu dem Fazit, daß der Gralskönig und Artus dieselbe Person sein könnten; GANTER 1999, S. 106 f. geht schließlich sogar soweit, auch noch Gansguoter als mit den beiden anderen Herrschern „deckungsgleich" anzusehen, es lasse sich folgern, „daß sich diese drei Herrscher (wieder) vereinigen, respektive der einzige Herrscher, der wohl Artus ist, wieder zu einer ganzheitlichen Figur werden kann." Sie schränkt ebd. aber sogleich ein: „Im Text läßt sich aber weder eine Bestätigung noch eine Widerlegung solcher Denkansätze finden."161 14627: Vor allem im Blick auf die Rolle des altherren in der zweiten Gralszene dürften die schneeweißen Kleider, die Heinrich möglicherweise aus der >1. Continuation übernommen hat, auch symbolisch zu deuten sein. Vgl. die Figur des schneeweiß gekleideten Hochbetagten in Daniels Traum von den vier Tieren (Dn 7,9 ff.),162 der dem mit den Wolken kommenden Menschensohn Herrschaft, Würde und Königtum übergibt (Dn 7,13 f.). Eine ähnliche Figur schildert später Johannes in seiner Offenbarung (Apc 1,13 f.; Apc 4,4 sind die um den Thron Gottes stehenden Ältesten in weiße Gewänder gekleidet, ebenso die Auserwählten Apc 7,9; 7,13 f.).163 „Weiß ist die 1 5 8 Vgl. KRÄHE 2 0 0 0 , S. 4 2 . 1 5 9 Vgl. ZACH 1 9 9 0 , S. 1 8 0 .

160 Eine Gemeinsamkeit mit dem an das Bett gefesselten Jüngling der Rosenheide. 161 Ahnlich argumentiert neuerdings auch KAMINSKI 2005 für ein Zusammengehen der drei Männerfiguren in einer einzigen. 162 antiqum dierum sedit vestimentum eius quasi nix canäidum. („Ein Hochbetagter nahm Platz. Sein Gewand war weiß wie Schnee"). 163 Apc 7,13 f. betont zudem den symbolischen Charakter der weißen Gewänder hii sunt qui veniunt de tribulations magna et laverunt stolas suas et dealbaverunt ear in sanguine agni („Es sind die, die aus der großen Bedrängnis kommen; sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut

13925-14926 Erste Wunderkette: Gaweins Gralsfahrt I

396

Farbe der Unschuld und Reinheit, des ungebrochenen Lichtes, der absoluten Wahrheit. Die neugetauften Christen trugen weiße Kleider. Weiß bleibt die Farbe der Teophanie (vgl. Mc 9,2-5 über die Verklärung Jesu) [...], so verbinden sich mit dem Stichwort 'weiß' Vorstellungen der vollkommenen Reinheit, der siegreichen endgültigen Verklärung, der ewigen Herrlichkeit [...] Von daher ist das besondere Vorrecht des Papstes verständlich, einen weißseidenen Talar zu tragen."164 Zudem scheint noch einmal die intensive Farbgestaltung der Wunderkette auf; weiß waren dort das Pferd der klagenden Jungfrau als ein swän 13983), die gewafen der 600 Ritter ( > a l s ein harm 14037), die beiden wundersamen Pferde ( b l a n c 14051), die Itch der juncvrouive auf der Rosenheide als ein harm 14382) sowie der vogelhunt der Gener {halber blanc 14464); vgl. auch —>14035 ff. 14629-14633: Wohl zu bevorzugen D: Da% er niht moht erleiden/ Ob er sich vmb reiden/

Wolt ab d' stat tender/

Wan er en moht sih nlnder/

Gervrn

man als er sa\5

vgl. auch Anm. EK. 14637: Zur namentlichen Anrede Gaweins durch den ihm Fremden vgl. auch die Begrüßung durch den portenare der Burg —>14610 f. 14640 f.: Der Zusammenhang, warum Gawein „um des Pförtners willen" (Durch den portenar) nicht länger bei dem altherren verweilt, sondern die Burg anschauen geht, ist in beiden Handschriften gleichermaßen unklar. 14642—14711 Geheimnisvolle Erscheinungen in der Burgkapelle Das Kapellenabenteuer hat Heinrich offenbar im Rahmen des Gralsberichts aus der >1. Continuation kennengelernt; die Übereinstimmungen mit dem Kapellenabenteuer in den beiden folgenden Chretien-Fortsetzungen gehen womöglich auf gemeinsame Vorbilder zurück.165 Ebenfalls in der >1. Continuation findet sich ein nächtlicher Besuch Gauvains in einer geheimnisvollen Burg, in der er einer Totenmesse beiwohnt. Beim darauffolgenden Mahl bedient der Gral, Gauvain soll ein Schwert zusammensetzen, schläft über dem Bericht des Königs ein und erwacht auf freiem Feld. G O L T H E R schätzt das Weiterwirken dieser Szene ein: „Es ist eine phantastische Neudichtung im Stile des Gespenstermärchens, keine ursprüngliche, ältere Fassung der Gralszene. Bei Heinrich von dem Türlin wurde sie noch mehr ins einzelne des Lammes weiß gemacht"). Auch das Geschlecht am Gral hat große Bedrängnis erlebt, vgl. die Ausfuhrungen des altherren 29468 ff. 164

HEINZ-MOHR 1 9 9 8 , S. 1 0 7 .

165 Vgl. JILLINGS 1980, S. 109; als Quelle an.

ZACH

1990, S. 185 f.; beide nehmen auch die >2. Continuation

14642-14711 Geheimnisvolle Erscheinungen in der Burgkapelle

397

ausgemalt, aber natürlich auch nur aus freier Erfindung und Einbildungskraft des deutschen Dichters, nicht im Anschluß an verlorene Quellen."166 Beim zweiten Besuch auf der Gralsburg ist auch Keie eine Aventiure in einer Kapelle zugeordnet, allerdings außerhalb der eigentlichen Gralssphäre (29010-29059, 29719-29743). 14644 ff.: Es werden zwei Gründe dafür angeführt, warum Gawein den Regeln der Höflichkeit widersprechend seinen Gastgeber verläßt und die fremde Burg erforschen geht: erstens, da^ er e% gesagen künde (vgl. entsprechend —>14229); zweitens will er sich vergewissern, daß ihm keine unminne auflauert — dieser Grund dient wohl v. a. dazu, die Unhöflichkeit seines Verhaltens zu entschuldigen. Die angeführten schlechten Erfahrungen, die Gawein dazu veranlassen, werden im Roman häufiger gezeigt: in den Zöllnerkämpfen (v.a. bei Blandochors); im Rahmen der Maultierzaum-Episode bei Gansguoter; später dann, wenn er zunächst von Leigamor im Hause seines Gastgebers belagert wird (17935—18028), sowie auf Karamphi, wo er ungewaffnet in einen Kampf verwickelt und zur Gralsfahrt verpflichtet wird (18855—18933). Gaweins Aufbruch unterscheidet diese Szene wesentlich von den möglichen Vorbildern bei Chretien und Wolfram, wo Perceval/Parzival sich zu seinem Gastgeber gesellt. Er ermöglicht das Kapellenabenteuer und trägt zugleich dazu bei, daß die Episode noch recht dicht an der Atmosphäre der Wiinderkette bleibt. 14650 ff.: Anders als bei der Frage nach reht oder ^esewe —>14206 läßt sich zwischen den Varianten linken hant (P/SCH/EK) und winstem hant (D) nicht so eindeutig anhand der Überlieferungschronolgie entscheiden; vgl. auch Anm. ΕΚ. 14655 f.: Die Verwandlung von des tages schtn in so dicke vinster gar dürfte dem übernatürlichen Charakter der bevorstehenden Erscheinungen entsprechend eine Sonnenfinsternis (—>16160 ff.) ausdrücken (zum zeitlichen Ablauf ->14575). 14661 ff.: Die gesamte Kapellenszene ist im Roman die unmittelbarste religiöse Assoziation zum Gral; das Wiederfinden der aventiure wird dabei sogar in direkte Nähe zu religiösen Wundern gerückt Gawein betet, offenbar angsterfüllt, und sofort zeigt sich das Feuer als Beginn der folgenden Erscheinung. Die späteren Erläuterungen des altherren integrieren ebenfalls diverse religiöse Momente (vgl. z.B. 29543 f. der Auftrag Gottes an den Gralsherrn); die eigenwillige Konzeption der scheintoten Gralsgesellschaft führt jedoch dazu, daß diese Merkmale übergangen werden (auch —>2899129660). 1 6 6 GOLTHER 1 9 2 5 , S. 49.

398

13925-14926 Erste Wunderkette: Gaweins Gralsfahrt I

17662 ff. wird es als sin alt gewonheit bezeichnet, daß Gawein eine Kapelle zum Beten aufsucht - auch in religöser Hinsicht wird er so als idealer Ritter gestaltet. Da dieser Aspekt nicht zwingend angesprochen werden mußte, könnte man darin einen Hinweis sehen, daß die vieldiskutierte „Pfaffenschelte" nicht unbedingt Heinrichs letztes Wort zum Thema Religion sein muß (-»10806 ff.). 1 4 6 6 7 : Der Edelstein sardin („Sarder") wird nochmals 15666 genannt; er ist einer der zwölf Steine des Himmlischen Jerusalems (vgl. Apc 21,19—21) und entsprechend häufig belegt (vgl. Lex 11,608). Konrad von Megenberg beschreibt ihn als von roter Farbe, aber diu rat ist plaich sam ain rdteu erd; er ordnet ihn der statikait der Märtyrer sowie unserr frawen kintleicher vorht zu (BdN VI,69; vgl. auch Lap 179—184). Zur wohl übertrieben angegebenen Größe des Steins vgl. auch —>14385 ff. 1 4 6 7 0 : Lies mit D / E K : Auf da^phlaster statt P/SCH Üf dem pflaster. 14671 ff.: Gaweins ausdrückliche Freude über den gewin dieser aventiure zeigt, daß es sich wirklich um das Schwert handelt, das er die ganze Zeit verfolgt hat; die Waffen waren ebenfalls als aventiure bezeichnet worden (14089 u.ö.). 1 4 6 7 4 : Zu Gaweins merken ->13944 ff. und ->14229. 1 4 6 8 2 ff.: Die weifen, die die beiden aus der Wand ragenden Hände halten, verweisen deutlich auf das Gralsgeheimnis: Der schaft mit dem goldenen steft (die Lanze) blutet vil starke (entsprechend der Beschreibung der ununterbrochen blutenden Lanze in der 1. Cont., Bd. 1, Τ 1334-1340, ->29418 ff.). Aus der Wand ragende Hände finden sich dort ebenso wie in der >Queste< des >Lancelot en prose617. 14730 f.: Die von SCH gesetzte Paranthese müßte sinnvollerweise auch noch den folgenden Vers umfassen, vgl. so EK. 14738: Zu der kurzen Bemerkung zur Wirtschaft vgl. auch —>6231-6250.

169 Hier sei „ein Tiefpunkt erreicht, der mit dem Versagen gegenüber den Bildern der Wunderkette zusammenhängt." KELLER 1997, S. 132, Anm. 228. 170 Hingegen setzt ZACH 1990, S. 185 die Ohnmacht „bis zum Morgen" an; ähnlich spricht BLEUMER 1997, S. 244 von „Schlaf'. Im Blick auf die sonstige Detailfülle der Schilderung bleibt dann aber das Schweigen darüber erstaunlich, was Gawein den ganzen folgenden Tag auf der Burg getan haben soll. 171 JILLINGS 1 9 8 0 , S. 1 0 9 behauptet, die Formulierung vil wol marcte er verwende Heinrich immer dann, wenn es ein Scheitern Gaweins zu berichten gebe, was er wohl auf dessen passive Haltung während der Wunderkette bezieht.

400

13925-14926 Erste Wunderkette: Gaweins Gralsfahrt I

14739-14802 Jungfrauenprozession, Gaweins Schweigen 14747: P/EK liest kosperlich, vgl. Lex 1,1688, wo kosper als Kurzform für kosteban nachgewiesen wird. 14760 f.: Die goldene Röhre entspricht der im Mittelalter gebräuchlichen „eucharistischen Röhre", durch die die Laien den Wein bei der Kommunion empfingen.172 Während der altherre hier nur das Blut (vgl. den konsakrierten Wein der Eucharistie) zu sich nimmt, wird er in der zweiten Gralszene nur das Brot essen (—>29429 ff.); erst in der Zusammenschau der beiden Episoden ergibt sich ein vollständiger Kommunionempfang (vgl. aber auch —»29421). 14764: Zu diasper ->507-519. 14767: Zur Problematik des Verses vgl. Anm. EK; der hals ist wohl dem Trinkrohr zuzurechnen (nicht der magt), der Stoff ist also unterhalb des Mundstücks um die Röhre gewunden. 14774: Zu Gaweins merken ->13944 ff. und ->14229. 14776 ff.: Das Motiv des Bluts war schon in den Bildern der Wunderkette omnipräsent; dadurch, daß Heinrich die christlichen Bezüge weitgehend ausblendet, verliert das Bluttrinken des Burgherrn die eucharistische Bedeutung. G o l t h e r betont die Nähe zu der Darstellung in der >1. Continuation, wo sich ebenfalls die Motive blutender Speer, blutgefullte Schale und goldene Röhre finden. Dort läßt jedoch eine vom Gral unabhängige, in einem Gestell befestigte Lanze Blut in eine Schale tropfen. „Vielleicht denkt sich Heinrich, daß die in den Saal getragene Blutschale durch die blutende Lanze in der Kapelle gefüllt wurde. Aber er weist nirgends auf einen solchen Zusammenhang hin. Auch diese Szene beweist, daß Heinrich keine andere Vorlage hatte, als den auch uns überlieferten französischen Bericht des unbenannten Fortsetzers Kristians, den er mit Freiheit, aber doch auch wieder in treuem Anschluß an alle wesentlichen Einzelheiten wiedergab."173 Blut als Heilmittel ist ein geläufiges Motiv, vgl. z.B. AH 230 ff. oder Dan 1917 f. und 4413 ff. 14790: Gawein denkt über das Wunder nach, wieso der altherre von dem bluot rot trinken konnte, ohne daß es weniger geworden ist. niergent bzw. nyrgent (P) wäre daher wohl zu bessern in minder o.ä. (vgl. auch Anm. EK). 14800: Zum Aufheben der Tische vgl. auch ->7335.

1 7 2 Vgl. zuerst GOLTHER 1925, S. 228; ausführlich mit Literaturhinweisen ZACH 1990, S. 1 9 2 f.

173 GOLTHER 1925, S. 229. Von einer „vampiristischen" Note spricht MEYER 1994, S. 123. Ebenso gut könnte Heinrich die liturgische Konnotation aber als so selbstverständlich angesehen haben, daß er sie nicht weiter auszufuhren brauchte?

14803-14839 Gawein bleibt allein zurück

401

14803-14839 Gawein bleibt allein zurück 14814 ff.: Der Erzähler betont ausdrücklich Gaweins Geduld und Fähigkeit, auf den passenden Augenblick zu warten. Die Ausführlichkeit dieser Beschreibung entspricht der langen Zeitspanne, die Gawein mit Warten verbringt, bis er schließlich die Sinnlosigkeit seines Unterfangens begreift und aufbricht. 14820: Zu der Formulierung Einer suche houbt und drum (im Sinne von „Anfang und Ende", also zur Beschreibung der Vollständigkeit) vgl. z.B. —»19173 ff.: ein dinc misserätet/ Wirt e% niht e bestätet/ An dem houbt dan an dem drum-, wieder 20212, 24397, 25131. 14824-14832: (= GT 79) Mit dieser sentenzhaften Rede174 kommentiert der Erzähler Gaweins geduldiges Warten darauf, daß die Bewohner der Burg zurückkehren und ihm deren Bewandnisse erläutern. Die ironische Haltung ist im Kontext offensichtlich, denn ebenso wie Parzival hat auch Gawein den rechten Moment zum Fragen verpaßt, die sprichwörtlich gelobte Vorsicht ist hier von Nachteil.175 14834: Gawein wird weiterhin als pensif geschildert, er ist in Gedanken versunken; vgl. die entsprechende Haltung in der vorangegangenen Wunderkette Η 1 3 9 4 4 ff.). 14839: Warum Gawein das Geschehen unvröut, wenn es ihm zugleich enwiht ist inimht, „nichts", Lex 11,97 f., vgl. auch Anm. EK), also nichts bedeutet, wird aus Ρ nicht deutlich: ist so vielleicht zu ändern zu niht?176 14840-14870 Gawein findet den althemn tot 14845: Die seltene Umschreibung betterise für einen Kranken (zu risen, „fallen") findet sich z.B. auch im >Servatius< (datiert um 1190), im >Parzival< und später bei Konrad von Würzburg, Berthold von Regensburg, im >Renner< und in Albrechts >Jüngerer Titurek177 14849 f.: Die Beschreibung des althemn läßt dessen Tod annehmen. Der zweite Besuch Gaweins auf der Gralsburg zeigt ihn jedoch wieder zum Le174 Vgl. TPMA 2, „Ende" 1.3.1: „Das Ende erweist und entscheidet alles" sowie ebd. Bd. 5 „Glauben" 6.4: „Dem Erfahrenen (der Erfahrung) soll man glauben (glaubt man)." Nicht aufgenommen in ShRM. 175 Anders hingegen die Argumentation bei BLEUMER, die Passage sei als Ausdruck der „vollen Zufriedenheit des Erzählers" zu lesen: Gawein habe aus wistuom heraus verstanden, die Zeremonie nicht durch Fragen zu stören und so seine Überlegenheit gegenüber Parzival unter Beweis gestellt. Vgl. BLEUMER 1997, S. 245 ff. 176 Das doppelte „nicht" wurde vom Schreiber möglicherweise mißverstanden und „gebessert". 1 7 7 Vgl. L e x 1,244; z u d e n D a t i e r u n g e n NELLMANN 1 9 9 7 .

402

13925-14926 Erste Wunderkette: Gaweins Gralsfahrt I

ben erwacht, dort erklärt er Gawein Ich bin tot, swie ich niht tot schin (29532); es soll hier also wohl eine Art Scheintod dargestellt werden. Dementsprechend schreibt P/EK: den lip lere/ Des geistes halp, was diesen Schwebe2ustand aus2udrücken versucht; SCH hat die Mengenangabe gestrichen.178 SCHMID 1994, S. 282 hingegen nimmt den Tod des althemn wörtlich und sieht darin Heinrichs Versuch, „für den Mißerfolg von Gaweins redlichen Bemühungen eine höhere Gewalt verantwortlich 2u machen". 14858: barn fur „Krippe" schreibt Heinrich nur hier, Lex 1,130 führt es zurück auf gt. baris, „gerste, dem ursprünglichen Futter der pferde" (auch belegt im >AnegengeParzival< und im >RennerKudrun< 89,3; 653,2; 1530,2, Gau 1817.2 (dazu BMZ 1,160). 14876 f.: Gaweins Vorsatz, die aventiure am nächsten Morgen zu erfragen, ist mit der Haltung Percevals identisch, der sich ebenfalls vornimmt, am nächsten Morgen einen der valley de la cort (CdG 3244), einen Knappen, um Auskunft zu bitten. Wolfram läßt hingegen Parzival darauf hoffen, daß man ihn ungefragt aufklären könnte (Pz 239,16 f.). Hier kommentiert der Erzähler diesen Vorsatz Gaweins jedoch sogleich als warn vgl. zu 14878 („Da täuschte ihn seine Hoffnung") ErH 4429 iuch tnuget iuwer wan; Iw 692 do trouc mich min wän. 178

V g l . a u c h KELLER 1 9 9 7 , S . 1 2 4 .

14871-14926 Nacht bei den Pferden; die Burg verschwindet

403

14879: Zu P/EK slaffendvgl. Einleitung EK, S. XVIII, Nr. 47. 14880: Vgl. CdG 3294 ff.: Perceval dormi jusqu'au matin, er „schlief bis zum Morgen"; entsprechend schläft auch Parzival umbe den mitten morgen (Pz 245,28); beim Erwachen erscheint die Burg in beiden Texten völlig verlassen, und er muß sich alleine rüsten. 14886 ff.: Daß Gawein niht wan sin sper/ Und sin hamasch [...] sowie Ouch ein breite^ gevilde sieht, entspricht dem Bericht der >1. Continuationc Bd. 1, Τ 1481—1509 schläft Gauvain über den Erzählungen des Gralsherren ein und wird fern der Burg wach (T 1493: il se trove en un marois);179 wieder Bd. 1, Τ 13513—13624, wo Gauvain ebenfalls am Gral einschläft und entfernt davon wach wird (T 13524 f.: il se trova/ Le% la mer sor une faloise).m 14890 ff.: Gaweins Monolog im Halbschlaf (erst 14905 heißt es, daß dem släfe er sich brach) läßt sich vom Duktus her vergleichen mit seinem deutlich längeren Selbstfindungsmonolog bei Amurfina (8945—9054). 14922: Der alte slä entspricht wohl den Spuren, die Perceval/Parzival beim Verlassen der Burg vorfindet und verfolgt, um die Bewohner einzuholen (vgl. CdG 3361 f., Pz 248,17 ff.).

179 „Er fand sich in einem Sumpf'. TL 5,1186 f. belegt marois sowohl für „Sumpf, Morast, Moor" als auch für „Gestade"; allerdings deutet die Präp. en, „in" eher auf die feuchte Landschaft. 180 „Er fand sich am Meer auf einer Klippe". Vgl. auch Z A C H 1990, S. 180 f.

14927-15931 Garanphiel I und Besuch bei Frau Saelde Lit.: BLEUMER 1 9 9 7 , S. 1 3 7 - 1 8 6 ; MEYER 1 9 9 4 , S. 1 2 4 - 1 3 2 ; WALLBANK 1 9 9 3 ; J I L L I N G S

1980, S. 8 7 - 1 0 4 .

Während der gescheiterte Gralsheld Perceval/Parzival zunächst „der Welt abhanden" kommt, fuhrt Heinrich Gawein seinem Höhepunkt entgegen: in Saeldes Heilzusage werde die Absicht des Dichters schließlich deutlich, „das Unheil für alle Mal aus Gaweins Gralsabenteuer auszutreiben. Mehr noch: daß er Gawein beim Gral scheitern lassen mußte, obwohl er alles richtig gemacht hat, arbeitet der Dichter anschließend an dem Besuch bei der Glücksgöttin, in der zweiten Wunderkette, noch einmal durch, diesmal mit einem Gawein, der im Zeichen von Fortunas Gunst steht."1 Die Handlung um Garanphiel liest M E Y E R parallel zur Zaumzeugepisode: Beide Male gerate Gawein zwischen zwei Schwestern, deren einer er verpflichtet sei (Amurfina bzw. Saelde), die jeweils Schwächere der beiden ziehe ihn in die Handlung hinein, zum Abschluß sei beide Male die Hilfe Gansguoters notwendig; die Parallele zwischen Zaumzeug und Gürtel sei rein gegenständlich deutlich.2 B L E U M E R betont v. a. die Verbindungen zwischen den Episoden um Garanphiel und Saelde: Es gehe jeweils um Gewinn, Verlust und Wiedergewinn eines Gegenstandes (aus der Perspektives Gaweins); ein wesentlicher Unterschied bestehe jedoch darin, daß die Handlung um Saelde kein eigenes Konfliktpotential besitze, sondern statisch wirke, während die Gürtelhandlung handlungsbestimmend sei und auch die Saelde-Geschichte mit beeinflusse. Als wesentlich wertet B L E U M E R dabei die Darstellung Garanphiels als böse Gegenspielerin, der der Gürtelverlust zu Recht geschehe; diese Perspektive bekomme durch die ausführlichen Rückblicke jedoch immer mehr Sprünge: „Wenn Giramphiels Perspektive eigenes Gewicht erhält, droht das die Bewertung Gaweins und damit die Lesart des Schemas insgesamt in Frage zu stellen. Mit anderen Worten: die Saelde-Handlung vermag den Helden in unbeeinträchtigter Idealität zu zeigen, während die Giramphiel-Geschichte die Frage nach einem schuldhaften Vergehen des Helden zumindest aufkommen läßt."3 1 2

SCHMID 1 9 9 4 , S. 2 8 2 . Vgl. MEYER 1 9 9 4 , S. 1 2 4 f.

3

BLEUMER 1 9 9 7 , S. 143.

14927-15648 Auf dem Weg zu Frau Sselde

405

1 4 9 2 7 - 1 5 6 4 8 Auf dem Weg zu Frau Sielde Gaweins Weg fuhrt ihn nach seiner Vereinzelung, der ersten Wunderkette sowie dem Besuch auf der Gralsburg noch weiter fort vom Artushof, wohin er eigentlich zurückkehren möchte (14927—14933): Zunächst gelangt er zu Fimbeus und Garanphiel, die seit der vor Romanbeginn liegenden Geschichte um den Gürtelraub Feinde des Artushofes und Gaweins sind (—>4858 ff.); über als Fallen gedachte Stationen gelangt Gawein dann zum Palast Saddes, die ihn als Stellvertreter ihres Pflegekindes Artus (vgl. 412 ff.) mit großen Ehren empfangt. 14927—15070 Gawein bei Garanphiel und Fimbeus Diese erste Begegnung mit dem rachedurstigen Paar Garanphiel und Fimbeus setzt einen großen Teil der Handlung der zweiten Romanhälfte in Gang: Nachdem die beiden schweren Kämpfe auf dem Weg zu Saside nicht zu Gaweins Vernichtung gefuhrt haben, schickt Garanphiel 24693—25549 einen Boten, der die Kleinodien Sseldes vom Artushof raubt; deren Wiedergewinnung beschäftigt Gawein (neben der Gralssuche) bis zum Ende des Romans. Im Rückblick erweist sich zudem die existentielle Verunsicherung des Artushofs durch den vermeintlichen Tod Gaweins als Intrige Garanphiels (vgl. 28548 ff.). 14927-14975 Rückblick: Gaweins Kampf gegen Fimbeus 14928: gein lande für „heimwärts" belegt Lex 1,1822 nur für >Das Leben der heiligen Elisabeth«. 14930 ff.: Die Erwähnung der klagen um ihn beziehen sich wohl einfach darauf, daß die Gefährten nicht wissen, wo Gawein abgeblieben ist; zugleich klingt aber schon die große Hofklage um den totgeglaubten Gawein an (16797—17311). Auf den Bericht für seine Gefährten hatte Gawein sich schon während der Wunderkette eingestellt, vgl. —>14229. 14937 ff.: Zu der vor Romanbeginn angesetzten Geschichte um den Gürtel mit dem magischen Stein —>4858 ff. Der Gürtel war in der Begegnung zwischen Gasoein und Artus kurz präsentiert worden, das ist allerdings nur eine schwache Verbindung der verschiedenen Romanteile. Für die von SCH 14942, 14948 u.ö. eingesetzte feminine Form diu gürtel (P/EK schreibt immer stM.) gibt es keinen Anlaß; auch V / K N N verwendet gürtel als stM. (so 4864, 4867, 4870, 4878, 4886).

406

14927-15931 Garanphiel I und Besuch bei Frau Saide

1 4 9 4 9 - 1 4 9 5 5 : Der magische Stein strahlt auch auf andere Steine aus, die ohne ihn keinerlei besondere Fähigkeit besitzen; so schreibt P/EK14955: die andern steyn. Vgl. auch die Aussagen über die Wechselwirkung der Edelsteine in der Reichskrone im Rahmen des Prologs (—>49—52). 1 4 9 6 5 ff.: Die Personalisierung des Steines entspricht der ähnlichen Vorgehensweise mit dem Wein bzw. dem Trinken in der Becherprobe (1989 ff., 2244 f.). buo·^ werden mit Gen. (der miiede) für „besserung, abhülfe" zuteil werden (Lex 1,389). ime (14968) bezeichnet Gawein; von siner kraft ist die Kraft des Steines. 1 4 9 7 4 : Im Kontext erscheint P/SCH/EK ψο dem tode fragwürdig, da Fimbeus überlebt; SIN möchte daher eide ersetzen, gemäß der Aussage 9039 f.

14976-15031 Garanphiels Rachepläne 1 4 9 8 6 : Heinrich verwendet Fortuna und S aside als Bezeichnungen der Glücksgöttin synonym, vgl. auch —»298 f. Die angekündigte Bedrohung, die durch den Stein abgewendet werden könne, bezieht sich auf den Kampf gegen den Drachen (15108-15140); der ebenso gefährliche Kampf gegen Laamorz wird hingegen nicht weiter mit dem Stein in Verbindung gebracht. 1 4 9 9 0 ff.: Garanphiel wird hier als gotinne und Schwester Sieides charakterisiert; zusammen mit ihrer Schwester hat sie den magischen Gürtel hergestellt, um ihren amis Fimbeus vor allem Übel zu beschützen (durch des mannes minne, 14991). 1 5 0 0 1 : er bezeichnet Fimbeus; zu gürtel als stF. —>14937 ff. 1 5 0 1 5 : Diese positive Vergewisserung kontrastiert die z.B. im >Nibelungenlied< verbreiteten Ansagen bevorstehenden Unheils, vgl. NL 138,4, 719,4 u.ö. Zu Parallelen in der >Crone< vgl. GÜLZOW 1914, S. 216. 15017: Zu dem Ortsnamen Gahart vgl. ->4885, ->4888 und ->14543.

15032-15070 Der falsche Rat Garanphiels Der spätere Besuch Gaweins bei Saelde wird im falschen Rat Garanphiels „durch gezielte unscelde ausgelöst", darin zeige sich „der Kompositionswille des Autors", der bewußt das Negative als poetologischen Kommentar zum Handlungsauslöser mache.4 1 5 0 3 2 ff.: Die wiederholte Beruhigung des Publikums (—>15015) entspricht der ernsthaften Gefährdung Gaweins in den folgenden Abschnitten.

4

MEYEK 1994, S. 125; vgl. DICK, D a r k Figures 1986, S. 140.

15071-15196 Gaweins Kampf gegen den Drachen

407

15035: Der Name Aufräte bzw. Anfrate (P/EK) für den Ort des bevorstehenden Drachenkampfes ist sonst nicht belegt; vgl. afrz. rater („überraschen, jmd. zuvorkommen", vgl. DAF, 500)? Nach den beschönigenden Erklärungen Garanphiels erlebt Gawein dort eine böse Überraschung. 15037 f.: Die Umstellung, die SCH vornimmt, läßt die Zusammenhänge eindeutiger erscheinen: Da man [...] Ritterschaft möht an bejagen\ vgl. dazu P/EK: Die man [...] Möhte an ritterschaft bejagen. Oder möchte Heinrich sagen, die Aventiure sei ohne ritterschaft zu bewältigen (die Satzstellung Ρ legt an nahe)? 15039: Zu der Bezeichnung wurm für den Drachen auch —>13465 f. 15044: Die clüse bezieht sich wohl auf die Drachenhöhle, vgl. auch 15061, 15101, 15219. 15055: Statt SCH sach lies mit Ρ/ΈΚ jah (zu jeheri). 15064: Zur Formulierung »»£mittem tage (P bis% mittem tage) vgl. z.B. ErH 883 {von vruo un% hin nach mittem tage), Iw 7239, Wig 255.5 15065: Solche poetologischen Zwischenfragen (vgl. auch 16655) gehören später zum Standardrepertoire, vgl. z.B. >Partonopier und Meliur< 2404 und 5078; >Engelhard< 5674; Troj 18950; >Tristan< von Heinrich von Freiberg 889 oder Gau 756. 15068 ff.: Die Figur des wHdenare entspricht womöglich dem waltman bzw. waldnare, dem Wolfdietrich (B 661 f.) begegnet.6 Vgl. wieder Gau 2787, wo ein weidenare (ebd. 2738, 2818 weideman) die Rolle des helfenden Warners übernimmt. 15071—15196 Gaweins Kampf gegen den Drachen Der folgende Drachenkampf ist einer von mehreren, die Gawein im Romanverlauf zugedacht werden (—>9009 f., zur Darstellung auch —>12788 ff.). Dadurch, daß der umstrittene Stein selbst es ist, der Gawein vor dem Verderben bewahrt, kehrt sich Garanphiels böse Absicht zum ersten Mal ins Gegenteil; ähnlich dann auch der Kampf gegen Laamorz, der statt zum Tod Gaweins zur Versöhnung fuhrt: „Damit ist die Umkehr von Giramphiels Handlungsanstoß und Absicht vollkommen. Ihre Rache ist nicht nur konkret abgewendet, sondern zur allgemeinen Bestätigung des Helden umgemünzt worden."7 Die folgende Drachenepisode ist „von Anfang bis Ende aus Motiven aufgebaut, die aus Dichtungen um die alten Sagenhelden bekannt sind: Der 6

Jüngere Parallelen nachgewiesen von A C H N I T Z (in >GaurielWolfdietrichBeowulfc. Hinzu kommen Einzelheiten wie die Szenerie der steinwant [—>15098], die Bezeichnung wurm, das unverwundbar machende Seidenhemd, das Auftreten des wildetuere".8 Daher ist zumindest hier anzunehmen, „daß sich der Dichter ganz allgemein an die Erzählmuster der abenteuerlichen Heldendichtung und der volkstümlichen Drachensage hielt."9 Besonders interessant wird die Beobachtung der Parallelen zur Heldenepik dadurch, daß die Darstellung der Motive in der >Crone< wohl die älteste schriftlich tradierte Version wäre. Heinrich müßte also auf mündlich überliefertes Material zurückgegriffen haben, das auf ein sehr altes Schema zurückgehen dürfte, welches sich bereits im >Beowulf< findet: Der Drache kann nur durch eine Waffe besiegt werden, die sich in seiner eigenen Höhle befindet.10 Diesen Quellenbefund sieht K R A T Z dadurch gesichert, daß in der vorliegenden Passage genauso wie in den >Wolfdietrich13465 f.). Der Drachenkampf am Zauberbrunnen spricht hingegen immer vom trached1 und nur je einmal von einem wurm (26763) bzw. serpant (26951). Als „sekundär" wertet hingegen MEYER den motivischen Zusammenhang mit der Heldenepik. Er betont die mögliche Parallele zum ersten Handlungsteil: Die „heldenepische Untergangsvision" folge der arthurischen in der ersten Wunderkette ebenso wie das Minnereich Amurfinas vor dem heldenepischen Wunderwald stehe.13 15071—15140 Warnung des wildeneerer, Drachenkampf 1 5 0 9 8 : Zur steinwant vgl. die Parallelen in >Wolfdietrich< Β 660, 662; >Ekkenlied< 21; >Dietrichs Flucht< 2240; Tr 9002 (zu den Verbindungen zwischen Heinrichs Drachenkämpfen und der Darstellung Gottfrieds auch —>13466). 1 5 1 0 0 : Statt SCH %er%gen lies mit P/EK verygen („versagen, abschlagen").14 Irritierend erscheint hingegen eher die Verneinung nie ( P / S C H / E K ) : 8 9 10 11 12 13 14

KRATZ, Wolfd. 1972, S. 401. KRATZ, Wolfd. 1972, S. 402; in diesem Sinne auch JILLINGS 1980, S. 89 f. Zugleich kann die Figur des wildenare (—»15068 ff.) auch auf den Waldmenschen im >Iwein< bezogen werden. Vgl. KRATZ, Wolfd. 1972, S. 399. Vgl. KRATZ, Wolfd. 1972, S. 400. So 26636, 26648, 26705, 26720, 26724, 26735, 26751 und 26767. Meyer 1994, S. 126. Lex 111,319 f. Ebd. 1096 wird Sfr^hen nur für diese Stelle nachgewiesen und ebenfalls zu verüben gestellt

15141-15196 Gawein findet neue Waffen; Sieg über den Drachen

409

Der Drache verhindert doch eben gerade die Passage; wäre zu bessern in ime, bezogen auf Gawein? 15111 ff.: Der feurige Atem des Drachen entspricht der Drachendarstellung —>12778 ff. und 13404 ff.; er greift das Feuermotiv auf, das sich noch häufiger findet, so v.a. in der ersten Wunderkette und in der Episode vom Schwarzen Ritter 18934-19345 (auch ->3335 ff., ->14099 ff.). 15128: Das von SCH konjizierte, seltene Kompositum albld^ (vgl. Lex 1,35) ist sonst bei Heinrich nicht belegt, lies wohl mit P/EK: gant% blos% 15131 f.: Der steine ist der Stein aus dem Gürtel des Fimbeus, um dessentwillen Garanphiel Gawein vernichten will. Seine magischen Kräfte lassen Gawein dem Feuer widerstehen, als sei er aus Eis (15121 ff.). Der Besitz dieses Steines hat Gawein in die lebensbedrohliche Situation gebracht, rettet ihn aber zugleich vor dem Tod. So interpretiert BLEUMER, in der Szene gehe es „zuerst um die paradoxe Wechselwirkung der Zauberkräfte, in der Giramphiels Absicht sich selbst aufhebt: Weil Gawein den Stein genommen hat, soll er durch das Feuer des Drachen sterben, aber eben durch den Stein überlebt er, während sich der getötete Drache Giramphiels durch sein eigenes Feuer auflöst";15 vgl. auch Heinrichs Anmerkung 14988 f. 15137: Das Objekt fehlt, vgl. ScHAnm. Do em, EK Da er in. 15138: Der Hinweis, Gawein habe den Stein verworht (zu verwirken, im Sinne von „kunstmässig verarbeiten, einfassen" etc., Lex 111,310), läßt vermuten, daß Gawein den im Kampf gegen Fimbeus errungenen und von Ginover verlangten Gürtel ohne Stein an die Königin weitergegeben, letzteren für sich behalten und in einen anderen Gürtel eingearbeitet hat? Vgl. auch —>4858 ff. 15141-15196 Gawein findet neue Waffen; Sieg über den Drachen 15167: Zu Jquam („Schuppe") ->960. 15169: Zu der humoristischen Metapher für den Drachen als Kampfgegner vgl. auch -»8459 ff. 15171 f.: Vgl. den brennenden Wald in der dritten Wunderkette (2868628694), ausgelöst durch das magische Glas einer Frau; daneben auch die brennende Rosenheide der ersten Wunderkette (14370 ff.) sowie die teilweise feurigen Naturereignisse der zweiten Wunderkette (Feuerregen u.a. 16017, 16026 ff., 16064 f., 16218 ff., 16377 ff.). 15174: Die Variante P/EK gehöhte (SCH geheime) für den Schwertgriff (zu dem gleichbedeutenden hel^e, vgl. Lex 1,790) erklärt sich aus der Tatsache, 15

BLEUMER 1 9 9 7 , S . 1 4 5 .

410

14927-15931 Garanphiel I und Besuch bei Frau Saelde

daß der Griff der Schwerter häufig aus Holz bestand, das mit Leder oder einer Drahtwicklung überzogen wurde. 15180: von geschiht für „zufällig, von ungefähr" (Lex 1,902). 15195: ^ ist das swert aus 15192. 1 5 1 9 7 - 1 5 3 8 1 Siamerac von Lembil 15197-15260 Siamerac von Lembil hilft Gawein 15199ff.: Das wunderdet Selbstentzündung fand sich schon —>14099ff. in der 1. Wunderkette, es wiederholt sich nach dem Sieg über den Schwarzen Ritter 19208-19228. Vgl. die Sigmund-Episode des >Beowulf3. Continuation (Continuation du Perceval bzw. Manessier-Fortsetzung) genannt wird.17 Das nicht weiter bestimmbare hembil ist der Name ihres Herrschaftsbereichs, vgl. auch 15298, 15385. Siamerac gehört offenbar zur Saelden- und Gralssphäre: Sie kennt Gawein und ist ihm wohlgesonnen, sie weiß um seine Fehde mit Garanphiel und Fimbeus; zudem kann sie ihm den Weg zu Sadde erklären. Als Helferin steht sie den Figuren der Gener von Kartis und der Gesandten Sasides (Samanidye) in der zweiten Wunderkette nahe. 15229 f.: Zu dem Gawein vorauseilenden Ruf —>6187—6223. 15243: Statt die gürtel schreibt P/EK den gürttel (-» 14937 ff.). 15244: Ordohorht (bzw. Ordohort 22856), der Name von Saeldes Land, ist wohl ein sprechender Name zu ordo und hortus, also ein „geordneter Garten".18 Vgl. Heinrichs Konzeption der nicht mehr ausschließlich launischen Saelde, wie sie sich in ihrer Funktion als Schutzherrin des Artusreichs offenbart (-»298 f., auch Gaweins Besuch bei Saelde 15649-15931). Das Land Saeldes ist als Insel gedacht (15349 f.) und wird im See Laudelet lokalisiert (-»15654 f.). 16 17 18

Die Belege fur muot bei PRETZEL 1982, S. 28 f. zeigen keine entsprechende Wendung. Datiert auf 1214-1220, vgl. GOTTZMANN 1989, S. 85; vgl. WEST 1969, S. 147. Auch KERN, Creme 1999, S. 206, Anm. 37.

15261-15381 Erklärungen Siameracs: Betrug Garanphiels, Weg nach Ordohorht

411

15245: Wohl zu lesen der Salden swester (= Garanphiel, vgl. 14999). Siamerac kennt den Hintergrund der Streitigkeiten zwischen Gawein und Garanphiel, sie war zur Entstehungszeit des Gürtels ebenfalls bei Sadde in Ordohorht. 15246 ff.: Das Motiv des kostbaren und auf wunderbare Weise unzerstörbaren Waffenrocks als Geschenk für Gawein wiederholt sich in der zauberabweisenden safwät, die er später von Gansguoter geschenkt bekommt (—>27343 ff., vgl. auch die Ankündigung ->13583-13601, ->13592). Er besteht aus einer wunderbaren Seide, die veste als ein adamas ist (vgl. auch die Rüstungen für Keie und den Boten des Königs Priure —>2855 ff.). Ahnliche schützende Waffenröcke kennen z.B. Wig 6067ff. und 6990ff. und >Wolfdietrich< D IV 57 ff.,19 NL 429, >Kudrun< 864 und die >Rabenschlacht< 651 f. (dort beruht die schützende Kraft auf vier heiltuom [...] versigelet alle 15260: Die Figur des Laamorz von Janfrüege (vgl. Gaweins folgende Aventiure 15382—15648) gehört der Sphäre des Todes an, wie schon sein Name zeigt: afrz. la mort/la mors^ „der Tod"; vgl. zusätzlich die Assoziation an afrz. l'amors, die Liebe.20 Der Zuname Janfrüege scheint hingegen eher deutsch, vgl. jän, „gewinn" bzw. die „reihe geschnittenen getreides" (Lex 1,1472, vgl. die Bilder vom Schnitter Tod (bzw. dem Sensenmann) vgl. RÖHRICH 2 0 0 0 , S. 5 9 1 0 f., im Druck: Bd. 4 , 4 6 7 f.); dazu vielleicht vrüeje, „früh" (Lex 111,545). Er ist ein Zauberer (oder soll er sogar eine Personifikation des Todes selbst sein?), dem Gawein das magische Knäuel abgewinnen muß, das er füir den Weg zu S aside benötigt.21 15261-15381 Erklärungen Siameracs: Betrug Garanphiels, Weg nach Ordohorht 15278: Zu dem gürtel mit dem wundertätigen Stein —>4858 ff., zur femininen Form statt P/EK den gürttel —>14937 ff. 15280: Zu dieser Anspielung auf ein Sprichwort vgl. —>12002, nochmals —>16827 ff. 15282: ie, „immer"(Lex 1,1413): Garanphiel wußte um die bevorstehenden Schrecken und daß Gawein immer unverzagt sein würde. 15293: Wan hier als „posit. beschränkung einer negation: ausser" (Lex 111,667) - „wenn nicht Laamorz auf den Zauber verzichtet". Vgl. auch Anm. EK. 19

Dazu KRATZ, Wolfd. 1972, S. 400.

20

Vgl. auch MENTZEL-REUTERS 1989, S. 221.

21

DICK, Dark Figures 1986, S. 139 ordnet ihn in die gleiche Gruppe ein wie den Schwarzen Ritter, den Boten auf dem Bock, den wilden washerman sowie dessen Waldgesellen.

412

14927-15931 Garanphiel I und Besuch bei Frau Saside

15295 f.: Der mit triuwen gegebene Rat Siameracs ersetzt den falschen Rat Garanphiels, den sie als Ein und valscher rat beschreibt (15727). 15299: Zur Entfernung vier mile (mindestens 2 km) —>3630. 15305 ff.: Vorbild für den am festgelegten Ort stattfindenden Kampf als Bedingung für Gastfreundschaft könnte Wig 1928-2013 sein: Dort begleitet der Held eine Jungfrau, die auf der Suche nach einem Nachdager von dem Besitzer einer nahegelegenen Burg berichtet, daß dieser seinen Lebensunterhalt damit friste, potentielle Gäste auf offenem Feld zum Kampf zu verleiten. Wer ihn besiegt, wird danach bestens bewirtet, siegt jedoch der Hausherr, muß der Besiegte ohne seine Habe in die Nacht hinausziehen. Wigalois ersticht den Burgherrn unabsichtlich im darauffolgenden Kampf. 15310: Zu dri^ec als Ausdruck einer besonders großen Menge —> 8672. 15335: Hier beginnt ein neuer Abschnitt (vgl. EK), markiert durch Dreireimabschluß und Capitulumzeichen in P. 15343 ff.: Das kliuwe ( P / E K kleti) ist ein magisches Knäuel, das sich Gawein von Laamorz geben lassen soll. Es ist ein recht ausgefallenes Requisit: Um mit seiner Hilfe den See überqueren zu können, muß sich Gawein mit seinem Pferd in der Art eines Seiltänzers bewähren (vgl. 15376 f. ritet äne sorgen/ Uber unde länt ligen); vgl. ähnlich die Schwertbrücke in der Maultierzaumepisode. LICHTBLAU 1989 kennt keine Parallelen für dieses Motiv; vgl. aber die anderen magischen Hilfsmittel in der >CroneThe Voyage of Bran son of Febak Vgl. zu möglichen Parallelen mit keltischen Erzählungen zusammenfassend zuletzt BLEUMER 1997, S. 252, Anm. 24. 15346 f.: Ilamert von Lanoier als Schwester des Laamorz spielt im Roman sonst keine Rolle, sie wird nur hier genannt und dient der Ausgestaltung der Episode. Vgl. den Namen des Weihnachtsgastes Lanoys (584); noier ist afrz. als stM. der Nußbaum, als Verb kann es sowohl „ertrinken, sich ertränken" als auch „verneinen, verweigern" bedeuten (vgl. DAF). Dem Namen Ilamert könnte „Insel am Meer" zugrunde liegen {isle, „Insel" und la mer, „das Meer"). 15355: Iemer nach da% wird „zuweilen statt niemer" verwendet (so Lex 1,1414 f.): Gawein darf das Knäuel nicht mit bloßer Hand berühren. 15365: Das Adj. unvurt ( P / E K vnfurtten) für äne vurt ist ein Neologismus Heinrichs (Lex 11,1982). 15378: vers zu ver stF./stN. „Fähre" (Lex 111,102; vgl. Anm. EK).

15382-15648 Erwerb des Zauberknäuels

413

15382—15648 Erwerb des Zauberknäuels 15382-15459 Kampfabsprache mit Laamorz von Janfrüege 15389: Zu unerworden („unverdorben, unvergänglich") —>242 ff. 15402: Lies mit EK anbijssgn (ebenso 15432, vgl. auch 28918) für „speisen" (Lex 1,545), einen imbi% (vgl. 15406) nehmen. 15407 f.: „Gesegneter22 Fleiß schändet keinen guten Ritter": Diese sentenzhafte Aussage zum Ritterkodex zwingt den Gast in euphemistischer Untertreibung, die Forderung zu einem für unvorbereitete Gegner vernichtenden Kampf anzunehmen. 1 5 4 0 9 ff.: Zu dem reht des Laamorz -> 15305 ff. 15420: Lies Mir statt Mit (P/SCH/EK), vgl. Anm. EK. 15426: Nach diesem Vers ist ein neuer Abschnitt anzusetzen (Dreireimabschluß, Capitulumzeichen in P), vgl. EK. 15432 f.: Zu an gebissen —>15402; hochgelt, „kostbarkeit" ist nur für diese Stelle belegt, daneben ebenfalls selten hdchgiilte, hochgültic und hochgülticheit (vgl. Lex 1,1314 f.). 15547: Der Rechtsterminus muntman („der sich in den schütz eines andern begibt, Schützling, client", Lex 1,2235) ist in der höfischen Literatur kaum belegt, noch einmal in einem bispel Konrads von Würzburg. 1 5 4 5 3 ff.: Lies mit P/EK vor dem esgen statt SCH von dem evgen. Heinrich verwendet die kaufmännischen Begriffe von phant und miete als provozierenden Kontrast Gawein möchte dem Gastgeber nicht ein Pfand geben (in dem Sinne, sich nach einer Niederlage als Sicherheit verbürgen zu müssen), sondern er will ihm den ihm zustehenden Lohn zukommen lassen, der wohl als kämpferische Gegenwehr zu verstehen ist. 15460-15572 Zweikampf Gawein — Laamorz Der ausführlich geschilderte Kampf zwischen Gawein und Laamorz ist besonders charakterisiert durch die Betonung ihrer Gleichwertigkeit; der abschließende Sieg Gaweins erscheint etwas unvermittelt und wird nur mit einem knappen Satz konstatiert (15575). Die besondere Gefährlichkeit von Gaweins Gegner, die durch die Vorandeutungen, durch die Erläuterungen Siameracs und nicht zuletzt das Rachebedürfnis Garanphiels verdeutlicht wurde, dürfte in dessen Nähe zum Tod selbst begründet sein (—>15260). In diesem Sinne läßt sich dieser Kampf nicht einfach als ein ritterlicher Bewährungskampf, sondern als eine direkte Auseinandersetzung Gaweins mit dem 22

SIN möchte sake durch solich ersetzen; vgl. —>13328 und Anm. EK.

414

14927-15931 Garanphiel I und Besuch bei Frau Saride

Tod verstehen, die die ausfuhrliche Kampfdarstellung rechtfertigt. Eine entsprechende Einstimmung hatten schon die erste Wunderkette und der Besuch auf der Gralsburg gegeben, und auch die folgenden Aventiuren passen in die Reihe der descensus-Erzählwigen: Gaweins Besuch bei Saside, die zweite Wunderkette, der Aufenthalt auf der Jungfraueninsel und schließlich der vermeintliche Tod Gaweins. 15465 f.: Vgl. den entsprechenden Rat Siameracs 15335 ff. 15471 ff.: In der folgenden Beschreibung häuft sich die Verwendung des Pron. ieglich, das die Ubereinstimmung der beiden Kämpfer betonen soll.23 Dieselbe Funktion kommt den ebenfalls häufig verwendeten Begriffen gliche, beide, einem nide bzw. ein muot in dem Abschnitt zu. Den Anlaß für diese Darstellung bietet das —>15541 ff. eingeführte antike Exempelpaar, das (Heinrich zufolge) in Minne verbunden war, während Gawein und Laamorz nur in ihrer Absicht übereinstimmen, sich gegenseitig schaden zu wollen. 15473—15477: (= GT 80) Jagdmetaphorik, insbesondere bezogen auf die Beizjagd mit Falken, hatte Heinrich schon ausführlich als Bild im Minnekontext verwendet (bei der ersten Begegnung Gaweins mit Amurfina, vgl. —>8079 ff., wieder ->8795-8831). Hier werden beide Kämpfer dem jagdbereiten Falken gleichgesetzt, so wie auch im folgenden Kampf ihre Gleichwertigkeit betont wird.24 1 5 4 9 1 : Zu engesten, „die fremdheit aufgeben" —>5968. 1 5 4 9 5 : Lies mit P / E K enkunden (Sg. Druckfehler bei S C H ? ) . 1 5 5 0 6 : Sie [...] beide sind die Pferde. 15518: Lies mit SIN erbrähte: „jeder verfolgte das leben des andern und (nun 'verfolgen' in wörtlicher bedeutung genommen) hätte es gern eingeholt, vor den richter gebracht" (ebenso Anm. EK). 15521—15525: Zu dem Nebeneinander von minne und vgl. die entsprechende Problematik im Kampf Iweins gegen Gawein; Hartmanns Kommentar erscheint in dem Bild vom vasge wörtlich übernommen. Vgl. entsprechend Iw 7015-7026 (insgesamt zieht sich das Bild dort bis 7054 durch): dunket besitzen

die andern

me besäßen

24

vil lihte unmügelich/

bi hasge/

gähes

da% iemer minne unde ha\/

belibe in einem va%%e./ ob minne

ein va%/ doch wonte in disem vavge/

ha^J gerümden 23

unde mich/

ein va^J da^ minne

minne

bi ha^e/

also

unde ha%/ nie

also da% minne

noch

da% va%.

Es findet sich elfmal in den nächsten hundert Versen: 15471, 15493, 15510, 15513, 15518, 15535, 15538, 51544, 15563, 15570. Entsprechend auch beide 15476, 15500, 15520, 15524, 15530, 15533, 15558, 15560, 51565, 15571. Vgl. BLEUMER 1997, S. 147 f. mit Anm. 10. Zur Jagdmetaphorik für einen Kampf vgl. bereits >Ilias15547). Dagegen spricht allerdings die völlige Abweichung der vorgeschlagenen Namenspaare von dem überlieferten Paar, die nur schwerlich mit Erinnerungslücken Heinrichs (der vielleicht aus dem Gedächtnis zitierte) oder Mißverständnissen des Schreibers zu erklären ist. KNAPP 1982, S. 45 erklärt das als „la rememoration d'un vague souvenir que l'auteur a de deux heros qui d'une maniere ou d'une autre etaient etroitement lies et avaient un rapport quelconque avec un duel."

14927-15931 Garanphiel I und Besuch bei Frau Seide

416

{ungeliche) nochmals zurück: Dim gesellen (15551) sind noch Gawein und Laamorz, die dem jeweiligen Gegner den Tod viel eher gönnen denn sich selbst (15553 f.): Dort was minne. 15555 greift wieder auf die antiken Brüder zurück. 1 5 5 7 2 : S I N liest wert zu wem, „dauern", statt wart ( P / S C H / E K ) . 15573-15648 Laamorz schwört Sicherheit, Rückkehr aufs Haus 15583: Der Rechtsterminus erbeigen (P erb eygeti), „ererbtes eigentum" (Lex 1,609), greift die Sprachebene des Provokationsdialogs wieder auf (vgl. muntman, phant, miete 15447 ff.); vgl. auch die urkunde im Rahmen des Unterwerfungsaktes 15610 ff. 1 5 5 8 5 : Die Formel bürge unde lant verwendet Heinrich im folgenden noch häufiger (17425, 18672, 21041, 21790, 22375); vgl. auch Pz 5,24; >Kudrun< 205 und Lamprechts >Alexanderlied< 3509. 1 5 5 9 6 ff.: Zu dem Schwur, Gaweins Ruhm in allen landen mehren zu helfen, vgl. dessen Selbstcharakterisierung 15440 ff. Garanphiels Racheplan, demzufolge Laamorz Gawein töten sollte, „ist nicht nur vereitelt worden, sondern hat sich abschließend vollends ins Gegenteil verkehrt: Der zweite Durchgang durch die von Giramphiel ausgehende Bedrohung gerät zur neuerlichen Erhöhung des Helden."29 15610 ff.: Die beschriebene Unterwerfungsgeste hatte Laamorz zuvor von Gawein gefordert, falls dieser unterlegen wäre (vgl. 1 5 4 2 0 ff.). Zu der offenbar als Kommendationsgebärde gedachten Erhebung der Hände30 als Ausdruck der „freiwilligen Begebung in die Abhängigkeit eines Herrn" vgl. LdMA 5 , 1 2 7 8 ; BLEUMER 1 9 9 7 , S . 1 4 7 ; PEIL 1 9 7 5 , S . 2 0 0 - 2 0 3 . Einen Kuß als Unterwerfungszeichen bietet z.B. der unterlegene Ansgafein 7601, vgl. auch 1 6 5 8 5 ff.

Gaweins Hilfsbereitschaft entspricht v.a. seiner übertrieben dargestellten Ritterlichkeit im Kampf gegen Gasoein (—>11822-12370), den er schließlich auf dem Heimweg reiten läßt, während er selbst schwer verwundet zu Fuß geht (12370-12405) und dafür mit einer schwierigeren Genesung büßen muß (—>12541 ff). 15625 ff.: Zu den Ausführungen zur Gastfreundschaft —>6231—6250. 1 5 6 3 5 — 1 5 6 4 2 : ( = G T 81) Sentenzartige Aussage über die Schwierigkeit, Gegensätzen miteinander zu vereinen, hier Haß und minne der Kontrahenten; vgl. ähnlich ->15521 ff.; auch Iw 7033 ff.; >Carmina Burana< 193,1,4. Vgl. 15617—15620:

29

BLEUMER 1 9 9 7 , S. 1 4 7 .

30

„Eng mit der Kommendation zusammen hängt der Handgang, der symbol. Akt der Ergebung in die Herrschaft. Dabei legte der künftige Vasall seine Hände in die Hände des Herrn, unter Umständen gehörten noch Treueeid und Kuß zum Ritual" (LdMA 5,1278). Diese Geste wird hier nicht vollständig beschrieben, scheint aber gedacht zu sein.

15649-15931 Gawcin bei Frau Sxlde

417

auch TPMA 4, „Gegensatz" 2: „Gegensätze lassen sich nicht vereinen". Als Erklämngsmodell, wie es trotzdem dazu kommen kann, erwähnt Heinrich kurz die Vereinbarkeit der Kontrastfarben schwarz und weiß im Gefieder der Elster, ein Bild, das aus Wolframs >ParzivalCrone< —>298 f. Zur folgenden Szene: SHOCKEY 2 0 0 2 , S. 2 4 3 ff.; K E R N , Crone 1 9 9 9 , S. 2 0 6 ff.; DAIBER 1 9 9 9 , S. 1 9 3 - 1 9 8 ; K E R N 1 9 9 8 , S. 2 8 5 ff. (mit Forschungspositionen in Anm. 5 1 6 ) ; BRINKER-VON DER HEYDE, Architektur 1 9 9 6 ; H A U G 1 9 9 5 , S. 1 6 ; W A G N E R - H A R K E N 1 9 9 5 , S. 3 5 2 ff.; MEYER 1 9 9 4 , S. 1 2 9 ff.; MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 2 3 0 - 2 4 3 ; HUBER 1 9 8 8 , S. 3 7 0 - 3 7 1 (Vergleich mit Alanus ab Insulis); KEEFE 1 9 8 2 , S. 1 5 9 f.; ENGELEN 1 9 7 8 (zu den Edelsteinen); EBENBAUER 1 9 7 7 ; DE BOOR 1 9 7 5 (v.a. zur Einordnung in die Tradition); LICHTENBERG 1 9 3 1 .

Gawein wird von Frau Saslde als Stellvertreter des Artus empfangen; sie überreicht ihm einen heilsgarantierenden Ring, den der König aber erst nach Verlust und mühsamer Wiedereroberung dauerhaft in Besitz nehmen kann. In den von Garanphiel, der Schwester Saeldes, verursachten Wirren um die Saeldenkleinodien33 mag eine Illustration der Unbeständigkeit der Zusagen Fortunas zu lesen sein; Garanphiel wurde auch als Personifikation der Unsaelde verstanden (—>4885). 31

32

33

Die Zusammenhänge erscheinen deutlicher in der Interpunktion von EK als bei SCH, dessen Punkt nach 15642 zu sehr abtrennt vom folgenden. Während READ 1974, S. 139 das Bild gegen Wolfram gewendet sah, erscheint es MENTZEL-REUTERS 1989, S. 221 als „Hommage an Wolfram und seinen 'wilden' Erzählstil"; BLEUMER 1997, S. 149 f. sieht dessen Verwendung hingegen v.a. als erzählerisches Mittel, um die „erzählungslogisch unnötige Verwandlung vom ba^ zur minne" leichter herausstellen zu können. Vgl. MEYER 1994, S. 127. Vgl. auch BLEUMER 1997, S. 148 f.: „Das Ende der Handlung beinhaltet eine logische Schwierigkeit, die der Erzähler hier zusätzlich markiert. Der Konflikt kann zu Gaweins Gunsten beendet werden, weil der Held sich am Ende als der Stärkere erweist. Laamorz erkennt dies an und ergibt sich, Gaweins demonstrierte Überlegenheit wird in der Unterwerfung des Gegners festgeschrieben. [...] die Beendigung des Konfliktes [bestünde] demnach darin, daß die Kräfteverhältnisse gemessen und schließlich fixiert werden." Der Ritter auf dem Bock bringt Ring, Stein des Fimbeus und den in der zweiten Hofprobe gewonnenen magischen Handschuh im Auftrag Garanphiels an sich.

14927-15931 Garanphiel I und Bcsuch bei Frau Saide

418

Heinrichs Bild von Saelde und ihrem Palast speist sich offenbar aus sehr verschiedenen Quellen; neben einigen aus dem >Anticlaudianus< entstammenden Zügen (—»6008-6082)34 wird als Vorbild für ihren Palast v.a. auf das Himmlische Jerusalem der >Apocalypse< und der damit verbundenen geistlichen Dichtung verwiesen (—>15649—15789),35 ebenso auf die Marienlyrik für die Figur Söldes selbst (->15823-15869). 36 Der Besuch Gaweins bei Frau Saside führt in anschaulichen, allegorisch geprägten Bildern die Auseinandersetzung um die Bedeutung Saeldes für das Artusreich fort, so wie sie neben den knappen Ausfuhrungen des Prologs (—>298f.) v.a. in dem Gespräch zwischen Gawein und Ywalin thematisiert worden war (—>5767—6256): die Fragen nach der „unbeständigen, Glück und Unglück verleihenden Saelde" sowie nach der „Zusage beständigen Glücks für den Tüchtigen".37 Die Plazierung der Episode in der Romanmitte stützt die Interpretation, daß die besondere Verbindung zwischen Artus und Sadde nach den Krisen der ersten Romanhälfte erneuert werden solle, bevor die Funktionstüchtigkeit des neuen Artusreichs im zweiten Romanteil vorgeführt werde.38 Als „Kernpunkt" bezeichnet die Szene auch WAGNER-HARKEN; sie stelle „die Grundintention des Dichters am deutlichsten heraus: Die Errichtung einer Vision des zeitenthobenen irdischen Glücks zur scheinbar epischen Begründung des arthurischen Mythos als Kontrastprogramm zu den Gralromanen."39 15649-15789 Gawein gelangt nach Ordohorht: Palast der Saelde Die Beschreibung, die Heinrich vom Palast Saeldes gibt, erweckt einen „Gesamteindruck von Reichtum, Schönheit und Pracht"; ihre Residenz ist Symbol für ihre Bedeutung im Roman und stellt „jede andere Burgbeschreibung des Romans in den Schatten".40 Nur Burg Salye wird ähnlich prachtvoll aus Marmor in verschiedenen Farben beschrieben, wirkt im Vergleich aber immer noch bescheiden (20114—20130).41 Zahlreiche Edelsteine hatte Heinrich 34

Dazu v.a. DE B O O R 1975; M E N T Z E L - R E U T E R S 1989, S. 230 ff.; vergleichbar erscheinen, bei allen Abweichungen, v.a. die Lage des Palastes auf einer Insel, das vom Wind angetriebene Rad, die am Rad hängenden armen oder reichen Menschen, das geteilte Aussehen Saeldes und des Palastinneren.

35

V g l . v . a . LICHTENBERG

36

S o v . a . MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 2 3 6 f f .

Cröne

1931.

37

KERN,

38

V g l . MEYER 1 9 9 4 , S. 1 3 0 .

1 9 9 9 , S. 2 0 8 .

39

WAGNER-HARKEN 1 9 9 5 , S. 3 5 6 .

40

KEEFE 1 9 8 2 , S. 1 5 9 f.

41

Sie entspricht damit der Gestaltung bei Chretien; Wolfram hat sein Schastel Marvetle hingegen reichlich mit Juwelen ausgestaltet, vgl. Pz 589,18 ff. Ob Heinrich diese Teile des

15649-15789 Gawein gelangt nach Ordohorht: Palast der Sajide

419

zudem bei der Beschreibung Amurfinas genannt, dort auch mit den ihnen zugeschriebenen Eigenschaften (—>8154—8316). Die Gestaltung des Palastes verbindet Elemente des himmlischen Jerusalems in der Johannes-Offenbarung,42 der damit verbundenen Tradition christlicher Sakralbauten, des Fortuna-Hauses des >Anticlaudianus< und profaner Architektur miteinander.43 Wesentliches Merkmal sind die zahlreichen Juwelen, mit denen der Palast verziert ist, darunter auch die zwölf Edelsteine, die die fundamenta der apokalyptischen Stadt schmücken (Apc 21,19-21), sowie die ebenfalls dort in großen Mengen genannten Gold und Perlen.44 Ein Großteil der übrigen Steine wird zum einen in der Beschreibung der Burg Iwerets Lanz 41164145,45 zum anderen auch von Wolfram in der Beschreibung des Bettes des Anfortas genannt (Pz 791,1—30); die insgesamt 58 Namen umfassende Liste Wolframs entspricht weitgehend den Namen in dem recht verbreiteten Steinbuch >De lapidibus< des Marbod von Rennes (um 1090).46 Womöglich greift Heinrich auf eine vergleichbare Quelle zurück, die aber weniger umfangreich gewesen sein dürfte, sonst hätte er wohl Mehrfachnennungen vermieden.47 Von den dreißig verschiedenen bei Heinrich genannten Steinen stimmen 13 (incl. Perlen) mit der >Apocalypse< überein, je 26 werden bei Marbod bzw. Wolfram genannt,48 16 auch im >LanzeletParzival< gekannt hat, ist unklar (vgl. —»6380). Ebenso ungeklärt ist, ob er das aus Kristall und Marmor bestehende Schloß in Korntin (Wig 4592 ff.) kannte (->2938-2988). Dessen Schilderung dürfte maßgebend für viele Edelsteinaufzählungen gewesen sein, vgl. z.B. >Rolandslied< 1550ff. Dazu auch LICHTENBERG 1931, S. 39. MEYER 1994, S. 128 zieht die Minnegrotte aus >Tristan< zum Vergleich heran, dagegen

44

Vgl. die Tabelle im Anhang des Kommentars.

42

BLEUMER 1 9 9 7 , S. 1 5 2 , A n m . 13. 45

Vgl. z u l e t z t BLEUMER 1 9 9 7 , S. 1 5 1 m i t A n m . 13.

46

Vgl. dazu den Kommentar zu >Parzival< (ed. NELLMANN), Bd. 2, S. 774. Marbod selbst wiederum trägt die Aussagen zahlreicher Autoritäten in Versform zusammen; als Quelle wird u. a. Isidor von Sevilla (>OriginesDe lapidibus«, S. 8-21. Marbod behandelt insgesamt 60 Steine. Der Vergleich der von Heinrich genannten Steine mit >De lapidibus< zeigt, daß die ersten dreißig Steine Marbods bei Heinrich größtenteils zu finden sind (Marbods Nr. I-XVI lückenlos, zwischen XVII und XXXII immerhin noch sieben Steine; aus der restlichen Abhandlung dann nur noch vier vereinzelte). Allerdings sind es nicht dieselben; unter den bei Heinrich genannten Steinen, die nicht bei Marbod vorkommen, sind der paleis, der turin (als turkoyseT) und der rubin bei Wolfram zu finden. Nicht in der Bettbeschreibung Wolframs, aber bei Marbod tauchen der cristaUe, der allectorie und der amatist auf. Einziger weder bei Wolfram noch bei Marbod genannter Stein ist der granat. Vgl. die Tabelle im Anhang des Kommentars. KNAPP 1981, S. 179 f., Anm. 71 zieht z.T. Isidor von Sevilla als Gewährsmann heran; ebd. S. 160 geht er von Wolfram als Quelle Heinrichs aus.

47

48

49

14927-15931 Garanphiel I und Besuch bei Frau Saide

420

Die Edelsteine sollten den weltfernen, fast magischen und luxuriösen Eindruck der Residenz unterstreichen,50 wurden aber wohl auch wegen ihrer heilsamen Wirkung verwendet (vgl. 15761, ähnlich Pz 792,1-4). Die Ausgestaltung bietet eine poetische Überhöhung der im Mittelalter beliebten farbigen Fassung architektonischer Details, die eine sehr bunte Raumwirkung verursachte, und die vor allem in Sakralräumen eine Ausschmückung mit Edelsteinen suggerieren sollte, entsprechend dem himmlischen Jerusalem.51 Zum Vergleich kann auch die sakrale Goldschmiedekunst dienen: In Weihrauchfässern, Reliquienschreinen oder Sakraments käs tchen wurden Elemente der zeitgenössischen Architektur aufgegriffen und in noch kunstvollerer Weise übertroffen.52 Trotz aller architektonischen Details, die Heinrich in seine Beschreibung einfließen läßt, ist eine exakte Vorstellung vom Aussehen des Palastes sehr schwer zu erhalten, zu ungenau bleiben seine Angaben.53 Auch die Häufung von Anspielungen auf die mittelalterliche Steinkunde mit den verschiedenen den Edelsteinen zugeschriebenen Kräften, von Vorstellungen vom himmlischen Jerusalem und anderen allegorisch deutbaren Details bleibt ohne konkrete Anwendung; Heinrich gibt keinerlei Hinweis, ob und wie sein Publikum daraus seine Schlüsse ziehen und den Palast interpretieren soll; ganz anders als es z.B. das frühmhd. allegorische Gedicht >Das Himmlische Jerusalem< tut.54 50 51

Entsprechend sieht ZACH 1990, S. 198 den Sa:ldenpalast als „in der Prachtentfaltung möglicherweise eine Steigerung zum gläsernen Drehschloss", vgl. aber auch —»12947 ff. Vgl. dazu allgemein LdMA 5,28f. mit weiterführender Lit.; v.a. SEDLMAYR 1976; BANDMANN 1 9 7 8 .

52

53

54

Vgl. BRINKER-VON DER HEYDE, Architektur 1996, S. llOff. Als Beispiel bildet sie das auf den Beginn des 12. Jh. datierte Weihrauchgefäß des Gozbertus aus Trier ohne weitere Erläuterungen ab (S. 116). Dieses bietet sich als Vergleichsobjekt an, weil es sich bei der Architektur dieses sehr kunstvollen Rauchfasses um einen kreuzförmigen Zentralbau handelt (mit vier Apsiden, Türmchen, von vielen Fenstern und Rankenornamenten durchbrochen), der die „als Sion, Jerusalem oder Stadt Gottes bezeichneten Bautypen" nachahmt (vgl. die Erläuterungen in dem Katalog „Rhein und Maas", S. 264.). Anstelle einer Zentralkuppel thront Salomo oben auf, auf den Dächern der Apsiden und als Atlanten findet sich eine Reihe alttestamentlicher Figuren. Zu der beschriebenen Rundkuppel des Palastes vgl. daneben auch das Kuppelreliquiar aus dem Weifenschatz, das um 1175 in Köln entstanden ist: ebenfalls in der Form eines kreuzförmigen Zentralbaus mit einer großen zentralen Kuppel und einem reichhaltigen Figurenprogramm (Berlin, Kunstgewerbemuseum; Abb. z.B. in „Die Kunst der Romanik", S. 365. Vgl. zu diesem allgemeinen Problem von Architekturbeschreibungen z.B. die Anmerkung zur domus der Fortuna Acl VIII,2: „It is very difficult to get a clear idea of a house from a writer's description of it. There are more than thirty reconstructions of Pliny's Laurentine Villa, all based on the detailed account given by him in Ep. 2. 17" (SHERIDAN, S. 189, Anm. 1 in der engl. Übersetzung des >AnticlaudianusCröne15722 ff.). Das Portal hat einen baldachinartigen Vorbau (->15698 ff.), und die Mauern bestehen aus einzelnen Lagen verschiedener Edelsteine, die ausfuhrlich aufgezählt werden. Danach geht der Blick nach oben: auf Zinnen und Rundkuppel mit dem darauf befestigten Adler, schließlich auf die reichlich verzierten Fenster und ihre kostbaren Füllungen. Auch wenn sich nicht alle Details klären lassen, scheint Heinrich die Perspektive Gaweins zu bewahren, der den Palast von einer Anhöhe aus (vgl. reit er tal 15799) erblickt und sich erst nach der Beschreibung nähert. Lediglich bei der Erwähnung kleinerer Details der Verzierung55 sowie der exakten Benennung der Edelsteine entfernt er sich von der Blickweise seines Helden und fugt sein eigenes Wissen ein.56 15652: Zu dem kliuwe ->15343 ff. 15654 f.: Der Name Laudelet könnte auf den afrz Diminuitiv {-let) zu laude, „Lob" verweisen (DAF, 335). 15659 ff.: Zu dem Rat Siameracs für die Seeüberquerung vgl. —>15343 ff. 15666 f.: Die Wände bestehen aus Sarder und Hyazinth (jochant zu mlat. jcuinctus), zwei nicht ganz so edlen, aber sehr beliebten Schmucksteinen von durchsichtig roter Farbe. Vgl. die Darstellungsweise Apc 21,11 und 21,18, dort werden zunächst Jaspis und Gold als Baumaterialien genannt, bevor die Edelsteine der Fundamente im einzelnen aufgezählt werden. 15674 f.: pille ist Nebenform zu Beryll,57 dem achten der zwölf Steine des Himmlischen Jerusalems. Er zählt seit jeher zu den wichtigsten Edelsteinen und kommt in verschiedenen, meist hellen Farben vor (weiß, rosa, gelb, grün, blau und Mischtöne).58 55 56

57

58

„Die Detailschilderung des Türliners erreicht hier ihren Höhepunkt" (KEEFE 1982, S. 156). Der Vorwurf GOUELS, Heinrich wechsle „andauernd die Perspektive" (GOUEL 1993, S. 211) und beschreibe ständig wechselnd Inneres und Außeres des Palastes, erscheint nicht gerechtfertigt. Daran hängt allerdings ihr Versuch, den Palast allegorisch für innere und äußere Eigenschaften eines durch ihn charakterisierten Menschen zu verstehen (ebd. S. 212-220). Vgl. „Findebuch" 35b, vorher bei SUOLAHTI 1929, S . 183; Konjektur bmlle bei SINGER. B K I N K E R - V O N DER HEYDE, Architektur 1996, S. 108 möchte pille als Spitzhacke der Steinmetzen übersetzen, mit denen die Edelsteine eingelegt worden seien (bille zu bi! (BMZ) bzw. bil (Lex), „Beil, Steinhaue", vgl. auch Anm. EK). Für die Interpretation von G O U E L 1993, S. 209 f. als „Pylone, Säulen des Palastes [...] aus Smaragd" fehlt die textliche Grundlage. Zu den verschiedenen Unterarten vgl. BdN VI,11.

DRAGSTED

1972, S. 262 ff. Vgl. auch Lap 193-204;

422

14927-15931 Garanphiel I und Besuch bei Frau Sslde

15675: lege bzw. lecke''' verwendet Heinrich in der gesamten Beschreibung alternierend mit %fle, es handelt sich jeweils um eine Schicht oder Lage von Edelsteinen, die er sich wohl wie normale Mauersteine verarbeitet vorgestellt hat. Vgl. auch >Das himmlische Jerusalem< 53—56, das die fundamenta der >Apocalypse< als legge bezeichnet: diu burch ist gewerchet/ unteriste XII legge,/ an der gruntveste/ aller steine beste. 15677: Zum smareis („Smaragd") ->49-52, 8244 ff. 15678: paleis fand sich auch im Schmuck Amurfinas (->8244 ff.).60 Wie man sich die Konstruktion 15676-15681 genauer vorzustellen hat, geht aus dem Satzgefüge nicht hervor. 15681: mä%e, Ρ mas^e für eine „angemessene Menge" (Lex 1,2064)? Vgl. auch Anm. EK.61 1 5 6 8 2 : Chrysopras ist ein durchschimmernder hellgrüner Stein, der in >Apocalypse< und >Parzival< genannt wird. Vgl. auch BdN VI,16, das ihn als gar seltseim [...] tewr und schattyar bezeichnet; er komme aus Indien und sei den äugen guot, wan er klart da^gesiht; ähnlich Lap 235 ff. und 703 ff. 15685 ff.: Zu Topase (P/EK Topi^e) ->8244 ff.; Saphir nennt Heinrich häufig, vgl. die Tabelle im Anhang des Kommentars. 1 5 6 8 8 : S C H Ostren sucht eine Alternative für P / E K osyen, das nicht mit saphjiren reimt (der Schreiber dürfte an Asien gedacht haben). Sinnvoll erscheint von Assiren.62 TH übersetzt demzufolge „Assyrian jasper". Zum Jaspis —>8271—8275. 15690 ff.: onichel ist Nebenform zu Onyx, das -/ verweist auf die afrz. Herkunft oniclef1 die erneute Nennung 15692 dürfte wohl auf ein Mißverständnis zurückgehen. Die Form onix (bzw. oni^en 15774 im Reim) verweist hingegen eher auf lat. Herkunft aus onychinus.M Sardonyx zählt zu den Steinen der >Apocalypse8280. Magnet erscheint ungewöhnlich zwischen den anderen Edelsteinen, da er schlicht grau ist; in der Gegenwart des Diamanten verliert er mittelalterlicher Lehre zufolge seine Anziehungskraft auf Eisen.80 15722 ff.: Der Begriff sal,, der in der sakralen Architektur die Gewölbekirche bezeichnete, mag hier ebenfalls auf einen Reliquienschrein o.a. als Vorbild für Heinrichs Darstellung verweisen.81 Die runde Form der den Saal überwölbenden Kuppel entspricht mittelalterlicher Ästhetik, die im Runden die Vollkommenheit der Proportion sah (auch —> 14576—14595); hier ver77

78 79 80 81

Zu den Eigenschaften vgl. DRAGSTED 1972, S. 1 4 f., der auch noch die Namen „Rasselstein" oder „Klapperstein" für die mit einem lose klappernden Stein gefüllten Geoden nennt, die aus Blasen in Eruptivgesteinen entstanden sind. SPIEWOK übersetzt ihn als „Vetit"(der sich aber nicht belegen läßt), K Ü H N (in >Parzival< (ed. NELLMANN)) schreibt „etites", K E R N behält die mhd. Form Echites bei. Vgl. Lap 50-73; BdN VI,2; D R A G S T E D 1972, S. 281. Auch Lap 129-133 erwähnt drei Farben, er betont die Hilfe des Steins zum Sieg im Kampf. Vgl. Rudolf von Ems, >Weltchronik< 1839 ff.; Konrad von Megenberg, BdN VI,50; Heinrich von Mügeln, II 372. Lap 284—311 weiß nichts entsprechendes zu berichten. So BRINKER-VON DER HEYDE, Architektur 1996, S. 111 f.

426

14927-15931 Garanphiel I und Besuch bei Frau Sslde

stärkt durch die perfekte Ausarbeitung und die glanzvolle Farbigkeit.82 Zudem entspricht die Rundform sowohl dem im Saal befindlichen Rad der Fortuna, als auch der Beobachtung Gaweins, das Glück sei sinervel (5965). Vgl. ähnlich die Darstellung des Schastel Mervillos Pz 589,1—4: Uf durch den palas einesit/ gienc ein gewelbe niht wit,/ gegredet über den palas hoch:/ sinwel sich da% umbe Rundkuppeln waren v.a. in der römischen und byzantinischen Architektur beliebt, das westliche Mittelalter kennt nur wenige Beispiele.84 Als Darstellung des Himmlischen Jerusalems finden sich Rundkuppeln (mit Doppelfenstern im Obergaden) ζ. B. auch auf den Chorschranken der Michaeliskirche zu Hildesheim (2. Hälfte 12. Jh.). 1 5 7 2 8 : Die Neubildung goltgru^e, „goldkorn", schon 2023, wieder 18116 (vgl. Lex 1,1048, Anm. EK). 15734 ff.: Einen aren/ an einem halsgolde (8236 f.) trägt auch Amurfina als Schmuck; ein singender goldener Adler befindet sich auf dem Zelt Lanzelets (Lanz 4780 ff.). 15749: Neben den immensen Ausmaßen des Palastes, auf die diese Fensterzahl verweist, ist hundert auch als große Rundzahl Symbol für Erfüllung und Vollkommenheit.85 Das selbständige Leuchten erscheint als weitere Ubereinstimmung mit dem Himmlischen Jerusalem, von dem es heißt, Sonne und Mond seien überflüssig, weil die strahlende Herrlichkeit Gottes die Stadt erleuchte (Apc 21,23 ff.).86 Vgl. die Beschreibung Salyes 20131 ff. mit wolfunff hundert Fenstern (ebenso auch CdG 7650 f.), auch die wol tusent fraurnn, die 28410 ff. im Palast von Gansguoters Schwester an den venstem vmb sas^en. 15760 f.: Die Reimzeile zu diesem Vers fehlt, vgl. Anm. EK; in dem fehlenden Vers wäre die Uberleitung zum medizinischen Aspekt der aufgezählten Edelsteine anzunehmen. Zu deren heilenden Kräften vgl. die jeweiligen Ausführungen bei Marbod von Rennes und Konrad von Megenberg; weiterführende Literatur u. a. in LdMA 5,2021 f. zur „Lithotherapie". 1 5 7 6 5 : SCH swibogen, Ρ schwiebogen, von Lex 11,1370 knapp mit fornix („Gewölbe, Bogen") übersetzt. DWb 15,2609 f. lehnt die von KLUGE 1995, 82 83 84 85

Vgl. BRINKER-VON DER HEYDE, Architektur 1996, S. 110, die auf Thomas von Aquin, Opera omnia II, 244 (ed. FROMMANN/HOLZBOOG 1980) verweist. Dort werden auch mit Edelsteinen geschmückte Fenster beschrieben. >Conte du Graal< sagt nichts über die Form des Schlosses. Vgl. auch SCHOUWINK 1977, S. 116, Anm. 2. Vgl. z.B. das Mausoleum Theoderichs in Ravenna (6. Jh.), das Oktogon des Aachener Doms (798 vollendet) oder das Baptisterium in Pisa (1153-1265). Vgl. BRINKER-VON DER HEYDE, Architektur 1 9 9 6 , S. 1 1 0 f. A u c h KEEFE 1 9 8 2 , S. 1 4 5 :

„übertrieben hohe Zahlenangaben bei Burgschilderungen sind in der Artusdichtung gang und gäbe und sind als Qualitätsbeteuerung, also als Konkretisierung einer Idee anzusehen." Vgl. auch WIESINGER 1 9 7 6 , S . 1 0 9 . 86

Vgl. auch KEEFE 1 9 8 2 , S. 1 5 9 .

15649-15789 Gawein gelangt nach Ordohorht: Palast der Sa:lde

427

S. 751a angegebene Ableitung aus schweben ab und bietet eine Reihe von Varianten („schwebeboge", „Swingboge", „schweifboge") und Ableitungen, die zeigen, daß der Begriff früher wohl eine Vielfalt von Bögen bezeichnete. Im heutigen Sprachgebrauch der Architekturbeschreibung hat sich die Bedeutung auf die im 19. Jh. eingeführte Benennung von Bögen des für die Statik nötigen Strebewerks v.a. gotischer Sakralbauten verengt.87 In Heinrichs Beschreibung dürfte es sich um eine zweidimensionale Bogenfiihrung handeln (anders als die zumeist als Gewölbe zu verstehenden Belege in DWb), womöglich ist auch ^anbogen mitgedacht, also die in der späten Romanik sehr beliebten Zwillingsfenster.88 15767ff.:jochant wurde bereits —>15667 genannt, Topas —>15685. 15770: Als schieß bezeichnet Heinrich wohl das Bogenfeld unterhalb des Überfangbogens,89 eine für jegliche Art von Dekorationen sehr geeignete Fläche, die mit Edelsteinen ausgeführt beschrieben wird. 15771 ff.: Zum roten Granat vgl. die Ausführungen Konrads von Megenberg, BdN VI,38; er betont v. a., daß der Stein das trauren veijagt und gibt dem muot fräud. Zum Onyx —>15692. 15780 f.: Die Säulen zwischen den Fenstern stellt sich Heinrich zweifarbig vor: emetin ist so nur hier belegt, vielleicht mit Pz 791,10 Emathites zu identifizierend als Hämatit („Blutstein");90 alternativ könnte Heinrich aber auch an Amantes (BdN VI,5, ein weißer Stein) oder an den puntvar oder vechvar Amandinus (ebd. VI,9) gedacht haben. Grüner Jaspis wurde schon —>15688 genannt. 15784: Zum katfunkel vgl. —>8236 ; die Verwendung als Fensterfüllung erklärt sich aus der ihm zugeschriebenen endogenen Leuchtkraft, vgl. auch die Charakterisierung BdN VI,13: der edlist under allen stainen und hat aller stain kreft. er ist so klär, da% er mit seiner liebten klärhait ain kranke^ gesiht widersieht und 87

Vgl. KOCH 1990, S. 488 und 450; bei der Beschreibung von Fenstern erscheint die Übersetzung als „Schwibbogen" wie bei GOUEL 1993, S. 210 oder BRINKER-VON DER HEYDE,

88

89 90

Architektur 1996, S. 110 daher nicht unbedingt angebracht. Die in DWb dokumentierte, vielfältige Verwendung des Begriffs spiegelt 14587, wo suibogen (P und D) die Aufhängung von zwei zu zwei Burgtoren führenden Zugbrücken bezeichnet, ein weiterer möglicher Hinweis auf die Zweizahl. Eher als Gewölbebogen zu verstehen sind hingegen die drei suibogen Lanz 3610-3613: einen höhen tum gesähen sie,/ da mite da% tor was überwogen./ er hete dri swibogenj da die liute durch riten\ wieder Lanz 3889 ff.: dar under stät ein brunne kalt./ den Iweret der belt bait/ hat mit wahen swibogen/ harte vol überwogen. Lex 11,726 f. übersetzt giebelseite eines gebäudes, was für die übrigen Belegstellen korrekt sein mag, hier aber nicht zutrifft. „Undurchsichtiger Stein von stahlgrauer Farbe, kristallisiertes Eisenoxid, benannt nach dem sich mit Wasser dunkelrot verfärbenden Schleifstaub" (ROTHMÜLLER 1978, S. 26); zu lat. haematinus, „blutrot" (vgl. SUOLAHTI 1929, S. 84). Ausführlich zu seinen Heileigenschaften auch Lap 467-486, BdN VI,32. Vgl. auch Anm. EK.

428

14927-15931 Garanphiel I und Besuch bei Frau Slide

täubt [...] des staines varb istfeurem und scheint des nahtes mer wan an dem tag, wan des tags ist er tunkel, aber in der naht scheint er so klär, da% erpei im naht %uo tag macht,91 So auch Lanz 4143 ff.: kaifunkelf da von wart niener tunkel/ in der kemenäten. 15788 f.: Dieser knappe Kommentar zeigt deutlich die Zufriedenheit des Erzählers mit der vorausgegangenen Beschreibung des Palastes; G Ü L Z O W 1914, S. 219 faßt ihn zusammen mit anderen Stellen, die „ebenfalls ein Interesse des Dichters an der Handlung bedeuten": v.a. 16655 ff., 22528 ff., 24667 ff. 15790-15822 Gaweins Ankunft am Palast 15790 ff.: Aus der Perspektive des heranreitenden Gawein erscheint das in der Sonne glänzende Schloß als „reiner Glanz";92 (vgl. 15740 ff.). Die Perspektive Gaweins wird verstärkt durch den Hinweis auf dessen Blendung, die ihn vermuten läßt, das Land brenne. 15800: gemein hier wohl in der Nebenbedeutung „gewöhnlich" (vgl. Lex 1,840; v.a. DWb 5,3209, „gemein 7b"), also ein Weg, der leicht zu begehen ist. 15810: Die reimbedingte Adjektivkonstruktion für die Beschreibung des Baumes ist auffallig („er war von edlem Zedernholz", vgl. Lex 111,1041). Die Zeder war v.a. aus der Bibel bekannt; der Nadelbaum wurde „in der literatur wegen seines stolzen und hohen wuchses oft gerühmt".93 Sie findet sich sowohl Pz 444,30 (ohne besondere Motivation, an ihrer Stelle könnte auch jeder andere Baum stehen) als auch Tr 17022 (ein Zedernholzriegel als allegorisch gedeutetes Ausstattungsdetail der Minnegrotte). 15813 ff.: Zur koife („Harnischkappe") —>2871; Gawein bezeugt dem vom Licht verklärten Ort seinen Respekt, indem er sein Haupt entblößt und sich entwaffnet, wie es sich für einen wohlerzogenen Ritter geziemt (als ein gewisser ritter tuot, 15815) und u.a. beim Betreten einer Kirche üblich ist (vgl. entsprechend 17672 ff.).

91 92 93

Zur Darstellung von Fenstern vgl. auch ENGELEN 1978, S. 201-204. Vgl. auch MEIER 1977, S. 246 ff. KEEFE 1982, S. 161 f. Daß solche Passagen explizit an den Gesichtssinn des Publikums appellierten, betont WANDHOFF 1999, S. 590. DWb 31,439. Vgl. auch HEINZ-MOHR 1998, S. 343: „Symbol der Größe, Stärke und Dauerhaftigkeit, [...] repräsentiert [...] die Unsterblichkeit. Man hielt ihr Holz für völlig gegen den Zerfall gefeit und verwendete es daher zum Bau des salomonischen Tempels."

429

15823-15869 Frau Saelde auf dem Rad

15823-15869 Frau Saslde auf dem Rad Lit. zu bildlichen Darstellungen der Saelde —>298 f.; zur Interpretation B L E U M E R 1997, S. 1 5 1 - 1 5 8 ; M E N T Z E L - R E U T E R S 1989, S. 236 ff.; K E E F E 1982, S. 90; DE B O O R 1975; vgl. auch die Literaturangaben zu 15649—15931.

Die seit Boethius traditionelle Verbindung Fortunas mit der Rundform hatte Heinrich bereits —>5965 (auch —>15722 ff.) aufgegriffen. Heinrichs FortunaDarstellung zeichnet sich durch die Verbindung der beiden verschiedenen Konzepte von unbeständiger Fortuna mit dem Rad (Boethius) und doppelgesichtiger Fortuna anceps (Alanus ab Insulis) aus, die in dieser Form neu ist.94 Zur Darstellung der Fortuna anceps durch die Teilung in eine weiße und in eine schwarze Hälfte —>15853 ff; ähnlich die Beschreibung Fortunas durch Gegensatzpaare in Gaweins Exkurs —>6008-6082. Heinrich gibt dieser Gestalt ein Kind, das heil, in den Arm und setzt sie auf das Fortunarad, dorthin, wo sonst der glückliche König seinen Platz hat. Dementsprechend sieht MENTZEL-REUTERS Heinrichs Darstellung als eine Montage aus Alains Fortuna und Elementen der Marienlyrik, deren Brüche immer wieder deutlich würden.'5 Das Motiv des Glücksrades spielt u.a. eine wichtige Rolle Wig 1036— 1052, wo sich ein in Gold gearbeitetes Rad mit auf- und absteigenden Figuren auf Jorams Königsburg findet, es ist Zeichen für die Unterstützung durch da^ ge/ücke; Wigalois, der Sohn Gaweins, fuhrt das Rad später als Wappenzeichen (Wig 1826-1830). 15826 ff.: Zu magenkrafi —>12672. Heinrich verbindet die traditionelle Fortuna-Symbolik mit der gerade in der Romanik sehr verbreiteten Darstellung Marias mit dem Kind.96 Dabei werden diese Parallelen zur Mariendarstellung stark abweichend bewertet. Die meisten Interpreten sehen sie als eine Verstärkung des Säkularen in Heinrichs Roman an: Wie Maria für den sie verehrenden Sünder eintritt, wende sich Saelde ihrem Günstling Gawein zu,97 durch das Erstarren der Szene in immerwährender Freude werde Gawein als innerweltlicher Erlöser charakterisiert.98 MENTZEL-REUTERS beruft 94

Vgl. DE BOOR 1975, u.a. S. 320. Im Blick auf die wenigen vorausgehenden Fortunadarstellungen betont er ebd. „wie wenig Heinrich von dem Türlin 1230 aus einer literarischen Tradition schöpfen konnte, wie einsam und damit bedeutsam sein großes Fortuna-Gemälde ist". Vgl. auch BLEUMER 1997, S. 152.

95

V g l . MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S . 2 3 7 f.

96

V g l . u . a . SKOWRONEK 1 9 6 4 ; G Ü R T T L E R 1 9 7 6 , S . 1 9 7 ; WALLBANK 1 9 8 7 , S . 1 3 2 f . u n d B R I N -

97

S o WALLBANK 1 9 8 7 , S . 1 3 3 .

98

Vgl.

KER-VON DER HEYDE,

Architektur

BRINKER-VON DER HEYDE,

1 9 9 6 ; MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S . 2 3 7

Architektur 1996, S. 113 f.; vorher

ff.

DE BOOR

1975, S. 328:

430

14927-15931 Garanphiel I und Besuch bei Frau Sa=lde

sich auf zeitgenössisches Denken: Er sieht die Darstellung Sasldes mit Kind als eine Typologie Marias, so wie sich das Christentum seinerseits zahlreiche Aspekte des antiken und heidnischen Erbes angeeignet hatte." Sieides Kind, das Heil, übernimmt die Funktion eines „Attributs der allegorischen Figur, das verhindert, daß Saside einseitig mit der wankelmütigen Fortuna gleichgesetzt wird".100 Alternativ wird aber auch auf die Fortuna-Darstellung der Wiener Boethius-Handschrift verwiesen; dort steht die königlich erscheinende Frau hinter dem Rad und trägt eine kleine Figur auf dem Arm, die als Crösus beschriftet ist101 (->298 f. und ->6008 ff.). Zur Problematik, eine „allegorische Ausdrucksform in den epischen Geschehensablauf zu integrier e n " , v g l . BLEUMER. 1 0 2

15830: Zur Syntax vgl. Anm. EK. Sowohl bei Boethius als auch bei Alanus ab Insulis treibt Fortuna das Rad mit der Hand an, wobei sie meist davorstehend bzw. daneben sitzend gedacht wird (so z.B. im >Hortus deliciarum< der Herrad von Landsberg (1175/1190)). Heinrich gibt einmal wieder eine technische Ausdeutung eines schwer erklärbaren Phänomens: Bei ihm ist es der Wind, der das Rad wie ein Windrad bewegt. Vgl. das Standbild mit dem Horn (->6973-7040, ->6997), das Drehschloß (->12963 ff.) oder die aktive Pforte (->12980 ff.). 1 5 8 3 6 ff.: Wohl besser wandelten (PI.) statt P / S C H wandelte (so auch EK). In diesen Versen sieht DE BOOR das Bemühen Heinrichs, den Übergang von der Dynamik des sich drehenden Rades zur Dauerhaftigkeit der ihre Gaben austeilenden Fortuna zu beschreiben; die „Quadratur des Kreises" sei dem „Dichter so wenig gelungen wie den Mathematikern".103 Heißt aber 15838 f. nicht einfach, daß die an dem Rad Hängenden ihren Platz am Rad nicht

99

Gawein „wird zum Heilbringer". Dabei verweist er auf die religiöse Terminologie 15893 f., sie sei „Wort und Gebärde Christi an die Schar der Seligen beim Jüngsten Gericht". „Die Frauengestalten waren damit nicht gleichgeschaltet; aber im Sinne der christlichen Typologie konnte man die heidnische Fortuna als Vorausdeutung, als unvollkommene Abspiegelung der wahren Herrscherin der Sphären auffassen - und gelten lassen" (MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 2 3 6 ) .

100 Ebd., S. 237. Die von der Forschung unterstellte, für das ausgehende Hochmittelalter ungewöhnliche Säkularisierung, die Heinrichs Roman unterstellt werde, sei in erster Linie ein Problem der Nachkriegsgermanistik, vgl. ebd. S. 234 ff. Dagegen BLEUMER 1997, S. 152, Anm. 16. 101

V g l . DE BOOR 1 9 7 5 , S. 3 2 2 m i t A b b . 2 .

102 Vgl. BLEUMER 1997, S. 152 ff. Er kommt zu dem Schluß: mit „dem Eintreten der epischen Figur [ - Gawein] in die Sphäre des Allegorischen ist so die Grenze der Idealisierungsmögjichkeit des Helden in ihrer kurzfristigen Übertretung mitbezeichnet, die zugleich die Grenze der epischen Gesetze ist Der Fortuna-Aufenthalt bietet demnach nicht allein ein erzählerisches Problem, er bietet dessen Versinnbildlichung" (ebd. S. 155). 103

DE BOOR 1 9 7 5 , S. 3 2 6 .

15823-15869 Frau Saide auf dem Rad

431

einfach wechseln können, sondern daß sie immer an der jeweiligen Stelle bleiben müssen? Allerdings bleibt dann undeutlich, wie sich Heinrich die rechts und links verteilten Scharen (15875 f.) vorgestellt haben mag; vgl. DE BOOR: „die Menschen [werden] durch den Umlauf des Rades an die zugewiesene Stelle befördert, dort aber abgesetzt [...], um dort zu bleiben."104 15853 ff.: Ähnlich der folgenden Darstellung der zweigeteilten Saside wird im >Anticlaudianus< die eine Hälfte des Hauses der Fortuna als glänzend von Silber, Edelsteinen und Gold beschrieben, während die andere aus wertlosem Material bestehe.105 Vgl. entsprechend die Aussage der Perceval verfluchenden demoisele CdG 4578 f.: Ha! Percevaus, Fortune est chauve/ Darriere et devant chevelue,m ähnlich Sigunes Aussage Pz 255,20: Ir lebt und sit an Salden tot. Zu der Zweiteilung vgl. auch die Oppositionenreihe in Gaweins Exkurs über das gelücke ->6008-6082. Zur Verwendung des Begriffs reht —»14206. 15858 f.: Zu Schwarz als Häßlichkeitstopos —»976. Während die Fortuna Acl VIII,33 ff. in eine schöne Vorderseite und eine häßliche Rückseite getrennt ist, sind es bei Heinrich rechte und linke Seite. Die Aufteilung in rechts = gut, links = schlecht entspricht der traditionellen Symbolik (vgl. auch —>11261). Parallelen für die Zweiteilung in Schwarz und Weiß bietet bereits Herbort von Fritzlar in seinem >Liet von Troye< (15465 ff.): eia glücke, eia heil,/ nu hast du mir das swarsg teil/ allenthalben gekart./ mir sint die tvivgen 1 wege verspart,/ da ich wilen ane ginc"' vgl. auch die entsprechenden Darstellungen der Welt bei WvdV L. 124,37 (C. 97,111,3 f.) und in Konrads von Würzburg >Der Welt Lohn1973. 15902: Lies Dat. Dinem (vgl. SIN). 15909-15931 Der Ring der Saelde 15909 ff.: Die runde Form eines Ringes entspricht der sonstigen Verbindung Saeldes mit dieser Form (—>15722 ff.). Ein Ring, der seinem Besitzer besondere Kräfte verleiht, ist z.B. der Ring Laudines in >IweinLancelot en prose< (MICHA, V,4, § 4 Z.9 ff., vgl. KLUGE, 11,439,20—440,3), wobei im dt. Text nur gesagt wird, der Ring schütze vor Zauberei, im frz. heißt es genauer, daß der Ring Zauberei aufzudecken vermöge.116 Später übernimmt Alfred von Scharfenberg das Motiv des Sseldengolds (vgl. 22901: der Ring Saeldes besteht aus sigehaftem golde), das zu einem Ring und einer Spange verarbeitet ist (JTit 4943 ff.). Wie in der >Crone< verleiht es Glück, Reichtum etc. (JTit 4721 ff.), sein Verlust führt zu Unglück. Neu ist dort die ausdrückliche Verbindung mit dem Diamanten, durch die seine Wirkung sich erst richtig entfalte;117 aber auch der Ring Saeldes besteht offenbar aus golde unde von gestein (22915 ff.), Heinrich geht jedoch nicht weiter darauf ein.118 Einen Ring mit schützender Kraft erhält auch Gauriel (Gau 3375 ff.). Die Einschätzung dieser Parallelen als Quelle fur Heinrich bei J I L L I N G S 1 9 8 0 , S. 1 0 3 , Anm. 6 erscheint fraglich; es dürfte lediglich eine gewisse Präsenz dieser Vorstellungen in der allgemeinen Gedankenwelt zu sehen sein. 115 „Ich gebe dazu, die mein sind". Vgl. DE BOOR 1975, S . 328; M E N T Z E L - R E U T E R S 1989, S. 230. 116 car it descuevrt anchantement et tes fait connoistrr. „denn er entdeckt Zauberei und macht sie bekannt". 114

117

Vgl. ENGELEN 1 9 7 8 , S. 1 1 8 f.

118

BLEUMER

1997, S. 157 verweist auf die Parallele der Requisiten Fimbeus-Gürtel und Ring; diese Bemerkung wird durch die Gemeinsamkeit „runder Träger mit Stein" noch verstärkt.

434

14927-15931 Garanphiel I und Besuch bei Frau Saelde

Als Pendant zum Gral als „Sinnbild göttlicher Gnade" sieht WAGNERHARKEN den Ring als „Sinnbild von Fortunas Gunst." Dementsprechend löse der Ringraub am Hof ähnliche Reaktionen aus wie das vorübergehende Auftauchen des Grals am Artushof der >Queste< im >Prosa-LancelotGerbertContinuationCrone< entstanden sein dürfte.5 Zu den Unwettern vgl. auch die ähnlichen Erscheinungen im Wald des Wassermanns 9265 ff. sowie das Unwetter am Brunnen in der >IweinParzival< voraus, zur Diskussion —»6380. BLEUMER 1997, S. 2 4 8 f. SHOCKEY 2002, S. 250 stellt die manheit der >Cröne< allgemeiner dem gptes qvife! Wolframs gegenüber.

8

BLEUMER 1997, S. 2 4 9 .

9

BLEUMER 1 9 9 7 , S. 2 5 0 .

10

Wrss 1981, S. 281 f. Vgl. ähnlich GANTER 1999, S. 96 f.: Gawein „ist eine Figur - einer

438

15932-17499 Zweite Wunderkette: Trauer um Gawein

betont eine „Wendung Heinrichs gegen die Befrachtung des Erzählens mit Werten der höfischen Ideologie." Heinrich stelle sich damit gegen die literarische Konvention, die traditionellen Werte seien nur noch notwendiger Hintergrund, könnten aber keine Handlung mehr auslösen.11 W A G N E R - H A R K E N spricht gar von „polemischer Kritik an den 'klassischen' Artus- sowie den Gralromanen", Handlungsverbot und die Androhung einer unverhältnismäßigen Sanktion (auf die Bedrohung des Artusreichs bezogen, vgl. 16356-16364) entsprächen der typischen Vorgehensweise der Märchen.12 Als Skandalon erscheint es ihr v.a., daß die als Madonna dargestellte Sselde Gawein hier zwinge, sich über seine vom christlichen Ethos geforderte, helfende Nächstenliebe hinwegzusetzen.13 Als „temptations", die Gawein ignorieren müsse, hatte H E L L E R die Erscheinungen der zweiten Wunderkette in den Kontext von Versuchungsvisionen gerückt;14 eine Bewertung, die KELLER wieder aufgreift. Er vergleicht die Wunderkette mit Jenseitsfahrten, allerdings nicht zur Hölle, sondern in „die potenzierte und darum pervertierte Welt der Aventiuren".15 Als „Anti-Aventiurenweg" schließlich deutet SCHOUWINK diese Kette und sieht sie als „die strukturelle Konsequenz aus der Garantie immerwährenden Glücks für den Protagonisten" durch Frau Sselde.16 SHOCKEY schließlich schreibt der Kette v.a. die Funktion zu, Gawein seine eigentliche „raison d'etre" zu verdeutlichen: diese seien Karidol und der Gral, nicht aber Amurfina und Aventiure.17 MEYER

War die erste Wunderkette für Gawein noch aus der Distanz zu beobachten, so wird er hier ständig dazu aufgefordert, Stellung zu beziehen. Dabei versuchen alle Erscheinungen, ihn bei der Ehre zu packen und appellieren gleichermaßen an seine manheit (—>16069) wie an seine bekannte Hilfsbereitschaft den Frauen gegenüber. Den konstruierten Charakter der Episoden unterstreicht die Tatsache, daß in der ersten und dritten Gruppe der Gawein von hinten fordernde Ritter ausdrücklich derjenige ist, den die ihm Begegnenden als Übeltäter gestraft sehen wollen; in der zweiten Gruppe läßt sich eine analoge Konstruktion zumindest annehmen. Marionette gleich - , die diese persönliche Apokalypse durchlaufen muß und weder den Auftrag noch den Zweck kennt. Die Lehre, die aus der zweiten Wunderkette zu ziehen ist, wird weder Gäwein noch dem Publikum offenbart. Es läßt sich nur ahnen, daß Gawein umerzogen werden soll, um seiner künftigen Rolle als Artus- und Gralsritter gerecht werden zu können." 11

MEYEH 1 9 9 4 , S . 1 3 5 .

12

WAGNER-HARKEN 1 9 9 5 , S . 3 0 7 .

13

WAGNER-HARKEN 1 9 9 5 , S . 3 7 8 f f .

14

Vgl. HELLER 1 9 4 2 , S . 7 7 .

15

KELLER 1 9 9 7 , S . 2 6 9 f f . , Z i t a t S . 2 7 0 .

16

SCHOUWINK 1 9 7 7 , S . 1 0 9 .

17

Vgl. SHOCKEY 2 0 0 2 , S . 2 5 5 .

15932-15996 Einleitung: Vorbereitung der Wunderkette

439

15932-15996 Einleitung: Vorbereitung der Wunderkette Anders als in der ersten Wunderkette, der sich Gawein ohne jede Vorwarnung ausgesetzt sah, ist er auf die folgende Bilderreihe gleich zweifach vorbereitet: durch die Erfahrung mit der ersten Kette, sowie durch die Verhaltensanweisungen, die er durch einen burgare der S aside mit auf den Weg bekommt. 15932-15945 Begegnung mit Aanzim 15936: Heinrich betont den Kontrast zwischen der zunächst von Gawein gewählten strafe [...] Diu schatte was und sieht (15932 f.) und dem smalen pfat, auf den ihn Aanzim leitet, und der ihn schließlich zur Wunderkette führt.18 Zur terminologischen Zuordnung eines pfat zum Aventiure-Ort „wilder Wald", vgl. auch ->3644-3647. 15939 ff.: Zur Mittagsmahlzeit vgl. auch —> 6467. jas ist Prät. zu jesen in der Nebenbedeutung „Wärme verbreiten" (Lex 1,1480 nur zu dieser Stelle, sonst „gären". Vgl. ebd. die Deutung „sprudeln, kochen"). 15945: Lies mit EK Punkt am Versende. 15946-15996 Aanzims Ratschläge, Aventiure-Verbot 15947 f.: Für Amontsüs, einen sprechenden Namen (afrz. „hoch auf dem Berg"), fugt Heinrich selbst die Übersetzung bei. 15950: dav^ mare (P/EK die mere) ist eine fiktive Quellenberufung, mit der offenbar die eigenartig anmutende Konstruktion abgesichert werden soll, in der Saside ein eigener Herrschaftsbereich mit Untertanen zugeordnet wird.19 15953: Die von SCHOLL bevorzugte Namensform Aanzim nennt Ρ nur 16138, sonst Ααηψ (15953) oder Aaym (15976, 16003, 16492). Es finden sich keine vergleichbaren Namen zu diesem Helfer des Artusreichs, der als vorbildlicher Ritter und großzügiger Gastgeber gezeichnet wird. Im Verlauf der Wunderkette ist es seine Schwester Samanidye, die Gawein davon abhält, gegen das Gebot der Saside zu verstoßen. Die Deutung des Namens ist schwierig, er läßt sich vielleicht zu dem afrz. Adj. anäen lesen, „der Alte", passend zu seiner Funktion als Ratgeber.20 18

19 20

KELLER 1997, S. 186, Anm. 70 verweist für diese Etappen, über die Gawein „vom mühelosen, aber falschen auf den mühevollen, glückbringenden Weg" gelange, auf die Nähe zur „ursprünglich biblischen Wegmetaphorik". Vgl. auch KELLER 1997, S. 185. KOLLITSCH 1 9 7 9 , S. 8 2 erwägt eine Verbindung zu einem verstümmelten afrz. en cimier; „im Helmschmuck" im Blick auf seine (allerdings nicht weiter unter Beweis gestellten) ritterlichen Qualitäten.

440

15932-17499 Zweite Wunderkette: Trauer um Gawein

15959: Salden tür als sprichwörtliche Tür zum Glück bereits —>2067 und 7218. 1 5 9 7 1 : Die Konjektur SCH entweln scheint nicht unbedingt nötig, vgl. zu P/EK entweben: „auseinander weben, lösen" (Lex 1,594, nur für >Trojanerkrieg< belegt). 1 5 9 7 7 - 9 6 : Das Verbot Aanzims, in irgendeiner Weise auf das zu reagieren, was Gawein auf seinem Weg begegnen wird, knüpft an das AventiureVerbot durch Gener von Kartis in der ersten Winderkette an (vgl. 14533 ff.). Es begleitet Gawein durch die gesamte Bilderreihe, ähnlich wie in der ersten Kette die Jagd nach den wundersamen Waffen. Dabei stürzt es den Ritter in das Dilemma, zwischen manheit und state wählen zu müssen: Egal wofür er sich entscheidet, wird er doch Schande auf sich laden.21 Erst als die manheit den Sieg zu erringen droht, greift eine Jungfrau der Saside ein und schützt Gawein vor sich selbst: die state erscheint als die zu bevorzugende Tugend. Vor einem ähnlichen Entscheidungsproblem steht Iwein: Falls er nicht rechtzeitig beim Gerichtskampf für Lunete erscheint, ist ihm ebenso Schande gewiß, wie wenn er dem Kampf gegen den Riesen Harpin ausweicht, um seinen Termin einhalten zu können. Iweins Problem löst sich dadurch, daß der Riese rechtzeitig zum Kampf kommt und sich schnell genug besiegen läßt (Iw 4740-4917, Yv 3988-4085 weniger deutlich ausgearbeitet).22 1 5 9 8 2 : Aanzim spricht zweimal von Forderungen, die von hinten an Gawein herangetragen werden (wieder 15986) — im Verlauf der Wunderkette selbst sind es jedoch nur die ihn fordernden Ritter, die ihn von hinten einholen, kumber unde not (15981) stellen sich Gawein von vorne entgegen. 1 5 9 9 2 : Lies mit EK Überkraft (vgl. 669, 4903, 9972 u.ö.). 15997—16157 Erste Gruppe der Begegnungen 15997-16052 Unwetter im Wald Die folgende Unwetter-Beschreibung ist die ausführlichste in der Wunderkette;23 bei den weiteren derartigen Erscheinungen nennt Heinrich nur noch einzelne der Elemente, die hier alle zusammen auftreten. Die Verbindung mit der ersten Wunderkette übernimmt v.a. die wiederholte Nennung von Feuer: Der schäre [...] sneit unde brant (16015 ff.), der regen [...] brant so ungehiure wie 21

22 23

Andeutungsweise wurde der Konflikt auch schon in der ersten Wunderkette deutlich: Mit state verfolgt Gawein dort die beiden Waffen, greift dafür aber in vielen nach Hilfe heischenden Situationen nicht ein. Auch —»9532 ff.; 13964 ff. Zu den Anweisungen Aanzims auch K E L L E R 1997, S. 184-190. K E L L E R 1997, S. 192, Anm. 80 vermutet als Vorbild das Unwetter, das in >Iwein< am Brunnen des Ascalon ausgelöst wird.

15997-16052 Unwetter im Wald

441

von starkem viure (16025 ff.), die Steine des Steinregens schließlich gluoten wie frisch aus der Esse kommendes Eisen (16030 ff.). In der >3. Continuation fallen vor Percevals Besuch in der Kapelle Steine vom Himmel, der ganze Wald wird zerstört (vgl. Ε 37206, 37223). Das Motiv des kochenden Regens findet sich wohl häufiger in europäischen Sagen,24 die Verbindung von Hitze und Kälte ist daneben in Höllenbeschreibungen beliebt.25 Gemeinsamer Ursprung dürften die biblischen Strafvorstellungen sein, vgl. Apc 8,7 die auf die Erde fallende Mischung aus Hagel und Feuer, die womöglich ein Vorbild in der siebten Plage aus Ex 9,23 f. hat (Hagel und Blitze). Ebenso wie in der vorliegenden Wunderkette wird auch die Ereigniskette der Johannes-Offenbarung immer wieder durch die Beschreibung außergewöhnlicher Natur- und Wetterphänomene unterbrochen.26 Allerdings ist hier eher eine Prüfung zu sehen denn eine Strafsituation, so daß der biblische Bezug sehr vage bleibt. Als realistische Erklärungen für die Darstellung wurden ein „Bergsturz, ein Erdbeben"27 oder auch ein „Vulkanausbruch"28 herangezogen. Dem entsprächen u.a. die Sonnenfinsternis (—>16160ff.) oder der Fluß aus Steinen auf dem Weg nach Serre (7964—8041). Die extreme Sommerhitze 15940 ff. ließe sich auch als Hinweis des Erzählers auf ein sehr starkes Gewitter deuten. Zu vergleichen ist auch der Wald des wilden Wassermanns, wo der Auftritt der waltgesellen mit einem zerstörerischen stürm einhergeht (vgl. v. a. 92619272).29 16008: SCH/EK vall/e aus Ρ wall, vgl. dazu Anm. E K . 16010: P/EK liest stemmen statt SCH steinen. 16020 f.: Das nur hier belegte geschrei (P/SCH/EK) bzw. stF. geschrä,0 zur Bezeichnung der Unbilden der Witterung gehört wohl zu schmjen, „spritzen, triefen, lodern" etc. (vgl. Lex 11,784), zu deuten als „unwetter, regen" (Lex 1,905). SIN bessert in gehet, muß dann aber auch das folgende Pron. in da% angleichen. 16057 ist geschrei hingegen zu schreien zu lesen.31 24

Vgl. WAGNER-HARKEN 1 9 9 5 , S. 3 2 3 .

25

Vgl. K E L L E R 1 9 9 7 , S . 1 9 2 , mit einem Beleg aus der >Visio Tnugdalk Vgl. die Einleitung zur ersten Wunderkette, v.a. die Überlegungen zur >Apocalypse14099 ff., -»15171 f.). 16041: Lies mit EK am Ende des Verses Komma statt Punkt. 16045: SCH bliwen (P/EK plyen: snyen) zu bli („Blei", Lex 1,305). 16053-16075 Herausforderung durch einen Ritter 16056: Die Wahrheitsbeteuerung sunder laugen erscheint wiederum als Absicherung des Autors im Rahmen dieser unglaublichen Begebenheiten, vgl. die fiktive Quellenberufung —>15950. 16063 ff.: Im Laufe der Wunderkette werden die Verben vliehen und jagen sehr häufig verwendet; sie geben dem Geschehen einen flüchtigen Charakter. Dadurch unterscheidet es sich von den meist statisch wirkenden Bildern der ersten Wunderkette (vgl. jedoch —>14201). Das Spektrum schneller Bewegung wird durch folgende Begriffe abgedeckt: vliehen (16063 und 16186); ile (16354); jagen (16066, 16077, 16231, 16277 und 16465); gäch (16065); gäben (16178); vast (16215,16456) und schiere (16238,16257,16400). In der zweiten Hälfte der Kette werden die entsprechenden Belege weniger, die Handlung verlangsamt sich. 16065 schreibt SCH sg gäch, P/EK etwas weniger formelhaft so gab (vgl. dazu Anm. EK). 16064: Um die ritterliche ere scheint es zwiespältig bestellt: Die hinterhergeschriene Forderung widerspricht ordentlichem ritterlichen Verhalten (wie Gasoein es z.B. Keie in seinen betont höflichen Repliken demonstrierte, nachdem dieser ihm seine Forderung ebenfalls hinterhergerufen hatte, vgl. 3735 ff.).32 Der Gawein herausfordernde Ritter erscheint als fragwürdige Figur, er hat selbst den amis der klagenden Jungfrau geköpft (—>16118). 16068 ff.: Der Verweis auf die vrouwen bzw. wibe, durch den Gawein zum Kampf animiert werden soll, knüpft an seine traditionelle Rolle als Ritter der Damen an;33 zugleich zeigt sie den allgemein thematisierten Zusammenhang von äventiure und triuwe. Auch die folgende magt sowie der Ritter der zweiten

32

33

„vermenschlichte Natur", deren Ubernatürlichkeit sich „als Vermischung mit dem kulturell-technischen Bereich" zeige, wirkt jedoch stark durch neuzeitliches Denken geprägt. Die Nähe der beiden Passagen, die K E L L E R 1997, S. 198, Anm. 95 aus der Wiederholung des Verses 3737 in 16064 und 16134 ableitet, erscheint nicht zwingend; durch ritterliche ere ist zu wenig spezifisch als Aussage. Diesen Topos greift vgl. z.B. die Klage Keies 17017 ff. auf.

1 6 0 7 6 - 1 6 1 2 5 Eine magt bittet um ritterlichen Beistand

443

Gruppe appellieren an den Frauenfreund Gawein (16095, 16110 f. sowie 16192). Der Ritter beruft sich auf Gaweins manheit, einen der beiden Zentralbegriffe der Kette. Ebenso tut das die dazukommende Jungfrau 16109. Von (v.a. Gaweins) manheit wird außerdem gesprochen 16079, 16136, 16197 und 16486; besonders häu6g im Exkurs 16322, 16329, 16333, 16340. Alternativ findet sich die Umschreibung riters mrdekeit 16182; daneben die Oppositionen %ige (16146, 16289, 16296), vertagen (16180, 16276) und ^agelich 16487. 16075: Mit diesem Vers endet ein Dreireimabschnitt, in Ρ gekennzeichnet durch Capitulumzeichen; dem folgt EK 16076-16125 Eine magt bittet um ritterlichen Beistand 16084 ff.: Die klagende magt, die das Haupt eines Ritters mit sich fuhrt und Gawein in abgerissenen Kleidern entgegenreitet, erinnert an die erste Figur der ersten Wunderkette 13979—14021. Ihre Aufmachung erinnert an die gestrafte Enite oder Jeschute, die Figur bleibt aber völlig unbestimmt. 16087: Zum Motiv eines abgeschlagenen Kopfes vgl. die Entsprechungen —>14207 f. und —>14255. Der Ritter schlief, als er enthauptet wurde, was allen ritterlichen Konventionen zuwider ist; dadurch wurden Ritters reht und triuwe (16100) 3erbrochen. Vgl. zur Motivik Gaweins Kampf gegen Berhardis, dem er schließlich ebenfalls den Kopf abgeschlagen hatte (13384 ff.); auch die Darstellung der klagenden Jungfrau bei Chretien, die einen enthaupteten Ritter im Arm hält (CdG 3393: Qui avoit tranchiee la teste). 16091,16103: Die Zugehörigkeit der Jungfrau zur Gralssphäre zeigt sich u. a. darin, daß sie Gawein mit Namen anspricht; im normalen AventiurenBereich muß er sich sonst vorstellen (oder er spielt mit seinem Inkognito), —>14610 f. 16095 f.: Lies mit E K und H A U P T tu statt ich·}* „wenn euch die Freude je ein die Frauen betreffendes Versprechen gegeben hat", falls Gawein also jemals Freude durch Frauen erfahren durfte (zur Wendung Sicherheit swern —>832). Vgl. auch dazu 16110 f.: mbes leit ie gebrach/ Iwer vröude. 16101: Der Vers erscheint in der vorliegenden Form unvollständig, zu ergänzen wäre vielleicht eine genauere Bestimmung, z.B.: davon istgrö% min riuwe o. ä. 16118: Das Demonstrativpronomen dim %age ist wohl auf den Gawein ebenfalls herausfordernden Ritter zu beziehen, so daß dieser der Mörder ist.

34

HAUPT 1 8 7 2 , S . 2 5 0 .

444

15932-17499 Zweite Wunderkette: Trauer um Gawein

16121 ff.: Zu dem offenbar im Zweikampf eingeschlafenen Ritter (er ist der Enthauptete, under diu („während") bezogen auf dieritterschaft)vgl. die Kampfpausen in Gaweins Kampf gegen Gasoein, wo beide Kämpfer immer wieder einschlafen (und auch träumen, so 12055 ff., 12138 ff.). Gawein weckt seinen Gegner jedoch, statt dessen Wehrlosigkeit auszunutzen (z.B. 11999 ff., 12175 ff., 12214f.); vgl. auch ->6592ff. 16126-16157 Engfiiihrung: Unwetter, Gawein wird von magt und Ritter beschimpft 16145: slage entweder zu slac, „plage, verderben" etc. (Lex 11,950 f.) oder zu sla, slage, „spur, fährte, weg" (Lex II,956),35 vgl. auch Anm. E K . 16146: Der Vorwurf, Gawein sei ein %age und helfe aus Feigheit nicht, paßt zum Schelten seiner manheit (16136) und wird ihm im folgenden noch häufiger gemacht (16180 f., 16276, 16289 und 16296 f.). Ebenso beleidigend wurde z.B. Parzival in der Becherprobe als vertagt bezeichnet (2225); auch —>16069. 16147: Die windesbrut ist ein Wirbelwind (DWb 30,318 ff., auch zur Herleitung); vgl. auch das nur 25074 belegte Adj. wintsprütic. 16148 ff.: Wurde in der ersten Wunderkette besonders das Sehen bzw. Nichtsehenkönnen der einzelnen Bilder betont, so ist es in dieser Bildfolge zusätzlich immer wieder das Gehör, das herausgefordert wird: die Unwetter sind mit Lärm verbunden, die Forderungen werden gerufen und gesprochen an Gawein herangetragen.36 Hier wird Gawein schließlich vorübergehend taub und blind durch den Wirbelwind und verliert so den Kontakt zu seinen Herausforderern. Dabei konzentriert sich die Darstellung der Lärmbelästigung v.a. auf den Beginn der Begegnungen, vgl. nur die deutlich darauf hinweisenden Belege schal/le (16007,16011)\gesehnt (->16020(?) und 16057); schrien (16172); dunren (16149); lüt/e (16148,16232); ruof/ruofen (16146, 16172, 16175, 16232, 16292, 16355, 16432); daneben geharde (16151), hören (16154), swigen (16438 und 16440). 16152: Daß die Erlebnisse Gawein betören, vergleicht KELLER mit dem hilflosen jungen Parzival im Angesicht der drei Ritter.37

35 36

Zur Bezeichnung des Weges durch den Wunderwald wird sla auch genannt 16215, 16256 und 16387; ansonsten finden sich v.a. mc (16084, 16140, 16165 und 16237) und pfat (16002, 16053, 16083, 16249) sowie einmal spor (16077). Vgl. auch die entsprechenden Beobachtungen bei KELLER 1997, S. 214 ff.

37

Vgl. KELLER 1997, S. 2 1 6 f.

16158-16227 Zweite Gruppe der Begegnungen

445

1 6 1 5 8 - 1 6 2 2 7 Zweite Gruppe der Begegnungen 16158-16173 Sonnenfinsternis, Frau mit totem Kind Der Übergang zwischen beiden Gruppen erscheint fließend, die Gestalten verschwinden mit dem Unwetter, das zugleich zur nächsten Begegnung überleitet. 16160 ff.: Diese (Teil-?)Sonnenfinsternis korrespondiert mit der Sonnenfinsternis bei Gaweins Kapellenbesuch —>14655 f.; beide Male ist er zuvor durch Lärm bedrängt worden und hat darüber mehr oder weniger die Besinnung verloren: in der Kapelle in einer veritablen Ohnmacht, hier zumindest angedeutet in Hör- und Sehverlust (16154).38 Vgl. auch Kalocreants Schilderung des Unwetters am Brunnen, bei dem ebenfalls die Sonne erlosch (Iw 638 ff.). Auffällig ist die einer Sonnenfinsternis entsprechende Relativierung, daß die Finsternis doch so dünne war, daß man den tac mit vollen kos (16162 f.). Vgl. dazu Apc 8,12, die vom Verlust eines Drittels der Strahlkraft von Sonne, Mond und Sternen berichtet, wodurch Tag und Nacht ein Drittel dunkler wurden. Traditionell bezeichnen solche Finsternisse besonders hervorgehobene Momente, so den Tod Jesu oder die Geburt Karls des Großen.39 Allerdings ist hier kein solcher Bezug von größerer Tragweite zu finden, es scheint eher als „Kuriosität" gedacht und paßt in die Reihe „früher bedeutsame[r] Motive", die der Erzähler umformt und weiterbenutzt.40 Ob Heinrich (und Hartmann) auf eigene Erlebnisse zurückgreifen, läßt sich nicht sagen; zwischen 1100 und 1240 waren jedenfalls mehrere Eklipsen über Zentraleuropa sichtbar.41 38

Zur Verbindung der beiden Epsioden auch WAGNER-HARKEN 1995, S. 178; KELLER 1997, S. 216.

39

Vgl. z.B. die Chanson de geste >Doon de Mayence16495).® Vgl. auch Cundries Aussage 56 57

58

Vgl. Mhd. Grammatik § 367. Vgl. die Ubersicht über weitere direkte Ansprachen an das Publikum bei GÜLZOW 1914, S. 208 f. KELLER sieht hier „eigene, versteckte Zweifel [des Erzählers] an der Korrektheit von Gaweins Entscheidung", der in den gesamten theoretischen Passagen eine „leichte Gewichtung zugunsten der state" erkennen lasse; vgl. KELLER 1997, S. 250. Vgl. auch SCHMID 1994, S. 284: „Gaweins Aktivität verhält sich somit zum Glück des König Artus wie Parzivals Passivität zur Heilung des Gralkönigs. Von Gawein wird gerade verlangt, was in Parzivals Fall Unheil bewirkte: Abstinenz." Neben der (quellentechnisch unsicheren) Deutung, die geforderte Passivität gehe auf das vom Gral erlassene Frageverbot am Ende des >Parzival< zurück, verweist SCHMID in dem Zusammenhang auf Gauvains (beabsichtigten) Turnierverzicht CdG5019ff., um nicht den bevorstehenden Gerichtskampf zu gefährden. So wie Gauvain schließlich trotzdem erfolgreich am Turnier teilnimmt, kann auch Gawein schließlich der Provokation nicht widerstehen; als „flache Pointe" der Epsiode resümiert SCHMID 1994: „Wird man mit einer unmöglichen Forderung konfrontiert, gibt es nur eine Chance: man muß eben Glück haben" (S. 285).

59

BLEUMER 1997, S. 2 4 9 .

60

MENTZEL-REUTERS 1989, S. 228 f. sieht die Begründung in der Klage der Jungfrau in der ersten Wunderkette gegeben (13980-14009): Ihre und maneger vrouwen swore wurden durch Parzivals Versagen verlängert, Artus würde dasselbe Schicksal wie dem Gralsherren drohen, „ein vampirhaftes Scheinleben". Wie er zu dieser nicht vom Text abgesicherten Gleichsetzung kommt, erläutert er jedoch nicht.

16386-16496 Vierte Gruppe der Begegnungen; Nachspiel

451

Pz 314,29: tavelrunder ist entnihtet, die Artusgesellschaft stürzt ebenso wie Parzival in Trauer. 1 6 3 5 7 : Als Botin der Saside (vgl. ihre Selbstaussage 16481 f.) kennt die mag den ihrem Schutz Anbefohlenen und kann ihn mit Namen anreden (auch ->14610 f.). 16358: Statt wirf (SCH) liest Ρ/ΈΚ Konj.: würd, damit bleiben die Aussagen der magt lediglich im Bereich der Möglichkeit, sind aber noch nicht erfolgt.61 Ist statt geladen (P/SCH/EK) besser beladen zu lesen? 1 6 3 6 0 : Das Kompositum vaterheim für „Vaterland, heimat" ist selten (vgl. Lex III,33).62 1 6 3 6 6 : P/EK liest beyder statt SCH beiden, vgl. Anm. E K . 16368—16385: Im Anblick der kampfbereiten Ritter greift die mag zu einer Art Abwehrzauber und verursacht durch den Schlag mit einem kolben gegen einen Baum ein erneutes Unwetter, in dem die Gestalten der Klagegruppe und die Ritter verschwinden. Damit stellt sich die Frage nach der Rolle Saeldes bei den vorhergehenden Unwettern — sind sie von ihr oder einer anderen Macht verursacht? Handelt es sich bei den gesamten Ereignissen um eine von Saside veranstaltete Tugendprobe?63 1 6 3 7 2 : Zu vielten (Prät. zu valten, „sich einschmiegen") vgl. —> 11795. 1 6 3 8 0 : Lies mit Ρ die seltener überlieferte Form als stN.: faules bast, parallel zu ErH 2798: sam ware ein vületζ bast (dort als Bild für im Kampf brechendes Zaumzeug). 1 6 3 8 2 : Lies mit P/EK schra, „hagel, reif, schnee", so auch bei Neidhart (Lex 11,783, auch -»16020 f.). 16386-16496 Vierte Gruppe der Begegnungen; Nachspiel Diese letzte Herausforderung an Gaweins state und manheit unterscheidet sich von den vorangegangenen zum einen durch die Anwesenheit der magt, die Gawein wiederum von seinem Kampfentschuß abbringt. Zum anderen hebt sie sich dadurch ab, daß es nun nicht mehr um Opfer fremder Gewalt geht, sondern daß Gawein selbst diverser Untaten bezichtigt wird, für die er Genugtuung leisten soll. KELLER sieht diese Szene als eine Art Zusammenfassung „der zweiten Wunderkette, [...] als Engführung, die die Grundzüge [...] nochmals vor Augen führt."64 61 62

Vgl.

63

1989, S. 228; K E L L E R 1997, S. 251, Anm. 191. Ebenso Anm. EK. will es im Einzugsbereich der Gralswelt lokalisieren, daraus folgert er ein Aufweichen der Grenze zwischen Grals- und Artuswelt; vgl. K E L L E R 1997, S. 255 f. In diesem Sinne zuletzt K E L L E R 1 9 9 7 , S. 2 5 9 .

64

K E L L E R 1 9 9 7 , S. 2 6 2 f.

MENTZEL-REUTERS

KELLER

452

15932-17499 Zweite Wunderkette: Trauer um Gawein

16386-16433 Unwetter, streitende Ritter 16391—16394: (= GT 84) Wie wenig sich Gawein von dem Unwetter beeindrucken läßt, formuliert Heinrich im Stil einer Sentenz: Es kann Gawein nicht davon abhalten, seinen Weg fortzusetzen, da er als erfahrener Ritter schlimmere Gefahren gewohnt ist. 16396 ff.: Der Lärm der Ritter im Wald dürfte den Turnierlärm zu Beginn der ersten Wunderkette zitieren, der zu Gaweins Vereinzelung geführt hatte (->13964-13978). 16407—16433: Die gesammelten Vorwürfe gegen Gawein, die nicht direkt an ihn gerichtet werden, sondern eher erklärend den anderen Herausforderern berichtet werden, sind allesamt sehr allgemein gehalten und offenbar ohne konkreten Bezug zur sonstigen Handlung zu sehen.65 Alle diese Herausforderungen führen jedoch den in den ersten Bildern bereits begonnenen Katalog „typischer Kampfanlässe und -motive"66 fort, wiederum in Form einer Steigerung. 16416: Der Vorwurf des dreifachen Brudermords hat im Roman Parallelen: Im Kampf gegen die vier Zöllner des Assiles bei Ywalin erschlägt Gawein drei der Brüder, der vierte begeht Selbstmord (vgl. 6257—6616). Vor allem dürfte die schon bei Chretien vorgegebene Situation auf Karamphi zum Vergleich heranzuziehen sein, die bei Heinrich in abgemilderter Form erscheint. Bei Chretien (und dann auch bei Wolfram) nähern sich Gauvain und seine Gastgeberin einander sehr schnell und werden in flagranti ertappt; Gauvain wird vom Bruder des Mädchens zum Kampf gefordert und zur Gralsfahrt verpflichtet, weil er den Vater der beiden ermordet habe; Heinrich beläßt es beim Schachspiel zwischen Gawein und Seimeret und macht aus dem Vatermord Mord am Bruder (vgl. 18815-18933). 16424: Zu Britanje (P/EK Brytanien) ->332-335. 16434-16454 Herausforderung Gaweins 16434: Daß Gawein hier gar manec gedanc bewegt, verweist ebenfalls auf die erste Wunderkette, wo er ausdrücklich als petisif geschildert worden war (-> 13944 ff.). 16449 ff.: Der sechste Herausforderer führt einen Kampfanlaß an, der allen anderen durch seine Sichtbarkeit überlegen ist (schint 16447, vor iuwern ougen 16449): Gawein vüert mit ime die amie des Herausforderers. Die dadurch entstehende Verbindung der Saeldenbotin mit den Erscheinungen wird nicht 65

Zu den Figuren vgl. auch WAGNER-HARKEN 1995, S. 323 ff.

66

KERN, Crone 1999, S. 2 1 5 , A n m . 7 1 .

1 6 4 5 5 - 1 6 4 7 3 Die magt hält Gawein wiederum vom Kämpfen ab

453

hinterfragt, hat im Text aber auch keine weitere Funktion. Sie unterstützt lediglich den rätselhaften Charakter der Figur der mag. Daß es in Wirklichkeit eher die mag ist, die Gawein fuhrt, kann als ironisches Moment gedeutet werden. 1 6 4 5 1 : P / E K lesen den Namen der Jungfrau als Samanidye, was sehr nah an den Zöllner Salmaneide —>7465 herankommt. Für die Form Samaidie nach SCH wird verwiesen auf lat. salus und mhd. meitf vgl. auch afrz. salu, salut, „Heil, Gesundheit", sowie die Formulierung metre a salu, „jemanden retten" (TL 9,121 ff.). Allerdings ist diese Deutung recht unbestimmt. 16455-16473 Die magt hält Gawein wiederum vom Kämpfen ab Hier kann die mag schneller eingreifen, da sie sich neben Gawein befindet; so kommt er gar nicht erst dazu, sich in Kampfpose zu begeben. Es fällt auf, daß diesmal kein Unwetter nötig ist, um die Erscheinungen verschwinden zu lassen, statt dessen reiten der völlig willenlose Gawein und seine Begleiterin einfach aus dem Wald. 16468 f.: Daß Gawein kein gewalt mehr über seinen muot und seine Kraft hat, scheint die „Entmündigung des Helden" zu vollenden,68 die sich durch das Aventiure-Verbot und das Eingreifen der mag in der dritten Szene bereits angekündigt hatten. Die angegriffene eigene Ehre zählt nicht mehr. Damit scheint aber das Ziel erreicht zu sein, denn nun folgen keine weiteren Prüfungsszenen mehr im Rahmen der Episode. 1 6 4 7 1 : SCH gäbe, P / E K gab. 16472: Von in (P/EK Von jneri) sind die drohenden Ritter; anbieten im Sinne von: „vor gericht laden" (vgl. Lex 1,53, nur für eine Urkundensammlung belegt). 16474—16496 Nachspiel: Die Sasldenbotin geleitet Gawein aus dem Wald 16481 ff.: Erst jetzt erfahrt Gawein, wer die mag ist; er hatte sich ihr bislang ohne dieses Wissen untergeordnet, bzw. war dazu gezwungen gewesen (—>16468 f.). 16485—16490: Saeldes Wissen um Gaweins Dilemma referiert noch einmal knapp den Exkurs 16316—16342; dabei scheint eine gewisse Vorrang-

67

Vgl. KOLLITSCH 1 9 7 9 , S. 8 3 .

68

V g l . K E L L E R 1 9 9 7 , S. 2 6 3 .

454

15932-17499 Zweite Wunderkette: Trauer um Gawein

Stellung der manheit als gruntveste von Tugende unde state durch2uklingen, die Gaweins Verhalten rechtfertigen könnte.69 16486: Zu manheit ->16069. 16495: In dem %ergän des (Artus-)hofes konkretisiert sich die Strafdrohung 16352—16364. Der unausgesprochene Kausalzusammenhang ist wohl in Gaweins Aufgabe zu sehen, den Saeldenring zu Artus zu bringen; wäre er im Kampf gegen die Erscheinungen der Kette unterlegen, könnte der herrschaftsgarantierende Ring seinen Empfanger nicht erreichen. Zugleich verweist diese Vorstellung auf die sich anschließende Episode vom vermeintlichen Tod Gaweins und dem in Trauer erstarrenden Artushof, wo Keie Artus sogar empfiehlt, das Reich und die Krone üf zu sein (17026 f.).

16497-17311 Der totgeglaubte Gawein 16497-16796 Der Kopf des „andern Gawein" L i t . : SHOCKEY 2 0 0 2 , S . 2 5 5 f f . ; BLEUMER 1 9 9 7 , S . 1 8 9 f f . ; MEYER 1 9 9 4 , S . 1 3 5 - 1 3 9 .

Diese Episode erscheint auf den ersten Blick recht verworren,70 auch weil sie sich nur schwer in die Gesamtlogik des Romans einfügt. Sie führt das in der zweiten Wunderkette aufgeworfene Thema weiter: den Problemkreis um ritterliche Kampfmoral, v.a. um verschiedene Auffassungen von Ehre (—>16619).71 Zugleich ist sie Grundlage für die darauffolgende Hoftrauer und die damit verbundene Frage nach der Bedeutung Gaweins für das Artusreich. Da es sich bei Aamanz explizit um einen Doppelgänger Gaweins handelt, der sogar von allen als ander Gawein angesprochen wird (16523), läßt sich die Handlung als episches „Was wäre, wenn"72 verstehen. Indem Gawein bewußt auf einen falschen Weg geschickt wird (—>16703 f.), kommt nicht die ewigkeitsgarantierende Gabe Saeldes an den Artushof, sondern der alle Hoffnung auf Zukunft zerstörende Kopf von Gaweins Doppelgänger; statt ewiger Freude zieht zunächst ewig scheinende Trauer ein. Aamanz ist in einen Rachekampf verstrickt, weil er seinen von Gigamec ermordeten Bruder sühnen will; seine Enthauptung resultiert letztendlich aus dem gebrochenen /rww-Schwur. Beide Motive passen zu den Herausforderungen der zweiten Wunderkette, wo Gawein in entsprechende Handlungen 69

Vgl. KELLER 1 9 9 7 , S. 2 6 6 f.

70

Das zeigt sich auch wieder in den Problemen, die inhaltliche und die Gliederung der Dreireimabschnitte miteinander in Einklang zu bringen; wie schon in der zweiten Wunderkette wird auch hier im Zweifelsfall für die inhaltliche Struktur entschieden, um so das Verständnis zu erleichtern.

71

Vgl. auch JILLINGS 1980, S. 91.

72

MEYER 1 9 9 4 , S. 136.

16497-16796 Der Kopf des

„andern Gawein"

455

verwickelt werden sollte, aber vor dem Eingreifen geschützt worden war (16411-16417). So erscheinen die Übergänge von der Wunderkette zur folgenden Handlung fließend, eine klare Grenze markiert lediglich die wechselnde Landschaft: Statt im Wald ist Gawein nun auf der beide (16475). Die Vorstellung vom Tod Gaweins kennt CdG 9030 ff. ebenso wie Pz 652,6 (der Hof freut sich, daß Gawein doch noch am Leben ist). Zu Doppelgängermotiv und Tod Gaweins im französischen Artusroman vgl. die Hinweise bei BLEUMER 1997, S. 190, Anm. 6. Der Handlungsablauf läßt sich folgendermaßen skizzieren: Aamanz, der ander Gawein, verfolgt Gigamec, weil dieser seinen Bruder erschlagen hatte. Unterwegs wird Aamanz von Zedoech aufgehalten, den er besiegt, Zedoech verweigert jedoch den Unterwerfungseid. Während die beiden noch darum streiten, kommt Gawein dazwischen und löst Zedoech im Vertretungskampf gegen Aamanz aus, ohne die Situation zu kennen. Aamanz unterliegt in diesem Kampf, ist aber ebenfalls nicht bereit, sicherunge zu schwören, sondern will lieber getötet werden. In diesem neuerlichen Streit um sicherunge kommt der ursprünglich von Aamanz verfolgte Gigamec dazu. Nun bitten Gigamec und Zedoech Gawein darum, ihnen den Gefangenen auszuhändigen. Da Gawein nichts von dem Haß der beiden auf Aamanz weiß, gibt er der Bitte unter der Bedingung nach, daß sie ihn Unterwerfung schwören und davon reiten lassen, dann läßt er die drei allein. Zedoech und Gigamec schlagen Aamanz jedoch den Kopf ab und geben diesen als den Gaweins am Artushof aus, wodurch dort eine große Krise ausgelöst wird. Die Verletzung ritterlicher Normen wird von Heinrich nicht weiter kommentiert, sie war bereits Gegenstand der zweiten Wunderkette. Gaweins gutgläubiges und spontanes Handeln in dieser Episode wurde u.a. im Kontrast zur /istνon Strickers Daniel gesehen, der besonders deutlich als reflektierender, abwägender und die Konsequenzen bedenkender Held gezeichnet ist.73 Ahnlich wie im ersten Romanabschnitt die Handlung um Gasoein und Assiles, setzt auch hier wieder eine Verschachtelung der Handlungsstränge ein, die als „entrelacement" zu beschreiben wäre (vgl. —>3273—5468): Die auf die Kampfszene folgende Beschreibung der Hoftrauer wird unterbrochen durch Gaweins Aventiuren-Reihe und erst nach dessen Einladung 2179221873 wieder aufgegriffen. Dabei kommt es durch die Verpflichtung zur Gralsfahrt gleich zur nächsten Mehrsträngigkeit, da diese parallel mit der Suche nach den Saeldenkleinodien geführt wird.74 73

V g l . ROSSNAGEL 1 9 9 6 , S . 7 4 f f .

74

Vgl. dazu auch die Übersichten bei EBENBAUER 1977, S. 31 und im Anhang von WAGNERHARKEN

1995.

456

15932-17499 Zweite Wunderkette: Trauer um Gawein

16497-16536 Aamanz {der ander Gawein) verfolgt Gigamec 1 6 5 0 0 : Die Namensform Gigamec hat SCH aus Ρ Gygamet konjiziert, die sich dreimal im Reim auf weg findet (auch 16705 und 17314), 28547 reimt auch Ρ Gygameg: weg?5 Vgl. vielleicht das afrz. Adj. gigantal als Nebenform zu gaiant/jajant für „riesig, riesenhaft";76 es finden sich keine Parallelen für den Namen.77 16506 f.: (= GT 85) „Häufig tun Menschen Gutes, das ihnen als Schlechtes angerechnet wird." Das guot ist wohl darauf zu beziehen, daß Aamanz den Mörder seines Bruders verfolgt, um sich an diesem zu rächen; im weiteren Verlauf bezahlt er dafür jedoch mit seinem Leben; die Aussage wäre also als Vorausdeutung zu verstehen (nicht aufgenommen in ShRM). 16518: Für die Deutung des Namens Aamanz böte sich afrz. amant/ amans^ „der Liebende" (auf den Bruder bezogen?) an, alternativ aber auch amande, „Genugtuung, Buße".78 16520 fF.: Neben der physiognomischen Ähnlichkeit ist auch eine gewisse Wesensähnlichkeit nötig, um als Doppelgänger erkannt zu werden; dabei wird hier wieder die allgemeine Bekanntheit Gaweins vorausgesetzt (auch —>6187-6223). 16530 ff.: Der Erzählduktus dieser recht verworren anmutenden Berichterstattung spielt wiederum mit den Formen mündlichen Erzählens (—>918— 2631); er greift vorher Gesagtes auf (hier 16510 ff.), bekräftigt wieder: als ich sage (16536), wiederholt bereits Erzähltes: Der der ander Gawein was genant (16562). Auf diese Weise erhält die in ihrer Umständlichkeit sowieso schon auffallige Passage noch einen zusätzlich behäbigen Charakter, allerdings ohne auf die sonst von Heinrich geschätzte Technik zurückzugreifen, den Erzählfluß durch Sentenzen und Sprichwörter zu unterbrechen.

16537—16591 Zweikampf Aamanz — Zedoech 16537: Lies Initiale und Abschnittsbeginn mit EK, vgl. Anm. EK; daher besser Punkt statt Semikolon am Ende von 16536. 16544 f.: Zu dem zuerst 835 erwähnten %pumen vgl. —>2941. sich verbergen hier wohl entsprechend „weiche vor etwas zurück" (BMZ 1,166): Aamanz leistet keinen weiteren Widerstand gegen den geforderten Kampf (vgl. auch Anm. EK). 75

An den übrigen Stellen steht der Name im Versinneren (16532, 16677, 16746, 16806); daneben die Genitivform von Gygametten 16802.

76

Vgl. D A F , 2 9 1 ; FOERSTER 1 9 7 3 , S. 1 4 4 .

77

Vgl. auch CHANDLER 1992, S. 108.

78

WEST 1969, S. 7 belegt einen Saint Amant, der mehrfach in der afrz. Literatur genannt wird und wohl auf einen Missionar des 7. Jh. zurückgeht.

16591-16664 Gawein rettet Zedoech; Forderung durch Aamanz

457

16558: Der Name Zedoech ist einmal im Reim zu verlieh (16566 f.) abgesichert; weder die mhd. noch die afirz. Literatur kennt einen vergleichbaren Namen.79 Möglicherweise zu Zodiacus, dem astronomischen Tierkreis. 16563: P/EK^AR, vgl. gar sin·, „bereit, gerüstet sein" (Lex 1,738); SCH gäch ist aber gute Konjektur. 16566: Lies Aaman% an Zedoech (so auch EK), der Angreifer Zedoech unterliegt im Kampf, vgl. 16571 f., auch SIN. Zum doppelten an vgl. die Formulierung Iw 6 3 7 5 f.: da% in iemer dehein man/ den sige müge behaben an. 16570, 16580 u.ö.: Zu Sicherheit/sicherunge, dem zentralen Begriff der gesamten Auseinandersetzung, vgl. —>832. 16585 ff.: Zur Unterwerfungsgebärde vgl. auch —>15610 ff. 16588 ff.: Vgl. die fast identische Szene ->11233 ff.: Dort hat Gotegrin seine Schwester Ginover bei den Haaren gepackt, um sie zu enthaupten, als Gasoein noch gerade rechtzeitig hinzu kommt. Die drohende Enthauptung verweist zudem auf den Ausgang der Episode. 16591-16664 Gawein rettet Zedoech; Forderung durch Aamanz 16591 ff.: Das zufallige Dazwischenkommen Gaweins, durch das Zedoech gerettet wird, steht in einer Reihe mit anderen Zufällen im Roman Η

5673).

16594: er bezeichnet Aamanz, den andern Gawein. In der folgenden Auseinandersetzung der beiden Doppelgänger gehen die beiden in keiner Weise auf ihre Ähnlichkeit ein; im Unterschied zu den vielen Momenten, in denen Gawein von Fremden erkannt wird, scheint sich der ander Gawein nicht bewußt zu sein, wem er gegenübersteht (vgl. u.a. —>6187-6223, —>13057). 16596: Zu dem Begriff als Ausdruck für die sicherunge, die Zedoech verweigert, vgl. auch die insgesamt sechs ^olncere des Assiles, gegen die Gawein 5767—7852 zu kämpfen hatte. 16606 f.: (= GT 85a) Die auf Aamanz bezogene Aussage, ein Mann, der etwas mit ganzem Herzen tue, könne viel erreichen, betont die bevorstehende Schwere des Kampfs für Gawein. Gaweins Haltung in der gesamten Episode wird bereits hier durch eine ungewohnte Ernsthaftigkeit charakterisiert, auch wenn die Gesamtanlage der Episode keine Unterschiede zu vielen anderen Kämpfen zeigt, die er bisher eher gelassen bestanden hat. 16609 ff.: Der Kontrast zu den Herausforderungen der vorausgegangenen Wunderkette scheint eklatant und betont nachträglich die Besonderheit der Wunderkette: Hier reichen ein vil kleiner nit und ein zu rettender Ritter, 79

Vgl. WEST 1 9 6 9 ; CHANDLER 1 9 9 2 .

458

15932-17499 Zweite Wunderkette: Trauer um Gawein

der sich schließlich als Schuft entpuppt, um Gawein zum Kampf zu bewegen, dort blieb er dem gesamten hilfsbedürftigen Personal der ritterlichen Welt gegenüber letztendlich unerbittlich. 16609 liest P/EK an geholten. 16619 β.: Diese Äußerung Gaweins betont den Gegensatz der verschiedenen Auffassungen von ritterlicher Ehre innerhalb der Episode: Während Zedoech und Aamanz als Unterlegene jeweils jede Unterwerfung verweigern und lieber sterben möchten, sagt Gawein deutlich, daß er auf jeden Fall leben will und lieber einen Eid als sicherunge leisten wird. Da solche testamentarisch anmutenden Aussagen vor Beginn eines eher zweitrangigen Kampfes ungewöhnlich sind, sprechen sie dafür, hier einen Kommentar des Erzählers zu sehen; ihm steht die Haltung Gaweins offenbar näher.80 Thematisch paßt diese Stellungnahme auch zur vorangegangenen zweiten Wunderkette und dem dort auszutragenden Konflikt um manheit und state (16322, 16340 etc.). Gaweins Nachsichtigkeit hat im folgenden jedoch negative Auswirkungen, da es durch sie zur großen Hoftrauer und Schwächung des Artusreiches kommt. Der Hinweis auf einen ermordeten Doppelgänger Gauvains in >L'Atre PerilleusCröne< begründen zu können. BMZ III,662b; vgl. LEITZMANN 1925, S. 455; auch Anm. EK.

16665-16713 Gawein überläßt Aamanz dessen Gegnern, Enthauptung

459

deutlich auf die bevorstehende Hofkrise gelenkt; nicht der Kampf ist bedeutsam, sondern seine Konsequenz für das weitere Geschehen.85 16655 ff.: Zu der rhetorischen Zwischenfrage auch —» 15065. 1 6 6 5 9 : S C H / E K Enweder ist sinnvoll gebessert aus Ρ Jglicher, vgl. auch Anm. EK. 16665—16713 Gawein überläßt Aamanz dessen Gegnern, Enthauptung Die Weigerung des unterlegenen Doppelgängers, Gawein sicherunge zu gewähren sowie die Bitte, ihn zu erschlagen, sind der deutlichste Unterschied zwischen den beiden, die sich sonst so ähnlich zu sein scheinen (vgl. 16520-16527 sowie ihre Ebenbürtigkeit im Kampf 16655 ff.). Im Blick auf Gaweins „Testament" 16619 ff. erscheint sein Sieg damit als „Uberwindung eines fundamental mißverstandenen Rittertums".86 1 6 6 7 6 : S C H / E K bessern sinnvoll Zuo der rede aus Ρ %uo der erden. 1 6 6 8 9 : Zu der häufig verwendeten Negationsverstärkung niht umb ein har vgl. —>1224. Ahnlich wie bei anderen solchen Ausdrücken bleibt Heinrich hier in einem passend erscheinenden Bildbereich, vgl. die Geste —>16588 ff.: Der zu köpfende Ritter wird an den Haaren gepackt (16747 f. trägt Gigamec den Kopf bi dem häre zu Artus). 16690 ff.: Einziges verbindendes Motiv der beiden Gegner des Aamanz ist ihr nit, ansonsten verzichtet Heinrich darauf, die Einbindung des Zedoech genauer zu motivieren, weder in seinem Haß auf Aamanz, noch in seiner Komplizenschaft mit Gigamec. 16693: Das Personalpronomen in steht für Aamanz (ebenso 16697 und 16699). 1 6 6 9 5 : Vgl. das entsprechende Angebot 16683. 16703 f.: Die Richtungsangabe gein der äventiure entfernt Gawein von seinem eigentlichen Vorhaben, den Sseidenring zu Artus zu bringen. Erst später erklärt der Erzähler, wieso Gawein stattdessen in die Irre reitet: Die beiden Mörder des Aamanz hatten ihm die Richtung gewiesen und ihn so vom Weg zu Artus abgebracht (17314 ff.). Allerdings läßt sich Gawein im folgenden auch ohne falsche Wegweiser von weiteren Aventiuren verlocken (vgl. v.a. die Einladung des Quoikos zum Turnier 17589 f., 17617 f.). 16670-16675:

85

Vgl. entsprechend BLEUMER 1997, S. 201: „Hier scheint es allein um den formalen Zweck zu gehen, ein Spiel mit falschen Voraussetzungen in Gang zu bringen. Am Hof kommt dieses Spiel [...] zur vollen Entfaltung".

86

Vgl. KELLER 1 9 9 7 , S. 2 7 1 , A n m . 2 3 0 .

460

15932-17499 Zweite Wunderkette: Trauer um Gawein

16714-16737 Die Jagd auf den weißen Hirsch 16714: Die inhaltliche Gliederung korrespondiert nicht mit dem Dreireimabschnitt; dabei mag 16713 bewußt an den Beginn des neuen Abschnitts gestellt sein, um das Skandalon der Handlungsweise zu betonen. 16720 ff.: Heinrich erklärt die Sitte der Jagd auf den weißen Hirsch nicht weiter, sie ist aus den >ErecErec16720 ff.). Ansonsten erwähnt Heinrich diesen Ort nicht, vgl. allerdings Anm. KNN ZU 12221. Die Zusatzangabe Karadas, die sich sonst nirgends findet, erscheint als Klangspiel mit unklarer Deutung. 16734: kusvgbere ist ein nur in der >Crone< belegtes Adjektiv-Kompositum auf -ban, analog zu ^uhtbare —>7187 und ratbeere —>7206. 16738-16796 Gaweins angeblicher Tod, Gigamecs Forderung 16745: Zu dem fröhlichen Mahl vgl. das sonst klassische Motiv der Essensverweigerung in Erwartung einer Aventiure (—>925—932); die folgende Aventiure kommt unerwartet, ist aber sehr viel existenzbedrohender als die meisten ersehnten Herausforderungen. 16750 ff.: Der Hinweis auf das Festessen unter freiem Himmel zitiert mit der linde einen Aspekt des locus amoenus und markiert damit zusätzlich die bevorstehende Fallhöhe der höfischen Freude; zugleich ist es eine rationalisierende Erklärung, wieso Gigamec vür den tisch geriten kommen kann (16745). 16790 relativiert die Nennung des bürgetors jedoch die Idylle, die Gesellschaft befindet sich offenbar im Burghof. 16759: Mit diesem Vers beginnt ein neuer Abschnitt (Dreireimabschluß, Initiale in P), vgl. EK.

87 88 89

Daneben auch Lanz 6726-6737 und, Marke zugeordnet, Tr 17295 ff. In diesem Sinne zuletzt auch STEIN 2000, S. 17 f.; dagegen beurteilt MEYER 1994, S. 136, Anm. 238 die knappe Darstellung als Desinteresse und „Überdruß". Vgl. ErC 28, 249, 284 u.ö.; ErH 1101, 1112, 1151 u.ö.

16797-17311 Hoftrauer um Gawein

461

16763 f.: dim tiure ist Genitiv der Beschaffenheit: Eine Aventiure von solcher Besonderheit ist noch nie an den Hof gekommen (vgl. auch Anm. EK).

Bezogen auf den ermordeten Aamanz ist diese Aussage über die verweigerte sicherunge korrekt, als Behauptung über Gawein jedoch Betrug, vgl. Gaweins Aussagen 16619 ff. 1 6 7 8 0 : SCH tu versteht den in Ρ gestörten Vers (Vnd wolt nitgelesen lari) auf die Artusgesellschaft bezogen; EK bessert mit SIN in auf Gawein bezogen. 16790: Zu den Angaben bürgetor und 16800 derporten vgl. —>16750 ff. Im folgenden wird noch einmal von hof unde sal gesprochen (16818), was noch zum Fest unter freiem Himmel paßt; —>17133 entsteht hingegen Unklarheit: Die Frauen kommen dort in den riehen sal, womöglich ein Schreiberfehler (auch ->17303). 16774-16776:

16797-17311 Hoftrauer um Gawein Lit.: Vgl. die Angaben zur Trauer um Ginover —>11519-11607; zudem 1997, S. 199 ff.; M E N T Z E L - R E U T E R S 1989, S. 129-135.

BLEUMER

Der vermeintliche Tod des andern Artus löst die größte Krise des Artushofs im Lauf des Romans aus, da Gawein der Zukunftsgarant des Artusreichs ist. Dementsprechend verfällt der Hof nach seiner ausführlichen Klage um Gawein in eine totenähnliche Starre, die erst 21819—22218 wieder aufgehoben wird (in der Zwischenzeit findet die gesamte Chretien-Sequenz statt). Ähnlich wie in den Wunderketten (besonders der zweiten) werden hier verschiedene Varianten durchgespielt, wie der Tod in die Welt der Artusfiktionzu integrieren sein könnte.90 Ohne Gaweins ritterliche Vorbildfunktion, die in den Klagereden hervorgehoben wird, „drohen der Artusgesellschaft die sie fundierenden ritterlichen Werte aus dem Blick zu geraten. Daher wäre mit Gaweins Tod der modellhafte Anspruch des Artusrittertums aufgehoben."91 Vergleichbar ist die Hoftrauer um die entführte Ginover (11462-11607), dort wird die Klage des Hofs jedoch nur indirekt in den historischen Vorbildern abgebildet, während hier Keie und Amurfina stellvertretend für die Hofgesellschaft klagen. Um Gawein wird häufiger geklagt; daß Heinrich diese Art der Dramatik offenbar geschätzt hat, zeigen auch die zahlreichen anderen Klageszenen, vgl. die Zusammenstellung —>7150-7223. Strukturell wird die Szene auch den beiden großen Tugendproben am Artushof vergli-

90

V g l . MEYER 1 9 9 4 , S . 1 3 8 .

91

BLEUMER 1 9 9 7 , S . 2 0 0 .

462

15932-17499 Zweite Wunderkette: Trauer um Gawein

chen (Einbettung in ein Hoffest, Namensnennungen, öffentlicher Charakter, Auftreten Keies, Länge).92 Die Besonderheit dieser Klageszene liegt darin, daß der Betrauerte nicht wirklich tot ist. Demzufolge wurde festgestellt, es mische „sich in die Ernsthaftigkeit der Darstellung ein ironischer Unterton";93 die Charakterisierung der Szene als „sensational joke" erscheint hingegen übertrieben.94 Vgl. auch die Charakterisierung als „eine makabre Zwischeneinkehr Gaweins auf dem Höhepunkt seiner Karriere als Toter."95 Das Anliegen der Episode ist wohl kaum nur als „grotesque comic"96 zu erfassen; es geht um die Möglichkeit eines Zusammenbruchs der arthurischen Welt, die hier geschildert wird und bis zur Aufklärung der Täuschung besteht. Das Wissen des Publikums um die falsche Grundlage mindert nicht die Ernsthaftigkeit der Hofklage.97 Auch in anderen Romanen wird um den totgeglaubten Gawein getrauert, vgl. die Trauer der Artusgesellschaft Wig 589 ff. und CdG 8946 f., in >L'Atre Perilleus< beklagen ihn drei Jungfrauen (->16619 ff.).98 16797-16932 Enthüllung des Hauptes 16797-16819 Spott der Hofgesellschaft 16800: Zu der porten vgl. ->16790. 1 6 8 0 2 : SCH Von Gigamec, P / E K Von Gjgametten. 1 6 8 1 0 : Zu dem gelehter der Artusgesellschaft vgl. die anderen entsprechenden Situationen, v.a. das Lachen während der beiden Tugendproben, das ebenso wie hier nur bedingt angebracht erscheint (dort oft mit schäm oder spot verbunden); vgl. die Übersicht bei GUTWALD 2000, S. 337 f. Nur das Lachen bei der Nachricht, daß Gawein doch noch am Leben ist, ist ein wirklich fröhliches Lachen, das nichts mit Spott zu tun hat (22056). Mit dem Lachen hier korrespondiert Keies Forderung 17084 ff., alle lachenden Münder sollten nun vor Trauer erbleichen und verstummen. 1 6 8 1 3 : Zu der Negationsverstärkung als umb ein här vgl. —>16689. 1 6 8 1 8 : Zur Ortsangabe hofunde sal vgl. ->16750 ff. und ->17133. 92

Vgl. MEYER 1 9 9 4 , S. 1 3 8 .

93

BLEUMER 1 9 9 7 , S. 2 0 0 .

94

Vgl. JILLINGS 1975, S. 32; vgl. ebd. S. 91; dazu auch MENTZEL-REUTERS 1989, S. 131 f.

95

MEYER 1 9 9 4 , S. 1 3 8 .

96

JILLINGS 1 9 8 0 , S. 9 1 .

97

„Nicht die Täuschung wird problematisiert, sondern die Folgen des Verlustes von Gawein. Die Täuschung ist sogar die einzige Möglichkeit, den Verlust konsequent zu schildern und doch seinen Folgen letztlich wieder zu entkommen" (MENTZEL-REUTERS 1989, S. 132).

98

Vgl. ZACH 1 9 9 0 , S. 3 2 1 .

16820-16844 Keies Mahnung

463

16820-16844 Keies Mahnung Zu den sehr unterschiedlichen Auftritten Keies im Roman —>490. Daß der ausgewiesene Spötter hier schließlich sogar eine ausführliche Klagerede zugeschrieben bekommt, in der er als Sprecher der Hofgesellschaft fungiert, sieht B L E U M E R in dem „Spiel mit verkehrten Prämissen" begründet; da Gawein gar nicht wirklich tot ist, werde „der Ernstfall auch nur simuliert, was sich darin zeigt, daß gerade Keie stellvertretend für den Hof spricht."99 16823 f.: Zu dem theologischen Lehrsatz (mit biblischem Hintergrund, vgl. Mt 19,26) vgl. Greg 3134 ff., Iw 6342 ff., Wig 6874 ff., Frdk 19,15 f. oder Gau 4998. Vgl. auch TPMA 4, „Gott" 10.1: „Gott ist nichts unmöglich". Die Aussage soll den für die Hofgesellschaft unvorstellbaren Gedanken an eine tödliche Niederlage Gaweins im Kampf greifbarer machen. Die Aussage korrespondiert in ihrer fatalistischen Haltung mit anderen Stellen, vgl. vor allem ->11037.100 16827 ff.: „Mancher hat sich selbst eine Grube gegraben, ohne sich dabei Böses zu denken, bis er die Wahrheit herausfand." Keie verleiht seiner Rede gleich noch durch ein weiteres biblisch begründetes Sprichwort Nachdruck; der Gedanke von der Grube findet sich auch —>12002 und 15280. Der Bezug auf die spottende Hofgesellschaft ist offensichtlich; auffällig ist jedoch, daß ausgerechnet der Spötter Keie die anderen zur Mäßigung ermahnt. 16841 f.: Neben Gott wird Gelücke als weitere auch Unheil bringende Instanz herangezogen, vgl. auch die entsprechenden Reflexionen über das Verhältnis von manheit und gelük im Dialog zwischen Gawein und Ywalin (-> 5767-6256). 16845-16932 Enthüllung des Hauptes, Ende der Festfreude 16863: Statt SCH sinen arm lies mit P/EK PI.: sine arm, zudem under im Sinne von „in der mitte, zwischen" (Lex 11,1777): Keie nimmt das Haupt in seine Arme. 16871 ff.: Zur Klagegestik hier und im folgenden (z.B. 17092ff.) vgl. auch die teils drastischen Ausdrucksformen —>2403-2411 und —>11533— 11548; es läßt sich „ab dem 13. Jahrhundert die blühende Entwicklung eines exaltierten Trauergestus verfolgen".101

99

BLEUMER 1 9 9 7 , S. 2 0 1 .

100 Vgl. auch MEYER 1994, S. 137. 101

MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 1 3 2 .

464

15932-17499 Zweite Wunderkette: Trauer um Gawein

1 6 8 8 5 : Die Wendung von leides gründe we erscheint ungewöhnlich (daher auch die Konjekturvorschläge, vgl. Anm. EK), aber analog zu dem gebräuchlicheren von des herben gründe (vgl. Lex 1,1101) durchaus sinnvoll: Die Klage Keies kommt aus „tiefstem Leid". 1 6 9 2 6 - 1 6 9 3 0 : Zu den verstummenden Instrumenten vgl. die Parallelstelle 22084 ff.: das Wiedererklingen der Instrumente bei der Nachricht, daß Gawein lebt. Die floite war v. a. bei Wolfram und Rudolf von Ems beliebt und spielte im höfischen Leben eine wichtige Rolle; der Begriff bezeichnete sowohl die Vorläufer der heutigen Blockflöte als auch die Einhandflöte, die u.a. zugleich mit dem ebenso geschätzten tambüre (16930) gespielt werden konnte; beide Instrumente werden häufig zusammen genannt (so bereits —>770 ff., wieder 18397 f.).102 Auch die beiden Saiteninstrumente harpfe und fidel gehörten zu den Favoriten der höfischen Musik, die beiden zusammen finden sich häufiger als Ensemble.103 Die Kombination mit Flöte und Trommel erscheint jedoch nicht musikalischer Praxis zu entsprechen, es handelt sich um eine „hyperbolische Aufzählung" als Ausdruck übergroßer Trauer,104 für die Heinrich offenbar die beliebtesten und höfischsten Instrumente vereint. 1 6 9 3 2 : P/EK In welscher stymme, SCH weihischer stimme-, DWb 27,1330 deutet hier und Pz 357,7 „wallisisch [...] unter dem einflusz des engl, welsh, ist aber im gründe dasselbe wort". Als Attribut einer großen Klage lassen sich für diese Deutung keine Parallelen finden.105 SIN bessert daher welicher; „weh, jammervoll"; so auch SCH 17119 zu Ρ werlichen (vgl. Lex 111,752).

102 Vgl. zur floite EITSCHBERGER 1999, S. 263-276, zum tambüre S. 142-164, zur Kombination von Flöte und Trommel S. 157 und 273. 1 0 3 Vgl. EITSCHBERGER 1 9 9 9 , S . 1 3 - 3 3 zur Harfe, S . 6 6 - 8 4 zur fidel, zu Ensemblefragen S. 25 ff. 104

EITSCHBERGER 1 9 9 9 , S . 2 8 u . ö .

105 Vgl. aber die Charakterisierung der Klage im afrz. Epos durch LEICHER 1927, S. 169: typisch wären demzufolge (als Unterscheidungskriterien zur mhd. Klage) „die südländische Lebhaftigkeit der Gebärden (Ohnmacht), der Sinn für strahlende Erscheinung, wie er in der Anrede und dem Preis des Toten zum Ausdruck kommt, auch in der ausführlichen Schilderung aller zeremoniellen Handlungen". Diese Kriterien treffen durchaus auf Heinrichs Darstellungsweise zu.

16933-17091 Große Klagerede Keies

465

16933-17091 Große Klagerede Keies Keie übernimmt hier wieder seine ursprünglich angestammte Stellvertreterrolle des Königs und formuliert die Klage aus Perspektive des Hofs.106 Auf die Verbindung zwischen seiner sonstigen Spötterrolle und dem der Klage zugrundeliegenden Betrug (Gawein ist nicht tot) verweist dabei BLEUMER 1997, S. 201 (auch ->16820-16844). Keie beruft sich auf die ritterlichen Tugenden Gaweins, der damit zum Ideal erhoben wird; die darauffolgende Klage Amurfinas und der Frauen stellt hingegen Gaweins Besonderheit als Ehemann, Freund und Beschützer der Damen heraus. 16933-16995 Anklage gegen Gott 16936 f.: Die Deutung von SCH vären (P/EK vareri) ist meist negativ für „feindlich trachten, nachstellen" (Lex 111,21 f.), selten auch positiv: „nach etwas streben, begehren, genommen werden" (DWb 3,1256); es ist allerdings nie im Zusammenhang der Rede belegt. Aber auch vam, varen (Lex 111,23 f.) ist im Kontext einer Rede oder Klage nicht nachweisbar; vgl. lediglich DWb 3,1256 „fahren" im Sinne von „loslassen" auch im übertragenen Sinn. 16938 f.: Das Bild des zerberstenden Diamanten, das die Klage Keies charakterisiert, erklärt sich durch die Unerweichlichkeit und Härte des Steins, die in der Tradition je nach Zusammenhang positiv oder negativ zu deuten ist: im guten Sinne z.B. als state im Diamanthelm Gahmurets (—>2855 f.) oder im diamantenen Tor des Sseldenpalastes (15704), im negativen Sinn steht der Diamant beispielsweise bei Alanus ab Insulis für Verstocktheit und Hartherzigkeit der Juden.107 Im >Moriz von Craün< geht es dem harten Herzen wie einem adamas/ würde weich von siner klage (1489 ff.). Heinrich dürfte es hier um eine Ubersteigerung des Gedankens vom unter Schall zerberstenden Glas gehen: Keies Klage war so senlich, daß unter ihrem Klang nicht nur Glas, sondern sogar Diamant zersprungen wäre.108

1 0 6 Vgl. JILLINGS 1 9 8 0 , S. 2 3 4 ; MEYER 1 9 9 4 , S. 1 3 8 ; DAIBER 1 9 9 9 , S. 1 7 5 - 1 7 9 , zu Keies Be-

ziehung zu Gawein auch ebd., S. 183 ff. THOMAS 2002, S. 81 vergleicht die Intensität von Keies Klage der des Ehemanns um seine verstorbene Frau aus dem zwei Jahrhunderte später entstandenen >Ackermann aus Böhmern. 107 Vgl. ENGELEN 1978, S. 308. Ähnlich stellt Frauenlob, >Leich< 20,15 f. die Erweichbarkeit des Steins durch Bocksblut neben die Uberwindung des harten Gesetzes des Alten Bundes durch Christus. 108 Hingegen läßt Heinrich die wibes güete 28111 f. Stein und Stahl erweichen, ihm war der Unterschied zwischen Erweichen und Zerspringen eines Steines wohl durchaus geläufig. ENGELEN 1978, S. 309, Anm. 58 versteht aber auch das ^erklieben hier „als ausschließliche Folge der Erweichung durch Bocksblut — dies ist die condicio sine qua non."

466

15932-17499 Zweite Wunderkette: Trauer um Gawein

16940 f.: Die Quellenberufung auf Chretien steht in einer Reihe mit zwei weiteren in der Handschuhprobe 23046 und 23982 (sowie Nennungen Hartmanns —>2352 ff., Wirnts von Grafenberg ->2942 und Wolframs ->6380). Obwohl Heinrich die Romane Chretiens gut gekannt und sich vielfach beeinflussen lassen hat, sind diese Berufungen allesamt fiktiv: Sie sind ausgerechnet in den Partien zu finden, die gerade nicht auf Wolfram und Chretien zurückgehen.109 Es könnte sich um eine Replik auf Wolframs ungewissen Gewährsmann Kyot und dessen Spiel mit Quellen handeln.110 STEIN 2000, S. 64—70 sieht in Heinrichs Vorgehensweise einerseits ein explizites Einfordern von „Chretiens Patenschaft über die Gattung",111 zugleich aber die Betonung seiner Eigenständigkeit, indem er dies gerade an von Chretien abweichenden Stellen tue. Vgl. daneben Heinrichs allgemeine Berufung auf frz. Vorlagen zu Beginn des Romans 220 ff.112 Bei Chretien findet sich wohl nirgends eine derartige Ehrenrettung für Keie, vgl. hingegen Pz 296,21 f. (VI. Buch): swie kleine ich des die volge hän/ getriwe und ellenthafl ein man/ was Keie: des gibt min munt.ni 1 6 9 4 8 : Lies Abschnittsbeginn mit P/EK (Dreireim, Initiale in P), mit dem die eigentliche Klage Keies einsetzt. 1 6 9 6 0 : Ρ here („Heer") erscheint sinnvoller als SCH hem, Keies Anklage erscheint massiv: Wenn es ein ganzes Heer gewesen wäre, das Gawein getötet hätte, hätte Gott auch nicht helfen können. In der Negation 16961 nur indirekt ausgesprochen wird die Schuldzuweisung an Gott: es war kein Heer, also ist Gott schuldig. Die Interpretation durch die Lesart SCH ergibt im Blick auf den Text keinen Sinn, Keie hat Gigamec ausdrücklich als ernstzunehmenden Ritter eingeschätzt (16833 ff.).114 Zum Duktus der Klagerede in ihrer Gottferne und Anklage vgl. z.B. die für die gesamte Theodizee109 WYSS, Fiktionalität 1993, S. 250 faßt zusammen: „Auch Türlin verwischt die Spuren seines Arbeitens mit den Traditionen der Gattung. Er zitiert Chretien, wenn er Wolfram meint; er beruft sich auf Chretien, wo er ihm widersprechen will; er degradiert Chretien zum Berichterstatter für eine urzeitliche fellow press'. Hierin erweist sich Türlin als Schüler Wolframs, dem er ohnehin stärker verpflichtet ist, als es auf den ersten Blick den Anschein hat." CORMEAU 1984, S. 121 f. faßte die Quellenberufungen bereits als „reine Mystifikationen" zusammen. 110 Pz 416,20 ff.; zur Forschungslage vgl. BUMKE 1991, S. 164 ff., S. 202 f., weitere Belege bei BOESCH 1936, S. 83-88. Auch ->217 ff. (unklar bleibt allerdings, ob Heinrich diesen Teil von Wolframs Roman überhaupt gekannt hat, —>6380). 111

CORMEAU 1 9 7 7 , S. 2 1 8 .

112 Vgl. zur Ubersicht über die möglichen frz. Quellen zusammenfassend ZACH 1990, S. 373; Verzeichnis aller Quellenberufungen bei GÜLZOW 1914, S. 212 ff. 113

Vgl. a u c h S C H M I D 1 9 9 4 , S . 2 6 9 .

114 Vgl. auch die Übersetzung in Anm. SCH (wieder in Anm. EK), die den Begriff schuldec vorsichtig umgeht, so als ob die Vorstellung einer Anklage gegen Gott zu ungeheuerlich erschienen sei.

16996-17016 Tugendlob Gaweins

467

Diskussion grundlegende Klage des Hiob (u.a. lob 19,6ff. und 30,18ff.); daneben auch die gegen Gott gerichteten Klagen in einzelnen Psalmversen, z.B. in Ps 22, Ps44 oder Ps 88. Vgl. auch Parzivals Lossagung aus dem Dienst Gottes Pz 3 3 2 , 1 - 1 6 (we wa% ist got?). 16962 ff.: Zu der Vorstellung, alles befinde sich in Gottes Hand, vgl. lob 12,10; daneben auch Dt 33,3 und Sap 3,1; vgl. auch RÖHRICH 2 0 0 0 , S. 2 5 4 1 f. (Druck: Bd. 2 , 6 4 2 f.). 16978 ff.: Daß Keie Gott mit seiner Sprachgewalt droht (sich dann aber doch lieber mit Schweigen begnügt), erscheint als „ironische Brechung".113 16989: Zu magenkraft -»12672. 16996-17016 Tugendlob Gaweins Vergleichbar sind das Artuslob zu Beginn des Romans (182—216) sowie der Dichterkatalog 2403—2455. In wenigen Versen wird ein Katalog gängiger Tugenden gegeben, wie sie vielfach für Ritter formuliert worden waren, wobei religiöse, moralische und gesellschaftliche Begriffe miteinander verbunden werden (den Aspekt des Damenritters greift Keie ab 17017 besonders auf): Gawein war Vorbild an Weisheit, triuwe, milte, ^uht, manheit, Caritas und state.ni Ein ähnlich bildreiches Tugendlob findet sich auch AH 50-74;117 vgl. daneben auch Rudolfs von Ems, Wilhelm von Orlens< 12550-1256.118 16998: Zu der Klage: War touc denne min leben vgl. verwandte Formeln, v.a.: ouwe, ich ie wartgebom! (En 2466); vergleichbar auch Iw 1469; NL 552,4. 920,3. 2322,2; >Diu Klage< 467, 850, 1546, 2014.119 16999: Der Verlust der vröude durch den Tod Gaweins verbleibt schließlich auch als Fazit von Keies Rede (-> 17026-17031).120 115 MENTZEL-REUTERS 1989, S. 133.

116 Vgl. zum „ritterlichen Tugendsystem" (zuerst EHRISMANN, Tugendsystem 1919) zusammenfassend BUMKE 1990, S. 416 ff.; ebd. S. 382 ff. auch zu Herrscherspiegeln und Tugendkatalogen. Zu den Aufgaben der Ritter zuletzt z.B. ΖΟΤΖ in FLECKENSTEIN 2002, S. 186 ff. Vgl. auch die Ritterlehren Thomasins von Zirklsere (>Der Wälsche Gast13888—13920, auch die Ausfuhrungen über wibes süe%e 28121— 28164. 1 7 0 1 8 : SCH: ^e tnuwen was geborn, P / E K : ^ü truwen geborn. 1 7 0 2 0 ff.: Für entsprechende Taten Gaweins hat Heinrich schon mehrere Beispiele gebracht, vgl. v. a. seinen Einsatz für die vom Wassermann entführte Jungfrau und deren Herrin sowie für Sgoydamur in der Maultierzaumepisode (auch —>9007 f.). 1 7 0 2 6 - 1 7 0 3 1 : (17030 = GT 85b) Keies Aufforderung, Artus solle seine Herrschaft abtreten, ist wohl als übersteigerter Trauergestus zu verstehen; sie bestätigt die Position Gaweins als ander Artus und dessen Nachfolger: Durch dessen (vermeintlichen) Tod scheint das Artusreich am Ende.122 Gawein ist die ideale Verbindung von Herrschaft und höfischer Lebensform, „sein Tod, das Vergehen der vröude mithin, macht auch Reich und Herrschaft obsolet".123 Vgl. auch die Klage um Ginover —>11528: Jr vrced was %'ergangen.

121

S o z.B. G i n o v e r 5022, 11474, 17125; S g a y p e g a z 6984, 7638; A m u r f i n a 8096, 8611; Sei-

meret 18859, 18932; Clarisanz 21616; Sgoydamur 23782; daneben abstrakt die reinen mip 17024, 19080, 23614, 26429, 29068 u.ö.

122 So bereits EBENBAUER 1981, S. 54. Seine Schlußfolgerung, entsprechend dem Gott Baidur der nordischen Götterdämmerung sei Gawein der junge neue Gott des Artusmythos (ebd.), ist schnell auf Widerspruch gestoßen, vgl. KNAPP 1986, S. 57; auch MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 1 3 4 . 1 2 3 MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S . 1 3 4 .

17038-17091 Aufforderung zur allgemeinen Klage

469

17038-17091 Aufforderung zur allgemeinen Klage 1 7 0 3 8 ff.: Die gesamte an die edelen vrowen und meide gerichtete Rede erscheint rhetorisch (so auch die Handlungsanweisung zum rechten Klagen 1 7 0 7 3 - 1 7 0 9 1 ) , da die Damen erst ab 1 7 1 2 3 zu den Männern hinzukommen. 1 7 0 4 6 : S C H / E K Sit, Ρ

Mit.

1 7 0 5 0 ff.: Der Einbezug der Natur in die Klage entspricht der Topik des Minnesangs. Vgl. z.B. das dem Minneleid gleichgesetzte Leiden am Winter, der durch Kälte, fehlenden Vogelgesang und verblichene Blumen charakterisiert wird, so u.a. bei Rudolf von Fenis (MF 8 2 , 2 6 ) , Heinrich von Veldeke (MF 5 9 , 1 1 ) oder Heinrich von Rugge (MF 9 9 , 2 9 ; 1 0 8 , 1 4 ) ; vgl. auch Neidharts Winterlieder (z.B. WL 1,1; WL 2,1; WL 3,1 u.a.). 1 7 0 7 3 - 1 7 0 9 1 : Keie gibt klare Anweisungen, wie sich die Trauer bei den Damen zu zeigen habe. Das %iere ^esamene binden bezieht sich wohl auf die modisch enganliegende Schnürung der Kleidung; stol^ bewinden, das stolze Umwinden bzw. Bekleiden der Haare umfaßt die verschiedenen modischen Arten von Kopfputz (Schleier, schapel etc.). Zu den übrigen Hinweisen vgl. die anderweitig gegebenen Schönheitsbeschreibungen, v.a. die ausführliche Darstellung Amurfinas ( - > 8 1 5 4 - 8 3 1 6 ) .

17092-17172 Hofklage 17092-17122 Klage der Männer 1 7 1 1 1 : Niht mer dan einen brämen ist eine durch das Bild des als besonders wertlos erachteten Dornstrauchs verstärkte Negation: „Sie verschonten sich nicht das kleinste bißchen." Im Klagekontext erscheint das Bild gut gewählt, assoziieren Dornen doch zugleich Kummer, Dürre, Abwesenheit von Freude, auch die Dornenkrone Jesu.124 Dasselbe Bild verwendet Heinrich wieder 2 4 6 9 0 , zu anderen Negationsverstärkungen —>1224. 125 17115—17121: ( = GT 86) Gaweins einzigartige Bedeutung für die Artusgesellschaft zeigt sich auch im Vergleich mit der Trauer einer Mutter um ihr einziges Kind. 17119 welichen (SCH) ZU P/EK werlichen, vgl. auch die Konjektur —>16932.

124 Vgl. auch HEINZ-MOHR 1998, S. 77: „Ein Dornzweig, der sich um einen Totenschädel schlingt, ist Symbol der Verdammnis, des nie endenden Schmerzes der Gottferne im endgültigen Schicksal." 125 Vgl. auch ZINGERLE 1862, S. 435 f., der für brämen in dieser Verwendung nur noch Troj 7184 nennt.

470

15932-17499 Zweite Wunderkette: Trauer um Gawein

17123-17172 Klage der Frauen 17128 ff.: Die Klage der Frauen wird dramaturgisch geschickt aufgebaut: Zunächst kommt Ginover mit den Damen des Hofes; Amurfina und Sgoydamur, Ehefrau und Schwägerin, bleibt ein eigener Auftritt als weitere Steigerung der Klage vorbehalten (ab 17173). 17133: Zu Beginn der Episode war das Fest unter freiem Himmel im Burghof lokalisiert worden (—>16750 ff.); 1 6 8 1 8 wurden hof unde sal nebeneinander erwähnt. Daß die klagende Gesellschaft mitderweile in den Saal umgezogen sein sollte, erscheint unwahrscheinlich; anzunehmen ist wohl eher ein späterer Schreibereingriff, der analog zu der sonst üblichen Vorgehensweise, die Damen zu den tagenden Männern in den Saal zu rufen, „besserte" (so 1202 f.: Vhdwurden darin den sal/ Die vrowengeladen·, 10915 f.: Gynever mit ir meiden/ Wart dar an den hof geladen). Wenn die Herren draußen tafeln, läßt sich annehmen, daß die Frauen im Haus bzw. Saal blieben; demzufolge müßte es hier heißen: kamen dem rieben sal. 17143 ff.: Die Zerstörung der Schönheit entspricht Keies Anweisungen 17079 ff. 17153 ff.: Zu dem Bild des verhärteten Herzens - > 2 2 4 9 - 2 2 5 7 ; das Herz aus Stein ist alttestamentlichen Ursprungs, vgl. Ez 11,19: et auferam cor lapideum de carne eorum et dabo eis cor cameum;126 wieder Ez 3 6 , 2 6 . 17159 ff.: Für die Zählprobleme bei SCH bietet Ρ keinen Anlaß, vgl. auch Anm. EK. 17159e: SCH Swa^ ie, P/EK Was hie. 17160: Lies mit EK: Noch der senlichen clage. 17169-17172: Oes 17172 mit P/EK Da% den der (statt SCH Da? der den)·™ zudem 1 7 2 7 2 mit EK als Ausruf: „Wenn ein guter Mensch dahingeht, der ehrenvoll gelebt hat, wird zu Recht viel geklagt; daß den der Tod nicht fortschaffen würde! (= daß den der Tod aussparte!)". Vgl. Anm. EK; s-ehern swV. für „abteilen, absondern, fortschaffen" gemäß Lex 11,710 (vgl. ähnlich 2 1 8 4 2 ff.).128 Es fällt auf, daß Heinrich die Klage der Frauen mit dieser sentenzartigen Wendung rechtfertigt, der Vergleich mit der klagenden Mutter hingegen den Männern zugeordnet wurde. 126 „Ich nehme das Herz aus Stein aus ihrer Brust und gebe ihnen ein Herz von Fleisch". 127 So Lex 11,710; vgl. auch SIN. 128 Vgl. auch Spervogel, MF 23,5 (J-Uberlieferung): Mich nimpt wunder, da^ ein reine biderbe man/ umme siner munde hulde nicht werben kan,/ sie ne trägen im äne schulde has;/ unde günden einem vremeden ba%/ der ere, die er solte hän mit den besten in den landen./ stirbet er, sie sent den tac, si truogen in of den banden.

17173-17311 Klage Amurfinas

471

17173-17311 Klage Amurfinas 17173-17189 Klage Amurfinas und Sgoydamurs 17173 ff.: Hatte Heinrich 17128 ff. noch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß keine der beiden Schwestern mit Ginover gekommen sei, so läßt er sie jetzt bereits klagend niedersinken (sigen: „niederfallen, sinken", Lex 11,916 f.). 17184 f.: Amurfinas Klage ist eine freiere Formulierung des Klagetopos: weme sol ich nu trost haben? Vgl. >Rolandslied< 6439, 6622, 7536; En 8146; NL 2322,4 und 2329,4; >Diu Klage< 467, 989.129 1 7 1 8 8 : heit fiir „Wesen, Rang" (Lex 1,1224); die Klage, daß Amurfina Gawein je in seiner weltlichen Gestalt begegnet sei, beruht ebenfalls auf einer festen Klageformel: otme, da% ich dich iegesach! (vgl. Eilh 4086 f., En 8234, >Diu Klage< 1987 f.).130 17190-17212 Verräterische Minne 17190: Die Quellenberufung ist Fiktion (->14378 u.ö.). 17197: Amurfina richtet die Rede an sich selbst:131 Aus der Fortsetzung der Klagerede wird deutlich, daß es sich um die Rede Amurfinas handelt, die um ihren lieben man und herre min (17243) bzw. minen lieben man (17264) klagt. Ein weiteres Indiz ist das Hin- und Herreichen des beklagten Hauptes: 17178 nimmt es Amurfina an sich, reicht es kurz ihrer Schwester, um es sogleich wieder an sich zu nehmen (17193 ff.); erst 17300 f. nimmt Sgoydamur ihrer mitderweile ohnmächtigen Schwester den Kopf wieder ab. 17199-17212: (17199-17206 = GT 86a) Der gesamte Abschnitt reiht mehrere Sentenzen bzw. sentenzhafte Formulierungen aneinander, die die Ambivalenz der Minne beschreiben; vgl. auch den Topos von Liebe und Leid —>7304, 7312 ff. 17202 f.: Zu der Aussage: „wem Minne Nachbarin ist, dem wird sie so sauer, wie sie zuvor süß war" (mit dem verbreiteten Reim nächgebüre: schüre) vgl. v.a. Wig 9417—9419: Her^eliebe ist ein schür,/ dem libe ein herter nächgebur,/ ir stiege wirt vil ofte sürP2 Vgl. auch >Friedrich von Schwaben« 7211-7214 (der lieb anfang mos sieß behend,/ sur und bitter ist der lieb ennd). Die Idee wird 17205 f. 129 Vgl. auch LEICHER 1 9 2 7 , S. 1 6 5 f. 130 Vgl. LEICHER 1927, S. 165.

131 GUTWALD 2000, S. 332 liest die Partie als Rede Sgoydamurs; die Zuordnung der Personalpronomen in der gesamten Passage ist schwierig, was solche Verständnisprobleme erklärt 132 Vgl. auch Pz 1,1 f.: Ist spwel herben nächgebur,/ daζ muo% der sele werden sur. Spervogel MF

21,23 f.: und einen valschen nächgebür,/ dem wirt sin spise harte sur.

472

15932-17499 Zweite Wunderkette: Trauer um Gawein

fortgeführt. Vgl. auch TPMA 7, „Liebe" 1.6.9.3: „Liebe läßt auf den süssen Anfang ein bitteres Ende folgen". 17205 f.: Der Kontrast von Honig und Galle ist biblischen Ursprungs (vgl. Prv 5,3 f.); vgl. auch Iw 1577 ff.: si ist mit ir süeye/ vil dicke under viie^e/ der Schanden gevallen,/ als %uo der gallen/ sin süe%e% honic giuqet; zudem >Die gute Frau< 1350: si einec ist befalle/ honec unde galle. Zu der zugrundeliegenden Sentenz vgl. TPMA 7, „Liebe" 1.5.2: „Liebe ist nicht denkbar ohne Freude und Leid, Honig und Galle, Gutes und Übles". 1 7 2 0 7 f.: Vgl. die Ausführungen zur Parallelstelle 8822 f. 1 7 2 1 2 : SCH douwen ( P / E K dauwen) bildlich für: „die nachwehen von etw. empfinden, büssen" (Lex 1,455). 17213—17271 Klage gegen got, Saide und vrou Minne Die Dreiergruppe Got, Saide und vrou Minne liest MENTZEL-REUTERS als mögliches Synonym zur Dreifaltigkeit 17233: Vater, geist und süe^er K/ist. Es werden damit alle Konstituenten höfischen Selbstbewußtseins und feudaler Standesdichtung verneint; das Publikum weiß jedoch um die Vorläufigkeit, da Gawein nicht wirklich tot ist.133 Vgl. zur Nennung der Trinität auch ->2391 f. 1 7 2 1 5 : Zu den Problemen der Syntax vgl. Anm. EK. 1 7 2 2 6 : Die Personifikation der Schande, analog zu Frau Minne, Frau Saelde etc., ist wohl einzigartig in der mhd. Epik.134 Sie ist hier Gegenbegriff zur tugent, nach Gaweins Tod verbleibt ihr die Macht über die Welt. Oder ist al die werlt (P/EK alle der weit) Interjektion (->16289)? 1 7 2 3 0 : amis bzw. vriunt (17274, 17287) wird unabhängig vom Ehestand verwendet (->8897). 17233: Zur Trinitätsformel auch —>17213; wohl reimbedingt setzt sich Heinrich über die klassische Folge Vater - Sohn - Hl. Geist hinweg. 1 7 2 4 9 f.: Der ritter (17246) übte (Lex 11,253) seine Tugend {sin = der tugentriche hört) auf ausgewogene Weise; das will wohl heißen, er machte auf ausgezeichnete Weise Gebrauch von seinen besonderen Fähigkeiten.135 Zu anderen Wendungen mit dem Bild der Waage —>2643 f. 17251 ff.: Die Vorstellung von der Blindheit Amors bzw. der Liebe ist weit verbreitet, vgl. v.a. Tr 15165ff., 16453 und bes. 17738ff.; TPMA 7, „Liebe" 1.6.1.1.1: „Liebe ist und macht blind (taub)."136 Die Bezeichnung 17213:

133

V g l . MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S . 1 3 4 .

134

Vgl. MARTIN 1 9 8 4 , S. 1 0 9 .

135 Vgl. auch TH: „people did not want there to be any knight who possessed such an exceptional treasure of virtues and practices them so well". 136 Vgl. auch SCHNELL 1985, S . 30.

1 7 2 7 2 - 1 7 3 1 1 Verfluchung von Natur und Zeit, Ohnmacht

473

Amors als der Minne kint entspricht der Mythologie, Amor ist der Sohn von Venus. Zu Amor auch —>4843. 17255 ff.: Der Pfeil Amors hatte Gawein vor der ersten Begegnung mit Amurfina getroffen (8110 f.); daneben erscheint er in Gasoeins Helmzier Η 1 0 5 2 6 f.) und als Bild fur falsche Liebe -»4979 f. 17265 ff.: Das folgende Antikenzitat Amurfinas erscheint als „der klassische Fall des Literaturerlebnisses einer literarischen Figur".137 Allerdings identifiziert sich Amurfina nicht mit der häufiger zitierten, tragischen Figur Dido (—>530 f., — > 1 1 5 6 0 ) , sondern sie wünscht sich in die Situation Lavinias — was sich in der glücklichen Rückkehr Gaweins schließlich auch erfüllt. Lavien (SCH statt P/EK Larieri) hatte Heinrich schon 533 genannt (in beiden Hss. in der richtigen Namens form). Turnus war Gegner des Aeneas in dessen Kampf um die Herrschaft in Italien, ihm war Lavinia zunächst versprochen worden. Sie verliebte sich jedoch in den Trojaner, Turnus wurde im Kampf von Aeneas getötet (so die Darstellung bei Heinrich von Veldeke). Aeneas ist Sohn der Venus und Bruder Amors, beide schützen ihn im Kampf gegen Turnus. Ebenso hätten die beiden auch Gawein schützen müssen, der allerdings im Roman nur als Schützling Fortunas dargestellt wird, nicht als der von Frau Minne. Zur durch den Reim gesicherten, korrekten lat. Dekl. Turno vgl. auch — > 3 1 5 7 ff., - > 1 1 5 9 6 . Zu dem Trojazitat vgl. auch - > 5 2 0 - 5 3 8 , - > 1 1 5 5 0 ff., - > 1 1 5 6 0 ; dazu LdaG, 1 6 ff., 3 5 5 ff. und 6 2 7 ff.; LIENERT 1 9 9 0 ; zur Interpretation sowie möglichen Quellen K E R N 1 9 9 8 , S . 2 9 3 f.; CORMEAU 1 9 7 7 , S . 1 9 9 f. 17272—17311 Verfluchung von Natur und Zeit, Ohnmacht Amurfina geht in ihrer Verfluchung von Mordtag und -Stätte noch über die Klage Keies hinaus, der Tageslicht, Blumen und Vögel aufgefordert hatte, mit in die Trauer einzustimmen (—>17050 ff.). 17279ff.: Der Fluch knüpft u.a. an das Bild des verfluchten und verdorrten Landes des Gralsreiches an ( — > 1 4 1 1 6 ff., — > 1 4 1 2 1 ) . 17291: S C H / E K Sek ist sinnvolle Konjektur zu Ρ Hek; vgl. die Parallelstelle — > 8 6 0 0 ff.: Gawein, vom huote-Schwert Amurfinas bedrängt, spricht zu seiner Seele: Sei, nv var bin/ Vhd wis ir immer, der ich bin,/ Seit si mich niht mag emern. Indem Amurfina diese indirekte Liebesbeteuerung Gaweins aufgreift, schließt sich die Liebe der beiden zum Kreis — in Gaweins Bedrängnis durch das huote-Schwert war Amurfina noch eher aus machtpolitischen Gründen an ihm interessiert ( - > 7 8 5 3 - 9 1 2 8 , - > 7 9 2 5 , - > 7 9 5 9 ff.). 137

KERN 1 9 9 8 , S. 2 9 3 .

474

15932-17499 Zweite Wanderkette: Trauer um Gawein

17292 f.: Lies mit P/EK: Du weist wol, das\ zudem aber wohl besser Dat.: Gawein, dem (vgl. SIN). 17295: tobten wir nu hie an in? ist eine weitere auf einen Klagetopos zurückgehende Formulierung (auch ->16998, ->17184 f., ->17188 f.); vgl.: wa% sol min gewerden? (Rol 6967, Herbort von Fritzlar 9644,14071); oder: %nnu sol ich nu leben al eine? (Rol 6618, En 8180 f., Herbort von Fritzlar 10544).138 17303: Hier stellt sich noch einmal die Frage nach dem Ort der Handlung: wäre wie —>17133 einzugreifen, diesmal dann in dem Sinne, daß Sgoydamur nun mit dem Kopf üf den sal zurückkehrt? Die Gesellschaft befindet sich wohl immer noch im Burghof (—>16750 ff., —>16790). 17307 ff.: Lies mit EK am Versende ein Komma, die Aussage wird mit sagene (17309) fortgeführt. Zu dem buoch ^ 17190.

17312-17499 Die Insel der Jungfrauen Die ewige Jugend, die Gawein am Ende dieser Episode gewinnt, unterstützt ebenso wie die Zusicherungen der Saslde die Rolle Gaweins als Fixpunkt eines auf Dauer bestehenden Artusreichs. Er erscheint hier „in glückhaftabsoluter Vollkommenheit der Zeit und der Zeitlichkeit enthoben".139 Diese beiden umrahmenden Garantieszenen setzen einen deutlichen Kontrapunkt zur im Hintergrund andauernden Hoftrauer. Polarisierend lassen sich Saelde in ihrem dem himmlischen Jerusalem angelehnten Palast und Levenet in der Unterwelt (—>17473) als Repräsentantinnen des Lebens bzw. des Todes sehen — zwischen beiden Besuchen liegt der symbolische Tod Gaweins.140 Die enge Verbindung der beiden Szenen zeigt sich schon in äußerlichen Merkmalen: Beide Male überquert Gawein einen See mit einem magischen Hilfsmittel (Zauberknäuel bzw. schwimmender Rasen),141 er gelangt zu einer mächtigen Dame, die ihm außernatürliche Hilfe zuteil werden läßt — Saelde die Ewigkeitsgarantie für das Artusreich, Levenet ewige Jugend. Zudem sind beide Episoden ausgesprochen handlungsarm: Gawein erreicht das Land seiner Gastgeberin auf abenteuerliche Weise und empfängt seine Gabe und freundliche Worte, bevor er wieder umkehrt. Der Besuch bei Saelde wird ausgeweitet durch die ausführliche Beschreibung des Palastes, bei Levenet ist ein erzähltheoretischer Exkurs eingeschoben. Diese inhaltlichen Bezüge spre138

Vgl. LEICHER 1 9 2 7 , S. 1 6 5 f.

139 Η ÄUG 1992, S. 267. 140 Vgl. auch DICK, Dark Figures 1986, S. 141. 141 Beide Motive tauchen in keltischen Erzählungen auf, vgl. zuletzt BLEUMER 1997, S. 252 (mit Anm. 24).

1 7 3 1 2 - 1 7 3 5 3 Der schwimmende Rasen

475

chen ebenfalls für eine gliederungsmäßige Zusammenfassung auch dieser Epsiode von der Jungfraueninsel mit dem vorangegangenen Komplex um Wunderkette und Hoftrauer; mit der danach folgenden Chretden-Sequenz hat sie wenig zu tun. Vgl. auch —>15932—17499. 17312—17353 Der schwimmende Rasen Lit.: ZACH 1 9 9 0 , S . 1 5 0 ; KEEFE 1 9 8 2 , S . 1 8 3 , 2 0 8 .

17314 ff.: Die beiden Mörder des Aamanz haben Gawein bewußt von seinem Weg zu Artus abgelenkt (auch —>16703). Statt diesem den Ring Söldes zu überbringen, macht er sich nun auf seine Jenseitsfahrt; ob das ebenfalls in der Absicht der Betrüger stand, bleibt offen. Der Weg zu Levenet zeigt den „Ansatz zu einem zusammenhängend dargestellten Landschaftsbild", zu „einer dichterischen Reiselandschaft".142 17317: Der ritter ist der mitderweile getötete Aamanz (vgl. 16713). 17323: Das ade lant ohne menschliche Behausung gemahnt an das Gralsland, das ebenfalls verlassen scheint (vgl. z.B. CdG 2914-2988, Pz 224,1926,12), —>14116 f. und —>14121. Wasser als Grenze zu einem magischen oder jenseitigen Bereich ist ein häufig verwendetes Motiv, vgl. den durch einen Fluß abgegrenzten Wald des Wassermanns (—>9485 f.), die Grenze zum Drehschloß Gansguoters (->12848 ff.), den Weg zur Gralsburg (->14410) und v.a. den Weg zu Saelde. 17325: Der Hinweis dicke vemomen e, demzufolge die Erzählungen über die Jungfraueninsel bekannt waren, könnte im Zusammenhang mit der Aussage —>9035 ff. zu lesen sein, wo Gawein sich an den bereits genossenen Jungbrunnen erinnert: Ich schuof des prunen manegen trunc/ Da von man muo% wesen junc/ In dem garten Dochel. Vgl. auch —>17364 ff. 17329 f.: Gawein erkennt das Land anhand des im folgenden beschriebenen Phänomens, des im See schwimmenden Rasen. Dieser wase (eine mit „gras bewachsene erdfläche, rasen", Lex 111,702) ist „eine märchenhafte Landschaftserscheinung",143 die als Fähre über den See dient, die gleichzeitig aber auch eine epische Funktion hat: der wase prüft die Tugendhaftigkeit desjenigen, der die Überfahrt wünscht (vgl. 17346 ff.). Z A C H verweist auf das (wohl irische) „Motiv des Riesenfischs, der, für eine bewaldete Insel gehalten, zum Messe-Lesen betreten und beim Versinken fluchtartig verlassen wird. Die Entstehung dieses Motivs könnte mit 'schwimmenden Inseln' im Atlantik in Zusammenhang gebracht werden".144 Das Motiv erscheint auch in 142 Vgl. KEEFE 1982, S. 183, der HAHN 1963, S. 47 zitiert. 143 KEEFE 1982, S. 208. 144 ZACH 1990, S. 140.

476

15932-17499 Zweite Wunderkette: Trauer um Gawein

dem keltischen >Immram curaig Miel Düin< sowie in >Brandans Meerfahrt9790).146 Die beiden folgenden Verse sind gestört und nur schwer er145 Vgl. auch G R I M M 1875, Bd. 1, S. 360. 146 S U O L A H T I 1929, S. 212. Die ähnliche rutsche ->27386 ist nicht einfach Schreibvariante, sondern wohl eher zu rutschen zu sehen.

17425-17453 Erzähltheorie (doifspel-Exkurs)

477

schließbar, lediglich die Reimwörter sind offenbar erhalten. SCH entspricht P, EK konjmert mit EHR: Enbor, das ein rotsche synnweil,/ Die vf was gedos^en,/ Hett vmbe sloven. Alternativ wäre vielleicht zu lesen: Und kertgein einem castel,/ Dar enbor ein rotsche sinewel,/ Die üf was gedovgen;/ Dar üf was en^ geslosgen./ Dar üf kerte er unverdrossen, stiegen bzw. %esamne slie^en belegt Lex 11,976 bereits im >Nibelungenlied< füir „bauen"; diesen u.a. fiiir „sich erheben, in die höhe steigen" (Lex 1,431). 17390: Das eilende, das Leben in der Fremde (Lex 1,539), verweist auf die Wahl zwischen Landesherrschaft und ewiger Jugend, die die Dame Gawein anbieten wird (17422 ff., vgl. -417477 ff.). 17404—17418: Die Ausstattung des Saales mit einem Wandbehang aus „feinem kostbaren seidenzeug" (Lex 11,235) ist kostbar; dasselbe Material mit Lilien und Rosen bestreut — als Bodenbelag kontrastiert ebenso die Burgenrealität wie z.B. die bluomen auf dem Boden der Gralsburg (—>14618). KEEFE betont, bei der Schilderung des Saales gehe es dem Dichter „um eine Gesamtdarstellung von Schönheit und nicht um eine zusammenhängende Zuordnung von Raumdetails".147 17425-17453 Erzähltheorie

(dorfspel-¥xkms)

Lit.: G U T W A L D 2000, S . 248-258 (über den „historiographischen" Erzählstil); MEYER 1994, S. 139 f. (zur Wahrheitsproblematik); K N A P P 1981, S. 157 und Anm. 61; K N A P P 1980 (grundlegend zu „Historischer Wahrheit und poetischer Lüge", ohne >Cröne17733 ff.). 17972: Das Adj. galt ist zwar hauptsächlich für „keine milch gebend, unfruchtbar" (Lex 1,730) belegt; allerdings verweist DWb 4,1206 (2c) auf eine offenbar vor allem in Osterreich verbreitete übertragene Verwendung: „ein galter gang" ist demzufolge ein nutzloser, vergeblicher Gang. 17991: Lies Er (= Gawein) statt (vgl. SIN, EK). ES fehlt der dritte Reim am Ende des vorhergegangenen Abschnitts. 17994: Der Name Quebeleplus wird nur hier genannt; deutbar als afrz. Pron. qui („wer, welcher"), bei („schön") und plus („mehr"), also etwa: „die viel schönere", womit sie wohl in Vergleich zu ihrer Schwester gestellt wird. 18015: Mit dem Überlassen des Ärmels wird die Zusage Gaweins bestätigt, Quebeleplus an ihrer Schwester zu rächen ( 1 7 9 3 2 ff.); zu den abknöpfbaren stächen vgl. —>12072. Daß ein Ärmel als Minnepfand verwendet wird, läßt sich vor Chretien und Wolfram zuerst im >Liet von Troye< ( 9 5 0 9 -

29 30

So bereits SIN. ES finden sich keine sonstigen Belege für gewin in der Bedeutung des Gewinners. Aufgenommen in TPMA 4, „Gewinn" 8.10: „Verschiedenes".

31

Vgl. dazu BUMKE 1990, S. 52.

494

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chretien-Sequenz

9523) nachweisen, wo Briseida dem Wunsch des Diomedes nach einer stuche nachkommt und ihren Ärmel abreißt, dieser bindet ihn an seine Lanze. 18016: Hie niden korrespondiert mit dem under dem palas (17731) gelegenen Haus, zu dem Quebeleplus her abe gekommen war (17863); SCH Anm. zweifelt hingegen an der Angabe (vgl. auch Anm. EK). 18017: Vgl. die „Bitte" Amurfinas 7800: Sie bitet, gebivtet vnd mant. 18019: Ein ponder/poinder ist Lex 11,282 zufolge entweder das „stossende anrennen des reiters" oder aber ein „häufe so anrennender reiter"; hier ist es jedoch auf Fiers zu beziehen, muß also einen einzelnen anrennenden Reiter meinen. 18028: Die Zusicherung des Mädchens, Gawein erhalte ihre Minne als pfant, spielt nur knapp auf die bei Chretien und Wolfram deutlicher ausgeführte Minnethematik an.32 18029—18679 Das Turnier um Flursensephin 18029-18180 Die Turniergäste, Wappenbeschreibungen Die Aufzählung der Turnierteilnehmer und ihrer Wappen steht in einer Reihe mit den Namenslisten im Rahmen des Weihnachtsturniers sowie der beiden großen Tugendproben.33 Bisher wurde noch kein Vorbild für diesen Katalog ausfindig gemacht, er dürfte wohl, ebenso wie die Liste der Frauennamen 1590 ff., auf Heinrich zurückgehen. Darauf deutet v.a., daß sich für die wenigsten Namen Parallelen in der Tradition finden lassen, dafür bei vielen eine Deutung im Sinne eines sprechenden Namens möglich erscheint. Heinrich ordnet hier jeder Figur ein Wappenbild zu, das in der späteren Turnierbeschreibung häufig metonymisch anstelle seines Trägers auftritt. Zudem nutzt er den Bildgehalt der jeweiligen Wappenfiguren zur Charakterisierung der Figuren (v.a. 18076—18108) sowie zur Beschreibung des Kampfverlaufs (vgl. v.a. ab 18416). Zur besseren Orientierung folgen hier die Wappenbilder und ihre jeweiligen Träger (in der Reihenfolge der Nennung):

32

Vgl. hingegen BLEUMER 1997, S. 193: Quebeleplus spricht „nicht von Minne, sondern es geht ihr allein um die Vergeltung des ihr zugefugten Schadens". Diese Wiedergutmachung steht sicherlich im Vordergrund, aber der Minnegedanke ist deshalb nicht völlig augeblendet.

33

Vgl. dazu auch MÜLLER 2003, S. 249, der Ähnlichkeiten mit dem Kaylet-Katalog des >Parzival< konstatiert. Zu den Wappenbeschreibungen im gesamten Roman (mit einer ausfuhrlichen Tabelle) vgl. in Zukunft den Aufsatz von Heiko HARTMANN: Grundformen literarischer Heraldik im Mittelalter - am Beispiel der >Krone< Heinrichs von dem Türlin. In: Das Mittelalter (in Vorbereitung).

18029-18180 Die Turniergäste, Wappenbeschreibungen

495

grifen klä\ Fiers von Arramis anker. Cavomet von Arabie swert Melde (Pelde) Fortuna uf dem rade·. Efroi sense. Iger lebart. Poidas (Zloidas) adelar. Laamez von Babilon par. Aschalon von Syrien olifant Varuch von Syria einhom: Hardifius und Elimas von Agardas? (Textproblem, —>18129) ruoder. Graf von Bigame und Sorgarit lewe·. Heimet und seine Gefährten Engri, Greins und Rains moier. Mitarz von Ansgewen und Cleir von der Voie swam Lorez von Jassaida und seine Gefährten: Anfoies, Baruz, Clamorz, Enfrie, Forducorz, Ludufis, Mamoret, Ploiborz (auch Ezdeiz? —>18384) vlüge. Die Gefährten des Herzogs von Aram (Fiers von Arramis): Agariz, Anschoes, Azet, Azinde, Brians, Clerdenis, Emerit, Fidelaz, Fine de Seminis, Gentis, Gimazet, Jambruz, Karet (Ciaret), Malpardons, Meranphit, Neiliburz, Pafort, Roides, Sagarz, Sannoriz, Saruz, Skaarez, Stiport, Susavant, Vantgainziers.

Die Wappen wurden bislang v. a. im Blick auf mögliche Verbindungen nach Kärnten und sich daraus vielleicht ergebende Anhaltspunkte für Heinrichs Biographie untersucht.34 Interessant ist die Darstellung aber auch im Blick auf die offenbar klare Gliederung, die Heinrich vorgeschwebt haben muß. Die Turnierteilnehmer werden gemäß den üblichen Turniergepflogenheiten in Gruppen aufgeteilt, die die einzelnen Parteien bilden; auch unwichtig erscheinende Figuren werden im korrekten Zusammenhang in die Handlung integriert. Bei Schwierigkeiten ist daher zunächst von Uberlieferungsproblemen auszugehen, weniger von Heinrichs Ungenauigkeit. Als erste Gruppe werden acht Ritter aus dem arabischen Raum vorgestellt, in einem zweiten Durchgang dann die dazugehörigen Wappenbilder genannt (18043-18108). Darauf folgen die europäischen Ritter, diesmal direkt mit den ihren jeweiligen Wappen; dafür in einer als Steigerung angelegten Form der Aufzählung: Entweder treten sie als Paare auf oder aber mit einer Reihe namentlich genannter Gefährten, der erste mit drei (Heimet), 34

Zuerst bei SCHÖNBACH 1908, S . 351-361; kritisch K R A T Z 1976; auch JILLINGS, Biogr. 1981. Gegen diese Vorgehensweise beim Verständnis literarischer Darstellungen ausdrücklich FENSKE: „Den dabei geschilderten Wappen darf in der weit überwiegenden Mehrzahl kein Realitätswert zuerkannt werden." (FENSKE 1985, S . 125; er behält aber auch die Ausnahmen im Blick, wenn sich „fiktive Heraldik und die Realitätsbezogenheit von Wappen historischer Fürstenpersönlichkeiten" durchdringen, wie in Herborts von Fritzlar >Liet von TroyeConte du Graal< und >Parzival< zu beziehen sein: „wie es dort üblich ist". 18039 f.: Hier fehlt offenbar das Reimwort; vielleicht ist geben aus 18037 hinter Widerrede (18039) umzustellen? Vgl. auch Anm. EK. 18045: Lies Poidas (—>18090); zu Iger vielleicht den Ritter Ider aus Pz 178,12 (u.ö. der dort allerdings nichts mit Arabien zu tun hat. 18046: SCH Arabte ist wohl sinnvolle Besserung zu P/EK Rübie; die einzige eindeutige Nennung von arabie hat Ρ 18379. Vgl. auch —>18236. 18049: P / S C H / E K Pelde dürfte derselbe Ritter sein, dessen Wappen 18081 als Schwert beschrieben wird; an den übrigen Stellen heißt er Melde (dort tritt er ebenfalls mit seinem Bruder Efroi auf), was hier zu bessern wäre (vgl. 18081, 18292 und 18309); so auch SIN. 18052-18054: Zu Laame^ von Babilon [...] Baldac vgl. ->18076. 18343 wird er offenbar irrtümlich Laamor.ζ von Babilon genannt;35 Laame^ dürfte der korrekte Name sein.36 18055: Lies mit P/EK Vnd der, der da Syrien pflag. Vgl. 18058 Syria; Pz 301,28 Surin. 18056 f.: In Aschalone klingt entweder der Name des biblischen Abschalom (Sohn Davids, IlSm 13,1 u.ö.) an,37 oder es hat hier ein Transfer vom Länder- zum Personennamen stattgefunden: Pz 67,13 u.ö. ist Ascalun 35

Laamotx ist der Name des Ritters von Janfrüege, dem Gawein das Zauberknäuel für den Weg zu Siride abgewann (->15260).

36

Vgl. a u c h SCHÖLLS N a m e n r e g i s t e r (SCH S. 507).

37

Als As(s)akn auch ErC 2262 und CdG 4722.

18029-18180 Die Turniergäste, Wappenbeschreibungen

497

das Land des Königs Kingrisin, das später von dessen Sohn Vergulaht übernommen wird. Vgl. auch den Namen des Brunnenherren und ersten Manns Laudines in >Iwein18049); dieser Ritter führt ein Schwert als Wappenzeichen. SCH Und statt P/EK So zu Beginn von 18080 erübrigt sich, wenn der Name nicht auf das Schwert bezogen wird, vgl. auch Anm. EK. 18085: Dieses an Wigalois, den riter mit dem rade (Wig 3103), gemahnende Wappenbild soll seinem Träger Salden gvinne (18084) sichern (allerdings erfolgslos, vgl. 18304f.). Ähnlich sollten z.B. Darstellungen der Liebesgottheiten den Minneritter auszeichnen und ihm zu Erfolg verhelfen, vgl. Gasoeins Helmzier (-»10526 f.), auch Wh 24,5 und 25,14.41 38

V g l . BUMKE 1 9 9 0 , S . 3 5 1 .

39 40

Vgl. dort auch die entsprechende Charakterisierung des Wappenträgers: Gahmurets Anker wurde nirgends fest gemacht, er fand keinen festen Grund (Pz 14,17, v.a. 14,29 ff.). So zuerst SCHÖNBACH 1908, S. 353. Vgl. zu dieser Zuordnung kritisch zusammenfassend

41

Vgl. auch KERN 1998, S. 450 ff.

BLEUMER 1 9 9 7 , S . 1 9 2 , A n m . 12.

498

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chrenen-Sequenz

18089: Die breite Sense als Wappenzeichen ist selten,42 vgl. z.B. die Sichel auf dem Wappen des Heinrich von Tettingen (Codex Manesse fol. 361·)· 18090: Poidas, Ρ Poydas (nochmals 18364) dürfte mit dem 18045 genannten Ritter Zloidas identisch und dem quantitativen Argument zufolge dort zu bessern sein.43 Für keine der beiden Namensformen findet sich eine sinnvolle Deutung. Sein Wappen, der Leopard, verweist auf seine exotische Herkunft (ähnlich wie der Elefant 18106), wird aber auch häufig in der Literatur genannt; vgl. >Tandareis< 2064 ff.; >Laurin< 225 ff.; Troj 37278 f. und >Turnier von Nantes< 313.44 18097: Ein Adler mit ausgebreiteten Flügeln ist ein vor allem als Königsund Kaiserzeichen weit verbreitetes Wappenmotiv,45 das auch in der Literatur häufig vorkommt. K R A T Z 1976, S. 143 nennt Lanz 6292, Wig 404 sowie Konrad von Würzburg (»Turnier von Nantes< 406 f., 437 f., 618 und >Partonopier und Meliur< 14491, 15128, 20537). 18102: Zu Aschalons Wappenbild einer poi („Fessel") -»9805. 18106: Ebenfalls als Zeichen orientalischer Fürsten wird der Elefant (hier ein weißer Elefant, vgl. 18350) >Wigamur< 2107 und bei Konrad von Würzburg (Troj 31525 f.) genannt.46 18113: Hier und 18179 beruft sich Heinrich auf die Jabel als Quelle;47 DE B O O R sieht diese Verwendung als „ganz singular" an und vermutet eine mögliche italienische Herkunft des Begriffs.48 18116F.: (=GT88) „Man soll die Goldkörner aus dem Sand [i.e. dem Wertlosen] herauslesen": Mit dieser sentenzhaften Alltagsregel49 beschließt Heinrich seine Paralipse zur Auswahl einiger Ritter aus der Schar der Turnierteilnehmer. 42

Vgl. jedoch JILLINGS, Biogr. 1981, S. 94, der im Südosten Belege findet, wo das Bild „auf die Rodungsaufgaben der Kärntner und Steirer Ministerialen" verweise; damit argumentiert

43

So auch SIN; SCH entscheidet sich für Zloidas (S. 511). Vgl. auch Anm. EK zu 18045.

44

Vgl. KRATZ 1976, S. 143.

45

Vgl. auch die entsprechenden Darstellungen im Codex Manesse: den Adler fuhren Kaiser Heinrich (fol. 6% König Wenzel von Böhmen (fol. 101), Herzog Heinrich von Breslau (fol. 11"), Markgraf Otto von Brandenburg (fol. 13"), daneben auch Reinmar von Zweter (fol. 323"). Vgl. FENSKE 1985, S. 94 f., der für die zweite Hälfte des 12. Jh. auf 13 Adlerwappen unter den Reichsfürsten verweist, auch darauf, daß viele zu Beginn des 13. Jh. gegen andere Motive ausgetauscht wurden.

46

Vgl. KRATZ 1976, S. 144. Zusammenfassend auch GÜLZOW 1914, S. 243; Anm. EK.

47

Ebenso 8835, 10506, 22202, 23217, 27221, 29203; vgl. die Übersicht bei GÜLZOW 1914, S. 213.

48

Vgl. DE BOOR 1966, S. 7.

49

Aufgenommen TPMA 5, „Gold" 3.3: „Gold wird aus dem Sand gelesen".

er gegen KRATZ 1976.

18029-18180 Die Turniergäste, Wappenbeschreibungen

499

18125 ff.: Der direkte Übergang zum nächsten Abschnitt bei SCH erscheint äußerst ungewöhnlich, da er auch sonst im Roman kaum vorkommt; besser nach 18125 ein Doppelpunkt, nach 18127 ein Punkt (vgl. EK). 18129: Mindestens der Reimvers zu 18130 fehlt in P, es dürfte die Überleitung zu dem Wappenbild des Einhorns gewesen sein, das die beiden gesellen von Agardas als Zeichen ihrer Tapferkeit fuhren. Auch —»18307.50 18132 f.: Der Verweis Heinrichs auf den dem Publikum bekannten Zorn und die Wildheit des Einhorns51 dürfte sich auf die Tradition des >Physiologus< beziehen, in dem es heißt, es sei chune^orn (Millstätter Hs. 87r Z. 8) bzw. vile chuone (Wiener Hs. 133"). 18136: Ruder sind sehr ausgefallene Wappenzeichen, deren Träger Heinrich zu Herren des Meeres macht; JILLINGS, Biogr. 1981, S. 94 f. verweist auf ein entsprechendes Wappen des 14. Jh. für die nordösterreichischen Ritter von Steierberg. 18138 ff.: Heimet, ein recke bait,/.../ Reins, Greins und Engri (18404 Ρ Egri) sind Namen, die auf die Heldenepik verweisen; in ihnen konterkariere Heinrich den „französischen Namenswirrwar Wolframs", den er selbst imitiere.52 Zu ihrem Wappenzeichen, dem Löwen, vgl. —>10510 ff. 18142: Zu dem Herkunftsnamen Ansgewe vgl. Anschoi/Ansgoi als Herrschaftsgebiet des Leigamar, daneben auch den Teilnehmer Anschoes 18164. Alle Namen lassen das Stammland Parzivals anklingen, Anschouwe, entsprechend auch der Beiname Anschevin für Gahmuret und Feirefiz; vgl. die historische frz. Provinz Anjou.53 18143: Zu Cleir von der Voie auch —>1600 (zur chünigin von Cley). 18144: Die moie (afrz. „Garbe") läßt eine Zugehörigkeit des Mitarz zur Familie des Blandochors auf Ansgiure vermuten, dessen Sohn zu den von Gawein aus der Gewalt des Assiles befreiten Rittern gehörte, die ebenfalls die moie als Wappen führten (vgl. —>10035, dort zusammen mit der goldenen Fessel). 18149 f.: Der Ritter Marmoret wird hier in der Gruppe mit Schwan aufgezählt; —>18307 wird er zusammen mit dem Einhorn erwähnt. Zu Fordueorz vgl. afrz. fort du cors, „von starkem Körper", vgl. ähnlich —>6908 den Namen Blandochors. 50

51

SIN vermutet mehrere Fehlverse und ordnet das Einhorn dem 18307 genannten Marmoret zu. KRATZ 1976, S. 144 f. fuhrt einige Belege fur das im Mittelalter sehr beliebte Einhorn an: so u.a. JTit 4034, sowie seine Verwendung als Wappen des Dietmar von Eist in der Weingartner und der Manessischen Handschrift (fol 641). SCH übte dem wart %orn aus P/EK lijcht der wart erspmt.

52

MEYER 1 9 9 4 , S. 1 4 2 .

53

Zur Problematik von Trennung und Übereinstimmung der Namen auch Anm. EK; vgl. auch —>7009 zu Ansgiure.

500

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chretien-Sequenz

18151: Ludufis wird 18371 als LydofuiΖ (P/EK) bzw. Udofit^ (SCH) nochmals genannt. 18156 f.: Den weißen Schwan, den gleich neun Ritter fuhren, will Heinrich einer französischen Quelle entnommen haben, was an den >Chevalier au cigne< denken läßt.54 Als sprechendes Wappen findet er sich z.B. auch für Herrn Hiltbolt von Schwangau im Codex Manesse, fbl. 146r. 18158: SCH was noch genuoc, P/EK was dennoch ein genüge-, vgl. Lex 1,866: „das unflect. neu», genuoc steht in substantivischer bedeut. mit gen.: genüge woran, hinreichend grosse menge wovon" (vgl. auch Anm. EK). 18161: Die gesellen sind offenbar das Gesinde des Fiers von Arramis, der als siegesgewisser amys des Turnierpreises Flursensephin mit einem besonders stattlichen Gefolge auftritt; vgl. den Schlachtruf 18435, als er in den Kampf eingreift, v.a. auch die Reaktion seiner Gesellen 18502 ff. Anm. EK sieht den Herzog von Aram und Fiers hingegen als zwei getrennte Personen und verweist auf die Wappenzuordnungen: Greifenklaue für Fiers lt. 17920 ff., Flügel für den „Herzog von Aram lt. 18176". Allerdings ist hier von den gesellen von Aram die Rede, es wird nicht vom Wappen des Herzogs selbst gesprochen. So dürfte es im Bereich der dichterischen Fiktion durchaus möglich sein, dem Anführer die Greifenklaue, seinen Gefährten hingegen die Flügel zuzuschreiben. 18163 ff.: Ein Bryan ist Gast bei der Becherprobe —>2342; zu Anschoes vgl. —>18142. Zu Roides (P/EK Roydes) vgl. afrz. wide, „starr, fest, stämmig", zu Fidelaz das lat. Adv. fidelis, „getreu, ehrlich, verläßlich". Jambruz womöglich Spottname aus afrz. jambe, jame·. „Bein"; bruis für einen „knotigen Stock" (vgl. DAF, 80). 18167: SCH SannoriP/EK Samoris (zum lat. Genitiv von amor, „Liebe"?). Zu Saruz vgl. vielleicht ->596. 18168 ff.: Zu bessern wäre wohl Gymar\ (P: gymaref) oder im folgenden Vers Sagaret (statt P/SCH sagar%), um den Reim wieder herzustellen — oder sind Fehlverse anzunehmen? Vgl. auch Anm. SCH und Anm. EK. Die bei SCH (S. 505) angedachte Identifizierung mit Gigamec ist wohl nicht sinnvoll. Clerdenis wird 18555 nochmals erwähnt (zu afrz. clers, „hell", und denois, „dänisch"?), zusammen mit Azet. Neiliburz vielleicht zu afrz. nenil (aus non Uli), „keineswegs" und dem Adv. bur, „bien, avec raison", also jemand, der keineswegs vernünftig ist. 18171 ff.: Für Malpordenz dürfte die Form 18277 Malpardons vorzuziehen sein, vgl. afrz. mal („böse, übel, schlecht") und pardon („Verzeihung"). Karet heißt 18277 Ciaret (wie der Gewürzwein). Pafort scheint ebenfalls 54

Ca. 1170/1190 datiert, vgl. Frenzel 1992, S. 717; Kratz 1976, S. 140.

18181-18229 Turniervorbereitungen der Ritter

501

afrz., vgl. fort („stark, gewaltig"), pas entweder „Schritt" oder aber als Verstärkung der Negation ne, „nicht". Susavant verbindet zwei afrz. Adverbien, sus („nach oben, darüber") und avant („vorn, vorwärts, weiter"). In Stiport klingt afrz. port, „Hafen" mit; der Zuname Seminis ist wohl hingegen der Genitiv zu lat. semen, „Samen". Gentis scheint „der Höfische, Edle" bzw. „der Schöne" (zu afrz. gent, „edel, freundlich, höflich, hübsch, schön").55 18176: Die vlüge („Flügel"), die die Gefährten des Herzogs von Aram fuhren, sind ein geläufiges Wappenmotiv; vgl. z.B. auch die Darstellung des Litschauers im Codex Manesse fol. 422'. Sie erscheinen thematisch passend zur Greifenklaue des Fiers. Diese Gruppe ist mit 25 Männern die stärkste. 18181-18229 Turniervorbereitungen der Ritter Die folgenden Ausführungen über die Rüstung der Ritter haben exkursartigen Charakter; Heinrich zeigt ähnlich wie bei der Einkleidung Keies und des Becherbotens (2827—2938) sowie bei der Beschreibung Gasoeins (1049610573), daß er sich auch auf diesem Gebiet auskennt. „Man kann vermuten, daß die Waffenschilderungen in erster Linie für den männlichen Teil der Zuhörerschaft berechnet waren, während die Kleiderbeschreibungen eher den Interessen der Damen entgegenkamen. Manche waffentechnischen Einzelheiten können überhaupt nur poetisch belegt werden."56 18189 ff.: Zu dem scbellier („Knie- oder Schienbeinschutz") —>2872, auch Anm. EK; zum wambeis („Wams") —>2863 f. Das collier (schon 2871) ist „ein dicker gepolsterter Stehkragen zum Schutz des Halses"57 unter dem halsperc (18193, —>2865). Zur coife („Harnischkappe") ->2871. Die hier ausführlich beschriebene eiserne Brustbedeckung (vür die brüst ein blat) wird auch genannt bei Wolfram, Neidhart und Konrad von Würzburg (vgl. die Belege Lex 1,299); wenn die Platte in den Waffenrock eingenäht wurde, „entstand ein Plattenrock, wie ihn die Mauritius-Figur im Magdeburger Dom zeigt, die nach 1250 datiert wird."58 55

Oder ist es „der aus Gent'? Die flämische Stadt wird —>506 und 6857 genannt.

56

BUMKE 1 9 9 0 , S . 2 1 1 .

57 58

BUMKE

1990, S. 214. Keine Hinweise bei K Ü H N E L 1992. 1990, S . 214. Das Schaubild bei KÜHNEL 1992, S. 300 bietet noch keinen Hinweis auf entsprechende Rüstungsteile für einen Ritter des 13. Jh.; vgl. auch „Die Ritter", S. 45, um 1240 habe man rechteckige Eisenplatten entwickelt, die an der Innenseite des nun schurzartigen Waffenrocks eingenäht wurden und die eine erste Verstärkung des Panzerhemds gebracht hätten. Ζοτζ in FLECKENSTEIN 2002, S. 175 verweist ebenfalls nur auf die seit 1200 den ganzen Körper schützenden Kettengeflechte mit Waffenrock und darauf, daß der Plattenharnisch im späten 13. Jh. entwickelt worden sei. Offenbar liegt hier also ein Datierungsproblem der Waffenkunde vor. BUMKE

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chretien-Sequenz

502

1 8 2 0 5 : Das hauptsächlich als Unterkleidung belegte wambeis (so 18190, vgl. Lex 111,666) konnte offenbar auch eine Alternative zum über dem Kettenpanzer getragenen Waffenrock bezeichnen. 1 8 2 0 8 : SCH versteht Sg.: ml starker sper, P / E K schreibt PL: ml starcke spere, was ursprünglich sein dürfte, den hohen Verbrauch der zerbrechlichen Speere gesehen (vgl. nur den humoristischen Begriff waltswende für Ritter, ->8963).

18212 ff.: Die auf den Helm aufgesetzte yimkrde ist bereits Ende des 12. Jh. schriftlich und bildlich belegt,59 zu dem am Hals hängenden Schild vgl. ->11910. 18218a: Lies mit P/EK den bei SCH fehlenden folgenden Vers: Vnd was er dann nit sere arm. 1 8 2 2 3 : SCH Name er, P/EK Nam er, zur Problematik der Konstruktion vgl. Anm. EK. 1 8 2 2 4 : Lies mit EHR und EK kinn statt P/SCH kind. 18230-18311 Turnierbeginn Die gesamte Turnierschilderung ist stilistisch gekennzeichnet durch die Verselbständigung der vorher beschriebenen Wappenbilder; nicht die Namen der Ritter, sondern ihre Wappen sind es, die stechen, aus dem Sattel heben etc. und die in den Berichten der gar^une genannt werden.60 Eine ähnlich umfangreiche Darstellung und Bedeutung der Wappen findet sich nach Heinrich wieder bei Konrad von Würzburg, der allerdings mehr Wert auf die exakte Detailbeschreibung seiner Bilder legt und so schon deutlich auf die spätere Herolddichtung und die spätmittelalterlichen Wappenbücher verweist.61 Während SCH, SIN und GÜLZOW hier passend zu — > 1 8 0 4 6 , 1 8 3 7 9 Ρ Rabinis in Arabis bessern möchten, verweist Anm. EK mit SUOLAHTI auf das auch als stM./stN. verwendbare rabine für „schnellstes Rennen, Carriere, schnelles Roß". In der Form rabbine auch z.B. Pz 2 4 5 , 1 2 . Hier wäre allerdings wohl doch eher ein menschlicher Kampfgegner zu erwarten; die Kenntnis des Fachterminus könnte aber zu dem Mißverständnis der Uberlieferung gefuhrt haben. 18236:

und

59 60

61

18453

Vgl. z.B. En 160,4, ErH 2337 f.; BUMKE 1990, S. 216 f. Vgl. FENSKE 1985, S. 75: „Adelsspezifisches, ritterliches Herkunftsbewußtsein und Wappenführung bedingen sich gegenseitig in einem Maße, daß schließlich das Wappen anstatt der Person seines Trägers erscheinen und diese stellvertretend im Wappenschild verkörpern und versinnbildlichen kann." Vgl. v.a. das Turnier von NantesTrojanerkrieg< und das Turnier in der Normandie >Engelhard< 2463 ff.

18230-18311 Turnierbeginn

503

18241: Zu glunkem vgl. DWb 8,473 f., das das Verb als „intensivum zu glunken, „baumeln, hin und her schwanken" stellt und zahlreiche Belege bringt; der älteste neben Heinrich ist wohl der aus dem >Renner< (Ende 13. Jh.). Der Beleg aus VON DER HAGENS Minnesinger stammt aus dem 15. Jh. (Pseudo-Neidhart). Lex 1,1040 verweist nur auf die Fastnachtsspiele (15. Jh.). 18247 ff.: SCH der main, P/EK der more ( - > 1 8 0 7 6 ) ; fur die Konjektur SCH spricht die Bezeichnung als Britun 1 7 5 9 8 . Die innecliche sware des Quoikos ist wohl Zeichen seiner Ungeduld auf den Kampf und die Ernsthaftigkeit seiner Hoffnung auf den Turnierpreis. Gawein läßt sich erst 1 8 4 7 6 ff. von seinem Gefährten zur Kampfteilnahme überreden. 18258: Zu schehen („schnelles rennen, jagen") vgl. —>876. 18270 ff.: Während der Unterlegene durch sein Wappen (die vläge) als Gefahrte des Fiers von Aramis zu identifizieren ist (vgl. 18176), wird das Wappen des Quoikos (das auch Gawein fuhrt, falls er in dessen Ausrüstung kämpft, vgl. 17607 ff.) nicht erwähnt; der Beobachter kann ihn daher nicht identifizieren (erst 18601 f. wird für Gawein die rote Flamme auf schwarzem Grund genannt).62 18277: Zu diesen Gefährten des Herzogs von Aram vgl. —>18171 ff. 18292 ff.: Die Brüder Efroi (Fortuna-Rad) und Melde (Schwert, auch —>18049), gehören zum arabischen Lager; die gegen sie anreitenden Marmoret (mit P/EK, nicht Marmore^ SCH, vgl. auch 18307) und Baruz gehören zur Gruppe des Lorez und fuhren' den Schwan. 18307: Infolge der durch den Fehlvers 18129a entstandenen Unregelmäßigkeiten bleiben die Zusammenhänge hier unklar: Marmoret zählt zur Gruppe des Lorez von Jassaida mit dem Wappenzeichen Schwan (18149), ebenso Baruz. P/SCH schreibt ihm hier das Einhorn zu, womöglich wäre zu bessern: Der einhorn von Marmoret. Allerdings ist bisher nicht berichtet worden, daß einer der beiden gesellen von Agardas (—>18129) oder ein anderer Einhornträger schon am Kampf teilnimmt. Das Einhorn -wird 18375 erwähnt (und steht wohl für beide Wappenträger, —>18373 ff.). Eindeutig würde die Stelle durch einen Austausch einhorn gegen swan. Vgl. auch Anm. EK, die von einem „sachlichen Fehler" spricht.

62

1999, S. 99 mißt Gaweins anonymem Kampfauftritt die Bedeutung zu, daß er in seiner Entwicklung vom Artusritter zum Gralsritter in dieser Episode zwar „seinen Namen, denjenigen als Nur-Artusritter, nicht ganz abgelegt" habe, „aber er definiert sich nicht mehr über seinen Namen". Dem steht aber u. a. seine Selbstnennung gegenüber Quoikos entgegen, die eine der stolzesten des ganzen Romans ist (-> 17632 ff.).

GANTER

504

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chretien-Sequenz

18312-18414 Fiers erhofft den Sieg; Kampfgetümmel 18326 ff.: Fiers sieht offenbar Laame2 von Babilon als Anführer der Araber, dementsprechend möchte er dessen Wappen, den Adler ( 1 8 0 9 7 f.), daran hindern, Flursensephin über mer zu fuhren. Die klä 1 8 3 3 3 ist das Wappen des Fiers (vgl. 1 7 8 3 9 , 1 7 9 2 2 ) . 18342 f.: Der ar gehört zu Laamez (vgl. 18097), entsprechend ist 18343 Laame£ statt P / S C H / E K LaamonΖ zu lesen (—>18052). 1 8 3 4 6 : Statt SCH liht (P/EK licht) lies lieht, „hell, blank" (Lex 1,1906 f.), als Attribut zur goldenen Fessel.63 1 8 3 5 0 : SCH olifant, P / E K elyphant. 18353: Zu den Interjektionen vgl. - » 8 1 0 , 8 2 2 . 18354,18361: Den swan fuhren Lorez von Jassaida und seine Gefährten (18146).

18356: Die Zahlenangabe vier erscheint ungenau, da nur drei Ritter genannt wurden (Laamez, Aschalone und Väruch), vgl. auch Anm. EK. 18361: Zu vride, dem Sicherheitsbezirk, vgl. das gleichbedeutende amit Η18069).

18362 ff.: Poidas, der lebart, gehört zu der orientalischen Gruppe; Ludufis (—>18151) und Enfrie gehören zur Schwanen-Partei. 18373 ff.: Der Wechsel von Sg. und PI. ist wohl so zu verstehen, daß der einhorn die beiden Ritter umfaßt, die mit diesem Wappen reiten; ähnlich möchte der swan 18361 umkehren, dabei sind wohl alle Ritter dieser Gruppe gemeint, die im Kampf standen. Zur Zuordnung des Einhorns vgl. auch —>18307.

18384: Forducorz zählt ebenfalls zur Gruppe des Laamorz; E%dei% (P/ SCH/EK) ist nur hier genannt, SCH fuhrt ihn als weiteren Teilnehmer auf (S. 5 0 2 ) . In der Aufzählung der Turniergefährten des Lorez ( 1 8 1 4 5 — 1 8 1 5 1 ) findet sich kein die Verwechslung nahelegender anderer Name, allerdings werden 1 8 5 6 7 sogar ^eben sinergsellen erwähnt, es würde also noch mindestens ein Name fehlen. 18389 f.: bateile zu afrz. bataille, bateile („Kämpfest frühester Beleg für die Übernahme in die mhd. Literatur.64 Zu meile („Masche") —>2845. 18393: kleinot meint hier offenbar die Helmzier (vgl. auch 18214). 18397 f.: Zu floite und tambüre vgl. ->770 ff., auch ->16926-16930. 18399: düre ist nur für diese Stelle belegt; Lex 1,494 vermutet Zugehörigkeit zu frz. dur, „hart, stark, heftig, rasch";65 Bereits 7191 bessert KNN 63

M i t GRABER 1 9 1 0 , S . 2 3 9 f. u n d GÜLZOW; v g l . A n m .

64 65

Vgl. S U O L A H T I 1929, S. 62; Lex 1,134. Vgl. TL 2,2100 ff.

EK.

18415-18507 Gawein besiegt Fiers

505

einmal daure mit Ρ {dure) zu düre, „dauer", Anm. KNN verweist auf Jeroschin, Lex 1,494 belegt es nur fiir Albrechts Jüngerer TiturelFrauendienst< 281,5. Sunder vride bezeichnet hier also wörtlich den Kampfzustand ohne jeden Gedanken an Frieden; anders Anm. EK. 1 8 5 4 7 : Leigamar von Ansgoi ist Landesherr und Vater des Turnierpreises Flursensephin; seine Turnierteilnahme kann wohl nicht auf den Sieg ausgerichtet sein. 18549: Lies mit P/EK den. 1 8 5 5 5 ff.: Die beiden Ritter gehören zur Gruppe des Fiers von Aramis. 1 8 5 6 0 irgesellen v>wen erscheint bei SCH eindeutig Genitiv („zwei weitere ihrer Gesellen"); P/EK: vnd ire gesellen %wen. 1 8 8 6 0 : geleiten hier wohl für „zuführen" (Lex 1,809). 1 8 5 6 3 ff.: Der swan ist das Wappen des Lorez von Jassaida; namentlich wurden bislang nur insgesamt neun seiner Gefährten genannt (18146 ff., dazu Ezdeiz —>18384). 18586-18658 Nachricht von Gaweins Sieg; Verteilung der Beute ff.: Vgl. den entsprechenden Bericht nach dem ersten Sieg des Quoikos (—>18270 ff.). 18601 ff.: Gaweins hier beschriebenes Wappen mit roten Flammen auf schwarzem Grund (eigentlich wohl also das Wappen des Quoikos, in dessen Ausrüstung Gawein kämpft, vgl. 17607) erscheint auch Wig 4559 ff., dort als Wappen der vor Korntin turnierenden, verwunschenen Ritter. 1 8 6 0 4 ff.: Den Ärmel hatte Quebeleplus Gawein —>18015 geliehen. 1 8 6 2 8 : Lies mit SIN und EK ir sit, bezogen auf die Spielleute und Knappen (zu den Spielleuten vgl. auch —>17790). 1 8 6 3 5 : Zum besseren Verständnis des Verses liest SIN underrede, „Unter18587

handlung, beratung" (Lex 11,1793); Anm. EK versteht und adversativ als

„aber auch, indessen, gleichwohl"). 18641 ff.: Daß die beiden prominentesten Gefangenen Gaweins Dame überstellt werden, entspricht dem reht des Artushofs (vgl. 893 ff.), scheint sonst aber nicht wirklich üblich.69 68

BUMKE 1 9 9 0 , S. 3 5 4 .

69

Vgl. BUMKE 1 9 9 0 , S. 3 6 7 .

508

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chrerien-Sequenz

18658: Der Bezug von desgelich scheint nicht eindeutig; entweder bezieht es sich auf den jeweiligen Vermögensstand, nach dem sich die Höhe des Lösegelds richtete (also als „dementsprechend, dem angemessen" zu deuten), oder aber auf einen für alle gleich hoch angesetzten Betrag (im ursprünglichen Wortsinn: „gleicher massen, auf gleiche weise", Lex 1,813); vgl. Anm. SCH und Anm. EK.70 18659-18679 Gawein tritt Flursensephin an Quoikos ab 18664 ff.: Gaweins Verzicht auf Frau und Landesherrschaft entspricht seinem Status als Ehemann Amurfinas; vgl. auch die anderen Szenen mit Herrschaftsverzicht im Roman (—>9773 ff.). 1 8 6 6 6 : SCH: Da^ im dav^ P / E K : Das jnen das. 18671: gewant (wenden) hier im Sinne von „passen zu" (vgl. Lex 111,760: „Verhältnissen angemessen" etc.); „zu dem würde sie gut passen". Vgl. auch TH: „Quoikos would be a good match for her". Daneben deutet Lex 1,983: da man sie ba% mohte manne gewenden (Zitat aus >RennewartLai de GraelentLai de Guingamor< u.a.), den verführerischen Charakter (Gawein muost irmunt rot/ Küssen an der stunde 18737) sowie die Weissagung der Zukunft. Zu dem Begriff gotinne vgl. auch —>4885.71 Die Dame im Zelt ist aber auch höfisches Motiv, vgl. z.B. Jeschute Pz 129,18ff. 1 8 7 1 3 : SCH stellt im Reim sinnvoll um: vier schcene meide aus P / E K vier megde schöne. 1 8 7 1 6 : Die Quellenberufung auf da% buoch erscheint wiederum als Absicherung besonders realitätsferner Handlungsteile (zudem ist gerade diese Episode nicht von Chretien übernommen), vgl. auch die entsprechenden Wahrheitsbeteuerungen in der Episode um Levenet (vgl. den dorfspel-Eykurs 17425 ff., auch ->17467 ff.). 18717 ff.: Die Signalwörter meien und vröude betonen die Verbindung zu Artus, vgl. dessen Horoskop —>260ff.; daneben z.B. das Ende der vröude durch Gaweins Tod —>17026-17031. Als Zeitangabe würde die Monatsangabe aus dem bisher einigermaßen konsequent gestaltenen Zeitschema herausfallen, demzufolge mittlerweile ca. 40 Tage seit dem Hoffest zu Pfingsten vergangen sind.72 1 8 7 2 2 ff.: Die Vorstellung der gotinne Enfeidas (hier wohl im Sinne einer Fee zu deuten, passend zu dem Namensbestandteil fei, afrz. und mhd. „Fee", —>18710 ff.) betont zum einen durch ihre Verwandtschaft mit Artus (und somit auch mit Gawein, dessen Großtante sie ist),73 zum anderen durch 71 72 73

Vgl. dazu ausführlich G R I M M 1875, 1,341 ff. Vgl. die Übersicht bei W A G N E R - H A R K E N 1995, S. 207. Heinrich orientiert sich an den vielfältigen Verwandtschaftsverbindungen, wie sie bei Wolfram und Chretien üblich sind. Vgl. S C H M I D 1986, S. 205.

510

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chretien-Sequenz

ihren Herrschaftsbereich die Glaubwürdigkeit ihrer folgenden Erklärungen und Mahnungen. Die sagenumwobene Insel Avalon, das Reich der Feen, ist traditionell das Land der Fee Morgane/Morgaine, die seit Chretiens >Erec< manchmal als Schwester des Artus dargestellt und sehr oft genannt wird.74 Avalon ist auch Zuflucht des auf den Tod verwundeten Artus im >Roman de Brut< des Wace.75 18745 f.: P / S C H megesach, EKjegesah\ 1 8 7 4 6 kürzt S C H Sit mir aus P/EK Sitt dem male, da^ mir. Zu dem gro% kit vgl. auch den Bericht im Prolog mit der Totenklage des sechsjährigen Artus um seinen Vater ( 3 1 4 — 4 1 1 ) . 18750 ff.: Gawein hört hier zum ersten Mal von der großen Hoftrauer (16797—17311), allerdings ohne genauere Hintergründe um den Betrug des Gigamec zu erfahren. 18754: abegän („aufhören, verschwinden" Lex 1,3); im übertragenen Sinn wohl auf die v. a. repräsentativen Funktionen zu verstehen, die aufgrund der Trauer nicht mehr wahrgenommen werden. 18765: Der Name der Burg Karamphi gibt keinen Hinweis, wie er zu deuten wäre; bei Chretien hat das sehr prachtvoll geschilderte chastel keinen Namen, Wolfram gestaltet es zu einer ganzen Stadt und nennt diese Ascalun. 18774 ff.: Die Einladung, bei ihr und ihren Damen zu bleiben, wird von Enfeidas selbst gleich wieder eingeschränkt mit dem Hinweis auf Gaweins abenteuerliebenden Charakter. Durch ihre Verbindung mit Artus (und ihr wohl fortgeschrittenes Alter, wenn sie Schwester des Uterpandagron ist) scheint der verführerische Aspekt der Begegnung eines Sterblichen mit einer Fee deutlich zurückgenommen. 18779—18854 Schachspiel mit Seimeret; Angaras von Karamphi Anders als in den Parallelen CdG 5709-5959 und Pz 403,12-410,30 fehlt hier das erotische Spiel zwischen Gawein und der Gastgeberin: Gawein ist verheiratet und seither als „sexually self-disciplined"76 charakterisiert. Das Schachspiel tritt an dessen Stelle und wird dann kurz darauf den beiden anderen Texten entsprechend zur Selbstverteidigung gebraucht; sein Einsatz als Waffe wirkt durch das vorhergegangene Spielen unmittelbarer motiviert als bei Wolfram und Chretien. 74

Vgl. die Belege bei WEST 1 9 6 9 , S. 1 1 9 f.; CHANDLER 1 9 9 2 , S. 2 9 1 f.; SCHRÖDER 1 9 8 2 ,

75

Für weitere Belege vgl. WEST 1969, S. 12; daneben ist die Insel Herkunftsott des Hündchens Petitcrü (Tr 15812). THOMAS 2002, S. 42. Ebd., S. 57 geht er davon aus, daß Gawein sich als „faithful married knight and worthy prospective Grail quester" beweisen müsse, ähnlich wie Parzival den Verführungsversuchen Orgeluses hatte standhalten müssen. Wolfram habe diese bei Chretien angelegte „lectio facilior" wohl übersehen.

S. 31 f.; GRIMM 1875, 111,117 f.

76

18779-18854 Schachspiel mit Seimeret; Angaras von Karamphi

511

18782 ff.: Gawein reflektiert beide Themen aus Enfeidas Rede: Während ihm die Ankündigung der bevorstehenden vreise ( 1 8 7 9 1 ) auf Karamphi keine vorht ( 1 8 7 8 2 ) einflößt, beswart{\?>l%S) ihn hingegen die Trauer des Artushofs um ihn.77 18797: Die Angabe Oben vor dem tum heißt den späteren Angaben zufolge wohl, daß sich Seimeret und das Schachspiel im Palas befinden (der Rittersaal war immer in einer der oberen Etagen untergebracht), von wo es offenbar einen direkten Zugang zum Bergfried gibt (häufig z.B. in Form einer Verbindungsbrücke). So kann Gawein seine Angreifer ΰζ dem palas ( 1 8 8 7 6 ) vertreiben; nachdem Seimeret die Tür verriegelt hat, flüchten beide üf den turn (18885).

18808: Zum surcot -»6927. 18814: hie mite bezieht sich auf samitmantel und surcot. 18819 ff.: Das Schachspiel ( 1 8 8 0 0 schach^abet) läßt sich seit dem 10. Jh. in Europa nachweisen und war v. a. bei Adligen und Ministerialen bald so verbreitet, daß seine Beherrschung schon im 12. Jh. als eine der Rittertugenden genannt wurde.78 In der Literatur wurde die Erwähnung des Spiels zum Topos, sei es (wie in einigen Chansons de Geste) als „Paradigma einer Konfliktsituation", sei es in der „höf.-amourösen Interpretation der Spielsituation [...], die das Spiel als Verbindung von Gegensätzen" deutet (so in Chretiens >ErecConte du GraalParzivalArabel4858 ff.). Diese Vorwürfe von Raub80 und Mord stehen im auffälligen Gegensatz zu dem sonst positiven Bild Gaweins, das auch in den Tugendproben betont wird (Becher-, Handschuhprobe, die Fahrt mit der Rasenfähre zur Jungfraueninsel, das Wunderbett auf Salye). Als Interpretationsproblem hat diese andere Seite Gaweins zuerst JILLINGS 1980, S. 88 f. angesprochen, vgl. STEIN 2000, S. 195-212 und THOMAS 2002, S. 23-42; vgl. auch —>701. 18839 ff.: Vgl. auch den Bericht Gaweins am Artushof 22636 ff., in dem er von dem Turnier Baldac erzählt, das vor manigen jären stattgefunden hatte (22640); dort war er den Brüdern Angaras und Dahamohrt begegnet, dessen Tod im Kampf Gawein als Unglück schildert: Leider da mir missegie (22656). Entsprechend legt er dort auch Wert auf die Feststellung: Sunder schult was ich dar an (22663). Daß hier betont wird, der Haß des Angaras sei v.a. aus Erzählungen genährt worden, weil er selbst noch ein Kind gewesen sei, erscheint im Widerspruch zu der später geschilderten Begegnung im Turnier. 18855—18912 Kampf zwischen Gawein und Angaras (Schachbrett als Waffe) 18860: Diu (P/EK Die) wäre aus syntaktischen Gründen wohl besser zu streichen; KRAGL versteht es hingegen als „Element mündlicher Rede, wie sie sich [...] häufiger finden, hier im speziellen (wie so oft) eine pron. Wiederaufnahme [...] der Apposition" (brieflich). 18868: erwüschen (P/EK herwuschte) als Nebenform von erwischen belegt Lex 1,702 nur für diese Stelle; vgl. auch Anm. EK. 18873: Statt sie ist wohl mit Anm. EK besser e^ das Spielbrett, zu lesen. 18874 f.: Vgl. die entsprechende Bildrede im Prolog 28-32 und 76 ff. 1 8 8 7 6 : Lies mit SCH dem statt P / E K unbestimmt Us% einem, zur Raumvorstellung vgl. —>18797. 1 8 8 8 1 : Seimeret (bei Chretien bleibt die junge Frau namenlos, Wolfram nennt sie Antikonie) wird von Gawein —>22750 Soreidoz genannt; könnte der Name auf afrz. seirement, „Schwur, Eid" verweisen? 80

Die auch Keie im Vorfeld der dann doch bestandenen Handschuhprobe Gaweins erhebt, vgl. 24359-24365.

18913-18933 Gawein soll in Jahresfrist den Gral finden

513

18884: Der darauffolgende Reimvers fehlt, vgl. auch Anm. EK. 18893: Lies statt SCH mit P/EK: Vmb sins bruder dot gesagt. Angaras hat Gawein erkannt; er ist es, der den anderen sagt, um wen es sich bei dem Besucher handelt. 18894 f.: er bzw. in bezieht sich jeweils auf Gawein. 18906-18912: (= GT 90) Die Gedanken über das Beherbergen des Feindes variieren die Ausführungen über gute und schlechte Wirte (—>62316250). Der Vater des Angaras verhält sich vorbildlich gemäß den Regeln des Gastrechts, ebenso wie der König im >Conte du GraalWigaloisParzival7150-7223. 1 8 9 5 8 : SCH Der hat, P / E K Vnd hati. 1 8 9 6 0 : Zu der Zeitangabe hint morgen vgl. Anm. EK; DWb 10,1295 verweist auf „kärntn. hoit heute morgens, heute früh". 1 8 9 6 3 : Zu dem Motiv des Schwarzen Ritters, das zum gängigen Inventar gehört, vgl. ZACH 1990, S. 120 f.85 18964 f.: Zu dem ungewnen sper; einer Lanze, vgl. —>13223.

84 85

1997, S. 206. Für seinen vergleichenden Blick auf das „>ParzivalQueste< im >Lancelot en proseWigalois< (4539-4589). Zur Beziehung zu Wirnt ->2942. BLEUMER

516

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chretien-Sequenz

hat hint nach manegem gestrichen (—>18960). 18978: sie meint die vrouwe (18955). 18983: mit dem libe im Sinne von „während des lebens" belegt Lex 1,1930 auch für En 294,29: hie bevor al mtnen lib. 18993: qv disen %ügen übersetzt TH sinngemäß: „this mode of travel". SCH zieht mare („herrlich, gewaltig, lieb, von wert" Lex 1,2045) zu der Anrede Gaweins; EK liest mere als Adv. „ausserdem, ferner" etc. (Lex 1,2108), Komma schon nach riter. 18971: SCH

18997-19086

Die Frauen bitten um Rache

19016: Das gebende ist „kopfputz der weiber im allgem." (Lex 1,750 f.), vor allem der verheirateten Frau (vgl. KÜHNEL 1992, S. 87), auch —>14171 f. 1 9 0 2 5 : Die direkte Anrede Gaweins durch die ihm unbekannte Frau ist ein weiteres Indiz für ihre Zugehörigkeit zur Gralssphäre, vgl. zu ähnlichen Momenten —»14610 f. (mit Anm.). 19037: Zu den Besserungsvorschlägen (bot bzw. lie statt bat) vgl. Anm. EK; vielleicht ist statt des Verbs aber das folgende hart zu ändern: bat ir her^e (vgl. z.B. Amurfinas an ihre Seele gerichtete Klage 17290ff.). 1 9 0 3 8 : Statt SCH gebende lies mit P / E K gewant (im Reim auf hand)·, das gebende hatte sich die Frau bereits 19016 abgerissen. 19044 ff: Vgl. zu den Klagegesten - > 2 4 0 3 - 2 4 1 1 und - > 1 1 5 3 3 - 1 1 5 4 8 , auch die Klageanweisungen Keies —>17073—17091. 19049: SCH die vrouwen, P / E K ir fraum. 19068: Zu kol als bair. mundartlich fur „Qual" ->11506; kolten (P/ SCH/EK) ZU quelten (Lex 1,1542).86 19078 ff.: Daß Gawein sich seit jeher für unglückliche Frauen einsetzt, betont v.a. Keies Klage um den Totgeglaubten (17017—17037), auch sonst finden sich immer wieder Anspielungen auf diese grundlegende Charaktereigenschaft (vgl. z.B. ->9007f.; 9682ff. seine Hilfe für Belahim oder die Mahnungen in der zweiten Wunderkette, z.B. 16110 f.).

86

KELLER 1997, S. 357 stellt es hingegen in Beziehung zu 19027 (er brinnet dort als ein kol) und schreibt: „Der Trauergestus ist der Qual des wie Kohle brennenden Ritters vergleichbar".

19087-19194 Wechselrede mit dem Schwarzen Ritter

517

19087-19194 Wechselrede mit dem Schwarzen Ritter 19088: Zum Gewähren der Bitte -»1033-1039. 1 9 1 0 5 - 1 9 1 1 8 : (= GT 92) Exkurs über Frau Sxlde, ->298, 5959-6082, 15823 ff. Zu der Aussage: „Wenn Sxlde Unglück zu Glück verkehrt, ist sie zu loben, beim Gegenteil muß man klagen" vgl. auch TPMA 5, „Glück" 9.5: „Glück wird von Schaden und Unglück abgelöst". Der anklingende Fatalismus findet sich häufiger, vgl. -»11037, 11040 f., wieder ->19315 f.; der Gedanke, daß Glück Unheil hervorbringt auch ->11360 ff. und ->16841. Vgl. zu dem Bild die Darstellung der Saelde 15823-15869. Zu dem winster teil (19110) ->12261. Es läßt sich wohl nicht entscheiden, ob unhdl 19111 wirklich als Personifikation (so SCH) gedacht ist (ähnlich 39 und 8448). 19118 ff.: Die enge Anbindung des neuen Abschnitts durch die Interpunktion scheint nicht wirklich zwingend; stattdessen könnte nach 19118 Komma, am Abschnittsende Punkt gelesen werden. 19124 ff.: Zur Darstellung des Schwarzen Ritters (—>18963) vgl. auch die ähnlichen Figuren der Wunderketten (—>14204) und den siechen Ritter Berhardis (->13320 ff.). 19129 ff.: Zu der glavie —>13223; ein scharsach („schermesser" Lex 11,669) wird 6796 als Vergleich für einen scharfkantigen Berg herangezogen. Die Zweischneidigkeit bringt KELLER in Verbindung mit dem apokalyptischen Schwert (Apc 1,16), die glänzende Spitze spiegle „die Verdammung des gottlosen Geschlechts zu Feuer und Hölle".87 1 9 1 3 6 : Der ritter muß der Erschlagene sein, man würde ein Attribut wie des toten fitters o.ä. erwarten. 19149 f.: Die Gleichstellung des Schwarzen Ritters mit Dieben und Räubern, denen man Mord und Raub überlassen solle (der gleiche Gedanke wieder 19159 ff.), hatte Artus ähnlich als Gesprächseröffnung mit Gasoein verwendet (—>4407); König und Stellvertreter müssen sich dementsprechend in sentenzhaftem Stil von ihrem jeweiligen Widersacher über höfisches Benehmen belehren lassen (19167, 19172 ff.). 19156 f.: SCH kürzt aus P/EK (vngewonem ntters spei), gewer ist stF. „waffe, wehr" (Lex 1,985), ir dann verkürzt aus iuwer. TH übersetzt hingegen: „an unusual spear, for which you are surely answerable", wobei er den Vorschlag von EHR aufgreift, gewisse statt gewesen zu lesen, gewer stellt er offenbar zu gewar, „zuverlässig, tüchtig" (Lex 1,977). 1 9 1 6 5 : SCH einen kemfen, P / E K einen gewissen kempfen. 1 9 1 7 2 - 1 9 1 7 7 : (= GT 92b) Der schwarze Ritter begründet seinen Entschluß, sich im Kampf gegen die von der vrouwe erhobenen Anschuldigungen 87

KELLER 1 9 9 7 , S . 3 4 5 .

518

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chretien-Sequenz

zur Wehr zu setzen. Dabei greift er die Sprachebene der sentenzhaften Rede auf, die Gawein in seiner kurzen Moraldidaxe vorgegeben hatte: „Es kommt häufig vor, daß eine Sache mißlingt, wenn nicht 'Nägel mit Köpfen' gemacht werden (sie von Anfang bis Ende bestätigt wird)", zu bestaten vgl. BMZ 1 1 , 2 , 6 1 0 f. Zu der Sentenz vgl. - > 6 1 4 4 f f . ; Sir 7 , 4 0 formuliert den Gedanken, bei allem das Ende im Blick zu behalten. Vgl. auch TPMA 2 , „Ende" 1 . 3 . 3 : „Man bedenke bei allem das Ende", houbt und drum auch 216 (nur druom, „Ende") und 24397 für „Anfang und Ende"; 20212: anegenge und da% drum. 19177: Mit der Sentenz endet zugleich ein Abschnitt (Dreireimabschluß, Capitulumzeichen in P), vgl. EK. 19188: gat apokopiert aus gate, „genösse, der einem gleich ist od. es ihm gleich thut" (Lex 1 , 7 4 3 ) : „Es entspricht einem Mord." Vgl. auch die ausfuhrliche Anm. EK. 19194: Sie ist die glavie ( 1 9 1 8 5 ) . 19195-19228 Zweikampf; der tote Schwarze Ritter verbrennt 19199, 19205: Zu den renden bzw. dem rand als pars pro toto für die Schilde (Lex 1 1 , 3 4 2 ) vgl. auch - > 6 4 0 1 f. 19208 ff.: Die Selbstentzündung sowohl von Gaweins Waffe als auch des Ritters korrespondiert mit den brennenden Rittern der ersten Wunderkette ( - » 1 4 0 9 9 ff.) und dem Drachenkampf ( - > 1 5 1 9 9 ff.), wo ebenfalls das Blut der Getöteten alles in Flammen aufgehen läßt. Vergleichbar erscheint das Verbrennen der Waffen des Gwigalois, als er in das Turnier vor Korntin eingreifen möchte (Wig 4 5 6 9 ff.).88 KELLER betont den Kontrast zwischen dem langsamen Verbrennen des von dem Schwarzen Ritter getöteten Ritters ( 1 9 0 2 7 Er brinnet dort als ein kot) und dem schnellen Verbrennen des Schwarzen Ritters selbst: „Bedeutet dieses als anhaltende Qual die göttliche Strafe, ist jenes eine schlagartige Erlösung von der Plage."89 19214: lauge, louc für „flamme" (nochmals 2 7 4 0 8 ) belegt Lex 1 , 1 9 6 6 sonst hauptsächlich für die Heldenepik. 1 9 2 2 5 : S I N liest getrieben statt P / S C H / E K verhieben, entsprechend der Parallelstelle 1 5 1 2 6 .

88

Dementsprechend spricht SHOCKEY von Wirnt als „predecessor" Heinrichs; die zweite Stelle, die er als Beleg fur diese Verbindung anführt, erscheint hingegen eher unspezifisch (19000 ff. und Wig 4505-4511 sind Wegbeschreibungen, wie Heinrich viele bringt). Vgl. SHOCKEY 2002, S . 268 f. Zur Wirnt-Kenntnis vgl. auch -^2938-2988.

89

KELLEK 1 9 9 7 , S. 3 5 5 .

19229-19294 Vorgeschichte der Aventiure

519

19229-19294 Vorgeschichte der Aventiure 19232-19237: (19232 f. = GT 93) Der formelhafte Verweis auf die Le-

benserfahrung des Publikums findet trotz der stilistischen Anklänge keine Parallelen im Bereich der Sentenzen; vgl. auch 8 3 3 6 f., 2 2 3 5 9 , 2 9 7 4 0 ff.90 1 9 2 4 0 ff.: Im Unterschied zu seinem Verhalten in den Wunderketten, an die das Geschehen stark erinnert, reagiert Gawein nicht nur betrachtend und nachdenklich, sondern er fragt nach und läßt sich die Umstände erläutern. 1 9 2 5 5 : SCH slahte (stf., dementspechend sind P / S C H sie und ir in den folgenden Versen gut), Ρ/ΕΚ geschlecht (stn., daher Konjektur EK statt sie 19256). Zu den Ausfuhrungen über das hochvertige Geschlecht vgl. die Erklärungen des Gralsherren zu der erlösungsbedürftigen Gralsfamilie und dem zu sühnenden Verwandtenmord (29479-29526); es bleibt jedoch unbestimmt, ob es eine Verbindung zwischen den beiden Familien gibt. 19259: Zu magenkraft -»12672. 1 9 2 6 6 ff.: Daß der Schwarze Ritter göttlicher Abgesandter ist, erscheint als erstaunliche Wendung der Aventiure; die zunächst gezeigte Trauer der Frauen steht im Kontrast zu dem sachlichen Bericht und der Freude über Gaweins Sieg (19229 ff.). Einen vronebote als „boten gottes" (Lex 111,530 f.) nennt auch WvdV L. 12,6 (C. 4,IV,1);91 wiyenare (P/EK wissenere) ist der „peiniger, Scharfrichter" (Lex 111,959), auch 2116. 1 9 2 7 5 : SCH ein dost, P/EK eintost. Lies mit SIN würden enddst zu dasen, „zerstören": „Davon konnten sie keine Hilfe noch Trost befreien, daß sie davon erlöst würden, ohne daß Seele und Leib dabei zerstört würden."92 1 9 2 8 0 : Hier wird Gawein als Angehöriger des verdammten Geschlechts identifiziert, später bezeichnet ihn der Gralsherr als süe^er neve (—>29468), wodurch er dem Gralsgeschlecht zugerechnet wird; eine Verbindung zwischen den beiden Episoden wird somit nahegelegt. 1 9 2 8 8 ff.: Das als tödes pfant charakterisierte Land gemahnt an das Gralsreich (->14116 f., —>14121); vgl. auch das ade lant Η 1 7 3 2 3 ) . 1 9 2 9 3 f.: S C H / E K tauschen die Versfolge von P .

90

Vgl. auch GÜLZOW 1 9 1 4 , S. 208.

91

In den übrigen Belegen aus Rechtstexten immer in weltlicher Bedeutung („unverletzlicher bote, amts-, gerichtsbote"). Lex 1,455 nennt nur diesen Beleg und gibt die im Kontext befremdliche Deutung „mist". Vgl. auch Anm. EK.

92

520

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chretien-Sequenz

19295-19345 Gawein als erwarteter Erlöser 1 9 2 9 5 - 1 9 3 0 1 : Zur von vorneherein festgelegten Rolle und den Erwartungen an Gawein vgl. CORMEAU 1977, S. 132 ff. (auch —>6187-6223). 1 9 3 0 4 ff.: Mit diesem Vers setzt das letzte bekannte Fragment als Parallelüberlieferung ein: Köln 5P62 (Sigle Kö) ist ein doppelseitig beschriebenes, in vier Streifen zerschnittenes Blatt zu je zwei Spalten, das insgesamt die Verse 19304-19516 überliefert, allerdings mit Schnittverlusten (19350-19358, 19404-19414, 19460-19470 fehlen). SCHOLL kannte das in die 1. Hälfte des 14. Jh. datierte Fragment in ostfränkisch-mitteldeutscher Mundart noch nicht.93 1 9 3 0 9 : SCH: Un% iespo, da% wir sin erlöst erscheint sinnvolle Kürzung aus P: BiszytifO das wir nii sint erlöst, vgl. Kö: Wan si wir erlost,94 Vgl. auch TH: „But today God sent you to our aid and we are redeemed". 19315 f.: (= GT 93a) Diese Anspielung auf ein Sprichwort variiert ein Leitmotiv des Romans: swa^ geschehen sol, da^geschiht. Vgl. —>7216 Gaweins Exkurs über die Klage, —»11037 die Einleitung zur Ginover-Entführung, vgl. auch —> 19105—19118; zu Parallelen vgl. ShRM. Anders als 11037 ist hier nicht das Heil, sondern Gott die über das Geschehen entscheidende Instanz. Das Sprichwort verstärkt den determinativen Charakter der Erlösungshandlung: Es konnte gar nicht anders kommen, als daß Gawein das verdammte Geschlecht retten würde. Damit erhält die zunächst eher nebensächlich erscheinende Episode weiteres Gewicht im Gesamtroman und profiliert sich als Vorhandlung zur Gralserlösung (->18934-19345; vgl. auch 19320 ff.). 19323: Zur namentlichen Anrede Gaweins vgl. auch —> 19025. 1 9 3 3 4 : S C H / E K der clegelichen, P/Kö die clegeliche. Die vuorist „lebensweise, art u. weise überh." (Lex 111,573). 1 9 3 4 4 : Für einen Weg ist das Adj. genge (hier „leicht begehbar, viel begangen") bei Lex 1,857 und 111,193 nicht belegt,95 Kö schreibt das im Kontext geläufigere getriben (vgl. Lex 11,1509 f.).

93

94

95

Vgl. den Fundbericht v o n BECKERS 1 9 7 4 ; ZATLOUKAL 1 9 8 2 ; K N N S. X I . Transkriptionen

bei BECKERS und EK, zu den Abweichungen der Lesungen vgl. Anm. EK zu 19324,19329, 19366, 19456, 19484 f.; außerdem sind die Lesungen 19325 und 19402 unsicher. BECKERS 1 9 7 4 , S. 1 3 4 erwägt, ob sich hinter wan die „mitteldt. Präp./Konj. wan(ne)/wen(ne) 'bis' verbergen" könne. Dafür im übertragenen Sinn wie „unter den leuten umgehend, verbreitet", z. B. ein genges^ more, bzw. von Menschen („rüstig" etc.); ebenso auch ungenge, vgl. wip ungenge, ein hunt ungenge etc. (Lex 11,1854).

19346-20263 Der Betrug des Lohenis von Rahaz

521

19346-20263 Der Betrug des Lohenis von Rahaz L i t . : SHOCKEY 2 0 0 2 , S . 2 7 2 F . ; BLEUMER 1 9 9 7 , S . 2 0 7 - 2 1 2 ; MEYER 1 9 9 4 , S . 1 4 5 f f . ; Z A C H 1990, S. 104F.; WALSHE 1965, S. 2 0 7 - 2 1 2

(v.a. queUenkritisch).

Vgl. zu der Episode CdG 6816 ff. (dort heißt der wirklich verwundete Ritter Greorreas) sowie Pz 504,7-507,26 und 521,19-543,29, wo der Betrüger Urjans heißt (zur >Parzival6380). Chretien und Wolfram verbinden den Pferdediebstahl als Rache mit der Handlung um la male pucelle bzw. Orgeluse (->20494-20542, -»21094-21791, ->20185); Heinrich beschränkt sich hingegen auf die Betrugshandlung, besonderes Gewicht erhält bei ihm die Beschreibung des häßlichen Ersatzpferdes (19618-19948).96

19346-19482 Die Vorgeschichte des Lohenis Daß Heinrich, anders als Chretien und Wolfram, alle Zusammenhänge der Lohenis-Geschichte von vornherein erklärt, statt mit ihnen die Spannung zu halten, wurde ihm als mangelnde künstlerische Fähigkeit vorgeworfen,97 aber auch als erzählerischer Kunstgriff gewürdigt, da durch das Wissen des Publikums die ironischen Züge der Geschichte betont würden (durch Nichterkennen, Übertreibung etc.).98 19346-19385 Gawein trifft auf Lohenis, Vorgeschichte 19345: In K ö folgen zwei rot geschriebene Verse als Zwischenüberschrift: Hie wolde lohenis gawei/ Von sinem leben bracht ha·. Die darauffolgende Initiale zieht sich über fünf Zeilen und sticht damit ebenfalls hervor.99 19357 f.: Durch die Betonung des Scheins (Schein er als man von ü^en sach) und damit des Falschspiels legt die Erzählung offenbar weniger Gewicht auf die eigentliche Handlung denn auf deren Abwandlung im Vergleich zu Chretien.100 19366: Lohenis von Rahaz wurde als Exempelfigur auch schon —>5992 genannt (ebenso 9006 und —>11767). Zum Namen Lohenis vgl. —>2301 f.; er 96

SHOCKEY 2002, S. 272 f. setzt voraus, daß das Publikum „undoubtedly" die Werke Chretiens und Wolframs gekannt habe, so daß es problemlos unmittelbare Verbindungen zwischen „Lohenis and Urjäns, Maneipicelle and Orgeluse, Igern and Arnive" etc. herstellen konnte. Vgl. hingegen STEIN 2000 mit seinem eher vorsichtigen Blick auf die vorausgesetzten Literaturkenntnisse.

97

S o z . B . von WALSHE 1965, S. 209.

98

SOJILLINGS 1980, S. 79.

99

Vgl. GLASSNER 1991, S. 7 2 ff.

100 Vgl. auch MEYER 1994, S. 145.

522

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chretien-Sequenz

geht wohl auf eine Verwechslung mit dem Ländernamen Loenois zurück (u. a. Herkunft Tristans).101 Zu dem Herkunftsnamen Rahaz vgl. vielleicht afrz. /achat, „Möglichkeit des Rückkaufs" (FOERSTER 1973, S. 209), auch „das Freimachen, Lösen (von einem Wort, Pfand, Versprechen"), vgl. DAF, 494. 19378: Zur kelle (dem Hundezwinger) - > 1 1 7 6 7 und - » 1 9 4 5 6 ff. 1 9 3 8 0 : Lies mit Kö hie^ in ( P / S C H / E K ohne Personalpron.). 1 9 3 8 5 : P / S C H / E K lesen wohl sinnvoller: als der site stät, Kö als der site hat. 19386-19446 Exkurs: Männer und Frauen auf Reisen; vom Umgang mit Vergewaltigern Heinrich hat — » 7 8 7 0 — 7 8 8 3 (Gawein mit Aclamet auf dem Weg nach Serre, vgl. dort auch zu Parallelen) mit ganz ähnlichen Worten vom gemeinsamen Reisen einer meide mit einem Ritter berichtet; v.a. von der Grundregel, daß die Frau nicht gegen ihren Willen zur minne gezwungen werden durfte. Hier wird nun auch die Strafe für einen Ritter benannt, der sich nicht an diese Konvention hält: Er wird geächtet und in die kelle gesperrt, wo er der hunde geselle sein muß ( 1 9 4 5 8 , vgl. ebenso CdG 7 0 2 8 f.). Mit der Bedingungslosigkeit der Strafandrohung setzt sich Heinrich von einer vergleichbaren Passage ChCh 1 3 0 2 — 1 3 1 6 ab, wo ein fahrender Ritter einer ihm begegnenden Jungfrau zwar nichts tun darf, jedoch eine Ausnahme zugelassen wird: Falls er einen die Frau begleitenden Beschützer im Kampf besiegt hat, gilt: Sa volonte an poi'st faire/ San% honte et san£ blasme retrain}"1 Eine ausführliche Betrachtung gemeinsam reisender Paare in der höfischen Literatur103 findet sich bei KAISER 1 9 8 3 , der zu dem Ergebnis kommt, daß die Ferne vom Hof zunächst als besondere Betonung der Minne empfunden wird.104 Im >Erec< ist das gemeinsame Reiten jedoch negativ besetzt (das Paar ist sich fremd geworden); in den späteren Romanen folgen schließlich nicht mehr Liebespaare zusammen dem Ideal des chevalier errant nach, sondern die Ritter werden von Botinnen und anderen juncvroumn begleitet, während ihre Partnerinnen zu Hause auf sie warten. Ein weniger rücksichtsvolles Bild vom Verhältnis zwischen Männern und Frauen am Artushof zeichnet der Autor 23136 ff. in dem Minnexkurs der 101 Vgl. "OfesT 1969, S. 104. 102 „Er könnte seinen Willen an ihr haben, ohne damit Schimpf und Schande auf sich zu ziehen." 103 So u.a. Lanzelet und Iblis, Orilus und Jeschute, Sigune und Schionatulander, Erec und Enide, Tristan und Isolde in der Minnegrotte, Tandareis und Claudin. 104 v.a. in der Verbindung dreier Konstituenten ritterlichen Daseins: dem chevalier errant, der höfischen minne und der aventiure, vgl. K A I S E R 1983, S . 80.

19386-19446 Exkurs: Männer und Frauen auf Reisen; Umgang mit Vergewaltigern 523

Handschuhbotin. Zur Lebensform des chevalier errant äußert sich Heinrich häufiger (vgl. -»8632-8635, ->9077ff., ->18672f., ->25836ff.). 1 9 3 8 7 : Der Verweis auf das^ buoch könnte hier ausnahmsweise tatsächlich auf Chretien verweisen (vgl. ChCh 1302-1316, CdG 7023-7045 zu der Thematik), statt fiktive Berufung zu sein. 1 9 3 9 0 : P / S C H / E K : Allermeist erdäht und vunden\ Kö: Aller meiste erfunden. 1 9 3 9 3 : P / S C H / E K Der was, K ö Der hof

was.

sunder huote, Kö holder hüte. 1 9 4 0 3 : In Kö fehlt jeder Hinweis auf den Beginn des neuen Abschnitts, ebenso 19447 und 19483. 19414 f.: Das beschriebene Selbstbestimmungsrecht der reisenden Frau steht den Rechtsspiegeln nahe; vgl. >Sachsenspiegel< (Landrecht, III 46 § 1): An uarenden wiuen. unde an siner amien mach en man not dun unde sin lif uorwerken of he se ane iren dank heleget.105 1 9 4 1 7 : P / S C H / E K : Tet [von] keinerhant, Kö: [T]et von keinem. 1 9 4 2 6 : Lies mit Kö starke·, P / S C H / E K unma^ec erscheint jünger: Alle anderen Belege stammen aus der Zeit von Ende des 13. Jh. bis ins 15. Jh. (Lex 11,913). Allerdings ist Kö in den Verstärkungen auffällig einseitig und schreibt in den wenigen überlieferten Versen gleich fünfmal stark, Ρ hat an den entsprechenden Stellen zweimal gros^ einmal unmessgg und zweimal hart. 1 9 4 2 9 : P / S C H / E K Da% ein ritter, Kö mißverständlich Da% in ein ritter. Der Ritter hier ist derjenige, der in lasen mlde (19434); in der Geschichte des Lohenis hat Gawein diese Rolle übernommen (19472 ff.). Wer den in der kelle sitzenden Vergewaltiger befreien möchte, muß zwanzig Ritter nacheinander besiegen (ohne Fehler zu machen) und der geschändeten Frau übergeben; diese darf die Gefangenen dann als ihr Eigentum behandeln. 19440 ff.: SCH schreibt zweimal müese, während beide Hss. den Indikativ mus^ (P), must (Kö) haben. Die beiden Aussagen sind offenbar als Alternativen gedacht (vgl. 19475 ff.): Er muß das Land für sieben Jahre verlassen, wenn sein Opfer ihn nicht heiraten möchte. So 19442 ist wohl im Sinne eines Gegensatzes zu lesen, vgl. Lex 11,1048. 19445: P / S C H / E K notnunft, Kö not^ogvnge (ebenso 1 9 4 5 3 ) . Zu dem geläufigen Verb nötigen verzeichnet Lex 11,116 lediglich die Verbalabs trakta notgeyoc und notqehunge, beide eher abgelegen überliefert, außerdem not^pcfnötige (Belege aus dem 1 4 . - 1 6 . Jh.) und notyüge (Lanz 6 8 9 3 ) . Verbreitet dagegen ist das Subst. notnunft (vgl. Lex 11,112). 106 19402: P/SCH/EK

1 0 5 E d . SACHSE ( 1 8 4 8 ) , S. 2 5 9 (zit. n a c h KAISER 1 9 8 3 , S . 9 4 ) .

106 In der eigenwilligen Form in Kö vermutet BECKERS 1974, S. 134 einen Hinweis auf mitteldeutschen Einfluß auf das Fragment, da sie auch im >Sachsenspiegel< zu finden sei.

524

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chretien-Sequenz

19447-19482 Lohenis als Vergewaltiger Die vf einer heyde, KÖ/SCH/EK Die er u f . SCH bessert zudem (entsprechend Kö) den Reim Ρ megde: heyde zu meide: beide. 1 9 4 5 6 ff.: Zu kelle auch -> 11767. Vgl. ebenso CdG 7028 f.: Avec les chiens mangier un mots,/ Les mains Hees ins le dos.107 Aus dieser Stelle geht deutlich hervor, daß die kelle nicht einfach ein Gefängnis ist, sondern daß der Übeltäter zu den Hunden gesperrt wird. Vgl. hingegen Lex 1,1540 f., der für alle Belege in der >Crone< lediglich angibt: „verächd. gefangnis für menschen". 1 9 4 7 4 : Zu der bereits beschriebenen Auslösemöglichkeit vgl. 1942819446 (—>19429). 1 9 4 7 5 : versprechen hier im Sinne von „zurückweisen, verschmähen" (Lex 111,246); der Regelung 19440 ff. zufolge mußte Lohenis demzufolge das Artusreich für sieben Jahre verlassen (so 19483 ff.). 19450: Ρ

1 9 4 8 3 - 1 9 6 1 7 Lohenis erschleicht Gaweins Hilfe 19483-19505 Feigheit und List des Lohenis Zur fehlenden Markierung des Abschnittsbeginns Kö -»19403. P/Kö/EK schreiben nimmer mer verlief SCHÖLLS Konjektur zu lie^ scheint nicht wirklich nötig. 1 9 4 9 6 : Kö liest wei% ohne Negation. 1 9 4 9 7 : sinnec ist Konjektur SCHÖLLS; die Handschriften lesen beide unklar. Ρ läßt sich sinic, aber auch snuc oder smit lesen.108 Kö ist an der Stelle verderbt.109 Wäre vielleicht smic oder smink zu smicke, sminke, „Schminke"110 zu lesen? Der Zusammenhang wäre dann zu verstehen: „Er ließ sich mit List eine offene Wunde machen, ich weiß nicht wie, nur daß sie geschminkt war" (das „nur" entspräche einem verkürzten wan vor da% sie smink was). Andere Deutungsmöglichkeiten wären schime (zu scheme, „Schatten, Larve, Maske", allerdings kein Adj. belegt, vgl. Lex 11,698) bzw. schinec (zu schinen, „sichtbar werden, sich offenbaren" etc., vgl. Lex 11,751). 19483:

19486:

107 „Einen Monat lang mit den Hunden essen, die Hände hinter dem Rücken gebunden." 108 Langes „s", vier Schäfte mit Querstrich auf dem letzten, „c" mit auffällig geradem oberen Bogen. 109 BECKERS 1974, S. 133 liest nur schi[...], ebenso EK. 110 Vgl. Lex 11,1010, belegt für Wilhelm von Österreich.

19506-19543 Gawein verarztet Lohenis

525

19506-19543 Gawein verarztet Lohenis 19507: P/SCH/EK:

Den recken er niht me enkant, Kö: Den recken er mit niht

bekant. 1 9 5 0 9 : Während Heinrich sich in manchen Bereichen sehr um realistische Erklärungen füir scheinbar Unerklärliches bemüht (—>15830), zieht er hier bei einem weitaus leichter erklärbaren Phänomen kurzerhand %ouber als Legitimation heran. Daß Gawein Lohenis nicht wiedererkennt, scheint nach sieben Jahren erklärlich; weniger hingegen, daß der medizinisch Erfahrene die obskure Wunde nicht als Fälschung erkennt. Die Tatsache, daß Lohenis zur rechten Zeit am richtigen Weg liegt, entspricht den „zufälligen" Begegnungen im gerade richtigen Moment der ersten Romanpartie (—>11242—11284). Hingegen scheinen die vielen Zufälle bei Chretien und Wolfram besser harmonisiert Bei ihnen ist der Ritter wirklich verwundet, er nützt erst spontan die Hilfsbereitschaft aus, als er Gauvain/Gawan erkennt und es ihm dank dessen Hilfe schon wieder deutlich besser geht. Hier ist womöglich der Hang zur Rationalisierung (—>7088 ff.) verantwortlich zu machen: Wollte Heinrich den immerhin erstaunlich schnellen Wandel vom lebensgefahrlich Verwundeten zum Pferdedieb erklären? 1 9 5 1 4 : S C H / E K vil grß^e triuwe ( P mit großer truwe), die Wiederholung (vi/ gro^e riuwe) im folgenden Vers spricht eher für die Lesart Kö (vil michel truwe). 19516: Mit diesem Vers endet die Parallelüberlieferung in Kö, das letzte Drittel des Romans ist ausschließlich in Ρ bezeugt. 19521: Es fallt auf, daß Gawein durch seine namentliche Anrede (wieder 1 9 5 4 4 ) nicht stutzig wird; außerhalb der Wunderketten- und Gralssphäre geht er sonst sehr bewußt und selbstsicher mit seiner Identität um (vgl. z.B. sein Spiel mit dem Inkognito — > 6 1 8 7 - 6 2 2 3 , seine stolze Selbstvorstellung

bei Quoikos - > 1 7 6 3 2 - 1 7 6 3 5 ) .

ff.: Zum Motiv des heilkundigen Ritters vgl. HAUPT 1 9 9 1 , S . 1 0 8 f. (zu Gawan im >ParzivalCröneCrone< beschrieben werden (der Bote des Königs Priure, der Riese Assiles, das wilde Weib), handelt es sich bei dem Bauern nicht um eine Gestalt der Märchen- und Sagenwelt, bei deren Beschreibung Mischwesen aus Mensch und Tier gestaltet werden, sondern um eine „reale", ständisch gebundene Figur, daher liegt der Schwerpunkt der Darstellung auf der durch Krankheit noch verstärkten körperlichen Mißbildung. 19618-19697 Kopf und Gesicht des Bauern Statt P/SCH/EK: An linder rede liest EHR einfacher: Under der rede. Ein unkunder (nochmals in der dritten Wunderkette 28704 und 28708) ist ein „untier, ungetüm, monstrum" (Lex 11,1904, alle anderen Belege sind deutlich jünger). 1 9 6 3 1 : Der swindahs (P/EK swyn dahs$ ist sonst nicht belegt (Lex II, 1375), es muß wohl unbestimmt bleiben, was Heinrich mit diesem Tiernamen verband.116 19632 f.: Verständlicher wird der Dreireimabschluß, wenn dieser und der folgende Vers getauscht werden. Statt SCH beschuof (P beschaff) zu dem nur hier belegten Verb beschepfen, „benetzen" (Lex 1,206) liest SIN besouf (besoufen für „eintauchen, ertränken", vgl. Lex 1,222 mit weiteren Belegen). 19623: 19629:

115 Vgl. S E I T Z 1967, S. 14 ff., Zitat S. 27. 116 Zur Bekanntheit des Dachses vgl. LdMA 3,427 f. Tatsächlich existiert eine Gattung der Schweinsdachse (Arctonyx collaris), die wie alle Dachse lange, rauhe Oberhaare hat und sich durch eine rüsselartige Nase unterscheidet Allerdings lebt diese Gattung nur in Waldgebieten Asiens. Vgl. http://www.das-tierlexikon.de/dachse.htm am 15.02.2004.

528

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chretien-Sequenz

19635: Zu gelest („glänzend"?) vgl. Anm. E K (vgl. Anm. KNN ZU 4660). 1 9 6 4 0 : Die hiufel (Ρ/ΈΚ heufei) sind wohl die „wangen" (Lex 1,1308), so auch 2 2 0 7 1 . 1 9 6 4 3 : SCH geniumt

hernüwef) entweder als Neologismus zu nou, nouwes, „eng", also im Sinne von „verengen" (vgl. SIN) oder aber zu niuwen, „stampfen, zerstossen, zerdrücken" (daneben auch bildlich „erschöpft, ermattet", vgl. Lex 11,95); vgl. auch Anm. EK. 1 9 6 4 7 ff.: erboln, „aufgeworfen" ist nur hier belegt, zu boln, „werfen" gebildet (Lex 1,618, 3 2 4 ; vgl. - > 1 5 7 0 1 ) . Zu erholt vgl. das bei Herbort von Fritzlar belegte erhüln, „hol machen" (Lex 1,638) füir „zerfurcht"; es ist ebenso wie gewunden (P/EK gewunnt) auf das die Stirn überziehende Geflecht der Adern bezogen. 19656 f.: Zur Personifikation der Natur ->7913. 1 9 6 5 9 : Zu dem Adj. gelüch („geschwollen") vgl. —>6036 f. sowie Anm. (P

EK.

19665: reit ist kontrahiert zu ragen, „in die höhe stehen, hervorragen" (Lex 11,334). 19682 ff.: Der Bart war sehr dünn (gedrange, v. a. „gedränge" (Lex 1,774) meint hier wohl „Dichte"), man hätte alle Haare zählen können. 19686: gelanc (P gelang) nur hier und 9345 in der Bedeutung „Krümmung, Locke". Die Barthaare waren also ebenso wenig gekrümmt wie eine scharfe Ahle. In der Vergleichsstelle sind die Körperhaare des wilden weip wie Igelhaare und Schweineborsten ohne gelanch. 19698-19746 Oberkörper und Arme des Bauern 19701: kragebein ist nur hier nachgewiesene Analogbildung zu dem häufigeren halsbein (so 1 1 2 8 2 , vgl. Lex 1 , 1 7 0 3 und 1 1 5 6 ) . 19707: sgterochen ist ebenfalls nur hier belegt, ein „flechtenartiger ausschlag, zittermal".117 1 9 7 1 4 : Die wavgersuht ist „die krankhafte, meist auch äuszerlich bemerkbare ansammlung von wässeriger flüssigkeit in organischen körpern", bereits im A h d . belegt (vgl. D W b 2 7 , 2 5 2 5 ff.).

Zu gelüch, „geschwollen" vgl. ->6036 f. und 19659. 19725: Lies mit Ρ Ein krümbe. 1 9 7 3 9 : SCH/EK: verwirdic horn, Ρ: wer virdig hare. Statt des sonst nirgends belegten verwirdic (Lex 111,310 deutet mit Fragezeichen „verdorben") vielleicht zu bessern mer[e\ virdic. das immerhin zweimal überlieferte Adj. virdic stellt Lex 111,362 zu vime, „alt" (Lex 111,366); vgl. auch Anm. E K . 19715:

117 Vgl. Lex 111,1139; SCHMELLER 1872, Bd. 2,1164 f. stellt es als „Flechte" zu frz. „la dartre".

19747-19786 Beine und Füße des Bauern; Reaktion der Nature

529

1 9 7 4 7 - 1 9 7 8 6 Beine und Füße des Bauern; Reaktion der Nature 19754: Das Adj. nagelos ist nur hier belegt (Lex 11,17). 19761: Statt P/SCH hären lies mit E K harwe, zu bar, -ms, „flachs" (Lex 1,1182), vgl. auch Anm. EK. 118 19764: P / E K Sie, SCH Si könnte als Imperativ oder Konjunktiv zu sin gedeutet werden. EHR liest Was statt Sie und versteht 1 9 7 6 2 - 1 9 7 6 4 als Apokoinu. 19771 ff.: Den Gedanken, die Häßlichkeit sei von der Natur verschuldet, kennt auch Matthieu de Vendome (—>19618—19786), bei dem die Figur des Beroes als naturae desipientis opus119 dargestellt ist. Heinrich greift das Moment des „Unsinnig-Seins" der Natur nun auf, indem er diese sich selbst von ihrem mißratenen Werk distanzieren läßt: sie verweigert die Erinnerung an ihre Schöpfung. 120 19779: SCH mantuom zu P / E K mantüel·, die Bildung mit dem Suffix -tuom ist aber nur hier belegt, sonst manheit (Lex 1,2039). EHR bessert zu: Da man wil unt menscheit\ vgl. auch Anm. E K . 1 9 7 8 7 - 1 9 9 5 6 Die Mähre Lit.: KRATZ, Hipp. 1989. Zur Einordnung dieser Beschreibung vgl. zu —>19618-19786. Neben C d G 7074—7191 (das häßliche Reittier des escuier) dürfte als Gegen-Vorbild vor allem Hartmanns Beschreibung von Enites Pferd zugrundeliegen (ErH 7264— 7787). 121 Vgl. auch die descriptio von Camillas Pferd und Satteldecke En 5241— 5289; weitere solche Darstellungen finden sich auch Pz 520,6—9 (das auf allen Vieren lahmende Pferd Malcreatiures) sowie Pz 2 5 6 , 1 7 1 - 2 8 (das unterernährte und ungepflegte Pferd Jeschutes).

stellt es zu afrz. haire, „Büßergewand". 119 „Werk der törichten Natur"; >Ars Versificatoria21094-21791) verläuft nach demselben Schema wie die Zöllner-Kämpfe der Assiles-Handlung: Der Kampf ist un-

20486-20542 Kampf gegen den Ritter der Mancipicelle

543

ausweichlich, Karadas muß Gawein hinfuhren (20500). Allerdings wirkt die Epsiode sehr routinemäßig: Gawein stellt sich der Herausforderung ohne weitere Fragen, setzt den Gegner in den Sand und überantwortet ihn dem Fährmann. Mit diesem zweiten Kampf bringt Heinrich nun Mancipicelle in die Handlung, die bei dem der Vorlage entsprechenden ersten Kampf (um Gaweins Pferd) ausgeklammert war. Heinrich hat die verschiedenen Aspekte des einen Kampfs bei Chretien145 auf zwei verteilt: Im ersten Durchgang wird die Betrugshandlung um Lohenis endgültig abgeschlossen, zudem der Lohn für den Fährmann erworben. Hier bewährt er sich auch vor den Augen einer Frau, der Fährmann erhält nun gleich doppelten Lohn. 2 0 4 9 5 : SCH ilen, PfEKjIetid. übervar, „der platz wo man überfährt" (auch 21319) ist nur für die >Crone< belegt (Lex 11,1671). Während die magt 20527 namentlich vorgestellt wird, bleibt ihr Ritter anonym. 21707-21715 gesteht Mancipicelle schließlich, Gawein im Auftrag von Lohenis und Ansgü zu Giremelanz geschickt zu haben; ob der hier besiegte Ritter mit einem der beiden identisch sein könnte, ist unklar. 20512 ff.: (= GT 99) Können und Glück, Kühnheit und männlichen Mut braucht Gawein als huote im bevorstehenden Kampf, sie sind die zuverlässigen Beschützer eines Mannes (formelartige Rede ohne sentenzhaften Hintergrund). 2 0 5 1 9 : Zu rand als pars pro toto für den Schild —>6401 f. 20527: Lies mit den beiden anderen Nennungen 21098 und 21679 Mancipicelle (statt SCH Maneipicelle, P/EK Maneypicelle). Der Name dürfte zu Chretiens Beschreibung seiner entsprechenden Figur gebildet sein: la male pucele (CdG 8467, „das schlimme/ böse Mädchen").144 Heinrichs Figur übernimmt die Rolle der Orgeluse bzw. der l'Orgoillouse De Nogres (CdG 8550 f., in den anderen Hss. de hogres), wird jedoch nur flüchtig charakterisiert, da sie nicht die Rolle der zukünftigen Partnerin Gaweins einnehmen wird, sondern lediglich für die Geschichte um die Blumen des Giremelanz gebraucht wird (dort handelt sie nicht aus eigenem Antrieb, sondern wird von Lohenis angestiftet, vgl. —>20495, 21665 ff.).

145 Bei Wolfram ist es ebenfalls nur einer, er teilt den Kampf gegen Lischoys Gwelljus allerdings in zwei Kampfgänge auf. 146 WALSHE 1965, S. 217 liest den Namen als Abwandlung von Chretiens Bezeichnung La Pucele as Manches Petites für Heinrichs Quebeleplus; warum Heinrich die beiden Figuren hier zusammenbringen sollte, übergeht er jedoch.

544

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chretien-Sequenz

2 0 5 4 3 - 2 0 8 5 3 Die Nacht auf Burg Salye 20543-20633 Ankunft auf der Burg 20565: Die Figur des reichen stellare findet sich bei Chretien (CdG 7567), Wolfram hat sie durch einen Krämer ersetzt. Während der eschatier CdG 7564 ff. nur stumm vor der Pforte sitzt, schnitzt und Gauvain mit seinem ortskundigen Führer eintreten läßt, entspricht er hier einem Wächter der Unterwelt, der Gawein nicht einlassen will;147 vgl. ähnlich Ywaüns abschreckenden ersten Auftritt (—>5767—5848). Zusätzlich tritt er bei Heinrich noch einmal in Erscheinung, um den von Gawein zu bekämpfenden Löwen einzulassen (20891 ff.), eine Doppelfunktion, die weder Chretien noch Wolfram kennen (dort macht das jeweils ein Bauer). BLEUMER interpretiert die ambivalente Figur, die wie ein mittelalterlicher Bettler vor dem Burgtor sitzt, statt um Almosen zu schmeicheln jedoch Reichtum zeigt und Gawein beschimpft, als ein Element der Tugendprüfung, der sich Gawein unterziehen muß, er lehnt jede Unterweltverbindung ab.148 2 0 5 7 7 : SCH dörpel, P / E K türppel. 20580ff.: Zu dem stockschwingenden Angriffsgestus vgl. z.B. die Figur des schwarzen Bauern in der ersten Wunderkette (14290 ff.). 20587: Während Chretien zunächst nicht darauf eingeht, was die beiden Männer mit ihren Pferden beim Betreten der Burg machen, erwähnt Heinrich hier einen kluogen marstal (Wolfram läßt den Krämer die Pferde hüten). Erst nach den bestandenen Aventiuren wird Gauvains Pferd bei Chretien in einen Stall geführt, bis dahin war es draußen geblieben (CdG 7814 f.). 2 0 6 0 1 : Zu dem wunderlich bette -»20439 ff. 2 0 6 0 8 : Lies mit P / E K keiner (SCH deiner ist wohl Druckfehler). 2 0 6 1 2 : SCH mohte, P/EK Konj. mähte. 2 0 6 1 9 : Dar üf bezieht sich auf den palas (20600), nicht etwa auf das ausfuhrlich beschriebene Bett. 20620-20633: (20624 f. = GT 100) Die Bemerkungen über die perfekte Gastfreundschaft der magt, an der auch ein kritischer truhsa^e nichts auszusetzen hätte, variiert wiederum die Kommentare über gute und schlechte Wirte (—>6231-6250). Zu dem Motiv der ratgebenden Diener vgl. TPMA 2, „Dienen" 9.10.10: „Man soll den guten Rat des Dieners beachten." 20633: Das reimbedingte schwach hier als Opposition zu grov^ also „klein" (vgl. Lex 11,1330: „gering").

147 So auch BUSCHINGER 1981, S. 10. 1 4 8 BLEUMER 1 9 9 7 , S. 2 1 3 f. m i t A n m . 4 9 .

2 0 6 3 4 - 2 0 6 8 4 Gawein läßt sich nicht vom Wunderbett fernhalten

545

20634-20684 Gawein läßt sich nicht vom Wunderbett fernhalten 20634 f.: Zum Aufheben der Tische —>7335. SCH/EK Hern Gawein, Ρ Her Gawein. 20639 f.: Zu der von Anm. SCH als Parallele zur Syntax herangezogenen Passage AH 24 f. vgl. ausfuhrlich Anm. EK mit dem Fazit: „lediglich Gen. für den Inhalt der Bitte ist analog". 20643: betragen mit Genitiv für „verdriessen" (Lex 1,239), bereits 12145. in bezieht sich auf Gawein. 20647: Lies mit SIN immer (statt P/SCH/EK nimmer). 20657: SCH/EK

varn, Ρ mit geuaren.

20668-20684: Der gesamte Dreireimabschnitt umfaßt - eingebettet in Gaweins Insistieren, die Aventiure von Salye bestehen zu wollen — einen Exkurs über das vorbestimmte und daher nicht zu beeinflussende Sterben. Diese Haltung dem Tod gegenüber entspricht dem Selbstverständnis eines chevalier errant, der keine Angst vor dem Tod haben darf, wenn er seiner Bestimmung folgen möchte. Zu der Auseinandersetzung mit dem Thema Tod vgl. v.a. die erste Wunderkette (—>13925-14926) sowie die Begegnung mit dem andern Gawein Aamanz, daneben sind zahlreiche andere Episoden der Gaweinhandlung als descensus-YLti&hmngtn deutbar. 20670 ff.: SCH muo^ P/EK müs%. Diese Anspielung auf eine Sentenz hat einen biblischen Hintergrund (vgl. Hbr 9,27); die Feststellung, daß jeder nur einmal stirbt, dient als verharmlosende Ablenkung vom verderben. Vgl. auch Lanz 7344 f.; weitere Parallelen ShRM; TPMA 11, „Tod" 4.1.1: „Man stirbt nur einmal". 20676-20681: (20679 f. =GT 100a) „Ich weiß, daß es heißt, daß ich sterben muß, wann immer es an der Zeit ist; vor seinem Tod stirbt hingegen niemand, auch ich nicht." Diese Zusammenstellung aus einer Anspielung auf ein Sprichwort und einer Sentenz betont den Aspekt der Vorherbestimmung, greift zugleich aber den scherzhaften Ton der Eingangsformulierung noch einmal auf. Gawein versucht, im leichten Konversationston mit seinem eigenen Tod umzugehen, der schon für viel Aufregung gesorgt und gezeigt hat, welche Bedrohung er für das Artusreich darstellen würde (vgl. die im Hintergrund anhaltende Trauer am Artushof um den immer noch Totgeglaubten). Vgl. ähnliche Aussagen Lanz 1613 ff., Wig 7661 ff., AH 713 ff., ErH 8156. Zahlreiche Parallelen im ShRM und TPMA ll„,Tod" 3.5.1: „Wir wissen nicht, wann, wo und wie wir sterben"; ebd. 4.1.2: „Man stirbt nur zur festgesetzten Zeit". 20684: Zu der Sentenz vgl. ->6092, ->7289, 22615 ff. Zu antiken Parallelen vgl. ShRM; TPMA 5, „Glück" 12: „Bei wem Glück ist". Sie schließt Gaweins Ausführungen zum vorbestimmten Tod auf positive Weise ab: So-

546

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chretien-Sequenz

lange seine Zeit nicht gekommen ist, wird er mit Hilfe des heils erfolgreich seinen Aufgaben nachgehen können statt sich ängstlich zu schonen. 20685-20775 Nacht im Wunderbett, Klage um Gawein 20695 f.: Als Alternative zu dem rührenden Reim (->9720 f.) tot: tot schlägt Anm. EK vor: Den wanden sie geiigen dot/ Wann voryme maniger not. 20700: Lies wohl besser PI. slieffen, bezogen auf die vrouwen, deren Kummer in den vorigen Versen dargestellt wurde; die meit 20690 dürfte kaum eigens erwähnt werden. 20705: Das Bett ist mit schellen verziert, die sich auch in anderen Werken als Ausstattungsdetail finden lassen; sie haben hier eine doppelte Funktion: Ihr litten vil helle verstärkt zunächst die betäubende Wirkung des wild umherrasenden Bettes, zugleich kündet es den Frauen auf der Burg, daß die Prüfung ihres Gastes begonnen hat (20721 ff.). Nach dem glücklichen Abschluß der Tugendprobe stimmen die Schellen dann in den Jubelgesang der Männer mit vil süe^em tone ein (20953 f.), das bedrohliche täten ist gewichen.149 20707: Heinrich verbindet offenbar verschiedene Angaben Chretiens: Dieser berichtet einerseits von den fünfhundert Bogen und Armbrüsten, die das Schloß nach außen hin verteidigen (CdG 7434 ff., Gaweins Gastgeber begleitet ihn deshalb zu seinem Schutz auf die Burg), andererseits von vierhundert geschlossenen und hundert geöffneten Fenstern des Palas (CdG 7650 f.). Als Gauvain sich auf das Wunderbett setzt, öffnen sich die Fenster und Bolzen und Pfeile fliegen herein (CdG 7746 f. Que par les fenestres volerentf Carres et saietes leian%).m Chretien betont, daß niemand sehen konnte, woher diese kamen, noch welche Schützen sie verschossen (CdG 7752 ff.).151 20709 ff.: Vgl. die Erläuterungen BUMKES zur Parallelstelle Pz 569,5 ff.: „Es ist bezeichnend, daß Armbrust- und Bogenschützen, deren schlachtentscheidende Bedeutung bereits seit der Schlacht von Hastings im Jahr 1066 offenbar war, in der höfischen Dichtung nur dort vorkamen, wo eine unritterliche und heimtückische Kampfweise geschildert wurde, zum Beispiel im Abenteuer von Schastel marveile, wo Gawan unvermutet aus dem Hinterhalt von einem Pfeilregen überschüttet wurde, gegen den er sich nur mit großer Mühe schützen konnte".152 149 Vgl. auch EITSCHBERGER 1999, S. 132-140, bes. S. 137. 150 „Durch die Fenster flogen/ Bolzen und Pfeile herein";

cams zu quarret\

„Bolzen"

(FOER-

STER 1 9 7 3 , S . 2 0 6 ) .

151 Zur Darstellung des Wunderbettes vgl. auch K E E F E 1982, S. 104 f.; trotz der Detailfülle entstehe kein „kohärentes" Bild: „die Raumveigegenwärtigung wird von der Art der Handlung bedingt und steht ganz in ihrem Dienst". 152

BUMKE 1 9 9 0 , S. 2 3 4 .

20685-20775 Nacht im Wunderbett, Klage um Gawein 2 0 7 1 3 : D i e g l e i c h b e d e u t e n d e n stmle

unde p f i l e ( P / E K stmle)

547 werden häu-

figer als Doppelausdruck verwendet, vgl. Lex 11,1223 (z.B. in >PassionalRenner< oder >TrojanerkriegRabenschlacht< 1039,6, vgl. MHDBDB). Zum Klagegestus 16871 ff. 2 0 8 3 8 — 2 0 8 5 2 : Das humoristisch wirkende Zwischenspiel um den nackten Gawein hat Heinrich dem Geschehen bei Chretien hinzugefügt (vgl. auch —>20721 ff.). Heinrich betont damit noch stärker den Charakter der

20854-21093 Gawein als Gewinner der Burg

549

Tugendprobe:154 Gawein hat sich zum Schlafen niedergelegt (den Gepflogenheiten gemäß ohne seine Kleider) und wird im Einschlafen von den Pfeilen überschüttet, die ihm aber nichts anhaben können (20717 f.). Chretien betont hingegen ausdrücklich, daß Gauvain sich vollständig bewaffnet auf das Bett setzt (CdG 7737 ff.). Damit löst er den Mechanismus aus und wird von Pfeilen verletzt, die er wieder aus seinem Schild herauslösen muß (CdG 7762 ff.), bevor er auf den Löwen trifft. Erst der wieder hinzukommende Fährmann ermuntert ihn schließlich, seine Rüstung abzulegen, da nun keine weiteren Gefahren mehr zu erwarten seien (CdG 7794 ff.). Heinrich läßt hingegen Karadas Gawein beim Anlegen der für den erst jetzt auszutragenden Löwenkampf nötigen Rüstung helfen (20855 ff.).

20854-21093 Gawein als Gewinner der Burg 20854-20943 Löwenkampf 20878: Gegen zwei Löwen hatte Gawein erfolgreich in der Maultierzaumepisode gekämpft (—>13186-13344), die beiden Kampfdarstellungen sind im Ablauf vergleichbar. 20881: Statt SCH durch lies mit P/EK dock Selbst wenn Gawein nicht allein wäre, wäre der Sieg schwierig genug zu erringen. 2 0 8 9 4 : Der dazugehörende Reimvers ist offenbar beim Seitenwechsel in Ρ verloren gegangen. Zu ergänzen wäre wohl ähnlich der Darstellung Gansguoters mit der helmbarte (13052 f. (nach D): Ein breit beim harten/ Er üb' den rukgevienc, auch —>13146 f.): Ertruocufdem rücke (o.ä.).157 Vgl. die Darstellung bei Chretien: C'uns vilains a un pel feri/ En un huis, et Ii buis ovri,/ Et un lions (CdG 7769 ff.).158 2 0 9 0 6 : Die Reaktionen des Löwen stimmen wörtlich mit denen von Gansguoters Löwen 13241 überein. 2 0 9 3 2 : Sinnvoll erscheint SIN: Den schilt vorne er nider lie (statt P/SCH/EK hie): Indem Gawein den Schild senkt, kann er die darin festgekrallten Tatzen des Löwen abschlagen. 156 Vgl. hingegen die Interpretation bei BLEUMER 1997, S. 215f., der diesen „Scherz" v.a. in seiner Kontrastfiinktion zu der bei Wolfram betonten keuschen Atmosphäre auf Salye sieht. 157 Zu brücke bzw. brücken ist rücke/rücken der hauptsächlich bei Heinrich vorkommende Reim, vgl. 6 8 2 9 f., 1 3 6 8 5 f., 1 5 6 1 6 f., 2 7 4 9 6 f., 2 8 9 2 6 f.; einzige Ausnahme ist 2 7 2 4 0 f. brücke-.berücke. Vgl. PFOSER 1 9 2 9 , S. 2 9 3 . 158 „Denn ein Bauernlümmel mit einem Pfahl schlug gegen eine Tür, und die Tür öffnete sich und ein Löwe [...]" Die von WARNATSCH (>Mantel< S. 126) und wieder GÜLZOW 1914, S. 244 geforderte Ergänzung aus Pz 569,28 ff. muß nicht unbedingt auf die Quelle verweisen.

550

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chrenen-Sequenz

20944-21017 Freude über Gaweins Erfolg Der Vergleich mit Chretien zeigt, daß Heinrich in den folgenden Passagen stark gekürzt und vereinfacht hat: In der Vorlage folgt auf die Begrüßung durch Gauvains Schwester und seine Entwaffnung zunächst dessen Erkundungstour mit dem Fährmann, dabei erfahrt Gauvain, daß der Herr des Schlosses dieses niemals verlassen dürfe und versinkt in Trauer (CdG 7953). Seine Schwester berichtet diesen Stimmungswandel ihrer Großmutter, der es in einem ausführlichen Gespräch über den Artushof gelingt, Gauvains Laune zu bessern (CdG 8032—8121); dabei erfährt sie, daß er zu den Tafelrundern zählt. Nach einem Abendessen in dem Saal des Wunderbettes schläft Gauvain in demselben; am nächsten Morgen sieht er vom Turm aus, wie Orgoillouse mit ihrem Ritter herangeritten kommt; auf Fürsprache des Fährmanns darf Gauvain das Schloß verlassen, um mit diesem Ritter zu kämpfen (dabei bedingt er sich von der Königin aus, sieben Tage lang anonym bleiben zu dürfen, C d G 8266 ff.). Nach seinem Sieg läßt er sich von der Dame zu Guiromelant schicken und spricht mit diesem einen Kampf ab. Während er schließlich seiner Schwester dessen Liebespfand überreicht, denken die Mutter und Großmutter unter sich über eine mögliche Heirat nach, sprechen Gauvain aber nicht darauf an (CdG 8883-8915). Mit der Schwertleite der Knappen und der Sendung des Boten zu Artus bricht der >Conte du Graal< ab. 20946 ff.: Der Lobgesang, den Karadas und der steigere anheben, fallt aus dem üblichen Rahmen; gesungen wird sonst nur bei Frau Saelde (15877 ff. singt die schar γ or dem Thron ein Lob), allerdings fugt sich der Gesang dort in den insgesamt sakral-zeremoniellen Stil der Passage. 20948: sigenunft („siegnahme, sieg, triumph") nochmals 28246; gehört traditionell v.a. in den Wortschatz der geistlichen Dichtung und hat erst gegen Ende des 13. Jh. verstärkt Eingang in die weltliche Literatur gefunden; vgl. die Belege bei Lex 11,917. 20953 ff.: Zu den schellen —>20705. Die Ehrerbietung der Glocken, Armbrüste und geschähe geht auf Heinrich zurück; vgl. z.B. das der Situation entsprechend reagierende huote-Schwen bei Amurfina (—>8509 ff.) oder das selbsttätige Horn bei Blandochors (->6973-7040). 20954 SCH vil, P / E K wol. 20967: Ρ schreibt nur hier Morchades, in den folgenden Nennungen immer Orchades; allerdings heißt Gaweins Mutter ansonsten immer Morcades bzw. Nonades (in der >1. Continuation sowie in den >Enfances Gauvain3428-5378 genutzt hat).159 Sie 159 Vgl. WEST 1969, S. 118; auch CHANDLER 1992, S. 208 mit dem Verweis auf den N a m e n

„Margawse" bei Sir Thomas Malory.

21018-21059 Igerne trägt Gawein den Siegespreis an

551

ist die Schwester von König Artus und Mutter von Gawein und Clarisanz; während deren Vater in der afrz. Tradition König Lot ist (vgl. WEST 1 9 6 9 , S. 106), benennt Heinrich ihn als Jascaphin von Orcanie (20429). 2 0 9 6 9 : Der Name Clarisanz ist offenbar übernommen aus CdG 8185 Clanamζ (so auch in der >1. Continuation^ vgl. WEST 1969, S. 42). Vgl. afrz. cler/cläru, „hell, glänzend". Die Tochter von Morchades und Schwester Gaweins heißt bei Wolfram Itonje; sie heiratet im weiteren Verlauf Giremelanz. 20978 ff.: Zu den hier für die Figuren noch unbekannten Verwandtschaftsbeziehungen —>20427 ff. 2 1 0 0 0 : SCH nature, P / E K die nature; der Wegfall des Artikels verweist eher in die Richtung einer Personifikation (-»7913). Lies mit EK Punkt am Versende. 21003 ff.: Nun werden die übrigen Burgbewohner genannt, die bei Chretien bereits in den Erklärungen des Fährmanns aufgezählt worden waren (—>20380-20415); dabei läßt Heinrich anstelle der 500 entrechteten älteren Damen ebensoviele (bei Chretien nicht erwähnte) Ritter auftreten; dadurch entsteht ein männliches Ubergewicht. 21018-21059 Igerne trägt Gawein den Siegespreis an 2 1 0 1 9 : Das ungemach der Burgbewohner bleibt in Heinrichs Darstellung völlig unspezifisch, vgl. hingegen die konkrete Benennung sozialer Ungerechtigkeiten bei Chretien (->20380-20415). 21030 ff.: Während Gawein (und zugleich das Publikum) über die Verwandtschaftsverhältnisse informiert sind (vgl. 13563-13604, 20380-20433, —>20381 ff.), wissen die Bewohner von Salye nicht, wer ihr Gast ist. So kommt es dazu, daß Igerne ihm entweder seine Mutter oder seine Schwester als Ehefrau anbietet.160 Vgl. das Spiel mit Gaweins Inkognito bei Ywalin —>6013 ff. 21031 f.: Den bisher dargestellten verwandtschaftlichen Beziehungen zufolge ist Clarisanz die Enkelin von Igerne, niftel ist hier in dem von Lex 11,81 angedeuteten, weitgefaßten Begriff „nahe verwandte überh." zu verstehen.161 Zu Orcanie ->13925. 21041: Zu der Formel bürge unde lant auch —>15585. 2 1 0 5 0 : SCH eine prist, P / E K einen frist\ Lex 111,522 belegt aber nur stF.

160 Vgl. SCHMID 1986, S. 224 f., die Heinrich eine Vorliebe für das „Ausphantasieren von Promiskuitäten" (S. 224) zuschreibt 1 6 1 Das entsprechende afrz. niece (CdG 8 1 9 4 ) wird ebenfalls sowohl als „Nichte" als auch als „Enkelin" verwendet, vgl. FOERSTER 1 9 7 3 , S. 1 7 4 . Vgl. lat. neptis, „Enkelin".

552

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chretien-Sequenz

21060-21093 Gaweins Inkognito, vertagte Entscheidung Ähnlich wie in 6187-6223 spielt Heinrich die komischen und spannenden Aspekte von Gaweins Inkognito aus; durch die eingeschobene Reflexion wird die notwendige Klärung zusätzlich hinausgezögert. Anders als in den bisherigen Szenen, in denen Gawein eine Heirat/Landesherrschaft angetragen wurde, verzichtet er hier nicht sofort, sondern er vertagt die Entscheidung erst einmal; dadurch hebt sich diese durch die verwandtschaftlichen Beziehungen ausgezeichnete Episode von den anderen ab (—>9773 ff.). Die zwischenzeitlich hinzukommenden Verwicklungen um Giremelanz als Verlobten der Clarisanz, die die Pläne Igernes durchkreuzen, verstärken noch die aufgebaute Spannung. Nachdem Gawein Artus nach Salye eingeladen hat, wird die Aufdeckung der Verwandtschaftsbezüge allerdings nur erstaunlich knapp erwähnt (22281-22285). Heinrich vergibt sich diese Möglichkeit einer weiteren Selbstoffenbarung Gaweins und beläßt es statt dessen bei einer knappen Beschreibung des Familientreffens und der darauffolgenden Verlobungsfeierlichkeiten (22333 ff.). Chretiens Darstellung bricht mit der Ankunft von Gauvains Boten am trauernden Artushof ab und bietet keinen Anhaltspunkt, wie der Abschluß der Salye-Handlung hätte aussehen sollen. 103) „Unwissen gibt freies Denken, weil es sich ohne jeden Zwang solange hin und her bewegen kann, bis es die Wahrheit herausfindet; mühelos wendet es sich dann, wenn es Gewißheit gefunden hat, dann muß es sich der Bindung wieder unterwerfen (= auf seine Freiheit verzichten)." Kurz gefaßt: Unwissenheit gibt (Gedanken-)Freiheit, Wissen bindet.162 Vgl. auch die Übersetzungsvorschläge in Anm. EK. Der Erzähler illustriert mit dieser Sentenz (ohne Parallelen bei ShRM), wie es Gaweins Großmutter Igerne passieren konnte, daß sie ihrem Enkel die Hand seiner Schwester bzw. seiner Mutter anträgt: Sie handelt unwissend und so zugleich frei von allen einschränkenden Konventionen. Sobald ihr der Irrtum (das Ende ihrer Gedankenfreiheit) klar wird, wird sie den Vorschlag zurücknehmen (vgl. 22281 ff., auch die entsprechende Deutung, die Heinrich selbst 21069 f. gibt). 2 1 0 6 0 - 2 1 0 6 8 : (= GT

162 Vgl. die freiere Deutung bei SCHMID 1986, S. 224: „Unbekanntes verleitet dazu, die Gedanken loszulassen. Denn solange der Gedanke die Wahrheit nicht kennt, darf er völlig unbeschwert herumschweifen. Doch kann es leicht sein, daß einer dann zum Rückzug bläst, wenn er am Ende die Gewißheit darüber erlangt, unter wessen Haube er kommen soll." Sie verbindet damit die Interpretation, daß „Heinrichs Ängste gerade nicht dem inzestuösen Spiel, sondern der Gefangenschaft in festen Händen zu gelten" scheinen (S. 2 2 5 ) .

21094-21791 Die Blumen des Giremelanz

553

21080 f.: (=GTl03a) Mit dieser Sentenz über den Schaden, der aus unüberlegtem Handeln entstehen kann (vgl. ähnlich —>3609-3612, auch zu Parallelen), warnt Gawein seine Großmutter und mahnt eine Bedenkfrist an; der Vorschlag, er solle Schwester oder Mutter heiraten, zeigt die Tragweite von unbeerbtem Tun. Vgl. ShRM, auch TPMA 12, „Unbedacht" 2 („Vereinzelt"). 21085: Statt einer Frist von zwölf Tagen erbittet Gauvain CdG 8268 f., daß die Königin ihn sieben Tage lang nicht nach seinem Namen frage; Wolfram erwähnt keine solche Abmachung.

21094-21791 Die Blumen des Giremelanz L i t . : BLEUMER 1 9 9 7 , S . 2 1 6 - 2 2 1 ; MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S . 2 0 1 f f . ; SCHMID

1986,

v . a . S. 2 2 1 - 2 2 5 ; J I L L I N G S 1 9 8 0 , S. 8 2 ff. Quellenvergleich bei W A L S H E 1 9 6 5 , S. 2 1 5 f.

Während die Episode um die Blumen jenseits des Gue^ Peril/eus (CdG 8411) bei Chretien durch die Werbung Gauvains um Orgoillouse motiviert und flüssig in den Handlungsverlauf integriert ist, wird die Aventiure bei Heinrich zu einer eher beliebig erscheinenden weiteren Herausforderung Gaweins, der als Ehemann Amurfinas kein Interesse an Mancipicelle hat. Hinzu kommt, daß Heinrich den bei Chretien vorausgehenden Kampf gegen den Ritter der Dame umgestellt hat; er hatte 20491—20542 nach der Nacht bei Karadas stattgefunden. So erscheinen beide Handlungsteile bei Heinrich eher problematisch in ihrer Motivation (auch —> 20494—20542), während sie bei Chretien (und ähnlich bei Wolfram) schlüssig aufeinander aufbauen. Als Grund für Heinrichs Vorgehensweise erscheint ein Problem mit der Vorlage am wahrscheinlichsten, er hat wohl kaum den vollständigen Text des >Conte du Graal< vorliegen gehabt. Die Episode um die zu brechenden Blumen war auch in Ywalins Tatenkatalog erwähnt worden, allerdings hieß die Gawein herausfordernde meide dort Leigormon (6105 ff.), die Blumen waren Oer Salden bluomen. Ob es sich um dieselbe Geschichte als Hysteron-Proteron handelt, oder aber Heinrichs Tendenz zur Doppelung verantwortlich zu machen ist, muß offen bleiben.

554

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chretien-Sequenz

2 1 0 9 4 - 2 1 2 8 4 Forderung Gaweins durch Mancipicelle 21094-21218 Gawein soll Blumen im Garten des Giremelanz pflücken 21098 ff.: Von Mancipicelle hatte Heinrich im Rahmen des vorgezogenen Kampfes zwischen Gawein und deren Begleiter (—>20527) berichtet (->20494-20542). 21107: gruoysal deutet Lex 1,1106 hier163 neutral als „gruss, begrüssung"; vgl. die Markierung als wörtliche Rede in EK. Die Belege in BMZ 1,584 (v. a. mehrfach für Priester Wemhers >Maria6105-6117; auch G R I M M zu dem mythischen Motiv von heiligen Hainen und geweihten Bäumen, die nicht von Profanen betreten bzw. gefällt oder bepflückt werden durften.166 Daneben sind Blumenkranz und Blumenbrechen „unschwer als Minnemotive zu erkennen."167 Zum Motiv der „Zauberblume, eine bes. prächtige, durch Farbe, Duft und Größe auffallende Blume" die magische Kräfte besitzt, vgl. auch M E I N E L , „Blume", in EM 2,484. Ebd. Sp. 485 erwähnt sie auch die vorzugsweise in italienischen und englischen Märchen verbreitete „schädliche und gefahrliche Wirkung der Zauberblume, deren betörender Duft betäuben, der Sinne berauben oder in einen Zauberschlaf versetzen kann". Zu der von den Blumen ausgehenden Verjüngung vgl. auch den stärkenden Duft der Rosenheide in der ersten Wunderkette (14334 ff.). Auf Gawein hat der Duft der Blumen allerdings einen ganz anderen Einfluß: Er wirkt so stark einschläfernd, daß er sich schließlich durch einen Lanzenstich zur Besinnung ruft (vgl. 21355—21388). Es finden sich ähnliche Wunderpflanzen in anderen Texten, vgl. z.B. die Kräuter Lanz 3965 ff., deren Duft starc, küene unde geil macht, den kräftigenden Blumenduft in Korntin (Wig 4612 ff.) oder den gegen den tödlichen Drachengestank schützenden Duft der Blumen aus dem Garten des Königs Lär (Wig 4742 ff.). Zum Motiv der Verjüngung vgl. auch das Geschenk Levenets Η 1 7 4 7 7 ff.). Bei Chretien erscheint die gesamte Aufgabe als blindes Motiv;168 die Blumen werden nach der Überquerung der gefährlichen Schlucht nicht mehr 165 Als Verschmelzung der beiden Vorgaben betrachtet diese Aufgabenstellung zuletzt BLEUMER 1 9 9 7 , S. 2 1 7 ; vgl. auch GOLTHER 1 9 2 5 , S. 2 2 0 ; WALSHE 1 9 6 5 , S. 2 1 5 ; JILLINGS 1 9 8 0 ,

S. 82. 1 6 6 GRIMM 1 8 7 5 , Bd. 2 , S. 540. 1 6 7 BLEUMER 1 9 9 7 , S. 2 1 7 .

168 Ob daraus zu schließen ist, daß Heinrich dieses Detail nach Wolfram gestaltet habe (so die Schlußfolgerung bei ZACH 1990, S. 237), oder ob er auf seine Weise das bei Chretien Begonnene fortgeführt hat, läßt sich nicht entscheiden.

556

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chretien-Sequenz

erwähnt, der Sprung über das Wasser ist dort die eigentliche, gefährliche Aufgabe. 21129 f.: Die Beschreibung des lüter ivasger als weder tief noch breit widerspricht den Tatsachen, vgl. das mühsame Schwimmen durch da% wasger tief und vreissam (21326 ff.); diese Falschaussage steht im Kontrast zur Forderung bei Chretien. Dort betont die pucele die Gefahren der Schlucht, die ihr Freund trotzdem regelmäßig überquert habe (CdG 8395 ff.). 21134: rnitvar zu dem aus der Pflanze (Färber-)Waid (Isatis tinctoria L./ Cruciferae) hergestellten blauen Farbstoff, der im Mittelalter einen wichtigen Erwerbszweig darstellte; ab dem 15. Jh. wurde er durch das importierte Indigo verdrängt. Vgl. LdMA 8,1929 f.; DWb 27,1032 ff. 21136 f.: Der Bach (riviere) ist als stM./stF. belegt (Lex 11,476); da er im folgenden als stF. behandelt wird, wäre hier wohl zu bessern in den Reim viere: eine riviere (P/EK vier: ein rivief). 21146: Zu unbehert („nicht beraubt") auch -»1109. 2 1 1 4 8 : Die vrouwe, für die Gawein die verjüngenden Blumen bringen soll, ist wohl die bluome Igem (20386). Mit diesem Höflichkeitsbezeig unterstreicht Mancipicelle den vermeintlich seriösen Charakter ihrer List. Der Verbleib der Blume wird später nicht mehr erwähnt, den Kranz erhält Gaweins Schwester (21764 ff.; den zweiten Kranz und die zweite Blume nimmt Mancipicelle an sich, vgl. 21702). 21152: Das verstärkende Adv. ot (zu eht, vgl. Lex 1,515), „doch, einmal" etc., verwendet Heinrich sonst nicht. 21164 f.: SCH Swes ich mit state ger, P/EK Was ich sin mit steter ger {sin zu sinnen). Zur Gewährung einer Bitte vgl. —>1033—1039. 2 1 1 9 2 : SCH des, P / E K deshalb·, deshalb ist mhd. nur bei Heinrich von Heseler (um 1300) belegt (vgl. „Findebuch"; Lex 1,421; Anm. EK). 2 1 2 1 0 : SCH/EK enborn, Ρ enbotten. 21219-21284 Warnung Igernes, Abschied von Salye Gemäß dem im Vergleich zu Chretien veränderten Ablauf der Forderung (—>21094—21791, -»21116 f.) variiert auch die Warnung der Schloßbewohnerinnen: Bei Chretien (und wieder bei Wolfram) möchte Gauvain gegen den herausfordernden Ritter der Orgoillouse de Norgres (CdG 8550 f.) kämpfen. Diesen sehen die Damen als zu gefahrlich an, Orgoillouse hingegen als zu estoute et vilaine, „stolz und garstig" (CdG 8231). Sie erscheint ihnen daher unpassend als Partnerin für ihren Erlöser. Die Aventiure der gefährlichen Furt folgt auf diesen Kampf ohne vorherige Absprache mit den Burgbewohnerinnen. Hier ist die erotische Anziehungskraft Mancipicelles kein Ge-

21285-21405 Die Blumen des Giremelanz

557

genstand der Erzählung; die Warnungen Igernes beziehen sich lediglich auf die Gefahr der Aventiure, verbunden mit Zweifeln an Mancipicelles Integrität: Igerne weiß, daß die Herausforderung dazu gedacht ist, Gawein zu vernichten (21251 f., 21268 f.). 21234: Der anthei^ „gelübde, versprechen" (Lex 1,80) findet sich schon 3158, nochmals 24280. 21242 ff.: Zu den typischen Charakteristika eines chevalier errant äußert sich Heinrich mehrfach, vgl. ->706, -»8735 ff., -»25836 ff., auch ->86328635, —>18672 f. 21273: Die Schlehe ist ein verstärkender Ausdruck der Verneinung, als Pflanze fügt sich das Bild gut in den Kontext der Aventiure um die Blumen des Giremelanz ein. Zu den zahlreichen, gezielt eingesetzten verstärkten Negationen bei Heinrich —>1224. In ihrer Wertlosigkeit steht die Schlehe in dieser Verwendung neben anderen Beeren, z. B. allgemein ber Pz 564,30, Tr 408,31; die siehe begegnet z.B. auch Dan 3258.169 21281—21284: Die sentenzhaft wirkende Formulierung ist sehr konkret auf den beschriebenen Sachverhalt bezogen; es läßt sich keine entsprechende Tradition nachweisen. Die um Gawein klagenden Frauen durchschauen die List der Magd, er selbst sieht die bevorstehende Aventiure jedoch als ehrenvolle Fahrt an, was hier nochmals betont wird. 21284 SCH reise an, P/EK reise wol an. 21285—21405 Die Blumen des Giremelanz 21285-21320 Karadas und Mancipicelle begleiten Gawein 21285 ff.: Daß der Fährmann Karadas seinen Gast zu der Aventiure begleitet, fugt Heinrich seiner Vorlage hinzu. 21289 ff.: Mancipicelle hatte das washer als nicht breit beschrieben (—>21129 f.), trotzdem stellt sich Gawein bereits auf das Durchschwimmen ein, das sich als sehr anstrengend herausstellt (21328 ff.). Sein geringe^ reisegvant korrespondiert mit der mangelnden Rüstung Gasoeins (zu weiteren Gemeinsamkeiten mit der Gasoein-Handlung vgl. —>21406—21664); CdG 8452 ff. und Pz 605,1 ff. ist Guiremelant auf Falkenjagd und ungerüstet, Gauvain jedoch in voller Rüstung. Bei Chretien gilt es, die tiefe Schlucht durch einen gewagten Sprung zu überqueren, daß Gauvain schließlich im Wasser landet und schwimmen muß, war nicht beabsichtigt (CdG 8427 ff.).

169 Weitere Belege bei

ZINGERLE

1862, S. 415 ff.

558

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chrerien-Sequenz

21303: überslagen deutet Anm. EK als „überladen" (als übertragene Bedeutung zu „[mit gold] schlagend überziehen, beschlagen", Lex 1 1 , 1 6 5 9 ) . Vgl. ebd. aber auch das Antreiben von Tieren durch Schläge, „vieh auf dessen weide treiben". 21312: Zur Entfernungsangabe vier mile — > 3 6 3 0 . 21319: übervar ist nur für die >Crone< belegt ( — > 2 0 4 9 5 ) . 21321-21388 Betäubender Blumenduft 21339: Lies mit Ρ hertropfen zu tropfen, wohl als „abtropfen" (nicht in den Wörterbüchern). Die Konjektur S C H Ö L L S (ertrabeti) scheint sinnlos, da Gawein seinem vom Schwimmen ermüdeten Pferd zunächst eine Verschnaufpause gönnt (vgl. in diesem Sinne erstrichen im folgenden Vers), bevor sie weiterreiten (vgl. auch Anm. EK). Vgl. die parallele Passage über das müde Pferd Gauvains CdG 8 4 3 7 - 8 4 5 1 , sehr stark verkürzt hingegen Pz 6 0 3 , 1 7 . 21348 f.: SCH greift hier unnötig in den Text ein; lies mit P/EK Punkt nach 2 1 3 4 7 , dann: Anders moht darjnn nit sin,/ Denn der schönen blümen liehter schin,/ [...]. 21357fif.: Zu der betäubenden Wirkung der Blumen vgl. z.B. die einschläfernde Lade Gansguoters ( 2 7 6 9 2 u.ö.) oder das mit dem mißachteten Trinkverbot am Gral einhergehende Schlafen 2 9 3 1 3 ff. Mancipicelle hatte den Blumen hingegen eine verjüngende Wirkung zugeschrieben ( — > 2 1 1 2 8 — 2 1 1 6 5 ) ; möglicherweise jedoch nur, um Gawein zu der gefährlichen Flußüberquerung zu bewegen. 2 1 3 5 7 möchte S I N P / S C H / E K W o d u r c h sölher ersetzen, auch — > 1 3 3 2 8 . 21364: Lies mit P/EK müwe zu miieje (vgl. Lex 1 , 2 2 6 1 zu müwe) statt S C H niiwe. Von späterer Hand ist in Ρ außerdem bringen statt der Reimwiederholung notiert, Anm. SCH möchte einmal dringen lesen; vgl. auch Anm. EK. 21375: Der graben entspricht der riviere aus Mancipicelles Beschreibung ( 2 1 1 3 7 ) und ist deutlich ungefährlicher als das erste wa^er (21129, 21314, 2 1 3 2 1 ) , das Gawein überqueren mußte. Hier gelangt er zu Fuß ohne Probleme auf die andere Seite zu den Blumen und watet ( 2 1 3 9 9 ) dann wieder zurück zu seinem Pferd.170 21380: Daß Gawein wol dri^ec mälen fällt, ist ebenso Ausdruck für „sehr häufig" wie z.B. die Küsse des Artus für den Boten 2 1 9 4 4 ; vgl. auch — > 8 6 7 2 zur Verwendung der Zahl Dreißig als Ausdruck einer großen Menge. 170 Vgl. zu den beiden Gewässern auch KEEFE 1982, S. 186 ff., der S. 188 f. die Kohärenz der gesamten Beschreibung konstatiert, sich aber darüber wundert, daß Heinrich über der Auseinandersetzung mit Giremelanz das gefährliche master auf Gaweins Heimweg „gleichsam vergisst".

2 1 3 8 9 - 2 1 4 0 5 Gawein pflückt die Blumen

559

21381 ff.: Die Selbstverletzung Gaweins erscheint als Rückgriff auf den Moment der Selbstfindung bei Amurfina, wo er sich mit dem Messer die Hand durchsticht (-»9058 ff.). 21389-21405 Gawein pflückt die Blumen 21390 ff.: Gawein geht über die gestellte Aufgabe hinaus (21147-21161) und bringt gleich zwei Kränze sowie zwei der wundertätigen Blumen mit; gefordert war jeweils ein Exemplar. Mancipicelle läßt sich schließlich ohne weitere Nachfragen eine Blume sowie ein schappel überreichen (21701 ff.); den zweiten Kranz gibt Gawein seiner Schwester (21764 ff.). 21394 ff.: Die vier abseits stehenden Blumen sind die gesuchten verjüngenden Blumen (->21128-21165). 21400: mate verwendet Heinrich nur hier für „wiese" (Lex 1,2060). 21406—21664 Gawein und Giremelanz Strukturelle Parallelen zwischen der Giremelanzhandlung und der GasoeinGeschichte hat zuerst J ILLINGS 1980, S. 84 beobachtet, ausgehend von der mangelnden Rüstung Gaweins: „a stranger fights a central figure in an uneven combat by a ford, the duel is adjourned, identification follows; the stranger produces evidence (Gasozein: girdle; Giremelanz: ring) as token of his last meeting with the opponent's lady (Arthur's wife; Gawein's sister); the fight is to be resumed as an ordeal by combat; on resumption the juridical duel is forestalled; the stranger is married off to a sister won in a separate campaign in one of Gansguoter's casdes (Gasozein to Sgoidamur after the bridle-adventure; Giremelanz to Clarisanz after the Castle of Marvels)."171 Offen bleibt, ob und wie einer der beiden Handlungsteile den anderen beeinflußt haben könnte. 21406-21439 Zusammentreffen mit Giremelanz 21418 f.: Statt SCH ähte: bedähte (ähte für „Verfolgung", bedaht zu bedenken, „etwas bedenken") lies ahte:bedahte (ahte „art und weise", bedaht zu bedecken, hier wohl „erfüllen"),172 im Sinne von: „Er sah einen Ritter auf sich zu reiten, der schnell/ entschieden (paste, „stark, sehr") seine Richtung änderte, und so ritt, als sei er von grimmiger Laune und Zorn erfüllt. Die beiden hatten sich mit ihm verschworen, das konnte man deutlich an ihm sehen." Vgl. auch Anm. EK zu 21419 f. Der Satz endet erst nach 21420 (so auch EK). 171 Ähnlich MEYER 1994, S. 147. 172 Mit KRÜGER 1888, S. 144; ebenso SIN.

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chretien-Sequenz

560

Zu φ harnascb („bewaffnet") auch -»14203. 21425: widerbieten mit Dat. der Pers.: „fehde ansagen" (Lex 111,828). Die feindselige Begrüßung entspricht dem üblichen Schema (vgl. zuletzt die Begegnung mit dem Ritter der Manipicelle 20503 ff.), allerdings nicht Chretien: Dort ist Guiremelant auf der Jagd dargestellt, die beiden Männer begrüßen sich höflich und vereinbaren erst dann einen Kampf, als sich Gauvain als verhaßter Feind herausstellt. 2 1 4 3 5 f.: P / S C H / E K lie%: gehie% eher zu lesen Konj. Prät.: lie^e: gebiete. 2 1 4 3 8 f.: Zu dem Bild vom vgl. Iw 7017 ff.: da% iemer minne unde ha%/ also besitzen ein va^J da% minne bi ha^e/ beltbe in einem va%%e. Das Bild hatte Heinrich bereits ausfuhrlich aufgegriffen im Kampf Gaweins gegen Laamorz (->15521-15525). 21423:

21440-21490 Zweikampf Gawein - Giremelanz 2 1 4 5 6 : Statt P / S C H / E K spielen (nur hier, der Verweis Lex 11,1090 auf ErH 9117 Jfiltern erscheint fraglich) wohl zu lesen schielen („Splitter"), so auch 4 6 0 0 , 5 5 2 9 , 6 7 8 9 , 9 7 5 0 , 1 1 9 0 8 ; vgl. A n m . E K u n d REISSENBERGER 1 8 7 9 ,

S.

28.

diu tjost, P / E K der tjost. 21463 f.: Den in Anm. EK kritisierten unreinen Reim warn : bewarn verzeichnet PFOSER 1929, S. 131 nochmals 27607 f.; vgl. auch die zahlreichen anderen Reime a : ä (ebd. S. 125—132). 21467 f.: P / S C H / E K salec ist wohl durch solich ersetzen (->13328). Statt des nirgends belegten Kompositums ü^ermät^e lies mit P/EK us^er mosten. 21481 ff.: Der Bezug der Personalpronomina wechselt: 21482 er steht für Gawein, 21484 f. steht er zweimal für Giremelanz. Zu der ungewöhnlichen Kampftechnik Gaweins vgl. v.a. seinen Kampf gegen Gasoein, der schließlich mit Ästen und einem Ringkampf fortgesetzt wird (12095-12139, 12175— 12209). 2 1 4 8 9 : Lies mit EK neweder statt P/SCH ietweder, vgl. Anm. EK. 2 1 4 5 7 : SCH

21491-21609 Vertagter Streit; Gaweins Vorstellung 21492: Der Namen Giremelant bzw. Gyremelantz (P/EK) entspricht den Formen Guiromelant/Giromelanz etc. bei Chretien, der im >Conte du Graal< und in der >1. Continuation die entsprechende Rolle spielt (bei Wolfram heißt die Figur Gramoflanz). Vgl. den Deutungsversuch von BARTSCH zu afrz. guirlande und melans zu mesler („kämpfen") als „derjenige, der für die Girlande kämpft".173 173 Zitiert nach

CHANDLER

1992, S. 113 f. Vgl. auch

WEST

1969, S. 84 f.

21491-21609 Vertagter Streit; Gaweins Vorstellung

561

2 1 5 0 5 - 2 1 5 0 7 : Zu der wohl zugrundeliegenden Sentenz vgl. TPMA 5, „Gut" 7.11.2: „Wer das Gute und das Böse nicht erkennt, ist ein Narr". Giremelanz kleidet sein Unverständnis über Gaweins ungeschütztes Auftreten in diese ehrbar erscheinende Sprechweise; sie hatte ihn aber nicht daran gehindert, zunächst gegen den Ungerüsteten zu kämpfen. 2 1 5 0 8 ff.: EK weicht von der Interpunktion bei SCH ab und faßt 2150821510 zu einem Satz zusammen, ebenso 21511 f. 21513 ff.: (21513-21524 = GT 103b) Mit diesen Verweisen auf die Fortuna instabilis greift Giremelanz die besondere Beziehung Gaweins zu Fortuna auf, ohne um die Verbindung seines Gegners mit Sxlde zu wissen. Dabei warnt er vor allzu großem Vertrauen in eine Sonderstellung (ähnlich der Haltung Ywalins). Vgl. —>4144, den ausfuhrlichen Diskurs über die Natur Fortunas 5959-6082, ->5965 ff., -»6033 f., ->6077 f. Vgl. ShRM; auch TPMA 5, „Glück" 3.1: „Das Glück ist kurz, veränderlich und immer in Bewegung (geht auf und ab)". 21533: Statt SCH %UO vehte liest Ρ/ΕΚ rehte, vgl. auch Anm. EK. 2 1 5 3 7 ff.: Der schaden, den Gawein Giremelanz zugefügt hat, ist wohl der Verlust der Blumen, das wird allerdings nicht weiter ausgeführt (vgl. auch die mögliche Deutung des Namens Giremelanz —>21492). Dessen Funktion als Hüter der Blumen wird jedoch nur von Wolfram benannt (Pz 603,26—30); weder Chretien noch Heinrich erwähnen eine solche Funktion (bei Chretien werden die Blumen nicht einmal gefunden oder gepflückt). Heinrich zitiert ein solches Hüter-Amt aber in der Handschuhprobe (vgl. —>24457 ff.). Da er jedoch in allen drei Texten als Herr des Landes auftritt, läßt sich der schaden auch ohne dieses Hüter-Amt erschließen. 2 1 5 4 2 - 2 1 5 5 8 : (= G T 103c) Gaweins Antwort erscheint als Exkurs über ritterliche Tugenden und verbindet mehrere sentenzartige Formulierungen, für die jedoch keine direkte Tradition nachweisbar ist. 2 1 5 6 7 : Die von Giremelanz gesetzte Frist von zwölf Tagen entspricht der Zeitspanne, die sich Gawein —>21085 als Bedenkzeit für das Heiratsangebot Igernes erbeten hatte; bei Chretien werden jeweils sieben Tage abgesprochen (für die Namensfrage der Königin CdG 8268 f. sowie für den Kampf gegen Guiremelant CdG 8713). Bei Wolfram werden acht Tage genannt, die Artus braucht, um nach Joflanze zu kommen, der Kampf soll hingegen erst nach sechzehn Tagen stattfinden (vgl. Pz 610,19 ff., mit der Königin wird dort keine Frist besprochen). 2 1 5 6 8 ff.: Hier scheint das schon mehrfach im Roman verwendete RashBoon-Motiv wieder auf, vgl. ->1033-1039. 21576 ff.: In der Namensfrage und dem angeblichen Kampfanlaß (Giremelanz behauptet, nur deshalb mit Gawein gekämpft zu haben, um dessen

562

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chreoen-Sequenz

Namen zu erfahren, vgl. 21587 ff.) zeigen sich zusätzliche Gemeinsamkeiten der Episode mit den nächtlichen Furtkämpfen gegen Gasoein (—»21406— 21664) neben der fehlenden Rüstung Gaweins. 21593-21609: Die folgende Präsentation Gaweins ist die ausführlichste ihrer Art im Roman, der weitere ähnlich selbstbewußte Vorstellungen des Helden kennt: vgl. v.a. seine Namensnennung bei Ywalin (—>6187—6223) nach dem langen Spiel um sein Inkognito, auch seine Vorstellung bei Quoikos —>17632-17635. Zu Konjekturvorschlägen fur 21599 f. vgl. Anm. EK. Zu der Einordnung in die Genealogie vgl. die entsprechende Angabe, die Gauvain CdG 8696 macht: Ii nies lo roi Artu („der Neffe des Königs Artus"; Guiremelant hatte ihn zuvor über seine Eltern beschrieben, CdG 8659 ff.). 21610-21664 Gawein als Minnebote für seine Schwester 21619: Gawein trägt schon den die Herrschaft garantierenden Ring der Saside mit sich (—»15909 ff), den er noch nicht auftragsgemäß zu Artus bringen konnte; den Ring als Liebespfand, den Giremelanz ihm übergibt, kann er schneller überreichen. 21621 ff.: Der Inhalt der Rede, die Gawein seiner Schwester überbringen soll, erscheint eigenartig und unterscheidet sich deutlich von der entsprechenden Passage bei Chretien. CdG 8686,14—20 sagt Guiremelant zu dem Auftrag, den Ring zu überbringen: Por moi voel que vos i aille% / St Ii dites que ge me fif Et croi tant an l'amor de Ii/ Qu'ele voldroit miafy que ses frere/ Gauvains fast mor.ι de mort amere/ Que ge eüsse nes bleäe/ Le plus petit doi de mon pie ™ Chretien formuliert einen Wunsch des Guiremelant (Clarianz weist im Gespräch mit Gauvain diese Behauptung als folie, „Dummheit" entrüstet von sich, CdG 8872 ff.). Heinrich hat hingegen die Partie als -wirkliche Denkweise der Clarisanz verstanden und gibt sie in diesem Sinne wieder (vgl. in diesem Sinne Gaweins Replik 21633 ff., die Unterstellung wird 22430 als Lüge entlarvt).'75 Zu diesem (vielleicht als Mißverständnis zu interpretierenden) Phänomen mag die erstaunlich höfliche Replik Gauvains beigetragen haben, die keinerlei Protest gegen diese Beleidigung erkennen läßt (CdG 8686,26 ff.); er hat sich Guiremelant noch nicht zu erkennen gegeben. 21632: Seelec (P/EK sa/ig) wäre als Attribut für die Liebeserklärung der Clarisanz zwar verständlich, vgl. aber —>13328 zu der wahrscheinlich ursprünglichen Lesart so/ich (auch Anm. EK). 174 „Ich möchte, daß ihr in meinem Namen dorthin geht, daß ihr ihr sagt, daß ich mich so sehr auf ihre Liebe verlasse und daran glaube, daß sie lieber sehen wollte, daß ihr Bruder Gauvain einen bitteren Tod gestorben sei, denn daß ich auch nur am kleinsten Finger meines Fußes [= Zeh] verletzt sei." 175 Vgl. dazu auch STEIN 2000, S. 221 ff.

21665-21791 Rückkehr nach Salye

563

21633 ff.: Zu der von Giremelanz geforderten Fortsetzung des Kampfes als Verteidigung seines Besitzes (21563 ff.) kommt nun als zusätzliche Motivation hinzu, daß Gawein um die Ehre seiner Schwester kämpfen will.176 Der ursprüngliche Anlaß bei Chretien, nämlich der Vorwurf, Gauvains Vater habe den Vater Guiremelants getötet, Gauvain selbst dessen Cousin (CdG 8686,2 ff.),177 wird bei Heinrich hingegen völlig übergangen (Pz 608,11 f. und 608,22 ff. ist ebenfalls der Tod des Vaters Auslöser füir Haß und Kampfbereitschaft des Gramoflanz). Damit erscheint aber auch die abschließende Versöhnung vor dem abgesprochenen Kampf leichter zu erreichen als bei Wolfram. Von Chretien ist kein Abschluß überliefert, in der >1. Continuation kommt es zum Kampf. 21642: Zu der mbesgüete vgl. v.a. —>13888—13920; bezogen auf Clarisanz wird sie 22449 nochmals erwähnt, nachdem diese die endgültige Versöhnung zwischen ihrem Bruder und ihrem Freund erreicht hat. 21651: Der gesamte Abschnitt 21633-21683 hebt sich von den viel kürzeren Dreireimabschnitten seiner Umgebung ab. Ρ schreibt vor diesem Vers ein Capitulumzeichen, das allerdings durch die viel hellere Tintenfarbung auffallt. EK setzt trotz des fehlenden Dreireims (es ist auch keine Textstörung zu erkennen, die einen Fehlvers annehmen ließe) einen neuen Abschnitt mit Initiale an. 21658 ff.: Der kämpfe nähen bi ist der soeben von Gawein verlangte Kampf, um die in seinen Augen beleidigenden Aussagen über seine Schwester zu klären (21640 ff.). Zu Konjekturvorschlägen zu 21658-21661 vgl. Anm. EK. 2 1 6 6 5 - 2 1 7 9 1 Rückkehr nach Salye 21665-21717 Mancipicelle handelt im Auftrag von Lohenis und Ansgü Auch wenn weder P/EK noch SCH einen Hinweis auf eine Gliederung an dieser Stelle bieten, erscheint ein neuer Abschnittsbeginn doch nicht nur aus inhaltlichen Gründen gerechtfertigt.178 Gemäß dem reinen Aventiurencharakter der gesamten Episode, die nicht mehr mit Gaweins Werben um die Dame verbunden ist (—»21094-21791, 176 Vgl. auch die stark auf die Familienaspekte konzentrierte Interpretation der Episode bei BLEUMER 1997, S. 218 ff.: „Während Gawein das Recht der Familie gegen die Minne zu verteidigen beabsichtigt, steht Giremelanz für die Emanzipation der Minne von familiären Interessen" (ebd. S. 218). 177 ZACH 1990, S. 287 spricht hingegen verkürzend vom Vorwurf, Gauvains Vater habe den Cousin mütterlicherseits getötet. 178 Vgl. GLASSNER 1991, S. 58, Anm. 3 ausfuhrlich dazu; Anm. EK referiert ihre Argumente.

564

1 7 5 0 0 - 2 2 5 0 1 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chretien-Sequenz

—>21116 f.), fällt die Schlußszene im Vergleich zu Chretien und Wolfram eher blaß aus. Allerdings braucht Heinrich sich nicht darum zu mühen, aus der zunächst sehr unfreundlichen und unsympathischen Orgueilleuse eine für Gawein geeignete Geliebte zu formen. Seine Darstellung der vil übel meit bleibt in sich konsequent. Mancipicelle heuchelt ihre Freude über Gaweins gesunde Rückkehr (si doch vil heimliche verbal [...] mit valschem muote, 21684 ff.), ihr hinterhältiger Charakter bleibt derselbe wie vorher. Heinrich läßt Gawein diese Reden daher ignorieren: Er ahtet lüt^el uf ir sage (21720).179 21666 ff.: Der gemeinsame Ritt von dem Blumenanger in Richtung Salye weicht ebenfalls von Chretiens Vorgaben ab: dort verzichtet Gauvain auf den Vorschlag des Ritters, ihn zu einer Brücke zu geleiten und überspringt erneut den tiefen Graben (CdG 8754 ff.), wo ihn Orgueilleuse erwartet. Heinrich erwähnt hingegen keine Überquerung des washers, Gawein trifft nach dem Abschied von Giremelanz an der clüse (21678) auf Mancipicelle — setzt er voraus, daß Gawein sich den Weg über die Brücke hat zeigen lassen? 21671: Zu gereise („der oder die mitreisende") vgl. auch —>7887. 21676: Er meint Gawein, der gwin sind die Blumen und die beiden schappel (21668). 21678: Die Bezeichnung des wafers (21129) als clüse verweist zum ersten Mal auf die gefährliche Schlucht (gue perilleus) Chretiens, die bisherigen Angaben ließen eher an einen tiefen, breiten Fluß denken. 21679: Vor diesem Vers steht ein von späterer Hand gestrichenes Capitulumzeichen in P. Ebenfalls von späterer Hand stammt das Absatzzeichen vor dem folgenden Abschnitt 21684, der durch den vorangegangenen Dreireim gesichert ist. 21680: diu vil übel meit entspricht Chretiens Charakterisierung la male pucele (CdG 8467, vgl. auch ->20527). 21685: SCH/EK maht zu Ρ vaht. 21693 f.: Vgl. hierzu auch den herausfordernden Zweifel Mancipicelles (->21116 f.). 21702: Die Wendung minne gem (vgl. einem etw. minne, minnen geben für: „das zur erinnerung geschenkte, geschenk überhaupt" Lex 1,2144 f.) ist ein letzter Nachhall der Werbungshandlung bei Chretien (in verstärkter Form bei Wolfram), -»21094-21791. 21711 f.: Zu den beiden Rittern vgl. die ausführlich berichtete Episode um den Pferdediebstahl durch Lohenis 19346-20263. Ansgü sollte in dessen 179 WALSHE 1 9 6 5 stellt dazu fest, „Heinrich clearly wanted to show his Gawein as being just a faithful a husband as Parzival" (S. 215).

21718-21757 Auf Salye: Verwunderung über Gaweins Minnebotschaft

565

Auftrag schließlich den auf der alten Mähre reitenden Gawein besiegen, was ihm jedoch nicht gelang (20150-20263), stattdessen konnte Gawein sein Pferd zurückgewinnen. Unklar bleibt die Identität des Ritters der Mancipicelle, den Gawein nach der Nacht bei Karadas besiegt hatte (20486-20542). 21718-21757 Auf Salye: Verwunderung über Gaweins Minnebotschaft 21729 ff.: Erröten und Erbleichen sind in der Tradition Ovids Zeichen der Liebessymptomatik, hier jedoch ebenso wie bei Ginover auch mit Scham und Aufregung zu verbinden (—>11003 ff.). Heinrich stand hier offenbar vor dem Problem, die Brüche zwischen der bei Chretien vorgegebenen und seiner eigenen Handlung ausgleichen zu müssen: Er hat den verheirateten Gawein von der Werbung um die male pucele befreit, zugleich aber das öffentliche Heiratsangebot Igernes eingefügt. Dieses kollidiert nun mit der von Chretien übernommenen Verbindung zwischen Clarisanz und Giremelanz. Die Verlegenheit der Damen auf Salye entspricht insofern dem Problem des Autors, seine verschiedenen Handlungsstränge zusammenzubringen. 21735 f.: (— GT 104) verdäht im Sinne von „überdenken" (vgl. auch Anm. EK): wibes sin überdenkt die Situation sehr schnell und sinnt darauf, wie Gawein von diesem Thema ohne Gesichtsverlust weggelockt werden könnte.180 21744 ff.: gesehen hier wohl „mit etw. in Zusammenhang bringen" (Lex 1,1002). Die Bezüge der Personalpronomina erscheinen nicht ganz klar; vgl. die Überlegung Anm. EK, 21745 hin als in zu lesen. Die Frauen „wußten überhaupt nicht, wie er (= Gawein) mit ihnen in Zusammenhang zu bringen war, denn es (= das Wissen?) floh noch vor ihnen und sie (die rede?) war vor ihnen verborgen" (vgl. auch Anm. EK). Ganz anders TH, nicht immer vom Text gedeckt „The ladies led Gawein away from the matter, assuring him that the token meant nothing and that they did not know how the knight had gotten it, only that it had vanished and could not be found." 21753-21755: Vgl. die abweichende Interpunktion EK: kein Punkt nach 21753, dafür der folgende Vers als Einschub, der Satz endet nach 21755 (zu alternativen Besserungsvorschlägen vgl. Anm. EK).

180

2000 paraphrasiert, daß wibes sin „unliebsame Kommunikationsgegenstände schnell übergeht". Vgl. auch die Interpretation bei S C H M I D 1986, S. 221 f.

GUTWALD

566

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chreoen-Sequenz

21758-21791 Gawein als Hausherr auf Salye 21767: Der Hinweis darauf, daß die Blumen gestohlen seien, deutet darauf, „daß das Minnesymbol eigentlich zu Giremelanz gehört".181 21768: Der Name des Blumenangers entspricht der Angabe Colurment (6106), dort in der als Hysteron-Proteron berichteten Aventiure um die Blumen Saeldes (->6105-6117). 21777 ff.: Vgl. die entsprechende Situation nach der ersten Nacht bei Amurfina 8695-9128, v.a. den Exkurs 8734-8794. Dort hatte der Erzähler die Diskrepanz zwischen Gaweins eigentlicher Berufung als chevalier errant und seinem Dasein als wiert (8632 ff.) betont. 21790: Zu der Formel bürge unde lant ->15585.

21792—22501 Der geplante Zweikampf Gawein gegen Giremelanz 21792-22215 Hoffreude in Karidol Mit dieser Episode schließt nun endgültig die Handlung um den totgeglaubten Gawein ab, die während der gesamten Chretien-Sequenz im Hintergrund angedauert hat; vgl. v.a. —>16797-17311. 21792-21873 Gawein schickt Boten an den trauernden Artushof 21793: Der wirf bezeichnet Karadas. 21795: reit ist Konj. Präs. mit voluntativer Bedeutung (vgl. Mhd. Grammatik § 321): „Karadas (fr) reite in die Stadt, um einen Boten zu suchen." ime im folgenden Vers ist Gawein, der zugleich das ausgelassene Substantiv zu hieist. 21805: er meint nun wieder Gawein. 21813 ff.: Die Aufforderung, der Bote solle ^em ersten nach Karidol gehen, um Artus zu suchen, zeigt einmal mehr, daß diese Residenz gemäß der in >Iwein< begründeten Tradition als Stammsitz des Königs angesehen wird (auch —>368 ff.). Daß Gawein dem Boten den Weg zu Artus erklären kann, widerspricht seinen bisherigen Irrwegen, die ihn eher zufällig nach Salye gebracht hatten, und deretwegen er noch nicht seinen Auftrag ausgeführt hat, Sxldes Ring an den Hof zu bringen. 21819 f.: SCH reit er dan, P/EK reit er von dan. Zum Akk. der Strecke auch

->6239-6244, ->20087. 181 Bleumer 1997, S. 220.

21874-21939 Botenrede: Einladung des Artushofs

567

21826: SCH der geste, P/EK aller geste. 21830 ff.: Zu mines hemn Gaweins tot vgl. die Episode um den Betrug des Aamanz, der das Haupt des andern Gawein am Artushof als das Gaweins ausgegeben hatte (16497-17311). 21838 ff.: er bezeichnet Artus, in 21842 Gawein. Bei der großen Trauerszene hatte Ginover keine eigene Klageszene, dort hatten Keie und Amurfina stellvertretend für die Hofgesellschaft gesprochen. 21847: SCH galle, P/EK kall\ vgl. den Hinweis Anm. SCH auf Tr 2017: aller triure ein galle. Heinrich kennt hasges galle (22305) und untriuwen galle (27177), vgl. auch die bitter galle (1445, 2 1 3 1 und 17205). Alternativ ließe die Lesart Ρ auch entweder halle („rede, geschwätz", Lex 1,1497, so 18228) zu oder vielleicht kol zu quäle (—>11506 kol: Karidol, 19068 im Reim kolten : enmlten). PFOSER 1929, S. 143 bietet zwar nur zwei Belege für den Reim α: ο an (3430, 11203, beide auch in KNN), basiert aber auf dem normalisierten Text SCH und nicht auf dem Befund der Handschriften. -1- und -11- werden zwar meistens sauber gereimt, es finden sich aber auch einige Ausnahmen.182 21856: Vgl. die bot („Fessel") ->18102 als Wappenzeichen, so zuerst -»9805, 10034 (auch Anm. ΕΚ). 21865: Als Farbbezeichnung für Pferde führt DWb 1,535 apfelgrä zurück auf die „apfelrunden flecken, die sich an grauschimmeln zeigen". 21874-21939 Botenrede: Einladung des Artushofs 21890: Die Zeitangabe ein mche paßt nicht ganz in den engen Zeitrahmen der qvelf tage bis zum vereinbarten Zweikampf (—>21567); in den verbleibenden fünf Tagen könnte der Hof nie pünktlich in Salye ankommen. 21896 f.: Zu den beiden äventiuren, auf die sich der Bote bezieht, vgl. wohl die beiden Kampfanlässe (—>21633 ff.): Gaweins Eindringen in das Gebiet des Giremelanz sowie die Verteidigung der Ehre der Clarisanz. 21900: Lies wohl mit SIN allen disen statt disen alten (P/SCH/EK). 21906 ff.: Von der behaupteten agressiven Haltung des Giremelanz gegenüber Artus wird sonst nichts berichtet. 21921 f.: ime bzw. er beziehen sich wieder auf Gawein (P/EK esyme nie so düifftig). dütftec mit Gen. „bedürftig", vgl. dazu auch dürfte, „bedrängnis" (Lex 1,495).

21929 f.: SCH bessert sinnvoll stiure, „Unterstützung, hilfe" (Lex 11,1203, zu P/EK stunt), hiure (P/EK hure) für „heuer" ist hier im Zeitrahmen stärker 182 Vgl. in Ρ 573 f. Tintaguel: castell, 657 f. schall ·, sä, 4145 f. synwtl: snell, 5076 f. 6259 f. und 6333 f. wol: %o!l, 7018 f. mdderstellen ·. verheln und viele mehr.

gehall·. wal,

568

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chretien-Sequenz

auf die unmittelbare Gegenwart bezogen denn der zugrunde liegende Instrumental hiu järu, „in diesem jähre"; vgl. Lex 1,1310; DWb 10,1284 f. 2 1 9 3 4 f.: mieten für „lohnen" (Lex 1,2135) auch 12875, 15454 und 26002. 21940-21990 Große Freude, Ginover erfährt die Neuigkeiten In der folgenden Schilderung der wieder erwachenden Freude des Artushofs wird diesem Geschehen auch auf semantischer Ebene Rechnung getragen: Bis 22160 wird der Zentralbegriff vröude zweiundzwanzigmal genannt, daneben zweimal vrölich und einmal vröudemachen·, trost findet sich zweimal. Die überwundenen Gegenbegriffe zeigen sich deutlich seltener: je einmal unvröude, untrium und jämer; je zweimal kit und sorge sowie dreimal truren. 21944: Zu den dreißig Küssen als Ausdruck für „sehr viele" vgl. auch —» 8672. 2 1 9 5 0 ff.: Die räumliche Trennung Ginovers und ihrer Frauen von den Männern war auch schon 10361 ff. deutlich geworden, wo ebenfalls eine Magd als Botin zwischen beiden Bereichen fungierte; diese Separation entsprach wohl den Gepflogenheiten. 2 1 9 7 3 : Statt P/SCH/EK veeren war Anm. E K zufolge ursprünglich wohl beeren zu lesen (zu bern). 21942:

21991-22041 Allgemeine Hoffreude 21996 f.: truren und sorgen sind Subjekt des Satzes. 2 2 0 0 4 : Ρ Den·, SCH liest Dem, bezogen auf den jämers wuof. EK liest Der und bezieht es auf unvröude. 2 2 0 0 8 ff.: Sämtliche im folgenden beschriebenen Ausdrucksformen der vröude konstituieren das Ideal höfischen Lebens. Vgl. z.B. die Aktivitäten des ersten Hoffests: 472—568 die Vorbereitungen mit dem einzigen Ziel, Da% vreud uobte (473), 632 ff. dann die diversen Zerstreuungen bis hin zu Turnier und anschließendem Festmahl. Die Schilderung hier steht in klarer Opposition zum Beginn der Trauer (16797—17311). Dort war das Erlöschen der Freude mit denselben Details beschrieben worden, vgl. nur das Verstummen der Musik (->16926-16930) oder die Zerstörung der Schönheit (-»1707317091). Der Kontrast der beiden sich entsprechenden Szenen wird v.a. in der Oppositionenreihe 22042-22083 verdichtet. 2 2 0 1 3 ff.: dünn bezogen auf die wip und man als „aushalten, stand halten" (Lex 1,494) erscheint mäßig sinnvoll; zu überlegen wäre, ob es nicht eigentlich auf die vröude 22008 zu beziehen ist, die diesmal von dauerhafterem Bestand sein wird? Dann wäre allerdings zu bessern: Sg. begunde (22013),

22042-22083 Vergleich: Zeit der Trauer - Zeit der Freude

569

ebenso getate sowie, im Reim, mit großer state (22014 f.): Und begunde ba% düren,/ Denne sie vor ie getate,/ Dar an mit großer state. 22028 ff.: Das allgemeine qmieren, „schmücken", ist typischer Ausdruck der Freude: Schmuck wurde nur im Rahmen von Festen und freudigen Situationen getragen, nicht jedoch in der Trauer. Vgl. z.B. Sigune, die nach dem Tode Schionatulanders allen Schmuck ablegt und sich stattdessen mit Tugenden „schmückt", JTit 5557.183 2 2 0 4 0 : Zu sneit vgl. das Bild vom Schwert der vröude 22004. 22042-22083 Vergleich: Zeit der Trauer - Zeit der Freude Die Zeit der Trauer wird der wiedererwachenden vröude in Form einer vor/nüReihe gegenübergestellt, „die das chaotische Wiedererblühen des Artushofes durch den permanenten Wechsel der Stellung von vor/nü im An- oder Abvers und durch die unterschiedliche Länge der Sätze in ein akustisches Tohuwabohu umsetzt, dessen Reime kaum noch wahrgenommen werden."184 Vgl. stilistisch v. a. die Oppositionsreihe zur Charakterisierung Saeldes 6008—6082. 22043: Die swachiu gebende, also der armselige Kopfschmuck der Trauerzeit, werden nun abgestreift, stattdessen kostlich schappel (21048) aufgesetzt. 22053: Im Bezug auf die mit kleinen Stofftüchern (wimpet) geschmückten Haare ist belächen wohl eher als Zusammenfassen oder Abteilen von Haarsträhnen zu verstehen denn im sonst in der >Crone< belegten Sinn „zuschliessen, einschliessen" (so z.B. 12073, 19462,27641, vgl. Lex 1,175). 22057 f.: Zum heryekrachen als Ausdruck der Trauer vgl. ähnlich 2407 ff., 1 1 5 3 9 . SCH: wart manec vröudemachen aus P / E K : wart man vns freude machen (vgl. dazu Anm. EK). 22059 ff.: strichen·, „glatt streichen (kleidung), glätten, ordnen, putzen" (Lex 11,1234). 22064 f.: Als das ende bezeichnet Heinrich auch ->23756 und 24129 die Stirn (Lex 1,549 zufolge kaum belegt; vgl. aber ahd. endi bzw. endin für die Stirn).185 P/EK flos% wohl eher zu vlie^en, lies also νΐόζ (statt SCH vl6s), vgl. Anm. EK. Es muß also heißen: „vorher zerfloß ihre Stirn auf böse Weise, sie war rauh und hoch (= zerfurcht?)". 22068: sie ist die bleich, so schon Anm. SCH. 22071: Die hiufel {„wangen", Lex 1,1308) bereits -»19640. 2 2 0 7 4 : S C H / E K niischel („spanne, schnalle", Lex 11,123) aus Ρ mischel. 183 Dazu auch ENGELEN 1978, S. 114, 138. 1 8 4 MEYER 1 9 9 4 , S. 1 4 8 . 1 8 5 SCHÜTZEICHEL 1 9 8 9 , S. 1 0 2 .

570

17500-22501 Gaweins Verpflichtung zur Gralssuche: Chreoen-Sequenz

22084-22131 Wiederaufnahme höfischer Lustbarkeiten 22085—22110: Gemäß der Liste der verstummenden Instrumente bei der Nachricht vom Tod Gaweins (16926 ff.) handelt es sich auch hier um eine übertreibende Aufzählung, die die nun übermäßige Freude verdeutlichen soll, nicht aber um ein Abbild eines wirklichen Ensembles.186 Das wird durch die Teilnahme der personifizierten vrouwe Musica (—>22108) am Freudenkonzert vertärkt. Die vröude zeigt sich auch darin, daß hier deutlich mehr Instrumente genannt werden. Zu 22085 videlare bzw. 22104 gigen,ni sowie harpfe (22090), ßoite (22095) und tambürn (22106) vgl. die Kommentare zur Parallelstelle —>16926-16930. Hier kommen nun noch eine Reihe teils weniger verbreiteter Instrumente hinzu. Die zunächst genannte rotte (22092) kommt allerdings in der „Beliebtheitsskala gleich an zweiter Stelle",188 sie wird als Harfenzither identifiziert, „ein Instrument mit dreieckigem Grundriß, dessen Saiten wie beim Psalterium parallel über den Schallkasten verlaufen."185 Die Symphonie (22094) und das 22106 genannte organiston sind gelehrte Bezeichnungen der Drehleier.190 Ursprünglich steht symphonia für den Zusammenklang mehrerer Töne. Dem wohl synonymen organiston liegt die üblichere Form organistrum zugrunde (vgl. lat. organism, „mehrstimmig auf harmonische Weise musizieren"). Normalerweise verbunden mit dem Nominalsuffix -strum·, die Form Heinrichs auf -on mag auf das Bedürfnis zurückgehen, eine pseudogriechische Form zu finden.19' Die im Kontext offensichtlich als Musikinstrument zu erschließende clie 22095 läßt sich nicht endgültig zuordnen und erklären. Lex 1,1622 stellt sie zu glien und gibt als Bedeutung „eine art pfeife".192 In der zweiten Fassung der >Heidin< findet sich eine handschriftlich allerdings schlecht gesicherte glye in einer Reihe mit weiteren Blasinstrumenten. Auf die Annahme gestützt, daß es sich bei diesem und dem nächsten Vers um eine Parallelkonstruktion handeln könnte, in der jeweils ein Saiten- und ein Blasinstrument nebenein-

186

V g l . EITSCHBERGER 1 9 9 9 , S . 2 6 u . ö .

187 Heinrich erwähnt die beiden z.B. von Gottfried offenbar synonym verwendeten Bezeichnungen (vgl. Tr 3674, 7568, 7991 und 8062) als verschiedene Instrumente, um durch eine möglichst große Zahl von Namen die Fülle der Freude zu zeigen. Eine ähnliche Doppelung stellen auch Symphonie und organiston dar. 188

EITSCHBERGER 1 9 9 9 . S . 4 4 .

189 Vgl. ebd. S. 45 f., auch Abb. 21 bis 26. 190 Vgl. auch Tr 3674: Symphonien als Verb, vgl. Lex 11,1384. 191

V g l . EITSCHBERGER 1 9 9 9 , S . 8 4 f f .

192 In Anlehnung an eine glien im >Tundalus242 ff. 23082: bekorn auch 6603: „schmecken, kosten, kennenlernen" (Lex 1,168). 23090: Zu dem Landesnamen Sianist —>22854 ff. 23092 ff.: Der Handschuh, der ursprünglich von Frau Saelde stammt, nun aber von Garanphiel an den Artushof geschickt wird (vgl. auch das Zusammenwirken der beiden ungleichen Schwestern bei der Herstellung des magischen Gürtels, —>4858 ff.) hat kein Pendant in der Tradition; Heinrich geht hier offenbar sehr eigenständig vor. Andere Tugendproben kennen jedoch einen Mantel als Probenmittel, und damit ebenfalls ein Kleidungsstück: die nur als Botenbericht dargestellte Mantelprobe in der >Vengeance RaguidelDu manteau mautailleLanzelet< sowie das Ambraser >MantelDu manteau mautaille< interessiert v.a. im Blick darauf, daß der Probenmantel dort die listige Gabe der böswilligen Fee Morgane darstellt.16 Zu dem Ambraser >Mantel23495-23505. Der Handschuh funktioniert ähnlich der Tarnkappe Siegfrieds oder dem Ring Lunetes17 und läßt den halben Körper verschwinden (den dazugehörigen zweiten Handschuh, durch den der ganze Körper unsichtbar wird, verspricht die Botin dem Sieger der Probe 23104 ff.); dabei bleiben jedoch die Körperteile sichtbar, die auf Verfehlungen hindeuten. Handschuhe stehen stellvertretend für die Hand und haben sowohl rechtliche, schützende als auch abwehrende Bedeutung; das Verhüllen der Hände „versinnbildet im liturgischen Kontext Reinheit".18

16 17

18

Zur möglichen Identität Garanphiels und Morganes ->4885; vgl. THOMAS 2002, S. 121 f. Vgl. Iw 1202 ff., bereits in der Becherprobe erwähnt (->1343-1349). Vgl. JILLINGS 1980, S. 24. Die Tarnkappe ist traditionell Attribut der Zwerge, vgl. HWdA 9,1030 ff. Ebd. 1031 findet sich auch der Hinweis auf ebenfalls unsichtbar machende Edelsteine. Vgl. HWdA 3,1404-1412. Vgl. auch die Hinweise bei KELLERMANN 2003, S. 112.

588

22502-25549 Hoffest: Handschuhprobe (Garanphiel IIa)

23112-23210 Minnelehre, Aufforderung zur Probe 23113 ff.: valsche^ her^e steht als Gegenbegriff zum Ideal des fin'amors, das v.a. ab 23139 in der ausführlichen Beschreibung einer Form der valschen minne heraufbeschworen wird. Die Interpunktion bei EK ist zu bevorzugen, wo nur die Verse 23119 f. als Paranthese verstanden werden. 23117: Der Stahl wird als Bild herangezogen wegen seiner besonderen Härte und Widerstandsfähigkeit; vgl. z.B. die Charakterisierung durch Konrad von Megenberg, BdN VII,7: Stahel kümt von eisen und ivirt hert von vil smitslegen und widerprechen, also da^ er kraft gewint über da^ eisen. Vgl. ebenso die bildliche Verwendung -»5932-5948, -»8077 f. und 28111 f. 23124-23135: Die besondere Fähigkeit des Handschuhs fuhrt zur Offenbarung der jeweiligen Neigungen und Fehler in Liebesangelegenheiten: er kann bescheiden sunderlichen kranc (23126). Die entblößt bleibenden Körperteile zeigen an, welche Verfehlungen sich die jeweilige Versuchsperson hat zuschulden kommen lassen: An meiden rede und gedanc,/ Were und gedanc an wibe, an Rittern tugent unde manheit,/ Un^uht unde %igeheit. In der darauffolgenden Minnelehre werden diese zunächst einfach anmutenden Ergebnisse unter dem Aspekt der Treue in auch außerehelichen Beziehungen differenziert. 23139—23160: In dem der Botin in den Mund gelegten Minneexkurs geht es um die Frage, unter welchen Bedingungen eine (verheiratete) Frau einen heimlichen Liebhaber haben dürfe: dann, wenn sie niht ywischelt ir friuwe (23147), nachdem sie sich diesem hingegeben hat. Fazit dieser Minnelehre ist also der Gedanke der ungeteilten Treue zu dem amis (—>23142), den sie sich erwählt hat; moralisch tadelnswert scheint ein Bruch dieser Treue, nicht jedoch der Ehebruch.19 „Das könnte fast als Kommentar zum Morit^ von Cräun oder zum Prosa-Lanceht dienen."20 Der Exkurs entspricht den immer wieder in der Tradition auftauchenden Hinweisen auf eine entsprechend lockere Moralvorstellung am Artushof; vgl. die Resultate der Becherprobe, die anderen überlieferten Tugendproben (>Lai du CorDu manteau mautailleLanzeletMantel< -Fragment etc.), die Lancelot-Ginover-Tradition oder Randbemerkungen wie Pz 216,26-217,6, wo Wolfram in eine Beschreibung des Pfingstfestes am Artushof einflicht, daß er seine Frau nicht dahin bringen wollte, weil sie dort zuvielen Anzüglichkeiten ausgesetzt wäre. Zu Heinrichs Vorstellungen der Beziehung von Männern und Frauen am Artushof vgl. auch —»19386-19417 über das gemeinsame Ausreiten. 19

Vgl. entsprechend auch den Kommentar SCHR, S. 195 f.

20

KNAPP 1986, S. 46.

23211-23436 Rückblende: Der Gürtel des Fimbeus

589

Heinrich nimmt damit Stellung zu der Tradition der Minnelehren, die v.a. in dem Traktat De amore von Andreas Capellanus ausreichend Diskussionsgrundlage gefunden hatten.21 Zwei Pole der Diskussion in der höfischen Gesellschaft des mhd. Sprachraums bildeten u.a. Gottfried von Straßburg, der, von der gesellschaftlichen Realität der feudalen Heiratspolitik ausgehend, die Liebe außerhalb einer solchermaßen entstandenen Ehe findet (dessen Haltung Heinrich hier zu teilen scheint).22 Dem entgegen steht Wolfram von Eschenbach, der die Forderung nach uneingeschränkter ehelicher Treue mit der Liebesheirat verbindet und so (auf allerdings realitätsferne Weise) vereinfacht (vgl. ähnlich auch Aeneas und Lavinia in der >EneitCrone< eine solche Tugendprobe besteht.23 23211-23436 Rückblende: Der Gürtel des Fimbeus Mehrfach erwähnt wurde die schon vor Romanbeginn begonnene Geschichte um den Gürtel, den Garanphiel ihrem Gefährten Fimbeus als Schutz geschenkt hatte. Seitdem dieser ihn jedoch von dem in Ginovers Auftrag handelnden Gawein abgenommen bekommen hatte, sinnt Garanphiel auf Rache, von tiefem Haß auf Gawein und die Artusgesellschaft erfüllt. Zunächst hatte Gasoein den Gürtel Artus als angebliches Liebespfand Ginovers präsentiert (—>4858 ff.); 14927-15648 hatte Garanphiel einen ersten Versuch unternommen, Gawein ins Verderben zu stürzen, dabei wurde 14927—14975 ein Rückblick eingeschoben. Die folgende Zusammenfassung ist die detailreichste Darstellung; auf die Handschuhprobe folgender Raub und Wiedergewinnung der Saeldenkleinodien bringen die Geschichte zu einem endgültigen Abschluß (—>28518 ff.). 21

Dazu z . B . KARNEIN 1985.

22

Während er das entsprechende Konzept in der an die Lancelot-Tradition anknüpfenden Gasoein-Handlung schließlich widerlegt hatte.

23

Vgl. auch ZACH 1990, S. 348.

590

22502-25549 Hoffest: Handschuhprobe (Garanphiel IIa)

23211-23283 Garanphiels Sorge um Fimbeus, der Gürtel 23217 f.: Zu Wahrheitsproblematik und Jabel νgl. ->22112 und ->2260522608. 23220: P/EK liest Akk. grossen, SCH/SCHR sehen den Neid als Subjekt und bessern großer. 23223 f.: Zu Fimbeus von Sgardin vgl. —>4888; der nur hier genannte Zunamen Angieζ (P/EK Angj/s) ist in der vorliegenden Form rätselhaft. Vgl. aber den Vorschlag von MENTZEL-REUTERS, in Anvie% zu bessern, zu afrz. anvie, „Gier, Lust, Verlangen, Neid" bzw. anvieuse, „gierig": so deutet er den gesamten Namen des Fimbeus als „das gemeine Ziel aus dem Garten der Begierde" bzw. „unhöfisches Verhalten aus Gier oder Neid".24 23227: Garanphiel, die Schwester der Saelde (14999), wird hier (wie bereits 14990) als schaniu gotinne apostrophiert, was wohl eher im Sinne von „Fee" zu deuten sein dürfte (—>4885):25 23232 f.: Zu abweichenden Lesarten und Deutungsnuancen vgl. ausführlich die diversen Anm. EK. 23234 ff.: Ρ ymmer wert, EK jme erwert, SCH/SCHR in erwert, zur Verwendung von erwem („verwehren" etc.) mit Gen. oder Dat. vgl. Lex 1,700, auch BMZ 111,515 und Anm. EK. Zu der Konzeption der Minnebindung, die dem Mann die Teilnahme am ritterlichen Leben untersagt, vgl. die entsprechende Konstellation der joie-de-la-court-B^\sode. in >Erec< (—>4888); hier wie dort führt das Aventiure-Verbot zu vielfältigen Komplikationen. 2 3 2 4 4 : anvart (P an fort) nur hier belegt für „angriff (vgl. BMZ 111,254). 23247 ff.: er ist der Träger des Gürtels, also Fimbeus; ime 23250 ist hingegen der Gürtel selbst. 2 3 2 5 2 : SCH/EK dühte hiibesch sinnvoll gebessert aus Ρ duhte sich hübsch, da die Aussage auf den Gürtel zu beziehen ist, nicht auf dessen Träger (vgl. auch Anm. EK). 23260: Zur Berufung auf eine frz. Quelle vgl. —>220 ff., fast wortgleich 8146. 2 3 2 6 7 : Der selben swester (P/SCH/EK) könnte Gen. sein; alternativ wäre Der Salden swester zu bessern, vgl. 14999 und 24906, ähnlich auch die Problematik —>377.

24

Vgl. MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 3 1 2 .

25

Vgl. zur Feenmotivik auch FUNCKE 1985.

23284-23371 Ginover probiert den Gürtel

591

23284-23371 Ginover probiert den Gürtel 23297: Der Einschub läßt sich im Blick auf den weiteren Verlauf der Begegnung nur als ironische Einlassung verstehen. 2 3 2 9 8 : Lies mit S C H R / E K ir site statt sin site (P/SCH); es wird Ginovers Verhalten ihren Gästen gegenüber beschrieben. 23302 ff.: er bezeichnet Fimbeus; daß der Ritter Ginover gefiel, war allerdings noch nie erwähnt worden. Lies daher mit ΕΚ Punkt nach behagt?b der Verweis ist auf die Kraft des Gürtels zu beziehen (berichtet 4870 ff. und 23252 ff.). 23308: Zu der Bezeichnung des Gürtels als kleindt (wieder 23348; „zierliche, künstlich gearbeitete sache, dann jedes zierliche geschenk", BMZ I, 838) vgl. auch Wig 1364 ff.: nim ein kleindt ich hän [...] da% ist ein gürtel. Hier geht die Bedeutung von kleindt offenbar über die neutrale Bedeutung „Geschenk" hinaus, es ist eher als Minnepfand zu verstehen (vgl. das 23343 ff. beschriebene Dilemma Ginovers). 2 3 3 1 2 : Lies mit SIN, SCHR und EK Jach sie (zu jeheri) gegen SCH Ja sie (vgl. Anm. EK). 23316: Wie schon häufiger wird für besonders unglaubwürdig erscheinende Handlungsmomente die (fiktive) Quelle als Absicherung zur Verantwortung gezogen (vgl. —>16940, 17467 ff., —>18716 u.ö.). 2 3 3 4 1 : SCH salegem, P / E K seliclichem·. wäre auch hier wieder eher solich zu lesen wie -»13328? 23347 f.: in bezieht sich auf Fimbeus. Daß Ginover keine unehrenhaften Absichten hegte, als sie Fimbeus zu sich rufen ließ, wurde schon 23293 f. betont. 23353 f.: SCH/SCHR gast: rast (gast auf Fimbeus bezogen), P/EKgest: rest. 23372—23436 Gawein erkämpft den Gürtel, erster Racheversuch 23386: P/EK: dorch ires dienstes willen, SCH: durch ir dienest, SCHR: durh ir willen. 23404 f.: Heinrich hat von diesem Kampf ausführlich berichtet 1493714989, erwähnt wurde er zudem in Gaweins Tatenkatalogen (6102 ff. und 9039 ff.). 23409: Die Erzähleraussage ist wohl auf das Vorausgegangene zu beziehen (in dem Sinne: niemand würde es loben, wenn er den Kampf noch einmal berichten würde), nicht jedoch als Stellungnahme des Erzählers über das eigentliche Geschehen.27 26 27

Zuerst S T E I N 2000, S . 197, Anm. 535. So S C H R S . 196; dagegen bereits S T E I N 2000, S. 208, Anm. 565; wieder Anm. EK.

592

22502-25549 Hoffest: Handschuhprobe (Garanphiel IIa)

23413 ff.: D e n Vorwurf, Gawein habe Raub begangen, pointiert STEIN 2000, S. 198 ff., v.a. Anm. 537. Dabei erhebt er den Vorwurf, die moralisch fragwürdigen Aspekte der Epsiode seien von der Forschung (vorsätzlich) übergangen worden. Die kritisierte Forschung ließ sich dabei wohl von Heinrichs eigenem Eintreten für seinen Protagonisten leiten, der hier als nur Ginovers Drängen folgend beschrieben wird. 23425—23434: Der von Garanphiel eingefädelte Kampf gegen den wurm vreissam wurde ausfuhrlich erzählt (15016—15223).

23437—24341 Handschuhprobe der Frauen 23437-23542 Probe der Botin, Keies Mahnrede 23442 ff.: Daß die Botin selbst die Tugendprobe besteht, qualifiziert sie als makellos, passend zu ihrem Benehmen. 28 Vgl. auch 25268-25382. 23457: SCH setzen, P / E K setzten, SCHR satten. Der Kontext spricht für den Konj. der Hs.: Der von Keie angenommene Wettkampf ist rein hypothetisch. 23465: Die wohl eher an die Artusrunde denn an die Botin selbst gerichtete, sehr verknappte Frage fragt nach dem Verbleib des schnellen Fußes: wä für „wo" (vgl. zudem auch den Ausruf wä in dem ursprünglichen Sinne von „wo bist du, wo sind etc.", Lex 111,621); gerümet ist Part, zu rümen, „weiter ziehen, weichen, fortgehen" etc. (Lex 11,535 f.; die anderen Belege zu gerümen, wohin Lex 1,889 es einordnet, gehen zu sehr in die Richtung „platz machen, ausweichen", was im Kontext nicht ganz passend erscheint). 23494: Mit der Einschränkung einhalp, also „auf der einen seite" (Lex 1,524), zeigt sich Keie auch der bestandenen Probe der Botin gegenüber

unversöhnlich (vgl. auch 23539 ff.). 23495—23505: Diese kurze erzähltechnische Anmerkung Heinrichs, er habe das Leid der Frauen im Rahmen von Tugendproben bereits ausfuhrlich geschildert, so daß eine weitere solche Darstellung nur unnötige Wiederholung brächte,29 erwähnt neben der Becherprobe vom Beginn der >Crone< auch eine Mantelprobe. Daher ist diese Aussage eines der wesentlichen Argumente für WARNATSCH, der das von ihm edierte >Mantel24110 nochmals erwähnt, dort im Kontext der >LanzeletLanzelet< im Überlieferungsprozeß mißverstanden worden sei (—>24088).32 23543-23608 Keie in Nöten, Spottrede Kalocreants 23543-23563: Eigentlich sollte Ginover die erste Probandin sein, der Handschuh sucht sich sein erstes Opfer jedoch selbst: Kaum daß Keie die Hand nach ihm ausstreckt, wickelt er sich auf solch schmerzhafte Weise darum, daß der Spötter erst sich selben beschaln muß (23555), bis ihn der Handschuh wieder freiläßt. 1977, S . 186 f. spricht für Heinrichs Autorschaft, aber gegen W A R N A T S C H S Annahme, es handle sich um das Fragment eines großen Romans. Mit wesentlichen Argumenten dagegen zuerst KOBBE 1969, S. 408, dann ausführlich K R A T Z 1977, bestätigend K N A P P 1994, Bd. 1, S. 557 und SCHRÖDER in seiner Edition des >MantelMantelCröne< konjiziert worden waren; außerdem stellt er die deutlichen Unterschiede im Verständnis der Figuren von Artus und Keie sowie des Gesamtcharakters der Probensituationen heraus, von denen ausgehend er den >MantelDu manteau mautailleMantelCröne< gehabt. MEAU

31

Vgl.

32

KRATZ 1 9 7 7 , S. 15;

STEIN

2000,

S.

115; Anm. ΕΚ. vgl. auch W A R N A T S C H , >MantelCrone< bietet keinen Anlaß für die Rache Kalocreants (in der Becherprobe war er glimpflich davon gekommen); es steht aber zu vermuten, daß Heinrich hier auf die Privatfehde zwischen Keie und Kalocreant in den Iwein-Romanen anspielt: Vgl. die Eingangsszene mit Keies Polemik (Iw 113 ff.) und Kalocreants Angst vor weiterem Spott, als er das Brunnenabenteuer erzählen soll Iw 190 ff.; später Kalocreants Schadenfreude über den in einem Baum hängenden Keie Iw 4683 ff.33 23577 ff.: bihtigare (der Handschuh wird als Beichtvater apostrophiert, vgl. Lex 1,272) ebenso wie antla^ („sündenerlass, ablass" Lex 1,80) sind zwei zentrale Vokabeln der kirchlichen Bußpraxis, die in höfischen Texten sehr selten vertreten sind. Heinrich spielt hier mit den beiden Sphären des religiösen Sündenbekenntnisses und der eher frivol angelegten Tugendprobe, was bis zum Westerham („Täufling" 23586) fortgeführt wird. 23583: Zu avern („wiederholen") ->22246. 23587: getarn ist nur hier belegte Neubildung zu tarnen (Lex 1,942): Keie soll vor allem Schaden versteckt, ferngehalten werden (vgl. auch Anm. SCH: „vor aller schände mag man euch verhüllen, d.i. die schände kann euch nichts anhaben"). 23593 ff.: Daß Artus, nach dem „Ausscheiden" des zunächst ebenfalls beauftragten Keie (vgl. 23518 ff.), Gawein und Iwein mit dem Umhertragen des Handschuhs betraut, entspricht deren in >Iwein< explizit dargestellten Freundschaft, so v.a. Iw 5107 ff. (vorher Iw 2618ff., 3029 ff. u.ö.). 23609-23662 Probe Ginovers 23609: Schon 23520 ff. hatte Artus angeordnet, daß Ginover die Probe als erste zu bestehen habe. Das entspricht ihrem Stand als ranghöchster Dame (vgl. auch ihre Vorrangstellung in der Becherprobe, wo sie selbst allerdings noch die neben ihr sitzende Königin von Lanphuht vorgelassen hatte, ebenso in der Mantelprobe Lanz 5857 ff.). Es kann im Blick auf die Gasoein-Geschichte aber auch als Mißtrauenszeugnis gedacht sein; zudem ist sie die eigentliche Urheberin des Konflikts um den Fimbeus-Gürtel. 23624 ff.: Das einzige Körperteil, das an der sonst verschwundenen rechten Körperhälfte sichtbar bleibt, ist ir munt. Keie nennt den möglichen Grund für das Sichtbarbleiben des Mundes: Ihr ist φ küssen ger (23637), der Mund ist noch rot von den Küssen für Artus in der vergangenen Nacht (23639 f.). Auch sonst böte die bisherige Handlung Anlaß - sei es als Anspielung auf die Provokation am Kamin, auf ihre zögerliche Entscheidung 33

Vgl. auch STEIN 2000, S. 25 ff.

23663-23693 Clarisanz

595

zwischen Gasoein und Artus (die ihr Gotegrin zum fast tödlichen Vorwurf gemacht hatte) oder auf die Aufforderung an Gawein, den Gürtel für sie zu erobern. 23627 ff.: Die Bezüge scheinen hier nicht wirklich eindeutig; die meisten Interpreten (vgl. auch Anm. EK) beziehen die site hier auf die linke Hälfte ihres Mundes, der bleich werde — wohl im Blick auf die sonst etwas rätselhaft bleibenden Ausführungen Keies ab 23645. Allerdings könnten die Verse 26327 ff. auch das Phänomen der rechtsseitig verschwindenden Ginover beschreiben. 2 3 6 3 2 : Die Lesart mähte ( P / S C H / E K ZU machen) sieht (die Angst vor) Keie als Auslöser für Ginovers Furcht; der Vorschlag marhte (SIN) versteht hingegen Keies Spottrede erst als Reaktion auf Ginovers Scham. 23641 ff.: Keies Ausführungen über den in eine bleiche und in eine rote Hälfte geteilten Mund erscheinen rätselhaft, weil der Text keine präzisen Hinweise auf diese Zweiteilung gibt (—>23627 ff.). Die Interpretation hingegen ist deutlich: Die rote Hälfte verbildlicht die Kußbereitschaft gegenüber ihrem Ehemann, die bleiche hingegen die Weigerung, Gasoein (P/EK Gaswein) in der Vergewaltigungsszene zu küssen. 23656 ff.: In den beiden anderen Tugendproben war Ginover ebenfalls erfolglos, vgl. zum mandel —>23502 ff. (Lanz 5857 ff. geht ihr der Mantel nur bis zu den Knöcheln, was die Botin als Hinweis auf zweifelnde Gedanken erklärt). In der Becherprobe hatte sich Ginover Wein in den Schoß geschüttet, nachdem sie zunächst erfolgreich getrunken hatte (1273 ff.). Hier wird hingegen das Gegenteil behauptet, der Mantel habe ihr gepaßt, der Becher sie nicht befleckt. 23663-23693 Clarisanz 23680 f.: Der Vorwurf gegen Clarisanz bezieht sich wahrscheinlich auf die Idee, Gawein zu heiraten, der zunächst als Sieger in der Aventiure von Salye attraktiver erschien als ihr amis Giremelanz (vgl. v.a. 21748—21757).M 23683: SCH und SCHR haben diesen Vers vorgezogen, in P/EK folgt er erst auf 23685. 23686 f.: Zu den verjüngenden Blumen des Giremelanz vgl. —>2112821165.

34

Vgl. a u c h STEIN 2 0 0 0 , S . 2 2 2 , m i t A n m . 5 9 4 .

596

22502-25549 Hoffest: Handschuhprobe (Garanphiel IIa)

23694-23718 Igerne 23700: Die Äventiure ist eine fiktive Angabe; von Igerne ist sonst keine Teilnahme an einer Probe bekannt. 2 3 7 0 6 ff.: Daß Gansguoter mit videlen um die Mutter des Artus geworben hatte, wurde auch -»13180 ff. berichtet, vgl. auch 22312 ff. 2 3 7 1 1 : SIN liest swa^ er sprach statt P/SCH/EK (s)wa% man sprach?' 2 3 7 1 7 : ho zu stF. hahe, hohe (Lex 1,1312): „Sie machte einen Freudensprung [...] empor, über die Höhe ihres Freundes [= höher, als ihr Freund groß ist]". 23719-23745 Orcades 2 3 7 2 5 ff.: Durch Keies Behauptung, Gawein habe sin sterke/ Und manheit aus der Muttermilch gesogen — Tugenden, die üblicherweise als Erbe väterlicherseits angesehen wurden, während die Mütter für moralische Eigenschaften zuständig waren — werden Gawein und seine Mutter gleichermaßen angegriffen:36 Gaweins Stärke wird eine fragwürdige Herkunft bescheinigt; die Unvollkommenheit der Mutter zeige sich in der Kühnheit, ihr Kind zu stillen (23730 ff.), oder ihre Brüste den griffen des Liebhabers (23739 ff. — der Ehemann Jascaphin?) darzubieten, bzw. zugleich in allem beiden.37

23746-23772 Amurfina 2 3 7 4 7 : Hier wird Amurfina zum letzten Mal namentlich genannt; sie scheint in den Artushof integriert und ihre Funktion, Gawein am Herausheiraten zu hindern, ist erfüllt. Sie wird noch einmal im Rahmen der Erklärungen von Gansguoters Schwester erwähnt (28514, aber nicht namentlich); bei der abschließenden Heimkehr wird Gawein von Artus, Ginover und dem gesinde empfangen, seine Frau spielt keine Rolle mehr.

35 36

37

SIN vermutet, in der Vorlage habe der man gestanden. BRINKER-VON DER HEYDE, Mütter 1996, S. 288, Anm. 46 interpretiert die entblößt bleibenden Brüste von Gaweins Mutter als „Zeichen geschlechtlicher Lust auch beim Stillvorgang" (wodurch die stillende Herzeloyde bei Wolfram karikiert werden solle) - ein wohl sehr neuzeitlich geprägter Gedanke. Ähnlich wie BRINKER-VON DER HEYDE (s.o.) schon SCHMID 1986, S. 220 f. Während JILLINGS 1980, S. 34, Anm. 21 v.a. auf der wörtlichen Nähe von Pz 111,4 ir herben dach und 23742 des herben grünt besteht, verweist SCHMID v.a. auf die hier umgekehrte Erfassung des Motivs, durch welches es sexualisiert werde, und sieht Hinweise auf einen „Anti-Parzival" (auch - > 6 3 7 5 - 6 3 9 3 , - > 6 3 8 0 ) .

23773-23810 Sgoydamur

597

23751: Ihr ungeliickes ban wohl zu ban stM. („strafe, bann", Lex 1,118), alternativ zu ban (stM. oder swM. „Untergang, verderben" (Lex 1,119) bzw. „bahn" (stF. oder stM., Lex 1,118).38 23756: Sichtbar bleibt da^ ende, die Stirn (-»22064, 24129).39 Die Verfehlung Amurfinas ist ihr Machtanspruch; dem entsprechen die ihr gemachten Vorwürfe: Sie richten sich v. a. gegen die erpresserisch drohende Art und Weise, wie sie Gawein durch ihre Botin Aclamet bei Blandochors hatte holen lassen (—>7800 ff.). Der Hinweis auf da^ wilt als Erbe von dessen Land wiederholt die Worte Aclamets (7812 f.). Von einem Eid (23760) ist bei der Herrschaftsübergabe des Vaters an seine Töchter 7908 ff. keine Rede (dort ließe er sich aber vermuten). Der einzige erwähnte Schwur ist der von Aclamet zitierte, sie werde Blandochors verderben, wenn er Gawein nicht ziehen lasse (7808 ff.); dieser hat sich durch Gaweins Gehorsam aber erübrigt. 23764: SCH/SCHR Blandukors, P/EK Blanch Luthorr, vgl. jedoch ->6908 und 7798. 23771 f.: Keie begründet Amurfinas Drängen, Gawein zu heiraten, nicht mit dem Wunsch, ihren Herrschaftsanspruch zu festigen, sondern damit, sie habe nicht länger Jungfrau bleiben wollen. 23773-23810 Sgoydamur 23774 und 23779: er bezieht sich auf den Handschuh. 23789: Des gürtels vanc ist der Bereich, um den der Gürtel gebunden wird {vanc (stM.) „das auf-, umfangende", Lex 111,17). 23791: Zu der bildlichen Verwendung von st&l vgl. —>23117. 23797 ff.: Der (durch den Roman nicht begründbare) Vorwurf, Sgoydamur habe sich als Kind zu häufig unterhalb des Gürtels mesgen lassen, wird durch Lex 1,2130 als „vergleichend betrachten, erwägen, prüfen" gedeutet. SCHR übersetzt, „daß sie sich so oft unterhalb der Taille Maß nehmen ließ". Der Vorwurf könnte sich auf die Mode der möglichst eng geschnürten Kleider beziehen und so auf ihre Eitelkeit hinauslaufen;40 eindeutig zotigen Charakter bekommen Keies Bemerkungen erst ab 23805, vgl. auch Anm. EK zu 23807-23810. 2 3 8 0 0 : undewendic ( P / S C H / S C H R / E K ) , „unterhalb", ist Analogbildung zu üyvendic („ausserhalb", Lex 11,2049); sie ist sonst nur für einen nicht weiter klassifizierten Chronikbeleg nachgewiesen (Lex II,1814).41 38 SCHR konjiziert zu gelückes ban, den er sehr frei als „Leiter ihres Glücks" übersetzt. 39

WARNATSCH (>Mantel< S. 102, Anm. 1) bezeichnet es als „Symbol des Eides"; vgl. auch Anm. EK. SCHR übersetzt neutral: „ein Stück". An anderen Stellen bezeichnet Heinrich die Stirne als tynne ( 4 7 5 0 ) bzw. vorhaubt vorn ( 1 9 6 4 5 ) .

40

Vgl. z.B. KÜHNEL 1992, S. 231 zur „Schnürung"; auch WILCKENS 1988, S. 55.

41

Vgl. Lex 11,1786 das Adv.

underhalben,

„unterhalb".

598

22502-25549 Hoffest: Handschuhprobe (Garanphiel IIa)

2 3 8 1 0 : P/SCHR/EK wenn, SCH wem deuten TH und SCHR als „sich ihrer Haut zu wehren" (bzw. „take care of itself); Anm. ΕΚ als: „dann getraut sich ihr Körper, bereitwillig zu gewähren", vel („haut des menschl. körpers u. einzelner teile desselben" Lex 111,51) ist als pars pro toto zu lesen (sonst so nicht belegt). Es ist Subjekt des Satzes; dabei scheint die Deutung „abwehren" sinnvoller als „gewähren" (letzteres wäre wohl kein wirkliches Wagnis gegensätzlich Anm. EK).

23811-23837 Laudine Laudine hatte sich bereits erfolglos der Becherprobe unterziehen müssen (1318-1360). Dort hatte sich Keie v.a. auf Lunetes Ring und Laudines strengen Empfang für den verspäteten Iwein konzentriert. 2 3 8 1 6 : Ρ har, SCH/SCHR/EK bar. Ρ wäre wohl lectio difficilior, es bliebe das Haar im Schulterbereich sichtbar. 2 3 8 1 7 ff.: Das Sichtbarbleiben der Schulter interpretiert Keie eher allgemein im Blick auf den Charakter Laudines: Er kritisiert, daß sie ihre wibes güete verborgen gehalten habe, die aber irgendwann zum Vorschein kommen und gutes Vorbild für die amien sein wird. Vorwurf ist also ihre Nachgiebigkeit {güete) gegenüber dem Gattenmörder (Motiv der Witwe von Ephesus).42 karc hier wohl im Sinne von „streng" bzw. „knauserig" (Lex 1,1517). 2 3 8 3 0 : P/EK morgen, SCH/SCHR wohl aus metrischen Gründen morne. Von den sechs Belegen für morne in Ρ haben fünf eine Entsprechung in V bzw. D, die jedoch konsequent morgen schreiben.43 23812:

23838-23862 Enite 2 3 8 3 8 : Enite hatte die Becherprobe 1361—1397 ebenfalls nicht bestanden; dort hatte Keies Kommentar v. a. auf die abgebrochene Serie der Preise für Enite verwiesen (Sperber-Preis und Kuß nach der Jagd auf den weißen Hirsch). 2 3 8 5 0 ff.: Daß Hüfte und Fuß sichtbar bleiben, wird auf einen Weg gedeutet, den Enite um der Liebe willen freiwillig gegangen sei. Allerdings bleibt Keie in seiner Aussage äußerst wage, so daß für die Ausdeutung verschiedene Möglichkeiten aufscheinen. Der erste gemeinsame Weg von Enite und Erec wäre der zum Sperberkampf, auf den sie sehr bereitwillig mitgekommen ist (sollte der Hinweis auf die Bedeckung ihres Körpers 23848 f. auf 42 43

Vgl. auch C O R M E A U 1977, S. 173-178, v.a. S. 175. Vgl. 9621, 9624, 9640, 10322, 13177; nur 26503 bleibt Ρ morne ohne Korrektur durch eine andere Hs.

23863-23891 Die Freundin Parzivals

599

ihr unzureichendes Gewand bei der ersten Begegnung mit Erec anspielen?). CORMEAU bezieht sich auf den späteren langen Weg der beiden >ErecDu manteau mautaille< wird ein nicht verhülltes Bein als (allerdings zweideutiger) Hinweis auf einen Sturz verstanden.47 Keies Vorwürfe gehen deutlich darüber hinaus; der Vorwurf der übermäßigen Liebesbereitschaft: war schon in der Becherprobe erhoben worden (—>1545), allerdings in weniger aggressivem Tonfall. 23888 f.: Zu der Anspielung auf die Belagerungsmetaphorik vgl. bereits —>11683 ff., —»11722 ff. auch wieder ->23935 ff.

44

CORMEAU 1 9 7 7 , S. 1 7 0 f.

45

Vgl. STEIN 2000, S. 75 f.

46 47

JILLINGS 1980, S. 27 sieht darin eine engere Anbindung an Wolfram. >Du manteau mautaille« 482 ff.; vgl. KNAPP 1981, Anm. 114 f.

600

22502-25549 Hoffest: Handschuhprobe (Garanphiel IIa)

23892-23958 Galaida (Freundin Keies) 23895: Die verwandtschaftliche Einbindung wird auch in der Becherprobe erwähnt (vgl. —>1439 f.). 23997: sin spot ist der Spott, den der Handschuh treibt. 23902: enweder^ („keiner von beiden") bezieht sich wohl auf Keie und Galaida (vgl. auch Anm. SCH). 2 3 9 0 8 : Ρ Die waren vns hindenbare, SCH Diu wären hindenbare, SCHR diu waren blindenbare (auch EK: Die waren vns blindenbare) mit Verweis auf 2 3 9 1 8 f. (vgl. Anm. EK). Vgl. aber den überlieferungstechnisch leicht nachvollziehbaren Vorschlag, vns hindenbare zu unschinbare zusammenzuziehen,48 die positive Variante schinbare verwendet Heinrich 2 4 0 3 1 . Der Handschuh vermag es nicht, Galaida verschwinden zu lassen, mit Ausnahme ihrer Augen. Oder wäre hindenbare zu dem Adv. binden zu lesen, in etwa „nach hinten, nach innen gerichtet, geschlossen"? Auf jeden Fall dürfte das Lex 1 , 1 2 9 2 aufgenommene hindenbare („glichen den äugen einer hirschkuh") zu streichen sein. 23911—23958: Zu Keies Hymne auf seine Freundin vgl. ausführlich den Kommentar SCHR S. 1 9 8 f. SCHR betont, die ihr vorgeworfene Freizügigkeit sei nur auf Keie selbst gerichtet, so daß sie eigentlich extrem treu sei. Dieser Gedanke findet sich als Anspielung auch wieder im >MantelCrone< gearbeitet haben müsse und deren Ausführlichkeit gemeint habe.49 2 3 9 5 9 — 2 3 9 6 5 reiht der Erzähler Keies Rede jedoch ebenfalls als Spottrede in die Folge der übrigen Kommentare ein. 23921: Lies mit SIN und SCHR Diser, vgl. aber auch Anm. EK. 23930 f.: Anm. EK deutet die Verbindung hat getreten im Blick auf die Mhd. Grammatik § 310 genannte „Verschiedenheit der Aktionsart" nicht als Ortsveränderung Galaidas, sondern im übertragenen Sinne: „Sie übertrifft den König an Freigebigkeit". 23935 ff.: S C H / E K üfschup gebessert aus Ρ vst'ehub. Zur Vermeidung des rührenden Reims (—>9720 f.) lesen SIN, SCHR und TH an tjoste niht vertagen. Zu der folgenden Kampfmetaphorik vgl. — > 8 7 9 5 - 8 8 3 1 zum Minnekampf Gaweins und Amurfinas, v.a. aber — > 1 1 6 8 3 ff. und — > 1 1 7 2 2 ff. zur Vergewaltigung Ginovers. In eindeutig sexueller Konnotation war diese Bildlichkeit vorher nicht in der deutschen Literatur genutzt worden, im antiken lat. sowie im frz. höfischen Roman in diesem Kontext aber durchaus verbreitet.50 48

KRÜGER 1 8 8 8 , S. 1 4 4 .

49

Vgl. auch die vergleichende Abhandlung zu Galeta und Calaida SCHRÖDERS im Anhang zum >Mantel24026); alternativ als „erproben" (ebd.) im Sinne von: „man achtete sehr auf Flursensephin"? 24008 ff.: Gemeint sind wohl die Brüste (so auch T H und Anm. EK); vgl dazu passend die Kampfmetaphorik 24020 ff. 24013: „Sie brächten einen Stein in Bewegung"; Riehen hier wohl „sich geneigt machen" (Lex 111,1104); vgl. die (sehr freie) Übersetzung SCHR: „Er [...] würde ohne Zweifel selbst einen Stein liebestoll machen". 24018: Zu der Neigung des Einhorns zum Jähzorn vgl. auch —>18132 f. 24021: hurten greift nochmals die Minnekampfmetaphorik auf, vgl. bereits —>23935 ff. 23970:

51

Vgl. KNAPP 1 9 8 1 , A n m .

118.

602

22502-25549 Hoffest: Handschuhprobe (Garanphiel IIa)

24024-24073 Parkie, U n m u t der Gesellschaft 23024: Parkie ist offenbar identisch mit Perchye (—>1398), der Freundin eines ungenannten Ritters, die in der Becherprobe ebenfalls Opfer derber Späße war. Hier erscheint sie als Gefahrtin von Lucanus, dem Schenken (24045 ff.). 24026: bewart hier vielleicht zu dem allerdings kaum belegten wem, weren, „kleiden" (vgl. Lex 111,789; SIN); sonst vielleicht zu lesen zu bewarnen, „sich vorsehen" (vgl. Lex 1,253). Vgl. -»24004 f. und Anm. EK. 2 4 0 2 8 : S C H R / E K lesen er sie bare statt P / S C H er sieh bare (so zuerst S I N , vgl. auch Anm. EK). 2 4 0 3 2 : Im Blick auf 2 4 0 3 7 liest S I N da^ hinder teil statt P / S C H / S C H R / E K da^ nider teil. Allerdings mag die untere Körperhälfte von vorne und hinten zu sehen sein, die Besserung erscheint nicht zwingend. 24040: phahten als Rechtsterminus („in gesetzesform bringen, gesetzlich bestimmen, contractlich feststellen") belegt Lex 11,223; das fur die vorliegende Stelle ebd. angegebene „ermessen, ergründen" fällt aus der Reihe heraus. Vgl. aber gephaten („ermessen"), das Lex 1,867 für Hugos von Langenstein >Martina< (datiert 1293) nachweist. Vgl. auch Anm. EK. 24056: Zu koln („quälen") vgl. 11506, -»19068. 24074-24168 Janphie 24078 f.: Zur Quellenfrage und den verschiedenen Lanzelet-/LancelotTraditionen vgl. C O R M E A U 1 9 7 7 , S. 1 7 8 - 1 8 9 . Der Name Janphie bildet sich womöglich aus afrz. jant („schön, hübsch, zart") und fille („Mädchen, Tochter"), er ist sonst nicht nachzuweisen. Vgl. aber auch 9001 f., wo eine Japhie (P und SCH) bzw. Jattphye (V) erwähnt wird, der Gawein im Erbschaftsstreit gegen ihre Schwester geholfen habe.52 Eine solche Begebenheit ist nirgends überliefert; eine Gleichsetzung der beiden ist wohl weniger anzunehmen denn eine der häufiger auftretenden Doppelungen und Unklarheiten, die sich auch sonst bei Namen findet (vgl. Karadas, Ywalin/Riwalin, Ansgie/Ansgü, Brians/Bryan etc.).53 Während Lanzelet in der Becherprobe keine Freundin zugeordnet war, •wie es der Tradition des Ginover-Liebhabers entspricht, wird ihm in der Handschuhprobe nun Janphie zur Seite gestellt: sie dürfte auf die LanzeletPartnerin Iblis in dem Roman Ulrichs von Zatzikhoven zurückgehen, die 52

53

WARNATSCH (>Mantel< S. 108) setzt die Identität der beiden als selbstverständlich voraus; CORMEAU 1977, S. 187 Anm. 31 wendet sich ohne Angabe von Gründen ausdrücklich dagegen. Vgl. das Namensverzeichnis.

24074-24168 Janphie

603

dort Siegerin der Mantelprobe war. Heinrich nimmt im folgenden offensichtlich Bezug auf den >Lanzelet24110); aber auch als Bezeichnung des Dichters wäre der Begriff interessant. Vgl. auch Anm. EK. 24088: An Landetet wohl einfach: „um Lanzelets willen" (vgl. Anm. EK); SIN versteht die Formulierung als Titel „jenes frühern gedichtes" Heinrichs (zur Diskussion um die Autorschaft des Ambraser >Mantel 2 3 4 9 5 - 2 3 5 0 5 ) . Wenn es überhaupt als Titel zu lesen ist, muß es jedoch wohl den Roman Ulrichs von Zatzikhoven meinen, der hier zum Vergleich herangezogen wird. 24094: SCH an dem, P / S C H R / E K an der.56 Das buoch ist wohl der Roman Ulrichs, über den sich der Erzähler noch bis 24110 äußert. 24100: wart, „achtgebendes, erwartendes, spähendes ausschauen, das wachen, bewachen belauern" (Lex 111,696), hier wohl: „er mußte vorsichtig sein" o.ä. 24101-24106: ( 2 4 1 0 1 - 2 4 1 1 2 = G T 1 1 7 ) „Auch wenn der Mann kaum Schuld an den Fehltritten der Frauen hat, wird ihm das doch schnell von bösen Lästerzungen angehängt, die schnell dabei sind, wenn man sich einer Sache erinnert." Der Erzähler (also wohl Ulrich) mußte vorsichtig sein, um durch ein schlechtes Probenergebnis nicht die vorbildliche Ritterschaft seines Helden Lanzelet zu gefährden; nur deshalb hat sine vriundinne ( 2 4 0 9 8 ) Iblis siegen können, obwohl ihr der Mantel eigentlich misse^am ( 2 4 1 0 9 f.). 24104: bi^ungen (P/EK bi^ungen) ist nur hier belegt; Lex 1,293 deutet „doppelzunge, verleumderische zunge"; SCHR überlegt bi^^ungen als „bissige Zungen". Möglich zu br. „Zunge, die schnell dabei ist" (mit Spott)? 54

Dieses knappe Bestehen um Lanzelets willen ist nicht nur böse Nachrede Heinrichs, sondern im >Lanzelet< so vorgegeben: Der Mantel ist ein Geschenk der Fee, die Lanzelet großgezogen hatte, und die Iblis um seinetwillen ehrt (Lanz 6195 f.).

55

WARNATSCH, >Mantel< S. 106, A n m . 1; GÜLZOW 1914, S. 246.

56

WARNATSCH (>Mantel< S. 106) und SIN möchten ander lesen, sie beziehen das offenbar auf den Ausgang der Tugendproben; allerdings geht es hier lediglich um die Berichte über Lanzelet.

604

22502-25549 Hoffest: Handschuhprobe (Garanphiel IIa)

2 4 1 0 5 : SCH mit waren (wohl als Konj. verstanden); P/EK mit waren (vgl. war, ware, „acht, aufmerksamkeit" (Lex 111,686), was problemlos in den Kontext paßt); SIN/SCHR deuten: mit vare (väre, „nachstellung, hinterlist, falschheit" etc., Lex 111,21). Anm. EK erwägt für P: „die sich dort zugesellen würden". 24110: Im Kontext der vorangegangenen Verse dürfte sich hier mandel wohl eindeutig auf den Prüfungsgegenstand im Roman Ulrichs von Zatzikhovens beziehen. WARNATSCH nimmt hingegen diese Passage als Grundlage seiner Argumentation, das >MantelCröne< geschrieben habe (>Mantel< S. 105 ff.) Dabei stützt er sich gleich auf zwei Konjekturen, die seiner These dienen sollen: Statt richtare (—>24087) liest er tihtem, womit „sich Heinrich nur selbst meinen" könne (ebd. S. 106, Anm. 1), zum anderen liest er 24094 ander man, woraus er schließt, der >Mantel< sei ein „Seitenstück zur Krone" und zeige „zugleich, dass Heinrich vor der Krone kein anderes Werk von ähnlichem Umfange geschrieben hatte als eben Mantel" (>Mantel< S. 106). Diese Konstruktion hat allerdings von Anfang an deutliche Kritik hervorgerufen,57 außerdem wird die Autorschaft Heinrichs für das Fragment mittlerweile als widerlegt angesehen (—>23502—23505). 24113—24168: Die Probe verläuft für Janphie ähnlich unerfreulich wie für die anderen Damen: Wie von Wellen überströmt, wird ihr Körper nur partiell verdeckt, sichtbar bleiben rechtes Auge, Mund und die Gegend zwischen Nabel und Knie; Wellen verbergen den Rest, auch Bein und Fuß. Keie nutzt die Gelegenheit, die Dame als äußerst wechselhaft und treulos darzustellen, entsprechend dem Bild der Wellen, das die Unbeständigkeit des Meeres beschwört (24153 f.). Damit unterstützt er die Ausführungen des Erzählers über den eigentlich unberechtigten Sieg der Iblis in Ulrichs Mantelprobe, der lediglich der Rücksicht auf Lanzelet zuzuschreiben gewesen sei (Lanz 6110-6140). Die Bemerkung 24081, Ich enwei% swes sie do engalt, ist spätestens hier als scheinheilig endarvt. 24128 f.: SCH gie überstrichen, Ρ lie vber strijchen, EK lie er vberstrijchen, wohl am nächsten SCHR lie% überstrichen·, vgl. strichen lä^en Lex 111,1234. Zu ende („Stirn") ->22064 und ->23756. 2 4 1 3 5 : SIN/SCHR Ein ander unde statt P / S C H / E K Ein ander under. 24137 f.: Zur Metaphorik vgl. im Rahmen der Probe bereits —>23935 ff., —>24021.

57

Vgl. die Zusammenstellung bei CORMEAU 1977, S. 186 Anm. 28; auch KRATZ 1977 und SCHRÖDER 1 9 9 6 B d . 1 , S . 1 9 7 .

24169-24197 Namenlose Freundin des Kalocreant

605

2 4 1 5 6 : enprtsen (P/SCH) ist der erste mhd. Beleg für die privative Form zu prisen (en- wie ent-, „einen um seinen Wert bringen"), später wieder in >Rennewart< und >Jüngerer Titurek 58 2 4 1 5 8 : SCH/SCHR in statt P / E K y m e sinnvoll: zu schäch, „raub, räuberei" (Lex 11,621). schäch tuon mit Dat. für „berauben": Sie macht ihnen die Liebhaber abspenstig. 2 4 1 6 1 : SCH/SCHR brievel, P/EK bnfel. Entweder als „Botschaft" (SCHR) oder Minnebrief zu deuten, den der heimlich Erwählte bei der Minnejagd erhält, oder wie in —>11726 als briiel („bewässerte buschige wiese") zu lesen (so SIN), was in der Vergewaltigungsszene als Bild für die weibliche Scham gebraucht wurde.59 2 4 1 6 4 : Die Lesung P/SCH/EK vurten, fürten zu vürten („vermittelst einer fürt durchwaten", Lex 111,616) irritiert durch die sonst nicht gebräuchliche refl. Verwendung. Zu deuten als „einen Weg bahnen, eine Furt bilden"? Anm. SCH erwägt vürdern, „sich beschleunigen, eilen" (Lex 111,595).

24169-24197 Namenlose Freundin des Kalocreant 2 4 1 7 2 ff.: Die Freundin des Kalocreant wird vom Handschuh nicht zum Verschwinden gebracht, abgesehen von ihrer Wade. Damit entspricht das Ergebnis dem der Galaida, bei der dem Handschuh an siner kraft gebrast (23904); bei Keies Freundin war nur das Auge verschwunden (vgl. entsprechend Keies Reaktion 241778 ff.). SCHR schreibt 24172 neswante. 24180 ff.: Zur Freundschaft Keies mit Kalocreant —>23574; beide begleiten Gawein auf seiner Gralsfahrt (—>22959 ff.).

24198-24226 Freundin des Kales: Filleduoch min herre Kales (SCHR min her Kales) entsprechend der sonstigen Gewohnheit gebessert aus P/EK min Kales (so auch die spätere Hand in P). 2 4 2 0 2 : Filleduoch (afrz. fille douce, die „sanfte, liebliche Tochter"), die amie des Kales, wird nur hier erwähnt, in der Becherprobe kommt sie nicht vor. Ahnlich wie bei Janphie verschwindet nur ihre obere Körperhälfte; Keie deutet daher metaphorisch ihre Käuflichkeit an: wan si manegen mit ir minne labet (24226). Ihre obere Hälfte stehe Kales gänzlich in Liebe zu, die untere jedoch sei allgemein verfügbar (24217 f.). 2 4 1 9 9 : SCH

58 59

Vgl. Lex 1,566; S U O L A H T I 1929, S. 85. So auch TH: „Love's meadow must be defended on Lady Love's heath".

606

22502-25549 Hoffest: Handschuhprobe (Garanphiel IIa)

24227-24253 Aclamet 24228 f.: Von der Verbindung zwischen Aclamet, der Botin und Dienerin Amurfinas (vgl. 7 6 7 4 u.ö. noch namenlos, —>8322 erstmals namentlich) und dem Artusritter Aumagwin ( - » 2 3 1 7 ) hatte der Text bislang nichts berichtet. 2 4 2 3 1 : SCH DÖ unnötig aus P / S C H R / E K Der. 24240 ff.: Das Sichtbarbleiben von Hals und Nacken bietet keine konkreten Anhaltspunkte für erotische Verfehlungen; Keie betont besonders Aclamets selbstbewußte Haltung (vgl. v.a. 2 4 2 4 3 : vröuden stellentir nac) und leitet daraus einen Hang zur sexuellen Freizügikeit ab. Vgl. hingegen die Betonung ihrer Keuschheit als Begleiterin Gaweins auf dem Weg nach Serre 7 8 8 4 - 7 8 9 0 . 2 4 2 4 4 sie wohl die vröude. 2 4 2 5 0 : Der Bezug von P / S C H / E K in erscheint unbestimmt; S I N / S C H R lesen iu\ „Sie sollte euch nicht verschmähen", offenbar zu beziehen auf Aumagwin. Damit würde nochmals auf das Selbstbewußtsein Aclamets angespielt.60 24251—24253: Diese Verse, v.a. der letzte, wurden sehr verschieden gedeutet; bereits der verunklarte Dreireim weist auf frühzeitig aufgetretene Probleme (stat: geet: cleit). SIN hielt den Text für zu verderbt, als daß alle Bezüge zu klären seien, und deutete cleit in Ρ den letzten Vers im Sinn einer Klage: graset zu grämen „schreien, aufschreien, wüten" (Lex 1,1075), klet zu kleinen·, „klagen, winseln" (Lex I,1621). 6 1 Hingegen denkt sich SCHR das Liebesspiel auf einer Wiese (ohne Hinweis im Text) und deutet klen analog zu grasen·. Keie wolle also sagen, „wenn sie das Liebesspiel dar üf, 'auf der Wiese', einmal genossen hat, geht sie immer wieder Gras und Klee schneiden" (SCHR, S. 200). Das Naturbild erscheint ebenso willkürlich wie die Alternative, Keies Spott wolle den offenbar gehörnten Aumagwin damit trösten, daß sie sich des Unrechts in ihrem Tun bewußt sei und dieses später bereue. 24254—24341 Erzähler: Distanzierung von Keies Spott 24254 f.: Das Komma sollte hinter län stehen, nicht hinter da mit (so S C H / E K ) : und dürfte relativisch zu verstehen sein (vgl. Lex 11,1776). 24264 f.: Besser ohne Komma nach wise ( S C H / E K ) , der 2 4 2 6 3 begonnene Gedanke ist noch nicht beendet (Und [wie] Keil mit unprise). 24269: Die Wendung über herben stellt Lex ΙΙΙ,1113 zu über der sinne %il (mehrere Chronik-Belege sowie in >Heinrich und Kunegunde24281, —>22449). Der Vers steht am Ende eines Einschubs (daher wären 24300-24303 in Paranthese zu setzen, der Punkt nach 24303 sollte entfallen). Durch der äventiure sage (24304) begründet, warum der Autor manchmal wiplich missetät nicht verschweigen {gestillen) kann. 24312: Lies mit SCHR/EK Punkt am Abschnittsende. 2 4 3 2 5 : P / E K Ymmer sunder wandelung, SCH/SCHR sunder wandelunge. 2 4 3 2 8 ff.: (24326-24331 = GT 119) „Wer sich überhaupt nicht um die Vergnügungen der Welt müht, der tut das ohne den gruo% der Frauen." Vgl. den Gedanken, daß derjenige wibes gruos^ haben muoder %er werlde vröude gert (231 ff.), daneben auch die Rolle des dichtenden Verehrers der vrouwen, die nach werde leben (29990).62 24334 SCH/SCHR dagen („schweigen" Lex 1,407) aus P/EK tagen („tag werden, leuchten" etc. Lex 11,1392) erscheint sinnvoll.

62

SIN möchte jedoch 24331 an statt an lesen (P/EK one).

608

22502-25549 Hoffest: Handschuhprobe (Garanphiel IIa)

24342-24699 Handschuhprobe der Männer Während es in der Probe der Damen ausschließlich um deren Integrität in Minneangelegenheiten gegangen war, was zu derbem Spott Keies geführt und so eine ganz eigene Komik hervorgebracht hatte (vgl. dazu v.a. KNAPP 1981), beschränkt sich die Probe der Ritter auf deren ritterliches Gebahren und zitiert, ähnlich der Becherprobe, zahlreiche Epsioden der Vorgängerliteratur. Allerdings verweist S C H R S . 201 zu Recht darauf, daß die Ritter trotz der Aussparung des sexuellen Bereichs ,4m Grunde bei der Frauenschelte immer mitbetroffen gewesen" seien. 24342-24418 Artus besteht die Probe; Diskussion über Fortsetzung 24344 ff.: Daß Artus die Probe problemlos besteht, entspricht der Becherprobe (vgl. auch —>1892-1896). 24350 ff.: Gaweins Annahme, die Probe sei mit dem Erfolg des Königs beendet, entspricht eher den Ausführungen des Boten in der Becherprobe (vgl. 1163 ff., dort wird die Probe trotzdem fortgesetzt); die Botin Garanphiels hatte lediglich angekündigt, der Gewinner werde auch den zweiten Handschuh erhalten (23105-23111). 24357: Zu Km Ii seneschas ->490. 24359 ff.: Keie hat die Racheabsichten Garanphiels, die hinter der gesamten Handschuhprobe und dem darauffolgenden Besuch durch den Ritter auf dem Bock stehen, offensichtlich durchschaut; er ist später auch der einzige, der die Warnungen des Windmädchens wirklich ernst nimmt. Hier benennt er nun ausdrücklich die Schuld Gaweins, durch die sich dieser den Haß Garanphiels zugezogen hat: der fragwürdige Kampf gegen Fimbeus, um ihm in Ginovers Auftrag den wunderkräftigen Gürtel wegzunehmen. Die Schuld scheint durch den Vorwurf des valschen gruo^noch größer, der auf den Judaskuß hinweist (vgl. Pz 321,10 ff.; zum Motiv des Gürtels —>4858, vgl. auch zum Raub der Saeldenblumen —>6105—6117, zudem zu Gaweins Schuld —>18837). Keies ausführliche Mahnungen an die Adresse Gaweins korrespondieren mit den umfangreichen Erzählerkommentaren zu Gaweins Versagen in der Becherprobe (vgl. 1994-2069); waren dort Entschuldigungen nötig, so sind diese Warnungen hier v. a. spannungssteigernd: Gawein besteht die Probe schließlich trotzdem. Daß Garanphiels Handschuh ausgerechnet Gawein als vorbildlichen Ritter auszeichnet, erscheint mit BLEUMER als „eigene Negation [der Probe], denn sie spricht Gawein hier von dem Vorwurf frei, durch den sie initiiert worden war." Die nötige Umwertung, um Garanphiels Zweck doch noch zu erfüllen, bringt der als Gegenbild zur Botin

24419-24447 Gawein besteht die Probe

609

gestaltete Bote auf dem Bock; durch ihn wird aus dem zunächst versprochenen Gewinn Verlust.63 2 4 3 6 1 ff.: In dem Satzgefüge fehlt ein Verb, namet o.ä. müßte an passender Stelle zu ergänzen sein, vgl. SCHR: den ir namet mit valschem gruo^e (EHR bessert stattdessen 24362: Fimbeus n&mt mit strd^enroube); vgl. auch Anm. EK. 2 4 3 6 2 : Mit dem Vorwurf, Gawein habe Fimbeus den Gürtel durch strä\enroube abgenommen, eignet sich Keie die Perspektive Garanphiels und ihres amis an (vgl. auch 25412). Der drastische Terminus läßt zudem den nächsten Racheakt Garanphiels anklingen, vgl. auch die Vorwürfe des Boten auf dem Bock 25406 ff. 2 4 3 8 1 : Die vrouwe bezeichnet Garanphiel; eine feminine Form botinne ist nur im >Passional< belegt (vgl. Lex 1,333, kein Beleg im „Findebuch"). 2 4 3 9 0 ff.: Nach den Angriffen gegen Gaweins Absicht, sich und den übrigen Rittern die Probe zu ersparen, leitet Keie jetzt doch noch zu einer Schmährede gegen den erfolgreichen Artus über, in der er dessen milte als Geiz verkehrt: Artus versuche immer, die magischen Gegenstände (Becher und Handschuh) an sich zu bringen. Vgl. die Scheltreden der Becherprobe, die Artus schließlich zu heftigen Entgegnungen provozieren (1631-1925). Durch Gaweins Bestehen der Probe werden diese Anschuldigungen hier aber gleich wieder entkräftet. 2 4 3 9 7 : Die Wendung houbet und drum verwendet Heinrich mehrfach, vgl. —>14820, auch 19175 (->19172-19177). 2 4 4 0 9 : P/SCH gemüch, SIN, SCHR und EK genuoc. 2 4 4 1 8 : P/SCH: SO legt ieman des niht rät, sinnvoller SIN und E K : SO legt in an, des ist niht rat '(vgl. auch SCHR: SO leget in an, des enist niht rat). 24419-24447 Gawein besteht die Probe Lit.:

KAMINSKI

2005, S. 233 ff.

2 4 4 3 2 ff.: Zur Mehrdeutigkeit der Passage vgl. auch Anm. EK: 24433 P/EK one versteht SCH als an, SCHR äne. TH versteht spiselosen als „ohne spise" (Lex 11,1099), also „hungrig", und an erlost als „etwas abgewinnen, auslösen" (Lex 1,1958) und übersetzt mit SCH: „What a clever talker he is! He could get a mouse away from a hungry cat that had chased it about the house a hundred times". SCHR dagegen: „Das Lauern einer Katze auf Beute befriedigt er, nachdem sie das Haus hundertmal danach abgesucht hatte, sogar ohne Maus." Im Kontext der beiden folgenden Verse erscheint diese Deutung weniger schlüssig; es geht darum, daß Gawein durch Schmeicheln alles 63

Vgl. BLEUMER 1997, S. 158 ff., Zitat S. 158.

610

22502-25549 Hoffest: Handschuhprobe (Garanphiel IIa)

bekommt, was er möchte, es gelingt ihm, selbst den Probenbecher zu becircen. 2 4 4 4 5 ff.: Lies mit P/EK nihts: Artus erläßt Keie und den übrigen die Probe nicht (24446 in ist der Handschuh). SIN und SCHR lesen ins statt uns. Sinnvoll die Interpunktion von SCHR: Komma nach 24446, Punkt nach 24447. 24448-24472 Giremelanz 24448: „Ein Gelübde muß vollständig erfüllt werden". Mit dieser Sentenz verweist Keie auf das Versprechen, das Artus der Botin gegeben hatte, als diese den Handschuh an den Hof brachte (23437 ff.). Zu Parallelen vgl. ShRM (mit Verweis auf 1650 ff., 5080, 5353 f., 10996 f., 11387 f., 15650 ff, 22572 ff., 24863 ff, 25246ff), auch TPMA 12, „Versprechen" 3.2: „Was man verspricht, halte man ein". 2 4 4 4 9 : Ähnlich wie bei der Damenprobe werden auch bei den Rittern zunächst die im Laufe der Romanhandlung zur Artusgesellschaft Hinzugestoßenen der Probe unterzogen, bevor die altbekannten Artusgefährten an die Reihe kommen. Giremelanz zählt nun durch seine Heirat mit Clarisanz als Schwager Gaweins zur Familie. 24457 ff.: verren, „in die ferne schweifen lassen" (Lex 111,200); Keie bezieht sich auf Gaweins erste Begegnung mit Giremelanz bei der Suche nach den verjüngenden Blumen zu Colurmein. Daß Giremelanz als Hüter dieser Blumen fungiert, wurde dort jedoch nicht deutlich gesagt (—»21537 ff.). 24471 f.: Lies mit EK Punkt nach berief, der nächste Vers bringt einen neuen Gedanken. Zur einschläfernden Wirkung der verjüngenden Blumen —>21128-21165, ->21357 ff. P/EK Wann wer, SCH Wan srnr. „wenn immer jemand". SCHR entlief ist überflüssige Konjektur. 24473-24495 Gasoein 2 4 4 8 4 ff.: Keies Rede geht lediglich auf den sichtbar gebliebenen Mund ein, der freibleibende Rücken wird nicht ausgedeutet. Die von Gasoein an den Hof gebrachten Wirrungen um Ginovers Treue werden auf den Aspekt der üblen Nachrede reduziert, vgl. sein Eingeständnis an Pfingsten, alles sei Lüge gewesen (—>12545-12600). Die Vergewaltigung Ginovers wird nicht erwähnt. 2 4 4 9 2 : Ρ Das ir ir in, SCH/SCHR Da% irs in; E K Da ir sie in mit Verweis auf die ausschließlich trans, und refl. Verwendung von besprechen. 24494 f.: (= GT 119a) „Das Streben nach Gewinn verdirbt den Sinn." Diese sentenzhafte Formulierung sieht als Auslöser für Gasoeins Handlungs-

24496-24522 Lanzelet

611

weise dessen dringesndes Bedürfnis zu gewinnen anstelle der minne, die er angeblich für Ginover empfand. 2 4 4 9 6 - 2 4 5 2 2 Lanzelet 24499 f.: Lanzelets geschlossenes Auge als Corpus delicti erklärt Keie 2 4 5 1 0 f. mit dessen miiede, die ihn zu der schandhaften Karrenfahrt gezwungen habe; diese Fahrt war auch Thema der Becherprobe (—>2105 f. und —>2111—2126). 2 4 5 1 2 : SCH Wunders wohl mißverstanden zu P / E K wonder (Nom. Mask, zu wunt, „der Verwundete"); vgl. zusammenfassend Anm. EK. 24517 ff.: Diese Passage verweist auf Lanz 268—274: Dort wird von den Lanzelet erziehenden vrouwen im Land der Meerfee gesagt, eine jede von ihnen habe heimlich gehofft, er würde sich ihr in minne verbinden; hier wird das jedoch auf die merminne eingeschränkt, die Herrin der vrouwen {die gotinne). Die letzte Anspielung Keies 24521 f., die auf die (in der literarischen Vergangenheit Lanzelets gedachte) Liebe zu Ginover bezogen werden dürfte, bietet ein logisches Motiv für den Verzicht auf eine andere Beziehung. 64 2 4 5 2 3 - 2 4 5 7 3 Iwein und Erec Lit.: Vgl. zur Probe Iweins CORMEAU 1977, S. 173-178, zur Probe Erecs ebd. S. 168—

173. 24523: Iwein war in der Becherprobe ( 2 1 8 3 - 2 1 9 2 ) vor allem die Hilfe seines Löwen in der Harpin-Episode zum Vorwurf gemacht worden, auf die hier offenbar ebenfalls angespielt wird (24531—24534); hier wird ihm zudem der Kampf gegen den Quellenherrn Ascalon als mordes werke vorgeworfen (24537). Die kritische Stellungnahme des Erzählers scheint in der Wortwahl auf. 24530: Das Verb giten zu dem Adj. gitec („gierig", so 24392) ist ein nur für diese Stelle belegter Neologismus (Lex 1,1024). Das Phänomen, auffällige Wörter innerhalb einer Episode verstärkt zu gebrauchen, die im restlichen Roman selten oder gar nicht vorkommen, findet sich häufiger (—>9282). 24532: Der Tod des Löwen ist in keiner der Iwein-Erzählungen überliefert, sondern Heinrichs Lösung des Problems, daß das Tier keinen Platz am Artushof hat;65 er wird auch in der Becherprobe angedeutet (2189 ff.). In der einzigen weiteren Stelle der mittelalterlichen Artusliteratur, die sich mit dem Verbleib des Löwen beschäftigt, geht es ähnlich unkompliziert zu: Bei Kon64

Vgl. d a z u a u c h CORMEAU 1977, S. 180 ff.; BRINKER-VON DER HEYDE, M ü t t e r 1996, S. 2 8 9 f.

geht auf die Ginover-minne nicht ein. 65

S o CORMEAU 1977, S. 176.

612

22502-25549 Hoffest: Handschuhprobe (Garanphiel IIa)

rad von Stoffeln tötet der Bock Gauriels (auch —>24734) den Löwen in einem Kampf des Protagonisten gegen Iwein (Gau 2025 f.). 2 4 5 3 7 : girden („gieren nach") ist ebenso wie das Synonym giten —>24530 eine Neubildung z\igir,girde etc. (Lex 1,1020). 24542: Das Versagen Erecs in der Becherprobe (2154—2182) war auf seine Bequemlichkeit zurückgeführt worden; hier richtet sich Keies Kritik vor allem gegen Erecs grobe Behandlung seiner Frau sowie sein Schwanken zwischen überschwenglicher Liebe und ha% Damit greift er das Grundproblem der >Erec1799). 24045 wurde er als Gefährte der Parkie bezeichnet. 2 4 5 9 1 ff.: die min ist Keies vrouwe·, sie solle keinen Durst haben, um nicht zu häufig der Gefahr ausgesetzt zu sein, von dem vroumnschenken Lucanus verführt zu werden. 24596 f.: Zu dem unvollständigen Dreireimabschluß schlägt SIN vor, des kniemns mich verdrü^e anzuhängen, bei SCHR übernommen (vgl. auch Anm. EK).

24598-24628 Parzival 24598 ff.: Nachdem Parzival in der Becherprobe (2208-2257) durch seinen vergeblichen ersten Gralsbesuch, die Begegnung mit seiner Cousine und seinen ersten Besuch am Artushof charakterisiert worden war, wird ihm hier eine weitere Episode aus seiner Jugend zum Vorwurf gemacht: der Kuß- und 66

Vgl. BRÜGGEN 1 9 8 9 , S. 2 3 8 ; Lex 11,208.

24629-24699 Kalocreant und die übrigen Ritter, Abschluß

613

Ringraub an der dame [...] andormie (der „schlafenden Dame", CdG 632 f.) im Zelt.67 24604: Vgl. die Formulierung der Hs. V 1228 f., wo die Königin von Lanphut durch ein runs [...] Stra% breit unde grd% bloßgestellt wurde. SCH obene tal, P/EK obenherab tale. 24607-24615: Zur Wolfram-Kenntnis ->6380; daß die vrouwe 24622 namenlos bleibt, deutet eher auf Chretien hin. 24609, 24611: Statt SCH sicher lies mit Ρ beide Male sither. 2 4 6 1 3 : SCH liest: er dem niht aus P/EK: Das er das niht, vgl. dazu Anm. EK. 24617: P/EK Ader wane stellt Anm. EK (zuerst Anm. SCH) zu warten, „glauben, meinen" (mit von SCH abweichender Interpunktion: ab 24617 neuer Satz, Fragezeichen nach 24620). SIN/SCHR beziehen Ob er wone (zu wonen, „weilen, bleiben", SCHR übersetzt sehr frei als „zustoßen") auf den site im vorherigen Vers: „Eine merkwürdige Geschichte ist das, wenn sie einem zustößt" (SCHR).

24626: poulolin ist nur hier belegter (reimbedingter?) Diminuitiv zu dem frz. Lehnwort poulün bzw. pavelün, „Zelt".68 24629-24699 Kalocreant und die übrigen Ritter, Abschluß 24629 ff.: Ebenso wie in der Becherprobe (2193-2207) wird Kalocreant auch hier durch die einzige von ihm überlieferte Aventiure charakterisiert: seine Niederlage im Kampf gegen den Quellenherrn Ascalon. Von dem val, dem Sturz vom Pferd, hatte er selbst in der Einleitung zum >Iwein2305. 24671: Zu entleip {entliben, „schonen") auch —>64. 2 4 6 7 3 : Statt P/SCH/EK iagen/jagen lies wohl mit SIN lägen:69 mit Gen. (;munden noch mägeti) „auflauern, nachstellen, sein augenmerk worauf richten" (Lex 1,1814; vgl. auch 12992, 26603, 26397).

67

Wolframs Name Jeschute geht womöglich auf die Formulierung ebd. zurück: El lit une dame gissoit („Im Bett lag eine Dame"; gissoit (Prät. zu gesir, „liegen") wäre zu Jeschute geworden.

68

Vgl. Lex 1 1 , 2 8 9 ; SUOLAHTI 1 9 2 9 , S . 1 9 0 . Vgl. Pz 5 9 , 2 5 die Form poulün, was NELLMANN als „Prunkzelt" deutet (>Parzival< (ed. NELLMANN), Bd. 2, S. 489). Vgl. auch Anm. EK. So auch G Ü L Z O W 1 9 1 4 , S. 2 4 6 und G R A B E R 1 9 1 0 , S. 1 6 3 .

Vgl. SCHRÖDER 1 9 8 2 , S. 6 0 .

69

614

22502-25549 Hoffest: Handschuhprobe (Garanphiel IIa)

24675 ff.: Keie hat schlechte Erfahrungen mit dem Handschuh gemacht, vgl. 23543-23608. Daher verweigert er die Probe; er zieht ein Paar Handschuhe aus einem Kramladen hundert Wunderhandschuhen (dirre hundert, 24691) vor. 24688: Statt die pfenninc erwägt Anm. SCH dripfenninc (so auch Lex 11,676 beim Zitat der Stelle zu schebelinc, „handschuh") oder einen pfenninc. 24690: Zu der verstärkten Verneinung niht umb ein bräme, („gar nichts") vgl. ->17111. 24693: Die Initiale steht in P, allerdings fehlt dem vorhergehenden Abschnitt der dritte Reimvers.

24700-25549 Der Ritter auf dem Bock Lit:

GUTWALD 2 0 0 0 , S. 2 1 1 - 2 2 0 ; STEIN 2 0 0 0 , S. 1 6 5

f. (zu dem Windmädchen);

BLEUMER 1 9 9 7 , S. 1 5 7 - 1 6 6 .

Der mit Garanphiel und Saside in Beziehung stehende Bote mit dem Bock könnte als Illustration zum Geben und Nehmen Fortunas gelesen werden wie es 6044 beschrieben worden war; vgl. auch —>24359 ff. Er erscheint als Gegenbild zu der von Garanphiel gesandten Botin: während diese ehrenhaft geschildert wird, zeigt der Ritter betrügerischen Charakter. Zur Vollendung von Garanphiels Racheversuch wirken beide komplementär zusammen: Der Ritter vollendet, was die Botin begonnen hat (-»24700 ff., ->25268-25382). 24700-24841 Ankunft des Boten am Artushof 24700-24790 Rache Garanphiels; der Htter mit dem boc 24700 ff.: Die Gleichzeitigkeit von Abschied der Botin und Ankunft der neuen Aventiure betont den engen Zusammenhang beider. Nur zusammen können sie die Absicht Garanphiels erfüllen, sonst hätten die Szenen keinen Sinn, wie der Erzähler 24708 ff. betont.70 Die Handschuhprobe ist stiure für das Verständnis des restlichen Romans, ohne die ausführliche Erklärung dieser Episode könnte er den Rest seiner aventiure gleich ganz verschweigen und sie hiermit beenden (vgl. zu der Problematik auch den Exkurs zur brevitas —> 22229-22244). 2 4 7 0 4 : SCH Diu im ein aus Ρ Die ein ein, E K Die ein (mit Verweis auf übliche Dittographie in P). 24713 f.: Als Einfluß Wolframs wertet JILLINGS den Reim aventiure: stiure, den dieser ebenfalls erzähltheoretisch im Rahmen seiner Selbstaussage Pz 70

Vgl. dazu auch BLEUMER 1997, S. 159 ff.

24700-24790 Rache Garanphiels; der ritter mit dem boc

615

115,27 ff. benutzt hat (ine kan deheinen buochstap./ da nement genuoge ir urhap:/ disiu aventiure/ vert äne der buoche stiure) Ein klarer Beweis für einen Bezug auf die >Parzival17433. 24721: Lies mit P/EK den Genitiv gyramphils. 24724: Zu der zugrundeliegenden Geschichte um den Gürtel des Fimbeus vgl. die Zusammenfassung —>4858 ff. 24727 ff.: Der ritter mit dem boc (27737) als Bote der Garanphiel, der sich selbst als Abgesandter der Sxlde bezeichnet (24814), ist eine rätselhafte und schillernde Figur. Das zeigt sich schon in seinem schwarz-weißen Äußeren, ebenso in seinem außergewöhnlichen Reittier. Die Auffälligkeit dieser nicht im höfischen Sinn ritterlich wirkenden Erscheinung wird durch die intensive Wiederholung des Begriffs ritter betont (sechs Nennungen in den folgenden zehn Versen). Diese Figur Heinrichs war möglicherweise Anstoß fur Konrad von Stoffeln, ihm in seinem >Gauriel< eine eigene Geschichte zu widmen.74 24734: Der steinboc (ansonsten nur als boc bezeichnet, vgl. 24737, 24745 u.ö.) als Reittier betont den unhöfischen Charakter des Boten; so wurden Ziegen und Böcke traditionell dem Teuflischen zugeschrieben,75 daneben war der Bock Begleiter der Luxuria, Symbol der Liebe und der Sexualität sowie Sinnbild des sündigen Menschen (Mt 25,31 ff.).76 In der Literatur werden Böcke nicht sehr oft genannt, vgl. den Kentaur Chyron in Troj 5964 f., der mit einem Steinbock verglichen wird; ein wihtel in >Edolanz< 91 ff., der auf einem planken rechpok reitet; vgl. auch Heinrich von Freiberg, >Tristan< 4914 (dort wird der schlafende Kaedin einem erstochen boc verglichen). Auf einem Mosaik der Kathedrale von Otranto reitet Artus auf einem Ziegenbock.77 24741: Der Vorschlag von SIN scheint sinnvoll:78 Harmin, gra unde bunt, vgl. die Parallele —>540: Manig veder, gra vnd bunt.

71

V g l . JILLINGS 1 9 8 0 , S . 9 5 .

72

Vgl. 757, 5752, 14996, 21119, 23235, 27263, 29518 sowie im Dreireim äventiun : tiure •. stiure 25591 ff.; vgl. PFOSER 1929, S. 311 f. Insgesamt reimt Wolfram stiure und aventiure viermal: Pz 115,29 f., 329,3 f., 479,5 f., 566,29 f. Vgl. ACHNITZ in seinem Kommentar zum >Gauriel983. 2 4 7 5 2 ff.: Die Bildung S C H / E K agleistervar (P agleister var) ist Heinrich zuzuschreiben79 (vgl. auch —>25252 ageleiHeinrich greift mit der schwarzweißen Körperfarbe von Ritter und Bock erneut das auch 15641 f. erwähnte Elstemgleichnis aus dem >Parzival15635—15642). Ob er zugleich auf Parzivals Halbbruder Feirefiz anspielt, ist unsicher.80 Während Pz 1,8 f. und 15641 f. das Elsternbild jedoch als Erklärungsmodell heranziehen, um die Vereinbarkeit von Gegensätzen zu illustrieren, geht es hier wohl lediglich um die kuriose Erscheinung, vgl. die Wiederholung 2 4 7 8 0 f. und die entsprechenden Reaktionen der Hofgesellschaft. Zu Schwarz als Häßlichkeitstopos vgl. —>976. Zur möglichen Rezeption der Figur —>24727 ff. 24764: Die magt, die Botin mit dem ersten Handschuh, hat sich zwar verabschiedet, ist aber erst dabei, den Saal zu verlassen (—>24700 ff.). Dise vrouwen (24774) ist wohl ebenfalls auf die Botin zu beziehen. 24779 ff.: Zur schwarz-weißen Körperfarbe —>24752 ff. Der Reim geparrieret: getarnt verstärkt die Verbindung zum >Parzival729-738.

24791-24841 Der Bote bietet Artus den zweiten Handschuh 24792 f.: Mit der französischen Anrede und der darauffolgenden Übersetzung zeigt Heinrich wiederum seine Sprachkenntnisse. Vgl. 220 f. zu seiner Übersetzungstätigkeit (ähnlich z.B. 15947 f.). SCH Artus fier sinnvoll zu P/EK Artus vir (afrz. fier, „stolz, mutig" etc.,81 auch —>2307 f.). 24795: Der folgende Reimvers fehlt, vgl. auch Anm. EK. 24796 ff.: Der Text gibt keinen Hinweis, woher der Bote von der erfolgreichen Mission seiner Vorgängerin wissen könnte; die hier angedeutete enge Verbindung der beiden Boten spricht bereits gegen die spätere Behauptung des Ritters, ein Gesandter Saeldes zu sein (—>24867 ff.). 79

Vgl. L e x 1 , 2 7 ; REISSENBERGER 1 8 7 9 , S. 3 0 .

80

JILLINGS 1980, S. 95 sieht hier eine Feirefiz-Parodie; dagegen zuletzt BLEUMER 1997, S. 161. Unklar ist v. a., ob Heinrich die letzten Bücher des >Parzival< überhaupt gekannt hat, —>6380. NELLMANN (>Parzival< (ed. NELLMANN), Bd. 2, S. 487) betont im Kommentar zu Pz 57,16, Feirefiz sei gescheckt, die Epiker nach Wolfram griffen „den kuriosen Einfall gelegentlich in einer Variante (Menschen, die halb schwarz, halb weiß sind) auf'; vgl. auch HERTZ 1911, S. 476. Der Elsternvergleich läßt aber auch hier eher eine gescheckte Farbverteilung vermuten.

81

FOERSTER 1 9 7 3 , S . 1 2 4 .

24842-25549 Die Botenrede: Betrug des Boten

617

24813 ff.: Daß sich der Bote als Gesandter Saeldes ausgibt, ist offenbar eine List (wieder 24867 ff.); vgl. den Hinweis 24706 f., die neue Aventiure gehe auf die vrouwe der Handschuhbotin zurück, also Garanphiel. SCH/EK: Des wil tu wol sinnvoll aus P: Des wil ich üch wol. 24827f.: Der Reim SCH scheit: reit zu P / E K schied: ritte ist mehrfach in den Blick geraten (vgl. zusammenfassend Anm. EK), weil schiden, „auseinandergehen, scheiden" nur sehr selten belegt ist (Lex 11,722, BMZ 11,2,97), anders hingegen das vielfach überlieferte Subst. schidunge (bei Heinrich nur 27706).

24831: Die velschlichen listen, mit denen der Bote seine Bitten vorbringt, sind wesentliche Charakterisierung dieser Gegenfigur der Handschuhbotin ( — > 2 3 4 4 2 f f . , — > 2 4 3 5 9 ff.).

24840: bewac zu wegen, hier wohl in der Nebenbedeutung: „nicht kümm e r n " ( L e x 111,727).

24842-25549 Die Botenrede: Betrug des Boten 24842-24936 Einschmeicheln; Hilfsangebot für Gaweins Gralsfahrt 2 4 8 6 4 : SCH Da%

P/EK

Was.

24869 f.: Der Reim erscheint in P / E K nicht eindeutig (brehte: ahte); SCH deutet als Konj. brahte: ahte·, GRABER 1910, S. 168 als Prät. brähte: ähte. Lex 1,30 belegt ahte und ahte gleichermaßen für den Rechsterminus „Verfolgung, acht". 24882: Statt Doppelpunkt bei SCH (und TH) liest E K Fragezeichen. Daß ausgerechnet der Bote mit seinen velschlichen listen (24831) die Wahrheits frage stellt, ist Teil dieser List, zumal er keine wirkliche Antwort auf diese rhetorische Frage gibt. Woher er über die von ihm angesprochenen Vorgänge so ausführlich Bescheid weiß, wird offengelassen; es erregt aber offenbar nur bei Keie Verdacht. 24892: entriden („loswinden") wieder 27300 (Lex 1,580); vgl. die Parallelen 14630: riden, „sich rühren, fortbewegen"; in der Grundbedeutung „winden, drehen, wenden" auch 14303 (dazu Lex 11,422). 24896: Die formelhafte Wendung: den hät er an der hant ist so nicht belegt; die hant ist „symbol des besitzes, der gewalt über eine sache" (Lex 1,1171). Müßte es eigentlich der Tod sein, der Besitz über Gawein bekommt, werden die Besitzverhältnisse durch diese Formulierung beschönigend umgekehrt. 24899: Hier beginnt ein neuer Abschnitt (Dreireimabschluß, Capitulumzeichen in P), vgl. EK. Zur folgenden Geschichte um den magischen Gürtel vgl. die Zusammenfassung —>4858 ff.; zum Gewinn des Steines den Rückblick 14959 ff., zur Figur Garanphiels ->4885. 24918: Zu gereise („der oder die mitreisende") vgl. —>7887.

618

22502-25549 Hoffest: Handschuhprobe (Garanphiel IIa)

24922 f.: Die Formulierung, die Aventiure (vom Gral) solle ihm uf den grünt kunt werden, greift die Formulierung des Auftrags auf, Gawein solle den Gral ervarn, vgl. —>18918: Da% er im gar ervüere. 24937-24955 Artus erlaubt die Vorführung 24940-24955: Ähnlich ausführlich hat Artus sein Einverständnis auch in den vergleichbaren Situationen 1052—1066 und 4779-4793 erteilt, wo er die genaueren Umstände ebensowenig kannte. Die Szene entspricht der klassischen Situation der Ginover-Entführung, in der das Blanko-Versprechen des Königs (Rash-Boon-Motiv, vgl. auch —>1033 ff.) zum Spannungsaufbau gehört.82 Daß die Verhaltensnormen des Artushofes für den Raub der Kleinodien mitverantwortlich sind, betont BLEUMER 1997, S. 161 f. 24943: SCH/EK: Ie, herre vriunt min-, Ρ läßt aber auch die Möglichkeit zu: Je her, vriunt min. Die Verbindung herre vriunt erscheint eher ungewöhnlich.83 24951: Es fehlt das Objekt zu brache, etwa gewonheit o.ä. für die beschworene state (Anm. EK denkt an ein Versprechen oder einen Eid); SIN schlägt vor: Ob ich in an iu brache. 24954: Die Anrede her guot kneht wurde bisher v. a. gegenüber Gasoein verwendet (vgl. Keie als Sprecher 3847, sonst jeweils Artus 4462, 4473, 4501, 4925). Vgl. auch Anm. EK. 24956-25012 Der Bote nimmt Sasldenring und Fimbeusstein 2 4 9 8 9 : SCH

Deswär des,

P/EK

Gehabt, deswar, des-, vgl. die Paraphrase in

Anm. EK. niht ein kicher als bildlicher Ausdruck für „gar nichts" nutzt die Vorstellung der Wertlosigkeit einer kleinen (Kicher-) Erbse. Zu anderen solchen Bildern bei Heinrich vgl. —>1224; wieder verwendet hat die kicher ν. a. Ottokar (>Steirische ReimchronikCröne" lassen sich nicht verifizieren.

25013-25115 Vergebliche Warnung des Windmädchens

619

25013-25115 Vergebliche Warnung des Windmädchens Die Figur der hellsehenden Königstochter, der „little unnamed Cassandra figure",85 die vom Wind herumgetrieben wird, ist eine der skurrilsten Erfindungen Heinrichs. Das Mädchen, das noch zu jung ist, um den Damen in die Gesellschaft zu folgen, steht mit seiner visionshaften Warnung „nicht allein außerhalb der Verhaltensnormen des Hofes, es steht außerhalb der Gesetze der epischen Welt."86 So kann es den Betrug des Boten durchschauen, weil es nicht an die gesellschaftlichen Verhaltensnormen (vgl. v.a. das Rash-BoonMotiv 24937—24955) gebunden scheint. „Umgekehrt ist der Sinn der Vision von der Ebene des arthurischen Figureninventars aus nicht zu begreifen [...] allein der Grenzfigur der arthurischen Ordnung, Keie, ist die Außenperspektive des Kindes zugänglich."87 Die Verschlossenheit der Hofgesellschaft den Mahnungen des Mädchens und Keies gegenüber vergleicht M E Y E R in ihrem Fatalismus den Untergangsmechanismen der Heldenepik88 (die schien z.B. auch in dem Drachenkampf 15108-15196 auf). STEIN betont v.a. das Konstruierte dieser Helferfigur, die er mit der Abgesandten Saddes in der zweiten Wunderkette, mit Siamerac von Lembil und Gener von Kartis in einer Reihe sieht (zu der auch noch Enfeidas und Gansguoters Schwester zu zählen wären). Allen diesen Figuren sei gemeinsam, daß sie die „ritterliche Souveränität des Helden" in Frage stellen. Da der Figur des Mädchens jegliche „plausible Einbindung in den epischen Zusammenhang" fehle, werde der reine Zweck, eine Wendung der Situation herbeizufuhren, zu deutlich und die Szene als „epische Krücke" vom Autor selbst bloßgestellt.89 Heinrich läßt das Mädchen gleich zweimal auftreten: Beim ersten Mal warnt es vor Verrat durch den Boten, 25673 ff. wird es nochmals zu Artus geholt und rät, Gansguoters Hilfe zu suchen. Konkrete Vorlagen lassen sich nicht festmachen, vermutet wird eine Anregung durch „alpines Erzählsubstrat (Windsbräute, Salige)".90 Vgl. auch die Darstellung Wig 6864 ff.: od wer in erlöste./ das,ι tet der stiegen mägde kint./ von des krefte wate ein wint;/ der sluoc den nebel nider. Daneben findet sich ein entsprechender Aspekt in der Beschreibung Feimurgäns ErH 5161 ff.: Sie kann innerhalb eines Augenblicks die werlt umbevam und in lüfte als üf der erde/ mohte si ruowe sweben. (5177 f.). 85

S o THOMAS 2 0 0 2 , S. 104.

86

BLEUMER 1 9 9 7 , S. 1 6 2 .

87

BLEUMER 1 9 9 7 , S. 1 6 3 .

88

Vgl. MEYER 1 9 9 4 , S. 1 5 2 .

89

Vgl. STEIN 2 0 0 0 , S. 1 5 4 ff., z u d e m M ä d c h e n S. 1 6 5 f.

90

S o MEYER 1 9 9 4 , S. 1 5 2 , A n m . 2 8 0 .

620

22502-25549 Hoffest: Handschuhprobe (Garanphiel IIa)

2 5 0 2 9 : sich üßragen ( P / S C H / E K ) für „in die höhe streben, sich erheben, in die höhe schwingen" (Lex 11,1705, vgl. Anm. EK); vgl. auch 9746. 2 5 0 3 5 : Die Verbindung diu rede giltet erscheint ungewöhnlich; zu deuten wohl etwa „was die Rede wert war" (vgl. BMZ 1,519) - der folgende Abschnitt beschreibt die Reaktionen der Hofgesellschaft auf die (vergebliche) Warnung des Windmädchens. 2 5 0 5 0 : Das ungewöhnliche Kompositum winkelsehen („nach einem winkel sehen, sich zu verkriechen suchen") belegt BMZ 11,2,281 auch für Neidhart (WL 2,11,2) und die >Urstende< des Konrad von Heimesfurth (Anf. 13.

Jh·)·

25052: Die im Reim gesichert erscheinende Substantivbildung bekantung (P) ist nur für diese Stelle belegt (Lex 1,163, vgl. auch Anm. EK). Lex deutet mit Anm. SCH „erkennungszeichen" - gemeint ist wohl das, woran man solche Mädchen gewöhnlich erkennt, also die entsprechenden Veränderungen. 2 5 0 7 2 : SCH konjiziert Konj. betet zu P/EK hatten, werde {wert, „herrlichkeit, glänz" Lex 111,795) hier wohl für die Teilnahme am Hofleben; herde erscheint als Übertreibung Keies. 2 5 0 7 4 : wtntsprütic wint (P/EK wintsprüt^ig) ist nur hier belegte Neubildung zu wintsprüt, „Windsbraut" (Lex 111,920) bzw. „Wirbelwind" (DWb 30,318 ff., vgl. 16147 und 25540).91 2 5 0 8 0 : sie dürfte als Plural für die vuo^spor und die erde zu lesen sein; undersntden als „trennend dazwischen treten" (Lex 11,1802): Zwischen den Füßen und dem Boden waren kaum drei Finger breit Abstand. 2 5 0 8 5 : Suochen P / S C H / E K , „aufsuchen", könnte auch in seiner Nebenbedeutung „heimsuchen, feindlich aufsuchen" (Lex 11,1320 f.) gedacht sein, allerdings findet sich keine wirklich vergleichbare Verwendung. SIN schlägt vor, stattdessen schüten („schwingen, schütteln" Lex 11,833) zu lesen, analog zur Parallelstelle 25691. 25116-25223 Allgemeine Verunsicherung, Keies Warnung 2 5 1 1 9 : Statt lie sich ( P / S C H / E K ) lies wohl besser mit KRÜGER lie sie·?2 Der Wind läßt das Mädchen erst wieder zu Boden, als es in seinen Raum zurückgekommen ist (alles dar)\ vgl. auch Anm. EK. 2 5 1 3 1 : Das drum als Bild für das Ende zuerst —>14820, als Konkretum auch 12216. 91

Vgl. dort auch die divergierenden Überlegungen zum Ursprung des Wortes; die mythologische Deutung der „windsgemahlin" scheint hier wortspielerisch in der Figur des Mädchens mitzuklingen.

92

KRÜGER 1 8 8 8 , S . 1 4 4 .

25116-25223 Allgemeine Verunsicherung, Keies Warnung

621

2 5 1 3 5 ff.: Zu der Rolle Keies als „Kluger Beobachter und Ratgeber" vgl. auch das entsprechende Kapitel bei DAIBER 1999, S. 175-179. 25147: SCH Deheinen, P / E K Einehen mit Verweis auf Lex 1,523, der einch zu einte stellt, also: „daß es fiir Artus ein großer Herzensschmerz gewesen wäre, hätte er in seinem Haus auch nur einen einzigen Gast entehrt". 25148 ff.: Bislang war Keies schimpf Xtäx^ch mit dessen Freude am Spott begründet worden; zum ersten Mal wird ihm nun ein darüber hinausgehendes Interesse am Allgemeinwohl zugeschrieben: Die folgende Schimpfrede (25160-25223) nutzt diese Stilebene nur deshalb, weil Keie sonst keinen Weg sieht, um seine Warnung auszusprechen. Die Rücksicht auf Artus ist neu (25151 ff.), in den Spottreden der Tugendproben hatte er es jeweils auf die Konfrontation ankommen lassen (vgl. v.a. die große Auseinandersetzung 1631-1814, wieder 2632-2779). 2 5 1 6 3 : Lies mit SIN/EK st bzw. sei, passend zu Keies vorangegangenen Überlegungen: Er muß sich der Vorgehensweise der Hofnarren bedienen, dazu versichert er sich der Redefreiheit. Zu der Wendung von der freien Rede vgl. auch ->2706 f. 25169 f.: Lies entweder gehabt zu gehaben, „sich befinden, sich aufhalten" (Lex 1,783) oder mit SIN: al ^e heil. Damit würde auf die Bedrohung des großen Glücks hingewiesen, das der Hof bisher hatte: der drohende Betrug sowie Gaweins gefahrvolle Gralssuche, gemäß der Intention Keies. 25179 f.: SCH greift zweifach in den Text ein: stöuwen („einhalt tun, klagen" Lex 11,1217, vgl. 6069 u.ö.) statt P/EK strauwen (strömten, „ausstreuen, verbreiten" Lex 11,1249 f.), sowie me anstelle von nie. Vgl. die einschränkende Paraphrase in Anm. EK: „(Doch selbst wenn) ich meine Freude ausbreiten will, könnte ich es nie vollbringen". Keie freut sich (höflichkeitshalber) über alle möglichen Aventiuren, die noch an den Hof kommen könnten, er leitet aber zugleich zu seiner Warnung über, Artus solle aufpassen, daß es iht kom dem lachen. Vgl. dazu auch die Wendung au^ dem spil kamen (—>1854). 2 5 1 9 2 - 2 5 2 1 4 : (25192-25219 = Gr 121a) „Was irgend man übertreiben will, führt zu Verdruß. Manch einer freut sich an etwas, wofür er bezahlen müßte (=was ihm eigentlich schaden sollte), wenn das Glück es so wollte und sein Heil ihn ließe. Und das, was jemand genießen sollte, schadet ihm, wenn Saslde es will." Dieses spil der Saelde, das uns so verwirret (25200 f.), bringt Heinrich im ebenso verwirrendem Wortspiel mit engelten - genießen zur Anschauung: Kaum daß man denkt, man habe es verstanden, verwirrt es erneut. „Wenn es einem besonders gut ergangen ist, folgt häufig etwas Schlimmes, nach einem hohen Wurf folgt nur ein kleiner: Wofür war der große dann gut? Er hat damit mehr verloren, als er vorher gewonnen hatte." Keie warnt vor der Vorführung des Boten auf dem Bock, von der er nichts Gutes erwartet,

622

22502-25549 Hoffest: Handschuhprobe (Garanphiel IIa)

ohne Genaueres über dessen Vorhaben zu wissen. Diese Warnung kleidet er in eine Reihe von Sentenzen, sowie in ein Bild aus dem Würfelspiel (—>22692279). Der Grundgedanke ist dabei jeweils die Warnung, sich seines Wohlergehens nicht zu sicher zu sein. Zu 25194-25199 vgl. ->2758 f., 25247, auch Lanz 114. Zu Sselde vgl. —>4144 f., —>5965 ff.; Parallelen zu den zugrundeliegenden Sentenzen 25192 f. und 25210 ff. bieten ShRM und TPMA 8, „Mass (Massigkeit)" 3.7: „Masslosigkeit verdriesst" sowie TPMA 9, „Schaden" 6.14: „Nach dem Schaden kommt (sucht man) Nutzen, nach dem Nutzen Schaden".93 Keie verbindet die Warnung vor der Fortsetzung der Demonstration des Boten mit dem Bild Fortunas: Noch ist das Rad zugunsten des Artushofs angehalten, der durch den Boten drohende Betrug würde es hingegen wieder in Bewegung setzen, zuungunsten des Hofs: „Gemäß den Regeln der epischen Welt verwirft der Hof die Möglichkeit der glückhaften Erstarrung und wählt die Aventiurenhandlung. [...] Die Wundergegenstände werden dem Boten übergeben, und das Schicksal nimmt seinen Lauf."94 2 5 2 2 0 ff.: Keie interpretiert das weissagende Windmädchen als Abgesandte Steides; darauf bietet der Text sonst keinen Hinweis, das Verständnis fügt sich aber in die Reihe der weiblichen Helferfiguren (->25013-25115). 25223 in ist bezogen auf den schaden im vorhergegangenen Vers. 25224—25267 Artus fordert die Fortsetzung der Vorführung 25232: errecken auch 13016 und 16975: „ganz aussprechen, einzeln aufzählen, darlegen" (Lex 1,663). 25243 f.: EK bessert mit SCH Man hat sin und iemen aus Ρ Man sein und iemer. 2 5 2 5 2 : Das seltene Adj. age/ei% ist En 7867 eindeutig als „schnell" belegt.'5 Trotz der nicht unbedingt sinnerhellenden Deutung scheint es hier v. a. als Wortspiel zum Äußeren des Boten (->24752 ff.) gewollt.96

93

Vgl. auch

94

BLEUMER 1 9 9 7 , S . 1 6 3 f.

95 96

Lex 1,27 gibt zudem „emsig, eifrig". Die schwarz-weiße Farbe der Elster (ageleisttr; vgl. auch Heinrichs Bildung ageleistervar 24754 und 27995) ließe eher an einen ambivalenten Lohn denken, der im Kontext passender wäre als der „schnelle Lohn". Die Herkunft des Begriffs ageleister scheint nicht gänzlich geklärt: So verweist DWb 1,189 auf ,galan canere, crocire, argalnn incantare, wozu galstar incantatio stimmt, so dasz ägalastra den schreienden zaubervogel bezeichnete, wofür die pica gilt." K L U G E 1995, S. 218 gibt hingegen an: „Herkunft unklar. Vielleicht 'die Spitze' nach dem spitzigen Schwanz [...]".

WAGNER-HARKEN

1995, S. 382.

25268-25382 Der Bote macht sich unsichtbar

623

25256: Ρ Achtent nit was ich üch sage-, EK bessert sinnvoll er [= Keie] statt ich-, bei SCH (Ahtet, wa% ich iu sage) bleibt zu wenig von der Aussage erhalten. 2 5 2 6 0 - 2 5 2 6 3 : „Alle Reden, denen keine Taten folgen, sind unbeschwert [= leicht zu fuhren] und bleiben ungebunden [= sie bleiben reines Wünschen, fern den Problemen einer Umsetzung in die Tat], was mehr denn oft geschieht." Zur Verbindung von rede und w" vgl. auch —>2706 f. Artus fordert den Boten ausdrücklich auf, die Vorführung fortzusetzen, ungeachtet der Kritik Keies. Die Sentenz von den nicht ernstzunehmenden Reden ohne Taten ist eine Invektive, die die vorigen Auseinandersetzungen um Keie in nun aber sehr abgeschwächter Form wieder aufgreift (vgl. v. a. Artus' Kritik 1725 ff.; ebenso Keies Wechselrede mit Gasoein, v.a. ->3858-3866). Vgl. Mt 23,3: omnia ergo quaecumque dixerint vobis servate etfaäte/ secundum opera vero eorum nolite facere/ dicunt enim et non faäunt?1 Ähnlich Lanz 2452 f., Frdk 123,16 f.; weitere Parallelen zur Sentenz auch ShRM. 25268-25382 Der Bote macht sich unsichtbar Ebenso wie die Botin Garanphiels kann sich auch der Bote mit Hilfe der Handschuhe unsichtbar machen; hatte es diese jedoch ohne weitere Hilfsmittel geschafft, so legt der betrügerische Bote sich zunächst den magischen Stein in den Mund, der seinen Träger untadelhaft erscheinen läßt; dieser verhilft ihm nun offenbar zum Bestehen der Handschuhprobe. Somit wird der Bote verstärkt zum Gegenbild der Botin stilisiert.98 25270: seinen, „aufschieben" (Lex 11,859), vgl. auch verseinen —>10234. 2 5 2 7 6 : P / S C H dar an ie gebrast, E K bessert dar an ime gebrast mit Verweis darauf, daß „unpers. gebresten plus an ohne Dat. mhd. nicht vorzukommen" scheint. 2 5 2 8 8 : EK faßt den Satz als „selbständigen Satz (Ausruf) in unselbständiger Form" auf und liest daher Punkt nach 25287, Ausrufezeichen nach 25288. SCH Ob sie, P/EK Als ob sie. 25298 f.: Subjekt er ist hier wohl der Bote, der Keie sich betaren, also sich zum Toren machen läßt (Lex 1,238); ab 25300 ist es wieder Keie. 2 5 3 0 8 : P / E K : Vnd trüg dise riche vnhab, SCH: Und truoc dise riche habe. Für unhabe bietet Lex 11,1896 zwei Belege" und stellt es zum sehr verbreiteten 97

„Tut und befolgt also alles, was sie euch sagen, aber richtet euch nicht nach dem, was sie tun; denn sie reden nur, tun selbst aber nicht, was sie sagen".

98

Vgl. a u c h BLEUMER 1 9 9 7 , S . 1 6 0 f.

99

Wiener Genesis< (zw. 1060 und 1080) und >Virginal< (2.Hälfte 13. Jh.), vgl. NELLMANN 1997.

624

22502-25549 Hoffest: Handschuhprobe (Garanphiel IIa)

ungehabe, „übles gebärden, aufregung, ungestüm, klage, leidwesen" (Lex II, 1835). Die Lesart Ρ wird zusammen mit der Deutung „bringen" für tragen verständlich; der Bruch des Bildes (der scheidende Bote „bringt" ein Unglück) erscheint als Paradoxon. SCH nimmt dem Text den irritierenden Charakter und vereinfacht, erscheint aber logischer. 25320: Der Bote hatte keine direkten Aussagen gemacht, auf die sich das Versprechen beziehen könnte; allerdings waren seine Ankündigungen fur Gutwillige durchaus in diesem Sinne zu verstehen (vgl. v.a. 24866 ff. oder 24910 ff.). 25323: schat zu schaden (vgl. Lex 11,671); sie ist die bete 25321. 25350 ff.: Künec Artus der guote (251) appelliert in einer sentenzhaft formulierten Ritterlehre an die Ehre des entkommenen Boten: „Ein guter Ritter sollte nie schlecht handeln, um ein Gut zu erhalten, das sollte man den Schlechten überlassen." Zudem schließt er 25353 ff. ein weiteres Blankoversprechen an, das aber unerfüllbar bleiben muß, denn er verspricht Größeres als die geraubten Sseldenkleinodien. 23356: Das Adj. unlasterbare ist nur für diese Stelle belegt; es ist wohl eine reimbedingte Umbildung Heinrichs zu unlasterliche („unbeschadet der ehre", Lex 11,1906). 25362: Die räumliche Angabe her abe bezieht sich auf 25307: Der Saal liegt in einem höheren Stockwerk des Palas (vgl. auch —»14612 ff., —»18797), der Bote befindet sich mitderweile im Burghof (25310). 25377 f.: SCH hat wohl sinnvoll gekürzt, vgl. die jedes Versmaß sprengende Ausführlichkeit von P/EK: Jn den winckeln dar affter vnd vor der türj Vnder vnd uf den tischen, auch vnder den bencken-, SCH: Oar after unde vor der tiir;/ Under tischen unde benken. 25383-25549 Schmährede des flüchtenden Boten 25390 ff.: Die Erzählperspektive wechselt zum Boten (er in den folgenden Versen). 25405: Die Angabe bi tu hie inne ist der Burghof; der Bote hat das Burgtor noch nicht passiert (vgl. 25494 ff.). 25407 ff.: Der Bote bezieht sich auf die schon mehrfach erwähnte Geschichte um den Gürtel des Fimbeus (—>4858 ff., vgl. Keies Mahnungen in der Handschuhprobe —»24359 ff.). Zu der Formulierung die schult niuwen vgl. auch —>25436 f. 25412: H A U P T 1872 möchte zur Verbesserung des Reims schäch (statt sach) lesen, was aber tautologisch ist; zudem reimt Heinrich häufig ä: a.'00 100 Vgl. PFOSER 1929, S. 125-132, auch Anm. EK.

25383-25549 Schmährede des flüchtenden Boten

625

25431 f.: Die beiden Verse sind in Ρ vertauscht, mit Korrekturvermerk des Schreibers. 25436 ff.: Der Bote rechtfertigt sein Handeln mit dem Hinweis darauf, daß Gawein den Gürtel des Fimbeus ebenfalls auf unrechte Weise an sich gebracht habe; zu der Sentenz vgl. das Sprichwort —>18836 f. Zur Frage, ob die fehlende Reaktion der Artusgesellschaft als Schuldeingeständnis zu werten sei, zuletzt S T E I N 2000, S. 202 ff., der als Gegenmodell die Reaktionen auf die Anschuldigungen Kingrimursels Pz 320,22 ff. anfuhrt. 25438: Der Vorschlag SIN, Da ensi suontages vrist zu lesen, scheint sinnvoll; suontac steht für den Tag des jüngsten Gerichts (vgl. DWb 20,1033). 2 5 4 4 6 : S C H normalmhd. dim verlust, die·, P / E K disem Verlust, den·, der Genuswechsel zum stM. kam erst mit dem nhd. (vgl. DWb 25,828; Lex III, 170 f., Anm. EK).101 25452-25466: Der angeblich von Saelde beauftragte Bote (vgl. 24814) stellt sich hier in Opposition zu deren Bestandsgarantie, die sie 15901 ff. Gawein zugesprochen hatte. Die Rolle der gestohlenen Kleinodien für den Erfolg der Grals fahrt bleibt unklar; Gawein erobert sie zwar vor dem abschließenden Besuch auf der Gralsburg zurück, sie spielen dort aber keine Rolle. Daher könnten die Behauptungen auch einfach als eine List des Boten im Rahmen seiner „psychologischen Kriegsführung" gewertet werden. 25461: Der Pronominalanschluß Da% bezieht den Nebensatz lediglich auf das vingerlin-, Anm. EK beruft sich auf die in Ρ übliche Numerusinkongruenz und möchte alle drei Gegenstände angesprochen sehen, allerdings müßten dann auch in beiden folgenden Versen solte jeweils als PI. verstanden werden. 25471: P/EK Von üch, vgl. Lex 11,2010: „von einem od. einem url. nemen, sich von ihm verabschieden"; SCH ändert hingegen zu Vor iu. 25478: Lies mit P/EK mere statt SCH sen; der Sinn ist wohl, daß die Klage mit der Zeit größer werden wird, weil die Artusgesellschaft das Ausmaß des Schadens immer besser begreifen wird (vgl. auch Anm. EK). 25483 ff.: Das Capitulumzeichen in Ρ vor 25484 unterstützt den Befund, daß hier wohl der dritte Reimvers (nach 25483) fehlt, wodurch der Sachverhalt etwas unklar bleibt (SCH bessert: Die erwürben statt P/EK Erwurbent, was als Lösung aber nicht wirklich befriedigt). EK setzt Abschnittsbeginn mit Initiale an.102 25494: Die porten bezeichnet hier das Burgtor (vgl. —>25362). 101 Die maskuline Form verwendet Ρ auch 7856, dort aber div vlust in V. 102 GLASSNER 1991, S. 64, Anm. 3 ist ebenfalls für einen neuen Abschnitt, was sie mit der Abschnittslänge begründet.

626

22502-25549 Hoffest: Handschuhprobe (Garanphiel IIa)

25510 f.: Er, der Bote sah, was er, Keie tat, und wich entsprechend aus. 25523: Eine blaqe, ein „freier, offener platz", verzeichnet Lex 1,313 auch für >IweinPassional< und Rechtstexte. 25532: Zu schehen, „das schnelle dahinfahren, rennen, jagen" (Lex II, 683), —»876. 2 5 5 3 8 : überschüre (P/SCH/EK) ist nur hier belegt; Heinrich verwendet den bildlichen Ausdruck schaure mit der Grundbedeutung „schauer, hagel, ungewitter" im übertragenen Sinn von „leid, verderben" auch —>1521. Hier nun noch verstärkt durch das Präfix über- dürfte die Doppelbedeutung wohl beabsichtigt sein.101 Vgl. auch die demselben Bildbereich zugehörende Wendung der veinde hagel (->396, wieder 5199, 10519). 25540: Zur windesbrut ->16147, auch ->25074. 25542: Die Bezeichnung des Boten als schevalier a bege (P Scheuelir abege, EK Scheuelir α Bege) fuhrt zuerst Anm. SCH mit nfrz. bique, der umgangssprachlichen Bezeichnung für „Ziege" zusammen,104 das afrz. aber nicht nachweisbar ist. Vgl. lediglich afrz. bice für allgemein „bete", „Tier" (zu lat. bestia), auch für „Hirschkuh". Innerhalb des Textes dürfte die erste Nennung des Boten 24737 als ritter mit dem bock als Übersetzung angesehen werden;105 lautlich nahezu bege steht ital. Becco, „capro, caprone", also „Ziegenbock". Zur Figur des Ritters auf dem Bock vgl. ->24727 und ->24734.

103 L E I T Z M A N N 1925, S. 456 will ändern in übel schüre-, vgl. auch Anm. EK. 104 Entsprechend die Übersetzung bei T H ; offenbar vorausgesetzt bei J I I . L I N G S 1980, S. 95 und 104, Anm. 18. 105 TL 1,1010 verzeichnet die Formen boc, bouc, buc, bous für „Bock", aber nichts in der Lautform bege\ lediglich TL 1,900 begue als „bilinguis", was zwar nichts direkt mit dem „Ritter auf dem Bock" zu tun hat, aber durchaus zur Charakterisierung von dessen falscher Freundlichkeit geeignet wäre; allerdings stört hier die Präp. a.

25550-28261 Rückeroberung der Kleinodien (Garanphiel IIb) Lit.:

KAMINSKI 2005, S. 247 ff.; WENNERHOLD 2005, S. 236 ff. (Forschungsbericht); SHOCKEY 2002, S. 2 9 5 - 3 0 9 ; STEIN 2000, S. 1 9 5 - 2 1 0 (zur gesamten Handlung um Fimbeus); BLEUMER 1997, S. 1 6 7 - 1 8 6 ; MEYER 1994, S. 155-161; JILLINGS 1980, S. 8 7 - 1 0 4 .

Die Aventiurenfahrt zu Fimbeus und Garanphiel geht der den Roman abschließenden Gralsfahrt voraus. In dieser Episode werden verschiedene Motive und Handlungselemente der gesamten Geschichte noch einmal aufgegriffen und zu Ende gebracht: Auf dem Weg zu Gansguoter geraten Gawein und seine Begleiter in die Bergfalle des Baingranz, der seinen im ersten Romandrittel von Gawein besiegten und getöteten Bruder Assiles rächen will; Baingranz unterliegt jedoch, womit die Handlung um diese beiden Riesen endgültig abgeschlossen wird. Der Zauberer Gansguoter stattet Gawein mit einer zauberabweisenden sarw&t für dessen letzten Kampf gegen Fimbeus aus, womit er sich als Helfer überflüssig macht (so kehrt er unterwegs nach Madarp zurück und wird für die Handlung nicht mehr gebraucht); Gawein ist von nun an wieder auf seine manheit angewiesen. Die Begegnung mit Garanphiel und Fimbeus (die die Logik der Handschuhprobe zitiert) fuhrt schließlich zur endgültigen Unterwerfung des Paares, so daß Artus und Gawein auch von deren Seite schließlich keine Gefahr mehr drohen sollte (die Rachegelüste Garanphiels hatten bereits vor dem Einsetzen der Romanhandlung ihren Ausgang genommen).1 Schließlich finden sich auch diverse aus dem Roman bekannte Motive wieder: Gefahr im Gebirge, Drachenkampf, Jungbrunnen, brennende Ritter, eine gefährliche Brücke oder die einschläfernde Wirkung der Zauberlade.

1

Allerdings bleiben die Andeutungen von Gansguoters Schwester über möglicherweise erneute Intrigen Garanphiels unklar, vgl. —>28518 ff.).

628

25550-28261 Rückeroberung der Kleinodien (Garanphiel IIb)

25550-26098 Gaweins Aufbruch 25550-25649 Gawein bittet Artus um urloup 25555—25557: Der Rückverweis bezieht sich v.a. auf die großen Klageszenen um Ginover (11462-11607) und Gawein (16804—17311), zu zahlreichen weiteren Klageszenen vgl. auch die Zusammenstellung —>7150-7223. verdeit kontrahiert aus verdagen, „verschweigen" (Lex 111,89); vgl. entsprechend jeit (—>14266), reit Η19665), seist (26655). 2 5 5 6 0 : Die dreitägige Dauer der Klage markiert die einschneidende Bedeutung des Geschehens;2 die Frist von drei Tagen entspricht auch der bereits biblisch verankerten Zeit des Übergangs. So war Jona drei Tage im Fisch, Jesus drei Tage im Grab, dreimal wird ein Täufling ins Wasser getaucht.3 Vergleichbar ist der dreitägige Schlaf im Berg des Baingranz (26263— 26366). Vgl. z.B. auch die drei Tage und drei Nächte, die der siegreiche Artus auf dem Kampfplatz von Clüse in >Daniel< ausharren muß, um als Sieger anerkannt zu werden. 2 5 5 8 8 : P/SCH/EK üf mines einegen tot ist als Formulierung auffallig. einic in der Bedeutung von „einzig, allein" findet sich auch 27785 (SCH einegem strife) und 28271 (SCH einegen trit).4 Die Konstruktion erscheint syntaktisch gebrochen dadurch, daß die Verbindung mines einigen zusammen zum Possessivpronomen geworden ist; sie betont aber, daß die Aventiure um die verlorenen Gaben Söldes einzig auf Gaweins Verderben hin angelegt ist, der Artushof also keinen Grund habe, um sich selbst zu klagen.5 2 5 5 9 4 ff.: Zu Gaweins Einstellung dem Tod gegenüber vgl. sein „Testament" —>16619 ff., vgl. daneben auch die gesamte Passage 20668-20684 (mit Kommentar). 2 5 6 1 5 ff.: EK trennt nach 25616 durch ein Fragezeichen, SCH zieht die Aussagen durch ein Komma zusammen. Der stein ist der Stein des Fimbeus (—>4858 ff.). Der Verweis auf Pz 331,25 ff. (Gawan verabschiedet Parzival)6 2

3 4

5 6

Vgl. BLEUMER 1997, S. 167: „Die sich im Raub der Wundergegenstände abzeichnende Störung der arthurischen Ordnung ist tiefgreifend. Da der Raub der Requisiten durch Gaweins Vergangenheit motiviert ist, betrifft er auch in erster Linie den Helden selbst. Der Ritter mit dem Bock formuliert dies [...], ebenso bezieht auch Gawein die Ereignisse ganz auf sich" (vgl. 25586 ff.). Vgl. auch HEINZ-MOHR 1998, S. 337. Die biblische Dreizahl geht selbst wiederum zurück auf ältere Traditionen, die sich z.B. in der ägyptischen Mythologie spiegeln. Vgl. auch —»25147 Ρ Einehen gast (SCH Deheinen gast), daneben Ρ eincherband werck 20610 (SCH weggekürzt), Ρ eincherhandfijntschafft 25137 (SCH deheiner bände), Ρ eincherband lieht 26333 (SCH dehein lieht), Ρ eincherhand missedat 29582 (SCH von keiner missetät). LEITZMANN 1 9 2 5 , S . 4 5 6 will bessern in das einfachere min eines·, „zum Zwecke des Todes von mir als eines einzelnen", bzw. nicht genitivisch: „des Todes von mir". Vgl. JILLINGS 1 9 8 0 , S . 1 0 4 , A n m . 2 3 .

25650-25749 Der Rat des Windmädchens; Ermutigung Igernes

629

erscheint schwach: Der Wunsch, Gott möge gelücke geben, ist sehr allgemein und dürfte kaum auf Wolfram zurückgehen. 25619 ff.: Die etwas trotzig wirkende Selbstversicherung korrespondiert mit den selbstbewußten Vorstellungen Gaweins, vgl. Ich bin selb, Gawein ( 6 2 1 3 , vgl. a u c h - » 6 1 8 7 - 6 2 2 3 , - » 1 7 6 3 2 - 1 7 6 3 5 , - > 2 1 5 9 3 - 2 1 6 0 9 ) . D a ß G a -

wein sich durch den Verlust der Glückskleinodien nicht wirklich verunsichern läßt, vergleicht KERN7 mit der ähnlichen Reaktion des Wigalois, als dieser seinen Zaubergürtel verliert (Wig 5990-6016). Vgl. auch CORMEAU 1977 zu Gaweins „präformiertem Charakter", der hier mitklingt. 2 5 6 2 9 : Sinnvoll S I N / E K : Der rede an ein end statt P/SCH: Oer rede ein end.

2 5 6 3 4 : P / S C H / E K don zu do ne, (do, „damals" Lex I,445); 8 vgl. auch

Anm. EK. 25639: P / E K verbert, SCH verkert (reimbedingt oder verlesen?). 2 5 6 5 0 - 2 5 7 4 9 Der Rat des Windmädchens; Ermutigung Igernes 25656 f.: Die magt ist die weissagende Königstochter, die den Betrug des Boten vorausgesagt hatte; zur Figur vgl. —>25013—25115. 25658: Artus richtet seine Bitte an Gawein (vgl. 25665 f., 25673 f.). 25663: SCH liest Do statt P / E K Das. 25667: Lies wohl mit Anm. E K nieman statt P / S C H / E K ieman: „daß ihn niemand daran hindere". 25670: Ρ beginnt den am Seitenanfang stehenden Vers mit einem auffälligen Schmuckbuchstaben. 25679: Analog zur Parallelstelle 9410 (in V/KNN) dürfte zu lesen sein: Huop enbor, vgl. aber auch Anm. EK. 9 2 5 6 9 1 : Vgl. auch die Parallelstelle - > 2 5 0 8 5 .

25716: P / S C H / E K tän ist verkürztes Part, getan, vgl. Mhd. Grammatik § 55 zum Vorsilbenschwund. 25728: Der Punkt bei SCH am Versende ist zu tilgen. 25736 ff.: Das, was Igerne von Gansguoter gehört hat, muß sich unmittelbar auf die Aussagen der Magd beziehen (Gansguoter befindet sich fern vom Artushof in Madarp): lies mit P / E K Gansguotern. Es ist das, was sie „über Gansguoter" hört, woraus sie Trost für Artus zieht.

7

KERN, C r ö n e 1 9 9 9 , S. 2 0 9 , A n m . 4 8 .

8

Der bei Lex 11,447 verzeichnete Beleg Greg 1010 stimmt nicht; MHDBDB verzeichnet 34 Belege für NL (Hs. B) und einen Beleg für >Wigalois17026-17031). Zu der allgemeinen Aufbruchsstimmung (so nach Gaweins Gralsbericht 22938-22989) vgl. den Aufbruch der Ritter im >Prosa-Lancelot< nach dem Erscheinen des Grals;10 dort hatte diese Reaktion schließlich zum Untergang geführt, während Gawein hier verhindert, daß es soweit kommen kann. 25768: Zu dem sigehaften stein auch —>25615 ff. 25776: EK liest Punkt statt SCH Doppelpunkt am Abschnittsende. 25802: bestän, „bleiben, zurückbleiben" etc. (Lex 1,224) muß hier euphemistisch für „sterben, umkommen" verstanden werden; vgl. Anm. SCH (vgl. zu weiteren Euphemismen —>3065). 25808-25868 Gawein widerspricht Artus 25826 f.: Der Dreireim ist unvollständig, es dürfte wohl der mittlere Vers fehlen. Der neue Abschnitt ist in Ρ durch Initiale gesichert. 25836 ff.: (25839-25846 = GT 121b) Die Definition eines schevalier errant, die Artus von seiner Absicht abbringen soll, diese Lebensform zumindest für eine befristete Zeit zu wählen, diskutiert die klassische Rollenverteilung zwischen Artus und seinen Rittern.11 Der König wird von Gawein dabei in die Grenzen des seit Chretien festgelegten Rollenbildes zurückgedrängt, demzufolge er als ruhender Pol im Hintergrund für Beständigkeit zu sorgen hat, während seine Ritter auf Aventiure ausziehen. Vgl. dazu auch die Ausführungen bei G O E Z 1967, S. 148, der darauf verweist, daß das Königtum überall in Europa erst spät in die ritterliche Lebensform einbezogen worden sei: „Ursprünglich ist der König eben kein Ritter, sondern er hat Ritter." Daher werde Artus dargestellt, wie er der Tafelrunde präsidiere, jedoch nicht selbst kämpfe. „Erst in der späten Artus-Epik des hohen 13. Jahrhunderts zieht er selbst in Person hinaus, um Aventiuren zu bestehen. Genau zur gleichen Zeit ist auch in der historischen Wirklichkeit der König überall in Europa zum 10

Vgl. WAGNER-HARKEN 1 9 9 5 , S. 3 5 8 .

11

Davon, daß der Begriff schevalier errant hier keine Individuen mehr bezeichne, sondern „eine Funktion des arthurischen Systems" spricht G U T W A L D 2000, S. 288 f.

25808-25868 Gawein widerspricht Artus

631

Ritter geworden."12 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Ausfuhrungen bei GÜRTTLER 1976, S. 203 ff. zur historischen Diskussion darüber, ob ein Herrscher zugleich als Ritter auftreten dürfe. Zum Rollenverständnis des Königs auch ->3273-5468.13 Wesentliche Kriterien, mit denen die Partie bis 25846 den feststehenden Begriff des schevalier errant zu erklären versucht, sind der Mangel an gemache, die Ausrichtung seines muotes auf Atters pris sowie die vreise als amie. Vgl. zu Gawein als wirt —>8632—8635, auch z.B. Quoikos als Gegenbild (—>18672 f.). 2 5 8 4 9 : SCH des vil maneger vart ( E K der[...]) ist zu deuten als: „nach dem manch einer trachtet" (in unfriedlicher Absicht); vgl. die Nebenbedeutung „kriegszug" für das Subst. vart (Lex 111,25). 25851 f.: Zu dem von Heinrich häufig verwendeten Bild der Waage vgl. —>2643 f. und —>2909-2920. Gaweins Argument gegen die Absichten des Königs betont dessen tragende Rolle: Wenn sich Artus in Gefahr begibt, bedeutet das für die gesamte Gesellschaft ein Sicherheitsrisiko. Der König ist unersetzlich, im Gegensatz zu Gawein (gemäß dessen Selbsteinschätzung, vgl. 25594 ff.). 2 5 8 5 3 : P/EK libes läßt sowohl SCH libes („Leib") als auch SIN liebes („Liebe") verstehen; ergeben im Sinne von „vergessen machen" (Lex 1,630). 25854: Zu der Wendung leit üf den rücke legen vgl. —>17779. 2 5 8 5 8 : prisen hier im Sinne von „lobenswert machen" (Lex 11,297), bezogen auf die berühmten Ritter der Artusrunde, die Gawein im folgenden aufzählt. 2 5 8 5 9 : Ρ Vnd uwerm hoff tut alsanr, SCH versteht hof als Subjekt: Und turner hof tuot alsam\ EK sieht eine Parallelkonstruktion zum vorhergegangenen Vers: Vnd uwerm hoff tünt alsaml Die Passage neigt zur Redundanz, da der hof den Rittern der Tafelrunde entspricht, es also immer wieder dasselbe Subjekt ist. 25861—25866: Diese Aufzählung der besonders hervorgehobenen Ritter entspricht den Helden der Chretien-Romane (darauf verweist auch die Schreibweise P/EK: Yweiri) Zu Heinrichs Kenntnis der deutschen Romane vgl. ->2348-2455 (Hartmann von Aue), ->6380 ff. (Wolfram von Eschen12

13

Für die eher gegensätzliche Einschätzung dieses Phänomens durch die Literaturwissenschaft vgl. nur ROLOFF 1990, S. 150, der (hier zu Chretien) erkläre „Es stimmt etwas nicht mit Artus' Ehre und Vorbildlichkeit, er muß den Kampf gegen die Bedrohungen immer anderen überlassen [...]". Vgl. grundsätzlich zum Problem in der >Cröne< u. a.: KERN, Cröne 1999, S. 213 ff.; BLEUMER 1997, S. 169 f.; ROSSNAGEL 1996, S. 1 5 0 - 1 5 2 ; MEYER 1994, S. 154; CHENERIE 1986 (allge-

mein zum chevalier errant im Artusroman); KNAPP 1986, S. 52-59; KNAPP 1984; JILLINGS 1980, S. 97, 167 ff.; GÜRTTLER 1976, S. 208.

632

25550-28261 Rückeroberung der Kleinodien (Garanphiel IIb)

bach), —>2942 (Wirnt von Grafenberg, zur Figur Gaweins) und —>24078 f. und —>24088 (Ulrich von Zatzikhoven, zu Lanzelet). 25869-25943 Gawein lehnt weitere Begleiter ab 2 5 8 7 2 : Die refl. Verwendung von arbeiten („sich mühen, anstrengen") belegt Lex 1,89 auch fiiir Herbort von Fritzlar, Wolfram und andere. 25875: Zu banekie („erholung durch leibesübung") auch —>695 ff. 2 5 8 8 2 : sie bezieht sich auf die Absicht des Königs, mit Gawein auszureiten, vgl. die parallele Formulierung 28869 ff. 2 5 9 1 4 ff.: Zu ähnlichen Erzählerbemerkungen vgl. v.a. die beiden breviÄir-Exkurse (->22229-22244, 24708-24719), ähnlich zudem auch 23038 ff. und 23495 ff.; dazu auch GÜLZOW 1914, S. 210 f. 2 5 9 2 6 : Eine entsprechende elliptische Formulierung fand sich schon —>24573 (dort zu deuten: „gebe euch Gott"); hier eher im Sinne wie nhd. „um Gottes Willen". 2 5 9 2 6 ff.: Keies Spott zielt auf die bei Chretien angelegte Konkurrenzsituation zwischen Gauvain und Perceval, die beide den Gral suchen. Zu den genannten Requisiten vgl. —>15909 ff. (zum Saddenring), —>4858 ff. (zum Stein des Fimbeus). 25935: Zu dem Erzieher Percevals (mit vertauschter Reihenfolge von Namen und Zunamen) vgl. —>607. 2 5 9 3 9 ff.: Zu dem Motiv der werden %ubt Parzivals vgl. —>2215.

25944-26098 Keies Abschiedsrede, Aufbruch der vier Ritter 2 5 9 4 7 ff.: Die drei Ritter, die sich nun als Begleiter Gaweins durchsetzen, waren unmittelbar im Anschluß an dessen Erzählungen von der bevorstehenden Gralsfahrt als Gefährten ausgewählt worden (vgl. —>22959 ff.). 2 5 9 5 7 : SCH gaguc aus P / E K ge^oh\ vgl. dazu ge^oc, „ausrüstung, kleider" (Lex 1,1006; ebenso Anm. EK). 2 2 9 7 0 : Die begonnene Paranthese bei SCH wird nirgends abgeschlossen, die geöffnete Klammer ist zu streichen. 2 5 9 7 8 : P: Jch mäht ichs wol ge/eisien; SCH bessert ichs zu ev^ E K liest zu Versbeginn Ja statt Jch. 25988—26071: Zu der selbstironischen Rede Keies vgl. die Erzählerrede über den gefangenen Keie (—>29060-29096), die ebenfalls ironisch gebrochen erscheint. 2 5 9 8 8 - 2 5 9 9 4 : (= GT 121C) „Auch wenn es so üblich ist, daß ein Freund seine Freunde beklagen soll, wenn man die Buße (= den Kummer) des Freundes sieht und daran denkt, wankt ein Herz leicht, das von Liebe so angegriffen ist, wie ich es dem euren getan habe." Mit dieser ironischen,

26099-27182 In der Bergfalle des Baingranz von Ainsgalt (Assiles III)

633

sentenzhaft formulierten Rede spricht Keie seine zwiespältige Situation am Hof an. Die Gesellschaft solle nicht zuviel darüber trauern, daß er nicht bei ihnen ist, weil Trauer schwächt. 26002: mieten im Sinne von „lohnen" findet sich häufiger bei Heinrich (—>21934 f.). 26014: P / E K trurig, SCH türrec womöglich zu turren, „wagen, den mut haben" (vgl. das (selten belegte) Adj. tiirre, „kühn, verwegen", Lex 11,1856)? Allerdings stört die von SCH angegebene Länge auf dem -u-. 26015 ff.: Zur Beschreibung der (fiktiven) Trauer der Damen vgl. Keies Anweisungen —»17073—17091, wie die Damen um Gawein trauern sollen. 26022: Das Verb ^erwi^en (P/EK: ^erwijs^ent) belegt Lex 111,1095 nur für diese Stelle und gibt als Deutung: „etw. rotes ganz weiss, bleich machen", was einen interessanten Farbkontrast ergäbe. Allerdings spricht doch einiges für den Vorschlag SIN, %erbi%ent zu lesen. 26035 ff.: Keies Rede zielt darauf, daß die Frauen sehnsüchtig seine Wiederkehr erwarten; daher müßte mit SIN gebessert werden: Immer statt Nimmer (vgl. auch Anm. EK) und Joch statt Νοώ (26037). 2 6 0 4 0 : In P / S C H / E K ist Er wohl zu verstehen als £:r, „Ehre" (vgl. SIN und Anm. EK); oder sollte die Aussage noch auf den guoten segen 26032 bezogen sein? 26060 f.: SCH folgt Ρ (ebenso EK), zusammenfassend zu Konjekturvorschlägen Anm. EK. Allerdings bleibt das Problem der temporalen Inkongruenz zwischen den beiden Versen bestehen. 26098: von in bezieht sich auf die Hofgesellschaft.

26099—27182 In der Bergfalle des Baingran2 von Ainsgalt (Assiles III) Lit.

KAMINSKI

2005,

S. 2 9 2 ff.; MEYER

S.

221-226;

GLASER

2004, S. 234 ff.;

1 9 9 4 , S. 155 ff.; MENTZEL-REUTERS

WAGNER-HARKEN

1995,

1989, S. 2 4 8 ff.; K E E F E

1982,

S . 1 8 0 f , 2 3 1 f.;14 D I C K 1 9 8 0 , S . 1 7 1 f f .

Der erste Abschnitt der letzten großen Aventiure-Fahrt greift noch einmal die Handlung um den Riesen Assiles auf, den Gawein auf seiner ersten Fahrt besiegt hatte. Mit dem fehlgeschlagenen Racheversuch des Riesenbruders wird dieser Teil der Romanhandlung endgültig abgeschlossen, dabei kehren bekannte Motive wieder: Gefahr in den Bergen, Kampf gegen einen Drachen und gegen einen Riesen. 14

KEEFE betont das „äusserst kohärente Raumbild von erstaunlicher Detailfulle" (S. 181) in dieser Episode, das er mit dem Wald des Wassermanns vergleicht.

634

25550-28261 Rückeroberung der Kleinodien (Garanphiel IIb)

26099—26366 Gawein und seine Gefährten geraten in die Falle 26099-26206 Kampf an einer clüse, Keie wird verwundet 26102: Der Text betont, daß Gawein der Wegkundige ist, der bei der Aventiure vom Maultierzaum schon einmal bei Gansguoter war (ob das Drehschloß in Madarp oder nur in der Nähe davon zu lokalisieren ist, bleibt unbestimmt). Daher irritiert die Angabe, daß das ge^iuc ihm vorausreite - zu erwarten wäre eher, daß Gawein vorneweg reitet: sinem ge^uc vuor er vor o.ä. Das gesguc reitet aber nochmals 29110 f. voraus. 26106: Die Zeitangaben in dieser Passage weichen deutlich von denen der Maultierzaumepisode ab: Keie hatte den Weg bis zur Schwertbrücke (also bis kurz vor das Drehschloß) und zurück zu Artus offenbar an einem einzigen Tag bewältigt (und Gawein konnte an demselben Tag ebenfalls noch zu Gansguoter gelangen). Der Rückweg hatte dann bereits drei Tage gedauert ( 1 3 6 8 9 ) ; hier sind es nun allein zwölf Tage bis zu der clüse. Daß die Zeitangaben mit fortschreitender Romanhandlung weniger präzise in eine Kalenderchronologie einzupassen sind, zeigt auch das Schema bei WAGNERHARKEN 1 9 9 5 , S. 2 0 7 (vgl. a u c h -H» 2 8 2 8 0 ) .

26110 f.: Die clüse („felsspalte, engpass" Lex 1 , 1 6 4 0 ) , die Gawein und seine Gefährten in Notwehr (notstrebe, vgl. Lex 1 1 , 1 1 4 , selten belegt) erkämpfen müssen, ist in dem gebirgigen Umfeld der Romanhandlung eine eher unspezifische Angabe: Schon der zweite Tatenkatalog erwähnt einen Kampf Gaweins an einer clüse ( — > 8 9 9 7 ff.), 1 2 4 2 6 wird eine clüse direkt bei Karidol genannt, 1 5 0 4 4 dient eine clüse als Drachenhöhle und 2 1 6 7 8 wird das wa^er auf dem Weg zum Blumenanger Colurmein als Schlucht charakterisiert. Hier gehört sie wohl, ähnlich der Situation bei Karidol, zu der Befestigung einer Burg, deren Bewohner sich offenbar von den Artusrittern bedroht fühlen. Es fällt auf, daß die zu bestehenden Abenteuer auf dem Weg nach Madarp deutlich von denen der Maultierzaumepisode abweichen (obwohl auch dort von einem Tal und einem schrecklichen Wald die Rede ist, vgl. 1273912814).

26117: Zu Bedeutungsnuancen je nach Interpunktion vgl. Anm. EK: EK setzt Komma nach 26116, Punkt nach 26117; SCH Semikolon nach 26116, Komma nach 26117, Satzende erst nach 26121. 26127: Zur coiphe vgl. auch — > 2 8 7 1 . Gestrickte Harnischhauben erwähnt Heinrich 18195; hier handelt es sich wohl um ein Modell aus Leder. 26133: Der Erzählerkommentar zu Keies Verletzung betont nochmals dessen gewandelte Rolle im Roman: Keie hat wie die anderen Ritter ganz normal gekämpft und ist dabei verletzt worden. So soll es sich das Publikum gefallen lassen (es soll den Zoll akzeptieren, den Keie erbracht hat). Zur

26099-26206 Kampf an einer clüse, Keie wird verwundet

635

Rolle Keies auch —>490. Keies Wunde bricht später wieder auf (->27147 ff.); vgl. die Parallelen zur Maultierzaumfahrt Gaweins (—>12901 ff.). 26134: Der gefangene Ritter muß der Bruder des Wirts sein (vgl. dessen Kummer 26152), allerdings wird aus der Beschreibung nicht deutlich, wie es zu dessen Gefangennahme durch den verwundeten Keie gekommen ist. Ähnlich unklar verbleibt auch die restliche Kampfbeschreibung, v.a. die abschließende, eher unerwartete Versöhnung — so wie auch der Kampfanlaß unausgesprochen blieb. 26137: Der hamit ist der äußerste Burgbering; vgl. auch seine bildliche Verwendung ->11688. 26164: Welche Helmform Heinrich mit dem stahelhuot verbindet, läßt sich nicht sicher feststellen: Um 1200 herum wird die Weiterentwicklung des normannischen Nasalhelms angesetzt, der durch Visier (—>2846) und Kinnschutz (—>6424) zum Topfhelm wurde.15 26168 ff.: Der Kampfausgang ist wohl so gedacht, daß Gaweins geselleschaft trotz des Widerstands der Burgbewohner deren kraft unde maht „zu nichte macht, verschwendet, verzehrt" (Lex 11,1359 zu swenden); Gefängnis und Schlacht {gevancnisse unde slaht, vgl. dazu auch Lex 11,961) waren von ihnen (= Gaweins Gruppe) verursacht worden, also den Burgbewohnern angetan worden? Vgl. auch Anm. EK zu 26174 f. Nur ein Sieg Gaweins läßt die ehrenvolle Behandlung ab 26179 ff. plausibel erscheinen. 26184: Lies mit P/EK nihts gebrast (vgl. die identische Formulierung 28955). 26185 f.: Ahnlich war Gawein bei seinem ersten Besuch bei Amurfina zum wirf geworden, dort jedoch erst durch aufwendige Zauberkünste, die fünft^ehen tage anhielten (8837). Das Zitat hier wirkt eher beiläufig; beim ersten Mal hatte Gaweins Dasein als Wirt hingegen heftige Erzählerreaktionen ausgelöst (—>8734-8794). Zu der Zeitspanne von zwölf Tagen vgl. —>26106 und —>28280. 2 6 2 0 1 : Daß Gawein und seine Gefährten über ein burc (P/SCH), eine hohe Burg, steigen sollen, erscheint unwahrscheinlich; es dürfte wohl ein here, der zu bessern sein (so auch EK). 26203: Die waste für „wüste" (statt der verbreiten wüeste) findet sich auch in >Parzival< und in Albrechts >Jüngerer Titurel< (vgl. Lex 111,702 f.).16

15

16

Vgl. KÜHNEL 1 9 9 2 , S. 1 0 7 ff.

Vgl. lat. vastare, „öde, wüst machen, veröden" sowie das Adj. vastus, „wüst, öde, leer" als auch „ungeheuer groß"; ahd. wuosti, „öde, leer, wüst"; afrz. vaster, „verwüsten" bzw. vacation, „Verwüstung".

636

25550-28261 Rückeroberung der Kleinodien (Garanphiel IIb)

26207-26262 In der Bergfalle im finsteren Wald 2 6 2 1 5 : unvertic („unwegsam") war auch 1 2 7 7 3 der tan der Maultierzaumepisode; sonst belegt Lex 11,1968 das Adj. nicht in dieser Deutung. 2 6 2 2 6 : Den v. a. als Namen einer Belagerungsmaschine belegten Begriff antwerc hatte Heinrich —>11736 abweichend für das Vorwerk, einen Teil der Befestigungsanlage einer Burg gebraucht. Hier muß er aber wohl eher auf die Maschine bezogen sein. Die Vorstellung, eine solche Maschine könne nie über den Berg gebracht werden, erscheint ungewöhnlich als Bild für dessen Steilheit. 26229 ff.: Die Höhle ist häufig als Schauplatz übernatürlicher Ereignisse in die Märchen- und Sagenliteratur eingegangen; die „scheinbare Zeidosigkeit des Höhlendunkels" führt zu Erzählungen von schlafenden Helden wie Barbarossa.17 Heinrich begrenzt den sonst meistens unbefristeten Schlaf aber auf drei Tage (->26345). 2 6 2 4 9 f.: Die triumphierende Stimme (des Baingranz oder eines Gehilfen?) ertönt nochmals nach dem Bergbeben 26321 ff. 2 6 2 5 8 : Ρ ist gestört (Sie die weder griffent nach ensahen), vgl. SCH: Sie engriffen noch ensahen, EK bleibt näher an der Überlieferung: Sie weder griffent nach ensahen.

26263-26366 Unwetter, dreitägiger Schlaf im Berg 2 6 2 7 2 : Im Blick auf den folgenden Vers lies mit P/EK nihts verfingen (mit Akkusativobjekt im Sinne von: „fassen, erfassen, fangen", Lex 111,282) statt SCH niht vermengen (mit Verneinung, so z.B. WGast 8414: anders man niht vervangen hat, zu deuten als „zu wege bringen, ausrichten, fördern", vgl. Lex 111,283). 26274 ff.: In ihrer absoluten Dunkelheit ist die Höhle die konsequente Ausgestaltung der Gefahr von Finsternis und Ausweglosigkeit, die mit dem Wald vreissam unde ungetan (26214) eingesetzt hatte. 2 6 2 8 1 : S C H / E K folgen P ; mit Anm. EK wohl einfach als „denn so mußte es sein" zu deuten; vgl. hingegen die Ergänzungsvorschläge bei SIN (Wan des gelückes muost weseri) und EHR (Wan da% muost et wesen).n 26298: sich an die lihte lä^en: „leichtsinnig handeln", vgl. Lex 1,1919 (das stF. lihte ist auch für >Parzival< und Frauenlob belegt). 26311 ff.: Zu den beschrieben Naturphänomenen vgl. das Unwetter im Wunderwald des Wassermanns sowie auch v. a. die zahlreichen Unwetter der 17 18

Vgl. BENDIX, „Höhle" in: EM 6,1171. Das verstärkende Adv. et/eht/öt („doch, einmal") verwendet Heinrich nur 21152.

26263-26366 Unwetter, dreitägiger Schlaf im Berg

637

2. Wunderkette. Ähnlich wie im Wunderwald suggeriert die geheimnisvolle Stimme hier (auch —>26249 f.), daß die Naturphänomene durch irgendwelche Gestalten hervorgerufen würden: im Wunderwald waren es die Gesellen des Wassermanns, hier scheint die direkte Rede an die Gesellen des Baingranz gerichtet. Zur Motivparallele der Klappfelsen(-Höhle) in Märchen vgl. WAGNER-HARKEN 1995, S. 294 f. Realistischer Hintergrund der Vorstellung dürfte ein Bergrutsch sein. 26317: Die Angabe stehen stunt bezieht sich auf das zehnmalige Bergbeben, nicht auf eine „zehnstündige Beschallung".19 2 6 3 3 3 : Zu der Variante SCH Dehein bzw. P / E K Eincherhand vgl. auch —»25588.

Die Erschöpfung der Artusritter wird in dem Vergleich mit Riese und Löwe verbildlicht; vgl. auch WvdV L. 81,7 (C. 54, X I I I , 1 ) : Wer sieht den lewen? wer sieht den risen?0 2 6 3 4 5 : Zu der dreitägigen Dauer des Schlafs als traditioneller Zeitangabe für einen Übergang vgl. —>25560; vgl. auch die Märchenparallelen bei WAG2 6 3 4 0 - 2 6 3 4 4 : (= GT 1 2 2 )

NER-HARKEN 1 9 9 5 , S. 2 9 5 f. 2 6 3 4 6 : Lies mit P/EK enwage (zu in wage, „in bewegung") statt SCH enwäge;21 zu deuten also: „So schliefen sie drei Tage lang, ohne sich zu rühren".22 26351 ff.: Das Erwachen Gaweins, der nun nicht mehr weiß, was vorgefallen war, interpretiert J ILLINGS 1980, S. 98 als eine Wiedergeburt aus Tod und Dunkelheit, die für die Uberwindung früherer Defizite stehe, was sein von nun an planvolles Handeln bestätige. 2 6 3 5 7 ff.: Die plötzliche Verwandlung der finster-bedrohlichen Höhle in einen sonnendurchfluteten, von einem breiten Fluß durchquerten Platz signalisiert die folgende Minneszene; ob Gottfrieds Minnegrotte als Anregung gedient haben könnte, muß offen bleiben. „Die Szene ist also zweistufig aufgebaut, so daß Fels und Wasser — szenischer Ausdruck von Todesdrohung und Lebenshoffnung — einander antithetisch zugeordnet sind."23 Zum sehr alten Typus „der unterirdischen Fahrt durch einen Berg" (auch auf einem Fluß) vgl. die entsprechende Episode >Herzog Ernst< Β 4389-4483.24

19

S o MEYER 1 9 9 4 , S . 1 5 5 .

20

Vgl. GÜLZOW 1 9 1 4 , S . 1 7 2 .

21 22

So auch Lex 1,602 (auch zu 5401) und GÜLZOW 1914, S. 246 f. Vgl. dagegen SIN, der zugleich den Reim ändern will: Also sliefen si dri tage und naht, Das^ sie nie wurden enwacht.

23

DICK 1 9 8 0 , S. 1 7 2 .

24

Vgl. DICK 1980, S. 173 mit Verweis auf Gilgamesch-Epos und Alexanderdichtung, ebd. Anm. 13 weiterführender Literatur. Vgl. zum Motiv auch KRAPPE 1941.

638

2 5 5 5 0 - 2 8 2 6 1 Rückeroberung der Kleinodien (Garanphiel IIb)

26365 f.: Dem Abschnittsende fehlt der dritte Reim, 26367 schreibt Ρ aber Initiale und sichert somit die Zäsur. 26367—26679 Gawein erlauscht einen Rettungsweg Lit.: KAMINSKI 2005, S. 223 ff.; GUTWALD 2000, S. 278 ff.; MEYER 1991.

Die erzähltechnische Funktion der Szene besteht darin, den Fluchtweg fur Gawein und dessen Gefährten zu verraten.25 Heinrich nutzt sie jedoch zugleich, um eine sehr erotische Minneszene zu gestalten, verbunden mit einem kurzen poetologischen Exkurs. Die Zärtlichkeit dieser Szene steht im Kontrast zur strukturell vergleichbaren Vergewaltigungsszene: Beide Paarbegegnungen stehen außerhalb des höfischen Bereichs und ebenso außerhalb von dessen Konventionen.26 Wie auch in anderen Szenen des Romans bewährt sich Gawein wieder einmal dadurch, daß er (im Unterschied zu seinen Gefährten) nicht schläft. So ist sie als eine letzte Erprobung vor der Gralsaventiure zu sehen, die ebenfalls nur durch die Beachtung des Schlafverbots erfolgreich zu absolvieren ist (vgl. hingegen sein schlafendes Versagen beim ersten Gralsbesuch). Zum Schlafmotiv vgl. auch die betäubenden Blumen des Giremelanz und die einschläfernde Lade bei Fimbeus. 26367—26464 Gawein beobachtet die Umarmung eines Liebespaares 26392: erbümn für „bereiten, ausrüsten" schon —>23030. 26396: Lies wohl wage, „bewegung" (Lex 111,632 f.) statt SCH wäge („Waage", vgl. auch —>26346); unreiner Reim a : ä findet sich häufiger (vgl. PFOSER 1 9 2 9 , S. 125 ff.). 26408: ( 2 6 4 0 8 - 2 6 4 1 2 = G T 123) SCH gems, P / E K gereis^ zu gerei^ „aufregung" (Lex 1,877). 26439: Über houbt wohl in der selten belegten Nebenbedeutung „ganz, all" (Lex 1,1347, auch Anm. ΕΚ), TH läßt es weg. 26452: warbel ist nur für diese Stelle belegtes Adjektiv zu werben („sich bewegen"), im Sinne von „beweglich" (Lex 111,688 und BMZ 111,728). 26463: P/EK: Die banchenij gar. EK liest vor dem strijt statt P/SCH von dem strit und deutet: „Der kommt weit von dem Weg ab, der die Art des Küssens anders versteht, das Vergnügen vor dem Kampf, wo man durch Minne tot liegt", 26463 f. als Apposition zum Küssen verstanden. Abweichend SIN Den 25

Daß das häufig verwendete Motiv des Belauschens in der Sage meist zum fatalen Ausgang für den Lauscher, im Märchen hingegen zum guten Ende führt, betont RANKE, „Belauschen", in: EM 2,77 ff.

26

Vgl. auch den Hinweis bei KAMINSKI 2005, S. 225 auf die Parallelen zu Gasoeins Angsttraum 1 2 2 2 1 - 1 2 2 2 4 .

26465-26483 Erzählerexkurs: Ablenkung durch den eigenen Stoff

639

bange nie gar von dem strit, er deutet: „einer, der sich so wenig auf küssen versteht, braucht sich nicht zu furchten, dass er aus liebe sterbe" (entsprechend TH). 26465-26483 Erzählerexkurs: Ablenkung durch den eigenen Stoff 2 6 4 6 5 ff.: Eine ähnlich ausführliche Entschuldigung bringt Heinrich z.B. im Zusammenhang mit dem dorfspel-UvkaK (—>17454 ff.); vgl. zu anderen Formulierungen, durch die eine Schilderung abgebrochen wird, die Zusammenstellung bei GÜLZOW 1 9 1 4 , S. 2 1 0 f. 2 6 4 6 9 : P/SCH Da% ich getar, E K bessert mit Anm. SCH: Das ich des getare. 26470 und 26475: schenken und geschenket „einschenken". 2 6 4 7 6 ff.: ( 2 6 4 5 9 - 2 6 4 8 3 = GT 1 2 4 / 1 und II). Zu der Eile, die einen den eigentlichen Wert eines Essens (und damit auch jeder anderen Sache, wie z.B. der Liebe) übersehen läßt, vgl. v.a. - > 3 8 1 9 (in Lesart P) und - > 3 9 0 1 3 9 0 9 . Es ist eine Abwandlung des häufig behandelten Themas von guten und schlechten Wirten ( - > 6 2 3 1 - 6 2 5 0 ) .

26484—26580 Der Liebhaber erklärt die Aventiure von der Bergfalle 26484—26496: Das Motiv des von einem Schwan gezogenen Nachen ist v.a. aus dem Loherangrin-Stoff bekannt (vgl. die Chanson de Geste Chevalier au CigneSchwanritter< Konrads von Würzburg). Daneben findet es sich auch in der 1. Cont., Bd. 1, Τ 14119—14286, in der ein toter Ritter und eine Racheforderung in einem solchen Gefährt an den Artushof gelangen (auch —>14547 f.).27 Als Symbol war der Schwan im Mittelalter v.a. wegen seiner Reinheit im christlichen Kontext geläufig als Christussymbol, auch für Maria und weitere Heilige.28 Die sexuellen Konnotationen, die MEYER 1994, S. 156 für den Schwan betont, dürften auf die antike Tradition um Leda und den Schwan zurückgehen, die im Mittelalter allerdings nicht sehr verbreitet war.29 2 6 4 9 0 : Den Vogel Strauß zieht Heinrich auch —>966 als Vergleichsobjekt heran. 2 6 5 0 3 ff.: Die Aufforderung zur Klage um Gawein (und seine Gefährten) entspricht den zahlreichen Klagen des Romans um ihn, vgl. —>71507223, vor allem die große Hofklage 16804—17311; zudem erscheint auch wieder das Thema des unerkannt anwesenden Gawein (—>6187 ff.). 27

Vgl. ZACH 1 9 9 0 , S . 2 5 0 .

28

Vgl. HEINZ-MOHR 1998, S. 282; LCI 4 , 1 3 3 f. (mit Lit.).

29

LdaG, 358 erwähnt neben Albrechts von Halberstadt >Metamorphosen< nur die beiden >Barlaanw-Dichtungen von Rudolf von Ems und Otto von Freising. Vgl. auch —>2228.

25550-28261 Rückeroberung der Kleinodien (Garanphiel IIb)

640

Baingran^ von Ainsgalt (P/EK Bayngran^ von Ajnsgalt) ist Herr über die Bergfalle, in die Gawein und seine Gefährten geraten sind, und Bruder des von Gawein erschlagenen Riesen Assiles, den er nun rächen möchte.30 Zusätzlich zu seinen ungewöhnlichen Kräften (Macht über Berg und Drachen, vgl. 2 6 9 5 1 mitten serpant) wird er im Kampf gegen Gawein ausdrücklich als ris bezeichnet ( 2 7 0 7 4 ) ; dort versucht er, Gawein durch sein Gewicht zu erdrücken. Durch die Verbindung mit der Assiles-Handlung wird die Geschichte der Bergfalle geschickt mit der vorangegangenen Romanhandlung verknüpft. Stärker als Assiles wird Baingranz als Ritter gestaltet,31 was sich auch an seinem Namen zeigt, der in seiner Zweiteiligkeit mit Vor- und Herkunftsnamen sowie dem für Namen beliebten Suffix -anz dem üblichen Schema entspricht.32 -gran^ dürfte zu afrz. „groß" zu stellen sein (—>606); bain vielleicht als Part. Präs. zu baer, „ouvrir, etre ouvert, attendre, aspirer ardemment" (DAF, 54): entweder als „der, der ganz dringend wartet" (auf die Rache) oder aber „der weit geöffnet ist" (bezogen auf die Bergfalle). Afrz. galt ist zudem mehrfach für „Wald, Weide" belegt (DAF, 285 f.). Zur Figur des Baingranz vgl. auch HABIGER-TUCZAY, Riesen 1999, S. 647 f. 26510:

26511 ff.: Der Ritter faßt hier knapp die Handlung der Assiles-Handlung zusammen, vgl. v.a. 5 4 6 9 - 5 7 6 6 , 9 7 6 8 - 1 0 1 1 2 . Galaas ( 2 6 5 1 8 ) ist Zögling und Gehilfe des Riesen (auch —>5488), König Flois wurde von Assiles bedrängt und von Gawein schließlich befreit. 26527 f.: SCH und EK tauschen die Reihenfolge der beiden Verse aus P, um die logische Anbindung zu halten. 2 6 5 3 1 : SCH hinne (wohl temporal gedeutet: „von nun an, hinfort, in Zukunft" Lex 1,1300), P/EK räumlich: hie jnne. 2 6 5 3 3 : Er bezieht sich auf Baingranz. 26548 ff.: Der hie deheiner (P/EK Oer hie jnne keiner) meint die Ritter des Baingranz. P/EK von ritter kunst ist Anm. EK zufolge modal aufzufassen: „weder seinen Ruhm noch seine ritterliche Kunstfertigkeit", damit wäre der Gen. ritters bei SCH hinfällig. Die Personifikation des Heils33 hat kraft unde gunst bei den Rittern des Baingranz (an sie) gesammelt. 30

31 32

33

Vgl. die Parallele zum Rachewunsch des Angaras, dessen Bruder Gawein vor dem Beginn der Romanhandlung erschlagen hatte, und der schließlich zu seiner Verpflichtung zur Gralssuche führte (vgl. 18680-18934). So auch in der Tatsache, daß er die in der Bergfalle besiegten Ritter sicherunge schwören läßt und sie als Gefangene am Leben läßt, vgl. 26529 ff., 26558 ff. Vgl. Aamanz, Adanz, Bahanz, Belianz, Gomeranz, Giremelanz, Culianz sowie die beiden Frauennamen Ysazanz und Clarisanz, daneben auch Goorz von Gornomanz und Quinotfiers de Bahanz. Vgl. zum Heil als Kind Fortunas v.a. —>15826 ff.; Heil und Seide werden ansonsten häufig synonym verwendet (—»298 f.).

26581-26679 Gespräch der Liebenden über Gaweins Rettung

641

2 6 5 5 4 : Das Adj. ungan„nicht ganz, unvollständig, unvollkommen" ist mehrfach belegt (Lex 11,1827 f.); vgl. Anm. EK „unangemessen" (wohl zu Recht auf Gawein bezogen; abweichend TH). 26555 er bezeichnet Baingranz. 26555: Daß Baingranz stark genug ist, um mit zwölf Rittern zugleich zu kämpfen, entspricht u.a. der Charakterisierung des Galaas (5512); vgl. auch die zwölf Räuber, denen Erec in der Lesart der Becherprobe begegnet sein soll (—>2174). 26650 kann der Drache vor dem Berg ebenfalls zwölf Männer zugleich besiegen (sie verschlingen). 26556 ff.: Zu dem Gawein vorauseilenden Ruhm (auf dem hier die Klage basiert) vgl. —>6187—6223; bei seiner Einkehr bei Siamerac von Lembil 15229 f. war er ebenfalls im Voraus bekannt. 2 6 5 6 9 - 2 6 5 7 4 : Die beschriebene Handlung um die Rache der wilden Lanße ist ein blindes Motiv ohne Rückbindung im Roman; vgl. ähnlich die diversen Aventiuren der beiden Tatenkataloge Gaweins (—>6083—6139 und 8945-9054). Der offenbar aus Eifersucht in Brand gesetzte Ritter zitiert die Rache Medeas am untreuen Jason, der im Nessoshemd verbrannte (vgl. auch —>11568 ff.). Brennende Ritter finden sich bei Heinrich häufiger, vgl. die 600 Kämpfer der ersten Wunderkette (14099 ff.), die Selbstentzündung des Schwarzen Ritters (19208-19228), die brennenden Ritter auf dem Weg nach Schardin (27369—27480) sowie den brennenden Mann in der dritten Wunderkette (28608 ff.) 2 6 5 7 7 : SCH grnte, P/EK gewete („geselle" Lex 1,989), so bereits 19051. Gaweins Charakterisierung als Liebling der Frauen entspricht den literarischen Vorgaben, denen Heinrich mit dem Novum des verheirateten Gawein zugleich entgegensteuert (vgl. auch die Ansprache Gaweins durch Gestalten der zweiten Wunderkette (-> 16068 ff.) oder die Klage Keies 17017-17037).

26581—26679 Gespräch der Liebenden über Gaweins Rettung ff.: Daß die juncvrouwe die Partei Gaweins ergreift und nach Rettungsmöglichkeiten fragt (verstärkt 26653 ff.), illustriert die vorausgegangene Beschreibung Gaweins als gwete („geselle") der Frauen (—>26577). 2 6 5 9 2 : Ρ Dim gar, SCH/EK dirre rede gar. 26604 f.: (= GT 124a) „Wem das Unglück nachstellt, dem ist nicht zu helfen." Diese sentenzhafte Formulierung verstärkt die vermeintliche Auswegslosigkeit Gaweins und seiner Gefährten, die aus Sicht ihrer Gegner völlig hilflos sind. Vgl. TPMA 12, „Unglück" 4.3: „Den Unglücklichen kann man nicht helfen", auch ebd. 2.1: „Gegen Unglück kommt man nicht an". Als Personifikation findet sich Ungelücke auch 27046 (als Unsalde), zudem Unheil 1 9 1 1 1 . 26590

642

25550-28261 Rückeroberung der Kleinodien (Garanphiel IIb)

„Haß kennt kein Ende." Der Ritter bekräftigt die vorgebliche Unausweichlichkeit der Situation Gaweins und seiner Gefährten - ein erzählerischer Trick zur Spannungssteigerung, da im folgenden Abschnitt doch ein Ausweg aufscheint: Weste Gawein einen list (26610). 26635 ff.: Das Motiv des die Quelle mit Lebenswasser34 hütenden Drachen scheint auf Märchen- und Sagentraditionen zurückzugehen. Vgl. die „vorwiegend alpenländische Vorstellung des Wasserdrachens",35 die sich u. a. in GRIMMS Deutsche Sagen 1 , 2 1 8 spiegelt („Der Lindwurm am Brunnen"). Vgl. auch die Charakterisierung in „Handwörterbuch des deutschen Märchens", Bd. 1, 411: Der Drache „kann Hüter sein, nicht eines Schatzes, aber des Wunderlandes, wo das Jugendgetränk oder das Lebenswasser verborgen ist, und wohin man nur kommen kann, wenn der Drache schläft oder wenn man ihn besiegen kann. Nur dem kühnsten, glücklichsten oder klügsten wird das glücken. [...] Er kann auch Hüter des Wassers sein."36 2 6 6 5 0 : Zu der Fähigkeit des Drachen, zwölf Männer zugleich zu verschlingen, vgl. auch die Verwendung der Zahl Zwölf —>26555. 26553 ff.: Als Vertreterin der von Gawein bisher geschützten Frauen insistiert die Dame auf einer genauen Erklärung der Rettungsmöglichkeiten (—>26590 ff.); die erzähltechnische Funktion, den zuhörenden Gawein zu informieren, steht dabei im Vordergrund. Es wird nicht problematisiert, woher der Ritter im Boot seine Kenntnisse hat und auf wessen Seite er steht. 2 6 6 5 5 : P / S C H / E K seist kontrahiert aus sagest, zu weiteren Kontraktionen z.B. auch —>25555-25557. 26668: mint als Ausdruck der Nichtigkeit ist ein sehr geläufiges Bild, Heinrich verwendet es jedoch nur hier.37 26679: sich erwegen (P/EK herwegen) wohl in der Nebenbedeutung „preisgeben" (vgl. Lex 1,697 mit Belegen aus >Passional< und >Wolfdietrich17477 ff. RÖHRICH 2000, S. 1294 (Druck: Bd. 1,331). Vgl. auch RÖHRICHS Beobachtungen zur Motiwerbindung von Drachen mit Wasser bzw. mit einem Schatz (Artikel „Drache" in: EM 3,791-793). Die Beispiele für quellenhütende Drachen, die SHOCKEY 2002, S. 301, Anm. 78 aufzählt, weichen teils stark vom märchenhaften Bild der >Crone< ab: >Beowulf< 38-49 tötet Sigmund einen Schatzdrachen; die angegebenen Passagen NL 899-906 und 969 vermengen den Bericht von Siegfrieds Drachenkampf und der Quelle, an der er von Hagen ermordet wird; der wurm Pfetän lebt lediglich im Wald am Ufer eines Sees (Wig 5020 ff.); der Drache, den Tristan besiegt, stirbt in der Nähe einer Quelle, in der Tristan Erquickung sucht, von einer Hüte-Funktion des Drachen wird jedoch nichts gesagt (Tr 8900-9092). Vgl. TPMA 13, „Wind"; ZINGERLE 1862, S. 461 ff.

26680-27182 Befreiung aus der Falle

643

26680-27182 Befreiung aus der Falle 26680-26764 Gaweins Kampf gegen den Drachen Die Abreise der Liebenden, die ihre Funktion für den Fortgang der Handlung erfüllt haben, und Gaweins Suche nach dem Schlüssel sind offenbar bewußt in einen Abschnitt zusammengefaßt. Der folgende Kampf ist Gaweins vierte Begegnung mit einem Drachen, die Heinrich ihm zuschreibt (—>9009 f.) und der dritte im Roman dargestellte Kampf. Ebenso wie in dem Drachenkampf 15057 ff. entspricht auch hier der Ablauf einem (diesmal vor allem aus den nordischen Heldenepen) bekannten Schema: Der Drache bewacht einen Schatz, in diesem Fall die kraftspendende Quelle (sonst einen Goldschatz, vgl. auch —>26635 ff.), der Held bekämpft ihn mit list und versetzt ihm den tödlichen Schlag von unten, während der Drache einen Graben überqueren will.38 Statt wie in der Heldensage das Blut des Drachens zu trinken oder darin zu baden, trinken Gawein und seine Gesellen aus der befreiten Quelleund werden dadurch gestärkt. Da ein Kontakt Heinrichs mit nordischer Dichtung eher unwahrscheinlich sein dürfte, nimmt KRATZ an, daß Heinrich aus den offensichtlich auch in Mitteleuropa mündlich tradierten Geschichten schöpft und sie zum ersten Mal schriftlich fixiert, zumal die deutschsprachige Heldenepik im Alpenraum einen Schwerpunkt gehabt habe (auch —>14384).39 26713: Zu dem stalboum vgl. zur ersten Nennung —>5532. 26716 f.: Der stäle/ An des spers ort vom ist die eiserne Lanzenspitze, die auf dem langen Holzschaft der Lanze steckt. 2 6 7 2 6 : Die Adjektivbildung SCH/EK murwilder hagel (P füwr wilder) ist Heinrich zuzuschreiben, „wild wie das feuer".40 Zum Feuer als Drachencharakteristikum vgl. —>12778 ff.; vgl. auch die Beschreibung der lintracken 12789 f., die ir kinnebacken/ Bliesen wilde^ viure\ ebenso 13405, wo zwei Drachen da% wilde viure/ Werfent ΰίζ ir backen. 38

39

40

So v. a. in dem Kampf Sigurds gegen den Drachen Fafnir in der >Fäfnismäl< innerhalb der >EddaVolsungasaga< und der >Snorra EddaCröne< auch UNZEITIGHERZOG 1998, S. 47 f. MEYER 1994, S. 157 sieht im Abschluß der Avennure Parallelen zur Colurmein-Episode: Gaweins Kampf gegen Müdigkeit und Gestank, Wiederbelebung durch das Wasser bzw. den Duft der Blumen, die „eigentlich belebende Kraft haben". Die Wiederbelebung in Colurmein geschieht allerdings durch den Stich in den eigenen Fuß, den Gawein sich zufügt; der betäubende Geruch geht eben von den Blumen aus. Vgl. Lex 111,382; REISSENBERGER 1879, S. 32; vgl. auch Anm. EK.

644

25550-28261 Rückeroberung der Kleinodien (Garanphiel IIb)

2 6 7 5 8 : SCH drosgen, P/EK drossln für „Schlund, kehle" ist auch für das >RolandsliedErecWigalois< u.a. nachgewiesen (Lex 1,469f.); Heinrich hat nur diesen Beleg.

26765-26818 Die Ritter trinken aus dem kraftspendenden Brunnen 2 6 7 6 5 ff.: SCH Solt er iht sinnvoll kürzend aus P/EK Wann solt Gawein icht „Wäre Gawein noch eine längere Zeit mit solcher Eile von dem Drachen herumgetrieben worden, so hätte er dort bleiben müssen [= sterben müssen]". Zu der euphemistischen Umschreibung des Todes vgl. weitere Parallelen —>3065. Lies mit EK Komma statt Semikolon am Versende. 2 6 7 7 3 : S C H / E K lesen gemeinsam: Sin. An das wavier/ Er müede statt P: Sin wann das washer/ Das er müder. 2 6 7 7 6 : enblanden auch 6129, hier „sich anstrengen" (vgl. Lex 1,546 ich la%e mir enblanden: „lasse es mir eine angelegenheit sein, strenge mich in einer sache an"). 2 6 7 8 4 : Schon einmal wurde Gawein in völlig unritterlicher Weise auf allen Vieren kriechend geschildert: auf dem Heimweg nach Karidol, im Anschluß an den Kampf gegen Gasoein (unde an allen vieren kras, —>12389 f.). 2 6 8 0 2 : SCH bekliben („haften bleiben, verbleiben", mehrfach belegt bei Lex 1,166), P/EK beklieben (bei Lex 1,167 einmal belegt für „spalten", Anm. EK verweist auf SCH); bekliben hier wohl zu deuten als „im Schlaf verhaftet", vgl. nhd. „benommen". 26813 ff.: Den Weckruf Gaweins charakterisiert MEYER als durch lyrische Qualitäten ans Tagelied gemahnend, er habe seinen Bezugspunkt in der zuvor geschilderten Minneszene: „Der Realismus und der Ton der Szene sind aber bis dahin wohl einmalig in der deutschen Literatur."41 26817 f.: P/EK mere·, SCH marc dürfte wohl sinnvolle Besserung sein (marc auch —>17610). Die Parallelsetzung bietet verschiedene Erklärungsmöglichkeiten, je nach Deutung des lots·. So findet sich bei Lex 1,1961 neben der Grundbedeutung „blei" auch die als „überh. giessbares metall" oder „gewicht"; zudem kann ein Lot als Münzgewicht gedacht sein (eine Mark entsprach 16 Lot).42 Jedenfalls werden zwei Paare von ungleichem Wert gebildet. Ähnlich formuliert Heinrich 27034 f. in demselben Kontext: Da wac leben wider leben/ Unde tot wider tot (vgl. auch Anm. EK, wo an men, der Erzählung, festgehalten wird).

41

MEYER 1 9 9 4 , S . 1 5 7 .

42

Vgl. VERDENHALVEN 1968, S. 34; leider ohne Jahr, für das die Gleichsetzung belegt ist.

26819-26885 Das Volk feiert Gawein als Drachentöter

645

26819-26885 Das Volk feiert Gawein als Drachentöter 26835: P / S C H / E K gekase bereits 2 6 3 7 3 {gekose) für „rede, gespräch, geschwätz" (Lex 1,803). 26845: Einziger mhd. Beleg für das Lehnwort aus lat. carmen, ital. carme und afrz. charme·. „Zauber, Zauberspruch, Lied, Gedicht, Klage".43 2 6 8 5 9 : SIN überlegt gegen P / S C H / E K : Ob under disen kein genas, um den (reimbedingten) Ind. statt Konj. zu begründen; damit bezieht sich die Aussage auf die Gegner der Artusritter. Allerdings erscheint die Nennung Keies durchaus motiviert und zu erhalten, da seine noch nicht ausgeheilte Wunde ein deutliches Risiko für den Kampfausgang unter den Bedingungen des Baingranz bildet. 26867: Lies gedringe (einmal belegt zu dem verbreiteten gedrenge, „bedrängung, beengung" Lex 1,775) statt P/SCH gedinge, das weder als „gericht, bedingung" noch als „hoffnung" (Lex 1,771 f.) wirklich sinnvoll erscheint (so auch EK). 26870 f.: SCH bessert läge aus P/EK tage und interpungiert entsprechend; sin bezieht sich dann auf da^ volc 26864. EK behält hingegen Ρ bei und deutet sinnvoll sin tage als Zeitangabe, sin weide nehmen als „seinen Weideplatz nehmen" (Punkt erst nach 26871). 26886-26982 Ankunft des Baingranz, Kampfabsprache 26886: Zu helfesam („hilfreich") ->9613. 2 6 9 0 9 : Die Formulierung P / S C H / E K sich in die schult melten ist eigenartig {falten für „hineinschmiegen, einhüllen", Lex 111,15; konkret in dieser Bedeutung 1 1 7 9 5 : Ginover vielt sich in ihr gewant). Sinnvoll der Besserungsvorschlag von SIN, schilt zu lesen (so auch TH): vgl. dazu auch 1 6 3 7 2 , wo sich zwei kampfbereite Ritter in die schilte vielten-, zudem schreibt Ρ 2 3 9 5 0 schilt anstelle von schult. Zum Versuch, Ρ beizubehalten, vgl. Anm. EK. 2 6 9 1 1 : Ein weiterer Beleg für die deutliche semantische Trennung, die Heinrich zwischen dem Streitroß ors (wieder 2 6 9 2 9 f.) und dem Damen- oder Lastpferd pfert macht (—>22125): Nachdem Gaweins ors 2 6 7 2 5 ff. gestorben ist, kämpft er schließlich mit einem pfert ( 2 6 9 7 3 ff.).44 2 6 9 3 0 : verspom ( P / S C H / E K ) stellt Lex 111,243 mit Fragezeichen zu einem sonst nicht belegten Verb verspern; da weder Wortstamm noch Bedeutung klar sind, vielleicht in verhorn („verschonen, unberücksichtigt zu lassen", Lex 111,72 f.) zu bessern. Zu deuten dann: „Mein Streitroß habe ich schon 43 44

Vgl. REISSENBERGER 1879, S. 32; SUOLAHTI 1929, S. 118 f.; Lex 1,1520. Vgl. auch BUMKE 1990, S. 236 ff. zu den verschiedenen gebräuchlichen Pferden.

646

25550-28261 Rückeroberung der Kleinodien (Garanphiel IIb)

verloren, mein Lastpferd ist zu vernachlässigen, für diesen Kampf ist es zu träge". 26944: übertragen für „schützen, schonen" auch —>11887. 26959 ff.: (26961-26965 = GT 125a) Gaweins Replik spielt auf eine Sentenz an, die Gasoein —>3951 f. zitiert hatte (vgl. auch ShRM). Er nimmt, durch das Wasser der kraftspendenden Quelle gestärkt, die Kampfaufforderung des Baingranz gelassen. Dies zeigt sich auch in seinem folgenden Kommentar zu ritterlicher Stärke: Solange ein Ritter sich nicht einschüchtern läßt, kann er sich aus manch einer Gefahr befreien. Vgl. auch TPMA 2, „Drohen" 10: „Drohungen verletzen und töten nicht". 26983-27182 Kampf, Keies Wunde bricht auf, Gawein wird gefeiert 26998: %adel, „gebrechen, abgang, mangel bes. an lebensmitteln" (Lex 111,1017 f.) auch 10512, 19800 und 19822. 2 7 0 0 5 : Die ringe witen ist gegen TH („rings of mail") als „kampfplatz" zu deuten, der „erweitert" wird; vgl. die folgenden Verse (dar inrte), auch 27144. 2 7 0 2 1 ff.: Die ausführliche Darstellung von Keies siegreich endendem Kampf ist zugleich der erste erfolgreiche Kampf Keies im Romanverlauf und signalisiert deutlich dessen veränderte Rolle (auch —>490).45 27034 f.: Vgl. die ähnliche Formulierung ->26817 f. 2 7 0 4 0 : Lies im Reim mit P / E K iibertruoc (Druckfehler SCH). 27046: Die Personifikation von Onsalde fand sich bereits einmal 26604, vgl. auch ->19111. 27059: üf den sin: „in der Absicht". 2 7 0 6 3 : SCH Wan so kleine was diu kraft sin, Ρ / Ε Κ LVan sin krafft was so dein. Beide Varianten stellen ein Problem dar hinsichtlich des Reims auf hin,46 Vgl. den Vorschlag bei GÜLZOW 1914, S. 247, Gawein in den Reim zu rücken, also etwa (mit P/EK): Susi vil gering hinder sich rückte/ Von der stat von dan Gawein,/ Wann sin krafft was so clein. 27075 f.: Die rede gewis machen ist wohl zu deuten: „die Sache zum Abschluß bringen" (gewis „gewiss, sicher, zuverlässig", Lex 1,993); ime ist wohl refl. auf Gawein zu deuten, könnte aber auch auf dessen Gegner bezogen werden: „er zeigte diesem das Ende der Angelegenheit". 27076 Er ist Gawein, fr Baingranz. 27136: Das Kompositum S C H / E K varslac (P var slac) ist eine Bildung Heinrichs aus var (väre) und slac, also „hinterlistiger schlag", die sonst nicht überliefert ist (Lex 111,25). 45 46

Vgl. auch die Untersuchungen von DAIBER 1999, S. 179-182 zu Keies Kämpfen. Heinrich reimt so gut wie nie / ' : v g l . PFOSER 1929, S. 257.

27183-27700 Hilfe durch Gansguoter

647

27141 ff.: Die Stoßrichtung von Keies Schlag (Gein demgürtel ψο dem slit^e in) verweist auf die zahlreichen Anzüglichkeiten in seinen Kommentaren zu den beiden Tugendproben; hier trifft er mit Waffen, nicht mit Worten. 27146: Der Vers scheint mehrdeutig, vor allem ist offen, ob er sich auf Keie oder auf dessen Gegner bezieht: geringe ist v.a. fur Heinrich in der Bedeutung „leicht und schnell, behende" belegt (Lex 1,882), mit Betonung der Geschwindigkeit. TH deutet „Keii did not grieve" (tragen als „ertragen" gedeutet (Lex 11,1490), also „er nahm es leicht"); Anm. EK schlägt hingegen vor, daß „Keies Gegner dem obigen Schlag nicht standhalten konnte, oder dass die Sache schnell vonstatten ging". 27147 ff.: Keie hatte sich die alte wunde im Kampf um eine clüse 26115 ff. zugezogen (auch —>26113), worauf Heinrich ausnahmsweise sogar selbst verweist. So wie sie hier wieder aufbricht, war es auch Erec ergangen, der sich geheilt glaubte, als er Cadoc zu Hilfe kam (ErH 5249 ff.). 2 7 1 5 3 : Zu der Formel blade unde kranc vgl. auch —>12531.

27183-27700 Hüfe durch Gansguoter Die weissagende Königstochter hatte Gawein auf die Hilfe Gansguoters verwiesen, um die unmöglich erscheinende Aufgabe bewältigen zu können, die gestohlenen Kleinodien zurückzuerobern (vgl. 25650-25749). Ähnlich suchen Lanzelet und seine Mitstreiter die Hilfe des Zauberers Malduc, um die entführte Ginover befreien zu können (Lanz 6672—7816). Zur Figur Gansguoters —>13004—13102; zu dem folgenden Besuch Gaweins bei Gansguoter vgl. auch KELLER 1997, S. 317-327. 27183-27260 Ankunft bei Gansguoter 27192 f.: Zu dem mit diversen Gefahren verbundenen Weg %uo der winstern hant vgl. auch —>9132. 27195: Die Dauer von einem mänot (P/EK monad) erscheint im Vergleich zu anderen Zeitspannen im Roman übertrieben, vgl. zu der im Handlungsverlauf sich verstärkenden Ungenauigkeit auch —>26106, auch —>8672 zu der häufig verwendeten Zahl Dreißig als Ausdruck für „sehr viel". J ILLINGS 1980, S. 97 wertet die Stelle wegen des Verlusts der Proportionen als „most grotesque hyperbole". 27217ff.: Zu der brevitas-Yormd vgl. z.B. ->25914ff. 2 7 2 4 1 : Die Bildung berücke ( P / S C H / E K ) aus bi und rücke für „rückwärts, hinten" ist nur für diese Stelle belegt.47 47

Vgl. Lex 1,198; REISSENBERGER 1 8 7 9 , S. 3 2 ; A n m . E K .

648

25550-28261 Rückeroberung der Kleinodien (Garanphiel IIb)

27245-27250: (= GT 127) Der Erzähler fuhrt die sentenzartige Formulierung „Die Kunst der Freude bringt Freude hervor" weiter, indem er ihr deren Gegenteil entgegenstellt: „Dagegen müssen Unwissenheit und Kunstlosigkeit alle Freude schwächen, wie es häufig geschieht." 27257 ff.: Subjekt ist nun wieder Gawein.

27261-27368 Gansguoters Abschiedsgeschenk für Gawein: die zauberabweisende Rüstung 27267: Von ist hier kausal zu verstehen, aber offenbar stark kürzend: „die Freude über (die Berichte über) Artus und Igerne war bei ihnen". Vgl. hingegen Th „the joy o f , was zu wörtlich erscheint, zumal sich der Artushof bei Gaweins Abschied in gedrückter Stimmung befand. 27279: sin antwurt ist die Hilfszusage Gansguoters. 2 7 2 8 4 : SCH setzt das verbreitete offenlichen, statt P / E K offenberlichen, was lectio difficilior sein dürfte (vgl. Lex 11,145). 2 7 2 8 9 : Daß die Ritter ir hervg rächen sollen (P/SCH/EK) erscheint ungewöhnlich, schließlich handelt es sich nicht um eine Liebesangelegenheit. EHR schlägt daher vor, in herren zu ändern, vgl. auch —>29664. 27300: Zu entriden, „loswinden", vgl. ->24892. 27308: Die Formulierung untrost geben (im Sinne von unirasten, „entmutigen") findet sich nur bei Heinrich, vgl. aber z.B. untrost bieten (Jüngerer Titurel·, vgl. Lex 11,1946). 27315 ff.: Die tiuvels barn (27322), um derentwillen Gansguoter sein Land mit einem Abwehrzauber geschützt hat, sind offenbar Baingranz und dessen Gefährten. Die Ausfuhrungen machen deutlich, daß Gansguoter zwar als Zauberer eine überlegene Position inne hat, daß dieser Zauber aber nicht eigentlicher Kampfstärke gewachsen ist — er konnte Baingranz von seinem Reich fernhalten, ihn aber nicht unschädlich machen. In dieser Hinsicht ist er auf Gawein angewiesen, was die Beziehung der beiden auf die Ebene eines gegenseitigen Gebens und Nehmen stellt. Zur Wechselwirkung zwischen ritterlichen Tugenden und Zauberkraft vgl. auch die sarwät (—>27343-27368). 27332: Das Adj. unverwendelich (zu unverwant, „unabwendbar" bzw. verwenden,, „rückgängig machen, abwenden, -wehren", Lex 111,301) ist in dieser Form nur hier belegt (vgl. Lex 11,1971); vgl. daneben noch das Adv. unverwendecliche („unverwandt, festes sinnes") bei Neidhart. 27334: Zu urbunst, „missgunst, neid" (Lex 11,2002) vgl. auch - > 6 7 3 8 . 27343-27368: Die sarwät, die ihren Träger gegen alle Zaubermittel des Gegners schützt und ihn überlegen sein läßt, ist schon die zweite dieser Art, die Gawein im Lauf des Romans erhält: Siamerac von Lembil hatte ihn

27369-27480 Brennende Ritter, Kampfverbot durch Gansguoter

649

15246 ff. mit einem wäfenroc ausgestattet, den nieman künde versniden und der Gawein vor den Zauberkräften des Laamorz von Janfrüege schützte. Allerdings steht die Gabe Gansguoters über der Siameracs, da sie ihren Träger auf seine eigenen Fähigkeiten zurückweist: Am Ende des Romans, in dessen Verlauf Gawein mit den verschiedensten Zaubermitteln in Berührung und Auseinandersetzung gekommen ist, geht es um deren endgültige Uberwindung. In Gansguoters sarwät kann er allein durch seine überlegene manheit, durch Mut, Tapferkeit und seine ritterlichen Fähigkeiten an das Ziel seiner Fahrt gelangen: „it manifests a new dimension of the hero's perfection".48 Gansguoter hatte diese besonderen Gaben (auch das Schwert 27369) bereits —>13592 angekündigt. Den halsperc (zum Begriff auch —>2865) leiht Gawein schließlich Keie, damit dieser sich aus seiner Gefangenschaft in der Kapelle befreien kann (29731 ff.). 27350: Statt des durchgehenden Satzgefüges bei SCH setzt EK Punkt nach ypuber sowie 27352 nach ritterschafi. 27353-27356: Subjekt ist der Gegner desjenigen, der in der zauberabwehrenden Rüstung kämpft. 27369-27480 Brennende Ritter, Kampfverbot durch Gansguoter Die folgende Begegnung mit den rätselhaften brennenden Rittern steht in ihrer Bildlichkeit in einer Reihe mit den Szenen der Wunderketten.49 Hier dürfte es sich allerdings um eine Demonstration der von Gansguoter geschaffenen Abwehrzauber handeln, von denen 27315 ff. die Rede war — so lassen sich die Verteidiger der clüse von ihrem Landesherrn ohne weiteres zurücktreiben. Die Motivik ähnelt wieder der Korntin-Episode des >Wigalois13925—14926), v.a. aber Gaweins Begegnung mit dem Schwarzen Ritter (->18963 und ->19208 ff.). 27378 ff.: Die bürge muß wohl die Burg Gansguoters sein, die die Ritter gerade verlassen haben. Heinrich hat zwei von dem Zauberer erbaute Burgen ausführlich beschrieben, vgl. das Drehschloß der Maultierzaumepisode sowie Burg Salye; in Amurfinas Burg interessierte lediglich die Innenausstattung. Hier spielt er nun wohl auf die zahlreichen und ausfuhrlich dargestellten Wunder dieser Konstruktionen an. 48

DICK, Dark Figures 1986, S. 145. Er vergleicht Gansguoters Rolle für Gawein mit der Trevrizents fur Parzival: Erst durch dessen Hilfe werde Gawein schließlich zu einem „true knight" (S. 146). Vgl. auch KERN, Cröne 1999, S. 209, Anm. 45 mit weiterer Lit. Zu

49

Dementsprechend bezeichnet sie KELLER 1997 als „enggefiihrte Wunderkette" (S. 322 ff.).

2 7 3 6 5 ff. auch SHOCKEY 2 0 0 0 , S . 9 9 f.

25550-28261 Rückeroberung der Kleinodien (Garanphiel IIb)

650

27384-27397: Die Landschaft, die sich den Rittern nach dem Durchqueren des Waldes eröffnet, ist von deutlich alpinem Charakter, allerdings eher interpretationsbedürftig. Unklar bleibt v.a., ob die porte in baulicher Verbindung mit dem nicht weiter beschriebenen hüse 27396 (27407 die burc) steht (beidemal irritiert der bestimmte Artikel); ebenso, ob dieses hus noch die Burg Ganguoters ist, die sie hinter sich gelassen haben, oder ob es sich um ein anderes Gebäude handelt. Gawein wird wohl kaum zu Gansguoters Burg zurückkehren wollen; daß er den Berg hinaufsteigen will, dürfte mit dem Verlauf des Weges zusammenhängen. 27386: rutsche erscheint hier nicht einfach als Variante von rotsche (in diesem Sinne —>17373), sondern im Blick auf die Beschreibung über den wec schö£ eher zu rutschen zu sehen: ein Geröllfeld infolge eines Lawinenabgangs o.ä., das den Weg versperrt.50 Vgl. als ähnliche Landschaftserscheinung den Geröllfluß auf dem Weg zu Amurfina (7964 ff.). 27390: Die porte muß wohl in der sehr allgemeinen Deutung „Öffnung, mündung" (Lex 11,287) verstanden werden als eine Möglichkeit, die rütsche zu durchqueren. 27395: Das offenbar als Teil der Landschaft zu verstehende stgen ( P / E K sigeri) erscheint rätselhaft. Anm. EK übernimmt Lex 11,917 „das sinken" (in dieser Bedeutung nur für diese Stelle belegt) und interpretiert es „vielleicht metonymisch - für 'Senke, Tal' oder was auch immer". Der Vorschlag von SIN, in siten zu bessern und dafür die beiden vorhergehenden Verse zu streichen, erscheint als zu gravierender Eingriff. Lies vielleicht stigen (PI. zu stic), „steig, pfad" (Lex 11,1185, auch 5661, 9133, 11749 u.ö.); rührende Reime nutzt Heinrich zwar selten, aber sie kommen vor (—>9720 f., der nächste z.B. wieder 27475 f.). 27398 ff.: Z u r spannungsfördernden Bedeutung des Schalls vgl. KEEFE

1982, S. 232-234. 27401: Lies mit Anm. SCH und EK Brasteln und krachen (vgl. auch Anm. EK).

27403 ff.: Das Motiv des nicht verbrennenden Feuers in Verbindung mit Gansguoter findet sich wieder 28383 ff. 27408: Zu louge („Flamme") ->19214. 27410: Lies mit Anm. SCH und EK: Tete dim rede war (vgl. z.B. 27566, 27568 u.ö.), Ρ bietet keinen Hinweis auf eine Störung (Ted dirre war). 50

1 4 , 1 5 6 8 zu rutsch·, „oberd. im sinne von erdrutsch, bergsturz". Ebd. auch zu rutsche·, „zunächst im sinne von fels, dann in die bedeutung von rutsche übergehend". Zu rotsebe stellen es Lex 11,559, ebenso SUOLAHTI 1 9 3 3 , S. 1 3 9 und SIN, der gerade zu dieser

Vgl. DWb

Stelle ausdrücklich erklärt, es heiße hier „nicht einfach fels, sondern muss befestigter, von einer bürg gekrönter fels heißen". Vgl. entsprechend Anm. EK.

27369-27480 Brennende Ritter, Kampfverbot durch Gansguoter

651

27413 ff.: Die Begegnung mit den brennenden Rittern kann zusammen mit der folgenden Überquerung des gefährlichen Wassers als eine Art Feuerund Wasserprobe verstanden werden: Beide Elemente sind wegen ihres ambiguen Charakters (zugleich helfend und lebensspendend als auch bedrohlich) mit zahlreichen Geschichten und Vorstellungen verbunden.51 In der christlichen Tradition des Mittelalter wurden sie für Gottesurteile genutzt, die zugleich eine Form von Tugendproben darstellen; vgl. z.B. die Probe mit dem glühenden Eisen, der sich Isolde unterziehen muß (Tr 15724 ff.).52 Vgl. auch das Motiv Pz 496,9-14; 812,19-23 und 735,24: An allen drei Stellen wird von dem berc Agremontin erzählt, aus dem fiurige man herauskommen, gegen die Trevrizent und Feirefiz gekämpft haben, und in dem Salamander edle Stoffe wirken.53 Diese Epsiode war wohl recht geläufig, sie findet sich ähnlich auch Wig 7435—54.54 Außerdem wird in Gaweins Tatenkatalog (—>9016-9022) eine vergleichbare Aventiure erwähnt, in der er Lanzelet im Zauber von Chladet zu Hilfe gekommen war. Während GÜLZOW die Identität der beiden Stellen postuliert, dürfte wohl eher mit CORMEAU, der auf die zahlreichen Abweichungen der Details verweist, von einer Variation des Motivs zu sprechen sein.55 27416 ff.: Zu dem die Fremden ankündigenden Horn vgl. die Motivparallele —>6992 ff. Das unbestimmte Neutrum eine^ 27417 läßt die Identität des Sprechers bewußt offen (vgl. ähnlich ->11478).56 27429: Zu erquämen („erschrecken") auch ->22799. 27432: erbunnen („beneiden, misgönnen", Lex 1,619) fallt in mehrerlei Hinsicht auf: Die vorliegende Form ist in der >Crone< singulär, sonst immer enbunnen (1386, 25258, 29999, vgl. Lex 1,548; beide Formen sind aber in anderen Texten ausreichend nachgewiesen); es ist der einzige reflexive Beleg, zudem wechselt das Tempus hier unvermittelt (Präsens). Vgl. Anm. EK für Konjekturvorschläge von SIN und EHR als erwunnen zu erwinden, „ablassen von, aufhören" (mit Sie statt Sich im folgenden Vers). Oder hat Ρ ein hart ausgelassen (Und hän doch erbunnen)? 51 52

Vgl. die entsprechenden Artikel in HWdA 2, 1389-1402 und HUSE: „Feuer", in: EM 4,1066-1087. Lit. z.B. bei KROHN, Kommentar zu >TristanMantel< S. 1 2 3 ) ; GÜLZOW 1 9 1 4 , S. 2 3 7 f. u n d CORMEAU 1 9 7 7 , S. 1 3 1 u n d

54

188. Sie entspricht dort der letzten der drei Stellen aus >ParzivalMeleranz< 4548 f., 5044 f., 5816-5850, 7205, >Tandareis< 8964 sowie Gau 3519 f.

652

25550-28261 Rückeroberung der Kleinodien (Garanphiel IIb)

2 7 4 4 8 : Das Objekt für er ware tot (P/SCH/EK) ist unklar. Es muß sich aber wohl um die brennenden Ritter handeln, denen sich Gawein im Kampf stellen möchte, und die ebenso scheintot sind wie die meisten anderen Figuren der Wunderketten- und Gralssphäre. Womöglich hat der Schreiber diese Zusammenhänge übersehen und „vereinfacht"; zu bessern wäre also in: sie waren tot?1

27481-27596 Überwindung der Zauberbrücke nach Schardin 27485 ff.: Vgl. auch die Ausfuhrungen —>27315 ff. zu Gansguoters Sicherheitsvorkehrungen. 27501 f.: vähen hier für „die richtung wohin nehmen" (Lex 111,5) bzw. „hinreichen"; daß der Weg mit großer vreise hing, beschreibt wohl einen schmalen Gebirgspfad in einer steilen Wand. 27510: Als Vorbild für diese Darstellung könnte die Schilderung Chretiens ChCh 647 ff. gedient haben: Dort wird von dem Land des Bademaguz, in das Meleagant die Königin Ginover entführt hat, berichtet, es gebe nur zwei Wege dorthin. Deren einer ist Ii Pon% Evages, „die Unterwasserbrücke" (ChCh 656), über der sich genauso viel Wasser befinde wie darunter und die nur anderthalb Fuß breit und dick sei; die zweite, noch gefährlichere, ist le Pont de l'Espee, die Schwertbrücke (ChCh 673), wie sie Heinrich in der Maultierzaumepisode beschreibt (—>12848).58 Vgl. z.B. auch die nur auf Anordnung Malducs sichtbare Brücke Lanz 7163 ff. 27515ff.: Das scho^tor, nochmals 27555 sowie 27573 {schu^tor) wird z.B. Iw 1080 u.ö. als slegetor bezeichnet;59 es wird jedoch sonst kaum darüber berichtet.60 Die Fallgatter „waren in der Regel auf der Innenseite des Tores in hölzernen oder steinernen Nuten senkrecht beweglich angebracht. Sie konnten durch Öffnen einer Sperre oder durch Lösen einer Kette in Sekunden 57

58

59

60

SIN möchte statt dessen eine Warnung Gansguoters sehen: Gawein ware tot, „ergänzen" will er: ob er des niht enbem Wolde (wohl nur als Mitzudenkendes gemeint?). Ausfuhrlich dazu K E L L E R 1997, S. 322 ff. Vgl. auch Anm. EK. Vgl. dazu Z A C H 1990, S. 138 f. mit weiteren Parallelen im >Lancelot en proseCröneelf eilen vgl. die entsprechende Angabe für das wilde Waldweib (—>9349), sie entspricht ungefähr 9 Metern. 27518 f.: Vgl. die Figur des schwarzen, riesigen gebüre mit einem sieget von rohem stale in der ersten Wunderkette (14287 ff.) sowie den stabschwingenden steigere vor Salye 20580 ff.; auch Gansguoter trägt seine helmbarte über den Rücken geschwungen (13052, 13146 f.). 2 7 5 3 3 : SCH enklitisch da^ für P / E K da\ es. 2 7 5 3 8 : Sardin·, lies Schardin, das Land des Fimbeus (vgl. 4888 u.ö.). 2 7 5 4 4 : Der Bezug auf das mare ist wieder ein fiktiver Quellenhinweis, diese Begebenheit läßt sich nirgends sonst nachweisen (vgl. zu anderen solchen Verweisen z.B. —>23316). 2 7 5 5 0 : SCH nähe wohl sinnvolle Besserung aus P/EK nach. 2 7 5 7 0 : gehabte ist Druckfehler bei SCH, lies mit Ρ gehabte. 61

KRÄHE 2000, S. 26.

62

So die Auskunft im DBV-Burgenlexikon, Bd. 1, S. 255; dabei geht die Datierung offenbar von noch heute nachweisbaren Baubefunden aus, ohne die Beschreibungen der zeitgenössischen Dichtung zu berücksichtigen - wie sollte Heinrich bauliche Details beschreiben, die er kaum gesehen haben konnte? Vgl. zuletzt die Bergfalle des Baingranz (->26311 ff.). Anm. SCH verweist hingegen für das scbo^tor auf „das was man in Schwaben eine stellfalle nennt"; DWb 18,2259 verzeichnet als „stellfalle" u.a.: „schleuse, staufalle am wasser, bei mühlen und bewässerungsgräben", allerdings nur mit neuzeitlichen Belegen. Damit würden jedoch Tor und Überflutung miteinander verknüpft

63 64

654

25550-28261 Rückeroberung der Kleinodien (Garanphiel IIb)

27581 f.: swimmen hier wohl mit Akk. der Strecke, vgl. Lex 11,1374, auch —>6239-6244, —>20087. Zu deuten mit Anm. EK: „wo Gansguoter vor ihnen auf der Brücke in dem Wasser schwamm". 27596: hin (Adv.) „von hinnen", von Gansguotern kausal zu deuten als „wegen/durch Gansguoter": „dank Gansguoter brachte sie dieses Glück von hinnen". Vgl. auch Anm. ΕΚ; Th übersetzt: „Gansguoter was responsible for this stroke of luck". 27597-27677 Erklärung der Aventiure von der Zauberbrücke 27609: Zu gewarsamkeit („Vorsicht") ->20226, vgl. auch Anm. EK. 27610 ff.: Aus Gansguoters Erläuterungen zu der eben erlebten Aventiure geht nicht deutlich hervor, ob die Brücke von ihm oder von Garanphiel errichtet wurde; auf jeden Fall bildet sie die Grenze zwischen beiden Reichen. Daß auch Garanphiel zauberkundig ist, hatte sie mit dem wunderkräftigen Gürtel für Fimbeus gezeigt, auch die Probenhandschuhe gehen wohl auf sie zurück. In der (nur einmal möglichen) Uberwindung dieser Brücke sowie später in der Zauberlade Gansguoters, mit der Gawein die Gesellschaft Garanphiels einschlafen läßt, stehen sich die Zauberkräfte der beiden Parteien noch gegenüber. Erst die zauberabweisende Rüstung Gaweins fuhrt die Auseinandersetzung auf „normales" ritterliches Messen zurück, dort trägt Gaweins manheit den Sieg davon (—>27343—27368). 27613: Die unnötige Zusammenschreibung sagder (so auch 2 7 6 1 9 und 2 7 6 5 9 , vgl. auch 2 9 1 0 7 ) geht auf SCH zurück, der damit wohl auf das ungewöhnliche auslautende -d reagiert. Ρ schreibt jeweils sagd er (ebenso EK). 27640: Zu antwerc, als das Heinrich das „Vorwerk" einer Burganlage bezeichnet, vgl. ausführlich —>11736. 27649 f.: Zur Deutung der von Anm. SCH problematisierten Verse vgl. Anm. EK. 27651 ff.: Die Betonung des großen Schadens, den Garanphiel, Fimbeus und deren Land durch die Zerstörung der Zauberbrücke erlitten hätten, steht dem versöhnlichen Ende der der Konstellation zumindest teilweise zugrundeliegenden joie-de-la-court-Konstruktion der >Erec4888, daneben —>12951 ff. zum gemeinsamen Motiv der auf Zinnen aufgespießten Köpfe, —>23234 ff. zum Konzept der Minnebindung, die Teilnahme am ritterlichen Leben untersagt). Dort wird das Paar schließlich wieder in die Gesellschaft integriert und somit einer Art Erlösung zuteil, vgl. so z.B. ErH 9 5 8 2 ff. Hier jedoch wird die erzwungene Öffnung des abgeschirmten Bereichs als reine Niederlage interpretiert.

27678-27700 Gansguoter gibt Gawein eine Zauberlade

655

27678-27700 Gansguoter gibt Gawein eine Zauberlade sinnvoll Der statt Ρ Des. spricht zunächst verrätselt von der Gabe Gansguoters als von einem kleindt (ebenso 27800), später erst beschreibt er es exakter: 27805 als (wohl als „gefäss, schrein" zu deuten, Lex 111,34), 27851 als lade, von der er 27885 sagt, sie werde geöffnet bzw. wieder versperrt (27909). Es dürfte sich um eine kleine Truhe handeln, vgl. z.B. die teils äußerst kunstvoll gefertigten Minnekästchen, die vor allem als Schmuckschatullen genutzt wurden, oder ebenso kostbare Reliquienkästchen. 27698: Zu helfesam, „hilfreich", vgl. ->9613. 27685: SCH/EK 27692: Heinrich

27701-28261 Rückgewinn der Saeldenkleinodien Ausgerüstet mit der zauberabweisenden Rüstung und dem kleindt Gansguoters fuhren Gawein und seine Gefährten nun die Handlung um Fimbeusgürtel und Saeldenring zu Ende, die sich seit der nächtlichen Furtbegegnung zwischen Gasoein und Artus durch den Roman zieht. Anders als in dem Vorbild der joie-de-la-court-Rpisode der >Erec27651 ff.).65 27701-27989 Ankunft bei Fimbeus und Garanphiel 27701-27747 Empfang durch Fimbeus 27714: Das Adv. seine, „auf langsame, träge weise" (Lex 11,858 f.) auch 6153, als Verb seinen ->25270. 27716 f.: Trotz des bestimmten Artikels der brücke handelt es sich nicht um die eben überwundene, sondern um den Zugang zur Burg der Garanphiel. 27732: In sind die Gastgeber Gaweins. 27739: Lies mit Anm. SCH/EK das statt P/SCH was. 27742: Zu dem sigehaften stein vgl. ->4858 ff. 65

Was im Blick auf Garanphiels Charakterisierung als negative Seite Saddes (—>4885) interessant für den Abschluß des Romans ist - wird damit wirklich die von dem Fortunarad demonstrierte (—> 15870 f.) Stetigkeit Sarfdes herbeigeführt? Allerdings weisen die Aussagen von Gansguoters Schwester möglicherweise auf spätere erneute Racheversuche Garanphiels hin, vgl. 28501-28607.

656

25550-28261 Rückeroberung der Kleinodien (Garanphiel IIb)

27743 f.: Zu dem immer wieder aufgegriffenen Motiv des unerkannten Gawein vgl. ->6187-6223. 27746 f.: Hier fehlt offenbar ein Vers des Dreireimabschlusses (vgl. die Initiale in P/SCH/EK vor 27748). Der Textfluß erscheint daher gestört, vgl. die Anm. SCH, Interpunktionsänderungen bei SIN und Anm. EK. Gut vorstellbar wäre ein Vers mit dem Reimwort enwesten in dem Sinne, daß die Gastgeber nicht wußten, daß ihre Gäste schaden also vesten verursachen werden.66 27748-27793 Fimbeus und Garanphiel hoffen auf Rache 27749 ff.: Vgl. die Darstellung der Handschuhprobe, v.a. die Ankunft der Botin 22990-23210. 27757 f.: SCH DO statt P/EK Das sie, Anm. EK möchte da% temporal lesen. 27758 kürzt SCH: Sie kante si sinnvoll aus P/EK: Sie kante die vier ritter. 27773: Die valscheit bezieht sich auf den Betrug des Boten mit dem Bock (vgl. 24693-25383). 27776: Die triuwe spielt auf die Verpflichtung der Gastgeber an, ihren Gästen Schutz zu gewähren; vgl. dazu —>22738—22741; allgemein zur Qualität der Gastfreundschaft auch —>6231—6250. 27782: Der aus dem Stein resultierenden Kraft des Fimbeus war die sarwät Gaweins ebenbürtig, sie war gewete, „genösse" (Lex 1,989, gewete auch 19051 und 26577). 27787: Zu der zauberabweisenden Rüstung, die Gawein in seinem letzten großen Kampf des Romans helfen soll, sich auf sein eigentliches Erfolgsgeheimnis, nämlich seine vielgerühmte manheit zurückbesinnen zu dürfen, vgl. —>27343—27368. Die Bedeutung seiner manheit war mehrfach betont worden (v.a. in den Tatenkatalogen und in der zweiten Wunderkette).67 27790-27792: (= GT 130) „An seinem Unglück erfreut sich der unwissende Mann häufig, der darin sein Glück zu finden wähnt." Mit dieser schadenfrohen sentenzhaften Rede (nicht belegt in ShRM) kontrastiert der nicht unparteiische Erzähler die ebenso hämische Haltung Garanphiels und erzeugt damit Spannung für die Zuhörer, die erst im weiteren Verlauf erfahren, wie die ungeschiht zu verstehen ist: Mit Hilfe der Zauberlade und der Rüstung Gansguoters können die Artusritter den letzten Kampf für sich entscheiden.

66

enwesten findet sich im Text auch 12277, 18287, 26277, 27738, 27744, 27789, dabei fällt die

67

Häufung in der vorliegenden Partie auf. THOMAS 2002, S. 71 stellt fest, es finde sich hier „little evidence of 'magical thinking'" in der >CroneLanzeletCröne< vgl. STENGL 1995, S. 84—89, die Gaweins vorgebliches Botendasein in eine Reihe mit den anderen, allesamt von der Konvention abweichenden Boten stellt Allerdings ist ihr Durchgang durch den Roman sehr kursorisch und nicht immer ganz dem eigentlich Textinhalt entsprechend (so z.B. unterstellt sie Frauen und Männern auf Reisen pauschal sexuellen Umgang, was im Fall Gaweins und Aclamets ausdrücklich nicht zutrifft, vgl. 7888 f.). JILLINGS 1980, S. 100 bezeichnet das Einschläfern als „parodistic inversion" zu dem Vorgehen des Boten auf dem Bock, der die Artusgesellschaft gezwungen hatte, den Unsichtbaren zu betrachten. Vgl. auch RINGELER 2000, S. 258 f. zu der Episode und dem Problem der Wahrheitsfindung.

658

25550-28261 Rückeroberung der Kleinodien (Garanphiel IIb)

27909-27989 Kampfabsprache Gawein - Fimbeus 27912: P / S C H / E K beheit kontrahiert zu behagen, „gefallen" (Lex 1,150); vgl. auch —»25555—25557 zu weiteren Kontraktionen. 2 7 9 2 5 : (= GT 130a) Mit der redensartlichen Wendung kommentiert Gawein das Vorgehen des Boten auf dem Bock, der seinen Botenstatus zum Diebstahl mißbrauchte. 27934 f.: (= GT 130b) „Was man anschauen kann, ist nicht erlogen, (auch wenn er es behauptet)." Das was bisher nur Vermutung war, nämlich daß der Bote auf dem Bock von Fimbeus und Garanphiel geschickt worden war, ist Gewißheit geworden, nachdem Gawein ihn in der Gesellschaft des Fimbeus gesehen hat (er wird 27996 als Kampfgegner Keies genannt). SIN möchte bessern: swav^ der man. Zu der Sentenz vgl. Frdk 115,22 f., Gau 710; auch ShRM. 27938: Sin kleinot sind v. a. der Ring Saeldes und der Stein des Fimbeus, möglicherweise zählt auch der in der Probe gewonnene Handschuh dazu. 2 7 9 4 0 : SCH und EK verstehen riter als Anrede; SIN möchte Dativobjekt lesen und die Kommata streichen. 2 7 9 4 3 : SCH enwiht zu niwiht, „zälendes pronominalsubst.: nicht etwas, nichts" (Lex 11,97); mit der gleichen Schreibvariante ein wiht (P/EK) 12336. 2 7 9 8 6 : SCH aht, P/EK ehte (ebenso 2 7 0 1 4 ) ; bereits gegen Baingranz und dessen Gesellen hatten die Artusritter einen Kampf vier gegen vier ausgefochten, hier wiederholt sich diese Konstellation. 27990-28261 Kampf um die Sasldenkleinodien 27990-28070 Erster Teü des Kampfes 2 7 9 9 6 : SCH Kein geviel der agleistervar, P / E K Kay gefiel dem agleister var (gevallen füir „zufallen, zu teil werden", Lex 1,955). Der Elsternfarbene ist der Bote auf dem Bock (vgl. —>24754, 2 4 7 7 9 ff.), dessen Anwesenheit bei Fimbeus Gawein als Forderungsgrund herangezogen hatte (27917 ff.). 2 7 9 9 8 : SCH venvar, P/EK verwarn, Prät. zu verwerren, „unlösbar verwikkeln" (Lex 111,304), so auch 10699, 15990, 2 6 9 2 3 , 2 7 6 3 7 u.a. 2 8 0 1 5 : Zu P / S C H / E K schol vgl. die ebenso rätselhafte Stelle - > 2 3 9 8 1 . Lex 11,766 und Anm. E K deuten hier „Schuldner" (so wohl die Parallele 16419 in der Form geschol). Daneben zu erwägen wäre entweder, es zu (dem allerdings selten belegten) schalle, „schelte" (Lex 11,813) zu stellen - für diese Deutung spricht vielleicht die inhaltliche Nähe zu dem Parallelismus nit wider /«/im folgenden Vers - oder zu schal, u.a. „pralerei, Übermut" (Lex 11,638).

28071-28120 Garanphiel ermuntert Fimbeus zum Weiterkämpfen

659

28029: Der Verweis auf den gar wernden ha% (wem für „währen, bestand haben, dauern" Lex 111,787; daneben könnte aber auch wem als „schüt2en, kämpfen, wehren" etc. (Lex 111,789 f.) angesetzt werden) erscheint in diesem Kampf ausnahmsweise nicht nur als Floskel zur Betonung der Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung, sondern darauf bezogen, daß der Streit eine noch vor Beginn der Romanhandlung einsetzende Vorgeschichte hat (vgl. dazu —»4858 ff.). 2 8 0 3 6 : P / S C H / E K ninder erscheint gestört (Lex 11,85 verweist auf niener, „nirgend, durchaus nicht", Lex 11,77), da wohl das Subjekt zu tuont fehlt (Anm. SCH vermutet tender, „irgendwo", was aber den Bezug ir unklar läßt — wessen Feinde sind es?). EHR liest vind ie statt ninder, SIN schlägt vor: Als in der irre vinde tuont, vgl. auch Anm. EK. 28040 ff.: Zu dem Topos des von den Helmen stiebenden Feuers vgl. —»4614. 28045: Lies mit EK Punkt am Vers- und Abschnittsende statt SCH Doppelpunkt. 28060: Zu den besonderen Kräften des steins vgl. zu —»4858 ff. Fimbeus verfugt im Kampf über den wiedergewonnenen Stein; da Gawein jedoch die zauberabwehrende sarwat Gansguoters trägt (vgl. —»27343—27368), hilft dieser ihm wenig (was Fimbeus aber nicht weiß). Die hilfreiche Kraft des Steines hatte Gawein bereits in seinem ersten Kampf gegen Fimbeus erfahren, wo er erst dann siegen konnte, nachdem dieser den Stein verloren hatte (vgl. 14935—14975); selbst hatte er von dessen Schutz im Kampf gegen den Drachen profitiert (15108-15140). 28071-28120 Garanphiel ermuntert Fimbeus zum Weiterkämpfen 28084 f.: Lies mit P/EK missagt statt SCH missehagt Ihr man sagt ihr etwas Falsches (missesagen, „etwas unwahres sagen, falsch berichten" ist häufig belegt, vgl. Lex 1,2169). Im folgenden Vers schreibt Ρ Sie wände jn han vberwonden, SCH streicht han. P/EK bezieht jn auf Gawein; in der elliptischen Aussage trügt der wan Garanphiel in der Annahme, Fimbeus habe Gawein längst besiegt (vgl. auch Anm. EK mit dem Hinweis auf die sicherlich beabsichtigte, dreifache Wiederholung von wati). SCH scheint hingegen Fimbeus als überwunden zu verstehen, weshalb Garanphiel leidet; SIN folgt SCH, er ersetzt zusätzlich vereindeutdgend vand statt wände. 28088: P/EK Sie kette !ζύ jne vf die heid, SCH streicht in. 28090: Das Adj. kitchen ist nur hier belegt, vgl. Lex 1,1895 (zu „mit schwindender Kraft". Vgl. auch das Verb letzen, ,,Ιαζ machen"; in der Deutung ,,Ιαζ werden" ist es allerdings nur refl. belegt (Lex 1,1892).

660

25550-28261 Rückeroberung der Kleinodien (Garanphiel IIb)

ff.: P/EK 28098 %augte, SCH zeigte-, SIN stellt es zu zöugen, „vor äugen bringen, zeigen" (Lex 111,1158, mehrfach belegt); vgl. auch Anm. EK. Der kraftspendende Anblick der Minnedame ist ein Motiv aus der joie-de-lacourt-Epsiode, vgl. ErH 9182 ff. und 9230 ff.: Dort schöpfen sowohl Mabonagrin als auch Erec Kraft, erster aus dem Anblick, Erec lediglich aus dem Gedanken an die jeweilige Partnerin.70 2 8 1 0 3 : Statt P/SCH/EK Ohe du nü in kumber wigest („Auch wenn du dich jetzt in Kummer befindest") schlägt SIN vor: Ohe du nü in küm erwigest, im Sinne: „Wenn es dir jetzt auch kaum gelingt, ihn zu ermüden, nimm dir davon nichts an" (erwegen zuletzt 28094). 2 8 1 0 8 ff.: (28108-28116 = GT 130d) „Der Mut, den wibes güete gibt, geleitet zur höchsten Ehre, die man erreichen kann." Garanphiel versucht, den erschöpften Fimbeus zu neuen Höchsdeistungen anzuspornen, was der Erzähler mit dieser verallgemeinernden Aussage über wibes güete begründet (zu diesem Topos auch ->3439-3444, vgl. die Nennungen 13889, 22449, 28144, 29991). Hier verweist wibes güete auf den ab 28133 folgenden Exkurs (Abi, wibes süe%e). Die Betonung der güete erscheint im Bezug auf die bislang v.a. durch ihre Rachsucht hervorgetretene Garanphiel mit ironischem Unterton — allerdings hatte Heinrich ihr Handeln schon vorher mit ihrer übergroßen minne zu Fimbeus begründet, den sie vor allen Gefahren zu schützen versuche (vgl. zu Parallelen mit der joie-de-la-court-Episode —>4888, —>27651 ff.). 2 8 1 1 1 — 2 8 1 1 6 : Zu den Bildern um die zu erweichenden Steine und Stahl vgl. auch die ähnlichen Bilder —>5932-5948 (dort auch Blei und Stahl im Kontext eines Kampfes), ->8077 f., ->16938 f. und ->23117. Daß wibes güete zudem in der Lage sein soll, Blei zu erhärten, ist eigenwillige Anpassung des traditionellen Bildes an den Sachverhalt: Fimbeus soll durch Garanphiels Anblick Stärke und Kraft gewinnen, nicht nachgeben. Zu Konjekturvorschlägen vgl. Anm. EK. 28096

28121-28164 Kampffortsetzung; Erzähler: wibes stiege 28121 ff.: Die wandelunge, die Fimbeus dank Garanphiels Mahnungen durchläuft, könnte auf den durch Gaweins Rüstung ausgeblendeten Zauber bezogen werden: An die Stelle von Magie treten in diesem Kampf rein ritterliche Eigenschaften — Gawein verläßt sich auf seine manheit, Fimbeus profitiert vom Zauber der Liebe (vgl. auch —> 28096 ff.). Dem dürfte die Betonung der Partie durch den Erzählerexkurs entsprechen. Die tautologi70

Zur Interpretation des Phänomens bei Hartmann vgl. u.a. QUAST 1993, S. 175; daß Erec allein aus dem Gedanken an Enite Kraft schöpft, wird als Hinweis auf die Verbundenheit der Eheleute gewertet. Vgl. zu Hartmann auch CORMEAU 1979.

28165-28261 Sieg über Fimbeus, Rückgabe der Kleinodien

661

sehe Formulierung 28124 läßt mbes giiete und mbe als voneinander getrennt erscheinen; für einen Eingriff bietet sich jedoch keine wirkliche Alternative. 2 8 1 3 3 : Der hier einsetzende Exkurs über ivibes stiege versteht diese offenbar als Synonym für die schon mehrfach genannte wibes güete (vgl. v. a. —>3439-3445 und den Exkurs -413888-13920). 2 8 1 3 6 : SCH en allen, P / E K in alle[n], 2 8 1 4 7 : Ρ einweit got, SCH/EK ein we[r\ltgot. Als nur für diese Stelle bezeugtes Kompositum steht es in einer Reihe mit verschiedenen Bildungen auf merit- (vgl. Lex 111,784 ff.), darunter das ebenfalls Heinrich zugehörende werltvreuden (2417, in V ebenfalls getrennt geschrieben). Zur Interpretation vgl. MEYER 1993, S. 195 ff., wieder MEYER 1994, S. 155 ff. Er liest den Exkurs als „Lob der Damen" und sieht in der Bezeichnung mrltgot eine „exaltierte Stilisierung der Autorrolle".71 Zusammen mit verdeckten misogynen Kommentaren des Autors stelle diese Vielfalt „integrale Bestandteile der fiktiven Welt [dar], deren got Heinrich ist."72 28165-28261 Sieg über Fimbeus, Rückgabe der Kleinodien Der Dreireimabschnitt 28154—28208 ist mit 55 Versen überdurchschnittlich lang, allerdings bietet sich kein klarer Anhaltspunkt für eine verlorengegangene Unterteilung. Die ersten Verse mit der direkten Anrede an wibes stiege gehören inhaltlich noch zum Erzählerexkurs, mit 28165 ändert sich der Erzählduktus und geht in die Kampfbeschreibung über. 2 8 1 8 1 : Statt P/SCH/EK: Üf in er sich lies wohl mit SIN: Üf sich er tn\ Gawein wartet darauf, daß Fimbeus wieder ermüdet, daher läßt er diesen auf sich einschlagen. 2 8 1 8 6 : Hier wird Gaweins list betont (nochmals 28197); vgl. zu diesem Motiv auch ->13508. 2 8 1 9 5 : SCH (danach E K ) fügt sinnvoll das fehlende Objekt ein: Da% er in an statt P: Das er an. 2 8 2 0 5 : Beide Kämpfer haben sich bis zum Ende des Kampfes auf ihren Pferden befunden (Gawein steigt 28215 ab). Das ist auffällig, da in den meisten Darstellungen der Schwertkampf zu Fuß ausgetragen wurde, nachdem mindestens einer der Kämpfer bei der tjost bereits hinter sein Pferd gesetzt wurde (was hier aber ausgespart bleibt). Vgl. Iw 7116-7123, wo Hart71

Der Autor erscheine als got der von ihm geschaffenen Welt der Fiktion, eine Vorstellung, für die MEYER als mittelalterliche Parallele Bonaventura zitiert, der (in II Sent. D. 7, p2,a.2,q.2) ähnliche Gedanken zum Verhältnis Gott, Natur und Kunst formuliere.

72

MEYER 1 9 9 3 , S. 1 9 7 .

662

25550-28261 Rückeroberung der Kleinodien (Garanphiel IIb)

mann den Schwertkampf zu Pferde als dörperheit verurteilt, weil ein solcher der armen orse tot bedeute. Hingegen wird Pz 263,23 z.B. ausdrücklich betont, daß der Schwertkampf zwischen Parzival und Orilus auf den Pferden stattfand, was wohl auch den aus Bilddarstellungen zu erschließenden Realitäten entsprach. Heinrichs Darstellung entspricht also durchaus den Gepflogenheiten, wenn auch nicht dem höfischen Ideal, das Hartmann betont.73 28211: Daß Garanphiel gleich zehnmal (stehen stunt) ohnmächtig niederfallt, entspricht anderen übertriebenen Zahlenangaben zum Ausdruck von „sehr häufig", vgl. ->8672 (auch ->26317). 28222 ff.: Das Ende des den ganzen Roman hindurch währenden Dauerstreites ist erstaunlich knapp und unprätentiös: Hie mite was verendet daζ (26233). Diesmal ist die Entscheidung über den Besitz der Sseldenkleinodien in einem weitgehend fairen Zweikampf der ewigen Gegner gefallen. Allerdings wissen Garanphiel und Fimbeus nicht, daß der Zauber, dessen sich Fimbeus eigentlich im Kampf bedienen wollte, durch die Rüstung Gaweins entkräftet wurde. So lassen sie sich zuletzt noch von einer list Gaweins unterwerfen — die von Betrug und Mißgunst geprägte Handlung endet mit einem ebensolchen Mißklang, wie ihn der Beginn der Gürtelgeschichte bereits hineingebracht hatte (vgl. Fimbeus' zwiespältiges Angebot an Ginover und Gaweins strä^enroup im Auftrag der Königin, dazu zusammenfassend —>4885 ff.). 28236: Der folgende Vers fehlt. 28242 f.: bezieht sich beide Male auf dergeste heil. Durch den Verweis auf das Glück der Artusritter läßt sich die Darstellung von deren Kampf deutlich abkürzen. 28246: Zu sigenunft („siegnahme, sieg, triumph") —>20948. 28255: Lies mit EK Doppelpunkt am Versende: vürdern („vorwärts bringen, fördern, beschleunigen", Lex 111,595) bezieht sich wohl auf Gaweins schnelle Weiterreise (vgl. Anm. ΕΚ). TH liest es jedoch noch im Blick auf die Kleinodien: „Gawein regained the prizes, which furthered his quest". Für die Gralserlösung selbst spielen die Kleinodien keine Rolle; allerdings drängt Gansguoters Schwester Gawein dazu, sie (ohne den Fimbeus-Stein) als Lebenszeichen an den Artushof zu schicken, der nochmals von Garanphiel betrogen werden soll (28542-28607).

73

Vgi. auch

BUMKE

1990, S. 231 f.

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II Lit. zur Gralsthematik in der >Crone< vgl. die Angaben zu —>13935; zudem: SHOCKEY 2 0 0 2 , S. 3 0 9 - 3 2 8 ; THOMAS 2 0 0 2 , S. 7 2 - 9 1 ; BLEUMER 1 9 9 7 , S. 2 2 3 - 2 3 8 ,

250-255;

KELLER 1 9 9 7 , S. 2 7 7 - 4 2 9 ; MEYER 1 9 9 4 , S. 1 6 1 - 1 6 6 ; MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 2 4 3 2 9 1 ; KEEFE 1 9 8 2 , S. 1 0 5 - 1 0 9 , 1 8 3 f . , 2 0 9 u.ö.; 1 JILLINGS 1 9 8 0 , S. 1 1 7 - 1 4 1 .

2 8 2 6 2 - 2 8 6 0 7 Unterwegs nach Illes Nach der gemeinsamen, gefahrvollen Durchquerung eines großen Sees trennen sich die vier Artusritter an einer Wegkreuzung. Damit wollen sie sicherstellen, daß mindestens einer das gesuchte Ziel erreicht; zugleich gelingt damit erneut eine Vereinzelung Gaweins (vgl. ebenso den Beginn der ersten Wunderkette). Während die Gefährten herumirren, gelangt Gawein zu Gansguoters Schwester, die ihn nicht nur vor einer erneuten Bedrohung des Artushofs warnt, sondern ihm auch detaillierte Verhaltensanweisungen für die Gralserlösung mit auf den Weg gibt. 28262-28338 Der lange Weg führt durch einen See Zu SCH einigen, P / E K einchen vgl. —>25588. ff.: Die Betonung von Gaweins Unwissenheit bezüglich des Weges kündigt die bevorstehenden Mühen an: die schwimmende Uberwindung des Sees (28288—28338) und die Trennung der vier Ritter an einer Weggabelung (28339 ff.). 2 8 2 8 0 : Zu den Zeitangaben hier und 28300 vgl. auch ->26106. Die Frist von zwölf Tagen erscheint im letzten Romandrittel immer häufiger. Sie ist weniger konkret denn als formelhafte Angabe für eine relativ lange Frist zu verstehen.2 2 8 2 8 8 : Zur Untergliederung des bei S C H überlangen Satzes lies mit EK Punkt am Versende. 28271: 28275

1 2

Er vergleicht das zusammenhängend dargestellte Landschaftsbild der folgenden Episode mit der Gliederung des Wegs zum Drehschloß (S. 183 f.). Sie findet sich 5651 und 5741 innerhalb der Assiles-Handlung als Frist für Floys; danach wieder - > 2 1 5 6 7 , 26106, 26187, 28280, 28300, 28998 und 29816.

664

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

28290: SCH sewe, P/EK se\ das durch Ausgleich verschwundene -w- im Dat. Sg. findet sich bereits bei Hartmann, Wolfram, Gottfried und anderen, vgl. Mhd. Grammatik § 178,2. 2 8 2 9 5 : Gegen SCH beginnt hier ein neuer Abschnitt (Dreireimabschluß, Capitulumzeichen in P), vgl. EK. 28305 ff.: Den hier gleich dreimal verwendeten Begriff soummre (28305, 28309, 28311) für ein Lasttier benutzt Heinrich sonst nur noch 13679, für gewöhnlich unterscheidet er zwischen pfert und ors (—>26911). 28308 ff.: slahen an für „schlagend bewegen, treiben" (Lex 11,959). Die notwendige Seedurchquerung auf dem Weg zum Gral zitiert nochmals den Charaker der Anderwelt, der sich z.B. in dem Wilden Wald gezeigt hatte, ebenso am Ende der ersten Wünderkette. Das Motiv des Sees bei der Gralsburg läßt sich schon bei Chretien finden, vgl. auch —»14410. 28311 ff.: SCH swam unnötig aus P/EK swarnte, was zum trans, swemmen (swV.) gehört, hier allerdings mit elliptischem Objekt (die Rosse werden ins Wasser getrieben und zum Schwimmen gebracht, insgesamt also ein eher technischer Vorgang, der zum Ausdruck gebracht werden soll. Vgl. auch Lex 11,1358, wo für den Fall mit ausgelassenem Objekt ebenfalls das Beispiel ros genannt wird). Für 28316 (SCH swummen, Ρ swämte, EK swammen) ist wohl ebenfalls swemmen anzusetzen, das mitzudenkende Objekt ist wiederum die Gruppe von Pferden, vgl. auch Anm. EK (aus Ρ übernommen hat SCH swemmen hingegen 27605). 28313: Für vürset^en bietet Lex 111,587 neben der Bedeutung „spise vorsetzen" (so Anm. EK) auch „den sinn worauf richten, sich vornehmen", was wohl die Einschätzung der Erfolgsaussichten für die bevorstehende Seeüberquerung bezeichnen dürfte (in als Refl. pronomen). 28325 ff.: Märchenhaften Charakter attestiert der hilfreichen unde KEEFE 1982, S. 209, es sei denn, es handle sich „um eine stilistische Variation für die Aussage [...], es hätten alle heil das jenseitige Ufer erreicht". Vgl. auch KELLER 1997, S. 287, Anm. 27: „Ob sich in dieser Welle eine freundlich gesinnte, höhere Macht zeigt, läßt der Text offen." 2 8 3 3 7 : Zu SCH sewe, P/EK se vgl. ->28290. 28339-28361 Die Gefährten trennen sich 28352 ff.: Mit der Trennung der Gefährten kommt es zum letzten Mal zu einer Verschachtelung der Handlung in der Art eines entrelacements, -wie sie v.a. im ersten Teil um Gasoein und Assiles beobachtet werden konnte (vgl. —>3273-5468, ebenfalls in der Handlung um den Kopf des andern Gawein, —>16497-16796): Einen Strang bildet die Gralssuche Gaweins (der bald Lan-

28362-28419 Feuer führt Gawein zu einem schönen Palast

665

zelet und Kalocreant wiederfindet), den anderen das Kapellenabenteuer Keies. Zur Trennung vgl. die ähnliche Vorgehensweise in der nächtlichen Furtszene, wo Artus die Ritter auf verschiedene Posten verteilt, um Gasoein nicht zu verpassen (3626-3652). Die Vereinzelung Gaweins ermöglicht zudem, daß nur er als vorherbestimmter Erlöser die genauen Anweisungen zur Gralserlösung von Gansguoters Schwester erhält, nicht jedoch seine Gefährten. 28360 f.: Vgl. Anm. EK mit dem Deutungsvorschlag: „Hier trennten sich diese vier, wo immer oder wie sie sich wieder treffen würden" (SCH gesamenten, P/EK gesammelten). 28362—28419 Feuer führt Gawein zu einem schönen Palast 28364: Der %oc („gefolge, schar" Lex 111,1145, nur für diese Stelle) findet sich sonst nirgends; Ρ schreibt 393 t^uc (V yychk) für einen „Kriegszug", daneben findet sich 26423 das Subst. wider^uc („Zurückziehen" o.ä.). 28375 ff.: Gaweins Vereinzelung geht wiederum einher mit seinem verdenken, vgl. —>13944 ff. den Beginn der ersten Wunderkette. 28382: Lies mit EK Doppelpunkt am Versende. 28383-28399: Stand ein nicht verbrennendes Feuer 2 7 4 0 3 ff. in direktem Zusammenhang mit Gansguoter, so wiederholt es sich hier auf dem Weg zu dessen Schwester. Das Feuer als Wegweiser dürfte auf das biblische Motiv der Säule aus Feuer und Wolken zurückgehen, die das Volk Israel bei seinem Auszug aus Ägypten geleitet hatte (Ex 1 4 , 2 4 : per columnarη ignis et nubis). Weder ZACH 1 9 9 0 noch LICHTBLAU 1 9 8 9 kennen literarische Parallelen für dieses Motiv. Es wird als besondere Auszeichnung interpretiert: „Im Feuerkreis wird seine [— Gaweins] Auserwähltheit manifestiert".3 Zu dem omnipräsenten Motiv des Feuers im Roman vgl. —>3335 ff. und —>14099 ff. 28403: Vgl. die Paradieslandschaft bei Burg Salye Η20099-20112). Die Formulierung 28395 ff. durch die erde hin ist eigenartig. TH übersetzt wörtlich „right through the earth"; KELLER 1997, S. 289 f. geht daher davon aus, daß es sich um eine unterirdische Reise handle.4 Solange man keine Störung annehmen mag (für die es keine äußerlichen Anhaltspunkte gibt), ist es wohl wirklich als märchenhafte Beschreibung zu sehen. 28406 f.: Die Schwester Gansguoters (vgl. 28511 f.), die für das Feuer verantwortlich gemacht wird, und von der sich später herausstellt, daß sie der Gralssphäre angehört, wird hier, 28439 und 29622 als gotinne bezeichnet. 3

GANTER 1 9 9 9 , S. 1 0 4 .

4

Vgl. a u c h GANTER 1 9 9 9 , S. 1 0 5 .

666

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

Diesen Titel verwendet Heinrich sonst nur noch für Garanphiel (14990, —>23227 und 23234), daneben einmal fur die Meerfee des >Lanzelet< (24518). Er ist offenbar im Sinne von „Fee" zu deuten (vgl. zu —>4885; Lex 1,1056 gibt hingegen nur „göttdn"). Womöglich ist Heinrichs Charakterisierung der entsprechend benannten Figuren von den antiken Sagen inspiriert, in denen die Götter ebenfalls stark menschliche Züge in Handlungen und Verhalten zeigen und wo sich, ähnlich wie bei Garanphiel und der Schwester Gansguoters, die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Göttern, Halbgöttern und Menschen vermischen. Zu Heinrichs Kenntnis der antiken Mythologie vgl. v.a. die Ginoverklage 11549—11607.5 Ob das —>28605 erwähnte manbur als Name der Dame gedacht ist, ist unklar; tlw. wird sie von der Forschungsliteratur als „Manbur" benannt. 28408 ff.: Die knappe Beschreibung des Palasts vereint in den wol tüsent vroumn in den Fenstern Motive des Saddenpalasts (—>15749) und der Burg Salye (—>20131 ff.); da diese beiden Gebäude sehr ausfuhrlich dargestellt worden waren, reichen die kurzen Zitate wohl aus, um die Erinnerung des Pubikums darauf zu lenken. 28412 f.: Die offenbar bildhaft gedachte Formulierung ir ougenweide mäyen ist ungewöhnlich; Lex 1,2130 gibt für die Stelle „messend, prüfend richten", die Damen betrachten prüfend die Heide zu Füßen der Burg. TH übersetzt knapp: „looking down at the heath". Vgl. ähnlich die Wendung 12636. 28419: Die Quellenberufung hat keinen konkreten Hintergrund für diese Schilderung, allerdings dürfen die —>28408 ff. erwähnten Beschreibungen bei Chretien sowie die im bisherigen Romangeschehen gegebenen mitgedacht werden.

5

SHOCKEY 2002, S. 312 charakterisiert die Figur der späteren Gralshüterin als „a bizarre amalgamation of Sigune, Repanse de Schoye (Pz 477,15 ff.) and Cundry (with intimate associations of the Grail), and one who dwells, it seems, in the midst of Maidenland II [...] she functions as a ringmistress of plot". Im Blick auf die umstrittenen >Parzival6380 ff.) lassen sich für die Figur aber auch andere mögliche Vorbilder finden, so v.a. die entsprechenden Vorläufer bei Chretien: Dort ist es eine damotsele, die bei Percevals erstem Besuch den Gral trägt (CdG 3158 ff.), die Cousine kennt sich mit den Bewandnissen der Burg aus, und auch Cundrie hat eine Vorbildfigur (CdG 4543 ff.). Vgl. auch SCHRÖDER 1982 zu den diversen Figuren.

28420-28500 Gansguoters Schwester erklärt Gawein die Gralsavenriure

667

28420-28500 Gansguoters Schwester erklärt Gawein die Gralsaventiure Die detaillierte Erklärung der Gralsaventiure im Vorfeld zeigt sich als formale Parallele zu der in ihrem Ablauf ebenfalls vorher bekannten Befreiung aus der Bergfalle des Baingranz. Ahnlich wie hier wird der Held auch bei Chretien und bei Wolfram durch den Einsiedler-Onkel über das von ihm erwartete Handeln aufgeklärt (CdG 6325 ff. eher indirekt, ausfuhrlich Pz 483,20-484,30). 6 Daß Gawein somit kein wirkliches Verdienst mehr an der endlich erfolgten Erlösungstat zukommt, wurde negativ bewertet (—>28991— 29681) oder aber als Hinweis auf seine Auserwähltheit gedeutet.7 Wohl zu Recht betont BLEUMER hingegen: „Der entscheidende Unterschied zum >Parzival< liegt nicht im 'Warum' der Frage, er liegt im 'Wozu'."8 28432 f.: Zur Problematik der beiden Verse vgl. die Anm. ΕΚ; TH übersetzt mit der Interpunktion SIN wohl treffend: „none of the ladies compared with them with respect to beauty, dress, and manner". Die Lesung von geschiht ( P / S C H / E K ) als geschickede (so SIN, „gestalt, beschaffenheit, bes. schöne gestalt" Lex 1,901) setzt einen unsauberen Reim auf nibt voraus; geschiht muß wohl mit der eher allgemeinen Deutung „eigenschaft, art, weise" (Lex 1,902) stehenbleiben.9 28440: Die Gesellschaft (selbe vierde, also „zu viert") wird 28446 erklärt: Die gotinne sitzt mit drei anderen juncvrouiven zusammen. 28459: Die Burg verfugt offenbar über zwei Palasse (= Wohngebäude): den, in dem sich Gawein mit der Hausherrin befindet (28438 f.) sowie den, den Gawein beim Heranreiten gesehen hatte, und aus dem die vielen Damen herausgeschaut hatten (28408 ff.), die jetzt zu ihm und der gotinne kommen. In der Realität waren solche Konstruktionen selten und wenn, dann vor allem auf von mehreren Familien bewohnten Anlagen zu finden, so z.B. auf der Münzenberg (Wetterau) oder auf Leonrod (Neustadt/Aisch).10 Hier unterstreicht die Architektur die gesellschaftliche Bedeutung der Figuren.

6

Das Motiv findet sich zudem im >Didot-Perceval29432 ff. Um genicket anstelle von fti niht lesen zu können (zu nicken, „neigen, beugen" Lex 11,64; so schon 8441), müßte die vorhergehende Negation kein geändert werden, was nicht sinnvoll erscheint.

10

Vgl. KRÄHE 2 0 0 0 , S. 3 6 5 , 4 1 3 .

BLEUMER

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

668

28466 ff.: Daß es sich bei den folgenden Erklärungen um Anweisungen handelt, wie sich Gawein am Gral zu verhalten habe, wird erst 28484 deutlich; die Frage nach seinem bejage, seinen „äusseren geschäften, erwerb" (Lex 1,162), impliziert die unausgesprochene Auskunft Gaweins über seine Gralssuche. 28470 f.: Das Schlafmotiv hat verschiedene Vorläufer im Roman, so im ersten Gralsbesuch, in der Colurmein-Episode und in der Höhle des Baingranz ( - » 1 4 5 6 0 - 1 4 9 2 6 , 16121 ff., ->20721 ff., ->27852 ff.). Beide Aventiu-

ren haben die im Gralsreich wichtige Verbindung von Tod und Schlaf sowie Gaweins Eignung für die abschließende Gralserlösung gezeigt: „Nur ein wirklich Lebendiger kann die Untoten erlösen — als Schlafender, als Halbtoter ist er ihnen zu ähnlich."11 Im Zusammenhang mit dem Gral könnte Heinrich das Motiv aus der >1. Continuation übernommen haben (—>14560— 1 4 9 2 6 ) Vgl. auch das Trinkverbot - > 2 8 5 0 1 ff. 28475: P/EK: Das er vfmerckung hett vf die megde drij, SCH: Da^ er marcte üf die meide dri. Das Subst. üfmerkunge ist nur selten und offenbar deutlich jünger belegt,12 was die Konjektur SCH plausibel erscheinen läßt (für die auch metrische Gesichtspunkte sprechen). 28485: Zentrale Handlungsanweisung ist, die Gralsfrage nicht zu versitzen (vgl. wieder 2 8 4 9 3 , 2 9 4 3 2 , auch die Warnung vor trägheit 28489). Die anklingende Parallele zum verligen Erecs (auch —>8731) benennt auch BLEUMER 1997, S. 227 f. (mit Anm. 69). Zu der Interpretationsfrage, ob aber als Hinweis auf eine Wiederholung des Mißerfolgs am Gral zu lesen sei, oder einfach nur verwendet wird, „um den fortschritt der rede zu bezeichnen" (Lex 1,11), vgl. KELLER 1 9 9 7 , S. 2 9 9 ; STEIN 2 0 0 0 , S. 1 8 2 , A n m . 500. 28501-28607

Warnung vor Garanphiel, Botin für Artus

28501 ff.: Das Trinkverbot, das mit dem Schlafverbot zusammenhängt (—>28470 f.), korrespondiert mit dem magischen posün Amurfinas (Gawein trinkt und verliert sich selbst, - > 8 4 6 9 , —>8638) sowie mit seiner Nahrungsverweigerung bei Gansguoter ( 1 3 2 0 4 ff., 1 3 3 1 3 ff.). Zu dem entsprechenden Motiv in der >Navigatio Brandani< vgl. zuletzt BLEUMER 1 9 9 7 , S. 2 5 3 . 28509 ff.: Die Behauptung, die Dame tue Gawein die äventiure üf den grünt kunt, wirkt kryptisch. Es bleibt unklar, ob das auf die Anweisungen für die Gralsfahrt zu beziehen ist oder auf die folgenden Erklärungen der Verwandt11 12

Meyer 1994, S. 161. Vgl. Lex 11,1714, der Beleg „ZIPS." wird auf 1470 datiert (vgl. Nellmann 1997, S. 211); der Beleg aus dem letzten Band der dreibändigen Nürnberger Stadtchronik dürfte ebenfalls deutlich jünger sein.

28501-28607 Warnung vor Garanphiel, Botin für Artus

669

schaftsverhältnisse, in der sie sich als Schwester Gansguoters und damit auch als Tante Amurfinas bekennt Indem sie später als Gralsträgerin in Erscheinung tritt, erreicht Heinrich eine zumindest entfernte verwandtschaftliche Einbindung Gaweins in die Gralsdynastie — vgl. in diesem Sinne seine Anrede stierer tteve durch den altherren (—>29468). Eher rätselhaft erscheinen auch die im folgenden gegebenen Ratschläge über die List Garanphiels (28517 ff.). 2 8 5 1 8 ff.: SCH/EK biet alter ha^ zu Ρ hielt altere ha% Die Wiederholung des Motivs von Garanphiels Haß und Racheansinnen muß wohl in einer Reihe mit den Hystera-Protera der beiden Tatenkataloge Gaweins gesehen werden (->6083-6139, ->8986-9054), deren Funktion und Bedeutung wohl nicht endgültig zu klären sind (vgl. auch —>5992 ff.). Hier handelt es sich jedoch nicht nur um eine erzählende Erwähnung, sondern es folgt die Ubersetzung in die Handlung: Gawein schickt einen Boten mit den Kleinodien an den Artushof (28600 ff.). Sollte hier tatsächlich ein erneuter Angriff Garanphiels geplant sein,13 so bedeutet dies nicht weniger, als daß am Ende des Romans doch nicht alle Aventiuren zu einem Abschluß gebracht wurden, sondern daß die vermeintlich befriedete Gegnerin weiterhin eine Bedrohung für Artus und Gawein darstellen würde.14 Dafür wird diese neue Fährte allerdings erstaunlich wenig ernst genommen, sie erscheint eher als blindes Motiv, das den Romanschluß nicht weiter beeinträchtigt (vgl. lediglich die mögliche Erwähnung ->29750). Die als aktuell ausgegebene Bedrohung scheint ein erneutes Totsagen Gaweins und die damit verbundene existentielle Trauer des Artushofes zu enthalten; als Boten habe Garanphiel ein weiteres Mal Gigamec auf den Weg geschickt (28546 f.). In dessen darauffolgender Charakterisierung als demjenigen, der dar bräht da% houbet/ Des er iuch solt beraubet/ Haben (28548 ff.) wird die Episode um den vermeintlichen Tod Gaweins (vgl. 16497—17311) zum ersten und einzigen Mal in deutliche Verbindung mit Garanphiel gebracht.15 2 8 5 3 9 : stöuwen im Sinne von „Vorwürfe machen" bereits 73, sonst hingegen eher (lt. Lex 11,1217) fur „schimpfen, anklagen" (vgl. 1725, 16845, 17803) bzw. „Einhalt gebieten" (19230, 25583). Vgl. auch Anm. EK; abweichend BMZ 11,2,662 („beruhigen, beschwichtigen"). 13

14

15

In diesem Sinne u.a. verstanden bei MENTZEL-REUTERS 1989, S. 41 f. und KELLER 1997,

S. 300 f., die sich gegen die (nicht sehr wahrscheinliche) Annahme SCHÖLLS wenden, Heinrich habe den ersten Anschlag „vergessen". BLEUMER 1997, S. 227 geht allerdings davon aus, daß „Manburs Rat an die Stelle von Wiederholung treten kann. Dieser Rat der Göttin hat damit die gleiche Qualität wie die Hilfe ihres Bruders, deren Ergebnis Manbur abschließend zu fixieren vermag." Welche Garantie es geben könnte, daß sie es später nicht nochmals versuchen könnte, spart BLEUMER allerdings aus. Vgl. dazu zuletzt STEIN 2000, S. 195, Anm. 531.

670

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

28546 ff.: Vgl. zum Verweis auf Garanphiel und Gigamec auch die Ausfuhrungen —>28518 ff. 28542 ff.: Das kleinot umfaßt als Kollektivum die Gaben Saeldes: Den heilsgarantierenden Ring und die Probenhandschuhe; der ebenfalls dazugehörende Stein aus dem Fimbeus-Gürtel (->4858 ff.) soll Gawein noch bei seinen letzten Aventiuren schützen (28552, der Vers ist aber nicht wirklich in sein Umfeld eingebunden). 28567: vürseheti ist Variante zu dem sonst auch von Heinrich gebrauchten Verb versehen, im Sinne von „beschützen" (Lex 111,608 und 222 f.; versehen in der >Cröne< 4553, 7349, 8573, 14648, 18833 und 22666). 28569: SCH v&rt, EK vart zu vären, „feindlich trachten nach, nachstellen" (Lex 111,21). 28575-28578: SCH und EK folgen P; die diversen Pronomina lassen sich nur mühsam zuordnen. So erscheint v. a. das zählende Pronominalsubstantiv lernen durch das folgende einer ungewöhnlich verdoppelt: „Falls irgendeiner dieser guten Knechte (einer) siegt".yi«fr müßte dann nochmals Keies Gegner bezeichnen, von diesen wird keiner Keies Gefangener, was mit dessen Niederlage zusammenzubringen wäre. Uberlegenswert erscheinen stattdessen die Vorschläge SIN, der bessert: Ob dim guoten knehte/ lener gesiget ein,/ Da% iemer denne Kein/ Sin gevangen ware·. „Falls irgendeiner dieser guten Ritter siegen würde, müßte Keie für immer dessen Gefangener bleiben." Vgl. auch Anm. EK. Diese Kampfbedingung entspricht z.B. den Regeln im Kampf gegen Baingranz und dessen Gefährten, wo die Niederlage eines Artusritters die Unterwerfung aller vier bedeutet hätte (vgl. 26531 ff.). 28579 f.: Zu der Formulierung den kerker büwen vgl. —> 8735 ff. die Wendung die stra% buwen. 28589: Der halsperc ist die zauberabweisende sarwat, die Gansguoter Gawein geschenkt hatte (—>27343—27368), sie hatte diesem den Sieg gegen Fimbeus ermöglicht. 28600 ff.: Die Sendung der mühsam zurückeroberten Kleinodien an den Artushof irritiert BLEUMER, weil dadurch „die zuvor ausführlich begründete, kausallogische Einbettung der Gralepisode am Ende aufgehoben wird", wie sie durch die Aussagen des Ritters auf dem Bock gegeben war (vgl. 25455 ff.); die Gegenstände bleiben für die Gralseinkehr nun doch ohne Funktion. „Schon dadurch scheint sich der Gralbesuch vom vorherigen Handeln, als dessen Ziel er zunächst ausgelegt war, nun geradezu abzuschließen."16

16

BLEUMER 1 9 9 7 , S . 2 2 4 f.

671

28608-28990 Dritte Wunderkette

28605: Manbur liest SCH („zögernd", vgl. seine Anm.) aus Ρ manbur als Eigennamen (der aber nicht in seinem Namensverzeichnis erscheint, ebensowenig im Verzeichnis EK). Als Namen liest die Stelle zuletzt STEIN 2000, S. 174, mit dem korrekten Hinweis, daß Eigennamen häufiger erst deutlich verspätet genannt werden, vgl. Aclamet, Gener von Kartis u.a. (s.a. Namensverzeichnis).17 Dementgegen haben sich die meisten Interpreten den Konjekturvorschlägen zu man dar bzw. man bt ir angeschlossen (vgl. Anm. EK).

28608-28990 Dritte Wunderkette Lit.: Vgl. die Angaben zur ersten Wunderkette 1 3 9 3 5 - 1 4 9 2 6 ; zudem

BLEUMER

1997,

S . 2 5 0 f f . ; K E L L E R 1 9 9 7 , S . 2 7 7 - 3 7 6 ; " M E Y E R 1 9 9 4 , S . 1 6 2 f.

Für diese letzte der drei Wunderketten des Romans wird mehr oder weniger übereinstimmend festgestellt, daß sie nicht mehr die bedrohliche Qualität ihrer beiden Vorgängerinnen habe. Die Unterschiedlichkeit zeigt sich bereits im Aufbau, der nicht so klar durchkomponiert ist; die Ubergänge zu den sie umgebenden Episoden scheinen zu fließen. Die Bildbereiche sind eng mit denen der beiden anderen Ketten verwandt und zeigen deutliche Bezüge zur Gralsphäre, zu der diese Wunderkette hinfuhrt. Ihnen fehlt jedoch die „Konkurrenz zwischen explizitem Handlungsauftrag und der Appellfunktion der Wunder, Gawein gerät also in kein Dilemma mehr. [...] Gawein ist aufs äußerste verwundert, aber ein Wunder, das ihn zum Handeln auffordern könnte, bietet sich ihm jetzt gar nicht erst dar." 19 Der Protagonist bleibt in einer eher passiven Beobachterrolle, er will nicht eingreifen und wird von den Figuren teils sogar respektvoll gegrüßt. Mit dem Verfolgen der Ritter zu der verlassenen Burg, auf der Suche nach gewisser nahtsalde, wechselt der Weg von Bildern zu Episoden, an denen Gawein Anteil hat: zunächst die Nacht in der Burg, in der Gawein nicht genügend gemach findet, um die Gunst der unbekannten hüsvrouwe genießen zu dürfen, dann der lange Weg durch wüstes Land hin zu einem irdischen paradis. „Statt an Szenerien vorbeizuziehen, gerät der Weg schließlich zum Durchgang durch das Wunderbare, wobei Konflikte ausbleiben, da das Wunderbare dieses Weges mit dem übergeordneten Ziel des Gralsweges im Ein17

18

19

Vgl. als mögliches Namensmotiv vielleicht afrz. manbor, das DAF, 364 für einen „tuteur, gouverneur" belegt, wenn auch nur als stM. Zur Funktion der gotin würde ein solcher Name durchaus passen. Er setzt für die Kette die Verse 28608-29009 an (vgl. S. 281) und spürt den zahlreichen Motiwerknüpfungen quer durch den gesamten Roman bis in die letzten Verästelungen nach. BLEUMER 1 9 9 7 , S . 2 5 1 .

672

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

klang ist. [...] zum Gral fuhrt ein weltlicher Paradiesweg, der den Protagonisten des Romans füir die ausgestandenen Mühen belohnt."20 Die auffällige Passivität Gaweins fuhrt Wrss darauf zurück, daß aus den Schrecknissen der ersten Wunderkette „Ambivalenzen" würden, die nicht mehr durch „explizite Reflexion kompensiert" werden. „Gawein hat inzwischen verstanden, worum es in diesem Reich verwirrender Bilder geht. [...] Gawein hetzt nicht mehr einem unerklärlichen Rätsel hinterher, sondern vollzieht die Lösung einer Aufgabe, die ihm längst bekannt ist." Die Gleichsetzung des Grals mit dem Tod21 fuhrt zu dem Schluß, Gawein müsse sich trotz seines Wissens mit den Wundern konfrontieren lassen, „weil dieses Wissen selber den Schmerz, von dem er handelt, nicht ganz auszulöschen vermag."22 Die Begründung für den mangelnden Schrecken sieht MEYER in dem Kontrast zwischen der von ihm als Traum verstandenen ersten Wunderkette und der als Realität erlebten dritten: „Die Schrecknisse des Traums sind größer als die der wachen Welt."23 Vom Ziel her schaut hingegen KELLER 1997, S. 371, um den anders gearteten, weniger schrecklichen Charakter zu verstehen: „Wie die erste Wunderkette das Frageversäumnis präfiguriert, so deutet die dritte Wunderkette auf die Gralserlösung voraus. Vor diesem Hintergrund ist einerseits die motivliche Anknüpfung an die erste Wunderkette, andererseits der markante Bedeutungswandel dieser Motive in der dritten Wunderkette zu sehen." Er zieht die drei Ketten schließlich zu einem einzigen Weg zusammen: Die beiden ersten Wunderketten entsprächen der Hölle, die dritte hingegen dem Purgatorium, an ihrem Ende werde der paradiesische Höhepunkt erreicht „Die Fahrt durch die Wunderketten erscheint als Abbild einer Jenseitsreise".24 Und auch BLEUMER sucht schließlich die Verknüpfungen zwischen weltlicher und religiöser Deutung dieser nicht als geographischer Weg zum Gral vorstellbaren Kette, die „die besondere Qualität Gaweins vor dem Hintergrund seines bisherigen Handelns" symbolisiere und damit den „Charakter einer 20

BLEUMER 1 9 9 7 , S. 2 5 1 .

21

Wrss 1981, S. 289: „Der Gral ist eine ubiquitäre Instanz, eine immer und überall offene Möglichkeit, eine immer und überall drohende Gefahr. Der Gral, mit anderen Worten, ist der Tod". Wrss 1981, S. 284 f. MEYER 1994, S. 163. Noch kürzer greifen die Überlegungen bei GANTER: Für sie bleibt „der große Unterschied zu früheren Wegen [...] und was sich an Gawein sosehr verändert hat f.. .1 im dunkeln. Die Ehrerbietung wird Gawein zuteil, weil er die Wege überwunden hat und der auserwählte Ritter ist, der nun auf dem Weg zum Gral ist." Vgl. GANTER 1999,

22 23

S. 1 0 5 . 24

KELLER 1 9 9 7 , S. 3 7 5 .

28608-28672 Ein brennender Mann treibt nackte Frauen

673

Bestätigung" erhalte. Sie unterscheide sich somit inhaltlich von den ersten beiden, die „auf Diskursivität" angelegt seien, und „deren Erörterungen" sie abschließen könne. Gaweins folgender Besuch der Gralsburg werde so zum Abschluß seiner Hinfiihrung zum „Ideal des Rittertums"; nach „der umfassenden Demonstration ritterlichen Handelns klärt sie das Verhältnis des mit allen Tugenden begabten Artusritters zu Gott in einem Sinne, der ihn schon in dieser Welt der göttlichen Gnade versichert. Entsprechend deutet sich in der letzten Wunderkette, dem Weg durch das irdische Paradies zum Gral, bereits die harmonische Vermittlung von weltlichem, ritterlichem Handeln und Religiosität an. Was das Erzählverfahren anbelangt, fuhrt dieser Weg in die Transzendenz auf archaisch anmutende Strukturen zurück."25 28608-28672 Ein brennender Mann treibt nackte Frauen 28613: Der Name Illes wird hier zum ersten Mal für das Land der Gralsburg (und auch des Kapellenabenteuers Keies) genannt;26 hingegen wurden 13998 Gomomant, im zweiten Tatenkatalog Gaweins Katerac (9023) als Namen des Gralslandes erwähnt. Illes dürfte auf afrz. ilk, „Insel" verweisen;27 vgl. auch die traditionelle Verbindung der Gralsburg mit einem Gewässer (—>14563 ff., —>17323). Die Beschreibung als riebe habe steht im Gegensatz zu dem sonst verwüsteten Land, das dem Gral traditionell zugeschrieben wird, hier findet sich ein solches lediglich auf dem Weg.28 habe wohl im Sinne von „Besitz, Anwesen" (Lex 1,1129 gibt „was man hat, habe, eigentum"); im Blick auf das erwähnte Wasser wäre aber auch die Deutung als „Hafen" nicht gänzlich abwegig, wenn auch ein blindes Motiv (dafür spräche aber die selbständige Verwendung in einer Cappel, in der habe (29014) und kerte er der habe (29838), durch die habe markanter denn nur ein Namenszusatz erscheint). 28621 ff.: Die beschriebene Landschaft entspricht den Beschreibungen der beiden vorigen Wunderketten: sie ist wüst und öde als ein viure/ Hetgar übergangen (vgl. so auch 14115 ff.: ein lant,/ Da£ was alle£ verbrant/ Gan^gar unde wüeste), und geht über in einen dichten Wald29 (vgl. z.B. ebenso den Beginn der ersten Wunderkette 13935, allerdings durchläuft Gawein dort 25 26 27 28 29

1997, S. 254 f. Für das Erzählverfahren verweist er v.a. auf die irischen Immrama. Auf dem Rückweg ziehen Gawein und seine Gefährten allerdings von der Gralsburg gein Illes spo der babe (29683), um Keie zu suchen! Vgl. den Namen als Herkunftsnamen des Clamadeu des Illes CdG 1963. Vgl. auch K E L L E R 1997, S. 327ff. zu Ungereimtheiten der Namensgebung (v.a. S. 328, Anm. 114). Vgl. dazu auch K E L L E R 1997, S. 278 f. und 286 f. S. 331 verbindet er diese Wüste „mit der leidenden Seite der Gralswelt". BLEUMER

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

674

schließlich die verschiedensten Landschaftsformen: Wald, Wüste, Gebirge, Heide etc.). 28629 f.: Die Betonung des Begriffs wunder zu Beginn der dritten Wunderkette (vgl. 28668, 28674, 28703, 28776, 28833) hat zur Benennung dieser Passagen als „Wunderketten" gefuhrt;30 in den beiden ersten Ketten spielt das wunder keine dermaßen hervorgehobene Rolle. 28632 f.: Das wunder des brennenden, aber nicht verbrennenden roten Mannes korrespondiert mit den feurigen Bildern der beiden anderen Wunderketten: vgl. die Selbstentzündung der 600 Ritter (-»14099 ff.), das Verbrennen des Kristallpalasts (14311 ff. — mit diesem Bild verbindet auch die Figurenkonstellation: ein unhöfischer Mann und zahlreiche Frauen) und die brennende Rosenheide; in der zweiten Kette sind es dann v.a. die feurigen Unwetter (->15997-16052). 28634: Mit einer geisei treibt auch die alte Frau auf dem Dreihorn in der ersten Wunderkette ihr Opfer an, das zudem ebenfalls laut klagt (vgl. 14187). 28640: Der Relativsatz ist auf die schansten wiben 28635 zu beziehen (vgl. Anm. EK). 28644: Den gestörten dritten Reim P/EK sin vertaget bessert SCH wohl sinnvoll in vertagen (vgl. Anm. EK). 28650 ff.: Die freundliche Begrüßung Gaweins durch die Elendsgestalten dieses Bildes versteht KELLER als „Hoffnung der Figuren auf ein Ende ihrer Leiden", die durch Gaweins Kommen ausgelöst werde; der Mann evoziere das Gralsgeschlecht, das in einem den Jenseits Visionen vergleichbaren Zwiespalt gefangen sei.31 Damit würde die bevorstehende Gralserlösung mit konkreten Auswirkungen illustriert. Das Küssen von bein unde vuo^ war eine symbolische Handlung sowohl im religiösen als auch im rechtlichen Bereich, die Verehrung, Versöhnung, Gehorsam und Unterwerfung ausdrückte.32 28658: P/EK vor hin alle ir libe, SCH vorn ir ltbe\ Anm. EK erwägt auch „vor ihm". 28670: Das von SCH (ebenso EK) angesetzte Adj. gotsiie^eP als Hapaxlegomenon scheint nicht unbedingt zwingend: Ρ schreibt Der got süsser wijbe not, was z.B. auch als guot stierer gelesen werden könnte.

30

So zuerst bei EBENBAUER 1977, S. 40 f. (vgl. auch die Einleitung zur ersten Wunderkette —>13925-14926).

31

K E L L E R 1 9 9 7 , S . 3 4 2 f.

32 33

Vgl. ausfuhrlich LdMA 4,1063-1066. Vgl. den entsprechenden Eintrag Lex 1,1056; REISSENBERGER 1879, S. 32.

2 8 6 7 3 - 2 8 6 9 8 Ein fliehendes Paar ruft um Hilfe, Waldbrand

675

28673-28698 Ein fliehendes Paar ruft um Hilfe, Waldbrand Während die Figuren des ersten Bildes dem außerhöfischen Bereich zugehörig scheinen, bringen Ritter und Jungfrau nun die ritterliche Lebenswelt hinein; vgl. auch die entsprechende Gliederung der Bilder in der ersten Kette. Der Waldbrand verbindet die Szene mit der vorhergegangenen, zugleich verweist er auf die zahlreichen zerstörerischen Naturphänomene der zweiten Wunderkette. Ob hier „die Liebe als bloße Chimäre einer Verneinung des Todes gezeigt werden" solle, fragt Wrss 1981, S. 284; er vermutet eine Verbindung mit dem Identitätsverlust Gaweins bei Amurfina.34 2 8 6 7 6 : Überlegenswert erscheint der Vorschlag bei SIN, weliche statt SCH/ EK welher zu lesen (P: welches, vgl. auch 16932, 17119). 2 8 6 7 9 : Lies mit P / E K jagt statt SCH jach. 2 8 6 8 0 - 2 8 6 8 4 : Die alte Frau auf einem nicht näher bestimmten Reittier (vgl. 28689 f.), der es gelingt, einem eigentlich viel Stärkeren Angst einzujagen, läßt sich mit der Alten auf dem Dreihorn vergleichen (—»14149—14194). Das geheimnisvolle Glas korrespondiert zum einen mit dem der Gener von Kartis (das Gawein vor dem Ertrinken rettet, 14467 ff.) als auch mit dem kolben, mit dem die Sasldenjungfrau in der zweiten Wunderkette einen Sturm hervorruft (—>16368—16385). Macht über Naturgewalten hatte zudem auch Aclamet bei der Bändigung des Felsstroms bewiesen (—>8012 ff.). 28685f.: Ρ schreibt doppeltes Subjekt (Da sie jt^o [...]/ Der rittet)·, SCH macht aus dem Ritter Dativobjekt (Dem rittet)·, EK unterdrückt hingegen sie: Dajt^o nah komen was,/ Der ritter us% dem wald. Das verdeutlicht, daß sich das fliehende Paar noch in dem Wald befindet und somit schließlich wirklich verbrennt. 2 8 6 9 5 : Indem SCH er (= Gawein) aus dem Vers kürzt und sin wart gewar auf das Paar bezieht, ändert sich der Sinn, es bleibt unklar, ob die beiden überleben. Intendiert ist wohl deren Tod; P/EK beziehen Ε denn er sin wart gewar auf Gawein, der das Geschehen nicht so schnell wahrnehmen kann. In diesem Sinne die Interpunktion bei EK, die 28695 durch ein Komma von den zusammengehörenden Umgebungsversen abgrenzt.35 2 8 6 9 7 : SCH Dit^e statt P/EK Die-, her^eleit (mit der für ErH 9681 belegten Variante her^enleit) wird nur als stN. verwendet (vgl. Lex 1,1272).

34 35

Dazu wieder KELLER 1997, S. 3 4 8 f. Vgl. schon KELLER 1997, S. 348, Anm. 158.

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

676

28699-28727 Ein Greis mit Duftgefäß auf einem Untier 2 8 7 0 6 : P / E K geweten, SCH gewettert zu weten, „zusammenjochen, verbinden" (Lex 111,805, vgl. auch 8 4 6 5 mit demselben Reim); möglicherweise ist P/EK rijse als „Riese" zu deuten - demjenigen, mit dem das Untier zusammengejocht ist. Lies wohl im folgenden mit Ρ die es nüg, bezogen auf die Kette, statt SCH/EK das (vgl. auch ANM. E K ) . 3 6 28709: Die Figur des mit goldenen Bändern an das Untier gefesselten altherren läßt an den durch sein Alter unbeweglichen altherren am Gral denken; sonst taucht diese Personenbezeichnung nirgends im Roman auf (vgl. auch die erste Erwähnung —>14622 als altherre, der was grä). KELLER deutet die Szene entsprechend: „Diese Lähmung bedeutet, daß die unhöfische, mordende Seite, die sich im möglicherweise nur vorübergehend friedlichen unkunder zeigt, untrennbar mit der höfischen verbunden ist, solange die Erlösung ausbleibt. [...] Die motivliche Bezugnahme auf den ersten Gralsbesuch zeigt aber, daß der Versuch zur Überwindung des früheren Mißerfolgs bevorsteht."37 Das Bild gemahnt daneben an die alte Frau mit goldenem Haarreif auf einem Dreihorn in der ersten Wunderkette, die allerdings nicht in der Opferrolle dargestellt ist. 28717-28727: Das aus einem jochant (Hyazinth, auch - > 8 2 7 6 , 1 5 6 6 6 ) gefertigte munsiol verbreitet einen Duft, der alle Gebrechen vergessen läßt. Das Gefäß korrespondiert mit dem schatten va%/ Von einer cristalle ( 1 4 7 5 6 f.), gefüllt mit Blut, aus dem der altherre beim ersten Gralsbesuch trinkt; die rote Färbung durch das Blut wird vom per se roten jochant übernommen, beide haben einen besonderen Inhalt, munsiol ist sonst nirgends belegt; verwiesen wird auf die ital. Formen mutual (altvenezian.), paduanisch med^uolo und bolognesisch „Becher";38 eine Deutung, die durch die Bezeichnung ναζ 28724 unterstützt wird. Vgl. auch den ebenso fremden Begriff tobliere im Zusammenhang mit dem Gral (—>29367); die begriffliche Verrätselung unterstreicht das Geheimnisvolle der Gralsdarstellung, auf die hier wohl ebenfalls angespielt wird. Zu dem munsiol vgl. die Becher im später entstandenen >Willehalm< des Ulrich von dem Türlin, deren Edelsteine solchen glan% ausstrahlen, da% trurig her^e sich davon heilt.39 Das Motiv des stärkenden Dufts fand sich auch in der 36

KELLER 1997, S. 364 deutet hingegen „ein Monster, das an einen Ast gefesselt ist, an dem es nagt". In den Figuren zeigt sich „erneut der Gegensatz von höfischer und hofferner Welt [...] Keine der beiden Seiten scheint aber unter der Fesselung zu leiden. Der Grund für diese Zufriedenheit liegt im wunderbaren Duft, der im Gegensatz zur Rosenheide keiner Zerstörung zum Opfer fällt" (ebd. S. 365).

37

KELLER 1 9 9 7 , S. 3 6 6 .

38

SUOLAHTI 1 9 2 9 , S. 163, wieder A n m . E K .

39

Ulrich von dem Türlin, Wh. 227, 26 ff.; zit. nach ENGELEN 1978, S. 171.

28728-28771 Gawein verfolgt Ritter zu einer Burg

677

ersten Wanderkette: vgl. die Rosenheide —>14336 ff., daneben auch die Rosen bei Gaweins erstem Besuch auf der Gralsburg —>14618 (das einschläfernde Gegenteil bewirken hingegen die Blumen von Colurmein, —>21128— 21165).40 Das aus dem lat. materia endehnte mateije ist mhd. gut belegt (vgl. Lex 1,2061). 28728-28771 Gawein verfolgt Ritter zu einer Burg 28730 f.: Die deutliche Aussage, daß die Figuren lebten doch, ist ein Novum gegenüber der ersten Wunderkette, wo sich die Frage nach Leben und Tod stellte, jedoch schwer zu beantworten war (z.B. —»14173 ff.). Darauf ist wohl auch die vom Erzähler hervorgehobene, höfisch geprägte Reaktion Gaweins zurückzufuhren, der sich grüßend verneigt und weiterreitet: Lebenden gegenüber greifen die gelernten Verhaltensweisen. 28733: Der sonst nicht bezeugte Kollektiv gespür für „spur, spuren" (P/ E K gespür, vgl. Lex 1,925) ist Variante zu dem verbreiteten gespor, das den Eintrag in die Wörterbücher begründende Reimwort vür ( P / E K fur) ist hier synonym mit vor, weshalb unsicher bleibt, ob gespür nicht einfach auf ein Uberlieferungsproblem zurückgehen könnte.41 28735 ff.: Das Verfolgungsmotiv greift das Agens der ersten Wunderkette wieder auf, in der Gawein an allen Bildern vorbei den beiden Waffen hinterherjagte (nachdem er vorher durch ritterlichen Lärm verlockt von seinen Gefährten getrennt worden war), vgl. —>13964—13978. 28739: Welche mcere erhofft sich Gawein von den Rittern — ist das allgemein zu verstehen oder auf die vorhergegangenen Bilder zu beziehen? 28748 f.: SCH bessert den Reim ansehent: schehent ( P / E K an sehen: schehent); zur Verbindung der finiten Form von werden mit dem Part. Präs. zur Bezeichnung eines Handlungsbeginns vgl. Mhd. Grammatik §315e. schehen (Verb und stN. „schnell dahin fahren, jagen, rennen, eilen") findet sich außerhalb der >Cröne< nur noch bei Wolfram, vgl. Lex 11,682 f., auch —>876. SCH strichen statt P / E K strichent ist nicht unbedingt notwendig. 40

41

Der Inhalt des Glases läßt daran denken, daß Riechstoffe und Räucherdrogen sowohl für kosmetische als auch hygienische und prophylaktische Zwecke verbreitet waren, so wurde z. B. das betäubend riechende Opium schon seit der Antike als Schlaf- und Schmerzmittel eingesetzt. Vgl. LdMA 3,1402 ff., 6,1413 ff. R E I S S E N B E R G E R 1879, S. 32 plädiert für gespür als für Heinrich typischste Form. Ein Durchgang durch die Handschriftenbelege zeigt jedoch, daß das Substantiv spor fast auschließlich mit -o- geschrieben wird: 14 mal im Reim mit vor, dreimal mit enbor, einmal mit tor, im Versinneren drei Belege spor (davon zweimal V spor; Ρ spür)\ Ausnahme ist spür 28735, allerdings im Reim auf vor. Das Verb spiirn wird hingegen in beiden Hss. mit -»- geschrieben (4158, 9194, 9474, 18603, 23485, 23886).

678

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

28771: Das durch die Interpunktion bei SCH vorgegebene Enjambement zum folgenden Abschnitt irritiert, da es nicht zwingend nötig ist und Heinrichs Stil nicht entspricht. Lies wohl mit EK: Dahin kam er nach jn also. 28772—28832 Gawein erforscht die menschenleere Burg 28776: Der Zentralbegriff wundem deutet auf die Zugehörigkeit der Episode noch zur Wunderkette. In ihrem Ablauf verweist sie mehrfach auf Gaweins ersten Gralsbesuch, zu Details vgl. KELLER 1997, S. 366 ff. 28777 f.: Lies kere im Sinne von „Winkel" (vgl. SIN, auch Anm. EK). ange fiir „ängstlich, sorgfältig" ist u.a. auch für Gottfried belegt (vgl. Lex 1,69). Vgl. auch die Begründung für Gaweins Erkundungstour beim ersten Besuch auf der Gralsburg —>14644 ff. 28791 f.: Zu der Sitte des Händewaschens vor dem Essen vgl. —>8847 ff. 28796: Der Nachsatz, ob er es niht vergaß mag launischer Zusatz zum Füllen des Dreireims sein, könnte aber auch auf das Trinkverbot anspielen, das Gawein von Gansguoters Schwester für sein Verhalten am Gral erhalten hat (—>28501 ff.). 28819: Das mhd. selten belegte Verb lüstern (P/EK lustern, „horchen, lauern", vgl. Lex 1,1993) stellt DWb 12,1331 als Nebenform zu laustem, „aufhorchen, lauschen" bzw. „auflauern" (vgl. DWb 12,361 f. mit zahlreichen Nachweisen aus verschiedenen Dialektgebieten, zurückgeführt auf lat. speculari und auscultare). 28829 ff.: Zu dem kostbaren Bett vgl. auch ->8302 ff.; aufwendig gestaltete Betten schildert Heinrich auch bei Gaweins erstem Besuch auf der Gralsburg, bei Amurfina und auf Burg Salye. Der Punkt am Zeilenende 28831 bei SCH ist wohl Druckfehler, lies Komma. 28833—28940 Gastfreundschaft, Verabschiedung durch eine Frauenstimme 28833: Hier und 28847 wird nochmals das wunder betont (->28776); die Darstellung Gaweins als in Gedanken versunken greift die entsprechenden Reaktionen auf die Erlebnisse der ersten Wunderkette und v.a. des ersten Gralsbesuchs wieder auf (zum Motiv des pensif auch —>13944 ff.). 28852: Das stM. P / E K michelen schal bzw. SCH micheln schal („Schall", Lex 11,637), bezogen auf Essen und Trinken, irritiert hier; Anm. EK deutet „vielleicht metonymisch die 'Menge'", mit der Einschränkung, daß Lex aber nur „die menge, von der das getöse ausgeht" belegt. KELLER 1997, S. 367 mit Anm. 201 übersetzt, daß Gawein „lautes Getöse von Essen, das ist wahr, und Trinken vorfand" und setzt das zu möglichen Hintergrundgeräuschen in Bezug.

28833-28940 Gastfreundschaft, Verabschiedung durch eine Frauenstimme

679

schal in der Deutung „Schale" ist immer als stF. oder swF. überliefert, die einzige von den Wörterbüchern verzeichnete Ausnahme ist Pz 7 9 4 , 2 3 , wo sich aber zu dem stM. manegen tiwern schäl auch Lesarten als stF. finden (vgl. auch DWb 1 4 , 2 0 6 0 ff.). Wenn man hier nicht eine zweite Ausnahme neben der Wolfram-Stelle ansetzen möchte, dürfte wohl in michel bzw. michele zu ändern sein. 2 8 8 5 7 : Das nur hier und 28919 belegte tapei^ ( P / S C H / E K ) steht dem afrz. tapis näher als das sonst geläufige mhd. teppich (vgl. BMZ 111,30, Lex 11,1404).42 2 8 8 6 3 : SCH hat die Aussage auf die gegebene Situation eingeschränkt, indem er alvgjt streicht; P/EK formulieren allgemeingültig: Wann alsjjt nach strifte stuntyme sin mut. 28864 f.: Trinken und gedanc zitieren einmal mehr zwei Zentralbegriffe der beiden Gralsbesuche ( - > 2 8 5 0 1 ff. und - > 2 8 8 3 3 ) . 2 8 8 7 3 : SCH in zu P/EK ir, mit dem unpers. belangen („lang dünken, langweilig sein" (Lex 1,170) scheint beides möglich. Eine direkte Ansprache des Publikums (wie hier in P/EK) erfolgt häufiger, vgl. auch —>7081. 28889 f.: Zum Sieg der Nacht über den Tag vgl. auch ->7327 f. 28918 f.: Statt P / S C H / E K und an beiÜber liest KRÜGER 1 8 8 8 , S . 1 4 4 : Er sa% dar %uo und enbeiAber üf jenem tapeiDa er vor was gesehen. Zu tapei% —>28857. 2 8 9 3 0 - 2 8 9 3 7 : S C H vrouwen (28934) gekürzt aus P/EK hustfrauwen. Die freundlichen Abschiedsworte der unsichtbaren Magd stehen offensichtlich im Kontrast zu der äußerst unfreundlichen Verabschiedung Parzivals durch einen verborgen knappen nach dessen erstem Besuch auf der Gralsburg, vgl. Pz 247,26 ff. Bei Chretien hingegen wird Perceval nicht verabschiedet, lediglich die Zugbrücke schließt sich, bevor er ganz hinüber geritten ist, so daß ihn nur ein Sprung seines Pferdes vor dem Sturz rettet (CdG3324—347). Wer die vrouwen ist, deren Gunst Gawein vielleicht hätte genießen können, ist unklar, es bleibt ein blindes Motiv. Der Schlüsselbegriff gemach wurde während Gaweins Aufenthalt mehrmals betont (28776, 28805, 28811). KELLER überlegt, den mangelnden gemach auf Gaweins kampfbereite Haltung beim Essen und sein darin verdeutlichtes fehlendes Vertrauen zu beziehen; die dort erlittene arebeit „verunmöglicht den gemach, der Voraussetzung für den Lohn der Burgherrin wäre".43 SIN fügt hingegen eine Verneinung ein: Hie nihtgewesen vilguot/ Ir hetet sin willen unde muot/ Vunden. Vgl. auch Anm. EK. 42 43

Das lange / ist der bair.-österreichischen Diphtongierung unterworfen; vgl. auch SUOLAHTI 1929, S. 254. KELLER 1997, S. 368 ff., Zitat S. 368. Bereits S. 367, Anm. 202 setzt er sich zudem kritisch mit der Deutung bei JILLINGS 1980, S. 121 auseinander, der die Szene auf das Verständnis des Romans als lrAnti->Parzival 2 8 6 2 1 ff. zu Beginn der Wunderkette beschriebene entspricht). Es erscheint als ein Gegenentwurf zur Odnis, die Chretien als Gralsland geschildert hat.45 Als mögliche Quellen nennt Z A C H 1 9 9 0 , S . 1 7 7 v.a. die >1. Continuation^ daneben aber auch >Conte du Graal< und >DidotPercevak Zu diversen Paradiesvorstellungen vgl. auch K E L L E R 1 9 9 7 , S . 3 3 3 , Anm. 123. Ein ähnlich paradiesartiges Land -wurde auch als Umgebung der Burg Salye beschrieben ( — > 2 0 0 9 9 — 2 0 1 1 2 ) sowie auf dem Weg zu Gansguoters Schwester ( - > 2 8 4 0 3 ) . 28955 f.: Statt SCH da nihtgebrast lies mit P/EK nihts (vgl. 26184). mast ist selten nachgewiesen für „befruchtung, fruchtbares land, frucht" (Lex 1,2058; DWb 12,1712 f. hingegen belegt „das Fem. mast von frühe her eingeschränkt auf die als speise dienende baumfrucht", daneben für „die fiitterung, die mit solcher frucht im walde geschieht und der ort dafür" und schließlich „übertragen auf das fettmachen von thieren überhaupt, namentlich in Ställen").

44

SHOCKEY 2 0 0 2 , S. 3 2 2 .

45

Z u r D a r s t e l l u n g v g l . a u c h KEEFE 1982, S. 1 7 4 f . d e r es u . a . d e m locus

vergleicht

amoenus

1 7 5 0 9 ff.

28941-28990 Mühsame Reise, Feuerschwert;

irdisches paradis

681

28960 f.: Daß Gawein verdorben harte war, illustriert die einmonatige Reise durch das wüste Land auf eindringliche Weise; verderben für „zu nichte werden, zu schaden kommen, umkommen, sterben" (Lex 1 1 1 , 9 3 ) bezeichnet nicht nur eine Einschränkung, sondern eine existentielle Gefährdung. Als Vorbereitung auf die Gralserlösung erhält die Wüstenreise somit eine spirituelle Konnotation im Sinne des auch biblisch häufig belegten Fastens und asketischen Lebens in Vorbereitung auf besondere Taten (am bekanntesten der 40tägige Aufenthalt Jesu in der Wüste vor Beginn seines öffentlichen Auftretens, vgl. Mt 4 , 1 - 1 7 , Mc 1 , 1 2 ff.). 28970-28990: Dieser Dreireimabschnitt ist auffällig insofern, als er noch ein Bild der Wunderkette nachzutragen scheint (vgl. aber — > 2 8 9 8 8 f.). Dieses dürfte auf der Grenze zwischen dem wüsten Land und dem irdischen paradis lokalisiert sein.44 BLEUMER und KELLER verweisen auf das alttestamentliche Flammenschwert der Cherubime, die Paradies und Lebensbaum bewachen (Gn 3 , 2 4 ) , hier wiederum mit „Verfremdungseffekt": das Paradies ist irdisch, von den Engeln ist nichts zu sehen. „Das flammende Schwert symbolisiert den Ubergang von den während eines Monats erlittenen kumber unde gebresten ( 2 8 9 4 5 ) zu dem paradisieschen Glück."47 28973 ff.: Das überbreite Feuerschwert korrespondiert mit den zahlreichen übrigen Feuer-Motiven der Wunderketten und der Gralsatmosphäre ( — > 1 4 0 9 9 ff.), vgl. v.a. den wegweisenden Feuerring auf dem Weg zu Gansguoters Schwester ( — > 2 8 3 8 3 - 2 8 3 9 9 ) sowie die brennenden Ritter, die das Reich Gansguoter hüten ( — > 2 7 3 6 9 — 2 7 4 8 0 ) . KELLER betont, daß die Bewachung das gläserne Haus vor Zerstörung schütze, wodurch die Motive Feuer und Schwert aus dem in den Wunderketten sonst zerstörerischen Kontext herausgenommen würden: „Unter diesem Aspekt ist das Schwert der Garant der Freude. Das Feuer wandelt sich von einem Werkzeug der Zerstörung zu einem Bestandteil des Schwerts, das die Freude sichert."48 BLEUMER faßt die Szene zusammen: „Also führt Gaweins Paradiesweg in der >Crone< an die Grenze des im Diesseits erreichbaren, diese Grenze ist aber klar als unüberwindlich mitbezeichnet. Auf dem Weg zum Gral kann Gawein ein Paradies schauen, ohne die Schwelle zum Jenseits zu überschreiten, da Gaweins Tugenden, bei allen Widersprüchen, die ihre Anwendung auch bergen mag, das Heil in dieser Welt verbürgen".49 46

Die Einleitung £? denne er kam in da% lant könnte auch einen Rückgriff in der Erzähllogik signalisieren; das wäre allerdings äußerst ungewöhnlich für Heinrichs sonst streng chronologisch fortschreitenden Erzählstil.

47

KELLER 1 9 9 7 , S. 3 6 3 ; vgl. BLEUMER 1 9 9 7 , S. 2 5 4 .

48

KELLER 1997, S. 361. Vgl. ebd. S. 363 f. zu der Frage nach der Bedeutung der brennenden ritterlichen Waffen im Roman.

49

BLEUMER 1 9 9 7 , S . 2 5 4 .

682

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

28979 ff.: Zu dem Haus aus Mauern als ein glas^ vgl. den entsprechend beschriebenen Berg —>6794 ff. und das Drehschloß —»12947 ff., zudem den Kristallpalast der ersten Wunderkette (—>14272 ff.) und den Palast der Sselde (—>15679). Nur hier wird jedoch die Durchsichtigkeit der Mauern betont, es handelt sich also wirklich um ein Glasgebäude. Der rätselhafte Charakter des Bildes wird durch die Feststellung verstärkt, das beschützte Haus sei leer: Verbildlichung der Unbeschreiblichkeit des eigentlichen Paradieses? 28988 f.: Die Betonung, es handle sich um dehein unbilde, also um kein „wunder" (Lex 11,1771 f.), soll offenbar bewußt einen Unterschied zu den vorangegangenen Bildern der Wunderkette herausstellen. Die alternative Beschreibung als wilde („fremdartig, wunderbar, seltsam, unheimlich" etc., Lex 11,885; vgl. so 28986) verweist zum einen auf die Erklärungen des altherren, der Gawein von dem gräl das wilde mare berichtet (—>29575), zum anderen auf die Verwendung des u.a. durch Gottfrieds >Parzival29924).

28991-29660 Der Gral Zusammenfassend zu den möglichen Quellen Z A C H 1990, S. 363—365; vgl. dazu die Detailuntersuchungen ebd. S. 179—184,191—197. Demzufolge dürfte Heinrich „sich in erster Linie an den beiden Darstellungen in der >1. Cont.< und am >Conte du Graal< orientiert haben" (S. 195).50 Während Gaweins erster Besuch auf der Gralsburg auffällig viele Motive beschreibt, die sich in ähnlicher Weise in der >1. Continuation finden lassen, folgt die Darstellung hier nun stärker den Vorgaben Chretiens, allerdings mit offenbar eigenen Ideen gemischt. Zu diesen zählt v.a. die freudige Atmosphäre in Heinrichs Gralsburg, die nirgends vorgegeben war — Chretien geht nicht weiter darauf ein, Wolfram hingegen betont schon bei Parzivals erstem Besuch immer wieder die lähmende Trauer, die auf der Burg und deren Bewohnern lastet. Unklar bleibt, ob die weiße- Kleidung des altherren in diesem Kontext bewußter Gegensatz zur schwarzen bei Chretien und Wolfram ist, oder ob sie auf die >1. Continuation zurückzufuhren ist (—>14627, —>29215). Weitere offenbar von Heinrich stammende Details sind z.B. die 50

Ebenso hatte schon G O L T H E R formuliert: „mit dem Berichte des unbenannten Fortsetzers verbindet er Kristians Angaben über den Gral, er verschmilzt den siechen König und seinen Vater, den alten Gralsherrn, und führt das Gespenstermärchen zur Erlösung" (GOLTHER 1925, S. 225). Für die Gesamtinterpretation sieht er allerdings die Gralssuche nur als „ein Abenteuer unter vielen andern ohne tiefere Wirkung". Einen Vergleich zwischen den Prozessionsdarstellungen der frz. Texte und Heinrichs bietet B U S C H I N G E R 1981, S. 19 ff.

28991-29660 Der Gral

683

auf den Boden gestreuten Rosen gegen die Hitze (während bei Chretien und Wolfram das Frieren des Wirtes betont wird) oder das fröhliche Schachspiel und die dreißig mdelare. Ebenfalls ohne direktes Vorbild scheinen das Trinkverbot Heinrichs, der Scheintod der männlichen Burgbewohner und das restlose Verschwinden des Grals. Der Vergleich mit der Ausgestaltung der ersten Gralsszene bei Wolfram zeigt eigentlich keine Übereinstimmungen, die Heinrich nicht auch aus einer anderen Quelle hätte übernehmen können. Im Gegenzug bietet Wolframs Darstellung aber Besonderheiten, bei denen es erstaunt, daß Heinrich sich davon nicht zu weiterer Auseinandersetzung verleiten ließ: so z.B. Parzivals wiederholte Wutanfälle, die ausfuhrliche Nennung von Namen und sozialer Stellung der Teilnehmer an der Prozession, die Kleiderbeschreibungen, das Speisewunder des Grals sowie Parzivals schlechte Träume. Auch wenn ein abschließendes Urteil über Heinrichs Quellen kaum möglich sein dürfte, spricht nicht allzu viel für eine unmittelbare Auseinandersetzung mit Wolfram. Das sehen viele Interpreten hingegen anders und basieren ihre Argumentation ausdrücklich auf die Frage nach Heinrichs Umgang mit Wolframs >Parzivak Manche dieser Interpretationen heben dabei besonders auf den im Vergleich mit Wolframs Konzept als nachgeordnet und eher minderwertig empfundenen Charakter von Heinrichs Erzählung ab.51 Einem solchen, eher negativen Zugang stehen aber zahlreiche Versuche gegenüber, das Heinrich Wichtige und seine Ausgestaltung verstehen zu wollen.52 Unabhängig von der Orientierung an Wolfram lassen sich die Einschätzungen von Heinrichs Gralskonzept v.a. danach unterscheiden, daß ein Teil dezidiert jeden religiösen Gehalt ablehnt, der andere hingegen mehr oder weniger intensive Bezüge zur Religion enthalten sieht. Beide Interpretationsrichtungen lassen sich als bewußte Abwendung von Wolfram verstehen, aber auch mehr oder weniger unabhängig von dessen Konzept.

51

52

In diesem Sinne z.B. REINITZER 1977, S. 190ff., der die Ausgestaltung der Gralsszene als letzten Hinweis darauf sieht, daß Heinrich seinen Roman gegen Wolfram geschrieben habe, daß den >Parzival< zu überbieten „wichtigstes Anliegen Heinrichs ist und als die Erzählfunktion seiner >Cröne< gelten darf' (S. 192). Nur im Blick darauf, was sich alles gegenüber den Vorgängern verschlechtert habe, betrachtet SCHRÖDER 1992, S. 164-171 die Gralshandlung. Gawein habe zwar nicht das Geheimnis ergründet, aber den Gral und seine Umgebung ins Jenseits geschickt und damit unschädlich gemacht - Fazit: „Diese religiöse Hemisphäre gibt es hinfort nicht mehr. Die bipolare Welt ist aufgehoben, die Pole sind eingeebnet. Die Artusgesellschaft ist wieder unter sich" (S. 171). Knapp zusammenfassend zur Diskussion z . B . BLEUMER 1997, S. 187, Anm. 1 sowie S. 2 2 6 ff.

684

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

Auf eine säkularisierte Gralsvorstellung zielt z.B. CORMEAU ab, der Heinrichs Darstellung als „Stellungnahme zu dieser Gattungsentwicklung" liest, die religiöse Erlösung als Weg aus den „gesellschaftlichen Antinomien" gesucht hatte - dadurch, daß Heinrich „das Gralsmotiv aufnimmt, aber wieder zu einer gewöhnlichen Aventiure herunterstuft", entziehe er sich dieser Entwicklung, er verweigere sich „einem Ubermaß an Bedeutung" und halte auf diese Weise „nachdrücklich am weltlich-ritterlichen Wertsystem fest."53 Auch M E Y E R sieht eine Loslösung von religiösen Inhalten und damit den Verzicht auf eine „Charakterprüfung des Erlösers" zugunsten einer rein „aventiurehaften Erlösungsmechanik", die er positiv und ohne „Sinnverlust" versteht. Durch Gaweins gründliche Vorbereitung werde die Aufmerksamkeit auf das Wie gelenkt, „als vollständig prädestinierte Aventiure ist sie ein Zusammen) fall von gegebenen Umständen und zwingenden Ereignissen, von Bestimmtheit und Fatalismus und wird auch so zur höchsten Aventiure."54 Wrss 1981 stellt vor allem die Nähe der Gralssphäre zur arthurischen Welt und den daraus resultierenden Spannungsverlust zwischen beiden heraus. Der Gral sei nicht mehr Eschaton der Ritterwelt, er biete keine religiöse Überhöhung des profanen Rittertums mehr, sondern stattdessen sei er „eine ubiquitäre Instanz, eine immer und überall offene Möglichkeit, eine immer und überall drohende Gefahr. Der Gral, mit anderen Worten, ist der Tod" (S. 289). Beim Vergleich mit den anderen Gralsromanen gesteht er Heinrich zu, eine „eigenständige Lösung des Terceval-Problems'" zu bieten (S. 289 f.), indem „auf einem guten Ende für die arthurische Gesellschaft" beharrt werde. „Das Gralreich ist in der >Crone< nicht mehr und nicht weniger als der Todesschatten, den der Glanz des ritterlichen Lebens allemal wirft. Gawein ist der einzige, der gelernt hat, diesen Schatten zu sehen. Deshalb werden für ihn die Toten nicht wiederkommen"(S. 290). In eine ähnliche Stoßrichtung geht BUSCHINGER mit dem Vergleich von Burg Salye und der Gralsburg: Sie sieht „in beiden Burgen trotz aller Unterschiede das Reich des vorläufigen Todes, des 'ersten Todes' [...] aus dem die Menschen erlöst werden können, indem sie entweder ins Leben zurückkehren dürfen (das ist der Fall in der Burg Salye) oder richtig und endgültig sterben können (das ist der Fall in der Gralsburg)."55 Den seltsamen Zwischenzustand der Gralsgesellschaft versucht sie mit den Vorstellungen des Limbus zu erklären, jener Vorstufe des Fegefeuers, in dem die von Erb53

Vgl. CORMEAU 1 9 7 7 , S. 2 2 6 f f .

54

MEYER 1994, S. 161 f. Er wendet sich ausdrücklich gegen den Versuch bei MENTZELREUTERS 1989, eine zumindest „innerweltliche Transzendenz für die >Cröne< zu retten". Vgl. auch weiter unten zu MENTZEL-REUTERS Ansatz.

55

BUSCHINGER 1 9 8 1 , S . 2 8 .

2 8 9 9 1 - 2 9 6 6 0 Der Gral

685

schuld belasteten Ungetauften ausharren mußten (v.a. ungetaufte Kinder, aber auch die Patriarchen des Alten Testaments). Gawein wäre demzufolge als „eine Christus-ähnliche Figur zu sehen: Wie Christus bei seiner Höllenfahrt die Patriarchen erlöst hat, so erlöst hier Gawein den Altherrn und sein Gesinde, die eine Art Patriarchen sein könnten, und die Gralsburg wäre mit dem 'limbi patrum' gleichzustellen, einem provisorischen Aufenthaltsort, wo Patriarchen, Propheten und Gerechte auf Christus warten, der sie in die Seligkeit fuhren soll."56 Als Bild für das Fegefeuer versteht auch wieder THOMAS 2 0 0 2 , Kapitel 4 das Geheimnis des Grals. Er betont Heinrichs Unabhängigkeit von der Tradition, in der Wolframs >Parzival< steht; für die >Crone< sei der Gral ein reines Erzählobjekt ohne mystische Implikationen; vergleichbar den >Merveilles de Rigomer< gehe es um eine den Protagonisten fordernde Aventiure, für die sich Gawein vom schlechten Ruf seiner Vorgeschichte lösen müsse (THOMAS führt als Beleg die >1. Continuation an, wo der Artusneffe als Mörder und Vergewaltiger apostrophiert wird). Heinrich gebe Gawein mit der Gralsverpflichtung die „opportunity to rehabilitate himself for his past misdemeanour", der Gral „represents largely a penitential obligation", vergleichbar den Bußen, die die Kirche adeligen Missetätern auferlegte (v. a. Pilgerfahrten wie z.B. nach Jerusalem oder Santiago de Compostela).57 Daß Gawein nach erfolgreichem Abschluß der Aventiure unverzüglich zu Artus zurückkehre, betone, daß es sich nicht um seinen persönlichen Erfolg, sondern um den des gesamten Artusreichs handle. Ähnlich wie in den Kämpfen gegen die teuflischen Gegner der Assiles-Kampagne, vermischten sich auch in der Gralepisode weltliche und spirituelle Aufgaben, wodurch Nähe zum >Wigalois< entstehe — vor allem in der Parallele der beiden Halbtoten, die auf Erlösung warten (hier der altherre am Gral, dort König Lar). Das Wichtige an Gaweins Gralsaventiure sei nicht die Frage, sondern sein Mut, „to come to the abode of the dead, look Death full in the face and refuse pessimistic/absurdist interpretation of his condition" — Heinrich zufolge war Mut (vgl. nur die Betonung der manheit in der zweiten Wunderkette und im Abschlußkampf gegen Fimbeus) eine für Ritter bedeutendere Tugend als die Fähigkeit zu geistiger Einsicht.58 Für die meisten Gralsromane läßt sich ein Reflex auf das zeitgenössische Problem von Fehden und Blutrache annehmen; auch bei Heinrich liegt eine solche Geschichte zugrunde (vgl. die Erklärungen des altherre). Damit würde Gaweins Gralserlösung auch weiteres Blutvergießen verhindern. 56

BUSCHINGER 1 9 8 1 , S . 2 7 .

57 58

Vgl. THOMAS 2002, S. 81 ff., Zitate S. 88. Vgl. THOMAS 2002, S. 102 f.

686

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

Während SCHOUWINK 1 9 7 7 , S . 1 0 9 f. Gaweins Erfolg als eher irrelevant für den Ritter empfindet, der die feste Zusicherung der Saelde besitzt („Der von Frau Saelde garantierten Beständigkeit des Glücks, so scheint es, kann auch der Gral nichts mehr hinzufügen", S. 1 1 0 ) , liest KNAPP die Darstellung der Gralszene vorrangig als „Greuelmärchen", die wohl kaum „Ausfluß einer frommen, rechtgläubigen Christenseele" sein dürften.59 Die geringe Rezeption und Wertschätzung der >Crone< führt er auf die angeblich betonte Weltlichkeit zurück: Heinrichs Versuch einer Ehrenrettung des alten Artusideals gegen einen zunehmenden Einfluß der Kirche auf die Weltsicht des Adels sei zum Scheitern verurteilt gewesen — die Kirche habe sich als stärker erwiesen, wie beispielsweise Albrechts >Jüngerer Titurek zeige.60 Stärker auf Heinrichs Erzählkunst bezogen stellt SCHMID dem Gralskonzept ein mäßiges Zeugnis aus. Zu Gaweins Frage und der Antwort des altherren faßt sie zusammen: „Wen man mit dem Gral bedient, was man mit ihm tut und warum die Lanze blutet, hätte laut Chrestien die Frage gelautet; was es sei, das dem kranken König Schmerzen bereite, hätte Parzival fragen sollen. Die Frage nach der Bedeutung der Gralsrequisiten wird in der >Crone< [...] als das die Erlösung auslösende Schlüsselwort funktionieren. Nur, daß dann der Gralkönig, statt Aufklärung zu bieten, sich eher in vagen Andeutungen und Tautologien ergeht. Hier spätestens zeigt sich, daß der >CroneCröne< ist die Frage nach der Bedeutung kontraproduktiv. Sie verweist auf ein Dispositiv, das der >Crone< fremd ist, nämlich auf die Sinnebene jener senefiances, wie sie etwa der >Perlesvaus< oder die >Queste del Saint Graal< einführt [...], und wo die Frage nach der Bedeutung stets auf allegorischem Wege und und im geistlichen Register beantwortet wird." Deren Programm stelle „indessen geradezu die Konkurrenzveranstaltung zu dem von der merit kint Heinrich eingeschlagenen Weg dar. Hier scheinen wir in der >Crone< auf einen der Punkte zu stoßen, an dem der nicht reflektierte Einsatz von literarischen Anspielungen das erzählerische Konzept ruiniert."61 Und ähnlich kritisch urteilt auch RINGELER: Die „Banalität der Auskunft des Gralskönigs, der Gral bedeute nicht mehr als das, was Gawein mit eigenen Augen gesehen habe, versagt sich einer Vermittlung der optischen Wahrnehmung durch das Medium der Sprache, wie es etwa noch im 9. Buch des Wolframschen >Parzival< geschehen ist. Gawein und die Rezipienten der >Crone< werden die 'Wahr-

59 60 61

Vgl. KNAPP 1994, Bd. 1, S. 555. Daneben verweist er auf viele Ungereimtheiten, die er auch auf Uberlieferungsprobleme zurückfuhrt. KNAPP 1994, Bd. 1, S. 556. SCHMID 1994, S. 280 f.

28991-29660 Der Gral

687

heit' des Gralsgeschehens nicht erfahren, ein durch die S2enenwiederholung erwartbarer semantischer Mehrwert geht verloren".62 Auf die mögliche Beziehung zu Wolframs Roman geht auch STEIN ein, der Heinrich eine innovative Lösung des Gralsproblems zugesteht. Er geht zunächst provozierend davon aus, daß Gawein ohne die vorhergehenden Erläuterungen der Gralsträgerin sicher nicht in der Lage gewesen wäre, die rechte Frage im richtigen Augenblick zu stellen, das habe er durch die entsprechenden Situationen der Vorhergegangegen Wunderketten (und des ersten Gralsbesuchs) eindeutig unter Beweis gestellt: Dort hätte er geschaut, gedacht, sich gewundert, aber nie gefragt.63 Die Frage, warum Heinrich das Scheitern Parzivals bei seinem ersten Besuch auf der Gralsburg mehrfach thematisiere, seinen eigenen Helden aber genau denselben Fehler begehen lasse („es wäre doch in jeder Hinsicht sinnlos"), werde von den diversen Interpretationen nicht ernsthaft beantwortet, „keine von ihnen [vermag] die unterschiedlichen Bewertungen von Gaweins und Parzivals Versagen plausibel zu machen" (S. 183). Auch wenn sich der „Widerspruch an der Textoberfläche [...] kaum lösen können" lasse, sei das Problem im Zusammenhang mit Heinrichs Bemühungen zu sehen, „Gaweins ureigene 'Leistung' am erfolgreichen Bestehen der Gralsaventdure auf ein Minimum zu reduzieren. Er läßt seinem Helden bei diesem zentralen Abenteuer nicht nur vielfältige Unterstützung zukommen, die sein Verdienst entscheidend schmälert (und einem Vergleich mit Parzivals Mißerfolg jede Grundlage entzieht), sondern er fuhrt sogar umgekehrt vor, daß sein Held in der Tat auf die entsprechende Hilfe angewiesen ist — er w ü r d e nicht nur scheitern ohne vorherige detaillierte Anleitung, sondern er scheitert (ebenso wie Parzival) t a t s ä c h l i c h , als er beim ersten Mal auf sich allein gestellt ist" (STEIN 2 0 0 0 , S. 1 8 4 ) . Die ausfuhrlichste Untersuchung des Gralsgeschehens bietet KELLER, der eine beeindruckende Menge von Detailverweisen und Einzelbeobachtungen zusammenträgt. Allerdings bleibt seine Gesamtbeurteilung des Geschehens im Vergleich eher zurückhaltend. Er betont, der Gral scheine „nur als Geheimnis Sinn zu geben. Jeder Versuch der Aufklärung, sei es seitens des Helden, des Erzählers oder des Interpreten, würde den sich entziehenden Sinn und damit ein konstitutives Merkmal des Grals in der >Cröne< zerstören."64 E r bezieht diese Geheimnisse auf die Beziehung des Grals zu Gott, eine „nicht beantwortete und nicht zu beantwortende" Frage, bei der 62

63 64

RINGELER 2000, S. 299 f. Vgl. ebd. S. 257-263 zur Einordnung der Episode in den Zusammenhang mit anderen, die die Problematik von Wahrheit und Sinnestäuschung im Roman themusieren. Vgl. S T E I N 2000, S. 180 f. KELLEK 1997, S. 334.

688

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

offen bleibe, ob sie „überhaupt die richtige ist. Als göttliches Geheimnis scheint es für den Gral nicht nur keine Antworten, sondern auch keine Fragen zu geben." Die schließlich erfolgende Erlösung des Gralsgeschlechts zum Tod sei „Zeichen für das Ende von Gottes Zorn."65 Er hält sich damit an die Aussage des Gralsherrn: Der Gral ist gotes tougen (29544), das Geheimnis Gottes, allerdings v. a. auf dessen Unaussprechlichkeit bezogen. Zugleich macht sich K E L L E R aber auch den Standpunkt derjenigen Forscher zu eigen, die Gaweins Weg als einen Weg in die ritterliche Unselbständigkeit verstehen und das Gesamtkonzept Heinrichs eher kritisch betrachten, wenn er die Erlösungsfrage sowohl als „abschließenden, erlösenden Höhepunkt des Wegs" als auch als „Endpunkt der ironisch deutbaren 'Entritterlichung' Gaweins" versteht.66 Für ein Verständnis von Heinrichs Konzept als versuchter Aussöhnung von Artusidee und religiöser Gralssphäre trat zuerst M E N T Z E L - R E U T E R S 1 9 8 9 ein. Zusammenfassend charakterisiert er die Ausfuhrungen des Gralsherren als „empiristisch", vergleichbar mit den Ergebnissen des Besuchs bei Saside: „Das Letzte, Höchste ist nur zu erahnen, nicht zu beschreiben — und Gawein hat schon mehr ervarn, als allen anderen vergönnt sein wird. [...] Der Gral ist da^ gütlich tougen, das letzte Geheimnis der sublunaren Welt. Darum muß alles Unbegreifliche, das uns in der >Cröne< begegnet, auch zum Gral führen. [...] Der besondere trdst des Grales besteht darin, daß es trotz der Ambivalenzen, trotz des Leids und Kummers eine höhere Macht gibt, die alles zum Guten lenkt [...] Der Gral [...] ist mehr als der Stillstand des Schicksalrades, er bedeutet jene Macht, die durch Saside und Heil hindurch wirkt." Der Erwerb der Sxldenkleinodien war Voraussetzung, „weil der Gral um so vieles über Saside zu setzen ist wie die Dreifaltigkeit über die Madonna. Dieses Geheimnis, daß alles Geschick von Gott kommt und alles seinen Platz innerhalb des von ihm gelenkten Gefüges von Strafe und Erlösung hat, ist die Erkenntnis, die Gawein zum perfekten Ritter im Dienste seines Herrn noch fehlte. [...] Die ritterliche Gemeinschaft ruht in Gott; es bedarf keiner Weltverneinung und keines Mönchsrittertums."67 Von dem gotes tougen geht auch B L E U M E R 1997, S. 232 ff. aus, der ähnlich wie M E N T Z E L - R E U T E R S den christlichen Gehalt der Szene betont: „Die Verbindung von Brot und Blut sowie die Bezeichnung des Vorgangs als gotes tougen (29418) entspricht dem 'eucharistischen Geheimnis' der Wandlung in 65

KELLER 1 9 9 7 , S. 4 1 5 m i t A n m . 3 1 4 .

66

KELLER 1997, S. 408. Das geht in die Richtung von Stichworten wie Marionette (vgl. GANTER 1 9 9 9 ) o d e r I r o n i e ( v . a . d i e S t u d i e v o n JILLINGS 1980), d i e die D e u t u n g d e s G r a l s

in eine gewisse Beliebigkeit geraten lassen. 67

MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S. 2 8 9 - 2 9 1 .

28991-29660 Der Gral

689

der Eucharistiefeier, und deren Verständnis liefert auch den Deutungshintergrund für den gesamten Vorgang in der >Crone 5673) oder die zweimalige zufallsbedingte Rettung Ginovers (->11242-11284, ->11747 f.).

71

meisten Lettner „wurden nach dem Mittelalter zerstört, weil sie den Blick auf das Meßopfer verwehrten." Vgl. K O C H 1990, S. 430; auch LdMA 5,1914 f. Vgl. in diesem Sinne G A N T E R 1999, S. 105.

29010-29059 Keie ist in einer Kapelle gefangen

691

29010-29059 Keie ist in einer Kapelle gefangen Das Kapellenabenteuer Keies ist eine weitere Ausformung des Motivs der „gefährlichen Kapelle", das auch schon bei Gaweins erstem Besuch auf der Gralsburg eine Rolle gespielt hatte (—>14642-14711). Vgl. u.a. Iw 566 ff., wo das Brunnenabenteuer bei einer Kapelle lokalisiert wird; in derselben wird später Lunete gefangen gehalten (Iw 4011 ff.).72 Keies Kapellenabenteuer sowie die Tatsache, daß er Gawein überhaupt auf Gralssuche begleitet, deutet J ILLINGS 1980, S. 117 u.ö. als „strong satirical element". Ebenfalls kritisch äußert sich W Y S S 1981, S. 285. Diese Wertung dürfte jedoch nicht weit genug greifen; daß die traditionelle Rolle Keies von Heinrich systematisch hinterfragt und umgestaltet wird, hat sich durch die gesamte Romanhandlung hindurch gezeigt (—>490), vgl. z.B. seine Rolle in der Hoftrauer um Gawein (—>16933-17091) oder seine Warnungen vor dem Ritter auf dem Bock (->25148 ff., —>25192-25214). Dieser neue Umgang mit Keie zeigt sich schließlich in der Tatsache, daß am Hof mit dem Abschlußturnier auf seine Rückkehr gewartet wird. Sein Versagen in der Kapelle macht allerdings die Grenzen deutlich: Für den Gral ist er nicht erwählt;73 der Blick auf Keie bleibt gebrochen (vgl. auch —>29060 ff.). Um Erfolg in der Gralsaventiure haben zu können, fehlen Keie sowohl „die genauen Informationen Manburs als auch die Gawein im Verlauf der Wunderketten mögliche Einsicht in das vielschichtige Wesen der Gralswelt."74 B L E U M E R liest das gesamte Kapellenabenteuer als „Gegenbild" zu Gaweins Gralserleben: Während Gawein erfolgreich ist und damit der Gefangenschaft auf Karamphi entrinnt, ist Keie gefangen; Gawein erlöst seine weibliche Verwandtschaft auf der Gralsburg, während Keie für seine Erlösung das Gebet der vrouwen benötigt. So erweist sich „Keies Weg über das Zusammenspiel der religiösen Berufungen durchaus als positive, gegenbildliche Ergänzung zur Gralhandlung des Helden. [...] Es geht um den ritterlichen Einsatz für und durch die Frauen, die ihrerseits Anteil am Erfolg des Ritters über die Bitte bzw. Fürbitte bei Gott haben."75 29010: Zu dem Gralsreich Illes vgl. —>28613. Ohne die Erklärungen von Gansguoters Schwester gehört zu haben, hat Keie den Gral in der richtigen Gegend gesucht. 72

Z u w e i t e r e n K a p e l l e n a b e n t e u e r n vgl. ZACH 1990, S. 1 8 5 - 1 9 0 .

73

S o z . B . BUSCHINGER 1 9 8 1 , S. 17. Vgl. a u c h MEYER 1 9 9 4 , S. 1 5 4 f . u n d 163.; KELLER 1997,

S. 380 ff.; S. 135 geht er soweit, Keie als einen „Doppelgänger Gaweins" zu bezeichnen. 74

KELLER 1 9 9 7 , S. 3 8 0 .

75

BLEUMER 1 9 9 7 , S. 2 2 8 ff., Z i t a t S. 2 3 1 .

692

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

29014: Zu der Angabe in der habe vgl. auch —>28613 (Illes ψο der riehen habe). 29017: Die Erlösung, von der Keie berichtet wird, soll eine Erlösung von dem Gral sein, nicht eine Erlösung des Grals. Damit wird die äußerst ambivalente Darstellung des Grals in den beiden Besuchen Gaweins und in den Wunderketten auf den einzigen Aspekt des Bedrohlichen verkürzt; vgl. dagegen nur die Freude der Gralsgesellschaft schon vor Gaweins zweitem Besuch dort, gebend für „fesseln, bindung" (Lex 1 , 7 5 0 ) auch 2 1 0 6 7 . 29025 ff.: Das Bildnis des utters alt gemahnt an den altherren am Gral, vgl. ähnlich das dritte Bild der letzten Wunderkette ( - > 2 8 7 0 9 ) . Den durch die Knie gestochenen Speer bezieht KELLER auf die Verletzung des Anfortas, durch die Verlagerung von der Scham zu den Knien fehle aber der Aspekt der sexuellen Verfehlung76 (gegen diese Interpretation spricht aber, daß der Gralsherr bei Chretien lediglich als bettlägerig beschrieben wird (über den Grund wird nichts gesagt), was Heinrich ebenso übernimmt, vgl. 1 4 6 2 1 1 4 6 3 3 ) . ZACH 1 9 9 0 , S. 1 8 9 verweist auf eine Erzählung im >Lancelot en prosec König Parian zog auf dem Gralsschiff ein Schwert aus seinem Schaft, woraufhin eine Lanze erschien und ihm durch beide Oberschenkel fuhr. 29028: Der Vers erscheint unvollständig; könnte es heißen: Den dit^e bilde bevie („den dieses Bild umfieng"), der also unter diesem Bild beerdigt war, bezogen auf den ritter alt? 29031 ff.: Keies unzureichende Vorbereitung auf die angestrebte Erlösungstat wird auf geradezu humoristische Weise verdeutlicht: Mit vrevelem muot, in draufgängerischer Weise, zerbricht er das Bildnis auf der Suche nach Blut. Damit wird wohl auf die blutende Lanze am Gral verwiesen; Zerstörung ist hier jedoch nicht der richtige Weg zum Erfolg. Der Dreireimabschnitt endet in P/EK mit einem überlangen letzten Vers, den SCH sinnvoll kürzt (die Länge des Abschnitts spricht für den Beginn eines neuen. Alternativ könnte der überlange Vers 29034 in zwei paargereimte Verse geteilt werden; dann wäre entweder fehlender dritter Reim oder falsches Capitulumzeichen anzunehmen). 29042 ff.: Die ü^genomene manheit, durch die sich Keie aus der Gefangenschaft befreien könnte, hatte 28580 ff. Gansguoters Schwester Gawein erklärt: Er muß gegen neun Ritter nacheinander kämpfen, die noch nie besiegt wurden, und die sich solchermaßen mit säuberlichen dingen versorgt haben, daß das auch nie passieren sollte (weshalb Gawein Keie seinen zauberabweisenden halsperc bringen soll). KELLER deutet das dahingehend, daß „das aktive Rittertum am Ende der >Crone< auf Keii" übergehe. „Die Verunsicherung der 76

Vgl. auch KELLER 1 9 9 7 , S. 3 8 1 mit A n m . 2 3 2 .

29060-29096 Erzähler: Frauen sollen für Keie beten

693

klassischen Rollenverteilung" spiegele „die Verunsicherung der ganzen Artuswelt".77 Das muß aber nicht zwangsläufig so sein; der Rüstungstausch dient in erster Linie dem nötigen Erfolg Keies, der als Mitglied des Kernpersonals dem Artushof nicht verloren gehen darf. 2 9 0 5 0 : undertwäie ist nur hier belegt für „Zwischenaufenthalt" (Lex II, 1808), vgl. twale, „aufenthalt, verzug, säumnis, zögerung" (Lex 11,1593 f.). Die zahlreichen Belege für die (in der Bedeutung ebenfalls passende) Verbindung sunder twale ließen jedoch auch eine Störung möglich erscheinen. 2 9 0 5 9 : Statt P/SCH In lies mit EK Jme, bezogen auf Keie: Der Vers schließt die langen Ausführungen über die Bedingungen ab, unter denen Keie zu kämpfen hat; wenn er also grv^e kraft hat, dann kann es ihm niht misselingen. 29060-29096 Erzähler: Frauen sollen für Keie beten Der zunächst recht traditionell beginnende Exkurs, in dem die Damen um Unterstützung für Keie gebeten werden, entpuppt sich schnell als ambivalent: sowohl in der Wendung von der innerfiktionalen Damenwelt hin zur außerfiktionalen des Publikums, als auch in der rhetorischen Entscheidungsfrage: Welt ir. er vervellet;/ Wellent ir. er ist genesen (29075 f.). „Mit Nachdruck wird durch diesen Exkurs der aufgewertete Keie präsentiert, die Antwort der Damen ist so natürlich vorgeprägt, da ihnen als Belohnung eine fiktionale Neuigkeit versprochen wird: Keie als Frauenritter. [...] Auch dieser Exkurs ist gebrochen, da allein schon die Konzeption Keies als Frauenritter auf der Gattungsfolie seltsam wirkt, bei bösartiger Interpretation als misogyner Zug gewertet werden kann (die Aufwertung der Keiefigur zum Frauenritter als Desavourierung der Damen!)."78 Die hier geforderte Fürbitte wird nach Gaweins Rückkehr von den Damen des Artushofs geleistet (29784 ff.), entsprechend freuen sich die vrouwen,/ Da^got ir bete hat vernomen (29899 f.), als Keie schließlich heimkehrt. Als Ritter der Damen wird er sich aber kaum bewähren (vgl. —>29905 ff.). 29084: Lies än statt SCH an, vgl. auch Anm. EK. 29095 f.: Vgl. die Überlegung in Anm. SCH, ob es sich bei huot um einen Stahlhut oder die huote handelt; SCH deutet: „ob auch gelücke ihm durchhelfe, so werde es doch ohne vorherigen Kampf nicht abgehen". TH übersetzt in diesem Sinne: „But even if Luck sets him free, many helmets must first be battered". Vgl. auch den Hinweis SIN auf die vergleichbare Formulierung in 77

KELLER 1 9 9 7 , S. 3 8 1 .

78

MEYER 1 9 9 4 , S. 1 6 3 .

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

694

>Biterolf und Dietleib< 4568: da mag verrugket werden hut (vgl. Lex 111,206; auch die weiteren Belege dort sprechen für die Deutung als Kopfbedeckung, so werden auch eingebende, die helme oder eine krone verruht). 29097-29160 Gawein akzeptiert die Einladung auf die Gralsburg 29099: dise %wen, die Gawein trifft, sind seine Gefährten Lanzelet und Kalocreant (vgl. 29001); Keie ist noch in der Kapelle gefangen. 29105 f.: Ρ riten, SCH/EK sinnvoll gebessert in litem, zudem SCH/EK Sit sie mit statt Ρ sit sie. 29107: Zu der auffälligen Form sagde vgl. -»27613. 29110 f.: Ebenso reitet das Gefolge auch —»26102 voraus. 29125: Die ungewöhnliche Wendung P/EK: Von sines herren wegen ersetzt SCH: Durch stnen herren. 29149: Normalerweise spricht Heinrich das Publikum im PI. an, daher dürfte mit SIN wieget statt P/SCH/EK wi^pv zu lesen sein; zu den direkten Anreden auch -»7081. 29152: dise %ven (vgl. 29099), die irre geworden waren (-».29003), hatten offenbar länger keine Gastfreundschaft mehr genossen. Vgl. andere realistische Zwischenbemerkungen dieser Art wie ζ. B. 5435 ff. die Angst des Gesindes vor dem Frost. 29154: Anders als bei Gaweins erstem Gralsbesuch wird die Burg hier kaum beschrieben. So gibt es keinen Hinweis, ob es sich beide Male um die gleiche Burg handelt oder nicht. 14576 ff. wurde die Gralsburg als sinewel/ Mit hohen smalen ginnen, mit vier türn von großer habe und jeweils einem palas dargestellt, in die zwei bürgetor mit Ziehbrücken führten; zudem wurde ausdrücklich auf ihre Befestigungsgräben verwiesen. 2 9 1 5 8 : SCH folgt P; ein gevilde deutet Anm. EK als Akk. des Raumes (diese Konstruktion findet sich z.B. auch 6239-6244, 20087, 21819f. und 27581 f.).79 Die hier und im folgenden beschriebenen ritterlichen Vergnügungen, die Gawein auf der Burg beobachtet, verweisen auf eine freudige Stimmung, in der offenbar der Erlöser erwartet wird.80 Ähnlich wurden bereits bei Gaweins erstem Besuch ritterliche Vergnügungen kurz erwähnt, vgl. 14725 f. die Nennung der kurqvile vil.

79

80

schlägt vor: Oeswär envetde ntter vil. Vgl. auch B U S C H I N G E R 1981, S. 17 f.

SIN

695

29161-29443 Gawein als Gralsheld

2 9 1 6 1 - 2 9 4 4 3 Gawein als Gralsheld 29161-29210 Feierlicher Empfang auf der Burg 29163: Ρ Sie loysirten dorcb panthanij, EK bessert banchenye. Heinrich verwendet mit loisieren eine dem afrz. Original besonders nahestehende Form des Verbs, vgl. TL 5 , 1 0 8 3 f. eslaissier. „ein Ross in Lauf bringen", refl. „sich (d.h. sein Ross) in Galopp setzen, drauflos reiten". Vgl. SUOLAHTI 1 9 2 9 , S. 149, auch Anm. EK. Verbreitet ist hingegen leineren, leischieren (vgl. Lex 1 , 1 8 7 0 ) . Zu dem stF. banekie („erholung durch leibesübung, erlustigung", Lex 1,120 f.) vgl. auch - > 6 9 5 ff. 81

29165 f.: Das erste sie bezieht sich offenbar auf Gawein und seine Gefährten, das folgende auf die Ritter vor der Burg, die die recken (also Gawein und Gefolge) sehen. 29168 f.: Der Ausdruck ein rihte messen ist so sonst nicht belegt. Wörtlich „eine gerade Strecke abmessen"; mesgen ist hier jedoch zu deuten im Sinne von „zurücklegen" (vgl. Lex 1 , 2 1 2 9 f., Lex 1 1 , 4 3 2 ) ; vgl. auch TH: „[they] came flying straight across the fields toward them". 2 9 1 9 2 : P: das was dar kamen, S C H / E K : das er was komen. 29211-29258 Empfang durch den bettlägrigen Burgherren 2 9 2 1 1 : Daß der Gralsherr aber, also „wieder" guoter mtr^e sei, liest KELLER im Blick auf dessen tote Erscheinung am Ende von Gaweins erstem Gralsbesuch ( 1 4 8 4 9 ff.) und somit als Bestätigung, daß es sich um denselben altherre handle.82 29212 ff.: Zu den auf den Boden gestreuten Rosenblättern vgl. bereits die Blumenstreu bei Gaweins erstem Gralsbesuch — > 1 4 6 1 8 (vgl. zudem die Rosenheide der ersten Wunderkette 14336 ff.); daß es für die hit^e geschieht, fallt aus dem Zeitschema des Romans heraus, demzufolge Gawein ungefähr im Oktober/November auf die Gralsburg gelangt.83 KELLER 1 9 9 7 , S. 3 8 3 , Anm. 236 deutet die Hitze einerseits als Kontrast zu dem frierenden Gralsherren bei Chretien und Wolfram (CdG 3031 ff. sitzt er an einem feu molt grant („ein sehr großes Feuer"), ebenso Pz 231,1 ff.), darüber hinausgehend als möglichen „symbolischen Bezug zu dem Zwischenbereich von Leben und Tod". 81

Die ausgelassenen Ritterspiele, die im schnellen Entgegenreiten zur Begrüßung Gaweins ihre Fortsetzung finden, sind wohl temperamentvoller als K E L L E R 1997, S. 382 mit seiner Paraphrase vermuten läßt: „Ritter, die vor der Burg spazieren reiten".

82

KELLER 1 9 9 7 , S. 3 8 4 .

83

Vgl. das Schema bei unterwegs.

WAGNER-HARKEN 1 9 9 5 ,

S. 2 0 7 : Seit Pfingsten ist Gawein ca.

160

Tage

696

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

29215: Die weiße Kleidung, die der altherre auch beim ersten Gralsbesuch trug (—>14627) könnte aus der >1. Continuation übernommen sein. Sie kontrastiert deutlich die schwarze Kleidung des Gralsherren bei Chretien: CdG 3027 ff. ist er eingehüllt in sebelin noir comme more („Zobelpelz, schwarz wie Maulbeeren"), et noire fu sa robe tote („und sein ganzes Gewand war schwarz"), entsprechend dieser Schilderung beschreibt Wolfram seinen Anfortas im schwarzen Pelz (Pz 231 ff.). Zur möglichen Deutung im Blick auf die Figur des „Hochbetagten" in der Vision Daniels bzw. der Ältesten und Auserwählten in der Offenbarung des Johannes vgl. —>14627. 29217: Zu der Stoffbezeichnung diasper - > 5 0 7 - 5 1 5 . 29220 f.: Das sonst nicht belegte durchrigen bezeichnet hier wohl eine Mischform aus „nähen" und „sticken" im Sinne von Ziernähten, da es sich um einen besonderen Schmuck des Gewandes handelt.84 29227: weehe \abelwort, eine „kunstsinnige rede, wie man sie beim brettspiele zu fuhren pflegt" (Lex 111,1016 f.,) sind selten belegt, bei Heinrich auch 18821 und wieder 29252. Zum Schachspiel vgl. auch ->18819 ff. 29236: Der altherre sieht durch vröude den Spielern und Musikanten zu; ebenso wie die Ritterspiele vor der Burg (—>29158) deutet diese fröhliche Stimmung auf den glücklichen Augang der Episode: Durch die klaren Instruktionen, die Gawein von der Gralsträgerin empfangen hatte, ist es sicher, daß er fragen wird. Gawein muß nicht erst wie Perceval/Parzival zur Mitleidsfrage animiert werden, die Burg kann sich daher in voller höfischer vröude präsentieren.85 29240 ff.: dise sgven sind Lanzelet und Kalocreant; allerdings wird nur Gawein eingeladen, sich mit auf das Prachtbett zu setzen; den beiden Gefährten wird ein Platz auf einem kulter rosenvar neben dem Spiel zugewiesen (so jedenfalls, wenn man mit Anm. E K die ψ>εη als stereotype Wendung für Lanzelet und Kalocreant versteht, ebenso wieder 29259, 29293). KELLER scheint hingegen Gawein und den Hausherrn 29246 angesprochen zu sehen, entsprechend seine Interpretation zu der rosenfarbenen Decke (—>29245). Vgl. auch Anm. E K zu 29246. 29245: Die Decke rosenvar greift als Motiv v. a. die auf den Boden gestreuten Rosenblätter auf; KELLER verweist zudem auf Detailparallelen mit

84

85

Vgl. BRÜGGEN 1989, S. 240; dazu auch die Vermutung, daß Nähte durch durchgezogene Goldfäden besonders betont worden sein könnten (S. 213). Vgl. ebd. S. 57, Anm. 157 für weitere Belege dieser Art. Im Blick auf eine mögliche biblische Ableitung der weißen Gewänder vgl. auch den goldenen Gürtel des erhöhten Christus Apc 1,13 (er wird mit schneeweißem Haar beschrieben), vgl. dazu —>14627. Vgl. auch BLEUMEK 1997, S. 231 f.

29259-29312 Vorbereitungen fur das Abendessen

697

der ersten Wunderkette: die rote Decke auf dem Dreihorn sowie die ebenfalls rote Decke in der Szene der Rosenheide.86 29259-29312 Vorbereitungen für das Abendessen 2 9 2 6 4 : SCH folgt Ρ (Das ir keiner verliesΦ; ΕΚ deutet: „was keiner von ihnen unterließ"; SIN möchte hingegen bessern in: ir dehein er verlief {verlangen im Sinne von „vernachlässigen, übergehen", vgl. auch Lex 111,155). 2 9 2 6 7 : Zu Ofden palasgesigen vgl. sigen im Sinne von „gleichsam strömend sich bewegen" (Lex 11,917), vgl. 14783: dem sal sie wider sigen. Die Aufwärtsbewegung in den in einem höheren Stockwerk gelegenen Palas (daher ä f , vgl. auch —>14612 ff., —>18797) ließe auch stigen möglich erscheinen. 2 9 2 7 1 : P / E K Dim wijte sale vnd lang stellt SCH dem Reim entsprechend sinnvoll um: Dirre wite und lange sal. 29281: Der michel schal ist hier (anders als ->28852) wohl wirklich als „menge von der das getöse ausgeht" (Lex 11,637) zu verstehen; vgl. auch Anm. EK. 2 9 2 8 7 : Die Wol dri^c videlare sind wohl kein Hinweis auf ein mittelalterliches Streichorchester, sondern sie dienen dazu, den Glanz der Gralsgesellschaft untermalen (zur hyperbolischen Verwendung der Zahl Dreißig vgl. auch —>8672). Die Höchstzahl von videlaren, die in der Realität gleichzeitig auftraten, lag wohl bei drei bis sechs (so z.B. Wig 7425 f.).87 2 9 2 9 4 : sidel (P/EK siddel) für einen „sitz, sessel, bank (mit polster)" scheint im höfischen Roman sonst nicht geläufig (Lex 11,904 f.), vgl. auch DWb 16,860 f. („Siedel"). 2 9 2 9 7 : SCH kürzt metrisch: Disen sament, ime besunder aus P/EK· Disen mit ein ander vndyme bisonder. 2 9 2 9 9 : Die repetitio von umbe unterstreicht in ihrer Ausführlichkeit die große Zahl der Anwesenden und zugleich die zur Hyperbolik neigende Darstellung der Ausstattung, die Wendung umb und umb findet sich auch 14690. 29301 f.: Die paarweise Anordnung von ein ritter und ein vrouwe ie ist Heinrichs eigene Zutat, Chretien macht darüber keine Aussage, bei Wolfram nehmen nur Ritter an dem Mahl teil (Pz 237,24). 2 9 3 0 6 ff.: Das Schwert wird ähnlich wie CdG 3068-3122 gebracht, dort wird es allerdings ausführlich beschrieben und dann unmittelbar Perceval 86

Vgl. KELLER 1997, S. 383 f., Anm. 238. Er interpretiert: „In beiden Szenen ist die von Gawein nicht verstandene Fesselung ein zentrales Motiv. Spiegelbildlich drücken beide Szenen Gaweins Unfähigkeit zur Gralserlösung aus. Erst die Annäherung an das Leid, die hier durch das Sitzen auf der rosenfarbenen Decke symbolisiert wird, bezeichnet die Möglichkeit zur geforderten Erlösung."

87

Vgl. dazu EITSCHBERGER 1999, S. 82.

698

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

geschenkt. Heinrich schiebt zunächst die gesamte Gralsprozession und -erlösung ein, das Schwert wird Gawein erst 29555 gegeben. In der >1. Continuation findet sich ein zerbrochenes Schwert als Probe, Gauvain soll es wieder zusammenfugen;88 dieses Motiv greift Heinrich aber nicht auf. 29313—29339 Gaweins Gefährten schlafen ein 29318: P/EK schanckten den Ε vber al, SCH streicht E; vgl. auch Anm. EK. 29326 ff.: Gaweins Gefährten halten sich nicht an das Trinkverbot, von dem ihnen Gawein vorher offenbar berichtet hatte (vgl. 29328 f.);89 daß sie während des eigentlichen Gralsgeschehens schlafen, zeigt, „daß die Gralserlösung nur scheinbar eine Gemeinschaftsaventiure ist: Im essentiellen Augenblick ist Gawein auf sich alleine gestellt".90 Zu dem wohl aus der >1. Continuation übernommenen Motiv des Schlafens vgl. —>28470 f. 29334 ff.: Indem sich Gawein entsprechend den Anweisungen, die er von Gansguoters Schwester erhalten hatte (—>28501), den Aufforderungen seines Gastgebers zum Trinken widersetzt, besteht er, anders als Lanzelet und Kalocreant, die letzte Probe, um sich für die Gralserlösung zu qualifizieren.91 Erst jetzt beginnt die eigentliche Gralsprozession. Zu dem Hinweis auf Gastfreundschaft 29336 f. vgl. Heinrichs auch sonst zahlreich über den Roman verteilten Stellungnahmen zur Qualität von Wirten (—>6231—6250). 29340-29394 Die Gralsprozession 29342 ff.: P/EK: die truchses^en för/ So vil: Bi der tür/ Derjüngst nach was. Mit dieser Interpunktion ist die Aussage verständlicher als SCH: die truhsa^en vür./ So vil bi der tür/ Oer jungest noch was. SCH merkt selbst an, die Verse seinen verdorben. Statt die lies aber wohl eher der truhsa^en (Gen.). SIN überlegt: So vil das^ bi der tür (vgl. auch Anm. EK). Der Sinn scheint klar: Es waren so viele, daß im Saal schon serviert wurde, als die letzten noch in der Tür waren. Vgl. auch den Aufzug der Diener Man 686-690. 29346: betragen läßt sich aus dem Kontext relativ leicht im Sinne von „serviert, mit Essen versorgt" deuten; besehen wäre sinnvoll als besetzen („bevölkern", Lex 1,214) zu verstehen: der Saal war schnell von Dienern erfüllt, die allen servierten. Heinrich gibt keinerlei Hinweis auf das Speisewunder des 88

Vg. ZACH 1 9 9 0 , S. 1 8 5 f.

89

BUSCHINGER 1981, S. 19 nimmt hingegen die beiden in Schutz, sie seien nicht „aufgeklärt".

90

KELLER 1 9 9 7 , S. 3 8 6 .

91

KELLER 1997, S. 386, Anm. 244 denkt hingegen auch über die Möglichkeit nach, daß „auf Seiten des Grals offenbar kein Wille zur Erlösung vorhanden" sei; dieser Ansatz führt allerdings nicht weiter.

29340-29394 Die Gralsprozession

699

Grals, wie es bei der Totenvigil der >1. Continuation< und bei Wolfram dargestellt wird. 29355: durchslahen für „mit metallschmuck, elfenbein, edelsteinen besetzen" belegt Lex 1,488 auch für ErH 8917 u.a. Der Punkt am Versende bei SCH dürfte Druckfehler sein. 29358 f.: Die beiden Verse sind in Ρ vertauscht, SCH und EK stellen sie gleichermaßen um. 29360: Zu der mehrfach vorgeschlagenen Besserung des kluog sper (P/ S C H / E K ) in bluotec sper (vgl. 14686 ff.) vgl. ausführlich Anm. EK. Gegen einen Eingriff spricht wohl, daß der Speer erst 29418 f. drei Blutstropfen absondert; wäre er bereits blutig, wäre das dann aber kein michel wunder (29416) mehr.92 Vgl. auch 15163 ein kluoc swert. 29367: Der Begriff tobliere (P/EK toblire) findet sich zuerst ->8891 für die Bildschüssel bei Amurfina; wieder 29410, 29415 und 29420, jeweils im Sinn von „Teller, Schüssel". Vgl. afrz. doblier, das DAF, 181 u.a. als „sorte de plat" übersetzt, ebenso TL 2,1979 „Teller, Schüssel" (dazu mlat. dublerius·, vgl. Lex 11,1455 und BMZ 3,45).93 In der >1. Continuation wird der Begriff mehrmals im Rahmen des zweiten Gralsbesuchs erwähnt, dort jedoch in der alternativen Bedeutung „Tischdecke".94 BUSCHINGER 1981, S. 19 f. vermutet eine Entstellung des afrz. un petit tailleoir d'argent aus der 1. Cont. Ε 3795 bzw. CdG 3169 (auf diesem wird beim Essen das Wildbret zurechtgeschnitten, CdG 3225). Das tobliere nimmt im Verlauf der Zeremonie die aus der Lanze quellenden Blutstropfen auf; in der im folgenden genannten kefse befindet sich hingegen eine brosem. Die aus verschiedenen Uberlieferungen stammenden Objekte zeigen „einen Überfluß konkurrierender Elemente."95 2 9 3 7 0 : Zu dem Stoff sige/at^ 513; vgl. auch BRÜGGEN 1989, S. 292. 29373: Für die Deutung von nach der werlde schouwe als „since the beginning of the world" (TH) bieten die Belege bei Lex 11,777 f. keine Parallelen; es ist wohl eher „das Urteil der Welt" o.ä. anzusetzen (vgl. auch Anm.EK). 2 9 3 7 8 : Den Stoff plialt nennt Heinrich häufiger, vgl. —>515 (auch 956, 7729, 10510). 29380: rost läßt vermuten, daß man sich das kleindt als goldenen Gitteruntersatz vorstellen soll, auf dem die kefse steht. 92 93

KELLER 1997, S. 386, Anm. 246 wendet sich gegen einen Eingriff, weil mit kluoc „die markante Umdeutung der Vorlagen in der >Cröne< unterstrichen werden" könnte. Vgl. auch GOLTHER 1 9 2 5 , S . 2 2 2 .

94

Vgl. KELLER 1 9 9 7 , S . 3 9 4 , A n m . 2 6 7 .

95

HEMPEL 1 9 6 7 , S. 1 4 6 .

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

700

Die Bezeichnung des Grals als kefse (P/EK clepff^e bzw. Maffia 29426) deutet Lex 1,1493 f. stark einschränkend als „reliquienbehälter";96 allerdings ist das zugrunde liegende lat. capsa zunächst eher allg. als „Behältnis, Kasten, Kapsel" zu verstehen. G O L T H E R führt Heinrichs Vorstellung auf Chretien zurück, dessen Gral als Hostienbehältnis gedacht sei, das in der kirchlichen Sprache als „capsa, pyxis, turris oder ciborium" bezeichnet wurde. „Daß der Gral in diesem Sinne auch den Zeitgenossen verständlich war, beweist Heinrich von dem Türlin [...] Die Kefse ist mit einem Deckel (lit) bedeckt und enthält ein Brot (brosem), wovon der Altherr, der kanonischen Vorschrift gemäß, ein Drittel genießt."97 Daß die kefse mit Edelsteinen und Gold geschmückt ist, entspricht der Beschreibung CdG 3171 ff. Als Beispiele für Hostiengefaße mit Deckel (vgl. 29426) vgl. z.B. das aus Limoges stammende sog. „Ziborium des Meisters Alpais" von 1160/1180 (heute Paris, Musee du Louvre) aus vergoldetem Kupfer, Gemmen und Email, ähnlich auch das „Balfour-Ziborium" (1160/1170, heute London, Victoria and Albert Museum).98 Das gesamte Ritual vergleicht GOLTHER mit dem Ablauf einer Krankenkommunion, „wobei eben nur die den Priester vertretende Jungfrau von den kirchlichen Vorschriften abweicht."99 29385:

2 9 3 8 8 : Die goldene Krone der Gralsträgerin liest K E L L E R 1997, S. 397 als „poetologisches Signal" im Blick auf den Titel des Romans: „Die >Crone< ist die Erzählung vom Gral wie der Gral die Krönung der >Crone< ist". 29390 ff.: Die heimlich weinende Magd, die der Gralsträgerin folgt, sowie das Schweigen der Gesellschaft sind einziger Hinweis auf eine traurige Atmosphäre, inmitten der sonst ausführlich beschriebenen Freude. Die Magd geht wohl auf die Darstellung in der >1. Continuation zurück.100

96

97 98

99

Diese Deutung unterstützt K E L L E R 1997, S. 386, Anm. 247 ausdrücklich wegen der christlichen Züge der Szene; dabei wird nicht recht deutlich, warum er das Verständnis als „Hostienbehälter" nicht zulassen möchte - das an die Eucharistie gemahnende Brot ist keine Reliquie (Reliquie wird üblicherweise verstanden als körperliche Überreste von Heiligen bzw. mit diesen zusammenhängende Gegenstände wie Kleidung etc.). Vgl. G O L T H E R 1925, S. 8 f., wieder S. 224 f. Abbildungen in „Die Kunst der Romanik", S. 367. Vgl. auch die aus Limoges stammende Hostienpyxis aus vergoldetem Kupfer und Email (1. Hälfte 13. Jh.) im Badischen Landesmuseum Karlsruhe, Abb. in „Das Nibelungenlied und seine Welt", S. 137. Eine kefse findet sich auch bei Trevrizent, Parzival leistet darauf zunächst den Reinigungseid für Jeschute (Pz 268,28, was für die Deutung als „Lade" spricht), bei seiner späteren Einkehr bei dem Einsiedler wird sie noch mehrmals genannt (Pz 459,26, 460,2, 498,7). Eine mögliche Verbindung zu Heinrich ist aber unklar. H E M P E L interpretiert die kefse als Lade und führt das Motiv auf den Bereich der jüdischen Sage zurück, vgl. H E M P E L 1967, S. 146; zur Gestalt des Grals auch ebd. S. 143 ff. GOLTHER 1 9 2 5 , S. 9.

100 Vgl. auch G O L T H E R 1925, S. 224. Chretien geht gar nicht auf die Stimmung im Saal ein, seine Darstellung läßt alle Möglichkeiten mehr oder weniger offen. Wolfram hingegen

29395-29443 Gralsritual, Gawein stellt die erwartete Frage

701

29395-29443 Gralsritual, Gawein stellt die erwartete Frage 29399 ff.: Vgl. ->28475 und ->28485 die Vorbereitung Gaweins auf die Gralserlösung durch Gansguoters Schwester, die er hier als Trägerin des Grals wiedererkennt. 29418 ff.: Statt P / S C H / E K Wart 2 9 4 1 9 lies wohl mit WARNATSCH 1 8 8 3 (und der Korrektur von späterer Hand) in Ρ Warf, im darauffolgenden Vers Akk. (In den tobliere). Anm. EK wendet dagegen ein, es sei „streng genommen nicht klar, ob das Blut vom Speer in die Schüssel tropft oder ob der Speer in der Schüssel mit drei Blutstropfen benetzt wird". Bei Chretien handelt es sich um einen einzelnen Tropfen (CdG 3136: une goute de sanc, ebd. 4585 allgemein la lance qui saigne, „die blutende Lanze"); in der >1. Continuation hingegen tropft es aus der Lanze (de la lance lifers saine/ Et point α saignier ne laissa, Τ 1334-1340).101 Die Zahl von drei Tropfen verweist auf das Motiv der drei Blutstropfen im Schnee im ersten Romanteil (->9193 ff., so auch CdG 4121 ff., Pz 282,10 ff.).102 Aus einer Lanze quellend finden sich exakt drei Tropfen im >Didot-Perceval< (une lance, et sannoitpar le fer troisgoutes de sanc. „eine Lanze, und aus dem Eisen bluteten drei Tropfen Blut", S. 208, Z. 1219 f.); ebenso >Perlesvaus< 2440 f.: et voit chaoir .iii. gotes del sanc desus la table („und er sah drei Tropfen Blut auf den Tisch fallen").103 MEYER 1994, S. 164 deutet die drei Tropfen als „das Zentrum des leitmotivischen Rot der Wunderketten". 29421: Was der altherre mit den Blutstropfen macht, wird nicht ersichtlich — abe nemen ist nicht weiter spezifisch. Vgl. TH „The old Lord took them".104 Die Annahme, daß die Tropfen zum Verzehr gedacht sind, legt zum einen das Bluttrinken der ersten Szene am Gral nahe (—>14760), zum anderen die

101 102 103

104

forciert Trauer und Klagen, v.a. jedoch nach dem Erscheinen der blutigen glavin (Pz 231,16-26). „und das Eisen der Lanze blutete, und es hörte nicht auf zu bluten". Vgl. zu dieser Parallele den Forschungsbericht bei KELLER 1997, S. 391, Anm. 260 und 261. Der >Didot-Perceval< wird recht ungenau in die 1. Hälfte des 13. Jh. datiert, >Perlesvaus< zwischen 1225 und 1240; es ist also unklar, ob Heinrich diese Texte gekannt haben könnte (vgl. zur Datierung GOTTZMANN 1989, S. 86 f., ausführlich auch KELLER 1997, S. 390, Anm. 257 und 258). KELLER sieht es als „wahrscheinlich" an, daß der >Didot-Perceval< zu den Quellen Heinrichs zu zählen sei, betont zugleich aber dessen eigenständige Bearbeitung (S. 391); ohne weitere auffallige Parallelen der beiden Texte dürfte diese Abhängigkeit also eher vorsichtig zu beurteilen sein. KELLER 1997, S. 387 (wieder S. 389) versteht die Passage abweichend: „Gemäß der etwas unsicheren Lesart der Handschrift sind es nicht drei Blutstropfen, die vom Speer fallen, sondern der ganze Speer verwandelt sich in drei Blutstropfen. Der alt nimmt dieses Blut zusammen mit dem in der kefsen enthaltenen brosem zu sich." Die Verwandlung des Speers dürfte aber zu weit über die Tradition hinausgehen, die Überlieferungsprobleme werden hier überinterpretiert.

702

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

Nähe der Abläufe zur Eucharistie,105 die traditionell immer unter beiden Gestalten Brot und Wein eingenommen wurde - in dieser Reihenfolge. Womöglich unterbricht Gaweins Frage den Ablauf des Rituals? 29423: Die Dame mit der riehen habe ist die Schwester Gansguoters mit dem „kostbaren Besitz", also dem Gral (und nicht nur „the elegant lady" bei TH).

29426: Zu dem Gefäß vgl. ausführlich zu ->29385. 29429 f.: P: Einen brosem [...]/ Der dim; SCH liest stM. Einen brosem [...]/ Des dim. Da brosem ausschließlich als stF. oder swF. belegt ist, lies mit EK: Eine brosem [...]/ Der dim (Lex 1,359). Vgl. die Erläuterungen von Percevals Onkel, daß im Gral eine Hostie liege, die seinem Bruder, dem Vater des Fischerkönigs, als Nahrung in den Nebenraum gebracht werde (CdG 6349 f., 6354).

29431: Daß der altherre nur da% dritte teil (P/EK Das dritteil) von der Brotkrume ißt, entspricht der kanonischen Vorschrift. GOLTHER 1925, S. 224 zitiert dazu aus der >Gemma Animae< des Honorius Augustodunensis, 1,64, daß die Oblate dreigeteilt werde: unum in calicem mittitur, aliud a sacerdote consumitur, tertium in pixidem monturis ad viaticum reponitur;106 29432 ff.: Zu der Gefahr des versions vgl. —>28485. Die Gralsfrage bei Heinrich (Wa^ disiu gro% herschaft/ Und da^ wunder bediute) zielt in eine gänzlich andere Richtung als Wolframs aheim, wa% wirret dier (Pz 795,29): Während der durch Trevrizent über die äußeren Umstände lückenlos aufgeklärte Parzival Mitleid zeigt und in seiner Frage das Versäumnis des ersten Besuchs ausgleicht,107 muß Gawein erst noch erfahren, was der Gral eigentlich bedeutet. Die Frage nach dem wunder zielt sowohl auf „das Leid als auch die Freude des Grals."108 Im Blick auf die möglichen Quellen hatte Heinrich wohl kein Vorbild für diese Frage. Vgl. auch die Einschätzung der Situation bei Chretien, in der „das mysteriöse Wunderbare des Märchens" vorherrsche, durch KNAPP: Er betont die Lokalisierung der Burg im „Überall und Nirgendwo", mit namenlosen Personen und blinden Motiven, „die Antwort auf die Frage ist im Grunde belanglos, wichtig nur, daß sie überhaupt gestellt wird."109 Zur Interpretation vgl. auch ->28991-29681. 105 Sicherlich unter dem Vorbehalt der zugleich zu konstatierenden Verfremdungen, vgl. die ausführliche Diskussion der Forschungsstandpunkte bei KELLER 1997, S. 389, Anm. 255. 106 „Ein Teil wird in den Kelch getan, ein weiteres vom Priester gegessen, das dritte in der Pyxis aufbewahrt als Wegzehrung für Sterbende". Die Pyxis ist ein Aufbewahrungsgefäß für die konsakrierten Hostien am Altar, vgl. auch LdMA 5,139 („Hostienziborium"). 107 BLEUMER zitiert hier Kurt RUH: Die Frage „ist in Erfüllung von Parzivals Weg Fürbitte zur Erlösung"; vgl. BLEUMER 1 9 9 7 , S. 2 2 6 . 108

KELLER 1 9 9 7 , S. 3 8 8 .

109

Vgl. KNAPP 1 9 9 6 , S. 5 8 .

29444-29660 Die Geheimnisse der Gralsburg

703

2 9 4 4 2 : Sinnvoll scheint der Vorschlag SIN, in dem sal zu lesen statt des wohl aus der vorhergehenden Zeile heraufgekommenen doppelten über al. 2 9 4 4 3 : Zu der übergroßen Freude der Gralsgesellschaft vgl. auch die große Freude der vorher zutiefst bekümmerten Frauen nach Gaweins Sieg über den schwarzen Ritter (19229 ff.).

29444—29660 Die Geheimnisse der Gralsburg 29444—29604 Erklärungen des Gralsherren Die Rede des Gralsherrn ist Antwort auf Gaweins Erlösungsfrage und bildet den „Schlüssel" zu den Ereignissen der Wunderketten und Gralsszenen, die Gawein bislang zwar betrachtend und merkend erlebt hat, aber nicht verstehen konnte. Die ersten beiden Abschnitte der Rede umfassen Vergangenheit und Gegenwart des Grals in direkter Rede des altherren, der letzte (bzw. die beiden letzten) Abschnitte) wechseln in die indirekte Rede und behandeln die Zukunft des Grals.110 Die wenig konkreten Aussagen des altherren über den Gral als solchen werten die Interpreten teils eher kritisch als Hinweis auf ein Versagen von Heinrichs Erzählen,111 teils jedoch auch positiv im Blick auf die Unaussprechlichkeit des gotlich tougen.n2 Zur Interpretation vgl. ausführlich die Einleitung zu 28991-29660. 29444—29513 Einleitung der Rede: Vergangenheit des Grals 2 9 4 4 4 : Zu der Formulierung gebot utide bat vgl. die Forderung Amurfinas bitet, gebivtet vnde mant (7800), die ebenfalls zwischen Freundlichkeit und Autorität schwankt; es ist eine auch außerliterarisch gebräuchliche Doppelformel. 2 9 4 5 0 ff.: Die insgesamt fünf Versuche Lanzelets und Kalocreants, wieder wach zu werden, scheitern an dem Geheimnis des Grals: Dit^gotes wunder, Gawein,/ Mac niht werden gemein,/ muo£ wesen tougen (29463 ff.). Dadurch relativiert sich die komische Note, die die Situation zunächst mit sich bringt: Die beiden Ritter müssen ausgeschlossen bleiben. 2 9 4 6 5 : Den geheimnisvollen Charakter betont Heinrich mehrfach (vgl. 29596); daß es sich dabei nicht nur um erzählerische Ungeschicklichkeit

110 Vgl. MENTZEL-REUTERS 1989, S. 282 ff., an seine (allerdings vierteilige) Gliederung der Rede schließt sich der Kommentar an. 111

S o z . B . SCHMID 1 9 9 4 , S. 2 8 0 f.; RINGELER 2 0 0 0 , S. 2 5 7 ff.

1 1 2 Vgl. z . B . MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S . 2 8 9 f f . ; BLEUMER 1 9 9 7 , S. 2 5 4 ; GUTWALD 2 0 0 0 ,

S. 2 9 3 f.

704

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

handelt, betont u.a. BLEUMER 1 9 9 7 , S. 2 3 3 (mit Anm. 76), 113 ihm zufolge läßt „sich der Sinn dieses Wunders allein in seiner Symbolhaltigkeit und nicht über die Frage nach seiner Herkunft erschließen [...], die abschließende Gralszene erteilt der kausalen Geschehensdeutung nun noch ausdrücklich eine Absage zugunsten des figural geprägten Denkmusters, durch das sich die Finalität des Geschehens erst erfassen läßt." Vgl. auch die Interpretationen v o n MENTZEL-REUTERS u n d GUTWALD, vgl. dazu — > 2 8 9 9 1 - 2 9 6 6 0 .

29468: Die Ansprache Gaweins als Stierer neve ist der letzte Baustein in den Bemühungen des Romans um ein genealogisches Zusammengehören aller wichtigen Handlungsträger. Vorbild für die Verwandtschaft des Gralshelden mit dem althemn dürfte sein, daß Perceval Neffe des alten Gralsherrn und Cousin des Fischerkönigs ist (vgl. die entsprechenden Erläuterungen des Eremiten-Onkels CdG 6341 ff., vgl. demgemäß auch die verwandtschaftlichen Bande bei Wolfram). Heinrich faßt Vater und Sohn am Gral zu einer Figur zusammen und setzt offenbar kurzerhand seinen Gralshelden an die Stelle Percevals in den Stammbaum, ohne genauer darauf einzugehen, wie sich das mit Gaweins Zugehörigkeit zur Artusfamilie verträgt. Diese zunächst unmotiviert erscheinende Verwandtschaft114 ist für Gaweins Erlöserrolle wichtig: Aus den Erklärungen des Gralsherrn klingt die Verfluchung eines gesamten Geschlechts durch. Diese wurde durch das Verschulden eines Familienmitglieds ausgelöst und kann nur durch einen Angehörigen desselben Geschlechts aufgehoben werden — vgl. die ähnliche Konstruktion in der Aventiure vom Schwarzen Ritter (->19280). Vgl. auch Iw 3187 ff. und Pz 3 1 4 , 2 3 ff., wo davon ausgegangen wird, die Schande des Protagonisten könne auf die ganze Artusgesellschaft abfärben; ähnlich z.B. NL 995. 1 1 5 29469: Die Antwort auf Gaweins Frage: e^ ist der gräl, den du sihest, faßt das ganze Geschehen in diesem einen Begriff zusammen. KELLER 1 9 9 7 ,

113 Vgl. auch JILLINGS 1980, S. 126 f.; BLEUMEKS kritischer Hinweis, MENTZEL-REUTERS 1989,

S. 290 f. sehe hier ein Symbol der Unmöglichkeit sinnvollen Erzählens greift allerdings zu kurz; den Aspekt der Unaussprechlichkeit bezieht dieser vielmehr auf die Größe des göttlichen Geheimnisses, das allem übergeordnet sei und ihm Sinn verleihe. 114 Vgl. SCHMID 1986, die in ihrem Stammbaum aber diese verwandtschaftliche Beziehung gar nicht aufnimmt; der Gralsherr müßte entweder ein Bruder von König Artus und Orcades sein, oder aber ein Bruder des nicht weiter bekannten Jascaphin von Orcanie, Gaweins Vater. Allerdings ist neve auch „im weiteren sinne: verwandter, vetter, bes. in der anrede" (Lex 11,61) gebräuchlich, was die Möglichkeiten der Einordnung deutlich erweitert. Wrss 1981, S. 287 interpretiert die genealogische Konstruktion dahingehend, daß der altherre auch Artus sein könne, auf den ein Todesschatten gefallen sei. In diesem Sinne wieder MEYER 1994, S. 164 f., vgl. zuletzt wieder KAMINSKI 2005; dagegen MENTZEL-REUTERS 1989,

S.

286.

1 1 5 Vgl. BUSCHINGER 1 9 8 1 , S. 2 3 .

29444—29513 Einleitung der Rede: Vergangenheit des Grals

705

S. 397 geht daher so weit, den Gral nicht nur mit der kefse zu identifizieren, sondern ihn „in allen Elementen der Prozession zu sehen". Der Blick auf Chretien (—»29429 f.) dürfte allerdings nahelegen, daß Heinrich doch eher der Tradition gemäß das Hostiengefäß mit der brosem als Gral ansieht, um den herum die ganze Prozession stattfindet. 29470 ff.: Der Hinweis auf die vreisenricbe arebeit, die Gawein manlich ertragen habe, und um derentwillen er von aller Welt gepriesen werde, bleibt kryptisch; er wird zumeist auf die Schrecken der Wunderketten bezogen. 29476 f.: Die Verweigerung weiterer Auskünfte über Wesen und Bedeutung des Grals wird nochmals ausführlich begründet in der Unterscheidung zwischen sichtbarem tougen und nicht benennbarer be^eichenunge (—>29597 ff.). Zur Interpretation vgl. v.a. die Einleitung zu —>28991-29660. 29490: P/EK: Vnd sich sicher niht enwaget, SCH streicht sicher. SIN liest stattdessen sither, vgl. auch Anm. EK. Diese deutet sicher im Sinne von „sorglos" als: „Parcifal hat sich nicht unbekümmert der Aufgabe gestellt, sondern war feige". Das erscheint allerdings semantisch schwierig, umso mehr, als sicher nochmals 29493 für „gewiß" steht. 29496: Zum ersten Mal wird der scheintote Zustand der Gralsgesellschaft, der schon in den Wunderketten mehrfach aufschien, deutlich als solcher bezeichnet; genauere Erläuterungen folgen 29532 ff. In dieser Konzeption zeigt sich, daß auch Heinrich die Traditionen bewußt gewesen sein dürften, die das Gralsschloß als ein Jenseitsschloß verstehen und v. a. auf irische und walisische Sagen zurückgehen.116 Heinrichs Darstellung „schwankt zwischen Überbleibseln des Totenreichs, des 'keltischen' Jenseits, verweltlichten christlichen Motiven und Erläuterungen durch die Magie".117 Im Blick auf die möglicherweise doch eher christliche Deutung des Gralsgeschehens ließe sich der scheintote Zustand aber auch theologisch deuten: Vgl. nur die zahlreichen Stellen, an denen Paulus in seinen Briefen von dem neuen Leben spricht, zu dem die Getauften durch die Sündenvergebung geführt werden (so Rm 6,3—II).118 Der scheintote, unerlöste Zustand entspräche dem des sündenbeladenen, wie er im folgenden für die ganze Sippe geschildert wird.

116 Vgl. dazu HEMPEL 1967. 1 1 7 BUSCHINGER 1 9 8 1 , S. 2 8 .

118 Vgl. ebd. Verse 4 und 7: consepulti enim sumus cum illoper baptismum in mortem ut quomodo surrexit Christus a mortuis per gloriam Patris ita et nos in novitate vitae ambulemus. [...] qui enim mortuus est iustificatus est a peccato. („Wir wurden mit Christus begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben. [...] Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde.").

706

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

29498 f.: Die Bezüge scheinen in Ρ ohne die Interpunktion von SCH klarer: dise jamers not geschach/ Von sinem vettern, den erstach/ Sin bruoder durch sin eigen lant. „Diese jämmerliche Not kam von seinem Vetter, den sein Bruder um seines Landes willen erstach". Vorsichtig einzugreifen ist lediglich bei erstach·. In Ρ steht er [er\stach, wobei schwer zu entscheiden ist, ob die Ausstreichung von der Hand des Schreibers stammt (vgl. auch Anm. EK); auf jeden Fall fuhrt sie auf die richtige Spur (abweichend hingegen EK, die er für Parzival lesen, dann aber ein Problem mit dem bruder haben). Ein auf Habgier oder Erbstreitigkeiten begründeter Brudermord eines Vetters des Gralsherren (auf den die Stelle wohl zu beziehen ist) ist sonst nicht bekannt. Solche Fehdegeschichten gehören jedoch zum Standardrepertoire; vgl. z.B. die Geschichten um Ither, den von Parzival mit einem gabylot erschlagenen Vetter von Artus, und um Lähelin, der Parzivals Erbländer Waleis und Norgals okkupiert hat. Das Motiv des Brudermords findet sich z.B. auch Wig 6100 ff. Vgl. aber auch eine der ältesten überlieferten Geschichten vom Brudermord, die von Kains Mord an Abel, die in Gn 4,1—16 an den Beginn aller Kämpfe zwischen Menschen gestellt wird und damit als eine Art Urtyp gelten darf.119 Heinrich spielt hier mit den Vorstellungen von Erbsünde und verfluchtem Geschlecht (—>29468); vgl. ähnlich die Hintergründe der Aventdure vom Schwarzen Ritter (19255 ff.). Auffalligerweise sind die Frauen explizit ausgenommen (29540 ff.), sie werden schließlich zum Leben erlöst. Neben den religiösen Konnotationen bleibt aber auch immer präsent, daß der Magier Gansguoter durch seine Schwester (der Burg und Land gehören(!), vgl. 29640 f.) auch hier noch Einfluß hat, daher auch noch magische oder volkstümliche Elemente der Darstellung mit zu berücksichtigen sind. 29508: Ρ wit^e, S C H / E K wise („Lebensweise"). Bedenkenswert im Kontext erscheint auch der Vorschlag LACHMANNS, („strafe, bes. fegefeuer, höllenstrafe, pein", Lex 111,958) zu lesen, vgl. Anm. EK. Vgl. dazu auch die Beschreibung des Schwarzen Ritters als vronebote und wi^enare (19268 f.). 29510: bit bzw. bite zu bete, „gebet, bitte, gebot" (Lex 1,234) - im Sinne von , „sie durften Gott bitten"? Oder besser zu bit, „stillhalten verweilen" (Lex 1,285), hier wohl für „Geduld, Ausdauer".

119 Vgl. auch - > 1 4 5 4 3 zur möglichen Identität des Rahin/Kahin de Gart.

29514-29554 Gegenwart des Grals

707

29514-29554 Gegenwart des Grals 29522: SCH und EK schließen den Vers mit Punkt; zu überlegen wäre stattdessen Doppelpunkt (beide im Folgevers bezogen auf sie 29520). 29529 f.: Die geschiht, an der der altherre unschuldig ist, dürfte sich wohl auf den Brudermord beziehen. 29532 fF.: Etwas Vergleichbares zu dem scheintoten Schwebezustand, in dem sich der Gralsherr und die anderen Männer der Burg befinden, findet sich sonst nur im >Lancelot en proseCröne< ist auf das Geheimnis des Grals ausgerichtet. Die größtmögliche Annäherung an dieses Geheimnis beim zweiten Gralsbesuch hat einerseits das Verschwinden des Grals, andererseits das Ende der Erzählung zur Folge. [...] Die fragmentarische Bildhafügkeit, die das Außerordentliche der >Cröne< ausmacht, hat ihren Sinn einzig auf dem Weg zum Gral. [...] Einerseits macht die Rückkehr Gaweins [an den Artushof] weitere Aventiuren möglich, andererseits haben diese nach dem Abschluß der Gralsaventiure jeden Glanz verloren. [...] Indem die >Cröne< alle Aventiuren abschließt, präsentiert sie sich als die nicht mehr überbietbare Krönung aller Artus- und Gralsromane."

120 Vgl. ZACH 1990, S. 183. Zum Sterben des Königs nach der Frage gibt es Parallelen im >Didot-Perceval2. Continuation sowie in Gerberts Fortsetzung des >Conte du Graal29577). 122 Vgl. die Übersicht über die Zeitabläufe bei

WAGNER-HARKEN

1995, S. 207.

2955S-29604 Zukunft des Grals

709

29575: Zu dem wilden mart auch - » 2 9 9 2 4 zu dem Signalwort wilde. „Die wildekeit ist ein Auseinanderklaffen von rede und meine, wie wir in Anknüpfung an Schröders Gedanken über den 'Literaturstreit' zwischen Gottfried und Wolfram noch einmal festhalten müssen".123 29577: Gemeint ist der kerktm (P/EK kerkerten] des Angaras, der auf Gawein im Falle seines Mißerfolgs gewartet hätte. Daß der altherre über die Details von Gaweins Gralsauftrag so gut informiert ist, entspricht anderen Situationen des Romans; vgl. nur die Begegnungen mit Aanzim und der Gesandten Saeldes in der zweiten Wunderkette, die Warnungen der Enfeidas oder die Anweisungen von Gansguoters Schwester. 29579: P/SCH/EK wiplicbeit ist sonst nur noch in einer für 1 3 0 0 - 1 5 0 0 datierten Sammlung von Minnereden belegt (FINDEBUCH 472),124 vgl. dazu das sonst gebräuchlichere (bei Heinrich aber nicht verwendete) wipheit („das weibsein, Weiblichkeit, rechte weibl. art u. gesinnung", Lex 111,924). 2 9 5 8 3 ff.: P / E K dirre gotes taugen rat, SCH stellt um: dirre tougen gotes rät. Lies im folgenden mit EK Punkt nach 2 9 5 8 5 . 29589: Hier ist wohl dringend mit Anm. EK nimmer statt immer zu verstehen: der Gral wird zum letzten Mal gesehen, bevor er gleich mit dem altherren verschwinden wird (auch —>29607). 2 9 5 9 5 : P: Dorch die gar erworchten, SCH/EK: Durch die er gar verworhte\ zur Deutung auch Anm. EK. die muß auf die aus dem erbam resultierende Kunde bezogen sein, die aber nicht konkret genannt wird — unklare Erzählweise oder Textverderbnis? 29597 ff.: Die hier vorgenommene Unterscheidung zwischen dem, was man durch die Gnade Gottes mit den Augen sehen kann, und dessen be%eichenunge, die niemand auszusprechen wagt, greift einen auf die aristotelischboethianische Logik zurückgehenden Grundbegriff u.a. der theologischen Wissenschaftslehre auf: Die sogenannte significatio wurde dort von dem realen Gegenstand unterschieden. Vor allem die Modisten beschäftigten sich ausführlich mit der „Grammatica speculativa", die „nicht nur die Regeln der richtigen Wort- und Satzbildung analysiert, sondern deren Bezeichnung und Bedeutung."125 Immerhin ist der Satzbau 2 9 6 0 0 - 2 9 6 0 2 verdächtig durch die Aufnahme des Akk. be^eicbenunge mit dem Artikel. Die Unaussprechlichkeit des Gralsgeheimnnisses wurde auch 2 9 4 7 6 f. betont.

1 2 3 MENTZEL-REUTERS 1 9 8 9 , S . 2 8 9 ; v g l . a u c h SCHRÖDER 1 9 6 6 , S. 3 2 3 f.

124 Lex 111,924 bietet einen Glossarbeleg, nicht aber die vorliegende Stelle. 125 LdMA 7,1890 (zu „Significatio"), auch LdMA 6,710 f. (zu „Modisten") mit ausf. Literaturhinweisen.

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

710

29605-29660 Das Ende des Grals 29605-29631 Auflösung der Gralsgesellschaft 2 9 6 0 7 : P/SCH/EK und dem gral hieße, daß der Gral bleibt, nur der altherre und die anderen Männer der Gralsburg verschwinden. Vgl. dazu die Frage, ob —>29589 immer oder nimmer zu lesen ist — gegen ein dauerhaftes Bleiben des Grals spricht allerdings die Betonung des Geheimnisses, sowie daß niemand dieses kundtun dürfe (29593 ff.), zudem die Auskunft der Gralsträgerin 29642 ff. Lies daher wohl besser mit dem gräl oder und der gral (so Anm. EK).

fühlt sich durch das sang- und klanglose Verschwinden mit der Morgendämmerung an Vampirgeschichten gemahnt;126 den Ubergang von einer Tageszeit zur nächsten verwendet Heinrich allerdings häufiger als Markierung von Handlungsabschnitten (vgl. u. a. 6253 f., daneben auch die Belege —>7327 ff.). 29614 ff.: Die Aussage der Gralsträgerin deutet darauf hin, daß das Verschwinden des Grals zu der Gawein aufgetragenen Aufgabe dazugehörte, er also erst jetzt seinen Auftrag vollständig ausgeführt habe. Vgl. entsprechend das „Verschwinden" des Schwarzen Ritters im Feuer, das ebenfalls Abschluß einer Erlösungstat war (19208 ff.). 2 9 6 2 0 ff.: Anm. SCH empfindet den Zusammenhang der Verse als unvollständig, er ändert daher 29624: Do er da gienc schouwen. Lies aber mit EK Vnd er da gingen schaumn, was Ρ folgt und lediglich den Sg. ging in PI. bessert. Man könnte auch ganz bei Ρ bleiben (Ubergang zu einem singularischen Prädikat). Holperig bleibt aber die Einbindung von 29627 f. Diese Verse bezeichnen wohl schon den Ort des anschließenden Empfangs.127 MEYER

29632-29660 Gespräch mit der Gralsherrin 29634: sie bezeichnet wohl Gaweins Gastgeberin und die fünf bei ihr weilenden Jungfrauen (vgl. 29622 ff.). 29642 ff.: Zum Verschwinden des Grals vgl. ->29607. 29644 f.: würde ist wohl plusquamperfektisch zu verstehen. 29648: Das, was nun ganz verstört ist, dürfte (trotz Genusinkongruenz) die bürde sein, die Gansguoters Schwester bislang zu tragen hatte. Worin diese 126 So MEYER 1994, S. 166, der damit auch die eucharistischen Anspielungen als „Blutsaugerei" sieht. 127 KEEFE 1982, S. 94 ff. verweist auf die sehr oberflächlich bleibende Beschreibung der Räumlichkeiten.

29661-29767 Abschluß der Aventiuren, Rückkehr an den Artushof

711

genau bestand, wurde auch bei Gaweins erster Begegnung mit ihr nicht weiter konkretisiert. 2 9 6 5 1 : SCH liest kamen wem: jämers sweere statt des unspezifischeren komen wen: jamers mere in P/EK. 29655 ff.: Ρ hat zwei aufeinanderfolgende Subjekte: 29655 nyeman, 29656 ieman. SCH stellt daher beyde von Beginn 29657 nach 29655 (an die Stelle des nyematt) und schreibt: Der beidiu ende noch φ/ Übel ieman künde geben; Den venzigen war da% leben. EK bessert hingegen iemer anstelle von ieman·. Der nyeman end nach ιήΐ/ Vbel iemer kund geben. Beyde, den verqgen was das leben. Während nach SCH nur die Überlebenden Freude empfinden, betont die Fassung P/ EK, daß beide Gruppen, die Toten und die Lebenden, sich über die mare freuen (also über die Erlösungstat Gaweins).

29661-29767 Abschluß der Aventiuren, Rückkehr an den Artushof 29661-29718 Begegnung mit Angaras auf dem Weg zu Keie 29664: Lies wohl mit SIN her^e statt herre (so auch EK), vgl. den umgekehrten Fall —»27289. 29679 f.: (=GT 133) „Eine Gutes gesellt sich zum andere Guten, und das ist Recht." Vgl. die ähnliche Sentenz —»6083 f., daneben zu weiteren Doppelungen von guot —»3006 f. Zu Parallelen vgl. ShRM, wo als Hintergrund eine afitz. Sprichworttradition betont wird. Daß diese Sentenz als Abschlußkommentar der gegenseitigen guten Wünsche bei Gaweins Abschied von der Schwester Gansguoters etwas beliebig geraten ist, anerkennt der Erzähler offenbar selbst: Was touc diu ηώ? Ε ζ ist bekant (29681). 29683: Zu der Ortsbezeichnung Illes und den Problemen der Lokalisierung vgl. zu —>28613. 29698 ff.: Die Begegnung mit Angaras ist als zeitlicher Rückgriff eingeschoben in den Bericht vom Wiedersehen mit Keie, ein bei Heinrich selten zu beobachtendes Phänomen. Angaras von Karamphi hatte Gawein zur Suche nach dem Gral verpflichtet (18913-18933), das versöhnliche Wiedersehen war vom althemn vorausgesagt worden (vgl. 29701, 29566 ff.). 2 9 7 0 4 : Die Angabe P/SCH gein Karamphi irritiert Anm. SCH, denn es ist das Herkunftsland des Angaras: sinnvoll EK Von Karamphi. 2 9 7 0 6 : Zu der Formulierung sin triuwe lasen vgl. die Wendung einen eit lasen, „von eidlicher Verpflichtung los machen" (Lex 1,1958), so z.B. Iw 8047

und 8070. triuwe hier im Sinne von „gegebenes wort, gelübde, versprechen" (Lex 11,1520).

712

28262-29767 Gaweins Gralsfahrt II

29709 f.: Ρ Mit Angaras vnd mit Gawein, SCH Sit Angaras mit Gawein (so auch EK). Der folgende Vers ist in P/EK überlang: Auch mit andern seinen gesellen geyn illes kert, vgl. SCH Gein Illes kerte (mit Anm., vgl. wieder Anm. EK). 29716: Zu dem bild vgl. ->29025 ff. 29716-29718: Zu dem auffälligen dritten Reimvers mit identischem Binnenreim vgl. z.B. dasselbe Phänomen 29012ff.; zudem findet sich hier derselbe Reim in den beiden ersten Versen des folgenden Abschnitts (29719 f.). SCH tauscht die Wortstellung der kumber ime (P/EKjme der kumber). 29719-29743 Gawein überläßt Keie seine zauberabweisende Rüstung 29724: Die zweite Hälfte des Verses scheint aus 29723 heraufgekommen, vgl. den Vorschlag Jacob GRIMMS: Viir in liden diesen pin (vgl. Anm. E K ) . 29727 f.: Trost und Dank setzen voraus, daß Keie von Gaweins Absicht weiß, mit ihm die Rüstung zu tauschen; der Text berichtet davon aber erst 29731 ff. Oder dankt Keie in (ihnen) für die gute Absicht, hat aber keine Hoffnung auf Erlösung? Auffällig sind zudem die Personalpronomina, v. a. das unbestimmte ime. Womöglich fehlt eine entsprechende Ankündigung Gaweins? Eine Umstellung der Verse hinter die Tauschhandlung scheitert an dem Reim sagt: tagt. 29731 ff.: Gansguoters Schwester hatte Gawein angewiesen, Keie die von ihrem Bruder erhaltene zauberabweisende Rüstung zu überlassen, um ihm gegen den Kampfzauber in der Kapelle zu helfen (—>28589 f., zu der sarwät vgl. ->27343-27368). 29734 ff.: Der Textfluß erscheint nach diesem Vers gestört, dabei hat SCH bereits das dritte Subjekt innerhalb von drei Versen gestrichen (einen weg sie vil schier 29735 in P). Womöglich fehlt hier auch mindestens ein Verspaar; vgl. die übrigen Störungen in der Umgebung. 29740 ff.: Der Autor wendet sich an die Reiseerfahrung seines Publikums und bezieht dieses unmittelbar ins Geschehen ein. Vgl. auch den Verweis auf die Mühen winterlicher Reisen (—>5435 ff.); allgemein zum Reisen im Mittelalter z.B. OHLER 1988. Der (29743) bezieht sich auf den kumber. 29744-29767 Rückkehr nach Karidol ohne Keie 29744 ff.: Statt P/SCH/EK nach (29746) lies wohl besser noch, außerdem Satzende erst nach diesem Vers (Komma nach 29745): Damit klärt sich, warum nur von dreien gesprochen wird (also Lanzelet, Kalocreant und Angaras), deren Erlebnisse nicht weiter berichtet werden. Die bei SCH/EK nahegelegte Deutung, die drei würden Gawein ein halbes Jahr lang hinterherreiten, erscheint weniger wahrscheinlich.

29744-29767 Rückkehr nach Karidol ohne Keie

713

2 9 7 4 7 : Schon —>28942 zeigt sich, daß die zuvor im Roman recht konsequent durchdachten Zeitangaben einem weniger realistischen Zeitempfinden weichen; der Gral befindet sich offenbar außerhalb der normalen Zeitund Raumvorstellungen.128 2 9 7 5 0 : Im Anschluß fehlt mindestens der Reimvers, der den Subjektwechsel zum Artushof eingeleitet hat Die fehlende Aussage muß enthalten, daß der Hof durch die Übersendung der Sseldenkleinodien schon wußte, daß Gawein noch am Leben ist (->28518 ff., 28600 ff.). Anm. EK schlägt vor: Das Gawein was lebendig wol, Das Gawein was genesen vol o.ä. WARNATSCH vermutet sogar eine ganze Fehlpassage, die den zweiten Betrug des Gigamec enthalten hätte (vgl. Anm. EK). 2 9 7 5 3 : Lies mit E K es was da, bezogen auf das kleindt, statt P/SCH er was da (Gawein ist noch unterwegs).

128 Vgl. ähnlich KNAPP 1996, S. 58 zu Chretiens Darstellung. MEYER 1994, S. 166 bezieht das Phänomen auf die der Gralserlösung folgende Aventiurefreiheit und das damit verbundene „Bannen von Tod".

29768-29908 Hoffest Lit.:

WENNERHOLD

2005, S. 243 f. (Forschungsbericht).

Die >Cröne< ist der einzige deutsche Artusroman, dessen Handlung zum Artushof zurückfuhrt, wie es bei Chretien vorgegeben war; alle anderen folgen dem Modell von Hartmanns >Erec7150-7223; die Klage um Keie ist nun die letzte in der Reihe. 29855 ff·: Zum Motiv der Essensverweigerung in Erwartung einer Aventiure —>925-932. Hier wird das Motiv allerdings mit dem Aspekt der Klage gemischt. P / E K : Vnd noch weder getruncken vnd gas^ glättet Sch: Und weder getruncken noch gäs^ 29858 ff.: Daß der gerüstete Keie mit den neun besiegten Rittern unbemerkt bis in den Festsaal vordringen kann, zeigt eine erstaunliche Unbekümmertheit der Artusgesellschaft, die keine Wachen mehr zu benötigen scheint: ist das ein versteckter Hinweis auf das Ende aller Aventiuren? 29864 f.: Der letzte von Keie gesprochene Satz im Roman zeigt ihn ein letztes Mal in seiner Rolle als Spötter - auch wenn er durch den Gewinn seiner schweren Aventiure eine unerhörte Aufwertung erfahren hat, bleibt er doch seinem Charakter treu. 29869 ff.: yuokunft für „herzukommen, ankunft" (Lex 111,1193) verwendet Heinrich auch 13631, 15894 und 20949. 29871 schreiben P / E K gesigen, Sch gesiget. 29872-29908 Freudenfest 29872 ff.: Von diesem Vers an hat Gouel gleich eine ganze Reihe von lateinischen Widmungsformeln, gemischt mit mhd. Wörtern auszumachen versucht;2 der eher krude erscheinende Sinn dieser Reihe wird von ihr zum Ausgangspunkt abenteuerlich anmutender Personenspekulationen gemacht.3 29887: Diu dinc sind die drei aufgezählten Gründe für das Fest (Gaweins Gralssuche, die Aufnahme des Angaras sowie Keies erfolgreiche Heimkehr); sie sind es, die großer vröuden überkrafi orden: „anordnen, anweisen, verordnen" 2

3

G O U E L 1993, S. 107-132, dabei beruft sie sich auf das Akrostichon im Prolog - » 1 8 2 ff., die Beobachtungen von KRATZ, Zweites Akrostichon 1989 zu —>13988 ff. sowie auf die begründete Annahme, daß Heinrich lateinisch gebildet gewesen sei. Abenteuerlich v. a. deshalb, weil sie die Abstände zwischen den von ihr gelesenen lateinischen Abkürzungen mit angeblichen Initialen von Eigennamen oder aber mhd. „Kurzwörtern" füllt, ohne daß eine zwingende Notwendigkeit ersichtlich wird, warum welche Buchstabenfolge gerade in der von ihr vorgeschlagenen Weise entschlüsselt werden sollte. Die Problematik, diese Personeninitialen innerhalb eines auch nicht völlig geklärten geschichtlichen Umfelds bestimmten Personen zuordnen zu wollen, die Heinrichs Gönner hätten sein können, wenn er wirklich ausgerechnet in ihrem Einflußbereich gearbeitet haben sollte, scheint bereits in ihrer eigenen Argumentation S. 110 ff. auf. Vgl. auch die Anm. zu -»10449 und zu -»10510 ff.

716

29768-29908 Hoffest

(Lex 11,160), kurz „verursachen". So auch die Konjektur bei SCH/EK muosten statt Ρ muoste. 29890: Das zum Titel des Romans gewordene Bild der krone, das Heinrich bereits im Prolog kurz erwähnt hatte (—>54), wird wieder aufgegriffen. Handelt es sich hier noch um eine Doppeldeutigkeit (es könnte auch einfach die Krone von König Artus gemeint sein), so wird der Bezug auf den Roman in den folgenden Nennungen immer deutlicher herausgearbeitet (vgl. 29917, 29967, v.a. auch die Edelstein- und Edelmetallmetaphorik).4 2 9 8 9 9 ff.: Vgl. dazu die Aufforderung des Erzählers an die Damen des Publikums, für Keie zu beten (->29060-29096). 2 9 9 0 5 ff.: SCH bessert da% er spottes pflege aus P/EK das man spottes pflege; Anm. EK hält jedoch an Ρ fest, weil das „unspezifische man ohnehin eindeutig Keie meint und somit eine ironisch-pointierte unbestimmte Redeweise vorliegen dürfte". 5 Die Sorge des Erzählers um den Seneschall zeigte sich —>29864 f. als begründet; auch in den der >Crone< nachfolgenden Artusromanen wird dieser weiter in seiner angestammten Rolle dargestellt und nicht etwa als kempfe der Damen (vgl. nur Dan 145 ff.: den schalkhaftesten man/ der ritters namen ie gewan./ der was geheimen Keit. Ähnlich Gau 1269 ff.: nu erriete aber sinen site/ Keie, da er selten mite/ werde^ lop bejagete).

4 5

Vgl. dazu auch die Interpretation von MEYER 1994, S. 167 f. Zu der Passage auch GUTWALD 2 0 0 0 , S. 2 9 9 f.

29909-30000 Epüog Lit. zum Epilog: WENNERHOLD 2005, S. 244-246 (Forschungsbericht); G U T W A L D 2000, S . 298-308; BLEUMER 1997, S. 265 f. SCHRÖDER 1996, Bd. 1 (Edition und Kurzkommentar zu 29910-30000). MEYER 1994, S. 166 ff. (zu Heinrichs Selbstverständnis und Autorrolle); G O U E L 1993; MENTZEL-REUTERS 1989, S. 26 f.; JILLINGS 1980, S. 144 ff.; WORSTBROCK 1966 (zum Titel).

29910 ff.: Heinrich präsentiert seine Erzählung als eigene Auswahl aus den existierenden Gawein-Geschichten, ohne sich auf eine Autorität verleihende Quelle zu berufen. Die von ihm nicht erwählten äventiuren vergleicht er dem swachen bli, sie passen nicht zu seiner aus den besten Materialien gesmiten kröne. Er stellt sich so in die Tradition als „Kompilator, der seinem Selbstverständnis nach nicht neu erfindet, sondern nur aus vielem einiges auswählt, der aber gerade durch seine seiegierenden Maßnahmen die Sinnhaftigkeit des Erzählten verbürgen kann".1 Aus allen Äventiuren, die er erzählen könnte, hat er die besten ausgesucht.

29915-30000: = GT 135. 29916 ff.: Die Vermischung edler mit weniger edlen Materialien hatte Heinrich auch im Prolog thematisiert, vgl. v. a. 40-88 (in dem Abschnitt wird —>54 auch die chrone zum ersten Mal im Roman genannt). Stand sie dort jedoch noch unter dem Aspekt der Bescheidenheit (Heinrich bittet um Nachsehen mit etwaigen Fehlern in seinem Epos), wehrt er sich hier gegen den Gedanken, ein schlechtes Material könne sich in seine Krone verirrt haben. Er hat sein Werk vollbracht und ist offensichtlich zufrieden mit ihm; Ungereimtheiten oder Fehler weist er kurzerhand als Unverständnis des Kritikers zurück (29922—29925, vgl. auch die Auseinandersetzung mit Kritikern im Prolog —>73—88). 29920 wird Ρ wit^e hat von allen Editionen in wit^e rät gebessert; adel 29921 im Sinne der „bildl. Vollkommenheit" (Lex 1,20) als Umschreibung der krone. 29922 f.: Das Verb vermischen sorgt für Verständnisschwierigkeiten; Anm. S C H überlegt verwischet, S C H R setzt vermisset, das sich aber nicht wirklich in den Kontext fugt (vgl. auch Anm. E K ) . K E L L E R deutet vermischet als den Vorgang, in dem der Künstler Blume und Bild in die Krone gemischt, eingefügt habe; G U T W A L D bezieht es hingegen wohl zutreffender auf den Betrachter, der 1

GUTWALD 2 0 0 0 , S. 2 9 8 f.

718

29909-30000 Epilog

nicht die nötigen Unterscheidungen beim Anblick von Blumen und Bildern vorzunehmen in der Lage sei und daher nur noch „Konfusion" und „Chaos" wahrnehme, nicht mehr Kunst. Das ist aber nicht mehr das Problem des Kunstwerks bzw. seines Künstlers (29930 f.).2 29924: Zu dem Signalbegriff wilde (auch ->29575) vgl. auch 29984 das vremde bild, womit Heinrich zugleich ein zentrales Moment seines Stils charakterisiert. In seiner Abwehrhaltung gegenüber potentiellen Kritikern, die er als tumbe liute hinstellt, greift Heinrich die zentrale Vokabel Gottfrieds in dessen Kritik an Wolfram auf, dem vindare wilder mesre,/ der mare wildenare (Tr 4665 f.). Es läßt sich schwer entscheiden, ob sich Heinrich hier bewußt in Beziehung zu Wolfram stellen wollte, oder ob er sich darüber im klaren war, daß sein Roman auf Gottfried wohl mindestens so wild gewirkt haben dürfte wie der >Parzival