Kognition, Praxis und Aktivität: Die logische Isomorphie des Denkens und des Wirklichen in Hegels »Begriffslogik« 9783787342624, 9783787342617

Han Wang unternimmt in dieser Arbeit eine freie Rekonstruktion der »Begriffslogik« Hegels. Sie zielt darauf ab, mit Hilf

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Kognition, Praxis und Aktivität: Die logische Isomorphie des Denkens und des Wirklichen in Hegels »Begriffslogik«
 9783787342624, 9783787342617

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HEGEL-STUDIEN BEIHEFT 73

Han Wang

Kognition, Praxis und Aktivität Die logische Isomorphie des Denkens und des Wirklichen in Hegels »Begriffslogik«

HEGEL-STUDIEN BEIHEFTE

HEGEL-STUDIEN



Beiheft 73

In Verbindung mit Walter Jaeschke (†) und Ludwig Siep herausgegeben von Michael Quante und Birgit Sandkaulen

FELIX MEINER VERL AG HAMBURG

Han Wang (王 涵)

Kognition, Praxis und Aktivität Die logische Isomorphie des Denkens und des Wirklichen in Hegels »Begriffslogik«

FELIX MEINER VERL AG HAMBURG

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-4261-7 ISBN eBook 978-3-7873-4262-4

Umschlagabbildung: © Ruth Tesmar / VG Bild-Kunst 2020 © Felix Meiner Verlag Hamburg 2022. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspei­cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, ­soweit es nicht §§  53, 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Satz: Jens-Sören Mann. Druck: Stückle, Ettenheim. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werk­druck­­papier, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

Meiner lieben Mutter, Frau Xia Li (李 霞), gewidmet

Danksagung Zunächst möchte ich herzlich Herrn Prof. Dr. Anton F. Koch, meinem Doktorvater, für die hervorragende wissenschaftliche Betreuung meines Studiums der Promotion und die vielseitige freundliche Hilfe bei meiner Doktorarbeit danken. Gerade Herr Prof. Koch eröffnete mir einen entscheidenden Zugang zu ­Hegels Wissenschaft der Logik. Ich bedanke mich auch herzlich bei Frau Prof. Dr. Friedrike Schick, meiner zweiten Gutachterin, Herrn Prof. Dr. Robert B. Pippin und Herrn Prof. Dr. Terry Pinkard für die enorm hilfreiche und produktive Diskussion meiner Thesen. Von ihnen allen habe ich sehr viel gelernt. Außerdem danke ich herzlich Herrn Dr. Georg Oswald, Herrn Dr. Matthias Schürmann und Herrn Patrick A. Neuberger für das mühevolle Korrekturlesen meiner Doktorarbeit. Sie alle, insbesondere Herr Dr. Georg Oswald, trugen mit ihren sachlich und sprachlich konstruktiven Überarbeitungsvorschlägen dazu bei, das bereits bestehende Artikulations- und Argumentationsniveau zu steigern. Schließlich möchte ich mich herzlich bei meiner Familie, besonders bei meiner Mutter, Frau Xia Li (李 霞), für die uneingeschränkte und liebevolle Unterstützung in materieller und geistiger Hinsicht während meines Studiums bedanken.

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 0.1 Das Kernanliegen der Philosophie – Die logische Grundlage des ­Wirklichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 0.2 Überblick über meine Rekonstruktion der Begriffslogik . . . . . . . . . . . 14 Kapitel 1 · Kognitionsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.1 Drei Begriffsmomente des Kognitionsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1.2 Die Bewegung zwischen drei Begriffsmomenten . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1.3 Der logische Mangel des Kognitionsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1.4 Die nähere Untersuchung des Kognitionsmodells mithilfe des ­Lehrsatzes als der Idee des Wahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1.5 Exkurs I: Die Prä-Kognition in der Idee des Wahren . . . . . . . . . . . . . 39 Kapitel 2 · Konzeption des aktiven Praxismodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.1 Überblick über die logische Struktur des aktiven Praxismodells . . . 43 2.1.1 Drei mögliche Konzeptionen der Darstellung des Existierens eines Wirklichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.1.2 Die logische Struktur des aktiven Praxismodells . . . . . . . . . . . 47 2.2 Die logische Funktion der Objektivität im logischen System der Begriffslogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2.3 Exkurs II: Mechanismus als Prä-Kognition und Kognitionsmodell . 58 2.4 Chemismus als formelles Praxismodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2.5 Die nähere Untersuchung des Praxismodells mithilfe der Idee des Guten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.6 Teleologie als Aktivitätsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Kapitel 3 · Realisierung des aktiven Praxismodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3.1 Der Lebensprozess als aus einem lebendigen Individuum entfaltetes r­ eines Praxismodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

8

Inhalt

3.2 Der Übergang vom Leben als unmittelbarer Idee zur absoluten Idee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3.3 Die absolute Idee als dem Lebensprozess immanentes Aktivitätsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Kapitel 4 · Zusammenfassung des ganzen l­ogischen ­Systems der Begriffslogik durch die Urteils- und Schlusslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4.1 Die Urteilslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4.1.1 Exkurs III: Die Darstellung der Prä-Kognition – Daseinsurteil und Reflexionsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.1.2 Die Darstellung des Kognitionsmodells – Notwendigkeitsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4.1.3 Die Darstellung des Praxismodells – Begriffsurteil . . . . . . . . 113 4.2 Die Schlusslehre – Die Darstellung des Aktivitätsmodells . . . . . . . . 119 4.2.1 Der Daseinsschluss – Der erste gescheiterte Versuch . . . . . . . 122 4.2.2 Der Reflexionsschluss – Der zweite gescheiterte Versuch . . . 126 4.2.3 Der Notwendigkeitsschluss – Die Darstellung des ­A ktivitätsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Kapitel 5 · Eigenständige Argumentationsweise dieser ­Untersuchung . . . . . 135 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

Einleitung 0.1 Das Kernanliegen der Philosophie – Die logische Grundlage des Wirklichen Mit Blick auf die Philosophie teile ich die Ansicht, dass Philosophie kein bloßes Aggregat mannigfaltiger philosophischer Schulen, sondern eine Disziplin ist, welche darauf abzielt, Theorien über die logische Grundlage des Wirklichen (bzw. des wirklichen Einzeldings) aufzustellen. Diese kann einerseits auf keiner empirischen Ebene wahrgenommen werden; andererseits stellt sich das Wirkliche wegen der Funktion seiner logischen Grundlage uns immer in seiner Allgemeinheit dar. Um meinen Standpunkt zu verdeutlichen, führe ich zwei kurze Beispiele aus der Geschichte der Philosophie an. Die platonische Idee dient als die logische Grundlage des Wirklichen, weil sie selbst einerseits keinesfalls in der Empirie beobachtet werden kann, aber andererseits dem Wirklichen (z. B. dem Haus, dem Tisch usw.) die allgemeine Form liefert. Gerade wegen der allgemeinen Form, an welcher ein Wirkliches teilhat, können wir immer erkennen, dass es ein Haus, ein Tisch usw. ist, egal wie es sich an äußerlichen Eigenschaften ändert. In diesem Sinne wird ein Wirkliches verallgemeinert. Die Kausalität bei Kant als Kategorie des Verstandes spielt auch die Rolle der logischen Grundlage. Denn einerseits kann die Kausalität keinesfalls auf empirische Weise – z. B. durch die Forschung über das Nervensystem  – entdeckt werden; aber andererseits können wir ohne die Kausalität kein allgemeingültiges Urteil über das Wirkliche mehr fällen und daher auch keine empirische Erkenntnis in Bezug auf das Wirkliche haben. Die logische Grundlage des Wirklichen kann mithilfe von Hegels Phänomenologie des Geistes näher erklärt werden. In diesem Werk weist Hegel auf die Differenz zwischen der Dimension des »für es« (für das Bewusstsein) und der des »für uns« hin. Ich werde die ersten drei Kapitel der Phänomenologie des Geistes mithilfe einer Tabelle (siehe folgende Seite) und einiger frei gewählter Beispiele erläutern. Ausgehend von der Tabelle drängt sich uns eine Frage auf: Warum stellt sich das Wirkliche (z. B. ein Glas Wasser) für uns nicht so dar, wie es für das Bewusstsein aussieht? Wir denken daran, dass es zwischen der Dimension des »für das Bewusstsein« und der des »für uns« noch etwas anderes geben muss, also: »für das Bewusstsein« + X = »für uns«.

10 z.B. ein Glas Wasser auf der Stufe des sinnlichen Bewusstseins

auf der Stufe des wahrnehmenden Bewusstseins

Einleitung

für es (für das Bewusstsein) Das Glas Wasser wird zu einem anderen Glas Wasser, wenn es in

für uns Das Glas Wasser bleibt identisch mit sich selbst bei der

verschiedenen Augenblicken gesehen kontinuierlichen Änderung von oder an verschiedene Orte gestellt Raum und Zeit. wird. Das Glas Wasser als ein Aggregat der Eigenschaften wird zu einem anderen Glas Wasser, insofern sich irgendeine Eigenschaft von ihm geändert hat.

Das Glas Wasser bleibt identisch mit sich selbst, auch wenn sich irgendeine Eigenschaft von ihm geändert hat.

Nur mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit kann das Glas auf der Stufe des verstehenden

Wasser Salz auflösen, weil die Kraft, welche garantiert, dass das Wasser

Bewusstseins

notwendig Salz auflöst, nur in der unzugänglichen übersinnlichen Welt

Das Glas Wasser hat notwendig die Eigenschaft, Salz aufzulösen.

vorhanden ist.

Dieses »X« drückt eben die logische Grundlage des Wirklichen aus. Einerseits kommt die logische Grundlage »X« im Bewusstsein in Bezug auf das Wirkliche nicht vor; andererseits stellt sich das Wirkliche für uns deshalb so dar, wie es in der obigen Tabelle beschrieben wird, gerade weil ursprünglich die logische Grundlage »X« in ihm wirkt. Den oben angeführten Beispielen aus Platos, Kants und Hegels Philosophie zufolge ist die logische Grundlage für das Wirkliche unentbehrlich, anderenfalls könnte das Wirkliche nicht mehr verallgemeinert werden. Aus diesem Grund ist die Erörterung der logischen Grundlage des Wirklichen wertvoll. Je nach Philosoph und Philosophietyp werden verschiedene Theorien über die logische Grundlage des Wirklichen aufgestellt, wodurch die Philosophie als Disziplin immer wieder bereichert und somit ihre Entwicklung immer wieder vorangetrieben wird. Philosophische Forschung besteht nicht nur einfach darin, Begriffe in einer philosophischen Theorie zu analysieren oder die Entwicklung irgendeines philosophischen Begriffs in der Geschichte der Philosophie zu verdeutlichen, sondern auch darin, darüber nachzudenken, wie eine philosophische Theorie auf eine überzeugende Weise die logische Grundlage des Wirklichen zu erläutern vermag. Gegenüber anderen philosophischen Theorien hat Hegels Wissenschaft der Logik meines Erachtens einen entscheidenden Vorteil. Dies möchte ich durch das folgende Beispiel erläutern. Nach Kant fällen wir deshalb ein allgemeingültiges Urteil, wie z. B. »Solange Sonnenstrahlen auf einen

Hegel-Studien



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Stein fallen, wird sich der Stein erwärmen«, weil die Kausalität als Kategorie des Verstandes aktiv ist. Im Unterschied dazu behauptet Hume, dass wir dasselbe Urteil wegen unserer psychischen Gewohnheit fällen. Kant und Hume haben in ihrer jeweiligen Philosophie dem allgemeingültigen Urteil über das Wirkliche eine logische Grundlage attestiert und diese systematisch expliziert. Weil sowohl Kants als auch Humes theoretische Argumentation für sich genommen konsistent gedacht werden kann, scheint es gleichgültig zu sein, welche theoretische Perspektive auf den zu erklärenden Sachverhalt eingenommen wird. Bei näheren Überlegungen stellen sich ferner die Fragen, ob und, wenn ja, wie es möglich ist, mannigfaltige systematische bzw. konsistente Erklärungen der logischen Grundlage des Wirklichen auf eine allgemeine bzw. einheitliche logische Form zu bringen, welche hinreichend komplex ist, dass alle Theoretiker sie akzeptieren müssen. Hegel bejaht und beantwortet beide Fragen in seiner Wissenschaft der Logik. Dies macht den theoretischen Mehrwert seiner Philosophie aus. Der Definition der logischen Grundlage des Wirklichen zufolge besteht ihre logische Funktion – egal ob sie als Kausalitätskategorie bei Kant oder als psychische Gewohnheit bei Hume oder als etwas anderes gilt – immer darin, dass sich das Wirkliche wegen seiner logischen Grundlage uns in seiner Allgemeinheit darstellt. Anders formuliert: Die logische Grundlage wird immer im Wirklichen realisiert und dementsprechend ist das Wirkliche immer die Manifestation seiner logischen Grundlage. Hiernach befinden sich das Wirkliche und seine logische Grundlage am Ende der Wesenslogik in einer Wechselwirkung: Solange wir die logische Grundlage erörtern, erörtern wir in der Tat ihre Realisierung im Wirklichen; solange wir das Wirkliche darstellen, stellen wir in der Tat ein auf seine logische Grundlage gegründetes Wirkliches dar, anderenfalls könnte das Wirkliche nicht mehr verallgemeinert werden.1 Das Wirkliche und seine logische Grundlage sind somit zwar voneinander unterschieden – sie beide liegen in der wirklichen und logischen Dimension –, aber zugleich sind sie beide voneinander nicht zu unterscheiden. Mit Hegels Worten: »Die Wirklichkeit ist die Einheit des Wesens und der Existenz«2, wobei das »Wesen« an dieser Stelle synonym für die logische Grundlage des Wirklichen steht.3 In diesem Sinne ist die Beziehung zwischen der logischen Grundlage und dem Wirklichen, in welchem Mit Ibers Worten: »Die Substanz [sc. die logische Grundlage des Wirklichen oder das Wirkliche selbst], die als Ursache für die andere [sc. das Wirkliche selbst oder seine logische Grundlage] dient, setzt diese andere als ihre Ursache bereits voraus.« (Iber 2002, S. 183) Vgl.: »Realität ist ja für Hegel nicht außerbegriffliche (sinnlich erfassbare, materielle) Wirklichkeit, sondern vollständige Bestimmung eines Gegenstandes […] durch schlüssige Gedanken.« (Siep 2018, S. 710) 2 GW 11, 369. 3 Im gegenwärtigen Kontext ist die logische Grundlage des Wirklichen das Wesen; sie wird sich noch weiter zum Begriff entwickeln. Dies werde ich später erklären. 1

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sie realisiert wird und welches somit zu ihrer Manifestation wird, als die Beziehung zwischen der logischen Grundlage und einem anderen Selbst aufzufassen. Hiernach bilden das Wirkliche und seine logische Grundlage eine Sich-auf-sichBeziehung. Diese Sich-auf-sich-Beziehung lässt sich wie folgt kommentieren:

Sich – auf – sich – Beziehung die logische Grundlage das Wirkliche

Weil das Wirkliche und seine logische Grundlage voneinander nicht zu unterscheiden sind, ist jede(s) von ihnen ein »Sich«; weil sie beide zugleich voneinander unterschieden sind, sind sie zwei getrennte »Sich«. Auf der Basis einer solchen Sich-auf-sich-Beziehung, welche die Wechselwirkung zwischen dem Wirklichen und seiner logischen Grundlage darstellt, stellt sich eine Anschlussfrage: Was bezieht das Wirkliche und seine logische Grundlage aufeinander? Anders gefragt: Wie ist die »Beziehung« in der soeben kommentierten Sichauf-sich-Beziehung aufzufassen? Da die logische Grundlage des Wirklichen nach ihrer Definition nicht auf empirische Weise in der wirklichen Dimension wahrgenommen werden kann, ist sie wesentlich nichts anderes als ein durch das philosophische Reflektieren Gesetztes. Mit Hegels Worten: Die logische Grundlage des Wirklichen als Wesen ist die »Reflexion in ihm selbst«4. Dementsprechend ist das Wirkliche der Gegenstand des philosophischen Reflektierens. Aus diesem Grund ist naheliegend zu sagen, dass dasjenige, welches die logische Grundlage als Wesen bzw. als Reflexion und das Wirkliche als Gegenstand des Reflektierens aufeinander bezieht, eben die Tätigkeit des Reflektierens bzw. das verbale ›Reflektieren‹ selbst ist. Diese(s) drückt eben die »Beziehung« in der oben kommentierten Sich-auf-sich-Beziehung aus. Das Wirkliche und seine logische Grundlage (Wesen bzw. Reflexion) machen faktisch nur zwei Momente in der Tätigkeit des Reflektierens aus. Wenn »die Wahrheit des Seyns […] das Wesen [ist]«5, dann ist die Wahrheit des Wesens bzw. der Reflexion eben die Tätigkeit des Reflektierens bzw. das verbale ›Reflektieren‹. Im Wirklichen wird somit nicht nur seine logische Grundlage als Wesen bzw. als Reflexion, sondern auch die Tätigkeit des Reflektierens realisiert. Ich nenne die logische Grundlage als Wesen bzw. als Reflexion »die abstrakte logische Grundlage« (die logische Grundlage erster Stufe), während die Tätigkeit des Reflektierens bzw. das verbale ›Reflektieren‹, welche(s) sich hinter der logischen Grundlage als Wesen bzw. als Reflexion versteckt und sie auf das Wirkliche bezieht, »die wahre logische Grundlage« (die logische Grundlage zweiter Stufe) genannt wird. In Hinsicht 4 5

GW 11, 244. GW 11, 241.

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auf die Form drückt die Tätigkeit des Reflektierens bzw. das verbale ›Reflektieren‹ die Verbalisierung der oben kommentierten substantivischen ›Sich-aufsich-Beziehung‹, und zwar das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹, aus. Beide Aspekte – das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ als Reflektieren selbst und die eben erwähnte substantivische ›Sich-auf-sich-Beziehung‹ – lassen sich in einer Formel zusammenfassen: ›die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung‹6. Diese ›sich bewegende Beziehung‹ drückt eben die Verbalisierung der substantivischen ›Sichauf-sich-Beziehung‹, nämlich das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹, aus. Die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung bzw. das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ besagt, dass die substantivische ›Sich-auf-sich-Beziehung‹ sich aktiv durch sich selbst antreibt.7 Nach der obigen Erklärung der sich bewegenden Sich-auf-sichBeziehung lässt diese sich wie folgt kommentieren:

die sich bewegende Sich – auf – sich – Beziehung die abstrakte logische Grundlage das Wirkliche (Wesen bzw. Reflexion) die wahre logische Grundlage (Tätigkeit des Reflektierens)

Eine solche sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung als Ausgangs- und Angelpunkt der Begriffslogik ist eben die allgemeine Explikation der logischen Grundlage des Wirklichen. Denn jede der oben erwähnten Explikationen der logischen Grundlage – die Kausalität bei Kant, die psychische Gewohnheit bei Hume und die platonische Idee  – kann wesentlich als eine abstrakte logische Grundlage (die logische Grundlage erster Stufe) aufgefasst werden, welche als ein »Sich« in der sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung ausgedrückt wird. Unter dem Antrieb der wahren logischen Grundlage (der logischen Grundlage zweiter Stufe), nämlich unter dem Antrieb des verbalen ›Sich-auf-sich-Beziehens‹, wird die abstrakte logische Grundlage (z. B. die Kausalität) im Wirklichen realisiert und dann stellt sich uns das Wirkliche in seiner Allgemeinheit dar (z. B. ein allgemeingültiges Urteil über das Wirkliche wird gefällt). Daraus wird ersichtlich, dass Hegels Wissenschaft der Logik faktisch ein aus vorherigen philosophischen Theorien abstrahiertes allgemeines logisches System und daher als die Philosophie der Philosophie zu betrachten ist. Dazu erwähnt Hegel: »Die Geschichte der Siep nennt eine solche sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung »die Bewegung der gedanklichen Selbstunterscheidung ohne Verlust der ›einfachen‹ Einheit mit sich« (Siep 2018, S. 735). 7 Wenn das Wirkliche und seine logische Grundlage als zwei entgegengesetzte Substanzen betrachtet werden, dann ist diese sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung »die Vollendung der Substanz« (GW 12, 14). 6

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Philosophie zeigt an den verschieden erscheinenden Philosophieen […] nur Eine Philosophie auf verschiedenen Ausbildungs-Stufen auf.«8 Da Hegels Wissenschaft der Logik auf eine überzeugende Weise die logische Grundlage des Wirklichen – das Kernanliegen der Philosophie – erläutert, hat sie die Entwicklung der Philosophie als Disziplin vorangetrieben. Nun sind wir in einer Position, zu verstehen, warum Hegel seine Logik als »Wissenschaft« bezeichnet. Denn seine Logik thematisiert die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung selbst, welche so allgemein bzw. (nach Hegel) so »absolut« ist, dass alle Theoretiker nicht umhinkönnen, sie zu akzeptieren. (Der logische Entwicklungsprozess von der Seinsüber die Wesens- bis hin zur Begriffslogik stellt dar, wie die sich bewegende Sichauf-sich-Beziehung selbst Schritt für Schritt errichtet wird und sich als Ganze fortentwickelt.) In diesem Sinne hat Hegel seiner Logik eine wissenschaftliche Form gegeben. Auf der Basis der obigen Analyse darf von der Metaphysik behauptet werden, dass Metaphysik niemals aus der Zeit fällt, weil das Metaphysische eben die unentbehrliche logische Grundlage des Wirklichen ist. Wenn eine Person behauptet, Metaphysik sei veraltet, bedeutet dies lediglich, dass eine bestimmte metaphysische Theorie oder Methode, Metaphysik zu betreiben, veraltet ist. Hegels Wissenschaft der Logik zufolge soll sich Metaphysik in der Tat darauf fokussieren, die ganze sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung selbst als die wahre logische Grundlage, welche alle Theoretiker akzeptieren müssen, zu erforschen. In eben dieser Form ist Hegels Metaphysik als Meta-Metaphysik zu betrachten. Im folgenden Diagramm ist die Beziehung zwischen Metaphysik und Meta-Metaphysik übersichtlich zusammengefasst: die sich bewegende Sich (die abstrakte logische Grundlage)-auf-sich-Beziehung Metaphysik Meta-Metaphysik (die wahre logische Grundlage)

0.2 Überblick über meine Rekonstruktion der Begriffslogik In dieser Untersuchung werde ich mit Rekurs auf Hegels Begriffslogik  – das dritte und letzte Buch der Wissenschaft der Logik – die logische Isomorphie des Denkens und des Wirklichen systematisch begründen. Aus den folgenden vier 8

Enzy., § 13 (GW 20, 55).

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Gründen werde ich mich in dieser Untersuchung mit der These der logischen Isomorphie des Denkens und des Wirklichen beschäftigen. a) Was die Wissenschaft der Logik selbst betrifft, so macht die logische Isomorphie des Denkens und des Wirklichen die ganze Wissenschaft der Logik zu einem wahren logischen System. Denn die logische Grundlage als Denken9 wird nicht mehr nur einseitig dem Wirklichen aufgedrängt, sondern dieses stimmt zugleich wahrhaftig mit seiner logischen Grundlage als Denken überein. Auf diese Weise befreit sich die Wissenschaft der Logik vom Dogmatismus. Folglich orientieren sich alle theoretischen Bemühungen der Begriffslogik als des letzten Teils der Wissenschaft der Logik in der Tat an der Argumentation für die logische Isomorphie des Denkens und des Wirklichen. Diese These macht also die Kernthese der Begriffslogik aus. b) Was die Geschichte der Philosophie betrifft, so wird der nach wie vor nicht überwundene Subjekt-Objekt-Dualismus durch die logische Isomorphie des Denkens und des Wirklichen in überzeugender Manier überwunden. Denn die These »die logische Isomorphie des Denkens und des Wirklichen« deutet an, dass dem gesuchten Monismus weder das Denken (qua Subjekt) noch das Wirkliche (qua Objekt), sondern ihre einheitliche logische Struktur – die ›Struktur‹ in ihrer logischen ›Isomorphie‹ (›Strukturgleichheit‹) – zugrunde liegt. Gerade in Ansehung dessen, dass das Denken (qua Subjekt) und das Wirkliche (qua Objekt) ein und dieselbe logische Struktur haben, erreichen sie beide die wahre Identität. c) Was die Philosophie selbst als Disziplin betrifft, so stellt die logische Isomorphie des Denkens und des Wirklichen die nähere Entwicklung der in Abschnitt 0.1 erklärten logischen Form als der sich bewegenden Sich-auf-sichBeziehung dar. In diesem Entwicklungsprozess werden die Kernbegriffe der Philosophie – Denken und Existenz sowie Kognition und Praxis – in die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung integriert. Das Resultat ist die Einsicht, dass und wie Hegel die Philosophie als Disziplin zu einem logischen Kulminationspunkt bringt. d) Was die gegenwärtigen Forschungen der Begriffslogik betrifft, so wird die logische Isomorphie des Denkens und des Wirklichen (bzw. des Seins) zwar als Kernthese der Begriffslogik anerkannt, sorgt aber in der Forschung für permanenten interpretatorischen Zündstoff. Dies ist deshalb der Fall, weil in der Forschungsliteratur die Glieder der Begriffslogik nicht auf die einheitliche logische Struktur als sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung, welche 9

Die logische Grundlage als Denken ist eben das begreifende Denken, welches der in Abschnitt 0.1 erwähnten Tätigkeit des Reflektierens bzw. dem verbalen ›Reflektieren‹ äquivalent ist. Dies werde ich in Kapitel 1. ausführlich erklären.

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den Ausgangs- und Angelpunkt der Begriffslogik ausmacht (vgl. Abschnitt 0.1), zurückgeführt werden und ein Vergleich der inneren logischen Struktur des Denkens und des Wirklichen vor dem Hintergrund der sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung nicht stattfindet. Unter diesen Umständen fällt es schwer, die logische Isomorphie (Strukturgleichheit) des Denkens und des Wirklichen präzise zu begründen. Ein Kernanliegen meiner Untersuchungen besteht darin, dieses Desiderat zu schließen. Um die logische Isomorphie des Denkens und des Wirklichen – die Kernthese der Begriffslogik und der Dreh- und Angelpunkt dieser Untersuchung – präzise zu begründen, muss die Begriffslogik systematisch rekonstruiert werden. Der Schwerpunkt meiner Rekonstruktion besteht gerade darin, alle Glieder der Begriffslogik – z. B. den Notwendigkeitsschluss, die Teleologie, das Leben usw. – auf die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung zurückzuführen bzw. sie in der Form der sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung zu rekonstruieren. Durch eine solche Rekonstruktion können wir aus der Begriffslogik drei verschiedene selbstbezügliche logische Modelle – das Kognitions-, das Praxis- und das Aktivitätsmodell – abstrahieren. Diese drei selbstbezüglichen logischen Modelle drücken zwei verschiedene Weisen aus, die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung zu bilden: die kognitive Weise  – das Kognitionsmodell  – und die praktische Weise – das Praxis- und Aktivitätsmodell (bzw. das aktive Praxismodell). Alle Glieder der Begriffslogik können diesen drei selbstbezüglichen logischen Modellen zugeordnet werden, wie sie in der folgenden Tabelle zusam­mengetragen stehen: Begriffslogik

(Prä-Kognition)

Kognitionsmodell

Subjektivität

a) Daseinsurteil b) Reflexionsurteil

a) Begriff Begriffsurteil b) Notwendigkeitsurteil

Objektivität

Mechanismus: Mechanismus: a) Der formelle Mechanismus Der absolute

Idee

b) Der reale Mechanismus

Mechanismus

Die Idee des Wahren: a) Das analytische Erkennen

Die Idee des Wahren: Lehrsatz

b) Definition c) Einteilung

Praxismodell

Aktivitätsmodell Schlusslehre

Chemismus

Teleologie

a) Leben b) Die Idee des

Die absolute Idee

Guten

Aus dieser Tabelle wird ersichtlich, dass sich die Begriffslogik nicht nur einfach in die senkrechte Richtung von der Subjektivität über die Objektivität bis hin zur Idee entwickelt, sondern sich jeder Abschnitt der Begriffslogik – die Subjektivität, die Objektivität und die Idee – auch in die waagereche Richtung durch

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das Kognitions-, das Praxis- und das Aktivitätsmodell hindurchzieht. Auf diese Weise werden mehr logische Ebenen der Begriffslogik sichtbar. Ich bezeichne diejenigen Glieder in der Begriffslogik als »Prä-Kognition«, welche noch nicht die Sich-auf-sich-Beziehung ausgebildet haben. Meiner Lesart nach sind a) die Subjektivität, b) die Objektivität und c) die Idee  – was ihre jeweilige logische Funktion in der Begriffslogik betrifft – als a) die Darstellung des Kognitionsmodells, b) die Konzeption des aktiven Praxismodells (des Praxis- und Aktivitätsmodells) und c) die Realisierung der Konzeption des aktiven Praxismodells aufzufassen. Vorm Hintergrund eines solchen argumentativen Grundgerüstes wird die Kernthese der Begriffslogik – die logische Isomorphie des Denkens und des Wirklichen – detailliert begründet. Grob zusammengefasst, lässt sich die Entwicklung der Begriffslogik wie folgt beschreiben: a) Das Denken als Subjektivität, und zwar als Begriff, ist dem Kognitionsmodell äquivalent. b) Das Wirkliche soll nach der Objektivität, und zwar nach dem Chemismus und der Teleologie, sich selbst zum aktiven Praxismodell entfalten. c) Dieses aus dem Wirklichen selbst entfaltete aktive Praxismodell wird auf der Stufe der Idee wahrhaftig als das Leben in der absoluten Idee realisiert. Da das Kognitionsmodell und das aktive Praxismodell, wie eben erwähnt, zwei verschiedene Weisen, die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung zu bilden, ausdrücken, ist jedes von beiden, das das Kognitionsmodell ausmachende Denken und das wahrhaftig sich selbst zum aktiven Praxismodell entfaltende Wirkliche (das Leben in der absoluten Idee), eine sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung, also sind das Denken und das Wirkliche logisch isomorph. Im Verlauf meiner schrittweisen Argumentation, welche sich auf die Rekonstruktion der Begriffslogik in der obigen Tabelle gründet, werde ich Hegels Darstellungsreihenfolge der Begriffslogik abändern, um meine Argumentation effizienter, prägnanter und flüssiger zu gestalten. Denn da sich jeder Abschnitt der Begriffslogik – Subjektivität, Objektivität und Idee – durch das Kognitions-, das Praxis- und das Aktivitätsmodell hindurchzieht (vgl. Tabelle oben), wird in der Begriffslogik ein und dasselbe logische Modell dreimal beschrieben; jedoch ist die innere Struktur eines logischen Modells nicht abhängig davon, auf welchen Kontext es angewendet wird oder welcher Inhalt ihm gegeben wird. Ich werde in Kapitel 1. dieser Untersuchung das Kognitionsmodell – die Subjektivität als Begriff – analysieren und anschließend den Lehrsatz als Idee des Wahren explizieren, um den logischen Mangel des Kognitionsmodells aufzuklären. In Kapitel 2. werde ich mich mit der Objektivität als Konzeption des aktiven Praxismodells auseinandersetzen. In diesem Kontext werde ich den Mechanismus nur in einem Exkurs behandeln, weil er streng genommen kein Praxismodell, sondern eine elaborierte Spielart des Kognitionsmodells darstellt. Nachdem ich den das Praxismodell darstellenden Chemismus analysiert habe, werde ich anschließend die Idee des Guten explizieren, um den logischen Mangel des Praxismodells auf-

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Einleitung

zuklären. Erst dann werde ich mich der Teleologie als dem Aktivitätsmodell zuwenden. In Kapitel 3. werde ich die Realisierung der Konzeption des aktiven Praxismodells abhandeln. Im Fokus der Diskussion stehen das Leben als unmittelbare Idee und die absolute Idee. Da die Idee des Wahren in Kapitel 1. und die Idee des Guten in Kapitel 2. erörtert worden ist, sind sie kein Thema des Kapitels 3. Auch weiche ich bei der Urteils- und Schlusslehre von der textuell-faktischen Einteilung der Begriffslogik ab. Denn sie beide befinden sich zwar in der Lehre von der Subjektivität, welche das Kognitionsmodell schildert, aber sie gehen in der Tat bereits über das Kognitionsmodell hinaus und können daher erst mithilfe des aktiven Praxismodells, welches die Objektivität und die Idee thematisieren, verdeutlicht werden. Aus diesem Grund werde ich erst in Kapitel 4. die Urteils- und Schlusslehre erläutern. Meine de re spezifizierte Darstellungsreihenfolge der Begriffslogik lässt sich durch die folgende Tabelle mit der Darstellungsreihenfolge Hegels vergleichen, wobei die Prä-Kognition vernachlässigt werden kann: Meine Darstellungsreihenfolge der Begriffslogik

Hegels Darstellungsreihenfolge der Begriffslogik

Kapitel 1. Kognitionsmodell a) Begriff (K) b) Lehrsatz als die Idee des Wahren (K)

Abschnitt 1. Die Subjektivität a) Begriff (K) b) Notwendigkeitsurteil (K) c) Begriffsurteil (P) d) Schlusslehre (A)

Kapitel 2. Konzeption des aktiven ­Praxis­modells a) Der absolute Mechanismus* (K, Exkurs) b) Chemismus (P) c) Die Idee des Guten (P) d) Teleologie (A)

Abschnitt 2. Die Objektivität a) Der absolute Mechanismus (K) b) Chemismus (P) c) Teleologie (A)

Kapitel 3. Realisierung des aktiven ­Praxismodells a) Das Leben (P) b) Die absolute Idee (A)

Abschnitt 3. Die Idee a) Das Leben (P) b) Lehrsatz als die Idee des Wahren (K) c) Die Idee des Guten (P) d) Die absolute Idee (A)

Kapitel 4. Zusammenfassung der ganzen ­Begriffslogik a) Notwendigkeitsurteil (K) b) Begriffsurteil (P) c) Schlusslehre (A)

(K: Kognitionsmodell, P: Praxismodell, A: Aktivitätsmodell)

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Einleitung

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Der hier vorgelegte Interpretationsansatz folgt mithin einem freien Rekonstruktionsversuch, welcher über die faktische Gliederung hinausgehen darf, ohne sich aber darum von den im Text verhandelten Thesen distanzieren zu müssen.10 Ob und, wenn ja, inwiefern Hegels eigene Darstellungsreihenfolge in der Begriffslogik überzeugend sein kann (oder ob alternative Darstellungsweisen treffender wären), sind für meinen Rekonstruktionsversuch nachgestellte Fragen, welche sich nur im Anschluss einer Klärung von Sachfragen zufriedenstellend beantworten lassen, welche aber kein Diskussionsthema der folgenden Ausführungen sein werden.

10

Für eine ausführliche Gegenüberstellung unterschiedlicher Interpretationsansätze vgl. Martin 2012, S. 23–25 und Oswald 2020, S. 13 f.

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Kapitel 1 · Kognitionsmodell Die formelle Einheit zwischen dem Denken und dem Wirklichen in der Subjektivität

W  

ie in Abschnitt 0.2 erwähnt, bildet sich in der Begriffslogik die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung sowohl auf der kognitiven Seite (in Form des Kognitionsmodells) als auch auf der praktischen Seite (in Form des aktiven Praxismodells). Zunächst manifestiert sie sich als Kognitionsmodell. Das Kogni­ tionsmodell ist eben die in Abschnitt 0.1 kommentierte »sich bewegende Sichauf-sich-Beziehung«. Das eine »Sich« drückt das Wesen bzw. das Reflexion (die abstrakte logische Grundlage) aus, während das andere »Sich« das Wirkliche ausdrückt. Die ›sich bewegende Beziehung‹ selbst drückt die Tätigkeit des Reflektierens bzw. das verbale ›Reflektieren‹ (die wahre logische Grundlage) aus. Im Kontext der Begriffslogik ist das ›Reflektieren‹ dem ›Begreifen‹ bzw. ›dem begreifenden Denken‹ äquivalent, während das ›Wesen‹ bzw. die ›Reflexion‹ ›dem abstrakten Begriff‹ – einem durch das begreifende Denken Gesetzten – äquivalent ist.1 Hiernach ist im Kontext der Begriffslogik die sich bewegende Sich-aufsich-Beziehung als Kognitionsmodell wie folgt zu kommentieren:

die sich bewegende Sich – auf – sich – Beziehung der abstrakte Begriff das Wirkliche (die abstrakte logische Grundlage) das begreifende Denken (die wahre logische Grundlage)

Da das begreifende Denken als ›sich bewegende Beziehung‹ sich aktiv durch sich selbst antreibt und daher von keinem Äußerlichen gehindert wird, nennt Hegel es »das absolut unendliche, unbedingte und freye«2. Im Kognitionsmodell als sich bewegender Sich-auf-sich-Beziehung können der Verstand und die Vernunft logisch keinesfalls voneinander getrennt werden.3 Der Verstand stellt ›Reflexion‹ ist das substantivierte ›Reflektieren‹; dementsprechend ist ›Begriff‹ das substantivierte ›Begreifen‹. 2 GW 12, 33. 3 Vgl.: »Es ist daher in jeder Rücksicht zu verwerfen, Verstand und die Vernunft so, wie gewöhnlich geschieht, zu trennen. Wenn der Begriff als vernunftlos betrachtet wird, so muß es 1

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Kapitel 1

die Sich-auf-sich-Beziehung als substantivierte Seite des Kognitionsmodells dar, während die Vernunft das Sich-auf-sich-Beziehen als verbalisierte Seite desselben darstellt. Weil die substantivierte und die verbalisierte Seite des Kognitionsmodells logisch schlechthin ein und dasselbe sind, sind der Verstand und die Vernunft auch schlechthin ein und dasselbe; sie betonen nur verschiedene Seiten ein und desselben Kognitionsmodells. In der Untersuchung der Begriffslogik ist auf eine sprachliche Besonderheit des Kompositums »Begriffslogik« hinzuweisen: Hier bezeichnet der »Begriff« die Tätigkeit des Begreifens, sodass »Begriff« synonym für die Substantivierung des Verbs »Begreifen« steht. In diesem Sinne steht die Begriffslogik synonym für die Logik des Begreifens selbst.4 Was die logische Form betrifft, so stellt der Begriff als Begreifen (bzw. als begreifendes Denken) das verbale ›Sich-auf-sich-­ Beziehen‹ bzw. die ganze sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung selbst dar. Im Vergleich zum Begriff als Begreifen machen die einzelnen Begriffe  – z. B. der Begriff des Hauses, der des Menschen usw. – nur ein Moment in ihm, und zwar ein »Sich« in der sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung als Kognitions­ modell, aus. Nach den obigen Kommentaren zum Kognitionsmodell spielen die eben erwähnten einzelnen Begriffe nur die Rolle des abstrakten Begriffs. Um zu vermeiden, den Begriff als Begreifen, und zwar als sich bewegende Sich-aufsich-Beziehung selbst, mit dem abstrakten Begriff als einem Sich in dieser sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung zu verwechseln, werde ich im Folgenden direkt mit dem Ausdruck »Begreifen« oder »begreifendes Denken« den Begriff, welcher »die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung« bedeutet, bezeichnen. In folgenden Abschnitten werde ich mich mit der inneren logischen Struktur des das begreifende Denken repräsentierenden Kognitionsmodells sowie dem logischen Mangel dieses Modells auseinandersetzen. 1.1 Drei Begriffsmomente des Kognitionsmodells Bei näherer Betrachtung des das begreifende Denken repräsentierenden Kognitionsmodells stellt sich heraus, dass dieses als sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung drei Begriffsmomente enthält – zweimal das reflexive »Sich«/»sich« und einmal das zwischen beiden liegende »auf«. Diese beiden »Sich«/»sich« spielen vielmehr als eine Unfähigkeit der Vernunft betrachtet werden, sich in ihm zu erkennen. Der bestimmte und abstracte Begriff ist die Bedingung, oder vielmehr wesentliches Moment der Vernunft; er ist begeistete Form, in welcher das Endliche durch die Allgemeinheit, in der es sich auf sich bezieht, sich in sich entzündet, als dialektisch gesetzt und hiemit der Anfang selbst der Erscheinung der Vernunft ist.« (GW 12, 43) 4 Dementsprechend sollte die englische Übersetzung des »Begriffs« in der »Begriffslogik« nicht einfach »concept« oder »notion«, sondern »understanding« oder »comprehending« heißen.

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Kognitionsmodell

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die Rolle des Allgemeinen (A) und die Rolle des Einzelnen (E), während dieses »auf« die Rolle des Besonderen (B) spielt. Das »Sich« als Allgemeines ist nur ein abstrakt Allgemeines (Aa), weil die anderen zwei Begriffsmomente ihm zwar an sich inhärieren, aber logisch von ihm noch nicht entwickelt wurden.5 Das allgemeine »Sich« als abstrakt Allgemeines drückt gerade den durch das begreifende Denken gesetzten abstrakten Begriff (die abstrakte logische Grundlage) aus.6 Der abstrakte Begriff als allgemeines »Sich« ist kein bloßer Name, weil die anderen zwei Begriffsmomente, wie eben erwähnt, dem allgemeinen »Sich« an sich inhärieren. Im Vergleich zum allgemeinen »Sich« als abstrakt Allgemeinem ist die sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung selbst (bzw. das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹), in welche alle drei Begriffsmomente integriert werden, das wahrhaftig Allgemeine (Aw).7 Dieses wahrhaftig Allgemeine ist eben das begreifende Denken (die wahre logische Grundlage).8 Das »sich« als Einzelnes drückt das Wirkliche aus, in welchem der durch das begreifende Denken gesetzte abstrakte Begriff (Aa) als auch das begreifende Denken selbst (Aw) realisiert werden. Deswegen ist das Wirkliche an der Stelle des einzelnen »sich« als ein Begriffenes strenggenommen das Wirkliche, welches sich uns in seiner Allgemeinheit darstellt (vgl. Abschnitt 0.1), und zwar das Wirkliche, welches sich in jeder Situation befindet. Denn dass ein Wirkliches begriffen wird, bedeutet eben, dass es für das begreifende Denken in jeder Situa­ tion mit derselben Bestimmtheit übereinstimmt, ohne dass in der Empirie alle Situationen überprüft worden sind. Hiernach ist das einzelne »sich« in der Tat als »das Wirklichein jeder Situation« zu bezeichnen. (Die Phrase »in jeder Situation« ist deshalb tiefgestellt, weil im Rahmen des Kognitionsmodells das Wirkliche noch nicht wahrhaftig, sondern nur im begreifenden Denken verallgemeinert wird. Dies werde ich im folgenden Abschnitt 1.4 ausführlich explizieren.) »Selbst das abstracte Allgemeine als solches, im Begriffe, d. i. nach seiner Wahrheit betrachtet, ist nicht nur das Einfache, sondern als Abstractes ist es schon gesetzt als mit einer Negation behaftet. Es gibt deswegen auch, es sey in der Wirklichkeit oder im Gedanken, kein so Einfaches und so Abstractes, wie man es sich gewöhnlich vorstellt. Solches Einfache ist eine blosse Meynung.« (GW 12, 240) 6 »Das Abstract-Allgemeine ist somit zwar der Begriff, aber als Begriffloses, als Begriff, der nicht als solcher [sc. nicht als die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung] gesetzt ist.« (GW 12, 40) Vgl. auch: »Es [sc. das Allgemeine] kann von dem Inhalte wohl abstrahirt werden; so erhält man aber nicht das Allgemeine des Begriffs, sondern das Abstracte, welches ein isolirtes, unvollkommenes Moment des Begriffes ist, und keine Wahrheit hat.« (GW 12, 35) 7 »Das wahrhafte, unendliche Allgemeine [ist] […] unmittelbar eben so sehr Besonderheit als Einzelnheit in sich. […]; es ist schöpferische Macht, als die absolute Negativität, die sich auf sich selbst bezieht. Es ist als solche das Unterscheiden in sich, und dieses ist Bestimmen, dadurch, daß das Unterscheiden mit der Allgemeinheit eins ist. Somit ist es ein Setzen der Unterschiede selbst als allgemeiner, sich auf sich beziehender.« (GW 12, 36) 8 In diesem Sinne ist der Begriff (bzw. das begreifende Denken) nicht »im logischen Raum«, sondern »als logische[r] Raum« (vgl. Koch 2014, S. 176). 5

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Das Besondere dient als die Vermittlung zwischen dem allgemeinen »Sich« als abstraktem Begriff und dem einzelnen »sich« als »dem Wirklichenin jeder Situation«, weshalb es dem »auf« zwischen diesen beiden »Sich«/»sich« äquivalent ist. Das Besondere schildert einerseits die wesentliche Bestimmtheit, welche das begreifende Denken dem abstrakten Begriff (Aa) gibt. Genauer gesagt: Das Besondere schildert, wie ein abstrakter Begriff (Aa) logisch im unter ihm stehenden Wirklichen wirkt bzw. was die logische Funktionsweise eines abstrakten Begriffs (Aa) im unter ihm stehenden Wirklichen ist. Andererseits ist das Besondere zugleich die Darstellung »des Wirklichenin jeder Situation« (E), und zwar die Darstellung der Bestimmtheit, mit welcher das unter einem abstrakten Begriff stehende Wirkliche (E) für das begreifende Denken in jeder Situation übereinstimmt. Mit anderen Worten: Das Besondere stellt dar, wie das Wirkliche (E), welches unter einem abstrakten Begriff steht, im begreifenden Denken verallgemeinert wird. Die Weise, wie das Wirkliche (E), welches unter einem abstrakten Begriff steht, verallgemeinert wird, ist in der Tat eben die Weise, wie dieser abstrakte Begriff (Aa) logisch in einem unter ihm stehenden Wirklichen wirkt. Gerade in diesem Sinne werden das allgemeine »Sich« als abstrakter Begriff und das einzelne »sich« als »das Wirklichein jeder Situation« durch das Besondere als Vermittlung logisch miteinander verbunden. Beim Besonderen ist Folgendes insbesondere zu betonen: Das das begreifende Denken repräsentierende Kognitionsmodell besagt nicht, dass das Wirkliche nach irgendeinem empirischen Kriterium unter einen abstrakten Begriff subsumiert wird. Vielmehr besagt es, dass das Wirkliche, welches bereits unter einem abstrakten Begriff steht, durch dessen logische Funktionsweise verallgemeinert wird. Aus diesem Grund darf das Besondere – ein Begriffsmoment – nicht als irgendein empirisches Kriterium, nach welchem das Wirkliche unter einen abstrakten Begriff subsumiert wird, aufgefasst w ­ erden. Außerdem ist Folgendes zu beachten: In Ansehung dessen, dass, wie oben erwähnt, die wesentliche Bestimmtheit (B) des abstrakten Begriffs (Aa) bzw. dessen logische Funktionsweise (B) durch das begreifende Denken bestimmt und das Wirkliche (E) auch im begreifenden Denken verallgemeinert wird, ist im Kognitionsmodell die Vermittlung ebenso wie die logische Grundlage in zwei Stufen zu teilen. Das Besondere ist die Vermittlung erster Stufe, nämlich die formelle Vermittlung, während das begreifende Denken selbst als sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw), welche das allgemeine »Sich« und das einzelne »sich« mit dem Besonderen als formeller Vermittlung verbindet, die wahre Vermittlung bzw. die Vermittlung zweiter Stufe ist. Um deutlicher die Bedeutung des Besonderen, nämlich die Bedeutung der logischen Funktionsweise des abstrakten Begriffs, zu erklären, führe ich zwei Beispiele an. Beispiel 1): Im Kognitionsmodell kann das allgemeine »Sich« den abstrakten Begriff »Wasser« ausdrücken; dementsprechend drückt das einzelne »sich« das wirkliche Wasser aus, welches verallgemeinert wird. Mit anderen

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Kognitionsmodell



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Wort: Das einzelne »sich« drückt »das wirkliche Wasserin jeder Situation« aus. Die durch das begreifende Denken (Aw) bestimmte logische Funktionsweise (B) des abstrakten Begriffs »Wasser« (Aa) kann darin bestehen, dass sich das wirkliche Wasser (E) aufgrund dieses Begriffs (Aa) so darstellt, dass es in jeder Situation aus zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom besteht. Deswegen besteht das wirkliche Wasser (E), da dieses als Wirkliches unter dem abstrakten Begriff »Wasser« (Aa) steht, für das begreifende Denken in jeder Situation aus zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom (B). Das wirkliche Wasser (E) wird also verallgemeinert. Aus dem Ausdruck der logischen Funktionsweise (B) des abstrakten Begriffs »Wasser« geht hervor, dass sie sowohl die Weise ist, wie der abstrakte Begriff »Wasser« (Aa) logisch im wirklichen Wasser wirkt, als auch die Weise, wie das wirkliche Wasser (E) verallgemeinert wird. Gerade in diesem Sinne werden der abstrakte Begriff »Wasser« (Aa) und das wirkliche Wasser (E) im Ausdruck »in jeder Situation aus zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom bestehen« (B) verbunden. Dieser Ausdruck der logischen Funktionsweise (B) des abstrakten Begriffs »Wasser« kann auch von einem anderen Gesichtspunkt aus verstanden werden: Er enthält in Hinsicht auf die Form zwei Teile – die Phrase »in jeder Situation« qua Formulierung des abstrakt Allgemeinen und die Phrase »aus zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom bestehen« qua Darstellung des wirklichen Wassers als des Einzelnen. Gerade in Anbetracht dieser zwei Teile werden das abstrakt Allgemeine und das Einzelne durch das Besondere verbunden. Bei diesem Beispiel über das Wasser ist noch Folgendes zu beachten: Die Aussage, dass das wirkliche Wasser in der Empirie mehrmals (z. B. durch chemische Experimente) als aus zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom zusammengesetzt nachgewiesen wurde, drückt die logische Funktionsweise (B) des abstrakten Begriffs »Wasser« (Aa) nicht aus. Denn in dieser Aussage wird das wirkliche Wasser nicht verallgemeinert. Genauer gesagt, drückt diese Aussage kein abstrakt Allgemeines aus, sondern stellt nur einseitig das wirkliche Wasser als Einzelnes heraus. Faktisch drückt diese Aussage nichts anderes als das empirische Kriterium aus, nach welchem ein Wirkliches unter das Wasser subsumiert wird; ein solches empirische Kriterium betrifft nicht das Verallgemeinern des Wirklichen. Der obigen Analyse der logischen Funktionsweise (B) des abstrakten Begriffs (Aa) zufolge macht die Phrase »in jeder Situation« ihren Schwerpunkt aus. Beispiel 2): Im Kognitionsmodell kann das allgemeine »Sich« als abstrakter Begriff auch die im ontologischen Sinne ausgesagte Substanz9 sein. Dementsprechend drückt das einzelne »sich« das Wirkliche als Realisierung der ontologischen Substanz aus, welches verallgemeinert wird. Die logische Funktionsweise 9

Vgl. Abschnitt 2.1.1.

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(B) der ontologischen Substanz (Aa) kann darin bestehen, dass sich das Wirkliche (E) als ihre Realisierung so darstellt, dass es trotz Änderung seiner Eigenschaften die Identität mit sich selbst in jeder Situation bewahrt. Deswegen ist das Wirkliche (E) für das begreifende Denken in jeder Situation identisch mit sich selbst, auch wenn sich seine Eigenschaften geändert haben (vgl. Tabelle in Abschnitt 0.1). Zusammenfassend lässt sich die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung als Kognitionsmodell wie folgt kommentieren: seine logische Funktionsweise (die formelle Vermittlung)

die sich bewegende Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung (Aw) der abstrakte Begriff das Wirklichein jeder Situation (die abstrakte logische Grundlage) das begreifende Denken (die wahre logische Grundlage u. die wahre Vermittlung)

Das Kognitionsmodell besagt, dass das begreifende Denken (Aw) den abstrakten Begriff (Aa) durch dessen logische Funktionsweise (B) im unter dem abstrakten Begriff stehenden Wirklichen (E) realisiert und auf diese Weise das Wirkliche (E) im begreifenden Denken (Aw) verallgemeinert wird. In einem solchen Prozess ist jedes der drei Begriffsmomente gegenüber den anderen beiden nicht selbstständig; denn solange ein beliebiges Begriffsmoment artikuliert wird, inhärieren diesem die anderen zwei. Mit Hegels Worten: »Das Allgemeine ist das mit sich Identische ausdrücklich in der Bedeutung, daß in ihm zugleich das Besondere und Einzelne enthalten sey. Ferner ist das Besondere das Unterschiedene oder die Bestimmtheit, aber in der Bedeutung, daß es allgemein in sich und als Einzelnes sey. Ebenso hat das Einzelne die Bedeutung, daß es Subject, Grundlage sey, welche die Gattung [sc. das Allgemeine] und Art [sc. das Besondere] in sich enthalte und selbst substantiell sey.«10

Hegels These ist, dass »jedes Moment des Begriffs […] selbst der ganze Begriff [ist]«11. Nur in der philosophischen Reflexion unterscheiden wir drei Begriffs­ Enzy., § 164 (GW 20, 180). Vgl. auch: »Es fällt von selbst auf, daß jede Bestimmung [sc. Allgemeines, Besonderes oder Einzelnes], die in der bisherigen Exposition des Begriffs gemacht worden [ist], sich unmittelbar aufgelöst und in ihre andere verloren hat.« (GW 12, 50) 11 Enzy., § 163 (GW 20, 179). Vgl. auch: »Da dieses [Gesetztsein als Begriffsmoment] in dem 10

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Kognitionsmodell



momente voneinander; im alltäglichen Kontext sind diese schlechthin eins. Nach dem obigen Zitat und der ihm folgenden Anmerkung kann das Kognitions­ modell durch das folgende Diagramm übersichtlich dargestellt werden: B »auf« (seine logische Funktionsweise)

Aa »Sich« (abstrakter Begriff) Aw »Beziehung« begreifendes Denken K

E »sich« (das Wirklichein jeder Situation)

(K: Kognitionsmodell)

Wie dem Diagramm abzulesen ist, stehen an den drei Eckpunkten des Dreiecks drei Begriffsmomente: das »Sich« als (abstrakt) Allgemeines, das »sich« als Einzelnes und das »auf« als Besonderes. Diese drei werden durch eine Linie verbunden. Diese Linie drückt die »Beziehung« in der »sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw)« aus. Die Pfeile auf der Linie zeigen das Sich-Bewegen dieser »Beziehung« auf. Sie bedeuten, dass die substantivische ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung‹ mit dem verbalen ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ fusioniert. Das ganze Dreieck (mit seinen drei Eckpunkten qua drei Begriffsmomente, der sie verbindenden Linie qua »Beziehung« in der »sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung« und den Pfeilen qua Sich-Bewegen dieser »Beziehung« bzw. verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹) drückt das begreifende Denken selbst aus (vgl. Mitte). Im anschließenden Abschnitt 1.2 werde ich durch die Allgemeinheit, die Besonderheit und die Einzelheit die innere Bewegung des Kognitionsmodells selbst eingehend explizieren. Strenggenommen betonen »Allgemeines«, »Besonder-es« und »Einzeln-es« nach meiner Lesart die Begriffsmomente selbst, während »Allgemein-heit«, »Besonder-heit« und »Einzel-heit« die Bewegung zwischen den Begriffsmomenten hervorheben.

Begriffe identisch mit dem An- und Für-sichseyn ist, so ist jedes jener Momente so sehr ganzer Begriff, als bestimmter Begriff, und als eine Bestimmung des Begriffs.« (GW 12, 32) Vgl.: »The one moment, thinking, is itself dual, but not to be understood as the duality of thinking and its objects.« (Pippin 2018, S. 304)

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1.2 Die Bewegung zwischen drei Begriffsmomenten Im Kognitionsmodell als sich bewegender Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) wird die unmittelbare Einheit zwischen dem abstrakt Allgemeinen (dem abstrakten Begriff) und dem Einzelnen (dem unter dem abstrakten Begriff stehenden Wirklichen) als »Allgemeinheit« bezeichnet. Die Allgemeinheit stellt daher das reine Verallgemeinern des Einzelnen dar. Jedoch reicht die bloße Allgemeinheit für die Darstellung des Kognitionsmodells nicht aus, weil, wie in Abschnitt 1.1 erklärt, logisch das abstrakt Allgemeine und das Einzelne durch das Besondere als Vermittlung miteinander verbunden werden. Das Besondere stellt dar, wie das Einzelne verallgemeinert wird. Deswegen inhäriert der Allgemeinheit, nämlich der unmittelbaren Einheit des abstrakt Allgemeinen und des Einzelnen, faktisch eine ursprüngliche gedoppelte Negation: Das abstrakt Allgemeine muss sich zunächst dem Besonderen als Vermittlung zuwenden. Dies ist die erste Negation. Dann wirkt das Besondere als Vermittlung im Einzelnen. Dies ist die zweite Negation. Mit Hegels Worten: »Der Begriff ist daher zuerst so die absolute Identität mit sich, daß sie diß nur ist, als die Negation der Negation, oder als die unendliche Einheit der Negativität mit sich selbst. Diese reine Beziehung des Begriffs auf sich, welche dadurch diese Beziehung ist, als durch die Negativität sich setzend, ist die Allgemeinheit des Begriffs.«12

Eine solche der Allgemeinheit inhärierende gedoppelte Negation wird durch die Besonderheit (die erste Negation) und die Einzelheit (die zweite Negation) ­näher dargelegt werden. »Es kann […] von dem Allgemeinen nicht ohne die Bestimmtheit, welche näher die Besonderheit und Einzelnheit ist, gesprochen werden; denn es enthält sie in seiner absoluten Negativität an und für sich.«13 Die Besonderheit als die der Allgemeinheit inhärierende erste Negation besagt, dass das begreifende Denken als wahrhaftig Allgemeines das abstrakt Allgemeine (den abstrakten Begriff) antreibt, sich als das Besondere (die logische Funktionsweise des abstrakten Begriffs) zu bestimmen bzw. sich im Besonderen aufzuheben. GW 12, 33. Vgl. auch: »Es ist aber gerade die Natur des Allgemeinen, ein solches Einfaches zu seyn, welches durch die absolute Negativität den höchsten Unterschied und Bestimmtheit in sich enthält.« (GW 12, 33) Vgl.: Der Begriff ist die »Einheit der Selbstbezüglichkeit und der Negativität« (Iber 2003, S. 62). 13 GW 12, 35. 12

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Bei Hegel kann ein solcher Prozess der Besonderheit als der einer Teilung der Gattung in zwei verschiedene logische Arten betrachtet werden. Das abstrakt Allgemeine spielt die Rolle der Gattung, während die beiden logischen Arten, in welche es als Gattung durch das begreifende Denken geteilt wird, dieses abstrakt Allgemeine selbst und das Besondere sind.14 Hiernach ist der Prozess der Besonderheit wie folgt aufzufassen: Das begreifende Denken treibt das abstrakt Allgemeine als Gattung an, sich (die eine Art) als das Besondere (die andere Art) zu bestimmen bzw. sich (die eine Art) im Besonderen (die andere Art) aufzuheben. Was in dieser Form der Konkretion des begreifenden Denkens gedacht wird, ist die Entstehung der Besonderheit der »Doppelschein«15. Das Besondere ist einerseits der Schein-nach-außen des abstrakt Allgemeinen bzw. dessen Reflexion-inAnderes,16 weil das abstrakt Allgemeine und das Besondere zwei verschiedene logische Arten ausmachen. Dasselbe Besondere ist andererseits zugleich der Schein-nach-innen des abstrakt Allgemeinen bzw. dessen Reflexion-in-sich,17 weil das Besondere nichts anderes als dasjenige ist, in welchem das abstrakt Allgemeine als Gattung durch das begreifende Denken aufgehoben wird. Mit anderen Worten: Das abstrakt Allgemeine und das Besondere sind an sich ein und dasselbe. Dazu sagt Hegel: »Das Besondre ist das Allgemeine selbst, aber es [sc. das Besondere] ist dessen [sc. des Allgemeinen] Unterschied oder Beziehung auf ein Anderes, sein [sc. des Allgemeinen] Scheinen nach Aussen, es ist aber kein Anderes vorhanden, wovon das Besondere unterschieden wäre, als das Allgemeine selbst. […] Das Allgemeine als der Begriff, ist es selbst und sein Gegentheil [sc. das Besondere], was wieder es selbst als seine gesetzte Bestimmtheit ist.«18

»Es [sc. das Allgemeine] ist nur von sich selbst unterschieden. Seine Arten sind daher nur a) das Allgemeine selbst und b) das Besondere.« (GW 12, 38) Vgl. auch: »Das Bestimmte der Besonderheit [ist] vollständig in dem Unterschiede des Allgemeinen und Besondern, und […] nur diese beyde [machen] die besondern Arten aus[…].« (GW 12, 39) 15 GW 12, 35. 16 Vgl. GW 12, 35. 17 Vgl. GW 12, 35. 18 GW 12, 37–38. Vgl. auch: »Es [sc. das Allgemeine] ist ein Verhalten seiner zu dem Unterschiedenen nur als zu sich selbst.« (GW 12, 35) Vgl.: »Sie [sc. die Besonderheit] ist keine Grenze, so daß sie sich zu einem Andern als einem Jenseits ihrer verhielte, vielmehr, wie sich so eben zeigte, das eigene immanente Moment des Allgemeinen; dieses ist daher in der Besonderheit nicht bey einem Andern, sondern schlechthin bey sich selbst.« (GW 12, 37) Vgl. »Es [sc. das Allgemeine] erhält sich darin [sc. in der Bestimmung], und ist positiv mit 14

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Aber egal ob das Besondere der Schein-nach-außen oder der Schein-nach-innen des abstrakt Allgemeinen ist, beide sind ein »Schein«; nur das begreifende Denken selbst, welches das abstrakt Allgemeine antreibt, sich als das Besondere zu bestimmen bzw. sich im Besonderen aufzuheben, ist die Wahrheit. Bei der Besonderheit ist hervorzuheben, dass das Besondere keine empirische, sondern eine logische Art ist. Diese beiden müssen streng voneinander unterschieden werden. Das Besondere als logische Art stellt, wie in Abschnitt 1.1 erklärt, die wesentliche Bestimmtheit bzw. die logische Funktionsweise des abstrakten Begriffs als des abstrakt Allgemeinen dar. Daraus ergibt sich Folgendes: »Sie [sc. die Bestimmtheit als das Besondere] ist der eigne, immanente Charakter, der dadurch ein Wesentliches ist, daß er in die Allgemeinheit aufgenommen und von ihr durchdrungen, von gleichem Umfange, identisch mit ihr sie ebenso durchdringt.«19 »[D]ieses [sc. das Allgemeine] macht insofern eine Sphäre aus, welche das Besondere erschöpfen muß.«20

Im Unterschied dazu ist der logische Umfang einer empirischen Art kleiner als der des abstrakten Begriffs (Aa), unter welchen diese empirische Art subsumiert wird. Z.B. kann eine unter dem abstrakten Begriff »Blume« stehende empirische Art die Rose sein. Aber eine wirkliche Blume ist nicht unbedingt eine Rose. Offenkundig ist der logische Umfang der Rose kleiner als der der Blume. Auch wenn alle aufzählbaren empirischen Arten, welche unter einem abstrakten Begriff (Aa) stehen, eine Menge bildeten, wäre der logische Umfang dieser Menge noch kleiner als der dieses abstrakten Begriffs selbst (Aa), weil wir logisch nicht garantieren könnten, dass außer allen aufzählbaren empirischen Arten keine neue empirische Art mehr entstehen könnte. In diesem Sinne ist die empirische Art – egal ob sie eine bestimmte empirische Art oder die Menge aller aufzählbaren empirischen Arten ist – immer eine akzidentelle Bestimmtheit des abstrakten Begriffs (Aa).21 Deswegen kann die empirische Art keinesfalls das Besondere als Begriffsmoment ausmachen. Da die empirische Art mit der logischen Struktur des begreifenden Denkens nichts zu tun hat, ist die Frage, wie ein abstrakter Begriff (Aa) in der Empirie klassifiziert wird (vgl. »Einteilung« in Abschnitt 1.5), ebenso wie die Frage, nach welchem empirischen Kriterium ein Wirkliches unter irgendeinen abstrakten Begriff (Aa) subsumiert wird (vgl. Abschnitt 1.1), sich identisch. […] Das Allgemeine […], wenn es sich auch in eine Bestimmung setzt, bleibt es darin, was es ist.« (GW 12, 34) 19 GW 12, 36. 20 GW 12, 37. 21 Mit Martins Worten: Das Besondere als empirische Art ist »außer dem Allgemeinen gesetzte und insofern variable oder akzidentelle Bestimmtheit« (Martin 2014, S. 225).

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nicht im Rahmen des das begreifende Denken repräsentierenden Kognitionsmodells zu erörtern. Die Einzelheit als die der Allgemeinheit inhärierende zweite Negation besagt, dass das begreifende Denken als wahrhaftig Allgemeines das Besondere (die logische Funktionsweise des abstrakten Begriffs) im Einzelnen (dem unter dem abstrakten Begriff stehenden Wirklichen) realisiert.22 Hegel bezeichnet die Einzelheit als »das bestimmte Bestimmte«23. Das Sub­ stantiv »Bestimmte« drückt das Besondere als bestimmtes abstrakt Allgemeines aus, während das Adjektiv »bestimmte« das Bestimmen dieses Besonderen als des Bestimmten, nämlich dessen Realisieren im Einzelnen, ausdrückt. Das Realisieren des Besonderen im Einzelnen bedeutet, dass das Einzelne (das unter dem abstrakten Begriff stehende Wirkliche) für das begreifende Denken in jeder Situation mit dem Besonderen (der logischen Funktionsweise des abstrakten Begriffs) übereinstimmt. Gerade auf diese Weise wird das Einzelne im begreifenden Denken verallgemeinert, sodass das abstrakt Allgemeine und das Einzelne eine Einheit bilden. Nun wird die innere Bewegung der sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) als Kognitionsmodell durch die Besonderheit, die Einzelheit und die Allgemeinheit (bzw. durch die Bewegung vom abstrakt Allgemeinen zum Besonderen, die vom Besonderen zum Einzelnen und die vom Einzelnen zum abstrakt Allgemeinen) vollständig geschildert. Es ist darauf hinzuweisen, dass in Ansehung der inneren Bewegung des Kognitionsmodells das einzelne »sich« bzw. »das Wirklichein jeder Situation« von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus aufgefasst werden kann. Einerseits kann »das Wirklichein jeder Situation« (E) als die Konkretion des abstrakt Allgemeinen aufgefasst werden, weil in ihm die logische Funktionsweise (B) des abstrakt Allgemeinen realisiert wird.24 Andererseits kann dasselbe »Wirklichein jeder Situation« (E) zugleich auch als die Abstraktion des Wirklichen aufgefasst werden, weil es bedeutet, dass das Wirkliche für das begreifende Denken in jeder Situation mit dem Besonde »Durch die Einzelnheit, wie er [sc. der abstrakte Begriff] darin in sich ist, wird er ausser sich, und tritt in Wirklichkeit.« (GW 12, 51) Vgl. auch: »Sie [sc. die Allgemeinheit und die Besonderheit] [gehen …] in der Einzelnheit nicht in ein anderes über[], sondern [es ist …] darin nur gesetzt […], was sie an und für sich sind.« (GW 12, 49) Vgl.: »So unmittelbar die Allgemeinheit schon an und für sich selbst Besonderheit ist, so unmittelbar an und für sich ist die Besonderheit auch Einzelnheit.« (GW 12, 43) 23 GW 12, 49. 24 »Als Negation der Negation ist es [sc. das Allgemeine] absolute Bestimmtheit, oder Einzelnheit und Concretion. – Das Allgemeine ist somit die Totalität des Begriffes, es ist Concretes, ist nicht ein leeres, sondern hat vielmehr durch seinen Begriff Inhalt; – einen Inhalt, in dem es sich nicht nur erhält, sondern der ihm eigen und immanent ist.« (GW 12, 35) 22

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ren übereinstimmt. Auf diese Weise wird das Wirkliche im begreifenden Denken verallgemeinert, also zum abstrakt Allgemeinen erhoben.25 Zusammenfassend lassen sich die Allgemeinheit und ihre Besonderheit und Einzelheit wie folgt dem das Kognitionsmodell darstellenden Diagramm hinzuzufügen: Aa »Sich« (abstrakter Begriff)

Besonderheit

B »auf« (seine logische Funktionsweise)

Aw »Beziehung« begreifendes Denken K E »sich« (das Wirklichein jeder Situation)

(K: Kognitionsmodell, Pfeile: Aktivität)

1.3 Der logische Mangel des Kognitionsmodells Obwohl das Einzelne als Wirkliches im das begreifende Denken repräsentierenden Kognitionsmodell mittels der logischen Funktionsweise (B) des abstrakten Begriffs (Aa) verallgemeinert wird, hat das Kognitionsmodell einen logischen Mangel. Er besteht darin, dass das Einzelne als Wirkliches nur formell verallgemeinert wird. Anders formuliert: Die Einheit des Einzelnen als des Wirklichen mit dem durch das begreifende Denken gesetzten abstrakten Begriff (Aa) ist nur formell, weshalb die Einheit des Einzelnen als des Wirklichen mit dem begreifenden Denken selbst als wahrhaftig Allgemeinem auch nur formell ist. Um die bloß formelle Einheit zu verdeutlichen, müssen wir im Kognitionsmodell die dialektische Beziehung zwischen dem abstrakt Allgemeinen und dem Einzelnen als Wirklichem von der dialektischen Beziehung zwischen dem abstrakt Allgemeinen und dem Besonderen unterscheiden. 25

»Die Abstraction, welche als die Seele der Einzelnheit die Beziehung des Negativen auf das Negative ist, ist […] dem Allgemeinen und Besondern nichts äusserliches, sondern immanent.« (GW 12, 51) Vgl. auch: »Indem er [sc. der Begriff, nämlich das begreifende Denken] das Einzelne in das Ansichseyn seiner Allgemeinheit zurückführt, [bestimmt er] eben so sehr das Allgemeine als Wirkliches.« (GW 12, 57) In diesem Sinne zeigt »die[] nähere Betrachtung […] das Abstracte selbst [sc. das Einzelne] als Einheit des einzelnen Inhalts, und der abstracten Allgemeinheit, somit als Concretes, als das Gegentheil dessen, was es seyn will« (GW 12, 50).

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Kognitionsmodell

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Das abstrakt Allgemeine und das Besondere befinden sich in ein und derselben Dimension, nämlich in der ideellen, weil das Besondere, welches schildert, wie das abstrakt Allgemeine im Wirklichen logisch wirkt, nichts anderes als die Art und Weise ist, das abstrakt Allgemeine auszudrücken. Gerade in diesem Zustand ist das Besondere das scheinbare Anderssein des abstrakt Allgemeinen; an sich sind diese beiden eben ein und dasselbe (vgl. Abschnitt 1.2). Im Unterschied dazu liegen das abstrakt Allgemeine und das Einzelne in der ideellen und der wirklichen Dimension. Deswegen bilden sie beide im begreifenden Denken zwar eine Sich(Aa)-auf-sich(E)-Beziehung und sind daher nicht voneinander zu unterscheiden, aber an sich ist das in der wirklichen Dimension liegende Einzelne schlechthin vom in der ideellen Dimension liegenden abstrakt Allgemeinen unabhängig – »sie [sc. die Einzelheit] schließt […] das Allgemeine von sich aus«26. Hiernach gibt es immer eine logische Kluft zwischen dem abstrakt Allgemeinen als Ideellem und dem Einzelnen als Wirklichem. Eine solche Kluft wird bei Hegel als »die absolute, ursprüngliche Theilung seiner [sc. des begreifenden Denkens]«27 bezeichnet. Hegel weist auf Folgendes hin: »Es sind noch die zwey Welten im Gegensatze, die eine ein Reich der Subjectivität in den reinen Räumen des durchsichtigen Gedankens [sc. das Reich des ab­ strakt Allgemeinen als Reich des abstrakten Begriffs], die andere ein Reich der Objectivität in dem Elemente einer äusserlich mannichfaltigen Wirklichkeit [sc. das Reich des Einzelnen als Reich des Wirklichen], die ein unaufgeschlossenes Reich der Finsterniß ist.«28

Da an sich das Einzelne als Wirkliches vom abstrakt Allgemeinen (dem durch das begreifende Denken gesetzten abstrakten Begriff) und daher auch vom begreifenden Denken selbst als wahrhaftig Allgemeinem unabhängig ist, geht im Einzelnen als Wirklichem das begreifende Denken verloren. Mit Hegels Worten: »Die Einzelnheit ist […] nicht nur die Rückkehr des Begriffes in sich selbst, GW 12, 52. Schick weist auf Folgendes hin: Das Einzelne ist »das Wirkliche, nicht nur ein gedachtes, ideelles Einzelnes, das [sc. das Wirkliche] der Sphäre des Allgemeinen als selbständig gegenübergesetzt ist« (Schick 2018, S. 482). 27 GW 12, 52. 28 GW 12, 233. Vgl. auch: »Die Allgemeinheit auf diese Einzelnen als gleichgültige [Herv. H.W.] Eins bezogen […], ist sie nur das Gemeinsame derselben.« (GW 12, 51) In diesem Sinne ist »der Begriff ein subjectives Denken, eine der Sache äusserliche Reflexion« (GW 12, 30). Vgl.: »Neben dieser Rückkehr des Bewußtseyns in sich, und der Idealität des Gegenstandes [ist] auch noch die Realität desselben erhalten […], indem er [sc. der Gegenstand] zugleich als ein äusseres Daseyn gewußt wird. Das Bewußtseyn ist so erscheinend, oder der Dualismus, einerseits von einem ihm andern, äusserlichen Gegenstande zu wissen, und andererseits, für-sich zu seyn, denselben in ihm ideell zu haben, nicht nur bey solchem Andern, sondern darin auch bey sich selbst zu seyn.« (GW 21, 145) 26

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sondern unmittelbar sein Verlust.«29 In diesem Sinne enthält das begreifende Denken bzw. das dieses repräsentierende Kognitionsmodell nur formell das Einzelne als Wirkliches. »Diese Stuffe macht daher die SUBJECTIVITÄT oder den formellen Begriff aus.«30 Auf die bloß formelle Einheit des Einzelnen mit dem begreifenden Denken hat Hegel de facto bereits im Inhaltverzeichnis der Begriffslogik hingewiesen. So lauten die Untertitel des Kapitels »Der Begriff«: »Der allgemeine Begriff«, »Der besondere Begriff« und »Das Einzelne«, nicht aber »Der einzelne Begriff«. Denn das Einzelne als Wirkliches ist nicht wie der abstrakte und der besondere Begriff ideell durch das begreifende Denken gesetzt, sondern an sich von diesem unabhängig. Aus diesem Grund lässt sich strenggenommen nur sagen, dass das Allgemeine (das abstrakt Allgemeine als abstrakter Begriff sowie das wahrhaftig Allgemeine als begreifendes Denken selbst) im Einzelnen realisiert wird; es lässt sich aber nicht sagen, dass das Allgemeine als das Einzelne realisiert wird. Um der obigen Analyse mit Blick auf das Einzelne als Wirkliches im Kognitionsmodell Rechnung zu tragen, kann das Einzelne im Diagramm des Kognitionsmodells wie folgt visualisiert werden: B »auf« (seine logische Funktionsweise)

Aa »Sich« (abstrakter Begriff) Aw »Beziehung« begreifendes Denken K

E »sich« (das Wirklichein jeder Situation)

(K: Kognitionsmodell, Pfeile: Aktivität)

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GW 12, 51. GW 12, 30.

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1.4 Die nähere Untersuchung des Kognitionsmodells mithilfe des Lehrsatzes als der Idee des Wahren Im Begriffskapitel der Begriffslogik blieb die folgende Frage noch unberührt: Warum kann die logische Kluft zwischen dem abstrakt Allgemeinen (dem abstrakten Begriff) als Ideellem und dem Einzelnen als Wirklichem nicht im Rahmen des Kognitionsmodells überwunden werden? Anders ausgedrückt: Warum können das abstrakt Allgemeine (der abstrakte Begriff) als Ideelles und das Einzelne als Wirkliches im Rahmen des Kognitionsmodells nicht die wahre Identität, sondern nur die formelle Einheit bilden? Diese Frage wird erst durch Hegels Ausführungen zum Lehrsatz im Kapitel »Die Idee des Wahren« beantwortet. Was die logische Struktur des Lehrsatzes betrifft, so macht er ein Kognitionsmodell aus. Der Lehrsatz zielt darauf ab, die Wahrheit des Lebens als der unmittelbaren Idee zu erkennen.31 Wie aber Hegel bemerkt, kann der Lehrsatz aufgrund seiner eigenen Form die Wahrheit des Lebens als der unmittelbaren Idee nicht erkennen, weil das Leben sich nicht in Form eines Lehrsatzes artikulieren lässt. Der logische Mangel des Lehrsatzes ist gerade der des Kognitionsmodells par excellence. Hieraus ergibt sich, dass die Untersuchung des Lehrsatzes gleichbedeutend mit der Untersuchung des Kognitionsmodells selbst ist. Der Lehrsatz als synthetisches Erkennen stellt den folgenden Denkprozess dar: a) Das begreifende Denken (Aw) hebt einen abstrakten Begriff (Aa) in dessen wesentlicher Bestimmtheit bzw. in dessen logischer Funktionsweise (B) auf; b) das begreifende Denken (Aw) realisiert weiter diese logische Funktionsweise (B) im Gegenstand als Wirklichem (E), welcher unter diesem abstrakten Begriff (Aa) steht; c) deswegen stimmt der Gegenstand (E), welcher unter diesem abstrakten Begriff (Aa) steht, für das begreifende Denken (Aw) notwendig bzw. in jeder Situation mit dieser logischen Funktionsweise (B) überein. In diesem Denkprozess wird der Gegenstand (E) verallgemeinert, ohne dass in der Empirie alle Situationen überprüft worden sind. Hiernach bildet der Lehrsatz in der Tat eine sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung,32 welche sich wie folgt kommentieren lässt: In Kapitel 3. werde ich erklären, wie der Lehrsatz auf das Erkennen der Wahrheit des Lebens angewendet wird. 32 Vgl.: »Der Lehrsatz nun nach der angegebenen Bestimmung, ist das eigentlich Synthetische eines Gegenstandes, insofern die Verhältnisse seiner Bestimmtheiten nothwendig, das ist, in der innern Identität des Begriffes gegründet sind.« (GW 12, 220) Vgl. auch: »Am Ende des 31

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seine logische Funktionsweise bzw. seine wesentliche Bestimmtheit

die sich bewegende Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung (Aw) der abstrakte Begriff

Gegenstandin jeder Situation

das begreifende Denken

Eine solche sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung ist eben eine Reformulierung des Kognitionsmodells. Der logische Mangel des Lehrsatzes besteht darin, dass der Lehrsatz keine objektive Notwendigkeit bzw. keine Wahrheit, sondern nur subjektive Notwendigkeit bzw. Gewissheit hat. Denn da nicht alle Situationen in der Empirie überprüft worden sind, kann der Lehrsatz logisch nicht garantieren, dass im objektiven Sinne keine Ausnahme vorhanden ist, nämlich dass der Gegenstand objektiv-notwendig bzw. wahrhaftig so ist, wie es vom Lehrsatz suggeriert wird.33 Zum Beispiel kann der Lehrsatz »das (wirkliche) Wasser hat notwendig bzw. in jeder Situation die Eigenschaft, Salz aufzulösen« logisch nicht garantieren, dass der Fall, dass das wirkliche Wasser Salz nicht auflöst, nie eingetreten ist noch jemals eintreten wird. Der Lehrsatz und die in und mit ihm ausgedrückte Notwendigkeit sind nur dadurch bewiesen, dass das begreifende Denken (Aw) die logische Funktionsweise (B) des abstrakten Begriffs »Wasser« (Aa) bestimmt und weiter sie im wirklichen Wasser als Gegenstand (E) realisiert. Im obigen Lehrsatz besteht die logische Funktionsweise des abstrakten Begriffs »Wasser« darin, dass sich das wirkliche Wasser aufgrund dieses Begriffs so darstellt, dass es notwendig bzw. in jeder Situation die Eigenschaft hat, Satz aufzulösen. Der Beweis ist insofern nur »ein subjectives Thun ohne Objectivität«34 bzw. »eine äusserliche Reflexion«35; bei näherer Betrachtung gehört die Bestimmtheit »die Eigenschaft besitzen, Salz aufzulösen« (B) im wahren Sinne nicht zur Natur des wirklichen Wassers als Gegenstand (E), sondern nur zum abstrakten Begriff Theoretischen nimmt das Objekt für den Gedanken die Form des durch den Gedanken Gesetzten an und hört auf, dem Gedanken ein Gegebenes, Vorausgesetztes zu sein. […] Seine [sc. des Objekts] Bestimmungen sind mir nicht mehr unmittelbar gegeben, sondern durch den Gedanken mit sich vermittelt.« (Schick 1994, S. 281) 33 Mit Burbidges Worten: »Es ist nur ein subjektives Begreifen, das diese Beziehungen [sc. Hypothesen und Theorien] konstruiert, und es gibt keine Garantie dafür, daß der Gegenstand selbst so ausgebildet ist.« (Burbidge 2003, S. 214) Mit Sieps Worten: »Zwischen der Notwendigkeit der Theorien des synthetischen Erkennens, und der Natur der Sache […] besteht noch eine Diskrepanz.« (Siep 2018, S. 719) 34 GW 12, 225. 35 GW 12, 225.

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»Wasser« (Aa).36 Hiernach hat der Lehrsatz »das (wirkliche) Wasser hat notwendig bzw. in jeder Situation die Eigenschaft, Salz aufzulösen« keine objektive Notwendigkeit bzw. keine Wahrheit. Mit Hegels Worten: »In der Nothwendigkeit ist seine [sc. des begreifenden Denkens] Identität [sc. die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung] für ihn [sc. den Gegenstand], in der [der Gegenstand] aber nicht selbst die Bestimmtheit, sondern als ein ihr [sc. der Bestimmtheit] äusserlicher, d. i. nicht durch den Begriff bestimmter Stoff ist, in welchem er [sc. der Begriff bzw. das begreifende Denken] also nicht sich selbst erkennt. […] Die [theoretische] Idee erreicht deßwegen in diesem [synthetischen] Erkennen [als Lehrsatz] die Wahrheit noch nicht, wegen der Unangemessenheit des Gegenstandes zu dem subjectiven Begriffe [sc. dem begreifenden Denken].«37

Anders als im Beispiel über das Wasser offenbart das Beispiel über die Geometrie drastischer den logischen Mangel des Lehrsatzes: dass dieser nämlich nicht die Natur des Gegenstandes selbst darstellt und daher keine objektive Notwendigkeit hat. Insofern wird bei Hegel die geometrische Wissenschaft als »das glänzende Beyspiel der synthetischen Methode [als Lehrsatzes]«38 betrachtet. Ich führe den Lehrsatz »die Summe der Innenwinkel des Dreieckes beträgt notwendig 180°« als ein Beispiel an. In der Tat beträgt die Summe der Innenwinkel der als »Dreieck« bezeichneten geometrischen Figur wegen des unvermeidlichen Messfehlers strenggenommen auf keinen Fall genau 180°. In diesem Zustand ist jede als »Dreieck« bezeichnete wirkliche Figur die Ausnahme für diesen Lehrsatz; also hat dieser keine wirkliche Instanziierung. Daraus wird ersichtlich, dass die Geometrie gar keine wirkliche Figur als Gegenstand (E), sondern nur den durch das begreifende Denken gesetzten abstrakten geometrischen Begriff selbst (Aa), unter welchem die wirkliche Figur steht, schildert.39 Im Vergleich Gerade in diesem Sinne erwähnt Iber: »Im Unterschied zu Kant, für den die Kausalität das Paradigma für synthetische Urteile a priori abgibt, ist Kausalität für Hegel ein ›analytischer Satz‹.« (Iber 2003 S. 57) Vgl. auch: »Die Konkretheit der Einzelheit erreicht auch das synthetische Erkennen nicht. Es verbleibt letzten Endes in den Begriffsbestimmungen Allgemeinheit und Besonderheit und kann die Objektwelt in ihrer Einzelheit und Vereinzelung nicht wirklich erfassen; daher bleibt auch das synthetische Erkennen unzureichend.« (Schäfer 2002, S. 251) Vgl.: »Nach Hegel kann man aber bei diesem Begriff von Notwendigkeit immer noch sagen, dass das, was als notwendig bestimmt wird, auch als zufällig bestimmbar ist.« (Emundts 2018, S. 423) 37 GW 12, 230. 38 GW 12, 226. 39 Vgl.: »Da die bloß quantitative Bestimmung in ihr [sc. der Geometrie] betrachtet, und von der qualitativen abstrahirt wird, so kann sie [sc. die Geometrie] sich innerhalb der formellen Identität, der begrifflosen Einheit halten, welche die Gleichheit ist, und der äusserlichen abstrahirenden Reflexion angehört.« (GW 12, 226) 36

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zum Beispiel über die Geometrie erscheinen andere Beispiele viel milder. Obwohl z. B. der eben erwähnte Lehrsatz »das (wirkliche) Wasser hat notwendig bzw. in jeder Situation die Eigenschaft, Salz aufzulösen« logisch nicht garantieren kann, dass keine Ausnahme möglich ist, wurde zumindest bis jetzt noch keine Ausnahme entdeckt. Nach den obigen Analysen und Erläuterungen des dem Kognitionsmodell äquivalenten Lehrsatzes beantworte ich die am Anfang dieses Abschnittes aufgeworfene Frage, warum das abstrakt Allgemeine (der abstrakte Begriff) als Ideelles und das Einzelne als Wirkliches im Rahmen des Kognitionsmodells nicht die wahre Identität, sondern nur die formelle Einheit bilden können. Denn das Kognitionsmodell stellt nur dar, dass das Einzelne als Wirkliches einseitig im begreifenden Denken verallgemeinert wird; es stimmt mithin nur für das begreifende Denken notwendig bzw. in jeder Situation mit der logischen Funktionsweise des abstrakt Allgemeinen, welche das Besondere ausdrückt, überein. Aber das Kognitionsmodell kann nicht garantieren, dass das Einzelne als Wirkliches objektiv-notwendig bzw. wahrhaftig so ist, wie es begriffen wird.40 Nun wird der logische Mangel des Kognitionsmodells verdeutlicht. Dazu sagt Hegel: »Die Erkenntniß, welche nur bey dem Begriff rein als solchem [sc. beim reinen Kognitionsmodell] steht, [ist] noch unvollständig […] und nur erst zur abstracten Wahrheit gekommen.«41 »Diß [synthetische] Erkennen verwandelt die objective Welt [sc. das Wirkliche] daher zwar in Begriffe, aber gibt ihr nur die Form [Herv. H.W.] nach den Begriffsbestimmungen.«42

Um das Einzelne als Wirkliches, welches an sich vom begreifenden Denken unabhängig ist, wahrhaftig – nicht mehr nur formell – ins Kognitionsmodell zu integrieren, muss sich das logische System der Begriffslogik fortentwickeln. Einen Hinweis, wie die Fortentwicklung gelingen soll, gibt uns Hegel im folgenden Passus: »Der Gegenstand selbst ist […] das Einzelne […] und ein Unmittelbares, welches ausser dem Begriffe [sc. dem begreifenden Denken], da er [sc. der Gegenstand] noch nicht selbstbestimmend [Herv. H.W.] ist, gesetzt ist.«43 Mit Kochs Worten: »Nicht dadurch, dass wir einem Einzelnen eine allgemeine Bestimmung zusprechen, hat das Einzelne die betreffende Bestimmung, sondern wenn es objektiv [Herv. H.W.] die Bestimmung hat, die wir ihm zusprechen, so ist unser Wahrheitsanspruch eingelöst, unser Urteil wahr.« (Koch 2006, S. 207) 41 GW 12, 24. 42 GW 12, 209. 43 GW 12, 210. Vgl. auch: »Dieser sein [sc. des Begriffs] Gegenstand ist ihm [sc. Begriff] nicht angemessen; denn der  Begriff wird nicht als Einheit seiner mit sich selbst [sc. nicht als 40

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Hegel zufolge bestimmt das Einzelne als Wirkliches im Kognitionsmodell nicht aktiv sich selbst, weshalb es außer dem begreifenden Denken gesetzt ist. Soll das Einzelne als Wirkliches sich selbst wahrhaftig ins das begreifende Denken repräsentierende Kognitionsmodell integrieren, dann liegt nahe, dass es ebenso wie das begreifende Denken selbstbestimmend sein muss. Anders formuliert: Das Einzelne als Wirkliches muss ebenso wie das begreifende Denken sich selbst zu einer sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung entfalten. Unter dieser veränderten Bedingung gibt sich das Einzelne als Wirkliches dem begreifenden Denken nicht mehr nur passiv bzw. einseitig bzw. formell. Vielmehr beweist das Einzelne als Wirkliches aktiv durch sich selbst, dass es mit dem begreifenden Denken logisch isomorph und daher eben die Realisierung des begreifenden Denkens ist. Erst in diesem Sinne hat das Einzelne als Wirkliches die wahre Identität mit dem begreifenden Denken erreicht. Um das logische Selbstentfalten des Einzelnen als des Wirklichen darzustellen, brauchen wir ein neues logisches Modell, welches zwar formell auch eine sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung ist, aber nicht mehr die Kognition des Einzelnen als des Wirklichen, sondern dessen Praxis zum Zweck der Existenz ausdrückt. Deshalb bezeichne ich dieses neue logische Modell als »Praxismodell«. Dadurch geht die sich bewegende Sich-auf-sichBeziehung von der reinen Subjektivität zur Objektivität über. 1.5 Exkurs I: Die Prä-Kognition in der Idee des Wahren Neben dem synthetischen Erkennen, welches seinen adäquaten Ausdruck in der Form des Lehrsatzes hat, enthält das Kapitel »Die Idee des Wahren« noch a) das analytische Erkennen, b) das synthetische Erkennen als Definition und c) das synthetische Erkennen als Einteilung. Aber keine von diesen drei Weisen des Erkennens kann die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung als Kognitionsmodell adäquat ausdrücken. Wegen ihrer dem Lehrsatz untergeordneten Funktion werde ich sie als »Prä-Kognition« bezeichnen. Mangels der Form als der sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung spielen die eben erwähnten drei Weisen des Erkennens nur eine untergeordnete Rolle für das Erreichen der programmatischen Zielsetzungen der Begriffslogik. Aus diesem Grund behandle ich sie in einem Exkurs. In diesem Abschnitt werde ich nur skizzenhaft erklären, in welchem Sinne keine von eben erwähnten drei Weisen des Erkennens die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung als Kognitionsmodell bilden kann. Im analytischen Erkennen werden drei Begriffsmomente nur unmittelbar bzw. formell zusammengestellt. Denn der in Abschnitt 1.4 erklärte selbstbezügdie sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung] in seinem Gegenstande oder seiner Realität.« (GW 12, 230)

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liche Denkprozess des Lehrsatzes wird im analytischen Erkennen schlechthin zur folgenden arithmetischen Gleichung: »Ein Gegenstand (E) = ein abstrakter Begriff (Aa) + eine wesentliche Bestimmtheit (B)«. In einer solchen arithmetischen Gleichung spielt das begreifende Denken keine Rolle, da die drei Begriffsmomente nicht wie im Lehrsatz durch das begreifende Denken dialektisch aufeinander bezogen werden.44 Hiernach ist diese Gleichung nichts anderes als »ein ganz äusserliches, gedankenloses Thun«45. In diesem Zustand kann das analytische Erkennen offenkundig nicht wie der Lehrsatz eine sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) als das begreifende Denken repräsentierendes Kognitionsmodell bilden, sondern ist nur »begrifflos und undialektisch«46. In Anbetracht des Problems des analytischen Erkennens, dass in diesem das begreifende Denken keine Rolle spielt, geht das analytische Erkennen zum synthetischen über, in welchem der Gegenstand als Wirklicher ins begreifende Denken aufgenommen wird.47 Die erste Art des synthetischen Erkennens ist die Definition. Sie besagt, dass ein gemeinsames Merkmal bei einigen Gegenständen (E) hervorgehoben wird und diese mit ihm unter einen abstrakten Begriff (Aa) subsumiert werden. Dadurch wird dieses Merkmal als die spezifische Differenz dieses abstrakten Begriffs (Aa) von anderen bestimmt.48 Aber es ist nicht zu übersehen, dass ein solches Merkmal nur in der Empirie aus mannigfaltigen Eigenschaften der Gegenstände ausgewählt wird, ohne das Prinzip zu bestimmen, Vgl.: »Die Bestimmung, die daher durch diese Beziehung zu Stande kommt, ist die Form einfacher Identität, der abstracten Allgemeinheit. Das analytische Erkennen hat daher überhaupt diese Identität zu seinem Princip und der Uebergang in Anderes, die Verknüpfung Verschiedener ist aus ihm [sc. dem analytischen Erkennen] selbst, aus seiner Thätigkeit ausgeschlossen.« (GW 12, 203) Mit Burbidges Worten: »Zunächst versucht das Denken, den Gegenstand an sich zu erfassen, ohne irgendeine vermittelnde subjektive Tätigkeit einzuführen. […] Das Denken analysiert dabei das Gegebene in seinen Elementen – eine Sammlung der verschiedenen Allgemeinheiten, die […] keine begriffliche Beziehung aufeinander besitzen.« (Burbidge 2003, S. 213) Vgl. auch: »So produziert das analytische Erkennen nur den Schein eines Wissens, denn es will ohne subjektive Vermittlung Erkennen sein.« (Spieker 2009, S. 373) 45 GW 12, 206. Vgl. auch: »Die Operation ist […] ein äusserliches, subjectives Thun, dessen Bestimmungen der Stoff gleichgültig annimmt, an welchem sie gesetzt werden.« (GW 12, 206–207) 46 GW 12, 204. 47 Vgl. Enzy., § 228 (GW 20, 224). 48 Vgl.: »Der Gegenstand von dem Erkennen zunächst in die Form des bestimmten Begriffes überhaupt gebracht, so daß hiemit dessen Gattung und dessen allgemeine Bestimmtheit gesetzt wird, ist die Definition.« (Enzy., § 229, GW 20, 224) 44

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»welche Seiten des Gegenstandes als zu seiner Begriffsbestimmung [Herv. H.W.] und welche nur zu der äusserlichen Realität gehörig angesehen werden sollen«49. Mit anderen Worten: Es wird im Definitionsprozess nicht gesetzt, dass der Gegenstand als Wirklicher notwendig bzw. in jeder Situation mit dem ausgewählten Merkmal übereinstimmt und dadurch im begreifenden Denken verallgemeinert wird. »Das Definiren […] begnügt sich mit Merkmahlen, d. i. Bestimmungen, bey denen die Wesentlichkeit für den Gegenstand selbst gleichgültig ist.«50 Mangels dieser »Wesentlichkeit« spielt das Merkmal als spezifische Differenz eines abstrakten Begriffs von anderen nicht die Rolle des Besonderen als Begriffsmoment. (Das Besondere ist diejenige Bestimmtheit, mit welcher der Gegenstand als Wirklicher für das begreifende Denken in jeder Situation übereinstimmt.) Hiernach bilden die drei Momente im Definitionsprozess – a) ein abstrakter Begriff (Aa), b) das Merkmal als spezifische Differenz dieses abstrakten Begriffs von anderen und c) der unter diesem abstrakten Begriff stehende Gegenstand als Wirklicher (E) – keine sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) als das begreifende Denken repräsentierendes Kognitionsmodell. Der Definitionsprozess ist de facto nur ein empirischer Prozess. An diesem empirischen Prozess nimmt das begreifende Denken zwar teil, aber anders als der Lehrsatz thematisiert er nicht das begreifende Denken selbst.51 Um das Besondere als Begriffsmoment zu bestimmen, entsteht die zweite Weise des synthetischen Erkennens – die Einteilung. Sie besagt, dass ein abstrakter Begriff (Aa) je nach Kriterium in verschiedene empirische Arten eingeteilt wird.52 Die empirische Art spielt aber nicht die Rolle des Besonderen als Begriffsmoment, weil der Gegenstand als Wirklicher, welcher unter einem ab­ strakten Begriff (Aa) steht, unter keine eindeutig bestimmbare empirische Art subsumiert werden kann. Z.B. ist eine wirkliche Blume nicht unbedingt eine Rose – die Rose ist eine bestimmte empirische Art, welche unter der Blume steht (vgl. Abschnitt 1.2). Deshalb bilden die drei Momente im Einteilungsprozess – a) ein abstrakter Begriff (Aa), b) dessen empirische Art und c) der unter diesem abstrakten Begriff stehende Gegenstand als Wirklicher (E) – keine sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) als das begreifende Denken re GW 12, 211. Vgl. auch: »Der Inhalt des Begriffs ist daher ein Gegebenes und ein Zufälliges. Der concrete Begriff selbst ist damit ein Zufälliges nach der gedoppelten Seite, einmal nach seinem Inhalte überhaupt, das andremal darnach, welche Inhaltsbestimmungen von den mannichfaltigen Qualitäten, die der Gegenstand im äusserlichen Daseyn hat, für den Begriff ausgewählt werden, und die Momente desselben ausmachen sollen.« (GW 12, 211) 50 GW 12, 212–213. 51 »Sie [sc. die Definition] stellt daher nichts dar als die Formbestimmung des Begriffs an einem gegebenen Inhalt, ohne die Reflexion des Begriffes in sich selbst, d. h. ohne sein Fürsichseyn [sc. ohne die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung].« (GW 12, 214) 52 »Von ihr [sc. der Allgemeinheit] aus stellt sich die Eintheilung als Disjunction des Allgemeinen, als des ersten, dar.« (GW 12, 215) 49

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präsentierendes Kognitionsmodell. Außerdem können die drei Momente im Einteilungsprozess – a) eine empirische Art, b) das Kriterium, nach welchem sie von anderen unter ein und demselben abstrakten Begriff stehenden empirischen Arten unterschieden wird, und c) der unter dieser empirischen Art stehende Gegenstand als Wirklicher – auch keine sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)Beziehung(Aw) als Kognitionsmodell bilden. Denn der Einteilungsgrund für eine empirische Art (bzw. das eben erwähnte Kriterium für die Einteilung) wird ebenso wie das im Definitionsprozess erklärte Merkmal eines abstrakten Begriffs nur in der Empirie aus mannigfaltigen Eigenschaften der Gegenstände ausgewählt; aber es wird nicht gesetzt, dass der Gegenstand notwendig bzw. in jeder Situation mit dem ausgewählten Einteilungsgrund übereinstimmt. In diesem Sinne verweist die Einteilung auf die Definition und ihren insuffizienten Erkenntnisprozess. Aus den obigen Analysen geht hervor, dass der Einteilungsprozess ebenso wie der Definitionsprozess lediglich ein empirischer Prozess ist, an welchem das begreifende Denken zwar teilnimmt, welcher aber nicht das begreifende Denken selbst thematisiert.53

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Vgl.: »Wegen des ermangelnden Princips des Fürsichselbst-Bestimmtseyns [sc. wegen des ermangelnden Prinzips der sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung], können die Gesetze [sc. die Einteilungsgründe] für dieses Eintheilungsgeschäft nur in formellen, leeren Regeln bestehen, die zu nichts führen.« (GW 12, 218)

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Kapitel 2 · Konzeption des aktiven Praxismodells Die Objektivität 2.1 Überblick über die logische Struktur des aktiven Praxismodells Wie in Abschnitt 1.4 erwähnt, erreicht das an sich vom begreifenden Denken unabhängige Wirkliche erst dann nicht mehr die nur formelle Einheit mit dem begreifenden Denken, sondern die wahre Identität mit demselben, wenn das Wirkliche ebenso wie das begreifende Denken sich selbst zu einer sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung entfaltet. Diese aus einem Wirklichen selbst entfaltete sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung macht das aktive Praxismodell aus. Als sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung haben das Kognitions- und das aktive Praxismodell ein und dieselbe logische Struktur. Aber ihr Inhalt ist verschieden. Kurzum: Die im kognitiven Sinne ausgesagte sich bewegende Sich-aufsich-Beziehung drückt das Begreifen des Wirklichen aus, während die im praktischen Sinne ausgesagte sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung das Existieren eines Wirklichen darstellt. Das Wirkliche ist sowohl ein Begriffenes als auch ein Existierendes. Mit Hegels Worten: »Die Wirklichkeit ist die Einheit des Wesens [sc. des durch das begreifende Denken Gesetzten] und der Existenz.«1 Mit Blick auf die nun folgenden Analysen ist zu betonen, dass das gesamte Kapitel 2. nur die Frage betrifft, wie ein Wirkliches Schritt für Schritt sich selbst zum aktiven Praxismodell, welches sein Existieren darstellt, entfalten soll. Unbeantwortet bleibt die Frage, was für ein Wirkliches sich selbst zum aktiven Praxismodell entfalten kann. 2.1.1 Drei mögliche Konzeptionen der Darstellung des Existierens eines Wirklichen Bevor ich die logische Struktur des aktiven Praxismodells expliziere, muss zunächst verdeutlicht werden, von welchem Gesichtspunkt aus das aktive Praxismodell das Existieren eines Wirklichen darstellt. Um das Existieren eines Wirklichen darzustellen, haben wir drei mögliche Konzeptionen:

1

GW 11, 369.

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Kapitel 2

Konzeption I: Ein Wirkliches besteht aus verschiedenen Teilen; wenn es diese Teile verliert, dann existiert es nicht mehr. Am Beispiel ausgeführt: Ein wirkliches Haus besteht aus einem Dach, Wänden, Fenstern und mindestens einer Tür. Wenn diese für die Hauskonstruktion konstitutiven Bestandteile verschwinden, existiert kein Haus mehr. Diese Konzeption ist eine unmittelbare Darstellung des Existierens eines Wirklichen. Logisch kann sie nicht garantieren, dass ein Wirkliches objektiv bzw. im objektiven Sinne existiert, nämlich dass ein Wirkliches dann noch existiert, wenn es nicht beobachtet oder nicht wahrgenommen wird. Konzeption II: Diese Konzeption widmet sich der Frage, warum ein Wirkliches auch dann noch existiert, wenn es nicht wahrgenommen wird. Nach dieser Konzeption liegt dem Existieren des Wirklichen – wie z. B. bei Aristoteles – die im ontologischen Sinne ausgesagte Substanz zugrunde. Das Wirkliche ist in dieser Konzeption so zu verstehen, dass es die Realisierung der im ontologischen Sinne ausgesagten Substanz ist und dass die ontologische Substanz die Unabhängigkeit des Wirklichen von den einzelnen Wahrnehmungen garantiert und dem Wirklichen einen objektiven Status zusichert. Kurzum: Aufgrund der onto­ logischen Substanz existiert das Wirkliche in jeder Situation, egal ob es wahrgenommen wird oder nicht. Aber eine Frage drängt sich uns auf: Woher kommt die ontologische Substanz? Die ontologische Substanz selbst kommt auf keinen Fall direkt in der Empirie vor. Das, was wir in der Empirie wahrnehmen können, ist nur z. B. ein wirkliches Haus, ein wirklicher Mensch usw. Wesentlich ist die ontologische Substanz nichts anderes als ein durch das begreifende Denken gesetzter abstrakter Begriff (Aa), welcher die Rolle der abstrakten logischen Grundlage des Wirklichen spielt (vgl. Abschnitt 1.1). Die logische Funktionsweise (B) des abstrakten Begriffs »ontologische Substanz« (Aa) besteht darin, dass das Wirkliche (E) als Realisierung der ontologischen Substanz (Aa) auch dann noch existiert, wenn es nicht wahrgenommen wird. Diese logische Funktionsweise ist durch das begreifende Denken (Aw) bestimmt. Logisch kann daher nicht garantiert werden, dass das Wirkliche als Realisierung der ontologischen Substanz im objektiven Sinne notwendig bzw. wahrhaftig so ist, wie es von dieser logischen Funktionsweise vorgeschrieben wird. In diesem Zustand ist das Existieren des Wirklichen, welches als die Realisierung der ontologischen Substanz aufgefasst wird, strenggenommen nicht im objektiven Sinne von den einzelnen Wahrnehmungen, sondern nur für das begreifende Denken von ihnen unabhängig. Aus der obigen Analyse ergibt sich, dass die Konzeption II. in der Tat einem Kognitionsmodell äquivalent ist. Dieses Kognitionsmodell als sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung lässt sich wie folgt kommentieren:

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Konzeption des aktiven Praxismodells

ihre logische Funktionsweise, welche garantiert, dass das Wirkliche auch dann noch existiert, wenn es nicht wahrgenommen wird

die sich bewegende Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung (Aw) die ontologische Substanz als abstrakter Begriff

das Wirklichein jeder Situation

das begreifende Denken

Nach diesem Kognitionsmodell, welches keine objektive Notwendigkeit, sondern nur subjektive Gewissheit hat, ist die These, ein Wirkliches existiere objektiv bzw. im objektiven Sinne, dogmatisch. Zugleich ist die Antithese, das Existieren eines Wirklichen sei schlechthin von Wahrnehmungen abhängig, auch dogmatisch, weil sie logisch ebenso wenig garantiert werden kann. Jede dieser einander entgegengesetzten Thesen drückt nichts anderes als einen philosophischen Standpunkt aus. Konzeption III: Egal ob wir die Frage, ob ein Wirkliches objektiv bzw. im objektiven Sinne existiert, bejahen oder verneinen, wir geraten immer in den Dogmatismus. Um ihn zu vermeiden, stellen wir nun von einem anderen Gesichtspunkt aus das Existieren eines Wirklichen dar. Dieser neue Gesichtspunkt ist eben die Konzeption des aktiven Praxismodells in der Begriffslogik. In dieser Konzeption gilt das Existieren eines Wirklichen als eine geschehende Tatsache. Deswegen erörtern wir nicht mehr, ob und, wenn ja, warum ein Wirkliches objektiv existiert, sondern schildern, was im Prozess des tatsächlichen Existierens eines Wirklichen objektiv-notwendig bzw. im objektiven Sinne in jeder Situation geschieht und was die logische Grundlage einer solchen objektiven Notwendigkeit ist. Das, was im Prozess des tatsächlichen Existierens eines Wirklichen objektiv-notwendig geschieht, macht die Existenzweise eines Wirklichen aus. Diese Existenzweise wird im Rahmen der Begriffslogik als die Praxisbeziehung eines Wirklichen zu anderen Wirklichen interpretiert. Diese »Praxisbeziehung« ist eine tatsächlich geschehende Beziehung zwischen Wirklichen. Am Beispiel demonstriert: Ein Mensch (ein Wirkliches) ist gerade dabei, ein Brotstück (ein anderes Wirkliches) zu essen oder ein Haus (ein anderes Wirkliches) zu bewohnen. Wenn aber wir nun erörtern, ob dieses Brotstück gegessen oder dieses Haus bewohnt werden kann, handelt es sich lediglich um unsere kognitive Erklärung dieses Brotstücks oder dieses Hauses. Gerade aufgrund der Praxisbeziehung zwischen Wirklichen entsteht das aktive Praxismodell. Es ist darauf hinzuweisen, dass in der Konzeption des aktiven Praxismodells fol-

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Kapitel 2

gende Rückfragen, die auf mögliche Gegeneinwände abzielen, nicht zielführend sind: a) Existiert ein Mensch (ein Wirkliches) dann noch im objektiven (bzw. ontologischen) Sinne, nachdem er in den Hungerstreik getreten oder heimatlos geworden ist? und b) Ist ein Wirkliches für sich genommen nur ein Aggregat der Wahrnehmungen oder existiert es im objektiven (bzw. ontologischen) Sinne, wenn es durch seine Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen zu einem aktiven Praxismodell geworden ist? Denn in der Konzeption des aktiven Praxismodells wird das objektive Existieren eines Wirklichen schlechthin angenommen, anderenfalls ist das Einzelne als Wirkliches nicht mehr an sich vom begreifenden Denken unabhängig (vgl. Abschnitt 1.3). Wie am Anfang dieses Abschnittes erwähnt, zielt die Konzeption des aktiven Praxismodells faktisch darauf ab, auf der objektiven Seite, und zwar aus einem Wirklichen selbst, die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung zu entfalten. Eine solche sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung als aktives Praxismodell stellt deshalb das Existieren eines Wirklichen dar, weil das Wort »aktiv« als die wahre logische Grundlage des aktiven Praxismodells besagt, dass ein Wirkliches aktiv seine eigene Existenz bewahrt. In diesem Sinne ist die einzige Instanziierung für die Konzeption des aktiven Praxismodells nach der Begriffslogik das aus einem lebendigen Individuum entfaltete Leben. Mit anderen Worten: Das aktive Praxismodell ist dem Leben äquivalent. Denn das Leben ist eben die Manifestation der Aktivität eines wirklichen lebendigen Individuums, seine eigene Existenz zu bewahren bzw. (mit Hegels Worten) sich zu erhalten. (Diesen Punkt werde ich in Kapitel 3. explizieren). Gegenüber der bloßen Diskussion darüber, ob und, wenn ja, warum das Wirkliche objektiv existiert (vgl. Konzeption II.), ist es meines Erachtens zielführender, mithilfe des aktiven Praxismodells das Existieren eines Wirklichen darzustellen (vgl. Konzeption III.). Hierfür gibt es zwei Gründe: a) Bei letzterer Darstellung finden wir außer dem begreifenden Denken eine andere wahre logische Grundlage des Wirklichen. Diese ist die Aktivität eines Wirklichen, seine eigene Existenz zu bewahren, und zwar die Aktivität eines wirklichen lebendigen Individuums, sich zu erhalten. In diesem Zustand geht die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung von der subjektiven Seite (dem das begreifende Denken repräsentierenden Kognitionsmodell) zur objektiven Seite über. Im Unterschied dazu erschöpft sich die Diskussion über das objektive Existieren des Wirklichen, wie oben erklärt, nur in der Subjektivi-

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tät, und zwar im das begreifende Denken repräsentierenden Kognitionsmodell. b) Das Wirkliche, dessen objektives Existieren von uns erörtert wird, kann in der Empirie ohne Weiteres hergestellt werden – wie z. B. ein Haus, ein Tisch usw. Aber es ist uns keinesfalls möglich, in der Empirie dasjenige Wirkliche, welches aktiv seine eigene Existenz bewahrt, und zwar das lebendige Individuum, welches sich aktiv erhält, herzustellen. Anders formuliert: Wir können gar nicht unorganischen Entitäten eine lebendige Aktivität zuschreiben, so wie wir nicht Maschinen einen menschlichen Verstand zusprechen können. Würden wir all dies können, wären wir wohl keine Menschen mehr, sondern Götter. 2.1.2 Die logische Struktur des aktiven Praxismodells Nachdem erläutert wurde, von welchem Gesichtspunkt aus das aktive Praxismodell das Existieren eines Wirklichen darstellt, soll die logische Struktur des aktiven Praxismodells expliziert werden. Zunächst expliziere ich die logische Struktur des (reinen) Praxismodells. Dieses logische Modell besagt, dass sich ein Wirkliches als Existierendes praktisch auf andere Wirkliche bezieht und auf diese Weise in jeder Situation existiert.2 In diesem Prozess kann ein Wirkliches als Existierendes für eine Menge gehalten werden, deren Elemente die Existenz dieses Wirklichen in jeder Situation sind. In diesem Zustand spielt ein Wirkliches nicht mehr wie im Kognitionsmodell die Rolle des Einzelnen, sondern die des Allgemeinen, während seine Existenz in jeder Situation nun das Einzelne ist. Dementsprechend ist das, was in der wirklichen Dimension entsteht und daher konkret ist, strenggenommen kein Wirkliches selbst, sondern seine Existenz in jeder Situation als Einzelnes, während ein Wirkliches selbst als Allgemeines zum Abstrakten wird. Im Praxismodell macht die Praxisbeziehung eines Wirklichen zu anderen Wirklichen das Besondere – die Vermittlung zwischen einem Wirklichen als Existierendem (Aa) und dessen Existenz in jeder Situation (E) – aus, weil ein Wirkliches (Aa) in seiner praktischen Beziehung zu anderen Wirklichen in jeder Situation existiert (E). Der obigen Analyse zufolge bildet das Praxismodell, welches besagt, dass sich ein Wirkliches als Existierendes (Aa) praktisch auf andere Wirkliche bezieht (B) und auf diese Weise in jeder Situation existiert (E), eine Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung. Diese Sich-auf-sich-Beziehung als (reines) Praxismodell lässt sich wie folgt kommentieren:

2

Im Kontext der Begriffslogik erörtern wir nicht, auf welche konkrete Weise sich ein Wirkliches praktisch auf andere Wirkliche beziehen soll – dies wird erst in der praktischen Philosophie thematisiert.

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Kapitel 2

seine Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen als Existenzweise

Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung ein Wirkliches als Existierendes

seine Existenz in jeder Situation (reines) Praxismodell

Dieses logische Modell ist keine kognitive Erklärung des Wirklichen mehr. Mit der Erläuterung des (reinen) Praxismodells ist aber die hinreichende Darstellung des Praxismodells noch nicht abgeschlossen. Denn es wird im (reinen) Praxismodell nicht erwähnt, warum die Existenz eines Wirklichen in jeder Situation die Realisierung seiner Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen ist bzw. warum sich ein Wirkliches als Existierendes in jeder Situation praktisch auf andere Wirkliche bezieht. Ohne dieses Problem zu lösen, gibt das (reine) Praxismodell nur formell die Praxis wieder; wesentlich drückt es die Kognition aus. Ausführlich gesagt: Gemäß der Argumentation in Kapitel 1. fußt die Phrase »in jeder Situation« immer auf einer logischen Grundlage, welche wesentlich das begreifende Denken ist. Da im (reinen) Praxismodell die logische Grundlage, welche das »in jeder Situation« beim einzelnen »sich« garantiert, nicht erwähnt wird, kann sie nur als das begreifende Denken aufgefasst werden. Deswegen können wir lediglich sagen, dass für das begreifende Denken die Existenz eines Wirklichen in jeder Situation die Realisierung seiner Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen ist bzw. dass sich ein Wirkliches als Existierendes für das begreifende Denken in jeder Situation praktisch auf andere Wirkliche bezieht. Hiernach fällt das (reine) Praxismodell faktisch ins Kognitionsmodell zurück. Ein solches Kognitionsmodell stellt den folgenden Denkprozess dar: Das begreifende Denken (Aw) setzt den abstrakten Begriff »Wirkliches« (Aa) und bestimmt dessen logische Funktionsweise (B). Die logische Funktionsweise des abstrakten Begriffs »Wirkliches« besteht darin, dass sich ein konkret Wirkliches (E) aufgrund dieses Begriffs (Aa) so darstellt, dass es sich in jeder Situation praktisch auf andere Wirkliche bezieht. Deswegen befindet sich ein konkret Wirkliches als Existierendes (E), da es unter dem abstrakten Begriff »Wirkliches« (Aa) steht, für das begreifende Denken (Aw) in jeder Situation in der Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen (B). Also ist die oben kommentierte Sich-auf-sich-Beziehung als (reines) Praxismodell in der Tat dem Kognitionsmodell, welches sich wie folgt kommentieren lässt, äquivalent:

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Konzeption des aktiven Praxismodells seine logische Funktionsweise, welche garantiert, dass sich ein konkret Wirkliches in jeder Situation praktisch auf andere Wirkliche bezieht

die sich bewegende Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung (Aw) der abstrakte Begriff »Wirkliches«

ein konkret Wirklichesin jeder Situation

das begreifende Denken

Mit anderen Worten: Das (reine) Praxismodell wird zu einem kognitiven Lehrsatz über ein konkret Wirkliches (vgl. Abschnitt 1.4). Da ein Wirkliches als Existierendes auf den abstrakten Begriff »Wirkliches« zurückgeführt wird, wird es nicht mehr im praktischen Sinne dargestellt, sondern nur im kognitiven Sinne begriffen. Dementsprechend gehört die Bestimmtheit »sich praktisch auf andere Wirkliche beziehen« bei näherer Betrachtung im wahren Sinne nur zum ab­strakten Begriff »Wirkliches«. Wenn dies der Fall ist, entwickelt sich das logische System der Begriffslogik nicht fort, sondern erschöpft sich immer noch in der Subjektivität. Es ist zu betonen, dass im Praxismodell die Phrase »in jeder Situation« für das einzelne »sich« unentbehrlich ist. Denn »die Existenz eines Wirklichen in einigen Situationen« und dieses Wirkliche selbst als Existierendes (das allgemeine »Sich«) gleichen sich logisch nicht aus und wir können somit nicht sagen, dass diese beiden voneinander nicht zu unterscheiden sind. Daraus ergibt sich, dass sich die Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung als Praxismodell ohne das »in jeder Situation« beim einzelnen »sich« nicht bilden kann. Wie wird das »in jeder Situation« beim einzelnen »sich« im Praxismodell dann im objektiven Sinne – also nicht mehr ausschließlich durch das begreifende Denken – garantiert? Anders ausgedrückt: Aus welchem Grund bezieht sich ein Wirkliches als Existierendes im objektiven Sinne in jeder Situation praktisch auf andere Wirkliche? Faktisch ist das (vollständige) Praxismodell ebenso wie das Kognitionsmodell nicht nur eine substantivische ›Sich-auf-sich-Beziehung‹, sondern auch zugleich ein verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹. Genauer gesagt: Das (reine) Praxismodell als substantivische ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung‹ treibt sich aktiv durch sich selbst an. Das verbale ›Sich-auf-sich-­Beziehen‹, welches als Verbalisierung des (reinen) Praxismodells bzw. als Sich-Bewegen des (reinen) Praxismodells innerlich dieses antreibt, ist das dritte logische Modell neben dem Kognitions- und dem (reinen) Praxismodell. Dieses Modell ist das Aktivitätsmodell. Es fokalisiert die immanente Aktivität eines Wirklichen, durch die Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen seine eigene Existenz zu be-

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wahren.3 Gerade durch ein solches dem (reinen) Praxismodell inhärierende Aktivitätsmodell wird die objektive Notwendigkeit des (reinen) Praxismodells garantiert.4 Deswegen ist ein vollständiges Praxismodell eben das aktive Praxismodell. In diesem macht die immanente Aktivität eines Wirklichen, durch die Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen seine eigene Existenz zu bewahren, das wahrhaftig Allgemeine aus. (Im Vergleich zu dieser immanenten Aktivität ist ein Wirkliches selbst als Existierendes nur das abstrakt Allgemeine.) Dementsprechend ist das Einzelne im aktiven Praxismodell als Existenz eines Wirklichen in jeder Situation nicht nur die Realisierung der Praxisbeziehung dieses Wirklichen zu anderen Wirklichen (B), sondern auch die Realisierung der immanenten Aktivität (Aw) dieses Wirklichen. Gleichfalls wird im Kognitionsmodell nicht nur die durch das begreifende Denken bestimmte logische Funktionsweise (B) des abstrakten Begriffs, sondern auch das begreifende Denken selbst (Aw) im Einzelnen als Wirklichem realisiert. Nach der obigen Analyse ist das aktive Praxismodell als vollständige Darstellung des Praxismodells ebenso wie das Kognitionsmodell eine sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung. Diese lässt sich wie folgt kommentieren: seine Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen als Existenzweise

die sich bewegende Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung (Aw) ein Wirkliches als Existierendes

seine Existenz in jeder Situation

seine immanente Aktivität, durch die Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen seine eigene Existenz zu bewahren

Das aktive Praxismodell besagt, dass die immanente Aktivität (Aw) eines Wirklichen, durch die Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen seine eigene Existenz zu bewahren, dieses Wirkliche als Existierendes (Aa) antreibt, sich praktisch auf andere Wirkliche zu beziehen (B) und auf diese Weise in jeder Situation zu existieren (E). Ein solches aktive Praxismodell kann durch das folgende Diagramm übersichtlich dargestellt werden, welches in Hinsicht auf die Form analog zum Kognitionsmodell konzeptualisiert ist, aber einen verschiedenen Inhalt hat: Eine solche immanente Aktivität ist eben das in der Teleologie dargestellte Zwecksetzen. Vgl. Abschnitt 2.6. 4 Mit Kochs Worten: »Sobald die Notwendigkeit […] in ihre Wahrheit [sc. objektive Notwendigkeit] kommt, hört sie auf, Notwendigkeit zu sein und verklärt sich zur Freiheit [sc. zur Aktivität].« (Koch 2014, S. 173) 3

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Aa »Sich« ein Wirkliches als Existierendes

Aw »Beziehung«

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B »auf« seine Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen als Existenzweise

P

E »sich« seine Existenz in jeder Situation

(P: Praxismodell, Pfeile: Aktivität)

Die Pfeile in diesem Diagramm zeigen die immanente Aktivität eines Wirklichen selbst auf. Es ist zu beachten, dass im alltäglichen Kontext die drei Momente des aktiven Praxismodells ebenso wie drei Begriffsmomente des Kognitionsmodells ein gemeinsames Ganzes ausmachen. Nur in der philosophischen Reflexion unterscheiden wir sie voneinander. Dem obigen Diagramm ist deutlich zu entnehmen, dass ein Wirkliches als Existierendes sich durch sich selbst eine logische Grundlage  – seine immanente Aktivität – liefert, deren logische Struktur (ebenso wie die des begreifenden Denkens) das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ ist. Die immanente Aktivität eines Wirklichen, durch die Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen seine eigene Existenz zu bewahren, macht aus den folgenden zwei Gründen eine logi­ sche Grundlage aus: a) Einerseits kann diese immanente Aktivität keinesfalls auf empirische Weise direkt beobachtet werden. Das, was wir mit eigenen Augen sehen können, ist nur ein in irgendeiner Situation existierendes Wirkliches bzw. irgendein existierender Zustand eines Wirklichen. b) Andererseits treibt diese immanente Aktivität innerlich ein Wirkliches als Existierendes an, sich in jeder Situation praktisch auf andere Wirkliche zu beziehen. Gerade durch diese immanente Aktivität manifestiert sich ein Wirkliches auf eine allgemeine Weise. Aber Folgendes ist zu beachten: Mit der logischen Grundlage als immanenter Aktivität wird ein Wirkliches nicht mehr einseitig im begreifenden Denken verallgemeinert, sondern es verallgemeinert sich schlechthin durch sich selbst. Gerade in diesem Sinne ist das aus einem Wirklichen selbst entfaltete Praxismodell nicht mehr formell, sondern beseelt. Anders formuliert: Das Praxismodell fällt nicht mehr ins Kognitionsmodell zurück, sondern ist ihm parallelgeschaltet. Aus der obigen Analyse geht hervor, dass sich das Kognitions- und das Praxismodell nicht nach dem Inhalt in ihrer jeweiligen substantivischen ›Sich-auf-sich-Beziehung‹, sondern nach ihrer jeweiligen Triebkraft als verbalem ›Sich-auf-sich-­Beziehen‹

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voneinander unterscheiden. Wenn das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ das begreifende Denken ist, dann ist die substantivische ›Sich-auf-sich-Beziehung‹ als Praxismodell, wie oben erklärt, wesentlich einem Kognitionsmodell äquivalent, auch wenn ihr drei Momente ein Wirkliches als Existierendes (Aa), seine Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen als Existenzweise (B) und seine Existenz in jeder Situation (E) ausdrücken. Die substantivische ›Sich-auf-sich-Beziehung‹ mit diesen drei Momenten wird genau dann zu einem eigentlichen Praxismodell, wenn ihre Triebkraft als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ die immanente Aktivität eines Wirklichen, durch die Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen seine eigene Existenz zu bewahren, ist. In Hegels Texten und bei einigen seiner Interpreten ist das soeben dargestellte aktive Praxismodell de facto nicht hinreichend herausgearbeitet. Meine Abstraktion des aktiven Praxismodells aus der Begriffslogik und meine sich ihr anschließenden Überlegungen orientieren sich an der Interpretation des Gedanken der an die Subjektivität anschließenden Objektivität und Idee. Einerseits sind diese beiden als Glieder der Begriffslogik im Rahmen des Begriffs zu diskutieren, und zwar anhand der Form als der sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)sich(E)-Beziehung(Aw). Andererseits müssen sie beide über das das begreifende Denken repräsentierende Kognitionsmodell hinausgehen. Anderenfalls kann sich das logische System der Begriffslogik nicht mehr fortentwickeln. Um die logische Struktur der Objektivität und der Idee interpretieren zu können, ist also ein neues logisches Modell nötig, welches zwar auch die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung zur Form hat, aber nicht das Kognitionsmodell ist. Dieses neue logische Modell ist eben das dem Kognitionsmodell parallelgeschaltete aktive Praxismodell. Ohne dieses logische Modell können die Objektivität und die Idee in der Begriffslogik nicht hinreichend und nicht komplex genug interpretiert werden. Fernerhin wird gerade durch das aktive Praxismodell die wahre Identität des Wirklichen mit dem begreifenden Denken garantiert. Diese ist auch die Kernthese der Begriffslogik, wie sie in dieser Untersuchung vertreten wird: die logische Isomorphie des Denkens und des Wirklichen. 2.2 Die logische Funktion der Objektivität im logischen System der Begriffslogik Durch das in Abschnitt 2.1.2 dargestellte und aus einem Wirklichen selbst entfaltete aktive Praxismodell entwickelt sich das logische System der Begriffslogik fort. Blicken wir zunächst auf das in Kapitel 1. analysierte Kognitionsmodell als sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung zurück, welche sich wie folgt kommentieren lässt:

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seine logische Funktionsweise

die sich bewegende Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung (Aw) der abstrakte Begriff

das Wirklichein jeder Situation

das begreifende Denken

Der abstrakte Begriff an der Stelle des allgemeinen »Sich« drückt die abstrakte logische Grundlage des Wirklichen aus, während das begreifende Denken selbst als ganze sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung bzw. als das verbale ›Sich-aufsich-Beziehen‹ die wahre logische Grundlage des Wirklichen ausdrückt. Nun ersetzen wir die abstrakte logische Grundlage durch die wahre, indem wir die ganze sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) in eines ihrer Momente setzen, und zwar in das allgemeine »Sich«.5 Diese Instruktion lässt sich durch das folgende Diagramm veranschaulichen: Aa »Sich«

Aa »Sich« Aw »Beziehung« begreifendes Denken K E »sich«

B »auf«

B »auf« Aw »Beziehung« begreifendes Denken K E »sich« (K: Kognitionsmodell, Pfeile: Aktivität)

Im Folgenden wird es nicht darum gehen, zu zeigen, wie der abstrakte Begriff als Begriffsmoment im Wirklichen wirkt, sondern es wird darum gehen, zu zeigen, wie das begreifende Denken selbst als ganze sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)sich(E)-Beziehung(Aw) im Wirklichen wirkt. Die logische Funktionsweise der 5

Mit A. Kochs Worten: »Die Mühle [sc. die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung] [ermahlt] nicht nur ihr Mahlgut [sc. die Begriffsmomente], sondern ipso facto sogar sich selbst.« (Koch 2014, S. 152)

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ganzen sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung im Wirklichen besteht darin, dass ein Wirkliches sich selbst zur sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung entfaltet und sich durch sich selbst, nämlich durch seine eigene immanente Aktivität, verallgemeinert. Diese aus einem Wirklichen selbst entfaltete sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung ist eben das in Abschnitt 2.1.2 dargestellte aktive Praxismodell. In diesem Sinne spielt das aus einem Wirklichen selbst entfaltete aktive Praxismodell dann die Rolle des Besonderen, wenn das begreifende Denken selbst als ganze sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) an der Stelle seines eigenen allgemeinen »Sich« steht.6 Die auf dem aktiven Praxismodell fußende Entwicklung des logischen Systems der Begriffslogik illustriert das folgende Diagramm: Aa »Sich«

Aa »Sich« Aw »Beziehung« begreifendes Denken K E »sich«

B »auf«

Aa »Sich« ein Wirkliches als Existierendes

Aw »Beziehung« begreifendes Denken K

B »auf« Aw »Beziehung« Objektivität

B »auf« seine Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen als Existenzweise

P E »sich« seine Existenz in jeder Situation

E »sich« (K: Kognitionsmodell, P: Praxismodell, Pfeile: Aktivität)

Auf der Textebene stellt sich dieses Diagramm wie folgt dar: »Die Herleitung des Reellen aus ihm [sc. dem Begriff bzw. dem begreifenden Denken], wenn man es Herleitung nennen will, besteht zunächst wesentlich darin, daß der Begriff in seiner formellen Abstraction sich als unvollendet zeigt [– da an sich das Wirkliche noch vom begreifenden Denken unabhängig ist (vgl. Abschnitt 1.3 und 1.4) –], und durch die in ihm [sc. dem Begriff] selbst gegründete Dialektik zur Realität [sc. zum Wirklichen] so übergeht, daß er [sc. der Begriff] sie [sc. die Realität] aus sich erzeugt, aber nicht, daß er zu einer fertigen, ihm gegenübergefunde6

»Indem die Logik Wissenschaft der absoluten Form [sc. der sich bewegenden Sich-auf-sichBeziehung] ist, so muß diß Formelle [sc. die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung], damit es ein Wahres seye, an ihm selbst einen Inhalt haben, welcher seiner Form gemäß sey.« (GW 12, 27)

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nen Realität wieder zurückfällt [– da die Realität bzw. das Wirkliche ebenso wie das begreifende Denken sich selbst zur sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung entfaltet].«7

Aus dem letzteren Diagramm geht hervor, dass gerade mittels des aus einem Wirklichen selbst entfalteten aktiven Praxismodells das begreifende Denken über die reine Subjektivität hinausgeht. Deshalb ist das aktive Praxismodell unzweifelhaft der entscheidende Schritt, das logische System der Begriffslogik begrifflich weiterzuentwickeln. Mit Nuzzos Worten: »Eine dem Begriff eigene Form der Existenz [sc. das aktive Praxismodell, welches im praktischen Sinne das Existieren eines Wirklichen schildert und ebenso wie das begreifende Denken die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung zur Form hat] zu begründen, macht gerade die spezifische Aufgabe des Entwicklungsprozesses der subjektiven Logik aus.«8 »Schließlich ist gerade eine besondere Bestimmung der Existenz dafür verantwortlich, die ganze Logik zu Ende zu bringen.«9

Das aktive Praxismodell, welches im letzteren Diagramm an der Stelle des Besonderen steht, verständlich zu machen, ist ein zentrales Anliegen des Abschnittes »Die Objektivität«. (Gerade aus diesem Grund habe ich im letzteren Diagramm »Objektivität« in die Mitte des Dreieckes, welches das aktive Praxismodell repräsentiert, gesetzt.) Im Vergleich zum aktiven Praxismodell wurde das Kognitionsmodell im Abschnitt »Die Subjektivität« dargestellt. Da jede von der Subjektivität und Objektivität für sich genommen eine sich bewegende Sichauf-sich-Beziehung darstellt, »findet in der Begriffslogik beim Übergang von der Subjektivität zur Objektivität kein Themenwechsel, kein Sprung von der Seite der Sprache zur Seite der Welt statt«10. Hegel erklärt die Entstehung der Objektivität wie folgt: GW 12, 24–25. Vgl. auch: »Eins mit der Sache ist er [sc. der Begriff, und zwar das begreifende Denken] in sie versenkt.« (GW 12, 30) 8 Nuzzo 2003, S. 183. Vgl. auch: »In der subjektiven Logik hebt Hegel ›den Begriff‹ vielmehr selbst in den Rang einer Entität und erklärt ihn zu etwas real Existierendem.« (Sans 2006, S. 232) 9 Nuzzo 2003, S. 173. 10 Koch 2014, S. 175. Vgl. auch: »Diese beiden Abschnitte [sc. »Die Subjektivität« und »Die Objektivität«] spiegeln in einer gespannten Komplementarität das wechselseitige Verhältnis, in dem Subjektivität und Objektivität einander implizieren.« (Burbidge 2002, S. 240) Vgl.: »Die Pointe der hegelschen Konzeption des Objekts liegt vielmehr in der These, dass der Begriff und das Objekt analog verfasst sind. Subjektivität und Objektivität bilden nicht bloß die Momente eines Ganzen, das Hegel die Idee nennt, sondern dank ihrer identischen Struktur lassen sich das Objekt und die Idee mit Hilfe der Formen des subjektiven Denkens darstellen.« (Sans 2006, S. 230–231) 7

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»Das Resultat [sc. die Objektivität] ist daher eine Unmittelbarkeit, die durch Aufheben der Vermittlung hervorgegangen, ein Seyn, das ebensosehr identisch mit der Vermittlung und der Begriff ist, der aus und in seinem Andersseyn sich selbst hergestellt hat.«11

Im Kontext des eigenen Argumentationsgangs bietet sich folgende Interpretation dieser Passage an: Was die logische Form der sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)sich(E)-Beziehung(Aw) betrifft, so gibt es nur zwischen dem allgemeinen »Sich« und dem einzelnen »sich« eine (formelle) Vermittlung, nämlich das Besondere; aber das allgemeine »Sich« und das Besondere als formelle Vermittlung werden nicht mehr durch eine weitere (formelle) Vermittlung verbunden. Anders formuliert: Das allgemeine »Sich« wird unmittelbar im Besonderen aufgehoben; dementsprechend ist das Besondere eben das unmittelbar aufgehobene allgemeine »Sich«. Wie dem letzteren Diagramm entnommen werden kann, steht nun die Objektivität als Darstellung des aktiven Praxismodells an der Stelle des Besonderen, während die Subjektivität als Darstellung des Kognitionsmodells an der Stelle des allgemeinen »Sich« steht. Deswegen schreibt Hegel in der obigen Passage, dass die Objektivität »eine Unmittelbarkeit« ist. Wie in Abschnitt 1.1 erwähnt, basiert die Vermittlung in der sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)Beziehung(Aw) auf zwei Stufen. Die eine Stufe ist die formelle Vermittlung oder das Besondere. Die andere Stufe ist die wahre Vermittlung oder die ganze sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung selbst als das wahrhaftig Allgemeine. Hiernach kann die Entstehung der Objektivität als der folgende Prozess betrachtet werden: Die wahre Vermittlung im Sinne des Kognitionsmodells wird in einer anderen wahren Vermittlung  – dem aktiven Praxismodell  – aufgehoben. Mit anderen Worten: Die wahre Vermittlung im Sinne des Kognitionsmodells wird in Form der wahren Vermittlung im Sinne des aktiven Praxismodells wieder aufgebaut. Deswegen schreibt Hegel in der obigen Passage anschließend: Die Objektivität geht »durch Aufheben der Vermittlung [als Aufheben des Kognitionsmodells]« hervor; aber sie ist zugleich »identisch mit der Vermittlung [im Sinne des aktiven Praxismodells]« und ist »der Begriff [bzw. die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung], »der aus und in seinem Anderssein[, und zwar der sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung im Sinne des aktiven Praxismodells,] sich selbst hergestellt hat«. In Ansehung eines solchen Entstehungsprozesses der Objektivität hat »die Objectivität die Bedeutung des an und für sichseyenden Seyns des Begriffes, des Begriffes, der die in seiner Selbstbestimmung gesetzte Vermittlung, zur unmittelbaren Beziehung auf sich selbst, aufgehoben hat«12. GW 12, 126. Vgl. auch: »Die Objectivität endlich ist die Unmittelbarkeit, zu der sich der ­Begriff durch Aufhebung seiner Abstraction und Vermittlung bestimmt.« (GW 12, 130) 12 GW 12, 131. Vgl. auch: »Diß Seyn ist daher eine Sache, die an und für sich ist, – die Objectivität.« (GW 12, 126) Dazu sagt Fulda: »Die Objektivität ist nicht bloß diejenige eines 11

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Da das aus einem Wirklichen entfaltete aktive Praxismodell im Abschnitt »Die Objektivität« dargestellt wird, heißt das Wirkliche im aktiven Praxismodell »Objekt«. Also ist das im Abschnitt »Die Objektivität« darzustellende aktive Praxismodell als sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung wie folgt zu kommentieren: seine Praxisbeziehung zu anderen Objekten als Existenzweise

die sich bewegende Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung (Aw) ein Objekt als Existierendes

seine Existenz in jeder Situation

seine immanente Aktivität, durch die Praxisbeziehung zu anderen Objekten seine eigene Existenz zu bewahren

Das aktive Praxismodell darzustellen, besteht in der Tat eben darin, darzustellen, wie sich ein Objekt objektiv-notwendig bzw. im objektiven Sinne in jeder Situation praktisch auf andere Objekte bezieht, und zwar darzustellen, wie ein Objekt (Aa) in seiner Praxisbeziehung zu anderen Objekten (B) aufgehoben wird. Anders formuliert: Es ist darzustellen, wie der Widerspruch »der vollkommnen Selbstständigkeit des Mannichfaltigen, und der eben so vollkommnen Unselbstständigkeit derselben«13 behoben wird. Wenn ein Objekt in seiner Praxisbeziehung zu anderen Objekten aufgehoben wird, wenn also sich ein Objekt objekt-notwendig bzw. im objektiven Sinne in jeder Situation praktisch auf andere Objekte bezieht, dann wird seine vollkommene Selbständigkeit negiert. Was bleibt, ist seine vollkommene Unselbständigkeit. Auf diese Wiese wird der eben erwähnte Widerspruch behoben. Im Abschnitt »Die Objektivität« erläutert Hegel drei verschiedene Weisen, die Praxisbeziehung eines Objekts zu anderen Objekten darzustellen, also die mechanische (Mechanismus), die chemische (Chemismus) und die teleologische Weise (Teleologie); dementsprechend manifestiert sich die objektive Welt Bewusstseins von Gegenständen möglicher Erfahrungserkenntnis, sondern Objektivität jeglicher durch Schlüsse in gewissen Schlußformen vermittelter Realisierung ›des‹ (einen) Begriffs.« (Fulda 2003, S. 137) Mit Nuzzos Worten: »Mithin ist die Objektivität des Begriffs die Durchführung seiner produktiven Handlung im Element der Existenz.« (Nuzzo 2003, S. 187) 13 Enzy., § 194 (GW 20, 204). Vgl. auch: »Es ist hiemit der Widerspruch vorhanden, zwischen der vollkommenen Gleichgültigkeit der Objecte gegen einander, und zwischen der Identität der Bestimmtheit derselben, oder ihrer vollkommenen Aeusserlichkeit in der Identität ihrer Bestimmtheit. Dieser Widerspruch ist somit die negative Einheit mehrerer sich in ihr schlechthin abstossender Objecte.« (GW 12, 136) Diese Identität der Bestimmtheit der Objekte besagt, dass sich die Objekte in der Praxisbeziehung zueinander befinden.

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als eine mechanische, eine chemische und eine teleologische Welt. Wie die objektive Welt aussieht, ist also abhängig davon, wie die Praxisbeziehung zwischen Objekten dargestellt wird. Es wird erst in der höchsten Phase der Objektivität, nämlich in der Teleologie, vollständig dargestellt, wie sich ein Objekt objektivnotwendig praktisch auf andere Objekte bezieht. Auf das aktive Praxismodell übertragen, bedeutet dies, dass dieses sich erst mit dem Gedanken der Teleologie in ausdifferenzierter und hinreichend komplexer Form begreifen lässt. Es ist zu betonen, dass der Objektivitätsabschnitt, welcher aus dem Mechanismus, dem Chemismus und der Teleologie besteht, faktisch nicht in die Realphilosophie hineingeht. Hierfür ist der Grund das Folgende: Der Mechanismus, der Chemismus und die Teleologie schildern jeweils für sich, wie sich ein Objekt praktisch auf andere Objekte bezieht. Die Praxisbeziehung eines Objekts zu anderen Objekten macht ein unentbehrliches Moment (das Besondere) des aus einem Objekt selbst entfalteten aktiven Praxismodells aus. Zugleich macht das aktive Praxismodell selbst, wie dem zweiten Diagramm in diesem Abschnitt entnommen werden kann, ein unentbehrliches Moment (ebenso das Besondere) im ganzen logischen System der Begriffslogik aus. Deswegen stellen der Mechanismus, der Chemismus und die Teleologie wesentlich das logische System der Begriffslogik dar. Der Begriff der Objektivität hängt damit nicht in der Luft, sondern wird nach wie vor im Rahmen der Wissenschaft der Logik gedacht. In den folgenden Abschnitten werde ich mich ausführlich mit den im Objektivitätsabschnitt verhandelten drei Weisen auseinandersetzen und erklären, wie sich ein Objekt objektiv-notwendig praktisch auf andere Objekte bezieht. 2.3 Exkurs II: Mechanismus als Prä-Kognition und Kognitionsmodell Wie eben erwähnt, stellt jede Phase der Objektivität eine Weise dar, wie sich ein Objekt praktisch auf andere Objekte bezieht. In der ersten Phase der Objektivität beziehen sich mannigfaltige Objekte nur äußerlich und daher mechanisch im praktischen Sinne aufeinander; wesentlich sind sie nach wie vor voneinander unabhängig. Hegel bezeichnet diese erste Phase der Objektivität als »Mechanismus«: »Diß macht den Charakter des Mechanismus aus, daß welche Beziehung zwischen den Verbundenen Statt findet, diese Beziehung ihnen eine fremde ist, welche ihre Natur nichts angeht.«14 Nach Hegel enthält der Mechanismus drei verschiedene Modi – den formalen, den realen und den absoluten Mechanismus. Bei den ersten zwei bildet sich keine Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung, weil sie 14

GW 12, 133. Mit Kochs Worten: In der Phase des Mechanismus sind die Objekte nur die »Massepunkte […], deren je spezifische Bestimmungen keine Rolle spielen« (Koch 2014, S. 182).

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beide nicht garantieren, dass sich ein Objekt in jeder Situation bzw. notwendig im praktischen Sinne auf andere Objekte bezieht. In diesem Zustand sind sie beide zur bloßen Prä-Kognition zu rechnen. Im Vergleich dazu macht der absolute Mechanismus nur ein mit dem praktischen Inhalt angereichertes Kognitionsmodell aus. Daraus geht hervor, dass die theoretische Zielsetzung des Objektivitätsabschnittes, das aus einem Objekt selbst entfaltete aktive Praxis­modell darzustellen, nicht durch den Mechanismus erfüllt werden kann. Deswegen erkläre ich nur in einem Exkurs skizzenhaft den Mechanismus. Der formelle Mechanismus drückt ein kontinuierliches Bedingungsverhältnis von Objekten aus, indem ein erstes Objekt ein zweites, dieses ein drittes usw. bedingt. Dieses Verhältnis nennt Hegel »Mittheilung«15. Die Praxisbeziehung zwischen den Objekten untereinander scheint einem Duft zu gleichen, der »in der widerstandslosen Athmosphäre sich frey verbreitet«16. Der formelle Mechanismus liefert nur eine unmittelbare Darstellung der Praxisbeziehung zwischen Objekten. Die Praxisbeziehung zwischen den einzelnen Objekten ist nur auf der Ebene des Daseins bestimmbar.17 Der formelle Mechanismus erwähnt nicht, wie sich ein Objekt objektiv-notwendig im praktischen Sinne auf andere Objekte bezieht; ihm zufolge sind Objekte nur formell »zusammengesetzt« bzw. »vermischt«18. Deswegen befreien sie sich nicht von ihrer jeweiligen Selbständigkeit.19 Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass mannigfaltige Objekte in der Tat »bestimmt unterschiedene gegen einander«20 sind. Das stärkere Objekt kann seine Einwirkung auf das schwächere Objekt ausüben. Gerade aus diesem Grund beziehen sich Objekte praktisch aufeinander. Hiernach entwickelt sich der formelle Mechanismus zum realen Mechanismus, da ein realer Grund entsteht, welcher erklärt, wie sich ein Objekt praktisch auf andere Objekte bezieht. Aber trotz der Einwirkung des stärkeren Objekts auf das schwächere wird die jeweilige Selbständigkeit der Objekte nicht negiert. Denn der reale Mechanismus Vgl. GW 12, 137–138. GW 12, 138. 17 Vgl.: »Das Object hat hiemit, wie ein Daseyn überhaupt, die Bestimmtheit seiner Totalität ausser ihm, in andern Objecten, diese eben so wieder ausser ihnen, und sofort ins unendliche.« (GW 12, 135) 18 Vgl. GW 12, 139. Vgl. auch: »Als Einheit Unterschiedener ist es [sc. das Objekt] daher ein Zusammengesetztes, ein Aggregat, und die Wirksamkeit auf Anderes bleibt eine äußerliche Beziehung.« (Enzy., § 195, GW 20, 205) 19 »Die Objecte beweisen daher auch ihre Selbstständigkeit, erhalten sich als einander äusserlich, und stellen die Einzelnheit in jener Allgemeinheit her. Diese Herstellung ist die Reaction überhaupt.« (GW 12, 138) Vgl. auch: »Das Object behauptet seine Aeusserlichkeit gegen die mitgetheilte Allgemeinheit. Die Action [sc. die Mitteilung] geht dadurch in Ruhe über.« (GW 12, 139) 20 GW 12, 140. 15 16

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garantiert nicht, dass das stärkere Objekt im objektiven Sinne in jeder Situation auf das schwächere Objekt einwirkt, weshalb sich Objekte dem realen Mechanismus zufolge nicht objektiv-notwendig im praktischen Sinne aufeinander beziehen; jedes Objekt hat allenfalls nur die »relative Unselbständigkeit«21. In diesem Zustand wird die »Macht« als »Schicksal«22, welche über Objekte herrscht, vorausgesetzt. Gerade durch diese Macht wirkt das stärkere Objekt im objektiven Sinne in jeder Situation auf das schwächere Objekt ein und daher beziehen sich Objekte objektiv-notwendig im praktischen Sinne aufeinander.23 Aber es ist darauf hinzuweisen, dass eine solche Macht de facto nur äußerlich, und zwar »blind«24 bzw. dogmatisch, Objekten aufgedrängt wird. Deswegen können wir sowohl behaupten, dass diese über Objekte herrschende Macht existiert, als auch behaupten, dass sie nicht existiert. Zu einer solchen Macht sagt Hegel: »Die Macht wird dadurch zur Gewalt, daß sie [sc. die Macht], eine objective Allgemeinheit, mit der Natur des Objects identisch ist, aber ihre [sc. der Macht] Bestimmtheit oder Negativität nicht dessen [sc. des Objekts] eigene negative Reflexion in sich ist, nach welcher es [sc. das Objekt] ein Einzelnes ist.«25

Da die Wahrheit dieser über Objekte herrschenden Macht, durch welche sich Objekte objektiv-notwendig praktisch aufeinander beziehen, nicht garantiert werden kann, können wir nicht sagen, dass sich ein Objekt objektiv-notwendig in der Praxisbeziehung zu anderen Objekten befindet. Die Praxisbeziehung zu anderen Objekten ist ein bloßer Schein. Hiernach behalten Objekte beim realen Mechanismus noch ihre jeweilige Selbständigkeit. Erst im anschließenden absoluten Mechanismus erfahren wir, woher die Wahrheit dieser über Objekte herrschenden Macht kommt. »Seine [sc. des Objekts] relative Unselbstständigkeit manifestirt sich darin, daß seine Einzelnheit nicht die Capacität für das Mitgetheilte [sc. seine Praxisbeziehung zu anderen Objekten] hat, daher von demselben [sc. dem Mitgeteilten] zersprengt wird, weil es [sc. das Objekt] sich an diesem Allgemeinen [sc. dem Mitgeteilten] nicht als Subject constituiren, dasselbe [Allgemeine] nicht zu seinem [sc. des Objekts] Prädicate machen kann.« (GW 12, 141) Kurzum: Das Urteil »Ein Objekt (Subjekt) ist ein sich praktisch auf andere Objekte Beziehendes (Prädikat)« kann im wahren Sinne nicht gefällt werden. 22 »Die Macht, als die objective Allgemeinheit und als Gewalt gegen das Object, ist, was Schicksal genannt wird.« (GW 12, 141) 23 Kreines nennt daher den realen Mechanismus »fundamentalist mechanism«. Er erwähnt: »Fundamentalist mechanism must hold that the powers or capacities of things cannot be brute, but must always rest on something underlying, which will ultimately be fundamental matter.« (Kreines 2015, S. 43) 24 GW 12, 141. 25 GW 12, 141. Vgl. auch: »Schicksal [sc. Macht] ist deshalb mit dem Begriff der Entfremdung verbunden: In der Entfremdung ist man in eine fremde Notwendigkeit verstrickt, der man keinen Sinn abgewinnen kann.« (Moyar 2018, S. 610) 21

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Der absolute Mechanismus besagt, dass sich ein Objekt in jeder Situation praktisch auf andere Objekte beziehen soll, da es Objekt ist. Das »Sollen« deutet an, dass ein konkretes Objekt (E) auf den abstrakten Begriff »Objekt« (Aa) zurückgeführt wird. Der abstrakte Begriff »Objekt« (Aa) ist, wie in Abschnitt 1.1 erwähnt, kein bloßer Name. Seine logische Funktionsweise (B) besteht darin, dass sich ein konkretes Objekt (E) aufgrund des abstrakten Begriffs »Objekt« (Aa) so darstellt, dass es sich in jeder Situation praktisch auf andere Objekte bezieht. Sich praktisch auf andere Objekte zu beziehen, wird in diesem Sinne zum immanenten »Gesetz«26 des konkreten Objekts. Die beim realen Mechanismus erwähnte über Objekte herrschende Macht stellt eben die logische Funktionsweise des abstrakten Begriffs »Objekt« dar. Deswegen gründet sich die Wahrheit dieser Macht faktisch auf den abstrakten Begriff »Objekt«. Zum Objekt im Rahmen des absoluten Mechanismus sagt Hegel, dass ein konkretes Objekt »einerseits unter ein höheres Extrem, die objective Allgemeinheit und Macht des absoluten Centrums, subsumirt ist, auf der andern Seite die unselbstständigen Objecte unter sich subsumirt, deren oberflächliche oder formale Vereinzelung von ihr getragen wird«27.

Meiner Lesart nach ist das absolute Zentrum der durch das begreifende Denken gesetzte abstrakte Begriff »Objekt« als das abstrakt Allgemeine. In diesem Sinne wird das absolute Zentrum als die »ideelle[] Centralität«28 betrachtet. Im Vergleich zum abstrakten Begriff »Objekt« als absolutem Zentrum spielt ein konkretes Objekt die Rolle des relativen Zentrums, weil andere Objekte im praktischen Sinne auf es bezogen und dadurch unselbständig werden. »Diese zweyten Centra [sc. die relativen Zentra] und die unselbstständigen Objecte sind durch jene absolute Mitte [sc. das absolute Zentrum] zusammengeschlossen.«29 Aber es ist nicht zu übersehen, dass nichts anderes als das begreifende Denken den abstrakten Begriff »Objekt« als absolutes Zentrum setzt und zugleich seine logische Funktionsweise (die über Objekte herrschende Macht) bestimmt und hiernach dem konkreten Objekt das immanente Gesetz, sich praktisch auf andere Objekte zu beziehen, gibt. In diesem Zustand bezieht sich ein konkre »Die Ordnung welches die bloß äusserliche Bestimmtheit der Objecte ist, ist in die immanente und objective Bestimmung übergegangen; diese ist das Gesetz.« (GW 12, 145) Vgl. auch: »Das Gesetz ist ihnen [sc. den Objekten] wohl immanent und macht ihre Natur und Macht aus.« (GW 12, 146) Vgl.: »The law is just a description of the powers inherent in the immanent concept, such as the immanent concept of matter.« (Kreines 2015, S. 52) Vgl.: »Laws are ideal representations of the behavior of objects in a mechanical system.« (Pinkard 1988, S. 87) 27 GW 12, 144. 28 GW 12, 147. 29 GW 12, 144. 26

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tes Objekt nur für das begreifende Denken in jeder Situation praktisch auf andere Objekte. Mit anderen Worten: Ein konkretes Objekt soll sich in jeder Situation praktisch auf andere Objekte beziehen.30 Dies kann aber nicht garantieren, dass sich ein konkretes Objekt im objektiven Sinne in jeder Situation praktisch auf andere Objekte bezieht. Kurzum: Es kann nicht garantiert werden, dass ein konkretes Objekt objektiv-notwendig gesetzmäßig ist. Im wahren Sinne gehört die Bestimmtheit »sich praktisch auf andere Objekte beziehen« nicht zur Natur eines konkreten Objekts, sondern nur zum abstrakten Begriff »Objekt«. Der obigen Analyse zufolge macht der absolute Mechanismus de facto ein Kognitionsmodell aus,31 welches sich wie folgt kommentieren lässt: seinelogische logischeFunktionsweise, Funktionsweise, welche garantiert, seine welche garantiert, dasssich sichein einkonkretes konkretes Objekt in jeder Situation dass Objekt in jeder Situation praktischauf aufandere andere Objekte bezieht praktisch Objekte bezieht

sichbewegende bewegende Sich Sich (Aa) – sich (E) (E) – Beziehung (Aw) (Aw) diedie sich (Aa)––auf auf(B)(B) – sich – Beziehung der abstrakte Begriff

der abstrakte Begriff »Objekt« »Objekt«

ein konkretes Objektin jeder Situation

ein konkretes Objektin jeder Situation

das begreifende Denken

das begreifende Denken Ein solches Kognitionsmodell drückt einen kognitiven Lehrsatz über das Objekt aus (vgl. Abschnitt 1.4 und Abschnitt 2.1.2).32 Aus diesem Kognitionsmodell geht hervor, was das Wort »absolut« im »absoluten Mechanismus« bedeutet: dass sich dieser Mechanismus auf den abstrakten Begriff »Objekt« als absolutes Zentrum und weiter auf die absolute Form als sich bewegende Sich-auf-sichBeziehung gründet. Jedoch wird beim absoluten Mechanismus die jeweilige Selbständigkeit der Objekte trotz der absoluten Form als der sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung nicht wahrhaftig negiert, weil diese absolute Form das begreifende Denken ist. Also bezieht sich ein Objekt, wie eben erwähnt, nicht im objektiven Sinne in jeder Situation (bzw. nicht objektiv-notwendig), sondern nur Die Einheit der Objekte mit dem Zentrum als abstraktem Begriff »Objekt« »bleibt jedoch nur ein Sollen, da die zugleich noch gesetzte Aeusserlichkeit der Objecte, jener Einheit nicht entspricht.« (GW 12, 143) Mit Pippins Worten: »There is no real explanation for what happens, just a formalization of what happens.« (Pippin 2018, S. 279) Nach Pippin ist der Mechanismus »a principle, […] a pure or logical principle (rather than any first-order empirical discovery about the world)« (Pippin 2018, S. 288). 31 Vgl.: »Was im strengen Sinn an und für sich ist, ist daher nicht irgendein Objekt als solches, sondern das dem Ganzen inhärente Prinzip der Selbstbewegung, das jedem Objekt auferlegt, der eigenen Natur zu folgen.« (Burbidge 2002, S. 234) 32 In diesem Sinne wird der absolute Mechanismus bei Kreines auch als »reasonable mechanism« (vgl. Kreines 2015) bezeichnet. 30

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für das ihm gleichgültige bzw. äußerliche begreifende Denken in jeder Situation praktisch auf andere Objekte. 2.4 Chemismus als formelles Praxismodell Im Unterschied zum Mechanismus, in welchem sich ein Objekt nicht objektivnotwendig, sondern nur äußerlich (also mechanisch) im praktischen Sinne auf andere Objekte bezieht und daher seine Selbständigkeit nicht wahrhaftig negiert wird, existiert ein Objekt in der nächsten Phase der Objektivität in Form einer chemischen Verbindung. Diese nächste Phase der Objektivität nennt Hegel »Chemismus«. Da ein Objekt als eine chemische Verbindung dargestellt wird, »ist ein chemisches Object nicht aus ihm selbst begreiflich, und das Seyn des Einen ist das Seyn eines Andern«33. Mit anderen Worten: In der chemischen Darstellung befindet sich ein Objekt in Form einer chemischen Verbindung schlechthin in der Praxisbeziehung zu anderen Objekten. Die Praxisbeziehung eines Objekts zu anderen Objekten wird somit nicht mehr durch die über Objekte herrschende äußerliche Macht als Schicksal oder durch das dem konkreten Objekt gleichgültige bzw. äußerliche begreifende Denken garantiert. Vielmehr macht die Praxisbeziehung zu anderen Objekten die Existenzweise eines Objekts bzw. die immanente Natur eines Objekts aus. In diesem Sinne beschreibt der Chemismus auf der Ebene des Wesens das Objekt. Zum Chemismus sagt Hegel: »Das chemische Object unterscheidet sich von dem mechanischen dadurch, daß das Letztere eine Totalität ist, welche gegen die Bestimmtheit gleichgültig [sc. äußerlich] ist; bey dem chemischen dagegen gehört die Bestimmtheit, somit die Beziehung auf anderes, und die Art und Weise dieser Beziehung, seiner Natur an. – Diese Bestimmtheit ist wesentlich zugleich Besonderung, d. h. ist die Allgemeinheit aufgenommen; sie ist so Princip, – die allgemeine Bestimmtheit.«34

Hiernach kann sich der Chemismus durch den folgenden disjunktiven Schluss ausdrücken lassen  – »dieser disjunctive Schluß ist die Totalität des Chemismus«35: GW 12, 149. GW 12, 148. Vgl. auch: »Thus the ‹being’ of things of such kinds will depend on a whole interconnected network of kinds and laws within which it is a part.« (Kreines 2015, S. 183) Vgl.: »Im Chemismus wird anerkannt, dass die Identität der Gegenstände immer auch schon durch Relationen zu anderen Gegenständen definiert ist.« (Stekeler-Weithofer 2006, S. 72) »Chemische Substanzen als Gegenstände des Chemismus sind in ihrer Identität dadurch definiert, wie sie sich zueinander verhalten.« (Stekeler-Weithofer 2006, S. 72) 35 GW 12, 151. 33

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Ein Objekt ist entweder es selbst oder seine Praxisbeziehung zu anderen ­Objekten. Nun ist ein Objekt nicht es selbst. Also ist dieses Objekt seine Praxisbeziehung zu anderen Objekten.36 Der Obersatz besagt, dass ein Objekt in seiner Praxisbeziehung zu anderen Objekten aufgehoben wird, wodurch es logisch in zwei verschiedene Arten  – es selbst und seine Praxisbeziehung zu anderen Objekten – geteilt wird. Der Untersatz hält das eine Moment der Disjunktion in seiner Negativität fest: dass ein Objekt aufgehoben und somit nicht es selbst ist. Der Schlusssatz hält das andere Moment der Disjunktion in seiner Positivität fest: dass dieses Objekt in seiner Praxisbeziehung zu anderen Objekten steht und sich durch eben diese Praxisbeziehung zu anderen Objekten manifestiert. Aus dem ganzen disjunktiven Schluss geht mithin hervor, dass ein Objekt in der Weise existiert, in welcher es sich praktisch auf andere Objekte bezieht. Ein solcher disjunktive Schluss stellt in der Tat eben den in Abschnitt 1.2 erklärten Prozess der Besonderheit dar. Nach diesem disjunktiven Schluss ist die Praxisbeziehung eines Objekts zu anderen Objekten (B) eben das Resultat des Aufhebens dieses Objekts selbst (Aa), weshalb ein Objekt (Aa) und seine Praxisbeziehung zu anderen Objekten (B) schlechthin ein und dasselbe sind. Gerade in diesem Zustand ist die Existenz eines Objekts in jeder Situation (E) die Realisierung seiner Praxisbeziehung zu anderen Objekten (B). Nach der Analyse des obigen disjunktiven Schlusses, welcher den Chemismus ausdrückt, entsteht das aus einem Objekt selbst entfaltete Praxismodell, dessen drei Momente ein Objekt (Aa), seine Praxisbeziehung zu anderen Objekten (B) und seine Existenz in jeder Situation (E) sind. Dieses Praxismodell als Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung lässt sich wie folgt kommentieren: seine Praxisbeziehung zu anderen Objekten als Existenzweise

Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung ein Objekt als Existierendes

seine Existenz in jeder Situation Praxismodell (Chemismus)

Zu dieser Sich-auf-sich-Beziehung sagt Hegel: »Ihre [sc. der Objekte] vorherige selbstständige Bestimmtheit wird damit in der dem Begriffe […] gemäßen 36

Ich werde in Abschnitt 4.2.3 den disjunktiven Schluss als Notwendigkeitsschluss ausführlich explizieren.

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[sc. der Sich-auf-sich-Beziehung gemäßen] Vereinigung aufgehoben.«37 Dieses im Chemismus entstehende Praxismodell kann durch das folgende Diagramm übersichtlich dargestellt werden: Aa »Sich« ein Objekt »Beziehung« Chemismus

B »auf« seine Praxisbeziehung zu anderen Objekten als Existenzweise

P E »sich« seine Existenz in jeder Situation

(P: Praxismodell)

Obwohl im Chemismus das aus einem Objekt selbst entfaltete Praxismodell entsteht, garantiert der Chemismus keine vollständige Darstellung des Praxismodells. Der den Chemismus konstituierende disjunktive Schluss drückt, wie eben erwähnt, den Prozess der Besonderheit aus. Dieser wird vom verbalen ›Sich-aufsich-Beziehen‹, welches dem wahrhaftig Allgemeinen entspricht, innerlich angetrieben (vgl. Abschnitt 1.2). Deswegen liegt dem im Chemismus artikulierten Praxismodell als Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung faktisch das verbale ›Sichauf-sich-Beziehen‹ zugrunde. Also ist das vollständig dargestellte Praxismodell nicht nur die im Chemismus artikulierte Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung, sondern auch die Verbalisierung dieser substantivischen ›Sich-auf-sich-Beziehung‹. Mit anderen Worten: Die vollständige Darstellung des Praxismodells besteht darin, dass sich die im Chemismus artikulierte Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)Beziehung aktiv bewegt und daher schlechthin das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ ist. Dennoch wird diese verbale Form als ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ bzw. die Verbalisierung des Praxismodells im Chemismus nicht adäquat dargestellt. Zu diesem Punkt sagt Hegel: »Es [sc. das chemische Objekt] ist dem Begriffe [sc. der Sich-auf-sich-Beziehung] wohl gemäß, aber das begeistende Princip [sc. das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹] der Differentiirung [sc. der Besonderheit] existiert in ihm als zur Unmittelbarkeit zurückgesunkenem nicht.«38 GW 12, 150. Vgl. auch: »Indem es [sc. ein Objekt] auf diese Weise an sich der ganze Begriff ist, so hat es an ihm selbst die Nothwendigkeit und den Trieb, sein entgegengesetztes, einseitiges Bestehen [sc. seine Selbständigkeit] aufzuheben, und sich zu dem realen Ganzen im Daseyn zu machen, welches es seinem Begriffe nach ist.« (GW 12, 148) 38 Enzy., § 202 (GW 20, 208). Vgl. auch: »Indem jedes [Objekt] durch seinen Begriff im Wider37

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Da das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ als innere Triebkraft des Praxismodells im Chemismus nicht adäquat darstellt wird, sind die drei Momente des Praxismodells im obigen Diagramm lediglich durch eine gestrichelte Linie miteinander verbunden. Ohne die explizite Verbalisierung bzw. das Sich-Bewegen der Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung als Praxismodell ist das im Chemismus artikulierte (reine) Praxismodell nur formell zusammengesetzt; wesentlich gründet es sich auf das begreifende Denken und ist daher dem Kognitionsmodell, welches keine objektive Notwendigkeit bzw. keine Wahrheit hat, äquivalent (vgl. Abschnitt 2.1.2). An dieser Stelle der theoretischen Rekonstruktion der hegelschen Theorie können wir im Kontext des Chemismus noch nicht behaupten, dass sich ein Objekt objektiv-notwendig bzw. im objektiven Sinne in jeder Situation in der Praxisbeziehung zu anderen Objekten befindet. Denn der Chemismus ist »noch mit der unmittelbaren Selbstständigkeit des Objects und mit der Aeusserlichkeit behaftet«39. 2.5 Die nähere Untersuchung des Praxismodells mithilfe der Idee des Guten So wie in Abschnitt 1.4 das Kognitionsmodell mithilfe des Lehrsatzes (der höchsten Phase der Idee des Wahren) näher untersucht wurde, können wir auch mithilfe der Idee des Guten bzw. der praktischen Idee das Praxismodell näher untersuchen. Was die logische Struktur der Idee des Guten betrifft, so macht diese ein Praxismodell aus, welches darauf angewendet wird, die Wahrheit des Lebens als Wahrheit der unmittelbaren Idee zu erkennen.40 Wenn das Leben (die unmittelbare Idee) als das durch die Idee des Guten dargestellte Praxismodell betrachtet wird, dann transformiert sich das Leben zur Idee des Guten. Hegel zufolge kann die Wahrheit des Lebens als Wahrheit der unmittelbaren Idee in der Form des durch die Idee des Guten dargestellten Praxismodells nicht hinreichend erkannt werden. In diesem Abschnitt werde ich erläutern, worin der logische Mangel des durch die Idee des Guten dargestellten Praxismodells besteht und wie er zu beheben ist. spruch gegen die eigene Einseitigkeit seiner Existenz steht, somit diese aufzuheben strebt, ist darin unmittelbar [Herv. H.W.] das Streben gesetzt, die Einseitigkeit des andern aufzuheben, und durch diese gegenseitige Ausgleichung und Verbindung die Realität dem Begriffe, der beide Momente enthält, gemäß zu setzen.« (GW 12, 149) 39 GW 12, 152. Vgl.: »Der Chemismus hat noch als das Reflexionsverhältniß der Objectivität mit der differenten Natur der Objecte zugleich die unmittelbare Selbstständigkeit derselben zur Voraussetzung.« (Enzy., § 202, GW 20, 208) 40 In Kapitel 3. werde ich erwähnen, wie die Idee des Guten auf das Erkennen der Wahrheit des Lebens angewendet wird.

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Die logische Bedeutung des Guten ist, dass ein Wirkliches tatsächlich so ist, wie es im begreifenden Denken sein soll. Mit anderen Worten: Ein Wirkliches (E) stimmt tatsächlich mit der logischen Funktionsweise (B) des Allgemeinen, unter welchem es steht, überein. Auf dem momentanen Stand der theoretischen Entwicklung ist das Allgemeine kein abstrakter Begriff mehr. Es ist vielmehr das begreifende Denken selbst bzw. die ganze sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)sich(E)-Beziehung(Aw). Ein solches Allgemeine wirkt im Wirklichen so, dass ein Wirkliches sich selbst zum aktiven Praxismodell entfaltet hat, welches dem das begreifende Denken repräsentierenden Kognitionsmodell parallelgeschaltet ist (vgl. Abschnitt 2.2). Hiernach besagt die Idee des Guten, dass ein Wirkliches (als Idee) mit dem aktiven Praxismodell übereinstimmt. Genauer gesagt: Die Idee des Guten stellt den Prozess dar, in welchem ein Wirkliches als Existierendes (Aa) aktiv so handelt, dass es sich praktisch auf andere Wirkliche bezieht (B) und auf diese Weise in jeder Situation existiert (E). Dieser Prozess drückt die wie folgt kommentierte Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung aus: seine aktive Handlung, sich praktisch auf andere Wirkliche zu beziehen

Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung ein Wirkliches als Existierendes

seine Existenz in jeder Situation Praxismodell (die Idee des Guten)

Zur Idee des Guten sagt Hegel: »Es [sc. das Gute] tritt mit der Würde auf, absolut [sc. selbstbezüglich] zu seyn, weil es die Totalität des Begriffes in sich, das Objective [sc. das Wirkliche] zugleich in der Form der freyen Einheit und Subjectivität [sc. Aktivität] ist.«41 Obwohl die Idee des Guten die Aktivität betrifft, beschreibt diese nur die konkrete Handlung eines Wirklichen. In diesem Zustand können wir zu Recht fragen, warum ein Wirkliches als Existierendes objektiv-notwendig bzw. im objektiven Sinne in jeder Situation aktiv so handelt, dass es sich praktisch auf andere Wirkliche bezieht. Mit anderen Worten: Die oben kommentierte Sich(Aa)auf(B)-sich(E)-Beziehung als die Idee des Guten kann nicht ihre eigene objektive Notwendigkeit garantieren.42 Dies ist der logische Mangel der Idee des Guten. 41

GW 12, 231. Vgl.: »Die Endlichkeit des Guten […] [erscheint] schlechthin immer nur als ein einzelner Act nicht als ein allgemeiner.« (GW 12, 235) Vgl. auch: »Das Gute wird so zum bloßen Sollen und in die reine Idealität getrieben.« (Spieker 2009, S. 380–381)

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Zu diesem logischen Mangel weist Hegel darauf hin, dass »diese Form der Existenz, das Fürsichseyn, noch nicht auch die [Form] des Ansichseyns [hat]«43. Die fürsichseiende Form der Existenz ist die oben kommentierte Sich(Aa)-auf(B)sich(E)-Beziehung als die Idee des Guten; die ansichseiende Form ist die objektive Notwendigkeit dieser Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung bzw. deren Wahrheit. In Anbetracht der Sachlage, dass im durch die Idee des Guten dargestellten aktiven Praxismodell die Aktivität eines Wirklichen die logische Funktion, welche sie tragen soll, nicht trägt, ist das aktive Praxismodell, welches durch die Idee des Guten dargestellt wird, de facto dem reinen Praxismodell (vgl. Abschnitt 2.4) logisch äquivalent, in welchem die Aktivität eines Wirklichen keine logische Rolle spielt. Die logische Funktion, welche die Aktivität im aktiven Praxismodell tragen soll, besteht darin, dass ein Wirkliches als Existierendes mit seiner immanenten Aktivität sich durch sich selbst verallgemeinert und somit durch sich selbst die objektive Notwendigkeit seiner Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen garantiert (vgl. Abschnitt 2.1.2). Mit dem logischen Mangel der Idee des Guten konfrontiert, konstatiert ­Hegel: »Dieser Mangel [der Idee des Guten bzw. der praktischen Idee] kann auch so betrachtet werden, daß der praktischen Idee noch das Moment der theoretischen [Idee] fehlt. […] Die Idee des Guten kann daher ihre Ergänzung allein in der Idee des Wahren finden.«44

Ich interpretiere diese Aussage wie folgt: Die Idee des Guten (die praktische Idee; das reine Praxismodell) und die Idee des Wahren (die theoretische Idee; das Kognitionsmodell) sind logisch komplementär. »Jede [ist] für sich noch einseitig.«45 Im Kognitionsmodell ist an sich das Einzelne (das Wirkliche) vom Allgemeinen (dem durch das begreifende Denken gesetzten abstrakten Begriff und weiter dem begreifenden Denken selbst) unabhängig, weshalb das Einzelne nicht objektiv-notwendig bzw. nicht wahrhaftig, sondern nur für das begreifende Denken in jeder Situation mit dem Besonderen (der durch das begreifende Denken bestimmten logischen Funktionsweise des abstrakten Begriffs) übereinstimmt (vgl. Abschnitte 1.3 und 1.4). Um im Kognitionsmodell die Wahrheit zu erreichen, muss das Einzelne (das Wirkliche) ebenso wie das begreifende Denken sich selbst zur sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung entfalten und dadurch den Nachweis erbringen, dass es mit dem begreifenden Denken logisch isomorph, also dessen Realisierung ist. Um die logische Isomorphie mit dem begreifenden Denken zu erreichen, entfaltet ein Wirkliches sich selbst zum Praxismodell als GW 12, 232. GW 12, 233. 45 GW 12, 236. 43

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Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung, wodurch dem logischen Mangel des Kognitionsmodells abgeholfen werden kann. Aber das aus einem Wirklichen selbst entfaltete reine Praxismodell als Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung birgt auch einen logischen Mangel: Obwohl im reinen Praxismodell das Einzelne (die Existenz eines Wirklichen in jeder Situation) nicht mehr wie im Kognitionsmodell vom abstrakt Allgemeinen (einem Wirklichen selbst als Existierendem) unabhängig ist, garantiert das reine Praxismodell, wie eben erwähnt, nicht, dass das abstrakt Allgemeine (ein Wirkliches als Existierendes) wahrhaftig im Besonderen (seiner Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen) aufgehoben wird. Ein solcher logische Mangel ist im Kognitionsmodell nicht vorhanden, weil in diesem das Besondere (die logische Funktionsweise des abstrakten Begriffs) dasjenige ist, welches das begreifende Denken für das abstrakt Allgemeine (den abstrakten Begriff) bestimmt, und weil somit das abstrakt Allgemeine und das Besondere schlechthin ein und dasselbe sind (vgl. Abschnitt 1.3). Kurzum: Im Kognitionsmodell ist das Einzelne problematisch, während im reinen Praxismodell das Besondere problematisch ist. Nur wenn das reine Praxismodell ebenso wie das Kognitionsmodell sich aktiv durch sich selbst antreibt und zum verbalen ›Sichauf-sich-Beziehen‹ schlechthin wird, dann wird das abstrakt Allgemeine (ein Wirkliches als Existierendes) im reinen Praxismodell wegen dessen Verbalisierung bzw. dessen Sich-Bewegens wahrhaftig im Besonderen (seiner Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen) aufgehoben. Auf eben diese Weise kann die objektive Notwendigkeit des reinen Praxismodells garantiert werden (vgl. Abschnitt 2.1.2). Aber dem reinen Praxismodell selbst als substantivischer ›Sich-auf-sichBeziehung‹ fehlt die Aktivität als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹. Das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ (bzw. die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung) ist die logische Struktur des das begreifende Denken repräsentierenden Kogni­ tionsmodells. In diesem Sinne kann die Idee des Guten, nämlich das reine Praxismodell, ihre logische Ergänzung – die Aktivität als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ – allein in der Idee des Wahren, nämlich im Kognitionsmodell, finden.46 Aus der obigen Analyse geht hervor, dass im aktiven Praxismodell  – der vollständigen Darstellung des Praxismodells – die Aktivität nicht die konkrete Handlung eines Wirklichen, sich praktisch auf andere Wirkliche zu beziehen, beschreibt, sondern die wahre logische Grundlage des reinen Praxismodells ist, welche die objektive Notwendigkeit der konkreten Handlung eines Wirklichen, sich praktisch auf andere Wirkliche zu beziehen, garantiert. Mit anderen Worten: Die Aktivität im aktiven Praxismodell darf sich nicht an die Stelle 46

Vgl.: »Weil nichts Gehaltvolles mehr zur Idee des Guten hinzukommen muß, muß eigentlich nur dasjenige hinzukommen, was das Subjekt selbst als der Idee des Guten fehlend bestimmt: eine reine Form, die Form der Unmittelbarkeit.« (Utz 2003, S. 191) Vgl. auch: »Es [handelt] sich bei dem Guten noch um eine endliche Bestimmung […], denn die Objektivität ist hier noch nicht durch die Subjektivität selbst gesetzt.« (Schäfer 2002, S. 255)

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des Beson­deren (nämlich an die Stelle der Präposition »auf«) setzen, sondern ist das wahrhaftig Allgemeine als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹, welches als Verbalisierung des reinen Praxismodells bzw. als Sich-Bewegen des reinen Praxis­ modells innerlich dieses antreibt (vgl. Abschnitt 2.6). Außerdem ist Folgendes bei der Idee des Guten zu beachten: Obwohl die Idee des Guten (das reine Praxismodell) ihre logische Ergänzung – die Aktivität als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ – allein in der Idee des Wahren (dem Kognitionsmodell) finden kann, deutet dies nicht an, dass die Idee des Guten (das reine Praxismodell) in die Idee des Wahren (das Kognitionsmodell) zurückfallen soll. Denn das bloße Kognitionsmodell kann, wie oben erwähnt, keine Wahrheit erreichen und hat daher ebenso wie das reine Praxismodell einen logischen Mangel. In der Tat braucht das reine Praxismodell nur die Form als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ aus dem Kognitionsmodell zu schöpfen; das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹, welches als Verbalisierung des reinen Praxismodells bzw. als Sich-Bewegen des reinen Praxismodells innerlich dieses antreibt, drückt somit nicht das begreifende Denken, sondern den »absoluten Zweck«47 aus. Dieser hat das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ zur Form. Er ist kein willkürliches bzw. zufälliges Wollen der konkreten Handlung, sondern, wie eben erklärt, die wahre logische Grundlage des reinen Praxismodells. Gerade wegen eines solchen absoluten Zwecks wird einerseits die logische Unvollständigkeit des reinen Praxismodells – sein logischer Mangel – behoben.48 Andererseits fällt die Idee des Guten (das reine Praxismodell) nicht in die Idee des Wahren (das Kognitionsmodell) zurück. Erst in diesem Zustand wird »das Gute an und für sich erreicht«49. Dieser absolute Zweck als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ bzw. als Aktivitätsmodell wird im Kontext der Objektivität am Gedanken der Teleologie und im Kontext der Idee am Gedanken der absoluten Idee ausdiskutiert. Deswegen müssen der Chemismus in der Objektivität und die Idee des Guten in der Ideenlehre zur Teleologie und zur absoluten Idee als Realisierung der Teleologie übergehen.50 »Die vorgefundene Wirklichkeit ist zugleich als der ausgeführte absolute [Herv. H.W.] Zweck bestimmt, aber nicht wie im suchenden Erkennen, bloß als objective Welt ohne die Subjectivität des Begriffes, sondern als objective Welt, deren innerer Grund und wirkliches Bestehen der Begriff [sc. das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹] ist.« (GW 12, 235) 48 Vgl.: »Der praktischen Idee dagegen gilt diese Wirklichkeit, die ihr [sc. der praktischen Idee] zugleich als unüberwindliche Schranke gegenübersteht, als das an und für sich Nichtige, das erst seine wahrhafte Bestimmung und einzigen Werth durch die Zwecke des Guten [sc. durch den Zweck, sich gut zu machen, also durch den absoluten Zweck] erhalten solle.« (GW 12, 233) 49 Enzy., § 235 (GW 20, 228). 50 Nach der Begriffslogik muss die Idee des Guten, welche bereits den Zweck betrifft, deshalb weiter zur absoluten Idee übergehen, weil der Zweck in der Idee des Guten nicht die Aktivität als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ bzw. nicht die Aktivität als Sich-Bewegen des rei47

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2.6 Teleologie als Aktivitätsmodell Die Teleologie ist die Zwecklehre. Sie macht, wie im letzten Abschnitt erwähnt, das Aktivitätsmodell als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ aus. Das Aktivitätsmodell ist die Verbalisierung bzw. das Sich-Bewegen der substantivischen ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung‹ als (reines) Praxismodell; in diesem Sinne treibt das Aktivitätsmodell als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ innerlich das (reine) Praxismodell als substantivische ›Sich-auf-sich-Beziehung‹ an. Da das Aktivitätsmodell eben die Verbalisierung des (reinen) Praxismodells ist, können wir auch sagen, dass das Praxismodell wegen des Aktivitätsmodells sich aktiv durch sich selbst antreibt bzw. sich bewegt. Daraus wird ersichtlich, dass das Aktivitätsmodell keinesfalls vom Praxismodell getrennt werden kann; denn beide Modelle sind nicht äußerlich zusammengestellt, sondern schlechthin ein und dasselbe.51 Zum teleologischen Zweckbegriff schreibt Hegel: »Der Zweck ist der in freie Existenz getretene, für-sich-seyende Begriff.«52 In anderen Worten ausgedrückt, heißt dies: Der Zweck nimmt an der Darstellung der Existenz des Objekts teil und hat zugleich die fürsichseiende Form des Begriffs. Genauer formuliert: Der Zweck nimmt am Praxismodell teil, welches die Existenz des Objekts darstellt, und hat zugleich das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ zur Form. Gerade weil der Darstellung der Existenz des Objekts das verbale ›Sichauf-sich-Beziehen‹ zugrunde liegt, ist seine Existenz die »freie Existenz«. Mit Ibers Worten: »Hegel will nicht nur beweisen, daß der Begriff die Wirklichkeit gedanklich erfaßt [vgl. Kognitionsmodell], sondern auch, daß er [sc. Begriff als Zweck] als eine objektive Macht [als Antrieb der Existenz des Objekts] in der Welt ­waltet.«53 Ausführlich gesagt: Die Teleologie als Aktivitätsmodell schildert den Prozess, dass ein Objekt sich aktiv den Zweck setzt, durch die Praxisbeziehung zu nen Praxismodells, sondern nur die Aktivität der konkreten Handlung eines Wirklichen darstellt. 51 Vgl. in Kapitel 1. erwähnte Beziehung zwischen dem Verstand und der Vernunft im Kognitionsmodell. 52 Enzy., § 204 (GW 20, 209). Vgl. auch: »Der Zweck ist nemlich der an der Objectivität zu sich selbst gekommene Begriff.« (GW 12, 161) Vgl.: »Er [sc. der Zweck] ist dessen [sc. des Objekts] Subjectivität oder Seele, die an ihm [sc. dem Objekt] ihre äusserliche Seite hat.« (GW 12, 164) Vgl.: »Die Teleologie hat im Allgemeinen das höhere Princip, den Begriff in seiner Existenz, der an und für sich das Unendliche und Absolute ist.« (GW 12, 157) 53 Iber 2002, S. 189. Vgl. auch: Der Zweck ist »das inhärente, dynamische und die Beschaffenheit der Welt bestimmende Prinzip selbst« (Burbidge 2002, S. 237). Vgl.: Es »ist erfordert, dass […] der Begriff sich zu sich selbst als seinem Zweck verhält und damit in der Tat jede Äußerlichkeit [sc. die äußerliche Existenz des Objekts] getilgt hat« (Arndt 2006, S. 20). Vgl.: »Die Frage, um die es geht, ist nicht, mit einem Zweck wessen man es zu tun hat; ob z. B. mit einem Zweck Gottes oder einem von Menschen und ihren Artefakten oder einem der Natur.« (Fulda 2003, S. 139)

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anderen Objekten seine eigene Existenz zu bewahren.54 Dem Aktivitätsmodell, nämlich dem in ihm ausgedrückten Prozess des aktiven Zwecksetzens, inhärieren drei Momente: Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit. Dank dieser Momente haben das Aktivitätsmodell und das begreifende Denken ein und dieselbe logische Struktur als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹. Die Allgemeinheit im Aktivitätsmodell ist der Zweck eines Objekts, schlechthin seine eigene Existenz zu bewahren. Sie stellt die unmittelbare Einheit eines Objekts (Aa) und seiner Existenz in jeder Situation (E) dar. Diese Einheit ist mit Hegels Worten die »sich von sich selbst abstossende und darin sich erhaltende Einheit«55 bzw. »die absolute [sc. selbstbezügliche] negative Einheit«56. Hegel bezeichnet eine solche Allgemeinheit, nämlich den Zweck eines Objekts, schlechthin seine eigene Existenz zu bewahren, als »subjektiven Zweck«. Der subjektive Zweck ist nicht als ein im empirischen Sinne ausgesagter willkürlicher Zweck aufzufassen, sondern er ist derjenige Zweck, welcher das Objekt zum Subjektiven macht, indem er das Objekt subjektiviert. Dass ein Objekt zum Subjektiven wird bzw. dass ein Objekt subjektiviert wird, bedeutet, dass es sich aktiv den Zweck, seine eigene Existenz zu bewahren, setzt (dies werde ich unten näher erklären). So wie der Allgemeinheit im begreifenden Denken ursprünglich eine gedoppelte Negation – Besonderheit und Einzelheit – inhäriert (vgl. Abschnitt 1.2), inhärieren der Allgemeinheit als subjektivem Zweck im Aktivitätsmodell auch ursprünglich Besonderheit und Einzelheit. Ohne diese gedoppelte Negation ist der subjektive Zweck nichts anderes als ein abstraktes Selbstbestimmen des Objekts.57 Die Besonderheit im subjektiven Zweck ist dessen »wesentliches Streben und Trieb sich äusserlich zu setzen«58, nämlich der äußere Zweck eines Objekts, sich praktisch auf andere Objekte zu beziehen. Aber es ist nicht zu übersehen, dass diesem äußeren Zweck in der Tat der Zweck eines Objekts, seine eigene Existenz zu bewahren, zugrunde liegt. Anders formuliert: Gerade um seine eigene Existenz zu bewahren, setzt sich ein Objekt aktiv den äußeren Zweck, sich praktisch auf andere Objekte zu beziehen. Der Zweck eines Objekts, durch die Praxisbeziehung zu anderen Objekten (B) – nicht mehr schlechthin – seine eigene Exis Vgl.: »Die Bewegung des Zwecks kann daher nun so ausgedrückt werden, daß sie darauf gehe, seine Voraussetzung aufzuheben, das ist, die Unmittelbarkeit des Objects, und es [sc. das Objekt] zu setzen als durch den Begriff [sc. das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹] bestimmt.« (GW 12, 161) 55 GW 12, 160. 56 GW 12, 162. 57 Vgl.: »Das erste unmittelbare Setzen im Zwecke ist zugleich das Setzen eines innerlichen, d. h. als gesetzt bestimmten, und zugleich das Voraussetzen einer objectiven Welt, welche gleichgültig gegen die Zweckbestimmung ist.« (GW 12, 162) Fulda weist auf Folgendes hin: »Der subjektive Zweck ist (wie schon der Name sagt) noch etwas Subjektives, das nicht in, sondern außerhalb von der ihm äußerlichen Objektivität existiert.« (Fulda 2003, S. 142) 58 GW 12, 160. 54

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tenz zu bewahren, macht seinen inneren Zweck bzw. seinen Selbstzweck aus. Dieser innere Zweck drückt just die Einzelheit im subjektiven Zweck aus, unter welcher der subjektive Zweck nicht einfach über sich selbst hinausgeht, sondern zur »sich erhaltende[n] Einheit«59 zurückkehrt. Im inneren Zweck als Einzelheit spielt der äußere Zweck als Besonderheit, sich praktisch auf andere Objekte zu beziehen, die Rolle des aufgehobenen Mittels.60 Das aufgehobene Mittel macht den subjektiven Zweck bzw. das Aktivitätsmodell als verbales ›Sich-auf-sichBeziehen‹ konkret.61 Auf der Basis des eben geschilderten Prozesses des aktiven Zwecksetzens werden die drei Momente des aus einem Objekt entfalteten Praxismodells – ein Objekt selbst (Aa), seine Praxisbeziehung zu anderen Objekten (B) und seine Existenz in jeder Situation (E) – nicht mehr wie in der Phase des Chemismus nur formell zur Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung zusammengesetzt. Vielmehr wird die aus diesen drei Momenten bestehende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung als Praxismodell durch den aktiv gesetzten Zweck eines Objekts, durch die Praxisbeziehung zu anderen Objekten seine eigene Existenz zu bewahren, innerlich angetrieben. Deswegen entwickelt sich das formell zusammengesetzte (bzw. reine) Praxismodell zum aktiven Praxismodell als sich bewegender Sich(Aa)auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw). Die ›sich bewegende Beziehung‹ drückt das Aktivitätsmodell als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ aus. Mit anderen Worten: Sie drückt das aktive Zwecksetzen eines Objekts aus. Die sich bewegende Sich-aufsich-Beziehung als aktives Praxismodell lässt sich wie folgt kommentieren: seine Praxisbeziehung zu anderen Objekten als Existenzweise

die sich bewegende Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung (Aw) ein Objekt als Existierendes

seine Existenz in jeder Situation

sein aktives Zwecksetzen

GW 12, 160. Vgl.: »Alle Objecte also, an welchen ein äusserer Zweck ausgeführt ist, sind ebensowohl nur Mittel des Zwecks.« (GW 12, 168) Vgl. auch: »Als Resultat ergibt sich hiemit, daß die äussere Zweckmässigkeit, welche nur erst die Form der Teleologie hat, eigentlich nur zu Mitteln […] kommt.« (GW 12, 169) Vgl.: »In der Objektivität [ist] die Vermittlung [sc. das Mittel], die für alle äußere Zweckmäßigkeit konstitutiv ist, zwar enthalten […], aber als eine sich in der Objektivität selbst aufhebende.« (Fulda 2003, S. 146) 61 Vgl. Fulda 2003, S. 147. 59

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Das aktive Praxismodell stellt den folgenden Prozess dar: Das aktive Zwecksetzen (Aw) eines Objekts treibt dieses (Aa) an, sich praktisch auf andere Objekte zu beziehen (B) und auf diese Weise in jeder Situation zu existieren (E); der Zweck, welchen ein Objekt sich aktiv setzt, besteht eben darin, durch die Praxisbeziehung zu anderen Objekten seine eigene Existenz zu bewahren. Hiernach kann das aktive Praxismodell als der ausgeführte Zweck betrachtet werden. Aber Folgendes ist zu betonen: Der ausgeführte Zweck ist nicht derjenige Zweck, welcher bereits fertig ausgeführt worden ist, sondern derjenige Zweck, welcher gerade dabei ist, ausgeführt zu werden. Im aktiven Praxismodell als ausgeführtem Zweck »ist auch der Gegensatz von Inhalt [sc. dem Praxismodell] und Form [sc. dem Aktivitätsmodell] verschwunden. Indem der Zweck durch Aufhebung der Formbestimmungen sich mit sich selbst zusammenschließt, ist die Form als identisch mit sich, hiermit als Inhalt gesetzt, so daß der Begriff als die Form-Thätigkeit [sc. das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ als Aktivitätsmodell] nur sich zum Inhalt [sc. der substantivischen ›Sich-auf-sich-Beziehung‹ als Praxismodell] hat«62.

Das aktive Praxismodell als ausgeführter Zweck kann nicht nur als die Identität der Form und des Inhalts, sondern auch als das Subjektivieren des Objekts und das Objektivieren des Subjektiven betrachtet werden. Es ist deshalb das Subjektivieren des Objekts, weil das aus einem Objekt entfaltete reine Praxismodell als substantivische ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung‹ aufgrund seines aktiven Zwecksetzens sich durch sich selbst antreibt bzw. sich bewegt und somit »beseelt« wird. Die objektive Notwendigkeit der Praxisbeziehung eines Objekts zu anderen Objekten wird gerade durch seine immanente Aktivität als Zwecksetzen (bzw. seine Subjektivität) garantiert. Mit anderen Worten: Die immanente Aktivität eines Objekts als Zwecksetzen garantiert, dass es sich im objektiven Sinne in jeder Situation praktisch auf andere Objekte bezieht. In diesem Sinne verallgemeinert ein Objekt sich aktiv durch sich selbst. Deswegen sagt Hegel: »Der 62

Enzy., § 212 (GW 20, 214). Vgl. auch: »So ist er [sc. Begriff] wesentlich diß, als fürsichseyende Identität [sc. die Form] von seiner ansichseyenden Objectivität [sc. dem Inhalt] unterschieden zu seyn, und dadurch Aeusserlichkeit zu haben, aber in dieser äusserlichen Totalität die selbstbestimmende Identität derselben [sc. der äußerlichen Totalität] zu seyn.« (GW 12, 172) Vgl.: »Der teleologische Proceß ist Uebersetzung des distinct als Begriffs existirenden Begriffs [sc. des Zwecks] in die Objectivität; es zeigt sich, daß dieses Uebersetzen in ein vorausgesetztes Anderes [sc. das aus einem Objekt selbst entfaltete Praxismodell] das Zusammengehen des Begriffes  durch sich selbst, mit sich selbst  ist. Der Inhalt des Zwecks ist nun diese in der Form des Identischen existirende Identität.« (GW 12, 167) Vgl.: »Die gegen den Begriff [sc. das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹] selbstständige Aeusserlichkeit des Objects [sc. das aus einem Objekt selbst entfaltete (reine) Praxismodell], welche der Zweck sich voraussetzt, ist in dieser Voraussetzung als ein unwesentlicher Schein gesetzt, und auch an und für sich schon aufgehoben.« (GW 12, 169)

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Zweck hat sich als das Dritte zum Mechanismus und Chemismus ergeben; er ist ihre Wahrheit.«63 Ich interpretiere diese Aussage wie folgt: a) Das aktive Zwecksetzen (das Aktivitätsmodell) garantiert, wie oben erwähnt, die objektive Notwendigkeit bzw. die Wahrheit des im Chemismus artikulierten reinen Praxismodells. b) In Ansehung dessen, dass der Chemismus (qua aus einem Objekt selbst entfaltetes reines Praxismodell) dem (absoluten) Mechanismus (qua Kognitionsmodell des Objekts) logisch äquivalent ist (vgl. Abschnitt 2.1.2), garantiert das aktive Zwecksetzen auch die Wahrheit des (absoluten) Mechanismus.64 Da ein Objekt wegen seiner immanenten Aktivität als des Zwecksetzens (bzw. wegen seiner Subjektivität) sich selbst objektiv-notwendig in seiner Praxisbeziehung zu anderen Objekten aufhebt und daher seine Selbständigkeit wahrhaftig negiert wird, wird der Widerspruch in der Objektivität zwischen der Selbständigkeit eines Objekts und der Unselbständigkeit desselben (vgl. Abschnitt 2.2) aufgelöst. Dasselbe aktive Praxismodell als ausgeführter Zweck ist zugleich auch das Objektivieren des Subjektiven. Dies enthält zwei Ebenen. Ebene a): Da der sub63

GW 12, 159. Pinkard weist auf Folgendes hin: »Teleology presupposes mechanism, but mechanism does not presuppose teleology.« (Pinkard 1988, S. 93) Nach Pinkard scheitert Hegels Konzeption der Teleologie, weil der Mechanismus und die Teleologie nicht miteinander übereinstimmen (vgl. Pinkard 1988, S. 93). Hier möchte ich meine Ansicht zu Pinkards Kritik an Hegels Teleologie vorbringen. a) Bei Hegel muss der Mechanismus nicht zwingend die Teleologie voraussetzen; aber wenn der Mechanismus wahr sein soll, dann muss die Teleologie, wie eben erwähnt, im Mechanismus wirken. Daraus ergibt sich, dass die Wahrheit des Mechanismus die Teleologie voraussetzt. b) Pinkards Aussage, dass die Teleologie den Mechanismus voraussetze, ist wie folgt zu verstehen: Nach Pinkard befinden sich das Mittel und die Ausführung des Zwecks in einer kausalen Beziehung: Das Mittel ist die Ursache, während die Ausführung des Zwecks die Wirkung ist (vgl. Pinkard 1988, S. 93). Deshalb kennt man in der Teleologie im Voraus, dass ein bestimmtes Mittel zur Ausführung eines bestimmten Zwecks führen wird. In diesem Sinne setzt die Teleologie den Mechanismus voraus, welcher die kausale Beziehung zwischen Objekten beschreibt. Zu Pinkards Aussage, dass die Teleologie den Mechanismus voraussetze, möchte ich auf Folgende hinweisen: b-1) Die Objektivität in der Begriffslogik orientiert sich an der Darstellung des aktiven Praxismodells. Deswegen soll die Objektivität – Mechanismus, Chemismus und Teleologie – die Kognition der kausalen Beziehung zwischen Objekten nicht betreffen, sondern ist dem ganzen Kognitionsmodell parallelgeschaltet (vgl. Abschnitt 2.2). b-2) Hiernach würde ich Pinkards Aussage, dass die Teleologie den Mechanismus voraussetze, wie folgt erklären: Die Teleologie, welche das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ als Aktivitätsmodell ausdrückt, setzt deshalb den Mechanismus voraus, weil der (absolute) Mechanismus, welcher dem Chemismus logisch äquivalent ist, als die Darstellung der Substantivierung des Aktivitätsmodells aufzufassen ist. Diese Substantivierung des Aktivitätsmodells ist eben die substantivische ›Sich-auf-sich-Beziehung‹ als reines Praxismodell. Natürlich setzt die substantivische ›Sich-auf-sich-Beziehung‹ als reines Praxismodell (Chemismus sowie der absolute Mechanismus, welcher dem Chemismus logisch äquivalent ist), solange dieses Modell ein Praxismodell ist, auch ihre eigene Verbalisierung bzw. das verbale ›Sich-aufsich-Beziehen‹ als Aktivitätsmodell (Teleologie) voraus (vgl. Abschnitt 2.1.2).

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jektive Zweck eines Objekts, seine eigene Existenz zu bewahren, als seine immanente Aktivität das aus einem Objekt selbst entfaltete reine Praxismodell innerlich antreibt und dadurch ausgeführt bzw. realisiert wird, wird der subjektive Zweck objektiviert. Diese Objektivierung des subjektiven Zwecks ist mit dem ausgeführten Zweck gleichzusetzen. Im Kontext der Ausführung bzw. Realisierung des Zwecks macht Hegel auf einen weiteren Sachverhalt aufmerksam: »Diß ist das Realisiren [sc. die Ausführung] des Zwecks, in welchem er [sc. der subjektive Zweck], indem er sich zum Andern [sc. dem aus einem Objekt selbst entfalteten (reinen) Praxismodell] seiner Subjectivität macht und sich objektivirt, den Unterschied beider aufgehoben, sich nur mit sich zusammengeschlossen und erhalten hat.«65

Ebene b): Weil ein Objekt sich selbst zur sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung als ausgeführtem Zweck entfaltet, hat es analog zum begreifenden Denken ein und dieselbe logische Struktur.66 Hiernach besagt das Objektivieren des Subjektiven, dass das begreifende Denken als sich bewegende Sich-auf-sichBeziehung zum ausgeführten Zweck objektiviert wird. Anders formuliert: Das Objektivieren des Subjektiven besagt, dass das begreifende Denken im Objekt so wirkt, dass ein Objekt ebenso wie das begreifende Denken sich selbst zur sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung entfaltet. Das nun folgende Diagramm spiegelt die Entwicklung des logischen Systems in der Begriffslogik vor dem Hintergrund der eigenen Rekonstruktion: Aa »Sich« abstrakter Begriff

Aa »Sich« Aw »Beziehung« begreifendes Denken

B »auf« seine logische Funktionsweise

K E »sich« das Wirklichein jeder Situation

Aw »Beziehung« begreifendes Denken K E »sich«

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Aa »Sich« ein Objekt

B »auf«

B »auf« seine Praxisbeziehung zu anderen Objekten als Existenzweise

Aw »Beziehung« ausgeführter Zweck P E »sich« seine Existenz in jeder Situation

(K: Kognitionsmodell, P: Praxismodell, Pfeile: Aktivität)

Enzy., § 204 (GW 20, 209). Die logische Struktur des begreifenden Denkens bzw. des Kognitionsmodells kann sowohl als das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ als auch als die sich bewegende Sich-auf-sichBeziehung formuliert werden. Diese beiden Formen sind dann äquivalent, wenn sie darauf angewendet werden, das begreifende Denken bzw. das Kognitionsmodell zu schildern (vgl. Abschnitt 0.1).

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Für ein besseres Verständnis des Gedankens der Teleologie gilt es Folgendes zu betonen: Dass ein Objekt sich aktiv den Zweck, durch die Praxisbeziehung zu anderen Objekten seine eigene Existenz zu bewahren, setzt, darf nicht als eine konkrete Handlung des Objekts aufgefasst werden. Vielmehr stellt ein solches aktive Zwecksetzen die immanente Aktivität selbst eines Objekts dar, welche innerlich es antreibt, sich praktisch auf andere Objekte zu beziehen. Dass sich ein Objekt praktisch auf andere Objekte bezieht, ist seine konkrete Handlung. Sein aktives Zwecksetzen ist die wahre logische Grundlage seiner konkreten Handlung. Diese logische Grundlage garantiert die objektive Notwendigkeit seiner konkreten Handlung, sich praktisch auf andere Objekte zu beziehen. Folglich drückt in der oben kommentierten sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)Beziehung(Aw) als aktivem Praxismodell das aktive Zwecksetzen eines Objekts das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ bzw. die ganze sich bewegende Sich-aufsich-Beziehung aus. Im aktiven Praxismodell spielt also das aktive Zwecksetzen eines Objekts nicht wie seine konkrete Handlung die Rolle des Besonderen, sondern die Rolle des wahrhaftig Allgemeinen. Daraus geht hervor, dass die Teleologie nicht mehr wie der Chemismus auf der Ebene des Wesens, sondern auf der Ebene des Begriffs (bzw. des verbalen ›Sich-auf-sich-Beziehens‹) das Objekt beschreibt. Wenn das in der Teleologie dargestellte aktive Zwecksetzen eines Objekts nur einfach als seine konkrete Handlung betrachtet würde und daher an der Stelle des Besonderen im aktiven Praxismodell stünde, dann könnten wir sofort fragen, warum ein Objekt objektiv-notwendig eine solche konkrete Handlung vornähme. In diesem Zustand würde das in der Teleologie dargestellte aktive Zwecksetzen eines Objekts mangels der objektiven Notwendigkeit zur äußerlichen Darstellung eines Objekts werden, wonach das aktive Zwecksetzen nur endlich wäre.67 Nur wenn das aktive Zwecksetzen das verbale ›Sichauf-sich-Beziehen‹ selbst des aktiven Praxismodells ausdrückt, ist es unendlich. Als Konsequenz der obigen Darstellung der Teleologie bleibt eine Frage offen: Durch was für ein Objekt kann das aktive Praxismodell als ausgeführter Zweck realisiert werden? Anders gefragt: Was ist das noch nicht entwickelte einzelne »sich« im obigen Diagramm eigentlich, in welchem sich das allgemeine »Sich« und das besondere »auf« bereits zu dem begreifenden Denken selbst und dem ausgeführten Zweck entwickelt haben? Die Beantwortung beider Fragen geht über ein Verständnis des Objektivitätsabschnitts in der Begriffslogik hinaus. Denn nach der von mir vorgeschlagenen Lesart des Objektivitätsabschnitts berührt der stufenförmige Aufbau des Objektivitätsabschnitts, welchem die Konzeption des aktiven Praxismodells parallel läuft, nicht die Frage, was für ein Objekt sich selbst zum aktiven Praxismodell entfalten kann. Der Objektivitäts67

»Die Endlichkeit des Zweckes besteht sonach darin, daß sein Bestimmen überhaupt sich selbst äusserlich ist.« (GW 12, 163).

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abschnitt beantwortet nur die Frage, wie ein Objekt sich selbst zum aktiven Praxismodell entfalten soll. Unter diesem Umstand wird die Argumentation für die Kernthese dieser Untersuchung – die logische Isomorphie des Denkens und des Wirklichen – im Objektivitätsabschnitt noch nicht vollendet. Das aktive Praxismodell als ausgeführter Zweck kann offenkundig nicht durch ein Unorganisches realisiert werden, weil das Unorganische sich in keiner Weise aktiv den Zweck, seine eigene Existenz zu bewahren, setzen kann. Das Unorganische ist insofern nur »eine[] an sich begrifflose[] und unwesentliche[] Wirklichkeit«68. Nach Hegel kann das aktive Praxismodell als ausgeführter Zweck nur durch das lebendige Individuum realisiert werden.69 In diesem Sinne darf die im Objektivitätsabschnitt an den Mechanismus und den Chemismus anschließende Teleologie als die theoretische Fundierung der Biologie interpretiert werden. Die Biologie unterscheidet sich vom Mechanismus und Chemismus, weil ein biologisches Objekt, nämlich ein lebendiges Individuum, sich aktiv den Zweck, seine eigene Existenz zu bewahren bzw. sich zu erhalten, setzt. Das durch ein lebendiges Individuum realisierte aktive Praxismodell wird als »Leben« bezeichnet. Das Leben handelt Hegel im Abschnitt »Die Idee« in der Begriffslogik ab. Das Leben als Idee ist eben das noch nicht entwickelte einzelne »sich«, welches in der obigen Frage erwähnt wurde. Gerade durch das Leben als Idee wird das ganze logische System der Begriffslogik zum Abschluss gebracht. Diese finale Instanz der Begriffslogik begründet auch die Kernthese dieser Untersuchung: die logische Isomorphie des Denkens und des Wirklichen.

GW 12, 188. Mit Martins Worten: »Hegel behauptet jedoch nicht, dass alles Objektive die Idee [sc. die Realisierung des aktiven Praxismodells als ausgeführter Zweck] sei, sondern dass die Idee das Objektive, nämlich das sei, was nur durch sich selbst bestimmt ist und daher kein [logisches] Ende nimmt.« (Martin 2014, S. 240–241) 69 Vgl.: »Der nächste Verwandte dieses Begriffs innerer Zweckmäßigkeit wird also wohl derjenige des Organischen sein.« (Fulda 2003, S. 147) 68

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Kapitel 3 · Realisierung des aktiven Praxismodells Die Idee

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ie in Abschnitt 2.6 erwähnt, spielt im ganzen logischen System der Begriffslogik die Idee die Rolle des einzelnen »sich«, während die Subjektivität als begreifendes Denken und die Objektivität als ausgeführter Zweck die Rolle des allgemeinen »Sich« und die Rolle des Besonderen spielen. Deswegen ist das ganze logische System der Begriffslogik als die sich bewegende Sich-auf-sichBeziehung, welche sich wie folgt kommentieren lässt, zu verstehen: Objektivität als ausgeführter Zweck

die sich bewegende Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung (Aw) Subjektivität als begreifendes Denken

Idee

das begreifende Denken

Die Idee als das einzelne »sich« ist die Realisierung der Objektivität als ausgeführter Zweck (B), welcher die Subjektivität als begreifendes Denken (Aa) ausdrückt. Hiernach macht die Idee (E) die Einheit der Subjektivität (Aa) und der Objektivität (B), also das »Subject-Object«1, aus. Strenggenommen ist das »Subjekt-Objekt« meiner Lesart nach als »(Subjekt)-Objekt« zu bezeichnen. Denn die Subjektivität und die Objektivität sind nicht einfach in der Idee wie in einem Dritten zusammengestellt. Vielmehr sind Subjektivität, Objektivität und Idee, wie eben erwähnt, die drei Momente der sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)1

»Die Idee hat sich nun gezeigt, als der wieder von der Unmittelbarkeit, in die er [sc. der Begriff] im Objecte versenkt ist, zu seiner [sc. des Objekts] Subjectivität befreyte Begriff, welcher sich von seiner Objectivität unterscheidet, die aber eben so sehr von ihm [sc. dem Begriff] bestimmt und ihre Substantialität nur in jenem Begriffe hat. Diese Identität ist daher mit Recht als das Subject-Object bestimmt worden; daß sie ebensowohl der formelle oder subjective Begriff als sie das Object als solches ist.« (GW 12, 176) Vgl. auch: Die Idee ist »die Einheit des Begriffs [sc. der Subjektivität] und der Objectivität, das Wahre.« (GW 12, 174) Vgl.: »Ihr [sc. der Idee] ideeller Inhalt ist kein anderer als der Begriff in seinen Bestimmungen; ihr reeller Inhalt ist nur seine Darstellung, die er sich in der Form äußerlichen Daseyns gibt.« (Enzy., § 213, GW 20, 215)

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sich(E)-Beziehung(Aw). So ist die Objektivität als ausgeführter Zweck (B) der Ausdruck der Subjektivität als begreifendes Denken (Aa). Zugleich ist die Idee (E) die Realisierung einer solchen Objektivität als ausgeführter Zweck (B). Die Pointe des Gedankens der Idee wird also im Gedanken begründet, dass die Subjektivität in der Sphäre der Objektivität logisch schon immer aufgehoben ist. Die Idee ist dieser Lesart zufolge somit nicht einfach ein »Subjekt-Objekt«, sondern ein subjektives (bzw. subjektiviertes) Objekt, nämlich ein »(Subjekt)-Objekt«.2 Da die Idee, wie eben erwähnt, die Realisierung der Objektivität als ausgeführter Zweck ist, welcher das aktive Praxismodell, nämlich die aus einem Objekt selbst entfaltete sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung, darstellt, ist die Idee ebenso ein aktives Praxismodell als sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung, welche gleichzusetzen ist mit der logischen Struktur des begreifenden Denkens. In diesem Sinne sagt Hegel: »Die Idee ist der adäquate Begriff [sc. die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung (vgl. ›Begriff‹) als aktives Praxismodell (vgl. ›adäquat‹)], das objective Wahre [(vgl. aktives Praxismodell)], oder das Wahre als solches.«3 Genauer gesagt: Das aktive Praxismodell als Idee ist das aus einem lebendigen Individuum selbst entfaltete Leben, welches das aktive Sich-Erhalten des lebendigen Individuums bzw. dessen aktives Bewahren der eigenen Existenz darstellt. Da das Leben als Idee einem aktiven Praxismodell als sich bewegender Sich-auf-sich-Beziehung äquivalent ist, ist seine Voraussetzung bzw. seine wahre logische Grundlage das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹. Dieses manifestiert sich im Leben als Idee einerseits als Subjektives, nämlich als die aktive Seite des Lebens als Idee (vgl. Aktivitätsmodell), und zugleich andererseits als Objektives, nämlich als die praktische Seite des Lebens als Idee (vgl. reines Praxismodell als substantivische ›Sich-auf-sich-Beziehung‹). Mit Hegels Worten: »[S]eine [sc. des Lebens in der Idee] Voraussetzung ist der Begriff [sc. das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹], wie er betrachtet worden ist, einerseits als subjectiver, andererseits als objectiver.«4 Vgl.: »Diese einfache Subjekt-Objekteinheit besteht nun nicht darin, daß Subjekt und Objekt insofern identisch seien, daß das eine für das andere substituierbar wäre, sondern daß sie in ihrer Verschiedenheit genau so übereinstimmen, daß eins von beiden nicht ohne die Einheit mit dem anderen begriffen wird.« (De Vos 2003, S. 157) Vgl. auch: »Zur Idee fortbestimmt, ist der Begriff nicht mehr nur der Begriff der Objektivität, sondern macht sich zum Subjekt eines Prozesses, indem die Objektivität die Macht des Begriffs ausdrücken, darstellen lernt.« (Schick 1994, S. 277) 3 GW 12, 173. Vgl. auch: »Die Idee selbst ist nun die wirkliche oder reale ›Definition‹ dessen, was der Begriff ist, oder ist die erreichte, vollziehbare und je auch vollzogene Subjektivität, die sowohl sich vermittelt als auch [durch die Objektivität] vermittelt wird« (De Vos 2003, S. 157) und »die Idee ist dann auch die Tätigkeit, nie bloß Gedanke oder bloß subjektiv zu bleiben, d. h. unwirklich und nicht vereinzelt zu sein, sondern immer von der Konkretion oder Kongruenz selbst singularisiert zu sein« (De Vos 2003, S. 164). 4 GW 12, 180. 2

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Die aktive Seite des aus einem lebendigen Individuum entfalteten Lebens als Idee (das Aktivitätsmodell) wird als »Seele« eines lebendigen Individuums bezeichnet. (Die Seele ist »das anfangende, sich selbst bewegende Princip«5, nämlich das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ als immanente Aktivität eines lebendigen Individuums.) Die praktische Seite des Lebens als Idee, nämlich das reine Praxismodell als substantivische ›Sich-auf-sich-Beziehung‹, stellt die Leiblichkeit eines lebendigen Individuums dar. Es ist zu beachten, dass die Seele als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ (das Aktivitätsmodell) und die Leiblichkeit als substantivische ›Sich-auf-sich-Beziehung‹ (das reine Praxismodell) nicht wie im traditionellen Seele-Leib-Verhältnis einander gegenüberstehen, sondern nach ihrer logischen Form schlechthin ein und dasselbe sind. Die Leiblichkeit eines lebendigen Individuums (die substantivische ›Sich-auf-sich-Beziehung‹ als reines Praxismodell) ist eben die Ausführung seiner Seele (des verbalen ›Sich-aufsich-Beziehens‹ als Aktivitätsmodell) bzw. »die Eröfnung der Negativität [sc. des verbalen ›Sich-auf-sich-Beziehens‹]«6. Mit Hegels Worten: »Die Leiblichkeit der Seele ist das, wodurch sie [sc. die Seele] sich mit der äusserlichen Objectivität [sc. dem aus einem lebendigen Individuum entfalteten reinen Praxismodell] zusammenschließt. – Die Leiblichkeit hat das Lebendige zunächst als die unmittelbar mit dem Begriff [sc. dem verbalen ›Sich-auf-sich-Beziehen‹] identische Realität [sc. die substantivische ›Sich-auf-sich-Beziehung‹ als reines Praxismodell].«7

Faktisch ist die Seele eines lebendigen Individuums als Aktivitätsmodell dem in der Teleologie dargestellten aktiven Zwecksetzen logisch äquivalent, weshalb die Leiblichkeit eines lebendigen Individuums auch als die »dem Zwecke unterworfene«8 Realität gelten kann. Gerade unter dem Antrieb der Seele erhält sich ein lebendiges Individuum leiblich in jeder Situation, indem es sich reproduziert: GW 12, 183. GW 12, 185. 7 GW 12, 183. Vgl. auch: »Der Begriff ist als Seele in einem Leibe realisirt, von dessen Aeußerlichkeit jene die unmittelbare sich auf sich beziehende Allgemeinheit, eben so dessen Besonderung, so daß der Leib keine andern Unterschiede, als die Begriffsbestimmungen an ihm ausdrückt, endlich die Einzelnheit als unendliche Negativität ist.« (Enzy., § 216, GW 20, 219) Mit Düsings Worten: »Hegel bestimmt die unmittelbare Einheit von Begriff [sc. dem verbalen ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ als Aktivitätsmodell] und Objektivität [sc. der substantivischen ›Sich-auf-sich-Beziehung‹ als reinem Praxismodell], die in der Idee des Lebens gedacht wird, als Verhältnis von Seele und Leib.« (Düsing 1986, S. 280) Außerdem fasst Düsing den Leib als »Existenz in Raum und Zeit« (Düsing 1986, S. 282) auf; aber ich bin der Ansicht, dass der Leib im Kontext des Lebens als Idee nicht einfach als etwas Existierendes in Raum und Zeit, sondern als ein praktischer Prozess als Sich-auf-sich-Beziehung zu betrachten ist. 8 GW 12, 183. 5 6

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»Mit der Reproduction [sc. der Selbsterhaltung in jeder Situation] als dem Momente der Einzelnheit, setzt sich das Lebendige als wirkliche Individualität, ein sich auf sich beziehendes Fürsichseyn.«9 Unten werde ich die innere logische Struktur des aus einem lebendigen Individuum entfalteten Lebens als Idee bzw. das aus einem lebendigen Individuum entfaltete aktive Praxismodell eingehend schildern. 3.1 Der Lebensprozess als aus einem lebendigen Individuum entfaltetes reines Praxismodell Das Leben als Idee bezeichnet, wie soeben erwähnt, das aus einem lebendigen Individuum entfaltete aktive Praxismodell als sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung. Der Lebensprozess betont die praktische Seite dieses aktiven Praxismodells. Diese Seite ist das reine Praxismodell als substantivische ›Sich-aufsich-Beziehung‹. In diesem Sinne kann der Lebensprozess als die ausführliche Darstellung der Leiblichkeit eines lebendigen Individuums betrachtet werden. Der Lebensprozess besagt, dass sich ein lebendiges Individuum praktisch auf ›andere Äußerliche‹ bezieht und sich auf diese Weise in jeder Situation erhält. Zu diesen gehören sowohl unorganische als auch organische Objekte, z. B. in Gestalt von anderen lebendigen Individuen. Zum Lebensprozess hält Hegel fest: »Dieser Proceß fängt mit dem Bedürfnisse an, das ist dem Momente, daß das Lebendige erstlich sich bestimmt, sich somit als verneint setzt, und hiedurch auf eine gegen sich andre, die gleichgültige Objectivität [sc. andere Äußerliche] bezieht; – daß es aber zweytens ebensosehr in diesen Verlust seiner nicht verloren ist, sich darin [sc. in der gelichgültigen Objektivität] erhält und die Identität des sich selbst gleichen Begriffes [sc. die Sich-auf-sich-Beziehung] bleibt; hiedurch ist es [sc. das Lebendige] der Trieb jene ihm andre Welt für sich, sich gleich zu setzen, sie aufzuheben und sich zu objectiviren [sc. durch die Praxisbeziehung zu anderen Äußerlichen zu sich selbst zurückzukehren, nämlich dadurch sich zu erhalten].«10 9 10

GW 12, 186. GW 12, 187. Vgl. auch: »Das Leben ist nur als diese negative Einheit seiner Objectivität und Besonderung [sc. der Praxisbeziehung des lebendigen Individuums zu anderen Äußerlichen] sich auf sich beziehendes, für sich seyendes Leben.« (GW 12, 181) Vgl. auch: Die Idee ist »der Proceß, sich in die Individualität [sc. das sich auf sich beziehende Fürsichsein], und in deren unorganische Natur zu dirimiren, und wieder diese unter die Gewalt des Subjects [sc. unter das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹] zurückzubringen und zu der ersten einfachen Allgemeinheit zurückzukehren« (GW 12, 177). Vgl. auch: »Durch den Proceß mit der zugleich damit vorausgesetzten Welt hat es [sc. das Lebendige] sich selbst gesetzt, für sich als die negative Einheit seines Andersseyns, als die Grundlage seiner selbst.« (GW 12, 189) Mit Spiekers Worten: »Individuum und Welt stehen einander nicht gegenüber, sondern das

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Im Lebensprozess als reinem Praxismodell spielt ein lebendiges Individuum selbst die Rolle des Allgemeinen, während seine Selbsterhaltung in jeder Situation das Einzelne repräsentiert. Dementsprechend ist das, was in der wirklichen Dimension entsteht und daher konkret ist, strenggenommen kein lebendiges Individuum selbst, sondern seine Selbsterhaltung in jeder Situation als Einzelnes, während ein lebendiges Individuum selbst als Allgemeines nur ein Abstraktes ist. Die Praxisbeziehung eines lebendigen Individuums zu anderen Äußerlichen macht das Besondere – die Vermittlung zwischen einem lebendigen Individuum (Aa) und seiner Selbsterhaltung in jeder Situation (E) – aus, weil ein lebendiges Individuum (Aa) durch seine Praxisbeziehung zu anderen Äußerlichen sich in jeder Situation erhält (E). Seine Selbsterhaltung in jeder Situation (E) ist die Realisierung seiner Praxisbeziehung zu anderen Äußerlichen (B). Diese drei Momente des Lebensprozesses im reinen Praxismodell – ein lebendiges Individuum (Aa), seine Praxisbeziehung zu anderen Äußerlichen als Weise des Sich-Erhaltens (B) und seine Selbsterhaltung in jeder Situation (E) – sind schlechthin integriert. Nur in der philosophischen Reflexion werden sie drei voneinander getrennt. Nach der obigen Analyse kann die Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung als aus einem lebendigen Individuum selbst entfalteter Lebensprozess wie folgt kommentiert werden: seine Praxisbeziehung zu anderen Äußerlichen als Weise des Sich-Erhaltens

Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung ein lebendiges Individuum

seine Selbsterhaltung in jeder Situation Praxismodell (Lebensprozess)

Dieses im Lebensprozess entstehende Praxismodell kann durch das folgende Diagramm übersichtlich dargestellt werden:

Lebendige hebt in seinem äußeren Lebensprozess seine Stellung gegen die von ihm vorausgesetzte Welt auf.« (Spieker 2009, S. 364) Mit Sieps Worten: »Die Betrachtung des ›LebensProcesses‹ zeigt, dass die mannigfaltigen Verhältnisse des lebendigen Individuums zur Welt auch nicht als eine solche äußere (den Kategorien der Seinslogik entsprechende) Beziehung einheitlich zu begreifen sind. Für Hegel ist das vielmehr nur ›dialektisch‹ im Sinne eines aufgehobenen Widerspruchs nachvollziehbar.« (Siep 2018, S. 674)

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Aa »Sich« ein lebendiges Individuum

»Beziehung« Lebensprozess

B »auf« seine Praxisbeziehung zu anderen Äußerlichen als Weise des Sich-Erhaltens

P

E »sich« seine Selbsterhaltung in jeder Situation

(P: Praxismodell11)

Ein solcher Lebensprozess als selbstbezüglicher Kreislauf kann als der folgende Prozess, in welchem ein lebendiges Individuum sich selbst immer wieder anreichert, erachtet werden: Ein lebendiges Individuum als abstrakt Allgemeines macht den logischen Anfang aus; in seinem Lebensprozess wird sein neuer Zustand der Selbsterhaltung (E) als die Realisierung seiner Praxisbeziehung zu anderen Äußerlichen (B) immer wieder diesem logischen Anfang (Aa) hinzugefügt. In diesem Sinne wird das abstrakt Allgemeine als ein lebendiges Individuum mit dem Einzelnen als Realisierung des Besonderen angereichert. Mit Hegels Worten: »Das Resultat [sc. die Selbsterhaltung eines lebendigen Individuums in jeder Situation] enthält seinen Anfang [sc. das lebendige Individuum selbst als abstrakt Allgemeines], und dessen Verlauf [sc. der Lebensprozess als Sich-auf-sich-Beziehung] hat ihn [sc. den Anfang] um eine neue Bestimmtheit [sc. um einen neuen Zustand der Selbsterhaltung des lebendigen Individuums als die Realisierung seiner Praxisbeziehung zu anderen Äußerlichen] bereichert. Das Allgemeine [sc. ein lebendiges Individuum selbst] macht die Grundlage aus[, weil alle Zustände seiner Selbst­ erhaltung es selbst ausmachen]; der Fortgang ist deßwegen nicht als ein Fliessen von einem Andern zu einem Andern zu nehmen. […] Es [sc. das Allgemeine als ein lebendiges Individuum selbst] […] trägt alles Erworbene mit sich, und bereichert und verdichtet sich in sich.«12 Ich benutze in diesem Diagramm deshalb wie im Chemismus eine gestrichelte Linie, weil die Aktivität des Lebensprozesses als Aktivität des reinen Praxismodells noch nicht erkannt wird. 12 GW 12, 250. Vgl. auch: »Die Bereicherung geht an der Nothwendigkeit des Begriffes fort, sie ist von ihm gehalten, und jede Bestimmung ist eine Reflexion in sich.« (GW 12, 251) Vgl. auch: »Jeder Schritt des Fortgangs im Weiterbestimmen [ist], indem er von dem unbe11

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Bei näherer Betrachtung des Besonderen im Lebensprozess bemerken wir, dass sich ein lebendiges Individuum, um sich zu erhalten, im praktischen Sinne sowohl auf die unorganischen Objekte als auch auf andere lebendige Individuen bezieht. Genauer gesagt: Der Praxisbeziehung eines lebendigen Individuums zu unorganischen Objekten liegt wesentlich seine Praxisbeziehung zu anderen lebendigen Individuen zugrunde. Ein und dasselbe unorganische Objekt wird zugleich praktisch auf verschiedene lebendige Individuen bezogen, wodurch diese sich durch das unorganische Objekt untereinander vernetzen. Um diesen ab­ strakten Gedanken zu verdeutlichen, führe ich ein Beispiel an. Durch das Essen von Äpfeln erhält sich das lebendige Individuum (X), während sich das lebendige Individuum (Y) durch das Verkaufen von Äpfeln seinen Lebensunterhalt sichert. X und Y als zwei lebendige Individuen scheinen nur durch ihre jeweilige Praxisbeziehung zu Äpfeln sich zu erhalten, indem das eine sie isst und das andere sie verkauft. Aber wesentlich erhalten sich beide durch ihre Praxisbeziehung zueinander. So liefert Y dem X Äpfel zu Essen, während X durch das Abkaufen der Äpfel von Y diesem ein Einkommen generiert. Deswegen inhäriert jedem lebendigen Individuum »die Verdopplung […] – ein Voraussetzen einer Objectivität [sc. eines unorganischen Objekts], welche mit ihm identisch ist[, weil im Lebensprozess das unorganische Objekt wegen dessen Praxisbeziehung zum lebendigen Individuum in diesem aufgehoben wird], und ein Verhalten des Lebendigen zu sich selbst, als einem andern Lebendigen«13.

Da sich ein lebendiges Individuum nicht einfach durch seine Praxisbeziehung zu unorganischen Objekten, sondern wesentlich durch seine Praxisbeziehung zu anderen lebendigen Individuen erhält, fallen die Weise des Sich-Erhaltens jedes stimmten Anfang sich entfernt, auch eine Rückannäherung zu demselben […], […] somit [fällt] das, was zunächst als verschieden erscheinen mag, das rückwärts gehende Begründen des Anfangs, und das vorwartsgehende Weiterbestimmen desselben in einander […] und [ist] dasselbe […].« (GW 12, 251) Mit Spiekers Worten: »Dadurch rekonstituiert es [sc. das Lebendige] (i) seine wahrhafte Einzelheit, hebt (ii) seine Partikularisierung (Lebendiges versus Nicht-Lebendiges) auf und wird (iii) allgemein. Dies ist die Reproduktion der Gestalt des Lebendigen.« (Spieker 2009, S. 365) 13 GW 12, 190. Vgl. auch: »Die Besonderung derselben [sc. der Gattung] ist die Beziehung des Subjects auf ein anderes Subject seiner Gattung.« (Enzy., § 220, GW 20, 220) Vgl.: »Jedes [lebendige Individuum] macht in seiner Beziehung auf das andere die Erfahrung, daß sein Gegenüber nicht gleichgültige äußere Objektivität, sondern ein lebendiges Individuum der gleichen Art ist. Diese wechselseitige Beziehung aufeinander als gleichartiger Lebendiger wird empfunden.« (Düsing 1986, S. 286) Vgl.: »In der Idee des Lebens wird das darin deutlich, dass sich das Lebendige nicht bloß abgrenzend auf ein Unorganisches bezieht, sondern verlebendigend mit anderem Lebendigen kommuniziert.« (Spieker 2009, S. 371)

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lebendigen Individuums und die Weise des Sich-Erhaltens der anderen lebendigen Individuen logisch ineinander. Dementsprechend ist die Selbsterhaltung jedes lebendigen Individuums in jeder Situation wesentlich die Realisierung seiner Praxisbeziehung zu anderen lebendigen Individuen. Hiernach werden auf den Lebensprozess jedes lebendigen Individuums zugleich die Lebensprozesse der anderen lebendigen Individuen eingefaltet. Anders formuliert: Ihre Lebensprozesse überlagern sich. Auf diese Weise heben »die einzelnen Individuen ihre gleichgültige, unmittelbare Existenz in einander auf[]«14 und »die abgesonderten Einzelnheiten des individuellen Lebens [gehen] unter«15. In diesem Sinne wird der aus jedem lebendigen Individuum entfaltete Lebensprozess selbst zur Gattung des lebendigen Individuums.16 Eine solche Gattung ist nicht als der im kognitiven Sinne ausgesagte abstrakte Begriff des lebendigen Individuums aufzufassen, dessen Instanziierungen ein wirklicher Mensch, ein wirkliches Pferd usw. sein können. Vielmehr schildert die Gattung des lebendigen Individuums das logische Ineinanderfallen der aus mannigfaltigen lebendigen Individuen entfalteten Lebensprozesse. Deswegen lässt sich diese Gattung faktisch in Form eines im praktischen Sinne ausgesagten intersubjektiven Lebensprozesses begreifen. Dieser intersubjektive Lebensprozess als Gattung ist das vollständige Entfalten des Lebensprozesses eines lebendigen Individuums. Nach Hegel kann jedes lebendige Individuum dann als ein »Keim« interpretiert werden, solange bei seinem Lebensprozess die Lebensprozesse der anderen lebendigen Individuen noch nicht dargestellt, sondern nur an sich auf ihn eingefaltet werden. Denn der Keim ist gerade dasjenige, welches zwar an sich alle möglichen Formen enthält, bei welchem aber sich diese Formen noch nicht manifestieren.17 Beim Gattungsprozess ist Folgendes zu beachten: Allerdings erwähnt Hegel bei der Gattung des lebendigen Individuums die zweigeschlechtliche »Begat GW 12, 191. GW 12, 191. Mit Pippins Worten: »No living being can lead its life as individually determined, as if everything about its life were ‹up to it’.« (Pippin 2018, S. 301) 16 Vgl.: »Die weitere Bestimmung aber, welche es [sc. das lebendige Individuum] durch die Aufhebung des Gegensatzes erlangt hat, ist, Gattung zu seyn, als Identität seiner mit seinem vorherigen gleichgültigen Andersseyn [sc. den anderen lebendigen Individuen].« (GW 12, 190) Vgl. auch: »Diese Stuffe [sc. die Gattung] ist der sich auf sich beziehende Proceß des Individuums, wo die Aeusserlichkeit [sc. andere lebendige Individuen] sein immanentes Moment ist, zweytens diese Aeusserlichkeit ist selbst als lebendige Totalität, eine Objectivität, die für das Individuum es selbst ist; – in der [sc. der Objektivität] es nicht als aufgehobener, sondern als bestehender, die Gewißheit seiner selbst hat.« (GW 12, 190) 17 »Der Keim des Lebendigen ist die vollständige Concretion der Individualität, in welcher alle seine verschiedenen Seiten, Eigenschaften und gegliederten Unterschiede in ihrer ganzen Bestimmtheit enthalten [sind] und die zunächst immaterielle, subjective Totalität unentwickelt, einfach und nichtsinnlich ist; der Keim ist so das ganze Lebendige in der innerlichen [sc. ansichseienden] Form des Begriffes.« (GW 12, 191) 14 15

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tung«18 oder »Fortpflanzung«19. Meines Erachtens aber darf diese Spezifizierung nicht als Indiz interpretiert werden, dass der Gattungsprozess im Kontext der Idee mit dem biologischen Fortpflanzungsprozess gleichzusetzen ist. Die Gründe dafür lauten wie folgt: Logisch soll der Gattung des lebendigen Individuums zur näheren Bestimmung seines Lebensprozesses die Sich(Aa)-auf(B)sich(E)-Beziehung zugrunde liegen, aber der biologische Fortpflanzungsprozess des lebendigen Individuums drückt diese selbstbezügliche Beziehung nicht aus. Im biologischen Fortpflanzungsprozess bilden das lebendige Individuum und seine Nachkommen als Resultat der Fortpflanzung offenkundig keine Beziehung zwischen dem allgemeinen »Sich« und dem einzelnen »sich«, weil beide nicht dialektisch identisch sind, sondern sich logisch voneinander unterscheiden. Wenn aber die biologische Fortpflanzung des lebendigen Individuums als eine seiner mannigfaltigen Weisen des Sich-Erhaltens angesehen und dadurch als das Besondere in die Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung als Lebensprozess aufgenommen wird, dann gibt es keine logische Differenz zwischen seiner biologischen Fortpflanzung und seinen anderen Weisen des Sich-Erhaltens. Vor diesem Hintergrund erscheint es müßig, im Kapitel »Das Leben« einzig die biologische Fortpflanzung als Weise des Sich-Erhaltens zu betonen. Wenn die Gattung des lebendigen Individuums als ein intersubjektiver Lebensprozess interpretiert wird, dann wird der Lebensprozess eines lebendigen Individuums notwendig zum Gattungsprozess der lebendigen Individuen übergehen. Denn auf den Lebensprozess jedes lebendigen Individuums werden an sich die Lebensprozesse der anderen lebendigen Individuen eingefaltet. Dies führt zur Konsequenz, dass der Lebensprozess jedes lebendigen Individuums für sich genommen eben die Gattung des lebendigen Individuums ist. De facto möchte Hegel meiner Lesart nach im Kapitel »Das Leben« durch die Gattung des lebendigen Individuums aufweisen, dass die Allgemeinheit als Gattung nur einen ins Unendliche fortgehenden und unerschöpflichen Prozess darstellt. Ein solcher Prozess garantiert nicht die Wahrheit des Lebensprozesses selbst bzw. nicht dessen objektive Notwendigkeit. Mit Hegels Worten: Die Gattung ist »der unendliche Progreß […], in welchem sie [sc. die Idee] nicht aus der Endlichkeit ihrer Unmittelbarkeit heraustritt«20. In diesem Zustand ist die Dar Vgl. GW 12, 191. Vgl. GW 12, 191. 20 GW 12, 191. Vgl. auch: »Am Ende der Logik des Lebens bleibt das Genus ein subjektiver Begriff. […] Dabei stellt sich eine Unterscheidung zwischen der begrifflichen Allgemeinheit der Gattung und ihrer Wirklichkeit in einer unendlich fortschreitenden Reihe der Individuen ein, die noch mit einer Unangemessenheit behaftet ist.« (Burbidge 2003, S. 212) Mit Sieps Worten: »Schließlich ist auch in der begrifflichen Struktur des Lebens, das sich individualisiert und das Äußerliche vollständig aneignet, keine Stimmigkeit erreicht.« (Siep 2018, S. 678) 18 19

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stellung des Lebens als Idee, auch wenn der Lebensprozess bereits die Stufe der Gattung erreicht hat, im logischen Sinne unvollständig. Obwohl ich die Gattung des lebendigen Individuums nicht als seinen unendlichen Fortpflanzungsprozess, sondern als einen intersubjektiven Prozess interpretiere, läuft meine Interpretation dem, was Hegel im Kapitel »Das Leben« durch die Gattung aufweisen möchte, nicht entgegen. Denn der intersubjektive Prozess ist auch ein unendlicher und unerschöpflicher Prozess, welcher nicht die Wahrheit bzw. die objektive Notwendigkeit des Lebensprozesses selbst garantiert (vgl. Abschnitt 3.2). 3.2 Der Übergang vom Leben als unmittelbarer Idee zur absoluten Idee Der Lebensprozess als reines Praxismodell ist nur eine unmittelbare Darstellung des Lebens als Idee (des aktiven Praxismodells). Mit anderen Worten: Die drei Momente des Lebensprozesses – ein lebendiges Individuum (Aa), seine Praxisbeziehung zu anderen Äußerlichen als Weise des Sich-Erhaltens (B) und seine Selbsterhaltung in jeder Situation (E) – werden nur unmittelbar bzw. formell zusammengestellt. Denn die objektive Notwendigkeit bzw. die Wahrheit des Lebensprozesses wird nicht garantiert. Genauer gesagt: Es wird im Lebensprozess als reinem Praxismodell nicht garantiert, dass sich ein lebendiges Individuum (Aa) objektiv-notwendig bzw. im objektiven Sinne in jeder Situation praktisch auf andere Äußerliche bezieht (B) (vgl. Abschnitte 2.1.2 und 2.4). Obwohl sich der Lebensprozess eines lebendigen Individuums zum intersubjektiven Prozess als Gattung entwickelt hat, schildert dieser, wie in Abschnitt 3.1 erwähnt, das unendliche Ineinanderfallen der Lebensprozesse der lebendigen Individuen. Dieses unendliche Ineinanderfallen kann aber nicht garantieren, dass sich ein lebendiges Individuum (Aa) in seinem Lebensprozess objektiv-notwendig praktisch auf andere Äußerliche bezieht (B). Deswegen ist der intersubjektive Gattungsprozess ebenso eine unmittelbare bzw. formelle Darstellung der Idee des Lebens.21 Durch den intersubjektiven Gattungsprozess wird nur der Lebensprozess als reines Praxismodell vollständig entfaltet, aber die Darstellung des Lebens als Idee, welches ein aktives Praxismodell ausmacht, wird noch nicht vollbracht. Gerade in Ansehung der Unmittelbarkeit beim Lebensprozess bezeichnet Hegel das Le-

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»Die Gattung ist nun zwar die Vollendung der Idee des Lebens[, und zwar des Lebensprozesses], aber zunächst ist sie noch innerhalb der Sphäre der Unmittelbarkeit; diese Allgemeinheit ist daher […] der Begriff, dessen Realität die Form unmittelbarer Objectivität [sc. das reine Praxismodell als substantivische ›Sich-auf-sich-Beziehung‹] hat. Das Individuum ist daher an sich zwar Gattung, aber es ist die Gattung nicht für sich.« (GW 12, 190) Mit anderen Worten: Das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ im lebendigen Individuum wird aus der Gattung nicht erkannt.

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ben, und zwar das Leben in der Phase des Lebensprozesses, als »die unmittelbare Idee«22. Die zu erkennende Wahrheit des Lebensprozesses bzw. des Lebens als der unmittelbaren Idee besteht darin, dass der Lebensprozess als substantivische ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung‹ sich aktiv durch sich selbst antreibt und daher schlechthin das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ ist. Diese verbale Form des Lebensprozesses, welche als seine immanente Aktivität diesen innerlich antreibt, wird im Kapitel »Das Leben« noch nicht erkannt.23 In diesem Zustand muss das Leben als unmittelbare Idee (die substantivische ›Sich-auf-sich-Beziehung‹ als reines Praxismodell) zur absoluten Idee (dem verbalen ›Sich-auf-sichBeziehen‹ als Aktivitätsmodell) übergehen. Hegel weist im Kontext dieses Übergangs auf das Folgende hin: »Von dem Leben haben wir gesehen, daß es die Idee ist, aber es hat sich zugleich gezeigt, noch nicht die wahrhafte Darstellung oder Art und Weise ihres Daseyns zu seyn [– weil das Aktivitätsmodell noch nicht aus dem Lebensprozess erkannt wird]. […] [D]ie Wahrheit des Lebens als absolute negative Einheit [sc. als das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹] ist daher, die abstracte [bzw. formelle] oder was dasselbe ist, die unmittelbare Einzelnheit [sc. das durch den Lebensprozess unmittelbar dargestellte Sich-Erhalten des lebendigen Individuums] aufzuheben, und als Identisches [sc. als das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ selbst] mit sich [sc. mit der sub­ stantivischen ›Sich-auf-sich-Beziehung‹ als Lebensprozess] identisch […] zu s­ eyn.«24

In der Begriffslogik steht zwischen dem Kapitel »Das Leben« und dem Kapitel »Die absolute Idee« das Kapitel »Die Idee des Erkennens«. Letzteres enthält zwei Unterkapitel: »Die Idee des Wahren« (die theoretische Idee) und »Die Idee des Guten« (die praktische Idee). Nach dem logischen Entwicklungsprozess der Begriffslogik besteht die logische Funktion des Kapitels über das Erkennen eben GW 12, 179. Vgl.: »Wird diese Einheit von Begriff und Objektivität nun eigens realisiert und vollzogen, so daß der Begriff jener Objektivität rein immanent ist und bleibt [sc. die Objektivität ist nur die substantivische ›Sich-auf-sich-Beziehung‹], dann tritt diese Einheit zunächst als unmittelbar realisierte auf; sie ist es, die Hegel als Leben denkt.« (Düsing 1986, S. 280) »Diese nicht mehr einfache, sondern reflektierte Selbstbeziehung [sc. das Leben] ist noch nicht geistig, noch nicht denkend, sondern bedarf noch der Äußerlichkeit des organischen Körpers oder des Leibes.« (Düsing 1986, S. 289) 24 GW 12, 196–197. Vgl. auch: »Zunächst aber ist die Idee auch wieder erst nur unmittelbar oder nur in ihrem Begriffe; die objective Realität [sc. der Lebensprozess als substantivische ›Sich-auf-sich-Beziehung‹] ist dem Begriffe [sc. dem verbalen ›Sich-auf-sich-Beziehen‹] zwar angemessen, aber noch nicht zum Begriffe befreyt, und er existirt nicht für sich als der Begriff.« (GW 12, 177) 22 23

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darin, die Wahrheit des Lebens und mithin die Wahrheit der unmittelbaren Idee zu erkennen. Deswegen ist der zu erkennende Gegenstand im Kapitel über das Erkennen nichts anderes als das Leben selbst als unmittelbare Idee. Da die Wahrheit des Lebens als Wahrheit der unmittelbaren Idee, wie eben erwähnt, im verbalen ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ als immanenter Aktivität des Lebensprozesses besteht und dieses verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ eben die logische Struktur des begreifenden Denkens selbst ist, erkennt das begreifende Denken, wenn die Wahrheit des Lebens als Wahrheit der unmittelbaren Idee erkannt wird, zugleich sich selbst (bzw. seine eigene logische Funktionsweise im Wirklichen). Mit anderen Worten: Das Erkennen der Wahrheit des Lebens und mithin der Wahrheit der unmittelbaren Idee ist zugleich das Selbsterkennen des begreifenden Denkens.25 Fulda weist auf diesen Umstand hin, wenn er schreibt: »Die Idee des Lebens hat also ihre epistemologische Bedeutsamkeit zumindest darin, dass ohne sie das Erkennen als sich selbst Erfassen des Begriffs keine einsichtige, wesentlich zu ihm gehörige Bestimmtheit haben könnte.«26 Den Argumentationsverläufen in Kapiteln 1. und 2. zufolge sind sowohl die theoretische Idee als auch die praktische Idee logisch problematisch, weil die Wahrheit des Lebens durch keine dieser beiden Ideen erkannt werden kann. Anders formuliert: Das Leben als unmittelbare Idee ist im wahren Sinne weder die theoretische noch die praktische Idee. Seine Wahrheit – das verbale ›Sich-aufsich-Beziehen‹ als immanente Aktivität des Lebensprozesses – ist die »absolute Methode«, welche »sich nicht als äusserliche Reflexion [verhält] […], da sie selbst dessen [sc. ihres Gegenstandes, nämlich des Lebens] immanentes Princip und Seele ist«27. Mit Fuldas Worten: »Es [sc. das Erkennen der Wahrheit des Lebens als der Wahrheit der unmittelbaren Idee] ist kein Erkennen von Gegenständen (der theoretischen oder praktischen Vernunft) mehr, sondern eines, in welchem die Vernunft [sc. das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹] sich selbst erkennt.«28 Da der logische Mangel der theoretischen Idee und der logische Mangel der praktischen Idee schon in Kapitel 1. und Kapitel 2. ausführlich diskutiert worden sind, werde ich um der Prägnanz der Argumentation willen unten nur skizzenhaft resümieren, warum die Wahrheit des Lebens als Wahrheit der unmittelbaren Idee weder auf der Ebene der theoretischen Idee noch auf der Ebene der praktischen Idee erkannt werden kann. Vgl.: »Daher ist die absolute Subjektivität im Anderen ihrer selbst, im Gedachten, bei sich selbst, als dem Denkenden, denn im Gedachten ist die Struktur des Denkaktes und damit die ursprüngliche Tätigkeit des Denkenden zu erkennen.« (Schäfer 2002, S. 245) 26 Fulda 2004, S. 88. Vgl. auch: »Nur von der Idee des Lebens aus kann […] überhaupt der Begriff des Erkennens in eine Logik der Idee eingebaut werden.« (Fulda 2004, S. 88–89) 27 GW 12, 241. Vgl. auch: »Die Möglichkeit dieser Trennung von Seele und Leib macht die Endlichkeit des Lebendigen aus.« (Spieker 2009) 28 Fulda 2004, S. 107. 25

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Realisierung des aktiven Praxismodells

Wenn die Wahrheit des Lebens als Wahrheit der unmittelbaren Idee auf der Ebene der theoretischen Idee erkannt wird, dann geht dieses Erkennen meiner Lesart nach durch drei logische Phasen hindurch. a) In der Phase des analytischen Erkennens erhalten wir eine rein formelle arithmetische Gleichung (vgl. Abschnitt 1.5): ein lebendiges Individuum als Gegenstand (E) = der abstrakte Begriff »lebendiges Individuum« (Aa) + die Bestimmtheit »sich praktisch auf andere Äußerliche beziehen« (B). In dieser arithmetischen Gleichung ist die Bestimmtheit »sich praktisch auf andere Äußerliche beziehen« nur auf der Ebene des Daseins unmittelbar dargestellt. Deswegen bildet sich in dieser Phase keine sich bewegende Sich(Aa)auf(B)-sich(E)-Beziehung. b) In der Phase des synthetischen Erkennens ist in der Definition und Einteilung die Bestimmtheit »sich praktisch auf andere Äußerliche beziehen« nur ein Merkmal des abstrakten Begriffs »lebendiges Individuum« (Aa) und ein Einteilungsgrund für die empirische Art »lebendiges Individuum« (Aa). Aber es wird im Definitions- und Einteilungsprozess nicht gesetzt, dass ein lebendiges Individuum als Gegenstand (E) notwendig bzw. in jeder Situation mit der Bestimmtheit »sich praktisch auf andere Äußerliche beziehen« übereinstimmt (vgl. Abschnitt 1.5). In diesem Sinne spielt diese Bestimmtheit nicht die Rolle des Besonderen, sondern ist ein bloßer Schein. Hiernach bildet sich in dieser Phase ebenso keine sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung. c) In der Phase des synthetischen Erkennens erhalten wir im Lehrsatz ein Kognitionsmodell des lebendigen Individuums. Dieses Kognitionsmodell als Lehrsatz lässt sich wie folgt kommentieren: seine logische Funktionsweise, welche garantiert, dass sich ein wirkliches lebendiges Individuum in jeder Situation praktisch auf andere Äußerliche bezieht

die sich bewegende Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung (Aw) der abstrakte Begriff »lebendiges Individuum«

ein wirkliches lebendiges Individuumin jeder Situation

das begreifende Denken

Dieser Lehrsatz stellt den folgenden Denkprozess dar: Das begreifende Denken (Aw) setzt den abstrakten Begriff »lebendiges Individuum« (Aa) und bestimmt dessen logische Funktionsweise (B). Die logische Funktionsweise des abstrak-

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ten Begriffs »lebendiges Individuum« besteht darin, dass sich ein wirkliches lebendiges Individuum (E) aufgrund dieses Begriffs (Aa) so darstellt, dass es sich in jeder Situation praktisch auf andere Äußerliche bezieht. Deswegen befindet sich ein wirkliches lebendiges Individuum (E), da es unter dem abstrakten Begriff »lebendiges Individuum« (Aa) steht, für das begreifende Denken (Aw) in jeder Situation in der Praxisbeziehung zu anderen Äußerlichen (B). Aus einem solchen Denkprozess als Lehrsatz geht hervor, dass ein wirkliches lebendiges Individuum nicht durch seine immanente Aktivität, sondern nur durch das begreifende Denken notwendig mit der Bestimmtheit »sich praktisch auf andere Äußerliche beziehen« verbunden wird. Anders formuliert: Ein wirkliches lebendiges Individuum wird nur im begreifenden Denken verallgemeinert. Aber es kann nicht garantiert werden, dass sich ein wirkliches lebendiges Individuum objektiv-notwendig bzw. im objektiven Sinne in jeder Situation praktisch auf andere Äußerliche bezieht.29 Also kann die Wahrheit des Lehrsatzes über das lebendige Individuum nicht garantiert werden. Wenn die Wahrheit des Lebens als Wahrheit der unmittelbaren Idee auf der Ebene der praktischen Idee erkannt wird, dann kann es auf die folgende Form des (reinen) Praxismodells gebracht werden: seine aktive Handlung, sich praktisch auf andere Äußerliche zu beziehen

Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung ein lebendiges Individuum

seine Selbsterhaltung in jeder Situation (reines) Praxismodell

Dieses (reine) Praxismodell besagt, dass ein lebendiges Individuum (Aa) aktiv so handelt, dass es sich praktisch auf andere Äußerliche bezieht (B) und sich auf diese Weise in jeder Situation erhält (E) (vgl. Abschnitt 2.5). Nun wird ein lebendiges Individuum in seiner Praxisbeziehung zu anderen Äußerlichen aufgehoben, wodurch das »sich praktisch auf andere Äußerliche beziehen« zur Weise seines Sich-Erhaltens wird. In diesem Sinne beschreibt die praktische Idee auf der Ebene des Wesens das lebendige Individuum, so wie der Chemismus auf der 29

Aus diesem Grund nimmt Siep zufolge »Hegel zur Realisierung der Idee des Erkennens noch eine Stufe der Aufhebung der Fremdheit des Objekts [sc. der Aufhebung der anderen Äußerlichen] in Anspruch […]: die Idee der praktischen Vernunft oder ›des Guten‹.« (Siep 2004, S. 355)

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Ebene des Wesens das Objekt beschreibt (vgl. Abschnitt 2.4). Dennoch bleibt die praktische Idee mit einem logischen Mangel behaftet, weil die Aktivität in der praktischen Idee nicht das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ als wahre logische Grundlage des Lebensprozesses, sondern nur die konkrete Handlung eines lebendigen Individuums darstellt (vgl. Abschnitt 2.5). Wegen dieses logischen Mangels können wir weiter fragen, warum ein lebendiges Individuum objektiv-notwendig bzw. im objektiven Sinne in jeder Situation aktiv so handelt, dass es sich praktisch auf andere Äußerliche bezieht. Diese objektive Notwendigkeit kann in der praktischen Idee nicht garantiert werden. Hiernach ist das (reine) Praxismodell als praktische Idee nur formell zusammengesetzt; wesentlich gründet es sich auf das begreifende Denken und ist daher dem Kognitionsmodell logisch äquivalent (vgl. Abschnitt 2.1.2).30 3.3 Die absolute Idee als dem Lebensprozess immanentes Aktivitätsmodell Im Vergleich zum Lebensprozess als Darstellung der Leiblichkeit eines lebendigen Individuums (vgl. Abschnitt 3.1) stellt die absolute Idee die Seele desselben dar. Ausführlich gesagt: Die absolute Idee ist die Verbalisierung der sub­stan­ tivischen Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung als Lebensprozess. Also ist die absolute Idee die Aktivität als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹, welches dem aus einem lebendigen Individuum entfalteten Lebensprozess immanent ist und innerlich diesen Prozess antreibt. In diesem Sinne beschreibt die absolute Idee das lebendige Individuum nicht mehr auf der Ebene des Wesens, sondern auf der Ebene des Begriffs, und zwar auf der Ebene des verbalen ›Sich-auf-sich-Beziehens‹. Die absolute Idee macht »die schlechthin unendliche [sc. sich auf sich beziehende] Kraft«31 des Lebensprozesses bzw. »unvergängliches Leben«32 aus. Ich fasse die absolute Idee daher als die Lebendigkeit des lebendigen Individuums auf. Die absolute Idee und die Lebendigkeit sind also in meinem Gedanken äquivalent. Zur absoluten Idee sagt Hegel:

Vgl.: »Zur praktischen Idee gehört damit aber ihre eigene Form der Nichtentsprechung von Begriff [sc. vom verbalen ›Sich-auf-sich-Beziehen‹] und Realität [sc. dem reinen bzw. formellen Praxismodell], insofern auch sie einen Spielraum objektseitigen Seins voraussetzt, der ihren unbedingten Zwecken [sc. der Aktivität der Handlungen] jedoch gleichgültig und fremd gegenüberzustehen scheint, ohne dass sich diese Gleichgültigkeit und Fremdheit durch das Handeln je zum Verschwinden bringen ließe.« (Martin 2014, S. 240) 31 GW 12, 238. 32 GW 12, 236. 30

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»Dieses aus der Differenz und Endlichkeit des Erkennens [sc. des theoretischen und des praktischen Erkennens] zu sich zurückgekommene und durch die Thätigkeit des Begriffs [sc. durch das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹] mit ihm [sc. dem Begriff] identisch gewordene Leben [sc. das Leben als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹] ist die speculative oder absolute Idee.«33

Die substantivische ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung‹ als Lebensprozess ist darum nicht absolut, weil ihre Wahrheit logisch bedingt ist. Wenn sie wahr sein soll, dann muss logisch vorausgesetzt werden, dass sie sich aktiv durch sich selbst antreibt. Anderenfalls ist sie nur formell bzw. äußerlich zusammengesetzt (vgl. Abschnitte 2.1.2, 2.4 und 3.2). Die substantivische ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)Beziehung‹ als Lebensprozess ist de facto die Ausführung des verbalen ›Sichauf-sich-Beziehens‹ als Ausführung der immanenten Aktivität des Lebensprozesses. Dieses verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ als immanente Aktivität ist deshalb absolut, weil seine Wahrheit keine logische Voraussetzung mehr benötigt. Es ist eben die Wahrheit selbst und hat daher keine logische Beschränkung mehr.34 Wie am Anfang des Kapitels 3. erwähnt, spielen im ganzen logischen System der Begriffslogik die Idee des Lebens und die Objektivität die Rolle des einzelnen »sich« und die Rolle des Besonderen. Deswegen ist die Idee des Lebens die Realisierung der Objektivität, aber auch mittelbar die Realisierung der Subjektivität als begreifendes Denken. Da sich die Objektivität in der Begriffslogik zum Ak Enzy., § 235 (GW 20, 228). Vgl. auch: »Für sich ist die absolute Idee […] die reine Form des Begriffs [sc. das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹], die ihren Inhalt [sc. die substantivische ›Sich-auf-sich-Beziehung‹] als sich selbst anschaut. […] Als Form bleibt hier der [absoluten] Idee nichts als die Methode dieses Inhalts.« (Enzy., § 237, GW 20, 228–229) Vgl.: »Als absolute hat die ›Idee‹ die Bedeutung, daß die Lebensform, die sie darstellt, selbstlegitimierend sein soll, daß sie nicht auf ›dogmatischen‹ Annahmen oder auf einem bloß von außerhalb ›Gegebenen‹ beruht, und daß sie sich selbst ihre eigene Gestalt gibt und diese von innen heraus verwirklicht.« (Pinkard 2003, S. 132) Vgl.: »In der absoluten Idee wird die reine Form dargestellt, mittels deren sich die absolute Subjektivität selbst setzt und sich selbst Objektivität und Geltung gibt.« (Schäfer 2002, S. 256) Vgl.: »Die Idee selbst ist die (aktive) Kongruenz. Deshalb ist sie nicht in einer Begriffsdefinition oder -deskription vollständig gegeben.« (De Vos 2003, S. 164) Vgl.: »Die Methode in der WdL [soll] konstruktiv und konstitutive und nicht nur instrumentelle Funktion haben.« (Utz 2003, S. 190) Vgl.: »It is clear that an absolute idea would be a process connecting universal, particular, and individual that makes for an absolute or complete case of substance.« (Kreines 2015, S. 231) Vgl.: »Diese Deutung der absoluten Idee ist weder theologisch noch profan. Denn ihr zufolge kann mit der Vollentsprechung von Begriff und Objektivität weder ein personaler Gott gemeint sein, […] noch markiert die absolute Idee ein bloßes Ideal, dem gegenüber die profane Wirklichkeit das schlechthin Bleibende ist.« (Martin 2014, S. 242) 34 Vgl.: »Hegel tends to use the notion of ›absolute‹ as a replacement for the Kantian ›a priori.‹ His understanding of an absolute or a priori notion [involves …] the ›autonomy‹, independence, and even ›freedom‹ of such notions.« (Pippin 1989, S. 250) 33

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tivitätsmodell als Teleologie entwickelt hat, stellt die absolute Idee bzw. die Lebendigkeit des lebendigen Individuums, welche das Aktivitätsmodell in der Idee des Lebens ausmacht, ebenso einen teleologischen Prozess dar.35 Der teleologische Prozess als Lebendigkeit besagt, dass ein lebendiges Individuum sich aktiv den Zweck setzt, durch die Praxisbeziehung zu anderen Äußerlichen sich zu erhalten.36 Es ist insbesondere hervorzuheben, dass dieses aktive Zwecksetzen als Lebendigkeit keine konkrete Handlung des lebendigen Individuums, sondern seine wahre logische Grundlage ist, welche die objektive Notwendigkeit bzw. die Wahrheit seiner konkreten Handlung, sich praktisch auf andere Äußerliche zu beziehen, garantiert (vgl. Abschnitt 2.6). Außerdem hat dieses aktive Zwecksetzen als Lebendigkeit, da es die wahre logische Grundlage des lebendigen Individuums ist, mit dem empirischen Bewusstsein nichts zu tun. Denn auch in Pflanzen oder Menschen mit vollständigem Bewusstseinsverlust wirkt dieses aktive Zwecksetzen als Lebendigkeit, solange sie noch lebendig sind.37 Wie viele Interpretinnen und Interpreten, so erwähnt auch Koch, dass es nicht leicht ist, die absolute Idee genau zu verstehen und darzustellen.38 Ein Grund für diesen Umstand ist Hegels Engführung von absoluter Idee und dialektischer Methode. Meine Interpretation der absoluten Idee enthält, wie oben erwähnt, drei Ebenen, mit denen sich die logische Bedeutung der absoluten Idee genau bestimmen lässt: a) Ebenso wie das begreifende Denken hat die absolute Idee das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ zur Form. b) Diese verbale Form stellt die immanente Aktivität bzw. das Sich-Bewegen der substantivischen ›Sich-aufsich-Beziehung‹ als Lebensprozess dar. c) Diese dem Lebensprozess immanente Aktivität drückt als Lebendigkeit den teleologischen Prozess aus, indem ein lebendiges Individuum sich aktiv den Zweck zur Selbsterhaltung setzt. Mit der absoluten Idee wird die vollständige logische Struktur der Idee des Lebens dargestellt, weil sich die Idee des Lebens als die sich bewegende Sich-aufsich-Beziehung bzw. als das aktive Praxismodell darbietet. Diese sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) als aktives Praxismodell lässt sich wie folgt kommentieren:

Schick weist darauf hin, dass »dieses teleologische Moment […] sich in der Konzeption der Idee vollkommen erhalten [hat]« (Schick 1994, S. 277). 36 Mit Fuldas Worten: Die absolute Idee ist »ein Nachfolger der metaphysischen Lehre vom seienderweise Seienden« (Fulda 2003, S. 136). Ähnlich fasst Nuzzo die Existenz (bzw. das Sich-Erhalten) als die »methodologische Funktion der absoluten Idee« (Nuzzo 2003, S. 174) auf. 37 Hier erörtern wir nicht, was das empirische Kriterium für »Lebendiges« ist. Mit anderen Worten: Wir erörtern nicht, wie »Lebendiges« im kognitiven Sinne zu definieren ist. 38 Vgl. Koch 2014, S. 203. 35

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Kapitel 3 seine Praxisbeziehung zu anderen Äußerlichen als Weise des Sich-Erhaltens

die sich bewegende Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung (Aw) ein lebendiges Individuum

seine Selbsterhaltung in jeder Situation

seine Lebendigkeit bzw. die absolute Idee

Die ›sich bewegende Beziehung‹ drückt eben das Aktivitätsmodell als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ aus. Dieses aktive Praxismodell stellt den folgenden Prozess dar: Die Lebendigkeit eines lebendigen Individuums (bzw. die absolute Idee) (Aw) treibt dieses lebendige Individuum (Aa) an, sich praktisch auf andere Äußerliche zu beziehen (B) und sich auf diese Weise in jeder Situation zu erhalten (E). Gerade wegen der Lebendigkeit eines lebendigen Individuums (bzw. wegen der absoluten Idee) wird die objektive Notwendigkeit bzw. die Wahrheit des Lebensprozesses garantiert. Genauer gesagt: Es wird garantiert, dass sich ein lebendiges Individuum objektiv-notwendig bzw. im objektiven Sinne in jeder Situation praktisch auf andere Äußerliche bezieht, da es sich aktiv den Zweck zur Selbsterhaltung setzt. Wir können durch das folgende Diagramm das Leben als Idee, welches das aktive Praxismodell ausmacht, visualisieren: B »auf« seine Praxisbeziehung zu anderen Äußerlichen als Weise des Sich-Erhaltens

Aa »Sich« ein lebendiges Individuum Aw »Beziehung« Leben P E »sich« seine Selbsterhaltung in jeder Situation

(P: Praxismodell, Pfeile: Aktivität)

Die Pfeile in diesem Diagramm weisen die immanente Aktivität des Lebens als Idee auf  – diese immanente Aktivität ist eben die absolute Idee bzw. die Lebendigkeit des lebendigen Individuums. Beim obigen Diagramm ist zu betonen, dass an sich die absolute Idee als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ immer im Leben als Idee wirkt; aber sie wurde in der Phase des Lebensprozesses im Kapitel »Das Leben« noch nicht explizit erkannt. Ohne das Erkennen der absoluten Idee respektive ohne das Erkennen der immanenten Aktivität des Lebenspro-

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Realisierung des aktiven Praxismodells



zesses könnten die drei Momente des Lebens – ein lebendiges Individuum (Aa), seine Praxisbeziehung zu anderen Äußerlichen als Weise des Sich-Erhaltens (B) und seine Selbsterhaltung in jeder Situation (E) – in der Phase des Lebensprozesses nur durch eine gestrichelte Linie verbunden werden (vgl. Diagramm in Abschnitt 3.1). Mit dem Erkennen der immanenten Aktivität bzw. des verbalen ›Sich-aufsich-Beziehens‹ des Lebens als Idee wird das logische System der Begriffs­ logik vollständig entfaltet. Denn jedes Begriffsmoment in der sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung als anfänglichem Kognitionsmodell (vgl. Kapitel 1.) hat sich weiter zu einer sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung entwickelt: Das allgemeine »Sich« im anfänglichen Kognitionsmodell wurde zum ganzen Kognitionsmodell (vgl. Abschnitt 2.2); die Vermittlung »auf« als das Besondere im anfänglichen Kognitionsmodell wurde zum ausgeführten Zweck, welcher das aktive Praxismodell konzeptualisiert (vgl. Abschnitt 2.6); das einzelne »sich« im anfänglichen Kognitionsmodell wird nun zum Leben als Realisierung dieser Konzeption des aktiven Praxismodells. Hiernach ist kein Unmittelbares mehr im ganzen logischen System der Begriffslogik vorhanden. Das vollständig entfaltete logische System der Begriffslogik kann durch das folgende Diagramm visualisiert werden, welches meine Rekonstruktion der ganzen Begriffslogik zusammenfasst: Aa »Sich« abstrakter Begriff

Aa »Sich« Aw »Beziehung« begreifendes Denken

Selbstausdrücken

K E »sich« das Wirklichein jeder Situation

Aw »Beziehung« begreifendes Denken K

Aa »Sich« ein lebendiges Individuum

B »auf«

Aa »Sich« ein Objekt

B »auf« seine logische Funktionsweise

E »sich« Aw »Beziehung« Leben

Aw »Beziehung« ausgeführter Zweck

B »auf« seine Praxisbeziehung zu anderen Objekten als Existenzweise

P E »sich« seine Existenz in jeder Situation

B »auf« seine Praxisbeziehung zu anderen Äußerlichen als Weise des Sich-Erhaltens

P

E »sich« seine Selbsterhaltung in jeder Situation

(K: Kognitionsmodell, P: Praxismodell, Pfeile: Aktivität)

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Kapitel 3

Mit Hegels Worten: »Die Wissenschaft [sc. das System der Logik] [stellt sich] als einen in sich geschlungenen Kreis [sc. die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung als anfängliches Kognitionsmodell] dar, in dessen Anfang, den einfachen Grund, die Vermittlung das Ende zurückschlingt; dabey ist dieser Kreis ein Kreis von Kreisen [– diese Kreise sind die Begriffsmomente im anfänglichen Kreis, jedes deren ebenso eine sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung ist]; denn jedes einzelne Glied [sc. jedes Begriffsmoment], als Beseeltes der Methode [sc. als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ bzw. als sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung], ist die Reflexion in-sich.«39

Dieses vollständig entfaltete logische System stellt den folgenden Kreislauf dar: a) Das begreifende Denken als das allgemeine »Sich«, welches synonym für das Kognitionsmodell und die Subjektivität steht, wird als der ausgeführte Zweck (die Vermittlung als das besondere »auf«, welches synonym für das aktive Praxismodell und die Objektivität steht) ausgedrückt. Mit anderen Worten: Die logische Funktionsweise des begreifenden Denkens selbst im Objekt wird als der ausgeführte Zweck ausgedrückt. Dieser Prozess heißt das Selbstausdrücken des begreifenden Denkens. b) Zugleich wird der ausgeführte Zweck, welcher die logische Funktionsweise des begreifenden Denkens selbst im Objekt vollständig ausdrückt, als das aus einem lebendigen Individuum entfaltete Leben (das einzelne »sich«, welches synonym für das aktive Praxismodell und die Idee steht) realisiert. Dieser Prozess heißt das Selbstrealisieren des begreifenden Denkens. c) Zugleich wird aus dem Leben als Idee seine verbale Form als ›Sich-auf-sichBeziehen‹ erkannt. Diese verbale Form ist eben die logische Struktur des begreifenden Denkens selbst (bzw. der Ausdruck der logischen Funktionsweise des begreifenden Denkens selbst im Objekt). Auf diese Weise kehrt das Leben als Idee (das einzelne »sich«) wahrhaftig zum begreifenden Denken (dem allgemeinen »Sich«) zurück. Dieser Prozess heißt das Selbsterkennen des begreifenden Denkens.40 Gerade im vollständig entfalteten logischen System der Begriffslogik wird die Kernthese dieser Untersuchung – die logische Isomorphie des Denkens und des Wirklichen – präzis begründet. Das »Denken« in dieser These ist das begrei39

GW 12, 252. Mit Düsings Worten: »Er [sc. der Begriff] erkennt den gesamten logischen Vorgang der Ausfaltung der ihm immanenten Beziehungen und seiner daraus hervorgehenden vermittelten Selbstbeziehung sowie die Konstituierung der Objektivität als der erkannten Subjektivität als seine eigene Handlung und Leistung.« (Düsing 1995, S. 326)

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fende Denken (das allgemeine »Sich« im obigen Diagramm). Das »Wirkliche« in dieser These ist das sich selbst zum aktiven Lebensprozess entfaltende lebendige Individuum bzw. das aus einem lebendigen Individuum selbst entfaltete Leben (das einzelne »sich« im obigen Diagramm). Das lebendige Individuum ist für sich genommen nicht einfach als etwas, sondern als ein dynamischer Prozess anzusehen. Wie dem obigen Diagramm entnommen werden kann, drückt das Wirkliche als Leben die sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) als aktives Praxismodell aus, während das begreifende Denken die sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) als Kognitionsmodell ausdrückt. Da jedes von beiden  – das (begreifende) Denken und das Wirkliche (als Leben) – die sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) ist, sind diese beiden logisch isomorph. Aus dieser Argumentation wird ersichtlich, dass bei Hegel die Wirklichkeit nicht geleugnet wird und das Wirkliche nicht etwas ist, das sich das Denken schlechthin ausdenkt.41 Zugleich wird der Dualismus zwischen dem Denken (Subjekt) und dem Wirklichen (Objekt) wegen ihrer logischen Isomorphie völlig überwunden. Dem entstehenden Monismus in der Begriffslogik liegt weder das Denken (Subjekt) noch das Wirkliche (Objekt), sondern ihre einheitliche logische Struktur als sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)sich(E)-Beziehung(Aw) zugrunde. Diese drückt sowohl das Denken (Subjekt) als auch das Wirkliche (Objekt) aus, weshalb diese beiden die wahre Identität erreichen. Vor dem Hintergrund dieser Interpretation lässt sich auch folgende Aussage von Hegel verstehen: »Die Methode [sc. die logische Struktur als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ bzw. als sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung] ist daraus als der sich selbst wissende [bzw. »sich selbst denkende« (Enzy., § 236, GW 20, 228)], sich als das Absolute, sowohl Subjective [sc. das begreifende Denken] als Objective [sc. das aus einem lebendigen Individuum entfaltete Leben als Wirkliches], zum Gegenstande habende Begriff, somit als das reine Entsprechen des Begriffs und seiner Realität [sc. des Lebens], als eine Existenz die er [sc. der Begriff] selbst ist, hervorgegangen.«42 Dazu sagt Pinkard: »Der Idealismus von Hegels Logik leugnet deshalb weder die Realität außermentaler Entitäten, noch behauptet er, daß der subjektive Geist sich die Welt ›ausdenkt‹« (Pinkard 2003, S. 128). 42 GW 12, 238. Vgl. auch: »Nach der Allgemeinheit der Idee aber ist sie [sc. die Methode als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹] sowohl die Art und Weise des Erkennens, des subjectiv sich wissenden Begriffs, als die objective Art und Weise, oder vielmehr die Substantialität der Dinge [sc. der Wirklichen].« (GW 12, 238) Vgl.: »Die Grundthese selbst besteht vielmehr darin, die Logik lasse sich dadurch zusammenfassen, Sein sei als solches reines Sichbestimmen[. …] Dabei handelt es sich nicht um das Sichbestimmen eines vorausgesetzten Subjekts oder Substrats, sondern um unpersönliches und unfundiertes Sichbestimmen, das sich, wie die Logik am Ende zeigt, je schon unzeitlich zum Gefüge objektiver Realität ausgelegt hat.« (Martin 2010, S. 19) 41

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Kapitel 3

Mit Blick auf das vollständig entfaltete logische System der Begriffslogik möchte ich noch die folgenden drei Punkte diskutieren: a) Mit der vollständigen Entfaltung des logischen Systems der Begriffslogik kann Pippins Frage, was Die Subjektive Logik mit Freiheit zu tun habe43, beantwortet werden. Die Freiheit bedeutet, keine logische Beschränkung zu haben. Im Rahmen der Begriffslogik ist die Freiheit von zwei Seiten her zu erklären. Einerseits ist jedes Begriffsmoment in der sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung als Kognitionsmodell frei. Denn jedes Begriffsmoment hat sich, wie oben erwähnt, zu einer sich bewegenden bzw. sich aktiv durch sich selbst antreibenden Sich-auf-sich-Beziehung selbst entwickelt und hat somit für sich genommen keine logische Beschränkung. In diesem Sinne kann die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung als die »autonome Negation« oder die »autonomisierte Negation«44 bezeichnet werden. Andererseits gehen das Wirkliche als Leben (das einzelne »sich« im vollständig entfalteten logischen System der Begriffslogik) und das begreifende Denken (das allgemeine »Sich« in demselben logischen System) ganz frei zueinander über. Denn in Ansehung der logischen Isomorphie beider gibt es beim Übergang zwischen beiden keine logische Beschränkung. In diesem Sinne wird im vollständig entfalteten logischen System der Begriffslogik das allgemeine »Sich« (das begreifende Denken selbst) nicht mehr nur im einzelnen »sich« (dem Wirklichen als Leben), sondern schlechthin als das einzelne »sich« (das Wirkliche als Leben) realisiert. Die Präposition »in« deutet an, dass die wahre Übereinstimmung des einzelnen »sich« mit dem allgemeinen »Sich« nicht garantiert werden kann (vgl. Abschnitte 1.3 und 1.4), während die Partikel »als« andeutet, dass das allgemeine »Sich« und das einzelne »sich« die wahre Identität erreichen. b) Dem vollständig entfalteten logischen System der Begriffslogik zufolge ist diese weder als Ontologie noch einfach als Epistemologie, sondern als eine höhere Form der Philosophie aufzufassen. b-1) Wir können von zwei Blickwinkeln aus betrachten, in welchem Sinne die Begriffslogik nicht als Ontologie aufzufassen ist. Erstens erörtert die Begriffslogik nicht im Rahmen der Ontologie, warum ein Wirkliches im objektiven Sinne existiert, sondern stellt dar, was im Existenzprozess eines Wirklichen im praktischen Sinne objektiv-notwendig geschieht und was die logische Grundlage einer solchen objektiven Notwendigkeit ist. In dieser Darstellung ist die objektive Existenz des Wirklichen eine schlechthin akzeptierte Tatsache (vgl. Abschnitt 2.1.1). Zweitens liegt der Ontologie das begreifende Denken bzw. das Kognitionsmodell zugrunde. Denn die Substanz, welche garantiert, dass das Wirkliche im objektiven Sinne existiert (vgl. Abschnitt 2.1.1) und trotz Änderung seiner Eigenschaften die Identität mit sich selbst in jeder Situation bewahrt (vgl. Abschnitt 1.1), und das höchste Sein (z. B. die platonische 43

Vgl. Pippin 2003. Vgl. Henrich 1976.

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Realisierung des aktiven Praxismodells

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Idee), an welchem das Wirkliche teilhat (vgl. Abschnitt 0.1), sind wesentlich als ein durch das begreifende Denken Gesetztes bzw. als ein abstrakter Begriff (Aa) aufzufassen. Im Unterschied zur Ontologie ist die Begriffslogik über das reine Kognitionsmodell hinausgegangen, da der in der Begriffslogik dargestellte Existenzprozess eines Wirklichen ein aktives Praxismodell ausmacht. Die logische Grundlage dieses aktiven Praxismodells ist nicht wie die logische Grundlage der Ontologie das begreifende Denken, sondern die immanente Aktivität eines Wirklichen, durch die Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen seine eigene Existenz zu bewahren. (Diese immanente Aktivität wird durch die Teleologie und die absolute Idee ausgedrückt.)45 Ein solches aktive Praxismodell ist dem Kognitionsmodell parallelgeschaltet, weil es im vollständig entfalteten logischen System der Begriffslogik sowohl der Ausdruck der logischen Funktionsweise des ganzen Kognitionsmodells im Wirklichen als auch die Realisierung des ganzen Kognitionsmodells ist. b-2) Gerade weil die Begriffslogik nicht als Ontologie zu betrachten ist, ist sie auch nicht einfach als Epistemologie zu betrachten. Die logische Struktur der Epistemologie ist eben das das begreifende Denken repräsentierende Kognitionsmodell, welches nicht garantieren kann, dass das einzelne »sich« als Wirkliches objektiv-notwendig bzw. wahrhaftig mit dem allgemeinen »Sich« als abstraktem Begriff, nämlich mit dessen logischer Funktionsweise (B), übereinstimmt (vgl. Abschnitt 1.4). Deswegen führt die Epistemologie im logischen Sinne nicht zur Wahrheit, sondern nur zur Gewissheit. Dieses Problem wird im vollständig entfalteten logischen System der Begriffslogik grundsätzlich gelöst. Einerseits ist das einzelne »sich« als Wirkliches in diesem vollständig entfalteten logischen System kein unmittelbar gegebener kognitiver Gegenstand mehr, sondern das aus einem lebendigen Individuum entfaltete Leben – die sich bewegende Sich-aufsich-Beziehung als aktives Praxismodell. Andererseits ist das allgemeine »Sich« in demselben logischen System kein durch das begreifende Denken gesetzter abstrakter Begriff mehr, sondern das begreifende Denken selbst – die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung als Kognitionsmodell.46 Da im vollständig entfalteten logischen System der Begriffslogik das einzelne »sich« (das Wirkli Dazu betont Fulda: »Hegels ›Logik‹ ist vor allem weder als ganze noch in einem ihrer Teile eine Ontologie, und auch kein Teil einer solchen. […] Die Hegelsche ›Logik‹ ist aber auch nicht Ontologie im Sinn einer Lehre von einem einzigen, höchsten Seienden. Denn einziger Gegenstand und Inhalt der Philosophie und mit ihr der ›Logik‹ ist nach Auskunft dieser die absolute Idee.« (Fulda 2003, S. 135) 46 Mit Kants Begriffen formuliert: Nun werden die transzendentalen Kategorien als Verstandsbegriffe durch das »Ich denke« selbst, welches »alle meine Vorstellungen begleiten können [muß]« (KrV, B131), ersetzt. Fulda weist auf Folgendes hin: Hegels Begriffslogik ist »keine Lehre von einem jeden Gegenstand einer möglichen Erkenntnis apriori und vom System der Urteilsformen, Kategorien, Grundsätze solcher Erkenntnis oder der regulativen Prinzipien, unter denen der Gegenstand empirisch zu erforschen ist« (Fulda 2003, S. 136). 45

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Kapitel 3

che als Leben) und das allgemeine »Sich« (das begreifende Denken selbst) logisch isomorph sind, stimmt Ersteres wahrhaftig mit Letzterem überein. Aus dieser Übereinstimmung lässt sich schlussfolgern, dass dieses einzelne »sich« (das Wirkliche als Leben) aktiv durch sich selbst beweist, dass es wahrhaftig mit diesem allgemeinen »Sich« (dem begreifenden Denken selbst) übereinstimmt. In diesem Sinne ist die Begriffslogik nicht einfach als Epistemologie zu betrachten. Denn in ihrem vollständig entfalteten logischen System ist das Erkannte nicht das in der sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) als begreifendem Denken einseitig verallgemeinerte Wirkliche. Vielmehr ist das Erkannte das sich zur sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) selbst als aktivem Praxismodell entfaltende und somit sich aktiv durch sich selbst verallgemeinernde Wirkliche. Anders formuliert: Im vollständig entfalteten logischen System der Begriffslogik ist das erkannte Wirkliche für sich genommen nicht wie in der Epistemologie das Einzelne, sondern das wahrhaftig Allgemeine. c) Ins vollständig entfaltete logische System der Begriffslogik werden die Kernbegriffe der Philosophie – »Kognition« und »Praxis«, »Denken« und »Existenz« – integriert. Weil sich die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung sowohl als das das begreifende »Denken« repräsentierende »Kognitionsmodell« als auch als das den »Existenzprozess« eines Wirklichen (das Leben eines lebendigen Individuums) darstellende aktive »Praxismodell« manifestiert, kann einerseits jeder dieser Begriffe – »Kognition«, »Praxis«, »Denken«, »Existenz« – als die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung bezeichnet werden. Mit anderen Worten: Aus der logischen Isomorphie des Denkens (qua begreifendes »Denken« bzw. »Kognitionsmodell«) und des Wirklichen (qua Leben bzw. den »Existenzprozess« eines lebendigen Individuums darstellendes aktives »Praxismodell«), können wir schlussfolgern, dass Kognition und Praxis, Denken und Existenz auch logisch isomorph sind und dadurch die wahre Identität erreichen. Andererseits beziehen sich Kognition und Praxis, Denken und Existenz notwendig aufeinander, weil im vollständig entfalteten logischen System der Begriffslogik Kognition bzw. Denken das allgemeine »Sich« ausmacht, während die den Existenzprozess darstellende Praxis bzw. die Existenz als Praxisprozess die Vermittlung »auf« als das Besondere und das einzelne »sich« ausmacht. Daraus geht hervor, dass im wahren Sinne Kognition bzw. Denken durch (die den Existenzprozess darstellende) Praxis bzw. Existenz (als Praxisprozess) ausgedrückt und realisiert werden muss. Hiernach entsteht in der Begriffslogik der notwendige Übergang von der theoretischen Philosophie zur praktischen Philosophie; die wahre logische Grundlage der theoretischen Philosophie ist das begreifende Denken, während die wahre logische Grundlage der praktischen Philosophie in der immanenten Aktivität des lebendigen Individuums, sich durch die Praxisbeziehung zu anderen Äußerlichen zu erhalten, besteht.

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Kapitel 4 · Zusammenfassung des ganzen ­logischen ­Systems der Begriffslogik durch die Urteils- und Schlusslehre

I 

n der Begriffslogik besteht die logische Funktion der Urteils- und Schlusslehre ausgehend von der in dieser Arbeit forcierten Rekonstruktion in der Darstellung der Art und Weise, wie das ganze logische System der Begriffslogik, und zwar die wahre Identität zwischen dem begreifenden Denken und dem Wirklichen, aufgebaut werden soll. Denn im Kapitel »Der Begriff« kann logisch noch nicht garantiert werden, dass das Wirkliche (E) mit dem durch das begreifende Denken gesetzten abstrakten Begriff (Aa), nämlich mit dessen logischer Funktionsweise (B), und weiter mit dem begreifenden Denken selbst (Aw) übereinstimmt (vgl. Abschnitt 1.3). Um der Prägnanz der Argumentation willen möchte ich nicht einmal durch die Urteils- und Schlusslehre und einmal durch die Objektivität und die Idee das ganze logische System der Begriffslogik darstellen. Deswegen werde ich durch die Urteils- und Schlusslehre die Begriffslogik zusammenfassen, obwohl Hegel diese beiden schon im anfänglichen Abschnitt »Die Subjektivität« in der Begriffslogik abhandelt. Außerdem gehe ich davon aus, dass die Urteils- und Schlusslehre erst dann hinreichend interpretiert werden können, nachdem die Interpretation des ganzen logischen Systems der Begriffslogik vorgelegt wurde. 4.1 Die Urteilslehre Weil an sich das Einzelne als Wirkliches, wie in Abschnitt 1.3 erklärt, vom begreifenden Denken unabhängig ist, erörtert die Urteilslehre, wie das Einzelne als Wirkliches im wahren Sinne (und nicht bloß formell) zum begreifenden Denken zurückkehren bzw. ins begreifende Denken integriert werden soll. Deswegen sagt Hegel: »Diese Identität des Begriffs wieder herzustellen oder vielmehr zu setzen, ist das Ziel der Bewegung des Urtheils.«1 Die »Identität des Begriffs« bedeutet die Identität des begreifenden Denkens mit dem Einzelnen als Wirk­ lichem. Genauer gesagt erörtert die Urteilslehre mithilfe der Form des Urteils als

1

GW 12, 59.

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Kapitel 4

»Subjekt (das Einzelne) – Kopula – Prädikat (das Allgemeine)«2

die Art und Weise, das Einzelne (Subjekt) auf das Allgemeine (Prädikat) zu beziehen. Wenn das Einzelne (Subjekt) wahrhaftig auf das Allgemeine (Prädikat) bezogen wird (dies bedeutet, dass Ersteres wahrhaftig mit Letzterem übereinstimmt), dann kehrt das Einzelne (Subjekt) wahrhaftig zum begreifenden Denken zurück. Anders formuliert: Es wird wahrhaftig ins begreifende Denken integriert. Da das Einzelne und das Allgemeine, welche zwei unzertrennbare Begriffsmomente in der sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung des begreifenden Denkens waren (vgl. Abschnitt 1.1), im Urteil auf die Stellen des Subjekts und des Prädikats verteilt und dadurch getrennt werden, ist das Urteil in Hinsicht auf die Form »die ursprüngliche Theilung des ursprünglich Einen [sc. der ursprünglichen sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung des begreifenden Denkens]«3 bzw. »die Diremtion des Begriffs durch sich selbst«4. Jeder konkrete Urteilstyp beschreibt faktisch eine konkrete Art und Weise, das Einzelne (Subjekt) auf das Allgemeine (Prädikat) zu beziehen. Diese Art und Weise wird durch die Kopula zwischen Subjekt und Prädikat ausgedrückt, weshalb sich der Urteilstyp je nach der logischen Bedeutung der Kopula ändert. In der Urteilslehre hat sich der Urteilstyp vom Urteil des Daseins über das Urteil der Reflexion und der Notwendigkeit bis hin zum Urteil des Begriffs entwickelt. Gerade in einem solchen Entwicklungsprozess des Urteils wird die wahre Identität zwischen dem begreifenden Denken und dem Einzelnen als Wirklichem aufgebaut. In diesem Sinne sind »die verschiedenen Urtheile […] als nothwendig aus einander folgend und als ein Fortbestimmen des Begriffs [sc. der sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung als begreifendes Denken] zu betrachten, denn das Urtheil selbst ist nichts als der bestimmte Begriff«5.

In Ansehung der logischen Funktion der Urteilslehre in der Begriffslogik liegt der Schwerpunkt der Interpretation eines konkreten Urteilstyps nicht nur in der Verdeutlichung der Form. Er liegt auch in der Beantwortung der Frage, ob ein bestimmter Urteilstyp das Einzelne (Subjekt) mit dem Allgemeinen (Prädi Vgl.: »Im subjectiven Urtheil will man einen und denselben Gegenstand doppelt sehen, das einemal in seiner einzelnen Wirklichkeit, das andremal in seiner wesentlichen Identität oder in seinem Begriffe; das Einzelne in seine Allgemeinheit erhoben, oder was dasselbe ist das Allgemeine in seine Wirklichkeit vereinzelt. Das Urtheil ist in dieser Weise Wahrheit; denn es ist die Uebereinstimmung des Begriffs und der Realität.« (GW 12, 59–60) 3 GW 12, 55. 4 GW 12, 55. 5 Enzy., § 171 (GW 20, 186). 2

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kat) wahrhaftig zusammenbringen kann. Sollte dies nicht der Fall sein, müssen Korrekturen am Urteilstyp vorgenommen werden, um seinem logischen Mangel abzuhelfen. 4.1.1 Exkurs III: Die Darstellung der Prä-Kognition – Daseinsurteil und Reflexionsurteil In der Form des Urteils als »Subjekt (das Einzelne) – Kopula (die Art und Weise, das Subjekt auf das Prädikat zu beziehen) – Prädikat (das Allgemeine)« ist das Allgemeine (Prädikat) zunächst nur eine unmittelbare Darstellung des Einzelnen (Subjekts), weil das Einzelne (Subjekt) zunächst nur unmittelbar auf das Allgemeine (Prädikat) bezogen wird. In diesem Sinne ist das Allgemeine logisch auf der Ebene des Daseins bestimmt, weshalb der erste Urteilstyp als »Daseinsurteil« bezeichnet wird. Das Einzelne als Wirkliches kann keinesfalls durch das Daseinsurteil, und zwar keinesfalls auf die unmittelbare Weise, wahrhaftig mit dem Allgemeinen übereinstimmen. Mit anderen Worten: Das Einzelne als Wirkliches kann nicht im Rahmen des Daseinsurteils wahrhaftig zum begreifenden Denken zurückkehren. Denn in Ansehung der Unmittelbarkeit bei seiner Kopula gerät das Daseinsurteil selbst unvermeidlich in eine logische Schwierigkeit, welche es im Folgenden auszubuchstabieren gilt: Gemäß dem Daseinsurteil kann a) vom Subjekt als Einzelnem nur unmittelbar prädiziert werden. Zugleich wird im Daseinsurteil der Versuch unternommen, b) das Subjekt als Einzelnes wahrhaftig mit dem Prädikat als Allgemeinem in Übereinstimmung zu bringen. In Anbetracht des Punkts »a)« muss sich der Umfang des Prädikats eines Daseinsurteils unendlich verengen, und zwar so weit, bis das Prädikat nur dem Subjekt dieses Daseinsurteils angemessen ist. Der Grund für diese Einschränkung kann an einem hegelschen Beispiel – dem Daseinsurteil »die Rose ist roth«6 – erläutert werden. Wenn die Röte als Prädikat nicht nur die der Rose, sondern auch z. B. die des Blutes, die des Zinnobers usw. ausdrückte, dann wäre eine solche Röte keine unmittelbare Darstellung der Rose als Subjekt mehr, sondern würde zu einem durch das begreifende Denken gesetzten abstrakten Begriff. Die eben erwähnten mannigfaltigen Arten der Röte sind die konkreten Instanziierungen des abstrakten Begriffs »Röte«. In diesem Zustand würde die Rose als Subjekt nicht mehr unmittelbar, sondern durch das begreifende Denken auf die Röte als Prädikat bezogen, weshalb das Urteil »die Rose ist rot« kein Daseinsurteil mehr wäre. Daraus geht hervor, dass die Röte im Daseinsurteil »die Rose ist rot« in Anbetracht des oben erwähnten Punkts »a)« nur die Röte der Rose ausdrücken darf. Mit anderen Worten: Das 6

GW 12, 61.

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Prädikat eines Daseinsurteils darf – laut eigenen Voraussetzungen des Daseinsurteils – nur dem Subjekt dieses Daseinsurteils selbst angemessen sein. Zugleich muss das Prädikat eines Daseinsurteils alle nur dem Subjekt dieses Daseinsurteils selbst angemessenen Eigenschaften enthalten, weil das Subjekt des Daseinsurteils nach dem eben erwähnten Punkt »b)« wahrhaftig mit seinem Prädikat übereinstimmen soll. Wenn wir z. B. nur das Daseinsurteil »die Rose ist rosenrot« fällen, dann stimmt das Subjekt dieses Daseinsurteils nicht wahrhaftig mit seinem Prädikat überein, weil außer dem Prädikat »rosenrot« die Rose als eine Totalität der Eigenschaften noch andere unmittelbar bestimmte Prädikate hat.7 In diesem Zustand muss sich der Inhalt des Prädikats eines Daseinsurteils unendlich erweitern, bis dieses Prädikat zu einer Totalität wird, welche alle nur dem Subjekt dieses Daseinsurteils selbst angemessenen Eigenschaften enthält. Da unter gleichzeitiger Berücksichtigung der obigen Punkte »a)« und »b)« das Prädikat des Daseinsurteils in Hinsicht auf den Umfang und den Inhalt mit seinem Subjekt völlig identisch wird, 8 gerät das Daseinsurteil unvermeidlich in eine sinnlose Tautologie. Hegel zufolge ist das Daseinsurteil »wegen des ganz ermangelnden Unterschiedes kein Urtheil mehr«9. Dies ist eben die logische Schwierigkeit des Daseinsurteils. Hiernach drückt das Prädikat des Daseinsurteils, obwohl es ein Allgemeines ist, nicht das allgemeine »Sich« in der sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) als Kognitionsmodell aus. Denn das allgemeine »Sich« ist mit dem Einzelnen nicht tautologisch identisch, sondern mit ihm dialektisch identisch (vgl. Abschnitt 0.1). Nach der obigen Analyse bildet sich die sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) als Kognitionsmodell in der Phase des Daseinsurteils noch nicht aus. Aus diesem Grund zähle ich das Daseinsurteil zur Prä-Kognition. Um das Einzelne wahrhaftig mit dem Allgemeinen in Übereinstimmung zu bringen, muss die Kopula des Daseinsurteils, welche das Einzelne (Subjekt) nur unmittelbar auf das Allgemeine (Prädikat) bezieht, negiert werden. Nun ist das Allgemeine keine unmittelbare Darstellung des Einzelnen mehr, sondern wird im Einzelnen reflektiert. Da sich die Art und Weise (Kopula), das Einzelne (Subjekt) auf das Allgemeine (Prädikat) zu beziehen, vom unmittelbaren Darstellen des Einzelnen durch das Allgemeine zum Reflektieren des Allgemeinen im Einzelnen entwickelt hat, wird das Daseinsurteil zum Reflexionsurteil. Das Reflektieren im Reflexionsurteil schildert einen Induktionsprozess von »dieses« über »einige« bis hin zu »alle«. Dieser Induktionsprozess verläuft durch drei Stufen: Das Subjekt ist »ein Allgemeines von Qualitäten, ein Concretes, das unendlich bestimmt ist, und indem seine Bestimmtheiten nur erst Qualitäten, Eigenschaften oder Accidenzen sind, so ist seine Totalität die schlecht unendliche Vielheit derselben« (GW 12, 64). 8 Mit Hegels Worten: »Das Einzelne ist einzeln« und »das Allgemeine ist das Allgemeine«. (GW 12, 69) 9 GW 12, 70. 7

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1) Ein Einzelnes ist in dieser Situation so und so. (Ein Allgemeines ist in dieser Situation einem Einzelnen angemessen.) 2) Dasselbe Einzelne ist in einigen Situationen so und so. (Dieses Allgemeine ist in einigen Situationen demselben Einzelnen ­angemessen.) 3) Dasselbe Einzelne ist in allen Situationen so und so. (Dieses Allgemeine ist in allen Situationen demselben Einzelnen ­angemessen.) Meiner Lesart nach sollen im Induktionsprozess als Reflexionsurteil die Situa­ tionen, in denen sich ein Einzelnes befindet, aufgezählt werden. Das Ergebnis des dreistufigen Induktionsprozesses stellt heraus, dass ein Allgemeines in allen Situationen einem Einzelnen angemessen ist. Hiernach scheinen wir behaupten zu können, dass das Einzelne wahrhaftig mit dem Allgemeinen übereinstimmt. Das Allgemeine wird daher zu einer dispositionellen Eigenschaft des Einzelnen. Die von mir favorisierte Lesart des Induktionsprozesses von »dieses« über »einige« bis hin zu »alle« unterscheidet sich von einer anderen Lesart, welche diesen Prozess wie folgt liest. 1) Dieser Mensch ist so und so. (Ein Allgemeines ist diesem Menschen angemessen.) 2) Einige Menschen sind so und so. (Dieses Allgemeine ist einigen Menschen angemessen.) 3) Alle Menschen sind so und so. (Dieses Allgemeine ist allen Menschen angemessen.) Aus der Aussage, dass ein Allgemeines allen Menschen angemessen ist, lässt sich nicht schlussfolgern, dass dieses Allgemeine in allen Situationen einem Menschen als Einzelnem angemessen ist. Deswegen kann sich nach dieser Lesart des Induktionsprozesses nicht beweisen lassen, dass ein Mensch als Einzelner wahrhaftig mit einem Allgemeinen übereinstimmt. Da die Aufgabe der Urteilslehre, wie oben erwähnt, darin besteht, das Einzelne wahrhaftig mit dem Allgemeinen in Übereinstimmung zu bringen, scheint diese Lesart des Induktionsprozesses von der Aufgabe der Urteilslehre abzuweichen. Aber egal wie der Induktionsprozess als Reflexionsurteil in letzter Konsequenz interpretiert wird, alle Interpretationen stimmen darin überein, dass der Induktionsschluss unvermeidlich in die folgende logische Schwierigkeit gerät: Das »alle« beim Einzelnen kann durch die Induktion gar nicht vollständig gezählt werden, sodass das »alle« ein unerreichbares Jenseits ist. Da der Induk­ tions­prozess immer unvollständig ist, drückt das so genannte »in allen Situationen« in der Aussage, dass ein Allgemeines in allen Situationen einem Einzelnen

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angemessen ist, faktisch nichts anderes aus als die unendliche Vielheit bzw. die ausnahmslose Allheit als empirische Allgemeinheit.10 In diesem Zustand ist es unmöglich, durch das Reflexionsurteil zu beweisen, dass das Einzelne wahrhaftig mit dem Allgemeinen übereinstimmt. Im Reflexionsurteil bleibt das Allgemeine nach wie vor nur eine äußerliche Reflexion des Einzelnen. Das, was im Reflexionsurteil folglich ausgedrückt wird, ist ein bloßer Schein.11 Die Kopula des Reflexionsurteils bzw. die durch sie ausgedrückte Art und Weise, das Einzelne (Subjekt) auf das Allgemeine (Prädikat) zu beziehen, muss daher negiert werden. Weil im Reflexionsurteil nicht alle Situationen, in denen sich ein Einzelnes befindet, aufgezählt werden können, kann das Einzelne als Subjekt des Reflexionsurteils nicht die Rolle des einzelnen »sich« in der sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) als Kognitionsmodell spielen. Das einzelne »sich« drückt dasjenige Wirkliche aus, in welches alle Situationen, in denen es sich befindet, aufgenommen werden und welches daher als »das Wirklichein jeder Situation« bezeichnet wird (vgl. Abschnitt 1.1). Nach der obigen Analyse bildet sich die sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) als ­Kognitionsmodell in der Phase des Reflexionsurteils ebenso wie in der Phase des Daseinsurteils noch nicht aus. Aus diesem Grund zähle ich auch das Reflexionsurteil zur Prä-Kognition.12 4.1.2 Die Darstellung des Kognitionsmodells – Notwendigkeitsurteil Denken wir im Rahmen des Reflexionsurteils über die folgende Frage nach: Warum können wir das universelle Urteil (die höchste Stufe des Reflexionsurteils), dass ein Einzelnes in allen Situationen so und so ist, fällen, auch wenn wir in der Empirie nicht alle Situationen, in denen sich das Einzelne befindet, aufzählen können? In der Tat versteckt sich hinter dem universellen Urteil noch ein anderes Urteil. Dieses Urteil lautet folgendermaßen: Das Einzelne steht unter einem Vgl.: »Die Darstellung der unendlichen Menge muß sich mit dem Sollen derselben […] begnügen.« (GW 12, 74) Vgl. auch: »Die empirische Allheit bleibt darum eine Aufgabe; ein Sollen, welches so nicht als Seyn dargestellt werden kann. Ein empirisch-allgemeiner Satz, denn es werden deren doch aufgestellt, beruht nun auf der stillschweigenden Uebereinkunft, daß wenn nur keine Instanz des Gegentheils angeführt werden könne, die Mehrheit von Fällen für Allheit gelten solle; oder daß die subjective Allheit, nemlich, die der zur Kenntniß gekommenen Fälle, für eine objective Allheit genommen werden dürfe.« (GW 12, 75) 11 Vgl.: »Die Allgemeinheit, wie sie am Subjecte des universellen Urtheils ist, ist die äussere Reflexions-Allgemeinheit, Allheit; […] Diese Allgemeinheit ist daher nur ein Zusammenfassen der für sich bestehenden Einzelnen; sie ist eine Gemeinschaftlichkeit.« (GW 12, 74) 12 Schick weist auf Folgendes hin: »Urteile, die Verhältnissen des Begriffs entsprechen, treten erst mit dem dritten großen Urteilstyp, Urteilen der Notwendigkeit, auf.« (Schick 2002, S. 204) 10

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abstrakten Begriff (bzw. einer Gattung) als Allgemeinem. Im universellen Urteil ist ein Einzelnes deshalb in allen Situationen so und so, weil der abstrakte Begriff, unter welchem das Einzelne steht, in diesem wirkt. Mit anderen Worten: Der Ausdruck »in allen Situationen so und so« stellt eben die logische Funk­ tions­weise des abstrakten Begriffs dar, unter welchem das Einzelne als Subjekt des universellen Urteils steht (vgl. Abschnitte 1.1 und 1.4). Das hinter dem universellen Urteil operierende Urteil – »das Einzelne steht unter einem abstrakten Begriff als Allgemeinem«, wie z. B. »dieser ist Mensch« – heißt das kategorische Urteil. Das kategorische Urteil gehört zu einem neuen Urteilstyp, weil es eine neue Art und Weise, das Einzelne (Subjekt) auf das Allgemeine (Prädikat) zu beziehen, ausdrückt. Im kategorischen Urteil ist das Allgemeine als abstrakter Begriff einerseits keine unmittelbare Darstellung des Einzelnen (vgl. Daseinsurteil). Andererseits ist es sinnlos, aufzuzählen, dass ein Einzelnes in dieser Situation, in einigen Situationen und weiter in allen Situationen zu ein und demselben Allgemeinen als abstraktem Begriff gehört (vgl. Reflexionsurteil). Das Allgemeine als abstrakter Begriff ist faktisch durch das begreifende Denken gesetzt. Es macht das Wesen des unter ihm stehenden Einzelnen aus (vgl. Kapitel 1.). Dasjenige, welches das Einzelne auf das Allgemeine als abstrakten Begriff bezieht, ist nichts anderes als eben das begreifende Denken selbst. Hiernach ist das kategorische Urteil wie folgt zu bezeichnen: »Subjekt (das Einzelne) – Kopula (das begreifende Denken) – Prädikat (das Allgemeine als abstrakter Begriff)«. Der neue Urteilstyp, zu welchem das kategorische Urteil gehört, heißt das Notwendigkeitsurteil. Das kategorische Urteil ist die erste Stufe des Notwendigkeitsurteils. Seine Notwendigkeit hat mit seinem empirischen Inhalt nichts zu tun. Das Einzelne, welches z. B. unter den abstrakten Begriff »Mensch« subsumiert wird, kann auch unter »Tier« oder »Lebewesen« subsumiert werden; denn offenkundig besteht die Notwendigkeit nicht darin, unter was für einen abstrakten Begriff ein Einzelnes in der Empirie subsumiert wird. Die Notwendigkeit des kategorischen Urteils besteht in der Subsumtion selbst, mit welcher das Einzelne durch das begreifende Denken auf das Allgemeine als abstrakten Begriff bezogen wird. Ohne eine solche Subsumtion könnten wir kein universelles Urteil, dass ein Einzelnes in allen Situationen so und so ist, fällen. Die Notwendigkeit der Subsumtion im kategorischen Urteil ist wie folgt auszudrücken: Wenn das Einzelne ist, so ist das Allgemeine.13 13

Vgl.: »Was in Wahrheit daher in diesem Urtheile gesetzt ist, ist die Allgemeinheit, als die concrete Identität des Begriffs [sc. die Identität zwischen dem Einzelnen und dem Allge-

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Das Urteil »wenn A ist, so ist B« – »das Seyn des A ist nicht sein eigenes Seyn, sondern das Seyn eines Andern, des B«14 – ist das hypothetische Urteil, welches die zweite Stufe des Notwendigkeitsurteils bezeichnet. Da die Notwendigkeit des kategorischen Urteils durch das hypothetische Urteil gesetzt wird, ist sie keine innere mehr.15 Bei näherer Betrachtung lässt sich herausstellen, dass der durch das hypothetische Urteil gesetzten notwendigen Beziehung des Einzelnen zum Allgemeinen die notwendige Tätigkeit des begreifenden Denkens zugrunde liegt. Diese notwendige Tätigkeit besagt, dass das begreifende Denken das Allgemeine als ab­ strakten Begriff antreibt, sich selbst im Einzelnen zu realisieren. Sie ist durch das folgende disjunktive Urteil auszudrücken, welches die höchste Stufe des Notwendigkeitsurteils bildet: Das Allgemeine als abstrakter Begriff ist entweder es selbst (die eine Art) oder das Einzelne (die andere Art). Weil sich das Allgemeine als abstrakter Begriff und das Einzelne in der logischen (ideellen) Dimension und in der wirklichen Dimension befinden, machen sie im Prädikat des obigen disjunktiven Urteils zwei verschiedene logische Arten aus. Weil aber in der notwendigen Tätigkeit des begreifenden Denkens das Allgemeine als abstrakter Begriff im Einzelnen realisiert wird, sind beide zugleich voneinander nicht zu unterscheiden. Aus diesem Grund stehen in demselben disjunktiven Urteil das Allgemeine als abstrakter Begriff und das Einzelne an der Stelle des Subjekts und der Stelle des Prädikats. Weil in der durch das disjunktive Urteil ausgedrückten Tätigkeit des begreifenden Denkens das Allgemeine als abstrakter Begriff nur in zwei logische Arten – es selbst und das Einzelne – geteilt wird, sind alle Arten im Prädikat des obigen disjunktiven Urteils enthalten. Mit anderen Worten: Der logische Umfang des Subjekts des obigen disjunktiven Urteils und der logische Umfang seines Prädikats sind gleich. Da das oben skizzierte disjunktive Urteil die notwendige Tätigkeit des begreifenden Denkens ausdrückt, ist seine Kopula ebenso wie die des kategorischen Urteils das begreifende Denken. Zur Kopula des disjunktiven Urteils sagt Hegel: »Diese Einheit, die Copula dieses [disjunktiven] Urtheils, worein die Extreme durch meinen als abstraktem Begriff], dessen Bestimmungen kein Bestehen für sich haben, sondern nur in ihr [sc. der Allgemeinheit] gesetzte Besonderheiten [sc. diejenigen, welche unter der Allgemeinheit stehen] sind.« (GW 12, 80) 14 GW 12, 79. 15 Vgl.: »Die Bestimmtheit des Subjects, wodurch es ein Besonderes [oder ein Einzelnes] gegen das Prädicat ist, ist zunächst [sc. im kategorischen Urteil] noch ein zufälliges; Subject und Prädicat sind nicht durch die Form oder Bestimmtheit als nothwendig bezogen; die Noth­ wendigkeit ist daher noch als innre.« (GW 12, 78)

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ihre Identität zusammen gegangen sind, ist somit der Begriff selbst, und zwar als gesetzt.«16 Aber im Vergleich zur Kopula des kategorischen Urteils drückt die Kopula des obigen disjunktiven Urteils die präzise Form des begreifenden Denkens aus. Diese präzise Form ist eben die ›sich bewegende Beziehung‹ in der sich bewegenden Sich(Aa)-auf-sich(E)-Beziehung(Aw) als Kognitionsmodell. In diese ›sich bewegende Beziehung‹ werden das allgemeine »Sich« und das einzelne »sich« integriert. Den Analysen der drei Stufen des Notwendigkeitsurteils zufolge geht das disjunktive Urteil dem hypothetischen Urteil und dieses dem kategorischen Urteil logisch und sachlich vorher, obwohl die Darstellungsreihenfolge des Notwendigkeitsurteils bei Hegel thematisch und auf der theoriebildenden Ebene in umgekehrter Reihenfolge verläuft. Gerade aus der durch das disjunktive Urteil ausgedrückten notwendigen Tätigkeit des begreifenden Denkens, dass dieses das Allgemeine als abstrakten Begriff antreibt, sich selbst im Einzelnen zu realisieren, resultiert das hypothetische Urteil: »Wenn das Einzelne ist, so ist das Allgemeine«. Dieses hypothetische Urteil besagt, dass das Einzelne notwendig durch das begreifende Denken unter das Allgemeine als abstrakten Begriff subsumiert bzw. auf dieses bezogen wird. Gerade auf der Basis der durch dieses hypothetische Urteil ausgedrückten notwendigen Subsumtion subsumieren wir in der Empirie das Einzelne unter verschiedene abstrakte Begriffe und fällen kategorische Urteile, wie z. B. »Dieser ist ein Mensch«, »Diese ist eine Rose« usw. Beim disjunktiven Urteil möchte ich noch auf Folgendes hinweisen: Egal mit welchem Inhalt ein disjunktives Urteil »X ist entweder Y1 oder Y2 oder … Yn« angereichert wird, es hat immer zwei wesentliche Charakteristika: a) Die Arten im Prädikat müssen voneinander unterschieden werden. b) Die Arten müssen durch das Prädikat vollständig ausgedrückt werden, sodass der logische Umfang des Subjekts und der des Prädikats gleich sind. Zum Punkt »b)« erwähnt Hegel: »Diß objective Allgemeine [sc. das Subjekt als abstrakter Begriff bzw. als Gattung] erhält sich vollkommen in seiner Besonderheit [sc. in seinen Arten].«17 In Anbetracht der Punkte »a)« und »b)« kann die folgende notwendige Tätigkeit des begreifenden Denkens auch durch das disjunktive Urteil ausgedrückt wer16 17

GW 12, 83. GW 12, 81. Vgl. auch: »Es [sc. das disjunktive Urteil] enthält also erstens die concrete Allgemeinheit oder die Gattung, in einfacher Form, als das Subject; zweytens dieselbe aber als Totalität ihrer unterschiedenen Bestimmungen. […] Diß [sc. das disjunktive Urteil] ist die Nothwendigkeit des Begriffs, worin erstens die Dieselbigkeit beyder Extreme, einerley Umfang, Inhalt und Allgemeinheit ist; zweytens sind sie nach der Form der Begriffsbestimmungen unterschieden[. …] Drittens erscheint die identische objective Allgemeinheit deßwegen, als das in sich reflectirte gegen die unwesentliche Form [sc. das Prädikat des disjunktiven Urteils als mannigfaltige Arten ist das logische Entfalten seines Subjekts selbst].« (GW 12, 80)

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den: Das begreifende Denken treibt den abstrakten Begriff (Aa) an, sich selbst (Aa) als irgendeine logische Funktionsweise (B) zu bestimmen (vgl. Abschnitt 1.2). Das disjunktive Urteil, welches diese Tätigkeit des begreifenden Denkens ausdrückt, lautet wie folgt: Das Allgemeine als abstrakter Begriff ist entweder es selbst (die eine Art) oder seine logische Funktionsweise als das Besondere (die andere Art). Weil aber sich die Urteilslehre darum dreht, abzuhandeln, wie das Einzelne wahrhaftig mit dem Allgemeinen übereinstimmen und weiter wahrhaftig zum begreifenden Denken zurückkehren soll, habe ich das disjunktive Urteil nur auf die Darstellung der Realisierung des Allgemeinen im Einzelnen untersucht. Das Begriffsmoment des Besonderen kommt erst im Begriffsurteil vor und wird in der Schlusslehre ausführlich erörtert. Zusammenfassend schildert das Notwendigkeitsurteil die logische Wechselwirkung bzw. die dialektische Identität zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen als abstraktem Begriff, welche im Kontext des eigenen Rekonstruktionsansatzes als die sich bewegende Sich(Aa)-auf-sich(E)-Beziehung(Aw) bzw. als das Kognitionsmodell interpretiert wird. Das disjunktive Urteil zeigt den notwendigen Prozess vom abstrakt Allgemeinen zum Einzelnen auf, während das hypothetische und das kategorische Urteil den notwendigen Prozess vom Einzelnen zum abstrakt Allgemeinen aufzeigen. Aber trotz der im Notwendigkeitsurteil dargestellten logischen Wechselwirkung zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen als abstraktem Begriff garantiert das Notwendigkeitsurteil logisch nicht, dass das Einzelne objektiv-notwendig bzw. wahrhaftig mit dem Allgemeinen als abstraktem Begriff übereinstimmt. Im Notwendigkeitsurteil erreicht das Einzelne als Wirkliches nur die formelle Einheit mit dem Allgemeinen als abstraktem Begriff. Mit anderen Worten: Durch das Notwendigkeitsurteil kehrt das Einzelne als Wirkliches nur formell  – aber noch nicht wahrhaftig  – zum begreifenden Denken zurück. Um das Einzelne wahrhaftig mit dem Allgemeinen in Übereinstimmung zu bringen, muss das Notwendigkeitsurteil zu einem neuen Urteilstyp übergehen, welcher nicht mehr die formelle Einheit des Einzelnen mit dem Allgemeinen im begreifenden Denken, sondern die objektiv-notwendige Übereinstimmung des Einzelnen mit dem Allgemeinen in der Praxis ausdrückt. Zum logischen Mangel des Notwendigkeitsurteils sagt Hegel: »Der Mangel des Resultats kann bestimmter auch so ausgedrückt werden, daß im disjunctiven Urtheile die objective Allgemeinheit [sc. das Subjekt als abstrakter Begriff bzw. als Gattung] zwar in ihrer Besonderung vollkommen geworden ist, daß aber die negative Einheit der letztern [sc. der Besonderung] nur in jene [sc. die

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objektive Allgemeinheit] zurückgeht, und noch nicht zum Dritten, zur Einzelnheit, sich bestimmt hat.«18

Hegel zufolge wird im disjunktiven Urteil als der höchsten Stufe des Notwendigkeitsurteils das Allgemeine als abstrakter Begriff zwar durch das begreifende Denken im Einzelnen realisiert (in diesem Sinne ist die Allgemeinheit »in ihrer Besonderung vollkommen geworden«), aber das Einzelne als »negative Einheit« mit dem Allgemeinen hat noch nicht in der Praxis aktiv durch sich selbst bewiesen, dass es mit dem Allgemeinen übereinstimmt (in diesem Sinne hat das Einzelne als negative Einheit mit dem Allgemeinen »noch nicht zum Dritten, zur Einzelheit, sich bestimmt«). Der eben erwähnte, benötigte neue Urteilstyp ist das Begriffsurteil. Bei ihm handelt es sich um das Praxismodell. Gerade durch das Begriffsurteil wird die Aufgabe der Urteilslehre erfüllt: die wahre Rückkehr des Einzelnen als des Wirklichen zum begreifenden Denken.19 4.1.3 Die Darstellung des Praxismodells – Begriffsurteil Die unmittelbare Form des Begriffsurteils ist das assertorische Urteil: »Ein Einzelnes ist gut«. Das Prädikat »gut« drückt keine Eigenschaft des Subjekts wie z. B. »rot«, »zerbrechlich« usw. aus. Das assertorische Urteil besagt in der Tat, dass ein Einzelnes in der Praxis so ist, wie es im begreifenden Denken sein soll. Genauer gesagt: Das assertorische Urteil besagt, dass ein Einzelnes in der Praxis als mit dem Allgemeinen, und zwar mit dessen logischer Funktionsweise (dem Besonderen), übereinstimmend erwiesen wird.20 Z.B. besagt das assertorische Urteil »dieses Haus ist gut«, dass dieses Haus in der Praxis als mit dem abstrakten Begriff »Haus« (dem Allgemeinen) übereinstimmend, nämlich als bewohnbar, erwiesen wird. Denn die logische Funktionsweise des abstrakten Begriffs »Haus« besteht eben darin, dass sich das einzelne Haus aufgrund dieses Begriffs so darstellt, dass es in jeder Situation bewohnbar ist. Nach der obigen Explikation liefert das Begriffsurteil eine neue Art und Weise (Kopula), das Einzelne als GW 12, 85. Vgl.: »Was wir vor uns haben, ist aber nicht ein thematischer Sprung, sondern Hegels Theorie über den Zusammenhang theoretischer und praktischer Urteile.« (Schick 2002, S. 219) 20 Mit Hegels Worten: »Die Prädicate gut, schlecht, wahr, schön, richtig u.s.f. drücken aus, daß die Sache an ihrem allgemeinen Begriffe, als dem schlechthin vorausgesetzten Sollen gemessen, und in Uebereinstimmung mit demselben ist, oder nicht.« (GW 12, 84) Vgl. auch: »Das Subject ist ein concretes Einzelnes überhaupt, das Prädicat drückt dasselbe als die Beziehung seiner Wirklichkeit, Bestimmtheit oder Beschaffenheit, auf seinen Begriff aus.« (GW 12, 85) 18 19

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Kapitel 4

Subjekt auf das Allgemeine, welches durch das Prädikat ausgedrückt wird, zu beziehen. Im Begriffsurteil wird das Einzelne nicht mehr durch das begreifende Denken auf das Allgemeine bezogen, sondern indem sich das Einzelne in der Praxis so verhält, wie es von der logischen Funktionsweise (dem Besonderen) des Allgemeinen vorgeschrieben wird. Beim assertorischen Urteil ist Folgendes zu beachten: Da das Prädikat »gut« die Übereinstimmung des Einzelnen mit dem Allgemeinen in der Praxis – nicht das Verallgemeinern des Einzelnen im begreifenden Denken – ausdrückt, besagt das assertorische Urteil »ein Einzelnes ist gut« nur, dass ein Einzelnes zum Zeitpunkt seiner Beobachtung oder seines Gebrauchs gut ist. Anders ausgedrückt: Das assertorische Urteil besagt nicht, dass ein Einzelnes notwendig bzw. in jeder Situation gut ist. Diese Einschränkung deutet an, dass das Einzelne als Subjekt des assertorischen Urteils in einigen Situationen schlecht sein kann. Also ist das assertorische Urteil wesentlich das problematische Urteil.21 Nur wenn aber ein Einzelnes notwendig bzw. in jeder Situation gut ist, dann kehrt das Einzelne als Wirkliches wahrhaftig zum begreifenden Denken zurück und damit wird die Aufgabe der Urteilslehre erfüllt. Dass ein Einzelnes notwendig gut ist, bedeutet, dass es in der Praxis als notwendig mit dem Allgemeinen, und zwar mit dessen logischer Funktionsweise (dem Besonderen), übereinstimmend erwiesen wird. Dies wird durch das apodiktische Urteil »das Einzelne so und so beschaffen ist gut« – die höchste Stufe des Begriffsurteils – ausgedrückt. Die Beschaffenheit (»so und so beschaffen«) des Einzelnen besagt, dass sich das Einzelne in der Praxis wegen seiner logischen Grundlage22 notwendig so verhält, wie es von der logischen Funktionsweise (dem Besonderen) des Allgemeinen vorgeschrieben wird. Gerade aus diesem Grund stimmt das Einzelne in der Praxis notwendig mit dem Allgemeinen überein.23 Daraus wird ersichtlich, dass die Beschaffenheit des Einzelnen sowohl die logische Funktionsweise (das Besondere) des Allgemeinen als auch die notwendige Übereinstimmung des Einzelnen mit dieser logischen Funktionsweise in der Praxis ausdrückt. Da das Allgemeine »Es ist so noch ein zufälliges, eben sowohl dem Begriffe [sc. dem Allgemeinen] zu entsprechen, oder auch nicht. Das [assertorische] Urtheil ist daher wesentlich problematisch. Das problematische Urtheil ist das assertorische, insofern dieses eben so wohl positiv als negativ genommen werden muß.« (GW 12, 86) 22 Die Notwendigkeit muss von einer logischen Grundlage begleitet werden (vgl. Abschnitt 0.1). Gerade aus diesem Grund muss das universelle Urteil, dass ein Einzelnes in allen Situationen bzw. notwendig so und so ist, zum kategorischen Urteil übergehen, welches die Funktion des begreifenden Denkens als Funktion der logischen Grundlage des universellen Urteils darstellt. 23 Vgl.: »Diese [Beschaffenheit] enthält den Grund, warum dem ganzen Subject ein Prädicat [sc. das Allgemeine] des Begriffs-Urtheils zukommt oder nicht, d. i. ob das Subject seinem Begriffe entspricht oder nicht.« (GW 12, 87–88) 21

Hegel-Studien



Zusammenfassung des ganzen ­logischen ­Systems der Begriffslogik

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und das Einzelne zugleich in die Beschaffenheit aufgenommen werden, ist das apodiktische Urteil wie folgt zu bezeichnen: Subjekt (das Einzelne so und so beschaffen)  – Kopula (die Beschaffenheit des Einzelnen) – Prädikat (das durch die Beschaffenheit des Einzelnen bestimmte Allgemeine). Zu dieser Form des apodiktischen Urteils erwähnt Hegel: »Subject und Prädicat [des apodiktischen Urteils] entsprechen sich, und haben denselben [logischen] Inhalt [sc. die Beschaffenheit des Einzelnen], und dieser Inhalt ist selbst die gesetzte concrete [sc. im Einzelnen realisierte] Allgemeinheit.«24 Aus der bisherigen Analyse des apodiktischen Urteils wird noch nicht expliziert, was die eben erwähnte logische Grundlage des Einzelnen ist, welche durch seine Beschaffenheit (»so und so beschaffen«) ausgedrückt wird und das Einzelne in der Praxis notwendig mit der logischen Funktionsweise des Allgemeinen in Übereinstimmung bringt. Nach der logischen Entwicklung der Urteilslehre ist diese zu explizierende logische Grundlage nicht als das begreifende Denken aufzufassen. Einerseits wird die logische Funktion des begreifenden Denkens bereits durch das Notwendigkeitsurteil dargestellt. Andererseits stimmt das Einzelne mit der logischen Funktionsweise des Allgemeinen nicht mehr in der Praxis notwendig, sondern nur für das begreifende Denken notwendig überein, wenn die logische Grundlage, welche durch die Beschaffenheit des Einzelnen ausgedrückt wird, das begreifende Denken ist. Faktisch muss diese logische Grundlage in der Praxis durch das Einzelne selbst geliefert werden. Nach der ganzen Begriffslogik ist eine solche logische Grundlage eben die immanente Aktivität des Einzelnen als des Wirklichen, seine eigene Existenz zu bewahren bzw. sich zu erhalten (vgl. Abschnitt 2.1.2). Mit dieser logischen Grundlage drückt das Einzelne in seiner Beschaffenheit als Subjekt des apodiktischen Urteils keinen unmittelbar gegebenen Gegenstand, sondern die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung als aktives Praxismodell aus. Hiernach ist im Rahmen der Begriffslogik das einzige dem apodiktischen Urteil angemessene Beispiel »das Leben so und so beschaffen ist gut«. Anders formuliert: Das apodiktische Urteil stellt in der Tat eben den Sachverhalt »das Leben so und so beschaffen ist gut« dar. In diesem Beispiel drückt das Subjekt »das Leben so und so beschaffen« die aus dem lebendigen Individuum selbst entfaltete sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-beziehung(Aw) als aktives Praxismodell aus. »Das Leben so und so beschaffen« und »das Leben in der absoluten Idee« (bzw. »das 24

GW 12, 88. Mit Schicks Worten: »Jetzt ist die Beziehung [zwischen Subjekt und Prädikat] nicht mehr nur indiziert in der Kopula, sondern inhaltlich ausgeführt.« (Schick 2002, S. 221)

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Kapitel 4

Leben mit der Lebendigkeit«) sind äquivalent, weil die absolute Idee (bzw. die Lebendigkeit) die logische Grundlage des Lebens ausmacht (vgl. Abschnitt 3.3). Dementsprechend ist das Allgemeine, mit welchem das Leben in seiner Beschaffenheit übereinstimmt, kein durch das begreifende Denken gesetzter abstrakter Begriff, sondern das begreifende Denken selbst als die das Kognitionsmodell repräsentierende sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw). Das Leben in seiner Beschaffenheit stimmt deshalb in der Praxis notwendig mit dem Allgemeinen als begreifendem Denken überein, weil beide logisch isomorph sind. Genauer gesagt: Denn das Leben in seiner Beschaffenheit (die aus dem lebendigen Individuum selbst entfaltete sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung als aktives Praxismodell) stimmt objektiv-notwendig bzw. wahrhaftig mit der logischen Funktionsweise des begreifenden Denkens selbst im Einzelnen überein; das begreifende Denken wirkt im Einzelnen so, dass das Einzelne sich selbst ebenso zur sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung als aktivem Praxismodell überhaupt entfaltet (vgl. Abschnitt 2.2). In diesem Sinne beweist das Leben in seiner Beschaffenheit de facto aktiv durch sich selbst, dass es objektiv-notwendig bzw. wahrhaftig mit dem Allgemeinen als begreifendem Denken, und zwar mit der logischen Funktionsweise (dem Besonderen) des begreifenden Denkens im Einzelnen, übereinstimmt. Den obigen Analysen zufolge drückt jedes Moment des apodiktischen Urteils – sein Subjekt (»das Einzelne so und so beschaffen«), seine Kopula (die Beschaffenheit des Einzelnen) und sein Prädikat (das durch das So-und-so-Beschaffene bestimmte Allgemeine) – eine sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) aus. Das apodiktische Urteil lässt sich wie folgt zusammenfassen: Subjekt  das Einzelne so und so beschaffen die aus dem lebendigen

Kopula  die Beschaffenheit (»so

Prädikat  das durch das So-und-

und so beschaffen«) als das Besondere

so-Beschaffene bestimmte Allgemeine

die sich bewegende Sich-

die sich bewegende Sich-

Individuum selbst entfaltete sich auf-sich-Beziehung als aktives Praxismodell bewegende Sich-auf-sichüberhaupt Beziehung als aktives

auf-sich-Beziehung als Kognitionsmodell – das begreifende Denken

Praxismodell – das Leben so und so beschaffen

selbst

Die folgende Tabelle fasst die vier großen Urteilstypen in der Urteilslehre zusammen:

Hegel-Studien



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Zusammenfassung des ganzen ­logischen ­Systems der Begriffslogik Subjekt

Kopula (Art und Weise, Subjekt auf Prädikat zu

Prädikat

beziehen) Daseinsurteil (positives Urteil)

das Einzelne als unmittelbar gegebener

das unmittelbare Darstellen

äußere Eigenschaften bzw. Beobachtungseigenschaften

die (unvollständige) Induktion

dispositionelle Eigenschaften

das begreifende Denken

der abstrakte Begriff

Gegenstand Reflexionsurteil (universelles Urteil)

das Einzelne als unmittelbar gegebener Gegenstand

Notwendigkeitsurteil (kategorisches Urteil)

das Einzelne als unmittelbar gegebener Gegenstand

Begriffsurteil (apodiktisches Urteil)

das Einzelne als sich bewegende Sich-auf-sich-

die sich bewegende die sich bewegende SichSich-auf-sich-Beziehung auf-sich-Beziehung als

Beziehung (das Leben als aktives

als aktives Praxismodell überhaupt

begreifendes Denken selbst (Kognitionsmodell)

Praxismodell)

Aus der hier vorgelegten Rekonstruktion der Urteilslehre geht hervor, dass die Urteilslehre die ganze Begriffslogik zusammenfasst. Für diese Aussage sprechen zwei Gründe. Erstens kann die Aufgabe der Urteilslehre – die wahre Rückkehr des Einzelnen als des Wirklichen zum begreifenden Denken – erst dann erfüllt werden, als das Einzelne als Wirkliches ebenso wie das begreifende Denken sich selbst zur sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) entfaltet. Diese aus einem Wirklichen entfaltete sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung als aktives Praxismodell wird erst in den Abschnitten »Die Objektivität« und »Die Idee« dargestellt. Die obige Tabelle über das apodiktische Urteil ist dem letzten Diagramm in Abschnitt 3.3, in welchem das vollständig entfaltete logische System der Begriffslogik präsentiert wird, äquivalent. (Die Kopula des apodiktischen Urteils, welche das aktive Praxismodell überhaupt ausdrückt, ist dem ausgeführten Zweck als Objektivität äquivalent.) Gerade weil das Einzelne als Wirkliches sich selbst zur sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung entfaltet, wird es nicht mehr formell bzw. einseitig bzw. passiv auf das durch das begreifende Denken gesetzte (abstrakt) Allgemeine bezogen. Vielmehr ist es mit dem begreifenden Denken selbst (dem wahrhaftig Allgemeinen) logisch isomorph und daher die Realisierung des begreifenden Denkens selbst. Dies ist eben die zu begründende Kernthese in der ganzen Begriffslogik. Zweitens geht aus der Urteilslehre hervor, dass ohne den Rahmen der ganzen Begriffslogik, und zwar ohne das aktive Praxismodell, welches in den Abschnitten »Die Objektivität« und »Die Idee« thematisiert wird, das apodiktische Urteil

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Kapitel 4

als die höchste Stufe des Begriffsurteils – auch als die höchste Stufe der ganzen Urteilslehre – nicht präzis erfasst werden kann. Hegels eigenes Beispiel für das Verstehen des apodiktischen Urteils ist der Satz »das Haus so und so beschaffen ist gut«25. Analysieren wir dieses Beispiel, so stellt sich heraus, dass dieses Beispiel kein sonderlich geeignetes Beispiel für das bessere Verstehen des apodiktischen Urteils ist. »Das Haus so und so beschaffen ist gut« besagt, dass das einzelne Haus in der Praxis als notwendig bewohnbar erwiesen wird und daher in der Praxis notwendig mit dem abstrakten Begriff »Haus« übereinstimmt. Aber in der Praxis bzw. in der Empirie können wir nicht alle Situationen, in denen sich das einzelne Haus befindet, kennen. Daraus ist zu schließen, dass das einzelne Haus in der Praxis nicht als notwendig bewohnbar und daher nicht als notwendig mit dem abstrakten Begriff »Haus« übereinstimmend erwiesen werden kann. Wenn die Notwendigkeit des Beispiels »das Haus so und so beschaffen ist gut« garantiert werden soll, kann ihr nur das begreifende Denken zugrunde gelegt werden. Wenn aber das begreifende Denken zur logischen Grundlage der Notwendigkeit wird, dann besagt dieses Beispiel in der Tat, dass das einzelne Haus für das begreifende Denken notwendig bewohnbar ist und daher für das begreifende Denken notwendig mit dem abstrakten Begriff »Haus« übereinstimmt. Mit anderen Worten: Hegels Beispiel, welches die notwendige Übereinstimmung des einzelnen Hauses mit dem abstrakten Begriff »Haus« in der Praxis ausdrücken soll, drückt faktisch ihre notwendige Übereinstimmung in der Kognition bzw. im begreifenden Denken aus. Folgt man der Analyse des Beispiels »das Haus so und so beschaffen ist gut«, gerät dieses Beispiel in ein Dilemma: Entweder stimmt das einzelne Haus nur für das begreifende Denken notwendig mit dem abstrakten Begriff »Haus« überein oder das einzelne Haus wird in der Praxis mit dem abstrakten Begriff »Haus« in Übereinstimmung gebracht, ohne dass diese Übereinstimmung Notwendigkeit garantieren kann. Wenn dieses Dilemma zutrifft, ist es für das Einzelne unmöglich, wahrhaftig mit dem Allgemeinen übereinzustimmen und dadurch wahrhaftig zum begreifenden Denken zurückzukehren. Das Beispiel »das Haus so und so beschaffen ist gut« gerät deshalb in das obige Dilemma, gerade weil dem einzelnen Haus die immanente Aktivität als logische Grundlage, seine eigene Existenz zu bewahren bzw. sich zu erhalten, fehlt und es daher zu keiner sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung als aktivem Praxismodell kommen kann.

25

GW 12, 87.

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Zusammenfassung des ganzen ­logischen ­Systems der Begriffslogik

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4.2 Die Schlusslehre – Die Darstellung des Aktivitätsmodells Aus der Interpretation des Begriffsurteils geht hervor, dass in der Begriffslogik der Übergang von der Subjektivität zur Objektivität schon beim apodiktischen Urteil angefangen hat. Denn dieser Übergang besteht wesentlich darin, dass das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ als logische Grundlage des Wirklichen von der Seite des Kognitionsmodells zur Seite des aktiven Praxismodells übergeht. Präziser gesagt: Er besteht darin, dass das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ vom begreifenden Denken zur immanenten Aktivität eines Wirklichen selbst, (in der Praxis) seine eigene Existenz zu bewahren bzw. sich zu erhalten, übergeht.26 Gerade mit dieser immanenten Aktivität des Wirklichen sind wir, wie Oberauer erwähnt, »zu Beginn der Schlußlogik [bzw. am Ende der Urteilslogik] aus dem Selbstverlust des Begriffs in das Reich der Wahrheit zurückgekehrt«27. Denn im apodiktischen Urteil geht der Begriff (bzw. das begreifende Denken) nicht mehr wie im reinen Kognitionsmodell im Einzelnen als Wirklichem verloren (vgl. Abschnitt 1.3); vielmehr ist dieses wahrhaftig zum begreifenden Denken zurückgekehrt, indem es ebenso wie das begreifende Denken sich selbst zur sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung (dem aktiven Praxismodell) entfaltet hat (vgl. Abschnitt 4.1.3). Aber im apodiktischen Urteil wird das aus einem Wirklichen entfaltete aktive Praxismodell, welchem logisch seine eigene immanente Aktivität zugrunde liegt, nur einfach als die Beschaffenheit des Einzelnen (»so und so beschaffen«) ausgedrückt. Anders formuliert: Im apodiktischen Urteil wird die innere logische Struktur dieses aktiven Praxismodells noch nicht ausführlich dargestellt. Gerade aus diesem Grund geht das apodiktische Urteil zur Schlusslehre über. Die Aufgabe der ans apodiktische Urteil anschließenden Schlusslehre besteht eben darin, die innere logische Struktur des aktiven Praxis­modells überhaupt darzustellen, welches an der Stelle der Kopula des apodiktischen Urteils steht und als die Beschaffenheit des Einzelnen (»so und so beschaffen«) ausgedrückt wird. Genauer gesagt: Die Schlusslehre handelt ab, wie ein Wirkliches sich selbst im wahren Sinne zur wie folgt kommentierten Sich(Aa)-auf(B)sich(E)-Beziehung als Praxismodell entfaltet:

Natürlich deutet der Übergang von der Subjektivität zur Objektivität nicht an, dass Hegels Begriffslogik in den Dualismus gerät, weil beide logischen Grundlagen, das begreifende Denken und die immanente Aktivität eines Wirklichen, seine eigene Existenz zu bewahren bzw. sich zu erhalten, ein und dieselbe logische Struktur als verbales ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ haben bzw. logisch isomorph sind (vgl. Abschnitt 3.3). Hegels Begriffslogik dreht sich nach wie vor um die logische Entwicklung des verbalen ›Sich-auf-sich-Beziehens‹ selbst. 27 Oberauer 2003, S. 115. 26

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seine Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen

Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung ein Wirkliches

seine Existenz in jeder Situation Praxismodell

Also muss in der Schlusslehre die folgende Frage beantwortet werden: Wie erreichen die drei Momente des Praxismodells – ein Wirkliches selbst (Aa), seine Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen (B) und seine Existenz in jeder Situation (E) – die wahre Einheit? Die Darstellung der Einheit dieser drei Momente entspricht gerade der Form des Schlusses. Der Schlusslehre zufolge lautet die Antwort auf diese Frage folgendermaßen: Durch die immanente Aktivität eines Wirklichen selbst, und zwar durch die Verbalisierung der substantivischen ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung‹ als Praxismodell, lassen sich die drei Momente des Praxismodells im wahren Sinne vereinigen. Deswegen weist Hegel auf Folgendes hin: »Der Schluß hat sich als die Wiederherstellung des Begriffes [sc. der sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung als aktives Praxismodell] im Urtheile [speziell im apodiktischen Urteil] […] ergeben.«28 Er ist somit »der vollständig gesetzte Begriff«29, nämlich der aus einem Wirklichen selbst entfaltete Begriff als aktives Praxismodell. In Vergleich zu einem solchen Begriff ist der nur auf der Seite des Kognitionsmodells gesetzte Begriff formell bzw. einseitig. In der Schlusslehre ist jeder konkrete Schlusstyp faktisch ein Versuch, die wahre Einheit der drei Momente des aus einem Wirklichen entfalteten Praxismodells darzustellen. Deswegen ist jeder konkrete Schlusstyp, egal ob er der Daseins-, Reflexions- oder Notwendigkeitsschluss ist, als der Begriffsschluss – der Schluss der sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) – zu betrachten. Gerade aus diesem Grund schreibt Hegel in der Schlusslehre kein viertes Kapitel mit dem Titel »der Schluss des Begriffs«. In Ansehung der Aufgabe der Schlusslehre in der Begriffslogik besteht der Schwerpunkt der Interpretation eines konkreten Schlusstyps nicht nur darin, dessen Form zu verdeutlichen. Er besteht auch in der Klärung der Frage, ob dieser Schlusstyp die wahre Einheit der drei Momente des Praxismodells darstellen kann. 28

GW 12, 90. GW 12, 90. Sans erwähnt, dass »die Erörterung des Schlusses ganz im Dienst der Klärung der Natur dessen steht, was Hegel selbst ›den Begriff‹ nennt.« (Sans 2006, S. 216)

29

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Für die Auseinandersetzung mit Hegels Schlusslehre ist auf zwei Punkte hinzuweisen: a) Ohne Rücksicht auf den Kontext der Begriffslogik können die in der Schlusslehre vorkommenden Schlusstypen für sich genommen auch darauf angewendet werden, das Kognitionsmodell und die innere Bewegung zwischen seinen Begriffsmomenten darzustellen. Aber im logischen Entwicklungsprozess der Begriffslogik ist die innere logische Struktur des Kognitionsmodells bereits durch das Notwendigkeitsurteil dargestellt worden; nachdem sich die Urteilslehre zum apodiktischen Urteil entwickelt hat, ist das, was weiter darzustellen ist, in Anbetracht der obigen Diagnose dieses Urteils die innere logische Struktur des aus einem Wirklichen selbst entfalteten aktiven Praxismodells. Hiernach orientiert sich die ans apodiktische Urteil anschließende Schlusslehre, was ihre logische Funktion in der Begriffslogik betrifft, nicht an dem Kognitionsmodell, sondern an dem aktiven Praxismodell bzw. an der Aktivität des Praxismodells. Gerade in diesem Sinne ist die Schlusslehre keine einfache Wiederholung der Urteilslehre. b) Im Anschluss an den Punkt »a)« drängt sich uns die folgende Frage auf: Warum wird in der Begriffslogik die innere logische Struktur des Kognitionsmodells nicht durch die Schlusslehre, sondern im Rahmen der Urteilslehre dargestellt, während die innere logische Struktur des aktiven Praxismodells nicht im Rahmen der Urteilslehre, sondern durch die Schlusslehre dargestellt wird? Meine Antwort auf diese Frage lautet wie folgt: Wie in Abschnitten 1.3 und 1.4 erklärt, besteht der logische Mangel des Kognitionsmodells darin, dass sich das Einzelne als Wirkliches nur formell mit dem Allgemeinen vereinigt, da an sich jenes von diesem unabhängig ist. Wenn wir in diesem Zustand direkt durch den Schluss die Einheit der drei Begriffsmomente des Kognitionsmodells darstellen, dann hat diese dargestellte Einheit in Anbetracht der Selbständigkeit des Einzelnen als des Wirklichen bzw. in Anbetracht des Selbstverlusts des Begriffs in ihm keine Wahrheit. Aus diesem Grund ist zunächst darzustellen, wie das Einzelne als Wirkliches objektiv-notwendig bzw. wahrhaftig auf das Allgemeine bezogen wird und mit diesem übereinstimmt – dies bildet gerade die Form des Urteils. Im Unterschied zum Kognitionsmodell ist im aktiven Praxismodell das Einzelne keinesfalls vom Allgemeinen unabhängig, weil das Einzelne im aktiven Praxismodell die Existenz eines Wirklichen in jeder Situation ausdrückt, während dieses Wirkliche selbst die Rolle des abstrakt Allgemeinen spielt (vgl. Abschnitt 2.1.2). In diesem Zustand ist es für das aktive Praxismodell nicht erforderlich, durch die Form des Urteils darzustellen, wie das Einzelne objektivnotwendig bzw. wahrhaftig mit dem Allgemeinen übereinstimmt.

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Kapitel 4

4.2.1 Der Daseinsschluss – Der erste gescheiterte Versuch Wie oben erwähnt, zielt die Schlusslehre darauf ab, darzustellen, wie sich die drei Momente des aus einem Wirklichen entfalteten Praxismodells im wahren Sinne vereinigen lassen. Die Vereinigung verläuft durch unterschiedliche Schlusstypen. Der erste Schlusstyp ist der Daseinsschluss mit der Form »Einzelnes (E) – Besonderes (B) – Allgemeines (Aa)«. Er besagt: »Das Einzelne ist nicht unmittelbar allgemein, sondern durch die Besonderheit; und umgekehrt ist eben so das Allgemeine nicht unmittelbar einzeln, sondern es läßt sich durch die Besonderheit dazu herab. – Diese Bestimmungen [sc. das Einzelne und das Allgemeine] stehen als Extreme einander gegenüber, und sind in einem verschiedenen Dritten [sc. dem Besonderen] eins.«30

Der Daseinsschluss »E-B-A« ist nur eine unmittelbare bzw. formelle Darstellung der Einheit der drei Begriffsmomente. Denn obwohl das eine Extrem als Einzelnes und das andere als Allgemeines durch das Besondere vermittelt werden, ist die Verbindung zwischen allen drei Begriffsmomenten noch unmittelbar. Gerade weil die Bestimmtheiten im Schluss »E-B-A« nur auf der Ebene des Daseins unmittelbar gegeben sind, wird dieser Schluss als »Daseinsschluss« bezeichnet. Der Schluss »E-B-A« macht die erste Figur des Daseinsschlusses aus, welche durch das folgende Diagramm visualisiert werden kann: A

A

B

B

E

A

E

B

E

E–B–A

B–E–A

E–A–B

Dieses Diagramm kann mithilfe Hegels Worte wie folgt erklärt werden: »Um ihrer [sc. der Besonderheit] Bestimmtheit willen ist sie [sc. die Besonderheit] einerseits unter das Allgemeine subsumirt, andererseits ist das Einzelne, gegen welches sie [sc. die Besonderheit] Allgemeinheit hat, unter sie [sc. die Besonderheit] subsumirt.«31 GW 12, 93. GW 12, 92.

30 31

Hegel-Studien



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Da im Schluss »E-B-A« das Einzelne unmittelbar mit dem Besonderen verbunden wird, ist das Besondere im Obersatz »E-B« nur eine aus dem Einzelnen zufällig herausgegriffene Bestimmtheit. Zu dieser Zufälligkeit sagt Hegel: »Das Einzelne hat in dieser Unmittelbarkeit eine unendliche Menge von Bestimmtheiten, welche zu seiner Besonderheit gehören, deren jede daher einen Medius Terminus für dasselbe [Einzelne] in einem Schlusse ausmachen kann.«32 In diesem Zustand wird das Einzelne im Obersatz »E-B« zu einer unbestimmten Totalität, welche mannigfaltige Bestimmtheiten enthält, während das in demselben Obersatz enthaltene Besondere, unter welches das Einzelne subsumiert werden soll, geradezu umgekehrt unter das Einzelne als unbestimmte Totalität sub­ sumiert wird. Hiernach sind im Schluss »E-B-A« die Stellen des Einzelnen und des Besonderen um der Korrektheit des Schlusses willen zu vertauschen. Also drückt der Schluss »E-B-A« wesentlich den Schluss »B-E-A« aus.33 Dieser Schluss konstituiert die zweite Figur des Daseinsschlusses, welche durch das folgende Diagramm visualisiert werden kann: A

A

B

B

E

A

E

B

E

E–B–A

B–E–A

E–A–B

Nicht nur ist der Obersatz »E-B« des Schlusses »E-B-A«, sondern auch dessen Untersatz »B-A« unmittelbar gesetzt. Deshalb kann »das Einzelne […] durch denselben Medius Terminus [sc. durch dasselbe Besondere] wieder mit mehrern Allgemeinen zusammengeschlossen werden«34. Daraus geht hervor, dass das Allgemeine im Untersatz »B-A« nur zufällig aus denjenigen Allgemeinen herausgegriffen ist, welche dem Besonderen entsprechen. In diesem Zustand wird das Besondere im Untersatz »B-A« zu einer unbestimmten Totalität, welche mannigfaltige Allgemeine enthält, während das in demselben Untersatz enthaltene All GW 12, 95–96. »Näher betrachtet, so war die Vermittlung des ersten Schlusses [sc. E-B-A] an sich eine zufällige; in dem zweyten [sc. B-E-A] ist diese Zufälligkeit gesetzt.« (GW 12, 102) Vgl. auch: »Die Wahrheit des ersten qualitativen Schlusses [sc. E-B-A] ist, daß Etwas mit einer qualitativen Bestimmtheit als einer allgemeinen nicht an und für sich zusammengeschlossen ist, sondern durch eine Zufälligkeit, oder in einer Einzelnheit. Das Subject des Schlusses ist in solcher Qualität nicht in seinen Begriff zurückgekehrt, sondern nur in seiner Aeusserlichkeit begriffen; […] insofern ist das Einzelne in Wahrheit die Mitte.« (GW 12, 99–100) 34 GW 12, 96. Vgl. auch: »Das Subject [sc. das Einzelne] [kann] durch denselben medius terminus [sc. das Besondere] auf unterschiedene Allgemeine bezogen werden.« (Enzy., § 184, GW 20, 194) 32

33

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gemeine, unter welches das Besondere subsumiert werden soll, geradezu umgekehrt unter das Besondere als unbestimmte Totalität subsumiert wird. Mit Hegels Worten: »Die Allgemeinheit [ist] wieder eine noch abstractere, einzelnere [Herv. H.W.] Bestimmtheit an dem Besondern.«35 Hiernach sind im Schluss »E-B-A« die Stellen des Besonderen und des Allgemeinen um der Korrektheit des Schlusses willen zu vertauschen. Also drückt der Schluss »E-B-A« wesentlich zugleich den Schluss »E-A-B« aus. Dieser Schluss konstituiert die dritte Figur des Daseinsschlusses, welche durch das folgende Diagramm visualisiert werden kann: A

A

B

B

E

A

E

B

E

E–B–A

B–E–A

E–A–B

Zu den eben erklärten drei Figuren des Daseinsschlusses weist Hegel auf Folgendes hin: »Es sind nicht verschiedene Arten von Figuren, die neben der ersten [sc. »E-B-A«] stehen, sondern einerseits, insofern sie richtige Schlüsse seyn sollen, beruhen sie nur auf der wesentlichen Form des Schlusses überhaupt, welches die erste Figur [sc. »E-B-A«] ist; andererseits aber, insofern sie davon abweichen, sind sie Umformungen [Herv. H.W.], in welche jene erste abstracte Form [sc. »E-B-A«] nothwendig übergeht, und sich dadurch weiter und zur Totalität bestimmt.«36

Da aufgrund der Unmittelbarkeit im Schluss »E-B-A« das Besondere im Obersatz »E-B« nur zufällig aus dem Einzelnen als einer unbestimmten Totalität und zugleich das Allgemeine im Untersatz »B-A« ebenso nur zufällig aus dem Besonderen als einer anderen unbestimmten Totalität herausgegriffen ist, wird im Schlusssatz »E-A« das Einzelne nur zufällig mit dem Allgemeinen verbunden. Zu dieser zufälligen Verbindung sagt Schick: »Es ist klar, daß E und A in dieser Fassung von sich her nicht füreinander gemacht, nicht vermittelt sind.«37 Da mannigfaltige Einzelne im Schluss »E-B-A« nur zufällig unter das Allgemeine subsumiert werden, wird das Allgemeine im Schlusssatz »E-A« zu einer unbestimmten Totalität. Weil jedes Begriffsmoment im Schluss »E-B-A« zu einer unbestimmten Totalität geworden ist, drückt er als Verbindung dreier unbestimm GW 12, 95. GW 12, 94. 37 Schick 2003, S. 88. Nach Schicks Ansicht stellt der Daseinsschluss die »Trennung von Form und Inhalt« (Schick 2003, S. 87) dar. 35 36

Hegel-Studien



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Zusammenfassung des ganzen ­logischen ­Systems der Begriffslogik

ter Totalitäten in Wahrheit den Schluss »A-A-A«38 aus. Dieser ist die vierte Figur des Daseinsschlusses, welche durch das folgende Diagramm visualisiert werden kann: Einzelnes

Besonderes

Allgemeines

Besonderes1 Besonderes2 …

Allgemeines1 Allgemeines2 …

Einzelnes1 Einzelnes2 …

unbestimmte Totalität (A)

unbestimmte Totalität (A)

unbestimmte Totalität (A)

Aus dem Schluss »A-A-A« folgt keine Notwendigkeit. Offenkundig kann die wahre Einheit der drei Momente der aus einem Wirklichen selbst entfalteten Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung als Praxismodell nicht durch den Daseinsschluss »E-B-A« dargestellt werden. Der Daseinsschluss gründet sich nur auf die Unmittelbarkeit bzw. die Unbestimmtheit und entwickelt sich daher unvermeidlich zum sinnlosen Schluss »A-A-A«. Trotz des logischen Mangels im Daseinsschluss ist nicht zu übersehen, dass seine Momente Begriffsmomente sind. Deshalb sind das Einzelne, Besondere und Allgemeine keinesfalls zufällig miteinander verbunden, sondern konstitutive Elemente der Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung als Form des Begriffs. Im Vergleich zum Besonderen als formeller Vermittlung, welche nur unmittelbar das Einzelne und das Allgemeine in sich selbst verbindet, ist die Sich(Aa)auf(B)-sich(E)-Beziehung selbst die wahre Vermittlung, weil gerade durch eine solche Beziehung die drei Begriffsmomente logisch zusammengeführt werden (vgl. Abschnitt 1.1). Zu dieser wahren Vermittlung sagt Hegel: »Was also wahrhaft vorhanden ist, ist nicht die auf eine gegebene Unmittelbarkeit, sondern die auf Vermittlung sich gründende Vermittlung.«39 »Die auf eine gegebene Unmittelbarkeit sich gründende Vermittlung« ist der Daseinsschluss »E-B-A«, welcher nur die unmittelbare Form der Vermittlung hat; »die auf Vermittlung sich gründende Vermittlung« ist die Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung selbst, welche sich hinter dem Daseinsschluss »E-B-A« versteckt und diese drei Begriffsmomente zusammenführt. Wenn wir die wahre Einheit der drei Momente der Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung als Praxismodell erklären sollen, können die »Indem jedes Moment [sc. E, B und A] die Stelle der Mitte und der Extreme durchlaufen hat, hat sich ihr bestimmter Unterschied gegeneinander aufgehoben, und der Schluß hat zunächst in dieser Form der Unterschiedslosigkeit seiner Momente die äußerliche Verstandesidentität, die Gleichheit, zu seiner Beziehung; – der quantitative, oder mathematische Schluß [sc. A-A-A].« (Enzy., § 188, GW 20, 197) Vgl. auch: »Das Verhältniß von Inhärenz oder Subsumtion der Terminorum ist darin [sc. A-A-A] ausgelöscht.« (GW 12, 104) 39 GW 12, 105. 38

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Kapitel 4

drei Begriffsmomente nicht wie im Daseinsschluss einfach von der Sich(Aa)auf(B)-sich(E)-Beziehung entkoppelt werden. Vielmehr gilt es, die innere Bewegung der Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung selbst darzustellen. 4.2.2 Der Reflexionsschluss – Der zweite gescheiterte Versuch Nach der Diagnose des Daseinsschlusses wenden wir uns jetzt der Darstellung der inneren Bewegung der ganzen Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung zu. Ihre innere Bewegung wird zunächst als ein Reflexionsprozess betrachtet, weshalb sich der Schlusstyp dementsprechend vom Daseins- zum Reflexionsschluss entwickelt. Die unmittelbare Form des Reflexionsschlusses ist der Allheitsschluss, welcher sich wie folgt ausdrücken lässt: Weil alle unter einem Allgemeinen stehenden Einzelnen mit einem Besonderen übereinstimmen (Obersatz), stimmt ein Einzelnes dann mit diesem Besonderen überein (Schlusssatz), solange das Einzelne zu diesem Allgemeinen gehört (Untersatz). Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass der Allheitsschluss nichts anderes als ein Zirkelschluss ist, weil sein Obersatz seinen Schlusssatz voraussetzt, sodass gilt: Falls Letzterer falsch ist, dann ist Ersterer auch falsch.40 Um die Wahrheit des Allheitsschlusses zu garantieren, muss sein Obersatz begründet werden. Mit anderen Worten: Die Frage, warum alle unter einem Allgemeinen stehenden Einzelnen mit einem Besonderen übereinstimmen, muss beantwortet werden. Die erfolgreiche Beantwortung dieser Frage kann erklären, warum im Praxismodell die Existenz eines Wirklichen in jeder Situation die Realisierung seiner Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen ist und wie sich die drei Momente der Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung als Praxismodell im wahren Sinne vereinigen lassen. (Im Praxismodell gilt ein Wirkliches selbst als ein Allgemeines; seine Existenz in jeder Situation ist das unter diesem Allgemeinen stehende Einzelne; seine Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen ist das Besondere.) Um den Obersatz des Allheitsschlusses zu begründen, entsteht der Induktionsschluss, welcher sich wie folgt ausdrücken lässt: 40

»Diese Reflexions-Vollkommenheit des Schlusses macht ihn aber eben hiemit zu einem blossen Blendwerk. […] Der Obersatz […] enthält in sich schon diesen Schlußsatz;  der Obersatz ist also nicht für sich richtig, oder ist nicht ein unmittelbares, vorausgesetztes Urtheil, sondern setzt selbst schon den Schlußsatz voraus, dessen Grund er seyn sollte. […] Der Satz, welcher Schlußsatz seyn sollte, muß schon unmittelbar für sich richtig seyn, weil der Obersatz sonst nicht Alle Einzelne[n] befassen könnte.« (GW 12, 112)

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Zusammenfassung des ganzen ­logischen ­Systems der Begriffslogik

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Die unter einem Allgemeinen stehenden Einzelnen werden eines nach dem anderen aufgezählt (Obersatz) und zugleich stimmen diese aufgezählten Einzelnen ausnahmslos mit einem Besonderen überein (Untersatz), weshalb alle unter diesem Allgemeinen stehenden Einzelnen  – also dieses Allgemeine selbst – mit diesem Besonderen übereinstimmen (Schlusssatz). Durch den Induktionsschluss scheint der Obersatz des Allheitsschlusses begründet zu sein. Aber es muss hervorgehoben werden, dass in der Empirie nicht alle unter einem Allgemeinen stehenden Einzelnen aufgezählt werden können. Deshalb ist der Induktionsprozess unvollständig. Daraus ergibt sich, dass »alle« Einzelnen im Schlusssatz des Induktionsschlusses keine objektive Allgemeinheit, sondern nur die ausnahmslose Allheit als empirische Allgemeinheit ausdrücken. Also drückt der Schlusssatz des Induktionsschlusses nur eine äußerliche Reflexion bzw. ein unmittelbar gesetztes »Sollen« aus.41 In diesem Sinne wird durch den Induktionsschluss der Obersatz des Allheitsschlusses faktisch nicht begründet. Mit anderen Worten: Wir können durch den Induk­ tionsschluss nicht explizieren, warum alle unter einem Allgemeinen stehenden Einzelnen mit einem Besonderen übereinstimmen. Um das logische Problem im Induktionsschluss zu lösen, verweist Hegel auf den Analogieschluss. Dieser kann wie folgt umschrieben werden: Das unter einem Allgemeinen stehende EinzelneX stimmt mit einem Besonderen überein (Obersatz); das EinzelneY ist ähnlich wie das EinzelneX (Untersatz), weshalb das EinzelneY auch mit demselben Besonderen übereinstimmt (Schlusssatz). Im Analogieschluss stimmt das EinzelneY deshalb mit dem Besonderen, welches dem Einzelnen X angemessen ist, überein, nicht weil es nur ähnlich wie das EinzelneX aussieht – dieser Grund ist offenkundig widersinnig –, sondern weil es wie das EinzelneX unter demselben Allgemeinen steht.42 Dem Analogieschluss »Die Induction ist vielmehr noch wesentlich ein subjectiver Schluß. Die Mitte sind die Einzelnen in ihrer Unmittelbarkeit, das Zusammenfassen derselben in die Gattung durch die Allheit ist eine äusserliche Reflexion. […] Es kommt an ihr [sc. der Allgemeinheit] daher wieder der Progreß in die schlechte Unendlichkeit zum Vorschein; die Einzelnheit soll als identisch mit der Allgemeinheit gesetzt werden, aber indem die Einzelnen ebensosehr als unmittelbare gesetzt sind, so bleibt jene Einheit nur ein perennirendes Sollen. […] Indem sie [sc. die Induktion] […] diß ausdrückt, daß die Wahrnehmung, um zur Erfahrung zu werden, ins unendliche fortgesetzt werden soll, setzt sie voraus, daß die Gattung mit ihrer Bestimmtheit an und für sich zusammengeschlossen sey. Sie setzt damit eigentlich ihren Schlußsatz vielmehr als ein unmittelbares voraus.« (GW 12, 114) 42 Vgl.: »Seine [sc. des Analogieschlusses] Mitte ist nicht mehr irgend eine einzelne Qualität, sondern eine Allgemeinheit, welche die Reflexion-in-sich eines Concreten, somit die Natur 41

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zufolge stimmen die noch nicht aufgezählten Einzelnen, solange sie wie die bereits aufgezählten Einzelnen unter demselben Allgemeinen stehen, auch wie diese aufgezählten Einzelnen mit demselben Besonderen überein. Dies expliziert, warum alle unter einem Allgemeinen stehenden Einzelnen mit einem Besonderen übereinstimmen, ohne alle unter diesem Allgemeinen stehenden Einzelnen eines nach dem anderen aufzuzählen. Durch den Analogieschluss scheint das logische Problem im Induktionsschluss gelöst zu sein. Aber auf Folgendes ist hinzuweisen: Die logische Voraussetzung für die Wahrheit des Analogieschlusses besteht gerade darin, dass der Obersatz des Allheitsschlusses »alle unter einem Allgemeinen stehenden Einzelnen stimmen mit einem Besonderen überein« wahr sein muss. Denn anderenfalls kann nicht garantiert werden, dass die noch nicht aufgezählten Einzelnen wie die bereits aufgezählten Einzelnen mit demselben Besonderen übereinstimmen. In Ansehung der eben erwähnten logischen Voraussetzung kehrt der Analogieschluss wesentlich zum Allheitsschluss zurück. Da der Obersatz des Allheitsschlusses, welcher durch den Induktionsschluss nicht begründet werden kann, beim Analogieschluss schlechthin vorausgesetzt wird, wird das logische Problem im Induktionsschluss de facto durch den Analogieschluss nicht gelöst. Aus den obigen Analysen geht hervor, dass drei Formen des Reflexionsschlusses einen Kreislauf bilden: Die Wahrheit des Allheitsschlusses wird durch den Induktionsschluss begründet. Dessen Wahrheit wird durch den Analogieschluss begründet. Dessen Wahrheit wird wiederum durch den Allheitsschluss begründet. Das Resultat ist, dass keine der drei Formen des Reflexionsschlusses wahr ist. Hiernach können wir im Rahmen des Reflexionsschlusses nicht explizieren, warum alle unter einem Allgemeinen stehenden Einzelnen mit einem Besonderen übereinstimmen. Deswegen können wir durch den Reflexionsschluss nicht darstellen, wie sich die drei Momente der aus einem Wirklichen entfalteten Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung als Praxismodell im wahren Sinne vereinigen lassen.

desselben ist; – und umgekehrt, weil sie [sc. die Mitte] so die Allgemeinheit als eines Concreten ist, ist sie zugleich an sich selbst diß Concrete. – Es ist hier also ein Einzelnes die Mitte, aber nach seiner allgemeinen Natur.« (GW 12, 115) Vgl. auch: »In dem analogischen Schlusse [ist] die Mitte als Einzelnheit, aber unmittelbar auch als deren wahre Allgemeinheit gesetzt.« (GW 12, 117) Bei Kruck wird die Beziehung zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen im Analogieschluss als die Beziehung zwischen der Erde und dem »ErdeSein« erklärt (vgl. Kruck 2006). Er weist darauf hin, dass »die Analogie in der von Hegel vorgestellten Form es demgegenüber erlaubt, zwei an sich unabhängige Einzelne (Mond und Erde) aufgrund ihrer gemeinsamen Natur, ihrer ,substantiellen Identität‹, in ein Verhältnis zu setzen« (Kruck 2006, S. 170).

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Zusammenfassung des ganzen ­logischen ­Systems der Begriffslogik

4.2.3 Der Notwendigkeitsschluss – Die Darstellung des Aktivitätsmodells Im Rahmen des Reflexionsschlusses wird die innere Bewegung der ganzen Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung bloß äußerlich dargestellt. Denn wir sagen nur unmittelbar aus, dass alle unter einem Allgemeinen stehenden Einzelnen mit einem Besonderen übereinstimmen. Aber die Wahrheit dieser Aussage wird nicht hinreichend begründet. Um ihre Wahrheit zu begründen, muss der Reflexions- zum Notwendigkeitsschluss – der höchsten Stufe der Schlusslehre  – übergehen. Im Rahmen des Notwendigkeitsschlusses treibt sich die ganze Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung aktiv durch sich selbst an. Als substan­ tivische ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung‹ wird sie schlechthin zum verbalen ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehen‹.43 Gerade durch die Aktivität als verbales ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehen‹ wird die Aussage, dass alle unter einem Allgemeinen stehenden Einzelnen mit einem Besonderen übereinstimmen, hinreichend begründet. Somit wird auch dargestellt, wie die drei Momente des Praxismodells – ein Wirkliches selbst (Aa), seine Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen (B) und seine Existenz in jeder Situation (E)  – die wahre Einheit erreichen. Da im Notwendigkeitsschluss die substantivische ›Sich(Aa)-auf(B)sich(E)-Beziehung‹ schlechthin zum verbalen ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehen‹ wird, ist die am Ende des Abschnittes 4.2.1 erwähnte wahre Vermittlung, welche die drei Begriffsmomente logisch zusammenführt, strenggenommen nicht einfach die substantivische ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung‹, sondern deren Aktivität, nämlich das verbale ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehen‹ (vgl. Abschnitt 1.1).44 Um die Interpretation des Notwendigkeitsschlusses konzis vorzutragen, werde ich Hegels Darstellungsreihenfolge beim Notwendigkeitsschluss ändern. Ich werde zunächst den disjunktiven Schluss, dann den hypothetischen Schluss und am Ende den kategorischen Schluss explizieren. Denn auch sachlich setzt der kategorische Schluss den hypothetischen Schluss und dieser den disjunktiven Schluss voraus, so wie logisch und sachlich das disjunktive Urteil dem hypothetischen Urteil und dieses dem kategorischen Urteil vorhergeht (vgl. Abschnitt 4.1.2). Der disjunktive Schluss überhaupt lässt sich wie folgt ausdrücken:

Vgl.: »In der Vollendung des Schlusses […] ist der Unterschied des Vermittelnden [sc. des verbalen ›Sich-auf-sich-Beziehens‹] und Vermittelten [sc. der substantivischen ›Sich-aufsich-Bezieheng‹] weggefallen.« (GW 12, 125) 44 Vgl.: »Tatsächlich reichert Hegel den Sinn des Mittelbegriffs im Verlauf der Schlusslehre schrittweise an. Erst in den letzten Formen von Schlüssen erreicht der mittlere Term die wahre Bedeutung dessen, was Hegel ›den Begriff‹ nennt [sc. die Bedeutung des verbalen ›Sich-auf-sich-Beziehens‹].« (Sans 2006, S. 223) 43

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Kapitel 4

X ist entweder Y1 oder Y2 oder Y3 oder … Yn (Obersatz); nun ist X aber weder Y2 noch Y3 noch … Yn (Untersatz), also ist X Y1 (Schlusssatz). Sein Obersatz ist ein disjunktives Urteil. Im Rahmen des Notwendigkeitsschlusses hat dieses disjunktive Urteil ebenso wie das im Rahmen des Notwendigkeitsurteils erörterte disjunktive Urteil einen bestimmten Inhalt. In Hinsicht auf den Inhalt drückt das im Rahmen des Notwendigkeitsurteils erörterte disjunktive Urteil die dialektische Beziehung zwischen dem Allgemeinen und dem Einzelnen aus (vgl. Abschnitt 4.1.2); im Unterschied zu jenem disjunktiven Urteil drückt das disjunktive Urteil im Obersatz des disjunktiven Schlusses, welcher im Rahmen des Notwendigkeitsschlusses erörtert wird, die dialektische Beziehung zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen aus.45 Denn es ist im Rahmen des Notwendigkeitsschlusses zu explizieren, warum alle unter einem Allgemeinen stehenden Einzelnen – also ein Allgemeines selbst – mit einem Besonderen übereinstimmen. In Ansehung der Aufgabe des Notwendigkeitsschlusses ist der disjunktive Schluss wie folgt zu formulieren: Ein Allgemeines ist entweder es selbst oder ein Besonderes (Obersatz); nun ist ein Allgemeines aber nicht es selbst (Untersatz), also ist dieses Allgemeine ein Besonderes (Schlusssatz). Der Obersatz dieses disjunktiven Schlusses besagt, dass die Aktivität als verbales ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehen‹ ein Allgemeines (das Subjekt des Obersatzes) antreibt, sich selbst (das »es selbst« im Prädikat des Obersatzes) in einem Besonderen aufzuheben bzw. sich selbst (das »es selbst« im Prädikat des Obersatzes) als ein Besonderes zu bestimmen.46 Auf diese Weise wird ein Allgemeines in zwei verschiedene logische Arten – es selbst und ein Besonderes – geteilt. Der Untersatz hält das eine Moment der Disjunktion in seiner Negativität fest: dass ein Allgemeines aufgehoben und somit nicht es selbst ist. Der Schlusssatz hält das andere Moment der Disjunktion in seiner Positivität fest: dass dieses Allgemeine in einem Besonderen steht und sich durch eben dieses Besondere manifestiert. Aus einem solchen disjunktiven Schluss wird ersichtlich, dass ein Wie in Abschnitt 4.1.2 erklärt, kann das disjunktive Urteil nach seinen beiden wesentlichen Charakteristika auch darauf angewendet werden, die dialektische Beziehung zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen auszudrücken. 46 Vgl.: »Die Mitte, welche in ihm [sc. im disjunktiven Schluss] als die Totalität des Begriffes gesetzt ist, [sc. die Mitte als das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹,] enthält nemlich selbst die beyden Extreme in ihrer [sc. der Mitte] vollständigen Bestimmtheit. Die Extreme, im Unterschiede von dieser Mitte, sind nur als ein Gesetztseyn, dem keine eigenthümliche Bestimmtheit gegen die Mitte mehr zukommt.« (GW 12, 124) 45

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Allgemeines und ein Besonderes zu ein und demselben werden, weil das Allgemeine durch die Aktivität als verbales ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehen‹ im Besonderen aufgehoben wird. Beide Begriffsmomente sind »nur zwey verschiedene Nahmen [Herv. H.W.] derselben Grundlage für die Vorstellung [sc. für das in der wirklichen Dimension befindliche Einzelne]«47. Die Identität des Allgemeinen mit dem Besonderen wird durch den folgenden hypothetischen Schluss ausdrücklich gesetzt: Wenn ein Allgemeines ist, so ist ein Besonderes (Obersatz); nun ist ein Allgemeines (Untersatz), also ist ein Besonderes (Schlusssatz). Auf der Basis dieses hypothetischen Schlusses  – und selbstverständlich auch auf der Basis des oben erläuterten disjunktiven Schlusses – manifestiert sich die wahre Einheit der drei Begriffsmomente wie folgt: Weil ein Allgemeines durch die Aktivität als verbales ›Sich(Aa)-auf(B)sich(E)-Beziehen‹ in einem Besonderen aufgehoben wird (Obersatz), stimmt ein Einzelnes mit diesem Besonderen überein (Schlusssatz), solange das Einzelne zu diesem Allgemeinen gehört (Untersatz). Kurzum: Weil ein Allgemeines durch die Aktivität als verbales ›Sich(Aa)-auf(B)sich(E)-Beziehen‹ in einem Besonderen aufgehoben wird, stimmen alle unter diesem Allgemeinen stehenden Einzelnen mit diesem Besonderen überein. Dieser Schluss macht den kategorischen Schluss aus. Zum kategorischen Schluss sagt Hegel: »Die Termini [sc. das Einzelne, das Besondere und das Allgemeine] stehen nach dem substantiellen Inhalt [sc. der Aktivität als verbalem ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)Beziehen‹] in identischer, als an und für sich seyender Beziehung auf einander; es ist ein die drey Terminos durchlauffendes Wesen [sc. die Aktivität als verbales ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehen‹] vorhanden, an welchem die Bestimmungen der Einzelnheit, Besonderheit und Allgemeinheit nur formelle Momente sind.«48

Da die Aussage, dass alle unter einem Allgemeinen stehenden Einzelnen mit einem Besonderen übereinstimmen, im Rahmen des Notwendigkeitsschlusses hinreichend begründet wird, kann ausgehend von ihm erklärt werden, wie sich die drei Momente des Praxismodells – ein Wirkliches selbst (Aa), seine Praxis47

GW 12, 123. GW 12, 120.

48

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Kapitel 4

beziehung zu anderen Wirklichen (B) und seine Existenz in jeder Situation (E) – im wahren Sinne vereinigen lassen. Werden diese drei Momente des Praxismodells nun in den Notwendigkeitsschluss und in die von mir vorgeschlagene Darstellungsreihenfolge eingespeist, ergibt sich der folgende disjunktive Schluss: Ein Wirkliches (Aa) ist entweder es selbst (Aa) oder seine Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen (B); nun ist ein Wirkliches (Aa) aber nicht es selbst (Aa), also ist dieses Wirkliche (Aa) seine Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen (B). Der Obersatz dieses disjunktiven Schlusses besagt, dass die Aktivität eines Wirklichen als verbales ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehen‹ dieses Wirkliche (Aa) antreibt, sich selbst (Aa) in seiner Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen (B) aufzuheben. Auf diese Weise wird ein Wirkliches (Aa) in zwei verschiedene logische Arten – es selbst (Aa) und seine Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen (B) – geteilt. Der Untersatz hält das eine Moment der Disjunktion in seiner Negativität fest: dass ein Wirkliches (Aa) aufgehoben und somit nicht es selbst ist. Der Schlusssatz hält das andere Moment der Disjunktion in seiner Positivität fest: dass dieses Wirkliche (Aa) in seiner Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen (B) steht und sich durch eben diese Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen (B) manifestiert. Aus dem ganzen disjunktiven Schluss geht mithin hervor, dass ein Wirkliches (Aa) in der Weise existiert, in welcher es sich praktisch auf andere Wirkliche bezieht (B). Ein solcher Prozess ist gerade das, was in den Abschnitten »Die Objektivität« und »Die Idee« eingehend dargestellt wird.49 Aus diesem disjunktiven Schluss ergibt sich der folgende hypothetische Schluss: Wenn ein Wirkliches (Aa) ist, so ist seine Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen (B); nun ist ein Wirkliches (Aa), also ist seine Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen (B). Durch diesen hypothetischen Schluss wird die Identität eines Wirklichen (Aa) mit seiner Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen (B) ausdrücklich gesetzt. Aus dieser Setzung lässt sich der folgende kategorische Schluss, welcher die wahre Einheit der drei Momente des Praxismodells darstellt, eruieren:

49

Vgl.: »Objektivität ist dem disjunktiven Schluß zu vindizieren. […] [I]m disjunktiven Schluß [ist] die Äußerlichkeit des Begriffs nicht mehr von diesem als innerliche Einheit unterschieden. Der Begriff ist folglich nicht mehr mit einer nichtobjektiven, aber Objektivität garantierenden Subjektivität zu identifizieren.« (Oberauer 2003, S. 109)

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Weil ein Wirkliches (Aa) durch seine Aktivität als verbales ›Sich(Aa)-auf(B)sich(E)-Beziehen‹ in seiner Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen (B) aufgehoben wird (Obersatz), ist die Existenz dieses Wirklichen in jeder Situation (E) die Realisierung seiner Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen (B) (Schlusssatz), da seine Existenz in jeder Situation (E) eben dieses Wirkliche selbst (Aa) ausmacht (Untersatz). Dieser Reformulierung des kategorischen Schlusses lässt sich entnehmen, dass der wahren Einheit der drei Momente des aus einem Wirklichen entfalteten Praxismodells seine Aktivität als verbales ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehen‹ zugrunde liegt. Mit anderen Worten: Die aus einem Wirklichen entfaltete Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung als Praxismodell ist genau dann wahr, wenn sie als Substantivische schlechthin zum verbalen ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehen‹ wird. Gerade in diesem Sinne sagt Hegel: »Die Aeusserlichkeit [sc. das Wirkliche] stellt dadurch den Begriff [sc. das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹] an ihr selbst dar, der hiemit ebensosehr nicht mehr als innerliche Einheit von ihr unterschieden ist.«50 Nun wird die innere logische Struktur des aktiven Praxismodells überhaupt, welches im apodiktischen Urteil als die Beschaffenheit des Einzelnen (»so und so beschaffen«) und anhand der Kopula ausgedrückt wird, verdeutlicht. Also wird die Aufgabe der Schlusslehre erfüllt. Zusammenfassend stellen die Urteils- und Schlusslehre den ganzen logischen Entwicklungsprozess vom Kognitions- über das Praxis- bis hin zum Aktivitätsmodell dar. Dieser Entwicklungsprozess kann durch das folgende Diagramm visualisiert werden: Daseinsurteil Reflexionsurteil

Notwendigkeitsurteil

Prä-Kognition

Kognitionsmodell

Apodiktisches Urteil (Begriffsurteil)

(aktives) Praxismodell (Das Aktivitätsmodell ist noch nicht gesetzt.)

Notwendigkeitsschluss

Aktivitätsmodell

Ein solcher logische Entwicklungsprozess resümiert das ganze logische System der Begriffslogik, weil sich dieses System gerade im Rahmen der Trias von Kognition, Praxis und Aktivität entwickelt: Zunächst entfaltet das begreifende Denken sich selbst zur sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung als Kognitionsmodell. Anschließend entfaltet das Wirkliche sich selbst zur Sich-auf-sich-Beziehung als (reinem) Praxismodell. Zuletzt wird die aus dem Wirklichen selbst entfaltete Sich-auf-sich-Beziehung als reines Praxismodell schlechthin zum verbalen ›Sich-auf-sich-Beziehen‹. Dieses drückt das Aktivitätsmodell aus. Dem50

GW 12, 125.

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Kapitel 4

entsprechend entfaltet das Wirkliche sich selbst zur sich bewegenden Sich-aufsich-Beziehung als aktivem Praxismodell. Mit dieser Entwicklung sind das begreifende Denken und das Wirkliche logisch isomorph und die wahre Identität beider ist erreicht.

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Kapitel 5 · Eigenständige Argumentationsweise dieser ­Untersuchung

D  

ie eigenständige Argumentationsweise dieser Untersuchung kann auf die Begriffe »Formel« und »System« gebracht werden. Meine Interpretation der Begriffslogik verfolgte das Ziel, die ganze Begriffslogik als ein fraktales System auszuweisen, welches sich auf eine einheitliche logische Formel gründet: die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung. Ein solches fraktale System besagt, dass jedes Moment der logischen Formel als der sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung eben eine sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung selbst ist. Die logische Formel als sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung ist dem »Begriff« in der »Begriffslogik« äquivalent. In diesem auf die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung gegründeten fraktalen System habe ich jedes Glied der Begriffslogik exakt lokalisiert, wodurch nicht nur die logische Bedeutung jedes Gliedes selbst präzisiert wurde, sondern auch die logische Funktion, welche jedes Glied in der ganzen Begriffslogik tragen soll, und die logische Notwendigkeit des Übergangs von einem Glied zu einem andern. Im Detail wurden die einheitliche logische Formel als sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung und das auf diese Beziehung gegründete fraktale System wie folgt sukzessiv interpretiert. 1. Schritt: Zunächst wurden die drei Begriffsmomente mit der sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung und ihren einzelnen Komponenten gleichgesetzt: Die beiden Reflexivpronomina »Sich«/»sich« und die Präposition »auf« drückten dabei das abstrakt Allgemeine (Aa), das Einzelne (E) und das Besondere (B) aus. Die ›sich bewegende Beziehung‹, in welche alle drei Begriffsmomente (die beiden Reflexivpronomina »Sich«/»sich« und die Präposition »auf«) integriert wurden, drückte das wahrhaftig Allgemeine (Aw) aus. Hiernach wurde die einheitliche logische Formel »die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung« als »die sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw)« bezeichnet. 2. Schritt: Meiner Interpretation zufolge hat sich die sich bewegende Sich(Aa)auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) sowohl als das Kognitionsmodell als auch als das aktive Praxismodell manifestiert. Jedes Modell markierte eine eigenständige Episode in der Konkretion der ganzen sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung und setzte eine gesonderte Interpretation und Analyse voraus. 1. Analyse: Das Kognitionsmodell war die sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)sich(E)-Beziehung(Aw), welche sich wie folgt kommentieren ließ:

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Kapitel 5

seine logische Funktionsweise

die sich bewegende Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung (Aw) der abstrakte Begriff

das Wirklichein jeder Situation

das begreifende Denken

Was die Form betrifft, so ging das Kognitionsmodell durch drei Entwicklungsphasen hindurch. In der ersten Phase wurde das abstrakt Allgemeine nur auf der Ebene des Daseins unmittelbar bestimmt (vgl. Seinslogik) oder es war ein bloßer Schein (vgl. Wesenslogik). In dieser Phase bildete sich die sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) als Kognitionsmodell somit noch nicht. In der zweiten Phase machte das abstrakt Allgemeine das Wesen aus (vgl. Wesenslogik). Das Wesen (Aa) wirkte im Wirklichen so, dass das Wirkliche (E) (für das begreifende Denken) in jeder Situation bzw. notwendig mit einer Bestimmtheit (B) übereinstimmte. In diesem Sinne entstand die substantivische ›Sich(Aa)auf(B)-sich(E)-Beziehung‹ (vgl. Abschnitt 0.1). Aber nun wurde dasjenige noch nicht gesetzt, welches das abstrakt Allgemeine als Wesen und das Einzelne als Wirkliches logisch aufeinander bezog. (Die »Beziehung« selbst in der substantivischen ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung‹ stand nur hinter den Kulissen.) In der dritten Phase wurde die in der Phase des Wesens entstehende substantivische ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung‹ verbalisiert und daher s­ chlechthin zum verbalen ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehen‹ bzw. zur sich bewegenden Sich(Aa)auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw). Auf diese Weise wurde die »Beziehung« selbst in der substantivischen ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung‹ gesetzt. (Sie trat in den Vordergrund.) Die sich bewegende Sich-auf-sich-Beziehung (bzw. das verbale ›Sich-auf-sich-Beziehen‹) war eben der logische Ausdruck des »Begriffs«, und zwar der logische Ausdruck des »begreifenden Denkens«. Sie war die Eintrittskarte in die Begriffslogik. Koch nennt den logischen Entwicklungsprozess des Kognitionsmodells, welcher durch a) Dasein und Schein, b) Wesen und c) Begriff hindurchgeht, die »Selbstkorrektur des Denkens«1. 2. Analyse: Das aktive Praxismodell wurde ebenso als eine sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) ausgedrückt. Sie ließ sich wie folgt kommentieren: 1

Koch 2014, S. 133. Koch weist auf Folgendes hin: »In der Tat macht sich die Hegelsche Logik anheischig, auf systematische Weise zu zeigen, dass die Kategorien des Seins und die Bestimmungen des Wesens nicht geeignet sind, das Absolute zutreffend zu charakterisieren.« (Koch 2006, S. 206)

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Eigenständige Argumentationsweise dieser ­Untersuchung

seine Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen als Existenzweise

die sich bewegende Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung (Aw) ein Wirkliches als Existierendes

seine Existenz in jeder Situation

seine immanente Aktivität, durch die Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen seine eigene Existenz zu bewahren

Das Wirkliche im Praxismodell wurde im Kontext der Objektivität als »Objekt« und im Kontext der Idee als »das lebendige Individuum« bezeichnet. Die im Praxismodell ausgesagte Bestimmtheit des Wirklichen war seine Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen. Was die Form betrifft, so ging das aktive Praxismodell ebenso wie das Kognitionsmodell durch drei Entwicklungsphasen hindurch. In der ersten Phase wurde die Bestimmtheit eines Wirklichen nur auf der Ebene des Daseins unmittelbar dargestellt (qua formeller Mechanismus in Abschnitt 2.3 und analytisches Erkennen in Abschnitt 3.2) oder sie war ein bloßer Schein (qua realer Mechanismus in Abschnitt 2.3 und synthetisches Erkennen als Definition und Einteilung in Abschnitt 3.2). In diesem Zustand konnte ein Wirkliches sich selbst nicht zur sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) als aktivem Praxismodell entfalten. In der zweiten Phase wurde ein Wirkliches (Aa) in seiner Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen (B) aufgehoben, weshalb seine Existenz in jeder Situation (E) die Realisierung seiner Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen (B) war. In diesem Sinne wurde ein Wirkliches auf der Ebene des Wesens dargestellt (qua Chemismus in Abschnitt 2.4 und praktische Idee in Abschnitt 3.2). Hiernach entfaltete ein Wirkliches sich selbst zur substantivischen ›Sich(Aa)-auf(B)sich(E)-Beziehung‹ als (reinem) Praxismodell, welche sich wie folgt kommentieren ließ: seine Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen als Existenzweise

Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung ein Wirkliches als Existierendes

seine Existenz in jeder Situation (reines) Praxismodell

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Kapitel 5

Aber diese substantivische ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung‹ als (reines) Praxismodell war nur formell zusammengesetzt. Denn die »Beziehung« selbst bzw. die innere Triebkraft, welche in der Praxis die drei Momente des Praxismodells – ein Wirkliches selbst (Aa), seine Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen (B) und seine Existenz in jeder Situation (E) – zusammenführt, wurde noch nicht gesetzt. Mangels der Setzung dieser »Beziehung« bzw. mangels dieser inneren Triebkraft war die substantivische ›Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung‹ als (reines) Praxismodell de facto kein Praxismodell, sondern dem wie folgt kommentierten Kognitionsmodell logisch äquivalent (vgl. Abschnitt 2.1.2): seine logische Funktionsweise, welche garantiert, dass sich ein konkret Wirkliches in jeder Situation praktisch auf andere Wirkliche bezieht

die sich bewegende Sich (Aa) – auf (B) – sich (E) – Beziehung (Aw) der abstrakte Begriff »Wirkliches«

ein konkret Wirklichesin jeder Situation

das begreifende Denken

Diesem Kognitionsmodell entsprachen der absolute Mechanismus (vgl. Abschnitt 2.3) und der Lehrsatz über das lebendige Individuum (vgl. Abschnitt 3.2). Obwohl sich die sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) beim absoluten Mechanismus und dem Lehrsatz über das lebendige Individuum gebildet hat, war sie nur ein mit dem praktischen Inhalt angereichertes Kognitionsmodell. Dieses war nur dem formell zusammengesetzten reinen Praxismodell logisch äquivalent. Deswegen erreichten der absolute Mechanismus und der Lehrsatz über das lebendige Individuum angesichts der logischen Entwicklung des aktiven Praxismodells nicht die Phase des Begriffs, sondern blieben nur in der Phase des Wesens. In der dritten Phase wurde die »Beziehung« selbst bzw. die innere Triebkraft in der aus einem Wirklichen selbst entfalteten Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung als (reinem) Praxismodell gesetzt, indem diese substantivische ›Sich(Aa)auf(B)-sich(E)-Beziehung‹ sich aktiv durch sich selbst antrieb und daher schlechthin zum verbalen ›Sich-auf-sich-Beziehen‹ wurde. Dieses verbale ›Sichauf-sich-Beziehen‹ als Sich-Bewegen des aus einem Wirklichen selbst entfalteten reinen Praxismodells machte das Aktivitätsmodell aus. Dieses drückte die immanente Aktivität eines Wirklichen, durch die Praxisbeziehung zu anderen Wirklichen seine eigene Existenz zu bewahren bzw. sich zu erhalten, aus. Da ein Wirkliches sich selbst zur sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Bezie-

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hung(Aw) entfaltete, welche mit der logischen Struktur des Begriffs (bzw. des begreifenden Denkens) gleichgesetzt war, wurde in dieser Phase ein Wirkliches auf der Ebene des Begriffs dargestellt (qua Teleologie in Abschnitt 2.6 und absolute Idee in Abschnitt 3.3). Die Entwicklungsphasen der sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) im Rahmen des Kognitionsmodells und ihre Entwicklungsphasen im Rahmen des aktiven Praxismodells sind in der folgenden Tabelle übersichtlich zusammengestellt: Drei Entwicklungsphasen der sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)sich(E)-Beziehung(Aw)

Drei Entwicklungsphasen des Kognitionsmodells

Drei Entwicklungsphasen des aktiven Praxismodells

Dasein und Schein: Die sich bewegende Sich(Aa)auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw)

Seinslogik und

Der formelle Mechanismus und der reale Mechanismus

Das analytische Erkennen, das synthetische Erkennen als Definition und Einteilung

Chemismus und der absolute

Die praktische Idee und das synthetische Erkennen

Mechanismus

als Lehrsatz

Teleologie

Die absolute Idee

Wesenslogik

bildet sich noch nicht Wesen:

Wesenslogik

die substantivische ›Sich(Aa)auf(B)-sich(E)-Beziehung‹ Begriff:

Begriff als Subjektivität

die Verbalisierung der ›Sich(Aa)auf(B)-sich(E)-Beziehung‹ bzw.

in der Begriffslogik

die sich bewegende Sich(Aa)auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw)

Mutatis mutandis kann dieser Tabelle zufolge Die Objektive Logik als die subjektive Logik aufgefasst werden und umgekehrt kann Die Subjektive Logik als die objektive Logik aufgefasst werden. Die Objektive Logik (Seinslogik und Wesenslogik) handelt das schrittweise logische Aufbauen der sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) auf der subjektiven Seite ab, und zwar im Rahmen des das begreifende Denken repräsentierenden Kognitionsmodells. In diesem Sinne erlangt »die objektive Logik eine Reduktion der Objektivität […] zur Subjektivität des Denkens«2. Deswegen kann behauptet werden, dass Die Objektive Logik die subjektive Logik darstellt. Im Vergleich dazu dreht sich Die Subjektive Logik (Begriffslogik) zwar um die Subjektivität als begreifendes Denken, aber ihre Kernthese besteht in der Klärung der Frage, wie das auf der objektiven Seite stehende Wirkliche (das Objekt oder das lebendige Individuum) ebenso wie das begreifende Denken sich selbst zur sich bewegenden Sich(Aa)auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) entfaltet. In diesem Verlauf werden die Entwicklungsphasen der sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) 2

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als Kognitionsmodell – Dasein, Schein, Wesen und Begriff – schrittweise auf die objektive Seite übertragen. Indem das Wirkliche sich selbst zur sich bewegenden Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw) als aktivem Praxismodell entfaltet hat, erreichen das Wirkliche und das begreifende Denken die logische Isomorphie. In diesem Sinne bietet »die Subjektivität der subjektiven Logik die höchste Form der ansichseienden Objektivität dar[]«3. Anders formuliert: Die Subjektivität als begreifendes Denken wird vollständig objektiviert. Hiernach kann behauptet werden, dass Die Subjektive Logik die objektive Logik darstellt. 3. Schritt: Auf der Basis, dass sich die sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)Beziehung(Aw) sowohl als das Kognitionsmodell als auch als das aktive Praxismodell manifestiert hat, wurde die ganze sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)sich(E)-Beziehung(Aw) in jedes ihrer einzelnen Momente gesetzt. Das Resultat führte zum folgenden fraktalen System: die sich bewegende Sich-auf-sichBeziehung als aktives Praxismodell (der ausgeführte Zweck)

die sich bewegende Sich(Aa) – auf(B) – sich(E) – Beziehung(Aw) als Kognitionsmodell die sich bewegende Sichauf-sich-Beziehung als Kognitionsmodell (das begreifende Denken)

die sich bewegende Sich-auf-sichBeziehung als aktives Praxismodell (das Leben in der absoluten Idee bzw. das Leben mit der Lebendigkeit)

Ein solches fraktales System ist eben das vollständig entfaltete logische System der Begriffslogik (qua letztes Diagramm in Abschnitt 3.3). Mit Rücksicht darauf, dass im obigen fraktalen System jedes logische Moment als sich bewegende Sich(Aa)-auf(B)-sich(E)-Beziehung(Aw)  – das abstrakt Allgemeine als Kogni­ tions­modell, das Besondere als aktives Praxismodell und das Einzelne ebenso als aktives Praxismodell  – durch drei Entwicklungsphasen  – a) Dasein und Schein, b) Wesen und c) Begriff – hindurchgegangen ist (vgl. 2. Schritt), ist das obige fraktale System auch die Darstellung der ganzen Wissenschaft der Logik. Gerade mithilfe dieses fraktalen Systems wurde die in dieser Untersuchung vorgelegte Kernthese der Begriffslogik – die logische Isomorphie des Denkens und des Wirklichen – präzis begründet. Durch die erfolgreiche Argu­mentation für die logische Isomorphie des Denkens und des Wirklichen im Rahmen der sich bewegenden Sich-auf-sich-Beziehung hat Hegels Begriffslogik a) den Subjekt-­ Objekt-Dualismus überwunden, b) sowohl die Einseitigkeit der Ontologie als 3

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auch die Einseitigkeit der Epistemologie überschritten und c) Kognition und Praxis zusammengeführt (vgl. Abschnitt 3.3). In diesem Sinne hat Hegels Begriffslogik die Philosophie als Disziplin zu einem logischen Kulminationspunkt gebracht.

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Literatur Primärliteratur Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik – Die Objektive Logik (1812/ 1813) (GW 11), Hamburg 1978. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik – Die Subjektive Logik (1816) (GW 12), Hamburg 1981. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik – Die Lehre vom Sein (1832) (GW 21), Hamburg 1985. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830) (GW 20), Hamburg 1992. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Phänomenologie des Geistes (GW 9), Hamburg 1980. Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft, Hamburg 1998. Hume, David: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, Frankfurt am Main 2007. Plato: Der Staat, Berlin 2014.

Zitierte Sekundärliteratur Arndt, Andreas: Die Subjektivität des Begriffs, in: A. Arndt, C. Iber und G. Kruck (Hrsg.): Hegels Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss, Berlin 2006. Burbidge, John W.: Die Objektivität, in: A. F. Koch und F. Schick (Hrsg.): Wissenschaft der Logik (Klassiker Auslegen), Berlin 2002. Burbidge, John W.: Das Erkennen und der endliche Geist, in: A. F. Koch, A. Oberauer und K. Utz (Hrsg.): Der Begriff als die Wahrheit – Zum Anspruch der Hegelschen »Subjektiven Logik«, Paderborn 2003. De Vos, Ludovicus: Die Wahrheit der Idee, in: A. F. Koch, A. Oberauer und K. Utz (Hrsg.): Der Begriff als die Wahrheit – Zum Anspruch der Hegelschen »Subjektiven Logik«, Paderborn 2003. Düsing, Klaus: Die Idee des Lebens in Hegels Logik, in: R.-P. Horstmann und M. J. Petry (Hrsg.): Hegels Philosophie der Natur, Stuttgart 1986. Düsing, Klaus: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik – Systematische und Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn 1995. Emundts, Dina: Die Lehre vom Wesen. Dritter Abschnitt. Die Wirklichkeit, in: M. Quante

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Literatur

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