Kämpfender Glaube: Studien zu Luthers Bekenntnis am Ende von De servo arbitrio [Reprint 2012 ed.] 3110166550, 9783110166552, 9783110821000

Der Autor analysiert in eingehenden Studien wichtige Textabschnitte und Probleme von Luthers Hauptwerk De servo arbitrio

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Kämpfender Glaube: Studien zu Luthers Bekenntnis am Ende von De servo arbitrio [Reprint 2012 ed.]
 3110166550, 9783110166552, 9783110821000

Table of contents :
Vorwort
Einleitung
Erster Teil: Luthers Bekenntnis als Schlußwort im Streit mit Erasmus
A. Die Struktur der Streitschriften
I. De libero arbitrio
1. Der Aufbau der Schrift
2. Der 4. Teil: collatio und moderatio
2.1 collatio: Vergleich und Ausgleich der Extreme
2.2 moderatio: Skeptische Urteilsenthaltung und Vermittlung
3. Der Vermittlungsvorschlag: Das Minimum an Willensfreiheit
4. Der Schlüsseltext zu De libero arbitrio
II. De servo arbitrio
1. Der Aufbau der Schrift
2. Der vierte Teil: pugna und assertio
2.1 pugna
2.2 assertio
B. Luthers Bekenntnis
I. Übersetzung
II. Ein zusammenhängender Text?
III. Ein Bekenntnis?
IV. Struktur und Themen des Bekenntnisses
Zweiter Teil: Luthers Bekenntnis der Heilsgewißheit
A. Der Mensch – eine umkämpfte Mitte
I. Die erasmische Konzentration auf die Mitte
II. Der Mensch als Wesen der Mitte
III. Die Mitte der Mitte
Exkurs: Zur Lozierung der Willensfreiheit in den klassischen Seelenvermögen
IV. Die umkämpfte Mitte
1. Geist und Fleisch
2. Die besetzte Mitte
3. Stand und Bestand der Mitte
4. Die kämpfende Mitte
5. Die sich entrissene Mitte (raptus)
Exkurs: Luthers Rede vom Bösen und von den Dämonen in heutiger systematischer Verantwortung
B. Glaubens- oder Werkgerechtigkeit? Die Frage nach der Ethik
I. Die Betonung der Ethik bei Erasmus
II. Die Relativierung der Ethik bei Luther
1. Cognitio non est vis – Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium
2. Das Quantum der Ethik – Unendliches Streben und totale Erfüllung
Exkurs: Luther und Kant – Das Tun des Guten zwischen Zwang und freier Liebe
3. Gnade und Gabe
Dritter Teil: Die Frage nach Gottes Gerechtigkeit angesichts seines Welt- und Heilswirkens
A. Die Unbegreiflichkeit Gottes
I. Gottes Gerechtigkeit und Unbegreiflichkeit in der Kontroverse zwischen Erasmus und Luther
II. Gottes Unbegreiflichkeit in der philosophischen und theologischen Tradition
1. Gottes Unbegreiflichkeit
2. Gregor von Nyssa und Anselm von Canterbury: Unendliches Nachdenken der Unendlichkeit Gottes und unendliches Ergründen der Tiefen Gottes
3. Luther: Nachdenken oder Bestehen?
III. Zorn und Abgrund – Metaphern der Unbegreiflichkeit Gottes
1. Der Zorn Gottes
1.1 Der heilige, gerechte Zorn
1.2 Der vernünftige Zorn bei Laktanz
1.3 Der unbegreifliche Zorn bei Luther
2. Der abgründige Gott
2.1 Vielfalt des Abgrundes
2.2 Der liebliche Abgrund bei Tauler
2.3 Der zwiespältige Abgrund bei Luther
IV. Die Unbegreiflichkeit Gottes in der Spannung zwischen verborgenem und offenbarem Gott
1. Unbegreiflichkeit und Verborgenheit Gottes
2. Einheit Gottes und Einheit der Lehre von Gott
3. Kampf mit Gott
3.1 Kampf mit einer Gotteserfahrung oder Kampf mit Gott?
3.2 Der „Kampfglaube“
3.3 Zeiten des Glaubens
4. Kampf in Gott
4.1 Gott gegen Gott?
4.2 Die Bestimmung des deus absconditus
Exkurs: Das Allwirken Gottes
Exkurs: Die Gewalt der Notwendigkeit
4.3 Schicksal (Glück und Zufall)
4.4 Das Verhältnis des deus absconditus zum deus revelatus
4.5 Tragik Gottes?
Exkurs: Spuren Luthers bei Böhme und Schelling
5. Das „Begreifen“ des Glaubens
B. Das Beispiel des Glaubens
I. Der Weltlauf
1. Die Erfahrung
1.1 Luthers Erfahrungstheologie
1.2 Poeten und Historien
1.3 Die Sprichwörter
1.4 Die Propheten
2. Das Problem der Theodizee
3. Der lächerliche und distanzierte Gott
4. Der alles in allem wirkende Gott in seiner Verborgenheit
5. Luthers Umgang mit dem Problem der Theodizee: Der Weltlauf als Vorlauf
II. Luthers Rede von den drei Lichtern
1. Zur Metaphorik und Faszination dieser Wendung
2. Die drei Lichter bei Thomas von Aquin
2.1 Die Unterscheidung von lumen naturale und lumen supranaturale
2.2 Die drei Stufen der Gotteserkenntnis
2.3 Natur – Gnade – Herrlichkeit
3. Die drei Lichter – eine allgemein verbreitete Unterscheidung?
4. Die drei Lichter bei Luther
5. Das Licht der Natur – Vernehmen des ordo oder Vernehmen des Weltlaufs?
Exkurs: pugna und ordo – zwei Grundbegriffe lutherischer und thomanischer Theologie
6. Das Licht der Gnade – Trost oder Vertröstung?
7. Der Bruch in der Unterscheidung der Lichter
8. Das Problem der Prädestination
9. Das Licht der Herrlichkeit
Literaturverzeichnis
A. Hinweise
B. Quellen – Übersetzungen – Hilfsmittel
C. Sekundärliteratur
D. Kunst und Literatur
Personenregister

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Thomas Reinhuber Kämpfender Glaube

Theologische Bibliothek Töpelmann

Herausgegeben von O. Bayer · W. Härle · H.-P. Müüer

Band 104

W DE

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Walter de Gruyter · Berlin · New York 2000

Thomas Reinhuber

Kämpfender Glaube Studien zu Luthers Bekenntnis am Ende von De servo arbitrio

w DE

G Walter de Gruyter · Berlin · New York 2000

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Reinhuber, Thomas: Kämpfender Glaube : Studien zu Luthers Bekenntnis am Ende von De servo arbitrio / Thomas Reinhuber. - Berlin ; New York : de Gruyter, 2000 (Theologische Bibliothek Töpelmann ; Bd. 104) Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1998/99 u. d. T.: Reinhuber, Thomas: Studien zu Luthers Bekenntnis am Ende von De servo arbitrio ISBN 3-11-016655-0

© Copyright 2000 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

Vorwort Luthers Theologie hat viele Facetten: Der Reformator kann scharfsinniger Disputator, seelsorgerlicher Tröster, polternder Polemiker, sprachgewaltiger Dichter, kindlich Glaubender, lebendiger Prediger - und nicht zuletzt auch ein extremer, Abgründe auslotender Denker sein. Mit De servo arbitrio - Luther hat das Werk zusammen mit dem Katechismus als sein wichtigstes herausgestellt - präsentiert sich das Ganze seiner Theologie in extremer Zuspitzung. Der skeptisch abwägenden und moderat ausgleichenden Theologie des Erasmus begegnet Luther mit einer kämpfenden, assertorischen, am gewissen Bekennen orientierten Theologie, die Ausdruck einer Anfechtungstheologie und eines kämpfenden Glaubens ist. Mit den folgenden Ausführungen will ich mich besonders dem extremen, zugespitzten Denken des Reformators, vor allem seiner Rede vom verborgenen Gott, stellen. Ausgehend von einer ausfuhrlichen Interpretation eines Textes am Ende von De servo arbitrio, der als Luthers Bekenntnis vorgestellt wird und in dem sich viele Probleme und Fragen der ganzen Streitschrift bündeln, werden - in ständiger Auseinandersetzung mit klassischen theologie- und philosophiegeschichtlichen Positionen - wichtige Textabschnitte und damit verbundene Problembereiche in Luthers Hauptwerk kritisch beleuchtet. Luther hat die Poeten in seinem theologischen Denken sehr ernst genommen; deshalb greift auch die hier entfaltete Lutherinterpretation immer wieder auf Zeugnisse der Dichtung zurück. Die vorhegende Arbeit wurde im Wintersemester 1998/99 von der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen als Dissertation im Fach Systematische Theologie angenommen. Mein erster Dank gilt meinem Lehrer Prof. Dr. Oswald Bayer, der das Thema vorschlug, die Arbeit inspirierte, betreute und das Erstreferat erstellte. Zu Dank verpflichtet bin ich auch Herrn Prof Dr. Eberhard Jüngel, der das Korreferat übernahm. Besonders bedanken möchte ich mich bei Frau Gerda Scheytt für die Hilfe beim Tippen der Arbeit, bei Jörg Armbruster, Markus Ramm und Axel Wiemer für die Hilfe beim Korrekturlesen und beim „Kampf' mit dem Computer. Tübingen, 27. November 1999

Thomas Reinhuber

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

V

Einleitung

1

Erster Teil: Luthers Bekenntnis als Schlußwort im Streit mit Erasmus

5

A.

Die Struktur der Streitschriften

5

I.

De libero arbitrio

5

1.

Der Aufbau der Schrift

5

2. 2.1

Der 4. Teil: collatio und moderatio collatio: Vergleich und Ausgleich der Extreme

6 6

2.2

moderatio: Skeptische Urteilsenthaltung und Vermittlung

7

3.

Der Vermittlungsvorschlag: Das Minimum an Willensfreiheit

8

4.

Der Schlüsseltext zu De libero arbitrio

9

II.

De servo arbitrio

11

1.

Der Aufbau der Schrift

11

2. 2.1 2.2

Der vierte Teil: pugna und assertio pugna assertio

12 12 13

B.

Luthers Bekenntnis

18

I.

Übersetzung

18

II.

Ein zusammenhängender Text?

21

Vili

Inhaltsverzeichnis

III.

Ein Bekenntnis?

23

IV.

Struktur und Themen des Bekenntnisses

25

Zweiter Teil: Luthers Bekenntnis der Heilsgewißheit

31

A.

Der Mensch - eine umkämpfte Mitte

31

I.

Die erasmische Konzentration auf die Mitte

31

II.

Der Mensch als Wesen der Mitte

31

III.

Die Mitte der Mitte

35

Exkurs: Zur Lozierung der Willensfreiheit in den klassischen Seelenvermögen

37

IV.

Die umkämpfte Mitte

43

1.

Geist und Fleisch

43

2.

Die besetzte Mitte

45

3.

Stand und Bestand der Mitte

47

4.

Die kämpfende Mitte

50

5.

Die sich entrissene Mitte (raptus)

51

Exkurs: Luthers Rede vom Bösen und von den Dämonen in heutiger systematischer Verantwortung.

56

B.

Glaubens- oder Werkgerechtigkeit? Die Frage nach der Ethik

62

I.

Die Betonung der Ethik bei Erasmus

62

II.

Die Relativierung der Ethik bei Luther

64

1.

Cognitio non est vis - Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium

64

Das Quantum der Ethik - Unendliches Streben und totale Erfüllung

65

2.

Inhaltsverzeichnis

EX

Exkurs: Luther und Kant - Das Tun des Guten zwischen Zwang und freier Liebe

75

3.

81

Gnade und Gabe

Dritter Teil: Die Frage nach Gottes Gerechtigkeit angesichts seines Welt- und Heilswirkens

82

A.

Die Unbegreiflichkeit Gottes

82

I.

Gottes Gerechtigkeit und Unbegreiflichkeit in der Kontroverse zwischen Erasmus und Luther

82

Gottes Unbegreiflichkeit in der philosophischen und theologischen Tradition

85

1.

Gottes Unbegreiflichkeit

85

2.

Gregor von Nyssa und Anselm von Canterbury: Unendliches Nachdenken der Unendlichkeit Gottes und unendliches Ergründen der Tiefen Gottes

87

3.

Luther: Nachdenken oder Bestehen?

90

ΙΠ.

Zorn und Abgrund - Metaphern der Unbegreiflichkeit Gottes

91

1. 1.1 1.2 1.3

Der Zorn Gottes Der heilige, gerechte Zorn Der vernünftige Zorn bei Laktanz Der unbegreifliche Zorn bei Luther

91 91 93 94

2. 2.1 2.2 2.3

Der abgründige Gott Vielfalt des Abgrundes Der liebliche Abgrund bei Tauler Der zwiespältige Abgrund bei Luther

96 96 97 99

IV.

Die Unbegreiflichkeit Gottes in der Spannung zwischen

II.

verborgenem und offenbarem Gott

102

1.

Unbegreiflichkeit und Verborgenheit Gottes

102

2.

Einheit Gottes und Einheit der Lehre von Gott

103

3. 3.1 3.2

Kampf mit Gott Kampf mit einer Gotteserfahrung oder Kampf mit Gott? Der „Kampfglaube"

107 107 109

χ 3.3

Inhaltsverzeichnis

Zeiten des Glaubens

110

4. Kampf in Gott 4.1 Gott gegen Gott?.. 4.2 Die Bestimmung des deus absconditus Exkurs: Das Allwirken Gottes Exkurs: Die Gewalt der Notwendigkeit 4.3 Schicksal (Glück und Zufall) 4.4 Das Verhältnis des deus absconditus zum deus revelatus 4.5 Tragik Gottes? Exkurs: Spuren Luthers bei Böhme und Schelling

114 114 116 118 124 126 132 143 144

5.

Das „Begreifen" des Glaubens

150

Β.

Das Beispiel des Glaubens

152

I.

Der Weltlauf

152

1. 1.1 1.2 1.3 1.4

Die Erfahrung Luthers Erfahrungstheologie Poeten und Historien Die Sprichwörter Die Propheten

152 152 153 158 159

2.

Das Problem der Theodizee

160

3.

Der lächerliche und distanzierte Gott

164

4.

Der alles in allem wirkende Gott in seiner Verborgenheit

169

5.

Luthers Umgang mit dem Problem der Theodizee: Der Weltlauf als Vorlauf

181

II.

Luthers Rede von den drei Lichtern

186

1.

Zur Metaphorik und Faszination dieser Wendung

186

2. 2.1 2.2 2.3

Die drei Lichter bei Thomas von Aquin Die Unterscheidung von lumen naturale und lumen supranaturale Die drei Stufen der Gotteserkenntnis Natur - Gnade - Herrlichkeit

187 187 189 193

3.

Die drei Lichter - eine allgemein verbreitete Unterscheidung?

195

4.

Die drei Lichter bei Luther

197

5.

Das Licht der Natur - Vernehmen des ordo oder Vernehmen des Weltlaufs?

200

Inhaltsverzeichnis

XI

Exkurs: pugna und ordo - zwei Grundbegriffe lutherischer und thomanischer Theologie

201

6.

Das Licht der Gnade - Trost oder Vertröstung?

203

7.

Der Bruch in der Unterscheidung der Lichter

206

8.

Das Problem der Prädestination

208

9.

Das Licht der Herrlichkeit

226

Literaturverzeichnis

235

A.

Hinweise

235

B.

Quellen - Übersetzungen - Hilfsmittel

23 5

C.

Sekundärliteratur

244

D.

Kunst und Literatur

256

Personenregister

260

Einleitung Der Streit zwischen Luther und Erasmus fand nie ein Ende. Wann er begonnen hat, scheint klar zu sein: mit der Diatribe des Erasmus über die Willensfreiheit, gedruckt Ende August 1524, erschienen Anfang September desselben Jahres. Dieser Eröflnung des Streitgespräches antwortete Luther nach einiger Verzögerung mit seiner Abhandlung über den unfreien Willen, gedruckt noch im Dezember 1525. Auf die neuerliche Erwiderung des Humanisten in seinem voluminösen, zweiteiligen „Hyperaspistes"1 von 1526 hat Luther nicht mehr geantwortet. Der Streitfall scheint also in seinem Anfang, Verlauf und Ausgang eindeutig bestimmbar zu sein. Dokumentiert ist er in den zwei Texten „De libero arbitrio" (im folgenden abgekürzt: Dia) und „De servo arbitrio" (im folgenden abgekürzt: Dsa). Aber der Streit hat eine Vorgeschichte und eine Nachgeschichte. Die unmittelbare Vorgeschichte zeigt sich in den eher versteckten Auseinandersetzungen zwischen dem Humanisten und dem Reformator. Vor allem in den Briefen beider läßt sich diese Vorgeschichte - von der anfänglichen Sympathie und dem gegenseitigen Respekt bis zu Mißtrauen, Verachtung und Haß - verfolgen2. Die Vorgeschichte reicht aber viel weiter zurück - ist doch das Problem der Willensfreiheit ein immer wieder in der Geistesgeschichte verhandeltes Hauptproblem, das von anderen Fragestellungen und Lösungen zuweilen verdeckt, aber nie völlig geklärt und zur Ruhe gebracht werden kann'. Deshalb hat dieser Streit auch eine nicht abgeschlossene Nachgeschichte; der Streitfall konnte und kann bis heute kein Ende finden. Sicher finden sich paradigmatische „Lösungen", klassische Versuche, etwa die Freiheit des menschlichen Willens mit der Notwendigkeit - sei es des Schicksals, der Natur oder des Milieus - zusammenzudenken, aber es gibt keine abschließenden, fertigen Lösungen, die das Problem ein fur alle Mal „erledigen" könnten.

1 2 3

Zum Verständnis dieses Titels vgl. Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften; Welzig-Ausgabe, Bd. 4, 201, Anm. 6. Dazu nach wie vor grundlegend: K. Zickendraht, Der Streit zwischen Erasmus und Luther, 1-25. Vgl. E. Jünger, Die Schere, 13 (Nr. 12) : „Die Kardinalfragen, wie etwa jene nach der Willensfreiheit, zeichnen sich dadurch aus, daß sie nie gelöst werden. Sie werden immer wieder aufgegriffen - mit Pausen, während deren der Zeitgeist sich anderen Problemen zuwendet."

2

Einleitung

In seiner Schärfe und Radikalität ist der Streit zwischen Erasmus und Luther auf jeden Fall beispielhaft4 - bis heute. Deutlich wurde in dieser Auseinandersetzung vor allem auch dies, daß der Streit um die Willensfreiheit ein „Stellvertreterkrieg" ist: In ihm werden eigentlich andere, grundlegendere Fragen und Probleme verhandelt. Der rerum cardo (Dsa 152,6; vgl. 106,28; 217,15f; 292,16), der Angelpunkt, die Kardinalfrage ist hier angesprochen; von der Willensfreiheit oder der Unfreiheit des Menschen hängen verschiedene Dinge ab, etwa die Frage nach Gott (insbesondere dann auch die Frage der Theodizee), die Frage nach der Verantwortlichkeit des Menschen in ethischen und rechtlichen Zusammenhängen, die Frage nach dem Bösen, v.a. nach der Herkunft des Bösen. Im Fragehorizont der Neuzeit ist die Freiheit zwar ein, wenn nicht das Hauptproblem5, der Grundbegriff, mit dem Persönlichkeit, Identität, Individualität, Selbstbestimmung, Autonomie6, Selbstverwirklichung - kantisch kurz: die Würde1 des Menschen auf dem Spiel stehen. Damit steht für den modernen und postmodernen Menschen, der sich - im Denken, Handeln und Fühlen - in beispielloser Weise zum Maß aller Dinge macht, alles auf dem Spiel. Aber im Horizont der gesamten abendländischen Geschichte des Menschen zeigt sich der Streit um die Willensfreiheit zuweilen eher als Oberflächenphänomen, dem in seiner Tiefenstruktur anderes zugrundehegt. Um Elemente dieser Tiefenstruktur soll es in der folgenden Arbeit v.a. gehen. Das heißt nun nicht, daß die Problematik der Willensfreiheit einfach übergangen wird; sie wird zwar behandelt - aber stärker im Zentrum dieser Untersuchung stehen Fragestellungen, die mit der Willensfreiheit auf dem Spiel stehen, die von ihr „abhängen".

4

5

6

7

Neben anderen großen Auseinandersetzungen, etwa dem Streit zwischen Peter Abaelard und Bernhard v. Clairvaux um die Bedeutung der Vernunft innerhalb der Theologie; s.u. Anm. 71. H. Krings eröffnet seinen Artikel „Freiheit" (im Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd. 2, 493) mit der lapidaren Feststellung: „Die Freiheit ist das Programm der neuzeitlichen Humanität." E. Troeltsch sieht (allerdings sehr zugespitzt) die Autonomie als den „eigentlichen Grundgedanken" bei Erasmus, „die Autonomie der in Gott wurzelnden, in Form und Stil wie in sittlicher Lebensarbeit sich frei auswirkenden Vernunft" (Luther, der Protestantismus und die moderne Welt, 248). Vgl. I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Weischedel-Ausgabe, Bd. 6, 6769. Für Kant hat nur ein vernünftiges, moralisches Wesen eine Würde, d.h. einen „unbedingten, unvergleichbaren Wert" (aaO 69). „Autonomie [die mit der „Idee der Freiheit" „unzertrennlich verbunden" (aaO 88f) ist] ist also der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur" (ebd). Aber auch bei Thomas gehört die Willensfreiheit des Menschen zu dessen Würde (STh I, q 59 a 3 sc): [...] libertas arbitrii ad dignitatem hominis pertinet.

Einleitung

3

Gegenstand der Arbeit ist zunächst einmal ein Text, ein Abschnitt am Ende von De servo arbitrio (Dsa 288,16-291,19). Er wird befragt und bearbeitet von dem Vorverständnis aus, daß dies „Luthers letztes Wort"8 im Streit mit Erasmus sei. Ist es ein letztes Wort, so muß ihm auch ein besonderes, ein entscheidendes Gewicht zukommen. Es legt sich nahe, dieses letzte Wort dann auch in einer eingehenden Interpretation zu untersuchen. Damit wird ein anderer Interpretationsansatz gewählt, als er gemeinhin üblich ist; es hat sich eingebürgert, unter Berufung auf Luthers eigene Äußerung, wonach am Anfang der Streitschriften, in der Vorrede des Erasmus und in der eigenen Erwiderung darauf eigentlich der ganze Streitfall - mehr als in den folgenden Hauptteilen - enthalten sei9, das Augenmerk der Interpretation vor allem auf die Anfangsabschnitte von Dsa zu richten. Die folgenden Ausführungen dagegen interpretieren Dsa nicht vom Anfang her, sondern gehen vom Schluß der Schrift aus, genauer: von dem Text, der im folgenden als Bekenntnis verstanden und ausgelegt werden soll. Der leitende Gesichtspunkt ist dabei, daß sich in diesem Bekenntnis wesentliche Probleme, Fragestellungen und Diskussionspunkte der ganzen Auseinandersetzung zwischen Erasmus und Luther noch einmal bündeln und konzentrieren. Luthers Bekenntnis läßt sich am besten verstehen als seine letzte, die Auseinandersetzung mit Erasmus abschließende assertio, sein persönliches Bekenntnis (confessio) vor Gott, gegenüber Erasmus und der am Streit beteiligten Öffentlichkeit. In der vorhegenden Arbeit steht die Auseinandersetzung mit Luther im Vordergrund. Da sich Luther aber in seiner Schrift, nicht nur hinsichtlich der Diskussionspunkte, sondern auch bis in die Gliederung hinein, fast gänzlich der Diatribe des Humanisten anschließt, muß für die Interpretation und das Verständnis des von Luther Gesagten immer auch die Position des Erasmus herangezogen werden. Diese soll nicht unverantwortlich verkürzt oder gar verzeichnet werden; trotzdem wird sie im folgenden eher im Hintergrund bleiben und dient - wie andere in der Dissertation behandelte Ideen und Vorstellungen aus der Geistesgeschichte - der besonderen Profilierung der Gedankengänge Luthers, die im Vordergrund stehen. Aufjeden Fall gilt, daß Luthers Streitschrift Dsa nicht völlig werkimmanent interpretiert werden kann. Luther antwortet in seiner Abhandlung auf Fragen und Fragestellungen des Erasmus; diese Gesprächssituation soll also immer mitbedacht werden.

8 9

O. Bayer, Aus Glauben leben, 85; vgl. 83. Dsa, 129,8-10: Haec dixi de capitibus praefationis tuae, quae et ipsa ferme totani causam complectuntur magis pene quam sequens corpus libelli. Vgl. die entsprechende Äußerung des Erasmus am Ende von Dia lai 1, 21: „Es könnte mit Recht scheinen, daß ich eine allzu ausführliche Vorrede verfaßt habe, wenn sie nicht beinahe mehr mit der Sache zu tun hätte als die eigentliche Erörterung."

4

Einleitung

Da Luther in vielen Passagen seiner Streitschrift „Erasmus ohne Frage überinterpretiert"10 hat, da er in seiner Auseinandersetzung mit dem Humanisten - versteckt oder offen - immer wieder auch andere, vor allem antikphilosophische und scholastische, Fronten angeht, da schließlich Rüthers Theologie [...] dem Geist der Neuzeit vorweg kritisch begegnet"" ist, muß die Darstellung der Diskussion zwischen Erasmus und Luther gelegentlich durch Hinzunahme anderer Personen und Positionen12 erweitert werden. Die häufige Einbeziehung literarischer und künstlerischer Zeugnisse ist in Luthers Schätzung und Betonung der Poeten begründet. Luthers Eingehen auf Geschichtsschreiber und Poeten ist nicht schmückendes oder nur veranschaulichendes Beiwerk einer eigentlichen, im Zentrum stehenden Sache. Im Gegenteil: Luther sah die Sache, um die es geht, häufig eher bei den Dichtern als bei den Denkern ernsthaft und redlich bedacht. Die folgenden Versuche der Interpretation einiger Gedankengänge Luthers verstehen sich als kleiner Beitrag im endlosen Streit um die Willensfreiheit.

10

11 12

H J. Iwand, Die Freiheit des Christen und die Unfreiheit des Willens, 256. Vgl. H.A. Oberman, Luther, 228: „In diesem Ringen geht er [Luther] an Erasmus als Person und als programmatischem Reformer vorbei: Er wittert in dem Holländer den ersten christlichen Atheisten." O. Bayer, Leibliches Wort, 3. In seinem Schlußbekenntnis erwähnt Luther namentlich etwa Aristoteles, Plinius, die Epikuräer, Cicero und Demosthenes; die Beschäftigung mit ihnen versteht sich da von selbst. In der Präsentation einiger weniger Texte G. Biels wird Luthers eigener theologischer Hintergrund beleuchtet. Die häufige Bezugnahme auf Thomas von Aquin ist nicht zuletzt in der „Nähe des Erasmus zu Thomas von Aquin" und in der Erkenntnis, daß „der Aquinate bis in die Prinzipienlehre und die weiteren theologischen Einzelausprägungen hinein das entscheidende Vorbild des Erasmus gewesen ist", begründet (E.-W. Kohls, Die theologische Position und der Traditionszusammenhang des Erasmus, 43; vgl. 45). Zum Verhältnis zwischen Thomas und Luther haben O.H. Pesch, H. Vorster und D R. Janz wichtige Arbeiten vorgelegt. Verschiedene Lutherinterpretationen sind orientiert an einer Verbindung der Gedanken Luthers etwa mit Kant (W. Herrmann), mit Schelling (P. Steinacker), mit Schleiermacher (E. Herms) oder mit Barth (E. Jiingel); von daher erklärt sich die gelegentliche Auseinandersetzung mit den philosophischen und theologischen Entwürfen, die mit den genannten Denkern verbunden sind.

Erster Teil: Luthers Bekenntnis als Schlußwort im Streit mit Erasmus A. Die Struktur der Streitschriften I. De libero arbitrio 1. Der Aufbau der Schrift Die Schrift des Erasmus läßt sich nach dem Vorschlag der kritischen Ausgabe Johannes von Walters13 und nach dem ihm folgenden Inhaltsverzeichnis der Übersetzung Otto Schumachers14 in vier größere Teile gliedern: 1. Einleitung (geteilt in zwei Vorreden), 2. Beweise für den freien Willen, 3. Scheinbare Beweise gegen den freien Willen, 4. Zusammenstellung des Sachverhalts15. Nach der Einleitung, die grundsätzliche Erwägungen zur theologischen Methode, zur Hermeneutik, zum sinnvollen Ort und zum Zweck des verhandelten Themas enthält (vgl. Dia lall, 20), widmet sich Erasmus in den zwei großen Mittelteilen den kontroversen Schriftbelegen zur menschlichen Willensfreiheit. Er kommt damit Luther entgegen, der in seiner Erörterung der 13. These der Heidelberger Disputation in der Schrift „Assertio omnium articulorum ,.."16 gefordert hatte, in dieser Sache auf die Schrift zu hören17. Seine exegetischen Ausführungen ergänzt der Humanist durch Bemerkungen zu Väterzitaten und zu scholastischen Positionen. Erasmus beläßt es aber nicht beim bloßen Aufweis der Pro- und Contra-Belege hinsichtlich der Willensfreiheit, sondern vergleicht im abschließenden vierten Teil seiner Abhandlung die Positionen und legt ein ausgleichendes Urteil nahe.

13 14 15

16 17

J. v. Walter (Hrsg.), De Libero Arbitrio ΔΙΑΤΡΙΒΗ Sive Collatio Per Desiderium Erasmum Roterodamum Erasmus von Rotterdam, Vom freien Willen, 7f. Nimmt man die Auseinandersetzung mit den Schriftbelegen für und gegen die Willensfreiheit als einen Teil zusammen, so kommt man wie C. Augustijn (Erasmus, 123) zu einer Dreiteilung. Vgl. Anm. 46. Scripturas audiamus (WA 7, 142, 31). Vgl. WA 7, 114,3f: [...] scripturas dei consulemus.

6

Die Struktur der Streitschriften

2. Der 4. Teil: collatio und moderatio 2.1 collatio: Vergleich und Ausgleich der Extreme Erst die neuere Forschung über Erasmus hat auf die besondere Bedeutung der Untertitel von Dia, diatribe sive collatio, hingewiesen. Erasmus bediente sich der rhetorischen Gattung der Diatribe, um „nach ciceronischem Muster eine Diskussionsfrage (proposition) auf die Weise der deliberativen Redekunst"18 zu erörtern. Beeinflußt vor allem von ciceronischen Vorbildern - Erasmus hatte zum Beispiel erst 1523 die Tusculanae Disputationes des Cicero ediert19 - benutzt er die Gattung der Diatribe, um ein Problem, das des freien Willens, gesprächsweise20 im Pro und Contra zu diskutieren. Schon von der Wahl der Gattung her signalisiert also Erasmus konziliante Gesprächsbereitschaft, gerechtes, ausgewogenes Eingehen auf die widerstreitenden Positionen, den Willen und das Bemühen, sich in beide Seiten der Streitfrage hineinzudenken. Dies wird vor allem auch deutlich am Verfahren der collatio. Das übliche Verständnis, wonach die collatio das Auflisten, Nebeneinanderstellen und Vergleichen von Texten oder Bibelstellen bedeute, läßt sich auch hier vor dem Hintergrund der Bestimmung der collatio durch Cicero präzisieren. Es geht um eine Methode, durch das vergleichende Nebeneinanderstellen von Meinungen und Positionen Ähnlichkeiten und Analogien herauszuarbeiten und die im Vergleich fixierten Widersprüche zu einem Ausgleich zu bringen21. Die Methode der collatio beläßt es also nicht beim vergleichenden Auflisten, sondern drängt auf eine Einheit, eine Konklusion hin. Somit wären die Teile zwei und drei wie der vierte Teil der erasmischen Diatribe unter dem Stichwort collatio zu verstehen: Die zwei Mittelteile der Schrift stellen kontroverse Bibeltexte zur Willensfreiheit im Vergleich zusammen; der Schlußteil bemüht sich um den Ausgleich der herausgestellten Spannungen und Widersprüche. Gleich zu Beginn seiner Diatribe gibt der Humanist als Zweck seiner Schrift an, daß durch den ,Aufeinanderprall der Schriftstellen und Argumente die Wahrheit einsichtiger werde"22, „die Oberhand soll überall die Wahrheit behal18 19

20

M. Hoffmann, Erasmus im Streit mit Luther, 107 Vgl. M. O'Rourke Boyle, Erasmus and the „Modern" Question, 60. Vor allem mit ihrem Werk „Rhetoric and Reform ...", hat O'Rourke Boyle den Anstoß zur stärkeren Beachtung der rhetorischen Formen bei Erasmus gegeben. Vgl. auch J. Mehlhausen, Forma Christianismi, 438f. Die ursprüngliche Idee, sein Werk auch äußerlich in Form eines Dialogs abzufassen, gab Erasmus wieder auf; vgl. Zickendraht, Der Streit zwischen Erasmus und Luther,

11. 21 22

Vgl. O'Rourke Boyle, Erasmus and the „Modern" Question, 60-62; Hoffmann, Erasmus im Streit mit Luther, 107. Dia Ia3, 4: [...] hac collisione scripturarum et argumentorum fiat evidentior veritas [••I

De libero arbitrio

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ten, die vielleicht aus dem Vergleich der Schriftstellen hervorspringen wird wie Feuer aus dem Zusammenschlagen von Kieselsteinen."23 Collatio, bzw. das ihr entsprechende Verb, ist auch das Stichwort ganz am Anfang des vierten Teils der Diatribe. „Bis jetzt haben wir Stellen aus der Heiligen Schrift zusammengetragen [contulimus], die den freien Willen behaupten, und im Gegensatz dazu, welche ihn gänzlich zu beseitigen scheinen." (Dia IVI, 156/157.) Erasmus verwendet hier den Begriff collatio im Sinne des Vergleichs, der Zusammenstellung, die im zweiten und dritten Teil der Diatribe vorliegt. Gleich im Anschluß an diesen Satz fährt er aber fort: „Weil aber der Heilige Geist, auf dessen Veranlassung diese Stellen entstanden sind, sich selbst nicht widersprechen kann, sind wir gezwungen, ob wir wollen oder nicht, ein maßvolles Urteil [sententiae moderationem] zu suchen." (IVI, 156/157) Da der eine göttliche Geist hinter der Heiligen Schrift steht, kann und darf diese nicht in widersprüchliche Aussagen zerfallen; stattdessen ist das rechte Maß des Urteils zu suchen, die Mitte der Extreme, die Vermittlung und der Ausgleich der Spannungen. Diesem Vorhaben dient der 4. Teil der Schrift über den freien Willen. Am Ende seiner Diatribe nimmt Erasmus das Nomen collatio im Untertitel der Schrift auf und hebt im Schlußsatz durch Majuskeln seine Methode der collatio noch einmal heraus: CONTULI, penes alios esto iudicium. (IV17, 194.) 2.2 moderatio: Skeptische Urteilsenthaltung und Vermittlung Moderatio, Mäßigung ist eine erasmische Lieblingsvokabel. Sie entspricht sowohl seinem zurückhaltenden Charakter, seiner „Scheu vor Kämpfen" (Dia Ia4, 7) wie dem Ideal des antiken Maßes. Das Aufblühen der Studien, die von ihm angestrebte „Vereinigung von bonae litterae und sacrae litterae' ß \ von humanistischen und biblischen Studien, braucht Ruhe. Tumult, Kämpfe und Streitereien schaden diesem Ziel. In frühen Briefen, in denen Erasmus durchaus Sympathie für Luther und dessen Sache bekundet, äußert Erasmus doch stets einen gleichbleibenden Vorwurf: Luther solle sich mäßigen, solle nichts übertreiben25, weil er damit 23 24 25

Dia IblO, 36: [...] ut superet ubique veritas, quae fortassis ex collatione scripturarum velut ignis ex collisione silicum emicabit. C. Augustijn, Erasmus, 95. Vgl. S. Zweig, Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam, 10: „Seiner Überzeugung nach wären beinahe alle Konflikte zwischen Menschen und Völkern durch gegenseitige Nachgiebigkeit gewaltlos zu schlichten, weil alle doch in der Domäne des Menschlichen liegen; fast ein jeder Widerstreit könnte vergleichsweise ausgetragen werden, überspannten nicht immer die Treiber [s.u. Anm. 500] und Übertreiber den kriegerischen Bogen." Dazu aaO 45: „Das Weite lockte ihn aus sich heraus, aber die Tiefe zog ihn nicht an: über den 'Abgrund' Pascals hat er sich nie gebeugt, er kannte nicht die seelischen Durchschütterungen eines Luther, Loyola oder Dostojewski [...]. Alles Übertreibliche mußte seiner vernünftlerischen Art fremd bleiben. [...] Er hat wahrscheinlich leise gelächelt über die Krämpfe und Krisen seiner Zeitgenossen, über

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seiner Sache, die für Erasmus auch eine Sache der Humanisten war, schade26. Auch in Briefen nach dem Streit bekundet der Humanist öfter, daß sich Luther keinen maßvolleren Disputator hätte wünschen können27. Erasmus versteht auch seine Diatribe als „maßvolle Auseinandersetzung" (Ia2, 5), er sieht sich als Gesprächspartner, nicht als Richter (Ia6, 9; IV17, 193)28. Luther scheine sich an Übertreibungen zu freuen (IV15, 185); aus solchen Übertreibungen aber entstünden Schläge, die alles erschüttern müssen (IV16, 187f) - deshalb, so Erasmus, „bin [ich] für Mäßigung in diesen Dingen" (IV16, 189), für den Mittelkurs zwischen Skylla und Charybdis. Wer Maß halten will, wer das rechte Augenmaß bewahren will, braucht Distanz, Zurückhaltung, den skeptischen Blick auf die streitenden Parteien. Deshalb die Sympathie des Erasmus für die Skepsis, die Epoché, den Vorbehalt; Huizinga nannte Erasmus einen „Meister des Vorbehalts'09. Als solcher tritt er in den Streit nicht ein, sondern versucht, den Streit zu überschauen und zu moderieren. Nur Moderator will er sein, kein Assertor, kein Streiter, sondern Ausgleicher - ist doch der göttliche Vater, an den er glaubt, so Erasmus in einer Auslegung zum Vaterunser, wesentlich auch ein Moderator: „Schöpfer, Erhalter und Leiter [Moderator] aller Dinge im Himmel und auf Erden"30. 3. Der Vermittlungsvorschlag: Das Minimum an Willensfreiheit Wie sieht die Moderation des Erasmus aus? Was hat er zur Schlichtung des Streites beizutragen? Klar ist, daß Erasmus die Extreme meiden will; weder Luthers und Karlstadts (Dia Ibi, 23) totale Bestreitung der Willensfreiheit (IV7, 171) noch die Überbetonung der Willensfreiheit bei Pelagius oder Duns Scotus (IV16, 189) kommen für ihn in Frage. Erasmus bietet statt dessen eine seltsam quantifizierende Lösung an und - unter Zuhilfenahme scholastischer Begriffe - ein Zusammenspiel der Kräfte. Bei jedem guten Werk, auch beim Heilsprozeß, wirken göttliche Gnade und menschlicher Wille zusammen, doch so, „daß die grundlegende Ursache die Gnade ist, die weniger grundlegende aber unser Wille." (IIIc4, 143.) Schriftstellen, die sich zu widersprechen scheinen, können

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die Höllenvisionen Savonarolas, über die panische Teufelsangst Luthers, die astralen Phantasien eines Paracelsus; nur das Allverständliche konnte er verstehen und verständlich machen." S.u. Anm. 158. C. Augustijn, Erasmus, 108-111. Im ersten Buch seines Hyperaspistes wiederholt Erasmus seine Selbstbezeichnung als Gesprächspartner, der den Streitfall nicht entscheiden will (Welzig-Ausgabe, Bd. 4, 316): Primum non dirimo vestram litem, qui me disputatorem tantum profïteor. J. Huizinga, Erasmus, 165. Opera omnia. Bd. 5, 1219 A (Precatio Dominica Digesta In Septem Partes, Juxta Septem Dies): Agnoscimus tuam sublimitatem, Conditor, Servator ac Moderator omnium quae in coelis sunt & quae in terris: agnoscimus nostram humilitatem.

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„leicht in Übereinstimmung gebracht werden, wenn wir das Streben [conatum] unseres Willens mit der Hilfe der göttlichen Gnade verbinden" (lila 17, 120/121; vgl. IIIcl2, 154), so daß „zwei Ursachen zusammentreffen, die Gnade Gottes und der Wille des Menschen [simul concurrent duae causae, gratia dei et hominis voluntas], und zwar so, daß die Gnade die Erstursache ist, der Wille die Zweitursache, die ohne die Erstursache nichts vermag [...]" (IV8, 172/173). Der Heilsprozeß hat, wie jedes Geschehen und jede Handlung, drei Stufen: Anfang (initium), Fortschritt (progressus) und Vollendung (summa). Anfang und Vollendung Hegen ganz bei der Hauptursache, bei Gottes Gnade, nur beim Fortschritt wirkt der freie Wille als Nebenursache mit (IV8, 171173). Erasmus kommt so zu einer quantifizierenden Aufteilung: sehr viel, ja das allermeiste wirkt die Gnade, nur ganz wenig der Wille des Menschen11. Es geht Erasmus hinsichtlich der Willensfreiheit nur um ein „beinahe nichts [pene nihil]" (IIal2, 56/57), eine Winzigkeit (perpusillum: IV7, 170; IV8, 172), ein minimum (Ilici, 136; IVI I, 176). Mit diesem Vorschlag, denkt Erasmus, müßten sich eigentlich alle streitenden Parteien einverstanden erklären. Warum jedoch liegt Erasmus so viel an so wenig Willensfreiheit? 4. Der Schlüsseltext zu De libero arbitrio Erasmus gibt selbst die Antwort in einem kleinen Textabschnitt am Ende seiner Schrift, den ich für den Schlüsseltext des ganzen Werkes halte. Er erschließt, wie kein anderer, die Beweggründe des Erasmus, warum er wenigstens auf einem Minimum an Willensfreiheit beharrt. „Warum, wird man sagen, wird dem freien Willen etwas zugestanden? Damit es etwas gibt, was den Gottlosen mit Recht angerechnet wird, die sich freiwillig der Gnade Gottes versagt haben, damit der Vorwurf der Grausamkeit und Ungerechtigkeit von Gott abgewendet werde, damit von uns die Verzweiflung abgewendet werde, und die Sorglosigkeit abgewendet werde, damit wir zum Bemühen angespornt werden. Aus diesen Gründen wird von fast allen der freie Wille behauptet, der aber ohne die ständige Gnade Gottes unwirksam ist, damit wir uns nichts anmaßen." (Dia IVI6, 191.) 32

In diesem Text sind nach meinem Urteil alle wesentlichen Beweggründe des Erasmus in der Auseinandersetzung mit Luther zusammengefaßt. Hier zeigt er, was alles für ihn auf dem Spiel steht, wenn es um den freien Willen geht.

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Dia IV16, 188: Mihi placet illorum sententia, qui nonnihil tribuunt libero arbitrio, sed gratiae plurimum. Cur, inquies, datur aliquid libero arbitrio? Ut sit, quod merito imputetur impiis, qui gratiae dei volentes defuerint, ut excludatur a deo crudelitatis et iniustitiae calumnia, ut excludatur a nobis desperatio, ut excludatur securitas, ut exstimulemur ad conandum. Ob has causas ab omnibus fere statuitur liberum arbitrium, sed inefficax absque perpetua dei gratia, ne quid arrogemus nobis. (Dia IVI6, 190.)

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Der freie Wille hat für ihn eine wichtige Funktion, die Behauptung der Willensfreiheit soll folgende Aussagen sicherstellen: 1. Ohne Zugeständnis des freien Willens gibt es keine Erklärung für die Herkunft der Gottlosigkeit, der Sünde, des Bösen und des Übels. Nur unter Annahme des freien Willens kann das Böse mit Recht dem Menschen angelastet werden, der sich aus freiem Willen heraus Gott und Gottes Gnade verweigert hat. 2. Ohne Zugeständnis des freien Willens ist die Frage der Theodizee, die Frage nach Gottes Gerechtigkeit und Güte angesichts so vieler Übel in der Welt, nicht zu lösen. Die falsche Anklage (calumnia) Gottes, er sei ungerecht und grausam, ist nur abzuwenden, wenn er nicht für alles in der Welt verantwortlich gemacht werden kann, wenn einiges dem freien Willen des Menschen anzulasten ist. 3. Ohne Zugeständnis des freien Willens müßte schließlich der Mensch verzweifeln angesichts der totalen Bestimmung, der Prädestination durch Gott; er würde zu einem Nichts, seiner Würde völlig beraubt. Es gäbe keine Verantwortlichkeit des Menschen für seine Handlungen, keine Warnung vor falscher Sicherheit, keinen Ansporn zu sittlicher Bemühung. Jegliche verantwortliche Anthropologie, Ethik und Soteriologie würde sinnlos sein. Mit der Zusammenfügung der ut-Sätze gibt Erasmus eine Zusammenstellung klassischer Gründe, warum die Willensfreiheit nicht gänzlich zu verneinen sei. Erasmus macht sich diese Gründe zu eigen und stellt einen Konsens (consensus33: IV17, 192; vgl. Ib2, 22.24) heraus, der von fast allen geteilt werde. Luthers Paradoxien (paradoxa) und radikale Aussagen würden diesen Konsens, der seit den Kirchenvätern gilt, sprengen. Ein Ausbrechen aus dem kirchlichen und vernünftigen Konsens, ein Beharren auf extremen Standpunkten, würde nur zu Absurditäten (absurda) fuhren. Erasmus greift mit diesen Urteilen den Anfang seiner Schrift auf, wo er sein Mißfallen an Assertiones bekundet und seine Neigung zur Skepsis, soweit es der Rahmen der biblischen 33

Der Begriff consensus hat für Erasmus eine eminente ekklesiologische Bedeutung: Ecclesiam autem voco totius populi Christiani consensum (Allen, Bd. 7, Nr. 1893, Z. 59f). Erasmus geht sogar so weit und behauptet, daß er mit den Arianern und den Pelagianern urteilen könnte, wenn die Kirche bestätigte, was jene gelehrt haben. Nirgends könne er sicher zur Ruhe kommen als in den gewissen Urteilen der Kirche (in certis Ecclesiae iudiciis). Ohne die kirchlichen Entscheide fände das Begründen und Argumentieren niemals ein Ende (ebd. Z. 62-70). Diese Äußerungen sind deshalb interessant, weil sie die genauen Antithesen zu Luthers berühmten Sätzen in seiner „Assertio omnium articulorum ..." darstellen. Für Luther sind die Schriften der Bibel in ihrem eigenen Geist auszulegen (WA 7, 96,12; 97,1), sie ist sui ipsius interpres (97,23), liegt das Recht der Interpretation der Heiligen Schriften bei der Kirche (96,16f. 18f), so ergibt sich für Luther ein unendlicher Auslegungsprozeß (in infinitum: 96,30; sine fine interpretes secuti sunt: 96,33f; vgl. 97,20; vgl. sine fine: 100,36). Vgl. auch u. Anm. 169. Dazu Dsa 144,20f: Ita fiet progressus in infinitum. Vgl. zu Luthers ekklesiologischen Bestimmungen in Dsa Anm. 156.

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Auskünfte und der kirchlichen Lehrentscheide, denen er seine Überzeugung gerne unterwerfe, zulasse (vgl. Ia4, 7). II. De servo arbitrio 1. Der Aufbau der Schrift Über Komposition, Gliederung und Aufbau der Streitschrift Luthers streiten sich die Gelehrten. Bekannt ist Albrecht Ritschis Verriß, Luthers Schrift sei „ein unglückliches Machwerk"34. Selbst ein Luther so wohlwollend gegenüberstehender Theologe wie Heiko A. Oberman hält Dsa für „miserabel komponiert"35. Ganz anders urteilen dagegen Theodosius Harnack36 und in neuerer Zeit Günter Bader: „Die erste Beobachtung an De servo arbitrio muß es wohl sein, einen Text zu erkennen, der nichts besonderes für sich begehrt, sondern nur, Punkt für Punkt, dem Text des Gegners folgen will."37 An Baders Beobachtimg ist anzuknüpfen. Auch Luthers Schrift weist eine Vierteilung auf; sie entspricht im äußeren Aufbau genau der Gliederung der erasmischen Diatribe (s.o. I.I.). Nach einer wesentliche Punkte durchgehenden ausfuhrlichen Entgegnung (percursio) auf die zweigeteilte Einleitung von Dia (Dsa 97,19-151,7)38 folgt die confutatio, die Widerlegung der Schriftbeweise für den freien Willen (151,8-193,22), danach die defensio, die Verteidigung der Bibeltexte gegen die Willensfreiheit (193,23-256,9). Nur im vierten Teil zeigt sich ein Bruch in der Entsprechung: Der abschließenden collatio, der ausgleichenden Zusammenfugung der Argumente des Erasmus, begegnet Luther mit einer pugna, einem Kampf gegen den freien Willen39 für die Gnade Gottes, wobei sich Luther vor allem auf paulinische und johanneische Texte stützt (256,10-293,12)"°.

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A. Ritsehl, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, Bd. 1, 221 : „Die Schrift Luther's de servo arbitrio ist und bleibt ein unglückliches Machwerk. Ihre befremdenden Elemente hat Luther selbst niemals wiederholt [. . .]". H.A. Oberman, Luther, 226. Luthers Theologie I, 135: „Diese gewaltige, wohlüberlegte und vortrefflich geschriebene Schrift zählt zu den großen Taten des Reformators." G. Bader, Assertio, 133. Dsa 97,19: Principio aliqua capita Praefationis tuae percurrere uolo [...]. Womit Luther dem „Krieg gegen die Gnade" (bellum contra gratiam: 259,8) begegnet. Dsa 151,3-7: Verum quia Paulus praeeipit uaniloquos epistomisin [vgl.Tit 1,11: von Luther latinisiert], caussam ipsam aggrediamur, et ordine, quo incedit Diatribe, rem tractemus, ut primum confutemus argumenta pro libero arbi. addueta, deinde confutata nostra defendamus, tandem contra lib. arb. pro gratia Dei pugnemus. Vgl. Bader, Assertio, 134.

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Wenn Luther in seiner Disposition in den ersten drei Teilen der Schrift ganz dem Aufbau der Diatribe des Humanisten folgt, dann muß die Inkonsequenz im vierten Teil der Schriften natürlich auffallen. Noch einmal G. Bader: „So folgt De servo arbitrio der erasmischen Schrift fast ganz ohne Unterbruch; nur den letzten Teil der Diatribe [...] berücksichtigt Luther - sieht man von zwei oder drei Erwähnungen ab - überhaupt nicht mehr, sondern setzt an seine Stelle eine selbständige 'systematische' Entfaltung des servum arbitrium auf neutestamentlicher, vor allem paulinischer und johanneischer Grundlage"41. Hier möchte ich widersprechen; Luther berücksichtigt sehr wohl den letzten Teil der Diatribe. Er geht ein auf Erasmus - nicht extensiv, aber intensiv und zwar mit seinem Bekenntnis am Schluß von Dsa, das Gegenstand dieser Arbeit ist. Um dies näher zu entfalten, muß zunächst der letzte Teil von Dsa betrachtet werden. 2. Der vierte Teil: pugna und assertio 2.1 pugna Luther will, wie gezeigt, kämpfen im letzten Teil seiner Schrift, kämpfen gegen den freien Willen und für die Gnade Gottes. Er folgt formal der Diatribe nicht mehr, weil Erasmus im letzten Teil seiner Schrift die Spannungen zu einem Ausgleich fahrt und eine Vermittlung der Extreme anstrebt. Luther dagegen will gerade zum Äußersten gehen, den freien Willen gänzlich verneinen und alles auf Gott hin ausrichten.42 Um nicht ständig schon Gesagtes noch einmal wiederholen zu müssen, setzt Luther neu ein und fuhrt neue Schriftstellen aus den Paulusbriefen und aus dem Johannesevangelium an, natürlich nicht zufälligerweise, gehören doch Johannis Evangelium und Sankt Paulus Episteln"43 zu den Büchern des Neuen Testaments, denen Luther mit Abstand die größte Bedeutung zumißt. Die paulinischen und johanneischen Texte nennt Luther „Kampftruppen" (copias: Dsa 256,11), Johannes und Paulus sind für Luther zwei Heerführer (duces), die er mit ihren Legionen gegen den freien Willen ins Feld führen will (256,22-24). Warum dieser Begriff „Kampfe7 Ist es allein Luthers Freude an der Polemik - vor allem gegenüber einem Gegner, der seine natürliche Scheu vor solchen Auseinandersetzungen und Kämpfen offen zugibt44 - , die ihm hier 41 42 43 44

G. Bader, Assertio, 133. Dsa 255,19f: Ideo ad extrema eundum est, ut totum negetur liberum arbitrium, et omnia ad Deum referantur [...]. Vgl. J. Baur, Extreme Theologie, 3-12. Luthers Vorreden zur Bibel, 173; vgl. 174. Dia Ia4, 6/7: „Ich jedenfalls wußte gar wohl, wie wenig ich für einen solchen Ringkampf geeignet bin: Sicherlich ist kaum ein anderer weniger geübt als ich, der ich immer durch eine geheimnisvolle natürliche Scheu vor Kämpfen zurückgeschreckt bin und es daher immer vorgezogen habe, in den freieren Gefilden der Musen zu spielen [ludere], als mit dem Schwert Mann gegen Mann zu kämpfen." Aber trotzdem kann

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die Feder fuhrt? Man wird diesen Aspekt nicht ganz außer acht lassen können. Aber wichtiger scheint mir zunächst (das Bild des Kampfes wird - in verschiedenen Zusammenhängen - noch öfter in dieser Arbeit begegnen) die Beobachtung zu sein, daß die Begriffe „Kampf' oder „Kämpfen" gerade gehäuft in dem Textabschnitt in Dsa auftauchen (Dsa 97,19-100,33), der die Assertio zum Thema hat. Die Begriffe des Kämpfens gehören eindeutig zum Wortfeld der Assertio, pugna ist ein anderes Wort für assertio45. Luthers Schlußteil in Dsa, den er als Kampf bezeichnet, ist also ausdrücklich als Assertio zu verstehen, die er der Collatio des Erasmus gegenüberstellt. 2.2 assertio Die Diskussion um den Begriff der Assertio steht eindeutig herausgehoben am Anfang beider Streitschriften. Mit Vehemenz sei, so Erasmus ganz am Anfang seiner Diatribe, von Luther das Problem der Willensfreiheit in seiner Assertio über den freien Willen aufgeworfen (Dia lai, 3)46. auch Erasmus in seinen Ausführungen gelegentlich die Metaphorik des Kampfes benutzen; vgl. etwa Dia Ib2, 26: De sensu scripturae pugna est; IblO, 36: Constat autem scripturam secum pugnare non posse. Zu Luthers Ablehnung der ludibria, der Wortspielereien s.u. Anm. 353 u. 426. Luther wirft Erasmus gelegentlich vor, er mache aus einer ernsten Sache ein Spiel und einen Scherz (Dsa 111,40: ludus [...] iocus). Zum literarischen und wissenschaftlichen Spiel und zu Erasmus als homo ludens vgl. A. Auer, Die vollkommene Frömmigkeit des Christen, 18-22. Zu diesem ganzen Zusammenhang gehört auch J. Amérys eindrücklicher Bericht „An den Grenzen des Geistes" von der Erfahrung des Intellektuellen in Auschwitz (Ders., Jenseits von Schuld und Sühne, 15-36). Améry schildert, wie religiös gläubige Christen und Juden oder politisch gläubige Kommunisten, oft ganz einfache Leute, den Kampf im Lager und den Terror viel besser aushalten konnten als die zerbrechlichen Intellektuellen, weil jene sich im Glauben überschreiten konnten. Sein Fazit als Intellektueller nach dem Aufenthalt in den Lagern der Nazis: „Wir hatten [...] die für uns fürderhin unverrückbare Gewißheit mitgenommen, daß der Geist auf weitesten Strecken tatsächlich ein ludus ist und wir nichts sind, besser gesagt, vor dem Eintritt ins Lager nichts waren als homines ludentes. Damit ist manche Überheblichkeit von uns gefallen, mancher metaphysische Dünkel [...]. Ein paar Lagerwochen haben meist genügt, um diese Entzauberung des philosophischen Inventars zu bewirken [...]" (aaO 35f). 45

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Vgl. die Reihung assertiones, pugnas et rixationes (Dsa 97,40f) und rixari, pugnare, asserere (100,15). Dazu: 97,34f (inuictum perseverare) und 98,20 (pugnam). Vgl. Mk 13,13 par. Erasmus bezieht sich auf Luthers Verteidigungsschrift „Assertio omnium articulorum M. Lutheri per bullam Leonis X. novissimam damnatorum" (1520; WA 7, 9Iff), in der Luther die 41 von der Bannandrohungsbulle „Exsurge Domine" verurteilten Sätze seiner Theologie bekräftigt. Hauptsächlich und ausdrücklich handelt der 36. Artikel vom freien Willen (WA 7, 142,22-149,7); dieser 36. Artikel ist identisch mit der 13. These der Heidelberger Disputation (1518): Liberum arbitrium post peccatum res est de solo titulo, et dum facit quod in se est, peccat mortaliter (Cl 5, 378,21f; Luther bezieht sich gelegentlich in Dsa auf seine These; Dsa 255,29f: [...] liberum arbitrium esse nihil et rem (eo uerbo tum utebar) de solo titulo). Luthers Verteidigung dieser These in seiner

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Erasmus selbst beschreibt seine Haltung zur Assertio folgendermaßen: „Daher habe ich so wenig Freude an festen Behauptungen, daß ich leicht geneigt bin, mich auf die Seite der Skeptiker zu schlagen, w o immer es durch die unverletzliche Autorität der Heiligen Schrift und die Entscheidungen der Kirche erlaubt ist, denen ich meine Uberzeugung überall gerne unterwerfe, ob ich nun verstehe, was sie vorschreibt, oder ob ich es nicht verstehe." (Ia4, 7.) Luther ist dieses Denken völlig fremd, ja anstößig. Assertiones sind für ihn das Element des christlichen Glaubens, sein Lebenselixier. Ein Christ muß an Assertionen Freude haben, anders kann er kein Christ sein47. Die Aufhebung der Assertio bedeutete für Luther die Aufhebung des Christentums überhaupt 48 . Was aber bedeutet nun diese Assertio, mit der für Luther alles Christliche auf dem Spiel steht und mit der Erasmus so wenig anfangen kann? Zwei größere Monographien zur Problematik der Assertio bei Luther haben Dietrich Kerlen und Günter Bader vorgelegt. Kerlen schließt sich weitgehend der erasmischen Ablehnung der Assertio an und will von daher Luthers Betonung der Assertio „problematisieren" 4 '. Er stellt unterschiedliche Fassungen des Assertio-Begriffs bei Luther dar und diagnostiziert einen „Trend weg von der Disputation hin zur Assertion." 50 Der junge Luther habe, etwa in den Resolutionen zu den Ablaßthesen, noch für eine Assertio plädiert, die durch Beweise argumentativ zu untermauern ist (vgl. etwa die Verbindungen assero et probo [Cl 1, 23,30; 24,17]; assero, et nihil dubito [22,25]; assero et ostendo [26,30]; non [...] assero, quae ignoro, sed disputo et quaero [Cl 1, 58,30f]). Ab 1520 dann habe sich Luther selbst verhärtet, aus der Wahrheitsforderung werde die disputationslose Schriftforderung 51 , das disputative Klarheitsbedürfhis tendiere immer mehr zu einem Gewißheitsbedürfnis 52 , Luther wolle dieses sein subjektives Bedürfnis mit dem objektiven Schriftprinzip überspielen33, der Anwalt der Disputation, der Luther vor 1520 gewesen sei, werde schließlich Erasmus. 54 Kerlen hat eine sehr materialreiche Arbeit vorgelegt, insbesondere seine Analyse des Assertio-Begriffs vor dem Hintergrund des mittelalterlichen Disputationsverfah-

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Assertio stellt die Keimzelle für seine große Schrift Dsa dar; viele Schriftbelege, Begriffe und Argumentationen, die hier kurz gebündelt auftauchen, werden von Luther in seiner späteren Streitschrift aufgenommen und weitergeführt. „Viele Worte habe ich in diesem Teil um der Notwendigkeit der Sache willen gemacht" (Verbosus in hac parte fui necessitate rei [...]: WA 7, 148,33) - Luther sollte in Dsa dann noch viel mehr Worte finden, ging es doch hier für Luther um den Artikel, qui omnium optimus et rerum nostrarum summa est (WA 7, 148,16). Dsa ist im Grunde nichts anderes als die Entfaltung der Assertio des 36. Artikels. Dsa 97,31-33: Non est enim hoc Christiani pectoris, non delectari assertionibus, imo delectari assertionibus debet, aut Christanus non erit. Dsa 98,14f: Tolle assertiones, et Christianismum tulisti. D. Kerlen, Assertio, 18. AaO 165. Vgl. a a 0 145. Vgl. aaO 87. Vgl. aaO 153f; 158. Vgl. aaO 224f.

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rens ist erhellend. Seine kritischen Fragen gegenüber Luther - dieser werde immer härter, dogmatischer, unerbittlicher und unbescheidener in seinem Anspruch auf Assertiones - sind nicht einfach von der Hand zu weisen; allerdings umgeht Kerlens „psychologische Betrachtungsweise"55 doch immer wieder die Wahrheitsfrage. Es bleibt fraglich, ob Luthers Betonung der Assertio einfach mit dessen „Gewißheitssehnsucht"56 und „Eigenpsychologie"51 abgetan werden kann. Günter Bader geht in seiner eher sprach- und begriffsanalytisch orientierten Arbeit zunächst der BegrifFsgeschichte des Wortes Assertio nach58, findet über alle möglichen Verweise eine Bedeutungsvielfalt, aber keine genaue Bestimmung, keine Präzisierung, sondern „ein weites Wort, ein Wort ohne Horizont."59 Die Begriffsgeschichte, so Bader, ende schließlich „im Chaos des lateinischen Wortes asserere, das nichts Bestimmtes mehr heißt, sondern alles sein kann." 60 Baders weitere Versuche in seinem Buch, Zugänge zum Begriff der Assertio zu schaffen, seien hier nicht mehr weiter verfolgt; seine teilweise sehr verschlungenen Pfade der Analyse erforderten eine eingehendere Interp retati on, als sie hier zu leisten ist. Welche Hinweise gibt Luther selbst zur Klärung des Assertio-BegrifFs in Dsa? Am aufschlußreichsten scheint mir die Beobachtung zu sein, daß assertio und confessio für Luther Synonyme sind. Bekennen (confiten) ist eines der Reihe der Verben („unwandelbar anhängen, bejahen, bekennen, verteidigen, unüberwindlich beharren"), die Luther in seiner Bestimmung der Assertio anführt 61 . Daß dem Ausdruck confiteli in dieser Aufzählung eine besondere Bedeutung zukommt, zeigen die Wortverbindungen, in denen assertio und confessio, asserere und confiten gleichsam austauschbar nebeneinander stehen62. Diese Feststellung muß aber noch in einen weiteren Zusammenhang gestellt werden. Der Genitiv conscientiae assertionem (Dsa 98,9) ist zunächst einmal zweifach aufzulösen. Es geht zum einen (gen. subj.) um die assertio des Gewissens, des Christen in seinem Personzentrum selbst63; zum andern (gen. obj.) um die assertio für das Gewissen. Hier ist nicht der Christ Subjekt des Be55 56 57

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AaO 175. AaO 321, 322; 343; vgl. 153, 369. AaO 321, Anm. 726; 322; 369, Anm. 984. Mit dem Ausdruck „Eigenpsychologie" kennzeichnet Kerlen ausdrücklich Luthers Bekenntnis (Dsa 288,16ff). Wäre dann auch ein Text wie Rom 8,38f nur als „Eigenpsychologie" des Paulus zu charakterisieren? Vgl. G. Bader, Assertio, 5-22. AaO 22. AaO 41. Dsa 97,33-36: Assertionem autem uoco (ne uerbis ludamur) constanter adherere, affirmare, confiten, tueri atque inuictum perseuerare, nec aliud, credo, uox ea latinis uel nostro usu et saeculo significat. Dsa 98,17f: confessionem et assertionem; 261,15f: confessor et assertor. R. Hermanns Urteil (Studien zur Theologie Luthers, 174) ist zutreffend: Jiie assertio trägt bei Luther also vornehmlich Bekenntnischarakter." Vgl. auch G. Bader, Assertio, 189-193. Vgl. im Zusammenhang des Begriffs conscientia die Synonyme pectus (Dsa 97,31 ), animus (98,33.36) und cor (100,21.23.32; vgl. Ps 7,10; Jer 17,10). Zur Bedeutungsvielfalt und zum Zusammenhang dieser anthropologischen Begriffe bei Luther vgl. W. Joest, Ontologie der Person, 212-215.

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kenntnisses, sondern der Heilige Geist, der, wie Luther in seinem berühmten Diktum schreibt, kein Skeptiker ist und keine Zweifel und Meinungen, sondern Assertionen in die Herzen schreibt64. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Frage der Gewißheit. „Was ist elender als Ungewißheit?"65 fragt Luther und betont das gewisse Glauben und das gewisse Verstehen dessen, was man glaubt66. Die Gewißheit hat eine kognitive Seite; der Glaube will sich verstehen, wenn er auch weiß, daß völliges Begreifen (perfecte nosse ac uidere: Dsa 100,4f) dem Raum vorbehalten ist, wo er nicht mehr nur glauben, sondern schauen darf (vgl. 2. Kor 5,7). Die Gewißheit hat auch eine affektive Seite; zu ihr gehört die Freude an der Assertio, die Leidenschaft, wie der Ernst angesichts eines möglichen Martyriums67. Für Luther geht es bei der Assertio nicht um Nebensächlichkeiten, die keine Assertio benötigen, sondern um das, was in der Heiligen Schrift überliefert ist und was den Menschen zum Heil führt (vgl. Dsa 97,36-98,1). Unter Berücksichtigung verschiedener, von Luther zur Entfaltung des Assertio-Begriffs angezogener Bibelstellen (vgl. vor allem 98,7-13), lassen sich drei Aspekte unterscheiden, die alle in ihrem Zusammenspiel den lutherischen Begriff der Assertio in Dsa kennzeichnen:

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Dsa 100,31-33: Spiritus sanctus non est Scepticus, nec dubia aut opiniones in cordibus nostris scripsit, sed assertiones ipsa uita et omni experientia certiores et firmiores. Vgl. 98,18: Denique adeo asserit spiritus [...]. Dsa 99,25: Quid enim incertitudine miserius? Vgl. u. S. 137ff. Dsa 98,22f: certus credat [...] constanter asserat; 99,40f: Christianus uero anathema sit, si non certus sit et assequatur, id quod ei praescribitur [...]. Dsa 97,31-33: Non est enim hoc Christiani pectoris, non delectari assertionibus, imo delectari assertionibus debet, aut Christianus non erit; vgl. WA 8, 83,3If: asserimus et gaudemus. Dsa 98,15-18: Quin spiritus sanctus de coelo illis datur, ut clarificet Christum et confiteatur usque ad mortem, nisi hoc non est asserere, ob confessionem et assertionem mori. Vgl. die Nebeneinanderstellung der confessores et martyres: 193,25. Für Luther gehört auch der Affekt, die brennende Leidenschaft, zur Assertio wie zur erklärenden, soliden Lehre; 216,10-13: Nos autem non oportet ita frigere [...], sed certo, constanter et ardenter asserere, tum solide et dextre ac copiose demonstrare, quod docemus. Nach ihrem Affekt, so Luther, sind gläubige wie ungläubige Menschen besser zu beurteilen als nach dem, was sie sagen; der Mensch erfährt sich durch seine Affekte besser als durch sein Denken; 134,4f: [...] Ex affectu uero potius quam ex sermone metiendi sunt homines, tam pii quam impii. Auch die Kirchenväter hätten angesichts des erfahrenen Affektes anders, nämlich ernster und wahrer, geredet als sonst in ihren Disputationen (133,33-134,4). Luther beklagt sich über die kühle Theologie des Erasmus (104,27f: Haec uerba tua, sine Christo, sine spiritu, ipsa glacie frigidiora [...]; vgl. 158,22; 216,10); wenn schon die Lehrer der Rhetorik von ihren Rednern den Affekt und die Leidenschaft in der Darlegung verlangen, um wieviel mehr, so Luther, gelte dies von der Theologie (158,25-27): Ideo Rhetores exigunt affectum in actore caussarum, multo magis Theologia talem exigit [...]. Vgl. auch O.H. Peschs Beschreibung „der kühlen Art" (Die Theologie der Rechtfertigung, 880), in der Thomas v. Aquin über die erschreckendsten Abgründe der Prädestination reden kann.

De servo arbitrio

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1. Assertio als promissio, als promìssionales Wirken des Geistes in den Christen. Der Heilige Geist schreibt den Christen - durch sein Wort68 - gewißmachende Assertionen in die Herzen; Assertio ist gewisse göttliche Zusage (vgl. Mt 10,19f; von Luther nicht ausdrücklich erwähnt, das Wort steht aber in engem Zusammenhang mit Mt 10,32, auf das Luther Bezug nimmt). 2. Assertio als confessio, als Bekenntnis der Christen, die ihren Glauben nach außen hin bekennen (Rom 10,9f) und die mit ihrem Glauben Christus vor der Welt bekennen (Mt 10,32; vgl. Lk 12,8). 3. Assertio als Akt des assequi, als Verstehensprozeß der bekennenden Christen, die bereit sind, ihren Glauben vor anderen Menschen mit Gründen zu verantworten (1. Petr 3,15). Die eminente Bedeutung, die Luther der Assertio beimißt, wird schließlich ganz am Schluß seiner Streitschrift noch einmal klar vor Augen geführt. Gegen die erasmischen Majuskeln CONTULI (Dia IV17, 194) setzt Luther NON CONTULI, SED ASSERUI, ET ASSERO (Dsa 293,4f)69. Seine ganze Schrift, sein Kämpfen und Argumentieren, betrachtet Luther als eine durchgängige Assertio, und in diesem Zusammenhang ist schließlich auch der Text einzuordnen, der im folgenden als Luthers, seine ganze Argumentation abschließendes, Bekenntnis verstanden und interpretiert werden soll.

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Dsa 189,3f: Sic placitum est Deo, ut non sine uerbo, sed per uerbum tribuat spiritimi [...]. Vgl. 189,27f: [...] per uerbum suum externum [...]. Vgl. zur Bedeutung des äußeren, leiblichen Wortes: O. Bayer, Leibliches Wort, 57-72 (Leibliches Wort. Öffentlichkeit des Glaubens und Freiheit des Lebens). Vgl. Luthers Gegenüberstellung in Dsa 149,19f: [...] quod omnia collaturus, nihil affirmatunis scriberes.

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Luthers Bekenntnis

Β. Luthers Bekenntnis I. Übersetzung70 „Ich bekenne gewiß von mir: Wenn es irgendwie geschehen könnte, wollte ich doch nicht, daß mir der freie Wille gegeben wird, oder daß etwas in meiner Hand gelassen wird, wodurch ich zum Heil streben könnte, nicht allein deswegen, weil ich in so viel Anfechtungen und Gefahren, gegenüber so vielen ankämpfenden Dämonen nicht standhalten und jenen [den freien Willen] nicht zu behalten im Stande wäre, da ein Dämon mächtiger ist als alle Menschen und kein einziger Mensch gerettet würde, sondern weil ich, auch wenn keine Gefahren, keine Anfechtungen, keine Dämonen da wären, dennoch gezwungen sein würde, fortwährend aufs Ungewisse hin mich abzumühen und Lufthiebe zu machen [vgl. 1. Kor 9,26]; denn mein Gewissen würde, wenn ich auch ewig lebte und wirkte, niemals gewiß und sicher sein, wieviel es tun müßte, um Gott genug zu tun. Denn bei jedem vollbrachten Werk bliebe der beunruhigende Zweifel zurück, ob es Gott gefalle oder ob er etwas darüber hinaus verlange, so wie es die Erfahrung aller Werkgerechten beweist und ich zu meinem großen Unglück so viele Jahre hindurch genügend gelernt habe. Aber nun [vgl. Rom 3,21], da Gott mein Heil meinem Willen entzogen und in seinen Willen aufgenommen hat und nicht auf mein Werk oder Laufen hin, sondern aus seiner Gnade und Barmherzigkeit verheißen hat [vgl. Rom 9,16], mich zu erretten, bin ich sicher und gewiß, daß er treu ist und mir nicht lügen wird [vgl. Num 23,19; 1. Kor 1,9; Tit 1,2; 2. Tim 2,13; Hebr 6,18], ferner mächtig und gewaltig ist, daß keine Dämonen und keine Widerwärtigkeiten imstande sein werden, ihn zu überwältigen oder mich ihm zu entreißen. 'Niemand', sagt er, 'wird sie aus meiner Hand reißen, weil der Vater, der sie mir gegeben hat, größer ist als sie alle' [Joh 10,28f], So geschieht es, daß, wenn nicht alle, doch einige und viele gerettet werden, wo hingegen durch die Kraft des freien Willens überhaupt niemand errettet würde, sondern wir alle miteinander verloren gingen. So sind wir auch gewiß und sicher, daß wir Gott gefallen, nicht durch das Verdienst unseres Werkes, sondern durch die Gunst seiner Barmherzigkeit, die uns verheißen ist und, wenn wir weniger tun oder böse handeln, daß er es uns nicht zurechnet, sondern väterlich vergibt und bessert. Das ist der Ruhm aller Heiligen in ihrem Gott [vgl. Sir 1,11 Vulgata].

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Die Übersetzung lehnt sich an die Übertragung von B. Jordahn in der Münchner Lutherausgabe (Ergänzungsreihe, Bd. 1) an, nimmt dabei aber verschiedene Veränderungen vor. Die Schriftstellen, die von Luther zitiert werden oder auf die er anspielt, werden der Übersetzung in Klammern beigefügt.

Übersetzung

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Wenn [dich] aber das empört, daß es schwierig ist, die Güte und Gerechtigkeit Gottes zu wahren, da er ja die, die es nicht verdient haben, verdammt, d.h. solche Gottlose, die in Gottlosigkeit geboren auf keine Weise sich selbst helfen können, daß sie nicht gottlos sind, bleiben und verdammt werden und durch die Notwendigkeit ihrer Natur gezwungen werden, zu sündigen und verloren zu gehen, wie Paulus sagt: 'Wir waren alle Kinder des Zorns wie die anderen' [Eph 2,3], da sie von Gott selbst aus dem durch die Sünde des einen Adam verderbten Samen als solche geschaffen sind, so ist hier Gott zu ehren und zu furchten als der, der zuhöchst gütig ist an denen, die er als zuhöchst Unwürdige rechtfertigt und selig macht; und man muß wenigstens etwas seiner göttlichen Weisheit überlassen, auf daß geglaubt werde, er sei gerecht, wo er uns ungerecht zu sein scheint. Wenn nämlich seine Gerechtigkeit derartig wäre, daß sie durch menschliches Fassungsvermögen als gerecht beurteilt werden könnte, so wäre sie durchaus nicht göttlich und in nichts von der menschlichen Gerechtigkeit unterschieden. Aber da Gott einziger und wahrer Gott ist, ferner völlig unbegreiflich und der menschlichen Vernunft unzugänglich, so ist es angemessen, ja vielmehr notwendig, daß auch seine Gerechtigkeit unbegreiflich ist. So wie auch Paulus ausruft und sagt: Ό welch eine Tiefe des Reichtums beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschhch seine Wege!1 [Rom 11,33.] Sie wären aber nicht unbegreiflich, wenn wir in allem es fassen könnten, weshalb sie gerecht sind. Was ist der Mensch im Vergleich zu Gott? Wieviel ist es, was unsere Macht vermag im Vergleich zu seiner Macht? Was ist unsere Stärke im Vergleich zu seinen Kräften? Was ist unser Wissen, verglichen mit seiner Weisheit? Was ist unser Wesen im Vergleich zu seinem Wesen? Kurzum, was ist alles unsrige im Vergleich zu dem seinigen? [Vgl. Jes 55,8f; Hi 38-41; Ps 8,5.] Wenn wir also bekennen, wie auch die Natur lehrt, daß menschliche Macht, Stärke, Weisheit, Wesen und alles, was zu uns gehört, ganz und gar nichts ist, wenn es mit göttlicher Macht, Stärke, Weisheit, Wissen und Wesen verglichen wird, was ist das für eine Verkehrtheit bei uns, daß wir allein Gottes Gerechtigkeit und Gericht angreifen und durch unser Urteil uns so viel anmaßen, daß wir das göttliche Urteil begreifen, beurteilen und bewerten [289,35: aestimare71] wollen? Weshalb sagen wir nicht glei-

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Vgl. die vehemente Kritik, die Bernhard v. Clairvaux an Abaelards Bestimmung der fides als aestimatio übt (Tractatus de erroribus Abaelardi, cap. IV; MPL 182, 1061f). Bernhard setzt gegen diese akademische, skeptische Rede vom Glauben (aaO 1062 A: Academicorum sint istae aestimationes, quorum est dubitare de omnibus, scire nihil) unter Berufung auf Hebr 11,1 folgende Bestimmung (aaO 1062 B): Non est enini fides aestimatio, sed certitudo. Die Kritik steht im Zusammenhang der grundsätzlichen Bedenken Bernhards, Abaelard würde mit dem Spiel der Dialektik in die Schrift und die Tiefen der göttlichen Trinität eindringen wollen (vgl. aaO 1061 B). Er sei darin vermessen, daß er von allem vernünftige Gründe angeben wolle, auch über das, was über der Vernunft und gegen die Vernunft stehe (aaO cap. I; 1055 A: [...] paratus est de

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Luthers Bekenntnis

cherweise auch hier: Unser Urteil ist nichts, wenn es mit dem göttlichen Urteil verglichen wird? Befrage die Vernunft selbst, ob sie nicht als überführte gezwungen ist zu bekennen, daß sie töricht und vermessen ist, wenn sie nicht Gottes Urteil unbegreiflich sein läßt, da sie sonst zugibt, daß alles andere Göttliche unbegreiflich ist. Freilich, in allem anderen gestehen wir Gott die göttliche Majestät zu, allein bei seinem Gericht sind wir bereit, sie zu verneinen, und können einstweilen nicht glauben, daß er gerecht sei, obwohl er es uns verheißen hat, daß er es sein werde, wenn er seine Herrlichkeit offenbart haben wird, so daß wir alle es dann sehen und greifen sollen, daß er gerecht gewesen ist und es noch ist. Ich will ein Beispiel zur Bestärkung dieses Glaubens geben und um jenes scheele Auge72 [vgl. Mt 20,15] zu ermutigen, das Gott der Ungerechtigkeit für verdächtig hält. Siehe, so leitet Gott diese körperliche Welt in äußerlichen Dingen, daß, wenn du das Urteil der menschlichen Vernunft ansiehst und ihm folgst, du gezwungen bist zu sagen, entweder daß kein Gott ist, oder daß er ungerecht ist, wie jener [Poet] sagt: 'Ich werde oft von dem Gedanken beunruhigt, daß es keine Götter gibt'. Denn siehe, wie glücklich leben die Bösen, wie unglücklich dagegen die Guten; was die Sprichwörter und die Erfahrung, die Mutter der Sprichwörter, bezeugen: 'Je größer der Schalk, desto besser das Glück'. 'In den Hütten der Gottlosen', sagt Hiob [Hi 12,6], 'herrscht Überfluß'. Und Psalm 72 [73,12] klagt, daß die Sünder in der Welt Überfluß an Reichtum haben. Ich bitte dich, ist es nicht nach dem Urteil aller sehr ungerecht, daß die Bösen glücklich und die Guten unglücklich gemacht werden? [Vgl. Ps 37,7.] Aber so bringt es der Lauf der Welt mit sich. Hier sind auch die höchsten Geister darauf verfallen zu verneinen, daß Gott sei, und zu ersinnen, daß das Glück alles blindlings treibe, wie z.B. die Epikuräer und Plinius. Femer denkt Aristoteles, daß jenes sein erstes Sein, damit er es vom Elend befreie, nichts von den Dingen sehe als sich allein, weil er glaubt, es sei ihm sehr beschwerlich, so viele Übel und so viele Ungerechtigkeiten zu sehen. Die Propheten aber, welche geglaubt haben, daß Gott sei, sind noch mehr wegen der Ungerechtigkeit Gottes angefochten worden, wie Jeremía, Hiob, David, Asaph und andere. Was, meinst du, haben Demosthenes und Cicero gedacht, als sie alles, was in ihrer Macht stand, zu Ende gefuhrt hatten und einen solchen Lohn durch den elenden Untergang [vgl. Ps 49,11] empfangen hatten? Und dennoch wird diese Ungerechtigkeit Gottes, die höchst wahrscheinlich ist

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omnibus reddere rationem, etiam quae sunt supra rationem, et contra rationem [...]). Was aber stehe mehr gegen die Vernunft als zu versuchen, mit der Vernunft die Vernunft zu überschreiten? Was stehe mehr gegen den Glauben als nicht glauben wollen, was nicht mit der Vernunft berührt werden kann? (AaO 1055 B: Quid enim est magis contra rationem, quam ratione rationem conari transcendere? Et quid magis contra fidem, quam credere nolle, quidquid non possit ratione attingere?) Vgl. WA 10 II, 323,2: „[...] schele äugen wider Gott [...]". Vgl. auch Dsa 226,32-35 und 227,4: nequitiam.

Ein zusammenhängender Text?

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und mit solchen Argumenten vorgetragen wird, denen keine Vernunft oder kein Licht der Natur widerstehen kann, sehr leicht durch das Licht des Evangeliums und die Erkenntnis der Gnade aufgehoben, wodurch wir belehrt werden, daß die Gottlosen zwar leiblich in Blüte stehen, seelisch aber zugrunde gerichtet werden [vgl. Ps 73,17-19.27; Ps 37,34-38; Mk 8,34-39 par.]. Und es gibt fur diese ganze unlösbare Frage diese kurze Lösung in einem Wörtlein, nämlich: Es ist ein Leben nach diesem Leben, in welchem alles, was hier nicht bestraft und vergolten wird, dort bestraft und vergolten wird, da dieses Leben nichts als der Vorlauf oder vielmehr der Anfang des zukünftigen Lebens ist. Wenn also das Licht des Evangeliums, das allein im Wort und im Glauben gilt, so viel bewirkt, daß diese in allen Jahrhunderten behandelte und niemals gelöste Frage so leicht beigelegt und richtiggestellt wird, was, meinst du, wird wohl dann sein, wenn das Licht des Wortes und des Glaubens zurücktritt und die Sache selbst und die göttliche Maiestät offenbar wird? Oder glaubst du nicht, daß dann das Licht der Herrlichkeit die Frage, welche im Licht des Wortes oder der Gnade unlösbar ist, gar sehr leicht lösen kann, da das Licht der Gnade die im Licht der Natur unlösbare Frage so leicht gelöst hat? Setze [Gestehe] mir ein dreifaches Licht, das Licht der Natur, das Licht der Gnade, das Licht der Herrlichkeit, wie es eine verbreitete und gute Unterscheidung will. Im Licht der Natur ist es unlösbar, daß das gerecht ist, wenn der Gute unglücklich gemacht wird und es dem Bösen gut geht. Aber das löst das Licht der Gnade. Im Licht der Gnade ist es unlösbar, wie Gott den verdammen kann, der aus allen eigenen Kräften nichts anderes tun kann als sündigen und schuldig sein. Hier sagen sowohl das Licht der Natur wie auch das Licht der Gnade, es sei nicht des elenden Menschen Schuld, sondern des ungerechten Gottes [vgl. Hi 9,24; 40,8], denn sie können nicht anders über Gott urteilen, der den gottlosen Menschen [vgl. die Geschichte Davids] umsonst ohne Verdienst krönt [vgl. Ps 103,4] und einen anderen, der vielleicht weniger gottlos oder wenigstens nicht gottloser ist [vgl. die Geschichte Sauls], nicht krönt, sondern verdammt. Aber das Licht der Herrlichkeit sagt etwas anderes und wird zeigen, daß Gott, dessen Gericht jetzt noch eine unbegreifliche Gerechtigkeit in sich birgt, von gerechtester und offensichtlichster Gerechtigkeit ist, nur, daß wir inzwischen das glauben sollen, erinnert und bestärkt durch das Beispiel des Lichtes der Gnade, welches ein ähnliches Wunder beim natürlichen Licht vollbringt."

II. Ein zusammenhängender Text? Hebt sich Luthers Bekenntnis als zusammenhängender Text aus seinem Kontext heraus? Das Bekenntnis steht unmittelbar vor den Schlußbemerkungen Luthers zu seiner ganzen Abhandlung: Finem hic faciam huius libelli [...] (Dsa 291,20). Die Zäsur ist damit von Luther klar markiert; ein Schlußpunkt ist gesetzt. Was

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Luthers Bekenntnis

Luther zu sagen hatte, hat er gesagt, er weiß nichts Neues mehr hinzuzusetzen. Seine Gedankengänge kann er nicht mehr steigern oder weiterführen; seine Überlegungen sind mit dem Bekenntnis offensichtlich an einen Endpunkt gekommen. Deshalb fuhrt Luther nach diesem Bekenntnis sein Werk nur noch mit einigen zusammenfassenden, rekapitulierenden Thesen73 und Bemerkungen (291,23-292,4) zum Ende, wobei er Erasmus - mit der Bitte, sich in dieser Sache von ihm belehren zu lassen - noch ausdrücklich Dank dafür sagt, daß dieser als einziger die Hauptsache in allen Streitigkeiten in Angriff genommen habe (292,11-17). Der Abschluß des Bekenntnisses ist also deutlich fixiert; weniger deutlich ist aber die Abgrenzung am Anfang. In den verschiedenen Lutherausgaben, in denen Dsa abgedruckt ist, läuft der lateinische Text ohne Andeutung eines neuen Abschnittes durch. Trotzdem hebt sich ein Einschnitt im Gedankengang heraus: Nachdem Luther zuvor im Blick auf Gai 5,16flÇ Rom 7,14ff und 8,7 den Widerstreit von Geist und Fleisch angesprochen hat, redet er jetzt plötzlich von sich selbst14 und führt die allgemeineren exegetischen und systematischen Überlegungen weiter im persönlichen Bekenntnis. War kurz vorher noch vom Argumentieren (288,3) und vom argumentum (288,15) die Rede, so heißt es jetzt: „Ich bekenne gewiß von mir". Die Argumentation wird zur Konfession, das Nachdenken geht über in das Bekennen, was natürlich nicht ausschließt, daß Luther auch in seinem Bekenntnis weiterhin argumentiert (vgl. nur 290,28: argumentis). Neben diesen äußeren Abgrenzungen ist auch auf die innere Verklammerung des Textes durch Stichwortverknüpfungen zu achten: So gehören etwa gloriatio (289,3) mit gloria (290,2) und mit lumen gloriae (291,15) zusammen; promiserit me (288,33) wird durch nobis promiserit (290,2) aufgenommen; merito (288,41) ist mit meritis (291,13) verbunden; cursu (288,32) ist mit cursus mundi (290,17) und praecursus (290,35) verknüpft; perderemur (288,40) wird durch anima perdi (290,31) aufgenommen. Auch durch diese Verklammerungen legt sich die Einheit des ganzen Textes nahe, von dem üblicherweise vor allem das Bekenntnis der Heilsgewißheit am Anfang und die Rede von den drei Lichtern am Ende ohne Verbindimg zitiert werden. Meistens wird als Luthers Bekenntnis oder Luthers Schlußbemerkung nur der Abschnitt 288,1673

Dazu kurz und bündig W. Maurer, Historischer Kommentar zur Confessio Augustana II, 47. Für Maurer sind auch diese Schlußthesen „Bekenntnisaussagen, die schließlich in CA 2, 18 und 19 niedergelegt sind." (ebd.) Nicht nur für Maurer, auch für andere Lutherinterpreten, etwa K. Schwarzwäller (Theologia Crucis, 45-63), bieten diese Schlußthesen den Höhepunkt von Dsa. Dem kann ich nicht folgen. Die Thesen sagen nichts Neues; sie fassen nur das schon Gesagte noch einmal summarisch zusammen. Das Bekenntnis nimmt zwar auch schon Gedachtes auf, führt dies aber mit neuen Überlegungen (vor allem auch mit der Rede von den drei Lichtern) weiter.

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Vgl. das betonte Ego (288,16), das, grammatikalisch nicht notwendig, ganz am Anfang steht. Diese Betonung findet sich auch in Dsa 106,36; 109,27.28; 288,30.

Ein Bekenntnis?

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289,3 zitiert; der weitere Zusammenhang dieses persönlichen Bekenntnisses findet oft keine Beachtung. Die folgende Darstellung bemüht sich um einen solchen Zusammenhang der sonst eher isoliert betrachteten Textabschnitte. Allerdings ist dieser Textzusammenhang nicht in strikter Eindeutigkeit zu erheben, da der herausgeschnittene Text doch sehr eng mit seinen Kontexten verwoben ist. III. Ein Bekenntnis? Im Vergleich mit Luthers Bekenntnis von 1528 (Cl 3, 507,30-515,14), das „die Grundlage der von Kursachsen ausgehenden Bekenntnisbildung [...] und somit auch der Confessio Augustana geworden"75 ist, kann das Bekenntnis aus Dsa näher bestimmt werden. Im Bekenntnis von 1528 bekennt Luther, in der Orientierung am „Apostolischen Glaubensbekenntnis", das Luther nicht wie die Tradition in einer Zwölfteilung76, sondern in einer trinitarisch bestimmten Dreiteilung aufnimmt, seinen Glauben. Der freie Wille ist hier auch ein Thema (509,15-23), aber eben nur ein Thema unter anderen. Das Bekenntnis in Dsa ist thematisch enger gefaßt. Gleichwohl ist die Doppelstruktur des Bekenntnisses nach Mt 10,32 (vgl. Dsa 98,1 If) fur beide Texte konstitutiv. Will Luther im Bekenntnis von 1528 seinen Glauben „für [vor] Gott und aller wellt f...] von stück zu stück bekennen" (Cl 3, 507,35f) und zwar „öffentlich" (515,12) bekennen, so zeigt sich diese doppelte Blickrichtung auch in Dsa, wo Luther vor Gott, vor Erasmus und der am Streit mitbeteiligten Öffentlichkeit seinen Glauben vertritt. Das sane (Dsa 288,16; gewiß, verständig) entspricht der Wendung „Ich byn itzt nicht truncken / noch unbedacht / Ich weis / was ich rede [...] Es ist mir ernst / Denn ich kenne den Satan" (Cl 3, 508,4-8). Luther ist sich seiner Sache in beiden Texten gewiß, sein Bekenntnis ist bewußtes und gewisses, im Vollbesitz der eigenen geistigen Kräfte verantwortetes Bekennen. Scheint im späteren Bekenntnis der Horizont weiter gesteckt („Das ist mein glaube / denn also gleuben alle rechte Christen / Und also leret uns die heilige schrifft"; Cl 3, 515,5f), die inhaltliche Fülle wegen der Themen und Traditionen des Credo größer zu sein, so gilt es doch für das Bekenntnis in Dsa zu beachten, daß auch hier, wo scheinbar nur ein einzelnes Ich bekennt, die ganze Kirche im Blick ist. Auch hier gibt es die Wendung vom einzelnen Ich des persönlichen Bekenntnisses zum Wir der ganzen bekennenden Kirche 75 76

E. Hirsch, Hilfsbuch, 1. Vgl. Luthers Aussagen im Großen Katechismus, BSLK 646,35-647,12. „Aufs erste hat man bisher den Glauben geteilet in zwelf Artikel [...]. Aber daß man's aufs leichteste und einfaltigste fassen künnde, wie es fur die Kinder zu lehren ist, wollen wir den ganzen Glauben kürzlich fassen in drei Häuptartikel nach den dreien Personen der Gottheit, dahin alles, was wir glauben, gerichtet ist, also daß der erste Artikel von Gott dem Vater verkläre die Schepfung, der ander von dem Sohn die Erlösung, der dritte von dem heiligen Geist die Heiligung."

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Luthers Bekenntnis

(omnium sanctorum in Deo: Dsa 289,3"). Die eigenen Erfahrungen Luthers (288,30) sind mit Erfahrungen der Werkgerechten'8 (288,29f), mit Erfahrungen und Anfechtungen der Weltweisen und der Propheten (290,5-27) verknüpft. Der Aspekt der negativen Abgrenzung, der Verwerfung, ist in beiden Texten angesprochen; 1525 wird die erasmische Betonung der Willensfreiheit, 1528 werden „die Sacraments und Tauffs schwermer" (Cl 3, 507,34) verworfen. Ist also der ganze zu interpretierende Text ein Bekenntnis? Hier gilt es zu differenzieren. Im engeren Sinn trägt natürlich der Anfang des Ganzen Züge eines Bekenntnisses und nimmt das traditionelle Verständnis des Bekenntnisbegriffes auf. Eine klassische Bestimmung der Vielfalt des Begriffs confessio findet sich bei Thomas von Aquin79. Er unterscheidet die confessio fidei, das Glaubensbekenntnis, die confessio laudis, das Lobbekenntnis der Gnadenhandlungen Gottes im Gottesdienst, und die confessio peccatorum, das Sündenbekenntnis im Sakrament der Buße. Mit der mittelalterlichen Tradition hat Luther vor allem das Zusammenspiel von confessio peccatorum et laudis aufgenommen und die untrennbare Zusammengehörigkeit beider Elemente betont80. Dieses Zusammenspiel findet sich im Bekenntnis in Dsa wieder und zwar in der Zusammengehörigkeit des Bekenntnisses des eigenen Unvermögens zum Heil (Dsa 288,16-30) mit dem Lob Gottes, der das Heil des Menschen zu seiner alleinigen Sache macht (288,31-289,3). Im weiteren Gang des Textes wird die Frage der Gerechtigkeit Gottes angesprochen und damit auch das Bekenntnis des Glaubens zu dieser Gerechtigkeit - wider allen Augenschein 77 78

79

80

Sprechend in diesem Zusammenhang ist auch der Übergang vom Singular securus et certus sum (288,33f) zum Plural certi sumus et securi (288,40). Vgl. u. Anm. 611. Mit den iustitiarii waren ursprünglich Amtsträger im Rechtswesen gemeint; Luther hat diesen Ausdruck übertragen auf die Menschen, die versuchen, durch Werkgerechtigkeit vor Gott zu leben; vgl. Luther, StA 2, 458, Anm. 420 (mit Angabe verschiedener Luther-Stellen). Vgl. auch Cl 5, 426f (Predigt zu Mt 11,25; 1517). Luther beschreibt die vergeblichen Mühen der Menschen, sich durch Werke ein ruhiges Gewissen zu verschaffen; 426,29-31: Ideo quantumcunque operentur, laborent, speculentur, nihil aliud faciunt quam quod animae inquietudinem augeant quam per haec fugere quaerunt [...]. 427,7-10: [...] laboramus, ut quiescamus, et id ipsum laborare magis nos onerat, quia peccatum magis augetur nostra iustitia et operibus, non alleviato nec securatur conscientia, sed magis affligitur per illam. 427,12f: Haec sunt officia et opera iustitiariorum. STh II/II, q 3 a 1 ad 1: [...] triplex est confessio quae in Scripturis laudatur. Una est confessio eorum quae sunt fidei. [...] Alia est confessio gratiarum actionis sive laudis. [...] Tertia est confessio peccatorum. Cl 5, 355,9f: [...] imo confessio peccatorum et laudis est una eademque confessio [...]; 355,12-14: Illa est enim vera confessio, qua homo dat Deo gloriam de iustitia, sapientia, virtute, cunctisque operibus, sibi vero nil nisi peccatum, stultitiam, infirmitatem, atque id ipsum vero ore, corde atque opere. Vgl. Cl 5, 70,27f (mit Hinweis auf Hieronymus). Vgl. auch WA 4, 109,21f: [...] duplex confessio [...] peccati nostri et gratie dei [...]. Dazu: G. Bader, Assertio, 191.

Struktur und Themen des Bekenntnisses

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(289,13f; 291,17f). Das Bekennen wird im weiteren Sinn - auch für die Vernunft (289,38) - thematisch. Mit dem Zitat des Lobpreises aus Rom 11,33 (289,20-22), mit der Anspielung auf Jeremia (d.h. vor allem auf dessen Konfessionen: 290,24; vgl. 214,28-31) finden sich weitere Bekenntniselemente im Verlauf des Textes, der als ganzer durchaus als Bekenntnis verstanden werden kann. IV. Struktur und Themen des Bekenntnisses Der Bekenntnistext hat zwei größere Teile: Einen ersten Teil, das Bekenntnis im engeren Sinn (Dsa 288,16-289,3) und einen zweiten Teil, das Bekenntnis im weiteren Sinn (289,4-291,19). Der erste Teil ist durch die Eingangsworte „Ich bekenne gewiß von mir" deutlich als persönliches Bekenntnis gekennzeichnet. Das gleich zweimal betonte Ego (288,16.30) sowie die Zeugnisse aus der eigenen Biographie und die Berichte von individuellen Erfahrungen weisen das Ganze - wie schon gezeigt (s.o. ΙΠ) - als persönliches Bekenntnis Luthers aus. Erst am Schluß dieses Abschnitts (ab 288,38) weitet sich der individuelle Horizont; Luther spricht von da an in der Wir-Form, stellt sein eigenes Bekennen in einen umfassenderen Rahmen, bückt auf die Heiligen der Kirche (289,3). Selbst wenn er ihn haben könnte (Luther redet in diesem Abschnitt oft im Irrealis, weil für ihn die Willensfreiheit gegenüber Gott eben eine Irrealität ist), wollte ihn Luther doch nicht, den freien Willen, mit dem er zum Heil, zur Seligkeit streben könnte. Warum diese Ablehnung? Luther gibt zwei Gründe an: Zum einen könnte er angesichts so vieler Gefahren, Anfechtungen und Dämonen nicht bestehen und den freien Willen bewahren; er wäre mit seiner Willensfreiheit als schwacher, bekämpfter und umkämpfter Mensch verloren. Zum anderen könnte er, auch wenn es alle diese vom Menschen nicht plan- und gestaltbaren Widrigkeiten nicht gäbe, durch eigene Bemühung, selbst durch fortwährendes ethisches Wirken, sich im Verhältnis zu Gott nicht vergewissern; es bliebe doch immer die unüberbrückbare Kluft zwischen dem endlichen Bemühen des Menschen und den Forderungen des unendlichen Gottes. Aufgrund wiederholter Hauptstichworte (auffällig ist besonders die dreimal wiederkehrende Reihung certus et securas; securas et certus: 288,26.33f40) ergeben sich Gesichtspunkte für eine Zusammenfassung dieses ersten Teils: Angesichts vieler Anfechtungen und der Unmöglichkeit des Menschen, sich durch eigene Bemühungen, durch eigene Werke vor Gott Gewißheit zu verschaffen, gibt es für Luther Heilsgewißheit nicht durch den freien Willen und die Werkgerechtigkeit des Menschen, sondern nur durch die zugesprochene Gnade und Barmherzigkeit Gottes.

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Luthers Bekenntnis

Mit dem an Rom 3,21 (Vulgata: Nunc autem ...) erinnernden At nunc81 (288,31) ist im Text die Wende vom gescheiterten menschlichen Bemühen zur göttlichen Hilfe, vom Sündenbekenntnis zum Lobbekenntnis, von der Klage zum Lob markiert. Ein Subjektwechsel ist angedeutet; war vorher das Ego Subjekt, so ist es jetzt Gott. Auch im Modus der Sprache hat sich ein Wandel vollzogen - vom Irrealis zum Realis. Das Zitat aus Joh 10,28f (288,36f) weist schon auf die Problematik der Prädestination82 voraus, die im zweiten Teil des ganzen Bekenntnisses (v.a. im Rahmen der Lichterlehre) noch das bedrängendste Thema werden soll. Mit den Themen des ersten Teils des Bekenntnisses greift Luther den dritten Punkt des Schlüsseltextes von Dia (s.o. A. 1.4.) auf, also die Fragen der Anthropologie, der Soteriologie und der Ethik. Im zweiten Teil des Bekenntnisses setzt Luther neu ein; die Konjunktion „wenn" (si: 289,4) am Anfang weist schon darauf hin, daß die Sprache des Bekenntnisses erweitert wird und jetzt stärker wieder der argumentative Stil der Rede in den Vordergrund rückt. Luther bezieht sich auf etwas, er geht ein auf das Problem (das gerade auch das Problem des Erasmus war: Dia IV4, 163f), wie Gottes Gerechtigkeit und Gnade angesichts offensichtlicher Ungerechtigkeiten in seinem Heilswirken (Prädestination) zu wahren sind. Als gerechtfertigter, seines Heils gewisser Gottloser (1. Teil des Bekenntnisses) fragt Luther jetzt nach den anderen Gottlosen, die genauso unter der Übermacht der Sünde und des Gotteszornes stehen (Eph 2,3) und scheinbar doch nicht gerettet werden. Ist das nicht ungerecht? Wie ist das zu begreifen? Der Vernunft ist hier eine unüberwindliche Grenze gesetzt; sie kann die Kluft zwischen dem Sein des Menschen und dem Sein Gottes aus eigenen Kräften nicht überbrücken. Was ist der Mensch im Vergleich mit Gott, fragt Luther in ständig variierten Anläufen und erinnert an die Fragenkette in den Gottesreden des Hiobbuches (Hi 38-41). Gott und all sein Wesen ist der Vernunft völlig unbegreiflich, also muß ihr auch Gottes Gerechtigkeit völlig unbegreiflich und unzugänglich bleiben (Dsa 289,17-19.37-40). Gott bleibt dunkel und verborgen. Nur der Glaube kann in diese Kluft und in dieses Dunkel springen und inzwischen - bis zur endgültigen Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit (hier blickt Luther schon vor auf das Licht der Herrlichkeit ganz am Ende seines Bekenntnisses) - das glauben, was er jetzt noch nicht schauen und was die Vernunft überhaupt nicht begreifen kann (289,13f; 290,1-4). Der Abschnitt 289,4-290,4 ist durch die Hauptstichworte Gericht, Gerechtigkeit, Ungerechtigkeit und vor allem Unbegreiflichkeit deutlich geprägt.

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Das At nunc erinnert auch an den reformatorischen Durchbruch, an die Wende im Verständnis der Gerechtigkeit Gottes (vgl. Cl 4, 427,11-428,21; v.a. 427,35: Donec ... . Vgl. auch Cl 8, Nr. 5518). Joh 10,28f gehört für Luther, wie er in seiner Römerbriefvorlesung betont, zu den feststehenden Schriftbeweisen für die Prädestination (probationes immutabilis predestinationis ex Scripture verbis: Cl 5, 267,14f): Cl 5, 267,33f.

Struktur und Themen des Bekenntnisses

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Trotz des Stilwechsels und der Verschiebung im inhaltlichen Schwerpunkt (weg von der Frage nach der Heilsgewißheit des Menschen hin zur Frage nach Gottes Gerechtigkeit) hat Luther aber die Form und den Ausdruck des Bekenntnisses nicht gänzhch verlassen. So bewahrt er, wie schon gezeigt (s.o. III), die konfessorische Sprache innerhalb seiner Argumentation, vor allem mit der Aufnahme des paulinischen Lobpreises aus Rom 11,33. Dieses Zitat aus dem Römerbrief prägt den ganzen ersten Abschnitt im zweiten Teil des Bekenntnisses und gibt ihm sein Thema: Es geht um die fur die menschliche Vernunft unbegreifliche Gerechtigkeit Gottes, die nicht erkannt und noch nicht geschaut, sondern nur geglaubt werden kann (289,14; 290,1). Luther fuhrt diese Gedanken dann im folgenden Unterabschnitt (290,5-36) weiter und gibt ein Beispiel zur Bestärkung des Glaubens und zur Ermutigung der Vernunft. Für Gott ist die Vernunft nicht zuständig, das Sein Gottes ist ihr unzugänglich und verborgen. Doch sie ist fur die Dinge der Welt, des Menschen und seiner Geschichte zuständig. Will sie nun aber aus dem Weltgeschehen auf Gott schließen, so kommt sie entweder zur Behauptung von Gottes Ungerechtigkeit oder überhaupt zur Leugnung Gottes, zum Atheismus (290,7-10). Gottes Gerechtigkeit wird jetzt von Luther vor dem Hintergrund der Theodizeefrage thematisiert. Man kann in der Welt befragen, was und wen man will: Von der Elegie eines Ovid, über Sprichwörter, in denen Erfahrungen der Menschen gesammelt, oder Geschichtsbücher, in denen sie aufgeschrieben sind, bis zu den biblischen Klagen bei Hiob, bei Jeremía oder in den Klagepsalmen (für die David und Asaph [290,24] stehen) - alle Zeugnisse und Urteile (290,16)83 der menschlichen Kultur bekunden hier himmelschreiende Ungerechtigkeiten, die nur auf einen zutiefst ungerechten Gott schließen lassen, sollte es überhaupt einen Gott geben. Der Lauf der Welt zwingt offenbar

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Dies ist natürlich ein recht einseitiges Urteil Luthers, der die Zeugnisse der Kultur unter dem besonderen Aspekt seiner Anfechtungstheologie auswählt. Erasmus weist in seiner Antwort auf Luthers Bekenntnis im 2. Buch des Hyperaspistes (Opera omnia, Bd. 10, 1515 E - 1518 C) im Gegenzug darauf hin, daß auch die Heiden aus den geschaffenen Dingen die Existenz Gottes, des besten und größten Seins, erschlossen hätten (1517 B: Et tarnen ex rebus conditis Ethnici quoque deprehenderant esse Deum, eumque dixerunt Optimum maximumque). Mit deutlich an Thomas von Aquin erinnernden Worten stellt der Humanist heraus, daß der Glaube, der Gottes Gerechtigkeit bekennne, nicht jegliche natürliche Erkenntnis zurückweise, sondern daß er sie, die auch von der Gerechtigkeit Gottes wisse, vollende (ebd: Fides non repellit omnem naturae cognitionem, sed earn perficit. Vgl. STh I, q 1 a 8 ad 2: Cum enim gratia non tollat naturam, sed perficiat, oportet quod naturalis ratio subserviat fidei [...]). Schließlich verweist Erasmus noch auf ein Brieffragment Ciceros und auf die letzten Zeugnisse des sterbenden Sokrates; beide hätten mit Zuversicht und ohne Hader mit den Göttern auf ein jenseitiges Zusammensein mit den, ihnen schon vorangegangenen, Seelen der Tugendhaften geblickt (vgl. aaO 1517 B-C).

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zu diesem Urteil (290,17)84. Angesichts der Erfahrungen in diesem Weltlauf müssen Menschen, die allein aufgrund ihrer Vernunft erkennen und begreifen wollen, daß dieser Weltlauf von einer göttlichen Vernunft, von einem göttlichen Plan geprägt ist, scheitern. So wurden auch die größten Geister in der Geschichte, schreibt Luther, zu Gottesleugnern. Die Epikuräer und auch Plinius können im Weltlauf nur noch das Wirken des blinden Glücks erkennen. Im Grunde wurde auch der große Aristoteles, der Philosoph, zum Gottesleugner, weil er seinen Gott, das höchste Sein, den ersten Beweger nur dadurch „retten" kann, daß er ihn isoliert und vom Weltgeschehen distanziert, damit er den elenden Weltlauf, dieses Jammertal, nicht mit ansehen muß und damit er auch nichts damit zu tun haben soll, daß so verdiente und wohlmeinende Leute wie die bedeutendsten Redner der Antike, Cicero und Demosthenes, in einen schrecklichen und elenden Tod85 getrieben wurden. Der Glaube ist dieser Bedrängnis der Vernunft und der Welterfahrung nicht einfach enthoben, ja die Beispiele eines Jeremía oder Hiob, die die bitteren Erfahrungen des verborgenen Gottes machen mußten, zeigen, daß er noch mehr (magis: 290,23) als alle Vernunft in tiefste Anfechtimg gestürzt werden kann. Trotzdem kommt der Glaube in dieser Frage weiter als die Vernunft, indem er nämlich der Botschaft des Evangeliums glaubt, daß es ein Leben nach diesem Leben gibt, in dem die ausgleichende, bestrafende und belohnende, göttliche Gerechtigkeit schließlich die Oberhand behalten wird (290,31-36). Mit der im vorigen Abschnitt schon angesprochenen Rede von den Lichtem (vgl. 290,29f: Licht des Evangeliums) bringt Luther den ganzen Gedankengang und sein Bekenntnis schließlich zu einem Endpunkt. Er bedient sich dabei der scholastischen Unterscheidimg der drei Lichter86, mit der, etwa bei Thomas von Aquin, verschiedene Grade und Stufen der Gotteserkenntnis angesprochen sind. Mit Hilfe dieser Unterscheidung reflektiert Luther die Probleme des zweiten Teils seines Bekenntnisses, also die Probleme der Theodizee und der Prädestination. Im Licht der Natur findet die Vernunft keine Lösung für die Ungerechtigkeiten der Welt. Die Vernunft muß am Problem der Theodizee scheitern. Der Glaube aber sieht hier im Licht der Gnade, des Evangeliums und des Wortes weiter, weil er über dieses Leben und diesen Weltlauf ins ewige Leben schon vorausschauen, besser gesagt: hineinglauben 84

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Vgl. die entsprechenden Aussagen in WA 42, 481,36-38: Videmus summos doctrina viros, cum et bonorum pericula, et malorum successus vidèrent, ista quasi iniquitate sie offensos, ut negarent providentiam aliquam dei esse aut curam de hominibus, et statuerent omnia temere ferri. Dazu, mit Bezug auf Cicero: WA 42, 482,10-23. Cicero wurde von den Schergen des Antonius ermordet; dieser ließ das abgeschlagene Haupt und die abgehackte Hand Ciceros auf der Rednerbühne zum Spott aufstecken. Demosthenes wurde von seinen politischen Verfolgern in den Selbstmord getrieben. Vgl. Erasmus, Hyperaspistes II, Opera omnia, Bd. 10, 1517 F: [...] proferì nobis Scholasticorum distinetionem, quam praeter suum morem probat, proponens ob oculos nobis tria lumina, naturae, gratiae & gloriae.

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kann. In beiden Lichtern aber gibt es kein Weiterkommen im Hinblick auf die Frage, wie Gott die Menschen, die aus eigenen Kräften nichts anderes als schuldig werden können, überhaupt verdammen kann. Das Gericht Gottes, seine Gerechtigkeit, die das Licht der Gnade in bezug auf die Theodizee lösen konnte, bleiben an diesem Punkt unbegreiflich und dunkel. Aber, so folgert Luther in einem Schluß vom Kleineren zum Größeren87, wenn schon das Licht der Gnade die über Jahrhunderte im Licht der Natur nicht gelöste Frage nach Gottes Gerechtigkeit angesichts der zahllosen Ungerechtigkeiten der Welt so leicht gelöst hat, um wieviel mehr muß dann nicht das Licht der Herrlichkeit das Wunder (miraculum: 291,19) einer Lösung mit sich bringen, wenn schließlich alles, auch der verborgene Gott mit seinen abgründigen, dunklen Gerichten der Prädestination ins vollkommene Licht gerückt sein wird? Das alles ist jetzt auch für die Gläubigen noch nicht zu schauen, es ist aber einstweilen (tantisper: 290,1) und inzwischen (interim: 291,17) zu glauben und zu erhoffen. Mit den Themen des zweiten Teils seines Bekenntnisses entspricht Luther den ersten beiden Punkten des Schlüsseltextes von Dia (s.o. Α. I.4.), also den Fragen nach der Herkunft des Bösen, der Gottlosigkeit und der Frage nach Gottes Gerechtigkeit angesichts vielfaltiger Ungerechtigkeiten. Im Überblick des ganzen Bekenntnistextes läßt sich folgende Gliederung erstellen: 1. Das Bekenntnis der Heilsgewißheit (288,16-289,3) 1.1 Der Verzicht auf die Willensfreiheit (288,16-30) 1.2 Das Vertrauen auf Gott (288,31-289,3) 2. Die Frage nach Gottes Gerechtigkeit: Ist Gott gerecht angesichts der Ungerechtigkeiten in seinem Weltwirken (Theodizee) und in seinem Heilswirken1"1 (Prädestination)? (289,4-291,19) 87

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Vgl. H. Lausberg, Elemente, § 41 (locus a minore ad maius). Vgl. den rabbinischen kal-wähömer-Schluß bei Paulus, etwa in Rom 5,15.17. Dazu: J. Jeremias, Paulus als Hillelit! 92. Die Begriffe Weltwirken und Heilswirken erinnern an C.H. Ratschows viel diskutierten Aufsatz zur Problematik der Vorsehungslehre (Das Heilshandeln und das Welthandeln Gottes). Vgl. aaO 63: „Wo der Glaube an Gott in Christo es wagt, sich der Welt als Natur und Geschichte ausgesetzt zu halten und diesen Gott in und an der Welt, Gott sein zu lassen, da reißt das Gottesbild des liebenden Vatergottes und das des weltverborgenen Herrschers immer wieder auseinander." Hinsichtlich des Problems, „Gottes unbegreifliches Welthandeln in Natur und Geschichte und sein Heilshandeln als der Vater Jesu Christi" (aaO 73) zu verbinden, „den immer erneut aufklaffenden Riß zwischen dem Welthandeln Gottes und seinem Heilshandeln zu vermitteln" (aaO 70), hält Ratschow harmonisierende teleologische oder ordnungstheologische Lösungen für völlig untauglich. Er verweist stattdessen auf „das stellvertretende Dasein der Kirche [und Israels: aaO 64-73] für die Welt einerseits wie die Angefochtenheit des

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Luthers Bekenntnis

2.1 Die für die Vernunft unbegreifliche, aber zu glaubende Gerechtigkeit Gottes (289,4-290,4) 2.2 Das Beispiel89 zur Bestärkung dieses Glaubens (290,5-291,19) 2.2.1 Der Lauf der Welt (290,5-36) 2.2.2 Die Rede von den drei Lichtern (290,37-291,19)

Glaubens andererseits" (aaO 80), in denen „das Weltunrecht und das Weltunheil leidend und betend vor Gott" (aaO 73) gebracht werden. Härles Argumente dafür, „die Rede vom 'Wirken Gottes' dem gebräuchlichen Begriff 'Handeln Gottes' vorzuziehen" (Dogmatik, 285; vgl. 282-285), halte ich für überzeugend; deshalb die Änderung an Ratschows Terminologie, an der ich mich - ohne damit Ratschow in allen inhaltlichen Fragen seines Aufsatzes zuzustimmen - grundsätzlich orientiere. Im Hinblick auf Luthers Unterscheidung zwischen verborgenem und offenbarem Gott könnte in differenzierter Weise das „Wirken" eher dem verborgenen und das „ H a n d e l n " e her dem offenbaren Gott zugeordnet werden. Th. Harnack (Luthers Theologie I, 185) unterscheidet bei Luther „eine weltregierende und welterlösende Versehung". 89 Dieser Unterabschnitt 2.2 ist innerhalb des ganzen zweiten Teiles des Bekenntnisses deutlich durch das Stilmittel der inclusio (vgl. H. Lausberg, Elemente, § 261) gegliedert; exemplum (290,5) und exemplo (291,18) bilden eine Klammer und fassen das Eingeklammerte als besondere Einheit zusammen. Luther gebraucht nicht nur solche rhetorische Stilmittel in seinen Ausführungen, er geht immer wieder auch auf inhaltliche Probleme und Fragen der Rhetorik ein - oft in polemischer Wendung gegen Erasmus (z.B. Dsa 107,21-108,6; 158,25-28, 217,8-15; 222,40; 252,29f); er erwähnt auch den Klassiker der antiken Rhetorik, Quintilian (etwa 107,25).

Zweiter Teil: Luthers Bekenntnis der Heilsgewißheit A. Der Mensch - eine umkämpfte Mitte I. Die erasmische Konzentration auf die Mitte Erasmus ist ein Mensch und ein Denker der Mitte. Immer wieder läßt sich in seinem Denken eine „Konzentration auf die Mitte"90 feststellen. Zur erasmischen Hermeneutik etwa gehört die „Mitte zwischen Quelle und Ziel, Ursprung und Vollendung"91. Das Bedenken der Mitte ist auch „das eigentümliche Merkmal der erasmischen Anthropologie, Kosmologie und Theologie."92 Christliche Frömmigkeit ist für Erasmus im Mittelbereich zwischen Schöpfung und Vollendung zuhause. Die menschliche Willensfreiheit spielt eine Rolle beim Fortschreiten zwischen göttlichem Anfang und göttlicher Vollendung (Dia IV8, 171f). Erasmus hat eine Vorliebe für triadische Strukturen93, die das Bedenken der Mitte formal möglich machen. Vor allem für die erasmische Anthropologie ist dies kennzeichnend. Der Mensch ist für Erasmus das „Wesen der Mitte"94, „vom Schöpfer zwischen sichtbare und unsichtbare Wirklichkeit gestellt, beiden untrennbar verbunden und ihren Gesetzen in Freiheit preisgegeben."95 Im folgenden ist zunächst die Tradition dieses Bedenkens der anthropologischen Mitte zu entfalten. II. Der Mensch als Wesen der Mitte Es gehört zum festen Bestand abendländischer Anthropologie, dem Menschen eine ambivalente Position als „Zwitterwesen"96 zuzuschreiben: Der Mensch hat die Stellung eines Zwischen, sein ontologischer Ort Hegt in einer Mitte, er

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M. Hoffmann, Glaube und Frömmigkeit, 16; vgl. 25; 26; 29. AaO 16. Ebd. Vgl. D. Kerlen, Assertio, 279. Dazu auch: M. Hoffmann, Erkenntnis und Verwirklichung, 64. A. Auer, Die vollkommene Frömmigkeit, 67; 69; 80. AaO 80. H. Plessner, Die Frage nach der Conditio humana, 55.

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Der Mensch - eine umkämpfte Mitte

ist das Wesen in der Mitte zwischen Tier und Gott.91 Schon die frühesten Überlieferungen menschlicher Kultur zeugen von einer festen Verbindung zwischen Mensch, Tier und Gott. Die Höhlenmalereien in Nordspanien und Südfrankreich, die Zeugnisse des Totemismus, die archäologischen Funde über den frühmenschlichen Brauch von Tierbestattungen und vieles andere mehr lassen auf einen archaischen Tierkult schließen, in dem ein eigenartiger, nicht leicht zu entwirrender Zusammenhang von Animalischem, Menschlichem und Göttlichem zu Tage tritt98. Erst in der jüdisch-christlichen Überlieferung und in der griechischen Antike kristallisiert sich in diesem Zusammenhang eine bestimmte Ordnung heraus, die prägend für die ganze weitere Entwicklung der abendländischen Geistesgeschichte blieb. Der jahwistische Bericht von der Namengebung der Tiere durch den Menschen (Gen 2,19f) beschreibt die Sonderstellung des Menschen darin, daß der von Gott zur Namensnennung ermächtigte Mensch unter Gott steht und durch diesen Herrschafìsakt über dem Tier. Der 8. Psalm redet vom Menschen - wenig niedriger gemacht als Gott und zugleich zum Herrn über die Tiere eingesetzt. Sicher kann die Bibel den Menschen auch ganz anders sehen und ihn - in bestimmter Hinsicht - dem Tier gleichstellen: „Denn es geht dem Menschen wie dem Vieh, wie dies stirbt, so stirbt auch er...", sagt der Prediger Salomo (3,19); doch das ist Ausdruck einer Krise, vielleicht sogar einer Verzweiflung und Resignation99. Grundsätzlich verortet die biblische Überlieferung den Menschen zwischen Tier und Gott, und ebenso geschieht dies auch in der philosophischen Tradition der Griechen100. Aristoteles stellt im zweiten Kapitel des 1. Buches seiner Politik die zwei fur die Philosophiegeschichte wohl bedeutendsten Definitionen des Menschen auf: Der Mensch ist zum einen das Tier, das den Logos hat101. Im Logos, in der Sprache und im Denken, bestimmt der Mensch das Nützliche und Schädliche. das Gute und Schlechte, das Gerechte und Ungerechte. Die Gemeinschaft in diesen Dingen, so Aristoteles, schafft schließlich das Haus und den Staat das animal rationale wird animal sociale, ein gesellschaftsbildendes Tier102. „Wer aber", so folgert Aristoteles nun weiter, „nicht in Gemeinschaft leben 97

Vgl. Plotin, Enneades 111,2,8 (Opera, Bd. 1, 280, Z. 9): άνθρωπος έν μέσω θεών και θηρίων [...]. 98 Vgl. Η. Kühn, Das Erwachen der Menschheit, bes. 149-168. 99 Vgl. G. v. Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd. 1, 473: „So bleibt Kohelet nichts anderes, als sich tief resigniert in diese tragische Existenz zu ergeben." Vorsichtiger in der Deutung von Koh 3,19 ist H. Gese (Zur Komposition des Koheletbuches, 76, bei Anm. 19). Nach Gese ergibt sich überhaupt aufgrund seiner „Kompositionsbetrachtung [...] ein anderes Bild für Kohelet als das des radikalen Skeptikers" (aaO 96). 100 B. Snell, Die Entdeckung des Geistes, 133: „Der Mensch gewinnt seinen Ort zwischen Tier und Gott." Vgl. H. Weinstock, Die Tragödie des Humanismus, 57; 130. 101 Politela 1, 2; 1253a 9f. 102 AaO 1253a 7f. Vgl. Thomas, STh I/II, q 72 a 4 c: [...] homo est naturaliter animal politicum et sociale [...].

Der Mensch als Wesen der Mitte

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kann, oder in seiner Autarkie ihrer nicht bedarf, der ist kein Teil des Staates, sondern ein wildes Tier oder Gott."103 Aristoteles definiert den Menschen so, daß er ihn abgrenzt vom Tier, das nicht in vernünftiger Gemeinschaft leben kann, und von Gott, der diese Gemeinschaft aufgrund seiner Selbstgenügsamkeit nicht braucht. Tier und Gott sind die zwei Bezugsgrößen, die dem Menschen seine besondere Stellung zwischen beiden zuweisen. Neben dieser Spannungsaussage, wonach der Mensch in der Spannung, in der Polarität zwischen Tier und Gott steht, ist auch noch ein anderer Aspekt zu beachten. Danach steht der Mensch nicht zwischen Tier und Gott, sondera besteht aus Leib und Seele, ist weniger in eine Mitte gestellt, sondern vielmehr zusammengestellt aus Natürlichem und Geistigem. Aristoteles betrachtet den Menschen auch als ein „aus Leib und Seele zusammengesetzte^] Menschenwesen"104; für Thomas von Aquin ist der Mensch ein Wesen, qui ex spirituali et corporali substantia componitur105. Wenn auch diese Vorstellung vor allem unter dem großen Einfluß Descartes' in der Moderne bis in unsere Zeit hinein etwa im Problem des Leib-Seele-Dualismus virulent geblieben ist, so ist doch die andere Formel, die dem Menschen seinen ontologischen Ort in der Mitte und in der Spannung zwischen Tier und Gott zuweist, nie ganz verloren gegangen. Die jeweilige Benennung und Füllung der zwei Pole in der Spannung kann sich ändern - trotzdem bleibt die Struktur die gleiche. Augustin z.B. scheut den direkten Vergleich von Gott und Mensch und bezeichnet den Menschen deshalb als medium [...] inter pecora et angelis106, als Mitte zwischen den Tieren, mit denen er die Sterblichkeit gemeinsam hat, und den Engeln, mit denen er die Vernunft gemeinsam hat. Pascal stellt den Menschen in eine Mitte zwischen den beiden Abgründen des Unendlichen und des Nichts101. Kant sieht den Menschen als Bürger zweier Welten zwischen Sinnenwelt und intelligibler, moraüscher Welt108; Kierkegaard betrachtet den Menschen zwischen „Unendlichkeit und Endlichkeit, [...] Zeitlichem und Ewigem, [...] Freiheit und Notwendigkeit"109.

103 AaO 1253a 27-29; Gigon-Ausgabe, 50. 104 Nik. Ethik X,7; 1177b 27; Bien-Ausgabe, 250. Vgl. Piaton, Phaidros 246c. Der Tod ist die Trennung der Zusammenfügung von Seele, die in sich nichts Zusammengesetztes ist (Phaidon 78c), und Leib (Phaidon 64c); das Bestreben des Philosophen ist es, auf diese Trennung hinzuleben, sich dem Seelischen, das heißt letztlich dem Göttlichen (Phaidon 80a-b), zuzuwenden und sich vom Leiblichen abzuwenden (Phaidon 64e-65a; 67b-e). 105 STh I, q 75 introductio; vgl. q 50 introductio. 106 De civ. Dei IX, 13; CChr.SL XLV1I, 261, Z. 72; vgl. 72-76. 107 Vgl. B. Pascal, Gedanken, Paepcke-Ausgabe, Nr. 72; vgl. Nr. 140 und 358: „Der Mensch ist weder Engel noch Tier; das Verhängnis aber ist es, daß wer den Engel spielen will, zum Tier wird." 108 Vgl. I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft; Weischedel-Ausgabe, Bd. 6, 210. 109 S. Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode; Richter-Ausgabe, 13.

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Der Mensch - eine umkämpfte Mitte

Noch der große Antimetaphysiker und Antichrist Nietzsche denkt in dieser Tradition, muß aber, da Gott tot ist, den göttlichen Pol der Spannung neu durch den Übermenschen besetzen; deshalb ist der Mensch bei Nietzsche bestimmt als „ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch - ein Seil über einem Abgrunde."110 Die Beispiele aus verschiedenen Epochen zeigen den bleibenden Einfluß der Spannungsaussage; trotz aller Varianten hinsichtlich der Extreme der Polarität, blieb die Grundstruktur, die den Menschen als Wesen einer Mitte setzt, erhalten. Erst in unserem Jahrhundert folgte dann - unter Aufnahme von Ansätzen aus dem 19. Jahrhundert, etwa von Darwin oder Nietzsche - eine grundsätzliche Akzentverschiebung. Nach Arnold Gehlen brachte Max Schelers 1928 erschienenes kleines Werk „Die Stellung des Menschen im Kosmos" „eine merkwürdige und erstaunliche Wendung, indem es den Menschen nicht in Vergleich oder in Beziehung zu Gott interpretierte, sondern indem es nach dem Wesensunterschied von Mensch und Tier fragte [...] - nicht in der Ähnlichkeit zu Gott, sondern in dem Gegensatz zum Tier wurde der Mensch interpretiert."111 Was Gehlen hier anspricht, ist deutlich: Die moderne Anthropologie will sich als strenge Wissenschaft behaupten, ja 110 F. Nietzsche, Also sprach Zarathustra; Schlechta-Ausgabe II, 281; vgl. aaO 340: „[...] der Mensch auf der Mitte seiner Bahn [...] zwischen Tier und Übermensch [...]". Bei Nietzsche häufen sich die Mensch-Tier-Vergleiche: „Wir leiten den Menschen nicht mehr vom 'Geist', von der 'Gottheit' ab, wir haben ihn unter die Tiere zurückgestellt. Er gilt uns als das stärkste Tier, weil er das listigste ist" (Der Antichrist, Aph. 14; Schlechta-Ausgabe II, 1174); der Mensch ist das ,/ioch nicht festgestellte Tier" (Jenseits von Gut und Böse; Schlechta-Ausgabe II, 623); er ist „ein vielfaches, verlogenes, künstliches und undurchsichtiges Tier" (aaO 752); er ist „tapferes, erfinderisches Tier, das auf Erden nicht seinesgleichen hat" (aaO 755); er ist „ein interessantes Tier" (Zur Genealogie der Moral; Schlechta-Ausgabe II, 778); er ist ,jcrankhaßes Tier [. . .] das tapferste und leidgewohnteste Tier" (aaO 899). 111 A. Gehlen, Anthropologische Forschung, 14f. Aufgrund des Vergleiches von Tier und Mensch ergibt sich dann folgende Gegenüberstellung: „In biologischer Sicht [...] läßt sich das Verhalten des Menschen mit dem der Tiere kontrastieren. Der Umweltgebundenheit der Tiere steht die Weltoffenheit des Menschen gegenüber." (H. Plessner, Homo absconditus, 140.) Hier hat W. Pannenberg theologisch-anthropologisch angeknüpft mit der Erweiterung der Weltoflenheit zur „Gottoffenheit" (Was ist der Mensch?, 5): Der Mensch „ist offen auch über die Welt hinaus" (aaO 10); die „Weltoflenheit des Menschen setzt eine Gottbezogenheit voraus." (AaO 12.) „Der Umweltgebundenheit der Tiere entspricht also beim Menschen weder sein Verhältnis zur Naturwelt, noch die Vertrautheit mit seiner Kulturwelt, sondern seine unendliche Angewiesenheit auf Gott. Was für das Tier die Umwelt, das ist für den Menschen Gott: das Ziel, an dem allein sein Streben Ruhe finden kann und wo seine Bestimmung erfüllt wäre." (AaO 13.) Weltoflenheit bedeute „im Kern Gottoffenheit. Der Mensch als Mensch ist diese Bewegung durch die Welt hindurch zu Gott hin." (AaO 40.) Wenn der allgemeine Eindruck nicht täuscht, muß man allerdings feststellen, daß sich die moderne anthropologische Forschung in ihrer Breite von solchen eleganten, Gott gleichsam durch die Hintertür wieder hereinholenden Argumenten nicht hat überzeugen lassen.

Die Mitte der Mitte

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erst etablieren, muß sich deshalb von der theologischen und philosophischen Uberlieferung weit lösen und im Verbund mit Biologie, Zoologie, vergleichender Verhaltensforschung und anderen empirischen Wissenschaften ihr Thema und ihre Methoden suchen. Trotzdem: Auch wenn Scheler „die theistische Voraussetzung [...] eine[s] geistigen, in seiner Geistigkeit allmächtigen persönlichen Gott[es]"112 ablehnt, spricht er doch vom Geist und setzt ihn in Spannung zum Drang, zur Vital- und Triebsphäre des Menschen113; und noch Helmuth Plessners Bezeichnung des Menschen als „Exzentrische Mitte"1" erinnert an die alte Bestimmung des Menschen als Wesen in der Mitte zwischen Tier und Gott. „Von alters her", schreibt Plessner, „hat sich der Mensch als ein Zwischenwesen verstanden, halb Tier, halb Geist, eine Halbheit und Gebrochenheit, welche in eins die Quelle seiner Stärke und Schwäche ist.""5 Aufgrund neuerer Entwicklungen in dai Naturwissenschaften (Neurobiologie, Himforschung, Kybernetik) und auch der Philosophie - vgl. etwa die Arbeiten von Hilary Putnam (dazu: A. Burri, Hilary Putnam, 15-52; 119ff), gedanklich vorbereitet durch Werke wie La Mettries „L'homme machine" (1748), vor allem aber angetrieben durch Forschungen zur künstlichen Intelligenz, die an der Kompatibilität von Gehirnstrukturen und Computerfunktional arbeiten, müßten die klassischen Bezugsgrößen für den Menschen noch einmal anders bestimmt werden: Der Mensch nicht mehr als Mitte zwischen Tier und Gott, sondern als Mitte zwischen Tier und Maschine. III. Die Mitte der Mitte Angesichts dieser Gebrochenheit, ja Zerrissenheit des Menschen zwischen Tier und Gott stellt sich die Frage nach der Einheit jenes besonderen Zwitterwesens Mensch. Was hält den Menschen in der beschriebenen Spannung zusammen? Wo hat die Mitte Mensch ihrerseits ihre Mitte? Eine paradigmati-

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M. Scheler, Die Stellung des Menschen im Kosmos, 91. Vgl. a a 0 92f. H. Plessner, Der Mensch als Lebewesen, 56. H. Plessner, Unmenschlichkeit, 200. Vgl. das soziologische Pendant dazu bei H. Schelsky, Zur Standortbestimmung der Gegenwart, 428: „Seinen geschichtlichen und sozialen Standort hat der Mensch stets von zwei Polen her gedeutet: von seinem Verhältnis zur Natur und von seinen Göttern [...]". Ein kunstgeschichtliches Pendant findet sich in H. Sedlmayrs berühmter kulturkritischer Streitschrift „Verlust der Mitte" (1948). Mit dieser Schrift, die eine intensive und breite Diskussion ausgelöst hat, wollte der konservative Kunsthistoriker auf den Verlust der Mitte in der modernen bildenden Kunst hinweisen. Er diagnostizierte - sicher zu einseitig - das Vorherrschen des Chaotischen, Dämonischen, der Zerrissenheit, der Zerstückelung, den Verlust göttlicher Ordnung und menschlichen Maßes. In einer Diskussion mit entschiedenen Befürwortern der modernen Kunst (etwa Th.W. Adorno) stellte Sedlmayr in einem „Bekenntnis" heraus, daß er „daran glaube, daß der Mensch hineingestellt ist zwischen das Chaos und den Kosmos zur freien sittlichen Entscheidung" (H.G. Evers [Hrsg.], Das Menschenbild in unserer Zeit, 207).

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Der Mensch - eine umkämpfte Mitte

sehe Antwort auf diese Fragen geben folgende Sätze, mit denen Immanuel Kant seine „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht" i m ersten Paragraphen eröffnet: „Daß der Mensch in seiner Vorstellung das Ich haben kann, erhebt ihn unendlich über alle andere auf Erden lebende Wesen. Dadurch ist er eine Person und, vermöge der Einheit des Bewußtseins, bei allen Veränderungen, die ihm zustoßen mögen, eine und dieselbe Person, d.i. ein von Sachen, dergleichen die vemunftlosen Tiere sind, mit denen man nach Belieben schalten und walten kann [?], durch Rang und Würde ganz unterschiedenes Wesen; selbst wenn er das Ich noch nicht sprechen kann; weil er es doch in Gedanken hat: wie es alle Sprachen, wenn sie in der ersten Person reden, doch denken müssen, ob sie zwar diese Ichheit nicht durch ein besonderes Wort ausdrücken. Denn dieses Vermögen (nämlich zu denken) ist der Verstand:"16

116 Weischedel-Ausgabe, Bd. 10, 407. Vgl. auch die berühmte Definition des PersonBegriffs bei Boethius, Theologische Traktate, 74: [...] personae est definitio: „naturae rationabilis individua substantia." Dazu: Luthers Kritik in seinem Galaterbriefkommentar von 1519; WA 2, 480,11-25. W. Eiert gibt im § 49 seiner Ethik (Das christliche Ethos, 419-431: „Die Ganzheit der Persönlichkeit") einen kurzen ideengeschichtlichen Abriß der Entwicklung des Personbegriffes. „Bis auf Plato ist der vorherrschende griechische Ausdruck für Person σώμα. Die leibliche Gestalt ist das eigentliche, das wesentliche des Menschen, das, was die Person ausmacht." (Das christliche Ethos, 421f. Doch schon der Ausdruck 'Leib' ist zu einheitlich; bei Homer etwa stehen dafiir die Haut oder die vielfaltigen Glieder des Menschen: B. Snell, Die Entdeckung des Geistes, 16-18.) Mit Piaton kommt dann eine entscheidende Wende. „In Piatos Phaedon [...] bricht mit einem Schlage [?] die Erkenntnis auf: Nicht der Körper, sondern die Seele ist das eigentliche, das wesentliche des Menschen. [...] Mit dieser Erkenntnis Piatos beginnt die europäische Geistesgeschichte, und das heißt nun auch: die Geschichte der europäischen Persönlichkeit." (Das christliche Ethos, 422; auch hier ist wieder zu differenzieren und zu beachten, was B. Snell über das „Erwachen der Persönlichkeit in der frühgriechischen Lyrik" [Die Entdeckung des Geistes, 56-81], über die „Innerlichkeit Sapphos" [aaO 62] und den „Prozeß der Individualisierung" [aaO 76] zu sagen weiß. Zu vergleichen ist damit H. Geses Beschreibung des „alttestamentlichen Spiritualismus" [Der Tod im Alten Testament, 49; vgl. 43] und der „transzendentefn] Gemeinschaft des Individuums mit Gott" [aaO 45].) Unter den Leitworten der Spiritualisierung (Neuplatonismus, Augustin), der Harmonisierung (Clemens von Alexandrien, Renaissance, Melanchthon), die im Bemühen um die, Natur und Geist zusammenführende, Ganzheit der Persönlichkeit (etwa bei Schleiermacher oder Goethe) gipfelt, und schließlich durch die Entspiritualisierung (Nietzsche, Klages) und durch geschichtliche Katastrophen zerschlagen wird, führt Eiert seinen Abriß zum Ende. „Die Christen", so Eiert, „sind in diese Geschichte der Persönlichkeit mitverwickelt." (AaO 429.) Sie sind aber entscheidend geprägt durch die bleibende Spannung zwischen alter und neuer Kreatur, zwischen Fleisch und Geist; deshalb „erscheint das Denken des Christen dualistisch, sein Lebensgefühl unharmonisch, geteilt, zersplittert, sein Wollen gebrochen." (AaO 419.) „Ganzheit wird [...] zum eschatologischen Begriff, wie es streng genommen auch der Begriff der Persönlichkeit ist. Denn christlich verstanden läßt sich die Persönlichkeit nur als das Ebenbild Gottes de-

Die Mitte der Mitte

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Kants Ausführungen stehen deutlich in der Tradition, die den Menschen als animal rationale definiert und von allen anderen Wesen abgrenzt. Der Mensch hat das, w a s das Tier nicht hat und was Gott schon immer in sich selbst ist: Verstand, Vernunft, Erkenntnis- und Denkvermögen. Da der Mensch aber nicht bloß erkennendes und denkendes Wesen, sondern auch begehrendes, wollendes und handelndes Wesen ist, tritt neben die Vernunft noch ein zweites, das als Zusammenspiel der zwei wichtigsten Seelenvermögen, Vernunft und Wille, den Menschen zum Herrn seiner Handlungen macht: der freie Wille. Die Mitte der Mitte ist das seiner selbst bewußte, vernünftige, sich in Freiheit selbst bestimmende Ich, das sich - zwischen Tier und Gott, zwischen Natur und Geist stehend - erkennt und das angesichts verschiedener Handlungsmöglichkeiten vor die Entscheidung gestellt ist. Exkurs: Zur Lozierung

der Willensfreiheit

in den klassischen

Seelenvermögen

Die Grundspannung innerhalb der Sichtweise der menschlichen Seelenvermögen ist schon bei Homer, der ,,erste[n] Stufe des europäischen Denkens" (B. Snell, Die Entdeckung des Geistes, 29) gegeben Für das Seelische hat Homer im wesentlichen drei Begriffe: Psyche, Thymos und Nóos (vgl. aaO 19). Die Psyche ist der Lebensatem des Menschen, der mit dem Tod entweicht und im Hades ein Schattendasein führt. So bleiben als Bezeichnungen des Geistigen im Menschen Thymos und Nóos, wobei der „Nóos im allgemeinen mehr das Intellektuelle, Thymos mehr das Emotionale" (aaO 21; dazu: A. Dihle, Die Vorstellung vom Willen in der Antike, 38f) umfaßt. Nóos ist eher ein Organ der Einsicht, der klaren geistigen Vorstellungen. Thymos, „nicht so sehr ein Organ der Aktion als der Reaktion" (aaO 24), steht für die affektiven Regungen, für dai Willen und den Charakter des Maischen (J H. Voss übersetzt den Ausdruck mit Herz, W. Schadewaldt mit Mut; im Deutschen hat sich das mit Thymos Verbundene in Ausdrücken wie Gemüt, Hochmut, Gleichmut, Schwermut, Übermut, Anmut... erhalten). Ganz strikt lassen sich die Begriffe aber nicht auseinanderhalten; die Vorstellungen gehen teilweise ineinander über. Entsprechende Phänomene begegnen auch in der Anthropologie des Alten Testamentes, z.B. in der Vielfalt dessen, für das das Wort Herz im AT steht: Gefühl, Vernunft, Wille ... (vgl. H.W. Wolff, Anthropologie des Altai Testaments, § 5). Auf jeden Fall ist schon mit Homer eine anthropologische Grundfrage für die weitere geistesgeschichtliche Tradition aufgegeben: Ist der Maisch ein durch seine vernünftigen und verständigen Kräfte alles andere leitendes oder ist er ein durch seine affektiven und emotionalen Kräfte viel eher getriebenes Wesen? Beherrscht er sich und seine Welt durch seine Vernunft oder wird er beherrscht von seinen Affekten und Leidenschaften? Habai die rationalen oder die irrationalen Kräfte die Oberhand? Die Medea des Euripides jedenfalls muß feststellen: „Doch mächtiger als die Einsicht ist die Leidenschaft [θυμός]" (Medea, V. 1079; in der Übertragung von J A. Härtung. Dazu: B. Snell, Die Entdeckung des Geistes, 120f. Vgl. auch die Klage des von der Sündenmacht versklavten Menschen in Rom 7,14-25). Begrifflich prägend für die ganze Tradition wurde dann die platonische Dreiteilung der Seele in λογιστικών (v.a. über stoische Vermittlung als ήγεμονικόν weitertrafinieren. So angesehen sind wir erst auf dem Wege, vollkommen Person zu werden." (AaO 431.)

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diert; vgl. Dia HIb4, 126/127 und Dsa 240,39: igemonicum), θυμοειδές, und έπιθυμητικόν (Platon, Politeia, 427d-443e; 588b-589b; Phaidros 246a-d; Timaios 69a-70d). Mit dieser Dreiteilung war für Piaton auch die Aufteilung der Tugenden und die Gliederung des Staates verbunden. Dai staatslenkenden Philosophen ist die Tugend der Weisheit zugeordnet; sie bedienen sich der Hilfe der Krieger oder Wächter, die sich an der Tugend der Tapferkeit orientieren, um dai untersten Stand der Bauern und Handwerker, dem die Tugend der Besonnenheit, der Mäßigung, zugeteilt ist, in der Ordnung zu halten Die schließlich alles harmonisch zusammenfügende Tugend der Gerechtigkeit gibt jedem Stand das Seine. Mit der Dreiteilung der Seelenkräfte hat Piaton in dem alten Konflikt zwischen den vernünftigen und den unvernünftigen Kräften des Maischen eine klare Zuordnung gefunden: Die vernünftige Kraft des λογιστικόν soll die niederen Begierden und Leidenschaften des έπιθυμητικόν beherrschen; das θυμοειδές, das Mutartige, ist der höhere Affekt, gleichsam die Willenskraft, die als natürlicher Verbündeter der Vernunft bei diesem Herrschaftsakt gegenüber den niederen Begierden dem obersten Denkvermögen beisteht (Politeia 439d-441c. Zur Weiterentwicklung dieser platonischen Aufteilung bis hin zu der noch heute geläufigen „Dreiteilung der Seelenvermögen in Wille, Vernunft und Gefühl": W. Härle, Dogmatik, 66, bei Anm. 20). Piatons Schüler Aristoteles hat die Differenzierung in den Seelenvermögen weiter untergliedert. Aristoteles geht von einer Zweiteilung aus und kommt dann durch weitere Unterscheidungen zu einer Vierteilung. Er unterscheidet in der Seele einen vernünftigen und unvernünftigen Teil; der vernünftige Teil wiederum ist untergliedert in die theoretische, Unveränderliches betrachtende, Vernunft (επιστημονικών oder θεωρητικόν) und die praktische, Veränderliches (Praxis und Poiesis) betrachtende, Vernunft (λογιστικόν oder auch βουλευτικόν genannt); der unvernünftige Teil der Seele hat als untersten Bereich ein vegetatives Ernährungsvermögen (φυτικόν) und ein Vermögen der Sinneswahrnehmung und - davon abgesetzt, weil es sich nach „oben" orientieren kann - ein begehrendes Strebevermögen (έπιθυμητικόν oder auch ορεκτικό ν genannt: Nik. Ethik 1,13; 1102a-1103a; VI,2; 1139a-b; Politeia VII,14-15; 1333b, 1334b). Im 2. und 3. Buch seines Werkes De anima werden diese Unterteilungen von Aristoteles weiter differenziert (vgl. die Einteilung in fünf Vermögen in De anima Π,3; 414a 3 If: vegetatives, strebend-begehrendes, wahrnehmendes, örtlich bewegendes und denkendes Vermögen) und problematisiert (431b-434a). Umstritten ist, ob Aristoteles und überhaupt die ganze griechische Tradition die Willensfreiheit kennen (vgl. 0 . Höffe, Aristoteles, 208-211). Aristoteles denkt nämlich das Strebevermögen als ein notwendig auf das letzte Ziel, das Glück, zu dem hin alles strebt, ausgerichtetes Vermögen. Dieses Ziel steht für alle Wesen fest; so etwas wie eine Willensfreiheit (bei Aristoteles vor allem προαίρεσις) gibt es nur in bezug auf verschiedene Mittel, um dieses Ziel und diesai Zweck zu erreichai. Es hat sich in der Forschung die Auffassung durchgesetzt, daß erst mit Augustinus der volle Begriff der Willensfreiheit vorhanden ist. Augustinus ist hierin vor allem von Paulus (vgl. Rom 7,14-25; Gal 5,16-22) geprägt und reflektiert insbesondere im 8. Buch seiner Confessiones das seltsame Wesen Maisch, in dem sich gleichsam eine Spaltung zweier Willen findet (vgl. Chr. Horn, Augustinus und die Entstehung des philosophischen Willensbegriffs, 113-132). Es ist sicher kein Zufall, daß diese Genese des Willensbegriffs mit der christlichai Tradition verbunden ist, da diese die Möglichkeit des Menschen, sich dem Guten in der Sünde zu verschließen, denkt. In der mittelalterlichen Tradition wurden diese klassischen anthropologischen Bestimmungen dann weiter ausgeführt und kontrovers diskutiert. Hat die Vernunft wirklich die Hegemonie in der maischlichen Seele und damit im ganzen Menschen? Sind

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Willenskraft und Affekte nicht stärker und wichtiger? Führt der intellektive Glaube zu Gott oder nicht vielmehr die affektive Liebe? Es gab Strömungen, die mehr die intellektiven Kräfte des Menschen betonten, so die eher aristotelisch bestimmte Tradition, und es gab andererseits Richtungen, die die affektiven und voluntativen Kräfte herausstellten, so die stärker neuplatonisch und augustinisch bestimmten Traditionen (vgl. K.-H. zur Mühlen, Art. „Affekt Π. Theologiegeschichtliche Aspekte"; TRE, Bd. 1, 600-605). Eine sdir klare und übersichtliche Zusammenstellung der verschiedenen anthropologischen Bestimmungen seit Plato gibt Melanchthon in seinem Werk De anima (StA DI, 324,15-325,14). Interessant ist das Schwanken bei Melanchthon hinsichtlich seiner Bewertung der Seelenkräfte. Für den jungen Melanchthon stehen der Wille und die affektiven Vermögen über den Erkenntniskräften (vgl. Loci, 1521; Pöhlmann-Ausgabe, 28, 1,12-14; 36, 1,44-46); sehr viel vorsichtiger und ausgleichender stellt er dai Sachverhalt in späteren Texten dar (vgl. De anima, 1553; StA ΙΠ, 364,29-36 und Loci, 1559; StA Π/1, 264,9-17). Luther steht, vor allem wohl durch Jean Gerson und Pierre d'Ailly, fur die affectus und voluntas austauschbare Begriffe waren, beeinflußt (vgl. G. Ebeling, Lutherstudien Π/1, 178-183), in der spätmittelalterlichen Tradition, die die Kräfte des Willens und der Affekte stärker als Vernunft und Verstand des Menschen betonten. Er kennt aber die klassischen Bestimmungen der Willensfreiheit, z.B. bei Petrus Lombardus, Sent. Π, d 24, cap. 3: Liberum vero arbitrium est facultas rationis et voluntatis, qua bonum eligitur gratia assistente, vel malum eadem desistente. Et dicitur 'liberum' quantum ad voluntatem, quae ad utrumlibet flecti potest; 'arbitrium' vero quantum ad rationem, cuius est facultas vel potentia ilia, cuius etiam est discernere inter bonum et malum. Et aliquando quidem, discretionem habens boni et mali, quod malum est eligit; aliquando vero quod bonum est. Sed quod bonum est, nisi gratia adiuta non elegit; malum vero per se eligit. Diese gnadentheologisch orientierte Bestimmung des Lombarden zitiert Luther in Dsa 155,5-8; Luther kritisiert hier die erasmische Bestimmung der Willensfreiheit und vermißt bei ihm das Unterscheidungsvermögen; Erasmus würde nur einen halbierten Willen bedenken. Vgl. Thomas von Aquin, STh I, q 19 a 10 ob 2: liberum arbitrium est facultas rationis et voluntatis, qua bonum et malum eligitur; Ι/Π, q 1 a 1 c: Est autem homo dominus suorum actuum per rationem et voluntatem: unde et liberum arbitrium esse dicturfacultas voluntatis et rationis. Die Willensfreiheit ist auch bei Luther verstanden als ein Zusammenspiel der obersten Seelenvermögen des Menschen, als eine Verbindung von Vernunft, die das Gute und Böse (coram mundo!) erkennt, und Wille, der das Gute oder Böse wählt (Dsa 280,6: [...] per uim liberi arbitrij, hoc est, rationem et uoluntatem [...]; 285,14f: [...] ratio et voluntas seu liberum arbitrium [...]; vgl. 262,3-32; 287,4; 288,11). Die beste Übersetzung für liberum arbitrium wäre deshalb (freie) Willkür, weil in dem Begriff Willkür sowohl der Wille (als vis eligendi: Dsa 154,17) als auch die „Kür", die prüfende Wahl der Vernunft (als vis discernendi: Dsa 154,19) angesprochen ist. Vgl. Luthers Bemerkungen in einer Predigt zu Mt 16,13-19 am 29.6.1519 (Cl 7, 359,14-18): „Darauß folget / das der frey will des menschen man lob und heb yn: wie man will / gar nichts vermag aus ym selbs: und nit in seiner wilküre frey steht / guts zuerkennen odder thun: sundem allein in der gnaden gottis / die yn frey macht". Im Großen Katechismus findet sich öfter der Ausdruck „Willköre" (BSLK 603,39; 663,44; 717,11 : „in freier Willköre"), der in der lateinischen Übersetzung mit arbitrium oder arbitratus liber (717,13f) wiedergegeben ist. Der Begriff Willkür hat allerdings in unserer Zeit einen einseitig negativen Klang, und wird deshalb eher vermieden. Das heutige Verständnis (Willkür als despotisches, unverantwortliches, irrationales Handeln) ist aber in dieser ausschließlichen Festlegung nicht in der ursprünglichen

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Wortbedeutung angelegt (vgl. J. u. W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. XIV,2, 204-212). Aufschlußreich ist auch I. Kants Gebrauch der Begriffe Wille und Willkür (vgl. Metaphysik der Sitten, Rechtslehre; Weischedel-Ausgabe, Bd. 7, 317f; 332f); der Wille, die praktische Vernunft, ist Ursprung der objektiven Gesetze - die Willkür ist Ursprung der subjektiven Maximen. Vgl. die Unterscheidung zwischen Autonomie des Willens" und ,¿¡eteronomie der Willkür" (Kritik der praktischen Vernunft, Weischedel-Ausgabe, Bd. 6, 144). In dem Zusammenspiel von Vernunft und Wille (oder Affekt) hat für Luther, darin ist er voluntaristisch, spätmittelalterlich geprägt, die Kraft des Willens den Vorrang; der Wille ist für Luther das vorrangigste Stück innerhalb des liberum arbitrium (vgl. Dsa 280,28-30: Voluntatem autem [puto] pro summa ui in hominibus, nempe, pro principali parte liberi arbitrij). Insofern ist dann auch die Übersetzung „freier Wille" für liberum arbitrium gerechtfertigt. Mit der ontologischen Ortsbestimmung des Menschen war immer zugleich auch die ethische Aufgabenbestimmung für ihn verbunden. Der Mensch soll nicht zwischen den Extremen Tier und Gott, Natur und Geist oszillieren, er soll sich wegbewegen von seiner animalischen Herkunft und hinbewegen zu seiner geistigen Zukunft. Er ist als Mitte nicht festgestellt, sondern freigestellt, aber so, daß er nicht in einer Schwebe bleibt, sondern in seinem Streben von einem Pol zum anderen fortschreitet. Drei Texte sollen das soeben Gesagte verdeutlichen: In der dreiteiligen Summa Theologiae des Thomas von Aquin ist der zweite Teil mit den Worten überschrieben: „Von der Bewegung der vernünftigen Kreatur zu Gott hin." 1 " Diesem Mittelteil seines Werkes, der die ganze Ethik des Aquinaten entfaltet und deshalb auch als Stimma moralis bezeichnet wird, ist ein kleiner Prolog vorangestellt; in ihm erinnert Thomas an die klassische Bestimmung der Gottebenbildlichkeit durch Johannes von Damaskus, wonach diese Verstand, freien Willen und den seiner selbst mächtigen Menschen bezeichne.118 Nachdem im ersten Teil der Summa vom Urbild, von Gott und vom Hervorgang der Schöpfung aus Gott schon gehandelt wurde, bleibe nach Thomas nun noch übrig, „daß wir von seinem Ebenbild handeln, d.h. vom Menschen, insofern er selbst der Ursprung seiner Taten ist, dem entsprechend, daß er einen freien Willen hat und seiner Taten mächtig ist."119 Es ist sicher nicht zufallig, daß Thomas den Mittelteil seiner Summa mit der Herausstellung der Bedeutung von Vernunft und freiem Willen eröffnet. Alles, was später an ethischen Bestimmungen und Unterweisungen folgt, hat für Thomas ja nur unter der Voraussetzung von Vernunft und freiem Willen einen Sinn; ohne sie

117 STh I, q 2 introductio. Mit knappen Worten skizziert Thomas den ganzen Aufbau seiner Summa: [...] primo tractabimus de Deo [Summa naturalis]; secundo, de motu rationalis creaturae in deum [Summa moralis]; tertio, de Christo, qui, secundum quod homo, via est nobis tendendi in Deum [Summa sacramentalis] 118 De fide orthodoxa 1,12; MPG 94, 919/920. 119 STh I/II, Prologus.

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wären „Ratschläge, Ermahnungen, Gebote, Verbote, Belohnungen und Strafen vergeblich"120 Nur am Rande erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, daß in der größten Dichtung des Mittelalters, in Dantes Göttlicher Komödie, ein kleiner Abschnitt über die Bedeutung des freien Willens genau in der Mitte des Purgatorio und damit in der Mitte des ganzen Werkes steht: „Ihr Lebenden wollt jede Ursach' leiten Vom Himmel droben her, als ob er alles Notwendig selbst mit sich bewegen würde. Wenn dem so wäre, wär' in euch vernichtet Der freie Wille, nicht mit Recht empfinge Man Leid für Böses mehr, für Gutes Freude. Der Himmel gibt den Anstoß eures Handelns, Nicht immer, sag ich, doch wenn ich's auch sagte, Ist euch doch Licht für Gut und Bös gegeben, Und freier Wille, der, wenn er mit Mühe Den ersten Kampf mit Sternenkraft bestanden, Dann immer siegt, sofem er gut genähret. Ihr seid der hohem Macht frei unterworfen Und besserer Natur, und diese schaffet In euch den Geist, den nicht die Sterne lenken."121 Die Verse, die die Kraft der Willensfreiheit besingen, stehe« sicher nicht nur numerisch im Zentrum, sie bilden als Mitte der Entscheidung zwischen Inferno und Paradiso zugleich eine Sinnachse der ganzen Dichtung Dantes122. Sind bei Thomas die Willensfreiheit und die Bewegung der vernünftigen Kreatur noch umschlossen und getragen von einem göttlichen ordo, so zeigt sich bei dem Renaissance-Philosophen Giovanni Pico della Mirandola eine gewagtere, radikalere, neuzeitliche Fassung der freigestellten Mitte des Menschen. In der Rede „Über die Würde des Menschen" sagt Gott, der höchste Baumeister und größte Künstler, zu seinem herausragendsten Geschöpf und Kunstwerk:

120 STh I, q 83 a 1 c: [...] dicendum quod homo est liberi arbitrii: alioquin frustra essent Consilia, exhortationes, praecepta, prohibitiones, praemia et poenae. 121 Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie, Purgatorio 16,67-81; Naumann-Ausgabe, 42. Vgl. Purgatorio 27,139-142. Zu Dantes Stellung im Mittelalter und in der Weltliteratur: E R. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 353-383 (Kap. 17). 122 Der Wille des Menschen hat schließlich sein Ziel (Paradiso 33,103) im Anblick der drei die Trinität abbildenden Lichtkreise, die im ewigen Licht sich selbst begreifen (Aufnahme des aristotelischen Gottesbegriffs, s.u. Anm. 486) und sich selbst lieben (33,115-126).

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„'Wir haben dir keinen festen Wohnsitz gegeben, Adam, kein eigenes Aussehen noch irgendeine besondere Gabe, damit du den Wohnsitz, das Aussehen, die Gaben, die du selbst dir ausersiehst, entsprechend deinem Wunsch und Entschluß habest und besitzest. Die Natur der übrigen Geschöpfe ist fest bestimmt und wird innerhalb von uns vorgeschriebener Gesetze begrenzt. Du sollst dir deine ohne jede Einschränkung und Enge, nach deinem Ermessen [pro tuo arbitrio], dem ich dich anvertraut habe, selber bestimmen. Ich habe dich in die Mitte der Welt gestellt, damit du dich von dort aus bequemer umsehen kannst, was es auf der Welt gibt. Weder haben wir dich himmlisch noch irdisch, weder sterblich noch unsterblich geschaffen, damit du wie dein eigener, in Ehre frei entscheidender, schöpferischer Bildhauer dich selbst zu der Gestalt ausformst, die du bevorzugst. Du kannst zum Niedrigen, zum Tierischen entarten; du kannst aber auch zum Höheren, zum Göttlichen wiedergeboren werden, wenn deine Seele es beschließt.'"123 „Wer sollte dies unser Chamäleon nicht bewundern?"124, ruft Pico della Mirandola mit humanistischem Stolz aus angesichts seiner Verherrlichimg des freien Menschen. Mit neuzeitlichem Fortschrittsoptimismus und selbstbewußter Zuversicht blickt der Philosoph der Renaissance auf die vielfältigen Wandlungsfähigkeiten und Gestaltungsmöglichkeiten des neuen, zu seiner Würde wiedergeborenen Menschen. Aus der Mitte der Welt heraus125, aus seiner eigenen Mitte, seinem freien Ermessen (arbitrium) und Wollen heraus, greift er nach den Sternen, nach seinen Zielen und Idealen. Daß er sich dabei auch vergreifen könnte, kommt hier nur am Rande in den Blick126. Auch Erasmus von Rotterdam folgt, wie oben schon angesprochen, der Tradition, die den Menschen als Wesen der Mitte und Vernunft samt freiem Willen als Mitte der Mitte setzt. In seinem „Handbüchlein eines christlichen Streiters" greift der Humanist in dem Kapitel „Von den drei Teilen des Menschen: vom Geist, von der Seele, vom Fleisch" Thesen des Orígenes auf der sich seinerseits auf biblische, vor allem paulinische Unterscheidungen (bes. in 1. Thess. 5,23) beruft. Erasmus schreibt über den dreifachen Aufbau des Menschen: „Der Körper oder das Fleisch [ist] der unterste Teil, dem durch die Erbsunde jene alte Schlange das Gesetz der Sünde einschrieb, wodurch wir zu Schändlichem gereizt und als Besiegte mit dem Teufel verbunden werden. Sodann der Geist, in dem sich die Ähnlichkeit mit der göttlichen Natur zeigt, in dem der gütige Schöpfer 123 124 125 126

Über die Würde des Menschen; Buck-Ausgabe, 5-7. AaO 7. Vgl. a a 0 5. Ganz andere Gedanken macht sich Pascal über Glanz und Elend des Menschen, über das unbegreifliche Monster (monstre incompréhensible: Pascal, Gedanken, PaepckeAusgabe, Nr. 420): „Was für eine Chimäre ist doch der Mensch? Welche Sensation, welches Ungeheuer, welches Chaos, welches Ding des Widerspruchs, welches Wunder! Richter aller Dinge, einfaltiger Erdenwurm; Hüter des Wahren, Kloake der Ungewißheit und des Irrtums; Glanz und Auswurf des Weltalls" (Paepcke-Ausgabe, Nr. 434).

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nach dem Urbild seiner Art jenes Gesetz der Tugend mit dem Finger, das heißt mit seinem Geiste, eingeprägt hat. Durch ihn werden wir mit Gott verbunden und eins mit ihm. Als das Dritte und Mittlere zwischen diesen beiden hat er die Seele gesetzt, die der Empfindungen und natürlichen Regungen fähig ist. Diese kann sich, wie in einem aufrührerischen Staat, jedem von beiden Teilen anschließen. Sie wird hierher und dorthin gezogen. Es steht ihr frei, wem sie sich zuneigt."127 „Der Geist läßt uns also zu Göttern werden, das Fleisch zu Tierai. Die Seele macht uns zu Menschen, der Geist zu frommen, das Fleisch zu bösen; die Seele allein zu keinem von beiden. Der Geist strebt nach dem Himmlischen, das Fleisch nach dem Angenehmen, die Seele nach dem Notwendigen. Der Geist hebt uns zum Himmel, das Fleisch drückt uns nieder zur Hölle; der Seele wird nichts zugeschrieben. Alles Fleischliche ist häßlich, alles Geistige ist vollkommen, alles Seelische ist unentschieden und unbestimmt."128 Die Seele steht also an einem Scheideweg129. Sie ist hier in dieser sogenannten trichotomischen Anthropologie die Mitte der Mitte, das Zünglein an der Waage, die sich nach zwei Seiten hin neigen kann. Die Seele ist das neutrale, unbestimmte Zentrum der Person, in dem der Mensch die Wahl und die Entscheidungsfreiheit hat, ob er sich dem Guten oder dem Bösen, dem Geist oder dem Fleisch zuwenden soll. IV. Die umkämpfte Mitte 1. Geist und Fleisch Da Erasmus die soeben dargestellte anthropologische Dreiteilung auch in Dia als Argument gegen eine Schriftauslegung Luthers aufbietet (Dia IIIb3-4, 125129), greift Luther in seiner Erwiderung diesen Punkt auf und erhebt seine Einwände. ,Auch mir", schreibt er, „ist das Geschwätz des Orígenes über den dreifachen Affekt bekannt, deren einer Fleisch, ein anderer Seele, ein anderer

127 Handbüchlein, Welzig-Ausgabe, Bd. 1, 141. Erasmus neigt grundsätzlich der Trichotomie zu (vgl. Hoffmann, Erkenntnis und Verwirklichung, 63); es ist bei ihm aber immer wieder auch ein Schwanken zwischen Trichotomie und Dichotomie festzustellen: Auer, Die vollkommene Frömmigkeit, 63-79. Auer weist hier sehr klar die Vergleichspunkte der erasmischen Anthropologie mit der Piatons und Orígenes' nach und zeigt auch Unstimmigkeiten in der Verbindung der anthropologischen Begriffe mit der Anthropologie des Paulus auf (aaO 76). Vgl. zur Problematik in der Anthropologie des Erasmus auch das scharfe Urteil von H.-G. Geyer, Von der Geburt des wahren Menschen, 99-122. Geyer spricht von einem „fast naiv noch zu nennende[n] Vernunftglaube[n]" (aaO 106) bei Erasmus, von seiner „Vernunftkonfession" (aaO 109), die in folgenschwerer Art und Weise den philosophischen Gegensatz von Affekt und Vernunft mit dem paulinischen Gegensatz von Fleisch und Geist identifiziere (vgl. aaO 113). 128 AaO 143. 129 AaO 144: In bivio stat anima.

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bei ihm Geist genannt wird und die Seele jenes Mittlere, das sich nach beiden Seiten, der des Fleisches oder der des Geistes, hinwenden kann. Aber das sind seine Träume; er redet nur davon, beweist es aber nicht" (Dsa 277,35-39; vgl. 240,7ff. Dazu: Orígenes, De principiis 11,8,4). Luther entgegnet, daß die Begriffe Geist und Fleisch als theologische Totalbestimmungen jeweils den ganzen Menschen bezeichnen und nicht als anthropologische Partialbestimmungen nur einen bestimmten Teil des Menschen130. Vor allem im 4. Teil von Dsa, aber auch schon vorher im 3. Teil, bezieht sich Luther immer wieder auf das biblische Gegensatzpaar Geist-Fleisch, das eben, so Luther, wenn es als Begriffspaar vorkomme, nicht einen höheren und niederen Teil am Menschen bezeichne. Diese Worte sind für Luther zuerst nach der biblischen - und das heißt vor allem: nach der hebräischen - nicht nach der griechischen oder lateinischen Sprache und Denkweise zu verstehen (241,5-14). Nur da, betont Luther, wo z.B. der Begriff Fleisch absolut für sich steht, kann er in anthropologischem Sinn die leibliche Natur des Menschen bezeichnen; steht er aber in dialektischer Spannung zum Begriff Geist, so ist er in theologischem Sinn auf den ganzen Menschen als Sünder in all seinen leiblichen, seelischen und geistigen Aspekten zu beziehen (232,20-30; vgl. Cl 2, 139,19-28). Die Klarheit dieser Unterscheidung war nicht von Anfang an in Luthers theologischem Denken vorhanden. Texte und Vorlesungen des frühen Luther zeigen auch bei ili m noch ein undifferenziertes und unreflektiertes Ineinander von biblischem Geist-Fleisch-Dualismus und philosophischer Dreiteilung von Leib, Seele und Geist131. In diesem Zusammenhang muß aber eine wichtige Unterscheidung Luthers mitbedacht werden, um möglichen Mißverständnissen zu begegnen. Luther schärft in Dsa mehrmals ein, daß es im Streit mit Erasmus um das Verhältnis des Menschen zu Gott, um sein Heil oder Unheil coram deo, nicht aber um sein Verhalten und Wirken coram mundo gehe (vgl. etwa 241,28f). Ohne die Beachtung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, der zwei Reiche, der zwei Gerechtigkeiten (269,22-32; 285,25-33) führte das theologische Totalurteil zu einer totalen Nivellierung und Vergleichgültigung, und ein von Menschen produzierter Müllhaufen wäre in nichts von einer BeethovenSinfonie, eine Diktatur in keiner Weise von einem Rechtsstaat zu unterscheiden. Das theologische Totalurteil weist auf ein aut-aut (248,34f), ein entweder-oder zwischen Heil und Verdammnis, Geist und Fleisch; ein Mittleres gibt es für Luther hier nicht (241,25f). Im Bereich des usus politicus legis dagegen regiert das et-et, das sowohl als auch; hier gibt es ein Mittleres, ein besser oder schlechter, hier kann Luther auch die Bedeutung der Vernunft als geradezu etwas Göttliches132 herausstellen. Aber in Dsa geht es hauptsächlich um

130 Vgl. Luthers Vorreden zur Bibel, 184. 131 Vgl. A. Peters, Der Mensch, 36-43. 132 Vgl. die 4. These der Disputatio de homine (1536; WA 39 I, 175, 9f; dazu auch die 5. These).

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die Heilsfrage vor Gott, und Luther widersetzt sich vehement dem Bemühen des Erasmus, menschliche Vernunft und sittliches Vermögen dem theologischen Totalurteil zu entziehen und sie gegen den Macht- und Einflußbereich der Sünde gleichsam zu immunisieren (vgl. 285,13-21). Auch und gerade die höchsten Kräfte des Menschen, Vernunft und Wille, samt dem freien Willen als Produkt ihres Zusammenspiels, sind für Luther, wenn sie selbst das Heil vor Gott erlangen wollen, Fleisch (262,3-9; 264,31-37; 279,15-280,7; 288,1 Of). Ist der Mensch fleischlich - im Sinne des theologischen Totalurteils - gesinnt, so bleiben selbst die höchsten Tugenden der besten Menschen in Sünde und Gottesfeindschaft (277,40-278,2). Der erasmische Versuch, bestimmte, vermeintlich hochstehende, Fähigkeiten von vornherein der Macht der Sünde zu entziehen, führte nach Luther zu der absurden Konsequenz, daß Christus nur die niedrigen Teile des Menschen, den Leib und seine Begierden erlöst haben könnte; für die höheren vernünftigen und sittlichen Kräfte wäre dann der Mensch immer schon als eigener „Selbsterlöser" zuständig (241,32242,23). 2. Die besetzte Mitte Luthers Einwände betreffen nicht nur die Auslegung des biblischen Begriffspaares Geist / Fleisch bei Erasmus, sie zielen insbesondere auch auf das Verständnis der Mitte, der Seele bei Erasmus. Es ist nach Luther eine Träumerei der Diatribe, zwischen dem Wollen und dem Nicht-Wollen des Guten ein medium, eine neutrale Mitte anzusetzen, die als absolutum velie ein von allen Bestimmungen losgelöstes und abgehobenes Wollen sei (Dsa 159,4-6). Dieses „reine Wollen" (purum uelle: 159,26) sei bloße Erdichtung und durch nichts zu erweisen. Damit werde dem Menschen im Zentrum seiner Person ein neutraler, in sich stabiler Ruhe- und Fixpunkt zugeschrieben, aus dem heraus der Mensch in Ruhe die Dinge ermessen und frei, unbelastet und unbeeinträchtigt wählen könne. Aber Geist und Fleisch lassen für Luther einen solchen geschützten und gesicherten Raum nicht zu; sie sind res pugnantes (242,41243,1), kämpfende, in ihre Auseinandersetzung hineinziehende Mächte; das Reich Gottes und das Reich Satans befinden sich in einem gegenseitigen und fortwährenden Kampf (241,25f; vgl. 287,24). „Du", entgegnet Luther Erasmus, „der du dir erdichtest, daß der menschliche Wille eine in eine freie Mitte gesetzte Sache und sich selbst überlassen sei, ersinnst zugleich leichtsinnig, es gäbe ein Streben des Willens nach beiden Seiten, weil du dir einbildest, daß sowohl Gott als auch der Teufel weit entfernt seien und gleichsam nur Zuschauer [spectatores] jenes wandelbaren und freien Willens. Daß sie aber Anstoßer [impulsores] und Antreiber [agitatores] jenes unfreien Willens sind, sich

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gegenseitig bekämpfend [mutuo bellacissimos], das glaubst du nicht." (248,26-32.)'" Somit ist schließlich auch für Luther der Mensch - wenn sein Heil oder sein Unheil in Frage steht - in eine Mitte gesetzt. Er ist aber keine neutrale Mitte, die sich aus den beschriebenen Kämpfen heraushalten könnte, sondern ist eine so oder so immer schon mitbeteiligte, besetzte Mitte. Der Mensch versucht zwar, sich über diesen Streit zu erheben, sich aus dem Kampffeld Gott-Satan herauszuhalten134 - aber vergeblich. Er wird doch ständig wieder in den Streit hineingerissen und ist darin vom Satan verblendet, daß er alle Macht sich selbst zuschreibt (vgl. Dsa 170,36-40). Der Mensch ist - vor dem Hintergrund der klassischen anthropologischen Aussage betrachtet - keine Mitte zwischen Tier und Gott, sondern er wird in Luthers berühmtem und berüchtigtem Bild - selbst zum Tier, zum Reittier zwischen Gott und Teufel135. „So ist der menschliche Wille in eine Mitte gesetzt wie ein Lasttier; wenn Gott darauf sitzt, will er und geht, wohin Gott will, wie der Psalm sagt [Ps 73,22f]: 'Ich bin wie ein Lasttier geworden und bin immer bei dir'. Wenn der Satan darauf sitzt, will er und geht, wohin der Satan will. Und es liegt nicht in seinem freien Ermessen, zu einem der beiden Reiter zu laufen oder ihn zu su-

133 Vgl. S. Zweig, Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam, 109: „Erasmus [...] kennt als Christ und Humanist [im Gegensatz zu Luther] keinen streitbaren Christus und keinen kämpfenden Gott." Vgl. u. S. 201. 134 So daß er als Gott aller Götter (Deus Deorum) und Herr aller Herren (Dominus dominantium) sich über Christus und Satan heraushebt: 242,11-13. 135 Zu diesem Bild des Menschen als Reittier/Lasttier zwischen Gott und Teufel vgl. A. Adam, Die Herkunft des Lutherwortes vom menschlichen Willen als Reittier Gottes, 25-34. Dazu: H. Vorster, Das Freiheitsverständnis, 415-418. Legt das Bild des Reittieres nicht eine Eigenaktivität des Pferdes nahe? Reiter können Pferde lenken, aber Pferde können Reiter auch abwerfen. Dieser Aspekt sprengt jedoch das Bild, so wie es Luther gebraucht. In der scholastischen Tradition wurde dem Tier eine Eigenmächtigkeit zugestanden. In der semipelagianischen Schrift Hypomnesticon bzw. Hypognosticon, die fälschlicherweise Augustin zugerechnet wurde, steht der Reiter für die Gnade und das Lasttier fur den freien Willen. Beide müssen zusammenwirken. Zwar ist die Gnade entscheidend, aber Gnade und freier Wille müssen im Heilsprozeß zusammenarbeiten (vgl. Ps.-Augustinus, Hypomnesticon 111,11,19; MPL 45, 1632). Mit derselben Verwendung findet sich das Bild auch bei Thomas von Aquin (STh I/II, q 110 a 4 ad 1) und bei Gabriel Biel (Coll. II d 27 q un M 35-54). Die semipelagianische Schrift wird auch in CA 18 (BSLK 73,11-74,12) zitiert. Luther deutet das Bild um. Das Lasttier ist ganz passiv den Reitern unterworfen. Er hat das Bild, unter augustinischen Vorgaben, in seinem Sinne verändert (vgl. Adam, aaO 31-34). Vgl. auch Anselm von Canterbury, Cur Deus Homo, I, 22; Schmitt-Ausgabe, 78 : Homo in paradiso sine peccato factus quasi positus est pro deo inter deum et diabolum, ut vinceret diabolum non consentiendo suadenti peccatum [...]. Anselm hat das gleiche Bild wie Luther, aber dieses Bild ist stärker ethisch ausgerichtet; der Mensch soll in diesem Kampffeld sich selbst vom Teufel wegbewegen zur Verherrlichung Gottes und zur Beschämung des Teufels.

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chen, sondern die Reiter selbst kämpfen darum, ihn festzuhalten und zu besitzen." (126,23-28; vgl. 129,7f; 159,32-37; 248,34-38.) Dieser Gedanke, daß der Mensch (anthropologisch betrachtet) nicht allein im Spannungsfeld zwischen Tier und Gott, sondern (soteriologisch gesehen) im Kampffeld zwischen Gott und Satan steht, ist Luther so wichtig, daß er ihn in seinem Bekenntnis am Ende von Dsa noch einmal aufnimmt136. 3. Stand und Bestand der Mitte Luther gibt für die Ablehnung der Willensfreiheit am Anfang seines Bekenntnisses, wie schon gesagt (s.o. S. 25), zwei Gründe an. Zunächst schildert Luther den Menschen, der umgeben ist von Gefahren, Anfechtungen und mächtigen, anstürmenden Dämonen. Seine Beschreibung erinnert an die Klage der Psalmen: „Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe; denn es ist hier kein Helfer. Gewaltige Stiere haben mich umgeben, mächtige Büffel haben mich umringt" (Ps 22,12f). Die menschliche Existenz ist zuhöchst gefährdet; sie ist nicht gesichert auf neutralem Boden, sondern Mächten, Kräften und Wirklichkeiten ausgesetzt, die sie nicht in der Hand hat und die ihr ständig zusetzen11. Sie hat keinen festen Stand und ihr weiteres Bestehen angesichts dieser Mächte ist fraglich. Im lateinischen Text des Bekenntnisses ist auf das Wort subsistere13* (288,20) zu achten. Neben der ursprünglichen und allgemeineren Bedeutung des Wortes (den Kampf bestehen, Widerstand leisten, Stand halten) schwingt hier wohl auch die Bedeutung mit, die das Wort in substantiver Form als klassischer Begriff philosophischer Schulsprache hat. Die Subsistenz bezeichnet in diesem Sinne das In-sich- und Durch-sich-selbst-Bestehen einer Substanz. Sie bezeichnet das, was sich an einem Wesen trotz allem Wechsel von akzidentiel136 Luther bezieht den Gedanken in einem Brief (an E. Brisger; Nov. 1527) auch auf sich selbst als Angefochtenen, der zwischen Satan und Christus fast zerrieben wird: Ita ego inter istos duos adversantes principes médius iactor et miserrime collidor (CI 6, 223,18f). 137 Vgl. das anthropologische Bild bei Homer: „[...] die Seele als πρώτον κινοϋν, als 'erstes Bewegendes', wie Aristoteles sie faßt, oder überhaupt die Vorstellung von einem Mittelpunkt, der das organische System beherrscht, ist Homer noch fremd. Geistige und seelische Wirkungen sind Einflüsse der von außen wirkenden Kräfte, und der Mensch steht vielerlei Mächten offen, die auf ihn eindringen, die ihn durchdringen können. Deshalb spricht Homer so viel von Kräften, deshalb hat er so viele Wörter, die wir alle mit dem einen Wort 'Kraft' übersetzen [...]" (B. Snell, Die Entdeckung des Geistes, 28). Vgl. Dsa 154,25-155,21. 138 Vgl. Cl 5, 16,33f (Randbemerkungen zum Lombarden, 1509/10; Zur Interpretation von Hebr. 11,1): fides facit subsistere i. e. sperari ea quae non videntur. 17,14-17: Est itaque fides hoc modo substantia, sicut Isaías 7. 'Nisi credideritis, non permanebitis." Item dominus in Evang. Jo. 8. 'Nisi credideritis, quia ego sum, morientini in peccato vestro.* Hoc subsistere ergo et permanere quod est in spe, non est, nisi praeexistat fides.

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len Hinzufugungen und Veränderungen als identisch und bleibend durchhält. Aber Luther hat auch, wie Gerhard Ebeling betont, die Kategorie der Substanz von der Metaphorik der Bibel her anders als in der Philosophie aufgefaßt: „als de[n] Boden, auf dem man stehen kann, was den Füßen Halt gibt, dem Leben Grund verleiht; nicht als das bleibende innere Wesen"139. Beide Auffassungen des Substanz-Begriffes, Substanz als das Grundgebende und Substanz als das Wesen einer Sache, spielen in Luthers Bekenntnis ineinander. Sicher ist der Mensch, er ist Geschöpf Gottes und fallt auch als Sünder nicht einfach ins Nichts zurück. Er hat als Kreatur eine Substanz, einen Stand140. Aber, fragt Luther einige Abschnitte weiter in seinem Bekenntnis: „Was ist unser Wesen (unsere Substanz) im Vergleich zu [Gottes] Wesen?" (289,27f.) Und man könnte dementsprechend für den Anfang des Bekenntnisses gleich weiterfragen: Was ist die menschliche Substanz im Vergleich zur Substanz des Bösen? Der Mensch ist für Luther aufjeden Fall keine stabile, in Freiheit sich selbst bestimmende Substanz und Subsistenz, sondern immer eine passiv bestimmte. Keinen Moment hat sich der Mensch selbst in der Hand; er kann aus eigenen

139 G. Ebeling, Luthers Wirklichkeitsverständnis, 412; vgl. Ders., Die Anfange von Luthers Hermeneutik, 24f. Vgl. auch W. Joests, auf das Verständnis des Begriffs Person bezogene Bemerkungen zu Substanz und Subsistenz (Ontologie der Person bei Luther, 234, bei Anm. 4 und 5). Joest stellt Luthers Auseinandersetzung mit dem Substanzbegriff dar (vgl. aaO 238-250) und entwickelt „Luthers exzentrisch-enklitisches Verständnis des Selbst in entschiedenem Gegensatz zu einem substanzialen Personverständnis" (aaO 274; vgl. 269). Trotz Joests erhellenden Ausführungen zum exzentrischen, responsorischen und eschatologischen Charakter des Person-Seins bei Luther (aaO § 8-10), trotz der Kritik am Begriff der Selbständigkeit" (aaO 235) kann das klassische Substanz-Denken in Luthers ontologischen und anthropologischen Ausführungen nicht völlig außer acht gelassen werden. 140 Vgl. W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 3, 690: „Selbständigkeit in irgendeinem Grade ist eine unerläßliche Bedingung für das Dasein von Geschöpfen neben dem ewigen Sein Gottes". Für Pannenberg liegt in dieser Selbständigkeit des Geschöpfes dann auch die Möglichkeit des Übergangs zur „Verselbständigung", d.h. zur Sünde (ebd). Dazu: Systematische Theologie, Bd. 2, 200: „Wenn der Schöpfer eine Welt endlicher Geschöpfe wollte und wenn er die Selbständigkeit dieser Geschöpfe wollte, dann mußte er die Vergänglichkeit und das Leiden an ihr, aber auch die Möglichkeit des Bösen als Folge ihrer Verselbständigung in Kauf nehmen." Vgl. aaO 76: „Das zentrale Thema der göttlichen Weltregierung ist die Überlegenheit Gottes über den Mißbrauch der geschöpflichen Selbständigkeit." Pannenbergs Sätze zeigen aber, auf welchem unsicheren Boden (vgl. Systematische Theologie, Bd. 3, 690: „in irgendeinem Grade"; in Systematische Theologie, Bd. 2, 303, ist von „voller Selbständigkeit" des menschlichen Geschöpfes die Rede) sich das Denken und Begreifen hier befindet. Vgl. W. Elerts Ausführungen: ,43er Teufel, die Bösen, jeder Mensch, der sündigt, muß eine relative Selbständigkeit besitzen" (Morphologie des Luthertums, Bd. 1, 389). Dazu auch J. Baurs Bemerkungen zum hamartiologisch verstandenen „eigenzentrierten Selbst-stand" des Menschen (Das reformatorische Christentum in der Krise, 15).

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Kräften keinen Moment bestehen141. Die Gefahren, Anfechtungen und Dämonen kommen der menschlichen Subsistenz nicht zufällig hinzu, sie bedrohen und gefährden den Menschen wesentlich, im Kem seiner Existenz. Der Mensch ist nicht eine feststehende, in sich selbst und durch sich selbst bestehende Mitte, sondern bedrohte, bekämpfte, umkämpfte und besetzte Mitte. Der Mensch in seiner Mitte - Luther gebraucht dafür meist das biblische Wort Herz - ist, wie es in der zweiten Psalmenvorrede heißt: „wie ein Schiff auf einem wilden Meer, welches die Sturmwinde von den vier Orten der Welt treiben. Hier stößt her Furcht und Sorge vor zukünftigem Unfall; dort fahret Grämen her und Traurigkeit von gegenwärtigem Übel. Hier weht Hoffnung und Vermessenheit von zukünftigem Glück; dort blaset her Sicherheit und Freude in gegenwärtigen Gütern. Solche Sturmwinde aber lehren mit Ernst reden und das Herz öffnen und den Grund herausschütten, "142

Wie das Schiff mitten im Sturmwind ein Spiel der Wellen, so ist der Mensch inmitten von Angst, Sorge, Hoffiiung, Depression, Ehrgeiz, Neid, Freude, Traurigkeit, Sicherheit und Vermessenheit ein Spielball seiner Affekte. Es mag scheinen, daß hier nur die Ebenen gewechselt und verwechselt sind: vom Theologischen zum Psychologischen - aber das läßt sich bei Luther nicht so fein säuberlich auseinanderhalten. Die Dämonen treiben ihr Wesen auch in solchen Affekten; Luther nennt den obersten der Dämonen zuweilen ja auch 141 Dsa 151,27: Die Menschen bringen unter der Macht Gottes ihr Leben so zu, ut ne momento consistere suis uiribus possint. Vgl. 116,6: [...] uitam corporis, quae nullo momento mihi certa esse potest [...]. In dieser Ungesichertheit muß der Mensch gefestigt, stabilisiert werden; 248,2: [...] conscientias stabilire laboramus [...]. 195,39-41: Nobis autem, quibus res agitur seria, et qui certissimam ueritatem pro stabiliendis conscientijs quaerimus, longe aliter agendum est. Luther nimmt mit diesen Aussagen die seelsorgerliche, an Erbauung (aedificatio) und Nützlichkeit (utilitas) orientierte Theologie Gersons auf (vgl. J. Gersons Reformprogramm für das akademische Studium in einem Brief an P. d'Ailly; Glorieux-Ausgabe, Bd. II, 26-28), der durch die mystische Theologie den Menschen angesichts des unruhigen Meeres seiner Sinne und Begierden in Gott und am festen Ufer der Ewigkeit zur Ruhe bringen und stabilisieren wollte. De theologia mystica IV (Tricésima quarta consideratio] (Glorieux-Ausgabe, Bd. III, 279281; 279): Per theologiam mysticam sumus in Deo, hoc est stabilimur in eo et a mari túrbido sensualium desideriorum ad littus solidum aeternitatis adducimur. Luther hat Gerson geschätzt, weil dieser allein über die wahren, geistlichen Anfechtungen geschrieben habe; vgl. die Tischrede Nr. 1351 (WA TR 2, 64,22f): Solus Gerson scripsit de tentatione spiritus. alii omnes tantum corporales senserunt [...]. 142 Luthers Vorreden zur Bibel, 67. Luther steht mit diesem Bedenken der Affekte in einer monastischen Tradition, wie sie v.a. bei Athanasius zu greifen ist; vgl. dazu O. Bayer, Theologie, 28, Anm. 5; 85, Anm. 235; 167, bei Anm. 54. Zum Bild des Meeres und der Sturmwinde der Affekte vgl. auch J. Gerson, De theologia mystica IV [Tricésima quarta consideratio] (Glorieux-Ausgabe, Bd. III, 279-281), v.a. 281. Zu den Schiffahrtsmetaphern in der Literatur vgl. E.R. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 138-141 (Kap. 7, § 1).

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spiritus tristitae143, Geist der Traurigkeit, der dem Menschen sein ganzes Leben versauert. Einsichten von Schelling, Nietzsche und Freud vorwegnehmend, sieht Luther den Menschen inmitten seiner Affekte und Leidenschaften, die meist stärker, bestimmender und prägender sind als erkennende Vernunft und vernünftiger Wille""1. Der Mensch hat sich, hat den Grund seines Herzens, seine Mitte, nicht in seiner Gewalt; er ist seiner selbst letztlich nicht mächtig. Noch viel weniger hat er die Macht in der Hand, die ihn am ärgsten bedroht: das Böse. 4. Die kämpfende Mitte Es fällt auf, daß immer dann, wenn Luther vom Bösen spricht, das Wortfeld Kampf, Kämpfen, Bekämpfen ... eine entscheidende Rolle spielt. Gott und Teufel bekämpfen sich und kämpfen um den Menschen; Dämonen kämpfen gegen den Menschen an, er steht in Anfechtungen. Der be- und umkämpfte Mensch muß seinerseits als angefochtener Mensch kämpfen145. Luther zeigt dies vor allem in Auslegungen und Predigten zu Gen 22 (Isaaks Opferung), Gen 32 (Jakobs Kampf am Jabbok) oder in der Auseinandersetzung mit der Perikope von der kanaanäischen Frau in Mt 15. Gleichsam zur feststehenden Formel verdichtet ist dies in Luthers Habakuk-Auslegung, in der mehrmals vom Kampfglauben146 die Rede ist. Ohne dieses Motiv des Kampfes147 ist Luthers Theologie nicht zu verstehen. Der Ausdruck Kampf weist darauf hin, daß das Böse (noch) nicht erledigt ist. Der Mensch steht vor der Tatsache des Bösen, das er nicht begreifen und bewältigen kann. Es muß von Gott bewältigt werden; das Wort Kampf weist hin auf die Anstrengung und Mühe in dieser Bewältigung. Das Böse ist nicht einfach weg- oder aufzuklären, es ist auch in Gott nicht einfach erledigt und aufgehoben. Gott kämpft gegen das Böse und macht sich Mühe mit dem Bösen (vgl. Jes 43,24: „mir [Gott] hast du Arbeit gemacht mit deinen Sünden und hast mir Mühe gemacht mit deinen Missetaten"; vgl. auch Dsa 177,33: amovere studet).

143 Cl 8, Nr. 122 und 194. Vgl. Cl 6, 271,26: „trauriger, saurer Geist"; vgl. 284,2; 362,21f. 144 Vgl. K.-H. zur Mühlen, Art. „Affekt II. Theologiegeschichtliche Aspekte" (TRE, Bd. 1. 605-609). 145 Vor allem Ernst Käsemann hat unter den evangelischen Theologen den theologischen Aspekt des Kämpfens und des Umkämpft-Seins betont; Ders., Paulinische Perspektiven, 46: , JDie Welt ist nicht neutraler Raum, sondern Kampfplatz und jeder Parteigänger." Vgl. aaO 119f; 176: „Der Mensch gehört nie sich selbst, hat immer einen Herrn, dessen Macht sich durch ihn bekundet. [...] Wir leben in und aus Machtbereichen." 146 Vgl. WA 19, 379,19 und öfter (s.u. Anm. 323). 147 Zum Kampfmotiv in der Theologie Luthers jetzt umfassend: U. Rieske-Braun, „Duellum mirabile". Studien zum Kampfmotiv in Martin Luthers Theologie.

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5. Die sich entrissene Mitte (raptus) Angesichts des unsicheren, bedrohten und umkämpften Standes des Menschen bei Luther ergibt sich die Frage, wo nun dieser Mensch seinen Stand findet. Die Wendung im ersten Teil des Bekenntnisses (At nunc: 288,31) zeigt die Wendung an vom Gesetz zum Evangelium, vom Gericht zur Gnade. Gott hat das Heil dem menschlichen Willen und Ermessen entzogen; es liegt nicht innerhalb der menschlichen Ermessens- und Willensmöglichkeiten"18, sondern außerhalb (extra meum arbitrium: 288,31)1"9. Gott ist so groß und mächtig, daß keine Dämonen und Anfechtungen ihn überwinden oder den Menschen ihm entreißen können. Der Mensch ist in höchster Gefahr, es steht ernst um ihn; Gott muß „zupacken", muß den Menschen an sich reißen. Mit dem von Luther angezogenen Zitat aus Joh 10,28Ç „niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen", ist ein für seine Theologie wichtiges Wort gegeben: der raptus (Dsa 288,36: rapiet). Raptus150 ist ein in Dsa häufig vorkommendes Wort. Es steht einmal dafür, daß der Mensch heilsam durch Christus zu Gott gerissen wird (Dsa 126,20; 286,37: [...] qua 148 Dsa 153,8f: [...] uita uel salus aeterna res est incomprehensibilis captui humano [...]. 118,7-9: Non enim puerilia ñeque ciuilia uel humana sunt, quae Deus operatur, sed diuina, quae captum humanum excaedunt. 149 Dsa 123,38-124,1: [...] extra suas uires, Consilia, studia, uoluntatem, opera, omnino ex alterius arbitrio, Consilio, uoluntate, opere suam pendere salutem, nempe Dei solius [...]. 125,16f: [...] extra uires et Consilia nostra, in solius opere Dei pendere salutem nostram [...]. 168,32f: [...] Et quomodo iustitiam, quae extra nos in coelo regnat, nosceremus? Vgl. Κ.-H. zur Mühlen, der „Genese und Bedeutung der Wendung extra nos" (Ders., Nos extra Nos, Vorwort) für die lutherische Theologie darstellt, in seinen Abschnitten über Dsa (aaO 210-216; 235-243) auf das Bekenntnis Luthers aber nicht eingeht. 150 Der raptus begegnet in der theologischen Tradition vor allem in mystischen Texten und bezeichnet - unter Rückgriff auf 2. Kor 12,2.4 - das Entrücktwerden des Menschen aus der Welt in Gott. Vgl. etwa J. Gerson, De theologia mystica I [Secunda consideratio] (Glorieux-Ausgabe, Bd. III, 252): Has vero cognitiones experimentales de Deo interius, vocant sancti variis nominibus [...]. Vocant contemplationem, extasim, raptum, exultationem, jubilum, esse supra spiritum, rapi in divinam caliginem [...]. Vgl aaO 282 [Tricésima sexta considerado]: Amor rapit ad amatum et extasim facit. H.A. Oberman ist in seinem Aufsatz „Simul gemitus et raptus" der mystischen Tradition dieses Begriffes in ihrer Bedeutung für Luther nachgegangen. Oberman zeigt, wie „Luther 'raptus' und seine verwandten Worte aus ihrem ursprünglich hochmystischen Kontext heraushebt und zur Beschreibung des Wesens des Glaubens verwendet" (aaO 73). Luther gebraucht, so Oberman, dieses Wort „nicht nur wegen der Nebenbedeutung des 'extra nos'", sondern auch, „weil bei 'raptus' die Vorstellung einer völligen Passivität anklingt" (aaO 83; Anm. 131). Der Aspekt der Kampfsituation, der in Dsa so wichtig ist, hat bei Oberman kaum (vgl. aber aaO 79) eine Bedeutung. Vgl. zur Verbindung von passio und raptus auch W. Joest, Ontologie der Person, 219-222. R.W. Jenson (An Ontology of Freedom, 249-252) untersucht die anthropologischen Implikationen des raptus in Luthers Dsa.

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rapitur homo ad Christum dulcissimo raptu [...]; vgl. 287,28.33)'". Diese Bedeutung liegt sicher auch an dieser Stelle des Bekenntnisses vor. Die Christen, sagt Luther, werden nicht vom freien Willen, sondern vom Geist getrieben (193,8-10: Christiani uero non lib. arb., sed spiritu Dei aguntur, Roma. 8. Agi uero non est agere, sed rapi [...]). Daneben steht der raptus aber auch für das Wirken des allmächtigen Gottes, der in seinem Allwirken alles mit sich reißt: (204,16: [...] rapiantur motu ilio diuinae omnipotentiae [...] vgl. ebd, Z. 25.30.38; 206,17f; 210,10.12 [der Pharao wird in seinem Wollen von Gottes Wirken mitgerissen: rapiatur volendo]; 245,38f; 246,4-8; 251,14.16 [raptus homo]; 252,38). Hier reißt der deus absconditus in seiner Allmacht alles mit sich; in der erstgenannten Bedeutung reißt der deus praedicatus, Christus, die Menschen aus dem Verderben heilsam an sich. Vgl. in der Auslegung zu Ps 90 Luthers Schilderung des Lebens, durch das die Menschen in ungestümem Wurf in den Tod gerissen werden; WA 40 ΙΠ, 523,24f: [...] impetuosam iactum [...] quo ad mortem rapimur. Allgemein-anthropologische Bedeutung hat das rapi in Dsa 127,16-23; es steht hier für die passive Fähigkeit152 (passiuam aptitudinem:127,20f) des im Unterschied zur pflanzlichen und tierischen Geschöpflichkeit besonderen Geschöpfes Mensch, vom Geist ergriffen und von der Gnade erfüllt zu werden (127,17f: [...] qua homo aptus est rapi spiritu et imbui gratia Dei [...]). Der raptus hat auch im Zusammenhang der Sünde in Dsa eine Bedeutung und weist daraufhin, daß in der Sünde, im Hingerissensein zum Bösen (233,12), der Mensch Gott die Ehre raubt und sie an sich reißt (240,32-35.40). Im allgemeineren Sinn als Wort für ein gewalttätiges Wegreißen steht raptus in 125,25; vgl. 111,30. Die besondere Bedeutung der Vorstellung vom raptus für Luthers Theologie und ganze Biographie zeigt vor allem ein Abschnitt in Dsa, in dem Luther - noch persönlicher als er es ohnehin in Dsa schon tut - von seinem Kampf gegen die Willensfreiheit redet und Erasmus anredet (130,1-131,4): Luther muß Erasmus, der in seiner Diatribe gegen Luther die breite Tradition der Kirche - von Orígenes über Augustin und Thomas bis Gabriel Biel - aufgeboten hat (Dia Ib2, 22-25), zustimmen. Erasmus hat in dem Streit um die Willensfreiheit eigentlich die gesamte Gelehrsamkeit aller Schulen aller Zeiten auf seiner Seite; auf Luthers Seite stehen nur Wiclif153, Lorenzo Valla154 und Augustinus155 (130,14-16), dai allerdings auch Erasmus für sich rekla151 Vgl. in Luthers Schrift gegen Latomus die Aussage, Gott habe gewollt, daß wir in Christus von Tag zu Tag mehr hineingerissen werden; WA 8, 111,33-35: [...] in illum nos rapi de die in diem magi ε rapi voluit [...] in Christum plane transforman. Dazu: 112,5; 115,14: In Christum tete rapi oportet [...]. Dazu im Schlußabschnitt des Tractatus de libertate Christiana (1520), WA 7, 69,14: [...] per fidem [Christianus] sursum rapitur supra se in deum [...]. Vgl. auch das bekannte Zitat aus dem Großen Galaterbriefkommentar, WA 40 I, 589,25f: Atque haec est ratio, cur nostra Theologia certa sit: Quia rapit nos a nobis et ponit nos extra nos [...]. 152 Vgl. die Rede von der potentia passiva: WA 42, 64,33f; s.u. Anm. 174. 153 S. u. Anm. 352. 154 Luther hat Valla und dessen im Schlußteil (Z. 633-763) Boethius und Paulus scharf gegenüberstellenden Dialog über die Willensfreiheit, der schließlich das philosophische und theologische Fragen zur demütigen Bescheidung (Z. 792-795; 821-829) bringt, geschätzt; vgl. die Tischrede Nr. 259 (Cl 8, 37,3f): „Laurentius Valla ist der beste Walh, den ich mein lebtag gesehn oder erfaren hab. De libero arbitrio bene disputât." Dazu die Tischreden Nr. 1470 und 5729. Vgl. zur Vielzahl und Weite der kontroversen Interpretationen der Schrift Vallas die instruktive Einleitung von E. Keßler; Lorenzo Valla, Über den freien Willen, 9-23; 41-49.

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miert. Diese drei zählen in der neueren Theologie aber nichts, also bleibt als Kämpfer nur der eine, einzige, jüngst geborene Luther mit seinen Freunden übrig ([.. .] Reliquus est Lutherus unus, priuatus, nuper natus, cum suis amicis [...]: 130,17f) - eine einzige Stimme unter so vielen anderen. Luther versteht, daß Erasmus von der Überzahl der anderen beindruckt ist und gesteht, daß er selbst auch beeindruckt gewesen sei. Schließlich bricht er seine biographischen Bemerkungen ab156 und endet mit dem Bekenntnis (131,1-3): „Wer ich bin und durch welchen Geist und Ratschluß ich in diese Dinge hineingerissen bin [raptus sim], das vertraue ich dem an, der weiß, daß das alles nach seinem und nicht nach meinem freien Willen vollzogen ist [...]". Dieses Bekenntnis Luthers, in den Kampf gegen die Willensfreiheit hineingerissen und hineingetrieben worden zu sein, erinnert an eine Stelle aus einem Brief Luthers an Johann v. Staupitz vom 20.2.1519. Gegenüber Staupitz, der sich aus den reformatorischen Umbrüchen ins „Exil" nach Salzburg zurückgezogen hatte, äußert Luther sein Befremden darüber, daß dieser fem stehe und schweige (Cl 6, 15,15-16,1). Luther schreibt dann - als Erklärung dafür, warum er keine Ruhe geben kann (16,3f): „Gott reißt mich, treibt, ja vielmehr fuhrt mich; ich bin meiner selbst nicht mächtig, ich will ruhig sein und ich werde mitten in die Tumulte gerissen (Deus rapit, pellit, nedum ducit me; non sum compos" 7 mei, volo esse quietus, et rapior in medios tumultus)" 155 Schon mit dem Titel seiner Schrift Dsa orientiert sich Luther an einer Vorgabe durch Augustin; vgl. Dsa 155,lOf: [...] Vnde et seruum potius quam liberum arbitrium uocat Augustinus libro .2. contra Julianum [Contra Julianum Pelagianum II, 8,23; MPL 44, 689: (...) et non libero, vel potius servo propriae voluntatis arbitrio]. Vgl. auch Cl 5, 268,32-269,5; 316,23-26. 156 Luther widmet sich aber in einem größeren Abschnitt noch der Frage nach der Kirche: Dsa 131,20-151,2. Luther kann und will nicht die Heiligkeit der von Erasmus angeführten Autoritäten in Zweifel ziehen, aber sein Urteil orientiere sich am Maßstab der Liebe, die getauscht werden kann, und nicht am Maßstab des Glaubens, der gewiß und fest ist und nicht getäuscht werden kann (140,12-21: Sanctos eos dico et habeo, Ecclesiam Dei eos uoco et sentio, canone charitatis, non canone fídei. [...] quia charitatis est falli [...] fidei est, non falli). Gott hat zugelassen, daß in der äußeren, sichtbaren Kirche der Irrtum herrschen kann und nur allzuoft haben sich Heilige und Autoritäten der Kirche geirrt. Die wahren Heiligen und die wahre Kirche sind verborgen (141,lf: [...] abscondita est Ecclesia, latent sancti [...]; vgl. 140,4). Angesichts dessen schaffen nur der öffentliche Wortdienst, das äußere Amt (142,6f: [...] publici minister» in uerbo et officii externi [...]) und die äußere Klarheit der Schrift (142,9f: [...] externam scripturae sanctae claritatem) Gewißheit. Vgl. Anm. 33 und 215. 157 Vgl. gegenüber diesem Eingeständnis, seiner selbst nicht mächtig zu sein, Luthers andere Sicht des compos in einer frühen Predigt (1510/12). Luther schildert in dieser Predigt den Menschen als microcosmus (Cl 5, 31,32), der aufgrund seines freien Willens in seinem Wirkungsbereich schaltet und waltet: Excedit igitur homo, quod ipse est sui mundi compos, liber, rector, sub solo Deo. Vgl. auch I. Kant, Metaphysik der Sitten (Tugendlehre), Weischedel-Ausgabe, Bd. 7, 539: „Zur inneren Freiheit aber werden zwei Stücke erfordert: seiner selbst in einem gegebenen Fall Meister (animus sui compos) und über sich selbst Herr zu sein (imperium in semetipsum), d.i. seine Affekten zu zähmen und seine Leidenschaften zu beherrschen." Im Besitz der praktischen Weisheit, so Kant mit stoischer Argumentation, „ist der Mensch allein frei, gesund, reich, ein König u.s.w. und kann, weder durch Zufall, noch Schicksal einbüßen; weil er sich selbst besitzt und der Tugendhafte seine Tugend nicht verlieren kann" (aaO 537). Hegel schließlich beschreibt in dem Zusatz (über die Freiheit des Willens) zum §

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Luther wiederholt das Passiv dieses Verbs (rapi) immer wieder in Briefen an Staupitz (Cl 6, 26,6; 28,3) und auch an Melanchthon (42,27; 66,24). Die Erfahrung, daß Luther unfreiwillig - wie ein blinder Gaul (vgl. WA TR 1, Nr. 1206) - in die Sache der Reformation hineingetrieben wurde, ist ein Grunddatum für sein ganzes Leben und für seine ganze Theologie. Hier ist auch ein entscheidender Punkt gegeben, in dem sich Luther mit seinem Kontrahenten Erasmus überhaupt nicht verständigen konnte. Luther wurde, das war jedenfalls seine Erfahrung, in den Tumult hineingerissen von Gott, ohne daß er es wollte oder verhindern konnte; er wurde von Gott übermächtigt. Dagegen war für Erasmus der Tumult dasjenige, was unbedingt zu vermeiden war, weil es dem stillen Wirken und Aufblühen der Wissenschaften und damit auch der Erneuerung der Frömmigkeit schadete. Auffallig sind die häufigen Klagen des Erasmus in sanen Briefen über den drohenden Tumult; beispielhaft ist der Brief vom 30.5.1519 an Luther: „Man sollte auch erwägen, ob es gut sei, vor dem gewöhnlichen Volke Dinge preiszugeben, die besser in Büchern widerlegt oder zwischen Gebildeten verhandelt würden [...]. Wie oft haben wir uns friedlich geeinigt! Wie oft haben jene [...] neue Unruhen [tumultus] erregt! [...] Soviel wie möglich halte ich mich neutral, um desto mehr dem Wiederaufblühen der Wissenschaft nützlich zu sein. Meines Erachtais kommt man mit bescheidenem Anstand weiter als mit Sturm und Drang."158 Für Lu4 seiner Rechtsphilosophie die totale, alles beherrschende Macht des menschlichen Denkens, das nicht nur seiner selbst mächtig ist, sondern sich auch alles Fremde gleichsam einverleibt: „Indem ich einen Gegenstand denke, mache ich ihn zum Gedanken und nehme ihm das Sinnliche; ich mache ihn zu etwas, das wesentlich und unmittelbar das Meinige ist: denn erst im Denken bin ich bei mir, erst das Begreifen ist das Durchbohren des Gegenstandes, der nicht mehr mir gegenübersteht und dem ich das Eigene genommen habe, das er für sich gegen mich hatte" (G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 4, Zusatz; Theorie-Werkausgabe, Bd. 7, 47). Vgl. die Schlußsätze in der Berliner Antrittsrede bei der Eröffnung seiner Vorlesungen (22.10.1818), in denen Hegel seine Zuhörer zum „Glauben an die Vernunft" aufruft und abschließend feststellt: „Das verschlossene Wesen des Universums hat keine Kraft in sich, welche dem Mute des Erkennens Widerstand leisten könnte: es muß sich vor ihm auftun und seinen Reichtum und seine Tiefen ihm vor Augen legen und zum Genüsse bringen." (Hegels Vorreden, Metzke-Ausgabe, 113.) 158 Erasmus von Rotterdam, Briefe, Köhler-Ausgabe, 245f. Dazu: Allen, Bd. 3, Nr. 980. Vgl. Köhler-Ausgabe, 271 (an Melanchthon; Juni 1520): „Wer Luther wohlwill - es sind nahezu alle Guten - , möchte, er hätte etwas höflicher und maßvoller geschrieben. Doch dazu zu mahnen, ist jetzt zu spät. Ich sehe, daß die Sache auf einen Aufruhr hinaus will. Ich bete darum, daß sie zur Ehre Christi ausschlage. Vielleicht müssen Ärgernisse kommen [Matth. 18,7], aber ich möchte nicht ihr Urheber sein." AaO 273 (an Luther; 1.8.1520): „Es ist eine schwere Sache, die herauszufordern, die ohne große allgemeine Unruhe nicht unterdrückt werden können. [...] wer sich aufs Meer begibt, hat es nicht in der Hand, den Wogen zu gebieten. Sind Wirren nötig, so möchte ich lieber, daß ein anderer als ich ihr Urheber ist." AaO 275 (an G. Geldenhauer; 9.9.1520): „Wäre doch Luther meinem Rate gefolgt und hätte sich von diesen Haß und Aufruhr bringenden Dingen ferngehalten!" AaO 276: „Ich fürchte, es kommt zu einem bösen Aufruhr." AaO 281 (an L. Campeggio; 6.12.1520): „Ich war der erste, der befürchtete, seine Bücher möchten Unruhe hervorrufen." AaO 297 (an U. Zasius; 4.1.1522): „Ich habe von Anfang an einen stürmischen Ausgang erwartet, jetzt fürchte ich ihn." AaO 331 (an Th. Adriani; 2.9.1524): „Möchte doch dieser von Luther erregte

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ther dagegen ist es das Geschick des Wortes Gottes, daß seinetwegen die Welt in Tumult gerät; Dsa 116,25f: [...] hanc esse fortunam constantissimam uerbi Dei, ut ob ipsum mundus tumultuetur. Das Wort Gottes kommt, die Welt zu verwandeln; den Tumult beschwichtigen wollen, hieße, das Wort Gottes zu beseitigen; 117,6f: Hos igitur tumultus uelle sedare, aliud nihil est, quam uelle uerbum Dei tollere et prohibere. So gewinnt der Mensch nach Luther seinen Stand nicht in sich selbst, sondern außerhalb seiner selbst, da er sich selber nicht in seiner eigenen Hand (Dsa 288,17) 1 5 9 weiß, sondern in der Hand Gottes (288,37). Im Glauben, im Bekennen, in der Assertio tritt der Mensch aus sich heraus und findet Stand 160 und Bestand in Gott. Diese Sicht des menschlichen Standes wird auch besonders plastisch in einem relativ späten Text Luthers (Von dai letzten Worten Davids, 1543; WA 54, 31,32-33,14; zu 2. Sam 23,1). Dieser Text gibt einen guten Einblick in Luthers „theologische Werkstatt": Er geht aus von dem Problem der Übersetzung des hebräischen Wortes 'Hukam'; die Übersetzung von Hieronymus (constitutum est) befriedigt Luther nicht; „Stabilitus, certificatus, firmatus, gefestiget" (WA 54, 32,16f) träfen den Sinn seiner Ansicht nach wohl besser. Schließlich nimmt Luther, der nicht neue Wörter aufstellen will, Bezug auf Heb 11,1161 „fides est substantia, graece: hypostasis, welchs wir verdeudscht haben: 'Der glaube ist eine gewisse Zuversicht'." (32,20f). Damit ist für Luther die Bedeutung von Hukam am nächsten getroffen, denn „der glaube ist und sol Tumult wie eine scharfe Arznei uns ein wenig gute Gesundheit bringen!" AaO 337 (an J. Caesarius; 16.12.1524): „Du könntest doch selbst am besten bezeugen, daß ich die Heftigkeit Luthers stets mißbilligt habe, weil ich fürchtete, die Sache möchte in blutige Unruhen ausarten." AaO 372 (an Luther; 11.4.1526): „Das quält mit mir jeden Gutgesinnten, daß Du mit deinem anmaßenden, herausfordernden, aufrührerischen Gebaren die ganze Welt in verhängnisvollem Zwiespalt erschütterst, die Guten und Liebhaber der Wissenschaft tollen Pharisäern zur Beute überläßt, den Schlechten und Neuerungssüchtigen Waffen zum Aufruhr gibst, kurz, die Sache des Evangeliums so treibst, daß Du alles, Heiliges und Unheiliges, durcheinanderwirfst [...]". 159 WA 7, 145,25f: [...] adeo non est homo in manu sua, etiam mala operans et cogitans. Ebd, Z. 31f: [...] scimus omnes nullo momento esse in manu nostra [...]. Vgl. Pro veritate inquirenda [...], 1518; WA 1, 631,9f (These 11): Non voluit Christus, in manu vel arbitrio homini consistere salutem hominum [...]. Vgl. WA 12, 442,2-4: [...] gott mus es wircken, das sein leben gantz in seiner hand nit stehet, sonder gantz blos yn gottis handt [...]. 160 E. Hirschs Übersetzung der assertiones in seinem Hilfsbuch (77, § 103) mit „Standworte" ist sinnvoll und zutreffend. Das Standgewinnen im Glauben steht in einem umfassenderen (und nicht nur ethischen) Rahmen, wenn es eingeordnet wird in Luthers Dreiständelehre; dazu breit informierend und grundlegend: O. Bayer, Freiheit als Antwort, 116-146 (Natur und Institution. Luthers Dreiständelehre). Vgl. in anderem Zusammenhang W. Pannenbergs Plädoyer für eine „argumentative [...] Theologie" gegenüber einer „Standpunkttheologie": W. Pannenberg u.a., Grundlagen der Theologie, 59. Pannenberg betont die Alternative; aber eine assertorische und eine argumentative Theologie müssen sich ja nicht ausschließen. 161 Vgl. L. Goppelt, Theologie des Neuen Testaments, 597f.

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auch sein Ein standfest [!] des hertzen, der nicht wancket, wackelt, bebet, zappelt, noch zweivelt, sondern fest stehet und seiner sachen gewis ist [...] wider alle anfechtung, Teuffei, tod, und wie es heissen mag" (32,22-24.29f). Der Mensch soll nicht „in zweivel schweben" (32,13); er soll einen festen und gewissen Stand erhalten. Mit sichtlicher Freude an der Plerophone des Wortspiels endet Luther: „Solchs ist ein Hukam, stabilitus, substantiatus, constantius, stantificatus, hypostaticus, certus passive sicut verbum Domini certum active [...]" (32,32f). Der Textabschnitt zeigt paradigmatisch Luthers Denk- und Arbeitsweise. Luther geht aus von Übersetzungsproblemen, müht sich um die biblische Sprache und versucht vor allem, philosophische Begriffe von der Bibel her zu verstehen. Wichtiger als begriffliche Bestimmtheit ist ihm hier162 metaphorischer Gehalt und sprachliche Fülle - deshalb die viel αϊ Wortreihungen. Was Luther im Sinn hat und meint, kann er nicht mit einem präzisen Wort ausdrücken, er wählt deshalb mehrere Worte. Bibel- und Predigtsprache verbinden sich mit philosophischer und theologischer Schulsprache.

Exkurs: Luthers Rede vom Bösen und von den Dämonen in heutiger systematischer Verantwortung Ist das Reden von Dämonen, vom Teufel bloße Rhetorik oder Metaphorik, für Luther selbstverständliche, für unser heutiges Denken aber nicht mehr nachvollziehbare mittelalterliche Sprach- und Bilderwelt? Muß man hier nicht „sagen, daß die Satanologje von 'De servo arbitrio' her als mythologischer Rest in Luthers Theologie (auch dieser Schrift selber) konsequent entmythologisiert werden muß, weil der Gott, dai Luther beschreibt, den Gedanken eines Dualismus nicht verträgt?" (P. Steinacker, Luther und das Böse, 150; vgl. D. Korsch, Martin Luther, 159-161.) Sicher ist unsere Welt nicht mehr die Luthers. Sicher hat keiner unter den Größten der Theologie so wie Luther vom Teufel und von Dämonen geredet (vgl. Schelling, Philosophie der Offenbarung, Sämtliche Werke, Bd. XIV, 278: „Ich darf [...] sagen, daß seit den Zeiten der Apostel kaum ein Mensch dem Satan m dir ans Leben gegriffen, mit seiner eigensten und innersten Kraft sich gemessen hat, als Dr. Luther. Bekanntlich aber hatte eben dieser Mann auch die persönlichste Vorstellung von dem Teufel, dem er sich rühmte ins Schwarze des Auges gesehen zu haben. Ueber solche Ausdrücke müssen nicht solche richten, die nie Großes erfahren, nie bis auf jenen Punkt gekämpft haben, wo ihnen diese geistige Macht des Bösen, die in jedem Zeitalter, wenn auch in jedem unter andern Formen, wirkt, als ein Wirkliches entgegengetreten ist. Wenn uns eine freiere Ansicht dieses Principe vergönnt ist, so haben wir dieß jenem Kampf Christi selbst zu verdanken [...]"). Schon das Wortfeld Kampf, das für Luthers Reden vom Teufel so charakteristisch ist, paßt nicht mehr in unsere Denkweise, auch nicht mehr in ein Christentum, das vor allem den „sanften Gott predigen" will (G. Aulen, Die drei Haupttypen des christlichen Versöhnungsgedankens, 528). Wer heute nach Burgund reist, um sich dort von den herrlichen romanischen Kirchen mit ihrem Figurenschmuck an den Kapitellen und Tympan en faszinieren zu lassai, merkt, daß er eine Reise in eine scheinbar vergangene Bildwelt macht. Der Mensch der romanischen Zeit wußte, daß er von Dämonen, von Mächten des Bösen umgeben und bedrängt ist; sie waren ihm so gegenwärtig, daß er sie sogar im Heiligen Raum, im Raum der Kirche, darstellte. Der Teufel sitzt auch im Chorgestühl. Schon mit der 162 Daß Luther auch ganz anders kann, zeigen nicht zuletzt seine vielen Disputationsthesen zu verschiedenen theologischen Problemen.

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Gotik beginnt jedoch ein Prozeß der Aufklärung; die Dämonen werden aus dem himmlischen Jerusalem, der Kathedrale, nach außen verdrängt und etwa als Wasserspeier funktionalisiert. Im Bereich der Wissenschaft haben auf dem Weg „vom Mythos zum Logos" die Dämonen oder der Teufel oder das Böse keinen Platz mehr. Es gibt zwar neuerdings wieder eine „Welle" mit Büchern über das Böse, aber hauptsächlich im journalistischen und belletristischen Bereich. In aktuellen philosophischen Werken über die Ethik oder die Anthropologie wird man das Stichwort „Böse (das)" selten finden; auch im Historischen Wörterbuch der Philosophie wurde es zuerst „vergessen" und mußte unter dem Stichwort Malum nachgetragen werden (vgl. O. Marquard, Art. „Malum"; HWP, Bd. 5, 654, bei Anm. 7). Die vermeintlich mittelalterliche Vorstellung der Dämonen, von der noch Luther so sehr geprägt war, ist verabschiedet und abgedrängt in andere Bereiche. Im Kino z.B. begegnen einem in den Produkten der Traum- und Mythenfabrik Hollywood öfter Filme (vgl. z.B. Der weiße Hai; Alien IIV; verschiedene Werwolffilme), die Versatzstücke der alten Dämonologie bieten. Was soll die Theologie in dieser Situation tun? Sie kann sich dem rationalistischen Zug der Wissenschaften anschließen und alle ihre rückständigen Bilder und Begriffe eliminieren. Sie kann sich aber auch auf ihre besondere Tradition besinnen und sich durch einen Luther daran hindern lassai, die alten Vorstellungen, die vielleicht gar nicht alt sind, aufzugeben. Sie kann vielleicht, unter dem freundlichen Zugeständnis eines Großmeisters der Soziologie (N. Luhmann, Beobachtungen der Moderne. 127), „andere Systeme [die in ihrer ,,autopoietische(n) Autonomie (...) für ihre Operationen keine religiösen Beihilfen" benötigen: aaO 125] nicht determinieren, wohl aber bei Gelegenheit irritieren". (Vgl. das philosophische „Koexistenzangebot" von J. Habermas: „Solange die religiöse Sprache inspirierende, ja unaufgebbare semantische Gehalte mit sich fuhrt, die sich der Ausdruckskraft einer philosophischen Sprache (vorerst?) entziehen und der Übersetzung in begründende Diskurse noch harren, wird Philosophie auch in ihrer nachmetaphysischen Gestalt Religion weder ersetzen noch verdrängen können" [J. Habermas, Nachmetaphysisches Denken, 60], AaO 185: „Die kommunikative Vernunft inszeniert sich nicht in einer ästhetisch gewordenen Theorie als das farblose Negativ trostspendender Religionen. Weder verkündet sie die Trostlosigkeit der gottverlassenen Welt, noch maßt sie sich selbst an, irgend zu trösten. Sie verzichtet auch auf Exklusivität. Solange sie im Medium begründender Rede für das, was Religion sagen kann, keine besseren Worte findet, wird sie sogar mit dieser, ohne sie zu stützen oder zu bekämpfen, enthaltsam koexistieren.") Wenn die Theologie heute noch hartnäckig von den Widerständen des Bösen und der Dämonen spricht, so erfüllt sie die Aufgabe der Irritation. Sie irritiert im Bereich der Wissenschaften, im Gefüge der Konstruktionen, Dekonstruktionen, Rekonstruktionen, Reformulierungen, Kohärenzen und Konsistenzen mit ihrer anstößigen Rede, die sich bloß begrifflichem Zugriff entzieht. Sie führt so vielleicht zu einer Art des negativen thaumazein (zum Staunen als Ursprung der Philosophie vgl. Piaton, Theaitetos 155d; Aristoteles, Met. 1,2, 982b; dazu: B. Snell, Die Entdeckung des Geistes, 41f; 44) angesichts der nach wie vor erschreckenden und unbegreiflichen Phänomene des Bösen in der Welt. Einem wissenschaftlichen Ideal gegenüber, das präzise und einheitliche Begriffe sucht, verweist die Theologie auf die biblische Vielfalt der Rede vom Bösen (mit dem Hauptbegriff der „Zielverfehlung" und mit den Nebenbegriflfen der „Verkehrung", des „Aufstands / Abfalls", des „Irrtums", der „Heillosigkeit", des „Unrechts", der „Gesetzlosigkeit" u.a. mehr. Vgl. die ausführliche Zusammenstellung bei Chr. E. Luthardt, Kompendium, § 42 und die Auflistung bei W. Härle, Dogmatik, 457-460). Sie wird von daher die in der philosophischen und theologischen Tradition

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herausgearbeiteten Differenzierungen des Bösen kritisch befragen (vor allem die Unterscheidung von malum culpae / Böses / Sünde / Schuld und malum poenae / Übel / Strafe in der Alten Kirche und im Mittelalter [vgl. ζ. B. Augustinus, Conf. VII,3,5; Thomas von Aquin, STh I, q 48 a 5 et 6]; die Unterscheidung bei Leibniz zwischen malum metaphysicum, morale und physicum: Theodizee I, § 21 [vgl. Π1, 266 u. 288] und bei Kant die Unterscheidung von schlechthin zweckwidrigem und bedingt zweckwidrigem Bösen und dem Mißverhältnis zwischen beiden [also dem Mißverhältnis zwischen Schuld und Strafe, Unschuld und Leiden]: Über das Misslingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee; Weischedel-Ausgabe, Bd. 9, 106f). Die Geschichte des Denkens hat gezeigt, daß die Versuche, das Böse nur unter ganz bestimmten Leitbegriffen zu begreifen und zu erklären (etwa als amor sui oder superbia oder als concupiscentia), zu Vereinseitigungen geführt haben. Der letztlichen Unerklärbarkeit des Bösen wird die phänomenologische Vielfalt gerechter als die terminologische Eindeutigkeit. Auch wenn die Menschen vor der Faktizität des Bösen stehen, die nicht weiter hintergehbar ist, so muß es doch beschreibbar, wenn auch nicht erklärbar bleiben. Auch Luthers Rede von den Dämonen oder von den Teufeln ist nicht einfach in eine klar strukturierte Begrifflichkeit zu fassen. Luthers Rede vom Teufel ist dazu auch viel zu vielfaltig. „Was [Luther] über Teufel und Dämonen schreibt, ist ganz und gar unspekulativ. Eine Metaphysik des Teufels liegt ihm völlig fern" (W. Eiert, Morphologie des Luthertums, Bd. 1, 397). Der Teufel spielt bei Luther eine variable Rolle. Er ist einmal im Gefüge der Anfechtungen ein Aspekt (triplex tentatio: camis, mundi et diaboli, BSLK 686,7f); er ist Lügner und Mörder (BSLK 723,48-727,15; vgl. Joh 8,44); er ist Inbegriff des Hasses (Cl 7, 261,26f: [...] Sic odium [...] diabolus ipse); er kann als „Disputationspartner" bei kleineren Anfechtungen mit einem „Leck mich im A." (Cl 8, 22,28; vgl. 34,13; 76,34) oder einem „furtz" (Cl 8, 14,35f) verjagt werden; er ist als spiritus tristitiae (Cl 8,14,27; vgl 29,19f; dazu auch Cl 6, 271,26) mit Musik und fröhlicher Geselligkeit zu vertreiben; er ist - und das ist wohl die „präziseste" Vorstellung vom Teufel bei Luther - „der böse Feind" (BSLK 522,18f; 521,34; vgl. 681,36: höchster, erbittertster Feind; 689,33: Hauptfeind; dazu Cl 8, 223,23: „Es ist ein starcker grosser feindt"; Cl 6, 193,17), derjenige, der die Menschen ständig und überall angreift und bedrängt. Mit diesem Ausdruck nimmt Luther auch die genaue und ursprüngliche Wortbedeutung des Satan im Alten Testament (der Widersacher in politischen oder gerichtlichen Zusammenhängen, der „anfeindet"; vgl. W. Zimmerli, Grundriß, 150) auf. Er ist schließlich, in der sicher abgründigsten Sicht des Teufels bei Luther, nichts anderes als eine Maske des verborgenen, allmächtigen Gottes, wenn in der tiefsten Anfechtung Gott selbst zum Feind wird und Gott und Teufel gar nicht mehr zu unterscheiden sind (WA TR 5, 600, 10-12: „Gott behutte uns vor den hohen tentationibus primae tabulae, quae sunt aeternitatis, do man nicht weiß, ob Gott Teuffei oder der Teuffei Gott ist." Vgl. WA 31 I, 249,25f: „[...] Got kan nicht Got sein, Er mus zuvor ein Teufel werden [...]"; WA 40 HL, 337,11: Jam extra Jesum quaerere deum est diabolus; vgl. Gott in der Larve des Teufels: WA 40 Π, 54,15f: Sic Deus larvam diaboli, diabolus Dei induit, et deus sub larva diaboli cognosci et diabolus sub larva Dei reprobali vult. Dazu: WA 44, 429,24f; WA 51, 662,2f). Zur Verhältnisbestimmung von Teufel und verborgenem Gott ist nach wie vor H.-M. Barths Monographie, Der Teufel und Jesus Christus in der Theologie Martin Luthers, 187-208, grundlegend. Etwas zu glatt erscheint aber doch sein systematischer Lösungsversuch hinsichtlich der Verhältnisbestimmung von Gott und Teufel bei Luther: „Gott und Teufel tun [in der Anfechtung] dasselbe, nur mit verschiedenem Ziel" (aaO 166). „Denn ich muß als

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Christ beides wissen, wenn das Böse mich bedrängt: Einmal, daß mich der Teufel dadurch von Gott abbringen will, und zum andern, daß mich Gott dadurch noch näher zu sich fuhren will" (aaO 168). Die (gar nicht einmal vollständige) Aufzählung der Teufelsvorstellungen bei Luther ergibt natürlich keine klare Lehre des Teufels. Vieles muß man hier in Luthers besonderer Biographie aufgehoben sein lassen. Aber es bleibt zu fragen, ob die Vorstellung vom Teufel wirklich „so haltungslos" (F. Schleiermacher, Glaubenslehre; Redeker-Ausgabe I, 211 [§44]) ist, so daß sie „allmählich veralten" (aaO 221) kann, weil sie nicht mehr zumutbar ist. Eine zu glatte Verabschiedung des Teufels muß Verdacht erregen, zumal wenn sie einhergeht mit einem offenkundigen Geschichtsoptimismus (aaO 221: „Je mehr sich nämlich das Gute als ein geschichtliches Ganze befestigt, um desto seltener können solche Gegenwirkungen [des Bösen] wiederkehren, und um desto mehr müssen sie sich ins Kleine zersplittern, so daß audi hier an den Teufel nicht mehr gedacht wird"), der für einen Kulturprotestanten verständlich, nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts aber, des dunkelsten aller Jahrhunderte, nicht mehr so einfach nachvollziehbar ist Sicher ist der Teufel kein klärender Begriff, kein einleuchtendes Argument, sicher mahnen viele Erfahrungen der menschlichen Geschichte zu größter Vorsicht angesichts mannigfaltiger Verteufelungen (nicht nur in den Hexenverfolgungen); auch verschiedene Punkte in der Biographie und im Wirken Luthers (v.a in den Bauern-, späten Papst- und Judenhetzschriften) lassen eine naive und bruchlose Übernahme der Teufelsvorstellung nicht zu. Insbesondere theologisch muß zu denken geben, daß der Teufel im Alten Testament, wo man ihn doch eigentlich vermuten würde, fast keine Rolle spielt (der Satan kommt hier nur dreimal [!] vor: Hi 1 u. 2; Sach 3 und - nur hier artikellos gleichsam als Eigenname - in 1. Chr 21,1; daneben noch als diabolos in Sap. 2,24). Im Neuen Testament, geprägt von apokalyptischen Texten und Vorstellungen, sind dagegen die Vorstellungen und Ausdrücke des Teufels sehr zahlreich; dodi es fallt auf, daß etwa Paulus, in seiner Rede von der Macht der Sünde (vgl. Rom 7,19f), durch die Personifikation in diesem Ausdruck auf den Teufel als Wort verzichten kann. In jüngster Zeit hat v.a. Wilfried Härle (Dogmatik, 489-492) mit sehr nüchternen und gut nachvollziehbaren Überlegungen von der Möglichkeit, ja der Sachgemäßheit, der Rede vom Teufel und von Dämonen in der Theologie gesprochen. Herbert Haag dagegen verabschiedet die Rede vom Teufel, weil „die Satansaussagen des Neuen Testaments nicht zur verbindlichen Botschaft, sondern nur zum unverbindlichen Weltbild der Bibel gehören" (Abschied vom Teufel, 45). Haag will damit die Sünde nicht verharmlosen; es bleibe die Sünde und das Böse, gegen die der Mensch im Vertrauen auf Gottes Gnade anzugdien habe (aaO 46; 50f) Was sich aber verharmlost, ist dann die Vorstellung von Gott, der „den Menschen stets persönlich und liebevoll nahe" sei (aaO 37). Ein kurzer Blick in das Alte Testament genügt (vgl. aaO 29-35), um zu erkennen, daß das nicht wahr ist. Ein so harmloses, „liebes" Christentum wird von Religionskritikem wie Karlheinz Deschner oder Franz Buggle (Denn sie wissen nicht, was sie glauben) in der Luft zerfetzt. Im Vergleich zur Auffassung des Teufels ist die Rede von den Dämonen noch differenzierter zu sehen. Das Dämonische hat eine schillernde Begriffsgeschichte, ist nicht einfach negativ besetzt; in der griechischen Geisteswelt kann der Dämon z.B. für das Schicksal (Wesen) des Menschen (vgl. Heraklit, fr. 119; Diels I, 177), das sich der Mensch aber selber erwählt (Piaton, Politeia 617d-e), stehen. Es kann aber auch das Unheimliche, Ungestaltete der Göttererfahrung bezeichnen: „Daimon bedeutet bei Homer keine besondere Klasse oder Schicht, sondern eine besondere Begegnungsart des Göttlichen. Das Göttliche heißt Gott (theos), sofem es dem Menschen

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kenntlich und klar umschrieben [...] begegnet Es heißt Daimon, wenn es sich ihm formlos, verhüllt, unheimlich, plötzlich, unbegreiflich und zumeist auch schädigend bemerkbar macht" (W. Schadewaldt, Hektors Tod, 316). Besonders hervorzuheben ist auch die Sicht Goethes in bezug auf das Dämonische; es steht bei ihm für das unfaßbare und unbegreifliche Geschehen, das der Mensch mit eigenen Kräften nicht erhellen kann (J.P. Eckermann, Gespräche mit Goethe; Beutler-Ausgabe, 469 [2.3.1831]: „'Das Dämonische [...] ist dasjenige, was durch Verstand und Vernunft nicht aufzulösen ist. In meiner Natur liegt es nicht, aber ich bin ihm unterworfen.'" Vgl. Dichtung und Wahrheit, 4. Teil, 20. Buch; Hamburger Ausgabe, Bd. 10, 175: „Es war nicht göttlich, denn es schien unvernünftig, nicht menschlich, denn es hatte keinen Verstand, nicht teuflisch, denn es war wohltätig, nicht englisch, denn es ließ oft Schadenfreude merken. Es glich dem Zufall, denn es bewies keine Folge, es ähnelte der Vorsehung, denn es deutete auf Zusammenhang [ . . .]. Dieses Wesen [ . . .] nannte ich dämonisch, nach dem Beispiel der Alten und derer, die etwas Ahnliches gewahrt hatten. Ich suchte mich vor diesem furchtbaren Wesen zu retten, indem ich mich, nach meiner Gewohnheit, hinter ein Bild flüchtete." AaO 177: „Obgleich jenes Dämonische sich in allem Körperlichen und Unkörperlichen manifestieren kann, ja bei den Tieren sich aufs merkwürdigste ausspricht; so steht es vorzüglich mit dem Maischen im wunderbarsten Zusammenhang und bildet eine der moralischen Weltordnung, wo nicht entgegengesetzte, doch sie durchkreuzende Macht [...]. Am furchtbarsten aber erscheint dieses Dämonische, wenn es in irgendeinem Menschen überwiegend hervortritt. Es sind nicht immer die vorzüglichsten Menschen, weder an Geist noch an Talenten, selten durch Herzensgüte sich empfehlend; aber eine ungeheure Kraft geht von ihnen aus [...]. Alle vereinten sittlichen Kräfte vermögen nichts gegen sie [...] und sie sind durch nichts zu überwinden, als durch das Universum selbst, mit dem sie den Kampf begonnen; und aus solchen Bemerkungen mag wohl jener sonderbare aber ungeheure Spruch entstanden sein: Nemo contra deum nisi deus ipse." Vgl. u. S. 143f). Das Dämonische verkörpert sich in Menschen mit maßloser Tatkraft und Unruhe, etwa in Künstlern wie Byron und Paganini, in geschichtlichen Gestalten wie Friedrich dem Großen und Peter dem Großen. Ausdrücldich wird eine Figur wie Mephistopheles als Ausdruck des Dämonischen von Goethe verworfen, denn „'der Mephistopheles ist ein viel zu negatives Wesen; das Dämonische aber äußert sich in einer durchaus positiven Tatkraft'" (Beutler-Ausgabe, ebd). Zum Verhältnis des Dämonischen zu Gott vgl. Beutler-Ausgabe, 473. Dazu: P. Hankamer, der das Dämonische in Goethes Geisteswelt, v.a. vor dem Hintergrund der „Wahlverwandtschaften", des „dunkelstefn], geheimnisvollste[n] der Großwerke Goethes" (Ders., Spiel der Mächte, 341), als „Rätselmacht des Schicksals" (aaO 324) beschreibt und feststellt: „auch das Dämonische gehört der unerforschlichen abgründigen Gottheit an" (aaO 316). Goethe reflektiert mit dem Ausdruck des Dämonischen vor allem auch seine NapoleonBegegnung (1808). Er sah in diesem kleinen Korsen eine dämonische Gestalt, die die halbe Welt verändert, Großes vollbringt (und zwar teils positiv, teils negativ), und gegen deren Kraft sich die halbe Welt verbünden muß, um seine Übermacht zu bekämpfen. Unter den Theologen hat sich vor allem Paul Tillich mit dem Dämonischen auseinandergesetzt. Auch bei ihm ist - wie bei Goethe - das Dämonische nicht einfach negativ besetzt; es steht für die Spannung und Einheit von schöpferischer Gestaltung und zerbrechender Kraft, von Formschöpfüng und Formzerstörung (sie allein wäre nur das Teuflische), etwa in Gebilden der sogenannten primitiven Kunst, aber auch darüber hinaus in den Bereichen des Staatlichen, Kirchlichen und Wirtschaftlichen (P.

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Tillich, Das Dämonische, 42-71; 70: „Die Tiefe des Dämonischen ist gerade die, daß das Sinnhafte und Sinnwidrige in ihm unlöslich verbunden sind "). Im heutigen, allgemeinen Sprachgebrauch ist das Dämonische eher wieder ausschließlich auf eine negative Bedeutung festgelegt. Das Wort wird dann gebraucht, wenn Menschen etwas unfaßlich Böses, Abgründiges und nicht Erklärbares zu beschreiben versuchen. So schildert der Schriftsteller und ehemalige KZ-Häftling in Auschwitz, Primo Levi, seine Erfahrungen und beschreibt in dem Buch „Die Untergegangenen und die Geretteten" (1986) im Kapitel „Die Grauzone" (aaO 33-68) das seiner Ansicht nach abgründigste Verbrechen der Nationalsozialisten unter all ihren gigantischen Vergehen, nämlich die Aufstellung der sogenannten Sonderkommandos. Damit sind jüdische Häftlinge gemeint, die insofern bevorzugt waren, als sie gute Verpflegung bekamen, aber nur deshalb, weil sie harte Arbeit (in Auschwitz zwischen 700 und 1000 ständige Arbeiter) direkt bei den Gaskammern (etwa das Herausziehen der Leichen, das „Verwerten" durch das Ausziehen der Goldzähne oder das Abschneiden der Haare, und das Verbrennen der Leichen) verrichten mußten. In diabolischer Bosheit wurden damit Juden von den Nazis direkt beim Massenmord beteiligt; Opfer, die durch diese Arbeit bis zu ihrem eigenen Tod etwas Aufschub erhalten hatten, wurden zu Tätern gemacht. Levi schreibt (aaO 51): „Die Erfindung und Aufstellung der Sonderkommandos ist das dämonischste Verbrechen des Nationalsozialismus gewesen." Ein alter Rat ist, Adjektive - wenn irgend möglich - zu vermeiden. Angesichts dieser schrecklichen Grauzone, in der die klaren Grenzen zwischen Tätern und Opfern verschwimmen, drängte sich Levi das Adjektiv „dämonisch" aber offensichtlich auf. Für einen Philosophen wie Karl Jaspers gab es keine Dämonen (Einführung in die Philosophie, 56: „Wenn Gott ist, gibt es keine Dämonen." Der philosophische Glaube, 93: „Dämonen gibt es nicht." Vgl. aber das Verständnis Jaspers' für Goethes Rede von den Dämonen, aaO 94f). Für viele Theologen ist die Rede vom Teufel und den Dämonen erledigt oder zu erledigen (so in Bultmanns berühmten Diktum [Ders., Neues Testament und Mythologie; in: Kerygma und Mythos I, 17]: „Erledigt ist durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur der Geister- und Dämonenglaube.") Ein Theologe wie Ernst Käsemann, geprägt von den Erfahrungen des „Dämonischen" im Nazi-Deutschland, steht mit seiner Sicht des Dämonischen vereinzelt da (vgl. Ders., Der Ruf der Freiheit, 104f; 173: „Die Dämonen lauem aber überall und sind leider nicht so leicht von Christen einzukreisen wie das Evangelium"). Seltsamerweise gibt es unter den Philosophen Atheisten und Agnostiker, die sich haben irritieren lassen (G. Anders, Die Antiquiertheit des Menschen Π, 407-410; L. Kolakowski, Gespräche mit dem Teufel; H. Blumenberg, Sollte der Teufel erlöst werden? Kapitel einer Dämonologie). Sollte sich dann die Theologie der Irritation einfach entziehen? Die Aufgabe der Irritation bleibt. Sie kann sicher im Rahmen der christlichen Verkündigung, deren Hauptaufgabe die Verkündigung des Evangeliums und des Glaubens ist, und im Rahmen der christlichen Theologie, deren Hauptaufgabe das Nachdenken des Glaubens ist, nur eine Nebenaufgabe sein. Der Ausdruck Irritation ist auch nicht eindeutig festgelegt (Luther redet etwa in Dsa 205,17 von der irritatio impiorum im Zusammenhang der Verstockung; der Pharao wird irritiert, sein Herz wird verstockt und verhärtet: 205,22f). Jedenfalls wird eine Welt und Gesellschaft, die heute nur unter dem Aspekt der Gestaltbarkeit der Verhältnisse sich verstehen kann, mit der hartnäckigen Rede vom Bösen (egal ob dieses Böse sächlich-neutrisch oder personifiziert verstanden wird) irritiert und unterbrochen. Es wird eine Grenze ge-

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setzt, die markiert, daß es Dinge gibt, die sich der Denkbarkeit, der Planbarkeit und der Verfügbarkeit durch den Menschen entziehen. „Das Böse ist das Undenkbare schlechthin [...] wir können es nicht greifen" (G. Picht, Über das Böse, 484). Eine Kategorie der Wissenschaft können das Böse oder der Böse nicht werden (eine „feministische" Anmerkung: warum taucht eigentlich „die Böse" in theologischen Texten als weitere Möglichkeit gar nicht auf ? Ein Shakespeare immerhin hat sie als Lady Macbeth doch gedacht! Vgl. aber W. Eiert, Der christliche Glaube, 264; § 46.3). Keine Wissenschaft hat es auch vermocht, das Böse aus der Welt herauszuerklären - die Literatur aber, Shakespeare, Melville (tiefgründig in der Erzählung „Billy Budd", die ausdrücklich, im 10. und 18. Kapitel, das mysterium iniquitatis [2. Thess 2,7] thematisiert), Dostojewski und viele andere mehr, haben immer vom Bösen erzählt. Vielleicht ist das Böse in der erzählenden Literatur noch am besten aufbewahrt. Thomas Mann hat den Punkt getroffen: „Vom Dämonischen, so fühle ich, soll man dichten, nicht schreiben" (Dostojewski - mit Maßen, 964). In biblischen Erzählungen wie in künstlerischen Texten ist die Irritation wohl besser aufgehoben als in begrifflichen Systemen, denn „der Teufel paßt nicht in unser System" (Chr. D. Grabbe, Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung, 1. Akt, 3. Szene). So ist etwa in Jeremias Gotthelfs „Die schwarze Spinne" in vielfältigen Bezügen vom Bösen und vom Dämonischen die Rede. Verdichtet ist das Böse in einem schwarzen Fensterpfosten, der, so die Rahmenerzählung, anläßlich einer Taufe von einer Besucherin in dem neuen, schönen Haus der Tauffamilie bemerkt wird. Nach ihrer Frage, warum denn dieser häßliche Balken, der auch von der Größe her nicht recht ins Fenster passe, in dem schönen Fenster sitze, eröffnet sich die eigentliche Erzählung vom Einbruch des Teuflischen in eine Dorfgemeinschaft und von der schließlichen „Verbannung" des Bösen in der Gestalt der schwarzen Spinne in diesen Pfosten. Der schwarze Fensterpfosten, der immer wieder, wenn das Haus neu gebaut werden muß, eingesetzt wird, steht für die Irritation. Er ist Zeichen der Erinnerung und der Mahnung, daß das Böse dai Menschen weiterhin bedroht - auch wenn scheinbar die eigene Welt schön, übersichtlich und ordentlich gestaltet ist. Wenn die Theologie vom Bösen weiterhin im Rahmen der Ordnungen in Wissenschaft und Gesellschaft redet, so stellt sie mit dieser Rede so etwas wie den schwarzen häßlichen Fensterpfosten aus Gotthelfs Erzählung dar. So wie dieser nicht in das Fenster des neuen Hauses paßt, so wie er irritiert, so paßt auch das theologische Reden vom Bösen kaum in das geordnete Gefuge der Wissenschaften. Trotzdem hat dieses Reden - als Irritation - seinen Sinn.

B. Glaubens- oder Werkgerechtigkeit? Die Frage nach der Ethik I. Die Betonung der Ethik bei Erasmus Die Bedeutung der Ethik wird von Erasmus schon am Anfang seiner Diatribe klar herausgestellt. Dort unterscheidet er im Hinblick auf das, was der Mensch über religiöse Fragen wissen kann, vier Kategorien: Zunächst gibt es nach Erasmus Dinge, die uns nach Gottes Willen völlig unbekannt sein sollen, z.B. das Datum des eigenen Todes oder des Jüngsten Gerichts. Ferner gibt es Probleme, die so schwierig und undurchschaubar sei-

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en, daß wir sie besser in „mystischem Schweigen" (in mystico silentio) verehren sollen, so etwa Fragen der Trinitätslehre und der Zwei-Naturen-Lehre innerhalb der Christologie163. Drittens dagegen soll anderes dem Menschen sehr genau bekannt sein und das sind die praecepta bene vivendi, die Gebote für ein gutes Leben. Allein die Ethik muß gewiß, eindeutig und klar sein; sie ist „das Wort Gottes", schreibt Erasmus in Anspielung auf Dtn 30,11-14 und Rom 10,6-8, „das man weder aus der Höhe herabholen muß durch den Aufstieg in den Himmel noch von weither herbeischaffen braucht durch eine Fahrt über das Meer, sondern das nahe ist in unserem Mund und unserem Herzen" (Dia Ia9, 15). Hier wird besonders deutlich, welche herausragende Rolle die Moralität bei Erasmus spielt; immer wieder kommt er dann im Verlauf seiner Abhandlung auf die vielen biblischen Gebote, Verbote, Ermahnungen und Ratschläge zu sprechen, die doch völlig sinnlos wären, würden sie nicht an einen Menschen mit Willensfreiheit gerichtet sein. Nun gibt es in der Auflistung des Erasmus noch eine vierte Kategorie, die nicht auf der gleichen Ebene der drei ersten Kategorien steht, die aber für das Wahrheitsverständnis des Erasmus sehr aufschlußreich ist. Es gebe schließlich Dinge, behauptet der Humanist, die, selbst wenn sie wahr wären und gewußt werden könnten, doch nicht dem gemeinen Volk bekannt gemacht werden dürften, weil das nicht nützlich wäre, z.B. scholastische Spekulationen darüber, ob Gott auch in der Höhle eines Mistkäfers anwesend sein kann. Ist etwas zu anstößig, zu störend für ästhetisches Empfinden oder fiir das Gemeinwohl und die guten Sitten nicht zweckdienlich, so ist es nach Erasmus besser, dies der Allgemeinheit zu verschweigen. Man hat fast den Eindruck, einen modernen Vertreter der funktional argumentierenden Religionssoziologie zu hören, wenn Erasmus schreibt: „Wenn es für mich feststünde - was nicht der Fall ist - , daß diese Beichte, wie wir sie jetzt haben, weder von Christus eingesetzt wurde noch von Menschen eingesetzt werden konnte und deshalb von niemandem verlangt werden darf [...], würde ich mich dennoch scheuen, diese Meinung öffentlich kundzutun, weil ich sehe, daß die meisten Sterblichen in erstaunlichem Maße zu Schandtaten geneigt sind, die jetzt noch irgendwie durch die Notwendigkeit zu beichten gehemmt oder sicherlich gemäßigt werden." (Dia Ia9, 17.)164 Frei nach Voltaire könnte man sagen: Wenn es die Beichte nicht gäbe, man müßte sie erfinden - zur ethischen Zügelung und Mäßigung der Menschen! 163 Es ist befremdlich, daß Erasmus in dieser Weise die zwei „Essentials" des christlichen Glaubens, Trinitätslehre und Christologie, relativiert und distanziert. Vgl. Melanchthon in seinen Loci von 1521; Pöhlmann-Ausgabe, 18 (O, 6), v.a. Anm. 19. 164 Vgl. dazu folgende Tischrede Luthers (Cl 8, 3,3-7; Nr. 37): Haec est sententia papae et omnium cardinalium, etiam Erasmi, quod sentiunt: Religio tota est fabula, servanda tarnen est religio, ut et regnum et monarchia papae servetur, quod sine metu religionis collaberetur, neque enim posset vulgus retineri in officio Dazu brauchen und halten sie die religionem.

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In diesem Zusammenhang einer funktionalen Wahrheitstheorie gehört für den Humanisten auch die Problematik des freien Willens. Es gibt nichts Unzweckmäßigeres als Luthers Bestreitung des freien Willens und seine Behauptung, alles geschehe aus Notwendigkeit; denn welcher Schwache würde dann seine Bemühung um einen guten Lebenswandel weiterfuhren, welcher Böse würde danach streben, sein Leben überhaupt zu bessern? (Dia IalO, 19.) Auch wenn Erasmus nicht als bloßer Rationahst und Moralist betrachtet werden kann165, geht doch sein Bestreben, pietas und eruditio, Frömmigkeit und Bildung harmonisch zusammenzuführen, in eine andere theologische Richtung als die Luthers. Denn es „spielt bei Erasmus eben das Moment des ethischen Fortschritts im Christenleben eine weit größere Rolle als bei Luther, der die moralische Entwicklung des Gläubigen im Entscheidenden der Dialektik sìmul iustus et peccator, semper repentens unterordnet" 166 .

II. Die Relativierung der Ethik bei Luther 1. Cognitio non est vis - Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium Auf die erasmische Frömmigkeitstheologie, auf dessen Betonung der Ethik, antwortet Luther zunächst mit seiner Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Luther streitet nicht ab, daß die Schrift eine Fülle von Geboten, Verboten und Ermahnungen enthält, er streitet aber mit Erasmus über Sinn und Bedeutung dieser biblischen Texte. Wozu sind die vielen Gesetzte in der Bibel da? Nicht dazu, daß die Vernunft erleuchtet und die Kraft des Willens bekräftigt wird, sondern dazu, daß der Mensch der Blindheit seiner Vernunft und der Schwachheit seines Willens überfuhrt wird (Dsa 168,4-16). Biblischer Grundtext, den er in Dsa immer wieder zitiert, ist in dieser Frage für Luther Rom 3,20: „Denn durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde" (vgl. 168,7; 176,5, 188,1 lf und 267,13.30f). Cognitio [...] non est uis (168,lOf), in der Erkenntnis (der Sünde) hegt nicht schon die Kraft (zur Überwindung der Sünde) - mit diesem Kernsatz begegnet Luther Erasmus. Das Gesetz ist nicht wertlos, es hat eine Aufgabe, aber eine begrenzte Aufgabe; es ist ein Licht, das etwas anzeigt - nämlich die Krankheit der Sünde - , das aber von diesem aufgezeigten Übel nicht befreien kann ohne das andere Licht, nämlich das Evan-

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Vgl. R. Padberg, Personaler Humanismus, 34-38; 111-120. A. Auer, Die vollkommene Frömmigkeit, 116-119; 203-209. Bei aller Bemühung um ein faires Urteil hält aber auch Auer fest, daß Erasmus „die praktische Brauchbarkeit der Frömmigkeit" und „die ethischen Bedürfnisse mehr als der Glaube und das Gebet" (aaO 17) bedeuten. 166 M. Hoffmann, Erasmus im Streit mit Luther, 11 Of. Hoffmann unterscheidet zwischen der „Glaubenstheologie" Luthers und der „Frömmigkeitstheologie" des Erasmus (aaO 112).

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gelium167. Luther wirft Erasmus vor, daß dieser weder richtig zwischen Gesetz und Evangelium, noch richtig zwischen Altem und Neuem Testament unterscheide (185,20-186,1). Erasmus kenne, so Luther, die Bibel eigentlich nur als Gesetzbuch, durch das die Menschen zu guten Sitten hin geformt werden sollen (185,36-38)168. 2. Das Quantum der Ethik - Unendliches Streben und totale Erfüllung Luthers Ablehnung der Willensfreiheit im ersten Teil seines Bekenntnisses hat, wie schon gezeigt, zwei Gründe. Der erste Grund, die Anfechtungen durch die Dämonen, wurde schon angesprochen; im folgenden geht es nun um den zweiten Grund, der die ethische Problematik betrifft. Wieder in der Form des Irrealis geht Luther von der Annahme aus, es gäbe keine Gefahren, Anfechtungen und Dämonen, die das Sein des Menschen bedrohten. Er geht also versuchsweise ein auf das stärker ethisch bestimmte theologische Programm des Erasmus. Angenommen also, der Mensch könnte frei, unbeeinträchtigt und unbelastet sich selbst hinsichtlich des Heils bemühen, was wäre für Luther die Folge? Der Mensch wäre gezwungen, sich fortwährend (perpetuo169: 288,24) ins Ungewisse hinein abzumühen; sein Gewissen, also er selbst, wäre niemals gewiß und sicher, auch wenn er in Ewigkeit lebte und Werke täte (si in aeternum uiuerem et operarer: 288, 25f). Er wäre nie sicher, wieviel er tun müßte, um Gott genug zu tun. Immer bliebe der beunruhigende Zweifel (288,28: scrupulus170), ob nicht bei jedem erreichten Stand der eigenen Werkgerechtigkeit nicht noch etwas darüber hinaus (ultra: 288,29) vor Gott erforderlich wäre. Luther beruft sich dabei auf eigene Erfahrungen seiner Mönchs167 Dsa 267,32-268,1: Non (ait) probatur liberum arbitrium per legem, Non cooperatur ad iustitiam. Non enim per legem iustitia, sed cognitio peccati. Is enim est fructus. id opus, id officium legis, quod ignaris et caecis lux est, sed talis lux, quae ostendat morbum, peccatum, malum, mortem, infernum, iram Dei, Sed non iuuat, nec libérât ab istis, Ostendisse contenta est. Tum homo cognito morbo peccati, tristatur, affligitur, imo desperat. Lex non iuuat, multo minus ipse se iuuare potest. Alia uero luce opus est, qua ostendat remedium. Haec est uox Euangelij ostendens Christum liberatorem ab istis omnibus [.]. 168 Vgl. Luthers Urteil in der großen Galaterbrief-Vorlesung (zu Gal 2,17), Erasmus und die Papisten würden Christus vor allem als neuen Gesetzgeber kennen; WA 40 I, 259,30f: Sic Erasmus et Papistae iudicant Christum esse novum legislatorem [...]. 169 Der Unmöglichkeit, sich in einer vita activa durch fortwährendes Bemühen gegenüber Gott Gewißheit zu verschaffen, entspricht in der vita contemplativa die Warnung davor, den unbegreiflichen Gott in seinem Schöpferwirken durch fortwährendes Spekulieren fassen zu wollen. WA 42, 9,22: Quia etiamsi in infinitum speculemur et disputemus, tarnen manent haec incomprehensibilia. In diesen Zusammenhang gehört auch auf der Ebene der Hermeneutik die Ablehnung eines fortwährenden, unendlichen Auslegungsprozesses. Vgl. o. Anm. 33. 170 Vgl. dazu den Brief Luthers an Spalatin vom 15.2. 1518; WA BR 1, 144-147; v.a. 145,18.39.

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zeit und auf Erfahrungen solcher, die Ahnliches versucht haben. Was kann, was muß ich tun für mein Heil? Für Erasmus ist es nur ein ganz kleiner Teil im Heilsprozeß, nur ganz wenig, ein Minimum, das der freie Wille des Menschen hierzu beiträgt. Luther lehnt diese quantifizierende Lösung des Problems durch Erasmus ab. Denn Gott und Mensch können nicht in einen quantitativ bestimmbaren Zusammenhang gebracht werden. Wie soll man etwa die Anteile am Heilsprozeß zwischen Gott und Mensch prozentual bestimmen: 80% bei Gott, 20% beim Menschen? Oder 99% zu 1%? Ist aber das perpusillum nicht noch weniger als ein Prozent? Die Abwegigkeit, ja Sinnlosigkeit solcher Fragen hegt auf der Hand! In Luthers Ablehnung einer quantifizierenden Betrachtungsweise spielen schon die Überlegungen herein, die dann später im Bekenntnis (289,24-32) wichtig werden. Was ist der Mensch im Vergleich mit Gott? Wieviel (Quantum171: 289,24) ist es, was die Macht des Menschen im Vergleich zur Macht Gottes vermag? - Nichts (prorsus nihil: 289,31)! Gott und Mensch stehen in keinem durchgängigen Seinszusammenhang, eine Kluft trennt sie, die mit quantifizierenden Lösungen, wie sie Erasmus vorschlägt, nicht zu überbrücken ist. Vor dem unendlichen, unbegreiflichen Sein Gottes muß das endliche, menschliche Sein vergehen (vgl. Jes 6). Das bedeutet aber keine absolute „Vernichtung" aller menschlichen Seinsweisen, Tätigkeiten und Bemühungen. Der menschliche Wille ist zwar im Vergleich mit Gott ein Nichts, aber nicht in jeder Hinsicht. Es ist für Luther entscheidend, „daß der freie Wille zwar vieles wirkt, was trotzdem nichts ist vor Gott."172 171 In dem Textabschnitt Dsa 106,25-107,15 gebraucht Luther zwar selbst in seiner Argumentation das quantum; 106,35-107,1: Nam si ignorauero, quid, quatenus et quantum ego possum et faciam erga Deum, pariter incertum et ignotum mihi erit, quid, quatenus et quantum deus in me potest et faciat, cum Deus operetur omnia in omnibus. Ignoratis uero operibus et potentia Dei, Deum ipsum ignoro, Ignorato Deo, colere, laudare, gratias agere, seruire Deo non possum, dum nescio, quantum mihi tribuere, quantum Deo debeo. Das Quantum dessen, was der Mensch mit seinem Willen zur Gnade Gottes noch beitragen kann (106,30f: [...] quomodo se hábeat ad gratiam Dei), die für Luther entscheidende Frage, „ob der Wille etwas oder nichts tut in den Dingen, die das Heil betreffen" (106,26f: [...] an uoluntas aliquid uel nihil agat in iis, quae pertinent ad salutem [...]), wird aber eindeutig so beantwortet, daß in dieser Hinsicht „die göttliche Barmherzigkeit allein alles tut und unser Wille nichts tut, sondern vielmehr erleidet" (107,10-12: [...] Dei misericordiam solam omnia agere et uoluntatem nostrani nihil agere, sed potius pati [...]). 172 Dsa 250, 17-19: Hoc enim est, quod contendimus et euictum uolumus, quod liberum arbitrium multa [zum Zweck einer präzisen Gegenüberstellung wäre zu ergänzen: coram mundo et hominibusl] agat, quae tarnen sunt nihil coram Deo. Vgl. den ganzen Abschnitt 249,10-250,39, in dem sich Luther mit dem Wort nihil auseinandersetzt. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch das auffällige Nebeneinander von Aktivität und Passivität des Menschen unter Gottes übergeordneter Aktivität in Dsa 214,9f: [...] nos agemus et agemur secundum ipsius praescientiam et actionem. Auf begriffliche Konsistenz kann man sich allerdings - wie so oft bei Luther - auch in dieser Frage nicht verlassen, so wird etwa in Dsa 245,1-3 ([...] cum libertas arbitrij in re-

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Mit dieser Aussage ist ein wichtiger Hinweis auf Luthers grundsätzliche Sichtweise der Willensfreiheit gegeben. Sie faßt die von Luther in Dsa getroffenen Unterscheidungen hinsichtlich der Willensfreiheit knapp in einem Satz zusammen. Ausgehend vom Bekenntnis ist zunächst festzustellen, daß die Ablehnung der Willensfreiheit nicht absolut festgehalten, sondern auf Bestimmtes bezogen ist. Luther wollte den freien Willen nicht haben, mit dem er zum Heil streben (ad salutem conari : 288,18) könnte. Luther greift damit noch einmal die Wendung auf, die er an anderer Stelle in Dsa als Hauptbestimmung des Erasmus schon diskutiert und kritisiert hat bus et operibus nostris nulla est, multo magis nulla est in rebus et operibus diuinis) die völlige Nichtigkeit des freien Willens auch in weltlicher Hinsicht zum Ausdruck gebracht. Luther gibt die Schwierigkeit, letztlich die Unmöglichkeit offen zu, menschliche Freiheit und göttliche Allmacht in befriedigender Weise zusammenzudenken; Dsa 212,42-213,1: DifScilem quidem esse quaestionem fateor, imo impossibilem, si simul utrunque uoles statuere, et praescientiam Dei et libertatem hominis. Vgl. W. Härles Versuch einer begrifflichen Klärung hinsichtlich der Frage nach dem Zustandekommen des Glaubens (Dogmatik, 516): „Die aktive Passivität des Sich-bestimmenLassens (im Unterschied zu der reinen Passivität des Getrieben-Werdens und der reinen Aktivität des Sich-selbst-Bestimmens) ist die Weise, in der ein Mensch am Entstehen, Bestehen, Wachsen des Glaubens beteiligt ist. Er tut dabei - genaugenommen nichts, sondern läßt etwas an sich und mit sich geschehen. Aber daß er nichts tut, sondern dies geschehen läßt, ist seine persönliche, verantwortliche Beteiligung an dem Geschehen des Glaubens." In welche Richtung Härles Überlegungen gehen wollen, ist offensichtlich - aber der begriffliche Mittelweg, gleichsam der Kompromiß „aktive Passivität" zwischen der reinen Passivität und der reinen Aktivität, zeigt auch bei ihm die (bei dieser Frage unvermeidlichen) Unschärfen in der Bemühung um gedankliche Präzision an. Vgl. auch Härles Plädoyer innerhalb der Vorsehungslehre für „ein Miteinander von Bestimmtwerden und Selbstbestimmung" (aaO 290) des Menschen. An der Vermittlung der Theologie Luthers mit der Schleiermachers ist G. Wenz - wie auch E. Herms (s.u. S. 199) - orientiert, wenn er in einer Auslegung zu Luthers Dsa feststellt, „daß der Mensch, so sehr sein Dasein in der Welt stets ein Mischungsverhältnis relativer Freiheit und relativer Abhängigkeit darstellt, in Bezug auf Gott schlechthinnig abhängig ist, insofern sein Dasein als Ganzes, also in der Einheit der Duplizität von Selbsttätigkeit und Empfänglichkeit, seinen Grund nicht in der eigenen Spontaneität, sondern im Schöpferwillen Gottes hat" (G. Wenz, Luthers Streit mit Erasmus als Anfrage an protestantische Identität, 143). Ein solcher Vermittlungsversuch, wie ihn Wenz vorlegt, ist beeindruckend und lehrreich; fraglich bleiben aber Aussagen wie die, daß sich Luther in Dsa „durchgängig an der Frage nach den theologischen Konstitutionsbedingungen tätigen Menschseins" (aaO 149) orientiere und daß es ihm um eine „Begründung" (ebd) menschlicher Freiheit gehe. Damit ist Luther, nach meinem Urteil, doch zu stark auf die Fragestellungen neuzeitlicher Subjektivitätstheorie hin getrimmt, die gewiß nicht in seinem Horizont und in seiner Absicht lagen. Einer der Ahnherren für solch eine Vermittlung von Luther und Schleiermacher ist, neben W. Herrmann (s.u. Anm. 205), G. Wobbermin (vgl. Ders., Das Wesen der Religion, 3f: „So bringt Schleiermacher den Grundgedanken Luthers, der sein ganzes Reformationswerk bedingt und geleitet hat, der aber freilich bei den Epigonen fast ganz zurückgetreten war und der zumal in der wissenschaftlichen Bearbeitung der Religion so gut wie vollständig vergessen worden war, programmäßig zur Geltung." Vgl. die „im Sinne Luthers und Schleiermachers geltend gemachte Forderung eigener religiöser Erfahrung", aaO 6).

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(Dsa 151,8-156,12) 173 . Mit der Ablehnung der Willensfreiheit in dieser Hinsicht, also Gott, dem Heil und der Verdammnis [!] gegenüber (Dsa 129,6f), ist aber f ü r Luther keine grundsätzliche Ablehnung gemeint. Luther versucht zu differenzieren: Willensfreiheit gibt es gegenüber den Dingen, die dem Menschen und seiner Vernunft unterworfen 1 " 1 sind, aber nicht gegenüber den Dingen, die seine Macht übersteigen. Der f ü r diesen Zusammenhang wichtigste Text findet sich in Dsa 128,40-129,8: „Wenn wir nun überhaupt dieses Wort nicht fallen lassen wollen, was das Sicherste und Religiöseste wäre, sollten wir gleichwohl nach bestem Wissen lehren, es so zu gebrauchen, 173 Luther versteht die folgenden Sätze des Erasmus (Porro liberum arbitrium hoc loco sentimus vim humanae voluntatis, qua se possit homo applicare ad ea, quae perducunt ad aeternam salutem, aut ab iisdem avertere; Dia IblO, 36) als dessen Definition (Dsa 151,8: definitione) der Willensfreiheit und analysiert, kritisiert und zerpflückt diese von ihm angenommene Definition dann nach allen Regeln scholastischer Disputationskunst. Zu beachten ist aber, daß die neuere Erasmusforschung hier - mit guten Gründen - Differenzierungen vorschlägt. Der von Luther kritisierte Satz sei keine regelrechte Definition des Humanisten und als solche auch nicht gemeint. Erasmus habe zunächst einmal an dieser Stelle (hoc loco !) seiner Schrift eine vorläufige Bestimmung, quasi „eine vorläufige Arbeitshypothese" (M. Hoffmann, Erasmus im Streit mit Luther, 108) vorlegen wollen. Diese positive Bestimmung der Willensfreiheit werde dann von Erasmus mit einer negativen Bestimmung kontrastiert, in der von der durch die Sünde verdunkelten Vernunft (rationem [...] per peccata obscurata) und der verlorenen Freiheit des Willens (voluntas [...] amissa liberiate) die Rede ist (Dia IIa3, 40/41). Diese so kontrastierten extremen Bestimmungen würden schließlich zum Ausgleich, zur moderatio gebracht in Dia IV8, 171-173, der moderaten Festlegung der Willensfreiheit, die als Zweitursache nur ganz wenig angesichts der Erstursache der göttlichen Gnade am Heilsprozeß bewirke (dazu: M. Hoffmann, Erasmus im Streit mit Luther, 108-110). 174 Vgl. WA 42, 64,28-34: Habemus quidem liberum quodam modo arbitrium in iis, quae infra nos sunt. Sumus enim constitute mandato divino domini piscium maris, volatilium coeli et bestiarum agri. [...] Sed in iis, quae ad Deum attinent, et sunt supra nos, homo nullum habet liberum arbitrium, Sed vere est sicut lutum in manu figuli, positus in mera potentia passiva, et non activa. S.o. Anm. 152. Vgl. 107,29-34. Dazu 291,37f: Nos autem cum de libero arbitrio disputamus, quid Theologice valeat, querimus, non quid in civilibus et rationi subiectis rebus. In seiner Auslegung zu Gen 1,26 kritisiert Luther, daß die theologische Tradition im Zusammenhang der Gottebenbildlichkeit des Menschen auch die Fragen nach den vestigia trinitatis und nach der Willensfreiheit behandelt habe. Nam hue quoque affertur disputatio de libero arbitrio, quae ex imagine ista nascitur. Ita enim dicunt: Deus est liber, ergo cum homo ad imaginem Dei sit conditus, habet etiam liberam memoriam, mentem et voluntatem (WA 42, 45,26-29). Im weiteren Verlauf seiner Argumentation stellt Luther aber heraus, daß die imago Dei durch die Sünde verloren ist (46,4: [...] per peccatum amissa est [...]; vgl. 47,30; 49,29; 50,16: [...] imago ista pene tota sit amissa [...]). Luther spricht von der imago Diaboli (47,22; vgl. WA 14, 111,9 und die Verwendung dieses Ausdrucks bei Flacius: BSLK 844, Anm. 4) und davon, daß nach dem Sündenfall die Gottebenbildlichkeit durch das Evangelium wieder erneuert wird (48,11: Hoc autem nunc per Euangelium agitur, ut imago illa reparetur. 48,27f: Ad hunc modum incipit imago ista novae creaturae reparari per Euangelium in hac vita, sed non perficitur in hac vita). Das Adam ursprünglich gegebene dominium muß der Mensch per industriam et artem (50,25f) ausfüllen.

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daß dem Menschen der freie Wille nicht im Hinblick auf das, was höher, sondern nur auf das, was niedriger ist als er, zugestanden wird, d.h. daß er weiß, daß er in Sachen seines Geldes und seines Besitzes das Recht hat, zu gebrauchen, zu tun, zu lassen nach freiem Willen, wenn auch eben das durch den freien Willen Gottes allein gelenkt wird, wohin auch immer es ihm gefallen mag. Dagegen Gott gegenüber oder in Dingai, die sich auf Heil oder Verdammnis beziehen, hat er nicht den freien Willen, sondern ist ein Gefangener, ein Unterworfener, ein Knecht entweder des freien Willens Gottes oder des Willens Satans." 175 Eine Aufteilung nach dem Schema „Freiheit in der Welt - Unfreiheit vor Gott" legt sich nahe, reicht aber nicht aus. Denn zum einen argumentiert Luther nicht nur im Bereich der Soteriologie mit der Willensunfreiheit; auch die Heiden wissen in ihrer Rede vom Schicksal davon, daß eine letzte Notwendigkeit das Weltgeschehen durchzieht, die der Mensch mit seinem Wirken und Planen nicht in der Hand hat, und die menschliche Weisheit weiß um die letztliche Vergeblichkeit der menschlichen Pläne 176 . Auch coram mundo hat die Freiheit des Menschen für Luther nur einen begrenzten Spielraum. Zum anderen setzte sie voraus, daß die Bereiche säuberlich zu trennen oder zu unterscheiden wären, was sie aber nicht sind. Die Problematik läßt sich gut an dem Beispiel fassen, das Luther f ü r die Möglichkeit der Willensfreiheit im Bereich der inferiora, also der Dinge, die dem menschlichen Willen unterworfen sind, gibt. Luther gesteht zu, daß der Mensch bezüglich seines 175 Quod si omnino uocem earn omittere nolumus, quod esset tutissimum et religiosissimum, bona fide tarnen eatenus uti doceamus, ut homini arbitrium liberum non respectu superioris, sed tantum inferioris se rei concedatur, hoc est, ut sciât sese in suis facultatibus et possessionibus habere ius utendi, faciendi, omittendi pro libero arbitrio, licet et idipsum regatur solius Dei libero arbitrio, quocunque illi placuerit, Caeterum erga Deum, uel in rebus, quae pertinent ad salutem uel damnationem, non habet lib. arbi., sed captiuus, subiectus et seruus est, uel uoluntatis Dei uel uoluntatis Satanae. Vgl. dazu: Dsa 162,6-27 (Luther beschäftigt sich hier mit der Auslegung von Sir 15,14f, dem locus classicus [vgl. etwa Thomas, STh I, q 83 a 1 sc] für die Willensfreiheit innerhalb der theologischen Tradition). Dsa 269,22-36: Atque ut dem liberum arbitrium per conatum suum aliquo posse promoueri, uidelicet, ad opera bona, uel ad iustitiam legis ciuilis uel moralis, Ad iustitiam Dei tarnen noch promouetur [...]. 274,10-12 (über die doppelte Gerechtigkeit): Una est operum, id est, moralis et ciuilis, sed hac negat eum iustificari coram Deo, etiamsi coram hominibus per illam iustus sit. 285,25-33: Nos non de natura, sed de gratia disputamus, nec quales simus super terram, sed, quales simus in coelo coram Deo, quaerimus. Seimus, quod homo dominus est inferioribus se constitutus, in quae habet ius et liberum arbitrium, ut illa obediant et faciant, quae ipse uult et cogitat. Sed hoc quaerimus, an erga Deum habeat liberum arbitrium [...]. 176 Vgl. Dsa 109,40-110,24; 110,2-8: Quoties unus Virgilius fatum memorat? [...] Nihil ille Poeta aliud facit, quam ut in Troia vastata, et Romano imperio suscitando, fatum plus valere quam omnium hominum studia, significet, atque adeo necessitatem et rebus et hominibus imponere. Zu den von Luther in diesem Abschnitt (Dsa 110,2-20) zitierten Quellen vgl. R. Schwarz, Beobachtungen zu Luthers Bekanntschaft mit antiken Dichtern und Geschichtsschreibern, 16, Anm. 33. Vgl. die Erfahrung der Weisheit, daß „aller Menschen Anschläge eitel und falsch sind und es nicht anders ausgeht, als wie Gott will und tut [...] und es anders gerät als man denkt" (Luthers Vorreden zur Bibel, 78). Das Buch des Predigers Salomo „sollte billig den Titel haben, daß es wider den freien Willen geschrieben wäre. Denn es zieht alles dahin, daß aller Menschen Rat, Anschläge und Vornehmen umsonst und vergeblich sind, und es immer anders hinausgehet, als wir wollen und denken" (aaO 80).

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Besitzes, seines Geldes Willensfreiheit habe, das Recht, diese Dinge nach seinem Belieben zu gebrauchen. Was aber geschieht, wenn diese Dinge nicht relativ gebraucht, sondern absolut vergötzt werden, was passiert, wenn „Geld und Gut", wenn der „Mammon" zum Gott und das erste Gebot mißachtet wird (vgl. BSLK 561,6-26)? Dann sind die Ebenen nicht mehr einfach zu trennen. Deshalb läßt Luther die Weltebene, in der die Willensfreiheit eine begrenzte Rolle spielt, umgriffen sein vom unbegrenzten freien Willen Gottes, der auch das letztlich regiert ([...] licet et idipsum regatur solius Dei libero arbitrio [...]: 129,4f). Der freie Wille des Menschen hat einen Spielraum; er ist zu nutzen, „alls were keyn Gott da und müsten sich selbs erretten und selbs regiren"1". Nur ist dieser Spielraum umschlossen vom allwirkenden Gott, von dem in theologischer Hinsicht zu wissen ist, der aber in weltlicher Hinsicht nicht verfügbar und einplanbar ist. Denn sonst könnte sich ein Verbrecher leicht mit dem Hinweis auf das Allwirken Gottes178 theologisch seiner ethischen und rechtlichen Verantwortlichkeit entziehen. Auch angesichts des Wissens um die alleinige absolute Freiheit Gottes179 und darum, daß die menschliche Willensfreiheit coram deo nichts ist180, muß coram mundo et hominibus der Spielraum181 der relativen Freiheit182 gedacht und gelebt werden. 177 WA 15, 373,3 (Der 127. Psalm ausgelegt an die Christen zu Riga in Liefland, 1524). Luther fahrt aber fort und nimmt die oben angesprochene Problematik auf, wenn er davor warnt, daß sich das Herz auf das eigene Tun verlasse (373,5-7: „Aber da soll er sich für hueten, das seyn hertz yhe nicht sich verlasse auff solch seyn thun, auch sich vermessen wo es wol angehet, noch sorgen wo es fehlen will [...]"). Denn in solchem Verlassen auf die eigenen Fähigkeiten oder in solcher Sorge um den Ausgang der eigenen Bemühungen stünde wiederum die Geltung des ersten Gebotes auf dem Spiel. 178 WA 7, 144,34f: Nam et mala opera in impiis deus operatur [...]. Vgl. Dsa 204,12-14: Quando ergo Deus omnia in omnibus mouet et agit, necessario mouet etiam et agit in Satana et impio. 179 Dsa 127,30: Sequitur nunc, lib. arb. esse plane diuinum nomen [...]. Luther wollte eigentlich, daß der Titel der Willensfreiheit gleichsam als ehrwürdiger Name nur für Gott reserviert bleibt und den Menschen nicht zugesprochen werde, da durch diese grandiose, gefüllte Formel 'freier Wille' die Menschen getäuscht und betrogen würden (vgl. 127,35-128,6). Dazu: 151,18f: Nam superius ostendimus, lib. arb. nemini nisi soli Deo conuenire; 154,13f: Diximus enim superius, liberum arbitrium esse diuinum nomen ac diuinam uirtutem significare. Die von Luther befürchtete Apotheose des menschlichen Freiheitsbegriffes entwickelt sich vor allem in den Systemen des Deutschen Idealismus (s.o. Anm. 157). Vgl. Hegels Brief an Schelling (Ende Jan. 1795): „Vernunft und Freiheit bleiben unsere Losung, und unser Vereinigungspunkt die unsichtbare Kirche" (G.W.F. Hegel, Frühe Studien und Entwürfe; Gellert-Ausgabe, 627). Dazu Schelling an Hegel (4.2.1795): „Das A und O aller Philosophie ist Freiheit" (aaO 630). Aber selbst bei J.P. Sartre, der in äußerster Radikalität die Freiheit des Menschen denkt (Ist der Existentialismus ein Humanismus?, 16: ,,[...] der Mensch ist frei, der Mensch ist Freiheit"), bleibt im Hintergrund schließlich doch eine unumgehbare Notwendigkeit, eine unhintergehbare Faktizität stehen: „Der Mensch ist verurteilt, frei zu sein. Verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaffen hat [••·]" (ebd). 180 Dsa 225, 23f: [...] quod libertas arbitrij nihil sit coram Deo. 181 Das Bild des Spielraumes deutet sich an in Dsa 151,23-27; einen Knecht, der unter der Herrschaft seines Herrn wirkt (und darin seinen Freiheits-Spielraum hat!) würde man doch trotzdem in letzter Hinsicht nicht frei nennen; um wieviel weniger den Menschen unter der vollständigen Herrschaft Gottes. Vom „Spielraum der Freiheit" redet Bon-

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In der Weiterfiihrung des Denkens Luthers wäre es am sinnvollsten, den Begriff der Freiheit des Menschen nicht abstrakt als Universalformel zu verwenden, sondern konkret auf bestimmte Felder zu beziehen und dadurch zu relativieren. Frei oder autonom sind Staaten, die nicht unter der politischen Direktive anderer, mächtigerer Staaten stehen; frei ist ein Mensch in seiner Handlungsfreiheit, wenn er nicht von äußeren Zwängen (etwa einem Gefängnis) beeinträchtigt wird; frei ist ein Mensch in seiner Entscheidungsfreiheit, wenn er nicht von inneren Zwängen (etwa einer Psychose) beeinflußt wird; frei ist ein Mensch in seiner Wahlfreiheit, wenn er - in psychischer, sozialer oder ökonomischer Hinsicht - die Wahl, die Alternative zwischen verschiedenen Möglichkeiten hat (etwa ein Produkt zu kaufen oder nicht zu kaufen; einen Beruf unter vielen auszuwählen . . .). Frei ist schließlich der Mensch in seiner Willensfreiheit, wenn sein Herz, das sich ständig Götzen schafft und sich ständig an diese Götzen hängt, vom wahren Gott befreit wird. Freiheiten, der Plural ist entscheidend, sind jeweils präzise zu bestimmen und immer auch - das ist die Erfahrung - zu erkämpfen. Freiheiten sind nicht einfach gegeben 183 . hoeffer in einem Brief vom 23.1.1944 an R. und E. Bethge; Widerstand und Ergebung, Neuausgabe, 216f; vgl. 216: „Unsere 'protestantisch' (nicht lutherisch! )-preußische Welt ist so stark durch die 4 Mandate bestimmt, daß der Spielraum der Freiheit dahinter ganz zurückgetreten ist". 182 Vgl. eine analoge Verhältnisbestimmung innerhalb der neueren Philosophie: „Die menschliche Subjektivität - und eine andere kennen wir nicht - ist aufgrund ihrer Ichhaftigkeit durch Freiheit bestimmt, aber diese Freiheit ist eine relative Freiheit. Eine relative Freiheit - empirisch das vertrauteste und alltäglichste Phänomen - ist philosophisch schwerer zu begreifen als die Unfreiheit des Tieres oder die absolute Freiheit eines Gottes. Sie ist in ihren konkreten Vollzügen beschreibbar, aber ihr Wesensgrund, d.h. ihre Disparatheit, ist nur von der Dialektik her, die die Subjektivität bestimmt, begreifbar." (W. Schulz, Ich und Welt, 19; zur unauflösbaren Dialektik von Freiheit und Unfreiheit vgl. auch Ders., Philosophie in der veränderten Welt, 752-780.) Die schwierige, nicht eindeutig und klar zu ziehende Abgrenzung Luthers zwischen Freiheit in der Welt und Unfreiheit vor Gott spiegelt sich auch (allerdings ohne die explizite Fragestellung nach Gott) in einem Text Th. W. Adornos: „Die Frage nach der Freiheit des Willens ist wahrscheinlich überhaupt nicht abstrakt, nämlich von Idealkonstruktionen des Individuums und seines rein für sich seienden Charakters her zu lösen, sondern nur im Bewußtsein der Dialektik von Individuum und Gesellschaft. Freiheit, auch die des Willens, wäre erst zu verwirklichen, darf nicht als positiv gegeben supponiert werden. Andererseits ist die Generalthesis des Determinismus genauso abstrakt wie die des liberum arbitrium: Die Gesamtheit der Bedingungen, von denen, dem Determinismus zufolge, die Willensakte abhängen sollen, ist nicht bekannt, macht selber eine Idee aus und darf nicht wie eine verfügbare Größe behandelt werden. Philosophie hat denn auch auf ihrer höchsten Erhebung nicht das eine oder andere gelehrt, sondern die Antinomie des Sachverhalts ausgedrückt. [Es folgt ein Hinweis auf Kants Antinomienlehre]" (Th. W. Adorno, Sexualtabus und Recht heute, 117). Adorno spricht von einem „Widerspruch [...], in den die Philosophie sich verwickelt: daß ohne die Idee von Freiheit Humanität nicht gedacht werden kann, daß aber die realen Menschen unfrei sind von innen und von außen her [...]" (aaO 118f). 183 Auch nicht die libertas Christiana (Dsa 118,18; 119,24; 126,22: regia libertas), von der Luther - trotz aller Rede von Unfreiheit - in Dsa auch sprechen kann. Auch diese Freiheit ist - gegen Sünde, Tod und Teufel, gegen Gesetz und Zorn Gottes - von Christus, dem Befreier (vgl. 268,1: Christum liberatorem), für den gebundenen und

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Nicht selten werden Freiheit oder Autonomie zur abstrakten Grundformel 1 8 4 der Humanität, zum idealistischen Credo - auch in theologischen Texten. Einer neuprotestantischen, letztlich idealistischen, Religionstheologie, in der „der Mensch als schon frei selbstbestimmendes Subjekt vorausgesetzt wird" 185 und f ü r die christliche „Religion und Theologie [...] auf das Bewußtsein der Freiheit und seiner Gestaltung spezialisiert" 186 sind, kann mit einer an Luther orientierten realistischeren Theologie begegnet werden. Denn jene Theologie, die ständig von „Entmythologisierung", „Entsupranaturalisierung" und „Entsubstantialisierung" 187 aller christlichen Gehalte spricht, bedarf dringend selbst einer Ernüchterung: „Auch Autonomie ist eine von jenen Parolen, welche gründlicher Entzauberung bedürfen, so ehrwürdig ihre Geschichte sein mag." 1 8 8

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gefangenen (170,37: ligatus [...] captus) Menschen erkämpft. Selbst in Luthers Freiheitsschrift wird ganz am Ende dieser Gedanke der christlichen Befreiung neben den anderen Freiheiten herausgehoben, denn „das ist / die rechte / geystliche / Christliche freyheyt / die das hertz frey macht / von allen sundenn / gesetzen / und gepotten / wilch alle andere freyheyt ubirtriffi / wie der hymell die erdenn" (Cl 2, 27,26-28). Der Mensch ist nicht frei - das ist idealistisches Dogma (vgl. den programmatischen, ersten Satz im 1. Kapitel von J.-J. Rousseaus Gesellschaftsvertrag [Brockard-Ausgabe, 5]: „Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten") oder idealistischer Glaube (vgl. Schillers erstes der drei Worte des Glaubens: „Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, / Und würd' er in Ketten geboren, / Laßt euch nicht irren des Pöbels Geschrei, / Nicht den Mißbrauch rasender Toren [...]"); er wird befreit. Lebt er glücklicherweise in einem Rechtsstaat, so hat er die ihm in den Grundrechten gewährten Rechte, die alle staatliche Gewalt zugleich binden, z.B. das Recht „auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit" (Grundgesetz, Art. 2.1) oder das Recht auf die „Freiheit des Glaubens, des Gewissens" (Art. 4.1), selbst in einem Prozeß der Freiheit zu nutzen und zu füllen. Auch Christen sind nicht einfach frei; sie sind, wie Luther oft sagen kann, „im Werden" (WA 39 I, 252,8-13: In fieri, non in esse. Interim dum hic iustificamur, nondum est completa. Est in agendo, in fieri, non in actu aut facto, nec in esse. Es ist noch im bau), also auch im Werden ihrer ständigen Befreiung; Dsa 191,1518 (zu Joh 1,12): Hic homo mere passiue (ut dicitur) sese habet, nec facit quippiam, sed fit totus. De fieri enim loquitur Iohannes, fieri filios Dei dicit, potestate diuinitus nobis donata, non ui liberi arbitrij nobis insita. Es dient der Sache auch wenig, wenn eine (philosophische) Formel durch eine andere (theologische) ersetzt oder ergänzt wird, wenn also z. B. Autonomie und Heteronomie im Begriff der „Theonomie" (P. Tillich, Systematische Theologie I, 101-105; III, 285289) oder der „Christonomie" (D. Bonhoeffer, Ethik, 316, Anm. 5) aufgehoben werden. F. Wagner, Zur gegenwärtigen Lage des Protestantismus, 62; vgl. 58. AaO 111. AaO 61. E. Käsemann, Der Ruf der Freiheit, 138. Und weiter (aaO 138f): „Wenn Theologen heute zum wenigsten in manchen Gebieten ihre eigene Tradition der Entmythologisierung unterwerfen, dürften sie sich ruhig philosophischer Ideologie respektloser nähern. Wer die eigenen Tempel anzuzünden bereit ist, sollte vor Götzenbildern anderswo nicht in Trance fallen und lächerliche Kniebeugen machen. Autonomie des Menschen ist ein echter Schrei nach Freiheit, aber durchaus nicht deren Realität. Ob man angesichts moderner Biologie und Genetik noch ernsthaft von ihr sprechen darf, vermag ich nicht zu übersehen. Daß man es in einer Welt, in welcher alles mit allem verfloch-

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Die Ethik in bezug auf Gott, das Bemühen, das eigene Heil zu erstreben, erfordert für Luther letztlich kein quantum (288,26), sondern ein totum, eine Ganzheit, die nicht zerteilt, quantitativ zerlegt oder proportioniert werden kann. Gerade die Gewißheit189 in diesen Dingen ist für Luther ein totum, und der Versuch, sich mit Werken Gewißheit zu verschaffen, muß scheitern.190 Für Luther ist folgende Unterscheidung hinsichtlich des Verhältnisses des Menschen zu dai Gesetzesforderungen entscheidend: „So gewöhne dich nun der Rede, daß es ein sehr ander Ding ist, des Gesetzes Werke tun und das Gesetz erfüllen. Des Gesetzes Werk ist alles, was der Maisch tut oder tun kann am Gesetz aus seinem freien Willen und eigenen Kräften. Weil aber unter und neben solchen Werken bleibt im Herzen ten und kein privates Dasein davon mehr ausgenommen ist, nicht mehr darf, erscheint mir evident." Dazu aaO 140: „Wir vergessen, daß auch unser Denken unsern Sehnsüchten und Ängsten, unserm Willen und unsern Vorurteilen ausgesetzt ist. Es ist genausowenig autonom wie unser Handeln. Freiheit ist nicht unser Besitz, sondern bestenfalls uns gegebene Verheißung, schlimmstenfalls ein Popanz, dem jeder die ihm passende Bedeutung beilegt. Freiheit ist der Lebensraum des Humanen, den unsere jeweiligen Herren und die uns bestimmenden Mächte versperren, eingrenzen oder öffnen. Anders bleibt sie eine Abstraktion. [...] Wer sich einbildet, keinen Herrn zu haben, ist ganz sicher unfrei. Er kennt weder sein Herz noch die Grenzen seines Willens und seiner Vernunft, vom Einfluß anderer Menschen und erst recht der Gewalt des Todes mitten in unserem Leben zu schweigen." Das ist polemische, streitende, lutherische Theologie im besten Sinne. Noch schärfer als Käsemann sagt es der Agnostiker G. Benn: „Ich füge hinzu, niemand ist ohne Gott, nur Narren halten sich für autochthon und selbstbestimmend. Jeder andere weiß, wir sind geschaffen, allerdings alles andere liegt völlig im Dunklen." (Erwiderung an Alexander Lernet-Holenia: Ges. Werke, Bd. 7, 1768.) 189 Die Verbindung certus et securas findet sich auch schon in Dsa 110,37. In der Ratsherrenschrift geht Luther ausführlich auf das Verhältnis von Geist, Sprache und Schrift ein; obwohl Luther weiß, „wie fast der geyst alles alleyne thut" (Cl 2, 455,20), wäre er doch nicht zum Ziel gekommen, „wo mir nicht die sprachen geholffen und mich der schlifft sicher und gewiss gemacht hetten" (Cl 2, 455,21f). Auffallig ist hier wie im Bekenntnis die enge, synonyme Verbindung von certus und securas (Dsa 288,26.33f.40) in Anbetracht der Tatsache, daß Luther in anderen Texten (etwa WA 39 I, 356,25f: Securitas enim tollit fidem et timorem Dei [...]; vgl. WA 34 II, 19f; WA 40 II, 353,2; WA 44, 430,16-18: Securitas enim facit spiritus fanaticos, qualis Carolostadius et alii fuerant, qui metiuntur Deum speculative, et includunt cogitationibus suis) den Unterschied von selbstgewisser securitas, in der der Mensch in der Sünde nur auf sich selbst bezogen bleibt, und heilsgewisser certitudo, in der er vertrauensvoll im Glauben auf Gott ausgerichtet ist, herausstellt. Vgl. auch den unterschiedlichen Gebrauch des Begriffs securitas in der 16. (Cl 1, 4,18f) und 95. (Cl 1, 9,22f) Ablaßthese; in der These 16 hat securitas die Bedeutung von certitudo. Es ist möglich, daß Luther im Bekenntnis mit dem Ausdruck securas in kritischer Wendung den Begriff securitas von Erasmus aus dem Schlüsseltext von Dia (IVI6, 190: [...] ut excludatur securitas [...]) aufnimmt; vgl. o. Anm. 32. 190 Vgl. Luthers Äußerung in seinem Sermon vom Sakrament der Buße (1519; Cl 1, 184,10): Die Menschen, so Luther, wollen die Vergebung der Sünde in der Kirche nicht annehmen, sondern „wollen sich mit yhren wercken gewiß machen."

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Unlust und Zwang zum Gesetz, sind solche Werke alle verloren und nichts nütze [coram Deo! ...]. Aber das Gesetz erfüllen, ist: mit Lust und Liebe seine Werke tun, und frei ohne des Gesetzes Zwang göttlich und wohl leben, als wäre kein Gesetz oder Strafe. Solche Lust aber freier Liebe gibt der heilige Geist ins Herz [,..]."19' Auch dieses Zitat zeigt, daß Luther die Willensfreiheit nicht rundweg ablehnt; sie ist bezogen auf das ethische Wirken des Menschen, der sich damit aber ganz in der Welt bewegt und nichts vor Gott ausrichten kann. Allerdings hat der freie Wille auch in dieser Einschränkung nur beschränkte Kraft. Mit seiner Hilfe kann man die Werke des Gesetzes tun, sie also äußerlich erfüllen, man kann sie aber nicht in ihrer Ganzheit und in ihrer ganzen Forderung erfüllen, weil dazu die freie Lust und Neigung zu dem, was das Gesetz fordert, gehört. Der Mensch kann sich im Bereich seiner Willensfreiheit zum Tun des Gesetzes zwingen, aber die totale Erfüllung, das totum, erzwingt er nicht, weil er sich dazu selbst ein freies Herz, ein freies Gewissen, das er nicht in der Hand hat, geben müßte. Hat aber der Heilige Geist seine Arbeit der Wiedergeburt (renascentia), der Erneuerung (innouatio) und der Neubelebung (regeneratio) getan (Dsa 185,38f)192 und den Christen ein solches freies Herz gegeben, dann tun sie, so Luther, das Gute aus uneigennützigem Willen, selbst wenn es, was unmöglich ist, kein Reich Gottes (als Belohnung) und keine Hölle (als Bestrafung) gäbe193. Luther beläßt es aber nicht bei diesem freien und spontanen, aus der Liebe Gottes herauswachsenden Handeln, das, so selbstverständlich wie der gute Baum, seine guten Früchte bringt194. Er ist nüchterner Realist und weiß als guter Theologe195, daß die Menge der Menschen durch äußerlichen (rechtlichen, gesetzlichen, staatlichen, moralischen . . .) Druck zum Tun des Guten, zum Tun des Gesetzes, wenn auch nicht zur Erfüllung des Gesetzes, zu bewegen und zu zwingen ist.

191 Luthers Vorreden zur Bibel, 179f. 192 Vgl. Dsa 123,6f: Corrigentur autem electi et pii per spiritum sanctum, Caeteri incorrerti peribunt [...]. 193 Dsa 187,21-24: Filij autem Dei gratuita uoluntate faciunt bonum, nullum praemium quaerentes, sed solam gloriarti et uoluntatem Dei, parati bonum facere, si per impossibile ñeque regnum ñeque infernus esset. Die vielen Schriftworte, die einen Lohn versprechen, lassen nach Luther nur auf die Folge des Lohnes (sequelam mercedis), nicht auf die Würdigkeit des Verdienstes (meriti dignitatem) schließen; 188,2f; vgl. 186,36f. Das Reich Gottes wird von den Christen nicht (ethisch) erarbeitet, sondern es ist ihnen zuvor (vor der Grundlegung der Welt) geschenkt und bereitet; 187,31-34: Regnum enim non paratur, sed paratum est [187,17: ante constitutionem mundi], filij uero regni parantur, non parant regnum, hoc est, regnum meretur filios, non filij regnum. 194 Vgl. die Promotionsthese 34 (de fide) zu Rom 3,28 (11.9.1535); WA 39 I, 46,28-30: Fatemur opera bona fidem sequi debere, imo non debere [vgl. CA 6; BSLK 60,2f: Item docent, quod fides illa debeat bonos fructus parere...]. Sed sponte sequi, Sicut arbor bona non debet bonos fructus facere, Sed sponte facit. Vgl. Dsa 185,29-33: Deinde exhortationes sequuntur, quae iam iustificatos et misericordiam consecutos, excitent, ut strenui sint in fructibus donatae iustitiae et spiritus, charitatemque exerceant bonis operibus, fortiterque ferant crucem et omnes alias tribulationes mundi. 195 Dsa 115,1-3: Bonus Theologus sie docet: Vulgus coercendum est externa ui gladii, ubi male egerit, sicut Paulus docet Roma. 13 [...]. Mit diesen Worten spricht Luther den usus politicus legis an (vgl. Dsa 269,24f: iustitiam legis ciuilis uel moralis); dazu: E. Hirsch, Hilfsbuch, § 111.

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Exkurs: Luther und Kant - Das Tun des Guten zwischen Zwang und freier Liebe Das eben Gesagte klingt, in kantischer Sprache formuliert, ganz nach Heteronomie, nach Fremdgesetzgebung durch den Staat, durch Gott oder durch die eigene Neigung nach Glückseligkeit, nach unreinen Triebfedern des Handelns, nicht aber nach der wahren Ethik der Autonomie und nach der reinen Triebfeder der Achtung vor dem Gesetz. Bei oberflächlicher Betrachtung steht die Unterscheidung Luthers zwischen dem Tun und der Erfüllung des Gesetzes ganz in Entsprechung zu Kants Unterscheidung zwischen der Regalität der Handlungen" und der „Moralität der Gesinnungen", zwischen dem Buchstaben des Gesetzes und dem Geist des Gesetzes (KpV, Weischedel-Ausgabe, Bd. 6, 287f; vgl. 191f; 247), zwischen Heteronomie und Autonomie (aaO 144; 260; vgl. GMS, aaO 66). Die Entsprechung verdichtet sich, wenn man sieht, wie sowohl Kant die „Gleisnerei" (KpV, aaO 288), die nur äußerliche, heuchlerische Befolgung des Gesetzes um des „eigenen Vorteils willen" (ebd) kritisiert, als auch Luther feststellt, „wie weit von einander sein / das erst gebot / nur mit eusserlichen wercken / und mit ynnerlichem vortrauen / erfüllen. Dan dis macht recht / lebendige gottis kinder / ihenes macht nur erger abgotterey / und die schedlichsten gleissener [. . .]" (Cl 1, 236,33-36; Sermon von den guten Werken, Abschnitt 12). Bei genauerer Betrachtung gehören aber, von Luthers Theologie aus gesehen, sowohl Legalität wie Moralität, Heteronomie wie Autonomie, zum Bereich des Tuns der Werke des Gesetzes. Für Luther herrschen in diesem Bereich sowohl Zwang als auch freier Wille, insofern rücken dann auch Heteronomie (als Fremdgesetzgebung, wo der Wille „sich nicht selbst, sondern ein fremder Antrieb [...] ihm" [GMS, aaO 79f] das Gesetz gibt) und Autonomie (als Selbstgesetzgebung, wo der Wille aufgrund der „Idee der Würde eines vernünftigen Wesens, das keinem Gesetz gehorcht, als dem, das es zugleich selbst gibt" [aaO 67], als „selbstgesetzgebend" [aaO 64] verstanden wird) eng zusammen. Kant selbst spricht ausdrücklich vom „Selbstzwang", von der ,,innere[n] Nötigung zu dem, was man nicht ganz gern tut" (KpV, aaO 206). Diese Pflicht ist ein „Joch" - aber eines, „das gleichwohl, weil es uns Vernunft selbst auferlegt, sanft ist" (aaO 207). In der Sicht Kants ist das Gesetz, der Geist des Gesetzes, erfüllt durch den Gedanken der Autonomie und der mit dieser identischen „Freiheit des Willens" (GMS, aaO 81), „denn Freiheit und eigene Gesetzgebung des Willens sind beides Autonomie, mithin Wechselbegriffe" (aaO 86; vgl. KpV, aaO 108, Anm.). Für Luther dagegen verbleibt auch dies auf der Ebene des Tuns der Werke des Gesetzes, wo der Mensch handelt „aus seinem freien Willen und eigenen Kräften" und wo zugleich „im Herzen Unlust und Zwang zum Gesetz" (Luthers Vorreden zur Bibel, 179) bleiben. Erfüllt ist in der Sicht Luthers das Gesetz erst im Evangelium, wenn „nicht aus Furcht nodi Zwang, sondern aus freiem Herzen" (ebd), mit „freiejr] Lust und Liebe" (aaO 178; vgl. 179f) „frei ohne des Gesetzes Zwang [...] als wäre kein Gesetz oder Strafe" (aaO 180) gehandelt wird. „Solche Lust aber freier Liebe gibt der heilige Geist ins Herz [Rom 5,5]", der aber „nicht anders als allein in, mit und durch den Glauben an Jesum Christ gegeben" (ebd) wird. Die Dimension der Liebe ist bei Kant nicht einfach ausgeblendet. Einerseits ordnet Kant das biblische Liebesgebot dem kategorischen Imperativ, dem Sittengesetz, ein, denn „Liebe aus Neigung kann nicht geboten werden, aber Wohltun aus Pflicht", die „praktische und nicht pathologische Liebe" (GMS, aaO 25f; vgl. KpV, aaO 205) ist. Auch die Goldene Regel ist für Kant nur aus dem Sittengesetz abzuleiten (vgl. GMS, aaO 62, Anm ). Andererseits weiß Kant, daß mit dem Liebesgebot dem Gedanken der Pflicht ein affektuelles, emotionales Plus gegeben ist: „Gott lieben, heißt [...], seine

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Gebote gerne tun; den Nächsten lieben, heißt, alle Pflicht gegen ihn gerne ausüben" (KpV, aaO 205). Auch im ersten Stück der Religionsschrift, wo sich Kant in einer Anmerkung mit Schiller auseinandersetzt und dem „Pflichtbegriffe, gerade um seiner Würde willen, keine Anmut beigesellen kann" (Weischedel-Ausgabe, Bd. 7, 669), gibt er doch zu, daß „das fröhliche Herz in Befolgung seiner Pflicht [...] ein Zeichen der Echtheit tugendhafter Gesinnung" (aaO 670) sei. Dieses Plus kann jedoch, so Kant, nur angestrebt werden: „Das Gebot aber, das dieses zur Regel macht, kann auch nicht diese Gesinnung in pflichtmäßigen Handlungen zu haben, sondern bloß darnach zu streben gebieten" (KpV, aaO 205). Das Liebesgebot, das „Gesetz aller Gesetze" (ebd), ist, „als ein Ideal der Heiligkeit von keinem Geschöpf erreichbar, dennoch das Urbild [...], welchem wir uns zu näheren, und, in einem ununterbrochenen, aber unendlichen Progressus, gleich zu werden streben sollen" (aaO 206; vgl. 143f; s.u. Anm. 209). Kant bricht für einen Moment seine rigorose Gegenüberstellung von Neigung und Pflicht auf, wenn er in Aussicht stellt, daß durch die „mehrere Leichtigkeit" (ebd) des moralischen Handelns „die ehrfurchtsvolle Scheu in Zuneigung, und Achtung in Liebe" (ebd) verwandelt werden könnte; er schwächt dies aber gleich wieder durch den Irrealis ab; „wenigstens würde es die Vollendung einer dem Gesetze gewidmeten Gesinnung sein, wenn es jemals einem Geschöpfe möglich wäre, sie zu erreichen" (ebd). Seine Nüchternheit setzt sich schließlich doch wieder durch; der Mensch muß seine Neigungen und Begierden ständig bekämpfen, er muß heteronom zum Rechten gezwungen werden oder muß sich selbst autonom zum Guten zwingen. „Die sittliche Stufe, worauf der Mensch [...] steht, ist Achtung fürs moralische Gesetz" (aaO 207). Letztlich hat ihn doch seine Pflicht und nicht die freiwillige Zuneigung zu bestimmen, „und sein moralischer Zustand, darin er jedesmal sein kann, ist Tugend, d.i. moralische Gesinnung im Kampfe, und nicht Heiligkeit im vermeinten Besitze einer völligen Reinigkeit der Gesinnungen des Willens" (ebd). Auch wenn die Theologie Kants Bestimmungen und Vorgaben nicht unbesehen und kritiklos übernehmen kann, wird sie doch - zu ihrem Vorteil - Kants Warnung vor „Religionsschwärmerei in Ansehung der Liebe Gottes" und vor der „moralischen Schwärmerei" (ebd) ernst nehmen müssen. Christliche Verkündigung hat von ihrem Evangeliumsauftrag her die Liebe Gottes und das aus ihr folgende Liebesgebot zu verbreiten; sie steht dabei aber immer in der Gefahr, ihr Reden von der Liebe zu inflationieren und zur gleichgültigen Selbstverständlichkeit werden zu lassen. Luther wußte zwar um den Unterschied zwischen dem „Gesetz-treiben" und dem „Reizen zur Lieb" (Luthers Vorreden zur Bibel, 217; vgl. 213). Aber er war sich bewußt, daß wahre Christen seltene Vögel sind; deshalb war er nüchtern und realistisch genug, auch in der christlichen Ethik nicht alles auf die Erfüllung des Gesetzes durch die freie, spontane Liebe und den Glauben zu setzen, sondern auch die Christen - peccatores in re, iusti autem in spe (Cl 5, 239,2lf) - bleibend dem Gesetz und seinem Zwang unterzuordnen (vgl. im Sermon von den guten Werken die Abschnitte 14-17; CI 1, 238-241). Luther ist in den Ausführungen des ersten Teils seines Bekenntnisses geprägt von den eigenen Klostererfahrungen 196 , die üblicherweise unter der Formel „Wie finde ich einen gnädigen Gott?" tradiert werden. Luthers eigentliches Problem war aber dieses: Er begegnete dem gnädigen Gott des Spätmittelalters, kam aber nicht zurecht mit dessen sicherem Angebot, er verweigere dem, 196 Vgl. K. Holl, Ges. Aufsätze I, 15ff(Was verstand Luther unter Religion?).

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der tut, w a s in seinen Kräften steht, die Gnade nicht 197 . Luthers bedrängendste Frage war folgende: Wann habe ich denn alles Genügende fur Gott getan, wann ist es genug mit meiner Bemühung, wann habe ich Gott über alles geliebt, wann reicht das Quantum der Liebe und des Tuns aus eigenen Kräften aus? Diese konkrete Fragestellung ist zu beachten, wenn Luthers Sicht der Ethik zur Diskussion steht. Sonst wird Luthers Unterscheidung zwischen der Erfüllung und dem Tun des Gesetzes zu schnell in die Richtung einer kantischen Gesinnungsethik (s. u. Anm. 198f) gedrängt. Sicherlich ist dieser Vergleich, der vor allem von kulturprotestantisch geprägten Lutherforschem wie etwa Carl Stange" 8 oder Karl Zickendraht199 gezogen wurde, nicht einfach von der Hand zu weisen. Schon die Ethik des Aristoteles weist diesai Aspekt der Gesinnung auf. Im zweiten Buch der Nikomachischen Ethik (Kap. 3; 1105a; Bien-Ausgabe, 31f) erörtert Aristoteles den Unterschied zwischen Praxis und Poiesis. Ein durch Poiesis, durch fachliches Können hervorgebrachtes Werk, habe seinen Wert in sich selbst; es kann in sich und abgehoben von dem, der es vollbracht hat, betrachtet und bewertet werden. Ein guter Tisch eines Tischlers bleibt (als Poiema) ein guter Tisch, auch wenn der Tischler ein Mörder ist. Bei einer Praxis, einer sittlichen Handlung dagegen, kann der han197 Vgl. etwa G. Biel, Coll. I, d 17 q 3 H 24f: Nam homo faciendo quod in se est naturaliter disponitur ad gratiam supernaturalem. Das Tun aus eigenen natürlichen Kräften wird für Biel am besten durch die Liebe, in der der Mensch Gott über alle Dinge liebt, erfüllt; durch keinen anderen Akt, so Biel, kann der Mensch näher zu Gott kommen. Coli. III, d 27 q un Q 70-74: Sed perfectissimus modus faciendi quod in se est, quaerendi Deum, appropinquandi Deo et convertendi ad Deum est per actum amoris amicitiae, nec alia dispositio perfectior ad gratiam est homini possibilis. Nam nullo actu magis appropinquare Deo possumus quam diligendo Deum super omnia. Allerdings räumt Biel ein, daß es äußerst schwierig, ja natürlich unmöglich sei zu wissen, ob man diese Liebe wirklich auch habe. Der Mensch kann zwar wissen, daß er Gott liebt, er kann aber nicht eindeutig die näheren Umstände des „über alles" wissen: Difficillimum autem est scire se habere illam dilectionem, et forte naturaliter impossibile, quia etsi scire possumus nos diligere Deum, non tarnen evidenter scire possumus illam circumstantiam „super omnia" (Coll. II, d 27 q un a 3 Q 15-17). Insofern kann der Mensch dann auch nicht eindeutig (evidenter) wissen, ob er tatsächlich tut, was in ihm ist (aaO Q l l ) . Genau an diesem Punkt entsprang Luthers quälende Frage in seiner Klosterzeit. In Dsa 172,18-173,20 behandelt Luther das Problem der Gottesliebe; es steht für ihn fest, daß auch die Scholastiker - außer den Skotisten und Modernen - der Überzeugung waren, der Mensch könne Gott nicht aus ganzem Herzen lieben (173,1416: Constat enim Scholasticos etiam asserere, exceptis Scotistis et Modernis, Hominem non posse diligere Deum toto corde [...]). 198 Studien zur Theologie Luthers, Bd. 1, 26-32; 111-133 (Religion und Sittlichkeit bei den Reformatoren); 227: „[...] kommen wir zu der Einsicht, daß sich die Forderung des Gesetzes nicht auf das äußere Tun, sondern auf die Gesinnung bezieht." 199 Der Streit zwischen Erasmus und Luther, 92: Luther habe „die Erfüllung des göttlichen Gebotes ganz in die Gesinnung verlegt." Vgl. Luthers Streitschrift gegen Erasmus, 1060: „Das eigentliche Problem von De servo arbitrio wird berührt, wenn man die Frage aufwirft, wie es sich angesichts dieses allmächtigen Gottes mit der sittlichen Pflicht verhält." Dazu, mit Bezug auf die Klosteranfechtungen, aaO 1061f.

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delnde Mensch nicht von der Handlung isoliert und abstrahiert werden. Er muß in einer bestimmten Verfassung tätig sein, er muß bestimmte Bedingungen erfüllen. Nach Aristoteles sind dies drei Bedingungen: Der Handelnde muß erstens wissentlich, zweitens auf Grund einer klaren Willensentscheidung, die um der Sache selbst willen gefallt ist (dies entspräche in kantischer Terminologie der Gesinnung), und schließlich drittens mit fester und unerschütterlicher Sicherheit handeln. Entscheidend für die sittliche Handlung sind für Aristoteles die letzten beiden Bedingungen; sie werden dadurch erfüllt und erworben, daß der Mensch entsprechende Handlungen und Haltungen immer wieder einübt. In lutherischen Begriffen gesprochen: Für das Tun des Gesetzes ist die Beschaffenheit des Herzens desjenigen, der das Werk hervorgebracht hat, ohne Bedeutung; für die Erfüllung des Gesetzes dagegen ist der Herzaisgrund aitscheidend. Auch in der Scholastik wurden entsprechende Differenzierungen weitergetragen200. Vor allem Holl neigt aber dazu, Luthers ethische Gedanken als Gipfelpunkt gegenüber Augustin und der Scholastik herauszustellen: „Luther drückt dabei aber noch mit besonderer Kraft gerade auf den Punkt, wo die Scholastik am meisten zur Nachgiebigkeit bereit war, auf die Gesinnung."201 Luther würde selbst Kant nodi überragen, da bei jenem „das Gesollte zugleich ein frei und gern Gewolltes ist."202 Hier urteilt Holl zu schematisch203 und undifferenziert; er geht z.B. nicht näher auf die Tatsache ein, daß schon Abaelard den Aspekt der Gesinnung, scholastisch gesprochen: der intentio, in seiner Ethik Scito te ipsum204 radikal durchdacht hat. Ausgeblaidet ist in dieser Sicht der ethischen Problematik auch, daß Luther das Problem insofern noch einmal radikalisiert, als er - gerade auch in Dsa - vom Menschen spricht, der das Gesetz nicht allein nicht erfüllen kann205 (weil ihm das freie 200 Vgl. K. Holl, Ges. Aufsätze I, 173, Anm. 4 (Der Neubau der Sittlichkeit). 201 AaO 177. 202 AaO 179. Vgl. zur Unterscheidung des Sollens und Wollens bei Kant: GMS, Weischedel-Ausgabe, Bd. 6, 43 und 91. 203 Auch die ausschließliche Einordnung Luthers in die „Pflichtenlehre" im Gegenüber zur scholastischen „Tugendlehre" und „Güterlehre" (aaO 178f) ist reichlich schematisch und aus neuzeitlicher Sicht (vgl. vor allem Schleiermachers Bemühungen um diese Trias) betrieben. Sicher hat Luther Ciceros De officiis gekannt, geschätzt (Cl 8, 255,3; Nr. 5012: [...] officia, das ist ein köstlich buch!) und das Werk über die Ethik des Aristoteles gestellt (Cl 8, 121,30f; Nr. 3608d: Etìlica Aristotelis aliquid sunt, tarnen Officia Ciceronis excellunt ipsa), aber ein direkter Vorläufer kantischer Pflichtethik war er nun gewiß nicht. 204 MPL 178, 635-678; v.a. cap. 5 und 11-13. Holl erwähnt Abaelard, aber nur ganz flüchtig (aaO 5). 205 Hier hat die, zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr einflußreiche, Ethik W. Herrmanns angeknüpft. Herrmann konstatiert Mängel in der Ethik „bei dem grossen Begründer einer dem reformatorischen Christenthum entsprechenden Theologie" (Ethik, VI), bei Schleiermacher. Dieser habe „den christlichen Gemüthszustand als etwas Gegebenes" (aaO 5) aufgefaßt und sich darauf beschränkt, „zu zeigen, welche Impulse zur Thätigkeit aus dem christlichen Bewusstsein hervorgehen" (aaO 4). Aber wie kommt es überhaupt zum Glauben, aus dem dann die christliche Tätigkeit heraustritt? Herrmann ist überzeugt, daß der christliche Glaube nur verstanden werden kann, wenn wir „von dem Verständnis des Sittlichen ausgehen" (aaO 6). Eine Ethik, die - wie bei Schleiermacher oder Rothe - hauptsächlich als „Theorie der Kultur" (aaO 10) entwickelt wird, „droht zu verflachen" (ebd). Herrmann setzt am Sittengesetz und am Autonomie-

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Herz206, die redite Gesinnung fehlt), sondern der das Gesetz überhaupt nicht erfüllen will. Der Mensch als rebellischer Sünder will das Gesetz nicht, verachtet das Gesetz so wie er audi Gott verachtet und nicht will, daß Gott Gott sei, sondern daß er selbst Gott sei207. Bei Luther finden sich also zwei (in der eigenen Argumentation nicht ganz ausgeglichene) Aspekte der ethischen Problematik. Im Bekenntnis am Schluß von Dsa Gedanken Kants (vgl. aaO 28-37) an. Unter Rückgriff auf ein Lutherzitat kann Herrmann sogar sagen,'daß auch der Christ „sich selbst durch seine freie Einsicht sein Gesetz giebt" (aaO 139). Aber der Mensch, der „sittlich kämpfen" (aaO V) will, der sich, „ermattet von dem Kampf der Pflicht" (aaO 199), „Genuss" und „Spiel" als „sittlich erlaubte Erholung" (ebd) nur zugesteht, „wenn die sittliche Gesinnung auch in diese Pausen des sittlichen Kampfes eindringt" (ebd), kommt in Aporien; er muß erkennen, „dass er selbst sich gegen das Gute auflehnt, dessen Recht er einsieht" (aaO 64). „So führt uns das sittliche Denken mit unabweisbarer Logik in eine innere Situation voll unerträglicher Widersprüche" (ebd). Gegen Kant hält Herrmann fest, daß die Moral nicht notwendig zur Religion führt, daß diese „nicht ein Erzeugniss unserer sittlichen Energie" (aaO 67) ist. Mit Schleiermacher betont er, daß die Religion „das vollendete Bewusstsein unserer Abhängigkeit" (ebd) ist. Doch erst „auf der Höhe des sittlichen Bewusstseins, in dem Moment der Pflichterfüllung geht uns die Wahrheit des Gedankens auf, in dem sich das sittliche Denken mit dem religiösen berührt" (aaO 68). „Fehlte uns die innnere Spannung des sittlichen Kampfes, so hätte uns auch das Christentum nichts zu bieten. [...] An Menschen, die in diesem Kampfe stehen, wendet sich das Evangelium mit seinen Verheissungen" (aaO 72). Für Herrmann ist es der, auch in der Reformation festgehaltene, „Grundgedanke des abendländischen Christenthums, dass die Erlösung eine sittliche Befreiung des Menschen sei" (aaO 75) und „dass nur der zu sittlicher Selbständigkeit erwachende Mensch in der Besinnung auf Thatsachen, die er selbst in seinem Leben stehen sieht, ein Christ werden oder die Erlösung durch Jesus Christus erfahren kann" (aaO 89). Mit seiner Ethik versucht Herrmann, Grundgedanken Luthers, Schleiermachers und Kants zusammenzufügen. Das Evangelium entsteht nicht aus dem Gesetz, dessen Inbegriff das kantische Sittengesetz ist, aber es kann nur wirken am Gesetz, an der Gesetzeserfahrung. Die Moral fuhrt nicht zwangsläufig zur Religion, aber nur den moralisch kämpfenden Menschen kann die Religion als Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit wirklich berühren. Ohne vorausgehenden sittlichen Ernst geht die christliche, frohe Botschaft ins Leere! Vgl. zur Weiterführung (etwa bei G. Ebeling) und zur Kritik an diesem Ansatz beim Ethischen: O. Bayer, Leibliches Wort, 324-327. 206 „Hast du etwa ihr Herz gesehen?", fragt Luther im Blick auf die äußeren heroischen und tugendhaften Taten heidnischer Männer; Dsa 240,22-24: Quid uero in his omnibus, nisi speciem externam operum monstrare poteris? An cor eorum uidisti? 207 Dsa 261,40f: [...] quod omnes homines et nesciunt et contemnunt Deum [...]. 262,2327: Quid est non timere Deum, nisi homines omnibus suis partibus, maxime potioribus illis, esse contemptores Dei? Esse autem contemptores Dei, est esse simul contemptores omnium rerum Dei, puta uerborum, operum, legum, praeceptorum, uoluntatis Dei. Diesen Sätzen, die den Menschen als Verächter Gottes, seiner Worte, Werke, Gesetze, Gebote und seines Willens herausstellen, entspricht die berühmte These 17 der Disputation gegen die scholastische Theologie: Non 'potest homo naturaliter velie deum esse deum', Immo vellet se esse deum et deum non esse deum (CI 5, 321,24f). Vgl. zu diesen ganzen Zusammenhängen die scharfen Bemerkungen von H J. Iwand, Die Freiheit des Christen und die Unfreiheit des Willens, 253-257.

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hebt Luther unter Rückgriff auf seine Bemühungen als Mönch den Aspekt heraus, daß der Mensch sich zwar um das gegebene Gesetz bemüht, es erfüllen will, daß er aber einsehen muß, gegenüber der Forderung des Gesetzes (und damit Gottes) immer zurückzubleiben; denn die Gebote „sind [...] so hoch gestellet, daß aller Menschen Vermügen viel zu gering und schwach ist, dieselbigen zu halten"208. Der Mensch entdeckt insofern in seinem Herzen ein Unvermögen zum Guten. In der anderen, radikaleren Sicht der ethischen Problematik dagegen muß der Mensch in seinem Herzen nicht nur das Unvermögen, sondern überhaupt den Unwillen zum Guten wahrnehmen. Luthers eigene Erfahrungen haben ihn dazu geführt, im Verhältnis zu Gott kein Quantum mehr zu erstreben. Denn dieses Quantum gegenüber Gott läßt sich nie ausreichend bestimmen, es bleibt immer im Minus (Dsa 289,1). Bei jedem erreichten Punkt der ethischen Bemühung bleibt der Skrupel (288,28), ob denn das vom Menschen Erreichte auch vor Gott ausreicht. Luther geht sogar so weit zu behaupten, daß das Wirken, auch wenn es unendlich (Dsa 288,25f) 209 fortgesetzt werden könnte, doch nie in bezug auf Gott zu einem Ziel kommen kann. Mit dem Quantum kann der Mensch Gott gegenüber nichts ausrichten, das totum hat nur Gott in der Hand; es kann nicht erarbeitet werden v o m Menschen, es kann ihm nur geschenkt werden. 208 BSLK 646,13-15. Vgl. 640,31-45; 641,11-22; 661,25-33. 209 Hier drängt sich wieder ein Vergleich mit Kant, mit seiner Fassung des Postulats der Unsterblichkeit auf (vgl. KpV, Weischedel-Ausgabe, Bd. 6, 252-254). Bei Kant hat die Moralität unendliches Gewicht, deshalb macht er sie zur unendlichen Aufgabe. Für ihn ist die moralische Aufgabe, weil sie letztlich Heiligkeit, die vollkommene Angemessenheit des Willens zum Sittengesetz, verlangt, eine unendliche (vgl. aaO 252). Der moralische Prozeß kann in der Sinnenwelt nie zu einem Abschluß kommen; vollkommene Heiligkeit ist zu keinem Zeitpunkt erreichbar. Der ethische Prozeß muß die Sinnenwelt transzendieren. Darum muß Kant die unendliche Fortdauer der Existenz des ethisch wirkenden Menschen, die Unsterblichkeit der Seele, postulieren, also einen „Fortschritt ins Unendliche" (aaO 259), ein ,,unaufhörliche[s] Streben" (aaO 253; vgl. Goethes „'Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen'" [Faust II, 5. Akt, V. 11936f]). Der Mensch kann als endliches Wesen das Unendliche aber nur unter zeitlichen Kategorien verstehen und kann den ethischen Prozeß nur als endlose Abfolge ethischer Taten begreifen. Auch in der Ewigkeit sieht er keinen möglichen Zeitpunkt einer abschließenden Erfüllung oder Vollkommenheit. Hier tritt das Postulat des Daseins Gottes in die Argumentation ein und Kant bestimmt den ewigen, überzeitlichen Gott als denjenigen, der im endlosen Prozeß die „Totalität" des „unendlichen Progressus" (aaO 254, Anm.), das Ganze, das dem Menschen nur in der Hoffnung zugänglich ist, sieht: „Der Unendliche, dem die Zeitbedingung nichts ist, sieht, in dieser für uns endlosen Reihe, das Ganze der Angemessenheit mit dem moralischen Gesetze [...]" (aaO 253). Vgl. zu Spannungen innerhalb der Postulatenlehre Kants und zur „Gnade als Erlaß der geschuldeten Unendlichkeit": H. Blumenberg, Kant und die Frage nach dem „gnädigen Gott", 564; vgl. 564-568. Im Unterschied zu Kant, bei dem Gott die Ganzheit des menschlichen Strebens „in einer einzigen intellektuellen Anschauung" (KpV, aaO 253) überschaut (und verbleibende Ungerechtigkeit gnädig „übersieht"), schafft der gnädige Gott bei Luther die Ganzheit der Gerechtigkeit des Menschen in einem Akt der Vergebung.

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3. Gnade und Gabe Mit der Wendung zur Heilsgewißheit im zweiten Abschnitt des ersten Teils des Bekenntnisses vollzieht sich für Luther auch eine Wendung weg von der ethischen Bemühimg gegenüber Gott hin zum Vertrauen, daß der Mensch nicht aufgrund seines Verdienstes, sondern aufgrund der Gunst der göttlichen Barmherzigkeit gerecht wird (vgl. Dsa 288,40-289,1). Damit ist auch das Vertrauen verbunden, daß Gott die bleibenden schlechten Handlungen nicht anrechnet, sondern väterlich verzeiht (paterne ignoscat: 289,2) und bessert (emendet: 289,3). Mit diesen letztgenannten Ausdrücken greift Luther eine für seine Theologie wichtige Unterscheidung auf) nämlich die Unterscheidung zwischen Gnade und Gabe (vgl. Rom 5,15). Die Gnade verzeiht dem Menschen, die Gabe bessert den Menschen. Die Gnade ist Gottes Huld oder Gunst, durch die wir „ganz und fìir voll gerecht vor Gott gerechnet werden. Denn seine Gnade teilet und stücket sich nicht, wie die Gaben tun, sondern nimmt uns ganz und gar auf in die Huld, um Christi misers Fürsprechers und Mittlers willen und darum, daß in uns die Gaben angefangen sind.'010 Diese Doppelung von totalem Vergeben durch die Gnade und partialem Verbessern durch die Gaben findet sich auch in Luthers Schrift gegen Latomus2". Die Gnade begnadigt den ganzen Menschen und schafft die Ganzheit des neuen Menschen; die Gabe reinigt und bessert den sündigen Menschen. Es ist alles vergeben durch die Gnade, aber noch nicht alles geheilt durch die Gabe. Im Aspekt der Besserung durch die Gabe liegt wiederum der schon angesprochene Kampfaspekt, in dem sich Gott um die Menschen müht (vgl. Jes 43,24). Luther legt besonderen Wert auf diese „Doppelstrategie" zwischen Gnade und Gabe, um die Soteriologie nicht in den menschlichen Bemühungen aufgehen zu lassen. Die Betonimg der Gnade bewahrt die Dimension des extra nos, das der Mensch nicht in der Hand hat. Die Betonung der Gaben bewahrt den Menschen davor, sich in seinen Bemühungen um Besserung alleingelassen zu sehen. Die Ethik bzw. die guten Werke verlieren nach Luther ihre Heilsrelevanz, behalten aber ihre Weltrelevanz. Mit Werken ist das Verhältnis zu Gott nicht zu bewältigen und das Heil in Gott, die Heilsgewißheit (s. u. S. 137ff), nicht anzustreben, weil Gott allein das Heil wirkt212. 210 Luthers Vorreden zur Bibel, 181. 211 Vgl. WA 8, 106-107; 106,35-37: Habemus ergo duo bona euangelii adversus duo mala legis, donum pro peccato, gratiam pro ira. 107,13-16: Iustus et fidelis absque dubio habet gratiam et donum: gratiam, quae eum totum gratificet, ut persona prorsus accepta sit, et nullus irae locus in eo sit amplius, donum vero, quod eum sanet a peccato et tota corruptione sua animi et corporis. 107,21f: Remissa sunt omnia per gratiam, sed nondum omnia sanata per donum. 212 Dsa 125,20-22: Si enim non nos, sed solus Deus operatur salutem in nobis, nihil ante opus eius operamur salutare, velimus, nolimus. 267,33f: Non cooperatur [liberum arbitrium] ad iustitiam [Dei]; vgl. 269,22-27.

Dritter Teil: Die Frage nach Gottes Gerechtigkeit angesichts seines Welt- und Heilswirkens A. Die Unbegreiflichkeit Gottes I. Gottes Gerechtigkeit und Unbegreiflichkeit in der Kontroverse zwischen Erasmus und Luther Mit der Unbegreiflichkeit Gottes beschäftigt sich Luther zu Beginn des zweiten Teils seines Bekenntnisses (Dsa 289,4-290,4). Ausgangspunkt ist eine Problematik, die Erasmus vor allem im letzten Teil seiner Diatribe immer wieder aufwirft: Wie können Gottes Gnade und Gerechtigkeit in Anbetracht der Verdammung von Menschen gerettet und bewahrt werden? Die erasmische Lösung dieser Problematik sieht so aus: Der freie Wille des Menschen allein kann Gott von der Anklage der Ungerechtigkeit freisprechen. Bestimmte Menschen werden beschuldigt, mit ihrer freien Willensentscheidung sich von Gott abgewandt und dem Bösen zugewandt zu haben. Gottes Verurteilung und Verdammung bestimmter Menschen ist somit nur Reflex dessen, was diese Menschen mit ihrer eigenen Schuld und mit ihrer Weigerung, sich aus dieser Schuld durch Gottes Gnade herausrufen zu lassen, sich selbst bestimmt haben. Die Beschuldigung des Menschen führt zur Entschuldigung Gottes (vgl. Dsa 200,4; 214,31-33). Dieses Verfahren der Entschuldigung Gottes setzt aber bei Menschen die freie Willensentscheidung, sich Gott zu- oder abzuwenden, voraus. Da Luther mit Vehemenz in der ganzen Schrift Dsa und am Anfang seines Bekenntnisses diese Willensfreiheit gegenüber Gott bestritten hat, muß er sich nun seinerseits hinsichtlich der Frage der Ungerechtigkeit Gottes erklären. Auch für Luther scheint es bewegend, beunruhigend, erschreckend, erschütternd und empörend (alle diese Bedeutungen Hegen in dem Verb movere; 289,4), daß Gott Unschuldige verdammt, genauer: unschuldig Schuldige, die durch die Notwendigkeit ihrer Natur gar nicht anders können als sündig und gottlos zu sein. Das Movens des Erasmus nimmt Luther auf und macht es zu seinem eigenen, indem er es auf einen für ihn besonders wichtigen und immer wieder zitierten Bibeltext bezieht, nämlich auf Eph 2,3: „Wir waren [alle] auch Kinder des Zornes von Natur, gleich wie

Kontroverse zwischen Erasmus und Luther

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die anderen" (289,8-II)213. Gott erweist an denen, die er aus dieser ursündlichen Verfallenheit herauszieht, größte Gnade (vgl. Eph 2,4f.8); er zeigt seine Barmherzigkeit an denen, die auch unwürdig sind, weil sie auch Kinder des Zornes sind. Luther nimmt hier Eph 2,8f auf: „Denn aus Gnade seid ihr gerettet worden und durch den Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus den Werken, auf daß sich nicht jemand rühme." Gnade ist völlig unverdient; ist dann aber nicht auch die Verdammnis einiger völlig unverdient und gänzlich ungerecht? Diese Folgerung steht im Hintergrund der weiteren Gedankengänge, wird von Luther hier aber nicht weiter expliziert, sondern versteckt im Hinweis auf die göttliche Weisheit, der einiges zu überlassen sei, „auf daß geglaubt werde, er sei gerecht, wo er uns ungerecht zu sein scheint" (289,13f). Der Vorwurf der Ungerechtigkeit wird relativiert; er wird als Schein (videtur: 289,14) dargestellt, weil ein Unterschied zwischen menschlicher und göttlicher Gerechtigkeit bestehe. So kommt Luther zum Spitzensatz und zum Hauptargument dieses Abschnittes in seinem Bekenntnis: Gott ist der menschlichen Vernunft und dem menschlichen Fassungsvermögen völlig unbegreiflich und unzugänglich - deshalb ist notwendigerweise auch seine Gerechtigkeit völlig unbegreiflich (Dsa 289,17-19; vgl. 289,37-40). Dieses Argument stützt Luther auf Rom 11,33: „O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!" (289.2022). Das Zitat aus dem Römerbrief gibt dem Textabschnitt seine Stichworte (Gericht, Gerechtigkeit, Weisheit ...) und sein Thema: Die völlige Unbegreiflichkeit Gottes214. 213 Vgl. Dsa 203, 6-8. Dieses Bibelwort ist auch in der Assertio des 36. Artikels als besonders wichtig herausgestellt (WA 7, 147,3-13; 12f: Vix breviorem et apertiorem potentioremque in scripturis invenías sententiam adversus liberum arbitrium). Auch der berühmte Anfang der Invocavit-Predigten ist von Eph 2,3 geprägt (Cl 7, 363,15-28): „Wir seindt allsampt zu dem tod gefodert/und wirt keyner für den andern sterben. Sonder ein yglicher in eygner person für sich mit dem todt kempffen. In die oren künden wir woll schreyen. Aber ein yeglicher muß für sich selber geschickt sein in der zeyt des todts/ich würd denn nit bey dir sein/noch du bey mir. Hierinn so muß ein yederman selber die hauptstück so einen Christen belangen/wol wissen und gerüst sein/und seindt die /die eüwer lieb vor vil tagen von mir gehört hat. Zum ersten/wie wir kinder des zorns seind/und all unßer werck synn und gedanken sonderlich nichts sein. Hirjnnen müssen wir einen klaren starcken spruch haben solchs bezeygende. Als ist der spruch S. Pauli zun Ephesern. 2. den merck wol/und wiewol jr vil sein in der Bibel/aber ich wil eüch nit mit vil Sprüchen überschütten/'wir seind all kinder des zorns' und nymm dir nicht für sprechendt. Ich hab ein altar gebawet messe gestifft etc." Mit der Betonung und Auslegung dieses Textes Eph 2,3 ist Luther innerhalb der anthropologischen Kontroverse zwischen Traduzianismus und Kreatianismus dem Traduzianismus zuzuordnen (vgl. O.H. Pesch, Die Theologie der Rechtfertigung, 90, Anm. 11 u. 12; A. Peters, Der Mensch, 34f). 214 Incomprehensibilis / incomprehensibilia durchziehen und prägen den Abschnitt 289,4290,4: 289,18.19.21.22.39.40.

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Luther greift Rom 11,33 auf, weil zum einen dieser Vers ein biblischer locus classicus für die Unbegreiflichkeit Gottes ist. Zum anderen aber geht Luther damit auch auf einen Bibeltext ein, der bei Erasmus eine nicht unerhebliche Rolle spielt, da Erasmus ihn zweimal, am Anfang seiner Diatribe (Dia Ia7, 11) und am Ende (Dia IV13, 183) aufgreift. Im Kontext der ersten Bezugnahme des Erasmus auf Rom 11,33 geht es um unzugängliche, dunkle Stellen der Heiligen Schrift, in der wir - so Erasmus - nach Gottes Willen nicht tiefer eindringen sollen. Statt solche schwierigen Bibelstellen zu erforschen und zu ergründen, sei es frömmer, mit Paulus in den Lobpreis in Rom 11,33 einzustimmen. In seiner Erwiderung (Dsa 100,34-103,22) weist Luther darauf hin, daß sich der paulinische Ausruf auf die Unbegreiflichkeit der Gerichte Gottes - nicht auf die Unbegreiflichkeit der Schrift beziehe (102,24-27), und entwickelt dann seine berühmte Unterscheidung der doppelten Klarheit und Dunkelheit der Schrift215. Die zweite Erwähnung von Rom 11,33 bei Erasmus (Dia IV13, 181-183) bezieht sich auf Unterschiede hinsichtlich der körperlichen und geistigen Beschaffenheit von Menschen: daß einige Menschen mit schönen Körpern und vorzüglichem Geist, andere dagegen mit Mißgestaltungen, Krankheiten und beschränktem Geist zur Welt kommen, führe den Betrachter an eine Grenze, wo er die unerforschlichen Ratschlüsse Gottes nur mit dem Ausruf in Rom 11,33 hinnehmen könne. Diese Fragestellung des Erasmus hinsichtlich der Gerechtigkeit greift Luther in seinem Bekenntnis auf Mit verschiedenen Fragen, die die Unvergleichlichkeit Gottes und des Menschen betonen, versucht Luther in seinem Bekenntnis, die Gedanken weiter zu fuhren. Sie erinnern an die vielen Fragen der Gottesreden am Ende des Hiobbuches (Hi 38-41; der Bezug zu Hiob ist auch schon durch Rom 11,35, in dem Hi 41,3 zitiert wird, gegeben). Hier wie dort, im Hiobbuch und bei Luther, werden damit die gra215 Dsa 101,6f: Duae res sunt Deus et Scriptura Dei. Gott und die Schrift Gottes sind zweierlei Dinge; in Gott ist vieles verborgen (101,8), was der Mensch nicht wissen kann; nachdem Christus aber den Sinn zum Verständnis der Schrift eröffnet hat (102,6f: [...] Christus enim aperuit nobis sensum, ut intelligamus scripturas [...]), ist diese in ihren Kernpunkten nicht dunkel und unbegreiflich. In ihrer äußeren Klarheit liegt sie den Menschen klar vor Augen in der Doctrina (102,9f: [...] Et omnia, quae scripta sunt, ad nostrani doctrinam scripta sunt; zit. ist Rom 15,4) und im Predigtamt (103,11: [...] in uerbi ministerio posita [...]); durch das Wirken des Geistes Gottes wird in der Erkenntnis des Herzens (103,11; [...] in cordis cognitione [...]) aus der äußeren Klarheit dann die innere Klarheit. Dsa 103,9-22: [...] Duplex est claritas scripturae, sicut et duplex obscuritas, Vna externa in uerbi ministerio posita, altera in cordis cognitione sita. Si de interna claritate dixeris, nullus homo unum iota in scripturis uidet, nisi qui spiritum Dei habet, omnes habent obscuratum cor [...]. Si de externa dixeris. Nihil prorsus relictum est obscurum aut ambiguum, sed omnia sunt per uerbum in lucem producta certissimam, et declarata toto orbi quaecunque sunt in scripturis. Vgl. 141,32-142,19. Dazu o. Anm. 156. Zum ganzen Problemzusammenhang vgl. O. Bayer, Autorität und Kritik, 51f; Ders., Theologie, 72f; 91f.

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vierenden Unterschiede zwischen Gott und Mensch aufgedeckt. Kein durchgängig vermittelbarer Zusammenhang besteht zwischen dem Sein Gottes, des Schöpfers, und dem Sein des Menschen, des Geschöpfes. Keine Kraft der Vernunft und der Einsicht auf der Seite des Menschen kann die Kluft zwischen dem Wesen Gottes und dem Wesen des Menschen überbrücken. Angesichts dieser totalen Differenz zwischen Gott und Mensch, angesichts der völligen Unbegreiflichkeit Gottes, wäre es verwegen und vermessen, nun ausgerechnet die Gerechtijgkeit bzw. Ungerechtigkeit Gottes als Teilaspekt aus dieser Totalität herauszunehmen und dem Urteilen und Begreifen der Vernunft unterwerfen zu wollen. Mit dem Hinweis auf den Glauben, der allein in diese Kluft hineinspringen kann - im Gegensatz zur Vernunft (289,18) und zum menschlichen Fassungsvermögen (289,15) - , beendet Luther seinen Textabschnitt über die Unbegreiflichkeit Gottes. Der Glaube tritt „so lange" (tantisper: 290,1) in ein interim (291,17) ein: Er tritt in die ontologische Kluft zwischen Gott und Mensch und glaubt die Gerechtigkeit, wo nur Ungerechtigkeit zu sein scheint; somit tritt er auch in die eschatologische Kluft zwischen dem jetzigen Nicht-Begreifen und der endgültigen Offenbarung der Herrlichkeit Gottes, wo alle es sehen und ertasten sollen, daß Gott gerecht gewesen ist und es noch ist. Damit hat Luther eigentlich schon den ganzen Spannungsbogen seiner Argumentation gezogen und das Licht der Herrlichkeit schon angedeutet. Er wird aber mit dem Beispiel im folgenden Textabschnitt (290,5-291,19) noch einmal neu ansetzen und seinen Gedankengang vertiefen. II. Gottes Unbegreiflichkeit in der philosophischen und theologischen Tradition 1. Gottes Unbegreiflichkeit Von der Unbegreiflichkeit Gottes hat die theologische Tradition immer wieder geredet. So stellt etwa unter Rückgriff auf Rom 11,33 und 1. Kor 13,12 Johannes Chrysostomus in seiner ersten Homilie gegen die These der Eunomianer, wonach der Mensch jetzt schon auf Erden (in via) eine adäquate Gotteserkenntnis habe, die Unbegreiflichkeit Gottes heraus216. Augustin hält fest: „Wenn du [Gott] begreifen kannst, ist es nicht Gott"217; für Johannes von Damaskus ist Gott unendlich, unsagbar und unbegreiflich218. Auch Thomas von 216 De incomprehensibili Dei natura seu contra Anomoeos, Homilía 1,5; MPG 48, 706. Vgl. 1. Clem. 33,3. 217 Si enim comprehendis, non est Deus: Sermo 117, 3,5; MPL 38, 663. 218 De fide orthodoxa 1,4; MPG 94, 799 B: Infinitus igitur est deus, et incomprehensibilis [...]. MPG 94, 800 Β: Άπειρον oöv το Θείον καί άκατάληπτον. Vgl. 1,1; aaO 789 Α: Αρρητον οδν τό Θείον καί άκατάληπτον.

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Aquin diskutiert die Unbegreiflichkeit Gottes und versucht, das Problem mit Differenzierungen zu fassen. Er unterscheidet zwischen comprehendere und attingere; Gott ist begrifflich nicht umgreifbar, er ist begrifflich nur berührbai219. Anselm von Canterbury faßt die Problematik in eine paradoxe Formulierung und sagt von der theologischen Betrachtung, sie begreife mit dem Verstand, daß [etwas] ganz unbegreiflich sei220. Diese Paradoxie gipfelt in der docta ignorantia des Nikolaus von Kues; in der gelehrten Unwissenheit gehe es darum, „wie der Unbegreifliche [Gott] unbegreiflicherweise erfaßt wird."221 Zum ersten Mal in einem lehramtlichen Text hat die Unbegreiflichkeit Gottes im 4. Laterankonzil 1215 Eingang gefunden222. Anwalt der Unbegreiflichkeit Gottes war immer wieder die im Mittelalter mächtige Bewegung der negativen Theologie223. Gegen alle Versuche, Glaube und Vernunft zu verbinden224, den geglaubten Gott irgendwie für die Vernunft 219 STh I, q 12 a 7. Thomas bezieht sich mit dieser Unterscheidung auf Vorgaben Augustine. Die Unterscheidung findet sich auch bei Descartes. Sie läßt sich auf Differenzierungen der Stoa zurückfuhren (s.u. Anm. 566). 220 Monologion, cap. 64 (Allers-Ausgabe, 164): [...] rationabiliter comprehendit incomprehensibile esse [...]. 221 De venatione sapientiae, cap. 12 (Wilpert-Ausgabe, 46/47): [...] quomodo incomprehensibilis incomprehensibiliter capitur. Vgl. De docta ignorantia I, cap. X; WilpertAusgabe 40/41: „Auf diesem Wege wandernd wirst du in der belehrten Unwissenheit [in docta ignorantia] Fortschritte machen, auf daß du - soweit es einem gemäß der Kräfte menschlichen Geistes sich erhebenden Bemühen vergönnt ist - das Eine, Größte, Unfaßbare [unum maximum incomprehensibile], den einen und dreifachen immer gebenedeiten Gott zu schauen vermagst." Dieses Größte „erreichen wir [...] nur in der Weise des Nichtergreifens [incomprehensibiliter attingimus]" (aaO 16/17). Am Ende des ersten Buches seiner belehrten Unwissenheit stellt der Kusaner noch einmal, indem er sich in einem Kapitel (XXVI) über die negative Theologie auf den großen Dionysius beruft, die Unendlichkeit und Unbegreiflichkeit Gottes heraus. In theologischen Aussagen seien „Verneinungen wahr und positive Aussagen unzureichend [negationes sunt verae et affirmationes insuficientes in theologicis]" (aaO 112/113). Er schließt mit den Sätzen: „Wir ziehen daraus den Schluß, daß die genaue Wahrheit im Dunkel unserer Unwissenheit in der Weise des Nichterfassens aufleuchtet [incomprehensibiliter lucere]. Das ist die belehrte Unwissenheit, die wir gesucht haben. Durch sie allein vermögen wir, wie gezeigt, dem größten dreieinigen Gott in seiner unendlichen Güte je nach dem Rang der Wissenschaft von der Unwissenheit nahe zu kommen, um ihn aus all unserer Kraft immerdar dafür zu preisen, daß er uns sich selbst als unfaßbar gezeigt hat [nobis se ipsum ostendit incomprehensibilem]. Er sei in Ewigkeit hochgebenedeit. " (aaO 112/113.) 222 Neuner-Roos Nr. 918 (= DH 800): „Wir glauben fest und bekennen mit aufrichtigem Herzen, daß es nur Einen, wahren, ewigen, unermeßlichen und unveränderlichen, unfaßbaren, allmächtigen und unaussprechlichen Gott gibt [...]." 223 Vgl. dazu J. Hochstaffl, Negative Theologie. 224 Schon vor Anselms berühmter programmatischer Formulierung Fides quaerens intellectum (Proslogion, Proemium; Allers-Ausgabe, 197) hat der letzte Römer und erste Scholastiker A N S. Boethius dieses Programm am Ende seines zweiten Traktats über die Trinität mit den einfachen Worten aufgestellt: [...] fldem si poteris rationemque

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faßbar zu machen, war die negative Theologie immer eine Art Gegengift, ein Korrektiv, und betonte die letzte Unfaßlichkeit Gottes. 2. Gregor von Nyssa und Anselm von Canterbury: Unendliches Nachdenken der Unendlichkeit Gottes und unendliches Ergründen der Tiefen Gottes Für den Vergleich mit Luther sind vor allem Gregor von Nyssa und Anselm von Canterbury interessant. Das Besondere bei Gregor ist, daß er „mit einem bis dahin unerhörten Nachdruck die Unbegreiflichkeit Grottes vertreten und zu diesem Zweck auch alle ihm bekannten Abwandlungen des Unendlichen herangezogen"225 hat. Gregor hat den „horror infiniti des klassischen Griechentums vollständig überwunden'026 und den Begriff des Unendlichen, der άπειρία, des infinitum exklusiv als Hauptbegriff auf Gottes unendliche Wirklichkeit bezogen. Wiesen Piaton und Aristoteles das Unendliche noch der ungestalteten Materie zu, die als unendliche Möglichkeit durch Formen der Wirklichkeit erst in ein erkennbares und ertragbares Maß gesetzt ist, so scheiden sie auf der anderen Seite das Unendliche aus der Gotteslehre aus. Im Gegensatz zur platonischaristotelischen Philosophie überträgt Gregor als erster das Prädikat der Unendlichkeit auf Gott221 und setzt dem die geschöpfliche, endliche Welt entgegen. Damit ist eine einheitliche Seinshierarchie, ein durchgängiges Seinskontinuum, in dem vom kleinsten Staubkorn bis zum höchsten Gott alle Dinge ihren Platz finden, durchbrochen. „Die göttliche Unendlichkeit - nur dieser Begriff eignet sich dazu, das Netz zu zerreißen, welches die allmächtige Vernunft (νους) über Gott geworfen hatte. Durch die Vernunft vermag sich der Mensch nach Piaton und Aristoteles zu Gott zu erheben, ja, durch die Vernunft hat der Mensch Anteil am Göttlichen [...]. Das Unendliche dagegen läßt sich seinem Begriff nach nicht von der Vernunft einfangen. Es sperrt sich gegen die Gesetze der Vernunft."228 Mit diesen Worten eröflnet Ekkehard Mühlenberg seine wichtige Monographie über die Unendlichkeit Gottes bei Gregor von Nyssa. Für ihn (wie auch fur Wolfhart Pannenberg229) ist der Gedanke der

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coniunge; „[...] wenn es möglich ist, verbinde den Glauben und die Vernunft" (Boethius, Die Theologischen Traktate, 32/33). Vgl. J. Pieper, Scholastik, 33-50. W. Eiert, Der Ausgang der altkirchlichen Christologie, 45. AaO 46. Vgl. E. Mühlenberg, Die Unendlichkeit Gottes bei Gregor von Nyssa, 26. AaO 19. Pannenberg stellt in seiner Dogmatik heraus, „daß die Unendlichkeit nicht nur eine Eigenschaft Gottes unter anderen ist, sondern grundlegende Bedeutung für den Gottesbegriff überhaupt hat" (Systematische Theologie, Bd. 1, 378). Pannenberg spricht von dem „epochalen Beitrag Gregors von Nyssa zur Gotteslehre" (aaO 427); dieser Beitrag „bestand in dem Nachweis, daß die Grundform des Gottesgedankens [...] im Gedanken des Unendlichen" (aaO 428) zu finden sei. Mit dem Gedanken des Unendlichen ist für Pannenberg ein „Vorbegriff des Wesens Gottes" (aaO 428) gefunden, der durch bibli-

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Unendlichkeit zentral für eine Gotteslehre und fähig, die Bestimmungen der negativen Theologie noch zu überbieten230. Die Herausstellung des zentralen Gottesprädikats der Unendlichkeit hat aber auch Konsequenzen für die theologische Arbeit. Denn der Unendlichkeit Gottes kann auf der Seite des Menschen nur eine „unendlich fortschreitende [...] Erkenntnis"231 entsprechen. Die Unendlichkeit Gottes führt dazu, „daß die Bewegung des Denkens ins Unendliche läuft, wenn sie Gott zu ihrem Ziel macht."232 Der Aufstieg der erkennenden Seele zu Gott ist ein endloser Weg, „ein Weg zum Unendlichen, d.h. ein progressus in infinitum."233 Dieser Gedanke des unendlichen theologischen Erkenntnis- und Denkprozesses ist zwiespältig. Sicher will Gregor damit auch festhalten, daß Gott von jeder möglichen Erkenntnisstufe noch immer unendlich weit entfernt ist; Jegliche gewonnene Erkenntnis über Gott [wird] immer wieder zur άρχή für eine noch größere Erkenntnis"234. Nur im Rückbück auf frühere Erkenntnis kann sich der Mensch auf einer weiteren, höheren Stufe des Erkennens betrachten; im Vorblick auf Gottes Unendlichkeit bleibt er im gleichen Abstand zu Gott. Der unendliche theologische Denkweg kann sich Gottes nicht bemächtigen, hat nie Gewalt über die Unendlichkeit Gottes. „Der Mensch kann dem unendlichen Gott nicht näher kommen."235 Der Mensch bleibt immer endliches Wesen, im unendlichen Erkenntnisprozeß gewinnt er nur Teilhabe an Gottes Unendlichkeit. Hier ist aber zu fragen, ob sich nicht in diesem Prozeß des unendlichen Erkennens das theologische Denken auch unendlich aufbläht. Im Wegblicken vom unendlichen Ziel und im Rückblick auf schon überwundene Erkenntnisstufen hegt die Gefahr, daß der Mensch sich nur noch auf sein eigenes erkennbares Fortschreiten bezieht. Der Sprung in einen mit Gregor vergleichbaren Text der Neuzeit soll das eben Gesagte, diese Gefahr, andeuten. Am Ende seiner kleinen Schrift über „Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade" schreibt Gottfried Wilhelm Leibniz, daß die „höchste Glückseligkeit [...] niemals vollständig erreicht werden" kann; „denn da Gott unendlich ist, so wird er niemals ganz erkannt sein."236 Insoweit ist ganz im Sinne Gregors die Unendlichkeit Gottes im Blick, die den menschlichen Erkenntnisprozeß relativiert. Leibniz fährt aber unmittelbar fort und beschließt seine Abhandlung mit folgenden Worten: „Somit wird und darf unser Glück niemals in einem vollkommenen Genießen

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sehe Aussagen gefüllt werden kann, da die Unendlichkeit in „vielen biblischen Gottesbezeichnungen impliziert" (aaO 429) sei. Vgl. Mühlenberg, aaO 28; 144; 168. AaO 183; vgl. 152-157. AaO 144. AaO 166. AaO 156. AaO 167f. G.W. Leibniz, Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade; Herring-Ausgabe, 25.

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bestehen, bei dem nichts mehr zu wünschen übrig bliebe und das unseren Geist abstumpfen würde, sondern in einem immerwährenden Fortschritt [progrès perpetuel] zu neuen Freuden und neuen Vollkommenheiten"237. Mit diesen Worten deutet sich eine Verabsolutierung des unendlichen menschlichen Erkenntnisprozesses an. Das neuzeitliche Fortschrittsdenken bricht sich hier Bahn. Der zu schauende unendliche Gott tritt in den Hintergrund; wichtig wird vor allem der unendliche Fortschrittsprozeß des erkennenden Menschen. Der Mensch blickt aüf sich selber, kaum mehr auf das angestrebte, unendliche Glück und sorgt sich allein um die mögliche Abstumpfung seiner Geisteskraft. Entspricht bei Gregor von Nyssa der Unendlichkeit Gottes das unendliche Fortschreiten der Theologie, so entspricht bei Anselm von Canterbury dem Glaubensakt der Erkenntnisakt. Das anselmische Programm der Fides quaerens intellectum238 eröffnet durch den Glauben einen besonderen Erkenntnisprozeß. Anselm will nicht die Tiefen der Gottheit durchdringen, aber ein wenig möchte er die göttliche Wahrheit verstehen, die sein Herz glaubt und hebt; credo ut intelligam239, ich glaube, um zu verstehen. Bei Anselm ist es nicht der Begriff der Unendlichkeit, sondern das Bild der Tiefe, das den Erkenntnisprozeß in ein Gefalle bringt, das auf dem Erkenntnisweg immer tiefer Gottes Wegen folgt. In Anselms Cur Deus Homo stellt der Dialogpartner Anselms, Boso, zu Beginn des Gesprächs fest: „Wie die rechte Ordnung verlangt, daß wir die Tiefen des christlichen Glaubens zuerst glauben, bevor wir uns erkühnen, sie mit der Vernunft zu erörtern: scheint es mir Nachlässigkeit, wenn wir, nachdem wir im Glauben gefestigt sind, uns nicht zu verstehen bemühen, was wir glauben."240 Anselm gibt dieser Aufforderung nach einigem Zögern und Bedenken nach, will aber ausdrücklich festgehalten wissen, daß immer noch tiefere Gründe fiir solch eine erhabene Sache verborgen bleiben"241. Durch den Glauben ist der Raum der Geheimnisse und Tiefen des Glaubensgegenstandes also eröffnet, die Erkenntnis geht den Weg in göttliche Tiefen und sucht zwingende, vernünftige Gründe in diesen Tiefen, sie sieht sich aber immer noch tieferen Gründen ausgesetzt. Entsprechend wird auch die berühmte Bestimmung Gottes in Anselms unum argumentum im 2. Kapitel des Proslogion - Gott sei das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann - im 15. Kapitel noch einmal überboten: „Also Herr, nicht nur bist du das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, sondern größer noch, als man je denken könnte."242 Beide Denker, Gregor wie Anselm, sind darin zu vergleichen, daß der theologische Erkenntnisprozeß durch den besonderen Erkenntnisgegenstand 237 238 239 240 241 242

Ebd. Vgl. o. Anm. 220. Proslogion, cap. I (Allers-Ausgabe, 204). Cur Deus Homo 1,1 (Schmitt-Ausgabe, 11-13). AaO 1,2 (15). Proslogion, cap. XV (Allers-Ausgabe, 225).

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auf einen Weg und auf ein Ziel hin ausgerichtet wird, bei Gregor auf den Weg des unendlichen Erkennens, bei Anselm auf den Weg des immer tieferen Ergründens. Bei beiden ist Gott zum Zielpunkt des menschlichen Erkennens gemacht, es kommt aber kaum mehr in den Blick, daß Gott sich den Menschen zum Angriffspunkt machen könnte (vgl. Hi 7,20; 16,12-14). In solcher Anfechtung durch Gott braucht der Mensch weniger eine gewisse Erkenntnis als vielmehr einen festen Stand, weniger kognitive als vielmehr existentielle Gewißheit. Für Luther war solche Anfechtung das entscheidende Problem, er war - mit einer treffenden Formulierung Oswald Bayers gesprochen „tentatus quaerens certitudinem"243, ein zutiefst angefochtener Mensch, der Gewißheit sucht. 3. Luther: Nachdenken oder Bestehen? Der Unterschied zwischen Gregor und Anselm auf der einen und Luther auf der anderen Seite läßt sich gut nachvollziehen in der unterschiedlichen Fassung und Inanspruchnahme von Jes 7,9. Dieses Wort ist im Mittelalter in zwei Deutungsvarianten tradiert worden. Die Fassung der Septuaginta und der Vetus Latina interpretieren: „Wenn ihr nicht glaubt, so erkennt ihr nicht" (nisi credideritis non intellegitis). Die Vulgata dagegen übersetzt näher am Urtext: „Wenn ihr nicht glaubt, so bleibt ihr nicht" (Si non credideritis, non permanebitis)244. Luther nimmt das Jesaia-Wort in der Fassung der Vulgata auf und betont den festen Stand und die Gewißheit (s.o. S. 15f), die der Glaube dem Angefochtenen verleiht. Gregor und Anselm243 dagegen stehen stärker in der Tradition der Übersetzungen in der Vetus Latina, die die Zusammengehörigkeit von Glaube und Verstehen herausstellt. Bei ihnen wird das theologische Denken in Gang gesetzt und immer weiter getrieben auf ein unerreichbares Ziel hin. Gedankliche Widerstände werden in diesem Prozeß mit eingeschlossen und leicht überspielt. Leitend ist ein Komparativ, es geht immer weiter, es wird immer mehr gedacht, es werden ständig höhere Erkenntnisse gefunden und tiefere Gründe erforscht. In Luthers Sicht der Unbegreiflichkeit Gottes dagegen herrscht das Element des Widerstandes vor. Glaube, Erfahrung und theologisches Denken stoßen auf Widerstände; Gott läuft nicht als unendlicher Zielpunkt voraus, sondern tritt den Glaubenden und Erkennenden als Widerpart so in der An243 O. Bayer, Theologie, 530. Vgl. u. S. 137ff; dazu aber auch Anm. 66. 244 Vgl. Vetus Latina, Bd. 12, Esaias, Pars I, 229-233. Auch bei Thomas von Aquin findet sich das unmittelbare Beieinander beider Fassungen: Intellectus enim est fructus fidei: dicitur enim Is. 7,9: Nisi credideritis, non intelligetis, secundum aliam litteram (70 interpr ), ubi nos habemus: Si non credideritis, non permanebitis (STh II/II, q 8 a 8 ob 1).

245 Vgl. Proslogion, cap. I (Allers-Ausgabe, 203f): Ñeque enim quaero intelligere ut credam, sed credo ut intelligam. Nam et hoc credo: quia 'nisi credidero, non intelligam' [vgl. Jes 7,9 Vetus Latina],

Zorn und Abgrund

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fechtung entgegen, daß sie in dieser Zerrüttung neuen Stand gewinnen und im Glauben „bestehen" (Cl 3, 515,10) müssen. Entscheidend für Luther ist das Fliehen vor dem Zorn Gottes und das Zurückschrecken vor dem Abgrund in Gott. ΠΙ. Zorn und Abgrund - Metaphern der Unbegreiflichkeit Gottes 1. Der Zorn Gottes 1.1 Der heilige, gerechte Zorn Der Gedanke des Zornes Gottes hat sich der christlichen Überlieferung246 vor allem durch das Alte Testament aufgedrängt. In der ganzen Vielfalt der im Alten Testament für den Zorn Gottes gebrauchten Bilder und Wendungen hebt sich eine Gruppe von Aussagen hervor, die am häufigsten anzutreffen ist: Der Zorn Gottes wird hier als gerechte, göttliche Reaktion auf Sünde und Abfall des Menschen geschildert. Paradigmatisch deutlich wird dieser Aspekt in der deuteronomistischen Geschichtstheologie mit ihrer Betonung des „Korrespondenzverhältnisses von Schuld und Strafe"247. So wird z.B. im Richterbuch in einem durchgängigen Schema und in immer wiederkehrenden Formeln geschildert, wie die Israeliten Jahwe verlassen und den Baalen dienen und wie als Folge davon der Zorn Gottes entbrennt gegen Israel, das dann den Feinden ausgeliefert wird (vgl. Ri 2,11-14 u.ö.; vgl. Num 11,1; 12,9; Dtn 32,16).

246 Der gesamten abendländischen Überlieferung ist die Rede und die Vorstellung vom Zorn durch die erste große Dichtung Europas, durch die „Zorndichtung" (W. Schadewaldt, Der Aufbau der Ilias, 14) der Ilias Homers, bleibend vermittelt und eingeprägt. „Als den 'Zorn des Achilleus' hat Homer mit dem ersten Wort das Kerngeschehen der Ilias bezeichnet. Und diese Thematik hat er vom Anfang bis ans Ende seiner Ilias durchaus im tragischen Sinn durchgeführt [...]" (aaO 8f). Der „Ursprung des Zorns" (aaO 39) ist im 1. Gesang der Ilias beschrieben; die „Wende des Zorns" (aaO 40) im 18. Gesang; die „Versöhnung des Zorns" (aaO 41) schließlich im 23. und 24. Gesang. Die Ilias schildert schreckliche Kämpfe, Streitigkeiten, in die Menschen und Götter verwickelt sind, und beschreibt schließlich, nachdem sich alle Kräfte und Leidenschaften ausgetobt haben, die Erschöpfung, die Klage und die Totenruhe. „Der Motor dieses entsetzlichen Geschehens ist der Zorn, man kann auch sagen: die Leidenschaft, das Getriebensein" (aaO 9). „Nachdem die Ilias die Menschen durch die Beirrung von Zorn und Leidenschaft getrieben und infolge davon durch Not und Tod hindurchgejagt hat, endet sie schließlich in dem menschlichen Bewußtsein der gemeinsamen Ausgesetztheit. Dies alles aber war der Beschluß des Zeus. [...] In seiner Ilias hat Homer in dieser Tragik zum Beginn Europas ein großes Mahnmal aufgestellt. Indessen, Zorn und Leidenschaft haben immer wieder gegen besseres Wissen die Jahrhunderte hindurch die Menschen sinnlos aneinander leiden lassen." (AaO 11.) 247 G.v. Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd. 1, 360.

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Die Unbegreiflichkeit Gottes

Ein dogmengeschichtlicher Überblick248 bezüglich der Behandlung des Zornes Gottes in der Theologie zeigt, daß die vom ,Apathieaxiom"249 bestimmte Theologie die affektiven Momente der alttestamentlichen Wendungen des Zornes, also das Entbrennen, Wüten, Schnauben und Toben immer mehr in einem „Rationalisierungsprozeß"250 zurückgedrängt hat. Da der Zorn unter die Kategorie der Leidenschaft fällt und Leidenschaft nach dem Apathie-Axiom des griechischen Denkens nicht bei Gott zu finden ist, muß der Affekt des Zorns bei Gott ausgeschlossen werden. Dieser Rationalisierungsprozeß ist allerdings nicht nur als Reflex der Auswirkungen des griechischen Denkens zu verstehen; die Bestimmungen des Zornes Gottes als strafende Gerechtigkeit, als Ausdruck der Heiligkeit Gottes und als Kehrseite seiner eifernden Liebe sind sowohl im Alten Testament als auch dann noch stärker im Neuen Testament251 angelegt und haben die Theologie immer wieder beeinflußt. Der Zom Gottes wird damit in gewisser Weise begreiflich gemacht als einsehbare und gerechte Reaktion Gottes auf ungerechte Aktionen des Menschen. Auch bei Erasmus zeigt sich diese Vorstellung (Dia IIa 18, 71), wenn er schreibt, daß „auf Gott keine Veränderlichkeit zutrifft" und man sagt, „daß er seinen Zom abgelegt habe und gnädig werde, wenn er uns, falls wir zur besseren Einsicht kommen, seiner Gnade würdigt; umgekehrt sagt man, er entziehe die Gnade und werde zornig, wenn er die zum Schlechteren Abgeglittenen straft und heimsucht" (Dia IIal8, 71-73). Selbst ein Schleiermacher, der doch mit allem Nachdruck betont, daß „wir nichts vom Zorne Gottes zu lehren haben"252, sieht als einzige Rechtfertigung zur Benutzung des Wortes Zorn, wenn man es als Ausdruck einer „rein geisti248 249 250 251

Vgl. L. Pinomaa, Der Zorn Gottes, 587-614. W. Eiert, Der Ausgang der altkirchlichen Christologie, 74 u. 97; vgl. 71-132. L. Pinomaa, Der Zorn Gottes, 612. O. Hofius legt Wert auf die Feststellung, daß bei Paulus der Zorn Gottes „nicht eine Emotion Gottes, sondern [...] das kommende eschatologische Zorngericht" (Sühne und Versöhnung, 36; vgl. „Rechtfertigung des Gottlosen", 124, bei Anm. 16) bedeute. Aber woher sollte der Zorn Gottes eschatologisch auf einmal aufbrechen, wenn präsentisch gar nicht von ihm geredet werden darf? Hofius wendet sich v.a. gegen das satisfaktorische Sühnopferverständnis, wonach durch das Opfer der „zornige [...] Gott gnädig gestimmt" (Sühne und Versöhnung, 34) werden soll. Paulus wisse nichts von einer „Umstimmung Gottes aufgrund des Kreuzestodes Jesu", nichts von einer „Wendung in Gott" (aaO 37). Schließt aber die berechtigte Ablehnung der Vorstellung, daß Gott gleichsam von außen durch Opfer umgestimmt wird, den Gedanken einer inneren Umkehr in Gott selbst aus? Legt nicht ein so „unerhörtes Wort" („Rechtfertigung des Gottlosen", 135) wie Hos 11,8f, wo Gottes „ursprünglicher Liebeswille [...] über allem Zorn, ja gegen allen Zorn [...] das letzte Wort behält" (aaO 136), den Gedanken einer Wendung in Gott doch nahe? Vgl. die Anm. 415. 252 In einer Predigt zu 2. Kor 5,17f; F. Schleiermacher, Kleine Schriften und Predigten III, 123-135. Dagegen behauptet R. Otto: „Es ist ganz zweifellos [,] daß auch das Christentum 'vom Zorne Gottes' zu lehren habe, trotz Schleiermacher und Ritschi." (Das Heilige, 21.)

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gen göttlichen Mißbilligung des Bösen"253 und als „göttliche[n] Unwille[n] gegen die Sünde"23,1 versteht. Dieser Wahrheitsgehalt aber, so betont Schleiermacher, also das Verständnis des Zornes Gottes als Ausdruck der göttlichen Ablehnung der Sünde, soll besser durch „minder gefahrliche Ausdrükke"255 gewahrt werden, damit Mißverständnisse und eine falsche Furcht vor Gott die Erkenntnis, daß Gott Liebe ist, nicht trüben. 1.2 Der vernünftige Zorn bei Laktanz Unter den älteren Theologen hat als einziger Laktanz dem Zorn Gottes eine eigene kleine Schrift gewidmet: De ira Dei256. Laktanz wendet sich mit seiner Schrift gegen die philosophische These (der Epikuräer und Stoiker), „Gott zürne nicht"257. Er will stattdessen zeigen, daß Gott sowohl vom Zorn als auch von der Gnade bewegt wird. ,£>a Gott von der Gnade bewegt wird, muß er folglich auch zürnenLais; in diesem Satz findet Laktanz den Kernpunkt aller Religion und aller Frömmigkeit. Mit der Gnade erweist sich Gott den Guten gnädig, mit dem Zorn weist er die Bösen in die Schranken. Gott der Vater ist gnädig, Gott der Herr aber muß wegen des Bösen zürnen. Sicher - darin erweist sich auch bei Laktanz die Macht des Apathie-Satzes - gibt es bei Gott keine Affekte „wie Begierde, Furcht, Geiz, Trauer und Neid"259. Gott ist frei von den Affekten, die zu Lastern fuhren, er besitzt nur die Affekte, die zur Tugend gehören, d.h. Zorn gegen die Bösen, Liebe zu den Guten und Erbarmen gegenüber den Elenden (16.6). Laktanz unterscheidet die ira iusta (17.18) von der ira iniusta. Der ungerechte Zorn findet sich bei Tieren und Menschen, niemals aber bei Gott (17.14-17). Ohne diese Affekte in Gott wäre das 253 AaO 129. 254 AaO 133. 255 Ebd. Vgl. auch A. Ritschis grundsätzliche Ablehnung des Zornes Gottes; Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, Bd. 3, 305-309: „Nach biblischer Auctorität ist weder die Vorstellung von dem Zorne Gottes als einer Metastase der Liebe gerechtfertigt, noch die Beziehung desselben auf die Sünde überhaupt" (aaO 306). Die Erlösung der Christen ist „nur in ungebrochener Weise auf seine [Gottes] Liebe zurückzuführen, mögen auch gerade diese Erlösten in ihrer zeitlichen Vorstellungsweise die Empfindung von dem Wechsel göttlichen Zornes und Erbarmens gegen sie haben" (ebd). Das Reden vom Zorn würde Gott, in Verbindung mit der Vorstellung der Ewigkeit als endloser Zeit, dem zeitlichen Wechsel und der Veränderung aussetzen. „Erst mit der richtigen Bestimmung des Begriffs von Gott als der Liebe in der stets gleichen Richtung seines Willens auf die ewig geliebte Gemeinde ist der positive Begriff der Ewigkeit erreicht worden, unter dem das zeitlich wechselnde Wirken Gottes nicht als Wechsel in seinem Wesen auftritt." (AaO 308.) 256 Laktanz, Vom Zorne Gottes; Kraft-Ausgabe. Die Angaben oben im Text und in den Anm. beziehen sich auf die in dieser Ausgabe zu findenden Kapitel- und Abschnittseinteilungen. 257 non irasci deum: aaO 2/3 (1.1); vgl. 74/75 (23.9). 258 AaO 15 (6.1). 259 AaO 55 (16.6).

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menschliche Zusammenleben gestört und die Welt wäre ein einziges Chaos. Die Affekte - und darin auch der Zorn Gottes - haben für Laktanz ordnende und gestaltende Funktionen; Gute und Böse haben eine Orientierung, es ist Raum geschaffen für die Tugenden, und Verbrechen werden so begrenzt. Der Zorn ist deshalb wichtig, weil durch die Gottesfurcht allein eine Gesellschaft bewahrt, geschützt und gelenkt wird; ein irdisches Reich würde zerfallen, wenn es nicht durch Furcht zusammengehalten wird (23.10); wo kein Zorn ist, ist auch keine Herrschaft (23.13). Ohne Zorn gäbe es keine Gottesfurcht und der Mensch wäre die schlimmste aller Bestien (12.4f). Der gerechte Zorn, so die Definition des Laktanz, ist die Bewegung eines Gemütes, das sich zur Bestrafung der Sünden erhebt (17.19). Dieser Zorn ist notwendig und vernünftig (irasci ergo rationis est: 17.12), „er beseitigt nämlich die Verbrechen und zügelt die Willkür, und das geschieht gewiß gerecht und weise."260 Weil die Philosophen um diese ratio des Zornes Gottes, um seinen vernünftigen Zorn nicht gewußt haben und nur den ungerechten Zorn behandelt und definiert haben, haben sie den Zorn zu Unrecht gänzlich verworfen (17.13). Es ist deutlich, daß sich Laktanz mit der Herausstellung des gerechten und vernünftigen Zorns in der Tradition bewegt, die den Zorn als gerechte Reaktion auf ungerechte Taten versteht. Aber es zeigt sich doch eine auffallende Verschiebung des Akzents und eine bestimmte Funktionalisierung. Der Römer Laktanz hat einen Sinn für die Notwendigkeit des Zorns zur Errichtung einer Weltordnung, zur Gestaltung eines Imperiums. Römische Begriffe (pater, dominus, imperium ...) sind bei ihm vorherrschend. Der Zorn Gottes ist bei ihm politisch funktionalisiert; nur die Rede vom Zorn Gottes kann letztlich einen Staat zusammenhalten. Seine Ausführungen über die Funktion des Zornes Gottes erinnern eigentlich eher an die Staatstheorie eines Thomas Hobbes als an die biblische Metapher des Zornes Gottes. In der Entwicklung der Rationalisierung des Zorngedankens stellt die Schrift des Laktanz einen Höhepunkt dar. 1.3 Der inibegreifliche Zorn bei Luther Die in den beiden vorangegangenen Abschnitten dargestellten Vorstellungen des Zornes Gottes lassen sich verstehen als Versuche, die Unbegreiflichkeit und Irrationalität des Bildes vom Zorn Gottes zu mildern, den Zorn Gottes einsichtig und verstehbar zu machen. Dieser Prozeß der Begründung und Verständlichmachung des Zornes ist - wie gezeigt - schon im Alten Testament angelegt. Trotzdem weist das Alte Testament einige Stellen auÇ in denen Gottes Zorn „als unmotivierte Urkraft, als launisch vernichtende Naturgewalt"261 erscheint. In solchen Texten ist ein Grund, eine Ursache für den Zorn

260 AaO 59 (17.12). 261 L. Pinomaa, Der Zorn Gottes, 587.

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nicht zu erkennen, etwa bei der Erzählung vom Überfall auf Mose (Ex 4,24) oder bei Jakobs Kampf am Jabbok (Gen 32). Martin Luther, der wie kaum ein anderer unter den großen Theologen vom Zorn Gottes geredet hat262, hat immer wieder den Aspekt des Unerklärlichen, Grundlosen und Unbegreiflichen im Zorn Gottes betont. Auch in Dsa findet sich diese Betonung. Zu Beginn des vierten Teils, des Kampfes iur die Gnade und gegen den freien Willen, in dem Luther vor allem die zwei Kämpfer Johannes und Paulus gegen den freien Willen anfuhrt, greift Luther gleich als erstes Argument die paulinische Rede vom Zorn Gottes in Rom 1 auf 63 . Sicher findet sich in Luthertexten auch immer wieder die Sichtweise des gerechten Zorns, der die unbußfertigen Sünder im Gesetz erschreckt und zur Umkehr treibt (vgl. etwa BSLK 567,26-570,30)264. Doch das Besondere bei Luther ist dies, daß er oftmals mit dem Ausdruck Zorn Gottes die Unberechenbarkeit, Furchtbarkeit und Unbegreiflichkeit Gottes aussagt. Vor allem in seiner Auslegung zu Psalm 90 stellt er in eindringlicher Weise das Ausgeliefertsein des Menschen in der Kürze des Lebens, das Elend der Kreatur Mensch unter dem Zorn Gottes heraus, so daß die menschliche Natur den Gedanken an Gottes Zorn ohne Tränen und ohne Murren kaum ertragen265 kann. Luther setzt sich mit dieser Sicht des Zornes Gottes der Erfahrung Hiobs aus, der sich unter dem Zorn Gottes sieht und keinerlei Gerechtigkeit oder Verhältnismäßigkeit (Hi 7,20!) in seinem Leiden erkennen kann und deshalb gegen den ungerechten Zorn Gottes protestiert (vgl. Hi 9,5.13; 10,17; 13,23-28; 14,13; 19,11; 21,17; 27,1-6). Beim gerechten und vernünftigen Zorn hat der Mensch vermeintlich Maßstäbe in der Hand, mit denen er dem Zorn begegnen kann: Gesetz, Moral und Vernunft. Hiobs Freunde haben diese Maßstäbe vertreten. Mit solchen Maßstäben kann der Mensch Ursachen und Wirkungen benennen und sein Leben unter Gottes einsichtigem und gerechtem Zorn entsprechend einrichten. Aber bei dem unbegreiflichen Zorn hat der Mensch keine solchen Maßstäbe mehr; er ist - wie Luther in der Vorrede zum Hiob-Buch schreibt - „ohne Ursach"266 (Hi 9,17) Gottes zornigem Handeln ausgeliefert. Er findet keine

262 Vgl. K. Holl, Ges. Aufsätze I, 40f (Was verstand Luther unter Religion?). 263 Dsa 256,24-28: Paulus ad Romanos scribens, sie ingreditur disputationem aduersus liberum arbitrium pro gratia Dei: Reuelatur (inquit) ira Dei de coelo super omnem impietatem et iniustitiam hominum, qui ueritatem Dei in iniustitia detinent. Eindrücklich beschreibt Luther die Existenz des Menschen sub ira (257,31.37; 258,18). 264 Vgl. die Auslegung zu Ps 90,7; WA 40 III, 544,28-545,9. 265 Vgl. WA 40 III, 536ff; 539,1: Sic murmurât natura. 539,5f (unter Verweis auf Hiob und Jeremía): Non fieri potest, quin Sanctorum tentatio sit blasphemiae simillimus. 540,2: Sic Christanis affectus murmurationis, dubitationis, blasphemiae. 266 Luthers Vorreden zur Bibel, 59. Vgl. die Tischrede Nr. 4777 (WA TR 4, 490, 8f; zu Ps 22,2 im Zusammenhang mit Ps 73 und mit dem Hiobbuch): „Du bist mir feindt on alle ursach". Vgl. WA DB 10/1, 25.

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Ursache und keinen begreiflichen Grund in Gottes Zorn - und sieht sich deshalb dem Abgrund in Gott ausgesetzt. 2. Der abgründige Gott 2.1 Vielfalt des Abgrundes Das biblische Wort Abgrund (abyssos / abyssus) hat seinen ursprünglichen Sitz im Leben in der Bezeichnung der chaotischen Urflut (Gen 1,2), die in der Sintflut wieder in Gottes Kosmos einbricht (Gen 7,11). Im Neuen Testament bezeichnet abyssos zuweilen die Welt der Dämonen (Lk 8,31), die Toten- und Unterwelt (Rom 10,7) und den Ort des großen Tiers und Antichristen (Apk 9,11; 11,7). Von diesen ursprünglichen Bedeutungen leiten sich dann die Übertragungen ab, die für das theologische Denken bedeutsam wurden. Diese Übertragungen - auf Gott und auf den Menschen - bahnen sich schon im Alten Testament, vor allem in der weisheitlichen Literatur, an. So werden in Psalm 35,7 die Gerichte Gottes mit den Tiefen und Abgründen des Meeres verglichen; zu Beginn des Sirach-Buches wird die göttliche Weisheit besungen, die allein die Tiefe des Abgrunds ausmessen kann (profundum abyssi: Sir 1,2 V); die Weisheit Gottes hat die Tiefe des Abgrunds durchwandert (Sir 24,5; 24,8 V); das Gesetz der Weisheit ist tiefer als der größte Abgrund (Sir 24,29; 24,39 V). Auch Abgrund und menschliches Herz werden im SirachBuch parallel gesetzt (Sir 42,18 V). In Sir 23,28 V wird dem Sünder in Erinnerung gerufen, daß die Augen Gottes alle Wege der Menschen überschauen und die Tiefe des Abgrundes und das Herz des Menschen in den verborgensten Winkeln durchschauen. Die vielfaltigen Deutungen des Abgrunds finden sich gebündelt in den Confessiones des Augustin: er redet einmal in der Urbedeutung des Abgrunds vom Chaoswasser (abyssus aquarum: Conf XII,8,8); vom Abgrund der Sünde und des Bösen (abyssum corruptionis: Conf IX, 1,1); vom Abgrund des Menschen261, genauer vom Abgrund seines Bewußtseins (abyssus humanae con267 Bei Immanuel Kant findet sich öfter die Metaphorik des Abgrunds in bezug auf den Menschen: „Das moralische Selbsterkenntnis, das in die schwerer zu ergründende Tiefen (Abgrund) des Herzens zu dringen verlangt, ist aller menschlichen Weisheit Anfang" (Metaphysik der Sitten, Tugendlehre; Weischedel-Ausgabe, Bd. 7, 576). Vgl. aaO 523: „Denn es ist dem Menschen nicht möglich, so in die Tiefe seines eigenen Herzens einzuschauen, daß er jemals von der Reinigkeit seiner moralischen Absicht und der Lauterkeit seiner Gesinnung auch nur in einer Handlung völlig gewiß sein könnte". Vgl. aaO 583: „Die Tiefen des menschlichen Herzens sind unergründlich". (Dazu Kritik der reinen Vernunft, Β 641; Weischedel-Ausgabe, Bd. 4, 543: „Die unbedingte Notwendigkeit, die wir, als den letzten Träger aller Dinge, so unentbehrlich bedürfen, ist der wahre Abgrund für die menschliche Vernunft ") Nach H. Plessner hat der abgründige Mensch den abgründigen Gott beerbt: „Als ein in der Welt ausgesetztes Wesen ist der Mensch sich verborgen - homo absconditus. Dieser ursprünglich dem

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scientiae: Conf. X,2,2)268, und er redet schließlich auch - in der Aufrahme des schon erwähnten Psalm 35,7 - vom Abgrund Gottes, d.h. vom Abgrund seines gerechten Gerichtes (abysso iusti iudicii tui: Conf. VII,6,10)269. In bezug auf den göttlichen Abgrund, der hier in Frage steht, ist das Wortfeld aus Rom 11,33 entscheidend. So gebraucht etwa Dionysius Areopagita den Ausdruck der Tiefe Gottes aus Rom 11,33 (βάθος), um die geheimnisvolle Unzugänglichkeit Gottes darzustellen270. Johannes Cassianus zitiert Rom 11,33 und sieht in diesem Ausruf des Völkerlehrers Paulus das Zunichtemachen derer, die mit ihrer Vernunft die Tiefe des unermeßlichen Abgrunds messen wollen271. Was sich in biblischen Texten und altkirchlicher Theologie angedeutet hat, kam dann vor allem in der Mystik zur vollen Entfaltung. 2.2 Der liebliche Abgrund bei Tauler Die Metapher des Abgrunds für Gott wurde nirgends so sehr herausgestellt wie in der deutschen Mystik. Schon Meister Eckehart spricht in seinen Predigten öfter vom ewigen Abgrund des göttlichen Wesens, vom Meer seiner

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unergründlichen Wesen Gottes zugesprochene Begriff trifft die Natur des Menschen" (Homo absconditus, 149; vgl. E. Blochs Rede vom homo absconditus: Das Prinzip Hoffnung, Bd. 3, 1406; 1522). Auch in der Literatur findet sich immer wieder das Bild des Abgrunds für den Menschen. Dem unglücklichen Werther verwandelt sich „der Schauplatz des unendlichen Lebens" „in den Abgrund des ewig offenen Grabes" (Goethe, Hamburger Ausgabe, Bd. 6, 52), in „ein ewig verschlingendes, ewig wiederkauendes Ungeheuer" (aaO 53). H. v. Kleist spricht in einem Brief vom 21.7.1801 mehrmals davon, daß er seinem „Abgrund entgegen eile" (Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, 668; vgl. aaO 667; 885). In einem Bruchstück in Büchners Woyzeck (G. Büchner, Werke und Briefe, 143) heißt es: ,Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinabsieht". Als der Atheismus (in Büchners gleichnamigen Erzählfragment) Lenz erfaßte, befiel ihn am folgenden Tag „ein großes Grauen" und „er stand nun am Abgrund, wo eine wahnsinnige Lust ihn trieb, immer wieder hineinzuschauen, und sich diese Qual zu wiederholen. Dann steigerte sich seine Angst, die Sünde wider den heiligen Geist stand vor ihm" (G. Büchner, Lenz, aaO 82; vgl. 80: „Die Welt war ihm helle gewesen, und er spürte an sich ein Regen und Wimmeln nach einem Abgrund, zu dem ihn eine unerbittliche Gewalt hinriß"). Vgl. zum „Anwachsen des Abgrundgefühls" in der Neuzeit: W. Rehm, Jean Paul - Dostojewski, 9ff. Vgl. Β. v. Clairvaux, Tractatus de conscientia, cap. I; MPL 184, 553 B: Conscientia hominis abyssus multa. Sicut enim profundum abyssi exhauriri non potest, ita cor hominis evacúan non potest a cogitationibus suis. In einem Augustintext (In Johannis Evangelium Tractatus 53,6f; CChr.SL XXXVI, 455,27-30; 1-3) zeigt sich, wie in einer Zitat-Verbindung von Rom 11,33 und Ps 35,7 (V) die Tiefen Gottes zum Abgrund werden. De divinis nominibus, cap. IX, § 5; MPG 3, 913 B. Collatio XIII, 17; MPL 49, 944 B-C.

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Grundlosigkeit, in dem die Vernunft Gott niemals erfassen kann, weil er grundloser Grund ist272. Ist bei Eckehart die Metapher vom göttlichen Abgrund schon angesprochen, so kommt sie bei seinem Schüler Johannes Tauler zur vollen Entfaltung. Niemand hat so wie Tauler das Bild des Grundes und des Abgrundes gebraucht. In immer wieder neuen Anläufen besingt und malt Tauler den Abgrund als Bild für Gott und die Seele, die sich in ihren Abgründen treffen und berühren. Gott ist ein unaussprechlicher Abgrund, die Vernunft kann ihn niemals erreichen, weil sie in die Tiefen der Gottheit nicht hineinsteigen kann273. Auch die Seele hat in sich einen verborgenen Abgrund274. Gott und die Seele verbinden sich in der Liebe und Glut des Abgrundes275. Tauler überträgt das Psalmwort 41,8 (Vulgata: Abyssus abyssum invocat [...]) als Element der Sprache der Klage in die Sprache der Liebe. Eine Tiefe ruft die andere; der geschaffene Abgrund Seele und der ungeschaffene Abgrund Gott ziehen sich gegenseitig an, fließen ineinander, in ein einiges Sein und in ein einiges Nichts276. In ständig neu gesuchten Verben malt Tauler diesen Vorgang und spricht vom Spiel der Abgründe ineinander, predigt das Sich-ergießen und Zerfließen der Seele, ihr Ertrinken im Meer Gottes. Die Seele sehnt sich nach dem göttlichen Abgrund, will sich in ihn hineinfallen lassen, will ertrinken in diesem Meer, sich vergessen, verströmen, verschwingen und verschwinden im

272 Vgl. Meister Eckehart, Deutsche Predigten und Traktate, Quint-Ausgabe, 342: „Wisset nun, alle unsere Vollkommenheit und alle unsere Seligkeit hängt daran, daß der Mensch durchschreite und hinausschreite über alle Geschaffenheit und alle Zeitlichkeit und alles Sein und eingehe in den Grund, der grundlos ist." Vgl. aaO 302: „Aus ihr [der göttlichen Lauterkeit] treibt Gott, der ewige Vater, die Fülle und den Abgrund seiner ganzen Gottheit hervor." (DW II, 493, 5f: „den êwigen abgrunt gotlîches Wesens".) Dazu: aaO 305 („[...] den ewigen Abgrund göttlichen Seins [...]"). AaO 190 („[...] die Vernunft nimmt Gott so, wie er in ihr erkannt wird; sie kann ihn aber niemals erfassen im Meer seiner Unergründlichkeit." [DW I, 123,2f: „in dem mer sîner gruntlôsicheit"]). 273 Vgl. Die Predigten Taulers, Vetter-Ausgabe, 109,23 („ein unsprechenliches abgründe"). Vgl. 113,31 („vetterliche abgrunde"); 367,33 („ein grundelos abgründe"); 345,28 („abgründe des götlichen willen"); 239,4f („die tieffe des götlichen abgrundes das ist unervölgig allen vernünften"). Dazu: 373,28f; 368,13-15. Vgl. O. Bayer, Promissio, 59, Anm. 171. 274 Die Predigten Taulers, Vetter-Ausgabe, 101,30 („das die sele habe in ir ein verborgen appetgrunde"). Die Mystik hat viele Bilder für das Innerste, Höchste und Tiefste der Seele entwickelt (etwa Seelenfünke, Wipfel, Bürglein ...), Grund und Abgrund ist nur ein Bild unter mehreren (vgl. aaO 102,2-5; 347,9-16). 275 AaO 102,17f („in der minnen abgrunde, in der minnen glut"). 276 AaO 201,3-7 {„'Abyssus abyssum invocat, das abgründe das in leitet das abgründe'. Das geschaffen abgründe das in leitet von siner tieffe wegen. Sin tieffe und sin bekant nicht das zühet das ungeschaffen offen abgründe in sich, und do flüsset das ein abgründe in das ander abgründe und wirt do ein einig ein, ein nicht in das ander nicht.") Vgl. auch 331,12-17.

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„minneclichen grundelosen abgrunde"277, im lieblichen, grundlosen Abgrund Gottes. Dieser Abgrund hat für die Seele nichts Erschreckendes oder Schauerliches, er ist nur fascinosum, nicht mehr tremendum278. Die Seele läßt sich gerne in diesen Abgrund fallen, es ist ihr höchster Genuß und ihr höchstes Glück, denn sie gewinnt im Versinken die göttliche Fülle, wenn sie sich im Abgrund verliert. Sie fällt in das imbegreifliche Nichts des Abgrundes und damit in das Sein Gottes279. Taulers Abgrund ist kein Abgrund, vor dem der Mensch und seine Seele zurückschaudert; er ist Abgrund, in den sich die Seele hineinfallen lassen will. Er ist lieblicher Abgrund. 2.3 Der zwiespältige Abgrund bei Luther Luthers Rede vom Abgrund ist nicht einheitlich. Luther redet einmal von einem erschreckenden Abgrund, nämlich vom Abgrund des Zweifels, ja der Verzweiflung, wenn ein Mensch an Christus und an dessen Menschheit vorbei über Gott denken oder spekulieren will. Wer den Weg Gottes zu den Menschen in Christus außer acht läßt, so Luther in einem brieflichen Gutachten über Joh 6,37-40 an Spalatin, wer sich nicht durch die Menschheit Christi hineinreißen läßt in den unsichtbaren Vater, dem bleibt nichts anderes als ein Sturz in einen ewigen Schlund280. Gemeint ist von Luther letztlich der „Abgrund göttlicher Versehung"281, in den die Menschen stürzen, wenn sie sich - ohne zuerst Christus und das Evangelium zu hören - darum bekümmern, ob sie von Gott fur Gott und das Heil vorgesehen und vorbestimmt sind oder nicht. In diesem Abgrund findet das Grübeln und Zweifeln des Menschen keinen sicheren und gewissen Grund. Ohne Christus, der den Menschen in

277 AaO 407,3. Vgl. 117, 30-36; 406,37 („in Got versuncken"). 278 Vgl. R. Otto, Das Heilige, 13-37; 42-52. 279 AaO 256,30f („Hie lit es alles an, an einem grundelosem entsinkende in ein grundelos nút") Vgl. 109,23; 115,36 („mit grundeloser gelossenheit"). Vgl. 108,12-14 („Do wurt der mensche beröbet sin selbes in rechter worer gelossenheit und versincket in den grünt des göttelichen willen"). Vgl. 255,3 lf. 280 WA BR 1, 326-331 (12.2.1519), 328,42f: [...] humanitate Christi [...] per earn in invisibilem patrem rapiamur; 329,58f: Ista via neglecta non restât aliud nisi praecipitum in çternum Barathrum. Mit dem gleichen christologischen Argument (Joh 14,6) wendet sich Luther gegen die spekulative negative Theologie des Areopagiten: Cl 1, 499,17-25. Öfter gebraucht Luther das Bild der Himmelstreppe (Gen 28,12) als Ausdruck dafür, wie der Mensch allein durch die humanitas Christi zu Gott kommen, aufsteigen kann. Vgl. Cl 5, 345,4f (zu Hebr 1,2): Humanitas enim illa sancta scala est nostra, per quam ascendimus ad Deum cognoscendum. Genes. 28. Vgl. Cl 5, 431,ΜΙ 6 und WA 40 I, 79,27 (zu Gal 1,3). Vom Schlund des Horrors und der Verzweiflung redet Luther auch in der Römerbrief-Vorlesung (zu 9,16); Cl 5, 277,2f: barathrum horroris et desperationis. Vgl. auch 432,2; desperationis baratrum. 281 Luthers Vorreden zur Bibel, 193. Das Diktum Luthers ist aufgenommen in der Konkordienformel SD XI (BSLK. 1070, 44-46).

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Gottes Herz schauen läßt, weil er „ein Spiegel ist des väterlichen Herzens"282, bleibt Gott dunkel, und wir sehen in ihm nichts „denn einen zornigen und schrecklichen Richter"283. Dieser Abgrund an der Christuserfahrung vorbei ist gewiß kein lieblicher Abgrund wie der Taulers, sondern schauerlicher und entsetzlicher Abgrund. Besonders deutlich bekundet sich dieses Entsetzen in einer berühmten Stelle in Dsa, in der Luther die Anfechtung der natürlichen Vernunft beschreibt, daß Gott aus bloßem Willen die Menschen verläßt, verstockt und verdammt, so als würde er sich an den Sünden und Leiden der elenden Menschen erfreuen, er, von dem doch so große Barmherzigkeit und Güte gepredigt wird284. Immer wieder habe das die Menschen bewegt und wer, sagt Luther, würde nicht Anstoß daran nehmen. Schließlich bekennt er von sich freimütig: „Ich selbst bin nicht nur einmal angegangen worden bis zur Tiefe und dem Abgrund der Verzweiflung, daß ich wünschte, nie als Mensch geschaffen zu sein, bevor ich wußte, wie heilsam jene Verzweiflung wäre und wie nahe der Gnade. "285 Dieser Abgrund der Verzweiflung, von Gott verstoßen und verworfen zu sein, ist gewiß nicht anziehend und Heblich; in seinem Nichts fallt man nicht in das Sein Gottes, sondern wirklich in ein quälendes Nichts, das so stark ist, daß es den Wunsch der eigenen Vernichtung und des eigenen Nicht-Seins herausbrechen läßt. In diesem Zusammenhang ist auf Luthers Übernahme des Taulerschen Gedankens der resignatio ad infemum kurz einzugehen. Luther hat diesai Gedanken in seiner Römerbrief-Vorlesung (zu Rom 8,28 und 9,2; Cl 5, 270-273) aufgenommen Wie in der Taulerschen Vorgabe (Die Predigten Taulers, Vetter-Ausgabe, 201,24; 368,4-8; dazu: K. Holl, Ges. Aufsätze I, 150-154) unterscheidet er drei Stufen und Zeichen der Erwählung. Die Logik der resignatio ad infemum ist einfach und bestechend: Wer 282 BSLK 660, 41f. 283 AaO 660, 43f. In Dsa 281,37-282,8 stellt Luther heraus, die Sophisten hätten mit ihrem Vertrauen auf die Kraft des freien Willens aus dem lieblichen Mittler Christus (suauem mediatorem) einen furchtbaren Richter (metuendum iudicem) gemacht, den sie durch Fürbitten der Maria und der Heiligen, durch ersonnene Werke, Riten, Orden und Gelübde zu versöhnen suchten. Wie sie Christus glauben, so haben sie ihn auch nämlich als unerbittlichen Richter (iudex inexorabilis). 284 Vgl. Dsa 214,21-27. 285 Dsa 214,28-31: Ego ipse non semel oñensus sum usque ad profundum et abyssum desperationis, ut optarem nunquam esse me creatum hominem, antequam scirem, quam salutaris ilia esset desperatio et gratiae propinqua. Deutlich ist hier die Aufnahme der Klagen Hiobs (Hiob 3) und Jeremias (Jer 20,14-18). In den Ablaßresolutionen (zu These 15; CI 1, 57,5-36) gibt es dazu eine Parallele. In Anspielung auf 2. Kor 12,2 und unter Verwendung des Verbs asserere (CI 1, 57,5f: Sed et ego noui hominem, qui has poenas saepius passum sese asseruit [...]) redet Luther von seinen tiefsten Anfechtungen und von dem Gott, der in schrecklichster Weise zürnt: 57,11: Hic deus apparet horribiliter iratus [...]; der Mensch, also Luther selber, kommt dadurch in schrecklichstes Seufzen (57,19f: horrendus gemitus). Auch für Calvin (Inst. 111,23,5) ist - unter Bezugnahme auf Ps 36,7 - der göttliche Ratschluß der göttlichen Prädestination tiefster Abgrund.

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sich in der Hölle weiß286 und sich da auch ganz hineingibt, d.h., wer sich ganz Gottes Willen überläßt und in ihn gleichsam resigniert, der ist ganz bei Gott und ganz im Heil, obwohl er doch in der Hölle ist. Luther hat diese Überlegungen in seiner späteren Theologie nicht mehr aufgenommen. Denn problematisch ist die Methodik dieses Gedankens, die auf einem „innerem Umschlag"281 beruht. In Dsa ist höchstens noch eine kleine Spur davon zu finden, etwa wenn Luther sagt, daß der Glaube auch dann an Gottes Güte glauben würde, wenn dieser alle Menschen vernichtete288. Luther kann vom Abgrund aber auch in einer ganz anderen Weise reden. In einer Predigt zu 1. Joh 4,16ff veranschaulicht Luther die andere Dimension des Abgrundes: „Si deus pingendus, sol ichs malen, quod in abgrund seiner Gottlichen natur nihil aliud est quam ein feur und brunst, quae dicitur heb zun leuten."289 Im Großen Katechismus schreibt Luther summarisch zum Abschluß seiner Erläuterung der drei Artikel des Credo: Da „hat er selbst offenbaret und aufgetan den tieffsten Abgrund seines väterlichen Herzens und eitel unaussprechlicher Liebe in allen drei Artikeln."290 Hier verschiebt sich gewissermaßen die Blickrichtung: Es wird nicht mehr mit Entsetzen in den ewigen Schlund, der einen hinabzureißen droht, hinuntergeblickt; dieser Abgrund zieht nicht nach unten, sondern läßt seine Fülle emporsteigen. Der Abgrund in Gott erscheint als „ein ewiger unvergänglicher Quell, der, je mehr er ausfleußet und übergehet, je mehr er von sich gibt"291, ein „ewiger Quellbrunn [...], der sich mit eitel Güte übergeußet und von dem alles, was gut ist und heißet, ausfleußt"292. Es ist das Unerschöpfliche, Überfließende und Überquellende der Bilder des Brunnens und des Abgrundes, das hier leitend ist. Die Verbin286 Bei Johannes vom Kreuz und besonders bei Therese von Lisieux ist die Rede von der Hölle verbunden mit dem Willen, zusammen mit Christus, der in das Reich des Todes hinabgestiegen und „der unser aller Nacht umzuleiden gekommen ist" (J. Ratzinger, Eschatologie, 178), die Höllenerfahrung auch für andere mitzuleiden. Bei ihnen hat „das Wort von der Hölle eine ganz neue Bedeutung und eine ganz neue Form gewonnen. Es ist für sie weniger eine Drohung, die sie gegen die anderen schleudern, denn eine Aufforderung, in der dunklen Nacht des Glaubens die Gemeinschaft mit Christus gerade als Gemeinschaft mit dem Dunkel seines Abstiegs in die Nacht zu erleiden; dem Licht des Herrn dadurch nahe zu kommen, daß sie sein Dunkel teilen und dem Heil der Welt dienen, indem sie ihr Heil zurücklassen fiir die anderen" (ebd). 287 O. Bayer, Promissio, 37; vgl. 37f; 72-77. 288 Dsa 202,29f: Sed fides et spiritus aliter iudicant, qui Deum bonum credunt, etiamsi omnes homines perderei. 289 Cl 7, 261,23-25. Vgl. WA 36, 599,13f: Gott ist „unausschöpflicher Abgrund alles Guten und ewiger Freude". Vgl. u. bei Anm. 635. 290 BSLK 660,28-32. Vgl. auch die These 50 aus Pro veritate inquirenda, in der Luther vom „Abgrund der Barmherzigkeit" spricht; WA 1, 633,9f: De reliquis desperando seipsum cum fiducia in abyssum misericordie dei fideliter promittentis proiicere. Vgl. WA 2, 175,13: [...] abgrund gottlicher gutickeit [...]. 291 BSLK 674,42-44. 292 BSLK 565,41-566,2. Auch Tauler hat schon das Bild des Brunnens: Die Predigten Taulers, Vetter-Ausgabe, 55,12.

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dung beider Vorstellungen hat dann auch in die Metaphorik vieler Gesangbuchlieder Eingang gefunden293. Die Spannung, in der Luther die Metapher des Abgrundes gebraucht, ist offenkundig. Dem unbegreiflichen, schrecklichen Abgrund der Verzweiflung steht der unergründlich gute Abgrund der Liebe Gottes gegenüber. Beide sind unbegreiflich, beide stehen in härtester Spannung zueinander. Diese Spannung ist Spiegelung jener Spannung, die so charakteristisch für Luthers Reden von Gott ist: der Spannung zwischen dem verborgenen und offenbaren Gott. IV. Die Unbegreiflichkeit Gottes in der Spannung zwischen verborgenem und offenbarem Gott 1. Unbegreiflichkeit und Verborgenheit Gottes Mit der Rede von der Unbegreiflichkeit Gottes ist unmittelbar auch die Rede von der Verborgenheit Gottes verbunden. In den Psalmenscholien (zu Ps 17,12) geht Luther auf die Dunkelheit als Schlupfwinkel Gottes ein, der im unzugänglichen Licht (1. Tim 6,16) wohnt. Der Verstand kann Gott nicht erreichen in diesem unzugänglichen Licht, das deshalb für den begreifenden Verstand eine Dunkelheit ist. Luther verweist auf Dionysius Areopagita, der gelehrt habe, durch Negationen zu diesem Gott aufzusteigen: „Denn so ist er verborgener und unbegreiflicher Gott."294 Luther hat seine Schätzung des Areopagiten in späteren Texten aufgegeben295, geblieben aber ist die Verbindung von Unbegreiflichkeit und Verborgenheit Gottes, die sich vor allem auch in Dsa findet. 293 Vgl. EG 447,6 (Gott als Brunnen aller Güter); EG 166,6 (Brunnen des Lebens); EG 324,2 und 217,7 (Brunnen der Gnade); EG 58,8 (Brunnen unserer Freuden); EG 389,3 (Brunnen unerschöpfter Güt); EG 66,7 (Quelle der Gnaden); EG 255,6 (Quell des Lebens); EG 85,5 (Quell aller Güter). 294 Cl 5, 94,17-19: Ideo b. Dionysius docet ingredi in tenebras anagogicas et per negationes ascendere. Quia sic est deus absconditus et incomprehensibilis. Noch einmal positiv aufgenommen ist der Areopagite im Scholion zu Ps 64,2. Hier sagt Luther über die negative Theologie: Hec est vera Cabala, que rarissima est. Namque sicut affirmativa de deo via est imperfecta, tarn intelligendo quam loquendo: ita negativa est perfectissima. Unde in Dionysio frequens verbum est 'Hyper', quia super omnem cogitatum oportet simpliciter in caliginem intrare. 295 Luther sah in ihm zunächst einen vermeintlichen Gesinnungsgenossen im Kampf gegen die spekulative Theologie; deshalb hat er ihn auch positiv aufgenommen. Dieses hat sich dann aber in späteren Texten geändert, in denen Luther die mystische Theologie selbst als spekulativ kritisierte. Vgl. WA 5, 163, 17-29 (Operationes in Psalmos, 1519-1521; zu Ps 5,2) und Cl 1, 499,3-25 (De captivitate ..., 1520). Die mystische Theologie, so Luther, würde mehr platonische Philosophie treiben als christliche Theologie (499,18f: plus platonisans quam Christianisans). Vgl. auch die Tischrede Nr. 644; Cl 8, 80,17-26.

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2. Einheit Gottes und Einheit der Lehre von Gott Für das Verständnis dessen, was Luther mit dem Ausdruck deus absconditus meint, ist nach wie vor Hellmut Bandts Monographie „Luthers Lehre vom verborgenen Gott" (1958) maßgebend. Bandt arbeitet an den Lutherquellen zwei grundsätzliche und verschiedene Aspekte hinsichtlich der Verborgenheit Gottes heraus. Zum einen ist Gott verborgen in der Offenbarung. Gegen alle weltlichen Maßstäbe und Erwartungen offenbart sich Gott im Leiden und im Kreuz; offenbart sich also dadurch, daß er sich im Kreuz und Leiden verbirgt296. Der Grundsatz für diesen Aspekt der Verborgenheit findet sich, so Bandt297, schon in einer Predigt Luthers von 1517 (zu Mt 11,25) und lautet: Deus abscondit sua ut revelet298. Der biblische Grundtext für die Verborgenheit sub contrario299 ist für Luther 1. Sam 2,6: „Der Herr tötet und macht lebendig, fuhrt hinab zu den Toten und wieder herauf" Dieser Sachverhalt könnte als ein beziehungsloses Nebeneinander von Töten und Lebendigmachen verstanden werden. Einige Kontexte aber, in denen sich Luther auf die Samuelstelle bezieht, legen ein finales Verständnis nahe: Gott verbirgt sich, um sich zu offenbaren; Gott verbirgt sich in Leiden, Kreuz und Tod, damit er gerade darin erst sich offenbart und alles ins Leben ruft. Gott tötet, damit er lebendig macht. Der Glaube sieht in der Verborgenheit den offenbaren Gott; die Vernunft kann diese Verborgenheit nicht durchdringen. Dieser Aspekt der Verborgenheit Gottes - fur Bandt die „Urgestalt der Lutherschen Lehre vom

296 Cl 5, 388,19f: absconditum in passionibus. 388,35f: [...] Deum absconditum in passionibus. 389,5: At deum non inveniri nisi in passionibus et cruce, iam dictum est. Dazu: Cl 1, 128,32f: Theologus crucis (id est de deo crucifixo et abscondito loquens) [...]. 297 Vgl. H. Bandt, Luthers Lehre vom verborgenen Gott, 24. Bandt greift in einer einleitenden, forschungsgeschichtlichen Literaturübersicht (aaO 9-18) klassische Texte zum Problem der Verborgenheit Luthers (etwa die wichtige Studie von F. Kattenbusch [aaO 12-14]) auf. 298 Cl 5, 424,7. Daneben: WA 4, 7,1: Deus in carne absconditus est. Vgl. Bandt, aaO 30. 299 Cl 5, 181,lf: sub contrariis. Vgl. 263,1 lf: Non autem absconditur aliter quam sub contraria specie nostri conceptus seu cogitationis. 374,18; 421,1-3: Ecce autem ad hoc ipsum opus suum proprium non potest pervenire, nisi assumat opus alienum et contrarium sibi, ut Isaiae 28. 'alienum est opus eius, ut operetur opus suum'; alienum autem opus est facere peccatores, iniustos, mendaces, tristes, stultos, perditos [...]. Zur Aufnahme von Jes 28,21 vgl. auch 182,19-28. R. Weier hat hinsichtlich der Verborgenheit sub contrariis bei Luther auf (mögliche?) Einflüsse von Jacques Lefèvre und Nikolaus von Kues hingewiesen (Das Thema vom verborgenen Gott, 178-181; 199-205). In Dsa ist die Verborgenheit unter dem Gegensatz ebenfalls aufgenommen. Dsa 124,16-24: [...] Vt ergi fidei locus sit, opus est, ut omnia, quae creduntur, abscondantur, Non autem remotius absconduntur, quam sub contrario obiectu, sensu, experientia. Sic Deus dum uiuificat, facit illud recidendo, dum iustificat, facit illud reos faciendo, dum in coelum uehit, facit id ad infernum ducendo, ut dicit scriptura: Dominus mortificat et uiuificat, deducit ad inferos et reducit, 1. Re. 2. de quibus nunc non est locus prolixius dicendi, Qui nostra legerunt, habent haec sibi uulgatissima.

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verborgenen Gott"300 - taucht schon in der ersten Psalmenvorlesung auf und hält sich in den Luthertexten bis zur großen Genesisvorlesung durch. In anderer Hinsicht ist Gott verborgen im Gegensatz zur Offenbarung; Gott ist verborgen außerhalb, neben und hinter seiner Offenbarung. Der Grundsatz für diese Sicht der Verborgenheit lautet: „(Distinguendum est) inter Deum praedicatum et absconditum"301. Hier werden Offenbarung und Verborgenheit nicht ineinander gesehen, sondern scharf gegenübergestellt. Die Unterscheidung weist den Menschen ab vom verborgenen, unbegreiflichen Gott und weist ihn hin auf den Gott, der gepredigt wird und der sich im Wort faßbar macht. Gott ist offenbar in Christus, verborgen aber in seinem Welt- und Heilswirken außerhalb von Christus. Diese zweite Art der Verborgenheit ist sowohl für die Vernunft als auch für den Glauben völlig undurchschaubar. Gott ist hier völlig unbegreiflich. Dieser Aspekt der Verborgenheit, so Bandt, ist herrschend vor allem in Luthers Schrift Dsa und ist in abgeschwächter Form aufgenommen noch in der Genesisvorlesung (zu Gen 26,9). Die Verhältnisbestimmung der zwei Weisen der Verborgenheit durch Bandt wird deutlich in der Hauptthese seiner Monographie: ,JEs gibt für Luther letzten Endes keine andere Verborgenheit Gottes als die Verborgenheitsgestalt seiner Offenbarung,"302 Der erste Aspekt der Verborgenheit ist für Bandt also der primäre; er taucht zuerst in den Luthertexten auf und hält sich nach Bandt auch sachlich als der vorrangige durch. Er hat eindeutig zeitliche und sachliche Priorität. In Luthers Rede vom verborgenen Gott in Dsa sieht Bandt eine „Grenzperspektive"303. Es werden Grenzen abgesteckt, innerhalb derer sich Gott dem Menschen erkennbar macht und innerhalb derer der Mensch nur richtig von Gott reden kann. Jedes Überschreiten der im verborgenen Gott gesetzten Grenze ist unzulässige und gefährliche Spekulation. Bandts „systematisches Anliegen" ist der „Nachweis der Einheit und Geschlossenheit der Lutherschen Lehre"304; er ist der Überzeugung, daß die verschiedenartigen Aussagen Luthers hinsichtlich des verborgenen Gottes letztlich ein einheitliches Gesamtbild ergeben. Bandt will eine „einheitliche Gesamtanschauung"305 in Luthers Ausführungen herausarbeiten; er will „auch in De servo arbitrio die innere Einheit der Lutherschen Lehre vom verborgenen Gott"306 zeigen. Bandt erzielt auch diese Einheit, aber nur dadurch, daß er bestimmte Aussagen Luthers in Dsa relativiert und marginalisiert. Radikale Aussagen Luthers kommen nach Bandt nur am Rande zur Sprache und sind

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Bandt, Luthers Lehre vom verborgenen Gott, 24. AaO 83. Vgl. Dsa 177,40-178,1. AaO 94. Vgl. 23; 37; 39; 41; 64f; 71; 82f; 85; 91; 99; 125; 167f; 171; 173; 192; 203. AaO 138; 140; 165. AaO 22f. AaO 22f; vgl. 175f. AaO 178.

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ein „Nebengedanke"301 im größeren Ganzen. Mit seinen Überlegungen in Dsa, so Bandt, hat Luther die Lehre vom verborgenen Gott nicht geändert, sondern nur erweitert. Kritisch gegenüber dem ganzen Entwurf Bandts ist weiter zu fragen, ob Luthers vielfältige Gelegenheitsschriften und das Fehlen einer Dogmatik bei ihm die Feststellung einer einheitlichen Lehre überhaupt zulassen. Luther hat als seine zwei Hauptwerke Dsa und den Katechismus308 angegeben, also eine extreme Streitschrift und ein ausgewogenes Lehr- und Lembuch. Luther selbst hat aus diesen beiden Polen kein System gemacht; wer könnte in einer Interpretation ohne Verzerrungen beides ganz auf einen Nenner bringen? Es fällt schließlich auch auf, daß in Bandts Darstellung Luthers reformatorischer Durchbruch, also seine Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, seine Herausstellung der Promissio als gewißmachendes Wort Gottes, kaum eine Rolle spielt. Luthers Lehre vom verborgenen Gott ist im Grunde mit der ersten Psalmenvorlesung fertig da; wenn es auch Entwicklungen und Differenzierungen gibt, die Bandt vor allem im dritten Teil seines Buches darstellt, so zieht sie sich doch recht bruchlos bis zu späten Texten Luthers durch. Müßte der reformatorische Durchbruch aber nicht auch inhaltlich - selbst unter der Voraussetzung der Frühdatierung - in der Frage der Verborgenheit Gottes seinen besonderen Niederschlag gefunden haben? Ist Bandt vor allem an der Einheit der Lehre Luthers vom verborgenen Gott interessiert, so Eberhard Jüngel an der Einheit Gottes. Ging es Bandt vor allem um die Widerspruchslosigkeit der Lehre, so geht es Jüngel um die Widerspruchslosigkeit Gottes. Jüngels Grundsatz beim Bedenken des Problems der Verborgenheit Gottes lautet: „Gott widerspricht sich nicht."309 Es darf auf Gott „auch nicht der Schatten von Zweideutigkeit fallen."310 Die biblische Begründung für diese These findet Jüngel in 1. Joh 1,5: Gott ist Licht und keine Finsternis ist in ihm. In Entsprechung zu den Erörterungen Bandts kann auch für Jüngel nur von der Offenbarung her theologisch recht von der Verborgenheit geredet werden311. Da für Jüngel vom Evangelium her prinzipiell feststeht, 307 AaO 97. 308 Vgl. WA BR 8, 99,7f (an W. Capito; 9.7.1537): Nullum enim agnosco meum iustum librum, nisi forte de Servo arbitrio et Catechismum. 309 E. Jüngel, Die Offenbarung der Verborgenheit Gottes, 180. „Ein Widerspruch in Gott ist durch das Evangelium ausgeschlossen." (AaO 177.) Vgl. E. Jüngel, Quae supra nos, nihil ad nos, 241, Anm. 148: „Spricht aber der Glaube Gott die Gottheit zu, dann wird er ihm eben darin auch eine letzte Widerspruchslosigkeit zusprechen." 310 AaO 176. 311 Beide Interpretationen stehen mit diesem Denken, das die Verborgenheit Gottes ganz an dessen Offenbarung bindet, in der Tradition der Theologie des späten Barth, der in kritischer Wendung gegen Luther (vgl. die Barthzitate in Anm. 344) - die Einheit des Zusammenhangs von Verborgenheit und Offenbarung Gottes betont: „Offenbarung und Verborgenheit Gottes sind nun einmal schon im Alten Testament wohl zu unterscheiden, aber nicht zu trennen und so auch nicht Gottes Gnade und Gottes Heiligkeit.

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daß sich Gott nicht widersprechen kann, fordert er - im Interesse Luthers, der sich selber glücklicherweise in der Frage der Verborgenheit Gottes widerspreche - Sachkritik an Luther. Luthers Rede vom verborgenen und offenbaren Gott, näherhin seine Unterscheidung zweier Willen bei Gott, trage eine unerträgliche Spaltung in Gott hinein. „Verborgener und offenbarer Gott scheinen sich zu widersprechen, so daß letztlich nicht das Böse gegen Gott, sondern Gott gegen Gott zu stehen kommt"312. Um dem Widerspruch in Gott zu entgehen und um die Vorstellung eines grauenvollen göttlichen Subjektes auszuschließen, schlägt Jüngel die Formulierung opus dei absconditum vor: „Es gibt keinen grausamen deus absconditus, sondern nur ein Grauen erregendes opus dei absconditum"3". Jüngel nimmt damit das Bild von rechter und linker Hand Gottes, die auch von Luther gebrauchte und an Jes 28,21 orientierte Unterscheidung von opus dei proprium und opus dei alienum auf 14 . Indem Jüngel die bedrängenden Erfahrungen der Verborgenheit Gottes konsequent auf ein Werk Gottes bezieht, bleibt Gottes Wesen unangetastet und widerspruchsfrei. Gott widerspricht sich höchstens in seinem Handeln, seinem Wirken; aber er entspricht sich in seinem Sein: „selbst im Widerspruch entspricht sich Gott."315 „Wen die Offenbarung Gottes dessen gewiß macht, daß Gott Liebe ist, der wird also das verborgene Werk Gottes als verborgenes ertragen, ohne daß sich ihm Gott selbst verbirgt und zum deus absconditus wird."316

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Indem Gott sich offenbart, offenbart er sich als der verborgene, aber eben der Verborgene macht sich selbst zum offenbaren Gott. [...] Eben in dieser Einheit redet und handelt Gott aber auch nach dem Zeugnis des Neuen Testamentes." (KD II/l, 408f.) Die Offenbarung der Verborgenheit Gottes, 176. Ebd. Vgl. o. Anm. 299. AaO 180. Vgl. 181: „Gott ist sich selbst nicht verborgen". 182: „Seine Rechte weiß, was die Linke tut". Die Aussage „Gott entspricht sich" (E. Jüngel, Gottes Sein ist im Werden, 36; vgl. Gott als Geheimnis der Welt, 474) ist für Jüngel „der höchste und letzte Satz, der sich über das Sein Gottes sagen läßt" (aaO 35). Die Kirchliche Dogmatik Barths ist, so Jüngel, „im Grunde eine ausfuhrliche Exegese dieses Satzes" (aaO 36). Für Jüngel hat die Entsprechung, die Analogie, grundsätzliche Bedeutung innerhalb der Theologie: „Ohne Analogie käme es zu keiner verantwortlichen Rede von Gott" (Gott als Geheimnis der Welt, 384; vgl. den Gesamtzusammenhang der §§ 17 und 18, 357-408). O. Bayer dagegen fragt, in der Auseinandersetzung mit Barth, ob „die Analogie Schlüsselbegriff der ganzen Theologie sein" kann, „wenn statt von harmonischen Entsprechungen von harten und schmerzhaften Spannungen und Unterscheidungen zu reden ist" (Theologie, 371; vgl. 416). AaO 182.

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3. Kampf mit Gott 3.1 Kampf mit einer Gotteserfahrung oder Kampf mit Gott? Jüngels Bemühungen, Spannungen und Widersprüche in Luthers Ausführungen zur Unterscheidung von verborgenem und offenbarem Gott abzugleichen, haben Anhalt an Luthertexten. Luther redet zwar eindeutig davon, daß Deus sibi ipsi contradicit (WA 43, 201,30; 202,17f), „das Gott hie [also im Befehl an Abraham, Isaak zu töten] widder sich selbs redet" (WA 24, 382,12f). Dieser Widerspruch wird von Luther jedoch dahingehend präzisiert, daß der Widerspruch im Tun Gottes verankert ist; es geht um „die widdersprüche, die Gott thut" (387,22). In Luthers Auslegungen zu Gen 22, Gen 32 und Mt 15,210; die allesamt den Kampf des angefochtenen Glaubens mit Gott thematisieren, hebt sich in ständig wiederkehrenden Wendungen das Verb „stellen"311 heraus. Dieses Verb läßt sich in zweifacher Hinsicht verstehen: einmal in dem Sinne, daß sich Gott in der Anfechtung dem Menschen entgegenstellt, daß er sich als zorniger Gott „widder den menschen setzt als ein feind" (WA 24, 577,29; vgl. Hi 7,20; 16,12-14; 19,1 If). Sodann kann das Wort „stellen" in einem zweiten Aspekt im Sinne von verstellen interpretiert werden. Gottes Handeln steht insofern unter einem als ob; er handelt und stellt sich, als ob er den Menschen verderben (vgl. WA 24, 574,lOf) wollte; er „spielt"318 (WA 24, 379,30; 380,27; 581,14), meint es aber im Grunde seines Herzens ganz anders, „thuts nit auß hertzhcher meynung" (CI 1, 233,14; vgl. Thr 3,33). Damit ist eine Interpretation im Sinne Jüngels nahegelegt, die Gottes mit sich selbst identisch bleibendes widerspruchsfreies Wesen abhebt von seinem widersprüchlichen Handeln und seinem Verstellen. Im ,fingen und kampff" (WA 24, 573,3 lf) mit Gott geht es nach Luther darum, Gottes zorniges Wort und Werk, mit dem er sich in der Anfechtung als Feind verstellt, durch Einklagen eines ersten gegebenen Wortes Gottes, eines Wortes der Verheißung zu überwinden. Damit überwindet der Glaubende aber nicht Gott selber, sondern im Grunde nur seine eigenen widersprüchlichen Erfahrungen mit Gott. Der Widerspruch liegt also nicht in Gott, sondern in der Gotteserfahrung. „So heisset nu das Gott uberwinden: 317 WA 24, 381,19; 382,31f; 573,32; 574,10; 578,24; WA 17 II, 202,3; 203,18.30. Vgl. die Tischrede Nr. 1278. Schon im Sermon von den guten Werken spricht Luther vom verborgenen Gott als dem „got [,] der sich zornig stellet" (CI 1, 233,5f). 318 Zum Spiel und Widerspiel Gottes vgl. WA 4, 656,29; WA 17 I, 80,26; WA 43, 218,3f.25f; 219,14.22.33; 229,32.34; WA 10 II, 323,9. Auch alle Wendungen Luthers, in denen von Gottes „Mummerei" (WA 15, 373,16f; WA 7, 588,10) und von den Masken und Larven Gottes (z.B. WA 23, 8,37f; vgl. die Übersicht bei J. Bauke-Ruegg, Die Allmacht Gottes, 494, Anm. 17) die Rede ist, gehören in diesen Zusammenhang. E.R. Curtius (Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 148-154 [Kap. 7, § 5], bes. 150) ordnet diese Ausdrücke Luthers der Tradition der Schauspielmetaphern innerhalb der Literatur zu.

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nicht seine gewalt überwinden, sondern das jhenige, das er ynn unserm gewissen ist und gefület wird, uberwinden, Wie die schrifft redet, das sich Gott verwandlet, wenn wir verwandlet werden, Er ist on wandel an yhm selbs [...] (WA 24, 578,28-31). Gott selbst „bleibt" im ganzen Prozeß der Anfechtung, im Verstellen, Verwandeln und Überwinden, „ymer gütig" (578,34), denn er ist ja „von natur eytel güte" (578,19). „Wenn ich yhn also ynn mir uberwinde, so habe ich Gott uberwunden, dadurch das ich das wort von seiner güte ergreiffe und halte und schlage das hynweg, das yhn zornig wil machen, Also uberwindet man nicht seine Majestet, sondern sein werck, das er an uns thut" (579,7-11). Die eben dargelegte Interpretation wird noch einmal gestützt durch ein eingängiges, von Luther gelegentlich gebrauchtes Bild: Gott ist einer und doch doppelt (duplex), so wie die Sonne eine ist und doch eine doppelte, wenn sie nämlich einerseits durch Wolken verhüllt ist und wenn sie andererseits bei heiterem Himmel so scheint, wie sie in sich immer ist319. Nach dieser Metapher ist also Gott verstellt, verfinstert und verborgen durch die dunklen Wolken, d.h. durch die Leiderfahrungen in der Anfechtung; nach der Anfechtung, wenn sich die Wolken der Verborgenheit (vgl. Thr 3,44) verzogen haben, erscheint Gott wieder als der eine widerspruchslose Gott, der er immer war und bleiben wird.

319 Vgl. WA 31 I, 553,28-554,5. In Entsprechung dazu findet sich ein ähnliches Bild im Sermon von den guten Werken (Cl 1, 233,9-11): „[...] unter dem leidenn / die uns gleich von ym [Gott] scheyden wollen / wie eine wand / ia eine maurenn [Hhld 2,9] / steht er vorborgen / unnd sieht doch auff mich / und lesset mich nit." Zur Vermauerung des Lebens durch Gott: Hi 19,8; Thr 3,7; dagegen: Ps 18,30! Auch in der Auslegung zu Ps 51,10, in der Luther die Einheit des Glaubens herausstellt, gebraucht er das Bild von der Wolke und Sonne, WA 40 III, 417,30-418,20. Vgl. auch WA 12, 688,20ff. Die Sonnenmetapher findet sich darüberhinaus in Dsa 102,19-21. Eine eindrückliche Aufnahme des Bildes von Sonne und Wolke im Verhältnis zu Gott und seiner Vorsehung enthält Carl Maria von Webers Freischütz in der Kavatine der Agathe (3. Aufzug, 2. Auftritt): „Und ob die Wolke sie verhülle,/ Die Sonne bleibt am Himmelszelt;/ Es waltet dort ein heil'ger Wille,/ Nicht blindem Zufall dient die Welt!/ Das Auge, ewig rein und klar,/ Nimmt aller Wesen liebend wahr!/ Für mich auch wird der Vater sorgen,/ Dem kindlich Herz und Sinn vertraut,/ Und war' dies auch mein letzter Morgen,/ Rief mich sein Vaterwort als Braut:/ Sein Auge, ewig rein und klar,/ Nimmt meiner auch mit Liebe wahr!" Bildlich dargestellt und auf das aufklärerische Denken bezogen ist dieser Zusammenhang in zahlreichen Frontispizen in Werken von Chr. Wolff, die den Kontrast von dunklem und wirrem Weltgeschehen unter den Wolken und der darüber scheinenden Sonne (der Vernunft) ins Bild rücken (vgl. z.B. Chr. Wolff, Vernüniftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, zur Beförderung ihrer Glückseeligkeit). Auch Leibniz gebraucht das Bild der Sonne (im Zusammenhang der Erwähnung der drei Lichter): „Hienieden erblicken wir die anscheinende Ungerechtigkeit, glauben und wissen sogar, daß die Gerechtigkeit Gottes verborgen ist, schauen aber werden wir sie, wenn die Sonne der Gerechtigkeit sich uns zeigen wird wie sie ist" (Theodizee, Einleitende Abhandlung, § 82; Buchenau-Ausgabe 91).

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Angesichts der eben dargelegten Sicht der Verborgenheit Gottes bei Luther ergeben sich jedoch Fragen. Im Blick auf die vorgelegten Luthertexte wie auf die Interpretation Jüngels ist kritisch zu fragen, ob sich die widersprüchlichen Prädikate so einfach vom widerspruchsfreien Subjekt abheben lassen, ob also das Tun und Handeln Grottes durch sein Wort und Werk am Menschen getrennt werden kann von seinem Wesen. Dazu scharf - vielleicht überscharf Werner Eiert: „Eine essentia Dei jenseits seiner reinen Aktualität gibt es nicht.'020 Viele Luthertexte machen deutlich, daß Gott sich mit seinem Wirken ganz in die Schöpfung und in die Wirklichkeit begibt. Luthers Aussagen zur Allwirksamkeit in Dsa sind zusammen mit seinen Ausführungen zur Allgegenwart, vor allem in den großen Abendmahlsschriften321, sehr sprechend. Die Herausstellung der Nähe Gottes in seiner Schöpfung durch seine Werke wird noch einmal überboten durch das Wort des Evangeliums, durch das Gott nicht nur durch seine Werke und das Wort des Gesetzes - erhaltend oder erschrekkend - da ist in der Wirklichkeit, sondern sich, ganz in Christus einwohnend, veräußert322. Weil Gott ganz da und präsent ist, nicht nur in seinem Christuswort, sondern auch in seinen Werken, kann Luther eben doch wieder sagen, daß der „frome vater Abraham" dadurch, daß er „so fest auffs wort hat gehalten" „widder Gott selbs gestritten und gewunnen hat." (WA 24, 390,9f.) 3.2 Der „Kampfglaube" Gegenüber Jüngels Sicht der Verborgenheit Gottes bei Luther ist zu fragen, ob hier der Aspekt des Glaubenskampfes in der Anfechtung genügend berücksichtigt ist. Für Luther jedenfalls ist diese Vorstellung konstitutiv; nicht allein in den schon angesprochenen Predigten und Auslegungen zum Genesisbuch tritt die Vorstellung von dem mit Gott kämpfenden Glauben deutüch hervor; in der Habakuk-Auslegung etwa wird der Glaube, der angesichts der Anfechtung durch das Glück der Gottlosen bestehen und kämpfen muß, mit dem häufig wiederkehrenden Stichwort „kampff glaube"323 beschrieben. Bei Jüngel läßt sich eine Verschiebung des Problems feststellen: an die Stelle des Kämpfens tritt nun eher das Erkennen. Jüngel schreibt: „Die Christen erkennen also unter der geschöpflichen Larve den göttlichen Agenten. Sie durchschauen die Mummerei Gottes. In dem Sinne nämlich, daß sie wissen, daß Gott sich verbirgt. Offensichtlich können sie das, weil sie Gott von seinem

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W. Eiert, Der christliche Glaube, 232. Vgl. u. Anm. 337. Vgl. vor allem WA 23, 133,19-135,11. Vgl. u. bei Anm. 507. Vgl. WA 23, 141,23-29. WA 19, 379,19; vgl. 378,5; 380,22; 381,26; 386,6 . Vgl. auch in der Jona-Auslegung WA 19, 219,2: „kampff und streyt des glaubens"; zum ritterlichen Kampf: WA 36, 498,11; WA 19, 218,12f. Zum Kampf mit dem Teufel vgl. Cl 7, 321,17 und öfter. Zum Kampf mit dem Tod vgl. Cl 7, 363,16f.

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opus proprium her k e n n e n d Entscheidend ist, welchen Status die noetischen Verben - erkennen, durchschauen, wissen, kennen - haben. Ist das Erkennen und Wissen begrenzt? Oder gilt es für immer und für alle Zeiten? Im Sinne Luthers jedenfalls muß in dieser Frage differenziert werden (auch wenn er selbst von einem „wissen" redet [WA 23, 8,38], an das Jüngel im oben zitierten Abschnitt anknüpft). Die Verben müssen relativiert und auf Bestimmtes bezogen und dürfen nicht in einem absoluten Sinne festgeschrieben werden. 3.3 Zeiten des Glaubens Von Luther her muß die Rede vom Glauben, von seinem Erkennen, Wissen oder Durchschauen und entsprechend auch die Theologie dieses Glaubens auf bestimmte Zeiten und Orte bezogen werden. Daß und wie Luther in dieser Frage differenziert, wird deutlich an den folgenden Aussagen. Wie steht der Glaube in der Anfechtung, fragt Luther in seiner Habakuk-Auslegung. Obwohl er „fest bleybt, so kracht er doch und redet viel anders, wenn er ym kampff stehet, denn er thut, wenn er gewonnen hat."325 In ähnlicher Unterscheidung stellt Luther in seiner Predigt über Gen 32 fest, daß Jakob während des Kampfes am Jabbok „auch nicht gewust" hat, „ob es ein guter odder böser geist were, denn sonst were es kein kampff gewesen, so er gewust hette, das es Gott odder ein guter Engel were [...]" (WA 24, 575,8-10). In diesen Gedanken Luthers zeigt sich, daß auch der Glaube, wie alles nach Koh 3, seine Zeit, seine Zeiten hat326. Auch der Glaube steht nicht immer in der gleichen 324 E. Jüngel, Die Offenbarung der Verborgenheit Gottes, 174 (kursive Hervorhebungen durch den Vf.!). 325 WA 19, 378,4f. In der Jona-Auslegung betont Luther den Unterschied vom Wissen der ganzen Geschichte Jonas samt ihrem glücklichen Ausgang, den wir kennen, zu der Situation, in der sich Jona in der Anfechtung befand. „Denn du must Jona hie nicht ansehen, als er wird hernach erlöset und widder zu ehren, sondern wie er ynn der schänden stickt und nicht sihet, wo er solle ymmer mehr eraus komen. Denn so eyn hertz solchs wüste odder sehe, thet yhm die schände und das gewissen nicht so wehe. Aber Gott thut alle ehre und trost aus den äugen und lest eytel schände da seyn, das ist der jamer." (WA 19, 216,33-217,3.) Wir haben die „gantze geschieht, wie er ist erlöset worden" (217,11) vor Augen; wir müssen aber „Jona hie nicht ansehen, als uns die geschieht ansihet" (217,10); vgl. WA 19, 221,8-15. 326 WA 20, 58,19-62,18 (Auslegung zu Kohelet, 1526): Gott gibt Zeit und Stunde; der Mensch hat sie nicht in der Hand. In der großen Galaterbrief-Vorlesung unterscheidet Luther die Zeit des Gesetzes und die Zeit der Gnade (WA 40 I, 204 [zu Gal 2,13]; 524526 [zu Gal 3,23]); in seiner Schrift gegen Latomus (WA 8, 68f) unterscheidet Luther eine Zeit des Zornes von der Zeit der Gerechtigkeit. Vgl. WA 44, 431,2f: Gott se ad tempus abscondit; vgl. WA 43, 393,41f. Dazu: WA 16, 147,21-23: „Darümb so sihet die Vernunft die zeit und die Person nicht an, aber in der zeit, da not und angst ist gewesen, da sind diese Sprach gehandelt worden." In seiner Erläuterung zur 15. Ablaß-These gibt Luther für seine Anfechtung einen sehr kleinen Zeitraum (CI 1, 57,6: brevissimo [...] temporis intervallo) an. Ein größerer Zeitraum einer erlittenen Anfechtung ist mit der durch schwere Krankheitszustände verbundenen tiefen Lebenskrise in

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Zeit; er ist „nicht alle zeit gleich feste, sondern zu weilen angefochten und schwach" (WA 54, 33,9f). Zu unterscheiden ist eine Zeit des Glaubens in der Anfechtimg - das ist die Zeit des Kampfes - und eine Zeit des Glaubens nach der Anfechtung - das ist die Zeit der Ruhe und des Friedens. Die Zeit nach der Anfechtung ist zugleich wieder Zeit vor der Anfechtung. Keine Anfechtung ist für Luther ein für allemal erledigt327. Es gibt auch kein zeitloses, sich durch alle Zeiten durchhaltendes Wissen des Glaubens. In der Zeit des Kampfes, der Anfechtung verändern sich das Erkennen, das Wissen, die Dogmatik und Systematik328. In dieser Zeit, so Luther, weiß ich nicht, ob Gott der Teufel oder der Teufel Gott ist der zweiten Hälfte des Jahres 1527 gegeben; Luther schildert immer wieder in Briefen die Tiefe seiner Anfechtungen, seinen Agon mit dem Teufel, seine Agonie, in der er sich sogar mit Hiob vergleicht (Cl 6, 192,23; 213,16), etwa in einem Brief an Melanchthon vom 2.8.1527, in dem er davon schreibt, daß er Christus fast ganz verloren habe und daß er von Wogen und Stürmen der Verzweiflung und Gotteslästerung umhergeworfen sei : Ego sane ultra ea, quae nuper scripsi, plus tota hebdómada in morte et inferno iactatus, ita ut toto corpore laesus adhuc tremarti membris. Amisso fere toto Christo agebar fluctibus et procellis desperationis et blasphemiae in Deum. Sed Sanctorum precibus motus Deus misereri me coepit et eruit ammani meam de inferno inferiori (Cl 6, 188,5-10). Vgl. 192,18-30; 194,17-21; 201,6-8; 213,16; 215,14; 216,22f; 219,13ff; 220,4.19f; 221,24f; 223,14-23; 229,14-19 (14: Ego quidem tentatione mea nondum sum liberatus [...]); 232,6f; 234,21ff; 235,15f; 236,16ff; 237,25ff. Vgl. zu dieser kritischen Lebensphase Luthers H. Bornkamm, Martin Luther in der Mitte seines Lebens, 490-496. 327 Vgl. dagegen Barths Sichtweise der Anfechtung. Auch sie ist, wie alles in der Theologie des reifen Barth, in Christus schon gnädig aufgehoben, denn „nicht wir, sondern Jesus Christus hat die Anfechtung Gottes zuerst und eigentlich erlitten" (KD II/l, 286). Die Angefochtenen können im Glauben daran nur anerkennen, „daß die notwendige Anfechtung unseres Glaubens in Jesus Christus schon stattgefunden hat, daß sie in ihm erledigt ist", denn „in ihm hat er [Gott] im voraus uns Alle getröstet." (AaO 287.) Wie aber kann denn im voraus getröstet werden? Was ist das für ein Trost, der in aller Ewigkeit schon vorweggespendet wurde? Vgl. Barths Verbot einer christlichen Tragik, aaO 420: „So hat unser Leid uns nicht getroffen, so kann es uns gar nicht treffen, wie es ihn getroffen hat." „Unsere Klage kommt zu spät [...]". „In der Erkenntnis und im Bekenntnis der Barmherzigkeit Gottes zerbricht gerade das, was man als die Tragik der menschlichen Existenz so ernst zu nehmen pflegt." In dieser Frage hat der frühe Barth anders geurteilt: „Hinter die grundsätzliche Gebrochenheit der Lebenserkenntnis Dostojewskis wollen wir nicht wieder zurück, weder zu den Griechen noch zu Goethe" (Der Christ in der Gesellschaft, 27). Dazu aaO 28: „Wir müssen uns, auch wenn wir unsere Lage von Gott aus zu begreifen suchen, ehrlicherweise immer eingestehen, daß uns die Tragik unserer Lage stärker bewußt ist als die Souveränität, mit der wir uns allenfalls mit dieser Lage abzufinden wissen. Die Tränen sind uns näher als das Lächeln. Wir stehen tiefer im Nein als im Ja [...]". 328 In Dsa 133,32-134,5 ist dies von Luther hinsichtlich der Kirchenväter bedacht. Luther ist der Überzeugung, daß die Kirchenväter nur in ruhiger Rede, nur in ruhiger Zeit vom freien Willen gesprochen hätten; im Affekt aber, d.h. in der Not, im Treffen, hätten sie anders geredet.

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(vgl. WA 24, 575,16f; WA TR 5, 600,10-12). Für Luther sind die Klagepsalmen, das Jeremiabuch oder das Hiobbuch „uns zu Trost geschrieben, daß Gott seine großen Heiligen also läßt straucheln, sonderlich in der Widerwärtigkeit."329 Das Klagen, Murren, Hadem, Zweifeln - das bis ins Blasphemische gehende Streiten mit Gott (vgl. WA 40 III, 540,2f) - ist nach Luther Erweis dessen, daß auch die großen Heiligen der Anfechtung ausgesetzt waren und im Anfechtungskampf anders, nämlich unheilig geredet haben. In der Zeit der Ruhe in einer Dogmatik treffliche Überlegungen zur Notwendigkeit der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zu machen, diese Unterscheidung zu kennen und zu wissen, ist eine Sache; aber dann, wenn es in der Zeit der Anfechtung zum „Treffen"330 kommt und das Evangelium vom Gesetz im Kampf zu unterscheiden ist331, das ist die schwere Kunst. Selbst Christus hat diese Kunst am Ölberg nicht gehabt, und ein Engel mußte ihn trösten332. Die Zeit der schweren Anfechtung ist die Zeit, in der auch Christen dem Atheismus, Agnostizismus und dem Nihilismus ausgesetzt sind. Aus diesem Strudel kann der Angefochtene sich nicht selbst durch ein Wissen herausheben; er muß durch Gott wieder herausgezogen werden. Einen automatischen Umschlag vom Anfechtungskampf in den Glaubenssieg gibt es nicht. Der von Luther für sein Verständnis der Verborgenheit Gottes im Gegensatz angezogene Haupttext - 1. Sam 2,6 - wäre im Sinne der „Notwendigkeit einer immanenten Dialektik"333 mißverstanden. „Der Herr tötet und macht lebendig; führt hinab zu den Toten und wieder herauf. Wenn ich weiß, daß er das immer so macht, dann weiß ich um ein feststehendes Gesetz, glaube aber nicht mehr an den lebendigen Gott. Die Beispiele eines Saul, eines Pharao und eines Judas zeigen für Luther, daß Gottes Wirken eben nicht immer und automatisch heilbringend ist334. Die Gewißheit des Glaubens ist der Sieg, den der deus praedicatus wirkt. Im nachhinein335, nach dem Kampf, kann ich den finalen Sinn meiner Anfechtung erkennen und bekennen: Gott hat mich durch die Verzweiflung hindurch in die Gewißheit geführt. Insofern kann Luther von der 329 Luthers Vorreden zur Bibel, 60. 330 Vgl. WA 36, 498,13f; WA 17 II, 32,4f; WA 20, 395,29; WA TR 6, 119,24f u. die Tischreden Nr. 1234 u. 6716. 331 Vgl. die Tischrede Nr. 6716. 332 Vgl. die Tischrede Nr. 1234. 333 W. Eiert, Morphologie des Luthertums, Bd. 1, 54. 334 Vgl. den Brief (WA BR 4, 625,23f), in dem Luther eine Witwe tröstet, deren Mann Selbstmord begangen hat. Luther hat gehört, daß dieser nicht in Verzweiflung geblieben ist („[...] nicht ist im Kampf und Verzweiflung blieben, wie Etlichen geschieht"). 335 Vgl. Luthers Auslegung zu Ex 33,18-23 (posteriora Dei: WA 44, 604,30): WA 44, 601,18-603,14; dazu: WA 44, 606,30; 130,21f). Vgl. auch J. Klepper, Unter dem Schatten deiner Flügel, 67: „Hinterher, wenn alles am Abschluß steht, dann erst wird man, soviel Gott es einem zu erkennen gibt, ein wenig erfahren, wie die Fäden alle zusammenliefen.-"

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salutane desperatio (Dsa 214,30f) reden, von der heilsamen Verzweiflung. Dies ist aber ein Wissen im nachhinein. Ich weiß nicht von vornherein, wie sich diese heilsame Gewißheit durchhalten wird und wie ich durch die nächste Anfechtung durchkommen werde. Daß Gott aus dem Tod ins Leben fuhrt, aus dem Nichts in das Sein, aus der Sünde in die Gerechtigkeit, vom Kreuz in die Auferstehung ist unbegreifliches Schöpferwirken und Wunder Gottes. Ist der Glaube immer im Kampf? Manche Texte Luthers, vor allem auch Aussagen in Dsa, mögen diese Vermutung nahelegen. Werner Eiert etwa hat unter Aufnahme verschiedener Äußerungen Luthers vom „heroische[n] Glaubefn]"336 gesprochen. Es hat bei Eiert oft den Anschein, als müsse sich der Christ ständig Gott in die Arme werfen, als sei das Leben des Christen nur ein unaufhörliches Kämpfen und Oszillieren zwischen Gesetz und Evangelium, Verzweiflung und Gewißheit - immer im Sprung weg vom verborgenen Gott hin zum offenbaren Gott. Eiert redet - zumindest in seiner Dogmatik - wohl deshalb einem radikalen Aktualismus das Wort, weil er das ruhige Wirken Gottes im usus politicus legis kaum beachtet337. Luther jedenfalls weiß um dieses ruhige Wirken Gottes, weiß um die beruhigende Wirkung des weltlichen Trostes in der Musik338 und in der Geselligkeit339 oder schlicht in einem Trunk Bier340. Luther kennt den Wert und den Nutzen der Ordnungen, Regeln und Erfahrungen, die im usus politicus legis liegen und allen Menschen zugute kommen. Deshalb könnte man vielleicht - Gedanken Luthers aufnehmend und

336 W. Eiert, Der christliche Glaube, 287. Vgl. 504: Der Glaube ist kein Habitus, sondern lebt nur im Kampf und in der Überwindung seines Widerspiels. Vgl. auch 461. Dazu Morphologie des Luthertums, Bd. 1, 390: „Kampf ist keine Ergebenheit. Der Glaube ist niemals Ausruhen. Er hat beständig den allerschwersten Kampf zu bestehen, den Kampf gegen die Angst vor Gott, ja gegen den zornigen Gott selbst." 337 Vgl. O. Bayer, Theologie, 306-309. 338 Vgl. WA TR 2, 518,6f (Nr. 2545b): Musica est optima scientia. Die nothen machen den text lebendig. Fugit omnis spiritus tristitiae, sicut videmus in Saule. Was Mozart für Barth war (s.u. Anm. 370), das war Josquin Desprez für Luther - ein weltliches Evangelium: Sic Deus praedicavit euangelium etiam per musicam, ut videtur in Iosquin, des alles composition frolich, willig, milde heraus fleust [...] (WA TR 2, 11,2512,1; Nr. 1258). Vgl. die Tischrede Nr. 194 (Cl 8, 29,19f): Satan est Spiritus tristitiae, ideo non potest ferre laetitiam, ideo longissime abest a musica. Sic Dauid Saulem mitigavit. Luthers enges Verhältnis zur Musik ist auch dokumentiert in seinem Brief vom 4.10.1530 an den Komponisten Ludwig Senfl (Cl 6, 402f). 339 Vgl. Cl 8, 14,27-29 (Nr. 122): Qui autem vexantur Spiritu tristitiae, inquit, debent summe cavere, ne sint soli, denn Gott hat societatem ecclesiae geschafft et fraternitatem gebotten [...]. 16,7-9: Quando tentaris tristitia aut desperatione aut alio dolore conscientiae, tunc ede, bibe, quaere colloquia; si potes te cogitatione puellae recreare, facito. Vgl. 22,13-17 (Nr. 141). Auch dem angefochtenen H. Weller empfiehlt Luther gegen die teuflischen Depressionen das Trinken, Scherzen und Spielen: Cl 6, 351,2330. 340 Vgl. Cl 8, l,29f (Nr. 17): Ego puto, quod Philippus astrologica tractat, sicut ego bibo ein starcken trunck birs, quando habeo graves cogitationes.

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weiterführend - die Zeit nach dem Kampf und vor dem Kampf als Zeit dieser bestimmten Ruhe bezeichnen. Christen stehen nicht immer und beständig im Kampf, das wäre eine falsche Heroisierung ihres Glaubens. Es gibt Hochzeiten des Glaubens, in denen Kampf und Anfechtung und die sie überwindende Gewißheit hervorstechen, es gibt aber auch Normalzeiten des Glaubens, in denen Christen, wie alle anderen Menschen auch, mehr vom erhaltenden, schützenden Gesetz Gottes leben als vom Evangelium. In der Zeit nach der Anfechtung und vor einer neuen Anfechtung, zwischen den Kämpfen, stehen die Glaubenden im Raum des ruhigen Wirkens Gottes, im Raum der Jeise[n] Gegenwart Gottes"341. 4. Kampf in Gott 4.1 Gott gegen Gott? Die bisherigen Ausführungen bezogen sich hauptsächlich auf Luthertexte, die den Kampf mit Gott veranschaulichen. Wie gezeigt, schildert Luther sehr eindrücklich das Kämpfen und Streiten mit Gott in der Anfechtung, führt vor Augen, wie Abraham, Jakob und die kanaanäische Frau Gott mit Gott, d.h. das verborgene Werk Gottes, sein zorniges Wort des Gesetzes mit dem offenbaren Wort der Verheißung überwinden und den Sieg des Glaubens erlangen. Ebenfalls hat sich gezeigt, daß viele Luthertexte für ein Verständnis sprechen, wonach im Prozeß der Anfechtung in der Erfahrung des verborgenen Grottes dieser sich als der Gott der Liebe in sich widerspruchsfrei durchhält. Insofern haben die Interpretationen Bandts und Jüngels ihr Recht. Andererseits aber deutete sich in denselben Texten auch eine andere, radikalere Interpretationsmöglichkeit an. Wenn Gottes Wesen sich nicht so einfach von den Werken und Worten unterscheiden läßt, dann steht nicht nur Wort gegen Wort, dann steht Gott gegen Gott. Wider Gott zu Gott dringen und rufen342 kann ich doch letztlich nur, wenn sich der deus praedicatus selbst gegen den deus absconditus durchsetzt und durchkämpft. Gibt es nicht einen Kampf mit Gott nur deshalb, weil es auch einen Kampf in Gott gibt? Im Horizont der Bibel ist hier etwa an den Willensumsturz in Hos 11,8 zu denken, ein Text, der ein innerliches Kämpfen Gottes nahelegt343. Desgleichen sind auch Texte im Hiobbuch zu bedenken (vor allem Hi 16 und 19), die ein hartes „Gott gegen Gott" (H.-J. Hermisson, Notizen zu Hiob, 289; vgl. 297) und ein „Nebeneinander" eines „Freundgottes" und eines „Feindgottes" (G. v. Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd. 1, 428) beschreiben. In Kap. 16, wo in „der ungeheuren Spannung seines

341 O. Bayer, Theologie, 417. 342 WA 19, 223,15f: „[...] widder Gott zu Gott dringen und ruffen" und WA 5, 204,26f: [...] ad deum contra deutn confugere. Vgl. WA 5, 623,17: [...] fide contra fidem pugnet [...]. Dazu auch WA 45, 370,33-39. 343 S.u. Anm. 415.

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Kampfes [...] das Gottesbild ihm zu zerreißen" droht (aaO 428), ist in den „Entsetzensausbrüchen über die Maßlosigkeit der Macht Gottes" (aaO 426) eine schreckliche „Dämonisierung des Gottesbildes" (ebd) angesprochen. Für G. v. Rad ist Hiob 16 der extremste Text im Alten Testament hinsichtlich der Deutung Gottes. Nicht zufälligerweise kommen Exegeten in der Auslegung von Hiob 16, dieser „Spaltung des Gottesbildes" (H. Gese, Die Frage nach dem Lebenssinn, 179), audi auf den deus absconditus zu sprechen. Gese, aaO 178: „Zwar spaltet sich jetzt das Gottesbild; neben dai verborgenen Gott, von dem Hiob sich wie ein Feind verfolgt sieht, tritt der göttliche Zeuge und Erlöser [...]"; vgl. Gese, Der Tod im Alten Testament, 44: „Hiob weiß auch in dem letzten Dunkel seiner Seinserfahrung, daß er einen göttlichen Anwalt haben muß, der dem Deus absconditus entgegentreten kann (16,1821) [,..]" 3 4 4 344 Gegen die Vorstellung „einer Scheidung in Hiobs Gottesgedanken" (KD IV/3, 488) und des Nebeneinander in Gott wendet sich K. Barths Hiobdeutung (ebd.): „Was er [Hiob] von Gott begehrt, ist nicht, daß er ihm irgendwo außer und neben, sondern daß er ihm in seiner Unkenntlichkeit kenntlich, daß er ihm gerade in seiner Feindschaft als der ihm vertraute Freund offenbar werde." Dazu grundsätzlicher - in kritischer Auseinandersetzung mit Luther - KD II/l, 407: „Es ist bekannt, daß Luther die Erkenntnis der Sünde, den Schrecken vor Gottes Zorn, die Buße, in der Regel auf eine besondere, von der Offenbarung der Gnade Gottes getrennte Gesetzes-, Heiligkeits- und Zornesoffenbarung, ja, auf ein besonderes Wesen Gottes in seiner Majestät und Verborgenheit zurückgeführt hat. Wir folgen Luther darin nicht, weil dieses Schema sich dem scheinbar komplizierteren, in Wahrheit doch viel einfacheren Zeugnis der Schrift gegenüber mit gutem Gewissen nicht aufrecht erhalten läßt. Wir finden in der Schrift das Gesetz nicht neben dem Evangelium, sondern im Evangelium und darum die Heiligkeit Gottes nicht neben, sondern in seiner Gnade, seinen Zorn nicht neben, sondern in seiner Liebe." AaO 409: „Indem Gott sich offenbart, offenbart er sich als der Verborgene, aber eben der Verborgene macht sich selbst zum offenbaren Gott. Und eben indem Gott gnädig ist, beweist er seine Heiligkeit und eben als der Heilige ist er gnädig. Eben in dieser Einheit redet und handelt Gott aber auch nach dem Zeugnis des neuen Testamentes." Vgl. aaO 236f: „Es bleibt aber in Gottes Offenbarung kein verborgener Gott, kein Deus absconditus hinter seiner Offenbarung zurück, mit dessen Existenz und Wirksamkeit wir dann über sein Wort und seinen Geist hinaus gelegentlich auch noch zu rechnen, den wir hinter seiner Offenbarung auch noch zu furchten und zu verehren hätten. So könnte es in gewissen Zusammenhängen bei Luther manchmal aussehen. Im Zeugnis der heiligen Schrift aber sieht es nicht so aus." Vgl. zur Unterscheidung des verborgenen Gottes vom offenbaren Gott bei Luther in der Sicht Barths auch aaO 608-610. Barth sieht in Luthers Denken die trinitarische Einheit Gottes und die Einheit des biblischen Zeugnisses von Gott zerrissen. Für Barth ist in der Erkenntnis Jesu Christi alles, aber auch wirklich alles schon in einem untrennbaren Ineinander beisammen; es entstehen für Barth falsche theologische, vor allem auch lutherische Heidentümer da, „wo der Mensch von der Einheit der Gegenwart Gottes in Jesus Christus überhaupt nicht weiß oder nicht wissen will" (aaO 359). Diese Kritik hat gute Gründe, vor allem, wenn man sich das Verhalten und Denken vieler Lutheraner während der Zeit des Nationalsozialismus in Erinnerung bringt. Aber erinnern darf man doch auch daran, daß der frühe Barth in der „Kampfzeit" der Dialektischen Theologie Luthers Theologie, auch seine Rede vom verborgenen Gott, noch anders beurteilt (und benutzt!) hat. Häufig bezieht sich der Schweizer auf die großen „Zerrissenen" in der Theologie, auf Jeremía, auf Luther und Dostojewski; kann doch für ihn ein religiöser

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Ich möchte die These, daß es einen Kampf mit Gott nur deshalb gibt, weil es auch einen Kampf in Gott gibt, diskutieren, indem ich zunächst auf das geläufige Verständnis der Verborgenheit Gottes eingehe. Sprechen wir vom verborgenen Gott, so denken wir in der Regel an Leid, Unglück, Krankheit und Tod. Es hat sich eingebürgert, den deus absconditus und den deus revelatus so aufeinander zu beziehen, daß der deus absconditus allein für das Böse, das Unheil und alles Schreckliche steht, der deus revelatus dagegen nur für das Gute, das Heil und das Leben. Sieht man sich nun aber die bekannten Bestimmungen hinsichtlich des verborgenen Gottes in Dsa genauer an, so muß man diese übliche Aufteilung zumindest problematisieren. 4.2 Die Bestimmung des deus absconditus Die Hauptaussage Luthers über den deus absconditus in Dsa lautet: „Der verborgene Gott in seiner Majestät [...] wirkt Leben, Tod und alles in allem."345 Dieser Kemsatz in Dsa ist nicht nur bezogen auf die Verborgenheit Gottes, sondern auch auf den Begriff der Allmacht346, den Luther in extremer Zuspit-

Mensch nur „ein zerrissener, ein unharmonischer, ein unfriedlicher Mensch sein" (Der Römerbrief, 2. Aufl., 249; vgl. 93; 118). AaO 235: „Religion ist alles andre als Harmonie mit sich selbst oder gar noch mit dem Unendlichen. Hier ist kein Raum für noble Gefühle und edle Menschlichkeit. Das mögen arglose Mitteleuropäer und Westler meinen, solange sie's können. Hier ist der Abgrund, hier ist das Grauen. Hier werden Dämonen gesehen (Iwan Karamasoff und Luther!). Hier ist der altböse Feind unheimlich nahe"; vgl. freilich 18: „Wer glaubt, liebt [?] mit Hiob den Gott, der in seiner unerforschlichen Höhe nur zu fürchten ist, liebt [?] mit Luther den deus absconditus" (ganz anders W. Eiert in seiner Feststellung, „daß man diesen verborgenen Gott nicht lieben kann" [Der christliche Glaube, 109]); vgl. 240; 378; 408f; 414; 489. 345 Dsa 177,36-38: Deus absconditus in maiestate, neque déplorât ñeque tollit mortem, sed operatur uitam, mortem, et omnia in omnibus. Vgl. dazu wieder Barths - gleich christologisch ausgerichtete - Auffassung: „Was Gott weiß, das will er auch, und was er will, das wirkt er auch. So weiß er nicht nur, so wirkt er tatsächlich, und zwar als der ewige Gott immer Alles in Allem. Ist man sich darüber im klaren, daß es sich um das Wissen, Wollen und Wirken des Vaters Jesu Christi handelt, dann ist das ein notwendiger, ein unanfechtbarer und kein gefahrlicher, geschweige denn ein zu unterdrükkender Satz" (KD III/3, 136). Dazu KD II/2, 97: „Es darf und muß der eine und allmächtige Gott in seiner ungestörten Gnade und Wahrheit als der erkannt werden, der ohne Irrtum und Fehler, ohne alle Ohnmacht und Neutralität in Allem und durch Alles seinen guten Willen geschehen läßt." 346 Der allmächtige, alles in allem wirkende Gott ist „die Alles bestimmmende Wirklichkeit" (R. Bultmann, Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden? [GuV I], 26). W. Härle hält diese Bestimmung für den „angemessenste[n] 'Definitions'-Vorschlag, den es zur Zeit für den Begriff 'Gott' gibt" (Dogmatik, 211). Im Gegensatz zu Luther, der diese Bestimmung als Ausdruck des verborgenen Gottes in Dsa zunächst neben der Bestimmung des offenbaren Gottes spannungsvoll stehen läßt, verbindet sie Härle unmittelbar mit der Liebe als tiefster Wesenseigenschaft Gottes (vgl. aaO 236-244). Härle hält es für entscheidend, „die Eigenschaften Gottes konsequent als Eigenschaften seiner Liebe

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zung in Dsa aufgreift341. Der Kemsatz ist nicht zu marginalisieren, er durchzieht die ganze Schrift Luthers348. Die Formel operatur omnia in omnibus erinnert morphologisch an 1. Kor 12,6; von den Herausgebern der WA ist diese Stelle auch jeweils an den Rand geschrieben. Luther selbst aber bezieht sich mit seiner Formel ausdrücklich auf Eph 1,11 (und 1,19)349. Semantisch und inhaltlich ist hinsichtlich der Allmachtsaussage auch noch an andere Bibeltexte, wie Am 3,6, Thr 3, Dtn 32,39 und Jes 45,7 zu denken. Diese die ganze Schrift Luthers durchziehende Aussage wird von Luther hauptsächlich im Zusammenhang der Frage nach der Verborgenheit Gottes und der Allmacht Gottes angeführt. Dabei ist in den Luthertexten der aktuale Allmachtsbegriff hervorzuheben: Gott ist allmächtig nicht allein deshalb, weil er alles tun könnte, sondern weil er in Wirklichkeit alles in allem wirkt und tut350. zu denken" (aaO 256). Dementsprechend kommt dann auch die Allmacht Gottes nur als „Allmacht seiner Liebe" (aaO 259) in den Blick. 347 Vgl. J. Bauke-Ruegg, Die Allmacht Gottes, 497: „Luther, so läßt sich wohl ohne Übertreibung sagen, ist der abendländische Theologe, der die Allmacht Gottes in bislang unüberboten radikaler Art und Weise zu denken versuchte". 348 Vgl. Dsa 203,39-204,1; 213,40-214,3; 214,11-15; 215,3-5; dazu: 106.38; 107,2; 111,13; 124,8; 229,5f.l4; 245,36f; 251,14f; 252,36. 349 Vgl. Dsa 203,40-204,1: [...] Deum omnia in omnibus operari, ac sine ipso nihil fieri nec efficax esse, Est enim omnipotens, pertinetque id ad omnipotentiam suam, ut Paulus ait ad Ephesios. Vgl. WA 7, 145,26f: Et vere Paulus Ephe. i. dixit: 'Deus operatur omnia in omnibus.' Dazu Cl 2, 160,39-161,2 (Luther in seiner MagnificatAuslegung über Gottes Macht und Allmacht): „[...] wie sanct Paulus Eph. i. sagt / Allein got wirckt alle ding / in allen dingen / und aller creatura werck sind gottis werck." Für Schelling ist in Eph 1,11 „der alles in allem wirkende" Gott und mit den zwei Begriffen θ έ λ η μ α und βουλή „sogar der doppelte Wille angedeutet" (Philosophie der Mythologie; Sämtliche Werke, Bd. XII, 94). Bandt vermutet in bezug auf 1. Kor 12,6, daß Luther „diese von ihm sehr häufig angezogene Stelle" (aaO 111) in weiterem Sinn, vielleicht über Apg 17,24 aufgenommen hat. Vgl. Luthers Auseinandersetzung mit der Bezugnahme auf 1. Kor 12,6 bei Erasmus: Dsa 229,4-15. Interessant ist, daß Melanchthon in den späteren Ausgaben seiner Loci die Epheser-Stelle, die er in den Loci von 1521 noch als Beleg für Gottes Vorherbestimmung aufgenommen hat (Loci, Pöhlmann-Ausgabe, 29 [1,20]), als nicht tauglich zur Interpretation der alles vorherbestimmenden Allmacht Gottes herausgestellt hat. Sowohl Eph 1,11 als auch 1. Kor 12,6 müßten konsequent auf Gottes heilsames Handeln in der Kirche und nicht auf sein allgemeines Wirken und Erhalten in den Kreaturen bezogen werden: Obiiciuntur et haec dicta, Ephes. 1.: „Electi secundum propositum eius, qui facit omnia secundum consilium voluntatis suae." Et 1. Cor. 12.: „Idem est Deus agens omnia in omnibus." Haec dicta certum est in illis ipsis locis, ubi ponitur, tantum loqui de Ecclesia et de salutaribus actionibus, quas Deus excitât et regit in Ecclesia sua, nec loqui de universali rerum sustentatione seu de singulis omnium animantium motibus. Dextre igitur intelligantur haec dicta nec a nativa sententia transferantur in peregrinam (StA II/1, 259,8-18). 350 Vgl. Dsa 214,11-14: Omnipotentiam uero Dei uoco, non illam potentiam, qua multa non facit quae potest, sed actualem illam, qua potenter omnia facit in omnibus, quo modo scriptura [vgl. Dtn 32,39; Ps 115,3; Prov 16,4; Am 3,6; Jes 45,7] uoeat eum

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Exkurs: Das Allwirken Gottes Der Begriff Allwirken trifft das von Luther Gemeinte wohl am besten; der Ausdruck Alleinwirken, der gelegentlich auch zur Deutung vorgeschlagen wird (vgl. P. Althaus, Die Theologie Martin Luthers, 101: „Die All Wirksamkeit ist Alleinwirksamkeit"), läßt außer acht, daß Luther in verschiedenen Texten, auch in Dsa, dieses Allwirken Gottes in Verbindung mit dem Maischen als cooperator bringt. Vor allem in dem Textzusammenhang Dsa 252,15-253,31 gibt Luther eine begriffliche Ordnung. Er unterscheidet das Schaffen / Neuschaffen Gottes und die Erhaltung des von ihm allein Geschaffenen / Neugeschaffenen von jenem Wirken Gottes, das zum Zusammenwirken mit dem Menschen führt (vgl. den Dreiklang von Schaffen, Erhalten und Wirken in W A 23, 133,30f). Die Menschen, creati ex nihilo (Dsa 253,7), können nichts dazu tun, daß sie ins Leben gerufen und am Leben erhalten werden (253,11-13: Sicut homo, antequam creatur, ut sit homo, nihil facit aut conatur, quo fiat creatura, Deinde factus et creatus nihil facit aut conatur, quo perseueret creatura [...]). Beides geschieht allein durch den Willen der allmächtigen Kraft und Güte Gottes, der uns ohne uns erschafft und erhält, der aber nicht in uns ohne uns, ohne unser Zusammenwirken (etwa durch die Zeugung, die Erziehung ...) wirkt (253,13-17: [...] sed utrunque fit sola uoluntate omnipotentis uirtutis et bonitatis Dei nos sine nobis creantis et conseruantis, sed non operatur in nobis sine nobis, ut quos ad hoc creauit et seruauit, ut in nobis operaretur, et nos ei cooperaremur [...]). Entsprechendes gilt dann auch f ü r Neuschöpfung, Wiedergeburt und Rechtfertigung des Menschen (für Luther gibt es keinen Unterschied zwischen Schöpfung und Neuschöpfung, weil beide aus dem Nichts wirken; W A 5, 544,9f: [...] revera nihil différât creatio et recreatio, cum utraque ex nihilo operetur [...]; vgl. Cl 7, 337,2-4). Der Maisch kann sich nicht selbst zum Wiedergeborenen machen oder sich als solcher erhalten; beides macht allein der Heilige Geist, der uns ohne uns neu schafft und als Neugeschaffene erhält, der aber auch nicht ohne unser Zusammenwirken mit ihm, etwa durch das Predigen, das Erbarmen oder das Trösten wirkt (253,19-29: Homo antequam renouetur in nouam creaturam regni spiritus, nihil facit, nihil conatur, quo paretur ad eam renouationem et regnum, Deinde recreatus, nihil facit, nihil conatur, quo perseueret in eo regno, sed utrunque facit solus spiritus in nobis, nos sine nobis recreans et conseruans recreates

omnipotentem. Vgl. 245,36f ([...] actuosissima [...] operatio Dei). Luther ist also nicht so sehr an Gottes Möglichkeiten interessiert und bedenkt nicht die scholastischen Spekulationen hinsichtlich der göttlichen Allmacht, ob also Gott zum Beispiel in seiner Allmacht auch sündigen könnte (vgl. Thomas v. Aquin, STh I, q 25 a 3 ob 2 et ad 2) oder ob er Vergangenes ungeschehen machen könnte (I q 25 a 4). Das sind für Luther Spielereien und Spekulationen, die am biblischen Allmachtsbegriff vorbeigehen. Entscheidend ist für Luther, daß Gott in seiner aktualen Allmacht alles Weltgeschehen wirkt und treibt. Das „weite Feld von Gottes Möglichkeiten" (J. Miethke, Ockhams Weg, 152; vgl. den ganzen Textabschnitt, aaO 137-156), das die scholastische, die Freiheit Gottes in seiner de potentia ordinata gesetzten Ordnung sichern sollende Rede von der potentia absoluta eröffnet, bewegt Luther nicht. Ihn treibt nicht um, was Gott alles - irreal oder potentiell - tun könnte, sondern was er mit seiner, den Menschen Notwendigkeit auferlegenden Allmacht tatsächlich alles tut (Dsa 214,37-41). Deshalb lehnt Luther auch die Unterscheidung de uoluntate Dei ordinata et absoluta (Dsa 214,34; vgl. STh I, q 25 a 5 c; Wilhelm v. Ockham, Quodl. VI, q 1; Opera Theologica, Bd. 9, 585-589) in Dsa ab. In anderen Texten aber macht Luther von dieser Unterscheidung wieder Gebrauch (vgl. z. B. WA 43, 71,17-28).

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[...]. Sed non operatur sine nobis, ut quos in hoc ipsum recreauit et conseruat, ut operaretur in nobis et nos ei cooperaremur. Sic per nos praedicat, miseretur pauperibus, consolatur afflictos. Vgl. 252,31-33: Seimus et nos, quod Paulus cooperatur Deo in docendis Corinthijs, dum foris praedicat ipse, et intus docet Deus, etiam in diuerso opere). Dazu auch Dsa 189,3-7. Schöpfung und Neuschöpfung stehen für Luther auf dergleichen Ebene (vgl. Rom 4,5.17.24; 2. Kor 4,6); sie sind Gottes alleinige Sache, in der die Menschen in bezug auf sich selbst keinen Spielraum des Mitwirkens haben (wohl aber in bezug auf andere Menschen, die gezeugt oder in der Predigt getröstet werden). Vgl. Dsa 125,20-22: Si enim non nos, sed solus Deus operatur salutem in nobis, nihil ante opus eius operamur salutare, uelimus, nolimus. In 267,33f sagt Luther über den freien Willen: [...] Non cooperatur ad iustitiam [...]. Vgl. Luther in „De captivitate ..." über den Glauben, den Gott allein in uns und ohne uns wirkt (CI 1, 463,40-464,2): Est enim opus dei, non hominis, sicut Paulus docet. Caetera nobiscum et per nos operatur, hoc unicum in nobis, et sine nobis operatur. Mit solchen Äußerungen steht Luther im Gegensatz zu Augustin und Thomas; vgl. STh Ι/Π, q 111 a 2 ob 2 et ad 2. Thomas zitiert ein Diktum Augustins (Qui creavit te sine te, non iustificabit te sine te [vgl. MPL 38, 923]) und folgert selbst: Ad Secundum dicendum quod Deus non sine nobis nos iustificat, quia per motum liberi arbitrii, dum iustifïcamur, dei iustitiae consentimus. Die tarnen motus non est causa gratiae, sed effectus. Unde tota operatio pertinet ad gratiam. Vgl. Ι/Π, q 113 a 5 c: Unde oportet quod mens humana, dum iustificatur, per motum liberi arbitrii recedat a peccato, et accedat ad iustitiam. Thomas (und ähnlich wie er dann auch Erasmus) integriert das sich der Gnade zuwendende und von der Sünde abwendende Wirken des freien Willens in den Heilsprozeß, der aber als ganzer von Gottes Gnade umgriffen ist ([...] tota operatio pertinet ad gratiam; vgl. den erasmischen Schlüsseltext Dia IV16, 190/191, s.o. Anm. 32). Luther dagegen will den freien Willen beim Heilsprozeß ausdrücklich ausschließen (Dsa 253,30f: Verum quid hinc libero arbitrio tribuitur? imo quid ei relinquitur, nisi nihil? et uere nihil). Problematisch bei Luther ist allerdings, daß er sich kaum Gedanken darüber macht, wie etwa der Akt und der Prozeß des Glaubens anthropologisch oder psychologisch zu beschreiben ist. Zum Gedanken der cooperatio bei Luther (nicht nur in Dsa) ist nach wie vor die Monographie von M. Seils, Der Gedanke vom Zusammenwirken Gottes und des Menschen in Luthers Theologie, grundlegend. Zur näheren Fassung des Allmachtsbegriffes, genauer gesagt, des Allwirkens Gottes verwendet Luther verschiedene andere Begriffe; hervorgehoben seien hier die Notwendigkeit und das Schicksal (zusammen mit dem Begriff Glück). Hinsichtlich der Notwendigkeit, die Gott der Schöpfung auferlegt, sagt Luther: „Also steht und bleibt der unbesiegte Satz: Alles geschieht aus Notwendigkeit." 351 Im 36. Artikel seiner Assertio hat Luther diese Aussage sogar in bezug auf den Artikel John Wiclifs, der auf dem Konzil zu Konstanz ver-

351 Dsa 109,35f: Adeo stat et permanet inuicta sententia, Omnia necessitate fieri. Dieses Zitat ist aber letztlich zu verstehen innerhalb des gesamten Zusammenhangs Dsa 108,7-112,25, in dem Luther die soteriologische Bedeutung der Aussagen über Gottes Prädestination und Allmacht herausstellt.

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dämmt wurde, aufgenommen352. Scholastische Unterscheidungen hinsichtlich der Notwendigkeit lehnt Luther als nutzlose Wortspielereien ab353. Damit

352 WA 7, 146,7f: [...] sed omnia (ut Viglephi articulus Constantiae damnatus recte docet) de necessitate absoluta eveniunt. Sein Bekenntnis zu Wiclifs These und seine Kritik am Konstanzer Konzil, das in seiner Sicht eher einer Verschwörung oder einem Aufstand gleicht, wiederholt Luther in Dsa 193,13-15: [...] Fateor enim articulum Viglephi (omnia necessitate fieri) esse falso damnatum Constantiensi Conciliábulo, seu coniuratione potius et seditione. 353 Dsa 109, 20.30, 210,29: ludibriis/ludibrium. Die Scholastiker unterscheiden zwischen nécessitas consequentiae und nécessitas consequentis. Vgl. etwa Thomas, STh I q 19 a 3 et a 8; ScG I, 67; G. Biel, Coll. I, d 17 q 1 I 27-35; Coll. II, d 27 q un O 1-6. Mit dieser Unterscheidung sollte letztlich die Willensfreiheit des Menschen gewahrt werden, denn angesichts einer bloßen necessitas consequentis (= nec. absoluta), einer absoluten Notwendigkeit, wäre allem Geschehen eine unbedingte Notwendigkeit auferlegt und die Freiheit des Menschen wäre nicht zu retten. Deshalb versuchen die Scholastiker mit der Herausstellung der nec. consequentiae (= nec. ex suppositione oder nec. conditionata), der bedingten Notwendigkeit, die Möglichkeit zu bedenken, daß die Willensfreiheit des Menschen einen Raum zum eigenen Wirken hat. Am klarsten erscheint diese Unterscheidung - auch in ihrer Problematik - bei Boethius, Trost der Philosophie, Buch 5, 6.p. (Gigon-Ausgabe, 268-271): „Denn es gibt zweierlei Notwendigkeit [Duae sunt etenim necessitates]; die eine einfach [simplex una], nach der es etwa notwendig ist, daß alle Menschen sterblich sind; die andere bedingt [altera condicionis], wie etwa, wenn du von einem weißt, daß er geht, sein Gehen notwendig ist; denn was ein jeder weiß, das kann nicht anders sein, als wie es gewußt wird. Aber diese Bedingtheit zieht keineswegs jene einfache Notwendigkeit als Folge nach sich; denn zur Notwendigkeit führt nicht ihre eigene Natur, sondern das Hinzutreten der Bedingung; keine Notwendigkeit zwingt den, der nach eigenem Willen daherschreitet, zu gehn, obwohl es notwendig ist, daß, wenn er schreitet, er geht. Auf eben dieselbe Weise ist das, was die Vorsehung [Providentia] als gegenwärtig sieht, notwendig, obwohl es keine Notwendigkeit von Natur hat. Freilich schaut Gott das Zukünftige, das aus der Freiheit des Willens [ex arbitrii libertate] hervorgeht, als ein Gegenwärtiges. Also geschieht dies, auf das göttliche Schauen bezogen, mit Notwendigkeit, bedingt durch das göttliche Erkennen, für sich betrachtet aber läßt es nicht ab von der absoluten Freiheit seiner eigenen Natur. Also wird ohne Zweifel alles geschehen, was Gott als zukünftig geschehend zuvor erkennt; aber einiges hiervon leitet sich aus dem freien Willen ab [de libero proficiscuntur arbitrio]." Dieser Text zeigt, wie die Unterscheidung der Notwendigkeiten die Willensfreiheit des Menschen retten soll; er zeigt aber auch, welche Konsequenzen diese Differenzierung für das Verständnis Gottes hat. Dieser wird in bestimmter Hinsicht nur noch zum Zuschauer degradiert, der nicht mehr selber alles durchwirkt und will, sondern der manches, vor allem das, was dem freien Willen des Menschen entspringt, als Zuschauer zuläßt. Boethius sagt von der Vorsehung, daß sie „nicht Vorhersehen [praevidentia], sondern lieber Vorsehung [Providentia] genannt" (aaO 267) werden soll, „weil sie sich fern von den niederen Dingen aufhält und gewissermaßen vom erhabenen Gipfel der Dinge herunter alles vor sich sieht" (ebd). „Deshalb verändert diese göttliche Vorerkenntnis die Natur der Dinge und ihre Eigentümlichkeit nicht und erschaut bei sich jenes als gegenwärtig, was in der Zeit einst als zukünftig zum Vorschein kommen wird" (ebd). Boethius hat damit die klassische Verhältnisbestimmung von göttlicher Vorsehung und menschlicher Willensfreiheit ge-

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w e r d e die Gewalt der Frage ( D s a 109,13: uiolentiam istius quaestionis) überspielt; das D e n k e n lasse außer acht, daß der n o t w e n d i g e Gott ( 1 0 9 , 2 9 : D e u s necessarius 3 5 4 ) d e m Geschehen der - im Verhältnis zu Gott natürlich kontingenten - Schöpfung N o t w e n d i g k e i t z u k o m m e n läßt. „Denn wenn ich notwendig werde, verändert es mich wenig, daß mein Sein oder Werden veränderlich ist; trotzdem werde ich als jener Zufallige und Veränderliche, der ich nicht notweniger Gott bin." (Dsa 109, 27-29: Si enim ego fio necessario, parum me mouet, quod esse meum uel fieri sit mutabile; nihilominus ego ille contingens et mutabilis, qui non sum Deus necessarius, fio.)355 Luther will mit seiner Betonung der Notwendigkeit des Geschehais nicht das kontingente Sein des Geschöpfes bestreiten (vgl. Dsa 109,32f). Gott allein ist notwendig, er allein kann nicht nicht sein. Mit seiner Schöpfung aus nichts (vgl. 253,7) sind die Geschöpfe kontingent gesetzt. Wir Menschen sind nicht durch uns selbst geschaffen, wir leben nicht durch uns selbst, sondern durch Gottes Allmacht (214,2f: Nos per nos ipsos non esse factos, nec uiuere, nec agere quicquam, sed per illius omnipotentiam). Im Gegensatz zu Gott ist also der Mensch nicht notwendig, aber er geschieht, er wird notwendig. Wir werden, wir geschehen nicht durch unseren Willen, sondern durch die Notwendigkeit Gottes (215,8f: [...] Nos non fieri nostra uoluntate, sed necessitate [...]). Unter Gottes Not-

dacht; in Gottes Ewigkeit ist alles in einer Gegenwart gesehen, was im menschlichen Zeitverlauf auseinanderfallt. Lorenzo Valla (s.o. Anm. 154) hat in seinem Dialog De libero arbitrio (Ζ. 153-166, 727-763) Boethius scharf kritisiert, denn wie kann der zeitliche Mensch Einsicht in Gottes Ewigkeit gewinnen? Vgl. zum ganzen Zusammenhang erasmische Überlegungen, die ähnlich wie Boethius argumentieren (Dia IIb8, 89-91; IIIa5f, 97-99; IIIa9, 103-105). Luther dagegen stellt heraus, daß Gott alles sieht, alles will und alles wirkt. Gott weiß wollend und will wissend; sein Wissen und Wollen kann nicht auseinandergehalten werden (Dsa 108,24-29). Vgl. u. Anm. 586. 354 Vgl. Nikolaus von Kues, De docta ignorantia I, cap. XXII (Wilpert-Ausgabe, 90, 69,4): [...] deus, qui est nécessitas absoluta. Im Trialog über das Seinkönnen (De possest) bestimmt der Kusaner die absolute Notwendigkeit Gottes (Steiger-Ausgabe. 34 [27,20]) so, daß sie als Seinkönnen (possest) alle Möglichkeit (posse) und alle Wirklichkeit (esse) in sich eingefaltet vereint und in der Schöpfung entfaltet (aaO 10 [8,199,7]). Vgl. dazu aber Jiingels Auseinandersetzung mit der Frage, ob Gott notwendig sei (E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, 16-44). Jüngel bezeichnet die Notwendigkeit als eine „für Gott [...] unzureichende Kategorie" (aaO 31). Seine Ausführungen, die einen umfassenden Einblick in die Problematik und in die unterschiedlichen, vor allem philosophischen Fassungen des Begriffs der Notwendigkeit bieten, sind in ihrem theologischen Urteil an zwei, allerdings gegen eine mächtige metaphysische Tradition gerichteten Grundthesen orientiert: „Gott ist weltlich nicht notwendig" (aaO 19; 37) und „Gott ist mehr als notwendig" (aaO 30; 37; 43). Da Gott nur von Gott kommt (aaO 43: Gott kommt von Gott; vgl. 522ff) und „nur aufgrund von Selbstoffenbarung erfahren" (aaO 43) wird, ist Gott als „grundloses Sein [...] nicht notwendig und doch mehr als notwendig" (aaO 41). Interessant sind in diesem Zusammenhang auch Luthers kritische Bedenken gegenüber der (auch seiner eigenen!) Verwendung des Begriffs der Notwendigkeit innerhalb der Theologie; vgl. Anm. 358. 355 Vgl. die Aufnahme und Verarbeitung dieses Zitats bei H. Blumenberg, Art. „Kontingenz", RGG 3 , Bd. 3, 1794. Zur Entwicklung des Kontingenzbegriffs vgl. H. Vorster, Das Freiheitsverständnis, 400-402.

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wendigkeit geschehen, heißt aber nicht, unter Zwang geschehen (125,23: 'Necessario' uero dico, non 'coacte' [...]). Der Mensch, der vom Geist Gottes nicht erfüllt ist, wird nicht mit Gewalt dazu gezwungen, das Böse nicht-wollend zu tun; er tut es aus eigenem Antrieb und mit willigem Willen (125,27: [...] sponte et libenti uoluntate [...]). Auf der anderen Seite tun auch die von Gottes Geist bewegten Maischen das Gute aus eigenem Antrieb und nicht gezwungen (126,1: [...] sponte [...], non coacte [...]). Das Adjektiv necessarius kommt dem Menschen im Gegensatz zu Gott (109,29) nicht zu - aber das Adverb necessario (109,27.32; 125,23; 202,17; 211,2; 216,30). Sein Wesen ist nicht notwendig ([...] non habet essentiam necessariam: 109,22; vgl. Z. 26f), jedoch sein Werden als kontingentes, im Unterschied zu Gott nicht notwendiges Geschöpf unter der actio Dei (109,24; vgl. Z. 19). Mit seiner actio, mit seinem Willen und seiner Macht legt Gott den Geschöpfen Notwendigkeit auf, auch wenn den Geschöpfen das Geschehen der Dinge als veränderliches und zufalliges erscheint: [...] omnia quae facimus, omnia quae fiunt, etsi nobis uidentur mutabiliter et contingenter fieri, reuera tarnen fiunt necessario et immutabiliter, si Dei uoluntatem spectes (108,30-33). Ein vom Menschen und seinem Willen erschaffenes Werk, ein Haus, bleibt bestehen, wenn der Wille aufhört, wenn der Mensch stirbt. Wenn das auch bei Gott so wäre, könnte man von einem zufälligen und veränderlichen Geschehen unter Gottes Willen reden (vgl. 108,35-41). Dodi bei Gott verhält es sich anders; das Werk vergeht, aber der Wille Gottes bleibt (109,1: [...] opus desinit, et uoluntas permanet [...]). Gottes Wille und Wirken umgreift und übersteigt alles von ihm Geschaffene, sein Wollen setzt sich immer durch, wirkt nicht zufallig und unbestimmt, sondern durchwirkt die Schöpfung mit Notwendigkeit. Anders denkt Thomas von Aquin diese Zusammenhänge. Auch bei ihm setzt sich der alles ordnende Wille Gottes durch, aber dieser Gott will die Vielfalt in der universellen Ordnung, will, daß manches notwendig und manches zufällig geschieht: Vult autem quaedam fieri Deus necessario, et quaedam contingenter, ut sit ordo in rebus, ad complementum universi (STh I, q 19 a 8 c). Nicht alles geschieht aus absoluter Notwendigkeit; das von Gott als Zufälliges Gewollte steht „nur" unter der bedingten Notwendigkeit (aaO ad 3). Gäbe es nur die absolute Notwendigkeit, so wäre für Thomas die Willensfreiheit des Menschen verloren (aaO sc). Luther hat diese von Thomas befürchtete Konsequenz gezogen. Die häufig anzutreffende Bezeichnung dieser Sachverhalte als Determinismus356 geht fehl, weil Luther die Notwendigkeit der Kreatur, besser gesagt, das notwendige Geschehen und Werden der Kreatur, abhängig macht von der Freiheit Gottes, „der durch seine Freiheit uns Notwendigkeit auferlegt" 357 . Das Wirken des lebendigen, freien Gottes kann nicht in einem deterministischen Gedankenzusammenhang gefaßt werden. Daß sich Luther der Problematik der Übernahme des Begriffes Notwendigkeit bewußt war, zeigt seine Anmerkung

356 Vgl. C. Stanges Versuch, verschiedene Arten des Determinismus zu unterscheiden und für die Lutherauslegung fruchtbar zu machen: Ders., Studien zur Theologie Luthers, Bd. 1, 230-233. Vgl. auch W. Härles instruktive Überlegungen zu einer sinnvoll verantworteten Theologie zwischen Deismus und Determinismus (Dogmatik, 287-291). 357 Dsa 213,35f: At talem oportere esse Deum uiuum et uerum, qui libertate sua necessitateli! imponat nobis [...]. Dazu 212,27: [...] necessitatem nobis imponi praescientia diurna [...].

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zu diesem Begriff 58 . Letztlich geht es Luther nicht um die philosophische These, daß alles aus Notwendigkeit geschehe, sondern um die biblische Verheißung, daß Gott treu ist, nicht lügt und zu seinen Verheißungen, die er gegeben hat, unverbrüchlich und notwendig steht3". Trotzdem bleibt die Gewalt, 358 Vgl. WA 18, 616 (vgl. StA 3, 191, Anm. 107), wo ein Zusatz aus der Jenaer-Ausgabe der Werke Luthers abgedruckt ist (Anm. 1), in dem Luther seinen Wunsch ausdrückt, daß das Wort necessitas besser zu vermeiden sei, weil es sowohl im Bezug auf Gott als auch auf den Menschen das Mißverstandnis des Zwanges nahelege. Auch dieser philosophische Begriff ist also, soll er theologisch gebraucht werden, „erst wohl zum Bade [zu] führen" (WA 39 I, 229,25). Zu bemerken ist auch, daß Luther in seiner Anmerkung zum Begriff der Notwendigkeit ausdrücklich auf Boethius zu sprechen kommt. Leibniz erwähnt in seiner Theodizee (III, § 280; Buchenau-Ausgabe, 314) die Anmerkung Luthers. Die Schwierigkeit Luthers in dieser ganzen Frage zeigt sich auch darin, daß Luther, obwohl er doch gewisse Unterscheidungen als nutzlose Wortspielereien ablehnt, andere Unterscheidungen der Scholastik wiederum aufnimmt. Luther lehnt nicht nur die Unterscheidung der zwei Notwendigkeiten ab (Dsa 109,10-38; 210,21f; 214,34f; 216,37f; 217,27-218,21; s.o. Anm. 353). Er wendet sich auch gegen die Unterscheidung der potentia ordinata und absoluta (210,22; 214,34; s.o. Anm. 350), gegen die Unterscheidung der Erstursache und der Zweitursachen (210,27f; s.u. Anm. 510-513) oder gegen die Unterscheidung zwischen der voluntas Dei beneplaciti und signi (210,22f; in WA 42, 293,1-296,21 [zu Gen 6,5] geht Luther ausfuhrlich, in kritischer Aufnahme, auf diese Unterscheidung ein. Zur scholastischen Tradition der Unterscheidung, zu ihrer Verknüpfung [bei Biel] mit der Distinktion zwischen voluntas antecedens und consequens von Johannes von Damaskus und schließlich zu Luthers Umgang mit der Unterscheidung vgl. K.W. Müller, 'Altiora Te Ne Quaesieris", 41-65; 129-133; 143-153). Andererseits aber übernimmt er die Unterscheidung zwischen necessitas immutabilitatis und coactionis, die Unterscheidung also zwischen Notwendigkeit und Zwang (vgl. die entsprechenden Ausführungen bei G. Biel, Coll. II, d 25 q un C 1-12; d 27 q un O 2t). Luther will klarstellen, daß der unfreie Wille unter keinem Zwang in seinem Wollen steht. Der Mensch will selbst willentlich, fühlt sich in seinem Wollen nicht gezwungen; sonst müßte der Wille nicht voluntas, sondern eher Noluntas (Dsa 126,19; vgl. Thomas, STh I/II, q 8 a 1 ad 1) heißen (vgl. den ganzen Textabschnitt Dsa 125,20-126,23; dazu 186,25-28; 245,33f). Auch vom getriebenen Pharao sagt Luther, daß er wollend von Gottes Allmacht mitgerissen und nicht unwillig zum Bösen gezwungen wird (210,lOf: [...] agatur et rapiatur uolendo [...] non cogitur nolens [...]). Entsprechend wurde Judas wollend und nicht gezwungen (211,4: [...] uolendo, non coactus [...]; vgl. 216,20.28) zum Verräter. Trotzdem bleibt das Wollen, auch wenn es nicht unter Zwang steht, unter Gottes Notwendigkeit, unter seinem Bestimmen, Wollen, Vorsehen und Allwirken. Auch in dieser Problematik weisen die Luthertexte keine begriffliche Konsistenz auf; vgl. den Gebrauch des coactum in WA 7, 145,18-20: Quis audet negare, se etiam in malis operibus saepius coactum aliud facere quam cogitavit? Vgl. 145,8: [...] coactus mirabili dei Providentia [...]. Vgl. die Ablehnung der coactio in der Konkordienformel (SD II), BSLK 902,24-903,4; mit Bezug auf die Bekehrung: 897,11-22. 359 Vgl. die auffällige Parallelität der Sätze: Adeo stat et permanet inuicta sententia. Omnia necessitate fieri (Dsa 109,35f) und: Stat enim inuicta et euidens sententia: Deus non mentitur nec fallitur (211,5-7). Der erste Satz könnte auch von einem Spinoza formuliert sein (vgl. Spinoza, Ethik, 1. Teil, 29. Lehrsatz; Blumenstock-Ausgabe, Bd.

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die Wucht der Erkenntnis, daß ein Zusammenhang der Notwendigkeit die Welt und das menschliche Erfahren durchzieht, den der Mensch nicht in der Hand hat. Exkurs: Die Gewalt der Notwendigkeit Was Luther mit der Gewalt dieser Frage gemeint haben könnte, zeigt sich besser als in philosophischen Textzusammenhängen (vgl. aber Schellings Auseinandersetzung mit Leibniz; s. u. Anm. 531) in literarischen Texten. So redet etwa Georg Büchner hinsichtlich der Erfahrung der Notwendigkeit in der Geschichte von einem gräßlichen Muß. In einem Brief an seine Braut (nach dem 10.3.1834) schreibt er: „Ich studierte die Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich. Es fallt mir nicht mehr ein, vor den Paradegäulen und Eckstehem der Geschichte mich zu bücken. Ich gewöhne mein Auge ans Blut. Aber ich bin kein Guillotinenmesser. Das muß ist eins von den Verdammungsworten, womit der Mensch getauft worden. Der Ausspruch [Lk 17,1]: es muß ja Ärgernis kommen, aber wehe dem, durch den es kommt, - ist schauderhaft. Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt? Ich mag dem Gedanken nicht weiter nachgehen. Könnte ich aber dies kalte und gemarterte Herz an deine Brust legen!" (G. Büchner, Werke und Briefe, 256.) Dazu Dantons Sätze über seine Beteiligung an den Septembermorden in Dantons Tod, 2. Akt, 5. Szene: „Ja das hab' ich. Das war Notwehr, wir mußten. Der Mann am Kreuze hat sich's bequem gemacht: es muß ja Ärgernis kommen, doch wehe dem, durch welchen Ärgernis kommt. Es muß, das war dies Muß. Wer will der Hand fluchen, auf die der Fluch des Muß gefallen? Wer hat das Muß gesprochen, wer? Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet? Puppen sind wir von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst! Die Schwerter, mit denen Geister kämpfen, man sieht nur die Hände nicht, wie im Märchen. Jetzt bin ich ruhig" (aaO 37). Vgl. die Schlußworte im (unvollendet gebliebenen) Lenz: „[...] sein Dasein war ihm eine notwendige Last. - So lebte er hin" (aaO 89). Auch

2, 130,28-30/131); als philosophischer Lehrsatz ist er Luther aber gewiß nicht wichtig. Um was es Luther geht, zeigt der zweite Satz, orientiert an Hebr 6,18: Gottes Versprechungen und Verheißungen sind nicht dem Zufall ausgesetzt, sondern werden mit Gottes Notwendigkeit durchgehalten. Der der Sprache der Bibel angemessenere Begriff für Gottes Notwendigkeit in bezug auf seine Verheißungen ist der Begriff der Treue Gottes. Für P. Steinacker war es Luthers „Fehler, daß er die metaphysische Unwandelbarkeit der prima causa mit der personalen Treue verknüpfte. Gegen Luther muß der Gedanke der unbedingten Notwendigkeit abgelehnt werden. Gottes Vorherwissen legt über die Zukunft nicht den Bann des Unabänderlichen" (Luther und das Böse, 150). Es ist fraglich, ob diese Kritik Luther letztlich trifft, da Luther selbst ja größte Vorbehalte gegenüber dem Begriff (nicht aber gegenüber der Erfahrung!) der Notwendigkeit oder der prima causa geäußert hat. Luther denkt keinen deterministischen, unabänderlichen Notwendigkeitszusammenhang, sondern den einen, lebendigen, freien Gott, der in allem wirkt und insofern allem eine Notwendigkeit auferlegt.

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„Subjekt Woyzeck" (aaO 168) steht unter diesem „muß": „Es redt immer: stich! stich! und zieht mir zwischen den Augen wie ein Messer" (aaO 172). Büchner stellt sich mit diesen Texten der Gewalt der Frage nach dem biblischen δει, nach dem Muß des Leidensweges Jesu, dem Muß seines Ausgeliefert-Werdens (Lk 9,22; 17,25; 24,7.26.44), dem bestimmten, geplanten Muß des Verrates des Judas (Lk 22,22; vgl. Jes 53,10). Das biblische und büchnersche Muß hat seinen Widerhall in Gottfried Benns Gedicht „Nur zwei Dinge": „ [...] Dir wurde erst spät bewußt, / es gibt nur eines: ertrage / - ob Sinn, ob Sucht, ob Sage - / dein fembestimmtes: Du mußt [...]" (Ges. Werke, Bd. 1, 342). In diesen Zusammenhang gehört auch Büchners Verachtung gegenüber einem theoretischen, abstrakten Festhalten an der Willensfreiheit. Der Doktor maßregelt sein „Versuchskaninchen" Woyzeck, weil er an die Wand gepinkelt hat. „ Woyzeck: Aber Herr Doktor, wenn einem die Natur kommt. Doktor: Die Natur kommt, die Natur kommt! Die Natur! Hab' ich nicht nachgewiesen, daß der musculus constrictor vesicae dem Willen unterworfen ist? Die Natur! Woyzeck, der Mensch ist frei, in dem Menschen verklärt sich die Individualität zur Freiheit. Den Harn nicht halten können!" (AaO 167.) Mit düsteren Farben ist die Gewalt der Notwendigkeit bei Friedrich Hebbel in seinen Tagebuchnotizen gemalt: „Wieweit sind die Charaktere des Dichters objektiv? Soweit der Mensch in seinem Verhältnis zu Gott frei ist. Die Notwendigkeit der Schöpfung ist die Grenze menschlicher Freiheit" (Tagebücher, Nr. 2011; MeetzAusgabe, 118). „Es gibt nur eine Notwendigkeit, die, daß die Welt besteht, wie es aber dai Individuai darin ergeht, ist gleichgültig, ein Mensch, der sich in Leid verzehrt, und ein Blatt, das vor der Zeit verwelkt, sind vor der höchsten Macht gleichviel, und sowenig dies Blatt als Blatt für sein Welken eine Entschädigung erhält oder auch erhalten kann, sowenig der Mensch für sein Leiden, der Baum hat der Blätter im Überfluß und die Welt der Maischen" (Nr. 2881, aaO 193; vgl. Nr. 2828). Zum Bild der „elenden [Menschen], den Blättern gleichend" (Homer, Dias XXI,464; vgl. VI,146; übertragen von W. Schadewaldt): Hi 14,If; Ps 90,5f; Ps 103,15f; Jes 40,6-8. Die Problematik der Notwendigkeit in der Geschichte zeigt sich auch in Tolstois Krieg und Frieden. Tolstoi kommt in seinem großen Roman in eingeschobenen, betrachtenden Kapiteln immer wieder auf das Problem zu sprechen, wie sich in den ganzen von ihm dargestellten Geschichtszusammenhang die einzelne Freiheit einbaut. Letztlich gibt es auch für Tolstoi innerhalb der weltgeschichtlichen Notwendigkeit, unter dem Schicksal und der Vorsehung (Tolstoi, Krieg und Frieden, Bd. 2, 2. Teil, Kap. 1) keine Freiheit. Die Kontinuierlichkeit der Geschichtsbewegung ist dem menschlichen Verstand unfaßbar, weil sie sich aus einer unzähligen Menge von einzelnai Willensanstößen ergibt, die der Mensch nicht überschauen kann (Bd. 2, 3. Teil, Kap. 1). Die Gesamtheit der Ursachen einer geschichtlichen Erscheinung ist dem menschlichen Verstand nicht zugänglich; aber der Mensch hat einen Trieb, diesen Ursachai nachzuspüren (Bd. 2, 5. Teil, Kap. 1). Das Romanwerk endet im Epilog mit der Erkenntnis, daß die Spieler auf dieser Geschichtsbühne nur Werkzeuge einer unsichtbaren Hand und einer Folgerichtigkeit und Notwendigkeit gewesen sind (Bd. 2, Epilog, Kap. 4). Personifiziert wird der ganze Sachverhalt von Tolstoi vor allem darin, daß letztlich der zaudernde und zögerliche General Kutuzov der russischen Seite gegenüber aller Macht und Planung der napoleonischen Seite die Überhand behält. Vgl. Käte Hamburger, Tolstoi, 34: „Geschichte ist für Tolstoi zuletzt nicht weniger und nicht mehr als ein einziger determinierter Geschehenszusammenhang, in dem es darum keine freie Handlung gibt, weil jede durch unzählige ihr voraufgegangene oder auch gleichzeitige bereits gelenkt und bestimmt ist."

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4.3 Schicksal (Glück und Zufall) Zwei andere wichtige Deutungsbegriffe für das, was Luther mit Gottes allmächtigem Wirken im Blick hat, sind das zufallende Glück (vgl. im Bekenntnis: Dsa 290,18; fortunam) und das Schicksal (vgl. v.a. Dsa 110,2.6; 213,39; fatum). Luther erwähnt unter Hinweis vor allem auf Vergil-Zitate das Schicksal360, das zeige, daß auch den Heiden das Allwirken Gottes letztlich bekannt gewesen sei, wenn sie selbst ihre Götter dem Wirken der Schicksalsgöttinnen, der

360 Die einschlägigen Lexika bieten eine vielfältige und oft auch verwirrende Palette der verschiedenen Schicksalsbegriffe in der Antike. In der Dichtung erscheint etwa die Moira (fatum) bei Homer, Pindar und Aischylos; die Tyche (fortuna) bei Sophokles, Pindar und Euripides. In philosophischen Zusammenhängen ist (schon bei Heraklit: Die Vorsokratiker, Capelle-Ausgabe, 140, Nr. 51; vgl. Diels I, 141,10; 145,16; 182,4) die Heimarmene beheimatet, die in der Stoa als feste Ursachen-Kette, als deterministische Notwendigkeit geprägt wurde und bis in die Neuzeit hinein begrifflich bestimmend geblieben ist. Am klarsten fassen und kulturgeschichtlich verstehen läßt sich die Bedeutung des Schicksals in der Vorstellung der Moira, des Loses und des Anteils (und des Daimons, des Verteilers der Moira: Odyssee XIX, 129). Moira ist das Zugesponnene, Zugefallene, Zugeteilte, ursprünglich bei den Urmenschen der den einzelnen zugeteilte, gewährte Anteil an der Jagdbeute, die „Fleisch-'Portion'" (W. Burkert, Anthropologie des religiösen Opfers, 213), der Anteil am gemeinsamen Mahl (Odyssee 111,40; VIII,470; XIV,448) oder an der Kriegsbeute (Ilias IX,318). Auch der alttestamentliche Begriff kann den Beuteteil (Gen 14,24) oder den Anteil an Landbesitz (Jos 13,7; 14, Iff u.ö.) bezeichnen. In der Sprache der Psalmen erscheint der Begriff als Ausdruck für das Lebenslos, den Lebensanteil, das von Jahwe Zugeteilte, das Geschick (Ps 16,5f; 73,26; vgl. Hi 20,29; Jer 13,25; Jes 54,17). H. Gese übersetzt in Ps 73,26 den Ausdruck „Anteil" oder „Teil" entsprechend mit „Schicksal": „[...] mein 'Bewußtsein' und mein 'Schicksal' ist JHWH in Ewigkeit!" (Der Tod im Alten Testament, 45). C. Schmitt führt in einem kurzen, aber lehrreichen Text, der die Bedeutungsgehalte des Begriffs Nomos entfaltet (Nehmen/Teilen/Weiden, 489-504), die Vorstellung der Austeilung des Anteils in einen weiteren Rahmen. Nemein/Nomos bedeute Nehmen (Landnahme, Steuereinnahme ...), Teilen und Verteilen des Genommenen („Recht im Sinne des Anteiles, den jeder erhält, das suum cuique" [aaO 491], den „Anteil an den Lebensgütern" [ebd]) und schließlich das Weiden, das „Wirtschaften, Nutzen, Produzieren" (aaO 492). „In jedem Stadium menschlichen Zusammenlebens, in jeder Wirtschafts- und Arbeitsordnung, in jedem Abschnitt der Rechtsgeschichte wurde bisher in irgendeiner Weise genommen, geteilt und produziert" (ebd). Schmitt vergleicht, wie Imperialismus, Kapitalismus, Sozialismus und Liberalismus innerhalb der Trias von Nehmen, Verteilen und Produzieren die Prioritäten jeweils unterschiedlich bestimmen und beschließt seinen Aufsatz mit einem interessanten theologischen Hinweis: A. Kojève, der gegen Marx den Ausdruck „'gebender Kapitalismus'" (aaO 503) prägte, wurde einmal entgegnet, „daß kein Mensch geben kann, ohne irgendwie genommen zu haben. Nur ein Gott, der die Welt aus dem Nichts erschafft, kann geben ohne zu nehmen, und auch er nur im Rahmen der von ihm aus diesem Nichts erschaffenen Welt" (aaO 504).

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Parzen, unterworfen hatten361. Nicht nur in Dsa, auch in anderen Zusammenhängen, etwa in seiner Kohelet-Auslegung362, bemüht Luther Schicksal und Glück als Vergleichsbegriffe für das Wirken des allmächtigen Gottes. Auch die Sprichwörter wissen darum, „daß ein andrer sei, der das Rädlein treibt. [...] Deshalb sind die Sprichwörter in allerlei Zungen und Sprachen wahr und gewiß, weil sie auf Gottes Werk gegründet sind und aus Gottes Werk kommen, obschon Gottes Wort nicht da ist."363 Luther hat keine ausgebildete 361 Dsa 110,8-10: Denique Déos suos immortales fato subiicit, cui necessario caedant et ipse Iuppiter et Iuno. Inde finxerunt parcas illas tres, immutabiles, implacabiles, irreuocabiles. Zu den drei Parzen oder Moiren, Klotho, die den Lebensfaden spinnt, Lachesis, die ihn durch Los zuteilt, und Atropos, die ihn unabwendbar abschneidet, vgl. Platon, Politela 617b-e und Hesiod, Theogonie, 218 u. 905. Bei Hesiod sind die Moiren die Töchter des Zeus und der Themis; Plato nennt sie Töchter der Ananke, der Notwendigkeit. Auch bei Pindar sind die Moiren „Göttinnen der Notwendigkeit" (B. Snell, Die Entdeckung des Geistes, 86). In der antiken Dichtung ist das Verhältnis der Götter zum Schicksal nicht einheitlich bestimmt. Bei Aischylos bilden Zeus und Moira am Ende der Orestie eine Einheit (Die Eumeniden, V. 1045f), an anderer Stelle wieder ist selbst der mächtige Zeus machtlos gegenüber der Macht der Moiren (Der gefesselte Prometheus, V. 511-520). In der Ilias des Homer wird der Zusammenhang zwischen dem obersten Gott Zeus, der allen Menschen und allen Göttern weit überlegen ist (Ilias VIII,1-28) und der Moira, dem übermächtigen Schicksal (XIX,410; XX,477; XXI,110; XXIV, 132), ebenfalls nicht eindeutig festgestellt. An manchen Stellen scheinen Zeus, sein Ratschluß und Moira zusammenzufallen (1,5; XIX,87.410; XXIV.527-530); in anderen Zusammenhängen dagegen steht die Moira über Zeus (XVIII, 119). Zweimal spannt Zeus die goldenen Waagschalen der Schicksalswaage, seiner heiligen Waage (XVI,658), auseinander, die er eher bedient und befragt als beherrscht (vgl. aber XIX,223f):VIII,69-72; XXII,209-213. Auch in Vergils Aeneis steht das Wirken des Schicksals und der Parzen (1,1-32), die die Menschen umhertreiben, neben Juppiter, dem pater omnipotens (IV,25), der Himmel und Erde durch sein Walten beherrscht (IV,268f). Anders als bei Homer durchzieht aber in der Aeneis ein bestimmter Plan im Schicksal Juppiters (fata Iovis; z.B. IV,614) das Geschehen. Das fatum ist das Ausgesprochene, ausgesprochener Götterwille, der alles bis zum letzten Ziel, der Gründung Roms, führt. Seneca beschreibt in seiner Abhandlung über die Vorsehung (De Providentia 5,8; Krüger-Ausgabe, 58/59) den Gott, der das Schicksal selbst gegeben hat, der aber auch ganz an sein einmal gegebenes Schicksal gebunden ist: „Was ist die Haltung eines guten Menschen? Sich dem Schicksal hinzugeben [ Quid est boni viri? praebere se fato]. Ein großer Trost ist es, in der Bewegung des Alls mitgeführt zu werden [cum universo rapi]; was auch immer es ist, das uns so zu leben, so zu sterben geboten hat, mit derselben Zwangsläufigkeit bindet es auch die Götter [eadem necessitate et deos alligai]. Eine unwiderrufliche Bahn führt Menschliches und Göttliches in gleicher Weise: er selbst, der Gründer und Lenker des Alls, hat zwar die Schicksalsgesetze geschrieben, aber er befolgt sie; stets gehorcht er, einmal hat er befohlen [ille ipse omnium conditor et rector scripsit quidem fata, sed sequitur; semper paret, semel iussit]." 362 Vgl. WA 20, 65,16f; 119,6.22; 150,12; 157,32f und öfter. 363 Luthers Vorreden zur Bibel, 78. Mit dem Bild des getriebenen Rades spielt Luther sicher auf ein im Mittelalter bekanntes Bild an, das die blinde, also planlose Glücksgöttin Fortuna (vgl. Dsa 290,18f: [...] et fortunam omnia temere uersare fingant; dazu: WA 42, 481,36-482,23) abgebildet auf einem Rad zeigt, an dem Menschen (oft auch

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theologische Theorie des Schicksals wie zum Beispiel Thomas von Aquin364, er will gewiß auch nicht mit dem Vergleich von Schicksal und Gott einem diffiisen Schicksalsglauben das Wort reden365. Ihm geht es darum, daß im Begriff des Schicksals in der Erfahrung aller Menschen das Bewußtsein dessen aufbewahrt ist, daß Menschen trotz allem Planen, Vorausdenken und Gestalten ihrer Welt an eine unüberwindliche Grenze stoßen. Mit ihrem Wort Schicksal zeigen die Heiden für Luther, daß auch sie letztlich um das Wirken des allwirkenden und verborgenen Gottes wissen (Dsa 109,40-110,2). Deshalb kann Luther in verschiedenen Wendungen in Dsa sagen, daß selbst die Vernunft (als Erfahrung auf- und annehmende, nicht als begrifflich spielende) vom allwirkenden Gott - wenn auch vielleicht nur unbewußt und mit anderen Begriffen - weiß (z.B. 203,39).

Könige) hängen und einmal zum Glück hinaufgetrieben und dann wieder zum Unglück hinabgetrieben werden. Vgl. die Abbildung bei G. Reisch, Margarita Philosophica, 342. Der Ausdruck „Das redlin treiben" findet sich auch in Luthers Sprichwörtersammlung (Thiele-Ausgabe, 136-138; Nr. 126; vgl. WA 51, 649,35; dazu S. 681. 364 Im Gegensatz zu Augustinus, der gegenüber dem Begriff des Schicksals zurückhaltend war, weil die Theologie möglichst wenig gemeinsame Begriffe mit dem heidnischen Denken haben sollte (De civ. Dei V,l-10) hat Thomas - unter Bezugnahme auf Boethius - eine klare theologische Definition für das Schicksal; für ihn ist das Schicksal die Ordnung der Zweitursachen (ordo oder ordinatio oder dispositio causarum secundarum), die unter dem ordnenden Wirken der göttlichen Erstursache stehen. Das Schicksal auf der Ebene der Zweitursachen kann somit nicht in „Konkurrenz" mit der Erstursache, mit Gott selbst treten. (STh I, q 116; vgl. ScG III, 93). Boethius (Trost der Philosophie, Buch 4, 6.p.; Gigon-Ausgabe, 204/205) bestimmt den Zusammenhang zwischen Gott, seiner Vorsehung und dem Schicksal folgendermaßen: Die „Vorsehung ist jene im höchsten Herrscher aller Dinge selber begründete göttliche Vernunft, die alles ordnet; das Schicksal dagegen die den beweglichen Dingen anhaftende planmäßige Anlage [dispositio], durch welche die Vorsehung ein jedes in seine Ordnung knüpft." 365 Vgl. in der Kohelet-Auslegung Luthers (zu 3,14) die Aussage, daß Gott allein die rechte Zeit, die richtige Stunde, den Kairos (WA 20, 62,16), das „stündlin" (WA 19, 226,20; 51, 212,36; 54, 118,28) gebe - und nicht Glück oder Schicksal, wie die Philosophen glauben; Deus ipse efficit hanc horam non Fortuna seu Fatum, ut Philosophi putant (WA 20, 65,16f). Gott setzt und gibt die bestimmte Zeit auch für alle menschlichen Werke und Bemühungen; Koh 3,1 ist für Luther gegen den freien Willen gesprochen (WA 20, 58,23-25): Sic ergo intellige: omnia humana opera et studia habere certuni et definitum tempus agendi, incipiendi et finiendi extra facultatem humanam, ut sit dictum contra liberum arbitrium [...]. Dazu auch die Unterscheidung der Notwendigkeit, die das Werk erzwingt, und der Notwendigkeit, die die Zeit (eines Werkes) unfehlbar bestimmt (Dsa 216,23f: [...] aliam necessitatem uiolentiam ad opus, aliam necessitatem infallibilem ad tempus referamus [...]). Luther geht es um die letztere Notwendigkeit; Judas habe Christus mit eigenem Wollen, nicht unwillig und gezwungen verraten (216,28: [...] ludas uolendo proderet Christum) und dies sei von Gott für eine gewisse Zeit vorbestimmt (216,27: [...] tempore praedefinito [...]; vgl. Lk 22,22 Vulgata: [...] definitum est [...]).

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Der Begriff Schicksal wurde von Theologen immer wieder bedacht (etwa von Emanuel Hirsch, Karl Heim, Joachim Konrad, Wemer Eiert366). Besonders eindrücklich ist eine Briefstelle bei Dietrich Bonhoeffer, in der er im Zusammenhang der Rede vom Schicksal auch die Rede vom verborgenen Gott aufnimmt. Die Briefstelle ist auch insofern wichtig, als sie dem ganzen Briefwerk seinen Titel gegeben hat: Widerstand und Ergebung. Bonhoeffer schreibt an seinen Freund Eberhard Bethge am 21.2.1944: „Ich habe mir hier oft Gedanken darüber gemacht, wo die Grenzen zwischen dem notwendigen Widerstand gegen das 'Schicksal' und der ebenso notwendigen Ergebung liegen. [...] Ich glaube, wir müssen das Große und Eigene wirklich unternehmen und doch zugleich das Selbstverständlich- und Allgemein-Notwendige tun, wir müssen dem 'Schicksal' - ich finde das 'Neutrum' dieses Begriffes wichtig - ebenso entschlossen entgegentreten wie uns ihm zu gegebener Zeit unterwerfen. Von 'Führung' kann man erst jenseits dieses zwiefachen Vorgangs sprechen, Gott begegnet uns nicht nur als Du, sondern auch 'vermummt' im 'Es', und in meiner Frage geht es also im Grunde darum, wie wir in diesem 'Es' ('Schicksal') das 'Du' finden, oder mit andern Worten, wie aus dem 'Schicksal' wirklich 'Führung' wird. Die Grenzen zwischen Widerstand und Ergebung sind also prinzipiell nicht zu bestimmen; aber es muß beides da sein und beides mit Entschlossenheit ergriffen werden. Der Glaube fordert dieses bewegliche lebendige Handeln." (D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, Neuausgabe, 244.) Deutlich ist, daß Bonhoeffer mit dem Ausdruck „vermummt" an dai verborgenen Gott Luthers und dessen „Mummerei" (s.o. Anm. 318) anspielt. Der Gegensatz zwischen verborgenem und offenbarem Gott ist durch das Es des Schicksals und das persönliche Du des menschgewordenen Gottes markiert. Auch für Bonhoeffer sind, wie für Luther, die unterschiedlichen Zeiten des Glaubens („zu gegebener Zeit"!) wichtig. In dem Brief vom 23.1.1944 warnt Bonhoeffer unter Bezugnahme auf die Freunde Hiobs vor „der falschen, vorzeitigen frommen Ergebung" (aaO 215). In Bonhoeffers „Glaubenssätzefn] über das Walten Gottes in der Geschichte" (aaO 20f) sind folgende Bekenntnisse festgehalten: „Ich glaube, daß Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen" (aaO 20). „Ich glaube, daß Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern daß er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet" (aaO 21). Vgl. Bonhoeffers Ausführungen zu Koh 3 (aaO 189: „[...] Hauptsache ist, daß man mit Gott Schritt hält und ihm nicht immer schon einige Schritte vorauseilt, allerdings auch keinen Schritt hinter ihm zurückbleibt") und das Ende des

366 Vgl. W. Eiert, Der christliche Glaube, 89-109 (Kap. III). Vgl. die von Eiert (aaO 89, Anm. 1) angeführte Literatur. Das Wort Schicksal „besagt in unauflöslichem Doppelsinn, daß es schickt und geschickt wird, gibt und gegeben wird. Und 'Eins' ist es, weil wir darunter die Gesamtheit des uns Geschickten verstehen" (aaO 98). Für Eiert ist das „Schicksal der Inbegriff von allem, was uns zwingend entgegensteht, [...] was uns hemmt, bezwingt, vergewaltigt, vernichtet" (aaO 100). Diese Deutung ist zu einseitig und zu negativ, denn zum Feld des Schicksals gehören ja nicht nur der vernichtende Schlag eines Unglücks, sondern auch das überwältigende, faszinierende Glücksereignis, nicht nur die hemmenden, sondern auch die beflügelnden Ereignisse. Eiert beschließt sein Kapitel über das Schicksal mit dem Hinweis auf die undurchdringliche dunkle Mauer des verborgenen Gottes, den man „nicht lieben kann" (aaO 109). Wieder ist in dieser Aussage ausgeblendet, daß der verborgene Gott auch der Wirker des Lebens ist. Vgl. die Anm. 374.

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berühmten Taufbriefes (aaO 328: „[...] es wird Menschen geben, die beten und das Gerechte tun und auf Gottes Zeit warten"). Trotz solch eindrücklicher Texte dürfte im heutigen Verständnis das Fazit des Artikels „Schicksal" von Margarita Kranz im Historischen Wörterbuch der Philosophie sich durchgesetzt haben: danach habe der Begriff des Schicksals „als Ausdruck einer Regression in nichtbegriffliches, mythisches Denken [...] ausgedient" (HWP, Bd. 8, 1287). Philosophische Ausnahmen wie Günther Anders367 oder Odo Marquard368 sind wohl nur Bestätigung der Regel. Auch an dieser Stelle ist wieder auf den Fundus in Kunst und Literatur369 zu verweisen. Dort wurde und wird der Schicksalsgedanke nach wie vor weiter getragen, sei es in Filmepen (Dr. Schiwago, Titanic ...), in der Oper (Wagners Tristan, Verdis

367 Vgl. die Motti bei G. Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 2, 271: „Die Politik ist unser Schicksal (1815) / Die Wirtschaft ist unser Schicksal (1845) / Die Technik ist unser Schicksal (1945)". In der Diagnose, daß die Technik (zusammen mit der sie prägenden Naturwissenschaft) das ausgehende 20. Jahrhundert als schicksalhafte Macht bestimmt, treffen sich der „linke" G. Anders und der „rechte" E. Jünger, der in seinen Tagebuchaufzeichnungen (Siebzig verweht IV, 435) schreibt: „Nicht mehr die Politik ist unser Schicksal, sondern die Physik. Die Politik folgt bereits dieser Tatsache in bescheidenen Anfängen." 368 O. Marquardt, Ende des Schicksals? Einige Bemerkungen über die Unvermeidlichkeit des Unverfugbaren, 67-90. Auch Marquardt geht in seinen, wie immer höchst geistreichen Überlegungen aus von der Feststellung, daß das Schicksal im Zeitalter der Mündigkeit und der Selbstbestimmung „nicht mehr up to date", daß es „antiquiert" (aaO 68) sei. „Durch den Siegeszug der Optik der Veränderbarkeit und des Machens wird die Wirklichkeit defatalisiert" (aaO 70). Die „Geschichte der Depotenzierung des Schicksals" hat „beim Antifatalismus des Christentums begonnen" (aaO 71). Der allmächtige Gott der alten Kirche war das Ende des Schicksals; der Tod Gottes im Theodizeeprozeß der Neuzeit bedeutete das Ende der Allmacht Gottes, dessen Machtvakuum der Mensch auffüllt. „Denn die Macht der menschlichen Freiheit lebt von der Ohnmacht Gottes. Daß der Mensch - modern - selber zum Macher, Schöpfer und Erlöser wird, hat eben darin seinen Grund, daß Gott seinerseits aufhört, es zu sein. Die Autonomie des Menschen lebt von der Depotenzierung Gottes." (AaO 74.) Aber Menschen sind und bleiben begrenzte Wesen. „Kein „Mensch ist der absolute Anfang: jeder lebt mit unverfugbaren Vorgaben" (aaO 76) und insofern mit dem unausweichlichen Schicksal, das der Inbegriff des Unverfügbaren ist. Probleme bleiben; für das Negative, das Unvorhergesehene, das trotz aller Planung nicht Eingeplante, das Unerwartete ... werden meist die anderen (die Gesellschaft) haftbar gemacht und es kommt zur „großen Kultur der Ausreden, zur Hochkonjunktur von Entschuldigungsarrangements, zu einem exorbitanten Sündenbockbedarf, kurzum: zur Kunst, es nicht gewesen zu sein." (AaO 82.) Und das ist, so Marquardt, „eine indirekte Ermächtigung des Schicksals: Je mehr die Menschen die Wirklichkeit selber machen, um so mehr erklären sie sie schließlich - enttäuscht - zu der, für die sie nichts können und die ihnen nur noch angetan wird" (aaO 83). „Die Machensailmacht der Menschen wiederermächtigt das Unverfugbare" (aaO 85), das Schicksal. 369 Vgl. Marquardts Exkurs über das „Thema: die Heimarmene von Zeno bis Heino" (aaO 71), über die Flucht und Emigration des Fatums „ins Ästhetische" (ebd), „in die Schicksalsschonung Kunst" (aaO 70).

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Macht des Schicksals, Puccinis Tosca ...), in der Musik eines Beethoven310, eines Tschaikowski, dessen drei letzte Symphonien allesamt unter dem Leitthema des Schicksals stehen, im portugiesischen Sehnsüchte- und Schicksalsgesang, im Fado, der in Coimbra und vor allem in Lissabon gesungen wird, in der Bildenden Kunst (etwa in Max Beckmanns Triptychen371) und schließlich noch in den Niederungen der Groschenromane (der Arzt-, Heimat- und Kriegsschicksale . . .). Vor allem in der großen Literatur des bürgerlichen Realismus im 19. Jahrhundert erscheint immer wieder der Schicksalsgedanke (z.B. bei Wilhelm Raabe, Theodor Storm, Gottfried Keller u.a.). Ein besonders eindrückliches Beispiel dafür findet sich in der Erzählung Abdias von Adalbert Stifter. Stifter beginnt seine Erzählung mit allgemeinen Reflexionen über das Schicksal: „Es gibt Menschen, auf welche eine solche Reihe Ungemach aus heiterm Himmel fallt, daß sie endlich da stehen und das hagelnde Gewitter über sich ergehen lassai: so wie es auch andere gibt, die das Glück mit solchem ausgesuchten Eigensinne heimsucht, daß es scheint, als kehrten sich in einem gegebenen Falle die Naturgesetze um, daß es nur zu ihrem Heile ausschlage. Auf diesem Wege sind die Altai zu dem Begriffe des Fatums gekommoi, wir zu dem milderen des Schicksals" (A. Stifter, Abdias, Reclam-Ausgabe, 3). Stifter fragt sich, ob es dieses Fatum, „furchtbar letzter starrer Grund des Geschehenden, über den man nicht hinaussieht, und jenseits dessen auch nichts mehr ist" (ebd), „als letzte Unvernunft des Seins" (aaO 4) überhaupt gebe, oder ob nicht „eine heitre Blumenkette [...] der Ursachen und Wirkungen" (ebd.) zu überschauen wäre. Doch Stifter bricht dann diese Überlegungen ab, will nicht mehr weiter grübeln, sondern erzählt das besondere, anrührende und unbegreifliche Schicksal des Juden Abdias. Abdias büßt sein früheres, gewalttätiges, egoistisches und raffgieriges Leben mit dem Tod seiner Frau und mit dem Verlust seines Eigentums. Er zieht sich schließlich, verändert und geläutert, zusammen mit seiner blinden Tochter Ditha, die ihm noch geblieben ist, in ein einfaches, bäuerliches Leboi zurück. Ditha ist sein einziges, letztes Glück auf Erden. 370 Vgl. Beethovens v.a. in Briefen wiederholten Bekenntnisse, er wolle kämpfen, dem Schicksal, das ihm in seiner Ertaubung begegnet ist, trotzen, „dem Schicksal in den Rachen greifen" (H.H. Eggebrecht, Musik im Abendland, 573). Im Gegensatz zu diesem kämpferischen, tragischen Pathos steht der hinreißende Text Barths über Mozart (KD III/3, 337-339), der, so Barth, „den Einklang der Schöpfung gehört" (aaO 338) habe. „Mozart hatte hinsichtlich des Theodizeeproblems den Frieden Gottes, der höher ist als alle lobende, tadelnde, kritische oder spekulative Vernunft. Es lag kampflos hinter ihm. Warum sich darüber ärgern? Er hatte eben das gehört und läßt den, der Ohren hat zu hören, bis auf diesen Tag eben das hören, was wir am Ende der Tage einmal sehen werden: die Schickung im Zusammenhang" (aaO 337f). Vgl. zur Bedeutung der Musik bei Luther Anm. 338. 371 Über sein Triptychon „Versuchung" sagte Beckmann einmal: „'Manchesmal tritt das Schicksal in Gestalt eines Liftboys auf.'" (M. Beckmann, Die Realität der Träume in den Bildern, 47); vgl. aaO 28: „Mit der Demut vor Gott ist es vorbei. Meine Religion ist Hochmut vor Gott, Trotz gegen Gott. Trotz, daß er uns so geschaffen hat, daß wir uns nicht lieben können. Ich werfe in meinen Bildern Gott alles vor, was er falsch gemacht hat." Beckmann ist der bedeutendste Maler im 20. Jahrhundert, der - in den zahlreichen Bildern, die geschlagene, gefesselte, gebundene, getriebene Menschen und enge, vergitterte, zugestellte Räume zeigen - die Unfreiheit des Menschen und seinen Kampf um Befreiung immer wieder dargestellt hat (vgl. nur Beckmanns Hauptwerk, das Triptychon „Abfahrt"). Dazu: C. Schulz-Hoffmann, Gitter, Fessel, Maske. Zum Problem der Unfreiheit im Werk von Max Beckmann.

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Manchmal tut sich Abdias selbst etwas an, opfert etwas, „damit nicht das Schicksal ein Größeres begehre" (aaO 97). Aber in einem Gewitter stirbt Ditha - , und Abdias wird wahnsinnig. Nach der Lektüre dieser Geschichte zerfließen einem im Rückblick auf die philosophische Vorrede alle geordneten Begriffe Die Erzählung steht für sich und weist über alle theoretischen Konstruktionen hinaus. Mit Luthers A u s s a g e v o m deus absconditus, der alles in allem wirkt, mit den Konnotationen d e s auferlegten Schicksals und des zufallenden Glücks, ist auf jeden Fall auch die Unbegreiflichkeit 3 7 2 G o t t e s unüberbietbar auf die Spitze getrieben; der verborgene Gott ist maßloser und unbegreiflicher Gott, w e i l er mit keinem menschlichen M a ß zu messen ist, weil er keinem G e s e t z und keiner Macht untersteht und weil er in seiner Freiheit die R e g e l für alles ist 373 . 4 . 4 D a s Verhältnis d e s deus absconditus z u m deus revelatus Vergleicht man Luthers Definition d e s verborgenen Gottes, der Leben und T o d und alles in allem wirkt, mit der in der theologischen Literatur verbreiteten Vorstellung v o n diesem Gott, so muß auffallen, daß der A s p e k t des Lebens meist fehlt. N a c h der geläufigen Vorstellung wirkt der deus absconditus „nur" das B ö s e und den Tod. Er wird meistens thematisiert i m Zusammenhang der schrecklichen Erfahrungen und Anfechtungen der Menschen 3 7 4 . Sieht man

372 Vgl. außer den Äußerungen zur Unbegreiflichkeit im Bekenntnis Dsa 178,7 (voluntas imperscrutabilis); 202,14-30; 207,26-35 (33f: Hoc pertinet ad secreta maiestatis, ubi incomprehensibilia sunt iudicia eius); 213,19; 227,25-35 (30-32: Nam quomodo hoc iustum sit, ut indignos coronet, incomprehensibile est modo, uidebimus autem, cum illuc uenerimus, ubi iam non credetur, sed reuelata facie uidebitur.) 373 Dsa 208, 1-9: Deus est, cuius uoluntatis nulla est caussa nec ratio quae illi ceu regula et mensura praescribatur, cum nihil sit illi aequale aut superius, sed ipsa est regula omnium. Si enim esset illi aliqua regula uel mensura, aut caussa aut ratio, iam nec Dei uoluntas esse posset, Non enim, quia sic debet uel debuit uelle, ideo rectum est, quod uult, Sed contra. Quia ipse sic uult, ideo debet rectum esse, quod fit. Creaturae uoluntati caussa et ratio praescribitur, sed non Creatoris uoluntati, nisi alium illi praefeceris creatorem." Dieser Gott ist Exlex (WA 16,142,13; vgl. 141,19f), weil er außerhalb aller menschlich faßbaren Gesetze und Regeln steht. Schelling (s.u. Anm. 531) hat versucht, sich diesem Gedanken philosophisch zu stellen. Vgl. die entsprechenden Formulierungen bei G. Biel, Coll. I, d 41 q un I 4-12 und Coll. II, d 37 q un Κ 27-30: [...] voluntas Dei est suiipsius regula, et ideo non potest esse non-recta. Nec quodcumque extra se ideo vult, quia rectum; sed quia vult, ideo est rectum. Vgl. auch Coll. II, d 44 q un E 16-19. 374 Vgl. G. Ebelings Bemerkung über den verborgenen Gott: „Gott - das ist auch Auschwitz und Hiroshima [...]" (Existenz zwischen Gott und Gott, 282). O. Bayer schreibt im Zusammenhang der Klage: „Von hier aus läßt sich der genuine 'Sitz im Leben' der Rede vom Deus absconditus erkennen. Es handelt sich bei dieser Rede nicht um einen spekulativen Gedanken, sondern um eine Rede und einen Gedanken, den die Anfechtung herauspreßt" (Leibliches Wort, 345). Sicher ist der Gedanke des verborgenen Gottes eng mit der Problematik der Anfechtung verbunden, er „entsteht" angesichts einer Anfechtung; aber er läßt sich nicht auf den Bereich der Anfechtung be-

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sich aber Luthers Hauptbestimmung genauer an, dann muß man feststellen, daß aus dieser Bestimmung im üblichen Verständnis zumeist das Leben ausgefallen ist. Dieser deus absconditus umgreift noch die übliche Gegenüberstellung des verborgenen Gottes als Wirker des Schrecklichen und des offenbaren Gottes als Liebhaber des Lebens (Sap 11,26). Liebhaber des Lebens ist ja gerade auch, wenn man die Formel ernst nimmt, der verborgene Gott, der in der Schöpfung tagtäglich neues Leben aufbrechen läßt375. Aber genauso muß er doch auch Liebhaber des Todes sein, wenn Haß, Gewalt und alles Unglück seinem Wirken und Treiben gehorchen müssen. Wie ist dieses Beieinander, Ineinander und Widereinander in Gott zu verstehen? Es gibt zum einen Luthertexte, die das Widereinander betonen. Vor allem in zwei Textabschnitten in Dsa beschreibt Luther dieses Widereinander sehr eindrücklich. In Dsa 182,8-37 redet Luther vom deus incarnatus (182,14.17fl8f), der allen alles darreicht, was zum Heil notwendig ist (182,20) und der in die Finsternis der Welt kommt; seine Sache ist es „zu weinen, zu klagen und zu seufzen über das Verderben der Gottlosen, wohingegen der Wille der Majestät aus Vorsatz manche verläßt und verwirft, damit sie verloren gehen"376. Das Widereinander zweier Willen in Gott ist krass herausgestellt; mit dem einen Willen verwirft Gott, mit dem anderen weint (vgl. Lk 19,41), klagt (vgl. Mt 23,27) und seufzt177 (vgl. Mk 7,34) Gott gegen sich

schränken. Luthers Verbindung des Gedankens des deus absconditus mit der Allmacht, dem Allwirken Gottes greift weiter. Vom verborgenen Gott ist auch jenseits aller Anfechtungserfahrung zu reden, denn er wirkt ja nicht nur im Unglück, sondern auch im Glück. Vgl. Anm. 366. 375 Zur Verbindung vom allmächtigen und unbegreiflichen Gott mit seinem Schöpfungsund Vorsehungswirken vgl. Luthers Auslegung zu Gal 1,3 in der großen GalaterVorlesung; WA 40 I, 77,1 Iff; 13-17: Nihil enim est periculosius, cum agendum est in agone contra legem, peccatum et mortem cum Deo, quam nos vagari nostris speculationibus in coelo et considerare Deum ipsum in sua incompraehensibili potentia, sapientia et maiestate, Quomodo creaverit et gubernet mundum. Ebd Z. 20-22: Nam Deus in sua natura, ut est immensurabilis, incomprehensibilis et infinitus, ita intolerabilis est humanae naturae. 376 Dsa 182,25-28: Huius itidem Dei incarnati est Aere, deplorare, gemere super perditione impiorum, cum uoluntas maiestatis ex proposito aliquos relinquat et reprobet, ut pereant. In Th. Harnacks berühmter Luthermonographie ist das Widereinander durch scharfe Gegensatzpaare bis in die Gliederung hinein prägend: „Luthers Unterscheidung des verborgenen und des offenbaren Gottes fallt mithin durchaus zusammen mit seiner andern von Gott außer Christo und in Christo, oder Gott als Schöpfer und als Erlöser" (Luthers Theologie I, 94). 377 Mit diesen Verben (weinen, klagen, seufzen) zielt Luther schließlich auf das Jammern Jesu (Mk 1,41 [dazu: O. Bayer, Freiheit als Antwort, 22, bei Anm. 2]; 6,34; 8,2; 9,22; Lk 7,13; vgl. Mt 18,27; Lk 10,33; 15,20), das bis in die Eingeweide schmerzende Mitleiden, das wie „durch ein Brennglas auf einen Punkt versammelt" die „Selbsterschließung des Wesens und Wirkens Gottes in der Verkündigung und im Wirken Jesu Christi zum Ausdruck" bringt (W. Härle, Dogmatik, 320). Vgl. W. Elerts

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selbst. Mit dem einen Willen wirkt Gott Leben, Tod und alles in allem (omnia in omnibus: 177,37f) mit dem anderen Willen bietet er allen alles (omnibus omnia: 182,20; vgl. 119,33-37!) an, was zum Heil notwendig ist. Wo findet sich hier ein Zusammenhang und eine Einheit? Mit welchem Ausgang im Widereinander der zwei Willen ist zu rechnen? In ähnlicher Weise ist von Luther die Gegensätzlichkeit der Willen in Gott herausgestellt in dem Abschnitt in Dsa, der sich mit der Verstockung Pharaos beschäftigt (Dsa 206,21-208,9). Hier steht der verborgene Gott, der omnipotens actor (206,3 If), der alles bewegt und mit sich reißt, auch Pharao, gegen den offenbaren Gott, der von außen sein Wort und sein Werk anbietet (207,11 f), um den Pharao zur Umkehr zu bewegen. Dieser aber kehrt nicht um, weil er nicht will und weil dieser Wille bewegt ist vom Willen des verborgenen Gottes. Dieses Widereinander in Gott hat viele Ausleger zu der Meinung gefuhrt, Luther rede sogar von zwei Göttern378. Aber das ist fur Luther ausgeschlossen319. Die Spannung des Widereinanders kann nicht auf zwei verschiedene Götter verteilt werden, sondern muß in der Einheit des einen Grottes zusammengehalten werden. Luther treibt dieses Widereinander bis in die Christologie hinein. Für Luther sind Jesu Worte im Garten Gethsemane zusammen mit dem Kreuzesausruf „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen" „die größten wordt in tota scriptura" (Cl 8, 311,26; Nr. 5493; vgl. auch Nr. 5574; dazu: WA TR 2, 3f; Nr. 1234 und WA 45, 370,33-39). Im Kampf Christi in der Anfechtung verdichtet sich das Widereinander der Willen zum Leben und zum Tod, zum Heil und zur Verdammnis in äußerster Weise. In seiner Auslegung zu Ps 22,2 (mit Mt 26,39) beschreibt Luther das Seufzen, Bezugnahme auf den Jammer Jesu, der „selbst die Not des Tieres" noch einbeziehe (Das christliche Ethos, 310; § 36). 378 Vgl. K. Zickendraht, Luthers Streitschrift gegen Erasmus, 1062: „Sein Leben lang ist ihm [Luther] [...] in Gottes Wesen ein Widerspruch stehen geblieben, sodaß er besonders in der Schrift gegen Erasmus sogar von zwei Göttern, einem verborgenen und einem offenbaren mit scheinbar entgegengesetzten Willensäußerungen hat reden können." Vgl. die Anspielung des Erasmus auf die Rede von zwei Göttern bei den Alten: Dia IV7, 169. 379 Vgl. im Bekenntnis die Wendung Deus uerus et unus (Dsa 289,17). Immer wieder hat sich Luther gegen die zwei Götter und Prinzipien der Manichäer gewandt. Vgl. WA 40 II, 417,18-418,20; vor allem 418,17-19 (zu Ps 51,10). Luther stellt zuvor unter Bezugnahme auf alttestamentliche Texte wie Prov 16,4 oder Am 3,6 und Jes 45,7 das Allwirken Gottes, der Böses und Gutes wirke, heraus und schließt dann an: Qui hoc non credit, is discedit ab unitate fidei, quod sit unus Deus, et fingit sibi alium Deum, qui sui sit dissimilis, iam bonus, iam malus. Der Einheit des Glaubens entspricht hier also die Einheit Gottes, obwohl sie Gutes wie Böses wirkt. (Dieser Text spricht stark für die Lutherinterpretation Bandts und Jüngels!) Dazu WA 40 III, 516,13-518,11; 516,13f: Prudenter loquitur Moses, quod hanc iram refert in creatorem. Ne veniat Manichaeus et faciat duos deos [...]. 517,11: Sed referendum utrumque ad unum et eundem Deum [...]. Vgl. auch 584,11-585,8.

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Klagen, Erschrecken und Fliehen Christi (WA 5, 605,26f: gemere, clamare, horrere et fügere), zu dem er in seiner Anfechtung gedrängt ist. Es kommt zu einem Riß in der Gemeinschaft des Sohnes mit dem Vater, zu einem Gegensatz beider Willen; WA 5, 605,15: [...] suam voluntatem opponit voluntati dei [...]. Christus geht für Luther nicht unangefochten und siegesbewußt durch den Tod; er ist uns darin gleich, daß er auch vor der Anfechtung des Todes steht und daß es auch bei ihm ans „Treffen" ging, wo er Gesetz und Evangelium für sich selber nicht zu unterscheiden wußte und vom Heiligen Geist getröstet werden mußte (vgl. die Tischrede Nr. 1234)380. Auch in der Auslegung zu Gal 3,13 schildert Luther eindrücklich, wie sich in Christus als Kampffeld die Sünde und die Gerechtigkeit miteinander streiten, wie beide Seiten in ihm mit aller Kraft gegeneinander angehen und aufeinander stoßen (WA 40 I, 438,32f) und wie in diesem Zweikampf (439,9: [...] in ilio duello [...]; vgl. WA 7, 55,16: [...] stupendo duello) schließlich die Gerechtigkeit siegt. Luther wirft Erasmus vor, er komme in einem bestimmten, das Ganze und Wesentliche der christlichen Frömmigkeit ansprechenden Abschnitt381 seiner Diatribe nicht einmal mit einem Jota auf Christus zu sprechen (Dsa 103,27f); angesichts dieser Kritik an einer christlichen Frömmigkeit ohne Christus (103,29: Christianam pietatem sine Christo) muß aber auch bei Luther in Dsa auffallen, daß Textpassagen, die Christus erwähnen oder ausgesprochen christologisch382 argumentieren, relativ verglichen mit den breiten anthropologischen, hamartiologischen und theologischen Abschnitten - selten sind (vgl. Dsa 101,20-102,23; 113,38-114,5; 129,24-32; 182,837; 258,24-35; 286,13-287,39; 282,9-284,18; 291,41-292,4). Luthers „chnstologische Zurückhaltung" in Dsa ist aber zu verstehen vor dem Hintergrund der breit entfalteten Christologie in den in zeitlicher Nähe zu Dsa stehenden Abendmahlsschriften Luthers (1523-1528). Vielleicht ging es Luther auch darum, Erasmus erst einmal auf dessen theologischen Feldern zu schlagen.

380 Friedrich Gogarten (Luthers Theologie, 63) stellt als Besonderheit in Luthers Christologie heraus: „Es gibt keinen Theologen vor ihm und außer Kierkegaard keinen nach ihm, der so wie er den angefochtenen Christus zum Gegenstand und Grund des Glaubens gemacht hat. Es handelt sich da vor allem um den Christus in Gethsemane und am Kreuz." 381 Dieser Abschnitt (Dia Ia8, 10-13) wird von Luther Forma Christianismi (104,23; vgl. 104,lOf; 107,9; 144,38f) oder nur forma (vgl. 103,26) genannt. Luther ist über die erasmische Darstellung einer - in seinen Augen - christlichen Frömmigkeit ohne Christus (103,29) so empört, daß er in polemischer Erregung im Duktus des lateinischen Textes plötzlich in die deutsche Sprache fallt: „[...] das ist zu uiel [...]" (103,40f). Vgl. zum ganzen Streit um diese forma die instruktive Studie von J. Mehlhausen (Forma Christianismi, 437-455), der die forma „als ein kleines katechetisches Lehrstück" (aaO 445) bestimmt und anhand der Darstellung der Kontroverse um diesen Text theologische Verständnisschwierigkeiten und Differenzen (vgl. aaO 451-455) zwischen Erasmus und Luther herausstellt. 382 Zum Verhältnis des extremen, widersprüchlichen Denkens in Dsa zur Christologie vgl. J. Baur, Extreme Theologie, lOf: „Dieser Gott, auf den alles zu beziehen ist, dem die Überwindung des Widerspruchs allein zuzuschreiben ist, stellt sich Luther in der Person Christi dar. [...] das Widereinander der Extreme tritt in der Person Christi auf Versöhnung hin zusammen."

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Neben den Textzusammenhängen, die ein Widereinander zwischen offenbarem und verborgenem Gott nahelegen, gibt es nun auch Textabschnitte, in denen sich die Zusammenhänge nur durch ein Ineinander beider Seiten in Gott erklären lassen. Luther betont zum Beispiel, daß es harte Arbeit ist, die Sünder zum Heil zu bringen (Dsa 203,1: molestum opus; 177,31-33: Deus pius ... déplorât mortem, quam inuenit in populo et amouere studet; vgl. Jes 43,24). Woher aber sollte der gepredigte Gott die Kraft zu diesem mühevollen Werk haben, wenn nicht von der Allgewalt des verborgenen Gottes? Luther sieht den einzigen und höchsten Trost gegen alle Anfechtungen in der Gewißheit, daß Gott nicht lügt und seiner Zusage treu bleibt (111,11-15; 211,5-7; 288,33f; vgl. Num 23,19; Hebr 6,18). Diese Treue kann der sich zusprechende Gott nach Luther aber nur dann gegen alle Widerstände durchtragen, wenn er die Allmacht, Notwendigkeit und Unveränderlichkeit des verborgenen Gottes in sich hat (108,7-10; 110,30-39; vgl. Jak 1,17). Auch der Abschnitt 207,26-35 geht in die gleiche Richtung. Luther fragt hier rhetorisch, warum der allwirkende Gott nicht von seinem Wirken abläßt, damit die Bösen in ihrem Tun nicht mehr weitergetrieben werden; und antwortet dann darauf, daß dies bedeuten würde „zu wünschen, daß Gott wegen der Gottlosen aufhöre, Gott zu sein [...], nämlich, daß er aufhöre, gut zu sein"383. Diese verschiedenen Zuordnungen ergeben ein verwirrendes Geflecht, das schwer zu entwirren ist. Der Interpret muß sich sogar fragen, ob Luther selbst die Zusammenhänge dessen, was er durchdacht hat, immer ganz klar waren. Insofern sind Versuche wie etwa die Bandts oder Jüngels legitim, in diesem Wirrwar Klärung zu schaffen und Einheitlichkeit zu entdecken. Die hier folgenden Ausführungen gehen aber davon aus, daß eine solche Einheitlichkeit in Luthers Denken nicht gewonnen werden kann - oder nur um den Preis, daß bestimmte Aspekte des Lutherschen Denkens relativiert oder gar nicht mehr beachtet werden. Die Lutherinterpretation kann einfach nicht an der Tatsache, daß Luther kein System und keine Summa vorgelegt hat, vorbeigehen. Angesichts dieser Widersprüchlichkeiten mag auch eine extreme und gewagte Interpretation mögüch sein. Nach dem oben Dargestellten, nach den vielfältigen Gedanken des Ineinanders und Widereinanders in Gott kann sich keine schlüssige und eindeutige Auslegung festmachen lassen. So ist zum Beispiel in der Frage des Widereinanders von einem zweifachen Widereinander auszugehen: Einmal von einem Widereinander, in dem der verborgene Gott für die negative Seite und der offenbare Gott für die positive Seite steht; der eine für den Tod, den Zorn und die Verdammnis, der andere für das Leben, die Liebe und das Heil. Aber in

383 Dsa 207,27-31: [...] Cur Deus non cesset ab ipso motu omnipotentiae, quo uoluntas impiorum mouetur, ut pergat mala esse et peior fieri? Respondetur: hoc est optare, ut Deus propter impíos desinat esse Deus [...], ut desinat esse bonus [...]. Die analoge Gedankenführung dazu findet sich bei Schelling in seiner Freiheitsschrift; vgl. Anm. 527.

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dieser Sicht des Widereinanders wird Luthers Grundbestimmung des allwirkenden Gottes, der Leben und Tod wirkt, nicht wirklich ernst genommen. Der verborgene Gott ist nicht nur auf das Böse, das Leid und das Unglück zu beziehen; Gott ist auch im Lächeln eines Kindes oder in einem prächtigen Sonnenaufgang in den Alpen „verborgen" als Allwirker. Umgekehrt muß auch der offenbare Gott mit dem Leid verbunden werden; zu den Werken Gottes, die zum Heil fuhren, gehören für Luther „Tod, Kreuz und alle Übel der Welt" (Dsa 154,3: mors, crux et omnia mala mundi) - wie sollte die Theologie sonst vom Heil im Kreuz reden können? Nimmt man das Widereinander zusammen mit dem Ineinander, dann legt sich ein anderer, nach meinem Urteil treffenderer Gegensatz nahe. Unter der Voraussetzung der oben vorgeschlagenen Verhältnisbestimmung, wonach gleichsam der deus absconditus den deus praedicatus noch umgreift und in sich enthält, wäre das Widereinander so zu bestimmen, daß sich verborgener und offenbarer Gott nicht zueinander verhalten wie Tod und Leben oder Zorn und Liebe, sondern wie Unbegreiflichkeit zu Begreiflichkeit, Vieldeutigkeit zu Eindeutigkeit. Und dem würde auf der Seite des Menschen der Gegensatz von Gewißheit und Ungewißheit entsprechen. In seiner frühen Kreuzestheologie neigte Luther dazu, den wahren Gott mit dem Kreuz und dem Leiden in engster Ausschließlichkeit zu verbinden. Nur in Kreuz und Leiden, so Luther in der Heidelberger Disputation384, finden wir Gott. Das war einseitige Mönchsund Demutstheologie. Gott muß ja auch im Segen, im Glück, in der Bewahrung gefunden werden können - gäbe es sonst in der Bibel Lob- und Danklieder?385 Wenn der verborgene, allmächtige Gott alles in allem wirkt, dann ist er in Tod und Leben, Unglück und Glück immer wirkend dabei, aber eben so verborgen, daß weder Vernunft noch Glaube diese Verborgenheit durchstoßen können. Nur die Verkündigung des offenbaren Gottes, dessen besondere, präzise Verborgenheit"386 der Glaube annehmen kann, schafft im unterschiedslosen Allwirken des deus absconditus Gewißheit und Eindeutigkeit. An dieser Stelle ist noch einmal auf die schon mehrfach angesprochene Bedeutung der Gewißheit und Heilsgewißheit bei Luther hinzuweisen (s.o. Anm. 56f u. 65). Vor allem vor dem Hintergrund seiner extremen Rede vom verborgenen Gott wird die Betonung der Gewißheit bei Luther nachvollziehbar. Spätestens seit den Bestimmungen des Xenophanes von Kolophon, der - gegen die Götterrede bei Homer und Hesiod - die Einzigkeit, Einheit und Geistigkeit Gottes herausstellte, spätestens seit „seiner Vergeistigung und Versittlichung des Gottesbegriffes"387, ist dem philosophischen und 384 385 386 387

Vgl. Anm. 296. Vgl. Th. Dieter, Der junge Luther und Aristoteles, 153-156; 160; 183. E. Jüngel, Quae supra nos, nihil ad nos, 239. Die Vorsokratiker, Capelle-Ausgabe, 115; vgl. die Einwände des Xenophanes gegen den anthropomorphen Polytheismus, aaO 121f. Mit dem fr. 11 (aaO 121, Nr. 22; vgl. Diels I, 132) nimmt dieser vorsokratische Aufklärer Piatons Typoi der Theologie (s.u. Anm. 459) vorweg: „Alles haben Homer und Hesiod den Göttern angedichtet, was nur

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theologischen Reden von Gott ein Rationalismus eingeprägt, der eine bestimmte Grundgewißheit vermittelt: die Überzeugung, daß die Welt und der Grund dieser Welt, Gott, - trotz allem Bösen, Leidvollen, Unbegreiflichen - letztlich doch vernünftig und verstehbar ist. Die Grundgewißheit steht hinter Piatons Setzungen, Gott sei unwandelbar und schuldlos am Bösen, hinter Aristoteles' Bestimmung Gottes als Denken des Denkens, hinter der Überzeugung des Thomas, daß die Welt vom göttlichen Ordner geordnet ist; die Gewißheit ist noch herrschend in Hegels philosophischem Glauben, daß das Wirkliche vernünftig und das Vernünftige wirklich ist388. Der Mensch ist mit dieser Gewißheit nicht fremd, nicht heimatlos389 in der Welt und nicht ausgeliefert vor Gott, weil die geistige Struktur der Welt und Gott als Inbegriff des Geistes mit dem Geist des Menschen in einem gleichsam verwandtschaftlichen Zusammenhang stehen. Erasmus kannte die Grundgewißheit. In allen bedrängenden Fragen, etwa nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts der Ungerechtigkeiten im Weltgeschehen oder im Prädestinationsgeschehen, in allen Schwierigkeiten, die in der Heiligen Schrift auftauchen, vor allem in dem Labyrinth der Frage nach der Willensfreiheit (Dia l a i , 2/3) hat Erasmus immer die letzte Gewißheit, daß Gott „von Natur aus", in seinem Wesen, „gerecht" und „überaus gnädig" ist390. Luther kannte diese Grundgewißheit nicht. Sicher gab es für Luther eine natürliche Theologie, eine Theoimmer bei den Menschen Schimpf und Schande ist: Stehlen, Ehebrechen und sich gegenseitig Betrügen." Mit dem fr. 15 und 16 (ebd, Nr. 24 und 25) erinnert er an Feuerbachs Religionskritik: „Wenn Kühe, Pferde oder Löwen Hände hätten und damit malen und Werke wie die Menschen schaffen könnten, dann würden die Pferde pferde-, die Kühe kuhähnliche Götterbilder malen und solche Gestalten schaffen, wie sie selber haben." „Die Äthiopen stellen sich ihre Götter schwarz und stumpfnasig vor, die Thraker dagegen blauäugig und rothaarig." Zur Bedeutung des Xenophanes in der europäischen Gotteslehre vgl. G. Picht, Der Gott der Philosophen, 242f. Auch bei Euripides finden sich Spuren der aufgeklärten Götterkritik; so in seinem Fragment (292 N ): „Wenn Götter freveln, sind sie Götter nicht" (zit. nach A. Lesky, Die griechische Tragödie, 209). 388 Vorrede zu den Grundlinien der Philosophie des Rechts (Theorie-Werkausgabe, Bd. 7, 24): „Was vernünftig ist, das ist wirklich; / und was wirklich ist, das ist vernünftig." 389 Vgl. zum durchgängigen Gebrauch der Metaphorik der Heimat in der Betrachtung der unterschiedlichen Gewißheiten des Denkens und des Glaubens: E. Jüngel, Gottesgewißheit, 252-264. 390 Dia Ia8, 12/13: [...] a deo natura iusto [...] a deo natura clementissimo [...]. In seiner Erwiderung auf Luthers Bekenntnis im Hyperaspistes II betont Erasmus, daß die Heiden nicht gänzlich, wie Luther nahelege, aus der Betrachtung des Weltlaufes zur Gottesleugnug gekommen seien; sie hätten im Gegenteil aus den geschaffenen Dingen Gott als das Beste und Größte erschlossen (Opera omnia, Bd. 10, 1517 B: Et tarnen ex rebus conditis Ethnici quoque deprehenderant esse deum, eumque dixerunt optimum maximumque). Für Luther dagegen ist der Gott in seiner Majestät und Natur zu lassen (Dsa 177,26f: Relinquendus est igitur Deus in maiestate et natura sua [...]), weil er in seiner unbegreiflichen Natur von der Natur des Menschen nicht zu ertragen ist: Nam Deus in sua natura, ut est immensurabilis, incomprehensibilis et infinitus, ita intolerabilis est humanae naturae (WA 40 I, 77,20-22). In anderem Zusammenhang kann Luther gegenüber Erasmus sagen: „Du denkst zu menschlich", d.h. zu geistig, zu vernünftig „von Gott" (Dsa 113,30: [...] Nimis enim humana cogitas de Deo). In der Perspektive des deus praedicatus allerdings redet dann auch Luther vom menschlichen Gott, vom deus incarnatus et humanus Deus (WA 40 I, 78,6; vgl. Z. 26).

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logie, in der Menschen aufgrund der Natur ihrer Vernunft Aussagen über die Natur Gottes machen Aber das natürliche Wissen um Gott fuhrt nicht zwingend zu dem gewissen Gott (s.u. S. 192f). Angesichts der Abgrunderfahning des verborgenen Gottes stand Luther vielmehr vor der Ungewißheit, ob Leben oder Tod, Gnade oder Zorn, Liebe oder Angst, ob ein barmherziger Gott oder ein bösartiger Teufel im Grund allen Seins steht. Das wirkliche Wesen Gottes, so Luther, kenne idi nur, wenn idi Gottes Herz kenne, und Gottes Herz kenne ich nur in Christus3", der aber im Wort und in der Kraft des Geistes zu mir kommen und Heilsgewißheit schaffen muß und nicht in der Grundgewißheit schon einfach da oder mitenthalten ist. Weil ihm die Grundgewißheit, daß ein vernünftiger und insofern guter Gott hinter allem steht, von der Erfahrung des deus absconditus zerschlagen ist, hängt Luther mit allen Fasern seines Daseins und Denkens an der einen Heilsgewißheit durch den offenbaren, gepredigten Gott. Vom deus praedicatus in diesem Sinne gilt: verbo suo defmiuit sese (Dsa 177,38); er hat sich in seinem Wort definiert, faßbar und begreifbar gemacht. Der deus absconditus ist - mit einer Formulierung aus Luthers Auslegung von Ps 51 gesprochen - ein deus vagus (WA 40 II, 386,34), ein unbeständiger, ungebundener und regelloser Gott. Im Gegensatz dazu steht der deus certus (387,18), qui certo loco, verbo et signis certis se ipsum circum scripsit (386,35), der gewisse Gott, der sich am bestimmten Ort, durch ein gewisses Wort und gewisse sakramentale Zeichen selbst begrenzt392. Damit ist aber das Wirken des verborgenen Grottes nicht außer Kraft gesetzt oder der deus absconditus durch den deus praedicatus einfach ersetzt. Viele Luther-Auslegungen kommen hinsichtlich des verborgenen Gottes zu dem Resultat, daß dieser verborgene Gott zu lassen sei, d.h. daß die Theologie auch das Reden von diesem Gott zu lassen habe. Dabei wird aber übersehen, daß die Aufforderung Luthers, den Willen des verborgenen Gottes zu lassai (Dsa 177,26f) vor allem auf das Verbot der Gottesspekulation bezogen ist393. Luther warnt vor dem Spekulieren des verborgenen Gottes, vor dem Eindringen in Geheimnisse, die dem Menschen verschlossen sind. Trotzdem ist mit dieser Aufforderung das Problem des verborgenen Gottes nicht einfach erledigt; Luther macht ja audi weiterhin verschiedene Aussagen über ihn und die Hauptdefinition (daß Gott alles in allem wirkt) ist auch mit dem Allmachtsbegriff eng verbunden. Das quod (178,10), das „daß" ist zu wissen, das Quid (178,11), das Cur (ebd) und das quatenus (178,12) sind zu lassen: Der deus absconditus ist zu wissen; was er will, warum er will und wohin sein Wille geht, das ist zu lassen. Es kann nicht ergründet und erforscht werden - der Mensch würde in

391 Vgl. BSLK 660,18-47. 392 Vgl. den Ausdruck „Gott bindet sich an" in WA 23, 151,13-16: Es ist ein Unterschied, „wenn Gott da ist, und wenn er dir da ist. Denn aber ist er dir da, wenn er sein wort dazu thut und bindet sich damit an und spricht: Hie soltu mich finden. Wenn du nu das wort hast, so kanstu yhn gewislich greiffen und haben [...]." 393 WA 43, 459,41f: [...] omitte speculationem de Deo abscondito [...]. WA 40 I, 78,17: [...] omissa speculatione Maiestatis (vgl. 79,29). AaO 79,lf: [...] abstinendum simpliciter ab omnibus cogitationibus et speculationibus maiestatis [...].

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Abgründe versinken; es kann nur gefürchtet und angebetet werden (178,13: tantum timere et adorare)394. Der verborgene Gott behält sein Allwirken bis zum Licht der Herrlichkeit. Bis dahin liegt er mit dem Wirken des offenbaren Grottes im Streit. Der deus absconditus hat universale Wirkung (vgl. Jes 45,7); der deus praedicatus hat „universale Geltung"395 (vgl. Mt 28,18-20), aber nur begrenzte Wirkung396. Es gibt für Luther ein „Außerhalb"397 der Gnade Gottes, in dem der Mensch aber unter der allgemeinen Allmacht Gottes bleibt. In der Jetzt-Erfahrung ist der gepredigte Gott noch eingebunden in den verborgenen Gott; das Wirken des gepredigten Gottes aber gibt die Hoffiiung, daß es einmal umgekehrt sein wird und daß der verborgene Gott mit seinem Allwirken ganz im offenbaren Gott mit seinem eindeutigen Liebes- und Lebenswillen aufgehoben sein wird. „Er ist noch ymer vorporgen. Aber am iungsten tag wirt er erscheynen ynn heller offenbarer klarheyt und ehre, das seyne klarheyt unnd ehre wirtt allen creatum offinbar seyn und ewiglich also offinbar bleyben.11398 Dieses völlige Zusammenfallen von deus absconditus und deus revelatus zur letzten Einheit, dann, wenn Gott alles in allem sein wird (1. Kor 15,28), thematisiert Luther mit seiner Rede vom Licht der Herrlichkeit (s.u. S. 226fi). Mit christologischen oder trinitätstheologischen universalen Überlegungen den verborgenen Gott um394 Vgl. zu diesem Zusammenhang auch Luthers Tischrede Nr. 5658a; WA TR 5, 293296, 296,32-34: „Einen absconditum mußen wir haben, abr wir sollen nit darnach greiffen, sonst brechen wir den hals." Der Ausdruck anbeten ist hier nicht zu verstehen im Sinne eines ehrfürchtigen Anbetens des Heiligen Gottes, sondern eher im Sinne eines ängstlichen Beugens und Abwendens von dem verborgenen Gott. Luther kann auch das Schweigen als angemessene menschliche Reaktion angesichts des verborgenen Gottes herausstellen. Meistens würden gerade die verkehrten Menschen den zu fürchtenden Willen Gottes erforschen wollen; diese sind zum Schweigen und zur Ehrfurcht zu ermahnen; Dsa 183,11-13: Deinde caussa haec est huiusmodi, ut in illa maxime petant peruersi homines uoluntatem illam metuendam; ideo maxime locus est, eos tum ad Silentium et reuerentiam hortari. Vgl. 213,1 lf: Compescit autem sic, ut iubeat eos tacere, et reuereri maiestatem potentiae [...]. In anderem Zusammenhang wendet sich Luther aber gegen das erasmische mystische Schweigen in bezug auf christliche Dogmen (vgl. Dia Ia9, 14/15): 124,38-40. Vgl. o. Anm. 163. 395 W. Eiert, Der christliche Glaube, 457. Vgl. Dsa 119,35-37: [...] Christus: Ite in uniuersum mundum, non ait: ite aliquo et aliquo non, sicut Erasmus. Item: Praedicate Euangelion omni creaturae, non ait: apud aliquos, apud aliquos non. 396 Vgl. Dsa 288,38: [...] si non omnes, tarnen aliqui et multi saluentur [...]. 118,37f: Si non omnes seruari possunt, aliqui tarnen seruantur, propter quos uerbum Dei uenit [...]. 397 Dsa 251,13-15: Dicimus enim, hominem extra gratiam Dei manere nihilominus sub generali omnipotentia Dei facientis, mouentis, rapientis omnia, necessario et infallibili cursu [...]. Vgl. das citra in 252,36, das extra in 253,17 und das extra Christum in 283,21; vgl. Z. 22-24. Dazu auch die Gegenüberstellung von generali omnipotentia und singulari uirtute spiritus; 253,18f. Vgl. auch entsprechende Wendungen Luthers in seiner Schrift gegen Latomus: WA 8, 126,27-32. 398 WA 10 1/1,44,8-11 (Kirchenpostille, 1522; zu Titus 2,13).

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greifen zu wollen, schlägt fehl, weil Christologie und Trinität für Luther ganz auf die Seite des deus praedicatus gehören3". Als offenbarer Gott ist der dreieine Gott „ein Gott / der sich uns allen selbs gantz und gar gegeben hat / mit 399 Vgl. Dsa 101,25-28 ([...] summum mysterium proditum est, Christum filium Dei factum hominem, Esse Deum trinum et unum, Christum pro nobis passum et regnatunim aeternaliter) mit Dsa 177,29 ([...] quatenus indutus et proditus est uerbo suo). Dazu: E. Jüngel, Quae supra nos, nihil ad nos, 223. Vgl. Jüngels Feststellung, „daß es BARTH mit der Trinitätslehre darauf ankommt, die Gegenüberstellung eines deus nudus zum deus incarnatus zu verhindern" (E. Jüngel, Gottes Sein ist im Werden, 52; vgl. die weiterführenden Überlegungen, die versuchen, Luthers und Barths Theologie zusammenzuführen: Gott als Geheimnis der Welt, 472-475; Quae supra nos, nihil ad nos, v.a. 221-242). Auch W. Pannenberg versucht, die Trinitätstheologie mit Luthers Unterscheidung zwischen dem verborgenen und offenbaren Gott zusammenzudenken: Die „Unterscheidung zwischen verborgenem und offenbarem Gott findet in den trinitarischen Beziehungen selber statt" (Systematische Theologie, Bd. 1, 368). Im „Offenbarungsgeschehen wird der verborgene Gott als der Vater Jesu Christi offenbar, und die Einheit des verborgenen mit dem offenbaren Gott wird manifest in der Einheit des Vaters mit dem Sohne" (ebd). Pannenberg sieht zwar die „Spannung" (ebd) in Luthers Denken und stellt heraus, daß „nach Luther die Einheit des verborgenen mit dem offenbaren Gott erst im Lichte der eschatologischen Herrlichkeit endgültig offenbar sein wird" (ebd); seine Überlegungen aber entspannen die Probleme, die Luther in Dsa aufwirft, doch beträchtlich durch sein antizipatorisches Verständnis des Glaubens und der Theologie. Die Versuche des Dogmatikers, so Pannenberg in den folgenden, seine gesamte theologische Bemühung charakterisierenden Sätzen, „die Kohärenz der christlichen Lehre und damit auch die Einheit der Welt, ihrer Geschichte und ihrer künftigen Vollendung als Ausdruck der Einheit Gottes zu denken, sind nur Nachvollzug und Vorentwurf der Kohärenz der göttlichen Wahrheit selber. Sie beruhen auf Antizipationen, die die Prolepse des Eschaton in der Geschichte Jesu Christi nachvollziehen, und die im Hinblick auf Gott die Funktion der Doxologie haben. Die Entscheidung über ihre Wahrheit liegt bei Gott selbst. Sie wird endgültig mit der Vollendung des Reiches Gottes in seiner Schöpfung fallen, und sie fallt vorläufig in den Herzen der Menschen durch das überführende Wirken des Geistes Gottes" (aaO 66). „Auch der christliche Gottesbegriff ist wie jeder Begriff nur eine Antizipation der Wirklichkeit, deren Begriff zu sein er beansprucht" (Systematische Theologie, Bd. 3, 678). „Daher wird erst die eschatologische Vollendung der Welt den definitiven Existenzbeweis Gottes erbringen zugleich mit der endgültigen Klärung der Eigenart seines Wirkens und Wesens" (ebd). Vgl. die Rede von der ,,eschatologische[n], d.h. durch Gott selbst vollzogene[n] Verifikation" bei I.U. Dalferth, Existenz und Identifikation, 50. Auch Dalferth verbindet die Aussagen über die Verborgenheit Gottes mit trinitätstheologischem Denken: vgl. Ders., Umgang mit dem Selbstverständlichen, 240f. Der Spannung in Luthers Denken näher ist J. Baur. Für ihn ist Gott „nicht die einheitsstiftende Macht einer einheitlich gefügten Welt" (Ders., Das reformatorische Christentum in der Krise, 64; vgl. 14f; 19f; 64-67). „Weil Gott von unserem Begreifen nicht eingeholt wird, hat der Gottesbegriff [...] nicht die Leistung zu übernehmen, uns einen verfügbaren, stimmigen Begriff der einen Wirklichkeit zu bieten. Gerade Luthers Hinweis auf den verborgenen Gott läßt uns des unbegreifbaren, alles durchwirkenden, mächtigen Geheimnisses inne werden, an dem sich Erfahrung und Erklärung erschöpfen" (Ders., Die heutige kontroverse Einschätzung Luthers im Protestantismus, 42).

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allem das er ist und hat"400, der „sich ganz und gar ausgeschüttet hat und nichts behalten, das er uns nicht gegeben habe."401 In Christus, „ym Euangelio unnd glawben [...], da ist got kleyn und wenig begriffen."402 Gott macht sich in seiner Offenbarung in Jesus Christus klein - „Den aller Welt Kreis nie beschloß, / der Hegt in Marien Schoß; / er ist ein Kindlein worden klein, / der alle Ding erhält allein" (EG 23,3) - , der Mensch kann ihn aber nicht groß machen dadurch, daß er das begrenzte Evangeliumswort und dessen Wirken einfach universalisiert403. Groß kann sich der offenbare Gott nur selber machen, indem er sich im Kampf mit dem deus absconditus letztlich durchsetzt. Bis dahin gilt: Gott geht ganz in seine Offenbarung ein, er geht aber nicht in ihr auf 04 . Unüberbietbar scharf und klar hat diesen Sachverhalt Jochen Klepper in einer Tagebuch-Notiz (vom 16. Juli 1933) zum Ausdruck gebracht: „Immer schreibe ich von Gott. Nie von Christus. Das ist mir Christus: Grottes erträgliche Gestalt unter den Menschen, Gottes Erfüllung der Heiligkeit seiner Geset-

400 Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis, 1528; Cl 3, 511,21f (vgl. 511,21-34). Vgl. dazu die entsprechenden Texte im Großen Katechismus, BSLK 650,27-33; 651,10-15; 660,18-47. 401 BSLK 651,13-15. Angesichts dieses Zitats drängt sich wieder ein Blick auf Barths (und entsprechend Jüngels und Bandts) Kritik an Luthers extremer Rede vom deus absconditus auf: Kann Luther denn sinnvollerweise noch von einem verborgenen Gott „neben" oder „hinter" dem Offenbarungsgeschehen reden, wenn sich Gott so gänzlich ausgeschüttet, ausgegeben hat und wenn er gleichsam nichts in der Hinterhand, im Verborgenen zurückbehalten hat? Die Kritik hat in Anbetracht dieses Zitates etwas Zwingendes - zugegeben. Aber es gibt eben auch andere Texte Luthers, die eine so paradoxe, ganz anders orientierte Interpretation wie die Kleppers (s.u. bei Anm. 405) nahelegen. 402 WA 10 1/1, 44,18f. Z. 19f: „Aber dann wirt er sich sehen lassen nach seyner grosse und Maiestett." 403 Wird aber nicht in den Hymnen des Neuen Testaments das Evangeliumswort von Christus groß (vgl. Kol 1,16) gemacht? Das ist richtig und vom urchristlichen Enthusiasmus, von dem „einzigartigen 'dynamisch-schöpferischen Impuls her, der in den frühen Gemeinden wirkte, zu verstehen (M. Hengel, Christologie und neutestamentliche Chronologie, 64). Der in den Hymnen des Neuen Testaments besungene Christus ist Sieger über die feindlichen Mächte und kosmischer Weltenherr. Aber trotzdem bleibt es dabei: „Auch der erhöhte Christus ist nicht am Ziel. Seiner Herrschaft wird durch die Macht des Todes noch widersprochen, sie ist also bis ans Ende der Zeit umstritten und insofern sogar fragwürdig. Weltenherrn darf man Christus nur im Glauben und im Blick auf seine Bestimmung nennen. Vorläufig ist er nur Herr seiner Kirche [...]. Auch er gehört noch in die Schar der Kämpfenden, wenn man es übertrieben ausdrückt. Er ist jedenfalls noch nicht der vollendete Sieger, weil das seine unbestrittene Weltherrschaft voraussetzen würde. Der Erhöhte behält bei Paulus die Nägelmale des Irdischen und wäre sonst nicht mit Jesus identisch" (E. Käsemann, Der Ruf der Freiheit, 91f, mit Blick auf 1. Kor 15,25-28 und reformatorische Kreuzestheologie). 404 Vgl. C.H. Ratschow, Der angefochtene Glaube, 248: „Ohne die Angefochtenheit könnte der Übermut aufkommen, Gott gehe in seiner Offenbarung auf und ich könnte seiner habhaft werden."

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ze unter den Menschen - Gott ist ganz in Christus. Aber Christus ist nicht der ganze Gott. In diesen Paradoxien des Glaubens lebt man hin, - und nur wenn ich Jesaja oder Luther lese, kommt eine Beruhigung in meinen Geist."405 Gott ist ganz in Christus - aber Christus ist nicht der ganze Gott: In diesen Worten ist nach meinem Urteil Luthers spannungsvolle Rede vom verborgenen und offenbaren Gott am einfachsten und zugleich am präzisesten auf den Punkt gebracht. Die paradoxe Aussage Kleppers ist allerdings zu relativieren im Rahmen christologischer Aussagen, im Hinblick vor allem auf die communicatio idiomatum, wonach in der Einheit der Person Jesu Christi sich die Wesenseigenschaften der menschlichen und göttlichen Natur wechselseitig austauschen, so daß „das, was des Menschen ist, mit Recht von Gott, und wiederum, was Gottes, vom Menschen gesagt werde" (WA 39 Π, 93,6f; zit. nach E. Hirsch, Hilfsbuch, 40. Vgl. Dsa 391,19-30; 457.32-459,24 und WA 50, 587,19-592,15). In diesem präzisen christologischen Sinn ist „Gott gantz ynn Christo" (WA 23, 139,33) und Christus ist der ganze Gott, „also das ausser Christo schlecht kein Gott noch gottheit ist" (139,28f). Aber dies sind Aussagen, die den mit der Menschheit in Christo vereinigten Gott betreffen, nicht allein den auch sonst in allen Kreaturen allgegenwärtigen Gott (141,23-29; 133,19-135,11), den „abgesonderten Gott" (WA 50, 589,26), dai allmächtigen, unsterblichen Gott in seiner Natur (587,30), also den deus absolutus (WA 40 Π, 329,27; 330,17), der der unbegreifliche deus absconditus ohne sein Wort ist (WA 40 Π, 329,27-31; Dsa 177,26-31). In seinen christologischen Spitzenaussagen zieht Luther die Gottheit Gottes ganz in die Menschheit Christi hinein (und redet dann auch vom gekreuzigten [WA 50, 588,9f] und gestorbenen [589,25] Gott!); in solcher Hinsicht, gleichsam innerhalb der Christologie, ist Gott ganz in Christus und ist Christus der ganze Gott. Für Luther gibt es aber auch ein theologisches Reden extra Christum (Dsa 283,21; WA 40 m , 337,11; BSLK 660,38-44; vgl. o. Anm. 397); zu fragen ist, ob Kleppers paradoxe und provozierende These nicht dies im Blick hat. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang auch, wie sich Joh 14,9f und 14,28 zueinander verhalten (vgl. W. Härle, Dogmatik, 94).

4.5 Tragik Gottes? Der Altphilologe Wolfgang Schadewaldt schreibt: „Auf einem Konflikt beruht irgendwie das Tragische, einem in Zeit und Welt nicht ausgleichbaren Gegensatz. Aber dieser Gegensatz ist in der großen Tragödie der Gegensatz überpersönlicher heteronomer Mächte. Er beruht in seiner Tiefe auf der inneren Entzweiung des Wirklichen selbst, beruht auf dem Geheimnisvollen: Deus contra Deum,"406 Schadewaldt spielt hier auf das berühmte Diktum Nemo 405 J. Klepper, Unter dem Schatten deiner Flügel, 88. Klepper kommt in seinen Tagebüchern öfter auf die Problematik des Verhältnisses von offenbarem und verborgenem Gott zu sprechen. Vgl. aaO 37; 74, mit dem ehrlichen Eingeständnis: „Ich habe [...] mich an der Dialektik des deus absconditus und deus revelatus berauscht - nun verschlägt es mir die Sprache." 84; 468; 479; 483; 505; 602; 1040. 406 W. Schadewaldt, Das Drama der Antike in heutiger Sicht, 109.

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contra deum nisi deus ipse an, den ungeheuren Spruch, den Goethe tradiert hat. Dieses Diktum wird in der Lutherinterpretation verschiedentlich aufgenommen407; es wird aber kaum interpretiert, eher nur zitiert. Herkunft und Bedeutung des Wortes ist dunkel. Klar ist nur, daß es in verschiedenen Texten im Werk Goethes auftaucht; hervorzuheben ist vor allem Dichtung und Wahrheit, dessem vierten Teil dieses Diktum als Motto voransteht und in dessen 20. Buch es wieder im Zusammenhang der Rede Goethes vom Dämonischen (s.o. S. 60) auftaucht. Kurt Leese hat in einer Interpretation zu diesem Diktum verschiedene Herkunfts- und Deutungsmöglichkeiten zusammengefaßt und erörtert, u.a. auch die Vergleichsmöglichkeit mit Luthers Unterscheidung vom verborgenen und offenbaren Gott408. Sein Fazit, eher seine abschließende Vermutung ist, daß der ungeheure Spruch „am ehesten aus der mythischen Atmosphäre der Böhme-Schellingschen Gottesspekulation"409 stamme. Exkurs: Spuren Luthers bei Böhme und Schelling Da Böhme und Schelling in ihrem Denken Verbindungen zu Luther aufweisen, legt sich der Vergleich des Goetheschen Diktums in den Zusammenhängen, die oben angesprochen wurden, nahe. Heinrich Bomkamm spricht von „Strahlen, die von Luthers Allmachtsgott in die Spekulation Jakob Böhmes hineingefallen sind" (H. Bornkamm, Luther und Böhme, 129). Böhme habe aber den lutherischen Allmachtsgedanken zur Idee einer „qualitätslosen Lebensenergie umgebogen" (aaO 154; vgl. dazu auch Anm. 490). Böhme hat Luthers Begriff der Allmacht Gottes kosmologisch ausgeweitet (vgl. aaO 11 lf); er hat das theologische Denken in „Spannungen" bei Luther in „seinem spekulativen Dualismus" (aaO 298; vgl. 13Iff) rationalistisch gesteigert. Auch in der Sicht der Trinitätslehre sind Differenzen festzustellen: „Ganz abgesehen von der ausgeprägt naturalistischen Verwendung des Trinitätsgedankens [bei Böhme] hat ihm Luther doch niemals eine ähnliche spekulative Bedeutung abgewinnen mögen, wie er sie etwa bei Böhme in der innergöttlichen Entfaltung des Ungrundes zum Grunde besitzt" (aaO 112). Ein entscheidender Unterschied zwischen Luther und Böhme liegt schließlich dann, daß „für Böhme gerade die Aufnahme des Bösen in den Gottesbegriff kennzeichnend ist", während Luther „nie gewagt hat, es aus Gott herzuleiten" (aaO 150). Vor allem die spekulative Begründung des Bösen in Gott (s.u. Anm. 628) hat Schelling von Böhme (über die Vermittlung F. v. Baaders) übernommen und philosophisch vertieft.

407 Etwa bei Steinacker (Luther und das Böse, 151) oder bei Jüngel (Gott als Geheimnis der Welt, 156; 474; 498; Die Offenbarung der Verborgenheit Gottes, 176). 408 Vgl. K. Leese, Nemo contra deum nisi deus ipse, 21f. 409 AaO 27. In eine ganz andere Richtung geht das Urteil von C. Schmitt, der auf Leese nicht eingeht und unter Bezugnahme auf einen Text von J.M.R. Lenz feststellt: „Der Ausspruch Goethes - den er wohl selbst in lateinischer Sprache formuliert hat - ist christologischer Herkunft" (C. Schmitt, Politische Theologie II, 123). Hinzuweisen wäre auch noch auf einen Textabschnitt bei Homer, in dem ein Streit der Götter (Ilias XX,66) geschildert wird: „So gingen da die Götter Göttern entgegen" (Ilias XX,75; übertr. v. W. Schadewaldt).

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Schelling ist neben Leibniz, der in seiner Theodizee öfter auf Dsa zu sprechen kommt, der einzige unter den „großen" Philosophen, der ausdrücklich Luthers Traktat Dsa in einer Anmerkung seiner Freiheitsschrift (Sämtliche Werke, Bd. VII, 386, Anm.) aufnimmt und dessen Denken Vergleichspunkte zu Luther aufweist. Der späte Schelling wendet sich gegen den leeren und abstrakten Gottesbegriff des Idealismus. „Gott ist etwas Realeres, als eine bloße moralische Weltordnung [vgl. etwa Fichtes Artikel „Über dei Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung"], und hat ganz andere und lebendigere Bewegungskräfte in sich, als ihm die dürftige Subtilität abstrakter Idealisten zuschreibt" (aaO 356). Aber „Gott selbst ist kein System, sondern ein Leben" (aaO 399). Und alles „Leben aber hat ein Schicksal, und ist dem Leiden und Werden unterthan" (aaO 403). Da also Gott „nicht ein Gott der Todten, sondern der Lebendigen" (aaO 346) ist, will Schelling in seiner Freiheitsschrift diesen lebendigen Gott im theogorusehen Werden der zwei Prinzipien in Gott begreifen und als „lebendige Einheit von Kräften" (aaO 394) denken. Schelling redet, und hier drängen sich natürlich die Parallelen zu Luther auf, von zwei Willen in Gott, „Wille der Liebe" und „Wille des Grundes" (aaO 375; 395; vgl. Schellings exegetische Herleitung zweier Willen in Gott aus Eph 1,11 [Philosophie der Mythologie; Sämtliche Werke, Bd. ΧΠ, 94]; vgl. Anm. 349). Beide Prinzipien in Gott, „Reales und Ideales, Finsternis und Licht" (aaO 407) sind in einer „Indifferenz" (aaO 406f) aufgehoben, im „Urgrund" (aaO 406) oder, wie Schelling unter Aufnahme eines Begriffes von Böhme noch häufiger sagt, im „Ungruncf' (aaO 406-408; 412. Vgl. J. Böhme, Von der Gnadenwahl [1,3], 10: Gott „ist in sich der vungrunt / [...] ist weder licht noch fünstemis / weder liebe noch zorn / sondern das ewige Eine [...]". Vgl. 1 lf; 44f). Im Willen des Grundes ist Gottes Kraft und Potenz versammelt, ohne die Gott überhaupt und auch nicht Gottes Liebe sein könnte, denn „der Grund muß wirken, damit die Liebe seyn könne" (aaO 375). In den Stuttgarter Privatvorlesungen führt Schelling zu diesem Punkt aus: „Die bloße Liebe für sich selbst aber könnte nicht seyn, nicht subsistiren, denn eben weil sie ihrer Natur nach expansiv, unendlich mittheilsam ist, so würde sie zerfließen, wenn nicht eine contraktive Urkraft in ihr wäre. So wenig der Mensch aus bloßer Liebe bestehen kann, so wenig Gott. Ist eine Liebe in Gott, so auch ein Zorn, und dieser Zorn oder die Eigenkraft in Gott ist, was der Liebe Halt, Grund und Bestand gibt. Nun diese jetzt gefundenen Bezeichnungen der beiden Principien sind nur die menschlichen Ausdrücke für die abstrakte: Ideales und Reales. Die Liebe ist das Ideale, der Egoismus das Reale in Gott" (Sämtliche Werke, Bd. VII, 439). Durch den Sündenfall hat das Ebenbild Gottes, der Mensch in seinem Vermögen der Freiheit, diese in Gott untrennbare Einheit von Realem und Idealem aufgesprengt; er hat damit den dunklen Willen, der in Gott gut aufgehoben, sinnvoll integriert und zum Sein des Guten notwendig war, als Böses freigesetzt: „Diejenige Einheit, die in Gott unzertrennlich ist, muß also im Menschen zertrennlich sein, - und dieses ist die Möglichkeit des Guten und des Bösen" (Freiheitsschrift, Sämtliche Werke, Bd. VII, 364). Schelling fuhrt seine Theodizee dann über den Gedanken der Inkarnation Gottes in Christus - „Gott muß Mensch werden, damit der Mensch wieder zu Gott komme" (aaO 380) - zur Vollendung des Werdens Gottes „da Gott Alles in Allem, d.h. wo er ganz verwirklicht seyn wird" (aaO 404; vgl. 405). Im Zusammenhang des Vergleichs mit Luther interessiert nun nicht der ganze faszinierende spekulative Entwurf Schellings, der sich mit seiner Freiheitsschrift anbahnt und in späteren, nicht mehr von ihm selbst veröffentlichten Texten und Vorlesungen fortsetzt, sondern vor allem seine differenzierenden Aussagen über Gott. Auch wenn man den Reflexionen Schellings in seiner Philosophie der Mythologie über den „Prozeß der Erzeugung des göttlichen Seyns" (Sämtliche Werke, Bd. XII, 91), „des

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theogoraschen Processes" (aaO 92), in ihrem spekulativen Überschwang nicht folgen mag, verdient doch seine Kritik am Gottesbegriff seiner Zeit Beachtung. Was etwa Luther mit dem Ausdruck „lächerlicher Gott" (s.u. S. 164ff) angesprochen hat, findet sich bei Schelling wieder in seiner Rede vom „absolut impotentefn] Gott" (aaO 74), der einem „absolut impotenten Theismus" (aaO 105; vgl. 41) entspreche. Die „moralisierenden Theologen" lassen, „wie man im Sprüchwort sagt, Gott nur einen guten Mann seyn" und denken „ihn weit ab von der Welt" (aaO 104). Gott ist für Schelling nicht bloß Inbegriff des Geistes, der Vernunft (Hegel) oder der Moralität (Kant; Fichte). Er wehrt sich in der Philosophie der Offenbarung gegen die Vorstellung eines bloß rationalen, vernünftigen Gottes: „Denn das sieht jeder, daß neben einer mächtigen und starken Vernunft, welche die Dinge allerdings auf gewisse Weise zu regieren scheint, auch ein großer und mächtiger Theil Unvernunft allem Seyn beigemischt ist" (Sämtliche Werke, Bd. XIV, 23). „Nichts trübseliger als das Geschäft der Rationalisten jeder Art, die vernünftig machen wollen, was sich selbst über alle Vernunft gibt [es folgt ein Hinweis auf Paulus und 1. Kor 1,25]. Man könnte den Gutmüthigen, die durchaus einen vernünftigen Gott nach ihrem Sinn haben wollen, mit J G. Hamann antworten: ob sie denn noch nie bemerkt, daß Gott ein Genie sey, der wenig darnach frage, was sie vernünftig oder unvernünftig nennen" (aaO 24). Mit Blick auf das, vor allem dann von Nietzsche aufgegriffene und weiterentwickelte, Begriffspaar apollinisch/dionysisch redet Schelling von der „Kraft [des] Widerspruchs", in der „die Gottheit (d.h. die absolute Freiheit) Gottes besteht" (aaO 25). „Bedenken wir", schreibt Schelling in dai Weltaltem, „das viele Schreckliche in Natur und Geisterwelt und das weit Mehrere, das eine wohlwollende Hand uns zuzudekken scheint, dann können wir nicht zweifeln, daß die Gottheit über einer Welt von Schrecken throne, und Gott nach dem, was in ihm und durch ihn verborgen ist, nicht im uneigentlichen, sondern im eigentlichen Sinne der Schreckliche, der Fürchterliche heißen könne" (Sämtliche Werke, Bd. V m , 268; vgl. WA 7, 145,3: [...] ideo enim est terribilis deus [...]; dazu Ps 75,8 Vulgata: Tuterribilis est). Angesichts solcher Sätze wird Elerts Bemerkung, daß bei Schelling „die deutsche Philosophie wieder ganz unter dem Eindruck des Deus absconditus" stehe, verständlich (Morphologie des Luthertums, Bd. 2, 156). An Luthers spannungsreiche Unterscheidungen zwischen verborgenem und offenbarem Gott erinnern dann besonders folgende Sätze Schellings: „Alles kommt darauf an, jene Einheit in Gott zu fassen, die zugleich Zweiheit ist, oder umgekehrt die Zweiheit, welche zugleich Einheit ist. [...] Aber der Begriff jener Einheit, die, weil sie eine freiwillige ist, eben darum eine Zweiheit einschließt, ist diesen Zeiten völlig fremd. Diese wollen nur Einheit, und wollen in Gott nichts als Geist und lauterste Einfachheit wissen" (Sämtliche Werke, Bd. VHI, 269). Schelling führt aus, daß Spinoza „die Zweiheit über der Einheit", Descartes dagegen „die Einheit über der Zweiheit verloren" (aaO 340) habe. Für Schelling jedoch ist die „Vorstellung von einer noch jenseits der Dreiheit der Personen liegenden Zweiheit in der Einheit des göttlichen Wesens, [...] in die innersten Fasem der Sprache der alttestamentlichen Schriften verwebt, indeß das Neue sie voraussetzt und nur in einzelnen Blicken darauf hindeutet" (aaO 274). Hier zeigt sich die vielleicht engste Berührung mit dem Denken Luthers, der doch sein Leben lang am häufigsten und intensivsten alttestamentliche Texte ausgelegt hat, - die Betonung des Alten Testaments! Auch Schelling geht auf Texte des Alten Testamentes ein, reflektiert die verschiedenen Benennungen Gottes, Jahwe und Elohim (vgl. aaO 273f), den Gebrauch des Wortes bara in der Genesis und in Jes 45,7 (vgl. aaO 331-334). Der Theologie und Philosophie seiner Zeit wirft Schelling „die fast ungebührliche Hintansetzung und Vernachlässigung des Alten Testaments, in wel-

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chem sie (um nicht von denen zu reden, die es ganz aufgeben) nur das für wesentlich halten, was im Neuen wiederholt ist" (aaO 271), vor. Verifiziert ist dieser Vorwurf etwa in dem Satz Schleiermachers: „Mithin erscheint das Alte Testament doch für die Dogmatik nur als eine überflüssige Autorität" (Glaubenslehre; Redeker-Ausgabe I, 151; § 27. Vgl. Π, 304-308; § 132). Friedrich Hebbel kann in einer Tagebuchnotiz nur die letztlich dualistische Konsequenz in Schellings Denken sehen: „Die Schellingsche Idee, daß zu einer bestimmten Zeit aus Gott dem Vater der Sohn hervortreten mußte, führt den Dualismus in die Gottheit selbst hinüber, zerspaltet die Fundamentalidee des maischlichen Geistes und macht Gott zur Wurzel der Weltentzweiung. Dies sind die nächsten Konsequenzen" (F. Hebbel, Tagebücher, Nr. 1546; Meetz-Ausgabe, 89; vgl. Nr. 2197). D a Luther ausdrücklich und immer wieder v o r Spekulationen den deus absconditus betreffend gewarnt hat, ist hinsichtlich des Spruches v o n Goethe g r o ß e Vorsicht geboten. Theologische Reflexion 4 1 0 muß sich auf jeden Fall größere Zurückhaltung auferlegen, als dichterischem W a g n i s möglich ist. D e r Freund Kleppers, Reinhold Schneider, w a g t die f o l g e n d e Deutung: „Wenn aber die alten Götter doppeltes Antlitz tragen, des Lichtes und der Finsternis, Begnader und Zerstörer, w e n n allem Göttlichen der Widerspruch eigen ist w i e viel mehr dann Gott!" 411 Geht dieses D e n k e n völlig an Luther vorbei, oder

410 Vgl. die, allerdings sehr schnell argumentierende, kreuzes- und trinitätstheologische „Verarbeitung" des Diktums Goethes bei J. Moltmann, Der gekreuzigte Gott, 233. 411 R. Schneider, Verhüllter Tag, 224. Auch A. Schweitzer, mit Schneider verbunden durch die gemeinsame Wertschätzung Schopenhauers, sieht die Zerrissenheit in Gott in der Zerrissenheit des Willens zum Leben und versucht, sie ethisch zu bewältigen: „Schmerzvolles Rätsel bleibt es für mich, mit Ehrfurcht vor dem Leben in einer Welt zu leben, in der Schöpferwille zugleich als Zerstörungswille und Zerstörungswille zugleich als Schöpferwille waltet" (A. Schweitzer, Kultur und Ethik, 334). „In der Natur tritt uns der unendliche Geist als rätselhaft schöpferische Kraft entgegen. In unserem Willen zum Leben erlebt er sich in uns als weit- und lebensbejahendes und als ethisches Wollen" (aaO 88). Vgl. Ders., Das Christentum und die Weltreligionen, 58: „Alle Probleme der Religion gehen zuletzt auf eines zurück: daß ich Gott in mir anders erlebe, als ich ihn in der Welt erkenne. In der Welt tritt er mir als rätselhafte, wunderbare Schöpferkraft entgegen; in mir offenbart er sich als ethischer Wille. In der Welt ist er unpersönliche Kraft, in mir offenbart er sich als Persönlichkeit. [...] Beide sind eins; aber wie sie es sind, verstehe ich nicht. Welches aber ist die entscheidende Erkenntnis Gottes? Die, die ich als ethischen Willen erfahre." Ein erschütterndes Dokument der Erfahrung des verborgenen Gottes sind R. Schneiders Notizen „Winter in Wien" (1957/58). Schneider, der zeit seines Lebens mit der Tragik der Geschichte gerungen hat, nimmt am Ende seines Lebens aufgrund der Lektüre naturwissenschaftlicher Schriften (vor allem von G. v. Natzmer) und im Gang durch das Naturhistorische Museum in Wien auch die furchtbaren Dimensionen der Schöpfung wahr. „Irdisches Vergnügen in Gott" wie B.H. Brockes oder wie Haydn in seinem Schöpfungsoratorium findet Schneider beim Betrachten und Bedenken der Natur nicht mehr: Des „Vaters Antlitz hat sich ganz verdunkelt; es ist die schreckliche Maske des Zerschmeißenden, des Keltertreters; ich kann eigentlich nicht 'Vater' sagen" (R. Schneider, Winter in Wien, 110). „Das Phänomen 'Leben'. Die Gottesanbeterin hat den Kopf des Mann-

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ist in ihm etwas von dem weitergefühlt, was Luther nur angedacht hat oder gar nicht offen zu denken gewagt hat? Eine eindeutige Antwort auf diese Fragen gibt es nicht; sie wird immer vom jeweiligen Standort der Interpretation abhängen. Wer schon Luthers teilweise extreme Theologie in Dsa mit ihren spannungsreichen, widersprüchlichen Gottesaussagen ablehnt412, wird diese Gedanken erst recht nicht übernehmen wollen. Vielleicht kann man sich darauf verständigen, daß der Reichtum, der Kosmos und das gelegentliche Chaos in Luthers gedanklicher Welt auf jeden Fall verschiedene, auch gegensätzliche Interpretationen anbietet. Luther kann mit der Brille Barths angesehen werden, er kann auch mit der Brille Kants oder Schleiermachers angesehen werden - warum also sollte er nicht auch unter Vorgaben von Schriftstellern und „Laientheologen" wie Klepper und Schneider verstanden werden können? Auf jeden Fall sollte er - das entspricht seinem eigenen Anspruch - im Lichte der Heiligen Schrift ausgelegt, kritisch ausgelegt werden. In dieser Hinsicht ist zu fragen, ob nicht mit dem gleichen Recht, mit dem so abgründige und extreme Texte wie Hiob 16 und 19 in der Bibel stehen, die von Gott in weiten Teilen ganz anders redet, auch ein so extremes Denken wie das Luthers in der Theologie seinen Platz haben muß. Einen zerrissenen, tragischen chens verspeist und sättigt sich nun am Vorderleib, während der Hinterleib sie begattet. (Welche Versklavung aller Kreatur! Blutdurst der Tanzfliegen zur Begattungszeit.)" (AaO 182.) „Eine Ameise der Mittelmeerländer dringt nach dem Hochzeitsflug in die Brutkammer einer anderen Art ein, erklettert den Rücken der legitimen Königin, sägt ihr langsam mit den Kiefern den Kopf ab und tritt nun ihre Herrschaft an [...]. Jeglicher Lebenswille hat das Gefalle zu seinem totalen Widerspruch; der Triumph des Parasiten, die Aussaugung des Opfers, ist der eigene Tod, Selbstmord also des Lebensdrangs [...]. Diese Dinge - man entschuldige, wenn möglich, diese unerträglichen Wiederholungen - lassen mich nicht los. Die Natur, auch die unterm Sündenfall, müßte doch vom Bilde Gottes beantwortet werden. Aber Offenbarung und Theologie sind uns dieses Bild schuldig geblieben. (Cusanus vielleicht nicht. Aber die Heiligen wohl alle. Jeremía stellte sich immerhin dem Rätsel.)" (AaO 200.) Schneider erlebt „im Schmerz um die Kreatur [...] den verborgenen Gott" (aaO 247). Diesen von Schneider gesehenen schrecklichen Dimensionen der Schöpfung hat sich in der gegenwärtigen Theologie vor allem K.E. Legstrup gestellt; in seinem Werk „Schöpfung und Vernichtung" nimmt er - auch oft unter Bezugnahme auf Luther und Dsa - die dunklen Seiten der Schöpfung wahr: aaO 68f; 267-275; 331-334; 334: „Freilich wußte Luther, besser als alle seine Zeitgenossen, daß die Schöpfung furchtbar ist." Allerdings kann diese Sicht der Schöpfung bei Luther nicht verabsolutiert werden; sie ist in das rechte Verhältnis zu setzen etwa mit O. Bayers Bemühungen, die Promissio, die Zusage und Anrede Gottes auch als Schlüsselbegriff einer Schöpfungstheologie im Sinne Luthers zu entfalten. Vgl. O. Bayer, Schöpfung als Anrede, 30-32; 36-45; 60f; 121125; 129-139. 412 Vgl. E. Jüngels Kritik an Luther (Die Offenbarung der Verborgenheit Gottes, 175f) oder M. Doernes Relativierung der „Spitzensätze" in Dsa (Gottes Ehre am gebundenen Willen, 65f; vgl. 91: „So wird man urteilen müssen, daß Luther das legitime Thema des servum arbitrium in diesem Buche nicht allenthalben mit legitimen Mitteln durchgeführt hat").

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Gott verkündet die Bibel ausdrücklich nirgends413, sie denkt aber auch nicht einfach den Gott der Philosophen, das affektlose, in sich widerspuchsfreie, absolute Sein. Und deutet sich Zerrissenheit414 in den oben genannten Hiobtexten, im Kreuzesschrei Jesu und vor allem in Hos 11, wo vom „Kampf Jahwes gegen sich selbst", von ,Jahwes Sieg über seinen lodernden Zorn im 413 Allerdings hält G. v. Rad in seinen Erläuterungen zu den Saulgeschichten fest: „Tatsächlich hat Israel nie mehr eine dichterische Gestaltung hervorgebracht, die sich in gewissen Einzelzügen so nahe mit dem Geist der griechischen Tragödie berührt. So sehr die Erzähler von Sauls Schuld überzeugt sind, so liegt doch in seinem Schuldigwerden zugleich etwas Überpersönliches; es ist das Verhängnis, das den überkommt, von dem sich Gott abgewandt hat. Saul mußte handeln; aber gerade in seinem Handeln vollzieht er selbst sein Schicksal (1. Sam. 1429f.)" (Theologie des Alten Testaments, Bd. 1, 337). Vgl. v. Rads Bemerkungen zum Prediger: „Hier am äußersten Rand des Jahweglaubens, an dem sich Kohelet angesiedelt hat, ist nun eine Auffassung vom Leben entstanden, die man mit einigem Recht als tragisch bezeichnen kann. Des Menschen Leben ist ein Leben, über das verfügt wird, aber der Mensch kann mit der dunklen göttlichen Macht, der er ausgeliefert ist, nicht Schritt halten" (aaO 472). Vgl. WA TR 1, 389,33f (Nr. 810): „'Alle Tragödien apud Graecos sind nichts gegen der Historien Davids [...]'". Vgl. die Tischrede Nr. 5564. In einem Brief an Melanchthon vom 4.4.1541 (es geht um das Regensburger Religionsgespräch) verwendet Luther das Bild der Tragödie und bezeichnet Gott als allmächtigen Autor der geschichtlichen Tragödie (WA BR 9, 358,6-10): Video, eos putare, causam hanc esse quandam Comoediam inter homines, cum res declaret, esse Tragoediam inter deum et Sathanam, ubi res Sathanae florent, Dei autem sordent. Sed Catastrophe erit, ut solet ab initio, et liberabit nos quoque ipse poeta huius Tragoediae omnipotens. 414 In Moltmanns trinitarischer Kreuzestheologie ist das Bild des Risses aufgenommen (Die Verwandlung des Leidens, 716f): „Im Kreuz Christi geht gleichsam ein Riß durch Gott selbst. Er geht nicht nur durch Christus hindurch, wie die Zwei-Naturen-Lehre sagte. [...] Das Geschehen am Kreuz ist zuerst ein Geschehen in Gott. Es ist ein Geschehen zwischen dem hingebenden Vater und dem verlassenen Sohn in der Kraft der Hingabe, die Geist genannt zu werden verdient. Im Kreuz sind Jesus und der Vater durch die Verlassenheit aufs Tiefste getrennt und zugleich im Geist der Hingabe aufs Innigste vereint. [...] Verstehen wir die Trinitätslehre als Beschreibung der Gottessituation im Kreuz Christi, so ist sie keine Spekulation mehr. Sie ist nichts anderes als die Kurzfassung der Passionsgeschichte. Das Materialprinzip der Trinitätslehre ist das Kreuz. Das Formalprinzip der Kreuzestheologie ist die Trinitätslehre." Zur Kritik an diesem, vielleicht doch allzu eleganten, Verbinden des Risses vgl. die Bemerkungen von J.B. Metz (s.u. Anm. 617). Bei G. Büchner findet sich die Metaphorik des Risses öfter; Dantons Tod, 3. Akt, 1. Szene: „Merke dir es, Anaxagoras, warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes und rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riß in der Schöpfung von oben bis unten" (G. Büchner, Werke und Briefe, 44). Oder in Lenz: „Sein Zustand war indessen immer trostloser geworden, alles was er an Ruhe aus der Nähe Oberlins und aus der Stille des Tals geschöpft hatte, war weg; die Welt, die er hatte nutzen wollen, hatte einen ungeheuren Riß [...]" (aaO 56). Und in Woyzeck, 22. Szene: „Es ist unheimlich, so dunstig, allenthalb Nebel, grau und das Summen der Käfer wie gesprungne Glocken" (aaO 177). Vgl. hierzu schon Goethe, Maximen und Reflexionen, Nr. 193: „Die Welt ist eine Glocke, die einen Riß hat: sie klappert, aber klingt nicht."

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'Herzensumsturz' ( H o s 11,8) und Willenswandel" 413 die Rede ist, nicht zumindest an? 5. Das „Begreifen" des Glaubens Der Abschnitt über die Unbegreiflichkeit Gottes in Luthers Bekenntnis stellt in aller Schärfe die Unbegreiflichkeit Gottes für die Vernunft des Menschen heraus. Demgegenüber wird dem Glauben die Kraft zugesprochen, angesichts der unbegreiflichen Gerechtigkeit Gottes doch zu glauben, daß Gott gerecht ist. Löst sich also im Glauben alles Dunkel der Unbegreiflichkeit Gottes? Auch der Glaube ist begrenzt, er steht zwischen der Bemühimg der Vernunft, die göttlichen Geheimnisse zu enträtseln, und der verheißenen Schau der Herrlichkeit Grottes. Der Glaube steht in einem interim416 (Dsa 291,17; vgl. 290,1 : tantisper), ist mit Gewißheit und in Hoffnung ausgerichtet auf das Licht der Herrlichkeit. Wieder ist der Aspekt der Zeit (s.o. S. 1 lOff) wichtig. Der 415 J. Jeremias, Die Reue Gottes, 110; vgl. 52-59. Jeremias beendet seine Studie mit dem Hinweis auf Luthers Auslegung von Ez 18,23/33,11 in Dsa. Für Luther ist „Gott zugleich der ferne, unwandelbare deus absconditus, vor dem man nur erschrecken kann, und der nahe, bekannte, wandelbare deus revelatus. Weil Gott beides ist, ruft Luther seine Gemeinden zur Flucht vor Gott zu Gott auf, zur Flucht vor dem sich verbergendzürnenden Gerechten zum wandelbaren, d.h. seine Menschen bewahrenden Erbarmer, dem man vertrauen kann und der allein Subjekt und Objekt christlicher Verkündigung ist" (aaO 122f). Zu Luthers Bedenken der Hosea-Stelle vgl. Th. Harnack, Luthers Theologie I, 339f. Vgl. die Randglosse zu Hos 11,8 (WA DB 11/2, 205): „Er will sagen, Ich weis nicht wie ich dir helffen sol, Es hilfft weder straffen noch gnade, Ich muß Christum senden, der sols gut machen." S.o. S. 114f. 416 Vgl. WA 43, 392,12-393,18. Der Glaube der Türken, so Luther, könne sich an einem mit sichtbarer Macht in der Geschichte sich zeigenden Gott orientieren. Der christliche Glaube dagegen habe angesichts des unbegreiflichen, verborgenen Gottes nichts Vorweisbares in der Hand. Vor den siegreichen Türken und ihrem siegreichen Gott scheint der christliche Gott ein Nichts zu sein: Denique nihil magis nihil esse videtur, quam Deus ipse (392,17f; vgl. 392,42-393,1: Et Deus, in quem credimus, est plane nihil, princeps mundi et Deus saeculi est Deus). Die Frage, warum Gott sich so verbirgt, muß bis zu dem Tag, da sich Gott alle seine Feinde unterworfen haben wird (1. Kor 15,24f), im Glauben, der „inzwischen" - bis dahin - hofft, ausgehalten werden: Cur enim se ita abscondat, cernemus in ilio die, cum fuerint inimici omnes subiecti pedibus ipsius. Interim credamus et speremus (393,9-11). Dazu Z. 16-18: Quia haec est scientia sanctorum, credere contra mendacium in veritatem, contra veritatem manifestarli in veritatem absconditam, contra spem in spem. Vgl. das interim in der Tischrede Nr. 4991: Interim sumus contenti iustitia, quae est in spe per fidem in Iesum Christum (Cl 8, 251,30f) und in WA 39 I, 203,16; 204,6; 252,9. Vgl. das interdum in Cl 7, 262,31. Vgl. auch u. Anm. 542. In philosophischer Argumentation gebraucht O. Marquard den Ausdruck interim. Da die Menschen „nie von Anfang an anfangen", ist ihr Leben „ein Interim: wo es aufhört, ist es zu Ende; aber wo es anfängt, ist niemals der Anfang. Denn die Wirklichkeit ist - ihnen zuvorkommend - stets schon da, und sie müssen anknüpfen. Kein Mensch ist der absolute Anfang: jeder lebt mit unverfügbaren Vorgaben." (Ende des Schicksals?, 76.)

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Glaube hat jetzt eine Gewißheit, diese ist aber angesichts des noch bleibenden Wirkens des verborgenen Gottes begrenzt. Der Glaube blickt aber jetzt schon voraus in eine ihm von Gott versprochene Zeit mit einer unbegrenzten „Schauensgewißheit". Die Verstehensbemühung des Glaubens ist auch kein Akt eines umfassenden comprehendere, sondern eines assequi417 (vgl. Dsa 99,26-100,9). Das perfecte nosse ac videre (100,4f) ist der endgültigen Schau im lumen gloriae vorbehalten. Wichtiger als Verstehensprozesse des Glaubens ist aber für Luther die Standgewinnung durch den Glauben, wichtiger als die kognitive Gewißheit ist die existentielle Gewißheit, die Vergewisserung angesichts der Anfechtungen durch Welt, Teufel und Gott. Der Glaube ist nicht einfach Ersatz fur das Unvermögen der Vernunft, Gott zu erkennen. Der Glaube sieht anderes, er sieht im Blick auf Gott mehr als die Vernunft, er sieht und durchschaut aber auch nicht alles - sonst wäre er eine weltenthobene Gnosis. Er muß es „tragen" (ferre: Dsa 117,11; 226,5; 255,21), er muß „ertragen und erharren" (WA 19, 353,15), daß ihm in der Promissio etwas zugesagt ist, was er in der Fülle des Versprochenen noch nicht erfahrt. Der Glaube muß es tragen, daß er von der geschehenen Vollendung (Joh 19,30) und von der Neuschöpfung, in der das Alte vergangen ist (2. Kor 5,17), hört, daß er sie aber nicht sieht. Er muß ertragen418, daß der Gott in Christus das Böse bekämpft (Lk 11,20) und ihm entgegentritt (Mt 4,1-11), daß dieser sich aber gegen den Gott, der das Böse wirkt (Am 3,6; Jes 45,7), nicht - noch nicht - durchgesetzt hat. Der Glaube muß es aushalten, daß ihm eine Gewißheit geschenkt wird (Rom 8,38f), daß er der Ungewißheit durch den verborgenen Gott (Rom 9-11) aber nicht einfach enthoben ist.

417 Vgl. dazu die eingehende Interpretation bei E. Jüngel,... unum aliquid assecutus, omnia assecutus..., 73-99. 418 Vgl. die sich wiederholende Formel „Aushalten und Ertragen" im Kapitel „Die Gefahrdung der Theologie" in K. Barths „Einführung in die evangelische Theologie"! In diesem Punkt berührt sich die Theologie des späten Barth eng mit der Theologie Luthers in Dsa. Auch bei Sigmund Freud hat der Gedanke des Ertragens sein Gewicht. Er verzichtet auf „den Trost der religiösen Illusion" (Die Zukunft einer Illusion, 361), mit dem man „die Schwere des Lebens, die grausame Wirklichkeit" (ebd) ertragen will. Der Mensch, der „sich seine ganze Hilflosigkeit, seine Geringfügigkeit im Getriebe der Welt eingestehen müsse [...]" (ebd), kann nach Freud auf die Wissenschaften, die „keine Illusion" (aaO 365; 366) sind, bauen. „Und was die großen Schicksalsnotwendigkeiten betrifft, gegen die es eine Abhilfe nicht gibt, die wird er eben mit Ergebung ertragen lernen" (aaO 362).

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Das Beispiel des Glaubens

B. Das Beispiel des Glaubens I. Der Weltlauf 1. Die Erfahrung 1.1 Luthers Erfahrungstheologie Luthers Theologie ist Erfahrungstheologie: Sola autem experientia facit theologum419. Damit ist für Luther ein Zusammenspiel von Bibel-, Glaubens- und Lebenserfahrung in den Blick genommen. Eine Erfahrungstheologie braucht Exempel420; deshalb spielt auch im Bekenntnis (s.o. S. 20f) ein solches Exempel eine wichtige Rolle. Es ist nicht einfach Veranschaulichung von etwas, was auch anders gesagt werden könnte, sondern ist unentbehrlicher Raum, in dem das Denken und Erfahren sich bewegen kann. Luthers Vorwurf gegenüber vielen scholastischen Theologen, die er Sophisten nannte, war, daß sie an der Erfahrung und an der Anfechtung421 vorbei spekulieren und ihre gedanklichen 419 WA TR 1, Nr. 46; vgl. Nr. 423; 448; 583; 2834. Zur umfassenden und präzisen Beschreibung dessen, was Erfahrung bei Luther meint und beinhaltet, vgl. O. Bayer, Theologie, 98-105. Häufig finden sich bei Luther die Ausdrücke experientia, experiri oder expertus sum. Luther hat damit auch das Erbe von J. Gerson aufgenommen und weitergeführt. Vgl. Cl 5, 306,28f (aus den Randbemerkungen zu Tauler, 1516): Unde totus iste sermo procedit ex theologia mystica, quae est sapientia experimentalis et non doctrinalis. Dazu: J. Gerson, De theologia mystica IV (Glorieux-Ausgabe, Bd. III, 274): [...] theologia mystica est cognitio experimentalis habita de Deo per amoris unitivi complexum. Vgl. aaO 252; 289. Auf die besondere Weite des religiösen Erfahrungsbegriffs bei Bernhard v. Clairvaux und Luther weist U. Köpf hin (Art. „Erfahrung III/l"; TRE, Bd. 10, 109-116, v.a. l l l f u . 114f). 420 Vgl. WA 16, 391,7-17: „Zum dritten lesen wyr Mosen von wegen der schonen exempel des glawbens, liebe und des creutzes ynn den Vettern Adam, Abel, Noe, Abraham, Isaac, Jacob, Mose und also durch und durch, dar an wyr lernen sollen Gott vertrawen und lieben. Herwidderumb auch die exempel der Gottlosen, wie Gott nicht schencket den unglewbigen yhren unglawben, Wie er gestraffet hat den Kayn, Ismael, Esaw, die gantze weit mit dem sind flutt und Sodoma und Gomorra [...]. Die exempel sind von notten. Denn wie wol ich nicht Kayn byn, Doch wenn ich thu wie Kayn gethan hat, so wird ich gleiche straffe mit Kayn empfahen. Man findet an keynem andern ort so schone exempel beyde vom glawben und unglawben, Darumb soll man Mosen nicht unter den banck stecken." Vgl. 392,18-21: „Aber das ist war, Moses schreibt neben den gesetzen schone exempel des glawbens und unglawbens, straff der gotlosen, erhohung der frommen und glewbigen unnd auch die lieplichen und trostlichen zusagung von Christo, deren wyr uns sollen annemen." Vgl. Luthers Vorreden zur Bibel, 175 (zur Apostelgeschichte): „Setzt also in diesem Buch beieinander beides, die Lehre vom Glauben und auch die Exempel des Glaubens." 421 Vgl. dagegen die Tischrede Nr. 352 (Cl 8, 46,26-28): „Ich hab mein theologiam nit auff ein mal gelernt, sonder hab ymmer tieffer und tieffer grubein müssen, da haben

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Systeme bauen. Ohne solche Erfahrung entsteht nach Luther nur eine geschwätzige Theologie422. Deshalb greift Luther immer wieder - gegen die Sophisten - auf die Erfahrungen der Poeten und der Geschichtsschreiber zurück. 1.2 Poeten und Historien Schon der junge Luther verweist in den Randbemerkungen zum Lombarden auf den Spott der Poeten423 angesichts der endlosen Meinungs- und Schul Streitigkeiten der Philosophen und Theologen, die eher spitzfindig als klar in ihren Gedanken seien424 und schließlich, so Luther in den Psalmenscholien, ohne Zittern des Herzens über die Unterscheidungen der Personen der Trinität reden, wie der Schuster von seinem Leder.425 Auch am Anfang von Dsa stellt Luther die sophistae (Dsa 109,10) und die Poetae (110,1.22) gegenüber. Diese sind für Luther weise Leute (sapientes uiri: 110,11), wohingegen jene, die Sophisten, gleichsam als „Scheinweise" nur als weise erscheinen wollten (sapientes uoluerunt videri: 110,20; vgl. Rom 1,22), mit ihren Disputationen aber der Radikalität der Frage nach der Notwendigkeit nur ausgewichen sind. Die Sophisten versuchen sich der Frage der Notwendigkeit durch Begriffs- und Wortspielereien426 (ludibriis / ludibrium: 109,20.30; 210,29),

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mich meine tentationes hin bracht, quia sine usu non potest disci." AaO 46,38-47,1: „Ich ways aber, das ich das Vater unser noch nit kan. Sine practica kan niemandt gelert sein." Cl 2, 135,33-136,4: „Dießen heiligen lobesang ordentlich zuvorstehen / ist zu merckenn / daß die hochgelobte iunckfiraw Maria auß eygner erfarung redet / darynnen sie durch den heyligen geist ist erleucht und geleret worden. Denn es mag niemant got noch gottes Wort recht vorstehen / er habs denn on mittel von dem heyligen geyst. Niemant kanß aber von dem heiligenn geist habenn / er erfareß vorsuchs und empfinds denn / unnd yn der selben erfarung / leret der heylig geyst / alß ynn seiner eygenen schule / außer wilcher wirt nichts geleret / denn nur schein wort unnd geschwetz." Cl 5, 5,4f: Nihil poterant poetae expressius et facecius effingere, quo illas philosophorum jurgia, pugnas et sectas riderent [...]. Cl 5, 5,15: [...] subtiles magis quam illustres [...]. Cl 5, 130,21f (zu Ps 65,17): [...] sine tremore cordis proferenda, ita disputamus, de distinctione formali et reali, sicut sutor de corio suo disputât. Luther beklagt, daß die Theologen - Thomisten, Scotisten und andere - sich durch Aristoteles beredt und vermessen gemacht hätten und daß sie damit auch göttliche Dinge, ohne irgend ein Erschrecken, behandeln wollten; aaO 130,30-36. In D. Korschs Analysen zu Luthers Schrift Dsa präsentiert sich - nach meinem Urteil - ein gegenwärtiges Beispiel solcher Wortspielereien in der Theologie (D. Korsch, Glaubensgewißheit und Selbstbewußtsein, 223-241). Korsch will Luthers Aussagen „mit subjektivitätstheoretischen Mitteln rekonstruieren und präzisieren" (aaO 225). Leitbegriffe, die das ganze bei Korsch angegebene Kapitel durchziehen, sind dabei die Ausdrücke: Bestimmung, Bestimmtheit, Selbstbestimmung, Bestimmtheit zur Selbstbestimmung und Unbestimmtheit. Mit diesen Bällen spielt Korsch und versucht, Luthers Begriffe und Überlegungen, etwa die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium oder die Rede vom unfreien Willen, von der Prädestination und dem verborgenen Gott, zu reformulieren. Ein paar Beispiele zur Veranschaulichung: „Jede menschliche

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durch Disputationen (disputationibus: 110,20f), durch leere Worte (inanibus uerbis: 282,39f; vgl. 281,31), durch scholastische Spitzfindigkeiten (scholasticas subtilitates: 216,37), durch dummes Geschwätz (nugis: 231,22) und durch ein Hirngespinst (phantasma: 218,6) zu entziehen, wohingegen sich die Poeten, wie etwa Vergil, der Gewalt dieser Frage im Denken des Schicksals stellen. In seiner Ratsherrenschrift beklagt Luther, daß er viel Zeit mit dem Lesen und Studieren der Philosophen zugebracht habe und daß es ihm leid täte, „das ich nicht mehr Poeten und historien gelesen habe"*27. Die Chroniken und Geschichtsbücher sind insofern für Luther von unschätzbarem Wert, als sie „der wellt lauff zu erkennen und zu regiren / Ja auch Gottis wunder und werck zu sehen"428 geben. Auch die Fabeln eines Äsop vermitteln Erfahrung über den Weltlauf29. Mit dem Weltlauf ist die Summe der menschlichen Erfahrungen bezeichnet. Die Rede vom Weltlauf ist Ausdruck eines nüchternen Existenz ist verpflichtet, ihr Leben nach dem Muster von Selbstbestimmung und das heißt nach dem Gesetz zu führen. Diese Verpflichtung wird nun von Luther überall verstanden als von Gott her ergehende Bestimmtheit zur Selbstbestimmung" (aaO 229). Korsch entwickelt ein gedankliches Gefüge von Bestimmtheiten und Selbstbestimmungen und behauptet dann: „Alle diese Bestimmungsvorgänge setzen nun aber voraus, daß Gott sich selbst bestimmt hat und bestimmt" (aaO 233). Und ehe man sich versieht, taucht auf einmal im Spiel der Bestimmungen der verborgene Gott auf. „Bestimmt Gott sich selbst, dann ist auch der Horizont, dem gegenüber er sich bestimmt, Gott. Das ist der Gedanke des Deus absconditus. Deus absconditus heißt die Unbestimmtheit, im Verhältnis zu welcher Gott sich als der bestimmt, der er ist. Nicht aber kann der Ausdruck Deus absconditus gedacht werden als Bestimmung Gottes" (ebd). Mit diesen gewonnenen Bestimmungen werden dann Luthers spannungsreiche Aussagen über Gott in Dsa kritisch beleuchtet. „Die Verwirrung bei Luther geht darauf zurück, daß er das Verhältnis von Gottes Selbstbestimmung und Prädestination nicht hinreichend geklärt hat. Er hat die Bestimmung einzelner Menschen durch Gott, ein Verhältnis, das anderes Bestimmtes potentiell ausschließt, mit der Selbstbestimmung Gottes verknüpfen wollen, die Unbestimmtes ausschließt" (aaO 237). Schließlich und endlich gelingt auch das „Loslassenkönnen des verborgenen Gottes" nur, „wenn die Bestimmtheit des offenbaren Gottes als seine Selbstbestimmung völlig ernst genommen wird" (aaO 240). Sicher repräsentieren die genannten Zitate nicht den genauen Argumentationsgang in Korschs scharfsinnigen Analysen, aber sie zeigen doch vielleicht die Gefahr auf, wie schnell begrifflicher und wortspielerischer Scharfsinn in leerlaufende Wortklapperei umschlagen kann. Im Wissen um solch eine Gefahr hat Luther im Rahmen des Triviums der Grammatik und Rhetorik klar den Vorzug gegenüber der Dialektik (Logik) gegeben, „die ohne Sprache und Geschichte leer läuft" (O. Bayer, Theologie, 80, Anm. 213; dort auch die entsprechenden Lutherbelege). 427 Cl 2, 458,13. Vgl. seine Vorschläge zur Reform des Stadiums: 462,21-463,14. Zum Verhältnis des Erasmus zu den Poeten und seiner mehr an der Geistigkeit und an der Moral interessierten Bezugnahme auf sie vgl. M. Hoffmann, Erkenntnis und Verwirklichung, 116-118. 428 Cl 2, 463,3f. 429 Vgl. Cl 4, 233,24; 234,23: „Das ist der Welt lauff." Luther stellt dieses hochberühmte Fabelbuch der Heiden neben die Bibel; beide enthalten, so Luther, „Weisheit / und nicht hochprechtigk Geschwetz" (230,2).

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Realismus - gegen allen philosophischen Idealismus und gegen jede theologische Spekulation. Als „Gottes mummerey, darunter er sich verbirgt und ynn der wellt so wunderlich regirt und rhumort"430, ist der Weltlauf zu erfahren nicht aber zu begreifen und als „Wirklichkeit des Allgemeinen"431 zu durchschauen. Der Weltlauf hat bei Luther nur scheinbar einen resignativen432 Klang. Wichtig ist für ihn, daß aufgrund der Erfahrung und Erkenntnis des Weltlaufes der Mensch in irdischen Dingen Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt bekommt433. Er soll darüberhinaus aber auch die Erfahrung des Schicksals und der die Geschichte durchziehenden Notwendigkeit434 (s.o. S. 124f) machen. Luther scheut keine Vergleiche zwischen der Bibel und den Poeten435; immer wieder in seinen Texten greift er Sprüche, Zitate und Erfahrungen der 430 WA 15, 373,16f. Vgl. WA 40 I, 174,12-14: Iam adhuc agimus cum Deo velato, in hac enim vita non possumus cum Deo agere facie ad faciem. Universa autem creatura est facies et larva Dei. Die Schöpfung als Gottes Maske und Larve. Dazu WA 19, 360,19: Die Welt als Gottes „turnyr" (Turnier). Anders wieder die Theologie des Aquinaten. Bei Thomas ist durch Vorsehung und Prädestination ein universaler Ordo gesetzt, durch den Gott „den ganzen Weltlauf als eine festgefugte Ordnung von Mitteln auf sich selbst als den Endzweck seines Wollens hinordnet" (W. Pannenberg, Art. „Gott. Theologiegeschichtlich"; RGG 3 , Bd. 2, 1724). 431 G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes; Theorie-Werkausgabe, Bd. 3, 290 (vgl. aaO 283-291: „Die Tugend und der Weltlauf'). 432 Paradigmatisch für solch einen melancholischen und resignativen Ton ist etwa die Aussage der Marschallin gegen Ende des ersten Aufzuges im „Rosenkavalier" von H ν. Hofmannsthal und R. Strauss. Sie empört sich darüber, daß ihr alter Vetter, der Baron Ochs von Lerchenau, ein junges Mädchen samt stattlicher Aussteuer zur Frau und in den Besitz nehmen will: „Da geht er hin, der aufgeblasene schlechte Kerl, / und kriegt das hübsche junge Ding / und einen Pinkel Geld dazu, als müßt's so sein. / [...] Was erzürn' ich mich denn? / 's ist doch der Lauf der Welt." Vgl. auch das vorletzte (15.) Kapitel in G. Kellers „Der grüne Heinrich": „Der Lauf der Welt". Gegen Schopenhauers Pessimismus wenden sich die folgenden Bemerkungen Adornos: „Nicht absolut geschlossen ist der Weltlauf, auch nicht die absolute Verzweiflung; diese ist vielmehr seine Geschlossenheit" (Negative Dialektik, 396). E. Bloch spricht vom „Experiment- und Fragmentzustand des Weltlaufs und seiner Gestalten" (Tübinger Einleitung, 170). 433 Vgl. WA 51, 242,36-42: „Darumb wer im weltlichen Regiment wil lernen und klug werden, der mag die Heidnischen bûcher und schrifften lesen [...] als der Poeten und Historien, WieHomerum, Virgilium, Demosthenem, Ciceronem, Livium [...]". 434 Daß auch der Weltlauf, der cursus mundi, unter dem Allwirken des verborgenen Gottes steht, zeigt schon das sprachliche Signal cursu in Dsa 251,13-15: Dicimus enim, hominem extra gratiam Dei manere nihilominus sub generali omnipotentia Dei facientis, mouentis, rapientis omnia, necessario et infallibili cursu [...]. 435 Vgl. WA 31 I, 353,25-29. In seiner Vorrede zum Hiobbuch redet Luther ausdrücklich vom „Dichter" (Luthers Vorreden zur Bibel, 60), der die „Historia" (ebd) „gestellet" (aaO 59), also verfaßt, hat. In WA 42, 38,31 und häufig in den Tischreden wird der Verfasser des Hiobbuches als Poet bezeichnet: Hiob non est ita locutus, sicut ibi scribitur, sed cogitavit ista. Es redt sich nit so in tentatione. Res tarnen est facta, et est quasi

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Poeten auf Im Bekenntnis bezieht sich Luther in dem Textabschnitt über das Beispiel des Glaubens ausdrücklich auf ein Zitat des Ovid aus dessen Liebeslyrik436 (Dsa 290,1 Of: Sollicitor nullos saepe putare Deos). Solche Zitate sind für Luther offensichtlich authentischer als die Wortspielereien vieler Scholastiker437. argumentum fabulae, quod accepit scriptor sicut quidam Terencius et addidit personas et affectus. Voluit pingere exemplum patientiae. Possibile est, das es wol Salomo selb gemacht hab; phrasis non multum est dissimilis. [...] Hebreus poeta, quisquís fuit, vidit tentationes illas et scripsit, sicut Vergilius Aeneam describit [...]. Apparet fuisse magnum theologum, quisquís Hiobem scripsit (Cl 8, 61,25-36; Nr. 475). Dazu die Tischreden Nr. 142; 279; 698; 794; 4777 (WA TR 4 ,490,17f): Ego autem arbitrer librum lob esse historiam, sed in poema redactum, das es einem widerfaren sey, sed non eisdem verbis gestum. In diesen Zusammenhang gehört auch Luthers Vergleich der griechischen Komödien und Tragödien mit den Davidsgeschichten (Tischreden Nr. 810; 5564) und sein grundsätzliches Vergleichen der biblischen und heidnischen Geschichten (Nr. 467; vgl. 5144). In der Methodenlehre der Kritik der praktischen Vernunft konstruiert Kant als Beispiel eines sittlichen Lebens die Hiobsgeschichte nach; seine „Geschichte eines redlichen Mannes" (Weischedel-Ausgabe, Bd. 6, 292), den man zum Verrat einer unschuldigen Person bewegen will, erinnert deutlich an die Hiobfigur und deren Leidenskette. Dieser Redliche wird erst mit Geschenken bestochen, dann mit Gewalt, mit dem Verlust des Lebens bedroht. Doch er gibt nicht nach. Schließlich, „damit das Maß des Leidens voll sei" (ebd), wird von seiner ihn um das Nachgeben anflehenden, von äußerster Not bedrohten Familie berichtet, so daß „er wünscht, den Tag nie erlebt zu haben, der ihn einem so unaussprechlichen Schmerz aussetzte" (aaO 293). Aber er bleibt „dennoch seinem Vorsatze der Redlichkeit [...] treu" (ebd). Mit dieser Erzählung nimmt Kant im Kern schon das Ergebnis seiner Theodizee-Schrift, seine „authentische Theodizee" (Weischedel-Ausgabe, Bd. 9, 116) im göttlichen „Vorzug des redlichen Mannes, in der Person Hiobs," (aaO 119) vorweg. 436 Vgl. Amores III, 9,35f: Cum rapiunt mala fata bonos (ignoscite fasso) / Sollicitor nullos esse putare deos: „Rafft das böse Geschick hinweg auch die Guten, - verzeiht mir - / Reißts, daß die Götter nicht sind einzugesehen, mich hin" (Publius Ovidius Naso, Liebesgedichte, 140/141). Das 9. Gedicht im 3. Buch der Amores ist eine Totenklage auf den gerade verstorbenen Tibull, mit dem Ovid befreundet war. Als einzige der Elegien der Amores ist sie ziemlich sicher datierbar. „Das Gedicht muß bald nach dem Tod des Betrauerten, etwa 17 v. Chr., entstanden sein" (S. Döpp, Werke Ovids, 29). Im Gegensatz zu den ersten beiden Büchern der Amores, in denen die junge und die erfahrene Liebe thematisiert sind, herrscht im dritten Buch ein unmutiger und resignierter Ton; v.a. die 3. Elegie dieses Buches ist bestimmt vom Hader mit den Göttern angesichts der Untreue der Geliebten. Zu Luthers sonstiger Schätzung des Ovid vgl. die Tischrede Nr. 256 und vor allem die Nr. 3616 A: „Ouidius ist ein feiner poet gewesen, qui excedit omnes alios sententiis, Virgilius heroica gravitate, in compositione est primus, sed Ouidius in sententiis; er kann die schönsten sententias in eynem verschen bringen: Nox et amor vinumque nihil moderabile suadent [Amores I, 6,59]" (Cl 8, 123,23-26). „Die Werke Ovids kannte Luther an ihren bekannten Stellen so gut wie auswendig" (H.-U. Delius, Die Quellen von Martin Luthers Genesisvorlesung, 46). 437 Vgl. die Tischrede Nr. 285: „Terencius, Homerus et similes poetae sind keine munch gewesen, sonder haben gesehen, wie es den leuten gehet, id quod ignorant monachi. Sind proprie polsterhund" (Cl 8, 39,24-26). Vgl. WA 20, 119,24f: „Sic et salomo hic

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Die beiden bedeutendsten Redner der Antike, Cicero und Demosthenes, stehen im Bekenntnis fur die Erfahrung der Historien und Geschichtsschreiber. Beide verdienstvolle Politiker mußten ein elendes Schicksal an ihrem Lebensende erfahren; Demosthenes wurde zum Selbstmord gezwungen; Cicero wurde von den Schergen des Antonius getötet und schrecklich verstümmelt. Besonders in seiner Kohelet-Auslegung438 kommt Luther immer wieder auf diese beiden Redner zu sprechen. Vor allem Cicero hat Luther sehr geschätzt, ja sogar geliebt439. Im Gegensatz etwa zu Aristoteles ist für Luther Cicero ein Mann, bei dem vita contemplativa und vita activa beisammen sind. Cicero hat nicht nur Bücher geschrieben und Theorien vorgelegt; er hat seine Gedanken in teilweise mühevoller Praxis und leidvoller Erfahrung durchhalten müssen. Deshalb hat ihn Luther im direkten Vergleich meist über Aristoteles gestellt440. respicit in ipsum cursum rerum, Wie es zugehet auff der weit". In WA 20, 202,34f bezeichnet Luther Homer als princeps Poetarum. Luther hat sich zwar mit Homer beschäftigt (vgl. R. Schwarz, Beobachtungen zu Luthers Bekanntschaft mit antiken Dichtern und Geschichtsschreibern, 10, Anm. 11); viel wichtiger aber waren für ihn natürlich die lateinischen Autoren, darunter hauptsächlich Vergil: „Keinen der antiken Dichter zitiert Luther so häufig wie Vergil" (R. Schwarz, aaO 8). „Vergil, Ovid, Horaz, Terenz hat Luther offenkundig selber gelesen" (aaO 10). Zur sonstigen Bezugnahme auf Ovid vgl. aaO 18f. Bei den antiken Autoren findet Luther das, was er bei den Scholastikern selten oder gar nicht antrifft: Lebensweisheit, Welt- und Wirklichkeitserfahrung (aaO 15; 22). Für Luther führte die Muße der Scholastiker dahin, daß sie in ihren Werken phantasierten: „Nam Scotus, Bonaventura, Gabriel, Thomas fiorente papatu fuerunt homines otiosissimi, musten ja was fantasiren" (Cl 8, 150,4f; Nr. 3722). Auch gegenüber Erasmus erhebt Luther den gleichen Vorwurf: Erasmus Roterodamus multa praeclare scripsit, quia habuit ingenium, otium, erat sine omni molestia, sine officio, non praedicavit, non legit, non fuit oeconomus [...] (Cl 8, 217,26-29; Nr. 4028). 438 Vgl. WA 20, 8,29f; 14,18; 29,18f; 46,19-24; 120,36 und öfter. Beide Politiker sind für Luther Beispiel dafür, daß der Mensch trotz allem Planen den Weltlauf schließlich doch nicht in der Hand hat. Auch Plato und Aristoteles, so Luther, hätten viel über politische Dinge geschrieben, aber sie hätten damit nur Worte (mera verba: 120,20) gemacht, die durch die tatsächlichen Ereignisse immer wieder vereitelt und im nachhinein wieder neu gedeutet worden sind; so sind beide nur post factum sapientes (120,23). 439 S.u. Anm. 613. 440 Vgl. die Tischrede Nr. 2412a; WA TR 2, 456,21-25: Mirari [wohl zu lesen: Satis mirari] non possum, cur nunc laudent adeo Aristotelis philosophiam et non magis Ciceronis, viri, qui in negotiis maxime conversatus est, quod Officia eius testantur, quae longe praestant libris Ethicorum Aristotelis, hominis otiosi et abundantis pecuniae. Cicero res, Aristoteles dialecticam tractat. Vgl. die Nr. 2412b. Dazu die Nr. 3608d; Cl 8, 121,28-31: Summa, Cicero longe superat Aristotelem, nam in Tusculanis quaestionibus et natura Deorum praeclarissima scribit de anima et illius immortalitate. Ethica Aristotelis aliquid sunt, tarnen Officia Ciceronis excellunt ipsa. Dazu: Nr. 5012; Cl 8, 255,1-3: Collatio Aristotelis et Ciceronis. Cicero est multo doctior Aristotele et perspicue sua docet. Philosophiam bene docuit, sed officia, das ist ein köstlich buch! Vgl. auch die Nummern 155 und 5440. In Dsa 139,23-25 stellt Luther den alle

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1.3 D i e Sprichwörter Auch die Sprichwörter hat Luther als umfassenden Erfahrungsschatz der Menschen sehr gehebt und in seinen Schriften immer wieder zitiert. Er bezeichnet i m Bekenntnis die Erfahrung als Mutter aller Sprichwörter ( 2 9 0 , 1 2 f ) und zitiert das Sprichwort , J e größer der Schalk, desto besser das Glück" (290,13) 4 4 1 . Schon am Anfang seiner Streitschrift hat Luther den Sprichwörterschatz der „Menge" (vulgus) aufgenommen (Dsa 110,1.15f.23). In der A s sertio des 7. Artikels stellt er die Aufnahme der Sprichwörter in der Bibel heraus; keine menschlichen Worte seien wahrer als die allgemeinen Sprichwörter, deshalb zitiere auch die Heilige Schrift oft diese Sprichwörter als wahrste Worte 442 . „Deshalb sind die Sprichwörter in allerlei Zungen und Sprachen wahr und gewiß, weil sie auf Gottes Werk gegründet sind und aus Gottes Werk kommen, obschon Gottes Wort nicht da ist." 443 Luthers Vorhebe für die Sprichwörter zeigt sich nicht zuletzt auch darin, daß er - w i e Erasmus in seinen berühmten, immer weiter gewachsenen Adagia - eine Sprichwörtersammlung angelegt hat 444 .

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Christen überragenden Geist und die Bildung des Cicero heraus: Quis Christianorum uel uni Ciceroni, ut Graecos taceam, ingenio, erudiutione, diligentia comparandus est? Unkritisch gesehen oder gar vergöttert hat Luther Cicero allerdings nicht: WA 40 III, 222,34f. In WA 42, 482,10-13 wird Cicero von Luther als Leugner der göttlichen Vorsehung kritisiert: Hae sunt revelationes spiritus sancti, quas Philosophia non videt, ideo offensa negat providentiam, iudicat Deum humana non curare, sed omnia casu et temere ferri. Cicero cum de finibus, Item de Deorum natura disputât, in hunc ipsum scopulum impingit. In einer Predigt Luthers (Über das 5. Buch Mose; 1529) taucht dieses Sprichwort im Zusammenhang mit Jer 12,1 wieder auf. WA 28, 558,29-32: „Wie denn der Prophet Jeremias auch darüber klaget: Quare prosperate via Impiorum? 'Warumb gehets dem Gottlosen so wol?' und die erfarunge zeugets auch, wie man im Sprichwort saget: Je erger schalck, je besser glück."' Aufgenommen ist dieses Sprichwort auch in der Theodizee von Leibniz (I, § 16; Buchenau-Ausgabe, 105): „Ein deutsches Sprichwort gibt den Bösen den Vorzug, gleichsam als wären sie eigentlich die Glücklichsten: Je krümmer holtz, je bessre Krücke: / Je ärger schalk, je größer Glücke." WA 7, 116,27f: In omnibus hominum verbis nihil verius est communibus proverbis, adeo ut et scriptura sancta saepius proverbia tanquam verissima citet. Luthers Vorreden zur Bibel, 78. Einige Zeilen zuvor sagt Luther: „Dazu ist aller Sprichworte kein andrer Ursprung als Gottes Wort und Werk [...]" (ebd). Die Spannung, daß einmal das Wort Gottes als Ursprung der Sprichwörter angegeben wird und dann wieder dieses Wort als nicht daseiendes vom Zusammenhang mit den Sprichwörtern ausgeschlossen wird, läßt sich so lösen, daß das Wort Gottes, das hier im Anmerkungszitat erscheint, als weiteres Wort des Gesetzes zu verstehen ist und daß das oben im Textzitat angesprochene Wort Gottes für das besondere Wort des Evangeliums steht. WA 51, 634-662; als gesonderte Ausgabe mit Anmerkungen wurde die Zusammenstellung von E. Thiele, Luthers Sprichwörtersammlung, herausgegeben.

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1.4 Die Propheten Die Propheten, so Luther im Bekenntnis, seien noch mehr angefochten worden von Gott (Dsa 290,23f) als diejenigen, die von Gott nur als abgehobener Idee gesprochen haben, wie Aristoteles, oder die Gottes Sein überhaupt, wie letztlich die Epikuräer, geleugnet haben. Sie wurden deshalb noch mehr angefochten, weil ihnen Gott keine blasse Idee, sondern lebendige und tragende Wirklichkeit war, so daß dann der Widerspruch in der Anfechtung noch stärker empfunden und ausgehalten werden mußte. Der Hinweis auf die Propheten - Luther erwähnt im Bekenntnis Hiob, Jeremía, David und Asaph (also wohl vor allem die Beter der Klagepsalmen445) ist innerhalb des Beispiels deshalb von besonderer Bedeutung, weil Luther mit ihrer Erwähnung den Raum der Erfahrung, den Raum der Anfechtung so erweitert, daß sich der angefochtene Gläubige hier wiederfinden kann. Der Angefochtene steht mit seiner Anfechtung, d.h. auch mit seiner bis an das Blasphemische446 heranreichenden Klage, nicht allein; den großen Heiligen der Bibel ging es auch so. „[...] Es wil und mus gekempffi und gelidden sein. Wir können nicht besser sein, denn die lieben Propheten und Apostel, denen es auch also gegangen ist"447. Immer wieder erwähnt Luther in seinen Schriften die Zeugen der Anfechtung; für Luther selbst sind sie Identifikationsmöglichkeiten sogar für die tiefste Verzweiflung bis hin zum Wunsche der eigenen Selbstauslöschung448. 445 Vgl. WA TR 5, 592,25-27 (Nr. 6305): Qui non est tentatus, nihil seit. Ideo totum Psalterium in singulis fere verbis nihil est quam tentatio, tribulatio et afflictio et liber iste plenus tentationum. Zu dem von Luther im Bekenntnis zitierten Ps 73 (neben Ps 74): Psalmi 72. et 73. omnium difficillimi sunt (WA TR 1, 177,38; Nr. 410). 446 Vgl. WA 31 I, 280,15-21 (zu Ps 6): „Das ist nu ein sehr hoher Psalm, den wir arme leut nicht verstehen und der allein fur die grossen heiligen gehöret. Tertius psalmus est de persecutione, 4. de tribulatione, 5. de haeresibus. Also gehen wir durch und durch in den tentationibus. Hic autem sextus psalmus est de spirituali tentatione, quam monachi dicunt spiritum blasphemiae, das einer mit unserm herrn Gott zürnet, das ers nicht recht macht. Est tentatio fidei et spei, das einer nur vertzweiveln will." Vgl. WA 40 III, 539,1-7; 540,2ff; 542, lf; 546,3f; 551,7ff; 553,3f. 447 WA 50, 474,6-8 (Wider die Antinomer, 1539; mit Bezug auf Hiob und Jeremía: 473,26ff). Vgl. WA 31 I, 137,24-138,33; 138,8f: „Gaudium est miseris socios habere penarum, Es tröstet die Elenden, wenn sie nicht allein leiden". Vgl. WA 17 II, 23,2529: „Widerumb sollen solche Exempel dienen, die erschrockenen und geengsten Gewissen zu trösten, wenn sie sehen, das Gott nicht allein sie. Sondern auch die höhesten Heiligen also hat angegriffen Und eben solche anfechtung und schrecken leiden lassen. Denn so wir in der Schriffi kein Exempel hetten, das es den heiligen auch also gegangen were, so könden wirs nicht ertragen [...]". 448 Vgl. Dsa 214, 28-32: Ego ipse non semel offensus sum usque ad profundum et abyssum desperationis, ut optarem nunquam esse me creatum hominem, antequam scirem, quam salutaris ilia esset desperatio et quam gratiae propinqua. Ganz deutlich ist hier der Bezug zu Hiob 3,1-26 und Jer 20,14-18. Vgl. WA TR 6, 21,llf. (Nr. 6531): „Hiob und Jeremias verfluchten den Tag, darinnen sie geboren waren." Während seiner tief-

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Vor allem in seinen Tischreden bezieht sich Luther häufig auf die Anfechtung der Propheten - auf das Buch Hiob449, das „uns zu Trost geschrieben [ist], daß Gott seine großen Heiligen also läßt straucheln, sonderlich in der Widerwärtigkeit"450, auf Jeremía451 oder auf David452. Der Raum der Mitangefochtenen ist so groß, daß auch die Mutter Christi, Maria453, und Christus selbst454 mit einbezogen sind. 2. Das Problem der Theodizee Nicht nur im Schlüsseltext von Dia455, sondern im ganzen vierten Teil seiner Diatribe (vgl. Dia IV4-5, 163-167; IV7, 169; IV12, 179; IV14, 183-185), bricht in der Argumentation von Erasmus immer wieder das Problem der Theodizee auf. Ohne die Annahme der Willensfreiheit gäbe es für Erasmus keine Erklärung des Bösen und keine Entschuldigung Grottes. Si deus - unde

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gehenden Lebens- und Glaubenskrise in der zweiten Hälfte des Jahres 1527 (s. Anm. 326) vergleicht sich Luther in der Schilderung seiner Anfechtung in Briefen mit Hiob, sieht sich als zweiten Hiob: Ipse Satan per se cum tota virtute sua in me furit posuitque me Dominus illi velut alterum Hiob [...] (Cl 6, 192,22f; vgl. 213,16). Vgl. die Tischreden Nr. 71; 142; 279; 444; 467; 475; 698; 737; 792; 2205; 2826; 3338; 4777; 5564; 6531. Luthers Vorreden zur Bibel, 60. Das Buch Hiob ist so geschrieben, daß sich viele Angefochtene mit ihrem Leiden darin aufgehoben wissen können; WA TR 3, 412,8f (Nr. 3558A): Nam ille liber non est scriptus pro lob aut tantum de una persona illius, sed in persona multorum patientium. Vgl. die Tischreden Nr. 71; 228; 311; 408; 734; 741; 887; 1278; 2015; 2505; 6531. Vgl. die Tischreden Nr. 71; 199; 461; 533a; 810; 1184; 1333; 1347; 1380; 2435; 3798; 4344; 5564. Vgl. WA 17 II, 17,36-38: „Also hellt uns dis Euangelium erstlich für an dieser Mutter Christi ein Exempel das Kreutzes und hohen leidens, so Gott seinen Heiligen widerfaren lesst." (Fastenpostille, 1525; zu Luk 2, 42-52). Dazu: 23, 32-36: „Nu wir aber sehen und hören, das Gott mit allen hohen Heiligen also gehandlet und seiner eigen Mutter nicht verschonet, So haben wir daran diese Lere und tröstung, das wir in solchem leiden nicht verzagen, sondern stille halten und warten, bis er uns her aus hilflt, Wie er denn allen lieben Heiligen geholffen hat." Vgl. WA BR 4, 625,9-11. WA 5, 601,5-606,28. In einem Trostbrief vom 22.8.1527 an Else v. Kanitz schreibt Luther: „Christus hat auch solchs alles gelitten und viel heiligen Propheten und Apostel, wie der Psalter wohl anzeigt" (Cl 6, 193,19-21). Vgl. die Tischrede Nr. 141 (Cl 8, 21,24-26): Quare omnes, qui tentantur, debent Christum proponere exemplum, qui etiam est tentatus, aber es ist yhm seurer worden quam vobis et mihi. Dazu die Tischreden Nr. 1234; 5493; 5574; 6604. Vgl. in Christine Lavants Gedicht „Christus, bist du wirklich auch in mir?" (Christine Lavant, Gedichte, 44): „Heiland, Heiland, ich beschwöre dich, / komme! Bleibe! - Halt es bei mir aus. / Meine Angst umkreist das Irrenhaus / schon seit Jahren, denke! - schon seit Jahren. / Hast du wirklich auch die Qual erfahren / einst am Ölberg, dann - dann steh mir bei!" S.o. Anm. 32.

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malum456, wenn es einen Gott gibt - woher dann das Böse? Diese uralte Frage der Theodizee ist auch die Frage des Erasmus, beherrscht als Hauptproblem den ganzen Schlußteil seiner Schrift über den freien Willen und findet eine klare Antwort: Die Freiheit des Menschen ist Ursprung des Bösen. Die Beschuldigung des menschlichen Willens führt endlich zur Entschuldigung der göttlichen Güte. Der von Natur unendlich gnädige Gott ist gut, barmherzig und gerecht, deshalb auch schuldlos am Bösen, am Übel und am Ungerechten. Das Böse und die Folgen des Bösen sind dem verkehrten, bösen Willen der Menschen zuzuschreiben (Dia Ia8, 11-13). Mit dieser Auffassung steht Erasmus in einer breiten Tradition des abendländischen Denkens. Am Anfang der Odyssee weist Zeus in der Götterversammlung die Klagen der Menschen über ihre Leiden zurück mit dem Hinweis, daß die sterblichen Menschen selbst mit ihren Freveltaten ihr Elend schaffen457. Diese „homerische Theodizee"458, die die Götter entschuldigt und die Menschen beschuldigt, zeigt sich immer wieder in späteren philosophischen und theologischen Entwürfen. Piaton etwa stellt gegen das Reden von den Göttern bei Homer, Hesiod und bei den Tragikern zwei Regeln für eine Götterlehre auf: Gott darf nicht als veränderbarer Gott dargestellt werden und er ist als schuldlos am Bösen zu bezeichnen459. Basilius der Große bestimmt das αύτεξούσιον, die Selbstmächtigkeit des Menschen, als Ursache und Wurzel der Sünde und des Bösen, an dem Gott nicht schuld ist460. Augustinus weiß ohne die Anerkenntnis der 456 Vgl. Boethius, Trost der Philosophie, Buch 1, 4.p.; Gigon-Ausgabe, 20-23: „Darum hat einer deiner Vertrauten nicht mit Unrecht gefragt: 'Gibt es einen Gott, woher das Übel? Gibt es keinen, woher das Gute?' ['Si quidem deus', inquit, 'est, unde mala? Bona vero unde, si non est?']". 457 Vgl. Homer, Odyssee 1,31-34. 458 W. Jaeger, Paideia I, 196 u. 197; vgl. 85f. 459 Platon, Politela 378e-383c; dazu auch: Theaitetos 176a-c; wogegen sich Plato mit seinen Vorschriften einer Götterlehre wendet, wird etwa deutlich an der Erzählung vom Götterbetrug in der Ilias XXII,226-305 (v.a. 299), wo Hektor von der Göttin Athene, die sich in die Gestalt des Bruders Hektors verwandelt hat, um Hektor so im Kampf mit Achill Mut zu machen, betrogen wird. Vgl. am Ende der Politeia die Beschreibung Piatons, wie sich die Menschen selber ihren Dämon, also ihr Schicksal, erwählen und wie damit die Schuld auf der Seite der Wählenden liegt und Gott als schuldlos erwiesen ist: 617b-e. Plato erwähnt hier die drei Moiren, die Töchter der Notwendigkeit, Lachesis, Klotho und Atropos (vgl. Hesiod, Theogonie, 218; 905), auf die auch Luther in Dsa 110,9f zu sprechen kommt. Vgl. Anm. 361. 460 ΟΜΙΛΙΑ ΟΤΙ ΟΥΚ ΕΣΤΙΝ ΑΙΤΙΟΣ ΤΩΝ ΚΑΚΩΝ Ο ΘΕΟΣ (MPG 31, 329-354), cap. 3: 332 C-D; vgl. 337 D - 339 A; 345 Β. Vgl. Orígenes, De principiis III, 1 Περί αύτεξουσίου. 111,1,6: Paulus spricht mit uns als mit Menschen freien Willens (αύτεξουσίοις), die selbst Ursache ihres Untergangs und ihrer Rettung sind (Rom 2,4-10). Vgl. 11,9,2.5-6: Gott hat alle Vernunftwesen gleich erschaffen, aber einige dieser Wesen wurden in der Nachahmung Gottes durch ihre Willensfreiheit nachlässig und sind von Gott abgefallen (vgl. 1,8,4). Aber auch die abgefallenen Seelen stehen

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Freiheit des menschlichen Willens keine Erklärung für die Herkunft des Bösen und die ganze Kette des Unheils461; auch für Thomas von Aquin kann das malum culpae, die Schuld, nur dem freien Willen entspringen462. Leibniz bestimmt den freien Willen als „nächste Ursache für das Übel der Schuld und folglich auch für das Übel der Strafe"463. In jüngster Zeit hat dieses Denken innerhalb der religionsphilosophischen Richtung der „free will defence"464 als Hauptargument einer rationalen Theodizee Konjunktur.

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unter Gottes vorsehender Pädagogik, die schließlich - nach einem äonenlangen (111,1,23) und teilweise harten Reinigungsprozeß (11,3,7) - alle Wesen wieder unter Bewahrung und Beachtung ihrer Willensfreiheit zu ihrem Ursprung zurückführt (1,6,13; 11,1,2). Am Ende der göttlichen Erziehung steht die Wiederbringung und Wiederherstellungaller Wesen (1,6,1; 11,3,5; 111,5,7-8; 111,6,5.9). Doch „die zentrale Stellung der Willensfreiheit" bei Orígenes, so H. Rosenau, „gefährdet die innere Konsistenz seiner Versöhnungslehre" (Allversöhnung, 144). Vgl. H. Koch, Pronoia und Paideusis, 18: „Da ist ein bestimmter Grundgedanke, der überall wiederkehrt: der Gedanke an die Erziehung der gefallenen Vernunftwesen durch die Vorsehung. Hier liegt Orígenes' eigentliches Interesse. Gott ist für ihn vor allem der große Lehrer, der auf jede Weise die Seelen leitet und erzieht, so dass diese, ohne ihr freies Selbstbestimmungsrecht zu verlieren, zu ihrem himmlischen Ursprung zurückgeführt werden. Wir stehen hier dem Grundmotiv seiner ganzen Theologie gegenüber." Noch das himmlische Paradies versteht Orígenes (wie später dann v.a. auch Melanchthon: CR 7, 319; vgl. CR 11, 44f) als Erziehungsstätte, als Akademie, als Hörsaal und Schule der Seelen (De principiis 11,11,6). Vgl. De civ. Dei XI,23; XII,4; XIII,14; XIV,27. Enchiridion XXVIII, 106 (ScheelAusgäbe, 66,27): [...] peccatum in solo liberum arbitrium erat constitutum [...]. Vgl. De libero arbitrio 111,161-168. STh I, q 23 a 3 ad 2: [...] culpa provenit ex libero arbitrio [...]. Die Theodizee III § 288; Buchenau-Ausgabe, 320. Vgl. I § 20 (aaO 110); II § 151 (aaO 213); III § 273 (aa0 310). A. Plantinga, The Free Will Defence, 105-120. Für Plantinga ist „freedom [...] the source of moral evil" (A. Plantinga, The Nature of Necessity, 167). Auch für R. Swinburne ist die Verteidigung der Willensfreiheit der Kernpunkt jeglicher Theodizee: „The central core of any theodicy must, I believe, be the free-will defence; and all that I shall seek to do here is to set out this core, show how it deals with moral evil, and give the briefest outline of the further steps by which it can be extended to deal with natural evil [...]" (R. Swinburne, The Free Will Defence, 586f). A. Kreiner gibt eine sehr ausführliche Darstellung der neueren Entwürfe einer rationalen Theodizee und stellt im 9. Kapitel seines Buches (Gott im Leid) das Argument der Willensfreiheit (Free Will Defence) als Haupt- und Schlüsselargument einer auch für heutiges Denken plausiblen Theodizee dar. Die Willensfreiheit wird als so großer Wert dargestellt, daß sie die Einbeziehung der Möglichkeit von Übeln, die auch aus dieser Willensfreiheit entstehen können, plausibel macht. „Die Willensfreiheit ist ein anthropologischer Basisbegriff, der für das Selbstverständnis des Menschen als sittliches Wesen konstitutiv ist. In einer von Gott erschaffenen Welt stellt die Willensfreiheit sowohl einen leidverursachenden Faktor als auch einen Wert von eminenter Bedeutung dar. Wenn zutrifft, daß das eine nicht ohne das andere möglich ist, ließe sich zumindest Gottes Zulassung des moralischen Übels verstehen und möglicherweise sogar rechtfertigen. Damit wäre ein entscheidender erster Schritt im Hinblick auf die Lösung des Theodizee-Problems getan."

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Zu jedem der eben erwähnten Theodizee-Entwürfe gehört als entscheidendes Element die Beschuldigung des Menschen. Der freie Wille, genauer der Mißbrauch der von Gott geschenkten, guten Willensfreiheit, ist die Einbruchsteile für das Böse in die göttliche und vernünftige Ordnung. Damit ist die Theodizee in ihrer klassischen Form natürlich noch nicht abgeschlossen und zu Ende gedacht465. Das Böse als Störfall bleibt dem gesamten System (Gottes oder der Vernunft) eingeordnet466; es hat - als „Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft"467 - systemvorantreibende und systemvollendende, niemals aber systemsprengende Wirkung. Theologischer gedacht: es bleibt eingeordnet unter Gottes Vorsehung und Zulassung und wirkt mit als Kontrastelement zur besonderen Hervorhebung des Guten, zur Prüfung, Erziehung und Läuterung der strebenden Menschen und so endlich zur Vervollkommnung des Ganzen (vgl. Rom 8,28). So denken die großen Theodizee-Theoretiker und so denkt auch Erasmus in seiner Diatribe (Dia mb6, 131-133). Die Beschuldigung des menschlichen Willens zum Zweck der Entschuldigung Gottes468 ist dabei nur ein, aber ein entscheidendes Moment.

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(A. Kreiner, Gott im Leid, 236f.) Vgl. Kreiners Rekurs auf J. Hicks „irenäische [...] Theodizee der Seelenbildung" (aaO 238). Neben die Beschuldigung des menschlichen Willens für den Ursprung des Bösen tritt eine Relativierung des Bösen (vor allem die Herausstellung des Bösen als eingeschränkt Seiendes, als privatio boni) oder seine Funktionalisierung (etwa als Kontrastelement zur Hervorhebung des Guten oder als Erziehungsmittel zur Prüfung der vernünftigen Kreatur). Vgl. dazu die eingängige Formel bei Augustin: Gott ist der beste Schöpfer (creator) alles Guten und der gerechteste Ordner (ordinator) alles Bösen. Die Menschen gebrauchen das von Gott gut Geschaffene schlecht; Gott gebraucht das Böse der Menschen gut (Conf. I, 10,16: Et tarnen peccabam, domine deus meus, ordinator et creator rerum omnium naturalium, peccatorum autem tantum ordinator [...]; De civ. Dei XI. 17; vgl. XI,6; XI,23 und XIX, 13). Noch bei Schleiermacher ist die Vorstellung der Ordnung im Bezug auf die Sünde und das Übel herrschend, etwa in der Aussage, „daß Übel an und für sich gar nicht, sondern nur als Mitbedingung des Guten und in Beziehung auf dasselbe von Gott geordnet sind" (Glaubenslehre; Redeker-Ausgabe I, 249 [§48]). Vgl. die häufige Verwendung des „geordnet" aaO 252; 253; 426 (Leitsatz zu § 80); 430 (Leitsatz zu § 81); 437; 439; 440; 442; 443; 444; 449 (Leitsatz zu § 84). Goethe, Faust I, V. 1335Í Vgl. Pannenbergs Kritik an dieser Strategie der Entschuldigung Gottes (Systematische Theologie, Bd. 2, 193): „Der Hinweis darauf, daß das Böse in der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit des Geschöpfes seinen Ursprung hat, vermag den Schöpfer von der Verantwortung für diese seine Schöpfung nicht zu entlasten [...]. Das Bemühen um Entlastung des Schöpfers ist ein Irrweg christlicher Theodizee gewesen, der weder gedanklich zum Ziele führen konnte, noch dem neutestamentlichen Zeugnis entspricht, wonach Gott selbst durch den Kreuzestod seines Sohnes die Verantwortung für die von ihm geschaffene Welt übernommen und getragen hat." Vgl. aaO 196. Allerdings kann Pannenberg auch bloß von der „Mitverantwortung" Gottes durch seine „'vorausschauende' Zulassung" (aaO 197) des Bösen reden.

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Das Beispiel des Glaubens

3. Der lächerliche und distanzierte Gott Luther nimmt das oben geschilderte Bemühen pro excusanda bonitate Dei, pro accusanda uoluntate hominis (Dsa 214,32f; vgl. 200,3f)469 wahr, hält dieses Unterfangen aber für vergeblich, ja gefährlich. Denn dadurch werde Gott schließlich zum ridiculus deus (213,37.40; 215,5), zum lächerlichen Gott. Lächerlich ist Gott, so Luther, „wenn er nicht alles kann und tut oder wenn irgendetwas ohne ihn geschieht" (213,40f). Lachhaft ist ein Gott, der zum bloßen Zulasser (202,19; 205,26; 207,39)470 oder zum Zuschauer471 (248,29f) des Bösen gemacht wird. Für Luther steht an diesem Punkt das Sein Gottes auf dem Spiel. Wird Gott nämlich hinsichtlich des Bösen zum unbeteiligten Betrachter, der das, was er vor sich sieht, zwar nicht will, aber zuläßt, so wird er auch gegenüber anderem Geschehen immer mehr zum teilnahmslosen Zuschauer „und es kommt schließlich so weit, daß die Menschen ohne Gottes Wissen [ignorante Deo] gerettet und verdammt werden" (200,3 lf). Gott wird „arbeitslos" wie die distanzierten Götter Epikurs472. Diese sind von Epikur in die Distanz gebracht, in die Zwischenwelten473 abgeschoben und 469 Vgl. Dsa 199,27f: [...] et quo modo excuset Deum, ne ipse sit author et culpa nostrae indurationis. 271,36-43: Esto enim, quod libero arbitrio quam minimum tribuant, nihilominus ìustitiam et gratiam eo minimo consequi nos posse docent, Neque enim ratione alia quaestionem lllam dissoluunt, Cur Deus hune iustificet et ilium deserai, quam statuendo liberum arbitrium, scilicet, quod hic conatus sit, ille non sit conatus, Et deus hune propter conatum respiciat, illum uero contemnat, ne sit iniustus, si secus fecerit. Vgl. 202,14-42. 470 S.u. Anm. 515. 471 Vgl. Boethius über den vorauswissenden Gott, der als Zuschauer von oben alles überblickt: Manet etiam spectator desuper cunctorum praescius deus [...]; Trost der Philosophie, Buch 5, 6.p.; Gigon-Ausgabe, 272. Bei Thomas findet sich ein ähnliches Bild; STh I, q 14 a 13 ad 3. Vgl. dagegen P. Tillich, Systematische Theologie I, 307: „Die Vorsehung ist ein beständiges Handeln Gottes. Er ist niemals Zuschauer, immer lenkt er alles und jedes zu seiner Erfüllung hin." 472 Vgl. Epikur, Von der Überwindung der Furcht, 125-127; 133: „Epikur erklärt, Gott sei ewig und unveränderlich, walte aber nicht als Vorsehung; überhaupt gebe es keine Vorsehung und kein Schicksal, sondern alles würde von selbst entstehen. Der Sitz der Gottheit sei in den Zwischenwelten, wie er sie nennt. Denn er nimmt einen Wohnort der Götter irgendwo außerhalb des Kosmos an, eben die Zwischenwelten. Die Gottheit würde Lust empfinden und in Ruhe leben und in der höchsten Heiterkeit und weder selbst Sorgen haben noch anderen irgendwelche bereiten." 134: „Das glückselige und unvergängliche Wesen ist erfüllt mit allen Gütern und unempfänglich für jedes Übel. Es beschäftigt sich ausschließlich mit dem Zusammenhalten seiner eigenen Glückseligkeit und Unvergänglichkeit und kümmert sich nicht um die menschlichen Dinge. Es wäre ja unglückselig, wenn es die Arbeit eines Handwerkers und Architekten auf sich nehmen und über die Ordnung des Kosmos nachgrübeln müßte." Vgl. Cicero, De Natura Deorum I, 18-56. Luther hat sicher nicht zuletzt aus Ciceros Werk seine Vorstellungen von den antiken Götterauffassungen bezogen. Luther bringt in Dsa die erasmischen Vorstellungen mehrmals mit der epikureischen Lehre in Verbindung (vgl. z.B. 100,27; 103,32; 111,23; 112,26; 290,19). Erasmus hat sich bitter über diesen

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genießen dort - gleichsam als himmlische Pensionäre414 - im gemeinsamen seligen Gespräch ihr müheloses473, sorgloses und weltloses Dasein. Epikur hat seine Götter in die Feme476 gerückt, damit der Mensch von der grundlosen Furcht vor den Göttern477 befreit wird und damit er in Selbstgenügsamkeit (Autarkie), Unerschütterlichkeit (Ataraxie) und Gelassenheit478 innerhalb der ihm gesteckten Grenzen479 sein Leben zubringen kann. Für Luther kommt diese Distanzierung einer Negation des göttlichen Seins gleich (290,17-19)480; ein

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Vorwurf, er sei ein Epikuräer, ein Schwein aus der Herde Epikurs (100,27; vgl. Horaz, epist. 1,4,16), gegenüber Luther selbst (vgl. Allen, Bd. 6, Nr. 1688) und gegenüber Johann von Sachsen (Allen, Bd. 6, Nr. 1670) beklagt. Metakosmia, von Cicero mit intermundia übersetzt (Epikur, Von der Überwindung der Furcht, 48f). Vgl. Lukian (der von Erasmus ins Lateinische übersetzt wurde [C. Augustijn, Erasmus, 36] und der von Luther in Dsa häufiger [103,31; 150,36; 153,26; 240,13] erwähnt wird), Ikaromenipp 9 (Die Hauptwerke des Lukian; Mras-Ausgabe, 293): „Dann glaubten nicht alle an eine Vorsehung und an die Fürsorge der Götter für unsere Angelegenheiten, sondern es gab einige, die sie von der ganzen Fürsorge um uns lossprachen, so wie wir die Männer, die bereits über ein gewisses Alter hinaus sind, von Leistungen gewisser Dinge im Staatsdienst befreien [...]". Schon Homer schildert die Götter als die „leicht lebenden" (Ilias VI, 138, übertr. v. W. Schadewaldt). Die „immer seienden" (1,290.494; XXIV,99), „unsterblichen" (V,442) und „seligen" (1,339.599; VI,141; XXIV,99) Götter haben gut lachen (1,599; vgl. XXI,389) angesichts der Mühsal der „elenden Sterblichen" (XXII.31; XXIV,525; vgl. XXI,463f). Im Schicksalslied Hyperions kontrastiert F. Hölderlin eindrücklich die Welt der ,,selige[n] Genien" und der „leidenden Menschen". Vgl. W.F. Otto über den Gott Apollon (Theophania, 99): „Als Gott der Ferne - und das heißt nicht nur der räumlichen Entrücktheit, sondern des vornehmen Abstands, der Distanz, der Ablehnung alles Allzunahen - ist er der Geistigste aller Götter [...]". Cicero, De natura deorum I, 117 (Gerlach-Ausgabe, 134): [...] timor inanis deorum [...]. Vgl I, 56 (aaO 66/67): „Von diesen Schrecknissen [terroribus] hat uns Epikur erlöst, und, in die Freiheit geführt, haben wir keine Furcht vor jenen Wesen, von denen wir klar erkennen, daß sie weder sich selbst Verdruß [molestiam] bereiten noch ihn für einen anderen ersinnen wollen, und verehren rein und fromm ihr herrliches und hervorragendes Wesen." Vgl. Epikurs Briefe an Herodot und Menoikeus; Epikur, Krautz-Ausgabe, 34-41; 4651. Nur der Tod könnte den Menschen noch schrecken; aber auch hier ist die Furcht unbegründet, weil der Tod den Menschen letztlich nicht betrifft: ,JDer Tod geht uns nichts an. Denn was sich aufgelöst hat, hat keine Empfindung. Was aber keine Empfindung hat, geht uns nichts an" (Epikur, Von der Überwindung der Furcht, 59). Vgl. aaO 101: „Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr. Er geht also weder die Lebenden an noch die Toten; denn die einen geht er nicht an, und die anderen existieren nicht mehr." Dieses Urteil ist im Grunde auch das Resultat der akademischen Kritik an Epikur in Ciceros De natura deorum I, 123f (aaO 143): „[...] Epikur [...] hebt damit die Existenz der Götter praktisch auf und läßt sie nur noch in Worten weiterleben."

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Gott, der nicht mehr auf die Welt einwirken kann, kann für Luther kein Gott mehr sein, er ist nur noch eine Idee, ein Idol481 des Menschen - ein nichtsnutziger, nichtiger Götze, ein Nichts 482 . In diesen Zusammenhang gehört für Luther auch der Naturhistoriker Plinius483 (290,19), den er in Dsa schon als Leugner einer jenseitigen Welt und der Unsterblichkeit erwähnt hat. Den sich selbst genießenden Göttern Epikurs entspricht für Luther der sich selbst denkende Gott des Aristoteles. Auch er, in reiner Theorie und Kontemplation nur mit sich selbst beschäftigt, ist ein von der Welt und den Menschen distanzierter, separierter484 Gott, damit er, v o m Elend befreit, nicht so viel Böses und nicht so viele Ungerechtigkeiten in der Welt mitansehen muß

481 Dsa 200,29-31: Spoliatus uero Deus uirtute et sapientia eligendi, quid erit nisi idolum fortunae, cuius numine omnia temere fiunt? 213,37f: [...] quod ridiculus ille deus fiierit, aut idolum uerius [...]. 482 Vgl. Luthers Vorwurf gegenüber Erasmus, dieser glaube, daß Gott nichts sei (Dsa 100,27f: [...] ipse nihil credat esse Deum [...]). In Dsa 103,17 zitiert Luther Ps 14,1 ([Vulgata 13,1] Dixit insipiens in corde suo: Non est Deus) in der Form: Deus nihil est. 483 Luther spielt auf das 2. Buch der 37 Bücher der Naturkunde (Naturalis Historiae Libri XXXVII) des älteren Plinius an. Der Universalgelehrte hat mit seinem Werk die Enzyklopädie des gesamten naturkundlichen Wissens des Altertums vorgelegt. Im 2. Buch, das der Kosmologie gewidmet ist, kommt Plinius auch auf die Götter zu sprechen. In epikuräischer Weise fragt er: „Daß das höchste Wesen, was es auch immer sei, sich um die Angelegenheiten der Menschen kümmert oder daß es durch eine so traurige und vielseitige Tätigkeit nicht beschmutzt werde: was davon sollen wir glauben oder bezweifeln?" (II, 5,20; König-Ausgabe, 25f). Die Menschheit habe sich, so Plinius weiter, „ein eigenes göttliches Wesen erdacht [...]: in der ganzen Welt nämlich [...] wird allein das Glück (Fortuna) angerufen und genannt [...], von vielen als flüchtig [vaga; vgl. Luthers Rede vom deus vagus: WA 40 II, 386,34], aber auch als blind [caeca] betrachtet, unbeständig [inconstans], unsicher [incerta], wechselreich und eine Gönnerin Unwürdiger" (II, 5,22; König-Ausgabe, 26/27). Im Abschnitt Dsa 153,8-34, in dem Luther die Unbegreiflichkeit auch - oder gerade - des Heils herausstellt (153,8f: [...] uita uel salus aeterna res est incomprehensibilis captui humano [...]), erwähnt Luther, neben Lukian, Plinius als einen Vertreter jener hervorragenden Geister unter den Heiden, die die Auferstehung und das ewige Leben als etwas Unmögliches und Undenkbares verschmäht haben (153,25f: Quid Plinius de iis rebus latrat lib. 7?; vgl. Naturalis Historiae II, 5,27; VII, 56,188-190). In der Jona-Auslegung (zu Jona 1,5) stellt Luther Plinius neben die „Epicuri"; sie würden, wenigstens mit dem Munde, das natürliche Licht der Vernunft, das von Gott weiß, leugnen (WA 19, 206, lf). Positiv wird Plinius von Luther angeführt als Kenner und Beschreiber der (äußerlichen) Werke der Natur: [...] Plinius descripsit opera [...] (WA 25, 34,4). Häufig verweist Luther auch in der Genesisvorlesung auf Plinius, den er „gern zur Erklärung naturwissenschaftlicher Phänomene heranzieht" (H.-U. Delius, Die Quellen von Martin Luthers Genesisvorlesung, 48). 484 WA 43, 240,22-25: Non enim aliam notitiam de Deo hábent, quam Philosophicam aut metaphysicam. Quod Deus est ens separatum a creaturis, ut ait Aristoteles, verax, intra se contemplane creaturas. Sed quid haec ad nos?

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(290,20-22)485. Luthers Spott über den Gott des Aristoteles486, den Gott der Philosophen, der schlafend487 (200,38) und schnarchend488 (201,1; vgl. 245,35)

485 Dem Gott des Aristoteles, der als ,Renken des Denkens" vom Weltgeschehen ferngehalten wird, weil es ihm sehr beschwerlich (molestissimum: 290,22) sei, die Übel der Welt anzuschauen, entspricht in der Sicht Luthers ein Mönchtum, das sich aus der Welt und ihren Beschwerlichkeiten ins Kloster zurückzieht: Cur enim monachi abdunt se in monasteria? nimirum ut liberentur a molestiis, quibus totum mundum vident abundare (WA 43, 140,32f). Dagegen gilt es für Luther, in den drei Ständen der oeconomia, der politia und der Ecclesia das mühselige Leben im Vertrauen auf Gottes Wort zu führen und auszuhalten (140, 23-25). Vgl. die gleiche Argumentation im Blick auf Diogenes und seinen Rückzug aus der Welt ins Verborgene in WA 20, 104,14-23. 486 Auch Aristoteles versteht Luther als Epikuräer: Tischrede Nr. 5440 (Cl 8, 301,32f): Aristoteles est prorsus Epicurus. Dem Denken des Aristoteles wird er in dieser Verzeichnung sicher nicht gerecht. Das „Denken des Denkens" (νοήσεως νόησις: Met. XII, 1074b 34f), den unbewegten Beweger, der alles im Universum anzieht und auf sich hin streben läßt (Met. XII, 1072a 25fif; 1073a 27f), kann Luther aber offensichtlich nur unter der Perspektive Epikurs betrachten. Vgl. Cl 8, 18,14-18 (Nr. 135): Aristotelis physica, metaphysica et de anima, qui sunt optimi libri, eos scio me perfecte intelligere. Metaphysica sunt de esse, physica sunt de fieri; in den zweien steht des Aristoteles kunst alle. In XII.[Meta]phys. dicit: 'Primum ens videt se ipsum; si extra se videret, videret mundi molestias'. In eo loco tacite negat Deum. Dazu Cl 8, 25,30-26,3: Deus non potest apud homines obtinere, ut sit solus Deus omnes enim homines affectant divinitatem. Multo minus potest obtinere, quod sit solus beatus. Sic etiam Aristoteles disputât. Hoc aegre retinet, quod sit immortalis. Aristoteles in 12. Metaphysicorum sic disputât, 'Qui videt calamitates extra se, multa videt tristia et non est beatus: Deus autem est beatus, ergo non videt extra se.' Sic negat Aristoteles haec duo: immortalitatem animae et providentiam divinam. Ego sic iudico plus philosophiae in uno libro apud Ciceronem esse quam apud Aristotelem in omnibus operibus, quia Cicero, der hatts sagen wollen und greufft fein zur sach, aber philosophia Aristotelis heisst: Wasch mir den beltz und mach mir in nit nass... Ego contrarium dico: Si Deus se solum intuetur, est miserrimum ens. Vgl. WA 10 I/l, 567,24-568,7 (Aristoteles, das „edle licht der natur" [10 I/l, 567,12], über seinen Gott): „Und der ubirste sitzt ubir dem hymell und sihet gar nichts, was yrgen geschieht, ßondernn wie man das blind glück malet, ruttellt er den hymell rumb ewiglich alle tag eyn mall, da komptt denn eyn iglich ding, wie es kompt. Und ist seyn ursach: solt er alle ding sehen, wurd er viel bößes unnd Unrechts sehen, davon wurd er unlustig; das er nu seyn lust behallte, soll er nichts sehen, denn sich selb, unnd alßo die wellt blintzlich regirn, gleych wie die fraw das kind wigett ynn der nacht." Luther kann sich aber auch positiv über Aristoteles, vor allem über seine Ethik, äußern: WA 45, 91,2f; WA 42, 505,22f: Sicut Aristoteles in quinto Ethicorum praeclare de Epiikia disputât. Zum Verhältnis Luthers zu Aristoteles vgl. die sehr gründliche und differenzierte Darstellung von Th. Dieter, Der junge Luther und Aristoteles. 487 Das Bild des schlafenden Gottes ist schon durch Aristoteles selbst vorgegeben; im 9. Kap. des 12. Buches der Metapysik, in dem Aristoteles seinen Gottesbegriff, das Denken des Denkens, herausstellt, fragt Aristoteles zu Beginn des Kapitels, ob der Nous, das Göttlichste, eine Würde besitzt, wenn er „sich so verhält wie ein Schlafender" (Met. XII,9; 1074b 18; Seidl-Ausgabe, 267). Vgl. in der Nik. Ethik: das Wirken der Götter, gekennzeichnet durch höchste Seligkeit, kann nur ein reines Schauen sein,

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die Dinge um ihn herum treiben läßt, ist unverhohlen und gleicht dem Spott Elias, der die Baalspriester auffordert, ihren vielleicht schlafenden Gott mit lautem Rufen aufzuwecken (1. Kön 18,27; vgl. Ps 121,4 - aber auch Ps 44,24!). Mit Luthers Polemik gegen den distanzierten, lächerlichen und schlafenden Gott hat dieser nicht nur die Götter Epikurs und den Gott des Aristoteles ins Visier genommen, sondern auch - gleichsam in der Vorschau - alle deistischen Gottesvorstellungen und den ganzen Prozeß neuzeitlicher Säkularisierung, in dem Gott immer mehr Aufgabenfelder und Arbeitsgebiete entzogen werden, die stattdessen der Mensch in Theorie und Praxis selber besetzt. Am Ende dieses Prozesses, in dem Gott immer lächerlicher und entbehrlicher wird, steht Nietzsches Abgesang auf Gott im „Zarathustra". Die Überschrift dieses Requiems heißt „Außer Dienst", sie könnte aber genausogut „Der lächerliche Gott" lauten. Zarathustra sieht auf seiner Wanderschaft einen Mann, der sich als letzter Papst aber außer Dienst - zu erkennen gibt, weil sein Diaistherr, der alte Gott, gestorben sei. Der letzte Papst erinnert sich: „Als er jung war, dieser Gott aus dem Morgenlande, da war er hart und rachsüchtig und erbaute sich eine Hölle zum Ergötzen seiner Lieblinge. Endlich aber wurde er alt und weich und mürbe und mitleidig, einem Großvater ähnlicher als einem Vater, am ähnlichsten aber einer wackeligen alten Großmutter. Da saß er, welk, in seinem Ofenwinkel, härmte sich ob seiner schwachen Beine, weltmüde, willensmüde, und erstickte eines Tages an seinem allzugroßen Mitleiden." (F. Nietzsche, Also sprach Zarathustra, 4. Teil, „Außer Dienst"; SchlechtaAusgabe, Bd. 2, 499; vgl. Der Antichrist, 16; aaO 1176: „[...] jetzt ist er bloß noch der gute Gott ...".) „'Fort mit einem solchen Gotte!" erwidert darauf Zarathustra, „Lieber keinen Gott, lieber auf eigne Faust Schicksal machen, lieber Narr sein, lieber selber Gott sein!'" (AaO 500.) „Dieser alte Gott lebt nämlich nicht mehr: der ist gründlich tot.'" (AaO 501.)

„denn niemand denkt doch, daß sie schlafen wie Endymion" (Nik. Ethik X,8; 1178b 19f; Bien-Ausgabe, 253). Luther wendet diese Bilder polemisch; fur ihn ist gerade der Gott der reinen, sich selbst betrachtenden Theorie ein schlafender, sich von dem Weltgeschehen abkehrender Gott. Der höhnische Spott gegen Zeus, den „Schlafenden dadroben", findet sich auch in Goethes Gedicht „Prometheus" (Hamburger Ausgabe, Bd. 1, 45). In R. Wagners Ring des Nibelungen muß Fricka ihren Götter-Gatten Wotan mit einem „Wotan, Gemahl! Erwache! [...] Erwache, Mann, und erwäge!" (Rheingold, Beginn der 2. Szene) aus wonnigem Schlaf und aus trügerischen Träumen zum Aufstehen und Handeln treiben. Daß Wotan in der Götterdämmerung schließlich abdanken muß, kündigt sich hier schon an. In A. Anderschs Roman „Sansibar oder der letzte Grund" hadert Pfarrer Heiander mit dem „deus absconditus" (aaO 93), dem ,/erne[n] hohejn] Herr[n]" (aaO 142), mit dem „abwesenden Gott, der vielleicht nur ein fauler Gott war?" (AaO 92.) 488 Oder vielleicht wie Poseidon „zu den Aithiopen hingegangen in der Ferne" (Odyssee I, 22; übertr. v. W. Schadewaldt), ein Gastmahl genießend (vgl. Dsa 200,36f).

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4. Der alles in allem wirkende Gott in seiner Verborgenheit Im Kontrast zum lächerlichen, distanzierten und schlafenden Gott des Erasmus, des Epikur und des Aristoteles stellt Luther den allmächtigen, allwirkenden Gott heraus (s.o. S. 116fi). Luther betont vehement die Wirklichkeit, die Tätigkeit und das Wirken Gottes489: „Die Allmacht Gottes nenne ich jedoch nicht jenes Vermögen, durch das er vieles nicht tut, was er kann, sondern jene Macht, die am Wirken ist, durch die er alles in allem macht, so wie die Schrift ihn allmächtig nennt" (Dsa 214,11-14). Gott ist allmächtig, „nicht allein dem Vermögen, sondern auch der Wirksamkeit nach [...], andernfalls wäre Gott ein lächerlicher Gott" (215,3-5). Selbst die Vernunft, so Luther, muß zugeben, „daß Gott alles in allem wirkt und daß ohne ihn nichts geschieht noch wirksam ist" (203,39-41). Luthers Bemühen, vor allem in Dsa, geht offensichtlich dahin, Gott aus der Distanz, aus der Ferne zu bringen und die Nähe Gottes zu seiner Schöpfimg radikal zu denken. In diesem Bemühen verwendet er Aussagen über Gott, die den aus der Tradition überkommenen Bestimmungen und Beschreibungen Gottes in der Philosophie, der Theologie, aber auch der Kunst diametral entgegenstehen. Das Gottesbild ist bei Luther in vielen Aussagen mit einer ungeheuren Unruhe und Dynamik aufgeladen490. In der klassischen philosophischen 489 Vgl. o. Anm. 350. 490 W. Eiert stellt heraus, daß „in Luthers Weltanschauung eine lebhafte, ja stürmische Bewegung" (Morphologie des Luthertums, Bd. 1, 390) komme. „Wenn seine rein dynamische Fassung der Gegenwart Gottes in den Kreaturen der Ablösung der magischen Weltanschauung durch die moderne entspricht, so setzt sich seine kämpferische Auffassung des Weltgeschehens fort in der Philosophie Jacob Böhmes und in der Naturphilosophie Schellings und Goethes" (aaO 390f). Der Dynamisierung des Gottesbildes bei Luther entspricht die Dynamisierung der Kunst bei Albrecht Dürer. So schreibt H. Wölfflin (Die Kunst Albrecht Dürers, 64) über die vier Reiter in Dürers Apokalypse (1498): „Die deutsche Kunst bis dahin hat keinen Bewegungseindruck aufzuweisen, der diesem vergleichbar wäre." Dürer habe seine künstlerischen Vorbilder „dynamisch gesteigert" (aaO 73). Entsprechend kann man sagen, daß Luther die Gottesvorstellung in Dsa dynamisch aufgeladen hat. H.-M. Barth hat einige Positionen der skandinavischen Lutherforschung, die Luthers Gottesbild in ähnlicher Weise gedeutet hat, kurz referiert (Der Teufel und Jesus Christus, 199). Vgl. die extremen, vielleicht mit etwas zuviel Pathos gefüllten Sätze J. Baurs: „Der wahre Schöpfer stellt seine aktuose Gottheit nicht still; er nimmt sein Mit-sein mit der sich verkehrenden Kreatur nicht zurück. Seine omnipotentia generalis, seine unentrinnbar wirkende Nähe treibt vielmehr die 'Turbinen' des Unheils an. Er läßt die sich verschließende Kreatur nicht los und hält sie weiterhin im Dasein. Im bedrängenden Bild gezeichnet: Er läßt seine Energie in das sich verkrümmende Subjekt einschießen [...]" (J. Baur, Zur Vermittelbarkeit der reformatorischen Rechtfertigungslehre, 153). Welche Abgriinde mit solch einer (nach meinem Urteil, trotz des Pathos, angemessenen) Deutung des deus absconditus bei Luther aufgerissen sind, mag ein Vergleich mit folgenden Schlußsätzen aus der HitlerBiographie von J.C. Fest andeuten: „Hitler hatte kein Geheimnis, das über seine unmittelbare Gegenwart hinausreichte. Die Menschen, deren Gefolgschaft und Bewunderung

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und theologischen Tradition erscheint Gott als ein in sich ruhender Fixpunkt, zu dem alle Wesen, weil sie als letztes Ziel das Glück begehren, hinstreben. Gott als unbewegter Beweger bewegt alles zu sich hin, zieht alles wie ein Magnet an sich491. Der unbewegte Beweger, das sich selbst denkende, in vollkommener Harmonie um sich kreisende Denken bleibt in sich ruhig, während alles andere sich unruhig zu ihm hin bewegt. Scholastisches Denken hat diese Theologie des Aristoteles gefüllt mit Offenbarungstheologie. Für Thomas sind alle Menschen, ob sie es ausdrücklich wissen oder nicht, auf Gott ausgerichtet, weil ihr natürliches Verlangen (desiderium naturale492) auf das letzte Ziel (finis ultimus), die Glückseligkeit (beatitudo) in der Schau Gottes zugeht; und erst wenn das letzte Ziel erreicht ist, ruht dieses natürliche Verlangen493. „Der er sich erworben hatte, waren niemals einer Vision, sondern einer Kraft gefolgt, und im Rückblick erscheint dieses Leben wie eine einzige Entfaltung ungeheurer Energie. Ihre Wirkungen waren gewaltig, der Schrecken, den sie verbreitete, beispiellos; aber jenseits davon ist wenig Erinnerung." (J.C. Fest, Hitler. Eine Biographie, 1042.) 491 Neuzeitlicher formuliert: Er ist als Inbegriff des Vernünftigen, des Wahren, des Guten, des Schönen, der Liebe ... das Ideal, der Wert, an dem sich die selbstbestimmten und selbsttätigen Menschen, wenn sie überhaupt noch von Gott reden, orientieren. Aber alles „Werten ist, auch wo es positiv wertet, eine Subjektivierung. Es läßt das Seiende nicht: sein, sondern das Werten läßt das Seiende lediglich als das Objekt seines Tuns gelten. [...] Wenn man vollends 'Gott' als 'den höchsten Wert' verkündet, so ist das eine Herabsetzung des Wesens Gottes. Das Denken in Werten ist hier und sonst die größte Blasphemie [...]" (M. Heidegger, Brief über den „Humanismus", 179f). 492 Dieses Verlangen untersteht nicht dem freien Willen des Menschen; der Mensch ist nach Thomas, der sich in diesem Punkt auf Aristoteles beruft, notwendigerweise auf das letzte Ziel ausgerichtet und will notwendigerweise sein Glück: STh I, q 82 a 1 ad 3: Unde appetitus ultimi finis non est de his quorum domini sumus. I/II, q 13 a 6 c: Et ideo ex necessitate beatitudinem homo vult, nec potest velie non esse beatus, aut miser. Bei Ockham aber kann der Wille die Glückseligkeit auch nicht wollen (Sent. I, d 1 q 6 prima conclusio; Opera Theologica, Bd. 1, 503). Ein so maßloser Geist wie Kleist reißt die Ordnung völlig auf. In seiner Novelle „Der Findling" erzählt er von dem Kaufmann A. Piachi, der den Findling Nicolo an seines eigenen, verstorbenen Sohnes Statt annimmt. Piachi kümmert sich aufopferungsvoll um den Findling, überläßt ihm sein Eigentum und muß dann mit ansehen, wie Nicolo ihn mit seiner eigenen Frau betrügt und diese in den Tod treibt. Als Piachi schließlich von Nicolo aus dem Haus getrieben wird, ergreifen in dieser „Geschichte des grundlos Bösen" (G. Blöcker, Heinrich von Kleist, 109) die „Seinsfinsternis" (ebd) und das „Karussell des Bösen" (aaO 112) auch den redlichen Kaufmann. Er erschlägt den Findling und wird zum Tode verurteilt. Unter dem Galgen verweigert er die kirchliche Absolution. Auf die Frage des Priesters, warum er die Erlösung, das Abendmahl nicht wolle, antwortet Piachi: „Ich will nicht selig sein. Ich will in den untersten Grund der Hölle hinabfahren. Ich will den Nicolo, der nicht im Himmel sein wird, wiederfinden, und meine Rache, die ich hier nur unvollständig befriedigen konnte, wieder aufnehmen!" (H. v. Kleist, Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, 214f.) 493 Thomas, Comp, theol., cap. 104: Nam ultimo fine adepto, desiderium naturale quiescit. Sowohl der Verstand als auch der Wille kommen in dieser letzten Vollendung zur Ruhe und zum Stillstand; aaO cap. 149: Manifestum est igitur quod ultima

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Mensch", sagt Nikolaus von Kues, „ist also dazu in diese Welt gekommen, daß er Gott suche und, wenn er ihn gefunden, ihm anhange und in diesem Gott-anhangen ruhig werde."494 Gott ist für den Kusaner quies maxima495, die größte Ruhe, auf die alles Seiende zustrebt. Dagegen ist fur Luther Gott nicht zuerst die vollkommene Ruhe, die der unruhige Mensch als Ziel der Glückseligkeit anstrebt496, sondern ist selbst „unruhiger [...] Täter [...] in allen seinen Kreaturen"497. In diesem unruhigen Treiben, so Luther, findet der Mensch nur im Wort Gottes Ruhe498. Gott ist nicht nur überlegener Gestalter und Anordner der Harmonie des Universums499, sondern „Anstoßer" (impulsor: 248,31)

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consummatio hominis in perfecta quietatione vel immobilitate consistit et quantum ad intellectum, et quantum ad voluntatem. Vgl. STh I, q 12 a 1. Nikolaus von Kues, Drei Schriften vom verborgenen Gott, 8 (Vom Gottsuchen). De docta ignorantia I, cap. XXIII (Wilpert-Ausgabe, 94 [72,13]). Vgl. aaO 94 [73,1-6], Vgl. die Gesamtkomposition der Confessiones Augustine, die die Gott suchende Unruhe des menschlichen Herzens auf die endgültige Sabbatruhe in Gott ausrichtet (Conf. I, 1; XIII, 35-38; s.u. Anm. 553. Dsa 205,38-40: [...] quam inquietus sit actor deus in omnibus creaturis suis, nullamque sinat feriali Dazu 262,41f: [...] cum per omnipotentiae diuinae motum non sinatur quiescere aut feriari [...]. Dies hat für Luther anthropologische (und hamartiologische!) Konsequenzen. Der Mensch bleibt, auch als von Gott abgefallenes Geschöpf, unter der Bewegung und dem Treiben der Allmacht Gottes; er will, begehrt, tut, so wie er ist und wie er als von Gottes Allmacht Mitgerissener sein muß (204,30f; vgl. 205,10-13: [...] Et non tarn potest non furere, quam non potest non cupere et quaerere, Et tarn non potest non cupere, quam non potest non esse, cum sit creatura Dei, licet uitiata). Die vom allwirkenden Gott getriebenen Menschen können nicht ruhig bleiben, denn „menschlich wesen unnd natur / kein augenblick mag sein / on thun odder lassen / leiden odder fiihen (dan das leben rüget [ruht] nymmer / wie wir sehen) [...]" (Cl 1, 237,26-28; Von den guten Werken, 1520). In der Kohelet-Auslegung stellt Luther die Gier und Unersättlichkeit des Menschen heraus, dessen begehrendes Herz nie satt wird (WA 20, 25,4: [...] cor est insaturabile [...]), mit dem Gegenwärtigen nie zufrieden ist (WA 20, 24,21-24: Summa, Was einer heut hat, das wil er morgen noch mehr haben. Significatur enim ille irrequietus et insatiabilis appetitus et vanitas cordis humani, quod non potest satiari rebus praesentibus, quibuscunque etiam) und immer neue Begierden und Ziele schafft. „Das Herz ist ein ständig gierig schnappender Schlund; alles begehrt es, und wenn es auch alles erreichte, es würde doch nach mehr trachten" (WA 20, 23,20f [zu Koh 1,8]: Cor est vorago semper hians, omnia cupit, etsi omnia assequeretur, tarnen quaereret plura). Alexander der Große, als er fast die ganze Welt erobert hatte, soll gehört haben, daß es mehrere Welten gebe. Er sagte daraufhin seufzend: Und ich habe noch nicht einmal eine besiegt! (Vgl. WA 20, 23,21-23.)

498 Vgl. WA 40 II, 376,27f; zu Ps 51,6: [...] aquiescimus verbo. 499 Vgl. Thomas v. Aquin, ScG III, 71 (dieses Kapitel bietet eine Theodizee in nuce, in der Thomas seine Überlegungen so weit treibt, daß er im Gegensatz zu dem berühmten Boethius-Zitat [Si Deus est, unde malum? s.o. Anm. 456] folgendermaßen schließt: Si malum est. Deus est.); dazu STh I q 22 a 2 ad 2 (s.u. Anm. 515).

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und „Antreiber"500 (agitator: ebd) der Welt und der Kreaturen. Er ist nicht nur Ordner, Lenker501, Moderator502, Gärtner503 oder Baumeister504 seiner Schöp-

500 Vgl. Hiob 3,18. Bei J. Böhme erscheint der Teufel als „Treiber" (J. Böhme, Christosophia, 53). Auch Luther kann vom Treiben des Teufels reden: WA 16, 143,23. In G. Benns Studie „Lebe wohl" zu dem von P. Hindemith vertonten Oratorium „Das Unaufhörliche" (1930) ist „vom unbekannten Gotte, / der uns / unaufhörlich / treibt" (Ges. Werke, Bd. 1, 149) die Rede. Eindrücklich ist die Klage Kapitän Ahabs im 132. Kap. von Melvilles „Moby Dick" (aaO 713): „'Was ist es, welch ein Namenlose, Unerforschliches, Unirdisches, welch ein versteckter, gleisnerischer Herr und Gebieter, welch grausamer, unbarmherziger Tyrann befiehlt mir, daß ich entgegen aller Liebe, entgegen allem natürlichen Verlangen immer, immer weiter muß, mich selber vorwärtstreiben, drängen, mich blind bereiten muß, zu tun, was mein Menschenherz, dem eingeborenen Triebe folgend, niemals zu wagen wagte? Ist Ahab Ahab? Bin ich es, Gott, oder wer außer mir ist's, der diesen Arm aufhebt? [vgl. WA 12, 442,7f: (...) das yn meyner macht nicht stehet ein handt zu regen, sonder allein, das Gott alles yn mir thue und wirck] Doch wenn die große Sonne sich nicht aus eigener Kraft bewegt, sondern nur wie ein Botenjunge über den Himmel läuft; wenn kein Stern kreisen kann, außer durch eine unsichtbare Kraft gestoßen - wie könnte dann dies eine, kleine Herz schlagen, dies eine, kleine Hirn Gedanken denken, es sei denn, Gott schlüge in dem Herzen, Gott dächte in dem Hirn, Gott lebte in dem Leben, und nicht ich? Beim Himmel, Mann, wir werden um und um gewirbelt in dieser Welt wie das Gangspill dort, und das Schicksal ist die Spake [...]'". R. Schneider hat das Treiben Gottes vor dem Hintergrund neuerer kosmologischer Erkenntnisse bedacht: „Wir haben uns an das Wort Lichtjahre gewöhnt und an sechs- oder siebenstellige Zahlen davor: aber wer ist imstande, den Raum sich vorzustellen, den das Licht in einem Tage, in einer Stunde durcheilt! Und dann steigen und sinken die grenzenlosen Nächte, und wir gehen unter in ihnen und dahin. [...] Wir können nicht mehr aufblicken wie der fromme Kepler: was uns durchschauert, ist erhabene Sinnlosigkeit, leblose, kreisende Feuer, willkürlich ausgeschleudert und zusammengeworfen, in all ihrer Gewalt unter der Übermacht der Nacht; und dazwischen irrend an unscheinbarer Stelle diese unsere Zauberinsel des Lebens und Geistes, der Schuld und des Todes. Wir kennen vielleicht das Baugesetz, was ja nur heißt, daß wir glauben, es experimentierend und beobachtend, nicht aber schauend erkannt zu haben, aber wer wagt, von einem Plane zu reden der Weltharmonik, gegenüber diesem Treiben und Sich-Verlieren und Auseinandertreiben [...]. Aber wer vermag es, den Gott, dem der Mensch in seinem Innern begegnet, den Sokrates fand und Plotin und Dionysius Areopagita und Mechthild und Cusanus, als den Gott dieses Alls zu verstehn! [...] Wer aber will den verwerfen, den die Frage des Alls übermächtigt?" (R. Schneider, Der Balkon, 163f [Fliege fort!]). In ähnlicher Weise setzt sich Schneider in dem von Pascal (vgl. Pensées, Paepcke-Ausgabe, Nr. 206: „Vor dem ewigen Schweigen dieser endlosen Räume faßt mich Entsetzen") beeinflußten Text „Das Schweigen der unendlichen Räume" (in: R. Schneider, Pfeiler im Strom, 234-242) den kosmologischen Anfechtungen aus; er fragt hier aber auch nach dem Wirken Christi angesichts des Treibens des verborgenen Gottes: „Nacht für Nacht fechten uns die Räume an" (aaO 234). „Die Schöpfiing ist das schreckliche Wort des Gottes, der größer ist als unser Herz. Christus aber ist das fleischgewordene Wort Gottes an die Geschichtswelt der Erde. Wo ist der Einklang des Schrecklichen und der Liebe? Er ist da. Aber in welcher Dimension? Auf Golgatha erzeigte er sich: Gott in Gott von Gott geopfert und sich opfernd bis zur letzten Frage" (aaO 240). „Aber wir

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fimg, nicht nur „das höchste Gute, was alles kräftig lenkt und sanft ordnet"505, sondern, in seinem Antreiben, Anstoßen und Mitreißen, im Grunde ein Vergewaltiger (vgl. Jer 20,7) der Kreatur. Diesen treibenden, unruhigen Gott trifft Ernst Blochs Diktum, daß „die Langweile [...] der Hintern Gottes" sei506, also nicht. Luthers Aussagen über Gottes Allwirken in Dsa stehen im Zusammenhang mit seiner Fassung der Allgegenwart Gottes in den Abendmahlsschriften. Auch hier wird Gottes Nähe und Gegenwart in seiner Schöpfung - zugleich aber auch der Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf - unüberbietbar scharf akzentuiert: „Die Göttliche gewalt aber mag und kan nicht also beschlossen und abgemessen sein, Denn sie ist unbegreifflich und unmeslich, ausser und über alles, das da ist und sein kan. Widderumb mus sie an allen

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verrücken das Wort nicht, daß in Christus alles geschaffen ist; daß er das Haupt ist des Weltalls und daß in ihm alles erneuert wird: die Materie selbst. In den Abgründen des Weltalls müßten wir, statt unseres eigenen verwirrten Gesichts, das Antlitz Jesu Christi erkennen. [...] Uns bleibt nur das Gebet. Wir müssen uns in den Räumen verlieren und Christus anrufen [...]" (aaO 241). Wieder in einem resignativeren Ton endet dann der Text mit folgenden Sätzen: „Die Hoffnung bleibt, daß die Menschheit einmal Christus wandeln sehen wird durch die Räume, wie ihn Petrus sah auf dem Meere. 1st es ein 'Gespenst', ein Widerschein der Erde? Ist es der Herr? Fast so groß wie diese Hoffnung ist die Gefahr, daß wir aufschreiend versinken in den unendlichen Räumen" (aaO 242). Luthers Aussagen in Dsa hinsichtlich der Bestimmung Gottes sind nicht einheitlich, im Bekenntnis setzt sich gegenüber den oben dargestellten radikalen Aussagen wieder mehr eine ruhigere Auffassung des Wirkens Gottes durch, vgl. administrât (290,7; dazu 214,5: gubernet). Das Verb administrare begegnet auch in der stoischen Vorstellung, „daß das Weltall durch die Vorsehung der Götter geleitet wird [deorum Providentia mundum administrari]" (Cicero, De Natura Deorum II, 73; Gerlach-Ausgabe, 226,14f227; diese Formel wiederholt sich häufiger: vgl. 228,9-12; 232,15; 234,13). H. Bandt ist bemüht, die extremen Aussagen Luthers über den treibenden, antreibenden Gott mit dem Gedanken der vorsehenden Lenkung und Regierung zu harmonisieren: „Er treibt nicht nur, er lenkt und regiert tatsächlich das gesamte Weltgeschehen" (Luthers Lehre vom verborgenen Gott, 115; vgl. 114; 119-125; 128; 133; 154). S.o. Anm. 30. Vgl. C.F.v. Weizsäcker über F. Stier: „Wie Reinhold Schneider in seinem letzten Lebensjahr öffnete er sich dem harten Kern des neuzeitlichen Bewußtseins, dem befreienden und entsetzenerregenden Blick der Naturwissenschaft auf die Wirklichkeit. Gott ist nicht der Gärtner eines wohlbehüteten Gartens" (C.F.v. Weizsäcker, Nachwort in F. Stier, An den Wurzeln der Berge. Aufzeichnungen II, 270). Vgl. die Miniatur in der Bible moralisée in Wien, die Gott als Architekt des Universums, der mit dem Zirkel Maß nimmt (vgl. Prov 8,27), darstellt (O. v. Simson, Die gothische Kathedrale, 55f und Tafel 8). Boethius, Trost der Philosophie, Buch 3, 12.p. (Gigon-Ausgabe, 157; zu suaviterque disponit, aaO 156, vgl. Sap. 8,1 Vulgata: Et disponit omnia suaviter); vgl. Thomas, STh I, q 22 a 2; q 103 a 8 c. Brief vom 12.7.1911 an G. Lukács(E. Bloch, Briefe, Bd. 1, 41): „ [. . .] (der Hintern des Teufels ist die Unruhe) [...] (die Langweile ist der Hintern Gottes) [...]".

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orten wesentlich und gegenwertig sein, auch ynn dem geringesten bawmblat. Ursach ist die: Denn Gott ists, der alle ding schafft, wirckt und enthellt [= erhält] durch seine allmechtige gewalt und rechte hand, wie unser glaube bekennet"507. Die unentrinnbare Nähe des schaffenden, wirkenden und erhaltenden Gottes zu allem und jedem (Ps 139) bedeutet also keine pantheistische Identifikation von Gott und Welt (vgl. Dsa 109,33-35). Gott geht ein in die Welt, geht aber nicht in ihr auf; sein Wille durchwirkt das Universum, umgreift und übersteigt es zugleich aber auch. Gott ist im Allerkleinsten und Allergrößten da und dabei, ist darin aber nie verfugbar und bleibt letztlich unfaßbar. Nahe ist Gott seiner Schöpfung ohne vermittelnde Zwischeninstanz: „Denn er schickt keine amptleut odder Engel aus, wenn er etwas schaffet odder erhellt, sondern solchs alles ist seiner Göttlichen gewalt selbs eigen werck"508; „er machts alles alleine"309. Weil Gott „alles, was er allein geschaffen hat, auch allein bewegt, treibt und mitreißt durch die Bewegung seiner Allmacht" (252,37-39), wendet sich Luther gegen die Unterscheidung der prima causa von den causae secundae510. Nach dieser Unterscheidung sind die Zweitursachen die Ausführungsorgane" (executrices511) der Vorsehung der göttlichen Erstursache. So wie bei der Tätigkeit eines Künstlers, der seine Kirnst vollkommen beherrscht, doch ein Mangel wegen eines schlechten Werkzeugs auftreten kann, kommen auch in der Schöpfung Mängel und Übel aufgrund der von Gott zugelassenen Zweitursachen vor512; die gute Erstursache ist ent-

507 WA 23, 133,26-31. Vgl. die entsprechenden Formulierungen in der großen Abendmahlsschrift von 1528 über Gottes „unerforschlich" und „unaussprechlich wesen" „ynn allen und über allen und ausser allen Creaturn" (Cl 3, 404,25-38). 508 WA 23, 133,31-33. Luther kann aber in anderen Zusammenhängen (etwa in der Sacharja-Auslegung, 1527), wo es ihm weniger um die besondere Betonung der Allmacht und des Allwirkens Gottes geht, die Instanzen, die das göttliche Allwirken geschöpflich vermitteln, im Rahmen einer Vier-Regimente-Lehre herausstellen; vgl. WA 23, 511,33-515,11. Im ersten Regiment wirkt Gott „on mit wirckung der Creaturn [...] gantz und gar durch seine macht alleine, als wenn er die Creaturn schafft und mehret, erhelt und mancherley kraffl und art yhn gibt, Hiezu hilffi yhm niemand" (511,36-38). Das zweite, beschützende Regiment der Engel wirkt durch „verstand und vernunffi [!]" (513,39), gibt den Menschen gute, hilfreiche Gedanken und nimmt böse Gedanken weg (vgl. 512,1-26). Das dritte, geistliche Regiment wirkt durch das „Wort" (514,1) im Predigtamt (vgl. 513,8-20). Das vierte, weltliche Regiment wirkt durch das „Schwerd" (514,1), d.h. für Luther durch „gesetze, Sitten und gewonheite [...]" (514,2f; vgl. 513,21-35). Vgl. M. Plathow, Das Cooperatio-Verständnis M. Luthers, 28-46; bes. 3133. 509 WA 23, 137,17f. 510 Vgl. ζ. B. Thomas, STh I , q 19 a 8 c; q 23 a 8 c; ScG III, 69f. 511 STh I, q 22 a 4 ad 2; q 103 a 6 c; a 8 c. 512 STh 1, q 19 a 6 ob 3; ScG III, 71. Auch Erasmus (vgl. z.B. Dia IIIa8, 101) gebraucht diese Unterscheidung der Ursachen.

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schuldigt und hat gleichsam ein Alibi513. Luther lehnt diese Unterscheidung ab. Stattdessen fuhrt er den Gedanken des Allwirkens Gottes so weit, daß der alles in allem wirkende Gott „notwendigerweise auch im Satan und im Gottlosen" (204,12-14) bewegt und treibt. Der allwirkende Gott läßt sich vom Bösen nicht distanzieren; wenn es nichts gibt, was ohne Gott geschieht, muß auch das Böse mit dem allmächtigen, göttlichen Treiben in Verbindung gebracht werden. Alles, auch die verderbte, gefallene Natur des Menschen, auch das Böse, wird von der göttlichen Allwirksamkeit - gleichsam wie vom Geröll einer Lawine - mitgerissen. Kommt also das Böse von Gott? Hier zieht Luther doch eine Grenze. Gott läßt das Böse nicht nur zu, er treibt im Bösen und durch das Böse, so daß Böses (mala) geschieht; dennoch handelt Gott nicht böse (male), denn Gott selbst ist gut314. Ist die Kategorie „Zulassung"515 in bezug auf das Böse für Luther zu schwach, so ist die Kate-

513 Vgl. F. Stiers Kritik an der schiedlich-friedlichen Unterscheidung der Erstursache von den Zweitursachen, die Gott allzuleicht zu entschuldigen vermag: „Nein, Herr, so kannst du uns nicht abwimmeln! Du hast die Weltmechanik erfunden und sie in Gang gesetzt, du bist der Ur-Verursachende aller die Weltmaterie beherrschenden Ursachen. Oder sollten diese in der Weltmaterie waltenden Ursachen (die sogenannten zweiten) deinen Händen entglitten sein oder sich selbständig gemacht und vom Urglied der Ursachenkette gelöst haben? Sollte dir ein Mißgeschick passiert sein, ein göttliches Versagen?" (F. Stier, An der Wurzel der Berge. Aufzeichnungen II, 195; vgl. 83f; 167171; 224; 242: „Dem allwirkenden Gott gegenüber, der aber alles durch die Zweitursachen wirkt, befinde ich mich in der Lage des K. in Kafkas 'Schloß'. Er ist jedenfalls nicht der Gott, an den ich mich im Gebete wende." 514 Dsa 204,21-25: Hic uides, Deum, cum in malis et per malos operatur, mala quidem fieri, Deum tarnen non posse male facere, licet mala per malos faciat, quia ipse bonus male facere non potest, malis tamen instruments utitur, quae raptum et motum potentiae suae non possunt euadere. Vgl. die ähnliche Fassung dieses Gedankens bei G. Biel, Coll. I, d 47 q un Β 7f: Secundum hoc dici posset quod Deus malum vult et facit, non tamen facit male; et ita non facit malum. Propter quod nec est malus nec peccat. Vgl. Coll. II, d 37 q un L 5-9: [...] valde différant 'Deus facit malum' et 'Deus facit male', 'Deus facit iniustum' et, 'Deus facit iniuste'. Nam qui facit maie vel iniuste, peccator est; non autem omnis qui facit malum vel iniustum. Sicut secundum Philosophum non est iustus, qui facit opera iusta, sed qui facit iuste, II Ethicorum." Im kantischen Sprachgebrauch wäre mit dem male die Ebene der Gesinnung Gottes angesprochen; vgl. BSLK 661,12: „gesinnet". Dazu im Sermon von den guten Werken; Cl 1, 233,14 (zu Thr 3,31-33): Gott verwirft die Menschen, „aber er thuts nit auß hertzlicher meynung." 515 Luther verwendet zwar das Verb permittere in Dsa (138,30; 139,39; 202,19; 205,26; 207,39) - aber eher beiläufig, ohne besondere kategoriale Betonung. Im Bezug auf Prov 21,1 sagt Luther, daß auch das Reden von Gottes Zulassen (sinere; vgl. 139,38; 205,40; 262,41) und Lenken (inclinare) unter der Vorgabe von Gottes allmächtigem Tun, das den menschlichen Willen - auch den eines Königs - mit sich reißt, stehe: Dsa 246,4-8. In Vorlesungen (vgl. z.B. WA 40 III, 585,21f [zu Ps 90,16]) und Tischreden (etwa Cl 8, Nr. 5318; WA TR 1, Nr. 722) Luthers ist die permissio jedoch häufi-

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gorie „Schöpfung" - zumindest im Hinblick auf das Böse der Sünde - zu stark516. Auffalligerweise gebraucht Luther dreimal das Verb „vorfinden" ger zu finden. Zur Bedeutung der permissio vgl. Thomas v. Aquins Überlegungen über die Vorsehung Gottes. Gott, der universale Ordner des Seins, übersieht das Ganze als Gutes und läßt zur Hervorbringung dieses Guten in Teilbereichen Übel zu. Schließlich gäbe es den schönen Löwen nicht ohne das Übel der Tötung der Beutetiere. Und es gäbe auch nicht die gute Eigenschaft der Geduld der Märtyrer ohne die Verfolgung durch die bösen Tyrannen; STh I, q 22 a 2 ad 2: Cum igitur Deus sit universalis provisor totius entis, ad ipsius providentiam pertinet ut permittat quosdam defectus esse in aliquibus particularibus rebus, ne impediatur bonum universi perfectum. Si enim omnia mala impedirentur, multa bona deessent universo: non enim esset vita leonis, si non esset occisio animalium; nec esset patientia martyrum, si non esset persecutio tyrannorum. AaO q 2 a 3 ad 1: Hoc ergo ad infinitam Dei bonitatem pertinet, ut esse permittat mala, et ex eis eliciat bona. AaO q 48 a 2 ad 3: Unde multa bona tollerentur, si Deus nullum malum permitteret esse. Gott läßt das Böse zu, damit er etwas Besseres daraus hervorlocke. Durch die Sünde ist die Gnade noch viel mächtiger geworden (Rom 5,20). Deshalb wird bei der Weihe der Osterkerze auch die felix culpa besungen (STh III, q 1 a 3 ad 3: Deus enim permittit mala fieri ut inde aliquid melius eliciat. Unde dicitur Rom. 5,20: Ubi abundavit iniquitas, superabundavit et gratia. Unde et in benedictione Cerei Paschalis dicitur: O felix culpa, quae talem ac tantum meruit habere Redemptorem\). Vgl. zur begrifflichen Näherbestimmung der permissio auch STh I, q 19 a 12. Die Kategorie der Zulassung spielte schon in der Alten Kirche eine wichtige Rolle: Orígenes erklärt, daß Gott das Wirken böser Mächte nicht nur nicht verhindere, sondern in der Tat zulasse (permittit facere haec; De principiis III, 2,7). Johannes Chrysostomus fragt in seinen Homilien zum Matthäusevangelium, wie es komme, daß ein Ehebrecher oder ein Verschwender mit Reichtum gesegnet sei; Antwort: „Gott tut das nicht, aber er läßt es zu, daß so jemand reich wird. Es ist ein großer Unterschied zwischen Tun und Zulassen" (MPG 58, 692: Non facit divitem, sed permittit [συγχωρεί] esse divitem: magnam autem est intervallum inter facere et permittere). Oder bei Augustinus, Enchiridion VIII, 27 (Scheel-Ausgabe, 18,28f): Melius enim iudicavit de malis benefacere, quam mala nulla esse permittere. XXIV, 95 (aaO 58,3lf): Non ergo fit aliquid, nisi omnipotens fieri velit, vel sinendo ut fiat, vel ipse faciendo. In der altprotestantischen Theologie hat die permissio als Teilelement der gubernatio innerhalb des Lehrstückes von der Vorsehung Gottes ihren festen Platz (vgl. H. Schmid, Die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, § 21; Pöhlmann-Ausgabe, 122f; 13 lf). Auch nach W. Pannenberg „sollte christliche Theologie in der Zulassung der Sünde den Preis für die Selbständigkeit der Geschöpfe erkennen, auf die das Schöpfungshandeln Gottes abzielt" (Systematische Theologie, Bd. 2, 303). 516 Dsa 203,16-18: Licet enim Deus peccatum non faciat, tarnen naturam peccato, subtracto spirito, uitiatam, non cessât formare et multiplicare, tanquam si faber ex ligno corrupto statuas faciat. Dazu 206,5f: Sic Satanae uoluntatem malam inueniens, non autem creans [...]. Vgl. WA 42, 134,8-10: Es ist größte Sünde zu sagen, daß Gott sit autor peccati. Vgl. WA 39 I, 379,2-6 und CA 19. Andererseits gibt es Aussagen Luthers wie in WA 20, 65,26-29 (zu Koh 3,14): Hoc enim est timere Deum: habere Deum in conspectu, scire ilium omnium operum nostrorum inspectorem et agnoscere omnium et bonorum et malorum autorem. Wird hier Gott ausdrücklich als Urheber des Bösen herausgestellt, so steht dem wiederum eine Tischrede entgegen, in der es heißt: Nos autem negamus Deum esse autorem malorum (WA TR 2, 289,21; Nr. 2026). Vor

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(invenire: 177,33; 204,15; 206,6). Gott wirkt im Satan und im Gottlosen so, wie sie sind und wie er sie vorfindet. Er findet den bösen Willen Satans vor, schafft ihn aber nicht. Die Spannung in Luthers Argumentation ist augenfällig. Denn wie kann der gewaltige, notwendig alles in allem wirkende Gott, der „nichts zufällig vorherweiß, sondern alles mit unveränderlichem, ewigem und unfehlbaren Willen vorsieht, sich vornimmt und tut" (108,8-10), wie kann er überhaupt etwas „vorfinden"?517 Seltsam ist auch folgende Argumentation Luthers in Dsa: Er betont, daß der Fehler in den Instrumenten, die Gott vorfindet, hege: das humpelnde Pferd kann der Reiter nur unvollkommen reiten (204,14-21); der Zimmermann kann

allem in Tischreden kann Luther die Unterscheidungen und Begriffe, die er als Wortspielereien in Dsa so vehement ablehnt, also z.B. die Unterscheidung zweier Notwendigkeiten (Cl 8, Nr. 3915; WA TR 5, Nr. 5902), der primären und sekundären Ursachen (WA TR 5, Nr. 5221) wieder selbst benutzen. Angesichts dieser Widersprüchlichkeiten ist natürlich immer auch die Problematik der Überlieferung der Tischreden zu beachten; es ist durchaus möglich, daß viele klassische Begrifflichkeiten durch die Tradenten der Tischreden eingeflossen sind. Auch in der Konkordienformel (SD I und XI) ist festgehalten, daß Gott nicht creator vel auctor peccati ist, sondern der Wille des Teufels oder der bösen Menschen (BSLK 856,46-52; 1066,6-15; 1086,31-36; vgl. CA 19); Luthers radikale Aussagen in Dsa, die von Gottes Wirken auch im Bösen sprechen, werden aber deutlich in der folgenden Formulierung abgeschwächt: [...] Deus enim non créât, procurât, efficit aut operator [!] malum [...] (BSLK 1066,7-9). 517 In der Scholastik ist dieses Verb und die damit verknüpfte Vorstellung verbunden mit den Gedanken der Kontingenz, des Zufalls. Vgl. Aristoteles, Nik. Ethik 111,5; 1112a 27 (Bien-Ausgabe, 51): „[...] und das Zufallige, wie das Auffinden eines Schatzes." Thomas, STh I, q 116 a 1 c: Unde impossibile est quod id quod est per accidens, sit effectue per se alicuius naturalis principii agentis. Nulla ergo natura per se hoc facere potest, quod intendens fodere sepulcrum, inveniat [!] thesaurum. Mit dem Ausdruck „vorfinden" im Bezug auf Gott belegt Luther seinen Gottesbegriff mit der Vorstellung der Zufälligkeit, die er eigentlich ganz von ihm ausschließen möchte; Dsa 108,8: [. ..] quod Deus nihil praescit contingenter [...]. Das Verb „vorfinden" läßt auch anklingen, daß Gott vom Ereignis des Bösen gleichsam „überrascht" wird. Gegen eine solche Vorstellung plädiert W. Pannenberg mit Augustin (und Schleiermacher) dafür, „daß Gott schon bei der Schöpfung die vorausgesehene Sünde des Menschen in Kauf nahm im Vorblick auf seine künftige Erlösung und Vollendung" (Systematische Theologe, Bd. 2, 303). In solchen Gedanken, so Pannenberg, muß man „einen würdigeren Ausdruck des Glaubens an einen allmächtigen Schöpfergott erkennen als in einer Auffassung, die das Auftreten der Sünde und des Bösen in der Schöpfung als ein den Schöpfer überraschendes [!], daher aus dem Glauben an Gott nicht zu verstehendes" (ebd) Ereignis begreift. Luthers Rede vom allwirkenden, alles bestimmenden und wissenden Gott ist sicher nicht mit den von Pannenberg referierten - dem ordo-Gedanken verpflichteten - Überlegungen Augustins einfach identisch; gerade darum bleibt aber seine Verwendung des invenire in Dsa rätselhaft. In diesem Zusammenhang ist auch die 28. These der Heidelberger Disputation (Cl 5, 391,30f) aufschlußreich: Amor Dei non invenit [!] sed créât suum diligibile, Amor hominis fit a suo diligibile. Vgl. dazu STh I, q 20 a 2 c.

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mit einem gezackten Beil nur schlecht schneiden (204,26-28)518. Damit fuhrt Luther nun aber genau das Bildmaterial der Lehre von den causae secundae an519, die er an anderer Stelle entschieden als sinnlose Wortspielerei ablehnt (210,27-29). Die Spannungen, ja Widersprüche520 in Luthers Argumentation521 sind nicht zu übersehen. Ein widerspruchsfreies, kohärentes Begriffssystem war gewiß nicht seine Sache. In seinem Bemühen, ad extrema (255,19) zu gehen, hat er sich immer wieder in solche argumentative Widersprüche verwickelt. Eine Extremaussage ist gewiß Luthers Rede vom allwirkenden Gott, der auch im Bösen wirkt. Die These ist vor allem zu verstehen als Spitze gegen den lächerlichen und distanzierten Gott. Luther wehrt sich gegen die sauberen Lösungen522, die Gott vom Bösen und vom Übel femhalten. In der Ausführung 518 Vgl. die Verwendung des Bildes in Luthers Koheletauslegung: WA 20, 174,1-5; dazu Z. 19f. 519 Vgl. z. B. Thomas v. Aquin, ScG III, 71 (Allgaier-Ausgabe, III/l, 303): „Es kommt aber vor, daß ein Mangel in der Wirkung wegen des Mangels einer nachgeordneten Wirkursache auftritt, ohne daß in der Erstursache ein Mangel ist: so kommt in der Wirkung eines Handwerkers, der seine Kunst vollkommen beherrscht, ein Mangel wegen des mangelhaften Werkzeugs zustande; und so kommt es vor, daß ein Mann, dessen Bewegkraft stark ist, doch hinkt: nicht wegen eines Mangels der Bewegkraft, sondern wegen einer Verkrümmung des Schienbeins. Also kommt es bei dem, was von Gott bewirkt und gelenkt wird, wegen eines Mangels der Zweitursachen vor, daß sich ein Mangel und etwas Schlechtes findet, obwohl in Gott selbst kein Mangel ist." 520 Spannungsvoll und widersprüchlich ist auch, daß Luther in Dsa das Verhältnis inter Deum praedicatum et absconditum wie das Verhältnis inter uerbum Dei et Deum ipsum (178,lf) bestimmt, Gott selbst also mit dem deus absconditus gleichsetzt, daß er aber wieder in anderem Zusammenhang (in einer Predigt zu l.Joh. 4,16) den deum ipsum (Cl 7, 263,30) ganz der Liebe zuordnen kann: „Gott ist eitel lieb und lieb ist Gott selber" (263,9f). Vgl. WA 23, 141,26-29: „Und wie wol ich sagen kan von allen Creatura: Da ist Gott odder Gott ist ynn dem, so kan ich doch nicht sagen: Das ist Gott selbs. Aber von Christo sagt der glaube nicht alleine, das Gott ynn yhm ist, sondern also: Christus ist Gott selbs." Dazu WA 50, 657,26f: „[...] die heilige Schrift, das ist Gott selbs [...]". Gegenüber solchen Ungereimtheiten in Luthers Terminologie hebt sich wieder einmal Barths einheitliche, konsequent christologische und gnadentheologische Rede ab: „Gnädig ist und bleibt Gott auch in seiner Ungnade. Und anders als durch Gnade kann auch seine Ungnade nicht als solche erkannt werden. Denn am Anfang, in seiner Urentscheidung, in Jesus Christus und also da, wo er als Gott allein erkannt werden kann, wo er aber auch wirklich zu erkennen ist, als der Deus ipse, der er auch in der Zulassung der Sünde und des Teufels, der er auch in den Schrecken des Todes und der Hölle zu sein nicht aufhört, ist er gnädig und nicht ungnädig" (KD II/2, 99f). 521 Eine „Entschuldigung" für die Widersprüchlichkeiten in der eigenen Gedankenführung gibt Luther in Dsa 203,35-39: er stellt seine Ausführungen unter den Vorbehalt, daß er um der Vernunft willen, „um es mit ihr einmal zu treiben" (in obsequium Rationis: 203,37), „schwatzt", „faselt" und „stammelt", daß es aber besser wäre, mit Gottes Wort zufrieden zu sein. 522 Eine solche saubere Lösung zeigt sich etwa im Umgang des Aquinaten mit den radikalen Aussagen in Jes 45,7, wonach Gott Licht und Finsternis, Heil und Unheil, wirke

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und Begründung seiner Aussagen gewinnt Luther allerdings nicht immer eigene begriffliche Klarheit, sondern bedient sich selbst einiger Termini und Beispiele, die er eigentlich als untauglich ablehnt. Fest steht, daß Luther in Gott nicht nur den Zulasser, sondern den Bewirker des Bösen sieht. Sicher ist auch, daß Gott für Luther nicht der Urheber des Bösen sein kann. Woher dann das Böse? Im Grunde ist Luther an dieser Frage gar nicht so sehr interessiert523. Er ist mit der Faktizität, der Wirklichkeit

und erschaffe, und Am 3,6, wonach kein Übel in der Stadt geschehe, das Gott nicht wirke. Für Thomas beziehen sich diese Aussagen nur auf das Übel der Strafe, das malum poenae, das Gott gerechter- und notwendigerweise (aufgrund des ordo iustitiae) angesichts des Bösen der Sündenschuld, des malum culpae, den schlechten Geistern und Menschen auferlegen muß (STh I, q 49 a 2 ad 1). Nur das malum poenae ist von Gott direkt gewollt; das malum culpae, das aus dem schlechten Gebrauch der Willensfreiheit hervorgeht (q 23 a 3 ad 2), steht nur unter Gottes zulassendem Willen der Verwerfung (q 23 a 3 c: Sicut enim praedestinatio includit voluntatem conferendi gratiam et gloriam, ita reprobatio includit voluntatem permittendi aliquem cadere in culpam, et inferendi damnationis poenam pro culpa). In STh I, q 19 a 9 c hebt Thomas noch schärfer heraus: Unde malum culpae [...] Deus nullo modo vult. Sed malum naturalis defectus, vel malum poenae vult [...]. Vgl. STh I, q 63 a 5 c: [...] Deus [...] non potest esse causa peccati. G. Biel bestimmt unter Rückgriff auf Petrus Lombardus die reprobatio als praescientia culpae et praeparatio poenae; Gott ist nicht auctor, sed solum praecognitor der menschlichen Schuld (Coll. I, d 40 q un Β 8-12). In Dsa, wo Luther begrifflich nicht genau zwischen Sünde und Übel unterscheidet, lehnt dieser solch eine saubere Lösung ab; sie findet sich allerdings auch bei ihm wieder in einer Tischrede (Nr. 426; Cl 8, 53,10-12): Sententia: 'Ego creo bonum et malum', loquitur de poena, ut sit sententia: Ich tröste und schrecke. Mors et peccatum non sunt creaturae, sed sunt tantum defectus. 523 Man könnte vielleicht sagen, daß Luther wegzukommen sucht von der Frage nach der Herkunft des Bösen, nach dem Warum, und daß er eher die Frage nach der Zukunft des Bösen, nach dem Wohin stellt. Vgl. den Unterschied der klassischen alttestamentlichen Klage-Fragen „Warum" und „Wie lange"; Ps 22,2 und Ps 13,2. Die WarumFrage hat eher (s. aber u. Anm. 539) eine spekulative Tendenz, sie fragt nach Gründen im Abgrund des verborgenen Gottes und der Sünde, wo kein Grund zu finden ist. Auffällig ist die wiederholte Ablehnung des cur in Dsa: 122,34.37.38; 176,40; 178,11; 182,28; 200,23; 207,27.32.39; 220,38. Luther steht damit in der Tradition des Kampfes gegen die curiositas und gegen die teuflische Frage nach dem Warum (vgl. zu Gersons Vorträgen „Contra curiositatem studentium": H.A. Oberman, Contra vanam curiositatem, 34-37; K.W. Müller, 'Altiora Te Ne Quaesieris', 100-105). Die Wie lange-Frage dagegen fragt nach vorne, nach Gottes Eingreifen und Sieg gegenüber dem Bösen. Vgl. W. Zimmerli, Grundriß der alttestamentlichen Theologie, 206 (zu Dan 8,13; 12,6): Der Apokalyptiker frage „angesichts der Verborgenheit Gottes nicht: 'Warum die Not'?, sondern: 'Wie lange [...] dauert es', bis das im Gesicht geschaute Unheil vorbei, das wunderbare Neue da ist?" H. Gese (Die Frage nach dem Lebenssinn, 180) stellt in seiner Auslegung der zweiten Gottesrede im Hiobbuch (zu Hi 40,614) heraus: „Die Theodizeefrage ist ins Gegenteil verkehrt: es geht nicht um das Problem des Bösen als Fehler, als Mangel in der Weltordnung, sondern um seine souveräne kämpferische Überwindung." Entscheidend ist, auch bei Luther, nicht mehr die

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des Bösen beschäftigt und stellt fest, daß die Natur des Geschöpfes (206,11), sein Wesen böse ist. Wie524 aber die vom guten Gott geschaffene gute, geschöpfliche Natur zur bösen Natur werden konnte, läßt Luther offen. Er spricht zwar von der Schuld (vitium; 204,26; 206,1) und vom bösen Willen (206,6; 207,32), er vermeidet es aber offensichtlich, über die Möglichkeit der Willensfreiheit zum Bösen525, zur Abwendung von Gott eingehender zu reflektieren. Denn dann müßte auch die Möglichkeit der Willensfreiheit zum Guten, zur Zuwendung zu Gott bedacht werden. Genau dies tut Erasmus, und Luthers ganzer Kampf in Dsa gilt der Bestreitung dieser Möglichkeit; deshalb zieht sie Luther in der Frage nach der Herkunft des Bösen auch gar nicht in Betracht526. Die Wirklichkeit des Bösen ist von der Wirklichkeit Gottes umgriffen; jene kann durch diese oder in ihr aber nicht begriffen werden. Gewiß ist Luther, daß das Böse eine Wirklichkeit ist und von der größeren Wirklichkeit Gottes, von seinem allwirkenden Treiben mitgerissen wird. Der Gottlose, der sich selbst nicht ändern kann und auch dem Getriebensein durch Gott nicht entrinnen kann, wird also beständig und notwendig weiter böse sein, bis er durch Gottes Geist wieder „korrigiert" (204,40f) wird. Dem Einwand, warum denn Gott nicht einfach aufhöre mit seinem Treiben, so daß dem bösen Treiben ein Ende gemacht werde, entgegnet Luther: „Das heißt wünschen, daß Gott wegen der Gottlosen aufhört Gott zu sein [...], daß er aufhört gut zu sein" (207,29-31)527. Weder Engel noch Menschen, überhaupt keine Kreaturen können unter der umfassenden Gewalt Gottes so existieren, „daß sie [...] auch nur einen Augenblick aus ihren eigenen Kräften bestehen könnten" (152,25; vgl. 214,2). Zöge Gott seine allwirkende Allmacht, also sich selbst, zurück, so fiele die Schöpfung wieder in das Nichts528. Ohne den Welttreiber kein Weltge-

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Frage nach dem Woher des Bösen, sondern die Frage nach dem, der das Böse bekämpft und besiegen kann. Luther verweist auf die Frage nach dem „Wie" ganz lapidar auf das dritte Kapitel der Genesis (Dsa 203,4-6). Doch dieses Kapitel läßt ja selbst - in seiner geheimnisvollen Verhüllung des „Woher" des Bösen in der Schlange - die Frage offen. Auch in Gen 6,11 bricht die Gewalttat unerklärlich und unbegründet in die sehr gute Schöpfung ein. Diese Möglichkeit blitzt aber kurz auf, wenn Luther sagt, daß die uoluntas impia [...] aliquid et non merum nihil (Dsa 250,38f) ist! Vgl. u. Anm. 608. Vgl. die analoge Überlegung in Schellings Freiheitsschrift (Sämtliche Werke, Bd. VII, 403): „Warum nun Gott den Willen des Grundes nicht wehre oder ihn aufhebe, haben wir ebenfalls schon gezeigt [vgl. aaO 399], Es wäre dieß ebensoviel, als daß Gott die Bedingung seiner Existenz, d.h. seine eigne Persönlichkeit, aufhöbe. Damit also das Böse nicht wäre, müßte Gott selbst nicht seyn." S.o. Anm. 383. Vgl. wieder Schellings Freiheitsschrift (Sämtliche Werke, Bd.VII, 339): „Sagen, Gott halte seine Allmacht zurück, damit der Mensch handeln könne, oder er lasse die Freiheit zu, erklärt nichts: zöge Gott seine Macht einen Augenblick zurück, so hörte der Mensch auf zu seyn." Diese Argumentation steht auch gegen die Lurianische Kabbala und deren Begriff des Zimzum (vgl. H. Jonas, Der Gottesbegriff nach Auschwitz, 45f),

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triebe! Die naheliegende Frage, „warum Gott die bösen Willen, die er bewegt, nicht gleich ändert", beantwortet Luther mit dem Hinweis: „Das gehört zu den Geheimnissen der göttlichen Majestät, in der seine Urteile unbegreiflich sind" (207,32-34; vgl. 178,19-24). Hier sei Gott nicht zu hinterfragen und könne nur angebetet werden. Im Horizont dieses Gottesverständnisses stellen sich drängende Fragen, aber keine findet eine für den Menschen ganz befriedigende Antwort, gerade auch nicht die Frage der Theodizee. 5. Luthers Umgang mit dem Problem der Theodizee: Der Weltlauf als Vorlauf Die eben geschilderten Spannungen zeigen sich auch in Luthers Eingehen auf die Theodizee-Problematik. Viele Lutherinterpreten sehen das Problem bei Luther von vornherein ausgeschlossen, da es bei Luther nicht um die Rechtfertigung Gottes vor dem Menschen, sondern um die Rechtfertigung des Menschen vor Gott gehe329. Luthers zwiespältiges Verhältnis zum Problem der Theodizee in Dsa ist aber mit solch einer einlinigen Argumentation nicht zu fassen. Auf der einen Seite sieht Luther im Versuch der Vernunft, über begriffliche Konstruktionen Gottes Gerechtigkeit und Güte mit menschlichem Leid und Unglück auszusöhnen, die Gefahr, daß sich die Vernunft überhebt und die ihr gesetzten Grenzen überschreitet. Luther nimmt in diesem Zusammenhang das berühmte Bild Kants530 vom Gerichtshof der Vernunft vorweg, in dem die Vernunft Verteidigerin, Anklägerin und Richterin Gottes in einem zugleich ist. Die sich überhebende Vernunft verlange schließlich, so Luther, „daß Gott nach menschlichem Recht handle", ut deus agat iure humano (226,6f). Gott soll sich im Rahmen menschlicher Begreiflichkeit bewegen, soll „auch nach unserm Maßstabe gerecht"531 handeln. Er soll den Grundsätzen, die etwa Aristoteles in seiner Ethik der auch in theologische Schöpfungslehren Eingang gefunden hat; vgl. J. Moltmann, Gott in der Schöpfung, 99f. 529 So erklärt etwa W. Eiert (Der christliche Glaube, 267): „Nicht Gott hat sich vor uns zu rechtfertigen, sondern wir vor ihm - infolgedessen ist jede Theodizee Widerspruch gegen Gott." Vgl. Morphologie des Luthertums, Bd. 1, 417. Vgl. im Gegensatz zu dieser sehr schematischen Gegenüberstellung die Verschränkung der Rechtfertigung Gottes und der Menschen im gesamten Streit der Rechtfertigungen bei O. Bayer, Aus Glauben leben, Kap. 1,2, 3 und 6. 530 I. Kant, Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee; Weischedel-Ausgabe, Bd. 9,105. 531 WA 18, 729, Anm. 2. Mehrmals bemüht sich A. Freitag, der Herausgeber von Luthers Dsa in der Weimarer Ausgabe, Gottes Gerechtigkeit und Sittlichkeit zu sichern. Er verweist hier wie in WA 18, 712f, Anm. 1 auf das Licht der Herrlichkeit, das Gottes Gerechtigkeit schließlich erweisen werde. Er rechnet aber mit keinem Bruch der Gerechtigkeitsvorstellung und keinem Wunder einer neuen Gerechtigkeit. Wenn er zu Dsa 208,1-9 (= WA 18, 712,32-38; s.o. Anm. 373) feststellt, daß die „der allumfassen-

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festgesetzt hat, entsprechen und er soll für sein Gottsein Rechenschaft ablegen, warum er etwas will oder tut, was überhaupt nicht den Anschein der Gerechtigkeit hat. Damit werde, so Luther, Gott wie ein kleiner Flickschuster oder Gürtelmacher vor Gericht geladen532. Die Vernunft als iudex uerborum et operum Dei (202,4) will insofern Gott zur Ordnung rufen und will ihm Gesetze vorschreiben, daß er nicht jemanden verdamme, es sei denn, er habe es nach unserem Urteil verdient533. Solche Versuche vernünftiger Theodizee sind den Wirksamkeit Gottes analoge Schrankenlosigkeit seiner Willkür [...] ihre Einschränkung doch in der sittlichen Vollkommenheit Gottes, die einmal sich offenbaren wird" (712f, Anm. 1), habe, dann setzt er doch jetzt schon Gott ein Maß und eine Regel, nämlich die der sittlichen Vollkommenheit. Sicher redet die Bibel von der Vollkommenheit der Werke (Dtn 32,4) und Wege (Ps 18,31) Gottes - sie verweist aber auch auf den Bruch zwischen göttlichen und menschlichen Wegen (Jes 55,8). Entschieden nimmt Schelling in seinen Münchener Vorlesungen zur Geschichte der neueren Philosophie den Bruch wahr: „Es gehört allerdings zu den gewöhnlichen populär rationalistischen Vorstellungen, daß Gott schlechterdings und seiner Natur zufolge nur das Gute thun könne, und unter dem Guten versteht man das dem Moral-Gesetz Gemäße. Aber Gott ist außer und über allem Gesetz, denn er selbst ist das Gesetz. Gott ist der Herr jure absolute positivo, wie er ist, weil er Ist; es gibt nicht ein Gutes vor und außer ihm, das er wollen müßte, es gibt nur Gutes erst nach ihm und als Folge von ihm; gut ist nur, was Er will, und nur weil er es will, ist es gut (nicht an sich), wenn Er es nicht wollte, war' es nicht gut" (Sämtliche Werke, Bd. X, 58). Schelling wendet sich mit diesen Sätzen gegen Leibniz und dessen These, die Notwendigkeit, die aus Gott komme, sei gegründet im sittlichen Wesen Gottes. Das ist, so Schelling, „der letzte Halt des Rationalismus" (ebd). Gegen „diesen falsch-mildernden Schein, den die Vorstellung einer bloß in der sittlichen Natur Gottes gegründeten Notwendigkeit" (ebd) verbreite, stellt Schelling die Freiheit Gottes heraus. 532 Dsa 226,4-15: Hoc est illud, quod ratio neque capere ñeque ferre potest, hoc offendit tot uiros excellentes ingenio, tot soeculis receptos. Hic expostulant, ut Deus agat iure humano, et faciat quod ipsis rectum uidetur, aut Deus esse desinat. Nihil illi profuerint secreta maiestatis, rationem reddat, quare sit Deus, aut quare uelit aut faciat, quod nullam speciem iustitiae habeat, ac si Sutorem aut Zonarium roges iudicio se sistere. Non dignatur Deum caro gloria tanta, ut credat iustum esse et bonum, dum supra et ultra dicit et facit, quam definiuit Codex Iustiniani, uel quintus liber Ethicorum Aristotelis. 533 Dsa 226,19-21: [...] sed redigendus est in ordinem, et praescribendae illi leges, ut non damnet quenquam, nisi qui nostro iudicio id meruerit. Ein klassisches Beispiel fur diese Art einer Vorschrift für Gott ist Kants berühmter erster Satz in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten: „Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille" (Weischedel-Ausgabe, Bd. 6, 18). Welchen umfassend normierenden Rang auch für Gott dieser ethische Hauptsatz Kants hat, zeigt folgende Stelle: ,J)as eigentliche moralische principium ist also der gute Wille und hierinn bestehet das absolutum - Nichts ist gut als das, was einen guten Willen hat. Selbst das Höchste Wesen ist darum nur gut, weil es einen guten Willen hat. Denn sollte dieses Wesen [,] welches allmächtig und allgegenwärtig ist, nicht zugleich einen guten Willen haben, wie schreckensvoll würde es uns alsdann nicht seyn?" (Kants Vorlesung über Moralphilosophie [Praktische Philosophie Powalski]; Akademie-Ausgabe, Bd.

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fur Luther den Bemühungen der Freunde Hiobs vergleichbar „und treiben groß und lang Geschwätz, wollen Gott recht erhalten, daß er keinen Frommen strafe; strafe er aber, so müsse derselbe gesündigt haben. Und haben so einen weltlichen und menschlichen Gedanken von Gott und seiner Gerechtigkeit, als wäre er, gleich wie Menschen sind, und seine Rechte, wie der Welt Recht ist."534 Theodizee als Theodizee der Vernunft lehnt Luther also entschieden ab. Die Vernunft muß scheitern mit ihrem Versuch, die Mauer des unbegreiflichen und verborgenen Gottes durchbrechen zu wollen. In Hans Jonas' eindrucksvollem Theodizeeversuch „Der Gottesbegriff nach Auschwitz" ist diese Mauer grundsätzlich ausgeschlossen. Jonas' „Stück unverhüllt spekulativer Theologie" (aaO 7) zeichnet angesichts der Auschwitz-Erfahrung, der „Wucht einmaliger und ungeheuerlicher Erfahrung" (aaO 10), im „selbsterdachten Mythos" (aaO 15) und unter Rückgriff auf kabbalistische Mystik (vgl. 45f), das Bild eines „leidenden" (aaO 25), „werdenden" (aaO 27), „sich sorgenden" (aaO 31) Gottes. In der Konsequenz seines Bildes folgert und fordert Jonas dann, daß die Eigenschaft der göttlichen Allmacht weichen müsse; denn göttliche „Allmacht kann mit göttlicher Güte nur zusammen bestdien um den Preis gänzlicher göttlicher Unerforschlichkeit, d.h. Rätselhaftigkeit [...]. Nur von einem gänzlich unverstehbaren Gott kann gesagt werden, daß er zugleich absolut gut und absolut allmächtig ist und doch die Welt duldet, wie sie ist." (AaO 37.) Die drei Attribute - Güte, Macht und Verstehbarkeit Gottes - können nicht zusammen bestehen; eines muß geopfert werden. Nun sind für Jonas sowohl die Güte Gottes (gleichsam selbstverständlich) als auch seine Verstehbarkeit unabdingbar, denn der „deus absconditus, der verborgene Gott (nicht zu reden vom absurden Gott), ist eine zutiefst unjüdische Vorstellung." (AaO 38.) Also gibt Jonas das Attribut der Allmacht auf. In Auschwitz hat Gott geschwiegen: „nicht weil er nicht wollte, sondern weil er nicht konnte, griff er nicht ein." (AaO 41.)535 Gott hat in Selbstbeschränkung die Freiheit des Menschen und damit auch das

27.1, 130, Z. 17-22). Entsprechend sagt Kant über das Sittengesetz, „das einzige Faktum der reinen Vernunft" ( Κ,ρ V, Weischedel-Ausgabe, Bd. 6, 142): Es „geht auf alle endliche Wesen, die Vernunft und Willen haben, ja schließt sogar das unendliche Wesen, als oberste Intelligenz, mit ein" (aaO 143). 534 Luthers Vorreden zur Bibel, 60. Luthers Feststellung hinsichtlich des Kernpunktes des Hiobbuches, „daß Gott auch die Frommen ohne Ursach, allein zu seinem Lobe peiniget" (aaO 59f), ist schwer zu deuten. Was bedeutet die Peinigung zu Gottes Lob? Luther will damit natürlich zunächst Joh 9,3 aufnehmen. Von Eph 1,11-14 her (V. 12 und 14: „Lob seiner Herrlichkeit") erscheint der Blick auf das lumen gloriae als mögliche Antwort. 535 Vgl. das argumentum Epicuri bei Laktanz, De ira Dei, 13.20f; Kraft-Ausgabe, 46/47: „Entweder will Gott die Übel aufheben und kann nicht / oder er kann und will nicht / oder er will nicht und kann nicht / oder er will und kann. Wenn er will und nicht kann, ist er schwach, und das trifft für Gott nicht zu. Wenn er kann und nicht will, ist er neidisch, und das ist ebenso unvereinbar mit Gott. Wenn er nicht kann und nicht will, ist er neidisch und schwach und dementsprechend auch kein Gott. Wenn er aber will und kann, wie das allein angemessen für Gott ist - wo kommen dann die Übel her, und warum hebt er sie nicht 3uf?" In WA 40 III, 321,30-35 beschreibt Luther die Un-

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Böse zugelassen (vgl. aaO 43). Jonas redet nicht, wie das Hiobbuch, der „Machtfülle", sondern der „Machtentsagung" (aaO 48) Gottes das Wort. Die Folge dieses Denkens536 ist schließlich, daß der Mensch in das Vakuum der verabschiedeten Allmacht Gottes mit seiner (ethischen) Machtfülle einschließen muß537; „Gott [hat] nichts mehr zu geben: Jetzt ist es am Menschen, ihm zu geben." (AaO 47.) Ist es - mit Verlaub und bei allem Respekt gesagt - Verzweiflung, Verblendung oder Vermessenheit, wenn Jonas formuliert, „daß wir jetzt die von uns gefährdete göttliche Sache in der Welt vor uns schützen, der für sich ohnmächtigen Gottheit gegen uns selbst zu Hilfe kommen müssen" (H. Jonas, Materie, Geist und Schöpfung, 59)? In einem Punkt sind Luther und Jonas geeint: Beide verstehen das Reden über diese letzten Fragen nach dem Verhältnis zwischen Gott und dem Bösen als „Gestammel" und „Stammeln" (Der Gottesbegriff nach Auschwitz, 48; vgl. Dsa 203,38: balbutiendo). Im inhaltlichen Vergleich zwischen Jonas und Luther ergibt sich aber eine klare Alternative: Jonas (und in seiner Nachfolge auch einige Theologen und Theologinnen, etwa Dorothee Solle) gibt die Allmacht Gottes auf, damit dessen Güte und Verstehbarkeit gerettet werden kann; Luther dagegen gibt (in der JetztErfahrung, im Horizont des Lichtes der Natur und der Gnade) die Verstehbarkeit Gottes auf, damit die unausweichliche Allmacht des verborgenen Gottes und die geglaubte Güte des offenbaren Gottes gewahrt bleiben kann - wenn auch äußerst spannungsvoll. In der Erwartung des Lichtes der Herrlichkeit allerdings erhofft auch Luther eine Verstehbarkeit des Gottes, der jetzt noch so rätselhaft, unbegreiflich und verborgen ist. Luther kann letztlich nur auf „die erlösende Kraft des Jüngsten Gerichtes" (J. Habermas, Moral und Sittlichkeit, 1052) hoffen. Jonas und die, die ihm philosophisch oder theologisch folgen, können letztlich nur auf die ethische Kraft, das vernünftige Bemühen und die verantwortliche (All-)Macht der Menschen hoffen. Die Erwartung liegt schließlich in der totalen Solidarisierung aller Menschen guten Willens: „Wir können das Leiden, das heute noch für den Profit weniger gemacht wird, schrittweise zurückdrängen und aufheben. Aber auf all diesen Wegen stoßen wir an lösbarkeit dieses Arguments, dessen Grundzüge er in der Tischrede Nr. 432 (Cl 8, 53,24-29) präsentiert. 536 Bei Jonas verbinden sich die Ströme der kontemplativen (z.B. Leibniz und Hegel), an der theoretischen Bewältigung interessierten, und aktiven (Kant), an der ethischen Bewältigung arbeitenden, Theodizee; vgl. dazu O. Bayer, Autorität und Kritik, 203205 (Die offene Frage der Theodizee). 537 G. Anders, dessen Denken ständig um die „Ereignisse Auschwitz und Hiroshima" (Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 2, 405) kreiste, reflektiert dieses Problem in dem Kapitel „Theologie der atomaren Situation" seines Hauptwerkes (aaO 404-407). Er, der „notorisch antireligiöse [...]" (aaO 404) Denker, stellt heraus, „daß wir uns mit Hilfe der von uns selbst geschaffenen Geräte (und nicht etwa nur der atomaren) göttergleich, sogar gottgleich, gemacht haben. Zwar 'gottgleich' nur im negativen Sinne, denn von einer 'creatio ex nihilo' kann natürlich keine Rede sein; [...] wohl aber davon, daß wir nun einer totalen 'reductio ad nihil ' fähig sind, daß wir als Zerstörende wirklich omnipotent geworden sind. Denn als 'Allmacht' dürfen wir es ja wirklich bezeichnen, daß wir (oder richtiger: unsere 'Besenstiele': die von uns gerufenen Geräte) die gesamte Menschheit und Menschenwelt auslöschen können; daß wir unser gesamtes Gewesensein von Adam an, unsere Vergangenheit annihilieren können [...]" (ebd). Vgl. zum entsprechenden Gedanken der annihilatio mundi bei Descartes: O. Bayer, Leibliches Wort, 184-189.

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Grenzen, die sich nicht überschreiten lassen. [...] Die einzige Form des Überschreitens dieser Grenzen besteht darin, den Schmerz der Leidenden mit ihnen zu teilen, sie nicht allein zu lassen und ihren Schrei lauter zu machen." (D. Solle, Leiden, 217.) Machtvoll (im Guten wie im Bösen) sind allein die Menschen in solch einem theologischen Humanismus; der machtlose Gott ist nur noch „das Symbol für unsere unendliche Fähigkeit zu lieben" (aaO 117). Luther mißtraut einer bloß vernünftigen Theodizee und kritisiert sie aufs schärfste. Die Vernunft kann Unglück, Leiden und Böses letztlich nicht ordnen; sie soll aber auch nicht menschliches Wohlergehen - in einer „Theodizee des Glückes"538 - rechtfertigen. Anders allerdings sieht der Sachverhalt aus, wenn - wie in Luthers Bekenntnis - mit den Anfechtungen der Weltweisen und der biblischen Heiligen, die Theodizee des angefochtenen Glaubens im Blick ist. In diesem Horizont ist die Theodizee-Frage für Luther nicht einfach abweisbar; sie war auch für den Beter des Ps 73 und für Hiob oder Jeremía nicht einfach abweisbar. Die spekulative Warum-Frage ist nicht identisch mit der klagenden und anklagenden Warum-Frage539; ebenso ist der vernünftige „Rechtsstreit um Gott" nicht gleichzusetzen mit dem „Rechtsstreit mit Gott"540 (vgl. Hi 13,18f; 23,1-7), in dem der angefochtene Glaube steht und in dem die „Wunde der Theodizee [...] offen"541 bleibt. Luthers Lösung geht dahin, daß er mit seinem Exempel des Glaubens versucht, den Blick und die Fixierung auf den Weltlauf zu relativieren. Luther will den Weltlauf als Vorlauf542 (praecursus: 290,35) in den Blick kommen lassen. Dieser Blickwechsel ist letztlich für Luther nur dem Glauben möglich, der in diesem Leben schon ein wenig in das andere Leben hineinglauben kann, weil

538 M. Weber, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Einleitung, 242. Ebd: „Der Glückliche [Herrschende, Besitzende, Siegende, Gesunde ...] begnügt sich selten mit der Tatsache des Besitzes seines Glückes. Er hat darüberhinaus das Bedürfnis: auch noch ein Recht darauf zu haben. Er will überzeugt sein, daß er es auch 'verdiene'; vor allem: im Vergleich mit anderen verdiene. Und er will also auch glauben dürfen: daß dem minder Glücklichen durch den Nichtbesitz des gleichen Glückes ebenfalls nur geschehe, was ihm zukommt. Das Glück will 'legitim' sein." 539 Vgl. den Unterschied im Hebräischen zwischen dem eher klagenden HD1? und dem eher informatorisch erfragenden ynD . Dazu: A. Jepsen, Warum? Eine lexikalische und theologische Studie, 106-113, bes. 108-110. 540 O. Bayer, Autorität und Kritik, 207. (Vgl. D. Solle, Leiden, 143. Vgl. auch Jeremias Rechtsstreit mit Gott: H.-J. Hermisson, Jahwes und Jeremias Rechtsstreit. Zum Thema der Konfessionen Jeremias, 5-36.) 541 Ebd. Vgl. zu diesem Bild Hebbels Notiz (Tagebücher, Nr. 2663; Meetz-Ausgabe, 176): „Die Welt: die große Wunde Gottes." 542 Vgl. die Tischrede Nr. 5085 (Cl 8, 263,16-19): Vita praesens praecursus futurae. Haec vita praecursus est futurae vitae. Quodsi Deus hanc vitam obnoxiam corruptioni sic ornât innumerabilibus bonis, quid faciet futurae vitae, quando cessabit peccatum et iustitia aeterna florebit? Vgl. in den Psalmenglossen die Aussage: Hec vita est non nisi porta ad futuram (Cl 5, 54,26).

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er eine „Verheißung von der Zukunft"543 hat. Aber auch für den Glauben gilt letztlich der Vorbehalt: „Als wenig die kinder wissen in mutterleib von ihrer anfart, so wenig wissen wir vom ewigen leben."544 II. Luthers Rede von den drei Lichtern 1. Zur Metaphorik und Faszination dieser Wendung Es ist wohl kein Zufall, daß viele Auslegungen der ganzen Schrift Luthers oder auch Interpretationen von Teilaspekten aus Dsa mit dem Hinweis auf die drei Lichter schließen545. Allerdings fallt dabei auf, daß die Unterscheidung der Lichter als Abschluß der Darlegungen eher nur zitiert als interpretiert wird. Das hat seinen Grund sicher auch darin, daß die Rede von den Lichtern für sich zu sprechen vermag. Schon ihre bloße Erwähnung oder allein ihre flüchtige Betrachtung haben etwas Zwingendes und Einleuchtendes, eine Aussageund Suggestionskraft, die scheinbar keiner weiteren Deutung bedarf. Das Licht ist ein in allen Kulturen und Religionen anzutreffendes Urbild für das Göttliche, für Gott und für die Wahrheit. Die Philosophiegeschichte ist durchzogen von einer wirkmächtigen Lichtmetaphorik. Die Symbolkraft der Dreizahl in der Unterscheidung läßt universale Weite, göttliche Vollkommenheit und trinitarische Fülle anklingen. Die Rede von den drei Lichtern, ihre Ab- und Aufeinanderfolge, suggeriert ein ständig sich ausweitendes Hellwerden dessen, was problematisch, rätselhaft und dunkel war. Sie verheißt das, was die westliche Denktradition immer gesucht hat: radikale Aufklärung. Sie verspricht auch, was östliche Weisheitslehren immer erstrebt haben: vollkommene Erleuchtung. Der Verweis auf die drei Lichter am Ende von Lutherinterpretationen hat nicht selten etwas Beschwörendes; als ob mit der abschließenden Erwähnung der Unterscheidung der drei Lichter alle Dunkelheiten, Spannungen, Widersprüche und gedanklichen Abgründe, die sich in Dsa auftun, mit einem Schlag erhellt, geklärt und ins rechte Licht gerückt werden könnten! Klar ist auf jeden Fall, daß sich Luther mit seiner Unterscheidung in einer vorgegebenen Tradi543 WA 42, 482,18f (Cicero sei blind gegenüber der göttlichen Vorsehung, weil er keine Verheißung von der Zukunft habe): Promissionem autem de futuro prorsus nescit. Vgl. Anm. 580 und 629. 544 WA TR 3, 276,26f (Nr. 3339). Vgl. das ähnliche Bild in Luthers Sermon von der Bereitung zum Sterben; Cl 1, 162,3-22. 545 Diese Abschlüsse sind aber nicht einheitlich: Für H. Rückert bietet die Rede Luthers von den drei Lichtern eine „Lösung" (Luthers Anschauung von der Verborgenheit Gottes, 106) der in Dsa aufgebrochenen Rätsel und Fragen; nach W. v. Loewenich dagegen gibt Luther mit dem abschließenden Hinweis auf das Licht der Herrlichkeit zu: „Ich habe keine Lösung" (Gott und Mensch, 100). F. Gogarten spricht vom „Trost des lumen gloriae" (Sittlichkeit und Glaube, 256).

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tion und in einem vorgeprägten Sprachgebrauch bewegt. Er hat sie nicht erfunden, sondern beruft sich auf sie als uulgata et bona distinctio (Dsa 291,5), als allgemein verbreitete und gute Unterscheidung. Um genauer herauszuarbeiten, welche Bedeutung die Rede von den drei Lichtem bei Luther selbst hat, ist es sinnvoll, den Gebrauch der Unterscheidung zunächst bei Thomas von Aquin zu untersuchen. Sie hat bei Thomas ein klares Profil; vor dem Hintergrund seiner Ausführungen lassen sich dann Luthers Überlegungen besser herausstellen und verstehen. 2. Die drei Lichter bei Thomas von Aquin 2.1 Die Unterscheidung von lumen naturale und lumen supranaturale Die Unterscheidung der drei Lichter bei Thomas ist zunächst zu verstehen auf der Grundlage der bekannten Unterscheidung und Zuordnung von Natur und Gnade. In seinem Kommentar zu Boethius' Schrift De trinitate behauptet Thomas, „daß die Gnadengaben in der Weise der Natur hinzugefügt werden, daß sie diese nicht vernichten, sondern vielmehr vollenden [non tollunt, set magis perficiunt]; daher zerstört auch das Licht des Glaubens [lumen fidei], das uns umsonst [gratis] eingegossen ist, nicht das Licht der natürlichen Vernunft [lumen naturalis rationis], das uns von Gott her [diuinitus] eingegeben ist" (Super Boet. de Trin., q 2 a 3). Entsprechend heißt es in den zwei häufiger zitierten Stellen in der theologischen Summe, daß die natürliche Vernunft dem Glauben dient, da „die Gnade die Natur nicht vernichtet, sondern vollendet" (STh I, q 1 a 8 ad 2), und daß „so nämlich der Glaube die natürliche Erkenntnis voraussetzt, wie die Gnade die Natur und das Vollendete das Vollendbare [sic enim fides praesupponit cognitionem naturalem, sicut gratia naturam, et perfectio perfectibile]" (STh I, q 2 a 2 ad 1). Das Verhältnis von Natur und Gnade ist von Thomas so gedacht, daß beide in einem Vollendungs-, nicht etwa in einem Widerspruchsverhältnis zueinander stehen: „es ist unmöglich, daß das, was durch den Glauben uns von Gott her überliefert ist, im Widerspruch steht zu dem, was uns durch die Natur eingegeben ist" (Super Boet. de Trin., q 2 a 3). Ein Konflikt ist deshalb unmöglich, weil beide Seiten, Natur und Gnade, von dem einen Gott gegeben, umschlossen und einander zugeordnet sind. Das Adverb divinitus steht gleichermaßen beim Licht der Natur und beim Glauben. Aber Natur und Gnade sind nicht auf die gleiche Stufe gestellt, die Natur ist preambula [...] ad gratiam (Super Boet. de Trin., q 2 a 3; vgl. STh I, q 2 a 2 ad 1), Vorlauf zur Gnade, die diese Vorstufe aber nicht zerstört, sondern vollendet. Im Bereich der Natur ist die Philosophie, d.h. für Thomas die Gesamtheit aller Wissenschaften eingeordnet. Mit Hilfe des Lichtes der natürlichen Vernunft kann der Mensch die verschiedensten Wissensbereiche erforschen (Super Boet. de Trin., q 2 a 3; STh I, q 1 a 1). Zu dem Bereich, der der natürlichen Vernunft zugänglich ist, gehört auch die

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Theologie, wie sie etwa in der Metaphysik des Aristoteles thematisiert ist (STh I, q 1 a 1 ob 2). Das Licht der Vernunft reicht aus, um bestimmte Aussagen über Gott zu machen, auf die hin alle Menschen ansprechbar sind (STh I, q 2 a 2 et 3; ScG I, 3). Insofern ist für Thomas das natürliche Licht die allgemeine Basis für die theologische Arbeit, vor allem für die Auseinandersetzung mit Gegnern des christlichen Glaubens. Mit den Juden kann man auf Grund des Alten, mit Häretikern auf Grund des Neuen Testamentes diskutieren. Muslime aber oder Heiden akzeptieren keine dieser biblischen Autoritäten. Deshalb, so folgert Thomas mit einem Satz, der ebensogut von Kant546 hätte formuliert sein können, „ist es notwendig, auf die natürliche Vernunft zurückzugreifen, der alle beizustimmen gezwungen sind [Unde necesse est ad naturalem rationem recurrere, cui omnes assentire coguntur]" (ScG I, 2). Allerdings ist das Vermögen des natürlichen Lichtes, Grottes Sein zu erhellen, begrenzt und mangelhaft. Es gibt unter den erkennbaren göttlichen Dingen einiges, „was gänzlich die Kraft der menschlichen Vernunft übersteigt" (ScG I, 3). Die Vernunft kann aus Wirkungen in der Schöpfung die eine Ursache, die alle Gott nennen, demonstrieren; sie kann beweisen, daß Gott ist und daß nur ein Gott ist, sie kann aber nicht erweisen, „daß Gott dreifaltig und einer zugleich ist" (ScG I, 3). Die Wahrheit der göttlichen Trinität ist dem Licht der Vernunft verschlossen; sie wird aber erschlossen durch ein anderes, ein übernatürliches Licht, das lumen fidei oder lumen divinae revelationis, das Glaubenslicht oder Licht der göttlichen Offenbarung (STh I, q 1 a 1 ad 2). Dieses Licht ergänzt, übersteigt und vollendet das Licht der Vernunft und führt dazu, daß neben den philosophischen Wissenschaften, die auf der natürlichen Vernunft beruhen, noch eine besondere Wissenschaft notwendig wird, die sacra doctrina, die mit ihren Erkenntnissen im Glaubenslicht der Offenbarung gründet (Super Boet. de Trin., q 2 a 3; STh I, q 1 a 1). Ausdrücklich hält Thomas aber fest, daß die Wahrheit des christlichen Glaubens, die das Fassungsvermögen der menschlichen Vernunft übersteigt, nicht der Wahrheit der Vernunft entgegensteht (ScG I, 7). Es gibt zwar hinsichtlich des menschlichen Erkenntnisvermögens eine „zweifache Wahrheit der göttlichen Dinge [duplicem veritatem divinorum]" (ScG I, 9), aber diese Wahrheiten verbinden sich in der Theologie in einem Zusammenspiel. Mit Beweisgründen [rationes demonstrativae] wird die Wahrheit des natürlichen Lichtes bewiesen; das übernatürliche Licht, das sich auf die Offenbarung und auf die Autorität der Schrift stützt, 546 Vgl. Kants (schon die Ansätze der Theorie der kommunikativen Vernunft und der Diskursethik vorwegnehmende) Bemerkung über die Vernunft, „welche keinen anderen Richter erkennt, als selbst wiederum die allgemeine Menschenvernunft, worin ein jeder seine Stimme hat" (Kritik der reinen Vernunft, Β 780; Weischedel-Ausgabe, Bd. 4, 640). Vgl. die Äußerung über „die Existenz der Vernunft, die kein diktatorisches Ansehen hat, sondern deren Ausspruch jederzeit nichts als die Einstimmung freier Bürger ist, deren jeglicher seine Bedenklichkeiten, ja sogar sein Veto, ohne Zurückhalten muß äußern können" (B 766f; aaO 631; vgl. KrV, A XI, Anm.).

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wird durch Wahrscheinlichkeitsgründe [rationes probabiles] flankiert, und die Argumente der Gegner des Glaubens werden widerlegt (ScG I, 9). Natürliches und übernatürliches Licht ergänzen sich also im Dienst am Erweis des christlichen Glaubens. 2.2 Die drei Stufen der Gotteserkenntnis Untersucht man Lexikonartikel hinsichtlich des oben dargestellten Sachverhaltes, so zeigt sich, daß die Unterscheidung der zwei Lichter bestimmend gebheben ist. So heißt es etwa in einem verbreiteten philosophischen Wörterbuch unter dem Stichwort lumen naturale, „das natürliche Licht im Unterschied zum lumen supranaturale oder divinum, dem übernatürlichen oder göttlichen Licht, das auch lumen fidei, gloriae und gratiae genannt wird"541. In dieser Rezeption wird allerdings übersehen, daß die Tradition, insbesondere Thomas, das übernatürliche Licht noch einmal weiter differenziert und hinsichtlich der Gnade einen doppelten Status unterscheidet: „Nämlich einen unvollendeten, der der Stand des Verdienens [status merendi], und einen vollendeten, der der Stand der vollkommenen Herrlichkeit [status gloriae consummatae] ist" (STh I, q 109 a 2 c; vgl. q 95 a 1 ob 6). Im unvollendeten Stand befinden sich die Gläubigen in via (STh III, q 7 a 10 ob 3), auf dem Weg des Verdienstes und des Wachsens der Gnade; im vollendeten Stand der Gnade, in der Herrlichkeit, die Thomas auch als „vollkommene Gnade [gratia consummata]" (STh I, q 95 a 1 ob 6) bezeichnen kann, sind die Glücksehgen im göttlichen Vaterland, in patria (STh I/II, q 67 a 5 c). Im Hintergrund dieser Unterscheidung stehen bibüsche Texte wie 2. Kor 5,7, wo die Differenz von Glauben und Schauen, oder 1. Kor 13,12, wo der Unterschied vom Sehen in einen Zerrspiegel und dem Sehen von Angesicht zu Angesicht thematisiert ist (ScG III, 51). Der Unterschied beider Gnadenstufen wird deutlicher in der Analyse der 12. Quaestio des 1. Teils der Summa Theologiae. Hier untersucht Thomas die Frage, auf welche Weise Gott von uns Menschen erkannt werden kann. Im 13. Art. seiner Untersuchung bezieht sich Thomas auf die schon angesprochene Unterscheidung von Natur und Gnade und führt aus, „daß wir durch die Gnade eine vollkommenere Erkenntnis von Gott erhalten als durch die natürüche Vernunft" (STh I, q 12 a 13 c). Die Erkenntniskraft der natürlichen Vernunft wird verstärkt per infusionem luminis gratuiti (ebd), durch das Eingießen des Gnadenlichtes bzw. des göttlichen Lichtes (q 12 a 13 ad 2), so daß der Mensch über Gott tiefere bzw. höhere548 Kenntnisse erhält. Beispiel ist hier 547 J. Hoffmeister (Hg ), Wörterbuch der philosophischen Begriffe, 387. Auch im Historischen Wörterbuch der Philosophie werden lumen fidei, lumen gratiae, lumen divinum und lumen gloriae als Synonyme aufgelistet (B. Justus, Art. „lumen fidei"; HWP, Bd. 5, 546). 548 Die Komparative altior und perfectior markieren deutlich die Differenz beider Erkenntnisstufen.

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wieder das Geheimnis der Trinität (q 12 a 13 ad 1), das dem natürlichen Licht unzugänglich bleibt. Eine weitergehende Frage ist aber nun, ob der Mensch mit seiner Erkenntniskraft und seinem geschaffenen Verstand Gottes Wesen (seine Essenz) schauen kann. Da das ewige Leben, das letzte Ziel der Glückseligkeit in der Schau des göttüchen Wesens besteht (STh I, q 12 a 4; Ι/Π, q 3 a 8), muß Thomas auf dieses Problem eingehen. Das menschliche Erkenntnisvermögen ist an sinnliche Vorstellungsbilder gebunden (ScG ΙΠ, 47) - wie kann dann aber Gottes essentia, völlig frei von aller Sinnlichkeit, von Menschen geschaut werden? Es bedarf einer dispositio supernaturalis (STh I, q 12 a 5 c), eines besonderen Lichtes, das das Erkenntnisvermögen zur höchsten Stufe der Erkenntnis (q 12 a 11 c), zur Schau des Wesens Gottes erhebt und erleuchtet (q 12 a 5 c). Dieses Licht, das den Menschen zur direkten Schau des göttlichen Seins selbst (q 12 a 2 ad 3), zur Betrachtung der göttlichen Substanz (ScG ΠΙ, 52 et 53) verhilft, nennt Thomas lumen gloriae (STh I, q 12 a 2 c; q 12 a 5; I/II, q 67 a 5 ob 2; ScG III, 53). Als biblischen Beleg gibt Thomas Ps 36,10 (Vulgata: 35,10) an: in lumine tuo videbimus lumen - in deinem Licht werden wir das Licht schauen. Thomas unterscheidet begrifflich nicht immer deutlich zwischen dem lumen gratiae und dem lumen gloriae; auch das Licht der Herrlichkeit nennt er, wie das Gnadenlicht, lumen supernaturale. Aber die sachliche Differenz ist trotz gelegentlicher terminologischer Unschärfen deutlich: das Glorienlicht ist ein übernatürliches Licht höherer, ja allerhöchster Ordnung. Im Vergleich mit dem lumen gloriae bleibt das lumen fidei unvollkommen (STh I/II, q 67 a 5 ob 2); dieses ist aber seinerseits vollkommener als das lumen rationis. Das lumen fidei ist den Gläubigen schon im zeitlichen, irdischen Leben gegeben; das lumen gloriae wird erst den Glückseligen im ewigen, himmlischen Leben zuteil (STh I, q 12 a 1 c). Sie sind durch den Tod gänzlich von der irdisch-sinnlichen Körperlichkeit losgelöst (ScG ΙΠ, 47), partizipieren in der Schau der göttlichen Substanz an deren Ewigkeit (ΠΙ, 61) und beharren auch darin, da sie in der visio beatifica auch die Unveränderlichkeit der göttlichen Substanz erreichen (III, 62). Es gibt allerdings fur Thomas - unter Bezugnahme auf Augustin - zwei Ausnahmen, zwei besonders herausgehobene Menschen, die schon im zeithchen Leben, aber nur für einen Augenblick durch das lumen gloriae in raptu, in einer Entrückung zur vollkommenen Schau Gottes erhoben wurden: Der Lehrer und erste Doktor der Juden, Moses, und der Lehrer und erste Doktor der Heiden, Paulus (STh I, q 12a 11 ad 2; II/II, q 174 a 4 c; q 175 a 3; vgl. Ex 33,11 und Num 12,8; 2. Kor 12,2-4). Abgesehen von diesen beiden Ausnahmen in via bleibt das lumen gloriae aber den Glücksehgen in patria vorbehalten. Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß Thomas hinsichtlich der Möglichkeit der Gotteserkenntnis drei Arten, drei Stufen deutlich unterscheidet. Auf der ersten Stufe, im lumen naturalis rationis, können alle Menschen erkennen, daß Gott ist und können sich über rationale Erwägungen gewisser

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Eigenschaften Gottes, etwa seiner Einheit, Unkörperlichkeit oder Unendlichkeit versichern. Diese Erkenntnisstufe, auf die alle Menschen kraft ihrer allgemeinen Vernunft ansprechbar sind, wird überboten und erhöht durch ein vollkommeneres, übernatürliches Licht, das lumen fidei, lumen divinum oder lumen gratiae (Ι/Π , q 109 a 1 c) genannt wird; nur in diesem Licht hat der Gläubige Zugang zur Erkenntnis des Geheimnisses der göttlichen Trinität, der Inkarnation des Sohnes Gottes und anderer Mysterien der christlichen Botschaft. Noch eine Stufe weiter zur letzten Vollendung der Erkenntnis fuhrt schließlich das lumen gloriae, durch das die Entrückten, Moses und Paulus für einen Moment, und alle Glückseligen für ewig in der unmittelbaren Schau des Wesens Gottes mit Gott vereinigt werden. In jeder Stufe ist die vorhergegangene aufgehoben - aufgehoben in der Hegeischen549 Vieldeutigkeit des Wortes: erhöht, bewahrt und beendet. Jede Stufe fuhrt die vorangehende einem weiteren Grad der Vollendung zu; auf jeder folgenden Stufe gibt es einen Fortschritt hinsichtlich des Erkenntnisinhaltes (im Verhältnis von lumen rationis und lumen fidei) und der Erkenntnisklarheit (im Fortgang vom lumen gratiae zum lumen gloriae). Ein schöner Text aus dem vierten Teil der Summa contra Gentiles faßt kurz und prägnant die wesentlichen, hier angesprochenen Aspekte zusammen: „Demnach gibt es eine dreifache Erkenntnis des Menschen vom Göttlichen: Eine erste Erkenntnisart besteht darin, daß der Mensch angesichts der Geschöpfe aufgrund des natürlichen Lichtes der Vernunft zur Erkenntnis Gottes aufsteigt. Eine zweite besteht darin, daß die göttliche Wahrheit, die dai menschlichen Verstand übersteigt, auf die Weise von Offenbarung zu uns herabsteigt. Dennoch wird sie ihm hierbei nicht gleichsam zum Anschauen unmittelbar vor Augen geführt, sondern durch Rede vermittelt, damit wir glauben. Die dritte besteht darin, daß der maischliche Geist zur vollkommenen Einsicht in das Offenbarte emporgehoben wird."550

Eindrücklich beschreibt Thomas hier das Ineinander vom Aufstieg der Vernunft des Menschen und vom Herabstieg der Offenbarung Gottes; das Transzendieren des Menschen und die Kondeszendenz Gottes ist verstanden als „Entgegenkommen" Gottes und der Menschen. Ausdrücklich hält Thomas 549 Vgl. G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik I, Theorie-Werkausgabe, Bd. 5, 113-115. Hegel spricht nur von einem doppelten Sinn: ,y4uflieben hat in der Sprache den gedoppelten Sinn, daß es soviel als aufbewahren, erhalten bedeutet und zugleich soviel als aufhören lassen, ein Ende machen" (aaO 114). Über die Erwähnung des lateinischen Jollere" klingt aber auch noch die dritte Bedeutung, das „Emporheben" (ebd) an. 550 ScG IV, 1 (Wörner-Ausgabe, Bd. 4, 6/7): Est igitur triplex cognitio hominis de divinis. Quarum prima est secundum quod homo naturali Iumine rationis, per creaturas in Dei cognitionem ascendit. Secunda est prout divina Veritas, intellectum humanum excedens, per modum revelationis in nos descendit, non tarnen quasi demonstrata ad videndum, sed quasi sermone prolata ad credendum. Tertia est secundum quod mens humana elevabitur ad ea quae sunt revelata perfecte intuenda.

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ganz im Sinne der Geschlossenheit seiner Ordo-Theologie - fest, daß es sich bei dem Auf- und dem Herabstieg um denselben Weg handelt551; Vernunft und Offenbarung gehen nicht aneinander vorbei, sondern treffen sich und reichen sich die Hand. Ganz anders das Bild bei Luther. Auch bei ihm gibt es eine natürliche Theologie, eine Theologie, in der der Mensch aufgrund des natürlichen Vermögais seiner Vernunft Aussagen über Gott macht (Jona-Auslegung; WA 19, 205,25-206,13). Aber diese Aussagen bilden bei Luther keine feststehende Basis der Naturstufe, auf die die Überhöhung und Vollendung der Gnadenstufe aufbauen könnte; an die Erkenntnisse der Vernunft können Offenbarung und Glaube, auf einem gemeinsamen Weg mit derselben, nicht spannungs- und widerspruchslos anknüpfen, denn die Vernunft spielt blinde Kuh mit Gott und schlägt daneben: „Also spielt auch die vernunfft der blindai kue mit Gott und thut eytel fehl griffe und schlecht ymer neben hin, das sie das Gott heysst das nicht Gott ist, und widderumb nicht Gott heysst das Gott ist [...]" (WA 19, 207,3-6). Im Hintergrund des Bildes der fehlgreifenden Vernunft steht bei Luther sicher auch das biblische Grundwort für die Sünde: die Zielverfehlung (s.o. S. 57). Gegen ein bruchloses Zusammengehen von Vernunft und Glaube, gegen das harmonisierende Schema - der Glaube sei übervernünftig, aber nicht widervernünftig (vgl. W. Härle, Dogmatik, 82; 367f, bei Anm.18) - steht Luthers Formel: supra et contra racionem (WA 37, 297,1); vgl. „wider und über alle vernunfft" (WA 10 Π, 323,7; vgl. auch WA 19, 388,1). Ist Luther also ein Irrationalist? Rudolf Otto bekannte in seinem berühmten Werk über das Heilige (Das Heilige, 123, Anm. 1), daß ihn die „irrational-numinosen Einschläge in Luthers" Gottesbegriff primär und entscheidend in seiner Darstellung des Irrationalen in der Idee des Göttlichen geprägt hätten. „Ja, an Luthers 'De servo arbitrio' hat sich mir das Verständnis des Numinosen und seines Unterschiedes gegen das Rationale gebildet [...]" (aaO 123). Otto schreibt weiter (aaO 126) über Luthers Dsa: „Nur gelegentlich drängen diese rein numinosen Elemente seines religiösen Gefühls so stark ans Licht wie in dieser Schrift Luthers. Aber in den Kämpfen mit desperatio und Satan [...] regt sich irrationales Erleben eines tief irrationalen transzendenten Objektes, das sich fast der Bezeichenbarkeit mit 'Gott' entzieht." Wichtig ist die Füllung des Begriffs Irrationalismus. Otto bestimmt ihn als dasjenige, was sich „nicht unserem Gefühl [vgl. Ottos Fassung des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls Schleiermachers als „Kreaturgefühl", aaO 8-12] wohl aber unserem begrifflichen Denken [...] entziehe" (aaO 76). Unter dieser Annahme ergeben sich tatsächlich Anknüpfungspunkte mit Luthers Theologie - auch wenn Otto sicher einiges bei Luther zu seinen Zwecken überzeichnet hat. Versteht man - wie Georg Lukács (Von Nietzsche zu Hitler oder Der Irrationalismus und die deutsche Politik) - unter Irrationalismus „die prinzipielle und totale Zerstörung der Vernunft" (aaO 264; vgl. ebd die von Lukács vorgestellte Ahnengalerie des deutschen Irrationalismus: „Von Schelling und Schopenhauer geht ein steiler Weg abwärts - über Nietzsche, Dilthey, Spengler usw. - bis zu Hitler und Rosenberg"), dann ist Luther kein Irrationalist. Denn prinzipiell und total gegen die Vernunft ist Luthers Theologie nicht ausgerichtet; das zeigt besonders 551 ScG IV, 1 (aaO 10/11): „Die natürliche Vernunft steigt im Durchgang durch die Geschöpfe zur Erkenntnis Gottes auf; umgekehrt steigt das Glaubenswissen in Gestalt göttlicher Offenbarung zu uns herab. In beiden Fällen, beim Aufstieg wie beim Abstieg, handelt es sich um denselben Weg [est autem eadem via ascensus et descensus]."

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sane Disputatio de homine (s.o. Anm. 132). Strikt gegen die Vernunft, und insofern dann auch irrational, argumentiert aber Luther, wenn die Vernunft den Bereich mitbeherrschen will, der dem Glauben vorbehalten ist, wenn sie den Raum des Gesetzes überschreitet und den des Evangeliums vereinnahmt; dann erscheinen die berüchtigten Invektiven Luthers, etwa seine Rede von der Vernunft als „Teuffels Braut [...] und [...] höchste hur, die der Teuffei hat" (Cl 7, 412,35-38; letzte Predigt zu Wittenberg, 17.1.1546) oder die Aussage, daß der Glaube die Vernunft „tötet", ja „schlachtet" (WA 40 I, 362,15: At fides rationem mactat et occidit [...], zu Gal 3,6; vgl. WA 43, 395,15). Alle drei Stufen der Gotteserkenntnis bei Thomas haben in ihrer Verbundenheit und Verklammerung eine Ausrichtung auf ein Ziel hin: Das letzte Ziel, der finis ultimus für den Menschen und jede geistige Schöpfung besteht in der Glückseligkeit, in der vollkommenen Erkenntnis und Betrachtung der Wahrheit, die Gott selbst in seinem Wesen und Sein ist (ScG ΙΠ, 25 u. 37). Durch das von Gott eingestiftete desiderium naturale (STh I, q 2 a 2 a d l ; q 6 a 2 o b 2; q 12 a 1 c), durch das natürliche Verlangen nach Wissen (ScG I, 4) und nach Glück552 (IV, 92) neigt und wendet Gott alles zu sich hin (STh I/II, q 79 a 1 c). Der Mensch ist in seinem Wissen und Wollen auf etwas ausgerichtet und in eine zielgerichtete Unruhe versetzt. In der Unruhe seines natürlichen Strebens nach Erkenntnis und Glückseligkeit findet der Mensch nicht auf der Ebene des natürlichen Lichtes (ScG III, 38f), auch nicht auf der Stufe des Glaubenslichtes (ΠΙ, 40), sondern erst im Licht der Herrlichkeit die bleibende Befriedigung und das vollkommene Zur-Ruhe-Kommen553 (Comp, theol., cap. 149; vgl. cap. 106). 2.3 Natur - Gnade - Herrlichkeit Es gibt bei Thomas nach meiner Kenntnis nur einen einzigen Beleg für die ausdrückliche Erwähnung eines lumen triplex - unterteilt in lumen naturae, gratiae et gloriae; dieser Beleg findet sich in der Objectio 2 des 1. Artikels aus Quaestio 106 im ersten Teil der Summa Theologiae. In diesem Artikel geht es um die Frage, ob ein Engel den anderen erleuchten kann. Thomas schreibt dazu im zweiten Argument: „Es gibt ein dreifaches Licht in den Engeln, der Natur, der Gnade und der Herrlichkeit. Aber ein Engel wird erleuchtet durch das Licht der Natur vom schöpferischen Gott, durch das Licht der Gnade vom rechtfertigenden Gott, durch das Licht der Herrlichkeit vom glückselig machenden Gott. Also erleuchtet ein Engel nicht den anderen" (STh I, q 106 a 1 552 Vgl. dazu die beiden programmatischen Anfangssätze der Metaphysik und der Nikomachischen Ethik des Aristoteles. 553 Vgl. Augustinus, Conf. 1,1,1: [...] fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donee requiescat in te. Mit diesem Wort baut Augustin ganz am Anfang seiner Bekenntnisse einen Spannungsbogen auf, der erst im letzten, dreizehnten, Buch mit der Schilderung der ewigen Sabbatruhe seine Lösung (durch das rhetorische Stilmittel der inclusio) findet. Vgl. o. Anm. 496.

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ob 2). Nachdem Thomas in seiner Antwort die These vertreten und begründet hat, daß ein Engel den anderen erleuchtet, fuhrt er in seiner Erwiderung auf das 2. Argument aus, daß ein Engel nicht insofern einen anderen erleuchtet, als er ihm die drei Lichter direkt weitergibt, sondern insofern, als er ihm die Wahrheit über die Dinge, die zu den drei Lichtern gehören, offenbar macht. Thomas bezieht sich in seinem Artikel natürlich auf die areopagitische Tradition der Engelhierarchien, die verschiedene Ordnungen und Stufungen in der Engelwelt annimmt. Analog zur Stufüng der Gotteserkenntnis beim Menschen sieht Thomas auch bei den Engeln verschiedene Ebenen ihrer Gottesschau. Die höheren Engel erleuchten auf Grund ihrer erhöhten Sichtweise die niederen Engel, und in Entsprechung zu den drei Lichtem, die die menschliche Gotteserkenntnis gliedern, spricht Thomas auch hinsichtlich der Engelwelt von den drei Lichtern, bzw. von einem dreifachen status naturae, gratiae et gloriae. Die explizite Erwähnung eines lumen triplex ist zwar singulär im Schrifttum des Thomas, häufiger aber findet sich die dreifache Unterteilung in Natur, Gnade und Herrlichkeit. So spricht Thomas in seiner Engellehre auch bezüglich der Engel vom esse naturae, esse gratiae und esse gloriae (STh I, q 61 et 62); in der Untersuchung über das Buch des Lebens spricht Thomas von der vita naturae, vita gratiae und vita gloriae (I, q 24); in der Anthropologie der Summa taucht die Unterscheidimg von natura, gratia und gloria auf (I, q 95 a 1 ob 6). Vor allem auch in der Gnadenlehre spielt die Differenz von Natur, Gnade und Herrlichkeit immer wieder eine wichtige Rolle (Ι/Π, q 109 et 110). Diese verschiedenen Belege legen es nahe, die Unterscheidung von Natur, Gnade und Herrlichkeit nicht nur als Unterscheidung der drei Lichter auf die verschiedenen Stufen der Gotteserkenntnis der Menschen oder der Engeln zu beziehen, sondern sie im ganzen göttlichen Ordo als Verschiedenheit ontologischer Seinsstufen anzusehen. Das in der Interpretation der Theologie des Thomas übliche Schema von Natur und Gnade könnte ergänzt werden zum Schema: Natur554, Gnade und Herrlichkeit. Dabei ist zu beachten, daß in dieser Trias Gnade und Herrlichkeit enger zusammenstehen als Natur und Gnade335.

554 In STh I/II, q 109 a 2ff wird der status naturae von Thomas noch einmal unterschieden in status naturae integrae und status naturae corruptae. Es wäre wohl nicht im Sinne des Systems des Thomas, diesen letzteren Status als eigenständigen Bereich den drei obengenannten Stufen hinzuzuordnen; das Böse, die Sünde, hat keinen eigenen Status. Es hat kein Sein für sich, sondern hängt immer am Guten, ist Defekt eines Guten (STh I, q 14 a 10 ob 1: Sed malum est privatio boni ut dicit Augustinus) und ist nur über das Gute erkennbar (ad 4: Sed malum non est per se cognoscibile: quia de ratione mali est, quod sit privatio boni. Et sic ñeque definiri, neque cognosci potest, nisi per bonum). Vgl. STh I, q 48 et q 49. 555 STh I, q 95 a 1 ob 6: [...] natura plus distat a gratia quam gratia a gloria, quae nihil est aliud quam gratia consummata.

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3. Die drei Lichter - eine allgemein verbreitete Unterscheidung? Luthers Äußerung in seinem Bekenntnis, die Rede von den drei Lichtern sei eine uulgata [...] distinctio (Dsa 291,5), ließe eigentlich vermuten, daß sie im scholastischen, insbesondere dem spätmittelalterlichen Schrifttum häufig anzutreffen sei. Der Befund ist allerdings dürftig; in Altenstaigs Lexikon356 zum Beispiel findet sie sich nicht. Natürlich begegnen einem immer wieder über neuplatonische, augustinische und mystische Traditionsstränge Elemente der Lichtmetaphorik, also der Rede von Gott als Licht, von der Illumination, der Erleuchtung des menschlichen Geistes und der Beleuchtung aller Dinge durch das Licht der göttlichen Wahrheit. Häufiger anzutreffen ist auch die Unterscheidung der zwei Lichter, des natürlichen Lichtes der Vernunft und des übernatürlichen Lichtes der Gnade557. Bei Bonaventura findet sich gelegentlich die Unterscheidung von Natur, Gnade und Glorie558; Duns Scotus und Gabriel Biel diskutieren die Frage, ob ein Unterschied zwischen dem lumen gloriae und der gratia gratum faciens festzustellen sei559. Die Bestimmungen und Unterscheidungen, die bei Thomas zu finden sind, werden zwar diskutiert und problematisiert bei Duns Scotus, sie werden aber nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Ausdrücklich von einem lumen triplex spricht Heinrich von Gent, mit dessen Überlegungen Duns Scotus sich auseinandersetzt560. Allerdings bezieht sich diese Unterscheidung nicht auf die Stufen Natur, Gnade und Herrlich-

556 Vgl. J. Altenstaig, Lexicon Theologicum, s. v. Lumen naturale; unter dem Stichwort Lux findet sich die Reihung lumen fidei, lumen gratiae, gloriae. 557 Vgl. Alexander v. Haies, Summa Theologica, Vol. 2, Inquisitio 2, Tractatus 2, q un, cap. 2 (134); Meister Eckhart, LW III, 77. 558 Vgl. Bonaventura, Sent. II, d 19 a 3 q 1 (469); Sent. III, d 4 a 2 q 3 (108); d 31 a 3 q 3 (692). Bernhard von Clairvaux unterscheidet in seiner Schrift De gratia et libero arbitrio im 3. Kap. eine dreifache Freiheit: Triplicem esse libertatem, Naturae, Gratiae, Gloriae (MPL 182, 1004 D; vgl. 1005 C); diesen drei Stufen der Freiheit ordnet er auf der Seite Gottes die creatio, die reformatio und die consummatio zu (aaO 1027 D). Luther hat, bei aller sonstigen Wertschätzung, Bernhards Traktat über den freien Willen kritisiert; dazu die Tischrede Nr. 5439a (Cl 8, 301,30f): „Bernhardo ist der Jesus so lieb; es ist eitel Jesus mitt im, abr in disputationibus ut de libero arbitrio, da ist kein Jesus." Auch Melanchthon hat in seinen Loci von 1521 (Pöhlmann-Ausgabe, 25 [1,1]) Kritik an Bernhard geäußert. G. Biel bezieht sich - über Alexander v. Haies - auf die Unterscheidung Bernhards; Coll. II, d 25 q un D 1-3: Et secundum illos tres libertatis modos distinguitur libertas in libertatem „naturae, gratiae et gloriae. Libertas naturae est libertas a coactione Libertas gratiae est libertas a culpa. Libertas gloriae est libertas a miseria." 559 Vgl. G. Biel, Coll. I, d 1 q 2 D 40-47. 560 Duns Scotus, Sent. III, d 24 q 1 Schol. II (Opera omnia XI. 1, 517-519).

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keit561, sondern nur auf die oberen zwei Lichter. Heinrich von Gent setzt zwischen dem lumen fidei und dem lumen gloriae ein drittes Licht an, das Duns Scotus lumen medium nennt; in diesem mittleren Licht werden die Artikel klarer erkannt als durch das Licht des Glaubens und dunkler als im Licht der Herrlichkeit 562 . Dem lumen fidei entspreche der actus credendi, das Glauben, dem lumen medium der actus intelligendi, das Erkennen, und schließlich dem lumen gloriae der actus videndi, das Schauen563. Duns Scotus kommt im Verlauf seiner Auseinandersetzung mit dieser Unterscheidimg aber zu dem Schluß, daß die Annahme des lumen medium nicht notwendig sei. Wenn also die ausdrückliche Nennung eines lumen triplex nicht, wie Luther vorgibt, sehr verbreitet war, so ist zumindest die Unterscheidung von Natur, Gnade und Herrlichkeit in vielfältigen Bezügen, vor allem im Bereich der Gnadenlehre anzutreffen. Luther hat diese allgemeinere Unterscheidimg mit der gängigen Unterscheidung der zwei Lichter verbunden und in seiner Rede von den drei Lichtem zusammengezogen. In der Zeit nach Luther findet sich verschiedentlich die Aufnahme der Rede von den drei Lichtern. So etwa bei J. Gerhard, Loci theologici, Tom IX, Locus 31, Tractatus 6 (De vita aetema), cap. 5, 134; Ed. Frank, 396: Potest etiam visio Dei sic distingui, quod quaedam fiat in lumine naturae, quaedam in lumine gratiae, quaedam in lumine gloriae. Auch D. Hollatz greift die Unterscheidung auf: Examen theologicum acroamaticum, Vol. I, Part. I, Theol. Cap. W (669-671). Die Schau im lumen gloriae nennt Hollatz Theognosia (aaO 671). Noch G. W. Leibniz zitiert in seiner Theodizee die Rede von den drei Lichtern (Einleitende Abhandlung, § 82; BuchenauAusgabe, 91): „Bis dahin werden wir vom Licht der Natur und der Gnade, aber noch nicht vom Lichte des göttlichen Ruhmes erleuchtet. Hienieden erblicken wir die anscheinende Ungerechtigkeit, glauben und wissen sogar, daß die Gerechtigkeit Gottes verborgen ist, schauen aber werden wir sie, wenn die Sonne der Gerechtigkeit sich uns zeigen wird wie sie ist." Vgl. den Bezug zu Luther und Dsa in den §§ 67 und 87.

561 Η. v. Gent redet allerdings auch von den drei status: naturae, gratiae und gloriae; Quodl. I (primum; Quaest. XI-XIII), Fo X E-F. 562 Duns Scotus, Sent. III, d 24 q 1 Schol. II (Opera omnia XI. 1, 517, 7): [...] triplex est lumen, scilicet lumen gloriae, in quo apertè videntur ilia, quae nunc sunt reuelata; et per lumen fidei ad credendum articulum; et est lumen medium, in quo clariùs cognoscuntur articuli, quàm per lumen fidei, et obscuriùs quàm in lumine gloriae, et in i sto lumine Theologus habet scientiam clariorem, quàm in lumine fidei. 563 H. v. Gent redet vom triplex modus cognoscendi: Quodl. II (nonum; Quaest. XIII-XV) Fo CCCLXXX E. Vgl. Κ. Barths Feststellung über den „medialen Charakter der Erkenntnis im Sinne Anselms", „daß die Erkenntnis so in der Mitte zwischen Glauben und Schauen sich befindet, wie man von einem Berg sagen kann, daß er sich in der Mitte zwischen dem im Tal weilenden Beobachter und - der Sonne befinde" (K. Barth, Fides quaerens intellectum, 19). Im Gegensatz dazu steht der totalitär-spekulative Zugriff Fichtes in der 5. Vorlesung seiner „Anweisung zum seligen Leben": „Die Religion, ohne Wissenschaft, ist irgendwo ein bloßer, demohngeachtet jedoch, unerschütterlicher, Glaube: die Wissenschaft hebt allen Glauben auf, und verwandelt ihn in Schauen." (Medicus-Ausgabe, 83.)

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Von J. Kepler ist ein Gebet überliefert mit der Bezugnahme auf die drei Lichter. Der Anfang dieses Gebets lautet: „Du, der du durch das Licht der Natur in uns entzündet hast die Sehnsucht nach dem Licht deiner Gnade, um uns emporzuheben zu dem Licht deiner Herrlichkeit, Dank dir, Schöpfer und Herr, daß du Freude mir gewährtest an deinen Werken!" (In: Lobet den Herrn! Gebete großer Dichter und Denker, gesammelt von Chr. Strich, 71.)

4. Die drei Lichter bei Luther Es ist deutlich, daß sich Luther im Gebrauch der Begriffe weitgehend der Tradition anschließt, wie sie uns paradigmatisch bei Thomas begegnet ist. Mit den Ausdrücken lumen naturae, lumen gratiae und lumen gloriae sind die Grundunterscheidungen gegeben. Dem ersten Licht ist eindeutig die ratio zugeordnet. Licht der Natur und Vernunft (Dsa 290,28f: ratio aut lumen naturae) sind auch für Luther austauschbar und nur verschiedene Wendungen für ein und dieselbe Sache. In einer Tischrede564, in der im Zusammenhang mit der Frage nach dem Wesen der Verstockung ebenfalls das lumen triplex erwähnt ist, steht für den Ausdruck lumen naturae die Verbindung lumen rationis. Das zweite Licht allerdings wird von Luther unter verschiedenen Bezeichnungen angeführt. Das lumen gratiae erscheint auch als cognitio gratiae (290,30), als lumen fidei (290,40), lumen uerbi (290,40; 291,2) und als lux Euangelii (290,29£37). In der Neben- und Zuordnung der Synonyme lumen uerbi et fidei (290,40) klingt die für Luthers Theologie konstitutive Bedeutung der Korrelation von Wort und Glaube (vgl. 290,37: uerbo et fide) an. Die Wendung lux Euangelii verweist auf die Urkunde des christlichen Glaubens. Sie weist auch zurück auf Dsa 267,40f wo innerhalb der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium hinsichtlich des Gesetzes wie auch des Evangeliums von einem Licht gesprochen wird565. Das dritte Licht, das lumen gloriae, steht 564 WA TR 4, 643,12 (Nr. 5071): Lumen triplex: rationis, gratiae, gloriae. In seiner Römerbriefvorlesung (Coroll. zu Rom 8,3) bezieht Luther die Unterscheidung von lumen naturae und lumen gratiae auf die Glorie Gottes: WA 56, 356,18-357,11. Luther bezeichnet Aristoteles gelegentlich ironisch als Lumen illud naturae (WA 7, 739,23). Vom lumen naturae in bezug auf die mystische Theologie redet Luther in De votis monasticis iudicium; Cl 2, 253,28ff. In WA 17 II, 27,25-39 geht Luther unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Thomas von Aquin auf die Lichtmetaphorik (das Licht der Natur und das göttliche Licht) ein. Die Stufen der Natur und der Gnade nimmt Luther auch in Dsa auf. Dsa 25 l,6f: Non enim de esse naturae loquimur, sed de esse gratiae (ut uocant). Vgl. 285,25: Nos non de natura, sed de gratia disputamus [...]. Alle drei Stufen, Natur - Gnade - Herrlichkeit, zeigen sich in einer frühen Predigt Luthers (Cl 5, 27, 20-22; zu Joh 3,16; 1510/12): Triplex malum, scilicet naturae, culpae, miseriae: primum contra esse, secundum contra gratiam, tertium contra gloriam. 565 In Dsa 143,36f erscheint Christus als Licht der Welt. Vgl. die von Luther im Gegensatz zur Blindheit der Welt herausgestellte Lichtmetaphorik (auch unter Rückgriff auf die Psalmensprache [etwa Ps 119,105]: 143,20f) hinsichtlich der Klarheit der Schrift in Dsa 143,5-144,2 oder in 147,32-149,10.

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ohne weitere Βegriffszuordnung im Text; es nimmt aber in Stichwortanknüpfimgen im Kontext die im Bekenntnis schon gefallenen Begriffe gloriatio (289,3; vgl. Sir 1,11 Vulgata: Timor domini gloria et gloratio) und gloria (290,2) auf. Im rein formalen und sprachlichen Vergleich mit Thomas ergeben sich weitgehende Übereinstimmungen; auffällig im Luthertext ist aber besonders der gefülltere Wortgebrauch beim lumen gratiae. Auf der inhaltlichen Ebene aber zeigen sich Differenzen. In der Analyse des thomanischen Gebrauchs der Unterscheidung der drei Lichter wurde als primärer Sitz im Leben die Frage nach der Gotteserkenntnis bestimmt. Bei Thomas markieren die drei Lichter drei Stufen der Erkenntnis der Menschen und der Engel von Gott. Auch bei Luther ist dieser Horizont nicht gänzlich ausgeblendet. Denn er setzt ja im zweiten Teil seines Bekenntnisses ein mit der Herausstellung der völligen Unbegreiflichkeit Gottes, die in der Konsequenz auch die völlige Unbegreiflichkeit der Gerechtigkeit Gottes beinhalte. Das Problem der Unbegreiflichkeit Gottes war aber nun in der theologischen Tradition meistens einbezogen in die Frage nach der Möglichkeit der Gotteserkenntnis. Auch Thomas diskutiert die Frage nach der Begreiflichkeit oder Unbegreiflichkeit Gottes im Zusammenhang seiner Untersuchungen zur Gotteserkenntnis. Er fragt danach, ob diejenigen, die Gott in seinem Wesen im lumen gloriae, in der Glückseligkeit schauen, ihn auch begreifen (comprehendere) können (STh I, q 12 a 7; Ι/Π, q 4 a 3). Thomas löst die Frage so, daß er hinsichtlich der comprehensio dei folgende Unterscheidung trifft: Der unendliche Gott kann vom endlichen Menschen im Erkenntnisprozeß gleichsam nur „berührt" (attingere), nicht aber umfassend ergriffen und begriffen (comprehendere) werden566. Bei Luther ist das Problem der Unbegreiflichkeit Gottes insofern radikalisiert, als er es auf den verborgenen Gott bezieht, in dem die Unbegreiflichkeit ins Extrem gesteigert ist. Entscheidend ist, daß Luther seine Bemerkungen zur Unbegreiflichkeit Gottes in seinem exemplum, seinem Beispiel (290,5) weiterfuhrt, und daß erst da die Rede von den drei Lichtern Platz findet. Damit jedoch ist die allgemeinere Frage nach der Gotteserkenntnis oder der Möglichkeit, Gott zu begreifen, auf ein konkreteres Problem zugespitzt. Wird dieses Gefalle nicht beachtet, so bleibt die Auslegung dessen, was Luther mit seiner Unterscheidung der drei'Lichter zu sagen hat, ganz im Horizont der Fragestellungen des Thomas von Aquin, also im Horizont der allgemeinen Unterscheidung verschiedener Stufen der Gotteserkenntnis. 566 Vgl. STh I, q 12 a 7 ad 1; I/II, q 4 a 3 ad 1. Thomas bezieht sich auf die augustinische Unterscheidung von comprehendere und attingere: Sermo 117, 3,5; MPL 38, 663. Vgl. auch R. Descartes, Meditationes III, 25 und III, 38. Zum stoischen Hintergrund der Begrifflichkeit: O. Bayer, Metakritik in nuce, 310, bei Anm. 34. Für Luther ist schon das attingere - in bezug auf den verborgenen Gott - zuviel; Dsa 182,12f: [...] secretis maiestatis, quae impossibile est attingere [...].

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Die Aussage Theobald Beers, daß Luther „die Einheit der Theologie im Bilde der drei lumina wiederzugewinnen versucht" (Ders., Der fröhliche Wechsel und Streit, 484), scheint mir Luthers Rede von den drei Lichtern allzusehr zu systematisieren. Neuerdings geht Ellert Herms (Ders., Äußere und innere Klarheit des Wortes Gottes bei Paulus, Luther und Schleiermacher) offensichtlich in eine ähnliche Richtung, wenn er die Lichterlehre, die für Herms die ganze Argumentation in Dsa trägt (aaO 8), als Logos-Abfolge und „Selbstvergegenwärtigung" Gottes, „in deren zielstrebiger prozessualer Ordnung" der „kreatorische Logos", der „inkarnierte Logos" und der „eschatische Logos" (aaO 49) aufeinander aufbauen, für das Ganze einer systematischen Theologie fruchtbar machen will. Auch hier erinnert die Interpretation und theologische Universalisierung eher an die Ordo-Theologie eines Thomas (vgl. Herms' Rede vom „genau 'geordnete[n]' Zusammenspiel" und von der ,,feste[n] Ordnung" im Zusammenhang mit dem Vorgang der Gewißheitskonstitution bei Luther, Schleiermacher und Paulus, aaO 4) als an die Anfechtungstheologie Luthers. Gebrochener ist Inge Lennings Exkurs zu den lumina Luthers in seinem Artikel „Gott. Vm. Neuzeit / Systematisch-theologisch" (TRE, Bd. 13, 674). Auch er diskutiert die drei Lichter vor allem vor dem Hintergrund einer „theologischen Erkenntnislehre" (ebd, Z. 20) und fragt allgemein nach unterschiedlichen Stufai der Gotteserkenntnis und nach dem Verhältnis der Stufen zueinander. Er hält jedoch fest: „Als überschaubare, logische Stufenfolge der Gotteserkenntnis ist das nicht zu verstehen, denn es gibt für das maischliche Urteilsvermögen eben keinen offenen Weg von der einen Stufe zu der anderen" (ebd, Z. 23-25).

Natürlich ist bei Luther der Aspekt der Gotteserkenntnis nicht völlig ausgeblendet - redet doch auch Luther selbst von einer cognitio [...] gratiae (290,30); doch der genauere Bezug seiner Lichterlehre ist zunächst ein anderer. Zugespitzt läßt sich dieser Bezug so bestimmen: Es geht in Luthers Lichterlehre weniger um die allgemeine Gotteserkenntnis als vielmehr um das Problem der Theodizee und der Prädestination. Denn beide Probleme sind über die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes von Erasmus vorgegeben und von Luther in seinem Bekenntnis im zweiten Teil aufgenommen. Im Licht der Natur bricht die Theodizeefrage auf: Wie kann Gott gerecht, gütig und barmherzig sein angesichts der Ungerechtigkeiten, des Bösen und des Übels in der Welt? Aus dem Weltlauf kann die Vernunft die Gerechtigkeit eines Lenkers und Ordners dieses Weltlaufes nach Luther nicht erweisen. Die uralte, immer bedachte und nie gelöste Frage der Theodizee findet für Luther jedoch im Licht der Gnade eine „kurze" und „leichte" Lösung: das ewige Leben nach diesem zeitlichen Leben. Im Licht der Gnade bricht dann aber umso bedrängender die Prädestinationsfrage auf: wenn nämlich das ewige Leben die Lösung für die Ungerechtigkeit im Weltlauf ist, warum sind dann nicht alle Menschen für dieses ewige Leben bestimmt? Es sind doch, wie Luther unter Hinweis auf Eph 2,3 betont, alle Menschen Kinder des Zorns und stehen als solche alle in Sünde und Schuld. Warum erweist Gott an den einen, die es auch nicht verdient haben, größte Gnade und verdammt die anderen, die nicht gottloser sind als die Begnadigten? Aus dem offenbarten Heilswirken Gottes kann auch der Glaube die Gerechtigkeit des prädestinierenden Gottes nicht

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erweisen. Diese Frage wird erst im Licht der Herrlichkeit eine Lösung finden und dieses Licht wird dann die allergerechteste und die offensichtlichste Gerechtigkeit Gottes zeigen. 5. Das Licht der Natur - Vernehmen des ordo oder Vernehmen des Weltlaufs? Mit seiner Aussage, daß das Licht der Natur, die Vernunft, die Theodizeefrage nicht beantworten kann, stellt sich Luther quer zu eigentlich allen klassischen Entwürfen der Theodizee. Diese, von Piatons Typoi über die Theologie (Politela 379a-383c) bis hin zum Konzept der „free will defence", bewegen sich im Grunde alle im Medium der Vernunft und beanspruchen, über rationale Erwägungen das Problem der Theodizee, wenn nicht zu lösen, so doch zu klären (s.o. S. 160ff). Wenn Luther hier in Dsa vom Licht der Natur und von der menschlichen Vernunft spricht, dann hat er nicht allein die Vernunft im Sinne eines diskursiven oder intuitiven Denkvermögens, nicht die welterklärende theoretische oder weltgestaltende praktische Vernunft im Blick, sondern er denkt eher an die Vernunft als gesamten Erfahrungsraum der Menschheit, an die Vernunft der Dichter und Poeten, an den „gesunden Menschenverstand", der sich in allerlei Sprichwörtern kundtut. Diese Vernunft, als Vernehmen des Weltlaufs567, konstruiert nicht die Welt, sondern konstatiert die Welterfahrungen; sie sagt, was ist568 und wie es gewesen ist. Sie ist der Raum erfahrener und erlittener und eben nicht nur begriffener Wirklichkeit. Sie kann das Problem der Theodizee aus vielen Zeugnissen erheben - sie kann es aber nicht lösen. Biblische, geschichtliche, literarische und volkstümliche Zeugnisse sind darin vereint, daß sie darstellen, wie die Menschheit immer - im Vernehmen des Weltlaufes - unter dem Druck des Theodizeeproblems stand.

567 Und nicht, wie bei Hegel, als „Vernehmen des göttlichen Werkes" (G.W.F. Hegel, Die Vernunft in der Geschichte, 78). Da für Hegel „in der Vernunft [...] das Göttliche" (ebd) ist, kann die Vernunft den „Plan Gottes" durchschauen „und die verschmähte Wirklichkeit rechtfertigen." (Ebd.) Hegel versteht insofern seine Betrachtung über die Philosophie der Weltgeschichte als „eine Theodizee, eine Rechtfertigung Gottes, welche Leibniz metaphysisch auf seine Weise in noch abstrakten, unbestimmten Kategorien versucht hat" (aaO 48). Im Grunde ist für Hegel alles Denken und Begreifen eine Rechtfertigung Gottes: „Die Wissenschaft ist allein die Theodizee; sie wird ebensosehr davor bewahren, vor den Begebenheiten tierisch zu staunen [...] als über den Sieg des Unrechts und die Niederlage des Rechts zu klagen." (Brief an Zellmann vom 23.1.1807; in: G.W.F. Hegel, Weltgeist zwischen Jena und Berlin. Briefe, 65.) 568 Vgl. W. Schadewaldts Bemerkung über Homer, der dem Abendland „den Beruf des Dichters gestiftet hat, nämlich das unschuldige, unentbehrliche Geschäft, zu sagen was ist" (Neues zur Ilias, 53). Vgl. auch Luthers Bestimmung des Kreuzestheologen, „der sagt, was Sache ist" (Cl 5, 379,6: [...] Theologus crucis dicit id quod res est).

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Exkurs: pugna und ordo - zwei Grundbegriffe lutherischer und thomanischer Theologie Zur grundsätzlichen Kennzeichnung und Beschreibung der Theologie Luthers und Thomas' hat O.H. Pesch den „Unterschied zwischen existentieller und sapientialer Theologie" vorgeschlagen (O.H. Pesch, Die Theologie der Rechtfertigung, 941). Daran anknüpfend möchte ich das Begriffspaar pugna-ordo vorschlagen Nach ScG I, 1 ist es die Sache des Weisen, die Dinge zu ordnen; insofern ist es die Sache des göttlichen Ordners, die Dinge des gesamten Universums zu ordnen. Ordo ist der Zentralbegriff bei Thomas. Hermann Krings orientiert sich in seinem grundlegenden Werk über den Begriff ordo vor allem an Thomas; er stellt ihn aber - neben Augustin, Albertus Magnus und Bonaventura - in einen größeren Zusammenhang: „Alles Denken des Mittelalters über Ordnung ist im Innersten bestimmt von dem Satz der Schrift [Sap 11,21]: 'Omnia in mensura, numero et pondere disposuisti'. Von Augustin und den Vätem bis zu Albert und Thomas und darüber hinaus wird dieser Satz zitiert." (Ordo. Philosophisch-historische Grundlegung einer abendländischen Idee, 86.) Die Theologie des Thomas ist geordnete und ordnende Theologie, die allem den rechten Platz zuweist. Von daher erhält seine Theologie eine beispiellose Einheitlichkeit und Geschlossenheit; sie ist „aufgeräumte" Theologie. Sehr viele theologische Probleme werden von Thomas mit dem Begriff des ordo bewältigt (so steht etwa die Vorsehungslehre ganz unter dem Zeichen des ordo; die Sünde erscheint als inordinado...). Luther dagegen hat eine kämpfende Theologie. Bei Luther kämpft Christus im Garten Gethsemane (Tischrede Nr. 1234), Gott selbst kämpft (WA BR 9, 366,11; vgl. Ex 14,14) und auch die Glaubenden kämpfen in der Anfechtung. Luther schätzt Cicero, weil dieser sein Denken in den politischen Kämpfen seiner Zeit durchhalten mußte; er kritisiert Aristoteles, weil dieser sein Denken in der anfechtungsfreien Gelehrtenstube aufgebaut hat. Er lehnt die Sophisten ab, weil sie die Kämpfe der Welterfahrung scheuen, er nimmt Poeten und Geschichtsschreiber positiv auf, weil sie gesehen und geschrieben haben, wie es den Leuten geht und wie es in der Welt zugeht. Luther hat kein System vorgelegt, Spannungen und Widersprüche in seiner Theologie sind offensichtlich. Das ordnende Wirken (oder in heutiger Terminologie: das konsistente Denken) hat er weitgehend Melanchthon überlassen569. Luthers Theologie ist Theologie der Anfechtung, Theologie des Glaubens, der in der Anfechtung kämpfen muß; bei Thomas dagegen spielt die Anfechtung keine Rolle. O.H. Pesch stellt in aller Bestimmtheit heraus, „daß bei Thomas das Moment der Anfechtung völlig ausfällt" (aaO 879; vgl. 741 und 747). Die ordnende Theologie ist orientiert am göttlichen Ordner (vgl. Jes 5,19; Hi 38,2; Sap 11,20; Ps 104,24), der das Weltgeschehen und das Heilsgeschehen geordnet und geplant hat; alles, auch das Böse, ist in dieser Ordnung aufgehoben. Die kämpfende Theologie ist orientiert am göttlichen Kämpfer (Ps 93; Hi 40,15-32), der gegen das Böse kämpft, ja der in sich mit seinem Zorn kämpfen muß (Hos 11,8!).

569 Zur ,.Arbeitsteilung" zwischen Luther (mit seiner groben, stürmischen und kriegerischen Waldarbeit in der Theologie) und Melanchthon (mit seiner feinen, säuberlichen und stillen Gartenbaukunst) vgl. Luthers Vorrede zu Melanchthons Auslegung des Kolosserbriefes: WA 30 II, 68,12-69,1. Dazu auch die Tischrede Nr. 5054.

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Damit sollen und können keine konfessionellen Gegensätze markiert werden. Die Protestanten Melanchthon oder Schleiermacher510 sind sicher eher dem ordo-Typ der Theologie, die Katholiken Therese v. Lisieux oder Reinhold Schneider sind eher dem pugna-Typ der Theologie zuzuordnen. Soll man ausschließen, daß hier nicht auch charakterliche und biographische Hintergründe eine Rolle spielen? Gibt es nicht Menschen, die eher auf Ordnungen, auf Zusammenhänge und auf Durchschaubarkeiten angelegt sind, und andere, die wieder mehr die Brüche, die ungelösten Spannungen sehen? Gibt es nicht manche, die vor allem den Blick für die Harmonie des Seins haben, und manche, die nur die Tragik des Seins sehen können? Und gibt es schließlich nicht in jedem Leben, in jeder Biographie verschiedene Zeiten, in denen einmal der Blick heller und dann wieder dunkler gefärbt ist? Luther hatte einen Blick für Abgründe, für Dämonen; er kannte die Melancholie. Aber trotzdem oder gerade deshalb war er „ein abgesagter Feind des Pessimismus" (W. Eiert, Morphologie des Luthertums, Bd. 1, 411; vgl. die Feststellung, daß „Luthers Fröhlichsein in einem grundsätzlichen Optimismus begründet ist" [aaO 399], Christus est Deus laetitiae [Cl 8, 68,20; Tischrede 522]; deshalb gilt: „Ein christ sol und muss ein frolicher mensch sein" [68,22])571. Man sollte hier nicht vorschnell die Wahrheitsfrage im Sinne eines Entweder-Oder stellen. Es gibt Vermittlungen; Pesch hat sie angedeutet. Es gibt auch Andeutungen bei Luther, wenn er etwa sich und seinen Freund Melanchthon hinsichtlich der Anfechtungserfahrung vergleicht. Das große Weltgeschehen ficht Luther nicht an, der größere Gott sorgt dafür; Melanchthon dagegen kommt mit dem politischen Lauf nicht zurecht, zweifelt und verzweifelt. Umgekehrt ist die Sache in den privaten, persönlichen Anfechtungen: hier ist Melanchthon stark und Luther schwach. So schreibt etwa Luther in einem Brief an Melanchthon (30.6.1530; Cl 6, 307,15-17): In privatis luctis infirmior ego, tu autem fortior; contra in publicis tu talis, qualis ego in privatis, et ego in publicis talis, qualis tu in privatis (Si privatim dici debet, quod geritur inter me et Satanam). In ähnlicher Weise äußert sich Luther auch in der Tischrede Nr. 80; Cl 8, 6,21-25: Parvae et leves causae me multum movent, magnae autem non movent, sic enim cogito: Hoc est supra te, du kanst es nit halten, ergo so lass es gehn. Diversum facit Philippus. Is meis negotii s non movetur, sed movent eum illa grandia reipublicae et religjonis. Me privata tantum premuní. Sic sunt varia dona.

570 S.o. Anm. 466. Ausdrücklich abgelehnt wird der Aspekt des Kampfes in Schleiermachers Urbildchristologie (Glaubenslehre, Redeker-Ausgabe II, 40 [§ 93]): „Zuerst also seine Entwicklung muß ganz frei gedacht werden von allem, was sich nur als Kampf darstellen läßt. Denn es ist nicht möglich, daß, wo ein innerer Kampf irgendeinmal stattgefunden hat, die Spuren desselben ganz sollten verschwinden können; und ebensowenig hätte das Urbildliche können angeschaut werden, wo auch nur die leisesten Spuren dieses Kampfes sich zeigten." 571 P.L. Berger hat wohl recht, wenn er schreibt (Erlösendes Lachen, 235): „Betrachtet man die großen Figuren der Kirchengeschichte, könnte man vielleicht sagen, daß diejenige mit dem ausgeprägtesten Sinn für Humor Luther war." Vgl. F. Blanke, Luthers Humor, 42: „Dieselbe Natur, die Luthern mit der Schwermut geschlagen hat, hat ihm auch die Kraft des Humors verliehen."

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6. Das Licht der Gnade - Trost oder Vertröstung? Luthers angeblich leichte und kurze Lösung des Theodizeeproblems, der Verweis auf das Leben nach dem Weltlauf ist mit nicht unerheblichen Verständnisschwierigkeiten verbunden. Zunächst steht hier der Vorwurf einer Vertröstung im Raum. Werden nicht mit Luthers Lösung die Probleme einfach in die Zukunft verlagert? Gibt er damit nicht den Angefochtenen - also auch vor allem sich selbst - Opium572? Ist das lumen gratiae nicht auch nur ein Narkotikum, um dem „scheißhauß"571 dieses Lebens, „diesem Jammertal und Elend"374 zu entfliehen? Ein weiteres Problem stellt Luthers Konzept der ausgleichenden Gerechtigkeit dar, in dem ausdrücklich von der Bestrafung und der Belohnung (290,34f) die Rede ist. Luthers Argumentation scheint dahin zu gehen, daß gerade in der christlichen Botschaft, im Licht des Evangeliums das ewige Leben und die ausgleichende Gerechtigkeit verkündet wird. Mit Recht hat an diesem Punkt aber schon Erasmus eingehakt. In seiner Erwiderung auf Luthers Bekenntnis im „Hyperaspistes II" stellt Erasmus heraus, daß schon die Heiden von einem jenseitigen Leben und einem jenseitigen Gericht gewußt haben575. Luthers Überlegungen müssen in einen weiteren Rahmen gestellt werden. Was den Aspekt der Belohnimg betrifft, hat Luther an anderer Stelle in Dsa schon ausgeführt, daß der vom Geist getriebene Glaube das Gute tut, ohne auf eine folgende Belohnung im Jenseits zu spekulieren. Christen tun das Gute, auch wenn es - obwohl das unmöglich ist - keinen Himmel und keine Hölle gäbe (vgl. 187,21-24)576. Was aber heißt es, wenn von der Vernichtung der 572 Kant redet vom „Opium fürs Gewissen" (Religionsschrift, Weischedel-Ausgabe, Bd. 7, 733, Anm.), das der als Tröster ans Sterbebett gerufene Geistliche geben soll; der rigorose Kant verlangt aber auch hier die moralische Einschärfung, nicht die Beruhigung des Gewissens. In seiner Pädagogik-Vorlesung betont Kant, daß „Lobpreisungen" (Über Pädagogik, Weischedel-Ausgabe, Bd. 10, 757) Gottes „ohne moralische Gewissenhaftigkeit" (aaO 756) ein „Opiat für das Gewissen" (aaO 757) sind. Bekannt ist der Vergleich des Opiums mit der Religion bei Marx in seiner Einleitung zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie: „Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks." (K. Marx, Die Frühschriften, 208.) 573 Cl 8, 237,29 (Tischrede Nr. 4192). 574 Luthers Vorreden zur Bibel, 125. Vgl. Luthers Brief an seinen Vater vom 15.2.1530: „Es ist doch ja dies verflucht Leben nichts anders denn ein rechtes Jammertal [. ..]" (Cl 6, 245,4f). Vgl. Cl 7, 293,6; 304,36. Dazu auch BSLK 515,7. 575 Opera omnia, Bd. 10, 1517 D: [...] utrumque cognitum fuit Ethnicis. Erasmus erwähnt dann als Beispiel die Stoiker: Sie hätten den Menschen als elend beklagt, der zwar alle Ehren und alle Güter der Welt besitzt, der aber nicht in der Tugend lebt. Hinzuweisen wäre auch auf die Gerichtsvorstellungen bei Piaton: Politeia 612a-616c; Phaidon 80b82b; 113d-114c. 576 S.o. Anm. 193.

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Seelen derer, die im Weltlauf scheinbar die Oberhand behalten (290,31), gesprochen wird? Ist hier unchristliche Rachsucht577 oder religiöser Fanatismus zu diagnostizieren? Auf all diese Fragen wird man meines Erachtens am ehesten eine Antwort finden, wenn die von Luther zitierten und implizierten Bibletexte, vor allem Ps 73 beachtet werden. Luther hat diesen Psalm im Abschnitt über den scheinbar ungerechten Weltlauf schon zitiert (290,14f), und es ist zu vermuten, daß seine Sprache (zusammen mit den ähnlichen Psalmen 37 und 49) und Denkwelt auch hier im Hintergrund der Argumentation Luthers stehen. Die Erkenntnis der Gnade, daß die Gottlosen zwar leiblich in Blüte stehen, seelisch aber zugrunde gehen, erinnert doch sehr stark an Texte wie Ps 37,34-38 und Ps 73,17-19.27. Hier blickt der angefochtene Psalmbeter auf das Ende, das schließliche Verderben und Umkommen derer, deretwegen er in eine Krise und Anfechtung gestürzt ist. Entscheidend aber ist, daß er diese Erkenntnis durch einen Gottesspruch oder eine Theophanie? - am Heiligtum gewonnen hat (Ps 73,17). Hier wendet sich der Blick weg von dem scheinbaren Glück der Gottlosen hin zu der „Stätte der Gottesgegenwart"578, in der auf einmal alles gut aufgehoben ist. Der Beter blickt über alle Anfechtung hinweg auf das Ende derer, die ihn so sehr angefochten haben, auf eine Zukunft, „die eine unzerreißbare Gewißheit der Gottesgemeinschaft in die Gegenwart ausstrahlt"519. Eine eigentümliche Zuordnimg580 von Vergangenheit, Zukunft und

577 Solch ein Vorwurf ist jedoch in ,,satte[r] Zufriedenheit" (E. Käsemann, Der Ruf der Freiheit, 242) leicht auszusprechen. Einer Christenheit, die sich „ins Kämmerlein zurückgezogen" (ebd) hat, schreibt Käsemann - im Blick auf die Offenbarung des Johannes - ins Stammbuch: „Wie weit reicht die Solidarität mit allen Unterdrückten und von Tyrannei Ermordeten bei uns? Wie tief rühren uns die Schreie nach der Rache des Richters, die in der Bibel doch einen rechtmäßigen Platz haben?" (AaO 243.) 578 H.-J. Kraus, Psalmen. 2. Teilband, 674. 579 AaO 673. 580 Vgl. Luthers Rede von der gegenwärtigen Verheißung (WA 43, 460,25: [...] praesentem promissionem [...]) mit seiner Auffassung der Verheißung von der Zukunft (WA 42, 482,18f: [...] Promissionem [...] de futuro [...]). Luther kann einmal stärker den gegenwärtigen Glauben, dann wieder mehr die zukünftige Hoffnung betonen. Im Prozeß des Trostes und der Bestärkung gehören beide Seiten, fides et spes, zusammen (WA 42, 482,21-23). Vgl. auch o. Anm. 543 und u. Anm. 629. O. Bayer hat in seinen grundlegenden Untersuchungen zum Begriff Promissio bei Luther gezeigt, daß die gegenwärtig wirkende Zusage im Mittelpunkt steht: „Der Begriff der 'Zusage', des 'Versprechens' ('promissio') bildet die Mitte von Luthers Theologie. Mit Gottes Promissio ist nicht primär gemeint, daß etwas Zukünftiges angesagt und in Aussicht gestellt wird. Die Promissio meint nicht eine heilsgeschichtliche Verheißung, die sich erst in der Zukunft erfüllen wird. Sie ist vielmehr eine rechtskräftige Zusage mit sofortiger Wirkung" (O. Bayer. Aus Glauben leben, 58f). Trotz dieser Gewichtung ist aber bei Luther der Aspekt der Zukünftigkeit nicht ausgeblendet; schon Luthers Rede vom Licht der Herrlichkeit zeugt davon. Und auch im Gebrauch des Begriffs des Lichtes der

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Gegenwart zeigt sich: Die Anfechtungen der Vergangenheit und Gegenwart verschwinden plötzlich im Blick auf die Zukunft, in der Schau auf das Ende der Anfechtenden; aber auch dieser Ausblick auf die Zukunft geht schließlich ganz auf in der besonderen Gegenwart der Gottesnähe, die sich dem Beter in einer überwältigenden Gewißheit aufdrängt. In den berühmten Versen 23-26 des 73. Psalms ist das Fragen des Beters ganz in den Blick auf Gott eingegangen und ganz in ihm aufgegangen. „Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde", übersetzt Luther den Vers 25. „Es ist kein schwacher Trost zu wissen", sagt Luther in Dsa, „man gefalle Gott, auch wenn nichts anderes darauf folgte, obwohl dies unmöglich ist."581 Die Gottesnähe und die Gewißheit einer unaustilgbaren Verbindung mit Gott ist so intensiv, daß alle Verzweiflungen und Anfechtungen, alle Sorgen und alles Fragen nach Folgen - wenigstens für den Augenblick, für die Zeit der Gewißheit - „vergessen" sind. Auch der Wunsch nach Vergeltung, das Gefühl der Rache - sollte dieses Gefühl überhaupt angemessen mit dem Ausdruck „Rache" wiedergegeben sein582 - blitzt zwar in V. 27 noch einmal auf, vergeht aber wieder im V. 28 ganz am Ende des Psalms. Das Ineinander der Zeiten, das im Psalm 73 auffallt, ist auch in Luthers Bekenntnis zu beobachten. Denn Luthers Rede vom Leben nach diesem Leben (290,33) kann einmal ganz unter dem Aspekt der Zukünftigkeit gesehen werden. Es wäre dann das ewige Leben, das ich erst erwarte, das erst kommen wird nach dem Leben in diesem Weltlauf. Aber dann wäre dieses lumen gratiae und dieses Licht des Evangeliums kaum vom lumen gloriae zu unterscheiden und bezeichnete ausschließlich den Stand der Seligkeit im zukünftigen, ewigen Leben. Kommt dagegen stärker der Aspekt der Gegenwärtigkeit in den Bück, dann liegt die Betonung auf dem ewigen Gnade im Bekenntnis liegen gegenwärtiger Trost und zukünftige Verheißung ineinander. 581 Dsa 188,28-30: Nec parua consolatio est nosse, piacere se Deo, ut nihil aliud sequatur, licet id sit impossibile. 582 Vgl. zum Motiv der Rache und zu den Feindbildern in den Psalmen, mit denen Angst, Unbegreifliches und Unheimliches nicht verdrängt, sondern vor Gott zur Sprache kommen: B. Janowski, Dem Löwen gleich, gierig nach Raub. Zum Feindbild in den Psalmen, 155-173. Zum nicht immer glücklichen Umgang Luthers mit den Gefühlen der Rache (vgl. A. Ritschis Bemerkung, Luther habe in seinem Urteil über Zwingiis tragischen Tod, er sei ein Strafgericht Gottes gewesen, kein „Zartgefühl" [A. Ritsehl, Unterricht in der christlichen Religion, § 41b] bewiesen; Luther hat aber auch in einem Brief an H. Bullinger vom 14.5.1538, WA BR 8, 224,18f, seinem Schmerz angesichts des Todes Zwingiis Ausdruck verliehen) ist ein Brief anläßlich des Todes seiner Tochter Magdalena (9.10.1542) aufschlußreich: „Mir ist mein Töchterchen Lenichen hinweggegangen zum himmlischen Vater; sie ist im vollen Glauben an Christum entschlummert. Des väterlichen Schmerzes im Herzen bin ich Herr geworden, doch nur, indem ich gegen den Tod murrte und schalt. So hat Entrüstung meine Tränen gelindert. Ich habe sie sehr liebgehabt. Aber der Tod wird am Jüngsten Tag seine Vergeltung empfangen zugleich mit dem, der ihn in die Welt gebracht hat" (Luthers Briefe, hg. v. R. Buchwald, 256f; vgl. WA BR 10, 156,17-21).

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Leben, das jetzt schon das Leben im Weltlauf bestimmen kann. Ich werde nicht auf eine ungewisse Zukunft hin vertröstet, sondern erfahre im Weltlauf und gegen den erfahrenen Weltlauf den gegenwärtigen, gewissen Trost der Botschaft vom ewigen Leben. Auffällig ist auf jeden Fall, daß zwar in der Spannung von lumen naturae und lumen gratiae von einer erwarteten Bestrafung gesprochen wird, daß dann aber im Bereich des lumen gratiae, im Innewerden der Botschaft der Gnade, sich der Horizont ändert. Denn da werden sich die Begnadigten ihrer Schuld erst wirklich bewußt, erkennen sich als Sünder und blicken auf die anderen, die ebenfalls Sünder sind wie sie. Was der Begnadigte zuvor vielleicht gewünscht oder gebilligt hat, die Bestrafung, das wird ihm jetzt zum Problem; wie nämlich Gott verdammen kann und bestrafen, wenn doch alle unter der Sünde und der Schuld stehen. 7. Der Bruch in der Unterscheidung der Lichter Die drei Lichter stehen bei Thomas - wie gezeigt - in einem Entwicklungsund Vollendungszusammenhang. Das Licht der Natur weiß, daß Gott ist, daß er Einer ist, eine Einheit ist und bestimmte Eigenschaften haben muß. Dieses grundlegende Wissen, das alle Menschen aufgrund ihrer Vernunft haben, wird erhöht und weitergeführt im Licht der Gnade, durch das dem erkennenden Menschen aufgrund der Offenbarung gezeigt wird, daß der eine Gott ein dreieiniger Gott ist, der in Jesus Christus Mensch geworden ist. Schließlich kommt das erweiterte Wissen von Gott im Licht der Herrlichkeit zur letzten Vollendung, wenn die Gläubigen Gottes Wesen unmittelbar in der glückseligen Schau betrachten werden. Das Wissen um Gott nimmt stetig zu; auf jeder folgenden Stufe gibt es einen Zuwachs an Erkenntnisgehalt und Erkenntnisklarheit. Es scheint nun so, daß auch in Luthers Unterscheidung der drei Lichter ein Fortschritt in der Abfolge der lumina festzustellen ist. Das lumen gratiae löst das Theodizeeproblem, das das lumen naturae nicht bewältigen konnte; das lumen gloriae löst das Prädestinationsproblem, das auch das lumen gratiae nicht lösen konnte. In einem Nacheinander werden vorher nicht gelöste Fragen beantwortet, alles drängt - wie bei Thomas - hin auf das höchste Licht der Herrlichkeit, in dem schließlich alle Probleme, Fragen und Dunkelheiten aufgehoben sind. Einen besonderen Akzent setzt Luther höchstens darin, daß er - in einem Schluß vom Kleineren zum Größeren583 - in der Abfolge vom lumen gratiae zum lumen gloriae ein „um wieviel mehr" herausstellt: Wenn schon das Licht der Gnade die Frage der Theodizee so leicht lösen kann, um wieviel mehr muß dann nicht das größte, allerhellste Licht, das Licht der Herrlichkeit, die vollkommenste Lösung aller Fragen erbringen? Es hat also den Anschein, daß, ganz in Entsprechimg zur Lichterlehre bei Thomas, auch 583 S.o. Anm. 87.

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bei Luther ein Licht einfach das andere ablöst und den Entwicklungsprozeß auf eine immer höhere Stufe bringt. Mit dieser Sicht der Dinge wird allerdings im Luthertext ein gleichsam retardierendes Moment, ein Bruch in der Unterscheidung übersehen. Im Licht der Gnade ist es fur Luther unlösbar, wie Gott die Menschen verdammen kann, die aus ihren eigenen Kräften nichts anderes tun können als sündigen. Angesichts dessen sagen sowohl das Licht der Natur wie auch das Licht der Gnade, es sei nicht die Schuld des elenden Menschen, der doch gar nicht anders kann, sondern die Schuld des ungerechten Gottes (291,8-15). Die Abfolge der Lichter ist nicht ungebrochen: Im Fortschritt der Lichter ist bei Luther ein Rückschritt versteckt! Das Licht der Gnade geht zwar hinsichtlich der Theodizeefrage über das Licht der Natur hinaus; aber es geht hinsichtlich des Prädestinationsproblems auch wieder zurück zu ihm, d.h. auf seine Stufe des Nicht-Verstehens, weil es hier auch keine, noch keine Antwort hat. Das Licht der Gnade hat zwar einen Ausblick nach vorne, der Glaube schaut mit Hoffnung auf das noch ausstehende Licht der Herrlichkeit, aber jetzt sind in dieser Frage das Licht der Gnade und das Licht der Natur auf eine gleiche Stufe gestellt und darin verbunden, daß sie beide der Anfechtung durch die Prädestination, durch das Allwirken Gottes im Welt- und Heilsgeschehen, ausgesetzt sind. Das Licht der Gnade erhellt die Schuld und macht die Sünde groß; der Begnadigte sieht sich als Sünder inmitten aller anderen, die als Kinder des Zorns auch Sünder sind. Als diese Kinder des Zorns sind alle Menschen zumindest vom Licht der Gnade aus gesehen - verbunden unter der Allmacht des verborgenen Gottes in einer Solidarität der Schuld584. Die Glaubenden blicken nicht mehr allein auf sich und ihre Begnadigung; mit ihrer Begnadigung haben sie auch ihre eigene vergebene Schuld im Blick und müssen von daher den Blick auf die Schuld der anderen richten. Die Tatsache, daß sie als Sünder begnadigt sind und die anderen Sünder nicht, wird ihnen zur Anfechtung und fuhrt zur Beschuldigung Gottes, die sie mit denen, die nicht glauben, verbindet. Zum Verhältnis der drei Lichter zueinander ist der jüngst ausgetragene kleine Disput zwischen Eberhard Jüngel und Gerhard Ebeling zu beachten. Auch Ebeling versteht die Abfolge der Lichter „nicht bloß additiv als Steigerung [...], vielmehr so, daß je584 Vgl. W. Eiert, Das christliche Ethos, 226-231 (§ 27: Gesamtschuld). Eiert versteht die Gesamtschuld nicht im Sinne einer Kollektivschuld, in der die mehr oder weniger großen Verschuldungen der einzelnen Individuen in einer Gesamtsumme addiert sind, sondern im Sinne der ostkirchlichen Idee der Kreisbürgschaft, der Idee einer „Schuldverkettung aller mit allen" (aaO 230f). Denn es „gibt keine individuelle Schuld, von der nicht andere mitbelastet wären, und die individuellen Verschuldungen dieser andern belasten wieder einen andern Kreis von andern und so fort, ohne Grenzen in allen Dimensionen." (AaO 230.) Auch in Dostojewskis „Die Brüder Karamasow" ist der Gedanke, „daß in Wahrheit jeder allen gegenüber die Schuld aller und an allem trägt" (6. Buch, Kap. 2), vom Starez Sosima festgehalten.

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weils auch ein Bruch inkludiert ist. Das Nacheinander von lumen gratiae und lumai gloriae führt durch Tod und Auferstehung" (E. Jüngel, ... unum aliquid assecutus, omnia assecutus ..., 98, Anm. 77). Jüngel dagegen veranschlagt dm ,,innere[n] Zusammenhang zwischen dem Licht der Gnade und dem Licht der Herrlichkeit" viel stärker und enger als den nur „äußere[n] Zusammenhang zwischen dem lumen naturae und dem lumen gratiae" (aaO 97; vgl. o. Anm. 555). In dieser Frage steht wieder die Gesamtsicht der Lutherschen Theologie auf dem Prüfstand. Drängt eine Lutherinterpretation wie die Jüngels eher auf Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit, dann wird sie natürlich auch in dieser speziellen Frage die Spannung und den Bruch weniger stark beachten und veranschlagen als eine Interpretation, die das Moment der Anfechtung und der Brüche in Luthers Theologie intensiver herausstellt.

8. Das Problem der Prädestination Für Luther drängt sich schließlich alles in dem Problem der Prädestination zusammen. Dieses Problem durchzieht sein ganzes Bekenntnis, wie es auch seine ganze Schrift Dsa durchzieht. Für Erasmus ist der Fall klar. Wie bei der Frage nach dem Problem der Theodizee (s.o. S. 160f) ist für ihn ohne die Annahme wenigstens eines Minimums an Willensfreiheit, die den Menschen an die eigene Verantwortlichkeit für die eigenen Taten auch vor Gott gemahnt, Gottes Gerechtigkeit nicht zu retten. „Doch hätte man sich hüten müssen", schreibt der Humanist, „die Freiheit des Willens zu untergraben; wenn diese nämlich beseitigt ist, sehe ich nicht ein, auf welche Weise die Frage nach der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes gelöst werden kann." (Dia IV7, 169.) Das Bedenken des Erasmus durchzieht als sein ceterum censeo wie ein Leitmotiv den ganzen 4. Teil der Diatribe (Dia IV4, 165; IV5, 167; IV12, 179; IV13Ç 183f). Immer wieder malt er das Bild eines zutiefst ungerechten und grausamen Gottes aus, der notwendig bliebe, gäbe es nicht etwas Willensfreiheit im Menschen. Ist ein Gott nicht grausam (crudelis), der den Menschen Gebote gibt, die diese überhaupt nicht erfüllen können, weil sie keine Willensfreiheit haben? Erasmus sucht ständig Vergleiche und Beispiele, um die Abgründe, die sich hier auftun, darzustellen: „Wenn der Herr dem in der Mühle in Fesseln gelegten Sklaven viele Befehle gäbe: 'Gehe dorthin, tue das, laufe, komme zurück', und ihm schreckliche Strafen androhte, wenn er nicht gehorche, aber jenen dabei nicht losbände und dann fur seinen Ungehorsam die Rute hervorholte, würde es nicht scheinen, daß der Sklave mit Recht den Herrn wahnsinnig und grausam nennt, wenn er ihn zu Tode peitschte, weil er nicht getan habe, wozu er nicht imstande war?" (Dia IV5, 167.) Ein solcher Gott, der handelte wie jener Herr im Beispiel, wäre in den Augen des Erasmus schrecklicher als der ärgste Tyrann, noch unerbittlicher als der Gewaltherrscher Dionysius in Sizilien, der mit Absicht solche Gesetze, von denen er wußte, daß kein Mensch sie einhalten konnte, erließ, um die Übertreter dann zu bestrafen (vgl. Dia IV14, 185). Um

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solchen Entsetzlichkeiten in der Gottesvorstellung585 zu entgehen, postuliert Erasmus das Minimum an Willensfreiheit. Gleichfalls absurd wäre es, einen verstockenden Gott zu denken, der als guter und gerechter Gott den Pharao verstockt, nur um seine Macht zu beweisen. Deshalb greift Erasmus auf die Interpretation des Orígenes zurück, wonach Verstockung nur göttliche Gelegenheit zur Verstockung bedeute (Dia IIIa2, 93), Pharao sich letztlich durch Mißbrauch seines freien Willens selbst verhärte. Gott wußte im voraus um den schlechten Willen des Pharao, deshalb gab er ihm durch die „Verstockung" eine Gelegenheit, die in ihm selbst steckende Sünde zu zeigen, damit er ihn dann als abschreckendes Beispiel bestrafen konnte (Dia IIIa5f, 97-99). Erasmus sieht zwar, daß bei Gott Vorauswissen (praescientia), Bestimmung (destinatio) und Wille Gottes eng zusammengehören, weil Gott dasselbe wolle, was er vorauswisse. Vult enim deus eadem, quae praescit (Dia IIIa6, 96). Aber mit dieser Erkenntnis macht Erasmus nicht radikal Ernst. Das Wollen Gottes wird aufgeweicht: „Gott wußte voraus und, weil er es wußte, wollte er in gewissem Sinn [aliquo modo volebat], daß Judas den Herrn verraten würde [...], und doch hätte Judas seinen Willen ändern können [...]" (Dia IIIa9, 102/103). Im Unterschied zu dieser schwankenden Verhältnisbestimmung von göttlichem Vorherwissen und göttlicher Vorherbestimmung setzt Luther beide Aspekte in Dsa eng zusammen586.

585 W. Eiert ist den Entsetzlichkeiten nicht ausgewichen. Er beschreibt zu Beginn des 1. Bandes seiner Morphologie des Luthertums unter ständigem Rückgriff auf Luthers Dsa das „Grauen [...] vor Gott" (aaO 18), das den Menschen ergreift, der den Zorn Gottes erfahrt. Gott „stellt Forderungen an den Menschen und wirkt doch in ihm das Gegenteil. Wie zum Hohn macht er ihn gleichwohl für die Nichterfüllung verantwortlich. Der Mensch soll das Gute tun, aber er muß das Böse tun. Wir verstehen, warum Luther graut." (AaO 19.) Für Eiert ist dies Luthers „Urerlebnis: der Gott, der das furchtbare Geschick des Sollens und Nichtkönnens über den Menschen verhängt hat, ist der Deus absconditus." (AaO 63.) Gott „ist der absolute Herr unseres Schicksals, der uns in Unfreiheit hält und der uns doch verantwortlich macht, als ob wir frei wären - verantwortlich für etwas, das wir gar nicht leisten können." (AaO 104.) Vgl. Elerts Rede von der „Dämonie des Schicksals, das vom Menschen zwar das Gute verlangt, ihn aber gleichzeitig der Notwendigkeit unterwirft, das Böse zu tun." (AaO 360, Anm.) Vgl. aber o. Anm. 337. 586 Dsa 108,27-29: Gott weiß wollend (praescit uolens) und will wissend (praesciens uult). Aufgrund dieser engen Verzahnung gibt es für Luther nicht die Möglichkeit der traditionellen (auch bei Erasmus herrschenden) Ausflucht, nämlich zu sagen, daß Gott zwar alles wisse, vorherwisse (Gutes wie Böses), daß er aber nicht alles gleichermaßen auch wolle. So steht etwa Gott bei Petrus Lombardus dem Guten mit Zustimmung und Wohlgefallen gegenüber, während er das Böse nur distanziert zur Kenntnis nimmt: [...] Deus bona et mala cognoscat, mala tarnen non cognoscit nisi per notitiam: bona vero non solum per scientiam, sed etiam per approbationem et beneplacitum (Sent. I, d 36, cap. 2; vgl. d 38 cap. 1). Vgl. Thomas v. Aquin, STh I, q 19 a 3 ad 6.

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Mit einem Schmetterschlag (fulmine: Dsa 108,10) gegen den freien Willen formuliert Luther: „ Es ist daher auch dies besonders notwendig und heilsam fur einen Christen zu wissen, daß Gott nichts zufällig vorherweiß, sondern alles mit unveränderlichem und ewigem, unfehlbarem Willen sowohl vorhersieht als sich vorsetzt und tut."587 Luther gibt, wohl im Anschluß an die Wortfolge in Rom 8, 28f und unter Einbeziehung von Eph 1,11, seiner Hauptstelle für die Beschreibung des allwirkenden und verborgenen Gottes (s.o. S. 116f), eine Fülle von Begriffen und Verben an, die sich für ihn gegenseitig interpretieren und die nicht auseinanderzureißen sind: Vorsatz (propositum), vorhersetzen (proponere), vorhersehen (praeuidere), vorherwissen (praescire) u.a.; in verschiedenen Zuordnungen verbindet sich mit diesen Worten auch der Begriff der omnipotentia Gottes und damit also auch der Verborgenheit Gottes588. Luther geht aus von der Erkenntnis, daß der allmächtige Gott Leben und Tod und alles in allem wirkt. Diesem Wissen ordnet er zunächst auch das Heilswirken Gottes, seine Prädestination zu. Wenn Gott alles wirkt, dann wirkt er auch in jedem, der gegenwärtig glaubt, nicht glaubt oder den Glauben an Gott mißachtet589. Luther redet mit der Bibel von Geret587 Dsa 108, 7-10: Est itaque et hoc imprimis necessarium et salutare Christiano, nosse, quod Deus nihil praescit contingenter, sed quod omnia incommutabili et aeterna, infallibilique uoluntate et praeuidet et proponit et facit. 588 Dsa 110,18f: [...] scientiam praedestinationis et praescientiae Dei [...]; 213,41-214,1: [...] praescientia et omnipotentia [...]; 214,7.40: [...] praescientia et omnipotentia Dei; 291,23-25: [...] deus praescit et praeordinat omnia [...] sua praescientia et praedestinatione [...]; 182,27f: [...] voluntas maiestatis ex proposito aliquos relinquat et reprobet, ut pereant; 275,20-22: Si enim gratia ex proposito seu praedestinatione uenit, necessitate uenit, non studio aut conatu nostro [...]. 589 Dsa 176,40-177,1: [...] Cur alij lege tanguntur, alij non tanguntur, ut illi suscipiant et hi contemnant gratiam oblatam, alia quaestio est [...]. Diese Aussagen beziehen sich auf den Abschnitt in Dsa, der sich mit der erasmischen Auslegung von Ez 33,11 (bzw. 18,23) beschäftigt. Hier wird von Gott gesagt, daß er keinen Gefallen am Tode des Gottlosen habe, sondern daß der Gottlose umkehre und lebe. Für Erasmus wäre es ein eklatanter Widerspruch in Gott, wenn dieser Gott den Tod des Sünders beweinte, den er selbst bewirkte. Da Gott nach Ez 33,11 „den Tod nicht will, ist es auf jeden Fall unserem Willen zuzuschreiben, wenn wir zugrunde gehen (Dia IIal5, 65). Luthers Antwort darauf in Dsa (174,17-178,25) ist zweigeteilt. Zunächst stellt Luther die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium heraus. Für Luther ist die betreffende Stelle ein Wort des Evangeliums (175,5: Vox Euangelica); daß Gott nicht den Tod des Sünders wolle, bedeutet für Luther, daß hier ein schon vom Gesetz getroffener Sünder ein Trostwort des Evangeliums zugesprochen bekommt. Erasmus würde, da er nicht zwischen Gesetz und Evangelium unterscheide, aus dem Ezechielwort ein Gesetzeswort machen (vgl. 175,26ff). Die sich an diese Überlegungen anschließende Frage, warum nicht alle Menschen von Gott so durch das Gesetz berührt werden, daß sie als Getroffene und Verzweifelte nach dem Wort des Evangeliums verlangen und dies annehmen, wird, so Luther, in der Ezechielstelle nicht verhandelt. Diese Frage betreffe den verborgenen und zu fürchtenden Willen Gottes, das Wort im Hesekielbuch dagegen spreche von der gepredigten und dargereichten Barmherzigkeit Gottes. Da die Diatribe den

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teten und Verlorenen, redet von Verwerfung (reprobet: Dsa 182,28) und Verdammung (damnet: 289,5), aber nicht - wie Calvin - von einem vorzeitlichen, ewigen, supralap sarischen Dekret. Vgl. die strengste Prädestinationsaussage bei Calvin (Institutio 111,21,5; BarthAusgabe IV, 374,11-17): Praedestinationem vocamus aeternum Dei decretum, quo apud se constitutum habuit quid de unoquoque homine fieri vellet. Non enim pari conditione creantur omnes: sed aliis vita aetema, aliis damnatio aeterna praeordinatur. Itaque prout in alterutrum finem quisque conditus est, ita vel ad vitam vel ad mortem praedestinatum dicimus. Calvin beeilt sich aber - unter Hinweis auf Piaton! festzustellen, daß damit keine Willkür Gottes gemeint sei (111,23,2; Barth-Ausgabe IV, 396,18f: Non fingimus Deum exlegem [vgl. dagegen WA 16, 142,13: Exlex] qui sibi ipsi lex est [...]). Gott ist auch in diesem Dekret gerecht; denn der Mensch fallt aus eigener Schuld, auch wenn Gottes Vorsehung das so geordnet hat (111,23,8; Barth-Ausgabe IV, 402,38-403,1: Cadit igjtur homo, Dei Providentia sic ordinante: sed suo vitio cadit). Insgesamt gesehen bleiben auch im Denken Calvins Unstimmigkeiten. Es gibt Textabschnitte, in denen Calvin Gott als eindeutige Ursache für die Verwerfung des Menschen ohne Hinweis auf das eigene Verschulden des Menschen herausstellt (111,22,11); dann wieder steht die Schuld des Menschen im Vordergrund, und Gottes Verwerfung wird als gerechte dem zugeordnet (111,23,3 und 8). In 111,24,14, ganz am Ende des Abschnittes, bleibt alles in einer unentschiedenen Schwebe: Calvin endet zwar mit der Gewißheit, daß den Verworfenen nichts geschieht, was nicht mit dem gerechtesten Gericht Gottes übereinstimmen würde; da aber eine Ursache, ein Grund dafür nicht klar zu erfassen sei, gebe es schließlich nur das Nicht-Wissen angesichts der erhabenen Weisheit Gottes. Am ehesten in die Richtung Calvins weist bei Luther vielleicht die Stelle Dsa 200,29-33 und der von Luther gebrauchte Ausdruck der gewissen Wahl: Spoliatus uero Deus uirtute et sapientia eligendi, quid erit nisi idolum fortunae, cuius numine omnia temere fiunt? Et tandem eo uenietur, ut homines salui fiant et damnentur ignorante Deo, ut qui non discreuerit certa electione saluandos et damnandos [...]. Vgl. 221, 4f: [...] aeternum odium Dei erga homines, antequam mundus fieret [...]. Obwohl sich beide, Luther wie Calvin, dai Abgründen der Prädestinationsproblematik gestellt haben, läßt sich ein gravierender Unterschied in ihrer Rede von der Prädestination doch in folgender Gegenüberstellung fassen: Calvin spricht vom Decretum [...] horribile (Inst. 01,23,7; Barth-Ausgabe IV, 401,28), Luther dagegen von der tentatio horribilis (WA 43, 460,36f: Vide, quam suaviter et benigne Deus ab hac horribili tentatione te liberet [...]). Leibniz (Theodizee ΙΠ, § 338; Buchenau-Ausgabe, 352f) versucht, den Unterschied zwischen Luther und Calvin so zu bestimmen: „Der erste hofft, im zukünftigen Leben werden wir die gerechten Gründe für die göttliche Wahl begreifen; der zweite versichert ausdrücklich, daß diese Gründe gerecht und heilig sind, mögen sie uns audi unbekannt sein."

angeblich unmöglichen Widerspruch in Gott anspricht, kommt Luther dann auf seine berühmte Unterscheidung zwischen dem verborgenen und dem gepredigten, offenbarten Gott, zwischen dem Wort Gottes und Gott selbst zu sprechen (176,40-178,25). Was für Erasmus absurd scheint, denkt Luther: Den Widerspruch im Willen Gottes, der einmal alles in allem will, also auch den Tod des Sünders und der auf der anderen Seite will, daß alle Menschen gerettet werden. Vgl. auch die scharfe Herausstellung des Widerspruches in Dsa 182,17-37 (s.o. S. 133f).

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Gegen die Vorstellung eines bestimmten, beschlossenen und geschlossenen Dekretes wie bei Calvin spricht vor allem die Offenheit und Unbestimmtheit, mit der Luther in seinem Bekenntnis von den Geretteten und Verdammten spricht: „So geschieht es, daß, wenn nicht alle, doch einige und viele gerettet werden..."590. Diese numerische Unbestimmtheit in Luthers Aussagen erinnert an K. Barths „offene Vielzahl" der Erwählten (KD Π/2, 466) und an W. Pannenbergs Feststellung, daß „die Zahl der Erwählten offen" bleibt (W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 3, 488; vgl. 497, 500f). Oder ist bei dai aliqui et multi sogar an dei semitischen Sprachgebrauch: die Vielen = Alle zu denken? (Zur inkludierenden Bedeutung des Ausdrucks πολλοί [etwa in Jes 53,1 If; Mk 10,45; 14,24; 2. Kor 5,14f]: J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie I, 131; 276). Das ginge in die Richtung einer Allversöhnung (vgl. Anm. 460 zu Orígenes und Anm. 595 zu Schleiermacher). Barth wollte diese Möglichkeit nicht „behaupten" oder „postulieren", gleichwohl sah er „kein Recht und keinen Grund, sich dafür nicht offen zu halten. Weist die überlegene, die verkehrte menschliche Situation jetzt schon so kräftig begrenzende Wirklichkeit [...] nicht eindeutig in die Richtung des Werkes einer in der Tat ewigen göttlichen Geduld und Errettung und also einer 'Apokatastasis' oder 'Allversöhnung'? Verbietet sie uns bestimmt, damit zu rechnen [...], so gebietet sie uns doch wohl noch bestimmter, eben darauf [...] zu hoffen, darum zu beten [...]" (KD IV/3, 550). Bei Luther deutet sich die Möglichkeit einer Allversöhnung (bzw. einer „Allerlösung", wie W. Härle unter Bezugnahme auf einen terminologischen Vorschlag von J.Chr. Janowski entfaltet: Dogmatik, 624-626) gelegentlich schwach an. So etwa in der Auslegung der zweiten Vaterunserbitte im Großen Katechismus (BSLK 674,7-28); die Bitte um das Kommen des Reiches Grottes bitte darum, daß dieses „komme zu denen, die noch nicht darinne sind, und zu uns, die es überkommen haben, durch täglich Zunehmen und künftig in dem ewigen Leben [...] solange bis es endlich gar zustöret, die Sünde, Tod und Helle vertilget werde, daß wir ewig leben in voller Gerechtigkeit und Seligkeit" (674,11-15.25-28; vgl. die Rede vom Überwinden der Hölle im Sermon von der Bereitung zum Sterben; Cl 1, 164,30-33; 166,21167,33. Festzuhalten bleibt aber, daß Luther in beiden Texten die Notwendigkeit des Glaubens herausstellt: BSLK 674,19f; Cl 1, 166,34; 167,34). An verschiedenen Stellen seiner Schriften hat Luther den Gedanken an eine Allversöhnung ausdrücklich abgelehnt (z.B. im Bekenntnis von 1528 [Cl 3, 515,3f]: „[...] Denn ichs nicht halte mit denen / so da leren / das die teuffei auch werden endlich zur Seligkeit komen"; vgl. CA 17). Auch in Dsa kommt eine Anspielung auf den Gedanken der Allversöhnung nur in negativer Beleuchtung vor (202,24-27): Die Vernunft, sagt Luther, würde Gott verstehen, wenn dieser keinen Menschen verdammte, sondern sich aller erbarmte und alle selig machte, so daß durch die Auflösung der Hölle (destructo inferno) und die Beseitigung der Todesfurcht keine zukünftige Strafe gefurchtet werden müßte. Vgl. zur Frage der Allversöhnung bei Luther dessen „Saidbrief über die Frage, ob auch jemand, ohne Glauben verstorben, selig werden möge" an Hans v. Rechenberg, 1522; 590 Dsa 288,38: Ita fit, ut, si non omnes tarnen aliqui et multi saluentur [...]. Vgl. Dsa 118,37f: Si non omnes seruari possunt, aliqui tarnen seruantur, propter quos uerbum Dei uenit [...]; 124,26-28: Hic est fidei summus gradus, credere ilium esse dementem, qui tarn paucos saluat, tarn multos damnat [...].

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WA 10 Π, 318-326. Luther beharrt auf den starken Sprüchen wie Mk 16,16; Gott madie niemand selig ohne Glauben (324,25; 325,8f). Sicher könnte man fragen, spekulieren, „ob Got etlichen ym sterben oder nach dem sterben den glawben kont geben und also durch den glawben kont selig machen Wer wollt daran zweyffeln, das er das thun kunne. Aber das ers thue, kan man nicht beweysen" (325,3-6). Für Luther gibt es keine klaren Texte in der Bibel, aus denen zwingend zu folgern wäre, „das er [Gott] alle menschen selig mache" (325,23). Luther beläßt es bei dem Rat, diese Frage nicht mit allen Menschen, sondern nur mit den im Glauben und in der Anfechtung gefestigten zu verhandeln (324,11-18). Nur der gestärkte Glaube kann diesen Anstoß, der „wider und über alle vernunfft" (323,7) geht, „tragen" (323,28; 324,1.2; vgl. o. S. 151). Alle Versuche der Spekulation sind zu „binden an Christus menscheyt" (326,1), weil „niemant zum vater on durch yhn komen kan" (326,7). Luthers offene Prädestinationsaussagen lassen sich aufschlußreich kontrastieren mit der Bestimmung der Prädestination bei Thomas von Aquin. Für Thomas ist die Prädestination ein Teil der Vorsehung Gottes (STh I, q 23 a 1 c: [...] praedestinatio [...] est [...] pars providentiae), die eine Disposition und Hinordnung aller Dinge der Schöpfung auf ein letztes Ziel hin durch den weisen Ordner Gott bezeichnet (I, q 22 a 1). Die Prädestination ist der Teil der Vorsehung, der sich auf die vernünftige Kreatur bezieht. Im 3. Artikel erläutert Thomas, daß zur Prädestination auch die reprobatio, die Verwerfung gehöre. Neben Gottes Wille, den Menschen Gnade und Glorie zukommen zu lassen, steht der zulassende Wille Gottes, in die Schuld fallen zu lassen und die Strafe der Verdammnis für diese Schuld zu bestimmen (I, q 23 a 3 c: Sicut enim praedestinatio includit voluntatem conferendi gratiam et gloriata, ita reprobatio includit voluntatem permittendi aliquem cadere in culpam, et inferendi damnationis poenam pro culpa). Allerdings ist das Verursachungsverhältnis zwischen praedestinatio und reprobatio nicht in gleicher Weise zu bestimmen. Die Prädestination ist Ursache sowohl der gegenwärtigen Gnade als auch der zukünftigen Herrlichkeit. Die Verwerfung ist zwar Ursache der zukünftigen ewigen Strafe, aber nicht Ursache der gegenwärtigen Schuld eines Menschen, denn „die Schuld kommt aus dem freien Willen dessen, der verworfen und von der Gnade verlassen wird" (q 23 a 3 ad 2: Sed culpa provenit ex libero arbitrio eius qui reprobato et a gratia deseritur591. Vgl. II/II, q 19 a 1 ad 3: [...] dicendum quod malum culpae non est a Deo sicut ab auctore, sed est a nobis ipsis, inquantum a Deo recedimus. Malum autem poenae est quidem a deo auctore inquantum habet rationem boni, prout scilicet est iustum [...]). 591 Als Schriftbeleg gibt Thomas Hos 13,9 an: perditio tua, Israel, ex te est (I, q 23 a 3 ob 2 et ad 2). Allerdings bezieht der hebräische Urtext das Verderben nicht auf das Volk Israel, sondern auf Gott selbst: „Verderben bringe ich über dich, Israel. Wer wird dir helfen?" Auflalligerweise verbleibt auch Luther mit seiner Übersetzung in der Tradition der Vulgata, die das Verderben ursächlich auf die Schuld der Menschen zurückführt. Vgl. Cl 5, 385,33f; Cl 2, 12,35-38. Auch die Konkordienformel nimmt die falsche Übersetzung von Hos 13,9 auf (BSLK 1066,11-13).

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Im 5. Artikel der 23. Quaestio schließlich kommt das Ordo-Denken des Thomas zu einem Abschluß. Thomas lehnt hier Auflassungen (etwa des Orígenes) ab, wonach die von Gott vorausgesehenen Verdienste der Menschen die Ursache der Prädestination seien. In der 3. Objektio stellt sich Thomas dem Problem, wie denn Gott gerecht sein könne (Rom 9,14), wenn er die nach ihrer Natur und nach ihrer Ursünde gleichen Menschen durch Prädestination und Verwerfung ungleich behandle. Er stellt sich also genau dem Problem, das auch für Luther - aufgrund von Eph 2,3 - ein Kernproblem war: Wenn alle Menschen gleicherweise Kinder des göttlichen Zornes sind, warum werden sie durch Erlösung und Verdammung ungleich von Gott behandelt? Thomas nimmt in der Antwort auf dieses Dilemma sein Hauptargument aus der Vorsehungslehre auf. Zur weisen Anordnung Gottes gehöre es, daß in Teilbereichen Böses zugelassen werde, damit im Ganzen durch Kontrastwirkung oder Prüfung die größte Anzahl an besten Gütern erzielt werde (q 23 a 5 ad 3: Et ut multiformitas graduum conservetur in rebus, Deus permittit aliqua mala fieri, ne multa bona impediantur [...]). Thomas kann deshalb einen vernünftigen Grund dafür angeben, warum einige (Unbestimmte) erwählt und einige (Unbestimmte) verworfen werden; an einigen erweist sich die göttliche Gerechtigkeit, an einigen anderen die göttliche Barmherzigkeit592 (q 23 a 5 ad 3: Voluit igitur Deus in hominibus, quantum ad aliquos, quos praedestinat, suam repraesentare bonitatem per modum misericordiae, parcendo; et quantum ad aliquos, quos reprobat, per modum iustitiae, puniendo. Et haec est ratio quare Deus quosdam eligit, et quosdam reprobat). Aber warum Gott diese (Bestimmte) in die Herrlichkeit erwählt und jene (Bestimmte) verwirft, das hat keinen Grund als allein den göttlichen Willen593 (q 23 a 5 ad 3: Sed 592 Diese Unterscheidung von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit hinsichtlich der Bestimmung der Prädestination ist klassisch vorgedacht schon bei Augustinus, etwa im Enchiridion XXVI, 102 (Scheel-Ausgabe, 64,9f): Deus igitur omnipotens sive per misericordiam cuius vult misereatur, sive per iudicium quem vult obduret [...]. Vgl. XXVI, 100 (aaO 62,28-31): [Deus] impleret ipse quod voluit, bene utens et malis, tamquam summe bonus, ad eorum damnationem, quos iuste praedestinavit ad poenam [sed non: ad culpam!] et ad eorum salutem, quos benigne praedestinavit ad gratiam. 593 Hier blitzt also - bei dem Hochscholastiker Thomas - die spätscholastische Willensbetonung auf. Vgl. Duns Scotus, der hinsichtlich der Frage, warum Gott die Welt geschaffen habe, unter Rückgriff auf Augustinus einfach antwortet: weil er wollte (Sent. I, d 45 D; Opera Omnia V.2, 1373: Qui ergo dicit, quare fecit Deus coelum et terram? Respondendum est illi, quia voluit). Vgl. G. Biel, Coll. I, d 41, q un I 4-7: Quare Deus créât animas, quas seit perpetuo damnandas? Solutio: Quia voluit, et est status. Voluntas enim divina prima regula est in contingentibus. Et si illius causa quaeritur, non invenitur, ut dicit Augustinus De civitate Dei [XXII,2], Das Begründen und vernünftige Ergründen des Willens in Gott hat auch bei Thomas eine Grenze, wo er nur noch das nackte göttliche Wollen als ausreichenden Grund angeben kann. Gemildert ist diese Vorstellung bei Thomas höchstens dadurch, daß das göttliche Wollen eindeutig dem Raum der Vernunft zugeordnet ist (vgl. z.B. STh I, q 19 a 1 c: [...] voluntas enim intellectum consequitur. q 19 a 5 ad 1: [...] voluntas dei rationabilis est, non quod

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quare hos elegit in gloriam, et illos reprobavit, non habet rationem nisi divinam voluntatem). Thomas bemüht ein Beispiel zur Veranschaulichung des eben Dargestellten (q 23 a 5 ad 3: Sicut ex simplici volúntate artificis dependet, quod ille lapis est in ista parte parietis, et ille in alia: quamvis ratio artis habeat quod aliqui sint in hac, et aliqui sint in illa); ein Künstler hat Gründe dafür, an einer Wand, etwa einem Mosaik, manche Steine hier oder dort einzusetzen. Schwarze Steine (= die Verdammten) sind notwendig als Hintergrund, damit die bunten Steine (= die Erlösten) umso schöner hervorstechen. Es hängt aber nur von seinem Willen ab, daß nun ein ganz bestimmter Stein da als schwarzer Stein eingesetzt wird und nicht an der anderen Stelle als farbiger Stein. Ebensowenig wie die Arbeiter in dem von Thomas herangezogenen Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-15) können sich die Verdammten beklagen; sie sind durch eigene Schuld in der Verdammnis und ihnen geschieht Recht; die den Erlösten dargereichte Barmherzigkeit tut der Gerechtigkeit Gottes keinen Abbruch. Der Kreis des geschlossenen Ordo-Denkens schließt sich dann noch enger zusammen, wenn Thomas im 7. Artikel auch die Möglichkeit einer Offenheit hinsichtlich der Erwählten ausschließt. Für ihn heißt Prädestination nicht, daß aus der Masse der Menschen eine bestimmte Zahl herauserwählt wird, wobei offen bleibt, wer schließlich zu dieser Zahl gehört, sondern Prädestination bedeutet, daß die genaue Zahl genau Bestimmter von Gott festgelegt ist (q 23 a 7 c: Respondeo dicendum quod numerus praedestinatorum est certus. Sed quidam dixerunt eum esse certum formaliter, sed non materialiter: ut puta si diceremus certum esse quod centum vel mille salventur, non autem quod hi vel ilh. Sed hoc tollit certitudinempraedestinationis, de qua iam [...] diximus. Et ideo oportet dicere quod numerus praedestinatorum sit certus Deo non solum formaliter, sed etiam materialiter). In dieser universalen Ordnung ist alles geklärt. Selbst die Strafen der Verdammten sind von Gott zur Herrlichkeit seiner Gerechtigkeit hin geordnet (STh Ι/Π, q 79 a 4 ad 1: [...] et poenam damnatorum ordinat in gloriam suae iustitiae). Mit Weisheit ist es von Gott eingerichtet, daß die Menschen - abgesehen von seltenen Privatoffenbarungen - keine Kenntnis über ihren Stand hinsichtlich der Prädestination haben; die Erwählten würden nachlässig wer-

aliquid sit Deo causa volendi, sed in quantum vult unum esse propter aliud). Im Hintergrund seiner Ausführungen auch zur Problematik der Verwerfung steht letztlich das scholastische Axiom, daß der göttliche Wille niemals un- und widervernünftig sein kann: Voluntas [...] dei numquam est irrationabilis (Anselm, Cur deus homo, Buch I, cap. VIII; Schmitt-Ausgabe, 25). In einem Text wie in Dsa 208,1-9 (s.o. Anm. 373) ist dieses Axiom zerbrochen und der Mensch steht - mit all seiner Vernunft - vor der völligen Unbegreiflichkeit und Abgründigkeit Gottes, die er nicht mehr ergründen kann.

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den, die Verworfenen müßten verzweifeln594 (I, q 23 a 1 ad 4). Keine Frage muß offen bleiben - auch nicht eine so beunruhigende, ob die Sehgen denn in ihrer Seligkeit das Elend der Verdammten mit anschauen können. Sie können nicht nur, antwortet Thomas, sie tun es sogar notwendigerweise, weil sie in ihrer Seligkeit so mit der Gerechtigkeit Gottes verbunden sind, daß sie in der Schau der Verdammten sich an diesem Erweis der göttlichen Gerechtigkeit mitfreuen werden (vgl. den letzten Artikel des Sentenzenkommentars, Sent. IV, d 50 q im a 4 [Opera Omnia, Bd. 30, 812]: Ad secundum dicendum, quod hic possumus compati miseriis aliorum ex charitate, quamdiu homines a miseria liberan possunt. Sed quando jam per divinam justitiam erunt in miseria confirmati, non erit ex charitate compatiendum miseriae: sed congaudendum justitiae divinae)595. Gegenüber der ungeheuren, teils faszinierenden, teils erschreckenden Geschlossenheit und Einheitlichkeit des Denkens des ordo bei Thomas stellt sich Luthers Behandlung des Prädestinationsproblems offener und zugleich beunruhigter dar. In seinem Bekenntnis verbindet Luther die intensivste Heilsgewißheit bezüglich der eigenen Vorherbestimmung durch Gott mit der bleibenden Unruhe angesichts der Unbegreiflichkeit und Ungerechtigkeit der Prädestination der anderen. Damit ist einer bestimmten Lutherinterpretation596 widersprochen, die Luthers Bestimmung der Prädestination in Dsa von späteren Luthertexten her, 594 Dazu scharf O.H. Pesch (Die Theologie der Rechtfertigung, 880): „weshalb sollen eigentlich die Reprobierten nicht verzweifeln dürfen, wo doch aller Grund dazu da ist?" 595 Ganz anders die letztlich auf die Allversöhnung hinauslaufende Argumentation Schleiermachers. Er sieht im Zusammenspiel der Gerechtigkeit Gottes in den Verdammten und der Barmherzigkeit Gottes in den Seligen keinen Ausweis universeller Harmonie, keine ordinis pulchritudo (STh I, q 23 a 8 ad 2) wie Thomas, sondern Mißklang und Trübung: Angesichts der Betrachtung der ewigen Verdammnis durch die Seligen in der ewigen Seligkeit muß „Mitgefühl mit den Verdammten [...] notwendig die Seligkeit trüben" (Glaubenslehre; Redeker-Ausgabe II, 438 [§ 163, Anhang: Von der ewigen Verdammnis]). Dieser „Mißklang" (aaO 223; 227; § 118) würde für Schleiermacher durch das „Mitgefühl der Unseligkeit" (aaO 228) die Denkbarkeit und Vorstellbarkeit einer Seligkeit, den „Zustand unveränderlicher und ungetrübter Seligkeit" (aaO 433; § 163), „die vollkommenste Fülle des lebendigsten Gottesbewußtseins" (aaO 436), überhaupt ganz aufheben. Vgl. auch das christologische Pendant dazu aaO 103 (§ 101), wo Schleiermacher in der Darstellung der versöhnenden Tätigkeit Jesu Christi dessen „Mitgefühl der Unseligkeit" „als den Gipfel des Leidens" angesichts der „unerschütterlichen Seligkeit in Christo" (aaO 102) bestimmt. 596 W. Pannenberg, Der Einfluß der Anfechtungserfahrung auf den Prädestinationsbegriff Luthers, 138f: „Der Standpunkt Luthers hat sich hier [in der Genesisvorlesung] gegenüber De servo arbitrio deutlich verschoben: Wie die Prädestination dort dem verborgenen Gott zugeschrieben wurde, so wurde auch die Unveränderlichkeit von Gottes verborgenem Wollen und Vorherwissen aus gedacht, obwohl Luthers eigentliches Argument in dieser Sache schon damals die Unveränderlichkeit der göttlichen Verheißung

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vor allem seiner Auslegung von Gen 26,9 in der Genesis-Vorlesung597, kritisiert und relativiert. Luther habe demnach seine Position in Dsa, die die Prädestination auf den deus absconditus bezieht, verlassen und alles Gewicht auf die Erkenntnis und die Gewißheit der Prädestination in Jesus Christus gelegt. Der Christ solle und könne seine Erwählung nur im Blick auf Christus, auf den offenbaren Gott gewinnen, die Prädestination des verborgenen Gottes sei nicht zu suchen, zu untersuchen, sondern zu lassen. Nur im Ergreifen der gegenwärtigen Promissio und Prädestination in Christus, der Sakramente und des Wortes gebe es Heilsgewißheit598. Bei dieser Akzentuierung wird zweierlei übersehen. Erstens gibt Luther in den späteren Texten seine Rede vom verborgenen Gott nicht einfach auf; die Rede davon wird eingeschränkt, aber nicht ausgeschlossen. Über den verborgenen Gott, das war aber auch schon die eindeutige Auffassung Luthers in

war. In der Genesisvorlesung ist Luther gegenüber dem Satz, daß alles mit Notwendigkeit geschieht [...] zurückhaltend geworden [...]. Wie die Prädestination jetzt mit der Offenbarung Gottes in Christus zusammengesehen wird, so wird auch die Unveränderlichkeit Gottes nun nur noch vom offenbaren Gott her gedacht." Ähnlich E. Brunner, Dogmatik I, 349: „Wohl hat Luther die Schrift 'de servo arbitrio' nie widerrufen; aber von 1525 an lehrt er anders. Er macht sich los von der augusti ni sehen Fragestellung und vom augustinischen Kausaldenken. Er erkennt, daß diese Prädestinationslehre spekulative, natürliche Theologie ist, und erfaßt den biblischen Erwählungsgedanken als Erwählung in und durch Jesus Christus." 597 Luther erwähnt - gleichsam in einem eingeschobenen Exkurs - in der Auslegung zu Gen 26,9 seine Streitschrift Dsa und vor allem das darin verhandelte Problem der Unterscheidung zwischen verborgenem und offenbarem Gott: WA 43, 458,35-463,17. Vgl in der Aufnahme der gleichen Thematik: WA TR 5, Nr. 5658a. Zu den quellenkritischen Fragen hinsichtlich der Genesisvorlesung hat H. Bandt (Luthers Lehre vom verborgenen Gott, 181f) das Nötige gesagt. 598 Vgl. WA 43, 459,40-42: Si vis eflugere desperationem, odium, blasphemiam Dei, omitte speculationem de Deo abscondito, et desine frustra contendere ad videndam faciem Dei. 460,4-6: Deus enim non ideo de coelo descendit, ut faceret te incertum de praedestinatione, ut doceret te contemnere Sacramenta, absolutionem et reliquas ordinationes divinas. 460,25-28: Attamen praesentem promissionem et praedestinationem suscipe, et non inquiras curiosius de arcanis Dei consiliis. Si credis in Deum revelatum, et recipis verbum eius, paulatim etiam absconditum deum revelabit. 463,5-13: Scripsi autem inter reliqua, esse omnia absoluta et necessaria: sed simul addidi, quod aspiciendus sit Deus revelatus, sicut in Psalmo canimus: Er heist Jesu Christ, der HERR Zebaoth, und ist kein ander Gott, Iesus Christus est Dominus Zebaoth, Nec est alius Deus: et alias saepissime. Sed istos locos omnes transibunt, et eos tantum arripient de Deo abscondito. Vos igitur, qui nunc me auditis, memineritis me hoc doeuisse, non esse inquirendum de praedestinatione Dei absconditi. Sed ea acquiescendum esse, quae revelatur per vocationem et per ministerium verbi. Ibi enim potes de fide et salute tua certus esse [...]. Die letzten Aussagen nehmen eindeutig die Gedanken Luthers im ersten Teil des Bekenntnisses auf; Heilsgewißheit gibt es nur in der Bindung an die Promissio Gottes, an seine Zusage in Christus. Aber die Frage bleibt: Was ist mit den anderen?

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Dsa, ist nicht zu spekulieren (Dsa 207,32-34: At cur non simul mutat uoluntates malas, quas mouet? Hoc pertinet ad secreta maiestatis, ubi incomprehensibilia sunt iudicia eius. Nec nostrum hoc est quaerere, sed adorare mysteria haec. 182, 28f: Nec nobis quaerendum, cur ita faciat, sed reuerendus Deus, qui talia et possit et uelit. Vgl. 227,30-35. Dazu: Quae supra nos, nihil ad nos; 177,17; 100,17). Als Objekt einer vermessenen Spekulation des Menschen ist der verborgene Gott aufzugeben. Doch wie soll der angefochtene Mensch den verborgenen Gott so einfach loslassen können599, wenn dieser den Menschen nicht losläßt, nicht in Ruhe läßt?600 Wie soll sich der Mensch vom verborgenen Gott wegwenden601, wenn sich dieser in seinem unausweichlichen Wirken dem Menschen zuwendet, aufdrängt und aufnötigt? 599 Vgl. das „Loslassenkönnen des verborgenen Gottes" bei D. Korsch, Glaubensgewißheit und Selbstbewußtsein, 240. Dazu: Dsa 177,26-28. Vgl. o. S. 139f. 600 Vgl. die paradoxe (paradox, weil „normalerweise" die Klage das rettende Erscheinen, das Aufleuchten seines Angesichtes, die nahe Gegenwart Gottes erfleht) Klage in Ps 39,14: „Laß ab von mir, daß ich mich erquicke, ehe ich dahinfahre und nicht mehr bin." Diese Klage findet sich oft auch bei Hiob, der vor Gottes Antlitz sogar erschrekken kann (Hi 23,15: „Deshalb erschrecke ich vor seinem Antlitz [...]"). So heißt es in Hi 7,16.19: „Warum blickst du nicht einmal von mir weg ...?"; vgl. 10,20; 13,21: 14,6.13. Hier wird nicht das Ausbleiben des heilvollen, segensreichen Angesichtes Gottes (Num 6,24-26) beklagt - wie etwa in Hi 13,24: „Warum verbirgst du dein Antlitz und hältst mich für deinen Feind?" - , sondern das unheilvolle Angesicht Gottes, von dem das AT auch reden konnte (Jer 44,11: „Darum spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels: Siehe, ich will mein Angesicht wider euch richten ..."), weggewünscht. 601 E. Jüngel, Quae supra nos, nihil ad nos, 231: „Quae supra nos, nihil ad nos ist also eine positive Aufforderung, sich von dem unterschiedslos Leben und Tod, weil alles in allem, wirkenden Gott über uns wegzuwenden hin zu dem im fleischgewordenen, gekreuzigten und gepredigten Wort Gottes den Tod des Todes wirkenden deus revelatus." In dieser Bewegung des Wegwendens respektiere der Mensch das Geheimnis der göttlichen Majestät, verehre er den verborgenen Gott, indem er ihn „sich selber überläßt" (ebd) in seinem „Bei-sich-selber-Sein" (aaO 224). Mit dieser Argumentation wird der alles in allem wirkende und in allem treibende verborgene Gott allerdings seltsam stillgestellt. Wie sollte sich der unruhige Täter (Dsa 205,39) mit solchem Denken beruhigen lassen, wie kann der verborgene Gott, wenn er ganz bei sich ist, alles in allem bei seiner Kreatur wirken? In der Konsequenz dieser Argumentation kann der verborgene Gott in seinem Bei-sich-selber-Sein sich auch nicht selbst dem Menschen als Feind entgegensetzen; nur der Mensch selbst macht sich durch falsches Verhalten, wenn er sich den verborgenen Gott eben doch etwas angehen läßt, Gott zum Feind: „Die Erfahrung der Feindschaft zwischen dem deus absolutus und der humana creatura macht j a nur der Mensch, der sich auf den 'absoluten Gott', den deus nudus über uns einläßt. Es ist also ein spezifisches Verhalten der menschlichen Kreatur, das Gott als Feind der menschlichen Kreatur begegnen läßt. [...] Gott wird zum Feind der menschlichen Kreatur, wenn diese ihn nicht dort Gott sein läßt, wo er sich als Gott offenbart hat, sondern ihn dort sucht, wo er sich als Gott verborgen hat." (AaO 238f; vgl. 240.) Treffen solche Überlegungen aber Hiobs Klage gegenüber dem Gott, der gegen Hiob wie ein Kriegsmann anläuft (Hi 16,14; vgl. 19,12; 13,24), der sich Hiob, obwohl dieser in Frieden war, zur Zielscheibe macht (Hi 16,12)?

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Festzuhalten ist der Unterschied zwischen dem Spekulieren-Wollen und dem Erfahren-Müssen des verborgenen Gottes durch den Menschen. Die vermessene Spekulation hat Luther deutlich abgelehnt; der bedrängenden Erfahrung ist er aber nicht, etwa durch trinitätstheologische Operationen, ausgewichen. Auch ohne spekuliert zu werden, bleibt der verborgene Gott unumgehbare Erfahrung. Man muß um ihn wissen; das hat auch der Luther nach Dsa festgehalten: „Einen absconditum muß en wir haben, ab[e]r wir sollen nit darnach greiffen, sonst brechen wir den hals."602 Zweitens wird übergangen, daß Luther auch schon in Dsa von der Heilsgewißheit, die nur im offenbaren Gott gründet, mit aller Deutlichkeit redet; der erste Teil des Bekenntnisses nimmt ja eindeutig die Problematik der Prädestination auf603 und ist ein, wenn nicht der klassische Text Luthers für seine Betonung der Heilsgewißheit. Wird der ganze Zusammenhang des Bekenntnisses beachtet, so kann also Luthers Fassung der Prädestinationslehre nicht mehr so einfach von späteren Texten abgesetzt werden. Die Auffassung, daß Luther in Dsa die Prädestination vor allem dem verborgenen Gott zugeordnet und in späteren Texten dann unter Ausschluß dieser spekulativen Gedanken die Prädestination ganz auf den offenbaren Gott bezogen habe, ist zu schematisch. Schon im Bekenntnis hegen beide Linien ineinander. Der erste Teil des Bekenntnisses redet von der persönlichen Heils- und Prädestinationsgewißheit ganz im Horizont des lumen gratiae; aber dabei bleibt Luther nicht stehen. Er macht den Sprung von der eigenen Gewißheit der Prädestination zur Frage nach der Prädestination der anderen - so wie Paulus den Sprung macht von der eigenen Heilsgewißheit (Rom 8,3 8f) zur Frage nach den anderen, seinen Stammesgenossen und zur Frage nach Gottes Weg mit Israel (Rom 9-11). Mit der eigenen Gewißheit ist fur Luther die Heilsfrage nicht einfach erledigt; ein Heilsegoismus ist ihm hier wirklich nicht vorzuwerfen. Auffällig ist vor allem auch, daß für Luther die Schuldfrage nicht einfach erledigt ist. Sicher hat auch der Mensch als Sünder bei Luther Schuld (uitium / mala natura: Dsa 204,26; 206,1; mala uoluntas: 206,6; 207,32)604; in der Perspekti602 WA TR 5, 296, 32-34 (Nr. 5658a). In dieser Tischrede wiederholt Luther, zum Teil ganz wörtlich, seine Argumentation aus der Auslegung zu Gen 26,9 in seiner GenesisAuslegung. Zum Unterschied von Erfahrung und Spekulation hinsichtlich des verborgenen Gottes vgl. WA 44, 429,25f: [...] potentiam Dei non comprehendi speculando, sed expeliendo [...]. 603 S.o. Anm. 82. 604 In dieser Hinsicht ist dann die Schuld Gottes, von der Luther im Bekenntnis redet (Dsa 291,1 lf), ausgeblendet: 205,41-206,1 ([...] non culpa Dei, sed uitio nostro [...]). Wenn von Gott gesagt wird, er verstocke oder er wirke Böses, dann handelt Gott nicht wie ein böser Schankwirt, der in ein reines Gefäß Gift einschenkt oder einmischt (205,3133). Es sei nicht so, betont Luther, als ob Gott von neuem in uns Böses schafft (205,31 : [...] quasi de nouo in nobis malum creet). Er treibt und durchwirkt die Menschen, die schon böse sind, und die nicht in bloßer passiver Notwendigkeit dem wirkenden Gott unterworfen sind (205,37f: mera necessitate passiua subijci Deo operanti). Vgl. die

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ve des offenbaren Gottes kann Luther davon sprechen, daß es unserem Willen anzulasten ist, wenn wir zugrunde gehen (178,14f: [...] nostrae uoluntati imputandum est, quod perimus). Aber diese Schuld ist in der Perspektive des verborgenen Gottes noch einmal umgriffen von dem Allwirken dieses Gottes605. Die menschliche Schuld ist umschlossen von der göttlichen Allmacht und deren Notwendigkeit606, deshalb kann es Luther nicht, wie etwa Erasmus, bei der einfachen Schuldzuweisung dem Menschen gegenüber belassen. Hartnäckig und anstößig, radikaler selbst als ein Augustin601 oder ein Calvin (s.o.

Herausstellung der Sündenverfallenheit in 263,14-16 und die besondere Herausstellung des sündigen Ichs im Bekenntnis von 1528: „[...] Ich / Ich / Ich bin ynn sunden empfangen / [...]" (Cl 3, 509,3lf). Vgl. zur „Selbstverantwortlichkeit des Unglaubens" bei Luther: Th. Harnack, Luthers Theologie I, 169f. 605 Dieses schwer zu entwirrende Ineinander zeigt sich auch in der Bibel, etwa in 2. Sam 24,1-10, dem Bericht von Davids Volkszählung. In Vers 1 wird erzählt, wie Gottes Zorn David zur Sünde (vgl. Gen 32,13) der Volkszählung reizt; in Vers 10 (vgl. 17) bekennt David die Tat als seine Sünde und Schuld. Diese Spannung im Ineinander von göttlichem Antreiben zur Schuld (V. 1) und menschlicher Schuld (V. 10) wird in der Chronik dadurch aufgelöst oder zumindest gemildert, daß an die Stelle Gottes der Satan tritt (1. Chr 21,1). Ein schöpfungstheologisches Pendant zu diesem „hamartiologischen Ineinander" findet sich in Rom 8,20, wo exegetisch umstritten ist, „wen Paulus unter dem ύ π ο τ ά ξ α ς versteht (Gott? den Satan? Adam?)" (R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, 230, § 21; vgl. E. Käsemann, An die Römer, 227, der eindeutig von Gott als dem Unterwerfer redet). Die soteriologische Parallele zu dem Ineinander zeigt sich in Phil 2,12f. Dazu: R. Bultmann, Gnade und Freiheit (GuV II), 149-161. 606 Insofern ist W. Elerts Bestimmung des Begriffs der Erbsünde als „Synthese von Schicksal und Schuld, von Abhängigkeit und Verantwortung" (Morphologie des Luthertums, Bd. 1, 25; vgl. 31: „Der Dramatiker Schiller weiß um die tragische Synthese von Schicksal und Schuld"; vgl. 361: „[...] Widerspruch von Notwendigkeit und Freiheit, von Schicksal und Schuld") ganz zutreffend. Jede verantwortliche Sündenlehre hat die beiden Pole, egal wie sie diese Pole jeweils bezeichnen mag, zu denken: das selbstbestimmte Sündigen-Wollen des Menschen (vgl. die lapidare Aussage bei R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, 251, § 25: „die Sünde kam durch das Sündigen in die Welt") wie das fremdbestimmte Sündigen-Müssen. E. Jüngel spricht von einem ,,unlösbare[n] Zusammenhang von sündigem Akt und sündigem Sein, von Sünde als Tat (tätigem Drang) und Sünde als Macht (mächtigem Zwang)" (Zur Lehre vom Bösen und von der Sünde, 182, These 5). Vgl. aber zur Problematik des Begriffs „Zwang" die Anm. 358. Hinsichtlich des antiken Dramas hat W. Schadewaldt einen ähnlichen Zusammenhang herausgestellt: Die „griechische Tragödie der großen Zeit des 5. vorchristlichen Jahrhunderts" kenne keinen „starren fatalistischen Schicksalsglauben" (Der „König Ödipus" des Sophokles in neuer Deutung, 90). „Was in der Tragödie waltet ist nicht ein Schicksalszwang, Ananke, sondern der Daimon. Dieser umgibt den Menschen, er durchdringt, umschließt ihn, aber er läßt ihm dabei doch die volle selbstverantwortliche Freiheit des Handelns" (ebd). 607 Vgl. Augustinus, Logik des Schreckens. K. Flasch, der Herausgeber der kleinen, Rom 9,9-29 auslegenden Schrift Augustine De diversis quaestionibus ad Simplicianum I 2, müht sich in vielen Anläufen, diesen Text Augustine als „Todesurkunde des Gottes der

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S. 211) redet Luther in Dsa mehrmals davon, daß Gott Unschuldige verdamme (Dsa 289,5; vgl. 226,16f; 227,9.15.2lf.26.33) 608 . Ein einfaches und einsichtiges Aufrechnen von menschlicher Schuld im Gegenüber zum göttlichen Handeln, zur göttlichen Schuld oder Verantwortung609 ist fur Luther nicht möglich; der Duktus seiner Argumentation sieht deshalb anders aus. Im Licht der Gnade sieht der begnadigte Sünder als begnadigter Sünder auf die andern, die auch Sünder sind - aber eben nicht begnadigte Sünder, zu denen das Reich Gottes nicht, „noch nicht"610, gekommen ist. Und so bleibt

Philosophen" (aaO 10), als Dokument einer beispiellosen „Weltverdüsterung" (aaO 14), des „Gottesschreckens" (aaO 137), der „Grausamkeit" (aaO 240) Gottes und des ,,metaphysische[n] Grauen[s]" (aaO 253) herauszustellen. Aber selbst bei Augustin ist der unbegreifliche, willkürliche Haß Gottes gegenüber Esaù doch begründet durch die Schuld der Sünde, denn ,nichts haßt er [Gott] am Menschen außer der Sünde" (aaO 211): „Gott haßt also nicht den Menschen Esaù, sondern Gott haßt den Sünder Esaù ...[Non igitur odit deus Esau hominem, sed odit deus Esau peccatorem ...]" (aaO 210/211; vgl. dazu 59f). 608 H.J. McSorley setzt dagegen das klassische Argument, daß „Gott nur solche verdammt, die es verdienen" (Luthers Lehre vom unfreien Willen, 319; vgl. 226). Mit diesem bündigen Satz ist der Anstoß natürlich erledigt. Vgl. dazu McSorleys Kritik, „daß Luther für eine Glaubensentscheidung oder auch Sündenentscheidung durch den Menschen keinen Platz läßt" (aaO 313). Dagegen stehe eigentlich die gesamte katholische Tradition mit ihrer Feststellung: „der Mensch ist allein verantwortlich für die Sünde. Die persönliche Sünde schließt immer einen Mißbrauch des freien menschlichen Willens ein. Der Mensch kann keiner persönlichen Sünde schuldig werden, wenn er diese nicht frei will" (ebd). Luther habe es „versäumt, den Ursprung der Sünde hinreichend zu erklären" (aaO 316). „Daß der Mensch und Satan gefallen sind, wird von Luther als eine unbezweifelbare biblische Wahrheit akzeptiert. Wie sie jedoch gefallen sind, sagt er nicht. Er ist nicht bereit, ganz klar mit der gesamten vorhergehenden theologischen Tradition dafür einzutreten, daß sie durch den Mißbrauch ihres freien Willens gefallen sind" (aaO 315). Auch H. Bandt (Luthers Lehre vom verborgenen Gott, 157) denkt in die gleiche Richtung: „Ist es uns denn erlaubt, Gottes ewige Verwerfung unter irgendeinem Aspekt anders als seine Reaktion auf den schuldhaften Widerstand des Menschen zu verstehen?" Mit dieser Bemerkung und mit seiner Betonung der göttlichen Reaktion überspielt Bandt Luthers Rede von der göttlichen Aktion, die allmächtig alles in allem wirkt. Vgl. auch W. Behnk, Contra liberum arbitrium, 350f. Ganz ähnlich wie McSorley, Bandt und Behnk argumentierte schon Erasmus in seiner Erwiderung auf Luther im Hyperaspistes II; vgl. dazu Anm. 618. 609 Vgl. W. Groß / K.-J. Kuschel, „Ich schaffe Finsternis und Unheil!", 217f: „Es ist biblisch legitim, von Gottes Verantwortung für das Übel zu reden. Nur wer Gottes Verantwortung benennen kann, kann auch Gottes Kampf gegen das Übel einklagen. Die Schrift aber kennt nicht die Rede von der Schuld Gottes [trotz Hi 9,24], Wir stoßen hier an eine Grenze." 610 BSLK 674,12 (s.o. S. 212f). Vgl das wiederholte „noch nicht" in Schleiermachers Erwählungslehre (Glaubenslehre; Redeker-Ausgabe II, 220; 222 [§117]; 224 [§118]; 234f [§119]). Bei Luther ist das „noch nicht" Ausdruck einer Hoffnung in einer offenen Kampfsituation zwischen Gott und Teufel, Glaube und Unglaube; bei Schleiermacher ist die Hoffnung getragen von der dem christlichen Glauben wesentlich einwoh-

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dem Begnadigten die Gerechtigkeit Grottes im universalen Horizont unbegreiflich. Sähe der Begnadigte nur auf sich und auf sein „ich bin gewiß" 611 (288,16), dann wäre für ihn die Prädestination und überhaupt das Allwirken Gottes kein Problem mehr. Luthers Rede von den drei Lichtem verbietet es aber, alles in der Prädestinationsproblematik auf das lumen gratiae, auf den offenbaren Gott zu beziehen 612 . Der Zusammenhang und die Solidarität der einen Kinder des Zorns mit den anderen Kindern des Zorns bleibt und läßt sich nicht verdrängen. Für Luther sieht diese Solidarität konkret etwa so aus, daß er für den Heiden Cicero, den er so ungemein geschätzt und geliebt hat, den Stand der Seligkeit erhofft (vgl. Rom 9,1-3; 10,1) 613 . Gleichwohl macht Luther nenden Überzeugung, „daß jedes Volk früher oder später werde christlich werden, wie denn Paulus dies sogar von dem seinigen hoffte, welches so wiederholt die göttliche Gnade hartnäckig von sich gewiesen hatte" (aaO 247; § 120). Vgl. das „noch nicht" bei Barth (Die Menschlichkeit Gottes, 21). Philosophisch ins Zentrum rückt das NochNicht bei E. Bloch; es steht für die „Utopie" (Tübinger Einleitung, 220) und den .fundus unverwirklichter Möglichkeit" (aaO 225; vgl. 92; 97; 217-227; 233; 296). Vgl. Blochs „Weltformel: S ist noch nicht P; kein Subjekt hat bereits das ihm adäquate Prädikat [...]" (aaO 374). 611 Die individuelle Gewißheit aufgrund des lumen gratiae bleibt begrenzt, auch wenn sich die Gewißheit der Gläubigen in der Gemeinschaft der Kirche zu einem „Wir sind gewiß" erweitert (vgl. das Nebeneinander des Wir-Bekenntnisses und des IchBekenntnisses in der Alten Kirche, etwa den Plural Πιστεύομεν neben dem Singular des Credo im Nicänum; BSLK 26). Vgl auch o. bei Anm. 77. Erst im Horizont des lumen gloriae wird die begrenzte, individuelle Gewißheit zur generellen, universellen Gewißheit. Erst im Licht der Herrlichkeit wird aus dem „Ich bin gewiß" des gläubigen Individuums und aus dem „Wir sind gewiß" der Kirche ein „Es ist gewiß" der ganzen Kreatur. Vgl. Kants, allerdings ganz auf den moralisch bestimmten Vernunftglauben, auf die moralische Gewißheit" bezogene Aussage in der Kritik der reinen Vernunft, daß der Mensch mit moralischer Gesinnung nicht sagen könne, „es ist moralisch gewiß, daß ein Gott sei etc., sondern, ich bin moralisch gewiß etc." (Kritik der reinen Vernunft, Β 857; Weischedel-Ausgabe, Bd. 4, 693). 612 Das hat - mit genialischem Zugriff - Karl Barth getan, indem er Erwählung und Verwerfung ganz im Offenbarungsereignis Jesu Christi, der in sich Gottes Ja wie Gottes Nein trägt, aufgehoben sein ließ. Für Barth ist die „Lehre von Gottes Gnadenwahl [...] die Summe des Evangeliums" (KD II/2, 9; vgl. 13 und die Leitsätze zum § 32). „Die Gnadenwahl ist das ganze Evangelium, das Evangelium in nuce. Sie ist der Inbegriff aller guten Nachricht." (AaO 13.) Christus ist „die Substanz der Prädestination" (aaO 162). Ausdrücklich vom „Licht der Gnade" redet Barth in seinen Vorlesungen über die Prädestinationslehre, die er in Ungarn und in Siebenbürgen 1936 gehalten hatte (K. Barth, Gottes Gnadenwahl, 24). Vgl. die scharfe Kritik E. Brunners (Dogmatik I, 353-357) an Barths Fassung der Prädestinationslehre; ausgewogener urteilt E. Buess (Zur Prädestinationslehre Karl Barths). 613 Vgl. Cl 8, 200,18-26 (Nr. 3925). „De Cicerone. Deinde fecit mentionem Ciceronis, optimi, sapientissimi et diligentissimi viri, quanta ille passus sit et fecerit: Ich hoff, inquit, unser Hergott wirdt im und seins gleichen auch genedig sein, quamvis non est nostrum illud dicere et definire, sondern sollen bey dem verbo revelato bleiben: 'Qui crediderit et baptizarus fuerit etc.'. Quod autem Deus possit cum aliis dispensare et

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aus dieser persönlichen Hoffnung keine allgemeine Theorie, keine Allversöhnungslehre614, sondern legt sich selbst die Einschränkung auf) daß man beim offenbarten Wort bleiben solle. Die Besonderheit in Luthers Denken zeigt sich sdir gut im Vergleich mit Überlegungen Melanchthons in dessen späten Loci. Melanchthon stellt zunächst im Kapitel über den Ursprung der Sünde und über dai Zufall heraus, daß der Wille des Teufels und der Wille des Menschen Ursache der Sünde seien (Loci 1559; StA Π/2, 251,29-31: Sunt autem causa peccati voluntas Diaboli et voluntas hominis, quae averterunt se libere sua sponte a Deo [...]; vgl. CA 19; BSLK 75,4f: [...] causa peccati est voluntas malorum, ut diaboli et impiorum [.. .]). Melanchthon geht auf den Fall Sauls ein und hält fest, daß Gott die Vergehen Sauls zwar vorhergesehen, aber nicht gewollt, sondern zugelassen habe (Loci 1559, aaO 256,21-23: Praevidet Deus delieta Saulis, sed non vult ea nec impellit voluntatem eius, sed permittit, ut voluntas Saulis ita grassetur, et non impellit, ut secus agat). Melanchthon greift dann im Verlauf seiner weiteren Argumentation die klassische Unterscheidung der zwei Notwendigkeiten auf (vgl. aaO 260,4-30; s.o. Anm. 353). Gegen die falsche Vorstellung der Tragödie beruft sich Melanchthon auch auf Piatons Bestimmungen über die Theologie, daß Gott niemals Ursache des Bösen sein könne (aaO 261,9-20). Im Kapitel über die menschlichen Kräfte bzw. über den freien Willen stellt Melanchthon zunächst noch einmal heraus, daß es keine schicksalshafte Notwendigkeit gebe und daß eine bestimmte Zufälligkeit angenommen werden müsse (aaO 263,1524). Besonders aufschlußreich sind dann die folgenden Abschnitte, in denen Melanchthon hinsichtlich des Heilsprozesses drei Ursachen in ihrer Mit- und Zusammenwirkung unterscheidet, das Wort Gottes, den Heiligen Geist und den menschlichen Willen, der dem Wort Gottes zustimmt und nicht widerstrebt (aaO 270,19271,1: Cumque ordimur a verbo, hic concurrunt tres causae bonae actionis, verbum Dei, Spiritus sanctus et humana voluntas assenti ens nec repugnans verbo Dei). Wieder stellt Melanchthon, unter Rückgriff auf kirchenväterliche Zitate, heraus daß die Sünde ihren Ursprung im Menschen und nicht im göttlichen Willen habe (aaO 271,1 Of: Constat enim peccatum oriri a nobis, non a volúntate Dei). Es folgt dann ein Abschnitt, „den Melanchthon 1544 verfaßt, aber erst 1548, also nach Luthers Tode, in die Loci eingefugt hat" (E. Hirsch, Hilfsbuch, 162; § 241). Melanchthon betont hier, daß Pharao und Saul nicht gezwungenermaßen, sondern mit Willen und frei Gott widerstrebt haben und daß bei der Bekehrung Davids irgendein freier Wille gehandelt habe (vgl. aaO 271,34-272,17). Unter Bezugnahme auf die Alten zitiert Melanchthon dann eine Formel über den freien Willen, die identisch ist mit der Bestimmung des freien Willens durch Erasmus in Dia (aaO 273,2-6: Ideo veteres aliqui sie dixerunt: Liberum arbitrium in homine facultatem esse applicandi se ad gratiam, id est, audit promissionem et assaltili conatur et abiieit peccata contra conscientiam. Vgl. zur Bestimmung des Erasmus o. Anm. 173).

discrimen habere inter alias gentes, hic non est nostrum scire tempora et modum. Erit enim novum coelum, nova terra multo amplior et latior. Bene potest singulis secundum sua merita retribuere." In Jörg Syrlins (d.Ä.) berühmtem Chorgestühl (vollendet 1474) im Ulmer Münster hat Cicero, neben anderen Heiden wie Vergil, Seneca oder Quintilian, auf einer der Pultwangen einen herausgehobenen Platz. 614 Vgl. die S. 212f und die Anm. 460; 595 und 626.

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Und schließlich folgt als Fazit dieser Argumentationen ein Satz, der in aller Klarheit dai Unterschied zu Luthers Denken markiert: „Da die Verheißung universal ist und in Gott nicht sich widersprechende Willen sind, ist es notwendig, daß in uns irgendeine Ursache des Unterschiedes ist, warum Saul verworfen und David angenommen wird; d.h. es ist notwendigerweise irgendeine unterschiedliche Handlung in diesen beiden" (aaO 273,9-13: Cum promissio sit universalis nec sint in Deo contradictoriae voluntates, necesse est in nobis esse aliquam discriminis causam, cur Saul abiiciatur, David recipiatur, id est, necesse est aliquam esse actionem dissimilem in his duobus). Hier ist das Handeln Gottes und das Handeln der Menschen in ein eindeutiges und einsichtiges Verhältnis gebracht. Gott wird verstanden als einer, der in sich einheitlich ist und sich gegenüber den Menschen auch einheitlich verhält. Zwei Willen in Gott, etwa einen offenbaren und einen verborgenen, gibt es für Melanchthon - in offensichtlichem Widerspruch zu seinem Freund Luther gesprochen - nicht. Wenn es also bei den Menschen einen Unterschied hinsichtlich ihres Heilsstandes gibt, muß der Unterschied konsequenterweise seine Ursache in den Menschen selbst haben. Da Gott einheitlich und universal allen Menschen das Heil anbietet, kann die Ursache für die Verwerfüng nur beim Menschen, in diesem Falle also bei Saul liegen. Die Schuldfrage ist eindeutig geklärt615; die Akte Saul ist geschlossen. Es gibt keine Beunruhigung und kein eschatologisches Weiterfragen616 wie bei Luther. Der „Fall" Saul scheint ein für allemal mit einsichtigen Gründen beigelegt. 615 Wie im chronistischen Geschichtswerk, das das Korrespondenzverhältnis von Schuld und Strafe „bis zur vollkommenen rationalen Evidenz steigert: kein Unglück ohne Schuld, keine Sünde ohne Strafe" (G. v. Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd. 1, 360). Haben die Samuelbücher noch ehrlich und realistisch sowohl von Sauls wie von Davids Verfehlungen und von Sauls Tragik (vgl. aaO 336-340) berichtet, so ist der „David der Chronik" nur noch „ein makelloser heiliger König, der feierliche Reden hält" (aaO 362); der „Fall" Saul wird auch in der Chronik (1. Chr 10,13f) mit einer Reihe von einsichtigen, in seiner eigenen Schuld liegenden Gründen für seinen Untergang abgeschlossen. Vgl. dagegen J. Jeremias, Die Reue Gottes, 27f: „Das Scheitern des ersten Königs, Saul, ist für spätere Generationen wie schon für die Zeitgenossen Sauls stets schlechthin rätselhaft geblieben. Gewiß, daß hier Jahwe seine Hand im Spiel hatte, ist nie strittig gewesen. Aber warum mußte Jahwe, bevor er Israel in David bisher unbekannte Bereiche des Heils eröffnete, den verborgenen dunklen Weg mit Saul gehen?" AaO 35: „Hinter dem großen David und seinen Nachfahren steht der Schatten des unglücklichen Saul. [...] Von David wußte man ja sehr viel konkretere Verschuldungen als von Saul zu berichten (2Sam 12;24 u.ö.); aber David wird nicht verworfen." In das Bild einer rationalen, stimmigen Theologie beim Chronisten paßt auch die „Auswechslung" Jahwes, der David zur Volkszählung aufgereizt hat (2. Sam 24,1), durch den Satan in 1. Chr 21,1, damit - der Vergleich mit Piaton drängt sich auf - Gott als schuldlos erwiesen sei! G. v. Rads Fazit: „Hier hat ein Theologe den Versuch gemacht, Jahwes Geschichte mit Israel rational in den Griff zu bekommen" (aaO 361). Muß man nicht in Entsprechung die Frage stellen, ob nicht auch Melanchthon in den oben dargestellten Texten den Versuch gemacht hat, Gottes Geschichte mit Saul und David rational zu bewältigen? 616 Dieses eschatologische Weiterfragen zeigt sich aber doch noch in Melanchthons letztem Zettel (CR 9, 1098), in der Frage nach dem „große[n] Cur unseres Schicksals" (W. Eiert, Morphologie des Luthertums, Bd. 1, 455), warum wir so geschaffen sind (Cur sic simus conditi). Vgl. R. Stupperich (Melanchthon, 126), der das ganze Blatt in folgender Übersetzung präsentiert: „Auf ein kleines Blatt schrieb er noch, warum er den

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Die „eschatologische Unruhe"617 Luthers, die sich weder im lumen naturae noch im lumen gratiae (mit Mitteln des lumen naturae) beruhigt und die mit ihren Fragen auf das lumen gloriae hindrängt, läßt die Fragen nicht - wie bei Erasmus618, Thomas und Melanchthon - schon geklärt sein. Sie beläßt es nicht dabei, „das Unerforschliche ruhig zu verehren"619. Sie ist, in „der Erwartung der künftigen Selbstidentifikation des offenbaren Gottes (Deus revelatus) am verborgenen (Deus absconditus)"620, unruhig ausgerichtet „auf das eschatologische Ziel, da Gottes Liebe allmächtig und Gottes Allmacht nichts als Liebe

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Tod nicht fürchte. Auf der linken Seite standen die Worte: 'Du wirst von der Sünde erlöst, von den Sorgen und von der Wut der Theologen [a rabie Theologorum] befreit.' Auf der rechten Seite: 'Du kommst zum Licht, du wirst Gott schauen und Seinen Sohn, du wirst die wunderbaren Geheimnisse erkennen, die du in diesem Leben nicht begreifen konntest: warum wir so geschaffen sind und nicht anders und worin die Vereinigung der beiden Naturen in Christo besteht.'" J.B. Metz, Theologie als Theodizee?, 105. Vgl. die nicht an Luther orientierte, aber mit ihm vergleichbare Rede von der ,,eschatologische[n] Rückfrage an Gott" (aaO 108; 115), von der „mystischen Unruhe der Rückfrage" (aaO 116). Für Metz ist „die Rückfrage an Gott die Frömmigkeit der Theologie. Die Theologie [...] kann die Theodizeefrage nicht 'lösen'. Ihre Aufgabe besteht vielmehr darin, sie als Rückfrage an Gott zu formulieren und den BegrifF einer zeitlich gespannten Erwartung auszuarbeiten, daß, wenn überhaupt, Gott selbst sich an seinem Tag angesichts dieser Leidensgeschichte 'rechtfertige'" (aaO 104f). Metz sieht in den vielfaltigen und „respektablen" trinitätstheologischen Entwürfen unserer Zeit (er erwähnt namentlich Barth, Jüngel, Bonhoefier, Moltmann, von Balthasar) eine „unangemessene Überbeantwortung bzw. Beruhigung der eschatologischen Rückfrage an Gott" (aaO 117). S.o. Anm. 399 und 414. Auf Luthers anstößigste Aussage, daß Gott Unschuldige verdamme, geht Erasmus in seiner Erwiderung auf Luthers Bekenntnis im Hyperaspistes II (Opera omnia, Bd. 10, 1515 E - 1518 C) folgendermaßen ein: Auch das Licht der Herrlichkeit könne ihm nicht einsichtig machen, daß Gott einen Unschuldigen in das ewige Feuer werfe (1518A/B: Ego ne per gloriae quidem lumen arbitrer id fore perspicuum, quod Deus immerentem conjiciat in ignem aeternum). Das Licht der Schrift lehre aber eindeutig, daß „niemand zugrunde geht, außer durch freiwillige und eigene Schuld"; außerdem werde den ins Verderben gehenden Gottlosen vorgeworfen, daß sie den rufenden (Gott) nicht hören wollten und daß sie das Heil zurückwiesen. Wie groß das Licht der Herrlichkeit auch immer sein mag, so Erasmus abschließend, es könne trotzdem dem beschriebenen Licht der Schrift nicht widersprechen (1518 B/C: Quomodo autem lumine gloriae perspiciemus Deum punire immerentes, quod per lumen gratiae cerni non potest, cum lux Scripturae doceat neminem perire nisi sponte suaque culpa, & impiis in exitium tendentibus exprobratur, quod vocantem audire noluerint, quod salutem repulerint. Quantumcunque sit gloriae lumen, non pugnat cum lumine Scripturarum). J.W.v. Goethe, Maximen und Reflexionen, Nr. 1207: „Das schönste Glück des denkenden Menschen ist, das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren." J. Baur, Das reformatorische Christentum in der Krise, 67 (These 22).

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sein wird."621 Der deus absconditus ist auf der Ebene des lumen gratiae nicht noch nicht - in den deus revelatus aufgehoben; der Zorn nicht - noch nicht in die Gnade. Das Licht der Gnade und der Glaube lassen sich fur Luther nicht einfach universalisieren622. Sie haben sicher umfassende Geltung, aber immer noch begrenzte Wirkung (s.o. S. 140). Universale Wirkung hat nach wie vor das Allwirken des verborgenen Gottes, und dieser wird seine Wirkung bis zum Licht der Herrlichkeit gegen das Licht der Gnade und den offenbaren Gott behalten623. 9. Das Licht der Herrlichkeit Luthers Aussagen über das Licht der Herrlichkeit stehen unter dem Vorbehalt aller eschatologischen Aussagen: Sie reden von etwas, über das man schlecht reden kann, weil es den menschlichen Vorstellungen gänzlich entzogen ist. Über allen Aussagen hinsichtlich des lumen gloriae steht deshalb Luthers Feststellung hinsichtlich der Geheimnisse der Majestät, die nicht berührt werden können, da sie in unzugänglichem Lichte stehen (Dsa 182,12-14: [...] secretis maiestatis, quae impossibile est attingere, ut quae habitet lucem inaccessibilem, teste Paulo. Vgl. 1. Tim 6,16). Die Rede vom Licht der Herrlichkeit darf nicht wieder zu einer Theologie der Herrlichkeit werden, die, am gekreuzigten Gott vorbei, von der Vollkommenheit, vom Absoluten, vom höchsten und Hebenswertesten Gut redet.624 621 G. Wenz, Luthers Streit mit Erasmus als Anfrage an protestantische Identität, 153. Wenz sieht in Luthers Rede von den drei Lichtern „eine eschatologische Zukunftsperspektive" (ebd) eröffnet, die sich gegen einen „stehenden Begriff der Unbegreiflichkeit Gottes" (ebd) wende. Vgl. in diesem Zusammenhang aber die Ausführungen K. Rahners zur Unbegreiflichkeit Gottes (s.u. S. 229). 622 Vgl. W. Krötkes Aufsatzsammlung „Die Universalität des offenbaren Gottes". Krötke stellt sich selbst die Frage, „ob die christologische Konzentration der Theologie nicht doch dazu führen müsse, am faktischen Dasein der Menschen und ihren Verstehensmöglichkeiten vorbeizugehen" (aaO 12). Trotzdem gehe es darum, „gerade den in Jesus Christus besonders offenbaren Gott im Blick auf alle Relationen der Welt als den einen, universalen Gott, der der Herr der Wirklichkeit ist, zu verstehen" (ebd). 623 Vgl. dazu A. Peters, der von einer inneren Not in Luthers Theologie redet, nämlich insofern als das Evangelium in seiner Ausweitung auf alle Menschen nicht Schritt halten kann mit dem Gesetz: „Das Gesetz scheint weiter zu greifen als das Evangelium, der Zorn umschließt die Gnade, der 'Deus absconditus' hat den 'Deus revelatus' übermocht" (A. Peters, Glaube und Werk, 238). Dennoch hoffe Luther auf das Licht der Herrlichkeit:,behält der Deus absconditus das letzte Wort? Gegen diese Finsternis richtet Luther zum Beschluß seiner Schrift wider Erasmus das gläubige Vertrauen auf das 'lumen gloriae' a u f ' (aaO 249). 624 Vgl. Luthers Resolution zur 58. These, CI 1, 129,36-130,1: Theologus uero gloriae (id est qui non cum Apostolo solum Crucifixum et absconditum deum nouit [vgl. aaO 128,32f: Theologus crucis (id est de deo crucifixo et abscondito loquens) ...], sed gloriosum cum gentibus, ex uisibilibus inuisibilia eius, ubique presentem, omnia potentem uidet et loquitur) discit ex Aristotele, quod obiectum uoluntatis sit bonum et bonum

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Klar ist jedenfalls, daß sich für Luther mit diesem Licht auch eine Gerichtsdimension625 verbindet, in der das Verborgene der Menschen (Rom 2,16; vgl. Ps 19,13 und Ps 51,8) und das Verborgene der dunklen Werke und Wege Gottes zum Vorschein kommen werden. Mit der Hoflmmg auf das Licht der Herrlichkeit und mit der Aussicht auf dessen Schau verbindet sich für Luther die Hoffinmg, daß der alles in allem wirkende verborgene Gott ganz in den in Christus offenbaren Gott aufgehen wird, so daß schließlich Gott alles in allem sein wird (1. Kor 15,28)626. Dann, wenn der letzte Feind627, der Tod, vernichtet und besiegt sein wird (1. Kor 15,26), wird auch das Widereinander von gepredigtem und alles in allem wirkenden Gott beendet sein. Bis zum Licht der Herrlichkeit aber bleibt das Licht des Evangeliums und der Gnade begrenztes Licht, ein Licht, in dem noch nicht alles aufgehoben und geklärt ist. Entscheidend ist, daß sich der gepredigte Gott im Kampf mit den Mächten des Todes und des Bösen ganz durchsetzt, daß der verborgene, alles in allem wirkende Gott ganz im Wirken des offenbarten Gottes aufgeht. Bis zu dieser erhofften eschatologischen Einheit, in der amabile, malum uero odibile, ideo deum esse summum bonum et summe amabile. Dazu: Cl 5, 388,5-389,32; Thesen und Probationes 19 bis 22 der Heidelberger Disputation. 625 Vgl. Dsa 227,34-35: Nam quomodo hoc iustum sit, ut indignos coronet, incomprehensibile est modo, uidebimus autem, cum illuc uenerimus, ubi iam non credetur. sed reuelata facie uidebitur. Ita quomodo hoc iustum sit, ut immeritos damnet, incomprehensibile est modo, creditur tarnen, donee reuelabitur filius hominis. Mit dem Menschensohn ist deutlich dessen Kommen zum Gericht angesprochen (vgl. Mt 25,3 Iff). Für W. Pannenberg ist das „Licht der göttlichen Herrlichkeit [...] identisch mit dem Feuer des Gerichts" (Systematische Theologie, Bd. 3, 671). 626 Vgl. WA 39 I, 203,36f: Erit enim Deus in omnibus omnia, et mirabilis in Sanctis suis, Nosque perfecte pura et nova creatura eius. Hier liegen dann der alles in allem wirkende Gott und Christus, der alles in allem ist (Eph 1,23; Kol 3,11), ganz ineinander. Dazu Cl 5, 429,17-21: Ac per hoc vere cognoscitur, quomodo Christus est 'omnia in omnibus', omnia operata in omnibus, et non vivimus, loquimur, agimus nos, sed vivit et agit et loquitur in nobis Christus, quia quod agimus et loquimur, ipso intus agente et movente efficitur, dum eius operibus accendimur et movemur. 1. Kor 15,28 (u. 26) ist der entscheidende Text in den gewichtigen Theologien der Allversöhnung, etwa bei Orígenes (De prineipiis 1,6,1; 111,5,6-8; 111,6,1-3.9), bei Schleiermacher (Glaubenslehre; Redeker-Ausgabe II, 436: „[...] daß wir nämlich Gott in allem und mit allem erkennen ohne Hemmung [...]"; vgl. 437, Anm. 3; 439, Anm. 1) und vor allem bei den Müttern und Vätern des Pietismus (vgl. F. Groth, Die „Wiederbringung aller Dinge", 43-45 [zum Ehepaar Petersen]; 83f [zu Bengel]; 136-145 [zu Oetinger]; 238240 [zu Hahn]). Vgl. J.Chr. Blumhardts Siegeslied EG 375, das in der 4. Strophe 1. Kor 15,26f aufnimmt: „Denn alles muß vor dir sich beugen, / bis auch der letzte Feind wird schweigen. / Ja, Jesus siegt!" Die genaue Lektüre des ganzen Paulus-Textes (1. Kor 15,20-28) läßt keine eindeutigen Aussagen zu: Zwar ist mit V 21f in universaler Perspektive die ganze Menschheit (durch Adam) thematisiert; von V 23f her sind für Paulus aber offensichtlich nur die Christen und ihre Auferstehung im Blick. 627 Und der „böse Feind" (BSLK 522,18f). Vgl. o. S. 58.

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deus absconditus und deus revelatus zusammenfallen628, bleibt die Spannung in der Erfahrung Gottes und in Gott selbst. Für Luther steht jedoch fest: „Der Christus wirt dich bringen ad absconditum Deum"529. Wie ist aber jetzt schon, da wir noch nicht im Licht der Herrlichkeit sind, von diesem Licht zu reden? Es liegt nahe, das Licht der Herrlichkeit in höchster, unüberbietbarer Steigerung die anderen Lichter übertreffen zu lassen. Es wird dann zum allein leuchtenden Plus gegenüber dem dunklen, rätselhaften Minus. Aber damit gerät das Sprechen vom Licht der Herrlichkeit sehr leicht in die Abstraktion und ist bloß thetisch aller Erfahrung in den anderen Lichtern entgegengesetzt630. Es bleibt die Frage, ob mit diesem Licht die Unbegreiflichkeit Gottes einfach aufgehoben wird. Der Duktus in Luthers Rede von den drei Lichtern geht zwar in die Richtung einer vollkommenen Aufklärung aller bedrängenden Fragen, mit der die Christen „in ciar liecht"631 gestellt wer-

628 Aber wie zusammenfallen? Nur in der Erkenntnis der Glaubenden, für die diese Einheit jetzt noch nicht erkennbar ist? Oder auch im Leben Gottes selber? Es geht hier um die Frage, ob die Aufhebung des Widerspruchs von gepredigtem und verborgenem Gott nur die Schauenden oder auch den Geschauten selbst betrifft; ob es also im Licht der Herrlichkeit nicht nur einen Erkenntnisgewinn für die Gläubigen, sondern auch einen Seinsgewinn für Gott gibt - etwa im Prozeß seiner Einswerdung in der „Zeit, da Gott Alles in Allem, d.h. wo er ganz verwirklicht seyn wird" (Schelling, Freiheitsschrift; Sämtliche Werke, Bd. VII, 404. Vgl. auch den letzten Satz der Stuttgarter Privatvorlesungen: „Dann ist Gott wirklich Alles in Allem, der Pantheismus wahr." [Sämtliche Werke, Bd. VII, 484]). Schellings Denken einer Gottwerdung, einer Theogonie, drängt sich geradezu auf als Interpretationsfolie für Luthers Sicht des In- und Miteinanders von verborgenem und gepredigtem Gott. P. Steinacker hat sich in seiner Lutherauslegung ausdrücklich, allerdings doch unter dem Vorbehalt eines „Vielleicht", Schellings theogonischem Denken angeschlossen: „Das Böse muß sein, um die Liebe lebendig zu machen und zu offenbaren. Solange das Böse noch ist, wird Gott noch" (Luther und das Böse, 149). Hier bricht die Differenz zu Luther deutlich auf; Luther bleibt im Denken vor der Faktizität, der Wirklichkeit des Bösen stehen und versucht nicht, das Böse spekulativ in seiner Notwendigkeit (für das Weltgeschehen oder gar für Gott selbst) zu fassen. Ist Schellings faszinierender Theogonie- und Theodizeentwurf nicht doch ein Denken, das das Licht der Herrlichkeit nicht vor sich, sondern im spekulativen Zugriff vermeintlich schon in sich hat, ein Denken, das einfach zuviel über Gott zu wissen vorgibt? 629 WA TR 5, 294,34. Vgl. 295,5f: „Halt das festiclich und für gewiß, und wen du revelatum nimmbst, wirt er dir den absconditum mit pringen." Zu beachten ist - neben der präsentischen Gewißheit der Heilszusage - auch der Aspekt der Zukünftigkeit; Christus wird (im Licht der Herrlichkeit) den verborgenen Gott mit sich bringen. Vgl. auch WA 43, 461,26f: Si hunc habes, tunc [!] etiam Deum absconditum pariter cum revelato habes. S.o. Anm. 543 und 580. 630 Vgl. G. Ebeling, Lutherstudien II/3, 384 (über die drei lumina): „Gemeint ist [...] nicht eine kontinuierliche Steigerung der Leuchtkraft, sondern [...] die Widerlegung des Urteils der einen Stufe durch die nächstfolgende"; vgl. ebd, Anm. 363. 631 Cl 7, 307,3f (Predigt zu 1. Kor 15,24f; 27.10.1532). Vgl. aaO 306,37-307,1: [...] „er wird fidem beseit thun et suos stellen coram patre und setzen aperte in regnum, ut

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den. Daß Luther aber ausdrücklich von einem Wunder (Dsa 291,19: miraculum) im Zusammenhang des Wandels vom Licht der Gnade zum Licht der Herrlichkeit und vom Licht der Natur zum Licht der Gnade spricht, geht doch über einen bloß erklärenden, aufklärenden Rahmen hinaus. Hier ist vor allem auf Karl Rahner zu verweisen, der wie kein anderer innerhalb der neueren Theologie auf die Unbegreiflichkeit Gottes, und zwar die bleibende Unbegreiflichkeit Gottes hingewiesen hat. Vor allem in späteren Texten Rahners zieht sich diese Unbegreiflichkeit Gottes wie ein roter Faden durch seine Argumentationen. Für Rahner muß alles Geglaubte, so wie bei Luther, durch dai Tod hindurch. In einem kleinen Kapitel in seinem Grundkurs des Glaubens über den Realismus des Christen kommt er, obwohl er sonst auf Luther so gut wie gar nicht Bezug nimmt, lutherischen Gedanken sdir nahe. Dieser Realismus bedeute für den Christen, das Dasein „als dunkel, als bitter, als hart, als in einem unausdenkbaren Maße radikal gefährdet zu sehen." (K. Rahner, Grundkurs des Glaubens, 389.) „Aber um zu begreifen, was Gott uns ist und sein will, muß man diese radikale Bedrohtheit des Lebens sehen und anerkennen. Nur so kann man hoffen und glauben und die Verheißungen Gottes im Evangelium Jesu Christi ergreifen." (Ebd.) „Und insofern ist das Christentum zweifellos im Vollzug des christlichen Daseins aufgefordert, in einem absolut nüchternen Realismus zu sagen: ja, dieses Dasein ist unbegreiflich; denn es geht durch eine Unbegreiflichkeit hindurch, in der uns alles Begreifen entrissen wird, eben durch den Tod." (AaO 390.) Nur in der Übernahme dieses Realismus, so Rahner, „haben wir die Möglichkeit, uns von Gott jene Hoffnung geben zu lassen, die uns wirklich befreit." (Ebd.) Für Rahner bleibt Gottes Unbegreiflichkeit, die der letzte Grund für alle Unbegreiflichkeit ist, auch bis ins Licht der Herrlichkeit hinein, denn sonst wäre Gott nur die letzte Lösung für die offengebliebenen Rechnungen und Rätsel unseres Lebens (vgl. K. Rahner, Bilanz des Glaubens, 85; dazu: 49; 66; 71; 88; 106; 211-213; 220; 318-321; 319: „Die Unbegreiflichkeit des Leides ist ein Stück der Unbegreiflichkeit Gottes." 337; 341; 348. Vgl. K. Rahner, Im Gespräch, Π, 55; 89-93; 89: „Wenn es wirklich einen unbegreiflichen Gott gibt, dessen Unbegreiflichkeit bis in alle Ewigkeit währt - auch dort, wo wir ihn, wie wir Christen zu sagen pflegen, einmal von Angesicht zu Angesicht schauen werden - , dann ist es natürlich im Grunde genommen selbstverständlich, daß eine Theologie, die sehr klar und durchsichtig alle Fragen beantworten würde, an ihrem eigentlichen 'Gegenstand' garantiert vorbeigeredet haben müßte." 166f; 178f; 205: „Für mich ist die Unbegreiflichkeit Gottes nicht nur irgendein Satz, sondern sie ist sdir fundamental. Eigentlich enthalten alle christlichen und auch kirchlichen Dogmen im Grunde genommen das Verbot eines endgültigen Abschlusses und das Verbot, überzeugt zu sein, jetzt habe man die Sache klar. Wenn man alt ist, dann denkt man an den Tod und hofft, daß dies ein Sturz ist in die Unbegreiflichkeit eines zu uns ja sagenden Gottes ") Vgl. W. Härle, Dogmatik, 63, Anm. 17. Ein eindrückliches Dokument der Auseinandersetzung mit der Unbegreiflichkeit Gottes ist auch das Tagebuch des Schriftstellers und Kulturphilosophen Theodor Haecker (Tag- und Nachtbücher 1939-1945). Immer wieder umkreisen seine Gedanken und deum et Christum videant in sua maiestate an verbo, fide, aufis aller clerst." Vgl. o. Anm. 398 und 402.

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Notizen den „schweigenden Abgrund der Unbegreiflichkeit Gottes" (aaO 137). „Die Unbegreiflichkeit Gottes steht vor meinem Schweigen und hinter allai meinen Worten. Könnte ich dies in meiner Sprache ausdrücken, so wäre ich ein großer Schriftsteller." (AaO 42f.) „Wenn einer an Gott zweifeln sollte, weil er ihn nicht begreift, der hätte dai Glauben nicht. Denn damit fängt der Glaube an, daß er Ihn nicht begreift." (AaO 44.) „Die 'Unbegreiflichkeit' ist ein Attribut Gottes, das der Rationalismus überhaupt nicht ins Auge fassen kann, es existiert für ihn sozusagen gar nicht." (AaO 169.) „Gott ist unbegreiflich. Was in dieser Sekunde einzeln und zusammen im Weltall geschieht - wie könnte ein Mensch das einzeln und zusammen sehen, denken, übersehen und überdenken? Aber schon ist die nächste Sekunde da, und auch vorüber. Für Gott aber ist die Ewigkeit da, vor und nach unermeßlichen Zeiten! Gott ist unbegreiflich." (AaO 185; vgl. lOlf; 103; 186; 214f; 269.) Angesichts dieser bleibenden Unbegreiflichkeit ist auf die Vielfalt des biblischen Urwortes Herrlichkeit632 zu achten. Es ist ein Wort, das in seiner Fülle begrifflich nicht zu fixieren ist633. Herrlichkeit (kabod, doxa und gloria) zeigt sich in der furchtbaren Naturgewalt Gottes (Ps 29) ebenso wie in der weisheitlich geordneten Schöpfung (Ps 104). Herrlichkeit liegt über der Majestät und Macht des erhabenen Gottes (Jes 6,4; Hi 40,10) und in der doxa des erniedrigten Gottessohnes (Joh 1,14) und „ H e r r n der Herrlichkeit" (1. Kor 2,8). Herrlichkeit umschließt das Schreckliche, Vieldeutige des verborgenen Gottes wie das Heilsame, Eindeutige des gepredigten Gottes. Der Glaube kann dieser Vielfalt des Lichtes der Herrlichkeit nur entgegengehen und entgegenhoffen, er kann der von Gott zu schaffenden Einheit und Klarheit634 des Lichtes aber nicht vorgreifen.

632 Vgl. H.U. v. Balthasar, Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik. Bd. 111,1. Im Raum der Metaphysik. Teil 1. Altertum, 13: „ [...] Herrlichkeit ist eine alldurchwirkende Grundaussage der Schrift [...]". Das gesamte siebenbändige, voluminöse und wuchtige Werk von Balthasars über die Herrlichkeit Gottes ist nicht leicht zu lesen und schwer zu überschauen. V. Spangenberg hat, unter Konzentration auf die exegetischen Teile, einen gehbaren Weg in dieses Gebirge geschlagen (vgl. Ders., Herrlichkeit des Neuen Bundes). 633 Vgl. H. Melvilles Überlegungen über die nicht eindeutige Fülle und Vielfalt des Bedeutungsgehaltes der weißen Farbe im 42. Kapitel seines Hauptwerkes Moby Dick. Das Weiß stehe als wichtigstes Symbol geistiger Dinge für göttliche Erhabenheit, Pracht und Reinheit (vgl. Ps 51,9; 104,lf; Mt 17,2; 28,3; Apk 1,14; 3,5; 4,18; 19,14; 20,11) zugleich aber auch für die weißen Abgründe der Milchstraße, für das Schreckliche, Dämonische, das in einem Gespenst, einem weißen Hai oder eben - im weißen Wal verkörpert sei. 634 W. Krötke (Gottes Klarheit, 26f) sieht zwar die Spannungen in Luthers Rede von der Doxa Gottes, furchtet aber, daß „Gottes gloria unerträglich zerrissen zu werden droht" (aaO 27) und plädiert deshalb im Sinne einer befriedigenden (nach meinem Urteil allzu stimmigen) Gotteslehre dafür, die Herrlichkeit Gottes „als Klarheit eines eindeutigen Gottseins Gottes nicht nur für den Menschen, sondern auch für sich selbst zu verstehen und auszusagen" (ebd).

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Luther hat in seinen Predigten ein Bild gefunden, das in der eben beschriebenen Weise dem Licht der Herrlichkeit gerecht wird, wenn er von Gott sagt, er sei nichts anderes als ein „glüender backofen foller liebe/der da reichet von der erden biß an den hymmel.""5 Dieses Bild steht, nach meiner Auffassung, zwischen dem lumen gratiae und dem lumen gloriae. In ihm ist „mit der Plerophorie letzter Gewißheit"636 und Eindeutigkeit von der Liebe des offenbaren Gottes die Rede; in ihm schwingen aber hintergründig auch noch, angesichts der Mehrdeutigkeit der Metaphorik des Feuers und des Ofens, die rätselhaften und bedrängend unbegreiflichen Vieldeutigkeiten des verborgenen Gottes mit. Das Bild vom Backofen der Liebe hat Maß und Maßlosigkeit zugleich; es trägt lebenschaffendes Gutes und lebenvernichtendes Böses in sich. Es hat etwas Anziehendes und Behaglichkeit Verheißendes - wie ein Kachelofen; es hält aber auch auf Distanz - wie eine unerträgliche Feuersbrunst. Es bewahrt davor, den „lieben Gott" nur einen „guten Mann" sein zu lassen. Es weist daraufhin, daß Gott nicht nur zu heben637, sondern auch zu furchten ist. Welche Furcht ist gemeint mit Luthers Wendung im Kleinen Katechismus „Wir sollen Gott furchten und lieben" (BSLK 508,5 und öfter)? Zunächst sicher die Furcht angesichts des drohenden Gotteszornes, wenn der Mensch das Gesetz nicht hält (BSLK 510,15-18: „Gott dräuet zu strafen alle, die diese Gebot übertreten, darumb sollen wir uns furchten für seinem Zorn und nicht wider solche Gebot tun"). Darüberhinaus geht es sowohl um die Ehrfurcht vor dem heiligen, majestätischen Gott wie auch um die Angst vor dem unbegreiflichen, verborgenen Gott. Vgl. den deus terribilis in WA 7,

635 Cl 7, 384,5f (Invocavitpredigten, 1522). Vgl. die Predigt zu l.Joh 4,16 am 9.6.1532; Cl 7, 261,23-25: „Si deus pingendus, sol ichs malen, quod in abgrund seiner Gottlichen natur nihil aliud est quam ein feur und brunst, quae dicitur lieb zun leuten." 261,30f: „Ibi eytel backoffen dilectionis [...]". Vgl. o. bei Anm. 289. 636 G. Ebeling, Luther, 309. Mit dem Bild von Gott als Backofen voller Liebe (zitiert nach Crucigers Druckbearbeitung; WA 36, 425,13) endet Ebelings berühmtes Lutherbuch. 637 Vgl. T. Mannermaas Bemühungen, Luther - in der Verbindung mit dem Gedanken der Theosis - „als einen konsequenten Liebestheologen" (Grundlagenforschung, 35) darzustellen. Mannermaas Grundthesen: „Aufgrund der Vergöttlichungslehre erschließt sich Luthers Theologie wie von selbst als Theologie der Liebe. Im Glauben partizipiert der Mensch an Gott. Gott ist Liebe; er ist nicht nur Schenker der Liebe, sondern - wie gesagt - selbst die Substanz der Liebe [vgl. WA 20, 740,15f). Glaube und Liebe gehören somit wesentlich, sozusagen 'symbiotisch' zusammen" (aaO 34). Auch so kann man offensichtlich Luther interpretieren. Diese (an ökumenischen Fragestellungen orientierte) Interpretation Mannermaas muß aber mit den anderen Linien in Luthers Denken zusammengehalten werden. Der Gebrochenheit in Luthers Theologie angemessener sind nach meinem Urteil die Ausführungen R. Prenters (Der Gott, der Liebe ist, 289): „Die ontologische Komponente der Gotteslehre: Gott ist Sein! und die trinitarische Voraussetzung der Gotteslehre: Gott ist Liebe! muß auf eine dialektische Weise - nicht in einer harmonischen Verschmelzung - aufeinander bezogen werden. Das heißt wir müssen versuchen, das, was Luther in 'De servo arbitrio' über die beiden Willen in Gott äusserst kühn - möglicherweise zu kühn! - zu sagen versuchte, in irgendeiner Form weiterzuführen."

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Das Beispiel des Glaubens

145,3 und das Nebeneinander von ehrfürchtiger, anbetender Furcht und sich ängstigender, vor Gott fliehen lassender Furcht in Dsa; 178,13: timere et adorare; 177,6: cum reuerentia adoranda (vgl. 123,19-21); 182,29: reuerendus Deus; 177,3: metuenda uoluntate Dei. In Dsa spielen die Bedeutungen der Ehrfurcht (Spr 1,7; Hi 15,4; 28,28), der Angst und des Erschreckens vor Gott (Hi 9,34f; 23,13-17) ineinander; das horrere und fugere in Luthers Auslegung zu Psalm 22 (WA 5, 605,27) gellt aber eindeutig in die Richtung der nackten Angst vor Gott. Vgl. die Randglosse zu Sir 2,1: „Gott fürchten, lieben etc. gehet on anfechtung nicht ab" (WA DB 12, 155). Der junge Luther hat in den Psalmenscholien (zu Ps 67,36: 'Mirabilis deus in sanctis suis'·, Cl 5, 131,26) unter Bezugnahme auf alttestamentliche Gottesbezeichnungen wie der „Schrecken Isaaks" (Gen 31,42.53) den timor als summus cultus Dei herausgestellt (Cl 5, 132,10). Da Gott seine Heiligen in wunderlicher Weise so liebt, daß er sie niederschlägt und demütigt (132,15f), kann der fürchterliche und zu furchtende Gott nur über den Weg der Furcht erkannt werden: Ideoque si nondum stupes, admiraris, metuis, tremis, noli putare te deum agnoscere (132,6f). Immer wieder stellt Luther in seiner frühen Psalmenvorlesung humilitas und timor, Demut und Furcht, nebeneinander (144,3; 148,6). Luther kann in dieser Demutstheologie sogar fordern, daß die Menschen, wenn sie keine wirklichen Leiden haben sollten, sich durch selbstgemachte affektuelle Leiden dazu bereiten, daß Gott sein barmherziges Werk an den Elenden tun kann: Cum igitur nostro tempore reales passiones et tribulationes non habeamus, summe necessarium est, ut saltern qffectuales istas nobis inferamus, ut sic apti simus, quibus deus misereatur et quos salvet (146,28-31). Hier wird der Heilsprozeß regelrecht konstruiert: Der Maisch bringt sich - als sein eigener Tyrann und Folterer! (146,32), in meditatione inferni (146,11) - in das Leiden, in die Demut und die Furcht, so daß ihn dann Gott mit seiner Liebe und Barmherzigkeit aus dieser Hölle wieder herausziehen kann (vgl. die Aufnahme von 1. Sam. 2,6 in 145,3 lf). Ganz anders redet Luther dann in der Hebräerbriefvorlesung: Non enim vi et timore cogit Deus ad salutum, sed dulci isto spectaculo misericordiae et charitatis suae movet et trahit per amorem, quotquot salvabit (Cl 5, 350,14-16). Auffallig und - im Duktus seiner Theologie - konsequent ist wieder Barths Umstellung der Lutherschen Reihenfolge „furchten und lieben", die der von Barth betonten Reihung „Evangelium und Gesetz" entspricht. Barth will die Zuordnung beider Verben, furchten und lieben, so denken, „daß zwischen Liebe und Furcht kein Widerspruch, sondern der engste und notwendigste, wenn auch ein ganz bestimmter und unumkehrbarer Zusammenhang besteht" (KD Π/1, 36). Barth möchte die Reihenfolge der „beiden Begriffe lieber umgekehrt gestellt sehen" (aaO 38); „es muß die Furcht auf die Liebe folgen und nicht umgekehrt; es muß die Liebe als der Grund der Furcht genannt und verstanden, und es muß die Furcht aus der Liebe erklärt werden - nicht irgend eine Furcht aus irgend einer Liebe, aber die Furcht Gottes aus der Liebe zu Gott" (ebd). Aufgrund des Glaubens an den allein in Christus offenbaren Gott, kann es für Barth keine Stelle im christlichen Leben geben, „von der her die Angst wieder hereinbrechen könnte in das Leben dessen, der Gott nach dem ersten Gebot über alle Dinge vertraut" (ebd). Im Unterschied dazu ist bei Luther die Anfechtung eine solche Einbruchsteile für die Angst, die für den kämpfenden Glauben nicht gänzlich überwunden ist. Im Bild vom göttlichen Backofen sind Liebe, Wärme und Barmherzigkeit (vgl. Hos 11,8), aber auch brennender Zorn und verzehrendes Feuer (vgl. Dta 4,24; 32,22; Jes 33,14; Hebr 12,29) umschlossen. Es steht für die Liebesglut (vgl.

Luthers Rede von den drei Lichtern

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Hhld 8,6) wie für den Glut- und Feuerofen (Ps 21,10; Jes 48,10); von ferne läßt es Gedanken an die heftig treibende Glut der Sünde (Hos 7,4.6f) und an das höllische Feuer638 (Mt 5,22) aufblitzen. Es verspricht Heimat und Behaglichkeit, Orientierung und Gottespräsenz (Ex 3,2-6; 13,21), es erinnert aber auch an den brennenden Emst des Gerichtes (Hebr 10,27). Es wehrt schließlich einer spekulativen Zudringlichkeit, dem Willen zum Begreifen und Ergreifen, denn niemand kann in die Feuersbrunst Gottes selbst eindringen - er müßte sonst vergehen639. Viel weiter als zu solch einer Metapher, die angesichts der Bibel-, Glaubens-, Lebens- und Denkerfahrung Bestand hat, können keine Verkündigung und auch keine theologische Abhandlung kommen.

638 Bei Dionysius dem Kartäuser ist der Feuerofen Bild der Hölle; vgl. J. Huizinga, Herbst des Mittelalters, 308f: „Die körperlichen Qualen und Schmerzen werden in schreienden Farben geschildert. Der Sünder muß angestrengt danach trachten, sie sich so lebendig wie nur möglich vorzustellen. 'Halten wir uns', sagt Dionysius, 'einen überheizten und weißglühenden Ofen vor Augen und darin einen nackten Mann liegend, der nimmer aus einer solchen Qual erlöst werden wird. Würde uns nicht die Qual, ja schon der Anblick unerträglich erscheinen? Wie unselig würde uns der Mann dünken! Stellen wir uns vor, wie jener Mann in dem Ofen sich hin- und herwälzen, wie er schreien, heulen, leben würde, welche Angst ihn bedrängen, welcher Schmerz ihn durchdringen würde, vor allem, wenn er merkte, daß jene unerträgliche Strafe niemals endet'". Vgl. auch 4. Esra 7,36. 639 Wie der Dichter vor dem Engel in Rilkes erster Duineser Elegie: „[...] ich verginge von seinem stärkeren Dasein." Vgl. Jes 6,5.

Literaturverzeichnis Α. Hinweise Die Literatur wird in den Anmerkungen durch Angabe von Verfasser/in, Titel bzw. Kurztitel und Seiten- bzw. Spaltenzahl nachgewiesen. Luther wird (wenn möglich) nach der Bonner/Clemenschen Ausgabe (= Cl) oder nach der Weimarer Ausgabe (= WA) angeführt. Luthers Bibelvorreden werden konsequent nach der Ausgabe von H. Bornkamm zitiert. Erasmus wird (wenn möglich) nach der Welzig-Ausgabe oder nach den Opera omnia angeführt. De servo arbitrio (= Dsa) wird nach dem 3. Band der Bonner Ausgabe (z.B. Dsa 200,24) zitiert; De libero arbitrio (= Dia) wird (im lateinischen Text wie in der deutschen Übersetzung von W. Lesowsky) nach dem 4. Band der Welzig-Ausgabe (z.B. Dia Ia4, 6) zitiert. Lateinische und griechische Zitate werden ohne Anführungszeichen wiedergegeben. Auslassungen innerhalb der Zitate werden konsequent mit eckigen Klammern ([...]) notiert, am Anfang und am Ende der Zitate dann, wenn es der Satz- oder Sinnzusammenhang nahelegt. Hinzufügungen in Zitaten werden ohne weiteren Hinweis in eckige Klammern gesetzt. Abkürzungen werden nach Siegfried Schwertner (Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/NewYork 1974) verwendet. Sonstige Abkürzungen werden jeweils beim Literaturnachweis angegeben.

B. Quellen - Übersetzungen - Hilfsmittel Luther, Martin, Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe; zit.: WA; WA BR [Briefe]; WA DB [Deutsche Bibel]; WA TR [Tischreden]), 1883ff (angeführt nach Band, Seite, Zeile). Luthers Werke in Auswahl (Bonner/Clemensche Ausgabe; zit.: Cl). Bd. 1, hg. v. O. Clemen, Berlin 61966; Bd. 2, hg. v. O. Clemen, Berlin 6 1967; Bd. 3, hg. v. O. Clemen, Berlin 61966; Bd. 4, hg. v. O. Clemen, Berlin 61967; Bd. 5, hg. v. E. Voglesang, Berlin 31963; Bd. 6, hg. v. H. Rückert, Berlin 31966; Bd. 7, hg. v. E. Hirsch, Berlin 31962; Bd. 8, hg. v. O. Clemen, Berlin 31962 (angeführt nach Band, Seite, Zeile). Studienausgabe (zit.: StA), hg. v. H.-U. Delhis, Berlin 1979ff.

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Personenregister Abaelard, P. 2, 19, 78 Adam, Α. 46 Adorno, Th.W. 35,71, 155 Adriani, Th. 54 Äsop 154 Ailly, P.d. 39, 49 Aischylos 126f Albertus Magnus 201 Alexander d. Große 171 Alexander v. Hales 195 Altenstaig, J. 195 Althaus, P. 118 Améry, J. 13 Anders, G. 61, 130, 184 Andersch, Α. 168 Anselm v. Canterbury 46, 86-90, 196, 215 Aristoteles 4, 20, 28, 32f, 38, 47, 57, 77f, 87, 137f, 153, 157, 159, 166170, 175, 177, 181, 188, 193, 197, 201, 226 Arius 10 Asaph 20, 27, 159 Athanasius 49 Auer, Α. 13, 31, 64 Augustijn, C. 5, 7f, 165 Augustinus 33, 36, 38f, 46, 52f, 58, 78, 85f, 96f, 119, 128, 161f, 163f, 171, 176f, 190, 193-195, 198, 201, 214, 217, 220f Aulén, G. 56 Baader, F.v. 144 Bader, G. l l f , 15, 24 Balthasar, H.U.ν. 225, 230 Bandt, H. 103-105, 114, 117, 134, 136, 142, 173, 217, 221 Barth, H.-M. 58, 169 Barth, K. 4, 105f, 111, 113, 115f, 131, 141f, 148, 151, 178, 196, 212, 222, 225, 232

Basilius d. Große 161 Bauke-Ruegg, J. 107, 117 Baur, J. 12, 48, 135, 141, 169, 225 Bayer, O. 3f, 17, 49, 55, 79, 84, 90, 98, 101, 106, 113f, 132f, 148, 152, 154, 181, 184f, 198, 204 Beckmann, M. 131 Beer, Th. 199 Beethoven, L.v. 44, 131 Behnk, W. 221 Bengel, J A. 227 Benn, G. 73, 125, 172 Berger, P.L. 202 Bernhard v. Clairvaux 2, 19, 97, 152, 195 Bethge, E. 129 Bethge, E. u. R. 71 Biel, G. 4, 46, 52, 77, 120, 123, 132, 157, 175, 179, 195, 214 Blanke, F. 202 Bloch, E. 97, 155, 173, 222 Blöcker, G. 170 Blumenberg, H. 61, 80, 121 Blumhardt, J.Chr. 227 Böhme, J. 144f, 172 Boethius 36, 52, 86f, 120-123, 128, 161, 164, 173, 187 Bonaventura 157, 195, 201 Bonhoeffer, D. 71f, 129, 225 Bornkamm, H. 111, 144 Brisger, E. 47 Brockes, B.H. 147 Brunner, E. 217, 222 Büchner, G. 97, 124f, 149 Buess, E. 222 Buggle, F. 59 Bullinger, H. 205 Bultmann, R. 61, 116, 220 Burkert, W. 126 Burri, Α. 35 Byron, G.G.N. 60

Personenregister

Caesarius, J. 55 Calvin, J. 100, 21 lf, 220 Campeggio, L. 54 Capelle, W. 137 Capito, W. 105 Cassianus, J. 97 Chrysostomus, J. 85, 176 Cicero 4, 6, 20, 27f, 78, 155, 157f, 164f, 167, 173, 186, 201, 222f Clemens v. Alexandrien 36 Cruciger, C. 231 Curtius, E R. 41, 49, 107 Dalferth, I.U. 141 Dante Alighieri 41 David 20f, 27, 55, 113, 149, 156, 159f, 220, 223f Delius, H.-U. 156, 166 Demosthenes 4, 20, 28, 155, 157 Denzinger, H. 86 Descartes, R. 33, 86, 146, 184, 198 Deschner, K. 59 Desprez, J. 113 Di els, H. 59, 126, 137 Dieter, Th. 137, 167 Dihle, A. 37 Dilthey, W. 192 Diogenes 167 Dionysius Areopagita 86, 97, 99, 102, 172, 194 Dionysius d. Kartäuser 233 Dionysius v. Sizilien 208 Döpp, S. 156 Doerne, M. 148 Dostojewski, F.M. 7, 62, 97, 111, 115, 207 Dürer, A. 169 Duns Scotus, J. 8, 77, 153, 157, 195f, 214 Ebeling, G. 39, 48, 79, 132, 207, 228, 231 Eckehart, Meister 97f, 195 Eckermann, J.P. 60 Eggebrecht, H.H. 131 Eiert, W. 36, 48, 58, 62, 87, 92, 109, 112f, 116, 129, 133, 140, 146, 169, 181, 202, 207, 209, 220, 224 Elia 168

261

Epikur 4, 20, 28, 93, 159, 164-169, 183 Erasmus v. Rotterdam 1-16, 22f, 2628, 3Of, 39, 42-46, 52-54, 62-68, 73,77, 82, 84, 92, 117, 119, 134f, 138, 140, 154, 157f, 160-166, 169, 174, 180, 199, 203, 208-211, 220223, 225f Euripides 37, 126, 138 Evers, H G. 35 Fest, J.C. 169f Feuerbach, L. 138 Fichte, J G. 145f, 196 Flacius, M. 68 Flasch, K. 220 Freitag, A. 181 Freud, S. 50, 151 Friedrich d. Große 60 Gehlen, A. 34 Geldenhauer, G. 54 Gerhard, J. 196 Gerson, J. 39, 49,51, 152, 179 Gese, H. 32, 36, 115, 126, 179 Geyer, H.-G. 43 Goethe, J.W.v. 36, 60, 80, 97, 111, 144, 147, 149, 163, 168f, 225 Gogarten, F. 135, 186 Goppelt, L. 55 Gotthelf, J. 62 Grabbe, Chr.D. 62 Gregor v. Nyssa 87-90 Grimm, J.u.W. 40 Groß, W. 221 Groth, F. 227 Haag, H. 59 Habermas, J. 57, 184 Haecker, Th. 229f Härle, W. 30, 38, 57, 59, 67, 116, 122, 133, 143, 192, 212, 229 Hahn, J.M. 227 Hamann, J.G. 146 Hamburger, K. 125 Hankamer, P. 60 Hamack, Th. 11, 30, 133, 150, 220 Haydn, J. 147 Hebbel, F. 125, 147, 185

262

Personenregister

Hegel, G.W.F. 53f, 70, 138, 146, 155, 184, 191, 200, 203 Heidegger, M. 170 Heim, K. 129 Heino 130 Heinrich v. Gait 195f Hengel, M. 142 Heraklit 126 Hermann, R. 15 Hermisson, H.-J. 114, 185 Herms, E. 4, 67, 199 Herodot 165 Herrmann, W. 4, 67, 78f Hesekiel 150, 210f Hesiod 127, 137, 161 Hick, J. 163 Hieronymus 24, 55 Hindemith, P. 172 Hi ob 20, 26-28, 84, 95, 100, 107, l l l f , 114-116, 129, 148f, 155f, 159f, 172, 179, 183-185, 218 Hirsch, E. 23, 55, 74, 129, 143, 223 Hitler, A. 169f, 192 Hobbes, Th. 94 Hochstaffl, J. 86 Höffe, O. 38 Hölderlin, F. 165 Hoffmann, M. 6, 31, 43, 64, 68, 154 Hoffmeister, J. 189 Hofius, O. 92 Hofmannsthal, H.v. 155 Holl, K. 76, 78, 95, 100 Hollatz, D. 196 Homer 36f, 47, 59, 91, 125-127, 137, 144, 155-157, 161, 165, 200 Horaz 157, 165 Horn, Chr. 38 Hosea 92, 114, 149f, 201, 213, 232 Hünermann, P. 86 Huizinga, J. 8, 233 Irenäus v. Lyon 163 Iwand, H.J. 4, 79 Jaeger, W. 161 Janowski, B. 205 Janowski, J.Chr. 212 Janz, D R. 4 Jaspers, K. 61 Jean Paul 97

Jepsen, A. 185 Jenson, R.W. 51 Jeremía 15, 20, 25, 27f, 95, 100, 112, 115, 126, 148, 158-160, 173, 185, 218 Jeremias, Joachim 29, 212 Jeremias, Jörg 150, 224 Jesaja 19, 50, 66, 81, 90, 103, 106, 117, 125f, 134, 136, 140, 143, 146, 151, 178, 182, 201, 212, 230, 232f Joest, W. 15, 48, 51 Johann v. Sachsen 165 Johannes 12, 72, 95, 99, 204 Johannes v. Damaskus 40, 85, 123 Johannes v. Kreuz 101 Jona 109f, 166, 192 Jonas, H. 180, 183f Jordahn, B. 18 Judas 112, 123, 125, 128, 209 Jüngel, E. 4, 105-110, 114, 121, 134, 136-138, 141f, 144, 148, 151, 207f, 218, 220, 225 Jünger, E. 1, 130 Justus, B. 189 Käsemann, E. 50, 61, 72f, 142, 204, 220 Kafka, F. 175 Kanitz, E.v. 160 Kant, I. 2, 4, 33, 36f, 40, 53, 58, 71, 75-80, 96, 98, 146, 148, 156, 175, 181-184, 188, 203, 222 Karlstadt, A.B.v. 8, 73 Kattenbusch, F. 103 Keller, G. 131, 155 Kepler, J. 172, 197 Kerlen, D. 14f, 31 Keßler, E. 52 Kierkegaard, S. 33, 135 Klages, L. 36 Kleist, H.v. 97, 170 Klepper, J. 112, 142f, 147f Koch, H. 162 Köpf, U. 152 Kohelet 32, 110, 127-129, 149, 157, 171, 176-178 Kohls, E.-W. 4 Kojève, Α. 126 Kolakowski, L. 61

Personenregister

Konrad, J. 129 Korsch, D. 56, 153f, 218 Kranz, M. 130 Kraus, H.-J. 204 Kreiner, A. 162f Krings, H. 2, 201 Krötke, W. 226, 230 Kühn, H. 32 Kuschel, K.-J 221 Laktanz 93f, 183 La Mettrie, J.O.d. 35 Latomus 52, 81, 110, 140 Lausberg, H. 29f Lavant, Chr. 160 Leese, K. 144 Lefèvre, J. 103 Leibniz, G.W. 58, 88, 108, 123f, 145, 158, 162, 182, 184, 196, 200,211 Lenz, J.M.R. 97, 124, 144, 149 Leo X. 13 Lernet-Holenia, A. 73 Lesky, A. 138 Levi, P. 61 Livius 155 Loewenich, W.v. 186 Legstrup, K.E. 148 Lcmning, I. 199 Loyola, I.v. 7 Luhmann, N. 57 Lukács, G. 173, 192 Lula an 165f Luna, I. 180 Luthardt, Chr.E. 57 Luther, Magdalena 205 Mann, Th. 62 Mannermaa, T. 231 Maria 100, 153, 160 Marquard, O. 57, 130, 150 Marx, K. 126, 203 Maurer, W. 22 McSorley, H J. 221 Mechthild v. Magdeburg 172 Mehlhausen, J. 6, 135 Melanchthon, Ph. 36, 39, 54, 63, 111, 113, 117, 149, 162, 195, 201f, 223-225 Melville, H. 62, 172, 230 Menoikeus 165

263

Metz, J.B. 149, 225 Miethke, J. 118 Moltmann, J. 147, 149, 181, 225 Moses 95, 134, 152, 190f Mozart, W.A. 113, 131 Mühlenberg, E. 87f Müller, K.W. 123, 179 Napoleon Bonaparte 60, 125 Natzmer, G.v. 147 Neuner, J. 86 Nietzsche, F. 34, 36, 50, 146, 168, 192 Nikolaus v. Kues 86, 103, 121, 171 Oberman, H.A. 4, 11,51, 179 Ockham, W.v. 118, 170 Oetinger, F.Chr. 227 Orígenes 42-44, 52, 16 If. 176, 209, 212,214, 227 O'Rourke Boyle, M. 6 Otto, R. 92, 99, 192 Otto, W.F. 165 Ovid 27, 156f Padberg, R. 64 Paganini, N. 60 Pannenberg, W. 34, 48, 55, 87, 141, 155, 163, 176f, 212, 216, 227 Paracelsus 8 Pascal, B. 7, 33, 42, 172 Paulus l l f , 15, 19, 29, 38, 43, 52, 59, 74, 84, 92, 95, 97, 117, 119, 142, 146, 161, 190f, 199, 219f, 222, 227 Pelagius 8, 10, 53 Pesch, O H. 4, 16, 83, 201f, 216 Peter d. Große 60 Peters, Α. 44, 83, 226 Petersen, J E. u. J.W. 227 Petrus 173 Petrus Lombardus 39, 47, 153, 179, 209 Pharao 52, 61, 112, 123, 134, 209, 223 Picht, G. 62, 138 Pico della Mirandola, G. 4If Pieper, J. 87 Pindar 126f Pinomaa, L. 92, 94

264

Personenregister

Plantinga, Α. 162 Plathow, M. 174 Platon 33, 36-39, 43, 57, 59, 87, 102, 127, 137f, 157, 161, 195, 200, 203, 211,223f Plessner, H. 31, 34f, 96 Plinius, d.Ä. 4, 20, 28, 166 Plotin 32, 172 Prenter, R. 231 Ps.-Augustinus 46 Puccini, G. 131 Putnam, H. 35 Quintilian 30, 223 Raabe, W. 131 Rad, G. ν. 32,91, 114f, 149, 224 Rahner, K. 226, 229 Ratschow, C H. 29f, 142 Ratzinger, J. 101 Rechenberg, H.ν. 212 Rehm, W. 97 Reisch, G. 128 Rieske-Braun, U. 50 Rilke, R M. 233 Ritschl, A. 11, 92f, 205 Roos, H. 86 Rosenau, H. 162 Rosenberg, A. 192 Rothe, R. 78 Rousseau, J.-J. 72 Rückert, H. 186 Sappho 36 Sartre, J.-P. 70 Saul 21, 112f, 149, 223f Savonarola, H. 8 Schadewaldt, W. 37, 60, 91, 125, 143f, 165, 168, 200, 220 Scheler, M. 34f Schelling, F.W.J. 4, 50, 56, 70, 117, 124, 132, 136, 144-147, 169, 180, 182, 192, 228 Schelsky, H. 35 Schiller, F. 72, 76, 220 Schleiermacher, F.D.E 4, 36, 59, 67, 78f, 92f, 147f, 163, 177, 192, 199, 202,212,216, 221,227 Schmid, H. 176 Schmitt, C. 126, 144

Schneider, R. 147f, 172f, 202 Schopenhauer, A. 147, 155, 192 Schulz, W. 71 Schulz-Hoffinann, C. 131 Schumacher, O. 5 Schwarz, R. 69, 157 Schwarzwäller, Κ. 22 Schweitzer, Α. 147 Sedlmayr, Η. 35 Seils, M. 119 Seneca 127, 223 S enfi, L. 113 Shakespeare, W. 62 Simson, O.v. 173 Snell, B. 32, 36f, 47, 57, 127 Solle, D. 184f Sokrates 27, 172 Sophokles 126, 220 Spalatin, G. 65, 99 Spangaiberg, V. 230 Spengler, O. 192 Spinoza, B d. 123, 146 Stange, C. 77, 122 Staupitz, J.v. 53f Steinacker, P. 4, 56, 124, 144, 228 Stier, F. 173, 175 Stifter, A. 131 Storm, Th. 131 Strauss, R. 155 Stridi, Chr. 197 Stupperich, R. 224 Swinburne, R. 162 Syrlin, J.d.Ä. 223 Tauler, J. 97-101, 152 Terenz 156f Therese v. Lisieux 101, 202 Thiele, E. 128, 158 Thomas v. Aquin 2, 4, 16, 24, 27f, 32f, 39-41, 46, 52, 58, 69, 85f, 90, 118-120, 122f, 128, 138, 153, 155, 157, 162, 164, 170f, 173-175, 176179, 187-199, 201, 206, 209, 213216, 225 Tibull 156 Tillich, P. 60f, 72, 164 Tolstoi, L.N. 125 Troeltsch, E. 2 Tschaikowski, P.I. 131

Personenregister

Valla, L. 52, 121 Verdi, G. 130 Vergil 126f, 154-157, 223 Voltaire 63 Vorster, H. 4, 46, 121 Voss, J H. 37

Wenz, G. 67, 226 Wiclif, J. 52, 119f Wobbermin, G. 67 Wölfflin, H. 169 Wolff, Chr. 108 Wolff, H.W. 37

Wagner, F. 72 Wagner, R. 130, 168 Walter, J.v. 5 Weber, C.M.v. 108 Weber, M. 185 Weier, R. 103 Weinstock, H. 32 Weizsäcker, C.F.v. 173 Weller, H. 113

Xenophanes v. Kolophon 137f Zasius, U. 54 Zeno 130 Zickendraht, K. 1, 6, 77, 134 Zimmerli, W. 58, 179 Zur Mühlen, K.-H. 39, 50f Zweig, S. 7, 46 Zwingli, H. 205

ANJA LOBENSTEIN-REICHMANN

Freiheit bei Martin Luther Lexikographische Textanalyse als Methode historischer Semantik 1998. 23 X 15,5 cm. XIII, 598 Seiten. Mit zahlreichen Tabellen. Leinen. D M 268,-/öS 1956,-/sFr 2 3 9 , • ISBN 3-11-016076-5 (Studia Linguistica Germanica 46) Gegenstand des Buches ist der Freiheitsbegriff bei Martin Luther. Die Untersuchung beruht auf einem 35 Bände umfassenden Corpus (der Weimarer Ausgabe) von Luthertexten aus den Jahren 1517 bis 1531. Die Autorin analysiert die Texte mittels eines Verfahrens, das dem Einzelwort und seinen semantischen Vernetzungen im Text zentrale Bedeutung beimißt. Das Ergebnis dieser Sprachanalyse schlägt sich in einem neuartigen Typ autorenlexikographischer Artikel nieder, die in ihrer Gesamtheit als Luther-Wörterbuch zum Freiheitswortschatz dienen können. Von außerordentlichem Interesse ist dieser Band nicht nur für Germanisten durch die konsequente Anwendung der lexikographischen Textanalyse, sondern auch für Theologen durch die inhaltlichen Ergebnisse und für Historiker durch die Ausführungen zum Freiheitsbegriff im Kontext der Bauernkriege.

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